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Toronto
Library
BEIHEFTE
ZUR
ZEITSCHRIFT
FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
Dr. GUSTAV GROBER
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG I. E.
XXIV. HEFT
ERICH GIER ACH, SYNKOPE UND LAUT ABSTUFUNG
EIN BEITRAG ZUR LAUTGESCHICHTE DES VORLITERARJSCHEN
FRANZÖSISCH
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1910
SYNKOPE UND LAUTABSTUFUNG
EIN BEITRAG ZUR
LAUTGESCHICHTE DES VORLITERARISCHEN FRANZÖSISCH
VON
ERICH GIERACH
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
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ysi
Inhalt.
Seite
Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen für Literaturangaben vii
Einleitung i
I. Die gemeinromanische Synkope.
1. Liquida und s IG
2. Konsonanten gleicher Artikulationsstelle i6
3. Vokalisierung des Konsonanten 29
4. Konsonanten gleicher Lautstufe 35
II. Palatal im Anlaut 39
1. Palatale Gruppen vor c und t 42
2, g, c vor d, t 48
3- Cr 73
4. k^ vor 1, n, m 78
m. Liqvdda, Nasal und Spirans im Anlaut 82
1. Liquida, Nasal und Spirans vor t.
a) 1, r, s + t vor dem Ton lOO
b) n, v, m vor t 102
2. Liquida, Nasal und Spirans vor k.
a) Liquida vor k, k' 106
b) Nasal vor k, k^ II2
c) Spirans vor k, k^ Il6
Zusammenfassung 117
IV. Einflufs des a der Ultima. Versohlufslaut vor c, p, t . . 119
1. Einfache Media im Anlaut 126
2. Einfache Tenuis im Anlaut 133
3. Gedeckte Media im Anlaut 137
4. Gedeckte Tenuis im Anlaut 144
V. Media und Gruppe im Auslaut. Die stimmlosen Spiranten.
1. Verschlufslaute vor Media 149
2. Vulgärlateinische Langiormen 153
3. Die stimmlosen Spiranten s, f 154
4. Gruppe im Auslaut: Kons. -}- r, i ; k^ 156
VIII
Seite
Anhang. Mundartliches 162
Zusammenfassung 167
Verzeichnisse :
1. Die Grundformen 173
2. Die Entsprechungen 182
3. Die Gruppen 191
4. Grammatisches 192
Berichtigungen 194
n
Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen für
Literaturangaben.
ALL: Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik, hrg. von W.
Wölfflin.
Atl. ling.: J. Gillieron, Atlas linguistique de la France.
Bauer: A. Bauer, Der Fall der Pänultima und seine Beziehungen zur Er-
weichung der intervokalen Tenuis zur Media und zur Vokalveränderung
in betonter freier Silbe. Diss. Würzburg 1903.
Berger: H. Berger, Die Lehnwörter in der französischen Sprache ältester Zeit.
Leipzig 1899.
Cl^dat: Leon C16dat, Sur le traitement de C apr^s la Protonique et la Penul-
treme atones; Consonnes intervocales aprfes la protonique et la
penultieme atones. Revue de philologie fran^aise et de litterature
XVII (1903) 122—138, 209—228.
Dict. g6n. : Hatzfeld et Darmesteter, Dictionnaire general de la langue fran9aise.
Paris (188 ff.).
Diez: Diez, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen. S.Aus-
gabe (1887).
Ellrath: H. Elfrath, Die Entwicklung lateinischer und romanischer Drei-
konsonanz im Altfranzösischen. Rom. Forsch. X (1899).
God.: F. Godefroy, Dictionnaire de l'ancienne langue fran^aise et de tous
ses dialectes du IXe au XV« siecle, Bd. i— 10, Paris 1880— 1901.
Gr.: Grundrifs der romanischen Philologie, hrg. von G. Gröber. Band I,
2. Aufl. (1904 — 06).
Gutheim: F. Gutheim, Über Konsonanten- Assimilation im Französischen, Diss.
Bern 1891.
Herford: H.Herford, Die lateinischen Proparoxytona im Altprovenzalischen.
Diss. Königsberg 1907.
Herzog: E. Herzog, Streitfragen der romanischen Philologie I. Halle 1904.
Hetzer: K. Hetzer, Die Reichenauer Glossen. Halle 1906.
Horning, Prop.: A. Horning, Die Behandlung der lateinischen Proparoxytona
in den Mundarten der Vogesen und im Wallonischen. Programm
Strafsburg 1902.
Karsten: P. Karsten, Zur Geschichte der afr. Konsonanten-Verbindungen. Diss.
Freiburg 1884.
Klausing: P. Klausing, Die Schicksale der lateinischen Proparoxytona im
Französischen. Diss. Kiel 1900.
Körting: G. Körting, Lateinisch-romanisches "Wörterbuch. I. — 3. Aufl.
Lindström: Anmärkuingar tili de obetonade vokalernas bortfall i nagra nord-
franskar ortnamn. Diss. Upsala 1892.
Marchot: P. Marchot, Petite phonetique du fran^ais prelitteraire (VI« — Xe
siecles). Freiburg 1901 f.
M.-L.: "W. Meyer-Lübke.
— Bat. im Gall.: Die Betonung im Gallischen. Sitz.-Ber. der kais. Akad.
d. Wiss. in Wien, phil.-hist. Klasse CXLIII (1901).
— Einf. : Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft.
Heidelberg 1901.
— Frz. Gr.: Historische Grammatik der französischen Sprache. Heidelberg
1908.
— Rom. Gr.: Grammatik der romanischen Sprachen. Leipzig 1890 — 1901.
Nyrop : Kr. Nyrop, Grammaire historique de la langue fran9aise. I. Bd. 2. Aufl.
1904, 2. Bd. 1903, Kopenhagen.
Rom.: Romania.
Schw.-B. : Schwan-Behrens, Grammatik des Altfranzösischen. 7. Aufl. Leipzig
1907.
Schuchardt R. E. : H. Schuchardt, Romanische Etymologien. Sitz.-Ber. der
kais. Akad. d. Wiss. in Wien, phil.-hist. KI. Bd. 139 und 141
(1S98, 99).
Shepard: W. P. Shepard, A Contribution to the History of the Unaccented
Vowels in Old French. Diss. Heidelberg 1897.
Walde: A. Walde, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1906.
Zeitschr.: Zeitschrift für romanische Philologie.
Einleitung.
Es ist ziemlich allgemein anerkannt, dafs im 5. — 6. Jahrhundert
in Gallien die einfachen stimmlosen Konsonanten des Lateinischen
zwischen Vokalen stimmhaft wurden. Wenn nun ein solcher Kon-
sonant durch Ausfall eines unbetonten Vokals mit einem anderen
Konsonanten in Berührung trat, so erscheint als Endergebnis im
Altfranzösischen bald ein stimmloser, bald ein stimmhafter Laut.
Da ist nun ebenfalls, wenn auch nicht so allgemein wie bei dem
Satze von den intervokalen stimmlosen Konsonanten, anerkannt,
dafs diese Verschiedenheit des Ausgleichungsergebnisses abhängt
von der Zeit des Ausfalles jenes Zwischenvokales. Aber wann dieser
Schwund im einzelnen stattfindet, nach welcher Richtung sich dann
der Ausgleich vollzieht, wann der stimmhafte, wann der stimmlose
Laut obsiegt, darüber ist man zu einer klaren Erkenntnis noch
nicht gelangt. Diese Frage nun, wann ein lateinisch intervokal
stehender stimmloser Konsonant im französischen Ausgleich-
ergebnis als stimmlos, bezw, stimmhaft erscheint, oder, was ziem-
lich dasselbe heifst, in welchen Fällen der unbetonte Zwischenvokal
vor, wann nach der Lautabstufung fällt, soll in der vorliegenden
Arbeit beantwortet werden.
Diez war auf diese Frage nicht eingegangen. Es kam ihm
bei seiner Auffassung von Lautgeschichte noch nicht in den Sinn
zu fragen, an welche Bedingungen das Auftreten des stimmhaften,
bezw. stimmlosen Ergebnisses geknüpft ist. In seiner Gramm. P, 301
spricht er von der „approximativen Angleichung, welche Konso-
nanten von verschiedenen Stufen auf gleiche Stufe setzt, sodafs . . .
Tenuis zu Tenuis, Media zu Media sich fügt." Wo also Media
und Tenuis zusammentritt, ergibt sich ihm entweder Tenuis oder
Media. So hält er „sowohl sopte wie sohde''- für richtig, aber cap-
dolh, inaracde für „unrichtig oder unpassend", „wofür cahdolh,
maragde oder captolh, marade zu erwarten war".
Das Schicksal d»r zusammentretenden Konsonanten steht, wie
gesagt, mit dem Eintritt der Synkope in Beziehung. Über die
Bedingungen des Vokalausfalles war Diez noch nicht zur Auf-
stellung bestimmter Regeln gelangt. Mit dem Zwischentonvokal
hatte sich zuerst Brächet im Jahrbuch f 10m. und engl. Sprache
und Lit. VII, 301 ff. (1866) beschäftigt und zwei Gesetze aufgestellt:
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. I
I. der Vortonvokal, wenn nicht anlautend und nicht in Position,
fällt im Französischen, wenn er kurz ist; 2. er erhält sich, wenn
er lang ist. In seinem Dict. etym. brachte er dann aber eine kleine
Liste von Wörtern bei, wo langer Vortonvokal „ausnahmsweise"
fällt. Die Unrichtigkeit dieser Aufstellung erkannte J. Storm (Mem.
de la soc. de ling. de Paris 11, 81; 1872) und meinte, dafs nicht
die Quantität der Vokale ausschlaggebend ist, sondern „meist die
Erinnerung an die Grundform, wo der Vokal betont ist, aufserdem
die Bequemlichkeit der Aussprache." Abschliefsendes über diesen
Punkt gab bekanntlich Darmesteter in seinem Aufsatze Romania V,
140 — 164 (1876), wo er das nach ihm benannte Gesetz aufstellte,
dafs a als e erhalten bleibt, 1 alle übrigen Vokale aber fallen, aufser
gestützt durch eine Gruppe.
Der unbetonte Pänultimavokal wurde in eingehender Weise
zuerst von Meyer -Lübke, Zeitschr. VlII, 205 ff. (1884) in den „Bei-
trägen zur romanischen Lautlehre" behandelt. Die Hauptergebnisse
für das Französische sind in Kürze: Die Synkope der Pänultima
ist früher als die Lautabstufung und geht der Entwicklung von
a>^ in offener Silbe voran, aber sie ist später als die Wirkung
der Auslautgesetze. Indes mufs jeder Fall für sich beurteilt werden:
so hat in monachus > vioine, *fetacum "^ firie das a die Syn-
kope verhindert. Ferner verliert die Endung -icum die Pänultima
später als -ica, daher der Gegensatz von nache, manche und süge,
age usw.; im ersteren Falle hat die Synkope vor der Lautabstufung,
im zweiten nach ihr stattgefunden. Die Verschiedenheit zwischen
revanche und venger, jaüe und jadeaii usw. wird aus der verschie-
denen Stellung des Tones gedeutet (S. 233 f.).
Im selben Jahre stellte G. Karsten, Zur Geschichte der afr.
Konsonantenverbindungen, Diss. Freiburg 1884, eine ganz andere
Erklärung des afrz. Nebeneinander von Tennis und Media auf; er
will darin Einwirkung der Sprechtakte sehen. So erklärt er S. 26
die fem. 7iete, ate gegenüber rade^ sade, malade als Satzdoppelformen,
wonach im gall. VI. apt, sapt neben habede, sahede gestanden hätten
(AUegro- und Lento- Formen). Oder -aticum (S. 32) entwickele
sich im VI. je nach dem Nachdruck nebeneinander zu -atek, -aike,
^ Nur Cledat S. 236 leugnet dies auf Grund von rnerveille und echarhot,
welches er S. 277 erklärt aus is car abo ttum , das, weil zwei unbetonte
Silben vorlagen, zu iscarbottum wurde; nur in den Endungen und Suffixen,
die an die I. Konj. anknüpfen, sei a > i? erhalten. Als ob es Sondergesetze
für die l. Konj. gäbe! — Es ist vielmehr auf Rechnung des r zusetzen, dafs
■wir schon vorfranzösisch
*merbilia^ merveille für mirabilia
*seprare ~y^ sevrer „ separare
*Ortoriu ~^ Auroir „ Oratorium
*Camracu ~^ Cambrai „ Camaracum
*scarbottu > (?VÄa/-6o^ (aus scarabaeus durch Suffix-
tausch oder Ableitung von axÜQaßog vi. scarabu s ^ *scarbiis mittels -ottu ^
ot) haben; rv in merveille erklärt sich wie in verve, verveme, motve, orvet,
arvoire. — separat der Reichn. Gloss. beruht auf falscher Latinisierung.
-atk; usw. Über die Unhaltbarkeit dieses Erklärungsversuches
später (§ 84).
Eine „Weiterführung und teilweise Berichtigung mehrerer (von
Meyer-Lübke) gegebenen Andeutungen" dagegen unternahm F. Neu-
mann in der Besprechung der Schwan'schen Grammatik, Zeitschr.
XIV, 55gflF. (i8go) und behandelte hier zuerst die Schicksale der
durch Synkope zusammentretenden Konsonanten im Zusammenhang.
Darnach handelt es sich hier darum, ob zur Zeit des Eintrittes der
gall. kons. Lautabstufung, wonach intervokale Tenuis zu Media
wird, diese Tenuis noch intervokal stand. Der unbetonte Vokal
fiel in zwischentoniger Stellung später als in der Pän ultima, das
Nachton -i der Pänultima aber schwand bei u der Ultima erst
nach der Lautabstufung, dagegen bei a der Ultima schon vor Ein-
tritt jenes Wandels, so dafs hier Tenuis beharrt. Diese Ergebnisse
blieben grundlegend für die Folgezeit. Die Regel, dafs die Syn-
kope vor dem Ton nach der Lautabstufung eintrete, nannte man
„Neumann'sches Gesetz", Schwan nahm sie in die 2. Aufl. seiner
afr. Grammatik auf (§ 158), Behrens hat sie beibehalten (§ 103 b),
auch in den Tabellen zur afr. Lautlehre von B. Röttgers er-
scheint sie.
Denselben Standpunkt nimmt Meyer-Lübke in der „Grammatik
der romanischen Sprachen" (i8go) ein. I, § 336 sagt er: „zuerst ist
das i der Pänultima gefallen bei Wörtern mit auslautendem a, und
zwar bevor die intervokalen Verschlufslaute tönend wurden". Hatte
schon Neumann eine Reihe von Sonderfällen festgestellt, so sah
sich auch M.-L. dazu genötigt: ohne Rücksicht auf den Auslaut
ist i schon in der ersten Periode geschwunden bei anlautendem 1:
auques, puce\ geht dem i mehrfache Konsonanz voraus, so tritt die
Synkope erst in der zweiten Periode ein, daher forge, gauge.
Weniger bestimmt äufsert er sich über den Zwischentonvokal § 344.
Der Ausfall trat ein, als die tonlosen Laute schon tonend waren;
doch bleibe manche Dunkelheit und es scheint, dafs jede Gruppe
für sich betrachtet werden müsse: l't sei früher zusammengetreten
als l'c. Verwickelt wird die Sache, äufsert er sich § 538, wenn der
Schlufskonsonant tönend, der Anlaut tonlos ist oder umgekehrt,
oder wenn im Anlaut eine Gruppe steht, deren zweiter Laut dann
mehr Widerstand leistet, oder wenn der Anlaut vor der Synkope
zum Spiranten geworden ist. Im ersten Falle siege die Stufe des
Anlauts {moite, piege), im zweiten Falle tritt reziproke Angleichung
ein {bondir, gourde), den dritten Fall zeigt -aticu > span. azgo;
einen besonderen Fall bilde -aticu > frz. -age.
begen den Einflufs des a der Ultima sprach sich Horning,
Zeitschr. XV, 498 sehr entschieden aus und suchte nachzuweisen,
dafs nachtoniges a die Synkope nicht beschleunige. Näheres
s. § 83.
Lindström, Anmärkningar tili de obetonade vokalernas bortfall
i nägra nordfranskr ortnamn, Diss. Upsala 1892, stimmt in unserer
Frage im allgemeinen mit Neumann überein, allerdings meint er,
I*
dafs in den geographischen Eigennamen -ica in der Regel -ge
ergebe. Über die Unrichtigkeit dieser Annahme s. u. Ortsnamen
sind mit Vorsicht für die Lautgeschichte zu verwerten : Volksetymo-
logie, mundartliche Entwicklung, mittelalterliche Latinisierung, Lehn-
wörtlichkeit spielen eine grofse Rolle.
Im allgemeinen nichts Neues brachte Andersson, Zum Schwund
der nachtonigen Vokale im Frz., in Sprakvetenskapliga Sällskapets
Förhandlingar, Upsala 1893.
Shepard, A Contribution to the History of the Unaccented
Vowels in Old French, Diss. Heidelberg 1S97, bietet, so schätzens-
wert seine Materialsammlung und seine Ergebnisse über das Stütz -^
sind, nichts für unsere Frage. Er steht auf dem Standpunkte
Neumanns, ohne auf die Sache näher einzugehen.
Elfrath, Rom. Forsch. X, 757 (1899) fafst seine Ansicht dahin
zusammen, dafs der Pänultimavokal zuerst fiel, im allgemeinen noch
vor dem Stimmhaftwerden intervokaler Tenuis. Vor dem Tone
wurde später synkopiert, nach dem Stimmhaftwerden intervokaler
Tenuis. Und noch später scheint ihm Synkope in Paroxytonis ein-
getreten zu sein, während nach Lindström, dem Vising beistimmte,
die Reduktion der Pänultima in Proparoxytonis und der Ultima in
Paroxytonis gleichzeitig vor sich gegangen sein soll. Die Ansicht
Neumanns, dafs in Proparoxytonis die Synkope von der Natur des
folgenden Vokals abhängt, leugnet er und möchte die Beispiele
Neumanns durch Analogie erklärt wissen.
Klausing, Die Schicksale der lat. Proparoxytona, Diss. Kiel 1900,
hat nur als Materialsammlung Wert.
Wenn auch die Angaben, welche die Grammatiken von Schwan-
Behrens § 103 b (und sonst) und Nyrop § 255 (und sonst) bieten,
recht vorsichtig sind, so galten doch ziemlich allgemein die folgenden
zwei Sätze:
1. Der Zwischentonvokal (Nachnebentonvokal) fällt nach der
Stimmhaftwerdung der zwischenvokalischen Konsonanten, daher vous
vengüz gegenüber tu venches.
2. Die Pänultima verschwand früher, wenn der letzte Vokal a
als wenn er ein anderer war, daher dete, aber cotide.
Diese beiden Regeln bezeichne ich im folgendem als „Neu-
manu'sche Regel" (entgegen dem herrschenden Gebrauch, der darunter
nur die erste versteht); denn beide wurden von ihm gleichzeitig
festgestellt und stehen in enger Beziehung zueinander.
Gegen die zweite Regel hatte sich, wie schon gesagt, besonders
Horning, Zeitschr. XV, 498 (1892) gewandt und vielfach Zweifel an
ihrer Gültigkeit hervorgerufen. Vising (Litbl. 1893,2881!) machte
auf comitem >■ fow/i? aufmerksam, das ihr widerspricht. Matzke^
1 J. E. Matzke, The question of free and checked vowels in gallic populär
Latin (Publications of the Modern Language Association of America, XIII,
Nr. I), S. 34.
liefs sie wiederum vollauf gelten, während Behrens, Zeitschr. XXV,
760 {1901) sie „in Anbetracht der zahlreichen Fälle, die sich ihr
nicht fügen", nicht für so sicher halten möchte.
„Wenn der Konsonant noch vor Abfall des freien zwischen-
tonigen Vokals stimmhaft wird", so fand Mussafia in der Besprechung
der 2. Aufl. von Schwan's Grammatik (Zs. f. ö. Gymn. 1894, S. 53)
mit Recht Worte wie dortoir, linteau einer Erklärung bedürftig, „da
auch von limite man nur linde erwarten würde." W. Foester aber
stimmte Zeitschr. XXIII, 423 (189g) der ersten Regel durchaus zu,
während G. Paris, Rom. XXVIII, 635 (1899) sie gänzlich ablehnte.
Mit Recht wandte er sich gegen den Ansatz *amitariu >> laudier,
weil m't auch vor dem Ton als nt erscheint. Bei der Gelegenheit
wendet er sich aber überhaupt gegen die Annahme, dafs der Akzent
in dieser Frage irgendeine Wirkung übe; der Ton käme hier eben-
sowenig in Betracht wie in vielen anderen Fällen, wo es heute
Mode ist, ihn eine Rolle spielen zu lassen, welche es erlaubt, sich
auf bequeme Weise aus offenkundigen Widersprüchen zu ziehen.
M.-L., ßet. im Gall. S. 38 Anm. 2 (1901) erkannte an, dafs die
Gruppe m't lautgerecht nt gibt und bekennt seine frühere Ansicht
(Zeitschr. VIII, 233 f.) als erschüttert.
Gegen beide Regeln wurde kurz darauf von zwei französischen
Romanisten Einspruch erhoben auf Grund jener nicht wenigen Bei-
spiele, die sich diesen zweifellos zu allgemeinen Sätzen augenschein-
lich nicht fügen.
Paul Marchot, Petite phonetique du fran9ais prelitteraire II (1902)
erklärt (§ 53) que, regle generale, la sonorisation des sourdes inter-
vocales etait posterieure ä la syncope und (§ 54) l'atone p^nultieme
etait aussi tombee, dans la majorite des cas, avant la sonorisation.
Die Fälle, wo Erweichung stattfindet, sind Ausnahmen, die unter
besonderen Bedingungen stehen und eine Sondererklärung fordern.
Schon Cledat, Revue de philol. fran^. et de litt. XVII, 124 (1903)
entgegnete darauf, que les exceptions sont aussi nombreuses que
les exemples de la loi, et si Ton adoptait la Solution inverse, eile
se heurterait ä la meme objection. Aber auch er leugnete die
Gültigkeit der Neumann'schen Regel und erhob dagegen folgende
Einwände :
Gegen i: a) Während man afrz. wirklich tu pleures, vous plonrez;
tu preuves, vous prouvez konjugiert hat, zeigen keine Texte die
Konjugation tu plaites, vous plaidiez; tu juches, vous jugiez.
b) Wenn man leicht begreift, dafs derselbe Vokal betont eu,
halbbetont ou ergibt, so sieht man nicht ein, warum man aussprach
plactat, als man fortfuhr, placitare zu sagen, und colcat, als
man fortfuhr, das o in collocare hören zu lassen.
Gegen 2: a) Diese Annahme entspricht nur einer kleinen Zahl
von Fällen, die man auch anders erklären kann, und steht im
Widerspruch mit vielen anderen.
b) On a peine ä croire que le maintien ou la chute d'une
atone ait pu ddpendre de la nature de la voyelle qui suivait.
Als einziges Mittel, diesen Schwierigkeiten zu entgehen, scheint
ihm „renoncer ä etablir une loi generale"; „essayons donc de formuler
des lois particulieres ä la nature de ces consonnes." Diese Forderung
ist zweifellos richtig, aber sie bedeutet keine Widerlegung der
Neumann'schen Regeln, welche mir ebenso richtig scheinen, nur
einer Einschränkung bedürfen auf gewisse Konsonantengruppen,
während ein grofser Teil der sekundären Gruppen die Synkope
vor der Tonerweichung vollzieht, was Marchot veranlafste, in un-
berechtigter Weise zu verallgemeinern. Cledat S. 215 stellt folgende
Regeln auf:
La protonique et la penultieme atones sont tombees de tres
bonne heure: i. Devant une dentale, apres toute autre consonne
qu'une labiale: vir-de, caldo, frigdo, preposlo, meytatem.
2. Quelquefois devant une autre consonne qu'une dentale, mais
apres une liquide: colpum, cleraim. Als Grund für den frühzeitigen
Schwund des unbetonten Vokals bietet sich ihm die leichte Sprech-
barkeit dieser Gruppe, die sich in anderen lateinischen \\'örtern
bereits vorfindet: perdit, alia, smaragdem, pasta, talpa, circum etc.
Dagegen für b + t, t + k habe die Schwierigkeit im Aussprechen
die unbetonte Silbe lange genug bewahrt, dafs in den Wörtern,
welche diese Gruppe hinter dem Ton enthalten, der Endvokal sich
im Französischen in der Form eines Stütz -^ gehalten hat: coude,
courage usw.
Wenn ferner durch Ausfall der unbetonten Silbe ein Zusammen-
treffen von stimmhaften und stimmlosen Konsonanten eintritt, so
ergibt sich notwendig eine gegenseitige Anpassung: c'est ainsi que
le d de nitida s'est change en t sous l'influence du t pr6cedant,
fran^ais nette, et il est vraisemblable que le t de cogitare s'est
change en d sous l'influence du g, d'oü cogdare = cuidier', de
meme que l'yod primitif apres labiale produit ge apres sonore et
che apres sourde. Demgemäfs, meint Cledat, beweist das Vorhanden-
sein eines stimmhaften Konsonanten an Stelle eines stimmlosen
Konsonanten des Lateinischen in den genannten Fällen nicht not-
wendig, dafs die unbetonte Silbe nach der Erweichung gefallen ist.i
Ferner beweise nichts a priori, dafs die verschiedenen stimmlosen
Konsonanten in zwischenvokalischer Stellung zu gleicher Zeit stimm-
haft geworden sind, möglicherweise wurde t früher oder später
erweicht als c.
Im 3, Heft desselben Jahrgangs (S. 2 10 ff.) griff er die Frage
nochmals auf. Man müsse die Konsonanten in der Stellung nach
1 Leider sagt er nicht, warum in nitida der stimmhafte Konsonant an
den stimmlosen, in cogitare der stimmlose an den stimmhaften angeglichen
worden ist; wann das Endergebnis stimmhaft, wann stimmlos ist, das ist ja
die Hauptfrage.
unbetonter Silbe besonders behandeln, weil ihre Entwicklung ab-
hängt vom Schicksal dieser unbetonten Silbe, die früher oder später
gefallen sei je nach der gröfseren oder geringeren Sprechbarkeit
der dadurch zusammentretenden Konsonanten. Da ergeben sich
ihm drei Feststellungen: i. Wenn der auf die unbetonte Silbe
folgende Konsonant stimmlos war, blieb er stimmlos oder wurde
stimmhaft, je nach der Zeit des Ausfalles der unbetonten Silbe.
2. Der Ausfall der Silbe bringt den folgenden Konsonanten in
Berührung mit dem vorausgehenden, mit dem er sich assimilieren
mufs. In nitida mufste die Gruppe t -f d entweder dd durch
regressive Assimilation oder // durch progressive Assimilation werden.
(Wann das eine, wann das andere, darüber weifs er keine Aus-
kunft.) 3. Die verlängerte Erhaltung der unbetonten Silbe führt,
wenn vor unbetontem e oder i ein c steht, die Assibilierung dieses
c herbei.
Marchots Regel ist in ihrer Allgemeinheit sicher falsch. Cledat
macht den Fortschritt, die zusammentretenden Gruppen genau von
einander zu unterscheiden; aber seine Aufstellungen sind oft nur
die Kehrseite von Marchots Ansicht, sind im einzelnen nicht immer
folgerichtig und manchmal einander widersprechend. Er hilft sich
bald mit regressiver, bald mit progressiver Assimilation, ohne an-
geben zu können, unter welchen Umständen diese oder jene
eintritt.
Gröber hat in der Neuauflage des Grundrisses I, 317 (1904
06) seine Gr.i I, 250 (1888) geäufserte Ansicht über Proparoxytona
und Paroxytona von der Art von cogitat und cogitare nicht
geändert: zunächst wurde intervokale Tenuis zur Media, cogitat >
cojidat; dann trat Ausfall des nachtonigen Vokals in Proparoxytonis
ein, cojidat > cojdat, placitum ^ plactn; darauf Ausfall des vor-
tonigen Vokals, cojidare> cojdare, sodann Ausfall des nachtonigen
Vokals in Paroxyionis, plactu > platjt , cojdare y- cojdar; schliefs-
lich aiide, plait , addier. Suchier im Grundrifs erörtert die Frage
nicht.
Der Fall der Pänultima und seine Beziehung zur Erweichung
der intervokalen Tenuis zur Media war Gegenstand der Dissertation
von A. Bauer (1903). Er ordnet die Wörter nach den Suffixen
oder Endungen und findet folgende Regeln:
I. In den Wörtern auf -ico, -a fällt der unbetonte Vokal der
Pänultima erst nach Erweichung der Konsonanten. Das c
von -ico, -a wird stets erweicht, denn es ist stets inter-
vokal. Ist die dem Hauptton unmittelbar folgende Tenuis
gestützt, so kann sie nicht erweicht werden und trägt den
Sieg über den erweichten Palatalen des Suffixes davon; Er-
gebnis der Vereinigung: i- (coactico > cache, pertica >
per che). Ist diese Tenuis intervokal, so wird sie erweicht
und verbindet sich mit dem ebenfalls erweichten c von
-ico, -a zu 5 (hutica > Ä//^^, retica > re-^^). Ist dieser
dem Hauptton folgende Konsonant schon stimmhaft, sei er
frei oder gedeckt, so ist eine Erweichung nicht mehr nötig:
Ergebnis z (fodico '^ fouge; tardica > targe). S. 13 ff.
2. Es gibt Wörter, welche neben der regelraäfsigen Entwicklung
zum stimmhaften palatalen Reibelaut {z) auch den stimm-
losen [s) zeigen (z. B. venge}- und revancher). Sie bilden nur
eine scheinbare Ausnahme, auch bei ihnen war die Er-
weichung die regelmäfsige Entwicklung. „Wenn daneben
auch der stimmlose Laut {s) erscheint, so könnte der Grund
dafür nur entweder in einer vulgären oder mundartlichen
Aussprache zu suchen sein. Diese vulgäre oder mundart-
liche Aussprache hat sich in einigen Wörtern durch mehr
oder minder gebildete Schreiber im Laufe der Zeit in die
Schrift übertragen und wurde, weil von der überwältigenden
Menge des Volkes gesprochen, schliefslich auch von der
Minderzahl der Gebildeten angenommen."
3. Auch bei -ido, -a ist zuerst Erweichung der intervokalen
Tenuis, dann Ausfall der unbetonten Pänultima eingetreten.
S. 35 und 37.
4. Das Suffix -ito, -a, -em ist das einzige, welches die Er-
weichung der intervokalen Tenuis nicht vor dem Ausfall der
unbetonten Pänultima hat eintreten lassen. S. 38.
Dafs revancher neben vettger vulgär oder mundartlich oder eine
'spelling pronunciation' sei, wird wenig Gläubige finden. Die neben
den /f-Formen bestehenden «/-Formen des Suffixes -itu, -a werden
zumeist erklärt (nach Marchots Vorgang) durch Suffixtausch. Es
soll malehabitum durch Suffixaustausch zu *malehapidum ge-
worden sein (S. 37); ebenso wird soude durch Suffixaustauch, bondir
als prov., gougourde, coude durch Suffixaustausch oder als prov, er-
klärt usw., S. 41 ff.
M.-L., Fr. Gr. § 122 findet „im ganzen als Regel, dafs zur Zeit,
da die Vokale fielen, die alten stimmlosen Laute noch nicht stimm-
haft waren." In merkwürdigem Gegensatz dazu stehen coude, malade'.
kann man bei malade an ein in Anlehnung an die Adjektiva auf
-idu gebildetes *male habidu oder -apidu denken, so versagt
dieses Auskunftsmittel bei cgte. Die Vermutung, dafs bei -a Synkope
früher eintrat als sonst, wird abgelehnt wegen linte usw. und cgie.
In -icu (§ 123) ist c gefallen, —lu > 'iii wurde nach stimmhaften
Konsonanten zu g, z, nach stimmlosen c, s. Diese letzte Entwicklung
ist erst eingetreten, als die zwischenvokalischen stimmlosen Laute
stimmhaft geworden waren. Nicht auf späterer Synkope, sondern
auf teilweiser Angleichung an den in starker Stellung stehenden
Silbenanlaut (§ 124) beruhen goprde, goorge, onze, catorze, quinze.
Auch vortonig (§ 128) fiel der Vokal, als die Verschlufslaute noch
unversehrt waren, aber zahlreiche Ausnahmen sind vorhanden. Dafs
die Stellung des Akzentes ausschlaggebend sei, wird als wenig
wahrscheinlich betrachtet. Bei y-t {aidier, addier) scheint gegen-
seitige Angleichung stattgefunden zu haben; k dürfte früher als t
tönend geworden sein.
Aus den angeführten Ansichten ergibt sich, dafs man zu einer
einheitlichen Auffassung über das Verhältnis von Synkope und
Lautabstufung noch nicht gelangt ist. Einen Beitrag zur Lösung
dieser Fragen sucht die folgende Arbeit zu geben.
I. Die gemein romanische Synkope.
1. Liquida und s.
§ I. Die Konsonantengruppen, die das Frz. im 7. Jh. besafs,
stammten teils schon aus dem klassischen Latein, teils hatten sie
sich im Laufe der Zeit ergeben. In letzterem Falle bleibt zunächst
festzustellen, welche Veränderungen die klassischen Konsonanten
etwa schon durchgemacht hatten, bevor sie zu einer Gruppe zu-
sammentraten. Das Hauptereignis im Konsonantismus ist nun die
Lautabstufung. Dafs die Synkope nicht in allen Fällen zu gleicher
Zeit eingetreten ist, sondern in mehreren Schichten erfolgte, ist
eine allgemein bekannte Tatsache. Man kann im allgemeinen drei
solcher Schichten erkennen:
1. Vulgärlateinische und gemeinromanische Synkope, für jene
Fälle, wo der Ausfall in alter Zeit belegt ist oder in mehreren
Sprachen sich vorfindet;
2. Ausfall vor der frz. Lautabstufung ;
3. Ausfall nach der frz. Lautabstufung.
Dafs innerhalb dieser drei Zeiträumen die Synkope in allen
Fällen gleichzeitig sich vollzog, soll damit nicht behauptet werden,
nur haben wir kaum Anhaltspunkte, namentlich innerhalb des
zweiten und dritten Zeitraums, dies im einzelnen festzustellen.
Vulgärlateinische Synkopen kommen für die Lautabstufung natürlich
nicht in Betracht, sie sind in Kürze ausfindig zu machen und aus-
zuscheiden; da aber diese Ausfälle nicht allgemein gesetzmäfsig,
sondern fakultativ sind, was man bisher meistenteils verkannt hat,
so müssen sie hier in Betracht gezogen werden.
§ 2. Dafs eine Synkope als vulgärlateinisch gelten kann,
dafür haben wir drei Kriterien: i. der Ausfall ist vi. belegt, 2. er
ist in mehreren romanischen Sprachen vorhanden, 3. die sekundäre
Gruppe entwickelt sich wie die primäre.' Wann dies der Fall ist,
darüber sind verschiedene Ansichten geäufsert worden. Schwan-
Behrens § 19 betrachtet „als gemeinromanisch, daher vorromanisch"
1 Kein Kriterium ist das Nichtvorhandensein eines Stütz-^: so hat z. B.
primäres wie seljundärcs Im immer Stütz-f, sekundäres v't aber nicht.
II
die Synkope zwischen 1 — p, 1 — d, 1 — t, 1 — m; r — d, r — m; s — t.
Nyrop führt in der i. Aufl. I, § 259 die gleichen Gruppen an
„pour le gallo-roman" [in der 2. Aufl. ist der betreffende Satz ge-
strichen]. Bezüglich domnu, lamna zweifelt Schw.-B., ob sie durch
Synkope entstanden oder ob sie einen älteren Lautstand darstellen;
letzteres gilt ihm als wahrscheinlich bei der Lautfolge —Kons. /- (z. B.
pericluin, copla usw.). Meyer-Lübke schwankt in seinen Angaben.
In der Grammatik (i8go) sagt er I, §29: Ausfall des Nachton-
vokals tritt im VI. ein vor 1, zwischen 1, r einerseits und p, m, d
andrerseits, ferner in domnu s. § 325 nennt er dieselben Gruppen
wie Schw.-B., ferner frigdus und domnus. Zu allgemein ist seine
Angabe in der Einführung § 104, der Vokal scheint zu schwinden,
„wenn der eine der umgebenden Kons, eine Liquida ist", wobei
m'n, Iv't einbegriifen und postus, frigdus hinzugefügt werden.
Grundrifs 12, S. 469^ (1902 — 04) möchte er den Schwund ansetzen
zwischen 1, r, s + Kons., wenn nicht besondere Einflüsse hemmend
wirken, frigdus habe sich nach caldus gerichtet, avi wird zu
au. Zwischen Kons, und 1 entwickelt sich klassisch, aber nicht
vi. der Stimmton; sonst wird u vor 1 (aufser nach m : hamula)
synkopiert (vetulus > vechis).
§ 3. Die Frage, ob bei mn, Guttural oder Labial + 1 über-
haupt je Synkope stattgefunden hat, kommt für unsere Untersuchung
nicht weiter in Betracht: fest steht, dafs vi. hier kein Zwischen-
vokal vorhanden ist. Zwischen t, d -|- 1 wurde sicher vi. synkopiert,
näheres noch später. Kons. + r scheint vi. noch nicht synkopiert
zu werden: das Frz. weist daraufhin, wo primäres gr ohne Stütz-«?
[noir, entir), sekundäres gr aber mit Stütz-^ erscheint.' Des weiteren
brauchen wir auf Kons, -f- Liqu. nicht einzugehen, weil die be-
treffenden Gruppen für die Lautabstufung bedeutungslos sind.
§ 4. Wichtiger ist Liqu. + Kons.; die Beispiele im Afrz. sind:
l:d calidu a.{r. ehalt solidu a.h. so/i
t *fallitu2
„ /aU
Caletes
„ Caux
*tollitu
„ loa
Curiossol
itae
„ Corseult
*solitu3
„ so/t
*volitu
„ voU*
[b kommt nicht vor.]
1 Allerdings kann in beiden Fällen Ausgleich vorliegen. Lab., Dent. 4- ^
erfordern primär wie sekundär Stützvokal. Primäres er kommt erbwörtlich im
Frz. nicht vor, aigre, aliegre, maigre; lucre, lavacre usw. sind Lehnwörter.
2 Wenn nicht von Haus aus *faltum, ^toltum für falsum, latum.
* Für cl. Solu tum, volütum. Shepard S. 44 geht aus von *sölütum,
*völütum, M.-L. Einf. S. 117 von *solvita, *volvita: letztere könnten
erst in einzelsprachlicher Zeit gekürzt sein.
■* Nyrop II § 103 betrachtet *faltum, *soltum, *toltum, *voltum
als Neubildungen nach altum, cultum, consultum, occultum, sepultum. — Nfr.
liegen diese Worte vor in defaut, faute; maltote (afr. tolte); soulte, fem. ab-
soute, dissoute (afr. masc. assout, dissout, resout); voüte.
12
pi colaphu (gr. xöXa^og) colp.
[g kommt nicht vor.]
[k, k' sind nicht vorhanden.]
k^ salice sauz (prov. saiäz, span. sauz), neben
smisse { „ sauze, „ saiice),
Y> oWice potiz ( ,, poutz)
pouce ( „ poiize)
qu aliquod^ oder aliquid^ alques^
m^ calamu chalme *regalimen reialme
r:d luridu lo7-t^ laridu lart
viride vert horridu ort"^
t spiritu espiri^ merita inerte
*experitu9 espert exsarituio essart
Ortsnamen auf -ö-rttum -orl^^
[b, p sind erbwörtlich 12 nicht vorhanden.]
[g nur in Eigennamen i^
Biturlges Bourges Dorocoregum Donqueur
Caturlges Chorges Novioregum ? Royan
1 polypus (gr. ■n.o'Kv7lov<^ ist im Frz. nur lehnwörtlich vorhanden. Nfrz.
pieiivre entstammt dem Norm. ; hier ist es so altes Lehnwort, dafs es zwar die
Lautabstufung, aber nicht mehr die vcreinzelsprachiiche Synkope mitgemacht
hat. Späteres Lehnwort ist afrz. folpe (nfrz. poulpe], noch jünger afrz. pohpe
(nfrz. polype). — Über alipem ^ auve s. § 6.
* So z. B. Shepard S. 43.
3 S. z. B. Nyrop II § 576, 2.
* Shepard S. 45 denkt für das Stütz-i? an Einflufs von Formen wie
donques ^ onques; das ist kaum richtig. Ob alte oder erst einzelsprachliche
Synkope vorliegt, läfst sich nicht zwingend entscheiden.
^ Da auch uispr. Im (eschalme, orme, helme usw.) Stütz-^' aufweist, läfst
sich nicht sicher beweisen, ob der Fall der Pänultima hier vi. oder einzel-
sprachlich ist.
^ faloitrde s. § 6.
' orre bei Beneeit, Ducs de Normandie (s. God.) ist dem Prov. entlehnt.
* Noch in wall, spir (sper, Speer) „Gespenst". Frz. esprit ist selbst-
verständlich Lehnwort.
^ Für peritus; richtiger geht man vom Part. Perf. expertus aus, so
dafs keine Synkope vorliegt.
*" Ableitung zu sarire. Körting^ geht aus vom Part, sartus zu sarcire ,
das ist der Bedeutung wegen unwahrscheinlich.
^^ Camboritum ^ Chambort , Chambourg\ Catoritum ]> Cahours,
Novioritum |> Niort, Bonoritum ]> nix. Bonart >■ nfr. Bonnard. Vgl.
M.-L., Bat. im Gall., S. 44.
** *scarabus (gr. oxdgaßog) ]> escharbe (Shepard S. 44) ist wohl
Lehnwort.
'3 Man würde erwarten, dafs -r'g- ^ rc wird (largu ^ larc, burgu]>
bourc). Die oben genannten Beispiele kommen daher nicht in Betracht. In
-regum scheint vielmehr g (wie iu -magum) frühzeitig zufallen: in '-riges
ist wegen des langen i die Synkope wohl erst frz. eingetreten.
13
C^ parricu parc
m eremu erm"^
n Turones Tours
s:t i^ositu "^posß *quaesitu ^quest^
praepositu prevost
Es ist dabei gleichgültig, ob die Liquida kurz oder lang ist
(fallita, parricus, horridus).
§ 5. Derartige Synkopen hat bekanntlich schon das klassische
Latein, so findet sich caldus für calidus, valde steht neben validus,
perte für perite, saltem aus *salutem usw. Die beste Erklärung,
die man für dieses Nebeneinander gegeben hat, ist, dafs die Kurz-
form Schnellsprechformen sind. Im VI. sind im Gegensatz zum
klassischen Latein diese Kurzformen die Regel, aber es finden
sich doch die längeren in den rom. Sprachen vor. Dies kann
mehrere Ursachen haben.
Wenn wir afrz. Ws finden, so weist diese Form zweifellos auf
ein vi. *salcem, vgl. chalz << calcem. Daneben aber steht afrz.
salce, das ein dreisilbiges salicem voraussetzt. Wir dürfen an-
nehmen, dafs man lautgerecht im VI. salix, *salcem deklinierte,
aber durch Systemzwang die Biegung salix, -icem sich daneben
erhielt. Bei den übrigen Wörtern der Gruppe Fk'^ finden wir die
Kurzform akz. poiiz, y>^o\. pouiz und prov. piu/z, sonst haben sich
nur die längeren Formen erhalten, die erst für die einzelsprachliche
Synkope in Betracht kommen.
Natürlich lagen die Langformen in einzelsprachlicher Zeit vor,
wo es sich um Entlehnung handelte. Manchmal wurden sie vulga-
risiert gleich bei der Übernahme, z. B. clericum >■ c/erc, wo dann
lautlich kein Unterschied gegenüber Erbwörtern vorhanden ist
(arcum >• arc). Gewöhnlich aber erfuhren sie erst mit den Wörtern
anderer Kategorien die Synkope, so z, B. nach der Lautabstufung:
polypu pieiivre'^ clericu clerge
visitare visder
§ 6. Aber diese Gründe reichen nicht aus. Es mufs auch
vi. die Langform neben der kurzen weiterbestanden haben. Man
kann die ganze Erscheinung nicht besser erklären als mit den
Worten Schuchardts R. E. I, 33 : „Wenn das i von -iihis nach /
1 *barica (zu gr, ßÜQLq) ^ barca Hegt vor in it. prov. span. ptg. barca. —
clericus ]> clerc ist als Wort der Kirche zweifellos entlehnt, was durch die
Nebenform clergue, clerge sichergestellt wird.
'■' Primäres rm hat kein Stütz-^. M.-L. Rom. Gr. I, 261 bietet erm, das
Shepard S. 55 als nicht vorhanden bezeichnet. — Wenn erimus schon vi.
* erm US wurde, ist das Nachton-i? in ermes der Analogie zu verdanken.
3 In afr. conipost, repost usw.
* Liegt vor in acqiiet, conqiiet, qtcete, conquete.
5 Ftg. polvo. — Vgl. S. 12 Anm. I.
H
und r schon vi. gefallen ist, so mufs dies als fakultativ betrachtet
werden; es handelt sich um „Schnellsprechformen", neben denen
die volleren Formen nicht notwendig ausgestorben sind. So leben
trotz altem soldus und ardus im Rom. solidus und aridus fort,
und zwar unter Umständen, welche die allzuleicht sich einstellende
Bezeichnung „Buchwort" nicht zulassen". Die Appendix Probi
zeigt uns, dafs die höheren Gesellschaftskreise die synkopierten
Formen verpönten. Wir haben also auch mit dem Einflüsse sozialer
Dialekte zu rechnen, die sehr wohl hie und da die Erhaltung der
Langform hervorrufen konnten.
Die Verkennung dieser Tatsache hat oft Verwirrung angerichtet.
Elfrath S. 770 weist auf Grund von afrz. er?ne die vi. Synkope von
eremus überhaupt zurück und wendet sich gegen M.-L.'s Ansatz
*calmus wegen span. pt. calamo. Shepard S. 5Ö denkt bei erme
an Analogie; das Stütz-^ in fascem luridum '^ falourde ist ihm
an exception difficult to explain. Hetzer S. 7g drückt seine Ver-
wunderung darüber aus, dafs vi. alipem nicht *alp, sondern afrz.
ative^ ergeben habe. Herford S. 16 mufs verzichten, ^xov. prebosde
(Thomas, Rom. XXXV, 332) neben prebost zu erklären. Als Lang-
formen betrachtet, bieten die Worte keine Unregelmäfsigkeit.
gr. xoAagpog cl. colaphus
„ IgriiiOQ „ eremus
vi. colpu frz. coup
„ colapu prov. colbe
„ ermu it. ermo „ erm
„ eremu „ eremo afrz. erme
„ xaXafiog „ calamus „ calmu „ caimo frz. chaume
„ calamu span. pt. calartio
„ aXsKpa „ adeps, -ipis „ alipe 'R.aich.GX. alaves Siixz. auve
sard. abile, berg. alef
horridus vi. hordus, -a
„ horridus, -a
*barica „ barca
„ barica
*parricus2 „ parcus
„ parricus
praepositus „ pr^postus
„ praepositus^
it. ordo, frz. prov. ort, orde
prov. 07-re, orreza
it. prov. span. ptg. barca
prov. bar ja, frz. bärge, berge
it. parco, frz. prov. parc
prov. pargue, ae. pearroc, ahd. pferrih.
it. prevosto, frz. prevöt, prov. prebost
prov. prebosde
So wäre auch faloiirde zu deuten, falls darin wirklich das masc.
luridum stecken sollte.
' Körting^ erwähnt auve im Wortverzeichnis als Nummer 796 N (ver-
druckt für 196?), aber die Zahl findet sich im Nachtrag nicht. Vgl. Behrens,
Zeitschr. XIII, 414. — M.-L., Einf. § 140 sieht in dem / Einflufs von gr. aksi(pa;
richtiger ist alipes als ursprüngliche Form zu betrachten , während cl. d
sekundär ist.
2 Ableitung vom Stamm parr- in span. J>arra, prov. parran, vgl. Baist,
Revue hispanique II, 205.
2 Zwischen Langform und gelehrter Form sind hier die Grenzen flüssig.
15
§ 7- Einen weiteren Beweis für den Bestand synkopierter
Formen neben unsynkopierten bietet die Entwicklung von t'l, d'l.
Der Übergang dieser Gruppen zu cl, gl ist aus der Appendix Probi
zur Genüge bekannt.
cl.
situla
vi.
seclai
it.
secchia
frz.
seille
Tl
setula
lad.
sedla
H
rotulum
55
roclu
it.
rocchio
n
rotulu
prov.
rotlo
»
rolle
n
vetulum
n
veclu
it.
vecchio
afrz.
vieil
«
spatula
!)
spatula
rtr.
spadia
prov.
spaila
n
radula
w
ragla
frz.
raille
(.
ralla
«
ralla
it. span.
ralla'i)
»
*acedula
frz.
oseille
rtr.
aschiei
Nyrop behalf sich in der i. Aufl. I, 383 mit der Anm.: Dans quel-
ques mots, le groupe TL s'est changc en CL. I^, 341, 3 ist er
der gleichen Meinung wie Schw.-B. § iiQ, dafs es sich, wo // nicht
zu cl geworden ist, um später in die Volkssprache aufgenommene
Wörter handelt. Aber es ist kein Grund zu erkennen, warum lad.
sedla „später" sein sollte als it. secchia. Es handelt sich einfach
um Zeitunterschiede in der Synkope aus den oben genannten
Gründen.
§ 8. Während der vi. Ausfall der Mittelsilbe in Proparoxytonis
oft behandelt wurde, hat man sich um den Vortonvokal wenig
gekümmert; ausführlich hat sich damit nur Shepard S. 55 ff. be-
schäftigt, auch M.-L. Einf. S. 119 geht darauf ein. Wir finden
hier aber ganz die gleichen Erscheinungen. Wie dort, finden
sich Synkopierungen auch in diesem Falle schon im Klassisch-
lateinischen :
(ohne Einschub:
vgl. aridus
: arder e
discipulus : disciplina
calefacere
: calfacere
figulus : figliria usw.)
saritura
: sartiira
VI. mehren sich die Beispiele; Schuchardt, VI. Vok. II, 423 ff.
bietet: maldicto, pulcare, vercundus, virdiario usw. In wie weit
derartige vi. Kurzformen im Frz. weiterleben, soll später erörtert
werden.
1 Nicht *sicula, *roculus, *veculus, *raculo, wie Körting selt-
samerweise ansetzt.
2 Diese Worte stammen von ralla = radula Schabeisen und nicht, wie
Körting angibt, von rallum Pflugschar.
i6
2. Konsouauteu gleicher Artikulatiousstelle.
§ Q. Dafs die Synkope in nitidus älter ist als in sapidus,
rapidus, ist bekannt. Aber die Angaben, die man in den Gram-
matiken findet, sind recht dürftig. Schwan -Behrens, der recht oft
auf net zu sprechen kommt (§ 78, 2ag; § 103, 2b; § 122, 2a),
gibt nur in der Anm. zu 122, 2 ganz kurz an, dafs in nitida,
putida die Synkope vor die Lautabstufung fällt. Noch unzuläng-
licher ist die Angabe Nyrops I, 390, der als cas isol^s (!) anführt:
d > / par assimilation progressive: nitida > nete, putida >■ vfr.
pute. Eine Formulierung der zugrundeliegenden Lautregel ist noch
nicht gegeben.
§ 10. Zunächst die Beispiele für freie, zwischenvokalische
Zahnlaute :
lat. nitida -a afr. w/, nete^ lat. putidu -a ^{x.pitt,pute
„ peditu „ pet „ mattutinu ,, 7natin
„ ? *lutidu „ liit „ asseditare „ asseter'^
,, ad id ipsu vi. addepso afr. ades
„ *raditura3 afr. raiicre ,, flatitare^ „ fiater
Wenn wir die Fem. ncie, piite (Schw.-B. § 122, 2 Anm.; Nyrop
§ 3QO) ins Auge fassen, so erscheint die Ansetzung einer beson-
deren Lautregel zunächst unnötig. Denn falls wir der Meinung
Neumanns, Zeitschr. XIV, 560 zustimmen, dafs das Nachton -i der
Pänultima bei a der Ultima vor Eintritt der Abstufung von Tenuis
zu Media gefallen ist, ergibt sich nitida > nete wie debita > dete.
Aber das masc. tiei im Gegensatz zu sade, 7'ade und matin^ gegen-
über *capitellu >>* chedel bedingen einen früheren Eintrittt der
Synkope, t'd, d't, t't erscheinen ebenso behandelt wie ursprüng-
liches tt, d'd wie ursprüngliches dd. Die Synkope mufs eingetreten
sein vor dem westromauischen Auslautgesetze. Gänzlich verkannt
^ Der Einwand Klau'^ings S. 43, dafs, wäre net (fem. nette) frz. Erbwort,
sein Fem. *nete lauten müfste und daher ital. Lehnwort sei, ist unberechtigt;
Belege seit dem 12. Jahrb. s. bei Littre.
2 Dazu das Verbalsubstantiv assiette, mit analogischem ie (it. assetto). —
Die I. Person assedito mufs lautgesetzlich assiet werden, nicht assiete , wie
Bauer 43 angibt.
^ rature fehlt bei Körting, der nur it. raditiira bringt. Das Dict. g^n.,
Marchot S. 85 u.a. setzen vi. *raditura an, aber das Wort ist schwerlich
Erbwort.
* So Storm, Rom. V, 179. Diez ging aus von germ. flat. (Dict. gen.
nd. flat). — Vielleicht auch ' flatut i tat ^^öwVd', darnach der Infinitiv
flaüter, wenn man Hornings Ableitung *flatutitare (Zeitschr. XXII, 484) zu-
stimmt.
^ Atl. lingu. Karte 823 weist für ganz Frankreich t auf. Die Grenz-
gebiete des Gask. und Langued., also die Departements H.-Pyr., Gers, H.-Gar.,
Arifege haben mayti, entsprechend prov. maiti. Auch nordit. niaithi, das
Salvioni Zeitschr. XXIII, 522 auf viersilbiges matutinus zurückführen möchte;
stimmt man ihm bei, so läge hier die Langform vor.
17
hat diese Verhältnisse Bauer S. 37. Er meint, nichts hindert, den
Ausfall der unbetonten Pänultima nach der Konsonantenverschie-
bung eintreten zu lassen. Wenn die einschlägigen Beispiele ein /
zeigen, so soll „das seinen Grund darin haben, dafs d als am
Schlüsse des Wortes stehend, wieder verhärtet worden ist zu /" ; die
Feminina seien dann zum Maskulinum neu gebildet worden. Da-
gegen hat M.-L. Frz. Gr. § iig die Synkope in net, put bereits als
vorfranzösisch erkannt.
§ II. Werfen wir einen Blick auf die anderen romanischen
Sprachen, so finden wir :
prov. net, put, mati, ades, assetar,
cat. 7ief, pet, mati,
it. netto, peto, putto, mattino, -a, addesso^ assettare,
sard. tiettu, rtr. nett, span. neto,'^ puio, ptg. peito.
Span, nitido ist ebenso eine gelehrte Form wie it. maiutino^
Wir dürfen also auf Grund obiger Formen den Eintritt der
Synkope zwischen dentalen Verschlufslauten als gemeinromanisch
betrachten. Zu beachten ist dabei, dafs die Assimilation weder
ausgesprochen regressiv noch progressiv ist, sondern der stimmhafte
Dental ausnahmslos dem stimmlosen assimiliert wird. Ist in einer
sekundären Gruppe beim Zusammentritt ein Konsonant stimmlos,
so ist es auch das Assimilationsergebnis; dieser Satz wird sich für
alle sekundären Gruppen des Frz. als gültig erweisen.
§ 12. Die angeführten Fälle sind die einzigen, die hier in
Betracht kommen. Des öfteren findet man aber noch andere
Wörter, *battitura, *pediticulo, pedito, *putidana usw., als
Vorstufen für frz. Formen angegeben. Solche Ansätze sind nur
irreführend. Schon Darmesteter hat in seinem Aufsatze über den
Zwischenvokal gerügt, dafs man viele Wörter für das VI. ansetze,
die erst frz. sind, so z. B. komme ho7n?nage nicht von *homi-
naticum, sondern von komme. Ähnlich verhält es sich in den
genannten Fällen.
Zwar der Ansatz *putidana hat vielleicht Berechtigung, da
es it. puttana, rtr. putanna, frz. putaine, span. putana heifst. Wahr-
scheinlich aber ist putaine nicht vi. *putidana, sondern die be-
kannte Akk.-Bildung zu pute; das mask. putain ist daraus sekundär
' neto, puto zeigen nach Baist Gr. I^ 891 „vorspanische Haplologie der
Silbe" ; aber Haplologie ist gewifs nicht der richtige Ausdruck für diese
Synkope. — Gröber ALL. I 540 betrachtete die Ausstofsung des Vokals nach
der Tonsilbe in Proparoxytonis als allgemein romanisch bei den Erbwörtern
auf -idus; span. neto, lindo, raudo sind ihm lautregclmäfsig, während in span.
limpio , sucio , ptg. nedeo Sulfixlausch {-io, -eö) eingetreten sei. ALL IV 132
erklärt er, dafs span. neto dem Frz. entlehnt ist, dafs sard. nettu dem It. ent-
stammt und auch alz. net Lehnwort ist, da das Sardische und Rätische nur
dieses Wort aus der Gruppe aufzuweisen hat. Wiese, Altit. Elementarbuch
§ 103, 2, hält it. netto für einen Gallicismus.
^ Vgl. dazu noch mlat. mattina, allir. maten, ahd. mettina.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. 2
i8
gewonnen und die Fornaen der anderen romanischen Sprachen
sind dem Frz. entlehnt.
Frz. batture ist nicht herzuleiten von einem vi. *battitura, denn
afr. bat'etire ist deutlich eine Bildung von battre mittels des Suff, -eicre
<C -atura. Frz. hattiiiire ist entlehnt aus it. batlitura. Ebenso sind
baitage, batteur , haitoir usw. Ableitungen von battre, baitude ist ent-
lehnt aus prov. batuda, u. dgl.; nirgends liegt hier Synkope vor.
*pediticulo, -are setzt Körting 6g8i an für frz. peliller.
Das Wort ist aber erst im i6. Jahrh. belegt, daher zweifellos Weiter-
bildung zu peter, das seinerseits erst am Ausgang der afr. Zeit zu
pei gebildet wurde und das afrz, poire (prov. peire) ■< pedere ver-
drängte. Selbst in Klammer gestellt, ist eine derartige „Kon-
struktion" nicht empfehlenswert.
pedito, -onis, wie Diez 240 und ihm folgend Körting 6982
für pietoii ansetzt, hätte afr. *pef, *peton ergeben, was nicht vorhanden
ist. Wir haben darin vielmehr eine Ableitung des 14. Jahrh. von
pic mittels des sekundären Suffixes -ton zu sehen.
Weder *quitidus noch *qultitus, das Körting in der 3. Aufl.
als Neuerung hinzufügt, können Grundlage von frz. qm'tfe sein.
Abgesehen davon, dafs *qultus für quietus von Körting nicht ge-
rechtfertigt wird, hätte *qultidus >> *quittus ]> *quit werden
müssen. Suchier (Comment. Wölff^lin S. 7 1) geht aus von quietus,
das zu fränk. *kwit wurde; ähnlich betrachtet der Dict. gen. quitie
als entlehnt aus lat. quietus, das frühzeitig als Ausdruck der
Rechtssprache gebraucht und („peut-etre sous l'influence germanique")
in *quitus geändert wurde. Schw.-B. § 303 b bezeichnet qinte als
Verbaladjektiv. ^ Diese Ansicht lehnt Speich Zeitschr. XXXIII 321
ab und schliefst sich Suchier und dem Dict. gen. an, indem er
quitte aus lat. quietus ableitet, das sich unter germanischem Ein-
flufs in *kwit, *quitus verwandelt hatte. Sicher ist, dafs qtiiite für
die Synkope nicht in Betracht kommt.
§ 13. Während in den genannten Fällen Ableitung, nicht
Synkope vorliegt, zeigen andere Wörter, in denen die unbetonte
Silbe -dit- sicher vorliegt, keinen vi. Vokalausfall, weil sie entlehnt
sind. Schwierigkeiten hat insbes. afr. ereter < hereditäre geboten.
Erbwörtliches hereditat mufste erete ergeben. Aber wie sollte der
Inf. hereditäre lauten? Damit hat sich zuletzt Herzog S. 113 be-
schäftigt: „Aus hereditäre würde man ^erdeer erwarten, heredi-
täre ergäbe allerdings das afr. ereter (oder eher *erederl), aber
man kommt auch ohne dies aus, denn die stammbetonten Formen
geben korrekt ercte.^'- Es fragt sich, ob das richtig ist: heredi-
täre könnte nur ej-eter geben, aber nicht ereder; hereditäre mufste
zunächst ^herditare werden, dieses hätte wahrscheinlich als erdeer
geendet (vgl. *horriditate > ordee). hereditäre könnte seinen
1 Umgekehrt betrachtet der Dict. gen. quitter als Ableitung zu quitte.
Körtings *quiticlare, *quittare entbehrt ebenso der Rechtfertigung wie
*quitidus. Weiteres über quitter s. §49, 3.
19
Akzent von heredem, hereditat bezogen haben. Herzog hilft
sich in anderer Weise: „hereditäre hat ja zunächst durch er^d^tdre
passieren müssen; da aber auf dieser Stufe etwa ein er^d^tat (und
vielleicht auch das Subst. berede) daneben stand, so blieb statt
des zweiten e das erste." Der ganze Satz bedeutet eine Rück-
verlegung des Ausgleiches nach der stammbetonten Form in etwas
ältere Zeit. Darüber eine Entscheidung zu treffen, ist ausgeschlossen.
Allerdings scheint H. eine Art Begründung zu haben, er fährt fort:
„Vielleicht klang ein solches e vor dem Fall mehr gegen das i zu,
so würde sich das i der Nbf. eriter erklären;" aber eine solche
constructio ad hoc, durch keine weiteren Beispiele belegt, kann
nicht befriedigen. Der Dict. gen. sieht in e7-eter >> ireter u, eriter
eine Dissimilationserscheinung, von den Grammatikern spricht nur
M.-L. darüber.! Aber noch andere Formen sind zu beachten. God.
belegt zwar nur {h)eriter und [h)ireter. Hetzer S. 35 verweist zu
exheredet[avit] der Reich. Gl. auf afr. s'esserter. Aber auch ereder
ist afr. vorhanden, wie Berger S. 120 angibt. Ein solches Schwanken
zwischen stl. und sth. Ergebnis [ereter und ereder'), wo lautregel-
mäfsig Tenuis zu erwarten wäre, ist immer ein Zeichen von Ent-
lehnung, worauf das Wort als Terminus der Rechtssprache auch
selbst hinweist. Als gelehrtes Wort betrachten es auch M.-L.
Zeitschr. f. frz. Spr. u. Lit. XV 87 und Berger S. 120. Das gleiche
gilt dann von afr. erite'^ << hereditate und eriiier ■< hereditariu
und für die afr. Bildungen eritage, erüance, eritement, eritoison usw.
Für frz. tVditve ging Diez von lat. traditor aus. Neumann
Ztschr. XIV 573 erklärte, traditor hätte (wie Imperator ;> em-
perere) trdire geben müssen. Das ist nicht richtig, schon wegen
der angezogenen Parallele, denn das Zwischenton-^ beweist, dafs
emperedre frühes Lehnwort ist; traditor hätte ^tratre werden müssen.
N. erinnert an ein andrerseits aufgestelltes Etymon tradutor, was
lautlich entspräche, aber als Bildung zu unwahrscheinlich ist. Körting
meint, dafs *traditor (zu *tradire für tradere) „vollständig
genügt"; aber *traditor kann nur ^traire, niemals tra'üre geben.^
Die richtige Lösung fand Sheldon, Studies and Notes in Phil, and
Lit. I 118 (Boston 1892), der ein gelehrtes Wort darin sieht:
traditorem > tracleiour'^ > traditour unter Einflufs von tradir.
G.Paris Rom. XXn6i7 meint dann, dafs Iradüre im Frz. nach
traditour gebildet ist.
§ 14. Einzelfälle bieten der Laulforschung immer die gröfsten
Schwierigkeiten, weil sie der Erklärung zu grofsen Spielraum lassen.
1 Afr. Gr. § 232: Afr. ireter aus buchwörtlichem eriter wird damit zu-
sammenhängen , dafs nicht i, sondern e der übliche Vokal zwischentoniger
Silben ist."
^ Afr. herte , das God. beibringt, ist wohl sekundär hervorgegangen aus
trete wie etwa serment aus sairement usw.
3 Ebenso ist Körtings Angabe: praedator, -orem > afr, predeur
lautlich unhaltbar.
* tradetur Pass. 148.
2*
io
Afr. covoitie, das Diez übergangen hatte, setzte Tobler, GöLt. gel.
Anz. 1877, 1618 = cupiditate. Scheler (Anhang, zu cupido)
fügt hinzu: „(Dann) müssen wohl auch die Verba cubitar, coheiiar,
covoüier durch cupiditare erklärt werden. Ist dies unbedingt an-
zunehmen? Oder liegt nicht vielmehr cupitare zugrunde? Die
Wandlung von id't > eit scheint mir bedenklich." M.-L. Ztschr.
VIII 234 fand cupiditare >> covoüier ,,streng nach den Laut-
gesetzen; Schelers Zweifel entbehren jedes Grundes." Auch Herzog
S. 114 sucht cupiditare zu retten: es sei cop^d^lar^ geworden, wo
dann das i. e unter Einflufs von copcd^iat erhalten geblieben, das
2. e unter dem von *cupidus > *cop^d^ > *cobde. Dann sei
intervok. d gefallen, ee >> ei dissimiliert worden, vgl. cobeetar
(Boeci) > coheiiar. Das alles ist wiederum eine constructio ad hoc,
ein durch Ausfall eines Dentals entstandenes ee wird im Afrz. nicht
zu ei dissimiliert, vgl. empeechier > empecher, preechier >> precher.
In Betracht gezogen werden mufs auch afr. cofn)voiiise, das man
*cupiditia gleichzusetzen pflegt. Canellos *cupidititia (Arch.
glott. III 342) erscheint auch Körting als überflüssig. Der Dict.
gen. hält es für eine Ableitung zu convoiier und ich stimme ihm
zu. Für coveiiier stellte G. Paris Rom. XXIII 285 die Gleichung
auf: *cupedietare : coveitier = *cupedietltia >> coveilise; es sollte
cupid- durch xup(p)edium, cop(p)edia beeinflufst sein. Das
ist wenig wahrscheinlich. Aber an der Grundlage *cupidietare
ist festzuhalten. Das Dict. gen. leitet es mit Recht von *cupidie-
tatem (statt kl. cupiditatem) her, welch letzteres regelrecht coveitii
ergab. Also
cupiditas durch Suffixtausch *cupidietas:
*cupidietate afr. coveitie, davon abgeleitet coveitier, coveitise;
prov. cobeilat, ,, „ coheitar^ cobeitos.
Ein Wort, wo ein Schwanken zwischen sth. und stl. eigentlich
ausgeschlossen scheint, ist madidus, das über *maddus >> frz.
mat hätte werden müssen. Nun lautet aber das Fem. dazu mate
(nprov. matj mate; fem. maio), das ein *mattus voraussetzt. Wurde,
wie t't, d't, t'd, so auch d'd zu tt? Das zog schon M.-L. Ztschr.
VIII 209 in Erwägung: ,,0b mattus = *maddus = madidus sei,
ist zweifelhaft; dafs dd > tt werden kann, ist möglich." Aber
diese Möglichkeit wird durch ad id ipsum >■ "^addepso widerlegt.
Das Dict. gen. möchte maf^ in du pain mat, nne pdte mate dem frz.
OTß/ = pers. (schach) mat gleichsetzen, wie schon Littre getan
hatte. Aber mundartliche Formen, wie das von Sigart im Glossaire
angeführte mont. ?nate „feucht" oder das von Littre beigebrachte
wall, mat"^ = ?/ioite, ferner Mistrals prov. t?iate = motte, humide und
^ Nur mat in der Bedeutung compact möchte das Dict. gen. davon trennen
und von dem Stamme herleiten, der sich in hd. Matte = lait caille wiederfindet.
* Littre führt es auf madidus zurück, nur meint er, dieses hätte */«a(ftf
ergeben müssen wie rapidus ^ rade. Er hat, abgesehen von der Unrichtigkeit
des Vergleiches, übersehen, dafs ein wall. ''^ niade unmöglich ist, da im Wall,
sekundär auslautende Media stimmlos geworden ist (frz. barbe = wall. bäp).
21
afr. Wendungen wie feinps viat et pluvieux (God.) sichern wegen
der Bedeutung den Zusammenhang mit madidus. Dies erkannte
schon Behrens Ztschr. XIV 369; gegen die lautliche Entwicklung
fand er nichts einzuwenden, das fem. inate „kann aus dem Mask.
umgebildet sein." Weder madidus >> mattus noch mate nach
mat^ kann befriedigen. Eine Lösung der Frage könnte in aufsergaU.
Formen gefunden werden. Man hat bisher aber nur it. maito „albern"'
damit in Zusammenhang zu bringen gesucht. Dieses hat man auch
auf das Petronische matus „trunken" zurückgeführt, das nach
Vanicek für *mattus stehe und aus madidus (?) entstanden sei.
Körting setzt in der 2. Aufl. „madidus, bezw. *maditus, *mattus"
an, um in der 3. Aufl. *raaditus zu erklären als Umbildung nach
Analogie der Partizipia.2 Für lat. mattus ist schon Osthoff, Zur
Geschichte des Perfektums im Idg., S. 556 (1884), von *maditos
ausgegangen. Auch lat. mattus oder eine neuerliche Parlizipial-
bildung *maditus zu madeo, -ere kann für das Rom. der Ausgang
sein. Wann immer entstanden und synkopiert, *raaditus > mattus >
frz. mat, mate ist die ansprechendste Lösung.
§ 15. Nicht unter unsere Regel fällt *quatottare (Bugge Rom.
IV 352), wenn man an diesem Etymon für raholer festhalten will. Es
müfste Ausgleich nach der stammbetonten Form *quatottat >-
cahote angenommen werden. Besser wird man nach einem Etymon
für das Subst. cahot suchen und cahoter Ableitung dazu sein lassen
als umgekehrt, zumal cahot im 15. Jh., cahoter erst hundert Jahre
später zu belegen ist.
Anmerkungsweise sei noch tout, it. iiifto erwähnt, das als
Zwischenstufe zu totus ein tottus verlangt, für welches Schw.-B.
§ 1 1 6 Anm. (wie heute noch fast allgemein geschieht) die Er-
klärung durch die Verdoppelung *tot-t(ot)u gibt. Diese Annahme
geht bekanntlich zurück auf Karsten (1884), der von totum-
totum, vgl. it. ttitutio, ausging (vgl. auch Gröber ALL. VI 129).
Die Zwischenstufe *t6-toto würde in unsere Gruppe fallen.
Aber diese Erklärung ist ebenso unnötig wie die ältere von Thurn-
eysen, der toto -f- Vok. >> totv + Vok. > tolt werden lassen
wollte. It. tututto bildet durchaus keine Parallele, erstens stimmt
die Lage des Akzentes nicht, zweitens ist die Reduplikation
im It. auch sonst vorhanden. Zweifellos ist totit hervorgegangen
aus tottus, 3 das bei Consentius (Foerster-Koschwitz, Afr. Übungs-
1 An -vert, verte findet das keine Stütze, da die lautgesetzHche Fem.-
Form ja nicht verde, sondern -vert ist (vgl. Vauvert).
- Ein Ersatz von -idus durch -itus ist auf rom. Gebiet nicht unerhört:
fracidus %\l\\. fracitu, gravida ?\z\\. gravita, siz. ranctdu waArancitu, tepidu
und tepitu.
3 lötus ;>» tottus verlangt Kürze des Vokals bei Länge des Konsonanten;
wie sich der Vokal von frz. tout, it. tutto dabei erklärt, ist noch unbekannt. —
Für den Plural tiiit stimme ich folgender Erklärung bei : totti Uli homines ^
tuit li omes. Da in der Mehrzahl totti meist vor Vokal stand, weil ja der
mit Vokal beginnende Artikel darauf folgte, so wurde das i jotaziert und
tötti entwickelte sich lautgerecht zu tuit. Wenn tti^ in inace, piece , place
22
buch 2, S. 234) belegt ist. M.-L. Einf. 143 läfst tt entstehen in
Anlehnung an quottus, das aber wahrscheinlich nicht *quoti- to -s
darstellt, sondern selbst sekundär aus quotus entstand. Daher ist
tottus aus tötus (erhalten in span. ptg. todo) zu erklären wie raitto
aus *mito, narro aus *näro, cuppa neben cüpa, muccus neben
mücus usw.; vgl. auch glütus > *gluttus: it. ghiolto, afr. gloi',
glüto, -onem: frz. glout, glouton.
§ 16, Mit dieser Synkope zwischen Dentalen verhält es sich
genau so wie mit dem Vokalausfall bei den Liquiden. Sehen wir
schon klassisch lateinisch valde neben validus usw., so zeigen uns
mattus für maditos, cette für cedate, vate für vaditei, dafs Syn-
kope zwischen Dentalen dem Klassischlateinischen ebenfalls nicht
fremd war. Und wie neben lurdo, soldo die vollen Formen lurido,
solido weiter bestanden, so findet sich die entsprechende Er-
scheinung auch bei den Zahnlautgruppen. Darauf führt die Er-
klärung von fade. Diez hatte prov. faf, fada ; frz. fat und fade
auf fatuus zurückgeführt. G. Paris (Mem. de la soc. de ling. de
Par. I 90) hat fat und fade geschieden, nur jenes leitete er von
fatuus ab, dieses nicht, weil er erkannte, dafs die Kombination
Uli, ua im Frz. den vorhergehenden Konsonanten schützt, sodafs t
sich behaupten würde. Er stellte vapidu als Grundwort auf; für
das anlautende f nahm er Rom. XVII 288 Anm. Kreuzung mit
fatuus an. Eine Stütze dieser Ansicht fand sich, als N. du Puits-
pelu im Dict. Lyonnais S. 241 ein mundartliches vadou beibrachte,
das er auf *vapidosus zurückführte. Ebenso findet sich wall.
wap(e), das Scheler von vapidus herleitete, worin ihm Horning,
Ztschr. XV 49 6 zustimmte. Van Hamel hatte es allerdings im
Roman de Miserere 3, 2 aus germ. hwap gedeutet. Der Ansatz
ya/= fatuus ist heute abgetan. Vom Standpunkte der Lautlehre
wäre allerdings nichts dagegen einzuwenden. Fatuus konnte zu
*fattus werden, gerade so wie batuo > *batto geworden {aller-
dings steht neben lat. batuo schon battuo, neben quatuor weit
häufigeres quattuor, während ein *fattuus nicht belegt ist). Aber
der Umstand, dafs fat erst im 16. Jh. aufkommt, dafs Rabelais
ausdrücklich sagt, fat „est un mot de Languegoth", hat es über
allen Zweifel erhoben, dafs fat dem Süden entlehnt ist.2 Auch
gegen G. Paris' Erklärung von fade, an der das Dict. g6n. festhält,
ist vom lautlichen Standpunkt nichts einzuwenden. Aber Bedenken
eine andere Entwicklung zeigt, so ist der Unterschied in der Zeit begründet:
die Assibilierung von primitiven tti ist alt, während junges (frz.) tti als it
endete.
1 S. Zimmermann, Zeitschr. XXXI 494 f. (1907).
2 Körting dagegen leitet, obwohl das Dict. gen. s. v. und Nyrop I'*, 43
[nicht 32, wie der Index angibt] obige Erklärung geben, auch in der 3. Aufl.
fat unmittelbar von fatuus her; fade ist ihm gleich *fatida, wie soudahi aus
subitaneus und sade aus sapida.
23
gegen die Bedeutungsentwicklung veranlafsten M.-L. Ztschr. XIX
277 ff. als Etymon *fatidus anzusetzen. Wegen der lautlichen
Schwierigkeit von fade gegenüber net nahm er an, dafs es zu. fatuus
erst gebildet wurde, als nitidus schon nittus lautete. Diese Er-
klärung ist gewifs möglich; allerdings bleibt es eine constructio ad
hoc. Gegen Gröber, der ziu: Erklärung von afr. saive ein *sabius
aufgestellt hatte, gebildet zu sapere, als dieses auf der Stufe *sabere
stand, wandte Schuchardt R. E. I 15 ein, dafs ..es nicht erlaubt
ist, ein *sabius aufzustellen, ohne es wenigstens durch einen
2. Fall einer derartigen Adjektiv-Bildung zu stützen.'' Und gegen
eine „jüngere- Bildung *fatidus erhebt sich das Bedenken, dafs
-idus frühzeitig aufhört, produktiv zu sein, und durch andere
Suffixe ersetzt wird.
§ 17. Wenn wir die Reflexe von "^'rautidus betrachten, so finden
wir in südfrz. moude eine Form, die man recht wohl mit fade ver-
gleichen kann. Ebenso bietet eine volle Parellele frz.-prov. nede
(Suchier Gr. I2 732). Ein unserer Lautregel entsprechendes Hg.
muitu^ hat Parodi Rom. XVII 62 beigebracht. Schuchardt R. E.
I 20 meint, dafs sich moude : mout verhalte wie ptg. nedeo zu span.
tiefo. Stellt man it. 7ieito, frz. prov. 7iet, bezw. putlo, put dem ptg.
nedeo, span. piidio gegenüber, so kann man entweder sagen^ die
iberische Halbinsel hat die Entv>-icklung von ^tidus >> ^ttus nicht
mitgemacht, weil sie erst eintrat, als der Zusammenhang mit den
übrigen rom. Gebieten sich schon gelöst hatte; oder aber man mufs
einen anderen Ausweg suchen, den schon Gröber ALL. IV 132
gefunden hat: „Die Kurzformen scheinen ihrer Verbreitung nach
vorromanisch. Aber daneben mufs die längere Form weiter-
bestanden haben." Wenn aspan. neto als erb wörtlich betrachtet
wird — und es liegt kein zwingender Grund vor, dies nicht zu
tun — , so ist der Satz zweifellos richtig und notwendig. Wie
neben afr. colp ein prov. colhe, neben it. secchia ein lad. sedla steht
usw., so ergab *fatidus einerseits *fattus (das übrigens in prov. /a/
ebensogut vorliegen kann wie fatuus, nur dafs letzteres gestützt
wird durch vac aus vacuus; beachte iem. fada), andererseits blieb
es als *fatidus bis in einzelsprachliche Zeit, das über *fadidus >
*fad'do ein fade ergeben mufste, als es gleichzeitig wie sapidus,
rapidus usw. frz. Synkope erfuhr. Ebenso erklären sich it. netto,
frz. «1?/, aspan. neto gegenüber frc.-prov. nede, ptg. nedeo, rum. neted;
lig. muttu gegenüber südfrz. moude. Also:
Die gemeinromanische Synkope des unbet. Vokals zwischen
freien Dentalen ist fakultativ. Neben den Kurzformen bleiben die
längeren erhalten und folgen den einzelsprachlichen Regeln:
^ Das It. hat dafür mozzo, frz. niousse, das sich zu mutidus verhält wie
puzzo zu putidus; piizzo unmittelbar aus putidus herzuleiten, wie Diez dies
wollte, ist unmöglich.
24
nitidu frz. prov. «cV, it. iietto^ span. 7ieto.
frc.-prov. nede, ptg. nedeo, rum. ;/f/^(^/.
putidu frz. prov. /z//, it. puito: sard. pudtdu, aspan. pudio.
*lutidui afr. lot, prov. /0/ : span. ludio, ptg. /«^r<?.
*mutidu lig. z««//« : südfrz. moude.
*fatidu frz. fade.
§ 18. Wir haben bisher nur den freien (zwischenvokalischen)
Dental betrachtet. Wenn der Zahnlaut gedeckt ist, tritt Synkope
überhaupt nicht ein, s. § 64, 3.
§ IQ. Für die Lippenlaute kommt nur ein Beispiel in Betracht:
lat. upupa vi. *üppa, frz. huppe, prov. upa.
Im It. blieb die ursprüngliche Form, die durch Aphärese der
Anlautsilbe gekürzt wurde: upupa >> *bupa, durch Assimilation
mail. Imha , durch ein Suffix erweitert it. huhhola. It. upupa ist
Latinismus. Ebenfalls den Anlaut haben eingebüfst piem. popa,
romagn. poppa, ptg. poupa. Der Name des Vogels ist seinem Ruf
nachgebildet und der schallnachahmende Einflufs zeigt sich wohl
auch in den obigen Formen, wie andrerseits eine neue schall-
nachahmende Bildung vorliegt in span. putput, frz. piiput.
Wie mattus << *maditos bei den Dentalen, so belegt
Stipendium < *stipipendium diese Lauterscheinung schon für
das Altlatein.
§ 20. Dieselbe Erscheinung wie bei den Dentalen finden wir
auch bei den gutturalen Verschlufslauten. Es handelt sich hier
um eine Reihe vi. Verba auf -ccare,^ deren Entstehungsweise zwar
oft genug besprochen worden ist, aber eine zusammenfassende Be-
handlung noch nicht erfahren hat.
Schon Diez erklärte rom. ficcare aus figicare, indem er darauf
hinwies, dafs fodicare zu fodere, vellicare zu vellere schon lat.
sind, wozu noch die rom. Bildungen gemiccare, volvicare,
pendicare, sorbicare kommen, und Gröber stimmte ihm bei.
1 *lütidura ^ /«^ setzt Bauer S. 38 an; ptg. ludro führt Cornu Gr.
I' 961 darauf zurück. — Im übrigen ist der Ansatz recht zweifelhaft, vgl. die
Lit. bei Körting* 5756, 5761. — Nfr. Int, luter ist dem Dict. gen. entlehnt
aus lat. lutum, lutare.
' Weder Sch.-B. noch Nyrop sprechen von den genannten Fällen. Die
ersteren führen nur § 142,2 toccare (germ. tukkon) — tuchier, maccare —
machier, huccare — huchier, p ecc nt '^ pechet an; bei Nyvop ist ein eigen-
tümliches Versehen unterlaufen: er pflegt die Behandlung jedes Konsonanten
in 5 Abschnitte zu teilen, l. anlautend, 2. vor Konsonanten, 3. zwischen
Vokalen, 4. final, 5. geminiert. Bei c ist ihm geschehen, dafs auf 2 gleich 4
folgt; bei g, dafs auf 3 gleich 5 folgt; so wurde bei c und g die Gemination
vergessen. Auch die 2. Auflage hat das nicht gebessert. Wenn auch die
falsche Numerierung bei g ohne weitete Folgen ist (gg spielt eine ebenso
geringe Rolle wie dd, das Nyrop nichtsdestoweniger im § 396 gesondert be-
handelt hat), so führt sie bei c dazu, dals nur 4 Beispiele (unter c initial d'une
syllabe), dabei kein Zeitwort, gegeben wurden, sekundäres cc aber ganz un-
behandelt blieb.
25
Ein rom. oder schon vi. *ficcare setzen aspan. hincar, fincar, ficar,
ptg. fincar, ficar, prov. ficar, afr. fichier >> nfr. ficher, rtr. fichiar, it.
ficcare voraus. Dementsprechend hatte Nigra Arch. Glott. XIV 337
xi.toccare, iiz. toucher aus *tudicare erklären wollen und dies ver-
anlafste Ascoli (an gleicher Stelle), folgende Parallelen zu geben:
*figicare it. ficcare frz. ficher,
*ligicare „ leccare „ allecher,
*tagicare „ taccare „ att acher.
Dazui fügt Nigra, Arch. Glott. XIV 107:
*tragicare it. traccare frz. (pic.) traquer',
Salvioni Rom. XXVIII98:
*mac-icare it. maccar afr. machier.
In gleicher Weise wurden auch zu Part. Perf. Verba auf
-icare gebildet. Das von Horning Zeitschr, IX 140 aufgestellte
*coacticare fr. c acher, prov. cachar^ qtiichar, rtr. squicciar
ist bisher unwidersprochen geblieben; hier ist die Bildung zum
Part, das Wahrscheinliche, denn dafs nach dem Part, ein *coago
statt cogo, dazu *coagico gebildet worden wäre, ist weniger an-
sprechend. Ebenso setzte aber Horning (gegen Ascoli) an:
*allecticare frz. allecher
und Ulrich Zeitschr. IX 429 fügte hinzu:
*tacticare frz. attacher *ficticare frz. ficher,
*torticare ,, torcher.
Gröber ALL. II 285 bietet noch
*flecticare afr. flechier."^
§ 21. Solche Verba auf -ccare sind aber auch als Ent-
lehnungen aus dem Germanischen erklärt worden: so schon Diez
(und der Dict. gen. stimmt ihm bei):
germ. *tukkön (^6.. zuckari)
it. toccare sp. ptg, prov. tocar frz. ioucher,
„ *likkön > ahd. leccon, as. liccon
it. leccare prov. It'quar, lichar, lechar frz. lecher, licher,
„ *lökön > as. Idkoji (vgl. ne. look)
it. allocare ?afr. luchier, norm, luqiier, daraus frz. reltiquer,
^ Ascoli erwähnt noch:
*strigicare ho\. strikar (:= it. J^rzsaari? <^ *strictiare)
*fragicare frakar
*extiocicare strokar (von extorcere für extorquere).
Körtinr; bietet aufserdem *glacico'^ :ih. glacozer, glacteri^). Diez hatte ge-
schrieben:. „Das Wovt mufs aus glacies geformt sein", was K. durchführte,
statt es als Bildung zu glace zu betrachten.
^ Im Dict. g^n. ist flechir d'origine inconnuc. flectere, von dem Diez
ausging, wird mit Recht abgelehnt. Über *flecticare wird nicht gesprochen.
26
deutsch. *lukk- (mhd. lücke, nhd. locker) frz. lochcr,
„ *trekk- (mhd. trecken, nd. trekken)
iL treccare pxov. /ric/iar dSx. trechier, irichier vSx. iricher'^.
Aber damit sind die Möglichkeiten der Entstehung von vi.
-ccare noch nicht erschöpft: Schuchardt lehnte Zeitschr. XXII 397
*tudicare, *tagicare ab und stellte Ableitung von schallnach-
ahmenden Interjektionen an deren Stelle; schon Scheler2 war ihm
bei toucher darin vorangegangen:
toc, toc! it. toccare frz. ioqiier, toucher,
tac, tac! „ taccare „ aitacher.
Ähnlich Horning Zeitschr. XVIII 215:
ostfrz. choc! frz. choquer;
Dict. gen. croc „ croqiier',
Körting pic it. piccar fr. piqiwr.
Auch Denominativa können -ccare aufweisen:
lat. mücus > muccus, dazu prov. mochar frz. moucher,
celt. lat. beccus, dazu it. heccare afr. hechier
(nfr. dial. lecher, sonst heqiter)
*croccum, ,, ,, croccare ^{x.crochier (nix.croquer),
*roccum „ vi. *roccare, „ rochier, frz. derocher,
deroquer.
Diez: choc(mhd.schoc) frz. choquer',
Dict. gen.: pic (Subst.) „ piquer
trac (d'orig. ine.) „ traquer
ploc „ „ „ ploquer
vi. *torca „ torcher."^
Von einem Adverbium:
lat. hüc, davon *hu ccare friaul. uca frz. hucher
prov. 2{car, uchar pic. huqiicr.
Aufserdem ist -ccare natürlich auch einheimisch:
lat. si ccare it. se ccare frz. sicher
„peccare „ peccare „ pecher
„ tricare >> vi. /rzcfö/'^ afr. trechier^ „ tricher.
^ Ferner: Diez mhd. spachen \\.. spaccare
Dict. g6n. holl. schokken, ne. shock frz. choquer,
während Kluga-Lutz, English Etymolügy, ne. shock aus frz. choquer herleiten.
'^ Allerdings brachte er dieses toc unhaltbarer Weise in Zusammenhang
mit dem Stamme tag- in längere.
3 Diez tortiare, was lautlich nicht genügt; Gröber torcare stellt
keltischen Ursprung zur Erwägung. Ulrich *torticare s. o.
* Diez tri ccare; Storm Rom. V 172; Ulrich Zeitschr. IX 556; eine
Ableitung, die der von germ. trekken vorzuziehen ist.
Bildungen zu lateinischen Stämmen:
Stamm lue- (lucere, lux; vi. *lucor, *liicand)
vi. *luc-carei prov. ahtcar afrz. aluchier.
Stamm mäc- (mäcerare, mäceria-)
vi. mac-care it. maccare afr. machier (nfr. dial. niachcr)
rtr. smaccar, prov. macar, machar pic. maquer > nfr. viaquer.
§ 22. Bevor man bezüglich taccare, leccare schlüssig wird,
mufs eine Vorfrage erledigt werden, betreffend das Nebeneinander
von frz. dl und qu. Scheler verglich zu toqiier : touchej- das Ver-
hältnis von moquer : moucher und hielt ersteres für die pic. Form.
Auch Körting meint, dafs moquer „eigentlich nur picardisch" ist.
Durch span. viueca Grimasse werden moquer und moucher als ver-
schiedene Worte erwiesen. Das Dict. gen. bringt taquer als pic-
norm. Form, abgeleitet von iac. Stamm von aitncher',^ maquer ist
ihm abgeleitet von maque; dieses norm. -pic. für mache. Schuchardt
äufserte sich Zeitschr. XXII 397 : .Joquer wird als Nebenform von
ioucher angegeben; das ist insofern richtig, als dieses Wort die
Fortbildung von jenem ist.'- Wie sich Seh. das vorstellt, ist nicht
klar. VI. *toccare mufs frz. als toucher erscheinen, kann aber
nicht als loquer daneben erhalten bleiben. Man wird daher wohl
am besten tun, toquer und taquer von onomat. roc, bezw. tac her-
zuleiten, für ioucher, atlacher sich aber nach anderen Grundworten
umzusehen. ^
Es fragt sich, ob Ascolis *tagicare oder Ulrichs *tacticare
anzusetzen ist. Frz. müssen beide Formen (at)lacher ergeben, der
Unterschied läge nur in der Zeit der Synkope. Wie aber aufserhalb
Frankreichs? Die eigentliche Entscheidung könnte nur *coacticare
(wenn man *coagicare für ausgeschlossen hält) geben, da hier
die Ableitung vom Part, einigermafsen sicher ist. Leider aber kommt
' Man pflegte bisher (Körting' 505) auszugehen von *allücare; das
hätte nur prov. *lugar, *luyar, afr. *ltier ergeben können.
2 Nicht macula, das auch mit gr. fiäooeiv nichts zu tun hat.
^ Dieses wird betrachtet als Zusammensetzung von a + fache im Sinne
von point fixe. Zu tache aber schreibt das Dict. gen.: „Wort unsicherer Her-
kunft, wahrscheinlich germanisch, das vom Stamme von attacher geschieden
werden mufs, mit dem es erst in einer jüngeren Zeit zusammengeflossen ist". —
Dieser Widerspruch erklärt sich wohl aus der verschiedenen Zeit der Ab-
fassung beider Artikel.
* Die übrigen Doppelformen von qu und ch erklären sich in sehr ver-
schiedener Weise, so z. B. afr. hechier (noch mundartl. hecher) entspricht
it. heccare , ist also alte Bildung zu *beccus. Nfr. bequer ist eine frz.
Bildung zu bec und kommt erst im 15. Jh. auf. — Afr. crochier > nfr. crocher
setzt ein *croccare (zu *croccum) voraus; nfr. croquer „mit einem Haken
ergreifen", das erst im 18. Jh. belegt ist, wurde zu ixi. croc gebildet. —
Yxz. attaquer ist Lehnwort aus dem It. — Usw. Aber es bleibt manche
Schwierigkeit: Nfr. deroquer kann pic. -norm. Form von derocher sein (ebenso
afr. aroquer und arochier), aber möglicherweise ist es von roc neugebildet
(wie derocher zu röche).
28
das Wort aufserhalb Galliens nicht vor, nur noch rtr. sqm'ccwr, wo
coactu > qttac wird. Ebenso kommt das ganz sicher die Ver-
bindung ct'c bietende flecticare aufserhalb des Frz. nicht vor.
Für it. taccare ist aber *tacticare wohl ausgeschlossen, ebenso ist
figicare als Grundwort für ficcare einem *ficticare vorzuziehen.
Desgleichen bleibt für it. leccare ein *lecticare besser unberück-
sichtigt; ob es aber auf *Iigicare (zu lingere) oder auf germ.
*likkün zurückzuführen ist, diese Frage bleibt offen. Dagegen
afr. quachkr, flechier sind zweifellos aus *coacticare, bezw. *flecti-
care entstanden.
Es bleibt noch *tudicare zu erledigen. Schon vor Nigra
hat Boucherie, Revue des langues romanes V 350 f. (1874), diese
Herleitung zu touchcr gegeben und dabei auf tudiculare bei
Varro verwiesen; klassisch -lateinisch ist iudito vorhanden. Jene
Bildungsweise ist gewifs einwandfrei. Schuchardt fand auch gegen
die lautliche Seite nichts einzuwenden; aber frz. lautet das Wort
immer ioticher, während die Reflexe von — dicäre schwanken
zwischen g und ch'.
exradicare ?i{r. es)-agÜ7-, esrachi'er fodicare ^Sr. fougier,fotichier
judicare ,, jtigier, juchier^ *nidicare ,. nigier, nichier.
In allen Fällen ist die Synkope erst frz., *tudicare2 konnte nie
gemeinrom. *ioccare ergeben. Am besten tut man wohl, wenn man
G. Paris Rom. XXVII 626 zustimmt, der Schuchardts Herleitung
von toc, tac für prov. iocar, frz. ioquer und vielleicht rum. iocä an-
nimmt, für it. ioccare, frz. toucher aber bei germ. *iukkön bleibt, mag
auch die Bedeutungsentwicklung noch Schwierigkeiten machen.
% 2T,. Fassen wir das eben Gesagte zusammen, so finden wir:
*figicare it. ficcare frz. ficher
(*ligicare ,, leccare „ (al)lt'cher)
*ad-tagicare „ aUaccar „ aiiacher
d. h. die Synkope zwischen g\: ist schon gemeinromanisch. Es
fragt sich, ob auch sonst bei der Bildung das volle Suffix -icare
antrat, also, wie Salvioni (s. o.) ansetzt:
*mac- icare it. maccare afr. machier,
so *luc-icare prov. alucar ,, aluchier
oder zu huc: *huc-icare ,, iicar „ huchier,
usw., oder ob hier unmittelbar von vi. *maccare, *luccare,
^ Von den Verben auf -ccare hat nur eines eine Nebenform auf -ger:
afr. lochier und logier; das hat aber seinen Grund im germ. Etymon: die
Formen verhalten sich zueinander wie mhd. locker und loger.
2 Möglich, dafs in einzelsprl. Zeit * x.\iA\cat'^ \t. toccat wurJe, vgl.
cauda -«C^ trepida ^ c?c2'r<'i'/a, r a p i d u s ];> raif/o (aber frz. rade). Indes
immer giudicare.
29
*huccare usw. auszugehen ist, ohne dafs je Synkope eintrat. Be-
dürfen demnach alle diese Zeitwortbildungen auf -ccare noch
einer eingehenden abschliefsenden Untersuchung, so steht doch
fest, dafs Synkope zwischen freien Gutturalen schon gemeinrom.,
vielleicht vi. ist, also dafs dieselbe Erscheinung vorliegt wie bei
den dentalen und labialen Verschlufslauten.
§ 24. Fassen wir das bisher Behandelte zusammen, so können
wir folgende Lautregel aufstellen:
Zwischen freien Verschlufslauten gleicher Artikulationsstelle ist
die Synkope gemeinromanisch, vielleicht schon vulgärlateinisch. Wo
Media und Tennis, gleichgültig in welcher Reihenfolge, zusammen-
treten, ist das Ergebnis die stimmlose Geminata. Wegen des hohen
Alters der Synkope erscheint im Frz. im Auslaute kein Stütz-«?. Zu
beachten bleibt, dafs wie bei der Liquida-Synkope neben diesen
Kurzformen die Langformen weiterleben.
Die aufgestellte Regel gestattet noch eine Erweiterung:
Novavilla Neuville^ Senones Sens.
Neuville widerspricht dem Darmesteter'schen Gesetz, Sens zeigt kein
Stütz-f, während z. B. Redones > Rennes, Rodanu > prov. Rostie
> frz. Rhone ein solches aufweisen. Also nicht nur für Verschlufs-
laute gleicher Artikulationsstelle, sondern auch für Dauedaute gleicher
Art ist die genannte Regel gültig.
Dafs zwischen Konsonanten gleicher Artikulation die Synkope
früher eintritt als sonst, ist vom phonetischen Standpunkt aus leicht
erklärbar.
Alle die genannten Synkopen des VI. sind in der lat. Sprache
nichts Neues, ganz ähnliche Erscheinungen finden sich in archaischer
und klassischer Zeit.
B. Yokalisierung des Konsonanten.
§ 25. Nicht immer ist das Ergebnis eines vi. Vokalausfalles
der Zusammentritt zweier Konsonanten zu einer Gruppe, in ge-
wissen Fällen tritt vielmehr eine Vokalisierung des Anlautes der
unbetonten Silbe ein. In Betracht kommen hauptsächUch die
Gruppen avi, abii, agu, tgi.
1 Ähnlich Curva villa^ Courville, Novu \ \ cn '^ Neuvy , Novu
N\\\z.xQ^ Neuvilliers usw., die Herzog 107 durch Haplologie edilärt. Zwischen
Haplologie und Synkope sind hier die Grenzen flüssig: ersttre liefse Nova-
villa > *A'(?z77/a, letztere zu *Novvilhi werden. Ähnlich vice-comitem
>■ vicomte, disjejunare ]> vi. *disjunare, stammbet. nfr. dejeutier, endungsbet.
n'ä. diner. — Synkope, nicht Haplologie, läge nach Berger S. 125 Anm. vor
in *äcuculentum {T>\qz)^ *acculentu'^ aigl^nt; es ist aber auszugehen
von *aquilentum (G. Paris), das aus ^aciilentiun hervorging wie cl. aqui-
folium aus acu-, aci-lolium, vgl. Walde Lal. elym. Wb. s.v.
30
Wie alle genannten Synkopen, war auch avi >> au vor Kon-
sonanten dem Klassischlateinischen nicht unbekannt.
*gavidet gaudet, vgl. gavisus *avidet : audet, vgl. avidus
navita und nauta claudere neben clavis
avis, aber augur, auspex, auspicium, auceps usw.
In vi. Bildungen wiederholt sich diese Erscheinung:
avis: *avica vi. auca prov. rtr. ß?^fa, ptg. öwt?, it. span.
oca, afr. oe, oie.
*avicellus „aucellus prov. auzel, it. ucello, afr. oisel.
avis struthio frz. atäruche.
avis tarda prov. aits/arda, ii.us tarda, ottarda,
frz. oufarde, span. av-uiarda.^
navis-: *navica vi. *n auca prov. nauca, frz. noue.
cavere^: *cavicare „ *caucare frz. choyer.
*cavitare „*cautare rum. cäufa } hz. t-c/iouer.
§ 26. Demgegenüber findet Sch.-B. § in Anm. unerklärt
„die Entwicklung von navikella zu {rz.tiacelk, da ersteres ?iaukeäa
und weiter frz. noiselle hätte ergeben sollen".'* Es verhält sich eben
mit dieser Regel, wonach avi vor Konsonanten ^ zu atL wird,^ nicht
anders als mit den bereits erwähnten Synkopen: wir haben die
ursprünglichen Formen daneben erhalten. Und zwar stehen sie
diesmal in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erhaltung des
Grundwortes:
navis it. nave span. ptg. nave frz. nef,
daher
*navigare vi. navigare \i. navigare span. ptg. navegar irz.nager"^.
navicella „ navicella frz. nacelle.
Nur *navica> nauca zeigt Synkope, ist aber unsicher;
avis, das sich so häufig in Ableitungen als ati findet, hat sich
1 Nochmals zufammengesetzt mit span. ave, s. Diez 230.
"^ Nicht *navicularius, sondern vavxXrjQoq ist Grundlage von it.
nochüre, woraus frz. twcher im 16. Jh. entlehnt wurde.
' Aufserdem noch zu auca: *aucla : rtr. o^'a; *avicupare : *ancu-
par e : rum. at-«^a; *flavitare (von flare) : *flautare : it. /?«/ari?. Endlich
auciun Kass. Gloss. ; i'rz.oison, it. odo, locio, auf die hier nicht näher ein-
gegangen werden kann.
^ Nyrop I^ § 446 dagegen bezeichnet die Vokalisationen von v als
„cas isol6s".
5 Vgl. noch -avit ^ -aut (amavit ^ amaut ]]> it. span. awo, ptg. a/wo?^).
^ Das lat. kons, u [v) verlor dabei nicht sofort seinen konsonantischen
Charakter; wenn auch im Frz. der Konsonant nach diesem au intervokal
stand, so zeigt doch span. oca, dafs zur Zeit der span. Lautabstufung das c
nach Konsonant stand.
' Körting findet diese Ableitung „nicht unbedenklich" und will von
*naviare ausgehen, aber die Bedenken sind unbegründet; it. navicare neben
navigare erklärt sich durch Suffixtausch.
31
auf der iberischen Halbinsel erhalten: aspan. aptg. ave (sard. ae)\
dort finden wir dementsprechend
avis struthio span. avesiruz, ptg. abestruz,
avis tarda ptg. ahetarda, be tarda.
Nirgends erhalten hat sich cavere, daher haben wir nur *cau-
care, *cautare. Wohl aber finden wir
clavis: *clavicella afr. clacelle
gravis: gravidus it. grmndo
g r a V i t a t e afr. grietc.
Über avidus, pavidus >> afr. ave, pave, ferner prov. espautar,
pic. epauter s. § 129, l, bezw. § 73.
§ 27. Dieselbe Erscheinung wie bei v findet sich auch in
einigen Beispielen bei b. Lat. tabula erscheint im Frz. als töle und
table. Nyrop I"^ 371, i und der Dict. g6n. betrachten töle als
dialektische Form zu table. Schw.-B. § 26, M.-L. Einf. S. 119 u. a.
setzen "^taula als vi. an, was durch die anderen rom. Formen gestützt
wird. Wie ist aber das Nebeneinander von vi. iaula und iabla zu
deuten? Es könnte tabula > taiila geworden sein, während sich
die Langform tabula weitererhielt. Aber wie wurde tabula >
taula"} Wurde b vokalisiert nach dem Ausfall des ic oder fiel b
wie V vor u {aus, flaus^ riiis in der App. Probi)? Nun heifst es
allgemein, dafs b zwischen Vokalen seit dem i. Jh. n. Chr. zu v
geworden ist (M.-L. Einf. S. 127, Marchot S. 46). So müfste
eigentlich tabla die ältere Synkope (spätestens im i. Jh.!) zeigen
und die Langform tabula > tavula > taula geworden sein; oder
es müfste table Lehnwort sein, wie Shepard meint, in welchem Falle
man auch äable, fable, sable als gelehrt bezeichnen müfste. Beides
ist wenig wahrscheinlich. Wir dürfen eben nicht meinen, dafs mit
dem ersten Beleg von v für b der Zeitpunkt gegeben ist, seit dem
das lat. b als v gesprochen wurde. So findet sich bekanntlich die
Aussprache wa für oi mehrfach im 16. Jh. bezeugt, ja Spuren, wenn
auch dialektische, reichen bis ins 13. Jh., während andrerseits die
Aussprache we bis ins 19. Jh. dauert. Ebenso dürften in der
Kaiserzeit v und b nebeneinander gestanden haben. Wir dürfen
wohl die vulgäre Aussprache tavula in taula wiederfinden, während
tabula > tabla wurde oder unsynkopiert blieb (vgl. it. tai'ola, pavola,
\t.he\\\in. stavol). tabla entstand, bevor die Aussprache v für b
allgemein durchgedrungen war, wie etwa auch wa erst Jahrhunderte
nach dem ersten Auftreten allgemein geworden ist. Und die
sozialen Verhältnisse, durch welche ein solcher Kampf zweier Aus-
sprachen bedingt wurde, waren in der römischen Kaiserzeit ebenso
vorhanden wie unter dem ancien regime. Die Doppelheit im Laut-
stande, die Erhaltung der älteren Aussprache neben der neu auf-
kommenden vulgären gilt für die gesamte vi. Lautlehre, was bisher
von den Grammatikern viel zu wenig betont worden ist.
32
Die Beispiele, die für abu in Betracht kommen, sind:
kl. tabula vi. *tavula > *taula sard. pvov. cat. fau/a, venez.
io/a, frz. iö/e.
,, * t a b 1 a rum. /ab/ä, piem. berg. iabt'a,
frz. iab/e, span. iabia, ptg.
iaboa.
„ fabula „ *favula > *faula ipiov. /au/a, it/ola.
,, *fabla „ fahla, \i. fiaba (= frz.
flabe), span. habla, frz. fable.
Tiagaßolrj „ *paravola>> *paraula prov. aspan. /(^ra«/«, it./a-
rola, frz. parole.
„ *parabla span. pa/abra, aptg. paravoa,
ptg. palavra.
,, stabulum „ stavulu >■ *staulu rum. staul.
„ stablum (App. Pr.) it. siabbio, span. establo.
„ *stabla frz. <Va(5/(?.
§ 28. Für unsere Untersuchung über die Lautabstufung kommen
nur zwei Wörter in Betracht: Diez' zweifelhaftes Etymon
*trabucare vi. *traucare pxo\.cn.i. iraucar, span. trocar, hz.
troiier
und gabata span. gahata.
„ gabita ixz.jaiie, ahd. gebiza.
„ gavita > gauta prov. ^rt?;/ö, it. go/a, hz. joue.
Besser als die Herleitung von trans ■\- germ, buk ist Schelers
Ansatz *trabicare zu trabs. Körting wendet ein, dafs trab[i]care
frz. trocher'^ ergeben hätte; das Bedenken hebt sich, wenn wir die
vulgäre Aussprache *travicare ansetzen — und das Wort ist
zweifellos ein vulgärer Ausdruck — , die regelrecht *traucare er-
geben mufste. — Das dem Keltischen entlehnte gabata erscheint
frz. als jatfe und joiie, deren Verschiedenheit zunächst auf dem
Zeitunterschied in der Synkope beruht: jenes ist in frz., dieses in
vi. Zeit synkopiert. Ob Jatie aus gabata oder gavata, gabita
oder gavita hervorging, iäfst sich nicht zwingend entscheiden; wer
dem a der Pänultima eine die Synkope verzögernde Kraft zuschreibt,
wird sich für / als Zwischenvokal entscheiden ; hz. Jade/ aus *gabi-
tellu, ahd. gebiza aus * gabita machen * gabita im jatle wahr-
scheinlich, gavata ist belegt, ixz. joue verlangt vi. *gauta, dem
man am besten * gavita zugrunde legt. Körtings Bedenken in der
3. Auflage scheinen mir gegenstandslos. Also gabita ixz. jatte,
*gavita >> *gauta ixz.jone.
§ 29. Wie bei v, b, findet sich solche Vokalisation einer Laut-
gruppe auch bei g, und zwar handelt es sich hier um die Gruppen
agu und igi. Erstere wird au in unbetonter oder nebentoniger
Stellung. Welches der lautphysiologische Weg ist, Iäfst sich wohl
^ Das ist nicht ganz richtig. Gall.-röm. *trabicare mufste als '^träger,
♦trabicat als trache *enden.
33
vermuten, aber nicht zweifellos sicherstellen: es kann g gefallen
sein und a + " verschmolzen zum Diphthong ; oder aber g wurde
durch Lösung des Verschlusses zur velaren Spirans j und durch
weitere Öffnung zu kons, u, so dafs dann Verschmelzung der
Gruppe auu > au eintrat. Die Beispiele sind:
a. in unbetonter Stellung (Ultima und Pänultima eines Pro-
paroxytonons) :
sarcou
gr. caQyMipayog ga!l.-rom. sarcofau afr. ^^^.^^^^ nix. cercueil.
gall. vertragus „ „ vertrau \i.7'eItro, \)XOW.veltre, „ vautre.
Ferner die Ortsnamen- auf -magus:^
Rotomagus Fred. Rothomao, -mo engl. Chron. i?(?/*^w afr.
Riiem (: huc?n), Roan nfr. Ronen, Rouan, Pondron.
Catomagus engl. Chron. ß?^//w Domsday-BookCaö'ö»? nfr. Ca^«
P.icomagus gall.-röm. *Ricomau „ Riom
Burnomagus spätlat. Burnomum „ Bournand
Cassiomagus frz. Chassmon Noviomagus hz.A^oyofi, Nyon
Tournomagus „ Tournon Argentomagus ^^ Argentan,Argenion
Carentomagus „ Charenton,
Carentan Blatomagus „ Blond
Eburomagus „ Bran Senomagus „ Senan, ^rov.Sejios.
b) in nebentoniger Stellung:
Augustodunum gall.-röm. *Austodunu'* afr. Ostedun, nfr. Auiun.
Schw,-B. erwähnt diese Erscheinung nicht. Marchot S. 78
setzt die Verstummung des g vor o, u gegen die Mitte des 7. Jhs.
an und beurteilt Rothomau, Rothomo genau so wie paum,
Siusium, Droho (< pagum, Segusium, Drocus), die sich insgesamt
1 Schw.-B. § 300 bietet als cas. obl. sarcuef, Nyrop II 320 sarcou und
sarqueu. God. belegt kein sarcuef. — sarcophagu mufs also über
*sarcgvti zu sarcueu geworden sein , in dem zwischenvokal, f <^ ip stimm-
haft wurde, vgl. proueta für propheta in den loca monachorum (P. Meyer
Recueil I 17), ferner Estievene, antievene, ravene.
2 Auch in dem zweiten Kompositionsglied -briga ist g gefallen, aber
über y in dem vorangehenden i aufgegangen: Donobriga ^ Denettvre,
Pennobriga^ Peneiivre, Vindobriga^ Vendoeuvre, auch prov. Illobriga
^ ILlohre, Issobriga^ Issobre usw., daher mlat. Formen auf -bra, -brium,
-brum. Derselbe Fall des g auch in -regum, s. S. 12 Anm. 13. Vgl. M.-L.
Bet. im Gall. S. 21 ff.
^ Über die Namen auf -magus und weitere Beispiele davon s. Longnon,
Geographie de la Gaule au VI«: si^cle, p. 269f. (1878), p. 242 Rem. 5; C. A.
Williams, Die frz. Ortsnamen keltischer Herkunft, S. 64!^. (1891); Oeslberg,
Les voyelles velaires accentu6es, la diphthongue au et la desinance -avus dans
quelques noms de lieu de la France du nord, S. 54flf. ; M.-L., Bet. im Gall.,
S. 4P ff.
* Anderer Ansicht ist M.-L. Bet. im Gall. S. 27, der an Augustodunum
als romanische Form festhält. Aber die Begründung, dafs sek. *Austodunum
afr. *Ostun ergeben hätte, ist nicht zureichend. Über die Erhaltung des
Zwischentonvokals in afr. Ostedun s. § 64, 3.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. ^
34
bei Fredegar finden (Haag, Rom. Forsch. X, 868). Dafs dies un-
richtig und nichthochtoniges agu > au weit älter ist, beweist afr.
OsteJtin gegenüber aost << agustu und fagu >> fou gegenüber
'magu, von dem nur der Anlaut erhalten bleibt. Nach Nyrop V- 433
ist g in diesem Falle verstummt 'apres le V^ siecle'. Auch M.-L.
Frz. Gr. S. 119 läfst g hier früher fallen als sonst und —au sich
zu u zusammenziehen: Rotomagus >> Rotomaus >> Rotomu >
Rouen. Veltrahus in der Lex Burg., veltrum in der L. Sal.
zeugen von hohem Alter des g-Schwundes.
§ 30. Weiter zurück reicht die Zusammenziehung von igi
zu i. Vortoniges lat. igi findet sich im Frz. nur^ in digitale
>• afr. deel >■ nfr. de. Wie deel aus digitale entstanden, darüber
äufsert sich keine Grammatik; es setzt zweifellos ein vi. detale voraus,
indem igi unbetont zu i (vi. e) geworden ist.
digitale >> ditale, vi. detale it. ditak'^, afr. deel'P' nfr. dc,"^
span. ptg. dedal.
Auch zur Zeit der Einwanderung war das Gesetz noch wirksam:
germ. Sigihild gall.-röm. Seheid afr. Seheui.
^ Körting bietet auch noch *cligitarium aul Grund von r\i.m. de£;-ftar,
ixz. doigtier ; ein ü{x. doitier kommt aber er»t im 14. Jh. auf, weshalb wir
darin eine Ableitung von doigt zu erblicken haben, wie auch das / [d kommt
nicht vor) bezeugt. — Ebenso führt K. *digitatus (nicht wie jenes in
Klammern) : it. di^itato, rum. degetat, frz. doigte; „frz. ist auch das vollständige
'Vh. doigter , die Finger setzen' vorhanden". Lautlich würde t im Gegensatz
zu cuidier stehen; da doigter erst im i8. Jh. aufkommt, ist es eine recht
junge Ableitung zu doigt. Für das zu diesem Zeitwort gebildete Partizipial-
■s\\!q%\.. doigte ein vi. digitatus anzusetzen, kann nur irrefüliren und entbehrt
der Begründung.
* Weiterbildung (mit Ersatz von -ale durch -cllo) dazu ist it. ditello
„Achselhöhle", allerdings nicht, „weil man die Finger unter die Achsel zu
stecken liebl" (Diez, S. 368), sondern wohl wegen der Ähnlichkeit der Gestalt.
Diese Deutung möchte ich jener aus *iitillus von titillare „kitzeln" trotz
neap. tetelleca {tellecare „kitzeln") vorziehen.
3 Nfrz. de ist nach Körting* „entweder = datum oder aber es ist durch
starke und gegen alle Lautenlwicklung verstofsende(!) Kürzung aus digi-
tatum entstanden. (Wenn tf6''= datum, so würde sich diese Benennung
daraus erklären lassen, dafs ein Fingerhut durch Nadelstiche ein ähnliches
Aussehen erhält wie ein punktierter Würfel.)" Eins ist so wenig glaublich wie
das andere. Liltre, der Dict. gen. und Nyrop I ^ § 266 sehen in de die Fort-
setzung von deel unter Einflufs von de aus datum. Ich vermag an eine
solche Beeinflussung nicht zu glauben, sondern halte den Schwund des / für
eine lautliche Erscheinung. Afr. deel mufste als del enden (davon im 16. Jh.
delot), del ergab einerseits deau (so noch mundartlich), andrerseits de (vgl.
seneve <^ afr. setievel). Wie ich sehe, hat Nyrop in der 2. Aufl. seine Ansicht
geändert und läfst I^ 266 de gezogen sein aus dem Plur. des für dels und
erkennt § 344 den Schwund des / vor Kons, nach <? <; lat. a als dialektisch.
Dafs de aus deel hervorging, erkannte Ebeling (Auber^e, afr. Fablet, Halle
1895, S. 89), nach dem das Suffi.x in deel tälschlich als -ellu aufgefafst wurde.
Auch M.-L. Frz. Gr. § 218 läfst / im Auslaut bei de verstummt sein, ohne
eine Begründung der sonstigen Erhaltung zu geben. — Für das zweite nfrz.
Beispiel, seneve, geht der Dict. gen. aus von *sinapatum, für zSx. senevel
Körting von *sinapale (wie daraus jf'«r?z'<? wird, darüber äufsert er sich nicht),
Nyrop I 344 von *sinapillum.
35
§ 31- Schwieriger ist die Frage, ob auch betontes igi zu-
sammengezogen wird. Als Beispiel bietet sich:
digitus it. dito., sard. didu, cat. did',
vielleicht rigidus altobit. ridi
frtgidus xovn. frldus^ diS\).fHdo, span. ^ig.frio.
Aber ;-/(// kann auch anders erklärt werden ; aspan. frido kann
ebensogut aus frigidus hervorgegangen sein und dafür spricht
nprov. frit, frits (Atlas ling. 612), das *frigdu voraussetzt. Aber die
i- Formen von digttus {neben denen die nichtkontrahierten stehen:
digitus rum. deget, it. tose, deto, span. ptg. deto, afrz. deit,
prov. rtr. det,
die dann als ursprüngliche Formen aufzufassen sind) bedürfen eine
Erklärung. ]\I. -L. in Zeitschr. VIII 213 fand sard. dtdu = „nicht
*digtum, sondern di(g)itum." Anders in der Rom. Gramm. I
120: ,,it. diio, astur, dido, cat. dii bleibt dunkel." Ähnlich d'Ovidio
Gr. 12 654: ,. Unerklärt ist dilo. Wollte man annehmen, dafs die
beiden 1 von digitus zu t zusammenflössen, so müfste man den
Ausfall des -g- in eine Zeit hinaufrücken, in der 1 noch nicht wie
e klang, was unwahrscheinlich ist: andrerseits hat jener Ausfall nicht
verhindert, dafs eine Reihe von Sprachen regelmäfsig deto oder ein
Äquivalent aufweisen. Auch die Annahme fördert wenig, dafs es
ein halbgelehrtes Wort sei, oder dafs sich i zuerst in Ableitungen
wie ditino, ditoiie, additare, duale ausbildete." Aber in der Fortsetzung
Gr. 12 677 schreibt M.-L.: „Inlautend nach dem Ton verschmilzt
j mit dem folgenden i in Proparoxytonis: dito, frale, fano,coto \\s\s.'*
(frigidus wird nicht erwähnt). Entweder nimmt man also Zu-
sammenziehung von hochtonigem igi zu I an, neben dem die un-
kontrahierte Langform igi bestehen bleibt, oder aber^ man setzt
nebeja lat. digitus ein *digitus an, das auf id. *deik- (vg. dico)
beruht. Die Erhaltung einer vulgären Form mit langem i neben
kl. digitus ist ebenso möglich wie die Bewahrung des wurzelhaften c
in vi. dicitüs (App. Probi).
4. Konsonant eu gleicher Lautstufe.
% ^i"^. Wir haben oben gesehen, dafs zwischen Konsonanten
gleicher Artikulationsstelle Synkope gemeinromanisch ist. Doch
auch gleiche Lautstufe kann genügen, um so frühe Zusammen-
ziehung eintreten zu lassen, aber sie ist nicht allgemein, sondern
nur für Guttural oder Labial vor Dental anzutreffen.
r. Für g'd hat z. B. Schw.-B. § ig die Synkope als vorromanisch
erklärt. Auch bei c't sind romanische Kurzformen gesichert. Da
^ Urkundlich 646 in Spanien.
36
„Palatal im Anlaut" im 2. Teile dieser Abhandlung gesondert
untersucht wird, begnüge ich mich, darauf zu verweisen.
2. b'd kommt für das Frz. kaum in Betracht. Es ist bisher
nur in einem Worte vermutet worden, s. § 116,2.
§ 33- Wichtiger und zweifellos gemeinromanisch ist die Syn-
kope zwischen p't und mp't.
I. p't liegt nur in einem erbwörtlichen Beispiel vor:
reputare afr. re/er prov. aspan., ptg. reptar, dazu das Verb.-Subst.
*reputum „ ret aspan. riepto (nspan. reto).
mp't: computare it. confare, prov. span. ptg. coiitar, frz. compter,
[cofiter,
dazu das Verb.-Subst. it. conto, span. cuento, ptg. conto.
Alt ist auch das Kompositum accomputare : it. accontar, rac-
contar, afr. aconter, raconter, nfr. raconter.
Volle Formen liegen vor im
Verb.-Subst. *computum afr. campte, conte, prov. comte, comde
und in *imputare ahd. impiton frz. enter (Verb.-Subst. ente)
ostfrz. äpe.
Stütz-^ im Frz. (vgl. redemptu > afr. reeni), d im Prov. verlangen
dreisilbiges Substrat. — Der Dict. gen. sieht in eiiter eine Verbal-
bildung zu 1?«/^ (dieses von *emputa aus gr. efi^vtov), kaum mit
Recht. Dem ostfrz. äpe entsprechen ahd. impfön, ae. impiaii. Ob
*imputare von eiKpvrov herzuleiten ist oder sich mit lat. imputare
„einschneiden" deckt, kommt für uns nicht in Betracht.
Lat. impetum (G. Paris, Rom. XXIX 262 A. 3) kann lautgerecht
nur ente geben. Die Nebenform cfide ist unerklärt.!
Nur p't und mp't synkopieren gemeinromanisch, wohl weil pt,
mpt lat. Gruppen sind; nicht aber sonst gedecktes p, s. § iio.
3. Nur lehnwörtlich sind die Ableitungen von caput:"^
capitalis, -e (adj.) afr. chadel^ prov. cabdal sp. ptg. caudal.
capitale (subst.) „ chatel, chadel^ Vermögen, Vieh,
ne. catih Vieh, nfr. chepiel Viehpacht.
^ Shepard 49 läfst impetum > ^«<f<; werden, ohne eine Begründung
des Unterschiedes zu * em^ntum^ etite zu geben. Elfrath 761 will ende
durch Angleichung an vortonige Formen erklären, solche sind aber nicht vor-
handen. Auch conter und enter mufs er als Analogiebildungen erklären.
* Bernitt, Lat. caput und *capum nebst ihren Wortsippen im Frz.,
Diss. Kiel 1905, ist mir nicht zur Hand.
2 Diez 437 (ihm nach Körting 1872) schreibt chaudel, das kann nicht
frz. Lautform sein.
* Frc.-prov. chedal (= hetail in Genf, s. Littr6) , bei God. chedaul aus
dem Berner Ms. des Droit de la cort li rois d'Alam. — Im Me. erscheint
neben catel auch cadel (14. Jh.), ne. cattle.
37
*capitellu (für capitulu) afr. chadel prov. capdel ..grofser Buch-
stabe", daraus entlehnt nfr. cadeau.
afr. chadel'^ prov. capdel „Führer" gase, capdet,
daraus nfr. cadet.
*capitaneus „ chadaigtie, chataigne, jünger chevetain, cheve-
taigiie, nfr. capitaine.-
Dafs chadel"^ nicht entierement populaire sei, hat bereits Marchot
S. 85 ausgesprochen. Mir ist ein Beweis dafür das Schwanken
zwischen d und /, wo / die volkstümlichere, d die halbgelehrte
Form darstellt. Auch die Bedeutung der Worte spricht für Ent-
lehnung, wie auch die Erhaltung des vortonigen a, ferner der Um-
stand, dafs sie immer wieder neuerdings in die Sprache aufgenommen
wurden. — Neumann Zeitschr. XIV 560 fand chadel^ seinem Laut-
gesetz entsprechend, / in chatel, chepiel galt als unerklärt. Wenn
man nun chadel für die erbwörtliche Form hält, könnte man sich
nach bewährter Methode nach einem Worte umsehen, durch das
es beeinflufst sein könnte. Und da bietet sich recht bequem
chater, achater '^ (nfr. acheler) aus (ac)captare, dessen Bedeutung
„erwerben" recht gut zu „Besitz" pafst. Aber wie chadaigne,
chataigne,^ wo das Stütz -f Entlehnung aufser Zweifel stellt, bald d,
bald / zeigt, so haben wir auch bei chadel das Schwanken zwischen
stimmhaft und stimmlos als Kennzeichen des Lehnwortes zu be-
trachten.
Falsch sind die Ansätze:
*capitastrum cadastre, *capitellum cadeau,
*capitettum cadet.
1 Körting nennt nur das dazu gebildete Verb afr. chadeler; auch prov.
capdellar. — Marchot S. 85 geht für cÄa^if/ (chef) aus von capitale. Aufser-
dem gibt er *capüaliu ^ mundartl. chcdail; es handelt sicli da aber wohl um
frz. Suffixtausch.
' Nach Littre lebt cataine noch mundartlich.
3 Was Gnthejm S. 13 über p't angibt, ist unzureichend. Das von
c-x-^'\\.-ä.\&~^ "oix. cheptel „infolge einer Spaltung" jetzt zwei Formen bestehen,
„von denen die eine die ursprüngliche Gemination beibehalten, die andere sie
vereinfacht haben" (sg. catel~^x\t. caltle, dagegen pl. caiteux [so Littre, Gutheim
catteaux^, bedarf keiner Widerlegung. — Cledat S. 218 hat erkannt, dafs p't
voreinzelsprachlich zusammentritt (aber von den Beispielen, die er gibt, gehören
die meisten nicht hierher; nach gedecktem p wird sonst erst später synkopiert).
„Dialektisch" aber sei, meint er ferner, die Synkope später eingetreten, daher
Q.?i\)\\.z.\t.'^ cabdal^ chadel. — Bos stellt die Formen c/rfl^t"/, chaudel, chatel,
chedel, ckez'el, chael (Adj. reich, .Subst. Vermögen, Führer), ohne sie zu scheiden,
zusammen. God. trennt l. chatel usw. = capitale, 2. chadel, cael , kael =^
chef, capitaine, 3. chaudel.^ caiid(i)el, chadel = trance, machination. Jüngeres
Lthnwort ist cabal, das auch Rabelais gebraucht (capitaie ^ cabeflal ]> cabeal).
* Im Roland? Dort nur cadelet 936.
5 Das Jonasfragment bietet acheder; das ist wohl nicht mlat. accapitare,
sondern einer jener Fälle, wo der Schreiber einen stimmlosen Laut fälschlich
durch einen stimmhaficn wiet'.ergab.
« Das New English Dictionary (Oxforder Wb ) setzt diese Entlehnung
ins 10. Jh.i während im 12. Jh. das Wort nochmals entlehnt wurde in der
Form chevetain, chevetaigne (immer mit t).
38
Es handelt sich viehnehr um Lehnworte aus prov. cadastra, capdel,
gase, capdel. Frz. cadastre erscheint erst im i6. Jh., cadcaii ist
anfangs des 15. Jh. belegt und die älteste Belegstelle, die Littrö
aus dem 15. Jh. für cadet bietet, weist genau die gase, Schreibweise
capdet auf.
§ 34. Hiermit sind keineswegs die vi. Synkopen und Zu-
sammenziehungen erschöpft. Es ist vor allem zu beachten, dafs
wir vi. eine Reihe von Synkopen bezeugt haben, die für die rom.
Sprachen nicht in Betracht kommen. So wird Rom. 1 95 masma
für maxima belegt, it. massi?iio, afr. maisme zeigen nicht vi. Vokal-
ausfall. Auch Schuchardt, VI. Vok., belegt des öfteren Kurzformen,
wo die romanischen Sprachen nur die unverkürzten Formen kennen.
Abgesehen davon haben noch einige sekundäre Konsonanten-
gruppen Anspruch, zum Teil als vorromanisch betrachtet zu werden,
wie X, et, gn vor c, t; n't, n'st, s'c usw. Wie weit hier Verlegung
der Synkope in vi. Zeit berechtigt ist, soll in den folgenden Ab-
schnitten behandelt werden, und zwar empfiehlt es sich, die gutturalen
Gruppen im Zusammenhang mit den Gutturallauten im Anlaut der
synkopierten Silbe überhaupt, n und s gleichzeitig mit den noch
übrieren Dauerlauten zu behandeln.
II. Palatal im Anlaut.
§ 35. In seiner Abhandlung über die Ortsnamen fafst Lind-
ström die Auslautregel so, dafs ..ein und dieselbe Äufserung auf
den dem Tonvokal zunächst stehenden Vokal wirkt, also in covedu
auf das e, in caldu auf das u, sodafs covdii und cald zu ein und
derselben Zeit entsteht. Jede Reduktion eines Proparoxytonon,
durch welche zwei Vokale verschwunden sind, wird also durch zwei
Schläge bevvirkt: exsaritum > exsarlimi vor dem Auslautgesetz,
essart durch das Auslautgesetz." Vising stimmt dem durchaus zu
{Litbl. 1893, 288 — 292): „Nichts ist a priori annehmbarer als eine
solche Wirkung der verstärkten Expiration der Tonsilbe. Dies
erklärt die Verschiedenheit zwischen cubitu >■ coiide und Septem >>
sept, zwischen pulice '^ puce und chalce ^ chaiix.'"'- Lindström
wollte dann den zweiten posttonischen Vokal erst im 12. Jh. oder
noch später fallen lassen; das hat schon Vising als unhaltbar
zurückgewiesen.
Aber auch die vorangehenden Behauptungen sind nicht einwand-
frei, so einleuchtend sie auf den ersten Blick scheinen. Zunächst ist
gar kein Beweis gegeben, dafs covdii und cald gleichzeitig entstehen.
Wir können ,,a priori" ebenso umgekehrt annehmen, dafs der
Zwischennachtonvokal fiel (cubitu > covdu) und dann caldn zur
selben Zeit cald wurde wie covdu ^ covde; denn in letzterem Worte
konnte vielleicht das h (das übrigens, wie die ins Germ, entlehnten
Worte beweisen, zunächst zu 0 geworden war und vor dem Abfall
wohl den Lautwert eines 9 hatte) nicht schwinden, weil dem
damaligen Romanen vd möglicherweise sonst nicht sprechbar war.
Ferner wissen wir nicht, ob alle Nachtonvokale (abgesehen
von a) gleichzeitig fielen, ja, ein und derselbe Nachton vokal braucht
nicht nach allen Kons, auf einmal geschwunden zu sein. Eine Unter-
suchung darüber fehlt.
Drittens ist es durchaus nicht ,,a priori annehmbar", dafs ein
und derselbe „Schlag" das Proparoxytonon zum Paroxytonon, das
Paroxytonon zum Oxytonon macht. In anderen Sprachen finden
wir die Kürzung des Proparox. zum Parox., ohne dafs darum die
Paroxytona zu Oxytona werden. Und die Entwicklung des a in
sapit > sei gegenüber sapidu > sade beweist, dafs der Nach ton-
vokal hier später fiel als der Vokal der Pänultiraa.
40
Bestechend für Lindströras Annahme ist chalx gegenüber piice.
Gewifs wenn pulicera schon pulce war, dann ist nicht einzusehen,
warum es nicht gleich calcem den Nachtonvokal verlor. Lind-
ströra S. 46 und ihm folgend Shepard S. 45 finden den Grund
dieser verschiedenen Entwicklung in Akzentverhältnissen. In den
Worten wie pülicem war der Ton auf der letzten Silbe stärker
als in solchen wie calcem, wo die letzte Silbe sogleich auf die
hochtonige folgt. Aber wenn dem wirklich so war und diese Ton-
verhältnisse einwirkten, warum zeigen dann piacitum > plait,
gurgitem >- gotirt, plantaginem >> plantam usw. kein Stütz-^?
Staaf, Revue de philol. fr^. et de litt. IX igg, ist der Meinung,
dafs die vorletzte Silbe vollständig gefallen war vor dem Schwund
der Endsilbe. Den Unterschied von puce und dous erklärt er dadurch,
dafs die ursprüngl. Prop., als sie Par. geworden waren, den Neben-
ton auf der letzten Silbe gewahrt hätten. Cledat S. 220 bezeichnet
diesen Ausweg als lautphysiologisch unmöglich. Elfrath S. 771
meint gleichfalls, dafs die Propar. einen Nebenton auf der letzten
Silbe hatten, der sich über die Synkope hinaus erhielt und dadurch
die urspr. Prop. und urspr. Par. schied: Liger im > Legrh > Leire,
aber nigrum > neir. Das wird widerlegt durch die Proparoxytona,
die im Frz. Oxytona geworden sind.
§ 36. M.-L. Frz. Gr. § 120 läfst ebenfalls diese verschiedene
Behandlung des Auslautes, je nachdem er unmittelbar oder mittelbar
dem Tonvokale folgte, darauf beruhen, dafs er in letzterem Falle
einen Nebenakzent trug. Gegen den Einwand von placitu >> plait,
vocitu >> w/// schützt er sich dadurch, dafs er sie § 119 zu jenen
Proparoxy tonen stellt, die „schon, sei es im Lateinischen, sei es im
Urfranzösischen, ihren vorletzten Vokal synkopiert oder konsonantiert
hatten.'' Aber die älteste Schreibung plaid, das Zeitwort plaidier,
das Fem. vuide (eine Neubildung) sprechen dafür, dafs die Synkope
erst nach der Lautabstufung eintrat, also später als in comite >>
comte. Aufserdera zeigen auch Eburovices^» Evreux, Atrebates;>
*Atravetes >> Arraz kein „Stütz-.?", ohne dafs man behaupten wird,
die Synkope sei hier schon älter als in comitem >> co7nie (aber
redemptum >> ?-eeiit). „Der Rythmus war also nicht einfach ein
fallender," fährt M.-L. fort, „sondern die gröfste Tonschwäche folgt
unmittelbar dem Hochtone, dann trat wiederum eine Steigerung
ein,i also 1.^^ bezw. jl^^. Man darf somit sagen, dafs in einer
ersten Periode die schwach tonigen Vokale gefallen sind , während
die nebentonigen blieben, dann zu -e abgeschwächt wurden:
pulice, dulce ergeben piike, doh'-'' . Verstehe ich recht, so heifst
das: in der ersten Periode wurde cübitü > cohdo, aber Septem >>
sepi, computum >• compto, aber redemptum >> reent, comitem >
^ So richtig das ist, so darf doch nicht daraus gefolgert werden, dafs
die Pänultima ganz dasselbe ^Mafs von Tonschwäche hatte wie die Ultima der
Paroxytona, im Gegenteil, sie war im allgemeinen weit schwächer, vgl. sapidu^
sade gegenüber sapit^j^*.
41
covite, aber g entern >> gent. Da nun aber com item >■ cornte vor
der Lautabstufung synkopiert wird, ist damit der Schwund des
Vokals der Ultima in Paroxytonis vor die Lautabstufung gesetzt,
was den Tatsachen widerspricht. Und der schon erwähnte Gegen-
satz von sapit > sei und sapidu ]> sade zeigt, dafs in einer
„ersten" Periode nur der Pänultimavokal fiel, der Ultimavokal der
Paroxytona aber in einer späteren Zeit.
Wenn wir pulicem und falcem nacheinander sprechen, so
fühlen wir sofort, dafs i in pulicem schw^ächer ist als -em in
falcem; aber dafs -em in pulicem stärker artikuliert würde wie
-em in falcem, davon merken wir nichts. Nun brauchen zwar die
Romanen nicht so artikuliert zu haben wie wir, aber die Hypothese
eines Nebenakzentes widerspricht einerseits den Tatsachen und
reicht andererseits zur Erklärung der Formen nicht aus. Eine
Einwirkung solcher Akzentverhältnisse auf die Silbigkeit ist daher
abzulehnen.
§ 37. Wenn placitum über '^playedo zu plaid wurde, so mufs
— nach der Lautabstufung, vor dem Fall der Ultima in Paroxytonis —
yed durch Aufsaugung des ? durch y zu id geworden sein, so dafs
Sek. zweisilbiges *plaido genau so behandelt werden konnte wie
*faito <! factum. Man darf auch nicht computum >■ compte,
aber redemptum >> reeni als Stütze für das Vorhandensein eines
*c6mptüm gegenüber redemptum (ohne Nebenakzent) betrachten;
denn computum wurde nicht vor der Lautabstufung zu *comp-
tum, sondern wurde erst nach derselben synkopiert, computum >>
*compedo >> frz. compfe, conte, prov. comde. Ebenso handelt es sich
bei hoste (prov. osde\ tiede (prov. lebe), erce gegenüber ost, sept, merz
um jüngere Synkope.
Der Unterschied in der Behandlung von primären Ic und
sekundären l'c, prim. mpt und sek. m't usw. erklärt sich anders,
cubitu > covedu zeigt, dafs die Erweichung der Ten. zur Med. vor
dem vokalischen Auslautgesetz stattgefunden hat. Daraus scheint
zu folgen, dafs comitem >> co7iie zur Zeit des vok. Auslautgesetzes
nicht dreisilbig gewesen sein kann, sonst müfste ja t zur Media
geworden sein; aber auch nicht zweisilbig, sonst wäre kein Stütz-^
vorhanden! Aber dieser Widersinn ist eben nur scheinbar: conte
beweist nur, dafs das t zur Zeit der Lautabstufung nicht intervokal
stand, das Wort aber gleichzeitig nicht zweisilbig war. Man darf
sich eben die Synkope nicht falsch vorstellen; pulicem, comitem
wurden nicht mit einem „Schlage" zu place, conte (zweisilbig),
sondern waren zunächst dreisilbiges pulce, conte, d. i. pul^/ie, comteA
Man vgl. etwa nhd. /em = Leben im Gegensatze zu nhd. !em =
Lehm. Und wenn nun cake, pit^ce die Wirkung des Auslautgesetzes
erführen, konnten sie nur chalz, aber pulce ergeben.
^ \, m bedeutet sonantisches, d. h. silbenbildendes /, in.
42
§ T)S. Freilich so einfach wie Nyrop in der i. Aufl. § 25g sich
ausdrückt: La chute de la penultieme est anterieure ä la chute de
la finale und La penultieme s'est maintenue plus longstemps dans
les mots qui conservent la finale comme voyelle d'appui, ist die
Sache doch nicht. In der Neuauflage ist der erste Satz weggebUeben,
der zweite (ohne die notwendige Einschränkung, vgl. calamus >
chaiime. dominus >> dameX) in die Anmerkung gerückt. Besser
verfährt Schwan -Behrens, der § 78, 2 g die Fälle hervorhebt, wo
Zweisilbigkeit der Proparoxytona vor dem Schwund des Auslautes
eintritt; er verzeichnet (abgesehen von den schon gemeinrom.
Gruppen t'd und d't) die Gruppen: Lkit, _'.yit, _Lyine und „viel-
leicht" J_grit, Aryit. g'd ist schon § ig fürs VI. angesetzt.
Diese Gruppen haben gemeinsam, dafs vor der Pänultima
ein Palatal steht. Da auch die übrigen Gruppen mit einem Palatal
vor dem Synkopiervokal manche oft unerklärte Sonderheiten zeigen,
soll „Palatal im Anlaut" in diesem 2. Teil abgesondert behandelt
werden.
§ 3g. Von den bei Schwan -Behrens genannten Gruppen
kommt g'n für die Lautabstufung nicht in Betracht. Es sei daher
sofort erledigt; die Beispiele sind:
c a I i g i n e m afr. (nfr. mundartl.) vertiginem avertm
chalin i p r o p a g i n e afr. provain,
indaginem^ andam n fr, provin
*fu3aginem fusain rubiginem ) ^^j. ■
plantaginem plantain (oder aeruginem?) \
Afr. orine und frz. chali7ie sind keine Ausnahme, sondern haben
das Feminin -Suffix -a angenommen, vgl. prov. caiina; it. provana,
•^xo\. prolaina\ ii. frana <C voraginem -f- a, rum. rugina, rtr. rtiina
<< aeruginem + a. Also g'n entwickelt sich genau so wie urspr.
gn im Auslaut: pugnum '^ poing, signum >- (toc)sin, *stagnum
>• etain, longe >• hm. Wahrscheinlich ist diese Synkope älter als
in jenen Fällen, wo dem g ein Kons, vorangeht und Stütz-^ er-
fordert wird:
Langones >> Langrcs, sang[u]ino > saigne,
*niargino >> nfr. mariie.'^
1. Palatale Gruppen vor c und t.
§ 40. Bevor wir auf die von Behrens genannten Gruppen
eingehen, empfiehlt es sich — im Anschlufs an die im i. Teil be-
handelten Zeitwörter auf -ccare — die palatalen Gruppen im
1 chalin und chaline im Poit. für ora^e, s. Atl. lin<:;u. Karte ora^c.
* Doch vgl. § 101, I.
' Falls dieses erst sehr spät belegte Wort wirklich auf ein vi. Etymon
zurückzuführen sein sollte.
43
Anlaut der unbetonten Silbe zu behandeln; sie kommen für uns
hier nur in Betracht, wenn im Auslaut dieser Silbe c oder t steht.
x'c
*flexicare afr. fleschier toxicum (rogfXoV) it. tosco,
*laxicare ,, laschier afr. tosche
*taxicare „ t aschier *intoxicare afr. entoschier.
Frz. lächer und flechir sind sehr umstrittene Worte. Diez hatte
flechir unmittelbar von flectere herleiten wollen, was lautlich nicht
angeht. Foerster Zeitschr. III 262 setzte *fIeskio, -ire an, ge-
bildet zu *fleskus aus flexus. Er vergleicht *fleskir von flexus
mit *alaskir von laxus. Diez hatte lache, lächer erklärt aus *las-
cus, *lascare für laxus, laxare. Gröber ALL. III 509 setzte
germ. *lask für prov. la^c, afr. lasche an, wozu dann prov. lascar,
span. lascar, apt. laiscar gehören würden. Körting wendet dagegen
ein, dafs *lask ein frz. "^lais ergeben hätte, ein Ausgleich nach dem
Fem. *laska aber gegenüber frisk, *friska 'P' frais, /reiche mcai
wahrscheinlich ist. G. Paris Rom. VIII 628 leitete das Adj. flesche
vom Ztw. fleschier ab, das er = *flexare setzte, und Rom. VIII
448 erklärte er lache als Verb.-Adj. zu lächer. Endlich stellte
Ulrich Zeitschr. IX 429 *laxicare > laschier, *taxicare >
taschier auf.i
Es kann kein Zweifel sein, dafs afr. fleschier, laschier usw.
Formen wie *flescare, *lascare usw. voraussetzen, wie afr.
peschier (nfr. pecher) auf piscare, afr. loschier auf *luscare zu
Iuscus2 zurückgehen. Aber woher jene Formen? Man sieht darin
gewöhnlich Methatesen aus *flexare, laxare. Aber ersteres ist
nicht zu belegen; laxare gibt regelmäfsig afr. laissier >> nfr. laisscr.
Wir werden daher daran festhalten, dafs diese Zeitwörter Ab-
leitungen auf -icare zu flexus, laxus, *taxus für tactus sind.
Was nun die Frage der Lautabstufung betrifft, mufste x's
zweifellos stl. Spirans ergeben, gleichgültig ob vor oder nach der
Erweichung synkopiert. Auch *flexicare >> ^flexiga/'c >> fle.x'gar
mufste mit ch enden; denn die Lautgruppe x (ks) konnte nicht
erweicht werden und mufste Stimmlosigkeit des Assimilations-
ergebnisses herbeiführen. Aber ein Einwand ist zu beachten, den
schon Gröber ALL. U 285 gemacht hat, „aus *flexicare wäre
frz. *fletschier geworden." Wenn die Synkope erst nach der Mit-
lauterweichung eintrat, hätte die Entwicklung sein müssen:
*flexicare : *fleissigare : *fleiss'gar > '^fteischier.
^ Nyrop I'^ §460, 2 erwähnt *lax(i)care und *tax(i)care, in denen
,,en gallo-roman" ks vor Kons, zu s vereinfacht vi'\xi^\ flechir nennt er nicht;
Schwan-Behrens erwähnt weder flechir noch lächer noch tächer. Der Dict.
gen. betrachtet lache als Verbaladj. zu lächer, dieses ist ihm = vi. *lascare
(statt kl. laxare ^ /az'jjifr). flechir bleibt unerklärt.
^ luscus mit kurzem Stammvokal ist schon cl., nicht erst vi. aus sclirift-
lat. lüxus hervorgegangen, wie Körting 5752 angibt.
44
Elfrath S. 820 sagt, dafs in der Gruppe x'c^ das erste k
schwindet: „A'jX' war unbequem zu artikulieren und wurde früii zu
Gunsten von sk aufgegeben.'* Man könnte zunächst an totale
Dissimilation denken; aber ist die Gruppe hk je vorhanden? Auf
gallischem Boden nicht mehr. Die genaue Entwicklung wäre etwa
gewesen :
Vit. gall.-röm. VI. Jh. VII. Jh. VIII. Jh.
*flexicare '^flcyjicare ^fley^sigare ''"fleys^gare >> '^fleiscar > *ßetschier.
Hier ist Dissimilation nicht wahrscheinlich. Es mufs also die
Synkope geraeinrom. sein: *flexicare > *flexcare, wo dann
X vor Kons, zu s vereinfacht wurde, wie in excutere > afr. escorre
oder dextera >■ afr. destre, wozu man *taxitare >> *taxtare >>
afr. iaster vergleiche. Afr. flesche, lasche sind mit G. Paris als
Verbaladj. zu fassen.
x'c wird also gemeinromanisch synkopiert und er-
gibt sc.i
Neben diesen Kurzfonnen stehen wie immer auch Langformen:
toxi cum: i. it. tosco, afr. lösche,
2. prov. tueissec, span. tos ig 0, ptg. toxigo.
Lehnwort (mit Akzentverschiebung) ist afr. ioxiche, noch jünger (seit
Anfang des 18. Jh.) nfr. toxigue.
Auch sonst scheint die iberische Halbinsel Langformen zu
bewahren in
*fixicare s\)Z.n. fisgar i. verspotten (Ulrich Zeitschr. IX 429)
span. ptg. 2. fischen (Schuchardt Zeitschr. XXIV 415)
*sexicare2 span. ptg. sesgar (Ulrich Zeitschr. IV 383).
Dafs aber die iberische Halbinsel die Kurzformen kennt, zeigt
*taxicare >» span. ptg. tascar Hanf brechen. Mag die Deutung
auch zweifelhaft sein, lautliche Bedenken, wie sie Baist Gr. I2
go2 einwendet, sind bei Ansatz gemeinrom. Synkope nicht mehr
vorhanden.
Noch ein Wort über flechir^ Dies kann nicht, wie Foerster,
Zeitschr. III 262 wollte, auf *fleskire zurückgeführt werden, was
*flezssir ergeben hätte. Afr. fleschir ist vielmehr aus fleschier ge-
bildet wie afr. alaschir aus alaschür, oder wie afr. blanchier zu nfr.
hlanchir, loschier zu louchir geworden ist, usw.
1 Zu dem hohen Alter dieser Synkope vgl. maxima ^ masma Rom. I 95.
■■' Dafs diese Herleitung richtig, will ich nicht behaupten; nur die Möglich-
keit der lautlichen Entwicklung sei gezeigt. — Span, sess^o, für das Baist
Zeitschr. VII 122 als Grundform *sesecus vorgeschlagen hat, wird von Carl
C. Rice, Pub!, of the Mod. Langu. Ass. of Am. XX 339 ff., als Verb.-Subst.
zu .fifj^ar <^ *sesecar e „to curt apart" erklärt.
' Diez' Herleitung von flectere wird auch durch Gutheims Annahme
(S. 21) von fremdwörtlicher (!) Entwicklung des c\.'^ ch nicht gerettet.
45
§ 41- x'k2 ist nicht sicher:
1. *axicellus, -a fr. aisseati it. assicella
2. *axicellus „ essieu.
Das erstere, ein Deminutiv zu lat, assis (entstellt axis) „Brett",
stellte Diez 505 auf. Wahrscheinlicher ist mir, dafs afr. aissei
„Schindel" (erst im 14. Jh. belegt) und it. assicella einzelsprachliche
Deminutiva zu ais, bezw. asse sind.
Das zweite, Deminutiv zu axis „Achse", rührt von Schuchardt,
Vokalismus I 203, her und wird gestützt durch it. assiculo Zäpfchen.
Über die Zeit der Synkope in einem *axicellus läfst sich nichts
ausmachen; ob in vi. Zeit zu *ascellus oder erst nach der
Eroberung synkopiert, in jedem Falle mufste afr. aissel erscheinen.
Das Wort erscheint afr. mit verschiedenen Suffixen: aissiel (-alis),
aissel (-ellus), aissil (-Ilis), aissuel (-ölus); inwieweit dafür vi.
Formen (*axalis, *axellus, *axllis, *axiolus) aufzustellen sind
oder erst französischer Suffixwechsel vorliegt, ist nicht zu entscheiden.
Wegen it. assile kann man *axilis als d:as Ursprüngliche in An-
spruch nehmen. Ob nfr. essieu aus afr. aissiels (-alis) hervorgeht
(Suchier, Gramm. 87) oder mundartliche Entwicklung von afr. aissils
(-Ilis) ist (Dict. gen. § 458), ist strittig, ebenso, ob Schuchardts
*axicellus oder Koschwitz (Ltbl. f germ. u. rom. Phil. 1892 Sp. 68)
*axellus dem afr. aissel zugrunde liegt. M.-L. Frz. Gr. §§ 74, 77
erkennt -ils ]> -ieus als lautgerecht und geht für nfr. essieu von
*axilis aus, was entschieden das Wahrscheinlichste ist.
§ 42. x't *taxitare afr. taster nfr. tdter
[*sexitare it. assestare 'i>^^^.x\..asesiar Y[o\.assestar'\^
Das Dict. gen. läfst frz. tdter „unsicherer Herkunft" sein, denn
*taxitare hätte *taistcr ergeben müssen. Nyrop erwähnt afr. taster
überhaupt nicht, während Schwan-Behrens § 158, 2 die Entwicklung
von *taxitare > taster der von intoxicare >► entoschier parallel
sein läfst. It. tastare, prov. aspan. tastar, afr. taster, mit n-Einschuh
tatister verlangen ein rom. *tastare, das aus *taxitare auf die-
selbe Weise hervorgegangen ist wie *Iascare aus *laxicare.
x't wird gemeinrom. st wie x's zu sc.
§ 43. Anspruch als gemeinrom. zu gelten hat noch die Gruppe
gn'c^ *stagnicare it. stancare prov. span. estancar fr. etancher
dazu die Verbaladj. it. stanco afr. esianc.
*stagnicum prov. estanc „ itang.
* So Ulrich Zeitschr. IV 383, besser Cornu Rom. XIII 305 von *asses-
sitare.
' ng'e läge vor in *angicare (v. angere), das Körting in der 3. Aufl.
für frz. tnger in der Bed. „quälen" anführt; aber es ist schwerlich das richtige
Etymon.
46
Diese Formen setzen ein gemeinrom. *stancare, ^ *stancu voraus.
Der Grund der frühen Synkope liegt wohl in der Artikulationsver-
wandtschaft, gn'c geht leicht in nk über. Denn gn't wird erst
später zusammengezogen. Bevor wir auf dieses eingehen, bleibt
noch zu erledigen die Gruppe
§ 44. ct'c:
*coacticare afr. cachier nfr. cacher
*flecticare „ flechier *fracticare lothr. frakhi
?*pacticum „ pache (Bauer S. 17).
Über allecticare >■ alUcher (Horning Zeitschr. IX 140), *tac-
ticare > attacher (Ulrich Zeitschr. IX 42g) s. §§ 20, 22.
Foerster hat [zu Yvain 6129] quacier (= *quatt-iare), qnatir
und quachier (= *quatt-icare) von quatto = lat. coactum her-
geleitet. „Nur das Frz. pafst nicht, da es quaitir geben müfste.
Aus diesem Grunde möchte G. Paris emen deutschen Stamm vor-
ziehen." Horning Zeitschr. IX 140 war es, der zuerst *coacti-
care ansetzte; wegen des nicht zu i werdenden c verwies er auf
factione, lectione ~^ fagoii, legon. Allein diese Parallele ist nicht
ganz stichhaltig: c in cti, das sich wie ki, cc^ und tti >> g
entwickelt, steht unter anderen Bedingungen als in ct'c^. Der
Dict. gen., der H.'s Etymon annimmt, gibt *coacticare >- quacfcar
>• quaichier ]> Cache?-. Aber ein Übergang von aich >> ach ist sonst
nicht nachgewiesen. Elfrath S. 63 meint, in der Gruppe c + t + c^
sei das erste c geschwunden. Bauer S. 15 hält es für richtiger
anzunehmen, dafs c von der ganzen Konsonantengruppe in dem
einen Laut s absorbiert wurde; wäre es geschwunden, könnte es
höchstens nach Ausfall der unbetonten Pänultima gefallen sein,
sonst hätten wir z erhalten müssen.2 — Auch die übrigen rom.
Sprachen geben keine Auskunft: prov. cachar, rtr. squicciar, span. aca-
charse. Lat. co actus gab it. quaito, prov. quaif, rtr. quac, kann aber
nicht vorliegen in span. cacho, vgl. factum >> hecho. Gab etwa im
Span, -acto ein -echo, -act'co aber -acho"^ (vgl. axis >> ejo, *taxico
>» iasco).
Sicher ist, dafs ct'c im Frz. stimmlos werden mufste; wann
die Synkope eintrat, wann und wie das c vor t schwand, ist nicht
festgestellt. 3 — Wenn wir bei der nasalierten Form neben flenchier
(mundartlich noch flancher in Bourg. Yonne, Percey) auch flengier
linden, so liegt Analogie nach Verben wie venche, redigier vor.
' Vgl. Bauer S. 30 Anm. 2, wo auch andere Ansichten verzeichnet sind.
^ Karte 191 des Atl. lingu. bietet zur Entscheidung keinerlei Anhalts-
punkte. Das Verbreitungsgebiet von cacher ist beschränkt: es fehlt im Pic.
und Westnorm, (hier ersetzt durch tmcsser) , im Prov. ist es nur im nördl.
Grenzgebiet und in dem Dauphine heimisch, im Gase, scheint es dem Frz.
entlehnt. Sonst gebraucht das Südfrz. dafür escou7idre, ama^a, esUicha.
ä Am besten scheint mir die Annahme, dafs *flecticare > *fletticare
wurde unter dissimilierendem Einflufs des zweiten c.
47
§ 45- ct'c setzt Shepard S. 77 an in
*coctitare > a.h. coi/i'er,
aber dieser Ansatz ist überflüssig, *coctare genügt vollkommen
für it. coi'iar, prov. coitar, afr. coitier, span. cochar.
Ct'k^ liegt vor in
*lacttcellu ]> afr. laüel
(Marchot S. 87). Zu beachten ist das Vorhandensein des i, sonst
ist die Entwicklung von X'2 die gleiche wie nach andern stimm-
losen Gruppen.
§ 46' rg't liegt vor in
gurgite B.ir. go7iri
expergitus *espert, dazu prov. aspan. ptg. esper ta?-
de + expergitu span. despierto ptg. desperto afr. despert,
dazu wall, dispierier „ desperiar
*ergitui it. erto steil; erta"^ die Höhe.
Ob die Synkope hier gemeinrom., ob sie vielleicht etwas später als
r't eintrat, ob g in dem folgenden i aufging oder zwischen r[g]t
ausfiel oder ob die Synkope erst einzelsprachlich eintrat, läfst sich
vom Standpunkt der Lautlehre nicht entscheiden. Fest steht, dafs
die Pänultima vor der Lautabstufung fiel und dafs die sekundäre
Gruppe rg't im Frz. kein Slütz-^ erfordert.
rg'c findet Bauer S. 22 in afr. surge < surgicum; mit Unrecht!
Es steht zu erwarten, dafs erbwörtliches -rgicu als —rc ge-
endet hätte. Lehnwörtlich kann surge ebensowohl chirurgus wie
chirurgicus sein; der Anlaut weist auf Entlehnung aus dem Süden.
rg'd, das für die Lautabstufung zwar nicht in Betracht kommt,
sei gleichfalls hier erwähnt:
*Burgidala (umgestellt aus Burdegala) züx.Bordele (Rol.Gaut. 3684)
nfr. Bordeaux.
Die Zeit der Synkope läfst sich nicht näher feststellen und es bleibt
fraglich, wie weit das Prov. von Einflufs war.
§ 47- gri't und ng't haben dasselbe Ergebnis:
cognitu afr. cointe, selten coint
accognitu „ accoint „ accointe
*(ad)cognitare „ (a)cointier nfr. accointer
dignitaie „ deitilie „ dainticr
longitanu frz. lointam.
* Part, zu ärgere = erigere. Körting 8266 setzt *er[c]tus an.
^ Daraus entlehnt frz. en erte (16. Jh.) und ä l'erte, it. aW erta,
heute alerte.
48 .
Körting hält coinie, Behrens (§78a^) accoint für lautgerecht.
Das Dict, gen. läfst cointe aus cognitinn entstehen, aber accointer zu-
sammengesetzt sein aus ä + ^^r- coiiii aus cogniinm. Elfrath S, 821
meint, dafs cohit Neubildung ist zu Wörtern, wo das Masc. auf -e
ausgeht. Shepard S. 45 erkennt, dafs es afr. gewöhnlich cointe, aber
accoint halfst und hält coinie für verallgemeinerte Femininform. Afr.
findet sich cointe in weiblicher Assonanz bereits Alex. 43. Die
Parallele zu ng'c und n't würde für Einsilbigkeit sprechen, aber
man beachte, dafs es prov. zwar estanc und gent, aber (neben cointe)
coitide, eilende heifst. Daher ist es wahrscheinlicher, dafs afr. cointe
mit Stütz-^ lautgerecht ist.
loiniain hielt Neumann Zeitschr. XIV 563 für lautliche Analogie
nach anderen Wörtern auf -tain wie certain, autaiw, das ist von
vornherein wenig wahrscheinlich. Prov. lonhdan beweist nichts gegen
die frz. Entwicklung, es verhält sich zu loiniain wie prov. dondar
(<C domitare) zu frz. domptcr, d. h. im Prov. ist nach ix und m die
Synkope nach der Lautabstufung eingetreten, im Frz. aber vorher.
perchoinded Passion 113 ist als südliche Form zu betrachten. It.
conto, lontano zeigt natürlich Tenuis, da ja keine Erweichung des /
im It. eintritt; der Schwund des pal. Element ist regelrecht.
Also zwischen ng oder gn und t ist die Synkope
einzelsprachlich, im Frz. tritt sie vor der Lautabstufung ein.
2. g, c vor d, t.
§ 48. g'd liegt vor
frigidu zSx. froit nix.froid frigidere nfr. froideur
rigidu „ roit und roide „ raide frigidare ^ir. froidier
*magidariu lyon. maidi
magide „ mait „ mait magida nh.7naie,emoi
*rugidu „ ruide Lugudunu „ Lyon
1. Synkope zwischen g'd ist schon vi. eingetreten. Die App.
Probi Z. 54 bietet bekanntlich _//-/^zV/a non fricdaA Heraeus ALL.
XI 300 belegt dazu frigda, frigduit, frigdariam, aber auch fricda,
infricdat, infricdavit. Auch Behrens § ig setzt *fregdu und regdu
durch vi. Synkope an.
2. Andrerseits ist frigdus auch nicht durch spontane Synkope,
sondern durch Angleichung an caldus erklärt worden (Schuchardt
R. E. I.; M.~L. Rom. Gr. P 46g). Das ist abzulehnen.
Schwierigkeiten macht der Ton vokal. Lat. frigidu s zeigt
Länge; von den rom. Formen setzen rum. frig, aspan. yV/c/ö, span.
ptg. frio, nprov. (auvern.) fri, frit, fr ich langes l voraus, die übrigen
Formen, it. freddo, rtr. freid, prov. freit, frz. froid, cat. fret, ver-
langen vi. ^ < ?. Gröber ALL. II 428 hatte bei der Verschieden-
* Das c betrachtet man am besten als Zeichen für „Verschlufslaut ^•".
■ 49
heit der Quantität an Zeitunterschiede gedacht: „das i noch in
Hispanien, nicht in jüngeren Schichten." Am verbreitetsten und
auch von Körting angenoromen ist die Ansicht d'Ovidios Gr. !•
508, wonach frlgidus durch Einflufs^ von rlgidus zu frigidus
geworden wäre. Des öfteren hat sich M.-L. über die Quantitäts-
änderung ausgesprochen. Zeitschr. VIII 209 nahm er an, „dafs
ursprünglich frlgdus, aber frigde (-e in Endungen, sofern es alt
ist, trägt stets den Akzent) gesagt wurde", und wies die Meinung
Foersters zurück, der Rhein. Mus. XXXIII 297 frlgdus in rum.
frig, span.y)-/(9 sah. In der Einf. § 94 lehnt er d'Ovidios Erklärung
ab, weil die rom. Vertreter von frigidus auf zweisilbiges frigdus
hinweisen, wogegen afr. roide span. recio auf dreisilbiges rigidus
zurückgehen. 2 Er möchte frigdus zXs /rijdu lesen, woraus durch
Verschmelzung von ij auf der iberischen Halbinsel / geworden ist,
während sich sonst ij zu ij dissimilierte und it. fredJo usw. ergab.
Auch Gr. 12 468 ist er der Ansicht, ,,frigdus für frigidus aus
frigidus in Italien und Frankreich scheint eher einer Dissimilation
zu verdanken zu sein, die vielleicht den Westen nicht erreicht hat."
Aber die Schreibung fricda scheint auf Verschlufslaut zu weisen
und igi ist sonst nicht zu ij dissimiliert (orlginem > orine,
callginem >• chalt7i.) Man kann auch an spontane Verkürzung
in drittletzter Silbe denken, frigidus wird zu frigidus wie lüridus
zu lüridus, cögito zu cdgiio, ohne dafs ein lautvervvandtes Wort
oder ein dissimilationsfahiger Konsonant hilfsbereit vorhanden ist.
Trotz aller Erklärungsmöglichkeiten wird man am besten tun,
in den /-Formen lat. trigidus zu sehen; in Italien und Gallien
trat Verkürzung ein — wie, ist nicht sichergestellt.
Schon vi. trat zwischen g'd Synkope ein, daher aspan. frido, ^
iL/reddo, rtr. fretd, prov. fnit, /reg, cdX.fret, ixz. froid^ Daneben
1 Man b<-achte, das c\. frlg- und ri^- urverwandt sind.
2 Dieser Einwand ist nicht ganz stichhaltig: afr. ist auch ro/^ vorhanden,
das zweisilbii;e-i *rigdus sein kann; andrerseits geht nach Baisl Gr. I* 8gi
span. frio auf *frigio aus dreisilbigem frigidus zurück. Span, recio hat wohl
anderen Ursprung.
^ fridus hat schon Diez aus einer Urkunde in Spmien von 646 belegt.
* Karte 6l2 das Atlas ling. bietet das Sub^t. le froid. Hier machen
wir zunächst die interessante Kemerkung, dafs die schriftsprachliche Form
frwa nur einen kleinen Verbreiiungskreis hat, weitaus häufiger aber y>(? ist,
also ganz en'sprechend raide (daneben natürlich die mundartlichen Ent-
wicklungtm von oi: pic. fro, wall, fioe usw.). fre steht kaum unrer Emflufs
von frais, das im G genteil dazu bt i^^eiragen haben dürft-,^ , dafs die Schrift-
sprache froid erhalten hat. Die afr. männliche Form f roide (durch Analogie
entstanden) könnte vorliegen in wtstfrz. /r?/ (norm. Inseln 3q8; Dep. Ille-et-V.
461, 402; Maine-et-L. 415, 425; Indre-ei-L. 406; D.-S^vrrs 513; Char.-Inf.
535' 536. 527, 528; Charente 518, 529); da aber sonst die Verhärtung von
Med. ^ Tt-n. im Auslaut nicht so weit reicht, so haben wir in fret wo'il die
Pau-a-Form von froid zu sehen (vgl. nfr. le fait [ff] und [f£t] in donner
ä quelqu'un son /lit, «-benso sept, htat).
Im Süden der Schweiz findet sich frii gyq, 989 und im angrenzenden
Italien yVf/ 975, 985, 987, daneben 988 frek. Hier ist das t wohl lautgesetzlich,
frek sekundär aus fret entstanden.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XKIV. a.
50
besteht vielleicht auch die Langform weiter: zwar afr. masc. froide
dürfte Angleichung an das Fem. sein, aber alt- und neusp. frio
führt Baist Gr. I'- 8g l zurück z.\x{*frigio aus dreisilbigem frlgidus.
Frz. froideur^ ist wohl nicht frz. Bildung zu froid (Dict. Gen.),
sondern ist von frigidorem herzuleiten, das wird durch iL freddore,
prov. ptg. freidor, span. cat. fredor wahrscheinlich. Man beachte,
dafs hier auch die iberische Halbinsel kurzes 1 aufweist.
3. Auch rigidus wurde zu *rigdus synkopiert. Diese Kurz-
form wird durch it. reddo vorausgesetzt. Die Langform liegt vor in
prov. rege, regeza oder reze, reza, auch in span. recioP- wenn dieses
tatsächlich aus rigidus entstanden ist.
Afr. haben wir roit und roide (Nyrop II § 389). Man kann
in roii die Kurzform, in roide die Langform sehen; oder aber eine
der beiden Formen ist der Analogie 3 zu verdanken. Die Parallele
zum Prov. macht wahrscheinlich, dafs in roide die Langform vor-
liegt, roit eine Neubildung* ist.
4. rOgidus (zu rtigd) ist inschriftlich nachgewiesen von
Schuchardt Zeitschr. XXII 532 und war schon von Foerster
Zeitschr. III 25g angesetzt für it. riivido. Auch frz. rüde hat man
davon herleiten wollen, das man sonst (so auch der Dict. Gen.)
für entlehnt aus lat. rudis betrachtet. B. Bianchi Arch, Glott.
XIII 195 Anm. 2 hat frz. rüde auf *ruvde << it. ruvido zurück-
geführt. Schuchardt R. E. I 20 meint: „Wird altes *ruvidus zu
Grunde gelegt, so werden wir das auch in dem sonstigen rom. rudo
wiederfinden und nur das e von rüde auf Rechnung von lat. rudis
setzen".
Im Prov. ist die Erhaltung des Dentals im gase, frei, hret, im langued.
frei lautgesetzlich; ebenso zeigt das Dep. Yi.-K\piS frei, das übrige linksrhon.
aber fre, frei; lim. meist _/>v, auvern. meist _/>Z, daran anschliefsend , aber
vertinzeh fr li, fr zis, desgl. \a.ng. frets, frets. Dafs diese Formen y>-f'^/. _/>-///
so seilen sind, darf nichi Wunder nehmen; man betrachte die K-ane fn'i und
staune, auf welch verschwindend geringes Gebiet fac/i heute eingeengt ist.
Eine bessere Vorstellung des alten yacA-Gebietes gewährt die Karte laitue.
^ Körting 3988 schreibt: „2l^x. froid, dazu Ans 'üxxhsi. froidtire, afr. auch
froidcur'-'' ; froideur ist auch nfr.
* So nach Cabrera's Annahme Diez, Körting, M.-L. Einf. § 94. — recio
setzt zunächst *recidus voraus; ein solches *recidus wollte M.-L. Rom. Gr.
I § 531 für afr. redde annehmen. Cohn, Festschrift für Tobkr S. 279, aber
führt anglonorm. redde, rede auf rigidus zurück. Vgl. auch § 52, I.
* Der Dict. Gen. läfst rigidus zu afr. reit werden. Ebenso M.-L.
Rom. Gr. I § 531; schon Zeitschr. VIII 235 hatte, er gesagt: „Im nfr. ist das
e in raide vom Fem. übertragen, Stütz-d" kann es nicht sein. Dafs roid nicht
auf rig(i)dus, sondern auf rigdus geht, lehrt digitus". Das ist allerdings
nicht stichhaltig. Und er selbst scheint nun roit als Neubildung zu fem. roide
zu betrachten, wenn er Rinf. § 94 erklärt, dafs „afr. roide, span. recio auf drei-
silbiges rigidus zurückgehen".
* Mask. roid ist im Frc.-Prov. und Lothr. erhalten. — redze findet
sich heute in der Dauphin6 und vereinzelt in der Umgebung. Vgl. Atl.
ling. I128.
51
Afr. rüde, ruidc lassen eine Fülle von Erklärungen zu:
1. Lehnwort, rudis > rüde, unter Einflufs von ruisie neben
niste zu ruide.
2. Erbwörtlich: *rübidus, -a > riide; rugidus > *ruit,
rugida >■ riäde, darnach gebildet oder urspr. Langform masc. ruide.
Nur ist der Ansatz *rübidus unsicher.^
3. rugidus erfährt Metathesis. Wie magida > *mag'da >
mad^ ga >> ptg. malga, so wird *rugedo > *rudego und hat
dann dieselbe Entwicklung wie rusticus > *rustego zu rüste
und rujste, aridiis zu are un aire usw.
Eine Entscheidung ist vom Standpunkt der Lautlehre nicht
zu geben.
5. Nicht klar ist die Entwicklung von magida > maie, die
in digita >• deie, cogitat >> cuie ihre Parallele findet. Unsere
Grammatiken bieten uns nicht viel darüber. Nyrop erwähnt diese
Formen 2 in der Lautlehre überhaupt nicht. Schwan -Behrens,
§ 122 c Anm., bemerkt, dafs maie, deie, cuier von vi. *maida (von
mayida für cl. magida), *deita, *coitare kommen. Aber damit
ist nicht viel geholfen, der Gegensatz von coidier und cuier bleibt
bei Ansatz eines vi. *coitare rätselhaft. Wenn M.-L.3 Rom. Gr. I
§ 448 digita, magida, cogitat zu doie, cuie, maie werden läfst,
scheint er der Ansicht, dafs diese Entwicklung in dem Nachton-a
begründet sei. Dementsprechend sagt er § 531: „rigidus > roid,
darnach fem. roide statt rwV."
Gr. fiaytg, loa ist ins Lat. als magis, -ida und -idem entlehnt
worden und lebt in it. madia, prov. 7nag, ptg. malga. Für das Afr.
belegt Godefroy mee, maye, inait, met; may so spät, dafs es sekundär
entstanden sein kann. Nfr. sind viait, maie, mai, emoi vorhanden,
durchwegs veraltet. Der Dict. gen. läfst magidem > maid, mait
werden, ,,souvent ecrit 7nai, met, maie ou mee.'''' In Imoi (16. Jh.
esmoy) sieht es eine „alteration de mait'-'-; eher ist es aus maie
durch Fall des e entstanden. 4 Die frz. Formen lassen sich also
zurückführen auf zwei Grundtypen, mait und maie.
* Ptg. rofo Runzel weist auf kurzes u hin; it. ruvido hat Diez auf das
einmal belegte ruidus bei Plinius zurückgeführt, das, wenn überhaupt richtig,
ü hat (zu rüere kratzen).
2 cöciiat wird nach ihm zu cogitat ^ ^i/z'ii«?, darnach in(. ci/iJer statt
*coider (§§ 203, 204); in der Neuaufl. ist das Wort an dieser Stelle gi-strichen.
— digita >> deie ist in der Formenlehre § 263 erw.Hhnt, aber ohne Andeutung
der lautlichen Entwicklung.
' Anders hatte er sich Zeitschr. VIII 235 über norm, wi^ geäufsert: „Hier
ist die Synkope jünger, weil gd das a geschützt hätte; der Grund könnte
derselbe sein wie im It., doch hätte a + i ai, später ouai ergeben: daher in
magida wohl das g und i ebenso spurlos verscliwunden sind wie in digiius".
— „It. Ttiadia aus maida weist auf gr. Betonung ßa-ylöa, sie. maidda, dazu
stimmt der Ausfall des g" (S. 216).
* Wie eau aus eaue usw.
52
Da ein '"^maide nirgends belegt ist, kann man magidem in
mait (prov. mag), magida in viaie sehen. Wie der Gang der
Entwicklung von magida >> maie war, darüber ist nichts Sicheres
festgestellt. Sollte diese Entwicklung erbwörtlich-lautgesetzlich sein,
dann müssen froide, roide Analogiebildungen statt ''^froie *roie dar-
stellen. Aber es hält schwer, diese Folgerung zu ziehen. Im It.
steht deta, cota im Gegensatz zu viadia; ptg. wird magida über
magida > mad^ga zu malga, aber pedica über *pedega zu pega
und peia (span. piclga). Behrens' Ansatz eines vi. *maida steht in
Widerspruch zu belegtem fricda; und stand in '^maida der Dental
wirklich intervokal, so dafs er schwinden* konnte? Man könnte auch
an Suftixtausch denken, aber über blofse Vermutung kommt man
nicht hinaus.
6. Noch unklarer ist die Entwicklung einiger Ortsnamen auf
-dunum:
Lug (u) dun um Loudun Laon{s), Lyon
Mag(e) dunum Medan Mehtin, Meung
Agidunum Ahun.
Man könnte Lugudunum und Lugdunum als Lang- und Kurz-
form auffassen. Nach dem Muster von digitale >> vi. *detale gäbe
Lugudunum gall.-rom. Lodunu afr. Loün, Leün"^
Gesetzt, -ünum wurde -on, so konnte afr. *Lodon durch Dissimi-
lation (vgl. quenotalle, semondre, sejour, sehn, secousse) zu Leo7t werden.
Einerseits entwickelte sich dieses wie feon > faon zu Laon, Laons
[lä], andererseits wurde es wie leotievi > lioji, pedonem >• pioii zu
Lion, Lyon. In spätlt. Leudwium, Laudu?nim sind wohl Rück-
latinisierungen von Lion, Laon zu sehen. Zwar prov. Laudun,
Lauzwi, Montlauzun (aber auch Monilezwi) setzen au voraus, es
könnte dieses aber auch erst nachträglich aus der Latinisierung
Laudunum eingedrungen sein.
Die Kurzform Lugdunum wurde Luiduno, ^ wir erwarten afr.
*Loidun. Vielleicht entstand daraus, wie etwa coussin aus coissm,
das heulige Loudun oder London.
Magdunum ergab regelrecht '^ Maidon, Medan, vgl. *magi-
darium >> lyon. maidi.'^ In Magedunum, Agidunum mufs das
g ebenfalls geschwunden sein, was vielleicht an der Art des gall.
g lag, vgl. den Schwund in -magus, -briga. *Madunum wurde
regelrecht zu Meun, *A dunum > Ahun.
1 Behrens läfst vi. *maida ^ wa«'^ werden, Nyrop II § 127 vi. *faitis
]]> zS\. faitesX
2 Ersieres für Laon (D^p Aisne), letzteres für Loin (Dep. Vienne) belegt.
3 Bei Fredegar (Haag, Rom. Forsch. X 868), vgl. Daybertus für Dago-
bertus im Liber historiae Francorum.
* N. du Puitspelu, Dictionnaire ^tym. du Patois Lyonnais, Phon^tique
p. LXXXVII.
53
Ganz andere Wege der Erklärung geht M.-L., Bet. i. Gall.,
S. 29 ff., was man sehe.i
§ 49- g't liegt vor in
digitus afr. deit, nfr. doigt digita afr. deie
cogitare „ coidier cogitat „ ade
*rugitu „ mit, nfr. riit *fugita frz. fuite"^
fugitivu ,, fuitif Magetobriga ,, Moigte de Brote.
Da g2 mit di unter vi. y zusammenfällt, sei auch di't hier
erwähnt :
adjutare afr. aidier nfr. aider *cupidietate afr. coveitie
medietate „ vieitie „ moitic *cupidietare nfr. convoiter
Schliefslich ist zu berücksichtigen
-iet-: *quietare irz. quitter pietate ixz. pitie, afr. auch /»zö'zV.
I. Auch für g't ist Synkope in vi. Zeit nachgewiesen, dictus
für digitus ist bei Schuchardt Vok. und Georges Handwb. belegt.
Die App. Probi schreibt digitus non dicitus, letzteres vielleicht nicht
fehlerhaft für dictus, sondern alte Form. 3 Aber diese Zusammen-
ziehung von -git- > et ist, wie so manche vi. (inschrifilich be-
* Die Entwicklung der Ortsnamen auf -dun um ist überhaupt recht
rätselhaft, insbesondere fällt der Schwund des d des öfcern auf. M.-L. S. 26
meint, man müf~te Schwund des (zwischentonigen) e, i, o, u in Namen erwarten,
deren erster Teil zweisilbig ist (z.B. 'Br zn o dwxwxm "^ Brandon), Schwund
des d in dreisilbigen (Augustodunum ^ Osteiliin'^ Autun) und in solchen
zweisilbigen, die auf -a ausgehen (Caladunum > CÄa/o«j). Bezüglich der
„dreisilbigen" kann ich nicht zustimmen. Augustodunum ist zur ent-
scheidenden Zeit wohl schon „zweisilbig", s. § 29 b ; Noviodunum ^ iV^'o«
ist kaum üb^r *Novieön gegangen. Eburodunum wurde vielleicht laut-
gesetzHch *Evredono '^ *Everdon [Averdun, Yverdon), vgl. lubricare>-
altfr. lovergier, während forger nach fabricat > forge ausgeglichen ist,
s. 564,4b. Vor allem aber konnte in UxeUodunum ^ Exullodunum
nicht Synkope zwischen xUl eintreten, sondern der dritte Vokal müfste hier
als der schwächere (s. §64 8) fallen: nicht Ex' llodiino ~^ * Isleün , sondern
Exolf duno ]>» Yssoiidun, Exoudun ist lautgerecht. Nun zeigt aber die Form
Yssolu selbst, dafs hier Synkope der 2. Sdbe nicht eingetreten ist. Ganz das-
selbe gilt von Besaldunum >■ .5^:i;az<:^«« und ßesalu.
Somit zeigen Embriin, Yssolu, Besalu dieselbe Entwicklung wie Congi -
dunum ];> Cugnon, Mellod unum ^ il^/i^« (neben Meiidon), Cervedunum
^ Cervon, Cravedunum^ Cravon, CstmhidnnMm ~^ Cambott usw. Hier
ist d gegen die frz. Lautregel gefallen; es mufs also entweder schon bei der
Übernahme ins Romanische nicht mehr vorhanden gewesen sein (vgl. Eburuno,
Hebriuno iür Eburodunum), oder, wenn dies Schreibfehler sind, alle diese
Namen sind lehnwörtlich. Z. B. Meli o dun um wurde Meldon, später trat
aus der Urkunden^prache Meleiiujt neuerdings in die Voiks-prache und ent-
wickelte sich zu Meleün'^ Melun. Dort hielt sich Meudon bis heute, ander-
wärts wurde es von Melun verdrängt. — Andere Ortsnamen mit regelwidrigem
Schwund des d s. § 117,3.
- Nfr. Part.yi/z", fuie ist neugebildet zum InLfidre.
' Das Wort gehört zu dlco, idg. deik-.
54
legte) Synkope nicht romanisch, das beweist it.' tose, (/f/c gegen-
über freddo.
In den romanischen Sprachen liegt vielmehr nur die Langform
vor. Keine Synkope trat ein in rum. deget und in Süditalien 2
(lecc. dicelu, sie. jidiiu^ neap. jidete"^).
Einzelsprachlich ist die Synkope in it. tose, dclo, span. ptg. dedo,
frz. dat, prov. rtr. det.^ Im Frz. fiel der Vokal erst nach der Laut-
abstufung,>'> wie cogitare >> coidier beweist. Ebenso *rügitus (für
cl. rugltum) > span. ruido, afr. rtiit.
2. Wohl aber ist die Synkope gemeinromanisch bei di't:
medietate: it. 7netä, prov. meiiat, frz. moihe, span. milad, ptg.
7netade.
*cupidietate: prov. coheUat, afr. coveitie (vgl. o. § 14).
*cupidietare: prov. cobeitar, afr. covätier > nfr. convoiter.
Dagegen trat in adjutare^ die Synkope erst einzelsprachlieh ein:
Der Lateiner fühlte wohl noch die Komposition, dazu kam der
Systemzwang, der von den stammbet. Formen adjijto usw. ausgeübt
wurde. Es blieb also die Langform allein gültig. Einzelsprachlieh
ergab adjutare regelrecht it. aifavt , prov. aidar, /aAx. aidwr >>
nfr. aider.
Ableitungen zu moilii (nicht aber aus vi. Wortungeheuern wie
"mediet adanus,'^ *medietarius, Körting 6043, 6045 hervor-
gegangen) sind afr. moiieain (nfr. miioyen durch Einflufs von mi und
ynoyen) nnd afr. meiteier >■ nfr. metayer. Ebensowenig liegt *medie-
' Über die i-Formeii (it. dito usw.) s. § 31.
2 i ist lautgerecht tiir betontes vi. e.
^ Durch Umstellung aus *diyitu.
* Der Schwund des i in det ist unerklärt; es zeigt dieselbe Abweichung
von freit (neben dem fr et vorkommt) wie etwa nigru ^ ner von fragro
'^flair.
^ Marchot S. 85 will coidier erklären durch Analogie zu voidier. —
Cledat S. 214 meint, dafs, wie g'd, c't (*lrigdum, *explictum) auch g't
frühzeitig zusammentrat, aber dafs bei der Berührung mit stimmhaften g das t
stimmhaft geworden sei: cogdo, cogdare, digdo; die umgekehrte Assimi-
lation dicto sei gegeben in der App. Probi! Man fragt nun vergebens, warum
einmal progressive, das anderemal regressive Assimilation. Bauer S. 40 verweist
ohne jede Bemerkung auf Marchot.
® Auch Cledat S. 215 Anm. 2 erklärt den Unterschied von moitie und
aider dadurch, dafs der unbetonte Vokal sich in adjutare länger gehalten
hat, weil er in adjutat betont war. — Marchot, nach dessen Annahme auch
bei erst frz. Synkope t erscheinen sollte, mufs S. 85 seine Zuflucht dahin
nehmen, dafs aidier entstanden sei aus den Formen aiudo, aiuäas, aiuclat,
bevor in ihnen das d schwand.
' Es müfste mindestens *medietatanus lauten, wie dem auch der Dict.
gen. statt *medietarius (das doch nwr *meitier ergeben könnte) *medieta-
tarius ansetzt. — Allerdings ^ind diese Bildungen wahrscheinlich vorliterarisch,
aber als älteste Formen sind höchstens gall.-röm. *meytatanu , *meytatariu
möglich, wenn die Ableitung noch vor der Lautabstufung stattgefunden haben
sollte.
55
tadana dem frz. mitaine zu Grunde, sondern dieses ist wie niHon
gebildet von afr. mite (vgl. Dict. gen.).
3. Nach der Neumann'schen Regel müfste medietatem afr.
*moidü ergeben. Ne.mann Zeitschr. XIV 562 mufs daher moitii vi\&
belle, sanle, plenle usw. rechtfertigen als angeglichen an jene Fälle,
wo t lautgesetzlich ist: poesle, poverle, liberle, jovenle, volente. Als
Stütze seiner Ansicht vermag er nur pietate 'p- pidie anzuführen,
neben dem, ebenfalls durch Angleichung, das häufigere pitii steht.
Da aber t in den Reflexen von medietate gemeinromanisch ist,
d-Formen aufser pidie im Frz. völlig fehlen, die angeblich assi-
milierend wirkenden Wörter zudem viel seltener sind als die assi-
milierten, ist Angleichung hier ausgeschlossen.*
Darmesteter Rom. V 146 übernahm von Havet die Erklärung
pietatem > piyelale >> piylat >• pilie und deutete 152 Anm. 4
ebenso quietare ]>> quiyelare > qwytare ^ quitier >> quitler; für
die Erhaltung der i-Qualität könnte man auf diem > dt verweisen.
M.-L. Rom. Gr. § 376 läfst -ie- vortonig zu ü werden: quietare
> quiilare >> nfr. quitter. Ebenso ist nach Nyrop P zwischentoniges
e als zweiter Hiatvokal konsonantisch [j] geworden (§ 262) und
unter seinem Einflufs findet sich / statt e (§ 162): pietatem >-
pijtale '^ pilie, quietare ^ quijlare ^ quilier, quilhr.
Die Grundform für quitter ist strittig. Allerdings Körtings
quittare (i. Aufl.) wie quitidare sind unbrauchbar, weil quitus
für quietus nicht gerechtfertigt ist. Der Dict. gen. betrachtet
quitler als Ableitung zu qiiitteP- Bleibt man bei quietare als
Grundwort, so ist t als lautgesetzlich zu betrachten.
Neben pilie aber steht pidie und wir finden das d {neben
häufigerem /) auch in den Subst. pida7icerie, pidancier und im Adj.
pide (neben pite = qui a de la pitie). Ein solches Auftreten einer
Media neben lautgerechter Tenuis ist immer ein Kennzeichen eines
Lehnwortes (vgl. o. § 33), wozu der Umstand, dafs pietas ein Wort
der Kirche ist und im 12. Jh. als pielc neuerlich entlehnt wurde,
trefflich pafst. Afr. pite, pitee sind leicht verständliche Analogie-
bildungen.
4. Neben dieser regelrechten Entwicklung von g't finden wir
aber auch die Parallele zu maie. M.-L. Zeitschr. VIII 235 schrieb:
„In digita mufs die vollständige Verflüchtigung von ': g 1 vor die
Synkope und das Auslautgesetz fallen." Anders denkt er in der
Gramm. I. § 448, denn in cogitat >- cuie haben wir den Palatal
sicher in dem / vorliegen. 3
^ Damit erledigt sich auch die neuerdings von M.-L. Afr. Gr. § 128 aus-
gesprochene Ansicht, dafs bei y — t gegenseitige Angleichung stattgefunden habe.
■■* Über quiite s. § 12.
^ Afr. Gr. § 161 meint er, -ain <^ a^itie, cuie <^ cogita, doie <!^ digita
„zeigen, dals die Vokalisierung des j älter ist als die vokalischen Auslaut-
gesetze und als die Synkope des Nachtonvokals". Aber warum dann daneben
deit und ctttde}
56
Nach dem Muster von vindicat >> vetiche, vindicare zu venger,
erwarten wir cogitat > *cuite, cogitare >> coidier. Mir sind
t- Formen nicht bekannt, neben coidier steht nicht *cuiiier, sondern
cuier. Wir sind demnach berechtigt, hierin die urspr. stammbetonte
Form zu sehen:
cogitat >> cuie digita >• deie magida >» maie
cogito >> cuit digitu ]> deit magidem > maii
cogitare^ coidier *magidariu >> lyon. maidi
dei, cid, cuier sind demnach als Ausgleichformen zu betrachten.
Auf welchem Wege cogitat >• cuie, digita >> deie werden, bleibt
noch festzustellen; vgl. o. S. 51 maie.
Das Provenz. zeigt hier dieselbe Entwicklung, neben cuidar
steht cuiar.
5. Im Widerspruch mit dem Gesagten steht "fugita '^ fuife,
für das fuie zu erwarten wäre. Dieses ftiie ist ja wirklich vor-
handen, nur läfst man es gewöhnlich aus älterem fue (<< fuga)
hervorgehen unter Einflufs von fuir oder fiiitc, während man bei
essuie für esstie in dem i einen Gleitlaut zu erblicken pflegt. *
Aber 2X1. fuiie (abgesehen davon, dafs man auch von *fucta aus-
gehen könnte) darf nicht als Gegenbeweis gegen cogitat >> cuie
usw. angeführt werden, denn es steht unter Systemzwang. Solche
Verbalsubstantiva stellen dar den betonten Stantim -}- Endung -te
(s. § 103, 2), vg\.fui-te, siii-te, gis-ie, frain-te usw., während *fugita
>» '^fuie, *sequita >> -'seite, *jacita >■ *^//<f, fracta >• *fraife er-
geben hätte.
*fugitivus ergab lautgerecht prov. fiiidiü; afr. fiiitiz steht unter
Einflufs von fuite.
So bleibt noch Magetobriga > Moigte de Broie. M.-L. Bet.
im Gall. S. 22 neigt zu der Annahme, dafs der frz. Form unkom-
poniertes *raageta briga zugrunde liegt. Wenn cogitat prov.
rttia, afr. cuie ergab, mufs der Ausgang dieser Entwicklung in vor-
einzelsprachlicher Zeit liegen. *Mageta aber wurde als solches ins
Frz. übernommen und konnte dann nach der Neuraannschen Regel
nichts anderes als Moigte ergeben.
§ 50. c't. Die Fälle sind:
a) explicitum
afr.
espleit
nfr. exploit
*implicita
11
empleite
„ emplette
*explicitare
11
espleitier
„ exploit er
*implicitare
11
empleitier
soUicitum
•)■)
souloit
sollicita
»
souloite
• So Nyrop I279; dagegen Schwan-Behrens §348, 3 b denkt an Aus-
gleich nach «fj.fz« ;> exsuco(?). Nach M.-L. Afr. Gr. §189 ist essuier noch
unaufgeklärt.
57
b)
placitum
*placitare
vocitu, -a.-
afr.
51
plait ^
plaidier
vuit, vuide
nfr.
•n
•n
plaid
plaider
vide
*vocitare
JJ
vuidier
11
vider
nocitum
)?
nuit
11
nui^
c)
facitis
dicitis
frz.
faites
dites
d)
ficatum
*ficitare<*fiti-
care
5)
afr.
foie
fegier, figier
11
figer
e)
*jacita
culcita
giste
colsire, colte, coilte
11
11
gtte
coite, couetle
amicitatem
!1
amistie
11
amitic
mendicitatem „ mendistie
I. Über die Entwicklung von -cit- ist oft gehandelt worden,
wenn auch unsere Grammatiken nicht darauf eingehen; Nyrop
erwähnt c sekundär vor t überhaupt nicht, Schwan-Behrens gibt
für die unter a) und b) genannten Beispiele § 158 Anm. folgende
Entwicklung (ohne nähere Begründung): plakitu — '''plagitu, *playtu,
*pliiyt'u, plait, er läfst also k^ > g2 werden vor der allgemeinen
Lautabstufung. Rydberg (Le developpement de faire S. 105) erklärt
hz. plait aus einem nach factum, jactum, doctum usw. analogisch
gebildeten '-plactura. Ebenso fafst Horning Zeitschr. XIX 75
es „als Neubildung, nicht als frühsynkopiertes placitum." Der
gleichen Ansicht ist Körting seit der 2. Aufl.; placitum, bezw.
*plactum nach actum, factum.
1 Ältester Beleg plaid in den Eiden (aber dreit^); vgl. dazu plaido in
einem Protokolle aus Verona von 822, erwähnt von Ascoli Arch.Gloti.18l.
2 Körtings Angaben über das Wort sind unvollständig und nicht fehler-
frei, vacare, vocuus, daneben durch Ausgleich vocare, vacuus; die
a-Formen hat vorwiegend die italienische Halbinsel und Sardinien bewahrt,
sonst herrscht die o-Form vor.
vacare: ?,2.xA.bagare, span. ptg. z/ff^ar; lehnwörtlich in span. prov. zi^car,
frz. vaquer (13. Jh.).
vocare: log. bogar.
I sonst ist -uus ersetzt durch -itus, also
eine Partizipialbildung von vacare,
vocuus: ? span. ÄM^«:«?, ptg. ouco ( vocare nach dem Muster von domitus,
I crepilus usw.
*vacitus: i,pin. vaguido, pig. vag-ado (beide mit geringer Abweichung).
*vocitus: h. voto, vuoto, prov. voit, vtiech, vuei, voja usvf., afr. vuzf^ nh:
vide.
*vocitare: (zu *vocitus nach Muster von lat. domitare, crepitare): \\..votare,
prov, voidar, vuiar; afr. viädier > nfr. vider.
Diese Neubildung ersetzt cl. vacuare, das vorliegt in sard. svacd und
weitergebildet ist in neap. vacolare.
2 Afr. miit ist nach Schwan-Behrens § 422 neugebildet zum analogischen
Inf. nuire. In lui liegt wahrscheinlich Neubildung zum Inf. luire vor.
58
Auf die Schwierigkeiten, die sich Behrens' wie Rydberg's Auf-
fassung entgegensteilen, hat schon M.-L. Zeitschr. VIll 234 hin-
gewiesen: „Während fuite u, a. aus einem nach dem Muster von
ductus usw. gebildeten fucta entstanden sein kann, widerstreben
plait und vint dieser Annahme, letzteres weil es nicht mehr Parti-
zipium ist, beide wegen der dazu gehörigen Formen mit 0'."
Das Vorhandensein dieses d hat denn auch mehrfache Er-
klärung gefunden. M.-L. Zeitschr. VIII 234 fragt, ob das t nur
infolge seiner Stellung im Auslaute tonlos war. „Die gröfsere Wahr-
schemlichkeit spricht dagegen. Zwar scheint die Annahme, dafs
d in plaidier gehöre nur endungsbetonten Formen an, zu scheitern
an vide. Und doch ist das der beste Ausweg: vide kann unter
verschiedenem Einflufs z. B. dem des Verbums oder anderer Ad-
jektiva {vuit wuide = vert werde^) stehen.'- Auch in der Rom.
G'"' I § 531 l^^st er afr. vuit, vuide beeinflufst werden von *vuidür
= *vogitare, das vor dem Ton zu vuidier wird. Während er
Zeischr. VIII 235 faiies, dttes als Stütze für die Ursprünglichkeit
des t anführt, meint er Gramm. I § 313, facitis sei unter Einflufs
von facimus länger dreisilbig gebheben als placitum. Gröber,
der ALL. IV 43g plait auf plactum beruhen liefs, ging daselbst
für plaidiei- nicht wie M.-L. Gramm. I § 25g von mlat. placitare,
sondern von plait aus, wo it vor dem Tone zu id umgebildet sei
wie in afr. sonhaidier aus soiihail oder wie s aus ts in croisier aus
croiz = €riice7n\ dagegen in esploitier, faissier usw. liege lat. ex-
plicitare, fasciare zu gründe.^ Prov. voidar, afr. vuidier >■ vider sei
entstanden wie plaidiei', das frz. fem. voide könne der Analogie von
Adj. wie froit, froide = frigidus gefolgt sein. Horning Zeitschr.
XIX 75 denkt bei vocitus mit Andersson an Beeinflussung von
rogitus, „da vocitus und rogitus die einzigen [?] Partizipia auf
-itus von Verben der I. Konj. waren;" oder aber vocitus sei
unter Einflufs von vacuus zu vocuitus, voguidus usw. geworden
(vgl. Span, vaguido, ptg. vagado). Der Dict. gen. läfst nfr. plaid ent-
stehen aus placitum > *plagitum >• ''^playidum ^ plaid; dem ent-
sprechend *vocita (für cl. vacuata) > '*vueide > vuide > vide.
Aber *explicitare (zu explicitus) > *explectare >> espleitier > ex-
ploiter; das Verb.-Subst. exptoit. Einen ganz anderen Weg fand
G. Paris, Miscellanea Ascoli S. 56, der *vocidu, *placidu durch
Suffixtausch annahm; Marchot S. 85 stimmt ihm bei.3
Wie der Dental, hat auch der Palatal viel Schwierigkeit ge-
macht. Am verbreitetsten ist die Lehre, dafs hier die palatale
1 Afr. verde ist selbst Neubildung für fem. vert.
^ Aber mhz. poisser sicher von poix =■ picem, denn das Afr. gebrauchte
dafür poier = -picare (Körting 7134 freilich läfst empoisser aus püare hervor-
gehen, auch noch in der 3. Aufl. !) — In afr. Zeit wurde freilich empeser zu
peiz gebildet.
* Schwan-Behrens § 306 Anm. meint, d in vide sei analog zu voidier,
Nyrop leitet vide von vocita her (§§ 202, 233), ohne das d je zu rechtfertigen;
*placitare ^/Aj/i/^r, *vocitare ^ z'«<z<^(?r sind ihm „cas isol^s" (§282,2).
59
Tenuis frühzeitig zur Media wurde, und diese Erklärung ist schon
alt. Flechia Arch, Glott. IV 371 nahm für it. piaiio die Ent-
wicklung *plagitu > *plajito an und schon Ascoli Arch. Glott.
I 30 scheint sich die Sache so gedacht zu haben. Vor allem
wurde sie von M.-L. vertreten und in der Rom. Gramm. I § 523
dahin formuliert, dafs schon im vi. c als Anlaut der Pänultima zu
g geworden sei (aufser vor 1, n und vielleicht m): fragidus,
plagitu, vogitu, fagere, digere. In der Besprechung von
Rydbergs Arbeit (Zeltschr. XVIII 435) hatte er seine Ansicht durch
Hinweis auf x\xm. fraged =■ fracidu, rum. agidu, sard. aidu =
acidus, ferner auf die rom. Reflexe von vocitus zu stützen
gesucht.
Dagegen hatte sich nachdrücklich Gröber ALL. IV 442 aus-
gesprochen: -cit- sei nicht auf gleiche Stufe zu setzen wie -git-
(cogitare, rogitus, digitus, in denen -gi- wie in regina > it.
reina, frz. reine vor Ausfall des i zu j assimiliert wurden). „Dieses
-git- bei placitum eintreten zu lassen, verbietet afr. doi, doie aus
digitus, digita gegenüber afr. plaid, plait und afr. cui-er neben
addier, das von cid (neben cuid aus cogito) herstammt." „Die An-
nahme einer Zwischenstufe -yid- für -cit- führt zur Voraussetzung,
dafs placitum erst, nachdem explicitum >> explictum [{x?.. exploit)
und bevor *jacita, decimu (afr. ^/j/^, disme) der lat. Volkssprache
geläufig geworden, in dieselbe eingedrungen wäre, und scheitert
an den Formen von Wörtern wie roide = rigidus, die plaide statt
plait aus placitum erwarten lassen.'-
Demgegenüber hat die Notwendigkeit der Assibilierung von c
in -cit- besonders Horning Zeitschr. XIX 75 betont: afr. giste <
jacita, cat. lezde, span. lezda < licita, it. sozzo, lazzo, frazzo, cat.
sotza << sucida („während frz. side für vi. sugida keinen sicheren
Anhalt bietet").
2. Die Lösung der Widersprüche scheint mir folgendermafsen
möglich.
Synkope zwischen c't ist wie bei g'd und g't schon vi. belegt:
filicter bei Schuchardt Vok. Von den gegebenen Beispielen setzen
die unter a) verzeichneten zweifellos *explictum, ^implicta,
*im-, *explictare, *sollictum, "^sollicta voraus. Wir haben in
ihnen gemeinrom. Kurzformen 1 zu erblicken, ihre Entwicklung ist
die gleiche wie bei ursprünglichem et, z. B.
1 Wohlverstanden, durch gemeinrom. Synkope entstanden, nicht durch
Analogie, wie man angenommen hat. Zwar ein *plictum hätte man zu
plicare bilden können etwa nach Analogie von fricare frictum, secare sectum,
aber bei *sollictum ist Analogie schwer begreiflich, da es ja kein Partizipium,
sondern Zusammensetzung aus sollus + ciius (Part, von cieo) ist.
Zu frühsynkopiertem *sollictum stimmt auch *sollicitare, das eine
ganz andere Entwicklung nimmt. Körting 8860 leitet frz. soitcier her von
soUTcitare; das ist unmöglich. Der Dict. gen. setzt *sollicTtare an, das
solcider, solcie'r, soucier geworden sei; das ist ebenfalls niclit angängig. Soucür
entsteht vielmehr durch Ausgleich nach * soWicii^i '^ soucie.
6o
^explicitare* afr. espleiiier prov. espleitar ptg. espreitar.
In allen übrigen Fällen liegen Langformen vor, d. h. die
Synkope trat erst in einzelsprachlicher Zeit ein, u. zw. im Frz. nach
der Lautabstufung:
placitum^ ;> *playddo > 2Sx.plaid > plaü
vocitu ^ "^voysdo >■ afr.*OT//r/>> vuit
mit Verhärtung im Auslaut. Ebenso vortonig:
*placitare > afr. plaidier"^ *vocitare afr. vuidier.
3. Für plaid wurde die Entwicklungsreihe: placitum > pla-
yidu > plaid angenommen. Das scheinen auch die it. Formen zu
stützen ; p 1 a c i t u m > piato, *vocitus > voto ganz wie c o g i t o
> coto, digitus >> deto im Gegensatz zu factum '^ fatto, dictum
> detto.
Dieses plaid (mit Synkope nach der Lautabstufung, aber zur
Zeit des Auslautgesetzes nur zweisilbig) bildet zu conte (Synkope
vor der Lautabstufung, aber zur Zeit des Auslautgeseizes noch
dreisilbig) keinen Widerspruch. Nach m trat die Synkope vor
der Lautabstufung ein, aber das Wort blieb dreisilbig, indem das
m sonantisch wurde. Nach Palatal trat die Synkope nach der
Erweichung ein, der Palatal aber verschmolz mit dem Vokal zum
Diphthong, daher zweisilbig. Vgl. § 37.
Wie ist aber die Entwicklung placitum >• 'playedo laut-
physiologisch zu rechtfertigen? Man nimmt heute ziemlich all-
gemein an, dafs k- im Laufe des 4. oder Anfang des 5. Jh. der
Assibilierung zuschritt. Während k und g zwischen Vokalen vor
a, o, u zusammenfallen, ist k^ assibiliert, g2 zum Spiranten geworden.
Zur Zeit der Lautabstufung: war k^ in der Entwicklung so weit
^ Körting, der 3461 *explicitare für ptg. espreitar ansetzt, betrachtet
3462 prov. espleitar frz. expliiter als Verbalbildung zu afr. prov. espleit. Da-
gegen setzt er für ■pxow etnpleitar^ zSr. emploiter 4783 implicitare an, wozu
ihm f»?^/i?//^ Verbalsubstantiv ist. Gerade unigekthrt der Dict. gen. : exploiter
kom«it ihm von vi. *explicitare und exploit ist Verbalsubstantiv dazu;
emplette aber stamme von vi. *implici ta. Man sieht, wie wiederspruchsvoU
man in Fragen der Wortbildung ist. Da explicitu m sclion lat., *explici tare
durch die irz. prov. ptg. Form vorauszusetzen ist, wird man das Hauptwort
wie das Zeitwort als voreinzelspracblich betrachten müssen.
2 Dafs nicht ein nach factum usw. gebildetes oder durch Synkope ent-
standenes *plactum statt placitum anzusetzen ist, bezeugen einerseits die
oben belegten d-Formen, andererseits der Gegensatz von it. fatto und piato.
^ Es fragt sich, ob der Ansatz *placitare berechtigt ist oder *plaidier
Verbalbildung zu plaid ist. Die romanischen Sprachen sprechen eher für
letzteres: i\. piatir, piateggiare, xXx. plidar, prov. plaidejar, i^Ytan. pleite ar, ptg.
preitejar. Afr. haben wir auch plaidoiier (noch im nfrz. Subst. //a/rfoy^r),
das sicher Neubildung ist, sei es zu plaid, oder zu plaidier nach Muster
solcher Verba , wo -ler und -oiier nebeneinander stehen, oder beides wirkt
zusammen. Auch plattier kommt vor, aber so spät, dafs es ebenfalls sicher
Neubildung ist, sei es zu plait, sei es zu plaidier nach Muster solcher Verba,
wo d und t durch Stammausgleicli nebeinander stehen , oder beides.
6i
vorgeschritten, dafs es nicht mehr g- werden konnte. Vielmehr
fiel es mit ti zusammen, genau so wie g^ mit di gleichwertig ge-
worden v.'ar. In unserem Falle mufs also die Entwicklung des
k2 > t' > zdz nicht zustande gekommen sein. Was war der
Grund dafür?
Einen Versuch, eine phonetische Erklärung der Erscheinung
zu geben, machte Karsten S. 31: „Der zwischen c und t erhaltene
Stimmton mufs also nicht i, sondern ein dunkler Laut gewesen
sein, nämlich jenes mid mixed narrow e, zu dem im frz. alle Vokale
auf einer gewissen Akzentslufe abgeschwächt wurden." Aber dabei
bleibt völlig unklar, warum die Assibilierung nur vor Dental (und
vor r), nicht aber vor m, n, 1 unterblieben ist.
Ich vermute daher, dafs ein dissimilatorischer Einflufs des
silbenauslautenden t die Ursache war. Als k^ >> t' > ty geworden
war, trat auf der Stufe /y Dissimilation zu y ein: placitum :
platyitu >> playitu >> playedo. Dieser Vorgang müfste sich im 4. Jh.
vollzogen haben.^
4. Wenn *vocitare > *voyedar > voidier wird, genau so wie
cogitare >> coyedar '^ cotdier, also *vocitare und cogitare auf
der Stufe *coyedar, *voyedar zusammenfallen, müssen wir auch Formen
entsprechend aäer, viaie, deie finden. Solche liegen vor in
prov. vuei, voja neben voit,'^ voht, voig, viiech
„ voiar, vuiar ,, voidar
frz. voyer (Thomas Mel. 768) „ afr. vuider
dazu voyetle.
Wir dürfen demrach annehmen, dafs *vocita > prov. voia {vtieia,
viiid) wurde, wonach masc. vuei gebildet ist, *vocitat > voia, vuia,
das den Inf. volar, vuiar nach sich zog. Afr. vuide (fem. und 3. sg.)
ist dann Neubildung für *vuie. Daraus erklärt sich, dafs vider keine
t-Formen zeigt, dafs ein prov. fem. *voida „nicht vorhanden zu
sein scheint." Zugleich ist dies aber der stärkste Beweis, dafs k^
vor t zu y wurde.
5. Wenn nun vuide, vielleicht auch froide Neubildungen zu
den masc. vuU, froit sind, auf welchem W( ge wurden sie gt-bildet?
Es ist das dieselbe Frage, welche auch für die Feminin-Bihtung
der afr. masc. graut, vert, fort und die Adj. auf -ant, -ent besteht.
Wir finden, entsprechend der lat. Qualität grande, verde', forte,
-ante, -ente. Anzunehmen, dafs schon vi. *granda, *virda', *forta
vorhanden waren, dazu sind wir nicht berechtigt. Eine einheitliche
Erklärung ist darin gegeben, dafs die Femina vor der Verhärtung
1 Ein ähnlicher Vorgang dürfte sich im 8. Jh. abgespielt haben. Wenn
cavea als cage erscheint, liegt folgende Entwicklung vor:
cnv^a.'^ cavya"^ tiuvya'^ ky'ivya'^ kavya'^ caj^e, indem das erste
epent. / durch das zweite infolj^e einer totalen Dissimilation in Wegfall kam.
2 Bei Herford ist das Wort seltsamer Weise nicht verzeichnet.
62
im Auslaut gebildet wurden. Als viridis auf der Stufe ^'verd stand,
formte man dazu fem. verde; dagegen nach der Verhärtung ent-
stand zum masc. vert aus dem fem. vert durch Anhängung von e
ein fem. verfe.
Freilich eine Reihe von Sprachforschern, auch Nyrop P § 314, 2
sind der Ansicht, dafs zur selben Zeit, wie der Schlufsvokal fiel,
auch die Verhärtung eintrat. Aber diese Meinung ist nicht be-
wiesen. Das Nfr. zeigt uns, dafs nach dem Fall des s die Stimm-
haftigkeit der Endkonsonanten zunächst erhalten bleiben kann,
wenn auch die Tendenz zur Verhärtung vorhanden ist, worin der
Norden (das Wall., z. T. das Norm, und Lothr.) bereits voran-
gegangen ist. So dauerte es wohl auch im Urfrz. eine geraume
Zeit, bis die Verhärtung eintrat. Sie scheint noch in den Eiden
nicht durchgeführt, wo platd^, aber dreit gesagt wird. So spät
dürfte sie aber nur im Süden des frz. Sprachgebiets nicht vorhanden
gewesen sein, der Norden und das Zentrum hatte sie um jene Zeit
gewifs schon abgeschlossen.
6. Nach dem Gesagten mufsten facitis, dicitis lautgesetzlich
faitz, diiz"^ ergeben und diese Formen sind nn Frov. auch vor-
handen, wenn auch ditz früh durch dizetz zurückgedrängt wird. Im
Frz. aber erhielten *faits, *diis frühzeitig durch Analogie ein e,
ebenso wie esiis > prov. etz. Afr. esie^, faiies, dites haben sich nach
der I. pl. esmes, faijjies, ditnes ausgeglichen, wo das e lautgesetzlich
ist. Es ist derselbe Vorgang, der sich im Perfektum wiederfindet:
cantavimusS >■ chatilamcs, darnach cantastis > *chajitais (vgl. prv.
cantetz) ersetzt durch chaniastes.
7. Frz. foie scheint so schwierig zu erklären, dafs unsere
Grammatiken vermeiden darauf einzugehen.* Schon Dieiz wufste.
^ Wenn int für inde in den Eiden erscheint, ist das kein Gegenbeweis;
es nimmt aus satzphonetischen Gründen eine Sonderstellung ein: wir haben
schon afr. en, währrnd nt im Auslaut noch vorhanden war. So dürfte hier t
wegen des tollenden stimmlosen Anlautes stehen.
^ Wallensköld, Le sort des voyelles postioniques finales du latin en ancien
fran^ais, Sonderabdruck aus den Neuphilologischen Mitteilungen, hrg. vom
Neuphil. Verein in Helsingfors, 1908, p. 23ff., möchte facitis lautgesetzlich
faites, aber placit um ]>• p/arf wcrdtn lassen, so d-Ak p/aiz, oz, Crtz usw. als
Neubildungen zum A'kk. p/ait, ost, Crist zu betrachten wären. Da aber sonst
das Flrxions-J nach anderen Konsonanten und Konsonanten-Gruppen nie nach-
weislich ein Siütz-if hervorruft und prov. tatsächlich ya??z vorliegt, glaube ich,
dafs Wallenskölds Annahme abzulehnen ist.
^ Von dieser Form ist auszugehen, nicht von *cantamus, wie Behrens
§ 342 und Nyrop II § 165, 4 angeben. Letzteres tiätte nur *chantains ergeben
können, cantavimus aber ergibt lautgesetzlich chantaines , \-'^\. jiivenis'^
jeunes. Im Prov. erfolgte der Ausgleich in umgekehrter Weise, cantem ver-
liert nach cantetz, faiin nach Muster von faitz sein Stütz-^. (Nachträglich
sehe ich, dafs auch Wallensköld, a. a. O. (s. Anm. 2) p. 21 -avimus, -ivimus
als Grundlage von -ames, -imes erkannt hat.)
* Schwan-Bfhrens erwähnt das Wort überhaupt nicht. Nyrop, der in
der I. Aufl. I §139,5 und §150 fi c ätum ^ fi ticum ^ /öi> ohne weitere
Begründung ansetzt, hat das Wort in der 2. Aufl. gestrichen.
63
dafs es auf lat. ficatum zurückgeht, das er mit gr. övxodtov rjjcag
(ngr. Gixori) verglich, und wies auch schon auf figido in den Cass.
Gl. hin. Aber über das Verhältnis dieser Formen war man im
Unklaren. Seitdem ist oft über das Wort gehandelt worden, s.
die Lit. bei Körting 3726, wo aber die wichtigste Besprechung in
neuerer Zeit, nämlich M.-L. Einf. § 140, fehlt.
Körting geht aus von lat. ficätum, das — nach der 3. Aufl. —
unter Einflufs von *sicatum = gr. ovxmtov stehen soll. Aber
woher denn ficatum? Eine lat. Bildung zu ficus kann es ebenso
wenig sein wie eine Übersetzung von avxmröv. M.-L. Einf. §140
sieht darin entlehntes övxmrov, dafs sich mit lat. ficus vermischte.
Ich glaube, man kann noch weiter gehen und in ficatum un-
mittelbar das entlehnte övxmrov sehen. Die Lautgestalt erklärt
sich dann folgendermafsen:
Lat. ficus und gr. ovxov sind identisch, sei es, dafs ersteres
aus letzterem entlehnt ist, als es noch gr. piükoit gesprochen wurde,
sei es dafs beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen (vgl.
Walde, Etym. Wtb. d. lat. Spr., S. 221); so wurde denn auch in
Ovxmröv das 0 als f übernommen. Die älteste Gestalt der Ent-
lehnung liegt vor in den Gloss. Isid.: ficotum, quod Graeci ovxcoröv
vocant.
-ötum, das im Lat. selten war und frühzeitig abstarb, wurde
in Angleichung an die Part. Perf der i. Konj. ersetzt durch -ätum.i
Durch die Entlehnung erklärt sich auch das Schwanken zwischen
/ und e, das für Lehnwörter aus dem Gr. charakteristisch ist, vgl.
cicinus und cecinus; girus, cima, aber prebeteru. Dementsprechend
haben wir:
7: rum. ficai, span. higado, ptg. figado, afr. fie, firie, frc.-prov.
fidie (Val Soana), prov. bearn. y/^(?, it. lomb. erx\{\. fidegh
{-dig, -dag), piem. fidich, mail. fideg. In sard. log. fidigu,
camp, /igdu; sie. /üa/u; ven. mant. //gd, hiaul. /ijdd kann
wie e vorliegen.
_ : it. tose, fegato (neap. fkato, romagn. fegat, bol. feghd, röm.
fedico, abruzz. feieche), prov. cat. feige, frz. foie, wall, feilte,
Schweiz, fedze.
Die seltsamsten Versuche 2 sind gemacht worden, die Akzent-
verschiebung zu erklären. Bei der Annahme der Entlehnung wird
sofort alles klar. Ein Wort wie övxcoxöv konnte auf zweierlei
Weise aufgenommen werden. l. Mit lat. Akzent: ficätum, 2. mit
Erhaltung des gr. Akzent: Qvxcoxöv mufste auf v einen Neben-
^ ficatum als Part, aufzufassen, geht nicht an, denn ein lat. *ficare
gibt es nicht; gr. gvX(üt6v ist Verb.-Adj. zu ovxöu), einer echtgr. Bildung.
"^ D'Ovidio Zeitschr. VllI 105 dachte an die proc). Stellung von f in der
Wortfolge ficatum jecur; Körting hielt in der 2 Aufl. gar einen Einflufs
von fiJes „Darmsaite" möglich, damit halte er drei Fliegen auf einen Schlag:
1, d und die Metathese !
64
akzent tragen; da Oxytona im Lat. unmöglich, machte man den
Nebenton zum Hauptton, daher ficatum.^
Im Lat. standen, wie es in solchen Fällen zu sein pflegt,
beide Aussprachen nebeneinander und beide haben sich bis heute
erhalten :
1. lat. Akzent: ram.. ßcdt, sard. csimp. //gdi/,"^ %\c. ficätu, ven.
mant. figd, friaul. ftjäd.
2. gr. Akzent^: span. higado, ptg, figado, sard. log./idiga, cat.
prov. fetge, frz. foie (afr. fie, firie, wali. feute, Schweiz, fedze), it.
fSgato nebst den übrigen oben genannten mundartlichen Formen.
Welche von den genannten Formen setzen die Reflexe Galliens
nun voraus. Karte 585 des Atlas ling. ist sehr eintönig, das
schriftsprachliche fwa hat den gröfsten Teil des Gebietes erobert.
Neben afr. feie steht bekanntlich fie, das Pic. hat noch ft davon
bewahrt. Darin haben wir einen Reflex von / zu erblicken, ebenso
in einigen südfrz. Formen (gase, hidye, hldje; Cantal 709 fwidje,
Aveyr. 727 fitse). \n füdze Sil, fü/se Jiy ist ü dem Einflufs des
anlautenden Labials zu verdanken. Für die übrigen prov. Formen
ist zweifellos von *feticum (durch Metathese aus *fecitum für
*fecatum entstanden) auszugehen, desgleichen für ssLV.fe^o [z = Ö)
und für die Schweiz. Formen [fedz. fedzo, fedzu, feze, feze usw.).
Ein ähnlich entstandenes *liticum liegt in lehnvvörtlicher Ent-
wicklung vor in afr. fvie'. das Wort wurde nach der Synkope in
die Volkssprache aufgenommen als *fidigo, dafs sich über *fidie zu
firie entwickelte.
Auf gleicher Stufe wie prov. cat. frc.-prov. feige steht auch
das afr. Verbum: *feticare ^ fegier, fiticare '^ Jigier, \\{x. figer.
Wie aber ist frz. foie entstanden? Nyrop li § 13Q, 5 und
§ 150 liefs „ficätum aliere en ficätum ou fiticum ^ feie"^
werden; abt-r *fiticum mufsle *fege ergeben. Der Dict. gen. geht
aus von *tidicum, „alteration inexpliquee du lat. ficatum, devenu.
^fedtgo, *fedio, *fedju, feie'-''. Aber diese Entwicklung steht im
^ Eine Parallele bietet die ÜbernaVime afr. Worte ins Me.: aU. diligent
^ me. diligent. afr. guante ^ mr. qua ity, afr. generdl ^ me. general usw.
2 Gröber ALL ]I 288 schreibt flcäu und erlüän es wegen des c als
Buchfcrm; Diez S. 135, V. Paris Rom. \'I 132, Behrens Me aihese S. 99 aber
bieten figdu.
8 Solchen Fortbestand der g'. B-tonung gegen das lat. Dreisilbengesetz
ist ja recht häufig: it. Tdranto, Otranto, Sölanto, Lepanto (NavTiaxzoc),
Brlndisi\ spn. .fi&ro (IßrjQoq); ferner it.ydcppo, idolo. accöntti, eipfte, garö-
fallo'^ ■^Y>A^. po/lgloto , ciclfpe, hcroe , pertfüneo; frz. tieße (TQL(pvXXov), eiicre
(eyxavaxov) Da-selbe giU auch von kelt. Worten : lr^. Troycs (Iricasses).
Bei den Oxy'ona ist manchmal das Dreisilben-Gt setz eingehallen, also mit lat.
Betonung: inO'/Tj w.epoca, S£t).7jibg v. Sileno; andfiseits ist dagegen ver-
stol-en : \pXey[.iOvil n.flemmöne, 'lanstOQ it. Giapeto, &Tj^iaxa h. triäca-j
endlich die o. g. Betonungsweise ötä xioösicDv it. diacödio, 'Ayanrjtög it.
Agdpito, yoj^vToq span. goldre.
65
Widerspruch zu allen Lautregeln. Gröber ALL II 424 Anm.
leitet frz. foie, wall, feute her von *ficatum und vergleicht dazu
digitum > doigt; so hatte sich auch M.-L. Zeitschr. Vlil 234 ge-
äufs:irt, das frz. _/ö/(? = fecatum ist, zu dem es sich verhalte wie
digitus zu doi(gt), nur mufste tonloses a > e werden und nicht
schwinden. Aber dieser Vergleich ist unzulässig, digitum gibt
wall, das, ficatum aber erscheint oXs/oet. Horning Zeitschr. 22, 488
vergleicht _/>/^ mit suie und stellt die Gleichung auf ficidus : ficus
= *sucidus : sucus, wo dann aus *ficidusi durch Umstellung
*fidicus hervorgehe. Auch damit ist nichts gewonnen, stiie hat
als nächste Vorstufe ein suia, bei feie ist eine Entsprechung dazu
nicht vorhanden.
Das auf nordfranzösischem Boden entstandene Reichenauer
Glossar bietet jecor : ficatus. Daraus entsteht auf dieselbe Weise
feie wie ane aus anatem:
anatem : anet (so prov.) afr. a«?
fecatum : */eyet „ feie nfr. foie
ficatum : *fiyet „ fie pic. /r
Darin haben wir eine lehnwörtliche Entwicklung vor uns.
Am schwierigsten ist wall, feuie. Der Atl. ling. bietet fät, fet,
fe^t, fe^i, fwät, fwet usw., das auf afr. '^feite >> "^foite weist. Indes
handelt es sich hier um eine speziell wallonische Entwicklung:
*feticum > wall, fcet wie cutica > wall, cot, medicus > wall.
med, natica > nat, erpica > wall, ip, atriplicem > wall. a7-ip
usw. Wie diese Entwicklung vor sich ging, ist nicht klar.
Es ergab also:
volkstümlich *feticum ^xov. fetge, fr.-prov. y>^i?
wall, foei
halbgelehrt *fecatum(i) frz. foie [y>\c. fie)
'•'' f i t i c u m afr. firie
8. Anzuschliefsen ist hier afr. pege. M.-L. Rom. Gr. II 410
426 erklärt sard. pidigu aus *pic-idus > *pidicus, aber d hätte
im Sard. fallen müssen. Auch UrteP führt frc.-prov. pege (die
mundaril. Formen bei God.) auf *pidicus, umgebildet aus pica-
tum, zurück. Aber eine solche „Umbildung" ist unversiändlich
und Subst. auf -idus hat das VI. nicht gebildet. Mir scheint viel-
mehr ein subst. Part, vorzuliegen.
Zu picare wurde neben picaiiim ein *picitum (vgl. vocitu
S. 57 Anm. 2) gebildet, das durch Metathese zu *piticum wurde.
^ ficidus sei gebildet zu ficus wie *pici dus (neben //ca/M/w) z\i picem.
Vgl. § 50, 8.
* Beiträge zur Kenntnis der Neuchateller Patois I, Darmstadt 1897.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV.
66
*piticu sard. pidi'gu, zix. pege, hc.-pTO\. pege; dazu
*piticare Schweiz. /»^(/Sifr, pedjyer; afr. -p.p. pegic, {pege Cotgr. i6ll
= pitched). Dazu afr. pegeor „ fabricant de poix".
*pic-attum liegt vor in afr. poiat.
Heute erscheint das Wort als Fem. in frc.-prov. pege usw.,
nordprov. pedzo, pedjo usw., im ganzen übrigen Prov. (abgesehen
vom Gase.) pego, pega (Atl. ling. 1054). Cat. pega, das Körting
zu picem stellt, ist natürlich unser Wort. Auszugehen ist für diese
Formen entweder von einem neutr. pl. *picita >> *pedega oder
*piticu wurde unter Einflufs von pix [ixz. poix, pxov. pcz) weiblich.
9. Zu erwähnen bleiben noch die Fälle, wo trotz t im Aus-
laut die Assibilation eingetreten zu sein scheint.
*jacita für afr. gisie, rxix. gtte ist ein unrichtiger Ansatz; *ja-
citum hätte *git, *jacita ein *gü ergeben müssen. Mit Körting
das s als analogisch zu betrachten und von jacta auszugehen,
widerspricht der Tatsache, dafs die übrigen Part, auf -ctum nirgends
ein solches analoges s zeigen. Der Dict. gen. erblickt mit Recht darin
eine Substantivbiidung zu gesir. Und zwar ist dieses Verbalsubstantiv
gebildet vom betonten Stamm gis- mit dem Suffix -ie (§ 49, 5).
Daraus erklärt sich auch das männliche Geschlecht, neben dem
afr. das weibliche steht (heute noch „comme terme de marine").
licita >> prov. span. lezda, cat. leuda (Thomas Rom. XXVIII
196) ist erbwörtlich im Frz. nicht vorhanden. God. bietet leide
(Jatde), lesde, lete^ leude [laude). Alle diese Formen sind dem Süden
entlehnt, sie kommen erst im 13. Jh. auf.
cuicita wurde durch gemeinrom. Synkope zu *culcta, vgl.
span. ptg. colcha. Im Frz. entwickelte sich *culcta zunächst zu
col' ia, das, wohl mundartlich verschieden,^ teils colte, teils coite ergab.
Afr. colte, coute (mit unorganischem r coltre, couire) liegt nfr. vor in
couire und in courie-pointe (od. conlre-poifite) aus afr. coute-pointe. Afr.
coite ist erhalten in nfr. coite, mit jüngerer Schreibweise couetie (nicht
Deminutiv, wie Körting 2657 will). Neben cuicita steht culcitra,
nicht vulgärlateinisch, sondern erst romanisch, sonst hätte culcitra
betont werden müssen. Dieses liegt vor in aspan. colcedra, it. col-
trice. Im Afrz. wurde es *coltsedra >• colstre, indem es — wegen der
schweren Gruppe Its-tr — erst nach der Lautabstufung synkopiert
wurde.
*culcitinum Diez 104, Körting 2658 ist zu streichen, daraus
konnte nimmer afr. coissin, cozissin, nfr. coiissin werden. Das richtige
Grundwort gab dafür P. Meyer Rom. XXI 87 in *coxInum (zu
coxa). Afr. coissin erhält die Nbf. coussin, welche schliefslich die
lautgesetzliche Form verdrängt, vielleicht nach Muster von coite, coute.
Vortonig erscheint die Assibilation in
*amicitatem afr. amistie, mendicitatem afr. mendistie.
^ Vgl. dazu fulgura > afr./öi7<ff^ \xn^ foldre, xÄt.foudre.
67
Karsten S. 30 will amikitatem >■ amiktatem > amitet werden
lassen [wie. Jeter ^ olroner, diter, roter, floter aus et), amistet hält er
für Neubildung von amis; aviitiet, amistiet daraus durch Suffixtausch.
M.-L. Gramm. I § 531 ist der Meinung, in amicitate ist c vor
dem Wandel zu g durch amicu, -a bewahrt worden. Über men-
distie, das auch bei Körting fehlt, sprechen beide nicht. Der Dict.
gen. geht von *amiktat aus ohne die ^-Formen zu erwähnen;
wohl aber bucht er viendistic unter mendicit,', das im 13. Jhr ent-
lehnt wurde und mendistie verdrängt hat.
*amicitatem, mendicitatem mufsten, wenn nicht gemeinrom.
Synkope eintrat, afr. *amidie, *mendidie ergeben. Zu untersuchen
bleibt noch, ob afn amitie überall aus älterem amislit hervorgeht
oder von Haus aus daneben steht; in letzterem Falle könnte es
*amiktatem sein oder aus '^^ amidie analogisch entstehen, s zeigen
auch die afr. Ableitungen amistable, amislage, atnisiance, sowie die
übrigen rom. Sprachen: prov. cat. amistaf, aspan. amizad,^ ptg.
amizade; it. atuistä ist nach d'Ovidio Arch. Glott. XIII 426 ein
Gallizismus. Zur Erklärung von s im Frz. müssen wir annehmen,
dafs unter dem Einflufs von amicus, mendiciis, mendicat k2 vor Dissi-
milation durch / bewahrt wurde. Synkope trat vor dem Stimmhaft-
werden von X'2 ^ iz ein: amicitatem >> amit'setate > amistie.
societatem > soistie betrachen Schwan -Behrens § 80, 2 a a
und der Dict. gen. als erbwörtlich. Anderer Meinung war Suchier
Zeitschr. XIV 175, der in seiner Ausgabe von Aucassin et Nicolette
soiste dreisilbig angesetzt hatte wegen der Schreibungen soiestee,
Soest e, soiestt', soyeste, soiheste', er hält es daher für ein Lehnwort,
„da sich seine Form mit den Erscheinungen des allgemeinen Laut-
wandels nicht verträgt." ki entwickelt sich afr. genau so wie cc^,
ki't mufs dasselbe Endergebnis haben wie cc'd. Und da soistie
genau der Entwicklung von flaccidu >• fiaiste entspricht, haben
wir soistie als zweisilbig und erbwörtlich zu betrachten. In soieste
hat man jüngere Entwicklung aus soistie zu sehen, vgl. neben aisne
vereinzeltes aiesne oder moiete neben inoitie.
Weitere Ansätze von c't sind unrichtig, rusticitas (Diez 674)
kann nicht prov. ntstat, afr. rustie ergeben haben. Frz. diseiir auf
dicitorem (Körting in der 2. Aufl.), ii.facitore, x\xm. facator, prov.
fazedor auf factorem (Körting noch in der 3. Aufl.) zurückzuführen,
sind Angaben, die einer Widerlegung nicht bedürfen.
§ 5r. Anhang. Als Grund der Nichtassimilation hatte ich
oben dissimilatorischen Einflufs des t angenommen. Dem scheinen
zu widersprechen die Formen placet > piaist, docet >> duist,
nocet >> nuist, *cocit >> ctiist, die Schwan-Behrens § 135,3, ^'^
heute ziemlich allgemein geschieht, als lautgesetzlich betrachtet
gegenüber analogischem fait, dit, duit. Schon Horning (Lat. c,
^ Körting 597 nennt nur span. amistad, das nach Baist Gr. I ^ 900 Ana-
logiebildung auf modestad ist.
68
S. 37 ff.) hat den Gegensatz fait- piaist betont und für c vor der
Pänultima zu verwerten gesucht; M.-L. Zeitschr. VIII 235 wies das
zurück, denn der Nachtonvokal in placet, facit fiel nicht zur
selben Zeit wie in placitum, kann also für die Behandlung der
Pänultima nicht mafsgebend sein. Da wir aber den Wandel von
k2 zu y vor die Lautabstufung setzten und als unabhängig von der
Synkope betrachteten, kann dieser Einwand für uns keine Geltung
haben. Wenn placitum xi^&x playedo zu plaid wurde, mufste /A/i:«'/
zunächst *playet ergeben. Die Beispiele sind:
III. Konj. dicit — dit, ducit — duil, facit — fait, cocit — cuit,
*d e s p ^ c i t — despit, c o n -, s u f f ^ c i t — con-, sofit, v i n c i t — veint. Schliefs-
lich das Perfektum fecit — fist.
II. Konj. docet — duist, jacet — gist, licet — loisi, lucet — luisf,
nocet — 7iuist, placet — piaist, tacet — taist.
I, Konj. (Subjonctif) circet — cersi, exsucet — essuist, man-
ducet — menjust (für *manduist), precet — prist, ferner die Pro-
paroxytona caballicet — chevaizt, collocet — colzt, ex-colubricet
— escolurst, judicet — juzt, tardicet — taj-st, die durch Analogie
ihr Stütz- ^ verloren haben unter dem Einflufs der Paroxytona auf
c oder ti (corruptiet — curuzt, curutst, directiet — drest, infortiet
— en/orst). 1
Betrachten wir die Konjugation:
facio faz placeo plaz precem *pris
facis fats places plais preces *pris
facit fait placet piaist precet prist
facimus faimes placemus plais-ons precemus *preis-ons
(für */aismes)
facitis faites placetis plais-iez precetis *preis-iez
(für *faitz)
facunt fönt placent plais ent precent *priseitt
Inf. facere faire placere plaisir
Hieraus ersehen wir, dafs nach beiden Seiten Ausgleich ein-
getreten sein kann, fait kann nach faire und dem Plural sein ^
verloren haben, umgekehrt kann auch piaist nach plaisir und dem
Plural prist nach dem Plural sein s erhalten haben. Jedenfalls ist
die Übereinstimmung der 3. Sg. mit dem jeweiligen Inf. und Plural
in die Augen springend.
Läfst sich vom frz. Standpunkt keine Entscheidung treffen, so
hilft hier das Prov. ; dort finden wir
3. sg. fai di plai cuei iai lei tai
ditz platz cotz iatz letz tatz 7totz
i. pl. faim dizem plazem
' Analogiebildungen zu solchen Formen sind aist von aidier, cuist von
coidier, comanst von comatider, escoarst von escoarder, ravist von raviver,
ruUt von rover.
69
2. pl. faitz dizeiz plazeiz usw.
3. „ fan dizon plazon
faire hat im Plur. von Haus aus kein s, daher konnte auch keine
Analogieform *-fatz gebildet werden; nur zur 2. Plur. wurde durch
Angleichung gelegentlich fazetz gebildet. Dagegen zeigt notz kein
*;zö/, es hat im Plur. nur s-Formen. Beachtenswert ist dire: da es
im Prov. durchaus „regelmälsig" geht (aufser vereinzeltem dilz in
der 2. Plur.), so steht neben di ein analoges ditz, während im Frz.,
wo der Plur. in früherer Zeit kein ^ zeigt {dimes, dites, dient), die
Form dit lautet. Für di, ciiei, iai, ki, plai, tai gibt es keinen j-losen
Plural, nach dem sie gebildet sein könnten.
Daraus ergibt sich: Auch in der 3. sg. liegt derselbe Laut-
wandel vor wie in placitum >>/>/«//, d. h. auf der Stufe cit > tyit
tritt Dissimilation zu yit ein. Bei jenen Verben, in deren Plural-
formen die Assibilation herrscht (also bei den endungsbetonten),
wurde durch Systemzwang die Dissimilation teils überhaupt ver-
hindert, teils wurden zu den dissimilierten Formen neue j- Formen
gebildet. ^
§ 52. Reflexe von c'd ist im Frz. anscheinend nicht vor-
handen. Es hätte mit id enden müssen; das zeigt uns das Rtr.,
wo fracidus >> {i\?i.\\\. fraid wird.
I. Gelehrt sind acidus, lucidus als acide, liicide seit der
Renaissance in der Sprache. *picidus ist falscher Ansatz, s. §50, 8.
Ein Substrat *r^cidus (span. /y'«ö?)"- vermutet Horning, Proparoxytona
S. 12, Anm. I in voges. rlychte (dazu reycJUanse, vgl. auch rosteces
Pred. Bernh.), das aber wegen des t wohl cc'd birgt. Vortonig
erwähnt Shepard 78 *calcedonia > (Trt'/f/ö/«^ (vgl. salicineta > afr.
salnoit), das offenkundig Lehnwort ist; sonst findet man für lat.
chal cedonius lehnwörtlich cacidoine, cassidoine, rsix.calcedoine. Loudun
(bei Holder 11 344 als Nr. 14) hat A. Thomas Rev. Celt. XX 442
auf Laucidunum zurückgeführt.
salmacidus sieht Körting in prov. salmaciu, afr. saumache.
Beide Formen sind nicht unmittelbare Entsprechungen. Afr. saumache
kann aus *salmadica (durch Metathese entstanden) hervorgegangen
sein. Schuchardt Rom. Et. I 30 setzt salmacidus an für frz.
satimdtre; aber salmacidus könnte nur *salmaid, ein *salmaccidus
nur *salniaisi(r)e ergeben. So ist es vorläufig immer noch das
Beste, bei Diez' Annahme zu bleiben, dafs in it. salmastro, frz.
saumätre Suffixtausch vorliegt; der Dict. gen. setzt *salmastrum
1 Dem genau entsprechend heilst es prov. ////<[ fugit [hz.fuit), neben
dem fug steht nach dem Vorbild des 'Phxr.fugem, fugetz, fugen. — Prov.
fa, fam, fatz für fai, faim, faitz sind genau so zu erklären wie ybr für
faire^
"Fvz. fist im Perfekt verdankt sein s der Analogie von fis, fesis; fesimes,
fesistes und den jz-Perfckten.
■' Vgl. § 48. 3-
70
iils bereits vi. an. Aber die Rechtfertigung dieses Suffixes -astrum
bleibt noch zu geben.
2. c'd könnte auch dem frz. suie zugrunde liegen. Der älteste
rora. Beleg steht in einem Pariser Glossar: fuligo id est suia
(Foerster-Koschwitz, Übungsbuch Sp. 363, 16). Diez 682 setzte
dafür einen Typus *suga an, der aber dem Frz. nicht gerecht wird
und den er auf ags. söti^, Adj. zum Subst. söt „Rufs" zurückführt.
Horning Zeitschr. XIII ^2;^ wandte dagegen ein, dafs das Wort
rom. 0, nicht ö verlange. Aber für das Frz. genügt auch germ. ö,
da dieses gall.-röm. 0, ö + ^ > frz. /// wird; ferner beachte man
die Nebenform afr. sieue (aus *sueiel) und prov. sueia, das heute
noch lebt. Ferner verwahrt sich H. gegen die Herleitung von
einem germ. Adj.; man könnte schliefslich statt dessen .eine hybride
Bildung *sot-ica setzen.
Horning geht aus von sucidus, Adj. von sücus, sucida sei
durch Metathese zu *sudica geworden. Zu dieser Annahme be-
wog ihn die Parallele, die er in medicum >■ ostfrz. meü, fodicat
'^ fuye, radicat >> raye, dalmatica > danviaye usw. fand.
Salvioni Zeitschr. XXIII 530 verlangte auf Grund von lomb.
süga als Basis eine Form -gia,' Thurneysen Zeitschr. XXIV 428
erklärt auf Grund der ins 7. Jh. zurückreichenden Glosse fuligine
ir. 0 suidi das Wort für keltisch und setzt als gallische Grundform
*südia an.
Für die Gruppe c'd kommt nur Plornings * sucida in Be-
tracht. Wie
magida afr. maü cogitat afr. cuie prov. ruia
digita ., deu- vocitat frz. voie ., 7mia,
mufste sucida frz. suie, prov. sm'a geben. Durch Metathesis ent-
standenes *sudica ergab prov. suga, poit. suge, ostfrz. seuchc. Lehn-
wörtliches (lana) *sudica ergab über *sut5ie nach bekanntem Laut-
wechsel siiric, surje, (laine) surgc\ letztere Unterschiede dürften
mundartlich sein.
Aber das Schwanken zwischen o und u im Tonvokal weist
wohl darauf hin, dafs dieses Wort einer fremden Sprache entlehnt
wurde. Gall. *sudia ergab regelrecht frz. suie, prov. suia, lomb.
silga; mit 0 übernommen prov. sueia. Durch Suffixaustausch ent-
standenes *sudica ist die Grundlage von prov. suga, lothr.
soeche, usw. 2
* siigia weist M.-L. Jahresber. II 69 aus Glossen nach und mifst ihm den
Lautwert snya bei.
2 Im Frz. mu/ste *suia und troia in gleicher Weise ui geben, nicht
aber im Prov., wo die Worte als suia und triieia geschieden sein müssen.
Neben s^iia steht aber sueia. Karte 1265 suie und Karte 1342 truie zeigen
aber Übereinstimmung im Vokal für das Gase, (aufser dem Norden) und dem
daran und an die Pyrenäen grenzenden Teil der Languedoc; in Aude heilst
es noch heute syejo.
W^ährend so diese Gebiete auf sueia weisen, geht das übrige prov.
Sprachgebiet bei aller Mannigfaltigkeit der heutigen Formen in der Hauptsache
71
Schuchardt Rom. Et. I 31 nimmt an, dafs durch Suffixtausch
*sucyus an Stelle von sucidus getreten sei. Horning Proparoxytona
S. 13 weist diese Ansicht für lothr. saeis ab. Über sonstige ostfrz.
Formen vgl. dort Anm. i. Gegen Salvioni äufsert er sich Zeitschr.
XXXII 2 3 f. — Über wall, souf(e), soef(e) s. Marchot, Zeitschr. f. fr.
Spr. u. Litt. XXII 198.
§ 53. Es erübrigt noch die Gruppe cc'd:
flaccidus ^ii. flaistre muccidus ah. moi's/e
*roccidus „ roüfe nfr. ?no3ie.
auf siäa zurück. Auffällig sind sua, suo im Norden von Ardeche, in Dröme,
H. Alpes (aufser äufserstem Norden und Süden) und Norden von B. Alpes.
Doch gehen möglicherweise auch diese Formen zurück auf suia, vgl. trua
H. Alpes 971 oder küre'o (für courroie) Italien 982, kUrea H. Alpes 879,
B. Alpes 889, kürte H. Alpes 866, 868, wenn sich auch die Verbreitungs-
gebiete nicht decken.
Prov. su^a lebt heute nur in einem schmalen Streifen, Süden von Alpes
Mar. und B.Alpes, Norden von Var, Vaucluse 853 als sugo , daneben ver-
einzelt masc. SK^^u 896.
Die Konsonanten von troja, sucida, -aticum, corrigia sind zusammen-
gefallen im Süden von Puy-de-D6me, in Grenze, Südhälfte von Dordogne, in
Lot, Tarn et Garonne (aufser dem südlichsten Teil), Tarn, Aveyron (im
Westen), Cantal ; z. B. in Lot fretso, sutso, -atse, corretso, selbst pyetse (pi^ge).
Ahnliche Übereinstimmung zum Teil in B.-du-Rhone (z. B. 872) und
Var, nur dafs tritie manchmal Sondetwege geht, z. B. 873 sudjyo, küredjo,
adjyi, aber tr-iheyo, während Var 886 tritcyo mit ayo übereinstimmend den
anderen gegenübersteht.
Lothr. Seuche bietet schon Littre, Horning schreibt es phonetisch sces,
scets. Der Atl. ling. bietet ostfrz. s(£s, scets im Süden von Vosges und in
H.-Saone; auch das Frc.-Prov. hat entsprechende Formen, sctts, säts im
Norden, sUtse, sUse usw. im Süden der Schweiz, süxe usw. in Savoyen, suts,
sics im Jura.
R-Formen liegen vor in sUrts (60 — 62 Schweiz) .sUrxe Schweiz 959,
särj 916 Saone-et-Loire, swöbrze 917 Ain ; setzen letztere surge voraus,
scheinen die Schweizer Formen *surche zu verlangen.
Noch seltsamer sind die ^-Formen , wall. süf. Ohne Zusammenhang
damit finden sie sich zerstreut am ^Mittellauf der Rhone: swlfe Norden von
Drome, swafi Nordosten von Isere, swaß Rhone 91, syUfo Nordosteck von
H. -Loire, swif, swafa Ain Mitte, süfe H. Savoie 947. Ist in dem f eine
Sonderentwicklung über ]? zu sehen (vgl. Nyrop I"^ § 395 Anm.) oder liegt
Kreuzung vor mit sebum > suif}
Endlich noch Tp\c. syü (umgestellt aus suü oder Einfluss von sebum >
afr. siu}); afr. süue scheint ein Analogen zu finden in sywy in ISIeurthe-et-M.
Wichtig ist noch die Grundform (type regional) *suge, die der Atl. ling.
für ein grofses zusammenhängendes Gebiet im Südwesten des Frz. und im
Norden des Prov. verzeichnet. Es umfafst den Norden von Gironde, Nord-
hälfte von Dordogne, Charente Inf. aufser dem Westen, Charente, Süden von
Deux-Sävres, Vienne, H.-Vienne, ferner Puy-de-D6me aufser dem .Süden und
Süden und Osten von Allier. In diesen Gebieten stimmt suge genau zu äge,
frz. mundartl. siij. saj, st/Jj, sceJj, ebenso aj, aJ), prov. mundartl. sudzo, sudza
entsprechend edze, adze.
Dieses südwestfrz. *suge, nordprov. *sutja ist wohl eine Parallele zu
pTOV.suga, d.h. es trat, im Gegensati zu *sudica'^ * suche (ostfrz. seuche)
in diesen Gebieten trotz a der Ultima Synkope erst nach der Lautabstufung ein.
72
1. Man hat gezweifelt, ob diese afr. Formen die lautgerechten
Entsprechungen des Masc. sind. Schwan-Behrens betrachtet § 122, 2 a
flaisl(r)e, vioisie als lautgesetzlich, erwähnt aber § 306, b Anm., dafs
sie vielleicht nach dem Fem. ausgeglichen sind (wie large^ juste,
triste für lars, juz, iriz). Letzterer Meinung ist Nyrop II § 38g, der
erklärt, moiste habe 3 Stufen durchlaufen: man sagte zuerst moisf^
— moisde, dann inoist — moiste und schliefslich moiste in beiden Ge-
schlechtern. Shepard S. 47 hält /?£7;!y/(!', moiste, rozj/'^ (aus *raucidus)
gar für Lehnwörter. Aber für alle diese Bedenken sind keine
stichhaltigen Gründe vorgebracht w-orden, wir haben flaist(r)e, moiste,
roiste als lautgesetzliche Maskulinformen zu betrachten.
2. Ferner sind die Etyma der genannten Wörter umstritten.
Nur flaccidus >> afr. flaistre, flesire steht ziemlich fest. Dazu
wurde das Verbum afr. ßaistrir, nfr. fleirir gebildet. Das Simplex
flaccus liegt vor im afr. flac, flache, nfr. nur flache; y>'\^. flaque, nfr.
flaque; nfr. flasqve scheint gelehrte Entlehnung nach flaccidus mit
assimilierter Aussprache.
Viel umstritten ist frz. vioite. Diez sah darin musteus, das
aber afr. nur mois geben konnte, mücidus, an das Diez bei
moscio daneben gedacht hatte und das des Vokals wegen nicht
entsprach, ersetzte Foerster Zeitschr. III 260 durch muccidus.2
Scheler hatte eingewandt, dafs muccidus nur ;«(9/></i? lauten könnte;
dies wies Foerster durch Hinweis auf buxida > hoiste zurück.
G. Paris Rom. VIII Ö28 stimmte zu, nur Horning Zeitschr. XV 503
machte einen lautlichen Einwand, welches Bedenken aber Schuchardt
R. E. I 56 nicht teilt. Aber er weist muccidus ab, weil .,die
übrigen rom. Wörter, welche mit diesem {moiste) so grofse lautliche
und begriffliche Ähnlichkeit haben, dafs man ihnen von vornherein
eine enge Verwandtschaft mit ihm zuschreibt, sich fast alle der
Herleitung von muccidus nicht fügen." Er weist Gröbers Her-
leitungen von *mucceus (ALL IV 122) zurück, ebenso dessen An-
nahme von Entlehnung aus dem Frz. seitens der anderen Sprachen;
„musteus genügt für die nord- und südwestlichen Wörter nicht;
wohl aber ein gleichbedeutendes *mustidus oder das mit Endungs-
wechsel daraus hervorgegangene *mustius." Die Möglichkeit dieser
Entwicklung zugegeben: aber die Abweisung von muccidus er-
scheint mangelhaft begründet; es ist durchaus möglich, dafs zwei
ursprünglich ganz verschiedene Wörter wie muccidus (frz. vwite)
und musteus (it. moscio) in ihrer endlichen Entwicklung zu „so
grofser lautlicher und begrifflicher Ähnlichkeit" gelangt sind. Man
vgl. frz. suie und ne. soot, die auch „lautlich und begrifflich" so
nahe stehen, dafs Diez das eine auf das andere zurückführen wollte.
Und an muccidus festzuhalten, dazu nötigt die von Foerster bei-
' Nyrop stützt diese Form nur durch ne. moist, das ist m. W. erst
sekundär für me. moiste.
* Die Scheidung, die M.-L. Gramm. I § 547 zwischen lat. muccus Rotz
und mücidus schleimig macht, ist nicht berechtigt; Foerster war im Recht,
wenn er muccus als jüngere Entwicklung von mücus betrachtete.
73
gebrachte Form moide im Lyoner Ysopet 375. Schuchardt R. E.
I 57 will sie nicht gelten lassen, sondern findet die Schreibung
bedenklich; aber man hat darin wohl nur eine südliche Form zu
sehen, vgl. licita >■ prov. lezda, lei'Ja.
*roccidus setzte Schuchardt R. E. I 47 für afr. roiste. Für
das ähnliche prov. raiisf, cat. rosf hatte Diez 666 *raucidusi an-
gesetzt und Foerster Zeitschr. III 261 führte auch roiste daraut
zurück. Aber eine solche Entwicklung ist nach dem Gesagten un-
zulässig; roiste dürfte *roccidus sein, roust ist davon zu trennen.
3. Horning Zeitschr. XV. 503 fand an flaccidus, muccidus
befremdlich, dafs cc hier ü ergibt, während baccinu > bassin wird.
Hierin liegt eine Schwierigkeit, der Rechnung getragen werden
mufs. Körting setzt wohl deshalb ein *flaxidus an. Und der
Dict. gen. geht für moiste aus von vi. *müscidus für cl. mücidus,
das *nioisde ]> moiste wird (während er flaccidus unmittelbar zu
*ßaisde, *flaisie >- flaistre sich entwickeln läfst). Auch Nyrop, der
^* § 390 noch mucidum > moiste angibt, geht II § 38g für moisde
aus von *muscida, „alteration de mucida."2 Aber es ist nicht
einzusehen, wie flaccidus zu *flaxidus oder muccidus zu
*muscidus3 geworden sein soll. Auch die Ansätze fem. *flaisde,
"^moisde sind verfehlt, denn buxida wird boistc. M.-L. Frz. Gr.
§170 möchte flaccidu, muccidu zu *ßacitii, *mucitu durch
Metathesis der Konsonanten -Qualität erklären; aber *flacitu,
'^mucitu könnten nur *ßait, "^moif ergeben und solches Umspringen
der Qualität ist sonst nicht bezeugt.
4. Aber woher das epenth. i? Wir wissen, dafs im Frz.
I. g und di, 2. c2 und ti, 3. cc^ und ci zusammengefallen sind.
Wir haben gesehen, dafs vor Dentalen c^ behandelt wird wie die
unter i. genannten Laute, d. h. mit ihnen unter y zusammenfällt.
In höchster Gesetzmäfsigkeit entwickeln sich nun cc^ und ci vor
Dentalen, indem auch sie eine Stufe vorschreiten und vor Dentalen
mit den unter 2. genannten Lauten gleich werden; auch hier geht
eine Dental-Dissimilation vor sich. Daher
flaccidus >■ flaist(r)c, societate >• soistie.
Da das Assimilations- Ergebnis -^flaadii stimmlos ist, ergibt sich,
dafs die Synkope eintrat, bevor k^ >> iz stimmhaft wurde.
3. c'r.
§ 54. c'r ist der zweite Fall, wo man die Reihe k^ > g2 ^ y
angenommen hat: facere > */agere '^ faire, i. Dieses faire ist
ein alter Zankapfel der Romanisten. Diez schwankte, ob
1 Unverständlich ist mir, warum Körting 7S10 *rauciclius ansetzt. Un-
brauchbar sind seine Vorschläge gtrm. ratist /'an und *ruspidus.
* Dieser Widerspruch ist auch in der 2. Aufl. des l. Teiles nicht be-
seitigt.
* Cledat S. 215 geht ebenfalls von *muscidus, muskedo aus, das aber
bei ihm eine Ableitung von muscus ist.
74
fakere : fahre : faire oder
fakere : fahre ; faire oder
fakere : fazere '. fazrc : faire geworden wäre.
Nach Joret (1874),! Rydberg (i893),2 G.Paris (1894),:» Dict.
gen. (§ 389), Nyrop (§ 408), Marchot (S. 94) wurde:
facere \ facre '.faire
Ascoli (i873),4 Flechia (i876),5 Koschwitzß (1886), Meyer-
Lübke (1894),'' Bauer S. 35 (1903) nahmen folgende Entwicklung an:
facere : fagere \ fayere : faire.
Anders Horning (i883):8
facere : faisre : faire.
Horning (1895): ^
faire Neubildung nach fais, fait.
Ähnlich wie Horning 1883 hatte sich Mussafia Litbl. 1883,
279 ausgesprochen, der in aderigere > aerJre, tergere > terdre,
surgere > sordre g r=r g oder z sein und d vermitteln läfst und
dazu vincere >> ve'nstre >- 7'eintre, oder * torquere >>
iorcre : torsire : torire
norkere < ^^;^^,^ ^^^^^^ ^^^.^^^^ . ^^^^^^^, . /^^^^^^, vergleicht.
Ähnlich wie Horning 1895 schon Andersson Litbl. XV 307 dire
nach dem Imp. di nach Analogie von da, dare.
It. fare, dafs M.-L. noch wie Ascoli aus fayere entstehen liefs,
während bereits Rydberg (ihm zustimmend Horning) ein schon
vi. fare dafür ansetzte (wegen aspan. prov. rtr. far, frz. fut. ferai,
wall. inf. fer > fe), kommt hier nicht in Betracht.
Beispiele sind die Inf. cuire, despire, dire, dtiire, faire (nicht
aber luire, nnire, plaire, taire Nyrop I- § 408, Bauer S. 35, welche
nicht vi. It'icere usw. voraussetzen, sondern erst französische Bildungen
sind); ferner das Perf. fecerunt >> ;'f;r«/, Plusqupf. fecerat >-^r^/
(Alexius 125), die Fut. placeraio > plairai usw., niiirai, luirai,
iairai; cuirai, despirai, dirai, duirai. Über macerat > maire,
cicer > ceire, socer >» suire noch später.
* Du C dans les langues romanes, Paris 1874.
2 Le d^veloppement de facere.
^ In der Besprechung von Rydbergs Arbeit, Rom. XXII 569.
* Arch. Glott. I 80; IX 104 Anm.
s Arch. Glott. IV 371.
'■ Kommentar S. 71.
' Zeitschr. XVIIl436fF.
^ Zur Geschichte des lat. c vor e und i im Romanischen , Halle 1883,
73-
' Zeitschr. XIX 74.
75
2, Zur Annahme der Entwicklung facere : fagere : fayere : faire
führte die Parallele, die man bei g'r fand:
legere frz. lire^ frigere frz. frire
legerunt afr. lirent affligere afr. afflire
Ligerim hz. Loire *ad-augere afr. <7ot><?
Ligericcus Loiret *tragere- frz. traire
*ragere (?) afr. raire *strugere afr. esfruire.
Endlich Futurformen: *legeraio >• lirai usw. Aber ein laut-
physiologischer Grund, warum c^ vor r zu g werden soll, ist
schlechterdings nicht einzusehen.
So ist von den genannten Deutungen die von Joret-Rydberg
aufgestellte Reihe facere > facre '^ faire festzuhalten. *facre
mufs zu einer Zeit eingetreten sein, wo k- noch nicht assibiliert
war. Der phonetische Grund dafür ist, dafs das nachfolgende r
den vorausgehenden tonlosen Vokal infolge seiner Sonanzlähigkeit
absorbierte." Rydberg bringt auch einige Beispiele wie fecru,
socru, die sich in Denkmälern des 5. und 6. Jh. belegen lassen.
Es handelt sich hier nicht um französische Synkope (die jedenfalls
nach der Assibilation stattgefunden hat), sondern um Absorption
durch r vor der Assibilierung.
3. Horning Zeitschr. XIX 73 hat die Entwicklung von facere
>» facre ^ faire als unmöglich hingestellt wegen ^^low faire, das
weder auf fakre noch fagre zurückgehen könne, denn wir finden
prov. lacrema, sogre, negre, eiitegra. Prüfen wir diesen Einwand.
Zunächst steht fest, dafs gr im Prov. ir werden kann:
flagrare >> flairar 7iigru >> '^neir > ner^
integrti >> entieir (Atlas ling. enlyeyro fem. in der Languedoc).
Daneben können negre, eniegre nur als Entlehnungen gelten. Schultz-
Gera, Altprov. Elementarbuch § 82, schliefst sich daher der Meinung
an, dafs für faire vermutlich ein *fagere zugrunde liegt. Das
' Nyrop II §49,2 betrachtet lire als Analogiebildung für *lir\ das wird
als unrichtig erwiesen durch Ligerim ^ Loire, wo Analogie ausgeschlossen ist.
* So pflegt man allgemein anzusetzen statt cl. trahere. M.-L. Einf.
S. 87 möchte trahere unmittelbar ixz. traire werden lassen; da aber aerem
'^ air (nicht aire) ergibt, kann trahere nur *trair entwickeln; das <r des Inf.
müfste dann analogisch sein wie in corre, querre (vgl. soror >• Jz/^r). Genau
so wie trah ere ^ ^/aiVv, ist auch struere^ afr. *j^r«;V<f zu betrachten.
3 Man vgl. die ähnliche Kraft des r bei der Vortonsilbe: crouler, crier,
briller, vrai, Frej'us, droit, dresser, Dreux, triacle und bei a der Nach-
nebentonsilbe, s. S. 2 Anm. I. Desgleichen später im Frz.: bougran, broiiette,
bouvreicil, ecofrai, esprit, chaudron, denree usw.; oder mit vorangehendem r:
dernier, dorloter, gtierdon, harlo7i, mordore, parvis, persil, serment usw. —
Dieses *facre ist nicht zweisilbig (sonst müfste es ^fair ergeben), sondern als
*facre zu fassen, vgl. § 37.
• * i ist hier in noch unerklärter Weise geschwunden wie in digituui
> det.
76
Vorbild müfste dann agere : actum, legere : lectum gewesen sein;
aber solche Analogie ist wenig wahrscheinlich. Aber auch er gibt
lautgerecht ir\ die Beispiele, die man gewöhnlich für diese Gruppe
anführt, sind:
acrem prov. agre afr. aigre macrum prov. magre afr. maigre
alacrera ., a/egre „ alaigre socerura „ sogre ,, soigre^
Die frz. Formen zeigen aufs deutlichste, dafs diese Worte in Gallien
nur lehnwörtlichen Charakter tragen. 2 Auch prov. lacrema ist
zweifellos kein Erbwort. Dagegen bev/eisend für er >> ir sind:
facere "^ faire *cocere > coire und cozer
*placeraio > afr. prov. plairai dicere >> dire"^ und dizer.
fecerunt >■ feiron fecerat >■ feira.
Neben plair ist prov, plazerai durchsichtige Neubildung.
4. Horning erhebt weiter den Einwand, dafs, .,wenn man von
den Verbalformen absieht, alle Wörter im Frz. Prov. It. das c
assimilieren.'- Diese Fälle hat er selbst Zeitschr. XIX 70 ff. zu-
sammengestellt:
cicera >• gesse (und eine Reihe von Nebenformen, jarosse,
Jerzais usw.). Aber der frz. Charakter des Wortes ist doch recht
fraglich, der Dict. gen. läfst gesse daher entlehnt sein aus prov.
geissa ..unbekannter Herkunft".
cicer >> ceire, cesse^ usw., prov. cczer, noch nfr. mundartlich
cerre'^ (wo H. an Assimilation von sr >> rr zu denken scheint),
daneben chiche.^
acer arborem >» ^aisrarhre > nfr, eraUe. In diesem Falle
ist die Assibilation gesichert. x\ber cicer, acer bilden keine
Parallele zu facere usw. cicer kam naturgemäfs kaum anders
als im Plur, vor, cicera >- "^ceire, darnach afr, sg. ceire, pl. ceires.
Dagegen trat in zweisilbigem acer (Nom, = Acc.) die Synkope
1 Godefrcy belegt suire, stiere, sire, soir ; soegre, seiigre, sougre ; soigre ;
sogre ; socre , seiicre ; fem. suire ; suegre, sogre; socre ; seure, sevre , soivre,
suivre. Dafs das Wort entlehnt ist, kanu demnach keintm Zweifel unter-
liegen; selbst suire dürfte nicht lautgerecht sein, sondern entstand durch Laut-
substitution.
* sequere ^ segre, das Schultz -Gera noch vergleicht, bietet keine
Parallele; vgl. auch aquila ]^ prov. az^/a ixz. aigle.
3 Prov. dir ist wie prov. far zu beurteilen.
* Afr. cesse usw. ist ebensowenig Erbwort wie chiche; möglich, das prov.
cezer ins Frz. entlehnt wurde, wodurch eine sekundäre Gruppe jV entstand,
die zu den mannigfachsten Umbildungen Anlafs geben konnte.
^ cerre ist wohl aus ceire entstanden wie nfr. verre, tonerre aus afr.
veire, toneire.
•* Für chiche, das H. aus cice, durch Diss. zu ciche^ durch Assimilation
zu chiche werden läfst, nimmt der Dict. gen. EntUhnung aus lat. cicer an.
77
des Nachtonvokals später ein, i als k^ und ti bereits zusammen-
gefallen waren.
macerare > afr. mairicr, marrier) H. glaubt, dafs rr hier aus
rs assimiliert sei.
acerum (statt cl. acrum scharf) > poit. arse. Das Poit. scheint
in bezug auf die Synkope mehr auf prov. als frz. Standpunkt zu
stehen, vgl. poit. suge : prov. siiga, poit. sendier gegenüber frz. sentier
(s. § 129,4).
sicera > afr. sisire. Gr. oixtQa > lat. slcera hätte '^seire
werden müssen, die Umstellung mlat. cisera aber *cistre oder *cisdre,
je nachdem a der Ultima die Synkope beschleunigte oder nicht.
Da aber alle rom. Formen i zeigen (it. sidro, cidro, aspan. sizra,
nspan. entlehnt cidro, ebenso die rum. Formen), setzt der Dict. gen.
lat. sicera an, das hätte afr. ^sire ergeben sollen. Godefroy belegt
aus dem Rom. d'Alex. ein cire, das sich zu ^sii-e verhalten kann
wie afr. sistre zu cistre [citre ist belegt), wie afr. sidre neben cidre.
Letzteres leiten M.-L. Gr. I 446 und der Dict. gen. her von cisera
(daneben auch mlat. cisara). Das Nebeneinander von afr. citre
und cidre ist dann unerklärt und müfste einer Analogie zu ver-
danken sein.
Wahrscheinlicher ist gr. öixeQa im Frz. nur lehnwörtlich vor-
handen, darauf weisen / für z, die möglicherweise eingetretene
Assibilation, das Nebeneinander von sdr und s/r. Das Wort erfuhr
eben nicht zu denselben Zeiten Zusammenziehung wie die Erbwörter
entsprechender Lautgestalt.
5. Ferner stützt sich Horning auf die Verbalformen didrai, ditrai
Leod. 7 und 9, fedre Pass. 188. Aber dafs s hier geschwunden
sein sollte, ist ganz unglaublich, fecerat gab afrz. firet Alexius 125;
wie neben firent durch Analogie fisirent, fisdretit stehen, so hat firet
die Nebenform fistdra Leod. 121. Die obengenannten r/- Formen
erklären sich als umgekehrte Schreibungen prov. Formen:
fecerat prov. feira viderat prov. vira
miserat „ mesdra, durch Analogie meira (vgl. 3 pl.
miserunt : ?nesdren und meiroii). In den beiden Texten von der
prov.-frz. Grenze steht nun fedre Pass. 188, medre Pass. 420, vidra
Pass. 133, 331, didrai Leod. 7, ditrai Leod. 9. Wie der Kopist
bald Pedre, bald Petre schrieb, aber Peire sprach, so gab er auch
in fedre, medre das i durch d wieder, während vidra ihn veranlafste,
d oder t auch dort zu setzen, wo sie nicht berechtigt sind. Wo
es sich ihm dagegen um Wiedergabe des afrz. fistre handelt, schreibt
er td. Dafs im Leod. fistdra, in der Pass. fedre steht, erklärt sich
daraus, dafs der Schreiber der Pass. ja auch sonst viel stärker
provenzalisiert.
^ Dem. entsprechend aspan. azre ^ neuspan. arce und, ebenso mit Meta-
thesis, cat. ars. Frov. e(s)rabre (Körting) kann nur dem Frz. entlehnt sein.
Als einheimische Form hat schon Diez Et.Wß. 6 izerablo aus Grenoble erwähnt.
78
6. Es erübrigt noch, gedecktes k^ zu betrachten. Wenn in
vincere nicht Aufsaugung der Pänultima durch r vor der Assibi-
lierung eingetreten wäre, hätten wir afr. ^veinstre erhalten müssen.
Freih"ch braucht k^ nicht mehr unverändert, sondern kann schon
zu / vorgeschritten gewesen sein. Die Beispiele sind:
Gedecktes k"^:
cancerum
vincere
afr. chainlrc
- veintre
carcerem
*torkere
frz. charire
afr. tortre,
durch Analogie tordre. ancre und chancre sind trotz Cledat 285
selbstverständlich Lehnwörter.
Vgl. gedecktes g:
cmgere
fingere
frangere
jüngere
pingere
plangere
pungere
stringere
frz. ceindre ader[i]gere afr. aerdre
„ feindte expergere „ esper dre
afr. fraindre spargere ,, espardre
frz. joindre surgere „ sourdre
„ peindre tergere ,, t er dre
„ plaindre
„ poijidre fulgura frz. foiidre
„ estreindre
at-tangere afr. afaindre nfr. atteindre
tingere nfr. teindre
4. Ii2 vor 1, n, m.
Vor allen anderen Konsonanten als Dental und r wird k^
assibiliert, bevor Synkope eintritt:
§55- c'l
gracilis afr. g rätsle^ nfr. grele
*fracilis „ fraisle „ freie
Koeritz, Das s vor Konsonant im Frz., Diss. Strafsburg 1886, hatte
fraisle für eine umgekehrte Schreibung gehalten, ähnlicher Ansicht
ist der Dict. gen. und Klausing S. 57. Nyrop I 430 läfst fraile
sich an graisle angleichen. G. Paris Rom. XV 620 erkannte, dafs
fragilem nur "^frail ergeben könnte und setzte daher *fracilem
durch Einflufs von gracilem an. Shepard S. 10 erklärt fragilem
> fraile wegen der Erhaltung des e und der Nichtmouillierung
des 1 als Lehnwort. Unhaltbares bietet Cledat S. 276.2 Sicher
^ Der Ansatz Shepard's S. 97 graciliorem ^ ^r^.f/or ist falsch, denn
vor li wird nicht synkopiert; es handelt sich vielmehr um eine Ableitung von
gresle.
^ Er macht einen Unterschied in der Entwicklung von fraile und breuil:
in fragilem sei g geschwunden unter Entwicklung eines y, dagegen ia
79
steht, dafs fragilem z.h.*frail ergeben mufste;i wegen des Stütz-«-
könnte man von (belegtem) fractilis ausgehen, aber auch da
müfste 1 mouilliert sein. 2 Das s in fraisle scheint Lautwert zu
haben, weil sich fredleU für fresletc findet.
So bleiben zwei Auffassungen möglich, i. gall.-röm. *fracilis3
^fraisle, daraus lautgesetzlich fr alle mit Schwund des s um die
Mitte des u. Jh. Dagegen scheint der älteste Beleg des Wortes
zu sprechen {frailes St. Alex, q), aber zu bedenken ist, dafs die
Überlieferung mindestens lOO Jahre später und anglonorm. ist. Oder
(2.) fragilis ist nur lehnwörtlich erhalten, ergab so fraile, das
unter Einflufs von graisle in der Schrift, vielleicht aber auch in der
Aussprache ein s erhielt.
§56. c'n:
acinus afr. aisne Vendocinum frz. VenJume
cicinus {xx.xvoi^ „ cisjie Vicinonia „ V Haine
ricinus „ reisne *rucina {QvxdvTj) afr, roisne
circinus (xigxivo^) „ cersne *vicinaticum „ visnage
*lacin-aria „ lasniere [*salicineta „ salnoie\
aisne lebt noch mundartlich in La Beauce als aine und in
champ. pic. vin de Vesne (God.).
Nfr. cygne verdankt anerkanntermafsen sein ii der Einwirkung
der Schrift auf die Aussprache. Älteres eine aber wird teils auf
lat. cygnus (Körting, Dict. gen., Nyrop), teils auf cisne <C cicinus
(Cledat S. 264) zurückgeführt. Körtings Bedenken gegen cicinus
>> afr. cisne sind unbegründet.
Afr. roisne ist erhalten in nfr. rouanne; die Schreibung erklärt
sich dadurch, dafs man das Wort als Ableitung von rone empfand.
Körting 8206 geht statt von vi. rücina von cl. runcina aus, das
lautlich nicht entspricht.
Afr. visnage wurde unter Einflufs von voisin zu voisnage und
später verdrängt von der Ableitung voisinage.
Frz. lani^re kann nicht *laciniaria'* (Bugge, Scheler, Körting)
sein. Wahrscheinlich ist auszugehen von einem Typus *lacina
*bro{ji]um schwinde der unbetonte Vokal und 1 wird mouilliert. Also
fra[g]ilem, aber brog[i]lum. S. 276 o. bemerkt er ausdrückliob, dafs
-ilem länger Proparox. bleibt als -inem. Aber eine Begründung für jene
Doppelentwicklung gibt er nicht.
^ Vgl. v'xgWo '^veil coagulo ^ caü
Altogilum ^ Autetcü bajulo ^ bau
*brogilum ^ breuil
"^ Vgl. ductilem >• tföi/Zif.
'Nicht vi., denn it. fraile^ frale. c für g vielleicht nicht so sehr
durch Einflufs von gracilis als vielmehr von frac-tura.
* Denn vor ni tritt überhaupt keine Synkope ein, vgl. Schwan-Behrens
§8ob/9.
8o
>• afr. lasne,^ davon abgeleitet afr. lasnete und lasniere, ferner das
Adj. /asfii's. Dieses *lacina mufs eine vi. Ableitung zu dem Stamme
sein, der in lacer, lacinia, lancinare vorliegt. Reichn. Gl. Lacinia
= laniare, Hetzer 105.
Ricinus >> roisne ist mundartlich ebenfalls noch vorhanden.
Gedecktes k^ liegt vor in circinus>> afr. cersne'^ > nfr. cerne. Ab-
leitung dazu ist cerner, wie die Bedeutung und das späte Auftreten
(13. Jh.) zeigt. VI. *circinare (sard. chirchinare, span. cercenar)
hat andere Bedeutungen. Afr. cenielle ist nicht vi. *c ircin ella
(Shepard S. 83), sondern frz. Ableitung wie nfr. ceriteau.
*cocinare (für coquinare) kann nicht, wie Körting 2291 an-
gibt, = frz. cuisiner sein. Freilich ist die Entstehung dieses Zeit-
wortes nicht so einfach sicher zu stellen. Es könnte *cocInare
^ *coisnier unter Einflufs von cuisine zu cuismer geworden sein, 3
oder aber es trat Ausgleich ein nach *cocInat ]> cuisine ein, oder
schliefölich es kann frz. Bildung sein zu cuisine (so der Dict. gen.).
§ 57- Cm:
facimus diir./aimes dicimiis afr. dimes
decimus „ disme, dime kirchenlat. decima „ disme nfr. dime
-ecimus (Endung der Ordinalia) afr. -ime, isme nfr. -ihne
Für c'm gibt es zwei Auffassungen:
1. A'2 vor m wird nicht assibiliert (Schwan - Behrens § 158,
Nyrop II S. 347, Marchot S. 94). Dann ist s in disme zu verdanken
dem Einflufs von dix. Für diese Auffassung führt man an die
Ordinalzahlen von 11 — 16, welche in den ältesten Texten als
onzime usw. erscheinen.
faimes, dimes betrachten Rydberg, G. Paris, Nyrop als hervor-
gegangen aus vi. diimus, faimus; abgesehen von der mangelhaften
Rechtfertigung dieser Formen vom Latein her, genügen sie auch
für die frz. Form nicht, da ''^diimus nur ^dins ohne Stütz -^ er-
geben könnte.
2. k2 wird assibiliert. Dafür spricht disme und die Parallele
zu k^ vor 1, n. s vor 1 m n ist nach Schwan -Behrens § 129 vor
Ablauf des 1 1. ]h., nach Nyrop I § 462 vor der Eroberung Englands
geschwunden. Kein Beleg für die Ordinalzahlen ist aller {dudzime
Ges. Wilh. d. E., trezime Karlsreise 1 17, unzime usw. Philipp v. Thaun).
faimes, dimes für "^faismes, ^dis?jies entstehen durch Angleichung an
die übrigen Formen, dime ist jünger als dtsme. undecimu mufste
'^ondisme geben, wurde durch Einflufs von onze zu ^onzisme, durch
totale Dissimilation zu onzittie.
^ Doch erregt das fehlende i Bedenken.
^ Elfralh's Angabe (S. 804), dafs k^ zwischen r und n fällt, ist also un-
richtig.
' Vgl. afr. visnage : voisinage.
Beide Auffassungen sind möglich. Für die erste spricht die
Überlieferung, dagegen der Mangel einer phonetischen Begründung.
Man beachte, dafs die Synkope nach der Diphthongierung statt-
fand [disme, dime), also auch nach der Lautabstufung.
§ 58. k vor Nasal findet sich in dem alten Lehnwort
*Jacomus (für Jacobus) afr. Jaimes it. Giacomo.
Jüngere Entlehnungen ergaben afr. Jaanes, nfr. Jacques.
Vor n: Sequana>' Secona (s. §62,5) ae. Sigene frz. Seine.
§ 59. Es fragt sich, ob das s in den assibilierten Formen
stimmhaft war oder nicht. Die afr. Formen geben dafür keinen
Anhaltspunkt. Denn gredle für gresle zeigt nur, dafs s vor dem
Schwunde 2 war; aber vor dem Schwunde vor stimmhaften Kon-
sonanten v/ar jedes s stimmhaft geworden. Wenn decimu laut-
gerecht disme wurde, so kann die Synkope erst nach der Laut-
abstufung eingetreten sein; aber es ist zweifelhaft, ob k2 = ti
gleichzeitig mit dem übrigen Konsonanten stimmhaft wurde. Vgl.
§ 127.
§ 60. Weitere sekundäre Gruppen im Anlaut der Pänultima,
die einen Palatal enthalten, kommen für die Frage nach dem Ver-
hältnis von Synkope und Lautabstufung nicht in Betracht (z. B.
ng'l; nc'l, rg'I; rc'l; rc'f. rc'l, rc'm; sc'l, sc'r; x'n, x,r; et vor 1, n, r).
Anm. Vertrat ich im Vorangehenden die Ansicht, dafs vor Dental k^ ^
ty ]>■ y durch Dissimilation wurde, k^'r durch Aufsaugung des Vokals durch r
vor der Assibilation zu er wurde, sonst aber Assibiherung eintrat, so raufs
ich gestehen, dafs sich aucli die Meinung vertreten läfst, ^* entwickelt sich
im Anlaut der Pänultima wie g. Denn die Fälle der Assibilation können auch
erklärt werden teils durch EinfluCs der Grundwörter [amistie , mettdistie,
•visnage \ amicus , mendiciis , vicinus), teils als jüngere Wörter (kirchenlat.
decima, die griechischen Wörter xvxvoq, xiQXivoq, Qvxävj], gelehrtes acinus,
Eigenname Vendocinutn , Langforra gracüis , während kl sonst schon vi, zu-
sammentritt). Doch hat lautgerechte Assibilation vor / und n giöfste Wahr-
scheinlichkeit.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV.
III. Liquida, Nasal und Spirans im Anlaut.
§ 6i. Von allen romanischen Sprachen hat das Frz. die un-
betonten Silben im höchsten Mafse eingeschränkt. Es duldet keine
Proparoxytona und der Zwischentonvokal wurde in nahezu gleichem
Umfange wie der Endvokal aufgegeben oder geschwächt. Diese
Ausstofsung ging in zwei grofsen Abschnitten vor sich, einmal vor,
das andere Mal nach der Lautabstufung, abhängig von der Natur
der umgebenden Konsonanten, bei den Paroxytonis zum Teil vom
Endvokal. Ob diese beiden Synkopierungen, die ältere wie die
jüngere, in sich einheitlich sind, oder der Zeit nach in ver-
schiedene Stufen zerfallen, läfst sich nicht feststellen, da es an
Anhaltspunkten fehlt.
Was nach der vi. oder gemeinrom. Synkope an Paroxytonis
erbwörtlich vorhanden war, wurde ausnahmslos durch Ausstofsung
des Pänultimavokals zum Paroxytonon. Man pflegt daher dem un-
betonten Vokal der vorletzten Silbe die geringste Widerstandsfähig-
keit zuzuschreiben. Denn hier fällt sogar a, dafs vortonig stets
als e erhalten bleibt,! und auch nach Konsonantengruppen, die vor-
tonig Stütz -^ verlangen ,2 tritt hier Synkope ein. Das ist darin be-
gründet, dafs hier zwei unbetonte Silben dem Tonvokal folgten,
das Übergewicht des Tones über den Pänultima -Vokal daher viel
gröfser als beim Zwischentonvokal war. Neumanii fand es deshalb
naheliegend, dafs die Vortonvokale später fallen als die meisten
tonlosen Pänultima -Vokale. Nyrop I' § 259 verallgemeinert gar:
„La chute de la penultieme est anterieure ä la chute de la contre-
finale".3 Aber aus dieser in der Natur der Sache begründeten
stärkeren Wirkung ein höheres Alter zu folgern, dazu berechtigt
uns nichts. In tepidus > tiMe tritt die Synkope z. B. weit später
ein als in civitatem >> cite.
§ 62. Aber der Frage nach der Zeit des Ausfalles von a
müssen wir näher treten. 1. M.-L. Zeitschr. VIII 234 glaubte,
1 Abgesehen von den S. 2 Anm. genannten Fällen; Formen wie serment
sind sekundär, vgl. S. 75 Anm. 3.
=* Vgl. S. 87 ff. (§64).
' In der 2. Aufl.: La posttonique non finale tombe la premiire parmi
toutes les voyelles atones, was in seiner Allgemeinheit ebenso unrichtig ist.
83
dieses a falle später als das i der Pänultima, und meinte, fetacum
sei infolge späterer Synkope zu lautgerechtem firie geworden; ebenso
habe in monachus > meine, *canonachus >■ cmioine das a die
Synkope für einige Zeit gehindert. Sehr wahrscheinlich ist das von
vornherein nicht. Die Bildung eines *canonachus wäre doch
recht seltsam, viel wahrscheinlicher wäre monicus nach canonicus,
wenn sich beide Worte beeinflufst haben sollten. Überdies sind
firie wie moine, canoine Lehnwörter, die nur mittelbar in Betracht
kommen. Auch Horning Zeitschr. XV 4g8 hat M.-L.'s Annahme
abgelehnt, indem er darauf hinwies, dafs ganz dieselbe Entwicklung
bei -nicus, -nica stattfand, wo doch a nicht in der Pänultima
stand: afr. dü?neine, wall, mpi(e) << manicum, lothr. gren(e) <<
granica iisw.i Aber die mundartlichen Entwicklungen sind kein
strenger Beweis.
Auch in der Gramm. I § 326 hatte M.-L. daran festgehalten:
wie im Span, e vor n falle, a aber bleibe {ciiehano, pampand), ebenso
erkläre sich frz. foie aus *fecatum, moine aus monacus (> monei
>> mo7iie > mome), pampre, timbre [coffre Buchwort), sonst sei es
afr. gefallen: cannabis >■ afr. chanve.
Behrens § 76 kennt zwischen a und i der Pänultima keinen
Unterschied. Der Dict. gen. § 290 läfst das a sich länger halten,
es finde sich afr. als e in der ältesten Zeit: cannabem > chaneve
>> chanvre, orfanum > orfene, rafanum >> ravene. Auch Nyrop
§ 259 meint, die Pänultima habe sich bis ins 9. Jh. gehalten, wann
sie a war: cannabem >• chaneve >• chanvre; Isara >> Eisere ]> Eise,
Oise; orphanum >> orfene, orfe, *passara '^passere, passe (aus-
gen. colaphus > frühzeit. colpo).
2. Eine Beantwortung der Frage stöfst auf eigentümliche
Schwierigkeiten, a der Pänultima ist von Haus aus im Lat. nicht
berechtigt, wie schon M.-L. Zeitschr. VIII 201 ausgeführt hat. Es
findet sich in jüngeren gr. Lehnwörtern (in älteren wurde a >> i:
[layavä > machina), z. B. colaphus, monachus, lampada,
calamus; entsteht durch Einflufs des Nominativs: Caesaris; er-
hält sich durch Einflufs des Simplex: atavus, usw. VI. greift es
noch weiter um sich: pampanus, carcara usw. Nun finden sich
aber (z. T. schon bei Plautus u. a.) daneben die geschwächten
Formen und vi. stehen meist beide nebeneinander; so sind monicus,
anites, Caeseris usw. belegt. Umgekehrt dringt a in Formen,
wo es nicht berechtigt ist, die App. Probi bietet passer non passar,
anser non ansar, camera non camara (Assimilation an den Ton-
vokal, Einflufs des r) und im It. (z. B. giovane) und im Span. (z. B.
cuebano) hat a der Pänultima noch weiter um sich gegriffen.
Das Nebeneinander wird vor allem bezeugt durch die germ.
Lehnwörter: nhd. Mönch >< monicus, ne. niutik <C monacus;
ahd. pferrih < parricus, ae. pearroc < parracus (vgl. frz. parc,
* Dagegen Propnr. S. 19 nennt Horning lothr. ^/f//, ;//f«, v/zW. gr^n,
6*
84
it. parco). Ein Ersatz des a durch i wird verlangt durch ahd.
estrich << *astricus für astracus, ahd. munisiri (Münster) <[ m o ni-
ster ium für raonasterium. Dafs dieses Schwanken romanisch
und nicht germanisch ist, zeigt abbätem >■ ahd. abbat >> mhd.
abbet, apt, woneben kein Umlaut steht.
Schwan ging nun in der i. Aufl. durchweg von Formen aus
wie colopu, monicu, Sequina, Rodinu, asparigu. Neumann
Zeitschr. XIV 557 wies dies als unnötig zurück. Aufser Horning war
auch Lindström der Ansicht, dafs a keine besondere Festigkeit zeigt.
3. Zunächst die Beispiele:
a) gr. xaXafiog
„ xoXa^oq
hy
celt.
xavvaßig
ßdXöafiov
gr. jtXdravog
„ Oxdgaßog
„ oäßßarov
1>
calamus
vi. *calmu
frz.
. chaunte
colaphusi
„ *colpu
H
coup
cannabis
afr. c/ianve
H
chanvre
balsamum
„ baisme
)1
bäume
gabata^
Lazarus
„ Jafe
„ /azäre
11
jatte
ladre
platanus
scarabus
„ pladne
„ escharbe
11
plane
„ sabbatum^ prov. sapde, sapte
,, secale frz. berr. seille (pic. soile\ ge-
lat. separat Reichn. Gloss. Jif/^rö/ „ sevre [lehrt seigle
cy
Abrincates
Atrabates
Condate^
Lupare
Avranches Messava
Arras Sequana
Condes
Louvre Samara
Mesves
Seine
Sambre "^
^ Körtings (Nr. 2313) Ansätze *colopus, *colipus, *colepus (nach
Claussen p. 36) sind überflüssig.
* Nicht hergehörig sind : gr. nkxaXov > frz. poele „Thronhimmel" (Diez
659), da dieses wohl dem /o<?^e^ <^ p a 1 1 i u m gleichzusetzen ist. — Nicht un-
mittelbar aus dem Lat., sondern einer anderen rom. Sprache entstammen
gr. aonaQayoq prov. espargue , aspergue , mittelfrz. esparge, asperge, esperge,
asparge, nfr. asperge.
gr. ßovßaXoq lat. bubalus, Nbf. bufalus ^ it. bufalo, daraus (15. Jh.) bouffle,
seit 16. Jh. büffle,
usw. -^ ■'■^
^ Daneben mufs *gabita bestanden haben, vgl. ahd. gebiza.
^ Für das Frz. ist nicht von sabbatum, wie gewöhnlich geschieht, sondern
von *sambaton, einer orientalischen Nbf. dazu, auszugehen, die auch in
rum. sambata, ahd. sambaz tac (obd. und rhein.) vorliegt. Für den Pänultima-
Ausfall kommt das Wort im Frz. nicht in Betracht, da sambati diem früh-
zeitig zu * s a m b a d d i e (]> jflwö^^z) wurde, wo a als Zwischentonvokal stand.
mb^ m ist unerklärt, Kreuzung von sanibedi mit se(d)medi <^septima diem
befriedigt nicht ganz.
* Ebenso prov. Namen: Brivate ^ Brioude, Cornate ]>• Cordes,
Mimate ^ Mende, Rhodanum ^ Rhone, Sibuzates ]^ Saubusse, So-
tiates !> .Soj, usw.
^ S. § 103, I.
' Weitere Flufsnamen auf -ara (-era) : Avara ^ iiz/r^, Incara ^
Ancre, Lab ara ^ Lievre, Savara ^ Sevre, Tevara >• Thievre usw. — Da-
gegen mit „Fall" der letzten Silbe Gabarus >• Gave, Lattara >• Za//^ usw.
85
Durocasses
Vosagus
Cranavis
Dreux i
Vosges
Cranves
Isara, Isera, Isa Oise
Oscara, Osca Ouche
Tiliacum
Orcada
Tilques
Ourches
-ömagum^ -on, -an
-6ialum3 -einl
d) gr. xvf/ßaXov lat. cymbalum Reichn. G\. cymb/is zS.x. cymble
lat. anatem, -item rtr. anda prov. anet „ ane
gr. lafiJtaq, -adoq lat. lampada frz. /ampe
„ övxcotÖp „ fecatum „ /oü
lat. passerem, -arem afr. passere, passe, paistre, pesse
nfr. mundartl. passe, parse, prase
gr. novayöc, lat. monachus, -icus frz. moine
„ OQjavov „ Organum afr. orguene, orgue „ orgue
„ ÖQ^avöq „ orphanus „ orfene, orfe „ [orphelin]
„ Qmpavoq „ raphanus „ ravene
„ ÖXttrdaAoi' „ scandalum „ esclandele,escland(l)e „ esclandre
„ 2r£<f>avoq „ Stephanus „ Estevene, Esteve „ Etiettne
4. Gruppe a und b bieten keine Abweichung vom Gewöhn-
lichen. Nyrop, Dict. gen. stellen chaneve als die älteste afr. Form
hin, während Neumann gerade den Gegensatz von chanve : cheneviere
hervorgehoben hat. Da lat. tenuis > afr. tenve in einem gewissen
Gebiete durch Svarabhakti sich als teneve findet, dürfte chaneve dem-
selbe Gebiete angehören und nicht franzisch sein. — Sicherlich
aber bleibt es in einigen Fällen unsicher, ob überhaupt von a aus-
zugehen ist.
Auch die geographischen Eigennamen zeigen keine Verzögerung
der Synkope. Auffällig ist bezüglich des Stütz -(? der Gegensatz
von Condes : Ar ras und Troyes : Bayeux, Vieiix. Da Atrabates
(Caesar Atrebates) als *Arrades geendet hätte, ist von *Atravates
mit vi. V für b auszugehen, das regelrecht afr. Arraz ergab. Was
Troyes betrifft, bietet Gregor v. Tours zwar Trecae Campaniae
tirbs, aber das dürfte wohl nur schlechte Latinisierung eines ge-
sprochenen *Tretes sein. M.-L. Bet. im Gall. S. 24 läfst Bayatx
hervorgehen „aus der alten Form Bayüees, wo g regulär zu ue
wurde und nun das zweite e im ersten frühzeitig aufging." Aber
ein Lautgesetz, nach dem ^ in vorausgehenden betonten e aufgeht,
gibt es nicht. Ist afr. -uees aus -öcasses wirklich bezeugt, so liegt
in Bayeux, Vieux dieselbe Erscheinung vor wie in Caplia ^ Chablies
1 Aufserdem noch *Badiocasses (belegt Bodiocasses und Bajo-
c a s s e s) > ^ay£?w;tr , *Vidocasses (mit Verallgemeinerung des häufigsten
Vokals der Kompsitionsfuge für Viducasses)^ Vieux, Vadicasses^
Vez, ferner Tricasses ]> Troyes.
* Beispiele s. S. 33.
^ Rigojalus {Rtoilus im J. 817, Riogilus S70) >■ Rueil, Marojalum >
Mar euü, Najogialum>' Nieul, Sirojalum ^ Sireuü usw.
86
> Chablis, vgl. Nyrop 1^ 253 Anm. 3; sind aber Belege für -uees
nicht vorhanden, so ist Bayeux usw. als das lautgerechte Er-
gebnis zu betrachten, während für Troyes dann Rückbildung aus
*Tricassinu >» Troy essin anzunehmen oder von *Tricas (Kurz-
form für Tricasses, mit früher Synkope von e zwischen s's) aus-
zugehen ist. — Wie sich Oise, Isa, Isara, ebenso Ouche, Osca,
Oscara zueinander verhalten, ist ein ungelöstes Rätsei.
Gruppe d enthält Lehnwörter. Dafs die Erhaltung dreisilbiger
Formen im Afr. nicht auf Rechnung des a zu setzen ist, zeigen
imaginem ^ imagene ^ image, virginem ^ virgene > vierge,
diaconus >> diacne, diaqiie, diacre, canonicus >> chanoine, chanonge,
dies dominica> diemoine usw. Freilich man wird Worte wie
afr. ane^ passe, frz. fote ungern als Lehnwörter hinstellen, anatem
könnte *anede >> *anee > ane geworden sein, ficatum > feiede
'^ feiee ^ feie, aber schon für passaremi ^ passe ist die oft ge-
gebenen Erklärung unzulässig, da r zwischen Vokalen nicht fällt.
5. Umgekehrt ist auch kein Beweis erbracht worden, dafs a
gleichzeitig mit den übrigen Vokalen schwand. Karsten S. 71
meinte, in Sequana sei der Schwund des labialen Elementes da-
durch begründet, dafs qu hier vor Konsonanten zu stehen kam,
also Sequana > *Secna > Seme. Dieselbe Entwicklung gibt Nyrop
I^ 410, 2. Zwar Gregor v. T. schreibt noch wie Caesar Sequana,
aber Fredegar bietet Secona, Segona, Sigona; eine ähnliche
Aussprache wird auch durch ae, Stgen gefordert. Haag S. 851
meint, dafs diese Schreibung darauf hindeutet, „dafs a durch das
vorangehende qu labialisiert wurde, ehe der Zwischenvokal fiel."
Ich kann nicht glauben, dafs *Secna die Vorstufe zu Sehie bildete,
denn dies hätte *Segne ergeben. Sequana scheint mir über Segona
> *Seyene >> Seine geworden, wie *Jacomus ]> Jaime (s. § 58).
Cledat S. 274 hält secale > seigle für erbwörtlich, indem hier a
die Synkope aufhielt, bis cl nicht mehr mouilliert wurde; es sei
dann dieselbe Entwicklung eingetreten wie in den Lehnwörtern
aveugle, jogieor. Ebenso möchte er b >» v, f in fundabalum
"^ fondefle erklären (S. 281). Kein Zweifel, dafs seigle wie fondefle
lehnwörtliche Entwicklung zeigen, und sie beweisen, wie schon Horning
hervorhob, dafs auch in Lehnwörtern a der Pänultima nicht anders
behandelt wird als andere Vokale, seigle wie sihle, aveugle.
6. Ich gelange also zu demselben Ergebnis wie Horning
Zeitschr. XV 501, dafs „in keinem einzigen sicher nachweisbaren
Falle das a die Synkope verzögert habe." Aber einen Beweis
dafür, dafs a gleichzeitig wie die anderen Pänultimavokale schwand,
möchte ich darin sehen, dafs jene Gruppen, die im Auslaut und
1 Cledat S. 287 meint, in Isara, passarem habe sich e aus a solange
gehalten, bis der Einschiib eines Dental vorüber war, daher Eisere^ Oise,
passere"^ passe. Aber vgl. Lazarus "^ ladre und die Nebenform /aw^^ff.
»7
zwischentonig ein Stütz-^- erhalten, keine Verzögerung der Pänultima-
synkope im Gefolge haben:
Namnetes Nantes, aber somnum > soinme
domnicellus >• dameüel
Matrona' Marne, aber patrem y- pere
§ 63. Zu untersuchen bleibt noch, ob die Synkope der Pän-
ultima in allen Erbwörtern eintrat. Ich glaube, dafs die Frage zu
bejahen ist. Cledat betrachtet zwar
episcopum > evesqtieve >> eveque an gel um >> angele ]> ange
principem ^ princeve ^ prince glandula > glandre >■ glande
usw. als Erbwörter, die eine solche Entwicklung nahmen wegen der
schwierigen Sprechbarkeit der sich ergebenden Gruppen. Dafs
i'veque und prince Lehnwörter sind, bedarf keiner Erörterung. Dafs
in angelum die Konsonanten kein Hindernis bildeten, zeigt
spinula >» epingle. Aber auch der Dict. gen. bezeichnet
supplicem frz. souple encaustum frz. eiicre
nicht als Lehnwörter. Sind sie erbwörtlich, so müssen wir uns
freilich fragen, was aus ppl'c, nc'st hätte werden sollen. Aber
encre kann seiner Bedeutung nach sehr gut ein halb gelehrtes Wort
sein, das aus dem Klosterlatein eindrang. Frz. souple wird durch
das ebenfalls den Lautregeln widersprechende it. soffice verdächtig
gemacht. Jedenfalls genügen sie nicht, ernstlichen Zweifel an der
ausnahmslosen Synkopierung erbwörtlicher Proparoxytona im Frz.
zu begründen.
§ 64. Während also die tonlose Pänultima unter allen Um-
ständen synkopiert wird, unterliegt der Zwischentonvokal den Ton-
verhältnissen entsprechend in geringerem Grade der Ausstofsung.
Hier tritt nach dem bekannten Darmesteter'schen Gesetz Synkope
nicht ein, wenn der Nachnebentonvokal ein a ist oder wenn die
Beschaffenheit der vorangehenden oder folgenden Konsonanten
einen Stützvokal verlangt.
1. Zunächst ist festzustellen, dafs auch a hier vorliterarisch
vollständig schwinden kann, wenn im An- oder Auslaut ein r steht,
dafs das aus a geschwächte e aufsaugt: mirabilia > merveille,
separare >■ sevrtr usw., s. S. 2 Anm.
2. Ferner, welche Konsonanten vortonig den Stützvokal ver-
langen, ist noch nicht ganz geklärt. Selbst die Grammatiken von
Schwan-Behrens und Nyrop stimmen hier nicht völlig überein. Die
Synkope unterbleibt
* Gregor v. Tours und die Späteren nennen den Flufs Materna; man sprach
den Namen zu seiner Zeit wohl MäJ^na, was er Materna schrieb (vgl. ae.
Materne) und später Materna gelesen wurde. — Vgl. auch Gregors Schreibung
Petragorü für Petrocorii.
88
I.
nach Nyrop I^ § 256:
Wenn eine Kons.-Gruppe
vorausgeht, die Stütz -^ er-
fordert.
Wenn eine Kons. - Gruppe
folgt.
nach Schwan-Behrens § Bob:
1. Nach Kons. -Verbindungen
mit Liquida oder Nasal als
zweitem Element.
2. Vor mehrfacher Kons.
3. Vor einem mouillierten Kons. 3. Vor li, ni.
3. Beide machen die Synkope also abhängig entweder vom
Anlaut oder vom Auslaut. Die Möglichkeit, dafs erst Anlaut und
Auslaut gemeinsam die Ausstorsung verhindern, wird nicht in Er-
wägung gezogen. Dies scheint der Fall zu sein, wenn auf ge-
deckten Dental ein Dental folgt. 1
a) Primäre Gruppe:
cvLSto dir e a.f^r. cosfei'r mentitorem zir.menteor nix.menteur
vestitura „ vesteüre x\{r.veturevG.r\<l\ioxQio. „ vendeor „ vendeur
Artedunum
V\
Artun castiti
atem „ chastee
„ [chasteti]
sancti
tatem „ samtei
„ [satfttete]
b) VI. Gruppe:
Augustodunum
vi.
*Austodunu
afr. Osiedwi
nfr. Autun
*horriditatem
»
*horditate
„ ordei
*nitidi-tatem
«
*nettitate
„ netee
„ [nettete]
'"^putidi-tatem
11
*puttitate
„ ptitee
c) sekundäre Gruppe:
comite + -tatem >> *comtedet
Nemetodurum > *Nemtedor
afr. contei [la comte)
frz. Nafiterre.
d) Gedeckter Dental vor di:
sordidiorem afr. prov, sordeior
''nettidiare „ netejar
frz. nett oy er
Wohl aber tritt vor ti auch bei gedecktem Dental Synkope
Q\Xi\ foncer, ven^-on , pargon, plangon, 7nensoiige, denen gegenüber afr.
chantisier, sortecier usw. Neubildungen sind. — Der Dict. gen. be-
trachtet veture als Bildung von vetir + -eure <] -atura, netee als
formation ä demi-populaire; nach M.-L. Frz. Gr. § 130 liegt in
saintede, vendedour und allen entsprechenden Fällen das Bestreben
vor, Stammauslaut und Suffixanlaut deutlich zu bewahren. Afr.
coste'ir, chastee, samtei könnten auch lehnwörtliche Entwicklung zeigen.
Auch zwischen nd und n, 1 scheint die Synkope zu unter-
bleiben: Vindonissa > Vendenesse, Andelavus (bei Gregor und
1 Für gedecktes t vor d, t hat dies auch C16dat S. 216 ausgesprochen.
89
Fredegar Andelaus) > Andelot, Andelacum > Andelay, lehnwörtlich
*candelorum >> chandeleiir. Keine Verhinderung der Synkope
dagegen bewirkt st'ra, wie gelegentlich behauptet wurde. Die Bei-
spiele vestimentum >• vetement., testimonium ]> iestemoigne sind
nicht brauchbar, da vettme^it auf Verallgemeinerung der Endung
-amen tu beruht, testemoigne (prov. iestimoni') Lehnwort ist. Synkope
beweisen testimonium >' tesmoin >• temoin, testimoniare >»
iesmoigner, aestimare ]> esmerA
4. Nun zu den von Nyrop und Schwan-Behrens aufgestellten
Fällen. Für den Anlaut ist Nyrops Fassung die bessere: steht
im Anlaut eine Gruppe, die im Wortauslaut Stütz-«? erfordert, tritt
Synkope nicht ein. Nur eine Ausnahme ist festzustellen: Wie a
als Zwischentonvokal von r aufgesaugt werden kann, so scheint
auch hier Kons. + '' Synkope ermöglicht zu haben.
a. tr.
nutritura > notrtura a^r. nörrefure, norlure r\h.nourrt/ure^
latrocinium > latrciniu „ larrecin, larcin „ larcin
quadrifurcum >» cadrforc „ carrefour
*putritura „ pourreture „ ponr(r)iture
jistqoöeXivov „ peresil, persil „ persil
Hier kann es zur Zeit der Tonerweichung keinen Zwischen-
tonvokal gegeben haben, sonst hätte werden müssen:
nutritura >■ nodredure > ^ 710 r eure
latrocinium ]> ladreizin > *laroisin
quadrifurcum >> cadrevorc >- *caregrc.
Dasselbe gilt auch vor //, ci:
nutritionemS > noirgon afr. norregon nfr. noiirrisson
Patriciacum frz. Perrecy.
Der Unterschied, den Nyrop zwischen nourreture und larcin
findet, ist nicht vorhanden, denn er ist erst sekundär. Der Dict.
gen. rechtfertigt ebensowenig wie Nyrop die Erhaltung des t, f in
nourriture, carrefour. Aber die Schwierigkeit der Erhaltung des c in
latrocinium scheint den Dict. zu veranlassen, darin ein gelehrtes
Wort zu sehen: latrocinium entlehnt > ladrecin )> larrecin > larcin.
Frz. pourriture ist ihm Ableitung zu pourrir. Nur Schw.-B. gibt die
1 Vgl. ferner pastinaca > ^«^«arz'rt, ax iem'isia. "^ armoise , blas-
phemare ^ blasmer nfr. blämer, *brustulare]> brtisler nfr. brüler.
* Nfr. nourrütire aus norreture durch Einflufs von nourrir (Nyrop),
kaum wegen lat. nutritura, so der Dict. g^n., der übrigens Einflufs von
nourrir für nourrissoti zugibt.
* Alle übrigen Ableitungen (Körting nutricatio, Dict. gen. nutreclio
usw.) sind abzuweisen.
QO
genannte Entwicklung, aber nur für larrecin und noiirrelure, zieht
jedoch auch die Auffassung als Lehnwörter in Betracht, Die Ein-
heitlichkeit in der Entwicklung der genannten Beispiele überzeugt
mich, dafs wir hier lautgerechte Behandlung vor uns haben.
Cledat S. 217 meint, dafs hier tr vor dem Ton frühzeitig
> rr geworden sei, weil wir schon lat. parricidium haben. Das
ist ein Irrtum, parricidium geht nicht aus *patricidium hervor,
sondern beruht (trotz Breal Mera, soc. lingu. XIII 75 f.) auf päricida
(*päsos == gr. üib6(^.
*notrhire, *laircin, *catrforc werden — nach der Lautabstufung
— zu ^ix. florreiure, larrecin,'^ carrefourc. Diese Worte werden
später — gleichzeitig wie correcier (corruptiare) oder guerredon
(widarlon) zu corcier, guerdon — zu zweisilbigem norture, larcin,
carfourc. Das Nfr. hat larcin, persil bewahrt, in carrefour, Perrecy
aber die alte Schreibung beibehalten. Neben nourreiure, notirregon,
poureture waren unter dem Einflüsse der Verba nourrir, pourrir
die Formen tiourrifure, nourrissoit, poiiriiure aufgekommen, welche
nfr. allein gültig sind. Also weder larcm noch persil sind „cas
isoles", wie Nyrop angibt.
b. br:
Eburodunum *Ebrdun ixz. Everdiin
fabricare *fabrgar afr. favergier^ favregicr
lubricare *lobrgar „ lovcrgier, lovregier
Auch hier mufs der Zwischentonvokal gefallen sein, sonst hätte
fabricare >> */avrener werden müssen. Während afr. favergier
[favargier, favregier) die lautgerechte Entwicklung der endungs-
betonten Formen darstellt, ergab fabricat regelrecht _/ör_§-i', darnach
ist f orger neugebildet. Wenn in den genannten Fällen t zur Zeit
der Synkope noch nicht stimmhaft war (afr. norture), aber k schon
zu g sich entwickelt hatte (Jovergier), so stimmt das zur allgemeinen
Entwicklung der Gruppen r't und r'c, s. §§ 70, 76. Zu fabricare,
Itihticare vgl. § 77. — Zu ähnlichem Ergebnis ist, wie ich nach-
träglich sehe, auch M.-L. Frz. Gr. § 129 gelangt.
Anzumerken ist auch die Gruppe mn im Anlaut; wie mn, ?}i'7i
im Wortauslaut teils mit, teils ohne Stütz-e erscheinen (vgl. Schw.-B.
§ 182 Anm., Nyrop P § 819, i, M.-L. Afr. Gr. § 118), so finden
wir auch vor dem Ton neben unsynkopierten Formen auch solche
mit Ausfall:
*dominicellu afr. dameisel
„ doncel, dajicel; vgl. prov. dofizel
* C16dat dagegen nimmt an, dafs die älteste afr. Form larcin ist, welche
durch Einflufs von larron zu larrecin geworden ist und nachträglich wieder
zu larcin zusammengezogen wurde. Die anderen Beispiele widerlegen eine
solche Sonderentwicklung.
91
*dominicella afr. dameisele > nfr. demoiselle
., doncele, dancele', vgl. prov. donzella
Dominivicus Danvix
5. Für den Auslaut geben Nyrop und Schw.-B. überein-
stimmend an, dafs die Synkope unterbleibt, sobald eine Kon-
sonanten-Gruppe (abgesehen von Kons. -}- i) folgt.
a. Shepard S. 93 dagegen hat festgestellt, dafs vor st, sc der
Zwischentonvokal fällt; als Grund führt er an, dafs sc, st im Lat.
die Silbe beginnen können und die vorangehende Silbe nicht
geschlossen machen. Auch verweist er auf minsterium bei
Plautus.
st: ministeriu it. mesliero afr. mestier nfr. mctier
*monisteriu afr. prov. viostier „ moutier
raajestate „ maisiie
sc: canescere >> *canescire afr. chancir
clarescere >• *clarescire „ esclarcir afr. cdaircir
nigrescere > *7iegrescire „ noircir
Doch ist der Zusammenhang der Verba auf -cir mit denen auf
-escere fraglich, vgl. Thomas Rom. XXVI 422. *exclaricire wird
lautlich prov. esdarzir besser gerecht, aber die Bildungsweise ist
wenig klar.
*glomuscellu afr. loinsel, daneben lemoissel
*ramuscellu „ rainsei, „ ramaissel
?*rivuscellu od.
*rogiscellu
rutssel nfr. rm'sseau
Auf Grund der Ausführungen von Thomas Rom. XXV 83 f., 8g f.
gelangte M.-L. Zeitschr. XXI 153 zur Erkenntnis, das vor s -f- Kons.
Ausfall des Vortonvokals eintritt. Thomas hatte die Doppelformen
loinsel und lemoissel nicht gerechtfertigt; M.-L. betrachtet lemoissel
als aus dem Süden stammend, Horniiig Zeitschr. XXII 562 zitiert
nicht synkopierte Formen aus dem Südwesten. Vor sc umfafste
also die Synkope nicht das ganze frz. Gebiet.
Dagegen tritt Synkope nicht ein, wenn eine Gruppe im
Anlaut steht:
*arbuscellu oder *arboriscellu afr. arhreissel
*vermiscellu zix.vermeissel tempestate iSx.iempesti.
Wenn sonst der Zwischentonvokal vorhanden ist, liegen ver-
schiedene Gründe vor: in arester, conquester, coneissons, coneissance
machte sich die Zusammensetzung und der Einflufs der stamm-
betonten Formen fühlbar; chanesfrel, oneste und onester, peester, aoster
sind Ableitungen zu chanestre, otieste, peestre, aosle; poeste nach
poeste; auguste ist Lehnwort; seneschalc, mareschalc sind jünger; usw.
92
M.-L. Frz. Gr. § 127 läfst Synkope vor s -j- Kons, eintreten;
da aber frz. mcpriser kaum *minuspretiare, sondern frz. Zu-
sammensetzung 7nes -\- preisier ist, fehlen für andere Gruppen als
st, sc die Beispiele.
b. Auch vor Kons. + r scheint Synkope einzutreten; vgl.
Shepard S. 8g f., der aber zu keinem festen Ergebnis gelangt. Zwar
*poletranu oder *pullitranu z.{x. poutrain
könnte damit abgelehnt werden, dafs poltrain Ableitung zu poltre
ist. chaerel, pekrin sind Lehnwörter. *integrinu >■ enferin, entrin
hat Gruppe im Anlaut, ebenso das gelehrte multeplicat > molteplie.
In *deretranu>> derer ain, derrain fühlte man wohl die Kom-
position. Aber bei
ossifraga pic. frz. orfraie
ist eine andere Deutung ausgeschlossen.
6. Was Kons, -f / betrifft, so stehen die Meinungen hier schroft
gegenüber. Nach Schw.-B. bleibt nur vor li, ni der unbetonte
Vokal erhalten (dafs er in / übergeht,^ wfrd nicht erwähnt). Nyrop
denkt an Fortdauer des Zwischentonvokals vor allen mouillierten
Konsonanten, gibt aber nur Beispiele für ni, U und erwähnt selbst
das widersprechende *materiamen > merrain. M.-L. Fr. Gr.
§127 nennt nur Ausfall vor ti.
Zunächst ist selbstverständlich, dafs die Synkope unterbleibt,
wenn die Anlautgruppe es verlangt, wenn auf gedeckten Dental dj^
folgt und wenn dem i eine Gruppe vorangeht.2 Im übrigen aber
erfordern die Verhältnisse noch eine gründliche Untersuchung:
nicht synkopiert
li: papilionem pavillon
synkopiert
Nobiliacum Neuilly, Neuille
: Albiniacum Aubtgny
Avenionem Avignoyi
*campanionem Champignon
Juviniacum Juvigny
Sabiniacum Savigny
*quatrinionem3 dSr. carigtion *laciniaria
nfr. carillon
graciliorem afr. greslor
Boviniacum Bogny
*dominiarium danger
*dorainionem donjon
*juveniorem
afr. joignor
afr. lamiere
*catenionem
ciconiola
chignoti
cignole
1 Dieser Übergang ist ziemlich jung, auch <? ■< a nimmt daran teil:
*scalionem > ^jcÄ27/o«, *campaniolu ^ champignucl, Orbaniacum^
Orbig7iy.
^ calumniare ^ chalongier *suspecttonem ^ sospeson
comiptiare~^ correcier angustiare ^ angoissier.
3 Körting 761 1 fälschlich *quadrilio, -onem; M.-L. Frz. Gr. §127
quadernione.
93
ti wird später behandelt (§ 126).
synkopiert nicht synkopiert
mi'. Postumiacum Potangis
ri: *impastoriare l^afr. empaistrier
> *empastriarej nfr. empetrer'^
*materiamen afr. mairien
nfr. viairain, vierrain
*materiamentum afr. mairemejü (nfr. in
marvienteaii)
*posterionem „ poistron
ki: *berbiciare „ hercer *ericioneni Jurisson'^
Codiciacum Coucy *ericiare herisser
Ponticiacuni Pionsat Ferriciacum Fcricy
Vindiciacum Vensat suspicionem afr. sos-
pegon
hame(on ist Ableitung zu afr. hain < hamus, senegon Lehnwort aus
lat. senecio, -onem.
pi: Attipiacum Altichy
Nimmt man für herisson, soupgofi die gegebenen Erklärungen an,
betrachtet man greslor, lasniere als Ableitungen zu gresle, lasne und
danger ^ donjon als *domniarium, *domnionem (von der Kurz-
form domnus, nicht dominus), setzt man ferner *jüniorem (für
juniorem) ^ joignor^ an, so kann man Schwan-Behrens zustimmen,
dafs nur vor li, ni die Synkope nicht eintritt.^ Ausnahmen bilden
dann die Ortsnamen Neuilly [Neuille), Bogny, Ferricy, Altichy, die
noch einer Erklärung bedürfen.
1 Ebenso depetrer. Körtings Ansatz (6915) *impasttirare reicht nicht hin.
"^ Afr. eri^ofi, iregon; ericier hat Horning als Ableitungen von afr. *eri%
^ ericium gedeutet. (Körting^ 3273 meint, *ericius anzusetzen sei unnötig,
„da die Erhaltung des i im Romanischen aus der Einwirkung des nach-
folgenden tonlosen i sich genügend erklärt, wie dies auch für tidio, -onem
= frz. tison angenommen werden darf"(!); 9562 leitet er selbst dieses tison
her von titio, -onem.
* Elfrath 759 ist der Meinimg, dafs in suspicionem der tonlose Vokal
schwinden mulsie, und schliefst sich der Erklärung Gutheims S. 34 an, der
Einflufs vom Nom. suspicio vermutet. Shepard will sogar in suspectionem
dem Zwischentonvokal fallen lassen und denkt an Einwirkung von suspectiat.
suspectionem halte Horning Zeitschr. VI 435 (vgl. Rom. XI 621) auf Grund
von prov. sospeisso angesetzt und stützt es Zeitschr. XXXII 23 durch
suspectione in der Mulomedicina Chironis und h. sospetto , s^iaia. sospecha.
Aber wäre da nicht afr. sospeigon zu erwarten.''
* Shepard S. 96 vertritt *juveniorcm wegen des kurzen u, das durch
2Xx.joignor gefordert wird. *jiiDior unter Einflufs von jüvenis.
* M.-L. Bet. im Gall. S. 5 Anm. i ist der Ansicht, dafs ostfrz. balose
(in Tannois, s. Horning Zeitschr. XVI 473) aus bülluceäriu entstanden ist;
aber zwischentoniges o erweist das Wort wohl als Ableitung zu afr. *boloce
"^ osür. blas (d, i. *bullucea für bulluca).
94
7- Nyrop I^ § 256, 2 bezeichnet soupgon als cas isol6; das ist
durchaus nicht der Fall. Im Afr. tritt eine neuerliche Synkopierung
des Zwischenvokals ein. Das ein r der Umgebung tonloses 9 auf-
saugt (z. B. courgi, courfos), ist genügend bekannt ; aber auch sonst
findet Ausfall statt: esvashtonner > cvaltonner, copeier ]> copter,
soupegon >> soiipgon. Häufig wird unter Einflufs der betonten Form
die alte Schreibung beibehalten : acheter [aste], beqtieter [bekte] usw.
Auch Assimilationen treten ein : chantepleure >■ champleure, senevel >>
semvel usw. Wie weit diese Synkope geht, darüber fehlt heute noch
jede Untersuchung.
8. Es bleibt noch zu erörtern, wie sich drei Silben vor dem
Tonvokal verhalten. Weder Schw.-B. noch Nyrop noch M.-L. gehen
in ihrem frz. Grammatiken auf diese Fragen ein. So ziemlich alle
überhaupt möglichen Anschauungsweisen haben ihren Vertreter ge-
funden. Schwan war der Meinung, der Nebenakzent folge den-
selben Gesetzen wie der Hauptakzent, d. h. er fällt auf die 2. Silbe,
wenn diese lang ist: hereditäre, aber arboriscellu. Darmesteter
war für binare Akzentuation : asperitatem. Im allgemeinen aber
drang die Meinung durch, der Nebenakzent ruhe auf der Anfangssilbe;
Rydberg Jahresber. VI 218 hatte daneben eine 2. Betonungsweise
feststellen w^ollen: Caräntenäcu >> Carennac. Der Dict. g6n. (Traite
§ 339) schliefst aus afr. aegier, frotegier, panegier auf binare Betonung
der lateinischen Wörter ; aedificare usw.; er lehnt daher ^arboris-
cellu m als Grundform ab und ersetzt es durch *arbuscellum;
ebenso sei äpreie nicht asperitatem, sondern Neubildung zu apre
mit dem Suffix te. M.-L. Rom. Gr. I § 610, Zeitschr. XXI 329,
Bet. im Gall. 5, Shepard S. 99, Armstrong Mod. Lang. Not. X öoo
lassen den Nebenton auf der ersten Silbe ruhen.
Wie Wörter der Form XX | xx (vindicäre) gleichsam in
2 Paroxytona zerlegt werden, so ist es zweifellos richtig, das Wörter
vom Typus XXXXX *^^^ Nebenakzent auf die i. Silbe erhalten:
äntecessöre. Diese Betonung kann gestört werden i. dadurch,
dafs man die Zusammensetzung fühlt: nicht deli berare, sondern
deliberäre >■ delivrer, 2. dafs die stammbetonte Form Einflufs
übt: statt cäballicäre vielleicht caballicäre >> chevaucher unter
Einflufs von cabällicat, caballus,i oder pänificare ^ panifi-
care (nach panificat) >> panev(e)gar 'y- panegier.
Von den zwei unbetonten Silben fällt dann jene, welche die
schwächere ist. Dies ist wie bei den Proparoxytonis die erste von
beiden; ausgenommen, wenn sie ein a enthält oder gedeckt ist.
In diesen Fällen ist die zweite die schwächere und fällt, während
die erste zu e geschwächt wird."^
^Einfacher ist, Ausgleich nach c&h -dWic 2i\. ^ chevaiiche unter Mit-
wirkung von cheval anzunehmen. Der Unterschied in diesen beiden Auf-
fassungen liegt einzig und allein in der Zeit der Einwirkung, ob der Ausgleich
vi. oder erst frz. ist. Das zu entscheiden, fehlen die Mittel.
* Wenn die zweite gedeckt ist, so ist die erste die schwächere und fällt,
selbst wenn sie ein a enthält: Andabernacum ];> .<4»»^<fr«a(r.
95
daher
aber
antecessore
>
afr.
ancessor
*Hgaminariu
afr.
lieyjiier
*annotinense
>
?!
antenois
*loraminariu
51
lo rentier
*dominicellu
>
)7
darneisel
paraveredu
nfr.
palefroi
*arboriscellu i
>
r
arhr eissei
Carantenacu
11
Carennac
liberatione
>
)?
livraison
amaritudinem
11
amertume
*auctoricare
>
„ otreiier
usw.
Natürlich auch hier Störungen aus den bekannten Gründen;
so Einwirkung der stammbetonten Form: desiderare >• Jesirer
nach desiderat > destre, Bewufstsein der Zusammensetzung: arcu-
balista >» ar-balite, Einwirkung des Simplex: so belegtes vi. autor-
tat e unter Einflufs von autor. Nicht asper itäte ist zu betonen,
sondern auszugehen von äspertätem, dafs sich zu asper verhält
wie paupertatem zu pauper. Usw.
Analoge Verhältnisse herrschen, wenn mehr als drei Silben
vor dem Hauptton stehen.
§ 65. Von den Zeitwörtern kommen für uns zweierlei Formen
in Betracht, stammbetonte und endungsbetonte; die ersteren als
Proparoxytona, die letzteren für den Zwischentonvokal. Die Synkope
trat in beiden Fällen ein, manchmal gleichzeitig, manchmal zu ver-
schiedenen Zeiten:
domitat > donte wie domitare > donter,
aber vindicat >> venche gegen vindicare >■ vengier.
Im letzteren Falle trat bald früher, bald später Ausgleich ein, schon
in ältester Zeit ist die Konjugation nicht mehr intakt. Manchmal
ist dieser Ausgleich sehr alt, das zeigt die Übereinstimmung in
dubitare >> frz. donter prov, doptar (statt *douder, *dobdar),
wo wohl schon unter Einflufs von dubitat > dubtat ein Inf.
*dubtare vor der Lautabstufung gebildet wurde. Manchmal erhalten
sich die Doppelformen bis auf den heutigen Tag : venger und
revancher. Bald tritt der Ausgleich nach der ursprünglich stamm-
betonten Form ein: nfr. arracher, bald nach der ursprünglichen
endungsbetonten: nix. juger, während afr. noch beide Formen neben-
einander stehen.
Solcher Ausgleich ist nur dann möglich, wenn die stamm-
betonte Form proparoxyton ist (d. h. wenn die der Endung voran-
gehende Silbe kurz ist); anderenfalls tritt ja in ihr überhaupt keine
Synkope ein:
adjuto aiu oder aju"^ adjutare aidier
manduco *mandu > maiiju manducare manger
^ Reichn. Glos«, arbriscellum.
* Je nachdem die Zusammensetzung gefühlt wurde oder nicht.
96
Solche Formen sind zugleich der beste Beweis für Eintritt der
Synkope des Zwischentonvokals nach der Lautabstufung (zwischen
gewissen Konsonanten).
Diese Doppelformen sind — bei der grofsen Verschiedenheit
— weit seltener erhalten. Manchmal bildeten sich zwei vollständige
Zeitwörter :
*pertusiare pertuisier und percer,
meist mit leichter Bedeutungsverschiedenheit:
*dis[je]junare dejeuner und diner
*minutiare menuisier „ emincer.'^
Oder die beiden Formen sind mundartlich geschieden :
*impastoriare nfr. empetrer norm, empaturer.
Meist aber ist schon vorliterarisch der Ausgleich eingetreten,
seltener nach der endungsbetonten Form: *impejorare >> e?npeirier,
weit häufiger nach der stammbetonten.
Dadurch sind eine Reihe von Beispielen für die Synkope ver-
loren gegangen, was insofern bedauerlich ist, als hier eine Be-
einflussung durch die stammbetonte Form ausgeschlossen wäre:
salütat '^ salue, darnach Jt?///(?r statt salutare 'y'*salter
maritat ~^ marie, „ jnarier „ maritare ^*marter
*ad-metat >■ a;;/ö2i?, „ ai7ioier „ *amraetare >» *<27?/d'r
convltat ^ convie, „ convier „ *convitare '^*conier
*pilüccat '^ tpluche, „ cphicher „ *piluccare 'p-*pelchier
*acutiat ^ aiguise, „ aigiiiser „ *acutiare > *atssie r
mendicat > w«zfÄ>, „ mettdier „ mendicare^- *f«if«^/i?r
argutat '^ argue, „ arguer „ argutare '^*ariier
castigat '^ chatie, „ chätier „ castigare ~^*casch]er
refusat '^ reuse, „ rtiser „ refusare "^ (*revzar?)
Auch soucier ist ausgeglichen nach *sollicItat >> soiicie, aber ob
in sollicitare vortonige Synkope (Ic't) überhaupt eingetreten wäre,
ist fraglich. Ebenso kann ouhlier ausgeglichen sein nach *oblItat >►
oublie, wahrscheinlicher ist, dafs es als Kompositum empfunden
wurde, *ob-litare >- prov. ob-lidar, afrz. ob-lier; was *6blitäre
frz. ergeben hätte, ist schwer zu sagen. Auch convitare kann
als Kompositum gefühlt worden sein, con-vitare ■> convier, ebenso
*ad-metare, das indes nach ad-metat > ß?«o/(f ausgeglichen sein
mufs (*ad-metare > *ameer).
In ähnlicher Weise treten eine grofse Zahl von Synkopen nicht
ein, weil die Zusammensetzung gefühlt wird: *ad-ripare >> arriver
(statt *arripare > *arper, schwerlich ausgeglichen nach *adripat
>■ arrive), u. dgl. m.
1 Anders Schuchardt, Rom. Et. I 31.
07
Auch supplicare >> afr. soiiploher dürfte als Kompositum ge-
fühlt worden sein, daher sub-plicat >• souploie. Denn wenn in
supplicare Synkope lautgesetzlich nicht eintrat, müfste doch in
süpplicat die Pänultima fallen. Möglich dafs die Unsprechbarkeit
der Gruppe ppVc dazu beitrug, den Ausgleich nach dem Inf. (falls
ein solcher eintrat) zu fördern oder das Gefühl der Zusammen-
setzung aufrecht zu erhalten; wie etwa das Vorhandensein eines
saltare > sauter das Aufkommen eines *saltar << salutare
zu Gunsten des stammbetonten salütat > saliie mit verhindert
haben mag.
§ 66. Die Synkope im Frz., deren Umfang in den voran-
gehenden Paragraphen beschrieben worden ist, vollzieht sich an-
erkannter mafsen in zwei grofsen Abschnitten, teils vor der Laut-
abstufung, teils nach ihr. Jenen Vokalausfall, der sich vor der
Erweichung der intervokalen Tenuis vollzieht, verstehe ich im
folgenden unter der älteren frz. Synkope; denjenigen aber, der
nach ihr eintritt, nenne ich die jüngere frz. Synkope.
Was ihre Zeit betrifft, so hält es schwer, auch nur das Jahr-
hundert festzusetzen. Zunächst ist die Bestimmung abhängig von
der Datierung der Lautabstufung. Bonnet, Haag, G, Paris, Marchot
setzen sie ins 6. Jh., M.-L. im Gr. V- 474 in den Anfang des 5. Jh.
Die Tatsache, dafs fränkische Worte an der Erweichung teil-
nehmen, beweist nicht, dafs sie erst nach der Eroberung stattfand.
Es kann Lautsubstitution vorliegen; da die eigene Sprache zwischen-
vokalisch keine Tenuis mehr kannte, ersetzte man sie auch in den
Lehnwörtern durch die Media. G. Paris meint, dafs Lehnwörter wie
aveugle usw. an der Lautabstufung teilgenommen haben, die daher
nicht älter sein kann als das 6. Jh.; aber diese Entlehnungen können
sehr wohl nach der Erweichung stattgefunden haben, s. § 65, 2.
Also die Lautabstufung kann sehr wohl älter sein als die fränkische
Eroberung.
M.-L. stützt seine Ansicht auf Schreibungen wie fr i gare bei
Chiron, carigas, frigare, migat bei Pelagonius, insbesondere auf
ae. IcBden und SigenA Nimmt man an, dafs die Angel-Sachsen Iceden
übernahmen, als sie im 5. Jh. in ihrer neuen Heimat mit lateinischer
Kultur in Berührung kamen, so folgt daraus nicht, dafs die Romanen
bereits die Media in latinus sprachen, sondern nur, dafs der
romanische Laut dem germ. d näher stand als dem germ. t (das
leicht aspiriert gewesen sein dürfte). Es genügt vollauf, dafs im
Rom. zwischen Vokalen die Lenis gesprochen wurde, dafs man im
Germ, die Media an ihre Stelle setzte. So mag der Übergang von
1 Aus ae. Materne möchte M.-L. Gr. 1*475 den Schlufs ziehen, da/s
vor r die stimmlosen Kons, später erweicht wurden als die zwisclienvoiialischen.
Aber das Beispiel besagt wohl nichts, denn es scheint nicht volkstümliche
Form wie Iceden und Sigene, sondern ist Buchwort, wie aufser dem t auch
das nicht zu ce erhöhte a zeigt. Materna ist die Form Gregors und der
meisten mittelalterlichen Texte für den alten Namen Matrona.
Zeitschr. f. rom. Phil. XXXIV. 7
98
Tenui's zur Lenis am Anfang des 5. Jh. beginnen, die volle Stimm-
haftwerdung wurde aber vielleicht erst im 6. Jh. erreicht.
Stimmen wir M.-L. zu, so müfsten wir die ältere frz. Synkope
in das Ende des 4. Jh. setzen. Es könnte aber comitem erst
synkopiert worden sein, als man nicht mehr Tenuis, sondern schon
Lenis sprach (frz. comte, prov. dotnde), worauf die Lenis wieder zur
Tenuis wurde. Also auch die erste Hälfte des 5. Jh. genügt. Die
ältesten mir bekannten Belege für die ältere frz. Synkope sind
culcare der Lex Salica und Nemptodorum bei Gregor v. Tours
(1. X, c. XXVIII). Die jüngere frz. Synkope rückt dann in die
zweite Hälfte des 6. oder die erste Hälfte des 7. Jh. Das älteste
Beispiel ist limtato für lim pi dato der Reichn. Gl.
§ 67. Anhang. Die Frage nach der Diphthongierung des
offenen e und o mufs hier wenigstens gestreift werden. Die
wichtigsten Ansichten hierüber verzeichnet IMarchot S. 26, Bauer
S. 50. Ich erwähne hier nur die jüngsten Äufserungen über diese
Frage. Marchot S. 26 f. setzt die Diphthongierung in die Zeit
zwischen den Eiden und der Eulalia, für die Paroxytona nimmt
er S. 29 an, que les diphthongues existaient ' virtuellement' ou 'en
puissance' dans ces mots avant la syncope sous forme de § 9 tres
allonges ou dedoubles. Aber der Unterschied von comie gegenüber
tiede wird dadurch nicht erklärt. Bauer S. 35 läfst Synkope und
Erweichung der Diphthongierung vorausgehen: pedica >> pedie >>
piege (wie melius >> niieh), tepidu >> tebdo >> tcde >> iicde im
9. Jh. M.-L. Frz. Gr. S. 261 setzt die Diphthongierung im direkten
Gegensatz dazu vor die Synkope und vor die Lautabstufung:
friemeta.
I. Um die Verhältnisse zu erkennen, müssen wir der Analogie
sicher ferngebliebene Beispiele wählen; solche sind
comes afr. cuens, comitem frz. comte
tepidus „ tiede.
Daraus ergibt sich: die Diphthongierung ist jünger als die ältere
frz. Synkope, *cotnpte wurde daher nicht diphthongiert. Aber sie
fällt vor die jüngere frz. Synkope, daher iiede, siege usw. Demgemäfs
ist ie in friente, fiente analogisch, nach fremo 'p- frien usw., bezw.
*f§mus ]> fien\ ebenso meute mit Diphthong aus den stamm -
betonten Formen von inouvoir.
Freilich ist damit nicht gesagt, dafs die Stufen ie , uo bereits
in der Zeit zwischen den beiden Synkopen erreicht wurden.
Sondern nur der entscheidende Anstofs zu dieser Diphthongierung
ging vor sich, §, 9 wurden in freier Tonsilbe gelängt, vielleicht
mit geschleiftem Akzent oder doppelgipflig gesprochen, also | >» ei,
später differenziert zu e§, schliefslich ie, ein Vorgang, der erst im
9. Jh. abgeschlossen sein dürfte.
Haben wir somit das Verhältnis der Diphthongierung zur
Synkope festgelegt, so sagen uns die beiden Beispiele gar nichts
99
darüber, ob die Lauterweichung älter oder jünger als die Diphthon-
gierung ist. Diese beiden Entwicklungen scheinen ziemlich gleich-
zeitig vor sich gegangen zu sein, die ältesten germanischen Lehn-
wörter zeigen sowohl Lautabstufung wie Diphthongierung.
2. Nun gibt es Lehnwörter, die erheblich später als das 5. —
6. Jh. in die Sprache eingedrungen sind und Diphthongierung
zeigen. Aber dasselbe gilt bezüglich der Lautabstufung. Diese
volkstümlichen Lautentwicklungen wurden auch in der Aussprache
des Latein befolgt. Man schrieb saeculum, aber sprach und las
das seegolom; wenn ein solches Wort nun entlehnt wurde, gab
es selbstverständlich siegle. So zeigen alte Lehnwörter Diphthon-
gierung wie Lautabstufung: aviiegle, siegle, eglise. Da man im
merowingischen Latein *empeeriom für imperium sprach und
las, wurde das Wort, als es zur Zeit Karls des Grofsen entlehnt
wurde (M.-L. Frz. Gr. § 53), als *empeerie >» empire übernommen.
Aber es gibt auch Lehnwörter, die zwar Diphthongierung, aber
nicht Lautabstufung zeigen: viatire, liepre (Marchot S. 28), siede.
Ich glaube nicht, dafs sie späteren Eintritt der Diphthongierung
als der Lautabstufung beweisen. Insbesondere ist siede neben
älterem siegle lehrreich, es handelt sich nur um eine Reaktion der
Schrift. Für die sekundären intervokalen Medien schrieb man ja
die Tenues t, p, c und sie drangen daher in die Aussprache
wieder ein. Für ei, e§ aber hatte man nur das Zeichen e und
man übertrug dieses Zeichen selbst auf Aufzeichnungen in der
Vulgärsprache; die Schrift wirkte hier also nicht ein. So gab man
in den Eiden den zweifellos diphthongischen (wenn auch vielleicht
noch nicht ie, uo darstellenden) Laut mit einfachem e, 0 wieder.
Nur so erklärt sich poblo, das Erweichung, aber scheinbar nicht
Diphthongierung zeigt.
§ 68. Von den frz. Synkopen kommen für die vorliegende
Untersuchung nur diejenigen in Betracht, welche durch ihr End-
ergebnis einen Schlufs darauf gestatten, ob sie vor oder nach der
Lautabstufung vor sich gingen. Zur älteren frz. Synkope gehört
vorwiegend der Vokalausfall nach Liquida, Nasal und Spirans und
in Paroxytonis vor a der Ultima. Da der letztgenannte Fall heifs
umstritten ist, soll er im IV. Teil gesondert behandelt werden.
Hier hat uns nunmehr die Synkope nach Liquida, Nasal und
Spirans zu beschäftigen, soweit sie nicht schon im Teil I § i — 8
als vi. behandelt wurde. Als Auslaut kommen nur t, c in Betracht,
denn p liegt nur^ vor in
pullipedem züx. polpied nfr. poiirpier
celt. arepennem frz. arpent, prov. arpen,
wo also wie bei l't, r't Synkope vor der Lautabstufung nicht nur
im Frz., sondern in ganz Gallien eintrat.
1 alipem s. S. 14.
loo
1, Liquida, Nasal und Spirans vor t.
a) 1, r, s + t vor dem Ton.
§ 69. l't vor dem Ton liegt vor in
molitura frz. mouture vilitatem afr. vilte
*palitonem ^{x. palton-ier *bellitatem ixz. beauie
*solitanus „ soltain *follitatem ^{x. folte
*solitivus „ soltif *aequalitatem „ ivelte
[*maletolta frz. malidte] *legalitatem frz. loyauti
*devolütare afr. devouter *regalitatem „ royaute
Die Synkope tritt hier zweifellos vor der Lautabstufung ein. Ein
sicherer Beweis wäre *devolutare, da hier Ausgleich (*devolutat
>■ *Jevolue) nicht eingetreten sein kann: richtiger denkt man wolil
aber an Ableitung von de -|- vi. *voItum.
"i^k. maltofe ist kaum vi. *maletolta (Shepard 81), sondern
sekundär entstanden aus afr. vialetolte, d. i. vi. mala *tolta, vgl.
it. malatolta (daneben maltoltd).
Nach loyaute, royaute bildete man zu den Lehnwörtern papal,
p n'napa/ }ia.uptwöxtex wie papaufj, principaiite, ferner amiraute, primaute,
privaute usw. — vilte wurde ersetzt durch vilete, da die Meinung
aufkam, als stände vor -tc die weibliche Form des Eigenschafts-
wortes.
Gevaudan < Gabali tanum ist nicht frz., sondern prov. Ent-
wicklung (Dep. Basses-Alpes).
Zwischen l't in Paroxytonis ist nach allgemeiner Anschauung
Synkope schon vi.; es fragt sich, ob auch vortonig gleiches Alter
vorliegt. Zwar heifst es prov. palton\ viutat, beitat, legaltat, aber
foldat (Schultz-Gora S. log). Kann letzteres jüngere Bildung auf
-dat sein, so stehen doch auf der iberischen Halbinsel span. libertad,
voluntad (ptg. libertade, vontade) den synkopierten Formen beldad,
lealdad (ptg. -dade) schroff gegenüber. Vortonig fand die Synkope
also wohl erst einzelsprachlich statt.
§ 70. r't:
claritatem ixz. clarte meretricem 2S.x.meltriz
feritatem ?Sx. ferte xxix.fierte *exsaritare frz. essarter
maturitatem „ meürte „ {tnaturite)
puritatem „ purte „ purete
securitatem „ seürte „ sürete nutritura afr. norture
veritatem „ vert^ „ {verite)
(caritatem frz. cherti)
Die Verhältnisse sind die gleichen wie bei l't. Synkope vor
der Lautabstufung, auf der iberischen Halbinsel nach ihr (span.
verdad, ptg. verdade). Prov. vertat, purtat.
lOI
Frz. cherle ist nicht Erbwört, sondern, da es zuerst in der
geistlichen Literatur aufkommt, gebildet zu eher nach Muster von
Caritas, ie in fierie durch Einwirkung des Eigenschaftswortes. Frz.
Bildungen sind heürie, beneürte usw.
mereiricem war vielleicht schon voreinzelsprachlich *meletricem
geworden, da es auch in Norditalien altven., altlomb. meltris heifst,
so dafs hier also Synkope von l't vorliegt.
Neben essarter steht afr. essarder: man wird daher besser nicht
von einem vi. *exsaritare ausgehen, sondern darin frz. Bildungen
zu essart sehen (vgl. soiihaiter und souhaider zu souhatt)A — Über
afr. noriiire nfr. notirriture s. S. 89 f.
§ 71. S't.
*clausitura2 afr. closture nfr. clöture
*consutura ., costure „ cotiture
*rasitura „ rasture
*quaesitare „ quester „ queter
pinsitare „ pester (Shepard 81)
*cons(u)etumine „ costume „ coutume
*mans(u)etinu „ mastin „ mätin
utensile3 >- *usetile, dazu *usetilium afr. ostil nfr. ouiil
*lassitate4 „ laste.
visitare afr, vis der, revider
Die Synkope ist hier vi., vgl. prov. costura, prov. span. mastin, ptg.
niastim, usw. Prov. cosdnmna ist Lento-Form (vgl. prehosde neben
prebost, s. S. 14).
Afr. quester ist richtiger Ableitung von afr. queste, Verb.-Subst.
zu querre (nicht zu quester, wie Körting 3 7622 will).
Afr. (re)visder ist Lehnwort, daher Erweichung. Wenn man
gegen diese Herleitung anführt, dafs revider in Texten vorkommt,
die sonst regelmäfsig s noch zeigen, so bleibt zu beachten, das vor
stimmhaften Konsonanten j viel früher verstummte (Nyrop Y- 462).
consuetudinem lautete wohl schon vi. (mit Suffixtausch)^
*costumine: SB-xd. cosiu77iene, it. ptg. costu/zie, altsp. costumne, oder
weiblich *costumina: it. prov. costuma, cosdumna, frz. coutume, ur-
kundlich 705 coustuma (Diez iii).
' Oder aber essarder ist dialektisch (poit.); noch heute steht es neben
essarter in Aunis und Saintonge.
2 Afr. clostiz ist wohl frz. Bildung, kaum vi. *clausiticins (Shepard 81).
3 Körting^ 9926 bezeichnet diese Deutung als unhaltbar — ohne Gründe
anzugeben. Sein in der 3. Aufl. neugegebencs Etymon *hospitile ist un-
brauchbar, da dies nfr. *6til geben müfste und daraus nimmer it. comask.
usedel, mail. usadej (Diez 652) werden könnte.
* Jünger lassetc, heute ersetzt durch das im 14. Jh. aufgenommene
lassitude.
^ Über d'n vgl. jetzt M.-L. Frz. Gr. § 176.
102
b) n, V, m vor t.
§ 72. n't wird vor der Lautabstufung synkopiert, ohne dafs
ein Stütz-^ auftritt:
genitus frz. gent *submonita afr. semonte
(re)poenito 2iix. (re)peui *haunij?a ixz. honte, dzzu aho)itcr,
*vanito „ vani hontoiier
*annotinense „ antenois
Vortonig:
cl. poenitere > *penitire ?S.x. penfir *vanitare ixz.vanter
*tlnitare frz. tinter *tinnitlre afr. tentir.
bonitatem frz. bonte sanitatem frz. sante
plenitatem zSx, plente.
Ist das n gedeckt, so ist Stütz-Vokal erforderlich:
Namnetes Nantes Carnutes Chartres.
gent läfst der Dict. gen. entlehnt sein aus vi. *gentus für cl.
genitus; die Entlehnung einer vulgären Form ist wenig wahr-
scheinlich. Nichts spricht gegen Erbwörtlichkeit.
t inier ist dem Dict. gen. unsicherer Herkunft, da tinnitare
ein *tenter hätte ergeben müssen. Lat. finden sich tinnitare,
tinire, tinnire (Georges): In und inn zeigen die bekannte lat.
„Metathesis der Quantität" (*näro > narro, *mIto > mitto, cüpa :
cuppa, mücus : muccus, tötus : tottus).
Auch das Prov. synkopiert hier vor der Lautabstufung: gent,
ania, rcpentir, van, vantar, nprov. tinta, bontat, santat. Das It., das
hier ebenfalls zusammenzieht, hat selbstverständlich simmlosen Laut:
onia, ripcntirsi, boiiiä. Die iberische Halbinsel zeigt span. gento,
aspan._/ö«/a, aber ptg. qziejendo (qtäjando), arrependerse, und span.
bondad, ptg. bondade. It. sanitä, prov. sanetat, ple?ietat, span. sanidad,
ptg. sanidade sind gelehrt; prov. sandad neben santat ist wohl
Analogiebildung. So kann man die Synkope zwischen n't als ge-
meinromanisch betrachten, die aber das Ptg. nicht erreichte.
Nach gedecktem n ist aber die Synkope erst einzelsprachlich,
vgl. Cornate >» prov. Cornde. Lentoform liegt vor in Combronita
> prov. Combronde.
^n- v't
civitem afr. cit civitatem frz. cite
*movita „ muete nfr. meute *movitinus „ »/«//;/
*terrae movitus „ *termuet *flovitare „ flotter
*Atravetes (für Atrebates) „ Arraz *suavitudinem afr.j-wa/z/w^
*grevitatem dSx. griete *expavitare pic. ipauter
Gedeckt :
*solvitus, -a nfr. {ab)sons, -te *d es er vi tum afr. desert
*volvita „ votVe salvitate „ saute
I03
Davon ist *flovitare (G. Paris i) wohl zu streichen; auch Ab-
leitung von got. flodus oder Kreuzung von flöd mit fluctus
(Suchier, Gr. Ii 630 und Gramm. § 13^) ist unhaltbar. Trotz der
Bedenken des Dict. gen. ist an fluctuare (mit ü für cl. ü) fest-
zuhalten, indem hier et > tt > t wurde, wie in auctoricare
> afr. otreiier, jectare '^ jeler, rüctare > rüciare > afr. roier,
Cataracta > ChakUeP-
Pic. tpauier, wall, epaivter zeigen mundartliche Erhaltung des v
wie im Prov. (espmdar, ciutat). Dafs afr. cit nicht auf den Nora,
civitas (Diez 100 und noch Bauer 43) zurückgehen kann, sondern
Thomas Rom. XXV 418 mit civitem das Richtige getroffen, ist
leicht einzusehen.
Afr. tremuete dürfte erst sekundär (Shepard 4g) hervorgegangen
sein aus *termuet (God. belegt terremot). Dies kann nicht terrae
-f- motus darstellen (Körting 9469), sondern die Erhaltung des t
verlangt *movitus als Grundlage.
"•'Atravetes ist für Atrebates anzusetzen, weil b't Stütz-i? er-
fordert; V für b ist vulgärlateinische Änderung (vgl. § 94).
Frz. mutifi (dazu muiitier) ist wahrscheinlich erst frz. Ableitung
zu meiite\ es ist vor dem 14. Jh. nicht nachgewiesen. — Ebenso
ist afr. voltiz Ableitung zu afr. volle, kaum *volviticium.
serdele <[ *servitella (Shepard 78), müfste, wenn überhaupt
richtig, lehnwörtlich sein.
Afr. griete ist nicht, wie Körting^ 4346 meint, gelehrtes Wort
(dies ist vielmehr gravite 12./ 13. Jh.); ie stammt von grief, davon
beeinflufst ist die Nebenfomi grief te, nfr. grieveti.
Zu den Ansätzen *solvitum, *volvita vgl. S. 1 1 Anm. 3.
Die feststehenden Beispiele ergeben mit Sicherheit, dafs die
Synkope zwischen v't vor der Lautabstufung eintrat. Im Zentralfrz.
trat dann regressive Assimilation ein, v't > //, das wie andere
Doppelkonsonanten nach der Lautabstufung vereinfacht wurde. Auch
das Prov. und Cat. [ciuiai) synkopiert vor der Stimmhaftwerdung,
während die iberische Halbinsel (span. ciudad, ptg. cidade) nach der
Erweichung den Zwischen vokal ausstöfst.
§ 74. m't:
amita afr. ante nfr. tanie com item nfr. comie
*camita „ jante, chante „ jante lim item afr. linte
fimita „ ßenie „ fienie fremitum „ friente
*temitum Reichn. Gl. /^w/ö 3
1 Rom. XVIII 520 (nicht Bd. XVII, wie Körting angibt).
2 Sicher lehnwörtlich ist diese Entwicklung in lectorinum > /^^r/«,
lutrin; Y'^^cticus'^ pratique, conir 3.c\.\im^ contrat, sub jec tum >■ jm/W,
objectum >» oöyW; ähnlich gd >> d : M a g d a 1 e n a >■ J/</(f «•/<,' zVz^ , vielleicht
rigidamente >■ redJement, *inrigidirunt^ enreddirent (norm.).
ä Nyrop II 107 setzt *tremitum für crient , Bauer S. 50 *cremitum
]> cricnte an, beides ungenau. Crient kann wegen des felilenden Stütz-^ nur
Neubildung sein; crainte (Subst.) tritt erst im 13. Jh. auf (früher wird crieme
dafür gesagt), ist daher erst afr. Substantivschöpfung.
I04
semita afr. j<f«/i? dial. sente
*amito ,, haute nfr. haute
domito „ do7ite „ domptc
Vortonig :
Limites nfr. Linthes
Campus Limitis „ Champlitte
Nemetoduru „ Nanterre
Nemetogilu „ Nanteuil
Nemetacu „ Nempty
'semitariu nfr. sentier,
(afr. setitier u. sendier)
*amitare frz. haut er
comitore afr. contour
domitare frz. dompter
*imprumutarei ,, emprunter Aber: *amitariu z.{x.andier wir. laudier
*limitale2 afr. liutel nix.linteau *fremitire „ fraindir
*limitariu3 „ Untier
Gedecktes m\
(t)armite afr. arte, artre dormitoriu nfr. dortoir
palmite \vz\\. paute firmitate ?Sx. ferte
*termite frz. iertre^
Die Beispiele zeigen, dafs in der Verbindung m't die Synkope
vor der Lauterweichung eintritt. Neumann hat den Fall com item
> conte, der ja der aufgestellten Lautregel, dafs nur bei a der
Ultima Synkope vor Lautabstufung fällt, zweifellos widerspricht,
nicht behandelt. Zuerst hat Vising auf diese Sonderentwicklung
aufmerksam gemacht, weiteres s. Einl. S. 4 f. Neumann Zeitschr. XIV
536 hatte friente erklären wollen nach friejiter, dieses nach den
stammbetonten Formen /riente usw. Dementsprechend zählt er S. 560
* h emitir e 'P' /raindir^ unter den Belegen für sein Gesetz auf:
aber auch der Vokalismus macht Schwierigkeiten, so dafs fraindir
daraus eben nicht auf lautgesetzlichem Wege entstanden sein kann.
— Ebenso kann *amitariu (M.-L. Zeitschr. VIII 22^1, Rom. Gr. I
§ 430) nicht lautgerecht in landier vorliegen. Einf. 26 hat M.-L.
es daher als Lehnwort aus dem Prov. erklärt. K. setzt *ambitarius
an, was lautlich, aber nicht der Bedeutung nach entspräche.*'
Sind fraindir, andier zu unsicher, um ernstlich eingewendet
werden zu können, steht es anders mit sendier. Dies ist nicht, wie
man bisher anzunehmen pflegte, die lautgesetzliche Form, sondern
als Abweichnng aufzufassen. Atlas ling. 12 18 bietet vereinzelt"'
in der Vendee, Deux-Sevres, Vienne, Puy-de-Döme, Correze, Lot
Formen mit d; dem Gase, und Prov. ist das Wort fast fremd. Wir
^ Für impromutuare, vgl. rum. imprutnnta.
* Shepard *limitellum, das wird widerlegt durch prov. lindal.
' Vgl. limitare (Lex Salica) ^ limptare Reichn. Gl.
* Vom Standpunkt der Synkope und der Lautabstufung ist gegen diese
Herleitungen von arte, paute , tertre nichts einzuwenden, wenn sie auch sonst
bestritten werden (s. Körting), z. T. mit Recht.
* Afr. auch fratntir (God.); bei Körting fehlt das Wort.
* Weiteres § lOl, i.
" Nr. 521, 418, 510, 416, 409, 508, 804, 801; Weiterbildungen (Typus
sendareT) 614, 609, 617, 618.
I05
dürfen also darin eine mundartliche (südwestfrz.) Abweichung sehen.
Schon Marchot S. 84 erklärt* sendier als saintogeais. Auch in der
Schweiz semita > senda (s. Atl. ling.).
Dafs bei m't im Frz. S3'nkope vor der Lautabstufung eintrat,
haben bereits G. Paris Rom. XXVIII 635, M.-L. Einf. 26, Cledat
S. 217, Marchot S. 84, Bauer 43 festgestellt; hier gilt die Neumannsche
Regel zweifellos nicht. Der älteste Beleg für den Ausfall ist
Nemptodorum vicus bei Gregor v. Tours, sodann impruntare,
limptare in d. Reichn. Glossen.
antain, das Neumann Zeitschr. XIV 563 nach (t)ante erklärt,
kommt wohl überhaupt nicht in Betracht: es ist schwerlich vi.
*amitann, sondern erst zu ajite gebildet. — dortoif- scheint ihm
ebendort beeinflufst „durch das danebenstehende lehn wörtliche
dormitor, donnitoire'-'- , — das ist von vornherein wenig wahrschein-
lich. Schw.-B. § 122, 2 Anm. denkt an Einwirkung von cuvertoir.
Daneben steht afr. dorior und dormeor in gleicher Bedeutung;
letzteres erklärt Cohn, Suffixw. S. 120 aus *dormatorium; richtiger
scheint mir, es als lehnwörtliches *dormetor > dormeor zu be-
trachten.
Schw.-B. § 122, 2 Anm. erklärt wie vanter, so auch donter durch
Stammausgleich, conti, sentier, liniel aber nach conte, sente, linte; aber
diese letzteren müfsten nach Neumanns Aufassung ja selbst d haben.
Für jante sind verschiedene Formen des Etymons gegeben
worden: Diez *cames, -itis, Thurneysen *cambita, *cammita,
M.-L. 2 (vgl. Horning Zeitschr. XXI 452) *camita, Dict. gen. „peut-
etre d'un type *gambita, oü se retrouve le radical ö.q jamhe^'- ,
Marchot QO *gammita. Horning S. 30 tritt entschieden für *cam-
bita ein; aber lothr. säm, wall, chame (Littre) entscheidet weder für
m noch mb. Ebensowenig ist aus der Erhaltung des t ein Schlufs
zu ziehen.
Fem. *fimita hat Diez angesetzt, Körting und Gröber bieten
fimitus, woraus nachträglich das romanische Femininum (prov.
fenda, span. hienda) entstanden sein müfste.3 ie ist nicht lautgerecht,
sondern bezogen von afrz. fien <C. fimus; ebenso ist vsx friente der
Diphthong entlehnt den stammbetonten Formen von fremere (z.B.
fremit >> frient). Lautgerecht (ohne Diphthong) ist comitem
>> co7ite.
Während also im Frz. (ausgen. den Südwesten) die Tenuis er-
halten blieb, trat im Prov. Synkope erst nach der Tonerweichung*
ein, prov. domde (domitum), atnda, fenda, senda, coftde, lindal, die
* Auch andier möchte er als mundartlich betrachten; das ist wegen der
Allgemeinheit der d-Form unwahrscheinlich.
* Register zur Rom. Gramm. 1902, ebenso Frz. Gr. § 125.
3 Bildung des Wortes: Diez: Entstellung aus fimetum, Gröber: zu
fimare wie spirltus zu spirare, Dict. g^n. zu vi. femus, -oris statt cl. fimus.
— e für e: Gröber ALL VI 388 Einflufs von faetere; M.-L. Gram. I 361
läfst allgemein im (aufser im Rum.) > cm werden.
* Unhaltbar scheint mir die Ansicht Herford's S. 18, dafs t unter dem
Einflufs des vorangehenden Nasals zu d geworden ist.
io6
Ortsnamen Arlende, Mende, Neronde, Chassende. Danebenstehende
/-Formen dürften teils frz. (insbesondere das häufige comie), teils in
einigen Gebieten heimisch sein. Auch auf der iberischen Halb-
insel trat Synkope erst nach der Lautabstufung ein, span. duendo,
hienda, senda, ptg. dondo usw.
Anhang. Eine besondere Bemerkung verdienen noch die
Substantivbildungen auf -itatem nach Liqu., Nas. und Spirans.:
bellitate, puritate, bonitate, firmitate, lassitate, civitate
|> afr. helte., purie^ baute, ferie, laste, cite. Nach der Neumannschen
Regel hätten wir überall -de zu erwarten, es findet sich aber aus-
nahmslos -te. Neumann Zeitschr. XIV 562 nahm daher an, diese
Wörter seien angeglichen an jene Fälle, wo t lautgesetzlich ist:
poeste, poverte, liberte, Jovente, volente usw. Schw.-B. ist seiner Meinung
beigetreten und erklärt § 122, 2 Anm. leitet, santet, plentet nach liberte,
volonte.
Als Beweis für seine Behauptung vermag Neumann nur pidie
neben piete zu nennen, wo das Schwanken zwischen stimmhaften
und stimmlosen Ergebnis Lehnwörtlichkeit wahrscheinlich macht,
s. S. 55. Da aber die Fälle, nach denen der Ausgleich ein-
getreten sein soll, viel seltener sind und alle anderen Wörter mit
Liquida, Nasal und Spirans vor t stimmloses Ergebnis haben, ist
-te als lautgerecht zu betrachten.
2. Liquida, Nasal und Spirans vor k.
a) Liquida vor k, k^.
§75- l'c:
collocare ^Sx.colchier wh. coucher Basilica Basoche,
caballicare ,, chevalchier „ chevaucher Basoge
*alicunu „ alcun ,, aucun
pollicare ^^ polchier, pochier nux gallica ^Sx.nois gauge
malecontentu frz. malcontent
filicaria B.{r./elchiere nir.fougere Tiliacu Tilques
•"'bullicare „ bolgier „ bouger
delicatu „ delgii
Der älteste Beleg ist culcare der Lex salica. Atl. ling. 32g
belegt keine stimmhafte Form. Wohl aber hat das Prov. colcar und
colgar; im Neuprov. hat das Wort stimmlosen Laut nur auf einem
breiten Streifen vom Dep. Dordogne bis zum Dep. H.- Alpes. — Neben
chevaucher soll nach Bauer S. 28 bürg, chevatiger stehen, das müfste
mundartliche Abweichung sein. — Auf malcontent ist natürlich kein
Gewicht zu legen.
filicaria scheint mir Lehnwort, dafür spricht das Schwanken
von ch und g und der Übergang von el ^ ol\ afr. feuchiere, feugiere,
I07
fouchiere, fougtere,^ nfr. fougere, als Familienname Feugire. Afr.
felchiere ist mundartlich erhalten in wzW. fichtre, /echt, n^xunr. fkhere,
champ. feiichüre (Littre), pik. feuküre (daneben feuginere, Marchot
S. 86). Lothr. falejer, faler < *faleeire (Marchot 86) würde noch
jüngere Entlehnung sein.
Auch delicatus ist nur lehnwörtlich 2 vorhanden in der
ältesten Form als delcad (Alexander des Alb. d. Bes.), jünger deugÜ
(noch heute in Touraine, Maine, Vendomois als doiigc, -e, in der
Normandie als deiigi), noch jünger, mit Ausfall des zwischen-
vokalischen c, frz. delie, schliefslich seit dem 15. Jh. daneben nfr. delicat.
Frz. botiger kennt der Atl. ling. igo nur mit stimmhaften
Laut. Marchot 86 möchte darin eine Entlehnung aus prov. bojar
sehen. Aber damit ist die Schwierigkeit nicht gelöst, sondern nur
ins Prov. verschoben. Warum zeigt dieses bojar, bolegar, aber colcar
und colgar, cavalcar und cavalga?-! Mit mehr Recht hatte Diez 530
bojar als frz. betrachtet. So haben wir in *bulicare ein jüngeres
Wort zu sehen, dafs als * bollegare in Gallien aufkam und dann
regelrecht frz. bouger und prov. bolegar ergab. Vgl. dazu it. colcare
(rum. culca), it. cavakare gegenüber it. bulicare. Das Wort wurde
von bullire und -icare erst nach der Lautabstufung gebildet, als
in Gallien erster es bollir, die Endung -egare lauteten.
*pulicare (xnm.. purtca, prov. span. ptg. espulgar) ist frz. nicht
vorhanden; frz. cpucer stimmt zu it. spulciare, cat. espussar, kann aber
auch, da es erst im 1 6. Jh. zu belegen ist, Neubildung von puce sein.
*balicare für ^{x.baloier anzusetzen, ist unrichtig; es handelt
sich um frz. Ableitung von balle.
Die beiden erstgenannten Paroxytona sind ebenfalls nur in
gelehrter Form erhalten. Das als Ortsname häufige basilica er-
scheint als Basoche (norm.-pic. Basoque) und Basoge. Das Schwanken
zwischen ch und g, der Übergang von el >> ol^ kennzeichnen die
Lehnwörtlichkeit ebenso wie die Bedeutung. — (Nux) gallica ist
ebenso wie filicaria ursprünglich nicht volkstümlich, es wurde als
*gallega aufgenommen und dann regelrecht entwickelt; pic. gaugue,
wall. (Mons.) gauque (dazu gauguier, hezw. gauquier, s. Marchot Ql)
zeigen wiederum das für Lehnwörter charakteristische Schwanken.
— Tiliacum ergab lautgerecht frz. Tilly; wohl unter germ. Ein-
^ Der Atl. ling. 600 bietet für das Westfrz. ftijer, nur an der kelt.
Grenze oe. Norm, wechselt u und ce, ebenso pic. ; Artois zeigt Metathese:
ferkel. Stimmloser Palatal erscheint öfters wall., dann in dem angrenzenden
Dep. Ardennes und im Norden von Meurthe et Äl. Auch im Zentrum manch-
mal stimmloser Spir. : Loiret 209, Yonne 109, 106, Cöte d'Or 108 usw. —
Duez, Dict. fr^. -allem. -lat. h\e.\.e.\. fieztche ou fencJiiere, et ftiieux fotigere; ist
dieses mir sonst unbekannte fieuche =^*io\\cz. für filicem?
* Cledat S. 127 dagegen hält das Wort für erbwörtlich (!), das einerseits
lautgesetzlich delgie, andrerseits unter Einflufs eines Kompositums aus leie =
ligattim zu delie geworden sei.
* Vgl. Q. fougere. Auch in Cadrella]|> Charolles; hier * Cadrill a
anzusetzen, wie M.-L. Bet. i. Gall. S. 16 Anm. i wünscht, ist nicht notwendig,
vgl. elephante ^ olifant.
io8
flufs (Lindström S. ii) anfangs betont, entwickelte es sich im Norden
(daher Erhaltung des k) zu Tilques, wo das Stütz-f zeigt, dafs die
Synkope jünger ist als in collocare.
Aus dem Gesagten ergibt sich: l'c tritt vor der Lautabstufung
zusammen. Die Gruppe erfordert kein Stütz-^: colloco >■ afr. *colc,
durch Analogie coiiche. Die Verbreitung entspricht der von m't
(vgl. cat. span. colgar, span. cabalgar, ptg. cavalgar, cat. algu, span.
a/gi/no, ptg. alguni).
§ 76. r'c:
carricare afr. charchier
orichalcu
clericu
*balearicu
*sororica
*barica
serica
clericatu
*claricare
„ chargier nir. charger *ferricare
*foricare
archal
afr. esclargier
„ enfergier
„ forgicr
„ '^'siirgier
verecundia frz. vergognc
verecundari afr. ver gonder
muricariu frz. mürber
soricare
'^naricare
*moricare
„ narguer
pik. ??iorguer
„ *orchalc .
frz. clerc
afr. baiUarc, -ge
„ serorge
frz. bärge
„ Serge
„ clergi
Durocassinu,, Dorgessin
Nach parricus > vi. parcus, *b'arica > vi. barca (vgl. § 4)
und der Parallele zu r't erwartet man Eintritt der Synkope vor der
Lauterweichung und keinen Stützvokal im Auslaut, vgl. frz. parc,
prov. auctorico >> aulorc, Petrucoricu > Peiregorc.
Eine entsprechende Entwicklung zeigen clerc, haillarc, '^orchalc,
sie sind nichtsdestoweniger entlehnt. Das beweist ihre Herkunft und
die Nebenformen: afr. baillarge, prov. clerge (vgl. Leod. clerie 100,
145), clergue, fem. clerga, it. chierico; it. oricalco, span. auricalco.
Ebenso ist frz. clerge Lehnform. Wiederum sehen wir das be-
zeichnende Schwanken zwischen erbwörtlicher und jüngerer Ent-
wicklung bei diesen alten Lehnwörtern, vgl. Jelcad — deigte, felchiere
— folgiere, Basoche — Basoge usw.i
So bleibt als einziges Beispiel für Synkope vor der Erweichung:
carricare: Reichn. Gloss. carcafus, carcati; it. carcare, rum. carca]
afr. charchier, pic. carquer, wall, (vereinzelt) kertsi; prov. span. cargar
(vgl. colgar). Daneben steht aber die stimmhafte Form: carigas
bei Pelagonius (Gr. 1 2 474), {rz. charger, cdiL -ptg. carregar. Das ist
die vollständige Parallele zu it. hulicare, prov. holegar, frz. hoiiger;
daher kann man darin eine jüngere Bildung sehen : it. caricare.
^ Vgl. ferner
miraculu mirail \x. miracle *cordub-ense corvois m. cordoan
-anu
maledicere jnaldire „ male'ir matiiculariu mar eiller „ marreglier
(nfr. margtäller).
testimoniu testnoin „ testemoigne habitaculu abitail „ ahitacle
*vertibella vervelle „ vertevelle aquila aille „ aigle
log
in Gallien *carregarA Noch ein drittesmal ist dann im Frz. ein
Denominativum gebildet worden, frz. charroyer, charriei-."^ — Nfr.
carguer ist entlehnt aus prov. cargar.
Sieht man nun in charchier die allein lautgerechte Form eines
von Ursprung an in der Sprache befindlichen Wortes, so mufs man
sich für die grofse Zahl der übrigen Fälle um Sondererklärungen
umsehen. Und solche sind mehrfach gegeben worden.
Kix. enfergier kann mit Thomas Rom. XXVI 425 auf *infer-
riare, esclargie?- mit Marchot S. 87 auf *exclariare (älter alairer),
serorge nicht auf *sororicum (Clcdat S. 127 und 137), sondern
auf entlehntes sororius (Diez 767, Schw.-B. § 201 Anm.) zurück-
geführt werden.
serge und bärge entstammen nach j\I.-L. Zeitschr. VIII 233 dem
Süden. Horning Zeitschr. XV 498 bezweifelte dies wegen wall, saie
(serge), föge (fourche), cerges (cherches); aber in den zwei letzteren
sind wohl blofs falsche Graphien zu erblicken. Nyrop P § 401, 2
Rem. hält serge für mundartlich. Der Dict. gen. leitet es unmittelbar
von lat. serica ab, bärge scheint ihm kelt. Herkunft. — serica
(n. pl. von sericum als fem., daneben vi. auch sarica) ergab als
Langform (es ist kein volkstümliches Wort) lautgesetzlich span. ptg.
sarga, prov. sarga, serga. Daraus ist afr. sarge (zuerst bei Chretien)
entlehnt, ebenso wie it. sargia Lehnwort ist. Frz. serger ist zu
serge gebildet nach Muster von lat. sericarius „Seidenhändler". —
*barica zu bäris ergab schon lat. barca (vgl. *avica zu avis:
auca), daher it. span. ptg. barca. Aus dem It. stammt frz. barque
(16. Jh.). Frz. bärge, berge, prov. bar ja, spätlat. barga gehen wohl
zurück auf die Langform *barica, entweder so, dafs das Wort
erst in die Volkssprache übernommen wurde, als man in Gallien
es *barega aussprach, oder so, dafs *barica lautgerecht prov. barga
ergab, aus dem frz. bärge entlehnt wurde.
Für Dorgessin vermutet Herzog S. 113, dafs o sich unter Ein-
wirkung von Durocasses länger gehalten habe. Für it. vergogna,
frz. vergogne, prov. ptg. vergonha, span. verguenza möchte Marchot
S. 87 schon vi. *veregundia ansetzen. Zwar wenn man späte
Synkopierung für möglich hält, mufste auch it. stimmhaftes g er-
scheinen (verecundia > '^veregotiya > it. 7'ergogna). VI. ist jedoch
vercundia belegt. Mag man nun auch hier Marchot zustimmen,
mit seinem Ansätze vi. *miirigariu wird man sich nicht befreunden
1 Marchot S. 87 sieht in charger „une dissimilatiün de deux sourdes
identiques", ähnlich möchte er 'S. 2)(i f elftere i\ix felchiere erklären und a. m.
Das ist solange nicht zulässig, als sichere Beispiele bei nichtsynkopierten
Wörtern nicht beigebracht sind.
" *accarricare (oder -g^x^)'^ achariier, acharoier Körting" 82 ist
unberechtigter Ansatz. Tobler Zeitschr. IV 375 hatte ganz richtig gesagt,
dafs es von char abgeleitet sei, Körting aber sah sich veranlafst, daraus ein
vi. Verbum.zu machen. Wenn er in der 3. Aufl. *accarri d iare ansetzt,
ist die Sache um nichts besser geworden (vgl. viridiari um >■ T/^r^^r, nicht
*vereiier !).
HO
können. Woher denn dieser vereinzelte Übergang von c > g, der
beispiellos dasteht? So wird man lat. verecundia in \\.vercundia
als Kurzform, dagegen als Langform in dem romanischen Reflex
vorliegen sehen. Für murgier würde der Ansatz *muri-diariu
jeden lautlichen Zweifel beseitigen, oder man betrachtet es als
jüngere Bildung.
Mx.. für gier leitet Körting 4071 von *furcare her, vgl. it.
frtigare, frucare (ursprünglich wohl f?-ugare, aber frtica), span.
hur gar, jedoch ptg.yor^ör. Man müfste dann (sonst beispiellose)
Zerdehnung *furicare zum Ausgang nehmen, vgl. \i.furtcare (Caix,
Studj di etimologia 329), wtn.furegare, sa.Yd. farogai (Diez 149).
Der Dict. gen. geht aus von *foricare zu forare, das zu afr.
fourchier, fourgier „Selon les regions" wurde; dazu irz. fourgon,
gleichsam *foricönem (afr. forchori und fiirg07i). Wie nahe die
beiden Herleitungen stehen, zeigt der Umstand, dafs man furca
selbst als *forica hat deuten wollen (Meringer, Zeitschr. f. ö. G.
LIV 391). Von *soricare (zu sorex) > \>\q.. surgiiier (afr. subst.
surgeüre) sind stimmlose Formen nicht bekannt.
*naricare >> narguer, *moricare (aus *morigare für
movigerare) > morguer erklärt Horning Zeitschr. XXVIII 609 für
pik.; morgue, das er Zeitschr. XXI 45 7 ais *morica fafst, erkennt
er für postverbal, r'c ]> pik. -rgue halte ich für ausgeschlossen, es
müfste rk lauten. Für morgtier mufs, wenn das Etymon richtig ist,
von *morigare ausgegangen werden. Für narguer denkt Baist
Zeitschr. XXXII 39 an nhd. nergeln, ae. nyrjan; 7iarguois trennt
er davon und stellt es zu nark, Wort des engl. Rotwälsch.
Stimmen einerseits die Verhältnisse zu l'c, so ist doch nicht
zu verkennen, dafs die Zahl der stimmhaften Ergebnisse zu hoch
ist, als dafs Einzelerklärungen Genüge tun könnten. Schw.-B.
§ 143 Anm. denkt daran, dafs hinter r der Vokal der Pänultima
erst nach Übergang von intervokalem k > g schwand. I\I.-L. Frz.
Gr. § 128 erwägt die Annahme, dafs k früher tönend wurde als t,
also auch vor der Synkope nach Liquida ; dann bleibt coucher, che-
vaucher, charchier unerklärt. Auch liefse sich {berge und serge als
Entlehnungen betrachtet) die Meinung vertreten, dafs zwischen r'c
die Synkope nicht allgemein vor der Lautabstufung eintrat, sondern
sich die Dinge verhalten wie bei venger — reva7icher, d. h. die
Neumannsche Regel gilt, aber die vi. Synkopen barca, parcum und
die Parallele zu l'c sprechen dagegen.
Möglich auch, dafs afr. charchier aus dem Norden stammt:
pik. carquer, Reichn. Gloss. carcatus; Karte 239 des Atl. lingu.
bietet nirgends stimmlose Spirans.
Eine einwandfreie Deutung dieser Verhältnisse vermag ich
nicht zu geben.
§ 77. Eine Sonderbetrachtung erfordern die Fälle, wo vor
dem r ein Konsonant sich befindet.
II I
1. br: fabrica irz.forge *excollubricat afr. escolorge
fabricat „ „ tenebricai „ tenerge.
Das Wort forge ist häufig besprochen worden, am wichtigsten
sind: M.-L. Zeitschr. VIII 233: ,.\i\ fo7-ge hat die Konsonanten-Ver-
bindung im Auslaut der Silbe die Synkope bis nach Eintritt der
Lautabstufung und damit verbundenen Auflösung des Nexus br in
ur aufgehalten". Neumann Zeitschr. XIV 563: _/or^^ = fabrica
nach forger oder hr bewirkt ähnlich tönende Spirans wie rb in
gourde. Mussafia Zeitschr. f. ö. G. 1894 S. 53: „Es ist kaum zu
zweifefn, dafs, wenn nur Formen mit betonter Endung da wären,
der Stamm nur favre lauten würde; erst fabrica (Subst. und
2. Imp.), -as, -at ergaben _/ow-d'^a, -eza (-f); der Abfall der Pänultima
geht mit z/ < v Hand in Hand: faurze, forge. Die stammbetonten
Formen beeinflufsten dann die anderen, u. zw. zuerst dadurch, dafs
an Stelle des zu erwartenden favreiier die mundartliche Form
favregier [favargier) erscheint, dann durch Anwendung des ganzen
betonten Stammes in tonloser Stellung. Nicht anders -lübricat
> -lövreze, -lourge, daraus -lovregier (statt lovreiier) und -lourgier,
-lorgier'-'- . Marchot S. gi f.: forge geht aus von einer Zwischenstufe
faivria, weil das Pic.-Norm. nicht forgue, sondern forze sagt. Aber
er selbst erwähnt den Ortsnamen Forgue, den er für tout local
hält, der richtiger wohl die alte Form darstellt, die heute durch
irz. forge verdrängt ist.
Aus den Beispielen ergibt sich folgende Regel: Zwischen br'c
erhält sich der Zwischentonvokal bis nach der Lauterweichung,
worauf er in Proparoxytonis ausgestofsen wird, während vortonig
das r sonantisch wird.
fabricare >* *favrgar zSx. favargier, favregier
lubricare > *lovrgar „ lovergier.
In Paroxytonis wurde vrg nach a zu urg, sonst zu rg erleichtert.
forger, escolourgier sind nach den stammbetonten Formen aus-
geglichen. Ausgleich in umgekehrter Weise liegt vor in lothr.
lovergent L. Job, reloverget Mor. Job, vgl. loverianz Greg. (s. Elfrath
S. 813).
Auffällig ist prov. ienerc (ebenso frz.-prov. im Gir. de Rouss.)
ohne Stütz-!?: afr. tenerge entspricht prov. fem. tenerga, wozu das
masc. teuere eine Neubildung sein dürfte.
rubricare ]> afr. rehrechier ist Lehnwort.
2. tr: auctoricare >> *auttregar afr. 0 treuer, prov. autreiar,
aber auctoricat „ autorga.
' Diez .687 nur prov. tenerc; Schw.-B. geht tiir tenerge §109 von
tenebricu, § 143 von tenebrica aus. Bei Körting fehlt das Wort auch in
der 3. Aufl. noch.
112
Das Wort ist wegen et > //l und -icare > eiier"^ ein Lehnwort,
auctorico gab prov. autorc, daneben durch Analogie mitrei. Zur
starambetonten F"orm wurden neugebildet prov. aiiiorgar, span.
oiorgar, ptg. auforgar, während im Frz. die endungsbetonten Formen
verallgemeinert wurden (nfr. octroyer).
b) Nasal vor k, k'.
§ 78. n'c.
Zunächst die Ansätze, ohne über ihre Richtigkeit
etwas behaupl
;en
zu wollen.
*clinicus
afr.
esclenc
dies dominica
frz. dhnanche
canonicu
)7
chanonge
*fanica
„ fange
monicu
51
monge
communicare
afr. commengier und
-chier
*lanicu
frz.
lange
*clinicare
„ clingier
*linicu
n
linge
*excrenicare
frz. krancher
Santonicu
11
Sanitojige
*enecare
„ enger
Turonicu
11
toiirange
*panicare
afr. panegier, -chier
Convenicu
11
Commenge
*pronicare
frz. broncho-
manicu
51
frz.
manche,
-prv. mange
*trinicare
„ trancher
manica
)?
manche
granica
)?
(dial.) granche
Der gröfste Teil dieser zahlreichen Beispiele ist zur Erkenntnis
der lautgerechten Entwicklung von n'c nicht brauchbar, weil teils
Lehnwörter vorliegen, teils die Ansätze zu unsicher oder falsch sind.
Cledat S. 134 möchte zwischen n'c Synkope frühzeitig ein-
treten lassen, weil nc keine Schwierigkeit der Aussprache bietet.
Doch findet er bald g bald ch, ohne einen Grund für das eine
oder das andere anzugeben. Nach dem Vorgange bei n't kann
man zunächst vermuten, dafs n'c vor der Lautabstufung zusammen-
trat, sodafs -nicu ]> -71c, -nica >» -nche, -nicare >> -7?<r/«£r wurde.
Solche Synkope war auch schon im Lat. vorhanden, vgl. juncus
gegenüber juniculus.
Für -nicu würde dieser Forderung nur *clinicüs genügen,
aber afr. eslenc, eslenche wird mit mehr Recht auf ahd. slinc zurück-
geführt, vgl. über die Streitfrage Körting^ 2261. Afr. chajionge
{canunie Rol., chanoig7ie, chanoine, nfr. chanoine) und monge (so
Shepard 42, God. nioine, mogne, P. Meyer Rom. XX 78 monegue)
sind kirchliche Lehnwörter. *lanicum, *linicum setzt Cledat
S. 134 an, ob mit Recht? Behrens § 203 Anm. und Nyrop I
§ 334 sehen in grange, itrange, lange, linge eine lehnwörtliche Ent-
wicklung von -neu, -nea, allein es ist schwer glaublich, dafs Wörter
^ Vgl. § 73.
* Der Ansatz *auctoridiar e (Körting 3, Aufl.) ist überflüssig.
113
wie grange, latige, linge erst „d'adoption posterieure" sein sollten.
Saintonge, tourange können ebenfalls lehnwörtlich sein, vgl. Cupe-
donia > Couvonge, Turonica > Toiwaine, Cenomannicu >
Maine, so dafs sie mit chaiionge, chanoine auf einer Stufe stehen.
Commenge ist keine frz. Entwicklung, die zahlreichen Ortsnamen im
Frc.-Prov. auf -ange, -inge aus -anicu, -ianicu, die E. Muret
Rom. XXX VII 390 ff. behandelt, sind vielleicht nur jenem Teile des
Sprachgebietes lautgerecht, vgl. frc.-prov. mange gegenüber frz. manche
-C. manicus.
Während manica regelrecht mariche ergibt, ist manche für
m anicu auffällig. Afr. findet sich mange im Gir. de Rouss.; die
Karte 805 des Atl. ling.^ erweist dies als die frc.-prov. Form, die
auch in die angrenzenden Gebiete übergreift, insbesondere das
Dep. Saone-et-L. umfafst. Der Dict. gen. sieht in le manche eine
Scheideform von la manche (wie le, la miinoire, mode, periode, posie,
remise usw.); da bleibt mange unerklärt. Aufserdem ist manicus
belegt und lebt fort in it. manico, span. ptg. mango. Shepard S. 42
betrachtet mange als „later", aber das entbehrt der Begründung.
Auf prov. Gebiete zeigt der Atl. ling. marge in einem breiten
Streifen vom Dep. Cantal bis zum Dep. Ariege. Hier in Ari^ge
heifst es auch mänk, in der Gascogne manu. Fem. ist das Wort
im Norden (Dep. Somme, Pas-de-C, Nord und in einem kleinen
angrenzenden Teile von Belgien; k-Formen sind im Norden nicht
vorhanden. — Da gemeinrom. manicus eine Scheideform zu
manica zu sein scheint, it. jnanica neben „Ärmel" auch die Be-
deutung „Griff" hat, dürfte frz. le manche (beachte das weibliche
Geschlecht im Norden) aus la mattche hervorgegangen sein. Da-
gegen die Formen mango, mange gehen auf manicu zurück wie it.
matiico, span. mango.
-nica mufste frz. unter allen Umständen -nche ergeben. Dem
entspricht manica >• manche (it. manica,"^ lomb. ven. manega, prov.
manga, span. ptg. tnanga) und *granica > gratiche, neben dem
aber häufigeres grange steht, das man auf granea zurückzuführen
pflegt (Schw.-B., Nyrop s. o.), während Marchot S. 92 es von
granica herleitet.3 Frz. dimanche (afr. diemenche, diemenge, diemoigne
Wace, diemeine) ist kirchliches Lehnwort. *fanica setzt INIarchot
S. 92 an auf Grund von ^ix.fanc, xi. fange, norm, fangue, kaum
mit Recht. Zugrunde liegt der germ. Stamm "^fanj- {goi./ani, -jis,
ahd./enni) sächlichen Geschlechts: das germ. j wurde hier teils
^ Auffällig und für die Entwicklungsgeschichte des Suffixes -icu wichtig
sind die Formen mägo Ain 913, Is^re 912, 921, 922, S29 und maiio 972, mani
982, 992 auf italischem Gebiete.
* It. manica (l. Ärmel, 2. Griff, 3. Schar) fehlt bei Körting.
* granche lebt noch mundartlich, selbst für das Zentrum weist der Atl.
ling. gras z.\x{\ 217 (Seine-et-Oise); 208, 210 (S.-et-Marne); 108, 109 (Yonne),
114, 115 (Aube) usw.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. 8
ti4
als g, teils als / ins Rom. übernommen, ^ das Neutrum erscheint
teils als Mask., teils als Fem.; daher
*fangum iL/ango, prov. afr. fanc
*fanga lomb. prov. /anga, hz./afige, nornx. fangue
*fania prov. /anha, iiz. fagne.
Auch die vortonigen Beispiele sind nichts weniger als sicher.
Afr. {es-, a-) comengier und -chier (daneben communier, seit dem 14. Jh.
auch communique?-) zunächst ist Lehnwort. Neben afr. clingier steht
cligner, man hat auch die g-Form auf *cliniare zurückgeführt,
doch dürfte wall. A7^7ä' *clinicare sichern. *excrenicare (zu crena
Kerbe nach Baist Zeitschr. VII 116) hat nicht allgemeine An-
erkennung gefunden; frz. krayicher, klancher sind auch erst sehr
spät belegt. Das Etymon *enecare wird kaum jemand aufrecht
erhalten wollen; afr. lauten die Formen aengier, aenchier und
aengnier. *panicare (Bauer S. 2g) ist unzulässig, s. § 122, 2. —
Frz. broncher, emhroncher (davon das Verb.-Adj. afr. (em)broiic) werden
auf *(im)pronicare zu pronus zurückgeführt (vgl. Diez 568 und
den Dict. gen.); G. Paris aber leitet richtiger das Zeitwort von bronc,
embronc her, das nach Thurneysen keltischen Ursprungs ist. *trlni-
care ist zu umstritten, um als sicheres Beispiel gelten zu können;
meist wird der Ansatz *trincare (für trüncare) vorgezogen. —
Es fehlt also an einwandfreien Beispielen.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so können wir zunächst
feststellen, dafs im Frz. bei n'c die Synkope nicht allgemein vor
der Lautabstufung stattfindet, wie dies bei Nasal vor t der Fall ist.
Sonst gelten die Neumann'schen Regeln, d. h. in Proparoxytonis bei
a der Ultima tritt Synkope vor, sonst nach der Lautabstufung ein:
manica : it. manica prov. manga, mancha, frz. manche span. ptg. manga
manico : it. manico frc.-prov. mango, mange, span. ptg. mango
*clinicare afr. clingier, durch Stammausgleich wall, kl^tsi.
Dagegen
n't: repoenitere it. repentirsi frz. prv. span. repentir
m't: comite „ conte frz. comte
domitu prov. dojude frz. [je dompte\ span.
duendo ptg. dondo.
§ 79. m'c:
*ramica frz. rauche pic. rainke (d. i. rfk)
*biramica „ branche
*hamica wall, ainche, inche (d. i. ß)
*ramicarius frz. rancher
*fumicare \o\S\x. funger p\c. funkier
^ Ähnlich schon Diez S. 133, nur ist seine Parallele vtnio'^ii.vengo,
prov. venc nicht brauchbar,
115
Auch hier scheint die Neumann'sche Regel zu gelten. *ramica
(für cl. ramicem Pfahl) ist als Etymon für ranche (dazu ranchet,
rancher) von Behrens Zeitschr. XXVI 664 ersetzt worden durch
germ. *hrunca {dzMY>^. franchon). rancher, für das Shepard *rami-
carius ansetzt, ist wegen seines späten Auftreten (14. Jh.) zweifellos
als Ableitung zu ranche zu fassen.
Wall, aifiche heifst norm, aingiie, das einer lautlichen Recht-
fertigung noch bedarf.
Die Ableitung *blramica, die Neumann Zeitschr. V 386 auf-
stellte und an der Klausing S. 42 weder lautlich noch begrifflich
etwas einzuwenden findet, ist heute nicht mehr haltbar. Gerade
in der Parallele von bl und Zweig, die soviel dafür ins Feld ge-
führt wurde, liegt eine Unmöglichkeit in der Bildungsweise. Und
auch lautlich ist der Ansatz bedenklich, seit branca im Spätlat.
nachgewiesen ist (vgl. Rönsch Jahrb. XIV 336); auch it. brancicare
spricht für stammhaftes c. Und schliefslich stimmt die Bedeutung
nicht, was schon Nigra Arch. Glott. XV loi hervorhob: die Grund-
bedeutung ist nicht „Zweig", sondern in dem aus branca ent-
lehnten hd. „Pranke" erhalten. Auch M.-L. Zeitschr. VIII 242
(Nachtrag) erklärte branca = biramica für unhaltbar (ohne An-
gabe der Gründe) und wollte es als echtlat. Wort hinstellen, das
in der Sprache der Gebildeten durch gr. ßgayicov verdrängt wurde.
Aber seine Herleitung aus einer idg. Basis *bhrnk ist ebenso-
wenig haltbar. Walde, Lat. etym. Wb., hält germ. Herkunft für
möglich; das stützt sich auf Nigra, Arch. Glott. XV loi, nach dem
branca, pranca durch Umstellung aus germ. *krampa (nhd. Krampe)
„Haken" entstanden ist, also aus demselben Wort, aus dem it.
grampa, frz. crampe, crampon entlehnt sind. Für it. ravipo Haken,
Kralle, graynpa [rampd), granfia {ranfid) Kralle (auch = artiglio,
rampa) ist diese Herleitung sicher, namentlich wegen der in granfia
sich widerspiegelnden Lautverschiebung. Aber die Grundbedeutung
ist doch „Haken", daraus „Kralle", von der Bedeutung „Zweig",
die branca schon lat. hat, keine Spur. So ist wohl an der ältesten
vorgebrachten Etymologie,! branca << bracchia, festzuhalten. Zu-
nächst stimmt die Bedeutung völlig, bracchium heifst lat.: i. Unter-
arm, Arm, 2. diese GHedmafsen bei den Tieren, 3. Ast, Zweig.
Nun hat sich bracchium (it. braccio, frz. bras) und ebenso der
pl. bracchia (it. braccia, afr. hrace; lehnwörtlich in nfr. braques) er-
halten und ist auf die Bedeutung „Arm" eingeschränkt, während
branca die beiden anderen in sich fafst. Und diese Verteilung
begreift sich: die gelehrte Form wurde als die „feinere" für die
Gliedmafsen des Menschen fest und die vulgäre (vom Volke mund-
gerecht gemachte) Form branca für Tier und Baum. Nun die
lautliche Seite. Das ein Neutrum zugrunde liegt, zeigt *brancum
' Schon Salmasius leitet branca von bracchium ab, ita ut branca ursi sit
brancchium ursi und er fügt hinzu, dafs die Römer in „gallischer" Sprache
branc für bracchium unterschiedslos gebrauchen.
8*
Ii6
>> afr. hranc neben brauche. Der n-Einschub macht keine Schwierig-
keit (vgl. Diez, Gr. P, S. 355, 354, 292, Nyrop P 503, 7I, Hetzer
127 usw.) und ist bei Worten fremder Herkunft^ besonders häufig.
Die Zwischenstufe zwischen bracchia und branca bietet *brancia,
was sowohl lat. belegt als mundartlich erhalten ist. Zwar auf Du
Cange's branchiae ist kein Beweis zu stützen, aber Horning Zeitschr.
XVIII 214 verweist auf brantia, branzia „tenuis auri lamina"
aus Isidor und auf die frz. Formen brander, brangon, brancieux.
Er belegte auch zuerst *brancia in ostfrz. bräs und die Karte 170
des Atl. Hng. bestätigt diese Form.
c) Spirans vor fe, fe.^
§ 80. s'c:
*nasicare pic. naquer, (er)nancher (Sigart)
*rasica (i. zu rasis Pech) afr. rasche nfr. rache^ Bodensatz des
(2. „ rasus) „ „ „ „ Grind [Teeres
*o s s i c a r e 4 ,^ 0 schier
*pessica (-< persica) „ pesche „ peche
1. Da *rasicare > cat. span. rascar, *pessica > it. pesca
wird, ist die Synkope zwischen s'c als gemeinrom. zu betrachten.
Sard. rasigare, span. ptg. rasgar beruhen dann auf der Langform.
persica ist sonst lehnwörtlich: \i. persica, prov. presega; ebenso it. persico
(gegenüber pesco), span. persico, ptg. pecego. Frz. pecher ist Bildung
zu peche. It. rosicare, prov. rosegar ist Langform oder jüngere Bildung.
Aurasica gibt nicht Orange (wie noch Cledat 134 meint),
sondern es ist das ligur. Suffix -asca ersetzt durch -enga germ.
Herkunft, prov. Aurenga, frz. Orange.
2. Nach gedecktem s würde Synkope erst einzelsprachlich ein-
getreten sein, allein die Beispiele sind unsicher:
*absecare afr. oschier nfr. hocher
*reversicare „ reverchier.
^ Die hier gegebenen Beispiele können leicht vermehrt werden: coche
und conche, a coite und a cointe d^ esper on, aeque sie ^ ainsi (afr. auch amsi'nc);
atque, ac^ anque, anc (Havet Rom. VIII93, Gröber ALL I241), aequalis
^ rtr. prov, engal, airz. envel, engal; aegrotus ^ afr. egront und engront,
(re)cuperare> afr. cöwir^r und conbrer, engres Rol. 3251, ross : nfr. roncin,
und ronssin, häufig e7is- für es-; ensemple , entdbler (Foerster Zeitschr. I 560
17 Beispiele, aufserdem enrachier, ensuer usw.). Sehr häufig bei God. zu
finden: larrencin, levenche [liveche), quinte [quüte) usw. Ebenso zahlreiche
Beispiele im Altl. ling.
* Eigennamen : It. Lepanto, Monza, Campidoglio ; frz. Donzere, Ingrande,
Angouleme, Basencourt, an. A s f r i Ö r ^ ^/z/rj', Asketil ^ ^«^m^/z7, Lehn-
wörter: an. sigla]>frz. cingler, span. sis^lar, celt. alauda ]> span. a/ö«rfra;
bes. gr. i-;irrfÄro'e ^ span. enteco, AccTta^ov ^ span. lamparro, aßvyöaXa'^
gemeinrom. amendala, ;(a^ft(J^tos ^ gemeinrom. calandra.
' Nfr. räche führt Sachs- Villatte in beiden Bedeutungen, im Dict. g^n.
fehlt es.
* So Marchot S. 87.
117
Zu hocher vgl, Körting 3 4g, Elfrath S. 57. Der Dict. g6n. sieht
darin eine Ableitung zu hoche (afr. osche, prov. osca). Jedenfalls liegt
gemeinrom. *osca, *oscare vor, für das weder '^ahsecare noch gar
"^osiificare, ^oslicare (nach Mafs, s. Körting) brauchbar sind.
Zwar ist der Einwand, den Elfrath S. 790 gegen *reversicare
erhebt, dafs r vor s hätte schwinden müssen, nicht stichhaltig, weil
rs > SS nur fakultativ ist, r schwindet nicht in versus.i Aber so-
lange nicht altes reverschier nachgewiesen ist, bleibt man besser
beim Ansatz *reverticare.
§ 81. v'c Zunächst bleibt zu beachten, dafs avi zum Teil
schon vi. au geworden war, *avica >» auca, *cavicare >> *caucare
> choyer, s. § 25. So bleiben
Avallovicus Havelu, Aveluy *nivicare afr. negier
Lemovicas Limoges *ad-suavicare „ assoagier
Davon kommen die beiden Ortsnamen für uns nicht in Be-
tracht. In Avallovicus entwickelt sich -ovi- ähnlich wie -avi-
in den oben genannten Fällen, so dafs zur Zeit der Synkope v'c
nicht vorlag. Limovicas (für Lemovices, s. § 127) > Limoges stellt
prov. Entwicklung dar.
Die Ansätze *nivicare, *suavicare sind nicht beweisend,
man hat mit demselben Rechte *niviare, *suaviare angesetzt.
Während Körting für letzteres nur von -icare ausgeht, gibt er bei
ersterem beide Bildungsmöglichkeiten. Der Dict. g6n. stützt -icare
durch it. nevicare; aber es besteht kein geographischer Zusammenhang
zwischen neiger und it. nevicare (rtr. prov. nevar), ferner fehlen die
zu erwartenden c^-Formen, die durch *nivicat > *neche erfordert
würden. Das Hauptwort neige, das sicher Verb.-Subst. zu neiger
ist (es tritt erst im 14. Jh. auf, bis dorthin heifst es nur noif <C^ nivera,
vgl. prov. neti), kommt nicht in Betracht. 'J g liegt vor in navi-
gare > nager, s. § 26.
So kann in Ermanglung sicherer Beispiele nicht festgestellt
werden, was v'c ergibt. Wahrscheinlich ist, dafs es nicht wie v't
allgemein vor der Lautabstufung synkopiert wurde, sondern wie
n'c, m'c den Neumannschen Regeln folgt.
Zusammenfassung.
§ 82. I. Es ist gleichgültig für die Zeit des Eintritts der
Synkope, ob die Liquida, der Nasal, die Spirans einfach oder
doppelt ist: bellitate, *tinnitire, lassitate; coUocare, carri-
care, *pessica>> afr. belle, lenlir, lasle; colchier, charchier, pesche.
Wenn den genannten Lauten ein Konsonant vorangeht, so hat
dies vor t keine Verzögerung zur Folge: nutritura, *mans(u)e-
* Prov. ves, vas neben vers ist sekundäre Entwicklung, vgl. *excarpsu^
prov. escars, escas.
ii8
tinu, Namnetes, salvitate > afr. noriiire, mastin, Nantes, saute.
Wohl aber führt br vor c unter allen Umständen Synkope nach
der Lautabstufung herbei: fabrica ^ forge.
2. Bezüglich der Zeit der Synkope sind drei Stufen zu unter-
scheiden :
a) Gemeinromanisch ist die Synkope bei n't, s't, s'c:
poenitere it. repentirsi frz. prov. span. repentir
cons(u)etudine „ cos turne frz. coutüme prov. costuma ptg. costume
*rasicare cat. rascar span. rascar
*pessica „ pesca frz. pesche
Daneben stehen, wie bei allen gemeinromanischen Synkopen, Lang-
formen: ptg. arrependerse , prov. cosdu7iia, sard. rasigar, span. ptg.
rasgar.
b) Vor der Lautabstufung in allen Stellungen synkopieren l't,
r't, v't, ferner m't, l'c; doch mit einem Unterschiede in der Ver-
breitung: bei den drei erstgenannten Gruppen erfolgt Synkope vor
der Lautabstufung in ganz Gallien, bei den zwei letzten im gröfsten
Teil des Prov. erst nach der Erweichung; in allen Fällen nach ihr
auf der iberischen Halbinsel.
prov. beitat : span. heldad
„ vertat : „ verdad
„ ciutat : „ ciudad
„ domtar, dondar
„ domde span. duendo ptg. dondo
„ colcar, colgar span. colgar
Daneben gibt es jüngere Bildungen, die im Frz. nach der Laut-
abstufung, sonst überhaupt nicht synkopiert werden: it. bulicare,
prov. holegar, frz. bouger.
c) Die Synkope richtet sich nach den Neumannschen Regeln,
d. h. in Proparoxytonis tritt vor a der Ultima Synkope vor der
Lautabstufung ein, sonst nach ihr: m'c, n'c, v'c.
manica frz. manche manicu frz.-prov. mange
*fumicare \othr. /unger *nivicare frz. neiger
Die Stellung von r'c ist unklar, es bleibt unentschieden, ob es
zu b (^) oder zu c gehört. — Ln allgemeinen zeigt sich, dafs die
Natur des t der Synkope geneigter ist als die des c.
«)
bellitate
afr.
, belte
veritate
))
verte
civitate
1)
cite
|3)
domitare
domitus
n
donter
collocare
»
colchier
IV. Einflufs des a der Ultima.
§ 83. Heifs umstritten ist die Frage, ob das a der letzten
Silbe eine beschleunigende Wirkung auf den Ausfall der unbetonten
vorletzten ausübt.
Dafs der Pänultima -Vokal teils vor, teils nach der Laut-
abstufung ausfiel, ist z. T. schon lange bekannt. Eine Erklärung
versuchte zunächst M.-L. Zeitschr. VIII 233, indem er bei ca, co
verschiedene Fälle unterschied und fand, „dafs -ica sein i früher
verlor als — icum, was wohl mit dem auf a ruhenden Nebenton
zusammenhängt." Er wies zwar einerseits darauf hin, dafs im Afr.
neben nache auch nage (Berthe au gr. p.) vorkomme, erklärte aber,
dafs man daraus nicht auf ein Schwanken zwischen stimmlosen und
stimmhaften Konsonanten schliefsen dürfe, sondern es handle sich
entweder um wall. Abweichung oder um Angleichung an die Sub-
stantive auf -age. Andrerseits aber ging er doch nicht streng folge-
richtig vor, das widersprechende pedica '^ pilge erklärt er durch
gegenseitige Assimilation. Und bei den Dentalen half er sich eben-
falls vielfach durch „gegenseitige Assimilation", ohne Versuch, warum
diese bald regressiv, bald progressiv ist; ja in rade, lüde, sade (S. 235)
fiel ihm die Synkope nach Eintritt des Auslautgesetzes, ^ der an-
lautende Konsonant assimilierte sich dem d, dd wurde durch „Laut-
abstufung" zu d.2
Konsequenter ging Neumann Zeitschr. XIV 560 zu Werke. Der
Gegensatz von cubitum >> couJe und debita > deite ergab ihm
als Schlufs: „Das Nachton-i der Pänultima fiel in — it-, — ic- bei
u der Ultima erst nach der konsonantischen Abstufung von Tenuis
zu Media, dagegen bei a der Ultima schon vor Eintritt jenes
Wandels, so dafs hier Tenuis beharrt." Auch die lautphysiologische
Erklärung hat er schon gegeben: „Dafs a oder u in Bezug auf den
Zeitpunkt des Ausfalles des Pänultimavokales einen Einflufs aus-
üben und einen chronologischen Unterschied bewirken kann, begreift
^ So auch noch in der Rom. Gramm. I § 336, wo er sagt, das Frz. habe
gleich dem Rätischen die Synkope „nach dem Wirken des vok. Auslaut
gesetzes" eintreten lassen.
* Schuchardt R. E. I 29 hat diese Ansicht als „unverständlich" be-
zeichnet.
I20
sich. In debita hatten die beiden letzten Silben — ita Vokale von
sehr ungleicher Schallfülle, i mit sehr geringer, a mit relativ gröfster;
dieses Übergewicht von Schallfülle der Ultima über die Pänultima,
infolgedessen das Mafs von Nebenton, das der Pänultima und
Ultima eigen, auf der letzteren stark konzentriert ist, bewirkt einen
Ausfall des Pänultimavokales. In cubitum dagegen hatten die
beiden letzten Silben — itum Vokale mit ziemlich gleicher Schall-
fülle, die sich sozusagen die Wage hielten, dergestalt, dafs der
eine nicht gerade imstande war, den Ausfall des anderen zu be-
schleunigen."
Dieser Ansicht über die Wirkung des a der Ultima trat kurz
darauf Horning Zeitschr. XV 498 entgegen. Er meinte, dafs *sudica
>> sute, einige Worte auf -nica : diemeine, granica > \o\.\iX. gren(e),
manica >> wall. 7}ipi(e),^ ferner pertica > \ot\ix. piet (nh&x perte), wall.
pis, pirs (über perce) M.-L.'s Ansicht, dafs nachtoniges a die Synkope
beschleunigt habe, als unrichtig erweise.2 — Die hier genannten
Fälle kommen meiner Meinung nach für unser Lautgesetz nicht in
Betracht, dennoch hatten Hornings Ausführungen die Wirkung,
dafs vielfach Zweifel an der Richtigkeit der Neumannschen Regel
wachgerufen wurden. Auch Elfrath leugnet einen Einflufs des a
der Ultima und möchte die Beispiele Neumanns durch Analogie
erklärt wissen. Behrens Zeitschr. XXV 760 möchte entgegen Matzke
(Publ. Mod. Langu. Ass. XIII Nr. i), der die Regel gelten läfst, sie
in anbetracht der zahlreichen Fälle, die sich ihr nicht fügen, nicht
für so sicher halten.
§ 84. Von einem ganz anderen Standpunkt war Karsten an
die Frage gegangen, indem er an die „Sprechtakte" anknüpft. Er
erklärt S. 26 die fem. nele, ate gegenüber rade, sade, malade als Satz-
doppelformen, wonach im gallischen Vulgärlatein apt, sapt neben
habede, sabede gestanden hätten (Allegro- und Lentoforraen).
Je nach dem Nachdruck ergibt sich ihm (S. 32) im VI. aus -aticum
nebeneinander -atek, -atke, -atk. -atek würde einen Sprechtypus
-aticum voraussetzen, eine Betonungsweise, die schon Shepard S. 12
als dem Lat. und Rom. unbekannt gefunden hat. Karsten hat hier
seine — im Grunde ganz richtige — Theorie von den Sprech-
takten zu weit getrieben. Vom lautphysiologischen Standpunkt
wäre die Hypothese ja annehmbar und in mancher Hinsicht weit
einfacher, weil von vornherein überall eine Doppelheit gegeben ist.
Aber es ist grundsätzlich unrichtig, eine derartige Vielheit
der Entwicklung anzunehmen, solange man nur Belege für eine
einzige hat: aticu > age, rapidu > rade, sapidu > sade, nitidu
> net. Die gewaltsame Durchführung der „Sprechtakte" hat Karstens
Arbeit viel Abbruch getan.
» Vgl. S. 83 Anm. i.
^ Der Gegensatz von stiie, foie zu siege, piege drängte ihm Zweifel auf,
ob das Frz. „überhaupt ein in lautlicher Beziehung einheitlicher entwickelter
Dialekt ist."
121
§ 85. Ein Bild vom Widerspruch der Meinungen geben uns
die Grammatiken. M.-L. hat im i. Bande seiner Rom. Gramm.
§ 538 die Annahme, dafs bei auslautend a die Synkope eher ein-
trete als bei auslautend u, gelten lassen zur Erklärung des Gegen-
satzes von coiide und coute, malade und ostfrz. molftu, tiache und -age.
Daneben aber stellte er andere Gesetze auf: i. Wenn der Schlufs-
konsonant tönend, der Anlaut tonlos ist oder umgekehrt, dann
siegt die Stufe des Anlautes: muccidus > 7noüe, aber pedicu
> piege. 2. Wenn im Anlaut eine Gruppe steht, deren zweiter Laut
mehr Widerstand leistet, so findet reziproke Angleichung statt:
hondir, gourde, courge, ourde. Einen besonderen Fall findet er in
frz. -aticum: als Synkope hier eintrat, war c > j geschwächt, daher
atije > adije >- adje ]> age\ ebenso süge aus sedicum. ■ — Diese
Aufstellungen entsprechen nicht ganz den Tatsachen. Dafs piege
unter i., siege aber zum Sonderfall -age gehören soll, ist ein
Widerspruch; der zweiten Regel widersprechen venche, penche, vente,
rente usw.
Schw,-B. hat die a- Regel nicht aufgenommen. Wohl erklärt
er das Auftreten des stimmlosen, bezw. stimmhaften Konsonanten
durch die Zeit des Eintritts der Synkope, aber eine Erklärung
für diesen Zeitunterschied bietet er nicht (§122, 2 Anm.; §143
Anm.).i
Ebensowenig bietet Nyrop eine Formulierung der Regel: er
findet die Entwicklung eines ch in den „meisten" Paroxytonen auf
-ica, deren Vokal folglich vor der Änderung des intervokalen f^-jv
ausgefallen sein mufs (§ 401, 2 Anm.). Die Entwicklungen coude,
malade sind ihm „cas isoles" (§ 382, 2).
Die Zahl der Ausnahmen, die man gegen die Neumannsche
Regel fand, war entschieden zu grofs, um ihr allgemeine Anerkennung
zu verschaffen. Vising hat zuerst auf den Fall comite ^ conte auf-
merksam gemacht, den weder M.-L. noch Neumann besprochen
hatte und der dessen Regel widerspricht. In den letzten 10 Jahren
hat sich der Widerspruch immer mehr gesteigert.
Marchot S. 84 (1902) behauptet, dafs allgemein die Synkope
vor der Lautabstufung eintrat; wo stimmhaftes Ergebnis vorliegt,
seien Sondererklärungen zu geben. Den Beweis dafür findet er
einzig und allein in der gröfseren Zahl der Beispiele für stimmloses
Ergebnis. Auf eine Widerlegung der Ansicht Neumanns läfst er
sich nicht ein.
§ 86. I. Cledat S. 122 ff. (1903) dagegen erhebt folgende
Bedenken :
' Nur in der Anm. zu § 76 stellt er als schwer entscheidbar hin, ob in
merle, tremhle, sente das Nach ton a infolge seiner grofsen Schallfulle oder
die umgebenden Konsonanten die Synkope beschleunigt haben. — Ebenso
hält Nyrop I § 259 hinsichtlich der Diphthongierung (ie, ue) für möglich que
la p^nulli^me lombe le plus tot lorsque la finale est un a, . . . et que . . . la
chute s'est faite avant la diphthongaison ... et avant la sonorisation.
122
1. Während man im Afr. wirklich tu pleures, vous plourez; tu
preuves, vous prouvez konjugiert hat, zeigt kein Text die Biegung
tu plaites, vous plaidiez; tu juches, vous jugiez.
2. Es ist schwer glaublich und nicht einzusehen, dafs a der
Schlufssilbe einen Einflufs auf den Fall der unbetonten Pänultima
ausüben könne.
3. Die Annahme entspricht nur einer kleinen Zahl von Fällen,
die man auch anders erklären könne und steht im Widerspruch
mit vielen anderen.
Darauf ist zu erwidern: dafs sich eine Konjugation tu juches,
vous jugiez mehrere Jahrhunderte hindurch erhalte, ist gar nicht zu
erwarten, hier mufs vielmehr frühzeitig Ausgleich eintreten. Wenn
tu preuves, vous prouvez erhalten bleibt, so ist das darin begründet,
dafs ja die Voraussetzungen dazu — betonter, bezw. unbetonter
Stamm — auch in literarischer Zeit noch vorhanden waren. Aber
der Unterschied je juge, tu juches hatte seine lautliche Voraussetzung
— o, bezw, a der Ultima — längst eingebüfst; mit der Zeit, wo
das Stütz -f und das abgeschwächte a gleichen Lautwert hatten,
mufste der Ausgleich wirksam werden und die ursprüngliche Biegung
bei Beginn der Überlieferung völlig zerstört sein.
Punkt 2 bedarf keiner Widerlegung, Neumann hat die physio-
logische Begründung der Wirkung des a bereits gegeben. Und aus
dem dritten Einwand folgt nur, dafs die Fassung der Neumannschen
Regel zu weit ist, dafs es einer Einschränkung bedarf, aber nicht,
dafs sein Prinzip unrichtig ist. '
2. Ebenfalls gegen den Einflufs des End-a wendet sich Bauer
S. 26. Es erscheint ihm „etwas gekünstelt, bei ein und demselben
Wort bald Analogie zur i. Ps., bald Analogie zur 3. Ps. anzunehmen."
Aufserdem gebe es im Afr. Wörter, welche bald mit s, bald mit z
auftreten, ohne dafs Gelegenheit zu einem Ausgleich vorhanden
war. Was Wörter mit einer ähnlichen Doppelentwicklung wie vcnger
und revancher betrifft, so sei die regelmäfsige Entwicklung Erweichung
vor dem Ausfall der unbetonten Pänultima. „Wenn daneben auch
das stimmlose s erscheint, so könnte der Grund dafür nur entweder
in einer vulgären oder mundartlichen Aussprache zu suchen sein.
^ Was C16dat an dessen Stelle setzt, ist wenig brauchbar. S. 129 gibt
er die Y.x^\.v^\z\Ci'ü.n^ \M.di'\z?i.\.'^ judegat, judeiat, judyat, jiid-dje, und meint,
wenn man auch ixix jiige von judegat ausgehen könne, so spreche dagegen
der Parallelismus zwischen den Formen auf -ico und denen auf -ica und
die Gegenwart des Zischlautes im Pic. (?), die allein die Annahme judegat —
judeiat—juge möglich mache. S. 209ff. nimmt er für p'd, b't Ausfall bald
vor, bald nach der Lauterweichung an, unter Vernachlässigung der Grund-
forderung jeden „Lautgesetzes", dafs nicht zwei entgegengesetzte Entwicklungen
zu gleicher Zeit unter gleichen Bedingungen möglich sind. Teils greift er zu
Einzelerklärungen (meist weithergeholte Angleichungen oder Dissimilationen
— wie schon bei Marchot — z. B. dete, doiiter für dede , doiider), teils stellt
er hier stimmhaftes, dort stimmlosse Ergebnis fest, ohne überhaupt zu fragen,
warum diese Verschiedenheit in der Entwicklung.
123
Diese vulgäre oder mundartliche Aussprache hat sich in einigen
Wörtern durch mehr oder minder gebildete Schreiber im Laufe der
Zeit in die Schrift übertragen und wurde, weil von der über-
wältigenden Menge ^ des Volkes gesprochen, schliefslich auch
von der Minderzahl der Gebildeten angenommen." — Was das
Suffix -it- betrifft, ist er S. 38 der Ansicht, dafs es das einzige ist,
dafs vor der Erweichung den Ausfall hat eintreten lassen. Für die
auftretenden (/-Formen gibt er Einzelerklärungen (insbesondere S. 40
und 42).
3. M.-L. Frz. Gr. § 122 äufsert sich: „Scheinen hoiie < bibita
jatte < gabata und sote < subita die Vermutung, dafs bei u die
Synkope später eingetreten sei als bei -a, also cubitu über cuvedu
zu cgde, aber cubita über cuvta zu cgte zu bestätigen, so wider-
spricht dem nicht nur linte usw., da doch sonst -e mit -u, nicht
mit a auf einer Stufe steht, sondern auch der Umstand, dafs cote
weder Plural noch Femininum ist. — Dafs Imte usw. nicht wider-
spricht, haben wir § 74 gesehen. Und cote ist afr. jedenfalls auch
weiblich gebraucht.
4. Als letzter Einwand gegen die Beschleunigung der Synkope
durch a ist noch die Angabe Lindströms zu erwähnen, dafs in den
geographischen Eigennamen -ica in der Regel -ge ergebe. Vising
zitiert die folgenden drei Beispiele:
Villa dominica Ville domange Cavanicas Chavanges
Bisilica Basoge, Basoche
Da fällt auf den ersten Blick auf, dafs die ersten zwei keine
alten Namen sind, sondern erst nach der Bekehrung Frankreichs
gegeben sein können. Sie zeigen lehnwörtliche Entwicklung wie
viele andere, z. B.
Sanctus Leodegarius St. Ligiiaire Deo Medico Dieu-U-Mire
Sanctus Patroclus St. Parres >> nfr. Dieu Liimüre
Auch Chavanges scheint mir kein einwandfreies Beispiel, es
dürfte nur eine Doublette zu den zahlreichen Chavagne(s) sein und
auf -nia beruhen.
Vor allem aber bleibt zu beachten, dafs Ortsnamen mit Vor-
sicht für Lautregeln zu verwenden sind: sie sind frühzeitig nieder-
geschrieben worden und stehen unter Einflufs der latinisierten Form.
Die schriftliche Fixierung in Urkunden äufsert ihren Einflufs in
Hemmung der Entwicklung. Man vergleiche
Cupedonia > Couvonges Ermedone Ermont.
Cervedunum >» Cervon usw.
* Dann müfste aber doch eigentlich / die „re-<elmäfsige" Entwicklung
sein, das von der „Minderzahl" gesprochene £ aber „gelehrten" Ursprung
haben.
124
Lindström Hefs diese Formen unerklärt. Vising glaubte darin eine
vortonische Parallele zu teve, tvape, senne usw. zu finden. Es handelt
sich wohl um lehnwörtliche Entwicklung.
§ 87. Fassen wir das alles zusammen, so sieht man: zwingende
Gründe gegen die Neumannsche Regel von Einflufs des End-a
sind nicht vorgebracht worden. Die Hypothesen, die man an seine
Stelle zu setzen gesucht hat, haben zum mindesten ebensoviel „Aus-
nahmen", wie bei Neumann übrig bleiben und in den Einzel-
erklärungen ist man nicht gerade glücklich gewesen.
Einen entscheidenden Anhalt gibt uns der Atlas linguistique.
Afi*. haben wir bekanntlich malade und daneben seltener molate.
Cornu, der Rom. III 377 die Diezsche Herleitung male aptus
durch male habitus ersetzte, hielt afr. ate = habitu für eine
dialektische Form. Karte 803 inalade zeigt im Wall, vereinzelt malat,
das ist aber bekanntlich jüngere Verhärtung im Auslaut [harhe : wall.
häp, Claude : klöt, cor de : wall, kht usw.); daneben stehen Formen wie
malad'' (so auch in der Bretagne), die das Stadium des Überganges
deutlich zeigen. Sonst zeigt das ganze französische Gebiet durch-
aus malade (aufser lothr. malaive). Auch das frc.-prov. Gebiet hat
stets stimmhaften Dental, nur Doubs 41 malctu. Im Prov. dagegen
erscheint im Norden im allgemeinen d, im Süden t; aber in den
nordprov. Departements finden wir durcheinander bald d, bald /,
fast von Ort zu Ort verschieden. Und endlich finden sich hier
auch beide Formen getrennt nach den Geschlechtern:
Dep. Correze 710 7nalaude, f. ynalauie
„ Cantal 717 molaude, f. molatito.
Damit scheint mir der Beweis für die Richtigkeit des Prinzipes
erbracht. Dafs die Karte eine derartige Doppelheit der Formen
nur noch zweimal bewahrt, kann nicht wundernehmen; und dafs
sich beide Formen auf prov. Gebiete erhalten haben, wird uns nicht
beirren, wenn wir den zerstörenden Einflufs der frz. Schriftsprache
auf mundartliche Sonderheiten in richtigen Anschlag bringen.
§ 88. Erscheint somit die Tatsache festgestellt, dafs a der
Endsilbe die Synkope beschleunigt, so bleibt zu untersuchen, in
welchem Umfange die Wirkung eintritt, i. Die Fassung der Regel:
„In Proparoxytonis tritt bei a der Endsilbe die Synkope vor
der Lautabstufung, sonst nach ihr ein", ist falsch, weil zu weit. Sie
bedarf einer Einschränkung, denn die Synkope hängt auch von der
Natur der umgebenden Mitlaute ab, sowohl von denen, welche
vorangehen, wie von jenen, welche folgen. Ich untersuche hier nur
die Giltigkeit des Gesetzes für jene Gruppen, die für die Laut-
abstufung in Betracht kommen.!
• Die Frage, ob a die Synkope beschleunigt, hat auch Bedeutung für
die Diphthongierung, vgl. S. 121 Anm. Ich gehe auf diese Gruppen hier
nicht ein.
125
Was den Auslaut der Pänultima betrifft, so hat M.-L. ursprüng-
lich die Regel nur für -ica, -icum gelten lassen, Neumann hat
es auf — it-, — ic- erweitert. Bezüglich des Anlautes der Pänultima
machten sie keinerlei Einschränkungen.
2. Zunächst müssen wir folgende Gruppen ausnehmen:
Das Gesetz, dafs die Synkope bei End-« vor der Lautabstufung,
bei anderen Auslautvokalen nach ihr ausfällt, gilt nicht:
a) In jenen Fällen, wo die Synkope bereits vlt. oder gemein-
romanisch eintrat; denn für das Frz. liegen hier nur mehr Paroxytona
vor. Dazu gehören aufser den im i. und 2. Teil genannten Fällen
auch n't, s'c.
b) Bei Liquida, Nasal oder Spirans vor t (soweit nicht schon
gemeinrom.) und Vc;^ denn hier tritt immer Synkope vor der Laut-
abstufung ein.
c) Wenn im Auslaut eine Media steht. Das gelegentlich ge-
forderte *saie «< sapida hat nie bestanden.
d) Wenn im Auslaut k^ oder ti steht. Hier fällt im allgemeinen
die Pänultima vor der Erweichung von k^ oder ti.
3. Sonst gilt die Regel, wenn im Auslaut eine einfache ^ Tenuis
(k, p, t), im Anlaut
a) einfache Medial {debita >> afr. defe, nfr. de//e),
b) einfache Tenuis* (*atrapica > „ arrache, „ arroche),
c) gedeckte Media (derbita >• „ derte, „ dartre),
d) gedeckte Tenuis (pertica >> „ per che, „ per che)
steht. Es gilt ferner, wenn
e) eine in vi. Zeit nicht synkopierte Langform einfache Tenuis
im Auslaut hat,
f) m, n, v, vor c stehen.^
§ 8g. Ziehen wir nun den Zwischentonvokal in Betracht.
Während bei den genannten Gruppen in Proparoxytonis bei End-a
die Pänultima vor der Lautabstufung fällt, so bleibt der Nachneben-
tonvokal bei denselben Gruppen bis nach der Lauterweichung er-
halten. Neumann hatte die Regel etwas zu weit gefafst, die § 88,
a, b, d genannten Fälle sind auch hiervon auszunehmen. 6
* Vgl. auch r'c.
* Nicht k", da dieses zur Zeit der frz. Synkope nicht mehr einfache
Muta ist.
3 Aufser d't, g'c, g't, s. Teil I und II.
* Aufser c'c, p'p, t't, p't, c't s. Teil I und II.
5 S. Teil III.
^ Vereinzelt sind andere Erklärungsversuche gemacht worden. Es ist
eine in mehreren Sprachen bekannte Erscheinung, dafs vor der Tonsilbe der
stimmhafte Konsonant, nach der Tonsilbe der stimmlose Konsonanten steht,
z.B. ne. exicittor, a: = ks, aber ex^ciäor, a: = gz. In ähnlicher Weise war
126
§ go. Treten im Frz. durch Synkope zwei Verschlufslaute zu-
sammen, so tritt totale Assimilation ein. Bei der Erklärung der
Tonstufe des Assimilationsergebnisses hat man sich vielfach (insb.
Cledat) damit geholfen, dafs die Assimilation bezüglich der Stimm-
haftigkeit oder Stimmlosigkeit bald progressiv, bald regressiv sei.
Demgegenüber seien als Ergebnis der folgenden Untersuchung
die sehr einfachen und ausnahmslosen Gesetze der Assimilation
zweier Verschlufslaute vorweggenommen:
1. In Bezug auf die Artikulationsstelle ist die Assimilation stets
regressiv: debita >> dette, vindicare ^ venger.
2. Ist von den beiden Verschlufslauten zur Zeit der Synkope
einer, ganz gleichgiltig welcher, stimmlos, ist auch das Ergebnis
der Assimilation stimmlos: debita >> *deVta > delte, hospitale
> ^hospedale > ^hospdal > afr. hostel.
Tersclilufslaut vor c, p, t.
I. Einfache Media im Anlaut.
§ 91. b'c ist nicht sicher gestellt. Körting erwähnt
*reprobicare reprocher *trabicare irouer.
Der erste Ansatz rührt von Caix her; Shepard 78 führt das
Simplex *probicare >> prochier. Diez geht bekanntlich aus von
*repropiare (wie *appropiare zu prope). Da nur stimmlose
Formen vorhanden sind, ist dies vorzuziehen.
Mit *trabicare (zu trabs) ersetzte Scheler Diezens *trabucare
(germ. *bük > prov. buc Rumpf, Bauch, it. huco Loch). In beiden
Gröber ALL IV 439 der Meinung, dafs in plaidier -ü- vor der Tonsilbe zu
-id- umgebildet worden sei. Aber für das Frz. ist eine solche Annahme
nicht haltbar.
Auch die Annahme, dafs vengier, venchier sich als Lento- und AUegro-
form erklären, ist abzuweisen. Denn solche Doppelformen erscheinen nicht
überall, sondern nur bei bestimmten Gruppen, wo die oben genannte Doppel-
entwicklung durch die Tonverhältnisse ermöglicht ist, und bei diesen mit einer
gewissen Regelmäfsigkeit.
Durchaus nicht alle Fälle, wo stimmlose und stimmhafte Konsonanten
im Frz. nebeneinanderstehen, sind auf unser Gesetz zurückzulühren. Afr.
lochier und logier gehen zurück auf mhd. locker und log er, ebenso beruht
der Unterschied zwischen afr. coche und coge wohl auf ahd. koccho und nd.
cogge. Afr. coiitre für regelmälsiges coudre (auch der Atl. ling. verzeichnet
kütr) ist wohl Analogiebildung, ähnlich wie mistrefit für tnisdrent. — Häufig
finden sich in schlechten Texten falsche Schreibungen, die gewifs keine laut-
liche Berechtigung haben. Die Orthographie des Jonasfragmentes ist bekannt.
God. bietet zahlreiche Beispiele, z.B. f^horge (wall. 17. Jh.) stztt e'corce; boche,
buche für bouge (bulga) usw. — Willmotte, Gloses wall., verzeichnet cerges
für cherches. Karte 22 des Atl. ling. kennt nur stimmlosen Laut, dem Wall,
geht aber chercher eigentlich ab, es gebraucht dafür kweri. — Wieder anders
ist afr. flengier neben flenchier für flcchir zu erklären, es handelt sich um
Analogie nach venchier und vengier. Usw.
127
Fällen müfste b zu vi. v und die Gruppe avi, bezw. avu zu au
geworden sein und bietet in einzelsprachlicher Zeit nicht mehr die
Gruppe b'c.i
§ 92. d'c ist eine häufige Gruppe:
fodicare ^Sx.fougier, selien /ouc kür {bes. a/oiic/iier) nix.fouger
impedicare „ empegür /"„ empieger]
judicare y, jugier, \QXG.mze\\. Juchier „ juger
*medicare „ viegie?- mundartl. mtger"^
*nidicare3 „ nigier, nichier wix.nicher
radicare „ r agier ^ und rochier
exradicare „ esr agier, ^ öfter esr achter nir. arracher^
*rodicare6 „ rogier, rongier „ ronger
*sedicare' „ segier, assiegier „ assieger
radicale „ regiel (Shepard S. 77)
* Körtings *trocare (aus *torcare, das selbst auf unsicheren Füfsen
stahl) scheitert an afr. trgu, prov. traue, die vi. au voraussetzen. Ebensowenig
verdienten germ. troga Trog und gr. XQaveiv (?), Q-gaveiv Aufnahme ins Lat.-
Rom. Wb. — Dtr Dict. gen. sieht in trouer Ableitung zu tioii („unb. Herk."),
aber das Verb, ist zum mindesten schon gemeinrom. — Schw.-B. § 145, 2 geht
aus von traugu (wohl nach traugus der L. Rip.), anzusetzen ist vi. *traucus,
*traucare.
2 God. verzeichnet für die Franche Comt6 medgier, für die Schweiz
meger, für Bagnard meydyer (= traiter les malades sans autorisation). — Afr.
megier ist wohl Verbalbildung zu megis, das nach Tobler einen Typus
*medicaticium ^ afr. megeis voraussetzt, während der Dict. g^n. in -gis
(wegen pic. rneguichier für megissier) ahd. wiz erblickt.
2 Diez nidificare s. § 122,2.
* Die Formen mit g sind schon afr. selten ; auch in den Mundarten ist
der stimmhafte Laut fast geschwunden, die Karte 59 des Atlas ling. belegt
nur ganz vereinzelt in Saone-et-L. II ereje und 919 arj't. Pic. ist das Wort
nicht heimisch, im Süden eignet es nur dem Gase, (ariga), im Prov. ist es
ersetzt durch arrauca, derraba, nur der nördliche an das Frz. angrenzende
Teil zeigt arracher mit stimmlosem Laut (t, ts, tsy usw.), daneben auch stimm-
haft, hauptsächlich im Dep. Corr^ze, vereinzelt darüber hinausgehend, dz, z.
5 Bei Körting herrscht hier etwas Verwirrung: Im Wörterverzeichnis
bietet er bei arracher 44, 866, 3264, unter arrachier 260 a. In letzterem
Artikel setzt er üz. arracher = abradicare, dieses wird aber 44 in [] ge-
stellt und 866 abgelehnt und durch *ar-radicare ersetzt, 3264 bringt
eradicare für prov. esraigar, afr. esraicher. — Schon Diez bot ganz richtig
exradicare z^x. esrachier, das nfr. arracher (M.-L. Rom. Gr. II 618 „durch
Assimilation an das folgende a", Dict. g6n. : unbetontes e vor r >■ a) wurde.
ö Diez ging aus von rumigare; G. P. Rom. X 69 deutet ronger aus
*rondicare für *rodicare; Gröber ALL V 238 weist für den Einschub
des n auf manger oder runger hin. Der Dict. g6n. läfst roger >■ ronger
werden durch Einflufs von rumigare (statt cl. r u m i n a r e) > rMw^z> r, runger
(später geändert > rongier, ronger durch Verwechslung mit ronger).
' Nfr. Sieger ist junge Bildung zu siege, nicht vor dem 17. Jh. — Die
Ableitung von *assediare (so auch Dict. g6n.) ist lar.tlich unmöglich; siege
wird im Dict. gen. richtig von sedicum hergeleitet.
128
medicui afr. miege
*pedicu2
püge
* s e d i c u 3 süge
*sinefidicu
afr. senfege
Leodicu^ Lüge
uuadicuß
gage
*nidica 7uche^
*judicu
jiige'i
Ein Zeitwort dieser Art^ konjugierte also folgendermafsen die
Gegenwart:
judico
juge^
judicamus
jiigeoTis
judicas
juches
judicatis
jugez
judicat
juche
judicant
juchent
Durch gegenseitigen Ausgleich erklärt sich am besten das Neben-
einander der stimmhaften und stimmlosen Formen. Dieser Aus-
gleich vollzog sich in vorliterarischer Zeit, wir haben afr. nur mehr
die Überreste, es ist meist schon entschieden, welche Form den
Sieg davonträgt.
Man sieht aus den Beispielen, wie wenig entsprechend Marchots
Annahme ist, dafs die Synkope allgemein vor der Lautabstufung
eintritt. Kein einziges Zeitwort zeigt nur stimmlose Form, nur bei
nichür und rachkr ist sie verallgemeinert worden. Die grofse Zahl
der übrigen spricht dagegen. Und Marchot setzt S. 89 die Synkope
für rongür (pic. ronguer) auf der Stufe "^rofjijdigare an, für die
übrigen aber gar noch später, auf der Stufe -lyare. Wenn man
aber nun fragt, warum hier die Synkope so spät eintrat, findet
man keine Antwort bei ihm.
Andrerseits wendet sich Bauer S. 12 (Punkt 5) gegen die
frühere Synkopierung vor dem Nachton - a. Mit ganz un-
zureichenden Mitteln. Er erkennt, dafs Worte auf -icum die
* Es ist ein Lehnwort, zwar wie ein Erbwort entwickelt. Das zeigen
die zahlreichen, z. T. dialektischen Nebenformen mire, meide, meie, mie usw.
' Diez pedica (bei. L. Burgund. tit. 72). Neumann Zeitschr. XIV 554,
561 setzte des Genus wegen *pedicum an. Afr. kommt auch la piege vor,
der Dict. g6n. zieht daraus den Schlufs, dafs von pedica auszugehen sei;
hier dürfte das Fem. sekundär sein. — Neumann wollte übrigens den Diphthong
ie durch Einwirkung von pied (ebenso siege durch sies, stet) erklären ; das ist
in Hinblick auf tiede unberechtigt, wohl aber hätte pedica afr. *peche ergeben
(vgl. ven. pecd).
" Die Ableitung *sedium ist heute wohl endgültig abgetan.
* Nyrop P475,4 Leodium^Z?<?^(f; aber im Liber hist. Franc. Leu die o,
vgl. vläm. Zmzä. Nyrop erwähnt noch Malbodium^ JJ^w^i?«^«? (ein Kloster,
Lehnform ?).
^ Unsicher. Nach dem Dict. g^n. entlehnt aus it. nichia.
* Reichn. Gloss., Hetzer S. 54.
' S. § 127, d.
* Bauer S. 13 zählt dazu auch ravager, wohl in Hinsicht auf die Aus-
führungen Parodis Rom. XXVI 198, der ravager zu *radico stellen möchte.
Dieses erst im 16. Jh. belegte Wort ist doch eher Ableitung zu ravage (14. Jh.),
gebildet von ravir.
* Nicht/?«, wie man behauptet hat.
129
Tenuis erweichen. Seine Beispiele für -ica mit Erweichung sind
unbrauchbar, dianenge, surge, serge sind Lehnwörter, r^ge ist ostfrz.
(und zweifelhaft), forge ist gerechtfertigt, granica gibt granche,
hutica > huche', gratige ist granea, huge neben huche erweist das
Wort als junge Bildung (germ. Stamm!), sieche (bei Girardin, Le
Vocab. du Fribourgeois au XV« s.) < *sedica erwähnt er selbst
(vgl. S. 28). Afr. fouchitr neben fougier hat er übersehen, r achter,
ragitr erwähnt er S. 13 überhaupt nicht. Seine auf S. 26 gegebene
Lösung als „vulgäre oder mundarlHche Aussprache" kann nicht
befriedigen, jedenfalls ist ihr die einfache Deutung Neumanns, Aus-
gleich der stamm- und endungsbetonten Formen, die in den ge-
zogenen Grenzen vollkommen ausreicht, weitaus vorzuziehen.
M.-L. Zeitschr. VIII 233 hatte püge aus *pedica durch gegen-
seitige Assimilation erklären wollen. Auch Cledat arbeitet mit
„gegenseitiger Assimilation", die bald in dieser, bald in jener
Richtung erfolgt, ganz wie es der Autor braucht. Demgegenüber
ist strengstens zu betonen, dafs das Ergebnis immer stimmlos
ist, wenn einer der zusammentretenden Konsonanten stimmlos ist:
radico > *radego > rage, radicat > *rad'cat > räche. Schon in
afr. Zeit sehen wir bei den Zeitwörtern den Ausgleich meist in
dieser oder jener Richtung entschieden. Bei megier, segier, jugier
kann der Einflufs von miege, siege, juge zur Verallgemeinerung des
stimmhaften Lautes beigetragen haben, rongier mag von rungier
•< rumigare beeinflufst sein. Warum aber fouger gegenüber
arracher, läfst sich schlechterdings nicht sagen, aber diese unsere
Unwissenheit kann die Richtigkeit des Prinzipes nicht in Frage stellen.
Lehnwörter sind nfr. empecher, precher. Zwar Nyrop I"^ § 401, 2
findet /i;-(?(r^f/- anscheinend lautgerecht, aber schon Darmesteter Rom.V
150 f. waren sie aufgefallen. Er glaubte, neben zix. preechier ein
*prechier zu finden, i worin er praedicare sah. Für /»r^^cy^/ifr dachte
er an *praedictiare, was lautlich unhaltbar ist. Afr. empegier
liefs er auf impedicare, empaickier auf *empacticare beruhen,
empeechier blieb unerklärt. — praedicare läfst als Wort der Kirche
von vornherein erwarten, dafs es Lehnwort ist. Und so hat Gröber
ALL IV 425 mit Recht beide Worte als nicht erbwörtlich erkannt.
Die ältesten Formen sind predechier, empedechier, die regelrecht zu
preechier, empeechier, später precher, empecher werden. Neben em-
peechier steht afr. auch empegier. Gröber hält dies für eine Bildung zu
piige, der Dict. gen. betrachtet diese Form als „tout a fait populaire".
Vom Standpunkt der Lautlehre läfst sich keine Entscheidung geben.2
^ Er belegte es mit Yvain 5955 (Holland), wo H. preschier schrieb,
dessen s D. für rein graphisch hielt; Förster Yvain 59^3 \\^s\. preechier. —
Körting aber steht auch in der 3. Aufl. noch auf Darmesteters längst über-
wundenem Standpunkt. Weder preechier noch empeechier kennzeichnet er
als Lehnwörter.
* Erwähnt sei noch *ridiculare >• r7^o/<fr (Litlr^ nach Schelor, der
von ahd. riga ausging, dies aber später aufgab und nach G. Paris ridiculus
als Grundwort ansah). Man müfste es als Lehnwort betrachten, rigoler fehlt
bei Körting.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. 9
130
Unrichtige Ansätze sind unter anderem
caudica afr. coche, coge Lemodica Lmoges.
Denn coche, coge spiegeln wohl den Unterschied von hd. kocke
und nd. cogge wieder. Ob coque damit identisch ist oder zu
concha gehört, berührt uns hier nicht.
Lemodica ist falsche Latinisierung von Limoges, aber auf
Lemovices, wie man zu tun pflegt, kann es auch nicht zurück-
geführt werden, s. § 127.
Noch eine Bemerkung über gerra. Eigennamen. Audec(h)arius,
Audegarius, Autcharius, Autgarius hat man als Ausgangs-
punkt aufgefafst für Ogier. Kluge Gr. P 508 erklärt Gontier aus
Gunthacharius, Ganiier aus Waldharius usw. Es liegt auf der
Hand, dafs dies nicht die Formen sind, welche den frz. Namen
zugrunde liegen. Nicht altgermanische, sondern ahd. Formen (mit
Lautverschiebung) liegen vor: Guntheri > Gontier, Waltheri >>
Gaiitie?-, Otger >> Ogier, Guntberht >» Gonhert.
§ 93- g'c tritt bereits vi. zusammen, s. §§ 20, 23.
b'p würde ebenfalls vi. synkopiert worden sein.
d'p, g'p kommen für das Rom. nicht in Betracht. Das einzige
Beispiel für d'p, adipem, lautete in der Vulgärsprache alipe, s.
darüber § 6 und § 120, i.
§ 94. b't ist eine häufige Gruppe.
*adcubitarei afr. acoder und acoter nfr. accouder, accouter
debitore „ detour (prov. detidor) „ detteur
dubitare „ doter „ douter
*gabitellu2 „ jadel „ jadeau
subitanu „ sodain, selten soiain „ soudain
*de-subitare „ desoier
habitu, -a „ ade, ate
male habitu, -a „ malade, malate'^ „ inalade
^ Der Dict. gen. sieht in nfr. accouder eine Bildung von a -J- cotide, da-
gegen in accoter Ableitung von afr. cote „appui". — Körting erwähnt accouder
nicht, führt aber nfr. accoter auf accubitare zurück. — God. bringt acoter
und s'accouder unter ein Wort. Nach Herzog gehen afr. acoter, nfr. accoter,
prov. acobdar auf accubitare zurück.
'^ Ableitung zu gabita für gabata. Shepard 68 hält, wenn er auch
Mackels Herleitung von fränk. gabita vorzieht, Herkunft des jadeau von vi.
gautellum für möglich, das ist natürlich ausgeschlossen. Germ. Herkunft hat
bereits Pogatscher Zeitschr. XII 555 abgelehnt. Cledat 220 läfst gabata
]> gafta '^ jatte, gabata ]]>> gavata '^ joue, gabata^ gäbda ^ jade werden,
je nach der Zeit, in der der unbetonte Vokal schwand, ohne aber diese ver-
schiedene Zeit des Ausfalles auch nur irgendwie zu begründen. Marchot S. 85
sieht den Grund der späteren Synkopicrung (nach der Erweichung) in dem a
von *gabatellu: aber in einer solchen Form wäre ja überhaupt nie Synkope
eingetreten!
^ Wenn Cledat 220 meint, dafs malehabi tum^*wa/aM^(prov.)]>*wa/o/,
fem. *malve hätte werden können, ist er im Irrtum. ga.\ita "^ gauta ist vi.,
131
cubitu, -a*
afr. coude^ coiite
„ coude
debita, -u
„ dete, dehde
„ dette"^
gabata, gabita
„ jäte, jade
„ jatte
subito,
„ solide, soute
bibitas
frz. boite, beite.
Die Annahme, dafs in Proparoxytonis mit End-a der Pänultima-
vokal vor der Erweichung, sonst aber die unbetonte Silbe nach der
Erweichung fiel, gibt eine einheitliche Erklärung, malade, malate
sind ursprünglich nach dem Geschlecht verschieden, wie § 87 er-
wiesen wurde. Jene Erklärer, welche diese Annahme verwerfen,
sind zu den widersprechendsten Ergebnissen gelangt. Marchot S. go
erklärt malade, soude, coude durch Suffixtausch, -idu sei an Stelle
von -itu getreten. Cledat S. 222 findet coude lautgerecht, coute sei
daraus durch assimilatorischen Einflufs des c entstanden. Bauer
S. 42 wieder sieht coute als das Ursprüngliche an, coude sei entlehnt
aus prov. coide oder (wie soude) durch Suffixtausch (-idu) entstanden.
M.-L. Fr. Gr. S. 102 hält für zulässig, bei malade an *male habidu
oder -apidu zu denken: wo im Frz. hat man je ein solches Um-
springen der Tonstufe von habitu zu hapidu beobachtet? Der
Dict. gen. nimmt eine doppelte Entwicklung an,
cubitum >• cobete >> cobede > cobde, Code, coude
und cubitum > cohete > copte >> cote',
aber an welche Bedingungen das eine oder andere geknüpft ist,
darüber äufsert er sich nicht. Man sieht: Suffixtausch (wobei das
damals lebendige -itu durch das absterbende -idu ersetzt werden
soll), Assimilation seltsamster Art, Entlehnung, unbegründetes Neben-
einander sind in gegenseitigem Widerspruch herangezogen worden.
Ihnen gegenüber ist die alte Neumannsche Auffassung ihrer Einheit-
lichkeit wegen vorzuziehen.
Auch hier ist bei den Zeitwörtern früh Ausgleich eingetreten.
Für accouder mag coude und vielleicht Scheidung von accoter be-
stimmend gewesen sein. Für douter sind mir Formen mit inl. d
dagegen prov. malaute (nicht malant) neben malapte ist einzelsprachlich, vgl.
*adaptu ^ azaut.
1 C16dat S. 222 findet coute schwer zu erklären, ein Fem. cubita scheint
ihm pas vraisemblable, denn cubitum könnte nur cout oder coude ergeben.
Ein cout ohne Stütz-<f ist gewifs nicht möglich.
* In der 2. Aufl. läfst Körting dette entlehnt sein aus it. detta, anscheinend
wegen des Doppel-^! Wenigstens erklärt sein Schüler Klausing S. 48, es sei
entlehnt, weil b't im Frz. nie tt ergäbe; auch gabata "^ jatte scheint Klausing
deshalb zweifelhaft. — Bemerkenswert sind afr. doite, doibte, angeglichen an
die stammbetonten Formen von devoir.
* Ob wirklich ein *bibita je bestand oder beite erst später unmittelbar
zu beire gebildet wurde, ist nicht zu entscheiden. *b:bita hätte afr. *bete
geben sollen, das unter Einflufs von boire zu boite geworden sein mufs; mittelfrz.
bette ist erst sekundär aus afr. boite hervorgegangen. — boitoire ist frz. Ab-
leitung zu boire, nicht *bibitoria, wie Shepard S. 78 ansetzt.
9*
132
nicht bekannt. An Dissimilierung wegen des Anlautes glaube ich
nicht. Auffällig, dafs auch prov. doptar nur stimmlosen Konsonant
zeigt. Es mufs also der Ausgleich sehr früh eingetreten sein, schon
*dubtare für dubitare nach dub(i)tat (§ 65). Auch alle frz.
Ableitungen zeigen durchweg t: doiitance (it. doilanza, span. dudanza),
doute (prov. dople), douiee^ doutaine, doiitalson\ doiiteux, doutihle, douiif,
doutü.
Afr. soiain (in soiaincment) entsteht durch Ausgleich mit subita
mente >> sotement. Der Umstand, dafs bei soudahi das t fast nur
im Adv. sotamement vorkommt, bestätigt aufs schönste, dafs dieses
t eben nur im Adv. sotement berechtigt ist. Denn subito gibt
lautgerecht söude, daneben sote durch Ausgleich nach soiement\ um-
gekehrt sodement. Afr. desoter beruht auf *desubitat >» desote.
Das afr. cote, das weit häufiger ist als malate, wird bestätigt
durch Karte 330 des Atl. ling.; zwar wall. pik. lothr. kut kann auf
Verhärtung im Auslaut beruhen, aber daneben findet sich z. B.
Dep. Jura küiu, neben kude (z. B. D6p. Ardennes) steht häufig küie
(norm. 355, 398; im Dep. Marne und nördliche Schweiz); im Dep.
Vosges kotre, kotrey. M.-L. Rom. Gr. I § 538 geht für coute aus von
cubita, afr. ist das Wort auch fem. 1 — Der Ansatz *cubitaia ist
kaum berechtigt, coudee (afr. auch coutee) dürfte erst frz. Bildung zu
coude sein.
Für dette belegt God. auch debde (Joinville) und zweimal depde
aus Freiburg. Wir dürfen darin die Reflexe von dehituvi erblicken, 2
das ja die klassische Form ist; bekannt ist die Tatsache, dafs das
Geschlecht im Afr. schwankt und noch bis ins 17. Jh. dette als
männlich vorkommt. Afr. detour steht unter Einflufs von dette, wie
prov. deudor bezeugt; das gleiche gilt vom Nom. debitor ]> detre,"^
während prov. deveire (Körting) nicht auf debitor zurückgehen kann.
Afr. detere {deteor) ist kaum *debitator (Marchot 85), sondern sekun-
däre Bildung zu dete. Körting setzt auf Grund von it. mdebitare,
prov. endeniar, frz. endetter, span. endendar, ptg. endividar ein *hidebitare
an. Der Dict. gen. läfst endetter entstehen aus en + dette. Ob nun
die Bildungen erst einzelsprachHch sind oder auf eine gemeinrom.
Zusammensetzung zurückgehen, ist schwer zu entscheiden; sicher
zeigen sie alle den Einflufs von debita >> dette, deiita, deuda, divido.
Neben jatte steht, wie schon Diez bemerkte, norm, gade, jade.
Nach Karte 715 des Atl. ling. ist in Maine, Anjou, der Vendee
die d-Yoxva. die Regel und findet sich häufig in der frz. Bretagne,
im Norm, und im Südwesten. Auch im südlichsten Teil des Westfrz.
(Süden von Saintonge und Angouleme) tritt hed auf und schliefs-
^ Anderer Meinung ist er Frz. Gr. 122 geworden, cubita ];> co/^ scheint
zweifelhaft, weil cote weder Plural noch Femininum sei. God. II 342 bietet
coute 5. L = cotide'e^ IX 232 coute s.m.. = coude. Ursprünglich wohl cubita
(unter Einflufs von alina, mensura) Elle, cubitus Ellbogen, dann durch-
einander.
^ Auch prov. deude neben deuta.
' Schw.-B. § 122, 2 dagegen hält detre für lautgerecht.
^33
lieh Jäd im Nivernais. Nach M.-L. Zeitschr. VIII 234 ist dieses Jade
„entweder aus dem Dem. [Jadeau) zurückgebildet oder zu erklären
wie coude'-'- , Neumann Zeitschr. XIV 563 läfst jade nach jadeau ge-
bildet sein und dem mufs man zustimmen, da es im yW^- Gebiet
sogar dieses stellenweise verdrängt hat: jdö (Dep. Morbihan 486),
jedel (Sarthe4ii). Oh jaile von gabita oder gabata seinen Aus-
gang nahm, ist nicht zu entscheiden; gabita wird durch gabitellu
'^Jadeau wahrscheinlicher gemacht. — Über ixz.joue s. S. 32.
SchUefslich noch Arras: die Grundform kann nicht Atrebates
(Cäsar) noch Atrabates (Gregor v. T.) sein, da b't Stützvokal ver-
langt. Freilich erscheinen afr. auch det, redot, ebenso acotity die
aber nicht debitum, *redubitum, *ad-computum darstellen,
sondern jüngere Bildungen sind; schon Shepard erklärt sie richtig
als frz. Verb.-Subst. (ebenso sind dubito, dubitem>' dout An-
gleichungen an atm, mont usw.). Es ist daher auszugehen von
*Atravetes mit vi. v für b, vgl. § 73.
Das ausschliefsliche / in doiiter (prov. doptar)\ coute, jade neben
coiide, jatte; afr. deire, detour bieten gewifs Schwierigkeiten für die
Neumannsche Auffassung, aber sie sind geringer als bei allen
übrigen Deutungen.
§ 95. d't ist bereits gemeinrom. synkopiert worden, s. § g ff.
g't wurde schon im 2. Teil, § 4g, behandelt.
2. Einfache Tenuis im Anlaut.
c'c ist gemeinrom. synkopiert, s. % 2}^.
§ g6. p'c: *atrapica diix. arrache, nix. ar röche s. § 127c.
§ g7. t'c ist dagegen wiederum häufig.
*fiticare ?Sx. fegier, s&Xttn figier xSx. figer.
*excuticarei frz. ecoucher
Substantiva auf -aticu:
afr. -age (-ache) nfr. -age"^
Adjektiva auf -aticu, -a:
*silvaticu, -a afr. saiivage, -ache nfr. sauvage
*volaticu „ volage
1 So Thomas, Mel. 64; dagegen Horning Zeitschr. XXVII 142.
2 Dieses -age nahm Karsten S. 32 zum Anlafs einer längeren Aus-
einandersetzung, die zur Gänze abzulehnen ist. Er treibt seine Theorie von
den Sprechtakten soweit, dafs sich ihm vi. — je nach dem Nachdruck — aus
-aticum nebeneinander -atek, -atke, -atk ergeben, vgl. §84.
Neben der Entwicklung -aticum > a^^^^ö > adge'';> age schlägt Gutheim
S. 23 eine „kiirzere" vor, -^\.\cw'^ atge'P' adgey> age; warum zwar f > ^,
aber nicht t > d erweicht wurde, darüber gibt G. keine Auskunft.
134
auf -oticu, -a:
*feroticu, -a^ af r. feroge, feroche nfr. fa rouche
*vivoticu, -a^ „ vioche, selten vtoge, viouge
*annoticu mundartl. anoge
hibernoticu lyon. vernoge (prov. ivernotge)
Femer :
natica afr. nache, nage nfr. nache
hutica „ huche, hnge „ hicche
*liticu3 „ lige, lege [*retica ostfrz. rige'\
hereticu „ erege Gemeticum Jumüges
arte mathematica „ artimage
*fiticare, das einzige vortonige Beispiel, ist zu *fiticum für
ficatum gebildet wie mhd. liberen zu leber. Diese Deutung stammt
von G. Paris Rom. VIII 434, der allerdings *fidicare ansetzte.
Gröber ALL II 424 Anm. möchte fege?- aus „noch nicht nach-
gewiesenen iiXx. fege (= "prow. feige << *fiticum)" gewinnen. Der
Unterschied beider Auffassungen liegt wiederum in der Zeit: Paris
denkt an Ableitung vor der Synkope, Gröber nach ihr; eine Ent-
scheidung zu geben, ist vom Standpunkt der Lautlehre nicht möglich.
Vielfach finden sich falsche Ansätze, so bietet Körting:
*mansionaticare menager *passaticarius passager
Es liegt auf der Hand, dafs wir es mit frz. Bildungen zu menage,
passage zu tun haben. — Neumann Zeitschr. XIV 560 zählte hierher
auch endomagier: das Wort verrät sich deutlich als Bildung zu
do?)i?}iage.
*nauticarius (Foerster Zeitschr. lU 566) frz. nocher
widerspricht unserer Regel. Die Diezsche Herleitung von vavxXrjQog
ist freilich unhaltbar für das Frz., aber einwandfrei für it. nochiere,
aus dem im 16. Jh. frz. nocher entlehnt wurde, vgl. M.-L. Zeitschr.
f. O.G. 1891, S. 773.
Nyrop § 400 Rem. findet die Entwicklung der Proparoxytona
-icus „peu clair". Ihm scheint der Pänultimavokal gewöhnlich
nach der Lautabstufung zu fallen, dazu stimmt ihm -age, fromage,
fumüges, erege, juge, müge, püge, süge. Aber, wendet er ein, da-
neben findet man Aventicum> Avenches, (pagus) P o r t i c u s >■ Porche,
porticus ^/lört//^. Dieses „aber" entbehrt jeder Berechtigung, nach
einer stimmlosen Gruppe mufs ja das Endergebnis stimmlos sein.
1 Zu ferox nach Vorbild von silvaticus, vgl. M.-L. Rom. Gr. I 270
und Dict. g^n.
"^ Nach Thomas, Essais philol. 240; Horning Zeitschr. XIX 177 Anm.
wollte darin eine Ableitung von vivus + öccus sehen, wobei aber die
Nebenform mit g unerklärt bleibt.
* *liticum setzt der Dict. gen. an und bringt es in Zusammenhang mit
liti der lex Salica. Sonst von ledig hergeleitet, s. § Il8, l. — Dazu afr.
ligee {^\z\A ligde wie Körting).
135
Die zahlreichen Hauptwörter auf -age sind natürlich nur z. T.
erbwörtlich, d. h. schon cl. oder wenigstens gemeinromanisch, die
übrigen erst frz. Bildungen. Aber die Entscheidung ist oft recht
unsicher. Zu den ersteren dürfte man etwa rechnen äge, courage,
dammage, fromage, lignage, mäiage, ouvrage, parage, eiage, ombrage,
olage, usage, voyage, village, vielleicht auch carnage, barnage usw.;
zu den letzteren: klairage, feuillage, heritage, Hommage, mariage,
passage und viele andere. ^
Der Atl. ling. bietet cirage (7, 292), barrage (10, i\\o), fourage
(13, 606), fromage (14, 613), heritage (15, 688), juariage (18, 815)
und weist überall stimmhafte Spirans usw. auf, aufser wo Verhärtung
im Auslaut eintritt. Afr. finden sich auch Formen mit ch, Foerster
zu Erec 1006 domage und domache, God. auch d^inache neben ge-
wöhnlichen -age, dazu dlmagier und - achter \ Metzke, Arch. f. d.
Stud. d. neueren Spr. LXV, S. 65, 82 (1881), fromache; Görlich,
Frz. Stud. VII 115 domasche, Schulze2 S. 15, Bauer S. 29 {ver7tage
und grenache). Es handelt sich also nicht um -ache neben -age,
sondern im wesentlichen um domache und fromache, für die eine
Sondererklärung zu geben ist. Es können alte Plurale sein, deren
Erhaltung bei diesen beiden Worten verständlich wäre, während
sonst die Worte auf -aticum ihres Begriffes wegen selten eine
Mehrzahl bilden.
Schon M.-L. Zeitschr. VIII 2-^t^ machte aufmerksam, dafs neben
nache auch nage stehe: dies sei entweder wall. Lautabweichung oder
eher Angleichung an die zahlreichen Substantive auf -age."^ God.
belegt 7iage und nache, einmal naiege', für das Wall, gibt er nhhe,
nlge an. Mir scheint nage, naiege auf lehnwörtliche Entwicklung zu
deuten, ein Zurückgreifen auf die lateinische Form ist bei dem
Charakter des Wortes recht begreiflich. Beachte prov. natja, nagga,
friaul. nadie.
Falscher Ansatz ist *mordatica > mordache (Gutheim Z'^.'^
' Vgl. die Liste bei Bauer S. 19.
2 Der Konsonantismus des Französischen im XIII. Jahrhundert, Halle 1890,
3 Gutheim S. 23 meint, nage nach fiagier; ich weifs nicht, was für ein
nagier das sein soll. — Cledat hält nage für lautgerecht. Für nache, farouche
möchte er annehmen, dafs, als das Auslaut-^ nahezu stimmlos war, g ,,a pu
etre assimile par la langue h. une consonne finale: or, on sait qu'une sonore
s'assourdit lorsqu'elle devient finale"; aber diese Änderung sei nicht allgemein,
in Woltern wie courage, j'uge sei sie „absolument" verhindert worden durch
Ableitungen wie cotirageux, jug-er usw. — Marchot S. 93 hält nache nicht
für regelmäfsig, weil pic. nake nicht nachgewiesen ist. Für tiage findet er die
Erklärung in der Entwicklung des Suffix -icu, -ica, s. §96. — Körting
bietet seltsamer Weise in allen Auflagen afr. nache, nfr. nage.
* Diez, Körting! leiten mordache von mordax, -com her, das ist un-
haltbar. Der Dict. g6n. betrachtet es als Ableitung von mordre ■\- accus;
mordache für mondasse scheint ihm dialektisch; ihm folgt Cledat S. 132.
Shepard 20 bezeichnet mordache als Lehnwort aus dem it. mordochia <[ *mor-
dacula, so auch Körting* "»d ',
136
Das spätlat. hutica verdankt das Schwanken zwischen ch und
g wohl seiner verhältnismäfsig jungen Bildung. Braune Zeitschr. XVIII
513 wollte bekanntlich von ostfries. hucktje ausgehen. — *retica
> ostfrz. rlge (M.-L. Rom. Gr. II 455) ist viel zu unsicher, um
gegen unser Gesetz sprechen zu können; Horning Zeitschr. XXI 459
weist den Ansatz ab auf Grund von nprov. drai.
erege -< hereticu, arthnage <i arte(mathe)matica sind
selbstverständlich Lehnwörter.
§ q6. Anhang. Schwierigkeiten bietet der Weg, auf dem
Kons. 4- icu >> frz. -ge geworden ist. M.-L. Rom. Gr. und Schw.-B.
§ 148,2 sind der Ansicht, dafs in -icu vor Eintritt der Synkope k
über g zu y geworden sei, z. B. medicu >> miedeye ]> miege, -aticu
>- -adeye >> -adze. Nyrop I § 400 Rem. läfst -aticu m >» -adego
y> -adgo >> -age werden. Diese Entwicklung hat zweifellos auf der
iberischen Halbinsel stattgefunden: ptg. -adego, span. -adgo > -azgo.
Wie aber -adgo im Frz. zu -age wurde, während sonst c, g nur vor
a sich zu ch, g {/s dz) entwickeln, darüber gibt Nyrop keine Aus-
kunft. Für das Frz. im engeren Sinne könnte man sich folgender-
mafsen helfen: -adgo wurde zu -adge mit Stütz -^ und vor dem p
entwickelte sich gedecktes g genau so wie vor a.
Allein diese Annahme ist unzulässig für frc.-prov. -ajo und
prov. -aige. Bereits N. du Puitspelu, Dict. etym. du Patois Lyonnais
p. LXXXVII Anm. 2 führt aus; La suffix -aticum a donne -aj'o,
Sans qu'on puisse l'expliquer par -at(i)cum, car c devant u = k
ou g. II faut donc admettre -ati(c)um, oü -h'utn ne s'est pas
comporte comme la finale latine -tium, laquelle a donne s dans
solatium = sola(s). Dans -aticum il y a eu consonnification
de i'i, d'oü -atjo, -ajo. On compremd d'ailleurs facilement que
-titim, de formation romane, ne s'est comporte comme le -tium
originaire du latin.
Ferner müfste in jenen Gebieten, wo k^, gl nicht zu ts, dz
wird (pic.-nordnorm.), nicht -ge {-dz3), sondern -giie {-g?) erscheinen.
Marchot S. 93 macht nun darauf aufmerksam, dafs -ague, m/egue,
piegue, jiigue, ligue usw. im Norm.-Pic. sich nicht finden. 1 Er
gelangt zu dem Schlufs: die Endung -icu, -ica wurde allgemein
als Suffix gefühlt und man widerstrebte lange, sie zu synkopieren,
um sie nicht zu entstellen. So fiel vor der Synkope das c auf
der Stufe y, dann wurde j in -tis, -dis eingeschoben, also -tiJ3,
-dijf, dann Synkope: /'y>, d^), daraus -che, -ge.
Wieder einen anderen Weg vermutet Horning, Proparoxytona
S. 21 f. In -aticum > age, manicum > mange, pertica "^ periye
1 Es fragt sich, ob die Behauptung richtig ist, oder uns die ursprüng-
lichen Formen nur nicht überliefert sind. Der Dict. des Festes kennt nur ein
Forgiie, aber zahlreiche Forge(s) in diesem Gebiete. Zum mindesten ist Marchots
Angabe für perche unrichtig, es findet sich noch heute perk. Ebenso belegt
der Atl. ling. tnäke für tnafiger, s. § 99, I. Für au piege sagt nach ihm das
Pic. a l atrap, das Wall. 0 sep, daher kann kein *piegue sich finden.
137
> voges. perte^ wall, pls usw. habe man i in der Pänultima statt e
gesprochen. Aus vi. e konnte i hervorgehen unter dem Einflüsse des
mit einem Ansätze zur Palatalisierung gesprochenen c. Dieses i
konnte nun seinerseits wieder auf das e zurückwirken und den
Prozefs der Palatalisierung fördern, während es selbst durch das c
vor der Reduzierung geschützt wurde und seine vokalische Natur
länger als andere Vokale ungeschwächt behielt; es konnte nicht
ausgestofsen werden, weil es nicht zu ^ verblafst war. Die Paroxy-
tona hielten sich daher, bis c durch g zu y wurde, -iya wurde
allmählich durch Verschmelzung beider i-Laute zu -y3.
M.-L. Frz. Gr. § 123 nimmt dagegen an, dafs in -icu sich c
in ähnlicher Weise verflüchtigt hat wie g in — agu, nur dafs -icu
über -iu zu /// und nach stimmhaften Konsonanten g, nach stimm-
losen c wurde.
Um eine Entscheidung zu geben, ist vorerst eine gründliche
Untersuchung des Pic.-Norm. notwendig, wie weit hier -qiie, -giie-
Formen bestanden haben. Die eigentliche Lösung aber wird auf
prov. Gebiet zu finden sein, denn die Schwierigkeit besteht auch
für prov. -aije\ die stärkere mundartliche Gliederung wird hier eher
die Möglichkeit bieten, sich für einen der obengenannten Wege zu
entscheiden. Der Atl. ling. bietet das nötige Material dazu. Auch
das Cat. und vor allem die rätoroman. Mundarten werden manchen
Fingerzeig geben können. Vom frz. Standpunkt allein gelangt man,
wie die oben angeführten Annahmen zeigen, zu keiner Entscheidung.
§ 97. Tenuis vor p.
c, t vor p kommen nicht in Betracht; p'p tritt voreinzel-
sprachlich bereits zusammen, s. § 19.
Tenuis vor t.
c't wurde schon im Teil II behandelt, s. § 50.
p't und t't sind gemeinromanisch, s. § t^i und § 10.
3. Gedeckte Media vor c, p, t.
Erwähnt sind nur jene Gruppen, die tatsächlich vorkommen.
Die Entwicklung ist ganz die gleiche wie bei einfacher Media.
§ 98. Gedecktes b vor c:
I. mb'c: *plumbicare a.{x.plongter,st[ievip!onchier nix.plonger.
M.-L. Rom. Gr. 1 275 sah plonchier als die lautgerechte Form an; in der
Frz. Gr. § 106 erwähnt er nur plonger. Ebenso findet Marchot S. 89
plonchier (pic. pldke) lautgerecht; in plonger habe der Konsonant
vor b, „au moins dans une aire donnee", die Synkope verzögert.*
Bauer .8. 20 denkt sich die Entwicklung *plunibico '^ plumhigo
' Auch Klausing S. 43 meint, die Synkope sei durch den Lautnexus nibc
bis zum Übergang von k ^ g aufgehalten worden.
138
> plumhijo >> plumhie >> plonge. Die alte Neumannsche Erklärung:
*plumbicare >• plongier, *plumbicat > plonche ist völlig ent-
sprechend.
2. rb'c: *berbicariu afr. her gier, lerchier nfr. berger
*berbecaliu „ berge all „ bcrcail
Die lautgerechten Formen sind demnach afr. bergier, bergeail. Marchot
S. 89 ist wieder dazu gezwungen, Kons. + b die Synkope verzögern
zu lassen, „dans une aire donnee". Norm,-Pic. lauten die Worte
berquer, bercail, letzteres ist nfr. verallgemeinert. Afr. berchier be-
darf einer besonderen Erklärung. Norm.-pic. heifst das Wort laut-
gerecht berker, hierqnier; das scheint nun ins Zentralfrz. als berchier
entlehnt worden zu sein, da franzisch ch meist pik. k entsprach.
Dafs es nur eine literarische Umbildung ist, dafür spricht der Um-
stand, dafs in den heutigen Mundarten bercher nirgends vorkommt.
Dagegen pik. berke lebt noch fort (Karte 128 des Atl. ling.), aller-
dings von der schriftsprachhchen Form berje stark eingeengt und
durchsetzt. So spricht man z. B. in Tournai, für das God. so oft
bierquier belegt, heute nur mehr berje.
*cucurbica >> coprge setzt M.-L. Frz. Gr. § 124 an. Körting
führt nfr. courge zurück auf curbea, curvea. Der Dict. gen. be-
trachtet diese erst im 14. Jh. belegte Form als Umgestaltung von
coicrde unter Einflufs von prov. coja. Ein Ansatz *cucurbica
scheint mir für das so spät auftretende Wort nicht berechtigt, eher
ist Suffixtausch von -ita mit -ia eingetreten. Wahrscheinlich ist
Cucurbita überhaupt erst aus dem Süden nach Nordfrankreich
verpflanzt worden.
§ 99. Gedecktes d vor c;
I. nd'c:
Andecavu' frz. Anjou Andecavis frz. Ajigers
blandicare afr. blangier manducare „ manger
pendicare „ pengier ^ petichier nfr. peficher
*expandicare „ espanchier „ ipancher
vindicare „ vengier, venchier, vAx.venger, revancher
vindicator „ vengier e vindicatione afr. vengison
vindicatorem „ z>enchedor,vengedor nfr. vejigeur
Formen wie Anjou, Angers, manger sind beweisend, dafs Synkope
erst nach der Lautabstufung eintrat. Denn zu den beiden Orts-
namen gibt es keine stammbetonten Formen, manditcat aber sollte
*mandue (dafür durch Ausgleich manjue) geben. 3 Heute ist auch
in den Mundarten der Ausgleich fast durchwegs wie in der Schrift-
^ Elfrath S. 783 hat mit Recht den Ansatz *Andegavu als unnötig
zurückgewiesen.
2 pengier führt Neumann S. 560 ohne Beleg an. Godefroy hat nur
penchier.
^ Die afr. Formen, die z.T. eigentümliche Mischbildungen sind, verzeichnen
Coruu Rom, III 427 fF., Foerster Zeitschr. I 562, P. Meyer Rom. VII 432.
139
spräche eingetreten.! Marchot S. 88 behauptet, dafs die Zeitwörter
■manger, vetiger, iarger, jitger keine pic. Nebenform auf g oder k
haben; mit Unrecht, die Sprachatlaskarten zu manger zeigen, wenn
auch sehr selten, die echt pic.-norm. Entwicklung mit Erhaltung
des ^.2 Wall, heifst das Wort magner^ (vgl. it. mundartl. magnare).
pencher, eparicher, revancher sind Ausgleichsformen nach pendi-
cat, expendicat, revindicat. Ist für tpancher keine Form mit
stimmhaften Konsonanten nachgewiesen, so kennt blangier keine mit
stimmlosen Palatal; während vindico, vindicas die entstehenden
Doubletten auf das Simplex venger und das Kompositum revancher
aufgeteilt hat. — Afr. vengison, vengeor zeigen Ausgleich nach venger,
vengiere.
Marchot S. 88 nimmt an, dafs in diesen Zeitwörtern auf -ger
die Synkope ziemlich spät eintrat, auf der Stufe mandnyare, vendi-
yare; die Gruppe dy hätte franzisch wie pikardisch dz ergeben.
Warum aber dann revancher neben venger usw., darüber äufsert er
sich nicht. Er umgeht also den Kernpunkt der Frage, in welchen
Fällen die Synkope vor, wann nach der Lautabstufung eintritt.*
Falsche Ansätze sind:
*vindicantia vetigeance, dies ist vielmehr frz. Ab-
[leitung zu vettger
*revindica (Marchot S.92) revanche (16. Jh.), dies ist vielmehr frz.
[Verbalsubst.
*bandicare (Körting 2. Aufl.) afr. hanoiier; in der 3. Aufl. ersetzt
durch *bandidiare, *banidiare, nur das letztere würde lautlich
entsprechen, ist aber als Bildung nicht zu rechtfertigen.^
1 Der Sprachatlas verzeichnet nur kümmerliche Reste der stammbetonten
Formen: Karte mange (Imperatif) im Pic. myü (275 und 284, wo aber schon
andere Formen daneben stehen); Karte madige zeigt mye 287, 273.
2 Karte mang-e: 284 (pic.) fnä'i, me9, tnäk, myü nebeneinander; norm.
249 mäk\ Karte majige: pic. 245 mäke, 249 7näke, mäjd, 267 niäke, meje. —
Auch norm, ist 7näke, wie ich selbst zu hören Gelegenheit hatte. In neuester
Zeit mufs sich wiederum eine Doppelheit des Konsonanten ergeben in den
Mundarten, wo nach Verstummen des e muet der Konsonant im Auslaut
stimmlos wird (pic. wall., z. T. norm, lothr.); aber infolge der dagegcnwirkenden
endungsbetonten Formen sind die stimmlosen sehr selten.
^ Karte mangeons : niänö, ?nangerats : viäirrcp, mange : wä^, mange
: mäni. Vgl. radicare > afrz. ragier, \o\!ax. rayer; dies kann man erklären
als *^rad-iare für rad-icare, aber ein *mand-iare genügt nicht.
^ Noch seltsamer ist die Rechtfertigung der stimmlosen Formen bei
Cledat S. I32f. Er geht aus von pendit-icare (gebildet zum Part, penditum);
dieses ergibt ihm t^^x^W.q^z.x'^ penteyar'^ pentchier'^ pencher. Die stamm-
betonte Form dagegen habe -ege ergeben, daher Inf. fenchier und pengier.
All das, weil er nicht glaubt, das bei End-a die Synkope vor die Ton-
erweichung fällt.
5 Auszugehen ist vom germ. Stamm band-, gleichviel ob dieser von got.
bandwa oder deutsch band herzuleiten ist. Er ergibt im Frz. das Haupt-
wort ban; dazu ist mittels -^Z2>r <^ -id i are das genannte Zeitwort abgeleitet.
Nur als frz. Bilduug zum frz. Hauptwort ban ist das Nichtvorhandensein des
d gerechtfertigt. — Beachte mhd. baneken = mlat. banicare.
140
mendicare frz. mendier. Es handelt sich viehnehr um Aus-
gleich nach mendicat >> mendie.
2. rd'c: *tardicare afr. targier
Formen mit stimmlosen Konsonanten sind nicht bekannt, die
stammbetonten sind also frühzeitig durch Ausgleich beseitigt worden.!
Man hat targier auch als *tardiare gedeutet, was aber durch den
Konj. tarst widerlegt wird; allerdings könnte iarst auch nur einer
Analogie zu verdanken sein. — Falscher Ansatz ist
*ardicare 2Sx. ardoür, südfrz. ardeja (Schuchardt Zeitschr.XIIl53i),
es handelt sich um Ableitung vom Stamm ard- + -euer ■< idiare.
3. ng'c, rg'c liegen nicht vor, vgl. § 43 und § 46.
§ 100. Gedeckte Media vor p kommt nicht in Betracht Afr.
atnpars ist nicht ambo partes, sondern Umbildung von ambes
partes •< ambas partes nach Muster von andui.
§101. Gedecktes b vor t.
I. mb't: *bombitare, -ire afr. bonder'^, hondir nfr. hondir
*ambitariu „ andier „ laudier
*ambitare „ hanter „ hanter
*ambitu „ ande, onde mundartl. ö«</^
*ambitanu „ andain, ondain nfr. andain
*cambita3 „ jante „ jante
Körting^ 1496 meint noch immer, *bombitare müfste *bonter
ergeben wie tinnitare frz. tentir\ aber die Gleichsetzung von mb't
und nn't ist völlig unberechtigt. 1493 zieht er daher vor, bondir
von bonde (aus mhd. bunde, Nebenform zu spunt) abzuleiten.
Marchot S. 86 läfst wiederum d dem Umstände zu verdanken sein,
dafs dem b ein Konsonant vorangeht; ebenso möchte er ordilre,
andier^ andain erklären. Bauer S. 41 dagegen vermutet für bondir
Entlehnung aus prov. bondire und zitiert bombito >- /5c>«/(f, aber eine
solche t-Form ist mir nie begegnet, auch in den Ableitungen nicht.
*ambitarius ist wohl lautlich entsprechend, aber die Be-
deutung macht Schwierigkeiten. *amitariu (M.-L. Zeitschr. VIII
233; Rom. Gr. I § 430) und *lampidariu (Körtings ^82) sind
auch lautlich nicht geeignet. Diez wies auf mlat. andena, Schuchardt
Zeitschr. XXVI 397 auf lat. landica (afr. landie) hin. Neuerdings
führt Schuchardt* das Wort zurück auf kelt. *andero {xv\2^.. anderius)
= „junger Bock", zweifellos die beste Lösung.
1 atarzie, atarzerat (Pred. d. hl. Bernhard) möchte Elfrath 790 auf *ad-
tardicire ^ atarzir zurückführen. Es liegt wohl nur mundartliche Ent-
wicklung vor.
' Heute noch im Pic. ; vgl. nprov. bounda.
3 S. S. 105.
* Festschrift für Mussafia S. 3. Ihm zugestimmt hat Meringer Idg. F.
XVI 137, gegen den Horning Zeitschr. XXIX 526 *ambitarius verteidigt.
141
Ebenso ist hanter umstritten. Wenn ambitare (Schaler im
Anhang), müfste Ausgleich eingetreten sein. Littres habitare ist
aus lautlichen Gründen, Körtings *amitare (zu ames, -itis) der
Bedeutung wegen abzuweisen. Besser ist Diez an. heimta oder
Schelers *hamitare (zu *hamus = germ. *haim-), wo das h und
das auschliefsliche t ihre Erklärung finden.
ambitus hat Gröber ALL I 235 angesetzt für afr. onde, Körting
583 findet diese Ableitung unannehmbar, leider ohne Angabe von
Gründen. Eine Weiterbildung zu ambitus sieht Gröber ALL 1X235
in afr. ondain, aiidain, nfr. andain 1 Der Dict. gen. sieht darin noch
eine Ableitung von andare; das ist unhaltbar, weil andare die speziell
it. Entwicklung eines Grundwortes 2 ist, welches frz. aller ergab.
G. Paris Rom. XIX 499 ff. geht von indaginem aus. Neuerdings hat
Horning Zeitschr. XXIX 513 ff. über ambitus im Romanischen ge-
handelt und stellt dazu frz. ande, andain; mundartl. a7ide, onde dürfte
wie nprov. ande, abruzz. anda fem. sein und zurückgehen auf den
Plural ambita zum Neutr, ambitum. Ob aber frz. ande, prov. anda
wirklich von *ambita stammen, bleibt zweifelhaft, vgl. Horning
Zeitschr. XXXII 604.
2. rb't:
*orbitaria
altpic. ordüre
frz. ornüre^
orbita
afr. ourde
Cucurbita
„ coourde
„ gourde
derbita
„ derte
„ dartre
Davon entspricht ordüre unserem Gesetze. Marchot S. 85 da-
gegen macht das Wort Schwierigkeiten; es sei entweder auszugehen
von *orbida oder es liege der Grund für d darin, dafs dem b
ein Konsonant vorangehe wie in bondir, andier, atidain. Auch ourde,
coourde erklärt er S. 90 dementsprechend durch Suffixtausch oder
durch die Tatsache, dafs ein Konsonant dem b vorangeht. Elfrath
S. 766 denkt für oiirde an Angleichung an ordüre, ebenso habe
gourde durch ein „gleich oder ähnlich lautendes Wort" sein d
Aber Meringer ist Zeitschr. XXX 414 ff. mit guten Gründen bei Schuchardts
Etymon geblieben. Mlat. andena und branderia sind demnach Umgestaltungen
von *andero-, ersteres nach catena, letzteres nach germ. brand. — Mundart-
lich ist midier auch noch ohne den angeschmolzenen Artikel vorhanden, vgl.
noch me. aundire. ne. andiron (angeglichen an irofi).
^ ondain noch heute in einem gröfseren Teile des Westfrz. (Dep. Loire-
et-C, Sarthe, Maine-et-L., Ile-et-V.) und westnorm., vgl. den Atl. ling.
2 Dieses Grundwort ist für mich zweifellos ambulare, das frühzeitig
*amblare wurde. Aus satzphonetischen Gründen (Unbetontheit infolge der
Häufigkeit) wurde die Gruppe mbl erleichtert zu m'l >• nl, indem b vor 1 fiel
wie etwa n vor i in %t.n\.ox'^*seior^sire. Rom. *anlare ergab durch
regressive Assimilation frz. aller, durch progressive Assimilation prov. annar,
durch partielle Assimilation it. andare. Afr. at}tbler verhält sich zu aller wie
afr. seindre zu sire.
* Nach M.-L. Zeitschr. XXII 440 entstanden aus ordiere durch Angleichung
an orne <; ordinem; der Dict. g6n. bezeichnet orniere als Ableitung zu
orne <C ordinem.
142
erhalten — aber er weifs keins anzugeben. Neumann Zeitschr. XIV
562 nahm an, dafs rb den Wandel von t > d bewirkt, umgekehrt
wie in porticum >■ portigum rt den Wandel von g '^ ch bewirkt.
Bauer S. 41 geht aus von orbitem, woraus er t erwartet: d sei
von ordiere (Elfrath) oder von *orbida (Marchot), gougoiirde scheint
ihm *cucurbida oder prov. Lehnwort. Auch Nyrop I2 400, i
läfst gourde entlehnt sein aus prov. cougourdo, während der Dict. gen.
nur das anlautende g auf Rechnung des Prov. (oder von gourd)
setzt. M.-L. Frz. Gr. § 124 läfst goorde, onze, caiorze, quinze auf
teilweiser Angleichung an den in starker Stellung stehenden Silben-
anlaut beruhen. Aber dagegen erhebt sich das starke Bedenken,
warum denn sonst rb, nd, rd nicht stimmhaftes Ergebnis herbei-
führten, vgl. pencher, epancher, reva7icher, darire, venie, petite, perle usw.
Der Einheitlichkeit der Regel wegen ist in ourde, gourde die
Abweichung zu sehen. Ersteres kann *orbitem sein, letzteres mit
seinen zahlreichen Nebenformen ist der Entlehnung verdächtig.
Beweisend wäre derbita^ >> afr. derte, aber man kann
ebensogut von *dervita ausgehen, wo stimmloser Dental sicher
erscheinen mufs.
3. sb't liegt nur vor in dem Lehnwort
presbyter 2X1. prestre, preste nix. pretre.
Nach dem Dict. g6n. wurde presbyter zu presb'tre zu prestre,
während unser Gesetz Synkope nach der Lautabstufung verlangt.
Ich halte presbyter nur für eine graphische Form, das Volk
sprach, da die Lautverbindung sb im Latein nicht vorkam, zweifel-
los *prespiter.
Dieses wurde — eine AUegroform^ — gemeinromanisch zu
*prespter. Nur so erklärt sich span. aptg. presie, während b't
Stimmerweichung erfuhr (cubitu >> span. codo, ptg. covado), sp't
nicht synkopiert wurde (hospitem ^ span. huesped, ptg. hospede).
*prespter gibt regelrecht prestre', nicht im Frz., sondern voreinzel-
sprachlich liegt die entscheidende Entwicklung.
Ob afr. prestral Ableitung zu prestre oder aber Reflex von
mlat. presbyterialis ist, kann man nicht sagen; in letzterem Falle
müfste prov. preveiral nach preiveire umgestaltet sein. Sicher erst
frz. Bildungen sind prestage, prestesse usw. — Auch der Atl. ling.
Karte 374 zeigt keine stimmhafte Konsonanz. ^ — Der ursprüngliche
^ Die Herleitung von dartre, it. mail. derbeda von herpötem, das sich
mit derbiosus gekreuzt haben soll, ist abzuweisen. Die Betonung macht sie
schon unmöglich, und statt derbiosus ist an der einzigen Belegstelle serniosus
zu lesen (Niedermann I. F. XV 118). derbita ist in Glossen öfter belegt
(s. Walde, Lat. etym. Wb., s. v.), doch ist b nicht „schlechte Schreibung" für
V, wie Walde meint, sondern rv ^ rb ein vi. Lautwandel.
^ Diese Kurzform ist nicht der vi. Synkope zuzurechnen, sondern ent-
steht aus satzphonetischen Gründen, wohl wegen Unbetontheit in der Anrede,
wie *seior (frz. sire) aus senior.
3 Südschweiz, prere, pr'ire ist sekundäre Entwicklung aus prete, pr'ite,
vgl. vous dites = dete und dere südschweiz. Karte 408.
143
Akkusativ presbyterum > pxow preveire, zk. provoire (nfr. in Rue
des Prouvaires) kommt für uns nicht in Betracht.
§ I02. Gedecktes g vor t s. Teil II, §§ 46, 47.
§ 103. Gedecktes d vor t.
I. nd't: Condatei Condes, Candes *lendite zir. lende
Verb.-Subst. — ndita —jite *lendita frz. knie
a. Synkope zwischen d't trat schon voreinzelsprachlich ein,
nicht aber, wenn das d gedeckt ist, wie aus den Beispielen hervor-
geht. Sie entsprechen durchaus der Neumannschen Regel.
Afr. le)ide erklärt Körting 5523 nach Diez aus lendinem wie
image aus imaginem; dann müfste es Lehnwort sein, was unwahr-
scheinlich ist. Ie7ide zu lente durch Einflufs des Adjektivs lentus,
wie K. glaubt, ist abzuweisen. Marchot S. go erwähnt nur lendite
]> le7tte, ohne dann die d-Form zu rechtfertigen.
Die beste Erklärung ist: cl. lendem ersetzt durch *lenditem
(Thomas) >> prov. afr. lende^ durch *lendicem >> prov. lenze, durch
*lendinem >> it. lendine, span. liendre. Wie neben *lenditem ein
*lendita ;> frz. knie, so steht neben *Iendinem ein *lendina
]> cat. Ikmena, ptg. kndea.
b. Die Verb.-Subst. auf —ndita ergeben regelrecht frz. —nie'.
*vendita ]> vente, *rendita > renie. Die Ansätze sind allgemein
anerkannt, nur läfst man diese nomina actionis teils aus dem Sg.
fem. (z. B. Gröber ALL 111 553), teils aus dem PI. neutr. (z. B.
Dict. gen. s. venie) gebildet sein. Körting fügt zu diesen beiden noch
*findita ^ fenie, *pendita '^ penie, *tondita > tonte^ *tendita
>" ienie. Bauer S. 41 setzt solche Bildung auf -ita auch an für
aiienie, descente, entente, fo7iie, soiipenie. Körtling betrachtet descenie,
renie als Bildungen von descendre, rendre. Der Dict. gen. geht für
aiienie, entenie, ienie, ionie aus von *attenta, *intenta, tenta,
*tonta (für tonsa), dagegen fenie, fonie, descente, penie seien Bildungen
zum Verbum nach ienie, retiie, venie. Klausing S. 44 läfst nur *vendita,
*pendita, *rendita gelten, für die übrigen geht er aus von
*intenta, *descenta, *tonta, *fonta usw.
Schwierigkeiten bereitet auch das Verhältnis der t- und d-Formen
im Romanischen: it. rendiia, vendiia, frz. renie, venie, prov. rettda,^
venda, span. re?iia, venia, ptg. renda, venda. Ullrich 3 erblickte darin
die Typen vendita, rendita usw., die sich in zweifacher Art ent-
^ Vorausgesetzt, dafs von einer Betonung Cöndate auszugehen ist und
nicht Rückbildung aus C ond atensis ]> *Co«^£'i?z'j (zu C o n d ä t e ]^ Cöw^/c')
vorliegt, was in Erwägung zu ziehen ist, vgl. M.-L., Bet. im Gall., S. 52.
^ Körting sclireibt auch in der 3. Aufl. fälschlich renta.
* Die Entwicklung des Part. Praet. in den rem. Sprachen, Diss. Winterthur
1879. — Diez hielt bekanntlich vente, tente für Verb.-Subst. entsprechend dem
prov. venda, tenda, aus dem Vcrbalstamm gezogen, wo aber das d sich in t
verwandelte.
144
wickelt hätten; im Frz. fällt das i, bevor t > d erweicht wurde
und man hat vend'ta >> vente, im Prov. fällt das i später, daher
*vendida > venda. G. Paris Rom. VIII 448 wendete dagegen ein,
dafs nichts berechtigt, diesen Unterschied zwischen dem Gallorom.
des Südens und dem des Nordens anzusetzen; warum nicht an-
nehmen, tenda, venda usw. ebenso wie prov. falha, it. tenJa, span.
prenda^ Demgemäfs sieht Schultz-Gora § 157 in renda, tenda, vetida
Verbalsubst. gebildet vom Stamm + a. Herford S. 15 hält für
möglich, dafs in urprov. *vefita, *renia, das t zu d geworden sei
erst unter Einflufs des voraufgehenden n, aber domde «< domitum
bildet gar keine Parallele dazu; dann hätte t auch in cantar er-
weicht werden müssen.
Der Unterschied zwischen dem Frz. und Prov. erklärt sich durch
einen Ausgleich. Beide Bildungen sind ursprünglich vorhanden:
vi. *vendita li.vendita hz. vente^ prov. *^w^/a
„ * tenda „ ienda „ *tende „ tetida
Die grofse Zahl der zu einem Verbum gehörigen Subst. auf -te
{conduite, plat?ile, vente, rente usw.) riefen die Vorstellung hervor,
Verbalsubstantive werden gebildet vom betonten Stamm -f- te (vgl.
§ 49, 5) ; daher wurde frz. *tende zu tente, daher erhielten fuite, suite
usw. lautwidrige Entwicklung, daher bildete man descente zu descendre,
et?ipreinte zu empremdre^ ponte zu pondre usw. Im Prov. aber war
die Vorstellung lebendig, Verb.-Subst. bildet man vom Stamm -\- a:
falha, tenda usw.; daher wurden *venta, *renta zu venda, renda.
Somit stehen *vendita, *rendita fest, *tendita ist ab-
zulehnen, descente ist sicher sekundär. Inwieweit im einzelnen für
die übrigen — ndita oder — nta oder sekundäre Bildung anzusetzen
ist, ist schwer zu sagen.
c. Vortoniges nd vor t wird nach § 64, 3 nicht synkopiert.
2. rd't nur in
perdita ixz. perte.
Hier gilt das Gleiche wie für vendita > vente, *rendita > rente.
Vortonig wurde zwischen rd und t nicht synkopiert, vgl. § 64, 3.
3. Gedeckte Tenuis im Anlaut.
§ 104. I. Wenn der Verschlufslaut der Anlautgruppe stimm-
los ist, können wir theoretisch zwei Fälle unterscheiden:
a) die Anlautgruppe wird zwischenvokalisch stimmhaft, dann
deckt sich die Entwicklung mit der ursprünglich stimmhaften Laut-
gruppe. Dieser Fall kommt aber praktisch nicht vor.
^ vende für vente, das God. aus Vienne beibringt, ist südl. Form.
145
b) Die Anlautgruppe bleibt intervokalisch stimmlos; dann ist
das Ergebnis der Assimilation in allen Fällen stimmlos.
2. Dafs in Fällen, wo eine stimmlose Gruppe im Anlaut steht,
nicht Ausgleich nach der stammbetonten Form anzunehmen ist, hat
bereits Neumann Zeitschr. XIV 561 erkannt, sowie dafs die Tenuis,
bezw. tonlose Spirans erscheint „wegen gewisser vorhergehender
Konsonanten, die selber tonlos assimilatorisch als Nachbarlaut einen
stimmlosen Laut verlangen". Aber zu genauer Feststellung, welcher
Art diese „gewissen vorhergehenden Konsonanten" sind, ist er
nicht gelangt. Ferner sieht er bei st'c (S. 562 o.) den Grund der
Stimmlosigkeit nicht in dem t, das in der Gruppe st stimmlos
bleiben mufste, sondern in dem s. Auch blieb er hin und wieder
nicht konsequent: „hospitale sollte em hosptdale und dieses dann
hosfdale — hosdel geben" (S. 563); das / sei hier durch Einflufs des
Simplex und des benachbarten s hervorgerufen worden. Woher
aber dann das / im Simplex hoste = hospitem?
Die genannte Regel ist in der Folgezeit oft verkannt worden.
Z. B. *excorticare >• escorchier erklärt Rydberg (Zur Gesch. des
frz. 9, Upsala 1896) S. 37 durch ,.regressive Assimilation", Shepard
S. 100 durch Angleichung an die stammbetonten Formen, Elfrath
S. 78g denkt an „nördlichen Einflufs". Cledat S. 130 erkannte,
dafs quand la dentale qui precedait l'atone etait une sourde appuyee,
on a constamment en fran^ais la chuintante sourde che.
Allgemeiner drückt sich schon Bauer S. 10 aus, dafs sich
nämlich „aus der Vereinigung des auf den Hauptton folgenden
stimmlosen Konsonanten mit dem Palatalen des Suffixes -ico, -a
stets ein tonloser palataler Reibelaut (i-)" ergab, wenn dieser
Konsonant gestützt war. Aber dieser Satz gilt nicht nur für das
Suffix -ico, -a, sondern auch für alle anderen Konsonanten im
Auslaut. Wenn die Konsonantengruppe im Anlaut durch die Laut-
abstufung nicht erweicht wird, mufs unter allen Umständen das
Assimilationsergebnis stimmlos sein,
3. Dafs in solchem Falle stimmloses Ergebnis erscheint, gilt
nur für das Frz., nicht für das Prov., das sich hierin scharf von
jenem unterscheidet.
*excorticare >• *escortigar afr. escorchier prov. escorgar
hospitale >> *ospedale „ ostel „ osdal.
4. Was die Proparoxytona betrifft, so führte fabrica "P- forge
M.-L. Zeitschr. VIII 233 zur Annahme, dafs jede Konsonanten-
kombination im Anlaut die Synkope bei a der Endung bis nach der
Lautabstufung verzögere; „daher ist vielleicht /^rc/i^ nicht per(t)ca,
sondern pertga". Horning Zeitschr. XV 497 meinte, die wallonische
Entwicklung des Wortes [pertica >/('/-//o-(j; y' per lye'^ perl se'y> pirs\
bestätige die Vermutung. Aber eine solche Ent'.vicklung findet sich
auch bei einfachem Anlaut. Zur Annahme eines *pt'rtga haben wir
solange keinen Anlafs, als vindicat > vend^at > venche wird.
Beiheft zur Zeitschr. f. roiii. Phil. XXIV. in
146
Gedeckte Tennis vor c.
§ 105. Gedecktes c vor c liegt nicht vor.
§ 106. Gedecktes p vor c:
1. pp'c: cloppicare afr. clochier, pic. cloquer frz. clocher.
Die alte Etymologie claudicare ist wegen prov. dopchar und wall.
klipi heute abgetan.
2. rp'c:
*hirpicare (von hirpicem) frz. mundartl. ortsi
in der Franche-Comte; Horning Zeitschr. XIX 494, 495 weist es
aufserdera nach in metz. trpyf, lyon. harpayi, lothr. p-piiyi, die eine
andere uns hier nicht berührende Entwicklung zeigen.
Nfr. hercher ist nicht Fortsetzung von vi. *erpicare, sondern da
es erst im 18. Jh. auftritt, die entlehnte pic.-norm. Form von herser
(Verbalbildung zu he7-se von hirpicem).
3. sp'c: suspicare afr. soschier, sochier
*ruspica prov. piem. lomb. ^-wj^a, zit.rusche, nh. rucke,
letzteres nach Carl C. Rice, Publ. of the Mod. Langu. Ass. of Am.
XX33gff., der es als Subst.-Bildung zu *ruspicare für ruspare,
kratzen, betrachtet.
§ 107. Gedecktes t vor c:
1. ct'c s. Teil II § 44.
2. nt'c: Aventicum Avenche.
*denticatu frz. denche (doch vgl. dagegen Baist
Zeitschr. XXXII 35).
Nyrop § 400 Rem. meint, in -icus sei die Pänultima nach der
Lauterweichung gefallen, aber Avenche, le Perche, porche sprächen
dagegen. Das ist keineswegs der Fall; nicht durch den früheren
Ausfall des i, sondern durch die stimmlose Gruppe im Anlaut ist
stimmloses ch bedingt.
3. It'c: *re-in-voluticarc wall, ravutsl „einwickeln".
4. rt'c ist häufig:
*excorticare frz. ecorcher pertica perche
*torticare „ torcher (pagus) P er t icus le Perche
reverticare „ revercher'^ porticus porche, porge.
Karte 443 des Atl. ling. zeigt für korcher auf dem ganzen
frz. Sprachgebiete stimmlose Spirans (bezw. Affrikata). Dem prov.
escorgar entsprechend zeigt fast die ganze Languedoc und der
Süden von Limousin noch heute stimmhaften Laut.
^ God. belegt einmal revergier im Reime a\xi cerchier in einer nördl.Hs. ;
das ist wohl nur falsche Franzisierung eines heimischen k durch einen pik.
Schreiber.
147
*torticare > torcher rührt von Ulrich Zeitschr. IX 429 her,
dazu to7-che als Verbal-Subst. Diez ging aus von *tortiare, was
lautlich nicht genügt; Gröber ALL VI 128 von *torcare, was nicht
lateinisch sei, er deutet auf keltischen Ursprung hin; it. torciare,
span. eniorcher usw. seien Lehnworte aus dem Frz. Körting hält
der Bedeutung wegen torche als Verb.-Subst. zu torcher für unmög-
lich; torcher sei vielmehr abgeleitet von torche., dieses = lat. *torca,
Verb.-Subst. zu torquere. Der Dict. gen. geht ebenfalls aus von
vi. *torca, gewonnen aus *torcere > tordre (daneben afr. torse
= torsa). Marchot S. 86 hält an *torticare >> torchier fest, läfst
S. g2 torche nicht *tortica, sondern *torca sein.
Von den Proparoxytonen mufste pertica vor der Lautabstufung
zu pert'ca geworden sein, das per che, pic. perqv.e, pierqiie ergab.
Die übrigen machten die Lautabstufung mit. Die Doppelforraen
porche und porge {prov. porge) erweisen porticus als Lehnwort (vgl.
S. 108, insbesondere Anm. i), seit dem 16. Jh. dafür portique.
5. st'c ist ebenfalls häufig:
*domesticare afr. domeschier domesticus afr. domesche
*fasticare kz. fächer *forasticu „ ferasche
masticare „ macher *robesticu nfr. reveche
*levistica (für ligusticu) afr. kvesche nfr. liveche
*fasticare hat M.-L. Rom. Gr. I an Stelle von fastidiare (it.
fastidiare) von fastidium (cl. fastidire) angesetzt. Storm Rom. V
184 ging von *fastidicare aus. Der Dict. g6n. leitet *fasticare
von fastus her, kaum mit Recht. Da fastidiare lautlich nicht
genügt (vgl. § 64, 3), ist mit M.-L. Suffixtausch von fast-idiare
zu *fast-icare (prov. fastigar) anzunehmen.
Ob *forasticu (zu foras, Horning Zeitschr. XIX 102) oder
*ferasticus oder *feroticus (s.S. 134) in nir. farouche vorliegt,
berührt uns hier nicht weiter. — *ostificare, *osticare (Mafs,
s. Körtings 4q) sind wegen cat. oscar nicht brauchbar, vgl. S. 117.
§ 108. Gedeckte Tenuis vor p:
nt'p: staute pertica^ afr. estamperche
widerspricht zwar unserem Gesetze nicht, ist aber zu unsicher.
Gedeckte Tenuis vor t.
§ log. Gedecktes c vor t s. §50,9 (culcita).
§110. Gedecktes p vor t.
I. vift ist gemeinrom. synkopiert worden, s. § 32, 2.
^ D. i. Akk. stante(m) pcrtica(m); der Nom. stnns pertica (Körting
7078) entspricht nicht, müfsle vi, *stas pertica lauten.
148
2. sp't:
caespitare afr. cester hospite afr. oste nfr. hüte.
hospitale „ hoste! nfr. hötel
In allen Füllen (aufser vor a der Ultima) tritt Synkope wohl
erst nach der Erweichung ein: hospite m >> ^ospede:
ptg. hospede, span. huesped., prov. osde, afr. äste.
Über vi. *prespiter >> gem.-rom. prespter s. § loi, 3.
Strittig ist die Herkunft von nfr. otage:
Diez 229 *obsidaticum zu obses, -idis,
Foerster Zeitschr. III 261 *hostaticum „ hostis, -is,
Tobler Zeitschr. Ill 568 *hospitaticum „ hospes, -itis
Dict. gen.: obses, -idis wird unter Einfiufs von hospes, -itis
zu obses, -itis, davon *obsitaticura (statt cl. obsidatus) >> ostage.
Festzustellen ist zunächst, dafs sowohl it. ostaggio wie span.
hostage aus dem Frz. oder Prov. entlehnt sind; nur diese kommen
für die Ableitung in Betracht. Eine Verknüpfung mit lat. obses,
-idis ist lautlich möglich, b hat in obsidem nur graphischen, nicht
lautlichen Wert, man sprach *opsidem oder *ossidem. An Stelle
dessen trat das abstrakte obsidatus, das konkrete Bedeutung an-
nahm. Durch Suffixtausch entstand *ossid-aticum, das regelrecht
afrz. ostage ergab. Aber ans sachlichen Gründen ist an Toblers
Deutung festzuhalten, vgl. M.-L. Germ. -Rom. Monatsschr. I 642.
§ III. Gedecktes t vor t:
1. nt't: mentita afr. juente
setzt Marchot S. go an, schwerlich mit Recht; nitmte ist wohl sekundär
zu mentir gebildet. Vortonig trat keine Synkope ein, raentitore
> afr. menteor >> nfr. menteur, s. § 64, 3.
2. st't: praestitu afr. prest nfr. p?-et
setzt Hetzer S. 45 an (prov. prest, -a; cat. prest; it. presto, -a und
prestito, -a, aptg. empresttdo); aber die bisherige Ableitung von
praestu, -a genügt auch.
Vortoniges st't synkopiert nicht, s. § 64, 3.
§ 112. Anhang. Es bliebe noch die Frage zu erörtern, ob
bei gedecktem Verschlufslaut überhaupt eine Assimilation stattfand
oder zwischen zwei Konsonanten der mittlere einfach ausfiel, also
vindicare ven (d)ga r venger
oder vindicare venggar venger.
Nur scheinbar weiter führt uns hospitale >• hosp\lal\ hier mufs
durch teilweise Angleichung d >> t geworden sein, also die Assimi-
lation der Lautstufe hat stattgefunden. Ob aber hosp'tal über
hos(p)tal oder über hostial zu hostet wurde, ist nicht festgestellt.
V. Media und Gruppe im Auslaut.
Die stimmlosen Spiranten. Mundartliches.
I. Verschlufslaute vor Media.
§ 1 1 3. Wir haben gesehen, dafs bei Verschlufslaut im Anlaut,
Tenuis im Auslaut die Synkope in Proparoxytonis mit End-a vor
der Lautabstufung, in allen übrigen Fällen nach der Lautabstufung
eintritt. Derartige Proparoxytona mit End-a verfallen der älteren
frz. Synkope, alle übrigen Ausstofsungen gehören zur jüngeren frz.
Synkope.
Anders liegt die Sache bei Media im Auslaut. Hier trilt
Synkope unter allen Umständen erst nach der Lautabstufung ein.
Das ist bis jetzt oft verkannt worden.
Gutheim S. 16 wollte tepidu : tefdti : feVdu : tedde : tcde : tiede
ansetzen. Die Annahme, dafs p sich partiell an d zu b assimiliert
habe, weil der 2. Bestandteil „meist" siege, ist hinfällig. Karsten
S. 26 erklärt die Fem. nefe, ate gegenüber rade, sade, fnalade als
Satzdoppel formen, wonach im Gall. VI. apt, sapt neben hahede, sabede
gestanden hätten; aber ein Typus *sapt liegt nirgends vor. Nach
anderer Ansicht sind sade, rade, tiede als verallgemeinerte INIaskulin-
formen zu betrachten; aber *rafe, *sate, *tete sind nirgends vorhanden.
Es tritt also nach Verschlufslaut t vor Media die Synkope erst
nach der Lautabstufung ein. Das ziemlich junge Alter dieser Syn-
kope wird bestätigt durch die Verhältnisse im Prov., wo hier über-
haupt keine Synkope vorliegt.
tepidusi ^ ., , mo\. iebe
tepida Jfrz-^'^'^^ tebeza,
ebenso cupidus, -a > ]^xo\.cobe, cobeza, sapida ]> prov. sabeza. Es
wurde also im Prov.2 tepidus >> tebed und Ö schwand im Auslaut;
tepida aber tebeöa > tebeza >> tebiza >> nprov. tebeso. Das Prov.
beseitigte zwar auch die proparoxytone Betonung, aber nicht durch
1 .Abgesehen nalürlich von vi. Zusanimenziehunp, z. B. g'd.
2 Man lasse sich nicht beirren durch die Ent\vicklun<j von hospitem
^ ospede ^ osde. t wird im Prov. intervokaHsch zu d, ursprünglich d aber
über 3 zu 2. Als hospitem /.Vi ospede geworden war, sprach man für tepida
bereits tebeÖa. Nun trat zwar vor prov. d, aber nicht vor prov. Ö Synkope ein.
I50
Synkope, sondern durch Akzentversetzuug, die wohl im 13. Jh.
durchdrang, i
§ 114. Wenn der Anlaut und der Auslaut der Pänultima
stimmhaft ist, so ist stimmhaftes Ergebnis der Zusammenziehung
ja selbstverständlich und wir haben kein Mittel, die Zeit der
Synkope festzustellen. Nach Liquida war die Synkope vor d schon
vi. eingetreten. Wann aber
na vi gare frz. nager rumigare afr. rungier
Caturiges Catorges usw.
synkopiert worden, ob zur Zeit der älteren oder der jüngeren frz.
Synkope, läfst sich nicht feststellen, sondern nur nach Analogie der
Synkope vor Tenuis vermuten.
Wo aber Verschlufslaut im Anlaut vor Media stand, werden
wir anzunehmen haben, dafs die Synkope nach der Lauterweichung
erfolgte. Der anlautende Verschlufslaut kann entweder einfache,
bezw. gedeckte Media sein oder einfache, bezw. gedeckte Tenuis.
Bei Media im Anlaut ist stimmhaftes Endergebnis selbstverständlich.
Bei Tenuis im Anlaut müssen wir zwei Fälle unterscheiden. War
die Tenuis einfach, so wurde sie intervokalisch erweicht, das Assimi-
lationsergebnis ist daher stimmhaft. War die Tenuis gedeckt, so
konnte sie nicht erweicht werden, das Assimilationsergebnis mufste
stimmlos sein. Also
tepidus ;> tiehedo >> iicVdo >> Hede, aber
limpidato > limtaio Reichn. Gl. (Hetzer S. 83)
hoiss'da > afr. hoiste
buxida > hoisseda < ^^^^^ ^,^,.^^^^^_
§ 115. Als Medien im Auslaut kommen nur g und d in Be-
tracht, nicht aber b, da dieses intervokalisch längst v geworden
war. Daher
*cordubensis >» *corduvesis >> afr. corvois
cl. vertibula >> *vertivella >> frz. vervelle.
Wäre b zur Zeit der Synkope noch erhalten gewesen, müfsten die
Formen *corbois, *verpelle lauten.
. § 116. Einfache Media im Anlaut ist selten.
1. d'g: afr. lege, lige aus fränk. ledig. G. Paris Rom. XII 382
betrachtet afr. eslegier, esligier als Ableitung dazu.
2. b'd: *rabidare mittel frz. r edder
nach Scheler im Dict. ; Körting 7697 weist das ab, weil *rahtdare
„nur ^roder, allenfalls ''^rauder'''' ergeben konnte (!). Lautgesetzlich
^ Vgl. Lienig:, Die Grammatik der prov. Leys d'amors verglichen mit der
Sprache der Troubadours, Breslau 1S90, S. 109. Herlord S. 21.
151
kann *rabidare nur afr. * rader werden, der Wandel von a in e
(i-edder) bleibt zu rcchtferiigen. K. möchte nun *rabidare in frz.
roder^ (afr. r ander, raudir) sehen; auch da bliebe der Wandel von
a in au zu rechtfertigen.
§ 117. Einfache Tenuis im Anlaut:
1. t'g: *exlitigare afr. esiigter,
so Tobler, Jahrb. VIII 342. Wegen der Nebenform eslegier sieht
G. Paris Rom. XII 382 in dem Verbum eine Ableitung zu lege, lige,
s. § 116, I.
2. p'd: rapidus afr. rade (nfr. rapide)
sapidus „ sade (nfr. in maussade)
tepidus „ ii^de
*vapidosus lyon. vadou.
rade lebt nach God. noch in pic. rade, wall, rade, rate (letzteres mit
Verhärtung im Auslaut), sade ist veraltet, lebt noch mundartlich
(bürg. shlc). Über vog. reffe, afr. savie, saive, frz. sage, afr. tieve usw.
vgl. § 129, I.
Im It. trat keine Erweichung ein, daher rapidus > rat/o,
cauda trepida > cutretta. Prov. keine Synkope: iehe, teheza', *sabe
(nicht belegt), saheza; anstelle von rapidus trat *rapidnis: prov.
raheg, rahey. — Über vapidus : fade s. § 16.
Was die Entwicklung von tepidus usw. anlangt, so ist von
den vielen vorgeschlagenen Reihen die einzig richtige
tepidu : ielbedo : itWdo : tiehde : tiedde : Hede.
Ob e > ie oder p > Z* das ältere ist, läfst sich nicht sagen, s. § 67.
Die gleiche Entwicklung auch in Ortsnamen:
Cupidis vicus2 Qiieude', dagegen im Prov.
*Ovida *Oveza > Ovhe.
3. Eine ganz andere Entwicklung zeigen
Cupedonia > Convonge, Sclepedingus > Esclepens.
Eine Parallele dazu bieten
Aussidingus Äuxange Ermedone Ermotii?
1 Diez 671 hat dieses Wort nicht = lat. rotarc gesetzt, wie Körting
ihm zumutet; sondern er bezeichnet es als Entlehnung aus span. prov. rodar
^-= lat. rotare. Aber dadurch wird afr. rauder nicht erklärt, falls dieses au
nicht blofs umgekehrte Schreibung für prov. 0 ist.
"^ Villa Copta >- Cb/^;«? mufs wohl davon getrennt werden oder die
Zusammenziehung von * Cupida ]> Cop ta ist bereits gallisch und hat mit
unserer frz. Synkope nichts zu tun.
* Und wohl auch eine Reihe von Nimen auf -dununi: Ccrvedunum
>■ Cervon usw., s. S. 53 Anm. I.
152
Lindström liefs Couvonge unerklärt. Vising wies darauf hin, dafs
dieser Ort dem Osten angehört und meinte, dafs es eine pro-
tonische Parallele zur posttonischen Eigentümlichkeit von ieve, tuape,
senne biete.
Wahrscheinlich haben wir hier Worte vor uns, die jüngeren
Datums in der Volkssprache sind. Synkope trat überhaupt nicht
ein, sondern d fiel intervokalisch. Den jüngeren Charakter zeigt
auch nia ]> nge in Couvojige.
§ ii8. Gedeckte Media im Anlaut:
1. mb'd: ambo duo >> *ambedui >- andui,
nach Analogie dazu ampars für amhes parz.
2. rb'd: *exturbidire afr. estourdir nfr. itonrdtr.
Frz. t-tourdir mufs immer noch als ungeklärt gelten. Die älteren
Deutungen bei Diez 308, der seinerseits von torpidus, starr, aus-
ging (wie tepidus: tiedir, so torpidus : iourdtr). Aber *extorpidire
ist lautlich unmöglich, sowohl wegen des o (Foerster Zeitschr. II 84)
als auch wegen rp'd, das als rt enden müfste. Foerster griff
zurück auf das von Covarrubias aufgestellte Etymon iordo aus turdus
(Drossel). Baist Zeitschr. VI 119 schlug *turbidus vor und auch
Gröber ALL VI 336 stellt *exturbidire auf. Körting denkt wieder
an germ. *sturtjan, das schon Diez und zwar endgültig abgewiesen
hat. Der Dict. gen. erwägt Ableitung von iourd, das aus prov.
totird "< lat. turdum entlehnt sei; solche Entlehnung ist bei diesem
gemeinromanischen Verbum nicht glaublich. Wegen it. stordire, cat.
Span, ptg, aturdir ist vi. *a-, *esturdire anzusetzen, das schwerlich
synkopiert ist.
§ iig. Gedeckte Tenuis im Anlaut.
1. mp'd: limpidato > Umtat 0 Reichn. Gl.
*lampidarius > laudier Körting 582.
Letztere Deutung ist abzuweisen, weil in laudier das anlautende /
nicht ursprünglich ist und mp'd im Frz. ?it ergeben hätte. Über
die Herkunft von laudier s. § loi, l.
2. rp'd: extorpidire >> nfr. äourdir
ist abzulehnen, s. § 1 1 8, 2.
3. sp'd: hispidosus frz. hideiux,
davon afr. hisde, hide (Diez 615). Körting 4581 leitet das fem. Subst.
hide her vom Adj. hispidus, -a, -um. Ist für hisde das Grund-
wort tatsächlich hispidus, so liegt nicht lautgerechte Entwicklung,
sondern Entlehnung aus dem Süden vor: hispidu > hisde (vgl.
hospite > osde) und *hispe (vgl. tepidu > tebe) > hispre.
4. rt'd: Arte dun um ixz. Artun
153
ist vielleicht überhaupt nicht synkopiert worden, sondern afr. Arteun,
s. § 64, 3.
5- st'd: *rustidus bietet Körting^ 8227 für prov. afr. rusie',
afr. ruiste setzt er = rusteus. Beides mit Unrecht; rüste us würde
ja *ruis ergeben, mste, ruisie (nfr. rustre) sind lehnwörtliche Ent-
wicklungen von rusticus, das im 14. Jh. nochmals als rustique
übernommen wurde.
6. x'd: buxida afr. hoiste nfr. hozte.
Körting 1674 setzt schon vi. *buxta an, vgl. bosta (belegt von Land-
graf ALL IX 414). Aber aus vi. *busta — mag it. busta darauf
zurückgehen oder nicht — kann frz. boite nicht entstehen, ebensowenig
wie afrz. maistne auf die belegte Kurzform masma zurückgeht. Für
Gallien ist von *buxida auszugehen, das prov. boisseza, afr. boiste
ergibt. Prov. bostia ist aus afr. boiste entlehnt; prov. boissa, afr. boisse^
ist *buxa für buxis aus gr. jivS,iq. Frz. boisseau kann nicht ab-
geleitet sein von afr. boü/c (gleichsam *buxitellus), wie Körting
meint, ist auch nicht *buxtiellum (Dict. gen.), sondern ist Deminutiv
zu buxus (für pixis, s. Landgraf), = buxellus.
2. Vulgärlateinische Langformen.
§ 1 20. Ihre Zahl im Frz. ist sehr gering. Sie befolgen natür-
lich dieselben Regeln wie die übrigen frz. Proparoxytona.
1. Tenuis im Auslaut:
vi. alipem afr. aui'e (s. § 6)
zeigt, dafs p zur Zeit der jüngeren Synkope schon v war.
Über g't, c't s. §§ 49, 50. Usw.
2. Media im Auslaut:
t'd: fatidus ixz.faik (s. § 16).
nitidus frc.-prov. nede, auch prov.
Häufiger sind solche Langformen im Prov. (vgl. § 17):
foetidus, -a ^\os.*fet^ feta und /edeza
horridus, -a „ orre, orreza.
3. Die gleiche Entwicklung zeigen germ. Lehnwörter, die natur-
gemäfs vi. Synkope nicht erfuhren:
ae. falod, 2. Fall fal(o)des dSx. faude
„ weoloc „ weol(o)ces „ welke',
vielfach geht man aus von den jüngeren ae. Formen fald, weolc,
wo aber das Stütz-c ungerechtfertigt bleibt.
* Foerster Zeitschr. XXXI 566 führt dies auf bustia zurück; aber wo-
her bustia? Wenn bustia im 11. Jh., buslellus im 13. Jli. belegt ist, so
handelt es sich wohl nur um Kücklatinisierung von boiste, boissel.
154
3. Die stimmlosen Spiranten.
Aufser den intervokalen Tenues nehmen an der Erweichung
auch die stimmlosen Spiranten in gleicher Stellung teil. Von solchen
Spiranten besafs das Urfranzösische s und f.
s
§ 12 1. Dafs s erweicht wurde, dafür fehlt ein unmittelbares
Anzeichen, da die Schreibung für den stimmlosen wie den stimm-
haften Laut die gleiche bleibt.
s't, s'c werden vor der Lautabstufung synkopiert, schon vulgär-
lateinisch, s. §§ 4, 71, 80.
x't, x'c wurden ebenfalls schon behandelt, s. §§ 40 — 42, x'd
s. § 119, 6.
1. Das nach s vor Liqu. oder Nas. die Synkope nach der Er-
weichung eintrat, zeigt die Entwicklung von s'r:
consuere>>vl. *coscre dSr.cosdre nh. condre
Lazarus „ lasdre „ ladre
ni i s e r u n t „ misJrent {inisirent durch Analogie)
frk. masar „ masdre (nfr. in madre).
Auch vor a der Ultima scheint Synkope nach der Erweichung
einzutreten: sicera > cisera >• ciz}-a > afr. cisdre, frz. cidre; doch
vgl. § 54» 4-
Wenn das s gedeckt war, trat natürlich trotz der jungen Syn-
kope stimmloses / ein:
antecessor frz. ancetre *essere frz. etre
scripserunt afr. escrt'stretit dixerunt afr. distrcni
duxerunt ,, duisirent
Auxerre (öslr) bietet Schwierigkeilen, wenn man mit Shepard 77
Autosiderum zugrunde legt. Sachs-Villatte geht aus von Auti-
sidurum, Gregor hat civitas Autisiodorum. Legt man mit Holder
Autessiödurum zugrunde, versteht sich s von selbst.
2. Nach Liquida trat die Synkope vor s vor der Erweichung
ein: Elusa Eatisse Marosallum Marsal.
f
§ 122. f ist intervokalisch selten, da es in lat. Wörtern in
solcher Stellung nicht vorkommen kann. Es findet sich daher nur
in Wörtern fremder Herkunft oder in Kompositis.
I. Von letzteren kommen in Betracht:
*calefare frz. chaiiffer^ aurifaber frz. orflvre
*malefatus afr. malfe ossifraga pic. nfr, orfraie
*malifatius frz. maiivais circumfodire afr. cerfouir
^ Wenn Körting 1746 wegen des ff des frz. Wortes cald[um]fare als
besser empfiehlt, so zeugt dies von Überschätzung einer verhältni^mäfsig jungen
Schreibung,
155
Nach 1 tritt bei t, z. T. bei c Synkope vor der Erweichung ein;
daraus darf nicht ohne weiteres gefolgert werden, dafs auch vor f
sie vor ihr stattfand. Marchot S. go meint, wegen chalfer, orfraie
sei malifatiu > malvais lautlich nicht genügend gestützt. Aber
schon cl. steht calfacere neben calefacere, so dafs von galloröm.
calfare auszugehen sein dürfte (prov. calfar). Alle übrigen Wörter
können als Komposita gefühlt worden sein, was für orfevrc, cerfouir
höchst wahrscheinlich ist. Vom Standpunkt der Lautlehre ist also
gegen eine gallorömische Bildung *malifatiu >> jnalvais nichts
Zwingendes einzuwenden,
Körting 6748 zweifelt an dem Etymon ossifraga wegen der
Vertauschung von s mit r. ossifraga mufste *osfraie geben, das
nicht belegt ist, aber wohl in offraye (16. Jh.) vorliegt, j- >■ r vor
Konsonant ist pic. (vgl. jetzt M-L. Frz. Gr. § iqq); aus dem Pik.
stammt nfr. orfraie. Engl, osprey zeigt s, aber merkwürdigerweise/.
Zwischenformen zwischen frz. orfraie und ne. osprey sind bisher
nicht gefunden. God. hat orpres später selbst in orfres gebessert.
Beachtenswert ist, dafs das Wort erst spät belegt ist, frz. 1555
(Dict. gen.), engl. c. 1460 als ospray (Oxforder Wb.).
2. Eine besondere Betrachtung erfordern einige Zeitwörter auf
-ficare, die erbwörtlich zu sein scheinen. 1
aedificare aigier"^ *nidificare niger, nicher^
*fructificare froiigier, frogier *panificare panegier^ panechier.
Die Entwicklungsstufen dieser Zeitwörter sind nicht klar. Von
aigier ist nur Fut. aigere, aigeront, aijaront belegt; die Entwicklung
des a'i kann nicht franzisch sein. — God., der V&in frotigier kennt,
bietet yrc^/'^r = fructifier. — Für niger, -eher ist Schuchardt Zeitschr.
XllI, 531 von *nidicare ausgegangen, was lautlich die Sache sehr
vereinfacht. Wenn aber Bauer 2g auch für panegicr, pamehier von
*panicare ausgeht, ist dies lautlich unhaltbar.
Shepard 103 hält froiigier, aigier kaum für volkstümlich,
fructificat sollte * fruit ecke geben; froiigier findet er regelrecht
synkopiert, Cledat 133 stellt folgende Entwicklung auf:
nid(i) ficare : nifegar : niffegar : nifchier : nicher
fructificare \ froitfegar \frofchier : frouchier
Der Dict. gen. (Traite de la formation de la langue fr^. § 33g) zieht
aus aegier, frotegier, panegicr den Schlufs, dafs die lat. Wörter eine
1 Die Ansicht M.-L.'s, Rom. Gr. II, § 578: „Die Vciba auf -ficare ge-
liören lediglich der Bücherspiache an", hai Thomas Rom. XXVI 436 zurück-
gewiesen.
'■^ Ptg. eivigar. — Vgl. zu diesen Verben Daimosleter Rom. I 164,
Thomas Rom. XXVI 436.
3 Beide Formen leben noch heute. Karte 380 des Atl. ling. bietet
denicher'. das Wort ist im Wall. Pik. nicht heimisch. Die Mitte, der Osten,
das Frc.-Prov. zeigen stimmlose Spirans, dagegen der Westen (Bret. Poit.)
durchwegs deniger.
156
binare Betonung hatten: aedificare, fructificare, panificare
(s. § 65, 8). ■ ■ ■ ; _
Nach der Neumannschen Regel mufs panificat >> panefcat
> afr. paneche werden, panificare aber sollte pan(e)vegare >>
*panveiie7- ergeben; wir müssen daher unter Einflufs von panif(i)cat
Synkope der 3. Silbe annehmen: panev(e)gare ]> afr. panegier.
Ebenso erklären sich aigier, frotigier, i deren i vielleicht mundartlich
zu rechtfertigen ist, vielleicht aber Entlehnung bezeugt.
Für niger, nicher ist daher *nidicare der richtige Ansatz (so-
lange nicht *}üegier, *niec}ie als ältere Formen nachgewiesen sind).
Kir. frogier kann nicht auf fructificare zurückgehen, ebensowenig
wie *ostificare2 je afr. oschiei- ergeben konnte.
Die übrigen Wörter auf -ficare sind gelehrt: significare
> seneficr, ebenso certefier^ magnefier, edifier usw.
4. Gruppe im Auslaut.
§ 123. Die meisten Gruppen verlangen Stütz-^ vor sich
(s. § 64, 5), kommen also für uns nicht in Betracht. Pioparoxytona
sind im aligemeinen ausgeschlossen, weil ja eine Gruppe, selbst
Kons. -}- r, den Ton auf die unmittelbar vorangehende Silbe ver-
legt. Und Gruppen, die stimmhaft werden können, sind nur solche,
die als 2. Teil ein r oder i enthalten, ferner k^. Vor r erweichen
sich k, p, t, vielleicht f; vor i nur s und in gewissem Umfange t.
k2, das in urfranzösischer Zeit bereits Gruppe ist, wird ebenfalls
stimmhaft.
Fand die Erweichung dieser Gruppen gleichzeitig wie die der
einfachen stimmlosen Laute oder später als diese statt? Vor r ver-
mutet M.-L. Gr. 1^ 475 spätere Erweichung, aber es ist fraglich, ob
mit Recht. Für k^, si scheinen es die Synkopen zu erweisen,^
wie im folgenden gezeigt werden soll; ti wurde überhaupt nur in
jüngeren Worten erweicht (vgl. jetzt Horning, Zeitschr. XXIV 552 ff.,
XXXI 200; M.-L. Frz. Gr. § 157)-
a) Kons. + r
§ 124. Kons. + r im Auslaut scheint sich genau so zu ver-
hallen wie einfacher Konsonant.
I. Nach Liquida bleibt tr wie einfaches t stimmlos:
l'tr : * p u 1 1 i t e r afr. poltre nfr. poutre * p u 1 1 i t r a n u s afr. pouirain.
Der Dict. gen. geht aus von *püllitra (zu pullus). Abgesehen
davon, dafs *pulHtra zu erwarten wäre, bleibt auch die afr. Neben-
form polare unerklärt. Der Atl. ling. 1080 verzeichnet ebenfalls
» et < t s. § 73.
* So Mafs, s. Körting 49. — Vgl. S. 117.
3 Vgl. auch § 53, 4.
157
pnclr, zerstreut, recht häufig im Westen und Südwesten des frz.
Gebietes. 1 Da sich span. ptg. potro und it. pnlcdro, prov. poiidrel,
nhd. /oller und fohle r (17. Jh.), ralat. pulletrus, poledrus in der
L. Sal. und L. Alam. gegenüberstehen, auch die Cass. Gl. poledro,
puledra bieten, ist d neben t als vorromanisch zu betrachten. Die
Herkunft dieses *pulliter, poledrus, pulletrus ist noch nicht
ermittelt. — Über culcitra s. § 50, g.
r'tr: Afr. fierire (nfr. fierle, it. feretro) ist entlehnt aus lat.
feretrum. *deretranus > dererain, derrain wurde wohl als Kom-
positum oder als Ableitung zu deretro gefühlt; afr. Bildung zu derrain
ist afr. derrenier >> nfr. dernier.
2. fr liegt nur vor in ossifraga > orfraie, s. § 122, i.
b) si, ti
§ 125. si liegt nur vor in
pertusiare frz. percer,
dessen starambetonte Form piertuisier ergeben hat. Stimmloses Er-
gebnis ist hier selbstverständlich. — Nicht von Autisiodorum,
sondern von Autessiodurum ist auszugehen iüx Auxerre, s. §121.
§ 126. ti
erfährt nach Horning Zeitschr. XXXI 200 ff. Erv/eichung nur in
jüngeren Wörtern. Dazu stimmen vollauf die Verhältnisse in der
Synkope.
Dafs nach stimmloser Gruppe das Endergebnis stimmlos ist,
ist uns selbstverständlich.
*partitione zix. pargon *raentition(em) + ea frz. viensonge
*plantitione „ plaiigon.
Demgegenüber sind prov. menllzo, afr. parlison jüngeren Datums.
Auch nach Liquida, Nasal und Spirans ist stimmloser Spirant
von vornherein zu erwarten:
*nigritionem afr. 7/<?rf«« (St. Brand.) *cominitiare {xz.commaicer
?*transmovitiare ixz. trhnousser P'^'minutiare Ziix.mincer.
Aber auch nach stimmhaftem Anlaut erscheint stimmloses Er-
gebnis :
'*"'bibitione frz. boisson *funditiare foncer
*largitione ?i'ix.larsun (St. Brand.) *venditione2 vengon.
1 Näheres darüber in der sprachgeograpliischen Untersuchung von J. Jud,
Arch. f. d. Stud. d. neueren Spr. und Lit., CXX, lieft 1/2.
* Nach Cl^dats Auffassung müfste venditionem *venzon ergehen;
für •vengon schlägt er zwei Mögh'chlcoiten vor, entweder ti^ sei standhafter
gegen die Erweichung oder es sei von *vendi tit i oucm auszugelien. — Der
Ansatz *'d.h%cont.\-\\.'\a.xc'^ escoftser (lilfrathySi) ist ribzulehnen. Aiv.esconser
ist Ableitung zu escons, dieses substantiviertes I'art. zu escondre (vgl. semons
für monitum zu semondre). Alle diese Worte fehlen bei Körting.
158
Aus dem Vergleich mit den sonstigen Verhältnissen können
wir schliefsen, dafs nach Media und gedeckter Muta die Zusaramen-
ziehung zur Zeit der jüngeren frz. Synkope sich vollzog, dafs also
damals eine Erweichung noch nicht eingetreten war.
c) k2.
§ 127. ti entwickelte sich in Erbwörtern zwischen Vokalen zu
ts > s. In der Aussprache des Latein war es mit k^ zusammen-
gefallen; in jüngeren Wörtern wurde es wie dieses zwischen Vokalen
stimmhaft und endete als -iz-. Die Ergebnisse der Synkope scheinen
zu erweisen, dafs diese Stimmhaftwerdung von k^ und ti jünger
ist als die der einfachen stimmlosen Konsonanten.
a) Nach Liquida, Nasal und v trat die Synkope wohl wie bei
t vor jeder Lautabstufung ein:
1. l'k^: pollice frz. pouce filicella nfr. -ßcelle
pulice ,, puce "^-follicellu 2X1. foiicel
salice afr. sauce pullicella frz. pucelle
collocet „ coht 1 pullicenu „ poussin
caballicet „ chevaht sollicitat „ soiicie
*vallicellu, -a afr. vaucel, -e.
Im Prov. aber tritt wie bei t Erweichung ein: prov. euze, potize,"^
sauze. Entlehnungen aus den Süden sind daher frz. yeiise (ilice)
und Cousin (*culicinu).3
Über afr. saiiz, pouz, prov. sa7itz, piutz, poutz s. § 5.
2. r'k^: *exclaricire* afr. esciarcir nfr. edaircir
*nigricire ,, nercir „ noircir
excolubricet „ escolurst
0-
mV:
cimicella nfr. mundartl. sincele (Hetzer S. 31).
*ramicellu6 „ rainceati, rinceau domnicellu, -a "äh. donceU-e
neben afr. dameisel, -e.
pumice frz. ponce rumice frz. ronce.
4. n'k'^: vi. *pinicellu (cl. penicillum) nix. pinceau
„ *canicire („ canescere) „ chaticir
„ *romanice afr. romanz.
Die Kurzform romanz ist zu beurteilen wie afrz. sauz, pouz.
1 Reichn. Gl. culicet : culcet. — Stütz-i? in den Konjunktiven fehlt wohl
durch Systemzwang.
' Neuprov. mit stimmlosem s (Atl. ling. 1068) infolge Entlehnung; heimisch
dafür det gros.
3 Ebenso frz. meleze, delph. melezes (urspr. meleze, vgl. melze) aus vi.
*mellice, wohl von mal nach Muster von larice gebildet (Dict. gen.).
* Vgl. § 64, 5-
* Richtiger *ramuscellu, s. § 64, 5>
159
5- v'k-: *navicella frz. ytacelle, aber im Süden
Navicellae \>xo\'. N'azelles.
Eburovices Evreux^ Eburovicinu Evrecin,
aber im Süden Lemovicinu >> Limousm.
Die ältesten Belege für diese Synkope sind cimcella und
culcet in den Reichn. Glossen.
b) Wohl der jüngeren Synkope angehörig sind Wörter mit
stimmloser Gruppe im Anlaut, wo stimmloses Ergebnis selbstver-
ständlich ist:
antecessor
*butticella
*corticella
frz. ancetre
afr. bocel
„ escorcelle
cortice
forfices2
hirpice
frz. ecorce
„ forces
„ herse
*fusticellu
*harticella
*lacticellu
„ fuissel"^
„ harct'le
„ laicel^
pantice
Pcircitem
>
*cirt
icc
„ pa7ise
„ cerce^
*monticellu
'■'ossicellu
particella
nfr. viOTiceau
afr. osseß
frz. parcelle.
x'k2
s. §
41.
c) Einfache Tenuis liegt nur vor in
*atrapice afr. arrace, wall, aras, oros.
Lat. atriplix, -eis ist eine volksetymologische Umgestaltung des gr.
atgäfpa^vq; diesem näher stehende Formen' liegen den romanischen
1 M.-L. Bet. im Gall. S. 42 betrachtet als Mittelstufe merov. Ebroicas,
das aber auf -ches geendet hätte; ein *Ebro(i)ces aber hätte *Evruiz (ge-
geben. Ich halte die Entwicklung für ganz regelmäfsig: Eburovices
"^ Evruov'tses'^ Evreux. Dafs v nicht vorher fiel, dafür scheint mir Eburö-
vicinus "^ Evrov^chio^ Evrecin zu sprechen, da wir sonst *Evreisi>t zu
erwarten hätten. Dagegen Limoges kann nicht Lemovices sein, sondern
der Ausgangspunkt ist Limovicas: Gregor von Tours benennt die Stadt
im I.Fall mit Lemovica, im 4. Fall mit Lemovicas. Dieses ergab prov.
*'Limovegas ^ Limoges.
ä Diez 587 forpex, -ice; M.-L. Rom. Gr. I 265 *forbice.
' So Schuchardt Zeitschr. XXVI 424, aber i in fuissel bleibt dabei un-
erklärt. Thomas Rom. XXVIII 186 geht aus von *fuscellum, dessen
Bildung Schwierigkeiten macht. Afr. fuisel ist, wenn nicht nur graphische
Variante, Kreuzung \ an fuissel \xn(i fusel'^fuseaii (Thomas).
^ Nach dem Dict. g6n. ist cerce gezogen aus dem Stamm von cerceau
(circellus für circulus). — circitem]>-*cirticem nach Thomas, M^langes.
Schuchardt Zeitschr. XXVI 401 geht aus von circinus, das afr. als tvrw^ und
cerce erscheine, cerne ist ihm vor der Assibilierung synkopiert, cerce nach
ihr, n sei geschwunden wie in vierge, marge. circinus gab lautgerecht
cersne'^ cerne; wenn cerce -i^ cercene <C cit ein \i entstand, kann es sich nur
um ein Lehnwort handeln.
5 M.-L. Rom. Gr. II 500, 547 lacticella > laicelle, laisselle; God. ver-
zeichnet nur masc. laicel.
' So Marchot S. 87 ; nfr. noch osselet.
^ Die Annahme, dafs in den romanischen Formen 1 gefallen ist, ist
ebenso abzulehnen, wie dals nfr. arroche dem Norm, entlehnt ist.
i6o
Reflexen zugrunde: *atrapace >> afr. arrace, wall, ardse (phon. aras),
mit unerklärtem o wall, aurause (phon. ojvs), norm, arousse, atu-oche.
Durch Suffixtausch trat -icu, -ica an Stelle von -ice: *atrapicu
^ ^aprah'cH > lothr. auvrege (phon. ovr§z)\ *atrapica > afr. arraclu,
nfr. arroche, wall, arip [arepe Gloss. v, Tours <] *arrape?). *atripice
liegt vor in it. atrepice. Vgl. dazu Horning, Proparoxytona S. 20;
Zeitschr. XXXII 20; Claussen Rom. Forsch. XV 795.
d) Aber auch nach einfacher Medial findet sich stimmlose
Spirans :
medicina afr. mecine judicet afr. pizt.
radicina frz. racine
Nicht judicem liegt in juge vor, sondern dieses ist entweder gleich
*judicum oder postverbal. Herzog S. 100 meint, judice sei zu
^jiize, dieses durch Einflufs von jugier zu juge geworden. Bos
Rom. XIX weist juge als Verbalbildung zurück und macht *judi-
cum wahrscheinlich für frz., frc.-prov. jtige, prov. cat, jutge.
§ 128. I. Andrerseits aber finden wir Doppelformen:
officina afr. uissine, ta'sine nfr. nsine
berbecile „ bercil, berzil „ Bercy
Thomas Rom. XXVI 450 f. läfst öficina >» *ovicina >» oticina (vgl.
navicella >> riacelle) werden; andererseits sei *ovicina >> oucina
>> uisine geworden wie aucellu >> oisel. Ich kann diese Entwick-
lung von f nicht glaubhaft finden. Sicher steht, dafs das Wort
nicht franzisch ist, sondern aus dem Norden stammt. Wahrschein-
lich weist auch hier das Schwanken zwischen stimmhaften und
stimmlosen Konsonanten auf Entlehnung; vgl. das deutsche Fremd-
wort Offizin. Auch herzil ist nicht franzisch, wo nur be?-cil heimisch
ist; allerdings findet z sich auf ziemlich weitem Gebiet. Vgl. dazu
*berbecinu „Schaffloh" >■ *herzin, mundarti. hardin (Bas-Maine),
herdine (H. -Maine),'- im Süden harhesi(n), bej-hesi(n) (entsprechend
Berbecile ^ Barbezieux). Marchot, Cledat meinen, herzil sei der
stimmhaften Anlautgruppe zu verdanken (vgl. M.-L. Frz. Gr. § 124);
aber warum dann daneben herciP.
2. Nur stimmhaftes Endergebnis liegt vor in *reticellu > riseau
und den Zahlen 11 — 16. Ersteres hat bereits Gröber ALLG, V 453
Anm. abgelehnt, afr. resel, roisel^ ist ihm gebildet aus dem Primitivum
roiz. Ähnlich hält Marchot S. 88 es für eine Ableitung zu retiu,
^ Nach gedeckter Media vielleicht *cambice, westfrz, gajise, genze
(prov. crtM^o; vgl. Horning Prop. S. 30, Anm. 2).
* S. Thomas, Melanges S. 29. — berchü, hergil sind wohl norm.-pic;
Elfrath betrachtet berzil als lautgerecht, bergü stehe unter Einflufs von berger,
bergeatl. — Sicher liegt Einflufs von bercaü vor in berkil, berquü (God.).
^ Was den Vokal der ersten Silbe betrifift, denkt Gröber an lautgerechte
Entwicklung [pi'^ ai nach r); der Dict. g^n. sieht in dem e Einflufs von rets.
i6i
als dieses auf der Stufe redzju stand. Der Dict. gen. aber läfst es
hervorgehen durch Suffixtausch aus reseuil < *retiolu.
3. Sicher stimmhaftes z auf franzischem Gebiete aber bieten die
Zahlen 11— 16. M.-L. Zeitschr. VIII 238, Rom. Gr. I §536 erklärt
dz durch gegenseitige Assimilation, ohne auf mecine, racine Rücksicht
zu nehmen. Elfrath 782 ist der Meinung, dafs hier die Synkope
nicht nach der Stimmhaftwerdung von k^ angesetzt werden kann;
allein die Begründung, die er gibt, ist nicht stichhaltig; er glaubt
sonst hätte man *ondze erhalten. Er denkt daran, dafs der durch
den Nasal gestützte stimmhafte Dental auf die Entwicklung des
folgenden Palatal von Einflufs gewesen sei. Auch Cledat 13Ö hält
doce, trece, sece für das Ursprüngliche; nur da wo d gestützt war,
habe es die Kraft gehabt, das assibilierte c stimmhaft zu machen,
daher onze, quatorze, quinze, wonach dojize, treize, sehe umgebildet
wurden. Gleicher Meinung ist jetzt auch M.-L. Frz. Gr. § 124. Aber
dieser Ansicht stehen entgegen revancher, dartre, hercil usw.
Einen anderen Weg geht Marchot S. 9 1 : das Gefühl der
Komposition habe die Synkope verzögert, der lebendige Zusammen-
hang mit decem die Pänultima bis nach der Erweichung erhalten.
Vereinzelt verzeichnet God. auch stimmlose Formen: tmtse,
doce, katorce, quince (Crest. Clig.), quinche. Wenn ihnen wirklich
stimmloser Lautwert zukommt, sprechen sie gegen die Ansichten
von Cledat und M.-L., weil vorwiegend gerade die Formen mit
stimmlosem c belegt sind, die nach ihrer Meinung stimmhaftes z
von Haus aus haben sollten.
Die Schwierigkeit liegt in mecine, racine gegenüber onze, douze
usw. Zwar könnte mecine gelehrt sein, aber med icus >> 7;»'i?^<? zeigt
doch Erweichung. Aller Wahrscheinlichkeit gehören mecine, racine
aber erst der jüngeren frz. Synkope an. Die Synkope in den Zahlen
II — 16 kann also damit in keinem Zusammenhange stehen. Zu-
nächst scheint sich der stimmhafte Laut in douze, treize, seize ent-
wickelt zu haben, an die dann die Zahlen 1 1, 14, 15 angeglichen
wurden. In den ersteren dürfte sich die Abweichung erklären aus
den besonderen syntaktischen Verhältnissen, unter denen die Zahlen
stehen und die auch bei der Entwicklung der Zehner vom Gl. zum
VI. wirksam gewesen sind.
Anhang.
Mundartliches.
§ 129. Eine genaue Untersuchung der Synkope erfordern
noch die Mundarten. Die angeführten Gesetze gelten im all-
gemeinen für das ganze französische Sprachgebiet und einen (noch
näher zu bestimmenden) Teil des Provenzalischen, aber es sind
gewisse Ausnahmen festzustellen in den Randgebieten im Norden
und Osten, ferner im Franko-Provenzalischen und im Südwesten.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. II
l62
I. Das Lothringische und Wallonische beseitigt eine Reihe
von Proparoxytona anscheinend durch „Abwerfen der letzten Silbe".
Es soll damit nicht das Wesen der Sache ausgedrückt sein, sondern
nur die Tatsache in Worte gekleidet werden. Neben diesen Formen
findet sich in anderen Wörter die regelmäfsige Entwicklung.
-idu: tepidus
*ex-tremidus
vapidus
humidus
-ite, -a: stipite
gabata
orbita + ^^ia
male habitu
*camitem, *cambita
computus
-icu, -a nach Liquida und Nasal
gallica lothr. zol
granica „
manicu „ min
nach gedeckter Tenuis:
pertica lothr. pyei wall, pis
„ pivas
„ diimyes
altlothr,
, tcive
neulothr. th)
lothr.
yjrem
wall.
wap
»
züim
)5
stip
«
zev, glv
)?
warbir
altlothr.
, vialaive
neulothr. malav,
maliv
lothr.
sah, Sam
wall, isam
ostfrz.
1 .
compe
[;
' wall, dzay, gay
■hl „
gren
porticu
domesticu
nach
Dental:
cutica
wall, cot
*fiticu
natica
„ 7iat
medicu
wall, foei, afr. feie
„ med^ altlothr. meie
-ice: hirpice wall. ?/>, lothr. //-/>, atrip(l)icem wall. ar?)>.
Wahrscheinlich ist hier von -ica für -icem auszugehen.
Vortonig zeigen eine ähnliche Entwicklung
-utare: imputare lothr. äp6, öpe
computare ostfrz. co7nper (Godefroy)
-icare^: fodicare lothr. ßiyi wall, fuyi
radicare „ 7-ayi „ rayi
medicare „ rmtiayi „ medi
^ Vgl. dazu Atl. ling. Karte 59 arracher, Karte 257 chaiiffer, ähnliche
Formen auch Karte 239 charger, usw. Dadurch sind jetzt die Angaben der
Glossare und Hornings zu ergänzen. Auch aus Godefroy ist noch manche
Form zu schöpfen, so belegt er z. B. für enger bei Philippe v. Beaumanoir
sowohl aejigie ; changie (Jean et Bl.)
als auch aengnier : gaaignier (Manekine)j usw.
i63
caleficare altlothr. eschaufier (Bernhard) voges, yofyc
*hirpicare lothr. erpiiyi wall. \}nerchi\
masticare „ irnüay^tyL^ „ mossi
cloppicare „ kllpi
manducare „ mani
-icaria: filicaria „ faleyer, Jahr [ ., fetsir\
Eine ähnliche Entwicklung scheinen eine Reihe afr. Wörter
aufzuweisen, deren erbwörtlicher oder lehnwörtlicher Charakter z. T.
umstritten ist:
aridus > are, aire (dazu aretir), avidus > ave, cupidus >>
cove, pallidus > />fl/,f [nir. pale), pavidus > /öZ'i?, sapidus >
save, savie [saive, sage), solid us > sol (nfr. sou) usw.
domesticus ]> domesie, encaustum >> encre, rusticus > rüste,
ruiste (nfr. rustre), monicus > moine usw.
Auch sichere Lehnwörter haben in den genannten Mundarten
oft eine entsprechende Entwicklung:
dies dominica wall, diman canonicu wall, isenon
Bei -icu, -a ist zu beachten, dafs nach 1, n, rt die wallonischen
Formen von den lothringischen sich durch ein epenthetisches i
unterscheiden.
Wall, wap, stip, cot, foet, nat zeigen keine Lautabstufung; sind
sie erbwörtlich, mufs der Kons, zu ihrer Zeit gedeckt gewesen sein.
Die wichtigsten Untersuchungen über diese Erscheinung sind
Horning, Zeitschr. XV 493: „Zur Behandlung der Pänultima im
Französischen"; Schuchardt, Romanische Etymologien I (Sitz.-Ber.
d. kais. Akad. d. Wiss. in Wien, phil.-hist. Kl. Bd. 138) und Horning,
Die Behandlung der Lateinischen Proparoxytona in den Mundarten
der Vogesen und im Wallonischen (Beilage zum Programm des
Lyceums, Nr. 578, Strafsburg 1902). Da diese teils mundartliche,
teils lehnwörtliche Entwicklung mit dem Verhältnis von Synkope
und Lautabstufung nicht in unmittelbarer Beziehung steht, gehe ich
nicht näher auf dieses schwierige Problem ein, zumal Horning in
dem Programm alles zusammengestellt hat, was derzeit darüber
gesagt werden kann.
2. Näher berührt unsere Frage die Entwicklung der sekundären
Gruppe Kons, -f- k im Pic.-Norm. — Es ist bekannt, dafs die
Palatalisierung von k und g vor a im Norden auf einem grofsen
Gebiete unterbleibt. So ist es selbstverständlich, dafs wir auch
nach der Synkope für fr. ch hier k finden:
*cloppicare frz. clocher pic.-norm. kloke
masticare „ mächer „ make
collocare „ coucher ,, kulke
1 Altlothr. inassUr (Ezech.); God. belegt maissa, maissier in Les ch^tifs
und im Chev. au cygne.
II*
164
*ramica frz. ranche pic. norm, rfk
*nasicare wall, ernancher „ nahe
pertica frz. per che „ perk, pierk
[*tortica] „ iorche, torchet „ t07'k, torke
[*revindica] „ revanche „ ervek
Aber seltsamer Weise findet man stimmloses k auch dort, wo
wir wie im Frz. stimmhaftes Ergebnis erwarten. Zwar
carricare frz. charger altpic. querquier neupic. kerke
*fumicare Xo'Cax. f imger „ fiinkier
*ex-radicare afr. esragier „ esraqiiier
plumbicare frz. plonger pic. pldki
liefsen Erklärung durch Ausgleich nach stammbetonten Formen zu,
obwohl das Fehlen jeglicher g-Formen dagegen spricht; aber
*berbicariu frz. berger altpic. hierquier, herker
*berbecaliu mfrz. hergeail pic. nfr. hercail
manducare frz. nianger pic. norm, mäke'^
können nicht dem Ausgleich ihr stimmloses k verdanken.
Andrerseits gibt es aber auch Formen mit Lautabstufung.
Doppelformen zeigen
*filicaria ^ix. feuchiere ■^'ic. feukih-e wall. fetStr
Xiix.fonglre „ feugtiüre
gallica frz. gauge „ gauque, dazu gatiquier
„ gatigue, „ gauguier.
Nur stimmhaften Verschlufslaut haben
*rodicare frz. rotiger pic. ronguer
f a b r i c a Forgiie, g r a n i c a Grangue, * f a n i c a fangue.
Aber *filicaria, gallica sind Kulturwörter, die wohl als *filigaria,
*galliga ins Pic. drangen. Pic. ronguer kann auf rumigare
zurückgehen. Forgue, Grangue als Ortsnamen finden sich nur je
einmal in Calvados, für fangue lälst sich auch eine andere Er-
klärung geben (s. S. 114).
Freilich kommen in pic. Texten Schreibungen mit g vor, aber
es ist meist nur (oft auch falsche) frz. Schreibweise; und selbst
wenn gh, gu auftaucht, bleibt der lautliche Wert fraglich. Die
Karten des Atlas ling. belegen kein g. Während charger auf dem
übrigen frz. Gebiete nur stimmhaft erscheint, zeigt es nur im Pic.
stimmlosen Laut: kerke. Im übrigen gehen diese Formen heute
* Marchot S. 88 kennt mäke (vgl. S. 139) nicht, erv2k beachtet er nicht.
Daher ist sein Schlufs auf Synkope auf der Stufe manduyare, vendiyare un-
richtig.
i65
stark zurück. Die Karte coucher zeigt kulke nur sehr eingeschränkt.
Die Trümmer von 7)iäke sind § gg, i verzeichnet. Für arracher
findet sich arake überhaupt nicht mehr (dafür tirer).
Diese Tatsache, dafs der Norden hier (abgesehen von Sonder-
fällen) keine Erweichung eintreten läfst, ist bisher wenig beachtet
worden. W. Foerster, Li chev. as deus espees, S. 54, führt aus,
dafs, wo der franzische Dialekt Kons. -|- ica in g verwandelt, der
pikardische und andere ein ch haben und nennt berchier, juchier,
grmiche, nache, esr achter, messache, Elfrath S. 763 zieht für plongier
und plonchier zunächst in Erwägung, dafs anglonorm. der Ausgleich
nach den endungsbetonten, pic. nach den stammbetonten Formen
stattfand. „Ferner wäre folgendes möglich: in den nördlichen
Mundarten waren Formen der Stellung /? [nachnebentonig] zur Zeit
des Zusammentrittes der drei Konsonanten nach der Synkope des
Mittelvokals noch nicht von der Medialisierungsbewegung ergriffen,
die vielleicht an der Grenze des Norm, und Franz. gegen den
Norden zu erlahmte". Für Marchot, der.S. 84 if. die Synkope im
allgemeinen vor die Lautabstufung setzt, bieten die genannten
Formen natürlich keine Schwierigkeiten.!
Die ganze Angelegenheit bedarf aber erst noch einer ein-
gehenden Untersuchung, die vor allem das Material vollständig
sammeln müfste, um nicht Fehlschlüsse ex absentia zu ziehen.
3. Auch das Frc.-Prov. weicht in einigen Punkten vom Zentral-
französischen ab und nähert sich dem Provenzalischen. So schon
wenn es statt von *ficatum > ixz. foie von *fiticum (> prov.
fetge, frc.-prov. yi'^cf) ausgeht.
Während zwischen m't im Frz. die Synkope vor der Laut-
abstufung eintritt (semita > sente), zeigt das Frc.-Prov. z. T. Er-
weichung: so weist Karte 12 18 des Atl. ling. in der Schweiz
(Mitte) einen Typus senda auf.
Auch n'c zeigt Sonderheiten. Dem frz. manche •< manicu
steht gegenüber frc.-prov. mange (s. § 78). Noch auffälliger ist
mägo (Atl. ling. Karte 805, Osten von Isere an der Rhone). Horning
Prop. S. 22 legt dar, dafs lyon. mango eine ganz andere Entwicklung
von -icu2 darstellt als frz. mange. Vor k^ ist Synkope in der südl.
Hälfte des Frc.-Prov. erst nach der Erweichung (also wie im Prov.)
eingetreten. Der Atl. ling. verzeichnet für frz. puce südfrcprov. pudze,
pudzo usw., für {xz. pouce südfrcprov. /»t/'ü'si?, pudzo usw.
Die Zahlen von n — 16 lauten nach dem Atl. ling. an gewissen
Orten (70, 96g Schweiz, q66 Italien, 964 Savoyen) otide, dode, trede,
katorde, tyhie {kyende), sede ; undecira > onde scheint da entwickelt
wie hirpicem > wall, tp usw., s. § 129, i.
4. Schliefslich zeigt das Poit. eine Reihe von Abweichungen
ähnlicher Art. Auf suge statt frz. suie, ostfrz. setiche, das dem Prov.
1 Vgl. jedoch § 96.
' -aticu wird lyon. -atjo, s. § 96.
i66
stiga entspricht, ist § 52, 2 aufmerksam gemacht. Ebenso wurde
sendier, setidarel für sentier schon erwähnt. Görlich (F. St. III 86)
weist auf den Wechsel von / und d nach n, r, s hin [cosdume,
vende, rende neben costiime, vente, rente). Wie weit diese Formen
heimisch, wie weit die d dem Prov., die / dem Frz. entlehnt sind,
bleibt zu untersuchen.
Und wie im Frc.-prov., ist auch hier k^ vor der Synkope
erweicht: Der Atlas ling. zeigt für puce Y>oii. pv uz, ^ für pouce poit.
püz. Selbst ti zeigt hier Erweichung: *domitiare >> poit. danzer
„dompter".
Auch der sog. „Abfall der letzten Silbe" findet sich im Poit.
Laianne, Glossaire du Patois Poitevin (1868), verzeichnet
made, madre (adj. de 2 genres) d. i. madidus
rovre ( „ „ „ ,, ) „ „ rübidus?
Gewifs folgt daraus noch nicht, dafs hier dieselbe Entwicklung vor-
liegt, wie in den oben behandelten Worten im Wall, und Lothr.
Aber um eine abschliefsende Antwort auf die Frage nach der Ent-
wicklung dieser Wörter zu geben, ist eine Untersuchung notwendig,
die das Gesamtmaterial der ältesten frz. Lehnwörter, allen Mund-
arten und der Wörter tatsächlich oder scheinbar ähnlicher Ent-
wicklung des Prov., Rtr., It. vorlegt und auf Grund dessen zu
scheiden versucht, was heimisch, was lehn wörtlich ist und wie die
lautliche Entwicklung vor sich ging.
^ Ebenso pro%'. piUze (rechts und links der Rhone, auf weitem Gebiet
verdrängt durch negro, neiro); gase. pus.
Zusammenfassung.
Der Ausfall des unbetonten Vokals sekundärer Gruppen voll-
zieht sich in der Zeit vom klassischen Latein bis zum geschriebenen
Französisch in mehreren Abstufungen. Drei grofse Abschnitte lassen
sich erkennen :
1. die Synkope in vulgärlateinisch-romanischer Zeit,
2. die Synkope vor der französischen Lautabstufung,
3. die Synkope nach der französischen Lautabstufung.
Die Zeit des Ausfalles hängt in erster Linie ab von der Natur
der umgebenden Konsonanten. Im VI. ist die Synkope nur fakul-
tativ, d. h. die ursprünglichen (längeren) Formen bleiben neben
den synkopierten Kurzformen erhalten (§ 6 usw.). In frz. Zeit ge-
winnen die Stellung vor oder nach dem Hauptton und der Vokal
der Ultima Einflufs.
Die Zahl der gemeinromanischen Synkopen ist weit gröfser
als man gewöhnlich annimmt. Wenn wir von mn, Muta + 1 ab-
sehen, unterliegt der Synkope der unbetonte Vokal zwischen
Liquida + Kons, und s't; zu den von Schwan-Behrens § ig
angeführten Gruppen 1 -}- d, t, p, m; r + d, m sind hinzuzufügen
rk2 (afr. sauz, pouz), n'k^ (afr. romanz), l'qu (afr. alqiies) und r't (afr.
espirt), r'k {parc). Die Liquida kann auch lang sein (horridu >
ori). § 4 fr.
zwischen Verschlufslauten gleicher Artikulationsstelle: d't, t'd,
d'd, t't; p'p; g'c, c'c. Ist ein Konsonant der Gruppe stimmlos, so
ist auch das Assimilationsergebnis stimmlos: nitida > nete, *figi-
care > ficher. Auch zwischen gleichen Dauerlauten (n'n, v'v)
scheint die Synkope alt, wenigstens erscheint ebenfalls kein Stütz-e:
Senones > Sens, Novavilla >> Neuville. § 9 flf.
zwischen Verschlufslauten gleicher Lautstufe, falls der zweite
Konsonant ein Zahnlaut ist: g'd, c't (s. u.); p't, mp't: reputare >
*reptare : afr. reter, computare >> *coraptare : afr. conter. § 32 f.
Ferner ist mit der Synkope Vokalisierung von v oder g ver-
bunden: avi, avu > au (avica > auca : frz. oie, §25; tabula >>
tavula > taula : frz. tule, % 27) und nicht haupttoniges agu >• au,
igi > i {öaQXOtpajoq > *sarc6fau : afr. sarcoii; digitale > ditale
: afr. deel, § 29 ff.).
i68
Damit sind die Synkopen, die in gemeinromanische Zeit hinauf-
reichen, keineswegs erschöpft (s. u.). Aufserdem kennt das Vulgär-
latein eine Reihe von Zusammenziehungen, die in den romanischen
Sprachen keine Spuren hinterlassen haben (maxima > masma, aber
afr. inaisme, § 34). Alle diese Synkopen zeigen eine Reihe gemein-
samer Eigentümlichkeiten :
Sie sind nichts Neues in der Sprache, schon das klassische
oder archaische Latein kennt sie (valde neben validus, ferte für
ferite, mattus aus *maditos, augur zu avis).
Neben den vulgären Kurzformen bleiben die ursprüng-
lichen Formen erhalten. Manchmal mag Systemzwang vorliegen
(salicem > salce : afr. sanz, daneben salix, salicem : afr. saiice,
ebenso 2S.X. pouz und potice, § 5); in der Regel aber handelt es sich
um Allegro- und Lentoformen. Den Kurzformen frz. seille, coup
net stehen zur Seite rtr. sedla (§7), prov. colbe (§ 6), frc.-prov. nede
(§ 17). Als solche Langformen sind zu betrachten hz.fade (§ 17),
afr. auve < alipe (§ 6) usw.; so erklärt sich *avicellu > aucellu :
afr. oisel, aber navicella >■ nacelle (§ 26).
Das Assimilationsergebnis zweier Konsonanten einer sekundären
Gruppe ist stets stimmlos, sobald einer davon stimmlos ist. Schwanken
zwischen stimmhaften und stimmlosen Ergebnis, wo lautregelmäfsig
stimmloses Ergebnis zu erwarten wäre, ist ein Zeichen von Ent-
lehnung: hereditäre > eriter und ereder (§ 13), capitale >
chadel und chetel (§ 33, 2) usw.
Zu diesen alten Synkopen gehören auch eine Reihe sekundärer
Gruppen, die einen Palatal im Anlaut haben. Gemeinromanisch
ist die Zusammenziehung bei folgenden palatalen Gruppen: x'c,
x't, gn'c.
(§§ 40, 42, 43: *laxicare, *taxitare, *stagnicare > gemeinrom.
*lascare, *tastare, *stancare : frz. lächert idter, üaficher), viel-
leicht auch rg't (§ 46: gurgite > afr. gourt). Alle diese Gruppen
wie auch ct'c (§ 44: *flecticare >> 2i{x. flechter) haben gemeinsam,
dafs der Palatal der Anlautgruppe spurlos schwindet.
Wenn einfacher Palatal im Anlaut vor Dental steht, wird schon
vi. synkopiert: g'd (§ 48, frigidus vi. frigdus : \t. freddo, ixz. froid),
c't (§ 50, *explicitare >> *esplectare : afr. esplettier), ebenso g't
(§ 49, vi. belegtes digtus) und das gleichwertige di't (§ 49, 2:
medietatem > *meytate : frz. moiiie), vielleicht auch -iet- (quietare
> quiytare : frz. quitter, § 4g, 3). Daneben sind nun wiederum die
vollen Formen erhalten geblieben: rigidus > prov. rege, -eza
(§ 48, 3), digitus > it. tose, deto, ixz. doigt (§ 49, i), cogitare >
afr. coidier, *vocitare > afr. voidier (§ 50, 2). Manchmal mag zur
Erhaltung der Langforraen Systemzwang beigetragen haben: adju-
tare, nicht *aytare wegen adjutat, placitum, nicht *plactum wegen
des Zusammenhanges mit placere usw. Schwanken zwischen stimm-
hafter und stimmloser Konsonanz zeugt auch hier für Entlehnung ^ :
^ fecatu <^yb«V s. § 50, 7.
lög
pietate > ^Sx. pitie und pidie (§49,3). Erst in frz. Zeit fällt die
Synkope zwischen gn't, ng't (cognitu > coinie, § 47) und c'd,
cc'd (§§ 52, 53: flaccidu > a.h. fiazsire), jene vor, diese nach der
Lautabstufung. gn't und cc'd erfordern Stütz-e, während alle
übrigen genannten Gruppen kein Stütz-e nach sich ziehen.
Die Langformen dieser palatalen Gruppen synkopieren erst in
französischer Zeit, und zwar nach der Lautabstufung (wenn nicht
a in der Ultima eines Proparoxytonon steht). Die Entwicklung
geht folgendermafsen vor sich :
placitu >> platyato > playodo > plaido >> plaid, d. h. k^, zu
ty geworden, wird durch das folgende t zu y dissimiliert {§ 50, 3);
playedo wird plaido > plait (§ 37), während comite > comte
noch dreisilbig bleibt und daher mit Stütz-e endigt: comie (§ 35 ff.),
facitis, dicitis geben lautgerecht prov. /at'/z, dilz\ {rz. failes^ dites
verdanken ihr Stütz-.? der Analogie (§ 50, 6).
Wenn a in der Ultima eines solchen Proparoxytonon steht,
erfolgt eine andere Entwicklung (§§ 48, 5; 4g, 4; 50,4; 52,2):
g'd magidem >» mait magida > maie
g't cogitare > coidier cogitat ]> cuie
c't vocitu > vuit vocita >■ prov. voia
c'd fracidu > rix.fraid Psucida > suie.
Demnach sind vuide, vielleicht auch froide Neubildungen zum masc.
vuit, froit, als diese noch *vnid, *froid lauteten, also vor der Ver-
härtung im Auslaut (ganz wie grande, verde zu grant, vei-t, § 50, 5).
Assibilierung des c tritt ein vor 1, n, wahrscheinlich auch vor
m (gracile > graisle, acinu >> aisne, decimu >> disme, § 55 ff.).
Ebenso assibilieren ki, cc vor t, d regelrecht unter Entwicklung
eines epentethischen i (societate>> soisiie, flaccidu >> flaistre,
§§ 53> 4J 50» 9)' Keine Assibilierung findet sich vor r^ {facere >
facre '^ faire, vincere >• afr. veinire), indem hier vor der Assibi-
lierung r den tonlosen Pänultimavokal absorbierte (wie in corro-
tulat >> croule), § 54, 2.
Wenn sonst (abgesehen von 1, m, n) Assibilierung vorliegt, so
handelt es sich nicht um lautregelmäfsige Entwicklung, sondern um
Entlehnung aus anderen Sprachen (licita >> span. prov. lezda, cat.
leuda, daher afr. lesdet leude usw.), um lehnwörtliche Entwicklung
(öiXEQa > lat. sicera : afr. sis/re usw.), Einflufs verwandter Wörter
(amicitate > ajiiistie durch amicus usw.) u. dgl. §§ 50,9; 54,4.
Auch die Paroxytona wie f a c i t > yvz// assibilieren nicht, placet
>> plaisi usw. verdanken ihr s der Analogie nach dem Plural und
dem Infinitiv, § 51. Die Verbalsubstantiva auf -te, die aus Parti-
zipien hervorgehen, zeigen nicht lautgesetzhche Entwicklung, sondern
stehen unter Systemzwang ; an den betonten Stamm tritt das Suffix
^ Auch, im Prov. gibt die Gruppe er lautgerecht ir (§ 54, 3 fecerat >•
feira). — fedre Pass. 188 usw. beruhen auf umgekehrter Schreibung, d für i
(§ 54, 5).
170
-ie^ {/ui'-ie, gis-te, sui-te, während *fugita, *jacita, *sequita als
"^fuie, *gie, *seife hätten enden sollen, §§49,5; 50,9).
Die französische Synkope erfafst in Erbwörtern jeden
Pänultimavokal und in weitem Umfange den Zwischenvokal (§ 6iif.).
a der Pänultima führt keine Verzögerung herbei (§ 62). Die land-
läufigen Regeln über den Ausfall des Nachnebentonvokals erfordern
einige Abänderungen 2 (§ 64). Wenn zwei Zwischentonsilben vor-
handen sind, so fällt jene, welche die schwächere ist 3 (§ 64, 8).
Der Ausfall dieser tonlosen Vokale vollzieht sich nicht zur
selben Zeit, sondern teils vor, teils nach der Lautabstufung. Die
ältere französische Synkope tritt Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrh.
ein, die jüngere frz. Synkope fällt in die zweite Hälfte des 6. oder
erste Hälfte des 7. Jahrh. (§ 66). Die Lautabstufung und die Diph-
thongierung (richtiger der entscheidende Schritt zur Diphthongierung)
von freiem betontem ^, 9 vollziehen sich zwischen der älteren und
der jüngeren Synkope (comite ^ comte, tepidu > ti^de, § 67).
Ein Zeitunterschied im Ausfall des Pänultima- und des Zwischen-
tonvokals führt bei den Zeitwörtern Doppelformen herbei (fodicat
>> afr. fouche, fodicare > Siix. fougier), die durch Ausgleich be-
seitigt werden. Manchmal ist dieser Ausgleich sehr alt (vorliterarisch
dtibifat >> *duptat, darnach inf. *duptare >> frz. doiiter, prov. doplar
ohne d- Formen), manchmal erhalten sich beide Formen bis heute
(nfr. venger und revancher), § 65 f. — Von den frz. Synkopen
werden im folgenden nur jene Fälle untersucht, die zur Lautabstufung
in Beziehung stehen.
Zur älteren französischen Synkope gehören:
1. Liquida, Nasal und Spirans vor t, zum Teil vor c, soweit
nicht schon gemeinromanische Synkope eingetreten war.
2. Paroxytona, wenn Tenuis im Auslaut und a in der Ultima steht.
ad I siehe die Zusammenfassung § 82. — Schwanken zwischen
stimmhaften und stimmlosen Formen bezeugt wiederum Lehnwört-
lichkeit: delcad — delgie, felchiere — folgiere, Basoche — Basoge, haillarc
— baillarse usw.
* Ebenso beruht der Gegensatz von frz. vente, tente zu prov. venda, tenda
auf Ausgleich in verschiedener Richtung, vi. *vendita, aber * tenda, §103,2.
2 Auch a fällt, wenn r folgt oder vorangeht (m i r a b i 1 i a ^ »^t-r^^z'//^,
Camaracu ^ Cambrai, Einl. S. 2). Auch nach einer Gruppe, die im Aus-
laut Stützvokal verlangt, kann der Zwischentonvokal fallen; so nach Kons. -j- r:
latrociniu ^ /arc:«, fabricar e ^ mundartl. y<2X'ar^zi?r. Ebenso vor einer
Gruppe im Auslaut, so vor st, sc: mini s t e riu ]]> /«<?Vi>r, ramu sc ellu ]]> afr.
rainsei, ferner vor Kon. + r: ossifraga > or/rrt2>. Dagegen tritt keine Syn-
kope ein, wenn auf gedeckten Dental einfacher Dental folgt custodire ]>• afr.
coste'ir. Usw.
' Dies ist wie bei den Proparoxytonis im allgemeinen die erste von beiden
(annotinense ^ aw^ifwöw), ausgenommen wenn sie ein a enthält oder gedeckt
ist (Carantenacu]> Caretinac); wenn aber die zweite gedeckt ist, fällt die
erste, selbst wenn sie ein a enthält [A.nA2,h^xna.c\i^ Ambernac).
171
ad 2. Dafs a der Ultima — in gewissen Fällen — den
Ausfall der unbetonten Pänultima beschleunigt, zeigt male habitu
>> ?7ialade, male habita > vialate. Dafs die d-Form dem Mask.,
die t-Form dem Fem. zukommt, zeigt der Atlas ling. Karte 803
(Nr. 710, 717). Damit erscheint die Richtigkeit der a-Regel be-
wiesen (§ 83flf., insb. §87). Sie gilt, wenn im Auslaut einfache
Tenuis (k, p, t), im Anlaut einfacher oder gedeckter Verschlufslaut
steht (soweit nicht schon vorfrz. Synkope vorliegt), § 88.
*radicat > afr. räche pendicat > ^{i. penche
gabita "> ,, jäte derbita >> „ derie
*atrapica >> „ arrache pertica > ., perche
natica >> „ nache caespitat >■ „ ceste.
Zur jüngeren französischen Synkope gehören:
1. Der Zwischen ton vokal zwischen Verschlufslauten (soweit nicht
schon gemeinromanisch).
2. Der Pänultimavokal zwischen Verschlufslauten, wenn nicht a
in der Ultima steht (soweit nicht schon gemeinroraanisch).
3. Der Zwischenton- und Pänultimavokal, wenn Verschlufslaut
vor Media steht.
ad. I.
*radicare
>
afr
ragier
ad.
2. *sedicu
afr. siege
*gabitellu
>
))
jadel
cubitu
,, coude
^fiticare
>
n
fegier
-aticu
!» -age
manducare
>
»
mangier
domesticu
„ domesche
*bombitare
>
H
bonder
hospite
„ oste
cloppicare
>
n
clochier
ad
3. sapidu
„ sade
masticare
>
)7
maschier
vapidosu 1
yon. vadou.
Das vor Media die Synkope jung, bezeugt das Prov., das in diesem
Falle überhaupt nicht synkopiert: tepidu >• frz. Hede, prov. tehe\
tepida > frz. lüde, prov. tebeza (§ 113).
Treten durch die Synkope zwei Verschlufslaute zusammen, so
tritt totale Assimilation ein. Dabei gelten ausnahmslos folgende
zwei Regeln der Assimilation (§ 90):
1. In Bezug auf die Artikulationsstelle ist die Assimilation stets
regressiv: debita >> dete, vindicare >> vengier, derbita > derte,
2. Ist von den beiden Verschlufslauten zurzeit der Synkope
einer, gleichgültig welcher, stimmlos, ist auch das Ergebnis der
Assimilation stimmlos: de.hiidi'^ deie, hospitale>>hosp3dal3]>//öJ7)V/a/
>> hostel (§ 104). Wenn daher im Anlaut eine Gruppe steht, die
nicht erweicht werden kann, so ist das Assimilationsergebnis jeder-
zeit stimmlos, auch wenn die Synkope nach der Erweichung eintrat
(§ 104, 119): limpidato> limtato Reichn. Gl., buxida >> a^r. bo/s/e,
*excorticare >> escortegare > escorchier (dieses Gesetz gilt nicht
für das Prov.: osdel, escorgar).
Aufser den bisher behandelten Verschlufslauten kommen für
die Lautabstufung auch die Spiranten s, f, die Gruppen tr, fr,
172
si, ti und k^ in Betracht, Meist läfst sich aus Mangel an sicheren
Beispielen nicht viel Bestimmtes sagen. Vor s tritt nach Liquida
Synkope vor der Erweichung ein (Marosalum > Marsal), sonst
scheint sie nach ihr sich vollzogen zu haben (*cosere ]> cosdre),
§12 1. Für f mangelt es an zweifellos sicheren Beispielen, § 122.
tr nur in frz. poiiire (§ 124) und vi. culcitra (§ 5g, g), fr nur in
ossifraga ^ orfraie (§ 122, i), si nur in pertusiare >> /crir^r
(§ 125). ti war zurzeit der jüngeren Synkope wahrscheinlich noch
nicht erweicht; daher erscheint unter allen Umständen stimmloses
Endergebnis: *bibitione >> hoisson (§ 126). Ebenso verhält sich k2:
radicina >« racine (§ 127); wo daher stimmhaftes Ergebnis anzu-
treffen ist, sind besondere Gründe mafsgebend [usme, berzil, onze
— setze, § 128).
Die Mundarten (Lothr.-Wall., Pik. -Norm., Frc.-Prov., Poit.)
zeigen z. T. wichtige Abweichungen von der frz. Entwicklung, die
einer gründlichen Untersuchung noch bedürfen (§ 12g ff.).
Verzeichnisse.
I. Die Grundformen.
Alle Ansätze, auch die sich als falsch erwiesen, sind aufgenommen. Sie sind,
soweit möglich, in klassischlateinischer Form gegeben. Zeitwörter sind in der
Nennform, Nomina im l. Fall angeführt.
abbas, -atem 84.
Abrincates 84.
*abscond-itiare 157.
*absecare Il6f.
accaptare 37.
*accarricare, -idiare 109.
*accognitus, -are 47.
accubitare 130.
*acedula 15.
acer, -um 76, 77.
acer arbor, -em 76.
acidus 59, 69.
acinus 79, 81.
*acu(cu)lentum 29.
*acutiare 96.
*adaugere 75.
adeps, -ipem 14, 99,
153-
*ader(i)gere 74, 78.
ad id ipsum 16 f.
adjutare 53 f., 95.
*admetare 96.
*adripare 96.
*ad-suaviare, -icare 117.
*ad-tagicare 25, 27 f.
*ad-tardicire 140.
aedificare 155 f., 94.
*aequalitas, -atem lOO.
aerugo, -inem 42.
aestimare 89.
affligere 75.
Agidunum 52 f.
alacer, -crum 76, 77.
Albiniacum 92.
*ahcunus 106, 108.
aliquid, -quod 12.
*allecticare 25, 28.
*allucare 27.
Altogilum 79.
*amaritudo, -inem 95,
100.
*ambitanus 140 f.
*ambitare 140 f.
*ambitarius 140, 104.
*ambitus, -a 140 f.
ambo duo 152.
ambo partes 140, 152.
ambulare 141.
amicitas, -atem 66 f., 58,
81.
amita 103.
*amitanus 104.
*amitare 141.
*amitarius 104.
anas, -atem 65, 83, 85 f.,
125, 133-
Andabernacum 94.
Andecavus, -is 138
Andelacum 89.
Andelavus 88 f.
andena 140.
anderius mlat. 140.
andero- celt. 140.
angelus 87.
*angicare 45.
angustiare 92.
*annoticus 134.
*annotinense 102, 94.
antecessor, -orem 94 f.,
154. 159.
aquila 108, 76.
*aquilentum 29.
*arboriscellus, *arbus-
cellus 91, 94 f.
arcubalista 95.
ardicare 140.
arepennis 99.
Argentomagus 33.
argutare 96.
aridus 163, 51.
ars mathematica 134,
136.
Artedunum 88, 152 f.
artemisia 89.
asparagus 84.
asperitas, -atem 93, 95.
*assediare 127.
*asseditare 16 f.
*assessitare 16 f.
assis 45.
•astis {2.pl. Perf.) Ö2.
astracus 84.
atavus 83.
174
-aticnm 133—37. 2, 3,
71, 120, 121.
Atrebates 84 f., 133, 40,
102 f.
atriplix, *atrapica 159,
162, 65, 125, 133.
*attenla 143.
Attipiacum 93.
*auca 30, 109, 117.
*aucla 30.
*auctoricare ilif., 95,
103, loS.
*auctoridiare 112.
Audegarius 130.
Augustodunum 33, 53,
88.
Aurasica 116.
aurifaber 154.
Aussidingus 151.
Autessiodurum 154, I57-
autoritas, -atem 95.
Avallovicus 117.
Avaia 84.
Avenio, -onem 92.
Aventicum 146. 134.
*avica 30, 109.
*avicellus 30, 160.
*avicupare 30.
avidus 163.
-avimiis (l. pl. Per/.)
62.
avis, a. struthio, a. tarda
30 f.
-avit (3. sg. Per/.) 30.
axis, *axicellus, *axilis
usw. 45.
Bajocasses 85.
bajulare 79.
*balearicus 108.
*balicare 107.
balsamum 84.
*bandicare, -idiare 139.
banicare mlat. 139.
bar(i)ca 13, 14, 108 —
HO.
Basilica 106 f., 123.
*battitura 18.
beccus 26.
*bellitas, -atem lOO, 106,
117 f.
*berbicalium 138, 164.
*berbicarius 138, 164.
*bei'biciare 93.
berbecile 160.
*berbecinum 160.
Besaldunum 53*
*bibita 131, 123.
*bibitio, -onem 157.
*bibitoria 131.
blandicare 138 f.
blasphemare 89.
Blatomagus 33.
*bombitare, -ire 140.
bonitas, -atem 102, 106.
Bonoritum 12.
Boviniacum 92.
bracchium 115 f.
branca 1 1 5 f.
brandeiia jiilat. 141.
Branodunum 53.
-briga 33,
Brivate 84.
*brogilum 78, 79.
*brustu]are 89.
bubalus 84.
*bullucea, -ariu 93,
*bullicare 106 f., 118.
Burdegala 47.
Buinomagus 33.
buslia i53.
buxida 153, 72 f., 150,
buxus, *buxta, bosta,
*buxellus, *buxitellus,
*buxtiellum 153.
*butticella 159.
Caballicare 106 — 08, 94,
caballicet 68, 15S.
Caesar, -aris 83.
caespitare 148.
Caladunum 53.
calamus 12, 14, 42, 83 f.
calcedonia 69.
*calefare 154 f.
*caleficare 163.
Caletes II.
calidus II, 13, 6, 39.
caligo, -inem 42.
calumniare 92.
calx, -cem 39 ff.
Camaracum 2.
Cambidunum 53.
*cambita, *cammita, *ca-
mita 105, 140, 162,
camb-icem 160.
Camboritum 12.
Camera 83.
*cames, -item 103, 105.
*campanio, -iolus 92.
Campus Limitis 104.
Cancer, -um 78.
*candelorum 89.
*canescere 91.
*canicire 158,
cannabis 84 f., 83.
canonicus II2, 83, 86,
163.
Caplia 86.
capitalis, -e 36 f.
*capitaneus, -astrum,
-ellus, -ettus 37.
carcer, -rem 78.
Carantenacum 94 f.
Carentomagus 33.
Caritas, -atem 100 f.
carricare io8f., 97,
Cassiomagus 33.
castitas, -atem 88.
Cataracta 103.
*catenio, -onem 92.
Catomagus 33.
Catoritum 12.
Caturiges 12, 150.
cauda trepida 151,
caudica 130.
Cavanicas 123.
cavea 61.
cavere, *-itare 30.
*cavicare 30, 117.
Cenomannicus 113.
Cervedunum53, 123, 151.
chirurgus, -icus 47.
Christus 62.
175
cicer, -a 74, 76.
cicinus 79, 63.
ciconiola 92.
cimicella 158 f.
cingere 78.
circare, circet 68.
circinus 79 f., *-item 159,
*-inella So, *-are 80.
circumfodire 154 f.
cives, *-item 102 f.
civitas, -atem 102 f., 82,
106, 118.
clarescere 91, *-icire 91,
*-icare 108 f.
claritas, -atem lOO.
claudicare 146.
*clausitura, -icius lOl,
^clavicella 31.
clericus 13, 108, 6.
*clericatus 108.
*clinicus, -are 112, 114.
cloppicare 146, 163.
*coacticare 25, 27 f.
coagulare 79.
koccho ahd., cogge nd.
126, 130.
comes, -item 103 f., 4,
40 f., 98, 114, 121.
comite -f- -tatem 88.
*coctare, -icare 47.
Codiciacum 93.
cogitare 53—56, 6, 7,
51, 59, 60, 70.
cognitus, -are 47 f.
colaphus 12, 14, 6, 83 f.
coUocare 106 — 08, 5,
117 f., 103; coUocet
68, 158 f.
Combronita 102.
*cominitiare 153.
*comitor, -orem 104.
communicare 112, 114.
computare 36, 162,
*computus 36, 40 f.,
162,
concha 130.
Condate 143, 83 f., -ensis
143.
Congidunum 53.
conficere, -fecit 68.
consuere 154.
consuetudo, -umine lOl,
118.
*consutura lOl.
contractum 103.
Convenicum 112.
convitare 96.
Copta (villa) 151.
coquere, *cocit 67, 69.
coquinare 80.
*cordubanus, -ensis 108,
150.
Cornate 84, 102.
corrigia 71.
corriiptiare 90, 92.
cortex, -icem, *-icella
159-
*coxinum 66.
Vxzxa^3. germ. 115.
Cranavis 85.
Cravedunum 53.
*cremitus 103.
croc onom. 26.
*croccum 26.
cubitus, -a 131 — 33, 41,
119 f., 123.
*cubitata 132.
Cucurbita 141, -ica 138.
*culicinum 158.
culcit(r)a 66, 57, 147.
*culcitinum 66.
Cupedonia 151, 113, 123.
*Cupida (villa) 151,
Cupidis vicus 151.
cupiditas, *-ietas, -atem,
-are, -itia 20, 53 f.
cupidus, -a 49, 163.
curbea, -vea 138.
Curiossolitae II.
Curva villa 29.
custodire 88,
cutica, *-are 133, 162,
66.
cygnus 79.
cymbalum 84.
dalmatica 70.
*damnaticum 135.
debita, -um 131 f., 119 f.,
125, 126.
debitor, -orem 130, 132.
decimus, -a 80, 81, 59.
deliberare 94.
delicatus 106 f.
denticatum 146.
Deo Medico 123.
derbiosus 142.
derbita 141 f., 125.
*deretranus 92, 157.
*descenta 143,
*deservitum 102.
desiderare 95.
despicere 74.
*despecit 68.
*de-subitare 130.
*devolutare 100.
diaconus 86.
dicere 74, 76, dicit 67 —
69, dicimus 80, dicitis
57, 62, Futurum 77,
dixerunt 154, dictus
58.
dicitor, -orem 67.
dicitus 35, 53.
dies dominica 112 f., 83,
86, 163.
digita 55 f., 53, 51, 59,
70.
digitale 34, 52, *-arium
34, *-atus 34.
digitus 35, 53—56, 59,
60, 65.
dignilas, -atem 47.
*disjejunare 29, 96.
docere, docet Ö7 — 69,
doc(u)it 68.
domesticus, *-are 147,
163, 162.
*dominiarium 92 f.
dominica, Villa 123; s.
dies dorn.
*dominicellus, -a 90, 58,
87. 95-
*domiiiio, -onem 92 f.
176
Domini vicus 91.
dominus II, 42.
domitare 104, llS, 95,
*-iliare 166.
domitus 105, 98, 114,
118, 144.
Donobriga 33.
dormitorium 104.
Doiocoregum 12.
dubitare 130 — 33, 95.
ducere 74, ducit 67 — 69,
duxerunt 154, ductus
58.
ductilis, -e 79.
-dunum 52 f., 151.
duodecim 161, 165.
duodecimus 80.
Durocasses 85, -inum
108 f.
Eburodunum 96, -magus
33, -vices 40, 159,
-vicinus 159.
elephas, -antem 107.
Elusa 154.
*emputa 36.
encaustum 163, 64, 87.
episcopus 87.
eremus 13, 14.
*ergitus 47.
*ericio, -onem; -are
93.
erigere s. ad-erigere.
Etmedone 123, 151.
^^essere 154, erimus
(I. Fl. Fut.) 13.
*exclari(c)are loSf., -icire
91, 158.
*excolubricare s. lubri-
care.
*excorlicare 146, 145.
*excrenicare 112, 114.
*excuticare 133.
*exlitigare 151.
*expandicare 138 f.
*expavitare 102.
expergere 78, *-itus 47.
*experitus 12.
explic(i)tnm, -are 56 — 59,
54-
*exradicare 28, 127, 139,
164.
*exsaritare 100 f.
*exsaritus 12, 39.
exsucare 56, -cet 68.
*extoicicare 25.
*extorpidire 125.
*ex-tremidus 162.
*exturbidire 152.
*exturdire 152.
fabrica II l, 118, 145,
164.
fabricaie iil, 90, 53.
fabula 31.
facere 73 fF., 68 f., 76, fa-
cit 67 — 69, facimus 80,
facitis 57, 62, fecit 68,
fecerunt 74, 76, fecerat
74. 76, 77, factum 41,
60.
factor, -orem 67.
*fallitum II, 13.
falod ae. 153.
falx, -cem 41.
*fanj- gertn., *fangum,
-a, -nia 113 f,
*fanica 112 — 14, 164.
*fascinaie 58.
*fasticare, -idiare 147.
*fatidus 23, 153.
fatuus 22.
*ferasticus 147.
feretrum 157.
feritas, -atem lOO.
*feroticus, -a 134, 147.
*ferricare I08f.
Ferriciacum 93.
ficatura 57, 62 — 65, 2,
83, 85 f., 165.
ficus, *-are 63.
*ficticare 25, 28.
fides 63,
*figicare 24 f., 28.
filicaria 106 f., 163.
*micella 158.
filicter 59.
♦fimitus, -a 105, 98, 103.
fimus 98.
♦findita 143 f.
fingere 78.
firmitas, -atem 104, 106.
*fiticare 57, 64, 133 f.
*fixicare 44.
flaccidus 71 f., 67.
flagrare 75.
*flatitare 16.
*flatutitare 16.
*flavitare 39.
*flaxidus 73.
flectere 43 f.
*flecticare 25, 28, 46.
*fleskire 43.
*flexicare 43 f.
*flexus, -are 43.
*flovitare 102 f.
fluctuare 193.
fodicare 127, 8, 24, 28,
70, 162.
foetidus 153.
*follicella 158.
*follitas, -atem 100,
*fonta 143.
*forasticus 147.
*foricare 108, HO.
*foimaticum 135.
fortis 61.
fracidus 69, 59.
fracta 56.
*fracticare 46.
*iractilis 79.
fragicare 25.
fragilis 78 f.
frangere 78.
*fremitire 104.
frigere 75.
frigidare 48.
frigidor, -orem 48, 50-
frigidus, -a 35, 48—50,
6, 58.
fructiiicare 155 f.
*fucta 56, 58.
fugere, fugit 69.
*fugita 53, 56.
177
fugitivus 53, 56.
fulgur, -a 78.
*fu!iiicaic- 115 f., iiS,
164.
fundabalum 86.
*funditiare 157.
*fur(i)care iio.
fusago, -inem 42.
*fuscelluni i 59.
*fiisticelium 159.
Gabalitau um 100.
Gabarus 84.
gabata 131—33. 32, S4,
123, 130, 162.
*j,';ibitelius I30, 133.
gallica 106 f.
*gambita 105.
Gemeticum 134.
genitus 102.
gens, -tem 41.
*glacicare 25.
glandula 87.
*glomuscellus 91.
glutus, -tonem 22.
gracilis 78 f., 81, -iorem
78, 92.
grandis 61.
granica, -ea 112 f., 83,
120, 129, 162, 164.
gravidus, -tas 31, 102.
Guntbreht germ. 120.
Gunthacharius, Guntheri
ger7n. 1 30.
gurges, -item 47, 40.
*habitaculum 108.
habitare 141.
habitus, -a 124, 130, 149.
haereticus 134, 136.
*hamica 114 f.
*hamilare 141, 104.
*bamus [germ. haim)
93-
*harticella 159.
*hauni}^a germ. 102.
heimta an. 141.
hereditäre 18, 94.
Beiheft zi;r Zeitschr. f. rom
herpes, -etem 142.
hibeinoticus 134.
liirpex, -icem 159, 65,
146, 162, 165.
*hirpicare 146, 163.
hispidus, -osus 152.
honidus 12, 13, 14, 153,
*-itas iS, 88.
liospes, -item 148, 142,
145. 149-
*hospitale 148, 126, 145,
-aticum 148, -ile lor.
hostis 62, *-aiicum 148.
*hrunca germ. II 5.
hcc, *huccare 26, 28 f.
Immidus 162.
*li'jtica 134, 136, 7, 129.
*hwap germ. 22.
-icus, -a 136 f. {ii. 0.).
ile.x, -icem 158.
Illobriga 33.
imago, -inem 86, 143.
*impastoriare 93, 96.
impedicare 127, 129.
*impejorare 96.
imperiuni 99.
impetum 36.
*implicita, -are 56 — 60.
impromutuare 104 f.
imputare 36, 162.
Incara 84.
indago, -inem 42, 141.
indebilare 132.
*inferri(c)are I08f.
integer, -rum 75, -rinus
92.
*intenta 143.
*intoxicare 43.
Isara 85 f., 83.
Issobriga 33.
jacere, jacet 68, jacta
66.
*jacita 66, 56, 57, 59.
jactare, ''jectare 103.
Jacobus Sl, 86.
Phil. XXIV.
judicare 127 f., 28, ju-
dicct 68, 160.
*jii(licus 12S.
juugeie 78.
junior, *juvenior, -orem
92 f.
juvenis 62.
Juviniacum 92.
Labara 84.
*lacina 79, -aria 79 f.,
92.
lacrima 75 t.
■^lacticeila 47, 159.
lampas, -ada 85, 88.
*lampidarius 140, 152.
landica 140.
laneus, *-icus 102 f.
Langones 32.
largitio, -onem 157.
laridum 12.
*lascus, -are 43.
*]a=;sitas, -atem 100, 106,
XI7.
latinus 97.
latrocinium 89.
Lattara 84.
Laucidunum 69.
laxave, *-icare 43 f.
Lazarus 84, 86, 154.
*lecticare 25, 28.
lectorinum 103.
ledig /rä«>fe. 150, 134.
legalitas, -atem 100.
legere, legerunt 75.
Lemovices 117, 130, 159,
-icinus 159.
lens, *lenditem, -cem,
-Dem, -ta, -na 143.
Leodicum 128.
Leodfgarius, St. 123.
*levistica 147.
liberatio, -onem 95,
licere, licet 68.
licita 66, 59, 73.
*ligaminarius 95.
178
Liger, -im 40, 75, -icus
75-
*]igicare 25, 28.
ligusticum 147.
*likk6n gertn. 25, 28.
limes, -item 103, 123.
*limitale, -are, -arium
104 f.
Limites 104.
limpidatus 152, 98,
150.
*lineus, -icus 112 f.
*liticus 134.
locker nhd. 26, 126.
*16k6n germ. 25.
longitanus 47.
*loraminarius 95.
lubricare 90, 53, *excolu-
bricet 68, 158.
*lüc-care 27, 29.
lucere 74, lucet 68.
lucidus 69.
Lug(u)dunum 48, 52 f-
*lukk- germ. 26.
Lupare 84.
luridus 12, 14.
*lutidus 16, 24.
macer, -rum 76.
macerare 27, 74.
machina 83.
*mac(i)care 25, 27 f., 29.
macula 27.
madidus 20 f., i6ö.
Magdalena 103.
Mag(e)dunum 52 f.
Magelobriga 53, 56.
*magidarium 48, 56-
magis, -ida 48, 51 '^■> 55f'i
70.
-magus 33, 84.
majestas, -aiem 91.
Malbodium 128.
male aptus 124.
male contentus 106.
male dicere lOS.
*malefatius I54f;
*ma1efatus 154.
*male habitus 124, I30f.,
8, 149, 162.
*maletolta 106.
manducare 138 f., 95, 162,
manducet 68.
manica, -us 112 — 114,
83, HO, 120, 139, 163,
164, 165.
*mansionaticare 134.
*mansuetinus lOl, I17.
*marginare 42.
maritare 96.
Älarojalum 85.
Warosallura 154.
masar y)-/^. 154.
ma&ma s. maximus.
masticare 147, 163.
*materiamen, -mentum
92 f.
matricularius 108.
Matrona 87, 97.
maturita?, -atem lOO.
matus 21.
matutinus 16 f.
medicina 160.
*medicare 127, 162.
medicus 128, 65, 70, 136,
*-aticiu 127.
medietas, -atera 53 — 55,
6, *-adanus, -a, *-a(ta)-
rius 54 f.
*mell-ice 158.
Melodunum 53.
mendicare 96, 140.
mendicitas, -at<.m 66 f.,
57. 81.
*meniita 88, 148.
*memitio, -OD(eni) + ea
157-
meretrix, -icem 100 f.
merita 12.
merula 121.
Wessava 84.
Mimate 84.
ministerium 91.
■''minuspreliare 92.
*minutiare 96, 179.
mirabilia 2, 87.
miraculum 108.
mittere, miserat 77,
-erunt 154.
molitura 100.
monachus 112, 2, 83 f.,
85, 163.
monasterium 91, 84.
*monticellum 159.
*mordacula, -atica 135.
*morica, -are 108, HO.
■''movita, -itinus 102.
muccidus 71 — 73, 121.
muc(c)us 72.
multiplicare 92.
muricarium 108, HO.
*muscidus 73.
*rausteus, -idus 72.
Najogialum 85.
Namnetes 102, 87, 117.
*naiicare 108, 110.
*nasicare 116, 164.
natica 134 f., 162, 65,
119.
navicella 30, 159.
Navicellae 159.
navis, *-ica, *-icularius
30.
navi(g)are 30, 117.
vavxh]Qoq 30, 134.
nauticarius 134.
Nemetacum, -ogilum 104.
Nemetodurum I04f., 88,
98.
*nidica 128, -are 127,
156, 28.
*nidificare 155 f-
niger, -um 40, 75, -itio
157-
nigrescere 91, *-icire 158.
nitidus l6f., 23 f., 6 f.,
120, 149. 153.
*nitidi-diare SS, -itas
88.
Nobiliacum 92.
Docere 74, nocet 67 — 69,
nocitum 57.
Novavilla 29.
1/9
Noviodunum 53, -inagus
33, -rcgum 12, -lituin
12.
Novu(s) vicus, villare 29.
nulritio, -onem 89.
nutritura 89, lOO, lij.
objectum 103.
oblitare 96.
*obsidaticum 148.
officina 160.
Oratorium 2.
Orbaniacum 92.
orbita, -em 141 f., *-aria
141, 162.
Orcada 85-
orJo, -inem 141.
Organum 85.
orichalcum lOS.
origo, -inem 42.
orplianus 85, 83.
Oscara 85.
*osca, -are 117.
*ossicare Il6f.
*ossicellum 159-
ossifraga 154 f., 92, 157-
*osti(fi)care 117,147,156.
Otger ahd. 130.
*Ovida 151.
*pacticum 46.
*palito, -onem 100.
pallidus 163.
pallium 84.
palmes, -item 104.
pampinus 83.
*pani(h)care 155 f-. 94.
112, 114.
pantex, -icem 159.
papilio, -onem 92.
parabola 32.
paraveredus 95.
parcus, parricus 13, 14,
83, lOS, 110.
parricidium 90.
particeUa 159'.
*parlitio I57-
*passaticarius 134.
passer, -em 83, 85 f.
paslinaca 89.
Patriciacum 89.
Patroclus, St. 123.
puvidus 163.
peccare 26.
pedere 18, -itum 16 f.,
*-iticulare 18.
pedica, -um 128, 52, Il9i
121.
pedito, -onem iS.
pendicare 138 f.
*pendita 143 f.
penicillum 158.
Pennobriga 33.
peritus 12.
persica II6, Iljf.
perlica 146 f., 162, 164,
7, 120, 125, 136.
Perticus (pagus) 146, 134.
*pertusiare 96, I57.
TcixaXov 84.
Pelrocorii 87, -icum 108.
petroselinum 89.
*pic 26.
picare 58-
picatum, *-itum 65 f.
*picidus 65 f., 69.
pietas, -atem 53.
*piluccare 96.
pingere 78.
pinsitare lOl.
*piticare 66.
pix, -cem 58, 65 f.
placere 68 f., 74, placet
67—69, Fut. 74, 76.
■*placitare 57 f., 69, 5.
placilum 57 — 62, 7, 40 f.,
68 f., *-idum 58.
plangere 78.
plantago, -inem 42, 40.
*plantitio 157-
platanus 84.
plenitas, -atem 102.
*ploc 26.
*plumbicare 134 f., 164.
pocnitere 102, 114, 118.
poledrus 157'
poHcx, -icem 12, 13,
158.
pollicare 106.
polypus 12, 13.
Ponliciacum 93.
poriicus 146, 162, 134,
142.
positus 13.
*posterio, -onem 93.
Postumiacum 93.
practicus 103.
praedator, -orem 19.
praedicare 129.
praepositus 13, 14, 6.
praestitus 148.
precare Konj , Präs. 68.
presbj'ter, -um 142 f.,
148, 63, -ialis 142.
princeps, -ipem 87.
*probicare 126.
*pronicare 112, 114.
propago, -inem 42.
pulex, -icem 158, 165,
38 ff.
*pulicare 107.
puUicella, -cenum 158.
pullipes, -edem 09.
*pulliter, -tra 156 f.
*puliitranus 92, 156.
pumex, -icem l^S.
pungere 78.
puritas, -atem 100, 106.
putare 36.
putidus 16 f., -ana 17.
*putritura 89.
quadrifurcum 89.
*quaesitus 13, -are lOl.
*quatrinio, -onem 92.
*quattotare 21.
quattuordecim 161, 145,
165.
quietus iS, *-are 53, 55.
quindecim l6l, 142, 165.
■*'quitidus, -are 15, 55-
quotus 22.
[8o
*rabidare I50f.
*raclicale 127.
radicare 127, 28, 139,
70, 162.
radicina 160.
radilura 16.
radula 15.
*ragere 75.
ralla 15.
*ramica Il4f., 164.
*ramicarius 114 f.
*ramuscellus, *iamicelius
91, 158-
rapidus 151, 119, 120,
149, *-ius 151.
raphauus 85, 83.
*rasica Il6, -are 116,
118.
*rasitura lOl.
*raucidus 73.
*recidus 5O) 69.
redeniptiis 36, 40.
Redones 29.
refusare 96.
*regalimen 12, -itas lOO.
regina 59.
*re-in-voluticare 146.
*rendita 143 f.
*reprobicare, -piare 126.
*repulare, -utum 36.
*relica 134, 136, 7, 129.
*relicellum 160.
*retiolum l6l.
reveriicare 146.
*reveriicare 116 f.
*revindica 139, 164.
*revindicare s. vindicare.
Rhodanus 29, 84.
ricinus 79 f.
Ricomagus 33.
*ridiculare 129.
rigidus 40—50, 35-
Rigojalus 85.
*rivuscellu3 91.
*robesticus 147.
*roccidus 71, 73.
*roccum 26.
*rodicare 127 — 29, 164.
*rogiscellus 91.
romanice 158, 12 [s. 194).
rotare 151.
rotulus 15.
Rotomagus 33.
*rubidus, *ruvidus 50 f.,
166.
rubigo, -inem 42.
lubricare III.
*rucina 79.
ructare 103.
rudis, -e 50 f.
*rugidus 48, 50 f.
*rugitus 53 f.
ruidus 51.
rumex, -icem 15S.
rumigare 150, 127, 129,
164.
runcina 79.
*ruspica 146.
rusticus 153, 51, 163,
-eus, -idus 153, -icitas
67.
Sabbatum 84.
Sabiniacuni 92.
saeculuru 92.
*salicinL'ta 79.
Salix, -icem 12, 13, 158.
salraacidus, *sahTiasti'us
69 f.
salutare 961'.
salvitas, -atem 102, 118.
Samara 84.
sanctitas, -atem 88.
sanguinarc 42.
sanitas, -atem 102.
Santonicus 112 f.
sapere, sapit 39, 41,
sapidus 151, 39, 41, 119,
121, 125, 149, 163,
*sabius 23.
sarcophagus 33.
sartus 12.
*scalio, -onem 92.
scandalum 45.
*scarabus 2, 12, 84,
-aeus 2.
schokkeu holl. 26.
Sclepedingus 151.
scribeie, scripserunt
154-
stcale 84, 86.
securitas, -atem 100.
sedecim 161, 165.
*sedica 129, -u 128, 121,
127, -are 127.
semita 104 f., 121, 165,
*-arius I04f., i66.
senior 141, 142.
Seuomagus 33.
Senones 29.
separare 2, 84, Sj.
Septem 39.
Sequana 86, 81, 84, 97.
sequere 76.
*sequita 56, 144.
serica loS — 10.
sericarius 109.
*servitella 103.
*sesecus, -are 44.
*sexicare 44, -tare 45.
shock en^'l. 26.
Sibuzates 84.
siccare 26.
sicera 77, 154.
Sigiiiild germ. 34.
*silvaticus 133.
siriapi + -atum, -ale,
-illum 34.
*sinefidicus 12S.
Sirojalum 85.
situla 15.
socer 74, 76.
sociclas, -atem 67, 73.
solidus II, 163.
*solitus, *soltus 1 1.
"'^solitanus, -ivus 100.
*sollicitare 59, 96, 158.
sollicilum, -a 56 — 59.
*solviius II, 102.
sordidior, -orem 88.
*soricare loS, iio.
*sorori(c)us loSf.
Sütiates 84.
sötij ags. 70.
iSi
spachen mhd. 26.
spargeie 78.
spatula 15.
spir.ula 87.
Spiritus 12.
*stagnicum, -are 45.
slans pertica 147.
Stephanus 85.
siipes, -item 162
*strigicare 25.
stringere 78.
struere 75.
*iturtjaii germ. 152.
*siiavitudo, -inem 162.
subitus, -a, -o 131 f.,
123.
subitanus 130, 132.
subjectum 103.
Siibmonita 102.
*sucidns, -a; sudica 70 f.,
59, 65, 120, 165.
*iudia, *sudica 70 f.
sufficere, sufiFecit 68 f.
supplex, -icem 87.
supplicare 97.
Bürgere 78, 74.
*siirgicus 47.
suspicio, *suspeclio,
-onem 92 f.
suspicare 149.
tabuhi 31 f.
*tdc 26 ff.
ta;ere 74, tacet 68.
*lacticare 25, 27f.
*t;:gicare 25, 2 7 f.
längere 78.
*tardicare 150, 138, 8.
tardicet 68.
tarmes, -item 104.
*t3xicare 43.
*taxitare 45, 44.
*temitum 103.
tempestas, -atem 91.
*tciida, -ita 143 f.
tenebricus iil.
*lcnta 143. •
tenuis 85.
tepidxis 151, 162, 82,
149, 150.
tergere 78, 74.
terminus, *-item 104.
terrae movitus I02f.
testimonium, -iare 89,
108.
Tevara 84.
Tiliacum 85, 106 — 180.
tingere 78.
*tinitare, *tinnitire 102,
117, 140.
*titillus 34.
*titio, -onera 93.
*toc 26 ff.
*collitus II.
*londita, *tonta 143.
*torca, -are 26, 127, 147.
torpidus 152.
*torliare 26, I47.
*tortica, -are 25, 146 f.,
164.
totus, lottus 21.
loxicum 43.
*trabicare , -bucare 32,
126.
*ir:ic 26.
traditor, -orem 19.
*tragicare 25.
*trahere 75.
*transmovitiare 157.
*traucus, -are 127.
tredecim l6l, 165, -mus
80.
*tr.kk- deutsch 26.
'tremitum 103.
trepida, cauda 151.
tricare 26.
Tricasses 85 f., 64, *-inus
85-
*trinicare 112, 114.
troja 70 f.
♦tudicare 25, 28.
*tukk6n germ. 25, 28.
turbidus, turdus 152.
Turnomagus 33.
Tiironos 13, -icus, -a
II2f.
Undecim i6i, 142, 145
-imus 80.
upupa 24.
utensile, *usetilium lOl.
Uxellodunum 53.
vacare 57.
vacuus 23, 57, -uare 57.
Vadicasses 85.
vallicellum, -a 158.
vapidus 22, 151.
*vapidosus 151, 22, 162.
*vfndita 143 f., -tor 88.
*vendilio, -onem 157.
Vendocinum 79, 81.
verecundia, -ari 108, lio.
veritas, -atem lOO, ll8.
*vermisce]lus 91.
versus 117.
vertibula 150.
vertigo-, -inem 42.
vertibellum, -a loS, 150.
vertragus 33.
vestimentum 89.
vestitura 88.
velulus 15.
vice-comes, -item 29.
*vicinaticum 79, 81.
Vicinonia 79.
Viducasses 85.
vigilare 79.
vilitas, -atem lOO.
vincere 74, 78, vincit 68.
vindicare 136 f., 94, 95,
126, 145, 148.
vindicator, -atio, *-antia
138 f-
Vindiciacum 93.
Vindobriga 33, -nissa
88.
virgo, -inem 86.
viridis 12, 61 f., 6, -iariuni
109.
visitare 13, lOl.
♦vivoticus 134.
vocare, -uus 57.
*vocitus 57 — 62, 40,
-idus 58.
l82
*volaticus 133.
*volitus, -vitus II, 102
*voluticare 143 f.
*volviticius 103.
voiago, -inem 42.
Vosagus 85.
*wadicum germ. 128.
WaKiliarius, Waltheri
ahd. 1 30.
weoloc ags. 153.
*wiÖarl6n germ. 90.
2. Die Entsprechungen.
Um den Raum zu verringern, sind alle romanischen Entsprechungen nur in
neufranzösischer Form gegeben, falls eine solche vorhanden ist. Sonst suche
man die altfranzösische Form (vi. e unter ei, vi. o unter ou, 1 von Kons, er-
halten). Anderssprachige Formen sind nur dann aufgenommen , wenn irgend
eine Besonderheit erwähnt ist.
abitail afr. 108.
absoiis, -te II, 102.
accointer 47 f.
accoter 130 f.
acconder 1 30 f.
acheter 87, 94.
acide 69.
acoint, -e afr. 47 f.
acont afr. 133.
acupa rum. 30.
ade, ate afr. 130, 120,
124, 149.
ades afr. 16 f.
aerdre afr. 74, 78.
aflire afr. 75.
-a^^ 133— 37. 3,71.120,
121.
Ahun 5 2 f.
aigier afr. 154 f., 94.
aider 53 f., 9. 95.
aigle 108, 76.
aiglent afr. 29.
aigre 76, 77.
aiguiser 96.
ainche wall. 114.
aisseau 45.
aissil [-ei, -iei, -iiel) afr.
45-
aisne afr. 79.
alaigre afr. 77.
alerte 47.
aliecher 25.
a/&r 141.
ailocare it. 25.
alques afr. 12.
aliichier afr. 24.
fl/^'^ afr. 14, 153.
Ambernac 94.
ambier 14I.
amertume 95.
amiraute 100.
afuitie' 57, 81.
amoier afr. 96.
ampars afr. 140, 152.
ancetre 154, 159.
ancessor afr. 94.
allere 78.
Ancre 84.
andain I40f, 42.
ande, onde afr. 140 f.
Andeiay, -lot 88 f.
andtti afr. 152.
a«^ afr. 65, 85 f.
aw^«' 87.
Angers 138.
angoisser 92.
Anjou 13S.
anoge mundart). 134.
antain afr. 105.
antenois 95» 102.
ßozrrf afr. 75.
aoi'^t? afr. 91.
arbalete 95.
arbr eissei afr. 91, 95.
arcfial 108.
ardoiier afr. 140.
ar^, azr« afr. 51, 163.
Argentan, -on 33.
arguer 96.
Arlc7ide IU5.
armoise 89.
arpeni 99.
arracher 127 — 29, 28,
95, 165, lothr.-wall.
162, 70, 130, pic, 164.
Arraz 84 f., 132, 40,
102 f.
arriver 96.
«rröiTÄ^ I59f, 125, 133,
wall. 162.
arj^ poit. 76.
ar^^ afr. 104.
art Image afr. 134, 136.
y^r/zm 88, 152 f.
asperge 84,
asse Stare it. 45.
asseter afr. I6i.
assieger 127, 129.
assiette 16.
assoagier afr. 114.
a^if afr. s. aJ*.
att acher 25 ff.
atteindre 78.
attente 143.
Attichy 93.
Aübigny 92.
aucun 106, 108.
auguste afr. 91.
Auroir 2.
Auteiiii 79.
aittruche 30.
Autun 33, 53, 88.
Auxangc 151.
Aiixerre 154, 157.
az/(? 163.
i83
Avehiy 1 1 7.
Aveiiches 146, 134.
Averdon 53.
avertin 42.
aveugle 99, 86.
Avignon 92.
Avranches 84.
haillar, -ge 108 — HO.
ballier 79.
baleiier afr. 107.
balose ostfrz. 93.
baneüer afr. 139.
Barbezieux 160.
barca prov. 13, 14.
bärge, berge io8 — 10,
13. H-
Basoche 106, 103, 123.
batta^e, -eur, -itttde, -otr,
-ude^ -ure 18.
bäume 84.
Baytiix 85.
beautelQO, 55, 106, Il7f.
beneürte afr. 10 1.
bequer 26 f.
bequeter 94.
bercaü 138, 164,
bercer 93.
bereu afr. 160, löl.
Bercy 160.
berger 138, 164 f.
Besalu 53-
Bezaudun 53.
bldmer 89.
blangier afr. 138 f.
blanchir 44.
Blond 33.
ö^j ostfrz. 93.
ööc^/ afr. 159.
Bogny 92 f.
boisseau 153.
boisson 157.
öoz/i? (ö<r«<?) 131, 123.
iox/£' 153, 72, 150.
boitoire afr. 13 1.
Bonnard 12.
^'ö;2^£? 102, io6.
Bordeaux 47.
banger 106 f., 108.
Bourges 12.
Bournand 33.
-ßra« 33.
brauche 114 — 16.
Branden 53.
breuil 78, 79.
Brionde 84.
broncher 112, 114.
brüler 89.
bubbola it. 24.
i>zf;$^^ 84.
Cabal mfrz. 37.
cacher 25, 46, 7.
cadastre 3 7 f.
cadeau 37 f.
cadet 3 7 f.
Ca^M 33.
6'a^i? 61.
cahot, -er 21.
Cahours 12.
cailler 79.
calcedoine 69.
Cambrai 2.
Cambon 53.
Candes s. Condes.
capitame 37.
Caretiton 33.
Carentiac 94.
cargiier 109.
carülon 92.
carrefour 89.
catteux 37.
Cat arges 150.
t<2«A: 1 1 .
ceindre 78.
Ci??r<f afr. 74, 76.
<:(?r^^ 159-
cercueil 33.
cerfouir afr. 154 f.
cerne, -er 79.
cerneau -eile (afr.) 80.
Cervon 53, 123, 15 1.
ccster afr. 148.
Chablis 86.
chadaigne afr. 37.
chadel afr. 36 f.
chaerel afr. 92.
chaintre afr. 78.
Chalette 103.
Chälons 53.
chalin(e) 42.
chalongier afr. 92.
Chamber t, -bourg 12.
Champignon 92.
champignuel afr. 92,
Ckamplitte 104.
chancir 91, 158.
chancre 78.
chandeleur 89.
chanestrel 91.
chajioine 112 f., 83, 86,
wall. 163.
chantepleure 94.
chanvre 84 f, 83.
charger 108 — 10, II 7,
pic. 164.
Charenton 33.
Char olles 107.
charrier, -oyer 109.
chartre 78.
chastee afr. 88.
Chassefide 106.
Chassenon 33.
chdtier 96.
chaud 1 1, 39.
chauffer 1 5 4 f , lothr. 163.
chaume 12, 84.
chaux 39 fF.
Chavan^es,-agne(s) 123.
cheneviere afr, 85.
cheptel 36.
chercher, cerst afr. 68.
chevaucher 106 — 08, 1 10,
94, chevaht afr. 68,
158-
chevetain afr. 37,
chiche 76.
chignon 92.
choquer 26.
Chorges 12.
choyer 30, 1 17.
Christ 62.
^/^/r^? 77, 154.
cignole 92.
i84
cü afr. 102 f.
cite 102, I06, 82, iiS.
clacelle afr. 31.
clarte 100.
clerge 108.
ir/<frc 12, 108.
clingier afr. 112, 114.
clocher 146.
clostiz afr. 10 1.
clöttire lOl.
coö^, -(fza pvüv. 149.
co£-Äi? 126, 130.
£-o^r<? 83.
<r(j/(^;,fr alr. 53—56, 9, 5 1 ,
59, 9, cuie (s.Sg.) afr.
53. 55f-. 59.
coint, -e afr. 4 7 f.
coite 66, 57-
coitier afr. 47.
colstre afr. 66.
Combronde 102.
commencer 157.
commenge 112 f.
comtnefigierair. 112, 114.
connnunier, -iquer II4.
compost afr. 13.
covipte, -er 36, 40 f.,
ostfrz. 162.
comte 103 — 106, 40f., 4,
90, 114, 121.
comte 88.
Conde 143.
Condes I43, 84 f.
conduire s. -duire.
confire, confit 68.
connaissance gi.
conquete 13, -^r 91.
construire 75.
conte, -er s. cottipie.
conto it. 36.
contour afr. 104.
contrat 103.
convier 96.
convoiter, -ise 20, 53.
copter 94.
coque 130.
Cordes 84.
cordoiian 108.
Cornde 102.
Corseult I r .
corvois 150.
föZ? wall. 162 f.
CoZ/tf 151.
coucher 106 — 08, 164,
HO, iT7f, <:(7/3jf afr.
68, 158.
ro«^_j/ 93.
cöziif«' 131 — 33, 4, 6, 8,
39, 41, 119, 121.
coudee 132.
coudre 153, 126.
couette 66, 57.
^OA'^ II, 14, 83 f.
courge 138.
courroie 71.
courroticer 90, 92, 94.
courte-pointe 66.
Courville 29.
Cousin 158.
coussin 66.
coutume 10 1, 118, 166.
couture lOl.
covoitie afr. 20, 53.
crainte 103.
Cranves 85.
Cravon 53.
crocher, -quer 16 f.
cuebano span. 83.
Cugnon 53.
cuidier, cuier afr. s. füi-
cuismier 80.
i-z/iVi» 74.
ciitretta it. 151,
O'i^"^ 70 f.
cymble afr. 85.
daintier 47.
dalinaie afr. 70.
darneisel, doncel 87, 90,
95. 158-
danger 92 f.
Danvix 91.
dartre I44f., 125, 161.
^^' 34.
^i?ir/ ..fr. 34, 52.
defaut II.
ddj'euner 29, 96.
del(g)ie afr. I06f, 108.
dellvrer 94.
demoiselle 91, 158.
denche 146.
Deneuvre 33.
depStrer 93.
der(e)ram afr. 92, 157.
dertiier 157.
derocher, -quer 26 f.
descente 143 f.
desert afr. 102.
desirer 95.
desouttr afr. 130, 132.
despert afr. 47.
despire afr. 74.
»/<?;? afr. 153.
tftf//'^ 131 f., 4, 119, 122,
125, 126.
dettezir 144 f., 125, 161.
devouter afr. 100.
diacre 86.
Z>z'£?/< Lumiere 123.
dimanche 1 1 2, 83, 86,
120, 129, wall. 163.
^?w^ 80 f.
diner 19, 96.
Jz/v 74, 69, i^j'// 67 — 69,
di'mes afr. So, tf?/^j
57 f., 62, distrent afr.
154, didrai Leod. 77.
diseur 67.
t^zi/«<? afr. 80, 81, 59.
ditello it. 34.
Ä'^o it. 35.
'^«'^^^ 53—56, 35, 65,
-^i?r, -/<f', -/'z'*'r 34.
domde piov. 105, 98,
114. 118, 144.
dofnesche afr. 147, -J'^<f
163, wall. 162.
dommage 135.
dompter 104, 90, II 8.
donjon 92 f.
Donqiieiir 12.
Dorqeisin 108 f.
dortoir 104 f., 5.
donille afr. 79.
doute, -eux 132.
doiiter 130 — 33, q5, 123.
doux 40.
douze 161, 165.
douzieme 80.
Dreux 85.
duire \docere\ afr., diiist
68,Perf.</o/i-/68(s.i94).
-dinre [diicere] 74, ^?«'^
68, duistrent afr. 154.
E:iussd 154.
echarbot 2.
echillon 92.
echouer 30.
eclaircir 91, 158.
eclairer 109.
ecorce 159.
ecorchcr 146, 145.
econcher 133.
ecrancher I12, II 4.
ecrire, escristrent afr.
157.
d-^^Z/j-f 99.
Einbrun 53.
emincer 96.
emoiüfi, 5if-> vgl. wa/^.
empechcr I 29.
empeser 58.
empetrer 93, 96.
empieger 127.
empire 99.
enipirer 96.
empleitier afr. 56 — 60.
emplette 56 — 59.
empr einte 144.
emprunter 104.
encre 64, 87, 163.
^«i/«?, i?«^<f afr. 36.
endetter 132.
enf eruier afr. 108 f.
enger 45, 112, II4,
162.
entente I43f.
^«2f^r 36, lothr. 162.
enterin afr. 92.
entier 75.
enfoschier air. 43.
epancher 138 f., 141,
epaide 1 5 .
epauter pic. 102 f.
eplucher 96.
epucer 107.
eräble 76 f.
^/v^'-^' afr. I3J, 1-36.
«■r/«, -I? afr. 13, 14.
Ei-tnont 151, 123.
escharbe r.fr. 12, 84.
ezclandre 85.
esclargier afr. 108 f.
Esclenc 112.
Esclepens 1 5 1 .
escoloiirgier afr. III, 53,
escolurst 58, 158.
esconser afr. 157.
escorcelle afr. 159.
tslegier, -ligier 150, 151.
espardre afr. 78.
esper dre afr, 78.
espert afr. 12.
espirt afr. 12.
esprit 1 2.
essart afr. 12, 39.
essarte r 100 f.
s^esserter afr. 19.
cSiieu 45.
estamperche afr. 147.
e table 3I f.
etaiic, -eher 45.
Etienne 85.
etotirdir 152.
t^^r^ 154.
etreindre 78.
evaltonner 94.
eveque 87.
Everdun 53, 90.
£'z//-c' 84.
Evreux 40.
Exoudiin 53.
exploit, -er 56 — 59.
/<j(J'/^ 3 1 f.
fache r 147.
/ßi<? 22 f., 153.
faisser 58.
ya//-<f 73 ff., 68 f., /ij//
67 — t(),faiines afr. 80,
faites 57 f., 62, j^i^ 68,
firent 74, yßz'/ P. P.
41, 60, afr. Plpf. /f/-^^
74, fedre, fistdra 77.
falha prov. 144.
falourde 14.
fange 1 1 2 — 1 1 4 , pic.
164.
_/a/-^ it. 74.
farouche 134, 147.
/a/f 22.
finde afr. 153.
faute 1 2.
favergier afr. 90, III.
fazedor prov. 67.
feindre 78.
/^«#<? 143.
Fericy 93.
/^r/i? afr. 104, 106.
feta^ fedeza prov. 153.
/c'/'^^ prov. 64, 134.
ficelle 158.
/trÄtr 25.
y^^'?'- 133 f-. 57. 64.
ji?<fw afr. 98.
fiente I03f., 98.
fierte 1 00 f.
fiertre afr. 157.
fieiiche mundartl. 187.
fisgar Span. 44.
fiutare it. 30.
flache, flaque 72.
flaistre afr. 71 f., 67,
flasque 11.
flatter 1 6.
flechier afr. 25, 46.
ßechir 25, 43 f., 46, 126.
ßeiichier, (g) afr. 46, 126.
fleschier afr. 43 f.
fletrir 72.
flotter 102.
/oz-6' 57, 62—65, 83, 85,
120, wall. 65, 162 f.,
/^^'j yfr/if afr. 63 — 65,
2, 83.
folcelU afr. 158.
i8t)
folte afr. lOO.
foncer 157.
fondefle afr. 86.
fönte 143.
forces 159.
/(7r^^ III, 2, 118, 129.
/ör^cr^r III, 3, 53, 90.
Forgue lil, 136, 164.
ybr^, -i> 61 f.
foiidre 78.
f Ollger 127, 7, 28, 129,
ostfrz. 162, 70, pic.
164.
f Öligere 106 f., :o8f.,
lothr. 163, 107, pic.
164.
fourgier afr. 108.
frard rtr. 69.
fraindir afr. 104.
fraiitdre afr. 78.
frainte 56.
frakar it. bol. 25.
fraiia it. 42.
fratchi lothr. 46.
frazzo it. 59.
/r^/,? 78 t.
friente 103 f., 98.
/rzr^ 75.
/>oz^ 48 — 50, 58, fem.
52, 61 f.
froideur 50, 48.
fromage 135, 134.
frotigier, frogier afr.
155 f-, 94-
_/m^ afr. 56.
/"^'^ 53, 56, 58.
fuire 69, P. P. 53.
fuissel alr. 159.
/w^^"? 53. 56, 58, 144-
funger lothr. 114, 118,
164.
f usain 42.
fuseau 1 59.
gra^i? 128.
gauge afr. 106, 3, lothr.
wall. 162, pic. 164.
Gautier 130.
Gave 84.
^^«^ 41, 102.
gc'sir 66.
gesse 76.
Gevaudan lOO.
giovane it. 83.
^"■iifr 66, 56. 57.
glagoier, -der afr. 25.
glout, -on 22.
Gonbert 130.
Gontier 130.
goiirde 141 f., 3, 8, 121,
138.
gourt afr. 47, 40.
grand, e 61.
grange Il2f., 83. 129,
165, lothr. wall. 162,
83, 120.
Grang'ue 1 64.
gravide it. 31.
^r6'/^ 781., 81.
greslor afr. 78, 92 f.
griete afr. 3I, 102.
grievete 103.
guerdon 90.
habitacle II 8.
hanter 104, I40f.
harcele afr. 159.
Havelu 1 1 7.
hercher 146, lothr. wall.
163.
herisser, -on 93.
heriter, -ier, -age 1 8 f.
/i^^j«? 159, 146, wall.,
lothr. 162, 165.
heürte afr. lOl.
hideux 152.
hisde, hide afr. 152.
hoche, -er Il6f., 147,
156.
haute 102.
Äö^^ 148, 145, 149.
ÄJ^tf/ 148, 149, 126.
hucke 134, 136, 7,
129.
hucher 26.
huppe 26.
-lerne 80.
Illohrt 33.
image 86.
Issobre n.
ivelte afr. 100.
ivernotge prov. 134.
jideau 130, 133, 2.
yaimes afr. 81.
jante 103, 105, 140,
wall, lothr. 162.
Jaques 81.
/ai-if^ 131—33. 32, 84,
123, 130, wall. 162.
je um 62.
jetter 103.
joignor afr. 92 f.
joindre 78.
yöz<ir 32, 130.
jouvente afr. 55.
_7M^<? 128, 134.
7«^"-^r 127, 5, 28, 95,
122, 129, 139, 165,
yi/2^ 68, 160.
jfutnieges 134.
Juvigny 92.
Idcher 43 f.
/Wr^ 84, 86, 154.
laicel afr. 47, 159.
lampe 85.
landie afr. I40.
lafidier 140 f, 104 f., 5,
152.
lange 1 12 f.
Lang res 42.
Lanier e 79 f., 92 f.
Laon{s) 52 f.
larcin 89 f.
/ßrt/ 12.
lärme 75 f.
larsun afr. 157.
/aj«^ afr. 79.
lassitude i o i .
/aj-^i? afr. lOi, 106, II 7.
Za^/.f 84.
/<:£3(3 it. 59.
lecher, licher 25.
i87
lege s. lige.
tlldcher 147, lothr.
wall.
megüis afr. 127.
leide, lesde afr. 68.
163.
megier afr. i 27,
129,
lemoissel afr. 91.
machier afr. 25, 27
loihr. wall. 162.
lente 143.
Madeleine 103.
Mehun 52 f.
lepre, afr. lüpre gq.
madre 154.
WifzV ostfrz. 70.
liberte 55, lOO, 106.
maidi lyon. 48, 56
Melun 53.
licher, lecher 25.
maie, mait 48, 5 1 f.,
55 f-
meleze 158.
Z/<?^<r 128.
70.
7neltriz afr. 100 f.
Ltevre 84.
inaigre 76.
meftager 134.
/z>^, /<f^^ afr. 1 34, 1 50, 1 5 I .
.Maine II3.
Mende 84, 106.
St, Liguaire 123.
mairdin 93.
mendicite 67.
limier 95.
mairier afr. 76, 74
mendier 96, 140.
Limoges 11 7, 130.
maisme afr. 38.
mendistie afr. 57, 8
I.
limpio span. 17.
maistie afr. 91.
mensonge 157.
hmtato Reichn. Gl. 152,
malade 124, I39f.,
2, 8,
inente afr. 148.
98, 150.
120, 121, 149, 1
othr.
menteur 88.
/?«^o span. 17.
162.
menuisier 96.
/iW^^ 112 f.
malcontent 107.
mepriser 92.
//«^^ afr. 103, 5, 8, 123.
maltote II, 100.
w»^r/if 121.
linteau 104, 5.
wfl//y afr. 154.
merrain 93, 92.
Ltnthes 104.
7nanche m. 1 12 f., 2,
118,
merte afr. 12.
Untier afr. 104.
136, 165, fem. 112 f.,
merveiile, 2, 87.
/^V<f 75, lirent afr. 75.
118, lothr. 162,
83,
message 165.
liveche 147.
120.
Mesves 84.
liv raison 95.
manger l3Sf., 95,
136,
metayer 54.
locker 26, 126.
menjust afr. 68,
wall.
tnetier 9 1 .
Zoz« 52.
163, 139, pic.-norin.
mettre, misdrentvk{x.
154.
loinsel afr. 91.
139, 164.
medre Pass. 77.
lointain 47 f.
niaque afr. 27.
Meudon 53.
Loire 40, 75.
maquer 25, 27.
Meung 52 f.
Loiret 75.
Mareuil 85.
meürte afr. 100.
loisir, loLst afr. 68.
marguiller 108.
meitte 102 f., 98.
lormier 95.
marechal 91.
miege afr. 128, 134,
136,
/öit afr. 24.
marier 96.
161, lothr. wall.
162.
louchir 44.
Marne 87.
tnincer 157.
Loicdun 52, 69.
marner 42.
mir ade 108.
/o?/r/-(/ 12.
Marsal 154.
OTzi"*? afr. 55.
Louvre 84.
ninsdre afr. 154.
mitaine, -on, -oyen
54 f.
lovergier afr. s. «fjro-
;««/ 21, poit. 166.
Moigte de Broie 53
56.
lourgier.
maticre, alr. inatire 99.
tnoine 112, 2, 83,
85,
loyaute 100.
matin 16 f.
163.
lucide 69.
;«a/m lOI, I18.
WÖZV^ 71 73, 3, 12
I.
/z^i>-^ 74, /z<z'^ 68, /i^«
maturite loO.
■»noitie 53 — 55, 67.
P. P. 57-
Maubeiige 128.
monceau 159.
liiquer 25, 27.
maudire 108.
moquer 27.
/z/^ afr. 24, 16.
mauvais 154 f.
vior dache 135.
lutrin 1 03 .
mecine afr. l6of.
morgue HO.
ZyöM 48, 52 f.
Medan 5 2 f.
morgiier pic. 108,
110.
i88
moucher 26 f.
moude südlVz. 23 f.
viotisse 23.
tnoutter 91.
moutiire 100.
mozzo it. 23.
niueca span. 27.
multiplier 92.
mtirger 108, HO.
viutin 102,
nacelle 30, 159.
nache I34f., 2, 119, 121,
165, wal!. 162 f.
nager 30, II 7, 150.
Nanterre 204, 88, 98.
Nantes 87, 1 18.
Nanteuil 104.
naqiter pic. 1X6.
narguer 108, HO.
narquois HO.
«^/ 30.
neige, -er II 7, II 8.
Nempty 104.
iiergun afr. 157.
Neronde 106.
«£•/ 16 f., 120, span. «tfi'o
frc
- pro'»
nede
23 f-
«^^^^' afr. 88.
nettoyer 88.
Netlilly, -e 92 f.
Neuville, -iers 29.
Neuvy 29.
«/fÄe? 128, -f'/' 127!.,
155 fo 28.
iV/^«/ 85.
Niort 12.
nocher 30, 134.
no/r 40, prov. «t'r 54,
75-
tioircir 91, 158.
«oziif 30.
nourrisson 89 f.
noitrritiire 89 f., loo,
118.
««f>£' 74, //z^zV 3 Sg. 68,
w«z' P, P. 57.
A^'ö« 53.
oi/V^ 103.
ora !-pan. 30.
octroyer iiif., 95, 103,
118.
Ogier 130.
oie 30.
0^J■^ 85 f., 84.
oiseau 30, 160.
olifant afr. 107.
o/^a rtr. 30.
oneste, -er nfr. 91.
onze 161, 8, 142, frc-
prov. 165.
Orange II 6.
Orbig ny 92.
ordee afr. 88.
ordiere pic. 142, wall.
162.
orfene afr. 85, 83.
orfevre 154.
orfraie I54f, 92.
ör_^zi:,f 85.
()r«^ 141.
orniere 14I f.
origine, afr. orm^ 42.
orphelin 85, 83.
o/rt' prov. 12, 14,
153-
ort afr. 12, I4.
oseille 15.
oj'ji?/ afr. 159.
ost afr. 62.
otage 148.
Ouche 85.
Ourches 85.
cur de afr. I41 f., 121.
outarde 30,
o?/^<7 lOI.
Oiete 151.
packe afr. 46.
/«/,? 163.
palefroi 95.
paltunier afr. lOO.
pampre, spau. pampano
83.
panais 89.
panegier, -chier afr.
155 f., 94, 112.
pause 159.
papaiite 100.
/«rc 13.
parcelle 1 59.
parcon afr. 157.
parole 32.
Ä. Parres 123.
passager 134.
passe (re) afr. 85 f., 83.
pauvrete 55.
paute wall. 104.
j5az'^ afr. 163.
pavillon 92.
peche 116, II7f.
pecher 26.
peester afr. 91.
_^^^^ afr. 65 f.
peger Schweiz. 66.
peindre 78.
peire afr. 18.
pelerin 92.
pencher I38f, I2I, I41.
Peneuvre 33.
pente 143 f., 142.
percer 154, 96.
per che \i\bi., 7, 125,
136, 145, wall, lothr.
162, 120, 137, pic.
164.
Perche 146, 134.
Perigor d 108.
Perrecy 89.
persil 89 f.
/<rrifif 144, 142.
pertuisier 96.
pester afr, 10 1.
/<?j; nfr. 16 f.
peter, -Hier 18.
peuple, afr, /o5/o 99.
//i?^, ^zi?^ afr. 55.
pddancerie, -ier afr. 55.
/>?,f^^ 128 f., 3, 98, 118,
121. 134, pt. i^^^a,
^i?z'a 52.
pieton 18.
pieuvre 12, 13.
i89
pinceau 158.
Pionsat 93.
piquer 26.
■püid 53, 55, 106.
plaid 40 f., 58—62, 68 f.
plaider i^"] {., 60, 5, 122.
plaidoyer 60.
plaindre 78.
plaire 74, plaisir 68,
//az'/ 3. Sg. 67 — 6g,
plairai afr. 74, prov.
76.
plancoji afr. 158.
plane 84.
plantain 42, 40.
plente afr. 102, 55.
plei/rer 122, 5.
plonger 137 f., 165.
ploquer 26.
poele 84.
poeste afr. 55.
poiat afr. 66.
jioz'c'r afr. 88.
poindre 78.
poisser mfrz. 58.
poistron afr. 93.
^ozl« 65 f.
polchier afr. ic6.
polt rinn afr. 156, 91.
polype 12.
ponce 158.
Pondron 33.
ponte 1 44.
porche afr. 146 f., 134.
portique 1 47.
Potangis 93.
^öz^c^ 12, 158.
poulpe 12.
pouriture 89 f.
poiirpier 99.
poussin 158.
poutre 156 f.
pratique 103.
pr Scher 129.
predeur afr. 19.
prestral afr. 142.
/r^^ 148.
pretre I42,
prevot 13, 14.
prier, Konj. Präs. 68.
primaute 100.
prince 87.
principaute ICO.
privaiite lOO.
Prouvaires 143.
prouver 5.
provin 42.
^z/^^ 13, 158, 39 ff., 165 f.
piicelle 158.
puput 24.
purete 100, 106.
^m/, -I? 1 6 f.
putain(e) 1 7.
/z^^^tf' afr. 88.
piizzo it. 23.
quatorze 161, 8, 142,
165, -z'^wi? 80.
quejendo, quijando ptg.
102.
quete 13.
qiieter lOI.
Queude 1 5 1 .
quinze 161, 8, I42, 165,
■lerne 80.
(7«zV/^, -^r 18, 53, 55.
Yache II 6.
rachier, -gier afr. s.
arracher.
racine 160 f.
raconter 37.
ra^i? afr. 151, 2, 119,
120, 149.
raz]£f<f 48 — 50, 59, lem.
52.
raille 15.
rainceaii 91, 158.
raire afr. 75.
rfl/Za it. 15.
ranieissel afr. 91.
ranche, -er 114 f., pic.
164.
rapide 151, s. ra^f^.
rasgar span. ptg. 116,
118.
r asture afr. lOI.
rature 1 6.
rauder afr. 151.
raudo span. 17.
raust prov. 73.
r avager 128.
ravene afr. 85, 83.
z^-ab spp.n. 49 f., 69.
rebrechier afr. III.
redde anglonorm. 50,
103.
redder mfrz. 150.
redot afr. 133.
reent 36, 40 f.
ri?^(? ostfrz. 134, 136,
129.
regiel afr. 127.
reine 59.
reisne afr. 7 9 f.
reluquer 25, 27.
Rennes 29.
rtf^zz/«' 143 f., 166, 121.
repeiitir 102, II 4, II 8.
reprocher 126.
reseau 1 60 f.
reseuil 161.
rt/, -^r afr. 36.
revanche 139, pic. 164.
revancher 138 f., 2, 7,
110, 161.
revSche 147.
reverchier afr. 116 f.
revider afr. 10 1.
Rhone 29, 84.
rigoler 129.
Äö/zz 33.
rochier afr. 26.
roder 151.
rotste afr. 71, 73.
rü/d' 15.
romanz afr. 158, 12
(s. 194).
ronce 158.
rcnger 127 — 29, pic. 164.
rostece afr. 69.
ro^^r afr. 103.
Rouan, Rouen 33.
roi/anne 79.
rovre poil. 166.
igo
Royan i 2.
royaume 12.
royaute lOO.
ruche 146.
rüde 50 f.
i?M^27 88.
rw2'« afr. 42.
ruisseaii 9I.
rmigier atV. 150, 127,
129.
ruser 96.
riistie afi'. 67.
rwj/;v 51, 153, 163.
r?// 5 3 f.
ruvido it. 50 f.
SßiJ'/if 31.
jrti/d- afr. 151, 2, 39, 119,
125, 149.
sage, afr. jazW 163, 23,
151-
saigner 42.
saintee afr. 25.
Saintonge 112.
salnoie afr. 79.
j-aZ('<r afr. 102, 1 1 8.
jß/a, -Ci? afr. 12 f., 158.
saluer 96 f.
Sambre 84.
samedi 84.
ja«^/ 102, 106, 55.
Sattbusse 84.
saumache afr. 69.
saumatre 69.
sauvage 133.
Savigny 92.
savoir, satt 3. Sg. 39, 41.
secher 26.
Seheut ■äXx. 34.
seigle 84.
.y^z'//^ 15.
5««.? 8r, 84, 86.
j(?/z^ 161, 165.
semonte afr. I02.
Senan 33.
sendchal 91.
seneve 34, 94.
senfege 128.
senne afr. 124.
^ifwj 29.
j^«^^ 104 f., 121, 165.
sentier 104 f., 166.
j^^/ 39.
serdele afr. 103.
5-ifr^tf 108 f., 129.
sergier 109.
serorge afr. I08f.
sesgar, -o span. 44.
Sevre 84.
sevrer afr. 2, 84, 87.
siede 99, 86.
J?'^^^ 128, 2, 98, 120,
121, 127, 134, mund-
artl. sieche 129.
Sieger 127.
sincele mundartl. 158.
j/r^ 14 T, 142.
SireiiiL 85.
societe 67, 73-
soigre afr. 74.
soistie afr. 67, 73.
50// afr. II, 102.
soltain, -tif afr. 100.
sordeior afr. 88.
.Söj 84.
jo« 163.
soucier 59, 96, 158.
joz<^^, -/<? afr. 13t f., 8,
123.
soudain 130, 132.
souhait, -er 58, lOI.
souloit, -e afr. S^-
soulte II.
souple 87.
soupi;oii 92, 93, 94.
soi4rdre afr. 78, 74.
souchier afr. 146.
jöizo it. 59.
spaccare it. 26.
j/z/> wall. 162 f.
strikar it. hol. 25.
strokar it. bol. 25.
suatume afr. 102.
jM«ö span. 17.
.fz«'^ 70 f., 59, 65, 120,
166.
siiire afr. 74.
i-zz/V^ 103.
suppUer 97.
snrete 100.
surge afr. 47.
surge [laine] 70, 1 29.
surgeüre afr. IIO.
sur guier pic. HO.
faJ/^ 31.
tache 27.
/dz>v 74, /«/i? 68.
/ö;;/c' 103.
t aquer 1~i .
targier afr. 14O, 7, 139.
/ars-i! 68.
tascar span. 44.
^az'^r 45, 44.
teindre 78.
temoig7ier 89, 108.
femoin 85.
tempete 9t.
tenerge afr. III.
/'^«^^ 1 43 f.
^^m/zV afr. 102, 117, 140.
tenve afr. 85.
terdre 7, 4, 78.
tertre 104.
Thievre 84.
/z',?^^ 151, 82, 98, 119,
149, 150, ostfrz. 162,
124.
Tilques 85, 106— 08.
tinibre 83.
^zW/^r 102.
/■zit);? 93.
/o/if 31.
^ö// afr. 1 1 .
ifö«/«? 143.
toquer 26 ff.
torche, -er 25 f., 146 f.,
pic. 164.
tordre 74, 78.
tosche afr. 43.
toucher 25, 27 f.
Touraine II 3.
tourani-e 112,
IQI
Tourtion 33.
Tours 13.
tout 21.
toxigue 44.
traire 75.
traitre 19.
traneher 112, II4.
tr aquer 25 f.
^/-^^ 64.
trembler 121.
treize 161, 165, -/<
80.
trejnotisser 157.
tref miete afr. 102 f.
tr icher 26.
/ro;^, -^r 126 f.
Troyes 85 f., 64.
/rwz'if 70.
/?n'^ afr. 21.
tlsine 160.
Vö:<r prov. 23.
vadou lyon. 154, 22.
vaincre 74, 78.
valcel, -e afr. 158.
vanter 102.
vautre 33.
veiller 79.
vcintre afr. 74, 78.
■vencon 157.
Vendenesse 88.
vendeur 88.
Vendeuvre 33.
Vendüine 7g.
venger 138 f, 2, 4, 7,
56, 95, 110, 121, 126,
145, 148.
vengeur, -eance, -ison
138 f.
Vensat 93.
z»^«/^ 143 f.) I2r, 166.
verger 109.
vergogne 108.
vergonder afr. 108.
verite 100, I18.
vermeissel afr. 91.
t/^r^ 12, 58, 61 f.
vertevelle 108.
vervelle 108, 150.
veture 88.
F^« 85.
rzif^ 40, 57 — 62.
•vider 5 7 ff.
vierge 86.
vietix 1 5 .
Vieux 85.
Vilaine 79.
■vilete 100.
f^zV/i? domange 123.
viouche afr. 134.
visder afr. lOi, 13.
visnage afr. 79, 81.
voiar, vuiar prov. 61.
voisinage 79.
wö/a prov. 61.
volage afr. 133.
volonte 100, 45.
«»ö// afr. II.
voltiz afr. 103.
TöJ-^tfj 85.
voüte II, 102.
voyer, -ette 61, 70.
i-?«? afr. 40, 57 — 62,
fem. 61 f., prov. 7/7/^2'
61.
wa/ wall. i62f., 125.
■welke afr. 153.
Tf//« wall. 162.
yjrem lothr. 162.
yeuse 158.
Yssolu 53.
Yssoudim s,3.
Yverdon 53, 90.
3. Die Gruppen.
abu 31 f., agu 33 f., avi 30 — 32.
b : c 126, 32, c* 160, 16 f., : d 150, 36 : 1 31 f. : t 130 — 33, 32 : ti 157.
mb : c 137 f. : d 152 : t 140 f.; rb : d 152 : t 141 f.; sb : t 142.
c: c 24 — 29 : d 69 — 71 : 1 78 f. : m 8of. : n 79f. : r 73 — 77 : t 56 — 69, 35.
cc : d 71 — 73; nc : r 78; rc : f I54f., 157 : n 79 : r 78.
d : c 127 — 30, 26, 28 : d, t 16 — 24 : g 150 : 1 15 : p 130.
nd : c 138 — 40 : 1, n 88f. : t 143 f. : ti 157; rd : di SS : g 47.
ff: c* 160; rf : c^ 159.
g : c 24—29 : d 48—52, 35 : 1 79 : n 42
ng : c 45 : r 78 : t 47f.; rg : c 47
igi 34 f-
-iet- 53—55; Ji : t 53-55-
j : j 29.
1(1) : c* 12, 158 : d II : f i54f. : m 12, 14 : p 12 : qu 12 : s 154 : l 11, 100 : tr
156 f., 92.
r 75 : t 53—56.
d 47 :r 78 : t 47 : ti 157.
192
m : c- 158.
n : c« 158 : n 29 : ti 157.
gn : c 45 : t 47f. ; m'n : c^, v 90 f., 158.
p : c 133, 159 i- : tl 151 : p :!4 : t 36-38.
mp : d 152 : t 36; pp : c 146; ip : c 146, c* 159 : d 152; sp : c 146
: d 152 : l 148.
qu : 1 108 : t 56, 144.
r : b 12 : c 13, 108 — iio, c^ 15S : d 12 : f I54f. : g 12 : m 1.3.
r : n 13, 14 : s 154 : t 12, loof., tr 156 f.
br : c III, c2 I58;gr : c^ 158 : ti 157, t'r : c iiif.
s : c 116 : r 154 : t 13, lOi.
bs ; c 116, ns : t lOl, ps : r 154, rs : c 116; ss : c Il6, c'^ 159 : fr I54f.
: r 154-
t : c 133—37. c^ i6of. : d, t 16—24, 153 : g 151 : 1 i5-
et : c 25, 28, c- 159 : t 47; It : c 146; nt : c 146, c^ 159 : t 14S, ti 127;
pt : c^ 159; rt : c 25 f., 146, c^ 159 : d 152 f. : si 157 : li 157; st : c 147,
c^ 159 : d 153 : t 148. Kons. + t vor d, t, di (li) 88, vor n, in, 1 89.
V : c 30, 117, c2 159 : d 31 : g 30 : t 30, ti 157 : v 29.
X : c 43f., c2 45 : d 153 : r 154.
z:r 154.
Kons. 4- st, sc (n, j : st; n, r, gr, m, v, g : sc) 91.
Kons. + li, ni, mi, ri, ki, pi 92 f.
4. Grammatisches.
a. Zur Lautlehre.
Akzent:
Akzent in griechischen Lehnwörtern 64.
Nebentoa auf der Ultima in Proparoxyiouis 40 f.
Drei Silben vor dem Ton 94 f.
Vokalismus:
Metathesis der Quantität: tötus 21, tinnitare 102.
Diphthongierung von e, 0 98 f.
e und i in griechischen Lehnwörtern 64.
a der Pänuhima 82 — 87.
Absorbierung des tonlosen Vokals durch r 2, 75, 94.
Synkope der Pänultima 87.
Synkope des Zwischentonvokales 87 — 93.
Synkope des afr. zwischeutonigen a 94.
Konsonantismus :
Metathesis der Lautstufe (liabitus ^ *hapidus) 131.
gr, er > ir im Prov. 75 f.
et > tt > t 103.
d für i durch umgekehrte Schreibung im Prov. [fedre Pass. usw.) 77.
aller <^ ambulare 141.
n-Einschub I16, afr. fle7igier 46.
Lautabstufung in Lehnwörtern 99.
Zeit der Lautabstufung 97 f.
193
b. Zur Wortbildung.
Scheideformen, manicus, -a 113.
Suifix -idus 23, 65, 72.
Verbalsubstantiva: lat. -ita frz. -te 56, 66.
lat. J!-ndita frz. -nte 143 f.
c. Zur Formenlehre.
Das Nomen:
Femininbildung der Eigenschaftswörter einer Endung (grandis usw.)
61 f.
tOUt, pl. tUlt 21.
Das Verbum:
I. Konj., Konjunktiv Präs. 3. Sg. mit s {cerst, coht, tarst usw.) 68.
Perfectum, i. 2. Plur. -avimus, -aslis 92.
II. Konj., placet >;i/az,s-/': facit>/azV 67—69.
III. Konj., Infinitiv-e durch Analogie 75.
faire, dire usw. 73 f., fare it. 74, Jait : piaist 67-Ö9, /az>«^.r,
dimes 80, faites, dites 62.
Plusquamperfektum 77, 76, 74.
Ausgleich in der Konjugation der Zeitwörter, wo durch Synkope
Doppelformen eintreten 95 f.
d. Lehnwörter.
Diphthongierung von e, ö 99,
Lautabstufung 99.
Doppelformen 107, 37, 55.
Gvxoixov '^foie 62 — 65.
e. Ortsnamen auf
-anicu \ -dunum 52 f., 151. -regum 12.
-ianicu i i- .jalum 84. -riges 12.
■^"g^ 33- -magus n, 84. -ritum 12.
Berichtigungen.
S. 12, Z. 7 V. o. füge hinzu: romanice afr. romanz.
S. 15, Z. 8 V. o. lies prov. rotle frz. role für prov. rotlo frz. rolle.
S. 16, Z. 15 V. o. lies matutinu für mattutinu
S. 24, Z. 30 V. o. lies gemicare für gemiccare
S. 30, Z. 14 V, u, lies aucupare für ancupare
S. 31, Z. 10 V. u. \\&% favola für pavola
S. 39, Z. 12 V. o. lies calce für chalce
S. 43, Z. I V. u. lies lüscus fiir liixus
S. 45, Z. 8 V. u. gn'c für gn'c»
S. 47, Z. I V. o. et't für ct'c
S. 54, Z. 6 V. u. lies denn für dem
S. 68, Z. 14 V. o. füge hinzu: Perf. doc[u]it> doist (Leod. 23)
S. 78, Z. 19 V, o. lies e'treindre für estreindre
S. 91, Z. 16 V. o. lies nfr. für afr.
S. 91, Z. 15 und 17 lies frz. für afr.
S. 100, Z. 8 V. u. füge hinzu amaritudine frz. amgrtume
S, 104, Z. 7 V. o. lies *hamitare für amitare
S. 105, Z. 12 V. o. lies *amitanu für amitann
S. HO, Z. 25 V. o. lies narquois für narguois
S, 134, Z. 3 V. u. lies Perticus ^ Perche für Porticus >■ Forche
Druck von Ehrhardt Karras. Halle a. S.
BEIHEFTE
ZUR
ZEITSCHRIFT
FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
Dr. GUSTAV GRÜBER
PROFKSSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG I. E.
XXV. HEFT
ADALBERT HÄMEL, DER CID IM SPANISCHEN DRAMA DES XVI.
UND XVn. JAHRHUNDERTS
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1910
DER CID
IM SPANISCHEN DRAMA
DES XVI. UND XVII. JAHRHUNDERTS
ADALBERT HAMEL
HALLE A. S.
VERLAG VON INIAX NIEMEYER
igio
Den lieben Eltern zur Silberhochzelt
(15. September 1909).
Inhalt.
Seite
Vorwort ix
Einleitung.
I. Der Cid in der Geschichte • I
II. Der Cid in der Poesie 5
Hauptteil:
Der Cid im spanischen Drama des XVI. vmd XVn. Jahrhunderts :
I. Dramen, die die Jugendtaten des Cid behandeln:
1. Guillen de Castro: Las Mocedades del Cid. I^ parte ... 14
2. Juan Bautista Diamante: El Honrador de su padre .... 22
II. Dramen, die die Kämpfe um Zamora oder Toro zum Inhalt haben:
1. Juan de la Cueva: Comedia de la muerte del Rey Don Sancho,
y Relo de Zamora etc • 28
2. Guillen de Castro: Las Mocedades del Cid. 11^ parte ... 33
3. Lope de Vega : Las almenas de Toro 40
4. Matos Fragoso: No esid en matar el vencer 49
5. Diamante: El cerco de Zamora 56
III. Dramen, über den Cid unter der Regierung Alfonsos VI.
1. Anonimus: Las Hazanas del Cid y su muerte, con la tomada
de Valencia 61
2. Tirso de Molina: El cobarde mas valiente 69
3. Matos Fragoso : El amor hace valientes 76
4. Zarate y Castronovo: El Cid Campeador y el noble sienipre
es valiente 81
5. Francisco Polo: EI Honrador de sus hijas 90
IV. Burlesken:
1. Cancer y Velasco: Las Mocedades del Cid 95
2. Bernardo de Quirös: El Hermano de su hermana .... 98
Schlufswort 103
Anhang.
1. Verzeichnis der bekannten Ciddramen des spanischen Theaters 107
2. Verzeichnis der in den besprochenen Dramen verwendeten Cid-
Romanzen 109
3. Comedia de las Hazanas del Cid, y su Muerte, con la tomada
de Valencia xi2
a
Vorwort.
Der Zweck vorliegender Arbeit ist eine eingehende Besprechung
aller gedruckten spanischen Dramen des ausgehenden i6. und des
ganzen 17. Jahrhunderts, die den Cid in die Darstellung verweben.
Zum gröfsten Teile sind diese Dramen nur bekannt aus kurzen
Notizen in Schacks oder Schäffers Darstellungen des spanischen
Dramas.
Es kam mir vor allem darauf an, nach den nötigen biblio-
graphischen Hinweisen eine genaue Inhaltsangabe und Charakteri-
sierung zu geben und auch darzutun, wie der jeweilige Verfasser
den Romanzen gegenüber sich verhalten hat. Eine Besprechung
der auf den Cid bezüglichen nichtdramatischen Dichtungen habe
ich deswegen vorangehen lassen, weil bis jetzt in deutscher Sprache
eine zusammenfassende Arbeit aufser in einer tendenziös gefärbten
Abhandlung 1 nicht existiert und um einen Vergleich mit dem In-
halte der Dramen zu erleichtern.
Die Abhandlung ist gedacht als Teil einer Sammlung aller
den Cid behandelnden Dramen der europäischen Literaturen.
Die Anregung hiezu gab mir mein verehrter Lehrer Herr
Professor Dr. H. Schneegans in Bonn, der mit seinem erfahrenen
Rate mir stets zur Seite stand und der Arbeit von Anfang an das
gröfste Interesse entgegenbrachte; ihm bin ich dafür zeitlebens
Dank schuldig.
Viele wertvolle Hinweise verdanke ich besonders auch seinem
hiesigen Nachfolger, Herrn Professor Dr. K. Vofsler, durch dessen
gütige Vermittlung Herr Prof. A. Farinelli in Turin mir ein Exemplar
seiner reichen spanischen Bibliothek zur Verfügung stellte.
Allen diesen Gelehrten sei hier in erster Linie mein aufrichtigster
Dank abgestattet.
Wenn ich auch selbst keine Mühe, keine Reise scheute um
die sehr zerstreut liegenden altspanischen Drucke aufzufinden, so
ist mir das nur möglich gewesen durch das allseits liebenswürdige
Entgegenkommen der Herren Beamten der
' Baumgarten, Der Cid in Geschichte und Poesie in „Stimmen aus Maria
Laach, 54. Band. Freiburg i. B. 1898. pag. 32 ff., 429 ff.. 505 ff.
Kgl. Universitätsbibliothek zu Würzburg,
Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München,
Kgl. Bibliothek zu Berlin,
Kgl. Universitätsbibliothek zu Göttingen,
Stadtbibliothek zu Hamburg,
K. K. Hof bibliothek zu Wien,
Bibliotheque Nationale zu Paris,
wofür hier nochmals die dankbarste Anerkennung ausgesprochen
sein möge.
Als Anhang ist der Arbeit ein Verzeichnis aller bekannten
Cid-Bearbeitungen des spanischen Theaters beigegeben, sowie eine
Zusammenstellung aller in den besprochenen Dramen verwendeten
Romanzen in der Reihenfolge der Ausgabe von C. Michaelis mit
Angabe der Nummerierung bei Daran. Aufserdem ist das anonyme
Ciddrama (siehe pag. 6i) nach dem Exemplar der Hamburger Stadt-
bibliothek abgedruckt worden.
Was die Textbehandlung betrifft, so war mein Grundsatz mög-
lichst getreu den überlieferten Text wiederzugeben. Ich habe daher
die alte Schreibung mit ihren Inkonsequenzen beibehalten und nur
da wo offensichtlich eine Umstellung eines Buchstabens vorlag, wie
besonders bei u und n, den richtigen eingesetzt. Die Strophen sind
wie in dem mir vorliegenden Drucke auch äufserlich kenntlich
gemacht.
Würzburg, 20. Juli 1909.
Adalbert Hämel.
Einleitung.
I. Der Cid in der Geschichte.
Die heroische Gestalt des Cid Ruy Diaz de Vivar ist mit so
viel Sage und Poesie umkleidet, dafs es schwer ist, ein historisch
einwandfreies Bild vom Leben des Campeador zu geben. Mariana i
erzählt das Leben und die Taten des Cid und fügt ztim Schlüsse
hinzu: Algiinos tienen por fabulosa gran parte desta narracion; yo
tamhien muchos mas cosas traslado que creo, porque ni tne atrevo d
pasar en silencio lo que oiros afinnan, ni qiiiero pofier por cierto en
lo que tengo duda, por razones que d ello me mueven y otros las ponen.
17(^2 entdeckte der Augustiner Manuel Risco in der Bibliothek des
Klosters des hl. Isidor zu Leon die Gesfa Roderici Campidocti.- Diese
Biographie mufs vor dem Jahre 1238 entstanden sein, da der Ver-
fasser gelegentlich des Berichtes von der Belagerung von Valencia
durch die Sarazenen nach dem Tode des Cid sagt: Et 'numquayn
eam ulterius perdiderunt. 1238 jedoch war Valencia durch Jakob L
von Aragon eingenommen worden. ^ Der Jesuit Juan Franzisco de
Masdeu zog indes (1805) nicht nur die Echtheit dieser Urkunde,
sondern die Existenz des Cid überhaupt in Zweifel.^ Er betrachtete
Risco selbst als den Verfasser der von ihm veröffentlichten Schrift.
Letztere Ansicht wird schon dadurch widerlegt, dafs das fragliche
Manuskript sich wirklich in der Biblioteca de la Academia de la
historia zu INIadrid befindet, wo überdies auch ein anderes Exemplar
dieser Schrift gefunden wurde, das aus dem 15. Jahrhundert stammt.^
Es handelt sich nur darum zu untersuchen, ob der Verfasser der
1 Historia gener al de Espana ^ Madrid 1770, 2 vis. Lib. IX, c. 5 bi',
lib. X, c. 4. (Abgedruckt in der Biblioteca de antares espanoles. Band XX)^,
wo obige Stelle pag. 282 zu finden ist).
^ Gedruckt als Anhang zu Risco, La Castilla y et mas famoso Castellano.
Madlid 1792. (Inhalt auch bei Rios, Historia critica de la lit. esp. Madrid
1862. Bd. 11, pag. 175—182).
* Dozy, Recherches sur Vhistoire et la litterature de l^ Espagne pendaut
le moyen äge. Leyde 1881. Tom. II, pag. 3.
* Refutacioii critica de la historia leonesa del Cid, angef. bei Ed. da
M6ril, Poesies latines populaires du moyen äge. Paris 1847, pag. 285.
^ Dozy, 1. c, pag. 4.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV. 1
Gesla Roder ici CanipiJocli den Glauben verdient, den ihm Risco*
und J. V. INIüller^ beigemessen haben, oder ob der Inhalt nur als
Dichtung aufzufassen ist, wie Masdeu annahm. Ähnlich verhält es
sich mit dem Poema del Cid, der Crönica rimada und der Crönica
general. Bei allen diesen uns vorliegenden Quellen handelt es sich
darum zu unterscheiden, was ist daran historisch, was erdichtet.
Den Versuch, die geschichtlichen und sagenhaften Elemente
zum erstenmale kritisch zu scheiden, hat Viktor Aime Huber ge-
macht in seiner Geschichte des Cid Ruy Diaz Campeador von Bivar.
Nach Quellen. (Bremen 1829), ferner durch die Herausgabe der
Chronica del famoso cavallero Cid Ruy diaz Campeador (Marburg 1844)
und durch sein Werk: De primitiva cantilenarum populär ium epicarum
(vulgo Romances) apud Bispanos forma (1844).
Im selben Jahre fand der holländische Gelehrte R. Dozy auf
der Bibliothek zu Gotha einen arabischen Bericht über den Cid
und die Eroberung von Valencia.3 Er war enthalten in dem dritten
Bande einer arabischen Literaturgeschichte , den der maurische
Schriftsteller Ibn Bassäm, wie er selbst angibt, im Jahre 503 der
Hedschra, iiog unserer Zeitrechnung, verfafste.'* Ohne Zweifel
besitzt dieses Dokument grofsen historischen Wert, wenn es auch
von einem Araber, also von einem Feinde des Cid, verfafst ist.
Wir wollen nun kurz ein Bild des Cid in der Geschichte ent-
werfen.^
Wenn auch das Geburtsjahr des Cid nicht bekannt ist, so
fällt es doch aller Wahrscheinlichkeit nach in den Anfang des
1 1 . Jahrhunderts. Zum erstenmal wird er 1064 erwähnt. Er hatte
sich schon in einem Kriege, den Sancho von Castilien gegen Sancho
von Navarra geführt hatte, ausgezeichnet und infolge eines mit
einem navarresischen Ritter geführten Zweikampfes den Beinamen
Campeador d. i. der Herausforderer erhalten.^ Der Tod P'erdinands I.
(1065) gab zu einem neuen Bruderzwiste Anlafs, da Ferdinand in
seinem Testamente sein Reich unter seine fünf Kinder geteilt hatte,
und der ehrgeizige Sancho Alleinherrscher sein wollte. Anf Seite
1 A. a. O.
* Joh. V. Müller, Der Cid. Nach Quellen. Einleitender A.ufsatz zur
ersten Ausgabe seines Cid. 1805. Dasselbe in spanischer Übersetzung ent-
halten in Juan de Müller, Romancero e historia del tnuy Valeroso Caballero
El Cid Ruy Diaz de Vivar. Francoforto 1828.
^ Veröffentlicht bei Dozy, 1. c. im Urtext, tom. II. Appendix und in
französischer Übersetzung, tom. II, pag. 8 — 28.
* Der Verfasser beruft sich auf eine Person, die den Cid selbst ge-
kannt bat.
^ Zum folgenden vergleiche Dozy, 1. c, pag. 104 fif., der auch stets die
einzelnen Quellen zitiert, sowie Puymaigre , Les vicux auteurs Castillans,
2 tom. Paris 1888. t. I, pag. 109 — 135, der zum Teil auf Dozy beruht.
Baumgarten, a.a.O. schliefst sich in der Sache an Dozy an, ohne dem
arabischen Berichte betreff der Greueltaten des Cid den Glauben beizumessen,
der ihm von Dozy gezollt wird.
" Zur Etymologie des Wortes vergleiche Dozy, 1. c, II, pag. 58 ff. und
Puymaigre, 1. c, I, pag. 114 ff.
Sanchos stand auch Rodrigo de Bivar, der nach dem Siege bei
Llantada (1068) Oberbefehlshaber seines Heeres geworden war.
Drei Jahre nach jener Schlacht kam es wieder zum Kampfe; diesmal
war Sancho der Besiegte. Da aber nach beiderseitigem Überein-
kommen der Sieger das Reich des Unterlegenen als Kampfpreis
erhalten sollte, so betrachtete sich nunmehr Alfonso als Herrn von
Castilien. Rodrigo von Bivar jedoch überfiel die ahnungslosen
Sieger und nahm Alfonso gefangen. Alfonso wurde ins Kloster
geschickt, entfloh aber bald zu Mamoun, dem Könige von Toledo.
So war Sancho wieder Herr von Castilien. Seinem Bruder Garcia
nahm er Galizien weg, während seine Schwester Elvira keinen
Widerstand leistete und ihm Toro übergab. Die Stadt Zamora,
die nach dem Testamente des Vaters Urraca zugefallen war, mufste
Sancho indes vergeblich belagern. Ja, er verlor sogar dabei sein
Leben. Einem Zamoraner, Bellido Dolfos, gelang es nämlich den
König Sancho mit seiner Lanze zu durchbohren (7. Oktober 1072)
und so die Stadt zu befreien. Sanchos Leiche wurde nach dem
Kloster Ona gebracht und dort bestattet. Nun boten die Ritter
Alfonso die Krone an.i Nachdem dieser trotz so vieler Hindernisse
zur Herrschaft gelangt war, gab er Rodrigo seine Base Jimene, die
Tochter des Grafen Diego von Oviedo, zur Frau (19. Juli 1074).
So schien der Campeador als Verwandter des Königs zu einer der
ersten Stellen im Reiche berufen zu sein. Er sollte sich jedoch
nicht lange dieser Auszeichnung treuen. Als er als Verbündeter
Motamids, des tributpflichtigen Königs von Sevilla, Abd-alläh, den
König von Granada, besiegt hatte und Motamid ihn mit dem
Tribute und reichen Geschenken für Alfonso entliefs, beschuldigten
ihn seine Feinde der Veruntreuung eines Teils der Geschenke.
Dazu kam noch, dafs Rodrigo ohne Erlaubnis des Königs 1081
einen Angriff auf die Mauren unternahm. Diese scheinbare Auf-
lehnung hatte die Verbannung des Campeador aus dem Reiche
zur Folge. Rodrigo ging nun in maurische Dienste und zwar zum
Herrscher von Saragossa. Hier waren nach dem Tode des Emirs
Moktadir unter dessen beiden Söhnen Streitigkeiten entstanden.
Der Campeador nahm für Mutamin Partei, welcher Saragossa als
Erbe erhalten hatte, und besiegte mit unglaublicher Kühnheit
Mondzir, den Bruder Mutamins. Darauf folgten Streifzüge, in
denen er mit einer solchen Schnelligkeit das Land verwüstete, dafs
er stets schon abgezogen war, ehe man gegen ihn zu Felde ziehen
konnte. Doch fehlt uns über seine weiteren Feldzüge (1085 — 1088)
jede genauere Kenntnis. In der Zwischenzeit hatte er nicht unter-
lassen sich seinem Vaterlande und dem König Alfonso wieder zu
nähern, aber ohne dauernden Erfolg. Mit Mutamins Sohn, Mostain,
1 Die Bedingung, an die sich Alfonsos Krönung knüpfte, dafs nämlich
Alfonso auf Eidaussage hin, am Morde seines Bruders nicht beteiligt gewesen
sei, wird zwar von Dozy (1. c, II, loS) für historisch gehalten, von Pugmaigre
aber (I.e., I, pag. 119 11.) mit überzeugenden Gründen bestritten.
*
schlofs er 1088 ein Bündnis, das sich die Eroberung Valencias als
Ziel setzte.
Der rechtmäfsige Erbe dieser Stadt war Cädir, Abu-Bekr ibn-
Abdolaziz hatte sie aber in Besitz genommen und durch letzteren
kam sie an König Alfonso. Dieser verkaufte die Stadt an den
Moktadir von Saragossa (1076), später (1085) an den rechtmäfsigen
Erben Cädir, wobei er sich verpflichten mufste, Cädir zum Besitz
der Stadt zu verhelfen. Valencia war unterdessen bei Abu -Beer
ibn-Abdalaziz geblieben. Als dieser starb (1085) und seine beiden
Söhne sich um das Erbe stritten, machten nun vier Parteien auf
die Stadt Anspruch, die beiden Söhne des Abu-ßecr ibn-Abda-
laziz, Cädir und Mostain, der König von Saragossa. Cädir ge-
langte mit Hilfe des Königs Alfonso in den Besitz der Stadt.
Die Einwohner, zu schwer bedrückt durch harte Steuern, die
Cädir ihnen auferlegte, beschlossen die Stadt dem Bruder des
Königs von Saragossa, Mondzir, in die Hände zu spielen. Rodrigo
versprach sowohl Mostain wie Mondzir zum Besitze der Stadt zu
verhelfen und riet Cädir, Valencia unter keinen Umständen aus-
zuliefern. Dem König Alfonso verhehlte er keineswegs seine Absicht
die Mauren zu schwächen und das ganze Land dem König zu
unterwerfen. Es ist also eine sehr zweideutige Rolle, die Rodrigo
hier gespielt hat. Mit Alfonso traf er io8g zusammen. Dieser
nahm ihn sehr gütig auf. Jedoch dauerte das gute Einvernehmen
nicht lange. Infolge verläumderischer Einflüsterungen entzog ihm
Alfonso abermals seine Gunst. Wieder war Rodrigo sich und
seiner Tapferkeit allein überlassen, doch gelang es ihm mehrere
Herrscher tributpflichtig zu machen, so auch Cädir, der im Besitze
der Stadt Valencia blieb. Die nächste gröfsere Waffentat war ein
Sieg über Berengar von Barcelona, Dieser geriet in Gefangenschaft;
durch den Edelmut Rodrigos indes wieder freigelassen, wurde er
dessen Verbündeter. Um sich König Alfonso wieder zu nähern,
gab Rodrigo die Belagerung von Livia auf und verband sich mit
ihm gegen die Almoraviden. Der König zeigte sich auch diesmal
wieder undankbar und wollte Rodrigo wegen einer Geringfügigkeit
sogar gefangen setzen. Als dieser im Dunkel der Nacht entkam,
fafste Alfonso den Plan aus Rache Valencia zu belagern. Rodrigo
verheerte indes die Lande des Königs derart, dafs dieser sich
genötigt sah, die Belagerung von Valencia aufzugeben, um seine
eigenen Ländereien schützen zu können.
In Valencia war der bisherige König Cädir ermordet worden
(1092). Die unter den Bürgern ausgebrochene Uneinigkeit benützte
Rodrigo um sich der beiden Vorstädte Villanueva und al Cudia
zu bemächtigen und die Stadt zu belagern. Durch die furchtbarste
Hungersnot gezwungen, mufste sie sich am 15. Juni 1094 ergeben.
Gegen das Oberhaupt der Stadt, den meineidigen Ibn-Dchahhäf
verfuhr Rodrigo aufs grausamste. Die Eroberung von Valencia
bedeutet den Höhepunkt in der Siegeslaufbahn des Cid.i Sein
1 Cid vom arabischen el. Sejjid, der Herr.
Streben ging jedoch dahin, die Mauren vollständig aus Spanien zu
vertreiben. Zu diesem Zwecke unternahm er noch mehrere sieg-
reiche Feldzüge nach dem Süden, so nach Almenara und nach
Murviedro. Als er aber durch Alter und Krankheit gezwungen
nicht mehr an der Spitze seiner Truppen kämpfen konnte, erlagen
diese den Alauren und nur wenige flüchteten sich nach Valencia
zurück. Dieser Schlag ging dem Helden so nahe, dafs er nach
einer fünfjährigen Herrschaft über Valencia starb (Juli 1099). Er
wurde von seiner Gattin Jimene zum Kloster San Pedro de Cardena
bei Burgos gebracht, woselbst er feierlichst bestattet wurde, und,
wenn auch mehrmals an verschiedene Plätze versetzt, 1 heute noch
ruht. Jimene überlebte ihren Gatten fünf Jahre und wurde nach
ihrem Tode neben ihm beigesetzt (1104). Eine ihrer beiden
Töchter v^urde die Gemahlin des Infanten Don Ramiro,^ die andere
verheiratete sich mit Ramor Berengar III. von Barcelona.
Unsere Darstellung des historischen Cid können wir wohl am
besten schliefsen mit der kurzen Charakteristik, die sein Zeitgenosse
und politischer Gegner Ibn-Bassäm in seiner Literaturgeschichte
von ihm gibt, indem er sagt!'^
La pinssance de ce tyran alla toujours en croissantj de sorte quil
fut un lourd fardeau pour les contrces basses et pour les conträs
elevees, et qiüil remplit de crainte les nobles et les rotiiriers. Quelqiüun
7n!a raconte Vavoir entenda dire, dans im vioment oü ses desirs itaient
trh vi/s et oü son avidite etait extreme: Sons un Rodrigue cette
Pcninsule a ,'fe ronqin'se, mais un aiitre la delivrera ; parole qui re?nplä
les Coeurs d^epotivanle, et qui fit penser aux hotnmes qiie ce qu'ils
craignaient et redoutaient , arriverait bientotl Pourtant cet homme, le
fleau de son temps, etait par so?i amour pour la gloire, par la prudente
f erntete de son car acter e et par son courage heroique, un des miracles
du Seigneur.
II. Der Cid in der Poesie.^
Für den Gegenstand unserer Darstellung kommt als gemein-
same Quelle aller dramatischen Bearbeitungen jedoch der Cid in
Betraclit, wie ihn uns die Poesie, vor allem die Romanzen, schildern.
Diese Romanzen gehen auf verschiedene ältere Denkmäler kastilischer
Sprache und Poesie mittelbar oder unmittelbar zurück.
Noch zu Lebzeiten des Cid entstand ein lateinischer Hymnus,
der seinen Ruhm besingt,^ bald ..nach seinem Tode wurde seine
1 Siehe darüber Ticknor, Geschichte der schönen Literatur in Spanien.
(Neue Ausgabe 1867. 2 Bde. u. Supplementband.) Bd. I. Anmerkung 2 zu
pag. 138.
'■^ Vergl. Sandoval , Historia de los reyes de Castilla y de Leon , Dona
Urraca. Madrid 1792, pag. 4 u. 5.
3 Französische Übersetzung bei Dozy, 1. c, pag. 22.
■• Vergl. hiezu Dozy, 1. c, ]I, 197 ff. sowie Puymaigre 1. c, I, I37ff.
^ Baist, Die spanische Literatur in Grdr. der rom. Phil., II, 2, 396 und
ZrPh. V, 64. Abgedruckt von Edelstand du Meril in Poesies populaires
latines du moyen äge, Paris 1847. pp. 284 — 314.
Biographie in rauhem Latein geschrieben ' und zur Enkelzeit (zwischen
1147 und 1157) sagt das Carmen von Almeria von ihm:
De quo cantatur quod ab hostibus haud superatur,
womit nur die Volkssprache gemeint sein kann'".^
Um dieselbe Zeit scheint das Poema del Cid,"^ das älteste
Denkmal kastilischer Poesie entstanden zu sein. Es schliefst sich
keineswegs an die geschichtlichen Ereignisse an mit Ausnahme des
Rahmens in dem uns die Dichtung den Cid vorführt.
Das Gedicht beginnt mit der Verbannung des Cid, seiner
List, wie er von 2 Juden 600 Mark als Darlehen zu erhalten suchte,
und mit seinem Abzüge aus Castilien. Seine Gemahlin und seine
Töchter läfst er im Kloster von San Pedro de Cardena (i — 375).
Des weiteren erzählt uns das Poema von der Siegeslaufbahn des
Cid, von seinen Siegen über die Mauren und von der Belagerung
von Valencia (376 — 1834). Dann erscheint die Sage von den
Infanten von Carrion, Diego und Fernando, welche die Töchter
des Cid als Gattinnen begehren. Der Cid gibt seine Zustimmung
nur deshalb, weil der König diese Heirat wünscht. Nach der
Hochzeit jedoch mifshandeln die Infanten ihre Gattinnen mitten
im Walde und ziehen dann, sie einsam zurücklassend, ab. Felez
Munoz findet die armen Frauen und bringt sie zurück nach Valencia
(1335 — 2897). Der Cid verlangt Genugtuung, welche ihm auch
zuteil wird. Die Infanten werden empfindlich gestraft, die Töchter
des Cid vermählen sich mit den Infanten von Navarra und Aragon
(2898 — 3739). So kann der Verfasser des Poema zum Schlüsse
seines Gedichtes vom Cid sagen :
Oy los rreyes d Espaiia sos parientes son (V. 3723).
Etwas später als das Poema ist die sogenannte Crömca rimada'^
entstanden.
^ Abgedruckt bei Risco, a. a. O. (siehe dazu oben pag. i).
'■* Baist, 1. c, pag. 396. [Grdr. II, 2).
^ Zum Poema del Cid vergl. aufserdem Fitzmaurice-Kelly, A History
of Spanish Lüera'tire. London 1907. pp. 47 — 53- Rios 1. c, tom. III, pp. I15
— 218 ferner Menendez Pidal, Caiitar del t?no Cid. Madrid 1908. I. Band.
Ausgaben von Sanchez, Colecciön de poesias castellanas anteriores al
siglo XV. Madrid 1779 — 1790. Schubert, Biblioteca casteliana, portugnez y
proverizal. Altenbuig 1S04. Eug. de Ochoa. Paris 1842. Biblioteca de
autores espanoles , tom. 57. Karl Vollmöller, Halle 1879. Menendez Pidal.
Madrid 1900. Archer M. Huntington, Poem of the Cid. New York 1897 —
1902. Deutsche Übersetzung von O. L. B. Wolff. Jena 1850. Wir zitieren
nach K. Vollmöller's Ausgabe.
* Herausgegeben von Fr. Michel in den Wiener Jahrbüchern der
Literatur CXVI (1846). Duran, Romancero general II =^ Band 16 der
Bibl. de aut. esp. pp. 647 — 664 (mit Einleitung). Vergleiche auch Huber,
Chronica del famoso Caballero Cid Ruy diez Campeador, Marburg 1844.
pag. CXLV — CXLVIII (Manuskript No. 9988 der Pariser Nalionalbibliothek)
und Ochoa, Catdlogo razoiiado de los Mss. esp. exist. en la biblioteca real de
Paris (pp. 105 — iio), sowie die Ausführungen bei Rios, I.e., tom. III,
pp. 67 — 112.
Die Zeit ihrer Entstehung ist noch unsicher; man schwankt
zwischen der Mitte des 12. und dem Ende des 13. Jahrhunderts.
Riosi nimmt das 12. Jahrhundert an, während Dozy2 sie vei-s la
fin du XII ^ Oll au commencement du XIII ^ siede, und Baist^ sie
erst in das Ende des 13. Jahrhunderts verlegt.
Die Crönica rimada berichtet von den Ereignissen in Spanien
seit dem Tode König Pelayos bis zu D, Fernando dem Grofsen
und eingehender von den Taten des Cid. Erst ist ein kurzer
Abschnitt in Prosa geschrieben ; die darauffolgenden Verse können
auf poetischen Wert keinen Anspruch machen.
Der Cid tritt hier mit 12 Jahren zum erstenmal auf in einem
Kampfe gegen den Grafen Don Gomes und seine INIannen, welche
die Hirten des Diego Lainez geschlagen und die Herde geraubt
hatten (V. 280 IT.). Der Graf wird vom Cid getötet ca no lo pudo
fardar (306), die zwei Söhne des Grafen gefangen genommen (309).
Als die Töchter Don Gomes' Elvira, Aidonsa und Jimena, den
Tod ihres Vaters und die Gefangennahme ihrer Brüder erfahren
hatten, gingen sie zu Don Diego und auf ihre Bitten wurden ihnen
die Brüder zurückgegeben (3 1 5 ff.). Diese, voll Rachegefühl, wollen
nach 15 Tagen Bivar verbrennen. Doch Jimena wünscht, dafs
ihre Brüder por amor de caridat (338) sich mäfsigen und schickt
sich an nach Zamora zum König D. Fernando zu gehen und bei
diesem ihre Klagen vorzubringen (339 ff.).
Als Don Fernando aber erklärt, dafs er einen Aufstand der
Castilianer befürchte, rät ihm Jimena den Streit dadurch beizulegen,
dafs ihr der Cid zum Gemahle gegeben wird (357). Nun wird ein
Bote abgesandt, um D. Diego und seinem Sohn Rodrigo davon
JNIitteilung zu machen. D. Diego jedoch der INIeinung, dafs er
wegen des Todes des Grafen Gomes zur Rechenschaft gezogen
werde (V. 37 1 ff.) beschliefst ohne seinen Sohn an den Hof zu
gehen, Rodrigo möge sich unterdessen bei seinem Onkel Ruy Laines,
im Falle, dafs der König seinen Vater töten sollte, zur Rache vor-
bereiten. Der junge Held folgt der Aufforderung seines Vaters
nicht, sondern begleitet ihn mit 300 Rittern an den Hof (390 ff.).
Der Cid ist ungehalten darüber, dafs sein Vater dem König die
Hand küfst. Letzterer läfst Jimena vorführen und verheiratet sie
mit dem Cid. Dieser antwortet sehr charakteristisch darauf:
Senor, vos me despossastes mas a mi pessar que de grado
mas prometolo a Christus que vos no besse la mano
nin me vea con ella en yermo nin en poblado,
ffasta que vensa cinco lides en buena lid en campo. (V. 4i9ff.)
Als der König dies hört, spricht er (V. 424):
No es este ombre, mas ligura ha de peccado.
> L. c. III, 112.
2 L. c. II. 86.
^ L. c. pag. 399.
8
Nun folgt die Schilderung der Kämpfe des Cid. Es raufs auffallen,
welch klägliche Rolle der König spielt; er ist dem Cid gegenüber
ganz willenslos. Der Cid jedoch erscheint als ein Held, der sich
durch nichts einschüchtern läfst, seinen Willen stets durchsetzt und
einen Sieg nach dem anderen erringt. Auch der religiöse Sinn
des Cid kommt zum Ausdruck, so ganz besonders in der Episode
mit dem Aussätzigen, der sich als der h. Lazarus entpuppt (V. 557
— 580). Zum Schlüsse trägt der Papst dem Cid die Kaiser-
krone von Spanien an (1065). Der Cid schlägt sie aus um un-
abhängiger zu sein ; denn nach dem Gedichte besitzt er schon
mehr Macht als die Könige von Spanien. Mitten in diesen Reden
und Gegenreden bricht das Gedicht ab.
Vergleichen wir den Cid des Poema mit dem der Crönica
riniada, so fällt uns sofort auf, dafs wir es mit zwei grundver-
schiedenen Charakteren zu tun haben. Das Poema zeigt uns den
Cid als einen Verehrer des Königtums, als einen treuen Untertanen
seines Königs, dessen Gunst er durch verleumderische Zungen ver-
loren hat, den er aber gleichwohl auch in der Verbannung als
seinen Herrn anerkennt. Die Crönica rimada andrerseits führt
uns den Cid vor als Befehlshaber seiner Truppen, der selbst
seinen König beherrschen will und ihn fast als seinen Vasallen
behandelt.
Über den tieferen Grund dieser verschiedenen Charakterzüge
des Cid, auf die wir uns hier nicht näher einlassen können, ver-
gleiche man Duran,i der diese Gegensätze mit den damaligen
politischen Verhältnissen in Spanien in Verbindung bringt und
Dozy,2 der sie als den Ausdruck verschiedener Epochen be-
trachtet.
Eine fortlaufende Erzählung vom Leben und den Taten des
Cid gibt uns die Crönica ge7ieral.'^ Sie verdankt ihre Entstehung
dem gelehrten Könige Spaniens, Alfonso X (1252 — 1284) und
erzählt die Geschichte Spaniens von der Zeit der römischen
Eroberung bis zum Regierungsantritte Alfonsos X. Dabei be-
nützte der Verfasser neben lateinischen Chroniken auch spanische
Volkslieder, welche historische Ereignisse zum Gegenstande ihrer
Darstellung machten. Aufserdem dienten ihm noch arabische Be-
richte als Quellen. Obgleich nicht alle in der Cröftüa general ent-
haltenen als historisch erzählten Ereignisse der Kritik standhalten
können, so hat sie doch das unschätzbare Verdienst uns erzählende
Gedichte überliefert zu haben, die sonst verloren gegangen wären.
Die Crönica zerfällt in vier Teile. Mehr als die Hälfte des vierten
^ Romancero general (Madrid 1882) II, p. 665 [Bibl. de aiit. esp. tom. 16).
2 L. c. II, pag. 215.
' Verfjl. Dozy, 1. c. II, 30 ff. und Rios, 1. c. tom. III, pp. 565 ff. Heraus-
gegeben V. Ocampo, Zamora 1541 dann Valladolid 1604. Eine neue Ausgabe
von Ramön Menendez Pidal ist im Erscheinen begriffen. (Bis jetzt der i. Band
erschienen.)
Teiles handelt vom Cid.i Die in die Crönica general aufgenommenen
nicht historischen Züge des Cid sind: Der Tod des Grafen Gormas,
der Feldzug Rodrigos gegen Frankreich, sein Sieg über den Grafen
von Savoyen, die Heirat der Töchter des Cid mit den Infanten
von Carrion, deren schmählicher Verrat, wie der Cid gerächt wird,
ferner die Episode mit dem Aussätzigen, unter dessen Gestalt sich
der hl. Lazarus verbirgt.
In den hauptsächlichsten Zügen stimmt die Crönica general mit
der Crönica rimada überein. Sie reicht jedoch noch weiter als
diese, indem sie uns auch vom Tode des Cid und seiner An-
gehörigen berichtet und verschiedene Wunder erzählt, die am Grabe
des Cid geschehen sein sollen.
Der Crönica general folgen „die Geschichtschreiber im 14. und
15. Jahrhundert. Die Masse der Romanzen geht unmittelbar oder
mittelbar auf sie zurück, nur bei sehr wenigen kann Unabhänigkeit
vielleicht vermutet, bei keiner bewiesen werden. Was sie über den
Cid berichtet, erlangte eine noch verstärkte Verbreitung durch einen
Auszug: die Crönica pariicular del Cid,"^ welche dem 16. Jahrhundert
mafsgebend war, " 3
Die Romanzen vom Cid.
Eine Zusammenfassung aller bis jetzt besprochenen poetischen
Quellen des Cid gibt der Romancero del Cid eine Sammlung von
Romanzen, die den Cid zum Gegenstande ihrer Darstellung haben.
Solche Romanzen wurden zum erstenmal gesammelt von Juan de
Escobar.^ Nach und nach wurden diese und andere auf Grund
der Escobarschen Sammlungen ergänzt, so dafs die jetzt voll-
ständigste Sammlung 205 Romanzen enthält.^
* Betreff der Autorschaft Alfonsos dieses letzten Teils vergl. Dozy 1. c
II, 31 ff., der zu beweisen sucht, dafs der Teil der Crönica, der über den Cid
handelt, eine Übersetzung eines uns verloren gegangenen Berichtes aus dem
Arabischen ist.
2 Siehe hiezu, wie zu allen einschlägigen Quellen: Huber, Chronica del
famoso . . . Campeador. Marburg 1844. Introduccion. Appendix pp. LXXXV
bis CXLVIII.
' Baist, 1. c. pp. 399. Siehe die dort angegebene Literatur.
■* Juan de Escobar, Romancero e historia del muy valeroso caballero el
Cid, Ruy Diaz de Viar, en lenguaje antiguo, rec. Alcalä 16 12.
^ Romancero del Cid. Nueva edicion ailadida y reformada sobra las
antigiias qiie contiene doscientos y cinco romances recopiladox , ordeitados , y
puhlicados por Carolina Michaelis. Leipzig 1871 u. öfter. Vergl. darin im
Anhang den Catälogo de los documentos y fueiites donde se hallan romances
del Cid.
Sicherlich könnten noch weitere Romanzen gefunden werden, die in der
Sammlung von C. Michaelis nicht enthalten sind, so: So estos Reyes cercanos,
gedruckt bei Gallardo, Ensayo de iina Biblioteca Espanola. Madrid 1863 —
1889. Tom. III, pag. I192. Auch El Testamento del Cid von Lope de Vega
(siehe Obras sueltas, Madrid 1776 — 1779 Tom. III, pag. 45S). Jedoch scheint
diese Romanze nur eine andere, in mancher Hinsicht erweiterte Leseart der
bei C. Michaelis als aus dem Romancero general stammenden Romanze 193
zu sein.
lO
Man kann den Inhalt der Romanzen vom Cid in 3 Ilaupt-
teile zerlegen:
1. Leben und Taten des Cid unter der Regierung Fernandos I,
des Grofsen (1063 — 1065), Romanzen i — 45.1
2. Der Cid unter Sancho II, dem Tapferen (1065 — 72) bis
zur Krönung Alfonsos VI., Belagerung und Herausforderung von
Zamora (1072), Romanzen 46 — 96.
3. Der Cid unter der Regierung Alfonsos VI. (1072 — 1109)
bis zu seinem Tode 1099. Romanzen 97 — 205.-
Die erste Romanze steht mit den folgenden in keinem Zu-
sammenhang. Sie erzählt uns vom Cid, wie er mit 10 Jahren
bereits als Richter auftritt. In den folgenden erprobt der Vater
des Cid, Diego Lainez, seine 4 Söhne, ob einer es wagen würde
für ihn am Grafen Lozano Rache zu nehmen. Der jüngste, Rodrigo,
tötet den Grafen (2 — 8). Er reitet dann mit seinem Vater an den
Hof des Königs und tritt hier in verwegenster Weise auf (10). Die
Tochter des Getöteten, Jimene, kommt ebenfalls zum König und
erfleht von diesem Genugtuung für ihren Vater (il — 16).
Rodrigos erste Waffentat ist die Besiegung und Gefangennahme
von fünf Maurenkönigen (17 — 18). Jimene verlangt als Sühne für
die Tat Rodrigos dessen Hand. Die Hochzeit wird mit grofsem
Glänze gefeiert {17 — 21). Der Cid macht eine Wallfahrt nach
Santiago und trifft auf dem Wege einen Aussätzigen, den er in
seiner Herberge aufnimmt und welcher sich dann als der hl. Lazarus
entpuppt (22 — 23). 3
Im folgenden werden verschiedene Kämpfe mit den INIauren
erzählt (24, 2% — ,32), die Klagen Jimenens über die stete Abwesen-
heit ihres Gemahles (25 — 27), wie Rodrigo der Cid genannt wird;
ferner erfahren wir von einer Gesandtschaft von fünf INIaurenkönigen,
welche mit Geschenken für den Cid, seine Gattin und seine zwei
Töchter zu diesem kommen [t^t^ — 34)-*
Die daran anschliefsenden Romanzen zeigen uns den Cid in
einem ganz anderen Lichte, der Crönica rmada entsprechend. Er
verteidigt die Rechte des Königs gegen Kaiser und Papst, besiegt
die gegen ihn gesandten Heere (35), stürzt beim Papste den Thron
' Ich zitiere nach der Ausgabe von Car. jNIichaelis.
2 C. Michaelis zerlegt unseren 2. Teil in i. der Cid unter Sancho II.,
dem Tapferen (Rom. 46 — 70) und 2. der Cid vom Tode Sanchos II. bis zur
Krönung Alfonsos VI. (71 — 96). Wir halten eine Dreiteilung (wie auch Duran)
mit Rücksicht auf die dramatischen Bearbeitungen hier für angezeigter.
* Ähnliche Legenden finden sich im Mittelalter mehrfach, so wird vom
hl. Martin von Tours erzählt , dals er einem Bettler seinen Mantel gab und
unter diesem Bettler Christus selbst sich verbarg. Es wäre vielleicht nicht
uninteressant, eine Gruppierung all dieser Legenden zu versuchen, die Acta
Sanctorum würden hier wohl Material genug liefern. Ich glaube, dafs alle
diese Legenden ihren tieferen Grund haben in der aus der Bibel bekannten
Parabel vom barmherzigen Samariter. (Evangel. S.Luc, cap. X v. 30 — 37).
* Die beiden Töchter des Cid sind aber noch gar nicht geboren.
1 1
des Königs von Frankreich, wird exkommuniziert, der Papst ver-
zeiht ihm wieder, nur allein auf seine Drohung hin (36 — 38).
Romanze 3g schliefst an 25 — 27 an, Jimene beklagt sich, wie oben,
beim König über die stete Abwesenheit ihres Gemahls. Sie trägt
bereits neun Monate ein Kind unter ihrem Herzen. Die folgende
Romanze (40) bringt uns die Antwort des Königs und Glückwünsche
zur Geburt, ferner Jimenens ersten Kirchengang als Wöchnerin mit
dem König (41). Romanzen 42 — 45 sind dem Schlüsse der
Regierungszeit König Fernandos gewidmet. Er macht sein Testa-
ment, seine Tochter Urraca beklagt sich leer ausgegangen zu sein,
und erhält daraufhin Zamora.
Der zweite Teil der Romanzen erzählt von D. Sancho, der
Alleinherrscher sein will und deshalb seine Geschwister bekämpft.
Er wird jedoch von seinem Bruder Garcia gefangen genommen;
durch Alvar Fafiez befreit, besiegt er mit Hilfe des Cid Garcia.
Mit Alfonso ergeht es Sancho ähnlich. Er wird geschlagen, greift
aber auf den Rat des Cid hin nochmals an und Alfonso erleidet
eine vollständige Niederlage (46 — 50). Dieser flüchtet nach Toledo
(51). Der Cid wird von Sancho nach Zamora gesandt, um Urraca
zur Übergabe zu bewegen. Diese will lieber sterben als die Stadt
ausliefern (52 — 56). Daraufhin wird der Cid vom König verbannt,
geht nach Toledo, wird aber bald wieder zurückgerufen (57). Nun
folgen die Belagerung und die Zweikämpfe von Zamora (5g — 63).
Zwei Kastilianer werden von zwei Zamoranern besiegt, andere zwei
kämpfen gegen sieben Kastilianer, von denen sechs getötet wurden,
während der siebente die Flucht ergreift (5g — 60). König Sancho
wird durch den Verräter Bellido Dolfos ermordet. Trauer um den
König (64 — 70).
Im weiteren Verlaufe nimmt der Cid an der Belagerung Zamoras
nicht teil, da er geschworen hat nicht gegen Urraca zu kämpfen.
So folgt die Herausforderung und der Zweikampf des Diego Ordonez
mit Arias Gonzalo und seinen vier Söhnen. Die beiden ersten
fallen im Kampf, für den Dritten, der tödlich verwundet wird,
ist der Ausgang unentschieden. Arias Gonzalo und Diego Ordonez
reichen sich die Hand zur Versöhnung (71 — g5). Die letzte
Romanze (g6) dieses Zyklus erzählt uns von der Botschaft Urracas
an Alfonso, der jetzt König wird. Der Cid verlangt die Eidaussage
des Königs, dafs dieser an dem Morde seines Bruders nicht be-
teiligt gewesen sei. Alfonso flieht aus Toledo und kommt nach
Zamora. Der Schwur, den der Cid fordert, wird in Santa Gadea
geleistet.
Der dritte und letzte Teil der Romanzen vom Cid ist zugleich
der umfangreichste. Er beginnt mit einer detaillierten Schilderung
der Vorgänge nach dem Tode König Sanchos, besonders der Eides-
leistung des neuen Königs Alfonso, seines darüber entstandenen
Unwillens und der Verbannung des Cid (g7 — 103). Die folgende
eingeschobene Romanze behandelt eine kurze Episode bei der An-
kunft des Königs Alfonso vor Zamora. Er verliebt sich in seine
12
eigene Schwester ohne sie zu erkennen. Als er die Wahrheit er-
fährt, verwandelt sich seine Liebe in Hafs und er will, man solie
auf sie schiefsen. Der Cid tritt ihm hier energisch entgegen (104).
In Romanze 105 geht der Cid als Gesandter zum König von Sevilla
und besiegt den König von Granada und seine Helfershelfer, die
gegen Sevilla anrücken. Dann folgt die Verbannung des Cid,
seine Verteidigung dem Könige gegenüber, seine Vorbereitungen
zur Abreise. Er überlistet zwei Juden, indem er ihnen als Pfand
für 1000 Gulden zwei mit Sand gefüllte verschlossene Kisten gibt
(106 — 115). Während seiner Verbannung macht er mehrere Er-
oberungszüge und bezahlt mit Hilfe der erbeuteten Schätze auch
die Juden wieder. Einen anderen Teil seiner Beute sendet er dem
König Alfonso (i 16 — 123). Jetzt wird der Cid wieder in Gnaden auf-
genommen (124 — 125). Nun beginnt die Belagerung von Valencia.
Zuerst wird die Episode mit ^Martin Pelaez erzählt, der feige aus
der Schlacht flieht, vom Cid darüber zur Rede gestellt, die gröfsten
Heldentaten verrichtet (126 — 133). Die Stadt wird schliefslich
erobert, der Cid schickt reiche Geschenke an den König und dankt
Gott in San Pedro de Cardena für die Eroberung von Valencia.
Der König wünscht die Töchter des Cid mit den Infanten von
Carrion vermählt zu sehen. Nur aus Gehorsam gegen den König
willigt der Cid ein (134 — 142). Aber bald zeigt sich die Feigheit
der Infanten; vom Cid zur Rede gestellt, schwören sie Rache
(143 — 145)- Als König Bucar die Stadt Valencia bestürmt, wird
er entscheidend geschlagen (146 — 151)- Darauf ziehen die Infanten
von Carrion mit ihren GemahHnnen ab und vollführen ihren Rache-
plan, indem sie die beiden Töchter des Cid im Walde nackt zurück-
lassen. Diese werden jedoch von ihrem Oheim Ordonez gefunden
und nach Valencia zurückgebracht (152 — 160). Der Cid erhebt
beim König Anklage gegen die Treulosen. Hier wird ihm volles
Recht zuteil; die Infanten müssen einen Zweikampf bestehen, in
dem sie schmählich unterliegen (161 — 183). Inzwischen werben
zwei Königssöhne, die Infanten von Navarra und Aragon um die
beiden Töchter des Cid (184 — 185).
Der weitere Verlauf zeigt uns den Ruhm des Cid als Herrn
von Valencia; sogar der Sultan von Persien sendet ihm Geschenke
(186). Als König Bucar ein zweitesmal gegen Valencia zieht, ist
der Cid krank und der hl. Petrus verkündet ihm seinen baldigen
Tod (187 — 188). Doch auch als Toter besiegt er noch seine
Feinde. Sein Leichnam wird seinem Wunsche gemäfs auf sein
Pferd gebunden und so reitet er mit in die Schlacht, die zu Gunsten
der Christen entschieden wird (i8q — 198). Dann wird der Leichnam
nach San Pedro de Cardeiia gebracht und dort zuerst am Hoch-
altar zur Schau gestellt, wo er über zehn Jahre unverwest bleibt
199 — 200). An seinem Grabe geschehen Wunder; ein Jude be-
kehrt sich zum Christentum. Don Sancho, der Enkel des Cid,
legt die Kriegsbeute, die or den Castiliern abgenommen, am Grabe
seines grofsen Ahnen nieder (200 — 205).
13
Dem Roviancero del Cid fehlt natürlich jene Einheit, die ein
von einem einzigen Verfasser herrührendes Gedicht haben müfste.
Während der Cid in einigen Romanzen einen unbeugsamen, trotzigen
Willen kundgibt, zeigt er sich in anderen als demütiger Vasall
seines Königs und als treuer, hingebender Gatte Jiraenens. Seine
Freude am Rauben und Plündern pafst wenig zu seinem Ver-
kehr mit den Heiligen des Himmels und zu seiner übersteigerten
Frömmigkeit; auch dürfte sich der heifse Durst nach Rache
schwerlich mit seinem sonstigen christlichen Denken und Fühlen
in Einklang bringen lassen. Jedoch, wie dem auch sei, diese
Verschiedenheit in der Charakterdarstellung des Cid erklärt sich
eben daraus, dafs die Romanzen zu verschiedenen Zeiten und
von verschiedenen Autoren verfafst sind und so die Auffassung
der PersönUchkeit des Cid einmal mehr dem Poema del Cid, ein
andermal mehr der Crönica rmada entspricht.
Schon aus der obigen, nur kurzen Inhaltsangabe dürfte hervor-
gehen, welche Fülle von dramatischen Stoffen im Roinancero ver-
borgen liegt 1 und es ist daher kein Wunder, wenn die dramatischen
Dichter der folgenden Jahrhunderte sich, wie so vieler anderer
Romanzenstoffe, auch der Geschichte des Cid bemächtigten, zu-
mal viele der Romanzen sich mündlich von Geschlecht zu Ge-
schlecht forterbten und im wahrsten Sinne des Wortes Gemeingut
des spanischen Volkes wurden.
Von den dramatischen Bearbeitungen, besonders der älteren
Zeit, sind nicht alle auf uns gekommen, manche nur handschriftlich
erhalten.2
In vorliegender Arbeit können nur diejenigen bekannten Dramen
des i6. und 17. Jahrhunderts Berücksichtigung finden, die wirklich
gedruckt wurden. Es sind dies folgende:
I. Dramen, welche die Jugendtaten des Cid behandeln (ent-
sprechend dem I. Teil des Romancero):
1. Guillen de Castro, Las Mocedades del Cid. P parte.
1612 — 13.3
2. Diamante, El Honrador de su padre. 1658.2
II. Dramen, welchen die Kämpfe um Zainora resp. Toro zu-
grunde liegen (entsprechend dem 2. Teil der Romanzen):
1 . Juan de la Cueva, Comedia de la Muerte del Rey Don Sancho,
y Reto de Zaviora por Don Diego Ordonez. 157g.'*
2. Guillen de Castro, Las Mocedades del Cid. 11^ parte.
1612 — 13.2
^ Vergleiche zu dem Zusammenhang der Romanzen mit dem Drama:
Schack, Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanieti.
2. Aufl. Frankfurt a. M. 1S54. (3 ßde). Band I, pag. I04ff.
* Vergl. hiezu die Zusammenstellung am Schlüsse dieser Arbeit.
3 Erster bekannter Druck.
^ Erste Aufführun".
14
3. Lope de Vega, Las almenas de loro. l6i8 — 19J
4. Matos Fragoso, No estd en matar el vencer. 1668.2
5. Diamante, El cerco de Zamora. 1674,2
III. Dramen, die den Cid unter Alfonso VI., die Episoden mit
Martin Pelaez und den Infanten von Carrion, sowie die Eroberung
von Valencia und den Tod des Cid zum Inhalt haben (entsprechend
dem 3. Teil des Romancero):
1. Anonym, Las Hazanas del Cid y su miierte. 1603.2
2. Tirso de Molina, La conquista de Valencia por el Cid. ?
3. Matos Fragoso, El atnor haze valientes. 1658.2
4. Zärate, El noble siempre es valiente 16 60. 3
5. Polo, El Honrador de sus hijas. 1665.2
IV. Dramen, die den Cid in burlesker Weise behandeln:
1. Cancer y Velasco, Las Mocedades del Cid. 1673.2
2. Quiros, El Hermano de su Hennana. 1656.2
I. Dramen,
die die Jugendtaten des Cid behandeln.
I. Guillen de Castro: Las Mocedades del Cid.
Primera parte.
Guillen de Castro (1569 — 163 1) schrieb 2 Dramen über den
Cid : Las Mocedades del Cid. Primera parte y segunda parte. Vom
ersten Stücke, das uns hier zunächst beschäftigt, existiert eine
Handschrift in der Biblioteca Nacional zu Madrid.^ Sie ist aus
dem 17. Pahrhundert. Gedruckt wurde das Drama zum erstenmale,
wie Stiefel^ nachgewiesen hat, 1612/13. Die älteste uns erhaltene
Ausgabe stammt aus dem Jahre 1618 und wurde wie die erste
legitime Ausgabe (162 1) zu Valencia gedruckt in dem ersten Bande
der Komödien unseres Autors.*^ Gewidmet ist dieser Band der
Tochter Lope de Vegas, Marcela. Der Text der Ausgabe vom
• Entstehungszeit.
^ Erster bekannter Druck.
2 Datierung der erhaltenen Handschrift.
^ Siehe Paz y Melia: Catälogo de las piezas de Teatro que se conservan
efi el departimento de Manuscritos de la Biblioteca Nacional. Madrid 1899.
pag. 334. No. 2175.
6 ZrPh. XV, 217 fr,
* Primera parte de las comedias de don Giiillem de Castro . . . Valencia,
por Felipe Mey 1621.
15
Jahre 1621 diente als Grundlage für die Ausgabe von Wendelin
Foerster.i während alle anderen 2 auf Einzeldrucke {sueltas) des
18. Jahrhunderts zurückgehen. Die letzte Ausgabe, in der Biblioteca
Romanica'^ beruht auf dem Text des 43. Bandes der Bihlioteca de
auiores espanoles mit Angabe der Abweichungen der Foersterschen
Ausgabe.
Der Inhalt gestaltet sich folgendermafsen:
I. Akt. Don Rodrigo de Vivar erhält vom König Fernando
vor versammeltem Hofe eigenhändig den Ritterschlag ; die Infantin
Urraca zieht ihm selbst die Sporen an. Dann soll er als jüngster
Ritter den Damen des Hofes sich auf dem Pferde zeigen, während
der König und sein Staatsrat, der Graf Lozano, Diego Lainez,
Arias Gonzalo, Peranzules zurückbleiben um über die Wahl eines
neuen Erziehers für den Prinzen D. Sancho zu beraten. Diese
Ehre will der König Diego Lainez, dem Vater Rodrigos, übertragen
und rechnet dabei auf die Zustimmung seiner Vasallen. Der Grat
Lozano hat diese Auszeichnung jedoch längst für sich ersehnt und
so entsteht ein heftiger Wortwechsel zwischen ihm und Diego, der
trotz des versuchten Eingreifens des Königs so weit führt, dafs der
Graf dem Diego einen Backenstreich versetzt. Diego, der eine
solche Beleidigung angesichts des Königs für unverzeihlich hält,
geht wütend über die erlittene Schmach nach Hause. Dorthin ist
unterdessen Rodrigo gekommen und wird hier von seinen beiden
jüngeren Brüdern um die Ehre, die ihm widerfahren, beneidet.
Da kommt der Vater, Diego Lainez, mit einem zerbrochenen Stab.
Er ist noch unentschlossen, was er tun soll, schickt seine Söhne
fort und gibt seinen Rachegedanken in einem Monolog beredten
Ausdruck. Er will zuerst selbst Rache nehmen und den Flecken
an seiner Ehre mit Blut abwaschen. Deshalb greift er zum Degen,
fühlt sich aber zu alt um seinem Gegner im Kampfe stand zu
halten. Er ruft nun der Reihe nach seine drei Söhne und um
ihre Tapferkeit und ihren Mut zu erproben drückt er jedem der
beiden ersten die Hand. Diese können den Schmerz nicht ertragen,
sondern geben ihm laut Ausdruck. Sie sind also nicht fähig zur
Ausführung seiner Rache. Als letzten ruft er Rodrigo herein.
Diego beifst ihn nun in den Finger; Rodrigo, schon darüber auf-
gebracht, dafs er als letzter zum Vater gerufen wurde, wird
nur noch kecker und ruft: „Wenn du nicht mein Vater wärest,
würde ich dir eine Ohrfeige geben". „Es wäre nicht die erste",
meint Diego. Damit ist die Überleitung zur Erzählung des Vor-
gefallenen gegeben. Diego fordert Rodrigo auf seinen Vater zu
1 Bonn 1878.
■ 2 Bibl. de aiitores esp. Bd. 43. Madr. 1881. Lemcke, Handbuch der
Span. Literatur. Bd. III. Leipzig 1856. Carolina Ivlichaelis, Tres flores del
teatro anti^uo espanol. Leipzig 1870. M6rimee, Las mocedades del Cid.
Toulouse 1890 (= Bibl. meridionale tom. 2).
^ No. 37 — 39 mit Einleitung von W. v. Wurzbach.
i6
rächen. In der Seele des jungen Helden widerstreiten nun die
beiden Gefühle der Ehre und Liebe, denn der Graf ist der Vater
seiner geliebten Jimena. Er entschliefst sich jedoch die Rache
auszuführen. Ganz von diesem Gedanken erfüllt, trifft er Jimena
und Urraca. Als nun der Graf erscheint, wird er beim Anblicke
der Geliebten wieder unschlüssig und erst als Diego auftritt und
ihn von neuem an seine Pflicht erinnert, nimmt er keine Rücksicht
mehr auf Jimena, fordert den Grafen, der seiner spottet, zum
Kampfe heraus, besiegt und tötet ihn. Als man auf den Mörder
eindringen will, reitet ihn das Eingreifen Urracas, dann bahnt er
sich mit seinem Schwerte den Weg.
II. Akt. Der König erfährt den Tod des Grafen. Jimena
erscheint vor ihm und bringt ihre Klagen vor, während Diego die
Tat seines Sohnes rechtfertigt. Der König beruhigt Jimena und
befiehlt, Rodrigo gefangen zu nehmen, bestellt aber seinen Sohn
Don Sancho, der für Rodrigo tatkräftig eingetreten ist, zu seinem
Kerkermeister. Rodrigo selbst kommt in die Wohnung Jimenas
und hört hier in einem Verstecke, dafs diese ihn trotz der Er-
mordung ihres Vaters noch liebt. Er wirft sich ihr zu Füfsen und
verlangt von ihrer Hand den Tod. Sie bittet ihn zu entfliehen,
auf dafs sie ihn nur verfolgen, nicht aber töten könne. Hierauf
trifft Rodrigo seinen Vater, der seinen Mut lobt und ihm den Rat
gibt gegen die Mauren zu ziehen; es seien bereits 500 Mann aus-
gerüstet.
Im folgenden zeigt sich uns der Cid als gefürchteter Gegner
der Mauren. Dem König Alfonso schickt er einen gefangenen
Maurenkönig. Dieser freut sich darüber so sehr, dafs er den Cid
zurückruft und ihn, frei von aller Verfolgung in seine Rechte wieder
einsetzt. Rodrigo wird vom König huldreich aufgenommen, der
ihm den Titel: El viio Cide verleiht. Jimena kommt neuerdings
mit ihren Klagen und bittet um Bestrafung des Cid. Der König
vertröstet sie damit, dafs er den Cid für sie aufbewahre.
In diesen Akt ist noch eine Episode eingeflochten, die mit
der Haupthandlung in keinem Zusammenhang steht. Sie knüpft
daran an, dafs D. Sancho geweissagt worden war, er werde durch
einen Speerwurf getötet werden. Urraca kommt nun mit einem
blutigen Jagdspiefs. Die Geschwister geraten in Streit und Sancho
will die Schwester töten, weil er der Weissagung zufolge glaubt,
dafs sie die Ursache seines Todes sein werde; er wird jedoch
von Diego zurückgehalten.
III. Akt. Urraca klagt ihren Bruder D. Sancho wegen des
oben erwähnten Vorfalles beim König an, welcher ihr verspricht
für sie zu sorgen, da er sein Reich nicht allein Sancho, sondern
allen seinen Kindern zu hinterlassen gedenke. Jimena erneuert
ihre Klage. Diesmal nimmt sie der König etwas ungnädig auf,
da sie ihn immer mit derselben Bitte belästige. Um diesen
fortwährenden Klagen ein Ende zu machen und Jimenas wahre
17
Gefühle zu erfahren, will Arias Gonzalo dieselbe überlisten. Als
sie wieder beim König ist, kommt ein Diener, der den Tod
des Cid durch die INIauren meldet. Jimena fällt in Ohnmacht.
Als man ihr nun den wahren Sachverhalt mitteilt, gewinnt sie sofort
wieder die Herrschaft über sich selbst und erklärt, dafs der Ge-
danke ihre Rache nicht mehr ausführen zu können, sie so er-
schüttert hätte. Zur Bekräftigung dieser ihrer Worte verspricht sie
demjenigen, der ihr das Haupt des Cid bringe, ihre Hand und ihr
Vermögen, wenn er ihr im Range gleichstehe, im gegenteiligen
Falle die Hälfte ihres Vermögens. Zwischen dem König Alfonso
und dem König von Aragon ist nun ein Streit entbrannt betreff
der Stadt Calahorra, Um das viele Blutvergiefsen zu vermeiden
beschliefsen beide Parteien die Sache durch einen Zweikampf aus-
tragen zu lassen. Der Cid ist inzwischen an den Hof seines Königs
gekommen und will mit Martin Gonzalez, dem Vertreter von Aragon,
den Zweikampf bestehen. Der grofssprecherische Martin verspricht
Jimena ihr das Haupt des Cid zu bringen und ersucht sie bereits
brieflich ihr Hochzeitskleid anzuziehen. Sie ist darüber untröstlich,
kommt jedoch vor den König in Feiergewändern und spielt hier
zum letztenmale die gekränkte Tochter. Aber als ein Diener die
Meldung bringt, dafs ein Ritter das Haupt des Cid bringe, kann
sie ihre wahren Gefühle nicht mehr verbergen. Sie verspricht
Martin, den sie für den Sieger hält, ihr Vermögen, sie selbst ist ent-
schlofsen sich in ein Kloster zurückzuziehen. Da kommt der Cid
und bringt ihr selbst sein Haupt. Innerlich froh des glücklichen
Ausganges, reicht sie ihm nach kurzem Widerstände nun die Hand.
Wir finden in diesem Akte wieder zwei Episoden. Die Ge-
schichte mit dem Aussätzigen, um welchen sich der Cid annimmt
im Gegensatze zu seinen Soldaten. Der Cid gibt ihm einen Über-
rock und ifst mit ihm an einer Tafel. Schliefslich enthüllt sich
der Aussätzige als der hl. Lazarus und verkündet den Ruhm des
Cid. Weiter ist das Testament König Fernandos eingeflochten, der
sein Reich unter seine Kinder verteilt wissen will.
Über die Vorzüge der Mocedades del Cid sind alle,i die das
Stück bis jetzt eingehender besprochen haben, einig. Behack^ sagt
nach seiner Inhaltsangabe von ihm: »Von Gang und Szenenfolge
des Stückes konnte diese Skizze einen Begriff geben, nicht aber
von dem reichen Farbenzauber, der über das ganze Gemälde ge-
breitet ist, nicht von dem echt romantischen Geiste, der es durch-
weht; nicht von der psychologischen Feinheit, womit der Kampf
' Ticknor, I.e. I, pp. 650— 657; Schack, I.e. II, pp. 43ofl". SehaefFer,
Geschichte des spatitschen Nati'onaldratnas. Leipzig 1 890. I, pp. 2i2fF. Mörimee,
1. c. (Einleitung zu seiner Ausgabe). Boimann, Der Cid im Drama. Beitrag
zur vergleichenden Literaturgeschichte und Ästhetik. Zeitschr. für vergl.
Literaturgeschichte. 1893. pp. 5 — 33. Der Aufsatz befafst sich nur mit
3 Dramen: i. Guill6n de Castro. 2. Corneille. 3. Feeder Wehl, Liebe und
Ehre. Schauspiel in 4 Aufzügen. Leipzig (Reklam).
* L. c. pag. 436.
Beiheft zur Zeitschr. f. roiu. Phil. XXV. 2
widerstreitender Gefühle in Rodrigos und Jimenens Brust geschildert
ist". Schäfferi würde es „als Meisterwerk ersten Ranges bezeichnen,
wenn nicht die Handlung einige Mängel aufwiese". A. W. Schlegel^
nennt den Stoff „einen der schönsten, der je einem Dichter zuteil
geworden ist". Wie schon aus der Inhaltsangabe hervorgeht, ist
die Handlung überaus lebendig; dadurch wird das Interesse des
Lesers wie des Hörers stets wach gehalten. Aber trotz der Fülle
der Handlung ist die Charakterisierung der Hauptpersonen nicht
vernachlässigt worden.
Verfolgen wir etwas die Charakterzeichnung des Cid. Stets
tritt er für den König, seinen Herrn, ein und was er gleich zu
Beginn verspricht, das hält er auch:
Es tuyo tambien mi pecho. (1,35)'
sagt er zum König. Auch wenn er von Siegeszügen nach Hause
zurückkehrt, ist er nur der getreue Vasall seines Königs:
Te hechura soy. (II, 750)
In jugendlichem Übermute tritt er sogar seinem eigenen Vater
entgegen (I, 357 ff.). Er liebt Jimena aufrichtig, jedoch die Ehre
steht ihm höher und er entschliefst sich sogar um derselben willen
auf Jimena zu verzichten (I, 385 ff.). Nach der Tat aber bringt
ihn die Liebe zu Jimena wieder ganz in ihre Gewalt und er will
lieber von der Hand der Geliebten sterben als ohne sie weiter-
leben (11, 240 ff.). Als diese seinem Wunsche nicht willfährt, ruft
er in bitterem Weh:
Considera
Que el dejarme es la venganza:
Que el matarme no lo fuera. (II, 322fF.)
In der Episode mit dem Aussätzigen (III, 225 — 468) zeigt er sich
als frommer Christ, der die Gebote seiner Religion auch in die
Tat umsetzt und dafür belohnt wird. Auch der Hirte sagt es uns:
Hombie no he visto en mi vida
Tan devoto y tan soldado,
worauf der Cid erwidert:
Y ^es estorbe el ser devoto
AI ser soldado.? (III, 255 ff.)
und weiter unten:
El ser cristiano
No impide al ser Caballero; (III, 375 ff.)
* L. c. pag. 217.
2 Über dramatische Kunst und Literatur. 10. Vorlesung. Heidel-
berg 181 1.
ä Ich zitiere nach der Ausgabe der Bibl. Romanica, da bei ihr die Verse
numeriert sind und sie auch am leichtesten zugänglich ist.
i9
Jedoch noch eine andere Charaktereigenschaft finden wir in ihm
ausgeprägt, eine Eigenschaft, die ganz der Zeit des Dichters ent-
spricht: die Galanterie:
^Que te parece, Jimena,
De Rodrigo? (I, i6)
fragt gleich zu Beginn Urraca und Jimena antwortet:
Que es galan.
Und diese Galanterie zieht sich durch das ganze Stück hindurch.
So spricht Don Sancho von ihm:
^No es galan, fuerle y lucido? (1,27)
Urraca sagt von ihm:
Sera un bravo cavallero,
Galan, bizarro y valiente, (I, 443)
Den Höhepunkt erreicht die Galanterie aber in der Szene mit Dona
Urraca (II, 449 ff.). So spricht er z. B. zu Urraca:
Siendo tu mi defensora, advierte cömo saldria (459)
Weiter unten Urraca:
Galan vienes, bravo vas; mucho vales,
mucho obligas;
Bien me parece, Rodrigo, tu gala y tu valentia. (465)
Desgleichen Rodrigo:
La tierra que ves adoro etc. etc. (482).
Dafs die Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit des Cid hervor-
gehoben wird, ist ja bei der ganzen Stellung, die der Cid in der
spanischen Geschichte und Poesie einnimmt, eigentlich selbst-
verständlich. In unserem Stücke erfahren wir davon aus den Er-
zählungen der gefangenen Maurenkönige (II, 701 ff.). Ganz be-
sonders kommt sie jedoch auch in der Besiegung des Grafen
Lozano und des Martin Gonzalez zum Ausdruck (I, 675 und
m, 973).
Was die Charakterdurchführung Jimenas betrifft, so werden
wir Schäfferi recht geben müssen, wenn er sie „das gröfste Meister-
stück" in dieser Beziehung nennt. In echt mädchenhafter Scheu
weifs sie nach der Ermordung ihres Vaters ihre Liebe zu Rodrigo
verborgen zu halten. Jedoch Rodrigo zu verlieren ist ihr ebenso
viel wie der Tod ihres Vaters:
Que la mitad de mi vida
Ha rauerto la otra mitad. (II, 219)
' L. c, I, 216.
2*
20
Aber sie bezwingt sich selbst und will ihre Liebe der Ehre zum
Opfer bringen.
jAy honor, cuänto me cuestas! (111,196)
Deshalb bleibt ihre Liebe doch dieselbe und wird vielleicht durch
diese Überwindung ihrer selbst nur noch gesteigert:
Sigo y adoro
Las sombras de mi enemigo. (III, 825)
Zum Schlüsse ist sie nicht mehr imstande ihre wahren Gefühle zu
verbergen, wenn es sich darum handeln sollte einen anderen als
den Geliebten zu heiraten. Und als sie dann am Schlüsse sich
überlistet sieht, da will sie auch nicht mehr länger ihrem eigenen
Herzen widerstehen und mit den kurzen aber inhaltsschweren
Worten:
Cid. soy tu esposo
Jimena. Y yo tuya (III, 983)
schenkt sie sich Rodrigo.
Die übrigen Personen treten gegen den Cid und Jimena in den
Hintergrund. Der König ist schwach und will es mit keinem,
weder mit dem Grafen noch mit Diego verderben (I, 201 IT.). Der
eingebildete Graf wird für seinen Stolz und Hochmut gestraft.
Y ha de peiderse Castilla
Antes qua yo. (I, 476)
spricht er in seinem Übermute. Diego, der Vater des Cid, ist das
Bild eines in seiner Ehre empfindlichst gekränkten Vasallen, der
um jeden Preis den Schimpf gerächt sehen mufs und, da er dazu
selbst nicht mehr imstande ist, seinen Sohn dazu auffordert. Als
Vater ist er jedoch um das weitere Schicksal seines Sohnes un-
gemein besorgt (II, 343 ff.).
Was an dem Stück ausgesetzt wurde, das fafst Schaeffer^ in
die Worte zusammen: Die Mängel „bestehen in der Einschaltung
der Episoden mit Don Sancho, Urraca und dem Aussätzigen, ferner
in der dramatisch zwecklosen Liebe Urracas zu Rodrigo". Auch
Schack^ glaubt, dafs man „die Figur des Prinzen Sancho" und
„die Episode des dritten Aktes" tadeln könnte, fügt aber hinzu:
„man bedenke, wie fest beide durch Romanze und Geschichte
in der Erinnerung des Volkes mit dem gefeierten Lieblingshelden
verwachsen waren und man wird den Dichter nicht tadeln wollen
die charakteristische Gestalt, die schöne Sage zur Gruppierung um
den Helden benutzt zu haben".
Es läfst sich nicht leugnen, dafs diese Erklärung Schacks etwas
für sich hat. Aufser den bereits angeführten Einschaltungen ist,
wie ich glaube, noch eine zu erwähnen, nämlich das Testament
* L. c, I, 217.
» L. c, II, pag. 437.
21
König Fernandos (siehe Inhaltsangabe). Es ist, soviel ich weifs,
darauf noch nicht hingewiesen worden, obwohl diese Episode nicht
weniger als 85 Verse in Anspruch nimmt (III, 82g — 914). Ich
denke, ^ dafs Guillen de Castro mit all diesen zum Gange der
Handlung nicht gehörenden Episoden eine Verbindung mit seinem
zweiten Ciddrama herstellen wollte. Dies w-ar ihm nur dadurch
möglich, dafs er in das erste Drama gewisse Szenen einflocht, die
für das zweite als Vorgeschichte gelten konnten. Freilich glauben
wir nicht, dafs, vom Standpunkte der Kunst aus gesprochen, eine
solche Verknüpfung zweier in ihrem Inhalte ganz verschiedener
Dramen zu billigen ist.
Die Episode mit dem hl. Lazarus ist, worauf auch Bormann 2
hinweist, wohl nicht anders entstanden, als um das Bild des Cid
noch mehr zu vervollständigen, nämlich um auch seinen religiösen
Sinn zu beleuchten.
Was entsprach damals wohl mehr der Zeit und noch dazu
einem Lande, das durch und durch religiös ist, dessen Literatur
der damaligen Zeit ebenfalls zum grofsen Teile eine religiöse ist?
Was liegt da näher, als dafs es auch seinen Nationalhelden mit
diesem religiösen Glänze umgeben wollte und da dieser Zug sich
auch bereits in den Romanzen findet, so ist es erst recht erklärlich,
dafs Guillen de Castro denselben auch in sein Drama auf-
genommen hat.
Dies führt uns zu einem Vergleich mit dem Romancero del Cid.
Der Dichter hat sich so ziemlich an seine Vorlage gehalten. Es
sind i^f Romanzen, die Guillen de Castro entweder ganz oder
teilweise aufgenommen hat. Und zwar sind es die Romanzen:
2. Ciiidando Diego Lainez
4. Ese hueii Diego Lainez
5. Pensativo estaba el Cid
6. No es de sesudos homes
7. Consolaiido al noble viejo
1 1 . Grande rumor se levanta
1 2. Dia era de los Reyes
13. Ell Biirgos esiä el bueti Rey
15. Delante el Rey de Leon
16. Sentado estä el senor Rey
17. De Rodrigo de Vivar
18. Reyes moros en Castilla
19. A Jimena y ä Rodrigo
22. Ya se parte don Rodrigo
23. Ce lehr a das ya las bodas
24. Sohre Calahorra esa villa
29. Cercada tiene ä Coitnbra
33. En Zamora estd Rodrigo
^ Siehe auch Mcrim6e, 1. c, pag. XCVIII.
2 L. c, pag. 9 ff.
21
34- En Zamora esiaba el Rey
42. Acahaba el Rey Fernando
43. Doliente esiaba, dolienie
(= Doliente se siente el Rey)
44. Morir vos queredes, padre
45. Atento esciicha las quejas.
Natürlich können für einen Dramatiker nur solche Romanzen in
Betracht kommen, die ein einheitliches Bild der einzelnen Charaktere
erkennen lassen.
Was in unserem Drama nicht der Vorlage entspricht, ist vor
allem der Umstand, dafs Rodrigo und Jimena bereits vor dem
Tode des Grafen sich geliebt haben. Nur so konnte der dramatische
Konflikt zwischen Liebe und Ehre entstehen. Dadurch wird natürlich
die ganze Handlung beeinflufst. Damit hängt zusammen Rodrigos
Zusammenkunft mit Jimena vor seinem Abzug, wo er sich im
Zimmer versteckt, sie um den Tod aus ihrer Hand bittet. Die
List, mit der man am Hofe Jimenas Liebe zu erfahren sucht, kann
ebenfalls in den Romanzen noch nicht zur Darstellung gelangt sein
aus dem oben erwähnten Grunde. Auch die Ursache des Streites
zwischen Don Diego und dem Grafen Lozano findet sich weder
in den Romanzen noch in den Chroniken. Wir hören nur von
einem Streite zwischen den Hirten der beiden Edelleute.i
Die Mocedades del Cid wurden aufserhalb Spaniens erst be-
rühmt durch die Nachahmung Corneille's. Als ein weiterer Dichter,
Diamante, von dem im folgenden die Rede sein wird, denselben
Stoff auf die Bühne brachte, benützte er weder Guill6n de Castro's
Drama noch die Romanzen als direkte Vorlage, sondern Cor-
neille's Cid.
Über die spanischen Dramatiker, die den Stoff im 19. Jahr-
hundert von neuem behandelten, werde ich an einer anderen Stelle
sprechen.
Über das Verhältnis der Mocedades zu Corneille's Cid ist eine
eigene Literatur angewachsen.
Man vergleiche hiezu hauptsächlich: Picot, Bibliographie Cor-
nelienne pag. 457 — 484; Schack, 1. c, II, pag. 437 ff. Schäffer, 1. c,
I, p. 217. Bormann, I.e., pag. 12 ff. Marty-Laveaux , CEuvres de
Corneille tom. III. Paris 1862, pag. 207 ff. Merimee, 1. c, pag. CXff,,
sowie die einschlägigen Darstellungen der französischen Literatur.
Ins Deutsche wurden die Mocedades übersetzt durch A. v. Schack
in Spanisches Theater 2. Aufl. Stuttgart 1892.
2. Juan Bautista Diamante: El Honrador de su padre.
Diamantes (1626 — nach 1684) Stück ist zum erstenmale ge-
druckt worden zu Madrid 1658 im 11. Bande der Comedias nuevas
^ Siehe Crönica rimada, pag. 7 dieser Arbeit.
23
escogidas de los niejores higenios de Espana, dem 1659 eine zweite
Auflage folgte. Es ist das erste darin enthaltene Stück. Die
jüngste Ausgabe ist die der Bihlioteca de atitores espailoles Band 49
(Madrid 1859).
Wie schon oben erwähnt, schliefst sich das Stück hauptsächlich
an Corneilles Cid an und zwar an die Ausgabe des Jahres 1637.
Diamante hat in die Comedia auch noch das komische Element,
einen gradoso [N'uno) eingefügt, m. E. nicht zum Vorteile des
ganzen Stückes.
Um einen Vergleich mit der französischen Tragödie zu er-
leichtern, wollen wir die Aufeinanderfolge der Handlung beider
Dramen gegenüberstellen.
Diamante :
1. Akt. I. Nuno bringt Elvira, der
Dienerin Jimenas, einen Brief Rodrigos
und wird dabei vom Grafen über-
rascht.
2. Der Graf spricht mit Elvira über
Rodrigo, den er seiner Tochter zum
Gatten bestimmt.
3. Elvira erzählt Jimena die Unter-
redung mit dem Grafen.
4. Rodrigo und Jimena. Er bittet
um ein Bild von ihr.
5. Die Infantin sagt Elvira, dafs sie
über die Liebe der beiden bekümmert
Corneille:
Nicht bei Corn.
Findet sich in der Ausgabe des
Jahres 1637. Später ist diese Szene
von Corneille gestrichen worden.
1. Akt. I. Szene.
Nicht bei Corneille.
2. Szene. (Statt Elvira hat Corneille
den Namen Leonor.)
6. Der König hat Diego Lainez zum
Erzieher seines Sohnes bestimmt.
7. Streit zwischen Diego und dem
Grafen. Letzterer erhält von Diego
eine Ohrfeige.
8. Monolog Diego's.
9. Rodrigo erhält das Bild Jimenas
von Nufio.
IG. Diego fordert seinen Sohn auf
den Vater zu rächen.
II. Monolog Rodrigos.
IL Akt.
1. D. Sancho hält dem Grafen seine
Tat vor.
2. Rodrigo kommt zum Grafen und
fordert ihn.
3. Szene.
4. Szene.
Nicht bei Corneille.
5. Szene.
6. Szene.
IL Akt.
1. Szene, jedoch nicht D. Sancho,
sondern D. Arias.
2. Szene.
24
D i a m a n t e :
Fehlt bei Diamante.
Bei Diamante nur angedeutet.
Fehlt.
3. Der König ist erbofst über die
Haltung des Grafen nnd befiehlt ihn
festzunehmen.
4. Der Tod des Grafen wird dem
König gemeldet.
5. Jimenas Klage und Diegos Ver-
teidigung vor dem König.
6. Rodrigo kommt ins Haus Jimenas.
Gespräch mit Elvira.
7. D. Sancho bringt Jimena nach
Hause.
8. Jimena gesteht Elvira , dafs sie
den Mörder noch liebt.
9. Rodrigo tritt aus seinem Ver-
stecke hervor und bittet Jimena, ihn
zu töten. Sie will dem König die
Rache überlassen.
10. D. Diego trifft seinen Sohn und
fordert ihn auf gegen die Mauren zu
kämpfen.
in. Akt.
1. Jimena im Gespräch mit Elvira.
Sie will nicht verzeihen trotz des
Sieges des Cid.
2. Die Infantin will Jimena von
ihren Rachegedanken abbringen.
3. Der König will Jimenas wahre
Gefühle durch List erfahren.
4. Diego erzählt die Siege seines
Sohnes.
5. Rodrigo kommt zum König und
erzählt seine Heldentaten.
Corneille:
3. Die Infantin beruhigt Chimene
und will Rodrigue im Palaste zurück-
halten.
4. Ein Page meldet, dafs Rodrigue
und der Graf aus dem Palaste ge-
gangen seien. Chimene eilt ihnen
nach.
5. Die Infantin beklagt ihre Liebe
zu Rodrigue.
6. Szene.
7. Szene.
8. Szene.
III. Akt. I. Szene.
2. Szene.
3. Szene.
4. Szene.
5. und 6. Szene.
IV. Akt.
1. Szene.
2. Szene.
Nicht.
3. Szene.
25
Diamante: Corneille:
6. Jimena bringt von neuena ihre 4. Szene.
Klagen vor. Der König will schein- 5. Szene. Der König teilt Chim^ne
bar ihrem Wunsche willfahren und mit, dafs Rodrigue im Kampfe gefallen
läfst Rodrigo gefangen nehmen. sei. Sie wird ohnmächtig. Als sie
wieder zu sich kommt, fordert sie
die Ritter zu einem Zweikampfe mit
Rodrigue auf. Sie wolle den Sieger
heiraten. D. Sanche bietet sich an.
Die übrigen Szenen der 3. Jornada (7 — 12), sind von dem
5. Akte Corneilles vollständig verschieden. Jimena geht mit Elvira
ins Gefängnis und verbirgt sich hier. Rodrigo weifs von der An-
wesenheit Jimenas und spricht von seiner baldigen Hinrichtung.
Sein Vater Diego rät ihm zur Flucht. Da kommt Jimena aus ihrem
Verstecke hervor und will mit ihrem Geliebten sterben um sich
nicht mehr von ihm trennen zu müssen. Ein Schreiber bringt das
Todesurteil und gleich darauf erscheint der König selbst mit der
Infantin, findet die beiden Liebenden in den Armen und verzeiht
Rodrigo.
Von diesem letzten Teile abgesehen ist Diamantes Stück eine
Erweiterung der Corneilleschen Tragödie. Nur einige wenige Szenen
hat er gestrichen; auch liebt bei ihm die Infantin den Cid nicht.
Was aber sonst Corneille nur angedeutet oder berichtet hat, ge-
staltet Diamante zuweilen zu eigenen Szenen um. Jede einzelne
Rede ist verlängert, jeder Dialog in die Länge gezogen. Gereicht
das nun dem Drama zum Vorteil? Keineswegs. Einerseits leidet
die Handlung sehr darunter, da sie überaus schleppend wird. Die
Charakterisierung der Helden wird nicht etwa vertieft sondern ver-
schwommener und manchmal auch unwahrscheinlicher. Die besten
Teile des Dramas sind die direkten, wortwörtlichen Übersetzungen
Corneilles, die besonders im ersten Akte überaus zahlreich sind, in
den folgenden Akten seltener werden. Die Einführung des komischen
Elementes ist, wie schon oben erwähnt, für das Stück keineswegs
von Vorteil und weist wie in so vielen anderen Dramen dieser
Zeitperiode schon auf den kommenden Verfall der spanischen
Poesie hin.
Von allen 1 Beurteilungen des Dramas ist die von Schack die
günstigste. Er sagt: „Allerdings hat dieses Drama nicht den
zauberischen Farbenschimmer der Poesie, nicht jene jugendliche
Frische und Glut wie die Mocedades del Cid, allein in dem lebendigen
Organismus der ganzen Komposition, in der überdacht kunstvollen
Anordnung des Stoffs, wo nirgends eine müfsige Einzelheit den
schnellen Fortschritt stört, besitzt es einen Vorzug, dessen das
Drama des Guillcn de Castro vielleicht nicht in gleich hohem Grade
' Schack, a. a. O., III, 373ff. Schaeffer, a. a. O., II, 219 ff. Ticknor, 1. c,
II, pag. 70. Marty-Laveaux, CEuvres de Corneille III, pag. 238ff.
26
teilhaftig ist und auf der anderen Seite wird doch auch ein eigen-
tümlich glänzendes Kolorit nicht vermifst." Man kann es Schade
nicht zum Vorwurf machen, dafs er Diamantes Drama für das
Original und Corneilles Cid für das Plagiat hält, wenn er auch
früher die gegenteilige Meinung vertrat. i Als er sein Werk schrieb,
konnte sich sein Urteil nur auf innere Gründe stützen und er
hoffte immer noch'- „dafs sich für Diamantes früheres Auftreten
auch ein äufseres Zeichen finden werde". Wir werden von diesem
„äufseren Zeichen", das die Frage endgültig entscheidet, weiter
unten zu sprechen haben.
Die von Schack angeführten Vorzüge des Dramas passen wohl
sehr gut auf Corneilles Cid, auf Diamantes Stück stimmen sie nur
insoweit, als er eben Corneille übersetzte. Wenn aber Schack sagt,
dafs „nirgends eine müfsige Einzelheit den schnellen Fortschritt
stört", so trifft das für Diamantes Drama nicht zu. Schack dachte
wohl an die bei Guillen de Castro überflüssigen Episoden, die bei
Diamante zwar nicht zu finden sind; dafür aber sind es andere
„müfsige Einzelheiten", die wir Diamante zum Vorwurfe machen.
Wozu braucht es die lächerliche Geschichte mit dem Bilde Jimenas
oder das komische Element? Wirkt das nicht jedesmal störend
auf den Gang der Handlung? Wozu diese langen Reden? Wir
müssen Schäffer3 zustimmen, wenn er von diesen langen „Parade-
reden" sagt, dafs sie nur Erhöhung der Langeweile bewirken.
Die Charakterzeichnung ist, soweit sie nicht mit Diamantes
Vorbild übereinstimmt, zum grofsen Teil mifsglückt. Der tapfere
Rodrigo, der sich vor niemand fürchtet und sogar seinem Vater,
als er ihm (wie bei Guillen de Castro) seine Hand fest drückt,
entgegentritt, glaubt den Grafen Lozano darauf hinweisen zu müssen,
dafs er ihn wohl hätte töten können sin advertencia, also im feigen
Hinterhalt. Der Graf überläfst ihm die Wahl der Waffen. Darauf
weifs ihm Rodrigo zu erwidern:
Conde, obrar mas y hablar menos.
Dazu ist zu bemerken, dafs Rodrigo jedoch nochmal soviel spricht
als der Graf, dem er diese gute Lehre gibt. Vielleicht ist diese
Stelle zurückzuführen auf eine ähnliche in Guillen de Castros
zweitem Ciddrama, wo der Cid zu D. Diego spricht:
El valiente, aunque gallardo,
Habla menos. (III, 503)
und weiter unten nochmals:
ijNo ad viertes que contradice
AI mucho hacer, mucho hablar? (IIJ, 509)
^ Siehe 1. c, Band II, Anmerkung 150 zu pag. 430.
' L. c. Band III, Anmerkung lil zu pag. 373.
' L. c, II, pag. 224.
27
Der Jimena des Diamante können wir nicht die Sympathie ent-
gegenbringen, wie jener des Guillen de Castro oder der Chimene
des Corneille.
Welcher Stolz spricht aus den Worten, die sie Rodrigo ent-
gegenhält, als dieser sie um ihr Bild bittet:
Que forma y color se pintan,
Mas no la gracia y donaire.
Als der Graf getötet ist und sie vor den König kommt, sagt sie
ganz richtig:
La voz muere, el dolor no habla,
weifs aber doch des Langen und Breiten zu erzählen, wie sie ihren
toten Vater gefunden hat:
De polvo y sangre la caraa
Cubierta, como el que cae
AI foso, de una escalada.
Spricht so wohl eine über den Tod des Vaters betrübte Tochter?
Bei den übrigen Personen kann von einer Charakterisierung
überhaupt nicht gesprochen werden. Sie reden meist eine unnatür-
liche, oft triviale Sprache, so der König, wenn er vom Grafen sagt:
Las alas le cortard,
oder wenn Diego von der Ohrfeige erzählt:
Que de su mano (j que pena!)
Sobre el papel de mis canas
Imprimiö las cinco flechas.
Am meisten findet sich der Geist des Kultismus in der Sprache
des gracwso, die mit allen möglichen komischen (anheiterndeu)
Sprüchen durchtränkt ist.
Das höchste aber leistet Diamante am Schlüsse des 3. Aktes.
Als Jimena überlistet wird und sie mit Rodrigo sterben will, falls
dieser nicht begnadigt werden sollte, sagt Diego:
Ap. No puedo tener la risa.
Wir müssen das mit Schäfferi als ,.erbärmlich" bezeichnen.
Er fügt hinzu: „Die gewaltige Macht der Leidenschaft, weiche eine
edle Jungfrau angesichts einer vermeinten Todesgefahr ihres Ge-
liebten dazu bringt, alle Schranken der Konvenienz und weiblicher
Zurückhaltung zu durchbrechen, würde von jedem Dichter als ein
erhabenes Motiv aufgefafst worden sein. Von wahrhafter Erhaben-
heit hatte aber Diamante keinen Begriff, und wenn sich dies auch
in den übrigen Teilen des Stücks nicht so extrem äufsert, so ist
doch der ganze Ton desselben mehr derjenige eines Familien- als
eines Heldendramas."
* L. c, II, pag. 219.
28
Voltaire i und nach ihm Sismondi u. a. glaubten in Diamantes
Stück die Quelle zu Corneilles Cid gefunden zu haben. Dafs gerade
das Gegenteil zutrifft, ist schon zur Genüge dargelegt worden und
wird auch keineswegs mehr bestritten. Nach den von Barrera^
angestellten Untersuchungen ist Diainante im Jahre 1626 geboren,
kann also unmöglich schon vor 1636 (das Jahr, in dem Corneilles
Cid auf die Bühne kam) sein Drama geschrieben haben. 3
Was von Guillen de Castro ohne Vermittlung Corneilles ent-
lehnt zu sein scheint, beschränkt sich auf die Erprobung Rodrigos
durch seinen Vater, ob er zur Rache tauglich sei, und dessen
kecke Antwort.
Der von Corneille abweichende Schlufsteil des 3. Aktes wird
von Diamante wohl selbst erfunden sein. Er enthält nämlich ein
im spanischen Drama dieser Zeit so häufiges Versteckspiel.
El Honrador de su padre ist durch den wegen des Dramas
ausgebrochenen Streit bekannter geworden, als es eigentlich ver-
diente."* Wie man nach einem Vergleich des französischen und
spanischen Stückes und der übrigen dramatischen Leistungen
Corneilles und Diamantes überhaupt dazu kommen konnte Corneille
des Plagiats zu beschuldigen bleibt mir ein Rätsel.
II. Dramen, welche die Kämpfe um Zamora oder
Toro behandeln.
I. Juan de la Cueva: Comedia de la Muerte del Rey Don
Sancho, y Reto de Zamora per Don Diego Ordonez.
Da Juan de la Cueva (cc 1550 bis nach 1607) als der in-
venior de la comedia htstörüa^ angesehen wird, so ist das uns vor-
liegende Drama wohl das erste Stück, das den Cid auf die Bühne
bringt.
* CEuvres de Voltaire, publiees par M. Beuchot XLI, pp. 490 u. 491
(Artikel in der Gazette litte'raire). Die ia Frage kommende Stelle ist bei
INlarty-Laveaux, 1. c, III, pp. 4 ff. abgedauckt.
3 Mitgeteilt bei Marty-Laveaux , 1. c, III, pp. 6 u. 7 (Brief Barreras an
Antoine de Latour).
^ Vergl. zu dieser Frage die bei Picot, 1. c, pp. 457 — 484 angegebene
Literatur, und vor allem die Ausführungen Marty-Laveaux's, I.e., III, pp. 4ff.
und pp. 238ff. damit werden auch die Ausführungen Schacks (I.e., III, 373 ff.
gegenstandslos.
* Französische Übersetzung in Fee, M. A.: Etudes siir Vancien theätre
espagHol. Paris 1873.
'•" Gil de Zärate, Manual de Lüeratura. Principios Generale^ de PoHica
y Retörica. Paris 1S53. Parte II, pp. 224ff
29
Es wurde in dem ersten Bande der Komödien unseres Ver-
fassers gedruckt. Bis jetzt war nur ein Druck zu Sevilla 1588'
bekannt; aber schon Salvä y Mallen sowie A. Farinelli^ vermuten,
dafs noch eine frühere Ausgabe existieren müsse. Es ist mir ge-
lungen diesen Druck zu finden. Er stammt aus dem Jahre 1583
und befindet sich in der K. K. Hofbibiiothek zu Wien. Der Titel
lautet folgendermafsen : Primer a parte || de las Comedias || i tragedias ||
de Juan de la Ciieva \ Dirigidas || a j| Motfio || ^ E?i Sevilla, en casa
de Andrea Pescioni\ Afio de 1583.
Unser Drama ist das erste darin enthaltene Stück. Die An-
gabe, dafs es 1579 in Sevilla zum erstenmal aufgeführt wurde, findet
sich nicht in diesem Druck, nach Barrera {Caidlogo pag. 1 19) aber in
dem aus dem Jahre 1588. Weitere Drucke sind nicht bekannt.
Das Drama besteht noch aus 4 Jornadas und schliefst sich
eng an die Romanzen an. Den gröfsten Teil (2. — 4. Akt) nimmt
der reto de Zamora por Dem Diego Ordonez ein, während nur der
erste Akt sich mit dem Tode König Sanchos befafst.
Der Inhalt ist folgender:
I. Akt. König Sancho beklagt sich, dafs seine Schwester
Urraca auf seinen Wunsch nicht eingehe und ihm Zamora nicht
übergebe, auch nicht, wenn er ihr dafür andere Städte geben würde.
Jetzt ist er entschlossen Rache zu nehmen. Er schickt den Cid
nach Zamora um Urraca nochmals einzuschüchtern, da er niemand
verschone. Der Cid kommt nach Zamora, wo Urraca sich ihm
gegenüber beklagt, dafs er sie schutzlos lasse, nachdem ihr Vater
tot sei. Dem Wunsch des Königs entspreche sie nie und sie sei
entschlossen Zamora zu verteidigen. Diese Meldung bringt der Cid
dem König und fügt zugleich seine eigene Meinung über die Be-
lagerung bei: dafs er es nämlich auch für ungerecht halte gegen
die Schwester zu Felde zu ziehen. Gegebenenfalls bleibe er neutral.
Der König, dem inzwischen der Verräter Vellido Dolfos seine
Dienste angeboten hat, hört nicht auf den Cid und will sich von
Vellido den geheimen Zugang zur Stadt zeigen lassen. Obwohl
von der Wache von Zamora gewarnt, vertraut sich Sancho dem
Verräter an und wird von diesem mit seinem Speer niedergestofsen.
Der Cid findet seinen König im Sterben, während der Mörder sich
in die Stadt geflüchtet hat.
^ Diesen Druck habe ich leider nicht finden können. Ich mufs mich
daher, was die diesbezüglichen bibliographischen Angaben betrifft, auf das bei
Salvä y Mallen, Catdiogo de la biblioteca de Salvd, Valencia 1872 wieder-
gegebene Titelblatt verlassen. I. Band, pag. 425.
2 Archiv f. d. Stud. der N, Spr. 53. Jahrgang (102. Bd.) 1S99, pp. 456
Anmerkung i.
' Die Ausgabe des Jahres 1588 enthält den Zusatz: Van anadidos en
esta segunda Impression, en las Comedias, y Tragedias Argumentes, y en todas
las Jornadas , Enmendados muchos yerros, y f alias de la primera Impression.
Con Privilegio. Impresso en Sevilla en casa de Joan de Leon. 1588. [Cat.
de la Bibl. de Salvd, I, pag. 425.)
30
Im zweiten Akte ruft der Cid seine Ritter zusammen um mit
ihnen zu beraten, was zu tun sei. Diego Ordoilez will die Zamoraner
herausfordern und tut dies auch mit heftigen Worten. Arias Gonzalo
verteidigt von der Stadt aus die Zamoraner, die an der Ermordung
König Sanchos völlig unbeteiligt gewesen seien. Er macht Diego
darauf aufmerksam, dafs nach einem alten Rechte er als der Heraus-
fordernde mit 5 Gegnern zu kämpfen habe. Es wird ein Gericht
eingesetzt, das zu bestimmen hat, ob Diego 5 Zamoranern gegen-
über gestellt werden soll.
Der dritte Akt bringt uns die Gerichtsversammlung, die das
alte Recht bestätigt, Arias Gonzalo will selbst mitkämpfen, die
Infantin läfst es jedoch nicht zu; er fordert dafür seine Söhne auf
in den Kampf zu ziehen. Diego besiegt die drei Söhne des Arias,
beim letzten ist der Sieg unentschieden. Man macht nämlich Diego
den Vorwurf, dafs er aus dem vorgeschriebenen Kreise heraus-
getreten und geflohen sei. Der Cid beendigt den dadurch aus-
gebrochenen Streit, indem er die Kämpfer auf die Entscheidung
des Kriegsgerichts vertröstet.
Der letzte Akt bringt uns in recht ausführlicher Weise das
Schiedsgericht. Der Cid tritt für Diego ein und giebt dessen Pferd
die Schuld an der Flucht. Er schlägt vor Diego den Sieg zuzu-
erkennen, Zamora aber für schuldlos an dem Verrate des Vellido
Dolfos zu erklären. Nach langem Streite zwischen den zwei Parteien
willigt auch der Richter von Zamora ein. Diego und Arias müssen
den Schwur leisten, dafs sie von jetzt an die Feindseligkeiten auf-
heben wollen.
Am besten scheint mir der erste Akt zu sein, während die
übrigen stark dagegen abfallen. Bis zur Ermordung König Sanchos
ist Leben in der Handlung, dann wird sie durch die ständige
Wiederholung der Kämpfe und Schiedsgerichte sehr schleppend.
Nach unseren Begriffen könnte man das Ganze überhaupt kein
Drama nennen, sondern eine Erzählung der Ereignisse von den
Teilnehmern selbst. Allerdings wird das sehr begreiflich, wenn
man bedenkt, dafs zur damaligen Zeit das Drama noch in den
Anfängen stand und von diesem Standpunkte aus verdient das
Drama unser Interesse. Man kann sich, wie Schaefferi sagt, „eine
Aufführung ohne die primitive Einfachheit der altspanischen Bühne"
gar nicht denken.
Auffällig erscheinen mufs uns auch die fortwährende Dialog-
führung ohne jeden Szenenwechsel. Zuerst sind wir im Lager von
Zamora, dann in Zamora selbst und der Verrat des Vellido Dolfos
ist abseits vom Lager. Die Kämpfe des Diego Ordonez mit den
3 Söhnen des Arias Gonzalo finden zu Pferde statt und zwar vor
der Mauer, dazu müssen wir uns die Zinnen der Stadt von Zu-
schauern besetzt denken. Die Zamoraner sprechen auch von da
aus zu den Castilianern. Man kann sich indes all das wohl er-
1 L. c. I, pag. 58.
31
klären, dafs der Leser und Hörer den Verlauf der Handlung zu
sehr aus den Romanzen kannte, als dafs eine nähere Bezeichnung
im Drama und vielleicht auch auf der damaligen Bühne nötig war.
Wolfi wirft dem Dichter vor, dafs er mit seiner „bedeutenden
Erfindungskraft . . . nicht hauszuhalten wufste" und dafs „der
ordnende, organisierende Verstand nur zu oft in seinen Stücken"
fehle.
Den ersten Akt unseres Dramas dürfte dieser Vorwurf am
wenigsten treffen, da sich der Dichter eben hier ganz enge an die
alten Romanzen anschlofs. Die drei übrigen Akte jedoch lassen
den ..ordnenden, organisierenden Verstand" arg vermissen. Sie
könnten mit Weglassung aller überflüssigen Beigaben und mit klarer
Anordnung des Stoffes leicht auf zwei Akte reduziert werden, und
m. E. wäre das nur zum Vorteile des Stückes.
Von einer Charakterisierung seiner Personen kann schwerlich
gesprochen werden. Ansätze hierzu finden sich beim Cid. Dieser
steht im Mittelpunkte des Ganzen, wird von allen, Castilianern wie
Zamoranern, als unbesiegter Feldherr geachtet und sein Wort ist
ausschlaggebend. Um ihn gruppieren sich die übrigen Kämpfer
der Castilianer. Mit der wichtigen Botschaft an Urraca wird wieder
der Cid beauftragt und er darf es sogar wagen, dem König ins
Gesicht zu sagen: 2
que no es justo,
Mira bien que es inhumano
Matar la ermana el hermano
Sin mas causa que su gusto.
Ablando tu crudo pecho
Muera su sobervio intento
La fuer9a del juramento
Que a tu padre tienes hecho,
I si las cosas del suelo
Menosprecias, tea memoria
Que si desto as la victoria
Ai quien te juzgue en el cielo.
Das sind kühne Worte. Der König pocht demgegenüber nur
auf seinen eisernen, unabänderlichen Willen. Der Cid erklärt ihm
nun fest und bestimmt, dafs er seinem Eide nicht untreu sein wolle
und daher sich neutral verhalten werde. Der König spöttelt ihn :
Id Rodrigo que ya entiendo
El fin de vuestra piedad
Yo hare mi voluntad,
I vere lo que pretendo.
und geht seinem Verderben entgegen.
• Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen National-
literatur. Berlin 1859. p. 614.
^ Nach der Schreibweise des Originals.
32
Wie schon oben erwähnt, folgt das Drama ganz den Er-
zählungen der alten Romanzen und zwar hat der Verfasser den
Inhalt folgender Romanzen zu seinem Drama benutzt :
50. Jiey Jon Sancho, Rey Jon Sancho
Ya que te apiintan las barhas
52. Despues Jel lamento triste
53. Apenas era el Rey muerto
54. Afnera, afuera, Rodrigo,
55. Llegado es el Rey Jon Sancho
56. Entrado ha el Cid en Zamora
66. De Zamora sale Dolfos
67. Estando del Rey Jon Sancho
71. Muerto yace el Rey Jon Sancho
72. Ya Diego Ordoüez se parte
74. Despues que Vellido Dolfos
75. Ya se sale Diego Ordonez
76. Ya cabalga Diego Ordonez
77> Sälese Diego Ordonez
78. Despues que retö d Zamora
80. Aun no es hien amanescido
81. Tristes van los Zamoranos
82. Ya estä esper and 0 don Diego
83. Muerto habia don Diego Ordonez
84. A pii estä el fuerte don Diego
85. Des de el muro de Zamora
92. De la cobdicia que es mala
93. Despues que Vellido Dolfos
95. Ya se sale por la puerta
Während er nun diese Romanzen freier umarbeitete, meistens
erweiterte, sind andere Romanzen teilweise wörtlich aufgenommen
worden. Es ist dies vor allem der Anfang der Romanzen 64
und 65, die wir hier dem Texte bei Jueva gegenüber stellen
wollen.
Juan de la Cueva: Rom. 64 u. 65.
Rei don Sancho, Rei d5 Sancho Rey don Sancho, Rey don Sancho
No digas, que no te aviso No digas que no te aviso
I porque estes advertido,
Te vengo a avisar agora, Rom. 64.
Que del cerco de Zamora Que del cerco de Zamora
Un traidor avia salido. Un traidor havia salido
Si de ti no es conocido,
Ni a ti ä llegado su fama, Rom. 64.
Vellido Dolfos se llama Vellido Dolfos se llama
Hijo de Dolfos Vellido. Hijo de Dolfos Vellido
Sabes Rei porque nie ahinco,
33
Porque esse tu amigo estrecho Rom. 65.
Cuatro tiaiciones h hecho Cualro traiciones ha hccho.
I con esta seran cinco. Y con esta serän cinco.
Mögen die dazwischen liegenden Verse zu einer verlorenen
Romanze gehört haben oder nicht, auch diese Gegenüberstellung
zeigt schon, wie getreu Cueva sich hier an den Text der Romanzen
anlehnte.
Ziemlich genau hat sich Cueva auch an folgende Romanze (55)
gehalten. Es handelt sich um die Städte, welche Sancho seiner
Schwester für Zamora geben will:
Juan de la Cueva: Rom. 55.
. . . el te dara en trueco
A Medina de Rioseco, A Medina de Rioseco
De que te haze Senora. Yo por ella la daria
Date desde Villalpando Con todo el infantazgo,
A Valladoli, i sin esto Y tambien le prometia
El Infantadgo, i sobre esto A Villalpando y su tierra,
De Tiedra te dara el mando etc. O Valladolid la rica,
O d Tiedra, que es buen castillo etc.
Vielleicht darf ich auch darauf hinweisen, dafs bei der Heraus-
forderung des Arias Gonzalo siebenmal das Wort: re/o wiederkehrt;
in Romanze 77 finden wir eine sechsmalige Wiederholung desselben
Wortes {riepto).
Über die Bedeutung Juan de la Cuevas, des precursor de Lope
de Vega,^ für die Geschichte des spanischen Dramas vergleiche
man die Ausführungen Schacks,^ die darin gipfeln, dafs „unser
Dichter ihr (= der neuen Richtung) zuerst entschieden Bahn brach
und sie, freilich noch in grofser Rohheit und mit Übertreibungen
ihrer Fehlerhaftigkeiten, in Besitz der Bühne brachte".^ Die
Dramen Juan de la Cuevas sind eine bibliographische Seltenheit
— in Deutschland in keiner Bibh"othek zu haben — was bei der
Stellung, die der Dichter in der Geschichte des spanischen Dramas
einnimmt, sehr bedauerlich ist. Nur zwei Dramen: £/ saco de Roma
und EL Infamador sind von E. de Ochoa in seinem Tesoro del
Teatro espanol Tom 1 (Paris 1838) gedruckt worden.'*
2. Guill6n de Castro: Las Mocedades del Cid, Segunda parte.
Das zweite, von Guillen de Castro verfafste Ciddrama wurde
zugleich mit dem oben& besprochenen gedruckt. Von den neueren
* Gil de Zarate, 1. c, II, pag. 224.
* L. c, 1,277 ff., desgleichen Gil de Zurate 1. c.
ä L. c, pag. 288.
" Ich bereite eine Ausgabe aller Dramen der Primera parte vor. (Eine
Segunda parte existiert bekanntlich nicht).
5 Siehe pp. 14 fr.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV. -i
34
Ausgaben des ersten Dramas enthalten alle, aufser denen von Carol.
Michaelis und E. Merimees auch den zweiten Teil.i
Das Stück beginnt mit den Kämpfen König Sanchos gegen
seine Geschwister. Er hat bereits Garcia gefangen gesetzt und
führt jetzt gegen Alonso Krieg. Anfangs ist das Glück ihm nicht
günstig, er wird sogar gefangen genommen, aber vom Cid befreit.
Alonso mufs fliehen und geht nach Toledo. Das Vorgehen des
Königs Sancho befriedigt jedoch den Cid nicht und dieser macht
ihm zum Vorwurf, dafs er das Testament seines Vaters Fernando
zu wenig achte. Der König, darüber erzürnt, beschliefst zum Trotze
auch gegen Zamora zu Felde zu ziehen. In dieser Stadt ist Urraca
besorgt, es möchte auch ihr das Erbe von ihrem Bruder entrissen
werden. Arias Gonzalo versichert sie seines und seiner Söhne
treuer Hilfe. Bellido de Olfos bringt die Nachricht, dafs Sancho
im Kampfe mit Alonso gesiegt habe und jetzt auf dem Wege nach
Zamora sei. Arias Gonzalo und seine Söhne bereiten die Ver-
teidigung vor. Als Sancho vor Zamora kommt, fordert ihn Arias
auf, nicht gegen den Willen seines Vaters zu handeln, aber diese
Mahnung hilft ebenso wenig^ wie die Bitte Urracas ; plötzlich er-
scheint König Fernando in einer Vision seinem Sohne mit einem
Speer in der blutigen Hand und verkündet ihm seinen baldigen
Tod. Sancho ist anfangs darüber sehr ergriffen, hält die Erscheinung
für ein Trugbild der I^hantasie oder Zauberei und läfst nicht ab
von der Belagerung Zamoras. Bellido de Olfos bietet Urraca seine
Dienste zur Befreiung Zamoras an, verdächtigt zugleich Arias Gonzalo,
der nur aus Eigennutz handle; als dieser eben kommt, mufs er
fliehen, da dessen Söhne ihn töten wollen. So geht Bellido aus
der Stadt, kommt zu den Soldaten Sanchos und wird ihrem König
vorgeführt. Diesen belügt er, indem er Arias als Volksaufwiegler
beschuldigt, während er die Stadt Sancho zu übergeben geraten.
Nun bittet er, Vasall Sanchos werden zu dürfen um ihm Zamora
dadurch verschaffen zu können. Von der Stadt aus warnt Arias
den König, sich nicht dem Bellido anzuvertrauen ; denselben Rat
erteilt auch der Cid. Der Verräter verdächtigt aber nun sogar den
Cid, der ja als Verwandter des Arias diesem zustimmen müsse.
Hierauf verbannt der König den Cid. Trotzdem etwas unent-
schlossen, ob er sich der Führung Bellidos anvertrauen solle, hört
er erst auf des Verräters Wort, als dieser ihn zu verlassen droht.
Auf die Mitteilung, dafs mit dem Cid eine Reihe von Soldaten
abgezogen seien, läfst der König den Campeador sogleich wieder
zurückrufen.
In diesem Akte findet sich auch wie in dem folgenden eine
Szene, die in Toledo spielt, wohin Alonso geflüchtet ist. Der
Maurenkönig hat ihn liebgewonnen und behandelt ihn als Freund.
Alonso fafst Liebe zur Maurenprinzessin Zaida.
' Wir zitieren wieder nach der Ausgabe der Biblioteca Romanica
No 37—39-
35
Zu Beginn des zweiten Aktes ist der Cid wieder zurückgekehrt
und erfährt, dafs der König sich der Führung des Bellido de Olfos
anvertraut habe. Man eilt dem König nach. Dieser ist vor den
Mauern vor Zamora an einem versteckt Hegenden Platze, von wo
er in die Stadt einzudringen glaubt. Bellido de Olfos sucht nur
eine günstige Gelegenheit, den König zu töten. Diese bietet sich,
als der König abseits gehti und dabei seinen Speer verliert.
Diesen nimmt der Verräter, tötet damit Sancho und flieht nach
Zamora. Der Cid kommt eben dazu und, ohne noch vom Morde
Kenntnis zu haben, verfolgt er den Mörder. Diego findet den
König im Sterben. Der Cid wird vor Zamora von der Infantin
angerufen, die sich bitter beklagt, dafs auch er gegen sie kämpfe,
obwohl sie ihm nur Wohltaten erwiesen. Der Cid verteidigt sich
dagegen und versichert Urraca, dafs er an dem Kampfe um Zamora
nicht beteiligt sei. Dann kommt er zum König, der in den letzten
Zügen liegt. Diego will sogleich Rache nehmen und schlägt einen
Zweikampf mit einem der Zamoraner, die er für mitschuldig an
dem Morde des Königs hält, vor und bietet sich selbst dazu an.
Urraca hat unterdessen den Mörder ihres Bruders ins Gefängnis
werfen lassen. Diego beginnt nun die Bewohner der Stadt heraus-
zufordern. Nach einem alten Rechte hat er mit fünf Gegnern
nacheinander zu kämpfen. Arias Gonzalo will selbst mit seinen
Söhnen in den Zweikampf ziehen.
In Toledo wird uns wieder ein Liebesidyll zwischen Alonso
und Zaida vorgeführt. Dann hört Alonso, der sich schlafend stellt,
dafs zwei Mauren den König Alimaimon darauf aufmerksam machen,
dafs Toledo eingenommen werde, denn so steht es in den Sternen
geschrieben. Sie raten ihm den Christen Alonso zu töten, da
dieser der Verräter sein könne. Der König schwankt lange hin
und her, bis Zaida ihm entgegentritt und sagt, dafs wohl der Schwur
Alonsos, nichts gegen Toledo zu unternehmen, genüge. Nachdem
die Mauren sich entfernt haben, erfährt Alonso vom Tode des
Königs Sancho ; er ist jetzt Erbe der Krone. Wie soll er aber
aus Toledo entkommen? Zaida bietet ihm ihre Dienste an, er
wird sie dafür zur Königin von Spanien machen.
Der letzte Akt schildert die Zweikämpfe vor Zamora. Arias
will selbst als erster kämpfen, läfst sich aber durch Urraca be-
stimmen, bei ihr zu bleiben, als sie ihn an das Versprechen erinnert,
das er ihrem Vater gegeben. Sie betrachten von der Mauer aus
die Zweikämpfe, die nicht auf der Bühne stattfinden, deren Verlauf
nur aus den Gesprächen zu erkennen ist. Als Streitrichter fungiert
der Cid und die hervorragendsten Ritter der Castilier. Die ersten
1 Man sieht hier die Naivität der Romanz'.n in der Darstellung dieses
Vorgangs: Rom. 64 sagt:
Desque el Key lo ha rodeado Rom. 66:
Sali6rase cabe el rio, Con voluntad de facer
De se hubo de apear Lo que ä nadie es excusado.
Por necesidad que ha habido.
zwei Söhne des Alias besiegt Diego, den einen, weil er zu un-
besonnen kämpft und sich dadurch eine Blöfse gibt, den anderen,
weil er einen Teil seiner Rüstung verliert, beim dritten bleibt der
Sieg unentschieden. Diegos Pferd hat einen tödlichen Schlag er-
halten und jagt davon. Man glaubt, Diego sei aus der Schranke ge-
flohen. Die Richter erkennen ihm jedoch den Sieg zu und erklären
zugleich Zamora für frei und schuldlos an der Ermordung König
Sanchos. Alonso ist aus Toledo geflohen und empfängt die Huldigung
der Krieger. Als alle dem König Treue schwören, schweigt der
Cid. Er will, dafs Alonso schwört, an dem Morde seines Bruders
nicht beteiligt gewesen zu sein. Der König leistet zwar den Eid,
ist aber darüber so erbittert, dafs er den Cid verbannt. Auf Urracas
Wunsch wird die Verbannung wieder zurückgenommen, und aus
der Hand des Cid empfängt dann Alonso die Krone. Zaida wird
auf den Namen Maria getauft und heiratet Alonso.
Allgemeini hält man dieses Drama Guillen de Castros für
weniger vollkommen wie sein oben besprochenes, jedoch gehört es
gleichfalls zu den wirkungsvollsten Stücken, die das spanische
Theater aus dieser Zeit besitzt. Als ein INIeisterwerk mufs im
dritten Akte die Szene von dem Zweikampfe der Söhne des Arias
Gonzalo mit Diego Ordonez und der Kampf desselben mit sich
selbst betrachtet werden.
Wie aus der Inhaltsangabe hervorgeht, würde der Titel El
cerco y el reto de Zamora viel eher angebracht sein, als der ihm
von Guillen de Castro wohl in Anlehnung an sein erstes Stück
gegebene.
Wie schon bei seinem ersten Ciddrama hat der Dichter hier
ebenfalls darauf gesehen, möglichst viel Abwechslung in die Handlung
zu bringen. Es genügt ihm daher nicht, wie Juan de la Cueva,
nur den Tod König Sanchos und die Kämpfe um Zamora dramatisch
darzustellen, er ging noch weiter, indem er auch noch den Kampf
Sanchos gegen Alonso und am Schlüsse dessen Eidesleistung und
Thronbesteigung ins Drama hereinzieht. Desgleichen fügt er die
Schicksale Alonsos in Toledo, seine Liebe zu Zaida und ihre
schliefsliche Vermählung ein.
Die Sprache ist wie im ersten Drama würdig zu nennen, wenn
auch Gongorismen hin und wieder zu finden sind.
Was den Aufbau der Handlung betrifft, so fällt uns auf, dafs
das Drama keinen Haupthelden enthält. Damit hängt zusammen,
dafs keine der vielen Personen so scharf und deutlich gezeichnet
ist, wie im ersten Drama Rodrigo und Jimena.
Der Cid, der hier mehr den trotzigen Charakter der crönica
rimada zur Schau trägt, sagt dem König Sancho offen und ehrlich
seine Meinung über die Belagerung der Stadt Zamora, erklärt ihm
kurz und bündig, dafs er seinem Eide treu bleiben und nicht mit
' Ticknor, 1. c, I, p. 65g fF., Schaeffer, 1. c, I, 219 ff., Schack , 1. c.
II, 442 ff.
31
dem König ziehen werde. Dabei ist er aber doch ein ergebener
Vasall seines Königs, wie er selbst sagt:
Y en el vasallo es honor
Acudir ä la obediencia (II, 2.)
was er auch durch die Tat beweist. Seinem neuen Herrn Alonso
gegenüber tritt er gleich kühn auf, indem er ihn zur Eidesleistung
drängt. Als ihn der König deshalb verbannt, spricht er stolz, dafs
er dahin gehe :
Donde el valor de mis brazos
Venza reyes, gane reinos. (III, 879.)
König Sancho ist rücksichtslos gegen seine Geschwister, hört nicht
auf die Warnungen des Cid und des Arias und geht so seinem
Verderben entgegen. Vor seinem Tode sieht er jedoch seine
Schuld ein und verzeiht allen, wie er bittet, dafs ihm verziehen
werde. Er spricht zu D. Diego :
Fu6 hijo inobedienle, estiive cieyo,
Y el cielo me castiga . . . (II, 289.)
und weiter unten:
Perdono, y perdon pido (II, 342.)
Als Bild treuer Anhänglichkeit gegen das Herrscherhaus steht
neben dem Cid Arias Gonzalo, der seine drei Söhne opfert, um
Zamora für Urraca zu retten und der selbst, obwohl schon hoch-
betagt, in den Kampf ziehen wollte, wenn er nicht von der Infantin
an noch gröfsere Pflichten erinnert würde. Sein und seiner Söhne
Sinnen und Trachten nach Kriegsruhm zeigt sich besonders in
der wirkungsvollen Szene, in der der tödlich verwundete Rodrigo
Arias sterbend dreimal seinen Vater fragt, ob er gesiegt habe, und
als ihm Arias Gonzalo versichert :
Si has vencido (III, 656.)
und weiter unten sogar noch hinzufügt:
Yo tus hazafias envidio, y tu muerte no llorara (111,671.)
stirbt er mit dem Bewufstsein :
Muera yo, viva mi fama, (III, 656.)
das er schon oben ausgedrückt hat, nachdem sein Vater ihn noch
ermahnt seine Seele Gott zu empfehlen.
Bellido de Olfos hat der Dichter nicht nur als Verräter, sondern
auch als Verleumder dargestellt. Er scheut sich nicht, Arias Gonzalo
bei Urraca zu verdächtigen:
Pues por hacerse senor
De Zamora te ha engafiado
Arias Gonzalo, (I, 55211'.)
38
Kr treibt dieses verbrecherische Spiel auch bei Sancho, bei dem
er sogar den Cid selbst verleumdet:
Si Arias Gonzalo y Rodrigo son parientes tan cercanos,
No es mucho le corresponda, aunque contra ti. (I, 750.)
Dann erinnert er an die Liebe Urracas zu Rodrigo :
. . . el favorecer al Cid tu hermana Urraca, don Sancho,
Los caducos lo entendieron y los ninos lo contaron,
Y el amor entie los dos reciproco, aunque pasado,
Tiene fueiza en sus reliquias mayor que en los muros altes
De Zamora. (1,753 ff.)
Wie in seinem ersten Ciddrama Guillen de Castro den Cid
auch als galanten Höfling den Damen gegenüber darstellte, so ist
es in unserem Stücke der König Alonso, der in Toledo die schöne
INIaurin Zaida, die Tochter des Königs von Sevilla, kennen und
lieben lernt. Man müfste die ganzen Szenen abschreiben, wollte
man all diese galanten Redensarten wiedergeben, die sowohl Zaida
an Alonso, als auch dieser an seine Geliebte richtet (I, 243 — 357).
Als übertriebene Galanterie müssen wir jedoch anführen, wie
Don Alonso seine Freude darüber ausdrückt, dafs er an ihrer
Seite beim Mittagsmahle sitzen darf:
Solo uu bocado
Podra el coraerle ä tu lado
Hacer eterna una vida,
Y mas si potable el oro
De tus entranas comiera. (I, 340.)
Guillen de Castro ist den Romanzen wiederum sehr treu gefolgt.
Im einzelnen sind es die Romanzen:
47. Don Sancho reina en Castilla
50. Rey don Sancho, rcy do7i Sancho
Va que ie apimtan las barbas
5 1 . E7i Toledo eslaba Alfonso
57. El Cid fiie para su tierra
64. und 65. Rey don Sancho, Rey don Sancho
JVo di'gas que no te aviso
66. De Zamora sale Dolfos
67. Estando del Rey don Saticho
7 I . Muerio yace el Rey don Sancho
80. Ann no es bieti amanescido
81. Tristes van los Zamoranos
82. Ya estd esper and 0 don Diego
83. Muerio habia don Diego Ordonez
84. A pie estd el fuerte don Diego
87. Por el muro de Zamora
88, Sobre el cuerpo de Rodrigo
39
g2. De la cohdicia qiie es mala
96. Dorm Urraca, la Infanta
97. E71 Toledo estaba Alfonso
98. Aluerto es el Rey dort Sancho
99. Hizo hacer al Rey Alfo7iso
100. En Santa Gadea de Burgos
10 1. Fincad ende mos sesudo
102. Despiies qiie sohre Zamora,
aus denen der Dichter den Stoff für sein Drama genommen.
Bei Romanze 100 ist jedoch zu bemerken, dafs sie bei Guillen
de Castro in einem ganz anderen Zusammenhang erscheint. Es
handelt sich um die Verbannung des Cid und um die berühmten
Worte :
Tu me destierras por uno,
Yo me destieno por cuatro.
(Guillen de Castro I, 761.)
die im Drama ebenso wiederholt sind. In der Romanze werden
sie erst gesprochen nach der Eidesleistung des Königs Alonso,
während im Drama der König Sancho den Cid verbannt auf Grund
der Verleumdungen des Bellido de Olfos.
Romanze 44 Morir vos qiieredes , padre, ist mit Ausnahme von
ein paar Versen wortwörtlich ins Drama übernommen worden
(I, 48-63).
Die Verse 217 — 226 des 2. Aktes entsprechen mit Berück-
sichtigung der von C. Michaelis angegebenen verschiedenen Lesearten
genau der Romanze 54 Aßiera, afuera, Rodrigo, und zugleich auch
Vers 217 — 224 desselben Aktes den Schlulsversen der einzelnen
Strophen der Romanze 52 Despues del la^nento triste, die in der
Escobarschen Ausgabe vom Jahre 181 8 (INIadrid), wie C. Michaelis
angibtji zusammenhängend sich vorfinden.
Ziemlich genau finden sich auch Teile der Romanzen
72. Ya Diego Ordonez se parte und
76. Ya cabalga Diego Ordonez
wieder in II, 540 — 562.
Auch die Verse der Romanze 82:
Don Arias, envia otro hijo
Que este ya tiene recaudo
und
Don Arias, envia el tercero,
Que el segundo es despechado
sind in dieser Fassung im Drama zu finden (IIJ, 383 und III, 499).
Eine direkte Anlehnung des Dramas an das eben besprochene
1 L. c, pag. 88,
40
]uan de la Cuevas kann nicht bewiesen werden. Was sie in der
Handlung oder im Texte geraeinsam haben, geht auf die gleichen
Quellen zurück.
3. Lope de Vega: Las almenas de Toro.
Die Entstehungszeit des Dramas ist einfacher zu bestimmen
als bei anderen Stücken Lope de Vegas (1562 — 1635). In den
zwei Listen des El percgrino^ ist es nicht enthalten, daher mufs
es nach 1618 entstanden sein, aber im äufsersten Falle ein Jahr
nachher, da es bereits im 14. Teil seiner Komödien, wozu er i6ig
das Privileg erhielt, enthalten ist; gedruckt wurde dieser Band 1620.
In der von Menendez y Pelayo redigierten Gesamtausgabe der
Werke Lope de Vegas 2 steht es im 8. Bande. Eine Handschrift
des Stückes ist in der Bihliokca nacional zu Madrid, 3 sie ist aus
dem 17. Jahrhundert.
Der Dichter hat sein Drama Guillen de Castro zugeeignet,
vielleicht mit Rücksicht auf dessen beide Teile der Mocedadcs del
Cid, und um jeden Schein einer Rivalität zu vermeiden. In der
Dedikation bezieht er sich allerdings nur im allgemeinen auf die
dramatischen Leistungen des Dichters und erwähnt dessen Drama
Dido,
Es ist uns ferner bekannt, dafs Dona Elvira von einer be-
rühmten Schauspielerin la gallarda Jiisepa Vaca,* wie es im Stücke
heifst, gespielt wurde.
I. Akt. Don Sancho ist vor Toro, dessen Beherrscherin seine
Schwester Elvira ist, und will es einnehmen. Der Graf Angures
weist den König auf seinen Eid hin, den er seinem sterbenden
Vater geleistet. Auch der Cid rät von einer Belagerung ab. Der
König hört nicht darauf und beauftragt den Cid, Elvira aufzufordern,
ihm die Tore der Stadt zu öffnen. Dieser begegnet dem Diego,
der als Gesandter Urracas von Zamora bei Elvira war. Die beiden
Helden kennen sich jedoch nicht, reden sich scharf an, wobei
jeder seine Tapferkeit hervorhebt. Diego fürchtet nur einen, das
ist der Cid. Dieser gibt sich zu erkennen und nun freuen sich
beide des W^iedersehens. Der Cid kommt nun zu Elvira, sagt ihr,
wer er sei, warum er komme, nämlich als Gesandter ihres Bruders.
Sancho wolle sie in ein Kloster schicken, denn in Castilien sei
1 Obras sueltas de Lope de Vega, Madrid 1776 — 1779. 21 Bde. Band 5,
pag. XVIII ff.
"^ Obras de Lope de Vega publicadas por la Real Academia Espanola.
Noch nicht vollständig. Seit 1S90. Madrid. Für jedes Jahr ist ein Band be-
stimmt (8. Bd. 1898.).
^ Paz y Melia, 1. c, pag. 20.
* ßarrera sagt in seiner Nueva Biugrapliia de Lope de Vega (= Bd. I
der oben zitierten Ausgabe der Werke Lope de Vegas) 1890 von ihr (pag. 168):
Fue tan aplaudida por sus talentos y hahilidad en las tablas, como galan-
teada por su gracia y hermosura.
41
niemand, der ihrer würdig sei. Sie solle ihm die Tore der Stadt
öffnen und nicht mifstrauisch sein. Elvira läfst sich nicht überreden,
denn in ihre Angelegenheiten hätte sich Sancho nicht einzumischen.
In Tore sei sie ohnehin wie in einem Kloster und es sei nicht
Sitte die Tore des Klosters zu öffnen; sie verspreche ihm aber, in
diesem Kloster zu bleiben. Der Cid kann es sich jedoch nicht
versagen, Elvira noch seine eigene Meinung über die Absichten
des Königs zu verraten und sagt ihr, dafs er Sancho für übel-
beraten halte. Inzwischen kommt der König selbst mit dem Grafen
An<;ures. Von der schönen Lage Toros ist er entzückt, wendet
aber bald seinen Blick auf die Mauer zu Elvira, die er nicht kennt,
da er sie seit seiner Geburt noch nicht gesehen. Er fängt an sie
zu lieben ^ und will sie heiraten, wenn sie die Tochter eines Fürsten
oder Grafen sei, wenn sie aber eines Bauern Tochter wäre, raüfste
sie seine Geliebte werden. Die aus diesem Verhältnis hervor-
gehenden Söhne bestimmt er bereits als Herren von Carrion und
Palencia und als Bischöfe von Burgos und Corapostela, die Mädchen
würde er verheiraten. Der Cid zerstört ihm nun diesen Traum,
indem er ihm Mitteilung macht, dafs die Dame seine Schwester
sei. Jetzt verwandelt sich seine Liebe in Hafs. Er findet sie häfs-
lich und nun soll sie einen ihr nicht ebenbürtigen I\Iann heiraten
müssen. Er ruft seine Bogenschützen, die sie herunterschiefsen
würden, wenn nicht der Cid energisch für Elvira eingetreten wäre
und jeden mit dem Tode bedroht hätte, der es wagen würde, der
Infantin ein Leid zuzufügen. Der König, der seinen Plan nicht
aufgeben will, Toro sein eigen zu nennen, will es nun durch List
einnehmen. Hiezu ruft er Bellido Dolfos, der ihm dazu seinen
Rat geben soll. Man will Elvira bestimmen, mit vier Soldaten beim
Anbruche der Nacht zum König zu kommen, um mit ihm zu
verhandeln. Einige Soldaten könnten sich verborgen halten und
Elvira dann gefangen nehmen. Anyures soll den Auftrag ausführen.
Elvira aber durchschaut den Plan und geht nicht darauf ein, da
sie auf der Mauer sicherer sei. Der König ist darüber sehr erzürnt
und will Leitern anlegen lassen. Elvira ruft ihre Soldaten mit
Nufio Veläzquez an der Spitze, welche die Stadt tapfer verteidigen.
Sancho verspricht dem, der seine Fahne auf den Zinnen von Toro
aufpflanze, die Stadt und die Hand Elviras. Der Kampf entscheidet
sich jedoch zu Ungunsten Sanchos. Er mufs mit seinen Soldaten
schmählich abziehen.
In diese Handlung ist noch eine zweite verflochten. Wir lernen
ein liebliches Landleben kennen. Der alte Ritter D. Vela hat sich
aufs Land zurückgezogen. Seine Bauern kommen gerade von der
Feldarbeit zurück; man unterhält sich über das Ergebnis der Ernte.
Da tritt D. Enrique verwundet auf. Alle sind erschrocken. Der
Ankömmling erzählt, er sei von zwei Rittern verräterischerweise
1 Dasselbe Moliv, wo der Bruder seine Schwester liebt, beliandclt Lopa
auch in El vaguero de Morana und in La Carbonera,
42
angegriffen worden. Er bittet um Aufnahme, die ihm gerne ge-
M'ährt wird.
II. Akt. Bellido ersinnt eine neue List. Er verspricht dem
König Toro zu verschaffen um den Preis Elviras. Sancho verspricht
sie ihm. Nun nähert er sich mit looo Soldaten der Stadt und
gibt sich als Diego Ordonez aus, der von Zamora zur Unterstützung
Toros gesandt sei. Elvira ist darüber sehr erfreut und will den
vermeintlichen Zamoranern noch während der Nacht die Tore
öffnen, damit Sancho sie nicht entdecken könnte. Der König hat
sich jedoch mit seinen Soldaten in der Nähe versteckt gehalten
und kaum sind die Tore geöffnet, dringt er selbst schon in die
Stadt ein. Elvira wird im Dunkel der Nacht in Sicherheit gebracht.
Sie flieht und kommt zu D. Vela, bei dem sich auch D. Enrique
aufhält. Sie gibt sich für die Tochter eines Landmanns aus und
sagt, dafs sie vor den Soldaten des Königs Sancho geflohen sei.
Enrique hat aber Elvira erkannt und liebt sie. Er läfst ihr wissen,
dafs sie mit ihm in standesgemäfser Ehe leben könne.
Im Lager des Königs ist Bellido auf Sancho erzürnt, da der
König ihm Elvira nicht gibt, sondern sie, wie Bellido glaubt, verborgen
halte. Der König versichert ihm zwar, dafs seine Schwester nicht
in Toro sei, sagt ihm aber zugleich, dafs er Elvira nie zur Frau
bekommen könne. Betrug werde wieder mit Betrug bezahlt. Bellido
droht, dafs er jetzt in den Dienst Urracas nach Zamora gehe und
führt diese Drohung auch aus. Der König läfst Elvira suchen.
III. .\kt. Sancho will nach Zamora ziehen und kommt auf
dem Wege zu dem Verstecke Elviras. Diese erkennt jedoch ihren
Bruder und läfst sich nicht sehen, was von der Tochter des Land-
manns damit motiviert wird, dafs sie eine Dienerin sei. Enrique
erzählt Elvira seine Geschichte, er sei aus Burgund, sein Vater ein
Herzog und verwandt mit der Krone Frankreichs. P> sei ihr also
ebenbürtig. Sie lehnt aber ab mit der Begründung, sie sei nur
eine arme Frau. Der Landmann sendet Enrique nach Zamora zu
Rodrigo de Lara, den er seiner Tochter als Gatten bestimmt hat. Als
Enrique wieder zurückkommt, erzählt er die Ermordung D. Sanchos.
i\Ian habe ihn von Zamora aus vor Bellido Dolfos gewarnt, der
König hätte darauf nichts gegeben und so sei er dem Verräter
zum Opfer gefallen. Desgleichen berichtet er von der daran an-
schliefsenden Herausforderung D. Diegos und dem Kampfe desselben
mit den Söhnen des Arias Gonzalo. Elvira ist über den Tod ihres
Bruders betrübt. Sie beschliefst mit Enrique zu fliehen und nach
Toro zu reiten. D. Vela, der Elvira, und seine Tochter Sancha,
die Enrique liebt, reiten ihnen nach.
Der Schlufs des Aktes spielt einige Tage später. Alfonso ist
jetzt König und auch Herr von Toro, da man Elvira für tot hält.
Die Bevölkerung der Stadt erkennt ihn jedoch nicht als Herrn an,
da man fest glaubt, dafs Elvira sich nur verborgen halte. Elvira
und Enrique kommen und werden nur von dem Vasallen Nuiio
43
erkannt. Elvira bittet sie nicht zu verraten. Sie gibt sich jedoch
bald selbst zu erkennen, heiratet Enrique, den Herzog von Burgund,
und bleibt Herrin von Toro. Die Vasallen, wie auch D. Vela und
seine Bauern, kommen und huldigen ihr.
Nach Menendez y Pelayo ' ist die Comedia agradable, aiinque
no de las mejores de Lope. Schlegel ^ sagt von den historischen
Stücken Lopes, dafs in ihnen ..eine gewisse Rohheit der Darstellung
herrscht, die aber gar nicht ohne Charakter ist, und absichtlich für
die Gegenstände gewählt zu sein scheint." Schaeffer^ rechnet den
ersten Akt zu den „besten Produktionen- Lopes, .,während die
übrigen Akte stark dagegen abfallen". Schuck ^ bringt nur eine
kurze Notiz über den Inhalt des Dramas, während Bouterweck^ den
Inhalt ausführlicher erzählt.
Ich glaube, man wird dem Urteile Schaeffers unbedenklich zu-
stimmen müssen. Der erste Akt ist in jeder Hinsicht ein Meister-
stück. Die Handlung ist folgerichtig aufgebaut, erweckt das Interesse
das Lesers wie des Hörers in gleicher Weise. Keine überflüssige
Szene stört den Gang der Ereignisse. Im zweiten und dritten
Akte hebt sich die Handlung durch den often Szenenwechsel nicht
mehr so klar ab, manche Szenen hätten hier unbedenklich ge-
strichen werden dürfen. Die Liebe des Bauern D. Vela und seiner
Tochter Sancha zu Elvira resp. Enrique und die daraus entstehenden
Eifersuchtsszenen und Verwicklungen stehen eigentlich mit der
Haupthandlung in gar keinem Zusammenhang. Einen gewissen
Reiz verleihen dem Drama die eingestreuten lyrischen Partien, in
denen besonders die Anmut des Landlebens geschildert wird.
Vom Charakter des Cid sagt Menendez y Pelayo :6 hay algunos
toques felices, si bien el aiitor le presenia, por lo comi'in, demasiado
sumiso y coriesano, contradiciendo abiertamente ä la tradicion y ä la
hisioria.
Menendez y Pelayo bezieht sich auf folgende Worte des Cid
zu König Sancho:
Soy vasallo, como veis;
Vuestro padre me criö,
Y vos rae favoreceis;
A vuestro si ö vuestro no,
Obediente me teneis.
En las cosas de los reyes
Nunca yo pongo la mano,
Ni en sus fuerzas ni en sus leyes,
' Einleitung pag. XXVI zum Band 8 der Obras de L. de V. (Madrid 1S9S).
^ Über dramatische Kunst und Literatur. Vorlesungen II. Teil. 2. Ab-
teilung, pag. 351. (Heidelberg iSll).
2 L. c, I, pag. 81.
* L. c., II, pag. 265.
*• G£schichte der spanischen Poesie und Beredsamkeit. GöUingen 1S04.
pag. 371 ff.
« L. c,
44
Mas que si fuera un villano
Entre el arado y los bueyes . . .
Auch weiter unten gibt der Cid in einem Monolog demselben
Gedanken Ausdruck:
Obedecer al mayor
Y no replicar al rey,
No solo fu6 justa ley,
Pero es lealtad y es amor.
Bien claramente le hable;
Havto un rey sufriö ä un criado;
Con sufrirme me ha obligado;
Lo que me ha mandado, hard . . .
Aber nicht immer ist er so demasiado siimiso, er hat auch den
Mut der Meinung des Königs seine eigene gegenüber zu stellen.
Er weist dem König aus der Bibel nach, wie oft der Fluch des
Vaters sich erfüllt habe, und fügt dann hinzu:
Pues si hay ejemplos tan llanos
Del castigo y del rigor
Contra los que son tiranos,
(-•Por que quieres tu, senor,
Desheredar tus hermanos?
Dafs der König diese Frage auch als Kühnheit auflafst, zeigt
dessen Antwort:
Paso, Cid, que yo no os di
Tanta licencia.
Als aber Bellido Dolfos den Cid beim König verdächtigt, nimmt
dieser ihn energisch in Schutz und sagt sogar:
j. . . es mi igual, si no mejor!
Weniger gut dürfte sich jedoch im Munde des Cid folgender
Vergleich ausnehmen. Als nämlich D. Sancho seine Schwester
vergeblich zu bestimmen sucht, ihm Toro zu übergeben, fragt der
König den Cid, was er von seiner Unterredung mit Elvira denke.
Der Cid erwidert darauf:
Que al reves se ve la historia
De Ulises el gricgo.
Und als Sancho die Anspielung nicht versteht, wird er deutlicher:
Porque tu cantas enganos,
Navegante temeroso,
Y siendo Elvira sircna,
Tiene los oidos sordos.
45
Wir glauben, dafs dieser Vergleich eher in den Mund eines
Humanisten des 1 6. Jahrhunderts als in den des Cid des ii. Jahr-
hunderts pafst.
Elvira zeigt sich uns als entschlossene, kluge Frau. Dafs sie
trotzdem von Bellido Dolfos überlistet wird, ist nicht ihre Schuld.
Diego hat ihr versprochen Hilfe aus Zamora zu senden, wie kann
sie da vermuten, dafs nicht Diego, sondern der Verräter ano-erückt
kommt.-' Sie bleibt ihrer Rolle stets treu und wird uns nur noch
sympathischer dadurch, dafs sie den Tod ihres Bruders Sancho,
der ihr so viel Unheil angetan, aufrichtig beklagt.
Bei Bellido Dolfos bringt uns das Drama ein neues Moment,
nämlich den Grund, warum er den König Sancho vor Zamora er-
mordet. Auch Lope de Vega hat Bellido von Anfang an als Verräter
und Verleumder gezeichnet. Durch seinen Verrat nimmt Sancho
Toro ein. Er verlangt dafür die Hand Elviras. Da er diese nicht
erhält, geht er in die Dienste Urracas und ermordet den König.
Die Tatsache, dafs Bellido Dolfos Urraca (nicht Elvira) liebt,
findet sich nicht in den Romanzen. Zum erstenmale begegnet sie
uns unter sehr eigentümlichen Umständen, nämlich in den Zusätzen,
die ein Unbekannter aus der Zeit Heinrichs IV. zum Sumario dd
Despensero de la reina Z?«. Leotior machte.i Die bei Menendez y
Pelayo zitierte Stelle lautet: ..Bellido Dolfos le dixo (d Z>° Urraca)
qiie ä le prometia descercar ä Zamora si k promeiia dar mir con <?/".
Urraca verspricht es ihm, denkt aber schon daran ihn zu über-,
listen. Bellido tötet den König und verlangt dann seinen Lohn.
.,Y doila Urraca fizo aiar de pies e de manos al dicho Bellido
Dolfos, c mandöle meter en un costal, c liäronle hien: e por teuer
la promesa, mandöle echar en la cama donde ella dormia, e doila Ur-
raca se acosto vestida en aqiiella viisma cama: c como fiie amafiecido
olro dia, mandö traer quairo poiros bravos, e ?nandö atar los pies e
las manos de Bellido d los potros, e sacäronle al campo, por ial manera,
que cada potro llevö su pedazo del, c asi muriö como Iraidor." {Folios 24
y 25 de la ediciön de Llaguno).
Man sieht aber, dafs es sich um die Befreiung von Zamora
handelt und nicht, wie bei Lope de Vega, um die Einnahme von
Toro; dafs ferner Bellido Dolfos die Hand Urracas verlange, wenn
er den König getötet und nicht, wie bei Lope de Vega, er Elvira
zur Gemahlin bekäme, wenn er Sancho Toro verschaffe. Vielleicht
bezieht sich aber auf diesen Verrat des Bellido Dolfos der oft
wiederkehrende Vers:
Cuatro traiciones ha heclio.^
Herausgegeben von Llaguno. Ich habe das Buch nicht selbst gesehen,
mufs mich also auf Menendez y Pelayo's Angaben (I. c. pag. XXV) verlassen
der weder Ort noch Datum der Ausgabe zitiert. '
'^ Nur in Rom. 92 [De la cohdicia que es mala) werden die früheren
traiciones des Bellido Dolfos erwähnt, jedoch nur eine derselben näher be-
zeichnet;
Que aqueste matö al buen conde
Que (Jon Nuno era llamado.
46
Diese Abweichungen von dem überlieferten Texte, sowie die Liebe
Ehiras zu Enrique und die ländlichen Szenen werden von Lope
wohl selbst erfunden sein.
Der Titel der Comedia, sowie die Haupthandluiig (i. Akt)
stammen aus einer alten Romanze, die zum Teil ins Drama auf-
genommen wurde. Menendez y Pelayo^ glaubt nun, dafs der Text
bei Lope de Vega nicht der der uns überlieferten Romanze ist,
vielmehr scheinen ihm die Verse Lopes mas tradicionales que los del
romance, wenn er auch zugibt, dafs Lope war rnuy capaz de lograr
por si mismo tal gmero de bellezas. Lope versichert uns, dafs die
Romanze zu seiner Zeit zum Einschläfern der Kinder benützt wurde,
ob nun in der Form, in der er sie uns gibt, oder in jener der
Romanze, können wir natürlich nicht entscheiden. Die betreffende
Stelle lautet (Bellido rät dem König, er solle Elvira heiraten, darauf
antwortet der König):
D. Sancho: Que Elvira no ha de quererme
Para su marido ä mi.
Bellico: Ya se canta por ahi,
Y hasta en la cama se duerme
El nino con las canciones
Que se han hecho a las almenas
De Toro, y aun estan llenas
De tu historia mil naciones etc.
Um einen Vergleich zu erleichtern, wollen wir hier die Romanze
(104) wiedergeben und dann den Text bei Lope, den Menendez
y Pelayo für einen anderen Romanzentext hält:
Romance 104: En las almenas de Toro
Alli estaba una doncella,
Vestida de panos negros,
Reluciente como estrella:
Pasara el Rey den Alonso,
Namorado se habia de ella,
Dice: „Si es hija de Rey
Que se casaria con ella,
Y si es hija de duque
Serviria por manceba."
Alli hablara el buen Cid,
Estas palabras dijera.
„Vuestra hermana es, senor,
Vuestra hermana es aquella."
Si mi hermana es, dijo el Rey,
Fuego malo encienda en ella!
LIamenme rais ballesteros,
Tirenle sendas saetas,
' L. c, pag. XXIII.
47
Y d^ aquel que le enare
Que le corten la cabeza."
Alli hablara el buen Cid,
De esta suerte respondiera:
„Mas aquel que la tirare
Pasc por la misma pena".
„los de mis tiendas, Cid,
No quiero que esteis en ellas."
„Pläceme, respondiö el Cid,
Que son viejas y no nuevas;
Irme he yo para las mias,
Que son de brocado y seda,
Que no las gane holgando,
Ni bebiendo en la taberna;
Gan^las en las batallas
Con mi lanza y mi bandera".
Soweit der Text der Romanze. Bei Lope de Vega sehen
wir nun eine viel ausführlichere Behandlung:
Rey D. Sancho:
Por las almenas de Toro — se pasea una doncella,
Pero dijera mejor — que el mismo sol se pasea
An^ur.
Bianca es y colorada, — que es de los amores reina
Rey D. Sancho.
Si es hija de duque ö conde, — yo me casare con ella
De buen gana, vasallos, — y harela en Castilla reina.
Corroza le har6 de plata, — y de blanco raarfil las ruedas,
Eslribos y asientes de oro, — y las cubiertas de tela.
Los caballos que la lleven, — las crines ricas que peinan,
Cubrirän lazos de nacar, — y ellos besarän la tierra.
Harele el mds rico estrado — que moro ö cristiano tenga
Donde no se echen de ver — con los diamantes las telas.
Hare que Elvira y Urraca, — juntas de rodillas vengan
A servilla, y que el cojin — la lleve Alfonso d la iglesia.
Mas si por dicha, si ya, — que esto puede ser que sea,
Es hija de labrador, — tendrela por mi manceba.
Har6 que por celosias — mire las püblicas fiestas,
Juegos de caiias y toros, — torneos, justas, libreas.
Iremos los dos d caza — por los montes y florestas;
Gavildn que lleve en mano, — de oro tendrd las pihuelas.
Si de ella tuviere hijos, — har6 que el nnayor posea,
' Menindez y Pelayo läfst ä fort und schreibt blofs y aquel etc.
48
Como juro de heredad, — ä Carrion y ä Palencia.
Los demäs no inin ([uejosos, — cjue yo casare las hembras,
Y har^ obispos los varones, — de Burgos y Compostela.
Cid.
Dejad, el buen ley den Sancho, — de hablar palabras como esas;
Oue es vuestra hermana, senor, — la que veis en las almenas . . .
Rey don Sancho :
Pues si ella, Cid, es mi hermana, — mal fuego se encienda en ella!
jNo tenga jamds Ventura, — pues no la tendrd per fea!
Case mal con hombre indigno, — cuyo nacimiento venga
Desde el primero villano — que puso arado en la tierra.
Na haya subido ä caballo, — calzado bota ni espuela,
Piiesto camisa de holanda, — vestido sayo de seda.
i Hola, ballesteros, hola ! — apercibid las ballestas ....
Poned al coral la mira — nadie goce su belleza !
j Tiralde, los mis monteros!
Cid:
Todo hidalgo se detenga,
Que al hombre que la tirare, — antes que ponga cuerda
Le volare de los hombros, — y de un reves, la cabeza ....
Zu bemerken ist noch, dafs die Romanze vom König Alonso
und nicht von Sancho spricht.
Es ist die soeben erwähnte Romanze die einzige, die von
Toro handelt. Die Stadt wird noch genannt in Romanze 5Ö
Enirado ha el Cid en Zamora, wo es heifst:
A Toro tomö ä mi hermana,
A mi hermana dona Elvira,
während bei der Testaraentsverteilung König Fernandos sie nicht
genannt wird (siehe Romanze 44, wo Sancho, Alonso und Garcia
erwähnt werden und Urraca klagt leer ausgegangen zu sein).
Von anderen Romanzen sind einige Verse aus den sehr be-
liebten Romanzen 64 und 65 aufgenommen in dieser Fassung:
Rey don Sancho, rey don Sancho,
Hijo de Fernando el bueno,
No digas que no te aviso
Si hubiere algün mal suceso;
Que del muro de Zamora
Donde cerco tienes puesto.
Ha salido un gran traidor,
Falso, engafioso y discreto;
Bellido Dolfos se llama,
Hijo de Bellido el viejo,
Que si traidor era el padre,
El hijo, Rey, no lo es meiios.
En Leon Avila, Toro,
49
Cuatro traiciones ha hecho;
Gudrdate, Rey, no sean cinco
Si no tomas mi consejo.
Vergleicht man dazu den oben angeführten Text der Romanzen,!
so sieht man, dafs bei Lope immer nach jedem Verse der Romanze
ein anderer Vers eingefügt ist. Hier sind auch die anderen
traiciones erwähnt und es wäre nicht unmögUch, dafs der bei Lope
vorliegende Text einer verlorenen Romanze angehören würde.
Auch zwei kurze Lieder fügt Lope ein, die nach Menendez y
Pelayo^ algiinas reininiscencias de cantarcillos popidaj-es sind.
Das eine wird von den heimkehrenden Landleuten gesungen
und lautet:
Por aqui dareis la vuelta,
El Caballero;
Por aqui dareis la vuelta
Si no me muero . . .
Das andere singen zwei Soldaten:
Velador qua el castillo velas,
Velale bien, y mira por ti,
Que velando en ei me perdi . . .
Aus den Worten eines Soldaten: „Alzad la primera" geht hervor,
dafs dies nur der Anfang des Liedes ist, leider ist der weitere
Text nicht mehr erhalten.
Das Drama ist das einzige, dessen Stoff der fruchtbare Dichter
dem Romancero del Cid entnommen hat. Nach ihm wurde, so
viel uns bekannt ist, die Belagerung von Toro nicht mehr
dramatisch dargestellt.
4. Juan de Matos Fragoso: ^ No estä en matar el vencer.
Das Drama ist nur in einer Ausgabe bekannt, in dem 30. Bande
der Coinedias ntievas, y escogidas de los mejores Ingeniös de Espana,
Madrid 1668, wo es das 11. der enthaltenen Stücke ist.
König Sancho ist entschlossen gegen Zamora zu ziehen, will
aber zuvor noch den Cid zu seiner Schwester senden. Der Cid über-
bringt Urraca den Vorschlag des Königs ihr für Zamora andere
Städte zu geben. Urraca geht darauf nicht ein. Durch die ab-
schlägige Antwort erbittert, verbannt Sancho den Cid. Aber kurz
darauf wieder zurückgerufen geht der Cid nun gleichfalls mit gegen
Zamora. Die Belagerung beginnt, Arias Gonzalo befehligt die Ver-
teidigung der Stadt. Bellido Dolfos kommt zum König und bittet
ihn um seinen Schutz gegen Arias und seine Söhne, wofür er ver-
spricht die Tore der Stadt zu öffnen. Obwohl von Zamora aus
1 Pag. 32 u. 33.
* a. a. O.
* 1610 oder 1614 bis 1692.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV.
50
gewarnt, vertraut sich Sancho Bellido an, wird aber von diesem
getötet. Der Mörder entkommt in die Stadt. Diego fordert die
Zamoraner heraus. Des Arias Sohn Pedro kämpft gegen ihn. Den
Verlauf des Zweikampfes erfahren wir aus den Worten des Cid,
die uns auch den unentschiedenen Ausgang mitteilen. Zamora
wird für frei erklärt.
Soweit die uns bereits aus den Romanzen und den bisher be-
sprochenen Dramen bekannten Vorgänge in Zamora. Dem Dichter
hat jedoch das nicht genügt, sondern er hat, nicht nur als Episoden
sondern als, fast möchte man sagen, eigenes Drama eine zweite
Handlung eingefügt, hinter der die oben angegebene vollständig
zurücktritt und nur dazu dient das Drama mit den Romanzen in
Verbindung zu bringen.
Diese Handlung ist nun folgende:
Don Diego liebt Beatriz, die Tochter des Arias Gonzalo. Er
hat mit ihr eine Zusammenkunft auf einer Insel im Duero verabredet
und führt sie von dort ins Lager des Königs Sancho. Der Diener
Don Diegos, Passamano, der gracioso des Dramas, liebt die Dienerin
der Beatriz, Costan^a. Im Lager angekommen, sieht König Sancho
Beatriz und liebt sie sogleich. Sie kennt den König nicht, verhehlt
ihm aber auch, wer sie ist und warum sie ins Lager gekommen,
Diego hält sich in der Nähe in einem Versteck auf und kann so
das ganze Gespräch des Königs mit Beatriz anhören. Da kommt
der Cid und durch ihn erfährt erstens der König, dafs die Dame
Beatriz die Tochter des Arias ist, zweitens diese, wer der Ritter
ist, der sie um ihre Liebe gebeten. Schlief slich kommt nun auch
Diego aus seinem Verstecke hervor und erklärt, dafs Beatriz seine
Braut ist. Der König will jedoch davon nichts wissen und weist
Beatriz darauf hin, dafs, im Falle sie Diego die Hand reiche, dessen
Leben gefährdet sei. Sie schwankt lange, verweigert ihm aber dann
ihre Hand um sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Diego ist
darüber gekränkt, hält sie für wankelmütig und verzichtet auf jede
weitere Nachricht von ihr. Schliefslich begegnen sie sich und
streiten sich in heftigster Weise, dann hält ihr Diego ihre Treulosig-
keit vor. Sie erklärt ihm indes, dafs sie nur aus Liebe zu ihm so
hätte handeln müssen um sein Leben zu retten. Plötzlich kommt
der König. Diego hat eben noch Zeit sich zu verstecken, trotzdem
bemerkt Sancho, dafs jemand sich vor ihm geflüchtet hat. Gleich
darauf tritt auch der Cid auf, und da er den König mit Beatriz
schon wieder allein trifft, will er nicht stören und verbirgt sich
gleichfalls an demselben Platze, den Diego sich erwählt hatte.
Beatriz hat unterdessen den König zu bestimmen gesucht nicht
nach Diego zu suchen, Sancho will jedoch unbedingt wissen, wer
es sei, der vor ihm geflohen. Er findet nun den Cid und zieht
ihn am Arme heraus. Die Szene wird dadurch unterbrochen, dafs
Bellido Dolfos zum König kommt.
Im dritten Akte ist Passamano als Frau verkleidet, während
Diego und Beatriz vor dem König flüchten. Diego verbirgt sicli
51
wieder, der König beginnt seine Galanterie von neuem, bis der
Cid kommt. Da Beatriz dessen Ankunft fürchtet, weil sie wieder mit
dem König allein ist, löscht sie die Lichter aus. Der Cid will
wissen, was in dieser Dunkelheit vorgehe. Diego kommt um Beatriz
zu suchen. Diese ahnt, dafs ihr Geliebter zu ihr kommt um sie
zu entführen und befiehlt Costan^a sich für sie beim König aus-
zugeben; sie will mit Diego fort. In der Dunkelheit hält sie jedoch
den Cid für Diego und geht mit diesem in seine Wohnung. Diego
glaubt in seinem Diener Passamano Beatriz gefunden zu haben,
während dieser Diego für den Cid hält. So entflieht auch Diego
mit seinem Diener. Es bleiben also nur der König und Costan9a
zurück, welche dieser für Beatriz hält. Die Dienerin will nun
wieder Licht machen und so erkennt der König seinen Irrtum. Er
wird nun von Bellido Dolfos an die Mauer geführt. Um den Zu-
schauern dieses unglaubliche Wirrwarr etwas zu klären, hält Costan^a
noch eine lange „Paraderede". Diego ist nun auf der Suche nach
Beatriz und findet sie nicht. Dazwischen fordert er die Zamoraner
heraus und tötet die Söhne des Arias, die Brüder seiner Geliebten.
Während man über den unentschiedenen Sieg verhandelt, kommt
Beatriz als Mann verkleidet, gibt sich für einen Zamoraner aus und
bereitet sich vor mit Diego zu kämpfen. Da aber der Dichter
Braut und Bräutigam nicht miteinander fechten lassen will, mufs er
irgend eine Lösung finden. Beatriz hat sich die Waffen des Cid
angeeignet; dieser will daher wissen, wer der Ritter sei. Ohne sich
lange bitten zu lassen, enthüllt sich Beatriz und erklärt ihr Verhalten
damit, dafs sie Diego nicht mehr zum Gemahl nehmen wolle, da
er ihre Brüder für Verräter erklärt habe. Der gute Diego hat nun
nichts Eiligeres zu tun als zu erklären, dafs Zamora frei von Schuld
an dem Königsmorde sei. Nun will Beatriz seine Gemahlin werden ;
der Cid und Arias geben bereitwilligst ihre Zustimmung, Passamano
heiratet natürlich Costan^a und die ganze „Heldentragödie" endet
so friedlich mit einer Doppelhochzeit.
Die Inhaltsangabe spricht schon für sich eine deutliche Sprache.
Es ist unglaublich, was der zu seiner Zeit ziemlich angesehene
Dichter alles erfindet um seine Zuhörer zu unterhalten und Spannung
zu erregen. Dabei ist jedoch die Darstellungsweise und die Sprache
des Stückes eine überaus schwülstige und gezierte und man atmet
förmlich auf, wenn man das ziemlich umfangreiche Stück durch-
gelesen hat. Seine Charakterdarstellung mufs sich ganz nach dem
richten, was dem Dichter gerade einfällt und so kommt es, dafs
man in ein und derselben Person scharfe Gegensätze beobachten
kann. Die einzelnen Charaktere darf ich wohl, soweit sie den
Romanzen entsprechen, voraussetzen. Wie pafst nun da z. B. zu
diesem Charakter des Cid, zu dessen Mut sogar dem König gegen-
über (den er auch in Matos Fragosos Stück an den Tag legt) diese
Furcht vor der Antwort, die er Urraca geben soll, als diese ihn
fragt, ob sie Zamora übergeben soll oder nicht:
El corazon me enterneze Ap.
52
und dann weiter unten:
jamas besudo ^ de azeio,
en fiera sangrienta lid,
estreraeciendo los campos
bruto Africano temi
como esta respuesta.
Aber dann nimmt er gleich wieder seine trotzige Miene an und
will, ganz entgegen den Romanzen, auch gegen Zamora kämpfen:
porque si de la Ciudad
la entrada me resistis,
tantas vidas a la muerte
mi espada ha de conducir
que solo el que hallare el Cielo
sc ha de hallar seguro alli.
Arias Gonzalo soll unter den ersten sein:
pues sereis de los primeros
que ha de esmaltar de rubi
mi espada ....
Beim König steht er auch seines Mutes wegen in hoher Gunst; wenn
dieser ihn auch auf kurze Zeit verbannt, so dauert das doch nicht
lange, er wird dafür reichlichst mit Worten entschädigt. Die erste
Szene des 3. Aktes kann eine direkte Verhimmelung des Cid ge-
nannt werden. Wir glauben mehreres davon zitieren zu dürfen,
weil gerade diese Szene für den ganzen Ton, der durch das Stück
geht, charakteristisch ist. Vor allem die Anspielung, die der König
auf den Namen Cid macht:
Cid: Senor. Rey: Cid en esto solo
vereis que somos iguales,
pues a vos os Hämo yo,
lo raismo que me Ilamasteis,
porque esta palabra Cid,
en lengua Africana vale
tanto como senor, luego
yä es Indicio de igualdades
si vos me Ilamais senor,
que yo a vos senor os llame.
Der Cid preist sich glücklich verbannt worden zu sein, da er solche
Genugtuung erfahre. Der König lobt dann seine Lehenstreue und
versichert ihn seiner steten Freundschaft:
1 Dieses Wort ist in dem mir vorliegenden Drucke der Pariser Nätional-
bibliothek nicht zu lesen , es steht dort bef . , . do, aus dem Zusammenhang
glaube ich besudo erschliefsen zu dürfen.
53
Ya he experimentado en vos
la lealtad de las lealtades,
yo severe, vos quexoso,
yo importuno, y vos constante
nos despedimos ayer,
para que fuessen senales
despediros de pediros
palabra famoso Marte,
de que aveis de ser mi amigo,
hasta que en urna de jaspe
sea este animado cuerpo
inanimado cadaver.
Er geht noch weiter und bezeichnet ihn sogar als Majestät und
als seinen Vater:
Con unos mismos linages
de respeto han de tratar
Cid nuestras dos Magestades;
siempre que es nombren senor
har6 que todos os Hamen,
partire tambien con vos
quantos Reynos sujetare,
esto a vuestra sangre devo,
deved, pues, esto a mi sangre,
mi padre os tuvo por hijo,
yo os he de tener por padre.
Die Antwort des Cid darauf zeigt von der Geschraubtheit der
Sprache des Stückes:
Donde vas fortuna mia,
el exe no desencaxes,
que si mueves mas la rueda
podra torcerse, 6 quebrarse.
Einen augenscheinlichen Kontrast bildet auch der Bellido
Dolfos des I. Aktes und der der folgenden Akte.
Im Gegensatze zu den Romanzen ist Bellido Dolfos ein an-
gesehener Vasall der Infantin; sie bezeichnet ihn als:
Noble Bellido Dolfos, mi cuidado
vive de vuestro afecto pagado
que fuera en no mostrarme agradecida
dexar vuestra fineza deslucida.
Er bekommt dann auch seinen Platz angewiesen bei der Ver-
teidigung der Stadt und füllt ihn voll und ganz aus. Beim dritten
Akte scheint der Verfasser an obige Stelle nicht mehr gedacht zu
haben, oder er wollte die allbekannte Romanze 64 [Rcy don Sancho,
rey don Sancho) in seinem Stücke unterbringen; und so schreibt er:
54
que si traidor era el padre
mucho mayor lo es el hijo
und:
quatro traiciones ha hecho.
Dafs Bellido von der Infantin wohl kaum als noble bezeichnet
würde, wenn er viermal einen Verrat begangen und aus einer
Verräterfamilie gestammt hätte, dürfte klar sein.
Es nimmt uns nicht wunder, dafs Matos Fragoso auch das
komische Element eingeführt hat und zwar in der Form, in der
wir es sonst im spanischen Theater dieser Zeit finden, nämlich als
den verliebten Diener. Nur erlaubt er sich manchmal Späfse, die
als direkte Blasphemien bezeichnet werden können.
Auch sind Anspielungen auf die Bibel häufig. Abgesehen
von den nur zu Zwecken der Belustigung gebrauchten, findet ein
an die Bibel sich anlehnender Vergleich sich in einer in ihrer Art
tragischen Situation. Sie ist für das Stück zu bezeichnend, als dafs
wir sie unerwähnt lassen könnten. Als Sancho vor Zamora ist und
dort seine Schwester sieht, vergleicht er sie mit dem Cherubim,
der das Paradies bewache:
. . . . me acordare
que luego que al primero hombre,
echö de Dios el poder
del Paraiso, le puso
un Querubin, que cruel,
si bolver a entrar quisiesse,
no le dexasse bolver;
y si tu assi la Ciudad
me defiendes, pensare
que es Zamora el Parayso,
y le vendre a aparecer,
viendo que un Quierub la guaida,
y que de su luz a ley,
viendo que en el me perdi,
no me dexa a entrar en el.
Der Zusammenhang mit den Romanzen ist, wie aus der Inhalts-
angabe hervorgeht, ein ziemlich loser und beschränkt sich nur auf
die wenigen oben erwähnten Szenen. Die Romanzen 64 und 65
sind teilweise wörtlich wiedergegeben:
Rey D. Sancho, Rey D. Sancho
no digas que no te aviso,
que de dentro de Zamora,
un traidor avia salido.
Su nombre es Bellido Dolfos,
hijo de Dolfos Bellido,
55
que si traidor era el padrc,
mucho mayor lo es el hijo.
Quatro traiciones te ha hecho
mira no lleguen a cinco,
porque si a las cinco llegan,
buen Rey no quedaräs vivo.
Ziemlich frei sind die Romanzen:
72. Va Diego Ordonez se parte
73. Con el rostro entristecido
74. Despues que Vellido Dolfos
75- Ya se sah Diego Ordonez
76. Ya cahalga Diego Ordonez
77. S diese Diego Ordonez
aufgenommen.
]Man sieht, dafs Matos Fragoso zwar die Personen der Romanzen
in sein Drama aufnahm und sich manchmal ziemlich genau an den
Text hielt, dafs er aber im übrigen ihren Charakter ganz nach
dem Geiste seiner Zeit umgestaltet hat.
Ob nun der Dichter die Liebe des Diego zu Beatriz selbst
erfunden oder von einem anderen Dichter übernommen hat, läfst
sich bei dem Untergange so vieler spanischer Dramen nicht ent-
scheiden. Es ist kein Drama bekannt, das vor Matos dieses Ver-
hältnis auf die Bühne gebracht hätte.
Der Titel des Dramas erklärt sich aus der Szene, in der Diego
dem Arias vorhält, dafs doch er gesiegt habe, weil er seinen Gegner
getötet. Arias gibt ihm dann zur Antwort:
No estä en matar el vencer.
Damit jedoch auch der nötige Humor nicht fehlt, und damit
auch am .Schlüsse der Titel in der üblichen Weise wiederholt wird,
sagt Passamano zu Costan^a, als er sie um ihre Pland bittet:
Pues casate tu conmigo,
ö matarete Cosfan^a.
Co. No estä en matar el vencer.
gibt sie ihm zur Antwort.
Wir glauben darauf hinweisen zu müssen, dafs Matos Fragoso
viele andere Dramen gedichtet hat, die mehr Anspruch auf künstle-
rischen Wert erheben können, und dafs wir vermuten, dafs das
vorliegende wohl einer seiner ersten dramatischen Versuche sein
wird, wenn sich auch aus dem nur in einer einzigen Ausgabe vor-
handenen Drama nichts Bestimmtes darüber feststellen läfst.
Wie sehr unser Stück von den übrigen Leistungen des Dichters
sich unterscheidet, zeigt, was Schack' über den Dichter sagt: „Seine
Stücke sind reich an allen den Vorzügen, die man als die mehr
äufserlichen der spanischen Komödien bezeichnen kann; sie haben
einen wohlberechneten Bau, komplizierte und doch klare Ver-
wicklungen, viel Leben und Bewegung, Kraft und Würde, und
glänzen durch eine ebenso reiche und elegante als edle Sprache,
die sich fast durchgängig von Schwulst und Ziererei freihält."
Von diesen Eigenschaften finden wir in unserem Drama nicht
eine einzige; besonders was den „Schwulst und die Ziererei" an-
langt, so ist gerade damit unser Drama derart vollgepfropft, dafs
es wahrlich keine angenehme Aufgabe ist, sich durch diese ge-
schraubte Redeweise hindurchzulesen.
Man kann sich daher eher dazu verstehen anzunehmen, was
Schaeffer^ von des Dichters Werken sagt: „Wie diejenigen Moretos,
sind auch seine Stücke sehr ungleich an Wert, was bei beiden, wie
bei vielen altspanischen Dramatikern, nicht allein auf die Gunst
oder Ungunst des Augenblicks, sondern auch auf die oft fabrik-
mäfsige Produktion zurückzuführen ist."
5. Juan Bautista Diamante: El Cerco de Zamora.
Diamantes zweites Ciddrama steht in der Sammlung seiner
Komödien, Madrid 1674. Aufserdem ist mir noch ein Druck aus
dem Jahre 1766 (Valencia) bekannt.
I. Akt. Die Tochter des Arias Gonyalo, des Verteidigers von
Zamora, Leonor, ist mit Diego Ordoiiez verlobt. Sie hat ihn Je-
doch schon vier Monate nicht mehr gesehen und auch nichts von
ihm gehört. In der Nacht nun, in der das Stück beginnt, meldet
die Dienerin Beatriz, dafs ein Ritter vom Heere Sanchos angekommen
sei. Es ist Diego. Er erzählt ihr die Feldzüge König Sanchos
gegen seine Geschwister Alfonso und Elvira, die seine Abwesenheit
erklärlich machen. Jetzt stünde aber alles auf dem Spiele, da
Sancho auch gegen Zamora ziehen wolle, im Falle Urraca ihm nicht
die Stadt übergebe. Er, Diego, sei als Abgesandter nach Zamora
geschickt worden. Leonor hoßt noch auf eine gütliche Beilegung
des Zwistes. Im gegenteiligen Falle wolle sie mit Diego fliehen.
Arias und seine Söhne haben die Verteidigung schon vorbereitet.
Die Infantin erwartet den Gesandten Sanchos. Diego bringt nun
das Angebot des Königs, ihr jede beliebige Stadt für Zamora zu
überlassen und sieht in ihrem Widerstand nur eine Folge der Be-
einflussung durch Arias Gonzalo. Arias beruft sich auf sein Ver-
sprechen, das er König Fernando gegeben sich Urracas an-
zunehmen. Die Infantin verurteilt Sanchos Vorgehen gegen seine
Geschwister und fürchtet seine Drohungfen nicht.
1 L. c, III, 359
2 L. c, II, 196.
57
Sancho wartet inzwischen ungeduldig auf Diegos Ankunft. Der
Cid rät von der Belagerung ab ina Hinweis auf die geschützte
Lage Zamoras und auf die Tapferkeit des Arias und seiner Söhne.
Diego kommt mit der Antwort Urracas. Der König ist darüber
erzürnt und erklärt Arias als Verräter, Diego tritt ihm energisch
entgegen. Man meldet die Ankunft Bellidos, der vor Arias fliehen
raufste und Sancho seine Dienste anbietet. Der König nimmt ihn
mit Freuden auf ohne auf die Warnungen des Cid und des Arias
zu hören.
II. Akt. Bellido hat seine verräterische Tat bereits ausgeführt.
Er flieht vor dem Cid, der nichts Gutes ahnt, in die Stadt. Der
verwundete König stirbt in den Armen Diegos nicht ohne vorher
seinen Ungehorsam gegen seinen Vater bereut zu haben. Der Cid
findet den König bereits tot und fordert die Ritter zur Rache auf, mufs
jedoch von der Beteiligung seiner eigenen Person infolge des Eides
absehen. Alles schweigt. Da ergreift Diego das Wort und bietet
sich an Zamora herauszufordern. Es wird ihm aber klar, dafs er
Leonorens Hand damit verspiele. Ein Bote bringt ihm die Meldung,
dafs Leonor ihn diese Nacht erwaite. In der Stadt herrscht grofse
Entrüstung über die Beschuldigung an der Ermordung des Königs
beteiligt gewesen zu sein. Man sucht nach dem Mörder. Arias
gab auch Befehl, dafs die Kastilianer nach Zamora kommen dürften
um von der Trauer über Sanchos Tod Augenzeugen zu sein. So
kann Diego ungehindert zu Leonor kommen, die von Diegos Plan
noch nicht unterrichtet ist. Sie wünschte ihn zu sehen, damit ein
eventueller Zweikampf verhütet werde. Diego der vor Aufregung
anfangs nicht sprechen kann, erzählt nach und nach, dafs er den
Rittern seines Heeres angeboten habe den Tod König Sanchos zu
rächen. Leonor hält es für Diegos Pflicht sein Versprechen zu
halten, macht ihm aber zugleich seiner Undankbarkeit wegen bittere
Vorwürfe. Die Liebenden nehmen für immer Abschied. Die ganze
Szene spielt im Dunklen. Arias und sein Sohn Pedro kehren nach
Hause zurück, Leonor entkommt noch rechtzeitig, während Diego
die Türe nicht finden kann. Da die beiden Ankömmlinge ein Ge-
räusch gehört hatten, suchen sie mit gezogenen Schwertern nach
dessen Ursache und lassen zugleich Licht bringen. Mittlerweile-
findet Diego doch noch den Ausgang und kann so unentdeckt
entkommen. Bald darauf erscheint er vor Zamora und fordert die
Bewohner der Stadt zum Zweikampfe heraus, den er mit fünf
Gegnern zu bestehen hat. Arias und seine vier Söhne werden
den Kampf wagen.
in. Akt. Der Kampf ist bereits soweit fortgeschritten, dafs
drei Söhne des Arias getötet sind. Nun soll Pedro an die Reihe
kommen. Er wird schwer verwundet, Diego fällt indes ebenfalls
vom Pferde und tritt aus der Schranke. Er schiebt die Schuld auf
sein Rofs, der Cid erklärt jedoch Diego für besiegt und Zamora
für schuldlos. Aufserdem ruft er Alfonso zum König aus, wenn er
58
schwöre am Morde seines Bruders unbeteiligt gewesen zu sein.
Der Cid selbst will den Eid abnehmen. Diego hat nun Leonor
nicht vergessen können und um sie zu sehen will er den kranken
Pedro Arias besuchen. Er trifft Leonor, die nicht mit ihm zu
sprechen wünscht, sondern ganz kurz Beatriz den Befehl erteilt ihn
zu Pedro zu führen. Er bittet Leonor immer wieder ihn doch an-
zuhören. Sie fordert ihn mehrmals auf sie zu verlassen, hört aber
schliefslich doch die lange ..Paraderede" an, in der er ausführt, dafs
nicht er an dem Tode ihrer Brüder schuld sei sondern das Geschick.
Leonor, die ihn heimlich noch liebt, gibt zu, dafs er seine Pflicht
getan; um aber das Gespräch abzubrechen, erklärt sie, dafs sie nur
dem die Hand zum Lebensbunde reichen werde, den der Vater
für sie bestimme. Diego setzt nun seine letzte Hoffnung auf eine
Aussprache mit Pedro Arias.
Inzwischen ist König Alfonso von Toledo zurückgekehrt und
wird vom Cid aufgefordert den Eid zu leisten. Der König ist
darüber aufgebracht, will aber nicht widersprechen und schwört.
Alle Ritter mit Ausnahme des Cid werden zum Handkusse zu-
gelassen. Zum Schlüsse kommen Diego und Pedro, welche die
besten Freunde geworden sind. Für ihre ruhmvollen Taten will
der König ihnen eine Gnade gewähren. Pedro bittet den König
seine Schwester mit Diego zu vereinen. Arias willigt aus Gehorsam
gegen den König ein und so endet alles gut.
Ticknori sagt von dem Drama, dafs es „den nämlichen Stoff
behandle, wie der zweite Teil von Guillen de Castros Cid, aber
viel weniger dichterisch." Nach Schaeffer^ ist „die Sprache des
Stückes im ganzen würdig, aber aller echten Poesie bar".
An dichterischem Werte glaube ich das Drama zwischen GuiI16n
de Castros zweiten Teil und jNIatos Fragosos: A^o estä en inatar el
vencer stellen zu müssen, wie sich auch der Inhalt teils an das
eine, teils an das andere Stück anschliefst. Es kann sich nicht
vergleichen mit den lebendigen, echt dramatischen Szenen Guillen
de Castros, man darf es aber auch nicht mit den schwulstigen
Versen und der teilweise direkt unsinnigen Handlung des Matos
Fragoso auf eine Stufe stellen. Diamante war wohl bestrebt, die
einzelnen Handlungen zu motivieren, geglückt ist es ihm allerdings
nicht immer. Er bedient sich dabei der in allen spanischen Stücken
so häufigen Ankündigung dritter Personen, der Dunkelheitsszenen
oder des Versteckspielens. Auch hat er versucht einen Konflikt
herzustellen zwischen Liebe und Ehre, einen ähnlichen wie zwischen
Rodrigo und Jimene in den uns bekannten Stücken. Die Lösung
des Konfiikts ist allerdings eine sehr eigentümliche, indem nämlich
der Bruder der Leonor den König bittet, Diego die Hand seiner
Schwester zu geben. Das Merkwürdige ist nur, dafs Pedro Arias
und Dieffo in so kurzer Zeit aus Feinden Freunde werden. Man
1 L. c, II, pag. 69.
^ L. c, II, pag. 220.
59
könnte ja annehmen, dafs Diamante den Bericht der Romanzen
von der Versöhnung Arias' und Diegos auf den Sohn des Arias,
auf Pedro übertragen hat, aber auch dann ist es unwahrscheinlich,
dafs der Bruder denjenigen als Schwager wünscht, der seine Brüder
getötet hat.
Auf die Charakterisierung seiner Helden hat der Dichter nicht
viel Mühe verwandt. Als Hauptpersonen des Stückes kann man
Diego und Leonor bezeichnen. Diego hat im Momente seiner
Herausforderung seine Liebe zu Leonor vergessen, erst dann kommt
ihm wieder zum Bewufstsein, dafs er Leonor liebt und dafs dieses
Verhältnis zu Leonor nun ein Ende haben müsse:
. . . . pues he cumplido
con lo que toca al honor,
ä la lealtad, y al carino
de mi Rey, dexa que cumpla
tambien con el amor mio .
Nachdem er drei Söhne des Arias getötet, kommt er (wie Rodrigo
bei Guillen de Castro) zu seiner Geliebten; die Motivierung ist sehr
schwach: er will einen Krankenbesuch bei dem von ihm verwundeten
Pedro machen. Dann kommen diese philosophischen Auseinander-
setzungen, dafs es die Schuld des Geschickes sei, dafs Diego
Leonorens Brüder getötet: -
no puede ser culpa mia,
culpa es de mi suerte avara,
ö violencia del destino ;
Auch Leonor ist keine Heldin für ein Drama. Der Kampf zwischen
Geschwisterliebe und der Zuneigung zu Diego kommt nur schwach
zum Ausdruck und als sie sich nicht mehr zu helfen weifs, sagt
sie ganz einfach:
Que a mugeres como yo
son sus padres quien las casa.
Wie bei Matos Fragoso, so tritt auch in diesem Drama der
Cid wenig hervor, obwohl er sozusagen der Leiter des Ganzen ist.
Er beruft nach dem Tode König Sanchos die Versammlung ein,
spricht Diego seine Anerkennung aus wegen seines Mutes, leitet
den Zweikampf und verkündet schliefslich das Urteil. Aufser-
dem bestimmt er, dafs Alfonso zu schwören habe an dem Morde
seines Bruders unbeteiligt gewesen zu sein.
Wie bei allen Stücken dieser Zeitperiode darf das komische
Element nicht fehlen; es ist hier der Diener Diegos: Lain. Seine
Witze stören die Handlung nicht in dem Mafse, wie Nufio in des
Dichters erstem Cid-Drama es tut.
Die Sprache des Dramas fliefst zwar leicht und ungezwungen
dahin ohne jedoch höheren dichterischen Schwung zu verraten.
Die Romanzen sind in unserem Stücke ziemlich frei benützt
worden. Auch hat sich Diamante Änderungen in der herkömmlichen
6o
überlieferten Darstellung erlaubt. So ist bei ihm Diego und nicht
der Cid der Gesandte König Sanchos. Auch wird Arias nicht von
der Infantin zurückgehalten selbst mitzukämpfen; es wird nur da-
durch verhindert, dafs der Zweikampf für beendigt erklärt wird,
nachdem Diego aus der Schianke getreten. In den Romanzen
kämpft ferner Diego nur mit drei Söhnen des Arias, besiegt den
dritten, der schliefslich auch stirbt und wird als Sieger erklärt.
Bei Diamante sind 3 Söhne des Arias getötet, der vierte, Pedro,
wird verwundet, genest und schliefst mit seinem Gegner Diego, der
hier als der Besiegte gilt, innige Freundschaft, die sich darin aus-
drückt, dafs Pedro den Diego als Schwager wünscht.
Die Liebe Diegos zu Leonor hat Diamante vielleicht Matos
Fragoso entlehnt. Es gereicht das dem Stück keineswegs zum
Vorteil, w-enn auch bei Diamante dieses Verhältnis nicht so vor-
herrscht, dafs, wie bei Matos Fragoso, die übrige Handlung zu
knapp behandelt wäre.
Diamante hat es sich auch nicht versagen können, die beliebte
Romanze 64 — 65 in sein Stück aufzunehmen, wenn auch in etwas
veränderter Fassung:
. . . Rey Don Sancho,
no digas que no te aviso
que del Cerco de Zamora
un traidor havia salido.
Traidor fue tambien su padre
cobarde, y advenedizo :
y si para conocerle
no es bastante lo que hc dicho,
Bcllido tiene por nombre,
hijo de Dolfos Bellido.
Sonst finden wir aufser einem Verse der Romanze 68:
No es Bellido quien me ha muerto,
der ebenso bei Diamante steht, keine wörtliche Anlehnung an die
Romanzen.
Vergleicht man El cerco de Zamora mit El Honrador de su
padre, so mufs das zweite Ciddrama trotz der vielen Mängel ent-
schieden als besser und schöner betrachtet werden als die Nach-
ahmung und Übersetzung Corneilles.
6i
III. Dramen, die den Cid unter Alfonso VI, die
Episoden mit Martin Peläez und den Infanten von
Carrion, sowie die Eroberung von Valencia und
den Tod des Cid behandeln.
I. Las Hazanas del Cid y su muerte, con la tomada
de Valencia.
Das Drama steht in dem überaus seltenen Bande einer Samm-
lung von Komödien: Sei's \\ Coinedias || de Lope de Vega || Carpio, y
de otros au || tores ciiios nomhres de || llas son estos. Dann folgt das
Verzeichnis der enthaltenen Stücke. En Madrid, Impresso por Pedro
Madrigal Ano MDCIII. Auch zu Lisboa por Pedro Crasbeeck, A/io
1 603 ist der Band erschienen, wie Barrera 1 angibt. Barrera kannte
das Buch nur de/ excelenie exemplar que acaba de adquirir en Portugal
el sefior don Pascual Gayangos} Ticknor3 hat zu Mailand in der
Biblioteca Ambrosiana einen zu Madrid 1603 gedruckten Band ge-
funden. Ein bis jetzt unbekanntes Exemplar dieses Buches befindet
sich in der Stadtbibliothek zu Hamburg.* Es stimmt mit den An-
gaben Ticknors überein. Das 3. Stück (der Inhaltsangabe): De los
amigos enojados ist nach: De las hazanas del Cid (das 5. Stück)
gedruckt. Diese Anordnung ist nach Schack und Barrera auch die
des zu Lissabon gedruckten Buches. Von den sechs enthaltenen
Dramen ist nur eines von Lope, das letzte: Comedia del Perseguido.
Es scheint, dafs Lope de Vega sich auf diesen Band bezieht, wenn
er in seinem Vorwort zum El Peregrino en su patria {zum ersten-
mal 1604 gedruckt) sagt: Ya para mi lo son (enemigos) los que con
mi nombre imprimen agenas obras. Agora han salido algimas comedias
que, impressas en Casiilla, dicen que en Lisboa; y asi quiero adver tir
d los que leati mis escritos con aficion .... que non crean que aquellas
son mis comedias, amique tengan mi nombre; y para que las conozcan
nie ha parecido acertado poner aqui los snyos .... Dann zählt er
die von ihm geschriebenen Komödien auf und führt von den in
unserem Bande enthaltenen Stücken nur El Perseguido an. Man
mufs also annehmen, dafs die übrigen fünf Dramen nicht von Lope
herrühren. Über den Verfasser des uns hier zunächst beschäftigenden
Ciddramas ist nichts Sicheres zu ermitteln. In einem uns erhaltenen
Briefe an den Herzog von Sesa» erwähnt Lope, dafs Linan zwei
^ L. c, pag. 679.
* Auch Schack kannte das Buch; siehe Bd. I, Anhang pag. 40.
^ L. c, Anhang 94. Anmerkung zu Seite 573, Zeile 9 von oben.
* Der Name des Besitzers ist handschriftlich eingetragen: Jehle James,
dann folgt ein unleserlicher Zusatz, aus dem nur die Zahl 24 und dann 1604
zu ermitteln ist.
'' Gedruckt bei Schack, Nachträge zum 2. Bande seines bekannten Werkes,
pag. 34-
62
Ciddramen geschrieben habe. Barrera^ vermutet nun, dafs diese
beiden Dramen in dem uns vorliegenden Bande erhalten seien und
zwar in der Libertad de Castilla und in den Hazailas del Cid. Das
erste Drama fällt weg, da es nicht vom Cid handelt,^ Ob das
zweite von Li-nan ist, läfst sich bei dem gegenwärtigen Stande der
Forschung nicht entscheiden, wenn es auch nicht unmöglich ist.3
Das Personenverzeichnis nennt 54 Personen, die aber in der Auf-
zählung bunt durcheinander geworfen sind, so dafs es z. B. heifst:
qtiatro moros und später wieder: tin 7noro. Auffallen müssen auch
die vielen, oft detaillierten Szenenangaben,
Die Handlung beginnt im ersten Akte mit der Episode des
uns aus den Romanzen bekannten Martin Peläez und zwar ist er
zu Beginn des Stückes bereits aus der Schlacht geflohen und sucht
in einem Monolog seine Feigheit zu entschuldigen, zumal er auch
glaubt, dafs man ihn nicht gesehen habe. Die Ritter kommen mit
dem Cid an der Spitze aus der Schlacht zurück, waschen sich die
Hände um sich zur Mahlzeit vorzubereiten. Martin Peläez mischt
sich unter die Soldaten. Man hat jedoch seine Flucht bemerkt,
denn als der Cid Andeutungen über die Feigheit eines ihrer Ritter
macht, schauen alle auf Martin Peläez und auch die anderen
Kämpfer machen ihre Bemerkungen. Der Cid wünscht mit ihm
allein zu sprechen, befiehlt daher allen sich zu entfernen, aber
Martin Peläez hört nicht auf den Ruf des Cid, sondern will mit
den anderen zur Mahlzeit gehen. Hier ist eine Szene eingeschoben,
in der zwei Soldaten des Cid sich um zwei gefangene Maurenfrauen
streiten. Der Cid schlichtet den Streit und befiehlt, dafs die beiden
zu seiner Gemahlin Jimene gebracht und getauft werden sollen.
Nun meldet ein Page, dafs Martin Peläez mit den anderen Rittern
an einem Tische speise. Das kann der Cid keineswegs dulden;
er holt daher den feigen Soldaten, der mit einem Stück Brot
im Munde und einem anderen in der Hand auf die Bühne ge-
zogen wird. Der Cid macht ihm nun Vorhalt, dafs er sich zu den
anderen gesetzt habe, er der doch heute aus der Schlacht geflohen.
Noch heute abend soll er seinen Mut zeigen und gegen die Mauren
kämpfen. Martin Peläez nimmt sich denn auch fest vor seinen
Mann zu stellen und seinen Fehler wieder gut zu machen. Als
dann der Kampf beginnt, geht er begeistert mit nicht ohne zuvor
seiner Tapferkeit in überschwenglichen Worten Luft zu machen.
Die Mauren fliehen vor ihm, er verfolgt sie über die Bühne, sie
geben ihm ihre Waflfen und bitten um ihr Leben. Er will sie je-
doch töten, nachdem er sie dem Cid vorgeführt. Zwei andere
kastilische Ritter wissen ihn zu bestimmen, dafs er den Mauren das
Leben läfst. Er gibt seine Gefangenen dem Cid, der darüber grofse
' L. c, pag. 216.
" Dieses sowie die anderen Dramen des seltenen Bandes werde ich an
einer anderen Stelle besprechen.
3 Eine Handschrift des Dramas besitzt nach Paz y Melia (1. c, pag. 141)
die Biblioteca Nacional zu Madrid.
63
Freude äufsert und ihn für würdig hält mit den anderen Rittern
zu Tisch zu sitzen. Die beiden Mauren treffen nun die bereits
gefangenen Frauen, mit denen sie verlobt sind. Letztere machen
den Männern Vorwürfe ob ihrer Feigheit, sie wollen nur tapfere
Männer, deshalb hätten sie ihr Herz auch denen gegeben, die sie
gefangen hätten, Martin Peläez und Antolinez.
Valencia ist nun eingenommen. Der Cid gibt den Gefangenen
die Freiheit und läfst den Frauen kein Leid geschehen. Den Juden,
die er beim Abzüge aus Kastilien überlistet, sendet er das Geld
zurück. Jimena und ihre Töchter sollen nach Valencia kommen.
An Alfonso geht eine Gesandtschaft mit Geschenken ab, die den
Sieg des Cid melden soll. Auch gibt er den freigelassenen Frauen
Geld zu ihrer Hochzeit, die Männer, darüber hocherfreut, danken
dem Cid.
Der zweite Akt zeigt uns den Cid als Beherrscher von Valencia.
Zu Beginn erteilt er den Mauren Audienz, schlichtet Streitfälle,
die vor seinen Richterstuhl gebracht werden, in gerechter Weise.
Man meldet die Ankunft Jimenas. Sie wird aufs feierlichste
empfangen, die Mauren zeigen ihre Begeisterung, om Juglar trägt
eine Romanze vor. Dieser Willkommgrufs wird dadurch gestört,
dafs vom Meere her ein Heer feindlicher Mauren gegen die Stadt
anrückt. Der Cid bringt seine Familie in Sicherheit und zwar auf
einen hohen Turm, von wo aus sie die Feinde beobachten können.
Er kämpft selbst mit, Martin Peläez verrichtet wieder Grofstaten
der Tapferkeit und kommt schliefslich mit einem Mauren unter
dem Arm zurück. Der König Funes, der feindliche Anführer, wird
selbst verwundet, auf Seite der Christen ist niemand getötet worden.
Nach dem Kampfe dankt der Cid seinen Mannen.
Das im ersten Akte angedeutete Liebesverhältnis der beiden
Mauren frauen zu Martin Peläez und Antolinez wird hier in einer
Episode fortgeführt. Martin Peläez erhält von einer der Mauren-
frauen, Lizarra, einen Brief, kann ihn aber nicht lesen, er braucht
dazu einen Mauren. Da kommt gerade Ali, der Mann der Lizarra,
vorbei mit einem Korb Früchte für den Cid. Ali ist höchst er-
schrocken, als er das Schriftstück erklären soll, folgt aber, die
Drohungen des Martin Peläez fürchtend. Lizarra teilt dem kastilischen
Ritter mit, dafs die beiden Mauren nicht zuhause wären, der eine,
Zulema, sei mit Tagesanbruch fort, der andere, Ali, sei nach
Valencia. Ali ist natürlich nicht sehr erbaut, dafs seine Frau in
seiner Abwesenheit solche Dinge treibt, aber Martin Peläez weifs
ihn mit der Versicherung zu beruhigen, er hätte ihm den Brief
nur lesen lassen um ihn auf die Probe zu stellen. Auch gibt er
den Bitten Alis nach, das Schriftstück Antolinez nicht zu zeigen
und fügt hinzu, dafs er die Ehre einer Frau hochhalte, der Maure
habe sich vor nichts zu fürchten, er wolle die Frauen nur taufen
lassen. Sollte Ali aber seiner Frau ein Leid zufügen, so würde er
ihn töten.
Den dritten Akt läfst der Dichter mehrere Jahre später spielen.
Ö4
Der Cid ist jetzt alt und ruft sich seine Taten nochmals ins Ge-
dächtnis zurück, wobei auch die Heirat seiner Töchter mit den
Infanten von Carrion und deren schmählicher Verrat erwähnt wird.
Er freut sich jetzt ehrbare Schwiegersöhne zu haben. Man hört
einen Trompetenstofs, der Cid glaubt, es kämen Mauren gegen die
Stadt angerückt. Es ist jedoch ein persischer Gesandter, der dem
Helden vom Sultan Geschenke übergeben soll. Der Cid zeigt sich
darüber sehr erfreut und behandelt den Perser mit grofser Auf-
merksamkeit.
Der König Bucar, der Sohn des Funes, zieht gegen Valencia
und läfst sich durch die Warnungen eines Mauren aus der Stadt
nicht abhalten, seinen Plan auszuführen seinen Vater zu rächen.
Der Cid hatte unterdessen eine Erscheinung des heiligen Petrus,
der ihm seinen baldigen Tod mitteilte. Er läfst nach dem Bischof
Hieronimo schicken um sich auf den Tod vorzubereiten. Dann
gibt er Martin Peläez und seinen übrigen Rittern genaue An-
weisungen, was sie mit ihm nach seinem Tode tun sollten. Er
werde nämlich auch als Toter noch seine Feinde besiegen. Man
binde ihn mit der Rüstung auf sein Pferd und lasse es neben dem
Bischof traben. Nach der Schlacht bringe man ihn nach Kastilien
und nach San Pedro de Cardena. Der Cid stirbt (nicht auf der
Bühne) und man tut, was er befohlen. Der Verlauf des Kampfes
wird uns von Mauren, die von der Mauer aus zusehen, berichtet.
König Bucar mufs fliehen, die anderen Könige der Feinde sind
getötet worden, Valencia ist wieder frei.
Der übrige Teil des Aktes spielt in San Pedro de Cardena.
Der Cid wird hier, auf einer Bank sitzend, zur Schau gestellt.
Unter dem Volke befinden sich auch zwei Juden, Samuel und
Abraham. Während nun die Christen eine Prozession veranstalten,
zieht Abraham den Vorhang, der den Cid verdeckt, zurück und
spricht den Toten in kühner Weise an, zupft ihn am Bart, fällt
aber wie vom Blitze getroffen zu Boden, während der tote Cid
sein Schwert aus der Scheide zieht. Alle Anwesenden kommen
herzu, staunen über das Wunder, Samuel läfst sich taufen.
Die im i. und 2. Akte erwähnte Episode ist auch in diesem
Akte weitergesponnen. Das Stelldichein kommt wirklich zustande,
die Verliebten werden aber von Zulema und Ali überrascht und
alle gehen dann gekränkt auseinander.
Wie man sieht, umfafst das Drama fast den ganzen dritten
Teil des Romanzero. Das Stück erinnert in der Komposition an
Juan de la Cuevas Drama, Handlung für Handlung ist einfach an-
einandergefügt, wie sie die Romanzen erzählen. Die Comedia ent-
hält jedoch, was bei Cueva nicht der Fall ist, bis ins einzelne
gehende Szenenangaben, die zuweilen den Worten der Romanzen
entsprechen.
Besonders gut scheint mir der i. Akt zu sein, der ein in sich
abgeschlossenes Ganzes bildet und dessen Stoff, wie man in der
Folge sehen wird, von späteren Dichtern zu einem einzigen Drama
65
benützt wurde. Von allen uns hier beschäftigenden Dramen ver-
dient vielleicht kein zweites den Namen „Ciddrama" mit gröfserem
Rechte. Hier dreht sich alles um den Cid und all die 54 auf-
tretenden Personen dienen nur dazu den Lieblingshelden des
spanischen Volkes in möglichst verklärtem Lichte erscheinen zu
lassen.
In Beziehung auf den Cid zerfällt das Drama in zwei Teile:
die Belagerung und Verteidigung von Valencia (i. u. 2. Akt), dann
die letzten Augenblicke des Helden, sowie die an seinem Grabe
geschehenen Wunder (3. Akt), Äufserlich will der Dichter diese
Scheidung zum Ausdruck bringen, indem er den 3. Akt mit der
Bemerkung beginnt:
Säle el Cid mas viejo.
In seiner Charakterdarstellung hat der Dichter das einheitliche
Bild gewahrt, wie überhaupt des Verfassers Streben war den Cid
scharf zu zeichnen; alle anderen Personen, auch Jimena und seine
Helden, im ersten Akte Martin Peläez höchstens ausgenommen,
treten so stark in den Hintergrund, dafs von einer Charakterzeichnung
ihrerseits überhaupt nicht gesprochen werden kann. Der Cid hat
hier alle guten Eigenschaften, die sich nur von einem National-
helden denken lassen. Gegen Christen wie Mauren ist er in gleicher
Weise gerecht, fürchtet nichts auf der Welt, wehrt alle Angriffe auf
Valencia siegreich ab. Nach der Einnahme der Stadt dankt er
Gott und allen Heiligen des Himmels für den Sieg, er ist also
auch religiös:
A la Trinidad sagrada
gracias que llegö esta dia,
gracias a Santa Maria
virgen pura consagrada.
Y a san Pedro se le den
gracias, que yo se las fago,
y al Apostol Santiago
y a San Lazaro tambien.
Daneben ist er auch ein zärtlicher Familienvater, wenn es auch
etwas eigentümlich anmutet, wenn der sonst so rauhe Cid beim
Empfange seiner Frau und seiner Töchter ganz sentimental wird
und spricht:
Es todo para vos Ximena mia,
es todo para vos la mi Ximena,
y rata esta guarrida compaüia.
Vengades vos mil vezes nora buena,
endonanae otro abra90 doiia Elvira,
y vos dona Sol con fas serena.
Von seinen Soldaten wird er schon zu seinen Lebzeiten wie ein
Heiliger verehrt, keiner wagt ihm zu widersprechen. Dabei ist er
aber nicht neidisch auf die Taten anderer, im Gegenteil er freut
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV. 5
66
sich ihrer und stellt sie sogar über seine eigenen, er legt also eine
gewisse Bescheidenheit an den Tag. Diese spricht sich Martin
Pelaez gegenüber aus, wenn er sagt:
Non se fizo aquel escano
para tni ni para vos,
mejor que ambos a dos
le ocupan y no me engaiio.
Dem aus der Schiacht fliehenden Martin Pelaez hält er ruhig aber
bestimmt seine Feigheit vor und fordert ihn auf seine Schande
gut zu machen:
. . . Que en la batalla passada
y en esta lo merecistes,
que bien vi lo que fizistes
per la lan^a y per la espada.
Y esta tarde parad mientes
que tambien es he de ver,
y de vos han de aprender
ganar honra mis parientes.
Eines mufs auffallen, das Verhältnis des Cid zum König, der
im Stücke nicht auftritt, wird nur an zwei Stellen kurz gestreift.
Einmal nach der Belagerung von Valencia läfst der Cid dem König
Geschenke übermitteln und ihn bitten ihm zum Empfange seiner
Familie einen juglar zu senden.
Zum Schlüsse erfahren wir, dafs der König zum Grabe des
Helden zieht, und dafs die Bank, auf welcher der tote Cid sitzt,
ein Geschenk des Königs ist. Die Verbannung des Cid und sein
nicht immer ungetrübtes Verhältnis zum König wird mit keinem
Worte erwähnt.
Neben dem Cid ist es nur noch Martin Pelaez, der in einer
Charakteristik Erwähnung verdient. Aus den Romanzen ist bekannt,
dafs er aus der Schlacht Hiebt , durch die Worte des Cid aber
beschämt, einer der tapfersten Krieger wird. Unser Dichter hat
nun Martin Pelaez als wahren Riesen dargestellt. Man sehe nur,
wie er mit einem Mauren unter dem Arm nach Valencia kommt.
Die Mauren fürchten ihn wie den Satan und fliehen alle entsetzt,
wenn sie nur seinen Namen hören. Es wirkt aber sehr komisch,
dafs nach der Schlacht IMartin Pelaez immer Hunger hat. Schon
als er vom Cid zur Rede gestellt wird, kommt er mit einem Stück
Brot im Munde, einem andern in der Hand herein. Als er dann
aus der Schlacht, in der er sich zum erstenmal mutig zeigt, zurück-
kehrt und der Cid ihm erlaubt mit den anderen Kriegern zu speisen,
weifs er darauf zu erwidern:
Pues que dixis de ganar
seiios de hambre me fino
Cid: mandedes le dar del vino
del pan le mandedes dar
67
und weiter unten:
Pues o en ella (= mesa) o en qualquiera
fazed me dar de gantar,
sinon quereis esperar
aqui de hambre me muera.
Dann kommt ein Page und meldet:
Ambas tablas estan prestas.
Nun fordert der Cid zum Essen auf:
Ea fidälgos hid entrando.
Weiter unten finden wir eine ähnliche Stelle. Als der Maure
Ali Martin Pelaez das Schriftstück übersetzt hat, bricht letzterer
das Gespräch damit ab, dafs er sagt:
Finca en pas que estoi ha.mbriento
y el mangar me face bien.
Wie aus einem Vergleich mit den Romanzen hervorgeht,
stimmt unser Drama mit folgenden Romanzen in der Handlung
überein:
120. Va que acahö la vigilia
121. Ordofio dice al Rey Alfonso
128. Cercada tiene ä Valencia
12g. De Vlies tra ho7ira el crisol
130. A solas le 7-eprehende
131. El Cid Salier a otra dia
132. Corrido Martin Pelaez
133. Por la viano prende el Cid
134. Partios ende los moros
1 40. Aquese fanioso Cid
141. Ya se salen de Valencia
146. Si de mortales feridas
150. Helo, hilo por da viene
186. Llegö la fama del Cid
187. Eslando en Valencia cl Cid
188. Muy doliente esiaba el Cid
192. Coronadas de victorias
196. Jjas ohsequias funerales
197. Miierio yace ese buen Cid
198. Mientras se apresla Jiniena
199. Ve72cido queda el Rey Bucar
201. En Sant Pedro de Cardena
Romanze 134 Partios ende los moros ist am Schlüsse des ersten
Aktes wortwörtlich ins Drama übernommen worden, es fehlen
nur die vier letzten Verse. Bei Romanze 150 sind einige Ände-
rungen zu verzeichnen, die jedoch ebenso einer verlorenen Romanze
angehört haben können. Man vergleiche daher die beiden Texte:
6ä
Text des Dramas :
O Valencia o Valencia
de mal fuego seas quemada,
primero fuiste de moros
que de Christianos ganada.
Si la lan^a no me miente
y la yegua ne me cansa,
antes que veiiga la noche
de moros seras tornada.
Y a esse perro del Cid
prenderele por la barba
SU mujer Ximena gomes
serä de mi caplivada
y SU fija dona Elvira
seria mi namorada
y doiia Sol la pequena
essa nos fara la cama.
Cid. Pues que tenedes mis fijas
las aljubas de las pascoas,
a esse moro que aqui biene
detenemelo en palauras.
Las palauras sean rocas
ya que has de amor tocadas,
mientras en sillo abavie^a
y me ciiio la mi espada.
Elv. Bien seas venido el moro
buena sea tu llegada
Siete aiios avia siete
que soi la tu enamorada
Mor. otros tantos ha senora
que por vos me cino espada.
Text der Romanze;
i Oh Valencia, oh Valencia,
De mal fuego seas quemada!
Primero fuiste de moros
Que de cristianos ganada.
Si la lanza no me miente,
[diese Verse fehlen]
A moros seräs tornada,
Y ä aquel perro de aquel Cid
Prenderelo por la barba,
Su mujer dona Jimena
Serä de mi captivada,
Y SU hija Urraca Hernando
Serä mi enamorada,
Despues de yo harto della
La entregar^ ä mi compaiia.
„Dejad las ropas conlinas
Y vestid ropas de Pascua.
Aquel moro hi-de-perro
Detienemelo en palabras
Beide Verse fehlen hier.
Mientras yo ensillo ä Babieca
Y me cino la mi espada."
„A^i faga ä vos, seilor,
Buena sea vuestra llegada!
Siete aiios ha, Rey, siete,
Que soy vuestra enamorada."
„Otros tantos ha, seflora,
Oue OS tengo dentro en mi alma."
Auch in Szenenangaben kann man den Wortlaut der Romanzen
wiederfinden. Vergleiche :
Säle Albarfanes, Bermudo, Antolhies y Mariin, y los devias sacando
al Cid defujicto con ima celada de purgaviino y con plutnas y tm
escudo de lo mismo, un capxtillo verde en el su enseila venneja y
unas calgas justas, y el brago llevaniado en lo alto con la espada
desnuda en la mano ....
mit den Versen der Romanze 198:
Alvar Fanez de Minaya,
Don Ordono, y don Bermudo,
6g
Para la batalla äprestan
Del Cid el cuerpo difunto.
De pergamino pintado
Le ponen yelmo y escudo,
Y de un cendal claro verde
Vestido un tabardo justo,
Unas calzas de colores
En la mano su Tizona.
El limpio fierro desnudo.
Ob das Lied, das der jiiglar vorträgt, mit irgend einer Romanze
in Verbindung steht, habe ich nicht entscheiden können. Es lautet
folgendermafsen :
, Aluerto es bido a ca^a
A los montes de Leone
ravia le maten los perros
Aguilas el su falcone
Por los mas sobervios montes
le arastre el su trotone
y antes que de ca^a buelva
para gozar el mi amore.
Lan^ada de moro esquierdo
le atreviesse el cora9one.
Die ins Drama eingeschobenen Beziehungen des Martin Peläez
und des Antolints zu den Maurenfrauen finden sich nicht in den
Romanzen.
2. Tirso de Molina (1570-1648): El Cobarde mäs valiente.
Ein uns bekannter Druck dieses Dramas ist aus dem 17. Jahr-
hundert. Dieser Text diente auch als Grundlage der neuen Ausgabe,
besorgt von D. Emilio Cotarelo y Mori. 1 Im Kataloge von Huerta^
finden sich als Komödien erwähnt :
El cobarde mas valiente. — De Molina.
La conquista de Valencia por el Cid. — De Molina.
Diese Angabe hat Barrera in seinen Catdlogo"^ und Miinoz Peila^
in sein Werk über Tirso de Molina übernommen. Da jede weitere
' Comedias de Tirso de Molina. Tom. II. Madrid 1907.
2 Madrid 1785.
3 Pag. 390.
* El Teatro del Maestro Tirso de Molina. Estudio Critico Literario.
Valladülid 1889. Pag. 86.
bibliographische Angabe bei Huerta fehlt, so kann man nicht unter-
suchen, ob es sich um zwei verschiedene Dramen handelt, oder um
ein Stück, das unter zwei Titeln zitiert wurde. Auf das uns vor-
liegende Drama passen beide Titel, warum sollte nicht, ähnlich wie
bei dem soeben besprochenen Drama, der ursprüngliche Titel ge-
lautet haben können : El coharde vias valienie y la conquista de.
Valencia por el Cid? Eine andere noch unentschiedene Frage ist,
ob das uns vorliegende Drama von Tirso de Molina ist oder nicht.
Cotarelo y Morii sagt, dafs diese Frage sei: cosa que por hoy no
nos atrevemos d afirmar ni d negar. Man stützt sich eben auf die
Angaben Huertas und auf den oben erwähnten Druck, in dem es
dem Fray Gabriel de Tellez, also Tirso de Molina zugeschrieben
wird. Solange aber nicht ein Grund dagegen angeführt wird, und
das ist, soviel ich weifs, noch nicht geschehen, kann man die
Autorschaft Tirso de Molinas wohl kaum ohne weiteres ablehnen.
1. Akt. Der Vater des Martin Peläez, Payo, ist über die Feig-
heit seines Sohnes, der sich scheut in die Schlacht zu ziehen,
ungehalten, gürtet ihm die Waffen um und schickt ihn zu seinem
Vetter, dem Cid. Martin Peläez, der seinem Vater den Gehorsam
nicht verweigern will, bricht sehr betrübt auf und nimmt zuvor
noch von seiner Geliebten Sancha Abschied. Vor ihr spricht er
über seine Tapferkeit und seine zukünftigen Heldentaten. Sancha
will ihm im geheimen folgen, da sie glaubt, ihr Geliebter ziehe nur
in den Krieg um sie zu vergessen.
Die Szene verändert sich. Wir sind in Castilien am Hofe des
Königs Alfonso. Der Cid tritt auf um sich gegen seine Ver-
leumder zu verteidigen. Der König, der schon ungehalten ist,
dafs sein Vasall mit so vielen Kriegern angekommen, schenkt ihm
keinen Glauben, verbannt ihn und will ihm, anstatt der' von ihm
verlangten 40 Tage, nur drei Tage Frist gewähren. Schliefslich
läfst er sich doch herbei, ihm neun Tage zu geben. Der Cid
kommt in sein Lager zurück, wo ihm Martin Peläez vorgeführt
wird. Er freut sich seinen Vetter zu treffen und gibt ihm die
nötigen Anweisungen, wie er sich im Kampfe zu verhalten habe.
Auch ins Lager der Mauren führt uns der Dichter. Hier ist
Alvar Fanez als Gefangener, soll jedoch vom Maurenkönig ohne
Lösegeld freigelassen werden, wobei dieser erwartet, dafs der
castilische Ritter bei den Töchtern des Cid, die er liebt, für ihn
sprechen werde. Mit kühnen Worten weist der Ritler diese Zu-
mutung zurück und zerreifst sogar einen ihm übergebenen Brief
vor den Augen des Königs. Dieser, darüber aufgebracht, läfst ihn
zwar frei, droht ihm aber, dafs er sich beim nächsten Kampfe an
ihm rächen werde.
U. Akt. Der Kampf ist ausgebrochen, Sancha kommt als
Mann verkleidet ins Lager der Castilier und bittet um Aufnahme.
» L. c, pag. XIIIfF.
71
Alvar Faiiez nimmt sie als Diener an. Martin Pelaez ist aus der
Schlacht geflohen und setzt sich an den Tisch des Alvar Faiiez.
Der Cid zieht ihn mit sich fort und zeigt ihm die Gröfse seines
Vergehens. Martin Pelaez nimmt sich fest vor seine Ehre wieder-
zugewinnen. Er geht von neuem in den Kampf und trifft hier den
Maurenkönig selbst, den er besiegt. In Anbetracht des von dem
Mauren an Alvar Faiiez geübten Edelmutes läfst er ihn frei. Der Cid
hatMartin Peläcz beobachtet und freut sich jetzt über dessen Mut.
Sancha ist von ihrem Geliebten erkannt worden, und dieser, voll
Eifersucht, verlangt sie von Alvar Fanez zurück. Dieser weifs
nicht, dafs sein Diener ein Mädchen und die Geliebte Martins ist,
und will Sancha nicht verlieren. Der Streit endet mit einer Heraus-
forderung Martins, der in seiner Eifersucht glaubt, Sancha sei nur
Alvars wegen ins Lager gekommen. Sancha sucht zwischen den
beiden Streitenden zu vermitteln, aber erst das Eingreifen des Cid
macht dem Zv.eikampfe ein Ende. Der Cid will gegen Valencia
ziehen und kann daher nicht dulden, dafs seine eigenen Leute sich
befehden. .A.lvar Fanez und Martin Pelaez gehorchen ihm zwar, jedoch
nicht ohne die gegenseitige Drohung, sich vor Valencia zu töten.
in. Akt. Valencia wird bereits belagert. Erst müssen sich
die Castilier zurückziehen, der Cid begeistert seine Ritter von neuem
zum Angriff. Sancha ist gefangen genommen worden. Der Mauren-
könig hat erfahren, dafs sie ein verkleidetes Mädchen sei und will
sie unbedingt zu seiner Gattin machen. Sie behauptet jedoch ein
Mann zu sein ohne den Mauren, der Gewalt anwenden will, ab-
wehren zu können. Da kommt zur rechten Zeit Martin Pelaez, der
gerade seinen Diener Botija von einem Mauren befreit hat, und
greift den König an. Dieser mufs nun von Sancha lassen und
gegen Martin Pelaez sich verteidigen. Zugleich fordert Martin die
Mauren zur Verteidigung von Valencia auf, da der Cid von neuem
auf die Stadt eindringe. Martin Pelaez, der dem Cid versprochen
hat, ihm Valencia als „Speise" vorzusetzen, nimmt die Stadt ein
und schliefst dann, nachdem Alvar Faiiez über Sancha aufgeklärt
ist, mit diesem ewige Freundschaft. Zum Lohne für seine Tapfer-
keit erhält Martin Pelaez die Hand seiner geliebten Sancha, was
auch der soeben ins Lager gekommene Vater Payo zugibt. Der
Held denkt noch an weitere Taten und will auch Granada für
den Cid erobern. Als Hochzeitsgeschenk bietet ihm der Cid
Valencia an, was Martin aber ausschlägt, denn Valencia sei nur
für den Cid bestimmt. So kommt es, dafs es auch heute noch
Valencia del Cid heifst.
Man sieht, dafs unser Drama stofflich dem i. Akt des kurz
zuvor besprochenen entspricht. Wenn wir uns nun fragen, worin
der Unterschied zwischen den beiden Darstellungen besteht und
warum Tirso den gleichen Stoff in drei Akten behandelt, so können
wir uns das dadurch erklären, dafs in dem oben erwähnten Drama
alles sich um den Cid gruppiert und alles, was nicht in Verbin-
dung mit dem Haupthelden steht, ausgeschaltet wird, während in
72
dem vorliegenden Drama nicht der Cid, sondern Martin Pelaez die
Hauptrolle spielt. Daher die Erfindung der Liebesgeschichte mit
Sancha, daher das Auftreten Payos, daher des Martin Eifersucht
auf Alvar Fanez und die durch Martin erfolgte Einnahme Valencias.
Ist es nun dem Dichter geglückt, Martin Pelaez so zu zeichnen,
dafs dessen Charaktereigenschaften, vor allem dessen Feigheit, der
sich in ihm vollziehende Charakterwechsel und seine spätere Tapfer-
keit sich klar und deutlich abheben? Wir müssen die Frage un-
bedingt bejahen. Der Dichter war sichtlich bemüht, seinen Helden
bis ins einzelnste zu zeichnen.
Schon in der ersten Szene bekommen wir durch die Vorwürfe,
die Payo seinem Sohne macht, einen Begriff von dessen Charakter:
Hasta cuändo pretendias
afrentar nuestras montanas,
Tu eres mi hijo?
no han de llamarme d mi
padre de hijos cobardes.
Tienes fuerzas superiores
al mäs robusto leön,
y siempre tus hechos son
regalos, gustos y amores.
Des Martin schüchterne Entschuldigung:
Yo no estoy acostumbrado
d ver paveses y cotas
bestätigt die Worte des Vaters. Er soll in den Krieg ziehen und
geht in seiner Feigheit sogar soweit, dafs er an der Liebe seines
Vaters zweifelt:
Senor,
^•quieres qua me maten luego?
En poco estimais d un hijo.
Er folgt aber seinem Vater, wenn auch unwillig:
pues mi padre me destierra,
asi parüre ä la guerra.
Als er aber seiner Geliebten Sancha gegenübersteht, da zeigt er
den mutigen Krieger:
pienso matizar la tierra
con sangre morisca
^no sabes que a matar voy
mil moros?
Rayo de los moros soy
73
Pienso matar, Sancba mia,
diez mil moros en un dia.
Diese Grofssprecherei , die bei dem verliebten Martin sehr er-
klärlich ist, sieht man auch in der Versicherung seiner unwandel-
baren Liebe:
Primero veräs arder
las aguas, el aire, el fuego,
y al sol de la lumbre ciego
precipitado caer,
y todo nuestro horizonte
sin las que d tu sol reservo,
vivir en el mar un ciervo
y un delfin en ese monte
que yo te olvide jamäs.
Im Lager des Cid fürchtet er sich sogar vor dem Cid:
de ver la grave presencia
del Cid; espanto me pone.
Die eindringliche Rede des Cid nach seiner Flucht aus der
Schlacht macht auf ihn einen solchen Eindruck, dafs er sich
seiner selbst schämt und seinen Fehler wieder gut zu machen
bestrebt ist:
porque es gran parte de honor
la vergüenza de perdello. {Tocan al arma)
la ocasiön puedo decir
que el cielo me la vendiö ;
de mi he de vengarme yo
tanto, que los que miraron
las afrentas que cargaron
sobre mi ofendido honor,
viendo ahora mi valor
presuman que se enganaron.
Er führt seinen Vorsatz auch aus und ist auf einmal ein Held
geworden. Wir verstehen dann die Worte, die er dem Cid ent-*
gegnet, als dieser sagt:
porque al que viere veucido
lo he de juzgar por cobarde.
Martin: Primero vereis mi muerte
que me de atributos tales
vuestra lengua.
Er kennt auch Gehorsam gegen seinen Feldherrn, den Cid:
pero mas sabe que yo
el Cid y es prudente y viejo.
74
Seine Eifersucht auf Alvar P'afiez läfst sich in seine eigenen Worte
zusammenfassen :
De rabia y de celos muero.
Er ist aber nicht unversöhnlich, sondern reicht gern die Hand zum
Frieden :
desde lioy quicro ser tu amigo
sagt er zu Alvar Fanez.
Als er Valencia eingenommen hat und der Cid es ihm geben
will, lehnt er es ab, glücklich, im Besitze seiner geliebten Sancha
zu sein.
Die anderen Personen treten Martin Peläez gegenüber in den
Hintergrund und man kann den Charakter des Cid eigentlich nur
aus der Szene entnehmen, in der er vom König verkannt wird.
Hier ist er der trotzige Heerführer der crönica rirnada^ während
sein mildes, versöhnUches Wesen der folgenden Szenen damit nur
um so schärfer kontrastiert.
Als ihm der König nur neun Tage Aufschub gewährt, weist
er ihn auf seine Siege hin:
No fui tan corto jamäs
en las viclorias que os di,
ebenso auf seinen Einflufs:
sabes que muchos rej^es
me han besado d ini la mano.
Besonders aber zeigt sich dieser trotzige Zug in den Schlufs-
worten :
Rey : j Bueno estä !
Cid: No estä, senor.
Rey: iQue decis.?
Cid: Rey Alfonso, esto que ois.
In seinem Lager jedoch darf es keinen Streit geben:
porque no ha de haber agravios
donde el Cid hace los paces.
Tadeln könnte man an dem Drama die unnötige Episode mit
dem Maurenkönig, der den gefangenen Alvar Faiiez entläfst, damit
er die Töchter des Cid zu Gemahlinnen bekäme.
Die Sprache des Dramas ist fiiefsend, wenn auch nicht ganz
frei von gongoristischen Anklängen; so sagt Martin Peläez, als
Sancha herankommt :
Pues di que brotaudo vienen
sus bellas plantas heimosas
muchos claveles y rosas.
In unserem Drama finden wir auch Ausfälle auf kirchüche
Einrichtungen, wie wir sie nur in den Dramen Tirso de Molinas
75
gewohnt sind. Es kann dies eventuell als ein Beweis für die
Autorschaft des Dichters gelten. Schacki sagt in dieser Hinsicht
von Tirso delMolina: „Die Kühnheit seiner Ausfälle auf die Grofsen
der Erde, auf Hof und Hofleute, auf Geistliche und Mönche ist
einzig in der spanischen Literatur, und man erstaunt über die
Freiheit der Bühne, auf der diese Satiren in einer Zeit, als die
Macht der Inquisition auf ihrer Höhe stand, laut werden durften.
Die Verwunderung wächst, wenn man bedenkt, dafs ihr Urheber
selbst eine bedeutende geistliche Stelle bekleidete. Bei all ihrer
Schärfe jedoch sind diese epigrammatischen Stellen mit einer
solchen scheinbaren Gutmütigkeit vorgetragen, durch die wohl-
lautendsten, von einem leichten Anhauch von Ironie überflogenen
Verse in ein so reizendes Gewand gehüllt, dafs wohl die An-
gegrilfenen selbst in das Lachen des barmherzigen Ordensbruders
einstimmten."
In unserem Stücke sind all diese Ausfälle Botija, dem Diener
des Martin Peläez in den Mund gelegt, der in dem Stücke den
gracioso vertritt:
In der 2. Szene des i. Aktes führt Botija als Grund an,
warum Payo seinen Sohn nicht in den Kampf senden soll:
Pues yo he visto, Dios me acuerde
y aun sois buen testigo vos,
ä un ciento y mäs de soldados
cantalles requiem amen.
Man denke sich dieses Bild in der Schlacht, wo die Soldaten das
Requiem singen.
Eine Anspielung auf die Bibel ist:
Que el que el peligro buscare
muera muerte supetaiia.
Eine Anspielung auf die Wallfahrten:
Librädmele,* San Antön,
y OS dare un rocin de cera.
Als Botija von einem Mauren angegriffen wird, schreit er:
Ah Martin, que estän matando
d tu Botija! Ven presto
dame un confesor.
Abgesehen von dieser Eigenschaft der Tirsoschcn Komödien
passen fast alle anderen bei Schack' angegebenen Merkmale seiner
Dramen auf unser Stück und so liefsen sich vielleicht — eine
1 L. c„ II, p. 565 ff.
* le =^ SU rocin.
' L. c, II, pag, 562 ff.
76
Nachprüfung der Schackschen Kriterien vorausgesetzt — auch innere
Gründe anführen um die Autorschaft Tirsos bei dem vorliegenden
Drama festzustellen, i
Die vom Verfasser benützten Romanzen sind die oben (pag. 67)
bereits erwähnten 128 — 133, ohne dafs eine derselben ganz oder
teilweise aufgenommen worden wäre. Die Liebe des Martin Pelaez
zu Sancha und die daraus resultierende Eifersucht findet sich nicht
in den Romanzen. Die Episode mit dem Maurenkönig, der die
Cidtöchter liebt, könnte vielleicht auf Grund der Romanze 134 ent-
standen sein, die auch im vorhergehenden Drama Aufnahme fand.
Wenn auch die Entstehungszeit des Dramas nicht feststeht, so
zeigt doch der ganze Aufbau und die Sprache, dafs es geraume
Zeit später verfafst sein mufs, als das oben besprochene Drama,
jedoch kann eine Abhängigkeit von diesem nicht bewiesen werden.
3. Juan de Matos Fragoso: El amor hace valientes.
Das Drama wurde gedruckt im i. Bande der Komödien unseres
Autors: Madrid 1658. Cotarelo y Mori^ erwähnt auch einen Einzel-
druck aus dem 17. Jahrhundert, ohne Angabe des Druckortes, noch
des Jahres.
I. Akt. Elvira hat zwei Liebhaber, den feigen Martin Pelaez
und den tapferen Alvar Fanez. Letzterer hält sich für den be-
vorzugteren, während Elvira nur Martin liebt. Sie darf jedoch nur
den heiraten, der im Kampfe um Valencia der tapferste ist. Der
Streit der beiden Ritter endet mit einer Herausforderung des
Martin Pelaez durch Alvar Fanez. Der Cid kann nicht dulden,
dafs seine Kämpfer sich selbst befehden, denn er bedarf ihrer bei
der Belagerung von Valencia. Sie sollten ihre Tapferkeit an den
Mauren und nicht unter sich erproben. Sie werden als Anführer
zweier Schwadronen bestimmt. INIartin Pelaez gerät in Furcht, über-
nimmt aber ebenso wie Alvar Faiiez den Oberbefehl über seine
Truppe. Damit Elvira ihren Geliebten in der Schlacht zu erkennen
vermöge, gibt sie ihm ein Band, das er an der Brust befestigen
soll. Alvar Fanez spottet darüber und meint, sie erkenne dann
besser seine Feigheit. Elvira hofft jedoch, dafs Martin ihr Ver-
trauen rechtfertigen wird, denn die Liebe allein habe bei der
Wahl ihres Gatten nicht zu entscheiden. Martin tröstet sie im
Hinweis auf seine Tapferkeit. Vor seinem Diener Gergon, dem
gracioso des Dramas, eröffnet er seine Furcht vor dem Kampfe und
^ Sie wird dadurch erleichtert, dafs jetzt alle vorhandenen Dramen Tirsos
gedruckt vorliegen: in der Bibl. de antares espanoles. Band 5 und in den
2 Bänden von Cotarelo y Mori: Comedias de Tirso de Molina, Madrid 1907,
die alle Dramen enthalten die in der Bibl. de aut. esp. nicht gedruckt wurden.
So bildet die Ausgabe von Cotarelo y Mori eine willkommene Ergänzung zur
Bibl. de aut. esp.
» L.c, II, pag. XIII.
77
beklagt sich, dafs ihm besonders das Band Elviras unangenehm
sei. Schliefslich entschliefst er sich überhaupt nicht in die Schlacht
zu ziehen, sondern sich für krank auszugeben, fürchtet aber dann
die Ärzte, die ihn ja auch töten könnten, und geht doch lieber in
die Schlacht.
Der Kampf hat bereits begonnen. Der RIaurenkönig fordert
seine Soldaten, die bereits zu fliehen begannen, von neuem auf,
ihre Tapferkeit zu zeigen und wendet sich besonders an Celin,
seinen Sohn, der ebenfalls Elvira liebt, den übrigen Mauren als
Beispiel zu dienen. Sie werden jedoch zurückgeschlagen und fliehen
von den Kastiliern verfolgt. Der Cid sieht zu seinem Schrecken
Martin Peläez fliehen. Martin und sein Diener wollen sich verbergen,
der Cid läfst auch nicht merken, dafs er die beiden gesehen und
will sich die Zurechtweisung auf später ersparen. Als Celin mit
einigen Mauren kommt, fürchten sich die beiden Feiglinge noch
mehr, werden jedoch von Celin entdeckt. Dieser wirft ihnen ihre
Feigheit vor. Martin Peläez sucht durch eine Lüge seine Ehre zu
retten, indem er einen Sturz vom Pferde vorgibt und erklärt sich
aus Scham darüber verborgen zu haben als er Schritte gehört.
Celin schenkt seinen Aussagen keinen Glauben und will sich an
ihm rächen, da er ja Elviras wegen Grund zur Eifersucht hat.
Martin erklärt sich lieber zu seinem Gefangenen, ohne mit ihm zu
kämpfen. Celin verlangt das Band auf seiner Brust von ihm, da es
von Elvira sei und entreifst es ihm trotz des Widerstandes des
Martin. Damit sei Martin gebrandmarkt genug. Alvar Faiiez, der
sich im Kampfe überaus tapfer gezeigt, kommt mit den von ihm
erbeuteten Fahnen und will sie einstweilen hier niederlegen. Als
er fort ist, eignet sich Martin diese Trophäen an und kommt zu-
gleich mit Alvar zu Elvira. Alvar bietet ihr die gefangenen Mauren
an, während Martin auf die erbeuteten Fahnen hinweist, die von
seiner Tapferkeit Zeugnis ablegen sollen. Elvira merkt sofort den
Verlust des Bandes. Alvar spricht die Vermutung aus, dafs die
von Martin gebrachten Fahnen die von ihm erbeuteten seien.
Schliefslich kommt der Cid und erzählt, dafs Martin geflohen sei.
Er habe mit ihm allein zu sprechen. Nun wird die bekannte Tisch-
szene auf dem Theater selbst vorgeführt. Der Cid weist allen ihre
Plätze an. Martin setzt sich ohne aufgefordert zu werden zu Pedro
Bermudez. Darüber macht ihm der Cid Vorhalt und weist ihm
den Platz an seiner Seite an. Nun hält ihm der Cid seine Feig-
heit vor und schickt ihn fort. Ein ehrloser Krieger gehöre nicht
zu erprobten Rittern.
II. Akt. Martin Peläez kommt zu Elvira, die nach ihrem Bande
fragt. Er macht seinen Diener dafür verantwortlich, der es einem
Mauren gegeben habe. Elvira glaubt ihm zwar, hält es aber für
sehr eigentümlich, dafs ein Liebender auf eine von der Geliebten
empfangene Gabe so wenig achten könne. Sie verläfst ihn deshalb
gekränkt. Nun kommt der Cid und erzählt die Ruhmestaten, die
er in seiner Jugend mit dem Vater des Martin Peläez vollführt hat
78
um Martin aufzufordern, seine Feigheit wieder gut zu machen. In-
zwischen kommt Celin, der betreff des Friedens zu unterhandeln
wünscht. Alle, auch Martin, der das Band Elviras auf der Brust
des Mauren gesehen, wünschen die Fortsetzung des Kampfes. Der
Cid will Valencia in Besitz nehmen. Celin sucht nach Elvira und
findet sie auch. Sie verlangt von ihm ihr Band zurück. Der
Maure erzählt ihr, dafs er es einem überaus feigen Krieger ab-
genommen habe, der ihrer Liebe nicht wert sei. Elvira, anders
berichtet, hält ihm vor, dafs er es sich widerrechtlich von einem
Diener angeeignet habe, Martin Pelaez habe ihr das selbst erzählt.
Celin wird nun deutlicher und klärt sie über die Feigheit Martins
auf. Das Band würde er ihr nie wiedergeben. Sie nimmt sich
nun fest vor, Martin Pelaez zu vergessen, denn einem Feigling
könne sie nie und nimmer die Hand reichen. Ihrem Geliebten hält
sie dann auch seine Lüge vor und, um ihn zu strafen, fordert sie
Alvar Fanez auf, möglichst tapfer zu sein, gibt ihm ein Band und
verspricht ihm ihre Liebe. Alvar ist darüber überglücklich, Martin
vor Eifersucht höchst aufgebracht. Der Kampf beginnt von neuem.
III. Akt. Die Mauren haben einen neuen Ausfall aus der Stadt
unternommen. Der Cid fordert seine Soldaten auf mit neuem Mute
in den Kampf zu ziehen, dem tapfersten verspreche er die Hand
F'Jviras. Martin nimmt sich fest vor seine Ehre wiederzugewinnen
und läfst Alvar Fanez zu sich rufen. Dieser erscheint und beide
beginnen zu fechten. Alvar wird besiegt. Martin schenkt ihm das
Leben, beginnt aber von neuem auf ihn einzudringen als sein
Gegner ihm sagt, dafs er ihm für seinen Edelmut keinen Dank
zolle. Schliefslich greift der Cid ein und hält den beiden Streitenden
vor, dafs sie doch sicherlich vor Beginn der Schlacht besseres zu
tun hätten als einen Zweikampf auszufechten. Im geheimen freut er
sich aber der Tapferkeit des Martin Pelaez. Die beiden eifersüchtigen
Ritter schwören sich Rache während der Schlacht. Elvira hat ebenfalls
Martins Unerschrockenheit Alvar gegenüber gesehen und fordert nun
Martin auf, diesen Mut auch den INIauren gegenüber an den Tag
zu legen. Ihrer Dienerin gegenüber klagt sie, dafs sie Martin trotz
ihrer Liebe zu ihm nicht heiraten könne wenn er sich wieder als
feige erweise, da der Cid es nicht zugeben würde. Von Alvar
Faiiez will sie nicht einmal den Namen hören. Inzwischen hat
Martin Pelaez sich in den Kampf begeben und dort den Mauren
grofsen Schrecken eingejagt. Celin mufs vor ihm fliehen. Martin
verfolgt ihn und zwingt ihn mit ihm zu kämpfen. Der Maure wird
besiegt, bittet um sein Leben, indem er seinem Sieger zugleich das
Band Elviras übergibt. Alvar Faüez, der gerade hinzukommt, ver-
langt, dafs Celin diese Tat ihm zuschreibe, sonst werde er ihn
töten. Das kann aber Martin nicht dulden und er fordert daher
Alvar zum Zweikampf, der durch die Ankunft des Cid beendet
wird. Der Cid lobt beide Helden ob ihres Mutes und ihrer
Unerschrockenheit, beide hätten Elvira verdient. Er müsse daher
die Wahl ihr selbst überlassen. Diese wählt natürlich Martin Pelaez.
79
Um auch Alvar Fanez zu belohnen, ernennt ihn der Cid zum
General. Celin wird freigelassen; dafür erhält der Cid die Schlüssel
Valencias.
Nach Schaefferi ist das Drama „würdiger gehalten" als Ä'o
esid en matar el vencer, „aber der Geist der Volkstümlichkeit und
Naivetät, welcher zur Behandlung dieser Stoffe gehört, ist eben-
sowenig hier wie dort zu finden."
Ich halte das Drama für eine weitere Ausführung der Neben-
handlung in Tirso de Molinas Drama. Während dort die Liebe
Sanchas zu Martin Peläez sekundärer Natur ist und die Eifersucht
des Martin auf Alvar unbegründet ist, finden wir bei Matos Fragoso
dieses Liebesverhältnis als die eigentliche Haupthandlung. Diese
Liebe ist es auch, die Martin zu einem tapferen Ritter macht; die
kurzen Worte, die der Cid zu ihm spricht, indem er ihm seine
Feigheit vorhält, hätten auf ihn nicht so einwirken können, wie die
Befürchtung, durch seine Feigheit die Liebe Elviras zu verlieren.
Gerade darin liegt auch die Originalität und psychologische Fein-
heit des Dramas. Es handelt sich für den Dichter darum eine an
und für sich unwahrscheinliche Charakteränderung wahrscheinlich zu
machen. Dann hat Matos Fragoso Alvar Faiiez als Nebenbuhler
des Martin dargestellt. Daraus resultieren eine weitere Reihe von
Nebenhandlungen, so vor allem die Zweikämpfe der beiden Ritter.
Das Stück entbehrt auch nicht des komischen Elementes. Es
ist der Diener des Martin Pelaez. Auch bei Tirso de Molina finden
wir den gracioso Botija, vergleichen wir aber die beiden miteinander,
so fällt uns sofort auf, dals Botija eine ganz nebensächliche Stelle
einnimmt und dessen Rolle vollständig weggelassen werden könnte.
Gergon bei Matos Fragoso dagegen ist eine viel bedeutendere
Persönlichkeit. Obgleich selbst feige wie sein Herr, gibt er ihm
gute Ratschläge und unterhält sich mit ihm ganze Szenen hindurch,
alle Anwesenden hören ruhig zu, ohne ihm abzuwehren. Man sieht
deutlich, dafs bei Matos Fragoso und den Epigonen seiner Zeit
der gracioso eine unentbehrliche und keineswegs nebensächliche
Rolle hatte.
Die Feigheit des Martin Peläez kommt scharf zum Ausdruck
im Gegensatze zur Tapferkeit des Alvar Fanez. Als Elvira sagt,
dafs ein Liebender seiner Dame auch gehorchen müsse, wenn sie
von ihm verlange feige zu sein, zeigt sich dieser Kontrast in den
Antworten der beiden Rivalen:
Alv. Pues yo no obedeceria;
porque como soy mas necio,
sufrir^ vuestro dcsprecio
antes que mi cobardia
und weiter unten:
Pues yo no quiero el favor,
si la fama he de perder.
1 L. c, II, pag. i{
8o
während Martin Pelaez erwidert:
Pues yo el premio de obeiiiente
escojo, que es por su amor
el que vence su furor
mas amante, y mas valiente.
Deutlicher zeigt sich die Feigheit des Martin Pelaez seinem Diener
gegenüber, wo er spricht:
Gergon peligro notable;
yo he de salir de los Moros?
de pensarlo se me caen
las alas del cora^on.*
Die Liebe zu Elvira und seine grenzenlose Eifersucht auf Alvar
Fanez bewirken aber in ihm die Änderung seines Charakters, so
dafs er ein Held wird und auch der Cid mit ihm zufrieden ist
und ihm die Hand der geliebten Elvira reicht.
Interessant dürfte auch die Ansicht des Martin Pelaez über die
Stellung eines Liebenden zu seiner Dame sein:
El galan que fino es,
y que mas de veras ama,
deve preferir su dama
a SU mayor interes:
y hecha con esta atencion,
serä SU desaire justo.
Was die Persönlichkeit des Cid anlangt, so tritt er, um ein
Bild seines Charakters entwerfen zu können, viel zu wenig hervor.
Ein Zug kehrt immer wieder, das ist seine Religiosität. Nach der
Schlacht schreibt er den Sieg Gott zu:
Aquesas gracias sobrina,
solo a Dios darlas es deuda,
que es quien vence las balallas,
sagt er zu Elvira.
Auch erfahren wir, warum er Valencia sein nennen will:
. . . que yo me he movido
a prosegu'ir esta guerra
mas por ensal^ar la Fe
de Dios, que el pecho confiessa,
que por conveniencias mias.
y hasta que Valencia sea
tan mia, que sostituya
el error de vuestra seta
del Evangelio divino
1 Zugleich ein Beispiel der gongorislischen Ausdrucksweise.
la Catolica certeza.
y hasta que vuestras Mezquitas
en vasilicas convierta,
donde el Bautismo sagrado
del cielo os abra las puertas
no he de levantar el sitio.
Er versieht also hier eine Art von Mission, die auch darin dem
Geiste seiner Zeit entspricht, dafs er die Mauren von der catolica
certeza mit Feuer und Schwert überzeugen will. Auch nach der
Eroberung von Valencia dankt er Gott:
La vitoria ä Dios se deve.
Die Anlehnung an die Romanzen ist eine sehr lose und be-
steht nur in dem dem Drama in letzter Linie zugrunde liegenden
Charakterwechsel des Martin Peläez, der zwar in den Romanzen
128 — 133 (siehe pag. 67) zum Ausdruck kommt, aber in ganz
anderer Weise.
In den Romanzen sind es die eindringlichen Worte des Cid,
bei Matos Fragoso ist es Eifersucht und Liebe, die Martin Peläez
bestimmen tapfer zu werden.
Ob die oben erwähnte Anlehnung an Tirso de Molinas El
coharde mäs valiente eine bewufste oder unbewufste war, oder ob
beide Dramen auf ein verlorenes Stück zurückgehen, kann natürhch
nicht entschieden werden. Ich konnte eben nur auf den Zusammen-
hang hinweisen, der zwischen den beiden Dramen besteht.
4. Fernando de Zärate y Castronovo:
El Cid Campeador y el noble siempre es valiente.
Von dem vorliegenden Stücke existiert eine Handschrift in
der Bihlioieca Nacional zu Madrid * unter dem Titel: El Noble
siempre es valiente. El noble Martin Peläez. Vida y mtierte del Cid.
Comedia de D. Fernando de Zärate y Castronovo. Die Dedikation
an D. Alonso de Carcamo ist vom 15. April 1660. Wie Cotarelo
y Mori uns versichert 2, ist das derselbe Text, wie der eines Druckes
ohne Angabe des Jahres: Vida y viuerte del Cid y noble Martin
Peläez. Comedia de im ingenio de la Corte. Salamanca, Imprenta
de la Santa Cruz. Huerta in seinem Catdlogo (Madrid 1785) er-
wähnt das Stück dreimal, als ob es drei verschiedene Stücke
wären :
El noble siempre es valiente. — De Zärate.
El noble Martin Peläez y vida y muerte del Cid. — Del viismo.
Vida y Muerte del Cid. — De Zärate.
• Paz y M^lia, 1. c, pag. 364.
* L. c, pag. XIII ff.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV.
82
Cotarelo y Mori^ zitiert verschiedene ihm bekannte Ausgaben:
Madrid 1792. Barcelona 1807. Valencia 1813. Valencia 1822.
Aber keiner dieser Drucke enthält den Namen des Verfassers. Die
bei Barrera^ erwähnte Siielta hat den Zusatz: de im ingenio. Der
Text stimmt aber bei all diesen Drucken, wie aus Cotarelo y Mori's
Ausführungen hervorgeht, überein. Der mir vorliegende Druck der
Kgl. Bibliothek zu Berlin bringt den Titel in einer etwas ver-
änderten Form. 3 Die Anfang- und Schlufsverse stimmen ebenfalls
mit der bei Paz y Melia zitierten Handschrift überein. Auch der
Name des Dichters wird erwähnt. Der Druck ist aus dem Jahre
1750. Zuvor steht eine Dedikation:
Dedicatoria || A los muy Illustres S''^* Regentes, y ||
Contribtiymtes del Colegio de la Comedia Espa/lola. {j
Siendo Regentes,
los S»"" Jahacob de David de Pinto.
Abraham Levy Ximenes Pereira.
Jahacob Hisqiuau da veiga Henriques
Ishac Jesurun da Cunha.
Dann folgt das Vorwort, woraus die Stelle interessant ist, die uns
angibt, warum das Stück wieder gedruckt wurde: . . . por haver
reconocido lo viucho que ha aplaudido el puhlico la Comedia del Cid
Campeador, y los pocos Exeniplares que ay de ella, a darle nuevamente
a la Imprenta, afin de que qualquiera Legendola coii toda comodidad
en particular, brille mas su Representacion, . . .
Amst. a 2^ de Fehrero de 1750. J. M\
Auf der nächsten Seite steht dann der Titel:
El Cid Campeador \\ V el noble siempre es Valienie ||
Comedia j| famosa, || de Don Fernando de Zärate. jj
Wie die Inhaltsangabe zeigen wird, passen auf das Drama alle oben
erwähnten Überschriften, und es dürfte kaum zweifelhaft sein, dafs
wir es hier, wie so oft bei spanischen Dramen, mit einem Stücke
zu tun haben, das unter verschiedenen Titeln gedruckt wurde.
Der I. Akt führt uns zunächst ins Lager der Mauren. Nicht
nur Männer sondern auch Frauen kämpfen hier mit, allen voran
die Tochter des Königs Bucar. Sie ist soeben von einem Siege
zurückgekehrt und erzählt nun in weitschweifiger Rede ihre Helden-
taten. Sie denkt immer noch an neue Feldzüge und da sie hört,
dafs die Krieger König Alfonsos nach Valencia gezogen kämen,
will sie einen Angriff vorbereiten.
^ L. c. [poseo . . . cast todas las sueltas que t>tenciond).
2 L. c, pag. 508.
* A. Rts'.ori in Studj di filologia romanza. fasc. 15. 1891. pag. 123 er-
wähnt ein Exemplar der Bibliothek zu Parma, das den Titel führt; Cid
Campeador. Sevilla s. a.
83
Nun ändert sich die Szene; wir sind im Palaste des Königs
Alfonso. Gegen den Willen des Königs hat der Cid Toledo an-
gegriffen, dazu erinnert der Höfling Bermudo Alfonso an den Eid,
den der König in Santa Gadea schwören mufste ; es sei klar, dafs der
Cid sich als absoluter Herr Spaniens dünke, zumal er auch der Auf-
forderung des Königs an den Hof zu kommen noch keine Folge
geleistet. Alfonso ist entschlossen, den Cid zu verbannen. Als
dieser mit seinen Getreuen, Alvarfanez und Lain, kommt, wird er
überaus ungnädig aufgenommen. Der König hält ihm dann alle
erwähnten Anschuldigungen vor. Anfangs will der König nicht auf
den Cid hören, gibt aber schliefsHch doch nach und hört die frei-
mütige, kühne Verteidigung seines Vasallen an, der den Verlust
der königlichen Gunst nur den Verleumdern zuschiebt. Zum
Schlüsse wendet er sich an die Höflinge und erinnert sie an ihre
Feigheit, wie sie den von vierzig Mauren gefangenen König ver-
lassen hätten, während er dreifsig davon getötet und die anderen
in die Flucht geschlagen. Gerade Bermudo, der jetzt dem König
so schmeichlerisch entgegenkomme, sei damals der erste gewesen,
der sich in Sicherheit begab. Der König ignoriert die Verteidigungs-
rede des Cid und schickt ihn auf ein Jahr in die Verbannung.
Der trotzige Vasall will freiwillig vier Jahre dem Hofe fern bleiben.
Seine Freunde sind erstaunt darüber, dafs er die Beleidigungen
des Königs so geduldig hingenommen, er weist sie aber darauf
hin, dafs er nur ein Vasall sei und zum Beweise dafür werde er
jetzt Valencia für Alfonso erobern. Zu diesem Zwecke entsendet
er auch Albarfanes zu seinem Vetter Martin Pelaez, der ein tüch-
tiger Krieger werden soll. Dieser ist ein Naturschwärmer und will
nichts von Kämpfen hören, als folgsamer Sohn läfst er sich aber
von seinem Vater die Waffen umgürten und geht, wenn auch un-
gern, mit seinem Diener ins Lager des Cid. Zuvor trifft er noch
seine Geliebte Elvira und ihr gegenüber rühmt er sich schon der
Taten, die er zu vollführen gedenkt.
II. Akt. Martin Peläez kommt ins Lager und wird unter die
Soldaten aufgenommen. Man ist bereits auf dem Marsche nach
Valencia, welches Bucar, der Maurenkönig, verteidigt. Beim ersten
Gefecht hält sich Martin ferne und sucht sich mit seinem Diener
zu verbergen. Der Cid hat aber die Feigheit der beiden bemerkt
und ist darüber sehr erzürnt. Er befiehlt, dafs zur Mahlzeit vor-
bereitet werde. Man bringt zwei Tische. An dem einen nehmen
Albarfanes und Lain, an dem anderen der Cid Platz. Martin will
sich zu den beiden Rittern setzen, wird aber vom Cid daran ge-
hindert, er mufs sich zu seinem Vetter setzen. Albarfanes und
Lain unterhalten sich über die Feigheit Martins, während der Cid
noch nichts davon erwähnt ; er will warten, bis er mit Martin allein
ist. Dann macht er ihm klar, wie feige es wäre vor dem Feinde
zu fliehen. Er solle doch lieber ins Kloster gehen, denn der Cid
könne nur tapfere Ritter in seinem Heere dulden. In einem langen
Monolog verspricht Martin, seine Schande wieder gut zu machen.
6*
84
Kurz darauf ertönt der Schlachtruf und der vorher so feige Martin
stürzt sich mit solchem Eifer unter die Mauren, dafs er 200 der-
selben tötet. Nun darf er sich zu den anderen Rittern setzen und
wird von diesen beglückwünscht. Der Cid erhält zwei Briefe, vom
König Alfonso und von Jimene. Letztere beklagt sich, dafs sie
vom König gefangen gehalten werde, der zudem ihre Güter ein-
gezogen hätte. Die Mitteilung Alfonsos besagt, dafs der Cid an
den Hof nach Burgos kommen solle. Mit reichen Geschenken für
den König wird Martin dorthin entsandt. Bermudo rät die Gaben
nicht anzunehmen, da ein ungehorsamer Vasall dieselben über-
reichen lasse. Trotzdem Martin seinen Feldherrn in Schutz nimmt,
beschliefst der König, den Cid gefangen nach Leon zu führen.
Als der Cid nach Burgos kommt, will Bermudo den Befehl des
Königs ausführen. Alfonso verhandelt aber zuvor nochmals allein
mit dem Cid, wiederholt die alten Anklagen und will seine Absicht
wissen, warum er jetzt gegen Valencia ziehe, er wolle gewifs König
werden. Der Cid erinnert Alfonso an die Dienste, die er seinem
Vater Fernando geleistet und dafs er, wenn der König es verlange,
ihm auch Konstantinopel erobern würde. Er habe stets, auch vor
dem Papste, die Rechte Spaniens verteidigt. Da fällt plötzlich das
Bild des Königs von der Wand herab und wird durch den Cid
aufgehalten. Dieser knüpft sofort daran an und sagt, es sei ein
Zeichen, wie er in Wirklichkeit den König beschütze. Schliefslich
gibt ihm Alfonso die Erlaubnis Valencia zu erobern ; so scheidet
der Cid versöhnt. — Elvira will ihren Geliebten, Martin Peläez,
aufsuchen und begegnet auf dem Wege nach Valencia der Mauren-
prinzessin, welche Elvira nach Valencia mitnimmt und ihr erzählt,
dafs sie jetzt gegen den Cid zu kämpfen habe.
III. Akt. Martin kommt als Abgesandter des Cid ins Lager
der Mauren und soll sie auffordern Valencia zu übergeben. Man
erfährt, dafs der Cid bereits ein Jahr lang die Stadt belagere.
Bucar und seine Tochter gehen auf den Vorschlag nicht ein und
wollen weiter kämpfen. Martin trifft Elvira bei den Mauren. Die
maurische Prinzessin gibt aber nicht zu, dafs sie mit ihm gehe.
Der Ritter ist entschlossen entweder seine Geliebte zu befreien
oder zu sterben. Der Maurenkönig will ihn töten lassen, obwohl
er als Gesandter gekommen. Zum Glück für ihn greift die
maurische Prinzessin ein, die über Martins Liebe zu Elvira gerührt
ist. Sie gibt deshalb Elvira frei.
Der Kampf beginnt von neuem. Ins Lager des Cid kommt
König Alfonso und gibt sich hier als Ritter Don Enrique del
Castillo aus um den Cid auf die Probe zu stellen. Dieser erkundigt
sich auch bei Alfonso, wie es am Hofe zugehe. Alfonso erzählt ihm,
dafs es sei wie immer, der König höre nur auf Schmeichler, sei
grausam, rachgierig, ehrgeizig. Der Cid will solche Reden nicht
hören und bedeutet Alfonso-Enrique, dafs er sein Freund nicht
sein könne, wenn er über den König Schlimmes aussage. Er
fordert ihn zum Kampfe heraus. Alfonso ist darüber so erfreut,
85
dafs er den Cid seiner Lehenstreue wegen überaus lobt und ihm
Valencia verspricht. Der Cid weifs jedoch noch nicht, dafs unter
dem Namen Enrique sein König mit ihm spricht und hält ihn für
einen Versucher, zugleich zieht er sein Schwert. Da gibt sich der
König zu erkennen. Vor Bermudo und den übrigen Rittern hält
der König dann eine Lobrede auf den Cid, der über alle Ver-
leumdungen erhaben sei.
Im weiteren Verlaufe des Kampfes werden die Mauren besiegt.
Martin und Albarfanes streiten um die maurische Prinzessin, die
aber vom Cid freigelassen wird. Nach diesem Siege zieht sich
der Held zurück, und ein Bote des Himmels verkündet ihm seinen
nahen Tod. Infolgedessen gibt er seinen Freunden Anweisungen,
was sie mit ihm nach seinem Tode zu tun hätten. Dem König
wünscht er alles Glück für die Zukunft und empfiehlt ihm Jimena.
Dann stirbt der Cid. Der König Bucar kommt vom Meere her
gegen Valencia gezogen. Der tote Cid wird auf sein Pferd ge-
bunden und reitet so allen voran in die Schlacht. Die Mauren
werden in die Flucht geschlagen. Dann wird der Cid feierlichst
bestattet.
Wenn wir zunächst an den Tod des Cid anknüpfen, so
müssen wir die Darstellung desselben als durchaus unwahrscheinlich
bezeichnen. Nach der Einnahme von Valencia ist der Cid müde
und zieht sich zurück um zu sterben. Der Verfasser wollte, wie
es scheint, sein Drama unbedingt mit dem Tode des Cid ab-
schliefsen, vielleicht in Anlehnung an das oben besprochene anonyme
Drama. Dort ist aber die Darstellung eine viel wahrscheinlichere.
Der ganze dritte Akt handelt von den letzten Lebenstagen des
Cid und erfolgt der Tod des Helden nicht so unmittelbar auf die
Belagerung von Valencia.
Aufser dieser Szene sind so viele andere nur dazu geeignet
die eigentliche Handlung unklar werden zu lassen. Cotarelo y
Morii sagt von unserem Drama sehr zutreffend: Esta obra mds
confusa por abundar mds los episodios de todo genero qiie ahogan la
acciön principal que es ö debe ser el trdnsito eti el alma de Martin
Peldez de la extrema cobardia al valor 7nds temerario. Besonders
hervorheben möchten wir daraus die Stelle: es 6 debe ser usw.
Ich halte es wirklich für fraglich, ob der irdnsito en el alma de
Martin Peldez die Haupthandlung darstellen soll. In der mir vor-
liegenden Ausgabe lautet der Titel ja auch in erster Linie : El Cid
Campeador. Die Geschichte mit Martin Pelaez erscheint eben mehr
episodenhaft. Schaeffer^ hat dieselbe Ansicht, wenn er sagt: Das
Drama „behandelt die Geschichte des Cid unter der Regierung
Alfonsos VI. Als Episode dient die bekannte Begebenheit mit
dem Neffen des gewaltigen Helden, Martin Pelaez, welcher aus
einem Feigling ein tapferer Recke wird." Dafür spricht auch die
1 L. c, pag. Xlllff.
2 L. c, II, pag. 231.
86
umfassende Behandlung des Verhältnisses des Cid zum König,
seine Verbannung und schliefsliche Rechtfertigung, sowie auch der
ins Drama aufgenommene Tod des Cid.
Viele andere Einzelheiten sind sowohl für den Gang der
Handlung wie für die Charakterisierung der Hauptpersonen voll-
ständig unwichtig. So das Amazonenheer der Mauren, die Liebe
des Martin Peläez zu Elvira, von der man übrigens, nachdem sie
von der Maurenprinzessin freigelassen worden ist, nichts mehr
erf^ihrt. Bei Matos Fragoso dient sie doch wenigstens dazu, die
Charakterentwicklung des Martin Peläez zu erklären. Auch die
Person der Jimena ist in dem Drama nur überflüssig. Der Cid
erhält von ihr einen Brief, in dem sie sich über den König beklagt;
was aber der Cid für seine Gemahlin tut, ob sie nach Valencia
kommt, wie bei dem anonymen Drama, das denselben Stoff be-
handelt, davon erfährt man nichts mehr. Nur vor dem Tode des
Cid empfiehlt der Held seine Gattin der Fürsorge des Königs.
Wozu also überhaupt Jimena in die Handlung verweben, wenn
nicht auch ein gewisser befriedigender Abschlufs in der Darstellung
ihrer Persönlichkeit erzielt wird? Wir wollen jedoch nicht ver-
kennen, dafs die Darstellung des Sieges über Valencia einer ge-
wissen Lebendigkeit nicht entbehrt. Aber sonst läfst sich über das
Drama nicht viel Gutes sagen. Man vergleiche dazu auch die
teilweise unnatürliche Sprache. Die Erzählung des Sieges der
Maurenprinzessin enthält z. B. folgende Stelle:
Todo, Senor, se debe ä tu Corona,
triunfa, conquista, emprende, solicita,
postra, rinde, sujeta, perfecciona;
tala, reforma, dd, castiga, quita,
rompe, acomete, ensalza, sigue, abona,
alcanza, fortaleze, facilita;
Der Cid ist hier das Ideal des trotzig -stolzen Vasallentums voll
Selbstbewufstsein aber auch voll Ergebenheit gegen seinen Herrn.
Wie kühn tritt er dem König entgegen, als dieser ihn verbannt:
.... aun que vos
me desterreis por estado,
no teneis ningun soldado
mejor que yo, vive Dios,
y esta espada.
Alf. Basta digo.
Cid. No basta, Rey soberano,
que los disgustos de un Rey
son muerte de los vasallos.
Als ihn dann Albarfaiies fragt, warum er die Beleidigungen des
Königs so ruhig hingenommen, sagt er:
87
Es mi Roy, soy su vasallo,
und will dem König Valencia erobern.
Einen Feigling kann er in seinem Heere nicht dulden:
como en mi compania
hombre cobarde, alienta
con deshonor tan Conocida afrenta.
Auch in diesem Drama, wie bei Matos Fragoso, hat der Cid Musik
bei sich und fragt Martin Peläez:
Gustais de Müsica?
Mart. A.qui
Müsica, Senor?
Cid. Pues no?
la Militär quiero yo.
Zu dem sonst einfachen, annehmbaren Stil des Cid passen nicht
die folgenden Übertreibungen:
Perded el miedo, que yo
no tengo en mi Compania
sino Roldanes, Reynaldos,
Xerxes, Cesares, Sansones,
Alexandros, y Scipiones,
Anibales, y Bernardos.
Ebenso :
pues puedo desde Valencia
con el aliento mataros.
An die Crönica rimada erinnert folgende Erzählung des Cid:
la (= silla) del Key de francia sola
estava un grado mas alta,
que la vuestra ....
de un puntapie que le di
fue la tal silla Gascona
a estrellarse con el techo,
y a nuestra silla Espanola
la puse con la del Papa,
y que el Duque de Vandoma,
que lo quiso defender,
assiendole de la Gola,
le anoje de un puntapie
mas alto que una Pelota.
Martin Pelaez ist als ein Naturschwärmer und Philosoph dargestellt,
was aus seinen Worten zu entnehmen ist:
buen pastor, y mal Adonis,
buen labrador, mal soldado
querer que vaya d la guerra
es querer que me deshonren
los Amigos, y Enemigos,
que mis faltas no conocen:
philosopho soy, que busca
la quietud entre essos Robles
he leido, que la vida
es un transito, que coge
la cuna, y la sepultura,
en Cuza Mansion el hombre,
apenas se assoma dia,
quanto se introduce noche.
Als sein Vater ihm vorhält, dafs ein hombre nohle nie feige ge-
wesen, sagt ihm dieser Philosoph:
cobarde se ha de llamar
el que naciö con valor,
y no sustenta su hönor
pudiendole sustentar;
pero el que tuvo d el nacer
pacifica inclinacion,
no faltando a la Razon,
nadle le puede ofender,
la perfecta Cobardia
es aprender d matar;
pero saber perdonar
es la Mayor Valentia . . .
Bei seiner Geliebten denkt er aber anders:
no es buen enamorado
el que no ha sido Valiente,
hasta que haya conquistado
el nombre de Capitan,
no he de verme en vuestros brazos.
Im Kriege huldigt er aber mehr dem von seinem Diener aus-
gesprochenen Grundsatz :
Dies dixo: no mataras,
guardaras su mandamiento,
tambien corao en un convento,
und zittert schon, wenn er nur einen Trompetenstofs hört. Auf
den Vorhalt des Cid hin wird er ein anderer und macht sich
selbst die bittersten Vorwürfe:
soy infame Ciudadano,
y mal Vassallo, pues loco
89
agravio al Rey, y a los hombres,
caigase el Etna en mis ombras.
Seinem einmal gefafsten Vorsatz bleibt er aber treu und wird ein
tüchtiger Ritter, der sich auch im Lager der Mauren nicht fürchtet
und dafür durch die Freilassung seiner Geliebten belohnt wird;
el dar la vida a la muerte
por defender a su dama,
mas obliga, que desprecia,
mas ennoblece que agravia,
sagt die Maureninfantin.
Was das Verhältnis zu den Romanzen anlangt, so diente
aufser den obeni erw-ähnten über Martin Peläez auch diejenigen
als Vorlagen, die vom Cid in Santa Gadea, von der Verbannung
des Cid und seinem Tode handeln:
9 8. Muerto es el Rey don Sancho
100. En sanda Gadea de Burgos
101. Fincad ese 7nas sesiido
107. Si atendeis que de los hrazos
108. Tengovos de replicar
lOg. Del Rey Alfonso se que ja
I lO. De palacio sale el Cid
111. Obedezco la seniencia
112. Escuchö el Rey don Alfonso
ferner 120, 134, 140, 141, 187, 188, 192, 196, 197, 198, 199
die bereits oben (pp. 67) erwähnt wurden. Die Romanzen sind
jedoch freier behandelt und nur in einzelnen Versen wörtlich auf-
genommen, so findet sich der Vers der Romanze 130:
que las faltas de los buenos
a solas se han de renir,
wortwörtlich im Drama.
SchaefFer^ sagt: „das Stück zeigt offenbar zwei Hände, weshalb
sich annehmen läfst, Zärate habe längere Stellen eines früheren
Dramas ganz oder beinahe wörtlich eingeschaltet''.
Auch ich halte das Drama für eine Zusammenstellung ver-
schiedener Szenen der drei oben besprochenen Dramen dieses Teiles.
Wörtliche Anlehnungen an ein früheres Drama habe ich jedoch
nicht gefunden. Freilich läfst sich die Entstehungszeit weder dieses
noch aller anderen Dramen, die die Episode mit Martin Paläez
behandeln, feststellen, denn ein Stück kann schon lange geschrieben
worden sein, bevor es gedruckt wurde. Zudem fehlt uns über
1 Pag. 67 (128—133).
> L. c, II, pag. 232.
go
unseren Dichter jede biographische Kenntnis, wir wissen nur, dafs
er um 1660 gelebt haben mufs.'
Man kann also nicht angeben, welche Dramen späteren Dichtern
als Vorlage dienten, oder ob ein verlorenes Drama die gemein-
same Quelle war. Immerhin ist der innere Zusammenhang der
vier Dramen, soweit er nicht auf die gemeinsame Quelle des
Romancero zurückgeht, auffallend.
5. Francisco Polo: El Honrador de sus hijas.
Das Drama steht im 2^. Bande der Comedias nuevas y escogidas
de los mejores ingeniös de Espana. Madrid 1665 und 1666. Es ist
das IG. Stück. Weitere Ausgaben sind nicht bekannt.
I. Akt. König Alfonso hat beschlossen den Infanten von
Carrion, Diego und Fernando, die Töchter des Cid, Elvira und
Sol, zu Gattinnen zu geben. Albar Fanez soll dem Cid diesen
Entschlufs mitteilen. Die Grafen von Carrion bedanken sich in
hochtrabenden Worten für die hohe Ehre. Im geheimen freut sich
jedoch Fernando, sich an dem Cid rächen zu können. Als er mit
Diego allein ist, erzählt er diesem, dafs er beim cerco de Zamora
ohne Waffen verfolgt worden sei und um sein Leben zu retten,
hätte fliehen müssen. Der Cid habe das gesehen und ihn des-
wegen vor allen Rittern zur Rede gestellt. Er habe ihm deshalb
Rache geschworen und betrachte die gegenwärtige Gelegenheit als
sehr günstig, da der König seiner Bewerbung um eine Tochter des
Cid willfahren habe. Diego hält es aber für feige, wenn Fernando
sich an Frauen rächen wolle.
Albar Fanez bringt dem Cid die ihm vom König aufgetragene
Botschaft. Dieser hat die Nacht zuvor einen unruhigen Traum
gehabt, ruft seine Gattin und seine zwei Töchter und erzählt ihnen,
dafs er zwei schöne Frauen nackt an zwei Bäumen gebunden ge-
sehen habe. Dann sei ihm der heilige Lazarus erschienen, der
ihm verkündet, dafs er der Stolz der Christen und der Schrecken
der Mauren sein werde und ruhmbedeckt sterbe. Er werde die
Ehre seiner Töchter verteidigen. Während Jimena den Traum nur
für das Produkt einer momentanen Unruhe hält, glaubt der Cid
an eine wirkliche Prophezeihung. Seine Töchter sind über das
Gehörte sehr erschrocken. Nun folgt eine völlig überflüssige Szene
zwischen Jimena und ihrem Gatten, die sich nur Schmeicheleien
sagen, bis Alvar Faüez als Bote des Königs erscheint. Nach einer
langen Einleitung, in der er von den Heldentaten des Cid, von
denen des Königs und seinen eigenen spricht und man seine Ab-
sichten gar nicht zu erkennen vermag, da er zu allem noch eine
Betrachtung über das Staatswesen anstellt, erfährt man erst, dafs
Alvar als Gesandter des Königs kommt. Jimena, die sich vorher
^ Siehe Barrera, 1. c, pag, 506 u. 507.
91
zurückgezogen, ist plötzlich neugierig geworden und versteckt sich
um das Gespräch belauschen zu können. Sie hört nun, dafs der
König ihre Töchter mit den Infanten von Carrion zu verheiraten
wünsche. Sie spricht für sich ihre Befürchtung aus, auch der Cid
zögert anfangs, gehorcht aber dann dem König und erklärt, dafs
er den Grafen seine Töchter gibt. Da springt plötzlich Jimena
aus ihrem Verstecke hervor und sagt, dafs sie ihre Töchter nicht
den Infanten verheiraten wolle, da diese an den Grafen sicherlich
keinen Geschmack fänden. Der Cid hat jedoch bereits seine Zu-
sage gegeben, und Alvar Fanez wird die Antwort des Cid dem
König überbringen. Als aber der Gesandte fort ist, fällt ihm die
Feigheit des Fernando vor Zamora ein und er ist, gleich seiner
Gemahlin, besorgt um die Zukunft seiner Töchter.
II. Akt. Die Hochzeitsfeier findet statt. Auch der König ist
dabei anwesend und bemerkt, dafs Jimena in den allgemeinen
Jubel nicht einzustimmen vermag. Er fordert die Grafen auf, ihrer
Freude Ausdruck zu geben. In galanten Worten tun sie es auch,
im geheimen freut sich aber Fernando seiner Rache. Das Mahl
beginnt. Die Frauen setzen sich zur Rechten, die Männer zur
Linken des Königs. Man unterhält sich in recht eigentümlicher
Weise über die Liebe. Auch der Cid und Jimena mischen sich
in das Gespräch ein. Nach dem Mahl überreicht der Cid seinen
Schwiegersöhnen seine beiden Schwerter. Dann entfernen sich alle
Anwesenden bis auf die beiden Grafen. Da hört man plötzlich
Rufe hinter der Szene, dafs ein Löwe entkommen sei. Die Infanten
haben nichts Eiligeres zu tun als zu fliehen und Schutz zu suchen.
Von seinem Diener Toston erfährt der Cid die Feigheit der Grafen
und hält ihnen eine Strafpredigt, dafs sie, trotz seiner Schwerter,
feige gewesen. Fernando und Diego beschliefsen nun erst recht
sich zu rächen, wollen aber vor dem König ihre wahre Absicht
verhehlen. Letzterer hält ihnen ebenfalls ihre unritterliche Haltung
vor. So ist nun auch Diego für die Rache gewonnen.
III. Akt. Die Grafen haben bereits ihre Schandtat ausgeführt.
Albar Fanez bringt dem König die Meldung. Die Infanten sollen
strenge bestraft werden. Nun kommt auch der Cid mit Jimena
und ihren weinenden Töchtern. Sie verlangen Rache für den an
ihnen verübten Frevel, denn der König habe diese Heirat befür-
wortet. Jimena erzählt unter Klagen die Freveltat, wie die Infantin
ihre Töchter nackt im Walde gelassen und wie sie von Albar Fanez
gefunden wurden. Es wird ein Zweikampf des Cid mit den
Grafen beschlossen. Der König und Albar Fanez werden als
Richter fungieren. Elvira und Sol freuen sich, dafs sie gerächt
werden sollen. Die Infanten erhalten einen Brief vom König,
worin dieser sie auffordert an den Hof zu kommen und den Zwei-
kampf zu bestehen. Als der Streit beginnt, verlangt der Cid seine
Schwerter zurück. Man gibt den beiden Grafen andere von zwei
Dienern aus dem Gefolge des Königs. Zuerst wird Diego, dann
92
Fernando besiegt. Da die beiden sich selbst für überwunden er-
klären, schenkt ihnen der Cid das Leben. Der König bezeichnet
nun die Grafen öflfentlich als Verräter, während der Cid Jimena
den für ihn glorreichen Ausgang mitteilt.
Die einzige Notiz über dieses Drama findet sich bei Schaeffer,i
die besagt, dafs es im 23. Bande der Escogidas steht und „eines
der schlechtesten in dieser Sammlung abgedruckten Stücke ist."
Schon die Inhaltsangabe ist eigentlich nichts anders als eine
blofse Aneinanderreihung möglichst vieler Bilder aus dem Romancero.
Schaeffers Urteil wird jedoch noch mehr bestätigt, wenn man das
Stück im einzelnen betrachtet, die Darstellung der einzelnen Szenen
und die dabei angewandte Sprache und die nichts weniger als
gelungene Charakterdarstellung. Führen wir dafür einige Bei-
spiele an.
Schon in der ersten Szene, in der der König dem Wunsche
der Infanten nachkommt, ihnen die Töchter des Cid zu Gemahlinnen
zu geben, knüpft sich ein Gespräch an über die für einen König
nötige Ruhe und über die Wichtigkeit der Augen beim Regieren:
Fern. Con la quietud, con el sueSo
la noche combida ya,
y es hora de qua descanses.
Rey. Ay mucho que despachar,
y no me es licito el suenos.
Dieg. Bien podia dispensar
tu Magestad con el sueno.
esta noche. Rey: Assi es verdad
pero aun un instante fuera
al cargo de Rey faltar.
Siempre ha de tener los ojos
abiertos la Magestad.
porque el oficio
de Principe, se ha de hallar
con ojos, sin embara^o
para el govierno; etc. etc.
Dann geht der König ab mit der sonderbaren Motivierung, dafs
er viel Arbeit habe.
Überflüssig ist auch die Szene zwischen dem Cid und seiner
Gattin, in der sie sich nur Schmeicheleien zu sagen haben:
Cid. ya de la inquietud reposa
mi cora9on; quien lo duda,
si tu belle ser me ayuda,
tan contrario ä mi passion,
que adorna mi cora9on,
de lo que al miedo desnuda?
* L. c, II, pag. 272.
93
Von der langen Rede des Albar Fafiez, der die Botschaft des
Königs dem Cid überbringt und da des Langen und Breiten seine
Heldentaten, sowie die des Cid und des Königs erzählt, will ich
nur die Definition erwähnen, die er vom Staat gibt:
La Republica, Rodrigo,
no es mas que un mixtico cuerpo,
cuyo todo se compone
de Nobles y de Plebeyos.
Dann das Geschwätz über die Liebe bei der Mahlzeit! Der
König will eine Academia de amor einsetzen um zu bestimmen, was
die Liebe sei und begründet dies damit:
. . . . que aunque es cierto
que muchos amor confiessan,
no saben que es, y professan
en lo mas claro lo incierto.
De amor la fuer^a suave
al ser de la luz imita,
SU claridad acredita,
y que es la luz nadie sabe.
Es würde zu weit führen wollte ich noch mehr anführen, es
sei nur erwähnt, dafs sich auch der Cid und Jimena in den Streit
mischen und zum Schlüsse auch der Diener des Cid, Toston. Dann
bricht plötzlich das Gespräch ab, der König will mit Albar Fafiez
gehen und fragt naiverweise die Neuvermählten:
pues Dona Sol, D» Rodrigo,
D« Jimena, D» Diego
todos donde vais?
Der Cid antwortet darauf echt vasallenmäfsig:
Cuidado
de la obligacion nos guia
Darauf der König :
No, Don Rodrigo; este dia
es dia previlegiado
Cid. Tu gusto es nuestra obediencia.
Im Charakter des Cid ist es eigentlich nur diese eine Eigen-
schaft, nur dieser Zug der Vasallentreue, der scharf ausgeprägt ist.
Aufser den bereits erwähnten Stellen führen wir noch an:
^no es mi Rey, quien me lo manda?
sagt er zu sich selbst, dann gibt es keine Widerrede mehr, er
gehorcht.
94
Das gleiche spricht er auch Jimena gegenüber aus:
Esto es ser leal vasallo
es ser con mi Ray atento.
Wie pafst aber zu dem uns so sympathischen Bilde Jimenas
der Romanzen dieser Zug der Neugierde:
Ni me ha dexado el recelo,
ni de mi curiosidad
puedo sossegar el ceno,
hasta saber la ocasicn,
que a Albar Fanez con secreto
d mi casa se ha traido;
aqui estan, desde aqui puedo
escucharlos, sin ser vista;
Was die Infanten von Carrion betrifft, so hat Polo, entgegen
den Romanzen, Diego als den edleren der beiden dargestellt, denn
dieser findet es schmählich sich an Frauen zu rächen:
tente, no digas mas
que me corro vive el cielo
de oirlelo pronunciar:
en mugeres ay venganfa?
Fernando, muy mal estäs
con tu valor, y tu sangre.
Si yo me llego d casar
con hija del Cid, Fernando,
es para estimarla mas,
sagt er zu Fernando.
Als er aber wegen seiner Feigheit zur Rede gestellt wird, da
will er auch an der Rache teilnehmen:
que quanto hagas
para vengarnos del Cid,
tendrä en mis iras constancia.
Und weiter:
Fern, Pues viva el enojo.
Diego. Y muera
d manos de la vengan^a.
Im übrigen schliefst sich der Inhalt an folgende Romanzen an:
23. Celebrades ya las bodas
142. Considerando los condes
143. Casadas tiene sus hijas
144. Acahado de yantar
145. Non quisiera, yernos mios
153. De concierto estän los co?ides
05
154- D^ concierto estdn tos co?ides
155. En las malezas de un monte
156. AI cielo piden justicia
158. No con poco sentimiento
159. Elvira, soltä el punal
160. Lloraba dona Jimena
166. Yo me estando en Valencia,
171. A Toledo habia llegado
172. Digädesme, aleves condes
173. En Toledo esiaba Alfonso
174. Despues que el Cid Campeador
176. A vosotros, femenlidos
17 g. En las Cor t es de Toledo
18 1. Ya se parte el Rey Alfonso
185. Rodrigo Diaz de Vivar.
Einzelne Verse derselben, so aus 23:
^Duermes ö velas Rodrigo?
oder aus 144:
Guarda el Leon
sind auch wörtlich übernommen worden.
IV. Dramen, die den Cid in burlesker Weise
behandeln.
I. Gerönimo de Cancer yVelasco;! Las Mocedades del Cid.
Gedruckt wurde dieses Stück im 39. Bande der Comedias
nuevas de los tnejores Ingeniös de Espana. Madrid 1673 als das 8. der
enthaltenen Komödien. Auch verschiedene Einzeldrucke sind mir
bekannt. Es ist mit der Burleske: Las Travesuras del Cid, die in
dem -apokryphen dritten Band der Komödien von D. Agustin Moreto
y Cabaiia2 gedruckt wurden, identisch. Wie nämlich Schaeffer^
nachwies, ist dieser 3. Band nur „eine piratische Buchhändler-
spekulation". Er enthält nicht weniger als 8 Dramen, die aus
den Comedias escogidas abgedruckt sind unter verändertem Titel.
6 davon sind von Moreto, 2 von anderen Autoren. Die von mir
vorgenommene Textvergleichung ergab, dafs die Abweichungen nur
• t 1655.
' Tercera parte de comedias de don Agustin Moreto y Cabanc,
Madrid 1681.
2 L. c, II, pag. 168.
96
orthographischer Natur sind. Die Ausgaben des Dramas (aufser bei
Moreto) geben auch an, dafs die Burleske am Fastnachtsdienstag
vor den königlichen Majestäten aufgeführt wurde. ^ Eine kurze
Skizzierung der Handlung wird am besten zeigen, welche Momente
aus dem Leben des Cid der Verfasser travestiert hat.
Der Graf Lozano will seine Tochter Jimena mit D. Sancho
verheiraten, während sie Rodrigo liebt. Als sie gerade einen Brief
an ihren Geliebten schreibt, kommt ihr Vater mit D. Sancho und
liest den Brief. Sie soll deshalb sterben. Rodrigo selbst klagt er
beim König an, dafs er in seiner Tochter liebende Gefühle erregt
hat. Jimena erhält von ihm Gift, stirbt aber nicht; nun will der
Graf seinen Degen ziehen und verwundet sich selbst dabei. Unter-
dessen kommt Diego Lainez, dem er sagt, dafs er sich selbst mit
seiner Tochter verheiraten wolle. Darüber geraten sie in Streit und
der Graf gibt Diego eine Ohrfeige. Diego fragt seinen Sohn, wen
er in dieser Ehrensache zu Rate ziehen soll. Dieser meint, den
Beichtvater. Diego gibt ihm zwar Recht, hält es aber für besser,
wenn er den Grafen gleich töte. Dieser fordert Lozano, tötet ihn
und stellt sich selbst dem König. Darauf zieht er in den Kampf
mit den Mauren. Als er vor Valencia ist, wird ihm die Stadt ohne
weiters übergeben. Jimena kommt während der Mahlzeit an den
Hof und verlangt Rache für den Tod ihres Vaters. Da erscheint
der Cid als Eroberer von Valencia. Nachdem er seine Taten er-
zählt, verlangt er Jimena zur Gattin, die auch sofort einwilligt.
Ist schon der Gang der Handlung komisch gehalten, so umsomehr
die ganze Dialogführung und die eingeflochtenen nebensächlichen
Szenen des Stückes. Man müfste wirklich die ganze Comedia ab-
schreiben, wollte man sie alle anführen. Ich will nur einige erwähnen.
Ein Maure bringt dem König reiche Geschenke: 80 Pferde (der
König fragt: Warum nicht gleich 100?), Kamele, Elephanten, Tiger,
etc. aufserdem noch 6 Quitten aus Toledo, all dies um das Haupt
des Cid zu erhalten. Als der König darüber böse wird, will der
Maure Christ werden; der König lehnt es jedoch ab, da er noch
zu jung sei.
Als Rodrigo von seinem Vater aufgefordert wird, den Grafen
zu töten, verlangt er dafür 200 escudos, Diego will ihm aber nur
100 geben. Rodrigo braucht das Geld für Jimena, die er nach
dem Tode ihres Vaters versorgen müsse. Diego, der, wie es
scheint, schon öfter den Wünschen seines Sohnes in dieser Richtung
nachgegeben hat, ruft aus:
este mozo ha de enterrarme
porque siempre anda en pendencia.
Als der Cid vor Valencia ist, weifs er nicht, ob dies die Stadt
wirklich ist, er mufs daher erst einen Mauren rufen und ihn darum
fragen. Den Mauren verspricht er auch durchsetzen zu wollen,
Fiesta que se representö d siis Magestades, Mdrtes de Carnestolendas.
97
dafs sie nicht in die Hölle, sondern ins Fegefeuer kommen
sollten.
Manchmal wird der Dichter auch sehr trivial, wenn er z. B.
den König zum Cid sagen läfst, als dieser um die Hand Jimenas
anhält :
ved que es muger, y se siembra
gran duda, si con vos casa.
Vielleicht darf ich auch einige literarische Anspielungen in dem
Stücke vermuten. Als Jimena zum König kommt, redet sie dieser
mit Beatriz an; da sie ihn aufmerksam macht, dafs dies nicht ihr
wirklicher Name sei, meint er:
Si es, que lo proprio es decir
Beatriz, que Ximena Gomez,
en estylo pastoril.
Sollte sich dies nicht auf die damalige Schäferdichtung beziehen
können ?
Und wenn schliefslich der Cid am Schlüsse der Erzählung
seiner Heldentaten sagt:
todo lo venci en un dia,
kann er damit nicht an Corneille's Cid und an die Unwahr-
scheinlichkeit seiner Handlung in 24 Stunden gedacht haben?
An dem vorliegenden Stücke fällt am meisten wohl der ganz
unvermittelte Schlufs auf. Als der Cid die Erzählung seiner Taten
beendet hat, verlangt er zum Lohne dafür die Hand Jimenas.
Er erhält sie ohne den geringsten Widerstand und das Stück ist
zu Ende. Das geht ohne jede Vermittlung, mit ein paar Versen
ist die Angelegenheit abgemacht und der Leser wie der Hörer, der
kurz zuvor die lange Rede des Cid angehört hat, ist ganz erstaunt
sich so plötzlich aus dem Humor und Spott der Komödie wieder
in die nackte Wirklichkeit versetzt zu sehen, wenn er hört:
y aqui, Senado, se acaba
Las Mocedades del Cid.
Ein kurzes treffendes Urteil über die Comedia fällt D. Luis Fernandez-
Guerra y Orbe, der noch zu keiner Lösung kommt, ob es von
Cancer oder Moreto ist, in der Einleitung zu den Komödien D.
Agustin Moreto y Cabana's ' :
Los aviores de Rodrigo y Jimena, la bofetadä que recibe Diego
Lainez del conde Lozano, la satigrienla venganza del Cid y sie hoda
con la hija de aquel magnate, son los sucesos que presenla en burlas
el poeta, ridiculizando graciosamente los desvarios que entonces des-
lustraban el ieatro. Ni se perdona ä si proprio, dando por ello d
1 Bibl. de aut. esp. Band 39, pag. XLIII.
Beiheft zur Zeilschr. f. rom. Phil. XXV.
98
conocer (como otros dramdticos de aquel siglo) qiie erraha con cotio-
citniento de causa. Los chistes^ de bueiia ley ; la saiira, muy apreciahle.
In ähnlicher Weise sagt Schack^ von den beiden Burlesken
Cancers (aufser Las Mocedades del Cid noch La muerie de Baldo-
vinos), dafs sie „von ausgelassener Lustigkeit" seien und „zu dem
Besten gehören, was das spanische Theater in dieser Art besitzt".
2. Bernardo de Quirös: El Hermano de su Hermana.
Von dem Drama existiert nur ein Druck, nämlich die Ausgabe
zu Madrid 1656.
L Akt. Die Szene beginnt in Toledo, v^^o König Alfonso als
Gefangener weilt und die Maurenkönigin Zoraida liebt. Dieses
Verhältnis ist jedoch nicht ohne Folgen geblieben. Der Maure
Zelimo hebt ebenfalls die schöne Maurin und, auf Alfonso eifer-
süchtig, will er dem Gatten Zoraidas Mitteilung machen. Diese
ahnt, dafs der König sie ob ihrer Untreue töten wird und macht
mit Alfonso ein Stelldichein am Morgen während der Messe
aus. Zelimo bringt dem König die Meldung, der beide zu töten
beschliefst. Als nun die beiden Liebenden kommen, rät er Alfonso
sich zu verbergen, Zoraida aber will er töten. Alfonso legt sich
ins Mittel, dadurch wird der Maurenkönig versöhnt und will sogar
die Hebamme holen zur Geburt.
König Sancho ist vor Zamora und hat den Cid zu seiner
Schwester Urraca gesandt. Die Infantin ist entschlossen die Stadt
nicht auszuliefern. Sancho will sie deshalb mit Gewalt nehmen.
Der Cid rät ihm davon ab, da Urraca seine Konkubine sei. Da-
durch fühlt sich Sancho hochgeehrt, verbannt aber den Cid als
dieser sagt, dafs er Zamora verteidigen werde. Die Unterredung
Sanchos mit Urraca und Arias Gonzalo führt ebenfalls nicht zu
dem von ihm gewünschten Erfolge.
In Toledo warnt Zulema den König vor Alfonso, der ihm die
Stadt rauben könnte. Er rät, ihn am Charfreitag zu Tische zu
laden und ihm eine ungeheure Menge Speisen und Wein auf-
zusetzen und ihm dann während der Mahlzeit den Eid abzunehmen,
dafs er nie aus dem Palaste gehe. Der König tut, wie ihm geraten.
II. Akt. Der Diener Lope bringt Sancho einen Brief vom Cid,
der in Paris als Verbannter ist. Dann soll ein Kampf zwischen
einem Mauren Fulano und Diego stattfinden, letzterer kann aber
nicht, da der Arzt es verboten habe. Nun will Urraca mit Fulano
kämpfen, unterdessen wird ihr Bruder für sie beten. Der Maure
will aber dann lieber statt zu fechten essen. Urraca geht darauf
nicht ein und beschliefst Fulano zu töten. Dann kommt Arias
Gonzalo mit einer Guitarre, dadurch wird der Kampf verhindert.
1 L. c, III, p. 404.
99
Bellido de Olfos kommt ins Lager des Königs Sancho und
will den König allein sprechen. Er fürchtet belauscht zu werden
und fordert daher Sancho auf mit auf das Feld hinaus zu gehen.
Auch draufsen sprechen sie einander ins Ohr. Bellido sagt dem
König, dafs er ihn töten werde, er solle sich nun die Todesart
auswählen. Da Bellido ihn nicht gleich töten will, dringt der
König in ihn, er habe ihn doch zu töten und danke ihm, dafs er
ihn darauf aufmerksam gemacht habe, denn sonst wäre er wie ein
Esel gestorben. Dann tanzen beide mitsammen und schliefslich
tötet Bellido den König. Nun kommt Diego und findet Sancho,
der zwar tot ist, aber immer noch sprechen kann. Der König
erzählt Diego, dafs Bellido ihn getötet habe und verlangt nach
dem Cid. Als er erscheint, will der König sein Testament machen.
Der Cid soll nach Toledo gehen und Alfonso das Vorgefallene
mitteilen. Arias Gonzalo singt plötzlich auf der Mauer und warnt
den König vor Bellido ; es ist aber bereits zu spät.
III. Akt. Urraca betrauert den Tod ihres Bruders. Der er-
mordete König, mit einem Chorhemde bekleidet und einer Krone
auf dem Haupte, erzählt, dafs er heute begraben werde. Er sei
aus der anderen Welt zurückgekehrt um mit seiner Schwester
Hochzeit zu feiern. Diego kommt auf einem Schiffe angefahren
um Zamora herauszufordern. Nun tritt auch Alfonso mit Zoraida
und dem Maurenkönig auf. Letzterer dispensiert die Geschwister
von dem Ehehindernis der Blutsverwandtschaft. Sancho erzählt
nun des Langen und Breiten, v/ie er sich zweimal verheiratet habe.
Während dieser langen Rede verloben sich nun Urraca und der
Maurenkönig, er will Christ und Urraca Maurin werden. Auch
Alfonso will Urraca als Gattin, sie gibt auch dazu ihre Zustimmung.
Zum Schlüsse erklärt der Cid, dafs alle diese Liebeleien nur
Späfse gewesen seien.
Die kurze Notiz Schäffers^ über das Drama besagt, dafs sie
„stark gepfeffert" sei. Barrera^ bezeichnet sie als nna de las mas
sazonadas de este genero que tiene nuestro teatro. Ich halte das
Stück für zu überladen mit Späfsen und satirischen Angriffen. Auf
die Dauer ermüdet diese Art Witze zu machen.
Von den oben besprochenen Dramen ähnelt die Handlung am
meisten der Cornedia Guill6n de Castro's, der ja auch die Liebe
Alfonsos zu einer schönen Maurenprinzessin behandelt. Ob aber
das vorliegende Stück Bernardo de Quirös' eine Travestie des
Dramas Guillen de Castro's ist, kann kaum mit Sicherheit ent-
schieden werden.
Das Stück wurde von der Inquisition verboten. Dieses läfst
sich wohl aus verschiedenen Stellen erklären.
1 L. c, II, pag. 273.
» L. c, pag. 315.
lOO
Vor allem finden wir eine Reihe von Herabwürdigungen kirch-
licher Einrichtungen. Die schwangere Zoraida will ins Kloster
gehen und zwar in einen Männerorden :
y en pariendo diez Perayles
de ser Monja tengo intento
en un Convento de Frayles
sagt sie zu Älfonso.
Ferner finden wir Stellen aus dem Offizium der Messe :
D. Sancho: Salios todos afuera
ya se han ido.
Urraca: Pues laus Deo.
D. S.: Yo tambien me quiero ir.
Urr.: Don Sancho
Dominus tecum.
Dann sprechen die beiden Geschwister: d la oreja, y recio, was viel-
leicht eine Anspielung auf die Beichte sein kann.
Auch ein Maure (Fulano) gebraucht Stellen aus dem Officium.
Ful. Deo gracias, te Deum laudamus.
Ebenfalls Zelimo:
Aleluya
como es possible que muera
quien sähe bailar a son;
en Madrid, y Talabera,
Kirie, y mas Kirie,
Kirie eleison.
Dann die Dispensation des Maurenkönigs:
Yo
como Ar^obispo Ingles
dispenso, dale la mano.
Eine ähnliche Dispense erzählt uns auch König Sancho :
Escuchad.
Con dispensacion de Roma
de narices, en un Credo
me cas6 como pension
con dona Clara de huevo.
Eine andere Stelle ist eine Anspielung auf den hl. Lucas und dessen
Handwerk :
Zelimo: SeBora ne nos inducas;
pues escrivele un villete,
lOI
que si te faltara alguna
alhaja para escrivir,
el tintero de san Lucas
soy yo, tu mano el papel.
Eine Anspielung auf die Bibel ist auch folgendes:
D. Sancho: Vamos d pescar lampreas
Urraca: Adonde?
D. Sancho : AI monte Tabor.
Manchmal werden die Witze arg derb :
Zora: Advierte esposo que estoy
de don Alfonso prefiada.
Alm.: Pariräs manana ö oy?
Zor. : Oy, porque estoy colocada.
Oder wenn König Sancho Diego fragt: .
No viene la Infanta ä Missa?
und Diego zur Antwort gibt:
En este punto senor,
Rodrigo el Cid Campeador
la vestia la camisa.
Yo la vi un dia en Ocana
sin camisa en una manta.
und weiter unten:
Als Satire auf die Ärzte könnte vielleicht gelten die Unter-
redung Sanchos mit Bellido, wo letzterer dem König mitteilt, dafs
er ihn töten wolle und der König darauf erwidert:
Eres Medice ?
Vellido: No seiior;
pero procuro
matar como matan ellos.
Dagegen kann man sehen, welche Verehrung der Dichter dem Lope
de Vega entgegenbrachte. Als der Diener Lope zu Sancho kommt,
fragt dieser:
A visitarme vendrd
es este Lope de Vega.'
Diego erwidert darauf:
No senor,
que sus destinos,
sus meritos, y su zelo,
le tienen allä en el Cielo,
porque es patria de divinos.
I02
Der Stil ist im ganzen fliefsend, doch ist die Sprache mehr die
der unteren Volksklassen. An die bei Zärate (siehe pag. 86)
erwähnte Stelle erinnert:
Diräs que Mahoma manda
que coma tozino fresco,
y dale pabos, perdizes,
cernicalos, y abadejo,
mirlas, tortolas, gorriones,
abestruces, pabos, cuerbos,
gilguerillos, y palomas,
oropendolas, vencejos;
Y darasle de pescado
una vallena, un cangrejo,
un camaron, una trucha,
un albur, y un salmo fresco,
darasle carauesas, peras,
ubas, albayalde y guebos,
rabanos, melocotones,
guindas, cirvelas y peros.
Man sieht, dafs es sich um die Aufzählung der Speisen handelt,
die der Maurenkönig Alfonso vorsetzen soll.
Sancho und Bellido tanzen mitsammen, bevor Bellido den
König ermordet und singen dabei folgendes merkwürdige Lied:
Que sino tiene saya Marigandi,
que sino, que si si, que sino, que si si;
que que, que se me da ä mi.
Die so oft wiederkehrenden Romanzen 64/65 finden sich auch
hier, natürlich in einer komischen Situation und mit Einschaltung
zweier Verse. Arias warnt den König singend, nachdem Sancho
bereits getötet ist:
Rey don Sancho
Rey don Sancho,
no digas que no te aviso,
que del cerco de Zamora
un gran traidor ha salido.
El dize que vä ä la viSas
ä llevarte unos pepinos,
Vellido de Olfos se llama,
y hijo de Olfos Vellido,
Die ebenfalls, wenn auch in freierer Form, wiederkehrenden
Romanzen der Herausforderung Zamoras durch Diego, hat Quirös
folgendermafsen travestiert:
Relo el pan, reto la carne,
nabos cebollas, y ver9as.
I03
arroz con grasa, alcuzciiz,
los nabos de Somosierra,
los diamantes del Zeilan,
los ^afiros de essa esfera,
sideral piel estreilada,
que once hojas se enquadernan.
Reto los signos Celestes,
la caterba de planetas.
Reto sastres, Boticarios,
alfaareros, estafetas,
los Medicos, y organistas,
y quanto cifra el et cetera.
Die Satire ist, wie man sieht, manchmal sehr derb und verrät
keinen höheren dichterischen Schwung. Mit Cancers Burleske
verghchen, fällt das Stück sehr ab, hauptsächlich durch die bereits
obenerwähnte Überfülle der Handlung und der Späfse.
Schlufswort.
Werfen wir einen kurzen Rückblick auf die besprochenen
Dramen, so fällt uns unwillkürlich auf, dafs die Dramatiker des 16.
und 17. Jahrhunderts es nicht vermocht haben den episch-lyrischen
Charakter des Cid des Poema (resp. Cantar) und der Romanzen
zu einem wirklich dramatischen Charakter umzugestalten. Nur
Corneille brachte es zustande, indem er das ganze Gewicht auf
den Konflikt zwischen Ehre und Liebe verlegte. Ein anderer Kon-
flikt, der sehr wohl einer spezifisch-dramatischen Behandlung fähig
gewesen wäre, ist der zwischen Vasallentreue und Selbstbewufstsein.
Aber keines der spanischen Dramen hat ihn mit Energie zum
dichterischen Mittelpunkt gemacht. Man sieht, dafs die Ciddichtung
ihre wahre Blüte in der epischen und lyrischen Poesie der Spanier
erlebt hat. Im Drama ist die Ciddichtung allmählich verfallen.
Guillem de Castro dürfte etwa den Höhepunkt bedeuten, der von
keinem späteren mehr übertroffen wurde. In der 2. Hälfte des
17. Jahrhunderts wird die Gestalt des Cid von anderen Interessen
immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Das Drama wird galant,
wird psychologisch vertieft, hört auf national zu sein; es wird
individualistisch oder sinkt zur Intriguenkomödie herab und ver-
mischt sich so mit der comedia de capa y espada. Ein Zeichen, dafs
der Cidstoff als dramatischer Gegenstand schon um die Mitte des
17. Jahrhunderts sich überlebt hatte, sind die dramatischen Parodien,
Travestien und Burlesken.
Übrigens hängt die Geschichte der Ciddichtungen mit der
Geschichte des spanischen Nationalgefühls und zum Teil auch mit
der des religiösen Gefühls und des sozialen Bewufstseins aufs innigste
I04
zusammen. So spiegelt sich z. B. in der Ciddichtung das jeweilige
Verhältnis von König und Vasall; das Anschwellen und Ab-
schwellen der religiösen Begeisterung; das Aufkommen und Über-
handnehmen individualistischer, rein phantastischer und psycho-
logischer Interessen.
Das i8. Jahrhundert als die Epoche der Aufklärung, des
Nationalismus, Internationalismus, Klassizismus, Absolutismus, der
Franzosenherrschaft usw. hatte wenig Geschmack für den Cidstoff.
Erst von der romantischen Bewegung wird er wieder mit Sympathie
erfafst und neu gestaltet, wie das die Bearbeitungen des Breton de
los Herreros, Hartzenbusch u. a. zeigen.
Anh
ang.
Verzeichnis aller bekannten Cid-Dramen.
I. Nur handschriftlich erhaltene Dramen.^
1. Anönimus: Los Hechos del Cid, y miierte del Rey D. Fernando y prisiön
de D. Garcia. (Segunda parte). Paz y M61ia pag. 227.
Aus dem Ende des 16. Jahrhunderts.
2. Anönimus: El Cid. Mojiganga. Paz y Melia pag. 85. Barrera, pag. 614.
Aus dem 17. Jahrhundert.
3. Anönimus: El Cid. Auto sacramental. Paz y M^lia pag. 85.
Aus dem 17. Jahrhundert.
4. Anönimus: Las Mocedadts del Cid. Paz y M^lia pag. 616.
Aus dem 18. Jahrhundert (die Handschrift).
5. Anönimus: Don Rodrigo de Vivar, Tragedia en ß actos. Traducciön de
Corneille. 1781. Picot, pag. 352.
6. Anönimus: Las Bodas de Jimena. Comedia. Paz y Melia pag. 59-
7. Laviano (lebte nach Barrera (pag. 202) im zweiten Drittel des 18. Jahr-
hunderts): La afrenta del Cid vengada. Paz y Melia pag. 14.
II. Durch den Druck veröffentlichte Dramen.*
a) Jugentaten des Cid.
1. Guill6n de Castro (pag. 14).
2. Diamante (pag. 22).
3. Garcia Suelto: El Cid, tragedia de P. Corneille, refimdida por D. T. G. S.
Zum erstenmale am 25. August 1803 aufgeführt. Madrid 1805. (Picot,
pag- 352.)
1 Angabe: Paz y Melia bezieht sich auf Paz y M61ia: Catdlogo de las
piezas de teatro etc. Madrid 1899. — Bnrrera, auf La Barrera: Catdlogo
biblibgräfico y hiogrdfico del teatro antigiio espanol . . . Madrid 1860. — Picot,
auf Vicot, Bibliographie Cornelietine. Paris 1876.
* Dtr Vollständigkeit halber führe ich auch die Autoren der besprochenen
Dramen auf.
io8
4. Fernandez y Gonzalez; Cid, Rodrigo de Vivar, drania en tres actos y en
verso original.
Aufgeführt am 18. Dez. 1853. Madrid 1858.
Dasselbe: reftmdido por el autor Madrid 1862. (Picot, pag. 352 — 353.)
La Espana dramdtica bezeichnet es als eine Nachahmung Corneilles.
Nach meiner Ansicht ist der Zusammenhang mit Corneille ein
ziemlich loser.
5. Alberto Rossi: Las Mocedades del Cid. Nach Picot, pag. 353: Refonte de
la tragedie de Guillen de Castro.
6. Iza Zamacola: Horior y atnor, drama en cinco actos. (Picot, pag. 353).
7. A. F. de la Serna: Don Rodrigo, drama original en versos. (Picot,
pag. 353-)
b) Belagerung von Zamora oder Toro.
1. Juan de la Cueva (pag. 28).
2. Guillen de Castro (pag. 33).
3. Lope de Vega (pag. 40).
4. Matos Fragoso (pag. 49).
5. Diamante (pag. 56).
6. Breton de los Herreros: Bellido Dolfos. Enthalten in Galeria dramdtica.
T. 22. Madrid 1839.
7. Juan Eugenio Hartzenbusch: La jura en Santa Gadea. Aufgeführt am
Teatro del Principe am 29. Mai 1845. Enthalten in dessen Obras escogidas,
Paris 1850.
8. Garcia Gutierrez: Dona Urraca de Castilla l8']2. Erwähnt bei Blanco
Garcia,! j^ pag^ 235.
9. Asquerino: Dona Urraca. Erwähnt bei Blanco Garcia. I, pag. 265. Das
Drama ist enthalten: Galeria dramdtica. T. 10. Madrid 1838.
c) Der Cid unter der Regierung Alfonsos VI.
1. Hurtardo de VeJarde: Comedia del Cid, doha Sol y doHa Elvira, zitiert bei
Fabio Franchi in seinem Ragguaglio di Parnasso {Essequie Poetiche . . .
del signor Lope de Vega. Venecia 1636. (Siehe Lope de Vega. Obras
sueltas t. XXI, pag. 63.)
Von dem Drama ist kein Druck und auch keine Handschrift er-
halten. (Barrera, pag. 195.)
2. Anonimus: 1603 (pag. 61).
3. Tirso de Molina (pag. 69).
4. Matos Fragoso (pag. 76).
5. Zarate (pag. 81).
6. Polo (pag. 90).
* Blanco Garcia: La Literatura Espahola en el siglo XIX. P. i — 3.
Madrid 1891.
I09
^- t^,^'- ^"^ ^'^''" ^'^ ^''^' ^'■''^^ histörico i846. (Mitteilung der KpI
Bibliothek zu Berlin.)
8. Galvez Amandi: Para hertdas las d.l Honor 6 El Desagravio del Cid.
t-icot pag. 353. Ist jedoch keine Nachahmung des Corneille, es behandelt
den Stoff, den Polo auf die Bühne brachte.
Ich besitze eine Abschrift des Druckes: Madrid 1849.
9. Borao (D. Jerönimo): La, hijas del Cid. Blanco Garcia I, pag. 267.
d) Burlesken.
1. Cancer (pag. 95).
2. Quirös (pag. 98).
Aufser den angegebenen wissen wir noch, dafs Linan zwei Komödien
über den Cid schrieb (siehe oben pag. 61).
Verzeichnis der in den besprochenen Dramen
verwendeten Cid-Romanzen.
Zählunc
bei C. Michaelis
Zählung bei Duran
Kommt vor pag.
2.
725.
21.
4-
726.
21.
5-
727.
21.
6.
728.
21.
7-
729.
21.
II.
732.
21.
12.
733-
21.
13.
734.
21.
15.
735-
21.
16.
73Ö.
21.
17-
738.
21.
18.
737-
21.
19.
739.
21.
22.
742.
21.
23-
743-
21. 94.
24.
744-
21.
29.
749-
21.
33-
753.
21.
34-
754-
22.
42.
760.
22.
43-
762.
22.
44.
7Ö3-
22. 39. 48.
I lO
Zählung bei C. Michaelis Zählung bei Du ran
Kommt vor pag.:
45
761.
22,
47
765.
38.
50
—
32. 38.
51
767.
38.
52
769.
32. 39.
53
773-
32.
54
774.
32. 39-
55
768.
32. 33-
5Ö
770.
32. 48.
57
771.
38.
64
m-
32. 38.
48. 54. 60. 102
65
778.
32. 38.
48. 54. 60. 102
66
779.
32. 38.
67
780.
32. 38.
68
781.
60.
71
784.
32. 38.
72
787.
32. 39-
55-
73
786.
55-
74
789.
32. 55-
75
790.
32. 55-
76
791.
32- 39-
55-
77
1896.
32. 33-
55-
78
792.
32.
80
794-
32. 38.
81
795-
32. 38.
82
797.
32. 38.
39.
83
798.
32. 38.
84
799.
32. 38.
85
800.
32.
87
802.
38.
88
805.
38.
92
806.
32- 39-
93
785.
32.
95
796.
32.
96
807.
39.
97
808.
39-
98
809.
39. 89.
99
810.
39-
100
812 (u. 811).
39- 89.
lOI
813.
39- 89.
102
814.
39.
104
816.
46.
107
819.
89.
108
820.
89.
109
821.
89.
110
822.
89.
III
824.
89.
III
Zählung bei C. Michaelis
Zählung bei Duran
Kommt vor pag.:
112.
825.
89.
120.
830.
67. 89.
121.
—
67.
128.
837.
67. 76.
81. 89.
129.
839.
67. 76.
81. 89.
130.
838.
67. 76.
81. 89.
131.
—
67. 76.
81. 89.
132.
840.
67. 76.
81. 89.
133-
841.
67. 76.
81. 89.
134-
842.
67. 76.
89.
140.
848.
67. 89.
141.
849.
67. 89.
142.
850.
94-
143-
852.
94-
144.
851.
94-
146.
854.
67. 94-
150.
858.
67 u. 68.
153-
861.
94-
154-
S62.
95-
155.
863.
95-
156.
864.
95-
158.
866.
95-
159.
867.
95-
i6o.
868.
95.
166.
—
95-
171.
876.
95-
172.
877.
95.
173-
878.
95.
174.
879.
95.
176.
881.
95.
179.
884.
95-
181.
886.
95.
185.
890.
95-
186.
891.
67.
187.
892. 893.
67. 89.
188.
—
67. 89.
192.
897-
67. 89.
196.
900.
67. 89.
197-
901.
67. 89.
198.
902.
67. 68.
89.
199.
903.
67. 89.
201.
905.
67.
Comedia de Las | Hacanas del Cid, y su Muer
te, con la Tomada de Valencia.
Figuras
Martin Pelaes.
el Cid Ruydias,
Bermudo
Albar fanes
Ordono
Gon^alo bustos,
Albar salvadores
Martin antolines
dos soldados Christianos
Lizara moia
Dalifa mora
quatro o cinco Pajes
Alicaudillo moro
Zulema caudillo moro
quatro moros
Terfe moro
Nami moro
Alivenaxa caudillo
Dona Xiraena
Dona Elvira
Dona Sol
un Yuglar
della.
el Rey Funes
un moro
un Mensajero moro
un criado suyo,
Xarifa criada
Bucar Rey moro
Domingo villano
un moro Valenciano
quatro moros Valencianos
una mora
un nino suyo
un moro viejo
Sancho viejo Castellauo
Alfonso viejo
un mayordomo
Urraca villana
Gill villano
Anton villano
Samuel Judio
Abraham Judio
Gill dias
Säle Martin Pelaes con un paves con el brago, y una espada en la rnano, y
un morrion en la cabeza, y unas espuelas calgadas, como que viene huyendo
de la batalla, y mirando atras dize.
M. P. Dexando aqui mi troton
en este nispero atado,
non podre ser reprochado
de los que en Valencia son.
Ni diran les fize tuerto
los buenos homes del Cid,
en saliime de la lid
cuidando le dexe muerto.
"3
Que mal se puede amanar
vn fidalgo mal manero,
con armas de cauallero
a pie, mal puede lidiar.
Esto es andar en la guerra
ya yo he visto guerra assas,
quanto major es la päz
y estarse el ombre en su tierra.
O quäl gritan los paganos
par Dios turbaii el sentido,
al fidalgo mas erguido
q ai en todos los Christianos.
Pero yo aque vine aca
si fuyo a cada veguada,
si tan mal vzo la espada
mejor fuera estarme allä.
Si me abran bisto fuir
los fidalgos de vibar,
quan mal fize en non fincar
con ellos fasta morir.
Que el morir e, cosa llana
y no hai remedio que preste,
porq es muy mayor la gueste
morisca, que la Christiana.
Do tanto fidalgo muere
porque me ariedro, por suerte
non me ha de faltar la muerte
donde quiera que estubiere.
Martin Pelaes q aueis fecho
no OS vido a caso el pagano,
con el tspada en la mano
y con el paues al pecho.
Perplexo estoi ademas
que couardia me mouiö,
soi menor home de pro
a dicha que los de mas.
Boluere, mas donde he dir,
ya es sin sazon no ay dudar,
quisa me veran tornar
y no me vieron salir,
Pero que miro rai Dios
ya el de la barua vellida,
lleua al moro de vencida
encubrid mis fallas vos.
Mala fortuna me empesca
sin que se lo estoruar pueda,
pugne contra mi su rueda
cada quäl bien le paiisca.
Beiheft zur Zeitschr. f. roni. Phil. XXV.
114
Desgastador del honor
de Asturiana sangre noble,
manos moles, pies de roble
que dird el Cid mi senor.
Aora biea serä encelarme
donde dexS el troton antes,
y en bueltas de los triüphätes
en casa del Cid entrarrae.
Que viedome en la manada
non diran les fize mengua,
y alli cegara la lengua
lo que non cego la espada.
Vase, y salen el Cid Alharfaties, Martin antolines, Nuno bustos, Albar salba-
dores, Ordono, Ber?nudo Gottgales ; poluorosos y descompuestos conto gue salen
de la batalla, y dos pajes vno a dalle agua a tnanos al Cid y otro a los
demas fidalgos, y Martin Pelaes sale el postrero y a hurto se llega a lauar
con los demas fidalgos'.
Cid. Aliiiad los atauios
aun que nos los alinedes,
que vienan si parecedes
soldados sobrinos mios.
Que a los tales non empiesse
dexar de ser alinosos
sino quando vitotiosos
ir a ver a Dios se offrece,
Que quando gente enemiga
nuestras fronteias niolesta,
el pechero su ballesta
solo que aline obliga.
Todos fisgan de Martin Pelaes.
Ber. Non cor^o co tal vehemecia
ba fuyendo a los sabuessos,
Alb. de los escuderos buessos
deue de ser mal querencia.
Ber. Digo que ayer se fuyö
y que hoi se fuyö tambien,
buenas donas se le den
que muy bien las conquisto.
Llegase a lauar Martin Pelaes.
Ord. No ay en la fas de la tierra
con que lauar sus manzillas,
AI. S. que se laua a hurtadillas
And. buen home para la guerra.
Cid. Ya se de lo que tratades
tambien lo vi yo fuir,
pero no se han de dizir
115
ciaras todas las verdades.
Y quando cosas veamos
que las ten homes de pres,
emos por la primer ves
cuidar que nos enganamos.
Maguer q puede guisarse
a fuir (como fuyo)
por algun mal que le diö
con que puede disculparse.
M, P. Hablando estan en puridad
y yo apostare !a vida,
que dizen de mi fuida
Cid. no le afrentedes, callad.
Basta SU desauentura
que de la luna la cara,
iion pareciera tan clara
a non ser la noche obscura.
Digo que su cobardia
no tengais por mal siniestro,
q noche dSdes he pres vuestro
luze mas que el sol del dia.
Entradbos ora a jantar
non le baldonedes non,
que non esta en ocaziou
de auerle de baldonar.
Vanse todos y queda el Cid y Maitin Pelaes.
M. P. Digo que ninguno dellos
me vido fuir, que espero,
pues q n5 me an bisto quiero
entrarme a comer con ellos.
Vase a entrar y dizele el Cid.
Cid. Buen fidalgo non entredes
altended vn poco amigo,
Vase Martin Pelaes.
Sälen dos soldados de pendencia con dos rnoras captibas, Liiara y Dalaija, y
detieneles el Cid.
So!. 1. la mayor morisca digo
aun que os pese lleuaredes.
Sol. 2. Voto fago a la cruz vera
non la lleuedes soldado,
nin sufiir desaguisado
guisado de tal manera.
Que donoso maneria
Cid. pues CaslelJanos, ques esto?
Sol. 2. con perdon de vuestro gesto
vna gran veliaquaria.
S*
ii6
Esculcando por las tiendas
del ya robado real,
que los moros se dexaron
sin poderle defensar.
Yo y este home demaziado
y ocasionero en la pas,
encontramos estas dos
moriscas de len del mar.
Y porque bentura quiso
(porque non deuio ser por al)
yo encontre con la pequeiia,
y este la deraas hedad.
Y agora que esse home vido
la mia de mas beldad,
y yo soi home pequeno
y el fornido baragan.
Dize que ha de a pesar mio
la mora me ha de quitar,
para fazella Christiana
pera con ella folgar.
Que me tome yo la suya,
ved bue Cid si esto ha luego
fazed derecho a este tuerto
y ha los malos castigad.
Cid. q dizis bos? si vuestra desauenecia
fuera en tiepo de solas,
y no a vista de los moros
y tan lexos de folgar.
Yo vos fizera contentos
a ley de buena amistad,
dando a cada quäl amigos
lo que gano cada quäl.
Pero como son las fembras
la joya mas principal,
al tiempo quando los homes
las pueden bien festejar,
Son la carga mas pesada
y mas mala de lleuar,
para buenos guerreadores
que cada dia an de lidiar.
Y assi por tirarnos dellas
bos ruegome las vendais,
que mas valen que las moras
dineros para gastar.
Pedid sin teuer acato
que estades a mi maudar,
lo que que queredes por ellas
que yo bos lo fare dar.
117
Que me han parecido big
que se las quiero embiar,
a la mi dona Ximena
que las haga christianar.
Sol. 2. Pareceme a mi buen Cid
que esta val a mi estimar,
hasta mil marauedis
Sol. I. y esta vale otro que tal.
Porque labra paxaretas
de SU mano en el sendal,
que para andar con las vibas
non les falta son bolar.
Cid. Pues etrad, dizid a Albarfanes
que bos las faga pagar,
que con esto bos aparto
de renir y de piccar.
Liz. Fagaos Alä prosperado .
buen Cid Ruy dias de biuar,
Dal. y el premie vuestras fa9anas
bien dinas de su premiar.
Vanse los soldados y las moras, y dize el Cid, como q habla con
Martin Pelaes.
Cid. Fize bos quedar aqui
por diziros de mi a bos,
Vase Martin Pelaes.
fidalgo, bala me Dios
por do se fue que non le bi.
Säle un Paj'e.
Paje. Ya el gantar aparegado
estä, Cid, atendeme hermano,
a Pelaes Austuriano
as le por suerte encontrado?
Paje. Non le conosco buen Cid
y mal fago en dizir non,
si senor el infanson
que hoi se fuyö de la lid.
Cid. Quien de Ja lid se fuyö
es, pero fazedes mal,
en dalle reproche tal
que yo s6 que non fuyo
Paje. En el escafio assentado
con buessos homes le vi,
aora quando sali
a daros este recado.
Aprestandose a jantar.
Cid. esso non consintir^,
ii8
qne niicnlras yo biiio cst6
lo tal non ha de pagar.
Vaiise y salen los dos soldados de los moros.
Sül. I. Ya no mas ballesta abra9o,
ya no mas tras las ensenas, •
a pie por riscos y penas
por el llano y el riba^o.
Pues foituna me ha edonado
mil marauedis yo quiero,
punar por ser cauallero
y home bueno denodado.
Comprare de los quiilientos
vn buen troton saltador,
como Bauieca y Meger
con tcdos sus guarnimentos.
Do lo demas comprare
coracacos y capacetes,
paues, coraca y rinetes
y escarcela que non he.
Vos Vizeril que cuidades
conquirir con vuestro auer?
Sol. 2. yo amigo abre de fazer
lo mismo que vos fagades.
Vamonos al armadero
y a la regatonaria,
que alli jaze el que vendia
ayez el troton obero.
Y si finca an su poder
comprare y quiera Dios,
que non falte para vos
otro de tanto valcr.
Sol. I. Bos dizis bien no ay dudar
por onde seguir o.s quiero,
Sol. 2. pues caminad companero
depriessa y non deuagar.
Vanse y sale el Cid trayedo a Martin Pelaes de la faläa del sayo, y el trae
un baiiadero y un bocado de pan en la boca y nn pedago en la inano.
Cid. Non se fizo aquel escano
para mi ni para vos,
mejor que ambos a dos
le ocupan y no me engano.
Non bos dixe ayer amigo
que non hera vuestro assieto,
aquel, non estais contento
Martin de gentar conmigo.
Con sangre de saetadas
iig
y gorgusas passaderas,
vertida en estas fronteras
por gentes non baptizadas:
Compraron la posession
del SU assiento mis parientes,
homes guereros balientes
mas que quantos homes son.
Y assi non bos assentedes
Martin a gantar en el,
en quanto el assiento del
con sangre non le conpredes:
Gentar conniigo es major
en mi escodilla y mi prato,
questo cresta mas barato
que al fin sei el vencedor.
Que en la batalla passada
y en esta lo merecistes,
que bien vi lo que fizestes
por la lan9a y por la espada.
Y esta tarde parad mientes
que tambien os he deuer,
y de vos han de aprender
ganar honra mis parientes.
y saldredes a mi lade
a ferir en los paganos,
y es menester buenas manos
que hes exercito folguado:
El que Ali auenaxa viene
de alarues de alen del mar,
y es de menester lidiar
como home que valor tiene.
Bueluoos Martin avisar
que saldredes a mi lado,
teneuos por avisado
y entrad comigo a gantar.
K»» ./ C. y Marun P.laes arroja H f,,, y ,„,„, ,, ,„„„,,,„, ,,^^^
lo que ttene en el suelo.
^f- P- Cuidareis Cid campeador
que Martin non bos entiede,
pues aunque non labla ende
bien bos entiende senor.
Que en mirar vuestro talante
^'i lo que me reprochastes,
y entendi lo que fablastes
con halaguero semblante.
Todes la mi couardia
vieron, y agora yantando,
estauan de mi mofando
non hoi si non cada dia.
Triste amenguado de mi
non sera bueno maguer,
que supe al Cid entender
fazer que non le entendi.
Y entrar me a gantar con el
si porque esconder la fas,
le dara mayor soläs
aunque les de en a entender.
Que esta vegada fare
tal destro^o en los paganos,
con boca, con pies, y manos
que al mundo satisfare.
Y en desquite de! fuir
juro de perder la vida,
o non dar a home ferida
que della pueda guarir.
Mas Martin estais en bos
bien bos ajudarä el cielo,
ay mal home que en el suelo
dexauas la fas de Dios.
Vase en algando el pan, y salen Aliauenaxa caudillo mayor de Valencia, y
Ali, y Zulema caudillos menores.
Alia. Del passado desbarate
me siento con tal tristeza,
que non cabra en mi alegreza
hasta boluer al debate.
Que aun rebano de cabrones
que a unos pocos bateados,
bolueis espaldas menguados
mugeres que non varones.
Per mi Mahoma faraoso
que del tosigo del pecho,
estoi por hazer vn hecho
pera siempre memorioso.
Y es mandaros enforcar
por ser infantes alanos,
muerte vil de Castellanos
que viuen de tapinar.
Mil vezes Ala maldigas
moros que dantre las manos
consienten q los Christianos
Heuen presas sus amigas.
Que quando iueran agenas
a vian de ser defensadas,
y si captiuas compradas
121
con la sangre de su venas,
Capitanes con amores
homes de sanos consejos,
mejores pera conejos
que non para ca9adores.
Y que ante min parecistes
mostradlo que conquistastes
quales joyas me ganastes
que captiuos me truxistes.
q estrenas de buena andan^a
me venistis a pedir,
venis me a ensenar a huir
que es onorosa ensenanfa.
Couardes acobardados
homes baxos homes villes,
toquessen mis anafiles
y yuntessen mis soldados.
Que si Mahoma me dexa
regir vna ora los mios,
yo har6 baxar los brios
a este de la cruz vermeja.
Y non me siguais los dos
sin que las moras ganedes,
que si otra cosa fazedes
guai de vos, y guai de vos.
Vase el caudillo, y quedan Zidemai Ali.
Ali. Guai de vos y guai de mi
si ante el caudillo tornamos
y las moras non ganamos :
Zul. como puede ser Ali,
Ganallas a los Christianos
aunq mas moros sobre ellos,
fuessen que tienen cabellos
que son homes soberanos ?
Ali. Pues boluer acä sin ellas,
ya vedes lo ha defendido,
Anenaxa endurecido:
Zul. pues bolver acä con ellas,
Tengolo por inposible,
sabes lo que hemos de hazer,
(Ali) dexamos prender
desta gente aborrecible.
Qui9ä faziendolo a si
los fados alifiaran,
quedo las moras estan
nos Heuen a ti y a mi.
Do biueremos con ellas
122
y el tiempo andando podria,
prestar tu suerte y la tnia
sazon para huir con ellas.
Entremonos ensellado
mietras se ajütan las guestes,
baxo aquello acipestes
que tienen aquel cercado.
Y quando la has sa guera
venga del todo a romper,
nos dexaremos prender
de los de la delantera.
Ali. O buen aconsejador
de fecho propio y ageno,
es el consejo tan bueno
que no puede ser mejor.
Vanse y sueiia algagara de moros , y sale el Cid y sus fidalgos alboratados
y Martin Pelaes quitandose del bra^o el partes .
Alb. Enfrena, Ber. encilla, Anto. abrocha esta cora9a
Sal. mi capacete? Ord. mi paues.'' Cid. mi cscudo?
Alb. liga bien alarzon estoque y ma^a,
Ber. Que vn fidalgo Austuriano tan membrudo,
fuya de vn moro triste afeminado,
por ik. de bueno que lo vi y lo dudo.
M. Pel. Senor yo boi en este encubertado,
y entienda matare la mitad menos,
si llevo estotro tu bra9o enbara9ado.
Que entrambos bra90s son sanos y buenos,
ya que este surdo, el cora^on le anima,
corrido den lidiar fechos agenos.
Veredes hoi, si soi home de estitna,
veredes hoi (y cada dia veredes)
si doi a fechos hazanosos sima.
De hüi mas fidalgos no me afrontaredes,
ni me catuniaredes de auer visto,
ligado mi troton, tras las paredes.
Atended, atended, auer si aquisto,
el onor, que perdido os tengo el vuestro
con que coraje aquesta ves le envisto.
Que la ofension que fizo el bra^o diestro,
al dueno que le enpina tal y tanta
le ba de satisfazer este sinestro.
Atended, atended, veredes quanta,
sangre derrarao, y no sea yo acorrido
fasta ver que me llega a la garganta.
Non quiero ser de nadie fauorido,
quedaos a Dios fidalgos Castellanos,
que hoi desonorado y acorrido.
123
Vase Martin Pelaes, y dize Ordeno.
Ord. El quiere pelear con ambas manos,
lleuando el cuerpachin fecho terrero,
de ebu9os y saetas de paganos.
Alb. Non es tan mandirä que diziros quiero,
que baxo el suyo Ueua vna cora^a
de foyas dobles de templado azero.
Cid. El can de buena ley, de bucna ra^a,
non puede desmentir la su natura
que si ayer non caso, maiiana cata.
Los homes por secretos del altura,
muchas vezes se animan y acobardan
que non ba en ellos la desauentura.
Y con tanto los moros nos aguardan,
a caualgar fidalgos mano a mano,
mirad que ya los fiere el austuciaro
y homes buenos ningunos le resguardan,
Vanse, y suena rtiido de guerra sale vn moro hnyendo.
Mor. Por quäl guargero infernal
salio monstro tan terrible,
guarda la furia inuencible
nascida por nuestro mal.
Sälen otros dos moros hnyendo de Martin Pelaes, y cercanle.
M. I. Desde fuera le tiremos
chu^as, dardos y saetas,
M. 2. cerque mosse de carretas
y ansina le mataremos.
M. 4. No ay vereda segura
a ebarcar al puerlo, al puerto,
Sale Martin Pelaes y dale con la porra y derribalo.
AI. P. mas cedo llegaras muerto
a la triste sombra obscura.
O que hermosa porrada
aquel tarde huiiä,
M. 2. por aqui, Mart. mas por alla
que esta vereda es vedada.
hnlra Martin y sale tras ellos dädoles y ellas huyen y dize Martin Pelaes.
M. P. Que traigo yo aqui espias
con que el Camino os ahorro,
esta espada y este porro
y las fuer^as de Golias.
Matasteme el rai troton
y auedes lo de pagar,
que non bos presta gritar
triste ya batida nascion.
124
Non fuyades mala andan9a
me venga si alla boluedes,
non fujaes que non diredes
que OS hago mal amistan9a.
Que fuyendo llegaredes,
can9ados y desbalidos,
y yo bos dexo adormidos
donde no lo sentiredes.
Sälen Zulema y Ali rendiendo las espadas a Martin Pelaes.
Zul. Dexa q quedemos viuos
onoroso Castellano,
lleua pues esta en tu mano
dos capitanes captiuos.
M. P. Que diablo hazeis soi sancto
para que os ahinogais
y las armas me entreguais
ergueos ende, lidiad vn täto.
Mas ya vuestra maiia se
fazeis de los amenguados,
y OS poneis agapachados
para cogerme del pie.
Lleuantadbos y lidiad
que bos quiero adormecer,
de vna espadada, y boluer
adonde el buen Cid estä.
Ali. Castellano baleroso
buen fidalgo dole bos,
(por Alä) de ambos a dos,
que bos faga bitorioso.
M. P. Non me podreis enpecer
moriscos lleuantadbos,
que pues non credes en Dios
Dios non bos ha de baier.
Raposos poneos enhiestos
non cuideis cansarme ansi
Sale7t Ordono y Gon^alo.
Ord. Digouos que jaze aqui
de 9aga destos recuestos.
Mirad el rastio que dexa
de muertos por donde va
Gon. veis lo all donde estä
quäl Dios Marte me semeja.
Ord. Martin, Mar. OrdoBo y GS^alo
fidalgos que bos parece,
agora non desmerece,
Martin fartura y regalo.
125
Vno y otro me anenaza
que los captiue y nö quiero,
sino matallos primero
y despues sin embara^a,
Trataremos del partido
aunque es cosa fastidiosa,
por ser la primera cosa
q homes moros me hä pedido.
Amenazalos y dize.
M. P. Matobos, Ali. a fidalgo
Zul. Sensor fidalgo de pres,
Ord. a fe que por esta v§s
eis de fazer por mi algo.
Que bien es que por testigos
de vuestras grandes fa^anas,
(tan onorosas y estrafias) .
lleueis vuestros enemigos.
Y a los homes mas altiuos
cuenten y a los mas expertos,
las feridas de los muertos
los ensombros de los biuos.
M. P. Pues q es bie destos fagamos
ya que bos fago mercedes?
Gon. que al buen Cid los lleuedes
Martin, y a casa boluamos.
Venios noble fidalgo
conusco acä por mi vida,
que ya la lid es vencida
y hemos ganado el finalgo.
Y los moros de Valencia
quieren endonalla al Cid,
hostiguados de la lid
con harto buena auenencia
Ligaldos con vn dogal
y echaldos delante nos,
M. P. moriscos lleuantadbos
non hajais pauor de mal.
Y endere^ad el caminar
do tiene el Cid su alberguada
non fujais que abra porrada
y vos boluere a matar.
Vanse y salen el Cid, Albarfanes, Bermiido Albar salbadores , Nuno bustos,
y los denias y dize el Cid.
Cid. Bien sc ha fecho la fazienda
ruego yo a la trinidad,
que se nos d6 la ciudad
120
y alarues non atienda.
Que ya se faze de mal
ver nueue raeses passados,
y estar todos albergados
solos en el arrabal.
Alb. Que bos dixo el faqui?
Cid. que manana en aquel dia,
finca Valencia por mia
ruego yo a Dios que sea ansi,
Que dizedes de Martin
que semeyo lo que fizo
vna entera has desfizo
ya non ferirle el rocin,
Semejo que desfiziera
scgun le vi los denuedos,
quatro montes de robledos
y a toda la gente entera.
Ber. Buen Cid no bi cosa ygual
que por do quier que lidiaua,
todo aquel gentio gritaua,
guardala furia infernal.
Alb. Veisse donde vien seuor
con Gon^alo y con Ordoiio,
Cid. y con tan buen testimoSo
que non puede ser mayor.
Entra Martin Pelaes, Ordoho y Gon^alo, y los dos moros atados.
M. P. Buen Cid estos captiuados
hazi para vos senor,
que son homes de valor
aunque jazen mal parados.
Son caudillos estos dos
de los moros de Valencia,
y Ordono fizo auenencia
que bos los truxesse a bos.
Cid. Buen fidalgo yo agradesco
este presente ademas
y confiesso que de hol mas
gantar con bos non meresco.
M. P. Pues que dizis de ganar
seiior de hambre me fino,
Cid. mandedes le dar del vino
del pan le mandedes dar.
M. P. Sacad bien para a los dos
que pues que juntos gStemos
el y yo gantar tenemos,
Cid. ya yo no ganto con bos.
Yu yo Martin non meresco
127
gantar con bos todo el ano
tendreis por vuestro el escano
y como tal vos le offresco.
Con mis sobrinos entrad
Martin, pues lo merecedes,
y en la mesa os sentaredes,
que en par de mi mesa estä.
^" ^- Ya cayo en la razon vuessa
sin duda porque fuya,
me honoraua y me hazia
que me pusiesse a su mesa,
Pues o en ella o en qualquiera
fazed me dar de gantar,
sinon quereis esperar
aqua de hambre me muera.
£f7ira vn Paje y dize.
Paje. Ambas tablas estan prestas,
^'d. ea fidalgos hid entrando
Mar. fincad bos aqui rezando
pues teneis la manas puestas,
qua yo llegare a rogar
al Cid mi senor por vos,
y OS fara bien a los dos
y bos fara desatar.
Vase Martin Felaes, y sale Lizara y Dalifa.
Liz. Digo le vide Dalifa
y qua es homa de tal talle,
que pone pauor miralle,
fui doblar el alcatifa,
Y agora sali y leui,
I^al. como viene en desonor,
por teuer cobarde amor
tan forsugo le escogi.
Y en esto de amar Lizara
non faze contra razon,
amar la hembra baron
mal fecho y de mala cara.
Mas como es el tu Christiano
fermoso (Lizaro creo)
te parece Martin feo
poder de Alä soberano.
Mi Antelines no ay dudar
que non se falla en den mil,
home de cuerpo gentil
que se le pueda ygualar.
Non son Zulema y Ali?
Ali
Liz
Dal
128
Zul. non son Dalifa y Lizara?
Ali. mi DaUfa, Zul. prenda chara,
Ali. bede aquien el alma di.
Zul. Dexame bezar Lizara
non los pies mas los 9apatas,
Liz, porque maluado non catas
la verguen^a de mi cara.
Ali. Dexad Dalifa hermosa
que ponga mi indigna boca,
do tu pi^ fermoso toca,
Dal. fazienda bien alinosa.
Ali. Farad mientes cora9on
que poi veniros auer,
mas nos dexamos prender
que no nos prenderon non.
Dal. Assi es bien que se entienda,
Liz. dexa que per ti y por mi,
quiero yo fablar aqui
pues es toda una fazienda.
Dal. Yo te doi consentimiento,
Liz. pues cobardes amenguados,
moros desauenturados,
tengais triste sinamiento.
si sois vosotros por quien
las dos captiuos jazemos,
que nos pedis que bos demos
lan^ada mala bos den.
Si es que queredes dizir
en el vuestro razonar,
bos boluames a destrar
para boluer a fuir.
La vuestra primer fuida
nos puso donde nos vcdes,
a la segunda queredes
que finquemos sin la vida.
Fazed moros pauorosos
que en soltädo nos las manos
cale mas a los Christianos
bien mas que vos fa9anosos.
Quel fauor dado capliuas
non le presta a los captiuos,
y queremos homes biuos
que fazen fazanas biuas.
Ya nuestro se ha cambiado
en mal aborrecimiento,
y ya haze fincamento
en puerto mejor parado.
Y por fablaros berdad
129
ya hemos dado el cora9on,
aquellos que duefios son
de la nuestra voluntad.
Si captiuar los dexastes
fazed vos tambien soltar,
y boluednos a quitar
a los que nos entregastes
Aun que las vuestros fatigas
a los Christianos no ofFende,
que mejor sieruas defienden
que los moros sus amigas.
Vanse las moras.
Ali. Alma que fazeis en mi,
Zul. cora9on si aueis sintido,
Säle vn Paje.
Paje Si hä sentido ho n5 ha senlido
entrense los dos alli.
Que entra el Cid en Valecia
y se ha de Ueuar alla,
el auer que tiene acä
Ali. paciecia amigo, Zul. paciecia.
Vanse y sale el Cid y los demos que pudieren, y dos moros vieios a los
lados del Cid, al son de atabales y instrumentos.
Cid. A la Trinidad sagrada
gracias que llego esta dia,
gracias a Santa Maria
virgen pura consagrada.
Y a san Pedro se le den
gracias, que yo se las fago,
y al Apostol Sanctiago
y a san Lazaro tambien.
De hoi mas deseo no audaras
cargado sobre mis cuestas,
ah Valencia que me cuestas
en nueue meses y mas.
Digo de penas y a fanes
que sabe Dios si algun dia,
que te cerque non tenia
si atan solos quatro panes.
Si fago derecho en ella
dexcme la gozar Dios,
y se tuerto, ruego a Dios
que cedo buena a perdella.
Moros teneis me preplexo
nn pensamiento ademas,
Beiheft zur Zeilschr. f. rom Phil. XXV. 9
I30
como venis dos no mas
a fablar por vn consejo.
jaf. No OS deueis marauillar
desso marauilla duos,
que aya en Valencia dos
moros que puedan fablar.
Na. Y aü puedes no tener duda
que si de tu fe faltaras,
hol manana quando entraras
fallaras la cuidad muda.
Porque tal nos ha parado
la fome dessa forada,
que no liay cabe9a al^ada
ni home nihiesto no a quedado.
Y ansi daSos non esquiuos
que jantan haja dos meses,
los cueros de los paueses
q an quedado algunos biuos.
Mira quäl Valencia estä
que los que acä nos embian,
por ensenas nos dezian
que veniessemos acä.
Jaf. Enpurtunan9as prolixas
nos for9aron a los dos,
aparecer ante vos
y el amor de nuestras fijas.
Lizara y Dalifa, Cid. anfi,
Jaf. que estauan las malfadadas,
para cazar otorgadas
con Zulema y con Ali.
Primos de Jafadcudir
vltimo Rey de Valencia,
Cid. amigos de mi presencia
llorando no os aueis dir.
Fatavos alegre cara
sinon partides daqui,
sin Zulema y sin Ali
sin Dalifa y sin Lizara.
Jaf. A senor nuestro a seiior.
Na. Cid, grande respondedbos,
por la anguslia de los dos
Cid grande, Cid campeador.
Cid. Partibos dende los moros
non pongais mientes en al,
curad de los doloridos
y los rauertos soterrad.
Dizid a los acuitados
y a los acuitados contad,
quel soberuioso en la guerra
es vmildoso en la pas.
Poned agucia en fazer
que me vengan a fablar,
porque les diga mi boca
toda Ja mi voluntad.
Que non quiero sus faziedas
ni se las he de quitar,
ni para mis barraganes
sus figas he te tomar.
Que yo no vso mugeres
si non la mia natural,
que en san Pedro de Cardeiia
jaze agora a mi mandar,
Y mandobos Albarfaues
mi buen sobrino leal,
bais por ella y por mis fijas'
mis fijas olro que tal.
Lleuad trinta marcos de oro
con que se puedan guisar,
para venir a Valencia
a la ver y a la gozar.
Lleuad otros tantos de plala
para san Pedro el altar,
y entregaldos a don Sancho
que ende jaze por Abbad.
Y al noble Ray don Alfonso
de mi parte en presentad,
dozientos cauallos moros
bien guarnidos a mi vsar.
Ya los honrados Judios
Raquel y Judas lleuad,
trezientos marcos de oro
tanto de plata y no mas.
Que me endonarä prestados
quanto me parti a lidiar,
sobre dos cofres de arena
farto donoso emprestar.
Y dereisse de mi parte
que me quieran perdonar,
que con acuita lo fize
tle mi gran necessidad.
Que aunq cuidan es arena
Ja que en los cofres esta,
quedo soterado en ella
el oro de mi berdad.
Pagualdes la logreria
quL-l 16 ha tenido a les dar,
del tiempo que sus aueres
he tenido a mi mandar.
Y vos Martin, antolines
la hiredes acompanar,
y las mis buenas venturas
a mi Xiraena contar.
Direisle al Rey Don Alfonso
que me preste el su juglar,
porque a Ximena festeje
con SU taiier y cantar.
Sus dos yernos sus dos fijas
a estos moros entregad,
y dos mil marauedis
para ajuda a su casar.
Jaf. Galardoneos el cielo,
Na. de vos larga vida Alä,
y el cresca vuestros plazeres
bien como crescendo van.
Vanse todos.
Segunda Jornada.
Säle el Cid haziendo audiencia a los moros de Valencia sientase en su silla
y los moros en el siielo, y han de ser los que pitdieren.
Cid. Lunes y luebes por el auenencia
que fize con bos moros sei tenudo,
de fazeros justicia en el audiencia.
El buen senor si non es mal sesudo,
ardides que non faze se enpenada,
si la tal fe en razon darsela puedo.
Voluedes me a pedir otra veguada,
que la tierras y casas que ganaron,
mis homes por la lan9a y por la espada:
Primero que las pazes se Juntaron,
bos las faga boluer y reste tuya,
en moneda el auer que bos costaron.
De la verdad cuidad, que yo non fuya
que al que della se aredra, Dios condena,
aquella moros es fazienda suya.
Si mi palaura liga o enca deua,
promesa r.lguna que ende contra fagua
non puedo yo testar de cosa agena:
Nin mi palaura ni mi onor es tragua
si fazer non la pude non complilla,
ni ay home aqien lo tal non satisfagua:
Antes mi onor estragua y amanzilla,
el otorgar que moros tan villanos
contraten con fidalgos de Castilla.
133
Quantas vezes (pregunto) a mis Christianos
faziendo cimenteras los dexeron,
tollidos y mal trechas vuestras manos.
Quantas y quantas vistes que sembraron,
entre linaxa, entre panizo y trigo,
sangre que de vuestros chu90s derramaron.
Y quantos fueron, (yo soi buen testigo)
los que entre las taleguas y el arado,
matö vuestro rigor fiero enemigo.
Pues si sangre, si heridas han costado,
a mis fidalgos justos possehedores,
hende los tales fechos bien guisado:
Tiradbos dende hoi mas demandadores,
Ali. los alcaide de Nia y de juella,
y de segorue los procuradores.
Dan sobre vn mismo hecho vna querella,
junto con los de liria y Almenara
moluiedro Albarazin entran en ella.
En que dizen (senor) ques cosa clara
se les haze crecido agrauamiento,
si en vuestra non se le repara.
Quando fizieron capitulamiento,
y con vos amistades las primeras,
por dar se asi seguro, a vos contento;
Y que non molestasses sus fronteras,
dendonaros sus parias os tratarön,
por cartas de notarios valederas.
Complieronlas, las parias, os paguaron,
y por vos aun Christiane que tenia,
cada lugar al quäl le seSalaron.
De soldada (buen Cid) por cada vn dia
los tres marauedis que vos mandastes,
Cid. si ende el fidalgo lal, cauallo auia.
Lo sustancioso aqui vos oluidastes,
porque si el tal cauallo non obiera
a dos marauedis los obligastes.
Porque cobrasse y porque sustubiera,
la SU persona como Castellano,
y algun algo ahorrase y conqueriera.
Ali. Es muy buena verdad, Cid. es claro y llano
Ali. dizen por sus consejos que no tienen,
ya porque sostentar el tal Christiano,
Que a los almoxarifes aquien vienen,
y aquien acuden con las pecherias,
les denocia soldada y los mantienen.
Cid. Fazed se bueluan a sus alcaidias,
y den en adelante non sustente
si a los que acuden con sus renterias.
134
Säle Zuktna al quäl irae n sido Martin Pflars por los cahe^ones
M. Pel. Digo que bos mentis y todos mienten,
que yo non do passadas por la calle,
que los vezinos con razon mal cuenten.
Y que si entrades vil moro a fablalle,
vos tengo de ferir por lo garganta,
bien antes que acabedes de informalle.
Cid. Quien jaze aqui con furia tal y tanta?
Suelta Martin Pelaes a Zulema.
Zul. Este Martin que nunca le tubieras,
este vestiglo que la gente espanta.
Este con quien las duenas parideras,
a sus fijos (si lloran) enmudecen,
nombrandole de burlas o de veras.
Este lidalgo senor
que mira la mi muger,
con ojos de mal fazer
y agucia mi desonor,
Y si en la mesquita jaze
alli finca y jaze alli,
mil vefas al alfaqui
y a mil vefas me haze.
Y porque le he amenazado
con bos, es su furia tanta,
que jura que en mi garganta
ha de fincar su tercado.
Cid. Co quie puedes fazer prueua
moro de tu mal sinestro?
Zul. con otro fidalgo vuestro
senor que consigo lleua.
(Scnor) antolines es
el que viene nora buena,
con la seiiora Ximena
y Giros moros dos o tres.
M. P. Si el dia que vos cogi
los guargeros os cortara,
non casareis con Lizara
nin vinierades aqui.
Cid. Tu ficiste en tu loor
fa9afta bien abatida
si le endonaste la vida
para tiralle su onor
Partidbos dende Zulema
que yo bos far6 derecho,
M. P. yo bos dexard conlrecho
si non desgasto mi flema.
Cid. Non porque asi repiehender
135
bien a lo que repetio,
Zulema, soi ombre yo
que lo tal he de crer,
Que sera contra razon
cuidar que fembras queredes
pues aun a penas auedes
salido del casquaron,
Pollastro rapas menguado
con moras quereis peccar,
bien bos podria redundar
faceros engerisado.
Non sabedes que lo ariedra
nuestra ley so graues penas,
son estas fa^anas buenas
repeti home de piedra?
Vuestras mentes aredrä
de cosa tan mal guisada,
guardabos que otra vegada
non buelua Zulema acä.
Que vos far6, Paje, mi seiior
mis estrenas me ordenad,
q jaze ya en la ciudad,
vuestra Xiraena, Cid. el mi amor
A llegado? Paje. si seiior
Cid. gracias al beruo vmanado,
Dios y hombre encarnado
mi Dios y mi redentor.
Non quede ninguno acä
sigan todos tras mi ensena,
M. P. por san Pedro de Cardena
que estoi por non ir allä.
Vanse y sahn los moriscos con täbelejos en las einlas grltando y derramando
juncia y narangas delatite y cantan,
Vengades en ora buena,
senora Ximena.
En ora buena vengades
y por cieruos nos tengades,
que pues vos nos visitades
non tcnemos mala estrena,
vengades en ora buena
senora Ximena.
Repitelo al^unas vezes holuiendo a su algagara, y tras esto entra el Cid y
Ximena de la rnano y sus hijas cercado de los ßdalgos y delante el Juglar
tanendo el Conde claros, y sientanse todos y dize el Cid despues de sentado
cdbe Ximena.
Cid. Es todo para vos Ximena mia,
es todo para vos la mi Ximena,
I3Ö
y rara esta guanida compania.
Vengades vos mil vezes nora buena,
endoname otro abra^o dona Eluira.
y vos doBa Sol con fas serena.
En cosa no podreis poner la mira,
que no sea fruito de mis bien andan^as,
quando se aluengua o qiiando se retira.
Y con estas y mas auenturan^as,
no pudiera viuir vuestro Rodrigo,
si pudiera olvidar vuestras membran^as,
Quereis vos solazar aqui comigo,
o quereis descan9ar finquais causadas?
Ximen. non mi seiior el ml solas y abrigo.
Cansada me senli muchas vegadas,
de imaginaruos, (bien y agrado mio)
entre dardos alarues, y entre espadas.
Eluira. Pues yo senor Maguer quäl faze el rio,
a las mas lueiias tierras caminara,
por veros sin cansarme, Sol. pues yo fio.
Que si los pies descal^os caminara,
de San Pedro a Valencia que en vndia,
veniendo por vos ver non me cansara.
Cid. Alcanceos fijas la bendicion mia,
y la de Dios ter no bos alcance,
a si quäl los mis fechos rige y guia.
Cantedes el juglar de buen romance,
alguna troba nueba bien guisada
de amor vn chiste, o de lidiar vn lance.
El Juglar tocando el Conde claros dize de repente.
Jugl. Si estades Cid escuchando
repetiruos he vn cantar,
de amor, que plugo trouar
al iufante don Fernando.
Y por vuestra bien querecia
hoid dizir mi cantar,
que Dios bos dexe gozar
esta ciudad de Valencia.
Ya vuestra doiia Ximena
sin poner mientes en al,
las fijas otro que tal
y OS lo otorge sante Elena.
Cid. Ficiste de tu denuedo
essas trobas? Jugl. si senor,
y vos fare otras mejor
que ende se fazerlo puedo.
Cid. Dalde seis marauedis
y mi aljuba de contray,
137
Jugl. donde estos fidalgos ay
non los hai de aqui a Paris.
Darauos solas que cante
el cantar que bos fable?
Cid. repitelo, Xime. si que fue
gran trobador el infante.
Cid. El buen Rey rae lo erabiö
porque con lo que cantase,
ende a vos os festejasse
y me festejasse yo.
Canta el jfuglar.
Aluerto es bido a ca9a
a los montes de Leone
rauia le maten los perros
Aguilas el su falcone
Por los mas soberuios mptes
le araslre el su trotone
y antes que de ca^a buelua
para gozar el ini amore.
Lan^ada de moro esquierdo
le atrauies-e el cora^one.
Xim. Grande enemiga tenia
esta duena a su velado,
Cid. el cantares bien trovado
mi fe ya Ximena mia.
No ay que vos marauillar
que lengua y trouas barrunto
que mas subidas de punto
en ya mas podran estar.
Pues non auia cuido yo
el infante don Fernando
bie llenos viente aSos quädo
la troba que veis trobo.
M. P. Si viente aflos non auia
senor al vuestro sentir,
y non folgar mas doimir
con Miraluica queria.
Paraque me saheristes
hablar, con fenbras a mi,
y me afrontasles aqui
ende buen Cid malficistes.
Cid. Non es para esta sazon
la tal fabla calladbos,
fincad en agradar a Dios
que vos darä el galardon.
Säle vn vn Paje alborotado,
Paje. Senor de fazia la mar
138
tantos moros sobreuienen,
que ni cuento ni partienen
Cid. non bos querais acuitar.
Mandad al vuestro corafon
vos buelua el color fermoso,
y non este temeroso
que si tantos moros son.
Que cuento ni par no han
mis fidalgos y escuderos,
son tan buenos caualleros
que cedo los contaran.
Non bos cause sobreueuta
ved que tenedes al lado,
Ximena al vuestro velado
no le echedes en afrenta.
Xim. Mi buen senor sabe Dios
que si el color le fuyo,
no el temor lo causö
si no el amaros a vos.
Que aunq se el vuestro balor
de tantas vegadas vna,
temo le vltrage fortuna
y veniros a perder.
Cid. Y bos non podeis fablar,
EIu. seiior que fablar podemos,
y ningun pauor auemos
temiendo el vuestro agrauiar.
Antes senor vos rogamos
se viene al vuestro plazer,
que nos queredes poner
donde los moros veamos.
Cid. Pues en la torre mayor
que algunas finestas tiene,
alli estareis que conuiene
hazia donde el mi amor.
AI entrar se vno de los fidalgos habla al hoido al Cid.
Cid. Pues sea muy nora buena
non me tenia de folgar,
salid a escaramu9ar
por el gusto de Ximena.
Vanse Ximena y sus hij'as y quedan los fidalgos solos.
M. P. Mirad Albar saluadores
menos hemos de Ueuar,
porque al escaramu^ar
mas [m]enos, son mas mejores.
Cieto es muy buena manada
139
y otras tantas rccagadas,
en las guerras entramadas
se quedaran en celada.
Y quando trauada este
fingiremos el fuir,
Ber. non lo solias vos fingir
M. P. que ya el miedo Ic me fue.
En este tiempo chuflais
buen bagar teneis por Dios,
guardaos non fuyades vos
y ende lo que yo fagais.
DigouGs que la anagaza
se faga desta maner[a],
la manada de lantera
lo ha de sacar a la pla9a,
Y despues fazerla rueda
los encellados y nos,
y non quedara por Dios
quie lleuar las nueuas pueda.
De los que muy auidiosos
vinieron por nos danar,
Ant. sesudo es su razonar
ea fidalgos fa9anosos.
Vanse y salo el Cid a lo alto y dona Xiviena y sus hijas.
Xim. Ai que crecida algazara
dellos vienen contra nos,
Cid. pues con el fauor de Dios
la fara [m]enor mi espada.
Porque estos al mi cuidar
por el bien que los queremos,
an sabido que tenemos
dos fijas para casar.
Y el mi menester tambien
y anjuntado sus faziendas,
porque finqucn en las tiedas
do por dote se las den.
Elv. Elo elo por do viene
el moro por la cal^ada,
Borzeguies marro qui es
espora de oro cal^ada.
Veis padre donde se apea
de la su jegua a lazana,
por ver que passar non puede
el tremedal de la cana.
Y con la lan9a en la mano
y ante los pechos la adarga,
140
viene mirando a Valencia
como estä tambien cercada.
Entra el moro como lo ha pintado Eluira y dize.
Mor. O Valencia o Valencia
de mal fuego seas quemada,
primero fuiste de moros
que de Christianos ganada.
Si la lan^a no me miente
y la yegua no me cansa,
antes que vengua la noche
de moros seras tornada.
Y a esse perro del Cid
prenderele por la barba,
SU muger Ximena gomes
serä de mi captiuada,
Y SU iija doila Eluira
seria mi namorada
y dona sol la pequena
essa nos fara la cama.
Cid. Pues que tenedes mis fijas
las aljubas de las pascoas,
a esse moro que aqui biene
detenemelo en palauras.
Las palauras sean locas
ya que has de amor tocadas,
mientras en sillo abauie9a
y me cino la mi espada.
Vase el Cid.
Elu. Bien seas venido el moro
buena sea tu llegada,
Mor. Alfl vos guarde senora
Mahoma sea en vuestra guarda.
Elu. Siete anos auia siete
que sei la tu enamorada,
Mor. otros tantos ha senora
que por vos me cino espada.
Elu. Vayaste el moro de hay
non digas que te fui falsa,
que mi padre el Cid Ruy dias
hoi a encillado, hoi caualga.
Mor. Non bos de pena senora
non bos de pena mi alma,
que se bien corre bauie9a
mi yegua buelua sin alas.
Y pues que ya de Valencia
he catado las murallas,
141
boluerme quiero a los mios
non me buelua mala andä9a.
^°^' Ya sube el moro en su yegua,
Elu. ya sale padre de casa,
Xim. ya fuje el acobardado
ya fuje que non aguarda.
Sei. Donde pone el pie la yegua
Elv. bauie^a pone la planta,
Sale el Cid con langa y adargua.
Cid. Atendedeme mi yerno
oyades me vna palaura,
oya que non me aguardades
recogedeme alla esta lan^a.
Mal obiesse cauallero
que sin espuelas caualga,
Xim. y bien obiessen los ojos
que mirassen vuestras canas.
Honor pres y valentia
de la nascion Castellana,
salid acä mi seiicr
dexedes folgar las armas.
Que tienen ya nue^sos homes
la escaramuca trauada,
Cid. ya subo la mi senora
venturado el que bos ama.
y de vuestro amor que goza
y de la vuestra compana.
Entrase y sube a lo alto y suena ruzdo dentro de escaramuca.
Xim. Los cavallos sin senores
que de la priesa se aredran,
mal los Africanos medran
con nuestro Albar salbadores.
Cid. Si mas muy cebado en ellos
va muy dentro y me da pena
mirad a Martin (Ximena)
la ri^a que haze en ellos.
^°^- Veiste por donde viene
con vn moro so el brafo.
Sale Martin Pelaes con vn moro debaxo del bra^o.
Cid. pesa mucho? M. q esta flaco
poca carne es la que ticne.
despeSad vna soga aqui
ireuos trayendo ouejas,
mas mirad que las peleja
ande fincar para mi.
142
Este do a vuestra Ximena
non fagades Cid mandar,
que tanana retirar
fasta hazir vna dozena.
Cid. Entralde fasta el patin
y al alcalde lo entregad,
y non boluades alla
que ba el sol baxo Martin.
Baste, baste, lo lidiado
soldados a recoger,
contaldos (Martin) por ver
si algunos nos an menguado.
M. P. Viente diezes fueran ellos
y otros tantos bolueran,
(mi seSor) que non an
menguado ninguno dellos.
Cid. Bueno sera decender
porque podrais descansar,
quel sol se moja en el mar
y viene el anochecer.
Quüase el Cid de lo alto salen todos lo que pudieren menos Martin Pelaes
y Albar salbadores.
Bei. Perdiose de persumido
y mal sesudo por Dios,
que culpa tenemos nos
pues ninguno non le vido.
Ord. Quiso fazer lo^ania
porque Ximena lo viesse,
que muclio que se perdiesse
donde tanto moro auia.
M. P. Pues que es esto lidiadores?
Alb. que por ser vos descuidado,
nos han muerto o captiuado
al buen Albar salbadores.
M. P. Muerto non puede ser cierto
que yo esculque por el llano,
se auia muerto algü Cristiano
y non bi ninguno muerto.
Mas si captiuado eslä
ay mas que boluer por el,
por san Pedro que sin el
non he de boluer acä.
Ber. Donde queredes boluer,
Martin ya sedes insano?
M. P. non me tendre por Cristiano
si le dexo de traer.
Ant. Tened Marlin non boluades,
143
Säle el Cid solo.
Cid. que es mis fidalgos horados?
Aba. boluer harto auergon^ados,
donde vos senor estades,
dexando cuido que en fierros
a Albar salbadores puesto,
M. P. digo que voluere presto,
Ab. f. entre encarni9ados perros.
M. P, Ea tanto que el cozinar
se aliiia para la cena,
Ab. f. esta sandes no es muy buena,
que quiere por el tornar.
M. P. Por daruos a vos solas
y sentir vuestro reproche,
Cid. folgad Mariin esta röche
que manana ay tiempo assas.
Non mires en pundonores
ques azonobio mejor.
y plazera al vedor
de guardar a salbadores.
Y entremonos a cenar
que deueis de tener gana,
mas mirad que en la manana
OS teneis de confessar.
Porque soi determinado
si al Rey Funes le pluguiere,
batallar, y el que muriere
finque biuo si es saluado.
Vanse y salen el Rey Funes y otros y dtze el Rey.
Fun. De a viente mil lidiadores
de a troton orden aredes,
qualro hazes, y pondredes,
de los alances mejores.
Vna que la guardia faga
del atrazado bagaje,
bariagane y peonnje
que queda en la recagada.
De los moros alezados
fazed otras qualro bie fechas
que con nublados de flechas
sobre salgan por los lados.
De los moros que batallaii
con dardos, venablos, chu9o[s],
lan^as, cotas y gorgu9os
y gritan donde se hallau,
Fazed otras qualro algaradas
y otras qualro sobre puestas,
144
de los que tiran ballestas
y visaimas enhasladas.
Aunque no es ta sandio el Cid
que cuide su inadueitencia,
de defender hoi Valencia
sea por fuer9a o por lid.
Porque si los mis gentios
los mios enpoderan,
ansi selos sorueran
como el mar sorue los rios.
Dexad q mil mandaderos
nos farä, que mas contentos,
mudemos los pensamientos
q hoi en todo el dia le espero.
Mor. Veis senor adonde viene
bien asi como alordido,
pasmado y descolorido
como home q grä mal tiene.
Fun. Sin duda deuio de dar
el Cid en la mi enbaxada,
respuesta desmesurada
y cudale de matar.
Men. No puso mi cora^oo
ni el mi rostro puso ansi,
temor que le tenga a si
ni a quantos conligo sod.
Porque mis ojos a penas
vieron al Cid campeador,
quando se me he 16 seiior
la sangre dentro en las venas.
Las razones me faltauan
y quede como atordido,
perdid a fabla y sentido
y aun mis ojos se turbaron.
El quäl non de mala gana
I so9egado me escuchö,
y luego me respondiö
que lunes por la mauana.
Veras lograr su esperan9a
quando la Haue te traya,
don Albarfanes minaja
en la punta de la lan^a.
Esta respuesta me dio
vien como quien escarnece,
Fun. tanto el animo me crece
quando el tugo se menguö.
NS mas soberuias respuestas
a los armas maguer muera
U5
fazed que ginia la tierra
que OS tiene sobre suscucstas.
Vanse y salen el Cid y doha Ximena y sus hijas.
Cid. La Uli Ximena el mi amor
quereis estas donde estades,
porque a los moros veades
desde la yglesia mayor.
Xim. Ende serä nuestra estan^a
rogando a la virgen pia,
vos fauoresca este dia
en fecho tan de importancia.
Ein. Non vos acuitedes madre
que si a mi dado me fuera,
yo bos juro que ende fuera
escudero de mi padre.
Sol. Mucho Eluira os promete
sefior mio yo non dudo,
que vos lleuase el escudo
y aun vos lleuase el amete.
Xim. Yo si fuera bos lleuara
(crisol de buenas fa^aiias)
escondido en mis entranas
porque nadie os ofensara.
Cid. Soläs de mis luengos dias
fincad contenta y cuidä,
que nadie me offenderä
porque os Ueuo yo en las mias.
Y con tanto a Dios, a Dios.
Säle Martin Pelaes con vn porra capacete y espada y dize.
M. P. Que diablos fazeis ahi,
que ya son todos aqui
aguardandouos a vos.
Y non para que lidieis.
sino que para escarmiento,
destos moriscos sin cuenlo
a muerte los condenais.
Non hajais pauor en al
Ximena, Sol. nö lloreis madre,
Marlin cuidad de mi padre
non pongais mentes en al.
Xim. Lleuades libros las dos
para fazer rogatibas?
Ela. si madre, Xim. mil aRos biuas
Sol. y yo täbie, Xi. guardate Dios.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV. jO
146
Todos se van y suena de defttro 7-tiido y dizen de dentro.
AI cerro al cerro que llega,
guarda a encötrarnos no acierte,
la guadana de la muerte
que vidas a moriscos ciega.
Säle vn tnoro huyendo.
Mor. Guarda la fiera sabuessos
que lleua por las montanas,
las viias llenas dentraSas
y el vientre Ueno de guessos.
Säle Martin Pelaes todo Ueno de saetas en buelto en algimos moros que httyen
y el tras dellos dandoles con vna porra.
M. P. Dale quedaras pagano
hide can maluado perro,
que soi vna torre de hierro
y el tu tirar es enbano.
Säle vn moro huyendo y dale Marlin Pelaes vna porrada.
Mor. Guarda el sangriento Leon
guarda que los lobos vienen,
M. P. cuido que estos moros liene
las cholles de requeson,
Y de papellas celadas
y las corazas tambien,
que amala ves que le den
fincan fechos retilladas.
Porradas descomuiiales
he dado juro a mi vida,
ya la Cid va de vencida
pues cesan los atabales.
Mas con todo no conuiene
dexas folgar las visarmas,
Vase y sale el Rey Fiines herido y aroj'a la espada en el suelo.
Fun. que prestau las buenas armas
aquien Ventura no tiene.
Entre gentes enemigas
la mi tizona quedais,
que me parece pezais
el pezo de mis fatigas.
De Mahoma dereniego
mil vezes, pocas son mil,
vn millon profeta vil
subime de Juso luego.
Denrae mi yegua parida
que pues dexo el porto alla,
sin espuelas bolara
147
y me escapara la vida.
O Bucar fijo querido
vuestros bra9os que fizieran,
quando vuestros ojos vieran
al viejo padre ferido.
Fase y sale el Cid con la espada en la mano y ve la del Rey en et suelo.
^i*^- Aguardame vna veguada
Rey Funes buelue a lidiar,
a pie te vengo a buscar
aqui dexö la su espada.
Esta llamad es tizona
non la vi mejor a fe,
des que acolada gane
al Conde de Barcelona.
Saleft Albarfane y los demas menos Martin Pelaes.
Alb. Bolued presto a caualgar
non esteis ansi por Dios,
Cid. que lan^a veis contra vos
con quien queredes lidiar.
Asigurados estamos
que öo ay moro ningnuo,
abra9adme vno per vno
y a las tiendas nos boluamos.
£sta?zdose abracädo entra Martin Pelaes sangriento y poltwroso.
M. P. Non ay abra9o para mi
Cid. non faltara llegadbos,
fidalgo vala nie Dios
como venides ansi.
Venis ferido.? M. que non
Cid. como venis tal parado }
M. P. de las feridas que he dado
vengo a bos fecho sayon.
Cid. Balasme santa Maria
quien lo tal podra crer,
M. P. quien vos viera a vos vencer
tantos moros en vn dia.
^^^* Baigame el verbo encarnado
a me venido al cuidar,
que en sangre sabeis nadar
pues non bos eis afogado.
Vamos a fazer partijas
porque he de boluer con vos,
a dalle gracias a Dios
y auer mi muger y fijas,
10*
148
Vanse a eiitrar y a Martin Pelaes ques es el postrero le da vn moro vna
curia o papel.
Paje. Este villete aiiudado
me dio una mora guarrida,
que ama mas que a lu su bida
vn Christiano descuidado.
Vna dixe, digo dos
moriscas me le endonaron,
y ambas a dos me mandaron
que bos lo endonese a vos.
Lo que auedes de fazer
es fazer porque conuiene,
lo que dentro se con[t]iene
si en o bien o mal torcer.
Vase el moro y ahre el escrito.
M. P. Ay mayor vella quaria
pues balgabos Lucifer,
(oseades home o muger)
entiendo yo algarauia.
Maxime no ay entendello
coza dize de comer,
que me deuia de traer
y aquel se fuyo con ello.
Si topase por aqui
qualquer buen declarador,
que le entendiese mejor
Säle Ali con vna sera al ombro.
M. P. pues adonde buena A.li?
Ali. O mi senor por quien tengo
el honor, contento y vida
que tengo, la mi venida
fue veruos, a veros vengo.
M. P. Non fableis Ali lisonjas
Ali. digo que aueros venia,
y a la Ximena trahia
esta sera de toranjas.
M. P. Y para mi? Ali. para vos
trahemos Zulema y yo,
cierta cosa que costö
lo que sabemos los dos.
M. P. Aclaradme el razonar
deste escrito. Ali. ay de mi,
M. P. non tengais pauor Ali
que non bos quiero matar.
Lo que ende quiere dizir
en la nii lengua aclarad,
149
Ali. justo y poderoso Alä,
M, P. non acabais descopir.
Non engullais copetina
desmenuzad la razon,
que bos dare vn torniscon
fazed lo que mando haina.
AH. Por todo quanto valeis
que antes me mandeis matar,
senor que tal declarar
raatadme que bien podeis.
M. P. Vos quereis que so la tierra
bos suma de vna punada,
Ali. alraa desauenturada
M. P. pierro fijo de otra perra.
Lo que bos mando fazed
de {uer9a sino degrado,
y en auiendo lo aclarado
al punto bos matar6.
Le a Ali la carta que diz.
Estrella de lidiadores luengo iietjipo ha que bos bien quiero del mi corai^on
y la mi voliintad, si el falago de los vuestros ojos (verdadero amor jmito
con vuestro amigo Martin Antolines aquien Dalifa se encomieda) nos piidiere
ver, sera bueno porq Zulema q Dios ?naldiga, partio agubello esta madrugada,
y Ali es hido a Valencia a lleuar al Cid vnas frtitas guardeuos el mi senor,
la vuestra Lizara.
M. P. Farto buen recado he fecho,
Ali. desuenturado de mi,
M. P. non bos acuiteis Ali
q por pouarbos lo he hecho.
Ali. Quie bos guisö a me ofFender
buen desquite dado auedes,
quanto mas cierto queredes
prouar a la mi muger.
Yo bos ruego por Alä
que este escrito ri5 ensenedes
a Antolines, ni auisedes
sefior de lleuarlo allä.
Que si de la tal manzilla
liuertaredes mi honor,
vos endonare senor
la mi yegua la pardilla.
Y dos mil marauedis
dos bezeros y des chibos
fermosos, gordos y biuos
y mas si mas me pedis.
■ M. P. Escrito a mi prometer
en lo mejor de mi seno,
quäto estima el ombre bueno
I50
el honor de la muger.
Bes el escrito desfecho
non quiero el tu prometer,
mas non offendas tu muger
cS mal dicho o c3 raalfecho.
Que boto fago y promessa,
al agua del baptizar,
de la tu mengua callar
quäl si estubiese en la guessa.
Mas si la tocas vn pelo
o se que es de ti offendida,
yo te quitarS la vida
aun que te subas al cielo.
Ali. Pues viuire capitan
sin que tu mando atrauiesse,
bien asi como si fuesse
lei que reza el mi alcoran.
M. P. Finca en pas q estoi habriento
y el mangar me face bien,
Ali. yo me partire tambien
mas seguro y mal contento.
Vatise ambos.
Jornada tercera.
Säle el Cid mas viejo, y sientase en su cilla.
Cid. Grandes fazanas, grandes auenturas,
grandes venturas, grandes bien andan^as,
contentos grandes, grandes desuenturas,
grandes fermosas bienauenturan^as:
grandes empresas bien y mal seguras,
y bien y mal logradas esperan^as,
an dado pena y gloria al alma mia
desdes mis verdes anos a este dia.
Mate, desagrauie, finque contento,
calle, obedeci, case altamente,
fice en ser lidiador a fincamento
fui recebido y loado de la gente:
mas bien y onor del mundo es todo viento,
y passo con el tiempo breuemente,
y vna ofencion o puesta de vna gloria
jaze por tiempo eterno en la memoria.
Cas6 mis fijas con los cautelosos,
Condes de carion que non deuiera,
aunque vengu6 sus fechos aleuosos
me oprime el alma la fa9ana fiera:
mas ya tienen maridos honorosos,
memoria de mi offensa, salid fuera,
151
con et tiempo bolad, memoria raia,
dexadme descan^ar tan solo vn dia.
Suena vna trompeta dentro.
Cid, La indiuidua Trinidad,
vienen me parece algunas,
gentes moras importunas
contra de la mi ciudad.
Sälen Albarfanes y los demas.
Cid. Quien trompas faze rocar?
Alb. senor la mas honorosa,
fazienda y mas grandiosa
que o hi ni sabre contar.
El Soldan de Persia embia
vn SU pariente a vos ver,
y sus dones ofFrecer,
Cid. balgarae sancta Maria.
Como de tan luengas tierras
ha portado por acd,
M. P. denen de sonar alla
vuestros fechos en las guerras.
Cid. Guarnidbos todos de fiesta
y bamos le a recebir,
M. P. yo me quiero ir a guarnir
que non traigo cosa puesta.
Vanse y sale vn moro Persiano y vn criado suyo y ätze.
Per. Los bufanos donde viene
plata y erb, cuidad dellos,
no rifen con los camellos
Cri. acuenta Abrahin los tiene.
Per. Pueden fazer carcail
si acaso a encötrarse aciertan,
que mira y balsamo viertan
rompiendose algun barril.
Eh los dromedarios venga
toda la tapeceria,
de oro y de pedreria
que non ay Rey que la tenga.
En los otros animales
cargareis las demas cosas,
marfil y piedras preciosas
cornelinas y serdales.
Y en hileras concertadas
seguiran todos tras mi,
gran gente parece alli
baxo aquellas enrramadas.
Sin duda el Cid campeador
152
hoyo la mandedaria,
(del sefior) y gente embia
tan solo a fazerle fauor.
Elle sin duda es verdad
quien abra que lo tal crea,
bien le plaze el Cid que vea
se&or la su raagestad.
Sälen el Cid y los suyos y viendole los moros se espantan, y dize el Cid.
Cid. Immensas gracias te doi
eterno Dios soberano,
amigo noble Persiano
fabla que tu amigo soi.
Estremecelde sobrino,
M. P. del margarite le trauen,
Cid, los tus angeles te alauen
Dios viuo, Dios vno y trino.
Buelue el moro en si y arodillase y lleuantale el Cid y dize el tnoro.
Persia. Saluete Dios el Cid auenturado,
el Christiane mejor que eine espada,
el mejor que en troton he cabalgado,
des la hedad del fierro, a la dorada.
El Soldan con quien soi aparentado
y en Persia reina, y tiene su aluergada,
como al mejor, y mas mayor su amigo
sus dones y salud, te embia comigo.
Vino a las sus orejas la tu fama,
que Alä por luengos tiempos en mantenga,
la quäl de su balor con bida y llama,
aque en la vida tu amistan9a tenga:
Y como es cosa quel mas quiere y ama,
a mi mando que con querir la venga,
y essos animales alla vsados
sus dones te truxessen en presentados.
Cargados todos de nobleza vienen
de plata y oro y panos mui priciados,
y tantas margaritas que non tienen,
estimacion ni precios limitados.
Y de aquellos vnguentos que preuienen,
Reyes para guardar ossos finados,
las cinco ta9as de oro en que venia
y los belecos mas en que coraia.
Cid. Tener el gran Soldan de mi membran9a
estimo en mucho y la persona tuya,
besarete en el ombro a la vsan^a,
si vistiera en el cuerpo ropa tuya.
153
Llega el moro a bezar la tnano al Cid, y el retirase y no la qiiiere dar.
Persi. No meresco tal bien auenturan^a,
la tu merced de darmela non fuja,
Cid. antes tu raerecer noble Persiano
fizo por fuer9a retirar la mano.
Guido que del camino fatigoso,
fincas, y de lo ver estoi con pena,
conmigo vin do yo fuelgo y reposo,
y mi alma viue de la alegrance llena.
Veras (noble senor moro onoroso)
el mi solas mi bien, la mi Ximena,
el thesoro mayor que Dies me ha dado
y fincaras en ver las descan9ado.
Vanse, y salen Dalifa y Litara rebogadas detras de Xarifa su criada con
cestillos de iiaranj'as en las mafios.
Dal. Non es mucho q vegadas
faga el amor por desoras,
criadas de las senoras
y a las senoras criadas.
Liz. Xarifa voi big? Xar. mui bien
Dal. y yo voi bie? Xar. mui bie vas,
encubrete vn poco mas
que las naranjas se ven.
Dal. Pues Xarifa has de aduertir
que si a caso alguien saliere,
y a nosotras se viniere
lo que tienes de dizir.
O sea moro o Christiano
de poco o mucho auer,
diräs que vamos a ver
al mandadero Christiano.
Y si Martin se llegare
y Antolines donde estamos,
vrdiras fablar con ambos
y quando Martin le fablare,
Diras tiraos con Lizara
y Antolines el rai amigo,
le da en la cara comigo
auer si le he dado eucara.
Liz. Ya estamos en el ^aguan
a tener los mis cuidados,
non binieran tan folgados
con grande festejo estan.
Säle Martin Pelaes y Martin Antolines rebogados conto de noche.
Xar. Veis donde vienen callä
Dal. son ellos? Liz. si que son ellos,
154
Dal. fas que te retiras dellos
Xarifa y llegate acä.
M. P. Que con gente innumerable
viene Bucar? Ant. si Martin,
M, P. yo le mando triste fin
aziago y miserable.
Que fue la causa dizid
fazer que aqui nos quedassen,
y la guerra adere^assen
Zulema y su amiga Ali?
Ant. Fue Martin enteucion mia
el daros contento a vos,
con poder salir los dos
a la tal barragania.
Que en tanto que los faueres
alinan nos folgaremos,
y libremente podremos
fablar a las sus mugeres.
M. P. Non es de mala manera
la mora juro a mi vida,
Ant. por mi vida ques guarrida
llegemos y sea quien quiera.
Dama del vera a catar
dama del cuerpo gensor,
que ayades dicha en amor
si auedes sabor de amar.
Pues es cosa facedera
non mostredes mal talante,
descubrid vuestro semblante
que yo sc quien lo fiziera.
Xar. Si la vuestra fauorida
Dalifa lo tal fara,
M. P. entendido bos lo ha,
Ant. tireme el cielo la vida,
Si non tengo por mejor
vuestro pie que non su cara,
Dal. andaos adamar Lizara
por mi ß que os tiene amor.
Ant. Quien pudiera vna vegada
gozar vuestro aluore dama,
M. P. quien gozara de tal dama
vn frescor de vna aluorada.
Xar. Y en quedandabos dormido
Uegara y bos despertara,
vn manda'do de Lizara,
Ant. tambien bos han entendido.
M. P. Quando tal me socediesse
non me ba tanto en aquella,
155
que OS dexasse a bos por ella
Liz. ay homes quien bos creyesse.
M. P. Quiere la vuestra mezura
comigo o mi companero,
entrar en el mi sillero
que yo la fago segura?
Xar. Si lo tengo en voluntad
vos lo sabeis cora^on,
y mis duenas que aqui son
que sientan la mi maldad.
Entran Zulenta y Ali y dize.
Zul. Fazeis nos Ueuar los panos
y lo demas que queredes,
y en todo el dia non fazedes
que se Heuen los escanos.
M. P. A buen tiempo aueis Uegado
fablad asi os guarde Dios,
los dos con aquellas dos
moras que estan aquel lado.
En quanto nos festejamos
Alä del cuerpo gentil
Ali. muger es del Alguasil
como los dos aqui estamos.
Zul. Non sea tu muger Ali,
Ali. non sea tu muger Zulema,
Zul. q esta alli quien tu onor quema,
Ali. que esta Antolines alli.
Dal. Ay mal dicha y malfadada,
Liz. ay desdichada de mi,
Dal. cuitado el dia en que nasci,
Liz. muger desauenturada.
Xar. Senor retiradbos dende
non subceda algun desman,
ved en que peligro estan
si por desdicha se entiende.
Ved que Lizara y Dalifa
son las que jazen alli,
con Zulema y con Ali,
M. P. y bos quie sois ? Xa. yo Xarifa.
Ali, Los rostros tienen tapados
llegadbos, Zul. allegadbos,
hablemos dos para dos
Liz. tiradbos que sois casados.
Ali. Ya plugiera a la Ventura
que nunca lo fuera yo,
' Zul, mal haja quien me caso
para mi desauentura.
156
M. P. Balgauos vna legion
de demonios fechiceras,
Dal. y esso fablais lo de veras?
Ali. ay Dios con quanta razon.
Zul. Yo jurare que los dos
jazemos arepentidos,
Liz. mirad los nuebos maridos
asi bos faga bien Dios.
Ant. Que digo bolued a la guerta
y si non fuere de acä,
neu mentre persona alla
y atendenos a la puerta.
Vanse Zuhma y Ali y diie.
M. P. Dizid que lo que diximos
que no fue por offensallas,
si tan solo por burlallas
que luego los conocimos.
Dal. Mala maldicion me caya
quando mas hoines fablare,
Liz. quando mas homes amare
mas mal que hai en ellos, haya.
Ant. Bamos q no hai suerte mala
la folgan9a estä segura,
Dal. hid a la mala Ventura,
Liz. hid a la Ventura mala.
Homes sin ley y sin fe
que sin empacho fablais,
y las caras que adamais
trocais por qualquiera pie.
Y non dedes mas passadas
cristianos por las mis puertas,
q en las fuetes y cn las guerlas
fablareis nuestras criadas.
Vanse.
M. P. Bamos q no hay suerte mala
la folgan9a esta segura,
Ant. hid a la mala Ventura
hid a la Ventura mala.
Pues negra me la de Dios
si a mi se me da vn chanflon,
maldigame santo Anton
sinon me p?.resco a vos.
Vanse y sale el Cid desnudo y alborotado.
Cid. Aguardadme Apostol santo
Vicario de Christo espera,
157
San Pedro ei Apostol era
q Dios me quiere a mi tanto:
Que con tal tnandaderia
me embia tal mandadero,
con que alegran9a que espero
gran senor la muerte mia.
En SU lecho reposado
no es mucho morir mi Dios,
el que muriera per vos
mil vezes martirizado.
Säle Albarfanes y Bermuda y Antolines.
Alb. Pues que nouedad es esta?
senor farauos prouecho,
el salir fuera del lecho
la gamacha desconpuesta.
Fue sueno? Cid. sueiio es la vida
Ber. n5 nos dizis lo que fue,
Cid. vna buena nueba a fe
de buena parte venida.
Don Hieronimo queria
que me viniesse a fablar,
Ant. el Obispo? Cid. bilde a llamar
sobrino por vida mia.
Vase Antolines.
Y vos mi sobrino amado
fincad pues siempre seguides,
mi lado en todas las lides
en esta lid a mi lado,
Y boluedme luego al lecho
que estar echado me aplaze,
Ber. el cora^on se me haze
mil peda^os en al pecho.
Alb. Yo non bos sabre dizir
quäl me siento de pezar,
Cid. yo OS sabve certificar
que es cercano el mi morir.
Lleuan al Cid y salen el Rey Bucar y los moros q pudiere de acdpanatnieto,
tanendo atabales y viene el Rey ablando con vn morisco Valenciano.
Buc. Tego en mucho el bastimeto
que tu concejo me oflFrece,
o como en el se parece
que viuis condescontento.
Ansi que fue tu salida,
a furto de la cuidad?
Mor. digo que ansi es la verdad
158
y que sahen tu venida.
Buc. Gracias por tan buena sueite
Mahoma mio te doi,
ah Valencia Bucar soi
Bucar ha venido auerte,
Bucar biene por la espada
que SU padre aqui perdio,
y la sangre que dexo
en tus campos derramada.
Como no vmillas los muros
cuidas que estäs en las manos
de quatro alarues Christianos
firmes enhiestos seguros.
Pues son buenos tus intentos
que yo piso tus arenas,
porque vengan tus almenas
abra^ar con los cimientos.
Alcaide de su Alca^aua
bos fago Caide tarife,
ya vos Naime Almoxarife
a vos Alguasil leisaua.
M. V. No fagas tanto desden
asi de tus anos gozes,
de aquello que non conoces
bien ni mal, ni mal ni bien.
Cuidas que el hado cruel
la tu potencia no imbidia,
as sonado que el Cid lidia
con espadas de papel.
Guarte que saldra al deuate
Christiano de tantos brios,
que sean pocos tus gentios
para que destroce y mate.
Buc. Pues mesti90 Mahometano
nascido en infame tierra,
de alguna Christiana perra
y algun Alarbe villano.
Por suerte mis esperan9as
nascen de vanos antojos,
no alcan^an a vuestros ojos
essas montanas de lan9as.
Essas nubles de flecheros,
essas sombras de pendones,
essas diuersas nasciones,
que cubren essos oteros.
Tiene el Cid mas de quinietos
Christianos de armas tomar,
Mor. tan sano es tu contar
159
como son tus pensamientos.
De otra manera decuenta
se an de contarlas sus gentes,
Maguer senor que las cuetes
en SU honor en nuestra afreta.
Ansi sera bien contadas
vn Cristiano mil Cristianos,
cada Cristiano mil manos
cada mano mil espadas,
Que a mil filos y a mas van
y con tal fuer9a esgremidas,
que en cada filo mil vidas "
de los tuyos sacaran.
Esta es la cuenta major
y en entra el Cid en ella,
que essa cuenta no hai fazella
y pliega Alä gran senor,
Non aguoelas las tus veturas
el de la orrible presencia,
que Uamamos en Valencia,
el coco de las criaturas.
Queste con poco trabajo
quäl si non fiziera nada,
fende de cada espadada
vn meto de ariba abaxo.
Y no para en el arzon
de la silla la cochilla,
que en bezes rompe la silla
y en bezes silla y troton,
Buc. Parte moro acobardado
y di a tu consejo triste,
lo que viste y lo que hoiste
y que estoi determinado,
Si Valencia se me entregua
de temor, non la querer,
si non lidiar y vencer,
Mor. o jubentud loca y ciega.
Buc. Y fazer en ella estrago
alcanfando la victoria,
que borre de la memoria
los de Numancia y Cartago.
N5 porque lo tal me quadre
ni engiandece mi poder,
mas tan solo por fazer
la vengän^a de mi padre.
Y nosotros nos boluamos
auer poner el real,
Mor. librete el cielo del mal
que sintimos y Iloramos.
i6o
Vanse todos y sacan al Cid de los bra^os Martin Pelaes^ y los demas.
Alb. Ya no hai que temer mal
y al pregon obedeciendo,
los moros se van saliendo
a viuir al arabal,
Con sus fijas y mugeres,
Cid. mirad que por mi contento
les fagais buen tratamiento
non les quiteis sus aueres.
Stent ase el Cid.
Y a vos he repetido el mi sobrino,
que he de morir manana en todo el dia,
que asi le plaze al fazedor divino.
Bien si que sintireis la muerte mia,
por ser en tiempo tan necessitado,
y por el grande bien que vos queria.
Mas jaze en las alturas ordenado,
y mandalo el senor y de la muerte,
non se puede fuir home criado.
Non es mi dolor ora tan fuerte,
por morir no es tanta la mi pena,
por temor de fallar blanca la suerte.
Que jaze el alma de vn seguro llena,
que san Pedro le dio de Dios firmado,
y a mi anunciado por tu boca buena,
Estä le el mi dolor por ser llamado
solo, y partir sin mi Ximena amada,
bien que en la vida fue todo mi agrado.
Mas pues que asi al senor grande le agrada,
non mas quiero tratar en mi partida,
notad mi fabla la postrer vegada.
Fincando ya el mi cuerpo sin la vida,
vn baSo le dareis de agua de rosas,
(bafio agradable de la hedad florida).
Y despues de mis ropas mas costosas,
le vestireis que finque muy apuesto,
guarnido al nuestro vsar, de todas cosas.
Y pondredes despues de todo aquesto,
en vn verde sendal la senal mia,
que tanto espanto a la morisca ha puesto.
Y el bra^o diestro por quien en algun dia,
bos respetar an moros y el Christiano,
y ya la muerte en la9a, abate, enfria:
Pouelde inbiesto y alto, y en la mano,
bien fixada y desnuda mi tisona,
tan conocida deste Rey pagano.
Y en tal guisa liguad a mi persona,
»
i6i
sobre bauieca y hireis a acompanalla,
donde tanta morisma se amontona:
Y non dudeis ganar esta batalla,
(sobrino) porque Dios me ha rebelado,
que ansi defunto tengo de ganalla.
A mi Ximeiia tengo ya auisado,
que non plana por mi porque non sienta,
que so muerto este moro renegado.
Fareis sobre los muros sobreuenta,
como que non sintis la tal raanzilla,
con alegresa que el dolor desmienta:
Y vencido este moro en la renzilla,
con los aueres y con mi Ximena,
secretamente bos partid a Castilla.
M. P. Ya aqui jaze Antolines con la cena,
Cid. entre Antolines y las auejas mias,
crecen y crescan muy en ora buena.
Säle Antolines y trae dos escudillas que fingen la mirra y el balsatno y
come el Cid.
Ber. Dexedes ya seiior vuestras porfias,
dexad la mirra y balsamo y aulado.
basta auerlo tomada nueue dias.
Tema alguna sustancia, Cid. es escusado,
aforroos el cuidar de embalsamarme,
y quiero yo fazerme embalsamado.
Para viuirme ni para alentarme,
non presta (non) la medicina humana,
sustancia menos non puede prestarme
que tengo de morir cierto manana.
Bien nos podemos bolver
que me da crecida pena,
el no ber la mi Ximena
y quiero la entrarauer.
Lleuä al Cid y salen de dos en dos los moriscos y moras cargados de ropa,
y despidiejidose de Vale?icia.
M. I. Quedate a Dios patria ingrata
que tus hijos menosprecias,
y aluergas, amas, y precias
aquien los deslruye y mala.
M. 2. Quedate a Dios madre mia
ciudad desauenturada,
de tristeza rodeada
y vestida de alegria.
M. 3. Fuentes, jardines, a menos
mesquita, alca9ar a Dios,
festejad y honrad bos
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV. II
102
fijos y fijas agenos.
M. 4. Menos riguroso mal
fuera sipultarnos juntos,
entre muertos y defuntos
que echarnos al araual.
Cid engaiioso Christiaoo
encarni^ado Leon,
de te Aid su maldicion
y el castigo de su mano.
Mor. Que dizis vos fijo mio
guerfano desemparado,
Nin. madre que voi mui cansado
pero en Mahoma confio,
Que llegarS a barraguan
y an vna trauadalid,
tengo de matar al Cid
y a quantos con el estan.
Y aun es poco a lo q enliedo
matar al Cid es poco,
Mor. y se estä conel el coco
Nin. hirerae a casa coriiendo.
Mor. Lo grado te vean mis ojos,
1. crecido Ueua su madre,
2. barraguan Heue a su padre
y vengar nuestros enojos,
3. Que fazeis para adelante
que son pensamientos banos,
^ que tienen estos Christianos
el cora^on de diamante.
1. Ciudad, 2. o madre, 3. o Valencia
4. alca^ar, M. mesquita y fuente,
a Chiistanos fiera gente
mortal rabia y pestilencia.
Säle Albarfanes, Bermuda, Antolines y Martin, y los demas sacando al Cid
defunuo con vna celada de purgamino y con plumas y vn escudo de [l]o mismo,
vn capotillo verde en el su ensena vermej'a y vnas calgas j'ustas, y el brago
lleuantado en lo alto con la espada desnuda en la mano y dize Bermuda.
Ber. Por la puerta de rozeros
sale Ximena, seguilla,
y endere^alla a Castilla
alto famosos guerreros.
Ea famoso campeador
ea Castellano famoso,
que al pecho mas valeroso
muerto matais de pauor.
Galan por estremo bais
y con tizona en la mano,
i63
veremos noble Chiistiano
de que manera lidiais,
Ea famosos Castellanos
el que pres y honor dessea,
faga como el cielo vea
la forfecha de sus manos.
En buen orden y concierto
salgamos en esquadron,
a sustentar la opinion
de nuestro caudillo muerto.
Non faga ninguno mengua
que aü que veis q muerto va,
el tal fecho le darä
para reprocharlo lengua.
Ved que la noche se vä
endere^ad essa deuisa,
M. P. a bauiefa a priessa, priessa
o la a bauie^a aprestä.
Lleuan al Cid y sali los moros por lo alto auer la batalla, y fingen que
la Vena,
M. I. Reciuirle como a hermanos
si por Ventura vencieren,
y se de la lid fujeren
los alfanges en las manos.
Defendamosses la entrada
que la gen[t]e que quedö,
con Ximena cuido yo
pues mui poca, y vale nada.
Suena vna tromfeta.
M. 2. Veis el Cid por donde vä
enhiestado en los estribos,
3. mirad los golpes esquibos
que Maitin el coco da.
4. Mirad el Obispo si atiene
con el Cid encorajado,
no se le quita del lado
1. mala suerte Bucar tiene.
Non vedes desotro lado
a Gil dia el tornadizo,
los flechazüs el granizo
con el cierco en igual grado.
2. Pues cl otro me leiiudo
pero Garcia las porradas,
queda tan desatinadas
3. n5 le he bisto a dS Bermudo.
4. Non le veis con el perdon
164
de la SU sefla vermeja,
1. par Dios que se rae semeja
que diablos con cuerpos son.
2. Pues mirad nessa manada
Albarfanes, salbadores,
que parecen seguadores
3. defendamosles la entrada.
El Rey de Argel se fujö
veis auatida su ensena,
4. y al de Mallorca y Cerdeila
don Albarfanes matö
I. Bucar se sale fuyendo
con siete Reyes nomas,
velde buelue para tras
SU desuentura plaiiiendo.
3. Comed que sale tras bos
la gomia que sangre beue,
Reyes truxo viente y nueue
muertos dexa vinte y dos.
3. Vuestros alfanges tomä
y a la puerta vos poned,
y la entrada defended
para quien baxare allä.
4. Temome que ande a solar
trecientos homes con crisma,
el resto de la morisma
y aun alli no han de parar,
Non an dexado tieda inhiesta
el robar el destruir,
enfardelar engoUir
engolli que poco os cuesta,
1. Non seguireis Manilla
la gente que desfalece,
2. espera que me parece
que endere^an a Castilla,
Digo que a Castilla van
decindamos. 3. esso es malo,
guardo non busques el palo
en lugar de buscar pan.
Van baxaddo los moros y salen vno a vno.
3. En Alä glorioso espero
ques la suerte alegre y diestra,
libertad Valencia es nuestra,
4. yo q aguardo, i. yo q espero.
2. Pues amigos guardabos
que cuido que puede ser,
queste Cid querä saber
i65
lo que puede fäar de nos.
q alli andauä muctos menos
de los que solian lidiar,
y dellos deuen de estar
las cimas y dllos llenos.
Y aquellos que estan alla
q hai mil demonios entrellos,
y non nos fiemos dellos
que pueden estar acä.
ot. 5. Que fazeis aqui pasmados
venid a gozar ruines,
vuestras casas y jardines
desiertos y despollados.
Si recelais de mal trato
mirad sin armas ni manos,
que no solo no hai Cristianos
mas nin ay perro nin gato.
Bolued a la ciudad vuestra
lecebid vuestia ciudad,
y apelidad libertad
libertad, Valencia es nuestra.
Sälen dos Castellanös viejos criados del Rey don Alfonso vno Hanta do Sancho
y otro Alfonso.
San. Que dizis, q es caso cierto
que ayer con la roxa ensena,
Ximena llego a cardena
con el Cid de biuar muerto?
Alon. Non dudedes de lo tal
bien lo podedes crer,
porque hoi al amanecer
se parte el pendon real.
Y el Rey si quiere partir
porque ya en palacio son,
de Nauarra y de leon
los infantes q alla han de ir.
San. Non son yernos del Cid? AI. si
que heredaa grandes aueres,
de parte de sus mugeres
San. ansi me parece a mi.
Non tiene fijo ninguno?
Alon. vno tiene don Ramiro,
San. de tal subcesso me admiro,
que don Ramiro tiene vno.
Alon. Garci Gon9ales se llama
dexele lograr el cielo,
que si parece al aguelo
el sera varon de fama.
i66
Yo cuido q en todo el saelo
tanto Rey y seüor junto,
en las bodas de vn difunto
non deue auer visto el cielo.
Säle vn mayordomo.
May. Ea fidalgos si hemos dir
a dicha aueis de sonallo,
ya estan todos a cauallo
y el Rey se quiere partir.
San. Ea senor non deis bozes
que non caeremos en falta,
que solo se5or nos falta
vestirnos los albornozes.
AloD. Callemos Sancho callemos
y por esta calle abaxo,
las saldremos al atajo
y los enparejatemos.
Vanse suena en san Pedro de Cardena muche tropel de gente vill[a]na.
Elu. Puja por entras Furraca
Vrr. non bino Domingo acä?
Elu. otra vegada vendrä,
que finca agora mui fraca.
Gil. Atended dadme la mano
que a fS que si tal supiera,
que a san Pedro non biniera
auer al Cid Castellano.
Ant. Que no le aueis visto? Gil. n5
Ant. pues es cosa de mirar
y Ileuareis que contar
Gil. de que manera es Anton?
Ant. Veredes que es marauilla
come jaze todo el afio,
sentado en vn rico escaSo
que le dio el Rey de Castilla.
Es cosa para mirar
Sälen Samuel y Abraham ludios,
Sam. digo que me marauillo
que por ver vn Cristianillo
quereis en san Pedro entrar.
Abr. Pues yo os digo Samuel
que sie alguna vez le veis,
que vos a mi confessareis
que ay mucho que ver en el.
De dentxo.
Que me afogan, Gil, Anton.
Säle Gil dias y dize.
167
G. d, Bien nos podemos böluer,
que ninguno lo ha de ver
fasta andar la procession.
Ant. Senor tuerto nos facedes
y dais agrados a los otros,
nS le hemos de ver nosotros
G. d. si que todSs le veredes.
Sana. Digo que codicio velle
y que tengo de atender,
fasta que le pueda ver
pera solo escarnecelle,
G. d, Callad Anton ques locura,
Ant. mas sandia es vuestra porfia,
que le muda cada dia
el Abbad la vistidura.
G. d. Par Dios regalar le pinta
casi me estoi por reir,
non bos falta son dezir
son que tiene espada en cinta.
Ant. Non mentir^ selo digo,
G. d. con que buen disanto viene,
Ant. digo que su espada tiene,
quatro mil vezes lo digo.
Que le quieren descobrir
salgan todo acd fuera
cogamos la de lantera
por aqui hemos de salir.
Quedan los ludtos solos.
Sam. Abraham non es razon
que los que mal nos desean,
con los Christianos nos vean
andar en la procession.
Vos podedes atender
que yo he de linear aqui,
Abr. pues ficadbos bos ahi
que tengo vn poco q hazer.
Y el mesias prometido
Samuel quede con vos,
Sam. esse nos guarde a los dos
vnos y otros han salido.
Non hai quien pueda ver
el cuerpo que jaze aqui,
ah Christiano estäs ahi
todo me hazes eslremecer.
Mas do estä mi pundonor
ques de mi balame Dios,
don Samuel estais en vos
i68
de vn difunto aueis temor,
Si a tornado al teplo alguna
persona en esta occasion,
non, y anda la procesion
que non hai major ninguna.
Corte la cortina, y el Cid parece en su escano con la espada cenida.
Demuestrese mi balor
balgame el dios de Abraham,
y que saiiudo ademan
vos sois al Cid campeador,
Vos sois el Cid Castellano ^
a cuja barua vellida
non llegö mano en su bida
de raoro nin de Christiano?
Puede verme alguno, no,
pues Cid al vuestro pesar,
don Samuel ha de llegar
donde ninguno llego.
Tendole ha hechar mano a la barha , desenbaina media espada el Cid, y cae
el Judio en tierra, y el Cid se queda con la capada sacada la niitad no mas.
Sam. Balgame el Dios q crchiste,
Llegan todos corriendo.
G, d. corrase aquessa cortina,
Sam. misericordia diuina,
con quien tanto raereciste.
Dom. Ay como jaze sanudo
Ant. mi f§ non fincaua asi,
la otra vez que yo le vi
Dom. veis Gil se ha tornado mudo.
G. d. Par Dios que tollese el bra^o,
Ani. non bedes el se ha ensaiiado,
contra algun desmesurado
Gil. mi fe non hai duda deso.
G. d. Samuel a Judio honrado,
Ant. non beis que jaze tendido,
G. V. el difunto lo ha atordido
y algü panchafus le ha dado.
Tornan a correr la cortina^ y tapan el Cid.
G. d. Asas ay tiempo de velle,
Ant. dexenos ver bien la cara,
G. V. a senor non le tapara
que tenemos que fazelle.
G. d. Samuel que faceis aqui
mostrad la mano alentadbos,
169
y se podeis lleuantadbos,
Sam. senor saqueme daqui.
Que yago fuera de sesso
y pues biuo me lleuanto,
dedesme el baptismo santo
de Dios, pues a Dios cSfiesso.
G. V. Salid amigo venid
manifestase esta gloria,
Ant. aqui se acaba la historia
de las fa9anas del Cid.
Fin de la Comedia de las bazanas del Cid.
Druclv vou Ehrhardt Karras, Halle a. S.
^:^<^ö^.
BEIHEFTE
ZUR ,
ZEITSCHRIFT
FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
Dr. GUSTAV GROBER
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBUKG I. E.
XXVI. HEFT
PRINZIPIENFRAGEN DER ROMANISCHEN SPRACHWISSENSCHAFT.
MEYER -LÜBKE GEWIDMET. TEIL I
MALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
IQIO
PRINZIPIENFRAGEN
DER
ROMANISCHEN
SPRACHWISSENSCHAFT
WILHELM MEYER -LÜBKE
ZUR FEIER DER VOLLENDUNG SEINES 50. LEHRSEMESTERS
UND SEINES 50. LEBENSJAHRES
GEWIDMET
TEIL I
KARL V. ETTMAYER:
BENÖTIGEN WIR EINE WISSENSCHAFTLICH DESKRIPTIVE
GRAMMATIK ?
SEXTIL PUSCARIU:
ZUR REKONSTRUKTION DES URRUMÄNISCHEN
EUGEN HERZOG:
DAS -TO- PARTIZIP IM ALTROMANISCHEN
MARGARETE RÖSLER:
DAS VIGESIMALSYSTEM IM ROMANISCHEN
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1910
UNSEREM GROSSEN MEISTER
IN
VEREHRUNG DANKBARKEIT LIEBE
MATTEO GIULIO BARTOLI CARLO BATTISTI
KARL VON ETTMAYER ERNST GAMILLSCHEG EUGEN HERZOG
A. VON NEUMANN-SP ALLART SEXTIL PU^CARIU
ELISE RICHTER MARGARETE RÖSLER PETER SKOK
ALICE SPERBER JULIUS SUBAK GIUSEPPE VIDOSSICH
ADOLF ZAUNER
v:'
Inhalt.
Seite
Karl von Ettmayer, Benötigen wir eine wissenschafilich deskriptive
Grammatik? l
Sextil PusCARiu, Zur Rekonstruktion des Urrumänischen 17
Eugen Herzog, Das -to-Partizip im Altromanischen. Ein Beitrag zur
Lehre vom syntaktischen Wandel 76
Margarete Roesler, Das Vigesimalsystem im Romanischen .... 187
Wortindex 206
Sachindex 210
1}
Hochverehrter Herr Hofrat,
Teurer Meister!
Die Entstehung dieses Buches ist angeregt worden, um drei
Daten Ihres Lebens zu feiern, die in den Jahren igio und igii
in kurzen Abständen auf einander folgen: die Vollendung Ihres
fünfzigsten Lehrsemesters, den Beginn des vierzigsten Semesters
Ihrer Tätigkeit an der Wiener Universität und Ihren fünfzigsten
Geburtstag.
Schon fünfzig Semester Dozentur! Bei so jugendlichem Inter-
esse, so unverbrauchter Kraft, die fortwährend an neue Probleme
herantritt!
Erst fünfzig Jahre alt! Bei der schier unübersehbaren Tätig-
keit, die Sie auf dem Gesamtgebiet der Romania und auf anderen
Spezialgebieten entfaltet haben, bei Ihrer mehr als 300 biblio-
graphische Nummern umfassenden Produktion!
Wie Ihr rasches geistiges Emporwachsen die ältere Generation
in Staunen setzte, so blickt die jüngere auf den in der Vollkraft
des Schaffens Stehenden in freudiger Bewunderung, in brennender
Lust, ihm nachzueifern, seiner Spur zu folgen.
Zu beleuchten, was Ihre Werke für die wissenschaftliche Welt
bedeuten, ist nicht unseres Amtes. Sie sind für die moderne Wissen-
schaft grundlegend und sind es vor allem, weil ihnen zwei Dinge
eignen: Der weite, die Gesamtheit der Erscheinungen umfafsende
Blick, der, auch wenn es sich um Detailarbeit handelt, nie versäumt,
dieses Detail dem Ganzen einzuordnen, es innerhalb des Ganzen
zu sehen; für Sie ist jede Arbeit geraeinromanisch, weil Sie nie
aus dem Auge lassen, welchen Platz das zu Untersuchende in der
Gesamtheit der Romania einzunehmen hat. Das zweite aber das
jeder Ihrer Arbeiten den eigenartigen Stempel aufprägt, ist die
Methode; für Sie ist jede Arbeit von prinzipieller Bedeutung,
weil Sie sich nie mit einem Einzelfalle beschäftigen, sondern das
Charakteristische, das Typische der Erscheinungen erforschen und
ins richtige Licht stellen. Daher Ist es Ihnen ein Bedürfnis, stets
alles nicht Zugehörige, alles Zufällige, nur scheinbar Gleichartige
klar zu sondern von dem, was den eigentlichen Gegenstand Ihrer
Untersuchung ausmacht, erst den Schutt früherer Meinungen zu
sieben, das Untaugliche wegzuräumen, um mit dem wohlgeprüften
INIaterial Ihren Bau aufzuführen.
Diese Hauptmerkmale Ihrer Arbeiten kennt jeder, der sich ein-
mal mit ihnen beschäftigt hat. Besonders vertraut mit ihnen aber
sind alle, denen es vergönnt war und ist, als Schüler Ihren münd-
lichen Unterricht zu geniefsen. In Kollegien mannigfachsten Inhalts,
in der ungezwungeneren Belehrung der Seminarübungen, nach
denen jeder von uns noch nach Jahren Heimweh fühlt, endlich in
ganz privater Unterweisung, die Sie ja in wahrhaft unerschöpflicher
Geduld uns allen so häufig zu teil werden lassen, geben Sie uns
Gelegenheit, neben der nie geschwächten Lebhaftigkeit Ihrer Teil-
nahme diese zwei Grundzüge Ihrer Lehrmethode zu bewundern und
in uns aufzunehmen. Aber wir Schüler verdanken Ihnen noch
mehr. Wie verschiedenartig wir auch sein mögen, in einigen Punkten
haben Sie uns alle gleich gemacht: Sie prägten uns den Sinn für
geistige Ordnung ein und pflegten in uns jenes nützliche Mifstrauen
in alles nicht selbst Geprüfte, die gesunde Lust am Zweifel, die die
Grundlage der Erkenntnis ist ; Sie pflanzten in uns die heilige Ehr-
furcht vor der Wissenschaft; Sie erweckten und nährten unsere
Begeisterung für sie. Und uns alle vereinigt warme Verehrung und
treu dankbare Liebe zum Meister.
Aus der Gesamtschar dieser Gemeinde tritt nun heute ein
kleiner Bruchteil vor Sie hin. Unser vierzehn Kollegen aus ver-
schiedenen Semestern, haben wir uns vereinigt, Ihnen die folgenden
Blätter zu überreichen.
Wir mafsen uns keineswegs an, alle Ihre Schüler zu vertreten;
in einem gemeinsamen Gedanken haben wir uns zusammengefunden
zu gemeinsamer Arbeit.
Wir wollten Ihnen zu Ihrer Gedenkfeier ein geistiges Angebinde
von möglichst einheitlichem Charakter darbringen. Uns schwebte
ein grofsor Gedanke vor: Wir wollten uns bemühen, Ihnen zu
zeigen, inwieweit Ihre Lehrmethode in uns Wurzel geschlagen hat;
die geistige Einheit unsrer Arbeit sollte in dieser Gleichheit der
Methode zutage treten.
XI
Wir setzten uns daher vor, nur Themen zu wählen, die den
Ausblick ins Gemeinromanische gestatten und die Untersuchung
aus einem prinzipiellen Standpunkt durchzuführen, so dafs die
Bearbeitung zugleich von methodischem Wert, von allgemein
linguistischer Giltigkeit wäre.
Manch widriges Geschick setzte sich der Ausführung in den
Weg; nicht nur das typische, dafs der Wurf hinter dem Zielpunkt
zurückbleibt; nicht nur, dafs die Zeit bei der mannigfachen Be-
schäftigung aller Beteiligten mitunter kaum ausreichte; es ergaben
sich noch ganz unerwartete Schwierigkeiten rein innerlicher, sach-
licher Natur. Einige der gewählten Themen, deren methodisches
Interesse aufser Frage war, widersetzten sich der Durcharbeitung
auf gemeinromanischem Gebiete ihrer Gröfse, andere ihrem Wesen
nach, indem die nähere Durchforschung ergab, dafs die betreffende
Erscheinung nicht gemeinromanisch sei. Freilich ist — um ein
öfter von Ihnen gehörtes Urteil zu zitieren — ein negatives
Resultat auch ein Resultat. Immerhin scheinen nun einige Arbeiten
in gewisser Hinsicht dem Titel unseres Bandes nicht zu ent-
sprechen: Der Ausgangspunkt war dennoch allemal eine romanische
Prinzipienfrage.
In vielen Fällen hat die Beschäftigung mit den allgemein-
romanischen Fragen eine auffallende Ähnlichkeit der Ansichten
und Durchkreuzung der Arbeitsgebiete ergeben, so dafs manche
Sätze drei- und viermal in dem Bande von verschiedener Seite
her ausgesprochen worden sind. Wir haben solche Überein-
stimmungen nicht ausgemerzt, sondern vielmehr durch besondere
Vermerke hervorgehoben als Zeichen innerlichen Einklangs und
einer geistigen Zusammengehörigkeit, die sich auf Grund der ge-
meinsamen Schulung gewissermafsen organisch entwickelt hat.
Ihre Art war es immer, jeden Ihrer Führung Anvertrauten zur
Selbständigkeit zu erziehen, zum Selbstsehen und Selbstdenken.
Sie äufserten einmal — in einer Kommersrede, als wir die
Vollendung der „Syntax" feierten — dafs es für einen Lehrer keine
gröfsere Freude gebe, als die, von seinen Schülern belehrt zu
werden. Und dies ist bei Ihnen keine Redensart. Es ist nicht
denkbar, dafs wahre Überlegenheit mit geringerem Anspruch auf
Autorität den Jungen und Jüngsten gegenüber treten könnte.
Immer wieder verwundert sich der Anfänger über Ihre Freude an
seinem Widerspruch, seinem Beharren auf eigner Meinung, wenn
er sie irgend erhärten und begründen kann. In solchem Freimut
xn
erzogen, haben wir es auch diesmal gewagt, gelegentlich nicht
Ihrer Meinung zu sein. Sie werden uns, wie wir aus alter,, lieber
Erfahrung wissen, in solchen Falten nur Eines übel vermerken:
wenn wir — nicht recht haben!
Empfangen Sie, lieber hochverehrter Meister, unsere Gabe als
Ausdruck der dankbaren das Leben durchdauernden Ergebenheit,
mit der wir uns als von Ihnen Gebildete empfinden und unsern
Stolz darein setzen, als Ihre Schüler erkannt zu werden. Empfangen
Sie unsere aufrichtigen Glückwünsche zu den drei Gedenktagen.
Für uns erhoffen wir durch weitere ungezählte Seraester Ihre lehr-
und arbeitsfrohe Tätigkeit und Ihre uns Schülern stets bewährte
Freundschaft.
Juni igio.
Benötigen wir eine wissenschaftlich deskriptive
Grammatik ?
Vorausgeschickt sei, dafs der Titel tatsächlich als oifene Frage
gedacht ist; und wenn auch in folgendem der Versuch gemacht
sein soll, dieselbe in bejahendem Sinne zu beantworten, so liegt
dem Fragesteller nichts ferner, als in dozierendem Tone in dem
Augenblicke belehren zu wollen, wo er selbst sich an die Erfahrung
der Weitgewanderten wendet und bescheiden nach dem Wege fragt.
Die Anregung zu diesen Anführungen wurden durch Ihre
Historische Grammatik der französischen Sprache, hochgeehrter Meister,
gegeben, in der Sie speziell im Vorworte (p. VllI) Anlafs nehmen,
das Problem der „deskriptiven Grammatik" zu streifen. Sie denken
sich dieselbe als eine Zusammenstellung, welche „den zeitlichen und
örtlichen Bestand von Lauten und Formen in der gröfsten erreich-
baren Genauigkeit" zu umfassen hätte. „Eine deskriptive Grammatik
zu schreiben {fahren Sie fort), wäre gewifs eine lohnende Aufgabe,
sie würde ein brauchbares, ziemlich umfangreiches Nachschlagewerk
für Spezialisten, aber doch eben nur für Spezialisten." Ich werde
wohl nicht fehlgehen, wenn ich als auf ein Musterbeispiel dieser
Art auf die „Altbairische Grammatik" von Schatz hinweise. Es ist
kein Zweifel, dals ein solches Werk, wie es Ihnen vorschwebt,
einen hohen wissenschaftlichen Wert besitzen könnte, wenn auch
der pädagogische Erfolg, etwa bei den Studierenden, zurückbleiben
müfste. Ob aber eine solche „deskriptive Grammatik" sich das
Beiwort einer „wissenschaftlichen Grammatik" beilegen dürfte, wäre
doch recht fraglich. Ich meine nämlich, ob das Deskriptive an
diesem Werke nicht sozusagen das unwissenschaftliche weil kom-
pilatorische Element wäre, und die wirklich wissenschaftlichen Ver-
dienste dieser Grammatik in der direkten oder indirekten Be-
reicherung, welche für die „historische Grammatik" dabei heraus-
kommen, lägen. Gerade das oben zitierte Beispiel der Grammatik
von Schatz zeigt, dafs dem so sei.^
* Um allen eventuellen Mifsverständnissen vorzubeugjen betone ich , dafs
ich Schalzens Werk nicht blofs dem Inhalte nach (den zu beurteilen mir
nicht obliegt), sondern auch methodisch für höchst bedeutsam halte. Was die
wissenschaitlichen Verdienste des Werkes betrifft, verweise ich auf die aus-
führlichen Besprechungen, die ihm gewidmet wurden.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVI. (Festschrift.) 1
Wenn aber hier die Frage aufgeworfen wurde, ob wir eine
wissenschaftlich deskriptive Grammatik benötigen, möchte ich von
vorne herein nur eine solche Grammatik ins Auge fassen, die nicht
blofs als Materialsammlung und Kommentar zur wissenschaftlichen
historischen Grammatik zu gelten hätte, sondern eine Grammatik,
die vermöge ihrer ganzen Struktur, vermöge der Probleme, die sie
darzustellen sucht, an sich schon wissenschaftlichen Wert beanspruchen
dürfte, also der historischen Grammatik nicht unter-, sondern bei-
geordnet wäre.
Auszugehen wäre mithin von Prinzipien, die, an sich unhisto-
risch, eine geschichtliche Betrachtungsweise nicht zulassen, die der
historischen Untersuchungsmethode ihrer Natur nach nicht zugänglich
sind und dennoch zum richtigen Verständnis der Sprache eine
notwendige Voraussetzung bilden. Es dürfte hier am besten sein,
die Methode a contrario einzuschlagen und zunächst einen Blick
auf die historische Grammatik und ihre Ziele zu werfen. Die Auf-
gabe jeglicher Historie — und die historische Grammatik ist ein
Teil derselben, man mag sagen, was man will, — ist die Dar-
stellung einer zeitlich verbundenen Kette von Ereignissen mit dem
Zwecke, deren ursächliche Zusammenhänge aufzudecken. Wir pflegen
dabei zwei verschiedene Wege einzuschlagen; — beide sind in der
historischen Grammatik tatsächlich mit grofsen Erfolgen beschritten
worden, und beide Methoden, das ist das eigentümliche, schliefsen
sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich auf das Innigste.
Die eine, welche ich die historische schlechthin nennen möchte,
pflegen wir bei der Darstellung menschlicher Begebenheiten, — in
einer Biographie, in der Geschichte eines Regenten, eines Feldzuges
usw. anzuwenden. D. h. wir heben ein bestimmtes Geschehnis aus
der Fülle heraus, schildern seine Voraussetzungen, seinen Verlauf,
seine Folgen, wir individualisieren es mit andern Worten. Ganz
anders pflegen wir aber zu verfahren bei Ereignissen der sogenannten
unbelebten Natur. Wenn uns ein Botaniker die Geschichte des
Wachstumes eines Baumes erzählt, so verfährt er recht unhistorisch.
Den Zeitverlauf skizziert er ganz aligemein (eventuell auch nicht),
und führt nicht sowohl die einzelnen Phasen des Wachstums aus,
— die uns wenig Interessantes böten, sondern stellt die Prinzipien
fest, nach denen sich das Wachstum vollzieht: die Gliederung in
Wurzel, Stamm und Krone, die Stellung der Äste, die Blütenansätze,
die Befruchtung usw. ; ähnlich verfährt der Chemiker, der die Synthese
einer Verbindung erzählt, der Astronom, der eine Kometenbahn
bestimmt usw. Nicht das Individuelle, wie beim Historiker,
sondern sein gerades Gegenteil, das Typische wird methodisch
untersucht, durch Vergleichen herausgeschält und dadurch dem
Zeitlichen in einer gewissen Hinsicht entrückt.! Nicht darauf
^ Ich glaube, was ich mit den beiden Begriffen individuell und
typisch kennzeichne, ist ohne weiteres klar. Diesem Gegensatze etwa von
der naturphilosophischen Seite näherzutreten, fühle ich mich nicht kompetent.
kommt es an, ob der Himmelskörper ein-, zwei- oder millionenmal
seine Bahn durchzieht, sondern darauf, wie diese immer wieder durch-
raessene Bahn beschaffen ist. Ich möchte diese zweite Methode in
der Betrachtungsweise von Ereignissen, die sich in der Zeit ab-
spielen, kurz die evolutionistische nennen. Beide Methoden
haben ihre Berechtigung, beide können im Prinzipe gleichmäfsig
angewendet werden, doch nicht ganz! Ein Ereignis mufs immer
erst individualisiert werden, ehe das Typische darin abgelesen
werden kann. Dieses Individualisieren ist in der „leblosen Natur"
meist eine so einfache, selbslverständliche Sache (doch nicht immer,
z. B. in der Geologie!), dafs man meist darüber schweigend hinweg-
gehen kann, während es in der menschlichen Historie die ganze
angestrengte wissenschaftliche Arbeitskraft unter Umständen in An-
spruch nimmt. Das Individualisieren ist das primäre, es ist z. B.
in der historischen Grammatik geradezu identisch mit der einfachen
Empirie, während die evolutionistische Methode, das Suchen nach
dem Typischen, allgemein Gültigen die eigentliche Theorie bildet.
Daraus wird man ersehen, wie oben der Satz gemeint war, die
historische und die evolutionistische Methode schlössen sich nicht
gegenseitig aus, sondern ergänzten sich. Viel liegt an der Natur
und Veranlagung des Forschers, wohin seine Vorliebe neigt, viel
aber auch an der Eigenart des Stoffes, den er zu bearbeiten hat.
In der Praxis dürfte es kaum möglich sein, die eine oder die
andere Methode völlig auszuschliefsen. Weiter darüber zu sprechen
würde zu Gemeinplätzen führen.
Ich will es vorziehen, in der INIeyer-Lübke Festschrift an Hand
seiner Grammatiken, besonders seiner letzten, der Französischen, die
obigen Gedanken zu exemplifizieren. Es ist hochinteressant, den
Gang zu verfolgen, den der in diesem Buche gefeierte Jubilar ge-
nommen hat. In seiner Italienischen Grammatik (deutsche Ausgabe)
z. B. ist das Schema, das die historische Grammatik von der älteren
deskriptiven übernommen hatte, noch ziemlich unverändert erhalten.
Zwar ist diese ältere Methode, welche zunächst von den heute be-
stehenden Lauten ausging und dieselben in verkehrt- historischem
Wege zurück verfolgte, bereits verlassen, doch sind wir von jenem
„organischen" d. h. rein historischen Aufbaue, der uns in der
Französischen Grammatik vorgeführt wird, noch weit entfernt. Be-
tonte Vokale, Auslautsvokale, Nachton- und Vortonvokale, Kon-
sonanten werden in ähnlicher Weise als selbständige, gegebene
Einheiten aufgefafst, wie es die nichthistorische Grammatik mit den
Flexionsformen seit jeher getan hatte. Das System, in welches sie
gebracht werden, ist im allgemeinen physiologisch -typisch und die
Folge davon, dafs ganz junge Entwicklungen der Sprache mit uralten
Erscheinungen in bunter Folge wechseln. Nur aus einzelnen syste-
matischen Grundbegriffen: der Zusammenfassung der anlautenden
Konsonanten gegenüber dem Inlaute, ^ mithin der Durchbrechung
^ Ital. Gr. p. 94 resp. 115.
I*
des alphabetisch-phonetischen Systems zu gunsten historischer Ent-
wicklungsprinzipien in Unter- resp. Oberitalien, nur aus solchen
Einzelnheiten kann man entnehmen, ^dafs Mcyer-Lübke schon damals
den Weg eingeschlagen hatte, auf dem er uns heute führt. Vor
allem zeigt aber die Art, wie das dialektische Material herangezogen
wird, wie sehr das Streben nach deskriptivem Umfassen gegenüber
dem historischen Individualisieren des gewaltigen Stoffes überwogen
hatte. Darum das starke Betonen des sprachgeographischen Momentes.
Ist es ein Zufall, dafs Meyer-Lübke in seiner ersten Schaflfenszeit
gerade auf diese Seite der Sprache ein so grofses Gewicht legt,
während die in ihren Anfängen liegende rein-historische Anschauungs-
weise noch wenig zur Geltung gelangte, — und dafs heute der
Schöpfer einer grofsangelegten Sprachgeographie, Gillieron, sowohl
in der Art, wie er die Dialekte aufnehmen liefs, als in der Weise
wie er sie ausbeutet, mit vollem Bewufstsein das traditionelle laut-
historische Moment ausscheidet, um zunächst nur Geograph zu sein?
Ich denke wohl, dafs wir hier auf ein in sich unhistorisches Prinzip
im Sprachenstudium — eben das geographische — stofsen, und
will gleich hinzufügen, dafs es weder das einzige noch, wie ich
denke, das bedeutendste ist.
Die weitere Entwicklung der historischen Methode in der
„Rom. Gramm.'", in der „Einführung" usw. zu verfolgen, hiefse die
ganze Arbeitsleistung Meyer -Lübkes einer detaillierten Würdigung
unterziehen. Es genüge, wenn ich als vorläufigen Endpunkt die
Franz. Grammatik in kurzen Strichen skizziere.
Das „Individualisieren" des Talbestandes, von dem ich ein-
gangs sprach, ist straff durchgeführt. Die neufranzösische Schrift-
sprache, — als historisches Produkt betrachtet, — ist das Problem,
dem jede Zeile im Buche zu dienen hat. Die Mundarten sind
nicht mehr als geographische, der Schriftsprache gleichwertige
Sprachglieder, sondern als historische Faktoren, sozusagen als „Hilfs-
kräfte" aufgefafst. Die Anordnung des Stoffes ist eine rein „ge-
schichtliche". Die Trennung zwischen betonten Vokalen, tonlosen
Vokalen und Konsonanten wird zwar „nicht aufgegeben" aber als
„Konzession" empfunden (Einleit. pag. VIII). Innerhalb dieser drei
Hauptabschnitte wird aber jede Rücksicht auf das deskriptive Schema
verlassen und rein historisch vorgegangen. Meyer-Lübke selbst
scheint die französische Grammatik noch nicht als Endziel auf dem
Wege, den er besonders seit seiner „Einführung" klar und scharf
erkannt hat, aufzufassen. Der Umstand, dafs er von den oben
erwähnten Konzessionen spricht, die er mit der noch nicht genügend
gesicherten Chronologie seines Geschichtswerkes begründet, sagt es
mir. Wenn prophezeien erlaubt ist, ergäbe sich da als Endpunkt
eine „pragmatische Geschichte des Lautwandels" an Stelle der bis-
herigen „Lautlehre", eine Geschichte, zu deren klarer Durchführung
wir in erster Linie einer „Chronologie" bedürfen, die den „orga-
nischen Aufbau" zu vermitteln hat. Ob etwa unter Meyer-Lübkes
Leitung diese Chronologie zu einer eigenen philologischen Disziplin
sich auswachsen wird? — Ob wir gerade ihretwegen nicht wieder
zunächst einer deskriptiven Gramrüatik bedürfen?
Doch vorläufig noch nicht davon. Hat uns Meyer-Lübke in
seiner Französischen Grammatik das derzeit höchstmögliche an einer
„historischen" Grammatik beschert, so möchte ich zunächst diesem
Werke, dieser INIethode, die Grundzüge einer „evolutionistischen
Grammatik" zur Seite stellen. Ich möchte dies gerade für den
Stoff, den Meyer -Lübke im wesentlichen historisch behandelt hat.
Nach dem was einleitend gesagt Wurde, ist das Verdienst einer
solchen Umordnung des Stoffes nicht gar zu grofs, zumal IMeyer-
Lübke selbst viel „Evolutionistisches" hinein verwoben hat. Wenn
einmal das historische Element klar gelegt ist, wird es nicht eben
schwer, Theorien darauf aufzubauen. Immerhin sind auch evolutio-
nistische Zusammenfassungen mitunter von Wert, vorausgesetzt, dafs
sie gegen die Historie nicht verstofsen.i
Die zahllosen Lautwandlungen, .welche das heutige Französische
seit der Romanisierung durchgemacht hat, welche zu so vielfältigen
Mundartbildungen in dem weiten Lande geführt haben, lassen sich
eigentlich auf verhältnismäfsig wenige Prinzipien zurückführen. Wenn
wir von der Behandlung der Liquiden absehen, in der vielfach
uralte lateinische Entwicklungstendenzen ihre Fortsetzung fanden,
können M'ir uns z. B. für den Konsonantismus eigentlich mit zwei
Hauptklassen von Lautveränderungen zufrieden geben.
I. Artikulationschwächung d. i. Lenierung der Tenuis bis zur
Media, Neigung der Media in der nämlichen Stellung zu schwinden
(wozu auch gewisse qualitative Änderungen intervokalischer und
silbenauslautender Konsonanten, besonders Liquiden zu rechnen
sind), n. Palatalisierung, u. zw. durch folgendes _>' oder i, e [a,
ü, ö), und in schwacher Stellung vor Konsonanten, denen noch die
Entlabialisierung des qu resp. gii vor y, vor e, i und vor a beizu-
fügen wäre.
Die unbetonten Vokale folgen fast ausnahmslos der Tendenz
der Artikulationsschwächung (event. Schwund), dem selten eine Artiku-
lationsverstärkung (wie etwa in Sizilien) und ebenfalls selten eine
Vokalentfaltung zur Seite steht. Aufserdem Erscheinungen, wie bei
bet. Vokalen.
Schliefslich ist der betonte Vokalismus durch vier Haupt-
erscheinungen charakterisiert: das Positionsgesetz, die Umlauts-
wirkung, die Vokalpalatalisierung besonders nach Palatalkonsonanten
und die Diphthongassimilation {au zu 6) resp. Dissimilation {ei zu oi).
Es dürfte kaum einen französischen Lautwandel geben, der^ nicht
in einem dieser Grundtypen enthalten wäre, die man z. B. be-
trächtlich vermehren müfste, wollte man die vielgestaltigeren Dialekte
^ Diese Rücksicht läfst es mir rätlicli erscheinen, für das frz. Sprach-
material ganz selbständig vorzugehen und mithin mich auch von anderen
„evolutionistischen" Systemen zu emanzipieren.
2 Abgesehen von den Wirkungen sek. Akzentverschiebungen.
Italiens typisch darstellen. Nur eine Doppellendenz ist noch hinzu-
zufügen, die in Frankreich gerade die entgegengesetzte Form be-
hauptet als z. B. in Sardinien, nämlich Erhaltung des Wortanlautes
und Abstofsung des Wortauslautes.
Was den Wortanlaut betrifft, so ist diese Entwicklungstendenz
in Nordfrankreich besonders rein durchgebildet: frz. de (aber
oreiUe), sp. Ilave, it. cJn'ave. Sie steht in direktem Gegensatz zur
keltischen Entwicklung (zum mindesten zu jener des Inselkeltischen
vgl. H. Pedersen, Grammatik der keltischen Sprache p. 25) bis zu
einem Grade aber auch des Latein und zwar in gemeinromanischer
Zeit (anl. k -\- e, i, ebenso wie inl. palatalisiert!) wie in der älteren
italischen Epoche, wo zwar anl. f erhalten bleibt, aber andere Laut-
wandel Anlaut und Inlaut gleichmäfsig treffen. Auffällig ist nun, dafs
in einigen westromanischen Worten (die z. T. keltischer Herkunft
sind) der Anlaut unregelmäfsigerweise durch die ]\Iedia statt durch
die ursprünglichen Tennis gegeben wird, wo aber gerade in Nord-
frankreich die scheinbar regelrechte Tenuis mehr oder weniger weite
Verbreitung hat. Man vgl. das Wort chai im Atlas ling., wo nur
die Gascogne und die Küsten des Mittelmeeres den ital.-span.
Anlaut führen, man vgl. crier, cage (allerdings neben geole) und
wenigstens im Picard.-Wallonischen cras für gras. Nur die griechischen
Lehnworte {Jamhe) und späte italienische Entlehnungen wie gonfler
[Frz. Gr. p. 15) sind hier fernzuhalten. Wenn wir von diesen letzten
Fällen absehen, kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dafs
in den französischen Tenuisformen spätere, gelehrte Einflüsse vor-
liegen und ursprünglich überall ein — (zunächst wohl gallororaanisches)
gattus, grassus, gritare, gabia, — im Westromanischen vorgelegen
habe. Die französische Tenuis würde einer Epoche entstammen, in
der auch in anderen Fällen, die wir heute nicht mehr kontrollieren
können, ein, nach keltischer Art unregelmäfsig gebildeter Wortanlaut,
durch die heutige korrekte Form verdrängt wurde. Nach dieser, wie
ich gerne zugebe, kühnen, doch keineswegs unwahrscheinhchen Hypo-
these, hätte die heute streng durchgeführte Tendenz des erhaltenen
Wortanlautes in allerältester Zeit in Nordfrankreich nicht geherrscht.
Mit dem Wortauslaute kommt man im Französischen auch nicht
so leicht ins Reine. Das Latein hatte schon in seiner italischen
Epoche (also bis in die römische Kaiserzeit hinein) gewisse Neigungen,
den Auslaut abzustofsen und zwar sowohl hinsichtlich der Kon-
sonanten (beginnender j'-Schwund im Altlatein, ebenso Fallenlassen
des auslautenden Dentals [wohl gleichzeitig auch Gutturals und
Labials] durch Sandhibindungen seit dem i. Jh. n. Gh.), als der
Vokale (frühzeitig in ,,Kurzformen" deiji usw., etwas später i^-Schwund
nach r {biber), der heute noch vielfach in mittel- und unteritalienischen
Mundarten konstatierbar ist), wogegen das provinzielle Latein solche
Wortnuanzierungen offenbar vermied. In erster Linie ist es wieder
Nordfrankreich, welches den Auslaut ganz streng bewahrte: 1 so be-
* Zur scheinbaren Ausnahme dts ausl. -c, vgl. Meyer-Lübke Frz. Gr. p. 142 f.
kanntlich die auslautende Dentalis vgl. Frz. Gr. p. 155, die im
Pompeianischen a?)ia bereits fehlt. 1 Wie nun das Gallische gerade
den Wortauslaut lange Zeit in seiner idg. Form fast unverändert
erhält, um ihn dann etwa im 6. Jh. n. Ch. plötzlich zu modifizieren,^
so scheinen auch im Französischen, mindestens vor dem 6. Jh.
[Frz. Gr. p. 64) die vokalischen Auslautgesetze jählings eingesetzt
zu haben, denen dann die weiteren Abstofsungen des Wortauslautes
sukzessive folgten. Dabei ist zu beachten, dafs der Schwund der
auslautenden Vokale im Französischen offenbar wesentlich älter ist,
als z. B. in Oberitalien. Die nämliche Erscheinung im Rätoroma-
nischen, die wohl nicht vor das 12. Jh. zurückreicht, wie sowohl
das Gröbersche Sprachdenkmal als die St. Galler und Tiroler Orts-
namenschreibungen (bei denen allerdings zwischen dem althoch-
deutschen und dem romanischen Vokalschwund sorgsam zu scheiden
ist!) zu erweisen scheinen. Stellen wir hinzu, dafs z. B. im Emilia-
nischen dieselbe Erscheinung ebenfalls der nämlichen Zeit angehört
(so dafs vor dieser Epoche z. B. die IMundart von Bologna mit
ihrem erhaltenen ie und uo usw. eigentlich vom Venezianischen
wenig differierte), dafs weiter auch im Lombardischen der Vokal-
schwund im Auslaut damit zusammengehangen haben dürfte, so
kommen wir dazu, diese im Prinzipe identischen Lauterscheinungen
örtlich und historisch sorgsam auseinanderzuhalten.
Da es sich nur darum handelt, das Methodische hier klar-
zulegen, kann ich mich auch in den anderen Hauptpunkten kurz
fassen. Über jenen Erscheinungstypus, den ich oben als Artikulations-
schwächung bezeichnete, hat schon Meyer-Lübke viel evolutionistische
Theorie mit der historischen Darstellung verwoben: über schwache
und starke Stellung resp. Silbenanlaut und Silbenschlufs (§§ 149 ff,,
bes. 184), so dafs es nicht rätlich erscheint, noch weiter zu gehen. Nur
so viel sei angedeutet, dafs allerdings starker Wortanlaut und starker
Silbenanlaut (resp. umgekehrt) Hand in Hand zu gehen scheinen,
dafs aber die Schwierigkeit mit der Frage entsteht, wo die Silben-
teilung in älterer und heutiger Zeit jeweils einsetzte. Der Begriff
der Zwischensilbigkeit, den Meyer-Lübke glücklich einführt, könnte
theoretisch leicht mifsverstanden werden, — er scheint mir mehr
den Tatbestand festzustellen als begründend zu sein. Jedenfalls
kommt er dem Gebiete mit starkem Silbenanlaute [porta) ebenso
zu wie den unteritalienischen ;>(?yTa-Mundarten.3 Dem schwachen
Silbenauslaut gehören im Französischen die Erscheinungen der
Nasalierung, der Vokalisierung des /, der .y-Schwund vor Konsonant,
wohl auch die Palatalisierung der Guttiiralis vor Konsonant (vgl.
Fr. Gr. § 164 ff.). Zum Typus des zwischensilbigen Lautwandels
rechne ich aufser den bekannten Behandlungen der intervokalischen
Tenuis resp. Media auch intervokalisch r zu z in Frankreich (wie
^ Vgl. Wiclv, La fonetica delle iscrizioni parietarie Pompeiane p. 44.
"^ Vgl. H. Pedersen, Kelt. Gramm, p. 243.
3 Mit X (tt, Äf) bezeichne ich die unterital. Tenuis lenis nach Vokal, m,
r und /.
8
/ zu // und ;- in provenzalischen Mundarten). Besonders wichtig
für die Beurteilung der zwischensilbigen Stellung ist die Sonder-
behandlung der Tenuis nach Diphthong im Nordfranzösischen: afrz.
oie, Joe, poe gegen prov. atica, oberit. sp. oca usw., vgl. Meyer-Lübke
R. Gr. I, 360, Fr. Gr. 66. Wenn wir von piem. gavia absehen
(ein Fall für sich), so ergibt sich, dafs dieser Tenuisschwund für
Nordfrankreich spezifisch ist. Da nun die Monophthongierung des
ö« erst im 8. Jh. einsetzte, mufs die bereits im 5. Jh. sich geltend
machende Lenisbildung noch 3 Jh. später in voller Wirksamkeit
geblieben sei, so dafs im 10. — 11. Jh. das viel länger erhaltene /
in Joe mit jenem von ruee zusammengefallen war. Der Gegensatz
zur Provence ergibt sich aus dem dort unveränderten au, der zu
Oberitalien daraus, dafs auch hier viel länger als in Nordfrankreich
au gesprochen wurde (wohl bis ins 11. Jh.). Ähnliches wäre auch
für Spanien daraus zu folgern. Eine Form *gauta halte ich auch
dort für ausgeschlossen, wo die Tenuis erhalten blieb und verweise
auf die abweichende Behandlung von rapidus, sapiJus usw. z. B.
span. raiido (vgl. Zaun er, AJtsp. Elem. p. 20) frz. rade usw. In den
EmfP- p. 135 zusammen gefafsten Fällen ist vielmehr rein vokalisches
au anzunehmen. Das / in gauta ist also nicht „zwischensilbig" (so
wenig als das in porta), wohl aber jenes von gpta.
Die Palatalisierung ist historisch viel leichter zu fassen als
evolutionistisch. Von jenem Standpunkte aus möchte ich drei Phasen
unterscheiden: eine primäre in die lateinische Zeit fallende (lat.
/-Verbindungen: soHus später miUa, nalw, braküi, dann lat. Gutt.
vor e und t) dann eine sekundäre (Gutt. in schwacher Stellang,
Gutt. vor pal. a, ö, ü) und endlich akzessorische Palatalisierungen
(vor rom. /, vor / usw.). In prinzipieller Hinsicht liegt aber die
Schwierigkeit darin, dafs die Palatalisierung in schwacher Stellung
m. E. gar nicht hierher gehört sondern richtiger im vorhergehenden
Abschnitte zu behandeln wäre, da es sich vielleicb.t nicht sowohl
um eine „Palatalisierung" als um eine „Entgutturalisierung" handelt.
Meyer-Lübke nahm Einf?- 2 1 2 f. keltische Einwirkung an.^- Dafür
sprechen inschriftliche Formen wie Pixticenus., Pixtauc[us] usw., wo
allerdings Doppelformen wie Pixtillus und Pistillus (Pirson, Inscr.
d. l. Gaule p. 71) den Lautwert des x als -^ mitunter fraglich er-
scheinen lassen. Jedenfalls ist es auffallend, dafs solchen gallo-
lateinischen Schreibungen kein ^/x in griech. Inschriften zur Seite
steht. 1 Entgegen steht vor allen das geographische Moment: die
iberische Halbinsel, welche ausnahmslos yj, y^s usw. voraussetzt, ob-
wohl die Keltiberer doch nur im gebirgigem Norden (nebst Zentrum)
und Westen gesessen hatten. Mögen wir auch der grofsen Un-
bekannten des „Iberischen" zuliebe, das Keltentum südlich der
^ Vgl. Eckinger, Die Orthographie lat. Wörter in griech. Inschriften
p. 102 (4). Nebenbei ein Argument gegen ein umbr. -lateinisches *fahtu, —
beileibe nicht das einzige.
2 Doch vgl. Die rom. Literaturen u. Sprachen p. 457 in Hinnebergs
Kultur der Gegenwart.
Pyrenäen unterschätzen, — so einflufsreich, dafs man ihm eine
Lautmodulation des hispanischen Latein zumuten dürfte, kann es
nicht gut gewesen sein. Ich möchte meinen, dafs, wo Kelten
wohnten, deren ;f- Laute auf eine Aussprache faytii^ ^^'/ß<- usw. be-
günstigend einwirkte, dafs aber eine rein lateinische Entwicklung
diesen Keltismus vorbereitet hatte und dafs in dieser lateinischen
Entwicklung, nicht in keltischen Sprachgewohnheiten, die nächste
Ursache für obiges fayju zu suchen ist. Die Frage ist allerdings
kompliziert. In älterer Zeit folgten zunächst, wenn auch sehr
zögernd, die lat. Gutturalen dem allgemeinen Zuge der Assimilation
in Konsonantengruppen. Sehr früh wurde gn zu ?^«, in weit späterer
Zeit ks zu ss, kt zu //. Dem sehr alten dii^nus mufs aber anderer-
seits eine zunächst wohl künstlich durch die Schulen verbreitete
Aussprache dig-nus, wie wir Deutschen z. T. heute sprechen, zur
Seite gestanden haben: Beweis dtsch. segenA Die Entstehung dieser
Aussprache denke ich mir aus einer gelehrten Reaktion gegen die
in der Kaiserzeit immer weiter um sich greifende Gutturalassimilation
(App. Probi aticior iion autor). Es kämpften also fattu^ frassinu,
dirjjiu oder di7]7]u vs\\\. fak-tu, frak-sinn, dig-nii. In Mittel- und Unter-
italien blieben die ersten Formen siegreich bis auf dirpiti. Dafs
dieses noch in Sard. liniia usw. fortlebe, halte ich für ziemlich
wahrscheinlich. 2 Als weitere Reste sehe ich die Formen vengo,
tengo neben veüo^ teno, als irrtümliche, analogische Übertragungen,
an. Allerdings sind hier zwei Sachen festzuhalten: i. kann nicht
einfach ein vulgärlat. ^vcrmo neben veitio existiert haben (vgl. Meyer-
Lübke, Rom. Gram. 11, 221), 2. ist neben vengo auch valgo usw.
in Betracht zu ziehen. Aber ich meine, dafs die doppelte Aus-
sprache des gn, die sich ziemlich lange gehalten hat, 3 Analogien
wie piango, pi'agno, vengo, vegno fördern mufste. Bedenklich ist nur
in dieser Auffassung, dafs z. B. in ligmmi und pugtius die ursprüng-
lich unvolkstümliche Aussprache auch in Mittel- und Unteritalien
siegte. Doch mögen diese Worte anderen Fällen wie digniis, pignus,
regftum, co^natus, selbst (christlich) agnus, agnellus usw., die gelehrten
Einflüssen zugänglicher waren, gefolgt sein. Von gn abgesehen
kann man also sagen, im eigentUchen Italien wurde die Guttural-
assimilation durchgeführt, in den Provinzen blieb die Gutturalis
erhalten. Hier setzte nun das ein, was ich Entgutturalisierung
nannte. Das älteste Stadium scheint uns das Dalmatische, resp.
das von denselben Grundformen ausgehende Albanische erhalten zu
haben. Nach velaren Vokalen erfolgt Labialisierung (dalra. guapto,
kopsa, komnüt, alb. trofte, kofse, gümiüre),-^ nach palatalen Vokalen
1 Auf die nicht eindeutige Stelle bei Priscian Gratnm, Lat. I, p. 39 über
ignosco, cognosco etc. will ich nicht eingehen.
^ Vgl. z. B. Wagner, Lautlehre der südsardischen Mundarten § Il6
gegen § 179.
* Ich möchte auch afrz. dine, rene (vgl. Meyer- Lübke, Frz. Gr. 133)
die im Provenzalischen z. T. bis heute fortleben, hier heranziehen.
^ Bartoli, Das Dalmatische II, 369 und Meyer-Liibke in Gröbers Grund-
ri/s P 1054.
lO
tritt Neigung zur Palatalisierung ein (zwar dalm. frcksura, piakno
aber alb. dreili). Ich vermute, dafs ähnliches ursprünglich auch
im Rumänischen vorgelegen hatte und lese dies aus MegLy«/, fris
einerseits i und dem p in rum. astepi- andrerseits heraus. In der
grofsen rumänischen Wanderperiode, deren Motive wir aus den
heutigen Verhältnissen der Arumunen, wie sie uns Weigand schildert,
erraten können, und welche in erster Linie zu tiefgreifenden dialek-
tischen Ausgleichen Anlafs boten, wurden nun im allgemeinen die
labialisierten Formen nach jedem Vokale durchgeführt. Nur vor s
blieben Reste der älteren Stufe erhalten: rum. coapsa^ altrum. toapsec
aber lesie, fes.'-^ Ich vermute weiter, dafs auch im Westromanischen
I. der Palatalisierung gelegentlich und örtlich auch eine entsprechende
Velarisierung zur Seite gestanden hatte und 2. namentlich in ge-
bildeten Kreisen fortlebte, als im Volke die Palatalisierung längst
verallgemeinert worden war. Ad. i möchte ich mich auf die Be-
handlung von g7i in Apulien berufen, ad. 2 auf sp. atiio usw. prov.
maraiide, neuprov. cieune.^ In diesem Zusammenhange möchte ich
also frz. '^fa-'/J.u usw. betrachten. Noch eines will ich anführen. ]\Ian
könnte meinen Ausführungen entgegenhalten, dafs zwar im Frz. kl
und kl im Inlaute übereinstimmend palatalisiert werden, — dafs
aber in jenen rom. Mundarten, welche, wie Italien, Spanien und ein
Teil von Südostfrankreich, auch // und fl palatalisieren, ein Zu-
sammenhang — nehmen wir gar von iL/aifo mit cloppio xxwd. fianifna
nicht konstruiert werden könne. Demgegenüber wäre folgendes zu
sagen. Wenn die Palatalisierung vom / ausgegangen wäre, müfste
Assimilation der Gutturalis an folgendes / stattgefunden haben (eine
solche hat wohl nie, weder im Latein noch im Romanischen exisliert.)^
Sodann ist das / nach Konsonanten ein / pinguis, und dieser velare
Charakter des / wird nicht nur durch alte Grammatiker sondern
auch durch den altlat, Lautwandel von // zu kl erwiesen. 6 Aller-
^ Densusianu, His!oire de la langue roiimame p. 335.
2 Puscaiiu, Etym. Wth. 150 möchte einem Fortleben von excepto in
unserem Falle das Wort reden. Vom Latein her erjjeben sich aber schwere
Bedenken, denn excepto heifst im Altertum nie „empfangen'', auch wohl nicht
volksiiimlich, da z. B. die Glossen eine ganz andere Bedeutungsentwicklung
von excepto sicher stellen. Hingegen weist Sardinien auf *assedito, das auch
lautlich zu mgl. stet besser stimmt. Meyer -Lübke zieht adspectare vor
{Sitzimgsberichte der Wien. Akad. CXLV, p. 36).
3 Abzusehen ist von vielen Verbalformen, \onfructus, ngriech. (pQovxzov,
vegl. froit, alb. früt. In Spanien und in vielen Mundarten Oberitaliens und
der Provence ist *JrTittii anzusetzen. Schwierig sind die Formen von fraxinu
wie überhaupt die Reflexe nach a am Balkan nicht leicht erkennbar sind.
Zu miel vgl. p. 37, Puscarius ansprechende Deutung.
^ Vgl. Meyer-Lübke, Ro7n. Gr. I, p. 389; Zauner, Altspan. Elementb.
p. 20; Pidal, Gram. esp. p. 89 n. 2 mit abweichenden Deutungen. Weiter
Mugica, Dtal. Castellanos bes. p. 13, 17, 84. Natürlich geht die entsprechende
gelehrte Behandlung von lat. pt , ps damit Hand in Hand.
5 Auch ein Wandel *z'ik-la — vJlla ist aus mehr als einem Grunde un-
wahrscheinlich.
^ tl zu kl wäre eine teilweise Assimilation, wie rl, dl, sl, nl zu einer
vollständigen Assimilation führten, was phonetisch wohl einleuchtet.
II
dings v.urde in der Zeit des Consentins das / in cludit bereits
ebenso gesprochen wie in ludit, doch könnte dies nur auf einem
weiten Umwege als palatales / exilis gedeutet werden. Ich spiele
hier an die Stelle Gram. Lat. V, 395 an: item litteram c quidam in
quibusdam dictionibus non latine ecferunt, sed ita crasse ut non dis-
cernes quid dicant; ut puta si quis dicat sie hidit ita hoc loquitur
ut putes eum in secunda parte orationis cludere dixisse. Alii
contra ita subtiliter hoc efFerunt, ut cum duo c habeant desinentis
prioris partis orationis et incipientis alterius sie loquuntur quasi uno
c utrumque explicat. Was im übrigen die Deutung dieser Stelle
betrifft, so war ich früher geneigt, sie für ganz verderbt zu halten.
Ich bin jetzt gewissermafsen davon abgekommen und will ver-
suchen, ihr einen Sinn zu geben, welcher mit den sonstigen An-
gaben bei Consentius übereinstimmt. Der Grammatiker (es ist
möglicherweise hier Consentius selbst) richtet sich hier offenbar gegen
das, was ich früher als lateinische Sandhibindungen bezeichnete.
Sagen wir, er sprach als Gallier (was er wahrscheinlich nach obigem
ist), — und rügte gleichzeitig vornehmlich die Aussprachefehler
seiner eigenen Landsleute, Die falsche Artikulation {iion latine)
wäre ein zu schwach artikuliertes c in sic'^ das er dem anl. c in
cludere gleichstellt. Daraus geht weiter hervor, dafs er selbst den
Wortanlaut crasse d. i. schwach artikuliert sprach, was oben für die
lateinsprechenden Gallier ältester Zeit vermutet worden ist. Andere
— fährt er fort — sprächen snhliliter, d. i. — wie ich seinerzeit .
aus anderen Consentiusstellen erschlofs, — zu stark artikulierend.
Sie gäben, sagen wir hoc cludit gleichsam durch ein einziges c wieder.
Das wäre m. E. die mittel- und unteritalische Sandhibindung:
siccome, e-cchiude, welche Wortan- und -auslaut zu einer einzigen
Geminata verschmilzt, während unser Gallier offenbar hoc und cludit
nicht geminierte sondern wohl auseinanderhielt.
Wie immer übrigens diese Dinge sich verhalten mögen, das
glaube ich sagen zu können, dafs nicht das / sondern das c in sie
ludit anders gesprochen wurde als in cludit. Von ihm ging die
Palatalisierung in it. chiave sp. llave ebenso aus, wie jene in frz. soleilf
oreille. Die Palatalisierung von pl, bl, fl ist sowohl räumlich be-
schränkter als zeitlich jünger, und ich möchte sie als eine Artikulations-
analogie bezeichnen, sowie ja auch die sog. Palatalisierung von />/,
bi (trotz Jespersens „palatalem" /», höchstens eine ausgeklügelte
phonetische Konstruktion, da ein Labialkonsonant nie „palatal"
werden kann ! ) eine Artikulationsanalogie nach //, di, ki, gi
darstellt.
1 Ohne es feststellen zu können, möchte ich vermuten, dafs Consentius
hier (vgl. Z. f. r, Ph. XXX, p. 652) in der Unterscheidung des soniis pinguis
[crassus, plenus) und exilis [subtilis) etwa die bei den späteren griechischen
Grammatikern beliebten Ausdrücke \^)ü.oq. (von Vokalen und Konsonanten ge-
braucht) und /.ityccg resp. daav^ vorgeschwebt haben mochten. Soweit ich mich
wenigstens nach Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft 11-, p. 198 ff.
bes. 201 n. unterrichten konnte.
Ich will damit abbrechen, denn ich bin nicht in der Lage ein
evolutionistisches System etwa für den französischen Vokalismus
aufzustellen ohne in Gewaltsamkeiten zu verfallen. Nicht um ein
mutwilliges Spiel der Phantasie, sondern darum handelt es sich hier,
den methodischen Gegensatz des Suchens nach dem Individuellen
und nach dem Typischen möglichst anschaulich zur Geltung zu
bringen. Gleichzeitig dürfte aber dieser Versuch selbst recht gut
dartun, wie schwer es wäre, diese beiden, in ihren Zielen konträren
Betrachtungsweisen in der Praxis einseitig zu pflegen. Sie sind
bestimmt einander zu ergänzen.
Damit will ich zum Problem der deskriptiven Grammatik
zurückkehren, die, wie bemerkt, ihrem Wesen nach unzeitlich
sein soll. Zunächst mufs angeführt werden, dafs vieles von Meyer-
Lübke selbst in der Einführung im IV. Kapitel (Biologische Auf-
gaben) in dieser Hinsicht zusammengestellt ist. Lautphysiologie,
Sprachgeographie, Sprachpsychologie, Wortschöpfung sind an sich
unzeitlich und dort als „biologische" Momente behandelt. Sie
stehen aber m. E. nicht gleichwertig nebeneinander, sondern zeigen
verschiedene Affinitäten zueinander, und sind vor allem in sehr
verschiedenem Sinne unzeitlich. Schon der Sammelname der „Bio-
logie", den Meyer -Lübke wählte, besagt, dafs er auch hier an
sprachliche „Geschehnisse" denkt. Darum ist „biologisch" mehr
als blofs „descriptiv". Im Grunde wäre es das, was ich „evolu-
tionistisch" nannte, doch greift Meyer-Lübke auch über dieses
Prinzip weit hinaus, indem er, ein Problem mit einschliefst, das
überhaupt aufserhalb der Grammatik im eigentlichen Sinne liegt.
Das grammatische Problem xar' l^o)(i]V ist die Sprache in ihrer
Gesamtheit, — von der Tätigkeit des Sprechenden ab-
strahiert. In der Biologie ist aber auch das Problem des
Sprechens als solches, — vor allem die Lautphysiologie enthalten,
das mit den einzelnen Sprachen nur indireckt zusammenhängt.
Die Aktion des Sprechens ist ein Problem der Sprachwissenschaft,
aber man könnte ein solches „Handbuch der Sprechbiologie"
nicht gut als Grammatik bezeichnen. Somit müfste die Laut-
physiologie trotz ihres deskriptiven Charakters von einer deskriptiven
Grammatik ferngehalten werden. Der Lautphysiologie am nächsten
steht die Sprachpsychologie, bei der deutlich zweierlei Teile zu
unterscheiden sind: eine Psychologie des Sprechens, welche das
sprechende Individuum zum Objekte wählt, und einer Sprach-
psychologie im engeren Sinne, die aus den Sprachtatsachen
Materialien zur psychologischen Forschung gewinnt. In dem weit-
gespannten Rahmen, den Wundt seiner Völkerpsychologie zugrunde
legte, sind beide Elemente (Sprache I, Kap. i — 4, — und I, Kap. 5
und II) verschmolzen. Was dort an sprachlichen Forschungen
von psychologischen Tatbeständen ausgehend enthalten ist (Theorie
des Grimmschen Gesetzes, Lautassimilation und Dissimilation usw.)
könnte in einer rein deskriptiven Grammatik keinen Platz finden,
— wohl aber in einer historischen, speziell evolutionistischen Gram-
13
matik.i Beide Disziplinen Lautpbysiologie und Sprachpsychologie
würde ich daher für ungeeignet erachten, als Basis einer deskriptiven
Grammatik zu dienen. Soweit sie „grammatisch" d. h. die Sprache
in ihrer Gesamtheit ins Auge fassend sind, scheinen sie mir „zeit-
lich" zu sein, soweit sie rein deskriptiv sind, nicht „grammatisch".
Jetzt erübrigt nicht mehr viel. Um zu einer unzeitlichen
Grammatik zu gelangen, sehe ich nur zwei Wege. Das Zeitliche
an der Sprache läfst sich entweder so ausschalten, dafs die gram-
matische Darstellung auf eine möglichst kurze Epoche, sozusagen
auf ein Momentbild in der Sprachgeschichte eingeschränkt wird.
Der Gewinnst dieses Verfahrens läge darin, dafs eine solche Grammatik
Dingen nachzugehen vermöchte, welche die historische Grammatik
nur stiefmütterlich zu berücksichtigen in der Lage ist. Da wäre
einmal das schon von Meyer-Lübke von der Paläontologie fern-
gehaltene geographische Moment. Sodann die mindestens ebenso
wichtigen sozialen Schichtungen der Sprachen:'- Literatursprache,
Kanzleisprache, Schul-, Bühnen-, Kanzelsprache, Mischung dieser
Kulturelemente mit den bodenständigen Dialekten, diese selbst,
Argot, Geheimsprachen usw. Wenn ich als wahrscheinliches End-
ziel der historischen Grammatik eine „pragmatische Geschichte"
der betreffenden Sprache hinstellte, so denke ich mir eine solche
deskriptive Grammatik als „sprachgeographisches Handbuch" (also
von einem „Handbuch der Sprachbiologie" wesentlich verschieden!).
Wie nun in einer solchen geographischen Schilderung auch historische
Daten Verwendung finden, so kann auch diese deskriptive Grammatik
historische Exkurse und Erklärungen verschiedenster Art in sich auf-
nehmen. Alle Grade der Vermischung historischer und deskriptiver
Methoden sind in dieser Richtung denkbar. Welcher Kategorie
ein bestimmtes Werk zuzulegen ist, wird in erster Linie von der
Absicht des Verfassers abhängen, ob er den Stand einer Sprache
oder deren Entwicklung darzustellen im Sinne hat.
Der zweite Weg führt vielleicht zu höheren Zielen, — mufs
aber durch grofse prinzipielle Schwierigkeiten gebahnt werden.
Diese setzen mit der Frage ein: hat sich der Sprachforscher ledig-
lich mit der sprachlichen Form der menschlichen Gedanken zu
befassen, oder ist er berechtigt resp. verpflichtet darüber hinaus-
zugehen? Dieses Darüberhinausgehen führt nämlich i. zu den Be-
deutungen der Worte, 2. — um den Ausdruck gleich hinzusetzen,
— zu den Funktionen der Worte. Zunächst: was nenne ich
eine Wortfunktion?
Um zu diesem Begriffe zu gelangen sei vorerst hervorgehoben,
dafs zwischen dem „Sinne" eines Wortes und seiner „Bedeutung"
unter Umständen zu unterscheiden ist. Hinsichtlich dieser ist fest-
1 Auf Völkerpsychologie und syntaktische Forschung werde ich unten
zu sprechen kommen. Selbst kein Philosoph, bin ich nicht in der Lage, auf
die allerjüngsten Diskussionen, welche seit Jahresfrist auf diesem Felde geführt
wurden, entsprechend einzugehen.
2 Vgl. Einf. S. Sy fr.
»4
zuhalten, dafs dieselbe immer „etwas" sein mufs. Lat. arhor „be-
deutet" soviel als „Baum", heifst, es deutet (in des Wortes eigent-
lichstem Sinne) auf eine Vorstellung „Baum" hin. So ist jede
Wortbedeutung eine Vorstellung, sei sie einfach oder komplex,
anschaulich oder unanschaulich. Nun haben wir aber auch Worte,
die effektiv nichts bedeuten, die mit keinerlei Vorstellung unmittel-
bar verknüpft sind, aber eines gev^^issen Sinnes nicht entbehren,
wenn sie mit einem „bedeutenden" Wort verbunden wurden. Ich
kann lat. arbor mit .^Baum'"'' wie mit der Bainn oder ein Baum
wiedergeben; jedesmal beziehe ich mich vielleicht auf dieselbe Vor-
stellung. Die Artikel geben der Vorstellung einen andern Sinn
ohne an der Vorstellung an sich etwas zu ändern, i Dasselbe gilt
von Präpositionen, vielen Pronomina, Konjunktionen u. a. m. Der
charakteristische Unterschied liegt darin, dafs jedes Wort mit selbst-
ständiger Bedeutung für sich gesetzt schon einen Satz bilden kann,
während blofs sinnvolle Worte in beliebiger Anzahl aneinander
gereiht nie einen solchen, sondern höchstens das bilden können,
was Wundt z. B. als „Satzäquivalent" bezeichnet.
Wenn ich nun ein Wort mit Bedeutung mit einem blofs sinn-
vollen Worte verbinde, so sage ich, letzteres drücke eine Funktion
aus: de?- Baum, heim Baume, und Bäume etc. sind syntaktische
Funktionen der Vorstellung Baum resp. Bäume. Unsere sprach-
lichen Ausdrucksmittel der sog. flektierenden Sprachen erlauben es
uns, solche syntaktische Vorstellungsfunktionen darzustellen ohne
eigene Wörtchen beizufügen. Alle Formen der Flexion dienen
lediglich dem Ausdruck bestimmter Funktionen. Man kann geradezu
sagen: die Syntax ist die Lehre von den Wortfunktionen. ^ Das
schwierigste Problem der syntaktischen Funktion ist jenes: ob mit
der Änderung der sprachlichen Ausdrucksmittel sich auch die
Funktionen selbst mitändern. Ich will durch einige Belege dartun,
wie gerade in diesem Punkte in unsern Grammatiken vollständige
Verwirrung herrscht.
Ich sage de?- Knecht des Vaters; des Vaters nenne ich Genitiv.
Genitiv \si patris, — sind auch de! padre, du plre Genitive zu nennen?
In der Romanistik half man sich mit der Konstruktion eines casus
obliquus ohne sich zu fragen, welche syntaktische Funktionen
1 Nicht aber bleibt die Vorstellungsassoziation oder die zu analysierende
Gesammtvorstellung unverändert.
2 Ich stelle diese Definition, nicht als erster, in bewufsten Gegensatz zu der
üblichen: die Syntax wäre die Lehre vom Satze. Der Satz ist kein sprach-
liciies, sondern ein rein gedankliches Gebilde. Nicht was der .Satz (resp. das
Urteil) ist, sondern mit welchen sprachlichen Ausdrucksmitlein die Worte ver-
knüpft werden, wenn Sätze (Urteile) mitgeteilt werden sollen, das ist für den
Grammatiker entscheidend. Solange die Syntax von logischen oder psycho-
logischen Tatsachen ausgehen will, wird sie wohl zu einer logisch-psycho-
logischen Forschung auf grund sprachlicher Materialien führen, — diese mufs
aber billiger Weise der Völkerpsychologie überlassen bleiben. Gerade die
Philologie mufs dafür sorgen, dafs sie sich von der Philosophie reinlich scheidet,
um ihren eigenen Aufgaben gerecht zu werden.
15
diesem Obliquus zukommen, gegen welche die unglückliche Ein-
teilung der traditionellen lat. Deklination mit ihren nur 6 Kasus-
formen ein Kinderspiel ist.
Aber es kommt noch schlimmer: dialektisch sagt z. B. der
Österreicher gar nicht der Knecht des Vaters sondern dem Vater
sein Knecht, und wenn ich nicht irre, bestehen ähnliche Wendungen
in einem weiten Teile Deutschlands. Da hilft kein zurecht-
gezimmerter Casus obliquus. Die Frage ist einfach, ob dem Vater
in diesem Falle ein Genitiv ist oder nicht? Wollten wir aber
durch ein Hintertürchen entschlüpfen und meinen: dem Vater sein
Knecht sei zwar kein Genitiv, auch kein richtiger Dativ, da das
Verb fehlt;! wir wollten ihn aber „Possessiv" nennen, so erhebt
sich sofort die Frage: ist serviis palris, il servo del padre, Vaters
Knecht nicht ebenso ein Possessiv?
Nehmen wir einen andern Fall. Die historische Grammatik
erkennt zwar du pere, au pere nicht als Genitiv resp. Dativ an,
weil diese Formen mit patris, patri in keiner Weise etymologisch
zusammenhängen. Sie räumt aber in der Kasuslehre den fort-
lebenden lat. Genitiven des Altfranzösischen, den rumänischen
Dativen etc. ihren Platz ein. Warum verfährt sie beim Futurum
ganz anders und begnügt sich nicht etwa mit der Verzeichnung
des afrz. ier, iers, iert} Warum läfst sie das zusammengesetzte
Perfekt als richtiges Perfekt gelten? Das eine Mal geht man von
der ursprünglichen Form der Funktionen aus und wirft die ver-
schiedensten Funktionen einzig aus dem Grunde zusammen, weil
ihre Formen nicht immer ohne weiteres unterschieden werden
können, das andere Mal geht man von der futurischen, perfektischen
Funktion selbst aus, denen zu Liebe etymologisch ganz und gar
nicht zusammenhängende Formen zusammengestellt werden. Aber
auch hier ist man oft genug inkonsequent. So gelten als Typen
der rom. Futurbildungen: cantare haheo, haheo cantare, volo cantare, habeo
ad ca7itare, debeo cantare, venio aa cantare [Rom. Gr. II, 138) während
das frz. je vais chanter so wenig mitgezählt wird als das perfektische
je viens de chanter bei den Praeteritalformen.
Man könnte diese offenen und versteckten Widersprüche,
welche die Tratition allmählig in unserer Grammtik eingebürgert
hat, leicht vermehren, und es wäre wohl gut, diesen Systemlosig-
keiten einmal abzuhelfen. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten:
entweder sehen wir die syntaktische Funktion mit ihrem jeweiligen
sprachlichen Ausdrucksmittel identisch an, d. h. mit einer unter-
gehenden Form würde die Funktion selbst mitverschwinden und
durch andere ersetzt werden. Dann wäre dem Vater sein Knecht
ein Dativ, das sizil. sard. sp. video ad illum hominem wäre der
nämliche casus wie litteras ad le mitlo usw. Die Folgen scheinen
mir höchst bedenklicher Natur, doch halte ich es für die einzige
1 Dafs kein „Dativ" vorliegt zeigt z. B. Ich gehe mit dem Vater seinem
Knechte.
i6
Möglichkeit die grammatischen Formen lediglich vom historischen
Standpunkte zu behandeln, ohne sich um ihren Sinn weiter
zu kümmern, d. h. die hist. Formenlehre der hist. Lautlehre gleich-
zusetzen.
Oder — und dies scheint mir weit richtiger, — die Wort-
funktionen wären etwas Festes, von der äufseren Sprachform Un-
abhängiges d. h. der sogenannte lat. possessive Genitiv wäre ein
syntaktischer Possessiv (wenn auch in genitiver Form), das Futurum
drücke bei Römern und Franzosen genau dasselbe Zeitverhältnis
aus, usw. Von dieser zweiten Supposition ausgehend müfste weiter
angenommen werden, die Zeitabstufungen hätten im Denken der
Urindogermanen ebenso bestanden wie heute, wenn auch die Aus-
drucksraittel ungleich primitiver waren, dafs Aorist und Perfekt von
Römern jeder Zeit ebenso distinkt empfunden wurden wie von
den späteren Romanen, die neuerlich beide zu unterscheiden suchen,
dafs frz. moi und mail. venez. ini vielfach regelrechte Nominative
sind, wie neuprov. ieu auch als Akkusativ zu gelten hat. Doch
man mag noch so sehr, wie ich, zur Bejahung dieser Fragen hin-
neigen, — es mufs zugegeben werden, dafs es einem Philologen
schwer ist, eine bestimmte Antwort abzugeben. Was die historische
Formenlehre und die historische Syntax zu lehren vermögen, das
ist der Wandel der sprachlichen Ausdrucksmittel. Über die Funktionen
der Worte wissen sie so wenig zu sagen als etwa die Lautlehre
über die Bedeutungen. Früher, bevor man historische Grammatik
trieb, war gerade die Klarlegung der Wortfunktionen die Haupt-
aufgabe der deskriptiven Grammatik. Heute ist durch das historische
und vergleichende Sprachstudium unsere Sprachkenntnis und unser
Verständnis für sprachliche Vorgänge gewaltig angewachsen. Was
die deskriptive Grammatik einst geleistet darf uns nicht mehr
genügen, die Materialien von heute legen die Unzulänglichkeit der
alten, normativ konzipierten Darstellung der Funktionen auf Schritt
und Tritt dar. So meine ich denn, hier setze der Weg zu einer
modernen, wissenschaftlich deskriptiven Grammatik ein, — es
gilt nur bewufst alle historischen Ziele und Hintergedanken bei-
seite zu lassen und die Wortfunktionen soweit sie syntaktisch unter-
scheidbar sind zu untersuchen. Ist diese Arbeit einmal geschehen,
so wird auch die historische Grammatik Nutzen und Anregung
daraus zu schöpfen wissen.
Karl von Ettmayer.
Zur Rekonstruktion des Urrumänischen.
Im Folgenden wird ein Problem berührt werden, welches seit
mehr als einem Säkulum die Historiker und die Sprachforscher, die
sich mit dem rumänischen Volke und seiner Sprache befafsten, in
hohem Mafse beschäftigt hat. Es ist die berüchtigte „Rumänen-
frage", in welcher unermüdliche Arbeit und geistreiche Hypothesen
wohl manches Neue zutage gefördert haben, deren Lösung indessen
noch lange nicht gegeben wurde. Ich mafse mir natürlich nicht
an, eine solche in diesen Zeilen herbeizuführen, ja selbst dem ver-
lockenden Wunsche eine neue Hypothese aufzustellen, bin ich,
soweit es ging, aus dem Wege gegangen. Es schien mir nämlich,
dafs im gegenwärtigen Stadium der Forschung künstliche Rekon-
struktionen — mögen sie auch kunstvoll sein — nicht besonders
geeignet sind, die Lösung des Problems zu fördern, sondern das,
was not tut, ist fleifsiges Sammeln von neuem Material und
Säuberung des Arbeitsgebietes von allen methodischen Fehlern, die
bis jetzt begangen worden sind.
Jede Zeit hat ihre besondere Vorliebe für gewisse Fragen und
daher besitzen wissenschaftliche Streitfragen zu verschiedenen Zeiten
eine ungleichmäfsige Anziehungskraft. Die „Rumänenfrage" stand
einst bei den Rumänen im Vordergrund jeder historischen und
philologischen Betrachtung, weil man aus ihr für gewisse politische
und patriotische Forderungen Anhaltspunkte gewinnen wollte. Dieser
Standpunkt ist glücklicherweise bei den Rumänen überwunden und
an Stelle der tendenziösen ist eine objektive Betrachtungsweise
eingetreten. Dadurch hat aber diese Frage an Reiz verloren und
liegt augenblicklich ziemlich abseits vom allgemeinen Interesse.
Man sollte aber meinen, dafs ein Einblick in die Urverhältnisse
einer Sprache zu allen Zeiten ein erstrebtes Ziel der wissenschaft-
lichen Forschung bieten müfste. Dieses Problem ist so vielseitig,
dafs man es immer von der Seite angreifen kann, welche im
Mittelpunkt der zeitgenössischen Beschäftigung liegt. Unsere gegen-
wärtigen Bestrebungen gehen auf die Vertiefung jeder Hnguistischen
Frage in prinzipieller und methodischer Richtung und es scheint
mir, dafs gerade in dieser Beziehung die „Rumänenfrage" ein sehr
dankbares Forschungsgebiet abgibt. Die Lösung des Rätsels wird
dadurch allerdings nicht das eigentliche Ziel, vielmehr rückt die
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVl. (Festschrift.) 3
i8
Perfektionierung der Mittel, die dazu führen, in den Vordergrund,
Infolgedessen werden auch die folgenden Zeilen eher dazu bei-
tragen, das, was andere auf falschen Wegen erschlossen haben, zu
widerlegen, als an dessen Stelle Neues aufzubauen. Sie werden
aber vielleicht auch zum Nachdenken über diese Streitfrage anregen
und hin und wieder für unseren Gedankengang neue Bahnen
eröffnen. Hasdeu hat einmal das schöne Wort geprägt: Das beste
Buch ist nicht gerade jenes, welches mir Lösungen gibt, sondern
dasjenige, welches mich zum Nachdenken anregt.
Der weite Blick des Meisters, welcher das Gesamtgebiet der
Romania beherrscht, fehlt der Abhandlung seines Schülers. Ich
würde mich jedoch glücklich schätzen, wenn Sie, hochverehrter Lehrer
und Freund, darin einen schwachen Abglanz jener ausgezeichneten
Methode wiederfänden, die aus allen Ihren Schriften und Vorlesungen
vorbildlich zutage tritt.
I. Obschon die ältesten rumänisch geschriebenen Schriftstücke
nur bis ins XV. Jahrhundert zurückreichen, sind wir doch in der
Lage, die rumänische Sprache bedeutend weiter nach rückwärts zu
verfolgen. Schon einige Jahrhunderte früher hat sich nämlich das
rumänische Volk in mehrere Gruppen geteilt, die dann im Laufe
der Zeit gänzlich von einander getrennt wurden, indem sich zwischen
sie fremde Volksstämme einschoben. Da von nun an ein Verkehr
unter den einzelnen Gruppen — mit Ausnahme zweier unter ihnen,
der aromunischen und der meglenitischen — nicht mehr möglich
war, können wir heute aus dem Vergleich der vier Hauptdialekte
einen ziemlich klaren Einblick in die Urverhältnisse gewinnen. Die-
jenigen Spracherscheinungen, die in allen Hauplmundarten vor-
kommen und den übrigen romanischen Sprachen gegenüber sich
als Neuerungen erweisen, kann man infolge dessen — da wir dem
Zufall keine übertriebene Rolle einräumen wollen — als urrumänisches
Sprachgut betrachten, wenn man nämlich unter Urrumänisch die
Sprache versteht, die von den Vorfahren der heutigen Dakorumänen,
Aromunen, Megleniten und Istrorumänen gesprochen wurde, bevor
jeglicher Verkehr unter ihnen abgebrochen war.
Derjenige, der das Bild der urrumänischen Sprache entwerfen
will, hat die Aufgabe, die vier Hauptmundarten mit einander zu
vergleichen, das Gemeinsame zu sichten und auf die Urgestalt
zurückzuführen. Damit ist jedoch nur die Aufgabe des historischen
Grammatikers erfüllt; der Sprachforschung eröffnet sich aber in
diesem Augenblick ein neuer Arbeitsweg. Wir wissen nämlich über
die Geschichte und die Wohnsitze der Urrumänen so gut wie gar
nichts Positives. In Ermangelung historischer Daten kann aber
die Philologie mit ihren aus der Sprache gewonnenen Argumenten
etwas Licht in diese dunkeln Verhältnisse bringen. Die Rekon-
struierung der urrumänischen Sprache ist demnach zugleich ein
19
wichtiges Hilfsmittel, um die Geschichte der Rumänen in der ersten
Hälfte des Mittelalters zu rekonstruieren.
Eine einfache Betrachtung der vier Hauptmundarten zeigt zu-
nächst, dafs fast alle jene Merkmale, die sich gegenüber den
anderen romanischen Sprachen als rumänisch erweisen, sowohl
im Dako- und Istrorumänischen, als auch im Aromunischen und
Meglenitischen vorhanden sind, dafs sie also schon zur urrumänischen
Zeit so gut wie ausgebildet waren. Dies durch Beispiele zu
illustrieren ist an dieser Stelle wohl nicht nötig. Statt dessen will
ich aber, da eine solche Probe noch nie gegeben worden ist, den
Anfang eines meglenitischen Märchens (aus P, Papahagis, Megleno-
Romänü, II, 9) anführen, den ich ins Dakorumänische übersetzte
und durch einen Aromunen (Herrn Dr. P. Papahagi) und einen
Istrorumänen (Herrn Dr. A. Belulovici) in ihre Mundarten übertragen
liefs. Ein jeder Sprachforscher wird schon aus diesem frag-
mentarischen Bilde mit Leichtigkeit Schlüsse ziehen können.
Dakorumämsch: Erä^ odatä^ un impärat care nu aveä nici
un flu .^i doreä mult sä aibä un flu, ca sä nu i se stingä numele.
De aceea (darä) se rugä (el) la Dumnezeu^ sä-i dea un flu. Intr'o
zi se duse* la un vräjitor, sä vadä^ dacä^ i va da DomnuH un
flu, sau nu. larä acel vräjitor li dete un mär si-i zise: „sä dai
nevestiis tale acest mär sä-1 mänänce §i ea va naste'J un flu asä.
cum i|i cere inima''.
Aromtmisch: Earä nä oarä un amirä, ^e'o no-aveä niti-un^i
h'il'ü §i multu dureä^^ s'aibä un h'il'ü, tra s nu-l' se-astingä numa.
De-a^eä näs urä ^3 la Dumnidzäu sä-l' 1* da un h'il'ü. Nä dzuä si«i
duse la un magü, ma z-veadä, di se va-l'da Domnul '& h'il'ü, icä nu.
Am ajel magü il' deade un mer ^i-l' dzäse: „si-1 dai a mul'are-
tai aestu mer §i s-lu^^ mäcä §i ea va s-facä*'' un h'il'ü, a^i^e cum
il' doarei* inima".
Meglenitisch : Ra unä oarä un ampirat, cari nu v§ niji un iriü
§i multu ^ireä sä aibä un il'iü sa nu-l'l si stingä numea. Di tea lel
* Oder: a fost.
* Vgl. de douä ori.
ä Oder: la Domnul.
" Oder: a mers.
* Oder: sä caute.
* Oder: de.
^ Oder: Dunanezeu.
8 Oder: muierii , mundartlich auch: la oder lu muiere(a)-ta (nevastä-ta).
8 Oder: va face.
'" Oder: carT.
^^ Oder: väruä.
^* Oder: vrea.
1* Oder: späläcärseä.
1^ Oder: si-l'.
'5 Oder: Dumnidzälu.
16 öder: si-1.
1' Oder: va s-amintä.
'" Oder: il' va.
2*
20
tucu si rugä la Domnu sä-l'i da un \\'m. Unä zuuä si dusi la un
maghesnic, sä catä, dä-li sä-l'i da Domnu vrin iriu, ili nu. Arä
^el'a maghesnicu äl'i d^di unä m^rä .si-l'i zisi : „sä-ü da! la muriari-ta
J^stä m^rä si sä-ü mänancä §i ea sä rud^scä un il'iü, sa cum a^I
\^n buricu".
Is/rorumäm'sch : O vot^ fost-a un cräl', cärle n-ä vut na?yk(e)
un fil' si ie r§ fost cäro räda v§ un fil', se nu l'i se zatar^ lumele.
Din ^ästa rugät-a Domnu neca-l' däie un fil'. O zi mes-a la un
strigün za ved^ se-l' va Domnu da un fil' all se nu va. Si ^ela
strigün l'-a dät un mer si I'-a zis: „d^ ^esta mer lu t§ mul'^re
neca-l poid^i si va rodi un fil' cum r§i tu vr§".2
Es ist nicht möglich, darin nicht eine und dieselbe Sprache
zu erkennen. Nicht nur die „Lautregel" sondern auch ihre „Aus-
nahmen" sind in den vier Hauptmundarten, soweit sie alt sind,
dieselben und die Übereinstimmungen sind so auffallend, dafs wir
gezwungen sind, den Rumänen vor der Absonderung in die heutigen
vier Dialekte ein einheitliches Wohngebiet zuzuweisen, auf dem der
Verkehr die Sprachneuerungen nach allen Teilen fortpflanzen konnte.
Anmerk. Ich habe diese längst erkannte Wahrheit be-
sonders hervorgehoben, da in neuerer Zeit von einem
Geschichtsschreiber, und zwar von keinem geringeren als
N. Jorga {Geschichte des rtimänischen Volkes, Gotha, 1905,
Bd. I, S. 99 ff.) der Versuch gemacht wurde, das Dako-
rumänische und das Aromunische als zwei verschiedene,
wenn auch nahe verwandte Sprachen hinzustellen. Es
widerspricht aber allem, was uns die sprachwissenschaft-
liche Erfahrung lehrt, wenn wir die Übereinstimmungen
zwischen Aromunisch und Dakorumänisch nur auf die
ethnische Verwandtschaft zurückfühen wollten, denn eine
noch so gleichartige Blutmischung zwischen „Römern" und
„Barbaren" hätte gewifs nicht eine derartige Gleichmäfsig-
keit in der Sprache zeitigen können. (Vgl. auch Convorbiri
lUerare XIX, S. 589 — 590, wo D. Onciul eine ähnliche Be-
hauptung A. D. Xenopols mit Recht zurückweist).
2. Diese auf rein spekulativem Wege gewonnene Erkenntnis
ist die wichtigste — ich möchte fast sagen, bis jetzt die einzig
sichere, — die man aus der Sprache der Rumänen folgern kann.
^ muj^cä hat im Istrorumänischen imperfektiven Sinn, konnte also an
dieser Stelle nicht stehen.
'* In Übersetzung: Es war einmal ein Kaiser, der keinen Sohn hatte,
und er sehnte sich sehr, einen Sohn zu haben, damit sein Name nicht zugrunde
ginge. Daher betete er zu Gott, er möge ihm einen Sohn schenken. Eines
Tages ging er zu einem Zauberer, damit er erfahre, ob ihm Gott einen Sohn
schenken werde oder nicht. Und jener Zauberer gab ihm einen Apfel und
sagte ihm: „Gib diesen Apfel deiner Frau, dafs sie ihn esse, und sie wird
einen Sohn gebären, so wie ihn dein Herz wünscht."
21
Der Historiker hat unbedingt mit ihr zu rechnen und mufs der
Sprachwissenschaft für die Erbringung dieses Beweises dankbar
sein. Die Sprachforscher haben sich aber begreiflicherweise nicht
damit begnügt und getrachtet, auch weitere Schlüsse aus ihrem
Material zu ziehen. Dadurch sind sie aus dem Bereiche des
menschlich Sicheren in das Gebiet der Hypothese gelangt und
haben der Geschichtsschreibung meist schlechte Dienste erwiesen.
Schon die ganz eklatante Ähnlichkeit der vier rumänischen
Hauptmundarten ist geeignet, in uns ein falsches Bild des Ur-
rumänischen zu erwecken. Wir wollen gleich mit einem Beispiel
beginnen.
Auf dem gröfsten Teil des dakorumänischen Gebietes, ist von
dem ableitenden -e- und -/- des lat. Präsens bei den Verben der
IL — IV. Konjugation keine Spur geblieben. Man sagt also väd,
aiid <C viuKO, AUuio, ebenso wie man cad, vänd <C Cado, venuo
spricht. Nur in einigen Gegenden erkennt man noch die Folgen
dieses /: bei den Verben, die auf /, d, ;/, r ausgehen, und zwar
nicht nur dort, wo es etymologisch berechtigt ist, sondern bei allen
Zeitwörtern auf /, d ist die Erscheinung durchgeführt, während bei
n, r der Usus schwankt. Man hört also väz, auz, aber auch caz,
vdnz, oder zum mindesten im Konjunktiv: vazä, auzä, cazä, vänzä
und es bestehen sowohl pun, als pm'u <C pono, neben vin und
Vl'u < VENIO.
Im Aromunischen, Meglenitischen und Istrorumänischen ist bis
jetzt keine jotazierte Form nachgewiesen worden, also arom. avdti,
megl. lid, istrorum. Sivdu < audio. Als Weigand, dem diese Formen
von seinen Reisen in der Balkanhalbinsel und in Istrien her bekanr.t
waren, das dakorumänische Gebiet mit dem Banat zu durchreisen
begann, und auch hier nur (7ud hörte, schrieb er {Jahresbericht W\,
240): „Die häfslichen dialektischen Formen [im Konjunktiv] wie
vazä, vänzä, irimifä (Banat: vadä, vindä, trämaiä), die auch in die
Schriftsprache eingedrungen sind, sind [im Banat] unerhört, gerade
wie auch die erste Person Sg. des Ind. unverändert bewahrt ist,
obgleich doch schon in den ältesten Texten vädzu für väd etc.
vorkommt. Der Banater Dialekt ist in dieser Beziehung gerade
so konservativ gewesen, wie das Aromunische. Die Ansicht, dafs
die Formen vädzu etc. die älteren seien, läfst sich leicht als
unhaltbar nachweisen aus der Übereinstimmung der vier rum.
Hauptdialekte trotz der ältesten überlieferten, natürlich dialektischen
Form. Die einzige Form, die Veränderungen zeigt hi pos == pot,
pociu. Die Form mufs ihrer weiten Verbreitung nach sehr alt sein;
den Schlüssel zur Erklärung bietet das Istrische pok, indem / durch
k ersetzt wurde, wie bei anderen Verben d durch gA Zu pok
1 W. meint offenbar die Verba purced ^^ purceg , ucid = ucig. Der
Vergleich mit diesen ist indessen nicht passend, weil sich ihr^ <^ ^ durch eine
falsche Riickbildun}^ aus dem Part, purces, icris nach der Analogie von
intins-iniind und intins-inting erklärt. Eine derartige Analogie fehlt indessen
bei pot.
22
lalltet die zweite Person poci, die in manchen d[ako]r[rumänischen]
Dialekten in die erste eingedrungen ist, wie väz, irimel etc. und
auch ins Banat durch Einwanderer verschleppt wurde; allein pot ist
dort viel verbreiteter als pos.'"''
Wenn man die Sache näher ins Auge fafst, so sieht man, dafs
sich Weigand im Unrecht befindet. Wir haben lat. audio und
rumänisch die lautlich vollkommen entsprechende Form auz. Es
liegt also vorläufig kein Grund vor, an einer regelrechten Ent-
wicklung zu zweifeln. Sieht man sich im Altrumänischen i um, so
bemerkt man nicht nur, dafs die jotazierte Form zu allen erreich-
baren Zeiten bestanden hat, dafs also die Kontinuität bewahrt ist,
sondern auch, dafs das a;/2- Gebiet früher bedeutend gröfser war
als heute, dafs z. B. die Moldau, wo jetzt (nach Weigand, Über-
sichtskarte 15) nur and vorkommt, noch im XVII. Jahrhundert audz
gesprochen wurde (so bei Dosofteiu ^^vädzü und nicht vadü''^ Lacea,
Jahresbericht V, 77). Es handelt sich also offenbar um eine
Neuerung {atid), die sich auf Kosten der alten, regelrechten Form
[auz) verbreitet hat. Sucht man dafür eine Erklärung, so ist diese
leicht zu finden. Nach laud-lauzi etc. konnte zu auzi umso leichter
eine erste Person and gebildet werden, als die dritte Plural is schon
sehr früh zu aud geworden war 2 und in der II. -IV. Konjugation
die I. Sg. und die 3. Plur. immer gleich lauten. Dagegen ist
Weigands Erklärungsversuch, auz sei eine Neuerung nach der
2. Sing., schon deshalb nicht stichhaltig, weil er für die Verba auf
«, r (diese Laute werden vor t und -es, -is nicht verändert) nicht
mehr pafst. Aber es zeigt sich bei einer näheren Betrachtung,
dafs auch den anderen Mundarten die jotazierten Formen nicht
gänzlich abgehen. So belegt Weigand selbst für das Aromunische
ein sampi <C Senxio (Aromunen II, 328 3; vgl. auch die Doppelform
arap und arak' <C kapig bei P. Papahagi, Basme aromäne, S. 532)
und in den von mir veröffentlichten istrorumänischen Texten
{Studii istroromäne, Bucuresti, 1906, S. 26) findet sich die Form
spuie vor.
Anmerk. Die Frage der jotazierten Verba im Ru-
mänischen ist überaus interessant, harrt jedoch noch einer
eingehenden Untersuchung, die selbstverständlich nicht vom
lateinischen, sondern vom romanischen Stand [Ronianische
Grammatik W., § 174 ff.) auszugehen hätte. An dieser Stelle
sollen nur einige Momente aufgegriflfen werden.
Vor allem ist das istrorum. spuie merkwürdig. Es findet
sich in dem Satze: cum l'-e ^ud^, cän nu vr^se spuie;
' Unter „Altrumänisch" wird selbstverständlich das Altdakorumänische
verstanden.
* Wir haben im Rumänischen keine Spur von -lUNT: die Endung -UNT
hat sich in uralter Zeit auf Kosten des -lUNT verallg^emeinert.
3 Sie findet sich (aus Weigand.!") auch bei K. Nikola'ides, Ezv/noXoyixov
}.e^ixov ZTjg xovx'Coß/M/jXTjq yXcooOTjq, Athen 1909, S. 464
23
ie va mai voH otopi-se nego spure. (Gott bestraft einen
Undankbaren, der ihm nicht sagen will, dafs er Brot und
Käse besitzt, indem er ihn zu ertränken droht. Als der
heilige Petrus, der Begleiter Gottes, sieht, dafs das Wasser
bis zur Brust des Mannes steigt, erbarmt er sich seiner
und bittet Gott, er möge ihm verzeihen, denn es sei ihm
nun genug geschehen. Darauf antwortet Gott) : „wieso
genug? Da er doch nicht aussagen will und lieber er-
• trinken möchte, als dafs er es sagte". Während sonst im
Istrorumänischen, mit Ausnahme einiger Formen von a fi
(vgl. Weigand, Romania XXI, 246), der Konjunktiv allgemein
durch den Indikativ ersetzt ist, dem neca vorangestellt wird,
erscheint hier auf einmal ein vr§se spme (statt spure). Dieses
ist eigentlich in vrf se spiiie zu trennen und entspricht
genau dem dakorum. ^,vrea sä spuie'^. Aus solchen erstarrten
Verbindungen ist sicherlich das vr§se abgetrennt worden,
welches dann zu einer ganz eigentümlichen Konjugation
des Hilfsverbums velle im Präsens führte: vrescii (nach
den -^j£- -Verben), vresi, vrfse, vresin, vreset, vresii. Da im
Istrorumänischen das mouillierte n bis heute bewahrt ist,
sehen wir ferner, dafs die Form sptäe nicht etwa auf ein
älteres sptme zurückgeht (ein *exponiat hätte auch kaum
etwas anderes als *spoane ergeben), sondern dafs aus spunu
zunächst die rotazierte Form spurii entstand, die dann wie
cer, pier behandelt wurde. Daher entfällt auch die Be--
merkung, die Tiktin {Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV, 497) über
die «-Verba macht.
Wenn man die altrum. Texte untersucht, so gewinnt man
den Eindruck, dafs sich zu irgend einer Zeit im Dako-
rumänischen die Regel ausgebildet habe, das 2, / gehöre
dem Konjunktiv (wo es bei den Verben der IV. Konj. in
allen Personen erscheint: auz, auzi, auzä, auzim, auzifi,
auzä), das d, t dagegen dem Indikativ. In der Tat kennt
beispielsweise das älteste dakorum. Sprachdenkmal, der
Vorone|er Codex, im Konjunktiv nur jotazierte Formen,
während im Indikativ der Usus schwankt, u. z. so, dafs
man auch aiidu < auüio und credzu <C crküo hat. Da
die betreffenden Beispiele nicht zahlreich sind, will ich sie
hier anführen. Im Konj.: se audzu 71/1, se cadzä Q2/3, se
scooß 93/13, se spuiu 21/4 {se sptie 51/9, 84/4), se s[iip]ue-se
122/14, ^^ ß^ 153/13» -s"^ vädzu 101/13 {■^^ vadzä 153/12),
se v'ie 45/12, 62/2, {se vie 75/5); nur se carä 110/5 zeigt,
dafs bei diesem Zeitwort die Jotazierung spät ist. Dagegen
haben wir im Indikativ das Schwanken: despüru 162/10 <
uiSPONO, Viru 131/6 {piru 2/14) neben spüiu 79/1, pWiu
145/13» 7'ilu ig 1 12 und ai/du 81/13, ^^^^^ '44/8 neben
credzu 90/ 1. Ähnlich, viel später bei Dosofteiu (vgl. Lacea,
Jahresbericht Y, "]"]). Es ist sehr zu bedauern, dafs sich
24
Weigand schon vor dem Bereisen des dakorum. Gebietes
eine Meinung über die „häfslichen" — bei einem Gram-
matiker bedeutet „häfslich" meist „neu" — j-Formen ge-
bildet hatte, so dafs er Wörter wie (sjpun, cer nicht unter
seine Normalwörter aufnahm. Schon aus seinen gelegent-
lichen Bemerkungen über diese geht jedoch hervor, dafs
das j/iw'- Gebiet dasjenige von vaz heute noch bei weitem
übertrifft.
Auch die rum. Wortbildungslehre gestattet uns, einen
Einblick in die älteren Verhältnisse der Sprache zu ge-
winnen. Es gibt nämlich im Dakorumänischen eine Regel,
wonach alle deverbalen Ableitungen von Verben auf /, d
der II. — IV. Konjug. (desgleichen auch das Gerundium, vgl.
selbst aibänJ nach aiba) den jotazierten Stamm aufweisen,
während bei denen auf r und n der Usus schwankt. Vor
allem kommen hier die Verbaladjektiva auf -tor und die
Abstrakta auf -hira in Betracht, z. B. arzätor, arzatiirä
(arzänd), ascunz-, cäz-, crez-, deschtz-, tntinz-, pierz-, prinz-,
räspunz-, räz-, räz-, roz-, scot-, ^ez-, trimif-, väz-, vänz-,
etc., dann aber auch Ableitungen mittelst anderer Suffixe
(ich führe absichtlich keine solchen an, die auch anders
gedeutet werden könnten, beispielsweise ascuf-tme, impu^-ime
etc.), z. B. crez-are, pierz-, prinz-\ crez-ämäni, cäz-', crez-anie,
pierz-; asamz-t^, asci/t-, vänz-af, räz-u^; arzoiu etc., endlich
Postverbalia wie auz, crez, vazä. Diese Regel, die heute
für das gesamte dakorum. Gebiet geltend ist, wird mit
solcher Konsequenz durchgeführt, dafs man den Satz um-
drehen und sagen kann : so oft wir hiervon eine Ausnahme
haben, handelt es sich um keine rumänische Bildung:
credtftß „Glaube" mufs also auf ein lat. *creuentia zurück-
geführt werden und kann nicht erst auf rumänischen Boden
gebildet sein, da es sonst *crezin{ä lauten würde. Die
anderen romanischen Sprachen (ital. credenza, friaul. kre-
di7itse, a.-prov. crezensa, fr. croyatice, span. creencia, portg.
crengd) und der Begriff des Wortes selbst, der schon auf
die ersten Zeiten des Christentums weist, bestätigen diese
Annahme. Dagegen wird ein *audium in vorrumänischer
Zeit durch nichts belegt und man mufs annehmen, dafs es
erst eine rumänische Bildung darstelle. Da es aber auch
in jenen Gegenden vorkommt, die im Präsens des ent-
sprechenden Verbums heute nur mehr mid, sä audä kennen,
so können wir schliefsen, dafs man früher überall eu auz,
sä auzä sagte, denn die rum. Postverbalia entsprechen
formell immer dem Präsens des betreffenden Verbums.
3. Wenn es nicht gerade schwer ist zu beweisen, dafs die
Weigand'sche Erklärung der jotazierten Verba nicht aufrecht erhalten
werden kann, so ist sein Irrtum für uns besonders lehrreich und
es ist der Mühe wert, ihn näher zu betrachten.
25
Weigand weifs sehr wohl, dafs auz die lautlich korrekte Form
ist, die dem audio entspricht, es ist ihm ferner bekannt, dafs diese
Form früher auch in jenen Gegenden gesprochen wurde, wo man
heute and hört; wie kommt es, dafs er dennoch eine Kontinuität
zwischen rum. auz und lat. audio in Abrede stellt und die Ansicht
vertritt, dafs auz eine neue aus aud entstandene dialektische Form
sei? Er giebt uns die Antwort selbst: weil, durch die Vergleichung
der vier Hauptdialekte des Rumänischen, aud sich als urrumänisch
erweist. Das ist zweifelsohne richtig. Aud ist urrumänisch, denn es
ist nicht anzunehmen, dafs sich diese Form in jeder der vier Mund-
arten nach deren Lostrennung selbständig entwickelt habe, zum
mindesten nicht so, dafs diese Neuerung die ganz gleichen Resultate
ergeben hätte. Nur sind Weigands weitere Schlüsse nicht zwingend,
und es geht nicht an zu folgern, dafs audio > aud eine all-
gemeine Erscheinung des Urrumänischen gewesen sei, weil sie in
die Zeit vor der Trennung der vier Hauptmundarten zu datieren
ist, und dafs dagegen auz eine dialektische Neuerung innerhalb
des Dakoruraänischen sei, weil diese Form den übrigen Haupt-
mundarten angeblich fehlte und dem gröfsten Teil des Dako-
rumänischen selbst heute unbekannt sei.
Viel natürlicher wäre zu sagen: Neben der alten, regelrechten
Form auz, die noch heute dialektisch erhalten ist und früher weiter
verbreitet war, kam schon im Urrumänischen die neue und
analogische Form aud auf. Diese verdrängte die alte Form immer
mehr, doch hatte sie jene noch nicht besiegen können, als sich'
das Urrumänische in die heutigen Dialektgruppen trennte. Der
Kampf währte in den einzelnen Mundarten fort und sein Resultat
war der gänzliche oder fast vollkommene Sieg von aud über auz im
Aromunischen, Meglenitischen und Istrorumänischen, während im
Dakorumänischen sich die alten Formen zäher hielten.
Dieser Gedankengang, auf den doch alles weist, ist so einfach,
dafs ihn nur eine Voreingenommenheit nicht aufkommen liefs.
Diese besteht darin, dafs man mit dem Begriffe einer Ursprache
zu leicht denjenigen von Dialektlosigkeit, von sprachlicher Einheit-
lichkeit verknüpft. Denn nur bei einem, der sich das Urrumänische
als dialektlos vorstellt, ist der Schlufs möglich : auz mufs eine spätere
mundartliche Neuerung sein, trotz lat. audio, weil im Urrumänischen
aud existiert hat.
Es handelt sich hier um einen prinzipiellen Fehler, dem man
nur zu oft begegnet und der speziell begangen wird, wenn man vom
Urrumänischen spricht. Die ganz auffallenden Übereinstimmungen
zwischen den vier Hauptmundarten haben es mit sich gebracht,
dafs man aus ihnen eine Ursprache rekonstruiert hat, die sich als
dialektlos darstellt. Dabei hat man aber den tatsächlichen Unter-
schieden zwischen den einzelnen Mundarten zu wenig Aufmerk-
samkeit geliehen — und ich meine darunter nicht jene Unter-
schiede, die sich mit Leichtigkeit als natürliche Weiterentwicklung
der Sprache oder als späte Neuerungen und Entlehnungen in jedem
26
einzelnen Dialekt nach der Lostrennung erweisen, sondern solche,
die schon zur urrumänischen Zeit bestanden haben. Es ist eine
bekannte Tatsache, dafs einem die Ähnlichkeit sonst verschiedener
Dinge mehr in die Augen fällt, als die Verschiedenheiten selbst.
Haben wir bei zwei Menschen Ähnlichkeiten gefunden, die uns
deren Verwandtschaft erraten lassen, so werden wir bei jeder neuen
Begegnung mit den zwei verwandten Personen von ihrer Ähnlichkeit
gleichsam im Banne gehalten, an ihnen immer mehr Gleichartiges
entdecken und darob gar zu leicht das Ungleichartige vergessen.
So ist es zum guten Teil auch den Erforschern der rumänischen
Dialekte ergangen.
Aber „es lehrt die Erfahrung, dafs es absolut dialektlose
Sprachen nicht gibt. Im Grunde weicht ja die Sprache jedes
Individuums von der des antlern in der Aussprache der Laute,
der Wahl der Worte, der Satzformen usw. ab, und diese Unter-
schiede wachsen in der Regel mit dem Umfange des Sprach-
gebietes . . . Man hat sich denn der Einsicht nicht verschlossen,
dafs bereits in der indogermanischen Ursprache dialektische Unter-
schiede bestanden haben müssen, und hat solche auch tatsächlich
nachweisen zu können geglaubt . . . Müssen wir aber schon der
Ursprache dialektische Diflferenzierung zuschreiben, dann . . . [ist
ihr] das einzige Merkmal, wodurch die Ursprache in prinzipiellen
Gegensatz zu der folgenden Periode der Sprachsonderung trat, die
völlige Einheitlichkeit . . ., genommen."
Ich habe dieses lange Zitat aus Kretschmers Einleitung in die
Geschichte der griechischeti Sprache (S. 9 ff.), obschon darin eigentlich
nur Selbstverständliches enthalten ist, nicht gescheut, eben weil
man das Selbstverständliche zu oft aufser acht läfst. Dafs Weigand
das Urrumänische richtig auffafst, geht ja schon aus folgender
Stelle hervor ^Jahresbericht III, 140): ,,Nach unserer jetzigen Kenntnis
der Dialekte ist es keine Hypothese mehr, dafs sämtliche Dialekte
einmal eine Einheit gebildet haben, die wir Urrumänisch nennen,
in dem selbstverständlich schon mundartliche Unterschiede vor-
handen gewesen sein können, und auch manche Spuren weisen
darauf hin, allein sämtliche Dialekte sind in der Hauptsache über-
einstimmend in Laut-, Flexions-, Satz- und Wortbildungslehre."
Obwohl man theoretisch die Existenz von dialektischen Unter-
scheidungen im Urrumänischen zugibt, leiht man ihnen in der
Praxis nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit und man ist geneigt,
für die Ursprachen mit der territorialen Einheit zugleich eine
sprachliche Einheitlichkeit zu verknüpfen.
Schon die Vorsilbe „Ur-" ist geeignet, falsche Vorstellungen
zu erzeugen. Gewöhnlich denkt man sich die Entwicklung einer
Sprache gleichsam eingezwängt in der Form eines Kegels, an
dessen Basis wir uns befinden, und man ist versucht, sich die
Sprache um so einheitlicher vorzustellen, je weiter man sie nach
rückwärts verfolgt. Wie lange hat man doch in der indogermanischen
Sprachwissenschaft nach einer geographisch engumgrenzten Ur-
27
heitnat — vergebens — gesucht, und gibt es nicht solche, die
noch heute beispielsweise die „Wiege" des Semitischen im Quellen-
gebiet des Euphrat und Tigris suchen ? Sobald man den ersten
prinzipiellen Irrtum begeht, so folgt ihm bald ein zweiter: Wenn
man sich die Ursprache einheitlich denkt, so ist es nur natürlich,
dafs man auch ihre geographische Verbreitung verringern möchte,
da man aus sonstiger Erfahrung weifs, dafs mit der gröfseren ört-
lichen Ausdehnung eines Sprachgebietes gewöhnlich auch die Be-
dingungen zur Ausbildung von Dialekten günstiger werden.
Tatsächlich finden wir denn auch bei den meisten Forschern,
die sich mit dem Urrumänischen befafst haben, das Bestreben, die
„Wiege" der Rumänen auf irgend einen territorial eng begrenzten
Raum zu lokalisieren, von dem aus sie sich dann die Ausbreitung
des Rumänischen durch Auswanderungen vorstellen. Wir werden
noch auf diesen Punkt zu sprechen kommen. Hier soll nur als
Probe die Ansicht eines jungen Gelehrten zitiert werden: „Tout en
admettant en partie !a theorie de Rösler sur la naissance du rou-
main dans la Peninsule ßalkanique, l'etat actuel de la philologie
roumaine ne nous permet pas de fixer les regions oü le latin
balkanique se transforma en Roumain. Rösler croyait que c'est
en Thessalie, en Epire, en Macedoine et en Illyrie qu'il fallait
chercher l'origine du roumain ; pour les philologues d'aujourd'hui
il n'y a que deux regions oh le roumain et la nation roumaine
purent naitre: en M6sie (Bulgarie) et notamment dans les Balkans,
et en Illyrie. Pour ces deux regions parlent aussi les noms de
localit6 d'origine romane ou roumaine." (Dr. Th. Capidan, Reponse
critique au Dictionnaire d'cfymologie koutzovaiaqiie de Consfantin Nico-
laidi, Salonique, 1909, S. 11 — 12.)
Eine Sprache kann selbstverständlich aus einem kleinen Gebiet
ausgehend immer weitere Kreise erobern, bis sie eine sehr grofse
Ausbreitung erlangt. Wir haben dafür Beispiele genug, und ein
klassisches unter ihnen ist gerade das Latein. Aber dieser Fall
mufs nicht überall eingetreten sein und wir brauchen nur an die
Sprachen zu denken, die durch das Latein verdrängt wurden, um
ebenso klassische Belege für den entgegengesetzten Fall zu be-
kommen. Wüfsten wir nun aus der Geschichte, dafs die Rumänen
im frühen Mittelalter aus irgend einem Gebiet in grofsen Massen
in ihre jetzigen Wohnsitze eingewandert sind, oder hätten wir
historische Belege dafür, dafs die Rumänen ein eroberndes Volk
wie etwa die Lateiner waren, die die Nachbarvölker unterjochten
und ihnen ihre Sprache in irgend einer Weise aufzwangen, dann
müfsten wir allerdings eine derartige „Wiege" suchen. Von alledem
ist aber nicht der geringste Nachweis vorhanden. Im Gegenteil
wissen wir aus der Geschichte ganz genau, dafs im europäischen
Osten des Römerreiches, in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit-
rechnung die ganze grofse Strecke vom Adriatischen bis zum
Schwarzen Meere, auf beiden Ufern der Save und der Donau,
stellenweise mit sehr weit nach Norden und Süden reichenden
28
Streifen, von einer römisch sprechenden Bevölkerung bewohnt war.
Heute sprechen — die dalmatische Städte ausgenommen — auf
dem ganzen europäischen Osten nur noch die Rumänen die einstige
hier weitverbreitete romanische Sprache, und wir wissen, dafs diese
Rumänen selbst im späten Mittelalter nicht soweit nach Osten
reichten wie heute. Das Rumänische erscheint also gegenüber dem
einstigen Ostromanischen als eine Sprache, die an Ausbreitung
verloren hat, was ja nur selbstverständlich ist, wenn man bedenkt,
dafs diese Ostromanen kein erorberndes sondern ein erobertes Volk
waren.
Die Aufstellung einer „Wiege" der Rumänen ist also nicht
eine historische Forderung, sondern man hat sie als eine aus ihrer
Sprache sich ergebende Notwendigkeit betrachtet, eben weil das
Urrumänische eine derart einheitliche Sprache gewesen sein soll,
dafs es unmöglich auf einem so weit verbreiteten Raum entstehen
konnte, wie die heute von Rumänen bewohnten Provinzen sind
(selbst wenn man von diesen die östlichen, nachweislich spät
rumänisierten Gegenden abzieht).
Wir haben bei der Betrachtung der jotazierten Verba gesehen,
dafs in bezug auf diese Spracherscheinung das Urrumänische dia-
lektisch gefärbt sein mufste, da es zweierlei Formen aufweist. Bevor
wir zu weiteren Erörterungen schreiten , wollen wir noch einige
derartige Verschiedenheiten innerhalb des Urrumänischen zeigen.
4. Das lat. Imperfektum laudabam, -as, -at, -amus, -atis,
-ANT sollte lautgerecht im Rumänischen i, 2, 3, 6 läudd, 4 läJi-
dam(u), 5 läudat(i) lauten. Es ist nur zu leicht begreiflich, dafs
dieser Zustand geändert wurde und zwar haben wir in der heutigen
Schrifi Sprache läudatn^ läudai, läudä, läudam, läuda(i, läudau. Dafs
die neuen Formen nicht auf lautlichem Wege, sondern durch An-
lehnung an andere Verbalformen entstanden sind, ist klar und es
ist auch nicht besonders schwer herauszufinden, worauf die Analogie
sich stützt, wenn man das Präsens mit dem Imperfektum beim
Zeitwort habere vergleicht:
am : aveam
ai : aveai
a : avea
am : aveam
ati : avea^i
au : aveau
Von der früheren 2. Sing, '^aveä besitzen wir keine Spur mehr.
Sie hat sich am allerfrühesten nach dem Präs. ai gerichtet. Da-
gegen ist in 3. Plur. die Form aveä noch heute im Aromunischen,
Meglenitischen, Istrorumänischen und dem gröfsten Teile des Dako-
rumänischen allein gebraucht. Nur auf einem kleinen Gebiete ist
sie nach an zu aveau geworden und die Schriftsprache und die
Schulgraramatiken, welche den Unterschied zwischen 3. Sing, und
2g
3. Plur. scharf ausgebildet wissen wollen, verhelfen ihr erst in neuester
Zeit zum Siege. (Allerdings nur in den Fällen, in denen die
3. Plur. noch klar zutage tritt, denn auch die Schriftsprache ge-
braucht immer nur: „il chemä loan", nicht „il chemau I.", wie
man „grammatisch" erwarten sollte, da das Subjekt „oamenii" ist.)
Besonders bemerkenswert ist die i. Sing. Wir haben aveam,
läudatn etc. heute in allen vier Mundarten durchgeführt. Das ist
ein Beweis, dafs diese Neuerung schon urrumänisch ist, denn sonst
könnte man nicht leicht begreifen, dafs sie in jedem Dialekt nach
der Lostrennung in gleicher Weise entstanden wäre. Wie wir für
aud annehmen müssen, dafs es schon urrumänisch, im Urrumänischen
selbst aber noch nicht durchgeführt war, so auch für aveam, läiidam,
denn es gibt innerhalb des Dakorumänischen Unterdialekte, welche
die alten Formen aveä, läudä bewahren. Heute sind diese Formen
allerdings nur für das Dorf Borgo~]\Iareseni im Nordosten Sieben-
bürgens nachgewiesen [Jahresbericht VI, 37), doch war bis um die
Mitte des XVII. Jahrhunderts die alte, ;«-lose Form eine allgemeine
Erscheinung der altrumänischen Sprachdenkmäler, die in Sieben-
bürgen, nördlich vom Mures entstanden sind (vgl. Cipariu, Prvi-
ctpia, 150).
Wir haben es hier infolgedessen mit einem zweiten Fall zu
tun, bei dem wir ersehen können, dafs eine urrumänische Neuerung
zu urrumänischer Zeit noch nicht durchgeführt, sondern innerhalb
des Urrumänischen selbst nur dialektisch vertreten war.
Anmerk. In bezug auf das Istrorumänische , das be-
kanntlich kein Imperfektum mehr hat, ist die einstige m-
Form nur durch Fälle wie cuviniav^iam, veriv§'iam, veriiani
u. ä. gesichert.
Für die Entstehung der 2. Sing, habe ich in Convorbiri
literare, 1905, S. 62 — 63 die hier angeführte Deutung zu
erklären versucht, weiche also etwas von der Erklärung in
der Ro}n. Gramm. I, § 309 ab. Dafs sich die i. Sg. nicht
nach der i. Plur. gerichtet hat, wie Miklosich [Laulgruppe7i, 21)
wollte und noch heute Tiktin {^Rumänisches Elementarbuch,
S. 106) u. A. annehmen, sondern dafs diese Form dem am
sein -m verdankt, ist nach dem, was Rom. Gramm. II,
§§ 238 u. 256 steht, ohne weiteres klar. Man mufs sich
ja vor Augen halten, dafs am zugleich zur Bildung eines
Tempus der Vergangenheit dient, dafs also nach läiidat-am
sehr leicht läudam entstehen konnte. Allerdings dürfte am
selbst zuerst das *aib des prägnanten Verbums verdrängt
haben und dann erst das *aiu des Hilfsverbums, denn
dieses (<C *hayo = habeo) konnte noch ein *voYO
(= voleo) > voiu erzeugen (cfr. Bartoli, Das Dalmatische,
II. 397).
5. Einen ähnlichen Fall bietet der Umlaut von ü in a bei der
Bildung des z-Plurals der Feminina. Heute ist der Umlaut im Aro-
30
munischen, Meglenitischen und Dakorumänischea (in beschränkterem
IMafse) Regel. Dagegen kennt ihn das Istrorum. nicht, und Formen
wie cctati, adiinari etc. (heute: cetä(i, adunari etc.) finden sich im
Altrumänischen bis im XVllI. Jahrhundert (vgl. Cipariu, Principia
122 ff.). Wir wissen noch nicht, wie dieses ä entstanden ist; sein
Auftreten ist so auffallend, dafs man schwerlich annehmen kann,
dafs sich diese Neuerung selbständig in jeder Mundart nach deren
Lostrennung entwickelt hätte. Vielmehr ist anzunehmen, dafs die
alten Plurale adunari usw. schon im Urrumänischen durch die neuen
Formen adunari usw. verdrängt zu werden begannen, dafs jedoch
diese wohl dialektische Neuerung im Urrumänischen noch nicht
durchgedrungen war, zum mindesten nicht in jenen Teilen, auf die
ein grofser Teil des Dakorumänischen und das Istrorumänische
zurückgehen.
Anmerk. Während im Aromunischen und im Megle-
nitischen alle Feminina, die die Mehrzahl auf -/ bilden,
den Umlaut kennen, also sowohl Wörter wie vä^i „Kühe",
als auch die Proparoxytona läcrini „Tränen" und alle
Pluralia ^.vS. -uri : cärnuri „Fleischarten", ja sogar Adjektiva
wie märi „grosse (fem.)" — haben wir im Dakorumänischen
nur vaci, fragi „Erdbeeren", und mari (Adj. fem., gegen
man „Meere") und der Gebrauch schwankt noch bei
Wörtern wie lacrimi und läcriini, vrabii und vräbii, laturi
und laturi. Leider läfst sich, in Ermangelung von Vor-
arbeiten, die geographische Verbreitung und die Zeitgrenze
der alten 0- Formen im Altrumänischen nicht näher be-
stimmen. Nur auf zweierlei möchte ich die Aufmerksamkeit
lenken: i. Die umgelauteten Formen erscheinen schon in
den ältesten Texten, die aus den südlichen dakorumänischen
Gegenden stammen; so enthält z. B. der Molitvelnic von
Coresi keine einzige a-Form, sondern nur dereptäfile, cärfile
und scäldäriei^ [Prinos Sturdza S. 255, 257, 269) und
ebenso findet sich nur cre^tinätäfiei in der noch älteren
Intrebare cre§tineascä {Cuvinte diu bäirdni II, loo). Um
zweihundert Jahre später finden wir im Norden des Ge-
bietes noch die nicht umgelauteten Formen, ein Beweis,
dafs die Neuerung vom Süden nach Norden und zwar
ziemlich langsam durchgedrungen ist. — 2. Im Norden
selbst tritt der Umlaut zunächst bei Wörtern ein, in denen
dem a ein r folgt. So finden wir cäräri, (äri (Genetiv),
cärfile (aber carte im Genetiv) in einer Bukovviner Urkunde
aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts (Jorga, Documentele
Bistrifei, I, S. 8 — 1 1) und desgleichen finden wir bei den
Moldauern Dosofteiu {Viafa svinfilor, aus den Jahren 1682
— 1686) scäri, aber nur gauri, vrabii, curabii, sabii [Jahres-
' Dei Geneliv-Daüv Sing, geht mit dem Nom.-Accus. Flur, zusammen.
3t
hericht V, 73) und Varlaam [Cazania, aus dem Jahre 1643)
ram'le l O l v. / 1 etc. sahiile 212/12, pacei 93/19 laturi 122/4
(allerdings auch parti 45/10 etc., carti 134/14), falciM, 50
(in der fast gleichzeitigen Bukarester Bibel aus dem J. 1688:
fälcile 139) aber nur dezmierdärile 330v,/ii, mäncäri
22b jy etc.
Dieser letztere Umstand bekräftigt die Vermutung, dafs
der Umlaut von a in ä zunächst bei den zahllosen Feminina
auf -are (dahin gehören alle substantivierten Infinitiva, alle
Ableitungen aut -alis und sehr viele Wörter in denen
diese Lautgruppe zum Stamm gehört) aufgetreten ist und
es ist nicht ausgeschlossen, dafs wir es hier mit einer
Lautregel zu tun haben. In diesem Falle wären die Plurale
wie aurari usw. die „Ausnahmen", die sich leicht als
durch den Singular beeinflufst erklären würden. Ich will
dies hier nur als eine Möglichkeit aufstellen, die näher zu
untersuchen vielleicht der Mühe wert ist. Es gibt nämlich
ziemlich viele Momente, die dafür sprechen. So das arom.
muri als Plural fem. vom Adj. 7nare (die dakorum. Form
mari wäre in diesem Falle die analogische Form), und
die dakorum. „Ausnahmen" mäduläri, caläri, buzunäri
(Mehrzahl von den männlichen: mädular, calar(e)y bu-
zimar), dann die Verbalformen säri, spärii (von sar, sparht)
vor allem aber die Ableitungen auf -ea, richtiger -ia i), ein
Suffix, welches Eigennamen (Spitz- und Spottnamen) bildet,
z. B. Secäria, Purcäria von secarä, purcar (bei Cäldäria
könnte man allenfalls an die Mehrzahl cäidäri denken).
Jedenfalls ist Tiktins Erklärung [Rumänisches Elemeniar-
huch S. 27), wonach es sich um eine Analogie nach Wörtern
wie sarä-säri, pradä-präzi usw. handelte, schon deshalb
hinfällig, da wir ja im Aromunischen , Meglenitischen und
einem Teil des Dakorumänischen seara-seri haben, und
pradä-präzi so vereinzelt und unregelmäfsig ist (vgl. Con-
vorbiri liierare XXXIX, 323), dafs es unmöglich den Anlafs
zu einer so weitverbreiteten Erscheinung gegeben haben
kann und selbst noch einer Erklärung bedarf.
6. Man kann noch andere derartige Fälle aus allen Gebieten
der Grammatik anführen. Ich erinnere hier nur an die Behandlung
der Lautgruppe te und Tl, welche im Arom. /ä, ^ä, im Meglen. /p
(<< /ä, td) ergeben und desgleichen auf dem gröfsten Teil des
Dakorumänischen als /a, /« erscheinen, während der übrige Teil
das ältere ^e, {i hat (vgl. Weigands Übersichtskarte 14), geradeso
1 Dafs es sich tatsächlich um ursprüngliches -t, und nicht um -if in
diesem Suffixe handelt, ersieht man aus dem Mangel an Brechung eines
vorhergehenden o (und e), vgl. floarea „die Blume" gegenüber dem Eigen-
namen Florea, Besonders lehrreich ist Costea, welches auf Costi (Kurzform
von Constantin) beruht.
2,2
wie das Istrorumänische. Ferner hebe ich die Resultate von re,
fi* hervor, welche im Aromunischen als rä (bezw. ra), rä, im
Meglenitischen als rp> (<< ra, rä, bezw. ra), im Istrorum. als rä
(bezw, är, ra) erscheinen, desgleichen wie im Dakorumänischen
auf dem gröfsten Teil des Gebietes, z. B. dakorum. räu <[ reus
(rece, race < RECii[N]b), räd ■< rideo, räm <C kimo[k], ränä << *RiiNA,
rä/>ä < RIPA, räu < Rivus, uräsc < hokreslo, urt < *horrike etc.;
arom. aräu, arafe, aräd, aräm, aräpä, aräii, aurascu, urut (<C, urät),
desgleichen carä -< caknem etc., dzinirä << dzinir'le (•< *generum
-illum); megl. rgu, rati, rgd^ rpm, rgpä, rgu^ urgt etc., istrorum.
(revu), rä(e, ärdti, ärpä etc. Die ältesten dakorumänischen Texte,
so der Codice Vorone^ean, kennen nur Formen auf re, ri (z. B.
reu I2^ig etc., risulu iigj^, revnitoriu 37/ lO, curere 33/9, selbst
Riniu 7/8 etc., Riinkanu 44/5 etc., neben auffallendem curundu
42/2 etc.), 2 und desgleichen die Psaltire Hurmuzachi (G. Giuglea,
Cercetäri lexicografice 1, Buc. 190g, S. 26) u. a. Leider ist es aus
Weigands Dialektforschungen nicht ersichtlich, ob heute noch diese
alte Aussprache erhalten ist, da sich unter seinen Normal Wörtern
keines für re findet und dort, wo man heute in einigen Dörfern
des nördlichen Banats rid {riu, nrit, rimä, rind) spricht, wird fast
überall auch grau zu griu (vgl. Jahresbericht 'XW., 211; IV, 257, 277).
Anmerk. Angesichts dieser Fälle wird man über die
Einheitlichkeit des Urrumänischen etwas skeptischer urteilen.
Der Übergang von e -\- n oder gedecktem m zu / reicht
sicher in urrumänischer Zeit zurück, da er in allen Dialekten
vorhanden ist. Wenn das Altrumänische aber noch mit
ziemlicher Konsequenz nach Labialen e schreibt {rnene,
wipenge etc.), so wird man darin (trotz Byhans Ausführungen
im Jahresbericht III, 14 — 19) kaum etwas anderes sehen
dürfen, als den Überrest einer dialektischen Verschiedenheit
des Urrumänischen selbst. Bei der Trennung der Dialekte
gab es noch Gegenden, die das alte e zum mindesten
nach Labialen bewahrten, im Gegensatze zu den übrigen
Regionen, die dasselbe zu / verwandelt haben. Dieses e hat
sich denn noch bis im XVII. Jahrhundert mundartlich im
Dakorumänischen erhalten und lebt möglicherweise bis
^ Das r, das heute noch im Aromunischen an manchen Orten und in
der Tara Oasului sich von r in der Aussprache unterscheidet und im Alt-
rumänischen öfters mit zwei r [qq) geschrieben wird, geht hervor aus i. lat.
rr, 2. lat. und slav. an'autendem r, 3. im Aromunischen (dialektisch) aus den
Gruppen rn und rl. Vgl. darüber eingehender Conv. lit. XXXIX, 315 — 321
und Weigand, Linguistischer Atlas, Einleitung, Sp. 5.
* Ebenso iür unbetontes re- : revnitoriu 37/10. Wenn dagegen neben
respunsu 155/I auch raspunsul 12/4 vorkommt und konsequent raspimdu,
rasaru steht, so haben wir es hier mit einer Angleichung an Verba wie
rasipi etc. zu tun, deren Präfix das Slavische raz- ist. Interessant ist auch
das Wort rebdä [reabdä 111/14, rebdap 149I7 etc.), welches beweist, dafs im
dakorum. rabJ, arom. aravdu das a auf älterem e beruht.
33
heute noch fort (vgl. Jahresbericht IV, 284), indem es aber
immer mehr durch das i der übrigen Gegenden verdrängt
wurde oder wird.
7. Zwei Fälle von Übereinstimmungen zwischen einigen der
vier Hauptmundarten mit einem Teile des Dakorumänischen ver-
dienen eine besondere Beachtung, schon deshalb, weil sie den An-
lafs gegeben haben, Theorien in der „Rumänenfrage" aufzustellen,
die hier nicht unbesprochen gelassen werden können.
Da ist zunächst die Verwandlung der Labialreihe vor i (bedingt),
und betontem e (ebenfalls bedingt) und i (auch -es, -is der Flexion)
in Palatale oder mouillierte Dentalis zu nennen. Der Übergang
ist zweifellos sehr alt und reicht in eine Zeit zurück, wo das Dako-
rumänische vom Aromunischen noch nicht getrennt war. Die An-
nahme einer Sonderentwicklung in jedw dieser zwei Mundarten,
wie sie beispielsweise von Byhan {Jahresbericht WL, 18) ausgesprochen
wurde, ist an und für sich höchst unwahrscheinlich, handelt es sich
doch um einen Lautübergang der ganz eigenartig ist und — von
w^i !> (w)?^ abgesehen — kaum in einer andern Sprache ein Ana-
logen findet.
Bei den Aromunen ist der Übergang durchgeführt und wir
haben überall Ä'', g, Ti, y, n an Stelle eines allen/», b, J, v, vi. Einige
Beispiele werden genügen: kapio >• arak'u, pkctino >» k'aptin,
PKCTUS>k'ept, PKiJiCA>k'adicä, PttREo> k'er, pInus >k'in, spInus
>> sk'in, LUPi > luk'; bene > gine, albT >> alg; Ferrum > h'er,
FEKVO > h'erbu, fTcus > h'ic, fIlum > h'ir; venio > yin; *vespis
> yaspe, vinum > yin, vTsum > yis; medius > nedzu, meqs > aneu,
mIlia > nil'e, dokmTre > durni etc.
Die Megleniten haben nur den Übergang von f > i (aus
älterem /i) durchgeführt: Ferrum > ier, febrarius > ierar, fekv(k)o
> ierb, fTcus > ic (aus *iic), fIlius > il'u, fIlum > ir, fIke > ire.
Dagegen haben sie das b erhalten: *albTre >> albire, *albTna
>> albinä, *verko > zb(i)er, bene > bini. Bei p sehen wir den
Übergang nur vor i und e und auch da schwankt der Gebrauch:
*PECTiNEM > k'aptine, pectino >- k'aptin, pectus > k'ept, *pedinus
> k'^din, appropio > prok'u, — gegen pedica > p^dicä, pekko
> per, pekdo > perd, *Picco > pic, pTnus > pin, kapTre > räpire,
pTss- >> pis, spIca > spie, spInus >> spin, picior. Desgleichen
herrscht bei v Schwanken zwischen g (aus y) und v: vermis >■ g'armi,
VESPis > g'aspi, VIOLA > goarä, vivus >> g'iu (auch ga^ä „Leben"),
vTcius > g'ipt, — gegen venio > vin, viNUM > vin, vTnea > vinä,
vIsuM > vis, viTA > vitä (auch vi|;9l „Kalb"), vTtea > vi^ä. End-
lich finden wir bei m die zweifache Entwicklung 7nni und ni, n,
neben altem w, oft in ein und demselben Worte: mergo >> mierg
und nerg, mercukii > (m)niercuri, *mele >> (m)niari, mekula
>- mnierlä, mkus > meu, medius >> (m)niez (dazu mniazä|i, mejluc),
mIc- > tnic, mTcula >> (m)nicurä, mIlia >> mil'ä, mIko >• mn^ir,
dormIre >> durmire (germi, blastimi etc.).
Beiheft zur Zeitschr, f. rom. Phil. XXVI. (Festschrift.) -i
34
Was das Istrorumänische anlangt, so sehen wir hier die
Labialreihe intakt: peruo > pl'erd, Piss- > pis, pi|or, *albIna
> albir^, hene > bire, fekrum > fl'er (ficatum > ficät), fIlius
>fir, FiKE > fi, VENU) > Viru, VEKMis > l'erm (< vl'erm), vinum
> vir, vTvus > viu, vIctum > vipt, visuM > vis (vitüLlus > vi^e);
MELK >» ml'äre, merula >• raerl^, meus >• mev, meuius > mez
(mezloc), Mic- >> mic, mIlia > rail'e, dokmTke > durmi, vekmis
>• l'erm. Nur in drei Fällen haben wir eine Ausnahme und zwar
in kl'ept «< pectus, tsäptir << pectinem und in mn-ä, mn-e << Ml
HA(Bii)T, Ml est. Was den letzten Fall betrifft, so ist er von vorn-
herein auszuschalten, denn wir haben es hier gar nicht mit der
gemeinrumänischen Entwicklung von mi '^ n im. tun, sondern mit
einem spezifisch istrorumänischen Übergang. In dieser Mundart
wird nämlich in der Lautgruppe Kon. + i nach kroatischem Muster
ein r eingefügt (vgl. pl'erd < pierd, fl'er < fier, ml'äre < miare
etc.). Nach dieser Regel würde man zwar *7nl'-ä, *ml' -e erwarten,
doch hat eine Assimilation des l' an die Natur des vorhergehenden
Nasals umso eher stattfinden können, als dadurch auch einer Ver-
wechslung mit dem Pronomen der dritten Person (l'-ä, l'-e) vor-
gebeugt wurde (vgl. slav. zemia >> altbulg. ze?nl' a >> n.-bulg. zemna\
auch in der zweiten Person des Pronomens haben wir im Istrorum.
c-ä, c-e anstelle des zu erwartenden tsi-ä, tsi-e). Aber auch die
anderen zwei Wörter sind deshalb wenig geeignet, als Beweise für
die Existenz eines /;'<!/ im Istrorum. angeführt zu werden, weil
beide die Lautfolge p-ct aufweisen, und es wird wohl nicht nur
Zufall sein, dafs gerade nur diese zwei Wörter das k' zeigen. Es
kann eine Metathese *keptlt, *kkptine in zwei Perioden statt-
gefunden haben, die inbezug auf die Behandlung der Gruppe ke-
verschieden waren (zuerst *keptine >» tsäptir, wie kena > tsir§;
später *KEKTU >> kieptu > kl'ept); wahrscheinlicher jedoch dünkt mir
das Eintreten einer Assimilation *kekiine, *KhKTü, die in mancher
Hinsicht eine Parallele zu Herzogs Erklärung des franz. <://////<; Captivus
{Literaturblait f. germ. u. rom. Phil. ig02, S. 125) bieten würde.
Was endlich das Dakorumänische betrifft, sind wir jetzt
durch Weigands Dialektforschungen genau unterrichtet (vgl. die
Übersichtskarten 6 — 8 des Linguistischen Atlasses), dafs die erhaltenen
Labialen nur noch im Banat und in den daran angrenzenden
Teilen: der kleinen Walachei, dem westhchen Siebenbürgen und
z. T. in dem ungarländischen Gebiet zwischen den Karpathen und
der Theiss zu treffen sind. Dagegen weist das ganze übrige Sprach-
gebiet k', g-, h', y, n oder daraus entwickeltes t' bezw. ts, d' bezw.
dz, S bezw. s (s, s), ^ (d', dz) bezw. z (z, z, z) oder Schwund des y (und
Ersetzung durch Aspiration) auf. Aufser diesen Lauten finden sich
in den Grenzgebieten Übergangsformen: pk' (pt', pts), bg (bd',
bdz), fh' (fk', ft' bezw. sk', si), vy, mn. Die Grenzen für die
einzelnen Labialen stimmen nicht überein und zwar reicht am
weitesten das Gebiet des erhaltenen v, etwas geringer ist dasjenige
des reinen _/, um vieles kleiner das des nicht veränderten m und
35
noch beschränkter dasjenige des rein erhaltenen p (eine Übersichts-
karte für h fehh). Selbst innerhalb dieser Grenzen nehmen nicht
alle in betracht kommenden Wörter in gleichem Umfang an den
Veränderungen teil, so dafs z. B. auf einem grofsen Landstrich in
der Walachei das Wort piaträ noch den alten Lautstand bewahrt,
während die neue Aussprache in li ept durchgedrungen ist.
Ziemlich auffallend ist die Tatsache, dafs im Altrumänischen
für lange Zeit keine Spur von Palatalen zu finden ist. Erst am
Ende des XVL und im Anfang des XVII. Jahrhunderts tritt sporadisch
in Urkunden (Hurrauzaki-Jorga XI, 34g, 369; Jorga, Documentele
r Omanern din arhwele Bisiri^ei I, 8) neben f auch h (im Verbum
,,a fi") auf, das einige Jahrzehnte später auch bei den moldauischen
Schriftstellern oft begegnet. Viel seltener sind die anderen Laute.
Vielleicht liegt ein Fall von hi >> gi im Worte ghiräl (= biräi „a
fi biräu"?) in einer Privaturkunde vom Jahre 1593 vor (Hurmuzaki-
Jorga, XI, 342) und Hasdeu {Eiymologicum 2231 ff.) belegt k't für pi
aus einer ebenfalls moldauischen Urkunde vom Jahre 1644 "i^d
zitiert eine Stelle aus Cantemir, der um die Wende des XVU. und
XVIII. Jahrhunderts die Aussprache k' , g, Ji, y, n als dialektisch und
\ailgär in der Moldau bezeichnet. Wir müssen also annehmen, dafs
die erhaltenen Labialen in den früheren Jahrhunderten auf dako-
rumänischem Gebiet einen bedeutend gröfseren Raum einnahmen
als jetzt. Ihre Verdrängung ist noch heutzutage, trotz des Ein-
flusses der Literatursprache, ersichthch, am besten aus den Über-
gangsformen und der unvollständigen Vertretung eines li in den
Wörtern piaträ und piept. Man darf allerdings nicht glauben, dafs
die Palatalen überhaupt erst im XVI. Jahrhundert auftreten, weil
sie früher nicht bezeugt werden können. Wenn die altrum. Texte
die intakte Labialreihe aufweisen, so beruht das zum guten Teil auf
der literarischen Tradition. Wir wissen heute (Jorga, Istoria literatiirii
religioase a Romänilor, Bucuresti, 1904, S. 15 ff.), dafs die Rumänen
im XV. Jahrhundert unter dem Einflüsse der hussitischen Religions-
bewegung zum ersten Male ihre Sprache anstelle des Slavischen in der
Kirche zu gebrauchen und die Bibel ins Rumänische zu übersetzen
begannen. Der Einflufs dieser Schriften war gröfser, als man es
gewöhnlich anzunehmen pflegt, und durch sie wurde eine literarische
Tradition begründet. Die ersten Bibelübersetzungen müssen in
einer Gegend entstanden sein, die in der Umgangssprache die
reinen Labialen noch bewahrte, da sie, als erste Schriftversuche,
sonst sicherlich nach der Volkssprache kept statt piept geschrieben
hätten. Auch sonstige Anzeichen, von denen einige noch weiter
unten hervorgehoben werden, sprechen dafür, dafs diese Denkmäler
in einer Gegend zu lokalisieren sind, die ziemlich weit im Nord-
westen des dakorumänischen Gebietes gelegen ist, etwa an dem
Schnellen Cri.^, wo heute noch zwar nicht mehr piept, aber viii und
fier gesprochen wird. Immerhin bleibt es aber auffällig, dafs man
selbst in Privaturkunden die Palatalen so spät und so spärlich findet.
36
Anmerk. Der selbst in seinen Irrtümern lehrreiche
Hasdeu hat (a. a. O.) aus der Tatsache, dals im Istro-
rumänischen nur die Ausdrücke für „Brust" und „Kamm"
den Palatallaut aufweisen, eine Stütze für seine Hypothese
zu finden geglaubt, wonach dieser Übergang infolge „weib-
lichen Einflusses" auf die Umgangssprache erfolgt sei. Er
glaubte nämlich, dafs p >> k' etc. ein Rest der dakischen
Ursprache sei und sich durch die an Römer verheirateten
dakischen Frauen in die römische Sprache eingebürgert
hätte. Natürlich ist es ihm nicht gelungen, einen solchen
Übergang im Dakischen selbst nachzuweisen. Neben anderen
Gründen spricht aber dagegen auch der Umstand, dafs der
Übergang selbst nicht zu den ältesten gehört, die die Sprache
durchmachte. Er ist beispielsweise jünger als derjenige —
allerdings zum Teil schon vorrumänische — von Iv, rv
>> Ib, rb, denn wir haben alvIna >> albinä >> alginä,
CORVT >> corbi > corg, fkrvis > fierhi >» Jierg, und eben-
falls jünger als das Verstummen des intervokalischen v (b):
HiBKKNA >> mrnä, liberio >> ür/, und als der Übergang
von bz > ib: *cübium > cutb etc.
Das ist aber auch alles, was man auf spekulativem Wege
über das Alter und die geographische Ausbreitung des
Übergangs feststellen kann. Die Fremdwörter eröffnen uns
in dieser Hinsicht keinen neuen Weg. Die Tatsache, dafs
sich der Übergang auch in jüngeren Entlehnungen aus
fremden Sprachen vorfindet, kann daraus erklärt werden,
dafs er relativ jung ist; doch mufs man diese Deutung
nicht unbedingt akzeptieren, da der Lautwandel in der
Flexion eine grofse Rolle spielt {/up-/uk'; dorm- dorn etc.);
er ist also heute noch nicht abgeschlossen, so dafs ihn
die jüngeren Entlehnungen auch mitmachen können, zu-
nächst in den Biegungsformen [scump-scunk'), dann aber
auch sonst (man hört selbst liilozoJi, als Mehrzahl zu dem
Neologismus filozof). Aus einzelnen Wörtern ist auch nicht
viel zu holen. Das Wort fränghie „Tau" <; fimbria, —
eines der wenigen, welche in der Schriftsprache in der
dialektischen Form aufgenommen wurden, — ist im
Mährischen als frembia erhalten, wie man dies auch gar
nicht anders erwartet, da der Norden des dakorumänischen
Gebietes sich auch durch andere Anzeichen als einstiger
Bewahrer der Labialen erweist. Die alte Form ist als
främbie noch heute im Banat, wo die Labialen rein sind,
erhalten (Zanne, Proverbe\]l,\'^2\ Marian, Natter ea, 38;
Lexiconul de Buda etc., vielleicht selbst noch bei Dosofteiu,
Psaliirea, 150). Das Wort movila „Hügel" stammt wahr-
scheinlich aus dem Slavischen (kslav. mogylo, bulg. mogilü,
russ. mogila, kruss. mohela, poln. mo^ita). Man betrachtet
es als das Resultat einer Überentäufserung aus der z. T.
37
dialektisch erhaltenen Form vioghila (vgl. Densusianu, Hisioire
de la langue roiimaine , I, 276). Da aber das /-Gebiet
(für V) sehr klein ist (vgl. VVeigands Übersichtskarte No. 8,
mit gelb bezeichnet) und die Form movila auch dort ver-
breitet ist wo man vin oder yin sagt, so wird diese Er-
klärung wohl unrichtig sein (man würde eher die Über-
entäufserung *moh}lä erwarten). Es scheint vielmehr, dafs
wir es hier mit dem auch sonst bekannten Übergang des
^ > j) zu tun haben, oder noch wahrscheinlicher, mit dem
Wechsel von h '^ v, da das Wort, als Eigenname, zur Zeit
seines ersten literarischen Auftretens die kleinrussische Form
Mohila hat (Hurmuzaki-Jorga XI, 317 in einer Urkunde
aus dem Jahre 1593. Das slav. Wort ist etymologisch nicht
ganz klar, vgl. G. Meyer, Etymol. Wörterbuch d. alb. Sprache,
118 — 119). Eine Autklärung könnte eher das Wort
AGNELLUS > miel bieten, doch haben wir leider kein
zweites ähnlich gebautes Wort im Rumänischen, das uns
zur Kontrolle dienen könnte. Nach lignum, Signum puünus
COGNATUS ;> lemn, semn, pumti, cumnat einerseits und
*ANELLUS „Ring" > iiiel andererseits zu urteilen, würden
wir *(a)mnel erwarten. Dagegen zeigen die heutigen Formen
des Wortes dasselbe Resultat wie *mele : dakorum. 7niel :
miere (mnel '. jnnere; nel : nere), arom. nel : nare (am Olymp
niel : 7iiere)\ megl. mniel : mniari [niel : ntari), istrorum. ml'e
(aus ml'el) : ml' äre. Es scheint fast, als ob das den rum. •
Formen zu gründe liegende Wort *agmellus wäre (eine
Kreuzung mit agmen ., Schar, Herde'" ist wohl kaum an-
zunehmen), welches über *aunüllu, zu *(ajmelli( geworden
sein könnte (vgl. Zeitschr. f. rom. Phil. XXXIII, 2'}^'^. Jeden-
falls ist es nicht möglich, die Form miel aus einer früheren
mnel oder nel mit Überentäufserung zu erklären, denn
miel wird auch im Banat gesprochen, wo weder die Über-
entäufserung noch der Schwund eines n möglich ist. Auch
die Ableitungen zeigen, dafs die Annahme eines Überganges
-gm- > (mjne schwer ist, denn *agnelliola ergab (im
Megl.) mil'oarä, woraus (arom.) ml' oarä, oder mit Assimi-
lation (im Banat) mirioarä. Mit m ist das Wort auch in die
Nachbarsprachen aufgenommen worden: älb. mil'or§, ung.
millöra etc. Aus demselben Grunde wie bei miel, kann
man auch dem Worte furnicä >> formIca keine Beweis-
kraft beimessen, wie dies Miklosich tat {Coiisonantismus
II, 43), für welchen die rum. Form mit n statt m „darauf
hinzudeuten schien, dafs einst ni für 7ni allgemein rumänisch
war". Wir haben es hier vielmehr mit einer Dissimilation
der zwei Labiale f-m >> f-n zu tun , wie wir sie öfters
bemerken können, im Rumänischen bei dem Worte malva
> nalhä (auch sonst im Romanischen weit verbreitet, vgl.
mein Etym. Wörlh. No. 11 50) posnä < *posmä (zu slav. />ö-
38
smeif), im Romanischen aufserdem sehr oft, z. B. mespilus
>> ital. nespola, span. nispero, frz. nlfle\ membrum >■ a.-oberit.
nembro, frl., bell, nemhri, obländ. nejnher, span. nembro, vgl.
überdies ital. nibbio etc. zu MiLVUS.
Dafs bei den Megleniten gerade i für fi durchgeführt
ist und auch bei den moldauischen Schriftstellern gerade
Ii für f in der Literatursprache sich zuerst Bahn bricht,
wird seinen Grund wahrscheinlich in dem häufigen Vor-
kommen des Verbums a fi „sein" haben. Es dürfte nicht
uninteressant sein zu erwähnen, dafs meine nun neunzig-
jährige Grofsmutter, die im übrigen „dialektfrei" spricht,
gerade das h ihrer Kronstädter Mundart (jedoch nicht
auch das k' , g etc.) immer in ihrer Sprache gebraucht.
Was das istrorum. isäptir betrifft, so wollte Densusianu
(Histoire de la langue rou??iaine I, 340) daraus, dafs pecten
auch in der Mures-, Cris- und Somes-Gegend als isaptän,
is^ptätt vorkommt auf eine nähere Verwandtschaft zwischen
den zwei Dialekten schliefsen. Er hat aber übersehen,
dafs im obengenannten Gebiet der Übergang von k' (über /)
zu is relativ sehr neu ist, jedenfalls viel jünger als die Los-
trennung des Istroruraänischen vom Dakorumänischen, denn
während das Istrorumänische für lat. cl und te noch auf
der Stufe cl' und te (clamo >> cl'efn, te >> ie) steht, ist
in jenen Gegenden jedes k' zu // geworden, also auch
CLAMO >> tse?n, wie tilium >> t eiu >> k'eiti >» tseiu.
8. Alle bisher vorgebrachten Fälle erwiesen sich als Ur-
rumänisch, weil es sich um Sprachneuerungen handelt, die in allen
Dialekten vorhanden sind und es eine höchst unwahrscheinliche
Annahme wäre, dafs sie sich erst nach der Trennung in jeder
Mundart selbständig entwickelt und überall gerade dieselben Re-
sultate ergeben hätten. Nun haben wir einen anderen Fall, der
sich durch andere Erwägungen als urrumänisch erweist. Es ist
dies der sogenannte Rotazismus , der Übergang von einfachem n
zwischen Vokalen in r. Er mufs zeitlich in die urrumänische
Periode fallen, weil er nur in lateinischen Erbwörtern auftritt. Ein
einziges slavisches Lehnwort macht hiervon Ausnahme. Es ist dies
*süm§tana, welches im Istroruraänischen als smäntär§ (nicht ganz
sicher) erscheint. Aber schon der jedenfalls noch ältere Übergang
von an >> an zeigt, dafs dieses Wort mit 4 — 5 anderen Hirten-
ausdrücken sehr früh, vor der eigentlichen Beeinflussung im grofsen
Mafsstabe durch die Slaven, ins Rumänische durch wandernde
Hirten übernommen worden. Nun reicht aber der Einflufs des
Slavischen ziemlich weit ins Urrumänische zurück, denn wir haben
in allen Dialekten die gleichen u. z. manchmal nachweislich sehr
alten Entlehnungen aus dem Slavischen (vgl. besonders Sandfeld-
Jensen, in Gröbers Grundrifs I2, 530 — 532) und es ist sicher, dafs
die Slaven auf das Rumänische lange Zeit gewirkt hatten, bevor
39
sich die heutigen vier Gruppen von einander getrennt haben (vgl.
§ 14). Nun war aber der Rotazismus, wie die meisten Laut-
wandelungen im Urrumänischen, zur Zeit des slavischen Einflusses
abgeschlossen, da aufser in dem einen oben besonders betrachteten
und noch dazu nicht ganz sicheren Fall, in keinem einzigen Wort
slavischer Herkunft intervokalisches w zu r wird. Dies gilt selbst
für solche Wörter, die durch ihr Vorkommen in mehreren rumänischen
Mundarten möglicherweise in urrumänischer Zeit entlehnt wurden,
wie z. B. leyie (arom. leane), hränesc (arom. härnescu), gonesc (arom.
agunescu), hrean (arom. hreanu), iinä (arom. tinä), rogojinä (arom.,
megl. ruguzinä), cremene (megl. cr^mini), riwien (arom. rumin) etc.
Durch die vorzügliche Abhandlung von A. Procopovici [Despre
nazah'zare si rotadsm, Bucuresti, igo8), welche z. T. früher von
Byhan und Weigand ausgesprochene Meinungen bestätigt, sind wir
jetzt über die Geschichte des rumänischen Rotazismus ziemlich gut
unterrichtet. Die Vorbedingung des Rotazismus war die Nasalierung
der Vokale vor n (einfach oder gedeckt, doch nicht vor n -f- Nas.)
und vor gedecktem tn (ausgenommen bei folgendem Nasal). Diese
Nasalierung war, zum mindesten dialektisch, im Dakorumänischen
bis ins XV. Jahrhundert vorhanden, da die ältesten Sprachdenkmäler
sie durch einen besonderen Buchstaben (|) ausdrücken. Es tritt
aber dieses Zeichen der Nasalität in slavischen Lehnwörtern nur
dann auf, wenn sie im Slavischen selbst Nasalvokale enthielten
(a oder §), sonst aber nie.
Nun hat Procopovici (S. 25 — 26) aus der Behandlung der
Wörter una, granum, frenum und *ßRANUM (?) mit grofsem
Scharfsinn nachgewiesen, dafs die Nasalierung nur dem Dako-
rumänischen und Istrorumänischen bekannt war, dafs sie dagegen
das Aromunische und das Meglenitische nie gekannt haben, oder
doch nur in einem (in bezug auf Intensität oder auf geographische
Ausbreitung) verschwindend geringem Mafse. In der Tat zeigen
nur die ersten zwei Mundarten die Entwicklung *üä, *gräu, *fräu,
*bräu >> dakorum. *uä >• 0, grau, fr du, brau, istrorum. uä >> 0,
*gräu >> gravu, *bräu >■ brävu, während in den zwei letzten Mund-
arten das n bis heute bewahrt ist: arom. (u)nä, grau (gärnu, gäru),
brau, frdn (färnu, fäfu) und megl. (u)}iä, grpti, frgn.
Während die Nasalierung eine allgemeine Erscheinung des
Dakorumänischen und Istrorumänischen ist, blieb der daran an-
knüpfende Rotazismus selbstverständlich dem Aromunischen und
Meglenitischen gänzlich fremd; er erscheint im Istrorumänischen
durchgeführt, ist aber im Dakorumänischen selbst nur mundartlich
vorhanden. Heute fristet er sein Dasein nur noch in einigen
Dörfern des Siebenbürger Erzgebirges und ist daselbst im raschen
Absterben begriffen. Die alten Sprachdenkmäler beweisen uns
indessen, dafs er vor einigen hundert Jahren ziemlich weit ver-
breitet . war und wenn wir seine Ausdehnung im Urrumänischen
nicht mehr nachweisen können, lassen sich zum mindesten seine
40
Grenzen für das XV. — XVI. Jahrhundert aus den spärlichen Daten
mit einiger Wahrscheinlichkeit feststellen. Ich glaube, dafs wir
nicht fehlgreifen, wenn wir als rotazierend die Gegend bezeichnen,
die sich nördlich von Mures erstreckt und auch den gröfsten Teil
der Bukovina mit der nördlichen Moldau umfafst. Dies stimmt
fast genau mit dem heutigen Gebiet der x^ussprache färinä überein
(Weigands Übersichtskarte No. 5). Die Argumente, welche für
diese Lokalisierung sprechen, wären folgende: Wenn wir von Westen
nach Osten schreiten, so sehen wir zunächst, dafs ein ziemlich
grofses Gebiet noch heute irima (auf Weigands Übersichtskarte
No. 5 mit grün bezeichnet) und gerunchiu (ebenda, mit rot um-
grenzt) spricht. Es ist wohl anzunehmen, dafs in diesen zwei
Wörtern die rotazierte Form sich durch eine dissimilatorische
Tendenz erhalten hat, die sich gegen die Aufeinanderfolge zweier
Nasalen (inimä < anima, genunchiu < genuclum) sträubte (s. die
Anmerkung). In dieser Gegend ungefähr dürften auch die ersten
rumänischen Übersetzungen zu lokalisieren sein, die sich gerade
durch den Rotazismus kennzeichnen, denn hier findet man ur-
sprünglich noch die bewahrten Labiale, hier ist noch Ußi >> iuä
erhalten (Weigands Übersichtskarte No. q), hier erklären sich am
besten die vielen Lehnwörter aus dem Ungarischen, und es ist
auch historisch bezeugt, dafs gerade in der Nähe von Grofswardein
die hussitische Bewegung, unter deren Einflufs diese Schriften ent-
standen sind, am stärksten vertreten war (vgl. Hurmuzachi, Docu-
mente, I, 2. No. 507 ; vgl. auch Tiiteraturhlatt f. germ. u. rom. Phil.
igo8, Sp. 804 — 805). In der Nähe von Turda, im Dorfe Mähaciu,
kopierte um das Jahr 1600 ein Dorfpfarrer in einem Codex
miscellanius verschiedene Schriften, die zu seiner Zeit zirkulierten.
Diese weisen z. T. Rotazismus auf, wenn ihr Ursprungsort im
Norden war, z. T. sind es unrotazierte, aus dem Süden stammende
Texte. Das wichtigste ist, dafs der Pfarrer Grigorie selbst ^ (< «)
sprach, da er in einer Mitteilung ciri (= „eine") gebraucht (Hasdeu,
Ciivinie din haträni II, 107). Vom Ende des XVI. und Anfang des
XVII. Jahrhunderts haben wir einige rotazierende Briefe, die im
Bistritzer Archiv aufbewahrt werden und von Jorga {Documente
romäne^U din arhivele Bistri{ei, I, Bucuresti, 1899) herausgegeben
wurden (doch ist der Rotazismus nicht durchgeführt). Aus diesen
läfst sich der Rotazismus belegen für Seli^tou in Maramures (No. 11,
von 1587 — 1596: mchinaciure , omiiri = „oa.meni"' , mrain/e, bire),
für Moldavita in der Bukovina (No. V, von 1597: ein mere =
„mine", gegenüber: sänätate, impräunä, bunä, raene; die Urkunde
stammt aus der bischöflichen Kanzlei), aus dem Maramure§ (No. XXXI,
von 1602 — 1603: verit, oamiri) aus Rädäu|;i in der Bukovina
(No. XXXVII, nach 1607: zweimal särätate, sonst: bun, bine, veni
usw.; aus der bischöflichen Kanzlei), aus Suciul-de-sus (No, XXXVIII
von 1609: mära, [nimäruea] , inrainiea^ neben dreimal: bun), aus
Vorone|; in der Bukovina (No. XL, von 1616 — 1630: spure, neben
sänätate, mänä, bun, bine). Für die IMoldau belegt aufserdera aus
41
dem XV. Jahrhundert Hasdeu [Ciivinte din hairdni II, 13 — 14) in
slavisch geschriebenen Urkunden die Namen /a«/'ö;-^ö//(„Fäntänele"),
Geamär („gemen") und Ruviär („roraän"), die sich durch den
Eigennamen Galbir („galbin") in einer slavischen Urkunde vom
4. Juni, 1546 aus Husi (Mss. der Rumänischen Akademie, Petschaft
106; mir mitgeteilt von J. Bianu) ergänzen. Aufserdem lokalisiert
J. Bogdan den Schreiber der von ihm mitgeteilten rotazierenden
rumänischen Glossen [Convorhiri literare XXIV, 727 ff.) aus der
zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts im Kloster Neam|:u. In einer
Novelle von M. Sadoveanu fand ich den Rotazismus in der als
Ausruf gebrauchten erstarrten Formel fä rapoi! , die offenbar zur
Zeit der Entrotazierung nicht mehr (als „fa inapoi") verstanden
wurde. Er bestätigt mir, diesen Ausdruck heute in der Nähe von
Folticeni gehört zu haben und er kommt auch in der Bukovina
vor (nea rapoi! in Bäläceana).
Wie bereits erwähnt, existieren keine sicheren Anzeichen, dafs
einst der Rotazismus im Dakorumänischen weiter verbreitet ge-
wesen wäre; im Gegenteil sehen wir, dafs in dem in Kronstadt
gedruckten Psalter vom J. 1577 ^^^ rotazierten Formen der (zugleich
der rotazierenden Psaltire Scheianä dienenden) Vorlage, konsequent
(einige male mit umgekehrter Schreibweise) durch «-Formen wieder-
gegeben werden. Ja, auf dem oben umgrenzten Raum selbst scheint
der Rotazismus im XV. — XVI. Jahrhundert nicht überall allgemein
gewesen zu sein, wie das Schwanken im Gebrauche in den meisten
Urkunden beweist. Allenfalls ist die Wiederherstellung des Ji noch
zu einer Zeit erfolgt, als die Vokale nasaliert gesprochen wurden:
sonst würde man auch Fälle von falscher Herstellung eines n an
Stelle eines etymologischen r (oder aus -/- entstandenem r) an-
treffen. Die Tatsache selbst, dafs ti wieder in seine alten Rechte
gelangen konnte ist aber ein Beweis dafür, dafs im Dakorumänischen
ein Teil der Bevölkerung unbedingt das alte n bewahrt hat; sonst
würde man nicht begreifen, von wo der Anlafs zu einer Wieder-
herstellung auf einem so weiten Gebiete ausgegangen wäre.
An merk. Die assimilatorische und dissimilatorische
Störung hat bei Entstehung der rotazierten Formen und
bei der Entrotazierung eine grofse Rolle gespielt. Da ich
demnächst darüber eine Abhandlung zu veröffentlichen
gedenke, so will ich hier nur einige Fälle anführen. Alle
„Ausnahmen", sowohl im Istro-, als auch im Altrumänischen
erklären sich durch die Nachbarschaft eines n (m) oder r
(z. B. istrorum. nuntru, amnat < amanat, serninät nb. semirät,
altrum. sträminare, etc). Es scheint, dafs der Einflufs der
Assimilation und Dissimilation schon bei der Vorstufe des
Rotazismus, bei der Nasalierung eine grofse Rolle gespielt
hat. Wir finden nämlich im Dakorumänischen eine sehr
. grofse Anzahl von Fällen mit Wandel eines n > r, und
umgekehrt unter dem Einflufs eines benachbarten Nasals
42
bezw. eines r, z. B. sanguinosus >> sängeros, sanguinare
> sängerare, nomina >» numere (nb. numene), nominare
>> numärä, nemin- > nimärui (nb. nimänui); umgekehrt:
SERENUS >» senin, arena > aninä (nb. arinä); hikundul-
> ränduneä (nb. rändureä), juniperus > juneapän (nb.
juneapär), Corona > cununä, similare ^ *sHmärä >
sämänä, assimile > *asemere >> asemene, viezure + inä
>> *viezuninä (woraus viezuinä oder viezunie), PhCORiNA >>
*päcuninä >> päcuinä (cfr. farina >> fäninä >• fäinä), MIRO
-f- une >■ minune, arin anin, ustur -|- oniu > usturoiu und
ustunoiu, master -f- oniu >■ mästinoiu, pur- -|- oniu >>
puroiu und punoiu, räsurä + oniu > räsuroiu und räsunoiu,
lature -j- oniu > läturoiu und lätunoiu, misun + oiu >>
mu^unoiu und musuroiu, adineaurea und adineaunea,
GUTTUK + AKiUM > gutunar (aber guturaiu < guttur -}-
alium), räscräcärat und räscräcänat, lubkicake > lunecare
(woraus auch: lunec), süspikare>> suspinare (woraus auch:
suspin). Besonders interessant sind die Fälle, in welchen
ein vorhergehender Nasal ein n in der nächsten Silbe er-
zeugt; in den meisten Fällen werden aber die zwei n nicht
nebeneinander geduldet, sondern das eine verwandelt sich
in r um: minutus >> (a)mänunt und (a)märunt, panicum
>■ pärinc, renuculum > rärunchiu, canuius >> cärunt,
genuculum > genunchiu und gerunchiu, *junica >> jurincä
und junincä, minacio > ameninj; und amerint. Von allen
diesen Fällen kennt bezeichnenderweise das Aromunische
keines, sondern man hat nur die regelrechten Formen:
minut, serin usw. Die einzige Ausnahmen venenum >>
verin ist durch ital. veleno, a.-fran. velin zweifelhaft und
man ist, angesichts dieser Fälle, im Recht anzunehmen,
dafs auch fürs Rumänische eine (bereits dissimilierte) Form
*velemjm anzusetzen ist, die regelrecht verui ergeben bat
und dafs dieses auf dakorum. Boden zu venin assimiliert
wurde.
Während der Rotazismus im Istrorumänischen und im
Altrumänischen ganz unter denselben Umständen auftritt,
zeigen heute die paar Dörfer in dem Siebenbürgischen
Erzgebirge ganz andere Verhältnisse. Wir finden hier a)
dafs Erbwörter den Übergang zu r nicht haben, z. B.
intineri, cuvine, räzbunä etc., dagegen b) finden wir den
Rotazismus in Lehnwörtern, oft ganz jungen Datums, z. B.
agorisi, dori^ä, hairä, hodiri, Huedir, in|;eperi, nevirovat
etc. c) finden wir Rotazismus in Wörtern die ein mi hatten:
ingärä, d) finden sich Kompromifsformen, wie länros,
cänrepi^te. Wenn wir berücksichtigen, dafs Goldgruben
in allen Ländern und zu allen Zeiten eine grofse An-
ziehungskraft besitzen, so wird diese Unregelmäfsigkeit
durch späte Einwanderungen ins Siebenbürgische Erz-
43
gebirge zu erklären sein. Früher wird auch hier der
Rotazismus unter denselben Umständen vorhanden gewesen
sein, wie im Istro- oder im Altrumänischen. Die Ein-
wanderer, die von hausaus keine r-Formen besafsen, haben
sich mit der Zeit an die dortige Aussprache gewöhnt, aber
da für sie die ursprüngliche Regel, welche die Verteilung
von n- und r- Formen bedingte, nicht existierte, so haben
sie auch an unrichtiger Stelle intervokalisches n in r über-
gehen lassen, oder haben Kompromirsformen , wie /änrä
< fänä -\- lärä angenommen. Das Interessante dabei ist
aber, dafs auch die Einheimischen durch die fremde Aus-
sprache beeinflufst wurden, und einige ihrer r-Formen
aufgaben. Es ist ein ganz lehrreicher Fall für die Art wie
sich eine Sprache durch Einwanderungen „abschleift"
(vgl. § 1 1). Ich möchte hier nur bemerken, dafs die aus
den bekannten Büchern von Fräncu und Candrea [Rota-
cismul und Romänii diu 31unfii apusent) angeführten Bei-
spiele auch durch die Sammlung von Volksliedern von
Alexici (Texte diu literatura poporanä romdnä I, Budapest,
1899) bestätigt werden: vgl. gräd'irä, bärat, lievirovat,
int'irä (S. 144) etc.
9. Die im Vorhergehenden angeführten Fälle beweisen, dafs
das Urrumänische mundartlich gefärbt war. Ihre Anzahl ist aller-
dings nicht sehr grofs im Verhältnis zu den Übereinstimmungen
in allen vier Mundarten, doch läfst sie sich bei einer sorgfältigen
Prüfung in dieser Richtung wahrscheinlich vermehren. Vor allem
dürfen wir aber eines nicht vergessen. Die Sprachdenkmäler, die
wir besitzen, stammen erst aus dem XV. Jahrhundert. Schon diese
haben uns indessen gezeigt, dafs verschiedene Erscheinungen, die
heute im Dakorumänischen allgemein sind oder fast durchgeführt
erscheinen, zu dieser Zeit noch nicht überall bestanden haben.
Würden unsere Denkmäler zufälligerweise erst mit dem XVIII. Jahr-
hundert beginnen, so würden wir heute keine Ahnung haben, dafs
im Altrumänischen m-lose Imperfekta in der i. Sg. bestanden haben
(§ 4), dafs die Feminina den i-Plur. ohne Umlaut bildeten (§ 5),
dafs e und / nach r erhalten blieben (§ 6) und dafs ein grofses
Gebiet des Dakorumänischen intervokalisches 71 zu r werden liefs
(§ 8). Wir würden in allen diesen Fällen sagen müssen, das
Dakorumänische stimme mit dem Aromunischen vollkommen überein,
also die Zahl der mundartlichen Unterschiede innerhalb des Ur-
rumänischen, die wir heute erkennen könnten, wäre um so viele
Fälle geringer. Nun können wir aber vermuten, dafs wir auch
andere derartige Unterschiede feststellen könnten, wenn wir ebenso
alte Texte aus den übrigen Mundarten oder dakorumänische
Sprachdenkmäler aus früheren Jahrhunderten besälsen und es ist
sehr möglich, dafs gar manche von den Spracherscheinungen, die
heute allgemein sind, zur Zeit der Lostrennung der Dialekte noch
44
nicht das ganze Gebiet gewonnen hatten. Es ist jedenfalls
prinzipiell falsch zu glauben, dafs die mundartlichen Unterschiede
innerhalb einer Sprache immer geringer werden müssen, je weiter
mau die Sprache nach rückwärts verfolgt, denn ebenso wie die
Zeit sprachliche Verschiedenheiten erzeugt, so vermag sie auch
Differenzen zu verwischen. Wenn z. B. Tiktin {Zeitschr. f. rom.
Phil. XXVJU, 6g i) als selbstverständlich annimmt, dafs die Unter-
schiede zwischen Mundart und Mundart im Dakorumänischen „vor
mehr als dreihundert Jahren noch weit geringer'' als heute ge-
wesen waren, so ist das nicht ganz zutreffend und die alt-
rumänischen Texte beweisen uns gerade das Gegenteil davon.
Seither hat manche Neuerung, die damals nur mundartlich auftrat,
das ganze Gebiet ergriffen, sodafs der Unterschied von Dialekt zu
Dialekt wieder verwischt wurde; aber es trat auch der entgegen-
gesetzte Fall ein, dafs nämlich eine mundartliche Neuerung seither
wieder verschollen ist. Man kann ja aus jeder beliebigen Sprache
Belege dafür vorführen, dafs zu einer gewissen Zeit irgendwo eine
sprachliche Neuerung eintrat, die rasch um sich griff, um dann,
nach einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten, wieder ganz zu ver-
schwinden oder nur in spärlichen Resten ihr Dasein zu fristen.
Ich brauche gar nicht an die französische Aussprache Pazis für
Paris zu erinnern (vgl, Rom. Gra?nm. I, § 456, Hist. Gramm, d. franz.
Sprache § 203), sondern ich verweise, um auf rumänischem Boden
zu verbleiben, nur auf den Rotazismus des zwischen vokalischen n.
Im Grunde genommen beruhen ja die zwei entgegengesetzten
Tendenzen, die Neuerungen einführende und die ausgleichende,
auf demselben Prinzip: in beiden Fällen handelt es sich um die
allmähliche Verbreitung einer neuen Aussprache, die wohl im An-
fang durch den Nachahmungstrieb, dann durch das Bedürfnis, so
zu sprechen, dafs man von anderen nicht mifsverstanden wird,
immer weitere Kreise zieht. Denn der Rumäne war, als er buru
sagte, sich nicht bewufst, dafs diese Aussprache neuer wäre als
bimu, welches er später, durch die Berührung mit seinen südlicheren
Nachbarn erlernte und damit ein viel älteres Stadium der Sprache
in seiner Mundart als Neuerung wieder einführte.
Diese Erwägungen lassen uns vermuten, dafs die dialektischen
Unterschiede im Urrumänischen wahrscheinlich gröfser waren, als
wie wir sie heute feststellen können. Eine ganz andere Frage
ist nun, wie wir uns die Dialekte des Urrumänischen zu denken
haben.
10. Der erste, welcher die Vermutung aussprach, dafs im Ur-
rumänischen Dialekte bestanden haben müssen, war, wenn ich nicht
irre, Miklosich. Allerdings tat er dies im Anschlufs an eine Be-
hauptung, die nicht gerade überzeugend ist, und er fand dafür
eine Erklärung, die nicht ganz mit dem übereinstimmt, was ich
nach Kretschmer im § 3 angeführt habe. Da aber auf Miklosich'
Äufserung die weiter unten zu nennenden Theorien anderer Forscher
aufgebaut sind, ist es nötig diese hier näher zu erörtern.
45
Nachdem Miklosich die Ergebnisse der lat. Velarlaute vor e,
i und / im Rumänischen besprochen hat, vertritt er die Ansicht —
und man wird ihm darin vollkommen Recht geben müssen — dafs
der Unterschied zwischen den Ergebnissen im Dakorumänischen
(//, dz) und denjenigen im Aromunischen {ts, dz), ursprünglich sei,
dafs also weder das dakorumänische //, dz auf (heute im Aro-
munischen noch erhaltenem) ts, dz beruht, noch umgekehrt. Ich
glaube, in meiner Habilitationsschrift [Lalemisches 2i und Ki, S. i68)
Beweise erbracht zu haben, die diese Annahme ganz sicher machen.
Ebendort (S. 175 — 178) ist gesagt worden, dafs im Urrumänischen
die Affizierung von k, g vor e, i nur bis zur Stufe ts, dz gelangt
ist, aus der dann, wahrscheinlich erst nach der Trennung, die
Aromunen ts, dz werden liefsen, die Dakorumänen dagegen mund-
artlich den alten Stand (bezw. daraus entstandenes /, z) bis heute
bewahren, während ein anderer Teil derselben zu ts, dz gelangt ist.
Miklosich hat eine andere Ansicht. Er glaubte nämlich, dafs
schon im Urrumänischen die Vorfahren der heutigen Aromunen
ts, dz, und diejenigen der heutigen Dakorumänen ts, dz sprachen,
dafs also die zwei Mundarten schon im Urrumänischen im Keime
bestanden hätten. „Dafs das Vulgärlatein nicht eine homogene
Sprache bildete, sondern dafs sich die lateinische Volkssprache
Galliens von der Italiens und beide. von der in den Balkanländern
gesprochenen etc. mehr oder weniger unterschieden, bedarf keines
Beweises; und dafs die lllyrier, die nach meiner Ansicht bei der
Bildung der rumunischen Nationalität in hervorragender Weise be-
teiligt waren, sich von den anderen Völkern, die römische Sprache
angenommen haben, wesentlich verschieden waren, kann ebenso
wenig in Abrede gestellt werden. Diese Diiferenzen, die im einzelnen
nachzuweisen unmöglich ist, brachten die Verschiedenheiten zwischen
dem Rumunischen und den anderen romanischen Sprachen hervor.
Was jedoch die Differenzen anlangt, die zwischen dem gegenwärtigen
Nordrumunisch und dem heutigen Südrumunisch, zwischen dem
drum. f= Dakorumänisch] und mrum. [= Aromunisch] bestehen,
so sind sie wohl auf die Sprache der Vorfahren der heutigen Dako-
und der heutigen Macedorumunen zurückzuführen." {Consonimiismus
II, 48.)
Das was Miklosich vor siebenundzwanzig Jahren als selbst-
verständlich annahm, bedarf nach dem heutigen Stand der Wissen-
schaft eines Beweises. „Der Gedanke, dafs bei der Romanisierung
die verschiedenen fremden Völker das Lateinische auf Grundlage
ihrer eigenen Artikulationsart ausgesprochen haben, und dafs daraus
die Verschiedenheit der romanischen Sprachen gegenüber dem
einen Latein entstanden sei, liegt ja in der Tat nahe genug.
Allein, wenn man der Sache tiefer auf den Grund geht, so ergibt
sich bald, dafs ein Beweis dieser Annahme durch die Tatsachen
fast unmöglich ist . . . Das eine scheint schon jetzt sicher zu sein,
dafs die romanische Formenlehre vollständig unberührt geblieben
ist"; was aber das Lautsystem betrifft, so erweisen sich die Spuren
46
der einstigen Sprachen nur als „Nebensächlichkeiten, Kleinigkeiten,
nichts von dem, was man als das Konstitutive bezeichnen kann"
(Meyer-Lübke in Hinnebergs Die Kultur der Gegenwart, Teil I,
Abteilung XI, /, Die romanischen Literaturen und Sprachen, Berlin-
Leipzig, Teubner, iQOg, S. 457. 458).
Es handelt sich hier wieder um eine prinzipielle Frage, die
bei der Rekonstruierung einer Ursprache von gröfster Wichtigkeit
ist; daher müssen wir bei ihr etwas mehr beharren. Auf der einen
Seite steht eine z. T. aprioristische Annahme, die an und für sich
sehr wahrscheinlich scheint, auf der anderen aber mehrere Tat-
sachen, die ihr widersprechen. Nun sind aber gerade solche An-
nahmen, die die Wahrscheinlichkeit auf den ersten Blick auf ihrer
Seite haben, sehr gefährlich, da sie zur Voreingenommenheit führen
können.
In der letzten Zeit hat besonders Hirt (Die Indogermanen I,
Strafsburg, Trübner, 1905) den Einflufs der Urbevölkerung auf die
erobernde Sprache geradezu zu einem Kriterium zur Beurteilung
der vorindogermanischen Verhältnisse erheben wollen. Er unternimmt
sogar den Versuch „mit Hilfe heute bestehender Dialektgrenzen
die Grenzen der alten Sprachen zu ermitteln" (S. 19)! Auch irrt er
sich, wenn er gerade die Verhältnisse in den romanischen Sprachen
als Beweis bringt: „Tatsächlich ist dieser Grundsatz von den
Romanisten auch völlig anerkannt, und es steht fest, dafs die
grofsen Verschiedenheilen der romanischen Dialekte, durch die sie
eigentlich als besondere Sprachen erscheinen, auf der Verschieden-
heit der Volkssprachen beruhen, auf denen sie erwachsen sind"
(fl. a. O.). Dafs die Ansichten der Romanisten nicht gerade so
lauten, erhellt am besten aus dem, was Sie, hochverehrter Meister,
in dem eben zitierten Buch (S. 461) schreiben, und zwar ein Jahr
vor dem Erscheinen des Hirt'schen Werkes (vgl. S. 470), gleichsam
als ob Sie diese Behauptung geahnt hätten und auf sie schon
antworten wollten: „Wo kirchliche, politische oder natürliche Grenzen
dem Verkekr ein Hindernis bieten, da finden sich auch Sprach-
differenzierungen ein . . . Die kirchlichen Grenzen im Mittelalter
decken sich vielfach mit den Völker- und Gaugrenzen aus vor-
römischer Zeit, und zwar hauptsächlich darum, weil trotz der
Romanisierung das Gefühl der Zusammengehörigkeit der alten
Stämme blieb und die Kirche diesem Zustande Rechnung trug.
Daraus folgt unmittelbar, dafs die heutigen romanischen Sprach-
und Dialektgruppen mehrfach sich mit den vorrömischen Völker-
gruppen decken, ohne dafs doch ein direkter sprachlicher Einflufs
nachweisbar wäre. So erklärt sich einerseits die geringe Dialekt-
bildung bei den wandernden Rumänen, andererseits die sehr starke
Differenzierung in den wenig zugänglichen Tälern Graubündens . . .
So scheint die Loslösung der südostfranzösischen Mundarten von
den nordfranzösischen mit der Gründung und der Selbständigkeit
des burgundischen Königreich zusammenzuhängen. Das bunte Bild,
das uns die »Italia Dialettale' zeigt, stimmt mit dem nicht weniger
47
bunten der vorrömischen sprachlichen und politischen und der mittel-
alterlichen politischen überein. Eine Geschichte der romanischen
Sprachen und Mundarten wird also dereinst eine Verkehrsgeschichte
werden, die die politische und administrative Geschichte ergänzen
und vertiefen kann, letzteres insofern, als sie zeigt, wie weit ad-
ministrative Zusammenlegung und Trennung wirklich auf die Be-
völkerung gewirkt haben."
Wenn wir Beweise haben, dafs der Einflufs der Urbevölkerung
auf die neuen Sprachen ein minimaler ist, wenn wir ferner das
Zusammenfallen von Grenzen heutiger Dialekte mit alten ethnischen
Grenzen anders deuten können, so dürfte es uns auch nicht zu
schwer fallen zu erklären, warum dieser Einflufs kein zu grofser
sein konnte.^ Wir brauchen nur die Entwicklung eines Kindes zu
beobachten, welches einen „Sprachfehler", etwa die Aussprache /
für r, in späteren Jahren korrigiert. Wenn das Kind die richtige
Aussprache r erlernt, so kommen bei ihm, wenigstens in den von
mir beobachteten Fällen, keine Überentäufserungen vor. Wenn es
beispielsweise bis zum fünften Jahre „Haal", von da ab aber richtig
„Haar" ausspricht, so kommt es nicht vor, dafs es vom fünften
Jahre an auch „kahr" an stelle von „kahl" sagt. Warum? Doch
nur deshalb, weil es um sich die Kontrolle seiner Familie hat
und diese wirkt so intensiv, dafs solche Fehler gleich korrigiert
werden oder überhaupt nicht entstehen können. Ich glaube, dafs
diese „Sprachfehler" des Kindes am ehesten verglichen werden
können mit der „Artikulationsbasis" eines Volkes, welches eine
neue Sprache annimmt. Die Entnationalisierung eines Volkes
kann doch nur dann stattfinden, wenn schwerwiegende Ursachen
und ein sehr grofser Einflufs von selten eines anderen Volkes vor-
handen ist. Die Bedingungen der Entnationalisierung sind nicht
überall dieselben, aber an allen Orten gleich mächtig: man verliert
so seine Sprache nicht ohne weiteres, sondern es gehört doch
dazu der unaufhörliche Einflufs der erobernden Sprache, der
gleichsam zur Kontrolle für ihre richtige Erlernung wird. Wohl
können, solange die Entnationalisierung nicht vollständig und ein
Volk zweisprachig ist, ganze Generationen das neue Idiom mit
einer fremdartigen Aussprache reden, doch werden diese Ab-
weichungen mit der Zeit gewifs immer geringer und wenn ein
Volk seine Muttersprache aufgibt, so hat es auch ihre Artikulations-
basis verloren. Aus diesem Grunde geht es nicht, mit Hirt {a. a. O.,
S. i8) folgendermafsen zu räsonnieren: „Wie stark der Einflufs der
Muttersprache bei der Aussprache der fremden ist, kann man in
grober Form beobachten, wenn Engländer oder Franzosen deutsch
sprechen. Jedem fällt das Fremdartige dieses Deutsch auf, und
der geschulte Forscher merkt sehr bald, dafs dies auf der Bei-
^ Vgl. auch E. Herzog, Streitfragen der romanischen Philologie , Halle,
Niemeyer (1903), § 51 f.
48
behaltüng einer Reihe von Eigentümlichkeiten der Muttersprache
beruht. Wenn also eine Sprachübertragung stattgefunden hat, so
müssen sich fast mit Notwendigkeit soviel neue Dialekte entwickeln,
als alte vorhanden waren." Der Franzose oder Engländer der mit
einem „heimatlichen Akzent" deutsch spricht, tut das eben weil
er noch ein Engländer oder Franzose ist, also eine fremde
Sprache spricht, die romanisierten Gallier, Iberer usw., waren aber
keine GaUier, Iberer mehr, sondern schon Romanen, als sie gänzlich
entnationalisiert wurden. Mit demselben Rechte könnte man bei-
spielsweise die entgegengesetzte These mit folgendem Räsonne-
ment beweisen: Wie leicht und wie gänzlich man seine ursprüngliche
Artikulalionsbasis verliert, kann man in grober Form beobachten,
wenn man die grofse Anzahl von Deutschen hört, die sich von
ihren Stammesgenossen in der Aussprache absolut nicht unter-
scheiden, obwohl sie französische Namen führen und nachweislich
einen französischen Emigranten zum Vorfahren haben. Ich habe
{Zeitschrift f. rom. Phil. XXVIII, 612) über einen Fall von Ent-
nationalisierung berichtet, der sich heute abspielt und bei dem wir
infolgedessen in der Lage sind, genaue Beobachtungen zu machen.
Es handelt sich um die Rumänisierung von Sachsen in Sieben-
bürgen. Während die Sachsen das Rumänische sehr schlecht aus-
sprechen, wenn sie es noch so fliefsend sprechen und die Laute
ä und d nicht wiederzugeben vermögen, habe ich in einem schon
fast gänzlich rumänisierten sächsischen Dorfe stundenlang mit
einem Bauer gesprochen, ohne dafs ich bemerken konnte, dafs er
kein Rumäne, sondern wie es sich später erwiesen hat, ein Sachse
war, der allerdings nur mit seiner Frau sächsisch sprach, während
er mit seinem Sohne rumänisch redete. Das tat er eben, weil ihm
das Rumänische bequemer war, weil er diese Sprache ganz be-
herrschte, d. h. sich auch die rumänische Artikulationsbasis an-
geeignet hatte.
Um nun, nach dieser Abschweifung, zu unserer Frage zurück-
zukehren, so ist es nötig, dafs wir auch in bezug auf das Ur-
rumänische diesen, ich möchte fast sagen, traditionellen Irrtum von
der Selbstverständlichkeit des Einflusses der autochthonen Elemente
beseitigen. Und dies umsomehr, als wir über diese Autochthonen
so gut wie gar nichts wissen. Wenn wir aber nicht einmal mehr
geneigt sind, das französische ü auf gallischen Einflufs zurück-
zuführen (vgl. den eben angeführten Artikel Meyer-Lübkes), so wäre
es ein ganz phantastisches Trachten, Einflüsse der uns gänzlich
unbekannten oder unklaren Ursprachen auf das Rumänische nach-
zuweisen.
Aber wir brauchen auch gar nicht zu diesen unsere Zuflucht
zu nehmen, da wir doch ganz bestimmt wissen, dafs eine Sprache
aus sich heraus, ohne Einflufs der Urverhältnisse, Neuerungen
hervorbringen kann und mufs, die zu dialektischen Unterschieden
führen. Und da wir einen prinzipiellen Unterschied zwischen
Sprache und Ursprache nicht akzeptieren, so ist für uns die mund-
45
artliche Färbung des Urrumänischen von vornherein angenommen
und durch die angeführten Tatsachen bewiesen. &^"^mmen
Anmerk Es ist vielleicht nicht zu gewagt, wenn man
geradezu als Grundsatz Folgendes aufstellt: Je weniger
verwandt zwei Sprachen sind, desto geringer Verden Sie
Überreste sem die aus der autochthonen in die neuerlernte
Sprache hmubergenommen werden. So würde sich z B
erklaren dafs im Norditalienischen so gut wie keine
venetischen oder ligurischen Elemente nachweisbar sind
wahrend m mittel- und südiralienischen Mundarten oskische
und umbrische Einflüsse im Lautsystem möglicherweise noch
erkennthch smd (vgl. Meyer-Lübke a. a. O. 457). Im Ru-
mänischen ist es ähnlich. Nach dem Reiche eingewanderte
lhr\ ?T ^"^'^'^'' ^'^ '^^g^ '^^ ^^'^ Ausspräche, haupt-
sächlich Ihr langsameres Tempo und, wenn sie aus Gegenden
stammen, die die Dentale mouillieren, ihr /', d' etc Da-
gegen eignen sich Bulgaren sehr rasch das Walachische
vollkommen an wei Bulgarisch eben eine fremde Sprache
ist „Die in der Walachei einmal vorhanden gewesenen
liulgaren . . . lassen sich durch einzelne lautliche Er-
scheinungen im jetzigen Dialekte nicht nachweisen; auch
de neuerdings zahlreich in der Walachei angesiedelten
Bulgaren sprechen so vollkommen Rumänisch? dafs sie
l'^rLn ^""^^u'" ^" '^^' Aussprache unterschieden
Worden können, wahrend man doch die Siebenbürger
Rumänen, auch wenn sie jahrzehntelang in der Walachei
ansässig smd, leicht herausfinden kann" (Weigand, Z/;W./.
At/as, Einleitung Sp. 17). Die Ursache dieser Tatsache
er di^l • ^r" ' -T"' ""''' ^^^ Konnationale, auch wenn
er dialektisch spricht, doch verstanden wird: es besteht
infolgedessen kein zwingender Grund, seine Aussprache
anzugeben. Auch ist man sich oft sehr schwer bewufst!
dafs man „dialektisch" spricht, so lange man nicht daran
aufmerksam gemacht wird, und ich weifs es beispielswdse
aus eigener Erfahrung, dafs es mich viel mehr Mühe kostet!
meine dialektische Aussprache und die mundartlichen Aus-
drucke im Rumänischen als Siebenbürger zu korrigieren
als eme korrekte Aussprache im Deutschen odfr L
Franzosischen zu erlangen. Was also Hirt (a. a. O. I 18)
für seine These weiter vorbringt, kann ich ebensogut' für
ran.''7";^^l'P''°'J''"' Beobachtung als Beweis zitieren:
„Ganz deutlich wird dies an dem Beispiel der neuhoch-
deutschen Schriftsprache. Zweifellos ist diese für die .rofse
Masse der Deutschen eine . . . Sprache, die sie er£rnen
müssen. In der Schrift scheint sie im grofsen nd gan n
.einheitlich zu sein, wenn auch einige ^Abweichungei/vor-
kommen. Sobald sie aber ausgesprochen wird, erkennen
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. (Festschrift.)
50
wir, woher der Sprecher stammt. Der Schwabe, der Baier,
der Sachse, der Ostpreufse, sie alle sprechen die Schrift-
sprache etwas verschieden aus, weil sie die Artikulations-
basis und den Akzent des heimischen Dialektes bei-
behalten".
Dadurch, dals der Einflufs der autochthonen auf die
neuerlernte Sprache hier als unbewiesen und unwahr-
scheinlich gezeigt wurde, ist noch nicht ausgesprochen
worden, dafs die ethnische Mischung zweier oder mehrerer
Völkerschaften keinen Einflufs auf die Weiterentwicklung
einer Sprache haben kann. In dieser Beziehung kann man
möglicherweise Hirt Recht geben, der da schreibt {a. a. O. 20) :
„Es braucht sich natürlich nicht mit Notwendigkeit in der
neuen Sprache irgend eine besondere Eigentümlichkeit der
alten zu zeigen, da ja auch aus der Verbindung zweier
Stoffe ein neuer entstehen kann, der von den beiden alten
vollständig verschieden ist, wie sich denn aus Chlor und
Natrium Salz bildet, das weder die Eigenschaften des
Chlores noch des Natriums zeigt". In der Tat machen
die meisten romanischen Sprachen, hauptsächlich aber das
Rumänische, in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters
so tiefgehende Entwicklungen mit, wie sie sie seither in
einem Jahrtausend nicht mehr aufweisen. Eine Erklärung
dafür ist noch nicht gegeben worden und sie könnte z. T.
darin gesucht werden, dafs die ethnische Mischung das
ganze Wesen und infolgedessen auch die Sprache der
jungen Völker beeinflufst hat. Sicherlich haben aber auch
andere INIomente eine wichtige Rolle dabei gespielt, so
vor allem die Gruppierung um neue Zentren, mit anderen
politischen Zielen als das alte Rom, und dadurch die
Isolierung von den übrigen romanischen Völkern, die
hauptsächlich bei den Urrumänen eine sehr starke war.
Nicht im geringeren Mafse dürfte aber auch ein anderer
Umstand mitgewirkt haben. Es ist die Emanzipierung der
allgemeinen Verkehrssprache vom Joche des Lateins. In
den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt war der
Einflufs des Lateins, das eine grofse Menge von Leuten
im Reiche sprach, das in Amt und Schule herrschte,
ein so überwältigender, dafs er die natürliche Entwick-
lung der Sprache gänzlich im Banne hielt. So erklärt
es sich zum grofsen Teil, dafs die Reichssprache im I. —
in. Jahrhundert verhältnismäfsig noch fast dialektlos war.
Volkstümliche Formen wurden latinisiert, und das ging
soweit, dafs man heute beispielweise in Sardinien asfu/a
hört, eine Form, die unmöglich anders erklärt werden
kann, als dafs man annimmt, die volkstümliche Entwick-
lung ASSULA > *ass'la > *ASSCLA wurde durch Latini-
sierung nach dem jMuster von veclus = vetulus zu
5t
*ASTüLA.i In den meisten Fällen war lateinisch d. h.
die „feine Sprache" identisch mit der Sprache der all-
mächtigen Hauptstadt, Roms. Ein einziges Beispiel wird
dies zeigen. Nach den prächtigen Ausführungen im
Grundri/s P, 465 — 466 wissen wir jetzt ganz genau, wie
es sich ' mit dem lat. AU verhielt. Die Aussprache 0 ist
eine dialektische gewesen, die sich aus der Umgebung
von Rom auch in die Hauptstadt in einigen Wörtern ver-
breitete, so in OKiCLA und coliclu — schon die di-
minutive Formen sind kennzeichnend! — die sich durch
die aus der Provinz stammenden Ammen oder Köchinnen
in die Kinderstube und in die Küche, dann in die Sprache
der Mütter und Hausfrauen, von da in die Umgangssprache
verbreiteten. Nun gehen wohl alle romanischen Wörter
für „Ohr" nicht auf aukis, sondern auf okicla zurück,
weil man überall in der Provinz diese Aussprache aus
Rom für die „feine" hielt, und während caulis noch
auf einem Teil der Romania bewahrt ist, ist in Italien
und in Dazien das römische coliclu durchgedrungen. —
Doch bald nach dem III. Jahrhundert sank der all-
gemeine Bildungsgrad und die politischen Ereignisse brachen
nicht nur die Macht Roms, sondern auch diejenige der
klassischen Sprache. Es folgte die Reaktion und die so
lange in Fesseln gehaltene Sprache der grofsen Massen
scheint sich nun, gleichsam als Entgelt für die lange
Knechtschaft, in voller Freiheit entwickelt zu haben: alle
Keime der Entwicklung ersprossen nun mit Elementar-
gewalt und hatten zur Folge die tiefgehenden Ver-
änderungen, welche die romanischen Sprachen von der
römischen unterscheiden.
Es braucht hier wohl nicht besonders betont zu werden,
dafs man die Begriffe „Sprache" und „Volk" oder gar
„Rasse" nicht miteinander verwechseln darf (vgl. eingehend
darüber Hirt, op. cit., I, 6 ff.): das jüdische Volk mit seinen
verschiedenen Sprachen ist der beste Beweis dafür. Wenn
die Ursprache bei einem entnationalisierten Volk für die
neuangenommene Sprache so gut wie belanglos ist, so ist
in ethnischer und anthropologischer Hinsicht die Ur-
bevölkerung für den Charakter eines Mischvolkes ausschlag-
gebend. Für jeden Kenner des rumänischen Volkes ist es
geradezu auffallend, wie sehr der Volkscharakter in den
verschiedenen Provinzen verschieden ist, wo doch die
Sprache fast dialektlos erscheint. Der Unterschied zwischen
Serben und Banater Rumänen ist beispielsweise bei weitem
geringer, als derjenige zwischen letzteren und Siebenbürger
Rumänen und die Rumänen in der südlichen Walachei
* Vgl. Rom. Gramm. II, § 43O, Einführung'^. § 29.
4*
52
unterscheiden sich von den Moldauern ethnisch mehr, als
erstere von den Nordbulgaren.
II. Miklosichs Äufserung von dem selbstverständlichen Be-
stehen von Dialekten im Urrumänischen, die sich aus der Ver-
schiedenheit der Urbevölkerung erklären liefsen, wurde von D. On-
ciul als eine unzweifelhafte Erkenntnis aufgenommen und als eine
der Hauptstützen seiner geistreichen Theorie angeführt („Teoria
lui Rösler. Studii asupra stäruin^ii Romänilor in Dacia Traianä
de A. D. Xenopol." Convorhiri Utcrare XIX, 60 ff., 174 ff., 255 ff.,
327 ff., 424 ff., 589 ff.).
Onciul hat, auf historische Argumente gestützt, in seiner
geradezu mustergültigen Abhandlung die Behauptung aufgestellt,
dafs seit der Kolonisation durch Traian in Dakien immer eine
romanische, bezw. rumänische Bevölkerung bestanden habe, und dafs
die heutigen Dakorumänen unmöglich durch erst im späten Mittel-
alter eingewanderte Balkanrumänen erklärt werden könnten.! Zu-
gleich schliefst er aber die Balkanhalbinsel nicht aus, und glaubt,
dafs das rumänische Volk in Dazien und auf der Balkanhalbinsel
entstand. Er hat ferner als Erster den Gedanken aufgi'worfen,
dafs die Donau, ebensowenig wie heute, in urrumänischer Periode
ein Hindernis für einen regen Verkehr der romanischen, bezw.
rumänischen Bevölkeruns: hüben und drüben bilden konnte. 2 Für
1 Ich vermeide in dieser Abhandlung absichtlich jedes nähere Eingehen
auf die historische Seite der Frage. Da sie aber nicht leicht gänzlich aus-
geschieden werden kann, will ich in dieser Fufsnote die Ergebnisse Onciuls,
so wie er sie in einer späteren Arbeit (unter dem Stichworte „Romänii" in
der Enciclopedie romdna, III; als Sondevabdruck unter dem Titel Romänii in
Dacia Traiana, 1902, Bucarest, Socec) zusammenfafst, anführen und verweise
den Leser neuerdings auf N. Jorgas angeführte Werke, wo die Beweise für
die „Kontinuität" ausführlich besprochen werden. „Ein allmählig und un-
bemerkt eingewandertes Volk, welches gleich gerade dasselbe Gebiet einnahm,
das vor tausend Jahren seine Vorfahren besessen hatten ; welches nach seinem
Eintreffen unverzüglich von seinen Nachbaren als ein altansässiges, ja selbst
als das älteste unter allen hier wohnenden Völkern anerkannt wurde; welches,
kaum angelangt, auf einem weilen Gebiete die hier vorgefundenen, noch nicht
entnationalisierten und staatlich organisierten Stämme aufsaugte, um sich dann
auf einmal zu einer bedeutenden sozialen und politischen Rolle aufzuschwingen:
ein solches Volk der Wunder ist der Geschichte unbekannt und unserem
Verstände unfafsbar." (Enciclopedia romäna, III, Soi — 802).
^ „Die einheitliche Entwicklung des Dakorumänischen und des Aromu-
nischen erklärt sich durch die territoriale Einheit zur Zeit der Entstehung
der rumänischen Sprache auf beiden Ufern der Donau, wo das romanische
Element im Osten für längere Zeit einheitlich war. Der Strom hat nicht ver-
hindern können, dafs sich die dortige romanische Sprache im Wesentlichen
gleichartig ausbildete und auch der Verkehr unter den beiden Teilen hat nach
Aurelians Rückzug aus Dazien nicht aufgehört zu bestehen. Seit der römischen
Eroberung der Donaialänder, durch welche die Grundlage des rumänischen
Volkes, sowohl auf der Balkanhalbinsel, als auch in der Dacia Traiani ge-
legt wurde, bis zur Trennung dieses Volkes durch die slavo-bulgarische
Invasion, ist reichlich genügend Zeit verstrichen, dafs sich die Sprache auf
beiden Ufern der Donau im wesentlichen entwickeln konnte." [Convorhiri
literare, XIX, 591.)
53
Onciul ist die ,. Wiege" des rumänischen Volkes auf dem als
territoriale Einheit zu fassenden Gebiete zu suchen, das gebildet
wird auf dem linken Ufer der Donau durch das heutige Banat,
das westliche Siebenbürgen und die kleine Walachei und auf dem
rechten Ufer des Stromes durch die gegenüberliegenden Gebiete
Westbulgarien und Serbien, also auf jenem Gebiete, das nach-
gewiesenermafsen am stärksten romanisiert war. Zugleich nimmt er
an, dafs vom Süden der Donau her öfters ziemlich bedeutende
Wanderungen von Rumänen in die Gegenden nördlich des Flusses
stattgefunden haben, und so erklärt er sich einerseits die stets
abnehmende Zahl der Südrumänen und andererseits die zunehmende
Masse der Nordrumänen. Für diese seine Admigrationstheorie will
er neben einigen geschichtlichen Daten auch einen sprachlichen
Beweis anführen, und zwar die eben besprochene Verteilung der
Palatale anstelle der Labialen im Rumänischen.
Schon Miklosich {a. a. O. 49) hatte darauf hingewiesen, dafs
„im Norden der Donau Dialekte vorkommen, die mit der Sprache
der Macedorumunen übereinstimmen". Da er aber die „Wiege"
der Rumänen auf die Balkanhalbinsel verlegt „auf der Ostküste
des adriatischen Meeres, wo die tapferen Illyrier wohnten und wo
heutzutage ihre trotzigen Nachkommen von Zeit zu Zeit die Auf-
merksamkeit der Welt auf sich ziehen", 1 so suchte er sich diese
Tatsache so zu erklären, „dafs die Ordnung I (Dakorumunisch) und
die Ordnung II (Maccdorumunisch) im Süden der Donau entstanden
sind und Stämme beider Ordnungen den Zug an das linke Ufer
der Donau unternommen haben'" [a. a. O.).
Ähnlich Onciul, der die Sache an einem konkreten Fall ver-
folgt und ihn seiner Theorie anpafst. Der Übergang von Labialen
in Palatale sei eine spezifisch aromunische Erscheinung und hätte
sich schon im Urrumänischen ausgebildet. Durch die Wanderungen
von Aromunen nach Dazien wäre diese Erscheinung auch ins Dako-
rumänische eingeführt worden.
So einleuchtend diese Hypothese auf den ersten Blick auch
erscheint, so schwer widersteht sie der Kritik.
Vor allem wissen wir fast nichts darüber, ob eine solche
Importation einer Spracherscheinung möglich ist. Man fragt sich
mit Recht, ob die Aromunen diese ihre Aussprache nicht eher ver-
loren hätten, oder, wenn wir die in der Anmerkung des vorher-
gehenden Paragraphen ausgesprochene Beobachtung, dafs kon-
nationale Einwanderer ihre dialektischen Spracherscheinungen längere
Zeit bewahren, auf viele Generationen ausdehnen, so bleibt immer-
hin die Frage offen, ob sie sie der dakorumänischen Bevölkerung
hätten übertragen können?
Erst in der allerletzten Zeit haben Sie, hochverehrter Meister,
1 „Skipetaren (= Albanesen) und Rumunen sinJ miteinander unzertrenn-
lich verbünden. Diese siud wesentlich romanisieite Illyrier, jene sind Illyrier,
die sich vollständiger Romanisierung erwehrt haben" [a. a. O.)
54
aus der Prüfung des „Französischen in Kanada" {Germanisch-rotyia-
itische Monatsschrift I, 133 ff.) einige allgemeingültige Sätze festzustellen
versucht, welche die Verhältnisse bei ausgewanderten Sprachen und
bei solchen, in denen neue Einwanderungen stattfinden, beleuchten.
In dieser letzten Hinsicht haben Sie die Beobachtung gemacht:
„gerade wenn die neu Hinzugekommenen einen etwas anderen
Typus bringen, schleifen sie diesen Typus an dem schon vor-
handenen ab und halten diesen dadurch zugleich fest" (S. 139).
Im Rumänischen hätten, wenn Onciuls Theorie richtig wäre,
die Verhältnisse kaum anders sein können als sie im kanadischen
Französisch oder im siebenbürgischen Erzgebirge (§ 8, Anm.) er-
scheinen. Die Aromunen innerhalb des Dakorumänischen hätten
wahrscheinlich nach einiger Zeit ihre Palatalen an den dakorumä-
nischen Labialen irgendwie „abgeschliffen" und es ist kaum an-
zunehmen, dafs sie eine mundartliche Spaltung des Dakorumänischen
herbeigeführt hätten.
Onciul scheint in dieser Beziehung der Ansicht zu sein, dafs
die Verallgemeinerung einer solchen durch Einwanderer gebrachten
Spracherscheinung von dem numerischen Verhältnis zwischen der
eingewanderten und der einheimischen Bevölkerung abhängig sei.
Er setzt daher in einer späteren Abhandlung {Enciclopedia romänä
III, 802) als Zeit dieser Admigration das IX. Jahrhundert an und
meint, dafs die Aromunen ihre Palatalen nur in den östlicheren,
spärlich bewohnten Gegenden des dakorumänischen Gebietes be-
halten konnten, Avährend sie sie aufgeben mufsten im Banat, der
kleinen Walachei und dem westlichen Siebenbürgen (vgl. § 7), wo
die alten römischen Kolonisten eine dichte Masse mit dakorumä-
nischem Dialekt bildeten.
Nun gibt es aufser den Palatalen an Stelle von Labialen, wie
wir gesehen haben, noch andere Spracherscheinungen, die im
Aromunischen heute durchgeführt sind, im Dakorumänischen da-
gegen nur mundartlich vorkommen. Diese könnte man mit dem-
selben Recht als „aromunische" Sprachneuerungen betrachten und
man würde daher erwarten, dafs sie ebendort zu finden seien, wo
man auf dakorumänischem Boden die Palatale trifft, da sie ebenso
durch aromunische Emigranten gebracht werden mufsten. Aber es
zeigt sich, ganz im Gegenteil, dafs man /<f;/ sagt, wo man bine
spricht, dafs im Banat die Heimat von piept und von aud ist usw.
Aber beweisender als alle diese theoretischen Erwägungen ist
die eine Tatsache, dafs gerade jenes Gebiet, welches Onciul
[Convorbiri literare XIX, 438) als die Urheimat der Aromunen be-
zeichnet, die Gegend „neben der Donau und der Save, in territorialer
Einheit mit Italien und der Dacia Traiani" nachweisbar reine Labiale
besafs. Zwar wohnen heute hier keine Rumänen mehr, aber ihre
einstige Existenz ist noch aus einigen Ortsnamen ersichtlich. Es
zeigt sich aber, dafs alle Ortsnamen die vom westlichen Bulgarien
angefangen, durch Serbien, Bosnien und Herzegovina nach Westen
reichen, diese Palatale anstelle der Labialen nicht kennen. So
55
hat Weigand [Rumänen und Aromnnen in Bulgarien S. 40 ff.) eine
Reihe von Ortsnamen aus Bulgarien angeführt, darunter Picior (Dorf
bei Teteven), Petrus (wahrscheinlich petros „steinig." Berg, nördlich
von Dupnica) und das wohl ebenfalls von „piaträ" abgeleitete
Kollektivum auf -ina : Petrina, bei Glogovica, in der Nähe von
Sofia. In Serbien und der Herzegovina haben wir öfters den noch
ganz rumänisch klingenden Bergnamen Allel und den Diinnltor.
Wäre der Übergang von p >> k' , m >> n hier zuhause gewesen, so
könnten diese Namen im IMunde der Slaven nur k'ltsor, k'etros, nel,
duriiitor lauten, da die Slaven diese Laute besitzen und die
endungsbetonten Formen sich im Rumänischen nach den stamm-
betonten richten.
A n m e r k. Onciuls Theorie wurde später von O. Densusianu
in seiner Hlstolre de la langiie roumahie mit einigen un-
wesentlichen Änderungen aufgenommen. Er glaubt eben-
falls, dafs sich die rumänische Sprache sowohl auf der
Balkanhalbinsel, als auch in der Dacia Traiani entwickelt
hätte, ist aber nicht geneigt .,dem romanischen Element in
Dazien bei der Entstehung der rumänischen Nationalität
die bedeutende Rolle zuzuerkennen, die ihm Onciul zu-
schreibt" (S. 328). Er ist vielmehr der Ansicht, dafs die
„Wiege" des rumänischen Volkes weiter nach Westen ver-
setzt werden mufs und lokalisiert sie, Miklosich folgend,
„in die Nähe Dalmatiens", „inmitten des illyrischen Ge-
bietes, dort, wo die Ahnen der Albanesen gelebt haben"
(293 — 294). Diese „ursprünglichen Rumänen", die er
„Macedo(!)-roumains" nennt (S. 320, 357 usw.) hätten dann
durch Einwanderungen ins dakorumänische Gebiet, neben
albanesischen Lehnwörtern, über welche weiter unten noch
gesprochen werden wird, auch die sprachlichen Eigentüm-
lichkeiten ihrer Mundart gebracht, vor allem die Palatale
anstelle der Labialen. Da also Densusianu eigentlich nur
wiederholt, was Onciul schon ausgesprochen hat, gelten
die obigen Einwände nicht nur gegen diesen sondern auch
gegen jenen. Einen Beweis, dafs innerhalb des Raumes,
den er für die Wiege der rumänischen Sprache hält, einst
in der Tat Palatale existiert haben, bringt Densusianu
nicht und der Berg Durmlior, der gerade dieses Gebiet
beherrscht, spricht entschieden für die bewahrten Labialen.
D. ist indessen bestrebt, noch andere Macedoromunismen
im Dakorumänischen nachzuweisen. Das, was er aber
(S. 32g — 330) als solche zitiert, ist keinesfalls geeignet,
überzeugend zu wirken. Will man die Übereinstimmungen
zwischen zwei Mundarten zeigen, so darf man sie nicht
kritiklos anführen, denn nicht ihre Zahl, sondern vor allem
ihre innere Beweiskraft ist mafsgebend. Wer wird denn
grofses Gewicht darauf legen, dafs im Aroraunischen und
56
bei den Siebenbürger Mo^en zu der 2. Sg. e^ti eine i. Sg.
escu (nach cresii : cresc usw.) gebildet wurde? Dann müfste
man mit demselben Recht doch auch eine nähere Ver-
wandtschaft zwischen Aromunisch und Istroruraänisch an-
nehmen, da eine solche Form auch in Brdo vorkommt
{Jahresbericht IX, 5). Ebenso können überall analoge
Singularbildungen wie berbec, pdntec, soarec, purec entstehen,
wie sie auch tatsächlich fast überall auf dakorumänischem
Gebiete vorkommen. Ebenso können überall nach allen
übrigen Verben die wenigen der III. Konj. in i — 2 Plur.
eine Akzentverschiebung erfahren, wie denn fäcem usw.
durchaus nicht nur dem Aromunischen und dem Banater
Dialekt eigen, sondern in der Bukovina gang und gäbe
sind, und man braucht nur die Gedichte von Jancu Väcärescu
zu lesen, um sich zu überzeugen, dafs sie auch in der
Walachei gebräuchlich sind. Ebenso reicht die Grenze
der Partizipien am f acuta ^ am väziitä usw. weit über das
Banat hinaus; ich habe solche Formen in Bran, in Sieben-
bürgen gehört und für Välenii-de-munte, in der Walachei,
werden sie durch Jipescu bezeugt. Wie weit aber die
Einfügung eines c zwischen j und / aufserhalb des Banats
reicht, — eine Spracherleichterung, die überall und zu allen
Zeiten sporadisch auftritt, — geht aus Weigands Lingui-
slischeni Atlas (Übersichtskarte 16) hervor und das insel-
artige Auftreten der Erscheinung zeigt uns klar, dafs wir
es nicht mit einem Lautwandel innerhalb eines geschlossenen
Gebiets zu tun haben, sondern mit einer Spracherleichterung.
Ebenso kommt die Form cace in Kronstadt vor und war
im Altrumänischen überall gebräuchlich, desgleichen die
Bedeutung „oft gehen" des Verbums urdinä. Die Bedeutung
„Welle vom kochenden Wasser" des Wortes undä ist ebenso
für die Moldau, wie für das Banat belegbar usw. Es ist
kennzeichnend, dafs Densusianu meist solche Belege für
eine angebliche nähere Verwandtschaft zwischen Aromunisch
und Banatisch bringt, von denen Weigand [Jahresbericht
III, 141) ausdrücklich und mit Recht bemerkt hat, dafs sie
keine Beweiskraft für eine engere Beziehung zwischen diesen
zwei Mundarten besitzen. Am wunderlichsten berührt einen
aber der Widerspruch, in den Densusianu verfällt. Er
nimmt an, dafs die eingewanderten Aromunen ihre Palatale
anstelle von Labialen im Banat, dem westlichen Sieben-
bürgen und der kleinen Walachei nicht behalten konnten,
weil „c'est precisement dans cette rdgion du nord du
Danube, que la romanisation fut la plus intense" (S. 314).
Wie kommt es dann, dafs gerade dieses selbe Gebiet,
welches der Einführung der Palatale widerstrebt, die anderen
angeblichen Macedorumänismen, die er S. :^2Q^ — 330 auf-
zählt, bewahrt?
57
12. Desgleichen, wie die Verteilung der Labialen im Rumä-
nischen, so wurde auch der Rotazismus zur Aufstellung von ver-
schiedenartigen Theorien verwertet. Es ist ganz lehrreich, dieselben
kurz vorzuführen, da sie ein Beispiel dafür geben, wie eine und
dieselbe Tatsache als Stütze für ganz verschiedene Ansichten ge-
braucht werden kann. Vorausgeschickt mufs nur das eine werden,
dafs der Rotazismus unter gleichen Umständen im toskischen
Dialekt des Albanesischen vorkommt, während der andere Dialekt,
das Gegische, nur die ältere Stufe der Entwicklung, die Nasalierung
der Vokale kennt. Diese Übereinstimmung hat viele Forscher zur
Annahme bewogen, dafs die Rumänen einst in der unmittelbaren
Nähe der Albanesen gewohnt haben müssen. Wir wissen schon,
dafs Miklosich und nach ihm Densusianu diese Ansicht vertreten.
Desgleichen hält beispielsweise Sandfeld-Jensen „die Entstehung der
rumänischen Sprache im alten Dazien für eine Unmöglichkeit" und
lokalisiert sie südlich der Donau {^Jahresbericht IX, 125), indem er
den Rotazismus unter den albano-rumänischen Übereinstimmungen
aufzählt (Gröbers Gnindrifs I2, 527).
Hasdeu {Cuvinie diu häirdni 11, i6 — 18), ein Verfechter der
Kontinuität der Rumänen in Dazien, glaubt nicht, dafs die Urheimat
der Rumänen dieser Übereinstimmung wegen in die Nähe Albaniens
gesetzt werden mufs; vielmehr führt er sie auf dasselbe Substrat
in beiden Sprachen zurück. Aus dem Vorhergehenden geht hervor,
dafs wir von einer solchen Wirkung des Substrates nicht viel
halten.
Weigand, der sich auch zu wiederholten Malen als Anhänger
der Theorie von der Entstehung des rumänischen Volkes im Süden
der Donau bekannt hat, (vgl. u. a. Kritischer Jahresbericht über die
Fortschritte d. rom. Phil. 1904, I, 99) schreibt neuerdings über den
Rotazismus {Linguist. Atlas, Einleitung li) folgendes: „Es ist wahr-
scheinlich, dafs zu keiner Zeit, auf keinem Gebiete der sogenannte
Rotazismus konsequent durchgedrungen war, 1 sondern dafs er nur
eine durch ein fremdes Volkselement, vermutlich gleichzeitig mit
Rumänen eingewanderte Tosken, auf die noch so manche andere
Erscheinung im ältesten Rumänisch hinweist, eingeführte Bewegung
war, die keinen festen Boden unter den Rumänen gewinnen konnte,
nur auf kleinerem Gebiet vordrang und dann wieder eine rück-
läufige Bewegung nahm." Wie der Rotazismus in so einem Falle
im Rumänischen aussehen müfste, wird uns ungefähr durch die
Verhältnisse im Siebenbürger Erzgebirge gezeigt.
Endlich leugnet Procopovici [op. cit. 41 — 42) jeden Zusammen-
hang zwischen dem rumänischen und dem albanesischen Rotazismus
und sieht in dem Übergang -n- > -r- einen Beweis für die Kon-
tinuität der Rumänen in Dazien. Er konstatiert, dafs sowohl die
1 Dagegen spricht die ganz konsequente „lautgerechte" Entwicklung im
Istrorumänischen und, in den ältesten Sprachdenkmälern, zum mindesten im
Codice Voronctcan und in dem Codice Hurmuzachi.
58
Nasalisierung der Vokale, als auch der Rotazismus eminent dako-
uiid istroruraänische Sprachcrschcinungcn sind. Wären die Dako-
und Istrorumänen erst aus der Balkanhalbinsel in ihre jetzigen Wohn-
orte eingewandert, so hätten sie auch diese zwei urrumänische
Spracherscheinungen von dort mitbringen müssen. Bei den noch
heute auf der Balkanhalbinsel lebenden Rumänen existiert aber keine
Spur davon. Es wäre demnach höchst wunderbar, dafs eine
Gegend, die eine Sprachneuerung erzeugt, dieselbe später spurlos
aufgibt, und dafs diese Spracherscheinung gerade auf einem anderen
Gebiete gedeihen soll, wo doch wahrscheinlich alle jene Bedingungen
fehlen, die die Neuerung erzeugt haben.
So überzeugend auch die Argumentation Procopovicis ist, eine
Verwandtschaft zwischen dem albanesischen und dem rumänischen
Rotazismus läfst sich nicht rundweg, ohne jede Beweisführung,
leugnen. Selbst wenn wir keine weiteren Übereinstimmungen
zwischen diesen zwei Sprachen hätten, könnte man nicht an einen
Zufall denken, denn die Bedingungen, unter denen der Rotazismus
auftritt, sind in beiden Sprachen die gleichen : er erscheint bei den
Albanesen nur in Erb Wörtern und in lateinischen Lehnwörtern (vgl.
Gröbers Grundri/s P, 1042) und zwar nur bei kurzem n (tosk.
z£ri „die Stimme", gegenüber geg. zäni, tosk. guri „das Knie" :
ge^. gjüni, tosk. gilptre „Nadel" : geg. gülpän), nicht auch bei
langem tm (tosk. ngng „Mutter" : geg. nän, vgl. griech. vävv}], tosk.
pune „Arbeit" : geg. pün < spudnä etc., vgl. Pekmezi, Grammatik
der albanesischeyi Sprache, S. 16 u. 23).! Auch ist der Rotazismus
in beiden Sprachen jünger als der Übergang von an ]> an, und
als das Christentum: christjanus >> tosk. kestfre {geg. ggrsten).
Aber wir wissen, ganz im Gegenteil, dafs zwischen diesen zwei
Völkern sehr nahe und sehr alte Beziehungen bestanden haben.
Diese bilden denn auch das Hauptargument für diejenigen, welche
die „Wiege" der Rumänen südlich von der Donau, womöglich in
unmittelbare Nähe des Albanesischen verlegen (vgl. Sandfeld-Jensen,
in Gröbers Grundri/s P, 528).
Nun mufs aber auch für die Vertreter der Meinung von der
süddanubianischen „Wiege" des rumänischen Volkes eine Tatsache
1 Diese Übereinstimmung ist so auffallend, dafs man die Sache auch
umdrehen und sagen kann, dafs das erste n in rum. mandnc nicht auf nd von
lat. MANDUCO zurückgehen kann, da man im Altrum. (mliränc) und Istrorum.
(marä?/k) den Rotazismus findet. Dadurch scheint sich meine Erklärung dieses
Wortes zu bewahrheiten [JEtym. Wörterbuch d. rum. Sprache I, No. 1022):
„tncincä steht vielleicht für ^mandcä ^ MANDUCARE und manatic ist wahr-
scheinlich, zunächst in der Kinderstube (cfr. päpä, mamäliga), aus tndnc mit
Reduplikation der ersten Silbe {*mämd?tc, daraus mit Dissimilation gegen das
vorhergehende m oder mit Assimilation an das folgende n, mandnc) ent-
standen". Auch zeigt es sich, dafs in beiden Sprachen der Schwund des
Endvokals in einigen Fällen älter war, als der Rotazismus. So steht im
Istrorum. der unbestimmte Artikel un neben dem Numeral uru, und im Alba-
nesischen scheint in k' en <[ CANis die Erhaltung des n einen ähnlichen Grund
zu haben (vgl. Zeitschrift f. rom. Phil. XXIX, 632).
59
befremdend sein: Von den Albanesen zeigen gerade die Tosken,
also die im Süden wohnenden, den Rotazismus, während die Gegen,
im Norden des heutigen albanesischen Gebietes, ihn weder heute
kennen, noch jemals gekannt haben. Die Grenze zwischen Toskisch
und Gegisch wird durch den Flufs Skump gebildet. Es zeigen
aber von den Rumänen gerade die zwei nördliche Dialekten, das
Dako- und Istrorumänische,i den Rotazismus, der bei den zwei
südlichen Stämmen, bei den Aromunen und IMegleniten, fehlt, und
wohl nie vorhanden war. Sieht man sich ferner die Karte an, so
mufs einem gleich die merkwürdige Tatsache in die Augen fallen,
dafs gerade jene Gegend, die Miklosich und Densusianu als die
Urheimat der Rumänen bezeichnen, mitten im gegischen Gebiete
liegt. Also man läfst die Dakorumänen, hauptsächlich ihres Rota-
zismus' wegen, mitten zwischen jenen Albanesen gewohnt haben,
in deren Sprache das Fehlen des Rotazismus ein auszeichnender
Zug ist.
Und so, wie mit dem Rotazismus, verhält es sich ungefähr
auch mit den anderen rumäno- albanischen Übereinstimmungen.
Sieht man sich diejenigen an, die beispielsweise Densusianu [op. cit.
S. 294 ff. und 349 ff.) aus dem Etymologischen Wörterbuch von
G. Meyer zusammengestellt hat, so ist es geradezu wunderlich, dafs
er S. 356 — 357 zu folgendem Resultat gelangen konnte: „La
presence d'un nombre relativement assez grand d'elements albanais
en daco-roumain, s'explique par cette emigration d'un element
roumain du sud au nord du Danube que nous avons constatee au
chapitre precedent. Cest des M accdo-roinnains etablis dans la regmi
des Carpalhes que les Daco-roiimahis ont regu les fonnes albanais que
7ions venons d' etiidier'''- . Man erwartet, um eine Bekräftigung dieser
kategorischen Aussage zu erhalten, dafs die angeführten Lehn-
wörter aus dem Albanesischen im Aromunischen selbst zu hause
seien. Es zeigt sich aber, dafs die meisten darunter, ebenso
wie der Rotazismus, ganz im Gegenteil, dem Aromunischen un-
bekannt sind. Derartige Wörter sind: alb. val^ (G. Meyer, Eiym.
Worierh. 462) >> dakorum. vare {-care etc., arom. dafür nu^a'u care
oder einfach ««), alb. aH- {ibid. 6) : dakorum. acä {-iare), alb. mugut
{ibid. 288) > dakorum. viugiir (arom. bubuk'e), 7i\h. per ua {ibid. 335;
das Wort ist sicherlich nicht romanischen Ur^prungs) > dakorum.
pärdu {arom. ardu^or, fraß, vale), alb. /äz/ {ibid. 112 — 113; die Her-
leitung aus lat. FossATQM, oder gar *massatu.\i ist doch höchst
unsicher) > dakorum. sat (arom. hoarä); alb. ^0/ {ibid. 121) > dako-
rum. g-^/Az {axom. etimu, eimtc, hazdr, hazdre), aXh. güs {ibid. 143) >>
dakorum. ghiiij (arom. vibogru), alb. magar {ibid. 253) : dakorum.
mägar {diXom. guntar, yumar, tar), aXh. strep {ibid. 137) : dakorum.
sirepede {arom.. yermu di ca(), alb. k' afi. {ibid. 219) > dakorum. ccafä
(arom. nucä, zvercä, madular), alb. hunk {ibid. 54) > dakorum. bung-et
(arom. arbiiret, arburame), alb. gl'imp, gemp {ibid. 140) > ghimp(c)
1 Die österreichischen Albanesen sind alle Gegen.
6o
(arom. jA'Vw), alh. geress [ibid. 130) > dakorum. ^r^w {^xom. k' aträ,
7niracune). Zu diesen könnte man noch hinzufügen: alb. boli
[ibid. 4 1 ; die Herleitung aus relua ist zu verwerfen ; wegen ^ > 0
vgl. jetzt Grimdri/s I', 1040) : dakorum. balaur (arom. lamne), alb.
kurüs {ibid. 216; sicherlich kein türkisches Wort) : dakorum. cur sä
(arom. batä, princä, ptayidä, ala(ü), alb. vjeötite {ibid. 474) > dako-
rum. vieziire, alb. 6aiB [ibid. 83) >> dakorum, zarä (arom. öalä ist
junge Entlehnung aus dem Albanesischen), alb. haaiss >■ dakorum.
hämesit {Convorbiri literare XXXVIII, 464) etc. Unter diesen Wörtern
ist besonders päräu interessant, da es dieselbe Entwicklung wie
grau, fr du etc. zeigt („das zweite ä erklärt sich aus dem « der
alb. Stammbildung." G. Meyer, op. dt. 335), also eine spezifisch dako-
und istrorumänische Behandlung aufweist. INIit diesem Sprachgebiet
hat das Albanesische ferner, im Gegensatz zum Aromunischen, die
Ausdehnung der y-Präsentia bei solchen Verben gemeinsam, welche
von hausaus kein y hatten, also dakorum., istrorum. sptiie (arom.
dipiina), wie alb. ^' m etc. (vgl. Grimdrifs I^, 105 6). In bezug auf
ihre Bildung sind u. a. dakorum. siiin-ed-enie und ?nä}iz-at, die dem
Aromunischen fehlen, auffallend, und lehnen sich direkt an alb.
siimsts {ibid. 41Q) und ?7i(e)zat {ibid. 276) an. Auch manche syn-
taktische und phraseologische Eigentümlichkeit, auf die Sandfeld-
Jensen im Griaidri/s V-, 527 — 529 und ich in Convorbiri literare
XXXVIII, 46 1 fT., XXXIX, 56ff. hingewiesen haben, teilt das Alba-
nesische nur mit dem Dakorumänischen, nicht aber mit dem Aro-
munischen, z. B. ca (^i) cdnd (alb, sikur, arom. dafür ca si cum) „als
wenn", toatä casa {aXb. gits stspia, arom. dafür cad-e casä oder ifi casä)
„jedes Haus", un /rate al mieu (alb. iiB veians t-im, arom. dafür 7m
/rate di a iiei) „ein Bruder von mir", ai palatuliii (alb. ts paiatit, arom.
dafür oaminl'i dit pdlate) „die Angehörigen des Palastes", iau de
7ievastä „nehme zur Frau", l-a lovit de moarte „hat ihn zum Tode
geschlagen", gata de nu7itä „für die Hochzeit bereit" (cfr. alb, mar
per grua, e godiii per Ttgordsjs, gati per martese, dagegen arom, im
ersten Falle l' atc nveasta, in den zwei letzten lu-agudi ti moarte,
etim ti 7iu7tta), räu in der Bedeutung viel (alb. k'eli) fehlt dem
Arom. (dafür malt), ebenso wie ihm die Verbindung der Negation
mit dem Gerundium unbekannt ist {^cifida/ui, aber /ä7-ä sä §cie),
die so häufig im Dakorumänischen {jiepiind) und im Albanesischen
{panohiir) ist, oder die auffallende Einschiebung des Pronomens
zwischen Stamm und Endung, die das Dakorumänische {duce-vä-fi)
mit dem Albanesischen {lit7ini ■< li-me-ni, statt lini-me „lafst mich")
gemeinsam hat. Das alb. sal' e „Schenkel", das dem Rumänischen
^ale „Hüften" (Mehrzahl von sa „Sattel") entlehnt ist, weist eine
Bedeutung auf, die dem Aromunischen unbekannt ist, usw.i
Will man dem Zufall keine übertriebene Rolle zuschreiben, so
kann man nicht einfach annehmen, dafs die Aromunen im Laufe
* Die Herren Dr. P, Papahagi und Dr. T. Capidan haben die Liebens-
würdigkeit gehabt, meine Liste in bezug auf das Aromunische zu kontrollieren.
6i
der Zeit diese albanesischen Lehnwörter und Einflüsse wieder
verloren hätten, und dies um so weniger, als sie doch in un-
mittelbarer Nähe der Albanesen wohnen und von diesen unaus-
gesetzt in ihrer Sprache beeinflufst werden. Vielmehr wird man
die Ansicht verwerfen müssen, dafs das albanesische Lehngut
zu den Dakorumänen durch aromunische Einwanderer gebracht
worden wäre.
Es will mir aber scheinen, dafs es überhaupt methodisch falsch
ist, aus dem albanesischen Lehngut im Rumänischen auf die süd-
danubianische Urheimat dieses Volkes zu schliefsen. Wir wissen
weder, wer die Albanesen sind, noch wo sie im frühen Mittelalter
gelebt haben. Es geht daher nicht an, die Urheimat der Rumänen
in den Süden der Donau zu versetzen, weil sie in ihrer Sprache
gemeinsame Züge mit dem Albanesischen aufweisen, und weil die
Albanesen heute in diesen Gegenden wohnen. Man könnte doch
ebenso gut den Spiefs umdrehen und sagen, dafs die Albanesen
einst unbedingt viel weiter nach Nordosten ausgebreitet gewesen
sein müssen, weil sie mit dem Rumänischen derartige Sprach-
erscheinungen gemeinsam haben, die sich im Rumänischen selbst
als norddanubianisch erweisen.
Anmerk. Man hält die Albanesen für Illyrier, die
einer gänzlichen Romanisierung entgangen sind. Diese
Ansicht gründet sich nicht etwa darauf, dafs wir illyrische
Spracherscheinungen im Albanesischen nachweisen könnten,
sondern weil sie heute dort wohnen, wo früher Illyrier
bezeugt sind. „Wie wenig das aber beweist, lehren zahl-
reiche Beispiele von Volksverschiebungen. Danach müfsten
wir auch die Serben für Illyrier, die Bretonen für Nach-
kommen der alten Gallier halten", schreibt Hirt {op. cit.
I, 141) und neigt eher zur Ansicht, die ja auch schon
früher ausgesprochen worden ist, dafs das Albanesische
zum Thrakischen zu rechnen sei. „Denn das Venetische
in Oberitalien gehört zweifellos zu den f^«/«w-Sprachen,
und wenn wir dies nicht vom Illyrischen losreifsen wollen,
wofür durchaus kein Grund vorliegt, so sind wir genötigt
das Albai:iesische entweder als besondere Sprache auf-
zufassen oder einer anderen Gruppe der ja/^w -Dialekte
zuzurechnen" {ebenda). Ich kann nicht umhin, hier die
Meinung des Professors für alte Geschichte an der Bukarester
Universität V. Parvan, anzuführen, dessen Spezialgebiet gerade
der römische europäische Osten bildet. Um seine Meinung
gefragt, schreibt er mir folgendes: „Bekanntlich reichten
die Albanesen zu einer früheren Zeit von der Donau —
mindestens — bis zum Cap Matapan. Ihre Ausbreitung
ist nicht simultan, sondern allmählich vor sich gegangen.
.Es ist sicherlich verfehlt zu behaupten, dafs sie nur eine
noch nicht romanisierte illyrische Tribus seien, wo doch
62
die Hälfte der Balkanhalbinsel von ihnen besetzt war, wo
sie sich bis auf den heutigen Tag von Nis in Serbien bis
Epirus und Thessalien intakt erhalten haben und die
heutigen Griechen, Serben und Kroaten in ihren Adern
zum guten Teile albanesisches Blut haben. Woher kommen
sie? Die indogermanische Sprachwissenschaft zeigt, dafs
sie ursprünglich im Norden zu hause waren, i wie die
Slaven. Sie haben also einst nördlich der Donau gewohnt
und ich sehe gar nicht ein, warum man gerade auf die
albanesischen Entlehnungen gestützt, die Wiege der
Rumänen in den Südwesten verlegt, da doch diese Ent-
lehnungen im Norden des Flusses von denjenigen Albanesen
empfangen werden konnten, die in der grofsen Masse der
hier lebenden Dakorumänen untergegangen sind, in der-
selben Weise, wie sie z. B. im Süden von den Griechen
verschlungen wurden. Die Zeit, die Sie mir angeben, das
III. — VI. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, stimmt mit
dieser Auffassung vollkommen überein. Es ist gerade die
Zeitperiode, wo das indogermanische Volk der Albanesen
aus dem Norden gegen Süden ziehen mufste, als Vorläufer
jenes anderen jungen Volkes, der Slaven. Wenn man auf
einer ethnographischen Karte die Richtung verfolgt, in
welcher sich die heutigen selbständigen Reste der Albanesen
verbreiten, so gelangt man zur Ansicht, dafs ihr Weg der-
selbe war, wie derjenige der Slaven, d. i. vom Nordosten
gegen Südwesten, die Höhen der Karpathen entlang, durch
Siebenbürgen, also gerade durch das Herz der Dako-
rumänen. Diese ihre Wanderungen mufsten, so wie die-
jenigen der Slaven, friedlichen Charakters und daher un-
bemerkt gewesen sein: nach und nach kamen die fremden
Hirten in die südlichen Gegenden, so dafs dann später
auf einmal der ganze Westen der Balkanhalbinsel von einem
neuen Volke erobert erschien." (Brief vom 20. März igo6,
aus Rom.)
Ich wage nicht zu dieser Theorie, die jedenfalls sehr
beachtenswert ist, Stellung zu nehmen. Nur soviel sei
bemerkt, dafs die sprachlichen Momente sehr zu ihrem
Gunsten sprechen. Sieht man sich das lateinische Element
des Albanesischen näher an, so kann man sich des Ein-
druckes nicht erwehren, dafs dieses, chronologisch sowohl
als auch geographisch, zwei Stufen der Entlehnung auf-
weist. So ergibt beispielsweise lat. a bald a und bald
wieder e (Grundrifs P, 104 1 — 1043), lat. ü sowohl ü als
^ „In der Vertretung von 0 durch a geht es mit den nordindoger-
manischen Sprachen, Slavisch, Litauisch und Germauisch zusammen, eine Über-
einstimmung, die kaum zufällig ist und sehr entschieden für nördliche Herkunft
des Albanesischen spricht". Krelschmer, op. cit. 261.
auch // {ibid. 1046 — 1047), anlautendes lat. s undy, neben
s und f auch d- (ibid. 105 3) usw., ohne dafs dies durch
die Struktur der Wörter irgendwie für uns genügend
erklärUch wäre. Diese Verschiedenheiten lassen sich aber
ziemlich leicht begreifen, wenn man annimmt, dafs die
Albanesen schon in Dazien die erste Schichte romanischen
Lehngutes empfingen, während ihres Zusammenlebens mit
den Vorfahren der Rumänen, und dafs sie später eine
zweite Schichte von den Vorfahren der Altdalmatiner
übernahmen. Dann würde a > a und n >> n ganz genau
den rumänischen Lautstand wiedergeben, während a ^ e
und « >> « auf dalmatoromanischen Einflufs zurückginge
(vgl. Bartoli, Das Dalmatische, I, 232). Da die Betonung
SECALE dem Rumänischen fremd ist, so können wir ver-
muten, dafs die Albanesen dieses Wort erst auf illyrischen
Boden aufnahmen, wo s möglicherweise schon die Aus-
sprache s hatte (vgl. Bartoli, 0/. c//. I, 262); dann würde
lat. s '^ s (später s) die ältere mit dem Rumänischen
identische Stufe des Albanesischen darstellen, dagegen ^,
das auch im alb. d-eksr^ auftritt, die jüngere, in lllyrien
angelernte. Dafür sprechen auch die rum. Wörter cursä
und sämbure, aus denen zu erschliefsen ist, dafs kurd-e und
d-niiibui zur Zeit ihres dazischen Aufenthaltes von den
Albanesen selbst noch mit s gesprochen wurden. Im
Grundrifs L^, 1053 ist alb. m^söj < invitiäre wegen seines
Anlautes mit istrorum. nme^ä verglichen worden ; dies würde
sehr wohl zum istro-alb. Rotazismus passen, denn wir haben
viele Anzeichen dafür, dafs der istrorumänische Dialekt
einst mit dem westlichen Dakorumänisch eine Gruppe
bildete. Wenn man aber die Albanesen als ein Volk be-
trachtet, das vom Norden kommend, eine Zeit lang in Dazien
mit den Vorfahren der Rumänen zusammenlebte und z. T.
dort verblieb, worauf es später rumänisiert wurde, so würde
sich dadurch auch die merkwürdige Tatsache erklären,
dafs der dakorumänische Rotazismus gerade bei denjenigen
Albanesen vorhanden ist, die nach Süden dringend, die
südlicheren Gegenden im heutigen Albanien bewohnen.
Auch die Lehnwörter aus dem Albanesischen würden
dieser Theorie zu gute kommen, denn diejenigen, die im
Dakorumänischen vorkommen, weisen auf eine ältere Periode
der Entlehnung als die aromunischen. So zeigt z. B.
ceafä den Übergang von // >> is, der sehr alt ist, und
während alb. ^atB. im Dakorumänischen einen der ersten
Lautübergänge: l "^ r aufweist, erscheint es im Aro-
munischen als öalä, also als ein Lehnwort, welches nach
der Vollendung dieses Lautwandels aufgenommen wurde.
Vielleicht ist ebenso dakorum. mar, in aiäla mar de ani
„so viele Jahre" zu betrachten, das dem alb. mat „Fülle,
64
Überflufs" entlehnt sein könnte, woraus später auch arora.
mal „Reichtum" entnommen ist. Ebenso ist das Verhältnis
zwischen alb. {htrms und dakorum. /ärdmä sehr alt, während
arom. sännä junge Entlehnung aus dem Alban. ist. Auch
dakorum. barzä läfst durch seine Bedeutungsentwicklung
„Storch" auf eine ältere Aufnahmezeit schliefsen, als arom.
bardzu, das noch Adjektiv ist und den Sinn „blond" hat,
wie alb. bard- „weifs".
13. Die Lösung der „Ruraänenfrage" gehört der Geschichte
an. Die Sprachforschung kann dem Historiker wertvolles Material
liefern; sie darf sich aber nicht anmafsen, das Problem allein zu
enträtseln. Die richtige Forschungsmethode scheint mir daher die
zu sein, dafs der Historiker aus seinen eigenen Mitteln zunächst
die Rekonstruktion der urrumänischen Periode unternehmen mufs,
und dafs der Linguist diese an seinem Material zu kontrollieren
und, wenn möglich, zu ergänzen hat. Jedenfalls müssen Geschichte
und Sprachwissenschaft zusammengehen und sich gegenseitig er-
gänzen.
Wenn einige Geschichtsschreiber behauptet haben, die Aromunen
seien die Fortsetzer der süddanubianischen romanisierten Völker-
schaften, die Dakorumänen dagegen die Nachkommen der romani-
sierten Dakier, eine Annahme, die an und für sich nicht unmöglich
sein könnte, so konnte die Sprachforschung diese Hypothese durch
triftige Gründe widerlegen, denn die Sprache der Rumänen zeigt
zweifellos eine einstige einheitliche Entwicklung dieser beiden
Gruppen. Es bleiben daher nur mehr drei Möglichkeiten übrig,
die tatsächhch alle drei schon ausgesprochen wurden: entweder
nimmt man an, dafs diese einheitliche Entwicklung der Urrumänen
a) nur in Dakien oder b) nur auf der Balkanhalbinsel, oder wieder
c) in Dakien und auf der Balkanhalbinsel, indem zwischen diesen
Teilen ein Verkehr bestand, vor sich ging.
Die erste dieser drei Ansichten erscheint heute allgemein auf-
gegeben; weder die Historiker, noch die Sprachforscher sind geneigt,
sie noch zu behaupten.
Die zweite Ansicht, dafs die rumänische Nationalität und Sprache
südlich von der Donau entstanden sei und dafs die heutigen Dako-
rumänen von dort im späteren Mittelalter in ihre jetzigen Wohn-
sitze eingewandert wären, findet heute Verfechter mehr unter den
Sprachforschern als unter den Historikern. Wir müssen es hier
gleich sagen: alles was im Vorhergehenden an Spracherscheinungen
besprochen worden ist, kann sehr wohl mit dieser Hypothese in
Einklang gebracht werden. Es ist sprachlich sehr gut möglich, dafs
das Urrumänische auf der Balkanhalbinsel, eine dialektische Färbung
hatte, und dafs sich erst später, nach der Trennung der heutigen
vier Gruppen, in jeder derselben diese mundartlichen Unterschiede
entweder verallgemeinerten, oder regional begrenzt blieben. Nun
erhebt aber die Geschichte gewichtige Argumente, die gegen eine
65
nur süddanubianische Urheimat der Rumänen sprechen. Nach der
eben bezeichneten Forschungsmethode ist es daher angebracht, dafs
die Sprachforscher dieser historischen Argumentation Rechnung
tragend, anstatt sich den Historikern schroff gegenüberzustellen, ihr-
Material nach dieser Richtung hin einer neuerlichen Prüfung unter-
ziehen.
Für die Verfechter der süddanubianischen Urheimat der
Rumänen wird sich dabei ergeben, dafs einige ihrer Hauptargumente
hinfällig oder doch nicht überzeugend sind. Es zeigt sich sogar,
dafs der Grundgedanke dieser Hypothese einen Ausgangspunkt hat,
der nicht gerade unwiderlegbar ist. Dieser liegt, wie mir scheint,
in der aprioristischen Annahme einer territorial eng begrenzten
„Wiege". Da eine territoriale Einheitlichkeit für das Urrumänische
durch die Sprache gefordert wird, hat man damit auch eine Ein-
heitlichkeit der urrumänischen Sprache verbunden, die umso leichter
anzunehmen war, als das gemeinsame Sprachgut in den vier heutigen
Hauptmundarten tatsächlich auffällt. Da man aber glaubte, dafs die
Entstehung von Dialekten hauptsächlich von der Gröfse des Sprach-
gebietes abhängt, so hat man logisch folgern können : die Urrumänen,
deren Sprache einheitlich war, haben gerade deshalb ein eng-
begrenztes Gebiet bewohnen müssen. Ich habe im § 3 die Aus-
führungen eines jungen Forschers — je mehr man im Anfang
seiner wissenschaftlichen Bahn ist, desto klarer und weniger kom-
pliziert erblickt man die Sachen — zitiert, aus denen hervorgeht,
dafs die Gelehrten heute nur mehr schwankend sind, wohin diese
süddanubianische „Wiege" zu versetzen sei, auf die Ostküste des
adriatischen Meeres, wohin soviel Übereinstimmungen mit dem Alt-
dalmatischen und dem Albanesischen weisen, oder an die Abhänge
des Balkans, wohin die auffallenden bulgaro-rumänischen (im
Gegensatz zum Fehlen der serbo- rumänischen) Berührungspunkte
weisen (man denke nur an den nachgesetzten Artikel, an den
abgekürzten Infinitiv, an die Vereinfachung der Deklination im
Bulgarischen, nach rumänischem Muster!).
Nun war ich bestrebt zu zeigen, dafs wir zur Annahme einer
derartigen „Wiege" schon theoretisch durch nichts gezwungen sind,
dafs sie nach alledem, was wir von der Ausbreitung der romani-
sierten Bevölkerung in Osteuropa wissen, unwahrscheinlich ist (§ 3),
und dafs wir sogar dagegen Stellung nehmen müssen, da im Ur-
rumänischen ziemhch starke mundartliche Differenzen nachweisbar
sind und diese wahrscheinlich sogar gröfser waren, als wir heute
erkennen können (§ q). Wenn aber die Ausbreitung einer Sprache
im Verhältnis zu deren mundartlichen Färbung steht, so müssen
wir uns die Grenzen des Urrumänischen so erweitert denken, dafs
der Verkehr innerhalb dieses Gebietes sprachhche Differenzen ent-
stehen lassen und eine Ausgleichung derselben nicht mehr herbei-
führen konnte.
Aber der Verkehr ist sicherlich nicht der einzige Faktor, der
bei der Entstehung von Dialekten mafsgebend ist. Dies erhellt
Beiheft zur Zeiischr. f. rora Phil. XXVI. (Festschrift.) e
66
schon aus der Tatsache, dafs Sprachen, die ein gröfseres Gebiet
mit weniger Verkehrsmittel umfassen, oft weniger Dialekte umfassen,
als geographisch viel enger begrenzte Sprachen, mit fast keinen
Verkehrsstörungen. „Bei den Russen, welche trotz Kreuzung mit
Finnen und Tartaren weniger Dialekte besitzen, als die Mehrheit
anderer europäischer Sprachen auf weit kleinerem Raum, liegt dieser
konservative Zug zweifellos im Blut. Der Mangel an Eigenart und
schöpferischer Kraft, die Gleichförmigkeit und Monotonie der
Lebensweise sind Eigenschaften des russischen Volkscharakters,
welche nach dem Urteile von Kennern auch in anderen Gebieten
als auf sprachlichem hen^ortreten" (Kretschmer, op. cit. 122 — 123).
Ähnlich dürften die Verhältnisse bei den Urrumänen gewesen sein
und der konservative Zug ihrer Sprache liegt vielleicht nicht nur
in der Gleichmäfsigkeit ihrer Beschäftigung, sondern möglicherweise
auch in ihrem „Blute" — wenn wir unter diesem Begriffe alles
das zusammenfassen, wofür wir heute noch keine klaren Ausdrücke
besitzen. Sind doch heute noch die dialektischen Unterschiede in
den einzelnen Gebieten verhältnismäfsig sehr gering und meist nur
auf dem Wortschatz beschränkt! Und dies gilt sowohl von den
Dakorumänen, die schon durch ihre politische und geographische
Lage einen kaum merklichen Verkehr miteinander pflegen, als auch
von den Aromunen, die in den verschiedenen Provinzen fast gar
nicht miteinander verkehren.
Wenn man alle diese Momente in betracht zieht, so scheint
es eher, dafs das Gebiet des Urrumänischen ziemlich weit verbreitet
war, und es steht zunächst nichts im Wege, es in die Gegend auf
beiden Ufern der Donau, wo einst Romanen nachweislich waren,
zu versetzen.
Damit gelangen wir zur dritten Hypothese, die heute von den
meisten Historikern und zwar mit überzeugenden Argumenten ver-
fochten wird. Die sprachlichen Momente sprechen m. E. nicht
gegen diese Ansicht, sondern sind eher geeignet, sie zu bekräftigen
und zu ergänzen. Allerdings bleibt, wie es gar nicht anders möglich
ist, dabei noch mancher unklare Punkt bestehen und, wenn man
im grofsen ganzen Onciuls Ansicht akzeptiert, so wird man ihm im
einzelnen nicht immer Recht geben können.
Vor allem sprechen wichtige Argumente gegen seine Ad-
migrationstheorie. Wie § 11 gezeigt wurde, lassen sich zur ur-
rumänischen Zeit keine aus der Balkanhalbinsel durch Einwanderer
importierte Spracherscheinungen nachweisen. Wenn Wanderungen
aus dem Norden nach Süden, und in gröfserem Mafse in um-
gekehrter Richtung stattfanden, so haben diese kaum eine andere
Folge haben können, als dafs sie die relative Einheitlichkeit des
Urrumänischen noch mehr begünstigten. Nach den Beobachtungen,
die über das „Französische in Kanada" gemacht worden sind, ist
es heute sicher, dafs „Zuwanderung in ähnlicher Weise die Sprach-
entwicklung hemmt, wie es die Schriftsprache, oder wie es allgemein
gesagt, ein starker Verkehr tut" (Meyer-Lübke, Germanisch-romanische
67
Monatsschrift I, 139). Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dafs sich
die sprachlichen Neuerungen, die sich im Urrumänischen als dia-
lektisch erweisen, auf dem natürlichen Weg der wellenartigen Fort-
pflanzung ausgebreitet haben und dafs sie eben zur Zeit, als sich
das Urrumänische gespalten hatte, noch nicht zur völligen Aus-
breitung gelangt sind.
Onciul glaubt, dafs die Palatalen anstelle der Labialen eine
süddanubianische Sprachneuerung im Rumänischen sei. Dazu wird
er durch die Erwägung geführt, dafs diese Erscheinung im Aro-
munischen durchgeführt ist, daher älter sein mufs, als im Dako-
rumänischen, wo sie nur mundartlich vertreten erscheint. Dasselbe
könnte man auch für die meisten anderen Fälle behaupten, denn
ebenso verhält es sich mit te, ti > /a, /a, mit re, ri > ra, rd, mit
eu läudam aus eu läudä, eu aud aus eii auz, douä adtmäri aus douä
adunari. Zwar ist diese Annahme nicht zwingend, da die Ver-
allgemeinerung einer Sprachneuerung nicht immer einen Schlufs
auf deren Alter zu ziehen gestattet, sie ist aber doch schon durch
die Anzahl der Fälle wahrscheinlich gemacht. Auch zeigt ihre
Verbreitung im Dakorumänischen, dafs diese Neuerungen meisten-
teils vom Süden nach Norden gedrungen sind. Dies ist der Fall
für läudam, adunari, räu, die vor dreihundert Jahren im Norden
des dakorumänischen Gebietes noch unbekannt waren, während sie
im Süden allgemein zu sein schienen, bei den Palatalen anstelle
von Labialen sieht man auf Weigands Linguistischem Atlas förmlich,
wie sie vom Südosten nach Norden und Nordwesten dringen,
während aud anstelle von auz vom Südwesten nach Norden und
Nordosten gedrungen zu sein scheint, jedenfalls im Osten des
dakorumänischen Gebietes (in der Moldau) seit dem XVIL Jahr-
hundert sehr grofse Fortschritte gemacht hat.
Diese Beobachtungen sprachlicher Natur finden möglicherweise
ihre Erklärung in den geschichtlichen Verhältnissen der Zeit. Wir
können überall wahrnehmen, dafs eine Sprache um so mehr Ver-
änderungen ausgesetzt ist, je mehr die sie sprechenden Menschen
ein bewegtes Leben führen. Je gröfser die Kultur eines Volkes,
desto prägnanter wird seine Ausdrucksweise, die bestrebt ist, für
die gröfsere Varietät der täglichen Begriffe schärfer ausgeprägte
Ausdrücke zu formen. Daher ist in Städten, hauptsächlich in
grofsen Kultur- und Verkehrszentren, mit bewegtem geistigen und
geschäftlichen Leben, die Sprache der Bevölkerung nicht nur reicher,
sondern gewöhnlich um einige Stufen der Entwicklung weiter fort-
geschritten, als die Sprache auf dem Lande. Hier verändern sich
Sitten und Lebensweise kaum merklich, dieselbe Beschäftigung oft
mit denselben Mitteln wie vor Jahrhunderten bringt es mit sich,
dafs die Sprache, die sozusagen die Wiederspiegelung des täglichen
Lebens ist, konservativer bleibt und weniger zur Differenzierung,
und damit eng verbunden, zur Entstehung von Neuerungen neigt.
Nun mufste das Kulturleben in Dakien stark zurücksinken, nach-
dem Aureliau diese Provinz aufgegeben hatte. Durch den Abzug der
68
Legionen, der Beamtenschaft und der Kapitalisten einerseits und
durch die drohenden Einbrüche der Barbaren, die gewifs vor allem
die Städte aufsuchten, andererseits, wurden alle wichtigeren Verkehrs-
zentren zerstört. Dagegen blühten auf der Balkanhalbinsel noch
durch Jahrhunderte bedeutende Städte, mit nicht unwesentlicher
Kultur und mit ziemlich regem Handel. Es ist also wahrscheinlich,
dafs in diesen Gegenden auch die Sprache einer rascheren Ent-
wicklung ausgesetzt war, als in Dakien.
Es konnte den Verkehr der Dakoromanen mit ihren Stammes-
genossen auf der Balkanhalbinsel nur fördern, dafs es keine Städte
gab, weder in Dakien — kein einziger Name irgend einer uns
bezeugten dakischen Stadt hat sich bis heute im Munde der Be-
völkerung erhalten! — noch w^eit und breit im Norden und Westen:
die zur Erzeugerin von Rohprodukten gewordene dakische Be-
völkerung konnte diese nur in den Städten südlich von der Donau
gegen feinere Exportware umtauschen. Vor allem aber müssen die
religiösen Bande die Bewohner Dakiens mit dem Süden verbunden
haben, in dessen befestigten Städten im ganzen frühen Mittelalter
nachweislich Residenzen von Bischöfen waren; auch erscheinen die
Dakorumänen bei ihrem ersten geschichtlichen Auftreten kirchlich
von süddanubianischen Bistümern abhängig.
Für eine raschere Entwicklung der Sprache war also das
rechte Donauufer günstiger und wenn eine Ausbreitung von Sprach-
neuerungen stattfinden sollte, so war es natürlich, dafs sie von den
dort gelegenen Handels- und religiösen Zentren ausging. Allerdings
waren auch auf dem rechten Donauufer die historischen Begeben-
heiten nicht derart, dafs dort viel Städte durch Jahrhunderte ihre
Bedeutung ungestört behalten konnten, sondern zu verschiedenen
Zeiten blühten und sanken immer wieder andere Städte. Dies er-
klärt vielleicht die Tatsache, dafs die oben erwähnten Neuerungen,
die chronologisch gewifs nicht gleichzeitig sind, an verschiedenen
Orten die Donau überschritten: aud reicht vom Westen des dako-
rumänischen Gebietes nach Osten bis 01t {Übersichtskarte 15),
während k' ept vom Osten nach Westen schon bei der Mündung
des Arge§ eine Grenze findet [Übersichtskarten 6 — 8) und wir
wissen (§ 11), dafs auch jenseits des Stromes vom Isker bis zum
Adriatischem Meere die rumänische Bevölkerung die Labialen rein
aussprach.
Allerdings darf man nicht glauben, dafs nur die Sprache der
Balkanrumänen einer Entwicklung fähig war. Auch auf dako-
rumänischem Boden entstanden Neuerungen. Nur konnten sich
diese nicht nach Süden fortpflanzen, weil ein Ausströmen nach
dieser Richtung mangels dakischer Verkehrszentren nicht stattfinden
konnte. Man könnte als Beispiel den Rotazismus anführen, der
nicht einmal das ganze dakorumänische Gebiet vom Norden nach
Süden erobern konnte, sondern umgekehrt, auch im Norden mit
der Zeit wieder verloren ging, da vom Süden aus das alte « in
seine Rechte wieder eingeführt wurde.
69
Halten wir uns nun vor Augen, dafs einige hundert Jahre vor
dem Auftreten unserer Sprachdenkmäler das Dakorumänische noch
nicht soweit entwickelt war, wie im XV. Jahrhundert; um nur drei
Fälle aus der Lautlehre anzuführen, es waren die Laute n und /'
noch nicht zu i verwandelt — ii ist bekanntlich noch heute im
Banatischen erhalten und das Original des Codice Vorone^ean
hat offenbar noch das /' gehabt, da in der uns erhaltenen Abschrift
aus dem XVL Jahrhundert einmal ein lat.Mi. ce 72/6 — 7 bezeugt
ist — und der Einflufs der Labialen auf folgendes lat. e hatte noch
nicht begonnen — der Codice Vorone|;ean hat noch zum guten
Teile reines e. Hieraus ergibt sich, dafs zu jener Zeit die Unter-
schiede zwischen dem Süden des dakorumänischen Gebietes und
dem Aromunischen sehr gering, jedenfalls weniger ausgeprägt wären,
wie zwischen jenem und dem Norden des dakorumänischen Ge-
bietes. Wenn also schon im Urrumänischen irgend eine natürliche
Grenze ein Verkehrshindernis bildete, so war dies, nach der Sprache
zu urteilen, eher der Mures als die Donau. Denn nördlich vom
Mure§ sprach man biiru, eu läudä, adunart, riu, audzu, piept, wahr-
scheinlich auch impefige, während weiter nach Süden, auf beiden
Ufern der Donau, die Sprache ziemlich gleichartig war, und bunu
(bezw. bünii), rdu, läudatn, adundri dürften allgemein gewesen sein,
während die Neuerungen }i ept, aud, wenn auch nicht überall durch-
gedrungen, doch schon beide im Süddakorumänischen regional ver-
treten waren. Die Tatsache, dafs der Muref im Vergleiche zur
Donau ein recht kleiner Flufs ist, ist nicht vom Belang, da oft
kleine Gewässer scliärfere Sprachgrenzen bilden, als breite Flüsse;
als „Verkehrshindernis" ist im hnguistischen Sinne nicht eine un-
überwindbare natürliche Grenze zu betrachten, sondern in den
meisten Fällen jene topographischen Bildungen, die an der Grenze
zwischen zwei Gebieten liegen, von denen jedes durch politische,
administrative, religiöse, handelsverkehrliche oder was immer für
sonstige Bande für sich ein Ganzes bildet. Ob sich dieser aus
der Sprache gewonnene „Eindruck" — denn es M'äre zu kühn, bei
dem heutigen Stand unserer Kenntnisse, ihn anders zu nennen —
auch historisch begründen läfst, ist eine Frage, die ich hier nicht
erörtern will. Ich begnüge mich auch in diesem Funkte mit einem
Zitat aus der neuesten Schrift dessen, der mir in dieser Beziehung
als der kompetenteste erscheint: „Als die Magyaren am Ende des
IX. Jahrhunderts bis zur Theiss und Donau kamen, waren die
dakischen Gebiete von „Walachen und Slovenen" bewohnt, die in
Herzogtümern (voivodate) organisiert waren. Ein derartiges Herzog-
tum, unter einem rumänischen Herzog namens Gelou — so nennt
ihn der erste ungarische Chronist — wird im nord- westlichen
Gebiete von Siebenbürgen bezeugt, mit der Residenz
neben dem Some^, in der Nähe von Giläu, westlich von
Klausenburg; zwei andere in den Gegenden zwischen der Theiss
und den Karpathen, in Verbindungen mit dem bulgarischem Reiche.
Einer von diesen, ... im ßanat . . ., ist als von dem bulgarischen
70
Bistum von Vidin abhängig bezeugt". (D. Onciul, Diu Istöria
Roinäniei, Buc, Socec, 1909, S. 16).
Anmerk. Würde sich der in diesem Paragraph ver-
folgte Gedankengang als richtig erweisen, dann könnte
man noch manche Vermutungen aufstellen. Die Sprache
der Siebenbürger Rumänen weist oft merkwürdige Doppel-
formen auf. Während beispielsweise die -BULUM-Ableitungen
auf dem ganzen von Rumänen bewohnten Gebiet synkopiert
erscheinen, und über -blum > id werden: stab'luai >
Staul, *SUß'LUM ^ sul, SUB^LA >> Sulä, *EXCUB^LA.KE >> SCtl-
lare, *FIbYakia > fiiilare, *SUb'liciuUS > siileget, TUb'lus
> arom. tul (Papahagi, Nötige etünologice, 45) (vgl. auch
*deb[i]lare > däulä), haben wir im Norden und Osten
von Siebenbürgen, nicht siatil, sondern siaur (bezeugt für
Reteag, am Some§ [Pop. Reteganul, Pove^ti IV, 15 — 16,
und für Sämpetru im Doboca-er Komitat Jorga, Siudii p
documente XIII, 252] und in dem Ausdrucke S/mcrile florilor,
auch in Häghic im Osten, im Komitat Trei-scaune), welches
die Übergänge stabülum > stauru voraussetzt. Ebenso
finden wir neben allgemeinen ceresia >> cirea^ä, auf einem
kleinen Gebiet im Südosten Siebenbürgens von Kronstadt
nach Schässburg und Vama-Buzäului (vgl. Weigands Normal-
wort 41) die Form cera^ä, welche nicht aus jener ent-
standen sein kann (vgl. Co?ivorbtri literare XXXIX, 317 ff.),
sondern auf cerasea zurückgehen mufs. Nun sind aber
STABULUM, GERAS- die klassischen Formen, gegenüber
ST ABLUM, CERES-, diejenigen, welche die volkstümliche
Aussprache wiedergeben. Wir wissen aber, dafs gerade
der Norden und der Osten von Siebenbürgen zur Römer-
zeit nicht in dem Mafse romanisiert war, wie der Westen;
es scheint, dafs sich die Dakpr dorthin geflüchtet hatten
und dafs — nach den oben erwähnten zwei Fällen zu
urteilen — eine spätere Romanisierung unternommen und
z. T. auch durchgeführt wurde, indem die Behörden ihre
Amtssprache — damals noch das klassische Latein —
durchzusetzen wufsten. Das könnte auch für spätere Zeiten
eine Erklärung dafür abgeben, dafs die Dakorumänen im
Osten, und hauptsächlich im Norden des Gebietes, als
Fortsetzer einer nicht in demselben Verhältnis zu den
römischen Behörden stehenden Bevölkerung, wie im organi-
sierten Westen, Gruppen abgaben, die mehr für sich ab-
geschlossen waren und einen weniger regen Verkehr mit
der nach Süden ausgewanderten offiziellen Römerherrschaft
pflegten. Für die letztgenannten Gegenden ist beispiels-
weise das Wort fara „Geschlecht" (in der Gegend von
Ha^eg, Revista criticä III, 153, auch bei Petru Maior, htoria
202, 238) recht charakteristisch. Es ist dies das longo-
71
bardische fara (Paul. Diac. 2, g) „Nachkommenschaft,
Familie", das ziemlich früh ins Norditalienische ein-
gedrungen ist, von da aber den Neugriechen und Albanesen
übermittelt wurde, von welchen das Wort zu den Bulgaren
und den Rumänen auf der Balkanhalbinsel drang (heute
noch bei den Aromunen sehr gebräuchlich) und von diesen
zu den mit ihnen im regen Verkehr stehenden Dako-
rumänen in dem westlichen Siebenbürgen.
14. Bisher wurde eine wichtige Frage noch nicht erörtert, es
ist die Zeitfrage, über die nun am Schlüsse dieser Abhandlung
einiges gesagt werden soll. Auch in dieser Hinsicht sind wir nicht
in der Lage präzise Angaben, weder aus dem geschichtlichen, noch
aus dem sprachlichen Material zu gewinnen, doch läfst sich aus beiden
zugleich ein annähernd richtiges chronologisches Bild gewinnen.
In der Einleitung zu seinem Linguistischen Alias, Sp. 8, setzt
Weigand das Urrumänische zwischen das „VIL und IX. Jahr-
hundert". Das ist die Zeit, wo das Rumänische noch nicht in die
heutigen Dialekte gespalten war und gleichzeitig jene besonderen
IMerkmale besafs, die „sowohl von den vulgärlateinischen, als auch
von den übrigen romanischen verschieden waren". Diese Auf-
fassung trägt allerdings den beiden Hauptmomenten Rechnung, die
im Worte selbst zum Ausdrucke kommen, sowohl der Vorsilbe Ur-
als auch dem Worte rumänisch. Nur möchte ich etwas vor-
sichtiger sein, und die Grenzen nicht so scharf ansetzen, nicht nur
weil sie noch nicht als richtig bewiesen worden sind, sondern weil
sie höchst wahrscheinlich nie bewiesen werden können.
Vor allem möchte ich die untere Grenze ganz offen lassen,
denn wie das Bild einer „Wiege" zu falschen Vorstellungen Anlafs
geben kann, ebenso ist es verfehlt ein neugeborenes Kind in sie
legen zu wollen. Eine lebende Sprache, die der Entwicklung fähig
ist, repräsentiert zu allen Zeiten nur Cbergangsstufen und wir haben
kein Recht diese oder jene Entwicklungsphase als ihren Anfang zu
bezeichnen. Es wäre ebenso willkürlich zu sagen: die rumänische
Sprache beginnt in dem Augenblicke. v,-o man das a als ä aus-
sprach, weil dies für die Kenner der übrigen romanischen Sprachen
eines der charakteristischen Merkmale des Rumänischen ist, wie
wenn man sagen würde, ein Knabe wird zum Manne, wenn ihm
der Schnurrbart wächst. Für diejenigen, die um jeden Preis einen
Anfang der rumänischen Sprache datiert wissen wollen, mag er in
jene Zeit angesetzt werden, wo das Wort komanus > riimän
wurde; für eine wissenschaftliche Betrachtung ist eine solche Grenze
nach unten überhaupt nicht aufstellbar und auch gar nicht nötig;
im VII. Jahrhundert war das Rumänische nichts anderes als heute:
die Sprache einer romanisierten Bevölkerung in einem bestimmten
Zeitpunkte ihrer Entwicklung.
Wenn wir die Grenze nach unten offen lassen, so brauchen
wir bei der Definition des Urrumänischen einen besonderen Nach-
72
druck nur auf die Vorsilbe ur- zu legen, und zu sagen, wie wir
es sclion im § l getan: Wir nennen urrumänisch die Sprache der
Vorfahren der heutigen Dakorumänen, Aromunen, Meglcniten und
Istrorumänen (vielleicht auch anderer, im Laufe der Zeit ent-
nationalisierter Gruppen), bevor der Verkehr unter ihnen gänzlich
abgebrochen war. Welches ist diese Zeit gewesen? Weigand
setzt das IX. Jahrhundert an. Dagegen glaubt Sandfeld-Jensen,
dafs die Ersetzung des Infinitivs durch Konjunktivsätze, vom
Griechischen ausgehend, im Rumänischen erst „zwischen looo —
I200" eintreten konnte {Jahresbericht IX, 125). Schon aus diesen
zwei Datierungen geht hervor, wie weit die Ansichten auseinander
gehen können.
Die Lehnwörter fremden Ursprungs im Rumänischen können
in mancher Hinsicht die zeitlichen Verhältnisse des Urrumänischen
beleuchten. Vor allem sahen wir, dafs so gut wie alle wichtigsten
Lautübergänge des Rumänischen älter sind, als die slavischen
Lehnwörter, denn diese konnten sie nicht mehr mitmachen. Diese
Erkenntnis ist sehr wichtig, da wir doch wissen, wann die Slaven
in diesen Gegenden erschienen sind. Wenn wir auch annehmen,
dals nach der Niederlassung der Slaven in dem von Rumänen be-
wohnten Gebiet, einige Zeit verstreichen mufste, bis es zum sprach-
lichen Austausch zwischen beiden Völkern kam, so können wir
doch mit einiger Wahrscheinlichkeit das VII. Jahrhundert als die
Zeit betrachten, die den Abschlufs für die meisten Lautwandlungen
des Urrumänischen bedeutet. Dagegen ist der albanesische Ein-
flufs viel älter und die rumäno-albanesischen Beziehungen müssen
sehr eng gewesen sein, da die albanesischen Lehnwörter im
Rumänischen die ältesten Übergänge mitmachen, so H > ts [k'af£
> ceafa) ^> (d)z (^^üm- y^ jumäiate), l^ r (vjedule, 0iimbul,
raugui, dale, vale, mal > viezure, sämbure, mugtir, zarä, vare-, mar (?)',
vgl. Convorbiri literare, XXXIX, 309 ff.), und in manchen Punkten
dieselbe lautliche und semasiologische Entwicklung des lateinischen
Bestandteiles zeigen (so den Schwund von intervok. b und v, den
Übergang von [rumänisch unbetontem] a« ]> a,^ 071 ]> an, -n- ]> -r-
usw. Vgl. Sandfeld-Jensen, Grimdrifsl'^, ^2"] ii). Alle diese nach-
weislich vorslavischen Entwicklungen des Rumänischen sind allen
vier Mundarten gemein. Daraus folgt (wenn es wahr ist, dafs sich
das rumänische Volk in Dakien und auf der Balkanhalbinsel zu-
gleich entwickelt hat), dafs vor dem Auftreten der Slaven der Ver-
kehr zwischen dem linken und dem rechten Donauufer, trotz der
Völkerwanderung, die auf der Balkanhalbinsel nicht weniger wie
in Dakien gewütet hatte, ein so reger war, dafs sich die Sprache
hüben und drüben in verhältnismäfsig gleichartiger Weise ent-
wickeln konnte.
Dieser Verkehr scheint sich erst später gelockert zu haben,
als die slavischen Massen immer dichter wurden. In dieser Zeit
^ Convorbiri literare, XLIV, I, 468.
73
dürften die meisten in den vorhergehenden Paragraphen angeführten
sprachlichen Neuerungen entstanden sein. Es liegt in der Tat kein
Grund vor, die Übergänge von p '^ k' usw., (e // («< te, tl) >> /ä,
(ä, re, ri > ra, rä, sowie die Veränderung von eti läudä in eu
läudarn, adwiari in adunäri in einen früheren Zeitabschnitt zu ver-
setzen, denn auch die slavischen Lehnwörtern machen sie mit.
Andererseits erweisen sie sich im Rumänischen selbst als ziemlich
spät, und die altrumänischen Texte zeigen uns, wie sie erst in
historischer Zeit an Gebiet gewinnen. Die Tatsache, dafs sie im
Dakorumänischen so langsam oder noch gar nicht zur Verall-
gemeinerung gelangt sind, würde sich gerade dadurch erklären,
dafs sie die Donau in ziemlich später Zeit überschritten hatten,
als der Verkehr nicht mehr so rege war wie früher. Auch die
Überschreitungsstellen waren, wie im § 13 gezeigt wurde, nicht die-
selben: atid anstelle von auz, welches vom 01t westlich zuhause
ist, dürfte früher nach Norden gelangt sein, als die Palatalisierung
der Labialen, die auffallend spät belegt ist und auch durch die
östlich von Arges gelegene Übergangsstelle sich als jung erweist:
in diesen Gegenden ist eine rumänische Bevölkerung erst ziemlich
spät bezeugt.
Diese selbe östliche Gegend würde auch, nach den Aus-
führungen Sandfeld- Jensens über die Ersetzung des Infinitivs durch
Konjunktivsätze am ehesten als Übergangsstelle zu den linksuferigen
Rumänen in Betracht kommen, denn die Erscheinung ist im
Serbischen ziemlich jung [a. a. O.121), im Nordalbanesischen ist
der Infinitiv noch erhallen (a.a.O. 116), während bei Bulgaren
und Rumänen die Ersetzung am weitesten (je mehr man nach
Süden geht) gediehen ist. Die Richtung dieser Neuerung ist also
diejenige von Südwesten nach Nordosten gewesen. Zeitlich dürfte
sie, wie erwähnt, „zwischen 1000 und 1200" im Rumänischen
zu datieren sein. Um diese Zeit fällt gerade die Gründung des
„walacho-bulgarischen" Reiches (11 36 — 1257) und wir wissen dafs
„die ersten Assaniden, deren Heere hauptsächlich aus ,Walachen
und Kumanen' zusammengesetzt waren, in ihren Kämpfen von
ihren Waffengenossen, den norddanubianischen Walachen und
Kumanen unterstützt wurden. In dieser Art sind die linksuferigen
Rumänen in innigere Beziehungen mit den rechtsuferigen Bulgaro-
walachen getreten, mit denen sie schon durch ihre politischen und
kirchlichen Banden von früher her vereint waren" (Onciul, Din
Istoria Roinäiiiei, S. 18 — ig).
Die vollständige Trennung der Urrumänen in die heutigen
Gruppen dürfen wir uns nicht als die Folge einer Auseinander-
sprengung durch die Invasion der Slaven vorstellen. Das ge-
meinsame slavische Lehngut in allen vier Dialekten ist ein Beweis,
dafs die Urrumänen lange Zeit mit den Slaven zusammengelebt
haben. In diesen Zeiten, wo von einem Nationalgefühl nicht die
Rede sein konnte, fühlten sich die Rumänen und die Slaven, die
dieselbe Religion und eine gemeinsame Kirche, dieselbe Beschäftigung
74
und die gleichen Interessen hatten, nicht als zwei verschiedene
Völker. Nur die Zeit und die staatlichen Organisationen südlich
von der Donau brachten eine endgültige Trennung mit sich. Dort
verloren die Rumänen allmählich ihre Sprache und wurden Slaven,
hier gingen die Slaven in dem Meere der Rumänen unter. Wir
haben es also mit einem natürlichen Entnationalisierungsprozefs zu
tun, dessen Resultat die slavischen Staaten jenseits und die ru-
mänischen diesseits der Donau sind. Die Megleniten scheinen die
letzten Überreste der einst mit den Bulgaren zusammenlebenden
Rumänen zu sein, die am spätesten den Verkehr mit ihren Stammes-
verwandten nördlich der Donau verloren. Dagegen müssen sich
die Aromunen bedeutend früher von der grofsen Masse der Ru-
mänen losgelöst haben. Sie scheinen heute nicht auf ihren einstigen
Wohnsitzen zu leben, sondern durch die Slaven weiter nach Süden
verdrängt worden zu sein. Ihre Sprache zeigt deutlich die Spuren
einer früheren Isolierung von dem Gros der Rumänen, denn wir
haben megleno-istro-dakorumänische Übereinstimmungen, die den
Aromunen nicht mehr bekannt sind. Auch der alte slavische Ein-
schlag in ihrer Sprache ist geringer, als in den übrigen Mund-
arten. Was die Istrorumänen anlangt, so dürften sie sich aus dem
westlichen Teil des Dakorumänischen losgelöst haben und zwar
früher als hier ein ungarischer Einflufs begann, also kaum nach dem
XI — XII. Jahrhundert, und als Wanderer bis in ihre jetzigen Wohn-
sitze gelangt sein. Ihr Los, — sie sind dem Aussterben geweiht
— gleicht dem Schicksal der schon entnationalisierten Rumänen
in Galizien und Mähren und zeigt uns, was ungefähr die Dako-
rumänen erwartet hätte, wären sie nur als Hirten aus der Balkan-
halbinsel eingewanderte Walachen gewesen.
An merk. Eine genauere Kenntnis des fremden Be-
standteiles der rumänischen Sprache wird uns sicherlich
noch manche Aufklärung über die Wohnsitze der Urrumänen
geben. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen haupt-
sächlich jene Sprachveränderungen, die über das Gebiet
der einen Sprache in die andere greifen, so die albano-
rumänischen Übereinstimmungen in der Behandlung des
lateinischen Elementes und die nicht minder auffälligen
gleichen Entwicklungen des Bulgaro-rumänischen (vgl. letzthin
Weigand, Jahresbericht XV, 155!!.). Sie zeigen vor allem,
wie wenig sich solche zusammenlebende Völker als national
verschieden fühlten: der Übergang von unbetontem a in
ä kennt keinen Unterschied zwischen Rumänen, Albanesen
und Bulgaren, sondern hat sich über das gesamte von
diesen Nationen bewohnte Gebiet verbreitet, so wie sich
eine Riesenwelle über den Strand ergiefst. Auch die
gänzlich vernachlässigte Ortsnamenkunde ist berufen, manches
Licht auf diese strittigen Fragen zu werfen. Sie hat viele
Rätsel zu entwirren, vor allem mufs sie klarstellen, warum.
75
weder in Dakien, noch auf der Balkanhalbinsel, kein
einziger der aus der Römerzeit bezeugten Flufsnamen
(aufser etwa Cri^) heute die Gestalt aufweist, die den
rumänischen Lautregeln entspräche. Das Fehlen der Städte-
namen ist erklärlich. Auch wird sie demjenigen, der sich
zur Aufgabe macht, die Wohnsitze der Rumänen im frühen
ßlittelalter festzustellen, eines der wichtigsten Hilfsmittel
abgeben. Dies war aber nicht der Zweck meiner Ab-
handlung.
Czernowitz, im Dezember 190g.
Sextil Puqcariu.
Das to -Partizip im Altromanischen.
Ein Bcilrai; zur Lehre vom syntaktischen Wandel.
Tutto Valtro e bestiale, ragion fallita.
Guittone d'Arezzo.
Abkürzungen
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Sim. Fr. Les ceuvres de Simund de Freine, p. p. J. E. Matzke, Paris 1909
(Soc. Anc. T.).
StC Statuto di Castelsardo p. d. E. Besta in Archivio Giuridico Serafini LXII
(N. S. 3) p. 305 ff.
StS GH Statuti della Repubblica sassarese, p. d. Guarnerio in Arch. glottol.
XIII p. iff.
Sydr. Otr. Un' antica Versione del 'Libro di Sydrac' p. d. V. de Barlholomaeis,
ebenda XVI, 50 ff.
Td. oder Tard. Monuments historiques. Archives de l'Empire p. p. Tardif.
Paris.
7 W Die katalanische metrische Version der sieben weisen Meister, hsg. von
Adolf Mussafia. (Aus den Denkschr. der Wiener Ak. XXV. ph.-h. Kl.).
Bei der Frage nach dem Warum der sprachlichen Wandlungen
sind es gewifs die syntaktischen Probleme, die uns die gröfsten
Schwierigkeiten in den Weg stellen. Die Gründe dafür sind
mannigfach. Da ist zunächst die Unbestimmtheit des Begriffs
Syntax und syntaktische Erscheinung überhaupt und die schwankende
Grenze, die sie von den andern Gebieten des Sprachlebens trennt.
Gegen verschiedene andere Zweige wie Formenlehre, Lexikon,
78
Wortbildungslehre scheiden sie ja eigentlich nur negative Merkmale.
Diese Gebiete lassen sich noch so ungefähr begrenzen; und was
nicht da hineingehört und doch mit dem Ausdruck der Ideen in
Bezieliung steht, gehört eben in das Gebiet der Syntax. Das Gebiet
der Stilistik können wir als ein Teilgebiet der Syntax auffassen;
jedenfalls hängt sie mit ihr auf das innigste zusammen, i — Mit
b. diesem Punkt in Zusammenhang steht die zweite Schwierigkeit, der
fortwährende Wechsel des Standpunkts, den die syntaktische Be-
trachtung erfordert, bald von dem sprachlich gegebenen Material,
bald von der auszudrückenden Idee aus, zwei ganz disparate Dinge,
von denen leider nur das erste direkt fafsbar und beobachtbar ist.
Wo die gedanklichen Substrate bekannt und unverrückbar sind:
etwa Verknüpfung von Sachbegriffen mit der Idee der Mehrheit,
Verknüpfung einer Handlung mit der Idee der Subjektsperson oder
mit einer Zeitidee, da hat man leichtes Spiel. Es sind für diese
Ideen gewisse Ausdrucksmittel da: Pluralendungen, Personalendungen,
Temporalendungen usw. und es bleibt nur die Frage übrig, wie
sich von mehreren gleichwertigen Ausdrucksraitteln jedes einzelne
auf den Sprachstoff verteilt; und die Wandlungen, die man da be-
obachtet, machen eben den Gegenstand der Flexionslehre aus, die
sich leicht nach diesen unverrückbaren Ideenkategorien einteilen
und behandeln läfst. Aber die Ideenkategorien bleiben häufig nicht
unverrückt und wo sie sich verrücken, hat man auf zweierlei zu
achten: auf die Ursache der Veränderung der Idee und auf die der
veränderten sprachlichen Form. Wenn Perf. bätiuit durch haticdit
ersetzt wird, so kann man das Gedankliche als un verrückt setzen
und um hattedit zu erklären, wird man einfach Umschau nach dem
andern sprachlichen Material halten, das uns -aUt zeigt, und das
gleiche Gedankenverhältnis, das z, B. zwischen perdit : perdedit und
baitidt (Präsens) : hattedit besteht, heranziehen. Wenn aber nun
an einer Stelle, wo früher Perf hattuit oder hattedit oder hattivit ge-
sagt wurde, später habet hattiäu erscheint, so kommt aufser der
Suche nach dem analogischen Anknüpfungspunkt, die auch hier
vorgenommen werden mufs, die Frage in Betracht: wieso kommt
es, dafs habet -\- Part, (entweder bei hattere oder bei den Fällen,
wonach sich dies gerichtet hat), das doch etymologisch etwas ganz
anderes bedeutet, nun in der Funktion eines einfachen Präteritums
erscheint? Wo wir wieder andrerseits das sprachliche Ausdrucks-
mittel selbst als etwas unverrückbares betrachten, läfst sich an-
geben, dem Ausdruck welcher Gedanken es dient, d. h. welche
Bedeutungen es hat und wie sich diese Bedeutungen untereinander
verbinden und auseinander ableiten lassen. Und das tut das Lexikon
und z. T. die Wortbildungslehre bei den stofflichen Ausdrucks-
mitteln. Aber der Grund der Bedeutungsverschiebungen läfst sich
1 Eine Definition der Stilistik habe ich Zs. f. frz. Spr. XXIX^ S. 281
zu geben versucht, dabei aber mehr auf die praktische als auf die theoretische
Seite Rücksicht genommen. Eiue umfassendere Begrifisbestimmung s. u. S. 84.
79
zum grofsen Teil erst erkennen, wenn wir das Wort in den Ver-
bindungen, in denen es vorkommt, beobachten und diese Ver-
bindungen sind wieder nichts unverrückbares, sondern etwas ewig
wechselndes und so gehört auch diese Seite des Bedeutungswandels
der Syntax an: die Bedeutungsveränderung von estrange 'fremd'
>> 'sonderbar' können wir vielleicht auch ohne weitere Nachforschung
verstehen (vgl. Littbl. f. g.-r. Ph. 1902, Sp. 180), weil uns die Ver-
bindungen, in denen das Wort vorkommt, auch ohne weiters ge-
läufig und gegenwärtig sind; wenn aber mortu 'tot' in den
romanischen Sprachen die Bedeutung 'getötet' annimmt, so wissen
wir zwar, dafs die Bedeutungen so verwandt sind, dafs sich die
zweite aus der ersten ableiten läfst, den Grund des Wandels ver-
stehen wir aber erst, wenn wir die sprachlichen Formen, in denen
das Wort auftritt, genau beobachten und untersuchen (vgl. 112).^
Aber die Sprache hat nicht nur stoffliche Ausdrucksmittel, die
sich lexikalisch buchen lassen; daneben kommen ja eben die ver-
schiedenen Verbindungen der sprachlichen Stoffelemente in Betracht,
wie sie zunächst dazu dienen die Verbindung von gedanklichen
Elementen auszudrücken, dann aber als Verbindungen gewohnheits-
mäfsig werden und erstarren und so eben formelle Ausdrucks-
mittel bilden, die mit der Zeit andere gedankliche Verbindungen
oder Elemente ausdrücken, als sie ursprünglich besagen, ja vielleicht
nun auch die Möglichkeit des Ausdrucks gewisser ideeller Nüanzen
schaffen, die dann wieder verwandte oder analoge andere Nüanzen
ermöglichen, für die eine neue sprachliche Form geschaffen wird.
Dabei sind diese formellen Ausdrucksmittel sehr verschiedener Art: Sie
bestehen entweder in der blofsen Aneinanderreihung und Stellung
der einzelnen Elemente, oder in der Wahl gewisser flexi vischer
Varianten, oder in der Setzung und Auswahl (ev, auch Nicht-
Setzung) gewisser lexikaUscher Elemente, die sich eigens heraus-
gebildet haben, um gewisse Kategorien der ideellen Verbindung
herzustellen, bei der gesprochenen Rede auch in der Wahl des
Akzents und Tons (wofür in der geschriebenen das dürftige Surrogat
der Interpunktion eintritt), was sich alles in der mannigfachsten
Art kombinieren kann. Diese Formen sind nun in beständigem
Flufs, in beständiger gegenseitiger Einwirkung, gerade wie die
Formen des Verbalsystems; aber auch die andre Seite, das ideelle
Substrat bleibt nicht ewig gleich: Die Tradition der bei einer
gewissen Gelegenheit ausgesprochenen Gedanken ändert sich wie
jede Tradition und wenn schon ziemlich verschieden ist, was jede
Sprachgemeinschaft oder auch eine Sprachgemeinschaft in ver-
schiedenen Epochen als gewohnheitsmäfsige Ideen und Rlitteilungs-
material mit sich führt, so ist beinahe ganz unabsehbar verschieden,
was bei der einzelnen Mitteilung für Nebenumstände denkbar oder
vorhanden sind, die gewohnheitsmäfsig ausgedrückt oder ver-
1 Kursive Ziffern gehen auf die am Rande durchgerührte I'aragraphen-
ziihlung.
8o
schwiegen werden. Man denke nur an die Bestimmtheit oder Un-
bestimmtheit der Sachbegriffe (Artikel), die zeitHchen Beziehungen
der Handlung auf die Gegenwart oder auf andre Handlungen
(Tempora und Aktionsstufen) u. v. a.
c. Und damit kommen wir auf einen weitern Punkt, der die
syntaktischen Probleme so schwierig macht, die Vieldeutigkeit der
Rede. Wir sind nie sicher, welche und wie viel Nebenumstände
der Sprechende in seiner Rede wirklich enthalten wissen will, wir
können Nebenumstände hineinlegen, die nicht beabsichtigt waren,
wir können Nebenumstände vernachlässigen, die beabsichtigt waren.
Diese Nebenumstände, um die die Auffassung des Hörenden von
der des Sprechenden differiert, können sich aber im Lauf der Zeit
summieren und wichtig werden und so hat die Forschung alles
Interesse daran, ihre Entwicklung schrittweise zu verfolgen, soweit
das eben möglich ist. Nun ist aber die Sicherheit, mit der man
der Rede des Sprechenden den gewollten Sinn beilegt — man
nennt diese Sicherheit Sprachgefühl — selbst der Muttersprache
gegenüber nicht absolut, nicht vollkommen, um so weniger fremden,
später gelernten Sprachen gegenüber und früheren Zuständen der
eigenen Sprache. Dieser Mangel macht sich also gerade bei der
historischen und bei der vergleichenden Sprachbetrachtung un-
angenehm bemerkbar, bei jener Sprachbetrachtung, die gerade zur
Erklärung der Phänomene die notwendige, ja die einzig in Betracht
kommende ist. Auch wenn wir in irgend einem Denkmal noch so
genau in den Gesamtsinn und den Zusammenhang eingedrungen
sind und wenn wir ihn noch so scharf erfafst haben, werden wir
über den genauen Sinn des einzelnen Wortes, der einzelnen Formel
häufig im unklaren sein.
d. Eine letzte Schwierigkeit, mit der die syntaktische Forschung
zu kämpfen hat, ist der Mangel an Übersicht der Erscheinung
gegenüber. Um den Gründen einer syntaktischen Wandlung nach-
zugehen, müssen wir zunächst die Ausgangspunkte der Wandlung
aufsuchen. Nun ist aber die syntaktische Erscheinung in ihrem
Äufsern zumeist viel mannigfaltiger und vielgestaltiger als die morpho-
logische; niemals können wir darauf rechnen das Material, das wir
brauchen, vollständig zusammenzubekommen. Oft können wir für
eine syntaktische Formel hunderte von Beispielen zusammenstellen
und davon ist fast keines ganz so gebaut wie das andre. —
2, So sind denn schon in jeder syntaktischen Arbeit, die auf die
Gründe der Wandlungen lossteuert, die Vorarbeiten schwer, in
denen man hauptsächlich zu sondern hätte, was Tradition und was
neuentwickelt ist. Für jene gerade vom Standpunkt der allgemeinen
Sprachwissenschaft so dankbaren und lehrreichen Vorgänge, die
sich zwischen dem Lateinischen und Romanischen abgespielt haben,
allerdings bleibt einem nun diese Vorarbeit zum grofsen Teil er-
spart. Man ist nicht mehr darauf angewiesen, von vorn anzufangen,
wie man es wäre, wenn Sie nicht in Ihrer monumentalen romanischen
8i
Syntax gerade diesem, hier so hervorragend wichtigen, Punkt eine
erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Sie haben hier zum
erstenmal die historische Methode konsequent auf die romanische
Syntax angewendet. Zum erstenmal tun wir hier einen Blick hinter
die Kulissen. Hat sich die bisherige Forschung im grofsen und
ganzen begnügt, das vorhandene Material zu sammeln, zu ordnen
und zu deuten — zu deuten in dem Sinn, dafs sie den vom
Sprechenden gewollten Sinn ergründete oder zu ergründen suchte
— hat sie die Erklärung, wenn sie sich überhaupt darum kümmerte,
zumeist mit ein paar jener Schlagwörter abgetan, die in der Syntax
noch mehr als auf andern Gebieten ihr Unwesen treiben, so lehrten
Sie uns unseren Bück auf die grofsen Zusammenhänge — die
historischen und die geographischen — lenken und auf das Werden
und Vergehen und auf die stete Umbildung der syntaktischen
Formen.
Ich habe denn auch, um mich über das Wesen der syntak-
tischen Wandlung im allgemeinen zu orientieren, dieses Ihr Werk
gelesen und wieder gelesen. Aber wie viel ich auch daraus für
meine Zwecke lernte, wie viel neue Erkenntnis und vertieftes Ver-
ständnis ich daraus schöpfte, es war mir auf diesem Wege nicht
möglich, zu einer Übersicht der hier herrschenden Triebkräfte, um
die es sich mir zunächst handelte, zu gelangen. Eine jede Er-
scheinung, wie Sie sie mit markigen Zügen umgrenzen, um sie
Ihrer grofszügigen Gesamtdarstellung unterzuordnen, zerfällt, wenn
man sie daraufhin untersucht, in eine Menge von Teilerscheinungen;
das Problem, das sie birgt, zerfasert und zerfädelt sich denn auch
in eine Menge kleiner Probleme, die miteinander manchmal recht
wenig zu tun haben, aber dafür oft aufs innigste mit andern Er-
scheinungen und deren Problemen und Teilproblemen zusammen-
hängen. Der Schritt vom einzelnen ins allgemeine war vorläufig
unausführbar, zuerst mufste der Schritt vom einzelnen ins einzelste
gemacht werden. Und so habe ich mich entschlossen, zuerst
Einzeluntersuchungen zu unternehmen und habe mir dazu zunächst
eines Ihrer Kapitel, gleich eines vom Anfang Ihres Buches, das
vom allgemeinen Standpunkt zu behandeln besonders lohnend zu
werden versprach, ausgesucht, das vom /ö-Partizip (§ 1 1 — 14). Und
da zeigte sich sogleich die Komplexität der syntaktischen Er-
scheinung. Ich konnte es nicht behandeln, ohne gleichzeitig ge-
wisse andere Kapitel der romanischen Syntax mitzuuntersuchen,
besonders das von den partizipialen Verbindungen (§288 ff.). Da
nun aber auch die lateinischen Grundlagen noch einer erneuerten,
sorgfältigen Betrachtung unterzogen werden mufsten, so wuchs mir
der Stoff so an, dafs ich weit entfernt Einzeluntersuchung an
Einzelurttersuchung zu reihen, wie ich es ursprünglich und zwar als
ganz private Vorarbeit für meinen eigenen Gebrauch und meine
eigene Belehrung beabsichtigte, mich schliefslich mit der Hälfte der
ersten Einzeluntersuchung' begnügen mufste, um noch etwas für
den Zweck des geplanten Bandes verwerten zu können. So habe
Beiheft zur Zeitsclir. f. rom. Phil. XXVI. (Festschrift.) 6
82
ich denn das /ö-Partizip vom Lateinischen ins Romanische etwa des
13. Jh, verfolgt, habe nur gelegentlich weiter nach vorn gegriffen,
wo es der Zusammenhang erheischte, im Prinzip aber die neuere
Entwicklung beiseite liegen lassen. Und selbst auf diesem be-
schränkten Gebiet habe ich noch manches von dem gesammelten
Material ausgeschieden, weil dies noch nicht zur Erklärung oder zu
einer geschlossenen Darstellung genügend schien, oder weil die
Erscheinung, wenn auch schon früher vorbereitet, doch erst in
jüngeren Perioden allgemeinsprachgeschichtliches Interesse gewinnt;
so z. B. die Verbindung des /0- Partizips mit gewissen Verben der
Bewegung oder des Verbleibens {andare, estar, fincar usw.).
So übergebe ich statt der von mir ursprünglich geplanten
Gesamtübersicht eine auf ganz kleines Gebiet beschränkte Arbeit
Ihnen und der Öff"entlichkeit, obwohl sie ursprünglich nicht dafür
bestimmt war. Aber ich habe das Gefühl, dafs ich mit den Er-
gebnissen dieser Vorarbeit zufrieden sein kann. Viele neue, un-
bekannte Erscheinungen hat sie zwar nicht zutage gefördert. Aber
dadurch, dafs ich jede syntaktische Formel auf ihre Anknüpfungs-
punkte hin prüfte, ihr Werden, ihr Sich- Ausbreiten und ihr Ver-
gehen so genau verfolgte, als es eben die mir zugänglichen Quellen
zuliefsen, jene Bedeutungen und Bedeutungsnüanzen in den ver-
schiedenen Gebrauchsarten soweit zu fixieren suchte, als es meinem
Sprachgefühl möglich war und der steten Wechselwirkung zwischen
der Formel und ihrer Bedeutung nachging, erschien mir manche
altbekannte Erscheinung in ganz neuem Licht, erschien mir manches
erklärlich, was mir früher rätselhaft war, als so selbstverständlich
es auch bisher dargestellt zu werden pflegte.
Ein System der syntaktischen Wandlungen nach ihrem Wesen
und ihren Gründen angeordnet läfst sich natürlich auf so begrenztes
Material noch lange nicht aufbauen. Aber gewisser treibender
Kräfte werden wir auch hier schon gewahr. Zwei Vorgänge sind
es, die sich selbst auf diesem Gebiet immer und immer wiederholen.
Der eine ist die Neubildung. Die Neubildungen, die mir
im Verlauf dieser Arbeit begegneten, waren immer analogischer
Natur. Die analogische Neubildung auf syntaktischem Gebiet ist
nicht wesensverschieden von der Analogie, die in der Flexions-
und Wortbildungslehre eine so grofse Rolle spielt. Sie bewegt sich
ganz in den gleichen Formen :i es besteht intransitives levat neben
levat se in der Bedeutung 'erhebt sich' mit einem gewissen feinen
Unterschied. Das Perfekt ist für beide ursprünglich levatus est.
Da dies nun formell nur zu levat zu gehören scheint, so bildet man
zu se levat das entsprechende levatus se est, also ein Proportions-
ergebnis wie es für jede eigentliche Analogiebildung charakteristisch
ist. Neben der eigentlichen Analogiebildung haben wir auch hier
die uneigenlhche Analogiebildung oder Kontamination, z. B. wenn
^ Eine gedrängte Übersicht über den Vorgang bei der Analogiebildung
habe ich Z. f. frz. Spr. XXV^, 125 fr. gegeben.
83
se rappeler geh. durch die Beeinflussung von sc sotivenir de qch. zu
se rappeler de qch. umgestaltet wird.
Den zweiten Vorgang möchte ich Funktionsverschiebung 4.
nennen. Es handelt sich hier nämlich darum, dafs die Beziehung
zwischen einer syntaktischen Formel und ihrem Sinn, also ihre
Funktion, geändert wird. Wir haben zwei Formen zu unterscheiden,
die spontane und die analogische Funktionsverschiebung. Die
spontane Funktionsverschiebung, die bei der syntaktischen Formel
das ist, was die Bedeutungsverschiebung beim einzelnen Wort ist,
beruht auf der Verschiedenheit der Auffassung des Sprechers und
Hörers. Sie ist im Grund genommen ein konsequentes Mifs-
verständnis. Ein Beispiel wird sofort dartun, wie das gemeint
ist: Je mange bien du pain heifst ursprünglich 'ich esse tüchtig Brot'.
hien gehört hier zu dem ganzen Ausdruck. Wer nun aber im
Brotessen tüchtig ist, ifst viel Brot. Der Hörer versteht von diesen
beiden in unserm Fall auf das gleiche hinauslaufenden Nuancen
die zweite und kommt zu dem Gefühl, dafs bien du pain 'viel
Brot' heifst.
Bei der analogischen Funktionsverschiebung dagegen nimmt 5.
eine Form nach einem bereits gegebenen Verhältnis eine andere
Bedeutung an. *credutu eigentlich 'geglaubt', oder auch 'was
geglaubt wird' nimmt die Bedeutung 'der glaubt' an, vermutlich
nach arbitratus u. a., die schon früher ungefähr das gleiche be-
deuteten; hibiius eigentlich 'getrunken' erhält von einer bestimmten
Zeit an die Bedeutung 'wer getrunken hat' nach potus, cenatus,
pransus u. a. s. 7/. Auch hier haben wir Proportionsbildung:
creduiu '. credere = arhitratu : arbiträre. Der Unterschied von der
analogischen Neubildung ist aber der, dafs die Formen credutu,
hihilu schon früher bestanden, aber mit verschiedener Funktion.
Nach einem andern Gesichtspunkt könnte man die Funktions- 6.
Verschiebung in singulare, partielle und generelle einteilen.
Singular wäre sie, wenn sie nur eine bestimmte syntaktische Formel
ergreift, wie das Beispiel mit hie7i oder noch deutlicher vielleicht
die spontane Funktionsverschiebung von oil 'dies er' (wie man o-ie,
o-tu sagte), das vom Hörenden als eine die Gültigkeit des früher
fragend gesprochenen Satzes aussprechende Partikel gefafst wurde,
ähnlich wie sie, 71071. Bei der partiellen würde die Neuerung sich
auf einzelne bedeutungsverwandte Fälle ausdehnen, wie bei credutu
usw. Generell wäre die Funktionsverschiebung, wenn sie bei einem
ganzen morphologischen Typus durchgreift, Beispiele unten 28, ^2,
lop, 120 usw.
Die vorhin besprochenen Schwierigkeiten zeigen sich nun dann, 7.
wenn es gilt, im Verlauf irgend einer Entwicklung diese wenigen
aber sehr wesensverschiedenen Triebkräfte auseinanderzuhalten. Sie
verbinden sich meistens in sehr wechselnder Art und wenn eine
Erscheinung, wie es oft vorkommt, mit der Zeit grofse Ausdehnung
gewinntj so mufs man jede der einzelnen Stadien, sogar zuweilen
jeden Einzelfall besehen und ihn nach seinen besonderen Beziehungen
6*
84
einordnen und unterbringen. — Diö generelle Funktionsverschiebung
war vielleicht ursprünglich nur partiell, die partielle ursprünglich
Singular. Die spontane Funktionsverschiebung tritt erst in Er-
scheinung, wenn sie sich mit analogischen Verschiebungen und
Neubildungen paart. Solange das französische bei je majige hien du
pain blieb, hätte uns nur das Sprachgefühl des damals lebenden
Franzosen darüber belehren können, dafs er in hicn du pain die
Bedeutung 'viel Brot' herausfühlte. Erst dadurch, dafs man sagte
avec bien du pain, hien du pain est sur la fahle usw., sind wir über
die Funktionsverschiebung orientiert. Das sind jedoch analogische
Neubildungen. Ebenso wäre aber auch die analogische Neubildung
levaius se est nicht möglich gewesen, solange levatus est seine etymo-
logische Bedeutung eines Zustands gehabt hat. Die Nuance, die
es als ein Perfekt zu levat oder levat se erscheinen liefs, hat es
erst, entweder durch analogische Neubildung oder aber durch
analogische Funktionsverschiebung erlangt. Da sich nun die ana-
logische Neubildung oft mit der spontanen Funktionsverschiebung
paart, so ist dann häufig schwer zu entscheiden, ob dies oder ob
analogische Funktionsverschiebung vorliegt: ainatuin habeo konnte
nach lateinischem Brauch nur ungefähr heifsen: 'ich habe lieb', 'ich
liebe'. Wenn es nun in den romanischen Sprachen in der Bedeutung
'ich habe geliebt' erscheint, so kann a priori dieses amatutn habeo eine
von jenem ganz unabhängige analogische Neubildung sein nach
Fällen, wo bereits im lat. haheo -f- Part, durch spontane Funktions-
verschiebung Perfektbedeutung angenommen hat; es kann aber auch
sein, dafs das lat. amattim habeo durch Einwirkung dieser Fälle die
Perfektbedeutung angenommen hat, d. h. es wäre nie zu dem Perfekt
amatitm haheo gekommen, wenn die Formel, allerdings in andrer Be-
deutung, nicht schon früher bestanden hätte. Wir werden solchen
Problemen wiederholt begegnen und sie wiederholt offen lassen müssen.
Neben den Neubildungen und Funktionsverschiebungen ver-
dient ein dritter Vorgang, das Aussterben einer syntaktischen
Form oder Funktion, unsere Beachtung. Wir werden auch dieser
Erscheinung wiederholt begegnen. Sie ist zumeist, doch vielleicht
nicht immer, die Folge einer Konkurrenz. Bei einer Funktions-
verschiebung ist es nämlich, wie es scheint, der seltenere Fall, dafs
die ursprüngliche Funktion sogleich verschwindet; so vielleicht bei
dem zitierten Beispiel oil. Im allgemeinen erhält sich die neue
Funktion längere oder kürzere Zeit neben der alten. Dann aber
tritt doch häufig eine der Funktionen aufser Gebrauch, entweder
die alte, wie bei fai aine 'ich habe lieb', vgl. 12^ ü. oder die neue,
vgl, 705. Die absichtliche Wahl spielt dabei eine grofse Rolle, man
wählt für eine Funktion eine Form nicht mehr, die den Hörenden
zu einer andern Auffassung verleiten könnte. Es sind dies im
Grunde stilistische Beweggründe, ist es doch die Aufgabe der
Stilistik, zu untersuchen, warum von mehreren möglichen Gedanken-
wiedergaben in dem bestimmten Fall die eine oder die andere
gewählt wird. Eine häufige aber vielleicht nicht notwendige Voraus-
85
Setzung für die Nichtwahl einer syntaktischen Form ist, dafs für
den Gedanken eine andere Ausdrucksform besteht. Durch Nicht-
wahl und zumeist eben auch durch Bevorzugung einer andern
Ausdrucksform können aber auch unter Umständen syntaktische
Formen aussterben, die ihre Funktion nicht verschoben haben. Ein
Beispiel dafür ist die Aufgabe des lat. Passivums, vgl. 66 i.
Das mit Suffix -to gebildete Verbaladjektiv im Lat.
Die Entwicklung der Bedeutung und der Verwendung des -io-" g.
Part, im Lateinischen ist den Grundzügen nach meisterhaft von
Brugmann in den Indog. Forsch. V, 8g — 152 dargestellt worden.
Darauf fufst naturgemäfs Ihre Darstellung im 3. Band der Rom. Gr.
Dadurch dafs Sie von der Grundbedeutung und dem eigentlichen
Wesen des Partizips, wie es sich durch Brugmanns Untersuchung
ergibt, ausgehen, ist es Ihnen geglückt, auch manche bisher auf-
fällige romanische Erscheinung in einem neuen Licht, in einem
Licht zu zeigen, das sie minder oder gar nicht auffällig erscheinen
läfst, z. B. diejenige, die man bisher als „Ausartung des Gebrauchs"
im Altfrz. oder sonst wo anzusehen geneigt war.
Es wird also von nun an daran festzuhalten sein, dafs weder
die passive noch die präteritale Bedeutung etwas dem Verbal-
Adjektiv auf -to anhaftendes sei. „Dieses Adjektiv hat weder be-
stimmte Beziehungen zu einem Tempus noch auch zum Aktiv und-
Passiv" (R. Gr. III, S. 14). Dagegen prädiziert es, wie Br. richtig
erkannte, eine Handlung einem Wesen in der Gestalt einer (in
einem bestimmten Moment oder überhaupt) „anhaftenden Eigen-
schaft", eines charakteristischen „Merkmals".
Dabei tritt der Gedanke an das Vorsichgehen dieser Handlung 10.
vollständig zurück. Es ist deshalb vielleicht schon zu viel, wenn
man die Bedeutung des -/0 -Adjektivs so definiert, dafs dadurch
etwas als „von einem Vorgang betroffen und durch ihn in einen
Zustand geraten" (Brugm. im Grdr.) gedacht wird. Der Vorgang
selbst ist von so untergeordneter Wichtigkeit, dafs er in manchen
Verbindungen überhaupt nicht vorhanden ist. Nicht für alles, was
man mit occidtus, Junciiis, coimexus, separaius bezeichnet, läfst sich
ein occulere, jüngere, conneciere, separate konstatieren; was aper tum
ist, kann es von jeher gewesen sein und was claustivi, war nicht
zwingender Weise einmal apertum, so dafs die Handlung des claudere
hätte eintreten müssen; \g\. jimcta vitis ulmo Ov., ita confusa est
oratio, ita perturbata, 7iihil iit sit primum, nihil secundum Cic, naves
apertae Cic, dissociata locis concordi pace ligavit Ov. met. I, 20.
Durch eigene Bedeutungsentwicklung kann sich das Adjektiv sogar
ganz vom Verb entfernen, so dafs die genaue Beziehung zur
Handlung oft nicht mehr klar erkannt wird: privatus, consultus. Im
allgemeinen aber läfst sich sagen, dafs selbst dort, wo die Handlung
in facto nicht vorhanden ist, die ideelle Beziehung des Adjektivs
86
zu ihr sich klar und bestimmt feststellen läfst. Die Lage der terrae
separafae, die natürlich nie beisammen waren, ist doch so, als ob
die Handlung des separare an ihnen ehemals vorgenommen wäre,
so dafs hier sep, passiven und präteritalen Sinn hat. Das ist nicht
blofs spekulative Spitzfindigkeit, sondern das eigentliche genetische
Verhältnis. Denn wenn der menschliche Geist nicht beobachtet
hätte, dafs in so und so viel Fällen das Auseinander der Dinge
durch die Handlung des separare zustande gekommen wäre, würde
er den von separare abgeleiteten Ausdruck nicht dort anwenden,
wo eine solche Handlung niemals vorgenommen wurde.
ii"- Da nun also die Handlung, die durch den mit -io weiter-
gebildeten Verbalstamra ausgedrückt wird, zum mindesten ideell,
für irgend ein Zeitverhältnis Gültigkeit haben mufs und bei der
Beziehung dieses Adjektivs auf einen Seinsbegriff feststellbar sein
mufs, in welchem Verhältnis der Seinsbegriff zu eben dieser Handlung
steht, ob er nämlich davon betroffen wird (Objekt) oder ob er die
Handlung veranlafst (Subjekt), da weiter diese Beziehungen eben
nicht durch das Verbaladjektiv als solches zum Ausdruck
gebracht werden, das vielmehr fast alle darin denkbaren Ver-
schiedenheiten zuläfst, sondern sich erst aus dem jeweiligen Zu-
sammenhang der Rede und besonders der Bedeutung des
Verbs selbst ergeben müssen, so ist die Frage am Platz, unter
welchen Bedingungen sich diese, unter welchen jene Zeitstufe ein-
stellt, wann das objektive (passive) wann das subjektive (aktive)
Verhältnis zum Seinsbegriff, auf den es bezogen ist, vorliegt. Diese
Frage, die vielleicht an und für sich belanglos wäre, ist deshalb
zu stellen, weil Zeitstufe und Genus verbi bei jenen Veränderungen
eine wichtige Rolle spielt, durch die das mit einem Hilfsverb in
Verbindung gesetzte -/ö-Adjektiv eine Bedeutung erlangt, die ander-
wärts (in früheren Perioden oder andern Sprachen) durch eine
bestimmte Form des Verbum finitura selbst ausgedrückt wird, d. h.
bei jenen Strömungen, durch die es — als Bestandteil des Passivum
oder perfektischer Aktivformen — in das Verbalsystem selbst hinein-
gerissen wird.
Konstatieren wir also, welche Beziehungen überhaupt denkbar
sind und belegen wir die wirklich vorhandenen durch Beispiele.
Es sind denkbar für das Genus Verbi: Aktivum und Passivum; für
die Zeitstufe: Präteritum, Präsens und Futurum.! Davon wird rein
futurischc Beziehung durch die Bedeutung des Verbal - Adjektivs
ausgeschlossen, denn es ist nicht gut möglich, dafs eine zukünftige
Handlung eine irgend welchem Seinsbegriff anhaftende Eigenschaft,
ein ihm charakteristisches Merkmal bildet. Alles andere dagegen
kommt auch wirklich vor und wir haben demnach:
1 Diese Ausdrücke sind natürlich vom Standpunkt der jeweiligen Situation
zu verstehen, die dem Sprechenden vorschwebt. Man könnte statt dessen
vorzeitig, gleichzeitig, nachzeitig sagen, wenn ein Vergleich in zeitlicher Be-
ziehung mit einer andern Handlung nicht ursprünglich durch den adjektivischen
Charakter der -/o-Form ausgeschlossen wäre.
87
I. Das Verbaladjektiv hat passive und präteritale Beziehung
zur Handlung: caro cocta, opus perfectujii, porta clausa ^ dona merita.
II. Das Verbaladjektiv hat aktive und präteritale Beziehung:
cenatus 'der eine Mahlzeit eingenommen hat', midier ?iupta, ohitus
'gestorben', praeieriium, tergo velamina lapsa^ serviis pessime vieritusy
fesstis 'abgemüht', 'müde'.
III. Das Verbaladjektiv hat passive und präsentische Be-
ziehung: amatus 'der Geliebte', regio habitata, taciium pati aliquid
(Liv.), omnis honores non ex merilo, sed quasi debiles a vobis repelil
(Sali.), imperiosus intra Urnen alque impotens, humilis foris et tarn
contemptus quam contemnens (Sen.), servili habitu per tenebras
igfioralus evasit (Tac).
IV. Das Verbaladjektivum hat aktive und präsentische
Beziehung: placitus, tacitus 'schweigend', veriius 'fürchtend', fluxus
'fliefsend', cauius, falsus 'täuschend' = 'falsch', praesumpius 'kühn'
(zu praesumere 'sich etwas herausnehmen'), ?naestus, fletus 'weinend',
palatus ' umherschweifend ', y^r/aZ/^j- 'müfsig feiernd', licitus 'was er-
laubt ist, frei steht'.
Abgesehen wird in dieser Zusammenstellung von den mannig-
fachen modalen Nebenbeziehungen, die sich ergeben können, ferner
von den Fällen, wo die Verwendung aktiv und passiv zugleich, also
reflexiv oder medial ist.
Überblicken wir die gegebenen Beispiele, so ergibt sich im'
grofsen und ganzen folgendes:
«) Passive Beziehung verbindet sich nur mit transitiven
Verben, aktive zumeist mit intransitiven. Erscheint ein Verbal-
adjektiv in beiden Kategorien wie taciius, meriius, so kennt auch
das Verbum beide Gebrauchsweisen nebeneinander: tacere absolut
und tacere aliquid , mereo(r) aliquid und mereor 'ich mache mich
verdient'.
/3) Präsentische Beziehung verbindet sich mit durativen,
präteritale mit perfektiven Verben.
Diese Verteilung erklärt sich aus der oben erwähnten Grund-
bedeutung des Verbaladjektivs, dafs es nämlich etwas als charakte-
ristisches Merkmal prädiziert und zwar am leichtesten bei I und IV.
Bevor ich aber auf diesen Punkt näher eingehe, mufs ich an 12.
einen Unterschied erinnern, der die transitiven Verba in zwei aller-
dings nicht scharf getrennte Gruppen teilt. Die Handlung der
einen hat eine Veränderung im Wesen, im Zustand, in der örtlichen
Lage des von ihr regierten Objekts zur Folge; nennen wir diese
Verba die real-transitiven. Durch die Handlung wird das Objekt
geschaffen, zerstört, verändert, verschoben: mwidum crcare, littcras
scribere; murum destruere, catenas rumpere; hostem vulnerare, lignum
colorare; memhra movere, tabulas collocare. Wie man sieht, zerfällt
88
diese Gruppe wieder in eine P>.eihe Nuancen, die sich in der ge-
wählten Reihenfolge immer mehr der 2. Gruppe nähern. — Die
andere Gruppe drückt eine Handlung aus, die ebenfalls eine Be-
ziehung zwischen Subjekt und Objekt herstellt, aber die Wesenheit
des Objekts nicht berührt: aliquem inviiare, rogare, aniare ; aliquid
timere, cognoscere, scire. Nennen wir sie pseudo-transitiv. Die Verba
der ersten Gruppe sind vorwiegend perfektiv, und zwar diejenigen,
die ein Schaffen oder Zerstören ausdrücken wohl durchwegs, die
der 2. Gruppe sind perfektiv oder durativ. Freilich ist auch hier
eine Mittelstufe nicht ausgeschlossen, es sind dies die iterativen
Verba, die je nach der Stellung im Satze und der Verbindung
bald perfektiv, bald durativ verwendet werden können. Wir können
vorläufig davon absehen, werden aber darauf noch zurückzukommen
haben.
13. Dafs nun bei den real transitiven, perfektiven Zeitwörtern die
Handlung, die das -/(?-Adjektiv raitausdrückt, passiv und präterital
sein mufs, liegt auf der Hand. Die Handlung geht hier vom
Subjekt aufs Objekt über und modifiziert das Objekt in entscheidender
Weise. Nur dem Objekt erwächst ein anhaftendes IMerkmal aus
dieser Handlung, die also vergangen sein mufs, damit das Merkmal
prädiziert werden kann: so also caro coda, opus perfecium vgl. quae-
dam nondum perfecta animalia, sed tum primum accipieniia spiriiuni et
ex parte jam formata ex parte adhuc terrena vistmtiir I\Iela 9 52. Die
Handlung ist hier durch ihren Erfolg an dem Objekt wahrnehmbar
oder erkennbar.
Von derartigen an den Dingen selbst wahrnehmbaren Folgen
kann bei der Gruppe der pseudotransitiven Verba nicht die Rede
sein. Ist aber die Handkmg des Verbs perfektiv, ist also durch
sie etwas zum Abschlufs gebracht, so mufs, wenn auch nicht am
Ding selbst, so doch an seinen Beziehungen zu anderen Dingen,
besonders zum Subjekt, eine Veränderung hervorgebracht sein,
während das Subjekt, das als Agens gedacht ist, keine derartige
Veränderung erleidet. Was sich also als charakteristisches Merkmal
aus der Handlung des Verbs ergibt, mufs zunächst wieder an dem
Objekt, zwar nicht an seiner Wesenheit, wohl aber an diversen
Folgeerscheinungen, die sich an die veränderten Beziehungen
knüpfen, erkennbar sein; diese veränderte Sachlage kann als
charakteristisches Merkmal des Objektsbegriffs aufgefafst und durch
das -/o-Adjektiv ausgedrückt werden. So haben wir also auch hier
passive und präteritale Bedeutung: iter cogtiitum, res testata, pretium
Petitum, amicus invitalus, dona merita.
14. Tritt also beim perfektiv-transitiven Verb das Verbal-Adjektiv
auf -to naturgemäfs mit dem Objekt in Verbindung, so kann die
durative Handlung sehr wohl als etw^as für das Subjekt charakte-
ristisches aufgefafst werden. Ja es scheint zunächst, als ob dies
das einzig denkbare wäre; denn es liegt im Wesen der durativen
Handlung, dafs sie bei einem Objekt eine einschneidende Ver-
änderung nicht hervorbringen kann, höchstens kann sie einen an-
89
dauernden Einflufs darauf ausüben; diese dauernde Einwirkung
kann aber schwerlich als ein charakteristisches anhaftendes Merkmal
des Objekts angesehen werden, solange sich nicht daraus für es
ein Resultat ergibt, welches aber natürlich nicht durch das durative
Verb selbst, sondern erst recht durch ein perfektives ausgedrückt
würde. Dagegen kann die durative Handlung sehr leicht als etwas
für das Subjekt charakteristisches angesehen werden, da eine Person
oder ein Ding, das dauernd eine Handlung auszuüben vermag,
gewisse seinem Wesen anhaftende Qualitäten haben mufs, die es
immer wieder dazu befähigen. Die durative Handlung ist aber
nun natürlich nur solange charakteristisch für das Wesen, als es
sie ausübt und so hat das -/c/ -Adjektiv hier die Bedeutung eines
[durativen, generellen] Präsens: cauliis 'der cavet', veritus 'fürchtend',
7naestiis 'traurig', operatus 'tätig'.
Danach findet sich also das -/ö-Adjektiv in aktiver präsentischer
Bedeutung bei intransitiven und pseudotransitiven Verben, bei
letzteren immerhin nicht gerade häufig und nur ohne Objekt —
also intransitiv gebraucht — oder wenigstens nicht mit nominalem
Akkusativ-Objekt: scitus, ohsiinaius inori, aber nicht *obstinatiis affini-
tatem hmic wue obsfmavii affinitaiem hanc Plautus Aul. 267. Es er-
klärt sich dies eben daraus, dafs der Akkusativ eine verbale Kon-
struktion, also neben dem Adjektiv nicht am Platz war, s. Brugm.
1. c. 10 1 f. Auch bei realtransitiven Verben wäre möglich, dafs
diese Bedeutung sich hie und da entwickelt hat, nämlich dann,
wenn diesen Verben der iterative Sinn beigelegt wurde, vgl. das
seltene y>r/?/j- 'fruchtbar'. Im ganzen versteht man aber, dafs sich
Ausdrücke wie *homo occisus = 'ein Mann, der zu töten pflegt'
sich neben homo occisus 'getöteter Mann' nicht recht entwickeln
konnten; es standen ja überhaupt für die aktiv-präsentische Bedeutung
konkurrierende Ausdrucksweisen mit mehr oder minder identischem
Sinn zur Verfügung; Partiz. auf -nt-, Nomina auf -ior, parasyn-
thetische Komposita von den Typen multiscius, agricola, henevolus.
Bei rein perfektiven [nicht iterativen] Verben ist eine präsentische
Bedeutung nicht am Platz. Die Bedeutung könnte hier nur die
eines punktuellen, nicht die eines allgemeinen Präsens sein. Das
punktuelle Präsens ist aber im Widerspruch mit der Bedeutung des
-/(?-Adjektivs als der eines anhaftenden charakteristischen Merkmals {g).
Wir werden später sehen, auf welchem Wege man zu Ausnahme-
fällen wie sol occasus gelangt.
Damit wäre I und IV erklärt. II ist zunächst in Fällen be- je,
rechtigt, wo durch die Handlung eines perfektiven Verbums eine
Zustandsänderung des Subjekts eintritt. Es bezeichnet dann an
dem Subjekt jenen Zustand, den es durch die Handlung erreicht
hat und findet sich zunächst bei intransitiven und pseudotransitiven
Verben: nupia 'die geheiratet hat, also im Stand der Ehe lebt',
aber nicht einfach 'die einmal geheiratet hat', denn ?mpta tritt auch
in Gegensatz zu vidua: nuptati est an vidua? Plaut. M. Gl. 965.
Ebenso adiiUus 'erwachsen', desperatus 'der die Hoffnung aufgegeben
90
hat', 'verzweifelt', jurattis 'der einen Eid geschworen hat, also
eidlich verpflichtet ist', faiiä flammä deflagrata . . siant 'stehen nieder-
gebrannt' Enn. trag. 7g; cenatus 'wer seine Mahlzeit eingenommen
hat'; atisus 'wer den Mut gefafst hat'; parta 'das Schaf, das ge-
boren hat', zu intrans. pario, im Gegensatz zu niitrix 'das blofs
nährt' Colum. 7, 4, 3.
16. Da nun der Ausdruck für solche Handlungen, die auf das
Subjekt rückwirken, häufig die passive Form hat, so treten derartige
Verbaladjektiva vielfach zu Deponentien in der Bedeutung eines
aktiven Präterital -Partizips: vier Uns 'der (für sich) etwas verdient
hat' zu mereor. laiitus 'wer sich gewaschen hat' zu iavor. versus 'der
sich gedreht hat' zu verlor, commentus 'wer sich etwas ausgedacht
hat' zu comininiscor. amplexus 'wer etwas umschlungen hat, um es
bei sich zu halten': duae mulierculae . . . sigmim ftenies amplexae
tcnent Plautus Rd. 560. genihus nixae ebda 696.
17. Wie in den Fällen I und 11 das -/o- Adjektiv in der Verbindung
mit esse von einer analogischen Bewegung erfafst wurde, die dazu
führte, dafs häufig die adjektivische Geltung verloren ging und
die -/ö-Form als Bestandteil des Verbalsystems aufgefafst wurde,
davon soll weiter unten die Rede sein. Hier mufs erwähnt werden,
dafs dies auch in rein adjektivischer Verwendung möglich war, und
zwar nicht blofs bei den Fällen I und Depon. 11, wo dieser sehr
häufige Gebrauch eben von der Verbindung mit esse ausgehen
kann. Wenn PL Amph. 437 nam injurato scio plus credet miJii quam
jurato tibi ursprünglich auch heifst: 'mir dem eidlich nicht ver-
pflichteten', 'dir dem eidlich verpflichteten', so konnte es doch auf
die Handlung bezogen werden und aufgefafst werden als: 'dir, der
geschworen hat'. Ebenso wie homo morhius von der Bedeutung
'ein toter Mensch' übergehen konnte zu der 'ein Mensch, der ge-
storben ist', vgl. z. B. PI. Poen. 107 l Quo me privatum aegre patior
morluo, hier allerdings durch den Einflufs von mortuus esl, konnte
obitus die Bedeutung 'der verschieden ist' annehmen Paulin. Carm.
24 568- In einer Verbindung wie lempus praeterilum 'eine Zeit, die
vergangen ist', kann dann kaum mehr von einem infolge der
Handlung anhaftenden Merkmal gesprochen werden. Ahnlich wird
zu fassen sein: annis festinaiis raptus 'durch die Jahre, die sich
beeilt hatten' (Mart.).
18. Am schwierigsten gestaltet sich die Beurteilung des Falles III.
Der präsenlische passive Sinn hat, wie wir gezeigt haben, seinen
Platz bei transitiven durativen Verben. Der Sinn ist also der, dafs
eine Handlung dauernd an einer Person, einer Sache ausgeführt
wird : amalus der Geliebte. Eine derartige Handlung, die an einem
Seienden von einem andern Seienden ausgeübt wird, ohne ein
definitives, wahrnehmbares Resultat zu haben, kann schwerlich als
eine charakteristische anhaftende Eigenschaft jenes Seienden auf-
gefafst werden. 1 Das „Geliebtwerden" ist an sich nicht eine dem
^ Solange es sich wirklich um dieses rein passive Verhältnis handelt.
Manche Verba haben aber die Natur, dafs die Handlung nicht ohne Mit-
91
Wesen einer Sache zukommende Eigentümlichkeit. Ebenso wenig
liefse sich dudus vir 'ein Mann, der geführt wird', aus der Grund-
bedeutung des -/(^-Adjektivs ableiten. Ganz anders wenn dudus
durch eine zugefügte Zielbestimmung aus einem durativen Verb zu
einem perfektiven geworden ist: homo in carcerem dudus. Da ist
iti carcerem ducere eine Resultathandlung, die den ]\Iann in eine
neue Situation bringt und diese Situation kann nun ganz gut als
etwas ihm anhaftendes gefafst werden. Aber dann ist eben der
Sinn des -/ö-Adjektivs präterital.
Höchstens bei iterativen Verben, die eigentlich eine Summe ig.
perfektischer Handlungen ausdrücken, deren jede eine gewisse Ein-
wirkung auf das Seiende ausübt, ist der passiv -präsentische Sinn
verständlich und wir finden denn auch: verberaius 'wer geschlagen
wird' schon bei Plautus : Rogitavi ego vos verber atas amhas pendeiües
simiil Truc. 777,^ U7iam (nodem) verberatus quam pepeJidi perpetem
Am. 280; laudatus vir Naev.fr. 17; hieher wäre auch zu ziehen
terra cuita, was allerdings in der ältesten Zeit noch nicht vor-
zukommen scheint, ferner celebraius, metrioratus u. ä.
Sonst aber finden wir in der ältesten Periode der lateinischen 20.
Literatur eine derartige Gebrauchsweise nur äufserst selten und auf
gewisse Fälle beschränkt und diese Fälle zeigen uns durch ihr
Wesen, dafs es sich bereits um ein Resultat einer analogischen
Bewegung handelt. Das Fehlen der präsentischen Bedeutung im
altern Latein ist bereits wiederholt hervorgehoben worden, z. B.
Dräger, Synt. II, 776 und dies hat, soweit es sich um passivischen •
Gebrauch handelt, bis zu einem gewissen Grad seine Richtigkeit,
Die Beispiele aber, mit denen Tammelin, de participiis priscae
latinitatis, Helsingf. i88g und auf ihn sich stützend Brugm., I.e. loi
das Gegenteil beweisen wollen, sind, soweit es sich um passivischen
Gebrauch handelt, nicht zutreffend.^ Es ist eigentlich nur iratus
erwähnt, das im Plautus 'erzürnt' zu bedeuten scheint. Aber von
iratus läfst sich nichts aussagen, da das zugehörige Verb nicht
vorhanden ist. Zum Inchoativ irascor, das ja zunächst 'erzürnt
werden' geheifsen haben mochte, gehört es ursprünglich ebenso
Wirkung von seilen des Objekts von sich gehen kann ; von solchen Verben
hat denn auch die passive Form ein stärker oder schwächer fühlbares aktives
Bedeutungselement. Dieses Bedeutungselement konnte ja dazu führen, dafs
ein Verb passiv-medialer Form schliefslich rein aktiv wurde, besonders wenn
das Verb in seiner aktiven Form verloren ging. So gehört in: in ea (Argo)
deiecti viri vecti petebant pellein inauratarn aiietis Enn. fr. tr. 210 vecii zu
einem fast aktiven vehor (Fall IV).
1 Hier haben die Codd. allerdings verberantis, was vielleicht nicht ganz
unmöglich ist, wenn man sich an den passiven Gebrauch der Part, wie amans
'Geliebter', subigens, vehens, pascens, gigneutüi, volveiitibus annis u. dgl. er-
innert. Vgl. Brugm. 1. c. 117; Bücheier, Alelanges Boissier 86 ff.
2 Ebensowenig das für den aktiven Gebrauch angeführte complexus, am-
plexus, das zu II gehört. Über fretiis läfst sich nichts sagen, da das zu-
gehörige Verb nicht vorhanden ist, das uns darüber Auskunft gäbe, oh fretus
ursprünglich passivisch oder aktivisch, präsenlisch oder präterital zu ver-
stehen sei.
wenig wie sciliis zu sa'sco. Hätte aber ein verloren gegangenes
Verbund *irare, von dem es abgeleitet sein könnte, die Bedeutung:
'zornig sein' oder 'in Zorn geraten' oder 'zornig machen', so
würde es beziehungsweise zu den oben besprochenen Fällen IV,
II oder I, nicht aber zu III gehören. Dabei ist aber überhaupt
nicht ausgemacht, dafs es von einem Verbum abgeleitet ist; es
könnte sich zu i'j-a verhalten wie harhatus zu harha (vgl. 'zornig'
von 'Zorn' wie 'bärtig' von 'Bart'), vgl. auch amoratus, moralus zu
mores etc. Mit der Möglichkeit, dafs das -/ö-Adjektiv von einem
Subst. abgeleitet ist, ist überhaupt gegebenenfalls zu rechnen, selbst
dort, wo das Verb daneben steht. So könnte sich fortunare auf
das viel früher belegte fortunatiis aufgebaut haben, das selbständig
aus fortuna gebildet werden konnte, honorare auf honoratus, so wie
sich im frz. auf eben unser ire = iratus ein Verb irer, ?l\E ferre =
fcrratus ein f er 7-er aufbaut. ^ animatus brauchte nicht eine Form
von animare, cenatus in der Bedeutung 'mit einer Mahlzeit vor-
sehen' {cefiatas noctes 'durchzechte Nächte' PI. Truc. 279) nicht ein
Partizip von cenare zu sein.
21. Trotzdem finden wir auch bei Plautus einige hieher gehörige
Fälle, die aber in diesem Zusammenhang bisher nicht erwähnt zu
sein scheinen.
I. tacihis 'was verschwiegen wird'. Hoc tu tecuvi tadtum haheio
Poen. 890 'behalte es bei dir'. Teann haheto. — Et tu hoc iaceto.
— Tacitum erit. — Celahitur. Persa 246, vgl. ferner Poen. 876,
wo aber die Überlieferung unklar ist. Dies tacitum 'verschwiegen'
ist wohl ursprünglich nach dem Vorbild von dictum 'gesagt' ge-
bildet; der Gegensatz von tacitum erit im zweiten Beispiel \si dictu7?i
erit, das richtig den perfektisch-präteritalen Sinn hätte. Dafs dieser
perfektisch-präteritale Sinn dem Gegensatz abgeht, erklärt sich aus
dem negativen Charakter des Verbs; so zeigt oft die Zusammen-
setzung mit in privativum präsentische Bedeutung, z. B. indictus
{Deum caelestem indictum innominahilem nostris Apul. Dogra. Plat. i),
invisus {invisa oculis astra Lact.), incitus in der Redensart ad incitas
redigere, inviolatus. Entfernt sich nun das -/ö-Adjektiv in diesen
Fällen von der ursprünglichen Bedeutung des anhaftenden INIerk-
mals, indem das Verschwiegenwerden, Nichtgesehenwerden nicht
als solches angesehen werden kann? Nicht immer. Denn wenn
ich das Nichtgesehenwerden als Charakteristikum des Gegenstands
auffasse, so konstatiere ich zugleich, dafs es etwas an sich hat,
was das Sehen unmöglich macht und so schreibe ich ihm eine
Fähigkeit, ein Vermögen, eine Nötigung zu. Es kommt ein modaler
Sinn hinein, den wir im deutschen mit Suffixen wie -bar, -lieh zum
Ausdruck bringen 'unsichtbar', 'unverletzbar', 'unbesiegbar' (vgl.
den Superlativ invictissimus Plaut. ]MG1. 57). So kann man das
tacitum im ersten Beispiel fassen als das 'was verschwiegen werden
^ Das Romanische ist damit einem Verlangen des Grammatikers Priscian
nachgekommen, vgl. dessen interessante Ausführung 442, 5 ff.
93
soll, mufs' und noch deutlicher ist der modale Sinn dieses Wortes
in vulgator tacili Ov. am. 3, 7, 51. — Zur Stelle tacere nequeo misera,
quod tacito usus est Cist. 127 u. ä., wo auch Analogie nach dicto vor-
liegen dürfte s. ^2.^
2. Eine zweite Gruppe wird dargestellt von den Verben des
Erwartens, Hoffens. Betrachten wir zunächst Beispiele wie: ui optata
eveniant PI. Persa 62g, Amphitnio uxorem salutat laeius speratam
suam PL Am. 676, (pater) recessit ncc sese dedit in conspecttim cor de
cupitus qiiatnqiiam . . . mani/s . . . tendebam lacrimans Enn. Frgm.
28, 14 (Bä.). Die Verba sind zwar durativ, der Sinn ist aber hier,
wo das Verbura finitum die Erfüllung des Gewünschten ausdrückt
oder mitverstehen läfst, nicht präsentisch, sondern präterital, denn
in dem Moment, wo das gewünschte eintritt, wo man den Erwarteten
begrüfst, hört ja Wunsch und Hoffnung auf. Dafs dieses Zeit-
verhältnis gefühlt worden ist, darauf weisen vielleicht Beispiele wie
spcm insperatam daie mihi (eine Hoffnung, die — bis jetzt — noch
nicht gehegt worden ist) PI. Men. 1081; insperata accidu7it magis
saepe quam qiiae speres PI. Most. 197, wo sich die auffällige In-
konzinnität eben daraus erklären würde, dafs die zweite Ausdrucks-
weise stärker präsentisch ist als die erste, weil da weniger an die
Erfüllung gedacht ist. Jedenfalls entfernt sich die Bedeutung des
-/o-Partizips von der Grundbedeutung und dies wohl durch Analogie
nach Fällen mit perfektiven Verben ähnlich der i'j erwähnten
Analogie: invilaius venu, urspr. *er kommt als einer, der eine Ein-
ladung hat' wird gefafst als 'er kommt als einer, der eingeladen
worden ist'; statt des Zustandsverhältnisses tritt eine temporal-kausale
Beziehung ein. Noch inniger berühren sich mit den obigen Fällen
folgende, wo das Verb ebenfalls ursprünglich perfektive Bedeutung
haben dürfte: Credo exspeclatus veniam familiarihus Most. 441, vgl.
a. Am. 658 f., 679, 680, Erit et tibi exoptaium continget M. Gl. lOi
v. a. Am. 654, wo das ex den Verben den Sinn 'hervorwünschen'
— wir würden sagen: herbeiwünschen, erwünschcn, erhoffen,
ersehnen — verleiht, mit der logisch nicht gerechtfertigten, aber
sehr verständlichen Vorstellung, als ob durch eifriges Wünschen die
Erfüllung des Wunsches erreicht oder beschleunigt werden könnte.
Wenn jene erst angeführten Beispiele, die sich präterital auf-
fassen lassen, die älteren sind, so ist doch jedenfalls nur ein kleiner
Schritt von hier zu wirklich präsentischen ; es braucht nur ein Satz
wie dii optafa dant negativ gewendet zu werden und das Zeit-
verhältnis ist sogleich verschoben : Potire quod dant , quando optata
non danunt Caec. St. fr. 176. Dann vielleicht schon bei Plautus:
Ibi quidem si regnum detur, non est cupita civitas Merc. 841 (aber
B hat aipida) ; im Wortspiel : stultust qui cupita cupiens cupienter
cupit Enn. fr. tr. 256. Später häufig: mihi in optatis est . . . Cic;
optata furiosorum Cic; omnia desider ata magis quam assidue percepta
^ Im Griechischen ist diese Nuance besonders ausgebildet worden: /«-
OtjTÖg hasseuswert, OQazög sichtbar.
94
(kleciant Cic; Melior itiliorque est certa pax quam sperata vkloria
Liv. 3O30; seit Optimum viodum esse cupitorum non qiiantum velis,
sed quantum debeas sumere Sen.; Quis non diver sa praesentibus con-
irariaque exspectatis aut speret aut ti^neat Vell.
3. Wie expectare etc. dürften auch manche andere Verl)a ur-
sprünglich perfektive Bedeutung haben, so dafs die Beispiele, die
hierher zu gehören scheinen, eigentlich richtig zu I zu zählen sind.
So scheint falsus est gleichbedeutend zu sein mit eum falUt 'er
irrt sich', *er weifs nicht'; aber die ursprüngliche Bedeutung der
Verbindung mufs doch sein: 'es entgeht ihm', 'er gerät in den
Irrtum'; also haud falsa sum nos odiosas haberi PI. Aul. 123 (ähnl.
Men. 755) 'darüber bin ich nicht in Irrtum geraten' = 'das weifs
ich ganz gut' und positiv: qiiippe qui quem illorum ohservet falsust
Rd. 784 'er ist auf unrechte Fährte geraten', 'er weifs nicht'.
Einem corpule?itior videre atque hahitior Ep. 10 liegt ein habere 'halten'
= 'aufziehen, nähren' zu gründe, ähnlich wohl dem ynale habiti
Ps. 132.
4. Bei den Verben der Gefühlsbewegung sind folgende Bei-
spiele bei Plautus zu betrachten: Ita magister quasi lucerfia uncto
expretus linteo . . . Bacch. 446, wo expreius mit .verschmähen' über-
setzt wird ; die Stelle ist nicht sicher überliefert. Im übrigen kann
das Hapax Legomenon expretus zu einem Perfektiv gehören, das
'in Verachtung geraten' heifst (vgl. oben exoptare). Sicher perfektiv
ist nach seiner Etymologie diledus eig. 'ausgewählt', ferner invisus
Merc. 80 'verhafst', eig. 'den man mit scheelem Blick angesehen
hat, um ihm zu schaden'. Dann haben wir: nuntiavit . . . 7nea
deamata (Hs. deamat) dona acceptaque habita esse apud Phronesium . . .
militis odiosa iiigrataque habita Truc. 703 — 5. Wenn die Stelle
richtig hergestellt ist, so heifst d. wohl, wie Georges übersetzt und
die Zusammenstellung mit accepta nahelegt 'grofsen Gefallen finden ',
'willkommen heifsen', wobei die Zusammensetzung mit de- wieder
perfektiven Sinn verleiht. Endlich: Vir 7ne habet pessumis despicatam
modis Gas. 189 = Vir pessumis me 7nodis despicatui dojni 185; einer
der beiden Verse ist wahrscheinlich Dittographie, die Überlieferung
auch hier nicht sicher. Es könnte der Dativ despicatu(i) das richtige
sein, s. Ritschis Ausg.
Jedenfalls fehlen bei Plautus vollständig die später so üblichen
amatus 'geliebt', contemptus 'verachtet'. Besonders bei amatus ist
das auffällig und gewifs — in Anbetracht der grofsen Rolle, die
das Verb bei PI. spielt — nicht zufällig. PI. drückt 'geliebt' regel-
raäfsig durch einen Relativsatz aus : Servire atnanti miseriast, prae-
sertim qui quod aniat caret Poen. 820, Satietatem dum capiet paier
illius quam amat Am. 473, ferner Cure. 138, 327. Cist. 85, 97.
Ep. 46. Bacch. 190 etc.^
* amata würde, wenn das Zitat bei Gellius auch dem "Wortlaut nach
genau ist, zuerst in der Formel der Juris ponteficii libri des Fabius Pictor
95
Welche Ausbreitung die -io-Yorm im passiv-präsentischen Sinn 22.
in späterer Zeit angenommen hat, möge aufser den schon 21, 2
gegebenen Beispielen noch durch folgende illustriert werden:
Brixia Vetonae viaier am ata meae Catull 6734; cognoscit
amaias . . aqtias Ov. met. 5 en,j; sie amet ipse licet, sie noti potiaittr
amato eb. 3 4Q5. cursusque Jabit venerata secundos Y erg. Aen. ^ ^^qA
quod (pulchriim atque praeclarum) spreta et contempta voluptate
oplumus quisque sequeretur Cic. Cato 43 ; in rem tarn humilem tamque
co7itemptatn ds. Lael. 32.
Moenia jam stahatit, populis angusta futuris Credita, sed turhae
tunc nimis ainpla sitae Ov. fast. III, IÖ2, vgl. Tac. Ann. 6, 35, 16;
alimetita debita dives poscebatur hunius Ov. met. I 137.
Nee tarnen ego sum ille ferreus qui . . . non movear horum . . .
lacrimis a qiiihus me circtimsessum videtis Cic, Cat. IV, 3 ; ita trac-
taturn esse ut . . . lictor occidereiur, ipse circumsesstis paene incenderere
ds. Verr. II, 185. — rai'is habitata mapalia tectis Verg. Ge. 111,340.
habiiata pruinis Nursia Sil. Ital. VIII, 416; habitata calido Gradivo
(d. h. Marte) pectora eb. XV, 337. — gens Pandae sola Indonim
regnata feminis Plin. n. h. VI, 20.
ptieri feriint {p.ä.va\. dolorem) gloria dncti, fertint pndore alii Cic.
Tusc. II, 46. — quam Juno fertur posthabita coliiisse Samo Verg.
Aen. I, 16. — Hie (Critognatus) summo in Arvernis ortus loco et
magfiae habitus aiictoritatis *■ NihiV inquit . . . Caes. b. g. 7, 77, 3. —
Dispersa milite qtii in uno habitus hostem promptus sustentavisset Tac.
Ann. 15, 10, 17.
quidquid erat, quod in cernendi sensum caderet, id sibi adsumpsit
non tranqiüllum et quieium, sed inmoderate agitatum et fluitans Cic.
Tim. g, übersetzt : Plato Tim. 30 A ovxco ö?] Jim' 'ööov i]V oQaxöv,
jtaQccXaßcov ovx rjOv/iav ayov, alla ■aivoviiEVOV JiXTjfifisXag
xal aräxTCOg. — Emicuit Summanus (= Pinto) e terris ctirsu qiiadri-
jugo vectitaius Arn. V, 37, tantae molis rotatae vertigine adsidua
sonitus Plin. n. h. I 3.
Ceteris in rebus sive praetermissum sive igJioratum est quippiam,
non plus incommodi est quam . . . Snmmum autem botium si ignoretur,
vivendi rationem ignorari necesse est Cic. Fin. V. 15, nisi servili hahitu
per tenebras ignoratus cvasisset Tac. bist. 4, 36, 13; negotiis fami-
liaribus impediti vix satis otium studio suppeditare possumus Cic.
Her. I, I. — Galli arce?n tenebant defejisi tenebris et dono noctis
opacae Verg. Ae. 8, 658, mare . . . ripis contentum instilarum non
longe distantibus Mela III, 331.^
begegnen: ita te, amata, capto. Man wcifs nicht, ob F. P. dem 2. oder i. Jli.
Vor Chr. anijehört. Was G. über den Grund dieser Benennung; I ^i i9 niillcilt,
ist wohl Fabelei. Als Eigenname begegnet Amatiis -a sonst nicht in so alter
Zeit. Vgl. W. Otto Jb. f. Phil. Suppl. 24 (1899) S. 756, 858.
^ Enn. Frgm. 30 ist venerata erst durch Konjektur hergestellt.
2 Was Dräger Synt.2 § 594, 5S2, Madw. § 237, Reisig Vorl. (Berl. 18SS)
S. 752f. anführen, gehört nur zum kleinen Teil hieher; manches gehört zu der
48, 2 besprochenen Erscheinung. Auch Fälle wie poenas dedit pugnis caesiis
96
23. Fragen wir uns nach den Gründen dieser Ausdehnung, so
dürften sie in erster Linie darin zu suchen sein, dafs die Grenze
zwischen durativen und perfektiven Verben sehr wenig scharf ist
und fortwährend Verschicbungen zwischen den beiden Gruppen
vorkommen. Ursprünglich mögen vielfach die Komposita durativer
Verba perfektiv gewesen sein, wie wir schon bei exoptare, deama?-e
festgestellt haben. Vgl. Mea Phikmaiium, polare teciim conluhitumst
mihi ('ist mir die Lust gekommen'). Ph.: Et eJepol mihi tecum;
iiam qvod tibi lubet, idem mihi hibet PI. Most. 295 f. Immo dicamus
setiibus legem censeo Priusqiiam abeamus, qua se lege teneant con-
tentiqtie sint Merc. 1016. Mirari nolim vos quapropter Juppiter
Nunc histriones cur et. Ne miremini : Ipse hanc acturust Juppiter
comcediam. Quid admirati estis ('seid in Verwunderung ge-
raten') quasi vero novom nunc proferatur, Jovem facere histrioniam
Am. 86 — 90.1 Mit der Zeit wird der Damm zwischen durativen
und perfektiven Verben eingerissen; es würde zu weit führen,
hier auf das Wie und das Warum dieser Erscheinung einzugehen;
natürlich handelt es sich wieder um eine analogische Bewegung,
die ihren Grund in einer Funktionsverschiebung hat. So mögen
servare und conservare ursprünglich verschieden gewesen sein; aber
soweit sie für uns belegbar sind, finden wir beide mit beiden Be-
deutungen I. erhalten = retten, 2. erhalten = bewahren, ebenso
occupare beschäftigen i. =in Anspruch nehmen, 2. = in Atem hallen;
vgl. Tibi . . , tnagmwi malum (nämlich di dabunt) Qui oratiofie hie
occtipatos occupes V\. Rud. 109. So auch bei manchen Verben, die
man zunächst für rein perfektiv halten würde, z. B. 7tego'. i. perf.
nempe negas ad beatum vivendum satis posse virtutem? — prorsus nego
('bestreite') Cic. Tusc. V, 12. 2. dur. negat Epicurus . . . quemquam
qui honeste non vivat jucunde posse vivere ('seine Meinung ist' . . .)
Cic. Fin. — Oder vetare'. l. perf. Cum cornix cecinerit, tum aliquid
eam aut jubere aut vetare . . . Cic. Ac. 128 ('ein Verbot aussprechen').
2. dur. quae {lex naturae) vetat tdlam rem esse cujusquam nisi qui
tractare et uti sciat Cic. R. 1, 27 ('unter Verbot halten'). Ähnliche
Doppelbedeutungen kommen vielen Verben zu: credere, curare, aesti-
mare, superare, incingere usw. Es ist nun klar, dafs wenn man
servatus (z. B. in PI. Aul. 677 sahom et servatuvi) oder occupatus
(z. B. in der oben zitierten Stelle des Rud.) oder vetitus, negatus
(z. B. in dem bekannten Ovidischen Nitimur in vctitum semper cu-
pimusque negata) statt zum pt-rfektivgebrauchten zum durativ-
gebrauchten Verb zieht, ein präsentischer Sinn sich ergeben mufs
ferroque petitus . . . (Hör.) stellen nur eine weitere Komplikation derselben vor.
Da ich mich darauf beschränken mufs , die Entwicklung der Bedeutung des
Parliz. zu untersuchen, soweit sie für das Romanische von Wichtigkeit ist,
kann ich das nicht besprechen, was blofs vom lat. Standpunkt aufiällig ist.
* Gelegentlich ist wohl auch andern Mitteln der Wortbildung die Rolle
zugekommen, die Aktionsart zu ändern. So wird amplecto(r) ursprünglich
perfektiv, amplexor durativ gewesen sein.
97
und dafs von solchen Fällen der präsentische Sinn sich auch dorthin
verbreiten konnte, wo das Verb nur durativ gebraucht war.
Weniger in Betracht dürfte kommen, dafs der präteritale Sinn 24.
manchmal bis knapp an die Grenze des präsentischen heranrücken
kann, dafs nämlich der Handlung der -io-Fovm so unmittelbar die
durch das Hauptverb bezeichnete folgt, dafs nicht das temporale,
sondern nur das kausale prius deutlich erkennbar ist, wie etwa in
dem Beispiel Verg. Ge. III, 310: laefa . . . pressis manabimt flumina
mammis.
Der Übergang vom Verbal-Adjektiv zum Partizip läfst sich in 25.
der attributiv-qualifikativen Verwendung an dem einzelnen Wort
aus den i c, i'j hervorgehobenen Gründen schwer verfolgen. Nur
wo teils durch Funktionsverschiebung, teils durch Analogie die Be-
ziehung auf das Genus verbi und die Zeitverhältnisse eine Ab-
weichung zu verzeichnen hat, die sich mit dem ursprünglichen
Sinn des Verbal- Adjektivs nicht verträgt, sind wir sicher, dafs wir
bereits das Partizipium vor uns haben. Das ist bei der Ver-
wendung III fast durchwegs, bei II z. T. der Fall. Gerade aber die
Fälle n und III sind für uns ungemein wichtig, da auf ihnen die
eigenartigen romanischen Verwendungen des Part. pf. + esse beruhen.
Prädikativer Gebrauch des -fo-Adjektivs. -ifo-Partiz. + esse.
Viel früher, entschiedener und allgemeiner als in attributiv- 26.
qualifikativer Stellung ist die -/ö-Form in ihrer Stellung als Prädikat ^
vom nominalen syntaktischen Charakter zum verbalen hinüber-
geschwenkt.
Die -/ö-Form dient in Verbindung mit esse"^ seit den ältesten
für uns erreichbaren Zeiten zur Umschreibung der Perfektform der
passiven Verbalfiexion. Die Entwicklung, die dazu geführt hat,
ist bereits vor Plautus zum Abschlufs gekommen und um sie zu
^ Im folgenden ist hauptsächlich die Verwendung als Hauptprädikat
(Prädikat erster Ordnung) ins Auge gefafst. Daneben spielt es bekanntlich
als Nebenprädikat (Prädikat zweiter Ordnung = absolute oder konjunkte
Partizipialkonstruktion) eine wichtige Rolle, besonders in der kunstmäfsig aus-
gebildeten Schriftstellersprache. Dieser Gebrauch, ursprünglich in der adjektivisch
attributiven Verwendung wurzelnd, vgl. /y, steht gänzlich unter dem Einflufs
der prädikativen, d. h. das Partizip wird so verwendet, wie in den ent-
sprechenden Temporal-, Kausalsätzen das -/ö-Partizip mit den Formen von
esse, die Gleichzeitigkeit ausdrücken, verwendet würde. Zum mindesten geht
die Entwicklung parallel damit und was über die Bedeutungsverschiebungen
der prädikativen Partizipien gesagt wird, gilt auch für die Partizipial-
konstruktionen.
2 Oder auch ohne esse. Besonders in der älteren Zeit fehlt noch häufig
das Hilfsverb beim prädikativ gebrauchten Partizip, worin sich vielleicht ein
Gebrauch der Umgangssprache widerspiegelt. Die in der vorigen Anmerkung
hervorgehobene Parallelität der Partizipialkonstruktionen erklärt sich möglicher-
weise z. T. aus diesem Umstand.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil, XXVI. (Festschrift.) 7
98
verstehen, müssen wir das Nebeneinander von Altem und Jungem,
ursprünglich Berechtigtem und Analogischem, das uns Plaulus bietet,
in ein Nacheinander aufrollen.
27. Die Konstruktion mufs ihren Ursprung bei perfektiven Verben
gehabt haben und die Verbindung des -/<?-Part. mit esse, ursprüng-
lich den Sinn des sich aus einer Handlung ergebenden Zustands,
dann den damit sehr verwandten eines präsentischen Perfekts
gehabt haben.
In folgenden Beispielen geht die Verbindung auf den Zustand,
entsprechend der ursprünglichen Bedeutung des -/ö-Adjektivs :
Obsignatast rede (das von den Anwesenden angeschaute
Kistchen) Am. 784; Sed quid hoc? occbisa januast interdius Most.
444; quibiis nee locus nullus nee spes parata est Rud. 278; occisi
suynus ('es ist aus mit uns') MGI. 172; An mortui sunt? Factum
Poen. 1067. Vgl. auch einen Superlativ wie 7iam ego sum ex-
clusissumus Men. 698. — Mit generellem Präsens: Semel fugiendi si
datast occasio, Satis est Capt. 117.
Ist hier überall der aus der Handlung sich ergebende Zustand
dasjenige, worauf es ankommt, so gibt es sehr viele Fälle, wo man
zweifeln kann:
Sed istuc quid est, tibi quod commutatust color? Numquid tibi
dolet? 'ist jetzt anders' = 'hat sich geändert' Men. 368; liaque
huic insidiae paratae sunt probe Persa 481; gnata viea hosiiumst potita
neque ea nunc ubi sit scio Ep. 532. — Mit generellem Präsens: Nam
canis quando est percussa lapide, non tarn illuiu adpetit Qui sed icit,
quam illu7n eumpse lapidem, qui ipsa icta est, petit Pacuv. fr. 39.
28. Der ursprüngliche auf den Zustand gehende Sinn ist hier
überall möglich; aber auch der andere auf die Handlung, aus
der der gegenwärtige Zustand entsprungen ist, gehende überall
unterlegbar. Es kann also der Hörende eine andere Nuance heraus-
gefühlt haben, als der Sprechende beabsichtigt hatte, ohne dafs
das Mifsverständnis (./) irgendwie fühlbar wurde.
Der Gedanke an die Handlung kann dann ganz in den Vorder-
grund treten; etwa wenn ihr Zeitpunkt angegeben ist: Quem sum-
bolum? Qui a milite allatust modo Ps. 717; quae emptast nudius
tertius Ep. 697 oder andere Umstände, die sich ausschliefslich auf
sie, nicht auf den Zustand beziehen: longe hinc abest, unde advectae
huc sumus Rud. 267, eodem consilio quod intus vieditoti sitmus Gerimtis
rem MGI. 612; und mit allgemeinem Präsens z, B. Nam bene con-
sultum consilium surripittir saepissume Si miiius cum cura aut
cauiela locus loquendi lectus est MGI. 603.
20. Die Adjektivbedeulung ist in derartigen Beispielen schon recht
schwach fühlbar; immerhin können auch andere, nicht von Verben
abgeleitete, Adjektiva unter günstigen Umständen in ungefähr
gleichem Mafse verbale Kraft erlangen; z. B. Postquam liberast,
Ubi habitet dicere admodum incerte scio Ep. 505 (vgl. auch Men. 24);
Nisi quidem hie agitare mavis variiis virgis vigilias MGI. 216.
99
Ja, ein derartiges Adjektiv, mortiius (vgl. Brugm. Gr. II, i ^ S. 448),
hat sich der Entwicklung der Verbaladjektiva so völlig angeschlossen,
dafs es ihnen gleichwertig geworden ist.
Dafs nun aber in diesem Stadium der Dinge unsere Kon- 30.
struktion völlig in das Verbalsystem hineingezogen wurde, wird
begreiflich, wenn wir bedenken, dafs auch das synthetische (Aktiv-)
Perfekt von perfektiven Verben genau denselben Bedeutungspiel-
raum inne hat. Auch dieses, soweit es ein präsentisches Perfekt
ist, vereinigt die zwei Ideen, ein vergangenes Geschehen und einen
gegenwärtigen Zustand; und je nach dem Zusammenhang tritt
mehr jene:
pater ddest . . . Quis vidit? — Egomet inquam vidi Most. 367;
ut nie vie exorjiavit, ita suvi ornatiis Tr. 857,
oder mehr diese:
nos?nei sciinus atque attdivimus Ps. 463; ita adsimulavit se
gtiasi Amphitruo siet Am. 115 in den Vordergrund. Aber wie bei
dem Verbaladjektiv ist die Grenze nicht scharf; es ist nicht nur
eine Zwischenstufe denkbar, die eben vollzogene Handlung: Id
adeo nos nunc factum invenimus Most. 477» certo vox muliebris auris
tetigit meas Rud. 233; sondern in derselben Rede einer Person kann
nacheinander bald die eine bald die andere Idee hervortreten:
uhi tu me novisti getitium (Zust.) Aut vidisti (Handl.) aut conlocutu^s?
Ps. 620, Qui tiominat vie? — Qtii pro te argentum dedit. (sieht zu-
nächst aus, als ob es auf die Handlung ginge, aber der Sklave
versteht es:) — Quasi me iuom esse servovi dicas, Daeniones Rud. 98.
Der Übergang der Konstruktion 'tu •\- esse ist aber erst dann Si-
vollständig vollzogen, wenn die ursprüngliche Idee des gegenwärtigen
Zustands überhaupt nicht mehr zutrifft, d. h. wenn die Folge der
Handlung überhaupt nicht in die Gegenwart reicht. Dann haben
wir das sogenannte aoristische Perfekt. Zwei Möglichkeiten sind
denkbar. Entweder hat sich dieser Übergang in Analogie zum
aktiven Perfekt vollzogen. Aoristische Bedeutung war vielleicht bei
einem Teil der lat. Perfekta die ursprüngliche, da gewisse Form-
typen auf alte Aoriste zurückzugehen scheinen; bei einem grofsen
Teil war sie aber jedenfalls selbst analogisch, durch generelle
Funktionsverschiebung entstanden, indem eben bei Beispielen, wie
das jo erwähnte mit exoniavit, nur mehr die vergangene Handlung
herausgefühlt wurde. So haben wir z. B. deutlich aoristisches
Perfekt in quas spopondi Tx. 427, wo der Tatbestand der Bürgschaft
nicht mehr gilt, weil die Sache bezahlt ist. Oder wir haben keinen
Einfiufs des Aktiv-Perfektums, sondern nur Parallelentwicklung mit
diesem, die gleiche generelle Funktionsverschiebung anzunehmen.
Welche der beiden Möglichkeiten zutrifft, ist nicht mit Sicherheit
zu entscheiden, die zweite ist wohl die wahrscheinlichere, da uns
andere Sprachen lehren, dafs der Übergang zum aoristischen Perfekt
sehr häufig das Schicksal des eigentlichen Perfekts ist.
lOO
Deutlich aoristisches Perfekt haben wir z. B. in folgenden
Sätzen, wo der Zustand, der aus der Handlung entspringt, nicht in
die Gegenwart fortdauert: Vinctus sum, sed dolis me exemi (also
vinclus stitn ganz deutlich nicht = 'ich bin ein gebundener')
Bacch. 952, rcpentino exorUis siim, repentino occidi Ps. 39, cenam . . .
qiiae quondam Thyestae anteposita est Rud. 508.
32. So steht denn unsere Konstruktion dem aktiven Perfekt auch
vollständig gleich als die Zeit der zusammenhängenden, Glied an
GUed anreihenden Erzählung. In dieser Verwendung ist es zwar
nicht immer notwendigerweise aoristisch zu fassen, denn besonders
bei kürzeren Erzählungen, wie man sie in der täglichen Rede hören
kann, lassen sich häufig alle Einzelhandlungen in die Gegenwart
nachwirkend denken: Qiioniam hinc est profecius peregre Charmides,
thensaurum demonstravit viihi in hisce aedihiis . . fletis me obse-
cravit suo ne gnato crederem etc. Trin. 150 ff.; aber in der Regel
haben wir doch den Aorist vor uns sowohl bei erst kürzlich Ver-
gangenem: ?nensa ablatast: culitum hinc abiimus Am. 807, als bei
Längstvergangenem: abhinc annos factmnst sedecim, Quo?n con-
spicaiust . . . puellam exponi Gas. 40.
33. Die so entwickelte neue Tempusform gehört ursprünglich nicht
notwendig zur Passiv-Flexion; das beweisen Fälle wie ausus stim,
juratus siim. In der IMehrzahl der Fälle allerdings ergibt sich die
Beziehung zu passivischen Präsensformen von selbst. Wir haben ja
hier nur mit den Fällen I u. II (//) zu rechnen. In I hat das
Partizip durchwegs passive Bedeutung, in II hat es wohl zunächst
aktive oder mediale Bedeutung, gehört aber auch sehr häufig zu
einem Verb mit passiver Form {16). Zum integrierenden Bestand-
teil des Verbalsystems ist die Verbindung jedenfalls nur beim
Passivum geworden, hier hat es — warum, können wir natürlich
nicht sagen — die alten synthetischen Formen des Perfekts so
vollständig verdrängt, dafs auch nicht der mindeste Rest davon
auf uns gekommen ist.
34. Nun finden wir aber unsere Konstruktion auch im passiven
Formenschema von durativen Verben u. zw. wieder ganz genau
in den gleichen Bedeutungsnuancen wie das aktive Perfekt. Zur
Veranschaulichung mögen folgende Beispiele aus Plaulus dienen.
a) Ursprünglich mag das aktive Perfekt durativer Verba eine
Handlung bezeichnet haben, die sich aus der Vergangenheit bis
zu dem gegenwärtigen Moment erstreckt: hiinc servavi semper Jiiecum
una anultun Cure. Ö53; lacrumas haec mihi, quom video, eliciunt, quia
ego ad hoc genus honwium duravi Trin. 290; postquam natiis stim,
satur mimquam fui St. 156.
Ebenso die Umschreibung: mihi quidem attas actast ferme
Trin. ^iq, jam satis est philosophalum Ps. 687, diu me estis demorati
Ep. 376; vgl. noch St. 467.
b) Unter deutlichem Ausschlufs der Gegenwart, u. zw. in
Parallele oder im Gegensatz mit der Gegenwart: Valen? Valuisiin?
— Valeo et valiii rectiiis Trin. 50; vgl. auch Trin. 106, 330. Speravi
ego isfam tibi parturam filiam. Verum non est piiero gravida Am. 716.
Im Infin.: miserum istiic verhum et pessumumst '■hahiiisse et nil habere'
Rud. 1321.
Ebenso die Umschreibung: Qtio nemo adaeque juventiiti ex
omni Attica Aniehac est habitiis parcus nee magis contincns Is nunc in
aliam partem palmam possidet Most. 30 f. Quihus advorsum jus . . .
injuria hie factast fitque Rud. 699 i; vgl. noch MGI. 1374, Capt. 143,
Aul. 216, Pars. 779, Truc. 165, Man. 566.
c) Mit Ausschlufs der Gegenwart, ohne dafs eine Beziehung
zur Gegenwart zum Ausdruck gebracht ist 2;
nam nisi qui ipse amavit, aegre amantis iugenium inspicit
MGI. 636; at eiiam duhitavi hosce homines emerem an non emerem
Capt. 455; filiolavt ego unam habui, eatn unam perdidi Kwd. 106; uhi
fuisti, ubi lusirattCs, uhi bibisii'^. Gas. 245.
Ebenso die Umschreibung: Fui ante peior Nile ego quam yiiinc
tu: amata sum atque uni ?nodo gessi morem Most. 200; istic homo
rabiosus habiius est in Alide Capt. 547; haec illic est pugnata pugna
a mani ad vesperiim Am. 253; Siniiam hodie sum sectatus nostram
MGI. 289; vgl. noch Persa 169, 211, 648 f.; Ps. 13 18.
Die Ausdehnung unserer Konstruktion auf durative Verba ist 35.
nicht so leicht und sicher zu beurteilen wie die Ausdehnung auf .
das aoristische Perfekt bei perfektiven Verben. Von einer Funktions-
verschiebung könnte nur in jenen Fällen die Rede sein, wo ein
Verb neben der durativen Bedeutung öfter oder gewöhnlich die
perfektive hat, wie z. B. oben ß^h in dem Beispiele Rud. 699 facta
est. Es würde also dann etwa, weil irgend welche aktive Perfekta,
z. B. fecit, neben der perfektiven hie und da eine durative Bedeutung
haben, analogisch facta est ebenfalls eine solche zugelassen haben.
Dies wäre also eine analogische Funktionsverschiebung (5). Diese
Erklärung gälte jedoch jedenfalls nicht für blofs durative Verba wie
amaius sum in dem Beispiel Most. 200, da nach dem 21, \ aus-
geführten amatus als Adjektiv überhaupt zunächst nicht vorhanden
1 Mit deutlich durativer Verwendung des sonst perfektiv gebrauchten
Verbs.
* Das Perfektum durativer Verba rückt so einem Imperfektum sehr nahe.
Ein Unterschied scheint aber doch immer vorhanden gewesen zu sein: Das
Perfektum betrachtet, auch wo keine direkte Beziehung zur Gegenwart aus-
gedrückt ist, das Geschehen doch vom Standpunkt der Gegenwart, vom Gesichts-
punkt des Sprechenden; beim Imperfekt verläfst der Sprechende sozusagen
völlig die Sphäre, in der er lebt und versenkt sich durchaus in die der Zeit,
von der er berichtet, nimmt völlig den Gesichtspunkt des damals handelnden
Subjekts ein. Es würde zu weit führen auf diesen Unterschied der die relative
Seltenheit des Imperf. in dem Konversationsstil des Plautus erklären dürfte
und der mir andrerseits bis in die modernsten Phasen der roman. Sprachen
nachzuwirken scheint, hier näher einzugehen.
I02
gewesen zu sein scheint. Wir müssen vielmehr annehmen, dafs
die erste Verwendung, in der diese Form gebraucht wurde, eben
die verbale war: amatiis ^j/i = 'er ist geliebt worden'. Wie sich
nun aber der Vorgang im einzelnen abgespielt hat, ob die Form
nach bedeutungsverwandten perfektiven Verben wie etwa deamatiis
est geschaffen ist, ob sie von jenen früher erwähnten Verben aus-
geht, die die durative und perfektive Bedeutung vereinigen, ob sie
direkt nach dem Aktivum (also direkt nach der Proportion: amalus
sum : ornatus sunt wie amavit : ornavit) gebildet ist, oder ob mehrere
Momente zusammenwirken entzieht sich vöUig unserer Beurteilung.
36. Wie Conductus sum von der Bedeutung 'ich bin gedungen' zu
der 'ich bin gedungen worden', so gelangt conductus eram von der
Bedeutung 'ich war gedungen' zu 'ich war gedungen worden',
c. ero zu 'ich werde gedungen worden sein', c. esse zu 'gedungen
worden sein' etc., und wie der erste dem aktiven conduxi, so ent-
sprechen die andern den Formen conduxeram, conduxero, conduxisse
etc. Nun waren aber auch weitere Verbindungen möglich, für
deren Weiterentwicklung kein aktives Analogon zu Gebote stand.
Zu conductus sum, das ja als Ganzes zunächst durativen Sinn hat
und den aus der Handlung entspringenden Zustand als etwas
Gegenwärtiges bezeichnet, tritt conductus fut als duratives Perfekt,
mit allen jenen Bedeutungsmöglichkeiten, die wir in j^ für das
Perfekt durativer Verba festgestellt haben. Es bezeichnet also
a) den Zustand, der sich bis zur Gegenwart erstreckt: ecastor
mmc Bacchae nullae ludunt. — Ohlitus fui Gas. 980; vgl. Poen. 40 u. s.
b) mit Ausschlufs der Gegenwart, im Gegensatz zu ihr: operta
quae fuere aperta sunt Capt. 524, tempestas . . . qtiae modestiam omnem
detexit, tectus qua fui Most. 163.
c) mit Ausschlufs der Gegenwart, ohne besondre Beziehung
darauf: Quod fui juraius, feci Cure. 566, Quaenam ballaeiia nieum
voravit vidtcban, Aurum atqiie af-genium ubi compactum fuit Rud. 545»
Quamqiiam gravatus fuisti, no7i nocuit tarnen St. 722. — ]\Iit andern
Formen als dem Indikativ: visam hestemas reliquias . . . opcrtaen
fuerint Persa 79, tun me induimn fuisse pallatn praedicas Men. 5i5i
vgl. ferner Ep. 122, Persa 380, Poen. 1280.
Wo die Dauer durch eine Handlung abgeschlossen ist, wie
oben b) im Beispiel aus der Blostell. oder in Quod numquam opina-
tus fui . . . id contigit Am. 1862 (vgl. auch MGI. 118, Most. 994,
Aul. 208), so gelangt man zu einer Art Plusquamperfekt; aber
deutlich ausgedrückt ist die Vorzeitigkeit nicht; wollte man das, so
mufste man zu . . . -tus fueram greifen, wie in Condormivimus,
Lucernam forte oblitus fueram extinguere INIost. 487.
^ Oder auch amatus allein, s. 26 Anm.
* Wo das Part, nach II IV zu beurteilen ist. Ebenso ?niratus Poen.
1347, advorsatus Trin. 383.
I03
Durch ganz denselben Vorgang nun, durch den conductus sunt 37.
'ich bin gedungen' aus dem Präsens eines durativen Zustands zu
dem präsentischen Perfekt einer perfektiven Handlung übergeht
•ich bin gedungen worden', nämlich durch scharfes Hervortreten
der bewirkenden Handlung und Zurücktreten des bewirkten Zu-
stands, geht conductus fui 'ich bin gedungen gewesen' aus dem
Perfekt eines durativen Zustands in das aoristische Perfekt einer
perfektiven Handlung über 'ich wurde gedungen' z. B. haec Athetiis
parva fuit virgo surpfa Rud. 1105, noti nie fefellit, sensi: eo exani-
mai US fui Ba.cch. 298; h publice legatus Naupactum fuit WQA. 103 etc.
Besonders charakteristisch sind zwei Stellen aus der Aulularia. 448
sagt der Koch: Nunimo sujji conductus: plus jam medico mercedist
opus 'ich bin gedungen (worden)' mit deutlichem präsentischen
Einschlag 'ich habe einen N. zu bekommen . . .', dagegen 457:
Coctum ego non vapulatum dudum conductus fui 'als man mich vorhin
bestellte, war es zu dem Zweck, dafs ich koche, nicht dafs ich ge-
prügelt werde'. Auch jetzt noch müfste dieser Unterschied in den
romanischen Sprachen durch das gleiche Mittel zum Ausdruck
gebracht werden.
Da nun aber conductus sum selbst, durch den in ßi ge-
schilderten Vorgang, als aoristisches Perfekt gebraucht werden kann,
so tritt conductus fui damit in Konkurrenz. Vgl. das angeführte
Beispiel Rud. 1 105 fuit suj-pta mit Poen. 1346, wo genau in der-
selben Situation Eae sunt surruptae . . . gesagt ist. Vgl. ferner wieder
im gleichen Zusammenhang Capt. 7 Seni huic fuerunt filii nati duo
mit Men. 18 Ei sunt natei filii geminei duo. Ferner wären hier
Stellen mit vectus fui und vectus sunt anzuführen etc.
Da nun conductus fui ebenso wie conduxi das aoristische Perfekt 38.
der Handlung bezeichnete, mufste auch conductus fueram wie
conduxeram die aoristische Vorvergangenheit der Handlung, also
das Passe anterieur des Franz., bezeichnen: Posterius quam mercatus
fueram, visus sum Tu ciistodelam simiae concredere Merc. 232. Diese
Verwendung ist also verschieden von der in j(5 besprochenen, wo
die Formel als Plusquamperfekt des Zustands dient. Durch diesen
Doppelsinn war dann die Herbeiführung des Mifsverständnisses mög-
lich, das wir in Most. 821 ff. finden. Theopr.: Non videor vidisse
postis pulcriores. Si.: Pol mihi eo pretio empti fuerani olim (gemeint
als aoristische Vorvergangenheit der Handlung; etwa zu verstehen:
bevor das Haus gebaut wurde) 1. Ir.: Audin ,^ fuerani''' dicere?
1 Dafs das Plusqpf. mit dem Perfekt gleichwertig gebraucht wäre, wie
Blase §48fF., Lindsay, Synt. of Plautus p. 62 wollen, kann ich bei Plautus
nicht finden. Es schwebt vielmehr immer unbestimmt eine Aktion vor, vor
der die andre sich abgespielt hat. So Merc. 760 etwa 'Bevor ich hieher-
gekommen war', Cure. 426 'bevor er mich damit weggeschickt hat', AI Gl. 132
'bevor er nach Naup. gegangen war', Am. 458 ante hac ='hfvox ich ihm
begegnet war', Poen. 65 'den er hatte (bevor er starb)'; was Capt. 305, das
Bl. anführt, beweisen soll, ist mir vollends unverständlich, da die Sache doch
ohnehin ausgedrückt ist [richtig bei Dräger^ 1 259]. Wie weit für spätere
Zeiten eine solche „Verschiebung" anzunehmen ist, war ich nicht in der Lage
I04
V/x viddur continere lacrifjias. Er will glauben machen, dafs S. das
Abgeschlossene, durch den angeblichen Verkauf an Theopr, zum
Ende Gekommene des Zustands: nnhi empti = mir gehörig durch
die gewählte Ausdrucksform bezeichnen wollte.
39. Von den Klassikern der Folgezeit wird im ganzen der
aoristische Gebrauch von condudus fiii vermieden; vgl. Blase S. 173.
Die Beispiele, die Dräger^ I 276 und Blase 174 f. anführen, zeigen
fast alle die durative Bedeutung, öfters mit der plusquamperfek-
tischen Nuance, die wir oben festgestellt haben. Der Grund dieses
Sichenthaltens ist wohl, dafs es von den Redekünstlern und Gramma-
tikern als Pleonasmus empfunden wurde, condudus fui zu sagen,
wo condudus sum genügt, die präteritale Idee also gcwissermafsen
zweimal auszudrücken, ungefähr wie das heutige Schriftdeutsche
die doppelte Negation [das isf kein Spielzeug nicht) verbannt. Aber
vereinzelte Beispiele zeigen doch, dafs der Gebrauch nicht ver-
schwunden ist. Z. B. Caes. b. c. 3, 101,4 oppidum fuit defensum.
Livius 3, 24, jo Fuerunt censa civiiim capita centtcm septcndecim
milia . . A In der spätem Latinität bei Florus, Gellius, Justin.
Besonders aber findet sich der aoristische Gebrauch in den ab-
geleiteten (d.h. imi fuera?n, fuero etc. zusammengesetzten) Zeiten,
wo er auch von Riemann (1. c. 1 7 1 ff.) nicht geleugnet wird.
40. Die Konkurrenz von condudus sum und conduclus fui ist aber
nicht die einzige, die sich ergibt. Schon zu den ältesten Zeiten
mufsten, wo von durativen Verben -/ö-Partiz. mit aktiv-präsentischer
Bedeutung in Verwendung waren, diese in Verbindung mit esse
ungefähr gleichwertig mit dem einfachen Präsens gebraucht werden:
solitus sum = soleo : Si ille te compri7nere solitus(t) , hie noster 7ion
jo/^/ Rud. 1075 (vgl. ferner Merc. 511, aber präterital z. B. Ps. 1177),
lubitum est = lubet, iacitus sum=^tacco, operatus sum=^ operor, osa
sum 'ich hasse'.
41. Als dann aber das -/ö-Partizip immer mehr in der Bedeutung
eines passiven Präsens von durativen Verben ausgebildet wurde,
ergab sich mit Folgerichtigkeit die Gleichung amafus est = amatur,
habitatus est = habitatur. Trotzdem ist diese Verwendung sehr
selten und wir begreifen warum. Es fällt ja diese Bewegung gerade
in die klassische Zeit, die aus der Sprache alles Zw'eideutige und
Überflüssige fernzuhalten sucht. Amatus est ist nun aber längst zu
seiner andern Bedeutung 'er ist geliebt worden' gekommen [j^ f.)
und für das präsentische Passiv steht eben das einfachere amatur
zur Verfügung. Und so finden wir nur wenige Spuren, dafs in der
Volkssprache jene für die Folgezeit so wichtige Bewegung bereits
begonnen hat: Quid 7niruvi est . . . omne ab ea (divina Providentia)
nachzuprüfen, nur möchte ich gegen Lindsay bemerken, dafs selbst im Afrz.
die plusqpf. Bedeutung nicht ganz geschwunden ist, wie Ernst Gamillscheg
Z. XXXIII, 129 fF. sich zu zeigen bemüht.
* Riemann, Etudes de la 1. et la gr. de Tite-Live S. 166 f. will mit
Unrecht diese Stellen durch Konjektur beseitigt wissen.
I05
gentts htmiamim esse contempium Cic. Nat. D. III. 93 ; capita fontium
cum sunt angnstiis co77tpressa ruunt Vitr. 8, 3, 3 ; namentlich dort,
wo die -/ö-Form gleichgestellt ist mit andern Adjektiven: genus
hominum mobile, infidum, neque beneficio neqiie metti coercitum Sali.
Jug. 91 7, Spectis . . . habäarique et digniis et creditus Mela I, 13,75
oder sonst die Konzinnität es erheischt, wie in dem Beispiel mit
ignoraliim aus Cicero s. 22. Und dann mit Perfektformen, wo keine
Zweideutigkeit möglich ist: nocie ac die continiiatum incendium fuit
Liv. 26, 27,4; obsidebantur haud paulo vi ?}iaJore Velitrae quam
Tuscuhtm obsesstim fuerat ebenda 6, 36,5; Ursa per incidtos errabat
squalida monies Quae fuerat amata Jovi Ov. fast. II. 1 82 ; Quae fuerat
virgo credita, mater erat ebenda 176.1
Diese präsentische Verwendung des prädikativen Partizips 42.
erhält aber noch von einer andern Seite, wo es sich wesentlich
um perfektive Verba handelt, eine Unterstützung. Wenn nämlich
eine perfektive Handlung nicht als solche selbst ausgesagt wird,
sondern als Objekt irgend einer Notwendigkeit, eines Willens etc.
dargestellt wird, ist es für den Zusammenhang der Rede zumeist —
nicht immer, s. die Beispiele — gleichgültig, ob diese Handlung
präsentisch oder präterital ausgedrückt ist, d. h. ob die Ausführung
der Handlung oder das Vollendetsein derselben als notwendig,
wünschenswert, befohlen hingestellt wird.
Die wichtigsten Typen sind:
Nach Verben des Wunsches: [Notwendig ist präteritale Aus-
drucksweise in Ä^iüic te illum melius t capere, Si captum esse vis
Poen. 677, ferner wohl Gas. 22, ohne esse Ep. 644]. Foras, Gidde-
viini, est qui illam conventam esse volt Poen. 1 1 1 8 , ferner Ps. 905,
St. 127. — Ohne esse : Di nie servatum cupimtt. — Et me perditum.
Rud. 1164; vgl. ferner Poen. 9 1 7, 1410. Cure. 304, 335. Cist. 704.
St. igi. MGI. 1138. Truc. 6ggf. Persa 722. Trin. 1175.
Nach Verben der Notwendigkeit, stets ohne esse. [Präteritaler
Ausdruck notwendig: Dum stas, reditum oportuitV&x?>2i j^^^^. Factum
oportuit St. 354, ferner Am. 740, St. 130. — Opus est hac tibi cmpta
Persa 384, ferner Cure. 302, ^22. Am. 791. Men. 955. — Quam
subito argento 7tti usus invento siet Ps. 50, ferner Rud. 398. St. 57.
Nach Verben des Bewirkens; Jam ego hoc ipsu?n nppiduvi
expugnatum faxo erit le?ionium Ps. 766, vgl. Aul. 273. volo . . .
siquid stulte fecit, ut ea missum facias omnia Trin. 1 168. S. Tammelin
1. c. 90; vgl. ferner Men. 992. Most. 400. Poen. 580. Ohne esse :
^ Ebenso wie von amatus 'geliebt' zu a7natus est 'er wird geliebt',
gelangte man auch, wie es scheint viel häufiger, in umgekehrter Richtung von
amatus est 'er ist gelieb worden' zu amatus 'wer geliebt worden ist' also
zu einem richtigen Perfekt-Partizip durativer Verba: cetttuvt quotuiam urbibus
haiitata crete Mela II 7 1,2. So ist wohl zu verstehen: puella .. . amata
nobis, qiiantiim aftiäbitur 7tidla Cat. 8, 5 und sehr deutlich die Stelle des
Vergil, wo der Schild des Aen. beschrieben wird: illic gmus onme futurae
stirpis ab Ascanio pi/gnataque ('die durchfochtenen'; nämlich vom Standpunkt
der Gegenwart) m ordine bella 8 029-
io6
infecla dona facio Most. 1 84. Hieher gehören vielleicht die Beispiele
mit reJdere und dare. Damit vergleichbar ferner Fälle wie: sie
expectabat populus . . . rebus utri magni victoria sit data regni Enn.
fr. 55 13-
Auch abgesehen von unsrer Konstruktion finden wir ja unter
diesen Umständen präteritale Ausdrücke: Si tibi venissest opus
Persa 384, exquisisse oportuit Cist. 574, 7iolit,o edepol devellisse Poen.
^^2, vgl. Tammeliu S. 7 7 ff. Dräger bist. S. I, 254 ff., II, 404 ff.
Noch andre Typen, die hieher gehören, führt Lindsay, Synt. of PL
61 f. vor, vgl. auch Engwer, Über die Anwendung der Tempora
perfectae etc. S. 7 ff. und die dort angeführte Literatur. Auch der
Konjunktiv Perfekt im Prohibitiv und der Konjunktiv Plusquam-
perfekt im unerfüllbaren Wunsch wäre zu erwähnen.
Dafs nun aber diese perfektischen Ausdrücke nicht mehr ver-
standen und einfach als gleichwertig mit präsentischen aufgefafst
wurden, zeigt der Umstand, dafs hie und da, wenn auch selten,
durative Verba die gleiche Konstruktion zeigen: At si non licet
Cavere quid agam? Nam ego tibi caiitwn volo Persa 370, ... quod
tacito usus est Cist. 127. tarnen viso opust, cautost opus Capt. 225.
Das -io-Partizip bezogen auf ein Akkusativobjekt von
luiheve.
43. Wir haben gesehen, wie die mit esse versehenen -/ö-Adjektive
in die Verbalflexion hineingezogen wurden. Viel merkwürdiger
und minder leicht verständlich ist die Entwicklung, durch die habeo
scriptum eine Verbalform von scribere geworden ist. Und da ist es
ein wahres Glück, dafs wir über die einzelnen Etappen dieser Ent-
wicklung viel besser orientiert sind als bei scriptum est. Denn sie
gehört einer viel späteren Zeit an. Während nämlich der Typus
scriptum est bereits in der ältesten Zeit völlig ausgebildet ist und
im Romanischen nur gewisse Verschiebungen in Verwendung und
Bedeutung zu konstatieren sein werden, zeigt uns das älteste
Lateinische den Typus haheo scriptu erst in seinen Anfängen und
die völlige Ausbildung gehört erst der romanischen — nicht einmal
der ältesten romanischen — Zeit an. Wenn nun auch das Bild,
das wir von der Entwicklung bekommen, infolge der Eigenart der
geschichtlichen Verhältnisse, nicht lückenlos ist, so haben wir doch
Daten genug, um den Gang derselben zu bestimmen oder doch
ungefähr zu erraten. Wäre dem nicht so, so hätten wir keine
Möglichkeit zu erkennen, wie y'W ö'örwz' zu der Bedeutung 'ich habe
geschlafen' gekommen ist, oder mit andern Worten, wie das Verbum
des Besitzens dazu gekommen ist, dem gröfsten Teil des roma-
nischen Zeitwortmaterials zum Ausdruck seiner präteritalen Zeit-
stufen zu verhelfen.
Die Grundzüge der Entwicklung sind bereits durch Thiel-
manns eingehende Untersuchungen 1 aufgeklärt. Schon früher
^ Arch. f. lat. Lex. II, 372 ff., 509 ff.
I07
wufste man, dafs die Konstruktion von den Fällen ausgeht, wo
das Partizip zu einem Akkusativ-Objekt tritt und durch Th. sind
wir auch sicher, dafs sie sich im Lateinischen in diesen Grenzen
erhalten hat, Th.'s Verdienst ist es ferner, den nahen Zusammen-
hang aufgezeigt zu haben, in dem das -/ö-Partizip hier zu ander-
weitigen Adjektiven steht. Die naheliegenden Folgerungen aus dem
Umstand zu ziehen, dafs ja das -/ö-Partizip eben im Anfang auch
nichts andres ist als ein Adjektiv, hat er versäumt. Ferner hat er
gleich im Anfang eine Scheidewand aufgerichtet zwischen den
Fällen, wo das Part, attributiv ist und denen, wo es prädikativ ist
(S- 373) und die ersteren aus der Untersuchung ausgeschlossen;
auch das halte ich nicht für ganz glücklich.
In einer Sprache nämlich, die wie die lateinische weder in
der Wortstellung noch durch den Artikel noch durch irgend eine
bestimmte Flexionsart zwischen attributivem und prädikativem
Adjektiv einen Unterschied macht, ist es im einzelnen Fall oft
sehr schwer zu bestimmen, wie ein Beispiel einzureihen ist. Das
Lateinische hat überhaupt die Eigentümlichkeit, die prädikative
Funktion eines Begriffs häufig dort, wo sie andere Sprachen
hervorheben müfsten, nicht zu bezeichnen, es sei denn durch den
Akzent. Als besonders markantes Beispiel für viele will ich die
Stelle Aul. 152 hervorheben: {tnihi misero cerehnim exciititint tua
dicta\) lapides loqneris, wo wir das prädikative Element notwendig
ausdrücken müssen und dadurch das so einfach Geformte nur mit
einem grofsen Aufwand von Worten wiedergeben können: 'das was
du redest, sind Steine' od. ä.
So kann auch das Adjektiv beim Objekt von habere oft in 44.
demselben Beispiel je nach Umständen als prädikativ oder als
attributiv angesehen werden. Wenn z. B, Euclio in der Aulularia
seine Armut schildert und bei der Gelegenheit sagt (iQi): Virginan
habeo gr andern, dote cassam atqiie inlocabilem Neque eam qiieo locare
quoiquam, so kann damit verschiedenes zum Ausdruck gebracht
werden. Setzt er voraus, dafs Megaronides in seine Verhältnisse
überhaupt nicht eingeweiht ist oder tut er so, als ob er das voraus-
setze, so wäre zu übersetzen: 'ich habe eine erwachsene, der Mit-
gift bare, unanbringbare Tochter', so etwa wie Quadrilibrem aulam
auro onus tarn habeo Aul. 809 bedeutet 'ich habe einen vier Pfund
fassenden, mit Gold gefüllten Topf oder non nostra formani habet
dignani domo Merc. 395 'sie hat nicht die unserm Haus entsprechende
Gestalt'; d. h. das Adjektiv bildet mit dem Substantiv eine Einheit
und von dieser Einheit wird der Besitz ausgesagt. Anders wenn
Eu. annehmen kann, dafs INIeg. weifs, dafs er eine Tochter besitze
und nur die nähern Umstände als unbekannt voraussetzt. Dann
müfste es heifsen: 'die Tochter, die ich habe, ist erwachsen, hat
keine Mitgift und kann nicht angebracht werden' [vgl. Donner:
'meine Tochter ist erwachsen']. Deutlich ist ein derartiges
Verhältnis etwa in: filiolain ego tinam hahui Rud. 106 'als die einzige',
novos omnis ?)iores habeo Truc. 677 'mein ganzes Benehmen ist
io8
neu' und mit Subst.: lu mc antidhac supremi/fn habnisli coinitem co?i-
sih'is ttiis [Donner: 'ich war ja sonst bei deinen Unternehmungen
dein geheimster Rat']. Wir sehen, dals der Begriff des Besitzes
im Deutschen überhaupt nicht hervortritt; es Hegt eben das Haupt-
gewicht auf der Prädizierung des Adjektivs und wenn das habere
überhaupt eine Rolle spielt, so ist es eine etwas veränderte, von
der Grundbedeutung sich entfernende: 'ich habe dich als solchen
oder solchen' entweder a) = 'ich behandle dich so oder so': Tmmo
cdepol tu qtiidcni iniseriim me habes miseris modis Ep. 697, ähnlich
Sunt tarnen quos miseros maleque habeas Trin. 268 1; sacruni profanum,
publicum privatum habent Trin. 286; di nos quasi pilas homines habent
Capt. 22 2 — oder aber b) = 'ich halte dich so und so' (ich sehe
darauf, dafs du die prädizierte Eigenschaft nicht aufgibst): Nimium
te ego habui delicatam Men. 119 'zu sehr hielt ich dich als ver-
wöhnte' [Donner wieder völlig ohne Berücksichtigung des habere'.
'gar zu sehr hab' ich dich doch verwöhnt'], haud mirti?n si te habes
carum MGI. 1041 'wenn du deinen Preis wahrst', ita me viea fortna
habet soUicitum 'meine Schönheit erhält mich in einem fortwährenden
Zustand der Sorge' MGI. 1087, vgl. Men. 579, 589.
45. Es sind Sonderentwicklungen, die die innige Verschmelzung
der beiden Prädizierungen und damit die Ausbildung einer Gesamt-
prädizierung zur Folge hat. Aber noch eine andere Auffassung
des Verhältnisses der drei Teile zueinander kann zu einem ähnlichen
Resultat führen. Es läfst sich nämlich noch eine dritte Nuance in
jenes Beispiel aus der Aulularia hineinlegen, wobei es sich um die
Gültigkeit der aus der Prädizierung hervorgegangenen Situation
handelt. Gewissermafsen 'ich habe das, dafs meine Tochter er-
wachsen, ohne Mitgift und unanbringbar ist' d. h. 'ich habe damit
zu rechnen, dafs . . .' 'ich befinde mich in der Lage, dafs . . .'.
Diese Situation wird im allgemeinen ausgedrückt durch selbständige
Prädizierung: Virgo (est) graftdis, dote cassa. Das Eigentümliche
ist also nur, dafs die Situation selbst ohne weiteres als Objekt zum
Begriff des Besitzes gesetzt wird in der Form, in der sonst ein
einzelner Begriff als Objekt gesetzt wird, ohne in einen Satz ge-
kleidet zu sein, ohne Abstraktum etc., wie das meist im Deutschen
erforderlich ist, vgl.: aliquem inimiciim habeo (Trin. 654) 'mit jemand
Feindschaft haben'; quorum mihi dona accepfa et grata habeo Truc. 617
'ich habe das Gefühl, die Empfindung etc., dafs ihre Geschenke
mir willkommen und angenehm sind', ähnlich Am. 184, quoniam bene
quae in jjie fecerunt, iiigrata ea habui atque inrita 'hatte nicht Dank
dafür noch Rücksicht darauf, ferner die späteren carum, acerbum
habere aliquem, utrtim propiiios an iratos habere Romanos mallent
Plin., aliquid certum habere 'Gewifsheit über etwas haben' Cic. etc.,
* Beachte die Annäherung an eine Modalbestimmung! — Es stimmt
also nicht, dafs tniserum habere nur im Kompar. und Superl, vorkommt, nicht
im Positiv, wie Thielmann 1. c. S. 377 behauptet.
' Daraus dann weiter 'halten für', 'erachten als' ...
log
und so denn aliquid cognilum habere ungefähr dasselbe wie notiotiem
habere alicujus (Cic. Ac. II, t^T)).
Es handelt sich bei der 3. Nuance um eine Erscheinung, die 46.
im Lat. weitverbreitet ist und durchaus nicht auf das Objekt von
habere beschränkt bleibt. Vgl. z. B. nunc cum vidi miseriim et me eins
miserittimst Trin. 430 'ich sah ihn unglücklich' =^ 'ich sah, dafs er
unglücklich sei' = 'ich sah sein Unglück', rogilo pisces, indicant caros
Aul. 373. Ita naugas blatis. — Verum actutum nosces 'dafs es wahr
sei' Am. 627. bo7iis Ulis rebus (da deine Lage glücklich ist) meas
res inrides malas 'lachst du darüber, dafs meine Lage schlecht ist' =
'über mein Unglück' Trin. 446. Bei späteren Autoren: ao-i gaudei
eqtio Verg. Aen. IV, 156 'er freut sich über das feurige Rofs' =
'darüber, dafs das Rofs feurig ist'; vel regnum malo quam liberum
populum Cic. Rp. III. 47; post über am civHatevi 'nach Befreiung des
Staates' Cic. Par. 1 1 ; Suadeiit cadentia sidera somnos 'der Untergang
der Gestirne' Verg. Aen. IV, 8 1 ; ut ego amicior invenirer Phrygnm
et Cilicum aerariis quam nostro 'dafs meine Liebe zu . . . gröfser
gefunden wird als die zu . . .' Cic; Si te ruentes non saiis Thebae
movent, at scepira moveant lapsa cognatae domiis Sen. Oed. 510. Be-
sonders bezeichnend ist die Gleichstellung mit einem Verbalabstraktum
in qui expidsiones vicinorwn qui lairocinia in agris qui possessiones
vacuas recordetur Cic. Par. 46 oder In nova fert animus mutatas
dicere formas Corpora Ov. met. i,^, wo diese Themaangabe dem
griech. Titelwort ^Era^ÖQcpfOöLq entspricht.
Es ist klar, dafs eine Situation am besten charakterisiert wird, 47.
indem man sagt, dafs etwas geschehen ist oder dafs ein Ge-
schehen bevorsteht. Dadurch erklärt sich, dafs die meisten hierher-
gehörigen Ausdrücke ein -/ö-Part. oder ein Gerundivum aufweisen.
Beim Gerundivum ist die Sache allgemein bekannt, es liegt ja darin
das eigentliche Wesen der Gerundivkonstruktion. Auch für das
-/o-Partizip ist schon genug Material zusammengestellt, vgl. Dräger
112, ^y^; ^^das Partizip ... als Attribut mit einem konkreten Sub-
stantiv verbunden, vertritt zuweilen ein abstraktes Verbalsubstantiv
oder einen Substantivsatz"; Brugm. 1. c. 145. Nur eben wäre
darauf hinzuweisen, dafs die Erscheinung mit andern Fällen wesens-
gleich ist, dafs das Attribut eben auch ein Gerundiv, ein Partiz.-
Präsentis (s. die Beisp. aus Vergil und Seneca), ein Adjektiv sein
kann. Letzterer Fall wird mit Unrecht ganz unbeachtet gelassen,
nur Dräger führt § 576 Ende aus Tacitus einige Beispiele mit Adjektiv
an, als ob diese Abart erst damals aufgetaucht wäre. Ferner haben
beide Autoren darin Unrecht, dafs sie die Konstruktion in vor-
klassischer Zeit auf die in ^2 erwähnten Fälle von opus, usus est
beschränkt sein lassen. Sie ist im Gegenteil schon bei Plautus
vollständig ausgebildet: perdita perdidit me 'ihr Verlust hat mich
ins Verderben gestürzt' Cist. 686; Scio istaec facta proinde ut pro-
loquor 'dafs es geschehen sei'. Non ego illam mihi dotem duco esse,
quae dos dicitur, Sed pudiciliam et pudorem et sedatum cupidincm 'der
Umstand, dafs . . .' Am. 840. Und mit nicht ausgedrücktem Neutral-
HO
Objekt: Facttwi, neqite facti pigei 'es ist geschehen und es ärgert
mich nicht, dafs es geschehen ist' oder 'die Tat verdriefst mich
48. nicht' Trin. 127. — In diesem Gebrauch wurzeln zwei Erscheinungen,
mit denen sich bereits Brugmann beschäftigt hat, ohne doch den
Zusammenhang mit diesen Verhältnissen völlig klarzulegen, nämlich
I. das neutrale Verbalsubstantiv, 2. der sogenannte Ablativus ab-
solutus.
1. Wir haben Trin. 127 übersetzt 'die Tat'. Die Äquivalenz
unsrer Konstruktion, als Ganzes betrachtet, mit einem abstrakten
Substantiv führt dazu , dafs factum ein solches werden kann , also
aus einem Partizip ein Substantiv, für das dann natürlich die Zeit-
losigkeit charakteristisch ist. Das tritt klar an Beispielen hervor
wie Neque mei tieqiie te tui . . . hitus puditwnst f actis quae facis
Bacch. 379 oder Quom mi haec diccntur Jicta Gas. 140, während
immo si scias dicia quae dixit hodie Gas. 668 die ursprünglich be-
rechtigten Tempusverhältnisse noch aufweist.
2. Eine Situation, ein Tatbestand im Instrumental — sei dieser
nun genauer besehen Bezeichnung des Mittels, oder Bezeichnung
des begleitenden Umstands — kann leicht dazu kommen als Grund-
oder als Zeitbestimmung aufgefafst zu werden. re7n patez-ihun me
adjutrice perdidit Trin. 13 'dadurch dafs ich geholfen habe, mit
meiner Hilfe', capite obvoluto ut fugiat sujumo metu 'wobei er das
Haupt verhüllt hat' == 'nach Verhüllung des Hauptes'; vgl. Tamm.
1. c. 126 ff. Dadurch dafs Nom. -}- Part., und zwar nicht blofs im
Ablativ, in der Bedeutung einer Situation als Angabe für ein Mittel,
für die Zeit, für den begleitenden Umstand gefafst werden konnte
und durch generelle Funktionsverschiebung direkt in eine solche
übergeht, geschieht es nun manchmal, dafs die -/ö-Form zu einer
Bedeutung gelangt, die sie ihrem Ursprung nach eigentlich nicht
haben kann (/^), die punktuell präsentische: sol occasus suprema
tempestas esto XII T., mimquam ad solem occasitm viverem Men. 1022.
Aus späterer Zeit: Oonsul . . . in urhetn redit Cloelio . . . ante currum
ducto praelatisque spoliis Liv. 4, lO, 7; pavetque laedere Jactatis maternas
ossibus umbras Ov. met. I, 387 'dadurch dafs er wirft', nicht 'dafs
er geworfen hat'; ante proelium factum Liv.; vgl. ferner Gaesar,
b. g. 6, 16, 5. Besonders deutlich: Etenim quaedam sunt talia, ut
s tat im facto suo noceant; quaedam talia , ut in praesentiarum nihil
tioceant, in futurum autem nocere debeant Ulp. 43, 8 Dig. 2, 31.
3. Besonders gern wird eine derartige Situationsbezeichnung
das Objekt (oder auch Subjekt etc.) eines Verbs (oder Substantivs),
das ein Wissen, Glauben, Aussagen, eine Gemütsbewegung od. dgl.
ausdrückt. Die lateinische Elementargrammatik pflegt dann, wo sie
im blofsen Akkusativ steht, von einem Akkusativ cum Inf. mit Ellipse
von esse (d. h. von einem accusativus cum infinitivo sine infinitivo!)
zu sprechen. Hierher also Fälle wie qui te jiuntiaret mortuotn Tr, 443,
te omnes saevumque severtwiqtie . . . cotrimemorant Trin. 843, ut vera
haec credas mea dicta Most. 198, abductarn illam aegre pati Merc. 251,
III
Ai erum servavi quem servaiuvi gaudeo Cpt. 70?» ^'^ späterer Zeit:
ira in Romanos propier obsides nuper interfedos Liv., rapium juvenem
plorare Hör., bonis rebus laetari Cic, graiidatio rd piiblicae conser-
vatae Cic, Angebant Hafinibalem Sicilia Sardiniaeque amtssae Liv.,
Haec liberatariim Thebarum p7-op}-ia laus est Pelopidae Nep., gaudium
ia?ttae perpetratae rei Liv., paenitet neglectt consilii Just., crimen inter-
feciae sororis Val. Max. usw. Öfters gibt es dann für ein solches
Verb eine eigene Übersetzung, z. B. evVt'/-/ 'scheinen': Hilurica facies
videtur hominis Trin. 852 eigentlich: 'dafs das Antlitz des Mannes
ein illyrisches ist, sieht man', inveniri = 'befunden werden' u.
dgl. Dabei kommen immer von neuem die vermittelnden Fälle
vor, wo die Auffassung zweifelhaft ist, z.B.: iantis excitati praemiis
Caes. b. g. VI, 142 'durch so grofsen Lohn aufgemuntert' oder
'dadurch dafs der Lohn so grofs ist'.
Die Sache ist ja auch in andern Sprachen nicht unbekannt;
nur geht z. B. das Deutsche lange nicht soweit wie das Lateinische.
'Er wurde wegen einer unrichtigen Meldung bestraft' oder selbst
'wegen der unterlassenen Meldung' fällt nicht besonders auf; eigen-
tümlicher mutet schon an 'wegen der gestohlenen Brieftasche', ganz
unmöglich, geradezu spafshaft klingt 'er wurde wegen des gemordeten
Briefträgers aufgehängt'. Aber lateinisch: occisus didator Caesar
aliis Pessimum, aliis pulcherrinnwi fadtius videbatur Tac. oder Est
majus aliqiiod patre madato nefas Sen. Oed. 18.
Die Frage, ob es sich in solchen Fällen um ein attributives
oder ein prädikatives Adjektiv handelt, ist müfsig. Wenn wir etwa
in dem erwähnten ocdsus Caesar . . oder in Post Caesarein occisum
eher das erstere, in Scio Caesarem ocdsum oder Caesare ocdso (Abi.
abs.) eher das letztere anzunehmen geneigt sind, so beruht das
auf der deutschen Übersetzung. Für das Lateinische besteht der
Unterschied nicht und wie hinfällig er ist, erkennen wir aus den
mannigfachen Fällen, wo es sich überhaupt um einen eingliedrigen
Ausdruck handelt.
Bei habere mit dem Partizipium finden wir nun alle die drei 49.
Nuancen, die wir rekapitulierend durch folgende drei Beispiele
charakterisieren wollen :
1. quadrilibrem aulam habeo — attributiv
2. filiolam habeo unam — prädikativ
3. aliqiiem inimicum habeo — situationell.
Doch betonen wir früher noch einmal, dafs die Grenze keine
scharfe ist und dafs oft genug Zweifel bestehen werden, in welche
Kategorie das Beispiel untergebracht werden soll. Das erklärt sich
eben aus dem gemeinsamen Ursprung, aus dem sich die 3 Varietäten
durch Funktionsverschiebung entwickelten, ohne aber dafs die ur-
sprünglichen Bedingungen je in Wegfall kamen.
I 12
Wir haben also:
A.
1. deum vir tute . . . et iua Multa bona hene parta hahemus
Trin. 347 (aber nicht hieher, sondern zu 2 gehört qui atit faenore
atit perjurüs habent rem paratam Men. 584).
2. 7?iea quide?n haec habeo o?)inia, vieo peculio empta Ps. 1189.
Nequiquam abdidi, ahsco7ididi, abstriisam haheham Merc. 360. Ni suo
vivit^ qui eum vi?ictutn habebit, lihras farris endo dies dato XII T. (wo
allerdings der Relativsatz für einen Einschub erklärt wird). —
Minder deutlich : Ut amicitiam colunt atque ut eam jimctam habent
inter se Cist. 26. Jam instituta, ornata Cuncta in ordine, animo ut
volueram, certa, deforniata habebam Ps. 675 — 7.
3. Non maneo neque tu 7ne habebis /also suspectum *Du wirst
keinen falschen Verdacht gegen mich haben' Bacch. 572. — Be-
sonders deutlich: illa omnia 7nissa habeo quae ante agere occepi ' Mies
was ich früher ausgeheckt habe, kommt schon für mich nicht mehr
in Betracht' Ps. 602 ; Immo res ojnnis relictas habeo prae qiiod tu
velis 'Alles andere ist für mich nichts, gegen das was du willst'
St. 362.
Das Subjekt des Partizips ist dabei vollständig gleichgültig.
In den angeführten Beispielen (A) war es identisch mit dem des
habere. Aber es kann auch ein verschiedenes sein (B) oder es
kann ganz unbestimmt sein, von wem die durch das Partizip be-
zeichnete Handlung ausgeht (C).
B.
1. tunc . . . liberos parentibtis sublectos habebis Rud. 74g.
2. pactam rem habeto 'das soll dir bewilligt sein' Poen. 1157,
ebenso St. 566, Trin. 500. — Minder deutlich: semper tibi pro?nissum
habeto . . . Asin. 166. per jociim itidem dicta habeto, quae nos tibi
respondimus Poen. 542.
3. Satis jam dictum habeo 'das was du gesagt hast, genügt
für mich' Persa 213, ähnlich satin ego istuc habeo offirmatum"?
Bacch. 1202.
1. qnia buccolas tam belle purporissatas habes Truc. 2go.
2. Sub gemman abstnisos habeo tuayn matrem et pafrem? Cure. 606.
3. At nullos habeo scriptos 'ich habe keine schriftliche Auf-
zeichnung über sie bei mir', 'es stehen mir keine schriftlichen Auf-
zeichnungen über sie zur Verfügung' MGI. 48, ähnl. Rud. 21.
CQ. In all den zitierten Fällen bleibt das Partizip seiner Bedeutung
ziemlich treu. Wir finden bei perfektiven Verben durchweg prä-
teritale Bedeutung. Nur an folgenden, besonders gearteten Stellen
haben wir wohl präsentisch-passive Bedeutung anzuerkennen : an
me hie partim exc(r)ciiu7n hisce habefit Persa 856, ähnl. Epid. 529
113
(A 2, iterativ ig)\ die Stellen mit despicatam und invisuvi habere
Rud. 700 (A3, 21,^)', quae molat, Hgntim caedal, qiiae haheat cotti-
dianum fatniliae coctmn cihum 'welche täglich das Kochgeschäft für
die Familie besorgt' Marc. 398, vermutlich ebenso frgm. ine. i (A 3,
gelegentlich iterativer Gebrauch perfektiver Verba); hoc tu tecutn
tacitum habeto Poen. 8go (A 2 mit der Nebenbedeutung 'bewahren'
'halten' 2/,/, 44b).
Es ist klar, dafs von letzteren Fällen abgesehen, die Verbindung 51.
Ptz. -|- habere überall durch ein Perfektum präsens ersetzbar und
übersetzbar ist und zwar in A durch ein perfektisches Präsens in
derselben Person in der habere steht, denn diese Idee liegt ja
eben schon im Partizip selbst. Aber dennoch deckt sich der Sinn
nicht genau mit einem solchen, zum mindesten in i und 2. Denn
in I und 2 findet sich eben daneben die Idee des Besitzes, die
durch ein Perfekt nicht zum Ausdruck kommt, oder die daraus
abgeleitete, mehr kausative des in einem Zustand erhalten, welche
ja auch durch das stärkere teuere (oder attinere) ausgedrückt werden
kann (Beisp.: Tamm. 103). Viel weniger genau ist die Grenze zu
ziehen, die 3 von einem gewöhnlichen perfektischen Präsens trennt.
Hier ist die Verbindung von habere mit dem nominalen Objekt
etwas loser. Im Deutschen können wir meist nur durch eine weit-
schweifige Umschreibung der lat. Ausdrucksweise ganz gerecht
werden und immer wieder drängt sich die Versuchung auf, mit
einem Perfekt zu übersetzen. In der Tat, wenn der Sinn ur-
sprünglich ist: 'die Situation (den Tatbestand) vor sich haben, '
dafs . . .', 'in der Situation sein, die entstanden ist dadurch, dafs
eine bestimmte Handlung an dem Objekt vollzogen ist' oder [in A]
'dadurch, dafs ich eine bestimmte Handlung vollzogen habe', so
unterscheidet sich das eigentlich von einem Perfektum präsens
'man hat . . . (ich habe) . . . vollzogen ' nur mehr durch zwei gering-
fügige Umstände: i. dafs die neugeschaffene Situation, der neue
Tatbestand für das Subjekt von einer gewissen Wichtigkeit, von
einem gewissen Interesse ist, eine Nuance, der ich in der Über-
setzung mehrerer obiger Beispiele durch Einschalten eines 'für
mich', 'mir' gerecht zu werden suchte und die auch im Lat. ge-
legentlich durch hinzugefügtes ?nihi zum verstärkten Ausdruck ge-
langen kann, 2. dafs in der Konstruktion selbst eben nichts ent-
halten ist, was uns über das logische Subjekt des Partizips aufklärt,
sodafs wir eventuell immer erst aus dem Zusammenhang erkennen
müssen, dafs es das gleiche wie das von habere ist. Durch beides
steht unsere Konstruktion in natürlicher Konkurrenz mit der Kon-
struktion Part. -{- esse -\- Dat. [mihi), worauf Thielmann 1. c. 379 ff.
hingewiesen hat. Doch glaube ich nicht, dafs diese Konkurrenz
in irgend beträchtlicher Weise auf die weiteren Schicksale unserer
Konstruktion eingewirkt hat.
Auf dieser 3. (situationeilen) Verwendung und zwar Fall A 52.
beruht nun nach meiner Überzeugung die Entstehung der neuen
Perfektumschreibung, indem durch Funktionsverschiebung a) die in
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVl. (Festschrift.) 8
53.
114
j"/ besprochene Nuance i [die Idee 'für mich' etc.] sich verlor,
b) die Subjektsgleichheit, die ursprünglich nur etwas zufälliges war,
das durch den Zusammenhang erkannt wurde, von diesen Fällen
aus als etwas der Konstruktion anhaftendes empfunden wurde. Dafs
der Fall A 2 (und möglicherweise sogar A i) bei der Ausbildung
mitgeholfen haben, ist durchaus wahrscheinUch, aber den ent-
scheidenden Anteil hat nach meiner Ansicht A 3.
Dadurch unterscheidet sich meine Betrachtungsart ziemlich
wesentlich von der Thielmanns, der den Fall A 3 überhaupt nirgends
anerkennt und lediglich mit der zweiten Varietät, der prädikativen
Verwendung, arbeitet. Er hat die in Betracht kommenden Fälle
nach Bedeutungsgruppen zusammengestellt und das Überhandnehmen
der Konstruktion als eine allmählich vor sich gehende Erweiterung
dieser Gruppen aufgefafst und dargestellt. Man wäre also —
wenigstens anfänglich — durch das, was wir in 6 partielle funktionelle
Verschiebung genannt haben, nicht durch generelle, zu dem neuen
Wirkungskreis der Konstruktion gelangt.
Käme nun tatsächlich blofs der Fall 2 in Betracht, so hätte
diese Anordnung unzweifelhaft ihre Berechtigung. Denn es ist
klar, dafs in dem Fall, wo habere nur zwischen den Bedeutungen
'besitzen' und 'halten' (d. h. in einem Zustand erhalten) schwankt, die
Auswahl der in Betracht kommenden Partizipia eine beschränkte sein
mufs. Es wird für 'besitzen' nämlich hauptsächlich die Handlung
sein, durch die das Subjekt in den Besitz gerät: efnptum, comhictiim,
collectinn, captum h. oder, was bereits zu 'halten' überführt, die-
jenige, wodurch der Besitz für den Moment wertvoll wird : parattim,
instruclum h. etc.; für 'halten' die Zeitwörter, deren Handlung zu
einem Zustand führen, oder die Adjektive, die ihn angeben (örtliche
Lageverhältnisse: clüusinn, abditum , conjunctum, segregaiuin, positiim
h. etc.; moralische Zustände: obligalum^ iviplicatum, domitiim h.\
äufserliche Pflege und Schmuck: ciiratum, ornatuin, vestitwn h.\ Ge-
fühlszustände: sollicäiwi, tristem, occupatum, iratton h. etc.). Die
Abzweigung des „behandelns" {^^ a) käme dann etwa für Aus-
drücke wie pensum, ratum, irritum, auch gelegentlich sandum h. in
Betracht. — Wenn aber die Konstruktion bereits jene einen Tat-
bestand kennzeichnende Bedeutung angenommen hat, so scheint
dafür diese Behandlung nicht geeignet ; denn dann haben wir ja
eine Form vor uns, in die nach freier Wahl beinahe jede beliebige
durch ein transitives Verb^ mit seinem Objekt ausgedrückte Idee
geprefst werden konnte, und hier eine Entwicklung nach und in
Bedeutungsgruppen zu verlangen, wäre ebenso verfehlt, als etwa
die Entwicklung des lateinischen Ablat. absol. oder des französischen
präpositionalen Infinitivs nach der Bedeutung der zu der Konstruktion
verwendeten Verba zu gruppieren.
Dafs nun tatsächlich der Weg, den Th. einschlägt, verfehlt ist,
zeigt der Umstand, dafs die Gruppierung ohne grofse Willkürlich-
• Ausnahmen s. ^6.
115
keiten nicht durchzuführen war. So bereiten zwei Beispiele, die
wir schon im Beginn der lat. Literatur, bei Plautus, fanden, Th.
arge Verlegenheit: es sind die zwei ^g K t, zitierten mit missa
und relictas haheo (S. 535 f.). Als direktes Perfekt kann er sie nicht
gelten lassen; tatsächlich, wenn schon damals das Perfektum so
ausgedrückt werden konnte, wie es in den romanischen Sprachen
ausgedrückt wird, wozu dann noch zeigen, wie die Verwendung
mit habere erst im Lauf der lat. Sprachentwicklung langsam dazu-
kommt, sich einem Perfektum zu nähern ? Mit der Grundbedeutung
von habere waren die Beispiele logischersveise nicht in Verbindung
zu bringen („denn was ich aufgegeben habe, das besitze [habeo]
ich nicht"), wie man wohl in Anbetracht des hohen Alters der
Beispiele verlangen könnte, wenn die Ausbildung tatsächlich langsam,
in den einzelnen Gruppen vom berechtigten zum minder berechtigten
schreitend, vor sich gegangen wäre. So erklärt er denn missa,
relictas habeo als Präsentia — darin hat er Recht, denn das sind
sie, solange die angegebene unterscheidende Nuance noch fühlbar
war — und verweist einerseits auf das entsprechende missiim facio —
darin hat er Unrecht, denn habeo ist, selbst wo es sich der kausativen
Bedeutung nähert, nie gleichbedeutend mit facio (wie auch Th. selbst
S. 539 die Gleichheit von habent operaium mit 'opfern lassen' in Ab-
rede stellt) — , andrerseits auf Redensarten wie contemptiitn, neglectum
habeo \ diese aber sind erst aus späterer Zeit zu belegen, unter-
einander und mit den Plautinischen ungleich. Contemptum h. als
Ausdruck eines Gefühls läfst sich überhaupt nicht vergleichen;
neglectum habere hat an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, die
Bedeutung, die in </^ 3 charakterisiert ist: 'im Zustand der Ver-
nachlässigung erhalten', die relictum, missum habeo an den Stellen
von Plautus nicht haben können.
Aber auch sonst macht die Gruppierung Th.'s den Eindruck
der Willkürlichkeit. Um möglichst viele Verba in seinen Gruppen
unterzubringen, konstruiert er Bedeutungsverwandtschaften, die kaum
bestehen, so „der mit hassen verwandte Begriff beargwöhnen"
(S. 383); constiiuhim habere wird an positum habere angeschlossen,
auch wo es gar nicht 'setzen' bedeutet, sondern 'organisieren'
oder 'bestimmen' (S. 413), ebensowenig versteht man, wie sich die
Ausdrücke für 'richten', 'wenden' hier anschliefsen (S. 415); repertum
h. findet sich h^\ paratum h. (S. 417) etc. Trotz dieser gewaltsamen
Einordnung bleibt aber doch noch manches übrig, was dann erst
in einen historischen Anhang zusammengeprefst wird, wie consitum,
satum, conversum h. u. dgl., vor allem aber die beiden wichtigen
Gruppen dictum h. und factum h., die merkwürdigerweise erst hier
zur Sprache kommen. Wenn überhaupt diese Anordnung gewählt
wurde, so hätten diese beiden Typen eine dominierende Stellung
verdient, factum hätte zu manchem gesellt werden müssen, was
in der ganzen Arbeit verstreut ist, z. B. ptrfectum, per actum h. (395),
aedificatum h. (408), das nur dann zu posHu?n h. Beziehungen haben
kann, wenn eine Ortsbeslimniung dabei ist, absolulutti, emeritum h.
8*
ii6
(536), was dann weiter zu 'beenden' führt: finiias cuptdifales, Cic.
Fin. I, 62, bellum habere profligaluvi Liv. 35, 6, ;j, expleta cumulataque
Cic. Oif. II, 18. Zu dieser letzteren Gruppe tritt dann die Gruppe,
die 'anfangen' bedeutet, in gewisse Beziehung: snscepium (419),
contestatum, insiituium (536), incohaiuvi (517). An der Seite von
dictum h. findet scriptum h. (421 ff.) seinen natürlichen Platz. —
Viele von den gezwungen und unnatürlich angeordneten Beispielen
gehören eben unserer 3. Kategorie an, aber auch von dem, was
der Bedeutungssphäre nach an seiner natürlichen Stelle steht,
würde manches seiner Verwendungsart nach hieher gezogen
werden müssen, z. B. in der Gruppe positujn h., ferner die ganze
Gruppe von cognitum h., wo die Auffassung eines „geistigen Be-
sitzes" schwerlich das richtige trifft.
Die Geschichte der in Rede stehenden Konstruktion wird also
unter Berücksichtigung der von mir aufgestellten Unterscheidungen
vom neuen zu schreiben sein. Für meine Zwecke kann ich mich
mit obigen Andeutungen begnügen.
54. Für den Romanisten kommt zunächst die Frage in Betracht,
wann unsere Konstruktion mit einem Perfekt gleichbedeutend ge-
worden ist. Der Beantwortung dieser Frage stellen sich mannig-
fache Schwierigkeiten in den Weg. Die Redensart gehörte, wie
wir aus ihrer Verwendimg bei Plautus mit Sicherheit erschliefsen
können, der täglichen Umgangssprache an und die weitere Ent-
wicklung hat sich offenbar auch in der täglichen Umgangssprache
vollzogen. Aber über den Zustand der Umgangssprache nach
Plautus sind wir nahezu gar nicht unterrichtet. Terenz entfernt
sich, wie in andern Punkten, so auch in diesem, bewufst von ihr
und wir finden unsre Redensart bei ihm nur in seltenen Fällen,
aus denen wir nichts neues lernen. Die Kluft wird immer gröfser
und wenn die spätem gelegentlich aus der Umgangssprache schöpfen,
so tun sie es mit bewufster künstlerischer Auswahl dessen, was für
ihre Zwecke brauchbar ist; so erklärt sich die Vorliebe des Cicero
für cognitum h. 'ich habe Kenntnis . . .' vgl. Thielmann 510 ff., 517.
Um den Zustand der Umgangssprache aufzuklären, sind wir also
wesentlich auf indirekte Anzeichen, Rekonstruktionen etc. ange-
wiesen. *
^ Natürlich miifs man sich aber der dabei möglichen Fehlergrenzen be-
wufst bleiben. Wie unsicher wäre es beispielsweise, wenn sicli jemand nach
Jahrhunderten au^ einigen Schriften moderner deutsch-österreichischer Autoren
von der deutsch-österreichischen Umgangssprache der Gebildeten ein Bild würde
n)achen wollen. Wie selten, wenn überhaupt, würde er so beliebten Kon-
struktionen wie „dem Vater sein Haus", „Wenn ich ihn bitten möchte, möchte
er mir es schicken" (== bäte, würde . . .) begegnen. Umgekehrt würde etwa
der Konjunktiv Präsentis eine viel häufiger und regelmäfsiger angewandte
Form scheinen, als es der jetzigen Umgangssprache entspricht. Einfaches
„dafs" zur Wiedergabe eines finalen ut: 'Komme früh, dafs du einen guten
Platz bekommst' würde man vermutlich für einen von gewissen Schriftstellern
angewandten, von andern gemiedenen Archaismus halten, dem man eine
Existenz in der Umgangssprache überhaupt nicht zutraut, während es doch
hier nach meinen Beobachtungen viel häufiger ist als das von der Schriftsprache
bevorzugte „damit".
117
Indizien für die Perfektgeltung wäre das Vorkommen bei
intransitiven Verben l^dortjiitum haheo) oder die Verschiebung von
einem präsentischen Perfekt zu einem aoristischen oder historischen.
Dergleichen läfst sich noch lange nicht nachweisen.
Oder die Verwendung der Partizipien durativer Verba mit
habere im präteritalen Sinn: ein *amatum habeo 'ich habe geliebt'
wie amaius sum 'ich bin geliebt worden'. Auch das läfst sich nicht
nachweisen. Wo das Partizip durativer Verba verwendet wird, hat
die Konstruktion präsentischen Sinn, vgl. die oben (50) zitierten
Beispiele oder coniemptum habere Cat. 60 5. Das hängt wohl damit
zusammen, dafs der genaue Sinn eines präsentischen Perfekts von
einem durativen Verb überhaupt nicht gut denkbar ist. — Andrer-
seits beweist die Koordination unserer Konstruktion mit präsentischen
Perfekten (oder Ptz. -f- habebam mit Plusqpf.) nichts, weil die Zeit-
sphäre ja die gleiche ist.
Danach würde es also scheinen, als ob die Verschiebung dem
Latein des Altertums überhaupt fremd gewesen wäre und das ist tat-
sächlich das Resultat, zu dem Thielmann auf Grund seines Materials
gelangt. Dieses Resultat wäre in Anbetracht des romanischen Zu-
stands, bzw. der romanischen Übereinstimmung recht überraschend,
namentlich wenn wir bedenken, wie nahe schon im ältesten Latein
manche Ausdrucksweisen dem romanischen Perfektura praesens
stehen. Nun wiegt aber nach dem, was wir sonst über das Ver-
hältnis von Schrift- und Umgangssprache wissen, das Argument ex
silentio nicht gerade viel und so wollen wir denn noch einmal nach-
prüfen, ob sich nicht gerade durch kritische Betrachtung der
historischen Entwicklung irgend welche Anhaltspunkte für eine
gegenteilige Auffassung ergeben.
Thielmanns Verdienst bleibt es, den Sprachgebrauch der 55,
lateinischen Schriftsteller selbst sowohl in grofsen Zügen als in den
Einzelheiten verfolgt und festgestellt zu haben. Danach ergibt sich
folgendes: Nach einer Periode reicher Entfaltung, die bis auf Cicero
und Cäsar, in manchen Zügen noch bis auf Livius reicht, erscheint
der Siegeslauf der Konstruktion plötzlich gehemmt, wie mit einem
Mal abgehackt. Die literarische Verwendung wird auf ein paar
Formeln beschränkt, die auch bei den Klassikern häufig sind; selten
wird ein neues Verb so verwendet und dann wirklich meist nur
solche, die in der Bedeutung engen Zusammenhang mit einer dieser
überlieferten Formeln haben. Zunächst finden wir noch einige Be-
wegungsfreiheit bei jenen Autoren, deren Sprache aufserhalb der
eigentlichen literarischen künstlerischen Sphäre steht: Vitruv, Colu-
mella, die Juristen, dann nicht einmal mehr dies.i Auch ein ganz
später, sonst stark von der vulgären Sprache beeinflufster Autor wie
^ Vgl. immerhin si mortificatas voluntates ac desideria niundi huj'us
hdbeamus abscisa Cass. Coli. VII 6, I, ähnl. Inst. IV 35. habens cotitritum
Satanan snb pedibus suis Cass. Coli. X, 11,4. lila omnia 7)u<;sa habeo quae ante
agere coepi Hier. Ps. 58 1 erinnert au Plaulus.
ii8
der der IMulomedicina macht davon keine Ausnahme.'' Erst im
beginnenden Mittelalter ändert sich die Sachlage mit einem Schlag.
Freilich ist die Veränderung nicht gar so grofs, als es Th. scheint,
namentlich wenn wir den Gebrauch der Merowingerzeit mit dem
der klassischen vergleichen. Manche Verba können sich früher
nicht finden, weil sie überhaupt früher nicht vorhanden waren oder
selten gebraucht wurden wie (di)sponsaiam habere 'geheiratet haben V^
adiuallahnn, hetieficiaium h. Andre Verba würden sich ganz un-
gezwungen der gruppenweisen Betrachtung Thielmanns gefügt haben
und die betreffenden Stellen, wenn sie bei klassischen Autoren be-
gegnet wären, nichts auffallendes für ihn gehabt haben: consinnmaiiivi
h. zu perfectiim h., injunctuvi h. zu posiium h., foedus iniium h. zu
conslituhim h. usw. audituni h. findet sich in gleicher Verwendung
wie es in der Merowinger- und Karolingerzeit vorkommt schon bei
Livius 40, 8, 15 neben vistitn h. Aber einerseits erscheint eben
mancherlei wieder, was in der Zwischenzeit aufgegeben schien wie
eben dies auditiwi h. oder reperiiim h. (Plautus), andrerseits erscheint
56. nun wirklich einiges, was früher nicht vertreten war. Denn wenn
auch das, was im Altertum vorhanden ist, sich nicht ohne Zwang
in Bedeutungsgruppen einstellen läfst, so läfst sich doch von ge-
wissen Bedeutungsgruppen zeigen, dafs sie fehlen und auch be-
gründen, warum sie fehlen. Da ist es zunächst der Typus datum,
donatum, pro?)iissiim h., andrerseits Ausdrücke wie rogatum, invitatuvi
habere u. zw. beides als Fall A {4g).
Warum sich diese Ausdrücke nämlich kaum finden können,
solange als Sinn der Konstruktion noch jene dritte Varietät
empfunden wird, ist leicht ersichtlich: rogare, invitare gehören zu
jener Gruppe von Verben, die wir oben (72) als pseudo- transitive
bezeichnet haben, die also an dem Zustand des Objekts selbst
nichts ändern, keinen neuen Zustand herbeiführen, so dafs man
kaum in die Lage kam, von jemand zu behaupten, dafs er sich
vor dieser (neuen) Situation befinde. Anders steht die Sache bei
der rtczr.?- Gruppe. Hier ist wohl eine derartige Zustandsänderung
vorhanden, da durch das dare etc. das Objekt in einen andern
Besitz übergeht. Aber ein fühlbares Interesse an der hiedurch her-
vorgerufenen Situation hat nicht derjenige, von dem die Handlung
ausgeht, sondern der, dem gegeben wird,^ die Person also, die als
Dativobjekt fungiert. In dieser Verwendung (.^p, Fall B), die den
Übergang zum Perfekt ausschliefst, finden wir unsre Gruppe tat-
sächlich: lice7itiain co7icessam habere; promissum habere; pactum habere
* Vgl. Pirson in Münchner Festschrift zum 12. Neuph.-T. S. 406.
* desponsam in andrer Bedeutung bei Cic. prov. cons. 37: is ut eatn (die
Provinz) desponsam^ non decretam habere videatur, obwohl nach Wölfflin
(ALL II, 371) auch hier die Auffassung des Verhältnisses von Statthalter und
Provinz als das von Mann «nd Frau vorliegt.
' Wo Verba dieser Gruppe in übertragener Bedeutung gebraucht werden,
kann das unter Umständen anders sein; so z. B. in priusgtiam hanc nxorem
duxi, habebam alibi animian a^nori deditum Ter. Hec. 294.
119
(schon bei Plautus); commendatum h. aliquem seit Cicero, s. Thielm.
5I2ff.
Wenn nun Th. in diesem Umschwung eine von Gallien aus- 57.
gehende „Wiedererweckung und Neubelebung der bereits erstarrten
Verbindung ... an der Hand noch erhaltener Formeln: cogriitum,
comperttim, accepfum haheo'''' sieht, so kann ich ihm hierin nicht recht
geben. Zunächst trifft der Grund, den Th. für diese Wiedererweckung
angibt, nicht zu. Der Konj. Plusqpf. war nicht „längst zum Konj.
Impf, geworden", sondern behielt seine Bedeutung neben der neuen
noch weit ins Mittelalter hinein, der Indik. Plusqpf. hat sich ebenfalls
erhalten, und da sich das Futur exakt in benachbarten romanischen
Gebieten erhalten hat, so ist nicht anzunehmen, dafs es in Gallien
bereits vor der Merowingerzeit verschwand.
Die Anknüpfungspunkte, die Th. findet, werden von den
romanischen Sprachen nicht legitimiert; keine der Formen cognitum,
compertiim, accepfum h. etc. beweist hier ihre Lebenskraft, comperttim,
acceptum, exploratum, absirusum sind gänzlich zugrunde gegangen.
cognitum hat sich erhalten, aber bezeichnenderweise als Adjektiv;
die alte Formel cognitum haheo ist aber ersetzt worden durch ^cogno-
vitian, ^cognovutum, '^cognoscitum h, etc. — factum und dictum habeo,
die sich in allen romanischen Sprachen erhalten haben, würden viel
bessere Anknüpfungspunkte darbieten.
Man mufs aber nur die Beispiele, die Th. bietet, durchsehen,
um sofort zu erkennen, dafs sie sich in Tat und Wahrheit gar nicht
an diese Formeln anknüpfen lassen, dagegen sehr gut an den Ge-
brauch, wie ihn uns die lat. Schriftsteller zur Zeit der höchsten
literarischen Entfaltung unsrer Konstruktion darbieten. Wir haben
den Eindruck, dafs ein Flufs von einem gegebenen Punkt an unter-
irdisch weiterfliefst, um endhch wieder, durch zugeflossene Bäche
etwas verstärkt, an der Oberfläche zu erscheinen.
Und so haben wir keinen andern Ausweg, als die von Th. 58.
a limine abgewiesene Ansicht, dafs das Zurücktreten von habere
mit -/ö-Partizip seit dem i. Jahrh. n. Chr. ein „scheinbares,
blofs literarisches" war und dafs die Konstruktion inzwischen ein
immer wiederkehrender Teil des Vulgärlateins oder besser der
lateinischen Umgangssprache war. Und wenn wir fragen, warum
die Schriftsprache dieser Konstruktion sichtbar ausweicht, so kann
der Grund kein anderer sein, als der, dafs damals das Verständnis
für den ursprünglichen Sinn vollständig erlosch. Solange ein positum
habeo seine eigene feine Nuance ausdrückte, war es literaturfahig,
sowie es Synonym von posui wurde, hatten die Puristen allen Grund
es auszumerzen. Es war eine überflüssige Länge.
Das Zurückgehen der Konstruktion haben wir also nicht einer
von selbst vor sich gehenden Entwicklung, einem langsam vor-
schreitenden Verfall, sondern einem bewufsten Entgegenarbeiten zu
verdanken. Zu einem solchen bewufsten Entgegenarbeiten von
Seite derjenigen, denen die Pflege des literarischen Latein oblag,
war übrigens in manchen Fällen noch ein sehr bestimmter Anlafs
I20
vorhanden. Neben der aus der Nuance 3 {4g) entstehenden Perfekt-
bedeutung bleiben ja noch die Bedeutungen i und 2 weit ins
Romanische (7/5) hinein bestehen; neben A dauert B und C fort.
Dafs diese Koexistenz zu unerquicklichen Zweideutigkeiten führen
mufste, kann man am besten an Phrasen wie eben aliquid datum
habeo, aliquid rogatum habeo sehen, die eine der ursprünglichen 'ich
habe etwas Gegebenes, Erbetenes' geradezu entgegengesetzte Be-
deutung annehmen. Wie oft mag schon der römische ABC-Schütz
auf ein von der Strafse in die Schule geschlepptes „pecuniam
habeo datam" 'ich habe das Geld gegeben' die Zurechtweisung
des Lehrers gehört haben: „quocl habes, non dedisti". Und da
dies bei der Häufigkeit des Fehlers zu den Elementen des schul-
meisterlichen Drills gehört haben mufs, so verstehen wir, dafs ein
jeder, der soweit gekommen war, überhaupt ein Buch verfassen zu
können, auch die Apulejus und Tertullian (Thielm. 543), prinzipiell
auf die Konstruktion verzichtete und sich ängstlich an das hielt,
was auch den Klassikern geläufig war. 1 Wenn die Konstruktion
in Gallien früher auftaucht als in Italien oder Spanien, so hat das
einfach darin seinen Grund, dafs in Gallien auch früher die
literarische Tradition gestört wurde. —
Ist unsre Argumentation richtig, so hätten wir die entscheidende
Wendung etwa an den Anfang unsrer Zeitrechnung, in die erste
Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zu setzen.
59. Diese Art der Betrachtung wirft neues Licht auf zwei für
unsern Gegenstand äufserst wichtige Juristenstellen, die bereits die
Aufmerksamkeit Thielmanns erregt haben, ohne dafs dieser, wie ich
glaube, ihre Bedeutung richtig zu würdigen verstand.
In Auslegung des Prätorischen Edikts: Quod in via publica
itinereve publica factum, immissutn habes, quo ea via idve iter deterius
Sit, fiat, restituas sagt Ulpian 43, 8 Dig., 2, 37 f: Hoc interdicto non
is tenetur qui in via publica aliquid fecit; sed is qui factum habet.
Et est hoc utilius: quia is polest restUuere, qui factum, immisstim habet.
Habere eum dicivms qui utiiur et jure possessionis fruitur: sive ipse
opus fecit sive ex causa emptionis vel conductionis vel legato vel here-
ditate vel alio modo acquisiit. Derjenige ist also nach Ulpian
restitutionspflichtig, der das Objekt, das zu einem Verkehrshindernis
führt, besitzt, also im genauen, sozusagen etymologischen Sinn der
Phrase. Wenn er nun gerade an dieser Stelle dem Römer klar-
zulegen sich bemüfsigt sieht, was habere bedeutet, so scheint daraus
hervorzugehen, dafs sie in der gewöhnlichen Verkehrssprache schon
auch einen andern Sinn haben konnte, so dafs man davor warnen
mufste, factum habet als einfaches Perfekt zu verstehen. Für diese
Auslegung des Edikts weifs sich Uip. eine Stütze darin zu ver-
^ Charakteristisch ist die Stellung des Tacitus, der, wie er sich überhaupt
von allem fernhält, was vulgär klingt, auch unsre Konstruktion geflissentlich
meidet. Wir finden sie bei ihm nur dort, wo jeder Verdacht ausgeschlossen
ist, dafs es sich um ein Perfekt handelt, wie ignotnyn habere Ann. 13,21, prae-
sumptum haheaiit 'sie mögen im voraus überzeugt sein' Ann. I4>64'
121
schaffen, dafs es eben ein edictum resiitutorium ist; das entsprechende
idictinn prohihitorium hat: . . . facere, immittere . . . veto (ebenda 20).
Ob er aber den Sinn des habere nicht doch zu scharf urgiert?
In einem andern Edikt, das eben kein ed. restitutorium ist, finden
wir nämUch: Ne quis in stiggruenda protedove supra eum locum qua
viilgo iter fiel inve quo consistetur, id positum habeat, cujus casus nocere
cut possit. Qui adversus ea fecerit in eum solidorum deceni iji factum
Judicium dabo; si servus insciente doniino fecisse diciiur, auf aestirnationem
dari aut noxae dedi jubebo. Hier meint Ulpian: 9, 3. Dig., 5, 10.
Posifum habere etiam is rede vidctur qui ipse quidem non posuit, verum
ab alio positum patitur. Quare si servus posuerit, dominus auiem
positutn patiatur, non noxali judicio dominus, sed suo nomine tenebitur.
Hier ist die Auslegung, wie mir scheint, etwas verschieden. Es
würde ja auch bei dem strikten Wortsinn des habere der Besitz
jenes Gegenstands verboten werden, was keinen Sinn haben würde.
Auf den Besitz des Gegenstandes scheint es überhaupt nicht an-
zukommen, sondern darauf, wem die Wohnung gehört, wo der
Gegenstand aufgestellt ist {qtiia positum habuisse non tiiique vidctur
qui posuit nisi vel dominus fuit aediuni vel inhahitaior ebdi?i 12). Das
kann aber doch nicht der Sinn von aliquid positum habere sein,
wenn habere streng in der Bedeutung des Besitzes genommen ist.
Die Phrase mag wohl hier die etwas verschwommene Bedeutung
haben, die wir oben als Varietät 3 aufgestellt haben: „der, für
den die Aufstellung des Gegenstands in Betracht kommt" od. ä.
Freilich ist ein derartiger Ausdruck weit entfernt von juristischer
Präzision. Es drückt aber den präziseren Sinn, den Ulpian in
diesem Fall herausfindet: „der, in dessen Gewahrsam der auf-
gestellte Gegenstand sich befindet" ebenso mit aus wie im ersten
Fall „der, für den das auf den Weg legen in Betracht kommt",
wieder anders spezialisiert, bedeuten kann: „der den auf den Weg
gelegten Gegenstand besitzt". Ob aber Ulpian in beiden Fällen
das Edikt richtig verstanden hat und ob man diesen Unterschied
machen mufs, ist wieder eine andre Frage, die ich den Juristen
überlasse.
Die Voraussetzung für die Abschwächung von habeo war aber 60.
in gewissen Formen auch in andrer Weise gegeben. Wie nämlich
das -/ö- Partizip mit esse, dort wo nicht von einer sich voll-
ziehenden oder vollzogenen Tatsache gesprochen wird, sondern
von einer modal abhängigen, im Futur, im Imperativ, in den Kon-
junktiven dem Hörer oft die freie Wahl läfst, an den durch die
Handlung geschaffenen Zustand oder an die Handlung selbst zu
denken, s. ^2, so auch das mit habere in Verbindung tretende -to-
Part. In dem boves maxima diligentia curatos habeto bei Cato (vgl.
Th. S. 38g) ist das eures ebenso eingeschlossen wie in dem boves
uti . . . curati be?ie sient. Ebenso in den Vorschriften der Mulo-
medicina pulverem in qnolibet vaso tritum habebis, habeto rcpositum in
vaso stagneo etc. (Pirson, 1. c. 40Ö). Der Keim einer Gleichsetzung
122
mit dem einfachen Verbum finitum ist hier vorhanden, gelangt
aber vorläufig nicht zur Entfaltung.
6l. Aber auch in der Sphäre der vergangenen Handlung liegt
die Konkurrenz des Ausdrucks mit dem einfachen Verb vielfach
nahe. Ein *facUiin hahui konnte ursprünglich die Bedeutung eines
in der Vergangenheit abgeschlossenen Zustands haben, so etwa in
dum habuit ornatu?n . . . Cic. Verr. 4 g oder aber auch einfach die
eines in der Vergangenheit dauernden Zustands in inoniibus casfra
habuit posita Pompejus B. Hisp. 73 entsprechend der durativen Be-
deutung des habere s. j^. Nun aber ist bei dem Perfekt eines
jeden perfektiven Verbums, soweit es eben aoristischen, nicht rein
perfektischen Sinn hat, ein danach eintretender Zustand gegeben,
der dadurch mit bezeichnet wird. Die eben zitierte Ausdrucksweise
aus dem B. Hisp. unterscheidet sich also, aufser der dem habere
eigentümlichen Nuance, die sich später verliert, nur insofern von
einem einfachen posm'f, als bei letzterem die Handlung selbst be-
zeichnet, der daraus entstehende Zustand (der aber sehr häufig,
im Verlauf der erzählten Begebenheiten, das wichtige sein kann)
als selbstverständlich mitbegriffen wird, in positiim hahdt aber dieser
als Hauptsache erscheint, während die Handlung selbst sich
eben aus dem -/c-Partizip ergibt. Dafs unter solchen Umständen
die beiden Ausdrucksweisen oft nebeneinander hergehen können,
ist klar. So bei Cic, de r. p. 2^^^: et ipse urbem condidit . . . ex
singulis si/igulos cooptavit augures et habuit plebem in clientelas
principum discriptam', ähnl. Val. Max. Q, ext. 4: Antiochus quoque
Syriae rex nihilo confineniioris exempli. Cujus caecam et amentem
hixuriam exercitus imiiatus magna ex parte aureos clavos crepidis
subjectos habuit argenteaque vasa culinae comparavit et tabernacxda
textilibus sigillis adornata statuit, wo dann ein späterer Epitomator
subjectos habuit durch subjecit ersetzt (Thielm. 406). So ist denn
die Grenze der beiden Konstruktionen eine leicht verschwimmende
und in einem negativen Satz wie neque ea res falsu7n mc habuit
'und dies täuschte mich nicht' Sali. Jug. lOj ist die ursprüngliche
Bedeutung kaum mehr wahrnehmbar. Ähnlich nun auch am Beginn
eines Abschnitts: Qua iempestate (David) Bersaben quandam stupro
compertam habuit. Haec Uri cujusdam uxor qui tum in castris erat,
fuisse traditur. Hunc D. . . , interficiejidum curavit Sulp. Sev. Chron.
l,38j. Somit zeigt sich factum habui in der Bedeutung eines ge-
wöhnlichen aoristischen Perfekts und der Weg, auf dem es dazu
gelangte, ist im Grund genau derselbe wie conductus fui zu dieser
Bedeutung gelangt, s. j^. Ferner zeigt sich diese Entwicklung sehr
deutlich in den vom Perfekt abgeleiteten relativen Tempora, also
factum habuissem ^= fecissem wie factum habui =^ feci. Hieher ge-
hören also die von Thielm. 538 f. zitierten Beispiele: cum primum . . .
exploratum habuero, faciam te certiorem Brut. = exploravero ; si jam
arborem satam habueris . . . serito Col. = scveris ; rex cujii jam sex
civitatis lectos habuisset Vitr. = legisset ; ähnlich si jnores nostros
emendatos habuerimus, possit tiobis cum omnibus convenire Cassian,
123
Inst. IX. Cap. Eine Kontamination von legisset und lectos haberet
anzunehmen, halte ich für unnötig, da die natürliche Entwicklung
der obengenannten Konstruktion zu solchen Formeln führen mufste.
Auf anderem Weg und wahrscheinlich bedeutend früher ist ja 62.
in andern Fällen hahiii mit dem -/ö-Partiz. zu einem Konkurrenten
des Perfekts geworden. Bei den durativen Verben hatte, wie wir
gesehen haben, despicaiiim habeo den Sinn eines Präsens, zu dem
also desp. habui das natürliche Perfekt war. So dürfte ille quod in
se fuit accuratum hahuii qtiod posset mali faceret in nie Plaut, ßacch.
(Th. 391) (durativ oder iterativ) zu fassen sein; sicher gehört hieher:
7ia»i me intus tuos pater itwravit modo quo pacto me habucris prae-
positam amori iiio Hec. 382, wo praepono = vorziehen. Dann exosurn
habui u. ä. Wenn aber noium habui von den Grammatikern als
Perfekt zu dem durativen novi aufgefafst wird, so ist hier erst
sekundär dasselbe Verhältnis eingetreten.
So sehen wir denn, dafs sich die Verbindung des Partiz. mit
haheo zu einem Perfectum praesens perfektiver Verba verschoben
hat, während sich die Verbindung des Part, mit habui zu einem •
nicht präsentischen Perfekt umwandelt.
Rückblicke und Vorbemerkungen.
Wir haben gesehen, dafs im Lateinischen das -/ö-Adj. haupt- 50^
sächlich dadurch zu einem Partizip geworden war, dafs es in •
inniges syntaktisches Verhältnis zur Passivflexion trat, ein Verhältnis,
das allerdings formell keinen Ausdruck gewann. — Dennoch hat
die -/ö-Form damit keineswegs ihre adjektivische Natur aufgegeben.
In dem Fall IV (//) ist eine Beziehung zum Verbalsystem über-
haupt kaum eingetreten; auch in III bewahren sich manche Fälle
ihre Selbständigkeit {juratus etc.). Aber auch Formen, die in das
Verbalsystem hineingezogen wurden, zeigen neben dieser Verv/endung
eine andere, in der sich ihre ungeschwächte adjektivische Kraft
kundtut. Konstatierbar ist dies im Lateinischen besonders in
Fällen, wie den in 10 erwähnten, wo der Gedanke an die zugrunde-
liegende Handlung gänzlich ausgeschlossen ist: separatus, conjunctus,
politus etc., ferner in Fällen, wo sich die Handlung mit einem
modalen Nebenbegriff verbindet, der der syntaktischen Funktion
selbst nicht zukommt, also Adjekliva wie kctus 'auserlesen', d. h.
was gewählt werden kann, savialus 'was man küssen mufs', spcclatus
'sehenswert' und besonders in den negierten Formen s. 21 x-
Sonst allerdings mag es bei der Unbestimmtheit der Grenze
oft schwer fallen zu sagen, ob eine bestimmte -/ö-Form noch als
Adjektiv oder nur als Partizip empfunden wurde. In manchen
Fällen beweisen oder bestätigen die romanischen Sprachen dadurch
die syntaktische Selbständigkeit der -/ö-Form, dafs sie das Verbum
untergehen lassen, die -to-Vorvn aber entweder als Adjektiv oder in
verschobener Verwendung als Substantiv bewahren (ausus, con/essus,
124
e.xpfrius, exsi/c/iis, fixus und *fictus, quassiis, qtiictus, sanctus — sponsus,
gestu, -a, actu, pactu etc.) oder dadurch, dafs sie dem Adjektiv,
resp. Substantiv die traditionelle Form bewahren, während sie das
Partizip durch eine morphologische Neubildung ersetzen {debituy -a\
cogniiu; Jirectu; placilii).
Dieser Fall der Isolierung ist aber als ein Grenzfall, als das
Äufserst-IMögliche zu betrachten, bei dem starke lautliche Diffe-
renzierung mit starker Bedeutungsdifferenzierung Hand in Hand
gehen. In den meisten Fällen bleibt trotz der ausgesprochenen
adjektivischen Verwendung das Gefühl für den Zusammenhang mit
dem Verbum und den Ableitungsvorgang so lebhaft, dafs bei dem
Ersatz durch die Neubildung auch das Adjektiv mitgezogen wird,
wofür yi bezeichnende Beispiele bieten wird.
64* Die festen Beziehungen nun, in denen das Partizip im Latei-
nischen zur Passivflexion stand, sind durch das Aufgeben der
Passiv flexion aufgehoben und so der ganze passive Gedanken-
ausdruck entscheidend umgewandelt worden. Die lateinische Form
des Passivs war ja schon vom Anfang der Literärsprache an nur
dort deutlicher Träger der medial -passiven Idee, wo es neben
dem aktiven Formenschema stand. Aber bekanntlich hat lange
nicht das ganze Zeitwortraaterial diese Zweiheit aufzuweisen: auf
der einen Seite gab es die Deponentia, die passive Form bewahren,
trotzdem ihre Bedeutung zum grofsen Teil ganz ausgesprochen aktiv
geworden war: molior 'ich unternehme', popidor 'ich verheere', um-
gekehrt gab es aktive Verba, die ausgesprochen passive Bedeutung
erlangt hatten i; venire 'verkauft werden', fit 'es wird gemacht',
vapuJat 'er wird geprügelt'.
65. Die passiven Endungen waren also nicht sicheres, aus-
gesprochenes Zeichen für medial -passive Funktion. Eine gewisse
Tendenz, sie dazu zu machen, verrät sich ja in dem Umstand,
dafs die Deponentia zu jeder Zeit stärkere oder schwächere Hin-
neigung zur Annahme der aktiven Flexion kundgeben, und damit
gleichzeitig zur Annahme passiver Bedeutung für die überlieferten
Formen. Aber diese Tendenz wurde wieder durch allerhand
Einzelanalogien gekreuzt, die in entgegengesetzter Richtung wirken,
man findet certari für certare etwa nach luctari, despoltari etwa nach
praeJari, vnlnera qnae vix coeiintur etwa nach c/audimiur Wulomed.
278 24 und manches andre, was wohl kaum überall als verkehrte
Sprechform aufzufassen ist (vgl. Dräger, 12 S. 155). So dürfen wir
^ Zunächst mag man daran zweifeln, ob nicht der Deutsche, verleitet durch
die Übersetzung, einen passiven Sinn unterschiebt, den der Lateiner gar nicht
herausgefühlt hat. Dies Bedenken wird weniger durch die passive Konstruktion
ßt a te, ab hostibiis venire etc. widerlegt als einerseits dadurch, dafs die
passive Bedeutung zu formellen Analogiebildungen lührte: fier\^ venitVLV, veniri
etc., andrerseits durch die ausdrücklichen Zeugnisse der lateinischen
Grammatiker, die des Widerstreits von Form und Bedeutung Erwähnung tun:
ea verba quae in declinatiojie activa tantiim sunt et intellectu passiva . . . ut
veneo, vapitlo, ardeo Charis. 254, ,5 [ähnl. lö';,!^; 562,«; Priscian I 377, 14
(VIII, 12), Pomp. 213,31 etc.].
125
uns wohl den Ausgang des Alterturas als ein Zeitalter vielfacher
Doppelformen vorstellen, von deren Ausbreitung und Konkurrenz-
kampf uns die Literatur ein, wenn auch sehr verkleinertes und un-
vollständiges, Bild gibt. Der Ausgang des Kampfs ist dann der
gewesen, dafs die alte Aktiv -Flexion für die Aktiv -Funktion als
die eingewurzeltere, vollständigere, überall klare den Sieg davon
getragen hat, die alte Passiv- Flexion aber als ein zweideutiges,
unvollständiges, zusammenhangloses System ganz aufgegeben, d. h.
von anderweitigen Konkurrenten aus dem Feld geschlagen wurde,
die entweder den Vorzug gröfserer Einfachheit oder den gröfserer
Stetigkeit hatten. — Vorbereitet waren aber diese Ersatzmittel 66.
schon seit langem.
Es sind i. das einfache [intransitive] Aktiv, terra movet 'die
Erde bewegt sich'. Eigentlich wohl: der Begriff 'Erde' ist mit
dem Begriff 'bewegen' verknüpft. Von der sonstigen Verwendung
des movere weicht dies dadurch ab, dafs die Verknüpfung nicht
eine kausale ist, das Subjekt also nicht das, was die Handlung
veranlafst. Wir haben in dieser ungewöhnlichen Verbindung von
Subjekt und Prädikat entweder einen Rest von ursprünglich
gröfserer Freiheit in der Auffassung des syntaktischen Verhältnisses
dieser Satzglieder oder aber einen durch Funktionsverschiebung
eingetretenen analogischen Zustand zu erkennen. Jedenfalls läfst
sich eine derartige grölsere Freiheit auch sonst vielfach in der
Sprache belegen, vgl. zum Beispiel mit dem Zeitwort ardere : ardent
aliaria 'das Opfer auf dem Altar brennt', ai'deo 'meine Habe .
brennt', ardeo amore u. dgl. oder aber fluo stidore 'ich triefe von
Schweifs' und vieles andere. — So finden wir passiv -mediale Be-
deutung z. B. bei ahstinere, applicare, demiilare, def ledere, erwnpere,
inclinare, pettetrare, vertere etc. l, vgl. Dräger, Syntax P 140. — Da
das Passiv in manchen Fällen eine ihm eigene charakteristische
Bedeutungsnuance angenommen hat, so wird es manchmal schwer
zu entscheiden sein, ob die Annahme der aktiven Form mit diesem
Vorgang — der freiem syntaktischen Auffassung — auf eine Stufe
zu stellen ist oder ob wir Ersatz der Passiv- Flexion durch Aktiv-
flexion beim Deponens — also etwas mehr morphologisches — an-
zunehmen haben. Es ist also z. B. unsicher ob der Ersatz von
pasciiiir durch pascit zu dem von sequitiir durch sequi t, consolatur
durch consolai oder aber zu dem von nioveiur durch movet (intr.),
rumpitur durch *rumpii (intr.) zu stellen ist.
Bei dieser Art des Ersatzes geht der passive oder mediale
Charakter ganz verloren. Es tritt eine wesentlich verschiedene
1 Man darf also keineswegs mit Scliucliardt ZRPh. XXXII, S. 231 ff. an-
nehmen, dafs zwischen transitiver und intransitiver Verwendung immer das
Reflexiv in der Mitte stellt, s. Rom. Gr. ITI, S. 383 f. Dagegen wäre zu er-
wägen, inwieweit Analogiebildung nach Nominalableitungcn in Betracht kommt,
bei denen die transitive und die intransitive Bedeutung von Anfang an neben-
einander zu stehen scheinen: grandire-, niaturare , ofßrmare, tardare, in-
sinuare etc.
120
Auffassung des Vorgangs an die Stelle: statt der Handlung im
engern Sinn, die an dem Subjekt vorgenommen wird oder die
dieses an sich selbst vornimmt, tritt die Bezeichnung als Zustand,
resp. als Zustandsänderung ein. Von jeher hatte ja das aktive
Verbum in einer erklecklichen Anzahl von Fällen diese Funktion
zu erfüllen: latere, vigere, superhire, — inveterascere, ruhescere etc.
2. Die reflexive Ansdrucksweise: terra se movet. Entstehung:
deutliche Funktionsverschiebung von Fällen wie hestia se movet, das
wohl ursprünglich bedeutete 'das Tier bewegt sich, d. h. seinen
Körper', genau so aktiv wie bestta lapidem 7novet 'es bewegt einen
Stein'. Wird diese genaue Unterscheidung von Subjekt und Objekt
von selten des Hörenden nicht in ihrer Schärfe aufgefafst, so bleibt
die an dem Objekt vollzogene Handlung als sinnfälliges, resul-
tierendes übrig. Deutlich wird dieser Übergang durch die Über-
tragung auf Fälle, wo überhaupt kein nennbares Subjekt (medial)
oder ein von dem Objekt verschiedenes Subjekt (passiv) in Betracht
kommt. Die Entwicklung ist in eingehender, verständiger Weise
von El. Richter, ZRPh. XXXIII, 135 ff. geschildert worden. Nur ist
nach meiner Auffassung in terra se movet nicht das „leblose
Objekt" so behandelt worden, „als ob es mit eigener Initiative
begabt wäre und seine Tat, speziell seine Bewegungen, aus eignem
Willen ausführte", sondern man hat im Gegenteil in Fällen, wo
dies ursprünglich der Fall war (bestia se movet) die eigene Initiative
und eigene Tat nicht mehr herausgefühlt, und nun war die ana-
logische Übertragung auf leblose Gegenstände von selbst gegeben.
Der Unterschied gegen l. ist der, dafs der Verbalbegrift zu-
nächst doch noch als Handlung, nicht als Zustand aufgefafst wird.
Die treibende Kraft wird, wie Richter 1, c. ganz richtig hervorhebt,
als eine dem Auge des Beschauers unsichtbare aufgefafst, zunächst
wohl weil sie wie bei bestia und tetra im Bereiche des Subjekts,
mit dem Subjekt verbunden gedacht ist (medial). Diese Ver-
bindung, in die das grammatische Subjekt mit dem logischen, d. h.
jener treibenden Kraft, tritt, kann aber sehr lose werden: in Eul. 20
poro no's coist besteht sie in der Eigenschaft, dafs eile colpes non
auret, in si che veder si pothi tutti qtianti D. Inf. 4. 117» darin, dafs
sie eben da sind, in molt s'e}i coroce darin, dafs er sich dem Zorn-
gefühl hingibt, in eis mariaiges se reftise Bai. Jos. 8885 darin, dafs
die Heirat derartige Qualitäten hat, dafs sie abgewiesen werden
raufs, in Onques inais rois plus a envis El siech ne se courorma
ebenda 1 1 747 darin, dafs er schliefslich doch trotz Widerstrebens
es sich gefallen lassen mufs, und in L'evesque culvert N^oti 0 pressofi
gaire Se'l sainz vas se pert App. Chr. 70 r,j ist sie überhaupt kaum
mehr vorhanden. Je loser diese Verbindung, umsomehr nähert
sich die Konstruktion dem passiven Sinn. Inwieweit wirklich Er-
satz des Passi\aims durch das Reflexiv eintritt, ist aus Diez III,
306 ff., RGr. III, § 382 ersichtlich. 1
* Hier nur, weil solche bisher vermifst werden, ein paar instruktive alt-
portugiesische Beispiele, u. zw. aus den Cantigas de Santa Maria: «0« sofras
127
3- Das -/ö-Partizip selbst, obwohl anfänglich mit keinem Genus
verbi in ideeller Verbindung, ist durch die ihm innewohnende Be-
deutung häufig — bei transitiven Verben — deutlicher passiv als
die sogenannten passiven Formen selbst. So hat es bereits in weit
vor den Anfängen der Literatursprache liegender Zeit das alte
Passivperfekt verdrängt s. 26 ff., so tritt es in Verbindung mit esse
während der Literalurperiode in Konkurrenz zu der gesamten
synthetischen Passivkonjugation bei durativen Verben s. ^/. Auch
in einigen der Präsensformen perfektiver Verba kann es mit dieser
in Konkurrenz treten s. ^2.
Für die punktuelle Aktionsstufe, besonders der Gegenwart,
reicht esse nicht aus. 'Die Speise wird (gegenwärtig) gekocht'
kann damit nicht ausgedrückt werden. Aber hier kommt es immer
auf eine ziemlich starke Betonung der Handlung an und eine
solche passiv auszudrücken mag relativ selten erforderlich sein.
Im klassischen Latein allerdings ist das Passivum die einzig
mögliche Form dort, wo das logische Subjekt der Handlung un-
bekannt oder die Nicht -Nennung desselben aus irgend welchem
Grund bequem war. Für diesen Fall bilden sich aber vielleicht
schon in der spätlateinischen Umgangssprache die Formeln hovio
coqiiit, tiniis coqiiit (RGr. III, § 92 f.) aus.
Aufserdem aber konnten (wie im Deutschen) in diesem Fall
statt des Verbs 'sein' jene Zeitwörter eintreten, die 'werden', 'ent-
stehen' bedeuten. Tatsächlich findet sich schon im Lateinischen
akzidentell fie7-i mit -/ö-Part, wofür Beispiele weiter unten (pj) im
Zusammenhang mit dem Romanischen gegeben werden und für
venire war durch die lateinische Bedeutungsentwicklung diese Ver-
wendungsmöglichkeit bereits gegeben: vitiutn pejus quod ex üiopia
quam quod ex copia venu Qu., 'Valesii Fusn in ^Valerios Furiosque'
venenint Qu,, utnbra loco deerat, umhra loco venu Ov. Der ent-
scheidende Schritt, die Verbindung mit prädikativem Adjektiv oder
-/ö-Partizip, ist bereits im 4. Jhd. gewagt worden : si jumenlum de
via coactum veiiiel Mul. 158, cihiim quem conceptum venire oportet
Mul. 266.1
Durch jene immer in der Sprachentwicklung wirksame Auslese, 67.
die das Einfache und Deutliche dem Komplizierten 2 und Undeut-
lichen vorzieht, ist das passive Formsystem aus der lateinischen
Sprache verdrängt worden. Die neuen Mittel boten durch ihre
Mannigfaltigkeit den Vorteil feiner Nuancierung; sie hatten aber
que nie perca CGI; a inissa quc ss'y dizia CCXI; atal espanf cn coUeron,
que pero gran poder era, logo todos se vencero7i Cf.XXXI; Santa Maria
piinna d'aviir os seiis, por se d'eles mellor servtr CCLIX.
1 Vgl. A. Ernout in I'liilol. cl L\n^\\. (Melanses-Havet) p. 149.
• 2 Die Mittel der Passiv-Flexion waren liomplizieiter, weil sie eine ganze
Reihe Personalendungen aufwies, die, namentlich in ihrer Weiterentwicklung,
weder miteinander noch mit den viel häufigem Aktivendungen assoziiert werden
konnten; die Ersatzmittel arbeiten durchwegs mit den aktiven Endungen.
128
auch den Nachteil, dafs sie kein geschlossenes Formsystem dar-
boten. Es fehlte ihnen von Haus aus der Sinn der wirklich
passiven Verbalform, sie hatten diesen Sinn erst durch den bei syn-
taktischen Übertragungen üblichen Vorgang angenommen. Hätten
sie mit der Zeit ihre ursprüngliche Bedeutung abgelegt, so wäre
vielleicht ein neues Passivschema an Stelle des alten entstanden.
Das war aber vorläufig nicht der Fall. Banden der Form und
Banden der Bedeutung verknüpfen durch vielfach abgestufte Über-
gänge das aktive, aber passiv verwendete Verb mit dem aktiven
und aktiv verwendeten, das reflexive, passiv verwendete mit dem
aktiv-rückbezüglich verwendeten, die Partizipialkonstruktion mit dem
Verbaladjektiv. Ein mehr oder minder beträchtlicher Rest der
etymologischen Bedeutung bleibt immer noch haften und so konnte
die ursprünglich berechtigte Auffassung jeden Moment für die an-
genommene eintreten.
Durch das Überhandnehmen dieser funktionell zweideutigen
Mittel hört die Sprache aber überhaupt auf passiv zu denken, d. h.
die passive Idee — wie es in der klassischen Sprache mehr oder
minder ausgeprägt der Fall war — als eine der Handlung eigen-
tümliche, sie in besonderer Weise charakterisierende Nuance zu
betrachten, die man am Verbum zum Ausdruck bringt, wie man
daran die zeitlichen und modalen Verschiedenheiten, die Person
des Subjekts zum Ausdruck bringt. Das Passiv wurde je nach
den Umständen als eine vom Subjekt ausgehende Plandlung, oder
als eine Eigenschaft des Subjekts ausgedrückt, d. h. formell in den
Kategorien untergebracht, die sich die Sprache für den Ausdruck
dieser beiden Gedankentypen geschaffen hat, auch wo das logische
Verhältnis nicht gut diesen Gedankentypen entsprach.
68. Die Frage, wann der passivische Ausdruck der Volkssprache
und der gewöhnlichen Umgangssprache verloren ging, zu beant-
worten, wäre für die weitere syntaktische Entwicklung wichtig
genug; doch läfst sich, soviel ich sehe, mit Sicherheit nichts ermitteln.
Es ist jedenfalls nicht mit einem Schlag geschehen und wir werden
namentlich mit grofsen Verschiedenheiten in der sozialen Schichtung
der Sprache zu rechnen haben. Wir sind hier in einer noch
schwierigeren Lage als in andern Fällen. Eine Schreibung wie
PYTtOLis, eine Form wie illui, eine Gruppe wie cum discipidos suos
zeigt uns doch wenigstens, dafs ein lautlicher, formeller oder syn-
taktischer Wandel zu einer gewissen Zeit in einer gewissen Gegend
vollzogen war, denn diese Formen sind vom Standpunkt der schrift-
lateinischen Grammatik unrichtig. Bei den Ersatzformen von Medium
und Passiv handelt es sich aber durchaus um gut lateinische
Formeln und wenn irgendwo das auftaucht, was uns als die
stereotype Ausdrucksform aus den romanischen Sprachen geläufig
ist, so wissen wir deshalb noch lange nicht, ob der entsprechende
synthetisch-passive Ausdruck schon unerhört geworden ist.
129
Wenn z. B. in der Peregr. ad loca sancta zu lesen ist tantus
rugitus est . . . ut porro ad cwitatem gemitus auditiis sit,^ so kann
darin einfach die Weiterausdehnung des ^2 erwähnten Gebrauchs
gesehen werden, ohne dafs deshalb andiaiur oder gar audihir völlig
aufgegeben war. Bei einem conahit ViwXoxxi., conaveril Toxö.. 19 (Ö70),
seqiiis Form. Sen. add. 22,2>j 4 und den andern analogen von Anglade
1. c. 39 f., Bonnet, Le lat. de Gr. 407 ff., Slijper, De Form. Andec.
lat. 97, aufgezählten Fällen zeigt sich zunächst blofs, dafs das
längst zu beobachtende Schwanken der Deponentia zwischen aktiver
und passiver Form sich auf eine Anzahl andrer Verba ausgedehnt
hat. Auch in prosternamus terrae Greg. v. T. (Bonnet 628 f.),
quantumciimque in ipsa donatione continet Form. Tur. 16429 kann es
sich um eine Ausdehnung der in 66 1 erwähnten Erscheinung
handeln, so dafs dies mit intransitivem moveo, ahstineo, prorumpo usw.
auf eine Stufe zu stellen wäre. — Etwas mehr beweisen wohl die
umgekehrten Sprechweisen, wie civitatem vocihus irnpletur Greg.,
infantolo sangtiinolento qui adhuc vocahidum non habetur Form. And.
2i,2i> cibum erogatitr Vita Gang. III, 652 23» missorium . . . cidtellos
intromittthatur furtim Ven. Fort. VRd. 43 22 u^^d andere von Bonnet
I.e. 411 ff., 633, Slijper 97 angeführte Formen, von denen aller-
dings nicht alle gleich beweiskräftig sind, wenn es gilt zu zeigen,
dafs das Verständnis für die passiv -synthetische Bildungsweise
erloschen sei. Ferner aber Fügungen, wie die von Bonnet 1. c. 400
angeführte super ripam Bahilonia civiias collocatur u. ähnl. Latiniaco
que ponitur in pago Meldequo Tard. 25 (688 — q),^ die doch zu zeigen
scheinen, dafs man bereits sehr eifrig lehrte, man dürfe nicht amatus
est etc., sondern müsse amatur sagen. Wären nun diese Fälle
wirklich beweisend, so käme man zirka auf das 6. Jh. als den Zeit-
punkt, in welchem, wenigstens für Gallien, die Passivformen schon
aus der Volkssprache geschwunden wären.
Das Verbaladjektiv im Romanischen.
Die Aufgabe der passiven Flexion hatte zunächst bei den 69.
Deponentien die Ausbildung neuer analogischer Perfektformen zur
Folge und damit die Lostrennung der alten analytischen Perfekt-
formen vom Verbalschema, also eine eigentümliche Rückkehr zu
den ursprünglichen Verhältnissen. Zu mentio 'ich lüge' bildete
man mentii 'ich log'; menlitns sum war nun nicht mehr ein Perfekt
zu mentio, sondern ein Adjektiv -\- sum, wie vielleicht in grauer
Urzeit. Der Bedeutungswandel von 'ich bin einer, der gelogen
hat' zu 'ich bin einer, der gelogen hat und von dem man auch
weiter erwarten kann, dafs er lügt, von dem das also ein Merkmal
ist' = 'verlogen' war vielleicht schneller zurückgelegt als der ent-
^ Vgl. Anglade, De latinitale libelli etc. S. 85, solche Fälle fehlen bei
Gregor voft Tours, Bonnet 627 f.
^ Ähnl. 38 (697), 72 (775), 89 (790, Kufstein).
Beiheft zur Zcitschr. f. rom. Phil. XXVI. (Festsclirift.) g
130
sprechende umgekehrte, umsomehr als man noch vom Lat. her eine
Anzahl analoger Adjektivbildungen bewahrt hatte. So bekam durch
die ehemaligen Deponentia die aktive Adjektivbedeutung neue
Nahrung. Aber der ursprüngliche Sinn der Ableitung (p) ist doch
nicht mehr lebendig und die neuen Fälle, die wir im Altromanischen
finden, lassen sich alle — mit wenigen fast immer leicht zu erklärenden
Ausnahmen — durch partielle Funktionsverschiebung erklären. Sie
knüpfen ganz genau entweder an die lateinisch belegten Fälle'
oder aber an die Deponentia an. Dabei ist, wenn auch das Ver-
ständnis für die funktionelle Bedeutung des Partizips verschwunden
ist, das für das etymologische Verhältnis so rege geblieben, dafs,
wo das Partizip als Verbalform durch eine analogische Form ver-
drängt wird, das Verbaladjektiv folgt, oder wo das Verb überhaupt
einem Synonym Platz macht, das Partizip des neuen den Sinn des
alten Verbaladjektivs übernimmt : ose, jo'i, failli, desespere etc.
70- Auf den Zusammenhang dieser romanischen Verbaladjektive
mit den lateinischen aktiven Verbaladjektiven und Partizipien der
Deponentia ist schon verschiedentlich aufmerksam gemacht worden,
so von Tobler, Jb. VIII, 334 und Diez, Gr. III, 264 f. Doch kommen
hier für unsere Zwecke alle jene Fälle aufser Betracht, wo es sich
um gelehrte Herübernahme handelt (frz. dissimiile, circonspect, tacite,
7nerile, mfr. conspire; ital. so/ilo, ruerito, circunispectu [Reg. San. 410] etc.),
ferner konnten alle jene, wo das Verb selbst sich nicht erhalten
hatte, höchstens vergleichsweise zugezogen werden (frz. os, it. oso\
afr. prov. espert; it. palio, adolto 'hoch' Bonv. 3 scr. 6 13). 2 Auch
diejenigen, die nur in jüngerer Zeit belegt sind, also alle neu-
spanischen, rumänischen, etc., obwohl sie sich auch zum gröfsten
Teil in die andern Gruppen einreihen lassen (Rom. Gramm. III,
§ 13), scheide ich aus, da es sich hier leicht um spätere Analogie-
bildung handeln konnte. Dagegen sind einzelne Partizipien auf-
genommen worden von Verben, die im romanischen auch in einer
derartigen transitiven Bedeutung vorkommen, dafs das Partizip als
passives aufgefafst werden könnte, so hcrite, he?-(e)dado neben einem
heriter, her dar 'in ein Besitztum einsetzen', avojidado neben avondare
'reichlich bedenken': avondou de pescado un i?ify GSM CCCLXXXVI
u. s. o. Andere wieder stehen neben Reflexiven wie atrevudo neben
aireverse 'sich erdreisten', wo also das Partizip zu seiner Bedeutung
nach Analogie der in yg besprochenen Erscheinung gekommen
sein könnte. Sie sind aufgenommen worden, weil alle Wahr-
scheinlichkeit dafür spricht, dafs der Gang der Dinge der war, dafs
eben die neue Bedeutung oder die neue Konstruktion des Verbs
von dem Partizip ausgeht, das roiit der Zeit als passives oder
mediales aufgefafst wurde.3
1 Bezüglich dieser vgl. Dräger, lat. Syntax I^, 151 ff.
- Hieher vielleicht auch ortado \v^ maestro ortado Berc. Alx. 1160, 1997,
wenn ■==hortatus und die Bedeutungsentwicklung etwa war: 'aneifernd', 'eifrig',
' tüchtig'.
^ Die altfranzösischen Beispiele sind zumeist dem bekannten Tobl ersehen
Aufsatz VB, I^ 146 ff. entnommen, die altprovenzalischen der Schrift von
131
juratus: 7^-
Frz. jure., \iXOV. jurat, it. giuralo, sp. portg. j'urado.
Danach afr. fiancie, pltvi.
Ferner 2Sx. parjure, a.sp. aportg. perjuraJo ; Vih./orjure, it. pre-
jurato Buccio di Ran. in IVP, 220,53.
diffisus:
Vgl. it. sfidato.
desperaius'.
Mr. despe?-d (Leg. Tlieoph. BLLfr. 48692) und desesperc (QL),
prov. Jesesperai, aport. desasperado, it. desperato, disperato.
falsns (vgl. <i{x./als etc.); vgl. auch lapsus 'wer sich ver-
gangen hat'.
h.{x.-failli, Yixox.falhü, ^i'poxig. falido, asp. ya/Z/do.
Vgl. asp. aportg. errado 'wer einen Fehltritt begangen hat'
(FG 113 a, Est. Tr. 29), \t. erraio 'wer sich geirrt hat' (Brun. Lat.
Tesor. 28, IVP 63288)-
Ferner: zXxz. forfaity mesfait, entrepris, viespris 'wer etwas be-
gangen hat', pxov. forfait, mespres, aital. menesprisu Mon. Chr. I, 4, 22.
Endlich afrz. deceti 'trügerisch', dazu auch afr. conchii.
fictus 'verstellt, unaufrichtig':
Mx. fehlt 'verstellt, heuchlerisch', aber auch 'träge, pflicht-
vergessen'.
mentitus:
afr. menti 'verlogen', apr. mentit, vgl. ptg. asp. desmentido; sogar
fidem 7nentitus'. ^Ix. foitncnti, px^!. fementit, :ijip. femeniido, vgl.
Foerster, zu Erec 61 14.
desiricius:
Afr. destroit s. Tobler 1. c. 150.
pranstis, cenatus, potus und vermutlich schon im Lat.
hibitus in aktiver Bedeutung:
Asp. cenado, jantado, almorzado, hebdo oder beudo', aportg. bevedo,
vgl. auch rum. baut; vielleicht auch afrz. dtsne, prov. disnat und alt-
frz. desjtme RF. XXIU, 543.ii;j.
Der Gegensatz : jj'asf« tras ayunados Berceo SDom. 468 (Ed. Fitz-
Gerald), afr. esjuni (iorm. 603.
cretus:
Frz. ereil., aportg. cregudo [o venire mui cregido CSM CCCVI),
it. cresciuto cressuto.
Dittes, 'Über den Gebrauch der Partizipia und dps Gerundiums im Alt-
proveuzalischen', Progr. der d. Staatsrealschule in Budweis, S. ayff.
132
coalilus 'was Wurzel gefafst hat', desgl. radicatus, da-
nach vielleicht *prensus von pr ender e 'Wurzel fassen'.
It. (ar)radicaio Bagn. Pozz. 125, 492.
Entsprechend altfrz. reprisA
*consideratus (vgl. tncojisiderattis), circumspectus ,
cauius\ vgl. auch den Eigennamen Pens ata.
Prov. consirat 'bedacht'.
Mr. petise, asp. petisado (Bery. Sign. 17), aportg. penssado (CSM
XCV) ; ferner altfr. /respenst', porpense.
Afr. porveu.'^
scitus:
Vgl, prov. sauhut (das Beispiel mit saputz aus Albertet, Rayn.
Lex. V, 122 b und sauhiidamen ebenda); it. sapudo; ?,p. sabudo. Frz.
das Gegenteil : desseu. Ferner apris (?) und coneu mit desconeu,
mesconeu; asp. apreso', ferner das gewifs recht alte r\xm. in felept.
?intentus (zu reflexivem oder medialem inieiidere?), ex-
pertus (vgl. afr. prov. esper t):
Afr. eniendu 'etwas verstehend', prov. entendut, kat. entes, aportg.
eniendudo, asp. entendido, it. intetiio 'bedacht' (CNA 85), inhso (CNA 84
'etwas verstehend').
Vgl. afr. (ü)parceu, prov. apcrceiibul , apoiig. (a)percehiido, asp.
perfebido.
Vgl. auch it. sentito 'klug'.
tacitus'.
Afrz. taisi.
Vgl. auch frz. celi, prov. celat.
Aportg. calado.
ausus (vgl. afr. os, ait. os(s)o)'.
Vgl. afr. ose, prov. ausat, aportg. ousado, asp. osado.
praesumptus 'vermessen':
Vgl. asp. aportg. atrevudo (heute -ido) 'vermessen', aber auch
'getrost'.
Vgl. ferner afr. outreandie, prov. trascuiat, ontracuidat; afrz. despii.
obstinatus 'hartnäckig', vielleicht auch o/firmaius.
Vgl. apoxig. perfiado 'hartnäckig' (heute /»(?r-).
suspectus (vgl. portg. sospeito ' mifstrauisch , ängstlich'),
suspicatus , suspectatus (Amm. 28, i, 8):
Portg. sospeitado.
* Doch könnte vielleicht eine passive Vorstellung vorliegen (von der
Erde erfafst), wie wir sie etwa bei Cicero tellus prehetidit stirpes finden.
Dann ist dies Partizip zu streichen.
^ Sard. cum aiijmo delliberado C. d'A. 2 t. etc., beruht wohl auf Mifs-
verständnis lateinischer Rechtsformeln.
133
rnemoratus 'der einer Sache eingedenk gewesen ist':
Frz. membre, prov. membrat, asp. membrado (vgl. PC 3 1 5), portg.
ftembrado.
oblifus:
Vgl. afrz. oblü 'der die Besinnung verloren hat'.
atientus: 'aufmerksam, bedacht'.
It. attenio, aiteso; kat. ales (vgl. 7 W 30 16).
Vgl.: Pora vengar nos d^el set byen miaites metidos FG. 505,
ähnlich miejites meiudo Berc. Alx. 614.
arbitraius, ratus, opinatiis:
Asp. alvidrado Berceo Alx. i88g.
Vgl. afr. ereil, asp. creydo [iVesio so bien creydo FG. 343 d),
aportg. creudo (CSM p. 581 a).
Daran schliefsen sich: ah. recreu, prov. reerezn/, asp. nrrecdo,
portg. recreudo, nordit. recreto, recreuo etc.
Afr. descreu, mescreu, asp. descreydo, aport. descriudo, dcscreudo.
Afr. coniredit.^
gavisus:
Altnordit. gaviso, aprov. gavis SF 393, Jauzitz, aix. joi. Daneben
afr. esjoi.
parta :
Ksp. parida (Berceo Mil. 536, 823).
Vgl. aix. feonee. Hieher vielleicht auch sardisch bacha biciaia
'Kuh, die gekalbt hat' CP 424, s. Zur Kenntn. des Altlog., S. 31.
placitus:
lt. piaduto [vgl. auch rum. pläcui\.
assensus 'der beigepflichtet hat', consensics (vgl. Greg.
v.T., h. Fr. 14215):
Prov. consens.
auxiliatus, adminiculatiis:
Vgl. asp. iiviado 'hilfreich' Berceo SMill. 255, Mil. 826.
adeptics, tianctus:
Vgl. aportg. cobrado 'der [die Gesundheit] erlangt hat': foi
säa et cobrada de quanios nenbros avia CSM CCLXVIII, vgl. Lang zu
RD 2322.
^ Damit berührt sich weiter afr. renoie , sp. renegado, it. renegato, die
wohl schon auf ein kirchcnlateinisches renegatus zurückgehen. Desgleichen
hat es im Mittellatein discretiis gegeben (vgl. übrigens indiscretio), dessen
Anknüpfungspunkt nicht ganz klar ist und das sich nur in gelehrter Form
in den rom. Sprachen zu finden scheint (frz. discret, ait. descretii, discretu
Reg. San.). Volkstümlich aber ist das in der Bildungsweise damit sich völlig
deckende prov. eissernit, das der Bedeutung nach an scitiis, aperceu etc. an-
knüpft, ferner chauzit.
134
experlus 'aufgeweckt' (zu expergiscor):
Afr. espert, esperiz, prov. espert (Levy, SW III, 260 und 262),
portg. esperto, sp. (d)espierto.
*hospttatus 'der eingekehrt ist' zum Depon. fiospiiari:
Asp. ospedado 'Gast' PC 2262.
*hereditalus 'der geerbt hat' (vgl. bei Augustin heredilari
als Deponens).
Afrz. heriti; kat, er etat, asp. eredado {sea en parayso tan buen
rrey heredado FG 1256; vgl. auch PC 2605, VII part. 11,20, L. III).
suetus^ consuetus:
Vgl. it. tisato, frz. accostume, use etc.
requietus:
Vgl. portg. di's,'^. folgado 'ausgeruht', afr. repose etc.
licitu:
aprov. legut, it. lecito.
praeteritus:
Vgl. frz. passi; asp. passado, it. passaio etc.
In ähnlichem Sinn wird auch angewendet asp., aptg. andado
{and. aquel afio etc. Chron. gen.), it. andato (Bonv. 3 scr. 1105). Hier-
her ferner vielleicht elapsus: sard. elapsu et passadu su termen con-
tentu in su striimentu StC 54, wenn nicht Latinismus.
Hierher gehören ferner mort(ii)us (vgl. 2p) und natus, die
sich überall gehalten haben, neben tiatus kommen z. T. analogische
Neubildungen in Betracht wie sp. nagido.
Übrig bleiben etwa: araisnie, refuse (vgl. asper natus), radotl-
(etwa nach desseu; erinnert auch an degeneratus. Danach wieder
haey, obei (yg\. obsecjitus'^), desire, despit i^'g\. desptcatus), sauve {in den
Tobler 1. c. 153 erwähnten Beispielen; erinnert an auxiliatus, uviado),
pio\. ßrt'tJ — asp. per cudz'do 'durchbohrend' Berc. Alex. 1999,2009.
— prov. avondat, asp. ptg. avo?idado, nach cretus} Das Aufkommen
einiger neuer Typen kann uns ja nicht wundern, da so mancherlei
neue Deponentia aus Aktiven in der spätlateinischen Periode zum
Vorschein kommen, vgl. 6^.
11. Nicht eigentliche aktive Bedeutung, sondern Bedeutungsver-
schiebung der fertigen Adjektiva liegt wohl vor in esfree 'schreck-
lich': ein estor ist esfree, bei dem die Kämpfer esfree sind oder
bei dem ein Zuschauer esfrei wäre.
* Eine sehr fragliche Existenz. Die einzige Stelle in Alb. (Meyer): El
pobles de la vila firitz et firendiers 7618. Der Herausgeber schlägt firens vor.
Es könnte aber etwa 'hitzig', 'ungestüm' hcifsen und von der Schlacht, dem
Kampf übertragen sein, wo sich f er it durch den inncrn Akkusativ yi-riV u?ia
batalha erklären würde. Wenigstens findet sich a batalha ferida schon im
altporig, {a batalla tä ferida Est. Tr. 14; 0 tor?ieo möi ferido ebenda iS)-
135
Ähnlich wäre man von einem stie, tressue {trasstidat Pass. 141;
vgl. it. sudaio, neusp. sudado etc.) versucht auf ein lateinisches sudatus
'der geschwitzt hat' = 'verschwitzt' zu schliefsen, dafs ja nicht gar
zu fern von Fällen wie cenatiis, potiis wäre. Aber schliefslich ist
der Übergang von richtig passivem vestis sudata 'verschwitztes Kleid',
das man tatsächlich findet, zu *corpiis sudaium (vgl. Rol. 2100) und
von da zu *hoT?io sudatus ein leicht erklärlicher.!
Fälle wie forsenc (it. forssenato etc.), dessene (prov. dessenat),
emparle, enragie, span. es/orgado können direkt von seyi, parole, rage,
fuer(a parasynthetisch abgeleitet sein; dafs die aktiven Verba auch
vorkommen, hindert nicht, vgl. auch sorsali, sorfait, sorciiidie (woraus
entlehnt it. sorquidatu Libro dei Vizii e delle Virtii p. d. Gregorio
S. 21), u. a., die vor den betreffenden Verben vorzukommen scheinen.
Sie können aber auch von dem romanischen Perfekt etiragiez est
usw. ausgehen, worüber im folgenden Kapitel, etwa wie frz. flori,
'\\. avveduto, a.s\). salido 'landesflüchtig' PC 955, C)^i, fuydo 'flüchtig'
FG 3 c, exido PC II 25; it. peniuio, apg. repentudo 'reuig' {foi tan
repentudo CSM CXVII, ähnlich auch sp. it.) u. dgl. — nois iiegiee
(Clig. 846) knüpft wohl an nois cheue an, das selbst ebenso zu
erklären ist. 2
So viel über die aktive Verwendung des -/ö-Adjektivs im Roma-
nischen. Was die passive betrifft, so geht die Entwicklung ganz
parallel mit der Entwicklung, wie wir sie in Verbindung mit esse
treffen, und wird deshalb besser im folgenden Kapitel besprochen.
-<0- Partizip + esse im Romanischen.
Wir haben gesehen, dafs die Formel -/6>-Part. -|- sum ins lateinische 73.
Verbalsystem eingefügt wurde. Die Bedeutung der -/o-Form, die zu
dieser Einpassung Veranlassung gab, war jene, die den passiv-
medialen Sinn mit dem präteritalen vereinigt. Die reichliche ana-
logische Entfaltung, die dann diese Formel fand, war es ja, die sie
— schon sehr frühzeitig — nahezu als einzige analytische in das
* So ist auf der iberischen Halbinsel mini4atus = minguado tnenguado
ursprünglich vom Vermögen gesagt worden 'vermindert', 'dürftig', dann auf
Menschen übertragen worden 'arm'. — Ahnlich wird sich in neuerer Zeit aus be-
sonderen Verhältnissen heraus coitru, tremble'wx icne ecriUcre coiirue, icne signature
tremhlee erklären. Wie etwa nebeneinander iL gribouille und la lettre gribouillee
steht, so konnte i.w il trcmhle: i/Jie s/gnatitre tremble'e geschaffen wexd'in. Fälle
wie affectionne, distingue werden sich wohl durch Bedeutungsüberlragung
(ähnlich wie oben effraye) erklären, Cledat in Revue XVII 58 ff. dürfte kaum
das richtige treffen. Ntr. convenu dürfte kaum mit lat. convetitus in Verbindung
zu bringen sein, sondern es ist wohl von einem, ü est convenu mit folgendem
^M<?-Satz auszugehen, das sich wieder als natürliche Folge zu on convient que
einstellt.
* Katal. color •7midat: cotn sots color-imidades 7W 672, ähnlich 1053,
erinnert auffallend an miitata suos fluinina cursus Verg. ecl. 8, 4. Doch ist
das Partizip hier nicht aktiv, sondern medial zu verstehen und der Akkusativ
als ein solcher der Beziehung.
136
lateinische Formensystem einführte. — Die Formel bleibt nun auch
ein — wenn auch vielleicht loserer, so dafür viel bedeutungsvollerer
— Bestandteil des romanischen Verbalsystems. Durch Tendenzen
jedoch, die bereits im Lateinischen mehr oder minder deutlich zutage
liegen und die nun durch die Aufgabe der synthetischen Passiv-
formen sich frei entfalten konnten, wurde eine eigenartige und in
den Resultaten recht überraschende Veränderung in der Bedeutung
der Konstruktion herbeigeführt. Die ebengenannte lateinische Ge-
brauchsweise erscheint wesentlich eingeschränkt und rückgebildet
und die Sphäre, wo die Partizipia gleichzeitig passiven und
präteritalen Sinn haben, wird allmählich auf Fälle eingeschränkt,
die der ursprünglichen adjektivischen Bedeutung nahestehen, auf
Fälle also, die eigentlich wieder aus dem Formensystem des Verbs
auszuscheiden sind. Die verbal verwendeten romanischen Formeln
sind entweder passiv, dann aber liegt die präteritale Kraft nicht
mehr im Partizip, oder präterital, dann hat das Partizip aber nicht
mehr passive Bedeutung, sondern aktive, höchstens mediale. Dabei
knüpfen aber, glaube ich wenigstens, die romanischen stark ge-
änderten Gebrauchsweisen an lateinische Entwicklungsphasen an
und sind nicht direkt aus der Bedeutung des -/0- Partizips zu
erklären. Die Abweichung, die sich in diesem Punkt von Ihrer
Auffassung ergibt (III, § 278, 303), ist, wie die Folge zeigen wird
(vgl. 84), nicht so grofs, wie es zunächst scheint.
74. Wir finden nämlich drei Gebrauchsweisen unserer Kombination:
I. als Perfekt von intransitiven Verben, 2. als Perfekt von reflexiven
Verben, 3. als Passiv; und alle drei lassen sich an das lateinische
anknüpfen, wie im folgenden gezeigt werden soll. ^
I. als Perfekt intransitiver Verba hat die Konstruktion
eine dreifache Wurzel im Latein:
a. a) die Deponentia, die mit der Zeit aktive Flexion annehmen,
behielten ihre zusammengesetzten Formen bei, z. B.: mortus, natus,
deinoraius, consecuUis, lacrimatus, partitus, revcrsiis, passiis esi: viorz,
nez, demorez, consoüz (vgl. Rol. 2372), Icrmez, parliz, revers oder
reverliz est, patiito e (vgl. fosti patuta Mon. Chr. S. 90, 28). Dabei
ist zu beachten, dafs die Verba, die an die Stelle solcher Deponentia
treten, häufig auch ihre Konstruktionen erben; so macht reversus
est ■■= revers est einem repairiez, retornez est allmählich Platz, für
confessus est ist neben nicht mehr verbal auffafsbarem est confes ein
est confessez, für usus est: usez est eingetreten: la langue dunt simt
des enfance use Rpr. 128. — Vgl. Chabaneau, bist, et theorie de la
conjug. 2. Aufl. S. 26; Rom. Gr. III § 293.
b. b) Bei den Zeitwörtern, die nach 66, i eine Art Passivums
einfach durch den intransitiven Gebrauch des Aktivs ausdrückten.
1 "Wo irgend eine Formel mit Beispielen aus mehreren romanischen
Sprachen zu belegen wäre, ist im folgenden das Französische als Vertreter
genannt worden; wo Verschiedenheiten der Entwicklung nach Sprachgebieten
bestehen, wird der Leser schon aufmerksam gemacht werden.
137
konnte die Konstruktion als das regelrechte Perfekt zum aktiven
Verb treten. Schon im Lateinischen konnte beispiehveise terra a.
?nota est als Perfekt zu terra viovet fungieren, mutatus est zu vmtat,
7iavis applicata est zu navis applicat, trajectus est zu traicitA Ebenso ß.
bei einer Reihe Verba, besonders Adjektivableitungen, wo der
transitive und intransitive Gebrauch nebeneinander stehen, ohne
dafs klar ist, welcher der frühere ist: pejoratus est 'er ist verschlechtert
worden' = 'er hat sich verschlechtert' zw pejorat 'er wird schlechter',
graiiditus est 'er ist grofs gemacht worden' = 'er ist grofs ge-
worden' zu grandit 'er wird grofs'. Dann also in den Fällen, wo y.
erst die ganz späte Latinilät oder die romanischen Sprachen die
intransitive Bedeutung aufweisen, wie Icvez est = levatus est zu licve^
couchüz est zu couche, rotiz, rompiiz est zu roiit,"^ prov. es ereubutz zu
erehre. Ferner romanische Neubildungen, die uns sofort im transi- <5.
tiven und intransitiven Gebrauch erscheinen: eschaper ^ monier ., avaler,
avancier, baissier, trebuchier etc. Schliefslich wohl auch ursprünglich £.
intransitive Verba, die im Romanischen transitiv geworden sind und
nun die Formel -tiis sum zunächst als passiv-präteritale verwendet
haben werden; so könnte crepare 'platzen' transitiv geworden sein:
'platzen machen', weil das erwähnte verwandte rumper e die beiden
Bedeutungen vereinigte: 'reifsen' intr. und 'reifsen machen' und
crevez est ursprünglich zum transitiven Verb gehören.* ars est da-
gegen geht wohl schon auf lat. arstts zurück, das sich in passiver
Bedeutung einmal findet (vielleicht nach deflagratus) ; dafs das Verb
auch transitiv gebraucht wird, kann sekundär sein.
Hierher gehört der gröfste Teil der Verba, die im Altroma-
nischen gleichzeitig transitiv und intransitiv vorkommen, ohne dafs
es in allen Fällen mit Sicherheit möglich ist, das Verb in eine be-
stimmte der genannten Untergruppen einzureihen. Ich möchte des-
halb, ohne dies auch nur zu versuchen, noch ein paar Typen zu
den bereits erwähnten fügen: scvrer — reposer — changier — estordre —
sordre — comencier,^ finer finir — allumer aus lat. illuminare, escaufer,
esclarcir, esteindre — enveillir, refroidir, blajichir — noiier (necare) —
ponere etwa in era ptiesto el so! PC 416 — volvcre (bueltos son) PC 599
etc. Ich verweise für das frz. auf die reiche Beispielsammlung von
Fr. Hofmann, avoir und estre in den umschreibenden Zeiten des
französischen Zeitworts, Berl. 1890.
^ Vielleicht weiterlebend in span. es trocido.
^ Ven. Fort. 2S2, 9,3u: nemo parens nee levat ulla maniis [s. Elss, Unter-
suchungen über V. F. 37]; ievet et conculcet Form. Merk. 253 jj.
3 Intrans. rumpere, vorbereitet durch die schon khissischen intrans. Kom-
posita e-, per-, pro-, in der Mulomediciiia, vgl. Pirson, I.e. S. 393 IT., wo
auch vieles andere analoges.
* Allerdings ist auch Annahme der deponentialen Konjugation im Spät-
lateini^schen möglich, vgl. 6^. Über einen andern Weg aber, auf dem intransitive
Verba zu faktiiiv-transiiivcn werden können vgl. 112.
^ Bei ■ covienciez est konnte das bereits lateinische coeptus est als Vor-
bild dienen.
138
c. c) Einige -/ö-Adjektive mit aktivem Sinn, die sich ins Romanische
fortgepflanzt haben, vgl. yi, finden dort Aufnahme in die Verbal-
llexion [wie in der lateinischen Zeit fisiis, soliius, gavisus, ausus dort
Aufnahme gefunden haben], creius : creuz siii; placitus : it. piaciuto
sono. fahus alicui 'wer sich eine Täuschung gegen jemand zu
schulden hat kommen lassen': failliz sui a un home, worauf sich
dann die romanische Konstruktion von /allere neu aufgebaut hat. •
Auch hier treffen wir den Ersatz der lateinischen Konstruktion
durch Synonyme an. An die Stelle von praeferire ist passare ge-
treten, dem aktiven praetei'itiis entsprechend haben wir passez est.
agetie est knüpft wohl an das yi erwilhnte/ör/a an; reposcz, sejornez
est an reqiiietus u. dgl.
Wo das Verb perfektiv ist, versteht sich die präteritale Be-
deutung von selbst, so ja schon im \z.\.. jiirattis siim = jiiravi bei
Turpil., Diom. 402 - ff. In den andern Fällen, wie placitus sum er-
klärt sie sich durch die analogische Funktionsverschiebung (j) nach
den andern Fällen.
75. Von diesen drei Quellen dürfte die zweite die ergiebigste ge-
wesen sein. Aufser ihnen kommen aber noch besondere Umstände
für manche Verba in Betracht. Hie und da sind in ein romanisches
Zeitwort zwei stammverwandte lateinische zusammengefallen, pendlre
und assidere'- haben transitiv -perfektive Bedeutung angenommen,
indem das erstere auch die Form des transitiven penJere bekam,
das andre sich mit dem intransitiven perfektiven Verb assidere ver-
mischte (prov. asstre neben assezer). Das Perfekt est pendu, das
zunächst zum transitiven Verbum gehört haben wird, wurde nun
zum intransitiven bezogen; est assis dagegen, sowie it. <? seduto (vgl.
auch kat. foren segiits 'sich niedergesetzt hatten' 7 W 19 10) erklären
sich nach dem Gegenteil Status, arreste. statiis ist zunächst aktives
Partizip von stare (Bedeutung // IV; Stella statu 'Fixstern') und
fungiert auch als passiv präteritales Partizip zu sistere. sistere ist
verschwunden; in der präteritalen Bedeutung, die status in it. sono
stato 'ich bin gestanden' hat, könnte man noch eine Spur von dem
Verhältnis erblicken, wahrscheinlicher aber haben wir sie zu erklären,
^ Oder wurde bereits vulgärlateinisch fallitur (alicui) zu fahxs est ge-
bildet? Die Stelle S>;lp. Sev. Dial. I, 14: nee f adle unquam bestia fallerettir
quin illo ad legitimam hora^n refectionis occitrreret %z\\^m\. daraufhinzuweisen,
da hier f. ja wohl schon die aus 'ich lasse im Stiche' abgeleitete Bedeutung
'ich bleibe aus' hat. Dann wäre der in 6^61 besprochene Vorgang anzunehmen.
— Ähnlich dürfte die Bedeutung von \\. giicgnere 'ankommen' \on Junctum
esse fad aliquem oder ad aliqiiid) ausgehen ; hier handelt es sich aber um
ursprünglich passive Geltung. Ebenso vermutlich esprendre, efnprendre 'ent-
brennen' und wohl auch das einfache prendre in Fällen wie pitiez l'en prent
\*pietds Uli inde prensa est = pitiez l'en est prise 'sein Mitleid ist von der
Sache erfafst worden']; dann analogisch la dolors 7n' est prise \i%\v. Die Älög-
lichkeit, die oben 661 angedeutet wurde, besteht aber auch hier.
^ Hofmann, 1. c. S. 19, behauptet, dafs assi-oir ursprünglich transitiv ist;
natürlich eine vollständige Umkehrung des Sachverhalts. Allerdings hat sich
ein sekundärer transitiver Gebrauch des Lat. ins Romanische gerettet, die Be-
deutung 'belagern', was hier weiter nicht in Betracht kommt.
^39
wie oben {'/4 c) die von sofio piaciuto. Bei dem Kompositum restare,
das nun tatsächlich die Bedeutung 'stehen bleiben' von rcsistere
übernommen zu haben scheint, ist "^siim restatiis (it. so7io restafd) neu
nach sono slato gebildet. Frz. aresieu zu arester, das mehr die Be-
deutung von resistere als die von reslare fortsetzt und mit der eines
transitiven (re) -f- statiiere vereinigt, entspricht in der Form und
Bedeutung einem lateinischen re -j- slatntu. iratus est, worüber 20
zu vergleichen ist, setzt sich in ir(i)ez est und irascuz est fort.
Die angeführten IMomente dürften vollständig hinreichen, um 76.
die Ausdehnung der Konstruktion im Frühroraanischen mit Hilfe
der Analogie und partiellen Funktionsverschiebung zu verstehen.
Ja in manchen Fällen bietet sich sogar mehr als eine Erklärungs-
möglichkeit; da unsere Hilfsmittel nicht ausreichen, zwischen ihnen
die Entscheidung zu treffen, werden wir sie vorläufig nebeneinander
stehen lassen, umsomehr als in solchen Fällen sehr häufig auch
wirklich mehrere Momente vereint miteinander gewirkt haben können.
Beispiele für derartige analogische Ausbreitung und derartige
Zweifel: ^remanstis est nach demoraius est, U l sopcrchiato (CNA 30)
nach ^ rimaso oder h ristato.
targiez est kann an transitives targier (vgl. trans. tardare) an-
knüpfen oder nach ctmctattis est gebildet sein.
*approximatus est entweder nach adripatus est, applicatiis est
(b a) oder von einem transitiven approximare (b /3 oder b f).
peritz est, sp. ptg. tra7isido es nach mo7-tuus est (a) oder nach
int er it US est (c).
apareuz est, disparetiz est nach arrivez est, eslot'gniez est. Nach
ersterem dann apleuz est.
sailliz est nach levez, montez est.
descenduz est entweder nach dem Gegenteil Itvez, montez est
oder nach devalez est (b (J) oder nach dejectus 6'.f/ (b «) 'er ist herab-
gestürzt', span. äVf/f/o es.'^
esveilliez est mag gebildet sein nachdem das Verb transitiv ge-
worden ist (b£)2 oder es hat expertus est (a) (= prov. est resperitz)
abgelöst.
endorviiz est, sp. ador?nido es und in gleicher Bedeutung dormido
es {Despertaron al conde que era ya dormido FG 468) wieder ent-
weder b £ oder nach esveilliez est, dem Gegensatz.
diirez est (Hofm. 1. c. 17; wie es scheint selten), teils an die
Bewegungsverba anknüpfend, teils an remes, demorez est.
cheuz est ist durch occasiis (c) bereits im Lat. vorbereitet. Es
konnte um so leichter gebildet werden als cadcre auch an die Stelle
von labi trat.
Eine besondere Beachtung verdienen noch die Verba der Vor- r,^^
wärtsbewegung. *itiis est (sp. ido es it. (g)ilo ^) ist durch obitus prae-
^ Wenn, wie ich veimute, sp. decir, ptg. decer = deicei'e. Die bisher ge-
gebenen Etymologien des Wortes sind unannehmbar.
" Vielleicht, nachdem transitives excitare nach ba auch die intransitive
Konstruktion angenommen hatte, in Anlehnung an diesen Doppelgebrauch.
140
tcrUus inlcriitis inilus bereits in lateinischer Zeit vorbereitet. Danach
dürften zunächst andere Komposita von ire ergriffen worden sein.
So finden wir exUus sum in der speziellen Bedeutung einer juristischen
Formel in der fränkischen Zeit. 1 Aus gleicher Zeit stammt viel-
leicht auch redüits {tyiio male in gioja m e ridiio Mon. Chr. I, S. 95,54),
transitus (südit. trasuto = 'intrato'). Von exitus est [eissiz est) und
den andern allein braucht man aber itus est, dann alkz est, atulato
c, vcnuz est nicht zu erklären, es kommen noch die alten Deponentia
profectus, egressus, progressus, advectiis etc. in Betracht, an deren
Stelle jene Verba im Romanischen treten. Dazu kommen noch
spezielle Anknüpfungspunkte: für allez est 'er ist aufgebrochen, weg-
gegangen': motus zu inoveri 'aufbrechen, fortgehen', für vemiz est:
applicatus und adripatus, für revenuz est: reversus usw. 2 Von diesen
Verben mehr allgemeiner Bedeutung übernehmen dann die Kon-
struktion diejenigen, die auch die Art der Vorwärtsbewegung mit
andeuten, wie viare (sp. es viado, vgl. Berc. S. Dom. 506), currere,^
volare, fugire, navigare,^ mtrare (Gegensatz zu exire), für die aber
wieder mannigfaltige andere Analogien in Betracht kommen, z. B.
vectus für navigarc, eschaper (bd) für fuir, für int rare schon lat.
penetratiis est (vgl. auch venenum penetratum Ven. Fort. II, 36 28)- Für
span. es salido ist teils exitus, teils finitus (b; el dia es salido),
für span. es enfrado (Ja noch eiitrada es PC 169g) die Verba des An-
kommens mafsgebend; vermutlich desgleichen für Ausdrücke wie
it. Lo maitino l sonato Bol. Not. Mon. Chr. loi, V3, das ursprünglich
passiv gemeint sein dürfte.
78. Was schliefslich die unpersönlichen Verba betrifft, so ist zu
unterscheiden. Solche wie ajourni, asseri, avespre, anuitie est, die
daneben auch persönlich gebraucht werden (z. B. li jours est ajournez
Rol. 2147) knüpfen einerseits an comenciez, levez est an, andrerseits
erinnere man sich an lat. lux orta est u. dgl. Danach gelegentlich
auch Witterungsausdrücke wie il estoit malt durement gielc et negie
Henri de Val. 575; prov. es plogut (vgl. Appel Chr. 107 j,), und
entsprechend erst später, wie es scheint, im Italienischen. Noch
unmittelbarer an die Bewegungsverba schliefsen sich Formeln für
Verba, die ein Geschehen angeben, ob sie nun persönlich oder
unpersönlich gebraucht sind: mescheu, avenu, arrivi est etc. sind ja
1 dixit esse exüum Tard. 42 (703), ferner 53 (750), 57 bis (759)- Vgl.
auch Form. Mer. Index. Über die Bedeutung der Formel s. Heusler, Instit,
des deutschen Privatrechts II, S. 68.
2 est perventum in den Form, rhythm. (Form. Sen. add. 22433). Wenn
man 2i\\iliiigerm?imtxi \\\q Adventus, Eventus, Conventa, Cessus, Concessiis n. ä,
achtet, so hätte man in Betracht kommende Beispiele aus viel früherer Zeit;
aber Eigennamen befolgen zum Teil ihre eigenen Bildungsgesetze. Für recessus
vgl. allerdings die Stelle aus Vitruv, für discessiis (vgl. it. dicediito jNIon. Chr.
II, II2 6) das ausdrückliche Grammatikerzeugnis des Priscian.
3 Bei Ven. Fort, schon decursus {ad nos decursa niorte I, 229 ; II, 9)
und transcursus.
* Übrigens bei Jordanes als Deponens gebraucht: gut recto cursu
navigatur 973.
141
erst durch Metapher zu ihrer Bedeutung 'es hat sich ereignet' usw.
gekommen. Nach solchen richten sich dann bien rrüest encontre
(==. hien mest avetiu), it. e inconirato, kat. axi'us es pres 7W 2436
oder sp. es ciintido (auch in Fällen wie la ondra que es cuntida a
nos PC 2941) von ciintir, das, wie man vermutet, von contingere
stammt. Analoges läfst sich von frz. souvenu est, it. ^ convenido (wo-
nach i bisogniato) sagen.
Auch sonst behalten die Bewegungsverba ihre Konstruktion
bei, auch wenn sie sich von der ursprünglichen Bedeutung ent-
fernen, z. B. la chose est mal alee, sp. es erguda 'sie hat sich gebrüstet'
FG 231 von erzer, ursprünglich synonym von levar, sp. avenir e7i
tino 'übereinkommen', convenir, devenir, it. e tornato 'ist geworden' etc.
Nach stare mag sich auch constare gerichtet haben, it. l costato
'hat gekostet' (frühester Beleg?), auch sard. pro ciissu presiu qui ad
ipsu at esser costadu StC 223. Unklar ist dagegen der Anknüpfungs-
punkt für it. e hastalo (seit wann belegbar?).
2. Als Perfekt reflexiver Verba.
levatiir, zu dem lat. levatns est in syntaktische Verbindung ge- 79.
treten war, wird nicht nur durch levat, sondern auch durch levat
se ersetzt, mit einem kleinen Bedeutungsunterschied, von dem in
66-1 die Rede war. Ebenso mufste, als plangitur vor plangit se,
recordatur vor *recordat se ganz verschwand, plancliis, rccordatus est
als zu den reflexiven Ausdrücken gehörig betrachtet werden.
Wir haben also :
Frz. prov.: Rollanz s'eti turnet Rol. 2184 und in gleicher Ver-
wendung Puls sunt turnet Bavier et Aleman Rol. 3960. Quant il
fu conseilllez a ses homes Men. R. 75.
li fei Jiideus ja s'aproismed Pass. 131 und //' felun . . . 7)ers
nostre don son aproisviad Pass. 142 etc.; 7ion pot estar que no's en-
dorma e cant es adormit elad viet mort App. Chr. 12534; Qoch im
15. Jh.: Dieu es a nos demostrat Myst. pr. S?)d>?)-
It.: La matlna si si levava . . . Et quando era levato . . . CNA 62 ;
Qiiesto phllosapho era bagfiato (P si era) CNA 66; ne le tud mani
sono arenduta Mon. Chr. I, 97^; se ml se^ offerto servldore Chiaro
Dav.; 10 che fui accorto dl sii arte D. Purg. 1 12c» sonst accorgersl;
lo sono tarde recordato de leze in questo quaderno Bonv. 3 scr. 264;
ognia persona nada la quäle, per soa matana, a preiidere le ombrle l
data 'sich hingegeben hat' Bonv. Volg. Van. 72; In terra sego in-
senia tugi tri fon assetai Bonv. Job 218.
Sard. : cum bolintadi bona de su piscobu a ki fudi affiliadu ' den
er zum Teilerben eingesetzt hatte' CVC XVII, 6 (vgl. Et afiliessi
a S. y. donna Jurgca XIII, 12 u. entspr. VII, i).
Span.: Tornado es myo Qld con toda esta ganangla PC 1231
(ähnl. 938), vgl. torno's, se torno 13 13, 1395; -AI salir de la viissa
todos juntados son PC 2070 (ähnl. 3621), vgl. se jnnto 3624; Assi
lo fazen todos, ca eran acordados PC 2488 (ähnl. 3589); non so
142
arrepentido FG421 (ähnl. PC 3557, 3569), vgl. se van rrepintiendo
PC 3568; si ainos fueremos ayuntados Conde Luc. Enx. IX, vgl. se
fueron poco a poco ayuntando ebenda; Que <?« mis he7-edades fuerte
viicntre es inetido PC 1623; Entrar 011 sohre ?)iar, en las harcas son
metidos PC 1627; O dizeii el Anssarera, ellos posados son 'haben sie
sich gelagert' PC 2657.
Portg.: do setmor de que er a foi espedido *vet?ihsc\iiQd&ie ex sich.^
CSM LXI, vgl. por se d'ela espedir LIX; fillou-ss'' a repentir et pois
que foi repentido . . . CCLXXII; e pois foi maenfesfada 'nachdem sie
gebeichtet hatte' LXXV, CCXVII, vgl. se maen feslasse CXVI T.;
quando toda a noite er an alongados da pena, en a inannda y er an
tornados XCV; a mäo destra cott a fou^e apertada foi CCLXXXIX,
vgl. a mäo con que cuidava 0 maolP algar de terra, con ele se //'
apertava 'verwuchs damit' ebenda; en 0 levaren sigo foron end
acordados CCXVIII, vgl. de 0 y lexaren todos s'acordaron ebenda;
pois que foron deitados 'sie sich hingelegt hatten' CLI, vgl. por sse
deitar etc. ebenda; foachin que era vieiudo no meogo d'iias grandes
motiiannas CSM Sp. 569 b {=^ fiz aqiii estada 570 a).
80. Nach dem, was einleitend bemerkt ist, kann -/ö-Part. -f- sum
nur dort zum Reflexiv treten, wo dieses medial ist und also einem
medialen Deponens entspricht, nicht aber dort, wo es die ursprüng-
liche Bedeutung einer aktiv-reflexiven Tätigkeit bewahrt hat. Die
Grenzen sind allerdings, wie bereits aus 661 hervorgeht, äufserst
fliefsende. Deshalb verstehen wir es, dafs wir -/ö-Part. -f- sum in
dem italienischen Beispiel aus Ch. Davanzati, dem letzten pro-
venzalischen , den letzten drei spanischen und letzten zwei portu-
giesischen Beispielen finden, wo sich der Sinn dem einer aktiv-
reflexiven Tätigkeit sehr nähert. Ganz ausgesprochene Fälle aller-
dings wie *ocis est 'er hat sich getötet', *bleciez est, *coniandez est
scheinen zu fehlen und im Französischen scheint man nicht einmal
solchen Fällen, wie den zitierten, aus den südlichen Sprachen zu
begegnen. Jedenfalls haben wir es hier mit analogischer Aus-
dehnung der Ausdrucksweise zu tun, w^ährend in den Fällen, wo
wie im Lateinischen Passiv statt Reflexiv eintritt [phligari für se
ohligare etc. Dräger S. 147, El. Richter 1. c. 138) vielleicht eher
ein Rest oder eine Nachwirkung der etymologischen Verhältnisse
vorliegt, falls nämlich das -r des Passivs, wie man früher —
vielleicht doch mit Recht — angenommen hat, aus dem Reflexiv-
pronomen entstanden ist.
3j^ Eine andere, weit häufiger sich darbietende Schwierigkeit ist
aber die, ob man zu einer derartigen Fügung ein reflexives oder
ein intransitives Präsens stellen soll. Die Zahl der Verba, wo diese
beiden Konstruktionen konkurrieren, ist eine sehr beträchtliche; um
sich davon zu überzeugen, braucht man blofs einen Blick auf
Hofmanns Verzeichnis S. 27 — 47 zu werfen, das lange noch nicht
alles anführt, was man anführen könnte. Da nun aber, wie gesagt, 1
' Vgl. auch Diez III 3, 191, 290, Tobler, VB. IP, 76, Rom. Gr. III, 407 f.
143
die beiden Ausdrücke nicht gleichwertig sind, so erklärt sich leicht,
dafs man auf die unterscheidende Nuance, die man im Präsens
zum Ausdruck bringen konnte, in den zusammengesetzten präteri-
talen Formen nicht verzichten mochte. So schuf man zu levez est,
das zuerst gleichmäfsig zu litve wie zu lieve se gehörte, zunächst
in Fällen, wo sich diese Nuance stark aufdrängte ein levez s'esi
und schränkte dann levez est immer mehr auf die im Präsens durch
blofses lieve ausgedrückte Zustandsänderung ein.i
Das Nebeneinander der intransitiven und reflexiven Konstruktion, 82.
dort wo das Lateinische ein Medium transitiver Verba gebrauchte,
hatte, wie schon längst richtig erkannt ist, zur Folge, dafs das
Reflexivum nun auch zu ursprünglich intransitiven Verben tritt,
offenbar um dieselbe Nuance auszudrücken, die dem se levat gegen-
über dem levat zukommt; daher dann dort se, muert se etc.^ Auch
hier schlich sich auf die gleiche Weise das Reflexiv in die zusammen-
gesetzten Zeiten ein. So finden wir schon in den frühesten franzö-
sischen Texten:
I. (zu 81) il se erenl convers Jon., s'est ajonelet Steph., ?«'<?«
esteie penet, qiiet il s'en seit turnet, fies deduit Alex.
II. (zu 82', poro-s füret morte Eul, ähnl. Leod., il s'en seit
alet Alex.
Nun ist aber folgendes zu beachten. Das Gesagte erklärt uns 83.
nur zu einem Teil, warum esse -f- Part- als Perfekt reflexiver Verba
gebraucht wird. Dagegen sind so direkt nicht deutbar: i. die Fälle,
wo das Reflexivum Dativ ist: gratiz coJtps se donetit; 2. die Fälle,
wo das Reflexivpronomen ausgesprochenes Akk. -Objekt eines
wirklichen Aktivs ist il s'ocit, il se contande a Dieu; da Fälle wie
*gra7iz cops sont done(z), *est ocis als Perfekt nicht vorkommen. In
granz cops se sont done, ocis s'est liegt also wohl direkt eine Über-
tragung nach den so massenhaften Fällen vor, wo mediales Re-
flexivum erscheint. Hier mufste man sich erst daran gewöhnt
1 Dal5 die Konstruktion z. T. auch auf trans, Deponentia zurückgehe,
wie me tiltus su7n, 7ne jaculatiis sunt ist nicht geradezu ausgeschlossen, wenn
auch nicht wahrscheinlich. Darauf hat Chabaneau aufmerksam gemacht.
2 Dafs auch ursprünglich dalivische Reflexiva in solchen Fällen vor-
kommen, möchte ich nicht bezweifeln. Dann war der Sinn allerdings nicht
der der oben angetührten Nuance , sondern wirklich der der „reflexiven Ver-
innerlichung". Da aber die äufsere Form die gleiche geworden war, so läfsi
sich nicht mehr reinlich scheiden. — Im Altportugiesischen nämlich scheint
der Dativ lange vom Akkusativ verschieden gewesen zu sein, und wie in der
2. Person che (sprich ce) und te, so unterscheiden sich in der dritten xe {xi)
[sprich se, s'i'] und se nach dem Kasus. Zwar sind die Verhältnisse schon
etwas verdunkelt, indem aus unklaren Gründen xe als Akkusativ vor einem
dativischen Pronomen eintrat; unter den restlichen Fällen aber sind viele, die
dem afr. Gebrauch von se völlig analog sind: z. B. van-xi muitos säos GSM
XXXI, u xe jazia LXXV, ähnl. CCCIX, tal xe ficoti covio xe veera (nämlich
Jungfrau) CV, pon-ll'o (den Fufs) u x' anf estava CXXVII, el que x'a vai
ja quanto conliocendo RD 266S. xe als Akkusativ scheint sonst nur vor-
zuliegen in vii'i seu acor na vara ü xe soya pöer CSM CCXXXII und das
nicht einmal, wenn nämlich das Subjekt von soya nicht agor, sondern dessen
Herr ist.
144
haben, . . . nie st/?', . . . s'est usw. als das reguläre Perfekt von
reflexiven Verben zu empfinden. In den andern Fällen liegt also
eine analogische Konstruktion vor, wie bezüglich der ersteren bereits
Tobler VB II 2, 68 erkannt hat, der damit die Flexionsfrage glänzend
löste, und ich möchte noch hinzufügen, dafs man sehr gut täte,
einmal auch auf das erste Auftreten dieser sekundären Fälle zu
achten. In den ältesten Texten scheinen sie noch nicht vor-
zukommen 1 ; das erste — übrigens vielleicht auch nicht ganz
zweifellose — Beispiel scheint c/iier me sui venduz Rol. 2055 zu sein.
Im altern Provi;nzalischen, das ebenfalls levaiz s'es kennt, ist
mir ein Beispiel für die Ausdehnung auf jene zwei Fälle nicht
untergekommen. Bezüglich des Katalanischen s. jj^. Auch im
älteren Italienisch scheint die Ausdrucksweise im ganzen auf das
mediale Reflexiv beschränkt (vgl. ijj). Wir finden jedoch: De
spine Se coroni che rege s'e chiamalo Mon. Chr. II S. 47920- Freilich
bedeutet se clamare in unendlich viel öftern Füllen 'heifsen', und
ist dann regulär medial; so ist nicht zu verwundern, dafs die
hiebei berechtigte Konstruktion einmal auch dann eintritt, wenn
es den etymologischen Sinn 'sich nennen' hat.
Im Altsardischen begegnet die Konstruktion sehr selten, über-
haupt nicht in CP u. CVC, dann: Sos quales si vi esseren otio elecios,
se pothan refirmare StS. I, lo8(?); Ei si pus sa dicta admonitione los
aen accaiiare et non s'aen esser partitos StS III, 17; cussa caiisa de
qtii s'at essere lamentadii C. d'A. LVII (ähnl. CXIII); de ssa tocha qiii
s'est dadu a ssos 7iiasiros StS II, 44. Aber unter den wenigen Fällen
findet sich ein deutlich aktiv-reflexiver: pj'oguiteu a caxoni cussa
persofii si ad esser morta (von einem Selbstmord) C. d'A. VIII.
Im Spanischen hat die Konstruktion überhaupt keine grofse
Verbreitung erlangt und scheint dialektisch beschränkt zu sein.
Manche Texte wie das PC, Aut. RM weisen sie überhaupt nicht
auf. Immerhin vgl.: Fueranse los pagafios essas oras iornados FG 81 b;
E sson se iornados Por oiras carreras a sus reytiados LRd'Or. 46.
Drei Beispiele aus Berceo, davon zwei mit iornado s. Gessner, 1. c.
Ins Altportugiesische scheint die Konstruktion überhaupt nicht
gedrungen zu sein. Wenigstens enthalten die über 600 Grofsquart-
seiten bedeckenden Cantigas de Santa Maria kein einziges Beispiel,^
ebensowenig RD, Livro Es., Est. Tr.
Auch in altnorditalienischen Texten dürfte sie nicht oder nur
selten 3 angetroffen werden.
1 Gessner hat vollständig unrecht, in dem oben zitierten Beispiel aus
Jon. ein transitiv-reflexives Verb zu sehen, Jb. XV, 207; es entspricht genau
einem lateinischen converti. Bei dem 'sich bekehren' hat man den Gemüts-
zustand dessen, der bekehrt wird, im Auge, nicht aber die Tätigkeit dessen,
der bekehrt. — Ebensowenig gehören Fälle, wie vante se, noie se 'er ertrinkt'
(daneben vante, noie!), venge se in die Kategorie der reflexiv-aktiven Verba.
^ In Pois que ss'assi os didbos foro7i t^'a/z"«^ar«/(/(3j XLV liegt natürlich
foron sse 'sie gingen weg' vor.
^ Unsicher ist das Beispiel: Beti se porave esser "vencu [verkauft] E de
hon dinar aver ahlti Et avtr fato caritä aus Baisegap^.
145
Das auf diese Weise gebildete Perfekt intransitiver oder reflexiver 84.
Verba tritt auf der ganzen Linie in Konkurrenz mit dem alten
oder [bei den Deponentien] neugebildeten einfachen Perfekt. Wie
zumeist bei derartigen Konkurrenzen ergibt sich leicht eine Be-
deutungsdifferenzierung. Da sich die -/ö-Form ja vielfach auch
selbständig erhielt, so mufsten die zusammengesetzten Formen in
jenen Verbindungen bevorzugt werden, die dem ursprünglichen
adjektivischen Sinn nahe liegt-n; es ist also völlig gerechtfertigt,
wenn Sie wieder auf die Grundbedeutung des Partizips zurück-
gehen (HI, § 303).
Zu einer reinlichen Spaltung der beiden Grundbedeutungen
des Perfekts ist es freilich nicht gekommen, wenn auch das einfache
Perfekt im ganzen an den Aorist, das zusammengesetzte an das
Perfekt des Griechischen erinnert. Das einfache Perfekt behält
vielmehr auch noch seine ursprüngliche lateinische Funktion als
Perfektum Präsens bei, das die in der Gegenwart abgeschlossene
und in ihren Resultaten auf die Gegenwart sich erstreckende
Handlung bezeichnet, u. zw. nicht nur in den südromanischen
Sprachen, für die Beispiele zu geben überflüssig wäre, sondern
auch im Französischen:
Nos ne veiilmes viie por vos mal faire ^ ains venimes por vos
garder Villeh. 146 c; // aveir dunt li vitit? Rp. 54 a; Vmc eti Jerusalem
KR 154» eis tu rien . . .? naie . . . fors . . . du pain qui 7tous demoura . . .
ves en chi Adam H., Rob. M. 651; de tei (Adam) eissit (näml. Eva)
J. Ad. 20.1
Andrerseits braucht man blofs eine beliebige Seite der afrz. 85.
Epik — volkstümliches oder höfisches Epos — aufzuschlagen, um
das zusammengesetzte Perfekt in buntem Wechsel mit dem ein-
fachen und dem Präsens zur Darstellung historischer Ereignisse ver-
wendet zu finden. Natürlich ist es unmöglich, dafs bei einem Satz
wie Gormund li lance utie guivre, Parmi le cors li est saillie, De
Vautre part s'en est eissie, Fiert loi danzel de Lumbar die Gorm. 14g
— 152, alez en est en un vergier suz Vumbre Rol. ll, a Vencoiitre li
est alez Er. 2092 ein in die Gegenwart dauernder Zustand be-
1 Vgl. Haase, Synt. Unters., S. 87 f. Rom. Gr. III, S. 129. Brunot, bist.
1. fr. I, 240.
2 Vgl. ferner italienisch: attanto si s^arrendono tutti a pregioni e
ssono messi presso al porto nel castello dt Pr. e tnadonna Isaotta st appiattoe
la spada di Tr. sotto sl et tutte Valtre chose fiiorono tolte e ssono tntrati
dentro a Vantiporto Rom. Trist., Mon. Chr. II, ll5i/,6; La preite se partio, ad
soa gente ne e annatu IV P 37,590; Quando madonna vede-li, nel lectu se
e ricsatu IV P 21320! Una grand tneraveja per la fo po fnostradha , Fo del
so tnonumento una planta gk' e nadha Sover zascuna folia . . . Scrigi'o era
Ave Maria Bonv. Laud. 505 — 8; la terra ha nome Edessa , o el e arrivao
Bonv. AI. 64. Spanisch: Ähren las puertas, de fuera salto davan . . . Todos
son exidos PC 459 — 61 ; Estan parando fnientes al qtie en biien ora tiasco.
El Campeador en pie es levantado: „Pues qite . . ." PC 2218 — 20. Katalan.:
A l'emperafre es vengtits e salnda'l ab breus mots 7W 87O; el setiyor rey
lo convidd ; el nostre palau es intrat, feu se de tni anamorat 7W 959.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXIV. (Festschrift.) lO
146
zeichnet werden sollte. Allerdings kann man sich auch nicht der
Ansicht verschliefsen, dafs die Wahl der mit einem Präsens zu-
sammengesetzten Zeit jener Tendenz der Verlebendigung und Ver-
gegenwärtigung entspringt, die für das alte Epos charakteristisch
ist und der man auch die Wahl des Präsens selbst verdankt. Man
wird also die Nuance des zusammengesetzten Perfekts so auf-
fassen können, da^ es die in ihren Resultaten in Betracht
kommende Handlung bezeichnet: es hebt hervor, dafs das End-
ziel der Handlung erreicht wurde und für das Subjekt in der
jeweiligen — gegenwärtigen oder lebhaft als gegenwärtig vor-
gestellten — Situation eine gewisse Wichtigkeit besitzt: Ja sont
tuit inonte, si s\m vont Er. 75, Das Perfekt fafst die Handlung
rein als solche ins Auge, gleichgültig ob längst vergangen oder
kürzlich geschehen, gleichgültig ob die Resultate sehr fühlbar
oder ob überhaupt keine zu verzeichnen sind. Dem entspricht,
dafs das einfache Perfekt bei mar und huer gewählt wird,
trotzdem es sich fast immer um ein präsentisches Perfekt handelt,
weil eben ausgedrückt werden soll, dafs ein glück- oder unglück-
bringendes Element in der Handlung selbst liegt, diese also
zunächst ohne Rücksicht auf das dadurch erzielte Resultat hin-
gestellt werden mufs: mar arrivames en Pontif Gorm. 588; hier i
ala que Piiille a conquesiee Bertr. Bar, Girard de Vienne in BLLfr.
34120- Und ganz verwandt damit: alquant dirrunt qii' en vain ine
travaillai qiiant cest livre ordenai Comp. 109 und das oben {8^
aus Villehardouin zitierte Beispiel.
Aus alledem ist ersichtlich, dafs vielfach dieselbe Handlung
in derselben Situation sowohl durch die eine wie durch die andre
Zeit bezeichnet werden kann, je nach der Auffassung und Intuition
des Berichterstatters, und wir verstehen, dafs die zusammengesetzte
Zeit dem Stil des epischen Dichters naheliegt und dem des Ge-
schichtsschreibers fernsteht. 1
8ß_ 3. Bei der Verwendung des Partizips transitiver Verba mit
esse erweist sich der Unterschied zwischen durativ und perfektiv
von grofser Bedeutung. Schon Diez, Gramm. ^ IIL 202 hatte darauf
hingewiesen. Bei durativen Verben hat die Verbindung mit sitm
streng präsentischen Sinn und zwar hat sie ihn, wie in ^i gezeigt
wurde, schon im Lateinischen erlangt, wo sie ein sehr schüchtern
auftretender Konkurrent des alten synthetischen Passivpräsens ge-
worden ist. Wenn dort gesagt ist, dafs die beiden Ausdrucksweisen
1 Ganz unerhört ist sie auch hier nicht; in Momenten der höchsten
Spannung findet sich gelegentlich das Präsens ein und mit ihm zugleich die
Perfektumschreibung: Quant eil de Damiette se percurent, si coiiriirent aus
armes ; et fönt sonner un gresle et sont vetiW; et commencierent . . . Men.
R. 374. — Vereinzelt sind folgende zwei sardische Fälle, wo es sich um
aoristisches Perfekt zu handeln scheint: JSt avende parthitic morivit Jorgia et
est 7iatu Sagio. Bocarunimi a ccorona CP341; sservindelis Plave ad issos
est mortu. Vennerun . . . CP 342. Vielleicht hat sich hier ausnahmsweise das
Perfekt des lat. Deponens in dieser Funktion erhalten.
147
amatur und amatus est denselben Sinn haben, so soll nicht auch
gesagt werden, dafs sie gleich getont waren. Es wird vielmehr
derselbe feine Unterschied vorhanden gewesen sein, der im heutigen
Deutsch zwischen 'er wird geliebt' und 'er ist geliebt' besteht.
Die erste Ausdrucksweise nimmt mehr Rücksicht auf das logische
Subjekt, von dem die Handlung — Handlung im weitesten Sinn
des Wortes — des Liebens ausgeht, die zweite abstrahiert davon,
um die Handlung in der Form einer Eigenschaft dem von der
Handlung betroffenen Wesen zuzuteilen — der ursprüngliche
Adjektivcharakter der -/o-Form ist bei amatus est ebenso fühlbar wie
bei er ist geliebt. Trotzdem kann von einer eigentlichen Be-
deutungsverschiedenheit keine Rede sein. Es ist nicht denkbar,
dafs in irgend einem Zusammenhang die eine Formel pafst, die
andere nicht pafst. Das eine schliefst das andre ein: die Handlung
hat den Zustand zur notwendigen Folge, der Zustand die Handlung
zur notwendigen Voraussetzung.
Durativen Verben sind die iterativen nächstverwandt. Bei 87.
Mola und Apulejus ersetzt didus est 'er heifst' das klassisch
lateinische dicitur (s. Blase S. 172), und da man bei Plautus
verberatus in der Bedeutung 'der geschlagen wird' findet, so wird
man wohl in der Volkssprache früh ein ^verberatus est, *battutus
est in der Bedeutung 'er wird geschlagen' gewagt haben.
Damit berührt sich dann wieder ein Gebrauch, bei dem auch 88.
perfektive Verba in dieser Verbindung präsentische Bedeutung an-
nehmen können; nämlich, wenn es sich um generelles Präsens
handelt. Das Ausgesagte gilt nicht nur für die Gegenwart, sondern
auch für Vergangenheit und Zukunft, stellt sich also als oft wieder-
holtes dar. Es unterscheidet sich aber von dem vorigen Fall da-
durch, dafs die Wiederholung nicht in der Bedeutung des Verbums
selbst liegt, wie bei <//«' .heifsen', verberari ,ge.?>c\\\z.gen werden*, sondern
in dem Zusammenhang. Auch diese Verwendung war vielleicht
schon im Lateinischen bekannt; hieher zu rechnen wäre etwa: . . . a
verho '/endo' componitur quod 7ion est kctuvi Prise. 562 jj. —
Im beginnenden Mittelalter finden sich mancherlei Belege, auf 89.
die schon Diez hingewiesen hat, aber immerhin weniger als man
erwartet. So etwa sicut ad me est possessum et moriens dereliquero
Tard. 26 (690) = sicut a me praesenti tempore posseditur ebenda.
Das videtur der gerichtlichen Entscheidungen ist jetzt durch visus
est ersetzt Tard. 60 (768). Ferner vgl. quantumaimquae ad die
praesente possedire vidimur in ftindo illa villa . . . vel ubique abire visi
sumtnus Form. And. 1225—27» (ferner Form. Arv. 28,5 etc.). Ganz
unsicher ist cum omnia quae ibi sunt aspccta Td. (528), da das
aktive aspicere die Bedeutung 'gehören' angenommen hat (vgl.
Form. Mer. Index); doch kann allerdings ein Gebrauch, wie wir ihn
in dem erwähnten Satz sehen, die Vorstufe dazu gewesen sein.
Wohl aber darf man auf die schon oben {68) zitierten verkehrten
Sprechweisen wie poititur für positus est, basilica quae huic con-
jungitur cimitirio hinweisen, die uns zeigen, dafs bereits positus est
10*
148
für ponitur gesagt wurde und das kann wohl vorläufig nur in der-
artigen Fällen des generellen Präsens geschehen sein. Ähnlich
qui adnionetur et venire coiitempserit, dehit aspendi = admonilus est
Form. Mer. et Kar. 535, i.i
go. Die lateinische Tradition wird bestätigt durch den überein-
stimmenden Gebrauch der altromanischen Sprachen, die die Kon-
struktion bei durativen (I), iterativen (II) und perfektiven (III)
Verben kennen, bei den letztgenannten für das generelle Präsens:
I. Frz.-prov.: par tot es mimd es adhoraz Pass. 500; miilt est
e amee et preisee Lap. 20Q; un rai don je sni encombrez Clig. 747;
do7it ele est abitee Alex. 2 7 6 jg ; il sunt dUiseriers servi tot tens et este
et hyver Raoul H. S. d'Enf. 468; gfeu fi'aura dieiis memhransa
d'aquelhs per cid es obltdaiz Aim. Bei. RF. XXI 423.
Ital.: sofio da lei atnaio Pier V.; Ongni gioja cKi piü rara tetiuta
(? piu preziosa Giac. da L.; uno iesoro riposto sotter ra, che se non l
sapiito, piü che terra non vale Fra Gu. da Bol., Mon. Chr. 57 ^3;
da che la favella i accornpagnata . . . cd'la justitia ebenda 64; De far
Zu Kel no po nixun ho77i l tenudho Bonv. Job 1 3 ; altressl co?mi Vacqua
abevera la terra et mantene la, cossi lu corpo de V omo i adheverato de
la sänge e mantemtta da epsa Sydr. Otr. 65 f.
Kat.: eil es del tot er e gut 7W 2374.
Span.: De vos hien so se?-vido PC 2152 (vgl. 270); de todos los
pueblos eres tu postulado Ber9. Mil. 714.
Portg.: dos angeos . . . senpr e servida CSM CXLI; 0 qiie ela
filla por guardar e gtiardado CLXIX (ähnl. CCCLXIX); miragre
cofinogudo . . . que e de miiitos sahiido CCXIII.
IL Frz.-prov.: Apelee est gemme des gemtnes Lap. 179; 7ie vus
esmaez Si hatuz estes u plaez Sim. Fr., SGe. 484; La sont tortnente li
jaiant Qui . . . voldrent par force el ciel motiier En. 2733; Se la terre
71! est hien setnee et cultivee et gaeig7iiee El 7ie vaut giiere s. Littre s. v.
cultiver, hist. ; No7n es apelatz per go que . . . Don. prov. (Stengel) i § ;
eu sui batutz ebenda 10 42.
Ital.: La quäle citä . . . f o kia7nata Orelia e mo e kia?nato
Areggo Rist. d'Ar., Wiese, Elem. 30 5.
Span.: por que eres rabi clamado? Aut. R. M. 13g; Madre, tu
eres dicha fuente de piadat Berceo, Loores 199.
Portg.: per ela santos chamados so7i CSM XV.
IIL Frz.-prov.: U71 altre acate rest trovee e7i Crete d^U77i est
aportee Lap. 99; La vespree est chantee Par go en la vespree Kar
lores sis veirs cors Fut el sepulcre e7iclos Best.; AI solail par tme
1 Vielleicht liegt eine ähnliche verkehrte Sprechweise bereits vor, wenn
wir in der Mulomedicina lesen: quorum caput ducitnr usque ad terram ('ist
geneigt'), ad medullas eorutn qui inaleos prenduntur . . . (vgl. A. Ernout,
Phil, et Lingu. Mdl.-Havet S. I34f.) und sogar schon, wenn Cäsar schreibt:
ad eius (des Horns) summo sicut pahnae ramique late diffundtmtur b. G.
VI, 26,2. Doch ist vielleicht auch eine andere Auffassung zulässig: eine Ver-
schiebung von der perfektiven zur durativen Verwendung analog den in 25
behandelten Fällen.
149
nue Est sa grant clarti iolue Sim. de Fr., R. Ph. 496; Sovatit en est
assailliz Rolant RF XXII 55332'. «^«2« l<^ ve, el s'adorm e sa fauda et
adoncx es pres App. Chr. 125 54; ticit li mal e'l hen del viont soti mes
eti retnembransa per trobadors Raim. Vid. (Stengel) 68 2s-
Ital.: Ad culiij che co?nanda piü temper atamente, h piu tosto iibi-
dito A. de Gross. Tratt. mor. LI; Lo coitu multo h delectevele, s'l
facto CO misiira Reg. San. 657; Se ehest' acqua canosse lo malato,
CoUerio non cerchc altro, et e sa?iato Bagn. Pozz. 372; la malvasa
aniina, qiia)ido si parte de quisto secolo . . . incontinente e menata in lo
Inferno Sydr. Otr. 63 oq-
Span.: (die Wahrheit) ni en nostras vocas es falada Aut. RM
147; Et por esto son viuchas veces vencidos et muertos et presos VII
part. II 26 Ley III; al omne alli da es fallado O en hien 0 en mal
por ello es judgado Berc. Mil. 91.
Portg.: log' all somos d'el perdöados CSM XXX; Co?no somos per
consello da demo perdudos, assi somos pelo da Vir gen tost' acorrudos
CXIX; et isto e cada sabato visto ebenda p. 606 b; quen guarez a
Virgen, e guarid' en pouca d' ora CCCXLVI.
So hat also unsere Umschreibung die alte synthetische Passiv-
form verdrängt, indem sie nicht nur wie im Lateinischen in einzelnen
Fällen eintritt, wo das Prädizierte stark adjektivisch empfunden wird,
sondern auch dort, wo es deutlich als Handlung gefühlt ist.
Übersehen wir nun die deutlichen Fälle verbaler Verwendung gj^
im Romanischen und vergleichen sie mit denen im altern Latein,
so wird die divergierende Tendenz offenbar. Im Latein war der
Sinn ziemlich einheitlich, im Romanischen haben wir drei grofse
Klassen, zwischen denen sich die Grenze vielleicht vorläufig noch
nicht haarscharf ziehen läfst, die aber in ihren maikanten Beispielen
funktionell weit auseinander liegen. Zwischen i und 2 {'/f) ist,
wie wir gesehen haben, die Unterscheidung noch schwer zu treffen,
vgl. 81; doch ob ein Beispiel zu i — 2 auf der einen Seite, 3 auf
der andern gehört, darüber wird nur selten ein Zweifel möglich sein.
Für 2 aber, das gewissermafsen die Vermittlerrolle spielt, streben,
wie wir gesehen haben, die Mehrzahl der romanischen Sprachen
zu einer neuen Form, indem sie das Reflexivpronomen in die Um-
schreibung einführen, oder indem sie die ^jj^- Umschreibung von
einer andern konkurrierenden Konstruktion {ijo ff.) ganz verdrängen
lassen. Für alle drei Kategorien allerdings gilt, dafs die Grenzen
gegen die ursprüngliche adjektivische Bedeutung nirgends fest-
geworden sind, mit dieser sind sie vielmehr durch vielfache
Schattierungen verbunden. Auch Rückschläge erfolgen leicht, so
ist z. B. est alez, est tornez, das zumeist eine Handlung ausdrückt,
wieder vollständig zuständlich, situationausdrückend geworden in
einer Redensart wie li avoirs de nos terres est toiis a niefit alcs,
li deduis,- li depors est a noient tornes Alex. 368 2 f-; ebenso wenn
ßewegungsverba von Zeitbegriffen ausgesagt werden: venuto h lo
I50
icmpo de la diliveraziom del mio venire Mon. Chr. 115,53; Nom chegou
0 men amigo e of est 0 präzo saido RD 1822, vgl. 1825.
92. Was die Zeitstufe betrifft, so ist der Sinn in i, 2 durchweg
präterital, in 3 präsentisch; was die Beziehung zu Subjekt und
Objekt, so ist die Handlung dort zumeist aktiv oder medial, 1 hier
fast durchwegs passiv.2 Was die Konstruktion der Verba betrifft,
so nimmt 2 in jeder Beziehung eine Mittelstellung ein; bei 3 sind
transitive Verba vorherrschend, doch wird das unpersönliche Passiv
intransitiver Verba in entsprechender Weise von unserer Kon-
struktion abgelöst: con c'esi bien haU Ad. H., Rob. Mar. 844, vielleicht
auch que ch'est bien ale ebenda 854, beide zu I gehörig, 3 vgl. auch
das I. ital. Beispiel von III. Bei i herrschen die intransitiven Verba
vor. Bei transitiven Verben wäre die gleiche Konstruktion eigent-
lich nicht ausgeschlossen, da sie doch z. T. an lateinische Depo-
nentia anknüpft, die vielfach transitiv sind. Es scheinen aber nur
Fälle in Betracht zu kommen, wo die Auffassung zwischen einem
Objekt und einer akkusativischen Zeit- oder Raumbestimmung
schwanken mag, z. B. bei vivre, durer, sejor7ier , passer, trespasser,
wovon die letzteren beiden an transgressus est anknüpfen mögen.'*
Transitiv, aber ohne Objekt gebraucht: vergene serä qumido ella
serä coiiceputa Sydr. Otr. 54 07, wo Analogie an das 'ji erwähnte /»ß/-/«
'die geboren hat' vorliegen mag. les tuens jugcmctiz ne sui ohliez
Oxf. Ps. 118 30 ist aber wohl sklavische Übersetzung von judicia
tiia non sum oblitus.
93. Was die Aktionsart betrifft, läfst sich zwar auch nicht ein
durchgreifender Unterschied nachweisen, aber es zeigt sich doch
eine ziemlich ausgesprochene Gruppierung. In l, 2 ist sie gröfsten-
teils perfektiv. Durative Bedeutung kommt nun allerdings auch
vor, so im frz. bei lerme, demore, sejorjü, repose, vescu. Vgl. folgende
aus Hofmann entnommene Beispiele: Sont al duc lerme li dui oil
Ben.; De Lenz issirent qiie Ji'i sont demore R. Cambr.; Gauvains tuest
giiaires el champ reposez Gl. 4918; 7)ous qui estes toiis jors vesciis
^ Gelegentliche Ausnahmen erklären sich aus dem adjektivischen
Charakter der Konstruktion, von dem eben immer auszugehen ist, so est nez,
ferner est mortuus das vielfach heifst 'er ist getötet' und in dieser passiven
Bedeutung sogar nach 3 präsentisch werden kann, vgl. das sehr bezeichnende
zweite spanische Beispiel in go III, ferner it. ove son omini devorati e denu-
dati e morti come in deserto Guitt. d'Ar., Mon. Chr. 17533 und z/2, dann est
cretus in Fällen wie Beeyta a ta leite onde foi governada a cartte de teu
Fillo e cregud' e uviado CSM S. 583; suo gentile vescovato hen e cresciuio
e meliorato Cantil., Mon. Chr. 9 g.
"^ Ausnahmsweise auch medial. Sehr deutlich z. B. in En aqest saher
de trobar sott enganat li trobador Raim. Vid. (Stengel) 68 36 =: e7Jganan lor
mezeis ebenda 68 45 (zu III gehörig).
3 Hofmann, avoir und estre S. 6 f., bringt zwei hiehergehörge Beispiele
aus dem Cambridger Psalter, die aber als sklavische Übersetzungen aus dem
Lateinischen nichts beweisen.
* Beispiele bei Hofmann, S. 17, 20, 31 [Cele ntiit i est sejorncs), 33, 40.
151
Por povres darms soiisfenir Ch. 11 esp. i Ferner werden auch andere
sonst perfektive Verba gelegentlich durativ gebraucht, z. B. ale:
Pur lautes terres est alez cunqiierant Rol. 553; coU: Viaue li est a
la cur nue tres parmi le hauberc colee Ferg. 25 27 etc. Noch weiter
geht das Italienische, das z. B. kennt: sono stato eigentlich 'ich
bin gestanden', 'ich habe mich aufgehalten' (vgl. dove era stato
longamentf CNA 50), dann das Perf. von esse ersetzend: s07io stati
inolti che sono vivuti grande lunghezza di tempo CNA l ; iibidente sono
stato tutavia Guid. Col.; le cose chi so et cht seramio et chi so State
Sydr. Otr. 65 26- Dafür aber auch die Neubildung sono suto: la
biada di Val di P. d^tignano die suto in soma .iiii. mogia Siena 1238,
Mon. Chr. I 21 ^-^^\ vgl. auch CNA 69. l paruto 'es hat geschienen'
(s. z. B. CNA 3); S0710 vivtito (vgl. das eben zitierte Beispiel aus
CNA I, ferner D. Purg. 21 100); ^otio durato (vgl. CNA 52, Dante
Inf. I 20); sono piaciuto: non i maraviglia che B. vi i piaciiiio vivo
s'elli vi place di morto CNA 62, un fante che mi si plaguto nol te
podria dire Bologna, Mon. Chr. II S. 291 a, 4 ; h valicto: e denari ci
sono valuti . . . cinque denari e sei libra Siena 1260, Mon. Chr. 59 49-
— Da einige schon lateinische Fälle hieher gehören wie demoratus
sunt, lacrimatus sum, so haben wir keinen Grund anzunehmen, dafs
die durativen Fälle durchwegs sekundärer Natur seien; aber jeden-
falls ist die Hauptmasse der Verba perfektiv und das erklärt sich,
wenn wir bedenken, dafs der Fall b {y^) der ausgiebigste war und
hier nur perfektive Verba in Betracht kommen. 2
In 3 dagegen haben wir es entweder mit durativen, resp. 94.
iterativen Verben zu tun (I, II) , oder wenn es perfektive sind , so
erstreckt sich doch die Aussage über einen langen Zeitraum. Ist
nun aber nicht doch auch ein punktuelles Präsens von perfektiven
Verben gewagt worden? Es ist klar, dafs eine derartige Ausdrucks-
weise, sagen wir ein vencuz est = er wird besiegt, eine unangenehme
Zweideutigkeit birgt, da ja zunächst der Sinn ist: 'er ist besiegt'
{gg). Solange es sich um ein generelles Präsens handelt, ist diese
Zweideutigkeit nicht besonders störend, da wenig dran liegt, ob
man bei einer Aussage, die für viele zeitlich aufeinanderfolgende
Fälle gilt, die Handlung selbst oder der daraus entspringende
Zustand ins Auge gefafst wird. Anders bei einem punktuellen
Präsens, wo gesagt werden soll, dafs sich die Handlung in dem
Augenblick vollzieht, wo von ihr gesprochen wird. Und doch
findet sich die Konstruktion im Neufrz., allerdings nur unter
Umständen, die jenen zunächst erwarteten Sinn deutlich aus-
1 Dagegen ist remes, areste in der Regel perfektiv, wie das deutsche
'bleiben'. Vgl. Paul, die Umschreibung des Perfekts . . . Abh. bayr. Ak.
ph.-h. Kl. XXII S. 169.
2 Da die Komposita von durativen Verben häufig perfektiv sind, so
finden wir, dafs jene öfters das Perfekt mit estre bilden, wo diese durchaus
oder vorzugsweise avoir anwenden: agesir ^ asseoir, arester , reinanoir,
endormir, esveilUer, aplovoir, meserrer, revivre.
152
scliliefsen. 1 Und dieser Gebrauch ist, wie ich glaube, bereits alt-
roinanisch, wenn ich ihn auch nicht so sicher nachweisen kann,
wie ich gern möchte. Der Grund ist leicht ersichtlich. Das streng
punktuelle Präsens ist schon in der Sprache des gewöhnlichen
Lebens so selten, dafs z. B. die slavischen Sprachen keine eigene
Form dafür entwickelt haben, sondern bei perfektiven Verben nur
Futur und Präteritum kennen. In der Literatur, die sich ja zu-
meist im schildernden oder erzählenden Stil bewegt, ist erst recht
keine Gelegenheit dafür vorhanden, und es ist nur einem glück-
lichen Zusammentreffen von Umständen zu verdanken, wenn uns
einmal eine Form wie aperiliir ostwm Plautus Capt, io8 die Exi-
stenz dieser Nuance verrät. So bin ich auf die folgenden paar
nicht ganz sicheren Beispiele angewiesen: ^^Hoste,'-'- ceo dit, ^^hen vengez,
Bon ostel ici tengez! Estes ci'-'- , ceo dit en giu, ^^Herbergcz en riche
liu'"'' 'ihr werdet hier aufgenommen' Sim. Fr. S. Geo. 746 — 9; Aloit
sin dolans eii mo7i corage K'en mo7i vivant est departie Nostre tres
dotcche compagnie 'getrennt wird' Gui de C., Bai. Jos. 12 791; con
chis vins nous pourfite! Or primes somrnes assenes 'jetzt erst werden
wir ins richtige Fahrwasser gebracht' Jean Bod., Jeu Nie. 105 1; —
Aines, ieu vos ai demandada, st vos est (eSTIS) ancars consellada qiie . . .
SA 40 f.; — lo dolor saccejine che piü e viuWplicato Jac. Todi,
Mon. Chr. II 480 35. Sind diese Beispiele auch nicht über allen
Zweifel erhaben, so wird doch durch indirekte Erwägungen die
Existenz des punktuellen Passivpräsens bestätigt werden s. 102,
loj. Zu seiner Erklärung aber s. ///.
95. Immerhin müssen wir diese punktuelle Verwendung vom
historischen Standpunkt als etwas Sekundäres, oder sagen wir als
den Schlufspunkt der ganzen Entwicklung ansehen. Im Lateinischen
wäre ein est victus in der Bedeutung 'er wird [jetzt] besiegt' un-
möglich; dagegen wäre denkbar, dafs man zu einem fit victus ge-
langt. Tatsächlich findet sich missutn fieri 'entlassen werden' schon
bei Cicero (z. B. Phil. V 53). Später findet sich auch andres.
Belege im punktuellen Präsens selbst sind freilich wegen der eben
geschilderten Schwierigkeiten nicht aufzutreiben; man könnte höchstens
Mala III 216: ora Cantahricis fit adversa terris anführen, wo wenigstens
für den die Beschreibung mit dem Finger auf der Karte ver-
folgenden Leser ein punktuelles Präsens vorliegt. Sonst finden wir
1 Vgl. Yvon, Y a-t-il un present passif en fran9ais? in Melanges phil.
off. ä Brunot. Von den hier S. 353 gegebenen Beispielen gehört allerdings
das erste zu III, ebenso vielleicht das dritte. Nur das 2.; an moinent oh le
duc de Guise franchü le seuil, il est frappe beweist uns die Möglichkeit
eines punktuellen Präsens, wenn es selbst auch historisches Präsens ist. Die
auf S. 354 nach Darmesteter zitierten Beispiele gehören zu III, das S. 356
angeführte ce rocher est battu par les flots kann je nach der Auffassung des
Sprechenden zu I oder II gehören. Ganz einwaudsfrei sind aber Bühnen-
anweisungen wie: Une chaise est passee, de 7iiain en main, aii-dessiis des tetes
Rost., Cyr. de Berg. I 3, tous les yeux revent — et des larmes sont furtive-
ment esst/yees avec un revers de manche, un coin de manteau ebda. IV 3,
oder Inhaltsangaben.
153
aber nur Beispiele, wo das Präsens sich bereits generalisiert hat:
ex quo et iempora cavata fiiini et oculi depressi Mulora. 46 jg; pascha
fit domini et regeneratiis m fiovo iestamento Priscill. VI g8. In zu-
sammengesetzter Zeit: Sl enim complantaii facti sumiis similiiiidini
mortis ejus, simul et resurrectionis erimus Vulg. Rom. 6, 5- Im Kon-
junktiv: Fiat habitatio eorum deserta Vulg. Ps. 18.2g.
Eine Spur zu innigerer Verschmelzung nehmen wir indes im
Lateinischen nirgends wahr; das Partizip in der letzten Stelle steht
zum Beispiel auf gleicher Stufe mit Adjektiven, Substantiven oder
anderen adjektivischen Ausdrücken in Flüchen wie: Fiant dies ejus
pauci; fiant filii ejus orphaiii, fiant nati ejus in interitum^ fiat iticnsa
eorum coram ipsis in laqueum (Vulg. Ps. 108, §,9, 13; 6823).
Einen Schritt weiter können wir vielleicht im Mittellatein 96.
konstatieren, wo wir die Konstruktion besonders in Italien finden,
wie bereits Diez IIP 202 konstatiert hat. Z. B. ut fiat discriminatum
päpstl. Bulle 786 (Tard. Mon. 84). Doch kommt sie auch in Frank-
reich vor: duas precepciones uno tenure conscripttas exinde fieri jussi-
rnus 695 Td. 34, ähnl. 689 Td. 25 bis.
Die direkte Fortsetzung der lateinischen Verhältnisse zeigt 97.
sich im Norditalicnischen, vgl. Rom. Gr. III §307, und es ist
interessant zu sehen, wie sich an Hand der Texte die historische
Entwicklung in einer Weise konstruieren läfst, die uns die genaue
Umkehrung zu dem bei Part. + ^wn beobachteten Gang darbietet.
Wir finden es also zunächst als punktuelles Präsens:
Mo fizo svcdoada dal me fio pretioxo Bonv. 3 scr. 1247; Or fizo
abandonada da tuto lo me conforto ebenda 1216; ähnlich 1235, wo
sich die Bedeutung gegen die ^Jjc'-Konstruklion mit voller Schärfe
abhebt: Doiente mi, tristissima, como sonto desconsorada, dal ine fiollo
didcissimo ch' e^ fizo abandonada. Häufig auch auf ein andres
Tempus bezogen: Or Margarita cognosco ben che ela ft mena al re
Marg. 894.
Punktuelles Präsens historisch aufgefafst: Con grand devoiion
la planfa fi cavadha, Cercan la soa radix Bonv. Laud. 5 13 f.
Generelles Präsens: Si tosto como l' 07n e morto, Viagamente el
fi sepolto E fieramentre fi plurad Ug. L. 813 ff.; segondo ke fi lezudho
Bonv. Job 223; de ii fi fagio corone (beachte die Inkongruenz)
Bonv. DVR 150. Hier tritt natürlich schon Konkurrenz mit der
oben po 111 berührten Konstruktion mit esse ein: vgl. senza nexun
perigoro eo fizo ben acollegia, ganz parallel mit Tu nasci et h bregadha
pur entre spin ponzente Bonv. DVR 53 und 49. Doch auch hier
benutzen die Schriftsteller die ursprüngliche Verschiedenheit der
Auffassung zu feiner Nuancierung: Tute le ca per done fi monde e
netc fate, S'ele sta pur U7i ano senfa ler ('ohne sie') e desfata Gir.
Pat. 295 f.; In quanto Voro fi plil cogio entra fornax , in tanto i lo
plu piirgao e lux (lucet) phi claramente Bonv. Job 2']'] i., ähnl. 281 f.
Iterativ: Or vie di 7jer . . . Si com tu fi clamata e dita Marg. 281 ;
que pö fare quellt ki fino si scavezadi, Baiudi da li demoni e morsi
»54
e sinuinadi Bonv. 3 scr. 565 f. Auch hier natürlich Konkurrenz mit
esse'. Pctki io stele al mondo ligato in li pcccati Perzd me fi in questo
logo Ic mt'vihre incadenatil Per mi viedesmo li ho facti li dardi atosse-
gati Donde e // membri proprii feriii e impiagati Bonv. 3 scr.
637—40.
Dann also selbst bei durativen Verben: in fi a ogio tenudha
Bonv. DMF 67 ; conseiar anci'l faio per grand sen fi tigniido Gir.
Pat. 505; perzb yo fizo punito in logo infernale Bonv. 3 scr. '^2}y.
qiu non fi lassaio reposso ebenda 632.
Analog in den andern Formen: Inf.: che pd fi creduto de quello
ke . . . Bonv. 3 scr. 391. Impf.: /' imagine . . . fiva servadha e hahiiidha
in grand hoiior Bonv. AI. 67; Fut.: Poxe la mortale angnstia sempre
firano torinentaii Da tuti li hcn del viondo loro firano abandonati
Bonv. 3 scr. 190 f.; en firai (a ahiii viafajnetttre . . . alegre ('jamque
beatus habebor') Panf., Mon. Chr. 54. Sogar in zusammengesetzter
Zeit und zwar noch ganz mit der lat, Suppletivform: San fob in
poco de tempo e fagio tuio inrichio Bonv. Job 253.
Damit sind auch die Grenzen der Konstruktion erreicht ; in
die Gebrauchssphäre von y^ i und 2 scheint fieri nicht über-
gegriffen zu haben. 1 Da sich nun rnorto mit fi findet, so ist auch
dadurch sicher, dafs m. 'getötet' heifst: ki fi rnorto hcn fazando, la
soa anima <? headha Bonv. DMF 87.
Im Zentralitalienischen hat pieri nur schwache Spuren in dem
futurisch gebrauchten fia etc. hinterlassen, das auf das lat. Futur
zurückzugehen scheint, mit Partiz. z. B. : Se questo reo huomo . . .
fion fie punito per voi . . . andrä per la cittä . . . uccidendo Ret. Guid.
Bol., Mon. Chr. 57 i20j ^'^ casone soa, la quäle, se Justa sera staha,
fia aibua excusevole Bologna, Mon. Chr. 123 3-. Hie und da scheint
es sich in der eine Vermutung ausdrückenden Verwendung zu finden,
die wir sonst beim Futur kennen, wie /o' mperio fia ora piü volle
muiato CNA 21.
98. Im Sardischen haben Sie in der Bedeutung des fieri das
Perfekt feki und Plusqpf. fekerat nachgewiesen, (Zur Kenntnis des
Altlogudor. § 64), das sich wohl nach 66 ^ erklärt.
Sonst aber tritt im Italienischen venire, s. 66^, an die Stelle
von fieri, das übrigens auch im Altnorditalienischen damit kon-
kurriert: donde el vene äff dato Bonv. 3 scr. 74; ke den prega umel-
mettte lo so preg vien auduo Gir. Pat. 153; varda fo que te ven dato
Dist. Cat., Mon. Chr. 51 9, wo der mittelital. Text l hat. Im heutigen
Schriftitalienischen hat es genau den Umfang angenommen, den
fieri im Altnorditalienischen hatte, macht also im selben Umfang
esse Konkurrenz, betont aber stärker als esse den Moment der
Handlung selbst. Es wird also dort vorzugsweise verwendet, wo
1 In Ne may serä conselio ke eilt possano fi scampati Bonv. 3 scr. 192
ist scampare transitiv 'retten' wie da li moiidani pericolt el fne ha scampato
e guare7itito ebenda 16S2. Sehr eigentümlich wäre La faza strabcllissima . . .
Se pva sozada dra spuda ebenda 1031. Doch ist wahrscheinlich mit dem
2. Ms. Ge fiva zu lesen. In 1420 aber ist si sicher Adverbium,
155
esse zunächst auf den aus der Handlung entsprungenen Zustand
gedeutet würde : 7/ cappone viene ingrassato nella capponaja. Es ist
aber unmöglich, wo das Verb mehr mediale Bedeutung hat; man
könnte also in dem von Yvon angeführten Satz : Chaque fois qiie
je vai's ä Paris, Je suis frappi de V äniination qui y rigne das je suis
frappi vielleicht durch vengo colpito, aber niemals durch vengo mara'
vigliato, sondern nur durch sono maravigliato wiedergeben.^
Im Spanischen sind nur mehr Spuren einer analogen Ent-
wicklung vorhanden, ftii fecho findet sich gelegentlich einem siim
/actus entsprechend (/05): fue end a pocos dias fecha etnparc lada
Berceo, SDom. 325. Weiter verbreitet scheint in bestimmten Redens-
arten reflexives /ßf^ri? zu sein (vgl. das mir. fekit im Sardischen):
\.2LL/eu se de mi anamorat 7W 760; aportg. fago-me maravilhada como . . .
RD 198g, ähnl. Est. Tr. 26; so auch it.: nullo si faccia tniralo Re.
Giov., Mon. Chr. 34 ßo» ferner fiizisi cuasi morto (siz.) Mon. Chr. 133.
Für venir läfst sich anführen de la vida del sieglo vengo bien espedida
Berc, S.Dom. 321 ; todos venian cohyertos los oteros e los llanos FG 251.
Da aber im Spanischen auch andere Verba der Bewegung und
der Ruhe ebenso verwendet werden, so ist fraglich, ob wir auch
hier an das lateinische anknüpfen dürfen, vgl. Rom. Gr. III, § 308
—310.
Sehen wir uns nun jenen Fall an, der aller Wahrschein- gg.
lichkeit nach als erster im Lateinischen zur Ausbildung gelangte
und sich dort üppig analogisch weiter entwickelt hat, denjenigen,
wo die -/ö-Form der perfektiv-transitiven Verba mit den Präsens-
formen von sum zusammengestellt ist. Die ursprüngliche Bedeutung
eines gegenwärtigen Zust.inds, der aus der Handlung entspringt,
hat sich ungeschwächt in alle altromanischen und — mit Aus-
nahme der zwei westlichsten 2 — neuromanischen Sprachen gerettet
und überall finden wir Formeln wie la la^npe est alhinue, Vordre est
retabli, la parte est fermie. Weitere Beispiele sind überflüssig.
Auch finden sich in früherer Zeit noch viele Beispiele, wo
man zweifeln kann, ob das Augenmerk des Sprechers nicht gleich-
zeitig auf d'"e zugrunde liegende Handlung gerichtet ist, auf die
die beigefügten Umstände zu weisen scheinen: la graut perte QiCui
cesi jor nos est aovcrte Clig. 5830; Or nie ditcs par qtiel raisou Ceste
costuTiie est establie Que . . . Raoul H., Veng. Ragu. 1220 — 2. A madre
de Dens chega sen tardada U c con fi chamada (bei generellem
Präsens !) CSM LXXXIX.
1 In Rin. d'Aqu., Mon. Chr. 41, V5 che dipoH dire non vengna pentuto
ist p. natürlich bereits Adjektiv s. 72. — Neben venire auch gelegentlich
diventre, diventare.
* Im Spanischen ist die Formel in neuerer Zeit gerade in dieser Be-
deutung yon estar + Partiz. verdrängt worden, vgl. G. Cirot 'scr' et 'estar',
Mölanges Brunot 57 fF. Wie weit das Portugiesische mit dem Spanischen über-
einstimmt, bedarf noch näherer Untersuchung.
156
100. Da Handlung und Zustand unlöslich miteinander verknüpft
sind, ist es eben im einzelnen Falle schwer zu unterscheiden, was
gemeint ist. Immerhin scheinen in der altern Zeit noch Fälle vor-
zukommen, wo der Sprechende nur die Handlung im Auge hat,
also wirkliches Perfekt vorliegt. Wenigstens weisen darauf die
Parallelität mit andern Ausdrücken oder sonstige Umstände in
Beispielen wie
Par sa mort dcvenqui Sathan nosire enemi ; Par la mort Damnedi
Niis est repos dune Ph. Th. Best. 344; c'est a hon droit quil est
ocis G. de Coinci in BLLfr. 36800) ^^ ^^ faito conto ke tu se' molto
sapnto CNA 3; che l cavallo e nutricato a latte d'' asino ebenda;
eW i traduto, Jiida si /' a venduto Jac. Todi, Mon. Chr. 11, S. 4797;
non so se v'e cotitato Keo lo faccia per arte Giac. Not., Mon. Chr. 25,
II, 33; El ne regratia deo de zb Ki indevenudho De zb Uel h scampao
e non l cognoscudho Bonv. AI. 112; ;« co vos naro sun parthitos 'wie
ich euch sage, sind sie verteilt worden' CP342; siat condempnatu
pro ssa injuria facta ad ccusse qui est missu in presiofie in lihras .iii.
StS II, 25; perdat su prethti qiii li est promissii dave sii sengnore de
ssa vigna StS III, 26; Vinfanl es nicnjat 7 W663; trohats son los
draps sangonets 7 W 677; (u en iä pouco tepo soo vengiido do amor
e tä feramente desmayado Est. Tr. 22.
loi. Besonders deutlich ist die Perfekt -Bedeutung bei durativen
Verben; so ünden wir im Prov. noch 1474 in den Sitzungsberichten
von Castellane mehrere mal Anno quo supra et lo XXIX de aost
(oder ähnl.) es tengut cottsel (Docum. lingu. S. 304 f.) neben gewöhn-
lichem es istat consel\ ital. üglio, perche fascundi dal pecto, 6 se' lactato
Jac. Todi, Mon. Chr. II, S. 47974. Und ebenso im Plusquamperfekt:
contaro allo 'niperadore si cotne Consiglio n\ra tenuto CNA 22.^
102. Später freilich, als ein zusammengesetztes Perfekt von esse
schon vorhanden war (/^7), gab es auch die Möglichkeit, diese
Perfekt-Handlung präzis und unzweideutig auszudrücken : Por che
qtiil est ocis a tort Vos a este ci ejivoies Raoul H., VRagu. 183;
Dite mi come lo giovane e stato nodrito CNA 5 (vgl. in 100 das
Beispiel mit nutricato). Diese Formen erklären sich offenbar als
konsequente Neubildungen zu punktuell-präsentischem est envoics,
i nodrito (s. p^) und beweisen so indirekt deren Existenz.2
• In epischer Darstellung beweisen Beispiele wie: Domentre ke stete po
vivo, el e molt hen guidJmo Bonv. Laud. 479 f. nichts, da es sich um historisches
Präsens [go Fall I) handeln kann.
2 Dafs wir die Konstruktion auch im Sardischen finden : issa condicionj
desaos hotnj'nis qui est istadu dae tandu innoguj mtdtum permutada C. d'A. i t".
würde uns in Anbetracht des späten Datums dieses Denkmals nicht wundern.
Dennoch scheint es mir, dafs die Wendung hier aus dem Italienischen entlehnt
ist ; denn das eine Zeile früher zu lesende: inutacionj dessos tetnpos qui sunt
istados seguidos posclia sieht aus wie eine Überentäufserung, und das weist
darauf hin, dafs die eigentliche Funktion der Formel nicht verstanden wurde.
Ein zweites Beispiel in der C. d'A. ist CXLI : cando indi siat istadu coman-
dadtc per isa corti. In den Denkmälern des 15. Jh. dann häufig: in StC und
im späteren Teil der StS (II, 39 ff.), während die älteren Teile von StS kein
157
Die oben gegebenen Beispiele für perfektische Auffassung der 103.
Konstruktion -/ö-Part. -f" ^^^^^ waren immerhin bei perfektiven Verben
solche für präsentisches Perfekt. Es wird eine Handlung bezeichnet,
deren Folge sich in die Gegenwart erstreckt, wenn auch auf die
Mitbezeichnung des daraus entstandenen Zustands kein Gewicht
gelegt werden soll. Finden wir nun aber auch die Konstruktion
direkt wie im Lateinischen als historisches, aoristisches Perfekt?
Dafür scheinen zunächst Beispiele zu sprechen wie Baptiziet sunt
asez plus de Cent viilie Rol. 367 1. Dies scheint zunächst die ganz
richtige Entsprechung von haptizati sunt 'sie wurden getauft' zu
sein. Sieht man sich die Stelle aber näher an, so findet man,
dafs der Autor sich ledigHch ganz in die von ihm berichtete
Situation hineinversetzt (z7 Ic fait pendre 3670; En France dulce
iert menie 3673). Es liegt also historisches Präsens vor und dies
ist ein weiteres Anzeichen für die Existenz des punktuellen Passiv-
Präsens im Romanischen. Ähnlich Des dous harons justce est la
bataille Rol. 3874, a icest colp est li esturs vencuz 3930. Ebenso im
Italienischen : Quando fo crescudho Alexio, una sposa gK e dada Bonv.
AI. 37; In tuto quel dl dre noze multi homini eri confortai ebenda 43
(vgl. das Präsens 46 ff.); ssono messi presso al porto etc. s. S. 145 Anm. 2
aus dem Rom. Trist. Span.: Las yentes de fuera todas son deramadas
PC 463. Ebenso historisches Präsens, aber mit genereller Färbung:
Cid il consuit, iuz est vencicz Gorm. 616.
In der ruhigen prosaischen Darstellung findet sich diese Formel
nicht, sondern nur diejenige, die seit jeher im Lateinischen damit
konkurrierte und sie verdrängt hat: furent baptizie, fut vencuz etc.
Aber dieses Vorkommen im epischen Stil gibt uns auch den 104.
Schlüssel zum Verständnis der rückschreitenden Entwicklung. So-
lange die Deponentia noch vorhanden waren, hatten die historischen
Perfekte est victus etc. einen Anhaltspunkt in est conatus, mort(u)us
usw. Dann aber verschwanden hier die passiven Formen und est
conatus, mort(u)us wurde im historisch-aoristischen Sinn von den
billig zu habenden Neubildungen *conavit, *mormt verdrängt, die
mit den bei den aktiven Verben vorkommenden Formen in Über-
einstimmung waren. Ein jetzt noch übrig gebliebenes est victus
hätte aber inmitten der andern Formen den Eindruck einer aus
dem Rahmen der sonstigen Erzählung herausfallenden, vergegen-
wärtigenden Darstellung gemacht, die sich zur andern längst vor-
handenen Formel fuit victus verhielt wie ein in gleicher Weise an-
wendbares est fortis oder vincit zu dem eigentlich historischen fuit
fortis oder vicit. Es gab also einmal den Zeitpunkt, wo dem
Hörenden das Verständnis für etwas ausging, das der Sprechende
einziges Beispiel aufweisen, sondern sich mit est + Ptz. begnüj^en [lOÖ), obwohl
sie das einfache est (statu 'ist gewesen' schon kennen. — Wir hätten also
hier mit der Möglichkeit zu rechnen, dafs die Anfangselemente einer syn-
taktischen Erscheinung sich durch Becinflufsung oder Entlehnung eingefunden
haben, ein Vorgang, der auch gewifs sonst oft vorkommt, für den sich aber
in unserer Arbeit kein sicheres Beispiel findet.
158
noch besafs [während sonst meist umgekehrt dem Hörenden ein
neues Verständnis auftaucht, das der Sprechende noch nicht hat];
freiHch schwerHch zum Schaden, sondern eher zum Nutzen der
Sprache, die dadurch gröfsere Klarheit und logisch-konsequente
Durchbildung erlangt.
105. So sind denn die analogischen Weiterentwicklungen, die wir
im Lateinischen für die Formel -/o-Partiz. -\- siini konstatiert haben,
stark zurückgedrängt worden. Die perfektische Bedt;utung bei per-
fektiven Verben macht zwar erst im IMittelalter einer Neubildung
Platz. Die aoristische Bedeutung bei perfektiven Verben fehlt
schon von Anbeginn, und die perfektischc Bedeutung bei durativen
Verben ist selten geworden. Die Konstruktion aber, von der sie
ersetzt werden, ist diejenige, die wir schon im Altlateinischen ge-
funden haben (s. jß f.) und die sich in der Zeit, die zwischen
der klassischen Latinität und dem ersten literarischen Auftreten
der romanischen Sprachen liegt, unzähligemal belegen läfst:!
Z. B. bei perfektiven Verben : Marsiis paene fui /actus herhas
incaniando malignas Comm. Apol. 8; illa casa stia per nocte fuit
efracta ei oriines presiditos suos, auricm, argentum . . . per ipso fiirfe
exinde fuit deportata Form. And. 1525—30'» fuirunt judecati 677/8
(Td. Mon. 21); propter hoc missus fuit 755 (Td. Mon. 56); Karolo . . .
a quo capta fuit Italia 798 (Td. Mon. q8, päpstliche Bulle); fuit
cauronatus ad imperator esse 1053 (Mon. Nov. 1 S. 414); civitatc Papia
ab ingne co7ibusta fuit 1055 (ebda 416).
Bei durativen Verben: visi fueinus concessisse 677 (Td. Mon. 20);
fuit possessa 688/9 (ebenda 25) etc.2
106. Das Altlateinische hatte naturgemäfs keinen Unterschied zwischen
Passivum und Deponens gemacht und auch die spätere Zeit greift
für das letztere nicht stets sofort zu den in 6g, 104 erwähnten
Analogiebildungen. Wir finden vielmehr: quoniam mala passi fuere
Comm. Instr. II, 3, 8; locutus fuit Form, And. 85; in loco illo per
7iocte fuit a pessimis naufragium passus Form. And. 1414; taliter fuit
professa 692 (Td. Mon. 32); ibidem demorati fuimus 787 (Td. Mon. 86).
Es fragt sich nun, ob sich auch in den romanischen Sprachen
entsprechende Fälle mit aktiver Bedeutung erhalten haben, die
also den z. T. aus Deponentien entstandenen Gebrauchsarten von
^^, I und 2 entsprechen würden. Es ist das um so eher zu er-
warten, als sich ja ein andrer guter Teil dieser Gebrauchsarten (i b)
auf das lateinische Passivum selbst zurückführen läfst. Und in der
Tat finden wir in den altromanischen Sprachen fui + Pt. Pf. in
der Bedeutung eines historischen Perfekts zu aktiven Präsensforraen
gehörig.
1 Vgl. u. a. Haag, RF. X, 920.
^ Auch die Formel Juerdt victus etc. hat sich in der alten Verwendung
zum mindesten auf der iberisclicn Halbinsel erhalten : non lle foi escaecudo
cfir ü seu fillo leixara morto que fora traitdo (verraten worden war) CSM.
CLXXV.
159
Im Frz.-Prov. haben wir besonders fuit ?iaiiis und mortmis so 107.
erhalten: // se fu morz Leod. 51, 115; Reys Alexandre quant fud
naz, per granz ensigiies fud mosiraz Alex. Fr. 46 f. ; si mare fumes
nez Rol. 2146; bor fu nez qui hoen puet estre Sim. Fr., SGe. 5^35
Von li geia un viortier sus la teste et fu mors Joinv. 70 § 127;
aufserdem li assauz fu remes Men. R. 333.
Ital.: Quand zö intese san fob, el fo im pe levao Bonv. Job 137;
lo fui nato e cresciuto Sovra il bei fiume d^Arno alla gran villa
Dante Inf. 2394 f.; Lu Emperadore odetido queste parole dicendo mullu
se fo alegrato IV P 77, 606; et poy se nne foro exciniilY P 99, 1071.
Kat.: Ueviperador vengut fo E dix ... 7W 414; ahdos caen
verament; ceyll de Vinfajit se fo lavats e es en lo cavall piiyats e va
ss'en . . . 7W 3207 — 10.
Span.: Eh ora buena fuestes nagido PC 72; Si d'el non he derecho,
en mal hora fuy nasgido FG 194; sobrre ellos todos fuer07i movydos
FG 117 (nicht verschieden von Pora venir movio se 191); Qtuvido
fueron las armas desfechas e quemadas, Fueron aquestas nuevas a
Marruecos passadas FG 7 1 ; A la cibdat de Burgos fueron todos
lieg ad OS FG 279.
Altptg.: fez chamar a pregon e gentes forofi lyudas GSM XXXI;
pois m est' aparegudo foi, quero-me batigar XXVIII; 07ide foi pois tnui
repentuda LXII ; pois se conpriron estes quinze dias, 0 fol foi passado
LXV; poren non foi peregudo CVII. Hieher gehören ferner viele
der in yg erwähnten Beispiele. Im Portugiesischen finden wir auch
die von fui abgeleiteten Zeiten entsprechend verwendet: estos maos
judeus . . . meagan de queitndren a cartH e estes mens ossos, pois for
[fuero] passada CSM S. 579 b.
Die punktuelle Bedeutung ist gewifs auch vielfach in den modal 108.
affizierten Formen: Infinitiv, Konjunktiv, Imperativ, ferner im Futur
und Kondizionell vorhanden; nur ist es schwer, dafür entscheidende
Beispiele anzugeben, aus Gründen, wie sie schon in ^2 gezeigt
wurden. Das Erreichen eines Zustandes und den erreichten Zustand,
das Sein und das Werden hier scharf zu trennen, liegt nur selten
eine Nötigung vor,' eine Form mag für beide Funktionen aus-
reichen, wie ja im Rumänischen hier überall das Werden für das
Sein eingetreten ist. Man vergleiche folgende, absichtlich so ver-
schiedenartig als möglich gewählten Beispiele:
Ki la porte, ja n'ert malntis Par nul de luz ses enemis Lap. 83;
Qtii fai lo bieji, laudaz enn er Leod. 38; qui nie veritc, asnes seit
apelc Best. 1128; ne seies escharni Best. 1855; — ja no es ops focx
i ssia alumnatz Boeci 164.
Sarä sceverato il viarito da la molglie e l padre dal filgliuolo . . .
la vostra cittä sarä arsa Gu. d'Ar.; de le corne Väi sl ben fornito
1 Unter bestimmten Umständen natürlich ist es der Fall. Sehr instruktiv:
Feeho debe ser el fuero bien et complidamente, guarJando en todas cosas
razon et derecho, aber debese facer con consejo de homes bueiios et sesudos
VII part. I, 2 Ley IX.
i6o
CJiuyia gallea ne sereV armata Rim. Bol.; mai non voglio essere piü
consolaio CNA 5g; a fo che la tiia malicia sia conoscoda Gu. Fava
(Wiese El. 26, 2, 14)-
si alicuna persone . . . consentirei qui ess€7-emtis offetisidos C. d'A. I.
d^aqui sea inandada PC 150; El sabor que dend'' e, non sera
olbidado PC 1063; Non deve otrra cosa y ser olvidada FG 215 a.
Dens vol sia dexelat E que sia casligat 7 W 2819 f.
faz ve}i(udos seer CSM CLXXXV; quis que de mal fosse lihrado
CCXLV; lle rogue que da ssa grafa . . . non seiamos deitados XXX;
gannar per que ssa eigreia feita podcss^ agynna seer XXXV.
Überall ist hier gleichgültig, ob ich etymologisch verstehe:
'er wird mifshandelt sein', 'er sei Esel genannt', etc., oder aber 'er
wird mifshandelt werden', 'er werde Esel genannt' etc. Ein prov.
jio sia turhat vostre cors B. prov. Chr. 1 1 7 wäre ebenso unklar, wenn
wir nicht wüfsten, dafs es die Übersetzung von Non turhetiir cor
veslrum darstellt. Bei der altsardischen Strafbestimmung li siat
secaia sa oricla dextra StS lU, 2 i wird erst dadurch, dafs sich eben-
dort daneben findet sechet se li sa oricla, wahrscheinlich, dafs der
Gesetzgeber an die Ausführung der Strafe, nicht an den Zustand
des Diebes danach gedacht hat.
109- In diesen Fällen, wo es an und für sich gleichgültig ist, welche
Fassung dem Gedanken gegeben wurde, mochte nun der Sprechende
es lieben, diejenige zu wählen, in der der erreichte Zustand aus-
gedrückt wurde. Durch generelle Funktionsverschiebung aber konnte
die so ausgebildete Konstruktion auf die Handlung selbst bezogen
werden, und nun wurde sie auch dort gewählt, wo nur punktuelle
Auffassung möglich war. Damit aber war der Untergang der
synthetischen Formen laudetur, laudare (Imper.), laudari etc. er-
möglicht.
Eine derartige punktuelle Auffassung tritt nun tatsächlich oft
mehr oder minder deutlich hervor, z. B. in Pass. 360: gardes i tnet,
non sia emblaz können die Wachen nur verhindern, dafs man den
Leichnam stehle, nicht dafs er gestohlen sei. Gorm. 47g Sur etis
n'ert terre conqiiesiee'. Das Nichterobertwerden, nicht das Nicht-
erobertsein ist ein Zeichen der Tapferkeit der Franzosen. In //
roiaumes en porroit bien estre perduz et cheoir es mains des Sarracins
Men. R. 30 zeigt die Zusammenstellung die Auffassung des
Sprechenden an. Vgl. noch la traisuji ne poet estre celee Rol. 1458;
Aqiii seredes escarriidas PC 2715; guardatvos de seer conquerido del
estranno Conde Luc. IX; Serd-vos de Jesu-Cristo A sa alma de-
mandada CSM LXXV; porqui sa alma agora sera do demo levada
ebenda etc.
110. Durch dieselbe Funktionsverschiebung, durch die bei transitiven
Verben die Zustandsbezeichnung zu einem punktuellen Passiv wurde,
hätte bei intransitiven Verben ein punktuelles Aktiv entstehen können.
Tatsächlich finden wir ja nun in den genannten modal affizierten
Formen einen Anfang in der Richtung, eine gewisse Vorliebe, den
erreichten Zustand auszudrücken, wo der Sprechende sich mit dem
i6i
Ausdruck der Handlung hätte begnügen können und sich in andren
Sprachen begnügen würde. Es ist die bekannte Erscheinung, von
der Rom. Gr. III, § 303 die Rede ist und die von Engwer, Über
die Anwendung der Tempora Perfectae statt der Tempora Im-
perfectae Actionis Berlin, 1884, für das Aitfranzösische sehr reichUch
belegt ist; also au Borgigrioii vtieil estre retornes', bien matin soii no gens
fors dou chastel issue etc., ferner: vull al camp sien inirats dos cavallers
7 W 3184; A Vir gen . . . y che gar foi pol-o miir anparar que non
fosse caudo CSM XXVIII etc. Dennoch scheint es zu einer wirk-
lichen Verschiebung nur ganz selten gekommen zu sein. Diese
Beispiele, wie die allermeisten von Engwer [für Part. + estre\ an-
geführten, lassen die Auffassung zu, dafs der erreichte Zustand
ausgedrückt werden soll. Nur ganz wenige scheinen diese Auf-
fassung direkt auszuschliefsen, so das von Engw. S. 2g zitierte kremi
liüil ne ftist ä V Apostoile alez, wo Verf. zeigt, dafs für den Fürchtenden
die Furcht ausgeschlossen war, dafs er auch hingelangte. Aber
vielleicht heifst hier akr, wie so manchmal, 'aufbrechen'. Ferner
S. 3 2 : Letfres . . . escrire fist . . . Que tuit soient apareillie Si tost con
les lettres veront, dann die Wunschformeln A joie sott ü cy venuz
und Et mal jor vos soit ajornez S. 42; endUch einige Beispiele, wo
es sich um das Partizip des durativen Verbs demourer handelt: sil
veut estre en ma cort detnoris, Chevaus et rohes li donrai a plentes
(S. 11); ä Romme cuidai hien estre dernoxire S. 15; ferner S. 44, 48.
Hier kann es sich nun allerdings um punktuellen Sinn nicht handeln,
wohl aber um Equivalenz mit präsentischem demorer, wobei nun
ein Einflufs des einfachen esire oder eine Kontamination von estre
und demorer nicht ausgeschlossen ist; aber auch das ist auffällig
und spricht dafür, dafs der Sinn in der ursprünglichen Konstruktion
sich verdunkelt hat.
Jedenfalls ist diese Bewegung in den Anfangen stecken ge-
blieben und dann wieder gänzlich zurückgegangen. Und wir be-
greifen, warum. Sie hatte an der einfachen Aktivform einen
mächtigen Konkurrenten. Solange die Konstruktion Part. -J- ^^^^
sich noch nicht gar so stark differenziert hatte und durch die Fälle
7^ I b und 2 Bindeglieder vorhanden waren, solange ein Je ne
quier estre partie de vous oder namentlich ein il manda qtiil fust
armez, ein Ja nHerejit converti (Best. 8g) ursprünglich passiv, zum
intransitiven oder reflexiven Gebrauch gezogen werden konnte,
hatte es einen gewissen Anhaltspunkt. Wenigstens ein gewisser
Hang, den Zustand statt der Handlung zu betonen, kann auf derlei
Fälle zurückgeführt werden, solange eben die Zustandsbedeutung
noch sehr deutlich damit verknüpft war. Und diese Zustands-
bedeutung tritt eben mit der Ausbildung der Konstruktion mehr
und mehr zurück, ohne allerdings je vollständig zu erlöschen.
Anders verhielt sich jedoch die Sache, wenn mit der einen m.
Funktionsverschiebung gleichzeitig eine zweite sich einstellte, die
das Partizip mit esse als Passivum erscheinen liefs. Verba, deren
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVI. (Festschrift.) II
102
Bedeutung sich für eine solche Funktionsverschiebung eignete, gab
es mannigfach.
Im Passiv hatten sich ja allmählich die verschiedenen Formen
von esse in Verbindung mit dem Partizip zu einem beinahe voll-
ständigen Flexionsschema zusammengefunden. Für den punktuellen
Gebrauch \v2iX fuit scripta schon lange der Aorist, nun kamen der In-
finitiv, die Konjunktive, der Imperativ, die Futura hinzu. Der Indikativ
des Präsens und des Imperfekts darf wenigstens für den generellen
Gebrauch als spätlateinisch angesetzt werden. Bei dem innigen
Zusammenhang, der zwischen Formen mit und ohne esse besteht,
ist es kein Wunder, dafs das Partizip selbst eine generelle oder
punktuelle Präsensbedeutung, d. h. eine solche, die von der Idee
des erreichten Zustands absieht und dem griechischen XtyöfiEVOq
etc. entspricht, erhalten kann, so in den von Haag, Rom. F. X, 922
ausgehobenen Beispielen aus Fredegar: vove te deinccps haptizatum
und tnelius esse uno hominem inorUurum quam tolum exercitum in
periciilum missum, und dies war um so leichter möglich, da ja bei
den durativen und iterativen Verben die gleiche Bedeutung schon
längst bestand. Es blieb also eigentlich blofs das punktuelle
Präsens als Schlufsstein des Gebäudes übrig und wir begreifen,
dafs von allen Seiten her die Analogie wirksam war, diesen Schlufs-
stein einzusetzen.
112. Passive Auffassung liegt aber nun nahe in Fällen wie: Dieiis
ne voll qu'il seit morz ne venctiz Rol. 3609; eigentlich „Gott will
nicht, dafs er tot oder besiegt sei" ist auffafsbar als „Gott will
nicht, dafs er getötet oder besiegt werde" und so finden wir
tatsächlich das Partiz. mortu + esse in ganz deutlicher passiver Ver-
wendung, sodafs folgende Fassung einer Verordnung möglich war:
voletnus et statuimus qui si alcuiui persone esse r et morta in alcuna
villa . . . sicmt tenudos sos jurados . . . de provare et de tenne sii male-
factore etc. C. d'A. VI. Der weitere Schritt, der hier nicht gemacht
wurde, aber wohl bei dem synonymen perir, ist dann der Über-
gang des aktiven Verbs zur transitiv -faktitiven Bedeutung. So
mag auch die faktitive Bedeutung bei asseoir, arester, descendre,
taisir etc. sich entwickelt haben. Bei esveillier, crever, aprochier u. a.
mögen diese Verhältnisse die anderweitigen Analogien y^ ff. unter-
stützt haben. Vgl, Rom. Gr. III, § 353 fr. — Auf halbem Weg ist
alez stehen geblieben, dafs die Bedeutung 'verloren' entwickelt:
des que la chose est alee, il «V a que del consirrer Yv. 31 18. Andere
Beispiele aus Berthe und Ren. bei Littrc, aller bist.
113. Zum Schlufs sei erwähnt, dafs punktuelles Präsens vielleicht
auch zugrunde liegt, wo eine auf die Zukunft bezügliche Aussage
so lebhaft vorgestellt wird, dafs das Präsens von estre statt der
Zukunft erscheint. Also in Fällen wie : Mais faillet une feiz pur
sa recreantise, Trancherai lui la teste a ma spee furhie, II et li .xii.
per sunt livred a martirie KR 699; gueriz sui sefen ai iin bei sam-
blant en ma vie M. de Craon in BLLfr. 302 |-j; Ptndu estes sans
nul restor Jean Bodel, SNic. 1283; Abel, morz es Ad. 680, ähnl.
i63
Rol. 3513; vgl. ferner Rol. 3955, KR 52, Alex 280,2, 358-21. Sim.
Fr. SG. 186, 122g etc. — En Paradis tu e' ticoronaia Marg. Leg. 820.
In gleicher Bedeutung finden sich auch aktive Ausdrücke, aber
mit ziemlich deutlich passivem Sinn: Si issi ne la getet, com il
er-seir le dtst, Trancher ai Itii la teste a mun braut acerin, 11 et li
.xä. per sunt venu a lur fin KR 743, vgl. Alex. 26621, 4^5 5' J^^^
Bodel J. Nie. 1245. — se per loro non v^i fatto socorsso Tra i
ternafini del disperare sono corsso Chiaro Dav., vgl. Engw. 1, c, S. 50.
Die punktuelle Färbung unseres Partizips im selbständigen Ge- 114.
brauch, die schon im klassischen Latein sich unter bestimmten Um-
ständen einstellt (s. ^8 -i}, die wir dann wieder anders bei Fredegar
(///) gefunden haben, zeigt sich aber, wenn auch nur spärlich, im
Romanischen. Hieher dürfen wir wohl rechnen das Partizip bei ecce
in Fällen wie As li venue Aide Rol. 3708 (ähnl. KR 333), as les vus
desevrez Rol. 200g, wo sich der Begriff der Handlung vermutlich aufs
neue durch Funktionsverschiebung aus dem des Zustands entwickelt
hat. Dagegen knüpft ein Gebrauch wie las tierras e los gtelos semejavan
viovydos 'schienen sich zu bewegen' genauer an die bei Partiz. +
esse geschilderten Verhältnisse an und in ante del sol salido Cron.
Gen., adormeceu hen tro en 0 sol levado CSM CXXXV scheint das
lat. sol occasus noch fortzuwirken. Doch finden wir auch ganz
analog: 0«/' 0 prazo saldo, passado RD 1876, 187g 'vor Ablauf des
Termins', Ausdrücke, die auf eben solche Weise entstanden sein
werden wie lat. ante solum occasum, d. h. sich aufbauend auf 0 prazo
es saldo etc. (p/), worin nicht mehr eine Handlung, sondern eine
Situation zum Ausdruck kam, die sich dann trefflich für Zeit-
bestimmungen eignete.
Das -fo-Partizip + Jiahere im Romanischen.
Wir haben gesehen, wie weit die Konstruktion auf dem Weg, nr.
der sie zu einem Bestandteil des romanischen Forraenschemas
macht, bereits im Lateinischen und frühen Mittellatein vorgeschritten
war. Bevor wir diese Linien noch weiter verfolgen, ist es nötig
zu zeigen, dafs die andern Bedeutungen, die dieser Konstruktion
zukommen, noch keineswegs erloschen waren, sondern — z. T. noch
bis auf den heutigen Tag — fortleben, vgl. also mit ^g :
I. inagestres ah beyn affactatz Alex.-Fr. 82; Chi avesse gocta
fredda ne li nervi trasuta Bagn. Pozz. 313; und so noch neufrz. il
a nne sornine enfouie dans la terre, il a wie maison construile au
XVIP sihle etc., entsprechend in den andern Sprachen. Hieher
gehört auch der überall vorkommende altromanische Brauch bei
unpersönlichem habet 'es gibt', zu dem man i^fS vergleiche: DAffrike
i ad un Aff^rican venut Rol. 1550; desoz avia escript u pei Boeci 205;
et ouv y con alegria niuitas Idgrimas choradas CSM CCCXXIII etc.
II*
164
2. St je te piiis 7)ai7icre, fai ta terre doimee Alex. 359 oo- —
Las ferida'i primeras que las aya yo otorgadas PC 1709 (ähnl. Berc^eo,
Loores 100); Honorcs e tierras avellas condonadas PC 887.
3. Si at li emfes sa lendra carn mtidede AI. 24 a (ähnl. Gönn. 483) ;
Je nat treiichi ke Valketon Et un petit del peligon Gorm. 271; Par
un viien filz Ad li uns boes hrisi le col Sim. Fr., S. Ge. 84 1 ; iant a
Boecis lo vis esvaniiit que . . . Boeci 202 ; enflad a'l cor SF 554. Por eles
encravelados Ouve seit FiW os nembros na criiz CSM XV; avia os
pies enferrollados CLXXVI; 71011 ottvy mollado pc CCXLV; sarrada A
(a gargania) ouve de ial maneira que cuidou ser afogado CCCXXII.
Hier sind die Subjekte der partizipialen Handlung vom Satz-
subjekt verschieden oder können es wenigstens sein. Auch mit
Adjektiven finden sich noch Beispiele, die lateinischen Gebrauch
fortsetzen, besonders avoir chier etc. = habere carujii. Andere
Beispiele fürs Französische und Italienische bietet Gaspary, ZRPh.
IX, 427 1; aportg. : a mäo que avia corta 'abgehauen' CSM CCLXV.
Auch Fälle mit präpositionalem Ausdruck sind verwandt wie Si
vous nie faites ce que vous viavez eii couvettt Men. R. 403.
116. Inwieweit nun allerdings in den oben unter 3 angeführten
Beispielen, dann in avoir chier etc. die ursprüngliche situationeile
Bedeutung sich noch fühlbar machte, ist nicht leicht zu entscheiden.
Wenn wir die romanischen Beispiele mit den von Thielmann auf-
geführten vergleichen, so läfst sich eine Verarmung, ein Zurück-
gehen nicht in Abrede stellen, sodafs es sich um traditionelles
Festhalten einiger weniger nicht mehr in der ursprünglichen Nuance
gefühlten Typen handeln könnte. Die partizipiellen Fälle, die wir
angeführt haben, sind alle ziemlich gleichartig: es handelt sich
stets um einen Körperteil des Subjekts, eventuell auch um ein von
dem Subjekt getragenes Kleidungsstück, das eine durch das Partizip
angedeutete Veränderung erlitten hat.2 Diese aber führen uns zu
den bekannten Formeln wie il a les yeux hleus über, in denen eine
wirkliche Besitzidee gewifs noch fühlbar war, und sind vermutlich
von diesen aus gestützt und gehalten worden. Dann haben wir
noch avoir mort, das ja ursprünglich heifsen mochte 'als tot vor
sich haben', wie z. B. noch in ja ires dias avia que 0 fillo morf
' Nur dürfte auszuscheiden sein: Vedi lä Farinata che s'' e dritto, in
dem die partizipiale Natur des dritto noch gefühlt worden sein dürfte.
2 Nur im Sardischen scheint sich die Konstruktion freier zu bewegen.
Ich finde: et ego provaila a .inj. annos de co Vavea fu^ita (wenn ich riclitig
verstehe:) 'und ich fand sie vier Jahre, seitdem sie mir entflohen war' CP46;
Giraimus manu a parthire sos cht aviamus rotnositos CP 14 'die uns übrig
geblieben waren' (kann allerdings auch zu 2 gehören). Ein weiterer Rest ist
vielleicht in altportg. Beispielen wie 0 estado a qiie yn'avedds chegado RD IO05
erhalten; Lang gibt zwar chegar die Bedeutung 'nahebringen', 'führen', die
etymologisch möglich wäre, aber es kommt sonst nicht so vor und die Be-
deutung 'kommen' pafst besstr, wofern man eben kein Perfekt darin sieht;
ganz ebenso in 355 Um tat oine sei eii que per vos teni a sa viorte clicgada
und den von Lang in der Anm. zitierten Beispielen, wo es also gar nicht
nötig wäre, in eh. ein Adjektiv 'nahe' zu sehen.
i65
ouvera CSM CLXVII, dann aber offenbar durch die Einwirkung
von est morz, s. 112, die Bedeutung 'getötet haben' angenommen
hat, da etwa einem ocis est 'er ist getötet' in gleicher Bedeutung
ein Penemi ai ccis zur Seite steht. So ganz unverkennbar und un-
zweifelhaft in ital.: El Jragon tu ai vengtito, Tu V äi beii fnorto ei
desirudo Marg. 818; //// han morio tugi li fangi Bonv. Job 106;
Tu he zä morto mulii liomini con to viorso venitienio Bonv. DMF 233;
katal. Aquest es traydor mes que si avia viort son senyor 7 W 1632,
ferner 2880 f. usw.
Wo aber als Subjekt des Partizips das Satzsubjekt zu denken
ist, ist für uns sehr häufig überhaupt keine Möglichkeit gegeben,
za entscheiden, ob eine dieser Konstruktionen vorliegt oder bereits
die neugebildete Zeit; wir können nicht erraten, ob in einem
Beispiel wie Satan qiii ume prent Qiimit pute V at lie Supris et
engignie Best. 838 Philipp von Thaon sich das /' at lie als den
Vertreter von lat. vijictuni habet [^g A 2) oder aber als den von lat.
vinxit gedacht hat.i Eine grofse Anzahl von Beispielen, die man
zunächst als Perfekta ansehen würde, lassen sich auch nach A 3
(Situationen) auffassen: perdiit avez vostre moreis Gorm. 104 ('ihr
habt jetzt keinen mehr', 'ihr habt seinen Verlust zu beklagen'), qui
ant perdut lor cant Boeci 77 (vgl. auch Leod. i6i); besonders gut ist
so fafsbar: Pols, pos los ag U7i an per duz, Dens li redded per leis la
luz SF 443 'nachdem er ein Jahr ohne Augen war'; in todo quanto
mal avedes rregeludo^ todo por mi rrecebestes Est. Tr. 2 g wieder geht
die Situationelle Nuance von a. rr. ziemlich klar durch den Parallel- •
satz : donzelas que sodes por vii mizquinas et desanparadas que por nii
perdcsies alegria hervor. — Besonders scheint der Begriff der Sach-
lage sich ferner erhalten zu haben in den Ausdrücken, die das
lat. consuetum habeo, solitum habeo fortsetzen (s. Thielm. S. 379): Ce
que morz a acostume Ne puet muer quele ne face Clig. 5^44! n^avoit
pas tel chose usee Gui de C., Bai. Jos. 982; — per que no la avemos
usada (die Wahrheit) ;// en 7iostras vocas es falada AutRM 146; —
as . . . coitas quaes avemos doitas CSM XLIX; os judeos que sevipr'
acostumad'' an de querer gran mal ä do mui bon talan XXIII.
Wenn wir nur solche Beispiele hätten, so würden wir einen 117.
Fortschritt gegen das Lateinische und ein Wegrücken von dem
ursprünglichen Sinn nicht konstatieren können. Urteile wie folgendes
von Bastin (Etüde de partic.3, St. Petersb. 1889), p. 17 f.: „Jusque
dans le courant du XI^ siecle, le vcrbe avoir accompagnant un
participe passe n'est pas auxiliaire, mais conserve sa signification
propre de tenir, posscder . . . Le part. p. n'exprimait alors que l'ctat,
1 Oft auch schwankt die Auffassung sogar zwischen Perfekt und Fall
C2; d.h. falls die Konstruktion nicht als Perfekt gedacht ist, ist es auch
nicht nötig, dafs die Subjekte die gleichen sind: Si V (den Stein) a li um al
col pendiie Cuiitre glitte cha'ive valt Lap. 268 ; Bei sun li drap que la do7nn'a
vestit Boeci 199. Erst neuere Stadien der frz. Sprache haben durch ge-
bundenere Wortstellung oder verschiedene Flexionsverhältnisse derartigen Un-
klarheiten z. T. ein Ende gemacht.
i66
la Situation, ne faisait pas corps a\ec l'auxiliaire; en d'autrcs terincs
les temps compos6s n'existaient pas encore . . ." oder das von
Haas, Neufranz. Syntax S. 62 ausgesprochene, wonach der hier in
Frage kommende Prozefs erst im 16. Jh. zum Abschlufs gekommen
wäre, würden einen Schein von Berechtigung haben.
Nun haben wir bereits in den Merowingertexten Beispiele an-
getrofTen, die sich als deutliche Erweiterung lateinischen Gebrauchs
darstellen; wir fanden die Konstruktion bei gewissen Verbalgruppen,
wie gelten, bif/cn {^6), wo sie bei Subjektsgleichheit schwer anders
als als wirkliches Perfekt aufgefafst werden kann. So auch im Roma-
nischen: Pass. 341, 348; Ak 24 c, 42 c, Steph. Xlb; esie feo que
dado mi-ds CSM XV etc.
118. Ferner zeigt sich die Konstruktion in völliger Parallelität mit
dem Perfekt, mit dem es abwechselt, an vielen Stellen; doch darf
der Beweiswert dieser Tatsache nicht zu hoch angeschlagen werden.
Z. B. jo l'eji conqiäs et Poitou et le Maine . . . Conquis l'en ai pdis et
terres tantes Rol. 2323 — ^y, Un grant miracle i avum veu . . . diin
neV ve'is tu? Amdui ben le ve'imes mis Ost. 127 — g; vgl. femer Rol.
2371 mit 2388, Rp. 127 mit 128, Veng. Ragu. 944 — 50.
Nun finden wir aber auch sonst mannigfache Erweiterungen
des Gebrauchs, die sich selbst im Latein der Merowinger- und
Karolingerzeit nicht nachweisen lassen. So ist es ziemlich natürlich,
dafs in der situationeilen Bedeutung eine Sache als Subjekt kaum
denkbar sei, und in der Tat findet sich das nicht. 1 Jetzt finden
wir gleich von Anfang an Beispiele wie: pechet le m^a tolut AI. 22 c.
Dafs sich tpse in einem Fall wie tu eps I'as deit Pass. 181 zum
Subjekt gesellt, ist nur denkbar, wenn es ganz deutlich als Subjekt
von dictu empfunden ist und wenn die Handlung des dicere selbst
bezeichnet ist.
Auch nähere Bestimmungen, die wir als Objekte oder Umstände
bei unserer Konstruktion finden, vertragen sich oft nicht mit einer
situationeilen Auffassung, z. B, de saiiit haptesme Vunt fait regener er
AI. 6d; cel son servant ad a sei apdet AI. 56 d. — Ein reiner
Objekts-Dativ wäre auch als Ergänzung des Partizips denkbar:
ob hoc vobis . . . ialis datus habiiisset fidcjussores Marc. Form. 674,
quam . . .promissam habet dovino Cap. Karl. 14635 mag Situationen
sein, in a me lassa as tolt vio senor B. Chr. 25 07 wäre noch die wenn auch
recht gezwungene Auffassung: habes dominum mihi sublatum 'du
hast ihn als einen mir geraubten' möglich, wenn es nicht die
Übersetzung von sustulisti wäre. Aber ganz ausg(;schlossen wäre
eine derartige Ausdrucksweise mit einem Dativus commodi : vos ai
lavaz los pes B. Chr. 9 35 geht deutlich auf die Handlung und nicht
auf die daraus entspringende Situation, sonst könnte es nicht anders
heifsen als: lavaz ai vostres pes.
* Wohl aber in der 44 besprochenen Variation 2b: multiplex aeriwuia
exercitam med habet PI. Bacch.
i67
Wenn wir also mit unserer Datumbestimmung in ^8 Recht
hatten, so müssen wir immerhin annehmen, dafs ein ziemlich grofser
Zeitraum verstrich, ehe jene analogischen Verschiebungen eintraten,
durch die die in Rede stehende Funktionverschiebung erst so recht
zur Geltung kam (vgl. y).
Vor allem aber müssen wir nun vier wichtige, auf der gene-
rellen Funktionsverschiebung beruhende Gebrauchserweiterungen ins
Auge fassen, die uns die erlangte Perfektbedeutung besonders
deutlich zeigen, die aber nicht in allen Gebieten oder in jedem
Stil glcichmäfsig anzutreiTen sind.
I. Während die Fälle, wo das Partizip eines perfektiven Verbs ii9-
mit dem Präsens von habeo ein präsentisches Perfekt ausdrückt,
d. h. eine Handlung, deren Resultat in die Gegenwart nachwirkt,
sich nicht streng von der ursprünglichen präsentischen Bedeutung
der lat. Konstruktion absondern lassen, finden wir nun die Kon-
struktion sclion auf Fälle angewandt, wo die resultierenden Zustände,
die resultierende Lage sich nicht auf die Gegenwart erstreckt, also
als historisches Perfekt.
Z. B. Frz.-Prov.: Cum li niatin fii esdairaz, Davant Pilai l'cn
ant ynenet Pass. 201 ; Ce fu granz dols que ii ont demenet AI. 2 1 d;
Gonnum ad Pcspee iraite si Fad fern t Gorm. 53.
Ital.: Jiida frayfo?' lo so segnor ha bassä E li Giiivi l'am pris
e liä piem. Laud., Mon. Chr. 146, 111, 13; viden tal meraveja, Uilloga
er'' aparia, vezudho hau ke V so moiiego zeva per bofia via Bonv.
Laud. 5ilf. ; Questo grande signore a la caza se ne va incontancnie
E ha inosirafo la legora al so livrero . . . Lo so livrere al crido si
corre viazamente Bonv. Volg. Van. 2g — 32; Lo Satanax illora si fa
da illb pariia Et ha ferio San Lob de pessima maratia Bonv. Job. 181 f.;
Poy che enlro, Mac theo ä salutato, li altri non ci äo niente parlatu
IV P 20, 306 f.
Span.: Qiianto i a qiie la vistes i que la percibistcs? . . . XLLL dias
a . . . que la avemos veida i bine percebida Aut. R. g6 — 10 1 (unsicher);
Myo Qid gafio a Xerica e a Onda e Almcnar, Tierras de Borriana
iodas coTiqm'stas las ha PC 1092 f.
Kat. : Lo cavaller fo fort irat, al librer ha lo cap taylat ']^ b"] y,
Un meige vench en lo regnat e a li dita Verität 7W 1549.
Wir finden also unser Perfekt im bunten Wechsel mit dem
einfachen Perfekt und dem Präsens im epischen Stil der alt-
romanischen Sprachen. Ganz gleichbedeutend mit einem historischen
Perfekt (Präteritum, Aorist) ist es deshalb nicht geworden; der
beste Beweis dafür ist, dafs es die ruhige prosaische Darstellung
der Historiker im ganzen verschmäht. Es entspringt jener Tendenz
der Vergegenwärtigung und Verlebendigung, die für das Epos
charakteristisch ist und der man eben auch das Präsens selbst
verdankt. Es bezeichnet zwar die Handlung selbst, aber die in
ihren Resultaten in Betracht kommende. Es betont, dafs dieses
Resultat erreicht und für das Subjekt in der jeweiligen — lebhaft
i68
als gegenwärtig vorgestellten — Situation seine Wichtigkeit besitzt.
Es ist mit einem Wort vollständig analog der Konstruktion mit
esse in dem y^ — S^ besprochenen Fall.
120, Und diese Parallelität mit der ^jj^r-Konstruktion weist uns eben
auf unsere 3. Abart, auf die Situation eile Variante, als Haupt-
ausgangspunkt der weiteren Entwicklung. viaman levatam habeo
bezeichnet zunächst eine Situation, die auch durch manus levata
(est) bezeichnet werden könnte und so bezeichnet auch levatus sum
zunächst eine Situation. Nur hatte jene Formel noch das Plus,
dafs diese Situation als für ein Individuum interessant, wichtig, be-
deutend hervorgehoben wird, für das Individuum, das eben als Subjekt
von hahco fungiert. Nun ist mit der Zeit wesentlich geworden, was
ursprünglich akzidentell war, dafs nämlich das Individuum jene
Situation, die für es wichtig, interessant etc. ist, selbst herbeiführt,
selbst veranlafst, das logische Subjekt ist also mit dem von habeo
identisch geworden. Dann aber finden wir gleichmäfsig den Vollzug
dieser auf genereller Funktionsverschiebung beruhenden Wandlung,
dafs nämlich sowohl in inantim levatam habeo als in levatus sum die
Idee der Situation mehr und mehr vor der Idee der Handlung,
die zu dieser Situation führt, verblafst, sodafs die Situation schliefslich
nicht mehr streng präsentisch gedacht wird.
121. S° S^ht denn auch in den Details die Verwendung von esse
+ Part, mit der von habere + Part, parallel. Um auszudrücken,
dafs eine perfektive Handlung sofort auf die andere folgt, wird
unsere Konstruktion mit Vorliebe angewandt. Sie sagt dann ge-
wisserm.afsen : wenn die eine Handlung sich vollzieht, so ist die
andere auch schon bis zu ihrem Resultat gediehen. Wir finden
sie also mit Ausdrücken, die „sofort" bedeuten und zwar auch mit
Bezug auf das (generelle) Präsens.
So wird vom Seemann gesagt, der die Sirene hört: La nef
niei en uhli Senes est endortni Best. 1374 (ähnl. 972, 1894). quani
on te voit desmonter . . . Gl qui as aleve toudis , . . N'ont eure de toi
escouter, Ai?is fönt tost laissie et desmis Huon C, Regr. ND Str. 72.
Aus andern Sprachen z. B.: Aas seus acomendados A Vir gen tosf a
livrados de mortes CSM LXXXin.
Handelt es sich um historische Darstellung, so ist das ent-
sprechende zunächst _/?<;//, habuit + Part.i; mal conseil donat qui ceo
li loat; car tost l'out sozduit Rp. l ; Fergus fu 7nolt tost etidormis
Ferg. 34 1 etc. Aus andern Sprachen: Vemperador broca ab aytant,
sempre lo portal hac passat 7W 2631; Por los puerios de Aspa fueron
luego tor(idos FG 138; Dando e rrescebiendo miicha buena lant^ada
Ovyeron miicho ayna el agiia travessada FG 357; E taji tost a moller
bda foi d^este mundo passada CSM LXXV; tirou II' un vermen . . . E
tan toste oyr ouve cobrado e foi-ss' a casa do menge privado e logo
per sinas Wouve mostrado que ja oya LXIX.
1 Vgl. Laubscher, The past tenses in French, Baltim. 1909, S. 57 f.
lög
Doch ist natürlich im epischen Styl auch das Präsens von
habere, esse in gleicher Verwendung üblich: Reiorna sen; en es le
pas En est venue a lui Pallas En. 1 46 ; Ses fet lever tS7telemejit, Et
eil a son comandement Se sont tnoiit tost apareillie Chr. de Tr., Phil. 667 ;
Devant leur vint Symojis et Constcmce . . . Quant Berte les choisi, mouU
tost est sus saillie Berte a. gr. p. 3146; quant li rois le voit, tost V a
reconneu ebenda 3041; vgl. auch Pass. 414, BLLfr. 620g, Aiol 3944
etc. Aus andern Sprachen : Trasch lo cap al finestral . . . et mantenent
eil ha vist la muyler ab son amich 7 W 1350; Ab tajit .i. hom vench
per lo cami e sempre ha los dit Merli , . . 7 W 2515.*
Ahnlich bedeutet die Konstruktion eine schnelle Aufeinander- 122.
folge in Fügungen wie die folgenden: Li rois monte, tuit sont monte,
Si vienent au chastel poignant Clig. 2198; Li rois s'assiet, tuit sont
assis RHoud., RIer. 50S3; Li rois lava, tuit ont lave Mer. 5085.
Analog mit dem iio dargestellten Gebrauch wird ferner auch 123.
habere -j- Part, in den modal affizierten Formen: Imperativ, Kon-
junktiven, Futur etc. verwendet, um statt der Handlung das Resultat
anzugeben in Fällen wie : Totit vion roiaume vorroie avoir perdu,
je voel qiie li rois ait la chose juree, ayes la clef saisie, jura que
Jamals Ji'avera le pais degerpi etc., s. Engwer in der zitierten Schrift
und italienische Beispiele bei Tobler, Jb. XV, 250; gelegentlich auch
mit Präsens, wo dies futurischen Sinn hat: Se nous perdons Da-
miete, nous av07is tout perdu Men. R. 165.
Wir haben gesehen, wie habeo victu allmählich sich einem 124.
historischen Perfekt nähert. Es ist das aber wohl eine ziemlich
späte Entwicklung. Dagegen haben wir bereits im Lateinischen
für eine andere Formel die gleiche Bedeutung gefunden, nämlich
für habui victu und auch darin eine Parallele mit der Verbindung
esse -\- Partiz, konstatiert, vgl. 61. Diese Formel hat sich nun eben-
falls ins Romanische gerettet.
Zwar im Franz.-Prov. kann ich die Verwendung von habui victu
für ein einfaches historisches Perfekt (bei dem ja die Idee des
durch die Handlung erzeugten Zustands noch mehr oder minder
deutlich zu Bewufstsein kommen kann) nicht mit Sicherheit" nach-
weisen,2 wohl aber in den südromanischen Sprachen.
Ital. : Ella guardä en cel la drito, Avo vegii la cros de Christo
E po si vit una colonba Marg. Leg. 808; Deo represe /' animo et
abe-la incarnata IVP 38615; la donna n abe deo rcngratiatu IVP 8 g4
und so häufig in diesen Texten.
Katal.: Lo lebrer viu la serpent . . . va la pendre cant fo levat;
e la serpent fach fort siblat e gita la a una part 7W 631 (nicht
sicher).
^ Natürlich findet sich dieselbe Erscheinung auch in andern Tempus-
Verhältnissen: Tost sereit inorz s'ü (das IEa) fust bruisiez AlFr. Fab. 5215 etc.
Eine reiche Beispielsammlung für Futur und Kond. gibt zum Altfrz. Engwer,
Über die Anwendung etc., S. 45 f.
"^ Vgl. immerhin für das Prov. : Entro eti pres Den pietaz Et en la
croz los ag salvaz Et de Diahle deliuraz SF 43.
I70
Span.: A/ ny Yu^ef {res co.'pes h ovo dados PC 1725.
Portg.: Ungemein häufig in den CSM: deroji üa pedrada a
itn ome na cabffa mni grand^ ossi qne hritada W oiiveron loda a
fronte et a tea assedada CCCLXXXV; et pois veo outra dia ssa tia
a ouv' achada CCCllI ; tan iosf a Monpesler chegaroji et y achado 0
ouveron et disseroJi-Ue CXXXV; Et pois que aquesto disse a säet* oiive
tirada stiso et fez niui grau demoranga En viir CLIV etc.
Die Umschreibung mit hahui findet sich nicht blufs im Zu-
sammenhang der Erzähkmg, sondern auch bei Aufführung von
Einzeltatsachen, wo man auch präsentisches Perfekt erwarten könnte,
aber das ist nicht zu verwundern, da ja eben haha selbst beide
Funktionen hat: vgl. Por tnano del rrey Alfonso que a mi lo ovo
viandado Do-vos cstas ducuas PC 2232; Non temas, Anna; ca Dens
oj'da a ta oragon ouve, e poren seil falida de teu ?nando fillo avei-as
CSM p. 56gb; tal otnägen da Vir gen e que Dens ouv" esleuda Por ssä
madre CXCVI und später, als die Perfektumschreibung auch beim
Verbum subst. schon existierte, sogar im Passiv: De aqueste se dise
que ovo seydo muerto del sobredicho rey als Übersetzung von fertur
fuisse peremtus (Ms. des 15. Jh.; abgedruckt in LE 122).
Ganz entsprechend dem lateinischen Gebrauch {61) finden wir
auch im Portg. die von ,^ai5?// abgeleiteten Zeiten; habueram: trotix'
aquel canto inenesmo que el ouvera comprado CCCLV; outorgou-Ies logo
quani^ ouveron demandado CCCLXXXVI; aquel ome era 0 que a viezcra
feita ouvera (= 0 outro que aquele Juezcrärd) LXXVIII; que seu era
jurou . . . et que //' 0 furtad^ ouvera 0 inogo que 0 tragea CLXXV;
habuero: non d tan arrizado de vos que possa cantar se muit'' ouver
Jajüado LXXXVIII. So sehen wir im Portugiesischen fast voll-
ständig und konsequent eine lateinische Formel bei allen Perfektum-
schreibungen bewahrt, die im sonstigen Romanischen sich nur für
eine der Formen (Jiabuissem vicium) fast vollständig und für die zweite
{habueram victum) nur teilweise [in kondizionaler Verwendung, und
da nicht überall] erhalten hat.
125. 2. Unsere Konstruktion war, wie v/ir wissen (j-o, 5^) im lat.
nur bei perfektiven Verben im präteritalen Sinn vorhanden, bei
durativen Verben hat sie präsentischen Sinn, aliqucm amaluin
habeo hat also etwa denselben Sinn wie aliqucm cartun habeo 'ich
habe jemand lieb'. Auch davon sind Spuren in den romanischen
Sprachen vorhanden: ,
Frz.: Et dist que il Va inolt amee 'dafs er sie sehr lieb habe'
Gui de C, Bai. Jos. 3790, vgl. Appel in der Einl. LXXIV; he!
Marion, taut amee t^ai Jeh. Erars in BLLfr. 5089; Por wie k'en ai
hau Ai dite as autres folie Co7n hom irous Con. Beth. Chs. VII 2 y.
Ital.: E altrieri fui iti parlamento com quella chui agio amata
IMon. Chr. I S. 97, 2 [vgl. "^2?^; la pena undexena ke ha lo niisero
confondudo Bonv. 3 scr. 789; sentito agio l coltello che fo profetizato
Mon. Chr. II, S. 481, 66; tu ai saputo piii di ine CNA 77.1
1 S. S. 171 Note I.
171
Katal.: honrat s un vosita servidor, per so com eu vos e antat
be de cor e de voluntat 7W 67.
Span.: Di, rahi, la vertad, st tu lo as sabido Aut. RINI 135
(ähnl. 126 wo si lo a?i sabido gleichbedeutend sein mufs mit si lo
sahen). ^
Portg. : OS qtie esto cretuV an ... e que queren mais viver . . .
fazen mal sen Joan Soares Som. CAj. 489 (Mich.: „Wer jenes
glaubt"), esiranhado do be?n que ei dcsejado RD 1009. Gram pesar
ei . . . sofrndo por vos dizcr meic mal ascondudo, mais nom ous' oj' eu
comvosc a /a la r RD 2231 (vgl. das Präsens in dem Parallelvers 2226).
Entsprechendes auf andern Zeitstufen: cum in ous enhadithe
AI. 87 d, nicht ganz sicher da enhair vom Anfang an inchoativ ge-
wesen sein kann; vgl. auch par vos 7n a mes cuers cnhaie Qui me
sohlt estre de foi Clig. 476; Rendili gualardon, ca ovo-te servido
Bcrceo, Mil. 255; eil sempre fora e era ofigiall d' el-rrey que avia
curado sseiis cavaleyros LE61 (unsicher); atan gran mcdo ...y
preseron que fogindo non avia niun redea. teuda CSIM CLXXXI;
loaredes a Madre . . . de Deus . . . et averedes 0 dem' avorrcgudo
CSM CCXXXVl.
Im ganzen aber schehit der Gebrauch recht selten zu sein.
Nur auf der iberischen Halbinsel, wo habere z. T. von teuere ab-
gelöst wird, finden sich etwas häufiger Beispiele wie Tovyeron
Castellanos el ptierto vyen guardado FG 87 ; et me te presso 0 amor
Est. Tr. 22, wie dort überhaupt mit tenere die Eigentümlichkeiten,
die wir als für die lateinische /zß^^r<?- Konstruktion charak-
teristisch angeführt haben, sehr gut erhalten sind.
Wahrscheinlich gehören nun aber auch verschiedene Beispiele
hieher, die Tobler und Engwer an den schon mehrfach erwähnten
Stellen für unsre Umschreibung bringen und die sie mit den //o,
122 berührten Erscheiimngen bei perfektiven Verben zusammen-
werfen. Also Fälle wie Ensement . . . voeilt ses gens avoir lentis
Baud. Seb.; Dhissicz estre en vo chambre pavee A ./. malfc qui vos
ctist amee Alisc, «' aics doel tentc etc.
Der hier geschilderte Gebrauch geht offenbar parallel mit dem, 126.
den wir in go bei esse unter I dargestellt haben, und es würde
sich fragen, ob nicht auch hier eine analoge Entwicklung und
Ausbreitung vorliegt. Das nächste (II) wären iterative Verba; dafür
habe ich keine Beispiele gefunden ■ — doch mag das Zufall sein.
Dagegen scheinen folgende Sätze Beispiele für das generelle Präsens
(III) abzugeben: cum ella s auga, ccl a del cap polsat; quant be se
drega, lo cel a pertusat Boeci 167 f.; Quoras que's vol, s' en a lo Corps
^ Indem derartige Beispiele im gewöhnlichen prätcritalen Sinn gefafst
wurden, konnte der Übergang zu der häufigen inchoativen Bedt-ulung 'er-
fahren*, 'lernen' staltfinden, ähnlich von 'haben' zu 'btrkommen' clc. Vgl.
z. B. Ben sab^ a que pod' e val Fisica celestial Ca de seii FiW a sabitda
Fisica muit' ascondiida CSM CLXXIX. Diese Verhältnisse werden nicht die
einzige Ursache des Bedeulungsübergangs sein , aber sie mögen ihn bclördert
haben.
172
(lucis Boeci 181. Anderenfalls müfste es auf den erreichten Zu-
stand gehen, was nicht gut in den Zusammenhang passen würde.
Auf der iberischen Halbinsel haben wir mit ienere: mtiiias vegadas
0 deni enganadas iefi as genfes CSM CCCXCVII, und ähnlich CXCll.
127. Sonst aber finden wir unsere Konstruktion auch bei durativen
Verben mit deutlicher präteritaler Bedeutung, und zwar im Franzö-
sischen und Provenzalischen seit den ältesten Texten: gram en
avem agud errors Pass. 365, iatttes dolurs ad pur tei enduredes
AI. 80 b, cum liinga demurede ai atendude 94 d, tatit Vai vedud 79 e,
tanz jitrz Vai dcsirret 95 a, ähnl. I04d, 115 a; il ad deu hien servil
35b, ähnl. Steph. XII b; Trente qiiatre am ad si siai cors penei
AI. 56a; si poti vus ai out 2 2d; maheise guarde t'ai fait suz mun
degred 79 d; a qiiel doleur dedidt as ta juventa 91b; nos de molt
omes nos 0 avem veut Boeci 106; 0 es eferms 0 a afan agut
Boeci 108; dann aus späteren Denkmälern: Jo vus ai servii taut
si '« ai out e peines e ahans, faites batailles e vencues en camp Rol.
863 — 5; mut franchement l'ad regrete Gorm. 52g; si iint Venchauz
avant tenu Gorm. 627 etc.
Wir finden hier alle Möglichkeiten vertreten: eben zum Ab-
schlufs gebrachte Handlungen und längst verflossene (AI. 56 a),
Verba, die wesentlich durativ sind, und solche, die nur im Zu-
sammenhang durative Bedeutung annehmen (AI. 79de), Beispiele
mit Dauerbestimmungen und ohne solche.
Ebenso im Italienischen, wo uns leider der Mangel an gleich
alten Denkmälern aufser Stand setzt zu sagen, ob diese Verhält-
nisse ebenso alt sind, wie im Französischen; doch vgl. im Longo-
barden-Latein abet ?nodo regnato .viiij. anno 1053 (Mon. Nov. I, S. 414):
— Li nosiri madri che in corpo lüa portati Decal. Berg. 79; i'agio
amato ed amo co' leanza Bondie Diet.; Ciercat^ajo Calabra, Toscana e
Lombardia Cielo dal C, Contr. 13; S'eo minespreso äjoti . . . a voi
m'arenno ebenda ^^z; gioja che tant' 0 disiata Giac. da L. ; Lungo
tempo afo soferto Bol. Not., Mon. Chr. 10 1, IV 3; ben agia lo rnartore
ch'io per lei lungiamente agio durato Rugg. Pal., Mon. Chr. 37 gj lo
gravoso affanno Co lungiamente per amore patuto Madonna lo
nia '« gioja rüornato Guid. Col.; noi avemo auta tanta hriga e avcmo
Siena 1260, Mon. Chr. 5974; lo te ho per grande amor e passuto e
allevato Bonv,, Volg. Van. 60; tute co7tse ella si a saplude Cat.
Leg. 127 19 usw.
128. Dagegen ist die Erscheinung in den alten iberischen Sprachen
erst im Anfangsstadium. Man kann lange lesen, ohne auf ein
Beispiel zu stofsen. In manchen gröfseren Denkmälern wie dem
Poema del Cid habe ich überhaupt keines gefunden. ^ An den
Beispielen, die man findet, läfst sich aber so ziemlich ersehen, auf
welchem Weg die durativen Verba zu der präteritalen Bedeutung
der Konstruktion gekommen sind. Es sind eigentlich zwei Wege.
* Mit Ausnahme des 143 erwäiinten Beispiels.
173
Zunächst von der eben genannten Konstruktion mit präsen-
tischem Sinn aus. Da bei einem durativen Verb der präsentisch-
punktuelle Sinn ausgeschlossen ist, so umfafst das Präsens hier
immer ein Stück Vergangenheit oder Zukunft mit. Wird dies Stück
Vergangenheit nun durch ein Zeitadverb fixiert, so kann es ge-
schehen, dafs Gegenwart und Zukunft darüber vernachlässigt wird,
und dies umso leichter, als eben bei perfektiven Verben die Kon-
struktion ja vorwiegend den präteritalen Sinn hat. Ein Beispiel,
wie lonch ieinps vos he amat 7W ig (ähnl. 386), bedeutet eigentlich
'lange Zeit liebe ich euch [schon]', aber das ist im Zusammenhang
nicht verschieden von 'lange Zeit habe ich euch geliebt'; ähnlich
tostejnps vos he amada 7W 1068. Das entsprechende gilt von rela-
tiven Zeitverhältnissen, wo das Imperfektum auf gleiche Weise das
Plusquamperfekt mit umfafst und daher als solches aufgefafst werden
konnte: ao porto chegaron cedo que desejado avian CSiNI XXXVI. —
Ähnlich also : ynuito pei- as dormido CSM VI * viel Zeit schläfst du
schon' = 'viel hast du geschlafen'; ca 0 que vos a servida, erged'
olho e veelo edes RD 1151 'was er euch (nuii schon) dient' = 'wie
lange er euch gedient hat'; AqitesC e 0 que tauf ei buscado CSM
LXV; von hier aus gelangt man dann leicht zu Fügungen wie La
donseyla an sercada ejitro que la an trohada 7W75f,, wo die Dauer
des sercar durch die Termin-Angabe eine perfektive Nuance erhält.
Der andere Weg geht direkt von den perfektiven Verben aus.
Ebensogut wie von einer einmaligen präteritalen Handlung konnte
natürlich die Konstruktion auch von einer wiederholten gebraucht
werden, in Fällen wie: esta noü' ei sonnado vel duas vezes ou tres
CSM CCXCII [genau wie Outro tal sonn! ei sonnado CCCIX] ; Eu
soon aquela que äs chamada tanto 'sooft' LXXI;^ u?iygreja ... en
que ela mostrad'a mir ag res böos et muitos CCXLIV; ofttr'os que oge
7iados son d'omees muit' onrrados , a mi a ela viostrados mais hees que
contarei CC, in welch' letzteren Beispielen die Wiederholung der
Handlung nur aus der Pluralität der Objekte hervorgeht, Verb -f-
Objekt als Ganzes jedoch auch als durative Handlung aufgefafst
werden kann, namentlich wenn statt des pluralen Objekts ein
kollektives Singular -Objekt steht: pois por hem nom teedes Que eu
aja de vos grado Por quanfafam ei levado Por vos RD 231, ähnl.
1299, 2317, 2592 oder ein Quantitätsadverb: Vay t\io Papa, ca
muit' as errado 'viel hast du gesündigt' CSM LXV. Bei gewissen
Verben oder Verbindungen läfst sich dann überhaupt zwischen den
einzelnen Akten schwer entscheiden; sie sind eben nur mehr Teil-
akte einer einzigen durativen Handlung: e desejarei vosso hem que
mui servid^ei RD 388. Und schliefblich in einem Fall, wo das
durative Element überhaupt nicht mehr angezeigt ist: tanlo sty d'el
ja que jue serve e servid^a bat com a mi prazia CSI\1 LXXXVII.
' Natürlich finden sich derartige Fälle in allen Sprachen: con qiiesia
penüentia et coli altre ke tu äi levate Beichlf., Mon. Chr. 43«; Omne dl me
a recfiüsa IV P lOi, 1129; assai v'a^^w laudata Giac. Not. etc.
»74
Dieses letzte Beispiel ist wichtig, es zeigt durch die Gegenüber-
stellung mit serve und das Imperfekt im Nebensatz, dals serviiVa
doch sicher präterital empfunden wurde. Bei den angeführten
portg, Beispielen, in denen das Verb selbst schon deutlich dura-
tiven Charakter hat wie RD 231, 388, 1151, CSM LXV, war das
nämlich nicht ganz sicher, man käme auch mit der präsentischen
Auffassung durch. Übersetzt ja Michaelis auch eine analoge Stelle
des Pero Velho: da coita qiie eii per vos ei levada mit 'die ich um
euch ertrage' CAj. 8832.
So wird die Konstruktion denn hier von einer sich bis zur
Gegenwart erstreckenden Vergangenheit, einmal auch in Parallele
zur Gegenwart von der Vergangenheit, die sich bis zu der schwer
definierbaren Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart er-
streckt, gebraucht (vgl. j^« i^); weiter aber scheint man im Portu-
giesischen in der alten Zeit noch nicht gekommen zu sein; von
einer entfernten Vergangenheit oder ganz ohne Bezug auf die
Gegenwart, wie so früh schon im Frz., wurde sie nicht gebraucht.
Die paar spanischen Beispiele, die ich gefunden habe, zeigen uns
dieselbe Stufe: Travajado avemos, mcnesier es que durmamos FG 480;
Pucs qtie avemos soffrido grand lazerio Chr. gen. (S. 152 in der Ausg.
des FG); aqui todo me viato del niicdo que In avido Juan R. 1382.
12g. Im Altsardischen habe ich von durativen Verben fast nur das
Verbum des Besitzes {habere, teuere) mit habeo konstruiert gefunden.
Im CP nur im Plusqpf. : torraitimila sa domo de Ogothi . . . pro sa
anima sua et de ssu frate jiidike G. ki la aveat appita pro pinniis
(12 10) 392; kertaitimi D. de C. pro cusla terra ca naravat ca l^aviat
tenta isse innanti meu . . . Et ego binkiiidelu ca Vavia tenta ego imianli
suo 414. Oft und in mannigfachen Formen in StS und Cd'A,
Ein Beispiel wie da essu die c'at avir apida sa possessione ad iciissu
die qui IVat avir torrada Cd'A LH freilich zeigt uns deutlich die
inchoative Bedeutung, vgl. 12^ Anm., und diese ist auch geboten
StS 11 30, 34, III 27 und sonst vielfach möglich. Ausgeschlossen
dagegen in Si alciina persone 0 personis avirint lemida e possedida . . .
alcuna possessione . . . per . . . annos L Cd'A LXVII. Es handelt sich
also hier wohl um analogische Funklionsverschiebung (j). Über
ein Beispiel mit navigare s. 1^2.
130. 3. Die Konstruktion haheo -\- Partizip fehlt im Lat, bei
reflexivem Akkusativ -Objekt. Ein jne commendaltcm habeo würde
ja bedeuten 'ich bin in der Lage, dafs ich empfohlen (worden) bin',
also kaum etwas andres als das einfache prädikative commendatus
sum. Wenn aber, wie meist, das Reflexiv nicht rein aktiv zu ver-
stehen ist, sondern medial, so ist ein Bedürfnis sich so auszu-
drücken noch viel weniger gegeben: statt 'ich bin in der Lage,
dafs ich aufgestanden bin', auch hier einfach levatns sum.
In dem Moment aber, wo der ursprüngliche Sinn der Kon-
struktion verloren geht und einfach der eines präsentischen Perfekts
vorliegt, ist bei den reflexiv aktiven Verben die Konstruktion sofort
175
möglich. Ebenso wie ich einen andern empfohlen haben kann,
kann ich auch mich empfohlen haben; es ist dieselbe Handlung:
Je Vai coma7ide, danach je mai comande \ parfitement s'ad a Den
coviandet AI. 5Qb. Mit Rücksicht auf diese Stelle wird man keinen
Anstand nehmen KR 848 zu lesen a Den s'unt ciimandez. Ferner
del tierz s'a si delivri Erec 2904; mes je m^an ai viis au defors
Clig. 5249, vgl. Littbl. 1904, Sp. 24. Des flors errant s'a recovert
Fl. ßl. 2339.
Bei den viel häufigeren medial -reflexiven Verben ist eine so 131.
unmittelbare Anknüpfung nicht gegeben. Jemanden in die Höhe
erheben und sich erheben sind nicht zwei Handlungen, die in
Parallelität zueinander stehen. Jenes Beispiel aus Alexius, das
einzige mit avoir , ist auch das einzige, das ein aktives Reflexivum
aufweist. Die andern Fälle haben entweder die lateinische Wendung
(jssi est o turnet 49 e, // dolz qui sor moi est vertlz 93 d) oder die
neue analogische me siii -j- Part., die 81 ff. besprochen wurde.
Freilich ist die Grenze keine scharfe; oft mag die Auffassung
zweifelhaft sein (vgl. Gessner Jb. XV, 205), z. B. (juant ele s'a bün
lavee T. Antechr. 3; Conan s'a bün defendn RBr. 61 40. Hat sich
das Ohr einmal an die Verbindung viai, s'a usw. gewöhnt, so mag
sie leicht auf Fälle übergreifen, wo sie nicht berechtigt ist, namentlich
wenn das Verb auch sonst als transitives mit avoir vorkommt. So
in folgenden Beispielen, wo die mediale Verwendung vorliegt: I^fi-
vers le roi s'a aproismii Fl. Bl. 2940; or changie niai Rom. Past.
III, 46, 93. Doch das scheint eine jüngere Entwicklung zu sein
und der Übergang auf Verba, die überhaupt nur reflexiv vor-
kommen, ist gewifs noch jünger und offenbar mundartlich beschränkt.
Andrerseits ist ja, wie wir in Sj gesehen haben, die Übertragung
von estre auf Fälle wie nie sui cotiuvukz, oci's jüngeren Datums.
Wo das Reflexivum Dativ ist, liegt im Lateinischen natürlich 132.
kein Bedenken gegen die Konstruktion vor. Wir finden denn
auch: sibi commendatum, dictum, persuasum habere Thielm., ALL
II, 512, 514, 532.
In der ältesten französischen Literatur findet sich zufällig kein
Beispiel dafür, dafs man sich so ausgedrückt hätte, aber auch
keines dafür, dafs man sich anders ausgedrückt hätte. Später:
Dius a taut sojferl Qiie je toliic niai ma joie II le 3904, de liii qui
joie s'a tolue Yv. 2795, wo als Subjekt des Partizips nicht not-
wendigerweise das Satzsubjekt qui = Yvains zu denken ist (//j) ;
MiaiiZ vandroit que il s'eust Les iatiz trez R. Ch. 5574, qui bien s'ot garde
douee Perc. 2645, s. Tobler VB II 2, 70; Ebeling ZfrSpr. XXIIP, 105.
Bezeichnend ist, dafs alle Fälle, wo die Konstruktion bei Chretien
de Troyes durch die Kritik hergestellt worden ist, zu denen ge-
hören, wo sie ursprünglich berechtigt ist.
Dieser Gang der Entwicklung, der sich in der französischen
Spräche mehr erraten und konstruieren läfst, als er deutlich zu
Tage tritt, wird durch die andern romanischen Sprachen glücklicher-
weise bestätigt.
176
Im Provenzalischen, wo berechtigtes habere z. B. vorliegt in ieu
nie ai donat . . . vana gloria de vion cantar Beichtf. 36 (RF XXIII, 433),
wäre ein auffallend frühes, vereinzeltes Beispiel der habere -Y^oxi-
slruktion: Don, qcus avez aitant tarzad Pos est regti^ aggestz acaplad?
SF 148. Doch ist wohl hier aila7tt als das eigentliche Akk.-Objekt
{ij'f) und -US als Dativ eth. zufassen. Vgl. estre in 346, 348, 372,
591 etc.
133. Für das Italicnische sagt schon Diez IIP, 291 das Nötige, der
überhaupt die dreifache Natur der reflexiven Konstruktion klar er-
kannt hat, während die spätere Forschung den Sachverhalt eher
verdunkelte als erhellte.
Tatsächlich finden wir z. B. in den CNA die genaue Scheidung.
Bei aktivem Reflexiv avere: s'aveano longamenie amaio (reziprok) 34,
ebenso bei Dativ: s'avea inessa la piü ricca roba 96. Bei medialem
Reflexiv dagegen esse', io 7)u sojio costumato di levare 38; ke s'era
bandito nna Corte dt nozze 75; domandoUa si s^era posata a San
Giorgio 96. Ebenso bei Dante: Gu. con S. e con L. s'avea niessi
dinanzi dalla fronte (aktives Refl.) Inf, 33^3; la liice che pr07nessa
tanto s'avea Par. 8 44 , Tre Friso7i s'averian dato mal iKvito Inf. 3 1 ^4,
ferner 71710 dente el quäle no7i s'avea lasciato far trare Conti ant. cav.,
Mon. Chr. 142, 151. 1 Vgl. auch 83.
Im Altsardischen finde ich habere nur beim Dativ und da
selten: pro ca7ide li kerean parte avendesi levatu su issoro CP 254(?);
SIC cantu 7rCaea postu in com de plantare CVC XVII, 2; deppiat jurare . . .
qtii 77071 sVWat furada 7ii levada issu 7te attera persone pro se C. d'A.
XXXIV -,2 ausgenommen folgendes Beispiel aus dem spät hinzu-
gekommenen Teil der StS: Et hue in sas catisas statas 0 alchiina
de ciissas si aet faclii su contrariu II, 39.
134. In der katalanischen metrischen Version der sieben weisen
Meister ist bei Dativ strenge habere durchgeführt: a7is lo's ha tot
me7ijat 666, ähnl. 717; les faldes se'71 ha utnplides 797; ara 7710 he
aco7-dat 1143; sus al coli la ss'a levada 1400; la do7ia a'l sen portat
1784; U7ia palissa sa vestida 1839. Vgl. besonders Prif^a jö« Jd'7/y er
e a's pensat 184; la 7nadastra si sa pe/isais que lo filastre fus tudats
2695; a's porpensat per la vila fos rossegat 1253. Damit ist die
Frage nach dem Kasus des Reflexivs bei soi pe7iser gelöst, soweit
sie überhaupt berechtigt ist. Vgl. auch im Provenzalischen des
^ Im Sizilianisclien hätten wir ein frühes Beispiel für habere beim
medialen Refl. in: la sira di l'assautu per paura st havianu avtmucciatu
'nira li cantiiti . . . Mon. Chr. IT, 13457, wenn das Denkmal echt wäre. Im
Sydr. Otr. : non si aveaito soll cussi arsi 5204 neben si si foy multu corrichatii
52^21 ^'"^ si fosse . . . tiitto turbato 5^23 und s''era co7tvertuta 5322-
^ Dabei sehe ich von einigen Fällen ab, wo im Sardischen sibi illu für
Uli illu einzutreten scheint. Es handelt sich um folgende Beispiele der C. d'A.:
de alcuna attera persone qui s'iila avirit acomandada XXXIV (ähnlich
XVIII) und mostret qui s'iila at avir dada CLVIII. (Es ist zu beachten,
dafs sich in allen drei Fällen das sibi auf das Subjekt des Hauptsatzes zurück-
bezieht). Zu einer eingehenden Beurteilung, ob es sich um eine syntaktische
oder phonetische Tatsache handelt, reicht das Material nicht.
177
15- Jh.: Sabeiz, compajih, que me iey pensat? Myst. pr. 3139. — Beim
Akkusativ haben wir durchwegs esse: Melquider s^es eti peiis levats
7VV 49; et piiys es se acordat e en Varhre se rües puyat 802 f. etc,
auch se lües anat 218g; und hier finden wir die unbestimmte
Grenze überschritten, die die mediale von der aktiven Konstruktion
trennt: ab lo colteil s'es farit e es se foi-tment nafrat 1263 f., ebenso
1267. Dort freilich, wo das Rückwirken auf das Subjekt scharf
und klar auszusprechen war, mufste ohnehin das betonte Pronomen
gewählt werden und dann finden wir natürlich habere: per aver ha
trahii si viateix 1633, wie wir ja auch im Roland lesen mei ai
perdut e tresiiiie ma gent 2834.
Im Altspanischen und Altportugiesischen findet man habere 135.
beim Reflexivpronomen sehr selten. Ich habe glücklich ein alt-
spanisches Beispiel mit habere für das aktive Refl.: Party endo nos
de Dyos a se de nos partido FG loo c und eines für einen ethischen
Dativ gefunden: Myos averes se me hau levado PC 2912. Altportu-
giesisch, mit reziprokem Dativ: dous que sse avian jurados que casassen
ambos en uno CSiM CXXXV T. ; mit Akkusativ, wahrscheinlich auch
reziprok: mester ouz^y ^^ / Calade ! '''• E pois sse calad' ouveron ('sich
gegenseitig zum Schweigen gebracht hatten'), contou-lles CLXXV.
Ein Akkusativ bei medialem Reflexiv wäre: a gapata ao pee assi se
IVa apres que . . . LXIV, doch dürfte hier mit den beiden andern
Hss. das einfache Perfekt zu setzen sein: se W apres.
Die Verallgemeinerung von habere beim Reflexiv gehört also
in den iberischen Sprachen einer späteren Epoche an.
4. Die Konstruktion habere -f- Part, hat sich schliefslich auf 136.
intransitive Verba ausgedehnt. Im Lateinischen finden wir davon
noch keine Spur. Nur treffen wir sie öfters objektlos bei sonst
transitiven Verben, wo also das Objekt aus dem Vorhergehenden
oder aus dem Sinn zu ergänzen ist, vgl. Thielm. ALL II, 547 co7n-
perium, auditum habere, auch dictum habere S. 537, wonach dann
das immerhin auffällige sicut parabolatum habuistis 'wie ihr es gesagt
hattet' Form. Merk. 26O7. So also z. B. auch eil lo fisient dont ore
aveist odit Jon.
Im Französisch-Provenzalischen finden wir nun zwar habere bei 137.
intransitiven Verben vom Anbeginn; aber die Fälle in den ältesten
Texten sind spärlich und so beschaffen, dafs wir die Entstehung
deutlich erkennen können. Die meisten Fälle enthalten eine Dauer-
bestimmung: trop i ave?n dormit Spo. 35, fors stil le lit oü il a geu
ta7it k\. 15 d A(P); quatre dis jagud aveis toz pudenz Pass. 32; longa-
ment ai od lui converset AI. 69 a; auch A71 tant dement res cum il iloec
unt sis 'innerhalb so vieler Zeit, als sie hier gesessen sind' AI. 67 a
gehört hieher. Man sagte also zunächst wohl trop, mout u. dgl.
avons dormit, jeu, sis, und diese Ausdrücke sind nach dem Muster
von trop, mout etc. avons fait, veu, o'i, mangii verständlich, wo trop,
mout zwar zunächst Objekte sind, aber doch daneben auch Dauer-
bestimmungen sind oder sein können, indem zum Machen, Sehen
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil XXVI. (Festschrift.) 12
178
etc. von vielen Objekten die Zeit entsprechend lang bemessen sein
mufs. Bei Zeitwörtern der Bewegung kommt auch noch die Be-
stimmung der örtlichen Ausdehnung in ähnlicher Weise dazu: tant
a alc usw. Von hier aus war der Schritt zu bestimmten Dauer-
und Streckenbestimmungen ein kleiner. Man denke auch an Zeit-
wörter wie percurrere, errare, degere, im Frz. auch an Ausdrücke
wie ai aU 7?iaint pas (= mont) Adam H., JusP. 5, wo das Objekt
gleichzeitig die durchmessene Zeit oder Strecke darstellt. Dafs im
Romanischen die Auffassung als Objekt noch nachwirkt, sehen wir
•an gelegentlicher Übereinstimmung wie cele nuit ont tote dormie
Er. 141g, Cele voie qtialee avoit Ch. II esp. 9367. Dafs nicht immer
übereingestimmt wird, wird uns erklärlich, wenn wir bedenken, dafs
es sich ja eben um eine von den neutralen Adverbien ausgehende
Gebrauchserweiterung handelt und dafs die Übereinstimmung ja
auch sonst nicht obligatorisch ist.i
Von einem mout oder longament as jeut konnte man natürlich
leicht zu ou as geut de hing'' enf erntetet AI. 98 b gelangen und auch
von einem lungament ai converset 'lange habe ich verkehrt' zu einem
'ich habe verkehrt': qtüa tei ensemble n^02isse converset 98 d ist kein
weiterer Schritt als von einem hoc dictum habeo zu dictum haheo im
Lateinischen. Die Dauerbestimmung dürfen wir wohl auch für die
/W^ifr^- Konstruktion verantwortlich machen in: Tant teg aquella
seholtura Tro a remas aquist rancura 'Solange hielt sich jenes Grab,
als dieser Kummer geblieben ist' SF 414. Ich glaube also, dafs
die für einige Fälle RGr. III, S. 316 gegebene Erklärung allgemeine
Gültigkeit beanspruchen darf.
138. Immerhin ist zu beachten, dafs die angeführten acht Beispiele
und eventuell das neunte aus 7j2 Ende die einzigen sind, die sich
in den ältesten Texten (inklusive Alexius, Boeci, SF) finden lassen.
Es mag ja ein Teil Zufall hineinspielen, dafs wir so wenig finden;
vielleicht ist es auch Zufall, dafs noch kein Beispiel für Bewegungs-
verba vorkommt, aber man kann trotz allem nicht verkennen,
dafs diese Erweiterung der Konstruktion damals noch in^ den An-
fängen steckte. Man begnügte sich eben bei solchen Verben noch
mit dem einfachen Perfekt, vgl. z. B. Pass. 356. Schwer läfst sich
auch einem Zufall zuschreiben, dafs das zusammengesetzte Perfekt
von estre in diesen Texten noch vollständig fehlt, auch hier bedient
man sich noch durchwegs mit des einfachen Perfekts, vgl. Pass. 88,
381; AI. 68 de: morz est tes provendiers e fo sai dire qic'il fiit bans
cristiens.
139. Jedenfalls verstehen wir nun, dafs hier habere in der ersten
Zeit nur bei durativen Verben auftritt. Wo es sich in der altern
Zeit bei perfektiven zu finden scheint, zeigt sich bei näherem Zu-
^ Schon im Lateinischen finden sich einige Fälle von Nicht -Überein-
stimmung, s. Thielmann S. 547. Doch läfst sich aus den Beispielen nichts für
die funktionelle Bedeutung abgewinnen. In oninia probatwn habere heifst
fr. h. 'als Erprobtes haben', also zusammenlassendes Neutrum, vgl. Ihre Ein-
führung ^^ § 193.
179
schauen, dafs sie eben doch durativ oder iterativ gebraucht sind,
z. B. in dem sehr instruktiven Beispiel: mais puis que rois Embrons
mors fu, n^avoit fors de Vestahle zssu, wo die Dauerbestimmung
durch den Nebensatz gegeben ist. So die zahlreichen ian/ ai aU,
plus ai ale, encor navons nous plus venu JBod., SNic. 730 etc. u. dgl.;
ebenso prov.: Anat ai cimi cauz'enversa Lonc temps Raimb. d'Aur.,
App. Chr. IQ 33 etc. Die überwiegende Anzahl der von Hofmann
für avoir aufgeführten Beispiele zeigt noch die Dauerbestimmung.i
Natürlich ist nicht zu verkennen, dafs der Gesamtcharakter des
Satzes oft ein perfektiver ist. Aber eben erst durch die hinzu-
gefügte Strecken- und Dauerbezeichnung. Die Handlung selbst,
ob Bewegung oder Ruhe, wird in ihrer gleichbleibenden Stetigkeit
aufgefafst. Deutlich sind Fälle wie oben AI. q8 b oder wie ases
ai par la terre et venu et ale Alex. 26022' ^^ ^^'^ Handlung als
eine sich einem Resultat nähernde und es erreichende aufgefafst
wird, tritt sofort estre ein, z. B. bei aler, wenn das Ziel angegeben
ist. Wo es aber nur auf die Gehbewegung ankommt, tritt schliefs-
lich avoir auch dort ein, wo kein Ausdruck Strecke oder Dauer
näher bezeichnet, z. B. in dem sehr lehrreichen Vers Alex. 28015:
Cist sevent les desers qui partout ont ali. Und so findet man denn
auch fai dormi, j'ai mes etc. ohne derartige Bestimmungen. Eigen-
tümlich und das Gesagte bestätigend ist das Verhalten von drester,
das nach den Beispielen bei Hofmann nur negativ mit avoir vor-
kommt: A tant curent as armes , ni unt plus areste, weil eben nur
im negativen Fall das gleichmäfsige Fortschreiten der Handlung des
courir möglich ist.
Von den durativen Verben aus sind dann auch die perfektiven 140.
ergriffen worden. Allmählich und, wie ich glaube, auf zwei ver-
schiedenen Wegen. Einerseits gelangte man etwa von quatre liues
ont sigle zu tresqu'a Gimeges ont sigle, wo in tr. a. G. gleich-
zeitig Strecken- und Zielangabe gesehen werden kann, und von
derartigen Fällen zu Ausdrücken mit direkten Zielangaben. Andrer-
seits war es gerade die resultatlose Nuance, z. B, in partout ont ale,
die dann Übertragung auf Bewegungsverba ermöglichte, für die
die Nichterreichung eines Zieles ein begriff"liches Charakteristikum
bildet, wie saillir, passer 'vorbeigehen'. Doch kann ich mich, so
sehr mich der Gegenstand reizt, hier drauf nicht einlassen, diese
Entwicklung näher darzustellen, da die erreichten Endstadien schon
aufserhalb des uns interessierenden Zeitraums liegen. Nur soviel sei
der Merkwürdigkeit halber nochmals festgestellt, dafs, während sonst
bei der präteritalen habere-KonsixxxkXion die Verwendung bei per-
1 Ganz anders zu beurteilen sind natürlich Fälle wie a failli 'er hat
einen Mifserfolg gehabt', wo offenbar ein ursprünglich transitives Zeitwort
vorliegt (sein Ziel verfehlen), bei dem der gewohnlieitsmäfsige Akkusativ als
selbstverständlich vermifst werden konnte. Ähnlich auch a mesfait, mespris,
und ddinach' meserre. Fälle wie sus en lo cel a reguardat erklären sich aus
dem Nebeneinander der Konstruktionen: reguardar lo cel und en lo cel.
i8o
fektiven Verben die primäre, die bei durativen die sekundäre ist,
bei den intransitiven die Verhältnisse gerade umgekehrt liegen.
141. Die Entwicklung, wie wir sie für das Französische skizziert
haben, wird durch das Italienische bestätigt, das auch im 13. Jh,
kaum weiter gelangt ist, als das Französische in der ältesten Zeit.
In den CNA z. B. finden wir keinen einzigen Fall, wo habere bei
einem wirklich intransitiven Verb steht, nur solche von intransitiv
gebrauchten transitiven Verben: in non äi sognato, anzi chomhaUiito
37, vostri figliubli anno guadagnato 50 etc. Und so finden wir auch
sonst habere häufig bei intransitiven Verben, die daneben auch die
transitive Konstruktion kennen: Ed 0 servuto adesso co leanza A la
sovrana Guid. Col. ; non i 7neraveja s' el ha a ti servio Bonv. Job86;
De sexe grandi mar turn recordato avemo Bonv. 3 scr. 537; irenta sei
anni regnatu avea lu imperiatii IV P. 51, 37 f., vgl. das Beispiel aus
dem Longobardenlatein iiy etc.; ferner oft hb pianto, das ja auch
häufig transitiv vorkommt wie frz. ai plore und danach analog das
seltener transitive sospirare und ridere: non hanno riso D. Par. 6 jßp
Auf analogischem Weg ist wohl auch nocere (wie frz. nutstr) zur
Äa^^ri?-Umschreibung gekommen: altre me ha noxuto Bonv. 3 scr. 701,
etwa nach far male oder danno','^ od&x faiigare 'sich anstrengen':
dapoi che lu cavallu a fatigatii Rusio, Mascalcia p. 6 1 nach lahorare
oder ähnlich.
Mit einer Dauerbestimmung dann in Fällen wie Tanf agio
dimorato E dottato, Istato niuto E riletmlo Giac. Pugl.; enlro II peccati
en äi demorad tanto Que . . . Ugu<;. L., Mon. Chr. 47 ii4' "' ^^^^ ^^ ^ ^^^^
noge . . . nienie dixen a loh K aveva anc ello tazudho Bonv. Job 224;
po anc cenio quaranta ajini z« qiiest mondo have ello stao Bonv. Job 270
(sonst esse s. pj)-"^
142. Ganz selten scheint habere beim Intr. auch im Altsardischen zu
sein. In appimus convemitu de departire sos filios de G. T. Mon.
Chr. I. 8 3j haben wir wohl transitiven Gebrauch von conv. zu sehen
und die Infinitivkonstruktion spielt die Rolle eines Akk.-Objekts.
In per tota sa terra huy at avir dellenquidu dürfte das Verbum
transitiv empfunden sein (vgl. lat. delinquere aliquid etc.), C. d'A.
CXXIX; transitive Verba, intransitiv gebraucht, finden sich natürlich
auch sonst mit habere. Aber für wirkliches Intransitivum finde ich
blofs si aet accattare per provas legitimas qui alcunu in lignos de
^ Allerdings kommt nocere auch transitiv vor, s. Tommaseo, Diz. s. v. 2.
und schon in der Mulomed. nocitutn fiierit.
* Im Süden wären frühe Beispiele von habere: ma firchi Sit galeri
haviatiu vimäu cu Vautri Fransisi per terra Mon. Chr. II, 13461 chi havianu
trasutu di nottt ebenda 71, und mit statu: chistu a-via statu monacu 80 und
passiv: havianu statt chiamati 73. Das Denkmal ist aber unecht. Im Sydr.
Otr. averia campato S^^i und se non abessero consentuto allu demonio 57 ss-
Auftällig ist afaticato colui c' a corso, rende il pennone ad un altro che corre
Retor. Guid. Bol. in Mon. Chr. 57i98; vielleicht darf man sich an correre il
palio usw. erinnern. Dagegen erklärt sich wohl Mai non fu home che cqui
tirannasse Che Dia non habia venuto punenno Buccio di Renn, in IVP21411
aus dem vorschwebenden habia punilo.
löl
corsales appat navigatu StS III 4g, für das sich Anknüpfungspunkte
bei transitiven und perfektiven Verben besonders leicht ergeben.
Viel früher nun hat sich die Konstruktion in den iberischen 143.
Sprachen eingestellt. Und zwar finden sich hier nicht nur Beispiele,
wie sie sich im Französischen finden: span.: Los yfantes de Carrion
bien nn cavalgado PC 2246,1 Eriantes que ovyesseii una legua andado,
Salida fue la noch FG 666; portug. : aqueles que as carreiras de
Dens ouveron andadas CSM CCLXXXVIII; E iani^ ouv' i andado
Que achou . . . LXV; E assi andado ouve per mnitas terras CCCXXXIII;
katal.: com hac un patit anat . . 7W 704; con hi aura jagut una nit
1566; 7nassa avia tardat 202;^; und schlielslich com avets esiat? 357;
bona e prous avia stat e manteguda castedat 17 19 (neben Lo rty es
esiat pagats 2231 mit weniger durativem Charakter); und solche,
wie sie überall zu finden sind, bei Verben, die auch transitiv vor-
kommen: span.: por el agiia a passado PC 150 (vgl. passada han
la Sierra 1823); portug.: pois ouv" alen passado CSM CCXLIV (vgl.
per Morabe passaron que ante passad'' ouveran CLXXXI), dissess' ante
todos de com' avia errado CCCII (vgl. Esta moller . . . tan ?/iuit' avia errado
CCLXXII), pois que mh 0 meu a errado RD 11 28; por que jajüacV avian
(nach comido avian, das wieder oft transitiv ist) CCLXXVII; katal.:
quäl es aquell qui ha errat 7W 575; encara no ha lo seny caylat
('geschwiegen'; nach parlat etc.) 1465 — sondern auch bei ent-
schieden perfektiven Verben mannigfaltiger Art: span.: Fata la
(intura el espada legado ha PC 2424; a Valengia an ejitrado PC 2247;
Eizo una corrida . . . Quando ovo corrido, todos se maravillavan PC
1590; que por hi non le an venido LRd'Or. 49 [daneben sonst es
legado, entrado etc.; el an gel fue a el venido LRd'Or. 85]; Toda esta
ganancia en su mano a rastado PC 1733 [neben son rastados 2270];
Falido a a myo Cid el pan PC 581; de toda Espanna esse (puerto)
ovo fyncado FG 87d; — portug.: assi que ouve chegado a Terrejia CSM
CCCXXXIII; tal conü esta aqtiela e que m' ouv apareguda"^ CXCVI
(neben mellor fegicra lle foi y appareguda ebenda) ; pois entrado
ouv en un barqti e passado Sena . . CXI [mit Präteritumbedeutung,
s. I2^\
Die Ursache des frühzeitigen Umsichgreifens von habere bei 144.
intransitiven Verben im Spanischen und Portugiesischen dürfte viel-
leicht in dem Umstand zu suchen sein, dafs hier für das Sprach-
gefühl die transitiven und intransitiven Verba weniger scharf ge-
schieden sind als in den andern Sprachen, indem hier das persönliche
Akkusativobjekt durch d eingeleitet war, derartige Sätze also formell
^ Besonders auffällig, weil hier das Präsens von habere -j- Part, eines
durativen Verbs den Sinn eines historischen Perfekts zu haben scheint.
* Beachte die eigentümliche Übereinstimmung mit dem Subjekt. Sie
scheint drauf hinzuweisen, dafs hier ursprünglich das unpersönliche habet (llß, 1)
vorlag und aktiv-präteritale Bedeutung des Partizips. Diese aktiv-prätentale
Bedeutung würde sich etwa so erklären wie salido, repentitdo in 72. Aber
natürlich rriufste diese Konstruktion bald mit der perfektischen Äa^ifr^ - Kon-
struktion zusammengeworfen werden.
l82
nicht verschieden waren von solchen mit intransitiven Verben, die
etwa eine mit ä eingeleitete Zielbestimmung oder dgl. enthielten;
in ovi al tu fijo negado (Berc. Mil. 8i6) mufste das Gefühl für die
Beziehung zwischen Objekt und Partizip viel schneller verschwinden
als in oi ton fil renoiie oder ehhi il tiio figUo renegato. Man denke
auch etwa an Beispiele wie avyan a toda Canpos corrydo e robado
FG 717% die vermittelnd gewirkt haben können.
145. Die Verba der Bewegung haben auch die meist unpersönlichen
Verba des Geschehens, Sich-Ereignens mitgezogen. Vgl. ^como vos
a ydo? 'wie ist es euch ergangen?' FG49C; conimol avia contido
FG 24g (neben häufigem es ydo, contido); sopieron lo que /' avia acaescido
Cond. Luc. Enx. 18; udieron la cosa que avie contegida Berc. Mil. 216.1
Ähnlich im Katalanischen: fort mal hi a aveiigut 7 W 888; com «' a
pres al cavaller 2683 (aber axi'us es pres 2436).
146. Aufser diesen unpersönlichen Verben, wo habere neben esse
steht, welch letzteres im Frz. allein gebräuchlich ist, gibt es noch
eine Reihe andere, die auch im Frz. mit avoir erscheinen, ohne
dafs der Anknüpfungspunkt stets klar ist. Für das Franz. vgl. Hof-
mann S. 2 5 f. Bei chaloir mag das meist dabeistehende mout, petit
als Akkusativ gefühlt worden sein, bei anoiier, grever, peser die
sonstige transitive Konstruktion eingewirkt haben. Unklar sind mir
membrer und paroir. Die Witterungsausdrücke a pleu, negie etc.,
katal anit 710 ha plogut 7 W 2363 gehen wahrscheinlich wieder von
den häufigen Fällen aus, die eine Dauerbezeichnung (resp. eine als
Objekt fafsbare Mengenbezeichnung) enthalten: il ot negic la matinee
Mer. 14 12, si ot un poi pleu R. Cambr. 2774, diu que amt ha tant
plogut 7 W 2375.
^47* Bei dem Verbum substantivum verlohnt es sich noch einen
Moment zu verweilen. Wir haben in i^S gesehen, dafs die zu-
sammengesetzten Formen in den ältesten Denkmälern fehlen. Sie
fehlen auch in jüngeren Texten: im Oxforder und Cambridger Psalter,
in Gormund, der Karlsreise, wenn ich nichts übersehen habe, ai
este in der Bedeutung 'ich bin gewesen' ist also erst jüngeren
Datums. In den QLdR stofsen wir dann auf ein Beispiel wie
Li reis Yram de Tyr out ested amis lu rei David III 5. Interessant
ist das Rolandslied. Hier kommen mehrere Beispiele für ai este
vor, aber alle sind so beschaffen wie: set anz tuz pleins ad estet en
Espaig7ie 2, ensevible avum estet et anz et dis 2028, en cest pa'is avez
estet asez 134, vgl. noch 266, 351, 2610, 2736. Wir haben es also
direkt in dem Sinn von 'ich habe verweilt', 'ich habe gelebt', was
auf Stare = ester weist (vgl. AI. 38 b, Rol. 2691, KR 74), immer
mit einer Dauerbezeichnung, also ganz parallel zu dem in den
ältesten Texten konstatierten Gebrauch von ai ßu, ai sis. In der
Bedeutung 'ich bin gewesen' ist es dann in den Texten aus der
2. Hälfte des 12. Jh. häufig. Aber in gewissen Dialekten scheint
es auch in späterer Zeit noch nicht durchgedrungen zu sein. So
* S. S. 181, Anmerkung 2.
fehlt es gänzlich in der burgundischen Prosa-Übersetzung von Ami
und Amile. Es wäre sehr ratsam, auf das Vorkommen dieser
Konstruktion mehr zu achten als es bisher geschehen ist.
Dafs im Italienischen teils eine Neubildung versucht wurde
{sono suio), teils snm Status die Bedeutung eines Perfekts von esse
angenommen hat, haben wir bereits gesehen (^j). Daneben im
Norditalienischen {i^i) habeo statiim in der dem Frz. entsprechenden
Verwendung. Auch das Prov. und das Katalanische ^ haben siim
Status neben haheo statum, und zwar mit der entsprechenden Ge-
brajchsverschiedenheit.2 Wie anderwärts das Verbum stare, ist im
Span.-Portug. das Verb sedere dazu gekommen, das fehlende Perfekt
zu supplieren und zwar in der Gestalt habeo seditu. Aber alles dies
sind spätere Bedeutungsverschiebungen und was speziell den letzteren
Typus betrifft, so ist mir ein Beispiel in der älteren Literatur nicht
begegnet.
Dagegen bestand auf einem grofsen Teil des romanischen 14°«
Sprachgebiets eine andere Formel für diesen Zweck, die hohes
Alter beanspruchen darf. Sie geht zurück auf den schon im
Lateinischen sehr wohl bekannten Gebrauch haben für esse, eigent-
lich 'gehalten, gehabt werden '.3 Dieses haberi lebt fort z. B. eccksia
in qua Uli supra metnorati habentur lapides, Adamn, Iter Hier. 2657,
vgl. auch 274g etc.; abentur nanique in dicto vico balnea calida Chron.
nov, I. frgm. 9 ; nur müssen wir uns vorstellen, dafs es in der Volks-
sprache durch habere ersetzt wurde, wofür Beispiele bei Thielmann
ALL II 548 zu finden sind; ebenso wie dicit für dicitur, rumpo für
rumpor etc. sich einfinden, vgl. 66 ^ und Diez Gr. III 208. Dazu
dann habitus entsprechend unserem 'befindlich': De spelunca in rupe
montis Oliveti habita Adamn. 241 j^, das nun natürlich zu einem est
resp. fuit habitus 'war befindlich' führte [cella hospitiim quae ex
antiquo habita fuit 8g8 Td. 219). Dies hat sich unter der roma-
nischen Form *est hahitus weithin erhalten. 4 Da sich nun dieses
1 Vgl. oben 149. Auch noch später; so ist in PV ser die Regel: a
vion pare es estada merce gran 654 etc. und so beim Passiv: era stat vengut
640 etc.; aber apres de haver stat per sei anys sens infants 64S.
^ Für das Provenzalische vgl. avion estat grant terrnini essems B. Chr.
prov. 259; al castel on a istat lo cavalliers tan lotigamentz App. Chr. 3, 310;
vgl. ferner ebenda 337, 40 05) 939! aber tot quant es de he et es estat e sera
App. Chr. 115, 277, und für das Passiv segon qiC es estat dig 12413. Später
freilich verwischen sich die Unterschiede: der Donat prov. gibt für das Passiv
teils eu avia estat amatz etc., teils die beiden Konstruktionen nebeneinander
ohne Unterschied der Verwendung an (1725, 18,3,45 etc.) und in den Rasos
de trobar des Raim. Vid. liest man 6935 in der einen Hs. Ni non crezas qiie
neguns hotns n' aia istat maistres. Ferner Bartsch Chr. 3124, etc.
* Auf die Grundbedeutung selbst könnte ein Gebrauch zurückgeführt
werden, wie wir ihn r. B. finden in ung ort que ero agut de Peyron Vachares
Doc. lingu. S. 333.
* Ich ziehe somit die Erklärung zurück, die ich von dieser Erscheinung
ZRPb. XXVI 740 gegeben habe und die sich mit einer von Gauchat in
dem ^sono avuto' betitelten Aufsatz versuchten, aber wieder zurückgezogenen
deckt. Betreffs der Ausdehnung und älteren Literatur über den Gegenstand
s. Gauchat 1. c.
i84
haheri — habere im Spätlatein und in der Merowingerzeit in der
dreifachen Verwendung des Romanischen findet: i. dem unpersön-
lichen a entsprechend: habehat de eo loco ad montem Dei quatüor
milia Peregr. 3715, habet in ipsa cripta hebraeis litleris scriptum nomina
It, Burg. 25 6, 2. mit persönlichem Subjekt und zumeist Ortsbestimmung
Et deus in te est et praeter te non alter habetur Comm. ap. 374; ibi
habetur capella, qiiae ijiibi habere vide7itur etc. s. Thielm. 1. c, 3. mit
Perfektpartizip: quorum pignora in ipso monastirio habentur inseria
670 Td. ig; nisi quod hie descriptum habetur 1058 Td. 272, so ist
die Anknüpfung von selbst gegeben und die Erklärung Gauchats,
die auf einer nur beim ersten Gebrauch möglichen Verschränkung
beruht, abzuweisen.
14g. In manchen Denkmälern, wo diese Konstruktion mit ai estat
konkurriert, sieht man noch sehr deutlich die ganz verschiedene
Entstehung, so in der Sancta Agnes und in dem von J. Huber
herausgegebenen Evangile d'Enfance RF XXII. Vgl. für ai estat:
Aynes Pa gitat d'enfern on avia tant estat SA 1 207 ; Totz ietnps dedins
esta maysoti A estat en oracion Ev. 800; ohne Zeitbestimmung aber
deutlich ebenfalls = 'verweilt haben': mort ai estat ins en enfern
SA 1190, ähnlich 1186; E la verges c' aviaji estat Am Maria li 071
parlat Ev. 791, ähnlich 1363;^ Que ac estat en greti perill de malautia^
Ev. 2254, ähnlich 136; aber für sui agutz'. ieus diray ques es agiit
'was es gewesen ist' SA 1214; Anz fom cays morta e lassada Car
era aguda trebayllada 130; Li message son tost agut a Frondisi 1500.
Besonders bezeichnend ist Et ac estat for sa mayson Neu mes
que non hi es agut 778 f.
Ganz ähnlich noch in späten Urkunden. In einem Send-
schreiben aus ßriangon (1495): et aven ista a Grciioble circo des
jors Et ptiis sen annas a Lion\ et quant sen agus a Lion, aven
atendus . . ; ferner a ista hen malate, aber quant son agus ensens et al
consel\ allerdings auch a ista revisto la ordenaiiso Doc. Lingu. 428!^.
Wo aber im späteren Prov. estre estat neben estre agut ver-
wendet wird, scheint allerdings kein Unterschied mehr gemacht zu
werden. So in einer Urkunde aus Digne: Item es estat ordenat
que . . . Doc. lingu. S. 249 (ebenso 252 ff.), aber zweimal es agut
ordenat que . . S. 250; es stat elegit guardian S. 256 (1440) neben
sia aguda elegissa badessa S. 261 (1441). Dagegen wird aver estat
noch in der alten Weise verwendet: que hy an istat ambe my chascun
jors X S. 274 (1449) und so öfters. Ähnlich es agutz und es istatz
ohne Unterschied in einer Urkunde aus Beuil 1430, S. 597 f.
150. Wo sich dagegen im Norditalienischen est habutus neben est
Status findet, dürfte sich vielleicht noch ein leises Gefühl für die
Verschiedenheit der Bedeutung erhalten haben. In den 7 Beispielen,
die Bonvesin für die erste Konstruktion aufweist, 3 steht es entweder
^ Vgl. qu^ella estei am mi ensemps 649.
' Ahnlich estac en sa (^= de Dich) mantenenza 988.
« Sechs davon zitiert bei Mussafia, SWAk. ph.-h. Kl. Bd. 39, S. 546.
i85
allein [s'eo 710 fosse habiudho); oder mit adjektivischem Prädikat {fosse
hahiudo acorto e avedudo 3 scr. 79^; sont h. trop molk etc.; hieher
auch digio g^ha in penitentia com ^ h. so siaio) oder mit einem sub-
stantivischen Prädikat {inanze ka esse habiudho zamai to companion
etc.). Wo dagegen eine hinzutretende Ortsbestimmung dem Aus-
druck die Nuance des 'Verweilens' verleiht, steht stets die zweite;
Konstruktion: El pare ke in sii siadha enir'' infer7ial horror DMF 188;
yo sono staio ujia hora in quello malvaxo inferno 3 scr. 877. Wenn
wie in dem letzten Beispiel eine Dauerbestimmung auftritt, finden
wir auch habeo stattim s. o. i/f.i.
Jede romanische Sprache kommt schliefslich mit Hilfe von IS^«
habere und esse dazu, sich ein vollständiges Formenschema der
Perfektumschreibung auszubilden. Jede aber geht darin ihre
eigenen Wege, jede nimmt die Verteilung in ihrer Weise vor. Das
haben wir in den Anfängen festgestellt, und das würde sich noch
deutlicher zeigen, wenn ich diese Verhältnisse Schritt für Schritt in
die neuere und neueste Zeit verfolgen könnte. Dieses Bild würde
noch in eigenartiger Weise vervollkommnet, wenn es möglich wäre,
das Rumänische in den Kreis der Untersuchung zu ziehen, das
hier wieder so besonders und von den andern Sprachen abweichend
verfährt. Durch den beklagenswerten Umstand, dafs die rumänische
Literatur einige Jahrhunderte später einsetzt als die der Sprachen,
mit denen wir uns beschäftigt haben, sind wir aufser stände gesetzt,
zu beobachten, wie sich dort die heutige Verteilung festgesetzt hat
und wir wären deshalb darauf angewiesen, den Gang der Ereignisse
aus dem, was wir in den andern Sprachen lernen, mit mehr oder
weniger Wahrscheinlichkeit zu rekonstruieren.
Das eine sehen wir deutlich: es ist verfehlt, ohne Rücksicht-
nahme auf die historische Entwicklung gewisse Kriterien aufzustellen,
nach denen die Verteilung vor sich geht, wie dies oft für das
Französische geschieht, wenn man sagt, etre bezeichne den Zustand,
avoir die Handlung oder wie es ebenfalls für das Französische
noch komplizierter Cledat, Rev. phil. fr^. XVI 40 ff. tut, der aufstellt:
Mit elre verbinden sich „i^ Verbes qui expriment le maintien dans
un lieu ou dans un etat; 20 Verbes qui expriment un changement
de lieu; 30 Verbes qui expriment un changement d'etat;" — avoir
dagegen „fait prevaloir l'idee du mouvement sur celle du change-
ment de lieu". Wenn man nun in der Verschiedenheit der „id6e
du changement du lieu proprement dit et celle de l'action qui le
produit" (ebenda 58) — man sieht, es ist im Grunde doch nichts
andres als der alte Unterschied von Zustand und Handlung — die
eigentliche Ursache der Wahl des einen oder andern Hilfszeitworts
in einem bestimmten Fall sucht, so stöfst ein Blick auf die historische
Entwicklung 1 oder die andern romanischen Sprachen eine derartige
1 Man' denke an afr. sailliz est, entrez est ; jeii ai, sis ai, demore ai
longuement.
i86
Aufstellung um. Denn ursprünglich bedeuten ja beide Konstruktionen
einen Zustand; und die Idee der Ortsveränderung und der Hand-
lung, die sie bewirkt, hat sich erst in den Formeln und mit den
Formeln ausgebildet. Wenn sich das Gefühl für die Verschieden-
heit der Bedeutung wirklich so einstellte, wie es Cledat will, so ist
es erst aus dem vorhandenen Sprachmaterial abstrahiert zu einer
Zeit, wo die Verhältnisse eben durch anderweitige Verschiebungen
schon so lagen, dafs sich dieses Gefühl, gewissermafsen als Durch-
schnittswert, daraus gewinnen liefs. Als es dann schon gewonnen
war, mag es freilich mitgeholfen haben, die Tradition noch genauer
danach zu regulieren und abweichende Fälle verschwinden zu lassen,
dort namentlich wo Konkurrenz, also Wahlmöglichkeit, vorhanden
war. Dafs es aber nicht imstande war, festgegründete Tradition zum
Weichen zu bringen, beweist, um nur je ein Beispiel zu geben,
auf der einen Seite ü sest tue, auf der andern il a He ä Vkole.
152. Langsam und schrittweise, durch stetes Zusammenwirken und
gegenseitige Beeinflufsung des formeilen und des ideellen Elements
haben sich die romanischen Sprachen eine Reihe neuer Tempora
gebildet. Von zwei verschiedenen, wenn auch vielfach analogen
Ausgangspunkten aus haben sich dafür zwei verschiedene Formeln
gebildet, die immer weitere und weitere Kreise zogen, bis sie sich
endlich, keine Lücke mehr lassend, in das ganze Zeitwortmaterial
teilen. Über die entscheidenden Schritte bietet uns die früh-mittel-
alterliche lateinische Literatur leider nur ein unvollständiges Bild,
aber die romanischen Literaturen kommen noch gerade rechtzeitig,
um uns den letzten Akt der Bewegung mitansehen und dadurch
die früheren Akte erraten zu lassen. Schon haben die beiden
Kreise sich an einzelnen Stellen ihres Umfangs berührt und fest
aneinandergeschlossen und hie und da sogar haben sie sich gekreuzt,
indem einer in das Gebiet des andern eingedrungen ist. Daneben
finden wir aber noch unberührte Fleckchen: esse hat noch keine
Perfektumschreibung {^138, i^y) und für volere, potere, auch debere
als Hilfszeitwort weist die älteste französisch-provenzalische Literatur
ebensowenig ein Beispiel auf wie die spanisch-portugiesische Literatur
und die sardischen Urkunden noch im 13. Jh. und am Anfang des
14., während sie in Italien allerdings um diese Zeit schon ihr Per-
fektum haben. Vielleicht fehlt es noch in manchen andern Fällen,
wo die älteste Literatur schweigt, aber nur bei jenen so häufig ge-
brauchten Verben darf man den Schlufs ex silentio mit einiger
Berechtigung wagen. Freilich nirgends sollte es mehr lang dauern
und auch diese letzte Stelle wird von der siegreich vordringenden
Perfektumschreibung erobert.
Wien, Jänner 1910.
Eugen Herzog.
Das Vigesimalsysteni im Romanisclien.
„Von jeher haben gewisse Zahlen einen geheimnisvollen Zauber
auf den Menschen ausgeübt und dadurch eine mehr als blofs
mathemalische Bedeutung für ihn bewährt", sagt Hirzel.*
Doch kann man gerade in Bezug auf die Zahl bei fort-
schreitender Kultur ein Schwinden des Interesses von Jahrhundert
zu Jahrhundert wahrnehmen und, wenn noch Isidorus in seinen
Origines von ihr sagte: Tolle numeruin rebus Omnibus et oi7inia
peretmt und sie im JNIittelalter in den Spekulationen der Astrologen
eine grofse Rolle spielte, so hat sie heutzutage — abgesehen von
ihrem eigentlichen Gebiete — fast nur in abergläubischen Prophe-
zeiungen alter Weiber und in den Kinderreimen irgend welche
Bedeutung. In der Sprachwissenschaft wird die Zahl, mit wenigen
Ausnahmen, meist ziemlich geringschätzig behandelt. In der Formen-
und Bedeutungslehre der Grammatiken hat sie keinen festen Platz,
bald mufs sie bei dem, bald bei jenem Redeteil einen Unter-
schlupf suchen, ja es gibt Grammatiker, die wirklich nur bis drei
zählen können.
Und doch ist die Zahl nicht blofs für den Mathematiker von
Bedeutung. In den Rund- und Stufenzahlen drücken sich kultur-
geschichtliche Strömungen aus und die Verschiedenartigkeit der
Kardinalzahlsysteme ist auch für den Sprachforscher nicht ohne
Interesse.
Allerdings ist dem heutigen Bewufstsein der Kulturnationen
jedes andre Prinzip der Zahlenbildung als das dekadische
vollständig fremd geworden und als selbstverständlich wird sein
Vorkommen gar nicht besonders vermerkt. Dagegen werden Er-
scheinungen wie französisches qiiatrc-vingt als vereinzelte Anomalien
empfunden und als solche hervorgehoben. INIan vergifst dabei ganz,
dafs jede moderne Sprache Reste eines andern Zahlsystems auf-
weist, man gedenkt — um nur das geläufigste Beispiel zu nennen —
nicht der ungeheuren Verbreitung des Zahlbegriffs Dutzend, der
sich aus dem Zehnersystem nicht erklären läfst.
Man braucht nur Umschau zu halten, um bei den verschiedensten
^ Über Rundzahlen, Bericht der sächsischen Ges. der Wissenschaften
Jan. 1885, p. I.
i88
Völkern Spuren nicht dekadischer Zählung zu finden. Von weit-
gehendstem Einflufs auf das indoeuropäische Zahlsystem scheint
das babylonische gewesen zu sein. Die Sumerier, die Urbevölkerung
Babyloniens, zählten nach dem Sexagesimalsystera, die ein-
wandernden Semiten rein dezimal, i Das Sexagesimalsystera be-
hauptet sich neben dem dezimalen. Die Zahlen schritten von 60
zu 600 zu 3600 zu 36000 zu 216000 vor. Dieses System verbindet
die Vorzüge des Duodezimal- und des Dezimal Systems. 2 Wahr-
scheinlich ursprünglich ein Zeitmafs und der Berechnung der
Himmelskörper entnommen, wurde das Sexagesimalsystem auch auf
Mafse und Gewichte ausgedehnt. In der Teilung der Zeit und
des Kreises hat sich das System bekanntlich bis heute erhalten,
aber auch sonst finden sich Spuren der Sexagesimalteilung, be-
sonders bei den Völkern des Alterturas. Brandis^ sagt: „Nichts
liegt so offen zu Tage wie der morgenländische Ursprung des
griechischen Gewichtssystems. Wenn 60 Minen auf das Talent,
50 Stater auf die Mine, 12 Obolen auf den Stater und raithin
600 Obolen auf die Mine, 3600 auf das Talent gingen, so sieht
man wie hier die Grundzahl 60 eine hervorragende Rolle spielt". —
Der 360. Teil der Sphäre ward als Mafs der Elle betrachtet, deren
60 ein Plethron, 360 ein Stadion bildeten.
Wie sehr aber das Sexagesimalsystem im Volksbewufstsein
wurzelte, zeigt sich in der häufigen Anwendung der 60 und deren
Vielfachen als „Rundzahl" bei griechischen Schriftstellern. Nach
HirzeH „müssen wir daran festhalten, dafs schon vor aller Zahlen-
spekulation gewisse Zahlen, die sich besonders häufig darboten,
eben dadurch ungesucht eine höhere Bedeutung erhielten". „Diese
kann sich auch herleiten von der Stelle, welche jene Zahlen in der
Zahlenreihe einnehmen. Auf diese Weise mufste man dazu
kommen, der Zehn, Hundert und Tausend vor andern einen
gewissen Vorrang einzuräumen. Es sind dies Stufen zahlen, sie
eröffnen eine neue Reihe, die von ihnen beherrscht wird."
Die meisten Völker haben für diese Stufenzahlen kurze, an-
scheinend nicht zusammengesetzte Ausdrücke und verwenden sie
mit Vorliebe auch als Rundzahlen, d. h. als Zahlen, die statt
grofser oder geringerer Mengen gebraucht werden, ohne dafs es
auf ein paar Einheiten mehr oder weniger ankäme. Auch 10 000,
für das den Griechen ein einfaches Wort, fiVQioi, zur Verfügung
stand, wurde von ihnen gern als Rundzahl gebraucht, daneben
finden sich aber auch die sexagesimalen Zahlen. 60 Tage
warten die Griechen an der Brücke am Ister, 300 Peitschenhiebe
läfst Xerxes dem Hellespont geben und 300 Spartaner erwarten
1 J. Schmidt, Die Urheimat der Indogermanen und das europäische Zahl-
system p. 44.
2 Lehmann, Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin
22. Nov. 1889, p. 84 ff.
8 Das Münz-, Mals- und Gewichtssystem in Vorderasien 1866, p. 43.
* L. c. p. 2.
iSg
ihn in den Thermopylen i, 300 athenische Schiffe werden im Hafen
von Syrakus eingeschlossen (obwohl es nach genauerer Rechnung
nur ungefähr iio waren).2 In 360 Gräben wird der Flufs Gyndes
verteilt etc.
Auch die Zahl 12, die ihre Wichtigkeit im Sexagesimalsystera
erhält, wenn es durch Einschiebung einer Dezimale unterbrochen
ist und wieder durch die duodezimale Unterabteilung (wie oben
durch die 12 Obolen) auf die 60 zurückgeführt werden soll, findet
als Rundzahl Anwendung, z. B. die 12 Kinder des Äolus nach
den 12 Hauptwindrichtungen der babylonisch -phönizischen Geo-
graphie.3
Das Gewicht der im Altertum von den Perserkriegen bis
Philipp von Mazedonien verbreitetsten Goldmünze, des Dareikos,
war ein Sechzigste! des altbabylonischen leichten Gewichts. Um
nun ein Siiberstück zu haben, das zugleich dem Verhältnis des
Goldes zum Silber entsprach und eine für die Zirkulation geeignete
Schwere besafs, liefs Dareios die Drachme zum Wert von V20
Dareikos ausprägen. Er schlofs sich hierbei im allgemeinen an die
krösische Münzordnung an.4 Wir finden hier also eine weitverbreitete
Vigesimalteilung der Münze.
Auch auf die Römer scheint das Sexagesimalsystem eingewirkt
zu haben. Es ist ja allgemein bekannt, dafs sexaginta und sescenti
als Rundzahlen vorkommen.^ Und die Duodezimalteilung
findet sich sowohl im Gewichts- und Münzsystem als in der
Bruchrechnung. Cantor^ sagt von letzterer: „Wenden wir uns
zu den Zahlen unterhalb der Einheit, so stehen wir vor einem
ausgesprochenen Duodezimalsystem. Wir haben es hier mit einem
ähnlichen Gedanken zu tun wie bei dem Sexagesimalsystem der
Babylonier und der griechischen Astronomen . . . Die Ähnlichkeit
beider Systeme zeigt sich beispielsweise in Ausdrücken wie andert-
halb Zwölftel" (statt i/g).
„Eine weitere Ähnlichkeit zwischen den Sexagesimalbrüchen
und den römischen Duodezimalbrüchen dürfte darin gefunden
werden, dafs beide von einer ganz bestimmten Teilung her-
genommen sind, also ursprünglich benannte Zahlen waren, bis all-
mählich der Bruchgedanke über den des kleinen Bogenteiles der
Babyloner, des kleinen Gewichtsteils der Römer die Oberhand
gewann". '^
1 Schon V. Hugo fiel diese Zahlenübereinslimmung auf, Legende des
SiÄcles, Les Trois Cents: Et de ces trois cents coups, ü fit trois cents soldats.
Et Xerxes les trouva dehout aiix Thermopyles.
2 Vgl. Schmidt p. 45, Hiizel p. 6.
3 Nautische Märchen, D. Rundschau 1S96 p. 435.
^ Vgl. Brandis p. 68, 190, 218. Auch die Juden hatten eine vigesimale
Einteilung der Münze: der Shekel zerfiel in 20 Gora. Vgl. 1. c. p. 97.
* Vgl. auch Schmidt 1. c. p. 41.
* Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. Leipzig 1894, p. 489.
^ Cantor 1. c. p. 490.
iqo
Als Rundzahl scheint die 1 2 bei den Römern nicht gebraucht
worden zu sein, dagegen hat sie wohl seit alter Zeit kollektiven
Sinn gehabt, da wir sie in der Anzahl der 12 Tafelgesetze an-
treffen. Doch hat das Sexagesimalsystem der Römer nicht zur
Entwicklung eines vigesimalen geführt und das römische, streng
nationale Münzwesen blieb vom griechisch -persischen, d. h. von
einer Einteilung in Zwanzigstel, vollkommen unbeeinflufst.
Die Bruchrechnung der Römer ging nicht in die romanischen
Sprachen über und vom Sexagesimalsystem erhielt sich aufser dem
Erbe aller Kulturvölker, der Kreis- und Stundenteilung, nur hin
und wieder die Verwendung von 60 als Rundzahl.'
Dagegen finden wir in einzelnen romanischen Sprachen Spuren
eines Vigesimalsystems, die wir nicht auf den lateinischen
Sprach- und Kulturschatz zurückführen können. Zum Teil sind es
ganz versprengte Reste in räumlich wenig ausgedehnten Gebieten.
Während auf der ganzen iberischen Halbinsel, bei Katalanen,
Spaniern und Portugiesen dezimal gezählt wird, gebraucht man in
Tras OS Montes, neben oitenta, quatro vezes vinte für 80.2
Dezimal zählt man ebenfalls auf der Apenninhalbinsel, sowohl
im Rätoromanischen als im Italienischen. Nur in zwei Dia-
lekten des italienschen Sprachgebiets, in denen von Teramo^ und
von Noto* wird vom Volke nach Zwanzigern gerechnet.
Das räumlich ausgedehnteste Gebiet der Vigesimalzählung
findet sich in Frankreich. Im Altfranzösischen zählte man
von 2 mal 20 bis 17 mal 20; im Neufranzösischen ist allerdings
die Zwanzigzählung auf die Zahlen von 70 bis 99 beschränkt. Im
Altprovenzalischen war die Vigesimalzählung selten, sie scheint
nur eine literarische Nachahmung der nordfranzösischen gewesen
zu sein, 5 dagegen verzeichnet die moderne provenzalische Literatur
nicht nur tres-vint und quatre-vint, sondern auch sieis-vint, trege-vini
und dh-e-7iuu-viniß
Das romanische Vigesimalsystem läfst sich nach dem Gesagten
nicht aus dem Lateinischen herleiten, da die Römer dieses
System nicht kannten. Sein Ursprung mufs bei andern Völkern
gesucht werden, mit denen die Romanen in engere Beziehung traten.
Als solche kommen nur die Kelten und die Germanen in Betracht.
Bei beiden Völkerstämmen finden wir Spuren eines Vigesimalsystems,
beide wohnten eine Zeitlang auf demselben Gebiete wie romanische
Stämme und vermischten sich teilweise mit ihnen. Zur Erklärung
> Wie mir Professor v. Ettmayer freundlichst mitteilt, ist 60 in der Be-
deutung von viel in den Tiroler Dolomiten nicht unbekannt.
* Nach brieflicher Mitteilung von Frau Caroline Michaelis de Vasconcellos,
für die ich ihr an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche.
3 G. Savini, La Grammatica ed il Lessico del Dialetto Teramano, 1891.
* Avolio, Canti popolari di Noto 1875.
^ Guilhem de Peitieu: C. e. IUI. vint. e. VIII vetz, — Girart de Rossilho:
Tres. C. e. IUI. vint en un tropel.
« Vgl. Mistral.
igi
des französischen Vigesimalsystems hat man auch häufig den
keltischen Einflufs herangezogen. Natürlich kann es sich hierbei
nur um die Einwirkung eines keltischen Stammes, der Gallier,
handeln, die das heutige Frankreich und die angrenzenden Gebiete
bewohnten. Gerade von diesen Kelten ist uns jedoch das Zahl-
system vollkommen unbekannt. Wir wollen uns deshalb zuerst der
Besprechung der nicht dekadischen Zahlen bei den Germanen
zuwenden; für diese finden sich Belege schon aus vorchristlicher Zeit.
Die mit dem Dezimalsystem konkurrierenden Zahlen zeigen bei
ihnen eine eigenartige Entwicklung.
„An drei Stellen wird das indogermanische Zahlsystem durch-
brochen, 12, 60, 120 bilden schon urgermanisch neue Abschnitte." ^
Der Ansicht Schmidts, dafs 60 die ursprüngliche Zahl sei, weil im
Gotischen die Zehner inklusive 60 mittels tigjus, die folgenden
mittels iehund gebildet wurden und analog in den andern germa-
nischen Sprachen aufser dem Altnordischen, wo sich nur mehr im
Adjektiv Spuren der zweifachen Bildung finden, widerspricht Brug-
mann.2 Doch auch er gibt zu, „dafs die Zahlen 60 und 120
bereits im Urgermanischen Haupt- und Rundzahlen waren", wenn
er auch nicht wie Schmidt babylonischen Ursprung, sondern
„aus indogermanischer Urzeit ererbte Zählweise" annimmt, da
sie in vier indogermanischen Sprachzweigen begegnet und die 60
sich auch auf Zehner oder Zwanziger aufbauen konnte.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dafs die Babylonier ein nach
Lehmann „offenbar älteres System" besafsen, das als Längen-
einheiten 2, 12, 120, 720 besafs, d. h. die Verdoppelung der
gewöhnlichen Einheiten. 3
Die 120 entfaltete sich bei den Germanen zu grofser Be-
deutung. Die Skandinavier der Heidenzeit drückten durch himdrad
überhaupt nur 120 aus, da sie für das dezimale Hundert iiu-tiu
gebrauchten. Als durch die Einführung des Christentums dann
auch das dekadische Hundert eindrang, unterschied man die
beiden Hundert durch Vorsetzung von tolfroeU und Hn-oett. Aber
auch dann noch wurde im gewöhnlichen Leben das duodezi-
male Hundert fast ausschliefslich gebraucht und selbst in Annalen
kommt es vor, wenn es z. B. heifst, dafs das Jahr drei hundert vier
Tage (3x120 + 4) enthalte oder dafs König Olafs Leibwache
aus hundert Hirten, 60 Hausleuten und 60 Gästen, im ganzen aus
200 Personen bestanden habe.*
Als Werteinheit bezeichnet 100 ursprünglich 120 Ellen des
Stoffes ivaömal und bei der Umrechnung in Silber rechnet man
6 Ellen auf eine Unze.
Auch das \Nox\. püsund bezeichnet nicht 1000, sondern 1200,
1 .Schmidt 1. c. p. 38.
2 Morphologische Untersuchungen V p. 14O,
8 L. c. p. 84.
* Vgl. Cleasby-Vigfusson sub hundraö.
192
wurde aber viel häufiger als Rund zahl, denn als Bezeichnung
einer bestimmten Zahl verwendet, weil man lieber nach der Anzahl
der Hunderte zählte und dabei bis zu 60 Grofshunderten fort-
schritt.
Auch bei den Franken ist nach der Lex Salica ein Grofs-
hundert zu finden (ttialepti), die Angelsachsen unterschieden hund-
teontig und hundlwelßig, im Friesischen wurde tolftich gebraucht etc.
Ob nun, wie Schmeller* meint, von Grofshundert das Grofs =
144 Stück abgeleitet ist, oder ob das im 6. Jahrh. belegte mittel-
lateinische Wort grossiis, vorliegt, ist eine noch offene Frage. Ur-
sprünglich hat grossiis wohl nicht nur dick, sondern auch grofs
bedeutet, vgl. Ducange, Ludoviciis Grossiis qui et Mngnus niincu-
patur quid siaiiira proceriori et crassiori.
Jedenfalls war in Norddeutschland, wie aus alten Rechenbüchern
ersichtlich ist, noch im 17. und 18, Jahrh. das Grofshundert im
Gebrauch. 2 In England kommt das long hundred sogar jetzt noch
vor, besonders beim Verkauf von Fischen, z. B, 1886 Glasgow
Herald A mease [of Jurring] is five hundreds of 120 each. Im
18. Jahrh. auch für andre Waren z. B. Chambers Cyclopaedia
{l'J2'j — 41) Deal boards are six score to the hundred, called long
hundred.^
In wiefern nun mit dem Grofshundert die Vigesimalzählweise
der Germanen zusammenhängt, ist schwer festzustellen. Wollte man
ursprünglich durch das Zuzählen von 20 die Kluft zwischen dem
dezimalen und duodezimalen Hundert ausfüllen ? Oder, was des
hohen Alters der Zählweise wegen wahrscheinlicher ist, hat man
das Grofshundert in Sechstel zerlegen wollen? Oder war es nur,
wie Cleasby-Vigfusson meint, das Bedürfnis, die umständliche
Dekadenzählweise zu vermeiden, die ja vielleicht auch in den
keltischen Sprachen das Vigesimalsystem förderte. Die 10 war
nämlich, wie in den keltischen Sprachen, Substantiv. Man zählte
bei den Skandinaviern z. B. 4 Zehner und i oder i von der
5. Dekade = 41; die Hälfte des 5. Zehners = 45; und 48 war
5 Zehner weniger 2 (vgl. duo de qmnquaginta, övolv dsoina uxoOi etc).
Schon aus ältester Zeit ist bei den Nordgermanen daneben eine
Art Zwanzigerzählung überliefert, die in Island noch heute vom
Volke gebraucht wird. Man zählt die Zahlen von 21 — 3g zu 20
zu {emn og iuttiigu = i -j- 20, iiu og tultugu = 10 -f- 20, nitjän og
tuttugu ^= 19 + 20), die nächsten 19 Zahlen zu fjörutiu {= 40)
usw. bis 120.
Im Dänischen dagegen entwickelt sich eine Vigesiraalzählung
nur von 50 — go. Sie ist aber scheinbar noch komplizierter, weil
die altnordische Form des halben Zehners (vgl. oben 45) auf den
halben Zwanziger übertragen und die Worte für 10 und 20 lautlich
' Bayrisches Dialeklwörterbuch.
* Vgl. Kluge in Pauls Grundrifs p. 490.
^ V"l. Oxf. Dict. sub hundred.
193
in tyve zusammengefallen sind. Während fyrre fyve = 4X10 be-
deutet, heifst fyresindslyve 4X20 und halvh'edsindstyve 3X20
weniger 1/2 Zwanziger = 50 (daneben auch im Altdänischen fyroe
siniingh = 80, haff thrithice(sm)fiugh = 50}.
Bei den andern Skandinaviern wurde, als im 14 Jrh. die
substantivische Natur der 10 verloren ging, rein dezimal gezählt,
voliistümlich aber fuhr man fort, vigesimal zu zählen und zwar mit
Hilfe von sneis und skor (beides = 20), die dadurch einen Vorrang
vor andern Zahlen erhielten, zu Stufenzahlen wurden. Die
Germanen hatten für solche Stufenzahlen, die ursprünglich Kollektiv-
bedeutung besafsen und diese auch später neben der kardinalen
beibehielten, grofse Vorliebe. Jene Zahlen gingen meist auf
konkrete Begriffe zurück. Sneis (snes) hiefs ursprünglich Zweig,
Stock, skor der Einschnitt auf dem Kerbholz, stiege Hürde (oder
auch Treppe), Mandel und Schock, eine kleinere oder gröfsere
Menge Garben.^ Man zählte mit diesen Worten ursprünglich nur
Dinge, die sich damit in Verbindung bringen liefsen, z. B. eine
Sneise Fische, d. h. eine Anzahl auf einen Stock aufgereihte Fische,
eine „Schnassn Zwifel", ein Strohband mit Zwiebeln, eine Stiege
Schafe etc.
Im Anfang kann die Anzahl willkürlich gewesen sein, soviel
eben darauf oder darin Platz fanden, später empfahl es sich für
Handelszwecke immer die gleiche Menge zu nehmen und man
wählte nun als Stufenzahlen wichtige wie 20, 15, 60.
Der Ursprung der Worte erklärt auch, warum man manchmal
um I Einheit mehr hinzufügte. Waren die Dinge dem Verderben
oder Zerbrechen ausgesetzt, so mufste man schon vorher für Ersatz
sorgen, damit der Empfänger die volle Zahl erhalte, z. B. ein Skor
Gurken, Spargel = 21.2 Nach skor zählt man schon in den Is-
ländischen Gesetzen, z. B. ellefu skorar af karlm'önnum. Besonders
verbreitet war aber die Zählung bei den Engländern, die das
Wort und den Begriff' von den Nordmännern übernahmen. Vom
II. bis zum 18. Jrh., vereinzelt auch im 19. Jrh., finden sich zahl-
reiche Belege. Der älteste aus der Mitte des 11. Jrh. in einem
Klosterinventar mit lateinischer Übersetzung : V scora scoep qiiin-
qiiies viginti oves; VIII score (Beere octies viginii agri.^ Besonders
beliebt war three score, vielleicht der Übersetzung des 8g. Psalms
wegen, wo three score and ten = 70 vorkommt, ebenso auch yb/^r score
■= 80. Bei Shakespeare findet sich three, four, five, six score, nine
score und twelve score. In modernen Dialekten ist das Wort häufig
gebraucht, bedeutet jedoch manchmal auch 21.
Nach Lagerbring* gebrauchte der schwedische Bauer fyra
1 Kluge, Etymologisches Wörterbuch.
* Vgl. Larousse, Dict. Encyclop6dique ^ro^j^: douze douzaines (daiis les
fahriques de pipes la grosse est de quinze douzaines, ä cause de la casse
qui se produit dans le transport).
^ Vgl'. Schröer, Die Angelsächsische Prosabearbeituug der Benediktiner-
regel p. XXII.
* Schwedische Reichsgeschichte I, 14 § 11.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVI. (Festschrift.) I3
194
sneser = 8o, wie franz. quatre-vingt, und von der weiten Verbreitung
des Wortes zeugen folgende Stellen, Charta anno Il86 in Tabulario
S. Bertini: De inierclusionihiis vieatum aquarum ejiisdem Ecchsiae,
quae vtilgo Warren dicunhir, de quibiis 2^ Snesas aiigtti/larum annuatim
persolvehdtur etc.i Quinque sneise piscium.''- In Westfriesland und
in Holland ist die Zählung nach snees noch jetzt gebräuchlich. 3
In Deutschland wurde 20 nur in vereinzelten Fällen durch sneis,
sonst durch stiege bezeichnet, ein Wort, dessen Alter und dessen
Verbreitung durch das krimgotische stega = 20 bezeugt wird.
Andre Kollektiva, die Kardinalbedeutung erlangten, gehen
direkt von Münze und Gewicht aus. Das Pfund zerfiel in
20 Schillinge und der Schilling in 12 Pfennige. Der Schilling
erhielt daher die Bedeutung 12 Stück, auch wenn diese nicht
klingende Münze waren, z. B. Eier, ja sogar Schläge, da nach
schwäbischem Landrecht nicht mehr als 12 Streiche verabfolgt
werden durften. Als später durch die Verschlechterung des Münz-
wesens der Schilling 30 Pfennige enthielt, bekam er hin und wieder
auch die Bedeutung von 30 Stück z. B. Reinanken, Eier etc.
Das Pfund, das 240 Pfennige enthielt, bekam die Bedeutung
240 Stück, die wohl ursprünglich auch gewogen werden konnten.
Später vergafs man diese Grundbedeutung und zählte z. B. i Pfund
Bäume, i Pfund {fueder) Salz := 240 fueder = 28000 Pfund des
gewöhnlichen Gewichtes. Ein halbes Pfund Trinchen =120 kleine
Trinkmafse = i Eimer.*
Die Kelten teilen die Vorliebe der Germanen für Kollektiva,
die zu Stufenzahlen wurden, nicht, es findet sich bei ihnen über-
haupt keine solche Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen. Dagegen
konnte, wenigstens im Irischen, nicht nur 20, sondern auch jeder
darauffolgende Zehner zum Anfangsgliede einer neuen Reihe
werden. Deshalb gebraucht man, obwohl das Dezimalsystem
ganz ausgebildet ist und jeder Zehner seinen besonderen Namen
hat, für 60, neben sesca auch /;-/ ßchif (drei Zwanziger), für 80,
neben ochtmoga, ceithri fichit, für 100, neben cet, cüic fichit etc. Ebenso
findet sich z. B. secht frichit (sieben Dreifsiger) cöic ceihorchuit (fünf
Vierziger) etc.5 Diese Ausdrucksweise wird dadurch veranlafst,
dafs die Zehner Substantiva sind und als solche flektiert werden.
Man könnte daher beim Irischen ebenso gut von einem Trigesimal-
usw. System sprechen, als von einem vigesimalen.
Die übrigen keltischen Sprachen, deren Zahlsystem wir kennen,
besitzen ein Vigesimalsystem. Doch hatte das Welsh noch am
Ende des 8. oder Anfang des 9. Jrh. (Gloss. Oxon.) für 30 eine
* Ducange.
2 Kloster Luzern 1309, vgl. Schmeller.
* Pott, Die quinäre und vigesimale Zählmethode p. 38.
* Vgl. Schmeller.
^ Vendryes, Grammaire du vieil Irlandais 190S § 246.
195
dezimale Form {trimuceint) und Zeuss nimmt an : ,,nuvieroru?n
denariorum exstitisse formas proprias hritaiinicas.^
Jetzt wird allerdings auch 30 schon vigesiraal : deg ar ugeynt
(10 -|- 20) gebildet. Noch erhalten ist aber die 30 im Bretonischen
tregont und sowohl Bretonisch als Cornisch bezeichnen 50 mit
hanter cant == ein halbes Hundert, eine Form, die auch gelegentlich
im Welsh vorkommt (Jiaiiner can inlynedd =: 50 Jahre) und die gegen
ein altes Vigesimalsystem spricht, aufser man hätte ursprünglich
damit 60, d. h. ein halbes Grofshundert bezeichnet.
Seit dem g. Jrh. findet sich im Welsh das Vigesimalsystem
belegt und die Zwanzigerzählung reicht auch über 100 hinaus;
z.B. chue ugein = 120, seith ugeint = 140. Die Zahl 100 wird
jedoch immer durch cant (= centum) ausgedrückt.
Nach Wundt2 tritt das Vigesimalsystem häufig nicht nur in
Verbindung mit dem dezimalen, sondern auch mit dem quinären
auf. Von allen keltischen Sprachen findet sich das nur beim
Welsh. Im Irischen, Cornischen und Bretonischen treten die
Einer vor den ersten Zehner von 11 — 19. Im Welsh aber nur
von II — 14 {un arddeg, deuddeg, tri ar ddeg, pedwar ar ddeg.
15 dagegen wird als einheitlicher Begriff gefafst und die Einer
treten davor wie vor die Dekade un ar bymtheg). Zeuss meint
nun 3 : Numeros XI — XIX in cambrica lingua exstitisse compositos eodem
modo quo in aretnorica vel aliis docent residxii XU et XV (die beide
ohne Bindewort ar gebildet werden). Wenn dies der Fall ist,
so wäre die dezimale Zählweise die ursprünglichere und es würde
sich daraus ergeben, dafs die andern keltischen Sprachen die
ältere Form bewahrt haben. Sowohl das Quinär- als das Vigesimal-
system des Welsh wären also nach dem Zerfallen des Urkeltischen
in die Dialekte, vielleicht auch erst Jahrhunderte später auf-
gekommen. Die keltischen Sprachen haben überhaupt jede ihre Be-
sonderheiten im Zahlsystem z. B. wird 18 im Bretonischen durch
tri-chuech (3x6), im Welsh durch deu-naiv (2X9) ausgedrückt.
Während im Welsh auch nach 20 durch ar (und) die Einer an die
Zehner gefügt werden z. B. nn ar hugeint (l und 20), gebraucht man
im Bretonischen und Cornischen oar, var (supra) z. B. wian-
oar-n-uguent. Von der Arithmetik der Gallier sind uns nur äufserst
spärliche Reste überliefert. Da der Kalender von Coligny* zwar
die Monatsnamen angibt, die einzelnen Tage jedoch nur mit
Strichen bezeichnet, so ist man auf Substantiva angewiesen, die im
ersten Kompositionsglied Zahlwörter enthalten.''' Man raüfste daher
* Zeuss-Ebel, Grammatica Celtica p. 319 *petuarmuceint (40), ^pimpmii-
ceint (50), *setthmuceint (70), *nauceint (90).
■'' Völkerpsychologie I, 2, p. 28.
ä Grammatica Celtica p. 318.
" Revue Celtique XIX.
* Cz«/w_a-/?a/«j = primogenitus ; /lovr]}<a?.r]66viog (Ptol 2, 3. l). Tricorii
(Livius 21, 31,9). Trigaramis CIL XIII, 3026; petorritum (Hör. serm l,
6, 103 etc.). Petrucorius, 11 i-Tova(jla [Pto]. 2, 3. 10); nsfintdovla (Dios-
corid. 4, 42). Unsicher, ob man es mit keltischen Zahlwörtern für 6, 8 und
13*
die gallische Zähl weise aus den andern keltischen Sprachen er-
schliefsen. Dem stellen sich jedoch Schwierigkeiten entgegen, wenn
wir uns fragen, ob die Gallier dezimal oder vigesimal gezählt
haben. Es ist weder die Zahl 20 noch ein Kompositum von 20
erhalten. Die verschiedenen keltischen Stämme verhalten sich,
wie wir gesehen haben, in ihrer Zähimethode verschieden. Nach
Pott findet sich die Vigesimalmethode bei den verschiedensten
europäischen und aufsereuropäischen Völkern, ohne dafs man da-
durch auf Stammeszusammengehörigkeit schliefsen könnte, dagegen
haben einander nahe verwandte Völker nicht immer die gleiche
Zählweise.
Da die Zähl weise von Tras es Montes und der beiden
italienischen Dialekte wenig bekannt ist, hat man die französische
meist als ein Unikum auf romanischen Sprachgebiete dargestellt
und es lag daher nahe, lokale gallische Einflüsse als mafsgebend
anzusehen, wie schon oben bemerkt worden ist. Am ausführlichsten
handelte über diese Theorie Henry, Lexique Etymologique du
Breton moderne, Rennes 1900, XXVI Anm. 2: Seuls de toiis les
Indo-Europcens , toiis les Celles ont la mimer ation vigesi77iale. Celle
parlicularile lew esl commune avec les Fran(ais, seuls de tous les
peuples romans ; et les Frangais sont atissi les seuls qui hahitent un
domaine jadis exclusivement celte. II est donc impossihle de ne pas
songer ä des occupants prihistoriques, qui, comme aujourd^hui encore
les Eskvnos par exemple, comptaient par les dix doigts des mains, puis
par ceux des pieds, puis recommengaient , et qui auraient legui leur
Systeme aux Celles envahisseurs. Es ist natürlich unnötig darauf hin-
zuweisen, dals Henry sich nicht nur in Bezug auf die Aus-
dehnung des Vigesimalsystems, sondern auch in Bezug auf die
Wohnsitze der Kelten irrt. Von der Vigesimalzählung seines
Urvolkes wissen wir nichts, da uns ja nicht einmal die Zähl weise
der Gallier bekannt ist. Aufser Henry und Davau, seinem Gewährs-
mann, gehen die Sprachforscher nicht auf das Urvolk zurück.
Desto häufiger aber auf die Gallier, wenn auch einzelne Stimmen
sich dagegen erhoben haben wie z. B. Nyrop.i
Für Ihre Schüler, lieber, verehrter Meister, kann hier kein
Zweifel sein, wir sind ja gewarnt! Kaum hat der angehende
Romanist Ihre ersten Vorlesungen gehört, wird er über die Gallier-
frage orientiert und erfährt, dafs der Anteil der Gallier an aller-
hand grammatischem Ungemach viel geringer ist, als einige moderne
Gelehrte wollen. Denn, „was man nicht erklären kann, das sehen
sie als gallisch an", sei es das ü «< u,2 sei es manche böse crux
etymologica. Hingerissen vom Feuer Ihres Vortrags, empfindet
10 zu tun hat, ist man bei Seccan-ehae, Octocannae (Ortsnamen) und bei
Dectunathes (Tac. Germ. 29). Auf=erdem sind belegt: CIL XIII, 2494 petru-
decaneto = 14 und tricontis = 30.
1 Grammaire Historique de la Langue Fran9aise 1899 — 1908, II, § 489.
^ Historische Grammatik der französischen Sprache § 48, Einführung in
das Studium der romanischen Sprachwissenschaft §215 ff.
197
mitunter der Anfänger kaum, dafs er die Tiefe Ihrer Beweisführung
nicht ermessen kann, und so mancher kommt vielleicht erst nach
Jahren dazu, eine im Kolleg empfangene Anregung auszugestalten.
Im allgemeinen scheint die Zählmethode einer unterjochten
Bevölkerung, deren Sprache untergeht, nicht von den Eroberern
des Landes angenommen zu werden. Ein Beispiel dafür liefert
die Kolonisationsgeschichte der Pyrenäenhalbinsel. Die vor-
römische Bevölkerung bestand zum grofsen Teil aus Kelten. Wäre
im Urkeltischen ein Vigesimalsystem vorhanden gewesen, so
hätten ebenso wie die Gallier auch die Keltiberier vigesimal
zählen müssen. Aus römischen Berichten ist uns nichts davon
überliefert. Von den Basken dagegen wissen wir, dafs sie noch
heute nach 20 ern zählen von 2x20 bis 4X20-}- io.> Trotz-
dem sind sowohl Spanier, Portugiesen als Katalanen der lateinischen
Zählweise treu geblieben. Auch späterhin, als die Spanier auf
ihren Eroberungszügen nach Mexiko kamen, wo sie doch numerisch
in der Minderzahl waren und mit einer hochentwickelten Kultur
zusammentrafen, gaben sie weder ihr Zahlsystem noch ihre Zähl-
weise auf und doch hatten die Mexikaner ein vollkommen aus-
gebildetes Quinär- und Vigesimalsystem, das 6 durch 5 -j- i, 30
durch 20 + 10, 300 durch 15 x 20 etc. ausdrückt und das eigene
Zeichen für i, 20, 400 und 8000 besafs.2
Eher tritt das Umgekehrte ein, nämlich dafs die Urbevölkerung
die Zählweise, oft auch direkt die Zahlwörter des kultivierten Volkes
annimmt. Die Brasilianer besafsen z. B. nur einheimische Zahl-
wörter bis 3 und ergänzten ihre Numeration aus dem Portugiesischen. 3
Manche slavische Stämme entlehnten das ihnen fehlende Wort für
Tausend aus dem Deutschen oder Griechischen.
Der Beweis, dafs das Urkeltische und infolgedessen auch
das Gallische ein Vigesimalsystem gehabt habe, läfst sich also
nicht erbringen. Trotzdem könnten die Gallier nach Zwanzigern
statt nach Dekaden gezählt, respektive eine solche Zählweise
früher entwickelt haben als die übrigen Kelten und sie den Gallo-
römern übermittelt haben. Da ist es nun wichtig festzustellen,
wann die Vigesimalzählung in Frankreich auftritt. Man müfste sie
ja in den ältesten Belegen finden, da das Gallische schon in den
ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung wenig ge-
sprochen wurde und vor der Festsetzung der Germanen fast ver-
schwunden war. Die Zählmethode der Gallier hätte sich ja nur
dann im Volksbewufstsein erhalten und zwei Invasionen anders-
sprechender Völker überdauern können, wenn sie im fortwährenden
Gebrauch gewesen v.äre. Aber nicht ein einziger Personenname
oder Ortsname enthält die Zahl 20 oder deren Multiplikation,
weder in keltischer, noch in romanischer, noch in germanischer Form.
^ Pott, Die quinäre und vigesimale Zählmethode p. 98.
2 Pott. 1. c. p. 97, Cantor 1. c. p. 8.
3 Pott. 1. c. p. 7.
Auch die ältesten lateinischen Dokumente wenden weder
gallische Zahlwörter für 20 oder dessen Vielfache, noch Über-
tragungen der sogenannten keltischen Ausdrucksweise ins Roma-
nische an. Die einzige Stelle, an der quatuor viginti vorkommt,
belegt Ducange: gallice qttatre-vingt, ocioginta in vet. Ceremoniali
Ms B. Maria DeauratcB, doch sind Ceremoniale erst im 15. Jrh.
in Gebrauch gekommen, * daher liegt eine Übersetzung aus dem
Französischen vor.
Auch die ältesten poetischen Werke in französischer Sprache
zeigen noch keine Vigesimalzählung. Im Rolandlied fehlen zwar
70, 80 und 90, jedoch 60 ist vorhanden und wird auf dekadische
Weise durch seisante ausgedrückt.^ Gegen eine dem Volksbewufst-
sein geläufige Zählweise nach Zwanzigern spricht auch die Stelle,
an der die heidnischen Scharen aufgezählt werden 3; die Heiden
stellen ir etile eschieies auf, die in drei aufeinanderfolgenden Laissen
in drei Dekaden gegliedert werden. Das Pelerinage Charle-
magne enthält an Zehnern nur 20 und 80, beides mit Tausend
zusammengesetzt. 80 wird nur dekadisch ausgedrückt durch
uitante. *
In der ältesten Prosa dagegen kommen neben den dezimalen
Ausdrücken schon die vigesimalen vor: Quatre Livres des Rois:
setante und t}-eis vinz dis; oitante und quatre vinz im Oxford er und
Cambridger Psalter. Knösel^ hat daher unrecht, wenn er meint,
„diese [vigesimale] Art des Zählens lebte namentlich im Volke und
so finden wir sie auch im Volksepos am verbreitetsten. Auch
dürfte die Breite, die den mit vint kombinierten Zahlen anhaftet,
sie mehr fürs Volksepos bestimmt haben. Die Formen setante,
huitante^ nonante sind dagegen häufiger in der Übersetzungsifteratur
und Kunstpoesie." Auch im 12. und 13. Jrh. kommen sowohl in
Prosa als in Poesie beide Zählraethoden nebeneinander vor und
auch die „Breite" der Vigesimalzahl ist sicher nicht ausschlag-
gebend gewesen, denn gerade das so beliebte sept-vingt ist um
zwei oder drei Silben gegen Cent (et) quarante kürzer. Manchmal
mag allerdings bei Umwandlung von älteren zehnsilbigen Versen
in Alexandriner das Zahlwort eine bequeme Verlängerung der Zeile
geboten haben, in diesem Fall aber nicht nur das vigesimale.
Es ist sehr schwer, das Verhältnis der dekadischen zu den
vigesimalen Zahlwörtern festzustellen, da manche Herausgeber von
IManuskripten der Sache keine Bedeutung beiraafsen und die mit
Ziffern geschriebenen Zahlen auflösen oder nur die Schreibung
einer Handschrift angaben. Deshalb ist die Arbeit von Knösel,
der kein Manuskript verglichen hat, auch als Materialsammlung
' Vgl. Wetzer und Weite Kirchenlexikon III, Spalte 16.
2 V. 1689, 1849, 2111.
3 V. 3216 — 3261.
* V. 96 und 99.
^ Über altfranzösische Zahlwörter, Göttingen 1883.
199
nicht zuverlässig und bei den Historikern, die ich selbst eingesehn
habe, stellten sich mir dieselben Schwierigkeiten entgegen: Bei
Villehardouini findet sich 80 nur einmal ausgeschrieben als quatre
vinz (§ 1) sonst sind die Zahlen 80, 120, 140 mit römischen Zahlen
jyxx^ yjxx^ VIl^^ bezeichnet, aber vom Herausgeber aufgelöst.
Für 60 und 100 findet sich diese Schreibung nicht. Das älteste
Ms. stammt aus dem 13. Jrh.
Bei Joinville2 findet sich 80 im § 35 als qiiatre vinz
(chevaliers),^ aufserdem sind six vins, douze vins und qiiatorze vüts
belegt, niemals findet sich jedoch 60 + 10, 80 -|- 10.
Das einzige Mal, wo 70 vorkommt, ist es mit Zahlen ge-
schrieben.'* Aus beiden benützten Ausgaben läfst sich nicht mit
vollkommener Sicherheit erkennen, wann die Zahlen ausgeschrieben,
wann abgekürzt sind. Da das älteste Joinvüle-lManuskript aus dem
Ende des 14. Jrh. stammt, so gäbe allerdings auch ein diplomatischer
Abdruck keine vollkommene Sicherheit in Bezug auf die Schreib-
weise des Autors, da jüngere Manuskripte häufig, je nach Mafsgabe
des vorhandenen Raumes, Zahlwörter, die im Original ausgeschrieben
sind, mit Zahlzeichen bezeichnen und umgekehrt. Besser steht es
in dieser Beziehung, wenigstens für die spätere Zeit, bei Original-
drucken. Fauchet, Les Antiquit6s et Histoires Gauloises
(verfafst 159Q, gedruckt 161 1) gebraucht nicht mehr die Abkürzungen
jyxx g^^_^ dagegen häufig andere römische und arabische Zahlen.
Gezählt habe ich nur die in Worten ausgeschriebenen Zahlen. Es
findet sich sepiafite 33 mal, soixante-dix (ofize etc. mitgezählt) 35 mal;
octatite 10, qua/re-vingi ^^ina.]; nona?ite 2)^, quatre-vi7igt-dix [oiize die.)
17 mal. Es überwiegt bei go also noch die dezimale Zählung, bei
70 halten sich beide Methoden ungefähr die Wage.
Höhere Vigesimalzahlen kommen nicht mehr vor, über 100
tritt die Dezimalzählung ein. Lehrreich ist folgende Stelle: 11, 2
p. 507 „y'üz' entendii dtre ä mon pire (qui le ieiioit de plus anciens
que lui) que depuis six-vingls ans (disoü-il) quelqiitin donna certain
poids d'argent etc. Hieraus geht klar hervor, dafs zur Zeit des
Vaters (also ungefähr in der IVIitte des 16. Jrh.) six-vingls noch
gebräuchlich war, zur Zeit J'auchets aber nicht mehr.
Der Beginn der Vigesimalzählung ist also in das 12.
die Blütezeit vom 13. — 16. Jrh. anzusetzen. Im 13. Jrh.
nannte Ludwig IX. das Spital in Paris les Quinze-vingls, ja man
zählte sogar bis 17x20.^ Fünf und zehn mal 20 wurden
jedoch auch damals nicht gebraucht.
Im 17. Jrh. ist die Vigesimalzählung mit Ausnahme einiger
Archaismen auf 70 — go beschränkt. In der Schreibung hat sie sich
jedoch noch länger erhalten. M. Omont, Direktor der Hand-
1 Ed. Natalis de Wailly.
* Ed. von Nat. de Wailly und von Michel.
^ Litire gibt diese Stelle als ältesten Beleg für quatre vingt,
* § 759 mil CCLXX.
5 Romania I, 346. 27.
200
schriflenabteilung der Bibl. Nationale äufscrl sich brieflich: poiir la
jiiiiiürotation vicesimah (je parle des fenillets de Mss) sans poiivoir
ahsohiment prkiser, on trotwe VI^^, VIl"^'^, etc., au XIII ^ sikle, jiisque
dans la premüre moltU du XVII ^ sikle. Au XVIII ^ sikle, les
comptes royaux offrent encore des exemples de ceiU numeraiion, qvand
les sommes «'^ sojit pas moncks en toutes letlres. Da man sicher
im l8. Jrh. nicht mehr six-vingts sprach, sieht man, wie irrefü'nrend
die Schreibung manchmal sein kann.
Umgekehrt kommen vereinzelte dezimale Beispiele für die
Zählung von 70 — 99 noch im 17., 18. und 19. Jrh. vor.' Im all-
gemeinen ist aber das Gebiet der beiden Zählweisen vom 17. Jrh.
an streng geschieden: das dezimale von i — 60 und über 100;
das vigesimale von 70 — 99.
In den Mundarten jedoch ist die Vigesimalzählung auch in
diesem beschränkten Ausmafse nicht im entferntesten durchgedrungen.
Noch heute werden in einzelnen Dialekten manche der erwähnten
Zahlen dezimal gebildet und die Vigesimalzahl wird nur durch die
Schule verbreitet.
In Bezug auf die Häufigkeit der Verwendung ist am weitesten
verbreitet quatre-vingt, dennoch finden sich zu huitante ge-
hörige Formen auf einem Streifen Landes, der vom Golf von
Gascogue im Departement Landes, sich am franz. Abhang der
Pyrenäen entlang zieht, am Rhein und den Alpen sich nach Norden
wendet, auch die französisch sprechenden Gebiete Italiens und der
Schweiz umfafst, und im Jura endet. Allerdings kommt auf dem-
selben Gebiet daneben meist auch quatre-viyigt vor. Versprengt
ist ütät in Malmedy (Preufsen), oktal in den Ardennen und auf
Guernesay {huitante, octajite kommt in i 7 franz. Departements vor).
Bedeutend günstiger für die dekadische Zahl fällt das Ver-
hältnis bei 7 o aus. Sein Gebiet beginnt zwar erst mit den Basses-
Pyrenees, ist aber im Süden und Osten breiter, umschliefst wieder
Rhone- und Alpengebiet sowie die italienischen und schweizer
Distrikte, wo es fast ausscbliefslich herrscht, hört aber nicht im Jura
auf, sondern reicht in ununterbrochener Linie an der deutschen
Grenze über die Ardennen bis in das Departement Nord und mit
Ausnahme der Provinz Lüttich gehört ganz Belgien dazu. Aufser-
dem wird septante auf allen normannischen Inseln gebraucht (im
ganzen 2 6 Departements und die Grenzländer).
Am häufigsten unter den dekadischen Zahlen ist 71 on ante be-
legt und zwar wieder auf derselben Strecke und in denselben
Grenzländern wie septante, auch auf den normannischen Inseln, im
ganzen in 3 i Departements. Jedoch wird es in Belgien etwas
seltener gebraucht.^
^ Z. B. septante Moliire, Bourg. G., Bossuet, Voltaire, Rostand, vgl.
Nyrop; huitante Castil Blaze, Hist. de l'Ac. de Musique II, 240 [kuttattte
amazones).
* Vgl. üillieron, Karten iOixantc-dix, quatrc-vingt, quatre-vingt-dix.
201
Erwähnenswert sind Reste niedrigerer Vigesimalzahlen in
Savoien: Haute-Luce und St. Martin La Porte ira (irej ve,
obwohl dort tveiäta und nonäta gebraucht werden, in Seez (Bourg
St. Maurice) du reJ In Isere, Theys: ire ve^ {iionäte\ katre vi).
Im Verhältnis zu den dürftigen Spuren eines Vigesimalsystems
auf romanischem Boden war also seine Verbreitung in Nord- und
Mittelfrankreich eine beträchtliche.
Von den Römern haben die Franzosen die Zählung nach
Zwanzigern, wie wir gesehen haben, nicht übernommen, und nur
ein Volk, das Handel und Verkehr beherrschte, konnte einer
anders sprechenden Nation sein Zahlsystem aufdrängen. Die
Gallier waren sicher kein solches Volk. In Münz und Gewicht
hingen sie vollständig von den Griechen und Römern ab. Ur-
sprünglich kursierte in Gallien als einzige Goldmünze der Stater
Philipps II. von Mazedonien (Philipper) und dessen Nachahmungen,
später als Silbermünzen die römischen Denare und Solidi. Cicero
sagte ntimmus in Gallia riiiUiis sine civiiim romanorum iahidis commo-
vetur.'^ Und schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert war der
Handel in den Händen der römischen Eroberer.3 Dies änderte
sich auch später wenig, als die Franken den Norden und die
Mitte Galliens besetzten. Der Handel war jetzt hauplsächhch in
den Händen der Byzantiner und, Vvenn auch die Merovinger-
könige anfingen, die Münzen Justinians nachzuahmen, so schlössen
sie sich anfangs eng an dessen Silberprägung an. Das Pfund
Silber galt 25 solidos, sank allerdings zur Zeit Pippins durch die
Münzverschlechterung auf 22 solidos. Erst Karl der Grofse schuf
ein unabhängiges Münzsystem, indem er das Pfund um ein 1/4
erhöhte und in 20 solidos [sols] zu 12 Denarien (deniers)
= 240 Denarien einteilte. Wieso kam nun Karl zu dieser Ein-
teilung? Ein Zurückgreifen auf die Einteilung des Dareikos in
20 Drachmen ist des verschiedenen Gewichtes halber unwahr-
scheinlich und aufserdem waren der Dareikos und die sich ur-
sprünglich an dessen Einteilung anschliefsenden Philipper wirklich
ausgeprägte Goldmünzen, Karls des Grofsen Silberpfund war nur
Rechnungseinheit. Sollte er, indem 240 Denarien auf das
Pfund gerechnet wurden, beabsichtigt haben, es in 2 Grofs-
hunderte einzuteilen? Diese Einheit ist uns für die Franken
bezeugt, während wir von einer Vigesimalzählung bei ihnen
nichts wissen. Soviel ist sicher, dafs die Münzordnung Karls eine
aufsergewöhnliche Lebensfähigkeit bekundet hat.
Während die römische Republik, das römische und das byzan-
tinische Kaiserreich fortwährend Änderungen in der Einteilung der
Münzen vornahmen, hat Karls des Grofsen Münzordnung über
1000 Jahre, bis zur französischen Revolution bestanden und sich.
1 vieilli.
* Pro IM'Fonteio II, IV.
' Blanchct: Trait6 des monnaies gauloises p. 94.
202
wenn auch mit etwas geänderlcm Gewicht, in England bis heute
erhalten. Die beiden zur Einteilung des Pfundes verwendeten
Zahlen 20 und 12 haben sich jedenfalls für den Handelsverkehr
als ungemein praktisch erwiesen, weil dadurch die Bruchteile
(V-i' V4' V5. Vio von 20 und 1/2. Vs' V4. Ve von 12) Ganze der
niedrigeren Ordnung ergaben. Wir wissen nun, dafs Karl der
Grofse mit den Nordmännern in Beziehung stand, die zu seiner
Zeit noch nicht die gefürchteten Piraten der folgenden Jahrhunderte
waren. Sie kamen als Handeltreibende an die Küste von Frank-
reich, England und Irland und vermittelten allen Verkehr dieser
Länder untereinander und mit dem Süden. Sie besafsen ein voll-
ständig entwickeltes Vigesimalsystem (vgl. oben) und wenn sie auch
noch keine Münzen prägten, sondern die byzantinischen verwendeten,
so hatten sie doch eine nationale Werteinheit, das hwidrad = (Grofs)-
hundert Ellen eines Stoffes 7vadinal, der auch zur Bezeichnung
liegender Güter verwendet wurde, z. B. ein Grundbesitz zu 20, zu
60, zu 120 Ellen Waömal.' Kaiser Karl liefs in Dorestad für die
Normannen besondere Münzen prägen, die seinen Namen auf der
Vorderseite trugen und die später in Hedeby nachgeahmt wurden, 2
da ist es nicht erstaunlich, dafs zwischen seinem Münzsystem und
ihrer Zählweise eine Übereinstimmung zu finden ist.
Später allerdings trat an Stelle des Karolingerpfundes im
Norden die Mark und ein himdrad taliö (120 Ellen) wurde gleich
ein hundraö silfi-s oder 2 1/2 Mark gesetzt == 60 erhtgar. Die
Einteilung des ertug war dann wieder vigesimal = 20 pcnningar.
Auch nach der Zeit Karls des Grofsen war der nordische Einflufs
bedeutend. „Die Wikinger kommen nicht nur und beeren mit
Feuer und Schwert, sie verleihen den Ländern auch das Gepräge
ihrer physischen und geistigen Persönlichkeit." 3 „Die altnordischen
Bezeichnungen für Gewicht und Münzen, Mark, Halbmark, Ore und
Pfennig gewannen Verbreitung überall in Westeuropa." 4 An allen
Küsten haben sie Ansiedlungen und wenn sie auch in der Nor-
mandie die .Sprache des unterworfenen Volkes annehmen, so be-
einflussen sie es doch in Bezug auf Sitte und Anschauungsweise.
Wäre es da auffällig, wenn sie ihre Zählweise nach Grofshunderten
und Zwanzigen beibehalten und sie dann, so gut es ging, ins
Französische übertragen hätten? Es ist sicher, dafs sie skor = 20
in England eingebürgert haben, dessen Verbreitung allerdings da-
durch befördert wurde, dafs es an scor = Kerbe, Einschnitt ein
angelsächsisches Äquivalent hatte.
Im Französischen fand sich natürlich kein entsprechendes
Wort vor und die Sprache prägte damals aus dem romanischen
Sprachgut keine Ausdrücke wie Kerbe (von so und soviel Ein-
* Alex. Bugge, Die Wikinger p. 191 (Übers, von Hungerland).
^ Vgl. Cleasby-Vigfusson.
^ A. Bugge 1. c. p. 91.
* A. Bugge 1. c. p. 218.
203
schnitten), Zweig (mit einer Anzahl Gegenständen), es blieb nichts
übrig als das Zahlwort für 20 selbst zu wählen und ihm gleichsam
substantivischen Charakter zu verleihen. Bekanntlich finden sich
für 100 und 200 keine Formen mit vint. Ob cent nicht manch-
mal auch das Grofshundert bezeichnet hat, läfst sich kaum ent-
scheiden. Folgende Stelle scheint dafür zu sprechen: 6" a de vies
honies 7i€ sai C ou VII^^.l Es wäre doch merkwürdig, mit der
Zahlabschätzung von 100 gleich auf 140 zu springen, während die
von 120 auf den nächsten 20er ganz begreiflich ist, da die Ab-
schätzung um einen Zwanziger leicht schwanken kann. An der
grofsen Verbreitung der Vigesimalzählung ist jedenfalls die Poesie
mit beteiligt. Die Epen, die in der Normandie und deren Grenzen
entstanden, sind gerade in der ältesten Zeit der poetischen Ent-
faltung überaus zahlreich, und so gut, wie die Spielleute von den
germanischen Sitten und Anschauungen beeinflufst wurden, konnten
sie auch die germanische Zählweise annehmen und weiter verbreiten.
Ein lautlicher Umstand, der die rasche und doch nur auf
drei Zehner beschränkte Verbreitung der neuen Ausdrucksweise
unserm Verständnis näher bringen kann, wäre noch ins Auge zu
fassen. Die Formen seissante, oitante und ?ionanie weichen im Vokal
der ersten Silbe von den entsprechenden Einern six, nii, niief ab,
während quarante und cmquattte mit ihren Einern übereinstimmen.
Da(s man diese Ungleichmäfsigkeit empfunden hat und ihr steuern
wollte, bezeugen die Formen süsante und (h)uitafite, während aller-
dings eine Form *nuevante nicht entstanden ist. Bei setanie : set
war allerdings lautliche Übereinstimmung vorhanden, hier macht
sich aber das Reihenassoziationsgesetz geltend, der vorhergehende
und der nachfolgende Zehner zogen siebzig mit, so dafs wir seissante,
seitanie und oitante, nonante gegen six, set und (h)uii, nuef haben.
Da begreift es sich, wenn das Volksbewufstsein, dem ohnedies hohe
Zahlen nie ein anschauliches Bild geben, diesen Zahlen, die den
Einern nicht entsprachen, treis vinz etc. vorzog, die seinem Auf-
fassungsvermögen näher standen. Damit würde sich auch erklären,
warum gerade quatre-vingt eine so grofse Ausdehnung gewann und
sich am längsten erhielt.
Gerade bei den Zahlwörtern hatte der Kleriker früh das Be-
dürfnis, sie möglichst dem Lateinischen wieder anzupassen. Während
bei sept und septante beide Zahlen einer wohl nur graphischen An-
passung unterworfen wurden, liefs man nit unverändert und formte
das ohnedies schwankende oitante zu octante um. Für die Gebildeten
war allerdings jetzt das Zahlwort klar, der Masse des Volkes aber
ganz entfremdet.
Die Vigesimalzahlen über 100 hatten wahrscheinlich eine Zeit
lang an denen unter lOO eine gewisse Stütze, besonders so lange
man . sowohl im gewöhnlichen Leben als in der Literatur gern
Rundzahlen verwendete. Als es jedoch später mit dem Fort-
^ Raoul de Cambrai p. 241 (nach Knösel).
204
schreiten der historischen und exakten Wissenschaften mehr auf
Genauigkeit ankam, wurden sie durch die dezimalen wieder ver-
drängt.
Für die französische Vigesimalzählung lassen sich, wie wir ge-
sehen haben, die wahrscheinlichen Ursachen nachweisen. Nun
entsteht aber die Frage, wie die andern verstreuten Reste des
vigesimalen Systems auf romanischem Boden zu erklären sind. In
erster Linie kommt wohl jedenfalls die Entlehnung aus dem
Französischen in Betracht, erst in zweiter der Verkehr mit
andern umwohnenden Völkern, obwohl es möglich wäre, dafs
im einen oder andern Fall beide Einflüsse in derselben Richtung
gewirkt hätten.
Bei der Entlehnung aus dem Französischen ist eine verschieden-
artige Beeinflussung zu unterscheiden: durch die Literatur, auf
dem Wege des Handels und durch militärische Okkupation
des Landes.
Der literarische Einflufs hat sich hauptsächlich auf das Pro-
venzalische geltend gemacht, wie schon oben erwähnt wurde.
Auch die ganz vereinzelte Stelle beim spanischen Dichter Berceo,
S. Dom. Str. 457: tres veni medidas de farina ist wahrscheinlich darauf
zurückzuführen.
* Allerdings ist es ein merkwürdiges Zusammentreffen, dafs in
Tras OS Montes quairo vezes vinie gerade beim Kornhandel
häufig gebraucht wird, was man entschieden geneigt ist, auf die
zweite Gruppe von Entlehnungen zurückzuführen. Es wäre daher
möglich, dafs sich auch die Stelle bei Berceo auf eine alte Handels-
gepflogenheit der Pyrenäenhalbinsel zurückführen liefse, das Ge-
treide nach dem vigesimalen System zu berechnen. Die Vermittler
des Handels waren wohl lange Zeit hindurch die Franzosen, das
bezeugen eine Anzahl Lehnwörter für Mafse ur;d Münzen. Ein
spanisches Getreidemafs hiefs quarlera, altfranz. quarter, das sich
auch im Englischen quarter noch bis heute erhalten hat. In Portugal
gab es bis 1880 ein Münze pataco (= 40 Reis), die wohl jeden-
falls aus provenzalisch/a/öf, Rechnungsmünze in Avignon= i/jnoLivre
entlehnt ist. Desgleichen ist der jetzt noch in Portugal im Volks-
munde für 100 Reis gebräuchliche Ausdruck iostäo oder tesiäo auf
die französische Münze tesion zurückzuführen, die Franz 1. und
Ludwig XII. prägen liefsen, IMerkwürdigerweise läfst sich dagegen
für portugiesisch vinleni (== 20 Reis) keine entsprechende französische
Münzbezeichnung auffinden, vintain kommt nur als Abgabe vor:
droit en vertu dtiquel le seig7ieur prenait la vingtieme partie du fruit
de la terre und als Zahlwort = vingt.
Zur dritten Gruppe von Entlehnungen möchte wohl das Vor-
kommen der Vigesimalzählung im Dialekt von Teramo zu zählen
sein. Die französische Besatzung des Landes hat im Wortschatz
zahlreiche Spuren hinterlassen und auch eine andere Besonderheit
in der Zählweise geht wahrscheinlich auf französischem Sprach-
gebrauch zurück. Man verwendete statt milk cento etc. uttnece cende
205
etc. gegen die sonstige Gepflogenheit des Italienischen, dem fran-
zösischen onze Cent etc. entsprechend. Der Gebildete, der Italienisch
liest, gebraucht die italienischen Zahlwörter, nur die Analphabeten,
..i piü chietti fra i 7iostri popolani, e sopratutte le donne^'- , wie Savini
sagt, ersetzen quaranta durch do vendine, sessanta durch tre vendine,
settanta durch tre venditie e ddice etc. bis Hundert.
Am schwierigsten gestaltet sich die Frage bei den Dialekten
von Noto. Man gebraucht dort ru vintini (40), ru vintini rici
(50), tri bi7itini (60) etc. Ob die Zählung bis 100 reicht oder noch
weiter, gibt Avolio nicht an, nur sagt er: i il computo ordinario
delle viasse campagnuole. In Sizilien folgten sich so viele Völker-
schaften, dafs die Entlehnungen manche Rätsel aufgeben. Nun
wissen wir allerdings, dafs weder Griechen noch Römer nach
dem Vigesimalsystem zählten und auch von den Arabern ist uns
ein solches nicht überliefert. Die Normannen jedoch, die jeden-
falls ein Zwanzigersystem hatten, wenn wir auch nicht wissen, in
welchem Ausmafse sie bei der Besetzung Siziliens danach rechneten,
besafsen im Süden der Insel geringeren Einflufs. Fände die
Vigesimalzählung sich in der Gegend von Messina oder Palermo,
würde man leichter geneigt sein, sie auf die normannischen Eroberer
zurückzuführen.
Inwieweit der Einflufs des Französischen zur Zeit der Besetzung
des Landes durch die Bourbonen reichte, ist auf Grund des vor-
handenen Materials nicht möglich nachzuweisen.
Kollektiva, die Kardinalbedeutung erlangt haben, sind nicht
nur im Französischen, sondern auch in den übrigen romanischen
Sprachen selten. Zu erwähnen wäre neben französisch grosse, spanisch
griieso, portugiesisch grösa, piemontesisch bor/a, das ursprünglich
„grofse Last" bedeutete und dann die Bedeutung 20 Jahre er-
langte, i Belegt findet es sich allerdings nur als Ausdruck für 80:
quat borle.
1 Vgl. E. Richter, Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe
bur(d). Sitzungsb. Ak. Wiss. Wien, vol. 156, p. 72, 4.
Brunn, November 190Q.
Margarete Rösler.
Sachregister.
A zu a (alb.) 63.
a zu 1? (alb.) 63. — a -f- r zu tz -|- r?
(rum.) 31.
AU zu O (lat.) 51. — au zu o im West-
rom. 8. — au vortonig zu a (rum.) 72.
Ablativus absolutus IIO.
Adjektiva nehmen verbale Bedeu-
tung an 98. — mit -to-Suffix s. -to.
— HABERE 4" prädik. Adj. s. habere.
Akkusativ mit dem Infinitiv mit
Ellipse von ESSE iio.
Aktive Verba mit passiver Bedeutung
124. — Aktiv für Passiv eintretend
125. — aktiver Sinn der -to-Parti-
zipien s. Partizip.
aller: yV vais chanter 15.
Analogie in der Syntax 82 f., 90.
Artikulationsschwäcbung 5, 7.
Artikulationsverstärkung un-
betonter Vokale in Sizilien 5.
Assimilation: der lat. Konsonanten-
gruppen 9; — der lat. Gutturalen 9;
der französ. Diphthonge 5; — im
Istrorum. 34; im Rumän. 41 f.
Aussterben syntaktischer Formen
oder Funktionen 84, 157 f.
Attributiv s. prädikativ.
B: zwischen Vokalen verstummt im
Rumän., bevor be zu ge 36.
Bi zu ib älter als Bi zu gi (rum.) 36.
Bedeutung der Worte 14.
biologische Probleme 12 f.
Bolognesisch: Charakter dieser
Mundart 7.
C: lat. CT zu tt, yi, ft, pt, ut, it 8 f.
Chronologie: der rumän. Lautiibei-
gänge 36, 58 Anm.
Consentius llf.
Dareikos 189, 201.
„Dativ" in dtsch. dem Vater sein
Knecht 15.
Deponentia zu Aktiven und um-
gekehrt 124. — mit aktiver Be-
deutung 124. — Folgen des Auf-
gebens der Passivflexion bei D. 129,
— Perfekta von D. im Rom. er-
halten 136.
Deverbalia mit jolaziertem Stamm
im Dakorum. 24.
Dissimilation der franz. Diphthonge
6. — im Rum. 37, 41 f.
Duodezimalsystem 1 88 f. — Brüche
189. — duod. Hundert 191. —
duod. Teilung der Münze 1S9, 202.
Durative Verba 87 ff., 96. — Per-
fekta d. Verba lOOfF., 151, 172!?,
e vor Nasalen im Rum. 32 f.
Empirie 3.
Entgutturalisierung von Guttural
+ Konsonant 8 f.
Entlabialisierung von qu, gu 5.
Entlehnung von Zahlwörtern 204.
Faktitiv s. transitiv.
Funktions Verschiebung 83.
Futurbildung im Rom. 15.
g zu V (rum.) 37. — gn zu ?;n 9. —
gu entlabialisiert 5.
generelles Präsens s. Präsens.
Genitiv als Form und Funktion. —
als Possessiv 15.
207
Gerundivurn 1O9.
Grammatik: deskriptiv und wissen-
schaftlich I." — historisch -indivi-
dualisierend 2. — evolutionistisch
3, 7 f., 12. — die Sprache, nicht
das Sprechen darstellend 12. — geo-
graphisch-deskriptiv 13. — syntak-
tisch-deskriptiv 16.
Grofshundert 192.
1h zu V im Rum. 37.
HABERE + Adjektiv 107 fF., 164.
Hauptzahlen 191.
ieu als Akkusativ im Neuprov, 16,
Imperfektum im Rum. 28 ff. —
Unterschied vom Perfekt lOi Anm.2.
Intransitives Aktiv für Pajsiv 125
s. auch transitiv.
Iterative Verba 88, 91, 147,
Jotazierte Verba (rum.) 21 ff. —
(tum. und alb.) 60.
k' zu ts (rum.) 63.
Kollektive statt Kardinalia ver-
wendet 193 f., 205.
Komposita: perfektive Bedeutung
93 f., 96, 151 Anm.
Konjunktiv im Islrorum. 23. — im
Altrum. 23.
Kontamination 82.
L: Aussprache des lat. L (pinguis und
exilis) 10 f. — Iv zu Ib älter als BT
zu ^ (rum.) 36.
Labial zu Palatal (rum.) 33f.
Media statt Tennis im Anlaute im
Westroman. 6.
Metathese im Istrorum. 34.
tni als Nominativ im VenezianiscliLn
und im Mailändischeu 16.
Modal nuancierte Verballormen
zeigen Gleichgültigkeit gegenüber
der Zeitstufe I05f., 121 f., 159 f.,
169.
Modaler Nebensinn der -to- Parti-
zipien s. Partizip.
moi franz. als Nominativ 16,
Münzordnung Karls des Grofsen
201 ff.
fiV(Jioi als Rundzahl 188.
Nasalisierung im Rum. 39.
Negativ: Einwirkung des negativen
Charakters auf den Sinn 92 f.
Neubildung, syntaktische 82.
2) palatal il.
Palatalisier ung 5 — primäre, se-
kundäre und akzessorische 8.
Partizip. -to-Partizip. Das mit
Suffix -to gebildete Verbaladjektiv
im Lat. 85 ff. — im Rom. 129 ff. —
mit aktiver Bedeutung im Lat. 83,
87 ff. — im Rom. 129 ft. — mit
passiv-präsentischer Bedeutung 87ff.,
162 f. — Eigentliche Bedeutung
des -to-Part. 85. — modaler Neben-
sinn 92, 123. — prädikativer Ge-
brauch 97 ff. — Gefühl für den Zu-
sammenhang mit dem Verb 124.
Partizip mit esse im Lat. 97 ff. —
im Rom. 135 ff. — als Perfekt in-
transitiver Verba 136 ff. — als
Perfekt reflexiver Verba 141 ff. (mit
Reflexivpronomen 143 ff.). — als
Passiv 146 ff. , 162. — Rückkehr
zur Zustandsbedeutung 149. — als
Zustandsbezeichnung und als Passiv-
perfekt im Rom. 155 ff. — in modal
nuancierten Formen gleichwertig mit
einf. Verb löoff. — mit fui etc.
103 ff., 157 ff. — Part. + EST in
Futurbedeutung 162 f.
Partizip mit habere im Lat. lOÖff.
— im Rom. 163 ff. — in der Be-
deutung eines Präsens 112 f., 117,
171 f. — in modal nuancierten
Formen mit habere im Lat. 120 f.
— modal nuancierte Formen gleich-
wertig mit einf. Verb im Rom. 169.
— mit HABUI im Lat. 121 f. — im
Rom. (= histor. Perfekt) 169, 170.
— bei durativen Verben 170 ff. —
bei reflexiven Verben 174 ff. — bei
intransitiven Verben 177 ff.
Partizip mit HABERE und ESSE ver-
wendet als historisches Perfekt; zur
Bezeichnung einer sofort folgenden
Handlung s. Perfekt.
Partizip mit facere, fieri, venire
s. diese Verba im Wortregister.
2o8
Partizip: -NT-Partizip 91 Anm. I.
Passd ant^rieur zur Bezeichnung
einer sofort folgenden Handlung
168 f. — = historisches Perfekt 159,
169.
Passiv gebildet aus -to-Partizip +
ESSK 104 f., 146 ff.
Passiv flexion: Aufgeben der P.
124 ff., 160. — Ersatzmittel 125 ff.,
146 — 162. — Passiv für Aktiv (ver-
kehrte Sprechweise) 129. — Passiv
für Verbaladjektiv -f esse 129.
Perfekt: Unterschied vom Imperfekt
lOl Anm. 2. — präsentisches und
aorislisches (historisches) 99. — P.
durativer Verba lOOf, I72ff. —
historisches Perfekt: einfaches und
zusammengesetztes im Rom. I45ff-i
166 ff. — einfaches bei huer und
mar 146. — zusammengesetztes als
Bezeichnung einer sofort folgenden
Handlung 168 f. — von esse im
Rom. 182 ff.
perfektive Verba 87ff., 96, 151.
Pfund = 240 Stück 194.
Plusquamperfekt mit Perfekt-
bedeutung (?) 103 Anm.
Positionsgesetz der betonten
Vokale 6.
Prädikat erster und zweiter Ordnung
97 Anm. I.
prädikative und attributive Ver-
wendung des Verbaladjektivs 97
Aum. I. — bei habere 107 ff.
Präsens: punktuelles 89, 127, 151 ff.,
160. — im Passiv durch -to-Part.
-|- ESSE ausgedrückt 151 ff. — durch
-to-Part. -f FiERi, VENIRE etc. 127,
152 ff. — generelles 89, 147. —
HABERE + Part, im Sinn eines gene-
rellen Präsens 171.
Quinäre Zählmethode 195, 197.
R; re, ri im Rum. 32. — RV zu rh
älter als Bi zu /; (rum.) 36.
Reflexiv: Ersatz des Passivs durch
das R. 126 f. — Kasus des R.-Pro-
nomens ht\ pe7iser 176. — reflexive
Verba 126 f. — Perfekt reflexiver
Verba 174 ff.
Rhotazismus (rum.) 38 ff.
Rund zahlen 188 f., 191 f. — Rund-
zahl in kollektiver Bedeutung 190.
S: s zu /> (alb.) 63. — s zu s zu /
(all).) 63. — sl zu sei (rum.) 56.
Sandhibin düngen im Latein. 6, il.
Satz 14 Anm. 2. — Satzäquivalent 14.
Schwund der Auslautvokale im
Franz., Rät. und Oberital. 7. —
von auslautenden Vokalen und Kon-
sonanten im Lat. 6.
sechzig als Rundzahl 188, 190.
Sexagesimalsystem i8Sff. —
Soxagesimalbrüche 189.
Situationelle Bedeutung von Sub-
stantiv + Determinativ 108 ff., 163,
i64ff., 168.
Sprachgeographie 13.
Sprechweise: umgekehrte 129.
Stufenzahlen 187t. — mit ursprüng-
lich kollektiver Bedeutung 193 f.
Subjekt und Prädikat, ungewöhnliche
Verknüpfung 125.
Suffixe -ea, -ia (rum.) 31.
Synkope: -BULIFM zu -blum 70.
Syntax: Definition 14 Anm. 2. —
Schwierigkeit der Behandlung syn-
taktischer Probleme 77 ff. — syn-
taktische Proportionalbildung 82 f.
T: TE und Ti im Rum. 31. — lat.
TL zu CL 10 Anm. 6.
T e n u i s lenis in Unteritalien 7 Anm. 3.
-to-Suffix 85ff. — -to-Adjektiva,
bei denen der Gedanke an die Hand-
lung ausgeschlossen ist 123. — Ad-
jektiva aus -to-Partizipien 129 f.
Transitive Verba: echte und pseu-
do-transitive 87f, — transitiv-fakti-
tive Bedeutung aus passiver Auf-
fassung entwickelt 162. — transitive
und intransitive Bedeutung bei der
Adjektiv-Ableitung 125.
U: ü zu u und ü zu m (alb.) 63.
Umgangssprache Bedeutung der
Zeugnisse der Schriftsprache für die
Umgangssprache 116.
Umgekehrte Sprechweise s. Sprech-
weise.
Umlaut als Haupterscheinung des
betonten Vokalismus im Frz. 6. —
von a zu 5 im Plural der Feminina
im Rum. 29 ff.
Unpersönliche Verba: esse bei un-
persönlichen Verben 140. — HA-
BERE 182. — Passivum bei unpers.
Verba 150.
venir:_;V viens de chatiter l^,
Verbalsubstantiv iio.
Vigesimal teilung der Münze 189.
201 f.
Vigesimalzählung: lautl. Gründe
dafür 203. — bei den Basken 197.
— in Frankreich 190, 197 ff. — bei
den Germanen I90ff. — bei den
Kelten 190, I94ff. — in Manu-
209
Skripten 199, 200. — in Mexiko 197.
— in Noto 190, 205. — bei den
Skandinaviern 192, 202. — in Te-
ramo 190, 204. — in Tras os Montes
190, 204. — bei der vorgallischen
Bevölkerung 196.
Vokalpalatalisierung im Frz. 6.
Wortanlaut im Kelt., Lat. und Frz.
6, II.
Wortauslaut im Lat. 6.
Wortfunktionen 14.
X: lat. X zu ss 9.
Zahlenbildung: Prinzip der Zahleu-
bildung 187.
Zahlsystem, baby ionisches lS8,
191.
Zähl weise der Brasilianer 197.
Zw ischensilbigkeit 7.
Beiheft zur /'.eitcclir. f. roni Phil. XXVl. (l'cstschiift )
H
Wortregister.
adspectare(lat.) lO, Anm.
2.
*agmellus (lat., rum.) 37.
al (rum.) 60.
ü\6 „verloren" (frz.)
162.
ama (lat.) 7.
amalus (lat.) 90, 94 f-
amnät (istrorum.) 41.
animalus 92.
ar „und'' bei Zahl-
wörtern (bret.) 195-
arak' (aromun.) 22.
arester: zusammen gesetz-
tes Perf. (frz.) 179.
aresteu (frz.) 139-
*.isscla (lat.) 50.
*assedito (lat.) 10, A. 2.
*ass'la (lat.) 50.
assula (lat.) 50.
astept (rum.) 10, A. 2.
*'astula (lat.) 51-
astula (sard.) 50.
auca (prov.) 8.
auris (lat.) 51.
auto (span.) 10.
autor (lat.) 9.
balaur (rum.) 60.
barzä (rum.) 64.
berbec (rum.) 56.
biber (lat.) 6.
bintini in Zusammensetz
205.
bole (alb.) 60.
borla (piem.) 205.
cac6 (rum.) 56.
cage (frz.) 6.
ca (si) cänd (rum.) 60.
caulis (lat.) 51-
ceafä (rum.) 63.
cenatus (lat.) 90, 92.
Cent „120", 203.
cerasä (rum.) 70.
cerasia (lat.) 70.
ceresia (lat.) 70.
Chat (frz.) 6.
chegado ,,nahe" (apg.)
164 Anm.
chegar „nahebringen" (?)
(apg.) 164 Anm.
chetif (frz.) 34.
chiave (ital.) 6, II.
christianus (lat.) 58.
chue ugein (kymr.)
195-
ci6une (nprov.) 10.
cireasä (rum.) 70.
cl6 (frz.) 6.
coapsä (rum.) 10.
cöic cethorchuit (altir.)
194-
*coliclu (lat.) 51-
color-mudat (kat.) 135
Anm.
convenu (frz.) 135 Anm.
couru (frz.) 135 Anm.
cras (pik., wall.) 6.
*credenlia (lat.) 24.
crier (frz.) 6.
cursä (rum.) 60.
curundu (altrum.) 32.
daulä (rum.) 70.
de (rum.) 60.
*deb(i)lare (lat.) 70.
decer (apg.) 139 Anm.
C^^c\x{2.'^^:)Jierabsteigen"
139 Anm.
deg ar ugeint (kymr.)
195-
dein (lat.) 6.
deu-naw (kymr.) 195-
dine (afrz.) 9. Anm. 3.
diz/nus (lat.) 9-
discretus (lat.) 133 Anm.
douze vins (afrz.) I99-
dreitf (alb.) 10.
dritto (ital.) 164.
duce-va-ti (rum.) 60.
Dutzend 1S7.
einn og tuttugu (isländ.)
192.
escu (rum.) 56.
esfree (alrz.) I34-
excepto (lat.) 10, Anm. 3.
exire : exitum esse (lat.)
140 Anm.
facem (rum.) S^-
211
facere zur Passivuni-
Schreibung" (lat.) 154.
facere se (lat.) 155.
fäculä = facut (rum.) 56.
fa;jtu (lat.) 9 ff .
faillir Konstr. (frz.) 138.
falsus (lat.) 87, 94.
fara (langobard.) 71.
farä (rum.) 70 f.
färämä (rum.) 64.
fat (megl.) 10.
ferrer (frz.) 92.
fiche in Ziisammensetzg.
(kelt.) 194.
fieri mit Part, (lat.) 127,
(it.) 152 ff.
firit (prov.) 134 Anm.
fjöruliu (Island.) 192.
fl'er (istrorom.) 34.
fortunare, -atus (lat.) 92.
fossatum (lat.) 59.
frambie (rum.) 36.
fränghie (rum.) 36.
freksura (dalm.) 10.
fris (megl.) 10.
Irüit (vegl.) 10, Anm. 4.
triit (alb.) 10, Anm. 4.
*friiUu (lat.) 10, Anm. 4.
föat (alb.) 59.
furnicä (rum.) 37.
fyrcesintiugh (skand.) 193.
fyresindstyve (dän.) 193.
fyrretyve (dän.) 193.
*gabia (westrom.) 6.
*gattus (westrom.) 6.
gavia (piem.) S.
geole (frz.) 6.
gerunchiu (rum.) 40.
ghiräi (rum.) 35.
gitf (alb.) 60.
giugnere (ital.) konstr.
138.
gonfler (frz.) 6.
gras (frz.) 6.
*grassus (westrom.) 6.
*gridare (westrom.) 6.
grosa (pg.) 205.
grosse(frz.) 193, A. 2, 205.
grueso (sp.) 205.
giimtiire (alb.) 9.
gutunar (rum.) 42.
guturaiu (rum.) 42.
guapto (dalm.) 10.
habere (lat.) rnit Akkusa-
tiv- Objekt und De-
terminativ = y^behan-
dein'' 10?,; = „halten''
108. Vgl. Partizip
und Adjektiv im Sach-
register. — habere,
haberi = esse 183 ; —
habitu, -utu zum Per-
fekt von esse ver-
wendet 1 83 ff.
haff thrithioe(sin)liugh
(skand.) 193.
halvtredsinstyve (dän.)
193-
hamesit (rum.) 60.
hanner can (mlynedd)
(kymr.) 195.
hanter cant (bret.) 195.
honorare, -atus (lat.) 92.
huitante s. oitante
hundrad „120" 191, 202.
ier (afrz.) 15.
inveniri (lat.) „befunden
werden'^ III.
iratus (lat.) 91.
irer (afrz.) 92.
irimä (rum.) 40.
Jambe (frz.) 6.
Joe (afrz.) 8.
k'ek' „sehr" (alb.) 60.
*kektine (lat.) 34.
♦kektu (lat.) 34.
k'fn (alb.) 58 Anm.
*keptine 34.
*keptu 34.
kfatfrf (alb.) 58.
kl'ept (istrorüm.) 34.
koapsa (dalm.) 10.
kofäe (alb.) 10.
komnut (dalm.) 10.
kurÖ^e (alb.) 60, 63.
lätunoiu (rum.) 42.
läturoiu (rum.) 42.
levare (lat.) intrans. 137
Anm.
lesie (rum.) 10.
lini-m£ (alb.) 60.
linna (sard.) 9.
llave (sp.) 6, 11.
long hundred (engl.) 192.
lunec (rum.) 42.
mal (alb.) 63.
mänänc (rum.) 58 Anm.
manducare (lat.) 5S Anm.
mänzat (rum.) 60.
mar (rum.) 63.
maraude (prov.) 10.
*massatum (lat.) 59.
niästinoiu (rum.) 42.
mcsoj (alb.) 63.
miel (rum.) 37.
minguado (asp.) 135 A,
ml äre (istrorüm.) 34.
mn-ä, mii-e (istrorüm.)
34-
Mohila (rum.) 37.
mortuus (lat.) 99.
mort „getötet " (rom.)
162, 164 f.
movila (rum.) 36 f.
mu//cä (istrorüm.) 20.
musunoiu (rum.) 42,
musuroiu (rum.) 42.
nalbä (rum.) 37.
navigari (lat.) 140 Anm.
negi6e : noisnegi^e (afrz.)
135-
nestiind (rum,) 60.
m'tjan og tuttugu (isl.)
192.
14^
212
nmc^ii (istiorum.) 63.
nonante(fiz.) IcjSfT., 203.
nuntru (istrorum.) 41.
oar „supra'^ in Zahl-
wörtern^' (kelt.) 195-
oca (ital., sp.) S.
ochtmoga (kelt.) 194.
oclante (tVz.) s. oitante.
oie (frz.) 8.
oitante (afrz.) 198 fr., 203.
oreiUe (frz.) 6, il.
*oricla (lat.) 51.
ortado (sp.) 130 Anm. 2.
Örtug (aoid.) 202.
päcuinH (rum.) 42.
paüohur (alb.) 60.
päntec (rum.) 5Ö.
päräu (rum.) 59. f.
pataco (sp.) 204.
pfr (alb.) 60.
perir ^^zugrunderichten'-''
(frz.) 162.
pfrua (alb.) 59 f.
piagno (ital.) 9.
piakno (dalm.) 10.
Pistillus (lat.) 8.
Pixtaucus (lat.) 8.
Pixticenus (lat) 8.
Pixtillus (lat.) 8.
pl'erd (istrorum.) 34.
poc (istrorum.) 21.
pociu (rum.) 21.
poe (afrz.) 8.
pos (rum. ban.) 21.
posnS (rum.) 37.
pot (rum.) 21.
prendre (frz.) intrans.
138 Anm.
punoiu (rum.) 42.
purceg (rum.) 21.
purec (rum.) 56.
puroiu (mm.) 42.
(pQOVZxov (ngriech.) 10,
Anm. 4.
quartera (sp.) 204.
quatorze vins (afrz.) 199.
quatre-vingt (frz.) 187,
igSff., 203.
quatro vezes vinte (pg.)
190, 204.
quatuor viginti (lat.)
198.
Quinze-vingls (frz.) 199-
räbdä (rum.) 32.
rade (frz.) 8.
räsaru (altrum.) 32.
räscräcSnat (rum.) 42.
rä^crScärat (rum.) 42.
räspunsu (altrum.) 32.
räsunoiu (rum.) 42.
räsuroiu (rum.) 42.
Tau „sehr" (rum.) 60.
raudo (sp.) 8.
rebdä (altrum.) 32,
rene (afrz.) 9, Anm. 3.
renegatus (lat, rom.) 133
Anm.
rei>Tis„ezngewurzelt^'{frz.)
132.
respunsu (altrum.) 32.
rumpere (lat.) intrans.
137.
sale „ Hüften ■' (rum.)
60.
Sal'e (alb.) 60.
samtu (arom.) 22.
särmä (arom.) 64.
sat (rum.) 59.
scor (germ.) 202.
score (engl.) I93-
secale (lat.) 63.
sedeo, *seditu (lat.) zu7n
Perf. von esse ver-
wendet 183.
Segen (dtsch.) 9.
seith ugeint (kymr.) 195.
seminät (istrorum.) 41.
septante s. setante.
sept-vingt (frz.) 198.
sesca 194.
setante (frz.) 198 fr, 203.
sikur (alb.) ÖO.
six vins (frz.) 199 f.
skor (germ.) 193, 202.
snees, sncis (germ.) 194.
soarec (rum.) 56.
*sokius (lat.) 8.
spuie (istrorum.) 22 f.
statu (lat.) 138; zum
Perf. von esse ver-
wendet 182 f.
staur (rum.) 70.
stega (germ.) 194.
Stet (megl.) 10, Anm. 2.
stiege (germ.) 193 f.
slräminare (rum.) 41.
sudato (ital.) etc. 135.
sumedenie (rum.) 60.
suspin (rum.) 42.
tacitus (lat.) 37, 92.
tenere + Part. 113,
171 f.
tes (rum.) 10.
testäo (pg.) 204.
tirrcett (skand.) 191.
tiu og tuttugu (isl.) 192.
tiu-tiu (skand.) 191.
toapsec (altrum.) 10.
tölfroett (skand.) 191.
tot (rum.) 60.
treis vinz (afrz.) 201,
203.
treis vinz dis (afrz.)
198.
tremble (frz.) 135 Anm.
tro^ir (asp.) 137.
triebe in Zuss. (kelt.)
194-
tri-chuech (bret) I95-
trofte (alb.) 10.
tsäptir (istrorum.) 34.
tub'lus (lat.) 70.
^erimf (alb.) 64.
^umbul (alb.) 63.
2 I
]7Üsund (skand.) 191.
ucig (rum.) 21.
unda „ Welle v. kochen-
dem Wasser'''' (rum.)
56.
urdinä „oft gehen'-' (rum.)
56.
ustunoiu, usturoiu (rum.)
42.
valgo (ital. sp.) 9.
*veclus (lat.) 50.
*velenum (lat.) 42.
velle im Istrorutn. 23.
vengo (ital., sp.) 9.
vendine in Zuss. (süd-
ital.) 205.
venin (dakorum.) 42.
venire mit Part. 127
154 f.
verin (arom.) 42.
vetulus (lat.) 50.
videri ^^scheinen'-'-
III.
viezuina (rum.) 42.
viezunie (rum.) 42.
Villa (lat.) 10, Anm. 6.
vintini (Noto) in Zus.
205.
vintem (pg.) 204.
waÖmal 191, 202.
(lat.) xe, xi (apg.) 143 Anm.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
BEIHEFTE
ZUR
ZEITSCHRIFT
FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. GUSTAV GRÖBER
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG I. E.
UNTER MITWIRKUNG
VON
Prof. Dr. E. HOEPFFNER
XXVII. HEFT
PRINZIPIENFRACtEN der romanischen SPRACHWISSENSCHAFT.
MEYER -LÜBKE GEWIDMET. TEIL II
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
1911
PRINZIPIENFRAGEN
DER
ROMANISCHEN
SPRACHWISSENSCHAFT
WILHELM MEYER -LÜBKE
ZUR FEIER DER VOLLENDUNG SEINES 50. LEHRSEMESTERS
UND SEINES 50. LEBENSJAHRES
GEWIDMET
TEIL II
PETER SKOK:
DIE VERBALKOMPOSITION IN DER ROMANISCHEN
TOPONOMASTIK
ELISE RICHTER:
DER INNERE ZUSAMMENHANG IN DER ENTWICKLUNG DER
ROMANISCHEN SPRACHEN
ALICE SPERBER:
ZUR BH^DUNG ROMANISCHER KINDERNAMEN
ERNST GAMILLSCHEG:
ÜBER LAUTSUBSTITUTION
HALLE A. S.
VERLAG VON MAX NIEMEYER
191 I
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Peter Skok, Die Verbalkomposition in der romanischen Toponomastik i
Elise Richter, Der innere Zusammenhang in der Entwicklung der
romanischen Sprachen 57
Alice Sperber, Zur Bildung romanischer Kindernamen 144
Ernst Gamillscheg, Über Lautsubstitution 162
Sachregister 192
Wortverzeichnis 196
Verzeichnis der Orts- und Personennamen 200
Die Verbalkomposition in der romanischen
Toponomastik.
La composition avec l'imperatif est ^minemment synth6-
tique. Avec ses complications apparentes, eile n'en reste
pas moins naturelle et porte bien le cachet de l'esprit
populaire,
A. Darmesteter, Formation des noms composes
en fran^ais. S. 173.
Die Zusammensetzung Imperativ und Appellativ, seltener
Adjektiv oder noch seltener adverbielle Bestimmung wird nicht
nur zur Bildung von Appellativen in allen romanischen Sprachen
ungemein häufig herangezogen, sondern sie ist auch in der roma-
nischen Onomastik recht zahlreich vertreten, wie man bisher auch
jedesmal hervorgehoben hat. Bei Appellativen dient sie, wie kaum
erwähnt zu werden braucht, vorzugsweise zur Benennung ver-
schiedenartigster Geräte und Pflanzen. Diese Kompositionen
studierte bekanntlich fürs Französische eingehend und abschliefsend
A. Darmesteter in seinem Traite de la formation des mots com-
poses dans la langue fran9aise compar^e aux autres langues ro-
manes et au latin, Paris 1875. Er hat S. 199 (5, Verbes avec
vocatif, Fufsnote 6) auf Ortsnamen hingewiesen, denen canta und
ein Vogelname etc. zugrunde liegt. Früher schon hat sie Houze,
Etüde sur la signification des noms de lieux en France, Paris
1864, S. 17 — 21 kurz behandelt, ohne sich natürlich in die Be-
trachtung ihrer grammatischen Beschaffenheit einzulassen. Bei der
Abfassung meines Artikels: Cantare in französischen Ortsnamen,
Zeitschrift XXXII 555 ff. war mir diese kleine Arbeit leider nicht
zugänglich. Einige venezianische Verbalkomposita als Ortsnamen
hat Olivieri in Studi sulla toponomastica veneta in de Gregorios
Studi glottologici itahani S. iii — 113 gesammelt und kurz be-
sprochen. (Bei mir zitiert: Olivieri mit Seitenangabe).
Nachdem ich die fa«/a- Ortsnamen im Französischen a.a.O.
behandelt habe, will ich im folgenden diejenigen einer Besprechung
unterziehen, denen andere Verbalkompositionen zugrunde liegen.
Die vorliegende Arbeit bezweckt nicht so sehr eine sichere
Interpretierung der Bedeutungen dieser Kompositionen, was ohne
genaue ethnographische, kulturhistorische und topographische Kennt-
Beiheft zur Zeitschr. f, rom. Phil. XXVU, (Festschrift.) j
nisse nicht möglich wäre, als vielmehr eine Vorführung des Reich-
tums solcher Bildungen in der romanischen Toponomastik.
Um das Prinzip der Namengebung mittels Verbalkomposition zu
veranschaulichen, war eine Vergleichung der romanischen Ortsnamen
untereinander notwendig, wie das beim Studium von Appellativen
in so grofsem Mafsstabe und schon seit langen Jahren üblich ist,
nach der Methode, die Sie, unser verehrter Meister, in Ihren zahl-
reichen Werken in so vorzüglicher Weise und so ergebnisreich
verwertet haben.
Meine diesbezüglichen toponomastischen und topographischen
Kenntnisse schöpfte ich aus folgenden Quellen:
A. Für Frankreich:
Dictionnaires topographiques, die jetzt für 25 Departements
vorliegen, und zwar für Aisne, Aube, I3asses-Pyrenees, Calvados,
Cantal, Deux-Sevres, Dordogne, Drome, Eure, Eure-et-Loir, Gard,
Hautes-Alpes, Haute-Loire, Haute-Marne, Haut-Rhin, Herault,
Mayenne, Marne, Meuse, Meurthe, Morbihan, Moselle, Nie vre,
Vienne und Yonne. Dazu noch zwei aufserhalb dieser Sammlung:
für Ain: Guigue, Topographie historique de 1' — , Trevoux 1873, und
für Savoie: Vernier, Dict. topogr. du d6p de la — , Chambery 1897.
Für Südfrankreich bietet sehr viel noch F. Mistral, Lou tresor
dou felibrige.
Moderne Ortsnamen ohne alte Belege haben mir geliefert:
Paul Joanne, Dict. topogr. et administratif de la France et de ses
colonies. 7 Bde. Paris i8gi — 1909, und Dictionnaire des postes
de l'empire, Paris.
Die Abkürzungen hierfür sind:
Dt. = Dictionnaire topographique eines Dep.;
Dp. = Dictionnaire des postes;
Joanne und Mistral. Sie sind dem betreffenden Dep. bei-
gegeben.
B. Für Italien:
Amati, Dizionario corografico dell' Italia. 8 Bde. (ohne An-
gabe des Jahres). Mailand.
Casalis, Dizionario geografico, storico, statistico, commerciale
degli stati di Sua Maestä il Re di Sardegna. Turin 1833 — 56.
28 Bde.
Fabi, Dizionario geografico, storico, statistico etc. della Lom-
bardia, Mailand 1855.
Repetti, Dizionario geografico, fisico, storico della Toscana.
Florenz 1833 — 43. 5 Bde.
Abkürzungen: Amati, Casalis, Fabi, Repetti.
C. Für Spanien:
Del Castillo, Gran diccionario geografico, estadistico y histo-
rico de Espana. Barcelona 1890. 4 Bde.
Madoz, Dicc. geogr., estadistico, historico de Espana. i6 Bde.
Madrid 1845 — 50.
Andere Ortsnamen- und Urkundensammlungen werden im
Texte erwähnt.
Schon aus diesem Verzeichnis ersieht man, dafs die Arbeit
keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Für eine
Gegend stand eben ein ausreichend belegtes Material zur Ver-
fügung, für andere wenig oder gar nichts. Deswegen schien es
auch geboten, sich voreiliger Schlüsse zu enthalten.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten werden
prinzipielle Fragen und die Kompositionen als Ortsnamen kurz
skizziert, während der zweite Teil als Materialsammlung gedacht
ist. Eine gründlichere Besprechung aller sich an diese Ortsnamen
knüpfenden prinzipiellen Fragen kann vorderhand nicht geboten
werden, solange die Bedeutungen der Kompositionen nicht genau
festgestellt sind. Der zweite Teil will eben nur Versuche über
die Deutungen derjenigen Kompositionen, wo beide Bestandteile
klar sind, geben. Lokale Forschung hat hier wie überhaupt bei
Ortsnamen noch sehr viel zu tun. Das Nähere über die im ersten
Teile erwähnten Ortsnamen suche man im zweiten alphabetisch
angeordneten Teile, welcher auch einen Überblick darüber bieten
soll, welche Verba zur Komposition verwendet werden und wo sie
vorkommen.
I. Die romanischen Ortsnamen sind seit ungefähr zwei
Dezennien Gegenstand ziemlich intensiver Forschung. Die bis-
herigen Ergebnisse, Ziele und Wege dieses interessanten Studiums
haben Sie, verehrter Meister, in letzter Zeit in dem kleinen aber sehr
viel bietenden Büchlein „Einführung in das Studium der roman.
Sprachwissenschaft", Heidelberg 1901, am besten zusammengefafst.
So viel man aus der schon ziemlich umfangreichen Literatur
ersehen kann, waren in überwiegender Mehrheit die nicht zu-
sammengesetzten Ortsnamen im Mittelpunkte des Studiums. Die
Kompositionen blieben gröfstenteils unberücksichtigt. Man hat
allerdings denjenigen mit villa oder curtis, denen mit Personen-
namen, in neuester Zeit auch denjenigen mit Heiligennamen,
einige Aufmerksamkeit geschenkt. Doch die Erforschung einer
grofsen Anzahl von echt romanischen Ortsnamen, die auf Verbal-
komposita zurückgehen, liegt noch immer brach; und gerade bei
dieser Art von Ortsnamen zeigt sich die romanische Eigenart am
allerbesten. Selbst im Romanischen ist sie, was Ortsnamen betrifft,
beschränkt auf das Westromanische. So viel das von mir ge-
sammelte Material, welches keineswegs vollständig ist, urteilen läfst,
sind Frankreich, Spanien, Nord- und Mittelitalien die eigentlichen
Gebiete dieser Ortsnamen; das übrige Westromanische zeigt sie
nur sporadisch. — Sie erscheinen in zweifacher Art, am aller-
häufigsten als Imperativkomposita, seltener als Komposita mit
anderen Verbal formen. Obwohl die erste Art im Mittelpunkte
unserer Betrachtung steht, soll die zweite doch nicht unerwähnt
bleiben. Man findet z. B. Zusammensetzungen mit Conj. präs.:
Diosleguarde in Spanien (Prov. Salamanca); in Basses -Pyren^es
Dt. Diusajude, Lehnsgut, a. 1385 Dius Ayde. Die letzte Ver-
bindung kommt allerdings auch mit Imper. vor: Divajeu, Dorf in
Drome Dt, a. 1145 Castrum de Deoajua, Deu ajuda 1212. Vgl.
den Personennamen Adulpho Dielwart und Awost Dieuslewart
(a. 1343 und 1366) im Cartulaire de l'^glise Saint Lambert de
Liege. Im Italienischen entspricht dem der Name einer Burg:
Castrum Diulaguarda a. 1136, geschrieben auch a. 1209 Castrum
Deolaguarde, in Conte M. Fantuzzi's Monumenti Ravennati, Venezia
1801, III. Bd. S. 255, 307. Auch das Perfekt ist einmal nach-
zuweisen: Dieulefit in Drome Dt., a. 126g Castrum de Dieulefit,
1332 Dioulophes, a. 1366 latinisiert Deofecit; Deode in Dordogne
Dt. ist auch als Personenname genug bekannt. Zwei Mühlen in
Marne Dt. und Aube Dt. haben zum Namen einen ganzen Satz:
Ecoute-s^tl-pleut, welche Ausdrucksweise für wasserarme Mühlen
bekannt ist; auch ein Flurname in Marne Dt. Les Escoutc-sHl-pleitt\
desgleichen ein Gehöft in Meuse Dt. Dieu-s'en-Sotivienne; drei
Flurnamen und zwei Dörfer in Dordogne Dt. Tonfyfaut; Dorf in
Indre-et-Loire Joanne I, 27 E Air-y-danse. Alle diese sind jüngere
Bildungen. Die mit Imperativ lassen sich dagegen bekanntlich bis
ins 9. Jh. hinauf verfolgen.
2. Die Imperativkomposita finden als geographische Namen
verschiedenartige Verwendung, u. zw. i. als Namen besiedelter
Plätze, Strafsen, Dörfer, Gehöfte; 2. als Bergnamen; 3. als Namen
kleinerer Wasserläufe und 4. als Flurnamen. Das meiste Material
bieten jedoch besiedelte Orte. — Nach ihrer Verwendung kann
man diese Namen in vier Gruppen einteilen. Die erste Gruppe
umfafst solche Namen, die sich nur als geographische Namen nach-
weisen lassen (Typus: Mirehel, Canialupo, Brametourie); die zweite
Ortsnamen, die zugleich auch Appellativa sind (Typus: Taravento,
Passetempi); die dritte solche, die auch Personennamen sind (Typus:
Bevilacqua, Pai-ahipo, Tuebosuf)', die vierte endlich Kompositionen,
die in allen drei Funktionen auftreten (Typus: Passavant, Portefaix,
Taille/er). Es lassen sich keine Merkmale auffinden, nach denen
man diese Gruppen voneinander unterscheiden könnte.
3. Dem Inhalte nach zerfallen sie in zwei grofse Gruppen,
die wieder ihre Unterabteilungen haben. Die eine, die man
primäre nennen kann, umfafst solche Verbindungen, die tat-
sächliche Beschreibungen der Ereignisse oder der Terrainverhältnisse,
Gefühlsäufserungen oder metaphorische Ausdrücke enthalten. Die
zweite, die sekundäre, scheint die meisten Verbindungen zu um-
fassen, ü. zw. solche, die ursprünglich Spitznamen einzelner Personen
oder ganzer Bevölkerungsgruppen waren und dann Ortsnamen ge-
worden sind. Phantasiereiche Vorstellungen, die solchen Bildungen
zugrunde liegen, lassen solchen Ursprung leicht vermuten, nicht aber
immer bestimmt nachweisen. Eine sichere Unterscheidung zwischen
den einzelnen Klassen und Unterabteilungen ist fast unmöglich.
Da der Zweck der Arbeit dahingeht, das Prinzip der Verbal-
korapositionen als Ortsnamen aufzudecken, nicht aber diese Namen
endgültig zu deuten, so möge eine kurze Skizzierung der Motive
folgen, aus denen die zu besprechenden Bildungen entspringen.
I. Primäre Klasse.
a) Während sich im allgemeinen in Ortsnamen, denen ein-
fache Substantiva zugrunde liegen, das Bestreben zeigt, die Lage
oder kulturelle Wichtigkeit eines Ortes zu bezeichnen, drücken die
Verbalkompositionen als Ortsnamen einen Vorgang aus, der sich
im betreffenden Orte fortwährend ereignet oder einmal ereignet
hat. Ein Hang nach Schilderung, nach Beschreibung ist in
ihnen unverkennbar. Gewöhnlich sind diese Vorgänge von ganz
unbedeutender, lokaler Natur. Hunderte und hunderte von Malen
finden wir Verbalkomposita, die eine Handlung der Tiere oder an
den Tieren ausdrücken. So sind z. B. schier zahllos die Namen,
welche Örtlichkeiten andeuten, wo verschiedene Tiere ihre Stimmen
hören lassen [brama, canfa, corna, hnca, hne, jappa, layra, piula,
ronca und Tiernamen). Andere wiederum bezeichnen Stätten, wo
man einst Tiere verbrannt, geschlachtet, geschunden oder getötet
hat (patti, hrusa, viazza^ matta, escana, etrartgle, scortica, strozza,
stanga, trajiche, trousse, tue und Tiernamen), wo sich Ochsen oder
Kühe die Hörner abgebrochen haben, wo man der Kuh den
Schwanz weggenommen oder sie verstümmelt hat [ecorne und hosuf;
escoda^ esguarra und vacd), oder wo der Wolf sein Lager hat, wo er
klopft,! frifst, springt oder gehängt wird, wo verschiedene Tiere
pissen, scharren oder Bewegungen machen [coiwa, heiirte, gratte,
mangia, nega, passa, pissa, pende, torna, trepa und Tiernamen). —
Eine andere Gruppe bezeichnet wiederum Vorgänge, die auf Schutz-
vorkehrungen hinzielen, so gegen Wölfe {Paraloup), gegen heftige
Winde {Para-, Garovenl); Beobachtungspunkte 2 (Gtiarda und ver-
schiedene Objekte). Arme Gegenden werden treffend ausgedrückt
durch Zeitwörter brama, guzza ^xx\.^. fanie, manca Viwdi parte, etc. — Alle
möglichen Verhältnisse werden auf diese Weise veranschaulicht.
Für Örtlichkeiten, wo starke Winde wehen, dienen biifa, heurte,
piglia, spazza, torna und aura, bise oder vent. Örtlichkeiten mit
schöner Aussicht werden hervorgehoben durch 7mra, Rodungen
* [oder aber wo man auf Wölfe stufst]
* [oder vielleicht eher Punkte, wo man verschiedene Tiere zu Gesicht
bekommt]
durch arranca, cava, sega, taille und cepa, ceppo, hots; Durchgangs-
pässe durch passa. In allen diesen Fällen wird etwas Tatsächliches
beschrieben. Beide Bestandteile sind in gewöhnlicher Bedeutung
zu nehmen ; deshalb ist es am besten diese Klasse primär zu nennen.
b) Die zweite Unterabteilung dieser Klasse umfafst solche
Ortsnamen, welche affektische Anteilnahme des Menschen an der
Örtlichkeit bekunden. Sie zerfällt wiederum in zwei Gruppen.
Entweder werden bezeichnet: angenehme oder unangenehme
Gefühle, die durch die Lage oder durch sonstige Terrainverhält-
nisse hervorgerufen werden: Amavida, Andavias, Esclate-Sang, Crevacor,
Premilcuore; oder Wünsche der Begründer: Scacciapensieri, Passe-
temps, Matagriffon, Reculafol, -fort. Die Begründer dürften auch
Wünsche gehegt haben, ihre Burgen mögen feindliche Städte und
Befestigungen vernichten oder sie erobern. i Solche Verbindungen
erscheinen am häufigsten mit bourg oder ville im zweiten Bestand-
teile: Heurteville, Le Maillebourg, Marquebielle, Taillehotirg, -ville,
Tourneville, Troussebourg. Doch kann diese letztere Gruppe von
Ortsnamen auch unten zur sekundären Klasse gehören.
c) Meistens sind aber die in Rede stehenden Ortsnamen
metaphorisch zu verstehen. Der primitive Volkshumor spielt
hier die gröfste Rolle. So bezeichnet man kleine Wasserläufe,
Bäche, von denen einige vielleicht im Sommer versiegen, Baignecul,
-chat, Cacherat, -pied, Moiällcpied, Tournevalade, Wasserfälle werden
durch Pissevache bezeichnet; Wohnorte in armen Gegenden, welche
weder den Tieren noch den Menschen ausreichende Nahrung bieten
können, durch b?-a7}ia, corna und bove?n, vacca, famem, panem; Sied-
lungen bei Wäldern oder in sumpfigen Gegenden durch canta und
Vogel- und andere Tiernamen, magna und Tiernamen, pasce und
lupo; steile Terrainverhältnisse durch Crevacuore, Scaricalasino, Leva-
31710, Scavezzazenoci, Montaboule (Felsen), Premilcuore, Tirecul; rauher,
steinreicher Boden durch pica + cailloux, pierre, Taillepied, Tire-
pied, gratte und cambe, cuisse, dos; weiches Terrain durch moidlle
und sola, savate etc.
IL Sekundäre Klasse.
Dafs Ortsnamen zugleich Familiennamen sind, ist nicht auf-
fällig, weil dadurch die Herkunft des Individuums oder gegeben-
falls das feudale Verhältnis zu dem betreffenden Orte bezeichnet
wird. Bemerkenswerter ist dagegen die Tatsache, dafs sehr oft
dieselben Verbalkomposita auch als Spitznamen dienen oder dienten.
Leider fehlt uns eine Sammlung von romanischen Spitznamen,
die uns ermöglichen würde, den Vergleich zwischen diesen zwei
Funktionen durchzuführen. Doch kann man sich ein ungefähres
1 Eine ähnliche deutsche Bildung ist Zwing-Uri in der Schweiz. Auch
für affektische Bildungen findet man deutsche Parallelen, z. B. Schreckenstein
bei Leitmeritz, Schröcken bei Bregenz, Sehr eck hörn (Schweiz) etc.
Bild machen, wenn man die als Ortsnamen vorkommenden Verbal-
komposita mit den bei Darmesteter und Mistral als Spitznamen
belegten vergleicht. Mistrals Tresor bringt noch dazu viele Verbal-
komposita, die als Spitznamen von den Bewohnern gewisser Orte
und Gegenden gebraucht werden. Dafs die Verbalkomposition sich
zu solcher Funktion besonders eignet, ist ohne weiteres klar, wenn
man sich ihre synthetische Kraft vor Augen hält. Durch Verb und
Komplement ist man imstande, sowohl das Allgemeine als das
Spezielle auszudrücken. Da nun der volkstümliche Humor das
Hauptagens solcher Spitznamenbildungen ist, so begreift es sich,
dafs die Volkspyche nach diesem besonders ausdrucksfähigen Mittel
greift. Wie die Spitznamen, so zeigen auch die Ortsnamen sehr
oft humoristische Auffassung: Aiapuerca^ Badafols, Basaculo^ Chieloup,
Cacciapiatti, Calzagatta, -vacca, Cavalcabö, Croquipine, Cureplats,
Esquicho - mousco , Ferraheccho, -mosche, IngannapoJtron, Ligamusca^
Pelafol, Pmceloup, Pillemoine, Rosegaferro etc. etc. Die Entstehung
solcher humoristischen Ortsnamen kann man sich nicht anders
erklären, als eben durch die Annahme, dafs sie ursprünglich
Spitznamen waren.
4. Über die äufsere Gestalt, in welcher diese Ortsnamen auf-
treten, läfst sich nicht viel sagen. In Spanien und Italien erscheinen
sie meist in schriftsprachlicher Form. In Italien zeigen Ortsnamen
überhaupt nur toskanische Gestalt. Ausnahme machen einige nord-
italienischen Verbindungen mit -hö > bove, und lovo > lupo ; in
Spanien nur die auf dem katalanischen Gebiete liegenden Miramhell,
Caniallops und Grattallops. Die gröfste Mannigfaltigkeit zeigt die
südfranzösische Toponomastik. Wie in der Orthographie so herrscht
auch in der sprachlichen Gestalt die gröfste Willkür. Am
häufigsten kommt der Fall vor, dafs die Endungen sowohl des
Imperat. als auch des zweiten Bestandteiles französiert erscheinen :
Grateloube, Massevaques^ Masseville, N^gue-Sauvie, Nlgue-Vaques,
Tirecabre. Auch das ist nicht konsequent durchgeführt. Manchmal
ist nur die Endung des zweiten Bestandteiles französiert : Cantarane,
DarnaciieilleUe, Massabielle. Sehr oft wird der zweite Bestandteil
ganz durch nordfranzösische Form ersetzt: Masseboeuf, Porteboeiif,
während bei Massehiau nur die Imperativendung französiert ist.
Der letzte Fall ist ziemlich häufig: Mayepan, Masse jail, Nlguebiou,
Taillecavat, Taillebeau, Tourneb oiiich , Tournecapet. Doch gibt es
genug Beispiele, bei welchen die amtliche Orthographie dialektische
Formen noch bewahrt: Mirabel — Mirabeau — Mireheau — Mi-
rebel — Miribel; Miravail — Miraval — Mireval\ Miramon —
Miretnont ; Negabio, Panapeys etc.
5. Heute gilt es schon als ausgemacht (s. Romanische Gram-
matik II § 547), dafs der erste Bestandteil dieser Komposita ein
Imperativ ist, welcher sich aber in den Ortsnamen sehr oft als
Indikativ interpretieren läfst. Ein sicherer Indikativ liegt nur
vor in Mancalacqiia, -lavita, -pane, -tutto. Als zweiter Bestandteil
dienen in erdrückender Mehrzahl der Fälle einzelne Substantiva in
verschiedeneu Funktionen als Objekt, Vokativ oder adverbielle Be-
stimmung, wofür hier Beispiele anzuführen nicht notwendig ist.
Seltener erscheinen Adjektiva, die sich indessen als Subst. inter-
pretieren lassen: Caniamuda, Cantavieja, Mirabtcenos, Matasajios,
Nigtievieille, Pissevieille, oder wo man noch etwas hinzudenken mufs:
Mirabelliim (sc. locum), vielleicht auch bei Gagne-Petit, Taille-Petit
und Tdlapetit', ebenfalls selten Personennamen : Cantalucia, Pelar-
rodriguez, Strozza Martino\ hie und da mit einer Präposition ge-
bildete adverbiale Bestimmung: Battindarno, Miransic, Pissenval,
Pissincanna, Pissintorno. Ebenso selten erscheinen zwei Impe-
rative: Curemonte, Filletrame, Tour7iepique (?), Townemire (?),
Tournevire (?), Tranche-Pouge (?), Trinqiutaille (?).
6. Diese Ortsnamen zeigen auf dem ganzen grofsen Gebiete
der Romania die Artikellosigkeit, Ausnahme machen nur
einige französische Ortsnamen: Le Maillebourg, Le Miremont, Le
Miraval, Le Passetemps, Le Pellegrain, Le Portefaix, L! Ecorchechien,
Le Chantoiseau, Le TaiUepied, Le Toiirnefeiiille , Le Touriiebride,
L' Etrangle-Chevre , La Canierrane, La Chantraine, Les Cacherats,
Les Gratte-Chiens, Les Garde-Bois, Les Mirabeaux. Diese Aus-
nahmen müssen vorderhand unerklärt bleiben, bis die Regeln über
den Gebrauch des Artikels bei den französischen Ortsnamen auf-
gefunden sind.
Da in Italien die Ortsnamen auch sonst ohne Artikel gebildet
werden, so ist die Artikellosigkeit hier gar nicht auffallend. Be-
merkenswert ist sie nur auf dem spanischen und dem französischen
Gebiete. Hier haben, wie uns die Romanische Grammatik II § 146,
S, 178 lehrt, die Ortsnamen romanischen Ursprunges den Artikel,
zwar nicht durchgehend, aber in vorwiegender Tendenz. Die
NichtSetzung des Artikels versteht sich nur beim Verbalkompositum
mit Rücksicht darauf, dafs eben sein erster Teil die 2. Pers. des
Imper. ist, also eine bestimmte Verbal form. Demnach war für
die Anwendung des Artikels gar kein Anlafs vorhanden. Diese
Tatsache im Vereine mit vielen anderen, die schon Darmesteter
1. c. und andere hervorgehoben haben, ist ein schlagender Beweis
gegen die Theorie Osthoflfs, wonach im ersten Bestandteile ein
Verbalsubstantivum zu sehen wäre. Dafs die als Appellativa
dienenden Verbalkomposita diese Altertümlichkeit nicht beibehalten
haben, ist wiederum wegen der Analogie mit anderen Substantiven
leicht begreiflich.
6. Der zweite Bestandteil ist ebenfalls im grofsen ganzen
artikellos; einzelne sehr bemerkenswerte Ausnahmen sind allerdings
über die ganze Romania verstreut; so in Spanien: Canta-el- gallo, —
'la-rana, — -la-piedra ; Miralpeix, Miralrio (Mira-el-rio), Parala-
cuesta ; in Frankreich: Ca7iteloi<zel (?), Tombeloly, in Italien: Bevi-
lacqua, Crevalcuore, Mäncalacqua, Mnncalavita, Miralbello, Passa-
lacqtia, Pref}iilcuore, Scaricalasino. Da man dieselbe Erscheinung
auch bei den als Appellativa dienenden Imperativbildungen kon-
statieren kann, so wird man diese Ausnahmen nur im Zusammen-
hange mit jenen erklären können.
Die NichtSetzung des Artikels spricht für das hohe Alter der
romanischen Verbalkomposition. Diese Tatsache steht im Einklang
mit der dem gesamten Altromanischen eigenen Artikellosigkeit
des Komplementes (s. Romanische Grammatik II, §142, S. 174).
II.
1. Amar ist das Anfangsglied von Amarnda, Ort und Flufs,
Del Castillo I, 155 und Madoz 11, 235 {situado en una cuesta suave
con esposition ä todos los vientos) in der spanischen Provinz
Avila. Die Bildung will wohl einen zum Bewohnen oder zum
Aufenthalt sehr geeigneten Ort bezeichnen. Vgl. italienische und
französische Ortsnamen Passatempo und Passeiemps.
2. Ammaccare nach Olivieri 112 in Macachiove = amm.
chiodi ; ursprünglich wohl ein Spitzname.
3. Andar in einer Verbindung mit via: Andavias (lugar)
Madoz n, 283 in der spanischen Provinz Zamora (situado en una
pequena hondonada formada en un llano de bastante estension,
aunque no corren los vientos con la misma libertad que en altura).
Vgl. ital. Passavia.
4. Arrancar ,, ausreifsen " in einer Verbindung mit cepa
„Stamm, Weinrebe" : Arrancacepas (lugar) in der spanischen Provinz
Cuenca, Del Castillo 1,214. Es bezeichnet wohl eine Siedlung,
die auf einer Flur, einem Rodeacker, entstanden ist. Vgl. arran-
casiega sf. = Ernte von ungleich gewachsenem Getreide, wovon
das längere geschnitten, das kürzere ausgerissen wird. Osthoff, Das
Verbum in der Nominalkomposition S. 252, 292.
5. Atar „binden", sehr gebräuchlich in appellativen Zusammen-
setzungen (cf. aiapierna „Strumpfband", atagatos „Elender Wicht",
etc.) ergibt in Ortsnamen nur Atapuerca (villa) Madoz III, 88 in der
spanischen Provinz Burgos (al pie de la sierra de su nombre),
belegt a. 963 Ataporca (summa serra de — in Escritura LIX de quan-
tiosa donacion de Dona Fronilde) a. 1045 Atapuerca s. Berganza,
Antigäedades de Espana II, S. 400, 421. Was für eine Bedeutung
dieser humoristischen Verbindung eigentlich zugrunde liegt, ist, so-
lange wir über die Bevölkerung nichts wissen, schwer zu sagen;
doch vgl. sie mit atagatos.
6. Badar „gaffen" nur in Badefol (bei Joanne I, 258 ge-
schrieben Bade/oh), Gemeinde im D6p. Dordogne Dt., belegt 1243
port de Bada/ol, Badeffou im 17. Jh. In demselben D6p. heifst
ebenso noch eine andere Gemeinde, belegt 1292 Badaffou. Im
zweiten Bestandteile haben wir wohl fou zu sehen. Badevillain
(Vienne, Ch^") Dp. gehört sicher auch hierher. Beide Bildungen
lO
sind wahrscheinlich humoristische Benennungen der Bevölkerung,
ursprünglich also Spitznamen.
7. Bagnacavalio hcifsen zwei Ortschaften, die eine bei Ravenna,
die andere im Venetischen, s. Amati I, 537. Die erste hiefs noch
bis ins 10. Jh. hinein Tiberiaco (vgl. Monumenti Ravennati, S. 301,
a. 953 Castrum qui vocatur Tiberiacis); daneben erwähnt Amati
a. a. O. noch die Benennung Cahallo allein. Der älteste mir be-
kannte Beleg für die angeführte Ortschaft stammt aus 1056: in
Castro qui vocatur Bagnacaballo, Mon. Ravennati. Es erscheint
begreiflicherweise auch im Namen der Besitzer dieser Burg :
Comites de Bagnacaballo. Dafs die Bildung als Irap. bagna und ca-
vallo gefühlt wurde, lehrt auch die Betrachtung des Wappens (s.
Amati a. a. O.) Im Wappen sieht man nämlich ein Pferd am
]\Ieeresstrande oder in einem Flusse daherlaufen. Ähnliche
romanische Bildung ist mir in den Namen eines Baches und eines
Teiches begegnet: Bagncchat oder Liaigue, ruisscau de la Vienne
(Joanne I, 265, vgl. ibid. die Beschreibung); Baigne-Cul (etang ä
Villars, Ain Dt.).
8. Venez. basar = baciare in vier bei Olivieri 112 zitierten
venez. Ortsnamen : Basaculo, -gwocchi, -lovo, nösa (= noce, frutto),
alle vier ursprünglich Spott- oder Spitznamen.
g. Die Verbindungen mit battere sind gröfsten teils auf dem
italienischen Gebiete anzutreffen. Einige als Ortsnamen vorkommenden
Zusammensetzungen wie Battiferro, Batfifolle, Battilana sind auch
dem gewöhnlichen Sprachgebrauche bekannt. Als zweiter Bestand-
teil erscheint nur einmal ein Tiername: Baitihue in der Provinz
Piacenza; sonst sind es wirtschaftliche Ausdrücke :y>rrö, paglia, lana,
Uno, gora : Battiferro in der Emilia, in Umbrien und im Venetischen
(s. Olivieri iii); Battipaglia im Neapolitanischen und im Venetischen
(Olivieri 1 1 1), einmal auch als Bachname. Für die letztere Ver-
bindung kann ich aus Urkunden nur ein Beispiel anführen: a. 1264
Battipalia in Monumenti Ravennati II. Battipagliano in Ligurien ist
vielleicht eine spätere Ableitung von Battipaglia mittels des so
verbreiteten Ortsnamensuffixes -ano. Battilino, Battigora, Battilana
(vgl, damit hattilano s. m. „Wollkämmer"), alle drei ebenfalls aus
Ligurien. Battifoglia in Sizilien. Neben diesen an die Land-
wirtschaft erinnernden Ausdrücken i gibt es noch einige andere:
so Baitivento in der Emilia, wo man wohl an eine dem Wetter aus-
gesetzte Örtlichkeit denken darf, vgl. damit französische Ortsnamen
Henrtebise und Tournebise. An irgendwelchen Lokalaberglauben
wird Baltiorco im Venetischen (Olivieri 1 1 1) anknüpfen. Dazu noch
mit adverbieller Bestimmung: Battindarno in Ligurien. — Schwieriger
zu verstehen ist die Verbindung mit folle : Battifolle in der Toskana
dreimal, s. Repetti I, 290; einmal heifst so eine Burgruine, davon
aueh der Name Monte di Battifolle, und zweimal als Dorfname.
^ Dazu vielleicht auch Batistocchi bei Olivieri II l.
II
Die „frazione del commune" von Montemignaio (Toskana) hat
noch die Nebenform Baiiifollo, s. Amati I, 667; in Belegen: Batti-
follum sive castrum ultra Tanagrum, heute BaUifollo, heifst eine
Ortschaft in Piemont, Amati a. a. O. In IMonumenti Rav. III, 336
lesen wir noch den Namen Comes Guido de Battifolle, a. 1282.
Der Name erscheint in der Auvergne und Languedoc als Familien-
name : Baiifol (vgl. La Batifol, Mühle in Haute-Loire Dt.) BaptifoU,
s, Mistral I, 245.1 Der Beleg des Ortes in Piemont sowie der
Ort in der Toskana zeigen deutlich, dafs man hier battifolle s. m.
= Citadelle hat. — Aus Frankreich notiere ich nur ein von
Darmesteter a. a. O. 179 schon gebrachtes Beispiel Battipalma in
einer Urkunde aus Roussillon (10. Jh.). Auf diese Grundlage gehen
vielleicht zahlreiche Bapaume zurück, nach Joanne I. in Eure-et-
Loir, Lot-et-Garonne, Pas-de-Calais, Wald in Eure-et-Loir, Seine-
Inferieure, Flufs in Seine-Inf.
10. Imp. von bibere und aquam ist als Ortsname nur wenige-
male in Italien und Frankreich anzutreffen, und zwar Bevilacqua im
Venetischen (Olivieri 1 1 1) und Emilianischen, s. Amati 1,783, in
Frankreich Beajdaigue (Dordogne Dp.) und Beulaygue (Gironde Dp.),
während es als Personenname sowohl in Italien als auch in Frank-
reich sehr verbreitet ist, s. Darmesteter o. c. i4Qf., in Südfrankreich
in der Form Beulaygue, Beulac, I\Iistral s. v. Beulaigo. Der zweite
Bestandteil ist einmal auch vinum: Beiino im Venetischen (Olivieri 1 1 1).
11. Die Verbindung bramar (= crier, beugler, braire) und bos,
vacca, fames (= Hunger) ist auf Südfrankreich beschränkt. 2 Vgl.
in Nordfrankreich den afr. Ortsnamen Brayhif bei Osthoff, das
Verbum in der Nominalkomposition S. 304 ; heute Brebnif, zweimal
in Calvados Dt. a. 11 98 Braibou. Eine Grotte im Dep. Ain, in
deren Grunde sich eine „nappe d'eau" befindet, heifst Bramahceuf
oder Bramabu. Schon Joanne I, 585 vermutet, dafs die Grotte
nach dem Geräusche, welches das Grundwasser hervorruft, benannt
wurde. Mit Bramahiaii (Gard) wird ein Abgrund benannt, wahr-
scheinlich auch wegen des im Schlünde rauschenden Gewässers.
In demselben Dep. heifst ebenso ,,une grotte traversee par un
torrent qui forme cascade, pres l'Esperon.^ Nach dem Brüllen der
Kuh sind benannt Bramevaque (Hautes - Pyren^es , Joanne 1. c).,
Ortschaft mit einer Burg aus dem XI. Jh., Bra?nevache und zwei
Bäche in Dröme Dt. Vgl. damit bei Mistral 11, 358 die Pflanzen-
namen hramo-vaco s. m. = colchique d'automne, plante ven6neuse
qui fait beugler les vaches; gratiole, autre plante. Der Wolf
erscheint nur einmal im Namen eines Teiches im Dep. Ain Dt.
1 Wegen i v^jl. aprov. baticor sm. = Herzklopfen.
2 In Italien ein wohl metaphorisch zu verstehendes Beispiel: Brania-
ludame und -lotarm, beides im Venez. (Olivieri lli), wo der zweite Bestandteil
= Schmutz, also Bezeichnung einer kotigen ürtlichkcit.
* Vgl. languedoc. Bramo coumo un bioou = il ne crie pas, il beugle,
D'Hombres, Dict, languedoc. 137 sv. brama.
12
Brameloup (6tang ä Saint -Olive). — Bramefan, wo in fan der
Akk. zu sehen ist, vgl. crier fanaine, ist dagegen bedeutend zahl-
reicher. Houz6 1. c. hat im zweiten Bestandteile pavo, onis sehen
wollen, was aber gar nicht zutriflft, weil die ältesten Belege -in
zeigen. Brama/an kommt allein im Dep. Hautes -Alpes Dt. gegen
zehnmal vor, und zwar als Name von entlegenen Orten (vgl. das
Sprichwort bei Mistral: Barrau [Ort in Gers], Pais de Bramo-pan),
Wäldern und Gehöften (Pachtgütern), im Dep. Ain Dt. fünfmal
und in Savoien Dt. einmal als lieu-dit (Flurname). Die Belege aus
dem 14. Jh. (1321) lauten Bramafam. In Basses-Alpes heifst auch
ein Wildbach Lou Bramo-Fam (Mistral II, 358). Ein alter Turm,
Überrest einer Burg, in Alpes-Maritimes, .,1a tourre de Bramo-fam",
wo nach volkstümlicher Erzählung die Prinzessin Marie de Bra-
gance vor Hunger starb, daher der Name (s. Mistral a. a. O.).
Ferner kommt es sechsmal in Dordogne Dt. vor als Flurname,
entlegener Ort (= 6cart) und Gehöft (domaine); in der Form
Bramefan zweimal in Dröme Dt. Am deutlichsten zeigen die Un-
haltbarkeit der Etymologie Houze's sieben Bramefahn in Dröme
Dt., von denen einige als Bramffan, Bramefons (17 18) belegt sind. ^
Der letzte Beleg zeigt uns vielleicht den Weg zur Auffassung des
Ortsnamens Bramefonß in Dordogne Dt. und Haute-Loire Dt. (hier
maison isolee) trotz der irreführenden Orthographie. Das nörd-
lichste Bramefaim befindet sich im Dep. Loire Joanne I, 585. —
Mit dieser Bildung wollte das Volk auf humoristische Weise ent-
legene, arme, unwirtliche Orte bezeichnen, welche den Erholung
bedürftisfen Reisenden oder überhaupt den Bewohnern wenig
Nahrung bieten. Als Appellativum, im Languedoc mit Artikel
bravio-la-fam, s. m., hat der Ausdruck verschiedene Bedeutungen,
denen allen dieselbe humoristische Auffassung zugrunde liegt; es
heifst I. personne aflfam^e, homme avide, insatiable qui crie famine ;
2. päturage maigre, de mauvaise qualite ; 3, verschiedene Pflanzen-
namen; 4. sogar ein Fisch, breme (INIistral a. a. O.). Zu dieser
Bildung gesellt sich La tourre de Branio-Pan in der Nähe von
IMarseille, dazu Bramepan (Var, Dp.); auch als s. m. :=: affame,
meurt-de-faim (Mistral a. a. O.). Vereinzelt ist Bravie-Fa?-ine,
Name eines Berges in Isere, Joanne 1. c. Das Zeitwort kommt auch
einmal mit Vogelnamen verbunden vor: Brametourte (Tarn) in
St.-Martin-de-Brametourthe von nprov. tourio = tourterelle (Mistral
a. a. O.) belegt a. 1060 im Namen Geiraldus de Bramma Torta,
Cartulaire de Marseille, Charte 832.
12. Briser ist mir in einigen Beispielen bekannt; eines aus
einer Lausanner Urkunde: Brisicol (locus quem vocant, vgl. nfr.
1 Vgl. auch interessante Belege für Les Bergerons , Dorf in Dröme Dt.
a. 1481 Bayana seu in Bramaffons, a. 1535 Terra Johannis Bergeronis in Bayana
seu Bramafan, wo man auch sieht, dafs die Verbindung auch als Benennung
von Gegenden galt.
* Dp. schreibt Bramefon (Dor4ogne, c"« Fossemagne).
13
Irise-cou „gefahrlicher Weg" ; Ort, wo man sich den Hals brechen
kann) in Memoires de Lausanne B. 6 (anno XXXVIII regnante
domino nostro Chuonrado Rege). Brisi ist natürlich die südostfrz.
Imperativform wie in Miribel. Die anderen Beispiele sind moderne
Ortsnamen: Briscpain, Gehöft (ferme) in Card Dt., jetzt zerstört,
belegt 1558 Brizepan, welches auch als Zuname belegt ist: Ugon
Brisepain, Darmesteter o.e. S. 183; ßrise-Tete (commune, Seine-et-
Oise, Joanne 1, 633), Briseverre (Vosges Dp.) und Brisfert (Mühle
in Aisne), wenn im zweiten Bestandteile ferrum vorliegt.
13. Bruciare, in norditalienischer Gestalt brusar,i ist einige-
male in Verbindung mit Tier- und Sachnamen anzutreffen: in
Monumenti Ravennati di conte M. Fantuzzi, Venezia 1801 wird ein
feudum D. Ubertini Mainardi positum in Brusaheccho a. 1249 und
a. 1352 erwähnt; Briisaporcello (luogo donato ai Astigiani dal conte
Umberto II di Savoia, in Historiae patriae mouumenta Bd. IV.) ;
Brusaporco im Venetischen (Olivieri 1 1 1); Brusalovo nell' Oltrepö
ist in Codex diplomaticus Cremonae (Histor. patr. mon. Ser. 11,
Tomus XXII) belegt S. 57 a. 1334 Bruxalupo, Bnisamussa (raussa
= Esel) und Brusabö (monte, Caltrano) im Venetischen (Olivieri
iii). Merkwürdigerweise kommen auch Fliegen in diese Gesell-
schaft : Bnisamosca und Mäuse Bnisasurgi im Venetischen , Olivieri
iii). Vgl. damit den Zunamen Ermennarius Ustura leporem
(a. 1097 — 1125) bei Darmesteter S. 149. Hierher noch Brusaiasso
bei I\lantova. Unklar ist Brusaporto, eine alte Burg in der Provinz
Bergamo. Vielleicht erklärt die Lage den Namen: E al pie della
coUina, che, quäl isola, sorge dal piano in territorio sassoso
(Fabi); porto wäre vielleicht hier in der Bedeutung „Zufluchtsort,
sicherer Ort" zu nehmen. Vgl. Pelleport und Brusamonte im Venez.
(Olivieri iii). Die zwei letzteren Beispiele sind Fabi entnommen.
14. Prov. bufar = blasen in Bouffelaiire, ecart und ferme
in Haute-Loire Dt.; es ist eine analoge Bildung zu Heiirtevent,
da prov. aura = vent. Vielleicht gehört hierher auch Boufloiip
(Cher, Joanne I); vgl. Cornaloup.
15. Buttare in Buttapietra im Venezianischen (Olivieri 112);
in Codice diplomatico padovano, Venezia 1877: Butafava a. 1010.
Französische Beispiele: Boutavant-la-Gra7ige (Oise Joanne I) und
Boulavetit (Jura, Marne, Joanne I) enthalten vielleicht adv. avant.
16. Cacare: Cacaturriga, locus a. 980 in Codice diplom.
padovano, mit unklarem zweiten Bestandteile, Cacaratli bei Como,
s. Fabi; Caindqiia im Venetischen (Olivieri 112) ist vielleicht eine
Verkürzung von *caga in acqua, vgl. Pissincatma. In Frankreich
(D6p. Savoien Dt.) erscheint dies Zeitwort nur in Verbindung mit
loup: Chieloup, hameau; Cheyloup (Chäteau de); Chclou, hameau; in
* Vgl. veron. bru'sacör sm. = pirosi, bruciore di stomaco, Bolognini-
Patuzzi, Pic. diz. veronese, Verona 1901 und andere Verbindungen im Mai-
ländischen s. bei Cherubini, Vocabolario mil. I, 160.
14
Ain Dt. Chiloup zweimal als hameau und einmal als Teich. Hierher
gehört wohl auch Montagne de Chien-Loup (Savoien) ; der erste
Bestandteil hat sich mit einen vermengt. Vgl. den Zunamen Do-
menico Cagadinari a. 1072 im erwähnten codice.
17. Verbindungen mit cacciare sind auf Italien und Frankreich
beschränkt. Als zweiter Bestandteil erscheinen begreiflicherweise
zunächst Tiernamen : Cacciabue; Caccialepori, vgl. frz. chasse-lüvre s.
m. = Treiber auf der Jagd, im Prov. auch als Familienname,
s. Osthof S. 271; Caccialupa', Caccialupi Amati II, 9; Caccialupo vier-
mal s. Fabi S. 107; lauter Ortsnamen aus Piemont und Lombardei.
Mit letzten Ortsnamen vgl. den afr. Zunamen Cacheleu (XIV. Jh.)
bei Darmesteter, o. c. 187. Aus Frankreich: Chasseloup (Charente-
Infer. Dp.), Chasse-Baeuf, ein Wald in Hautes-Alpes Dt. und Chassipol
(Ain Dt.), wo pol = pullus, Körting 7526. Hierher gehört trotz
der Orthographie der Flufsname Cazzabisso (Rio di-) bei Olivieri
112, wo bisso sm. = biscia, serpe (Bolognini-Patuzzi, Pic. diz.
veronese), da schriftital. cazzare unverständlich wäre. Die Sach-
namen sind vertreten in Cacciapiatti in Piemont und in Chasse-
Profit, ein Dorf in Aube Dt. — Chasseforet (Dome de-, in Savoien)
heifst der höchste Punkt im Massiv von Vanoise. „Cette cime est
un veritable ilot de pierre perdu dans une vaste mer de glace et
de neige." (Joanne U, 895.) Der Name will also metaphorisch
einen waldlosen Punkt bezeichnen. Auch scacciare bietet einige
Beispiele: Scacciadiavolo, eine hohe Bergspitze in „Apennino Silano"
im Neapolitanischen, Amati VII, 332. Der Name wird offenbar
mit irgendwelchem Volksaberglauben zusammenhängen. An die
Benennung Passatempo erinnert Scacciapmsien in der Provinz Siena,
Amati a. a. O. Vgl. npr. cassopensa?nen sm. ce qui chasse le souci,
distraction (Mistral I, 488).
18. Cacher meistens in Verbindung mit rat als Benennung
von besiedelten Orten und Wasserläufen. Besiedelte Orte sind:
Cacherat in Calvados Dt., Loire Dp.; in Haute -Loire Dt. fünfmal,
davon dreimal als Mühle, einmal als maison isol6e, Les Cacherats
(AUier Joanne II). Bäche sind : Cacherat in Nievre und Le Cacherat
in Haute-Loire Dt., wohl offenbar Bäche, die leicht versiegen oder
überhaupt wenig Wasser haben. Dieselbe Vorstellung liegt zugrunde
auch dem Cachepied, Bach in Allier, Joanne II. Recht humoristisch
ist auch CachepoHx, lieu-dit in Haute-Loire Dt, welches im 13. Jh.
noch in mundartlicher Gestalt unter Cacha-Pezoil belegt ist.
19. Calzare ist auf Italien beschränkt. Die betreffenden
Ortsnamen dürften Spitznamen gewesen sein oder auf humoristischen
Volkserzählungen beruhen: Calzagatta in Ligurien, Calzavacca in
Piemont, Amati II, 175. Dafs derlei Bildungen als Spitznamen ge-
bräuchlich waren, ist selbstverständlich, vgl. bei Darmesteter o. c.
181 Rivallonus Calcebof. Vgl. Ftrraheccho.
15
20. Cansar in einer Verbindung mit lohö'. Cansa Lolos^ Dorf
(aldea) in der spanischen Provinz Albacete bei Madoz V, 468.
Vgl. in Spanien Matalobos.
21. Bei dieser Gelegenheit seien die romanischen Canta-
Ortsnamen im Zusammenhange besprochen; vgl. Zs. f. r. Phil. XXXII
S. 555 ff. und die Besprechung dieses Artikels in Revue de phil.
fran^aise et de litt. XXllI S. 128 f. Leider mufs ich die Bemerkung
vorausschicken, dafs mir für Italien und Spanien kein so reich-
haltiges Material zu Gebote stand wie für Frankreich. Portugal
scheint überhaupt keine solchen Ortsnamenbildungen zu besitzen.
Alle meine Bemühungen, auf diesem Gebiete der Romania etwas
Derartiges aufzutreiben, blieben erfolglos. — Wie Frankreich, so
zeigen auch Spanien und Italien canta verbunden mit Vogel-,
Frosch- und Tiernamen. Einige Typen sind über das ganze
grofse Gebiet verbreitet. So z. B, Canta und Gallus^: Cantagallo ist
eine Ortschaft (borgo) in der Emilia; ferner heifst so ein kleines Dorf
in einer gebirgigen und waldreichen Gegend im Apennin von
Pistoja, bekannt schon seit 13. Jh., vgl. darüber aufser Amati II
noch Repetti I S. 445 — 447, auch die Berge, die das Dorf um-
geben, werden Monti di Cantagallo benannt. Eine Ableitung davon
lautet Cantagaletto in Piemont (vgl. auch Manno, Bibl. storica degli
stati della monarchia di Savoia, Bd. IV s. v.). In Toscana hat
diese Form noch die Endung -/, welche vielleicht derselben Natur
ist, wie diejenige in italienischen Familiennamen: Cantagalli, frazione
del commune. Vgl. damit Castrum CantagalH in comitatu Imolae,
a. 137 1 in Monumenti Ravennati Bd. V S. 7, wo allerdings Canta-
galli ein lateinischer Genitiv von Cantagallo sein kann. Alle diese
Beispiele sind Amati II, 324 f. entnommen. Auch in Italien scheint
die Bildung sehr alt zu sein. Spanien (Prov. Salamanca) besitzt ein
Cantagallo (villa), Del Castillo I, 507. Vgl. noch weiter unten. —
Von anderen mit Frankreich gemeinsamen Vogelnamen ist zu
nennen merla, 7nerlo-: Cantamerla in Piemont; Cantamerlo bei Nizza
(cf. Manno o. c. IV); in Toscana Cantamerlo bei Repetti VI, 47 (hier
ist das Alter der Belege nicht angegeben, wahrscheinlich schon
1083), eine kleine Burg. — Von anderen Vogelnamen ist in Italien
nur noch herta = Häher dreimal in der Lombardei anzutreffen:
Cantaberta. Spanien bietet avifser dem obigen noch el gallo, im
Gegensatz zum Französischen und Italienischen, mit dem Artikel:
Canta- el- gallo bei Madoz V, 471 als Benennung eines Baches und
einer Viehweide in der Prov. Toledo, eines Baches in Badajoz
und eines Ortes in Lugo. — Ebenso ist Canta und rana überall an-
zutreffen. Es werden dadurch bezeichnet nicht nur Siedlungen,
' Aus Frankreich sei noch erwähnt: Chantejail, village, a. 1493 Chanta-
Ghail (Haute-Loire Dt.).
* Der älteste Beleg hierfür in Frankreich ist Canta merula, villa in
pago arvernico, vicaria Randanensi, a. 963 in Recueil des chartes de Cluny I
S. 354.
i6
welche offenbar in sumpfigen Gegenden gegründet waren, sondern
begreiflicherweise auch Wildbäche und Bäche überhaupt, wie z. B.
Cantarane, ein Wildbach im Dep. Pyr.-Or. Joanne II S. 71g; Chante-
reinc für „petite riviere du Cher" und drei Bäche in den Dcp.
Indre- et -Loire, Seine -et -Marne und Haute -Loire (affl. de l'Allier)
Dt. Beispiele aus Joanne II, 71g und 845. Cantarana'^ ist in Italien
sehr verbreitet; so heifst z. B. in Piemont (Asti) ein Dorf, dessen
Gebiet einst sehr sumpfig war, ebenso der Bach, der durchfliefst
(s. Amati 11 und Casalis III, 43g). Derselbe Name ist noch an-
zutreflfen je zweimal in der Lombardei und im Venetischen, einmal
sogar auf Korsika, besonders aber zahlreich in Piemont, gegen
neunmal allein bei Manno o. c. IL Fabi verzeichnet in der Lom-
bardei noch ein „casale" in der Prov. Cremona, wo rana im PI.
ist: Cantarane, was zu vergleichen ist mit Cantagalli. — Spanien
bietet nach Madoz a. a O. viermal Canta-la-Rana, alle vier sind
Benennungen von Ortschaften (lugares) in den Provinzen Coruiia,
Lugo und Pontevedra, Auch hier findet man das zweite Glied
im PI. Cantarranas, eine Ortschaft (caserio) in der Prov. Salamanca,^
dessen Name sich auch sehr leicht aus der geographischen Lage
erklärt. Madoz a. a. O. sagt: situado en terreno llano por el que
passa un arroyo permanente que sirve para dar riego a varias
huertas. In derselben Prov. heifst eine andere Ortschaft (caserio)
im Diminutiv Cantarranillas. — Auf demselben Gebiete ist auch
reich vertreten der Typus Caiita + lupus,^ lupa, womit Siedlungen,
weniger Bäche, bezeichnet werden, die sich in der Nähe von
grofsen Waldungen oder mitten in ihnen befinden; es wird z. B.
für Chantelonp (Indre -et -Loire) bei Joanne II, 844 angegeben, dafs
es sich befindet „ä la lisiere de la foret d'Amboise", ebenso für
Chanteloup (Maine-et-Loire) „pres d'un grand bois", für Chantelouve
(Is^re) „sur la haute montagne". In Frankreich haben wir nur
zwei Fälle, wo dieser Typus auch Flüsse bezeichnet, so Canteloup
„petite riviere du dep. des Landes" und Fontaine de Chanteloup,
ein Bach im Dep. Eure-et-Loir. Ebenso zahlreich wie in Frank-
reich ist dieser Typus in Italien vertreten. Bei Amati II, 3230", allein
findet man vier und zwanzig moderne derartige Ortsnamen, von
denen die meisten sich in den Provinzen Piemont und Lombardei
befinden, dann in der Emilia, im Neapolitanischen, im römischen
Territorium und Molise, dazu Cantalövo im Venetischen (Olivieri 113).
Vgl. die Statistik bei Casalis III, 438 s. v. Canialupo. Der älteste
Beleg ist mir aus Hist. patr, monumenta IX S. 236 a im Namen
Milanus de Cantalupo a. i2go bekannt. — Nicht so zahlreich ver-
^ Im Mailändischen auch Appellativum: cantarättna = fognone; chiavica,
cloaca, fogna; fognajuolo; cattiva cantatiice. Cherubini, Vocabolario mila-
nese I, 210.
" Eine Strafse in der Stadt Sahagun hiefs a. 1374 la calle de Cantar-
ranas in Documentos del monasterio de Sahagun. Nr. 2183.
' Aus Frankreich noch li vivier cui ou apeile de Canteleu, a. 1269 in
Monuments pour servir ä l'historie des Provinces de Namur etc. (pikardiscb).
17
breitet in Italien ist Cantalupa,'^ in der Lombardei zweimal, ebenso
oft in Piemont. Die Ortschaft Cantahipa bei Pinerolo befindet sich
in einer gebirgigen und sterilen Gegend. — Spanien bietet merk-
würdigerweise nur einen Ortsnamen, den ich schon in der Zs.
a.a.O. S. 561 Note i zitiert habe: Cantallops (Provinz Gerona). —
Aus den Urkunden notiere ich für Italien Caniacapra, erwähnt
a. II 64 Und a. 121 8 irgendwo in Piemont, s. Hist. patr. mon.
Bd. VI 8.992, 1295. Unter modernen Ortsnamen ist mir diese
Bildung nirgends begegnet. — Gry Uns, so zahlreich in Frankreich, 2
ist nur einmal in Italien bei Amati II s. v. vertreten: Cantagrillo in
Toscana. Cicada ist hier ebenso selten wie in Frankreich, wo
canto-cigalo sm. = lieu arride et expos6 au soleil (oü les cigales
foisonnent, bei INIistral): Caniazigäle im Venez. bei Olivieri 113. —
Dagegen bietet Spanien einige Ortsnamen, denen man weder in
Frankreich noch in Italien Parallelen an die Seite stellen kann:
Cantavieja (villa und rio) in der Prov. Teruel bei Del Castillo I,
wobei vorausgesetzt ist, dafs das Schlufsglied vieja sf. = alte Frau
enthält; dazu gesellt sich S. Salvador de Cantamuda in der Prov.
Valencia bei Madoz o. c, falls viuda sf. = stummes Frauenzimmer
ist, und schliefslich Cantalucia, ein Ort {lugar) bei Del Castillo I,
wenn man im zweiten Bestandteile den Frauennamen Lucia sehen
darf. — Während diese drei letzten Ortsnamen begreiflich sind, so
ist höchst auffallend Cantalapiedra (situado en la cuspide de una
eminencia, Del Castillo I, 507) in der Prov. Salamanca. Eine Be-
merkung bei Madoz gibt uns möglicherweise einen Fingerzeig zur
Erklärung; er sagt: „en cuyo alrededor se encuentran residuos de
muralla antigua". Ähnliche Bildung besitzt auch Frankreich:
Chantepierre (INIayenne Dt., s. Zs. XXXII S. 563) und Chanteroc,
hameau in Haute-Loire Dt., wo roc = rocher. Offenbar haben wir
es mit einem Lokal -Aberglauben zu tun. Dasselbe wird der Fall
sein bei Baumnamen: Chante-Faye (Dordogne Dt.) und Chantefage
(Lot), 3 erwähnt in der Zs. a.a.O.; CantaJpino (ayuntamiento in der
Prov. Salamanca, Del Castillo I, 508). Über diese volkstümlichen
Vorstellungen vom Singen der Steine und Buchen, worauf die
Ortsnamen schliefsen lassen, müfste uns natürlich die Lokalgeschichte
genauen Aufschlufs geben. — Wie aus der bisherigen Darstellung
hervorgeht, haben die romanischen Sprachen mit Canta Wucher
getrieben. Da singen^ nicht nur alle möglichen Vögel, von denen
' Den ältesten Beleg für die Verbindung bietet Chantelotive, welches in
Haute-Loire Dt. als hameau, ferme, d'cart siebenmal vorkommt; a. 952 Cantus
lupae.
* Vgl. Porteau, Rev. phil. fran9aise XXIII S. 138 aus Creuse Chante-
grioiix und seine Berichtigungen zu meinen Angaben in Zs. 1. c. Neuprov.
canto-greu sm. = terrain pierrcux, aride. Aus Frankreich notiere ich noch
Chantegris (dreimal in Haute-Loire Dt. als Name zerstörter Örtlichkeiten,
Ain Dt. hameau); Chantegrület (vieimal in Ain Dt.).
3 Dp. S. 304 schreibt Catitcfage (F.ot, c"e St. Maurice).
* Das Zeitwort mufs in dieser Verbindung nicht gerade „singen" be-
deuten, es kann auch „Laut ertönen lassen" heifsen. Vgl. in Dict. langue-
Beiheft zur Zeitschr. f. rom, Pliil. XXVII. (Festschrift.) 2
iS
sich viele durch keinen angenehmen Gesang auszeichnen, wie z. B.
der Rabe etc., sondern auch Frösche, Heimchen und Wölfe, ja
sogar alte Frauen und stumme Frauenzimmer, von den leblosen
Dingen Steine und Buchen, i
22, Catar, in appellativen Verbindungen oft gebräuchlich
{calavmo, catavinos, caiaviento etc.), ist in Ortsnamen wahrscheinlich
in folgenden Beispielen vertreten : Catapcije, Ort (lugar) in der
Provinz Pontevedra, falls der zweite Bestandteil = peje „Fisch"
ist, vgl. in Südfrankreich Mirepoix. Mehr Sicherheit bietet Cata-
trigo, Ort (lugar) in der Provinz Lugo, womit man wahrscheinlich
schöne Weizenfelder bezeichnen wollte. Dann ein bekanntlich
auch als Appellativum dienendes Cniasol, Dorf (aldea und lugar)
in der Provinz Coruila, womit man die ital. Bildungen wie Mirasol,
ScalJasol vergleiche. Auch der spanische Ortsname bezeichnet
wahrscheinlich wie diese einen der Sonne ausgesetzten Ort. Alle
diese Beispiele sind Madoz VI, 255 entnommen.
2T). Cavalcahö Amati II, 795 in der Lombardei ist klar. Die
Bildung kommt auch als Familienname vor: s. Hist. patr. mon. VII
S. 221 Cavalcabovis domus a. 1161 und in Codex dipl. Cremonae
sehr oft Marchiones de Cavalcabobus. Cavalcaselle im Venetischen
(Olivieri iii). Es handelt sich auch bei diesen Ortsnamen wohl
um ursprüngliche Spitznamen. Vgl. in Cartulaire de Marseille a.
1026 Pontius Cavalcans Vaccas.
24. Cavare dient im ital. Sprachgebrauche sehr oft zur
Verbalkomposition: cavadeiiti, cavafango, cavalocchio, etc. Von den
Ortsnamen werden hierher sicher gehören: Cava Podios (rumpida
de) a. i::25 in Cartulaire de Marseille (carte 947). ^ Cavaceppo in
Marche. Der Name erinnert vielleicht an einen Rodeacker, wo
später eine Siedlung entstand; vgl. Arrancacepas. — Unklar in
docien-fran^ois, par Mr. L. D. S. (L'abb6 de Sauvages) Nismes 1785, 1,141:
Canta se prend quelque fois pour sonner, resonner: aqel pla canto äou rout =
ce plat feie sonne creux. Im Span. (s. Tolhausen) cantar = krähen (Hahn),
quaken (Frosch), knarren (Wagenrad); im Ital. cantare (Rigutini- Bulle) =
schreien (Vögel, Grillen, Zikaden etc.), knarren, klirren, klingen, tönen,
knistern, krachen (Papier, gebranntes Tongefäfs, hart gebackenes Brot etc.,
cf. vin che salti et pan che canti); nfr. chanter (Sachs- Villatte) = von Vögeln:
singen, schlagen, zwitschern, wirbeln, krähen, zirpen, singen (von siedendem
Wasser), knarren (von einer Türe), cf. une porte mal graissee chante; vgl.
schon lat. bucina, tibia cantat (Georges).
^ Frankreich besitzt noch von den Tiernamen: Chantebou (etang, Ain
Dt.): <^bove, Chantemule , domaine in Haute -Loire Dt., wo mvle = tmila,
■muola {vgl. den Beleg a. 1583 — MyoUe). Chantemesse , hameau in Haute-
Loire Dt. vgl. mit prov. tnessacantan = Messe singend. Chanteiile in D^p.
Savoien, Chantavrü (Ain Dt.), Chantenid (Ain Dt.), Chantabord (Dorf und
Bach im D6p. Savoien Dt.) enthalten im zweiten Bestandteil vielleicht be-
kannte Appellativa. Chante -Egrijole nach Porteau, Rev. 1. c. = eh., lezard!
' Vgl. den Zunamen Vitalis Cavasola (= c. suola) a. 978 und Wualdus
filius Cavacornarius a. 1079 in Codice diplomatico padovano N. 63, 261.
19
Bezug auf die Bedeutung, aber doch hierher gehörig, ist Cava-
zocchi^ im Venetischen. Beides aus Amati II, 795 und 819.
25. Changer ist vertreten in einem Bergnamen: Le Causse
de Changefege (territoire de la commune de Baisieges, dep. Lozere,
sur le bord du plateau est le petit hameau de Changefege, Joanne II,
843 s. V.), npr. Chanjo-fege = qui change le foie, ainsi nomm6
pour la qualit^ de ses pälurages, bemerkt wohl richtig Mistral
I, 590-
26. Charger in Cha)-geloup, hameau, belegt a. 1442 Le Lac
de — , Nievre Dt.
27. C/z/ar/jöCffo im Venetischen, Amati 11, 10 13 gehört offenbar
zur Verbalkomposition, die ursprünghch Spitzname war. Man will
wahrscheinlich eine Siedlung bezeichnen, deren Bewohner sich durch
verwegene Diebstähle berühmt gemacht haben.
28. Prov. cordar = messen in Courdeleau („miss das Wasser"),
ecart in Haute-Loire Dt.
29. Cornare = blasen: Comialoup, hameau in Ain Dt. und
Cornafaine in Piemont, Casalis V, 127. Beide gehören zur grofsen
Gruppe Chantelottp und Bramafam.
30. Co UV er hat bekanntlich seine ursprüngliche Bedeutung
eingeengt. Doch lassen einige Imperativbildungen sie noch hervor-
schimmern; es sind dies die Verbindungen mit loup: Couvalotip
„Wolfslager" (Isere Dp.; quartier de Lausanne; Wald im Kanton
Vaud, Dict. topogr. de la Suisse), Coiiveloiip (Ille-et-Villain Dp.);
dazu vielleicht Conaloup, hameau in Haute-Loire Dt. mit un-
verständlichem «, 187g noch Coualoup geschrieben. Vielleicht ein
Druckfehler?
31. Couvrir erscheint in einem schon als Appellativum
dienenden Ortsnamen: Couvrechef, zwei hameaux und ein Lehngut
in Calvados Dt., wofür der älteste Beleg aus a. 11 93 Kevrechie.
32. Sehr oft kommt die Verbindung crepa -|- cor vor (vgl.
languedoc. aquo crcbo lou cor bei D'Hombres Dict. lang. 231 sv.
creba), beschränkt allerdings auf Frankreich und Norditalien. Der
älteste Beleg dafür in Cartulaire de Marseille: in illa (vinea) de
Crebacor, c. 104, a. 1065 — 1079. Die Verbindung dient bekanntlich
auch als Appellativum und als Personenname : Philippe Crevecceur,
Rumpicorda in lateinischer Übersetzung bei Darmesteter S. 14g etc. —
Im Dep. LIautes-Alpes Dt. heifst ein „quartier" Crivecoeur, der a. 1333
neben Crebacor auch Masus de Sala hiefs; vgl. noch unno vingno
i Vgl. zocch o löpp. T. de' Fornac. E quel vase in cui si riene l'acqua
colla quäle si vengono immolando sullo spazzo detto Spiarda le terre per
farnc buona pasta da tegoli e mattoni. Cherubini, Vocab. Milan. IV, 552.
2*
20
situa en Crebacor, a. 1545 im Kataster von Gap, P. Meyer, Doc.
ling. S. 463; in Drume Dt. ein Dorf Crevecaeur, im 13. Jh. Creba
euer; in üard Dt. ein Gehöft (Pachtgut, ferme) Crivecor. Eine
Anhöhe, welche die Stadt Orange beherrscht, hat denselben Namen,
npr. Criho-cor (Mistral a. a. O.), desgleichen ein altes Tor in Puy
(Haute-Loire Dt.) Crebacor (a. 1237). Viermal kommt dieser Orts-
name in Aisne Dt. vor, als Pachtgut, Windmühle, Wassermühle und
ein kleines Dorf. Joanne 11, 1166 und Dp. haben noch Creve cxur
in Ardennes Calvados Dt, Eure, Manche, Jura, Nord, Oise (Dp.
hier fünfmal), Puy-de-D6me, Seine, Seine-et-Marne; dazu noch aus
Ain Dt. ein Dorf; aus Savoien Dl. drei Dörfer, davon eines schon
im XI. Jh. Crevacor und zwei Bäche. Bei einigen von diesen Orten
befinden sich Burgruinen. — In Italien ist der Ortsname bezeugt
in Piemont: Crevacuore , welches schon seit a. 1075 bekannt ist,
Amati III, -^,21 mit Beschreibung der Lage: una pianura ricinta da
erti montagni); ferner heifst in der Emilia „un piccolo borgo" (il
suo territorio anticamente conformato a valli bassi e pallustri ed a
stagni, ora presenta una pianura, Amati a. a. O., hier auch die
Vermutungen über die Herkunft des Namens) Crevalcore. Über
die Entstehung des Crevacuore in Piemont hat Dionizotti, Illustrazioni
storico-corografiche della regione subalpina, Turin 1898, S. 136 ff.
geschrieben, dessen Meinung, Crevacuore sei „cuoificio", gar nicht
ernst zu nehmen ist, ebenso die Ansicht Casalis's V, 635, dafs es
keltisch sei. — Die Form des Namens ist nun zwar ganz klar, die
Bedeutung aber nicht. Man kann ital. Premilciiore dazu stellen.
Crepa kommt sonst nur noch in einer Verbindung vor: Crevetete,
Bergspitze im Dep. Savoie; hier entspricht der Name der Vorstellung,
die durch die ungewöhnliche Höhe der Bergspitze wachgerufen
wird. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, dafs
Crevecmir Örtlichkeiten bezeichnet, die durch ihre Lage oder durch
andere Umstände im Menschen grofses Unbehagen hervorrufen;
auch Mistral a. a. O. drückt sich ähnlich aus: Creve-coeur, dans le
nord de la. France, designe aussi une localite escarpee, dont
l'ascension fait battre le cceur".
"^2^. Croquer in fünf Ortsnamen: Croqiioison, ein kleines Dorf
in Somme Joanne I, 1 1 7 7 ; in Aube Dt. ein Gehöft (terme) Croque-
pine, erwähnt 1553, jetzt zerstört; Croque-Chataigne (Loiret Dp.);
Croque niais (Loire-Infer., rna'is = türkischer Weizen); in Mayenne
Dt. Croqueloup, ecart et landcs.
34. Curar (= vider, nettoyer quelque chose de creux,
D'Hombres, Dict. langd. 237) in zwei bei Mistral I, 69 1 angeführten
Beispielen, die beide recht humoristisch sind: Curehouffet, bei Asta-
fort (Lot-et-Garonne), npr. Curo-boufet, wo der zweite Bestandteil
entweder boufet = i. soufflet, instrument a faire du vent [cfr. apr.
hu/et = Souffle (Raynouard), Blasebalg (Levy)] oder 2. coup sur la
joue sein kann. Curebousson bei Malemort (Bouches-du-Rhöne) und
Cureboussot bei Nimes (Gard) sind schon von Mistral a. a. O. mit npr.
21
Appellativum curo-boursoi sm. = vide-gousset identifiziert. Diese
Spitznamen deuten demnach auf leichtsinnige, verschwenderische
Bewohner hin. Ciireplats (Aveyron Dp.) ist wohl auch Spottname.
Unklar wäre die Bedeutung von Cnremojite (Correze) npr. Curo-
mounto INIistral 1, 962, wenn hier zwei Imperative vorlägen. Der
zweite Bestandteil ist klar, wenn er auf die Lage des Ortes Bezug
hat. Der Ort, eine Gemeinde, befindet sich nämüch nach Angabe
Joannes 11, 1191 s.v. „sur une colline de 223 ra. dominant de
haut la Sourdouire" ; daselbst auch Burgruinen.
35. Npr. darna = fendre, diviser in einem auf volkswirt-
schaftliche Verhältnisse, vielleicht auf die Zehentabgabe an den
Grundherrn hinweisenden Beispiele: DarnacueiUette (Aude) npr.
Darno-cuielo (= Ernteverteilung) INIistral I, 699. Das Subst. la darna
erscheint auch als Ortsname: La Darne^ Dame, Darnes (Haute-
Loire Dt.). Ferner gehört hierher Le Dernebiou affluent de la
Loire (Haute-Loire a. 1626 Dict.), in französisierter Form; vgl. afrz.
derne = morceau (Godefroy), Ort, wo man den Ochsen zerstückelt
und vielleicht, da es sich um einen Bachnamen handelt, auswäscht.
Die vom Jahre 187g belegte Benennung desselben Baches Le
Tranchard stimmt zu dieser Deutung von Dernehiou.
36. Despeiiar = abwerfen, hinabstürzen, in einer Verbindung
mit perro. Despena-Pefros, Gebirgskette in der Prov. Ciudad-Real,
ebenso ein Engpafs in der Prov. Jaen, Madoz VII, 381.
37. Donar -f- dien ist viermal in Herault Dt. vertreten:
Donnadieu heifsen zwei Dörfer und Grange de Donnadieu ein „ecart"
und eine „ferme" (Lot Dp.). Doch können diese Ortsnamen auch
von dem Personennamen Donadeus s. Darmesteter S. 161 und
Mistral I, 819 herrühren. — Schwer zu verstehen ist dagegen
Donneville (Haute-Garonne) , welches, nach nprov, Dono-vielo Mistral
I, 811 zu urteilen, doch hierher gehören dürfte.
38. Eclater in Esdate-Sang bei Apt (Vaucluse) npr. Esclato-
sajig Mistral II, 993 scheint auch vereinzelt vorzukommen. Es
werden wahrscheinlich die allzu sanguinischen Bewohner des Ortes
darunter zu denken sein.
39. Enfler in einem Beispiele, welches sicher auf einen Spitz-
namen hindeutet, Y.vS\.-dS.o\ ]. Anglefort (Ain De); die moderne Form
ist stark verändert.
40. Epargner: Epargnemaille, Gehöft (ferme) in Aisne Dt.,
Espargnemaille, 1716 Pargnemaille. Der zweite Bestandteil ist
tnaille = kleine Geldmünze, so dafs die Bildung vielleicht „Knicker,
Knauser" bedeutet; cf. LichemaiUe.
^ Vgl. auch bei D'ITombres, S. 237 Un curohussd = un mange-lout,
qui ruine ses parents et vide leur bourse. Für die Form vgl. Sauvages, Dict.
lang. I, 105; botissö ou botissot.
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41. Prov, sp. escornar: Ecornehoeuf, ein Hügel in Dordogne
Dt., belegt schon 1163 Escornabou, npr. Escorno-bidii; dann Escorne-
hacuf (Gers) bei Mistral I, 995. In Spanien Escornabois (Sta. Maria),
Escornalhoii {Taragona, bei Mufioz), parroquia ira Ayuntainiento
Trasmiras (Prov. Orense), Escueriiavacas , lugar im Ayuntamiento
Moronta (Prov. Salamanca), Del Castillo IV, 479.
42. Nprov. escoula, apr. escolar = ausleeren, ausschöpfen,
auslaufen lassen (Levy), Kanal des Teiches (H6rault): Lou Grau
d! Escoulo-harrau [in Languedoc haräou = baril], nach der Über-
setzung Mistrals II, 999 = qui vide les barrils oder noch besser,
der Ort, wo die Leute ihre barils trocknen, cfr. lang, escoiiladoii =
un ^gouttoir oü Ton met la vaisselle lavee ä egoutter (Sauvage,
Dict. languedocien).
43. Nprov. esgarra (vom aprov. garra sf. = jambe, cuisse,
Raynouard) = estropier quelqu'un d'une jambe erscheint verbunden
mit vacca: Esgouarrehaque (Basses-Pyrenees) , was sich wiederum den
Verbindungen mit strangulare an die Seite stellt. Mistral I, 1014.
44. Nprov. esquicha (quicha) = presser, serrer, epreindre
(langued. eskicha un limoun, bei Sauvages o. c.) recht humoristische
Benennung einer Strafse von Aix-en -Provence: Esquicho-mousco
(15. Jh.). Mistral I, 1045 übersetzt es mit: oü se pressent les mouches,
was nicht richtig scheint, denn esquicha wird von ihm selbst a. a. O.
nur als v. a. angegeben und andere bei ihm angeführten Imperativ-
büdungen mit diesem Zeitworte haben Passivobjekt. Es wäre dem-
nach auch in mousco Akkusativ zu sehen; also wiederum eine den
vielen anderen wie Escanecrabe , Etrairgle-mouton ähnliche Bildung,
womit vielleicht einfältige Bewohner dieser Strafse gebrandmarkt
werden sollten (vgl. esquicho-figo = avare, chiche, esquichomeleio =
qui mange du fretin = vetilleur, avare, ladre usw.).
45. Nprov. faia, falha erscheint im Namen eines Waldes
des Dep. Basses-Alpes: La foret de Faillefeu, bei Prads, npr.
Faio-Fuc. Allerdings stimmt die Bedeutung feler, fendre (in
Languedoc, s. D'Hombres Dict. langu. 334) hier nicht, für Gascogne
gibt Mistral I, 1090 die Bedeutung = flamber, cf. aprov. falha =
sf. torche, falot, nprov. faio, sf. = flambeau, chandelle de resine.
Diese Bedeutung scheint auch im erwähnten Ortsnamen vorzuliegen.
46. Ferrar in zwei venezianischen bei Olivieri 112 erwähnten
Ortsnamen, die ursprünglich Spitznamen waren; Ferraheccho und
-inosche. Derlei Spitznamen scheinen im Afr. besonders beliebt ge-
wesen zu sein: Andreas Ferrechat (12. Jh.), Ami ferre coc (13. Jh.),
Ferrebouc (14. Jh.) bei Darmesteter o. c. S. i8f, 184, 187. Vgl.
Calzagatta.
47. Filar: Filastoppa im Venezianischen (Olivieri 112) kann
vielleicht auf wirtschaftliche Etablissements Bezug haben; desgleichen
auch Filletravie in Haute -Loire Dt., welches wahrscheinlich ein
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Doppelimper. ist, falls das 11 im ersten Bestandteil zu verstehen ist
wie das in ville.
48. Fuggire in einem venez. Ortsnamen Filovo, belegt Fulovo,
Fuilovo (Olivieri 1 1 2).
49. Fracär = premere, comprimere, stipare im venezianischen
Ortsnamen Fraccalöca „zerstückle die Gans" (Olivieri 112), welcher
wohl als Spitzname aufzufassen ist.
50. Gagner. Ein Gehöft (ferme) in Hautes- Alpes Dt. heifst
Gagne-Paht, eine Benennung, die wohl auf Zunamen des Inhabers
zurückgehen kann, vgl. Darmesteter o. c. 184 Yves gaaigne pain;
vgl. auch das Appel. in frz., prov. und span. Gagne-Pelit (Loire, Dp.).
— Auch einmal mit loup: Gagne-Loup, ein „quartier" in Gard.
51. Npr. gara, apr. garar (beachten, acht haben auf, cf. gar atz
vostra gonela, Levy), wird von Mistral II aiigenommen im Orts-
namen Garovent bei Menton (Alpes-Maritimes), womit ein Ort an-
gedeutet wird, wo entweder eine Vorrichtung gegen die Winde
angebracht ist oder wo man sich vor starken Winden hüten mufs.
Es ist ein vereinzeltes Beispiel für nprov. Imperativ in Ortsnamen.
52. Gäter, apr. gastar, welches sonst in den als Appellativa
dienenden Imperativbildungen sehr häufig ist (cf. Mistral II, 34),
kommt in Ortsnamen nur in einigen Beispielen vor: Gasie-Bourse
(Dordogne Dt.), wo eine humoristische Benennung der verschwende-
rischen Bevölkerung klar vorliegt; Gdte-Bourse (Charente, Charente-
Inf., Indre- et -Loire, Vicnne Dp.); Gadebled (Calvados Dt.), ferme
a. 1877 geschrieben Gäteble; vgl, den ital. Familiennamen Gastavino
in Monumenta, auch npr. = qui gäte le vin, sobriquet des pressu-
reurs de vendange, Mistral II, 34.
53. Giovare läfst sich in einer Verbindung belegen, die als
Ortsname zweimal in Italien vorkommt: Giovagalio, Dorf in Luni-
giana (Tiraboschi, Diz. degU stati estensi, I, 83) und in Toscana
Giovagallo oder Zovagallo, dessen Burg schon 1032 erwähnt ist;
Repetti II, 461.
54. Kpr. gouta, apr. gotar, vn. = couler goUtte ä goutte,
degoutter erscheint in einem Ortsnamen des Dcp. Haute-Garonne:
Goutteveriiisse npr. Goiäo-vtrnisso Mistral II, 77.
55. Grassar: in einem venezianischen Talnamen Grassabö
(Olivieri 112), wodurch metaphorisch gute Weide bezeichnet wird;
cf. Changefhge.
56. Gratter, it. grattare, prov. cat. gratar, in Verbindung
mit Tiernamen ist meist in Frankreich verbreitet; aus Italien nur ein
Beispiel: Grattacavallo im Venetischen (Olivieri iii). Von den
Tieren ist natürlich der Wolf und die Wölfin am häufigsten ver-
treten: G.ratteioup (= lieu hante par les loups nach Mistral) eine
Gemeinde, eine Bergspitze in Var Col de Gratelotip, drei Dörfer in
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Savoien Dt., wofür der älteste Beleg a. 1266 de Gratalupo; dann
in Dep. Allier und Loir-et-Cher als Name eines Baches. S. Joanne
III, 1615. Aus Mistral II, 8g noch Graieloup (Lot-et-Garonne);
auch als Familienname im Süden bekannt. Dazu wird wohl noch
Graiteloiir (Cotes-du-Nord, Joanne 1. c.) gehören. Houz6 zieht
hierher noch Lotigrafle, wozu urkundliche Belege nötig wären. In
Cantal Dt. heifst noch ein „ecart" Gratte-Loup, ebenso ein „ecart"
in Nievre Dt, belegt so im 15. Jh. Nach Dp. ist es noch an-
zutreffen in Cötes-du-Nord, Loiret, Seine-et-Marne und Tarn. Auch
Katalonien liefert ein Beispiel: Graiallops, lugar, Prov. Tarragona,
Del Castillo 11, 236. — Grateloiihe (Charente Dp.), Grateloupe (Deux-
Sevres Dt.) sind wohl nicht zu trennen. Andere Tiere kommen
seltner vor: Gratte-Chien (Indre-et-Loire Dp., Nievre Dt.), Les Graite-
Chiens, ein „ecart" in Haute-Marne Dt. Aus IMistral II, 89 führe
ich noch an: Gralo-Cats, Name eines „quartier" bei Vendres
(Herault), aus Dp. öraZ/ij-C/za/ (Charente); Grate-L3re, Graie-Galine,
Grate-Perdrix , Grate-Saume (= prov. sauma = anesse) und merk-
würdigerweise Grate- Rane, alle fünf aus Perigord. Dazu noch
Grattavache in Kanton Freiburg (eleve du betail, culture fourragere,
Dict. topogr. de la Suisse, II, 367). — Auch andere Appellativa
finden sich: Gratte-Sac zweimal als Name einer Mühle in Mayenne
Dt., das eine schon im 10. Jh. belegt Molendinum quod dicitur
Gratta-Saccum 989. Diese humoristische Benennung einer Mühle
ist leicht begreiflich. Sogar Bezeichnungen von Körperteilen:
Baronie de Graite-Cuisse in Mayenne Dt.; Graiecavihe (Lot-et-
Garonne Mistral II, 89), belegt Gratacamba, wo cambe auf prov.
camba = jambe zurückgeht; Grattepanche in Nord Dp., wo panche
(pic.) = panse; Grattedos, eine Mühle in Haute -IMarne Dt., das
letztere auch als Appellativum gebräuchlich: gra'.ie-dos s. m. „Rücken-
kratzer". Vereinzelt kommen noch vor: Gratte-Champ, Wald in
Haute-Loire Dt. (vgl. Grata la sero = egratigner la terre, l'effleurer
seulement, lui donner un labour trop leger, d'Hombres, Dict. lang.);
Gratte-Saule in demselben Dep., wo saule a. 1467 sola geschrieben
ist, also mit saule nichts zu tun hat, sondern = Fufssohle, zu ver-
gleichen mit Tatlkpied, Tirepied; Gratte-Haye , „ecart" in INIayenne
Dt.; in Aisne Dt. Gratttpierre (fabrique de socs de charrue); in
Cantal Dt. und Haute-Loire Dt. Graite-Paille, eine INIühle, das
letztere auch als Zuname belegt, s. Jaikemin Graite-Paille (13. Jh.)
bei Darmesteter o. c. 183, auch als Appellativum gratie-paille sf. =
Braunellen -Fluevogel, Xi.\>x. grato-paie, grato-palhc s. und adj. =
moineau, pierrot; bruant jaune, en Rouergue, s. Mistral a. a. O.
Grattelard, Gemeinde in Loiret, ist wohl als Spitzname zu fassen,
vgl. npr. grato-lard s. m. = gargolier, mauvais cuisinier bei Mistral
a. a. O. In diese Gruppe gehören noch der Name eines Waldes
in Haute-Marne Dt. Grattepelle, in Seine-Inferieure Grattenoix (nach
Dp. -nois geschrieben); in Indre-et-Loire Dp. Gratte-Bec, Gratacasolo,
casale in der Prov. Bergamo, Fabi, vgl. gratacasola sf. = grattugia
bei Bologuini-Patuzzi, Pic. diz. veronese.
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57- Guardare, obwohl allen romanischen Sprachen eigen
und in Appellativen überaus zahlreich zur Verbalkomposition ver-
wendet, ist in gröfserem Umfange zur Komposition in Ortsnamen
nur im Italienischen und Französischen herangezogen. — Guardahiate
heifst ein Dorf in der Lombardei. Schon die bei Amati IV, 370
gegebene Beschreibung seiner Lage: E un villaggio che giace in
mezzo a risaie e ubertosi prati, läfst schliefsen, dafs es „Getreide-
warte" ist. / statt d wird sich hier wohl wie beim sehr produktiven
Ortsnamensuffixe -aie (dialektisch ä) erklären ; da in der Lombardei
sowohl / als d schwindet, so ist -te anstatt -de als schlechte
Toskanisierung aufzufassen. Sicherer ist der Name des Dorfes
Gtiardainiglio, „villaggio in territorio ä biade e risi", sagt Fabi 11.
In Guardarotta in der Lombardei ist im zweiten Bestandteile viel-
leicht rotla = Dammbruch zu sehen. Klarer sind die Bildungen
wie Giiardapasso in Piemont, Garde-Chemin (Jura Dp.) und Giiarda-
valle („Talwarte") in Graubünden, s. Pallioppi, Dizionari dels idioms
romauntschs. S. 340; Toscana Repetti II, 558 (risiede in costa sulla
pendice dei poggi) und im Neapolitanischen (Amati IV, 321 sagt
über das letztere : il capoluogo e un picolo borgo situato in una
piccola valle tutta cinta all' intorno da montagne). Die Entstehung
des Ortsnamens in Graubünden ist vollkommen bekannt (s. Egli,
Noraina geographica, s. v.). — Klar ist auch Guardasole , Amati
IV, 321, in Piemont. Mit diesem Namen wird eine Siedelung oder
überhaupt ein Terrain angedeutet, welches der Sonne ausgesetzt
wird. — Nicht hierher gehören dürfte Guardahosone, Amati 1. c, in
Piemont, da nach Dionizotti o. c. 137 im zweiten Bestandteile der
Personenname Bosone zu suchen ist, also grammatisch dieselbe
Verbindung wie Chäteau-Thierry; vgl. noch bei Tiraboschi I, S. 366,
a. 1303 locus, castrum de Guarda manone. — In Frankreich haben
wir Garde-Bois in Haute-Savoie, Joanne III, 1617, in Nievre Dp.
Les Garde-Bois, ein Dorf, bei Cassini ohne Artikel genannt, welche
Verbindung auch als Familienname belegt ist, s. Darmesteter o. c. 180
und Mistral 11, 24. An Pareloiip erinnert Gardchnp (Seine-et-Marne,
Joanne 1. c.) „Wolfswarte". Unklar sind der Name eines Waldes
in Gard Dt. Garde-Sceaux und Gardcdeuil (Dordogne Dt.). Unklar
wegen des zweiten Bestandteiles bleibt Gardefort (Cher, Joanne 1. c,
Nievre Dt.). Man weifs vorläufig noch nicht, ob in fort ein Adverb
oder ein Subst. zu suchen ist. Wegen des mittleren a ist Garda-
mont (Seine -et -Loire, Joanne III, 1615) ungewöhnlich; vielleicht
*Garde amont. Ursprünglich ein Zuname ist wahrscheinlich Garde-
Ept'e (Charente Dp.). Aus Spanien kann ich nur den alten Namen
von Miramar Guardamar s. Madoz 11, S. 430 anführen; dazu aus
Del Castillo II, 248 Guardamar, lugar in der Prov. Valencia, und
Gardamar (Villa in der Prov. Alicante). — Wegen der Form ist
es nicht ganz sicher, ob man hierher ziehen darf Guastalla, eine
in der Provinz Reggio, mitten in der fruchtbaren Ebene gelegene
und Überschwemmungen ausgesetzte Siedelung, s. die Beschreibung
bei Amati IV, 32g. Die Vorstadt Pieve di Guastalla, in den Ur-
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künden „Plebem de Guastalla", ist auch sehr alt. Im Q. Jh. war
es „una semplice corte", wie Tiraboschi, Dizionario degli stati
estensi II, 420 sagt. INIuratori, Rerum ital. scriptores, Tomus V,
Lib. II, cap. 17, nota 170 erklärt den Namen wie folgt: „est autem
Langobardica vox, sive quod idem est germanica composita ex
warda, scilicet custodia et stallum, quod est sedes, et statio. Italice
diceremus Guardasito. Nempe, ibi ut conjicio, militum erat statio
et custodia ad Padi fluminibus viam tuendam". Diese geistreiche
Erklärung zitiert auch Affo in seiner grofsen Storia della cittä e
ducato di Guastalla IV Bde. St. 14 und nimmt sie als sicher an.
Zugleich erwähnt er eine ähnliche Erklärung von Balvi, der auch
in „stall derivato dello stare, stazione" sieht. Für die Beurteilung des
Terrains, wo die Siedlung gegründet war, ist sehr wichtig die Stelle
in der Schenkungsurkunde von Ermengard: cappellulam quandam
Sancti Petri nomine constructam in loco qui dicitur Warstaila in
Roncalia'^; also der Ort war auf einem erst ausgegäteten Felde
entstanden, wie „in E.oncalia" besagt. Das läfst uns schliefsen,
dafs hier in stalla wohl nicht an das lat. Wort, welches in roman.
Sprachen nicht fortlebt, sondern an ital. stallo, slalla = Stall zu
denken ist. Es dürfte also ursprünglich eine Hirtensiedlung sein.
Die einzige Schwierigkeit bietet die formale Seite. Die ältesten
Belege zeigen nämlich -/- -e- anstatt a. Codex diplofnaticus Longo-
bardiae XIII enthält die Belege: S. 316 a. 853 loco Wardestalla
dreimal, ebenso a. 864, a. 885, a. 902, a. 903, a. 904, S, 386 a. 864
curtem Wardistallum sechsmal, ebenso a. 865, a. 882, a. 901, a. 950.
Erst im 10. Jh. erscheinen die Formen mit a: Guardastallam a. 917,
a. 924, a. 926, a. 952. Codex Cremonensis zeigt noch a. 1102
S. 63 Guardistalla, a. im Wardestalla und 11 16 Warstaila mit
dem Schwunde des e, wie es im Emilianischen auch üblich ist.
Dieselben Belegen wie in Codex diplomaticus Longobardiae sehen
wir in I diplomi di Berengaro I, Fonti XXXV a. 888, a. 905
Wardistalla, a. 903 Wardestalla, a. 917 Guardastalla und a. 909 —
915 ecclesiam Sancti Petri in Guarstalla. Dafs -e- -i- primär sind
und nicht 0, beweist auch der toskanische Ortsname Guardistallo,
gia Giialdistallo, nella Maremma della Cecina Repetti II, 558. In
den Urkunden ist der jetzige Ort als „castellum" bekannt. Amati
n, 326 kennt nur die Form Guardistallo , commune in Toscana,
prov. Pisa, circond. di Volterra. Er gibt auch die Beschreibung
der Lage wie auch Repetti a. a. O.: „II suo territorio per la
maggior parte e lasciato a boschi e a pascoli ... II capoluogo
e un borgo situato sopra un poggio selvoso." Die Form Giialdi-
stallo dürfte wohl volksetymologisch entstanden sein, wie auch
Repetti meint: e posto sulle colline selvose (quasi Stallum Gualdi).
Hier läfst der Name wie auch die Lage auf eine Hirtensiedlung
schliefsen. Das a in der Komposition ist aber vielfach der Ab-
1 Kommt sehr oft in der Toponomastik vor : Roncdla, Roncdglia, -ajette
im Venetischen (Olivieri 180). Auch Appell, roticdja mail. = vigneti a ripiani;
molti ronch continuati; lunga serie di vigne in poggio; ro/z^-o/a = roncone.
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Schwächung ausgesetzt, wie die Beispiele in M.-L., Ital. Grammatik
zeigen.
58. Giizzafame kommt in der Lombardei achtmal vor, Amati
IV, 34g. Es ist wohl gestattet, im ersten Bestandteile das Zeitwort
aguzzare (veron. gusär) zu suchen. Wir haben hier auf dem
ital. Gebiete eine ähnliche Ortsbenennung wie in Südfrankreich
Bramefam.
59. Heurter, meist verbunden mit Windnamen: hise^ vetit.
Die Verbindung dürfte also eine Siedlung bezeichnen, welche den
Winden ausgesetzt ist. Hurtehise kommt in Aisne Dt. dreimal vor,
zweimal als Benennung von Gehöften („ferme") und einmal als
Dorfname, dann noch im Dp. Ardennes, Charente, Meuse, Nord
dreimal, Seine-et-JNIarne. Zwei Dörfer im Dep. Aisne heifsen in
nfranz. Gestalt Fhiitehise, eines von ihnen 1363 Hurtebise belegt.
In demselben Dep. noch ein „fief" Hurievent, welches auch als Zu-
name gebräuchlich war, cf. Darmesteter o. c. 187 Hurtevant. Houze,
der diese Verbindung richtig erkannt hat, bringt noch Hcw-teveiü
(Calvados a. 1134, Seine-Inferieure Dp,), Heurtebise (nach Dp. in
Seine-et-]Marne dreimal, Loire-Inf., Marne; Haute-Marne und Yonne).
Von Heurtebise haben wir in Mayenne Dt. noch eine Ableitung
mittels -ieres'. Heurtcbizüres bei Joanne III, 188 1. Auch diese Ver-
bindung kommt im 13. Jh. als Zuname vor. Darmesteter o. c.
S. 183 zitiert aus einem Livre des M6tiers Raoul Heurtebise. Dieser
Umstand erschwert uns einigermafsen die Erklärung. Doch lassen
diese Verbindungen verschiedene Deutungen zu. — Der Wolf
figuriert auch einmal: Heurteloup (Seine-et-Oise, Eure Dp.). Dem
Taiileville, -bourg entspricht Heurteville (Mühle, Aisne Dp.).
60. Hu eher als ein Zeitwort der Jägersprache kommt be-
greiflicherweise nur in Verbindungen mit Tiernamen vor. Schon
Houze S. 21 hat diese Verbindung richtig interpretiert. Dem
Hucaloup (Aveyron) entspricht Hiicheloup (Vendee) bei Joanne III, igi.
Houz6 a. a. O. zieht hierher mit grofser Wahrscheinlichkeit noch
Hucleu (Loire-Inferieure) und Heiicheloiip , pres Mirecourt (Vosges).
In Mayenne Dt. siebenmal. Auch Vogelnamen sind vertreten:
Huchepie (Orne, Joannne a. a. O., nach Houz6 a. a. O. noch in
Loir-et-Cher.). Dann dSrz. poche (sorte d'oiseaux, Godefroy): Huche-
poche, auch ein Gehöft in Mayenne Dt. Die Bildung gehört also,
was die Bedeutung anbelangt, zu der grofsen Gruppe Chanteloup etc.
61. Huer (vgl. in der Jägersprache „huer le loup" hinter
dem Wolfe herschreiten) nur in Verbindung mit loup: Huloup, ein
Gehöft in Mayenne Dt, Dieselbe Bildung hat schon Houze in
,,la rue de Hue-Leu" 1270, jetzt la rue du Grand-Hurleur in
Paris, erkannt (cf. auch Gaston Paris, Romania X).
62. Ingannare erscheint in zwei bei Olivieri 113 erwähnten
venezian. Ortsnamen: Ingannapollron und Ingaunainaiore, die beide
ursprünglich Spitznamen gewesen sein müssen.
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63. Prov. ivernar = überwintern in Hivemehoeuf, ecart in
Haute-Loire Dt. Unsicher ist t! Hiver nehocuf, affluent de la Loire,
da es a. 1626 Le Dernebiou hiefs. Der Bach hatte keinen sicheren
Namen, wie die weiteren Belege im Dict. Top. zeigen: a. 1626
Le Ruisscau des Potences, a. 187g Le Tranchard (vgl. Denielnou).
So ist eine Korrumpierung von Le Dcnieh. zu L Hiverjieh. wohl
möglich.
64. Prov. japar = bellen in zwei Ortsnamen des Dep. Haute-
Loire Dt.: Jappe-Renard, maison isolee und Japretiard, lieu-detruit.
Vgl. LLuelonp.
65. Prov. lairar = bellen in Leyreloup, maison isolee in Haute-
Loire Dt. Vgl. Jappe-Re?iard in demselben Dep.
66. Lavar in einem für den Sumpf passenden Namen: Lava-
glero palude verso Bagnoli, a. 954, geschrieben auch palude de
Lavaglaro; Codice diplomatico padovano S. 62, Nr. 42, LXIII.
67. Levar, in einem alten venez. OrisxxdiVixen. Leimastno (a. 11 78,
Olivieri 112); vgl. damit Descargalasino.
68. Nprov. (langd.) lica, aprov. lecar = 16cher erscheint in
einem Ortsnamen in Card Dt. Liqi/emaille, wo der zweite Bestandteil
wohl ?naiHc, aprov. mealha neben mezalha = Münze von geringem
Werte (= 1/2 denier) Levy ist, wie es die Belege Hqua mealha,
Licca Mealhe nahelegen, eine Bezeichnung, die vielleicht auf
knickerige Bevölkerung schliefsen läfst. Dem entspricht in Haute-
Loire Dt. Lichemailie, village, a. 1393 Licha Mealham. In dem-
selben Dep. noch Lichesol, ferme, wo sol = Fulsboden; eine Be-
zeichnung, die sich als spöttelnder Spitzname begreifen läfst.
69. Ligare erscheint nur einmal im Namen Albertus de
Liga musca in Hist. patr. mon. VI, S. 491, a. 11 58, wo wegen des
de an einen Ortsnamen zu denken ist, der auf einen Spitznamen
zurückgeht, wie es der Herausgeber im Index auch tut.
70. Macher = meurtrir, froisser oder noch besser vielleicht
macher erscheint in Mayenne Dt. als Mache/er, ferme; auch hiefs
so ein Wald, welcher jetzt ausgerodet ist, erwähnt im 14. Jh. Eine
Ableitung davon ist La Macheferri^re , dreimal als Gehöft und
einmal als hameau. Auf die gleiche Art erklären sich La Mache-
pinilre von *Machepin und La Machelottihe von *]Machelot; für
das letztere wird allerdings noch geschrieben La — noiticre und Les
Machinottilres^ wodurch die Etymologie zweifelhaft erscheint. Alle
diese Namen wären Spitznamen.
71. Nprov. maia, aprov. malhar = hämmern (Levy), marteler,
battre (Raynouard) erscheint in einem Flufsnamen in VarZ^ Mayepan,
rivicre qui passe ä Cuers, nprov. l\laio-pan sm. bei Mistral II, 250.
Da im Nprov. zwei gleichlautende Zeitwörter mit verschiedener Be-
deutung bestehen, so ist sowohl der erste als auch der zweite
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Bestandteil unklar. Vielleicht haben wir im ersten zu sehen nprov.
maia, malha Mistral II, 24S = fouler les draps, fendre du bois,
manger, en parlant des animaux, welches auf *malleare von malleus,
cf. Körting 5845, zurückgeht und im zweiten panem. Die Bildung
dürfte demnach metaphorisch einen Flufs bezeichnen, welcher durch
Überschwemmungen auf den Feldern grofsen Schaden anrichtet.
Maillebois (Eure-et-Loir Dp.) und Le Maillehourg (Haute-Saone Dp.)
vgl. mit Tatllebourg. Mit Maillebois vgl. W. Massabois a. 1217 in
Cartulaire de Marseille. Vgl. den südfrz. Personennamen Malhabiau
= qui assomme les boeufs bei Mistral II, 249.
72. Mancare ist nur auf dem ital. Gebiete anzutreffen. Die
Verbindungen sind in Bezug auf die Bedeutung mit Bramefan zu
vergleichen. Mancalacqua im Venetischen, begreiflich durch die
Lage (su di un torrente), Olivieri 113; Mimcalavita (mit der dia-
lektischen Nebenform JMangalaviid) im Napoletanischen, Mmicapane
(Olivieri 113) in Emilia und der Lombardei, Mancasale in Emilia,
und zuletzt Mancaiutto in der Lombardei. Vgl. in Frankreich
Touiyfaut, zweimal als hameau und viermal als lieu-dit in Dordogne
Dt. Beispiele aus Amati IV, 867 ff,
73. Manducare ist meist in Italien vertreten, Amati IV, 831,
Als zweiter Bestandteil erscheinen meistens Tiernamen. Magna-
cavallo mit der Nebenform Magnocavallo , wo das befremdende 0
volksetymologisch vielleicht durch Angleichung an das Adj. magno
entstanden ist, in der Lombardei, gelegen in einem sumpfigen Ge-
biete auf dem rechten Po-Ufer. Magnavacca in Emilia, hier auch ein
Porto di Mag7iavacca , ein Kanal, welcher die Lagune von Comachio
mit dem adriatischen Meere verbindet; derselbe Ortsname noch
einmal in den Marche und im Venetischen, hier auch Magnavacche
(Olivieri 1 1 2). Diese Ortsnamen deuten wohl sumpfige Terrains
an, wo Pferde, Kühe zugrunde gehen. Dasselbe ist der Fall in
Mangiabarche^ ein Felsenriff bei Sardinien, weil dort viele Schiff-
brüche vorgekommen sind. Vgl. den Namen eines Berges im
Venez. Magnahoschi (Olivieri 112). Auf gleiche Weise könnte man
Mangialupo, Fabi 12, S. 2go, in der Lombardei auffassen, obwohl
natürlich auch die eigentliche Bedeutung von mangiare nicht aus-
geschlossen wäre. — Es kommen Beispiele vor, wo mangiare nur
in eigentlichem Sinne zu nehmen ist : Magnalardo in Umbrien, dem
entspricht Mangialardo in Sizilien, vgl. manjo-lard sm. mangeur de
lard bei Mistral II, 269. Aus der französischen Toponomastik ist
der Name eines „quartier" vom Arsenal in Toulon „oü il y a
beaucoup de rats" anzuführen Alanjo-gärri, was auch als Spitzname
der Einwohner von Eyragues (Bouches-du-Rhone) bei Mistral a. a. O.
gebräuchlich ist. Magnagudgni (= guadagni) im Venez. (Olivieri 112)
und Majige-Profit (Landes Dp.) sind ursprünglich Personen- resp.
Spitznamen. Unklar ist der Name eines Felsens unter der Festung
von Saint-Jean bei Marseille Mangevin, npr. Alanjo-vin, Mistral II, 269.
Die Verbindung mit den verschiedenartigsten Objekten ist eine
30
recht ausgiebige Quelle humoristischer Spitznamen für die Insassen
eines Ortes. Mistral 11, 268 — 26g bietet mehr als siebzig derartige
Beispiele aus allen Gauen Südfrankreichs. Viele von diesen sind
grotesk und derb, wie Manjo-lesert (Spitzname von Lastours), Manjo-
nrtigo (Artigues, Aude), Manjo-sahlo (Cannes, Alpes -Maritimes),
JManjo-agasso (Beaulieu und Jacon, Herault), Manjo-fango (Gruissan,
Aude, dont le pays est marecageux) etc. Auch als Zuname war
es im alten Frankreich gebräuchlich : Grimaldus Mangemusche
(12. Jh.), Hugo comedens rusticum (10. Jh.), Gerardus Mangechievre
(13. Jh.) bei Darmesteter o. c. S. 181.
74. Nprov. marca = taller oder bourgeonner, Mistral II, 273,
oder aprov. marcar = zertreten, niedertreten, Levy, in einem Orts-
namen in Haute-Garonne: Marquefave, npr. Marco-favo. Vielleicht
liegt die zweite Bedeutung vor in Marqucbielle (Landes), vgl. Massa-
hielle und TourneviUe\ in Mivqiiehoeuf (Eure Dt.) und Marqueglise
(Oise Dt.) dagegen die gewöhnliche.
75. Sehr beliebt ist sp. prov. matar in Verbindung mit Tier-
namen und Ausdrücken für Menschen. Matabestias, eine Meierei,
ein Landgut (granja) in der Prov. Ciudad Real. Matalobos, welches
bekanntlich auch als Appellativum dient, ist in Sj>anien dreimal an-
zutreffen, als Dorf und Pfarre in Pontevedra, als Ort (lugar) in Leon
und Palencia. Matapuercas heifst ein Bach in der Prov. Cordoba
(vgl. maiapuerco sm.). Vielleicht kann Maiapoi-quera,^ ein Ort (lugar)
in der Prov. Santander für eine Ableitung von maiapuerca (cf. Heurte-
hizüres von Heurtehise) gelten. — Matarrana, Flufs, welcher in den
Ebro einmündet, Del Castillo II, 274. Matazorras, ein Bach in der
Prov. Logrono. Matamoros, eine Ortschaft in der Prov. Badajoz, kann
auf geschichtliche Ereignisse zurückgehen, vgl. auch matamoros sm.
= Eisenfresser. Maiahijos in der Prov. Salamanca in gebirgiger
Gegend erinnert an ital. Scannamadre und Matalavilla (lugar im
Ayuntamiento Palacios del Sil, Del Castillo IV, 499) an Massahielle.
Sehr charakteristisch für Spanien ist natürlich Matajudios (vgl. Mala-
judaica, lugar im Ayuntamiento Casavells), zwei Bäche in den
Provinzen Segovia und Burgos, vgl. viatajiidio sm. = Meeräsche.
Alle diese Beispiele sind Madoz XI, 292 entnommen. Hierzu
dürften noch gehören Matasanos, zwei Bäche in den Provinzen
Sevilla und Badajoz und ein Landgut (cortijo) in Badajoz, vgl. auch
jnatasanos sm. Quacksalber, Afterarzt; Maiaviejas- in der Prov. Burgos;
Matavenero (die Bedeutung?), ein Ort (lugar) in Leon. — Aus
Frankreich sind mir bekannt Matafelon, ein Berg in Savoien Dt.
(belegt auch Montafelon, Monthafaloii) und Mateflon (Maine-et-Loire),
womit man auch Hugo de Matafelone bei Darmesteter o. c. 181
^ Porquera = Sauloch ist auch Ortsname, s. Del Castillo IV, 511.
* Ein Bach desselben Namens ergiefst sich in den Arlanzon, erwähnt zum
ersten Male 1487, früher a. 919 Ura, s. F6rotin, Recueil des Chartas de l'abbaye
de Silos, S. i, Note 2.
31
vergleichen möge, Matdbiau, eine Strafse und Vorstadt in Toulouse,
INIistral IV, 297, Maio-Pesou, Mato-Pesouls (oü Ton tue des poux),
nom d'un quartier de Narbonne habit^ autrefois par les juifs bei
INIistral II, 297 und das unklare Mateguerre, nom d'une tour de
l'ancienne enceinte de Perigueux, Mistral II, 297. Dafs die Bildung
zur Feudalzeit beliebt war, zeigt auch der Umstand, dafs Richard
Löwenherz eine Festung, die er bei Messina gegen die Griechen
erbaute, Matte-Griffon benannte, D. Bouquet XVIII, 509 bei Darme-
steter o. c. S. 181, Fufsnote 28.
76. *Matteare ist in Italien und Südfrankreich recht zahl-
reich vertreten. Als zweiter Bestandteil erscheinen ausschliefslich
Tiernamen. Mazza ho in der Lombardei, im Venetischen als Ort
und Berg (Olivieri 112), Mazzacavallo,^ auch im Venetischen
(Olivieri 112); Mazzalupo in Emilia, Ligurien und in Rom, dazu
noch eine Ableitung Mazzalnpetto in Rom, wo man natürlich nicht
weifs, ob die Ableitung von lupo allein oder von Mazzalupo ge-
bildet wurde, Mazzalovo und Mazzagatta (cf. mazzagatto), beides
im Venet. (Olivieri 112). Die Verbindung war auch als Familien-
name gebräuchlich: in Codice diplomatico padovano wird a. 1027
N. 118 ein gewisser Johannes Mazzalovo erwähnt; auch in Süd-
frankreich Masseloup, Massaloup bei Mistral a. a. O. Die anderen
Beispiele, in denen mazza erscheint, der zweite Bestandteil aber
unsicher ist, führe ich nicht an; ich verweise nur auf Amati IV, 99g ff.
Diesen Ortsnamen entspricht in Frankreich Mussehiau (Aveyron),
MassehcEuf^ Var Dp. (Alpes -Maritimes) bei Joanne, ein Bach in
Hautes-AlpGS Dt. Massebaeu/', dazu noch Massebeau in Cantal Dt.
volksetymologisch aus Massabou 13 15, Massabef 1491, Massabeuf
15. Jh. entstanden, vgl. lautlich Barbadeati (Dordogne), Barbadeu
bei Mistral I, 222 = barbadieu, barbo-ä-dieu = priere superstitieuse
dont le sens est impertinent et irapie. Hierher noch Massevaques
(Lozere Dp.), Massabrac in Haute-Garonne bei Mistral II, 291, wo
prov. brac sm. = braque, chien couchant, brache; Masselebre (Puy-
de-Döme Dp.), dann der Name des bekannten Felsens bei Lourdes
Massabielle = qui assomme la ville nach der Übersetzung Mistrals;
der zweite Bestandteil ist gase, hieb (viele) > villa. Im Dep. Charente
Dp. entspricht dem Masseville. Zu vergleichen ist also die Bildung
mit Taillebourg. Es ist nicht klar, wie man den zweiten Bestandteil
auffassen soll in Massegros (Lozere) npr. Masso-gros Mistral II, 292,
cf. Chajitegros, wo gros vermutlich = gruau. Dagegen liegt gallus
klar vor in Massejail, Berg in Haute-Loire Dt., a. 1495. — gailh.
1 Vgl. mantov. mazzacavall = cipero, cunzia, erba padulina, .?iunco quad-
rellato o quadrello etc., Cherubini, Vocab. mantovano, Milano 1S27 und mai-
länd. mazzacavaj == coppacavaj = Strapazzator di cavalli, chi alTatica i cavalli
senza discrezione, Cherubini, Diz. milan.
* Bei Sauvages, Dict. languedocicn: masso-bioou; als app. und Personen-
name, ancien nom des bouchers pour la viande de boeuf. Daselbst klagt er
über die Sucht der Notare, die languedocischen Namen zu französieren. Zitiert
auch bei D'Hombres et Charvet, Dict. languedoc, S. 474.
2>2
77. Menare kommt in zwei mir bekannten Beispielen vor:
Menabö in der Prov. Alessandria bei Amati V, 31 und Menahue,
ein „casale" in der Prov. Cremona bei Fabi S. 301. Vgl. mennabo
raail. = guida, traccia; frz. guideäne, Cherubini.
78. Dem Westromanischen ist gemein die Zusammensetzung
mirarei als erstes Kompositionsglied:
a) mira + adj. bellum, hinzuzudenken hat man wohl locum,
da es sich meist um Namen besiedelter Orte handelt. Diese Zu-
sammensetzung übersetzt Mistral II, 343 = belvedere^; auch Joanne
IV, 2686, wie auch schon der alte Sauvages, Dict. languedocien,
Nismes 1785, II, S. 83 s. v. Mirabel = Beauregard und I, 79 s. v.
Belveze, betrachtet sie als gleichbedeutend mit vielen Ortsnamen:
Bellevue, Belvedere, Beauvoir, Beauregard? Vgl, noch das Appella-
tivum viirahelle sf., nprov. mirahUo (= sorte de prune ronde, jaune
et sucree, D'PIombres, Dict. lang. 487), sp. mirabela. Die gleich-
lautenden Personennamen dürften wohl ursprünglich Ortsnamen ge-
wesen sein. Nach Mistrals Angabe a. a. O. lautet das fem. von ihnen
Mirahello, woraus eben ersichtlich wird, dafs der zweite Bestandteil
als Adj. aufzufassen ist. — Die auf diesen Typus zurückgehenden
Ortsnamen sind durch ganz Frankreich zerstreut. Mirabel findet
sich in Gard Dt., hier als castrum de Mirabel 1237 erwähnt.
Mirabel in Dröme Dt. besitzt Ruinen einer alten Burg aus dem
13. Jh., liegt auf einem Hügel, der das Tal von Eygues beherrscht.
In demselben Dep. noch Les Mirabeaux, was vielleicht auf eine
Siedelung hinweist, deren Einwohner Mirabeau hiefsen. Dordogne
Dt. hat vier Mirabel, deren ältester Beleg aus 1322 stammt. Im
Cartulaire de Conques wird ein Ort in der Gemeinde Enguiales
mit Namen Deodat de Mirabel belegt. Im Specilegium brivatense
ist la vina de Mirabel oder Mirabeil Beleg für jetziges Mirabel, in
Haute-Loire Dt., jetzt ein zerstörter Ort, latinisiert 983 Villa quae
vulg. Mirabilia nuncupatur, ebenso 1082 Vineae de Meravila. Das
letztgenannte Dep, besitzt noch eine Burgruine und einen Berg
desselben Namens. Mirabel ist weiter einmal anzutreffen in dem
Allier-Dp., Ard^che zweimal, Aveyron, Tarn dreimal, Tarn-et-Garonne
zweimal und ebenso in Cantal Dt. Sonst lautet die Form auf dem
südfranzösischen Gebiete Mirabeau. Nach Dp. ist es vorhanden in
AUier, Basses -Alpes, Puy-de-Döme, Haute -Vienne und Vaucluse
(daher stammt der Name des berühmten Redners Gabriel -Honor6
de Riquetti, comte de Mirabeau). Auf dem südostfranzösischen
Gebiete, wo mirare in die erste Konjugation, Abart A gehört,
^ Davon bekanntlich prov. mirdnda sf. donjon, belveder (Raynouard),
welches als Ortsname weit verbreitet ist.
* Ebenso wird die Bildung in den Urkunden aufgefafst. Im Cartulaire
de Marseille finden wir für Notre-Dame-de-Belair (ermitage, c^e Murs, Vau-
cluse) folgende Belege: de Belveder (a. 1055), de Pulchro Visu (a. 1059) und
de Mirahello (a. I135), alles Übersetzungen eines und desselben Begrifl"es.
* Nach Olivieri 142 = „luogo che guarda bene", aprico.
33
finden wir die Entsprechung Mirihel in Ain zweimal,! Loire, Isere
(hier wird Äliribel-et-P Enchdtre in CoUection des documents dau-
phinois 8 als cappella de Älirabel belegt, also ein Beweis, dafs
7niri als Imperativ von den Schreibern, die vielleicht keine Südost-
franzosen waren, gefühlt wurde). Desgleichen hiefs Miribel-les-
Echelles (Isere) noch 138 1 Mirabel im Specilegium brivatense.
Ebenso wird Miribel (Dröme Dt., c"*^ Parnans) 1164 als Mirabel
belegt, 1442 castrum Mirabelli; Mirabel in demselben Dep., c"^
Noyons, dagegen 132 1 castrum de Miribello. Savoie bietet drei
Flurnamen namens Miribel und Pic de Miribel. Bei Marion liest
man schon 1107 Castrum Miribellum Im Miribel-les-Echelles (Isere);
bei Chevalier für ein anderes Miribel in Isere ii73(?) Bernardus
de Miribello und Humbertus de Mirebello. Aus der Schweiz notiere
ich nur den Namen einer Alpe: Alpe de Meribe, neben Col de
Meribe (Kanton Valais) im Dictionnaire de la Suisse III, 301, wo
der Ortsname auch richtig gedeutet wird. — Im Zentralfranzösischen
lautet die Form naturgemäfs Mirebemi (Vienne), dieses schon zu
Karolinger Zeit belegt, s. Longnon, Atlas, Text S. igo und Dt.;
aus den Belegen geht hervor, dafs so ein castrum, castellum hiefs;
in Allier zweimal und Cöte-d'Or. Mayenne Dt. hat Mirebeau als
Namen eines Waldes und eines „ecarts". Die Orthographie läfst
manchmal den Mittelvokal ausfallen: Mirbaidt (Nievre Dt.), belegt
1575 Mirebeaux; Mirbeau in demselben D(^p., womit man den Zu-
namen des bekannten Romanciers Octave Mirbeau vergleiche. Nord-
frankreich zeigt in einigen Gegenden die Erhaltung des -i: Mirebel
in Jura, Calvados Dt. zweimal und Seine-et-Oise; dazu noch Mirbel
in Haute -Marne, belegt 1233 Mirabel. — Die Formen mit ein-
geschobenem m vor Labial deuten auf den Umstand hin, dafs das
Gefühl für die Zusammensetzung schon in den alten Zeiten ver-
loren ging. Mirambeau ist vorhanden in Charente, Charente-Inferieure
zweimal, Haute-Garonne und Deux-Sevres Dt. (hier belegt 1472
Le Puy Mirembeau); Mirambel in Correze. Der Ortsname in
Charente-Inferieure erscheint in Cartulaire de Savigny et Ainay
belegt noch ohne m: a. 1097 Pontius de Mirabello, desgleichen
a. 1 107. Sogar erscheinen daselbst einige Belege in südostfrz.
Form: a. 11 24 in loco qui Miribel dicitur, a. iioi Vuido de Miri-
bello (im Lesartenverzeichnis Mirabello). Röles gascons I Index
kennen für diesen Ortsnamen noch a. 1242 die Formen ohne m:
Castrum de IMirabello, jNIirebel; Cartulaire de Saintonge Mirebellum
für jetziges Mirambeau -l'Artaud, ar. de Jonzac. Also steht der
Zusammenhang dieser Ortsnamen mit den obenbesprochenen aufser
jedem Zweifel fest. Allerdings kann man in m auch in sehen, also
gewissermafsen *Mira in bellum, vgl. Pissincanna.
Die Beschreibung der geographischen Lage von den vielen
* Die Belege für diesen Ortsnamen aus dem Anfang des I4. Jh. s. jetzt
bei Paul Meyer, Doc. ling. du Midi de la France, S. 86 ff., D^p. Ain, bearbeitet
von Ed. Philipon.
Beiheft zur Zcitschr. f, rom. Phil. XXVII. (Festschrift.) -i
34
hier angeführten Orten bei Joanne IV, 26S6 lehrt, dafs sich diese
Ortsnamen meist auf Siedlungen in erhöhter Lage mit schöner
Aussicht beziehen. Die Urkunden sichern uns das Vorhandensein
von castra, castella und heute noch sieht man bei vielen Orten
dieses Namens Ruinen von alten Burgen. Also ist es eine Orts-
namenbildung, die weit in das feudale Zeitalter hineinreicht.
Italien zeigt Mirahello in vielen Provinzen, wie in Alessandria,
Mailand, Cremona, Como, Lodi (s. Fabi S. 128), Pavia und Turin,
also in der Lombardei und Piemont, dann in Ferrara, Molise,
Toscana (s. Pieri, Toponomastica della Val-di-Serchio S. 120, s. v.
bellu) und im Venez., wo es einen Berg bezeichnet (Olivieri 142).
Die alten Belege sind mir leider nicht zugänglich, aber auch hier
dürfte die Ortsnamenbildung sehr alt sein. Ich notiere nur aus
Historiae patriae monumenta I. Mirabelio a. 1124 locus bei Asti,
in derselben Urkundensammlung Bd. VI, S. 89 a. 1003 Mirabelio,
locus et castrum. Interessant ist die Tatsache, dafs wir in Itaüen
sehr oft den zweiten Bestandteil in der Femininform antreffen, wo
man also villa hinzudenken mufs. Mirahella in den Provinzen von
Mailand, Novara, Brescia, Como, Neapel, im Principato Ulteriore,
in Sizilien bei Catania. Die Erklärung Amati's s. v. Mirabella-
Eclano Bd. V, 151: il nuovo paese assunse la nuova denominazione
di Mirabella dal suo castello, il quäle sembra sia stato chiamato
Mirabella dal re Ruggero, probabilmente a riguardo degli strepitori
fatti d'armi che nei tempi andati avevano luogo in esso e nelle
sue vicinanze, ist wohl nicht ernst zu nehmen. In Frankreich sind
derlei Formen selten: in Eure-et-Loire Fonlame Mirebelle, erwähnt
1470, was aber anders geartet ist als Mirabella in Italien; dann
ein kleiner Flufs (rivierette) in Puy-de-D6me Alirebelle oder Riviere
de Gerzat s. Joanne a. a. O., welcher an der Burg Mirabel vorbei-
fliefst, „d'oü sans doute son nom", bemerkt Joanne. In diesen
zwei Fällen kann man den Einflufs der Substantive fontaine und
riviere annehmen. Dazu noch Mirabelle, maison isolee (Haute-Loire
Dt). Ein einziges Mirabella ist in Spanien anzutreffen, Madoz XI,
S. 427: antiguo castillo arruinado en la provincia de Logrono.
Ebenfalls ganz vereinzelt, durch seine Bildung interessant, ist der
toskanische Ortsname Miralbello bei Repetti III, S. 220 in Val-di-
Sieve, erwähnt schon 1306, in alten Zeiten auch ein befestigter
Ort, Im mittleren / ist wie in Crevalcuore der Artikel zu sehen.
Auf der iberischen Halbinsel scheint der Ortsname nicht be-
sonders verbreitet zu sein. Bei Del Castillo II, 658 haben wir in
der Provinz Cäceres Mirabel (estä situado en terreno que participe
de monte y Ilano, libre al embate de todos los vientos). Auch
mit dem bei den südfrz. Ortsnamen erwähnten Einschub-m: MiraJtibel
II, 660 in der Prov. Terruel, dessen Lage dieselbe ist wie die von
Mirabel (Madoz sagt: en un pequeiio Uano al pie della cordillera).
Ferotin, Chartes de l'abbaye de Silos hat noch. Mirambel qw Kragon
(a. 1434). Auf dem catalanischen Gebiete (Prov. Barcelona) finden
wir zwei Dörfer (aldea), namens MirambelL
b) Mira -j- mare, nach Mistrals Übersetzung: d'oü l'on voit
la mer. Auch diese Verbindung ist dem Westromanischen eigen.
Die Belege sind allerdings nicht so zahlreich wie für Mirabellum.
Die Orte dieses Namens liegen selbstredend an der Meeresküste
und zwar an der mittelländischen : Miramare bei Triest. Ungewöhn-
licher als dieser Ortsname sind zwei südfranzösische Formen :
Miramas (Bouches-du-Rhöne), belegt im Cartulaire de Marseille
Miramaris und Ugo de Miramare a. 12 14, carte 998. S. Be-
schreibung der Lage bei Joanne a. a. O. Bei Mistral II, 344 lautet
die Form Mirama. Dafs -s kein nur orthographischer Schnörkel
sei, beweist die Ableitung Mira7nassen, enco = habitant de Miramas.
Dasselbe -s zeigen noch Notre-Davie-de-Milamas (Var) und Saint-
Pierre-de-Miramas , pres Sainte-Maxime (Var). Der erste Ortsname
ist in demselben Cartulaire belegt a. 1035 mons de Miramars (c. 592),
roca de Miramars (c. 592, a. 1035). Andere gleichartige Belege
aus dem 11. und 12. Jh. bietet für diesen Ortsnamen Moris, Cartu-
laire de Lerins. In diesem Beispiele sieht man das bekannte Dissi-
milationsgesetz r — r > / — r. Für -rs > s vgl. Miirs (Vaucluse),
w^x. Mus bei Mistral II, 388 und Mus (Card) a. 1060 Murs, 11 65
de Muris. Das -j wird sich wohl wie bei Cantalops erklären; es
ist eine spätere Hinzufügung, um den Nominativ des Ortsnamens
anzudeuten. — Katalonien hat zwei Miramar in den Provinzen
Valencia (hier nahe dem oben erwähnten GuarJamar) und Taragona.
c) Mira -|- montem ist auf Südwestfrankreich beschränkt, wo
es auch nach Mistrals Angaben als Personenname vorkommt, im
Fem. MiravioiindOy Miramoiindeto. Das d erklärt sich wahrscheinlich
durch den Einflufs von adj. mounde, moundo = net, nette, pur,
welches auch als Familienname in Südfrankreich bekannt ist, s.
Mistral 11, 361 s. v. Mond. — Auch diese Komposition bezieht sich
auf die Namen besiedelter Orte. Wie schon der Name selbst an-
deutet, befinden sich fast alle diese Siedelungen auf einer Anhöhe,
s. Joanne IV, 2687. Miramon kommt zweimal vor in Basses-
Pyrenees Dt., belegt a. 1385 IMiremon; in Cantal Dt. als Le Puy
de Älira?7Wfi. Die Form Miramont ist häufig; nach Dp. und
Joanne in Ariege, Gers, Lot-et-Garonne je zweimal; in Tarn-et-
Garonne, Haute-Loire Dt., Haute-Garonne und Landes je einmal;
Miremont je einmal in Haute-Garonne, Puy-de-Dome, Deux-Sevres
und Cantal Dt. Dordogne Dt. hat Miramont und Miremont zwei-
mal, das letztere belegt einmal a. 1273 als castrum de Miromonte.
Solche Latinisierung kommt auch in Spicilegium brivatense vor im
Namen Amelius de Miromonte a. 1250 — 1263, was sich vielleicht
z\x{ Miremont in Puy-de-Döme bezieht; desgleichen in Röles gascons
U, 407 a. 1289 für Mirattiont in Lot-et-Garonne lesen wir de Miro
Monte, worauf sich vielleicht auch folgende Belege beziehen: II, 291
a. 1289 Miro Monte und II, 396 a. 1289 et bajulo suo Miri Montis.
Gleich lauten ferner die Belege für Miramont-Sensacq (Landes)
Augerius de Miro Monte II, 295 a. 1289. Man sieht also, dafs
die latinisierenden mittelalterlichen Schreiber im ersten Bestandteile
3*
36
adj. niirus, a um sehen wollten. Dordogne Dl. zeigt Miramoni und
Mircmont mit dem Artikel le, was sehr befremdet. Analoges auch
bei Miraval.
d) Mira + piscem ist auch nur regional verbreitet, in Südwest-
frankreich und Katalonien. Basses-Pyrenees Dt. hat zwei Mirepeix,
von denen eines a. 1181 als Rlirapes, im 13. Jh. Mirapiscis, a. 1684
aber merkwürdigerweise Mirepoix belegt ist. Mirepeix ist ferner in
Landes anzutreffen, belegt im Cartulaire de Sorde Mirepeis und
Mire-Peis. Ebenso heifst eine Insel im Adour. Auch ein Deminutiv
ist davon vorhanden: Mirepeissd (Aude). Dieselben Belege wie
der Ortsname in Basses-Pyr6nees Dt. zeigen auch moderne Mirepoix.
Wir haben eine kleine Gegend dieses Namens in Languedoc, eine
Stadt in Ariege, zwei Ortschaften in Haute-Garonne und Gers,
s. Joanne IV, 2690. An einen lautHchen Übergang von ei >> oi
ist natürlich nicht zu denken (vgl. Gilli^ron, Atlas c. T052 peytÄ),
eher dafs man den zweiten Bestandteil als pei, poi Plural von
podium auffafste; vgl. auch die falsche Übersetzung Mistrals: d'oü
i'on voit les puys. — Wie Mistral II, 344 zeigt, lauten die Mire-
/)öz>- Ortsnamen in der mundartlichen Aussprache MirapUs und
Mirapech, was sich mit der Gestalt des Appellativums in diesen
Gegenden genau deckt. Die alten Belege für Mirepoix in Haute-
Garonne: Mirapeis in Cartulaire de Conques bestätigen das. Vgl.
auch das Sprichwort in B6arn bei Mistral a. a. O. Mirapich tninyo
pech. — Die geographische Beschreibung von diesen Orten bei
Joanne I. 2690 lehrt uns, dafs es sich um Siedelungen an Flüssen
und Bächen handelt. Sie stellen uns eine Fischzucht treibende
Bevölkerung vor Augen. — In Katalonien (Provinz Lerida) ein
Dorf (aldea) Miralpeix bei Del Castillo IV S. 500, wo im mittleren
/ wiederum der Artikel zu sehen ist. Vgl. die Beschreibung bei
Madoz XI, S. 429: estä situado ä la märgen izquierda del rio
Segre en una pequena ribera fertihzada por los aguas del mismo
rio que corre entre dos cordilleras de montes.
e) Mira -|- vallem (Mistral's Übersetzung: d'oü Ton voit la
vallee) oder valles ist hauptsächlich auf Südfrankreich und Spanien
beschränkt: Miraval (Basses- Alpes, s. Mistral, Var, Aude), Mireval
(Herault, belegt a. 11 12 Miraval, Aude, Ariege). Diesen Namen
erhalten Siedelungen im Tal oder auf einem Platze, der das Tal
beherrscht. Miravail, zweimal in Basses-Alpes, gehört wahrscheinlich
auch hierher; dazu der Name einer Quelle in Vaucluse bei La
Mothe-d'Aigues La foiit de Miravai, Mistral II, 344. Fürs Laut-
liche vgl. Le Riail in Dröme, Bach, welche Form wohl mit le Rial,
npr. Riau, afr. riau «< *rivale von rivus zusammenhängt. Die
Bildung kommt einmal merkwürdigerweise mit dem Artikel vor:
Le Miraval (Lozere). — Spanien hat Miravalles in den Provinzen
Viscaya (sit. en terr. llano y margen izquierda del rio Nervion,
Del Castillo II, 668. Pico de este nombre ibid.) und Oviedo,^ bei
^ Belegt a. 980: prope riba maris Ozeani in villa quam uocitant Miraualles
locum predictum Samellas latus flumen Soloria, Documentos de Sahagun Nr. 720.
ZI
Madoz noch MiravaJes in der Prov, Lugo und Miravall dreimal in
der Prov. Lerida. — Die nordfranzösischen Beispiele sind unsicher.
Mureau (Vosges) sollte nach Gallia christiana XIII, 1157 Miravallis
sein. Doch ist der Schwund des v merkwürdig. Für Mirvaux
(Seine-et-Marne, Somme) fehlen mir urkundliche Belege.
f) Aufser diesen auf einem kleineren oder gröfseren Gebiete
verbreiteten Zusammensetzungen kommen noch sporadische vor.
So in Cantal Dt. Mirecomhe, a. 1473 Mansus de Miracumba; in
Vienne Mirevachi, ein Dorf (hameau) und in Seine-Inferieure Mit--
ville (s. die Beschreibung bei Joanne IV, 2687), was an die Schreibung
Mirbeau gemahnt. Dazu noch der Name einer Strafse in Castres:
Miro-Damo {o\x l'on voit les dames), Mistral II, 344. Mirecourt
(Vosges, s. die Beschreibung bei Joanne IV, 2688), welches auf
Mercurii curtis (s. Sachs -Villate s. v.) zurückgeht, verdankt das :'
im Anfangsgliede mire gegenüber mercredi wohl dem volksetymo-
logischen Einflüsse dieses Zeitwortes. — Spanien bietet auch
solch vereinzelte Bildungen, wie Mh-alcauip (lugar, Prov. Lerida),
Miralrio (villa, Prov. Guadalajara, dessen „suelo, banado por el
rio Henares"), beides aus Del Castillo II, 659. Den letzten Orts-
namen schreibt INIadoz XI, 42S Mi?-a el rio Er hat noch zwei
Miralcampo als granja und cas (Prov. Albacete und Guadalajara).
Hierher dürfte noch gehören Miralcazar ebenda, wo man im zweiten
Bestandteile alcazar = Festung, festes Schlofs erblicken darf. Schwer
ist Miragenil zu deuten. Man könnte im zweiten Bestandteile henil
= Heuboden sehen oder wie im Puenie-Geyiil, zu dem Miragenil
auch gehört (Madoz XIII, 273), den Flufs Genil. Vereinzelt ist
Mirafue7Ües villa (Spanien, Prov. Navarra).
g) Nur in Spanien ist adj. bonus als zweiter Bestandteil an-
zutreffen: Mirahueno und Mirabuenos, das erste villa in der Prov.
Guadalajara, Del Castillo II, 658 und „cortijo", das zweite ein cas,
beides in der Prov. Jaen, Madoz XI, 427. Vgl. noch Mirabofiell
(Valencia), wo der zweite Bestandteil auf einen Eigennamen zurück-
gehen kann, wie es in Mirabozon (hameau in Savoien Dt.) der
Fall ist; dann ist aber auch möglich, dafs der erste Teil eben ein
Subst. ist.
h) In Spanien scheint dagegen mehr verbreitet zu sein Mira-
flores. Madoz a. a. O. verzeichnet zehn solche Ortsnamen, einmal
auch Miraflor (Alicante, Del Castillo II, 658). Italien kennt Mira-
fiori als frazione del commune, castello und casale in der Provinz
Torino; Frankreich nur ein Mircflcurs in Puy-de-Döme. Vgl. Mira-
rosa lugar in der Prov. Alicante.
i) Auf Italien und Spanien ist beschränkt Mira -|- solem: Mira-
sole in den Provinzen Novara, Mailand, Como und Mantua; Mirasol
Diccionario geogr. S. 659 sagt allerdings: Villa situada en Asturias, en la prov.
de Oviedo, partido jud. de la Pola de Labiana, que probablemente tomö
nombre del .arroyo de Miravalles. Miravalles (S. Esteban), parroquia, ay. Villa-
viciosä (Prov. Cordoba) Del Castillo IV, 500.
38
in der span. Prov. Huesca Madoz XI, 437. Allerdings kann man
darunter sowohl den Namen der Pflanze (Helianthus annuus) als
auch die Benennung eines der Sonne ausgesetzten Ortes verstehen.
Hierüber mufs uns natürlich die lokale Betrachtung belehren.
j) Adverbia sind vertreten nur in einem einzigen Falle: Pieve
di Miransu (Toscana), bei Repetti III, 220. Seine geographische
Lage (E posto sulla foce di due poggi che scendono costä verso
l'Arno; esistono tuttora pochi ruderi a fior di terra dei fondamenti
della torre o castelletto) erlaubt uns im zweiten Bestandteile insu
zu sehen.
k) Als einen substantivierten Infinitiv und nicht als Verbum
wird man wohl auffassen dürfen den zweiten Bestandteil in Mira-
vhe, pres la Cadiere (Var), welches schon Mistral II, 344 in mira -f-
vese, veire richtig zergliedert hat. Den zweiten Bestandteil vgl.
mit den recht zahlreichen Belveyre (Correze), Belves (Dordogne,
Gironde, Cantal), Belveze (Aude, Tarn-et-Garonne), Belheze (Haute-
Garonne, Tarn-et-Garonne), Beanvezer (Basses-Alpes, Dröme), Bel-
veze (Gard, Aveyron, Lozere, Cantal), Bethczer in Gascogne und
unzählige Beauvoi?- und in Italien Belvedere.
79. Monter in einer im Dp. Ain Dt. neunmal vertretenen
Verbindung: Montaplan, „Steige auf die Ebene", haraeau. In Haute-
Loire Dt. heifsen einige schon a. 1306 erwähnte Felsen Denis de
Monlaboule „Bringe die Kugel hinauf".
80. Montrer in Monlrebceuf, ferme, Mayenne Dt. Vgl. Marqiie-
boeuf.
81. Mouiller in Verbindung mit pied: Mouille-Pied, zweimal
in Charente-Inferieure. Einen Teich Etang de MoiUepied bietet
Nievre, erwähnt schon 1559. Ebenso heifst ein Felsen. „Cette
röche permet d'apprdcier la montee de l'eau dans les etiers du
Marais breton", sagt Joanne I. — Also will man offenbar durch
diese Benennung den Ort bezeichnen, den man durchs Waten
erreichen mufs (oder welcher im kotigen Terrain liegt). In derlei
Terrainverhältnissen liegende Siedlungen dürften bezeichnen Molha-
sola (..]\Iache die Fufssohle nafs"), zerstörte Örtlichkeit in Haute-
Loire Dt., a. 13 10 Mansus de — , La 7I/ö/ä-&«/(? (Doubs Dp.) und
Moinlle-Savate, Dorf in Calvados Dt. Zur ersten Verbindung gehört
vielleicht noch Molissole {Ain Dt.), welche aber bei Paul Meyer,
Doc. ling. du Midi S. 45 wegen der Belege INIaillisola, Maillisolan
auf *macula solam zurückgeführt wird. Schwer zu beurteilen ist
gleichfalls MoHesoulaz, Dorf und Bach in Savoien Dt. -z ist nur
orthographisches Beiwerk, da hier bekanntlich -a bleibt, wie es auch
der Beleg a. 1738 Mollie-Solla zeigt. Nachdem aber die mund-
artliche Form Marchcida lautet, so kann man nicht mit Sicherheit
behaupten, dafs es hierher gehört. — Mit Taillebourg vgl. Mouille'
villers (Doubs Dt). Mouilleferts (c"^ Chäteau-Chinon.t Nievre, bei
1 Dp. schreibt Mouillefer, cne Chatcau-Chinon, Champagne.
39
Joanne s. v.) und Moillefier, fief de la cbätellaine de Montreuillon,
erwähnt 1638, ebenfalls in Nievre Dt., gehören wahrscheinlich zu-
sammen; doch ist mir der zweite Bestandteil unklar.
82. Prov. negar = noyer, submerger, etre submerge, cf. aprov.
nega-barnatge = der Ritterlichkeit zu Grunde richtet (Levy) ist nur
in Südfrankreich anzutreiTen, verbunden mit allerlei Tiernamen.
N^gue-Sauim heifst ein quartier in Gard, belegt 1380 Negua-Sauma.
Ebenso ein Flurname in Dordogne, belegt schon 1535 und nach
Mistral ein altes Tor von Beziers. Hierher dürfte wahrscheinlich
gehören Les Negacals, ein kleiner Bach in H6rault, belegt 11 66
Neguacatos, 1751 Neguecats, bei Mistrals II, 401 Le Negacats. Der
Ochs darf natürlich auch nicht fehlen: Negahio, ein Dorf in Dor-
dogne Dt und N^gii^-Biou, pres les Saintes-Maries de la Mer bei
Mistral II, 401. Vgl. in Nordfrankreich Tuhceuf und in Spanien
Matalohos. Auch die Kuh : Negue- Vaqiies, pres Montagnac (Herault).
Die Hündin aprov. gossa = N^go-Gousses, Name einer alten Strafse
in Toulouse, Mistral II, 401. An ital. Scannamadrc erinnert in Süd-
frankreich Nigo-danos (prov. negua-donas, oü les dames se noient),
Name einer Strafse in Albi, durch welche einst ein Bach flofs; dann
Neguevieille, ein Bach in Tarn-et-Garonne, beides aus Mistral II, 401.
Niguebourg (Gers Dep.) vgl. mit Taillebotirg.
83. Prov. panar (afr. paner = saisir) =-. enlever, gascogn. auch
recueülir, moissonner in Glossaire des mots etc., Bordeaux 1873,
voler, erscheint einmal im Namen einer kleinen Gasse in Albi: La
vouto de Pdiio-Deuies (= qui vole ou qui essuie les dettes, nach
Mistral 11,471), wo der Name auf einen Personennamen zurück-
gehen kann. Verständlicher sind dagegen der Name eines „quartier"
der Gemeinde Saintes-Maries-de-la-Mer Panapeys, nprov. Pano-plis,
Pannessac (Deux-Sevres Dp., Haute-Loire Dt. a. 1745 Panassac)
Panassac (Dordogne Dt. Gers Dp.),^ wahrscheinlich auch humo-
ristische Benennungen der Einwohner, denen man einmal vor-
geworfen haben mag, sie hätten Fische bezw. Säcke gestohlen. In
Panneloiip (Charente Dp.) und Panloup (Jura Dp.) steckt wahrscheinlich
die Bedeutung paner == saisir. Panneville (Seine-Inferieure zweimal
Dp.) vgl. mit Tailleboxirg.
84. P arare, so zahleich in Appellativen aller westromanischen
Sprachen, ist in Ortsnamen hauptsächlich auf Oberitalien und Süd-
frankreich beschränkt. Parovmto im Venetischen (Rovere di Velo,
Oüvieri 1 13) und in der Prov. Modena, Amati V, 31, dürfte natürlich
dasselbe sein wie das Appellativum; in Haute-Loire "Di. La Paravcnt,
village, 1561 La Parevent. — In Parasacco, welches in Oberitalien
viermal vorkommt, Amati 1. c, wird man wiederum eine humoristische
Bezeichnung der Bevölkerung, die fremdes Eigentum unsicher macht,
erblicken dürfen. Dazu noch sacco in pl. Parasacchi (presso Polesine
1 Meine frühere Ableitung vom Pflan/.ennamen /««atr^'a, s. Beihefte II, 214,
ist wohl unrichtig.
40
Parmense) in Codex dipl. Cremonae I, 204. Zu diesen italienischen
Pd}\7sacco stelle ich nun auch vier Parassac in Hautes-Alpes Dt.,
zwei „6carts", ein „quartier" und eine „ferme", gegen meine frühere
Meinung, vgl. „Die mit den Suffixen -äcum etc. gebildeten südfrz.
Ortsnamen" S. 195. 574. Dafs Parassac wirklich hierher gehört,
beweist nun die nprov. Form Parosac (c"^ Gap) (dreimal a. 1545) in
einem Kataster von Gap, abgedruckt bei F. Meyer, Doc. linguistiques,
S. 462 f. Vgl. auch Parassat (Isere Dp.). Vgl. dazu die Ausdrucks-
weisen ä paro-lou-coufin, ä paro-sa = ä profusion; recoin, coin bei
jNIistral II, 484. — Paravino „Weinschutz" zweimal in der Prov.
Como, Amati 1. c; in derselben Provinz noch Paravicino „schütze
den Nachbar" bei Fabi; in Historiae patriae monumenta VII, 596
a. 962 Paragallo, locus in comitatu Vintimilli. Alle drei enthalten
irgend welche lokale Anspielungen, die man natürlich heute schwer
ergründen kann. Ebenso Parabispo, zwei Orte in der span.
Provinz Coruna. — Mehr verbreitet und, wie es scheint, in all-
gemeinerer Verwendung ist Para + lupus „Wolfschutz" oder nach
Mistral: lieu oü il faut se garder contre les loups.i Paralupo in
den ital. Prov. Cuneo und Pavia, Amati 1. c. ; zwei Pareloup in
Gard Dt., beidemale als Benennungen von „quartier". Allerdings
finden sich daneben noch andere Namen: Pareloup sive Porte-
Caciere 1468, Puech du Pela-Loba 1503, Pareloup ou Chemin
d'AIais 167 1. Paraloiip „quartier" in Hautes-Alpes Dt., schon
1100 belegt Paralupum. Mistral 11,484 hat noch einige: Pareloup
bei Nimes (Gard) und ParaJoup bei Salon (Bouches- du -Rhone),
belegt in Cartulaire de Marseille (c. 428) a. 1035 in loco quem
nominant Para Lupus; dazu noch NosiG-Damo-de-Paro-Loiip, eine
Kapelle im Friedhofe von Mazan (Vaucluse), welcher einst von
Wölfen bedroht war. Vgl. damit den Personennamen Paralupus
bei Darmesteter 1. c. S. 149 Fufsnote 7. — Ebenso scheint Para -\-
collos „Halswehr, -schütz" in allgemeinerer Verwendung zu stehen;
es deutet vielleicht auf gefährlich gelegene Orte hin. Spanien hat zwei
Paracuellos in den Provinzen Cuenca (sit. en terr. de alguna elevacion)
und Zaragoza; (P. de Jiloca, sit. en terr. algun tanto accidentado,
beide Angaben aus Del Castillo III, 229); Paracuelles (lugar in der
Prov. Santander). Der Ort in Cuenca befindet sich „en la cima de
un cerro", derjenige in Zaragoza (bei Del Castillo genannt P. de la
Ribera) „situado ä la izquierda del rio Jalon". Dieser spanischen
Bildung entspricht in Frankreich „versus abyssum Paracol" a. 1480,
s. Tranchee de Castel-Real in Dordogne Dt.; Paracoh bei Correns
(Var), nprov. Paracdii, in Urkunden Paracollis bei Mistral II, 477 und
Saint-Jean de Paracol (Aude Dp.). Hierher gehört vielleicht auch
Loii Paragdu, nom d'un quartier ou d'une place de Frontignan
(Herault) und mit dem Schwunde des -a- (über a '^ e): Parcoul
^ Vgl. in Bezug auf die Bedeutung in Languedoc: paro-mousco = une
6mouchette dont on couvre un cheval en voyage, pour le d^fendre des mouches;
paro-fio = garde-feu.
41
(Dordogne), belegt Parcol, Paracol, in Urkunden Paracolla, ebenfalls
bei Mistral II, 47g. Damit vgl. wiederum den Zunamen Rainaldus
Paracols bei Darmesteter I.e. S. 181 (11. Jh.). In Spanien noch:
Paralacuesta bei Merindad, ,.villa" de Cuesta-Urcä, Del Castillo
IV, 508.
85. Span, papar, zahlreich in Appellativkomposition z. B.
popahiievos , papamoscas etc., kommt in zwei spanischen Beispielen
vor: Papatrigo, „lugar" in der Prov. Avila, wodurch wahrscheinlich
die Bewohner, welche von Weizen leben, bezeichnet werden (cf. bei
Del Castillo III: El suelo destinado a cultivo, es de mediana
calidad y sus productos consisten en cereales, legumbres, hortalizas,
frutos y pastos). Sehr humoristisch ist die Bezeichnung eines
Baches in der Prov. Cadiz: Papa-Rakmes. Beides aus Madoz XII, 676.
Auch in Italien: Papafava im Venetischen (Olivieri 112). Vgl.
prov. Spitznamen mit dem ersten Bestandteile manjar, Nr. 73.
86. Pascere in zwei Beispielen: Pascehipo in Umbrien, Ort
und Wildbach (torrentello) in der Nähe. Die Benennung, eine
humoristische Metapher, wird begreiflich durch die Lage des Ortes
in gebirgiger Gegend; „abbonda di pascoli e specialraente di
ghiande, etc." Amati V, 985. Vgl. Molendinura di Paismouche
(12. Jh.) bei Darmesteter 1. c. 149. Dazu Passigatto (Legnago, im
Venezianischen, Olivieri 112), ursprünglich wohl ein Spitzname.
87. Passare zeigt viele Verbindungen, namentlich in Frank-
reich und Italien. Als Appellativum und als Personenname ist im
Afr., Nfr. und Prov. gebräuchlich Passavatit (die Bedeutungen s. bei
Godefroy und Sachs- Villatte): s. bei Darmesteter 1. c. 182 Gaufredus
Passavant 12. Jh., S. 184 Jaques passe avant. Als Orts- und Flufs-
name ist es ziemlich häufig. Bei Passavant in Doubs und Maine-
et-Loire stehen Burgruinen. Im letztgenannten Dep. heilst so auch
eine „nappe d'eau". Ein Ru de Passavant durchfliefst in Vosges
Passava7it-la- Roche re , woher nach Annahme Joannes V, 342g auch
der Name des Baches. Dieser Bach teilt Passavant- la-Rochere in
zwei „quartiers", von denen der eine zu Lothringen, der andere
zur Champagne gehörte. Beide hatten ihre festen Burgen. Joanne
a. a. O. meint nun, dafs sein Name von passe avant = Passierschein
herrühre, weil beide „quartiers" ihre Zollämter hatten. Diese An-
nahme wird wegen der Verbreitung des Namens kaum richtig sein.
In Haute-Saöne heifst ein Wald Passarant. Passar^ant (Marne) „ä la
lisiere de la grande foret". A. 1242 baute dort Herzog Thibaut IV.
von Champagne eine weit und breit gefürchtete Burg, s. Joanne
a. a. O. Denselben Namen trägt eine zerstörte Mühle in Haute-
Marne Dt. Dem Passavant entspricht Passcnatis (Jura); dafs im
zweiten Bestandteile ejta^it = vorwärts vorliegt, wird angeblich durch
urkundliche Belege bestätigt. Dazu pafst Pasanant, lugar in der
Prov. Tarragona (sit. en terr. que participa de monte y llano),
Del Castillo III, 237. — Diese Bildung scheint also gewählt für
Siedelungen auf einem irgendwie gefährlichen Platze, wo ein Ver-
42
bleiben nicht ratsam war. Vgl. Passe-Vite, maison isolee und ccart
in Haute-Loire Dt. Die anderen Verbindungen wiederum bezeichnen
Siedeiungen am Flusse etc., den man passieren muls, um sie zu
erreichen: so Passerouey (Dröme), „quartier", belegt a. 1460 als
Passa Key. Der Beleg aus 1665 "La Rybeyre ou Passe-Roey"
beweist, dafs sich der Ort am Ufer eines Wasserlaufes befand.
Püssen'etfx (Lot-et-Garonne Dp.). In Italien Passalacqua zweimal
in der Lombardei, Amati V, 31. Dazu gehören noch Passemontet
(Saone-et-Loire), wo montet = kleiner Berg; Passapoiite in der Prov.
Florenz; Passefons in Cantal Dt., wo fons anderen Ortsnamen Föns
(lat. fontes, fontaine) in Ardeche, Gard und Lot, Mistral II, 1151
entspricht; Passavia in der Prov. Bologna entspricht dem frz. Passa-
vant (veron. pasär via = oltrepassare, passare avanti), das ich
in Italien in einem Personennamen belegen kann: Enrigiiino de
poenzol et passauante a. 1207 in Hist. patr. monumenta VII, S. 551,
geschrieben im Texte fälschlich Passamante locus. — Auch das
Appell. Passat cmpo haben wir als Ortsnamen dreimal in Italien; in
Frankreich mit dem Artikel Le Passdemps (Eure zweimal, Nord). —
Von Tiernamen kommen der Wolf, Hase und Esel je einmal vor:
Passdoup (Rhone, Joanne V, 3430). Passcühre, ferme in Haute-
Loire Dt. und in Italien Passaseno bei Oliveri S. 112. Passamosche
im Venet. (Olivieri a. a. O.) kann auch als „pasci mosche" auf-
gefafst werden. — Damit vgl. französische Familiennamen Passelac,
Passemard (vgl. Moulm-Passemard, Haute-Loire, Passemard, a. 1328
Passamer in Dröme), worin mar = Meer zu stecken scheint, Passe-
naud etc. bei Mistral II, 494. — Passe-Bise, zerstörte Örtlichkeit in
Haute-Loire Dt., erinnert an Heurte-Bise.
88. Pilare = enthaaren, schälen, sehen wir in einigen Ver-
bindungen, ähnlich den Verben battere, badar mit fol: Pelafol
(Dröme Dt.), belegt Pelafollum, Pellafol (Isere Dp.). Damit vgl.
pelafoiis ■=:z co^'S.w, riche bei Sauvages, Dict. languedoc. II, 151. Als
Zuname ist es schon im 11. Jh. belegt: Poncia Pelafol in Cartulaire
de IMarseille. — Die Verbindung mit galliis ist als Zuname ziemlich
alt: Autbertus Pelagallos a. 1030, Pontius Pelagal a. 1098, Bertrandus
Pellagallus, miles a. 125g, in Cartulaire de Marseille. In Ortsnamen
begegnet sie mir nur in Saint-Amans-de-Pelagal (npr. Pdagau, Mistral
s. V.) in Tarn-et-Garonne; in Italien: Pelagalli im Venetischen
(Olivieri S. 112). — Mehrdeutig ist der zweite Bestandteil in Pdagat
(Lot-et-Garonne). Es könnte sein l. 2^6.]. gat, gate (lim.) = rendu
de fatigue, las, faible, epuise, 2. gat sm, = chat; 3. da der Ort
auf dem gascognischen Gebiete liegt, auch gallus. Von Vogel-
namen kommt noch grue vor: Pdlegrue (Gironde, Indre Dp.), nprov.
Pdo-gruo bei Mistral II, 530. Diese Bildung kann auch natürlich
in Verbindung stehen mit dem Ausdrucke pelar la grua = muser,
perdre son temps. — Von den Früchtebezeichnungen nur figo und
grain: Pelle figue (Gers), Le Pellegram (Charrente Dp.). Die erste Ver-
bindung ist in der Gascogne auch als Familienname verbreitet:
43
Pelleßgue, De Pellefigue, Pekhigues; auch als Spitzname der Ein-
wohner von La Caunette (Herault) und als Appellativum für bec-
figue, s. Mistral II, 530. — Merkwürdiger ist die Verbindung mit
port: Pelleport (Haute-Garonne, Tarn Dp., Ariege Dp.), nprov. Pelo-
Port^ welche Bildung indessen auch als Familienname in der
Gascogne lebt; vgl. damit analoge Bildung wie Pelaprat (Lot Dp.),
Pdlaprat, Pellaprat, de Ptdlaprat, alles Familiennamen aus Languedoc,
Mistral n, 530. — Hierher gehören mit den Tiernamen: Pelle-Loup
(Puy-de-D6me), Piiech de Pela-Lopa, das letztere a. 1503 für heutiges
Pareloup (Gard Dt), und Pelkchevau (Haute-Vienne Dp.). — Hierzu
gehört noch die Bildung Pelevesy (Dordogne Dt.), nprov. Pelo-Vesi,
Pellevoisin (Indre Dp.) auch als Familienname in der Gascogne
bekannt: Pelevesy, Pelavezis. Mistral II, 531 vergleicht sie mit it.
Pallavicini und nfr. Pellevoisin. — Damit sind aber diese humo-
ristischen Bildungen, welche ursprünglich Spitznamen gewesen sein
müssen, nicht erschöpft. A. 1107 heifst eine Burg Castrum Pela-
drudi (= enthaare den Geliebten), jetzt Paladrud (Isere), bei Marion,
Gart, de Grenoble.2 Aus Dp. noch: Pellepoix (Haute-Garonne),
-hoiisset (Gironde), -foj-t (Puy-de-D6me); La Pellegoussüre (Indre-et-
Loire); -grolle (Puy-de-D6me) und Pelapussms (Ain Dt.). Aus
Spanien notiere ich zwei Beispiele, die sich auch als Spitznamen
deuten lassen : Pelahravo (lügar y ayuntamiento in der Prov. Sala-
manca), wofür die mutmafsliche Bedeutung: enthaare den Rauf-
bold; Pelarrodriguez (in derselben Prov., lugar y ayunt.) mit dem
bekannten Eigennamen.
8g. Pendere erscheint nur in einem Beispiele: Pendelupum,
locus, a. 1 100 und 1080 ungefähr bei Marion, Cartulaire de Grenoble,
identifiziert mit Pelloux (Lscre). Vgl. zwei Flurnamen: La Loiive-
Petidue, in Haute-Loire Dt., a. 1339 Loba penduda und Chaipendu
in Savoien Dt.
90. Prov. pertusar = trouer, percer erscheint in einem Orts-
namen in Gard Dt.: Periuise-Vie bei Besseges, nprov. Pertuso-vio
(Mistral s. v.).
gi. Prov, pessar = zerstückeln in Pessemezelle , lieu-dit in
Haute-Loire Dt., wo der Beleg a. 1339 Pesa Mezel zeigt, dafs der
zweite Bestandteil = ladre, lepreux (Raynouard); cf. Pelafol.
92. Peter in sehr derben Verbindungen: Piteloup, maison
isolee in Haute-Loire Dt.; Petie-Lotip, hameau und Petteloitp, maison
de garde, beides in Nievre Dt. Dieselbe Verbindung wird in dem-
1 Vgl. Pealleviale, Dorf in Haute-Loire Dt. Der zweite Bestandteil ist
offenbar villa^ da a nur nach i vor l eingeschoben wird (RGr. I, § 37) Die
Belege zeigen gegenseitige Beeinflussung beider Bestandteile, so a. 1368 Pela
Vela, a, 1507 Piala Viala, a. 1639 Pialle-Vialle.
2 S. noch den Beleg in Cartulaire de St.-Andre-lc-Bas aus der zweiten
Hälfte des 12. Jh.: Pe'adrudum (castrum); die jetzige Gestalt wird im Index
Peladru geschrieben.
44
selben Dep. noch Pct-Joup (ecart) geschrieben. Pet-PAsne, ecart in
Nievre Dt.
93. Prov. picar erscheint ziemlich oft und zwar in Piqiie-talen,
nprov. Pico-taknt, ein Ortsname, welcher nach Angabe Mistrals U, 568
in Languedoc sehr verbreitet sein soll (nach Dp. nur in Ariege).
Seine Übersetzung ■= qui frappe !a faim dürfte wohl stimmen;
danach gehört es also in die Bramafam-^x\y^^t. Die Bedeutung
von talent = desir, envie, faim s. II, 947 (auch gascognisch, Glossaire
des mots des dialectes gascons, Bordeaux 1873). — Der zweite
Bestandteil ist unklar in Piquecos, nprov. Plco-cos in Tarn-et-Garonne.
]\Iistral II, 567 sieht hierin den Plural von cop\ danach wäre die
Bedeutung = creuser a coups de pic. Es würde also einen Ort
bezeichnen, wo man viel roden mufste. Aber auch cos sm. =
hauteur, monticule und cos = corps (plural) im erwähnten Glossaire
etc. wären nicht ausgeschlossen. — Pique - Cailloux (Gironde),
-Pierre (Loire) und -roque (Var) bezeichnen ^vohl Siedelungen in
öden, steinreichen Gegenden, Piquctnousqiie (Lot-et-Garonne) und
-Lourci (Orne) waren wahrscheinlich Spitznamen, obwohl man sie
auch anders erklären könnte, nämlich den ersten als Ort, wo die
Fliege sticht; den zweiten, wo man den Wolf gestochen hat.
Q4. Piller: Pilk-Avoine, eine Mühle in Nievre, belegt 1624
Moulin-Pilavoine. Auch diese Verbindung verrät die volkstümliche
humoristische Auffassung der Mühle. Doch kann diese Benennung
auch auf den Inhaber dieser l\Iühle zurückgehen. Die Verbindung
war nämlich als Zuname gebräuchlich: Guiart pile avoinne 13. Jh.,
bei Darmesteter 1. c. 184, Fremin pille avoine (14. Jh.), o.e. S. 186.
Spitznamen waren wohl auch: Pilk-Bois (Ain Dt., Pas-de-Calais),
Pillemoine (Jura Dp.), Pille- Bronillon (Ain Dt.) und Le Pille-Choux
(Jura Dp.). Pigliavento (el-) im Venetischen bei Olivieri 1 1 2 erinnert
an Heurtebise.
95. Pincer kommt am meisten in dem D6p. vor, das über-
haupt die gröfste Anzahl von Imperativbildungen von ganz Frank-
reich aufweist, in Mayenne Dt. Die Verbindung ist recht humo-
ristisch. Als zweiter Bestandteil ist am häufigsten ,Wolf': Pince-
Loup, Dorf und vier „fermes"; chäteau in Seine-et-Oise Dp.;
Pinchelotip in Eure Dp.; Pince-Louvetfe ecart et logis; Pince-Rat,
ecart. Unklar ist La Piiice-Guerriere. Vgl. den Zunamen pince
pate (13. Jh.) bei Darmesteter 1. c. 184.
96. Die Verbindungen von pisser mit einigen Tiernamen
sind hauptsächlich auf französisches Gebiet beschränkt. Sie be-
zeichnen besiedelte Orte, Wälder oder Wasserläufe. Pisse-Chien
(yg\. cL^r. pisse-chien = valet des chiens bei Godefroy, it. prov. pissocan
als Name verschiedener Pflanzen, bei Mistral II, 583) Wald in
Hautes-Alpes Dt.; „ancien faubourg de Reims", belegt seit 1230,
bei Joanne V, 3430, maison isolee in Haute-Loire Dt. und Rhone
Dp. Verbreiteter mit lupus: Pisseleu (Oise, Joanne V, 3536), Ge-
45
meinde und Bach in Marne Dt; Pissekux (Aisne Dt.) Gemeinde
an einem Waldrande; Pisse-Loz^p, Gegend und Brunnen in Meuse
Dt. Zwei Pisseloiip (vgl. auch Osthoff, Das Verbum etc., S. 259)
in Haute-Marne Dt.; der Ort in der Gemeinde La Ferte-sur-
Amance liegt nach Joanne a. a. O. „au pied et au penchant d'un
dur coteau", ferner ein Ortsname in Haute-Saöne, ebenda noch
ein Bach desselben Namens. Auch in Marne Dt. ein Bach Le
Pisseloiip. Pisseloup nach Dp. noch in Aisne, Loiret, Haute-Saöne,
Sarthe. Lupa kommt vereinzelt vor, nur in Pisselouhe in Dordogne
Dp., c"^ Saint-Paul-Lisonne, im Dt. nicht angegeben. — Wenig ver-
breitet ist bos: Pissebaeuf (Puy-de-Döme, Joanne 1. c), in Italien
Pissabö (el-) im Venetischen (Olivieri 113); verbreiteter dagegen
vache: Pissevache, auch Pisse- Vache geschrieben, .,ferme" in Haute-
Marne Dt., Dorf in Nievre Dt., Wald in Meuse Dt., Wildbach und
Wasserfall in Haute-Savoie, herrliche Wasserfälle in den Kantonen
Genf und Waadt (Knapp, Dict. top. de la Suisse, III, 684, wo der
erste Bestandteil mit „romanche pisch = cascade" identifiziert wird).
In Italien mehrere Ortschaften Pissavacca im Venetischen (Olivieri
113). Nach der Mitteilung des Herrn Dozenten Dr. C. Battisti
noch Pissavacca bei Trient in Südtirol (im Gemeindeiexikon von
Tirol nicht vorhanden). Ein anderer Wasserfall im Kanton Waadt
heifst PissecMvre, in Cantal Dt. Pisse- Chevre Bach. Vereinzelt sind
Pisse- Pourcel (Lot) und Pisse-Saiime (Gard), wo säume = Esel. —
Diese recht humoristische Namengebung, Ausflufs primitiver Volks-
phantasie, wird noch weiter getrieben in Pisse-Oison, welcher Name
als Benennung von zwei Dörfern und drei Gehöften („ferme") in
Mayenne Dp. vorkommt, dazu in Italien Pissamerlo, Berg (Creazzo,
Vicenza, Olivieri 113); Pissevieille (Cher) und Bachname in Jura,
Joanne I.e., Savoien Dt. und in Haute-Loire Dt., belegt 1287 Pissa
Velha, auch Pissanvelha 1348; dann Pissevin, zwei „quartier" in
Gard Dt., belegt Pissabins 1380, Pissevins 1479 ^^^ ^^^ '^ '^^
Belegen vgl. Miramas), bei Mistral II, 583 Pissevin, nom de quartier
oia il y a des vignobles, a Nimes, Pissavy, Weingarten in Hautes-
Alpes Dt. (1479 belegt). Auch als Appellativum in verschieden-
artigen Bedeutungen gebräuchlich, die bei Mistral nachzuschlagen
sind. Hierher gehört ferner Pisciamosto (Amati VI, 223) im „tenitorio
romano". In Frankreich gibt es weiter noch einige humoristische
Bildungen: Pisse-Gerbes (Mistral II, 583 übersetzt Pisso-garbo „oü les
gerbes abondent"), ein „quartier" in Gard Dt., belegt 1164 En Pixa-
Garbas; dann Pissenval ^\2.xrv& Dt.), falls es auf pissa in vallem zuück-
geht. Sicher als *pissa in canna ist venez. Pissincanna, Flufs, auf-
zufassen (Olivieri 112, dem es unklar ist); dazu in Friaul Pissin^haiine
= Pissincanna, Ort und Flufs (Pirona, Dizionario s. v.). Vgl. Pissempont
(hameau in Haute-Loire) = pissa in pontem , Pisse- Fontaine (Seine-
et-Oise, Joanne Dt.). Ein Springbrunnen (cascade) in Cauterets
wird metaphorisch Pissat-os, nprov. Pisso-ros benannt, wo ros = rosee,
dans le haut Languedoc, le Querci et la Gascogne, Mistral II, 583.
In Ital. einmal mit adv. Pissintomo im Venet. (Olivieri 1 1 2).
46
97- Prov. piular = piauler, piailler, brailler, crier in Piotdeloup,
localite detruite, in Haute -Loire Dt., a. 1507 Pioulalop. Vgl.
Leyreloiip.
98. Porter, obwohl es in der Verbalkomposition über 120 mal
vorkommt, liefert in französischen Ortsnamen wenig Beispiele. Davon
ist eines seit 13. Jh. auch als Appellativum gebräuchlich: Porte faix,
ein Gehöft („ferme") in Drorae Dt., Le Poriefaix, maison isolee
(Haute-Loire Dt.). Auch als prov. Familienname bekannt: Portefaix,
Portafax bei Mistral II, 603. Portalovo im Venetischen (Olivieri 1 1 2)
Poriehaeitf (Ain Dt., a. 1097 de Portabo; Charente Dp.), Porle-Chaise
(Loire-Inf. Dp.) waren ursprünghch wohl Personen- oder Spitznamen.
99. Premere in einem Beispiele: Premilaiore in Toscana,
Amati VI, 618, wo die Beschreibung seiner Lage und sein Wappen
nachzuschlagen sind. Im Orte befindet sich eine alte Burg. Wie
bei Bagnacavallo, so erklärt das Wappen von Premilcuore den
Namen. Im Wappen wird ein Herz durch Krallen eines Vogels
gedrückt. Die Bedeutung dürfte also dieselbe sein wie von Creval-
cuore. Monumenti ravennati S, 81 (a. 1371) geben die Beschreibung
von einem anderen Orte : Castrum Premalcori est in quadam valle
super flumen Raiborum super quodam sasso super strata magistra,
qua itur in Tusciam habet Rocham et Turrim fortissimam ad cujus
custodiam moratur unus castellanus etc. Der Ortsname wird ebenda
S. 544 Premelcori geschrieben (castrum montis CasteUi).
100. Pungere nach Olivieri 112 in Ponzilovo , vgl. in Frank-
reich Pinceloup. Hierher zieht er noch Pondiäca = Pun^ivacca in
den Urkunden. Auch mit miglio: Ponzimiglio.
lOi. Reculer in Namen von zwei Dörfern des Dep. Ain Dt.
Reculafol und Rectilefort; cf. Mategriffon.
102. Nprov. rena = pousser la terre avec un traineau pour
combler un bas-fonds, Mistral II, 757 erscheint im Ortsnamen Anse
de Renecros bei Bandol (Var), nprov. Reno-cros, Mistral II, 759. Der
zweite Bestandteil ist natürlich cros sm. = bas-fond, welches seiner-
seits als Ortsname unzählige male erscheint [Le Cros). Geographisch
pafst die Bedeutung vorzüglich.
103. Rendere erscheint nur in Rendevacca (le terre, i prall
e i boschi de . . .), Distrikt Villa de Cesio, jetzt Bastia; Tiraboschi,
Diz. degU stati estensi, II, 245.
104. Prov. rodar, npr. rouda = roder, tourner erscheint in
Ortsnamen in Dordogne: Rode-Mieuh , nprov. Rodo tniolo, -tnuelo,
welches nach Angabe Mistrals II, 799 in Perigord sehr verbreitet
sein soll (vgl. Rodemiaule, Dordogne Dp. und Rodemule, Tarn-et-
Gar.). Im zweiten Bestandteile erkennt Mistral II, 799 miolo oder
molo = meule.
105. Rompere im venez. Rompizocco (Olivieri 112), wo der
zweite Bestandteil trotz der Orthographie vielleicht auf sbco sm. ^^
(ciocco) ceppa, ceppo zurückgeht; cf. Arrancacepas.
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io6. Prov. roncar = schnarchen in einem sehr alten Beispiele
in Recueil des chartes de Cluny II: a. 954 — 987 Runcavulpem in
pago Arvernico. In Haute-Loire Dt. zwei Dörfer solchen Namens:
Ra7ichevoux, a. 1340 Roncha Volp und Rattchoux, a. 12 13 Roncha-
volp mit merkwürdigem Ausfall des v.
107. Rosegar == nagen in einem venez. Ortsnamen Rosega-
ferro (Olivieri 113), welcher wohl ursprünglich Spitzname war.
108. Saltar kommt in je einer spanischen und einer italienischen
Verbindung vor: SaltacabaUo in der Prov. Saiitander: „monte y
criadero de hierro del lugar de Mioiio". Vgl. den Ausdruck der
Architektur ä saltacaballo. In Italien: Sallarana, locus archiepisco-
patus Januae in Historiae patriae monumenta VI, a. 1 158 ff. Eine
genaue moderne Entsprechung fehlt, doch dürfte sie in Salierana,
Amati VII, 81, in den Provinzen Genua und Novara anzuerkennen
sein. Aus Frankreich kann ich nur anführen Sautolebre, nom d'un
quartier du territoire d'Aix bei Mistral II, 858, welche Komposition
ebendaselbst als Name einer Pflanze angegeben wird und Saute-
Caille (Maine- et-Loire Dp.).
109. Sauver ist manchmal nicht sicher nachzuweisen. Die
Art der Bildung wäre unverständlich in Sauveloiip, dreimal in
Mayenne Dt. als Name von „ferme", Sauveleiix (Oise Dp.). Viel-
leicht ist hier sauve < silva. Vgl. aber die Verwendung von sauver
in sauvogati, sauvo-jal sm. repas qu'on donne aux ouvriers qui ont
acheve un bätiment bei Mistral II, 860. Sicher werden hierher-
gehören Sauvegenoux (Yonne Dp.) und Sauvehceuf, belegt Sauvebuo,
Salvabuo in Dordogne, Mistral II, 860; das letztere in Perigord
auch als Familienname gebräuchlich. Dagegen in vielen Sauveterre,
span. Salvatierra dürfte das Adj. salvus vorliegen. In Spanien Sal-
vadiös, lugar in der Prov. Avila. Vgl. noch Salvaleon Del Castillo
III, 474, villa in der Prov. Badajoz (sit. an una hondonada). —
Salvar in einer anderen Bedeutung (serbare, aufheben) in Sälvalaio
im Venez., nach der Übersetzung Olivieris 112 = serba l'aglio,
ursprünglich wohl ein Spitzname.
110. Sbregar in Sbregavalle, Abfiufsgraben (scolo) im Venez.
bei Olivieri 113 = squarcia v., wohl metaphorische Benennung des
Abflusses; vgl. Escoulobarau.
111. Sbroiar = sbrucciarsi, scorticarsi, spellarsi im venez.
Sbroiavacca (Olivieri 112), vgl. damit Escanecrabe.
112. Scaiar (scagliare) in vQXiez. Scatapezzo; nach Übersetzung
Olivieris 112 = pialla abete, auch ein Spitzname.
113. Scaldare: Scaldasole, dreimal in der Lombardei, Amati
VII, 341. Die Bedeutung ist nicht recht klar. Da der Ort in der
Ebene liegt, so soll wohl ausgedrückt werden, dafs auf den Ort
die Sonne besonders stark hinbrennt. Der zweite Bestandteil wäre
48
dann als ein Vokativ aufzufassen. Ein ursprünglicher Personen-
oder Spitzname ist Scaldaferro (Olivieri 113).
114. lt. scannare, nprov. escana, in den Appellativen nicht
selten, ist auch in Ortsnamen vertreten: Scannahue in der Lombardei;
Scannaserpe bei Palermo und Scannavacca im Venet. (Olivieri 113).
Ein Bach in der Provinz Molise heifst merkwürdigerweise Scanna-
madre. Scannahecco in der Provinz Sondrio, wo hecco = Bock.
Beispiele aus Amati VII, 352 f. Scatinabecco entspricht in Südfrank-
reich Escanecrabe (Haute-Garonne), nprov. Escanocrabo (oü l'on egorge
les chevres) bei Mistral I, 981.
115. Scaricare nur einmal in Scaricalasifw, Dorf in der
Provinz Bologna, Amati VII, 361. Der Name wird begreiflich,
wenn man sich die Lage des Ortes vor Augen hält: „e un villaggio
che sorge suUa cima di una montagna elevata", sagt Amati a. a. 0.
Vgl. mail. giugä a scarega 1' äsen; mantov. zugär a scarga 1' asan,
Cherubini, Vocab. mantov., Milano 1827, S. 192.
116. Scavesär = spezzare, stroncare im Namen einer steilen
Strafse im Venetischen: Scavezzazenoci (Olivieri 113).
117. Schiantare auch nur in einem Beispiele: Schianiacappa
in der Provinz Arezzo, Amati VII, 373; es ist ein „castellare";
ebenda war auch eine gleichnamige Burg. Die Bezeichnung bezieht
sich demnach vielleicht auf feudale Streitigkeiten.
118. Schiappare auch nur in einem Beispiele: Schiappacassa,
Prov. Alessandria. Auch eine von den zahlreichen humoristischen
Bezeichnungen für die Bevölkerung, die das fremde Eigentum nicht
schont.
119. Scodar in xenez. Scodavacca (Olivieri 112). Vgl. den
Namen Poncio Escodacani a. 1061 in Cartulaire de Marseille und
Escuernavacas.
120. Scortare, scorticare in Verbindungen mit Tiernamen
ist auf Italien und Frankreich beschränkt. Scortabö in Ligurien;
Scorticabovi in der Umgebung Roms, beides aus Amati VII, 414;
Torre di Scortegabeccho (mandamento di Diano), wovon jetzt nur
Reste bestehen, hiefs a. 1172 Scortagabeccho = schinde den Bock,
Hist. patr. mon. VI, S. 1035. In Frankreich dementsprechend
Ecorcheb(£ufs in Isere, Joanne III, 1347, Ecorchebmif (Seine-Inf. Dp.
und Calvados Dt.), welche Verbindung auch als Zuname aus dem
13. Jh. belegt ist: Escorchebof bei Darmesteter 1. c. S. 182. Dazu
gesellen sich Ecorchevache (OiseDp.); Escorge-Chat, ecart in Haute-
Loire Dt., a. 1880 aber geschrieben Escorche-Chats; L Ecorchechien,
Haus in Nievre Dt., mit unklaren Belegen: 1701 Lacorchien, 1779
Corchechien. Der erste Beleg erklärt sich durch Haplologie. Corche-
vaux, Gehöft (ferme) in Aisne Dt., geht nach dem Belege aus 16 15
Cense d'Escorcheveau auf *Excortica vitellos zurück. Der Ort hiefs
merkwürdigerweise auch Ecorchevache, also ein Beispiel dafür, dafs der
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zweite Bestandteil sich im Laufe der Zeit ändern konnte. Ebenso
hiefs Ecorcheloup (oder Corcheloup) in Ain Dt. seit 1261 neben
Escorchilou auch Escorchebo. Hier ist allerdings Verschreibung
möglich. Ferner noch Ecorcheval (Eure) und Ecorcheville (Calvados
Dt.), belegt a. 1083 Escorchevilla, beides aus Joanne III, 1347.
Das erste kann ebenfalls durch Haplologie aus *Ecorchecheval ent-
standen sein; das zweite vgl. mit Massabielle; dazu noch Escorchc-
mont (Eure Dp.).
121. Prov. segar = couper, scier erscheint wahrscheinlich im
Ortsnamen Segoufielle (Gers), nach Joanne Dict. g^ogr. Paris 1869
S. 2069 auch Segouvielle, nprov. Sego-fiello. Das ou im heutigen
Namen ist allerdings in Anbetracht der nprov. Form unklar. Im
zweiten Teile möchte Mistral II, 868 (mit Fragezeichen allerdings)
fuelho sehen. Besser wird passen fielo, fialo <^ *fila, sf. = lam-
bourde, piece de bois effil6e, arbre droit et elanc6 que l'on coupe
dans une foret. Der Ortsname zeigt demnach auf bestandene
Waldungen hin. Heute sind dort „magnifiques prairies", s. Joanne o. c.
122. Serrare geht nur eine Verbindung ein, aber die ist sehr
zahlreich vertreten. Serravalle „Talsperre" ist überall auf dem
italienischen Gebiete anzutreffen, so dafs man davon absehen kann,
Beispiele anzuführen; s. übrigens das Verzeichnis bei Amati VII, 506,
54611. und Repetti V, 246 f.
123. Sferrare nur in einer Verbindung, und zwar wie auch
begreiflich, mit cavallo : Sferracavallo , einmal als Name einer
„frazione del comune" von Palermo, ein anderes Mal als Name
eines Vorgebirges (promontorio) von Sardinien.
124. Nprov. sira = tourbillonner, en parlant de la neige
soulevee par la tourmente (Mistral s. v.) ist möglicherweise zu er-
kennen in Siradan, Ort in Hautes-Pyrenees, „dans la vallee du
meme nom, pres de la Garonne", Joanne, Dict. geogr. S. 2720.
Im zweiten Bestandteile wäre da^i <C damnum zu sehen. Vgl. prendre
dan = Schaden erleiden, teuer = schaden, Levy, Supplement-
Wörterbuch. Die Bildung bezeichnet demnach einen Ort, wo
grofse Schneeverwehungen vorkommen.
125. Prov. soielhar = etre, se trouver au soleil, mit bovem
Bezeichnung eines Berges, der als Weide diente: Soleü-Bceuf, zwei-
mal in Hautes- Alpes, belegt im 13. Jh. Pratum de Soleila bou,
1389 Sollelha bove; die heutige Form mit dem unklaren Schwunde
der Imperativendung datiert aus 1343 Montanea de Sollelh buou.
Mistral II, 912 hat noch Soleille-Baetif, quartier du territoire de
Barcelonnette und La fönt de Souleio-Buou, nom de lieu pres de
ßrianc^on; lo portalet de Solelhahuons (a. 1441) in Digne (Basses-
Alpes), vallonus de Sorelhabou aus dem 14. Jh. in Alpes^Maritimes,
beides aus P. Meyer, Doc. linguistiques, S. 260.
126. Sparar=: tralasciare, fare a meno in Sparraväcche (Oli-
vieri 1 1 3).
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift.) a
50
127- Spartire in einem bekannten Beispiele: Spartivento
„Windspalter" (cf. spartiacque „Wasserscheide"), Vorgebirge im
jonischen Meere. Über die Bedeutungen s. Amati VII, 891.
128. Spazzare in zwei Verbindungen, von denen eine auch
als Appellativum gebräuchlich ist. Spazzacamitw (Prov. Como) kann
natürlich dasselbe bedeuten, wie das gleichlautende Appellativum.
Spazzavento, zweimal in der Prov. Florenz, deutet den Ort an, wo
der Wind stark weht, gewissermafsen die Strafsen vom Staub
reinigt. Vento ist demnach als Vokativ aufzufassen. Amati VII, 891.
129. Spigar: Spigafasölo im Venetischen (Olivieri 113) = wo
die Bohne ins Kraut schiefst, wodurch vielleicht ein zum Bohnen-
anbau nicht geeigneter Boden bezeichnet wird.
130. Squar^ar im venez. Squargaburse (Olivieri 113), vgl.
Tagliaborsa und weiter unten.
131. Squassar im venez. Squassabodriga (Olivieri 113), nach
seiner Übersetzung = squassa ventre; vgl. Brisicol.
132. Stangär = bastonnare im venez. Stangabö ((dXwAftx'i 113),
wofür unzählige Parallelen im Romanischen bestehen.
133. Stornar in einem sehr alten Ortsnamen: Stornapietra
(= rimuovi pietra), luogo nelle vicinanze di S. Ilario, a. 829, Codice
diplomatico padovano S. 15 und GVL
134. Stracciare nur in einem Beispiele: Lago di Stracciacappe
in der Umgebung Roms. Amati VII, 975 sagt: „L'attuale denomi-
nazione gli derivo da un castello dei bassi tempi, di cui rimane
tuttora una torre detta 'Stirpacappe'". Von dieser Angabe müssen
wir bei Beurteilung der Benennung ausgehen. Da es sich hier ur-
sprünglich um die Benennung einer Burg handelt, die später auf
den kleinen See (laghetto) übertragen wurde, so geht auch dieser
Name auf feudale Übergriffe zurück, wie auch das obige Schianta-
cappa.
135. Strangolare ist, wie begreiflich, in Verbindung mit
Tiernamen, in Italien und Frankreich anzutreffen. Die Verbindungen
waren auch als Personennamen gebräuchlich: Sl)\mgolagaUi in der
Umgebung Roms; Strangolagallo in der Provinz Terra di Lavoro,
Amati VII, 980; L Elr angle- Chlvre in Indre, Joanne III, 1409 und
Etrangk-Monton, ein „quartier" in Hautes-Alpes Dt., belegt schon
im 15. Jh. In Frankreich ist die Bildung als Personenname zu be-
legen in Cartulaire de l'eglise Saint Lambert de Liege (in Collection
de chroniques beiges inedites XXII) S. 25: a. 1271 Odo Strangulans
Vaccam.
136. Strozzare in Verbindung mit volpe: Strozzavolpe, kleiner
Bach in Etruria Transciminia, ein anderes Mal als Name eines
Ortes, der vielleicht im 13. Jh. Scorticavolpe hiefs, s. Amati VII, 992.
Für die Bedeutung vgl. Thiib<£uJ\ Tuloup in Frankreich. Als zweiter
51
Bestandteil erscheint einmal ein Personenname: Strozza Martino
im Venet. (Olivieri 113).
137. Tailler geht einige Verbindungen ein, von denen die
mit ferrum die verbreitetste ist und bekanntlich schon in sehr alter
Zeit als Familienname vorkommt. Den ältesten Beleg hierfür bringt
Darmesteter 1. c. S. 17g: Willelmus sector ferri, a. 936, s. noch
S. 180, 182, 184. Im Femininum lautet der Familienname in Süd-
frankreich Talhaferra. Vgl. noch im Afr. taillefer als adj. = qui
tranche ie fer, bei Mistral II, 945 auch als sm. = grosse libellule,
en Rouergue. Mit talea -\- ferrum (cf. auch Osthof, Das Verbum
etc. S. 281 f.) werden nicht nur Siedelungen, sondern auch Berge,
Bergspitzen benannt. In Morbihan haben wir eine Pointe de Taillefer,
daneben auch eine gleichnamige Ortschaft; dann eine andere Ort-
schaft in Saone-et-Loire. Eine kleine Anhöhe in der Bergkette von
Alberes (Pyrdnees-Orientales) heifst Pic de Taillefer. In Alpes
Dauphinoises haben wir Col, Massif la cime, Montagne de Taillefer,
Im Gebirge Laup (Hautes Alpes) auch eine Bergspitze Taillefer.
Alles dies aus Joanne VII, 4757. In Cantal Dt. Dorf, eine Mühle
und zwei zerstörte Domainen, belegt 1441 affarium de Taihafer;
in Herault Name eines Gartens. Achtmal kommt der Name in Dor-
dogne Dt. vor, als „ancienne maison noble, ancienne metairie" etc.,
als Flurname und zuletzt als Name von einigen Dörfern. Der
älteste Beleg für „ancienne porte de ville et rue a Perigueux"
Tailafer stammt aus dem 12. Jh. Man findet in diesem D6p.
dreimal sogar die Ableitung davon: La Tailleferie; in Mayenne Dp.
La Tailleferriire. In Basses-Pyr6nees Dt. heifst ein Gehöft (ferme)
Taillefer. Nach Dp. noch in Loir-et-Cher und Lot zweimal. In
Italien (Beispiele aus Piemont, Venetien und Toscana) heifsen
einige „frazioni di commune" Tagliaferro (Prov. von Torino,
Firenze), einmal nur die Form Tagliaferri, Amati VIII, 10 und
Tajaferro im Venet. (Olivieri 113). — Aus Spanien ist mir nur
ein Beispiel bekannt: Tajahierro (y casa de Naveda: venta arruinada
en la prov. de Santander bei Madoz XIV). Es mufs der genauen
Lokalgeschichte überlassen werden zu entscheiden, wo diese Namen
von Familiennamen herrühren und wo sie auf Eisenindustrie hin-
weisen. — Von anderen Verbindungen ist besonders die mit bourg
erwähnenswert: Taillebourg an dem Flusse Charente (Charente-
Inferieure, Joanne 1. c.) mit Resten einer einst sehr wichtigen Burg,
wo Karl der Grofse 808 die Sarazenen schlug. Belege s. in Röles
gascons I. An dem Flusse Garonne befinden sich noch zwei
gleichnamige Orte (Haute-Garonne und Lot-et-Garonne), Joanne 1. c.
aprov. Talhaborc. Analog erscheint das Zeitwort einmal mit ville:
Tailleville (Calvados Dt.): Tailliavilla a. 1068. Unsicher ist, was
man im zweiten Bestandteile von Taillecourt (Doubs, Joanne 1. c.)
zu suchen hat, adj. court, e oder curtis. Vgl. das Adj. in Taille-
peiit, Dorf in Dordogne, a. 1150. Talapetit (s. unten) zweimal als
hameau und village. Hierzu noch Taillehois (Aude, Orne Dp.),
womit man afr. taillehois bei Godefroy, ital. tagliaboschi vergleiche.
52
Auch als Zuname war es gebräuchlich, s. Darmesteter 1. c. S. l8o.
In Südfrankreich gehört wohl Tayhosc (Gers) Mistral II, 945 dazu.
Aus Italien Tagliarotta in Piemont, wo eine „gora" so benannt
wird, und Tagliaborsa bei Catania. Frankreich bietet noch manches:
Taille- Varetme (SartheDp.); Ta/Z/^wifj«// (Seine-Inf. Dp.); Taillefontaine
in Aisne Dt., seit 12. Jh. so belegt; Taillesac, Benennung einer
Mühle in Haute-Marne Dt.; Taillepied, in Indre-et-Loire, Sarthe,
Manche, Deux-Sevres, Le Taillepied in Aisne Dp., in Manche noch
Basses de Taillepied, vgl. damit nprov. taio-ped sm. = courtiliere,
Mistral II, 948; Taillevent, ein Dorf in Herault Dt., vgl. damit taille-
vent sm. = Sturmsegel, nprov. taio-vent sm. = goeland brun, oiseau
de mer; rodomont, fanfaron bei Mistral. — Tiernamen kommen
seltener vor. In Frankreich Taillecavat (Gironde), wenn im zweiten
Bestandteile caballu (gase, cabat) steckt; in Italien Tajalasino im
Venet. (Olivieri 113) und zweimal Tagliahue, wozu in Frankreich
laillebeau (Cantal), Name eines zerstörten Dorfes, belegt 1558 Le
villaige de Tallebiau, wenn es gestattet ist, im zweiten Bestandteile
biau << bovem zu sehen, das später volksetymologisch zu beau wurde.
So haben wir auch den Personennamen Bonvesinus de Taiabove
in Codex diplomaticus Cremonae S. 124, a. 1226, Vgl. Taille-Bouc
(Gard Dt.), a. 1789 allerdings Taillabon geschrieben.
138. Auch das begriffsverwandte Zeitwort prov. talar = ver-
wüsten liegt in zwei Verbindungen vor, wie in Talamon (Gironde),
auch als Familienname in Südfrankreich gebräuchlich, Mistral II, 947.
Der zweite Bestandteil ist wohl montem. Dann Tallagard, quartier
de la commune de Salon, nprov. Talagar d, wo in gard vielleicht
gard, gart sm. = troupeau de vaches ä demi sauvages, en Gascogne,
zu suchen ist, oder langued. gart = duvet (Sauvages, Dict. langued.
I, 368).
139. Tirer, bei Appellativen aufserordentlich gebräuchlich, ist
in Ortsnamen auch so zahlreich. Hierzu Tire-Clanc/iette, ein „ecart"
in Haute-Marne Dt., wo der zweite Bestandteil clenchette sf. ist.
Die Volkssprache will damit wohl arme Häuser bezeichnen. — La
Montee de lirebceuf, lieu-dit (Haute-Loire Dt.), 1185 Tirabou;
Tirecabre (Aveyron Dp.), Tirechevre (Puy-de-D6me, Joanne VII, 4877)
und Tirevache (Puy-de-Dome, Joanne 1. c.) sind zu vergleichen mit
Zunamen aus dem 13. Jh. Hugo Tireveel bei Darmesteter 1. c.
S. 183 und S. 183 Guillaume armurier dit tire veel und S. 186
Adam tire coc (14. Jh.); der letztere Ortsname natürlich auch mit
nprov. tiro-vaco sm. = narcisse des pres bei Mistral II, 996. —
Ein kleiner Wald in Isere Joanne 1. c. heifst merkwürdigerweise
lire-Gerhe, und ein Bach in Aube Ru de Tiremotit oder de Tr^
mo?it, wobei die letzte Nebenform unklar ist. Tirepied in Manche
Joanne 1. c, das auch als Appellativum in allen romanischen
Sprachen bekannt ist, Tiracols (Lozere Dp.) und Tirapelle im Venez.
(Olivieri 113) lassen sich mit Taillepied vergleichen. Solche Aus-
drücke deuten wahrscheinlich den rauhen Boden an. Eine solche
53
Bodenbeschaffenheit wird auch Tirepeyre, ecart in Haute-Loire Dt.
bezeichnen. Aus Hautes-Alpes Dt. zwei Fälle Tire-Cosk, Wald und
das humoristische Tire-Cul, „ferme". Der letzte Ortsname kommt
noch in Ain Dt. und Dordogne Dt. vor, wo aber der Beleg etwas
auffällig ist: Tiracul in der Gegend von Perigueux, belegt 1286
Tiracuol, was wahrscheinlich nur eine graphische Darstellung der
mundartlichen Form cuou ist. Vgl. nprov. firo-cuou, tiro-quieu sm.
= quartier montueux, chemin escarp6 bei Mistral II, 996. Der
Verbindung wird also dasselbe Motiv zugrunde liegen wie bei
Crh'ecoeur. — Auch mit gan = Handschuh eine Verbindung in
Dordogne Dt.: Tiregan, eine Burg und eine „domaine", belegt
a. 1485 Mansus de Tiragan, a. 1606 Tireguent, Tiraguant. Dazu
Tiremanteau (Rhone Dp.). Vgl. Stracciacappe. Unverständlich ist der
Name eines Teiches in Ain Dt.: Tire-fer. — Auf irgendwelche
wirtschaftliche Anlage wird hinweisen Tirebouras, hameau in Haute-
Loire Dt., wo bouras sm. = i. lie, boue qua depose l'huile soit
dans les fosses du pressoir soit au fond des jarres. 2. etoffe de
laine grossiere bei D'Hombres, Dict. lang.
140. Tombar erscheint in drei mir bekannten Beispielen
Tombehceuf, nprov. Toiimbo-buoti, in lat. Urkunden Locus de Tomba-
bove, Ort in Lot-et-Garonne, Mistral II, 1006. Vgl. damit Escane-
crahe. — Tomheloly, nprov. Toumbo-röli, Strafse in Bordeaux, Mistral
a. a. O.: Tombelame, hameau (Calvados Dt.).
141. Mit dem Zunamen Torcafol (= qui torche les fous,
Mistral II, 1000) ist lorchefelon (Isere Dp.) zu vergleichen. Torche-
ville (Meurthe Dp.) vgl. mit Henrieville.
142. Toucher: Toccalmatto, frazione del commune di Fonta-
nellato, Prov. Parma, Amati VIII, 282, vgl. mit Badefol. In Frank-
reich: Toliche/eii, hameau in Savoien Dt. und Tochebuef, lieu detruit
in Nievre Dt., erwähnt a. 1331.
143. Tourner geht verschiedenartige Verbindungen ein. So
mit Tiernamen: Toiirnaloup zwei Dörfer in Savoien, Joanne
VII, 4917. Man hat in diesem Falle auch retourner: so in Marne
Dt. Retoiirneloup , Dorf, belegt a. 12 10 Retorneleu; derselbe Name
noch zweimal in Aisne Dt. als Dorfname (bei Cassini geschrieben
Tourneloup) und als Name einer Wassermühle. Im zweiten Be-
standteile von Tournevelle (Aisne Dt.) 1 wird sicherHch veau stecken,
da der Ortsname 1287 Tourneveel hiefs. Die Katze auch einmal:
Seint-Felix-de-7ö?/r«<?^ö/ (Ariege Dp.). In der spanischen Provinz
Cäceres haben wir Tornavacas, villa, (sit. en una pequeiia hondonada),
bei Del Castillo IV, 82 und Madoz XV, 34, auch als „puerto 6
passo", wo der zweite Bestandteil ganz deutlich ist. — Verbunden
mit Sachnaraen: Tourne-Talon (Isere Joanne I. c.) ein grofses von
Weiden besetztes Plateau bei Allevard, dessen Gröfse humoristisch
' Dp. schreibt es mit dem Artikel Le.
54
durch den Namen charakterisiert wird. — Unklar ist Tourntmenton,
maison isolee in Haute-Loire Dt.; vielleicht ein Spitzname. —
Tournefeuille , eine Ortschaft in Haute-Garonne Joanne 1. c. und
zwei Bäche in Lot Joanne 1. c. und Dordogne Dt.; einmal mit dem
Artikel Le Tournefeuille , „ferme" in Mayenne Dt. Vgl. tourne-
feuille sm. = Notenblatt -Wender; tourne-feuillet sm. Blatt-Lese-
Zeichen. — Ein Bach in Dordogne wird trefflich Tourtievalade be-
nannt; desgleichen Tornapassolo, torrentello nella prov. di Mantova
bei Fabi S. 458, falls in passolo Dim. von passo = Schritt vorliegt
(cf. passolino). Den Namen vgl. mit der Angabe bei Fabi: dopo
breve corso sbocca nel Tartaro. — Verbreiteter ist piche, pique sf.
Tournepiche (Charente Joanne I.e.); ferner Flurname, Gasse und
Burg in der Gemeinde Grignol (Dordogne Dt.) und eine Vorstadt
von P6rigueux, belegt schon 1260 Tornapicha. Auch die Form
Tourne-Pique kommt in diesem Dep. vor, als Flurname und als
Name einer Mühle. Das letztere kann allerdings auch doppelter
Imper. sein. Durch den Ausdruck sollen wohl gewesene Rodeacker
bezeichnet werden. — Zu der Gruppe Passavant, die, wie wir ge-
sehen, unliebsame Orte charakterisiert, gehört auch Tournedos, zwei-
mal in Eure Joanne 1. c; dazu Tournedoz (Doubs Joanne 1. c.) mit
anderer Orthographie, Vgl. ä tourne-dos = verkehrt sitzend und
Castrum de Tornaculo a. 1203 bei Tiraboschi, ,,al cui nome diede
forse origine qualche sconfitta che constrinse i combattenti a volger
le spalle". — Die Gruppe Taillebourg^ Tailleville etc., dient zur
schildernden Bezeichnung von mächtigen Burgen, Städten etc., die
den Feinden Furcht einflöfsen. Zu dieser gehört vielleicht Fort de
Tourneville (Seine-Inferieure, Ille-et- Villaine, Eure, Manche Joanne 1. c).
Vgl. in der Schweiz Ziving-Uri. Unklar ist daher die Bedeutung von
lournefort (Alpes-Maritimes, Bouches-du-Rhone Joanne 1. c; Hautes-
Alpes Dt., hier belegt 1271 Castrum Tornaforti; H6rault), Torna-
fort (lugar, Del Castillo IV, 51g) in der spanischen Provinz Lerida,
weil man nicht weifs, ob im zweiten Bestandteile Adv. oder Appell,
zugrunde liegt. Der spanische Ort befindet sich nach Madoz XV:
sobre una collina muy elevada, rodeada de otras mas altas. Vgl.
im Nizzaischen tourna fuorie = a forte di nuovo bei Amati VIII, 385
und nprov. tourna-mai = derechef bei Mistral. Auch als Familien-
name: Joseph de Tournefort, bekannter französischer Botaniker. —
Zwei Mühlen in Nievre Dt. hiefsen Tournesac. Jetzt bezeichnet
einer von diesen Namen ein Dorf. Ebenso heifst ein Wildbach in
Cote-d'Or, Joanne I. c. Im zweiten Bestandteile erkennen wir
Saccus. — In Bezug auf die Bedeutung wird man Tournebise (Puy-
de-Döme zweimal, Joanne 1. c.) wohl mit Heurtehise und dem
Personennamen Tornavent bei Darmesteter 1. c. S. 150 und 180
vergleichen können. — Tournehride, entlegenes Dorf und zweimal
als „ferme" in Mayenne, in Calvados Dt. dreimal als hameau, nach
Dp. noch in Aisne, Ille-et -Villaine, Loire-Inferieure, Manche,
Moselle, Seine-et-Marne, Vendee, Yonne, auch mit dem Artikel
Le Tournehride (Nord), sind wahrscheinlich identisch mit dem Appell.
55
le tournebride == petit cabaret de campagne. — Dazu noch lourne-
coiipe (Gers), vielleicht Doppelimperativ; 7r)?^/-«f<-ö/ (Haute-Loire Dt),
mit merkwürdigen Belegen a. 1544 Tornacot, a. 1695 Tornacotte;
Tourneloiiich (Aude cf. gase, bouych = buis in Glossaire etc.) und
Tourneboissei (Eure), welche buxus enthalten, Toiirnemire (Aveyron,
Cantal, Gers Dp., Tarn Joanne 1. c), wo vielleicht mira sf. oder
doppelter Imper. vorliegt; Tourne-Poele (chäteau, Vienne Dp.); Le
Toiirneboule (Yonne Dp.). — Unklar ist die Bedeutung des zweiten
Bestandteiles in Toiirnehanne, „ecart" in Marne Dt. Es kann
nämlich sowohl nfr. banne als afr. bane = banniere sein. — Hierher
gehört offenbar auch Tourttecapet , Mühle und Lehnsgut in Basses-
Pyrenees Dt., belegt a. 1535 Tornacapet und Tornacapeg, 1635
Tornacapeig, lauter gascognische Formen von *türna cappellum. —
Als Doppelimperativ ist wohl zu fassen Tourne-Vire (Lac de), en
Maurienne Savoien Dt., womit die Vorstellung von immer wogenden
Wellen des Sees ausgedrückt wird.
144. Trancher (nprov. trenca, trinca) liegt sicher vor in
Tranche-Serp, Mühle in Dordogne Dt., und in Le moulin de Trinque-
Serp, pres Chateaurenard (Bouches-du-Rhone) bei Mistral II, 1039.
Vgl. ital. Scafinaserpe. Desgleichen in Trenque-Vedel, pres Tavels
(Card), auch bei Mistral a. a. O. In Lot-et-Garonne Dp. ein chäteau :
TrenqueUon, vgl. damit einen adeligen gascognischen Familiennamen
Trenqueh'on, Mistral a. a. O. Unklar ist die Bedeutung von Tranche-
Pouge, Dorf in Dordogne Dt. Nach den Belegen aus 1332 Mansus
de Tranche-Poye hätten wir im zweiten Bestandteile den Imperativ
von pojar = steigen oder *podia sf. zu suchen, worauf nprov. piejo,
pijo, apijo sf. = etai, etan9on, pointal Mistral II, 569 zurückgeht.
Vgl. damit tranche-montagne sm. = Prahler, Aufschneider und
Talamon. — Tranquehise (Tarn-et-Garonne) bei Mistral II, 1039,
Tranche-Pied (A liier Dp.); Tranchevilliers (Eure Dp.) und Tranchesol
(Haute-Loire Dt.) erinnern an schon bekannte Spariivenio, Taillepied,
TailleviUe und Taille-Vm-enne. — In TrinquetaiUe , faubourg d'Arles,
situe dans l'ile de Camargue, ä l'endroit oü le Rhone „tranche et
taille" son delta, wie Mistral a. a. O. erklärt, 1 sind zwei Imperative
zu sehen. Tranchebourse, localite detruite und lieu-dit in Haute-
Loire Dt. ist dagegen nur als Spitzname der Bevölkerung begreiflich ;
vgl. it. Tagliaborsa.
145. Prov. trepar = springen (trepigner, trembler) in Ver-
bindung mit loup, Tripalou (Aveyron Dp.): Trepaloups (Gard Dt.)
quartier, belegt 1789 Trepaloux. Das andere Trhpeloup in Gard Dt.,
eine „ferme", obwohl es auch Cr^pelotip heifst und a. 1343 de
Crepalupo belegt war, gehört wahrscheinlich auch hierher. Vgl.
den Pflanzennamen trepo-chivau, -chival sm. bei Mistral II, 104 1.
•^ Vgl. bei Sauvages 11,335 trincotälio = \a. renouee, plante rampante.
Derselbe Autor und nach ihm d'Hombres S. 637 erwähnen diesen Ortsnamen,
erklären ihn aber anders: = oü l'ou ne paie, dit-on , point de taille. Son
nom est le mSme que taille rompuc, etc.
56
146. Prov. trissar = zerreiben im Namen einer alten Mühle:
Trisse-Paille, Herault Dt.
147. Tromper in einem recht humoristischen Beispiele:
Trompe-Sourts, „ferrae" in Mayenne Dt. und zweimal als hameau
in Calvados Dt. Bei Trompe-Vauvre, „ferme" in Dröme Dp. könnte
man zweifeln, ob es hierher gehört, da im ersten Bestandteile auch
das Substantivum trompe und im zweiten das Adj. vorliegen kann.
Da aber Trompe-Paiivres bei Beziers eine sichere Deutung zuläfst
wegen des Akkusativs, so wird T?-ompe-Fauvre auch hierher gehören,
Mistral II, 105 6.
148. Nprov. troussa = ployer, fausser, tortuer, fl6chir violem-
ment, trousser, replier, rendre boiteux etc., aprov. trossar = casser,
mettre en morceaux, briser, erscheint in Troussebasuf nprv. Trosso-
bidu, aprov. Trossabiou, in P^rigord, was sich wiederum an die
schon bekannten Fälle, wie Etraiigle-Motäon, Esgouarrehaque, Es-
canecrabe etc. reiht. Dazu in Nord Frankreich Trotisse-vache (Seine-et-
Marne). Dem Massabielle entspricht hier TroJisseboiirg (Calvados Dp.).
Vgl. Troussecaillau (Passes-Pyrenees Dt.).
14Q. Tu er mit Tiernamen ist auf Frankreich beschränkt.
Thubaeuf ist viermal in Mayenne Dt. vertreten zur Benennung einer
Gemeinde, einer „ferme", eines Lehngutes und einer Burg. Die
älteren Belege zeigen deutlich die ursprüngliche Form: Tuebof 1 184,
Decima de Tuebove 12. Jh., Tueboeuf 1651. Hierher auch der
Bergname Tubeuf (Herault Dt.). Diese Verbindung ist auch als
Zuname belegt, s. bei Darraesteter 1. c. S. 180 Tudeboeuf in einem
afr. fabliau, 1. c. S. 182 Hubert Tue-Buef, aus dem 13. Jh. S. 183
Raymondus Tuebuef. — Mit lupus: Tueloup (Indre-et-Loire Dp.);
Tuloup, Haus in Nievre. Vgl. den Zunamen Robert tue leu o. c. 186
und den Pflanzennamen nprov. tuo-loup sm. aconit tue-loup und
estranglo-loup = aconitum lycoctonum bei Mistral II, 1064 und I, 1070,
wo auch andere gleichgebildete Pflanzennamen zu finden sind.
150. Prov. ventar = venter, souffler, jeter au vent, vanner,
agiter l'air, battre des ailes in Veniead (Haute-Loire), a. 1340
Campus vocatus Ventacul und Vente-Farme (Card Dt).
Peter Skok.
Der innere Zusammenhang in der Entwicklung
der Romanischen Sprachen.
Nescire autem quid antequam natus sis
acciderit, id est semper esse puerum. Quid
enim est aetas hominis, nisi ea memoria rerum
veterum cum superiorum aetate contexitur?
Cicero, Orator 34, 120.
I. Forderung einer pragmatischen Geschichte der Sprache.
Chronologie und Kausalnexus der sprachlichen Vorgänge.
Alle sprachliche Entwicklung — aus irgend einem einmal
gegebenen Zustand in einen anderen — dürfte erschöpfend dar-
gestellt sein, wenn folgende Punkte berücksichtigt wurden: i. Wort-
schatz, 2. Artikulationsbasis, 3. Bedeutung, 4. Akzent, 5. Wort-
bildung, 6. Syntaktische Fügung, 7. Funktion, 8. Wortstellung, l
Die historische Grammatik hat davon abstrahiert, dafs in
Wirklichkeit alle diese Punkte oder die Mehrzahl von ihnen nicht
getrennt voneinander zu beobachten sind, und so haben wir uns
gewöhnt, die Sprache „Punkt für Punkt" zu betrachten, im Auf-
und Umrifs, in allen Projektionen. Abgesehen von der inneren,
prinzipiellen Berechtigung dieser Abstraktion wäre es auch anders
nicht möglich gewesen, zur Erkenntnis der sprachlichen Vorgänge
zu gelangen. Aber die historische Grammatik, wie sie bisher be-
trieben wurde, deckt sich nicht mit dem, was wir uns unter dem
Begriffe „Geschichte der Sprache" zu denken haben. Sie selbst,
hochverehrter und lieber Meister, haben es in Ihrem letzten,
viel bewunderten Buche ausgesprochen, 2 dafs die Darstellung
sprachlicher Entwicklung „eine historische und organische" sein
müsse. Die Geschichte der Sprache mufs die Rolle der lebenden
Photographie spielen; sie soll uns nicht einzelne Teile vergegen-
wärtigen, sondern den ganzen lebendigen Vorgang in der fort-
währenden Wechselwirkung aller Kräfte. Das Bedürfnis nach einer
* Die Reihenfolge dieser Aufzählung wird auf S. 62 näher erörtert werden.
* Historische Grammatik der französischen Sprache, S. VIII.
58
solchen Geschichtschreibung der Sprache drückte sich bisher nur
in der Wortgeschichte aus. Die Wortgeschichte gibt uns nun zwar
die Gesamtheit der sprachlichen Erscheinungen, aber nur an Bruch-
teilen der Sprache. Wir steuern der Geschichte der Sprache zu,
die für das ganze Sprachmaterial leistet, was die Wortgeschichte
für das einzelne Wort: die Darstellung aller Schicksale in ge-
schlossener Reihe, unter Berücksichtigung sämtlicher Einschlagfäden,
nicht in willkürlich abstrahierender, sondern in streng chronologischer
Gruppierung, so dafs der Beobachter das Leben der Sprache als
Ganzes in allen aufeinander folgenden Stadien ihrer Entwicklung
vor Augen hätte. Mit andern Worten: Sprachgeschichte wie
Menschheitsgeschichte, nicht in methodischer Sonderung der Er-
eignisse, sondern in fortlaufender, innerlich zusammenhängender
Schilderung des Wirkens aller Faktoren. Nach der zergliedernden
Darstellung der historischen Grammatik winkt uns als weitere Auf-
gabe die pragmatische Geschichte der Sprache.
Dagegen wird vielleicht mancher von vornherein Stellung
nehmen mit der Begründung, die Sprache wäre kein adaequater
Gegenstand der pragmatischen Geschichtsschreibung, weil sie nicht
nur Objekt der Geisteswissenschaften, sondern auch Objekt der Natur-
wissenschaft sei und daher mindestens auch nach naturwissen-
schaftlicher Methode behandelt werden müsse. Diesen Einwand
halte ich für widerlegbar. Die Sprache geht auch in ihrem physischen
Teil auf die Psyche zurück, da wir ja doch ohne zentrale Hirn-
tätigkeit keinen Laut wirklich artikulieren können; der Ausdruck Maut-
mechanisch', der Vergleich der Sprache mit einem Mechanismus
scheint mir viel Unheil angestiftet zu haben. Mechanisch ist in der
Sprache tatsächlich gar nichts; nur sind uns die Vorgänge, die
man als 'mechanische' zu bezeichnen pflegt, infolge unendlicher
(ontogenetischer und phylogenetischer) Einübung unbewufst. Sie
können uns aber jeden Augenblick bewufst werden (und werden
es auch), was bei wirklich automatischen Daseinsvorgängen, z. B,
beim Stoffwechsel, nie der Fall ist. Wir haben es in der Sprache
nicht mit mechanischen, sondern mit mechanisierten Bewegungen
zu tun. In die Naturwissenschaft gehört nur die Lautphysiologie,
die Betrachtung der physischen Möglichkeit, der physischen
Voraussetzungen für Lautentstehung überhaupt. Die
Sprache als Vorgang hingegen scheint mir gar nicht in das
Gebiet der Naturwissenschaft zu fallen. Die tatsächliche Hervor-
bringung der Laute gehört in den Bereich der Lautpsychologie,
die der Lehre von der möglichen Hervorbringung der Laute, der
Lautphysiologie, gegenüber zu stehen hat.i
Aber auch der psychophysische Vorgang ist noch nicht
Sprache. Der hervorgebrachte Laut wird doch erst dann zum
Sprachlaut, wenn die Absicht einer Mitteilung vorhanden ist.
* Dieser Zweiteilung der Aufgabe sollten alle Lehrbücher der Phonetik
Rechnung tragen.
59
wenn eine Ideenassoziation zu ihm tritt. Somit ist alle Sprache
als solche rein psychischer Vorgang und das Widerspiel zwischen
„mechanisch und psychisch", wie es meistens dargestellt wird,
wäre besser zu charakterisieren als Widerspiel zwischen „unbewufst
und bewufst". Im Einzelindividuum wie in der Gesamtheit der
Sprechenden sehen wir es: der Widerstreit zwischen unbevvufsten
und bewufsten Sprachvorgängen, das ist der Widerstreit zwischen
Tradition und Neuschöpfung, zwischen Individualisierungs- und
Nivellierungstrieb, zwischen Erhaltungs- und Veränderungstrieb.
Die Sprache ist kein Mechanismus. Sie ist aber auch kein
Organismus im naturwissenschaftlichen Sinne. Sie existiert nicht an
sich, sondern nur, insofern sie von hierzu befähigten Wesen ge-
handhabt wird. Die Sprache ist ein Geistes- (resp. Kultur-) produkt.
Sie ist eine Institution. Wie jede Institution gewinnt sie ge-
wissermafsen objektives Dasein und hat Macht über den, der sie
ausübt. Ihr Einflufs erstreckt sich aber gleichermafsen auf geistige
wie auf psychophysische Vorgänge; ohne diese letzteren ist sie so
wenig vorhanden, wie ohne die ersteren.^
Somit ist sie ein Objekt sui generis. Daher mufs sie auf ihre
eigne Weise behandelt werden.
Wenn die Sprache in keinem Punkte ihres Wesens etwas
Physisch-Mechanisches ist, so erscheint es auch ungerechtfertigt, in
sprachlichen Dingen die mathematische Exaktheit zu erwarten, mit
der wir physische Vorgänge beobachten und voraussagen. Es
scheint mir, als ob die Erwartung dieser Exaktheit auch in
rein lautlichen Dingen nicht am Platze wäre. Und zwar haupt-
sächlich deshalb: Es geht nicht gut an, die „lautlichen" Vorgänge
von den „anderen" abzuschneiden und für sie eine besondere
Methode in Anwendung zu bringen. Die phonetischen Vorgänge
sind Abflufs desselben Quells wie die semantischen; es sind
zweierlei Wirkungen derselben Kraft, der Psyche. Sie sind einander
nicht entgegengesetzt. Sie müssen einheitlich erklärt werden.
Denn wir wissen jetzt, dafs die phonetischen Vorgänge, die „rein
phonetischen" Entwicklungen gerade so (oder erst recht) auf
Analogiewirkungen beruhen, indem die Neigung zu irgend einer
artikulatorischen Eigenheit nicht täglich und stündlich frisch hervor-
bricht, sondern dafs eine Neuerung der Artikulationsweise von einem
Falle auf alle ähnlich gearteten übertragen wird. Allerdings liegt
es in unserer Denkart, das Gesetzmäfsige überall aufzusuchen, denn
es ist der Ausdruck dafür, dafs wir den Zusammenhang der Er-
scheinungen verstehen. Indem wir nun darauf verzichten, mathe-
matisch exakte Gesetze aufzufinden, die sich doch nur auf einen
Bruchteil der sprachlichen Vorgänge beziehen können, auf die
Laute, werden wir um so mehr unser Augenmerk darauf richten, in
der Gesamtentwicklung der Sprache ihre Gesetzmäfsigkeit historisch
darzulegen. Wir werden für die Betrachtung der Sprache als
^ Da auch die nur gedachte Sprache artikuliert sein mufs, um Laut-
sprache zu sein, von der allein hier die Rede ist.
6o
Ganzes die geistige Disposition fordern, die Ernst Mach im Sinne
hat, wenn er sagt, ein Naturgesetz bedeute für uns die Einschränkung
unsrer Erwartungen: Eine eindringende Beobachtung des ganzen
Wesens und des allgemeinen Habitus einer Sprache gibt uns nämhch
den Fingerzeig, was wir in einem und dem anderen Punkte der
Entwicklung zu erwarten haben und befähigt uns, nach rückwärts
zu prophezeien, befähigt uns zur Kritik der einzelnen Fälle und zu
den paläontologischen Aufgaben, die Sie in Ihrer 'Einführung' ^
analysiert haben, ohne deren Lösung natürlicherweise die prag-
matische Geschichte der Sprache lückenhaft wäre.
Wenn ich also überzeugt bin, dafs die Sprache durchaus ge-
eignet ist, Objekt der historischen Wissenschaft zu sein, so zeigt
sich doch sofort ein aufserordentlicher Gegensatz zwischen Sprach-
geschichte und Menschheitsgeschichte, sobald wir auf das Thema
näher eingehen.
Wie der pragmatischen Geschichtsschreibung die Annalen
vorausgehen, so mufs es auch bei der Sprachgeschichtsschreibung
sein. Ehe wir uns daran machen, zu schildern, wie ein Zustand B
aus dem Zustande A erwächst, müssen wir objektive Gewifsheit
haben, dafs der Zustand b der zeitlich spätere ist. Die chrono-
logische Sprachbehandlung mufs der pragmatischen den Weg bahnen.
Welcher Unterschied aber hier und dort ! Die Annalen sind, wenn
man so sagen darf, eine naive Äufserung des INIenschengeistes; sie
entspringen einem unmittelbaren Bedürfnis und sind der tatsächliche
kunstlose Vorläufer der Geschichtschreibung, die tieferen Einblick
in den Kausalnexus der Dinge und gröfsere Reife des Urteils
voraussetzt. Es lag ein kultureller Fortschritt darin, dafs man von
der Beobachtung des Nacheinander zum Nachdenken über die
Zusammenhänge und zur Erkenntnis einer notwendigen Verknüpfung
gelangte.
In der Linguistik liegen die Dinge fast umgekehrt. Erst der
tiefere Einblick in die Natur der sprachlichen Veränderungen be-
fähigt uns, das unabweisbare Bedürfnis nach chronologischer Dar-
stellung zu befriedigen. Die Chronologie der sprachlichen Er-
scheinungen bildet nicht die Grundlage aller sprachgeschichtlichen
Untersuchung, vielmehr mufsten die aufserordentlichsten Leistungen
auf jedem einzelnen Gebiete vorausgehen, ehe wir daran denken
konnten, sie in Angriff zu nehmen. Während die Annalen mehr
oder weniger sichere Daten geben, die aber doch tatsächlich ge-
gebene Daten sind, aus denen die Verknüpfung der Ereignisse
verständlich wird, mufs die sprachliche Chronologie ihre Daten aus
den Erscheinungen abziehen, wenn es ihr nicht gar obliegt, aus
dem vorhandenen Sprachzustand erst zu erschliefsen, was für Vor-
gänge diesen Zustand überhaupt bewirkt haben. Die Schwierig-
keiten, denen wir dabei begegnen, sind zu bekannt, als dafs man
sie noch aufzählen müfste : die Unzuverlässigkeit und die Ungleich-
^ 2. Auflage, S. 62.
6i
heit der Überlieferung, der Mangel an datierten Dokumenten, der
Zufall, der zahllose Wendungen nicht bucht, die ohne Frage vor-
handen gewesen sein müssen, vor allem der Umstand, dafs die
gesprochene Sprache, insofern sie Augenblicksschöpfung ist, ja nicht
gebucht wird, während die „gebuchte", die Schriftsprache, stets
etwas Rückständigkeit zeigt und die gesprochene Sprache von
gestern vorstellt. In bezug auf die Entwicklungszeit vom spät-
lateinischen zum romanischen Schrifttum haben Sie, im Hinblick
auf diese Tatsachen, den Versuch einer absoluten Chronologie ab-
gelehnt und uns für die lautlichen Veränderungen mit einer relativen
beschenkt. Eine relative Chronologie aber ist der Ausdruck für
den aus den Tatsachen zu vermutenden oder sich klar ergebenden
inneren Zusammenhang der sprachlichen Erscheinungen.
Für die frühere Entwicklungszeit des Romanischen innerhalb
des lateinischen Schrifttums scheinen die Verhältnisse etwas günstiger
zur Aufstellung einer objektiven Chronologie. Und diese zu liefern,
war der eigentliche Zielpunkt meiner Arbeit. Von Jahrhundert zu
Jahrhundert fortschreitend, wollte ich den Wandlungen nachgehen,
die wir tatsächlich belegen können, und so eine Chronologie der
Romanismen innerhalb des Lateinischen schreiben. Aber die Ver-
knüpfung der Erscheinungen, wie sie sich mir aus dem Studium
offenbarte, fesselte mich derart, dafs die Festlegung der Chronologie
zurückblieb und die Erforschung des inneren Zusammenhanges der
Sprachvorgänge mehr und mehr in den Vordergrund trat. So
wurde denn statt der einen — ganz objektiven — Seite der Auf-
gabe die andere — mufs ich sagen: ganz subjektive? — aus-
gearbeitet. So oder so war es meine Absicht, Material zu der
Pragmatischen Geschichte des Romanischen, zunächst innerhalb des
Lateinischen, zu fördern. Eine pragmatische Geschichte des
Lateinischen müfste nicht nur die Entfaltung des „klassischen" und
des „vulgären" Sprachgebrauchs darstellen, sondern auch die Ent-
stehung aller der Vulgarismen, die früher oder später wieder unter-
gegangen sind. Ich beabsichtige aber nur das zu verzeichnen, was
mindestens im Frühromanischen noch erhalten ist. Also wieder
nur ein Bruchstück; aber die Geschichte der romanischen Sprachen
ist ja allerdings in diesem Sinne auch nur ein Bruchteil der Ge-
schichte des Lateinischen.
IL Fassung der Aufgabe. Dauer der verschiedenen
sprachlichen Evolutionen.
Die Darstellung des inneren Zusammenhanges der sprachlichen
Vorgänge wird natürlich auf alle Lebensäufserungen der Sprache
gleiche Rücksicht nehmen, auf die rein psychischen wie auf die
psychophysischen, und sie wird sich aller zu Gebote stehenden
Mittel zu bedienen haben, der sprachpsychologischen und der
physiologischen wie der historischen. Der Stand unserer sprach-
psychoiogischen wie unserer physiologischen Beobachtungen scheint
62
mir nämlich nun so weit gediehen, dafs der Versuch gemacht
werden kann, die mehr oder weniger theoretischen Ergebnisse der
ersteren und die praktischen der letzteren auf die Geschichte der
Sprache anzuwenden, um die Verkettung der Einzelerscheinungen
nachzuweisen. Die folgende Arbeit steckt es sich also zum Ziele,
das Ineinandergreifen der rein psychischen und der
psychophysischen Vorgänge an den historisch belegten
Tatsachen zu demonstrieren, also das unleugbar vorhandene
alte Sprachmaterial im Lichte der experimentellen
physiologischen (resp. sprachpsychologischen) Forschung
zu zeigen. Von selbst ergab sich dann konsequentes Weitergehen
in der Anwendung dieser Methode auf das historisch nicht Belegte.
In erster Linie wird es uns zu der Frage drängen : Welche
Gattung der S. 57 angeführten sprachlichen Veränderungen mufs
früher resp. später auftreten als die andere? Von welcher werden
wir mit objektiver Gewifsheit nachweisen können, dafs sie zur Ver-
änderung der anderen den Anstofs gab?
Von vornherein ist es klar, dafs nicht alle sprachlichen Ver-
änderungen gleich rasch vor sich gehen. Je nach dem Grade
der Zähigkeit, mit dem wir an sprachlichen Eigenheiten hängen,
mufs sich der Verlauf verschieden gestalten. Betrachten wir daraufhin
die anfangs aufgestellten acht Punkte, an denen die sprachlichen
Veränderungen sich abspielen. 1
Am leichtesten wechseln wir den Wortschatz, der so wenig
zu unserem innersten Sprachleben gehört, dafs wir in entsprechend
veränderter Umgebung imstande sind, ihn im Verlaufe weniger
Jahre vollständig aufzugeben ; in viel kürzerer Zeit, oft schon nach
wenigen Wochen, überraschen wir uns dabei, dafs wir beim Denken
und im Traume das neu erworbene Wortmaterial anwenden (im
Traume allerdings meist nur scheinbar). Bei Veränderungen des
Wortschatzes spielen Mode und individuelle Lage eine grofse Rolle.
Er ist bei weitem das Äufserlichste an der Sprache.
Nach ihm trennen wir uns am leichtesten von der Artiku-
lationsbasis. Schon der einzelne kann die seine von Grund aus
ändern ; es gelingt nicht nur die Artikulationsweise einer fremden
Sprache vollständig nachzubilden, es kommt auch vor, dafs die
fremde Artikulationsbasis in der eignen Sprache beibehalten wird.
Man denke nur an Deutsche, die in Amerika leben. Auch ist es
für Veränderungen der Artikulationsbasis geradezu charakteristisch,
dafs sie nur eine gewisse Zeit hindurch in Kraft sind und nach
längerer oder kürzerer Dauer nicht weiter verfolgt werden. Es
wechselt also in verhältnismäfsig geringen Zeitabständen die ganze
Richtung der Artikulationstendenz.
Die Bedeutung hängt von inneren und äufseren Umständen
ab; sie kann jederzeit und in verschiedenster Geschwindigkeit
^ Bis zu einem gewissen Grade werden die Sprachentwickluugsvorgänge
von den Spracherlernungsvorgängen beleuchtet.
63
wechseln. Sie ist von der inneren und äufseren Form der Wörter
nicht zu trennen; sie beherrscht die lautliche Gestalt der Wörter
als „innerlicher Systemzwang". Wiederholt fällt Bedeutungs-
wandel mit Veränderungen der Wortbildung zusammen, begründet
sie, geht aus ihr hervor. Haftet die ursprüngliche Bedeutung mit
grofser Zähigkeit an der betreffenden Lautgruppe, so hält sie
sich neben der neuen Bedeutung. Auf diese Weise entstehen die
Wörter mit aufserordentlich vergröfserter oder übertragener Be-
deutungssphäre, Wörter mit vielerlei Verwendungen. Denn der Vor-
gang kann unendliche Male stattfinden.
Viel schwerer trennen wir uns von unserem gewohnten Sprech -
ton (darunter verstehe ich „Akzent" im weitesten Sinne). Ob die
Hervorhebung des Wichtigen durch Höhe, Stärke oder Dauer des
Luftstromes geschieht, ob nur eines der drei Hervorhebungs-
prinzipien vorherrscht, oder ob sie sich in irgend einer charakte-
ristischen Art mischen, immer ist die Behandlungsweise des Luft-
stromes ein Hauptcharakterzug der Sprechgewohnheit, der den
Sprecher als Angehörigen einer Sprachgemeinschaft erkennen läfst,
auch wenn er sich irgend eines anderen Idiomes bedient. Wir
erlernen die Artikulation einer fremden Sprache viel leichter als
ihren eigentümlichen Tonfall, ihren Vokaleinsatz, ihren mehr oder
weniger gleichmäfsigen Silbendruck. Daher verraten fliefsend und
„rein" sprechende Ausländer doch am Sprechton ihre Heimat.
Akzentveränderungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft sind
Prozesse, die sich mindestens über viele Hunderte von Jahren
erstrecken.
Die Wortbildung entspringt unmittelbar dem Sprachbewufst-
sein und hängt aufs innigste mit ihm zusammen. Die wortbildnerische
Kraft ist das „Sprachgefühl" an sich: sie bewirkt den Amal-
garaierungsprozefs, den wir bei der Entlehnung von Fremdwörtern
beobachten, die der eignen Sprache angeglichen werden; sie be-
wirkt die Neuschöpfungen nach Mafsgabe vorhandener Proportionen,
die analogischen Veränderungen. Sie sitzt so tief im Geiste, dafs
bei (unbewufster) Verwendung ihres Materials kaum ein MifsgrifF
vorkommt. Eine unermefsliche Einübung macht sie zum unmittel-
baren Denkwerkzeug. Die Behandlung der Kasus- und Fle.xions-
suffixe sowie die Zusaramenfügungen in weiterem und engerem
Sinne sind so intensiv mit dem Wesen der Sprache verbunden,
dafs sie auf Jahrtausende hin an ihnen festhält. Nach ihnen wird
die Sprache agnosziert; sie bilden das Kriterium für die Stamm-
verwandschaft der Sprachen.
Zur Wortbildung verhalten sich die syntaktischen Gebilde
wie das Frühere zum Späteren.* Es ist wohl keine Frage, dafs die
Sprache keine Suffixe als solche hervorbringt. Sie schafft syntaktische
Gebilde zum vollen Ausdruck eines Gedankeninhaltes und nach
^ Vgl. Brugmann, Über das Wesen der sogenannten Wortzusammen-
setzung, Berichte der Sachs. Ges. der Wiss. 1900, S. 359IF. und die dabelbst
angeführte Literatur.
64
unendlich langen Zeiträumen verschmilzt dieses syntaktische Gebilde
lu einer Sprecheinheit, verändert seinen Rhythmus und wird ein
zusammengesetztes VVort,i dann ein Wort mit fühlbarer Komposition,
dann ein scheinbar einheitliches Gebilde. Das minderbetonte Element
ist ein Suffix geworden und dient nunmehr als traditioneller
Ausdruck einer Begriffsbeziehung. Dann dient es also zur
Wortbildung, während es einstmals Bestandteil der syntak-
tischen Bildung ^ar. Allgemach verblafst seine Bedeutung,
es wird inhaltleer und sinkt zum rein formalen Anzeiger
der Funktion herab. Damit ist es ein ganz abstraktes Aus-
drucksmittel geworden und für die lebhafte Rede und den von
ihr beabsichtigten raschen, sicheren Eindruck nicht mehr kraftvoll
genug. Zum emphatischen, okkasionellen Ausdruck, der kräftig,
bildhaft und von besonderer Wirkung sein soll, wird ein neues
syntaktisches Gebilde als Umschreibung des erstarrten
verwendet und nach abermals unendlich langem Zeitraum wieder-
holt sich der Vorgang: dieses Neue tritt an stelle des früheren,
nachdem es die gleichen Wandlungen durchgemacht hat. Das
Neue wächst nach und nach in die Stelle des Alten hinein; das
Alte stirbt am eignen Alter. Weit entfernt, dafs die Sprache „nach
Ersatz sucht", der Ersatz liegt undenkliche Zeiten bereit in ihrem
Schatze; es ist die seltnere Münze, deren Prägung voll in die
Augen leuchtet, im Vergleich zur abgenutzten, nicht mehr leser-
lichen.2 Ich verweise nur auf den Ersatz der Kasussuffixe durch
präpositionale Wendungen, oder den Ersatz der Deponentia und
Mediopassiva durch die reflexive Form, oder den Ersatz des Adverbs
durch die Bildung des Adjektivs mit mente. Allemal wird, zunächst
okkasionell, die einfache Ausdrucksweise durch eine peri-
phr astische ersetzt, die nach gröfseren Zeitabschnitten zur
stehenden „Form" erstarrt und uns die Vermutung gestattet, dafs
die uns überlieferten „Formen" seinerzeit denselben Weg zurück-
gelegt haben. Daher sind syntaktische Bildungen und Wort-
zusammensetzungen nicht typisch verschieden, sondern nur ver-
schiedene Stadien desselben Entwicklungsweges. Sie zeigen gleichen
Rhythmus, gleiche Bildungsgesetze (vgl. unten Rhythmus und Wort-
stellung). Es sei daher der Kürze halber gestattet, die fliefsenden
wie die festen Gefüge unter dem Ausdruck „syntaktische Fügungen"
zusammenzufassen.
Die Funktion, „die innere Form", gehört zum zähesten
Sprachbesitz. Als Ausdruck der Beziehungen, die zwischen den
' Vgl. Rom. Gram. II, S. 576, J. van Ginnecken, Principes de Linguistique
psychologique, S. 280 und die daselbst angeführte Literatur.
* In der schriftlichen Überlieferung mag hier oft die Täuschung möglich
sein, dafs es sich anders verhält, indem eine Wendung, vielleicht als zu niedrig
oder anstöfsig, besonders lange von der Schriftsprache ausgeschlossen bleibt,
so dafs man sie erst konstatieren kann, wenn die alte schon ausgestorben ist.
Das beweist aber nichts gegen die Annahme, dafs jeder Gedanke in der
Sprache fortwährend ausdrückbar ist und sein mufs.
65
Teilen der Gesamtvorstellung besteht, ist sie vom Denken selbst
kaum zu trennen. Sie beherrscht und beeinflufst die lautliche
Gestalt der Wörter als „äufserer Systemzwang" und ruft die
Proportionsbildungen hervor.
Ich habe die „Form" nicht als einen eignen Punkt unter die
anderen Beobachtungspunkte eingereiht. Es scheint mir, wie ich es
schon einmal auszuführen versuchte,^ prinzipiell unmöglich, die Ver-
änderung der Form den hier besprochenen an die Seite zu stellen, es
wäre denn in der eben erwähnten Evolution vom syntaktischen Ge-
bilde zur Wortzusammensetzung, hervorgerufen durch die Veränderung
in der Wahl der Ausdrucksmittel (vgl. oben die periphrastischen
Bildungen). Im übrigen ist die Form entweder „innere Form",
das ist Funktion resp. Bedeutung, und unterliegt den oben an-
geführten Schicksalen; oder sie ist „äufsere Form", Form im engeren
Sinne: dann ist sie das Ergebnis der phonetischen und semantischen
Veränderungen des Wortes. Sie zeigt uns an, in welchem Zu-
stande das Wort sich eben befindet; sie kann historisch betrachtet
werden, insofern es sich um Beschreibung eines in der Geschichte
feststehenden Punktes der Sprache handelt; aber sie ist kein Stoff
für ein selbständiges Kapitel der Entwicklungsgeschichte, denn was
den Wechsel der Form herbeiführt, ist entweder Wechsel der
Artikulation oder Wechsel der Funktion, artikulatorische oder
semantische Analogie. Daher ist alles, was über die Geschichte
der Form vorgebracht werden kann, schon in den anderen Kapiteln
der Entwicklungsgeschichte enthalten.
Das innerste Rad in der Werkstatt ist die Wortstellung, in
der sich die Satzauffassung ausspricht, die Art und Weise, wie die
Gesamtvorstellung zergliedert wird. Hier handelt es sich um die
letzten Zusammenhänge zwischen Denken und Sprechen, wo die
Grenzlinie zwischen beiden verläuft. Denn, wenn wir auch in ab-
gekürzten und nicht vollständig abgegrenzten Gedankenkomplexen
— ohne Worte — denken können, so gibt es kaum ein Denken
ohne eine irgendwie geartete Gruppierung der Vorstellungen.
Denken heifst doch: Eine Gesamtvorstellung zergliedern oder Teil-
vorstellungen zu einander in Beziehung zu bringen. Es ist kaum
in Abrede zu stellen, dafs die Teile der Gesamtvorstellung also
notwendigerweise vom Denkenden resp. Sprechenden in irgend
eine Reihenfolge gebracht werden, die Reihenfolge sei übrigens
wie sie wolle. In diesem Punkte sind die in der ersten Jugend
erlernten Gepflogenheiten vom gröfsten Einfiufs; hier sitzt die
Überlieferung am zähesten, und nirgends ist der Widerstand, den
die allgemeine Übung der Einzelauffassung entgegensetzt, gröfser.
Dementsprechend sehen wir, dafs die Veränderungen in der Wort-
stellung unendlich langsamer vor sich gehen als alle übrigen; es
sind vieltausendjährige Prozesse; daher ist unser Belegmaterial ein
» Vgl. Die Rolle der Semantik in der historischen Grammatik, Germ.-
Rom. Monatshefte 1910.
Beiheft zur Zeitschr, f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift ) c
66
recht spärliches. Ich erinnere nur an die Wortstellungsverhältnisse
in den Romanischen Sprachen: die — wie man annehmen darf —
indogermanische Wortstellung, wie sie uns als „lateinische" entgegen-
tritt, ist noch immer nicht abgestorben. Sie hat mindestens drei
vollständige Umwälzungen der lautlichen Sprachgestalt überdauert:
vom Urindogermanischen zum Uritalischen, von diesem zum Latei-
nischen und vom Lateinischen zum Romanischen. Sie ist archaisch,
aber sie wird in allen Fällen noch voll verstanden. Man bildet
zwar nicht mehr neue syntaktische Fügungen nach ihr, aber sie
lebt. In bestimmten Punkten ist sie in vielen romanischen Sprachen
noch immer die einzige Mögliche (z. B. in der Stellung der Negation
vor dem Verbum); sie lebt in einzelnen Wendungen, sie lebt mit
geringen Einschränkungen in der Poesie, die ja noch konservativer
ist als die prosaische Schriftsprache und in der die bewufste An-
knüpfung an das Althergebrachte einen noch breiteren Raum
einnimmt.
Wenn man nun sieht (vgl. unten), dafs die romanische Wort-
stellung schon vor Beginn unserer Zeitrechnung stark ausgebreitet
war, so mufs der Umwandlungsprozefs von der lateinischen zur roma-
nischen Wortstellung viele Hunderte von Jahren früher begonnen
haben. Ja, in Anbetracht dessen, dafs alle indogermanischen Sprachen
denselben Wandel durchmachen, ist man versucht, die Frage auf-
zuwerfen, ob nicht auch die , romanische* Wortstellung schon in
die indogermanische Urzeit hinabreicht. Der Keim lag vielleicht
schon in der Ursprache; er konnte dann nicht anders als an-
nähernd gleich aufgehen.
III. Psychologischer Exkurs über die Ursachen
sprachlicher Veränderung.
Es ist klar, dafs die Veränderung, die am langsamsten vor sich
geht, unendlich viel früher begonnen haben mufs, als jede andere,
mit der wir sie gleichzeitig konstatieren. Wir können also ohne
weiteres als gesichert annehmen, dafs die Reihe der Romanismen
mit der Veränderung der Wortstellung beginnt und es fragt sich
nun, ob es möglich ist, irgend einen Zusammenhang zwischen
den einzelnen Veränderungen festzustellen. Können wir wahr-
nehmen, dafs ihre Aufeinanderfolge eine innerlich bedingte
ist? In erster Linie käme es natürlich darauf an, zu wissen, warum
sich zuerst die Wortstellung verändert? Denn nachdem sie als das
weitaus zäheste aller Sprachelemente erkannt worden ist, möchte
man versucht sein zu glauben, dafs nichts sie erschüttern könnte.
Und nun werden wir sehen, dafs sie am frühesten zu wanken
beginnt.
Warum verändert sich die Wortstellung überhaupt? Einen
Fortschritt im Denken kann man darin nicht sehen. Dafs der
Denkprozefs nach jeder der zwei Methoden — der lateinischen
67
wie der romanischen — gleich gut von statten gehen kann, ist
nicht nur prinzipiell, sondern auch historisch offenbar, da ja die für
unsere ganze geistige Kultur grundlegenden Gedanken in derjenigen
Wortstellung gedacht und ausgedrückt worden sind, die jetzt nicht
mehr die herrschende ist. Den Anforderungen des Denkenden und
Sprechenden genügt selbstverständlich jede der beiden Zerlegungs-
methoden, Aber für den Hörenden, der aus den Stück für Stück
dargereichten Teilen die Gesamtvorstellung wieder aufbauen soll,
ist es allerdings ein Unterschied. Es ist keine Frage, dafs die roma-
nische Wortstellung dem Hörer diesen Wiederaufbau erleichtert,
indem sie geeignet ist, seinen Gedanken rascher die Richtung zu
geben, wohin sie sich wenden sollen. Obzwar an sich jede Wort-
stellung klar ist, nämlich für den, der sie gewohnheitsmäfsig braucht,
bemerken wir doch einen Unterschied zwischen unsrer deutschen,
die dem archaischen Typus vielfach ähnlicher geblieben ist, und
der romanischen, die sich ganz wesentlich von ihm entfernt hat:
Uns scheint die romanische Darstellungsweise besonders durch-
sichtig und klar, und die Romanen beschweren sich über unsere
schwierigen Konstruktionen. Setzen wir nun einfach statt lateinisch
und romanisch die Ausdrücke archaisch und modern, so können
wir sagen: die moderne Wortstellung nimmt mehr Rücksicht auf
den Hörer als die archaische. ^ Darin äufsert sich zwar kein
logischer, wohl aber ein entwicklungsgeschichtlicher Fortschritt des
Menschen. Eine rein teleologische Erklärung dieser Entwicklung
wäre gewifs ganz verfehlt. Doch könnte vielleicht die folgende
Erwägung auf die Veränderung der Wortstellung einiges Licht werfen.
In einer aufserordenthch weit hinter aller Überlieferung liegen-
den Zeit ging den Sprechenden der Sinn für das Ineinander-
greifen von Sprechen und Hören auf. Dies bedeutet den Fort-
schritt zur Objektivierung der Rede, die nicht mehr herausgestofsen,
sondern dem Hörer in geordneter Folge mitgeteilt wird. Erst wenn
der Sprecher im Stande ist, sich in die Lage des Hörers zu versetzen,
wird er seine Rede in bewufster Absicht gliedern und die Teile so
anordnen können, wie es für den Hörer am bequemsten ist. Von
diesem Zeitpunkt an kann erst das Widerspiel von okkasioneller
und habitueller, d. i. das Widerspiel von subjektiver und ob-
jektiver Redeweise beginnen. Denn die habituelle Redeweise ist die
wohlüberlegende, die an das Bekannte anknüpfend zum Neuen
(dem Hörer Unbekannten) fortschreitet, wie alles Erklären und alles
Deuten fortwährend vom Geläufigen zum Ungeläufigen, vom Be-
kannten zum weniger Bekannten übergeht. 2 Der Sprechende steht
' Ähnlich äufsert sich Dr. Hugh Blair (Lectures on Rhetoric and Beiles
Lettres I, No. 7, S. 138, ein m. W. von den neueren Linguisten und Sprach -
Psychologen ganz übersehenes Buch, in dem speziell sehr viel Treffendes über
Wortstellung geäufsert wird) im Jahre 1783.
2 Vgl. auch F. Barth, Zur Psychologie der gebundenen und der freien
Wortstellung, Philosoph. Studien XIX, 26, 27.
68
seinem Stoffe objektiv gegenüber und nimmt seine Richtschnur von
der Zweckmäfsigkeit in Bezug auf den Hörer.
Die okkasionelle Redeweise hingegen ist die subjektive; der
Sprechende nimmt nicht Rücksicht auf den Hörer, sondern bringt
die Stücke seiner Gesamtvorstellung so, wie sie ihm selbst in den
Blickpunkt des Bewufstseins kommen. Daher ist die Anordnung
die entgegengesetzte: sie bringt stets das wichtigste zuerst, und
schreitet also vom Neuen (dem Hörer Unbekannten) zum Bekannten
(wofern sie überhaupt den ganzen Darstellungsinhalt zergliedert).
Es ist aber selbstverständlich, dafs die subjektive Redeweise gerade
so gut traditionell wird, wie die objektive. Ihr Prinzip ist, der
habituellen entgegengesetzt zu sein. Im übrigen unter-
scheidet sie sich ungefähr ebensowenig von ihr, als etwa die
Sonntagszüge von den Wochentagszügen: eigne Fahrordnung,
gleiche Geleise.
Es liegt nun nahe, anzunehmen, dafs die ursprünglichste
Sprechweise subjektiv (also von okkasionellem Gepräge) war, und
dafs die objektive Sprechweise erst einem weiteren Entwicklungs-
stadium angehört. Betrachten wir die älteste uns überlieferte objek-
tive Wortfolge, wie sie uns in der sogenannten archaischen Wort-
stellung entgegentritt. Das Prinzip der archaischen Wort- (und
Gedanken-) folge ist die Vorausstellung des Determinierenden vor
das Determinierte; die ihr entgegengesetzte okkasionelle kann nichts
anderes ergeben als die Nachstellung des Determinierenden, und
das ist ja das Prinzip der modernen Wort- (und Gedanken-) folge.
Gesetzt also, die archaische Wortfolge war die seit unbestimm-
barer Zeit habituelle, so ist die moderne die einzig mögliche
okkasionelle. Sobald eine syntaktische Fügung in einer be-
stimmten Folge der Teile erstarrt, verliert sie die Fähigkeit, durch
die Anordnung zu wirken. Dann wird die okkasionelle Folge
habituell, und zu okkasioneller Hervorhebung wird zur entgegen-
gesetzten gegriffen, also zu der — einstmals habituellen.
In historischer Zeit bietet sich als Beleg für die Zurücklegung
einer solchen Spirallinie die Stellung des Adjektivs im Franzö-
zösischen und z. T. auch im Spanischen. Aus archaischem habi-
tuellem alba vestis entwickelte sich vestis alba zunächst okkasionell,
dieses wird dann habituell und das neueste Französisch zeigt uns
wieder U7ie blanche robe zur okkasionellen Hervorhebung.
Schematisch dargestellt, wäre der Entwicklungsgang der Wort-
stellung also:
I habituell BA, okkasionell AB
n habituell AB — ► okkasionell BA.
Nirgends können wir diese Entwicklung rein beobachten. Aus
leicht begreiflichen Ursachen. Sie bleibt aus irgend einem Grunde
auf halbem Wege stehen, wird durch das Zusammentreffen der
69
mannigfaltigsten Umstände in einem oder dem anderen Punkte
starr festgehalten; so ergeben sich Mischstadien. Je höher die
Kultur entwickelt ist, desto gröfser ist der Widerstand der Tradition,
die an Rechtssatzungen, an religiösem Zeremoniell, an literarischem
Erbgute festhält; desto geringer ist die Aussicht auf völlige Um-
drehung des Verhältnisses, desto länger, zum mindesten, ist der
Fortschritt verzögert.
IV. Physiologischer Exkurs über die Ursachen
sprachlicher Veränderung.
Nach einer längst gemachten physiologischen Beobachtung, i
äufsert sich nicht nur der physische, sondern auch der psychische
Zustand des Menschen in der Art seiner Thoraxsenkungen, so dafs
man diesen Zustand (Aufregung, Zorn, Furcht, Verlegenheit) an
seinen Thoraxbewegungen messen kann. Jeder okkasionelle Zu-
stand des Sprechenden wird okkasionelle Thoraxbewegungen zur
Folge haben. Folglich mufs auch die okkasionelle Erregung, die
der Veränderung der Wortstellung zu Grunde liegt, sich in okka-
sionellen Thoraxbewegungen äufsern. Naturgemäfs wird durch jede
Veränderung der Thoraxsenkung eine Veränderung des zum
Sprechen verwendeten Expirationsstromes eintreten. Also wenn wir
infolge okkasioneller Erregung die Thoraxbewegungen
modifizieren, so modifizieren wir damit auch den Ex-
spirationsstrom. Im folgenden soll nun kurz besprochen werden,
welchen Einflufs der Exspirationsstrom auf die Quantität, die In-
tensität und die Tonhöhe der Sprache hat.
Die Quantität ist nicht abhängig von der Tonhöhe, wohl aber
von der Beschaffenheit des Luftstromes. Wie E. A. Meyer 2 nach-
gewiesen hat, hängt die Dauer der Artikulation stets von der
Muskelenergie ab, die sie erfordert, 3 so dafs man den Satz auf-
stellen könnte: Die artikulatorische Leistung ist das Ergebnis aus
Muskelenergie und Zeit. Das ist so zu verstehen: Die Muskel-
energie umfafst die Organspannungen (Lippen, Zunge, Gaumen-
segel, Stimmbänder) und den unterhalb des Kehlkopfes mefsbaren
Trachealdruck (d. i. der Druck, den der Ausatraungsstrom auf die
Trachea ausübt). Das Verhältnis zwischen diesen Einzelenergien
ist verschieden; nach den Messungen von Roudet* steht der
Trachealdruck im gleichen Verhältnis zu den anderen Muskel-
1 Vgl. die ganze Reihe der Sprachphysiologen von Kempelen S. 389 an
bis H. Gutzmann, Das Verhältnis der Affekte zu den Sprachstörungen, Z. f.
klinische Medizin 1905, Bd. 57, 385 fF., speziell Gutzmann's Physiologie der
Stimme und Sprache, 1909, S. 16 fF. und die daselbst angeführte Literatur.
* Über Englische Lautdauer, Schriften der Univ. Upsala 1903.
s a. a. O. S. 40.
* Le role de la pression sous - glottique dans la parole (La Parole
1900, 599 ff.).
70
Spannungen. Die Intensitätsmessungen Roudet's scheinen mir raafs-
gebender als die Rousselot's (La parole avec un larynx artificieU),
denn Rousselot mifst den Trachealdruck von aufsen, wobei, wie
mir vorkommt, nicht dieselbe Gewähr für die Erkenntnis des Sach-
verhaltes gegeben ist, als beim Messen mit der Kanüle. In der-
selben Untersuchung konstatierte Rousselot auch, dafs alle Vokale
aufser a bei dem Patienten tiefer klangen, als bei normal Sprechen-
den und hat dabei die Unbeweglichkeit des künstlichen Kehl-
kopfes, der offenbar nicht entsprechend gehoben werden konnte,
nicht in Anrechnung gebracht.
Es steht nun fest, dafs die Muskelspannung für einen Vokal
um so gröfser ist, je höher im Munde die Artikulation gebildet
wird. Da die Energie der Zungenspannung von allen Teilen der
Artikulation am schwersten zu untersuchen ist, konnten darüber
Zweifel bestehen, ob die Höhenstellung der Zunge tatsächlich
gröfsere Muskelarbeit erfordere als die Zusammenballung in tieferer
Lage. Entscheidend mufsten für diese Frage die Beobachtungen
bei Paralysis glosso-labio-laryngea sein, wie sie Hugo Stern nach
Strümpell verzeichnet (Die Sprachstörungen bei Nervenkrankheiten). 2
Danach werden bei solchen Kranken die Artikulationen des i r l
s d t zuerst undeutlich (S. 434); es ist also offenbar, dafs die
Höhenstellung der Zunge mehr Kraft erfordert, als die Tiefen-
stellung. Man kann daher auch mit Bestimmtheit annehmen, dafs
die Muskelleistung in demselben Verhältnis wächst, als der Mund-
kanal enger wird.
Da nun die Energie des Trachealdruckes der Energie
der Muskelspannung im geraden Verhältnis entspricht, so ist der
Trachealdruck für eine hoch im Munde gebildete Vokalartikulation
gröfser als für eine tief im Munde liegende; er ist mithin um so
gröfser, je enger der Mundkanal wird.
Es ist vielleicht nicht überflüssig darüber zu sprechen, wie
der Trachealdruck sich zu dem Exspirationsstrome verhält, der
zu akustischer Wirkung gelangt. Man könnte in Versuchung
kommen zu glauben, der Trachealdruck sei das Ergebnis dieses
Exspirationsstromes schlechthin; so grofs (in Bezug auf Kraft und
Volumen) dieser Exspirationsstrom, so grofs müsse der Tracheal-
druck sein. Dagegen ist in Erinnerung zu bringen, dafs das
Verhältnis zwischen diesen beiden Faktoren nicht unbedingt so
geartet sein mufs, vor allem, dafs man vom Trachealdruck nicht un-
mittelbar auf den zu akustischer Wirkung gelangenden Exspirations-
strom schliefsen kann, und umgekehrt. Der Trachealdruck ist, wie
bemerkt, gerade proportional zur Enge des Mundkanals: je
enger der Kanal, desto gröfserer Trachealdruck ist erforderlich,
den Luftstrom durchzublasen. Kraft und Volumen des Exspirations-
1 La Parole 1902, 65 ff.
' Medizinisch -Pädagogische Monatsschrift für die gesamte Sprachheil-
kunde, XVII, 428 ff.
71
Stromes aber, der durch den Mundkanal ins Freie und also zu
akustischer Wirkung gelangt, hängt von der Länge des IMund-
kanals und der ganzen Art der Artikulation ab, nämlich von
den Hindernissen, die dem Entweichen des Luftslromes durch die
Organe entgegengestellt werden.
Es mufs also zunächst das Verhältnis zwischen Exspirations-
strom und Muskelspannung in Betracht gezogen werden.
Dieses Verhältnis ist bei den Vokalen entgegengesetzt zu dem bei
Konsonanten. Beim Vokal nämlich ist der Exspirationsstrom
abhängig von der Muskelspannung, respektive von der durch
die Muskelspannung bewirkten Form des Mundkanals. Daher ist
der Exspirationsstrom am dünnsten beim /, also beim höchsten
Trachealdruck und am breitesten beim a, beim schwächsten
Trachealdruck; er ist am kräftigsten beim u,^ wie die einfachen
Versuche vor der brennenden Kerze sofort bestätigen. Die Luft-
abgabe, d. h. das Quantum Luft, das aus dem Munde heraustritt,
ist nach den Messungen Roudet's^ am gröfsten bei / und u. Bei
den Vokalen ist also das Verhältnis zwischen Muskel-
spannung einerseits und Stärke und Volumen des Exspi-
rationsstromes andrerseits ein schwankendes; es ist durch
die Form des Luftkanals von Fall zu Fall beeinflufst. Daher gilt
für die Vokale der Satz:
Der Trachealdruck ist gerade proportional zur Muskel-
spannung, aber der Exspirationsstrom ist es nicht.
Bei den Konsonanten hingegen (es soll zunächst nur von den
Verschlufslauten die Rede sein), ist es der Exspirationsstrom,
der den Grad der Muskelspannung bestimmt: je stärker der
Luftstrom, desto gröfser mufs die Muskelspannung sein, die sich
ihm entgegensetzt, damit die konsonantische Wirkung erzielt werde;
beide Faktoren wachsen und sinken also in geradem Verhältnisse
zueinander. Sie sind am stärksten bei p^\ denn einerseits sammelt
sich mehr Luft vor den Lippen als vor irgend einer andern Ver-
schlufsstelle, weil eben der Mundraum nun seine weiteste Form
und seinen gröfsten Fassungsraum erhält; andrerseits ist, um dieses
gröfste Luftvolumen zu stauen, die Kontraktion der Weichteile
erforderlich, für deren Spannung eine gröfsere Energie aufgewendet
werden mufs, als für den Verschlufs am harten Gaumen. Aus
1 Vgl. auch Bourdon, Application de la methode graphique ä l'eUide de
l'intensite de ia voix, L'Annde Pbychologique IV, 1898, S. 369 ff. Danach ist
die austretende Intensität des Luftstroms der Enge der Öffnung
umgekehrt proportional. Werden also a und u mit gleicher Stärke der
Atemausgabe gebildet, so ist die austretende Intensität bei a viel geringer als
bei u. S. 373.
2 De la depense d'air dans la parole (La Parole 1900, 201 ff.).
3 Vgl. E. A. Meyer .Beiträge zur deutschen Metrik (Die Neueren Sprachen
VI, 133) die Beobachtung des Verhältnisses zwischen Muskelaktion des Aus-
atmens und. Muskelaktion des Organes, dessen Tätigkeit den Charakter des
Konsonanten bedingt usw.
72
eben demselben Grunde erscheinen Exspirationsstrom und Muskel-
spannung am schwächsten bei gA Die Übergänge zur vokalischen
Artikulation, die die Engenlaute aller Lagen aufweisen, brauchen
hier nicht weiter erwähnt zu werden.
Da aber bei Erhöhung der gesamten exspiratorischen Leistung
eine Erhöhung des Trachealdruckes eintreten mufs, so gilt für
die Konsonanten der folgende Satz:
Die Leistungen des Trachealdruckes, der Muskelspannung
und des Exspirationsstromes sind einander gerade pro-
portional.
Der Gesamtatemverbrauch wird bestimmt werden durch
die Gröfse der Spannung einerseits und die Stärke des zur
akustischen Wirkung notwendigen Luftstromes andrerseits.
Was nun das Verhältnis von Energie und Zeit anbelangt,
so finden wir es wieder bei den Vokalen anders als bei den
Konsonanten.
Beim Vokal stehen Energie und Zeit in einem Ergänzungs-
verhältnis: Wird der eine Summand vergröfsert, so erscheint der
andere um eben dieses Mafs verringert. Es wird nämlich die
Dauer der akustischen Wirkung entsprechend um so viel kürzer je
längere Zeit das Einstellen der Organe in Anspruch nimmt. Je
gröfser also die Muskelarbeit ist, bis die gewünschte Vokalstellung
zustande kommt, desto kürzer ist die Normaldauer eines Vokals.
Daher ist i kürzer als e usw.
Vergleicht man endlich das Verhältnis von Gesamtluft-
verbrauch und Zeit, so findet sich:
Je gröfser der Luftverbrauch, desto kürzer wird die artikula-
torische Stellung eingehalten;
Und:
Je länger eine artikulatorische Stellung gehalten werden soll,
desto geringer wird der Durchschnittsluftverbrauch. Wir üben also
eine Art vorschauender Ökonomie beim Sprechen, wodurch der
Gesamtluftverbrauch bei langem Aushalten der artikulatorischen
Stellung gar nicht erheblich wächst im Vergleich zum kurzen
Aushalten.
Vergleicht man mit Rücksicht auf das eben Gesagte, die
Dauer aller Vokale, so ergibt sich:
Für die gespannten Vokale^;
ihre Dauer ist .um so kürzer je gröfser die Spannung;
daher ist ein gespanntes („geschlossenes") i kürzer als ein ge-
spanntes („geschlossenes") e usw.
^ Vgl. E. A. Meyer, Engl. Lautdauer S. 73, wo die tönenden Verschlufs-
laute als Engenlaute mit Verschlufskern nachgewiesen werden.
* Ich bediene mich der Terminologie Jespersen's. Vgl. Grundziige der
Phonetik, 1904.
73
Für die ungespannten Vokale:
ihre Dauer ist um so kürzer je gröfser der Luftverbrauch;
daher ist ungespanntes („offenes'') z und ü kürzer als e und d usw.
Der Luftverbrauch ist charakteristisch für die Kürze. Die Messungen
ergeben das Vorhandensein eines gröfseren Luftdruckes für Staccato-
als für Legatolöne ' und ebenso verbraucht der kurze (ungespannte)
gesprochene Vokal mehr Luft als der lange (gespannte) der gleichen
Artikulationslage.
Was die Konsonanten anbelangt, so hängt bei der Ver-
schlufsbildung die Dauer von der Lage des Verschlusses ab:
am raschesten ist er am Velum gebildet, am langsamsten bei den
Lippen, die Dauer ist also im geraden Verhältnis zur
Energie; daher ist auch der gespannte Konsonant länger als der
ungespannte: es dauert länger, bis ein fester Verschlufs gebildet
ist, als ein loser. Die Dauer, wie lange der Verschlufs selbst
gehalten wird (die Pause der Artikulation) hat E. A. Meyer für
sich allein berechnet. Mit Recht, da ja dieses Aushalten des Ver-
schlusses von der Bildung, auf die es hier besonders ankommt,
und von der Lösung gesondert betrachtet werden mufs.
Die Engenlaute zeigen die verschiedensten Abstufungen
zwischen den vokalischen und konsonantischen Verhältnissen.
Da die Laute nicht für sich allein, sondern in Gruppen
stehen, so ist in jedem Lautkomplex eine Ausgleichung zwischen den
einzelnen Komponenten wahrnehmbar. Die Dauer jedes Lautes
ist abhängig von seiner Umgebung. 2
Die Dauer hängt also vom Luftverbrauch ab; der Luftverbrauch
kann am Trachealdruck abgeschätzt werden. Verstärkt man den
Exspirationsstrom, so wird der Trachealdruck vergröfsert und die
Dauer der Artikulation verkürzt.
Ist nun der Exspirationsstrom ein so mafsgebender Faktor für
die ganze Artikulation, so ist es klar, dafs jede Veränderung des
Exspirationsstromes auch eine Veränderung der Artikulation zur
Folge hat. Wird also (wie oben angedeutet) durch okkasionelle
psychische Erregung eine okkasionelle Veränderung der Thorax-
senkung und dadurch eine okkasionelle Veränderung des Exspirations-
stromes bewirkt, so mufs eine okkasionelle Veränderung der
Artikulation die Folge sein. Denn dem verstärkten Luftstrom
müssen andere Organspannungen entgegentreten, als dem habituellen:
Vor allem ist es nötig, im Kehlkopf die nun eintretende passive
Stimmbänderspannung dadurch zu regulieren, dafs die aktive
Spannung herabgemindert wird,^ wenn der Ton unverändert bleiben
soll; und in derselben Weise werden sich beim Sprechen alle
Organspannungen dem veränderten Luftstrom adaptieren müssen,
so dafs der Effekt eine okkasionelle Erhöhung (resp. Herab-
^ Vgl. Nagel, Handbuch der Physiologie S. 740.
* Vgl. E. A. Meyer a. a. O.
» Vgl. Roudet a.a.O. 1900, S. 211.
minderung) der artikulatorischen Gesamtleistung sein wird (matt
oder heftig sprechen, deklamieren).
Je nach dem Verhalten der Organspannungen kann man bei
okkasioneller Verstärkung des Luftstromes zwei Typen von Vor-
gängen beobachten. In dem eben beschriebenen ersten Typus
finden wir eine bewufste Gegenleistung aller Organe. Das Artiku-
lationsprodukt wird als ein okkasionelles empfunden, es bleibt
okkasionell, individuell und erscheint qualitativ unverändert. Es
unterscheidet sich vom habituellen Sprechen nur durch den Grad
der Intensität.
Anders der zweite Typus. Hier ist keine bewufste Gegen-
leistung, die in gleicher Zielrichtung mit dem verstärkten Expirations-
strom arbeitet. Sondern gerade umgekehrt. Die Organspannungen
wirken also nicht in der Zielrichtung des Expirationsstroms; sie
beugen aus, sie streben nach Ausgleichung der Gesamtleistung, so
dafs das Übermafs auf der einen Seite durch Kraftverminderung
auf der anderen aufgehoben wird. Hier reguliert die aktive
Spannung der Kehlkopfmuskeln nicht die passive, daher wird der
akustische Eindruck nicht der einer Steigerung der Gesamtleistung
sein, sondern der einer Veränderung: Zunächst wird der Ton
sich verändern, in demselben Mafse werden aber auch alle
Artikulationsprodukte sich anders gestalten, sobald in den
betreffenden Organspannungen Änderungen der Muskelleistungen
zutage treten. Das Charakteristische an diesen Vorgängen ist, dafs
sie unbewufst eintreten; es arbeitet ihnen keinerlei bewufste Er-
haltungstendenz entgegen und sie werden deshalb um so leichter
mechanisiert. So lange sie okkasionell sind, werden sie nicht
empfunden; aus diesen unbewufsten okkasionellen Modifikationen
der Sprechweise entwickelt sich eine neue habituelle. Das Merk-
zeichen dafür, dafs sie habituell geworden ist, kann man darin
sehen, dafs dann, wie bereits erwähnt, die Organstellung vorbereitet
und — infolge unendlicher Einübung — der zu der beabsichtigten
Organstellung passende Luftstrom zugeführt wird. Diese unendliche
Einübung erstreckt sich natürlich auf eine nicht näher zu be-
zeichnende Zahl von Generationen und setzt die Überlieferung der
artikularischen Veränderungstendenz voraus. Einübung einer zunächst
okkasionellen Artikulationsweise und Aufgeben der traditionellen
bedingen sich gegenseitig, gehen also nach demselben Prinzip vor
sich. Über diese Fortpflanzung der artikularischen Veränderungs-
tendenz vgl. Herzog's Streitfragen der Romanischen Philologie
S. 56 ff., speziell S. 65 ff.
Die Wechselbewegung von traditioneller und okkasio-
neller Sprache als psychophysisches Produkt läfst sich, rein
physiologisch gesprochen, so ausdrücken: bei der traditionellen
Rede ist die Organspannung das Primäre und der Luft-
strom das Sekundäre. Das läfst sich in weiterem Sinne auch
auf die Konsonanten ausdehnen; denn jedes Mitglied einer Sprach-
gemeinschaft wird zu einem etwa von ihm beabsichtigten Verschlufs-
75
laut von vornherein in normaler Sprechweise für den Luftstrom einen
solchen Trachealdruck verwenden, dafs die Organspannung keine
von dieser normalen Sprechweise abweichende zu sein braucht.
Man bedenkt schon die Organspannung, während man den Luft-
strora reguliert. Bei der okkasionellen Rede hingegen ist, wie
eben früher besprochen, das Verhältnis umgekehrt. Der Luft-
strom ist (infolge der beeinflufsten Thoraxbewegung) das
Primäre und die Organstellungen sind das Sekundäre.
Es ist also klar, dafs jede habituelle Veränderung
der exspiratorischen Hervorhebung (des exspiratorischen
Druckes) auch eine Veränderung der Artikulation zur
Folge haben mufs, die sich zugleich in der Veränderung der
Dauer ausspricht.
Dabei können scheinbar gleichartige Vorgänge konstatiert
werden, die nicht auf die gleiche Entwicklungstendenz zurück-
zuführen sind, und dennoch wäre es voreilig, zu glauben, dafs
darum die eine oder die andere dieser Tendenzen aus dem Ent-
wicklungsschema ausgeschieden werden müsse. Wenn z. B. / >> ^
wird, so kann das auf ganz verschiedene Ursachen zurückgehen:
L Auf Erhöhung des exspiratorischen Druckes. Der
Thorax wird rascher gesenkt, dadurch der Trachealdruck erhöht
und dem so vergröfserten Luftstrom wird der Weg erweitert durch
Tieferlegung der Organstellung (vgl. S. 74).
IL Auf Verminderung des exspiratorisches Druckes
besonders am Wortende. Die Thoraxsenkung erfolgt langsamer;
zur Gleichhaltung des musikalischen Tones müfste ihr eine Er-
höhung der Organspannung entgegentreten. Unterbleibt die Stimm-
bandspannung, so wird der Ton zunächst schwächer, der Auslaut
schwachtonig, eventuell bis zur Tonlosigkeit. Alle Organe streben
der Ruhelage näher und daher sinkt die Artikulation von / > e.
in. Auf antiphrastisches Bestreben: dem physiologisch
Nächstliegenden wird entgegengearbeitet in dem Mafse, dafs nun
ein Ausschlag ins gerade Gegenteil erfolgt. In unserem Falle, beim
Wandel von i > e, in folgender Weise: bei gleicher Intensität des
Trachealdruckes kommt der geschlossene Vokal schwächer heraus
als der offene (vgl. S. 71 — 73). Wenn nun in Silben mit schwachem
Trachealdruck dennoch keine Schwächung des vokalischen Aus-
druckes erfolgen soll, wenn einer solchen mechanischen Silben-
schwächung das Prinzip der Erhaltung entgegenarbeitet, so
erfolgt Öffnung, resp. Tieferlegung der Artikulation als psychische
Gegenbestrebung gegen die physiologische Entwicklung. Es würde
genügen, die Artikulation auf gleicher Kraftstufe zu erhalten. Nun
tritt aber eine Überentäufserung ein: Man vertauscht die Artiku-
lationsstufe gegen eine solche, auf der die kräftigere Wirkung un-
mittelbar gegeben ist. In diesem Falle wirkt wieder die Veränderung
der Artikulationsstufe dem gänzlichen Verstummen entgegen und
gibt Zeugnis für ein Sprachstadium, in dem der exspiratorische
76
Druck mehr oder weniger gleichmäfsig auf den verschiedenen Silben
h'egt, jedenfalls die Hervorhebung einer einzigen auf Kosten aller
übrigen nicht in der sprachlichen Tendenz liegt.
So erklärt sich die doch eigentlich merkwürdige Tatsache,
dafs in einer Sprachgemeinschaft der Akzentvokal ebenso behandelt
wird wie der Nichtakzentvokal. Die aus ganz verschiedenen Ur-
sachen hervorgehenden Veränderungen müssen aber nicht immer
zusammen auftreten.
Auch der Wandel von ^ > »' hat, je nach der Stellung, in der
er vor sich geht, nicht ganz gleichen physiologischen Wert.
I. Die Entwicklung von ^ > / bedeutet eine Erhöhung der
Organspannungen, der eine Verminderung der Thoraxsenkung ent-
spricht, eine Leistung, die der Hervorbringung des höheren musi-
kalischen Tones parallel ist. Wenn also eine Sprache am Wortende
musikalischen Hochton hat, so erklärt es sich, dafs sie im
Auslaute ^ >• z, 0 > « wandelt. Dies ist tatsächlich im vorhistorischen
Latein der Fall.
IL Da bei gleicher Intensität e stärker herauskommt als /, so
kann umgekehrt aufgestellt werden: eine Herabminderung der
Intensität bewirkt als Gegenleistung eine stärkere Organ-
spannung. Wenn daher eine Silbe im nachlassenden exspira-
torischen Druck gesprochen wird und im steigenden musikalischen
Tone, so ergibt sich daraus die eben besprochene Kombination:
langsamere Senkung des Thorax, gröfsere Spannung der Organe,
also Höherlegung der Artikulation. Daher wird in solchen Mittel-
silben e^i, wie 0 > z/, resp. es erfolgt eine zusammengesetzte
Stellung ar, i^ (vgl. unten).
Es kann also in einer bestimmten Übergangsperiode das
Bestreben, e in i zu verändern, gleichzeitig auftreten mit dem
scheinbar entgegengesetzten i in e zu wandeln. Der erstere Vor-
gang liegt ganz in der Sphäre des musikalischen Akzentes, der
zweite in der Schnittfläche des musikalischen Akzentes und des
exspiratorischen Druckes; sobald der expiratorische Druck über den
musikalischen Akzent die Obeihand gewinnt, siegt dieser zweite
Veränderungstypus.
So sehen wir im fast vorhistorischen Latein des dritten Jahr-
hunderts im direkten Auslaut die Tieferlegung von / > <r: mare
und die Höherlegung von e >» /': agit, Veneris.
So viel vorläufig über den Einflufs der Druckveränderung.
Eine habituelle Veränderung des Tonfalles hingegen
kann nur in dem Falle eine Veränderung der Artikulation bewirken,
dafs gänzliche Stimmritzenöffnung eintritt, also Flüsterton.^ Die
Veränderung kann dann kaum anders begriffen werden als so, dafs
durch die erweiterte Glottisöffnung ein stärkerer Luftstrom entweicht,
* Vgl. Paul Passy, Etüde sur les Changements Phonetiques S. 116, wo
die Rolle des Flüstertons beim Eintreten des Ablautes besprochen wird, und
Brugmann, Kurze vergl. Gram. S. 138 ff.
77
der auf die Artikulationsspannung wirkt. Dabei ist vorausgesetzt,
dafs den im Flüsterton artikulierten Wortteil ein mehr oder minder
starker exspiratorischer Druck trifft. Fällt das Sinken des Tons bis
zum Flüstern mit dem Nachlassen des exspiratorischen Druckes zu-
sammen (nicht hervorgehobener, vernachlässigter Wort- oder Satz-
teil), so ist der Eifekt ein völliges Verhauchen der Artikulation,
besonders gegen Ende der sprachlichen Aufserung, wo sie sich bei
trochäischem Rhythmus stets verlangsamt und abschwächt, wie alle
Phonautogramme nachweisen.
In diesem Falle bewirkt aber nicht der Tonfall die Artikulations-
Veränderung, sondern doch wieder der Exspirationsstrom.
Wenn eine Sprache von der Hervorhebung durch den
Tonfall zu der Hervorhebung durch exspiratorischen
Druck übergeht, so müssen notwendigerweise Verände-
rungen der Artikulation daraus erfolgen.
Es soll nun versucht werden, mit Hilfe dieser psychologischen
und physiologischen Voraussetzungen die Verkettung der Roma-
nismen im Lateinischen darzustellen.
Zunächst ein Wort zur Feststellung der Aufgabe.
V. Was ist Vulgärlatein? Wann beginnt das Romanische?
Das sind zwei alte Fragen.
I. Aus welchem Latein entwickelt sich das Romanische?
Das Verhältnis zwischen Klassisch-Latein und Vulgär-Latein
hat Schuchardt im Vokalismus I unübertrefflich geschildert, den
Einflufs der einzelnen Volksschichten, das retardierende Moment
der Schriftsprache, die vielerlei Redeweisen im Munde des Einzelnen,
die Unmöglichkeit, das klassische Latein als Sondersprache dem
Vulgärlateinischen gegenüberzustellen, die fortwährenden Wechsel-
wirkungen des einen auf das andere. Daran anknüpfend haben
Sie in der Einführung i die ganze Gegenüberstellung von Klassisch-
Latein und Vulgär-Latein verworfen und nur von Latein gesprochen
und auch in der Abhandlung „Die romanischen Sprachen" 2 sind
die beiden Ausdrücke mit grofser Zurückhaltung gebraucht, offen-
bar nur mit Rücksicht auf ihre Verwendung in weiteren Kreisen.
Ich habe keine Ursache dem „vagen und willkürlichen" Ausdruck
„klassisches Latein" das Wort zu reden; es verdiente, dafs man es
endlich fallen liefse. Aber das Wort ,Vulgärlatein' müfste nicht
dasselbe Schicksal haben. Wie in jeder Sprache steht auch im
Lateinischen der Schriftsprache aller Perioden die gesprochene
Sprache i. aller Perioden und 2. aller Volksschichten
gegenüber: das Vulgärlatein. Diese weitere Bedeutung mufs man
dem Worte allerdings zugestehen. Es ist die gesprochene
1 5. 83, 84, zweite Auflage, S. 97.
2 Kultur der Gegenwart I, IX: Die romanischen Sprachen und Literaturen,
Berlin 1909, S. 454.
Sprache im Gegensatz zur geschriebenen, in tausend Fällen die-
selbe, in tausend von ihr abweichend, ihre ewige Quelle und ihre
Mündung, dasselbe und doch grundverschieden. Dieser Gegensatz
(und diese Übereinstimmung), das ist in letzter Linie nichts anderes
als der Gegensatz zwischen traditioneller und individueller Rede und
da er so ziemlich gleichaltrig ist mit der Sprache überhaupt, reicht
auch das Vulgärlatein in die älteste Periode des Lateinischen. Der
Ausdruck , Vulgärlatein' ist also hauptsächlich dann irreführend,
wenn er temporär beschränkt wird auf die Umgangssprache der
Kaiserzeit, wodurch das Vulgärlatein gewissermafsen als Nachfolger
des , klassischen' erscheint.
Das Vulgärlatein, als gesprochene Sprache im Gegensatz zur
Schriftsprache, wird nur dann weit genug gefafst, wenn man es als
die Sprache aller Volksschichten ansieht, nicht nur der mittleren,
niederen und niedersten, sondern auch der gebildetsten und höchsten.
In dieser Richtung, glaube ich, wäre auch der Begriff „volkstümlich"
einigermafsen richtig zu stellen. Wer möchte denn behaupten, dafs
nur der Pöbel das ,Volk' ausmacht? Und doch scheint dies an-
zunehmen, wer elegante, feine, auf gewählter Überlieferung be-
ruhende Ausdrücke „unvolkstümlich" nennt, nur deshalb, weil sie
von Fischern, Dienstboten, kleinen Beamten nicht verstanden werden,
während man doch alle Handwerker-, alle Argot- und Jargonaus-
drücke durchaus als ,volkstümlich* bezeichnet, obgleich sie einem
grofsen Teil der Sprachgemeinschaft vollkommen unverständlich sind.
Ich meine damit nicht nur, dafs z. B. der vornehme Stadtrömer
keine klare Vorstellung von Ackergeräten hatte und vermutlich nie
in die Lage kam, ihre Bezeichnungen zu gebrauchen, — auf dieser
Unvertrautheit mit dem Landleben beruht ja die Wirkung der
Georgica und der Idyllen — aber auch der in der Stadt auf-
gezogene Sklave kannte sie nicht; der Fischer versteht die Sonder-
ausdrücke der Weinbauern, der Schuster und Schneider nicht, und
umgekehrt. Jeder Stand hat seine Spezialsprache, die durchaus nicht
vom Volke im allgemeinen verstanden wird. Dennoch gilt sie als
volkstümlich. Und nur die Sprache der Gebildeten, der geistig
Kultivierten und Hochstehenden, die nicht selten dem ganzen
Volkstum sein Gepräge geben, sollte im allgemeinen Sprachschatze
nicht inbegriffen sein? Womit erklärt sich die Sonderstellung, die
man der Sprache der oberen Volksschichten anweist, wobei man
sie aus dem allgemeinen Sprachschatze höflich hinauskomplimentiert?
Die Ursache ist nicht allzuschwer auffindbar. Unsere Auf-
fassung von .Volkstümlichkeit' und die damit verbundene engere
Auffassung von ,Vulgärlatein' ist wohl darauf zurückzuführen, dafs
vielfach Sprachgeschichte = Lautgeschichte gesetzt wurde und
diese letztere das blinde Wirken der Lautgesetze illustrieren sollte.
Da nun die auf festere Tradition gegründete Sprache der Ge-
bildeten vielfach konservativer ist als die Sprache der Ungebildeten
(speziell der Analphabeten), da sie sich anders entwickelt als
diese, hat man sie aus dem Erbwortschatz ausgeschaltet. Gerade die
79
Familien- und Schultradition vererbt einen alten Wortschatz in
möglichst treuer Überlieferung und daher kann die Sprache der
Gebildeten uns viel besser Aufschlufs geben, wie lange ein Wort sich
überhaupt unverändert erhalten, wie lange es einer oberen Volksschicht
allein angehören kann. Wer nun einwendet: diese Schultradition ist
eben etwas Künstliches, und die , gelehrten' Ausdrücke selbst sind
nichts natürlich Gewachsenes, sondern künstlich, dem könnte ent-
gegnet werden, dafs zunächst jeder Ausdruck eine „künstliche"
Individualschöpfung darstellt, die dann bei denen Beifall fand, die,
über das Gleiche nachdenkend, noch keinen so passenden Ausdruck
gefunden hatten; auf diese Weise wird eine Individualschöpfung, ein
übertragener Gebrauch , Gemeingut, i Der Gelehrte kann aus den
allgemein-menschlichen sprachlichen Voraussetzungen so wenig heraus,
als der Bauer. Der Ausdruck, den er seinem Gedanken erringt, ist
zunächst Augenblicksschöpfung der Individualsprache; wenn sie in
den allgemeinen Sprachschatz der Gleichgesinnten übergeht, so be-
weist das, dafs sie dem Bedürfnis der andern entsprochen hat.
Prinzipiell ist es der gleiche Vorgang, ob das Wort pensare „ab-
wägen, erwägen" zum ersten Male auf das schwer zu erringende
Gleichgewicht der Gedanken bezogen wurde — und das war gewifs
ein feiner, tief in sich schauender Kopf, der seine psychischen Er-
lebnisse so darzustellen verstand! — oder ob testa seinen im
höchsten Grade „volkstümlichen" Bedeutungswandel durchmacht.
Zudem ist ja oft das , gelehrte' Wort von heute in lOO Jahren schon
im Munde der breiten Schichten, und nach 300 Jahren ist die
spätere Aufnahme in den Durchschnittswortschatz auch durch seine
äufsere Anpassung an die Artikulationsweise der Masse ganz ver-
wischt. Schon deshalb wird die pragmatische Geschichte hierin
einen ganz anderen Gesichtspunkt haben als die historische Gram-
matik, die sich die Erforschung einer bestimmten Gruppe von Er-
scheinungen zum Ziele setzt. Ja sogar die Bildungen der geschäfts-
mässigen Besserwisser und Sprachverbesserer können prinzipiell
nicht ausgeschieden werden; sie sind im völligen Bewufstsein der
Sprache geschaffen und daher lehrreich, wenn auch ein eigentüm-
liches Geschick gewollt hat, dafs gerade sie nur in den seltensten
Fällen mehr als Augenblicksgebilde gewesen und in den allgemeinen
Sprachschatz übergegangen sind. Aber so gut wie das ,Volk' alle
seine Vertreter umfafst, die Genies, die Perversen, die Verrückten,
die Durchschnittsmasse und die Zurückgebliebenen, so ist es auch
in der Sprache: wer vom deutschen Volke spricht, wird nicht
gerade seine typischen und gröfsten Vertreter, Bismarck, Goethe,
Kant usw. ausnehmen; folglich darf er ihre Spezial spräche nicht
ausnehmen, wenn er von der Sprache des deutschen Volkes spricht.
^ Vgl. z. B. die Bedeutungsenlwicklung von frz. apache. Bei Sachs-
Villate 1901 nur in der Bedeutung „nordamerikanischer Indianerstamm" ver-
zeichnet, wird es von einem Berichterstatter des Matin 1901, zunächst ver-
gleichsweise, auf die Plattenbrüder angewendet, die die Bezeichnung aulgreifen,
und nun ist sie ganz eingebürgert.
8o
Er darf es schon deshalb nicht, weil diese Spezialsprache nicht
nur aus der allgemeinen Sprache herausgewachsen ist, sondern un-
verlöschbar auf sie zurückwirkt.
Zugestanden, dafs das Wort »Vulgärlatein' als Gegensatz zum
schriftsprachlichen Ausdruck die gesprochene Sprache aller
Volksschichten zu allen Zeiten der Latinität bedeutet, so
reicht es selbstverständlich temporär viel weiter, als Schuchardt
aufstellt. Das so definierte Vulgärlatein verliert sich natürlich in
die italische Urzeit und ist jedenfalls der lateinischen Schriftsprache
um eine nicht bestimmbare Zeitspanne vorausgegangen. Aber
auch nach oben ist die Grenze nicht absteckbar. Wäre sie es, so
hätten wir ja die Antwort auf die Frage:
II. Wann beginnt das Romanische?
In der Einführung i und in der Kultur der Gegenwart 2
ist das erste nachchristliche Jahrhundert als der Zeitpunkt an-
gegeben, von dem an die Entwicklung ins Romanische zu be-
obachten ist; malsgebend für die Bestimmung des Zeitpunktes ist
der lateinische Lautstand gewesen. Nun ist es ja einleuchtend,
dafs die Diiferenzen des Lautstandes in gewisser Hmsicht die mafs-
gebenden, die grundlegenden Differenzen zwischen verschiedenen
Sprachen bilden, während semantische oder syntaktische Unterschiede
(beziehungsvveise Ähnlichkeiten), viel weniger ins Gewicht fallen,
wenn Sprachen von einander geschieden werden sollen. Die Voran-
stellung der Lautlehre ist in diesen Fällen innerlich höchst gerecht-
fertigt. Wenn es sich aber nicht um die Festlegung von Grenzen
handelt, sondern um den Entwicklungsgang aus einer Sprache in
die andere, werden wir natürlich dem Lautstand der Sprachen
nicht diese mafsgebende Stellung einräumen. In der Geschichte
der Sprache ist die Geschichte der artikulatorischen Veränderungen
nur ein Kapitel unter vielen. Es scheint mir daher gerechtfertigt,
die Chronologie der Romanismen nicht von vornherein mit den
lautlichen Veränderungen zu beginnen. Ich verstehe nämlich unter
„Romanisch" (resp. unter Romanismus) jede sprachliche Eigentümlich-
keit, die sich im Gegensatz zu „Lateinisch" (resp. zur lateinischen
konservativen Schriftsprache) entwickelt und in nachweisbarer Kon-
tinuität die lateinische Schriftblüte überdauert, also mindestens bis ins
frühe Mittelalter erhalten bleibt. Romanisch verhält sich in vieler Hin-
sicht zu Lateinisch wie modern zu archaisch. Das Romanische,
das sind die jeweiligen Neuschöpfungen des Lateinischen.
, Lateinisch' und .Romanisch' ist der Ausdruck für den in die Er-
scheinung tretenden typischen Gegensatz von Tradition und Neu-
schöpfung. Die einzelnen sprachlichen Erscheinungen werden also
im folgenden nur insofern angeführt, als sie sich bewufst oder
unbewufst von dem zur Zeit traditionellen Sprachgebrauch unter-
scheiden.
' S. 91 resp. S. 106.
» S. 450.
8i
Das Romanische geht eo ipso aus dem Vulgärlatein hervor,
aber nicht erst aus dem Vulgärlatein des i — 2. nachchristlichen
Jahrhunderts. Wenn wir vorurteilslos die Romanismen im Lateinischen
zurückverfolgen, so kommen wir tief in die vorchristliche Zeit bis
an die Grenze der lateinischen Überlieferung, oder vielmehr hinter
sie zurück, denn der älteste uns überlieferte lateinische Beleg ent-
hält einen Romanismus. Bedenkt man nun, wie zäh sich die
Schrift, und besonders damals, gegen das neu Eindringende wehrte,
so müssen wir die Wurzeln des Romanischen Jahrhunderte weit
hinter unsere lateinische Überlieferung zurückverlegen.
Dieser älteste Romanismus liegt auf dem Gebiete der Wort-
stellung und findet sich in der Inschrift auf der pränestinischen
Fibel (5. — 6. Jh. v. Chr.): Diienos med fefaked Numasioi. Vgl. auch
aus einer der nächstältesten Inschriften: Duenos med feced en manom.
Man mag die Inschrift deuten wie man will, sicher ist en manoin
eine nähere Bestimmung des Verbs.
Dem traditionellen allgemeinen Gebrauche entgegen steht das
Verb nicht am Satzende, sondern das Determinierende folgt dem
Verb. Die nähere Bestimmung des Verbalbegriffs steht nach diesem
Begriffe, während in der lateinischen Wortstellung das Determinierende
dem Determinierten vorausgeht.
VI. Der lateinische Satzrhythmus. Verhältnis von Wort-
stellung und Satzrhythmus.
Nach dem oben Gesagten (S. 69 ff.) ist es nun klar, dafs die
Veränderung der Wortstellung sich nicht nur in einer Veränderung
der syntaktischen Gefüge äufsern wird, sondern auch den rein
physiologischen Bau der Sprache beinflussen mufs. Denn sie
modifiziert den Satzrhythmus und dieser die Artikulation.
Ich ergreife gern die Gelegenheit, das in meiner Dissertation i
Versäumte hier nachzuholen. Röttgers^ hat mit Recht getadelt, dals
ich darin das Verhältnis von Wortstellung und Rhythmus nicht
genügend berücksichtigt, resp. die Begriffe Rhythmus und Satz nicht
festgestellt habe.
Unter Satz verstehe ich eine sprachliche Mitteilung, die
zwischen zwei gröfseren Atempausen liegt. Wo die Mitteilung zu
Ende ist, also eine Atempause eintritt, ist es auch der Satz, wobei
es nicht weiter in Betracht kommt, ob diese Mitteilung nach den
Regeln der Logik sprachlich voll ausgedrückt ist oder ob infolge
der seelischen Verfassung oder der tatsächlichen Lage die Gesamt-
vorstellung nur zum Teil entwickelt wird. Der Teilsatz, der
zwischen zwei kleinen Atempausen liegt, gilt hier wie ein Vollsatz.
* Über die Entwicklung der romanischen Wortstellung aus der Lateinischen,
Halle, 1903.
' Neuphilologische Rundschau 1904, S. 399 ff.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift.) 6
82
Der Nebensatz ist ja ursprünglich ein Vollsatz, der erst sekundär
in Abhängigkeit gerät. Im Nebensatz sind die Stellungen meist
konservativer als im Hauptsatz, bewahren daher länger ihren älteren
Typus. Endlich sind häufig gröfsere Satzteile durch Atempausen
geschieden; innerhalb dieser sehen wir immer wieder den gleichen
Satzrhythmus.
Unter Rhythmus fasse ich hier in einen Ausdruck den
Wechsel von hervorgehobenen und nicht hervorgehobenen
Redeteilen zusammen, sei es, dafs die Hervorhebung durch den
musikalischen Akzent, durch expiratorischen Druck oder durch
Dehnung (Quantität) bewirkt wird.
Wie verhaken sich nun Wortstellung und Satzrhythmus zu-
einander? Bis zu einem gewissen Grade werden sie immer Hand
in Hand gehen, weil naturgemäfs das iru Satz Wichtige doch auf
einen „guten Taktteil" fallen mufs. Dabei sind zwei Möglichkeiten
gegeben:
Entweder der Satzrhythmus ist biegsam und der Hauptton
des Satzes kann das Wichtige in jeder Stellung treffen (wie
im Deutschen), dann richtet sich der Ton nach der Stellung. Man
kann also im deutschen Satze jedem Worte den Hauptton geben,
ohne es von seinem Platze zu rücken. Z. B.: „Ich habe ihn nicht
gesehen". Bei gleicher Stellung können fünf verschiedene Satztöne
zur Anwendung kommen und dadurch fünf verschiedene Bedeutungen
hervorgebracht werden. Oder, der Hauptton kann das Wichtige
nicht in jeder Stellung treffen (wie im Französischen), dann richtet
sich die Stellung nach dem Tone. Derselbe Satz: Je ne Pai pas vu
müfste für einige Bedeutungen folgende Veränderungen erleiden:
I. Ce nest pas moi qiii Vai vu, resp. tnot, je ne Vai pas vu, 2. ce ri'est
pas lui que fai vu, resp. je ne Vai pas vu, lui, 3. Die Heraushebung
des ai wäre stets unfranzösisch, die Betonung von pas und vu
hingegen ergibt sich aus dem normalen Tonfall und ihre Hervor-
hebung durch Verstärkung resp. Erhöhung des Tones ist an dieser
Satzstelle sprachgemäfs.i
Ausgehend von derartigen Beobachtungen und von dem doch
kaum anfechtbaren Satze, dafs man niemals das Unwichtige in rhyth-
mischer Hervorhebung sagen wird, das Wichtige aber im schlechten
Taktteil des Satzrhythmus, 2 habe ich die lateinische Wortstellung
beobachtet. Ich versuchte aus der Stellung des Wichtigen im
lateinischen Satze die Stelle des lateinischen Satzhauptakzentes nach-
^ Vgl. bei L. Roudet, La d^saccentuation dans le franfais moderne, Rev. de
Phil. Fr. et de Lit. 1907, S. 302 ff. die Einteilung der stets akzentuierten
und der stets nicht akzentuierten Wörter.
2 Diese eigentlich selbstverständliche Wahrheit hat Bourdon, L'expression
des dmotions et des tendances dans le langage S. 138 zu der „praktischen
Stilregel" verwertet: Dans la formation d'une unit6 verbale, un bon ecrivaiu
devra, si la grammaire le permet, se pr6occuper de donner au mot qui exprimera
la partie la plus impoitante de l'idee la place qui est ordinairement, dans la
langue employee, celle du plus fort acccnt.
Ö3
zuweisen 1 und da stellte sich heraus, dafs in den Sätzen mit
archaischer Wortfolge der Hochton in der Mitte des Satzes gelegen
haben mufs,2 denn da liegt das Wichtige der Mitteilung. Mit
dieser Feststellung ist nun aber nicht viel erreicht, wenn wir nicht
wissen, welcher Art dieser Hochton des Lateinischen war: musi-
kalischer, exspiratorischer oder quantitativer Natur? Denn nur, wenn
wir das wissen, haben wir die Grundlage für die weitere Frage,
was für rhythmische Umwälzungen das Eindringen der romanischen
Wortstellung hervorgerufen haben mufs.
Natur des lateinischen Satzrhythmus.
Wenn als ältester Typus der Wortstellung der subjektive
gelten kann, so mufs folgerichtig als ältester Satzrhythmus der
fallende angenommen werden. Denn wenn immer das Wichtige
vor dem minder Wichtigen, das Neue vor dem Bekannten kommt,
so wird die Hervorhebung von Glied zu Glied abnehmen. Der
älteste Rythmus ist also a b c; das ist auch naturgemäfs, dafs die
Stimme zum Ende zu sinkt, resp. der exspiratorische Druck nach-
läfst. Was nun die Natur dieses ältesten Rhythmus anbelangt,
so wird man wohl dabei bleiben dürfen, dafs der ,Urakzent' der
musikalische ist. Denn er liegt ja vor aller Artikulation, wie er
im Notfall zu elementarer Mitteilung genügt. Der musikalische
Akzent kann nie aus der Sprache ganz hinweggedacht, aber
offenbar auf ein JNlinimum reduziert werden. Eintöniges Reden ist
doch eben Reden auf einem Ton, wenn auch nur auf einem; und
irgend ein Steigen oder Sinken werden die Apparate immer ver-
zeichnen. Vgl. die starken Kurven, die E. W. Scripture in Studies
of IMelody in English Speech, Phil. Studien XIX, 599 ff., und Phon.
Studien X verzeichnet. Nun kann man natürlich nicht den Satz
aufstellen, dafs die Verminderung oder Abschwächung des musi-
kalischen Akzentes etwa in geradem Verhältnisse zum Kulturfort-
schritte stehe: denn das Griechische hatte noch einen vorwiegend
musikalischen Akzent. Die Erhaltung resp. Verminderung des musi-
kalischen Akzentes steht auch in keiner Beziehung zum inneren
Wachstum der Sprache, wie man nach dem Chinesischen geneigt
wäre zu glauben; wiederum wegen des Griechischen, das mit
seinem Flexionenreichtum darin auf derselben Stufe stand wie das
über die Flexion hinausgediehene Chinesische.
Ganz ohne exspiratorischen Druck ist keine Sprache denk-
bar, so wenig wie ohne allen musikalischen Akzent. Zwar hat
neuerlich Roudet^ gegen Brücke ■* nachgewiesen, dafs die Steigerung
» Wortstellung S. 46 ff.
' Worin mir van Ginnecken, Principes de psycliologie linguistique S. 526
Recht gibt, während er verdienterweise die Versäumnis tadelt, nicht auf Henri
Weil zurückgegangen zu sein, dessen Buch mir entgangen war.
' L. Roudet, De la depense d'air dans la parole, La Parole 1900,
S. 201 ff.
* Physiologische Grundlagen der hochdeutschen Verskunst S. 3.
6*
84
der Tonhöhe an sich nicht notwendigerweise eine Drucksteigerung
bedingt; die Steigerung der Tonhöhe kann durch andere physio-
logische Vorgänge erreicht werden. Aber die psychische Anteil-
nahme an dem Inhalt des Gesagten bewirkt notwendigerweise auch
Schwankungen der Atmung und dadurch Vergröfserung resp. Ver-
ringerung des exspiratorischen Druckes.
Die Quantität ist in letzter Linie nichts anderes als die
Zeitmessung des Luftstromes, der durch die jeweilige Organstellung
streicht. Sie hängt also von der Beschaft'enheit des Luftstromes ab.
Ob die eine oder die andere Art des Satzrhythmus im Vorder-
grunde steht, das gehört zu den eigentümlichen Merkmalen der
sprachlichen Disposition, für die wir nicht ohne weiteres einen Er-
klärungsgrund anführen können. Wohl aber beobachten wir, wie
in andern Fällen, so auch hier, den Wechsel in der Auswahl
sprachlicher Mittel. Jeder derartige Wechsel mufs notwendiger-
weise auf die Gesamtsprache wirken.
Im Griechischen ist der exspiratorische Druck äufserst langsam
ein dem musikalischen Akzent gleichwertiges Ausdrucksmittel ge-
worden; die ersten Spuren gehen nach Kretschmer (Kuhn's Zeitschr.
XXX, 5g I ff.) ins 5. bis 4. Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung zurück,
die ersten Wirkungen (Verwischung der Quantität) ins 3. bis 2. Jahr-
hundert, und in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten kann
von exspiratorischem Drucke die Rede sein.
Der grofse Unterschied der Struktur des Griechischen und des
Lateinischen geht in erster Linie darauf zurück, dafs im Latei-
nischen der exspiratorische Druck viel früher dem musikahschen
Akzent den Rang abläuft und daher viel früher auf die Artikulation
wirkt.
Nicht nur das vorhistorische, sondern auch noch das
historische Latein mufs lange Zeit hindurch alle drei Mittel
der Hervorhebung besessen haben: ausgeprägten exspirato-
rischen Druck zur Hervorhebung der ersten Silbe (Initial-
druck), der in der letzten Zeit nur noch von Holger Pedersen
(Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung XXXVIII, S. 338 ff.) an-
gezweifelt wurde, unbestreitbaren musikalischen Akzent, der
noch in der Kaiserzeit nicht erloschen war^ und diese beiden sind
ebenso unleugbar als die Hervorhebung durch Quantität, die bis
ins zweite nachchristliche Jahrhundert eine bedeutende Rolle spielt
und zwar in abnehmender Kraft. In ihr haben wir also einen
Faktor, der um so mafsgebender ist, je tiefer wir in die lateinische
Vergangenheit zurückgehen.
Da das Vorhandensein der Quantität nicht weiter bewiesen
und besprochen zu werden braucht, handelt es sich nur darum,
das viel umstrittene Verhältnis der beiden anderen Hervorhebungs-
mittel zu untersuchen.
^ Vgl. dazu Brugmann, K. Vgl. Gramm. S. 62 ff.
85
Ich glaube dabei von einer nochmaligen Darstellung und Be-
urteilung aller früheren Meinungen absehen zu dürfen.
Es sei besonders darauf hingewiesen, dafs im Folgenden — wie
auch schon in der oben durchgeführten Skizze phonetischer Vor-
gänge — streng zwischen „Ton" und „Druck" geschieden wird.
Es kommt ja eben darauf an, ihren Wechselwirkungen nachzugehen.
Das Wort 'Betonung' hat hier also ausschliefslich musika-
lischen Wert und wird niemals im Sinne von exspiratorischer Hervor-
hebung gebraucht. Für diesen letzteren Begriff verwende ich das
Wort „Druck" (exspiratorischer Druck); freilich stellt das Deutsche
uns hier die Schwierigkeit entgegen, dafs wir neben .betont und
unbetont' keine parallelen Adjektiva vom Stamme 'Druck' setzen
können. Die sprachliche Ungeschicklichkeit scheint mir aber ein
geringerer Übelstand als die fortwährende Ungenauigkeit, die sich
für die Darstellung ergibt, wenn 'Ton' zugleich für Ton und ex-
spiratorischen Druck verwendet wird. Das Wort 'Akzent' nehme ich
zum Ausdrucke für „Hervorhebung überhaupt", es sei durch
welches Mittel immer.
Das Vorhandensein beider Akzente bezeugen die lateinischen
Grammatiker und wir haben keine Ursache, ihren Aussagen von
vornherein den Glauben zu versagen. Vollkommen deutlich spricht
über den musikalischen Akzent vor allem Varro apud Sergium,
524, 24 K. (Schoein Il^ff.) „Scire autem oportet vocem . . . tres
habere distantias: longUudinem altitudinem crassUudinem . . . Ab
altitiidine discernit accentus cum pars verbi aut in grave deprimitur
aut sublimatur in acutum" und so seine Nachfolger. Ferner sagt
Varro 525, 18 K. (Schoell III): „in vocis altitudine omnino spectatur
adeo ut, si omnes syllabae pari fastigio vocis enuntientur, prosodm
Sit nulla". Martianus Capeila III, 65, 19 Eyss. (Schoell XII) „Et
est accentus . . . seminarium musices, quod omnis modulatio ex
fastigiis vociim gravitateque coraponitur ideoque accentus quasi aJ-
cantus dictus est". Am mafsgebendsten vielleicht ist Cicero's Be-
merkung (Orator. 18, 57): „mira est enim quaedam natura vocis,
cuius quidem e tribus omnino sonis, inflexo acuto gravi, tanta sit
et tarn suavis varietas perfecta in cantibus. Est autem etiam in
dicendo quidam cantus obscurior, non hie e Phrygia et Caria rhetorum
epilogus paene canticum, sed ille, quem signiticat Demosthenes et
Aeschines, cum alter alteri obicit vocis flexiones".
Hiervon ist die Intensität = crassitudo deutlich zu scheiden.
Es ist die Empfindung des breiten oder dünnen Exspirationstromes:
Varro (Seh. II ^): ^^crassitudo autem in spiritu est, unde etiam Graeci
adspirationem appellant öaohiav et tpiXrjv; nam omnes voces aut
aspirando facimuspinguicres aut sine aspiratu pronuntiando tenuiores."
Dies scheint sich zwar in erster Linie auf den Vokaleinsatz zu
beziehen, aber die Dreiteilung in altitudo crassitudo longiiudo
1 De accenlu linguae latirae, Acta Soc. Phil. Lips. 1876, Bd. VI.
86
(= Quantität) läfst für die Bezeichnung ^^crassihido'^ ^ kaum eine
andere Deutung zu als „Intensität". Vgl. noch Donat (Cod. Bern.)
Seh. 11^: crassitudine vel latitudine.
Unter ,spiritus' ist nicht nur „Stimmeinsatz" (das ist eben
adspiratio), sondern überhaupt Atem zu verstehen. Vgl. Quintilian
Inst. Or. XI, 53: „Spiritus nee crebro receptus concidat sentenüam,
nee eo usque trahatur, donec deficiat". Dafs die Intensität als etwas
vom Tone Verschiedenes erkannt wurde, sehen wir weiter aus
Quintilian ebd. 55: „Est interim et longus et plenus et elarus satis
Spiritus, non tarnen firmae intentionis ideoque tremulus etc. 42:
Mediis ergo utendum sonis,' hique cum augenda intentione
excitandi, cum summittenda sunt temperandi". Noch deutlicher ist
die Scheidung von Druck und Ton bei Diomedes 430, 2g K.
(Seh. X): „Accentus est acutus vel gravis vel inflexa elatio orationis
vocisve intentio vel inclinatio aeuto aut inflexo sono regens verba."
Der Akzent ist 'spitz' oder 'fallend' oder eine gewundene Erhebung
der Rede, sowie eine Anspannung der Stimme oder Hinneigung, die
mit spitzem oder gewundenem Tone die Wörter regiert. Darin
spricht sich doch deutlich das klare Gefühl aus, dafs man in
spitzem oder gewundenem Tone mit der angespannten Stimme
eine Silbe hervorhebt, dafs die Intensitätshervorhebung auf die eine
oder die andere Weise (acuta oder inflexa) geschieht, und dafs von
diesen beiden Arten des Akzentes das Moment der intejitio vel
inclinatio damals deutlich geschieden war. Inclinatio ist also hier
als Silbendruck anzusehen, das Hinneigen auf einen bestimmten
Teil des Wortes, wodurch dieser der herrschende wird. Es ist er-
sichtlich und auch begreiflich, dafs die Erklärung des exspiratorischen
Druckes bei Quintilian und Diomedes von der bei Varro erheblich
abweicht. Es liegt ein Stück Sprachgeschichte darin; die Sprech-
weise hatte sich in der Zwischenzeit von je ca. 150 Jahreri so weit
geändert, dafs nun leicht erfafslich war, was man zur Zeit Varro's
noch nicht so scharf kennzeichnen konnte. Es ist auch sehr
charakteristisch, dafs erst Donat- Diomedes -Pompeius die Beob-
achtung machen, eine Wortgruppe wie male saniis habe einen minder
einheitlichen Akzent als das eine Wort malesanus.
LindsayS hat die Annahme einer in den Grammatikerzeugnissen
sich spiegelnden Weiterentwicklung glatt abgewiesen, obzwar er
natürlich dem Gedanken an eine Veränderung des Akzentes im
Laufe der Jahrhunderte nicht fern steht und ihn fürs Griechische
zugibt. Die lateinischen Grammatiker sollen nur die griechischen
nachgeäfft, nichts selbst beobachtet haben. Warum?
In der Streitfrage, ob das Lateinische musikalischen oder ex-
1 So fafst es auch Storm auf, Phonet. Studien II, S. 169.
* Vgl. zu den mediis sonis A. Ahlberg, Studia de Accentu latino,
Lund 1905.
8 Die lateinische Sprache, S. 178. Vgl. auch noch Niedermann (Historische
Lautlehre des Lateinischen, S. 13), der bis zum IV. Jahrh. musikalische und
von da ab exspiratorische Hervorhebung annimmt, ohne den Wandel irgend
zu erklären.
87
spiratorischen Akzent gehabt habe, entscheidet sich Lindsay (a. a. O.
171 ff.) mit Seehnanni für den exspiratorischen. Ihm hat Vendryes^
widersprochen mit der befremdüchen Behauptung, das Latein der
„klassischen" Zeit sei rein quantitierend gewesen, nur vorhistorisch
und spätlateinisch lasse sich exspiratorischer Druck annehmen.
Mir scheint die Sache anders zu liegen. Die Frage ob das
Lateinische musikalischen oder exspiratorischen Akzent hatte, ist
von vornherein nicht richtig gestellt. Es hatte eben beide, und es
ist gar nicht anders möglich, als dafs es beide Akzente hatte, schon
deshalb, weil die Evolution vom Aufkommen der exspiratorischen
Hervorhebung bis zur Verdrängung des musikalischen Akzentes
mindestens mehrere hundert Jahre in Anspruch nehmen mufste.
Schon aus diesem einen Gesichtspunkt ist Vendryes' Ansicht nicht
hahbar. Das Lateinische der klassischen Zeit zeigt uns das Über-
gangsstadium zwischen musikalischem und exspira-
torischem Akzent. Sie waren annähernd gleichwertig, mit Rück-
schrittstendenz des ersteren und Fortschrittstendenz des zweiten.
Bedenkt man nun, dafs auch die Quantität eine bedeutende Rolle
hat, so ergibt sich eine schwebende Aussprache, in der die
exspiratorische Hervorhebung der einen Silbe der quantitativen
Hervorhebung der anderen, der musikalischen der dritten annähernd
das Gleichgewicht hielt. Ein Reichtum an Ausdnicksmitteln, den
wir uns am besten am modernen Französischen vergegenwärtigen
können, wenn es in pausa zur Erzielung breiterer Wirkung die
sonst nicht hervorgehobene vorletzte Silbe durch den höchsten
Ton auszeichnet, während der exspiratorische Druck gewohnheits-
mäfsig auf der letzten bleibt: fidtion; na- hat den höchsten Satzton
-tio7i den stärksten Druck. Roudet^ hat einige Sätze gemessen,
wie: Veiit, que fais-tu'^ und in diesem Falle fais als höchsten Ton,
tu als gröfste Intensität objektiv festgestellt. In solchen Fällen
bildet die Sprache gewissermafsen Spondeen aus psychisch
gleichen Heraushebungswerten, deren jeder physiologisch auf
andere Weise hervorgebracht ist.
Wie kam das Lateinische in diesen Zustand und wieso ent-
wickelt sich der einheidiche Silbendruck nach dem „Dreisilbengesetz",
wodurch die Silben im Verlaufe der Jahrhunderte sehr ungleich
werden?
So lange man das Verhältnis von Initialakzent, musikalischem
Akzent und Paenultimabetonung allein aus rhythmischen Gesichts-
punkten zu verstehen versucht, wird eine befriedigende Lösung wohl
immer ausbleiben. Die Sprache ist mehr als nur ein rhythmisches
Gebilde und ihre Entwicklung wird erst dann verständlich, wenn
man alle Faktoren des Sprachlebens in Betracht zieht.
1 Die Aussprache des Latein, 1885, wo S. 25 alle früheren Ansichten
aufgeführt werden.
* Recherches sur l'histoire et les effets de l'intensit^ initiale en latin,
1901, S 63, 64 und vor allem S. lOO.
3 Parole 1899, S, 321 ff.
88
Vor allem ist der Gedanke an fremden Einflufs abzuweisen.
Das Lateinische hat den Initialakzent weder von fremden Völkern
übernommen, wie Vendryes aufstellt, i noch ihn durch Einflufs des
Griechischen verloren, wie vielfach behauptet wurde. Dagegen ist
schon von Weil-Benloew^ ausgesprochen worden, dafs die Ver-
änderung des Akzentes als ein organischer Prozefs aufzufassen ist.
Jedoch ist weder Ursache und Anstofs der Entwicklung noch das
Ineinandergreifen des Räderwerkes bisher dargelegt worden.
VII. Die Veränderung des lateinischen Satz- und Wort-
rhythmus vom fallenden bis zum steigend -fallen den und
die daraus sich ergebenden Veränderungen der Artikulation.
Das älteste Latein tritt uns unter Sprachformen entgegen, die
beweisen, dafs es einen exspiratorischen Initialdruck, der aus dem
Indogermanischen nicht ererbt war, angenommen und bereits
wieder aufgegeben hatte vor Beginn der historischen Über-
lieferung.
Die Ursache, warum das Lateinische den Initialakzent verlor,
scheint mit der psychischen Disposition zusammenzuhängen, durch
die es ihn einst erworben haben mufs: mit dem Bedürfnis, der
habituellen Heraushebung eine andere (okkasionelle) entgegen-
zusetzen.
Es ist für jede Sprache ziemlich klar, dafs sie aus einem
Stadium, in dem die Phoneme einzeln, also unmoduliert, hervor-
gebracht wurden, fortschreitet zu Abstufungen inbezug auf die
Heraushebung, d. h. zu der Gruppierung der Phoneme. Dafs diese
Gruppierung mittels jeder der drei Arten des Satzrhythmus von
vornherein möglich war, zeigt uns die indogermanische Wissen-
schaft, die uns Wirkungen des wechselnden exspiratorischen Druckes
sowohl als des wechselnden musikalischen Akzentes und der
Quantität 3 aufzeigt. Fürs Lateinische leistet die Indogermanistik
allerdings dabei am wenigsten. Wir können über die vorhistorische
Zeit des Lateinischen weniger klar urteilen, als über die der
anderen indogermanischen Sprachen.* Aber das scheint doch
ziemlich annehmbar, dafs die Aneinanderrückung der Satzelemente
zu einer Suffixbetonung führte.
Die Rolle der Akzente, die nun ausführlicher besprochen
werden soll, läfst sich vorausgreifend kurz in folgender Übersicht
darstellen :
1 S. 100.
* Theorie generale de l'accentuation latine S. 249 ff., speziell S. 252.
' Vgl. Brugmann a. a. O. 138 ff., 53 ff.
* Vgl. bei Hirt, Der indogermanische Akzent, 1895, S. 43.
89
L Durchwegs hochtonige Redeteile (Hauptakzent i). AneinanJerfügung.
Entwicklung der Suffixbetonung als Betonung des letzten Deter-
minierenden.
II. Der Hauptakzent 1 wird hierdurch Nebenakzent i. Suffixbetonung
wird Hauptakzents.
III. Nebenakzent 1 wird (Initial-)Hauptakzent3. Hauptakzent« (Suffix-
betonung) wird Nebenakzent 2.
IV. (Historische Zeit). Nebenakzento (musikalische Endbetonung) geht
verloren. Hauptakzents wird teils, durch Quantität beeinflufst, zum
Hauptakzent 4, teils bleibt er als (Initial-)Nebenakzent3.
Als Stadium I haben wir uns also vorzustellen, dafs es durch-
wegs hochakzentuierte Redeteile gab, die in fallender Anordnung
hervorgestofsen worden sein mögen. i Dafs der semantisch fallende
Rhythmus, die Anordnung nach dem subjektiv Wichtigen, der primäre
ist, bedarf keiner weiteren Begründung.2 Welcher Art der erste,
ursprüngliche Akzent war, läfst sich natürlich nicht sagen. Allgemach
rücken die Redeteile aneinander. Es entsteht eine Gruppierung.
Die Unterordnung erfolgt nach dem Prinzip du dernier delerminant;^
da nun der Hauptbegriff durch Anrückung eines zweiten Sprach-
elementes näher erklärt, determiniert wird, so erfolgt Heraushebung
des determinierenden Elementes und es entwickelt sich die Suffix-
betonung. Diese Siiffixbetonung wird habituell ; der einst vorhandene
Hochton des determinierten Begriffs schwächt sich ab und sinkt
zum Nebenakzent herab.* Das Stadium II zeigt uns daher den
nicht näher bezeichenbaren Hauptakzentj als Nebenakzentj, die
Suffixbetonung als Hauptakzent2.
Die weitere Entwicklung ist die, dafs der nunmehr habituellen
Endbetonung (musikalischer Qualität) eine okkasionelle Hervor-
hebung des Wortanfangs (resp. der Stammsilbe) durch exspira-
torischen Druck entgegentritt, woraus sich ein neuer (Initial-) Haupt-
akzent bildet, so dafs die Endbetonung ihrerseits zum Nebenakzent
herabgedrückt wird. Stadium III zeigt uns also den exspiratorischen
Initialakzent 5 als Hauptakzentg, und die musikalische Suffixbetonung
(ehemaliger Hauptakzent oder Hauptakzent^) als Nebenakzent2.
Der Wechsel im Gebrauch der Hervorhebungsmittel ist nicht nur
theoretisch begreiflich, es ist auch überall zu beobachten, dafs, je
nach dem habituellen Vorherrschen des einen, der andere zu
okkasioneller Wirkung herangezogen wird.
Wir stehen in diesem Stadium der sprachlichen Entwicklung
zwar noch lange nicht auf historischem Boden, aber wir haben alle
* Vgl. bei Hirt S. 92 die Darlegung, dafs der schleifende Ton aus dem
stofsenden entstanden, dieser also der primäre ist.
2 Schon Blair a. a. O. S. 134 nennt die „lateinische" Wortstellung die
natürliche, die anfängliche.
« Vgl. Hirt a. a. O. S. 206.
* Ygl. Weil-Benloew a. a. O. S. II5 und Hirt a. a. O. S. 205.
s Über das Verhältnis von Suffixbetonung und Initialakzent im Lateinischen
vgl. Brugmann, a. a. O., S. 62.
QO
Ursache anzunehmen, dafs das vorhistorische Latein exspiratorischen
Initialdruck und musikahschen Endton hatte.^
Die Quantität war selbstredend an keine Stelle gebunden.
Der musikalische Ton, der damals zwar nur das Ende habituell
hervorhob, konnte und mufste in der stark musikalischen Sprache
auch auf den andern Silben empfunden werden.
Der exspiratorische Druck hingegen haftete zunächst am Wort-
anfang, der offenbar musikalisch am schwächsten betont war. Der
rein exspiratorischen Hervorhebung der ersten Silbe stand also eine
rein musikalische Betonung der Endsilbe gegenüber.^ Die Mittelsilbeu
sprach man daher im steigenden musikalischen und im fallenden
exspiratorischen Akzent. Da aber der exspiratorische Druck, dem
keine mäfsigende Wirkung entgegenarbeitet, 3 eine Steigerung der
Tonhöhe hervorruft, mufs notwendigerweise mit der Zeit die Druck -
silbe auch zu musikalischer Hervorhebung kommen und daher
die Herrschaft im Worte an sich reifsen, so dafs die musikalische
Endbetonung vernachlässigt wurde zu gunsten des Initialdruckes.
Was die Beweggründe zu den früheren Veränderungen gewesen,
können wir erschliefsen, wenn wir versuchen, uns diese letzte Ver-
änderung klar zu machen, die uns schon auf historischen Boden
führt: Die Entwicklung des Initialakzentes können wir be-
gründen. Dieser Rhythmus der Hervorhebung ist ge-
fordert durch die ganze Satz(und Sprach-)auffassung des
ältesten uns erreichbaren Latein. Der akustische Rhythmus
entspricht dem semantischen; er ist, wie dieser, fallend: das
Determinierende steht vor dem Determinierten, das Neuere vor
dem Bekannten. Das Adverb und das Präverb haben den Haupt-
ton, das Verb wird dadurch enklitisch; *rcdago, ^hnmaneo usw. sind
Zusammenwachsungen und legen gleiches Zeugnis ab mit den be-
weglichen und doch stehend verkürzten Formen wie amänt sunt.
Es ist nicht das Verb an sich akzentlos, aber es tritt hinter dem
Akzent des Determinanden zurück. So entspricht auch die Enklise
des Pronomens und gewisser Substantive dem Denkhabitus: cum
tibi, sid fraude wie rc-facio nt-scio. Bei allen Wörtern, die eine be-
griffliche Näherbestimmung des Folgenden ausdrücken, ist der
Rhythmus nicht nur oder vielmehr zunächst gar nicht mechanisch
sondern semantisch zu erklären. Es war eine okkasionelle
^ Vgl. Havet, Mem. soc. lingu. VI, S. iifF. und auch Ch. Bally's Aus-
führungen (Melanges de Lingnistique ä F. Saussure, Paris 1908) über den be-
weglichen Ini'ial- und Finalakzent des Indogermanischen.
2 Diese von Havet a. a. O. sicher mit Recht gemachte Aufstellung be-
streitet Philippide (Lateinischer und rumänischer Wortakzent, Festgabe für
H. Suchier 1900) mit der Begründung, wir hätten keinen Beweis für exspira-
torischen Druck auf der Anfangssilbe und musikalischen auf der Innensilbe,
und er meint, es wäre unmöglich, ein solches „Wortungeheuer" auszusprechen.
Die Akzentuierung des Magyarischen, des Tschechischen, des Serbischen gibt
Beispiele zur Genüge für die Verbindung von exspiratorischem Druck und
musikalischem Tone, wie er hier für das Lateinische vorausgesetzt wird.
^ Vgl. Roudet, Parole 1900, S. 599 ff. ; Gutzmann, Mediz.-päc
Monatshefte 1906, S. 197.
91
Heraushebung, die dann stehend wurde. Der semantische
Akzent fördert also den Initialdruck als rhythmisches
Prinzip: er ist durch die damalige Satzauffassung bei einem
grofsen Teil der Wörter, speziell der Komposita geradezu be-
dingt. Sobald er bei diesen habituell war, konnte eine rhythmische
Ausgleichung entstehen, so dafs der Initialdruck schliefslich überall
gewohnheitsmäfsig gesetzt wurde.
Bei dieser Satzauffassung mufste auch das Wichtige der Mit-
teilung stets am Anfang des Satzes stehen. Diese Satzgliederstellung
des Lateinischen ist uns nicht überliefert. Aber die Wortbildung
bezeugt es ja zur Genüge, wie es sich mit den syntaktischen Ge-
bilden verhielt.
Wir stehen an einem Punkte der Entwicklung, in dem der inten-
sive Initialdruck zunächst semantisch gefordert, dann infolge rhyth-
mischer Analogie als Hauptakzent herrscht, während der musikalische
Endton Nebenakzent geworden ist. Zwischen den beiden Hervor-
hebungen lagen die Mittelsilben, wie bemerkt, in schwachem Ton
und schwachem Druck. Sie mufsten Veränderungen erleiden, und
die erste Wirkung dieser antipodischen Hervorhebungen fällt wohl
recht tief in vorhistorische Zeit, aber sie dauert noch fort in einer
Periode, die wir lang und klar vor Augen haben, so dafs es nicht
allzu phantastisch erscheint, die Geschichte der Veränderungen ein-
mal in chronologischer Reihenfolge zu skizzieren. Eine vollständige
Darstellung ist natürlich nicht im entferntesten geplant. Das hiefse
ja die Geschichte der lateinischen Sprache schreiben. Vielmehr
soll das folgende nur dazu dienen, die Geschichte des lateinischen
Wort- und Satzrhythmus aufzuhellen, um für die Geschichte der
Romanismen den Anfangspunkt zu finden.
Die Veränderung der Mittelsilben ist gradweise ver-
schieden: denn einmal handelt es sich um Veränderung der
Artikulation, das andremal um gänzliche Vernachlässigung (Syn-
kopierung). Die Veränderung der Artikulation (Vokalschwächung ')
allein soll hier in ein paar Worten besprochen werden.
Bekanntlich spielt bei diesen Vorgängen die Quantität die
wichtigste Rolle und zwar nicht nur die Dauer des einzelnen Vokales,
sondern auch die Dauer des Lautkomplexes, der in der Wort-
mitte steht.
Kurzer freier Vokal. Typus: *refacere > *reficere.'^ Die
1 Vgl. Lindsay, Die lateinische Sprache, S. 212.
* Erklärung der Zeichen :
' exspiratorischer Hauptdruck.
^ exspiraiorischer Nebendruck.
Vom exspiratorischen Druck nicht betroffene Silben werden nicht be-
zeichnet.
Musikalischer Hochton (Akutus).
" Musikalischer Hochton (Circumflexus).
Musikalischer Tieflon (Gravis).
" Länge.
^ Kürze.
92
Periode, von der hier gesprochen wird, setzt natürlich ein anderes
Substrat voraus als *refacere. Das s des Infinitivs war noch erhalten,
das -e noch nicht für das einst vorhandene Kasussuffix eingetreten.
Doch kommen diese beiden Tatsachen für das hier zu Besprechende
nicht in Betracht.
Einfaches *fdcere hatte Initialdruck und Endton ; das an re
enklitische *fäcere r= *refdcer£ verliert den Initialdruck, ohne den
einstigen musikalischen Akzent wieder zu gewinnen. Daher ver-
schiebt sich die Artikulationstelle: *reface7-e wird zunächst *rifecere
und dann weiter *rcficere. Nicht nur bewirkt die Flüsterstellung
den Verlust der Schallkraft (je offener die Stimmbänder stehen,
desto weniger Ton liefern sie), sondern die verringerte Intensität
des Druckes hat eine Erhöhung der Muskelspannung im Gefolge.
Nach dem oben (S. 71 und 76) Gesagten kann das nicht Wunder
nehmen. Es ist das eine instinktive Ausgleichung, wodurch die
Leistung als Ganzes die unveränderte Summe beibehält. Der ge-
ringen Muskelspannung des a -\- starker Intensität entspricht die
erhöhte Energie für die Bildung des e und schliefslich i -\- geringer
Intensität.
Kurzer gedeckter Vokal. Typus: *refach7s > *rSfectüs.
Während *refacere über *7-c'fecere zu *reficere wird, hebt sich die
Artikulation des naturkurzen gedeckten a im ganzen nur bis zu <?:
*re/ac/üs > ^rifeckls. Ebenso *ananslo >> *anenslo (die weitere Ent-
wicklung von *anensJo ^ anelo \atih.elo\ gehört nicht hierher).
Freier Diphthong. Das Lateinische übernahm, wie es scheint,
nur kurze Diphthonge.^ Typen: sed fräiide '^ se(d)frude\ obcäido'^
öccido. m cöino ^ inquino. Auch der Wandel von ai, oi ]> /, au'^ u
(Verlust des tonreicheren Elementes) erklärt sich aus der Flüster-
stellung, die durch das besprochene Zusammentreffen von sinkendem
Druck und schwachem Ton entstehen kann.
Ursprünglich hochtoniges fraude wird dem mit exspiratorischem
Drucke hervorgehobenen sed untergeordnet. Nun wird es im ver-
laufenden Atemstrom des sed hervorgebracht. Dadurch kann eine
Flüsterstell jng der Stimmbänder eintreten, durch die der Wandel
von au >" u bewirkt wird.
Naturlanger freier Vokal. Der naturlange Vokal wird nur
gekürzt, wenn er vor einem Vokale oder Halbvokale steht: sedeo,
minuo, domo < *dö?näyd (vgl. Lindsay S. 544). Kürzung des langen
Vokals kann sich ebenfalls aus der Flüsterstellung der Stimmbänder
erklären; der Glottis entströmt ein Plus an Luft, durch Nachlassen
der Muskelspannung wird das Gleichgewicht in der Gesamtleistung
hergestellt (vgl. oben S. 73), ehe zur neuen Vokalstellung ge-
schritten wird.
Es ist wohl anzunehmen, dafs die Correptio vocalis ante
vocalem zunächst in solcher Stellung oder bei satzunbe-
* Vgl. Lindsay, S. 277, Brugmann , Grundrifs der Vergl. Grammatik*,
S. 203 und 800, K. Vgl. Gr. § 310.
93
tonten Wörtern eintrat (z.B./?//), und erst dann allgemein
üblich wurde. Lindsay stellt (S. 153) auch die alte Kürzung des
nominativischen ä (z. B. terra) und die viel spätere des aus-
lautenden ö (z, B. pono) hierher, wobei mir aber auch andere
Faktoren mitzuwirken scheinen (vgl. unten S. 1 1 1 ff.). Da diese Vor-
gänge sich zum Teil erst in historischer Zeit abspielen,* wurde in
einzelnen Fällen die spontane Entwicklung durch die gefestigtere
Tradition der Schriftsprache gelegentlich verdunkelt, so dafs sich
zwei Formen einstellen konnten, eine spontane und eine Kompromifs-
form, z. B. Ulms und tllius. Die spontane Form zeigen Ulms,
alterms u. a., die zwar nicht alt belegt sind, aber gewifs mit den
älteren gleichartigen Vorgängen in historischer Kontinuität stehen.
Aus den späteren Sprach Verhältnissen ist eine solche Zurückziehung
des Akzentes eigentlich nicht verständlich; sie entspricht gar nicht
der spätlateinischen Gepflogenheit und steht als vereinzeltes Phäno-
men da. Es ist daher bei weitem wahrscheinlicher, dafs wir es mit
alten, spät gebuchten Erscheinungen zu tun haben. Die schrift-
sprachliche Form dagegen ist illiiis; sie erklärt sich dadurch, dafs
in *iUucs die alte Quantität unverändert beibehalten wurde, was
bei Wörtern, die zunächst zu kräftiger Hervorhebung dienten, die so
oft unter emphatischem Satzakzent standen, nicht unbegreiflich ist.
Folglich ist Ulms die Normalform und Ulms eine Kompromifs-
form, in der der Akzent der Quantität nachgerückt ist (vgl. unten
S. lOlff.). Auf ähnliche Vorgänge geht eine Reihe von Doppel-
formen zurück, so aus Licinia Licnia und Licinia, aus Mänilius
Manlhis und Mamlius,- aus öpitunms optimus und opitunms, aus
dixisti dixti und dixisii etc. Zu dieser Doppelentwicklung heimischer
Formen stellt sich die zwiefache Behandlung der griechischen
Lehnwörter, in denen mit Beibehaltung der ursprünglichen Quanti-
tät der Silbendruck wechselt z. B. üiolvjiovg > pölypus u. a., oder
bei Bewahrung des Silbendruckes die Quantität der mittleren resp.
der vorletzten Silbe verändert wird, z. B. övficpcavia > simphönia <=
audääUf^ äjtXaOTQOV > *äplasirum > *dplusirum > aplüstrum,
Täratitoji > Tarentum etc. Bei einzelnen Wörtern zeigen Doppel-
bildungen beide Behandlungsarten: ßaXaväov, übernommen zur
Zeit des absoluten Initialdruckes, wird bdlineiim und dann einerseits
balneum, andrerseits, offenbar im Munde derer, die sich bemühen,
das Wort unverstümmelt zu erhalten, die auf „saubere Aussprache"
achten, zu balineum, wobei der Silbendruck analogisch zum damals
allgemeinen Brauch weiter nach vorn rückt, um den zwei folgenden
Kürzen das Gleichgewicht zu halten. Vgl. franz. tioft plus tdtrd
u. ä. Hierher gehört auch die Doppelbildung Filpus — Philippiis.
Es ist daher gar nicht geboten, mit Vendryes zur Erklärung dieser
Form den Vokativ zu Hilfe zu nehmen (S. 102).
^ Vgl. Seelmann a. a. O. S. 79.
2 Vgl. Seelmann a. a. O. S. 31 ff.
' Vgl. Claussen, Die griechischen Wörter im Französischen S. 44 fF.
94
Gegen die oben geraachte Aufstellung vom Verhalten des
langen Vokales resp. des Diphthonges scheinen drei Fälle zu
sprechen: l. pomerium, 2. dejero, 3. agniiiis. Pls is daher geboten,
diese Fälle näher ins Auge zu fassen. Der Widerspruch löst sich
auf folgende Weise:
1. pomerium. Hier ist nach Brugmann das alte oi über ei^ e
geworden (Berichte der Sachs. Ges. Wiss. 1900, S. 407), nach der
Beobachtung, dafs ei [r nicht / sondern e ergibt, also eine Spezial-
entwicklung vorliegt. ^
2. deiero, peiero. Nach Joh. Schmidt, Stolz (S. 170) Vendryes
(S. 159) gehen sie auf eine tiefstufige Wurzel zurück.
3. agntius, cognitus zu gnötus. Sie widersprechen dem früher
Gesagten in doppelter Beziehung. Nicht nur wird der lange Vokal
gekürzt, sondern die Artikulation wird überhaupt verschoben. Man
erwartet den Wandel von 0 >> «. Es mufs daher eine besondere
Bewandtnis damit haben. Die Annahme Vendryes' (S. 158), man
habe kurzvokalige Formen zur Bildung der Komposita bevorzugt (!)
und daher zu gnötus ein gnöt- gebildet, ist wohl nicht überzeugend.
Vielmehr werden agniius cogjiilus mit nota"^ einen Tiefstufenstamm re-
präsentieren und zwar könnte man sich die Entwicklung etwa so
denken: Vor der Bildung des Inchoativums mufs doch ein Simplex
angenommen werden. Dieses konnte den Infinitiv *gndre und das
Präteritum *gmtum haben, wie stäre und siätum u. a. Aus diesem
Präteritum ergibt sich nöta. Die am Präverb enklitischen und dann
mit ihm verwachsenden Formen mufsten ihr ö zu ü wandeln (vgl.
angustus homullus etc.). Diese Artikulationserhöhung geht über die
ö-Stellung. Es wäre kein unerhörter Fall, dafs die physiologische
Entwicklungstendenz durch Systemzwang aufgehalten würde, dafs
man die Präterita in ihrem Durchgangsstadium 6 in Anlehnung
an die anderen Stammesformen mit ö aufgehalten und nicht bis
zu u entwickelt hätte. Doch haben wir den Beleg einer solchen
Entwicklung nur in ig7ioius, das allerdings zu allen Zeiten an gnötus
angeglichen worden sein kann. Das bei Diomedes 388, 7 belegte
agnötiniis stellt eine Zwitterbildung dar. Die andern Komposita
sind auf dem Wege des äufseren Systemzwangs zu der -?7«>r-Gruppe
übergegangen [praestitus domttus meritus etc.), da die Bildung des
1 Gegen Brugmann's (Vergl. Grammatik § 348 geäufserte) Ansicht,
jedes £■2' öz ffz' werde über e zu i, liefse sich einwenden, dafs wir eigenUich
keinen Anhaltspunkt für diese Aufstellung haben, da die Schreibung e für ei
und i so wesentlich die seltnere ist, dafs man hieraus auf eine lautliche Ent-
wicklung nicht schliefsen kann ; ferner, dafs im Nebtrnakzent immer das schall-
kräftigere Element schwindet, also für die nichtakzentuierten Diphthonge die
Entwicklung über ? zu ? nicht wahrscheinlich ist; endlich dafs auch für
haupttoniges ei die Entwicklung über e zu i nicht gar fest bewiesen ist
(§ ^37) > ^'^ ^^^^ durch das folgende i erklärt ist; bei deus (§ 15S, 5) aus-
drücklich diviis als lautgesetzliche Form angegeben wird; seu <^ *sez'e neben
sive (§ 158,2) eine dialektische Form sein kann, wie *elex zu ilex (vgl. Ihre
Schrift „Zur Kenntnis des ALog." S. lO).
' Vgl. Brugmann, Morph. Unters. I, 47 und Stolz, Hist. Gram. S. 164.
95
Präteritums -iiftis vereinzelt war. Nur erülus neben rfilus und in-
clüftis neben cliitus kommen in Betracht. Diesem letzteren wird
inclitus an die Seite gesetzt.
Die lautliche Entwicklungsreihe -ö -ü -1, wie sie z. B, in
viaximus vorliegt, kann auf agnihis eic. deshalb nicht Anwendung
finden, weil letztere von vornherein die einzige überlieferte Form
ist, also nicht in dieselbe Entwicklungszeit fällt wie viaximus, dessen
-u- Varianten in historischer Zeit erhalten sind.
Naturlanger gedeckter Vokal verändert sich nicht.
Bedenkt man aber, dafs der Lautnexus -aid- (nach den Messungen
E. A. Meyer's a. a. O.) alles in allem nicht kürzer ist als z. B. der
Nexus -äct- in redadus, so zeigt es sich, dafs nicht der exspira-
torische Initialdruck allein das Wort gestaltet. Dieser hätte die ihm
folgende Länge sicher gekürzt, so gut er die ihm vorhergehende
Länge zu kürzen vermag; sie mufs nur völlig tonlos sein: vgl.
vold scire, seneciüle etc. Ich meine die Erscheinungen des soge-
nannten Jambenkürzungsgesetzes, die aber bekanntlich nur da auf-
treten, wo eine semantische Einheit vorliegt.
Einzelne Verschiebungen der Artikulation im Munde von
rückwärts nach vorn oder umgekehrt, haben mit den Akzent-
bewegungen nicht unmittelbaren Zusammenhang, wie z. B. die Ver-
schiebung von 0 >• (f (das dann weiter zu i wird, wie ursprüng-
liches e), oder die Verschiebung von ,? >> ö vor / (das dann u
wird, wie jedes andere o). Dissimilative Erscheinungen, wie die
Erhaltung des e nach t [socielas), gehören ebenfalls nicht her.
Etwas näher berührt sich mit unserem Problem die assi-
milative Erscheinung, die den Doppelformen mit -u- und -i-
vor p b f VI zugrunde liegt. Diese Entwicklung scheint folgenden
Weg genommen zu haben: Bei a; z. B. in recapero. Indem die Zunge
sich zu e hebt, wird doch die Spaltstellung der Lippen fürs e nicht
voll entwickelt, sondern die Lippen gehen von der ursprünglichen
«-Stellung in die /-Stellung weiter, so dafs gar kein reiner ^-Laut
entsteht, sondern oe. Von hier aus kann sich nun regional ver-
schieden, sowohl i als u entwickeln, je nachdem die Muskel-
spannung der Zunge im Vordergrunde der Veränderungstendenz
steht, oder die assimilative Bestrebung für die Lippen-
stellung. Im ersten Falle wird über osi i, im zweiten über ü u
entstehen [recipero, recnpero, coniuhernalis etc.). Zu der Erklärung
der ö- Fälle scheint mir folgendes zu sagen: Es ist nicht wahr-
scheinlich, dafs 0 sich erst zu e entwickelt haben wird, und dieses
dann wieder zu ce oder iL Vielmehr wird crassopes unmittelbar zu
crassopes geworden sein, wobei die Unterstellung des e andeuten
soll, dafs nur die Zungenspannung zum e fortschreitet, die Lippen
aber weiter für op gestellt bleiben. Die Entwicklung von o "^ u
ist ja die normale, und leicht begreiflich ist von a aus die Hebung
der Hinterzunge statt der Vorderzunge, eben wegen des folgenden
Labiales, also Zungenspannung von a über o zu u. Es ist daher
q6
für die -/-Entwicklung der -0- Silben gewifs noch ein äufserlicher
Anreiz mafsgebend gewesen, der in der Geschichte jedes einzelnen
Wortes auf zu suchen wäre. In einigen Fällen ist es der von
Brugmanni erwähnte Vokalausgleich; wobei aber eher an Beispiele
wie magnificus (neben magituficus) zu denken ist, als an accipio.
Denn bei -a- kommt die gleiche Entwicklung ja auch ohne das
folgende -/- zustande (vgl. immineo). Bei -imus wird -issimus mit-
gewirkt haben; bei libet quid (-libet), bei agnitus die Präterita auf
-üus (vgl. oben S. 94).
Ich gehe nun zur Besprechung des Endtones über. Während
der exspiratorische Druck den Wortanfang beherrscht und die
Quantität auf die Wortmitte den wesentlichsten Einflufs hat, ist der
musikalische Ton auf dem Wortende noch vorhanden. Feinstes
Gefühl für Quantität und erstaunliches Streben nach Gleichgewicht
in der Wirkung der verschiedenen rhythmischen Hervorhebungen
tritt zutage durch einige Beobachtungen Max Niedermann's;^ zunächst
die, dafs an einen Stamm aus zwei Kürzen ein langes Suffix tritt,
z. B. sepells, äpens, aber an den Stamm von einer Länge (vgl. unten
S. 98) oder an den aus einer Länge und einer Kürze bestehenden
ein kurzes Suffix, z. B. deslpls.^ Niedermann's Voraussetzung, dafs
das Simplex sapis 'fast aufser Gebrauch' war und daher nicht auf
das Kompositum wirken konnte, ist insofern nicht ganz befriedigend,
als die Bildung desipis doch schon wegen der Veränderung des a
in vorhistorische Zeit reicht, so dafs man nicht mit Bestimmtheit
sagen könnte, wann es aufkam. Auch mufs doch zur Zeit als das
Kompositum gebildet wurde, das Simplex unbedingt in Gebrauch
gewesen sein. Übrigens vermindert dieser Einwand gar nicht die
Gültigkeit der Niedermann'schen These. Wir sehen das Bestreben,
zwei gleichwertige Wortteile zu erhalten, nämlich:
während drei Kürzen vermieden werden. Folglich behielt man
die rhythmisch entsprechende Form desipis bei und behielt nicht
die rhythmisch nicht entsprechende Form resipis, die zu
resipis umgewandelt wurde. Daher haben wir auch, um wieder
Niedermann'* zu folgen, födl neben fodwr etc., das Alternieren von
-les und -lä wie fäcüs etc. neben grätiä '^ etc. Diese vorhistorischen
Bildungen setzen voraus, dafs die Endquantität ihren vollen Wert
hat, müssen also noch vor der Zeit des verlöschenden Endtones
entstanden sein. Denn später spielt, wie wir wissen, die End-
1 K. Vergl. Gr. S. 354.
' M^langes Saussure S. 51.
^ a. a. O. S. 51 Aamerkg.
* Ebd. S. 56.
6 Ebd. S. 54.
97
quantität eine geringe und fortwährend abnehmende Rolle, so dafs
sie für die Wortbildung nicht mehr in Betracht kommt.
Der musikalische Endton wird allmählich aufgegeben, reicht
aber noch in historische Zeit. Wir beobachten dieses Aufgeben in
der Veränderung des Auslautes: vorhistorisch ist die Schwächung
von ä l ö in e wie *sequeso > sequere (vgl. Lindsay 269) und die
beginnende Kürzung der Kasus- und Deklinationssuffixe wie z. B.
der Nominative terra, amör; aviet etc. Historisch ist z. B. der
Wandel von ploirümöi^ (über *plGerumoi, *pl6eriimoe) zu ploiriivie
{=. i) u. ä. Die Monophthongierung dieses Diphthongen ist nur
die Fortsetzung des gleichen Vorganges, wie er beim Dativ {ai >• a)
etc. in älterer Zeit beginnt. Der Verlust des volltönenderen Ele-
mentes ist auch hier charakteristisch für die Abnahme des Tones.
So lange das Suffix sich in voller Heraushebung durch den
Endton befand, konnte es schwerlich quantitativ oder qualitativ ver-
mindert werden. Die Schwankungen im Auslaut, die schon im
Indogermanischen nachw'eisbar sind, beziehen sich auf Wörter mit
verschiedenem Satztone wie me pro; Imperativformen konnten En-
klitika sein und mochten ihren Eigenton an das Objekt abgeben.
In vielen Kompositionen sind die Spuren dieses Schwankens nach-
gewiesen. Es wird gedeutet als das Streben nach Ausgleichung
zum Folgenden wie zum Vorhergehenden. 2 In der einen oder der
andern Form sind die syntaktischen Gebilde dann erstarrt.
Die nunmehr auftretenden Kürzungen der Flexions- und Kasus-
suffixe, wie Nom. terra, amor, amet etc., beweisen also, dafs die aus
dem Indogermanischen übernommene Suffixbetonung sich ver-
flüchtigte. Aber nicht geradeswegs verliert jede Auslautsilbe ihre
rhythmische Hervorhebung. Die Entwicklung nimmt einen charakte-
ristischen Verlauf. Der stärkste Punkt des musikalischen Tones
fällt mit dem schwächsten des exspiratorischen Druckes zusammen;
denn es liegt im Wesen des exspiratorischen Akzentes, Silben, die
unmittelbar vor oder nach dem Hauptdruck liegen, am schwächsten
zu versehen. Die Auslautsilbe, die vor dem Initialdruck des
folgenden Wortes steht, wird daher am leichtesten gekürzt. Aber
in Pausa entfällt diese Ursache der Kürzung; ja es wird sogar in
gewissem Sinne der ältere Zustand gefördert durch die bei ex-
spiratorischem Drucke eigne Minderleistung am Wortende: die
Organe streben der Sprechpausenstellung zu, das ist der einfachen
Atemstellung; die Stimmbandspannung läfst nach; die Schwingungen
verlangsamen. Phonautographische Messungen erweisen den Laut
am Wortende länger als im Inlaut.-^ So entstehen die „Ancipites",
^ Vgl. Hirt, Der indogermanische Akzent S. 1 14.
* Vgl. Brugmann K. Vgl. Gr. S. 145.
^ Herr Dr. F. Hauser, Direktor des Wiener Phonogramm- Archivs, hat
mir freundlich Einblick in eine Reihe von phonographiechen Aulzeichnungen
gestattet, wofür ich an dieser Stelle nochmals danke.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift ) n
die im Satzinnern kurz und in Pausa lang sind, die, ohne dafs man
dem Sprachgebrauch Gewalt antäte, als Kürze wie als Länge be-
handelt werden können.
Diese eben geschilderte Erscheinung erklärt zugleich, dafs der
Gravisauslaut an Boden gewinnt: Selbstverständlich mufste nun
der Ton am Wortende tiefer werden. Hier finden wir auch die
Erklärung für den Wandel von e >> i, von t» >» « im Auslaut. Er
fällt offenbar in eine Zeit, in der der volle Endton nicht mehr und
der Gravisendton noch nicht herrscht, vielmehr ein Mittelstadiura
zwischen beiden. Der exspiratorische Druck, der vom Wortanfang
her verläuft, bewirkt zwar schon die veränderte Behandlung der
Endsilbe, überragt aber noch nicht so sehr, dafs auch die Organ-
spannungen der Endarlikulation davon beeinflufst würden. Vielmehr
setzen diese letzteren dem schwachen Intensitätsstrom den oben
(S. 76) besprochenen Widerstand entgegen: das Gefühl für den
Endton ist immer noch vorhanden und um ihm Geltung zu ver-
schaffen, wird, der Intensitätsschwächung entgegenarbeitend, die
Organspannung erhöht.
Die nicht mehr betonte auslautende Länge wird hauptsächlich
dann der Kürzung zugänglich, wenn sie unmittelbar auf akzen-
tuirte Kürze folgt. Das hängt damit zusammen, dafs der ex-
spiratorische Druck bei ungespannter Artikulation auf die nächst-
folgende Artikulationsstelle wirkt. Vgl. die Erscheinungen beim
„scharfgeschnittenen" Akzent. Wenn aber die akzentuierte Silbe
einen gespannten Vokal enthält, so erlahmt der Exspirations-
strom innerhalb der Vokalartikulation und wirkt nicht auf die
folgende Artikulation. Daher konstatieren wir die Kürzung vom
Typus ämänt, siüdent, vide zu ätnänt, siüdent, lüde, aber nicht die
vom Typus cläre zu cläre. Diese Erscheinungen gehen parallel zu
den von Niedermann 1 beobachteten, dafs der kurze einsilbige Stamm
durch ein kurzes Suffix modifiziert wird z. B. cäpis, langer durch
ein langes, z. B. aüdis: Erscheinungen aus verschiedenen Zeiten der
sprachlichen Entwicklung, die eine gleichartige Tendenz auf-
weisen.
Derselbe Vorgang aus einer noch älteren Sprachperiode ist
die Differenzierung von dedlsti gegen r'edd'idistiP-
Die Kürzung erfolgt also sowohl durch den Einflufs des
folgenden Initialakzentes als des vorhergehenden Akzentes der
kurzen Silbe.
Die konsequente Vernachlässigung des musikalischen Endtones
führt schliefslich zur durchgängigen Tieftonigkeit des Wortendes.
Die Durchführung des Gravis-Auslautes empfanden die Grammatiker
als einen Hauptunterschied des Lateinischen vom Griechischen,
Sie erwähnen ausdrücklich, um wie viel heiterer das Griechische
klinge, wo der höchste Ton am Wortende liegen könne, während
1 A, a. O. 51 ff.
'^ Vgl. Havel, a. a. O. 12.
99
alle lateinischen Wörter mit abfallender Stimme gesprochen
werden. 1
Die Hervorhebung durch den Ton erweist sich also als das
dem lateinischen Sprachbedürfnis weniger kongeniale Moment. Sie
weicht konstant vor der Hervorhebung durch den Druck zurück.
Demgemäfs können Endsilben ganz unterdrückt werden, wie
wir es bei lac, post, mors, esi, ui, duc u. a. bald früher, bald später
beobachten. Die Kürzung von mors <i *viortis, est << *esti und
Konsorten ist vorhistorisch; hingegen haben wir Nom. Acc. lade
noch bei Plautus, poste noch bei Ennius, Imperat. ahdiice noch bei
Terenz usw. 2 Hierher gehört natürlich auch Silbenverlust bei
Enciise wie amatust, das wohl am ehesten aus amätus {ejst zu er-
klären ist. Auch die Kürzung der Positionslängen gehört
hierher. Sie ist seit Plautus nachweisbar, und ist echte Umgangs-
sprache: In der klassischen Diktion gilt sie für unfein, 3 hingegen
ist sie, wie der Hiatus und die Abstofsung der auslautenden
Konsonanten, charakteristisch für die älteren szenischen Dichter.^
In der Behandlung des Auslautes vveicht das Lateinische aufser-
ordentlich vom Griechischen ab, das die Endbetonung und damit
die auslautende Quantität fest bewahrt, andrerseits die einzelnen
Phoneme viel weniger streng von einander trennt als das Lateinische.
Havet^ charakterisiert diesen Unterschied in der Metrik beider
Sprachen: der griechische Vers vereint Silben, der lateinische
Wörter. Im Lateinischen ist das Zusammenfallen von Iktus und
Wortakzent wichtig, im Griechischen nicht. Das Lateinische ist
unendlich empfindlicher für die Cäsur als das Griechische. Die
Atempause ist eben der natürliche Gegenwert des Atemdrucks;
bei musikalischer Hervorhebung hingegen spielt sie keine so ein-
schneidende Rolle. Wir sehen die typischen Unterschiede zwischen
Sprachen mit verschiedenem exspiratorischem Druck (vgl. unten):
je geringer der exspiratorische Druck, desto schwächer die
Differenzierung der einzelnen Silben, desto bessere Bewahrung der
Mittel- und Auslautsilben, desto mehr satzphonetische Erscheinungen
und umgekehrt.
Mit dem Aufgeben des musikalischen Endtones ist selbst-
1 Quintilian, Inst. or. XII, IG. 33 (Seh. LVIII): „Accentus quoque cum
rigore quodam, tum similitudine ipsa minus suaves habemus, quia ultima
syliaba nee acuta umquam excitatur nee flexa circumducilur, sed in gravem vel
duas gravis cadit semper; itaque tanto est sermo graecus laiino iucundior, ut
nostri poetae, quotiens dulce carmen esse voluerunt, illorum id nominibus
exornent".
- Vgl. Lindsay a. a. O. 237 ff.
2 Vgl. Lindsay a. a. O. 241.
* Vgl. Gleditsch, Metrik der Griechen und Römer (Iv. Müller's Handb.)
S. 257.
^ A. a. O. S. 15. Vgl. auch bei Quicherat, Traitfc de versification latine"
S. 389 und 526 ff. die Gegenüberstellung des heroischen Verses der Griechen
und der Römer, und die Charakterisierung des ersteren aus der Quantität, des
zweiten aus dem Akzent.
lOO
verständlich nicht der musikalische Ton überhaupt aufgegeben.
Während er eine Zeit hindurch dem luitialdruck gegenübersteht
zieht er sich nach und nach auf die Drucksilbe hin. Er erlischt
am Wortende und erscheint schliefslich da, wo er sich naturgemäfs
entwickeln mufs, in der Drucksilbe selbst.
Da, wie wir eben gesehen, der musikalische Endton noch in
historischer Zeit nachweisbar ist, haben wir mit Erwähnung dieser
letzten Tatsache dem Laufe der Entwicklung vorgegriffen.
Es möge hier nur noch eine Erwägung Platz finden. Es ist
wiederholt darauf hingewiesen worden, dafs der romanische In-
tensitätsakzent aus dem lateinischen musikalischen entstanden sei,
weil eben mit der musikaHschen Höhe stets eine gewisse Intensität
verbunden sein müsse. i Dies würde aber nur dann stimmen,
wenn, wie im Griechischen, der exspiratorische Druck in den
Silben herrschend geworden wäre, auf denen einst die musikalische
Hervorhebung lag. Beim Griechischen kann man sagen, dafs der
exspiratorische Druck sich aus dem musikalischen Akzent entwickelt
hat und an seine Stelle getreten ist. Dies stimmt aber keineswegs
so ohne weiteres fürs Lateinische, wo die Verhältnisse nachweisbar
kompliziert waren, und wo der exspiratorische (Initial-) Druck in
knapp vorhistorischer Zeit ebenso wenig geleugnet w^erden kann,
wie das Hineinragen des musikalischen Endtones in die historische.
Die Entwicklung des (romanischen) exspiratorischen Druckes geht
also keinesfalls direkt und unmittelbar auf den vorhistorischen indo-
germanischen musikalischen Akzent zurück, sondern es liegen
mehrere Entwicklungsstadien dazwischen.
Wir kehren nun zurück in die Zeit des Initialdruckes. Das
Lateinische hatte ein weiteres Stadium der Entwicklung erreicht,
als jeder Initialdruck semantisch und rhythmisch habituell geworden
war, so dafs er also keine Hers^orhebung mehr bedeutete, sondern
den normalen Darstellungstypus.2 War nun der habituelle Satz-
(Wort-)rhythmus (vgl. S. 83) a b c, so mufste er notwendigerweise
gelegentlich in Zwiespalt geraten mit der okkasionellen Be-
deutung,3 die den Rhythmus a b c forderte. Von den oben
(S. 82) besprochenen zwei Möglichkeiten, den okkasionellen Aus-
druck durch Wechsel der Stellung oder durch Wechsel des Rhythmus
zu bewirken, lag, wie es sich zeigt, dem damaligen Latein die
Beweglichkeit des Rhythmus näher. Die Anfangsintensität wird
verschoben bis zu dem wichtigeren Satz-(Wort-)Teil; man verzögert
^ Vgl. Roudet, Parole 1900, S. 228 ff. Bourdon a. a. O. S, 56.
' Dafs bei Plautus keine Intensität der Initialen anzusetzen sei, fand
Duvau, Mem. Soc. Lingu. XII, 139.
3 Leonce Roudet, La Desaccentuation et le deplacement d'accent dans
le fran9ais moderne (Revue de Phil. Fran9. et de Lit. 1907, S. 314) erklärt
ähnliche Vorgänge; im modernen Französischen als „un manque de syn-
chronisme cntre l'emotion et son expression par le langage".
lOI
ihre Ausgabe, so dafs wohl ein Übergangstypus a h c bestanden
haben mag, in dem die Teile a und b gleich stark gesprochen
wurden und der Abfall erst nach b begann. Dieser Tendenz
folgend, wird die gröfste Intensität immer mehr vom Satz- (Wort-)
Anfang vorgeschoben in die Satzmitte: a h c und von der Mitte
weiter ans Ende: a h c. Das archaische Latein zeigt uns eine
Sprachstufe, in der der steigend-fallende Rhythmus herrscht, also
einen mittleren Zustand zwischen dem vorauszusetzenden rein
fallenden vorhistorischen, und dem ganz steigenden modernen
romanischen. Und zwar zeigt es diesen Übergang nicht nur in
der Satzakzentuierung,! sondern auch in jedem einzelnen syn-
taktischen Vorgang, auch in der Wortakzentuierung.
Ich greife ein typisches Beispiel für zahllose gleichartige heraus:
*perhabeo, *öccaido sind infolge stehender, habitueller Akzentuierung
zu *p£rhibeo, *occido geworden, ohne dafs/tr- occ- die Hervorhebung
semantisch dauernd rechtfertigen könnten. - Zuerst okkasionell
verschiebt sich der Hauptakzent nach vorn; der exspiratorische
Nachdruck wird also in der Initialsilbe nicht voll verbraucht, sondern
vielmehr zurückgehalten bis zu derjenigen folgenden Silbe, die
ihrer Quantität nach zur Hervorhebung geeignet ist.
Denn der exspiratorische Druck wird hierin offenbar von einem
rhythmischen Prinzip beeinflufst, wonach die Hervorhebung durch
Druck mit der Hervorhebung durch Quantität in einer gewissen
Übereinstimmung stehen mufs. Der exspiratorische Akzent rückte
also vom Wortanfang in die Wortmitte, sobald die Quantität
der Wortraitte danach beschaffen war, den Akzent zu
tragen.
Die Art der Vorrückung des exspiratorischen Akzentes iäfst
sich etwa in folgendes Schema bringen:
Erste Silbe. Endsilbe.
Exspiratorischer Druck. Kein exspiratorischer Druck.
Je nach der Beschaffenheit des Wortes, Zur Tiefe strebender oder tiefer
spitzer (akuter) oder gewundener Ton.
Ton. Quantität gleichgültig.
Quantität gleichgültig.
» Vgl. Wortstellung S. 8i.
* Vgl. B. Bourdon, L'expression des emotions et des tendances dans le
Jangage S. 45 über den Akzent der Komposita . . . „si cnsuite le mot vient ä
cesser d'etre senti comme compose, l'influence de l'habitude fera qu'il con-
servera cependant pour ses diverses syllabes inegalilc d'accentuation.
I02
Mittelteil des Wortes.
Verlaufender exspiratorischer Druck.
Mittlerer Ton.
Quantität:
A. Eine Länge -^ v^: Die Silbe wirkt der ersten gleichwertig und
kann zur okkasionellen Hervorhebung dienen, virfufis.
Hierher sind auch die Samprasäranaerscheinungen^ vom
Typus sacerJos <[ sao-dos, faailtas <C fac lias zu rechnen.
Durch das Vorrücken des exspiratorischen Druckes entsteht
ein neuer Schallgipfel.
B. Eine Kürze -^ ^^\ Die Silbe ist der ersten nicht gleichwertig
und kann nicht zur Hervorhebung dienen, crescere, ludicis.
C. Zwei Kürzen -^^^^.'. Sie sind gleich einer Länge, also zu-
sammen der ersten Silbe gleichwertig und können den
Akzent tragen. Da der Akzent steigend-fallend ist, fällt
auf die erste der beiden Kürzen der Hauptdruck, iudicibus,
facilius.
D. Eine Länge, eine Kürze ^^^^^ Wie A. Der Akzent kann
um eine Silbe vorrücken, aber nicht weiter, amatior.
E. Eine Kürze, eine Länge :^„ -: Die Länge ist der ersten
Silbe gleichwertig, die Kürze nicht. Der exspiratorische
Druck gleitet auf die dritte Silbe vom Anfang, sapientis.
Ob ein Übergangsstadium *sapientis bestanden haben
kann, ist nicht zu entscheiden.
F. Drei Kürzen 4^^^^: Der Rhythmus teilt sie in i und 2,
daher dasselbe Verhältnis wie unter E. dificilius.
G. Zwei Längen ^__^: Vgl. E. Hier ist vermutlich in einem
Übergangsstadium der Sprache zunächst die erste, und
erst später die zweite Länge unter den exspiratorischen
Hauptdruck gelangt. Vgl. S. 104. senectufis, amatorum.
H. Eine Länge, zwei Kürzen -^ _^^i^: Sie sind gleich zwei
Längen. Daher der Fall G. amabilior.
L Zwei Kürzen, eine Länge ^_^^_~:'. Auch sie sind gleich zwei
Längen. Also wieder Fall G, resp. Entwicklung wie E.
faciliorem.
K. Drei Kürzen, eine Länge ^-^^^^^'. Das Verhältnis ist wie
bei F und G; Entwicklung wie E. dificiliorem.
L. Eine Kürze, eine Länge, eine Kürze ^^_^^\ Wie bei E
gleitet der exspiratorische Druck bis auf die dritte vom
Anfang, aber, wie bei D, nicht weiter, sapientia.
'■ Diese Schemata der besprochenen Wörter beziehen sich, wie man am
Akzent sieht, nicht auf das historisch Erreichte, sondern auf das Ausgangs-
stadium der Entwicklung.
^ Vgl. Brugmann, Kurze vergl. Gram., S. 251.
103
M, Zwei Längen, eine Kürze ^ .^: Hier tritt wieder der
Fall G ein. Der Druck gleitet auf die letzte Länge, aber,
wie bei D, nicht weiter, amatissimus.
N. Zwei Kürzen, drei Längen ^^ ^: Noch eine Er-
weiterung des Falles G. parlicipavissemus.
usw.
Die Vorstellung, dafs der exspiratorische Akzent vom Wort-
ende 'zurückgezogen' worden wäre, ist zwar allerorten ausgesprochen,
aber eigentlich durch nichts begründet, denn dafs die lateinischen
Grammatiker die Akzentsilbe vom Wortende aus zählten, beweist
ja noch nicht, dafs der Akzent zu irgend einer Zeit vom Ende aus
zurückgezogen wurde. Es ist merkwürdig, dafs dieselben Gelehrten,
die den vorhistorischen Initialdruck mit Bestimmtheit ansetzen, wie
Lindsay, dennoch von einer 'Zurückziehung' des Akzentes sprechen,
wo es sich um die Akzentregelung ..nach dem Dreisilbengesetz"
handelt. Der Akzent ist vielmehr vom Wortanfang so weit
nach vorn geschoben worden, als dies nach der Quantität
der Mittelsilben möglich ist.
Die Abneigung, das Wortende herauszuheben, führt dazu, dafs
man nicht mehr als eine Länge oder zwei Kürzen nach dem Wort-
akzent haben will; sonst bekäme das Wortende ein zu grofses
Gewicht. Der Akzent rückt also vom Wortanfang so lang vorwärts,
bis er dem Wortausgang das Gleichgewicht hält. Wenn wir nun
finden, dafs im Wortausgang die Silbengruppe - weniger schwer
wiegt als die — ; die den Akzent bis auf die vorletzte Silbe zieht,
so erklärt sich das daraus, dafs die Länge im Auslaut nunmehr
den geringsten Wert im Worte hat; die Endsilbe ist anceps. Die
Endbetonung ist geschwunden: der Auslaut ist der am wenigsten
beachtete Wortteil geworden.
In der Verschiebung nach dem Wortende zu ist der Akzent
nicht bis an den Auslaut vorgedrungen. Die Tendenz der Akzent-
verschiebung ist nicht so weit verfolgt worden, so lange die End-
quantität überhaupt vorhanden war. Ehe also prinzipiell eine
weitere Verschiebung nach vorn, auf die letzte (lange) Silbe ein-
treten konnte, waren durch die S. 1 1 1 zu besprechende Wirkung
des exspiratorischen Druckes die auslautenden Längen gekürzt, und
die ganzen Akzentverhältnisse verändert.
In bestimmten Fällen ist nicht nur die Quantität bestimmend
für die Lage des exspiratorischen Druckes, sondern, wie es scheint,
der Wert der Silbe, da vor -que -ve -ne der Akzent auch bei
naturkurzer Auslautsilbe auf diese fällt: viusäqtie miisäve (vgl. Scholl
XCI% XCI^ etc., XCIV^ etc.), als ob die Silben -ve, -ne mit Nach-
druck gesprochen, den Akzent auf den letzten Schallgipfel vor ihnen
gezogen hätten. Vielleicht ist eine Analogiewirkung im Spiele:
die Fälle mit kurzer Mittelsilbe des neu entstehenden Dactylus
sind sehr in der Minorität gegen die mit langer, oder es entstehen
mehr als dreisilbige Rhythmen: musae- ä- am- is- arumque in
104
denen stets der exspiratorische Druck mit der letzten Länge zu-
sammenfällt.
In der stehenden Verbindung dagegen, wenn -qiie ver-
allgemeinernde Bedeutung hat, trat der Akzentwechsel nicht ein.
Hier war eben -que stets kurzes und nicht mehr hervorgehobenes
Suffix: t'itique etc.
Es liegt keine Ursache vor, nicht auch beim Silbendruck viel-
fache Analogiewirkungen anzunehmen. Die Durchführung des
.jDreisilbengesetzes" versteht sich am leichtesten, wenn man bedenkt,
dafs sie in die Zeit des verlöschenden Endtones fällt. Dieses Ver-
löschen des Endtones bewirkte zu derselben Zeit die Veränderung
des auslautenden o ^ u , also wieder eine Schalldämpfung und
eine Höherlegung der Artikulation, wie sie oben (S. 76) besprochen
wurde. Der Initialakzent fand am Wortende fast kein Gegen-
gewicht. Um so mehr kam die Quantität der dem Ende zu
liegenden Silben in Betracht. In Fällen wie ^dmätörilm entfaltete
sich nach Erlöschen des Endtones i* ä inätörutn) die Quantität des
dr zu einem ' Gegen 'akzent, sodafs nach dem Vorrücken des
Akzentes auf die erste Mittelsilbe ein Nebenakzent ' auf der zweiten
entstand: *a?näldrum. Sobald Einheitlichkeit der Hervorhebung zum
sprachlichen Prinzip geworden war, konnte nur -or- den Akzent
tragen. Den umgekehrten Weg der Argumentation betritt Vendryes,^
der nach Meillet^ von der Voraussetzung ausgeht, dafs Endlänge
an sich kürzer sei als Innenlänge — was aber die phonauto-
graphischen Messungen durchaus nicht erweisen — und dafs
infolge dessen die Quantität der Endsilbe bei der Betonung
nicht in Betracht komme; denn auch die Länge trage keinen
Ton. Er dreht also das ganze Verhältnis um : Weil die Quantität
am Ende nicht beachtet wird, hat das Ende keinen Ton.
Warum aber die Quantität am Ende vernachlässigt wird, das
erfahren wir nicht. Aus diesem Grunde kann die Erklärung
nicht befriedigen, denn eine ursprüngliche Suffix- und Endbetonung
kann doch nicht geleugnet werden; es kann daher das Auf-
geben des Tones Voraussetzung für Verwischung der Quantität
sein, aber nicht umgekehrt.
Die Wandlung der Akzentuierung entspricht der
Wandlung der Wortstellung und spiegelt sie. So wie im
Satze nun mehr der Hochton in der Mitte liegt, so auch im
Wort. Alle nicht akzentuierten Silben sinken in Tieftonigkeit.
In der Drucksilbe allein wird der eigentümliche Schleif- oder Stofs-
ton charakteristisch hörbar. <
Das historische Latein kommt erst verhältnismäfsig spät zu
dieser strengen Einheitlichkeit, konnte man doch sowohl ürbajii
» Vgl. Lindsay S. 182 ff.
» A. a. O. S. 85 Anm.
3 Ebd. S, 83 ff.
* Auf die Verbindung von exspiratorischem Druck und musikalischem
Akzent in derselben Silbe deutete schon Schoell hin a. a. O. S. 17.
105
als iirbdni skandieren.^ Desgleichen bemerkt Ahlberg, 2 dafs
der Akzent des einzelnen Wortes je nach der Wortgruppe
wechselt, dafs z. B. erat in der Verbindung ei erat amicus in anderer
Weise vom exspiratorischen Druck betroffen wurde, als in et erat
servus oder : uxörem ?neam in der Versmitte gegen lixorem meäm
am Versende.3 Zieht man zum Vergleiche z. B. das Deutsche oder
auch nur das Italienische heran, so sieht man den Unterschied.
Wir können nicht nach Belieben Wändlungen und Wandlungen
skandieren, oder die Italiener Römani und Romäni. Wir empfinden
eine solche willkürliche Skansion als Unterbrechung des Rhythmus.
Wäre dies bei den Alten ebenso gewesen, so hätten wir — auch
bei den besten Dichtern — unendlich mehr Verse mit Unter-
brechung als mit fester Durchführung des Rhythmus, Diefs wider-
spricht doch aber der ganzen Anschauung, die wir von der latei-
nischen Dichtung haben. Man darf daher wohl annehmen, dafs auch
ein antiker Dichter nicht hätte willkürlich ürbani skandieren dürfen,
wäre der Silbendruck als einheitliches Hervorhebungsmittel schon
durchgeführt und in jedem Worte also nur eine Silbe und zwar
nur durch ein rhythmisches Mittel heraushebbar gewiesen.
Zu Beginn der historischen Überlieferung zeigt sich uns somit
als das Resultat verschiedener Hervorhebungen, deren jede
durch andere Komponenten erzeugt wurde, eine durchaus schwebende
Sprache, die mehr und mehr einer akzentuierenden weicht. Den
Unterschied zwischen dem kräftigeren exspiratorischen Druck der
jüngeren Generation und der ausgeglicheneren Sprechweise der älteren
hat Cicero offenbar herausgehört, da er von seiner Schwiegermutter
schreibt (De Orat. III, 45): .,. . . cum audio socrum meam Laeliam —
facilius enim mulieres incorruptam antiquitatem conservant . . . — ,
sed eam sie audio, ut Plautum mihi aut Naevium videar audire; sono
ipso vocis ita recto et simplici est, ut nihil ostentationis aut imi-
tationis afferre videatur; ex quo sie locutum esse eius patrem iudico,
sie maiores; non aspere ut ille, quem dixi (L. Cotta, ebd. 42),
non vaste, non rustice, non hiulce sed presse et aequabiliter
et leviter."
Die Schwiegermutter, die die gute alte Zeit repräsentierte,
sprach also nicht rauh, bäuerisch breit und stofsend, wie der
hochmoderne L. Cotta, sondern eng, gleichmäfsig und leicht.
Das „hiulce" bezieht sich ganz ausdrücklich auf den Hiatus, vgl.
Orator Cap. 44: ,, . . . ne extremorum verborum cum insequentibus
primis concursus aut hiulcas voces efficiat aut asperas". Das beweist,
dafs der kräftigere Atemstrom Cicero auffiel. Auch der Gegensatz
von 'vaste' und 'presse' ist für die Veränderung der Artikulation
sehr wichtig, vgl. unten S. 107 ff.
^ Aus der Tatsache, dafs man am Versanfang ürbani skandierte, gewinnt
Vendryes S. 67 eine Stütze für die Behauptung, dafs die Sprache damals rein
quantitierend war.
« A.aO. S. 38 fi".
» Ebd. S. 31.
io6
Aus der ganz schwebenden, musikalisch- exspiratorisch-quanti-
tierenden Akzentuierung erklärt sich uns die metrische Be-
handlung der Sprache, wie wir sie in allen älteren Denkmälern
finden, die weder rein akzentuierend noch rein quantitierend ist,
in der offenbar auf die verschiedenartigste Weise ein dem Ohr an-
genehmer rhythmischer Wechsel hervorgebracht werden konnte.
Es scheint in der Tat, dafs die älteste lateinische Dichtung —
wie vielleicht alle Dichtung — zunächst nur rhythmisierte Prosa'
war, Prosa mit Herausarbeitung des Anfangs. Dem Initialakzent
entspricht als älteste poetische Form die Alliteration. Erst später
tritt die Herausarbeitung des Endes hinzu. Die völlige rhythmische
Durcharbeitung des Ganzen ist ein Kunstprodukt. Die volkstüm-
liche Dichtung der ersten christlich-lateinischen und der ersten
romanischen Periode steht wieder auf dem Standpunkt der end-
rhythmisierten Prosa.
Für die Akzentuierung des Lateinischen scheint mir aus
den ältesten Dichtwerken gar nichts erweislich. Man weifs,
dafs die entgegengesetztesten metrischen Theorien sich aus ihrer
Untersuchung ergaben ; keine kann die andere ganz Lügen strafen,
wenn auch natürlich die „akzentuierende" dem wahren Sachverhalt
viel näher kommt. Doch bleiben immer Verse übrig, die sich dem
aufgestellten Schema schlechterdings nicht einfügen lassen. Und
unbegreiflich bleibt dabei, wie die rein akzentuierende Sprache die
griechischen Versmafse annehmen und mit einem Schlage sich
ihnen anpassen konnte. Denn wenn die ersten Hexameter auch
rauh genug klingen, die Hauptschwierigkeit hätte dann bei den
ältesten Versuchen gar nicht im Zimmern der Verse gelegen,
sondern darin, der Sprache einen ihr gänzlich fremden Rhythmus
aufzuzwingen. Nirgends erfahren wir etwas hierüber. Und doch
hätte die spätere Generation, die diesen Rhythmus in ihren Versen
leicht handhabte und der er geläufig im Ohr war, sich ihres Sieges
freuen, ihres intensiven Gegensatzes zur Volkssprache bewufst sein
müssen. Sicher hätte sie ihn als Kulturfortschritt aufgefafst und
gepriesen. Nun mag man den griechischen Kultureinflufs so hoch
einschätzen, als man will, dafs er den Sprachrhythmus des ganzen
täglichen Lebens umgeändert hätte, wird niemand behaupten wollen.
Nichts geringeres aber mufste eintreten, wenn einer Sprachgemein-
schaft die iirbnni zu akzentuieren gewohnt war, nun ürhanl erträglich,
ia sogar schön und richtig vorkommen sollte. Und zu dieser An-
nahme wird man gedrängt, wenn man die Theorie vom rein
akzentuierenden Saturnier2 konsequent weiter verfolgt.
Es scheint sich daher doch anders verhalten zu haben. Und
zwar, wie eben angedeutet : Bei aller Verschiedenheit des lateinischen
und des griechischen Sprachrhythmus hielten sich dennoch zur Zeit
^ Vgl. Thurneysen, Rheinisches Museum 43, S. 349.
* Die Theorien vom Saturnier sind sehr übersichtlich zusammengestellt
bei Gleditsch a. a. O. S. 250fr.
107
des Eindringens der griechischen Kultur die Akzente im Latei-
nischen so sehr das Gleichgewicht, dafs die griechische Metrik
ohne alle Sprachwidrigkeit eingeführt werden konnte. Trotzdem
dürfte ein lateinischer Hexameter stets anders geklungen haben als
ein griechischer. Dafs, nebenbei gesagt, der Sprache gar nichts
Fremdes aufgezwungen wurde, zeigt der Bau des lateinischen
Verses, der vielfach und zu allen Zeiten — auch bei den klassischen
Dichtern — vom griechischen abweicht, i
VIII. Einbürgerung des steigend-fallenden Satz- und
Wortrhythmus und die daraus sich ergebenden
Veränderungen der Artikulation.
Wie nun der exspiratorische Druck im einzelnen Worte zur
Mitte strebt, so auch im Wortgefüge. Das Wichtige rückt vom
Satzanfang weg: semantisch haben wir den steigend -fallenden
Rhythmus mit der Tendenz, eine fortlaufende Steigerung her-
zustellen. Für die syntaktischen Gefüge entwickelt sich der seman-
tische Rhythmus
Objekt nähere Bestimmung
als der habituelle. Nunmehr ist das zweite Glied dasjenige, das
unter dem Hauptdruck steht, der Sprecher eilt vom ersten auf das
zweite, und daher werden diese zweiten Glieder — wie in
jedem einzelnen W^orte die neue Akzentsilbe — unter einem
bisher ungewohnten, verstärkten exspiratorischen Druck
artikuliert. Die unbewufst eintretende Gegenarbeit in den arti-
kulatorischen Bewegungen (vgl. S. 74) bewirkt nun
I. eine neue Veränderung der Artikulation,
II. eine verstärkte Veränderung der Quantität in nicht
akzentuierten Silben.
I. Die Veränderung der Artikulation erklärt sich nach
dem auf S. 70 ff. Gesagten: Der Exspirationsstrom hat einen um
so engeren Weg durch den Mundkanal, je höher die Artikula-
tionsstelle liegt. Ist der zu emittierende Luftstrom kräftiger, als
dafs er durch diesen Mundkanal passieren könnte, so verbreitert
resp. verlieft sich der Mundkanal, mit anderen Worten: die
Artikulation wird tiefer gelegt, die akustische Wirkung ist eine
offenere. So wird jemand im Affekt sagen: eine Dommheit statt
eine Dummheit', er sali statt er sollr Im Lateinischen sehen wir
alle Kürzen sich um eine Stufe öffnen. Der Effekt des steigenden
exspiratorischen Druckes ist der Wandel von ü >> g und ? ]> .^;
^ Vgl. die Beobachtungen, die Cornu in seinen Beiträgen zur lateinischen
Metrik anstellt (Sitz.-Ber. Akad. Wiss. Phil.-hist. Klasse, Wien CLIX, 3) und
Vendryes a. a. O. S. 77 fF.
' Vgl. Mehringer, Aus dem Leben der Sprache, S. 242 ff.
io8
zugleich wirkt ö als p, c als c. Der Luftstrom fordert einen breiteren
Weg und erhält ihn in den Fällen, bei denen eine geringere
Muskelspannung erforderlich ist, also bei den ungespannten
(„kurzen") Vokalen. Dies gilt auch fürs 0, wenn es gleich den
Anschein hat, als ob hier eine Ausnahme vorläge, weil dennoch
a übrig bleibt. In der Vordcrtieflage sind unendlich mehr
Variationen der Artikulation möglich als in der Flochlage, daher
ist eben 0, wenn auch mehr geöffnet, doch ein a geblieben. Bei
den gespannten („langen") Vokalen hingegen setzt die kräftigere
Muskelspannung dem gröfseren Atemstrom einen solchen Wider-
stand entgegen, dafs die akustische Wirkung im Ganzen unver-
ändert bleibt. Die langen Vokale werden nur strichweise verändert,
so im Vegliotischen, wo auch bei ü und i eine Tieferlegung der
Artikulation zu konstatieren ist (sie werden zu 0 und e, vgl. Bartoli,
Das Dalmatische II, Sp. 337) oder in einzelnen rätischen Dialekten,
wie z. B. in Domleschg (ike > §ir etc.),' in Pinzolo (Inf. durmer,
-INA > ena etc.) 2 u. a. Im übrigen bleiben die langen Vokale
sich gleich.
Es ändert nichts an diesen Beobachtungen, dafs wir e statt i
und 0 statt u zuerst in akzentloser Silbe konstatieren. Das beweist
nur, dafs man beim Schreiben die Akzentsilbe sorgfältiger berück-
sichtigt, also eher bei der traditionellen Schreibung bleibt.
Der Zusammenfall von früherem ü und p, von früherem i und e
ergibt sich gewissermafsen von selbst. Wie Jespersen^ aufstellt, ist
die Artikulationsstelle für den gespannten und den ungespannten
Laut nicht wirklich dieselbe, auch wo von „gleicher Qualität" die
Rede ist. Die Zickzacklinie
\^ la dünn
i''__\ breit
\v 2^ dünn
2^ breit
etc.
zeigt, dafs dem breiten Vokale tatsächlich eine mittlere Stellung
zwischen den zwei nächstliegenden dünnen zukommt. Da nun die
Artikulation um so länger dauert, je tiefer sie gebildet ist, so ist
die Artikulation i*^ von vornherein länger als die i^; wird nun
i^ in eine nächsttiefere Artikulationsstellung gelegt, so fällt es mit
2* zusammen.
Das Lateinische hatte offenbar einen anderen Vokaleinsatz
als das Griechische, denn den lateinischen Grammatikern fiel der
Spiritus lenis der Griechen auf und wir haben sichere Nachricht,
dafs er im Lateinischen nicht üblich war. Das Lateinische hatte
^ Vgl. Gröber, Grundrifs' I, 623.
' Vgl. V. Ettmayer, Lombardisch-Ladinisches aus Südtirol S. 437.
* Grundzüge der Phonetik, S. 54,
I09
also nicht den starken Stimmritzenverschlufs, sodafs die Glottis sich
mit einen Knall öffnet, nach dem der Exspirationsstrom sich hinter
dem Verschlufs angesammelt hat, wodurch dem folgenden Vokal ein
mehr oder weniger scharfer /z-Laut vorangeht, sondern den schwachen
Stimmritzenverschlufs, bei dem die Glottis noch vor der Ein-
stellung der betreffenden Organspannungen so fein geöffnet wird,
dafs der Exspirationsstrom sacht entweicht; daher ein nicht wahr-
nehmbarer oder gar kein >^-Laut emittiert wird.i In Sprachen mit
festem Vokaleinsatz, z. B. im Deutschen, beobachtet Roudet^ ge-
ringere Luftabgabe während der Artikulation der Vokale als in
Sprachen, in denen der Stimmritzenverschlufs von Anfang an lose
ist, wie bei der romanischen Vokalartikulation.
Diese Verschiedenheit der Stimmbandbehandlung im Griechischen
und Lateinischen mufste notwendigerweise auch in der Artikulation
der Konsonanten zum Ausdruck kommen. Während das Griechische
aspirierte Konsonanten besitzt, die im Laufe der Zeit die charakte-
ristische Entwicklung zu AftVikaten durchmachen, haben wir sie
im Lateinischen nicht. Das Lateinische kennt offenbar nicht nur
keine aspirierten, sondern überhaupt keine Portes -Konsonanten,
vielmehr hatte es Lenes. Das Charakteristikum des Lenis-Kon-
sonanten ist der feste Anschlufs des folgenden Vokals, der be-
kanntlich dadurch bewirkt wird, dafs nach Öffnung des Verschlusses
die Stimmbänder unmittelbar in die Vokalstellung treten. Dies ist
der Fall in den romanischen Sprachen, aber nicht im Deutschen.
Daher ist der Luftverbrauch beim Übergang vom Konsonanten zum
Vokal im Deutschen viel gröfser als in den romanischen Sprachen.
Wird nun bei der Artikulation eines Konsonanten der
exspiratorische Druck vergröfsert, so kann zweierlei stattfinden:
A. Das Plus an Luft entströmt nach kräftiger Explosion durch
die weit sich öffnende Stimmritze. Starker Luftstrom bei offnen
Stimmbändern erzeugt (oder verstärkt) Blasen oder Hauchen. Es
wird also Aspiration resp. Affrikation eintreten, wie z. B. im Ger-
manischen.3
Dies ist aber, wie eben erwähnt, eine dem Lateinischen nicht
gebräuchliche Artikulationsweise. Daher mufste die Wirkung des
exspiratorischen Druckes sich in anderer Weise kundtun.
B. Dem verstärkten Luftstrom wird durch verstärkte Stimm-
bandspannung entgegengearbeitet.^ Hierdurch entstehen Stimm-
bandschwingungen und der Konsonant wird zur tönenden
Aussprache neigen. Je kräftiger der Ton, desto geringer, wie
bekannt (vgl. oben S. 71), der entweichende Luftstrom. Der Um-
^ Gutzmann, H., Physiologie der Stimme und Sprache, Braunschweig
1909, S. 46, Nagel, a. a. O. S. 744.
' Parole 1900, S. 219.
3 Vgl. Victor, Elemente der Phonetik, S. 286.
* Über das Verhältnis von Kehlkopispannung und Exspirationsstrom vgl.
auch Sievers, Phonetik, § 183.
HO
stand, dafs die Stimmbänder zum tönen kommen, hat also zugleich
eine Verringerung des Luftstroms im Munde zur Folge. Die bisher
übliche Verschlufsspannung erscheint daher als zu grofs, sie ist dem
Bedürfnis nicht mehr proportional (vgl. oben S. 74). Der Ver-
minderung des Luftstroms entsprechend tritt mit der Zeit eine Ver-
minderung der Verschlufsspannung ein: Der Konsonant wird
von einem gespannten in einen ungespannten übergehen.
Ist schon während jedes tonlosen Verschlusses der erste Teil, der
„Anglitt", tönend,! so setzt sich das Schwingen der Stimm-
bänder im Spätlateinischen während der ganzen Artikulation fort.
Aus der Zeit, in der der Stimmritzenverschlufs bereits ein-
getreten, die Mundverschlufsspannung aber noch nicht verringert
war, stammt vielleicht die Entwicklung des „Blählautes", der
Ansammlung von Luft über der Glottis, die im Verhältnis zum
Zwischenraum zwischen Glottis und Verschlufsstelle bei p- am
o
kleinsten, bei h am gröfsten ist 2 und die Lösung des Verschlusses
sanfter macht.
Infolge dieser Vergröfserung der Muskelspannung im Kehlkopf
und der Verringerung der Verschlufsspannung wird der tonlose
Konsonant tönend. Ein Beispiel des Übergangsstadiums ist obbrob7'io,^
in dem durch bb die Länge der labialen Artikulation, die Locker-
heit des Verschlusses, die Vokalstellung der Stimmbänder ange-
deutet ist. Vgl. die nordsardischen Verhältnisse: paggu, figga,
kanneddu <^ -etu, zinibbiri, ihliobbulu <C scopa etc. Dafs die Stimm-
bänder nun überhaupt in der Vokalstellung verharren, ist in letzter
Linie ein assimilatorischer Vorgang. Die Tendenz, dem Exspirations-
strom im Munde eine geringere Spannung entgegenzusetzen, führt
zur gänzlichen Vernachlässigung des Verschlusses bei den un-
gespannten Konsonanten, die daher in Engenlaute übergehen: b^ v
g >y, während d viel länger bleibt und überhaupt nur einzel-
sprachlich fällt.
Beim velaren Verschlusse scheiden sich natürlich die rein velaren
Laute wie lacus, laciuca, securns, die wie die andern gespannten
Konsonanten gehen, von denen, deren Verschlufs mehr palatal ist.
Hier wird dem Exspirationsstrom in der Weise nachgegeben, wie
bei den ungespannten Konsonanten, indem ein Engenlaut entsteht:
ts oder c oder s. Während p, t, velares c, b, g eine sehr alte Ent-
wicklungsstufe aufzeigen, ist dies beim palatalen c nicht der Fall.
Der Weg ist viel weiter, er konnte nicht in derselben Zeit zurück-
gelegt werden als die andern ; daher die Zerstückelung der Gesamt-
sprache vor die Vollendung dieser Evolution fällt.
Selbstverständlich ist die eben geschilderte Beeinflufsung der
Artikulation durch den Exspirationsstrom nicht die einzig mögliche,
sondern eine unter vielen. Ganz besonders wichtig erscheint die Ver-
1 Vgl. E. A. Meyer, S. 107.
^ Vgl. Nagel, Handbuch der Physiologie, S. 750.
» Orelli-IIenzen 6086 IL
II I
schiedenheit vom Germanischen, dessen Lautverschiebung ja ebenfalls
durch eine Verstärkung des exspiratorischen Druckes erklärt wird. Im
Lateinischen trifft die Veränderung in erster Linie den Vokal, in
zweiter den Konsonanten, indem dem stärkeren exspiratorischen Druck
eine Verminderung der Organspannung entspricht, die für die Vokale
unmittelbar eintritt, für die Konsonanten mittelbar. Hier nämlich
erst durch das Eintreten einer erhöhten Muskelspannung im Kehl-
kopf, die das Abnehmen der Muskelspannung im Mundraum zur
notwendigen Folge hat. Der Verminderung der Organspannung
im Mundraum entspricht (vgl. oben S. 71) und gesellt sich eine
gröfsere Dauer der Artikulation (Dehnung), vgl. unten S. 114 ff.
Im Germanischen dagegen trifft die Veränderung in erster Linie
den Konsonanten; das bedeutet: dem stärkeren exspiratorischen
Druck wird kein Widerstand im Kehlkopf entgegengesetzt, daher
erfolgt eine Erhöhung der Spannung im Mundraum. Hierdurch
haben natürlich alle Begleit- und Folgeerscheinungen verschiedenen
Charakter.
In Anbetracht dessen, dafs der exspiratorische Druck erst im
zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung wirklich einheitlicher Her-
vorheber ist, begreift es sich, dafs diese artikulatorischen Ver-
änderungen, die sehr langsam im 2./1. vorchristlichen Jahrhundert
auftauchen, auch nicht früher allgemein werden. Bei dieser Be-
obachtung fällt ja auch der Widerstand der Schrifttradition sehr
ins Gewicht.
IL Weitere Veränderungen der Quantität.
Die Kürzung der nicht akzentuierten Silbe, die in vorhistorischer
Zeit beginnt (z. B. beim Nom. terra, amor, bei amem, amet), nimmt
naturgemäfs im Verlaufe der lateinischen Entwicklung mehr und
mehr zu, in dem Verhältnis, in dem der exspiratorische Druck zum
alleinigen Silbenherausheber wird. Die Kürzung der auslautenden
Quantität macht stetige Fortschritte. Martial skandiert noch have
(vgl. S. 98), Quintilian konstatiert aber schon have (vgl. Lindsay 147).
Die Abschleifung der Kasussuffixe hatte zur Folge, dafs die zuerst
okkasionell gebrauchten präpositionalen Kasus immer alltäglicher
wurden ; die Suffixe waren dann überflüfsig für das Verständnis,
Tautologien. So ist zugleich die semantische und die physiologische
Bedingung für ihre Vernachlässigung gegeben. Zuletzt verkürzt sich
-OS -as, wodurch der Schwund des -^ bewirkt wird (wo er über-
haupt stattfindet), denn das s hielt sich stets nach Länge und
wurde von da analogisch wieder der Kürze zugefügt, vor der es
zuerst schwand (vgl. Leo, Plautinische Forschungen).
Die 'Kürzung' der auslautenden Länge ist aber vielleicht nicht
geradezu eine Quantitätsveränderung. An sich ist das nämlich
gar nicht wahrscheinlich, weil ja gerade beim exspiratorischen Druck
die nicht hervorgehobene Auslautsilbe eine ausgesprochene Tendenz
hat, sich zu längen (vgl. oben S. 97). Der Hauptunterschied liegt
in der Energie der Artikulation, im Grade der Aufmerksamkeit, die
112
man ihr zuwendet. Nun ist allerdings oft nachgewiesen worden,'
dafs die gespannte Artikulation ein gröfseres Mafs von Energie
erfordert als die ungespannte; die 'lange' ein gröfseres als die
'kurze'. Und weil dem so ist, haben wir als Hörende von der
gespannten Artikulation den Eindruck des Energischen, von der
ungespannten den des Schlaffen, Weichen, und wir vermengen
diese Eindrücke in dem Grade, dafs uns die gespannte Artikulation
auch stets 'lang' klingt, die ungespannte 'kurz'. Erst schwierige
objektive Messungen haben über diese psychischen Irrtümer Auf-
klärung gebracht. Es könnte also sehr gut mögUch sein, dafs die
„Kürzung" des Auslautes zunächst nur als Übergang von der ge-
spannten zur ungespannten Artikulation aufzufassen ist. Und ein
solcher Übergang konnte leicht stattfinden, wenn man aufgehört
hatte, die Endsilbe mit Aufmerksamkeit zu artikulieren. Durch das
gewohnheitsmäfsige Nachlassen der Stimme im Gravis-Auslaut, durch
die Ungleichmachung des exspiratorischen Druckes ist einer Ver-
nachlässigung der Endartikulation eigentlich schon vorgearbeitet.
So mufste ü und ü, e und ? etc. im Auslaute zusammenfallen.
Die Vernachlässigung der langen Verbalsuffixe vollzog sich
langsamer, da hier andere semantische Bedingungen vorwalteten.
Immerhin waren auch sie wohl mit dem Ende des IV. Jahrhunderts
gekürzt, da die Ermahnung des Cledonius (Keil V, 19. 14): 'futuro
kgam leges'. secunda persona futuri indicativo singulari numero e
producta pronuntiando est, ne secunda persona praesentis tem-
poris intellegatur' darauf hindeutet, dafs die Aussprache leges in
beiden Fällen das gewöhnliche war.
Diese Qualitätsänderung der akzentlosen Länge verliert
sich nach rückwärts in vorhistorische Zeit und wir haben keine
Möglichkeit, irgendwo eine Grenzlinie zu ziehen und zu sagen:
von da ab ist es die romanische Veränderung, die früheren Vor-
gänge sind vorromanisch. Vielmehr ist es die gleiche Veränderungs-
tendenz, die uns von Anbeginn entgegentritt, sodafs wir entweder
die Quantitätsveränderung des Auslautes überhaupt nicht
als Romanismus ansehen dürfen, oder den Beginn dieser
romanischen Entwicklung ebenfalls in vorhistorische Zeit
hinaufsetzen müssen. Denn es gibt keinen genügenden Anhalts-
punkt für die Trennung der Erscheinungen, die naturgemäfs erst
seltner, dann häufiger zur Beobachtung kommen, die, aus einer und
derselben langsam wirkenden Ursache entspringend, in gleicher
Weise stetig vor sich gehen. Die Kürzung des Nominativs terra,
malus ist die erste Etappe derselben Veränderungstendenz, die mit
der Kürzung von terms, malos ihr Ende erreicht.
Dagegen ist die Quantitätsveränderung der akzentuierten
Silbe ein wesentlich späterer Vorgang. NatürUch. Sie ist die
Folgeerscheinung der ersteren; sie kann erst eintreten, wo die
Quantitätsveränderung der akzentlosen zur Tatsache geworden.
' Vgl. vor allem Sievers, Phonetik, S. 255.
"3
Wie A. Ahlberg a. a. O. nachgewiesen hat, sind die Grammatiker-
Aussagen über Zirkumflex und Akut im Lateinischen durchaus
glaubwürdig und nicht kurz und gut (resp. gedankenlos!) von ihnen
aus dem Griechischen aufs Lateinische übertragen worden.
Die lange freie Drucksilbe vor kurzer Silbe und in Monosyllaben
wurde mit dem Zirkumflex gesprochen metä, dös. Das letztere
ist um so begreiflicher, als die modernen Messungen den aufser-
ordentlichen Unterschied der Artikulationsdauer im ein- und im
zweisilbigen Worte darlegen, vgl. bei E. A. Meyer die Messungen
der Artikulation im einsilbigen Worte S. 54 und im zweisilbigen
S. 80, die Bemerkungen Ph. Wagners (Phonet. Studien IV, 80)
über den zweigipfligen Ton der einsilbigen Wörter, sobald sie den
Satzakzent haben, endlich die Messungen Gregoire's (Variations de
la duree de la syllabe fram^aise suivant sa place dans le groupe-
ment phon^tique, La Parole 1899 S. löiif,), sowie die von Fauste
Laclotte (ebd. 263 ff.) berichteten.
Mit dem Akutus wird gesprochen:
Die (lange oder kurze) Drucksilbe vor langer {nipös, modös), die
kurze vor kurzer (malus), die positionslange vor kurzer wie vor langer
Silbe {an US, arcös). Für die Quantität des Auslautes hatten die
Alten übrigens ein feineres Ohr als wir, wie die bekannte Stelle des
Donat ad Ter. Phorm. I, 2, 77 (127) beweist: ego te cognatum dicam
et tibi scribam dicam, wo das Substantiv den Zirkumflex hat {dicani),
das futurische Verb den Akut. Für uns ist es nicht ersichtlich, ob ■
der mafsgebende Unterschied in der Artikulation des Stammes oder
des Suffixes lag; vermutlich wohl im Suffix; das Verbalsuffix mufs
etwas länger gesprochen worden sein als das Akkusativsuffix. Das
wahrscheinlichste aber ist, dafs das ganze Wort etwas weniger breit
gesprochen wurde als das Substantiv, wie ja auch im Deutschen die
Gesamtbehandlung ein Objektssubstantiv von einer Verbalform scheidet,
z. B. ich sage Dir stets . . . gegen ic/i kenne diese Sage. (Vgl. übrigens
auch die Untersuchung von Clara Hechtenberg-Collitz, Circumflex
and Acute in German and English, in The Journal of English and
Germanic Philology, Illinois U. St. A. VI, 576 ff.). Diese Beobachtung
mufs sich natürlich auch objektiv durch Apparatmessungen erhärten
lassen, aber jeder Mensch kennt diesen Unterschied ohne weiteres
und verbessert sich, z. B. wenn er im Lesen Objekt und Subjekt
gleichlautender Wörter nicht sofort sinngemäfs erkannt hat, in der
Behandlung des Satzakzentes und der gesamten Muskelspannungen
für das betreffende Wort, die es eben in dem bestimmten Satz-
akzent erfordert.
Ahlberg vergleicht den Akut dem „scharfgeschnittenen" Akzent.
Jedenfalls ist es der „gestofsene", der steigende, im Gegensatz zum
schleifenden, dem steigend- fallenden. ^ Vgl. Cledonius 31. 30 K
1 Isidor, Etym. I, 17, 2, 3 (Seh. XXIX a) u. A. erklären den Zirkumflex
als Folge von Akut und Gravis.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom, Phil. XXVII. (Festschrift.) g
114
(Seh. XXVI '^): „acutus excusso sono dicendum est, circumflectus
tractira, gravis pressa voce". Gerade die späteren Grammatiker be-
tonen ausdrücklich : non possumus dicere arais, non possumus
dicere musa (Servius bei Donat 426. 10 K, Pompeius 126. 4 K,
Seh. XXVI ^ ^), d. h. der gedehnte oder geschleifte Akzent bedingt
den im Vokal verlaufenden exspiratorischen Druck der freien Silbe ;
umgekehrt läfst sich der freie gespannte Vokal, wie in ttiusa, nicht
hervorstofsen, weil die Behandlung des Luftstromes, wie der ge-
spannte Vokal sie erfordert, das kurze und kräftige Herausstofsen
verhindert, resp. unmöglich macht.
Während die Akutusbetonung der kurzen Silbe überhaupt und
vor einer Länge insbesondere ganz begreiflich ist, mufs der Wechsel
von Akutus und Zirkumflexus auf der langen besonders beleuchtet
werden. Länge vor Kürze hat Zirkumflex ; Länge vor Länge Akut.
Darin haben wir ein Stück Ökonomie der Sprache zu erkennen: Der
Akzent wird auf der Drucksilbe nicht voll verbraucht; auch die
drucklose hat einen Anteil am artikulatorischen Interesse. Nur bei
nachfolgender Kürze kann das ganze Interesse sich auf die Druck-
silbe konzentrieren. Mit Rücksicht auf die folgende Silbe wechselte
daher der Akzent der Drucksilbe in den verschiedenen Kasus und
erst, nachdem die Vernachlässigung der auslautenden Quantität
die Kasussuffixe verändert, erfolgt eine Ausgleichung des Akzentes:
an Stelle der einstmaligen Deklination Roma, Rötnöe, Roinäm, Roma
etc. tritt durchwegs zirkumfleklisches Roma, während alle Wörter mit
gedeckter Akzentsilbe natürlich von vornherein durchgehends den
Akut hatten und behielten: scriptüs -i etc., dictüs -i etc. Hier war
also eine einheitliche Akzentuierung für alle Kasus von jeher vor-
handen; dieser einheitlich akzentuierten Deklination mit akutem
Akzent stellte sich nun eine zweite einheitlich akzentuierte mit
Zirkumflex an die Seite. Das Bestreben nach analogischem Aus-
gleich des Rhythmus kann natürlich eingewirkt haben. Eine voll-
ständige Gleichheit der Akzentuierung kann jedoch erst eingetreten
sein, nachdem die oben (S. 1 1 1 fT.) besprochene letzte Kürzung des
Auslautes vollzogen war.
Die gröfste Veränderung geht mit der kurzen freien Druck-
silbe vor sich; die Tieferlegung der Artikulation (vgl. S. 107) be-
dingt auch eine gröfsere Dauer (vgl. S. 72) und daher erfolgt
zuerst eine quantitative Ausgleichung zwischen der gelängten ehe-
mals kurzen Drucksilbe und der mehr und mehr verkürzten
ehemals langen Auslautsilbe. Z. B. mddö, einst quantitativ ein
Jambus, wird in der gesprochenen Sprache ein Spondäus aus
verschiedenen Heraushebungswerten (vgl. oben S. 87), dann ein
Trochäus,^ in dem der Druck als Heraushebungswert überwiegt:
modo. In den Fällen mit kurzer Auslautsilbe mufste dieser Zustand
noch früher eintreten: tnödiim, morit. Dafs er eingetreten ist, be-
* Vgl. Ahlberg a.a.O. 31. Der Jambus verliert je nach der Stellung
im Satze seinen jambischen Charakter.
"5
weisen die Bemerkungen des Consentius (K. 391, 25, Seh. XCIX*^),
der piper, und die des Servius im Donat (K. 444, 12, Seh. XCIX^),
der die Verwechslung der Quantität wie Romam. — rösam als Barba-
risraus tadelt. Wir sind am Anfang des V. Jahrhunderts. Von da
bis zur allgemeinen Durchführung der Vokaldehnung ist jedesfalls
noch ein Jahrhundert anzusetzen. ^
Der Zirkumfiexus ist an die Drucksilbe gebunden. Die Gramma-
tiker bemerken ausdrücklich hämorum gegen hämus'^ ete. (vgl. z. B.
Priscian I, 576, Seh. XXVIH).
Die zirkumflektische Betonung ist die Vorbedingung der
Diphthongierung. 3 Der gewundene Akzent ist in der alten Sprache
an die freie Silbe gebunden; für ihn ist der lose Ansehlufs des
folgenden Konsonanten eine Existenzbedingung, und wie es scheint,
für die Diphthongierung auch. Wo, wie im Spanischen, auch ge-
deckte Silben diphthongieren, liegt oder lag zum mindesten die
Silbengrenze nicht im Konsonanten. Zum Teil war ja schon im
Lateinischen'' die Silben grenze vor der Konsonantengruppe, z. B.
no-sier, di-gtms a-stla no-ctem pro-pler. Diese Verteilung des
Atemdruckes ist dann offenbar auch auf die Fälle übertragen
worden, wo die lateinischen Grammatiker den Silbenschlufs zwischen
den Konsonanten ansetzen [al-ier], da wir span. vuelvo, iendo
finden. Für die Gemination (Typus mit-to sü-cus) hat das
Spanische die Vereinfachung resp. Kürzung eintreten lassen, daher
auch noch jetzt due-na geteilt wird wie caha-llo. Jedenfalls setzt
die Diphhongierung die Dehnung der Silbe voraus. Das Ver-'
löschen des Atemdrucks innerhalb der Vokalartikulation ist das
Normale beim langen Vokal. Die Silbengrenze liegt am Ende des
langen Vokals.
Beim Akut hingegen ist der Konsonantenanschlufs straff. Der
Atemstrom geht vom Vokal in den Konsonanten über, und die
Silbengrenze liegt innerhalb der konsonantischen Artikulation, sei
es, dafs es sich um einen einzelnen Konsonanten handelt, oder
um eine Konsonantengruppe. Eben dieselbe Behandlung des Luft-
stromes charakterisiert aber auch den kurzen Vokal. Es ist daher
physiologisch leicht begreifhch, dafs bei akutem Akzent eine
Kürzung des langen Vokals stattfand. Wir haben verschiedene
Typen zu konstatieren.
I. Langer Vokal -|- kurzer Konsonant.
Wo der Akut den langen Vokal vor einfacher Konsonanz traf,
wurde (sofern nicht zirkumflektische Akzentuierung siegte) die
Verteilung von Spannung und Druck auf die beiden Artikulations-
1 Vgl. Einführung S. 119.
' Die Akzentuierung ist hier die der alten Grammatiker,
ä Vgl. Etlmayer, Lombardisch -Ladinisches aus Südtirol S. 466 ff. und
Goidänich, L'origine e le forme della dittongazione romanza.
* Vgl. die Belegsammlung bei Seelmann a.a.O. S. 139 ff.
8*
Ii6
Vorgänge umgedreht: Man kürzt den Vokal und längt den Kon-
sonanten, wodurch zugleich die Spannung beim ersteren nachläfst
und beim zweiten zunimmt. Also aus der Gruppe: langer Vokal
+ kurzer Konsonant entsteht eine andere: kurzer Vokal + langer
Konsonant. Es sind die von Ahlberg (S. 52fif.) verzeichneten und
näher verfolgten Entwicklungen cuppa, Juppifer, muccus etc., zu
denen auch llte7-a = httera gehört.
Ahlberg erwähnt, dafs diese Veränderung nur bei c p t ein-
trifft, ohne den Grund festzustellen. Er ist leicht zur Hand: Die
gespannten Verschlufslaute sind die von Natur längsten i und daher
sind die Vokale am kürzesten, wenn sie ihnen vorausgehen. 2 So
sind, bei wachsender Energie der Artikulation, die Vokale in dieser
Stellung hier zu weiterer Kürzung, die Konsonanten zu weiterer
Dehnung geneigt.
2a. Langer Vokal -\- langer Konsonant.
Die Gruppe: langer Vokal + langer Konsonant wider-
strebte wohl der allgemeinen Sprachökonomie. '^ Es erfolgt eine
Veränderung, indem eine der beiden Artikulationen gekürzt wird:
entweder der Konsonant: stela frz. etoile etc. oder der Vokal:
STELLA.: it. Stella, sp. estrella etc.
Dieser letztere Weg wird ausschliefslich eingeschlagen, wo es
sich um
2b. Langen Vokal -f- Konsonantengruppe handelt.
Hier wird also immer der Vokal gekürzt und die Silben-
grenze in die konsonantische Artikulation verlegt, scriptiis >' scnplus,
so dafs scripius und dictus einander gleich werden, oder besser
gesagt scfitto und deilo,^ denn als dieser exspiratorische Ausgleich
eintrat, war die artikulatorische Angleichung des Verschlusses
sowie die Tieferlegung der /-Artikulation längst erfolgt. Dieser
Vorgang hängt, wie eben angedeutet, unzertrennlich mit einem
anderen zusammen, mit der Verlegung der Silbengrenze:
scrl-plus wird scrlp-tus etc. Die Verstärkung des exspiratorischen
Druckes bewirkt, dafs der Atemstrom nicht im / erlischt, sondern
bis in die konsonantische Artikulation reicht. Dadurch wird aber
eben die Silbengrenze verlegt.
Die Dehnung aller freien und die Kürzung aller ge-
deckten Vokale erweist sich somit — so gut wie die Ver-
änderung der Artikulation — als letzte Folge des siegenden
exspiratorischen Druckes. Also wieder eine Erscheinung, die
sich aus der Kette der früher besprochenen ohne Gewaltsamkeit
' Vgl. E. A. Meyer, a. a. O. S. 40.
» Ebd. S. 48.
' Vgl. Sievers, Grundzüge der Phonetik, S. 242.
* Frz. dit, sp. dicho, ptg. dito sind bekanntlich Angleichungen an die
Z-Eormen.
117
und Willkür nicht loslösen läfst, und daher tief in die vorchristliche
Zeit zurückgeht.
Etwa im IV. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung haben wir ein-
heitliche Hervorhebung durch exspiratorischen Druck auf der
zweiten (resp. dritten) Silbe vor dem Wortende. Der ehemalige
Initialdruck ist aber nicht gänzlich überwunden. Er ist zum
Nebenakzent geworden, der bewirkt, dafs in den romanischen
Sprachen die anlautenden Silben sich anders entwickeln als die in-
lautenden, i Am meisten fühlbar bleibt er im Italienischen, das
eine Neigung zeigt, die Anlautsilbe zu dehnen: seppelire, legge,
febbre etc. Einer der späteren Grammatiker empfindet deutUch
den Unterschied zwischen Haupt- und Nebendruck: Martianus
Capella (III, 68, 15, Eyssenh., Seh. LXXV) . . . uni vocabulo accidere
omnes tres accentus posse ut est Argiletura.
Da sich der exspiratorische Druck organisch aus den leicht
nachweisbaren sprachlichen Verhältnissen entwickelt, ist die Theorie
W. Meyer's2 trotz aller geistvollen Ausführungen des Verfassers
nicht haltbar; nach ihm wäre nämlich die akzentuierende Dichtung
sowohl des Spätlateinischen als des Griechischen aus der semi-
tischen Dichtung übernommen. Die lateinische Sprache drängte
ganz selbständig dazu und wenn die rhythmische Dichtung zuerst
in christlichen Texten auftritt, so liegt das ja ganz handgreiflich
in den Kulturbedingungen: Hier war nicht nur die gröfsere Möglich-
keit, die klassische Tradition zu durchbrechen; sie war oft gerade-
zu zum Wunsche gesteigert, mit der klassischen Tradition in
Widerspruch zu geraten. Die Liturgie, mit bestimmten Ton-
modulationen gesungen, war ja gewifs nur leicht rhythmisierte
Prosa und das nichtlateinische Vorbild kann auf die lateinische
Nachbildung eingewirkt haben, aber, wie oben gezeigt worden, ist
jede volkstümliche Dichtung in ihrem Beginn nichts anderes, als
endrhythmisierte Prosa. Wir sehen hier, wie auch bei den Hexa-
metern Commodians, wieder die rohere Dichtkunst, die sich an
sorgfältigerer Behandlung des Vers(Satz)ausganges genügen läfst.
In ihrer Gänze ist die akzentuierende Dichtung das selbst-
verständliche Produkt der akzentuierenden Sprache, und eine fremde
Einmischung ganz undenkbar. Auch W. Meyer's eigne Beobachtungen
über rhythmische Prosa-* stützen den Widerspruch, der sich
gegen diese seine Herleitung erhebt: Der Wandel vom quanti-
tierenden Satzschlufs (Cursus) zum akzentuierenden, der sich
zwischen dem 2. — 4. Jahrhundert vollzieht, kann nicht auf semitische
Vorbilder zurückgeführt werden; er zeigt sich bei allen, auch den
ganz heidnischen Autoren, z.B. Vegetius, im Querolus etc., und
ist doch prinzipiell keine andere Erscheinung als die in der Dichtung
* Vgl. Thurneysen, Rev. Celt. VI, 313 und Duvau, A propos des initiales
latines, Mdm. Soc. Lingu. XII, 139.
' Gesammelte Abliandlungen zur mittellateinischen Rhythmik II S. lOSfl".
» Ebd. II, 202 fl"., 236 ff., I, uff.
ii8
beobachtete. Meyer's Untersuchungen auf diesem Gebiete sind kost-
bare Beiträge zur Geschichte der Ausbreitung des exspiratorischen
Druckes. Anknüpfend an diese Untersuchungen Meyer's über
lateinische und griechische rhythmische Prosa hat Burdach t seiner
Verwunderung Ausdruck gegeben, dafs das Griechische in irgend
einem Punkte Nachahmer des Lateinischen sein sollte, was bei
dem in Frage stehenden der Fall wäre. In dem hier erörterten
Zusammenhang erklärt sich dieser Umstand sofort: Das Griechische
ist später zur akzentuierenden Sprache geworden als das Lateinische;
es mufste zwar aus seiner eigenen Entwicklung heraus zur Hervor-
hebung durch exspiratorischen Druck gelangen, aber das Lateinische
war ihm auf diesem Wege um ein paar hundert Jahre voraus. Die
Kunstsprache ist also auf keinem der in Betracht kommenden Ge-
biete irgend gewaltsam dem herrschenden Sprachgebrauch auf-
gepfropft, sondern sie ist entweder selbst bodenständig oder doch
nur eine schwache Modifikation des Bodenständigen. Begabung
und Entwicklungsgang des einzelnen Autors sind hierbei natürlich
von grofsem Einflufs. Der Widerstand der literarischen oder viel-
mehr der Grammatiker - Tradition macht das Hervortreten der
akzentuierenden Rhythmen so bunt und kraus wie wir es sehen.
Eine reiche Sammlung beweiskräftigen Materials findet sich be-
sonders bei W. Meyer II, S. 242 ff.
Die akzentuierende Sprache ist also das erste End-
ergebnis der grofsen Evolution, die wir verfolgt haben; in
ihrem Gefolge geht die Kürzung der gedeckten, die Dehnung der
freien Vokale, die artikulatorischen Veränderungen, die besprochen
wurden. Für diese Umwälzung ist die Dauer von rund tausend
Jahren nachweisbar; ihre eigentliche Ursache ist die Ver-
schiebung des exspiratorischen Druckes durch die zu-
erst okkasionelle und später traditionelle Einbürgerung
der modernen Satzauffassung.
IX. Der Einflufs des exspiratorischen Druckes auf die
artikulatorische Entwicklung der romanischen Sprachen.
Aus der akzentuierenden lateinischen Sprache mit festen
Hervorhebungen durch exspiratorischen Druck entwickeln sich nun
die einzelnen romanischen Sprachen. Aber die Teilung in einzelne
Dialekte mufs früher angesetzt werden als die Vollendung der
Evolution: Noch war das Lateinische nicht zu dem Punkt gelangt,
dafs man von der einheitlichen Hervorhebung durch exspiratorischen
Druck mit allen seinen Begleiterscheinungen reden könnte, als ein
einheitliches Lateinisches Reich zu existieren aufhörte. Denn dieses
endigt im IV. Jahrhundert, und erst im VI. sehen wir die letzten
^ Über den Satzrhythmus der deutschen Prosa, Sitz.-Ber. Preuls. Ak.
d. W. 1909, S. 528.
IIQ
Stadien der besprochenen sprachlichen Evolution erreicht. Im
VI. Jahrhundert aber gibt es schon ganz unzweifelhafte Merkmale
für gallisches, spanisches, italienisches etc. Latein.
Wenn man nun von unzweifelhaften Merkmalen einiger
Dialekte redet, so heifst das doch wohl nichts anderes als
dafs eben die allgemeine (früher einmal einheitliche) Ent-
wicklungstendenz der Sprache auf verschiedenen Ge-
bieten verschiedene Modifikationen erfährt. So ist es
auch hier. Der exspiratorische Druck ist tatsächlich nicht auf
dem ganzen Gebiet alleiniger Herrscher geworden, sondern
in einzelnen vorromanischen Gebieten ist er in seiner Ent-
wicklung gewissermafsen verkümmert. In einzelnen Sprachen
ist die Hervorhebung einer Silbe auf Kosten der anderen konse-
quent durchgeführt, in anderen nicht. Hier setzt eine neue Unter-
suchung ein mit der Frage: inwieweit sind die neu hinzugekommenen
Völkerelemente daran beteiligt, die vorhandene Veränderungstendenz
zu beschleunigen, zu erhöhen, oder umgekehrt, sie zu verlangsamen?
Die endgültige Antwort ist noch nicht gegeben, doch sehen wir,
dafs im Mittelitalienischen, in der sich entwickelnden „Lingua" und
im Sardischen die Veränderungstendenz am schwächsten weiter-
wirkt und am frühesten nachläfst. In Nord-Italien, Rätien, Gallien
wirkt sie am kräftigsten, ungebrochensten und konsequentesten.
Eine mittlere Stellung nimmt Spanien-Portugal und Rumänien ein,
und eine ganz eigenartige das Vegliotische, worüber zum Schlufs
einige zusammenfassende Worte gesagt werden sollen. Die Frage,
nach der Entwicklung der romanischen Sprachen ist die
Frage nach der Durchführung aller früher angedeuteten,
im Lateinischen seit tausend Jahren angebahnten Ver-
änderungen, d. i.: die Durchführung des romanischen (steigen-
den) Satzrhythmus, der romanischen Wortstellung, der Silben-
hervorhebung durch den exspiratorischen Druck und
deren Folgen.
Die Entwicklung des lateinischen steigend-fallenden Rhythmus
zum steigenden romanischen spricht sich in der Wortstellung und
der Wortbildung aus. Der Satzrhythmus ist von der Satzglieder-
stellung nicht zu trennen. Ihm entspricht der Rhythmus der
einzelnen Satzteile, der Wortgruppen, resp. der aus ihnen er-
wachsenden Zusammensetzungen. Dafs der steigende Rhythmus
zum habituellen geworden ist, braucht nicht weiter erörtert zu
werden. Der steigende Rhythmus ist noch immer der einzig
produktive. Jedoch beginnt zu okkasioneller Heraushebung der
fallende in Frankreich in Verwendung zu kommen.
Weit mehr ist über die Durchführung der Veränderung in
Druck und Artikulation zu sagen. Man kann den Satz aufstellen,
dafs alle charakteristischen phonetischen Eigentümlich-
keiten der einzelnen Sprachen sich erklären lassen aus der
Behandlung des Exspirationsstromes : aus dem jeweiligen
I20
Silbendruck und den daraus sich ergebenden resp. dadurch
geforderten artikulatorischen Spannungen.
Im folgenden sollen diese Punkte übersichtlich zusaramen-
gestellt werden.
Der exspiratorische Druck als Ungleichmacher der
Silben wird an folgenden Erscheinungen kenntlich sein:
A. Dehnungserscheinungen.
I. Diphthongierung der Akzentvokale. Mit je gröfserem
Nachdrucke auf dem Akzentvokal verweilt wird, je mehr sich die
zirkumflektische Akzentuierung Bahn bricht, um so leichter wird
der Vokal diphthongieren. Es ist daher charakteristisch für die
Sprachen mit kräftigem Akzent, dafs sowohl gespannte als un-
gespannte Vokale diphthongieren. Dies ist der Fall im Rätischen,
Französischen! und Vegliotischen. Es ist auch ein Beweis
von kräftiger Akzentwirkung, wenn der Vokal in gedeckter Silbe
noch gedehnt wird. Dadurch entsteht nämlich ein Übermafs an
Energieentfaltung, indem die Silbe durch langen Vokal und langen
Konsonanten (Konsonantengruppe) ausnehmend viel artikulatorische
Aufmerksamkeit erfordert. Mit Sicherheit nachweisbar nur im
Rätischen, da die dalmatischen Belege nicht klar sind (vgl.
Bartoli a. a. O. 338).
Im Spanischen diphthongieren nur die ungespannten
Vokale, also die, deren Energieleistung nicht so grofs ist. Der
Konsonantenanschlufs ist im Spanischen, wie bemerkt, lose. Daher
kann die Druckenergie, die zur Diphthongierung auch vor Kon-
sonantengruppen führt, nicht gar so grofs genannt werden. Dasselbe
gilt fürs Rumänische und Vegliotische und die Mundarten
nördlich vom Lago Maggiore (vgl. Salvioni AG. IX, igoff.). Im
Mittel-Italienischen diphthongiert nur der ungespannte
Vokal und nur in freier Silbe. Der Druckaufwand ist also
wesentlich geringer als in den eben besprochenen Sprachen.
Die Diphthongierung ist abhängig von nachfolgenden Lauten
im Neapolitanischen, Sizilianischen und Provenzalischen
bei ungespannten Vokalen, und im Rumänischen bei gespannten
Vokalen. Diese von der folgenden Silbe abhängige Veränderung
soll mit der ihr wesensverwandten, dem Umlaut, zusammen be-
sprochen werden (S. 132 ff.).
Romagnolisch, Mailändisch, Altvenezianisch, Sar-
disch, Portugiesisch nehmen an der Diphthongierung nicht teil.
Die Dehnung des Vokals in der Antepaenultima ist
von den Druckverhältnissen nicht abhängig: it. lieviio, franz. Hede,
^ Vgl. Frz. Gram. § 59 : „ Dehnung bringt eine Steigerung der den
geschlossenen Vokalen eigenen Artikulationsenergie mit sich, die sich in einer
Verengerung des Mundkanals äulsert . ..: i?» j^"." — Es kann auch um-
gekehrt „antiphrastische" Bewegung sein; um die enge Position trotz der
verlängerten Dauer nicht zu erweitern, erfolgt eine Verengerung. Vgl. S. 75.
121
span. miercoles, rum. Mierctirl, siz. nievula: Sprachen mit ver-
schiedensten Druckverhältnissen verhalten sich hierin gleich.
IL Auf Dehnung der Artikulation beruht die Entwicklung
eines Übergangslautes (Gleitelautes), der vokalischer oder kon-
sonantischer Natur sein kann. Die Entwicklung des Gleitelautes
ist aber nicht hervorgerufen durch den Druck als Ungleichmacher
der Silben; vielmehr beweist sie eine Artikulationsenergie, die nicht
unmittelbar beim Bilden der akzentlosen Silbe nachläfst, sondern in
diese hinüberspielt. Die Entstehung des Gleitelautes erklärt sich ja
überhaupt nur durch die Fortdauer des Atemstroraes, während die
Artikulationsorgane ihre Stellung wechseln. Geht der Atemstrom
nicht aus einer Silbe in die andere über, so wird der Wechsel
der Stellung ohne hörbaren Gleitelaut vorgenommen; der Ausdruck
„Hiatustilgung" ist daher für diese Erscheinung sehr unglücklich
gewählt. In einem wirklichen Hiatus, wenn zwei Vokale hinter-
einander artikuliert werden mit frischem Atemansatz nach dem
ersten, kann eo ipso kein , Gleite 'laut entstehen, der Vokal einsalz
schneidet ja das Gleiten ab. Bleibt aber der Atemstrom in Tätig-
keit während der Stellungsänderung der Organe, so kann man von
keinem Hiatus reden, i Besonders deutlich wird uns dieses Ver-
hältnis durch die Untersuchungen J. Seemanns mit seinen neuen
in der Zeitschrift für biologische Technik und Methodik I, igo8,
S. HO ff. beschriebenen Instrumenten. Die auf S. 119 reproduzierte
Aufnahme von a-er und acr zeigt die Unmöglichkeit der Ent-
wicklung eines Gleitelautes während des wirklichen Hiatus.
Ein charakteristisches Licht auf die Natur der Gleitelaute wirft
auch der Umstand, dafs sie besonders häufig an Stelle verstummter
intervokalischer Konsonanten treten, wie z. B. im Portugiesischen.
Das Verstummen des n z. B. bedeutet ein Nachlassen der Arti-
kulation, wodurch eine akustische Pause entsteht. Ist nun jede
Spur der //-Artikulation geschwunden, so gehen die Organe direkt
von einer Vokalstellung in die andere über, aber unendlich lang-
samer, als in anderen Fällen, da die Gesamtdauer der Wort-
artikulation noch nicht gekürzt ist. Dies ist die richtige Grundlage
für die Entwicklung des Gleitelautes, Sonst ist eine günstige Be-
dingung dafür in eintretender Gleichmachung der Silben, so dafs
das Auftreten der Gleitelaute symptomatisch für eine Sprach-
periode mit ausgleichender Druckstärke ist, während in den
Sprachen mit starker Akzentheraushebung keine Gleitelaute
entstehen.
Intervokalischer Gleitelaut ist kaum nachweisbar im Rätischen.
Er ist selten im Französischen: Westfranz, bloie poie oie
(vgl. Rom. Jahresbericht für IQ06, I, 81), essuier noiel bayer (vgl.
östberg, Bloi und Poi, Mel. Chabaneau), Belege fürs Wallonische
u.a. bei Herzog, Französische Dialekttexte, Einleitung Nr. 236 ff.
1 Vgl. Schuchardt, Baskisch und Romanisch, Beihefte zu Gr. Z. VI,
S. 22 und Rom. Jahresbericht 1906 T, 73.
122
Im Rumänischen ist die Entwicklung eines intervokalischen Gleite-
lautes in der heutigen Umgangssprache ' das Gewöhnliche. Aus
älterer Zeit fehlt es fast gänzlich an Belegen, nur etwa dcrtni-o-as
und einige andere können als eingebürgerte Formen aus früheren
Perioden gelten. Offenbar handelt es sich um einen neuzeitlichen
Vorgang. Etwas mehr liefert das Spanische: suyo, miyo\ viel
mehr das Portugiesische, wo der Gleitelaut im Verlauf des
Mittelalters spät aber häufig auftritt in der durch Verstummen des
n entstehenden akustischen Pause, sereia -< serena etc. Überhaupt
zeigt das Portugiesische eine Neigung, durch Dehnung der vor-
und nachakzentischen Silben eine gewisse Ausgleichung des Silben-
wertes zu bewirken, oder wenigstens den Silbenwert der Nicht-
akzentuierten zu erhöhen. Erst in neuerer Zeit konstatieren wir
einen Wechsel der Veränderungstendenz (Kontraktion der Hiatus-
vokale seit dem XIV. Jahrhundert u. a.). Im Bardischen finden
wir den intervokalischen Gleitelaut noch später, nämlich erst in der
neuen Sprache: meju soju. Sein Hauptgebiet ist Italien: Genova etc.;
altnordit. coiititiox'O etc., neumailänd. cotiiinof, stfülof (Salv. 145),
romagn. hejei «< beatus, veja, geyugra/eja, abbtiuvt, musiruvös (Mus-
safia § 131 ff.), Lucca agoro < laurus (AG. XVI, 397 ff.), neap.
Itiio, fuie, girg. cävusa ■< causa etc.
Die Entwicklung des interkonsonantischen Gleitelautes
unterliegt etwas anderen Atembedingungen. In gedeckter Silbe
haben wir den scharfgeschnittenen Akzent; der Atemstrom geht un-
aufhaltsam vom Vokal bis zum nächsten Vokal (vgl. oben S. 115); die
Entwicklung des Gleitelautes ist daher fast unvermeidlich und tat-
sächlich ungemein verbreitet über Sprachgebiete, die sonst das
verschiedenartigste Gepräge haben, z. B. der konsonantische Gleite-
laut zwischen m-r (inenihrar), n-l (wien. Pfändet), vi-t [empliis] etc.
Der interkonsonantische Gleitelaut ist aber nicht ausschliefslich
konsonantischer Natur; er kann auch vokalisch sein. Die Ent-
wicklung eines interkonsonantischen vokalischen Gleitelautes be-
weist, dafs sich ein neuer Schallgipfel bildete, und hierdurch kommt
also klar das Bestreben zum Ausdruck, den Silbendruck aus-
zugleichen, den konsonantischen Silbenteil nicht weniger hervor-
zuheben, als den vokalischen, den eigentlichen Akzentträger. Während
interkonsonantischer konsonantischer Gleitelaut kein spezielles Merk-
mal irgend einer Sprache abgeben kann, ist der interkonsonantische
vokalische Gleitelaut charakteristisch für nachlassende, resp.
von vornherein geringere Atemenergie. Wir beobachten ihn
nicht im Französischen und Rätischen. Fürs Französische ist die
Vermeidung vokalischer Einschübe zwischen Konsonantengruppen
geradezu eine Haupterfordernis richtiger Aussprache: otr-» gegen
die bei Deutschen so beliebte ot^r.
Im Provenzalischen z. B. di veiuhr; und so in vielen nord-
^ Nach Mitteilungen des verehrten Kollegen Professor Puscariii, auT die
ich mich auch im Folgenden mehrfach stütze.
123
italienischen Mundarten; im Piemontesischen z. B. aiiler etc. Im
Norditalienischen: nördlich vom Lago INIaggiore Veri < Aprile
(AG. IX, S. 22^); altmailänd. tenderelle (Bonves.), romagnol. sepolcar
feriim < fikmu, ölum < ulmü etc. Im Veronesischen und ver-
wandten Mundarten: zender etc. Sizil.: Giacomo da Lentino (Ant.
Rime Volg. I, i6) adiveiie. Sardisch: äieru, leptirt. Nsard.: nliitnu,
turinä (tornare), aitiluru, umhara, ülumu, arrelikimi.
Die Entwicklung neuer Schallgipfel wie okm, romagn. ulem <C
ULMU usw. beweist, dafs das gekürzte olm wieder, und zwar in
seinem zweiten Bestandteil (der Konsonantengruppe), gelängt wird,
dafs der Druck sich aus dem Akzentvokal weiter verbreitet in die
Konsonanten, daher ein neuer Schallgipfel notwendig wird.
Während also im Norditalienischen und Provenzalischen auf
eine Zeit der Synkopierung i^Ven'^rsi) eine Periode des nachlassenden
Atemdruckes folgt (Vcnd^r), ist im Sardischen von vornherein keine
Kontraktion erfolgt, vielmehr die übernommene Konsonantengruppe
noch durch neue Schallgipfel zerlegt worden.
Neben diesen konsonantischen und vokalischen Gleitelauten
sehen wir dann noch eine bestimmte Reihe von konsonantischen
Lauten , die ihren besonderen Charakter haben. Es sind halb
(resp. ganz) konsonantische Gleitelaute, die infolge sehr kräftiger
Artikulation entwickelt werden: Auf diese Weise entstehen die
eigenartigen Formen des -wz'-Perfektes im Provenzalisch-Katalanischen:
volui über voigni mit Assimilation des g und u zu gg und endlich
-c\ ebenso iolc, crec ac etc. etc. Die Bildung des u wird energisch
übertrieben, so dafs ein ^-Verschlufs entsteht. Bei fortdauernder
Tendenz zu energischer Artikulation entwickelt sich das gji in der
eben beschriebenen Weise.
Im Spanischen finden wir die Entwicklung von 11 > ///-
nn > nnj. 11 und nn werden mit solcher Energie gebildet, dafs
bei Verlassen der Stellung der Gieitelaut / entsteht, der dann
nach und nach in die Artikulation des / und n selbst einbezogen
wird. Diese Jotazierung der beiden Liquiden erfolgt aber so spät
und so unvollständig, dafs sie die Artikulation des vorhergehenden
Lautes nicht mehr beeinflufst, keinen Umlaut und keine Schliefsung
des Vokals hervorruft. Das Portugiesische macht von diesen Ent-
wicklungen nur die des n mit.
III. Dehnung der Konsonanten.
Die Vergröfserung der Energie in der Artikulation des
Konsonanten geht nicht parallel mit der Dehnung des Vokals.
Das eigentliche Gebiet der Konsonantendehnung ist Italien vom
Süden bis zum Norden (ausgenommen das Maiiändische und
Piemontesische), Rälien und Sardinien. Die übernommenen
Dehnungen werden bewahrt: it. iutto, rät. iuoita, ella, sard.
casteddu etc. etc.; ebenso die durch Assimilation entstandenen:
rät. u/fiern <C infernu, it. e/e//o, engad. /ei/a, sard. assutta (<< AD
SUBT-), it. Otto, sard. ottu, eng. oick (AG. I, S. 208), sard. siz.
124
kaimo etc. etc. Es erfolgt Dehnung vor Liquida: it. lahhro etc.,
vor /: rät. it. sappia, mazzar(c), palazzo, sard. pezza etc. etc., rät.
chaminier < CAMßlARE, asiz. perüglioso u. a. (Giac. de Lentino Ant. Rime
Volg. I). Dehnung vor dem Akzent: it. seppdire, hicch. genne-
rasionc u.a. (AG. XVI, 397 ff.). Dehnung nach dem Aiizent,
speziell bei den Perfektformen: ehhi, seppi etc., eine Dehnung,
die auf Assimilation beruht, tatsächlich aber in den andern Sprachen
nicht stattfindet, ausgenommen das Provenzalisch-Katalanische, wo,
wie eben besprochen, die Assimilation erst nach der Entfaltung des
Gleitelautes eintreten kann, also ein wesentlich späterer Vorgang
ist, der eine sekundäre Veränderungstendenz der Sprache voraus-
setzt. Wir konstatieren dort also einen Assimilationsprozefs, der zur
Doppelung des Konsonanten und dann (im sekundären Auslaut)
wieder zur Vereinfachung führt. Sonst zeigen Provenzalisch-Kata-
lanisch in alter Zeit keine Neigung zur Konsonanten -Doppelung,
vielmehr vereinfachten sie die im älteren Sprachstadium gewonnenen:
\)Xov.apella etc.; auch vor Liquida trat keine Dehnung ein: cat sapia etc.
Das Spanische ist der Konsonantendehnung im ganzen ab-
geneigt; es kürzt die Konsonanten, wo es sie gedehnt übernimmt.
Nur die Liquiden sind lang; r wird gedehnt. Im übrigen sind die
Konsonanten kurz; der Vokal vor dem ehemals gedehnten Kon-
sonanten wird jetzt etwas gedehnt gesprochen, ohne dafs man eine
Veränderung der Artikulation konstatieren könnte.
Im Portugiesischen fehlen alle Dehnungserscheinungen der
Akzent- und Nebenakzentsilbe. Französisch zeigt in alter Zeit
keinerlei Neigung zur Konsonantendehnung, vielmehr wurden die
übernommenen Doppellaute gekürzt; und ebensowenig bietet das
Rumänische.
IV. Es bleibt noch ein Wort über die Verlängerung des
Auslautes zu sagen.
Auch diese sprachliche Veränderung ist ein Symptom gleichen
Interesses an akzentuierten und nicht akzentuierten Silben. Je
schärfer der Wunsch nach Hervorhebung, desto schroffer bricht
das Wort ab; die Verlängerung nach dem Akzent findet sich nur
in den Sprachen, in denen keine Neigung zur Verschärfung des
Akzentes nachweisbar ist: im Rumänischen, z. B. sase, miere
ftere'. im Sardischen: com (-0, -e), feie, inele ; etil, esii, sunfi, asard.
dane, amaäa (-< amat in Pausa) ; nachvokalisch: illoi, ädoi (vgl. Wagner
S. 62ff.); im Italienischen: Neapolitanisch: /«/c, Altumbrisch:
voie, noi'e, Rugieri d'Amici (Ant. Rime Volg. I) essere., Messer Rinaldo
d'Aquino, ebd. I, 92 sone < sunt, 97 meve, Kaiser Friedrich IL ebd.
142 mene etc. Guittone d'Arezzo (ebd. II) none, spene, tue etc. Im
Schriftitalienischen und in zahlreichen Dialekten die Endung der
3. Pers. PI. -Otto -ano, cuore, fiek, mie/e u. a.
B. Kürzungen.
Nach den Dehnungserscheinungen sind die Kürzungen vor
und nach dem Akzent wichtig zur Beurteilung des Wachsens oder
»25
Sinkens der Atemstärke. Die Dehnungserscheinungen bereiten sich
langsamer vor, in der Anlage sind sie natürlich gleich alt.
Die Kürzungen werden entweder im Inlaut vorgenommen
(Synkopierung), oder in der Fuge der Wortgruppen, im Anlaut
oder im Auslaut der einzelnen Wörter. Es mufs dabei gleich
hervorgehoben werden, dafs die Kürzungen nur in den Sprachen
stattfinden, in denen die Wörter als Einzelbestandteile der Rede
empfunden werden. Der exspiratorische Druck bildet aus jedem
Worte oder aus kleinen Wortgruppen {z. B. Artikel + Substantiv)
eine Einheit, innerhalb deren der Akzent zu seinem Gipfel steigt
und von da wieder abfällt. Diese Einheiten bleiben untereinander
unvermischt und der Auslaut der einen wirkt nicht auf den An-
laut der anderen, vielmehr hängen sowohl Auslaut als Anlaut jeder
einzelnen Einheit von ihrem eignen Akzente ab. Wir bemerken
also, dafs die durch den Akzent hervorgerufenen Kürzungen
nicht gleichzeitig mit den Sandhierscheinungen auftreten.
Dafs die Wirkungen beider Vorgänge in demselben Sprachzustande
anzutreffen sind, beweist natürlich nichts gegen die Richtigkeit dieser
Aufstellung, bewahrt die Sprache doch Spuren aus verschiedenen
Bildungsstadien durch aufserordentlich lange Zeiträume. Auch können
noch nach einer Richtung Entwicklungen infolge semantischer
Analogien stattfinden, während die physiologische Veränderungs-
tendenz schon eine andere Richtung einschlägt. Hier nun läfst sich
sagen: Eine Sprache hat entweder Synkopierungstendenzen, oder sie
hat Sandhitendenzen. Dies ist an sich ja ganz begreiflich. Die
Sandhierscheinungen sind nur da möglich, wo nicht jedes Wort für
sich besteht sondern die Sprache in mehr oder minder ungehindertem
Flufse aus einer Worteinheit in die andere übergeht. Wenn der
Auslaut des einen Wortes und der Anlaut des folgenden auf-
einander wirken sollen, so müssen alle Silben gleichstark im Be-
wufstsein existieren; die Silbenhervorhebung darf nicht in dem Mafse
vereinheitlicht sein, dafs darüber alle andern Silben vernachlässigt
werden. Der exspiratorische Druck bewirkt Worttrennung;
je geringer der exspiratorische Druck ist, desto leichter
fliefsen die Wörter ineinander.
Die Sandhierscheinungen sind also offenbar mit dem Herrschen
des stark exspiratorischen Druckes nicht vereinbar; sobald eine
Silbe in einer gröfseren Silbengruppe besonders hervorgehoben
wird, verändern sich nicht alle Silben gleich; bei stark akzen-
tuierenden Sprachen ist eben die Wortscheidung gröfser als bei
schwach akzentuierenden. Wo aber eine Silbe nicht besonders
hervorgehoben wird, verändern sich alle Silben gleichmäfsiger.
Daher sind die Sandhierscheinungen hier begreiflicherweise in viel
höherem Mafse vorhanden. Es ist somit von vornherein anzunehmen,
dafs wachsender exspiratorischer Druck die Sandhierscheinungen ein-
schränkt. Synkopierungs- und Sandhierscheinungen stehen,
wie sich herausstellt, im umgekehrten Verhältnis der Häufig-
keit; sind die einen stark vertreten, so sind eben deshalb die andern
126
nicht vorhanden. Die Sandhierscheinung beweist mehr als alle
andern die geringe Hervorhebung einzelner Silben auf Kosten der
übrigen; es sind mehr oder weniger gleichwertige Redeteile, die
aufeinander wirken. In denjenigen Sprachen, die Sandhierscheinungen
aufweisen, sind die einzelnen Redeteile noch Jahrhunderte hindurch
gleichwertig geblieben, während in den andern Sprachen die stärksten
Differenzierungen vorgenommen wurden. Die allgemeine Sprach-
geschichte scheint diese Aufstellung zu bestätigen. Wir kennen die
starken Sandhierscheinungen und den geringen exspiratorischen Druck
des Sanskrit ; im Altgriechischen haben wir weit mehr Sandhivorgänge
als im Lateinischen und für die romanischen Sprachen kann geradezu
der Satz von der umgekehrten Proportion beider Phänomene auf-
gestellt werden. Er verträgt sich wohl auch mit den Beobachtungen,
die wir im Keltischen machen können. Deutlich zeigt uns diesen
Wechsel der Vorgänge das Ali französische; auf die Synkopierungs-
periode folgt eine Periode der Veränderung des Auslautes, der in
dem früherem Zeitabschnitt intakt bewahrt worden war. i Eine
eingehendere Untersuchung auf nicht romanischen Sprachgebieten
lag leider meinem Arbeitsfelde zu fern. Doch glaube ich, den all-
gemeinen Satz aufstellen zu dürfen: Die Zeiten des gröfseren
exspiratorischen Druckes wechseln mit Perioden, in denen das
Sandhi zunimmt; sie fallen nicht zusammen.
Was die Synkopierung anbelangt, so ist es von vornherein
klar, dafs sie mit der Druckvergröfserung im engsten Zusammen-
hang steht. Je intensiver der exspiratorische Druck auf der Akzent-
silbe liegt, desto mehr werden die unmittelbar vorhergehende und
die nachfolgende Silbe vernachlässigt.
Es ist nun sehr bemerkenswert, dafs viel mehr romanische
Sprachen die vorakzentische Silbe kürzen, als die nachakzentische.
Der vorwärtseilende Akzent vernachläfsigt alles auf dem Wege zur
Hervorhebungssilbe; viel weniger sind die nachakzentischen Silben
gefährdet, wo die Natur des Konsonanten für die Möglichkeit der
Synkopierung mafsgebend wird.
Die Tendenz, vorakzentische Silben zu kürzen ist
also gröfser als die, nachakzentische zu verwischen.
Auch hier ist Wortteilung offenbar. Der Akzent eilt zum Haupt-
druck, aber nach dem Druck ist die Hervorhebungstendenz befriedigt.
Die Nachakzentsilben sind der Zerstörung viel weniger ausgesetzt
als die Vorakzentsilben. Charakteristisch ist z, B. fürs Romagnolische,
die Mundarten nördlich vom Lago Maggiore {vde, sren <, serenu
sru < SORORE etc.) der Unterschied der Konsonantenhäufung vor
und nach dem Druck. Nach dem Druck ist die „Empfindlichkeit"
für die Art der Gruppe viel gröfser, d. h. die Neigung zur Syn-
kopierung ist unendlich geringer. Vor dem Druck kommen sehr
harte Verbindungen heraus, die nachträglich wieder erleichtert
^ Vgl. G. Gröber, Eine Tendenz der französischen Sprache, Miscell.
Ascoli.
127
werden, d. h. eine sehr energische Synkopierungstendenz wird später
durch eine Nivellierungstendenz der Silben abgelöst. Die Einführung
eines neuen Schallgipfels bedeutet eine Verminderung der Ein-
heitlichkeit in der Silbenhervorhebung. Dies ist das spätere Stadium,
das auf die Tendenz der Ungleichmachung der Silben folgt.
Das Hauptgebiet der Synkopierung ist Frankreich, Rätien und
in Norditalien die Emilia. Im Emilianischen erfolgt sie, man möchte
sagen, mit elementarer Gewalt ohne Rücksicht auf die sich aus ihr
ergebenden Konsonantengruppen, die in einer späteren Sprach-
periode — wie oben besprochen — durch Einführung neuer
Schallgipfel erleichtert werden.
Im Französischen! ist im ganzen der Drang zu synkopieren
grofs und er ist früher durchgesetzt worden als viele andere Folge-
erscheinungen des exspiratorischen Druckes nachweisbar sind. Die
Kette der Synkopierungen vom Altlateinischen her ist nicht unter-
brochen: culu > chi\ cupressiis etc.; caldus etc.
Vor dem Akzent kann Synkopierung nur vor -st stattfinden.
Vor anderen Konsonantengruppen bleibt e (resp. z). Die Syn-
kopierung fand vor Erweichung der Tenuis statt; aber k scheint
schon g gewesen zu sein.
Im Provenzalischen zeigt sich die Silbenhervorhebung insofern
weniger energisch, als die unmittelbar auf den Akzent folgende
Silbe nicht allemal vernachlässigt wird, sondern umgekehrt ihre
Vernachlässigung sehr stark von der Beschaffenheit der Kon-
sonanten abhängt, die in den nachakzentischen Silben stehen ; man
formuliert den Ausdruck gewöhnlich so, dafs man sagt, die Syn-
kopierung erfolge nicht, wenn die Konsonantengruppe, die dadurch
entstünde, dem Sprachgebrauch nicht genehm wäre. Die Annahme
einer solchen vorschauenden und vermeidenden Kraft in der Ver-
änderungstendenz hat etwas nicht ganz Überzeugendes. Es ist vielleicht
physiologisch richtiger zu sagen, dafs die Synkopierungstendenz am
ungehindertsten bei den Halbkonsonanten auftritt, vor allem bei Liqui-
den, wo der Atemstrom ohne Hindernis von der ersten Silbe über die
zweite zum Konsonanten der dritten läuft (oder wo der Halbkonsonant
am Anfang der dritten den Schallgipfel der zweiten leicht entbehren
und einbüfsen kann). Welche Konsonanten der Energie des Atem-
stromes eine gröfsere Stauung entgegensetzen, hängt von der
einzelnen Sprache ab und in vieler Hinsicht wird man die Beweis-
führung umdrehen und aufstellen können: wenn in einer Sprache
ein bestimmter Laut der Energie des Atemstromes diesen Wider-
stand entgegensetzt, so ist das eben charakteristisch und gestattet
einen Schlufs auf die Art seiner Artikulation. 2 Ist die Hervor-
* Vgl. Hist. Gram, der franz. Sprache, § 127 ff.
* Vgl. die Untersuchungen E. A. Meyev's, Neuere Sprachen IV, l8fi". über
die Wirkung des silbenschliefsenden Konsonanten auf die Tonkurve des Vokals.
Je mehr exspiratorische Kraft der Konsonant in Anspruch nimmt, um so
geringer wird die Wirkung auf den Anstieg resp. Abfall der Tonbewegungs-
kurve des Vokals.
128
hebungstendenz sehr kräftig, so örfolgt die Synkopierung natürlich
früher, und zwar vor der Tönendmachung der tonlosen Laute.
So romagnolisch, rätisch, französisch. Im Provenzalischen hingegen
setzt z. B. -p- im Anlaut der zweiten Silbe dem Atemstrom eine
so kräftige Grenze, dafs es — man könnte sagen — wie ein Wall
die folgende Silbe schützt. Der Schallgipfel wird nicht unterdrückt;
so bleibt das p intervokalisch und entwickelt sich entsprechend.
Andrerseits ist das rhythmische Interesse nicht an allen Silben
gleich grcfs, vielmehr erlahmt es im Verlauf der Nachakzentsilbe.
Daher wird die zweite Silbe nach dem exspiratorischen Druck ver-
nachlässigt und schwindet.
Der Unterschied der Synkopierung im Französischen und
Provenzalischen besteht darin, dafs das Provenzalische den Neben-
akzent der letzten Silbe vermindert zugunsten der vorletzten. Es
lälst den Akzent nach der Hervorhebung der Hauptsilbe nicht so
tief sinken, oder vielmehr, es reifst die Hauptsilbe nicht so stark
hervor. Dadurch bleibt dann die Pänultima erhalten, während die
Ultima fällt; der Widerstand bei gewissen Konsonanten ist gröfser
als im Französischen, wo der Kürzungstrieb in erster Linie schafft.
So bleiben im Provenzalischen alle Silben mit Spirant in der Anlaut-
silbe; alle mit n in der Auslautsilbe. Je weiter nach Süden desto
deutlicher tritt die Abneigung gegen Synkopierung hervor.
Das Katalanische steht, wie immer, auf einer Mittelstufe, es
synkopiert in einigen Fällen, und zwar mit Entwicklung des Gleite-
lautes.
Das Spanische synkopiert ohne diese Begleiterscheinung,
z. B. viernes. Die Synkopierung tritt zwar ein, aber die Artikulation
ist nicht so energisch, dafs sie zur Entwicklung des Gleitelautes
führen würde. Man erreicht eine von selbst gleitende Artikulations-
folge, indem die Verschlufs- resp. Engenbildung ans Ende der
Konsonantengruppe gerückt wird: rn, ebenso dl >> /(/.
Einem späteren Entwicklungsstadium gehören die Fälle an,
die dieser Aufstellung zu widersprechen scheinen: honibre hembra
etc. Denn homne ist ja altspanisch belegt; dieses wird dissimiliert zu
homre und dann erst entwickelt sich der Gleitelaut.
Die Synkope tritt nicht ein nach zwei Konsonanten. Der
Atemdruck ist also dann nicht mehr so intensiv, dafs er über die
zweite Silbe weg für die Bildung des folgenden Konsonanten reichte:
hosp-t-e kann sich im Französischen entwickeln, nicht im Spanischen.
Der zweite Schallgipfel bleibt erhalten und daher die nachakzentische
Silbe.
Die spanische Synkopierung steht unter dem Zeichen der nicht
über zwei Konsonanten hinwegreichenden Stärke des Exspirations-
stromes. Er erlahmt im zweiten Konsonanten. Es entspricht den
Beobachtungen, die z. B. Bourdoni gemacht hat, dafs auch nach
* Application de la methode graphique ä l'dtude de l'intensite de la
voix, L'Annee psychol. 1S98, S. 3693".
129
/ keine Synkopierung eintritt. Das f erfordert nämlich neben /
die gröfste Intensität. Die Synkopierung nach y" erfolgt im Spanischen
und Provenzalischen gar nicht, sondern nur im Französischen. Und
hier ist es auffallend, dafs die Synkopierung erst nach der Zeit
der Diphthongierung der offenen Vokale eintritt, also später als in
den andern Fällen, vgl. jiießie, Estiefne, iiMe, das *iievede voraussetzt,
ehe vd > dd > d werden konnte. Es scheint also auch hier die
»-Artikulation der Synkopierung gröfseren Widerstand entgegengesetzt
zu haben. Vgl. dagegen gendre, dompte <[ domitat etc.
Andrerseits ist aber doch auch im Spanischen und im Pro-
venzalischen die Hervorhebung der Drucksilbe stärker, als dafs zwei
folgende Silben gleichwertig bleiben könnten. So entscheiden sich
beide Sprachen in diesem Falle für die zweite zu Ungunsten der
letzten Artikulationsphase.
Die spanische Synkopierung erfolgt nach der Erweichung der
Tenues : caudal. Die Neigung zur Synkopierung ist so schwach, dafs
ihr die Ausgleichung der Infinitivtypen zuvorkommt. Das Spanische
bevorzugt *legire über Uglre usw. Die Entwicklung der Verben mit
-ng- zeigt deutlich, dals die Akzentverschiebung nach der Ver-
änderung von ^Tigere zu —njere stattfand (wäre sie vorher erfolgt,
so würden diese Stämme -rtz- aufweisen, vgl. enzia <C gingiva, seti-
zillo <C *äiNGELLUs, Berzeo <C vekgegiu etc., esparci'r, uncir, asp.
terzer, in denen die endungsakzentuierte Form verallgemeinert
wurde; vgl. auch renzilla neben reiiir, das, wie die Mehrzahl der
-«^-Verben, zum späteren Typus gehört) und dafs damals die Syn- .
kopierung fern lag. Die Hervorhebung der Akzentsilbe überragte
also, wie man sieht, die Nachakzentsilbe nicht in dem Mafse, dafs
nicht noch Entscheidung zu gunsten dieser letzteren möglich ge-
wesen wäre.
Im Portugiesischen sind die Verhältnisse zunächst wie im
Spanischen. Die Trennung der beiden Sprachen ist erst nach der
Synkopierung vor sich gegangen. Daher weist das Portugiesische
nur spätere Spezialentwicklungen auf Seit neuerer Zeit läfst sich
hier die Tendenz zu einheitlicherem Silbendruck beobachten. Die
Synkopierung nimmt zu. Sehr lehrreich ist es, wo sie sich vor
allem einstellt: trive •< tekebellum, praiso, crda, fruncho und so
bei d — r, g — r, h — r\ ferner im Hiatus. Ebenso beim nachakzen-
tischen Vokal: vivra •< vifera. So war es zu allen Zeiten.
Die Akzentverhältnisse sind also im ganzen im Portugiesischen
wie im Spanischen; nur in einigen Punkten weicht es ab und da
meist erst im späteren Mittelalter. Zusammenfall von Hiatusvokalen
ist natürlich portugiesische Spezialentwicklung; diese hängt aber
nicht mehr von dem exspiratorischen Druck ab, der aus dem
Lateinischen übernommen wird.
Den Sprachen mit schwachem exspiratorischem Druck
widerstrebt Synkopierung: Sardisch, Süd- und Mittel-Italienisch,
Rumäriisch synkopieren nicht oder doch nur in geringem Mafse.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift.) y
»30
Der Schwund des nachakzentischen Auslautes hin-
gegen ist gradatim zu finden; am bedingungslosesten in den stark
synkopierenden Sprachen, am geringsten in den nicht synkopierenden.
Es ist nicht nötig, wieder alle Sprachen daraufhin durchzugehen,
es möge nur eine Bemerkung über das Verhalten des Spanischen
Platz finden.
Allgemeiner Verlust des auslautenden Vokals unmittelbar nach
dem Akzent ist charakteristisch für den nordspanischen Dialekt, für
leonesisch-aragonesische Texte.
Im Kastilianischen ist der Abfall des auslautenden Vokals
Regel nach r l n s z (t) d, * wenn er spätlat. e i war. Die Artiku-
lation eines tönenden Lautes wird auf Kosten des nachfolgenden
vokalischen gebildet, aufser wenn es sich um a, o handelt. Das
artikulatorische Interesse ist also nur, wenn 0 o im Sinne sind, rege
genug, um dem Verbrauch der ganzen artikulatorischen Kraft im
Konsonanten entgegenzuwirken. Das c*» wird erst tönendes z, das
/ erst d, ehe der Abfall des nachfolgenden Vokals zu konstatieren
ist. Man artikuliert also (mindestens) zwei tönende Laute, Vokal
-\- l n r s z d, und vernachlässigt die folgende vokalische Artiku-
lation, sobald sie ein e sein soll, während a überall die Aufmerksam-
keit mehr auf sich zieht, fester in der Sprachgewohnheit haftet,
wenn man so sagen darf, „lieber" ausgesprochen wird, als die
anderen Laute. Zu bemerken ist nur, dafs -0 mit -a geht, nicht
mit -e, -i. Es mufs eine starke Ausgabe an tönender Kraft vor-
gelegen haben; so wie ein Halbkonsonant vorausgeht oder nach-
folgt, bleibt die Erhaltung des Schallgipfels im Nachlaut gesichert:
e//e ^ ell-j-e.
Damit stimmen die im Cid vorhandenen Formen der 2. Ps. perf.
fust, prisist nicht, wenn man sie für echt kastilianische nimmt. Man
sieht, dafs der Abfall nach tönendem Konsonanten wirklich kastilia-
nischem Sprachgebrauch entspricht, denn er hat sich erhalten; der
Abfall nach tonlosem Konsonanten aber entspricht ihm nicht, und
es ist daher wahrscheinUch, dafs diese Formen zu den nicht echt
kastilianischen des Gedichtes gehören. Formen mit -e stehen neben
ihnen.
Im Norditalienischen finden wir ein Zunehmen der Abfalls-
tendenz seit dem Mittelalter. So hat der Abfall des auslautenden
Vokals seit Bonvesin Fortschritte gemacht; jetzt ist die Nachakzent-
silbe geschwunden, die Oxytonierung hat sich daher ausgebreitet.
Aber nicht auch die Synkopierung. Vielmehr sind die Proparoxytona
nur durch Abfall der Ultima gekürzt worden und auch das erst
später: aus coser (kochen) >» cos usw., iogliere >> toeu (Cherubini).
Auch im Portugiesischen beobachten wir seit dem Mittelalter
eine Neigung zur Verkürzung, sowohl im Anlaut als im Auslaut;
man kann die Veränderungstendenz des Portugiesischen charakteri-
1 Vgl. Men6ndez Pidal, CanUr de Mio Cid, I S. 262 ff.
13?
sieren als eine Zentralisierung des Interesses auf den Mittelteil der
Artikulation.
Gehen wir nun zum Gegenstück der Synkopierung, zu den
Sandhierscheinungen, über.
Die sogenannte Satzphonetik ist gering im Rätischen: doch
aber vorhanden, vgl. dad el neben da cons und einige andere; im
Französischen: Abfall des -c in syntaktischen Verbindungen gegen
Bewahrung in Pausaform; Verstummen, resp. Abfall vor i d s, nach
den Darlegungen in der Französischen Grammatik, § 184 ff., vgl.
oben S. 126; im P rovenzalischen und Katalanischen, wo
erst in neuerer Zeit einige Fälle zu verzeichnen sind.
Im Spanischen haben wir aus alter Zeit geringe Spuren von
Satzphonetik: jio lo < nos lo u. a. In der modernen Sprache ist
das auslautende s resp. -i" nicht abhängig von der folgenden, sondern
von der vorhergehenden Artikulation, da nach / e das -s und nur
nach a 0 das -s hörbar ist. Aber so wie das auslautende -s in
Pausa kräftiger artikuliert wird als vor einem folgenden Laute, so
wird auch das -s in Pausa länger beibehalten als im Satzinnern. In
Andalusien z. B. ist auslautendes -.y nur noch in Pausa vorhanden,
im Satzinnern vor konsonantischem Anlaut ist es verstummt. In
einigen westlichen Dialekten, die ans Portugiesische angrenzen, ist
Assimilation des Auslautes an folgenden Anlaut Regel, so in Estre-
madura und Salamanca (Men. Pidal, El dialecto leones S. 37, ceid-
aTws = seis, anteh-de = antes usw.).
Im Portugiesischen wird u. a. das auslautende -s je nach
dem folgenden Laute modifiziert.
In allen norditalienischen Sprachen alter oder neuer Perioden
wie im Dalmatischen ist kaum eine Spur von Sandhierscheinungen
zu finden. Im Rumänischen gibt es Sandhivorgänge, deren
Spuren dem in Pausa gesprochenen Worte nicht mehr anhaften.
Das eigentliche Gebiet der Sandhierscheinungen ist Mittel- und
Süditalien und Sardinien, Es ist nicht nötig, dies durch Bei-
spiele zu erhärten.
Die Kürzung des An- und Auslautes ist nicht nur als Kürzung
der Silbe zu verstehen. Es handelt sich auch darum, ob die
artikulatorische Energie bis zur letzten überlieferten Stellung in der
letzten Silbe des Wortes ausreicht. In diesem Punkte ist es nun
wieder sehr wichtig für die artikulatorische Abänderung, ob die be-
treffende Sprache die Wörter trennt, oder nicht. Gibt es scharf
getrennte einzelne Wörter, so haben wir Bewahrung resp.
Verlust der an- oder auslautenden Artikulation, je nach dem
Mafse des Silbendruckes; wo die Wörter aber nicht scharf ge-
trennt werden, haben wir es nicht mit Abfall, sondern mit Assimi-
lation zu tun. In einer Sprache mit steigendem Druck trennen
sich die einzelnen Wörter voneinander und zentralisieren sich an
irgend einem Punkte ihrer Artikulation; die Rücksicht auf die
vorhergehenden und nachfolgenden Artikulationen ist gering; es
treten Kürzungen ein, entweder in bezug auf Laute oder auf Laut-
132
gruppen. Bei nachlassendem Silbendruck dagegen herrscht eine
gewisse Neigung zum Ausgleich der Silbenwerte; nicht nur wird
dann von den an- und auslautenden Artikulationen keine auf-
gegeben, sondern umgekehrt gewahren wir eine gewisse Ver-
längerungstendenz der Artikulation.
Parallel hierzu geht natürlich auch die Behandlung der vor-
und nachakzentischen Vokale in bezug auf Schaliverstärkung
resp. Verminderung (oder Erhöhung) der Muskelspannung.
Je lebhafter der nichtakzentuierte Vokal in der Vorstellung des
Sprechenden ist (also je ausgeglichener der Silbendruck), desto
mehr wächst die Möglichkeit, seinen Schall zu verstärken. Den
Sprachen mit starkem Silbendruck liegt demnach Schallverstärkung
fern; so ist sie dem Habitus des Französischen vollständig entgegen-
gesetzt. Das Französische hat die Tendenz, den nichtakzentuierten
Laut zu schwächen, nicht, ihn zu stärken.
Das Provenzalische kennt diese Schallverstärkung, vgl. davas,
marce, dalgai, das Katalanische liebt sie; hier finden wir auch
7^ ]> ö in ponir, orina, foyr usw.
Im Spanischen wird vielmehr vorakzentisches o ~^ u, e '^ i
(lugar u. ä.; es soll hier nicht vom Umlaut die Rede sein!), es findet
also eine Erhöhung der Muskelspannung statt; nach dem Akzent
hingegen entwickelt sich i >> e. Historisch betrachtet ist die erste
dieser Erscheinungen die Gegenströmung zur zweiten; diese letztere
datiert nämlich tatsächlich aus einer früheren Zeit und zeigt uns
noch das Wirken des Silbendruckes in der im Spanischen ursprüng-
lichen Kraft. Sie bekundet ein nachlassendes Interesse an der
Endartikulation, dem das gänzliche Aufgeben der Endartikulation
in den besprochenen Fällen entspricht. Aus der späteren Zeit, in
der der Silbendruck wieder nachläfst, stammt dann die Entwicklung
der vorakzentischen Laute, die wir jetzt sehen.
Im Portugiesischen: Schallschwächung in den Ausgängen
-ote -ate «< -o usw., Erhöhung der Muskelspannung im Vorakzent:
0 > «, (? ^ ?'.
Im Rumänischen erfolgt ebenfalls Erhöhung der Muskel-
spannung vor dem Akzent: o >• w, a > 5 ? {bärhäl, tirziu), e "^ i
(besonders in den Dialekten), Schallabschwächung im Auslaut:
a > ä.
Im Romagnolischen desgleichen e '^ i, o '^ u, im Nachakzent
hingegen, wie es scheint, Schallverbreiterung; m (en) ^ an: ho-
MINKS >> Oman, asinu >> esa^f, Wandel von er > ö/-— : farmezza.
Im Mittel- und Süditalienischen ist Schallverstärkung weit ver-
breitet; z. B. cronaca, in Sizilien nicht nur calacu «< Calice sondern
auch asistere (existere) aternu usw.; altabruzz. accasiotie, altumbr.
astlnato <C {phst-).
C. Wechselwirkung der Silben.
Ein Hauptmesser der Druckstärke ist das gegenseitige Ver-
halten der Silben, die Wechselwirkung zwischen akzentuierten
133
und nicht akzentuierten Silben. Diese Wechselwirkung besteht
entweder im Umlaut d. i. vollständige oder teilweise Assimi-
lation des Druckvokals an den folgenden drucklosen; oder in
voller Assimilation des drucklosen an den vorhergehenden oder
folgenden Druckvokal (Vokalharmonie). Eine Zwischenstufe stellt
der Veränderungstypus dar, der gemeiniglich als „Attraktion"
bezeichnet wird. Ein Teil der beabsichtigten Artikulation wird in
die eben in der Bildung begriffene hereinbezogen, z. B. südfranz.
SAPUl saup usw.; Pral: -okiu >> -ujro z. B. sejrujro, t^rejuol =■ terra-
juolo (AG XI, 335), ebenso in Val Soana (AG III, 7) pariu > pajr^
ptg. -ARiu > eiro etc.
Wenn dann aus dieser verfrüht eingetretenen Artikulation im
Verein mit dem altvorhandenen Vokal ein Diphthong entsteht, und
dieser sich abermals monophthongiert, z. B. span. vorhistorisch *madeira
(wie portugiesisch madeira) zu madera, so ist das ein sekundärer
Vorgang.
Endlich gehört unter die Wechselwirkungen auch das Kapitel
von der bedingten Diphthongierung. Sobald die Diphthongierung
abhängig ist von folgenden akzentlosen Lauten, ist es klar, dafs
zwischen akzentuierter und akzentloser Silbe dasselbe Druckverhältnis
herrscht wie beim Umlaut und bei der Vokalharmonie.
Das Typische dieser Erscheinungen läfst sich so zusammen-
fassen: Die Artikulation der folgenden Silbe ist so sehr im Bewufst-
sein, dafs sie schon in einem etwas früheren Zeitabschnitt des
Sprechens vorweggenommen wird; und das geschieht nicht nur,
wenn es sich um die Artikulation der Drucksilbe handelt, die im
Blickpunkt des Bewufstseins stark akzentuierender Rede ist; in
Sprachen (oder zu Zeiten), in denen sich das Interesse an der
Artikulation nicht auf die Drucksilbe in so ausschliefslicher Weise
konzentriert, kann die folgende drucklose Silbe auf die Artikulation
der Drucksilbe wirken.
Es ist für die sprachliche Entwicklung zur Zeit eines bestimmten
exspiratorischen Druckes charakteristisch, in welchem Grade die
drucklose Silbe neben der Drucksilbe im Bewufstsein ist. Je gröfser
der Silbendruck desto geringer sind die Wechselwirkungen
zwischen Druck- und drucklosen Silben; bedingte Diphthongierung,
Umlaut, Attraktion und Vokalharmonie sind charakteristisch für eine
Sprechweise mit geringem exspiratorischen Akzent. Sie ent-
stehen nicht in den Sprachperioden, in denen ein exspiratorischer
Druck von bestimmter absoluter Kraft herrscht, 1 sondern sofern sie
sich in stark akzentuierenden finden, sind sie Sedimente aus früheren
oder späteren Entwicklungsperioden; aber aus der Zeit des starken
exspiratorischen Druckes können sie nicht stammen.
* Im Lateiaischen z. B. begegnen uns einzelne Fälle von Vokalharmonie
aus der Zeit, in der der exspiratorische Druck von der Initialsilbe auf die
folgende Silbe geschoben, also in beiden wohl annähernd gleichwertig war, wie
lacatio <^ locatio, rutundus, vixillum usw.
134
Je stärker der Umlaut und die Herübernahme des nicht
akzentuierten Vokals in die Akzentsilbe vertreten sind, desto
weniger ist die nichtakzentuierte Silbe vernachlässigt.
Die Umlautwirkung erfordert, dafs die nichtakzentuierte
Silbe stark im Bewufstsein ist, während die akzentuierte artiku-
liert wird. Sie ist also nicht möglich zu einer Zeit, in der die Hervor-
hebung eines Wortteiles besonders angestrebt wird. Da nun die
lateinische Entwicklung von der vorchristlichen Zeit her die Tendenz
hat, den exspiratorischen Druck vorherrschen zu lassen und die Druck-
silbe auf Kosten der andern hervorzuheben, so widerstrebt ihr
während dieser ganzen Epoche sowohl die satzphonetische als die
Umlautwirkung. Alle Belege für Umlaut aus der ersten Kaiserzeit
sind also schon aus inneren Gründen nicht stichhaltig, selbst
wenn nicht die völlige Vereinzelung sie verdächtig machte. Die bei
Schuchardt, Vokalismus I, S. 309 zahlreich gesammelten Fälle vom
Typus accipi u. ä. können — was wiederholt geschehen — i nicht als
Belege für „umlautendes Perfekt" herangezogen werden, da ja Be-
lege wie fielt, accipit, tiitno usw. S. 260 IT. in ebenso grofser wo nicht
gröfserer Anzahl daneben stehen. An eine bereits so weitgehende
analogische Ausbreitung des Umlautes im i. oder 2. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung wird doch aber schwerlich jemand glauben
wollen. Alle diese Belege können also nur den Artikulations-
wechsel von i und e illustrieren.
Da der einheitliche Silbendruck nicht mehr in die Zeit des
einheitlichen römischen Reiches fällt, so kann die Umlautwirkung
noch um so viel weniger in die vorromanische Zeit gesetzt werden.
Vielmehr ist die Umlautwirkung einzelsprachlich und das erklärt
auch, dafs die Erscheinungen auf den verschiedenen Gebieten nichts
weniger als gleichartig sind.
Die Umlautwirkung ist also aufzufassen als eine Erscheinung,
die der Silbenhervorhebung geradezu entgegengesetzt ist. Sie entsteht,
wie es scheint, als eine Art Gegenströmung in Zeiten nach einer
Druckbewegung. Sie ist der Ausdruck einer Nivellierung des Akzentes
und diese Nivellierung kann erst eintreten, wenn die Hervorhebungs-
tendenz ihr Ende erreicht hat. Es mufs dabei nicht an ein gänz-
liches Abbrechen der Bewegung gedacht werden, es wäre auch eine
Zickzacklinie denkbar: /^ 3 / i. Hervorhebungstendenz, 2. min-
destens zeitweiliges Abflauen, Nivellierung des Akzentes, 3. Umlaut-
wirkung, 4. Neuerliches Anschwellen der Hervorhebungstendenz.
Wo die Umlautwirkung zu konstatieren ist, mufs, mindestens zeit-
weilig, eine Nivellierungstendenz des Akzentes vorhanden gewesen
sein. Dadurch ist die Chronologie des Umlautes einigermafsen
erschwert.
Treten die Assimilationserscheinungen (um sie mit einem Worte
^ Vgl. Cainoy, Le Latin d'Espagne^ S. 28.
^35
zu bezeichnen) später auf, als z. B. die Erweichung der Tonlosen
— und das ist meistens der Fall — so zeigt sich darin ein Nach-
lassen der exspiratorischen Druckwirkung, eine Richtungsänderung
der artikulatorischen Tendenz. Tatsächlich sind Veränderungen der
konsonantischen Artikulation und Umlaut alternierende Er-
scheinungen; z. B. im Althochdeutschen tritt die Konsonanten-
verschiebung im 6. Jahrhundert, der Umlaut im 8./q. Jahrhundert
auf. In Frankreich ist die durch den exspiratorischen Druck hervor-
gerufene Bewegung ziemlich intensiv, der Umlaut ganz gering:
eist, il etc., pris, fis, vin, fui, mui, coimi 2. Pers. Perf. sing, -is, dui,
vingt. Der französische Umlaut hat sicher ein sehr hohes Alter, da
später die nicht akzentuierte Auslautsilbe gar nicht mehr beachtet
und schliefslich ganz gekürzt wurde.
' ImProvenzalischen ist die Druckwirkung geringer, die Um-
lautwirkung nicht bedeutend gröfser, wohl aber die Attraktion. Im
Altkatalanischen haben wir keinen Umlaut sondern nur Attraktion
{inuyra usw.). Im Spanischen ist ist es noch auffallender. Im
Spanischen wie im Portugiesischen findet Metathese statt, nur mit dem
Unterschiede, dafs das Spanische bis zur zeitlichen Vereinigung
der zwei nunmehr aneinanderstofsenden Artikulationen schreitet,
das Portugiesische aber nicht (span. -airo > et-o, ptg. eiro usw.). In
beiden Sprachen konstatieren wir den Umlaut in ausgedehntem Mafse,
im Portugiesischen nicht nur durch i und tt sondern auch durch o.
Im Kastilianischen haben wir noch aufserdem die eingeschränkte
Diphthongierung, da jeder auf den offenen Vokal folgende palatale
Laut sie verhindert, vgl. hoja, ojo, hoy usw., sogar die ganz frühen
Veränderungstypen wie pretiu, grege nur zu prez, grey führen.
Der Wandlungsprozefs des // und -g- ist schon in der Wende des
2./3. Jahrhunderts nachweisbar, die Einwirkung des /-Elementes im
ti auf den vorhergehenden Vokal mufs sich über eine lange Zeit
erstreckt haben. Das Eintreten des s- Lautes ist dadurch als ver-
hältnismäfsig spät, die ganze Entwicklung als eine sehr langsame
gekennzeichnet.
Im Rumänischen finden wir Attraktion: äibä, roib usw., und weit-
gehende Beschränkung der Diphthongierung, die ganz von der
folgenden Silbe abhängt. Es ist also wieder klar, dafs die folgenden
Laute sehr kräftig stark im Bewufstsein waren und daher auch
gegen die akzentuierte Silbe nicht stark zurücktreten konnten. Die
Diphthongierung unterbleibt vor ti (also Schliefsung der Artikulation),
sie kann sich nicht entwickeln vor i, u und wohl auch vor o. Die
Frage ist nun: seit wann ist die Wirkung der nachfolgenden Laute
anzusetzen? Ist die Diphthongierung bis zu <?' gediehen und dann
rückgängig gemacht oder ist sie überhaupt nicht gebildet worden?
Nach dem ganzen Habitus des Rumänischen mufs die Wirkung der
nachfolgenden Laute immer grofs gewesen sein: alle charakte-
ristischen Züge der Akzentverstärkung fehlen; alle tonlosen bleiben
unverändert; die Synkopierung macht keine Fortschritte; nur die
akzentlosen Auslaute werden vernachlässigt. Es zeigt sich also in
136
diesem Zusammenhang, entgegen Ihrer ersten Aufstellung, ^ dafs die
Entwicklung zu e^ mit Rückbildung weniger wahrscheinlich ist als die
Erhaltung durch /, u und Weiterentwicklung vor a, e.
Ein Hauptgebiet des Umlautes ist Sizilien und Unteritalien; im
Altabruzzesischen [dibio, qtiisto, miniri, iiirni, curio, priso usw., D'Ancona,
Origini I, 158 ff.), im Altumbrischen, bei Rinaldo d'Aquino (zw,
Ant. Rime Volg. I) und Guido Guinizelli (ebd. II) usw. usw., im Neapoli-
tanischen und Calabresischen (vgl. Mussafia, Regimen Sanitatis). Es
sei gestattet, an diesen letzteren Mundarten die Sache ausführlicher
zu betrachten. Wir haben bedingte Diphthongierung und Umlaut:
im Norden nur vor -u -i, im Süden (Lecce, Calabrien, Noto) vor
-u -i -o. Es wird also e 0 — i, u ]> { u\ in den meisten italienischen
Idiomen (ebd. S. 5) haben wir Umlaut bei /', im Süden auch bei tu
Nordit. quisti, -usi, qtiesto, -oso, südit. cA/s/^ chisto -us^ -us§. Im
Neapolitanischen diphthongiert f ~^ ie p > uo [i u: bona hone, buon^
biioti^, in Südneapel, Calabrien usw. aber auch vor 0.
Also Diphthongierung und Umlaut sind im Nordneapolitanischen
nur vor i u möglich, im Süden ungleich; die Diphthongierung ist
weiter entwickelt als der Umlaut. 2
Dort wird lat. I > f, aber ii nicht > 0. Das Neapolitanische
steht demnach fast auf der Entwicklungsstufe des Lateinischen,
aus dem das Sardische abzweigt.
Im Calabr. usw. ist 0 (wohl sekundär) zu u geworden. Für
das dortige Spätlateinisch ist also der Status e u anzusetzen, worauf
das g sich dem u angleicht. Das u war wohl auf der Grenze von
u und ö, die letzte Angleichung ist jedenfalls erst spät erfolgt. Die
Diphthongierung ist überall ein so später Vorgang, dafs sie erst
nach der Ausgleichung des Auslautes erfolgt sein kann. Sonst
müfste man die Diphthongierung vor « < 0 als sekundär, aus ana-
logischer Wirkung erklären. Für das ursprüngliche Phänomen bleibt
es sich ziemlich gleich.
Für das neapolitanische Latein ist also eine so geringe Akzent-
verstärkung anzusetzen, dafs sie das u nicht öffnete. Dem entspricht
die starke Satzphonetik, die gleichmäfsige Behandlung aller Wort-
teile, das Verhältnis von Umlaut und Diphthongierung: der Umlaut
ist in unendlich gröfserem Ausmafs vorhanden als bei den stark
akzentuierenden Sprachen, die Diphthongierung in viel beschränkterem.
Die Synkopierung fehlt.
In Norditaiien spielt der Umlaut eine grofse Rolle, z. B. in den
Mundarten nördlich vom Lago Maggiore, im Mailändischen usw.
Er ist in selten vollständiger Weise analogisch ausgebreitet, so dafs
er zum Numeruszeichen wird, z. B. nördlich vom Lag. M. tavul-tevul
* Romanische Grammatik I, § 83.
2 Es sei nur im Vorbeigehen auf die komplizierten Umlautverhältnisse
der einzelnen Dialekte hingewiesen: Arpino (AG XIII, 301), Campobasso (ebd.
IV, 147 ff), Cerignola (ebd. XV, 87) usw.
137
usw.; hier fällt in einer für den ganzen Prozefs typischen Weise
mit den Assimilationserscheinungen die Kürzung der Vorakzentsilbe
bei Bewahrung der Nachakzentsilbe zusammen. Nach dem Haupt-
druck bleiben die Silben besser bewahrt; der Druck steigt bis zur
Akzentsilbe, fällt aber nicht mit derselben Intensität ab. Es ist die
Empfindung für Worteinheiten vorhanden (also geringe Satzphonetik) ;
1 2
die Akzentwellen sind offenbar von der Form / : i aufsteigend
zum Hauptdruck, 2 abfallend vom Hauptdruck. Die Silben nach
dem Akzent sind fast gleichwertig; der Silbenabfall ist, wo er er-
folgt, eine sekundäre Erscheinung, denn die Umlautwirkung raufs
doch erst vor sich gehen, ehe die umlautende Silbe abfällt.
Die Umlautwirkung erfordert gewissermafsen als nächste Parallel-
erscheinung die Erhaltung der Pänultima im Proparoxytonon,
dies ist auch tatsächlich im Rumänischen, Sizilianischen, Spanisch-
Portugiesischen und in den Mundarten nördlich vom Lago Maggiore
der Fall.
Es ist klar, dafs die Umlautwirkung, auch wo nur geringe
Synkopierungserscheinungen zu konstatieren sind, doch nicht ein-
treten mufs, so im Sardischen.
Volle Assimilation des Vokals (Vokalangleichung) ist in den
stark akzentuierenden Sprachen undenkbar; sie kommt dort nur
vereinzelt vor, und zwar gar nicht nach dem Akzent. Auf die
nachakzentische Silbe wirkt nichts. Hingegen kann die vorakzentische
Artikulation auch dissimilatorisch beeinflufst werden. Diese Wirkung
ist z. B. im Französischen sehr alt, sie geht ins Vorfranzösische zurück
bei retonda undtm«?/;i im übrigen sind diese Dissimilationen zugleich
Artikulationsschwächung und daher gleicher Richtung mit der all-
gemeinen sprachlichen Veränderungstendenz.
Dissimilation ist sehr häufig im Spanischen, das hier wieder
eine mittlere Stellung einnimmt {i—i > e—i, o—t >• ti — i, auch mit
analogisierender Kraft). Im Portugiesischen überwiegt Assimi-
lation (vgl. Cornu Gr. Gr.2 947 ff.) und so in den andern in betracht
kommenden Sprachen, in Sizilien und Neapel (alte Beispiele z. B.
maladiztone, sormonare in der Rosa fresca, sanza bei Giacopo da
Lentino ; dovavate, dilizie, Ogosto, malaficom'a, Racanato in Lucca, AG XVI),
im Romagnolischen [taramott, nutumeja-^x'SA'lOMiA, barzaletta), endlich
im Sardischen {tanäzi < tenace, lactammi usw.). Hier ist das Be-
streben nach Vokalangleichung überwiegend, es befördert nicht nur
Schallverstärkung, sondern fällt unter Umständen auch mit Schall-
schwächung zusammen. Auf alle Fälle gilt der Satz: Die nicht-
akzentuierte Silbe wird um so eher verändert, je geringer
die Vorherrschaft der akzentuierten ist.
In Sprachen, die die vorakzentischen Silben stärker beachten,
überwiegt Assimilation.
Selbstverständlich kann nur in einer Periode geringeren ex-
1 Franz. Grammatik § 228, Rom. Gram. I, 358 fF.
138
spiratorischen Druckes eine Analogiewirkung von der akzentuierten
auf die akzentlose Silbe stattfinden. In Zeiten starken Druckes
würden diese beiden Wortbestandteile nicht als ähnlich genug
empfunden werden, als dafs man eine formale Angleichung aus-
zuführen geneigt wäre. Unter solchen Ausgleichungen ist die
bemerkenswerteste die Artikulierung des Diphthongs in nicht-
akzentuierter Silbe. Wir finden sie, abgesehen von den analogischen
Futurforraen des Französischen {tiendrai etc.), im Spanischen und im
Engadinischen: misericoargiäivel {AG. I, S. 236), wo ein solcher
Zustand besonders bemerkenswert ist. Viel weniger fallt Zwei-
gipfligkeit der Nichtakzentuierten im Sizilianischen auf, wo die
Silbenhervorhebung überhaupt schwach ist. Girg. auliva < oliva
kann nicht analogisch sein; es ist offenbar organisch erwachsen.
D. Veränderung der Konsonanten im Wortinnern.
Schliefslich sind noch die charakteristischen Unterschiede in
der Entwicklung der im Wortinneren befindlichen Konsonanten
festzustellen. Es ist nun schon von vornherein klar, dafs die Ver-
änderung der konsonantischen Artikulation im Wort-
innern um so gröfser sein wird, je gröfser der exspira-
torische Druck ist, je mehr also die Zentralisation des Akzentes
fortschreitet. Und je gröfser diese Zentralisation der Hervorhebung,
desto gleichgültiger wird die Stellung vor oder nach dem Akzent.
In den meisten Sprachen sind die Veränderungen vor dem Druck
gröfser als nach dem Druck; dies beweist wieder, dafs die artikula-
torische Energie mit gröfserer Intensität zum Hauptdruck drängt,
als sie von ihm abfällt: Intensives Steigen bis zum Hauptakzent,
langsameres Abfallen vom Hauptakzent zur Ruhe. Die verschiedensten
Variationen finden sich in diesem Punkte der Entwicklung; eine
vollständige Durchführung der Untersuchung mufs einer späteren
Zeit aufbewahrt bleiben. Es ist klar, dafs jede geringfügige Änderung
in der Stärke des Atemdruckes, in der Art der exspiratorischen
Sprachgepflogenheit eine andere Gruppierung der Neugestaltungen
hervorruft. Nach dem oben (S. 109 ff.) Angeführten wird im Ro-
manischen der gespannte Verschlufs um so mehr gelockert, je inten-
siver der Druck ist; er wird schliefslich ganz aufgehoben; (Ton-
lose > Tönenden, Tönende > 0). Je intensiver der Druck, desto
deutlicher wird das Bestreben, den ersten Konsonanten einer
Gruppe dem vorhergehenden Vokal zu assimilieren, also den
Konsonanten zu vokalisieren, während Sprachen mit geringem
exspiratorischen Druck die Konsonanten einer Gruppe einander
angleichen, eventuell die Halbvokale konsouantisieren.i Wir
finden daher im Französischen Schwächung bis Schwund der Ver-
schlufslaute; Assimilation des palatalen resp. velaren Konsonanten
einer Gruppe an den vorhergehenden Vokal {c cons y> i cöns^
^ Vgl. hierzu G. Gröber's aus einem ganz anderen Gesichtspunkte unter-
nommenen Untersuchungen in Commentationes Woelfflinianae, S. l8off.
139
/ cons ;;> u cons etc.) ; Vereinfachung der gedehnten Konsonanten,
die Dehnung sei primär oder sekundär. Das Provenzalische zeigt ge-
ringeren Druck als das Französische, hier wird -c e i. nicht mehr
bis zu s gelöst, sondern nur bis z, -G ^ »' nur bis i", P > Ä, T > <f
entwickelt; die Tönenden fallen nicht ganz aus etc. Die Kon-
sonanten in Gruppen werden einander assimiliert {/ach etc.). Ebenso
ist es im grofsen ganzen im Rätischen: tonlose werden tönend,
tönende bleiben; es erfolgt Assimilation der Konsonanten an ein-
ander (z. B. frucc, AG. I, S. 267 etc.); gedehnte Konsonanten
bleiben. In kleineren oder gröfseren Abweichungen zeigen diesen
Entwicklungstypus die Mundarten nördlich vom Lago Maggiore,
das Altmailändische (während Neumailändisch zum französischen
Entwicklungstypus neigt) und die anderen norditalienischen
Mundarten, herab nach Mittelitalien (z. B. Guittone d'Arezzo hat
piagenza, richeza, tute etc., Ant. Rime Volg. II).
Lucca steht in der Mitte zwischen der nördlichen Sprachen-
gruppe, der italienischen Schriftsprache und dem Süden durch die
Tönendmachung des c {pogo, miga, Palavigino etc., vgl. AG, XVI)
aber Beibehaltung des /. Die Assimilation ist vollständig. Die
gedehnten Konsonanten bleiben erhalten.
Im Katalanischen werden Tonlose > Tönenden, Tönende bleiben.
Assimilation erfolgt teilweise. Gedehnte Konsonanten werden er-
halten. Das Spanische zeigt zunächst eine ziemlich starke Wirkung
des exspiratorischen Druckes, insofern es sämtliche inlautende Kon-
sonanten tönend macht, auch s, und die Tönenden abfallen läfst;
dies allerdings nur vor dem Akzent. Nach dem Akzent ist der
exspiratorische Druck hierzu nicht grofs genug. Alle Dehnungen
werden vereinfacht.
Sehr charakteristisch für die mittlere Stellung des Spanischen
in Bezug auf seinen exspiratorischen Druck ist der Assimilations-
prozefs der Konsonanten. Während das Französische ihn möglichst
durchführt, hat das Spanische an vollständiger Assimilation aufser
den vorromanischen Typen raptu > rato, ipse > esse, URSU >> osso,
DOMNU >> duenno, nur MB >> wzra (> m) zu verzeichnen, allerdings
die einfachste Assimilation, da es sich nur um Vernachlässigung
einer artikulatorischen Bewegung handelt. In allen anderen Fällen
wird eine teilweise Assimilation zustande gebracht, in der aber beide
Laute zu einem neuen Produkte verschmelzen: ex ]> k't >> h-f ]> ch,
gegen it. ex > // oder PL, vl ';^ II = IJ, LX > ///' > ch u. a.
Nachdem die Assimilation des ersten Konsonanten an den vorher-
gehenden Vokal bis zu einem gewissen Punkte gediehen und die
Verschlufsbildung zu einer (spirantischen) Engenbildung geworden
ist, erfolgt eine Richtungsänderung der artikulatorischen Tendenz
und nunmehr eine Assimilation der beiden Konsonanten, oder
besser gesagt, eine Durchdringung der beiden Laute, die nunmehr
an Stelle der ehemaligen Konsonantengruppe vorhanden sind.
Diese temporäre Durchdringung von zwei Artikulationen besteht
darin, dafs die eine Artikulation in der anderen aufgeht, wie das
140
auch primär stattfindet, z.B. bei GN d. i. /« > ;7, gl = // > y,
CS > h's >> L >> S. Es wird also nicht eine Artikulation auf
Kosten der andern gebildet, nicht eine mit wesentlich gröfserer
Aufmerksamkeit als die andere; vielmehr ist das artikulatorische
Interesse für die verschiedenen Teile der Rede annähernd gleich
verteilt. Daher ist die Entwicklung auch wenig abhängig von der
Stellung zum Akzent.
Im Portugiesischen kommt teilweise Assimilation mit gegen-
seitiger Beeinflussung und Schaffung eines neuen Produktes zu-
stande. In den meisten Fällen bringt es das Portugiesische nur
bis zu einer Vokalisierung des ersten Konsonanten: CT >> it, pt
> tit etc. Die Energie der Artikulation nimmt im ersten Kon-
sonanten ab, und zwar konstant, ohne den zweiten zu beeinflussen.
Jedoch kennt das Portugiesische auch vollständige Assimilation:
abgesehen von RS >> ss, das ja allerdings aus der frühesten Zeit
vulgärlateinischer Veränderungen stammt, die späteren Vorgänge:
adega << abdega, cidade neben agal. ciddade, bei welch letzterem
sichtbar wird, dafs vollständige Assimilation zur Dehnung führte, die
dann vereinfacht wurde.
Das Rumänische bietet teilweise Assimilation: // ]> / etc.,
temporales Ineinandergreifen der Artikulation. Die tonlosen Ver-
schlufslaute werden nicht tönend; sie verharren auf dem älteren
Standpunkt. Die Konsonantengruppen bleiben unverändert (aufser
den schon vulgärlateinischen ns >> j, rs wohl über *jj > s). Alle
langen Konsonanten werden gekürzt.
Das Sardische, Süditalienische und Sizilianische zeigen auch
darin geringe Spuren exspiratorischen Druckes, dafs sie alle Kon-
sonantengruppen assimilieren, alle Dehnungen und alle Verschlüsse
beibehalten. Der ganze oben (S. 109) geschilderte Vorgang findet
auf diese Sprachen keine Anwendung. Der tönende Verschlufs
kann tonlos werden, z. B. vite >> VIDIT (Teramo). Die Erweichungen
der Tonlosen, die auf einzelnen Gebieten eintreten, (Campidan.
pagu, sassar. paggu) sind, wie man eben sieht, langsamere und
spätere Vorgänge. Der (satzphonetische) Ausfall gehört ebenfalls
einem späteren Sprachstadium an. Die Konsonantenassimilation ist
z.T. vollständig, der lange Konsonant bleibt dann erhalten; z.T.
ist die Assimilation nicht ganz durchgeführt, z. B. // > rt (südsard.,
kors.); selten geben beide Konsonanten zusammen ein neues Pro-
dukt, wie Is > zz (nordsard.): btizzu, hahha < barca, baJiHone <C
BALCONK oder ihHohhulu < scopa etc.
Es ist natürlich, dafs der Charakter der Veränderungstendenz
in den einzelnen Sprachen nicht allemal und nicht in jedem Augen-
blicke klar zu erkennen ist. Verschiedene Phasen, die in vor-
historischer Zeit aufeinanderfolgten, erschweren die Erkenntnis der
ursprünglichen Bildungen. Am verwickeltsten vielleicht ist das Bild
des Vegliotischen. Die erste Schicht der Veränderungen läfst
auf kräftiges Steigen des exspiratorischen Druckes schliefsen, dem
141
alsbald ein Nachlassen gefolgt sein mufs. Denn die Tieferlegung der
vokalischen Artikulation ist durchgehend — auch i und ü nehmen
daran teil — und es kommt zur Diphthongierung bei offenen und
geschlossenen Vokalen, a wird > o, also wie im Französischen in
die Mittellage der Artikulation gehoben, nur dafs die Artiku-
lationsstelle eine andere ist. Ferner konstatieren wir frühe Syn-
kopierung (vgl. Bartoli, das Dalmatische II, S, 346 ff.); in aus-
gedehntem Mafse treten alle Typen vulgärlateinischer Synkopierung
ein: respondro, kukro <C COQUEre, sahglu, januia «< anima, vetrun <C
VETEKANU etc., und zwar so früh, dafs der Vokal noch die Be-
handlung des primär gedeckten Vokales mitmacht. Andrerseits ist
eine Reihe der für geringen exspiratorischen Druck typischen Er-
scheinungen vorhanden: die Konsonanten bleiben sowohl inter-
vokalisch als in Gruppen unverändert (vgl. a.a.O. S. 366flf.): an-
lautendes wie inlautendes /, />,_/, d etc., />/, mn, k/, />/, ß etc.; es
gibt einzelne Fälle von Attraktion (S. 3Ö0), von Dissimilation (S. 356),
und von Assimilation (S. 354); es gibt wohl entwickelten Umlaut
(S. 352 ff.), der allerdings nur bei a nachweisbar ist und dessen
Wirkung in die Zeit gesetzt werden mufs, als bereits statt a eine
mittlere Artikulationsstellung für den Vokal eingenommen, aber
ehe diese Artikulationsstellung nach rückwärts verlegt wurde, denn
sonst wäre ja das Umlautsprodukt nicht 2 sondern ü? oder dgl.
Ferner finden wir Wirkung der Akzentartikulation auf die ihr nach-
folgende im Veränderungstypus viNU >» *vem > ven: das palatale
Element verbreitet sich aus dem Diphthong über den folgenden
Konsonanten u. ä. Hingegen fehlen die Sandhierscheinungen.
In manchen Mundarten ist der Zwischengliedcharakter be-
sonders deutlich ausgeprägt, so etwa in der Mundart von Silano
am Nordabhang des Appenin (AG. XIII, 333); sie bildet den Über-
gang vom mittelitalienischen zum emilianischen Sprachhabitus: es
gibt keine Synkopierung, aber Vokalschwächung, keine Diphthon-
gierung, keinen Umlaut, wohl aber Sandhierscheinungen usw.
So skizzenhaft die obigen Auseinandersetzungen sein mögen,
so ergibt sich doch auch schon aus ihnen objektiv, dafs die
Wirkungen des exspiratorischen Druckes in Sardinien am geringsten,
in der Emilia, Rätien, Nordfrankreich am gröfsten sind. In Frank-
reich ist die romanische Wortstellung und der steigende Satz-
rhythmus am festesten geworden, in Sardinien wurden die meisten
Reste der archaischen Stellungen konstatiert. Das Sardische ist
die konservativste Sprache, das Französische — trotz der doch so
hinderlichen starken Schrifttradition — die am weitesten entwickelte.
Alle anderen Sprachen stellen Zwischenstufen dar. Das Französische
ist in der Behandlung der Suffixe bis zu dem Punkte gediehen,
dafs es sie vielfach nicht mehr als solche empfindet; die neuen
Bildungen, womit es sie ersetzt, sind Präfixe; also wieder An-
sätze zur Vorausstellung des Determinierenden vor das
142
Determinierte, zum semantisch fallenden Akzent und ein
fallender Wortrhythmus wird seit etwa 30 Jahren in seinen ersten
Anfängen konstatiert.^ Auch dieser ist zum gröfseren Teil se-
mantisch bedingt. Die Sprache strebt nach Heraushebung der
„syllabes psychologiquement radicales ou caracleristiques" (Bourdon
137). Bemerkenswert ist auch Bourdon's Ausspruch (133): „. • . l'ac-
cent oratoire lend geueralement, au moins dans les raots relative-
ment peu complexes, ä se placer sur ce que, conforraement ä la
termiiiologie des grammairiens, on peut appeler la partie radicale
du mot; en d'autres termes, ces langues, sous l'influence de l'accent
oratoire, doivent tendre ä s'accentuer comme l'allemand". Da nun
die deutsche Akzentuation einen archaischen Charakter hat im Ver-
gleich zur lateinisch-romanischen, ist es offenbar, dafs sich hier eine
der grofsen Spirallinien sprachlicher Entwicklung vollendet. Das
Französische strebt einem Zustande entgegen, den wir im vor-
historischen Latein anzunehmen haben und die innere Ursache der
Veränderung erweist sich als dieselbe hier wie dort: das Bedürfnis
nach okkasioneller Heraushebung. In Jahrtausendamplitüden schwingt
so das Pendel sprachlicher Gepflogenheit zwischen den zwei Aus-
drucksmöglichkeiten hin und her. Sobald der Anstofs zur Bewegung
gegeben ist, mufs der Gesamtkörper der Sprache bis in seine letzten
Fasern von ihr ergriffen werden. Die Wirkung einer einzigen
solchen Pendelschwingung können wir historisch betrachten. Mit
innerer Notwendigkeit mufs die Rückschwingung angetreten werden,
nachdem die einstmals okkasionelle Redeweise in der Hauptsache
traditionell geworden ist. Auch die festeste Kulturüberlieferung
kann diese Bewegung nur hemmen, nicht dauernd aufheben. Denn
der Gegensatz der beiden Redeweisen ist psychisch bedingt; die
physiologischen Wirkungen auf die Sprache können nicht aus-
bleiben.
Dürfen wir die romanische Sprachperiode als diejenige be-
zeichnen, in der durch die Stellung des Determinierenden nach
dem Determinierten eine Veränderung des ganzen Sprachhabitus
hervorgerufen wurde, so werden wir ihre Dauer billig von dem
Zeitpunkt an rechnen, wo diese Tendenz zuerst auftritt — also nicht
bestimmbare Jahrhunderte vor der historischen lateinischen Über-
lieferung zurück — bis in die Zeit, in der die umgekehrte Aus-
drucksmethode wieder zur Herrschaft drängt. Das wäre also die
Gegenwart. Was sehen wir aber? Eine gänzlich ungleiche Grund-
lage für eine neue Entwicklung: In einem Teile der Romania ist die
archaische Sprechweise kaum verklungen; es ist nicht abzusehen,
wann und ob dieser Teil in das Entwicklungsstadium kommt, in
dem andere Gebiete sich heutzutage befinden. Infolgedessen wird
der Unterschied zwischen den einzelnen Sprachen im Verlaufe der
Jahrhunderte notwendigerweise viel gröfser werden, als er jetzt ist.
* Vgl. Bourdon a. a. O. 120 ff., und die zusammenfassende Betrachtung
in Ihrer Französ. Grammatik S. 116 ff.
143
Wer sagt uns, dafs wir nicht die Vergangenheit im Spiegel
der Gegenwart beurteilen müssen? Hat es sich früher anders zu-
getragen? Hat die Menschheit schon viele solche Evolutionen
hinter sich ?
Aber ich glaube Sie zu sehen, mein lieber hochverehrter
Meister, wie Sie mit einem Lächeln ablehnen, mir in dieser Be-
trachtung weiter zu folgen und so lege ich lieber die Feder aus
der Hand.
Wien, März 1910.
Elise Richter.
Vom Abdruck der überaus umfangreichen Bibliographie sehe ich aus Platz-
mangel ab.
Zur Bildung romanischer Kindernamen.
Für die Erklärung romanischer Kindernamen kommt eine Er-
scheinung in Betracht, die bisher wenig beachtet wurde und die
doch für unser Problem von Wichtigkeit sein dürfte. Täglich können
wir hören, wie die Kleinen bei den verschiedensten Gelegenheiten
bald in zärtlichem, bald in ironischem oder vorwurfsvollem Ton
mit Tiernamen bezeichnet werden und auch für die Erwachsenen
trifft dies zu, wobei allerdings der pejorative Charakter solcher Be-
nennungen zu überwiegen scheint. Henderl, Katzerl und Mauserl
sind Ausdrücke, die ich in Österreich auf Kinder anwenden hörte,
und was die Erwachsenen betrifft, so gibt es kaum ein Haustier
mit dem sie nicht mitunter in mehr oder weniger schmeichelhafter
Weise verglichen werden. Es handelt sich jedenfalls um eine höchst
verbreitete, vielleicht sogar allgemein sprachliche Erscheinung und
ich glaube, dafs hier der Schlüssel für eine Anzahl etymologisch
dunkler romanischer Kindernamen zu finden ist, was ich im folgenden
erörtern möchte. Eine zusammenfassende Statistik über die An-
wendung von Tiernamen auf Personen steht mir nicht zur Verfügung
und ist auch nicht unbedingt nötig. Den gröfsten Teil des von
mir benützten Materiales verdanke ich der bewunderungswürdigen
Sammlung Roll an ds: La Faune populaire de la France und dem Werke
Richard Rieglers: Das Tier im Spiegel der Sprache, 1907. Im
übrigen dürfte sich fast jeder an Beispiele aus Sprachen verschiedener
Nationen erinnern, die geeignet sind, die hier vorgebrachte Ansicht
zu stützen. Die Anwendung auf die Praxis möge beweisen, inwie-
fern sie zur Lösung unseres Problems beitragen kann.
Wenn man nun auch den Eindruck hat, dafs die Tiernamen
bei der etymologischen Erklärung der romanischen Kindernamen
einen ziemlich breiten Raum einnehmen dürften, so ist es doch
nicht möglich, das ganze Thema von diesem einen Gesichtspunkte
aus zu behandeln. Aus der Fülle von Erscheinungen, die aufserdem
in unseren Rahmen gehören und der Untersuchung noch bedürfen,
habe ich herausgegriffen, was mir der Zufall nahegelegt hat und
mich bemüht, Ausdrücke wie iosa, touse, ioso, tos, cartisu durch eine
Haaropfer Zeremonie zu erklären, über deren internationale Ver-
breitung nach den jüngsten Forschungen der Ethnologen kein Zweifel
sein kann.
H5
Es bedarf kaum noch der Erwähnung, dafs ich in keiner Weise
Anspruch auf Vollständigkeit erhebe und wenn ich mich trotzdem
entschliefse, den Beginn einer Arbeit zu publizieren zu deren
Vollendung Jahre nötig wären, so geschieht es, weil Sie hoch-
verehrter Lehrer oft den Wunsch geäufsert haben, es mögen die
romanischen Kindernamen einer Untersuchung unterzogen werden.
3Iuchacho.
Sainean verzeichnet in seiner Criation mithaphoriqrte en frangais
ei en vornan [Le Chat i. Beiheft der ZtRPh.) p. i8 die italienischen
Formen mucio und mucia für Katze und hält muchacho für eine Be-
zeichnung dieses Tieres, die erst später auf Kinder angewendet
wurde. In Anbetracht der vielen Parallelen, die Sainean für diesen
Bedeutungswandel bringt (p. 65), mufs zugegeben werden, dafs
diese Ansicht richtig sein könnte. Es wäre nur noch nötig *mucho
oder mtichacho auch auf spanischem Gebiet in der Bedeutung Katze
nachzuweisen, was Sainean bis jetzt nicht gelungen ist, denn er
führt nur sp. midio, micha, michino Katze an, und aufserdem würde
das Wort noch immer einer etymologischen Deutung bedürfen.
Man wird ja gerne zugeben, dafs der Anlaut, der sich bei unzähligen
Worten für Katze wiederholt, auf Schallnachahmung beruhen kann,
aber dafs das ganze Wort auf diese Art entstanden sein sollte, wie
Sainean annimmt, ist jedenfalls bis jetzt nicht bewiesen. Ich
möchte nun eine andere Deutung vorbringen, die vielleicht auch
einige Wahrscheinlichkeit für sich hat. Musculus hätte im Spanischen
*mucho ergeben müssen (cf. masculu = macho). Als Kosewort ist
Mäuschen im Deutschen allgemein bekannt. Mehrere Beispiele für
Maus in der Bedeutung Mädchen führt Riegler an z. B. elsäfs.
Misel, nach R. ein Diminutiv von Maus. Bei Shakespeare findet
sich mousehunt in der Bedeutung Mädchenjäger.
In einigen Gegenden Deutschlands ist Maus ein Ausdruck für
cunnus. Dasselbe gilt von toscan. topa (weibliche Maus) Riegler p. Ö3.
Goujat, gouge.
Die Diez'sche Ableitung dieser Worte von hebr. goi, goje, wo-
mit die Juden die Christen bezeichnen, ist sehr unwahrscheinlich,
denn man sieht nicht ein, aus welchem Grunde eine mächtige
Nation eine Bezeichnung für ihre eigenen Kinder von einem zer-
streuten, wenig zahlreichen und verfolgten Stamm entlehnen sollte.
Auch der von Diez angenommene Bedeutungswandel ^ö;> = christ-
liche Dienerin, Magd ist nicht einwandfrei, denn goi bedeutet nichts
anderes als NichtJude und man darf sich nicht darauf berufen, dafs
die Juden selbstverständhch auch eine christliche Dienerin goje
nennen können. Für die Erklärung eines Wortes, das in neu-
französischen Dialekten eine gewisse Rolle spielt, würde man jeden-
falls eine breitere Basis wünschen. Der Typus goujat, gouyat, gouge,
goujdto, gouyäto und Ableitungen wie gouyatot, gouy atote sind, wie
Beiheft zur Zeilschr. f. rom. Phil. XXVII. (Festschrift.) 10
146
der Atlas linguistique lehrt, im südwestlichen Frankreich beliebte
Bezeichnungen für Knabe, Kind, Sohn resp. Mädchen und Tochter
(cf. die Karten eiifant 461, gar^Oft 622, les garfotts 624, moii petit
gari'on 623, mon fils ^'J2, quand mon fih 573> via fille 570, votre
fillitte 156g und Tappolet, Romanische Vtrwandtschaftsnamen p. 48).
Pti gouya(t), petit gouydto bedeuten in der Dordogne und der Gironde
Enkel, Enkelin (Tappolet p. 90). Ferner findet sich gotige und
gouye, gougeo gotiyo auf der Karte servante 1226 bei Gillieron und
zwar in den Departements Gironde, Dordogne, Lot, Lot et G.,
Landes, Gers, Tarn et G., B. Pyr. und H. Pyr. Mistral verzeichnet
goujoun, gouioun (g) * goiijou (1) = petit gar^on enfant; goujard goujat
= gar(^on en Languedoc, Gase, et Bearn, fiancö en Guienne, petit
serviteur, aide-berger, valet, manoeuvre, goujat vilain, saligaud,
vaurien en Provence; goujardas, goujaias (1) = vilain goujat, grand
gar90n, mauvais gars, go?ijadet, goujatet (1) gouiatet (g) goujaiou (1.
lim) gouiatot (b) = petit gar(;on, petit goujat; ferner die Feminina
goujardo, goujato (I. g.), goiiiato (b) = jeune fille, fille, fille qui hante les
garyons, fiancee en Guienne; goujeto, gouieto (b), goujoto (g) = petite
fille, petite servante, bonne; goiijo goutjo (quere) gouio (g) gouie (b)
fille, servante; goujardeto , goujateto (1), gouiatet 0 (g) goniatoto, gonia-
tino (b) goujardotino (ra) goiijatouno (lim) = fillette, petite bonne, petite
polissonne; goujardasso goujatasso (quere) = grosse fille, maritorne.
Bei Littr6 finden wir lothr. goiijart in der Bedeutung jeune
homme, bei Godefroy ebenfalls goiija)-d= gamin (Haute Normandie,
Vallee d'Yeres).
Die sehr häufige Form goujat, die auch der Schriftsprache bis
zu einem gewissen Grad angehört, deutet durch das Suffix attu
auf einen Tiernamen und der Gedanke liegt nahe, das Wort mit
goujon (gohione) in Zusammenhang zu bringen, besonders da ja
nach Mistral goujoun, gouiowi (g) und goujou (1) Knabe bedeutet.
Andrerseits verzeichnet Rolland III, p. 146 die neuprovenzalische
Form goujoim als Fischnamen. Begriß"lich liefse sich die Etymologie
rechtfertigen. Nach Sachs hat nämlich goujon = Gründling auch
die Bedeutung Dummkopf (cf. ital. ghiozzo =^ Gründling, Dummkopf,
einfältiger, ungehobelter Geselle), und man weifs, wie leicht ver-
ächtliche Bezeichnungen ihren pejorativen Charakter verlieren. Bei
goujat, dessen Bedeutung schon durch das Diminutivsulfix etwas
gemildert wurde, konnte dies besonders leicht der Fall sein (cf.
z. B. Canaille und crapaud, die mundartlich zum Kinderwort geworden
sind oder das sächsische Luderchen, das geradezu als Kosewort ver-
wendet wird). Es ist nicht selten, dafs Fischnamen zu Personal-
bezeichnungen werden. Ich erinnere nur an Pomuchelskopf = Dumm-
kopf (preufs. Pomuchel = Dorsch), Stockjisch, vieille morue nach
Rolland in jure grossiere adress^e a une vieille femme; hoUänd.
schelvis (= morue) wird sogar auf Kinder angewendet. Jou
schelvisje, kleine schelvis, jou quitje, platjt entspricht, wie Rolland
* Die Abkürzungen entsprechen jenen bei Mistral.
147
bemerkt, einem petit fripon, petit espiegle, sp. bacalao^ = individu
sec et efflanque (Rolland III, p. ii4')^>, 117). Die Bewohner
von Audierne nennt man spöttisch penn tnarltis (tete de merlu), weil
dieser Fisch in der betreffenden Gegend sehr häufig ist (Rolland
p. iio^^). In Gard nennt man jemanden, der wenig ifst, venire de
vernieiro (veron) III, p. 140. In der Cote d'Or gilt mcchant abiot
(ablette) als Schimpfwort (p. 141). Walion. epinoque (epinoche) be-
zeichnet ein mageres, schwächliches Kind, p. 173'^. Tete de hovou
{chahoi) bedeutet grosse tete, bete (Montbeliard) p. 175. In Marseille
sagt man „c'est un gournaou (grondin)" imbecile, etourdi, homme
grossier p. 176. Aigrefin bezeichnet einen listigen Menschen p. 114.
Dasselbe bedeutet y>/«^r Hecht, während du Karp/'im Wiener Dialekt
ein bekanntes Schimpfwort ist und ungefähr einem „Dummkopf"
entspricht, cf. auch Backfisch. Wie oft der Begriff Fisch als solcher
auf Personen übertragen wird, hat Riegler p. 215 und 223 ff. nach-
gewiesen, cf. z. B. ib. nuovo pesce, port. peixote =: Dummkopf, span.
pez = schlechter Schüler.
In formeller Hinsicht ist zu unserer Etymologie noch einiges
zu bemerken. Wichtig ist eine Form gonge m. = messager, serviteur,
die Godefroy zweimal aus einem Texte des Jahres 1337 belegt
und die wohl auf gohium zurückgeht. In lautlicher Beziehung ist
zur Stütze der Etymologie noch zu sagen, dafs Godefroy auch
coujat und couja?-d zitiert, was sich aus der im lat. ebenfalls vor-
handenen Form cohium erklärt.2 — Das Wort dürfte aus der Volks-
sprache in die mittelfranzösische Schriftsprache eingedrungen sein
und da goujat in letzterer gewöhnlich valet d'armee bedeutet, so
ist anzunehmen, dafs die Vermittler Soldaten gewesen sind, Belege
aus der alten Sprache wurden bis jetzt nicht gefunden. Littre
meint, dafs das Wort aus dem Süden stamme, offenbar weil es
heute dort am lebensfähigsten ist. Die Annahme ist möglicherweise
zutreffend, unbedingt zwingende Gründe sind dafür aber nicht vor-
handen, da sich goiijard ]z. auch in der Normandie und in Lothringen
nachweisen läfst. Die Lautentwicklung bietet keine Anhaltspunkte.
Auch die Belege aus der Schriftsprache lassen auf nichts Sicheres
schUefsen. Sowohl Godefroy als auch Levy belegen das Mas-
kulinum seit dem 14. Jahrhundert. Das Femininum findet sich erst im
15. Jahrhundert ein. Wenn die hier vorgebrachte Theorie richtig ist, so
müfste das Femininum auch wirklich jünger sein als das Maskulinum.
Gonge (f) wäre dann zu goujat gebildet worden nach Vorbildern
wie louve — louvat. Bei Marguerite de Navarre und bei d'Aubigne
findet sich auch gonjatte. Ich möchte mich aber nicht auf den Um-
^ Sollte franz. bachelier nicht damit im Zusammenhang sein (cf. ital.
haccalä, baccalaro = Stockfisch)? Die häufige Anwendung dieses Fischnameas
auf Personen würde darauf hindeuten.
" Die Form goujue die Godefroy alleniings nur einmal belegt, ist
mir nicht klar: Que ceste |,'arcc ne pouvoit avoir iin chancre estant ainsi grasse,
potel6e et goitjtie (Par6 Oeuv., XIX, XXII Malgaigne). Vielleicht i!.t statt
goujue goulne zu lesen.
10*
148
stand berufen, dafs das Femininum erst aus späterer Zeit belegt
ist als das Maskulinum, da ja die alte Überlieferung des Wortes
überhaupt nicht bekannt ist und der Zufall hier eine grofse Rolle
spielen kann.
Was die Bedeutung des Wortes im Mittelfranzösischen und
Mittelprovenzalischen anbelangt, so sind gonge und goujat ziemlich
indifferent, goujard hingegen zeigt pejorativen Charakter. In neuerer
Zeit bekommen goujat und gouge vielfach eine verächtliche Nuance.
Im Süden bedeutet goujat häufig Schmutzfink und Sachs ver-
zeichnet das Wort im Sinne unsauberer ungehobelter
Mensch, schlechter Arbeiter, Pfuscher. Daneben wird es
auch im Neufranz, oft indifferent gebraucht. Die pejorative
Verwendung würde gut zu unserer Etymologie passen, der Gründ-
ling zeigt nämlich eine grofse Vorliebe für Würmer und Aas; er
zieht zwar reines Wasser vor, verschmäht aber auch den Aufent-
halt in Sümpfen nicht (Brehm VIII, p. 2 56 ff.), so dafs er für
schmutzig gelten kann. Auf die Bedeutung Dummkopf haben
wir schon hingewiesen. Es ist möglich, dafs die pejorativen Be-
deutungen von goujat aus Dialekten stammen, die hier etwas Ur-
sprüngliches gewahrt haben, aber es kann ebenso wohl sein, dafs
es sich um einen sekundären Prozefs handelt, da ja die Aus-
drücke für Knabe, Mädchen, Mann und Frau aufserordentlichen
Schwankungen unterworfen sind und wegwerfenden Charakter ebenso
leicht annehmen als ablegen (cf. z. B. goujard, an dessen ursprüng-
lich pejorat. Bedeutung man wohl nicht zweifeln dürfte und das
heute in manchen Gebieten indifferent geworden ist oder Kerl,
das ursprünglich Mann bedeutete).
Ragazza (ragazzo).
Bei Rolland II, p. 132 finden wir die Form ragasse, die
nach den Angaben des Gelehrten in der Normandie und in der
Savoie die Bedeutung Elster hat. 1 Das Gleiche gilt von ragazza,
das nach Tommaseo bei den Toskanern und Venetern ebenfalls
eine Bezeichnung dieses Vogels ist. Ferner zitiert Rolland II,
p. 146 ein lombardisches ragazzola, das einem ornithologischen
Werket aus dem 17. Jh. entstammt und pie grihhe — Würger be-
deutet. Rolland bemerkt dazu, dafs dieser kleine Raubvogel
Ähnlichkeit mit der Elster habe, weshalb fast alle Namen derselben
auf ihn übergegangen sind. Ein racasse für rousserole = Sumpf-
nachtigall oder Rohrsänger finden wir ebenfalls bei Rolland II,
^ Die Karte pie loio bei Gillieron zeigt keinen Beleg für ragasse,
was sich daraus erklären dürlte, dafs die Belege Rollands älteren, natur-
historischen Werken entstammen als die von Gillieron aufgezeichnete münd-
liche Überlieferung; ragasse findet sich im Essai sur Vhistoire tiattirelle
de la Normandie par Chesnon, Bayeux 1844.
* Olina, Uccelliera ovvero discorso della natura di diver si ticcelli,
Roma 16S4.
149
p. 284 und zwar aus der Savoie und dem Departement Maine-et-
Loire. Wenn wir uns über die Bedeutung des Stammes rac oder
rag in Tiernamen klar werden wollen, so genügt es einige ähnliche
Bildungen neben racasse, ragasse zu stellen, um die Erklärung zu
finden. Racanelte (R. II, p. 399) bedeutet Krikente im Dep. Aube;
ital. raganclla, mail. ragagella, frz. raquette (Vienne) heifst Laub-
frosch und zwar sagt Rolland von letzterem „parce qu'il fait
entendre son cri rac rac rac" III, p. 74. Fügt man noch hinzu,
dafs raganella auch die Bedeutung Schnarre, Klapper oder Knarre
besitzt, so wird man wohl nicht daran zweifeln können, dafs es
sich um schallnachahmende Bildungen handelt. Von dem Stamme
rac werden Namen von Tieren gebildet, die durch ihr unan-
genehmes Geschrei auffallen und für die daher in vielen Sprachen
und Mundarten onomatopoetische Bezeichnungen üblich sind, aus
deren Fülle ich nur einige herausgreife. Für Elster gebraucht man
z. B. im Sizil. carcarazza (cf. cracasser = crier comme la pie Poitou
Rolland II, p. 132), für Rousseroh räcaca (Aube), khikara (Doubs,
Cote-d'Or), cracra (Orleanais,* Gard), cric-crac, craccrac, caricara,
carakin (Orleanais), gros cracra (Toulouse), karekiet (Holland) Rolland
II, p. 284, für Krikente cric cric (Jura), crac, criqiiet, sarcelle cri-
quart (Savoie) Rolland II, p. 399, Kricke, Krick- Krück- Krugel-Ente
(Winteler, JVaturlaut uud Sprache, Aarau 1892, p. 16), für pie
grüche Kruck-, Kriek, Krieg- Kriegelelster und Krickelelster ( W. p. 16).
Der Umstand, dafs bei den Tiernamen auf rac, rag schall-
nachahmende Bildungen vorliegen, erklärt auch das Schwanken
zwischen dem stimmlosen und dem stimmhaften Velarlaute, denn
wann wir Laute wiedergeben wollen, die der menschliche Kehlkopf
nicht besitzt, können natürlicher Weise nur Annäherungswerte ein-
gesetzt werden, die bald nach der einen, bald nach der andern
Richtung ungenau sind.
Ich möchte nun auf die besondem Umstände eingehen, die
den Bedeutungsübergang der Begriffe pie, pie grihhe zu den Be-
griffen Knabe, Mädchen veranlassen konnten. Ein schallnach-
ahmendes rac oder rag mit dem Pejorativsuffix, asse, azzo bedeutet
ungefähr „Schreihals" und mochte auf Kinder ebensowohl als auf
Tiere Anwendung finden. Redensarten nach dem Muster von
schwatzhaft wie eine Elster, holl. klappen als een exster (Rolland II,
p. 135), bavarde comme une pie, babiha coumo uno pigo borgno^
(Mistral) trugen jedenfalls dazu bei den Bedeutungsübergang zu
vermitteln und da die Schwatzhaftigkeit mit Vorliebe dem weib-
lichen Geschlecht zugeschrieben wird, darf es uns nicht wundern,
wenn manche Ausdrücke für Elster auch Frau bedeuten, z. B. hec
1 Alle Namen aus dem Orleanais stammen aus einer Arbeit von Salerne,
Hist. nat. eclaircie dans une de ses parties, l' Ornithologie (1767J. — Es werden
hier nur jene Quellen Rollands im einzelnen angegeben, die vor dem 19. Jh.
aufgezeiclanet wurden.
2 Nach Rolland II, p. 135 sticht man den Elstern die Augen aus, um
sie leichter zum Sprechen zu veranlassen.
150
de pie (Rolland II, p. 135) und das aus ahd. agaza^ umge-
bildete agasso = babillarde {M.). Diese Ausdrücke haben durch-
wegs tadelnden Sinn und zwar besonders jene, die sich auf die
pie grihhe oder criarde beziehen, aus deren Geschrei man, wie es
scheint, eine gewisse Zanksucht zu entnehmen glaubt. On apelle
une personne aigre et querelleuse: amargasso (Tarn), acrele (Centre),
krignöle (Montbeliard), gribiche (Canton de Vaud), pie grikhe en
fran9ais (Rolland II, p. 149). Alle diese Worte sind auch für
die pie criarde in Gebrauch mit Ausnahme von gribiche, das
Rolland nicht als Vogelname nachweist, aber doch als solchen
auffafst. — Die diebische Vorliebe der Elster für alles Glänzende
wurde mit dem Schmuckbedürfnis der Frauen verglichen, daher
bedeutet nach Mistral pigo auch ferame cupide voleuse; utw orro
agasso — vilaine femme, vgl. übrigens auch vilai7i male d'agache
(Rolland II, p. 136) und agassat (Languedoc) = enfant qui
happe ce qu'on lui offre (Mistral)."^
Ein weiteres Moment, das besonders Kindern gegenüber zum
Tertium comparationis werden konnte, ist die Hilflosigkeit der jungen
der pie grieche, worüber bei Rolland 11, p. 149 ff. folgendes zu finden
ist: Je crois avoir lu quelque part (\n& \qs ioMnes pies grikhes mem&
sorties du nid etaient tout ä fait stupides et se laissaient prendre
facilement. C'est pour cela sans doute qu'on a appel6 un niais
un imbecile: taniaga (Gard), dat-naga (Toulon).
Es erübrigt noch, einige Worte über die geographische Ver-
breitung von ragazza in der abgeleiteten Bedeutung zu sagen, deren
Ursprung dem Sprechenden völlig dunkel geworden ist. Das Gebiet
von ragazzo und ragazza ist in erster Linie Italien und Südfrank-
reich. Im Mailänder Dialekt bedeutet ragazz Häscher und Spür-
hund (Cherubini, Vocabolario Milanese italiand). Mistral vermerkt
ragas, ragach, regach (lang), ragacho (Rhone) = goujat d'arm^e,
valet de meunier, gardeur de dindons, aide — berger, petit berger,
homme bourru, grognon; ferner r agasso = servante, dindonniere,
ragassoun, ragasson (lang), regachon, recouchon (lang) = petit goujat,
valet de cavalier, apprenti monnayer, apprenti. Die letztgenannte
Form scheint volksetymologische Anlehnung an couchoun zu zeigen,
das Mistral auch verzeichnet. Ragassaire bedeutet pederaste
paillard (cf. vilain male d'agache). Godefroy zitiert ragasse bald als
Maskulinum bald als Femininum und zwar meist in ganz ab-
^ Cf. Suolahti: Die Deutschen Vogelnamen, Strafsburg 1909, p. 193.
^ Mitunter treten Eigennamen in der Bedeutung Elster auf, z. B. Jaque,
jfaquette, Margot, Cateati etc., Rolland II, p. I32ff., jedenfalls weil die
Elster manchmal als Hausvogel gehalten wird. Riegler meint, dafs putta =
Elster, das er für putida hält, ursprünglich die Bedeutung Mädchen hatte und
beruft sich auf die Redensart „fare come le putte al lavatoio", p. 159. Diese
Älöglichkeit ist natürlich vorhanden, aber man könnte auch an ein anderes
Etymon denken. Der Vogelname putta ist vielleicht verwandt mit Ausdrücken
wie Puthenne und Putchen. Die von Riegler angeführte Redensart wäre
dann erst entstanden, als putta, puttella schon sekundär für Frauen an-
gewendet wurde.
151
geschwächter Bedeutung. Alle seine Belege gehören dem Mittel-
französischen an, sodals man versucht ist, das Wort für einen
Italianismus zu halten. Eine einzige Stelle scheint der Grund-
bedeutung näher zu stehen. Sie stammt aus der Moralit^: Ernye,
Es tat et Simpksse [Leroux de Lincy et Michel, Farces, Morales ei
Sermofts joyeiix 1). Die Situation ist folgende: Estat soll von
Eftzye ins Unglück gestürzt werden und wird von Sitnplesse gewarnt,
deren gute Absichten er aber anfangs verkennt. Auf ihre Worte:
,,Mon Dieu de grace Tous estas sont bien abuses", erwidert Estat
ironisch: „Savons qu'il est faulse ragace N'en parles plus et vous
taises". Man könnte versucht sein, faulse ragasse mit Redensarten
wie „mentir comme une pie" (Rolland I p. 137), plus fausse que
pie zusammenzubringen und faulse ragasse mit ., falsche Elster"
übersetzen, doch läfst sich dies nicht mit Sicherheit behaupten, da
ja ragasse auch die sekundäre Bedeutung INIädchen haben kann,
wozu sich dann infolge der Situation zufälligerweise das Beiwort
faulse gesellt haben mag. Nach Godefroy hat ragache ferner im
Val de Saire (Manche) den Sinn von querelleur, eine Bedeutungs-
nuance, die wir bei dem Begriff Elster schon kennen gelernt haben.
Im Poitou soll racasse eine Bezeichnung sein, welche die Landleute
für die Stadtarbeiter gebrauchen (Godefroy), was offenbar mit
lokalen Überlieferungen zusammenhängt, die mir nicht bekannt sind.
Ich erwähne schliefslich den Ortsnamen Ragaz im Kanton
St. Gallen, der vielleicht auch hierher gehört. Der Fall, dafs der
Name der Elster für die Bildung von Ortsnamen verwendet wurde,
ist nicht vereinzelt, cf. z. B. bei Mistral: Agassac (Haute Garonne),
Aguessac (Aveyron), Agassas (Lot-et-Garonne). Ferner verzeichnet
Mistral Agasse und Ayasse als nom de famille meridionale.
Monella (monello)»
Eine Etymologie von monflla, die in diesem Zusammenhang
erwähnt werden mufs, findet sich im Wörterbuch von Tommaseo,
der das Wort von ynonedula ableitet und auch bei Rigutini, wo
diese Etymologie allerdings als unsicher hingestellt wird. Es besteht
aber kein Grund sie abzulehnen. Lautlich ist nichts dagegen ein-
zuwenden, denn monedula mufste zu mo7iella werden (cf. spalla =
spaiula, crollare = corrofulare, strillare = stridulare Grob er s
Grundrifs 2. Aufl. I p. 678). Aus momdula sollte man allerdings
*monella erwarten, doch mag sich frühzeitig §llus eingemischt haben.
Begrifflich ist die Etymologie wahrscheinlich, denn das Wort wird
fast immer in vorwurfsvollem Sinne gebraucht. Moufllo bedeutet
Schelm, Wildfang, Strafsenjunge, Schalk, nach Tommaseo auch
fanciullo tristo et discolo, aufserdem furbacchiolo, astuto, accorto.
Die letzteren Nuancen deuten auf das diebische Wesen der Elster,
cf. ebenfalls bei Tommaseo, Se il tnonello ha le man fatte a on-
cino per gire sgraffignar pel vicinato. — Ein anderer Beleg scheint
noch auf das unangenehme Geschrei der Elster hinzuweisen. La
bile allor lampeggia, i piedi hatte il monello, nel gridar si rotto che
le bestie ragliar d'Arkadia credi (Monti). Interessant ist auch die
Stelle: Se bene io fo il rnerlotlo son di molto monello, wo die Namen
zweier Vögel von verschiedenen Fähigkeiten für die Begriffe dumm
und klug eintreten. Jedenfalls beweist aber die männliche Form,
dafs sich der Autor über die Herkunft des Wortes nicht klar war.
Mitunter wird tnotiflla auch in gutem Sinne gebraucht und bezeichnet
dann ein graziöses liebenswürdiges Kind von lebhaftem Wesen.
Piccöla (piccolo).
Piccola dürfte von pica abzuleiten sein. Die Verdoppelung
des Konsonanten nach dem betonten Vokal eines proparoxytonen
Wortes ist wahrscheinlich lautgesetzlich (cf. fcmmhia, dbbaco, cdltedra,
bdhlola Gröbers Grundrifs 2. Aufl. I p. 682). Vielleicht ist cc auch
auf den Einflufs von taccola — Elster zurückzuführen. Die Bildung
kann nicht besonders alt sein, da ja sonst picola ein *picchia er-
geben hätte ^ (cf. piculu = picchio). Ein onomatopoetisches Moment
könnte auch hier in Betracht kommen, da nach Winkler p. 33
die Elster hier und da ein eigentümlich hämisches pi ertönen läfst,
dem sie vielleicht ihren lateinischen Namen verdankt. Allen ono-
matopoetischen Bildungen ist es aber eigen, dafs sie zu jeder Zeit
und an jedem Ort entstehen können, da ja ihre natürliche Ursache
fortwährend vorhanden ist. Für die begriffliche Seite unserer Ety-
mologie sei eine Stelle aus K. F. Meyers Angela Borgia hier ange-
führt: „Es steht dort eine Pica, die Tochter des neuen Gärtners,
der er jetzt Pfirsiche pflücken hilft mit den üblichen Griffen und
Rissen und Wortspielen, welche seit Adams Zeiten das Ergötzen
unserer edlen Menschheit sind" (p. 90, Haessel, Leipzig 1907).
Ital. FiccinOt südfranz. FicJioim.
Wir wenden uns nun einem Kindernamen zu, der einer lieb-
kosenden Benennung seinen Ursprung verdankt. It. piccino, piccina,
südfranz. pichoiin, pichouno scheint mit piccione dem Reflex von pipione
verwandt zu sein. Für die Entwicklung zum Kindernamen gab
es zwei Möglichkeiten. Selbstverständlich konnte man neben
piccione (Taube) ein Diminutivum piccino bilden und die Koseform
„Täubchen" 2 für kleine Kinder anwenden, sodafs sich dann die
Bedeutung klein daraus ergab. Nach Porru wird piccioni^ im Sard.
^ Ich wage es nicht auf sp. pega Elster und pequeho einzugehen, da
die folkloristischen Belege aus diesem Gebiet vorläufig nicht in genügendem
Umfang vorliegen. Das gemeinsame e könnte eventuell für einen Zusammen-
hang sprechen, die andern lautlichen Kriterien stimmen aber durchaus nicht.
* Picciuni bedeutet im Sizil. (Traina) ganz allgemein das Junge eines
Vogels.
* Die dialektische Form picctottö -a = ragazzo -a (cf. Pianigiani)
könnte direkt auf *^/^zö//ö zurückgehen, /'/cc/ö/o beruht auf einer Vermischung
von piccolo + piccino oder picciotto.
153
für ein anmutiges Kind gebraucht. Man mufs allerdings erwähnen,
dafs auch eine vorwurfsvolle Nuance für diese Bedeutungsentwicklung
in Betracht kommen könnte, denn sowohl piccione, pippione als auch
pigeon dienen zur Bezeichnung eines Menschen von geringen Geistes-
kräften, vgl. eloiri (^tourdi) comme un jeune pigeon Cote-d'Or,
colomha da pelare (Rolland VI p. 130, 131) und //)(3?^7/(fw = jeune
homme naif.
Auch ein anderer Weg wäre aber möglich. Nach Rolland
VI p. 26 dient der Ruf y^picci! picci!^'- im Dialekt von Parma zum
Anlocken von Küchlein und natürlich kann auf dieser Grundlage
ein piccino gebildet worden sein. — In begrifflicher Hinsicht ist
es wichtig, dafs .,bMi hilli'''- sowohl Lockruf für Küchlein als auch
Kosewort ist.
Auf ganz ähnliche Weise scheinen die sard. Kindernamen
pippm (pipiu), pippia (pipia), pippieddu, pippiedda entstanden zu sein,
denen der verbreitete Lockruf pipi'^ zugrunde liegt. Im Bergamask.
bedeutet piperin die Kinderschar, pipcra die Kinderfrau und auch
pipi"^ finden wir in demselben Dialekt als Lockruf für Hühner.
.,Mein Pipihenderl" hört man in Wien mitunter ein Kind nennen.
Für das südfranz. /»/c/^ö?/«, pichouno war der Vergleich mit der
1 Ich führe einige Ausdrücke an, die damit verwandt sind.
Isii. pipiare, pipare\ ixzwz. piper \ Mistral: /;jf>i]^«rt (sich beklagen), /^/»a,
repepia = radoter geindre, deutsch ptepeyi, piepsen.
\z\.. pipulitm, pipiilus; Godefroy: pipeis, pipis, pippis, pepiement, pipie-
nient (gazouillement), pipi's (cri de la souris); Mistral: pepiage, pepiatge,
pipiatge und repepiage ■= radotage.
Vogelnamen: Izi. pipto -onis; pipho -onis (das Junge des Kranichs);
Rolland II, 222 — 224: franz. pipi des buissons, des arhres, Baumpieper
(anthus arborcus); pioulin (Nice), pichota, pioula (Herauld), span. alondra pipi,
pipi des pres oder pipi^ Wiesenpieper (anthus pratensis); Uznz. pipi spipolette,
pikard. pipeite, pioulin (Nice), deutsch Pipperling, Sumpf pip, hoUänd. Gras-
pieper t, Piepleeuwerick , engl. meaJow pipif , ital. pispola (anthus aquaticus);
Sachs: pipile (piependes Baumhuhn), pipiri (gescheckter Vogelschnäpper),
pipicule (Baumpicker), pi(t)pip (Name tropischer grasmückenartiger Vögel).
^ Ein Wort, das ebenfalls von einem Lockruf herstammen könnte, ist
das vielumstrittene petit. Rolland verzeichnete im VI. Band, p. 26 folgende
Lockrufe für Hühner:
peti! peti 1 i i! (Pays messin)
pitia, pitia (Pays messin)
pii! pti! (pour appeler les poussins) (Lot)
ptito, ptito (pour appeler les poules) (Lot)
tito^ tito (Castres, Tarn)
ptites, piou, pioii (AUier)
fit, pit (breton)
ptites, ptites (fran^ais, Deux-S^vres).
Dafs das t bei Lockrufen und Benennungen für Hühner eine Rolle
spielt, geht auch aus den Aufzeichnungen von Suolahti hervor, cf. Die
deutschen Vog-elnamen , p. 236 PUjn^ Pittkn , Pit = e\ne junge, noch nicht
ausgewachsene Henne (plattdeutsch), in Göttingen und Grahenhagen gebraucht
man tuck, tuck und tut, tut zum Anlocken der Hühner, ostfriesisch Tut, Tütje
bedeutet Küchlein.
»54
Karte pigeon {Atlas lingtiistique iOl6) interessant. Pigeon, das im
Altfranzösischen ganz allgemein das Junge eines Vogels bezeichnete,^
hat sich in der speziellen Bedeutung Taube siegreich über den
weitaus gröfsten Teil Frankreichs verbreitet und cohm, das im Alt-
französischen und Altprovenzalischen durchaus üblich war, lebt nur
noch in spärlichen Resten im äufsersten Norden, Osten und Süden.
Das Kinderwort erweist sich nur in Südfrankreich als lebensfähig und
zwar sowohl in substantivischer als auch in adjektivischer Funktion.
Doch findet sich auch im Norden (Dep. Somme) me iyo fyü 279
und vä pfyo fyü 278 (Karte mon petit gargon 623). Beide Formen
könnten auf pipiotiu zurückgehen und später gekürzt worden sein,
wie dies bei Kose- und Anredeworten oft vorkommt. Da aber
keine altfranz. Beispiele des Kinderwortes bekannt sind, wäre es
gewagt mit Rücksicht auf die isolierten Erscheinungen im Norden
die Behauptung aufzustellen, dafs das Wort in Frankreich ehedem
verbreiteter war als jetzt.
Es wurde die Karte pigeon mit den Karten enfant A,t\, gargon
bzz, les gargons 624, 7non petit gargon 623 Aß, mon fils 572 AB,
quand mon fils 573, ma fiUe 570 und votre fiUette 1569 verglichen,
um das durch den Atlas dargebotene Vergleichsmaterial möglichst
auszunützen. Im allgemeinen stehen dem Kinderwort mit tonlosem
Mittelkonsonant Formen des Tierwortes mit tönendem Mittel-
konsonant gegenüber, da ersteres gewöhnlich auf pipione, letzteres
meist auf pibione zurückgeht. Es ist nicht nötig auf diese Fälle
einzugehen, da sie für unsere Etymologie gleichgültig sind und
nicht als Beweismaterial dafür oder dagegen in Betracht kommen.
Bei mehreren Nummern liefs sich aber konstatieren, dafs der
Stamm des Kinderwortes fast oder vollständig genau mit dem des
Tierwortes übereinstimmt. Ich publiziere diese Fälle in der neben-
stehenden Tabelle. Da dieselben durchwegs tonlose Mittelkonsonanten
zeigen, könnte man auf den ersten Blick glauben, dafs die gemein-
same Basis pipione lauten müfste. Die Vermutung wäre aber nicht
unbedingt zutreffend, da in den für uns in Betracht kommenden
Gegenden ts oder s häufig einem zentralfranz. ^ entsprechen. Leider
war es unmöglich die Basis genau festzustellen, da die Worte
goujon (gobione) und prochain (propianu), die zum Vergleich un-
bedingt nötig wären, bis jetzt nicht im Atlas erschienen sind.
Einen Vergleich mit roiige, hache und crhhe veröffentliche ich
nicht, da er wegen der ungleichen Tonverhältnisse keine genügende
Beweiskraft hat.2
1 II ne vieut mie que li enfant soient pareil as faons des bestes ne as
pyjons des oysiaus (Ph. de Navarre, Les quatre tens d'aage d' komme).
* In mehreren Fällen zeigen sowohl das Tierwort als auch das Kinder-
wort tonlosen Mittelkonsonanten, trotzdem ist der Stamm nicht kongruent cf.
z. B. 713 pttiü (Taube), pitsü (enfant). Da das Vergleichsmaterial nicht aus-
reicht, läfsl sich nicht sagen, ob sich solche Differenzen durch eine ver-
schiedene Grundlage erklären oder ob vielleicht eines der beiden Worte nicht
bodenständig ist.
155
pigeon
mon petit garyon
mon fils
ma fille
votre fillete
1016
623 AB
572 AB
570
1569
Lot 712
ppSUn
höhtrd pfls'yno
722
ptisun
mu pits'-'ü gor SU
Tarn-et-G. 731 p itsiin
1 '
?nu ptisun droili
bostro pilsyno
741
pilsiin
mu pitsü droiU
lä pttsynö
Herault 759
pfisyun
mii ptlsyo
p ilsotä
768
ppsyu
müpttsyöt
ptlsyotä
778
pitsyu
viü pityo gärsü
• S ^
pUyot
pityoto
779
p itsyü
mn pttsyo
pityunä
Lozere 810
p iis'Jü
mu xntyu
piisyü
pttsyünö
830
p tisyu
mü intlJU gärsü
Avcyron 716
ppSUn
ynün pitsü
727
pttsün
mu pt'tSyü gorsü
735
pfisu^
p ttsü
pilsy.no
Id bwdströ pitsynö
746
pjtSUn
ppsü
Cantal 715 i pilsu
\
bdhtrö pits^yno
Puy-de-D 807
p iisü
md plso gärsu
ptsbtd
vöslrd pisQtd
156
Man wird vielleicht geneigt sein, auf Grund der immerhin
ziemlich häufigen Stammesgleichheit der beiden Worte die Theorie
Gillierons und Juds zu bestreiten, nach der gleichklingende Worte
mit verschiedener Bedeutung nicht ungestört nebeneinander bestehen
könnten. Der Einwand wäre aber nicht berechtigt; der Stamm ist
zwar bei den beiden Worten nicht selten der gleiche, aber trotz
eingehender Untersuchungen alles verfügbaren Materials konnte
ich nicht ein einziges Mal bei ein und derselben Nummer zwei
vollständig gleichklingende Formen nachweisen. Ich habe geradezu
den Eindruck, dafs die Sprache diesem Zusammentreffen ausweicht
und zwar bedient sie sich verschiedener Mittel. Oft unterscheiden
sich die Formen durch das Suffix und zwar erscheint dann bei
den Tierwort -one, bei dem Kinderwort ottu. Auch Accentdififerenzen
sind häufig. Während bei dem Tierwort der Accent gewöhnlich
auf die erste Silbe zurückgezogen wurde, wie es in diesen Gegenden
üblich ist, ruht der Ton bei dem männlichen Kinderwort in einigen
Fällen auf der Endung, was wohl auf den Einflufs des Femininums
zurückgeht. Auch im Auslaut zeigen sich Unterschiede. Das Tier-
wort wahrt in der Regel das auslautende n und zeigt Nasalierung
des vorhergehenden Vokals, doch fehlen diese Charakteristika meist
bei dem Kindervvort. Einige Differenzen gehen auf den Einfluls
der Kindersprache zurück und bestehen hauptsächlich in einer
sehr schwachen Artikulation des s, das den Kindern wohl Schwierig-
keiten macht. Diese Fälle sind mit fetter Kursiv bezeichnet. Bei
Nummer 807 (Puy-de-D6me) stehen einem pitsü (Taube), piso (m.),
klein und ptsHtb Mädchen gegenüber. Der Verlust des Stamm-
vokals dürfte sich durch den Gebrauch des Wortes als Anrede-
form erklären und erfolgte wohl durch die häufige adjektivische
tonlose Anwendung desselben.
Obwohl es sich durchwegs nur um ganz minimale Unterschiede
handelt, mufs man ihnen doch Beachtung schenken, weil sie sich
mit ausnahmsloser Konsequenz einstellen, ein seltener Fall im
Leben der Sprache. Ich mufs daher Gillieron in dem Sinne
Recht geben, dafs gleichklingende Worte mit verschiedener Be-
deutung einer Differenzierung zustreben. Ob dann einer der beiden
Ausdrücke dem Untergang geweiht ist, läfst sich in diesem speziellen
Fall vorläufig nicht mit Bestimmtheit sagen, ich habe aber den
Eindruck, dafs das Kinderwort durch das ungleich lebenskräftigere
Tierwort in seiner Existenz bedroht ist.
Ich bemerke schliefslich, dafs ich mich darauf beschränke, die
Tatsache zu konstatieren, ohne mich der Erklärung anzuschliefsen,
die Gillieron und seine Schule dafür gegeben haben und füge
noch hinzu, dafs die Dialekte hier andere Verhältnisse aufzuweisen
scheinen als die Schriftsprache. Hoffentlich läfst sich durch spätere
Untersuchungen festeilen, ob es sich um vereinzelte Erscheinungen
handelt, oder um ein Gesetz von allgemeiner Gültigkeit.
157
Ital. tosOf tosa, altfranz. toitset, toiisel, touse, tose,
teusCf toiisettef norm, tousellef altprov. tos, toset, to^et,
tozciVf to%a<t Südfranz, toiisei, touso, sizil. canisii.
Im 13. Bande des Jahrbuches für german. und rovian. Philologie
bemerkt Liebrecht zu ital. toso (tonsus) und sizil. cartisu = Knabe
(zu cariisari = scheren), dafs den Knaben im alten Rom das Haar
zum ersten Male im 7. Jahre geschnitten wurde. Tosa = Mädchen,
dessen Haar nach Liebrechts Ansicht ungeschoren blieb, wäre
demnach eine Analogiebildung zum Maskulinum. Wir erfahren
aber nichts Näheres über die Zeremonie, für die auch kein Beleg
angegeben wird.
Wenn man sich über die ungemein bedeutende Rolle klar
wird, welche das Haar in Sitte und Aberglauben der Menschheit
spielt, kann man nicht daran zweifeln, dafs die oben erwähnten
romanischen Ausdrücke für Knabe und Mädchen auf die feierliche
Darbringung eines Haaropfers zurückgehen, das zu allen Zeiten ein
beliebtes Mittel war, um die überirdischen Mächte günstig zu
stimmen. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, alles zusammen-
zustellen, was über dieses Thema geschrieben wurde, nur das was
für unser Problem besonders charakteristisch ist, möchte ich er-
wähnen. Näheres findet sich bei Höfler: Düs Haaropfer in Teig-
form, Archiv für Anthropologie, igo6, p. 130 ff. und bei Ploss,
Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, Berlin 1882, p. 288 ff.
Das vornehmste Opfer ist in Zeiten primitiver Lebensführung
das blutige Menschen- und Tieropfer. Weil es aber der Gesamtheit
zu grofse Lasten auferlegte und weil bei fortschreitender Entwicklung
eine mildere Gesinnung einen milderen Gottesdienst vorzog, ent-
schlofs man sich dazu, das blutige Opfer durch ein unblutiges
abzulösen. Man opferte nicht mehr den Menschen, sondern sein
Haar; 1 ein Teil mufste für das Ganze eintreten. Dieser Brauch,
der in den verschiedensten Teilen der Erde nachgewiesen wurde,
wird besonders von unzivilisierten Völkern noch jetzt eifrig geübt.
In Not und Gefahr aller Art suchte man auf diese Weise Hilfe
zu schaffen. Die klassischen Völker betrachteten das Haaropfer
z. B. als das letzte Mittel, um drohendem Schiffbruch zu entgehen.
Cf. E. Schedius, De Düs germanis, 1728, p. 694 fF.: Capillos autem
in navi detondere nemini licebat, nisi cum ventus mari irrasceretur,
naufragorum enim ultimum hoc votum.
Ungemein beliebt ist diese Art der Gottesverehrung, wenn es
gilt, das kindliche Leben zu schützen und zwar ist dabei von der
Vorstellung auszugehen, dals man die Götter, die eigentlich auf
das Kind selbst Anspruch hätten, durch eine Abschlagszahlung
^ Auch das Haar der Tiere wurde geopfert. Der römische Opferpriester
rifs das oberste Haar zwischen den Plörnern der Opferliere aus und legte es
als erstes Opfer (pars pro toto) auf das heilige Feuer: et summas carpens
media iater cornua saetas iguibus imponit sacris libamina prima (Vergil,
Aeneis VI, 245).
158
versöhnen könne. Dazu gesellt sich dann der Gedanke, dafs die
Gottheit, die das Haar empfing, den Opfernden besonderen Schutz
gewähren werde.
Die griechischen Mütter glaubten für das Wohl ihrer Kinder
zu sorgen, indem sie vor der Niederkunft ihr Haar der Hygieia
opferten, und so eifrig war nach dem Bericht des Pausanias die
mütterliche Liebe, dafs manche Bildsäulen dieser Göttin durch die
Fülle der geweihten Haare fast unkenntlich waren (cf. Höfler,
p. 142). Auch die Kinder und die heranwachsende Jugend wurden
zu solchen Sitten angehalten, cf. Daremberg, Diclionnaire des
antiquitis grecques et romaines (coma). „On coupe les cheveux aux
enfants arriv6s ä Tage d'ephebe. Cette ceremonie avait lieu le
troisieme jour de la fete des Apaturia nommee ä cause de cela
xovQtojTig 7jf/£Qa; l'op^ration 6tait precedee d'une libation
appel6e oiviGTtiQca. Les cheveux coup6s etaient consacres a
Artemis ou ä ApoUon. — On les consacrait souvent aussi ä un
fieuve. Pareille oftVande 6tait faite quelquefois meme par de
jeunes enfants. — — A Irezene les jeunes gens et les jeunes filles
offraient leur chevelure ä Hyppolite avant de se marier, A Delos
les jeunes fiancees consacraient aussi une boucle de leurs cheveux
aux vierges hyperboreennes."
Plutarch berichtet in seinem Theseus, dafs die 18jährigen
Jünglinge und 14 jährigen Mädchen, die zum Apollotempel in
Delphi kamen, diesem Gotte ihr Stirnhaar opferten (Höfler, p. 141).
Auch die Neugriechen lassen ihren Kindern bei der Namengebung
das Haar scheren (Bloss, p, 290). Ähnliche Gebräuche finden
sich bei den verschiedensten Völkern der alten und neuen Welt
(cf. Bloss und Höfler). Sehr verbreitet ist das Haaropfer der
Kinder bei den Südslaven (Kraus. Die Haar sehn?- godschaft der
Südslaven, Internat. Archiv für Ethnographie, 1894), auch bei den
Zigeunern der Balkanländer sind nach Höflers Bericht solche
Zeremonien üblich.
Auf romanischem Gebiet ist der Opferbrauch durch mehrere
Belege nachweisbar. Bei den Römern war das Haar- und Bart-
opfer der männlichen Jugend Sitte. Du Gange zitiert in der
22. Dissertation sur VHistoire de St. Louys, X. Bd., p. 73 folgende
Stelle aus Statins'. Accipe laudatos, juvenis Phoebeis crines Quos
tibi Caesareus donat puer accipe laetus Intonsoque ostende Patri.
Die Bartweihe erwähnt Suetonius: Inter Kuthysiae apparatum
barbam primam posuit, conditamque in auream pyxidem et pre-
ciosissimis margaritis exornatum Capitolio consecravit.
Auch Anhänger der christlichen Kirche ehrten auf diese Weise
ihre Heiligen. Der Bischof Paulinus von Nola brachte dem
heiligen Felix, dem Lokalheiligen dieser Stadt, seinen Jünglingsbart
als Weihgeschenk dar und besang diesen Akt mit folgenden Worten
,.Tunc etiam primae puerus libamina barbae, Ante tuum solium,
quasi te carpente, totondil" (Höfler p. 175). „Als Jüngling schor
ich vor deinem Thron den ersten Bart als Weihegabe, gleich als
159
ob du ihn geschoren hättest." Quasi te carpente bedarf der Er-
klärung. Der Verlust des Haares bedeutet bekanntlich die Knecht-
schaft. Damit hängt eine eigentümliche Form der Adoption zu-
sammen, die im Mittelalter häufig geübt wurde. Wer sich nämlich
Haar und Bart abschneiden liefs, unterwarf sich dadurch gleichsam
der väterlichen Gewalt des Abschneidenden, cf. J. Grimm, Deutsche
Rechlsalteriüme?- p. 146 ff. Dafs diese Zeremonie wirklich ein Rechts-
symboi der Adoption war, beweist z. B. eine Stelle bei Paul Diac.
6, 53: Carolus princeps Francorum Pipinum suum filium ad Liut-
prandum direxit, ut ejus juxta morem capillum susciperet; qui ejus
caesariem incidens ei pater effectus est, multisque eum ditatum
regiis muneribus genitori remisit. Mit quasi ie carpente wollte
Paulinus also wohl ausdrücken, dafs er den heiligen Felix zu seinem
Paten und geistlichen Vater erwählt hatte.
Über die Christianisierung der ursprünglich heidnischen Haar-
opferzeremonien berichtet Du Dange ausführlich a. a. O. Dans les
commencements de l'Eglise naissante on continua de couper les
cheveux aux jeunes enfants. Mais dans la suite cette cerlmonie
fut purifi^e et se fit dans les 6glises. La livre des Sacrements de
St. Gregoire nous represente la priere que le pretre faisait dans
l'eglise lorsqu'on coupait les cheveux pour la premiere fois aux
jeunes enfants, dont le titre est „Oratio ad capillaturam". II y en
a d'autres dans V Euchologiujii des Grecs qui appellent ces premiers
cheveux coupes les premices. Elles fönt encore voir que dans ces
occasions on se choisissait des parrains — Mathieu ßlastares
ajoute que le pretre mettait ces flocons de cheveux coupes entre
les mains du parrain, qui selon quelques uns les enveloppait dans
de la cire oü il imprimait une image de Notre Seigneur et les
conservait comme un gage d'une chose qui avait ete consaciee a
Dieu. Sim^on metropolitain de Thessalonique semble dire que
le pretre gardait ces cheveux dans un lieu sacre, et Nicetas
6crit ä ce sujet que ceux qui s'etaient ainsi fait couper les cheveux
en conservaient la memoire par une solennite annuelle qu'ils appellent
xovQOövva. Cette coupe des cheveux se faisait, lorsqu'apr^s avoir
passe Tage d'adolescence on entrait en celle de la jeunesse. L'an-
cienne loi salique, c'est ä dire celle qui fut redigee par nos rois
encore payens ainsi qu'on pretend, nous apprend que la cer6-
monie de couper les cheveux aux enfants etait en usage
parmi les Fran^ais et qu'elle se faisait au-dessus de douze ans:
Si quis puerum infra duodecim annorum non tonsuratum occiserit. —
Si quis puerum crinitum sine consilio aut voluntate parentum toton-
derit etc. termes qui fönt voir encore que les enfants etaient pre-
sentes par leurs pere qui avec le temps choisirent dans ces occasions
des parrains qui est appele pere spirituel dans la Chroiiique de
Novalese.
Aus den angeführten Belegen ersehen wir deutlich, dafs die
Haaropferfeier, die der Gottheit galt, häufig mit der Adoption
durch einen Paten kontaminiert wurde. Für das romanische Gebiet
i6o
finden wir bei Du Gange noch einen Beleg aus Pavia (14. Jh.),
der aber leider weniger ausführlich ist als die vorhin angeführten
II, p. 128: Rectoribus (parochiarum) seraper offerunt aliquid non
soluiu in raissis festivorum dierum, verum quoque in benedictione
capillorum masculorum infantiutn certis festis quam habent ex con-
suetudine et pro qua offerunt pullum album, videlicet gallum.
Lauiks Papille apud Miiratoii Scriptores iial. tom. 11, col. 31. Die
Sitte, den Dienern der Kirche am Tage der Haarweihe einen weifsen
Hahn zu spenden, könnte auf ein heidnisches Tieropfer zurück-
gehen, das mitunter mit dem Haaropfer verbunden war. Diese
Kontamination findet sich z. B. bei den alten Ägyptern (cf. Höfler
p. 144). Jedenfalls deutet die Farbe darauf hin, denn weifse Tiere
waren als Kultobjekte besonders beliebt (cf. Lippert, Ktdtiir-
geschichte der Menschheit II, p. 408). Mit der Zeit wandte sich aber
die Kirche von der ursprünglich heidnischen Feier ab, vielleicht
weil sie das Haaropfer als eine Art Privilegium der Priester und
Nonnen betrachtete. In Kroatien wurde die Haarschur im Jahre
1702 ausdrücklich durch einen kirchlichen Erlafs verboten: ne ritum
primos tondendi capillos pueris puellisque exerceant. Über die
Haarschur der Mädchen bei den Romanen haben wir in den
zitierten Stellen nichts vorgefunden, die Verbreitung von tonsa legt
aber doch die Annahme nahe, dafs auch die weibliche romanische
Jugend diesen Brauch übte, so wie wir dies bei den Griechen und
Südslaven gesehen haben. Es wäre jedenfalls begreiflich, wenn
man frühzeitig auf das Haaropfer der Mädchen verzichtet hätte.
Da die Kaufehe noch im Mittelalter sehr häufig war (Lippert II,
p. 113 If.), wollte man wahrscheinlich den Haarschmuck der Jungfrau
schonen, deren Schönheit ein Kapital repräsentierte. War sie aber
einmal Braut, so wurden ihr vor der Hochzeit die Haare geschnitten,
wie dies bei vielen Völkern nachgewiesen ist und in fromm-gläubigen
jüdischen Familien noch heute geschieht. Durch dieses Opfer soll
sie den Segen des Himmels für den Ehestand verdienen, und
aufserdem wird symbolisch dadurch ausgedrückt, dafs sie sich als
Unfreie in die Gewalt ihres Mannes begibt. Jüdische Frauen be-
haupten auch, dafs nur das Mädchen nicht aber die Ehefrau durch
Schönheit die Blicke auf sich ziehen solle. Reraanere aut esse in
capillo bedeutet in Urkunden aus Italien unverheiratet sein, woraus
deutlich hervorgeht, durch welche Art der Haartracht sich die un-
verheiratete Frau von der verheirateten unterscheidet^ (cf. Du Gange).
Allerdings haben sich die Frauen oft bemüht auch diese Form des
Haaropfers zu umgehen. Ein ital. Sprichwort sagt: Bella quella
sposa Ghe fa prima la tosa^ und das Lob, das den Frauen gespendet
' Herr Professor Puscariu macht mich freundlicht darauf aufmerksam,
dafs rumänisch fatä in p3r (Mädchen im Haar) alte Jungfer bedeutet.
^ Nach Tommaseo bedeutet das Sprichwort:
„Chi vuol far la bella famiglia
Incominci dalla figlia"
i6i
wird, die sich der frommen Sitte unterwerfen, läfst wohl darauf
schliefsen, dafs sie zur Zeit, in der das Sprichwort aufkam, schon
zu den rühmlichen Ausnahmen zählten. Das Haar, das die Braut
nicht opfern wollte, mufste sie aber als Ehefrau verhüllt tragen.
Das Haupt der Römerin wurde am Hochzeitstage mit dem Flam-
meum bedeckt. Nach germanischer Sitte wurde die Jungfrau , unter
die Haube gebracht' (Lippert II, pp. 125, 155). Begreiflicher-
weise bezeichnet tosa nun auch die Ehefrau cf. Raynouard {V. de
S. Ho7ioi'at) Apellet lo patre e'l marit de la toza. Cf. auch S.
Honrat Ö7, 6 (ed. Sardou) Uns bacheliers Pres moyller Mas uns
escudiers mostrava semblant d'amor A la toza,i ferner Appels
Chrestomathie^ 65, 33. Manche könnten geneigt sein, die letztere
Bedeutung für die ursprüngliche zu halten, dies wäre aber verfehlt,
denn tosa bedeutet im allgemeinen nicht die Braut oder die Ehe-
frau, sondern fast durchwegs das junge Mädchen. Man wird daher
noch Analogien bei andern Völkern auch auf romanischem Gebiet
das Haaropfer der Mädchen voraussetzen, umsomehr als es sich
ja für die Knaben in den salischen Gesetzen nachweisen läfst.
Hoffentlich gelingt es noch in dieser Hinsicht Gewifsheit zu
schaffen.
Für sizil. cariisii habe ich keinen speziell sizilianischen Beleg
gefunden, doch wird man wohl nicht daran zweifeln, dafs eine
Sitte, die in so weitem Umfange nachgewiesen ist, auch für Sizilien
vorausgesetzt werden darf
was der ursprünglichen Bedeutung nicht vollständig entspricht. Die sinn-
gemäfse Auslegung wäre: „Schön ist die Braut, die der frommen Sitte getreu
vor der Hochzeit das Haar opfert."
^ Die beiden letztgenannten Stellen verdanke ich der Güte von Herrn
Professor Levy.
Wien, im Dezember 19 10.
Alice Sperber.
Beiheft zur Zeitsclir. f. rom. Phil. XXVII. (KesUchrift ) 1 1
über Lautsubstitution.
Unter Lautsubstitution verstehen wir nach Groeber die Wieder-
gabe eines fremden Lautes durch den Laut unseres eigenen Sprach-
systems, der dem fremden am nächsten steht. Sprachmischung und
Lautsubstitution stehen daher im engsten Zusammenhang. Wer in
der Sprachmischung nur einen untergeordneten Faktor im Leben
der Sprache sieht, wird auch der Lautsubstitution nur eine unter-
geordnete Bedeutung beilegen. Allein seit Ascoli und Schuchardti
hat sich die Erkenntnis von der grundlegenden Bedeutung der
Sprachmischung immer mehr Bahn gebrochen; und neuerlich sieht
eine ganze Schule in ihr den grundlegenden Faktor jeder Sprach-
entwicklung, 2 Der wissenschaftlichen Untersuchung des Wirkens
der Sprachmischung mufs aber die der Laut- und Formensubstitution
vorangehen. Erst dann wird man erkennen können, welchen Ein-
flufs das Eindringen neuer Wörter, neuer Formen auf die Ent-
wicklung einer Sprachgemeinschaft auszuüben imstande ist; ob und
wie untergegangene Sprachen noch nach ihrem Erlöschen in ihren
Keimen weiter wirken können.
Noch unter einem anderen Gesichtspunkte verdient das Wesen
der Lautsubstitution eine nähere Untersuchung. Die Frage, ob in
der Entwicklung der Sprache ein bewufstes Element mitspiele,
ist bald bejaht, bald verneint worden. Diese Frage ist von umso
gröfserer Bedeutung, als von ihrer Beantwortung die Stellungnahme
zu Gesetzmäfsigkeit oder Willkür des Lautwandels abhängt. Wer
in der Sprache nur passive Tätigkeit sieht, für den sind Laut-
gesetze nicht nur ausnahmslos, sondern gleichbedeutend mit Natur-
* Vgl. Slawo-Deutsches und Slawo- Italienische s , S. 3 (Graz 1885) „Ich
habe behauptet, dafs unter allen Fragen, mit welchen die heutioe Sprachwissen-
schaft zu tun hat, keine von gröfserer Wichtigkeit ist als die der Sprach-
mischung".
^ jM. G. Bartoli , Alle fonti del Neolatino, in Miscellanea di stiidi in
07iore di Attilio Hortis, Triest 1910 (S. 389) „Ogni innovazione nel linguaggio
e creazione e nasce dall' imitazione d' un allro linguaggio, cio^ del linguaggio
d' un altro individuo o d' un altro momento; 11 linguaggio h creato, o meglio
procreato con germi eteroglossi".
i63
gesetzen. 1 Wenn aber der Faktor des Aktiven im Sprachleben
anerkannt wird, wird das Wort Lautgesetz nur ein wissenschaft-
licher Behelf zur Bezeichnung konstatierter Gleichmäfsigkeit. Laut-
gesetze im Sinne der Naturgesetze aber gibt es nicht, weil ihnen
die Basis des gesetzmäfsigen Geschehens, der innere Zwang, ab-
geht. ^ Namentlich die wissenschaftliche Sprachgeographie und
Sprachgeologie hat aus dem Tatsachenmaterial heraus einen solchen
bewufsten Faktor im Leben der Sprache erkennen lassen; bewufst
natürlich nur in seinen Anfängen, nicht in seiner Entwicklung, wie
ja auch im menschlichen Organismus vieles heute bewufst, d. h.
mit Willen geschieht, was morgen zu rein automatischem, un-
bewufstem Geschehen sich entwickelt. Wenn irgendwo, so ist es
nun aber bei der Lautsubstitution, dafs die Faktoren des Bewufsten
und Unbewufsten in ihrem Wirken beobachtet werden können.
Wer sie hier, in diesem Teilgebiete sprachHcher Tätigkeit an-
erkennt, wird ihnen auch sonst einen Wirkungskreis nicht gern ab-
sprechen.
Die Untersuchung, die ich Ihnen, Verehrter Meister, hier vor-
lege, verdiente daher wohl von reiferer Hand als der meinen unter-
nommen zu werden. Weiin ich trotz besserer Einsicht den folgen-
den Versuch der Öffentlichkeit übergebe, dann möge die Liebe
zur Wissenschaft, die Sie in unvergleichlicher Weise in die Herzen
Ihrer Hörer zu legen verstehen, den Mangel an Erfahrung be-
mänteln. Mein Untersuchungsgebiet ist kein grofses. Ich habe
mich darauf beschränken müssen, das Geschick der Reibelaute bei
ihrem Wandern vom Romanischen ins Germanische und um-
gekehrt zu verfolgen; und selbst hier habe ich nur jenen Teil
genauer verfolgt, der durch die Berührung der Romania mit dem
südbairischen Sprachgebiete bedingt war. Wenn ich bisweilen
über die selbst gesteckten Grenzen hinausgegriffen habe, so ge-
schah es hauptsächlich, um für die allgemeine Gültigkeit der auf
dem gewählten Gebiete gefundenen Sätze einen Prüfstein zu haben.
Mein Untersuchungsgebiet beginnt daher am Arlberg. Die
Nordgrenze bewegt sich entlang der Höhenzüge zwischen Inn
einerseits, Lech, Loisach, Isar andrerseits. Bei Schwaz im Inntale
biegt die Grenze jäh nach Süden ab, führt rechts vom Zillertal bis
^ Vgl. Herzog, Streitf rasten der romanischen Philologie, S. l8. „So
sagt Schuchaidt: 'Wenn ein Naturforscher zum erstenmal von der Ausnahms-
losigkeit der Lautgesetze hört, so wird er wahtscheinlich an immer und iibeiall
gellende Lautgesetze denken. Solche sind ja bei den gleichen Grundbedingungen
aller Sprachtätigkeit nicht nur möglich, man sollte sie geradezu erwarten.'
Dem entgegen ist zu antworten, dafs im Gegenteil gleiche Grundbedingungen,
d. h. also völlig gleiche Artikulation jener Laute, aus denen sich andere ent-
wickelt haben, sich nie und nirgends hat nachweisen lassen,"
2 Vgl. Bartoli, 1. c. S. 905. „In conclusione, anche la storia di questi
riflessi, come tutta la storia del linguaggio, e di ogni altro essere procrealo e
storia d' amore e di morle".
S. 918 „non esiste n6 questa nh altra legge fonetica, ne grammaticale nk
lessicale".
II*
164
gegen Maierhofen, zieht den Zillergrund hinauf und über die Berge
ins Defereggertal. Vor Lienz führt sie über die Drau und das
Lesach- und Gailtal entlang bis an die windisch-deutsche Grenze. ^
Im Westen zieht die (jrenze vom Arlberg südwärts und fällt, wie
im Süden, mit der Grenze zwischen Deutsch und Romanisch zu-
sammen. Im Osten endet mein Untersuchungsgebiet mit der
Grenze zwischen Romanisch und Slavisch.
Aus dem Indogermanischen hat das Germanische nur einen
stimmlosen Reibelaut übernommen, das s, das innerhalb des
Germanischen durch den gerra. Wechsel noch eine Einbufse er-
fahren hat (Kluge, P. Gr. I^, S. 378). Ob dieses ^ fortis oder lenis
ist, läfst sich heute kaum entscheiden. Für lateinisches stimmloses
s wurde nun in Lehnwörtern germ. s eingesetzt, vgl. lat. sadanum
ein grobes Tuch, got. ahd. suban; lat. saccus, got. sakkus, ahd. sac,
ae. scBC] lat. sagina, ahd., andd. segina, fries. seine ^ ae. segne usw.
(Kluge, ebd. S. 344). Doch sprechen Anzeichen dafür, dafs nach
Sonanten die ursprünglich stimmlose Spirans stimmhaft geworden
ist. So im Langobardischen der postdentale Reibelaut ]) nach /, n
und intervokalisch,2 ebenso im Westgotischen (Romanische Namens-
studien S. loi) und im Ahd. scheint, zumindest nach /, die
Artikulation eines stimmlosen Spiranten Schwierigkeit bereitet zu
haben. Denn als rom. ppls (lat. puls) Brei ins Althochdeutsche
übernommen wurde, wurde rom. Is durch Its wiedergegeben, vgl.
ahd. polz,"^ d. h. Als Substitutionslaut des romanischen
stimmlosen j-Lautes trat nicht stimmhaftes s, sondern
der Explosivlaut ts ein. InXdit. pulsare {mhd. pfiilsen, ndl. polsen-
,^pulsando pisces in rete adigere et anguillas captare^'- , Kluge, P. Gr. P,
S. 343) wird dagegen das s beibehalten, da es hier im Deutschen
wie im Romanischen im Silbenanlaut, d. h. also am Beginne einer
artikulatorischen Bewegung stand.
Später wurde auf dem südbairischen Sprachgebiete jedes
silbenanlautende s stimmhaft; dieser Lautwandel erstreckte sich
ehemals über das ganze Gebiet, ist aber heute nurmehr in den
Sprachinseln zu konstatieren. So in Lusern, ^ einer Tochtergründung
^ Vgl. Schneller, Die Romanischen Volkstnundarten in Südtirol I
(Gera 1873), S. 10 und H. J. Bidermann , Die Romanen und ihre Ver-
breitung in Oesterreich (Graz 1877), S. 76.
* Vgl. W. Brückner, Die Sprache der Langobarden, in Quellen und
Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte des germanischen Volkes,
75. Heft, S. 170—175.
3 Allerdings ist zu erwähnen, dafs im Bairischen seit dem 13. Jhdt. s
nach Liquiden lokal zu z geworden ist, vgl. bei Weinhold, Bairische Gram-
matik, S. 155 f. alz 1353 in den Klosterneuburger Arch.; ebd. Ehpet. Nach
Schmeller, Ma. Baierns, S. 656 ist heute noch gebräuchlich Fetzen, Halz, fallz.
Doch dürfte dieser Wandel sich viel später vollzogen haben als puls ins Ahdt.
drang. Aufserdem hat er jedes Is, nicht nur zur selben Silbe gehöriges Is
ergriffen.
* Vgl. Josef Bacher, Die deutsche Sprachinsel Lusern. In Quellen
und Forschungen zur Geschichte, Litter atur und Sprache Oesterreichs und
seiner Kronländer X, Innsbruck 1905.
i65
der 7 Gemeinden, dann in diesen und den 13 vizentinischen Ge-
meinden, ebenso in Gottschee und Zarz (vgl. Lessiak, Perneggi
S. 139), vgl. lus. singen, Sakh, sumar usw. Denselben Zustand hat
Lessiak aus dem Verhalten der deutschen Lehnwörter im Win-
dischen für den östlichen Teil des südbairischen Sprachgebietes
nachgewiesen.
Auf dem gesamten südbairischen Sprachgebiete ist
nun fremdes stimmloses fortis s nicht durch den ent-
sprechenden stimmhaften Laut wiedergegeben worden,
sondern durch ts. Zunächst die Beispiele.
Im Jahre 993 schenkt Kaiser Otto IlL einem gewissen Zebegoi
(slav. sobigoj, zu sobü Unterstützung) zwei Höfe in Toblach (Miklo-
sich, Lex. pal. 967). Auch in den slavischen Namen der Salzburger
Urkunden wird slav. s durch z wiedergegeben, vgl. Zuentipolch,
zu slav. stienti heilig; Puti-zlao, zu slau (Schatz, Altbairische
Grammatik S. 82). Ebenso zeigen die windischen Lehnwörter des
Kärntner Deutschen z für slav. s, vgl. Zauche, ein im Sommer ver-
trocknender Bach, slov. sttha; zlgk Ackerwinde, slov. slak\ isenitsn,
Grundstück in schattiger Lage, slov. senca << semca (nach Lessiak,
Alpendeutsche und Alpenslawen in ihren sprachlichen Beziehungen,
G. R. M. II, S. 274 — 28S); zurre grober Sack, slov. sura (Schuchardt,
Sl. D. S. 6g). Die beiden Sprachinseln Zarz und Zahre gehen auf
frl. Saun's bezw. slav. soura zurück (Lessiak, Pernegg S. 187) u.a.m.
So zeigen die Ortsnamen des ganzen in Frage stehenden
Gebietes, soweit ihre Übernahme ins Deutsche nicht in voralthoch-
deutscher Zeit erfolgte, z für fremdes s (G. R. M. S. 237 A.), vgl.
Tsauhn zu obigem su/iä, Tswatndorf zu sue/ heilig, Tswainets
-*sutmtsa usw. (Lessiak, Pernegg S. 136). Ebenso auf dem Gebiete,
auf dem Deutsche, Slaven und Romanen zusammentrafen, im Puster-
tal (vgl. Unterforcher, Slavische Namensreste aus dem Osten des
Pustertales, J. B. Leitmeritz 1888 u. 1889; Beiträge und Berich-
tigungen zur slawischen Namenkunde etc., J. B. Eger 1890), vgl.
Zaiach Flurnamen in Ainet und Schlaiten zu osoje, locus opacus,
Zajach in Kärnten (vgl. änetsn Gabeldeichsel, aus slov. *ojnue,
Lessiak, Pernegg S. 77); Zauche Flurname im obern Gaimberg,
s. o.; Zenitze Wiese in Grafendorf zu obigem sentca, zu seno Heu;
Zereden in Pregraten, altslav. sreda, sredina Mitte; Zoiginitz
Wald in Oberdrumra zu osojenica Dickicht; Zunig Tal, Alpe, Berg,
Kogel usw. zu osojen schattig; Zedlach Rotte im Dorf Virgen, ein
Heinrich von Zetlitz wird 1548 erwähnt, Zötlas Alpe in Ober-
drumm, Zettalunitzbach (dazu bei Lessiak, Pernegg S. 13Ö/7
Zedelnig, Zedlitzdorf, Zedl, Zelsach u. ä.) zu sedio Ansiedlung.
1329 ein Pozelnick belegt, zu poselnik Ansiedler.
Interessant ist der Vergleich mit dem Schicksal des slavischen
s aufserhalb unseres Gebietes. Erwähnt wurde bereits, dafs in
* Die Mundart von Pernegg in Kärnten, in P. B. B. XXVIII, SS. I
—227.
i66
vorahd. Zeit die Substitution durch z nicht erfolgte. Ebenso wird
tschechisches stimmloses s (fortis) im Nordbairischen durch s
(stimmlose lenis) wiedergegeben, vgl. im Böhmerwald Prassalken,
tschech. prasdiko; im Deutschen des 15. Jahrhunderts, aber heute
nicht mehr gebräuchlich Siickel, ein Kleidungsstück, tschech. sukne
(slov. suknja) (Schuchardt, Sl. D. S. 66). Es ist ferner selbst-
verständlich, dafs slav. s ohne weiteres in Lehnwörtern des Roma-
nischen beibehalten wurde, da es in beiden Sprachen fortis ist,
vgl. friaul. setimine s. f. convHo fiinebre, e luito che si osserva entro la
setiimana del decesso, in derselben Bedeutung nslov. sedmi'na, das
seinerseits Lehnwort aus dem Romanischen ist (Arch. f. slav. Phil. XII,
S. 484, und XIII, S. 15g); istr. siiokena, sorta di gonna, kroat. sukna
„Weiberrock" s. o. (Gärtner, Lit. Bl. 1900, Sp. 341); istr. stnola,
„colla da calzolai", slov. stnola u. a. m. 1
Daraus ergibt sich, dafs z als Substitutionslaut für
fortis i' nur dort eintritt, wo kein stimmloses lenis s vor-
handen ist. Oder mit anderen Worten: Die Notwendigkeit
einer Substitution wird im allgemeinen nur dort fühlbar,
wo der aufzunehmende Laut von dem zunächst stehenden
einheimischen Laute durch zwei Intensitätseinheiten ge-
trennt ist.
Die Erscheinungen, die wir auf Kärntner Boden beobachtet
haben, finden nun auf dem Teile des südbairischen Sprachgebietes,
der ehemals romanisch war, ihren genauen Parallelismus. Im
dtschtirol. finden wir zikl, „Ziehbrunnen", aber lus. noch „Wasser-
eimer", lat. situla, das auf der Stufe selda übernommen wurde, (so
heute noch nonsbergisch und sulzbergisch, ehemals aber auch der
Typus von Judikarien und, was für Entlehnungen ins Deutsch-Tirolische
von Wichtigkeit ist, des südlichen Etschlandes und des anschliefsenden
venez. Festlandes, vgl. lus. zikelär s. S. 168, in den sieben Gemeinden
^ör«?or^/ Nagelgeschwür, \\„hernocchio, MrÄv/a Jäthaue, '\\..sarchio}) Das-
selbe Wort ist vielleicht noch ein zweitesmal ins Deutsche gedrungen
als zegger, zögger Tragkorb, Armkorb (Schöpf, Tirolisches Idiotikon).
Dafs die Belege für die Substitution z für j- hier nicht zahlreicher
sind, erklärt sich daraus, dafs im gröfsten Teil Südtirols stimmloses
fortis s im Anlaut durch palatales s (bezw. s) ersetzt wurde, vgl.
S. 180 f. Damit fehlt die Möglichkeit einer entsprechenden Substitution.
Doch bieten die Belege aus der Toponomastik einigen Ersatz. Vgl.
PrutZ7iai, Ortfgegend bei Tramin, it,^"] Prassnay, 1350, i ;^6o Prasgnat,
Prassegnai, nach Schneller (Beitr. III, S, 54) pra/us signahis.
' Über die slavischen Elemente des Romanischen vgl. Strekelj, Zur
Kenntnis der slawischen Elemente im friaulischen Wortschatze, Arch. f. slaw.
Phil. XII, SS. 474flF. Daselbst weitere Literatur; Schuchardt, Sl. D. S. 76,
und Arch. f. slav. Phil. XIII, S. 159; Strekelj, Zur Kenntnis der slawischen
Elemente im italienischen Wortschatze (d. h. des österreichischen Küsten-
landes), Arch. f. slav. Phil. XXVI und S/avisches im friaulischen Wortschatte.
Nachtrag. Arch. f. slav. Phil. XXXI.
i67
Pranzag Hof, in St. Georg bei Rentsch über dem Rivellaunbach,
1 3 1 4 Maier zu Prumsag am Rivellaunbach hei Bozen , c. 1 4 1 2 die
smide von Prantzage (Schneller, Beitr. I, S. zt^).
ain ho/ ze Russikke 1288, Herrschaft Gufidaun, 1280 Ruzikc,
1394 Razzik, 1400 Russick, Ruzzik, 1420 Rassik, 1550 Rassick Hof,
wohl der heutige Zickhof in Villnöss, dazu in Wälschtirol Rio secco,
Rioseck usw. (Schneller, Beitr. II, S. 26).
Rysol alias Vortzöl 1460 in Wälschenoven, heute dort ein Hof
mit Mühle, Ratzöl (Schneller. Beitr. II, S. 24).
Zaggier- Hof, O.G. Ritten bei Oberbozen. Dazu Zagl, einzelne
Häuser in Gries am Brenner, Zagl Hof in St. Leonhard im Passeier,
ein Sedlhof bei Brixen, Zeggerbrücke in Neustift im Stubei, ebenso
ein Wirtshaus in Mieders, Ziggl Wirtshaus in Feldturns (Klausen),
Ziggler Hof in Brixen [Topographisches Posilexikon der gefürsieten
Grafschaft Tirol 7nit dem Lande Vorarlberg und des Fürstenthiimes
Liechtenstein., Wien 1883), zu lat. silula (s. S. 166), bezw. lad. sedla,
buch, sagla. Das a der obigen Formen kann schon romanisch sein.
Wahrscheinlich ist aber der Wandel mit dem von mhd. § (r=r: ahd.
a -j- «■) zu a (vgl. S. iQo) gleichzeitig erfolgt.)
Z alter Hof in Völs (Kastelruth), ebenso in Latzfons (Klausen)
dazu Salt in Schlanders, Salier, Saltner, it. Salti zu sa/to (Postlexikon).
Zatz, Hof in Kastelruth, dazu Zass, Hof in Waidring bei
Kitzbichl, ebd. eine Zassmühle, zu Sass, Sassi, Sasso, lat. saxum
(Postlexikon). So schreibt ein Urbar des 16. Jahrhunderts Zäss de
glätza {ä das helle a im Gegensatz zu a = tirol. ä) in Enneberg,
wohl Sass de dlacia, wie die Tofana in KoUfuschg heifst. Ebenso
nennt das Sonnenburger Urbar (1296) Höfe in Abtei Sazick, Zazzick,
Zazik, Sazzick, Sazikk und Zasik, d. h. lad. sas sek (Schneller, Beitr. I,
S. 93, vgl. den Namen Ulrichs von Zazzikhofen).
Die Zeron-Höfe in Layen gehören vielleicht zu lat. serra,
Siron in St. Ulrich u. ä. (Postlexikon).
Zelfen, O. G. Tschagguns, zu Selva ü. a.
Die urkundlichen Formen mit z sind z. T. nicht beweiskräftig.
Westgerm. / = mhd. zz ist bekanntlich inlautend zu stimmlosem s
geworden und so wird namentlich dort, wo germ. .y palatalen Klang
angenommen hatte, zz zur Bezeichnung des stimmlosen, rein dentalen
j verwendet. Auch sind zum Teil dort, wo Deutsche neben Romanen
wohnten, die «-Formen wieder durch j-I""ormen ersetzt worden. Dies
war um so leichter möglich, als auch in der deutschen Mundart
mit dem ausgehenden Mittelalter das stimmhafte s zur stimmlosen
Lenis rückgebildet wurde. Auf dieses Schwanken infolge der
Korrekturen der romanisch sprechenden Nachbarn bezw. auf die
Rückbildung zu s weisen nun auch (unter dem obigen Vorbehalte)
die folgenden Schreibungen hin:
Serfaus, Dorf in O. J., seit 1549, Sarfaus 1493, Zerfausz 1466,
Serfaws 1423 und früher (Schneller, Beitr. I, S. 82).
Plansöhl, Hof in Lüsen, c. 1400 Platizols, Plansol, Flansel,
1 3 1 4 Plauts el.
i68
Talson, Höfe in Terenten, in der Dalzan 1589, an Talssan 1520.
in Miisna (Glurns, Burgeis, Latsch usw.) aber in loco diclo ijtier
Moznas 1394 (Taufers V. G., Schneller, Beitr, 11, S. 87) zu mittel-
und westrr. mnsna Steinhauf.
Acker in Salgär (älteres Urbar von Schluderns) ob Zalgair 1326,
1416, aber 1416 auch Wisen genannt, Salgayer, in Latsch, zu
lat. Salix (Schneller, Beitr. III, S. 72),
Andrerseits ist in Ortsnamen, die vor dem Stimmhaftwerden
des s im Deutschen übernommen wurden, rom. s durch deutsches j
ersetzt worden, so wahrscheinlich im Inntal bis Telfs, dessen Germani-
sierung eine sehr alte ist (vgl. Steub, Rhät. Ethn. S. 105), vgl. im
Oberinntal Sax u. a.
Am genauesten läfst sich jedoch die obige Substitution in der
deutschen Mundart von Lusern verfolgen. Bevor das reine dentale s
der romanischen Umgebung durch das venezianische s ersetzt worden
war, erfolgte die Übernahme des Ortsnamens Selva als Zilf und
des Wortes zikelär, Ausgufsröhre für Spülwasser (trient. seciar-acquaio,
nonsb. seklar, Col di Sta. Lucia sicer, bellun. sec^r, bei Mussafia, Beitr.
zur Kenntnis der nordital. Ma. sechiaro- ^^eymerstein^^ , bei Lorck, Altbgm,
Sprachd. S. 125 mergorarium-ol segier, lat. *sitidarium). Diese beiden
Beispiele sind deshalb wichtig, weil sie uns einen Terminus a quo
für die Palatalisierung der ^--Laute in Südtirol angeben. Der Lusern
zunächst liegende Ort, an dem heute noch dentales s gesprochen
wird, Tesero im Fleimstale, ist fast 50 km Luftlinie von unserem
Gebiete entfernt (vgl. die Grenzlinie bei Battisti, Lingua e dialetti
nel Trentino, in Pro cultura, Rivista bimestrale di Studi Trentini I,
SS. 178 — 205, Trient 19 10).
In der Sprache der romanischen Umgebung Luserns ist nun
ein neuer stimmloser j-Laut entstanden. Alteinheimisches // ist
unter venezianischem Einflufs an nordit. is angeglichen worden und
dabei über ^ (postdentale Spirans) zu s geworden, vgl. S. i82f).
Auch dieses stimmlose s wird, selbst in den jüngsten
Lehnwörtern, nicht durch das einheimische stimmhafte s
sondern durch ts wiedergegeben. So also entsprechend lat.
tosk. ce, venez. lomb. ze vgl. zedern weichen, nachlassen, trient. g'eder',
zedrii Auerhahn, trient. gedron-gallo cedrone; Zfltro hölzerner Stützbogen
beim Gewölbebau, trient. (eltro -ceyitina', zenso Steueramt; zetitiniftro;
zentro; zeriola Lichtmefs; zerto\ zertarn', Zfrvo', zega Augenbraue,
cllia; iigal Cicade; zigaro', a zimenio zum Aufsersten, trient. cimienta-
cima estrema\ zornirn; zizma Zwietracht, zu dem Bacher 1 it. dial.
siSma verzeichnet, oxiOf/a.
Ebenso entsprechend venez. it. z unsicheren Ursprungs. Vgl.
zamp Pferdefufs, zatnparn stolpern, it. zampa, bei Bacher ensamparse.
* Bacher fügt in seinem Wörterbuche den romanischen Lehnwörtern des
Lusernischen vielfach die romanische Form bei, die er in der Valsugana und
dem Astachtal aufgenommen hat. Dadurch wird die richtige Beurteilung der
Wörter wesentlich erleichtert.
zapägo Schlappschuh, venez. zapeia\ zarlatä, venez. zaraian, bei
Bacher sarlatan; zavariarn, verrückt reden (vgl. Schneller, Ma, S. 214).
Während, wie erwähnt, das Lusernische im Anlaut nur stimm-
haftes s kennt, besitzt es im Inlaut stimmloses fortis j-, entsprechend
germ. /. 1 Umso auffälliger ist es daher auf den ersten Blick, dafs
das stimmlose s des Italienischen nicht mit dem heimischen j-Laute
wiedergegeben wird, sondern dafs auch hier der Substitutionslaut ts
eintrat Der Grund dieser Substitution liegt in der Ver-
schiedenheit zwischen deutscher und romanischer Silben-
trennung.
Im Deutschen (nicht nur in Lusern sondern allgemein süd-
bairisch) wird stimmlose Fortis-Konsonanz nur nach kurzem Vokal
gesprochen und zur selben Silbe gezogen, vgl. in Pernegg (Lessiak.
S. 40) nop-pel, tsip-pfl, Schipm-ma, smit-in u. a. ; in Imst sit-tse,
lüint-tsig. Sind dagegen die Sonanten zweier Silben durch eine Lenis
getrennt, so wird diese zur folgenden Silbe gezogen (Schatz, Ma.
V. Imst S. 25), dabei wird der Vokal auf jeden Fall lang gesprochen
in Imst ho-fe, löi-se, tsö-le, in Pernegg pi-ra, s^-fn, sö-dti usw.
Im Romanischen Südtirols dagegen wird einfacher Konsonant, ob
stimmlos oder stimmhaft, bei vokalischem Auslaut zur zweiten Silbe
gezogen (vgl. darüber Arch. St.n, Spr. L. CXXIII, S. 447). Die Luserner
besitzen daher wohl ein stimmloses .y als fortis, aber nicht am Be-
ginn, sondern am Ende einer artikulatorischen Bewegung.
Neben einem einheimischen khes-l, mes-an, hörten die Luserner
rä-sa, bekä-sa. Dieses silbenanlautende stimmlose s wurde
daher wiedergegeben wie jedes s im Wortanlaut, d. h. es
wurde durch ts ersetzt. Durch diese Substitution wurde nun die
Bewahrung der fremden Silbentrennung ermöglicht [rat-tsa, bekat-tsa,
wie sit-tsen usw.) und doch dem heimischen Sprachgebrauch Rechnung
getragen, \^. hekaz Schnepfe, i\\&x\\.. hecaza\ karaz Rebstange, ^aqa-
xiov;"^ gtizan hetzen, trient. guzzar^-aguzzare; kaviz Pferdezaura,
trient, caveza, lat. capUium; maz Büschel, Straufs, *matea\ skavezarn
entzwei brechen, venez. scavezzar - accorciare; balz Brett vor den
Augen böser Stiere, cimbr, balz Fufsstrick, zu venez. balza-fune che
si meite ai piedi delle hestie, lat. balteiis (interessant ist der Bedeutungs-
wandel innerhalb des Lusernischen) ; bgza Flasche, *bottea\ enziana;
* Westgerm./, t, k erscheinen im ahcl. inlautend als ^, tt, bh. Diese
lange Konsonanz (nicht zu verwechseln mit mehrfacher Konsonanz, vor
welcher lange Vokale gekürzt werden) wird nach langen Vokalen vereinfacht.
Aus der langen Kons, wird dann einfache fortis (nicht im Alemannischen), die
dann vielfach in lenis übergeht, sodafs, wo dies der Fall ist, kein Unterschied
mehr zwischen ursprgl. einfachem und ursprgl. langem I,aute besteht (Behaghel,
P. Gr. I^, S. 716), also altsächs. etan, ahd. cizait, mhd. ez-zen, lus. es-an; aber
altsächs. Äf/a«, 2L\\d. bizzan, mhd. bt-zen, lus. paz-san, vgl. dazu den Anhang.
* Das Wort ist über Frankreich und Norditalien verbreitet, frz. echalas^
raaild, tarai'c, scarasc , monf. carassa, carassot, ■pltm.. scaras usw. (Salvioni,
Nuove postille, S. 6).
^ Ich habe im allgemeinen die Orthographie meiner Quellen beibehalten.
Trient. 2 (so nach Ricci) ist als stimmloses s zu lesen.
lyo
kanzß; kasa; nfza; npze; rohalz Falltür, bei Bacher rehalsa *rebaltea,
Siraz Hader, Fetzen, bei Bacher s/rasa, spisa Jucken, Prickeln, trient.
spiza u. a.
Sobald aber das rom. stimmlose j nicht silbenanlautcnd ist,
wird es durch lus. j wiedergegeben, vgl. späsakamin neben spazA
Aber auch dort, wo das rom. s in den Wortanslaut zu stehen
kam, ist es im Lusernischen durch ts ersetzt worden. Das Lusernische
besitzt zwar im absoluten Wortauslaut ein stimmloses s, aber nur
nach langen Vokalen und stimmhafter Konsonanz, vgl. aus, nas,
gruas grpas und als. Dieses i- ist aber offenbar lenis, nicht fortis,
und ist nur im Endteile seiner Artikulation stimmlos, während der
Einsatz, dem vorhergehenden Vokal entsprechend, stimmhaft ge-
schieht. Dafür spricht auch der Umstand, dafs rom. stimmhaftes s,
wo es im Lusernischen sekundär in den Auslaut tritt, zu diesem s~
Laute wird, vgl. lös Gesellschaftslager auf Stroh, trient. Ipäa — loggia;
sckzvcs t, männliche Brust, bei Bacher schwosa, bellun. sbblda, trient.
shoza., nonsb. zhoga usw. {Arch. St. n. Sp. u. Lit. CXXXIII, S. 149)
„Raum zwischen Hemd und Brust".
Es ist daher ohne weiteres verständlich, wenn das stimmlos
einsetzende rom. i' auch in dieser Stellung durch is ersetzt wird.
Denn die Substitution ts für s geschieht ja nur infolge der Unmöglich-
keit eines stimmlosen Einsatzes seitens der lusernischen Bevölkerung,
vgl, moslaz Gesicht, *inustaceu, pantaz Gassenjunge, trient. panlaz —
stomaco di besiie grosse, un dappoco, minchione; riz Kropf der Tannen-
äste, venez. ri'zzo — la scorza spinosa delle castagne; sfojaz Deckblatt
des Maiskolbens, *foliaceu\ stiz angebranntes Holzstück, trient. stiz —
tizzo u. a.
Die Substitution von is für stimmloses fortis j tritt demnach
überall dort ein, wo kein stimmloses ^ im Sprachsystem vorhanden
ist. Dieses Gesetz ist ausnahmslos, es ist weder an Zeit noch an
Ort gebunden, es wirkt im 10. Jahrhundert ebenso wie im 20., im
Osten wie im Westen. Es ist also ein wirkliches Naturgesetz.
Anläfslich der südbairischen Lautverschiebung, durch die ahd. s
stimmhaft wurde, bekam auch ahd. y" den Stimmton. Dieser Zustand
ist auch heute in den südbairischen Sprachinseln überall erhalten,
so in Lusern {vädar, vail, vairft, varbe usw.), den 7 und den 13 Ge-
meinden, 2 in Gottschee, Zarz - Deutschrut und den Sprachinseln in
^ Erst ia allerletzter Zeit haben die Luserner stimmloses s auch im
Silbenanlaut erlernt. So in dem ursprgl. Fluchwort kaso. trient. cäzo und
spisa neben spiza, vgl. damit S. 175.
^ J. A. Schmellers sogenanntes Cimhrisches Wörterbuch, das ist
deutsches Idiotikon der VII und- XIII Comiini in den venetianischen Alpen,
hrgb. von Josef Bergmann, Wien 1855, „Tn den VII Communen gilt / für
/ in it. Wörtern, im Deutschen aber nur für das deutsche pf und für jenes /,
das im Niederdeutschen ein p ist. Statt des deutschen f haben die Sette-
Comuni durchaus das auf it. Weise ausgesprochene v. Die XIII Communen
haben meist das deutsche y." (S. 118.)
F. e C. CipoUa, Dei coloni tedeschi nei XIII Com. veronesi , Archivio
glottologico Italiano VIIT, v^\. faige, ■waige=fico; falj'e, walj'e ■= trappola,
fangen, wangen = prendere usw.
171
Friaul. Schon die geographische Verteilung der heutigen i;-Resle
spricht für ehemaligen Zusammenhang derselben. Dazu kommt, dafs
fremdes stimmhaftes v in Lehnwörtern und Ortsnamen die Rück-
bildung des deutschen v zu f auf dem gesamten südbairischen
Sprachgebiete mitgemacht hat. So erscheint windisches b (bilabialer,
stimmhafter Verschlufslaut) im Deutschen heute als f, vgl. Feislrilz
— slov. Bisirica ; Flatlnitz — Blatinca, Fürniiz — Brnca. Ebenso in-
lautend Treffen — wind, trebine, Reifnüz — Ribnica u. a. Ebenso ist
das V älterer romanischer Lehnwörter zu f geworden, vgl. föspr,
fendra schachern, vendere, saJfn kurieren, taufa Daube, rom. dgva.
Die jüngeren Lehnwörter des Kärntner Deutschen dagegen haben für
fremdes b als Substitutionslaut iv eintreten lassen. Andererseits er-
scheint als Substitutionslaut des deutschen /"in älteren Lehnwörtern
im Windischen b, in jüngeren /, deutsches w erscheint in älteren
Lehnwörtern als «, in jüngeren als b (Lessiak, Pernegg S. 119 ff.).
Diese Tatsachen stellen den Wandel von / > y für Kärnten aufser
Zweifel.
Damit stimmt der Umstand überein, dafs aufserhalb des Ge-
bietes, in dem f zn v wurde, slawisches b nicht durch f, sondern
durch b ersetzt wurde (Lessiak, G. R. M. II, S. 288 und A. f. d. At. 32,
S. 130), \g\.PieIach — B}lc7, aber kämt. Vellach', Grobfning <C.Grebmicha
usw. Eine direkte Substitution des windischen b durch / ist des-
halb unwahrscheinlich, weil aufser der Differenz von zwei Intensitäts-
einheiten (windisches b ist stimmhafte lenis) zwischen b und / auch
ein qualitativer Unterschied besteht. Da lag als Substitutionslaut
selbst unsilbiges k näher; aufserdem besafs das Südbairische seit
Ende des 1 1 . Jhdts. inlautend, etwas später anlautend einen $- bezw.
z£i-Laut. 1
Zur Zeit der Gründung der 7 Gemeinden nun war der Wandel
von deutschem f zu. v bereits vollzogen; denn es werden einerseits
selbst die ältesten romanischen Lehnwörter mit anlautendem v mit
dem hd.y" entsprechenden v wiedergegeben (vgl. 7ntsch Wicke, trient.
'lizza, venzern übrig lassen, dafür nordit. (a)vansar, übrig lassen und
übrig bleiben), andrerseits machen selbst die ältesten Lehnwörter
* Für eine direkte Substitution lenis v zu lenis f spricht auch nicht die
Tatsache, dsfs die romanischen Lehnwörter des Germanischen z. T. _/", z.T.w
zeigen, vgl. z. B. agls. fan7t = lat. vanniis, ßasc = vasculum, firnis = lat.
vernisium, fipele:=vitella; aber Venia :^ Wintanccaster, vespa = waeps, viiixitn
= unn (Pogatscher 1. c). Analog in den übrigen gerni. Sprachen, vgl. Rom.
Gram. I, S. 37. Wir können dabei drei Schichten unterscheiden. Eine gemein-
germanische, in der lat. v (d. h. unsilbiges u) mit dem gleichartikulierten
germ. u wiedergegeben wurde. Eine zweite, ebenfalls noch gemein-germanische
Schicht, in der das lat. z/, das seit dem dritten Jahrhundert bilabial, aber
zunächst, seinem Ursprung entsprechend, stimmhafie fortis geworden war, durch
das ebenfalls bilabiale germ. / (stimmlose lenis) substituiert wurde. Endlich
eine dritte, einzelsprachliche Schicht, in der das labiodental gewordene v zu-
nächst durch das germ. unsilbige 71, dann durch labiodentales w ersetzt wurde.
Eine Substitution, durch die zwei Intensitätsstufen überschritten worden wären,
liegt also 7,11 keiner Epoche vor, vgl. wegen des lat. i/ Seelmsnn, Aussprache
des Latein usw., S. 295.
172
den Wandel y > v nicht mehr mit, vgl. Folgarait, it. Folgaria,
filicarelu/n, Ins. faschi Reisig, Holzbündel, ein sehr altes, aus der
Zeit der lombardischen Beeinflussung stammendes Lehnwort (vgl.
seh, den stimmmlosen fortis-Laut, die Entnasalierung, das Geschlecht
[bei Tiraboschi fassi, aber trient. venez. usw. fassina]).
Wie hier im äufsersten Süden, so hat aber auch auf dem
ganzen übrigen Gebiete Deutsch -Tirols / den Wandel zu v ehe-
mals mitgemacht. Dies zeigen uns die Ortsnamen, in denen rem. v
heute als / erscheint, vgl. im Pustertal Volar uzz, Fallatschn , Fall-
scheney, Falschgur , Falimanige , Q65 Vallmuni'ge, d. i. vallis dominica,
Figal Flur in Kais, Figali, Wiese zu St. Justina, lat. vicale u. a.
(Unterforcher 1885). Dann die verschiedenen Vill, lat. villa, so ein
Pfarrdorf von Rodeneck bei Brixen, in der Vill, Weiler zu Ober-
lana, die Vill, W^eiler bei Neumarkt im Etschtal, Vill, Hof in Unter-
fennberg nächst Tramin, Vill, ein Ortsteil von Thuins bei Sterzing,
Vill, ein Dorf nächst Innsbruck (Schneller, Beitr. I, S. 58); Castel-
feder, Schlofs bei Auer (Schneller, Beitr. I, S. 37), Falle, Höfe in
Villnöss, Layen, drei Höfe in Kastelruth, zwei in Lüsen; Vals bei
Mühlbach ober Brixen, Falls, Weiler in Thuins bei Sterzing, Fals
bei Bludenz, Brixen, Falschmair bei Innsbruck, Falierschein bei
Landeck usw. usw. Die y- Formen zeigen sich demnach auf dem
ganzen deutschtirolischen Gebiete.
Auf zwei voneinander getrennten Gebieten jedoch treten
neben den y- Formen solche auf, in denen das rom. v erhalten
blieb. Zunächst im Kreise des Pustertales, vgl. Waideria, d. i.
vallis de rivo im Lesachtal, Wallone, Wiese bei Leifling u. a.
(Unterforcher 1885). In derselben Gegend ist aber auch slav. b
und « nicht zu deutschem f (s. o.) sondern zu iv geworden, vgl.
Waldnigg <1 *vahiik (St. Leonhart am Isslberg), Waratschnigg ■<
haracnik Händler (Cristan in Nufsdorf), Wasejiig H. N. bei Lienz,
zu vas Dorf, Wischritz Wiesen bei W. Matrei, bystrica (Unterforcher
1888). Hier ist also die Übernahme der windischen Namen ins
Deutsche erst erfolgt, als die Rückbildung des deutschen v zw f
bereits vollzogen war. Die erwähnten romanischen Namen sind aber
zunächst von einer windischen Bevölkerungsschicht übernommen
worden und sind mit den obigen Namen ins Deutsche gekommen.
Das zweite Gebiet ist der obere Vintschgau. Namentlich in
der Umgebung von Taufers, vgl. Wälläralä (lies vallarola) 1568;
Walldalussey (vallis de alauseto) 17 13; Wall San/ Jan 1568; Wäll
Plauna 1568, heute Val Plauna. Die genannten Örtlichkeiten liegen
hart an der romanisch - deutschen Grenze; die Wiedergabe durch
w ist also ohne weiteres verständlich. Aber auch weiter abwärts
zeigen sich noch zü-Formen, Walldaküem 1546 bei Laatsch, Walda-
fag 1360 bei Kortsch. Aber bei Tartsch schon im 14. Jahrhundert
Fallälscha, Falung 1794 bei Reschen, Fabnajur 1794, heute Falmür,
Bergtal bei Reschen, Fallmair Hof in Latsch u. v. a. (Schneller,
Beitr. II, S. 51 — 62). Charakteristischerweise zeigen sich auch sonst
zü- Spuren, entweder hart an der Sprachgrenze, oder in Verkehrs-
173
abgeschiedenen Tälern, in denen sich die romanische Bevölkerung
am längsten gehalten hat, vgl. Rubein, Schlofs in Obermais, 1285
im Urbar des Schlosses Tirol Ruuin, in Brixener Urkunden von
1270 — 1305 Ruma, Rufina {/ = v), Ruuina, Ruvina, Rufin, Ritiuin
[ei = t). Zur Zeit der Germanisierung war hier die Rückbildung
des V ^ / bereits vollzogen, als Substitutionslaut trat deutsches b
ein (mit dem am linken Etschufer dtsch. zv zusammengefallen war,
Schneller, ßeitr. II, S. lOl), vgl. ferner Walsurtall 1394 bei Mathon
im Paznaun u. a.
Zur Zeit also, in der die Germanisierung Tirols (mit den obigen
Einschränkungen) erfolgte, besafs die deutsche Mundart im Anlaut
wohl ein stimmhaftes v, aber keinen entsprechenden stimmlosen
Laut. Wie nun zu jener Zeit romanisches stimmloses
fortis y übernommen wurde, trat dafür nicht stimmhaftes
V, sondern pf ein.
Der Parallelismus mit den windischen Lehnwörtern des
Deutschen versagt deshalb, weil das Windische kein / in ein-
heimischen Wörtern besitzt. Um so zahlreicher sind die Belege in
Deutsch -Tirol, vgl. bei Schöpf (Tir. Idiotikon), pf rillen Fischchen,
Ellritzen, in Poschiavo frilla — Forelle, pfroshi (Vinstgau, Lechtal)
Hagebutten, churw. frausla, frosla usw., in Puschlaw und Bormio
frosola (Schneller, Wa.), pfiem (Ober-Inntal) Südwind, Föhn, lat.
favonius (Schöpf), pfoll (Ulten) Strumpf ohne Socken, lat. follis,
Säckchen usw.
Überaus zahlreich sind die Belege aus der Toponomastik, vgl.
Pfefferleiie in Zwölf Malgreien (Bozen) und im oberen Wipptale,
Pfeffersberg bei Brixen, wie Pfeffers in der Schweiz (970 Favarias,
II. Jahrh. Fauares), Pfebers bei Fliesz im Ober-Inntal, Pfaffrial auf
Asters im O.-I. zu it. Favale, Favalello, Faver (Cembra), Favarello
(Flechia, Nomi locali der. d. nomi p. S. 12) z\x faba Bohne (Unter-
forcher i8gi).
Zu lateinisch fundus gehören die folgenden Namen Pfunds im
O.-I. (1346 und später Pfundes), Pfons bei Matrei im Wipptal, in
Pfundes bei Bozen, 1406, Hof in Pfund bei Villanders, Pfunders
Dorf im Weitental (1065 — 75 in loco Fundres, bereits 1270, 1310
Phunders), Pfiinders Berg bei Klausen, Pfundere Hof ebenda (Unter-
forcher 1891), Pf uns Hof in Tulfes bei Hall, Pfund Hof in Inner-
berg in Weerberg, U.-L, Pfuns Alpe im Zillertal, Pfundritsch Acker
1369 bei Sterzing; Fondo im Nonstal lautet im Etschtaler Deutschen
Pfund (Schneller, Beitr. I, S. 63).
Zu lat. fossa vgl. Pfuss (1490 und heute) zu Kaltem ge-
höriges Dorf lein, 1350 Walter von Fuss, 1360 acher ze Fuss\ zue
der langen Pfossen (161 1 bei Tschengels, V. G.) (Schneller, Beitr. II,
S. 34).
Lat. fascia, in der Toponomastik „langer schmaler Wiesen-
streifen", dazu bei Schlanders: Ager Fassa, 12. Jahrh.; zu Vesche
13Q7; die lang wis bei Pf ätsch (und Pfäsch) 14 17. In Goldrain:
Stükhel haizzet di Vasche 1360; die Pfäschivisen 1583. In Vezzan
174
V. G. Pfesch, 141 6 pergwiesen auf Nafawn genannt Veischa; die
Homer -Pfcsse, Acker 1390 bei Naturns; in Tarrenz, O.-I. Acker
auf der Pfässen 1582 (Schneller, Beitr. III, S. 1 7 f.).
Zu lad. fana „Pfanre", in der Toponomastik „kesseiförmige
Vertiefung" (bei Alton, Ethn. von Ostladinien Val de Fanes, in
Ennebt-rg Gran Fanes auf deutsch Grojs Pfanes, eine Fauna Alpe
in Vals bei IMülbacli) P/ann Alpe im (ischnitzlal, P/ans bei Wüten,
P/anä/spitz in Passeier.
Zu lat. fönte : Pfanell im Vintschgau, 1376 Niderpfondejiel
(Unterforcher 1891).
Zu it. frana (lat. voragine) Absturz, Erdfall, Pf rein Alm bei
Latzfons, Pfrdnshach bei Mais (aber Fr eins, Weiler bei Lajen,
praiuni Fragine aus Säustralhen 1299), (Unterforcher 1891) Pfrans
Gehöfte in Ried (Landeck) (it. Fi-aina in Ampezzo, Frai7ia da mez
in Abtei, Fraine Häuser in Sover, Cembra), (Postlexikon).
Zu lat. furca : Pfurgl in Lüsen; Pf ur tschell Hof in Stubei
(aber Furgl im Pustertal, Furka und Furgl O.-I. usw).
Zu lat. furnus Pforn in Kais, 1307 Forn; Pfurnsee im Rid-
nauntal; Pf ums 1328 im Weitental, dazu lad. Für, Fornella u. a.
Zu lat. forma (bei Ducange arcus, fornix, PI. canales structiles
et arcuati) Pfarmbeit, nach Schneller, Btr. I, S. 44 forma hella.
Zu Igb. falda, mlat. Viehhag, besonders Schafhag, Pfelders,
Hochtal und aus zerstreuten Berghöfen bestehende Gemeinde in
Passeier, 1288 Felders und Pfelders (Schneller, Btr. I, S. 62).
Zu tirol. fizza Spalte (Alton S. 212, Schneller, Ma. S. 141),
Pfitz, O. G. Göfis bei Feldkirch; Pfitsch im Pfitschtal bei Sterzing;
Pfitsch Höfe in Montan (Bozen); verschiedene /^/jcA^r bei Sterzing,
Riduaun, Stilfes (2) Telfes, (aber Fiisch Hof in Sarntal, Fitscher
Hof in Prags) (Postlexikon).
Zu filictum Fahrenwiese vielleicht Pflait-TaX (und Flatt-TsX
bei Landeck), dazu die Flalh Alpe O. G. See bei Landeck (Post-
lexikon). Über e zw a vgl. Anhang, Anmerkung.
Zu lat. fracta, tirol. frata — campetto di monte, Pfrader\\o{ in
Villanders (aber Frad Obbach und Frad Unterbach bei Gries a. B.)
(Postlexikon).
Zu fronte die Pfrontner Alpe in Zöblen, C. G. Reutte (vgl.
Monte Fronte, O. G. Levico) (Postlexikon).
Zu fraga (trient. fraga — fragola) Oberpfragl Hof in Mariol-
berg, Unterpfragl Häuser in Ulten (aber Frag, Parzelle von St. Va-
lentin in Villanders, Fragari in Monte Bondone, Sennhütte) (Post-
lexikon).
Zu it. fr öl lo, vielleicht der Pf roll Hof in Ulten (aber Fröll
Hof in St. Andrae bei Brixen) (Postlexikon).
Zu tirol. frösola (s. S. 173) Ober- und Unter-Pfrusl Höfe in
Wiesen bei Sterzing (Postlexikon).
Zu lat. officina (bzw. xoux.focitia) vgl. Pfötsching Einzelhof in
Soll bei Kufstein (Postlexikon).
175
Zu lat. flssus die Tfeis Alpe hinter der Arzler Scharte bei
Innsbruck, vgl. dazu den Piz Fess bei Parmentier, Voc. Rhet. u. a. m.
Die Ortsnamen mit pf im Anlaut, das xova.. f entspricht, sind
also in ganz Deutsch-Tirol vertreten. Besonders zahlreich sind sie,
wie die 2 -Formen, im Vintschgau und dem Etschiande. Um so auf-
fälüger ist es daher, dafs in den sieben und den dreizehn Gemeinden
in nicht einem einzigen Falle die erwähnte Substitution eingetreten
ist. Hier ist aber nicht das einheimische stimmhafte v für das
romanische f eingetreten, sondern dieses ist infolge der engen,
durch Generationen aufrechterhaltenen Berührung zwischen Deutschen
und Romanen von ersteren erlernt worden. *
Dafs es sich aber hier um einen durchaus undeutschen Laut
handelt, zeigt folgende Gegenüberstellung:
Lusernisch p, 5, w, v, bf, f im Anlaut
Gemeintirol, p, w, /, pf, 0
Westgerm, b, u, f, p, 0
Oder bei der (allerdings ungenauen) Annahme, dafs die Intensität
des Artikulationsstromes bei der Lösung des Verschlusses von
stimmhafter lenis zu stimmhafter fortis, dann von dieser zur stimm-
losen lenis und stimmlosen fortis konstant und gleichmäfsig zu-
nehme, 2 sodafs also die stimmhafte lenis den Intensitätswert l,
die entsprechende fortis den Wert 2 usw. besitzt, ergibt sich das
folgende Verhältnis zwischen den Lauten des Lusernischen und
Tiroler-Deutschen :
lus. V /3\ lus.y (stimmlose fortis, daher = 4)
tir.y ~ ' tir. x
* Ganz dieselbe Erscheinung zeigt sich darin, dafs germ. u im Romanischen
nur dort nicht durch gu ersetzt wurde, wo der Prozentsatz der angesiedelten
Germanen unter den Romanen ein besonders hoher war. So nameiiilich an
der Sprachgrenze, vgl. Rom. Gr;.m. I, S. 37. Man vgl. ferner Schatz, Die
tirolische Mundart, S. 17. „Zu beachten ist, dafs in Nordtirol überhaupt
nur ein Laut {g) im Anlaut gesprochen wird, während im Pusterial und im
südlichen Tirol neben dem g (lenis) auch die fortis k vorkommt und zwar in
romanischen Lehnwörtern entsprechend dem romanischen c, dann auch in
einigen anscheinend deutschen Wörtern. Es ist hier also der Mundart
möglich, tenuis k und media ^ im Anlaut zu trennen, in Nord-
tirol ist dies Vermögen nicht vorhanden."
* Ich spreche nicht von der absoluten Stromstärke, die beispielsweise
bei der Artikulation einer stimmhaften fortis ebenso grofs bzw. grötser sein
kann als bei der Artikulation einer stimmlosen lenis, sondern von der Stärke
des bei der Artikulation stimmhafter Laute nach dem Vibrieren der Stimm-
bänder geschwächten Stromes; also beispielsweise von der Stärke des Stromes
beim Lösen des Verschlusses bei der Artikulation von b^, bf, p^, pf. Die
absolute Stromstärke ist bei der Artikulation von p^ und bf wühl gltich, nicht
aber die Stärke des Stromes bei der Explosion, vgl. dazu Sievers, Phonetik 5,
S. 69/ 70,
176
d. h. dem lus.y sollte im Tiroler-Deutschen ein Laut entsprechen,
dessen Intensitätswert 8 beträgt, das ist das tir. ^, d. h. der Sub-
stitutionsiaut für romanisches y.
Dieses pf fehlt sowohl dem Slavischen wie dem Romanischen.
In beiden Sprachen wird es nun durch den Laut su!;stituiert, den
wir soeben im Lusernischen festgestellt haben, durch stimmloses f
(vgl. ■i\o\\ fUra Vi-c\.xxv, fhit — Pfund, Lessiak, Pernegg S. I20, süd-
tirol. futera Bäckerei, dlschtirol. Pfisterei, lus. b/islära, fifolare, zu
mhd. pfifen {Schneller, Ma. S. 97) finferli PfifterUng ebd. usw.) d. h.
/ ist der dem hdt. pf entsprechende Laut des Italienischen und
Slavischen, nicht des Lusernischen; hier ist er Lehngut und sollte,
wie sonstiges hdt. pf in der Form hf erscheinen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach haben die sieben und die dreizehn
Gemeinden (Lusern ausgenommen) auch ursprünglich bf für fremdes
/ eintreten lassen. Infolge der steten Berührung mit ihren roma-
nischen Nachbarn wurde aber der artikulatorische Unterschied
zwischen den Substitutionslaut hf und dem gehörten stimmlosen f
so stark bewufst, dafs eine Erlernung des fremden und eine Rück-
bildung des substituierten Lautes eintrat. Bei dieser Rückbildung
wurde nun aber auch das einheimische bf, das hdt. pf
entsprach, mitgenommen, vgl. bei Schmeller-Bergraann fafe
PfafT, foat zu pfdd-hr, funt — Pfund, kof — Kopf, öffel — Apfel u. a.
Dieses f ist durchaus undeutsch. In ganz Tirol erscheinen die
germanischen tenues sonst auf der hochdtsch. Lautverschiebungs-
stufe, also \.\ro\. Pf Qat, gipfl, tornpf (Schatz, Tirol-Ma. S. 11).
Der Sprachzustand in Lusern einerseits, den sieben und den
dreizehn Gemeinden andrerseits ändert nichts an dem zugrunde
liegenden Lautsubstitutionsgesetz. Die Substitution wird inhaltslos,
sobald der zu substituierende Laut von der aufnehmenden Sprach-
genossenschaft erlernt worden ist. Die oben erwähnte Rückbildung,
die sich an den Fällen der Überentäufserung verrät, zeigt uns
gerade, dafs das Gesetz auch hier ehemals wirksam war.
Der Substitutionslaut für y" (stimmlose fortis) in einer
Sprachgemeinschaft, die kein stimmloses f, weder fortis
noch lenis besitzt, ist also nicht das vorhandene stimm-
hafte V, sondern pf.
Überall dort aber, wo die deutsche Mundart ein stimmloses f
auf der Intensitätsstufe der lenis besessen hat, ist dagegen fremdes
f in der Form der lenis übernommen worden. Beispiele dafür zu
geben ist wohl überflüssig.
Die Entwicklung der labialen und der dentalen Reibelaute
stehen daher im genauesten Parallelismus. Fafst man die ent-
sprechenden Erscheinungen zusammen, so ergibt sich das folgende
Gesetz:
Soll in einer Sprachgenossenschaft, die keine stimm-
losen Spiranten (weder fortes noch lenes) wohl aber
stimmhafte Spiranten besitzt, ein Spirant auf der In-
tensitätsstufe der fortis aufgenommen werden, so tritt
177
als Substitutionslaut nicht der entsprechende stimmhafte
Laut ein, sondern es geht der Artikulation des stimm-
losen Spiranten Verschlufsbildung voran.
Soll das obige Gesetz richtig formuliert und als Naturgesetz
(denn ein solches ist es ja, da es auf physiologischen, vom
Willen des Menschen unabhängigen Gesetzen aufgebaut zu sein
scheint) überall wirksam sein, so müssen sich ihm auch die übrigen
Spiranten einfügen.
In erster Linie kommt also der breite palatale Zischlaut (stimm-
haft als z, stimmlose lenis als s, stimmlose fortis als sc/i geschrieben) in
Betracht. Hochdeutsches sck geht bekanntlich auf ahd. sk zurück, das
über sk durch Aufgabe des palatalen Verschlusses den nhdt. /-Laut
ergab. Dieses / war zunächst, seiner Entstehung entsprechend,
auch dort stimmlos, wo s und / den Stimmton besafsen. In jener
Zeit wurde z. B. dtsch. s in den Lehnwörtern des Windischen durch
das windische fortis seh ersetzt {s}pa — Scheibe, sribate — schreiben
Lessiak, Pernegg S. 142) und umgekehrt wurde windisches fortis
seh im Deutschen als s übernommen, vgl. säumen das Rauschen
des herannahenden Windes, slov. Siimeli; Prasig — slov. prasike
(Lessiak, ebd.). Heute ist das s des Kärntner-Deutschen ebenfalls
stimmlos. Wenn aber den folgenden zwei Lehnwörtern des
Windischen zu trauen ist, ist eine Zeit hindurch auch der j-Laut
mit Stimmton gesprochen worden, vgl. slov. zarnogel, d. i. dtsch.
Scharnagel, Sampanjevee — Champagner (Schuchardt, Sl. D. S. 5g).
Damit steht in Übereinstimmung, dafs eine Zeit hindurch
auch windisches stimmloses fortis s im Deutschen durch
iseh wiedergegeben wurde, vgl. Isoia Häher, slov. soia, iskröda
Ginster, slov. skrada, tskrippets Taubenkropf, slov. skripcc (Lessiak,
G. R. M. S. 280). Diese Wörter könnten nun allerdings auch zu
einer Zeit aufgenommen worden sein, zu der das Deutsche im
direkten Anlaut noch kein s besafs (d. h. als skari — Schere, skoff —
Bischof, skäf — Schaff, skopa — Schaub u. a. ins Windische drangen,
Lessiak, Pernegg S. 142). Aber gerade zu jener Zeit wurde der Einsatz
des s bzw. s vor k stimmlos gebildet und die Substitution ts für seh
setzt voraus, dafs die aufnehmende Mundart nur stimmhaften Ein-
satz kennt. 1 Zur Zeit aber, als j in der Verbindung sk noch nicht
palatalisiert war, das Deutsche also überhaupt keinen j-Laut besafs,
wäre als Substitutionslaut für fremdes seh nicht // eingetreten,
s. S. 182. Wie dem auch in Kärnten sei, im deutschen Teil Süd-
tirols war es der deutschen Bevölkerung eine Zeit hindurch un-
möglich, ein seh mit stimmlosen Einsatz zu arlikulieren. seh hat
also hier sekundär den Stimmton bekommen, wie h, d, g, s, die
ihn heute noch im Lusernischcn besitzen, und hat ihn zugleich mit
diesen wieder verloren, als die bereits zweimal erwähnte Rück-
bildung der stimmhaften Konsonanten zu stimmlosen eingetreten
^ Stimmhaft kann natürlich auch der Einsatz des / vor dem stimmlosen
k sein.
Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. XXV]I. (Festschrift.) 12
178
ist. Dies ergibt sich nämlich aus dem Umstände, dafs roma-
nisches stimmloses seh nicht durch den heimischen /-Laut,
sondern durch is ersetzt wurde.
Die Fälle, in denen ein rom. seh im Anlaut übernommen
werden konnte, sind nicht zahlreich. Zu lat. scena, gehören eier
Mair in Tsehen 1589 und heute; in Riffian bei IMeran; Tschein Hof
148g und heute, Höfe in Karneid bei Bozen, aber ze Sehen 1288,
in Lüsen. Yerntx Scenanian 1149, Schena 1180, aber Tschennan 1285,
1 3 1 4 und später wird es Sehennano, die Berggemeinde Schcnnen bei
Meran (Schneller, Ber. I, S. 72).
Unklar sind mir die zugrundeliegende Formen zu Hecilo von
Scenglis 1192, Sehengels II 86, heute Dorf Schengeli oder Tsehengels
in V. G. Dazu gehört wahrscheinlich Tsehengels, Tschingels Hof und
Wald bei Pfunds im O. J. 1303 Schengels, wenn hier nicht lat. cin-
gulum zugrunde liegt (Schneller, Beitr. II, S. 83). Man vgl. ferner
Scotiues 1140, Schtmes 1238, Scheuiz 1273, der Weiler Tschöfes in
Lajen a. Schiern (Schneller, Beitr. I, S. 81); de Tschivinan 1288,
hof ze Schifnan 1331, jetzt Tschiffnon, Ortsteil von Velturns bei
Brixen; decima in Purschal 1292, Pursehil 131 2, 1460 in Völs E. Th.,
wo es heute zwei verschiedene Partschiller Höfe gibt.
Das Fehlen eines stimmlos einsetzenden /-Lautes im Etsch- und
Eisackgebiet hat nun zur Folge gehabt, dafs der Substitutions-
laut tsch für rom. stimmloses fortis seh auch in die
deutsche Mundart eingedrungen ist.
Im südHchen Etschlande haben Deutsche und Romanen Jahr-
hunderte hindurch untereinander gelebt. Es bestanden bezw. be-
stehen nicht nur deutsche Oasen im romanischen Gebiete und
umgekehrt, sondern nebeneinander, im selben Dorf, hielten sich die
beiden Nationalitäten lange Zeit hindurch ungefähr das Gleichgewicht.
Die Folge dieses Zusammenlebens war notwendigerweise die Zwei-
sprachigkeit, die die Vorbedingung jedes Verkehrs sein mufste.
Heute wo sich eine Sprachgrenze mit Schwanken hierhin und dort-
hin herausgebildet hat, ist diese Zweisprachigkeit naturgemäfs wieder
etwas zurückgetreten (vgl. Battisti, Lingua e dialetti nel Trentino
S. 180 — 192 und besonders Kartell).
Zunächst haben nun die deutschen Etschländer wohl beim
Italienischsprechen bei dem Versuche, das ihnen fremde seh wieder-
zugeben, dafür als Substitutionslaut tsch eintreten lassen. Dann
aber wurde dieses tsch auch in die heimische Mundart übertragen.
Eine solche Übertragung hat durchaus nichts Ungewöhnliches an
sich. Lessiak berichtet uns (R. G. M. II, S. 278), dafs windische
Dialekte Kärntens den deutschen Wandel a zu g/b zu bilabialem w,
ch zu h mitgemacht haben; die Luserner haben ferner das Schwanken
zwischen j und g, das sich durch die dreimalige Verschiebung der
j — ^-Grenze in ihrer romanischen Umgebung erklärt, in die ein-
heimische Mundart übernommen.
Das Hauptgebiet, auf dem sich der Übergang von deutschem
179
seh zu tsch vollzogen hat, ist das Etschland. i Weinhold (S. 163)
verzeichnet für Bozen selbst ischleim, ischiih, ischuld, tscJnvanz, während
sonst gröfstenteils unter dem Einflüsse der Sprache des Nordens
isch wieder durch seh ersetzt wurde. Nur die Wörter, für die in
der Schriftsprache ein Vorbild fehlte, haben den Anlaut tsch bei-
behalten (vgl. allgemein im Etschlande tschallen, tsehapfen, tschappet
usw., Weinhold S. 163), und sind selbst weiter nach Norden ge-
wandert, vgl. in Imst, ts'twl, tsippl, isopf, tsätipl, usw. (vgl. allerdings
die abweichende Erklärung von Schatz, S. 98) oder im Silltal von
Matrei bis Sistrans tsopf, tsippele, tsaipele, iseppeni, tserbi.^ Es sind
also gerade die volkstümlichsten Wörter, die den un-
organischen Lautwandel aufweisen.
Die romanische Umgebung Luserns besafs vor der Zeit der
Venezianisierung nur einen /-Laut (diesen als stimmlose Fortis) ent-
sprechend lat. sce, sei. Lat. ee, cl hatte ts ergeben, ge, gl und j
waren zu / oder dj geworden. Die Luserner suchten nun zunächst,
wie ihre Nachbarn im Etschlande, das romanische stimmlose seh
nachzuahmen. Sie sind aber nicht bei dem Substitutionslaute ts
stehen geblieben, sondern haben den romanischen Laut erlernt,
wie sie stimmloses f erlernt hatten. Dieser neu erlernte Laut wurde
nun aber, wie von den Etschländern der Substitutionslaut tsch, in
das eigene Sprachsystera übertragen und für den dem ahd. sk
sowie ahd. j vor r, /, m, n, w entsprechenden /-Laut eingesetzt.
Mit diesem neu erlernten Laute s wurden nun die ältesten Lehnwörter
aus dem Romanischen der Umgebung übernommen, vgl. schll Räder-
achse, lat. axlle, trient. stl, venez. assll; schlal „Holzstück, welches
durch Längsspaltung eines Baumstammes entstanden ist", dazu
schlaln „der Länge nach in schmale Teile spalten", zu lat. scediila,
im Fassatal sidola (Schneller, Ma. S. 250).
Die benachbarten 7 und 13 Gemeinden haben denselben
Weg eingeschlagen. Aber statt, wie die Luserner, den fremden
Laut zu erlernen, haben sie zunächst beim Italienischsprechen den-
selben Substitutionslaut erwählt wie die deutschen Etschländer. Der
akustische Unterschied zwischen dem //, das sie sprachen, und dem
seh, das sie hörten, war aber grofs genug, um eine Rückbildung des
// zu seh eintreten zu lassen. Bei dieser Rückbildung wurde
aber auch das ts ergriffen, das in der Sprache selbst be-
1 Schöpf, Tirolisches Idiotikon S. 763: „Dieser Anlaut [tsch) gehört
vorzugsweise dem tirolischen Etschlande an . . . Wie tsch hier unstreitig
dem welschen Einflufs zuzuschreiben ist, so rührt es in den mittel-
deutschen Dialekten vielfach vom Slavischen her.
" Die Trinser aber, die besser sprechen wollen, sprechen nun auch den
Namen ihres Lehrers, Herrn Tschager, Schager aus (Alois Egger, Silltaler
Ma. S. 69).
• Bacher beschreibt seh folgendermafsen : ,.sch ist der harte Zischlaut.
Die Zungenspitze biegt si"h gegen das Zahnfleisch der oberen Schneidezähne,
die Ränder der übrigen Vorderzunge pressen sich an den Rand der Backen-
zähne" (S. 163). Im Deutsch -Tirolischen ist der entsprechende Laut stimm-
lose lenis.
i8o
rechtigt war. Der Parallelismus mit der Entwicklung des f ist
demnach ein durchgehender. Vgl. in den Xlll. Comuni schoktlj,
piu com. cokilj — tagliuzzare, lus, tschikln und deutsches ank-ga7nba,
neben schiuk, mhd. schinke. Zahlreicher sind die Beispiele bei
Schmeller-Bergmann, vgl. schaine neben tschaine Abendmahlzeit, lus.
ischäi; schatta neben ischatta Klaue, Kralle, lus. ischat; schank (neben
tschenk) links, \\is. ischenk; schdvera Bahre, Trage, lus. /.f<:Äöra> Trage-
brett; schavila Kauz, Eule, lus. tschuvit, schavöllo Zwiebel, lus. ischovöl;
dorschoiteii lahm werden, lus. tschoi hinkend, schücka Kürbis, lus.
tschüka. (Zur Deutung der angeführten Formen vgl. S. 183).
Die Übertragung des fremden Lautes in die deutsche Mund-
art ist natürlich nicht gleich zur Zeit der ersten Berührung der
Deutschen mit den Romanen erfolgt. Das Verhalten der romanischen
Lehnwörter des Lusernischen ermöglicht uns eine relative Chrono-
logie der in Betracht kommenden Erscheinungen.
Wir haben oben (S. i66f.) gesehen, dafs die romanische Um-
gebung Luserns ursprünglich ein reines stimmloses s besafs. Später
wurde dieses s unter venezianischem Einflüsse palatalisiert. Ursprüng-
lich stimmlose fortis, wurde dieses palatale /, das sich heute über
Sulzberg, Nonsberg, das venetische Festland und die friaulische
Ebene erstreckt, zur stimmlosen lenis. 1 So trat in der romanischen
Umgebung Luserns neben die stimmlose fortis seh (= lat. sce, sd, i's)
ein palataler i-Laut, der in den ersten Lehnwörtern des Lusernischen
mit dem einheimischen j^-Laut wiedergegeben wuide. Erst nach der
Übernahme dieser ersten mit palatalem s anlautenden Wörter er-
folgte die Übertragung der Artikulation des stimmlosen fortis seh
auf die heimische Mundart; dabei wurde aber auch der An-
laut der eingedeutschten Lehnwörter ergriffen, vgl. schakä
„ein aus Ruten, Fichtenzweigen und dgl. geflochtener Ring bei
Zaungittern", zu bellun. saca-vimine, stroppa; jiT/^^it'/ Schweinsborste,
trient. seJoIa, lat. saeta; schür Maiskolben, trient. sur — sughero,
lat. Silber.
Wie hier im Wortanlaut, wurde ferner im Silbenanlaut der
fremde Laut seh eingeführt in hischdus'^ Grofsvater, lat. hisavns. Das
Wort wurde auf der Stufe *bi-saus übernommen und hat, seiner
romanischen Silbentrennung entsprechend, sich weiter entwickelt
(vgl. S. 169).
Das palatale s der romanischen Umgebung Luserns wurde
später zu breitem lenis s, das die Luserner als eigenen Laut er-
lernten und ebenfalls in die heimische Mundart in Lehnwörtern
übernahmen, vgl. saeta^ seleiio, sikuro, soldado, suplika, Slavago, smal'
tarn u. a. Daneben wurde aber auch in späteren Lehnwörtern
^ Schneller, Ma. S. 83 beschreibt es folgendermafsen : „sehr weiches J,
ungefähr wie weiches deutsches j^ä"; vgl. auch Battisti, Nonsberger Ma. S. 139.
' Das lusernische Wort ist ein interessanter Rest eines ehemaligen
Nominativs, der sonst, wie ich glaube, nirgends mehr belegt ist (vgl. Ital. Gr.
§§ 314/5. Gärtner, Rr. Gr. §§ 96—99).
löl
das fortis seh (= tosk. sce) beibehalten, vgl. schopärn, schekrato,
scheleragitie u. a.
Dieses zweite s steht natürlich mit dem s des Etschlandes, das,
wenn meine Vermutung (S. 178) richtig war, sich aus ^ rückgebildet
hat, in keinem Zusammenhang, ebenso wie das f des Lusernischen
ganz unabhängig von der entsprechenden Rückbildung im Deutschen
des Etschlandes sich eingebürgert hat. Das Luse mische hat
beide silbenanlautenden i^-Laute aus dem Romanischen
übernommen.
Aus dem Vergleiche mit der Entwicklung der entsprechenden
Labialen ergeben sich nun zwei Fragen. Zunächst ist zu beant-
worten, warum das stimmlose fortis seh in der deutschen Mundart
für den einheimischen /-Laut eingetreten ist, während das stimm-
lose fortisy"auf die romanischen Lehnwörter beschränkt blieb. Die
Erklärung ergibt sich aus den Verhältnissen des Romanischen selbst.
Hier gab es wohl zwei labiale Reibelaute, aber nur einen palatalen
Zischlaut. Das romanische v wurde, wie die Lehnwörter zeigen,
mit dem lusernischen v = hdt. / identifiziert, ein Ersatz dieses
V durch den stimmlosen Laut f war demnach grundlos. Andrer-
seits besafs das Lusernische wie das Romanische nur je einen s-
Laut, die zwar als akustisch verschieden, aber doch als verwandt
gehört wurden. Da der Luserner beim Italienischsprechen den ein-
heimischen Laut zugunsten des fremden aufgeben mufste, tat er es
auch unbewufst beim Sprechen in der eigenen Mundart. Erst später,
als diese Übertragung bereits stattgefunden hatte, kam in das.
Romanische ein neuer palataler Zischlaut. Jetzt aber hatte das
Lusernische den dem neuen Laute ursprünglich näher stehenden
einheimischen Laut bereits aufgegeben, merkte aber den akustischen
Unterschied der beiden fremden Laute und übernahm auch den
zweiten fremden /-Laut.
Damit ergibt sich auch von selbst die Antwort auf die zweite
Frage, warum die deutschen Etschländer zwar den Substitutions-
laut is für romanisches seh in die deutsche IMundart übertragen
haben, nicht aber ;>/ für rom.y. Romanisches v entsprach deutschem
V = hdt. /; Pf für rom. / dem deutschen pf = westgerm. p. Als
dann später die Rückbildung der anlautenden Konsonanten erfolgte,
ergaben sich die folgenden Beziehungen : rom. / (Intensitätswert 4)
= dtsch. / (Int.-W. 3); rom. v (Int.-W. i) = dtsch. w (Int.-W. |).
Ein Grund zu einer Artikulationsübertragung lag also auch zu dieser
Zeit nicht vor.
Ein Unterschied in der Behandlung der .f-Laute einerseits, der
/- und _/- Laute andrerseits ist noch zu konstatieren. Während in
den beiden letzteren Reihen das Lusernische den stimmlosen fortis
Spiranten erlernt hat, hat es für fortis s im Anlaut zu allen Zeiten
den Substitutionslaut ts eintreten lassen. Der Grund der leichteren
bezw, schwereren Erlernbarkeit der entsprechenden Spiranten liegt
wohl darin, dafs die Reibungskante bezw. -fläche bei der Artikulation
des f und seh eine breitere ist als bei der des s.
1Ö2
Das oben erwähnte Substitutionsgesetz tritt bei der Behandlung
des windischen stimmlosen Spiranten h in Lehnwörtern des Kärntner
Deutschen wiederum zutage. Es tritt nämlich für windisches
Vi nicht deutsches h sondern ky^ ein, vgl. kämt, hfohn Kuppe,
Bergkogel, slow. holm\ khr§an Korn, wind, hrän < '^hreiiü; Khglisech
— wind. houtSe, Khoeitsech — \v\x\.d..'' hödesach (Lessiak, Pernegg, S. 148).
Nach Lessiaks Vermutung geht kämt, kh auf älteres kj_, das heute
noch in Tirol herrscht, zurück.
Aus dem Angeführten ergibt sich also:
1. dafs der akustische Unterschied zwischen stimmhaftem Laut
und stimmloser fortis so stark ist, dafs letztere als Sonderlaut be-
wufst wird. Dieses bewufste Element führt dann zu der ebenfalls
bewufsten Substitution.
2. Als Substitutionslaut der einer Sprachgenossenschaft un-
bekannten stimmlosen fortis tritt aber der Explosivlaut ein, wo
nicht durch wiederholte Korrektur seitens der Aufnehmenden der
zu substituierende Laut erlernt wird. Diese sekundäre Erlernung
zeigt nun an, dafs der akustische Unterschied zwischen Explosivlaut
und der entsprechenden einfachen stimmlosen fortis ebenfalls so
grofs ist, dafs er bewufst wird. Es tritt also der Explosivlaut nicht
ein, weil er der zu substituierenden fortis näher steht als der ent-
sprechende stimmhafte Laut, sondern weil einem physio-
logischen Gesetze zufolge bei der Nachahmung eines un-
gewohnten Spiranten Verschlufs gebildet wird. Bewufst
ist also der akustische Unterschied zwischen dem aufzunehmenden
und dem zunächststehenden eigenen Laute (vorausgesetzt, dafs der
Intensitätsunterschied mindestens zwei Einheiten beträgt). Bewufst
und mit Willen vollzieht sich ferner die Nachahmung des fremden
Lautes; aber erst unbewufst, dann vielleicht wider Willen er-
folgt der letzte Teil des Substitutionsprozesses, die Verschlufsbildung.
Ich habe oben von einem physiologischen Gesetze gesprochen,
dem zufolge bei der Artikulation eines einer Sprachgenossenschaft
unbekannten Reibelautes Verschlufs gebildet wird. Dieses Gesetz
von dem die oben formulierten Spirantengesetze nur Sonderfälle
darstellen, hat allgemeine Gültigkeit, es ist unabhängig von Qualität
und Intensität des Spiranten.
Das ladinisch- norditalienische Grenzgebiet kennt aufser den
erwähnten einen weiteren Spiranten, die postdentale Spirans stimm-
los J}, stimmhaft (f, die sich als Kreuzungsprodukte des einheimischen
// bezw. dz mit dem nordital. ts, ds entwickelt haben (Einführung
S. 65/6). Dieses J) ist dem heutigen j' der romanischen Umgebung
Luserns vorangegangen, ebenso ff dem heutigen s.
Dem obigen Gesetze entsprechend ist nun dieses (f von den
Lusernen als d wiedergegeben worden, vgl. borondt Altarglocke,
trient. broiizin — viarviiltino , campanaccio\ und bei der versuchten
Artikulation des stimmlosen ]) entstand der Laut, von dem die
romanische Umgebung ausgegangen war, nämlich iL D. h. die
i83
Aufgabe des postdentalen Verschlusses wurde von der romanischen
Bevölkerung vollzogen, um der venezianisierenden Strömung gerecht
zu werden. Die Luserner dagegen ahmten nicht den tatsächlichen
venezianischen Laut nach, den sie in ihrem Lautsystem besafsen,
sondern den Substitutionslaut ihrer romanischen Umgebung. Dabei
bildeten sie Verschlufs und artikulierten is, d. h. den Laut, den ihre
Umgebung aufgeben wollte. Wie in den 7 und 13 Gemeinden
dieses ts sekundär zu seh wurde, ist S. 180 gezeigt. Die Belege
für diese Substitution sind verhältnismäfsig zahlreich, vgl. tschat
Tatze, inewi. zata (Schneller, Ma. S. 213); tschenk links, zu nordital.
za?ico (Mussafia, Beitr. S. 123); tschpt hinkend, trient. zot — zoppo',
fschö'/sch/ Graupe, heifser Fettbissen, venez. sozzoli, zozzoli — sucidume\
sporcizia, altital. sbzzo (Ital. Gr. § 53), ischüka Kürbis, trient. s//fcz. In den
angeführten Fällen entspricht der zugrundeliegende romanische ^-
Laut einem z unsicherer bezw. sekundärer Herkunft. Er tritt ferner
für lat. ce, ci, ciii ein, das im Romanischen unserer Gegend ursprüng-
lich is ergeben hatte (in dieser Zeit sind wohl übernommen worden
tschdi — ce7ia, Tschint — Cenia, Kalneisch — Caldonazzo, Manetsch —
Manazzo), später aber über ]> zu. s wurde. In der zweiten Periode
dürften übernommen worden sein: tschikln, klein zerstückeln, tschiklar
Holzschuhmeifsler usw. zu trient. pW« — ritaglio, (icular — tagh'uzzare,
lat. *ciccula\ tschovär Tragebrett, trient. fivera — barella, lat. ciban'a',
fsch o7'ö'I Zwiehe]^ lat. *C(7ep!i//a; /sch/n'/t Käuzeheu, tnent. five/a; ferner
karilsch Riedgras, 7 Gemeinden karrischa, trient. careza, lat. *caricea
zu carex',^ vitsch Wicke, trient. veza, lat. vicia; ritsch Haarlocke, dazu
Ableitungen, lat. ericeus\ magrotsch Kropf der Hühner und Vögel
zum Aufweichen der Nahrung, trient. magofi — stomago dei volatili,
bergara. tnagos — gozzo, zu ahd. mago.
Das Schicksal des aus dem rom. ]) hervorgegangenen stimm-
losen s wurde bereits ersvähnt (S. 168).
Die bisher angeführten Substitutionen (ts für s, ts für seh, pf
für y, tseh für p, A/ für V;) fallen zwar unter das S. 182 zitierte
allgemeine Spiranlengesetz, da bei ihrer Artikulation zunächst Ver-
schlufs gebildet wird, sie bilden aber insofern eine Variante des-
selben, als nach der Bildung des Verschlusses der nachzuahmende
stimmlose Spirant (bezw. bei p der zunächst stehende) artikuliert
wird. Die Vorbedingung dieser Substitution ist also zunächst natür-
lich das Vorhandensein von Verschlufslauten in der aufnehmenden
Sprachgenossenschaft, dann aber das Vorhandensein eines ver-
wandten Spiranten wenn auch auf einer anderen Intensitätsstufe.
Also ts für s ist bedingt durch das Vorhandensein eines stimm-
haften s, ts für seh durch das Vorhandensein eines stimmhaften z
usw. Dafs die Gruppe Verschlufslaut + Reibelaut bereits im Sprach-
• Bei Körting' ist offenbar mit falscher Beziehung einer Randnote vener.
caresina, vig. carese statt zu 1937 carex, zu 1938 caries gestellt worden. Da-
gegen steht das Zitat Salvionis, dem die Dialektformen entnommen sind, an
der lichtigen Stelle.
i84
System existiert, ist keineswegs vorausgesetzt. So kannten z. B. die
deutschen Etschländer kein is, als sie diesen Laut für romanisches
seh einsetzten.
Ist aber einer Sprachgenossenschaft ein Reibelaut auf keiner
lutensitätsstufe bekannt, so tritt als Substitutionslaut nicht der ent-
sprechende Gleitelaut, sondern der einfache Verschlufslaut ein.
Dieses Gesetz ist in der Geschichte der germanischen Spiranten im
Romanischen schon lange erkannt worden (Rom. Gram. I, S. 40,
jNIackel, Franz. Studien VI, S. 165). Es ist aber nicht auf die roma-
nischen Sprachen beschränkt, sondern scheint ein wahres Natur-
gesetz zu sein. Als solches wirkt es überall und jederzeit.
Vgl. urgermanisch Jieudisk, it. tedesco, span. tudesco, af. tiois.
Gotisch ^r/i'A'rt Dresche, it. /r^sca Tanz, trescare tanzen, span.
ptg. triscar mit den Füfsen Lärm machen; hauni^a, frz. honte usw.;
gri7nvii])a Zorn, Unmut, venez. trient. grinta Grimm, Zorn, lomb.
finsteres Gesicht (Brückner, Char. S. 13).
Westgotisch Ataulf us, Adaulf us usw. zu a])als edel; Baltarius,
Baldotnirus, Balderedus zu bal^s kühn; Gutiwtundiis , Gudenandus zu
gd])s gut; Sindofalus, Setitarius zu sin^s, Heeresziig (Rom. Namen-
studien I passim). Möglich wäre allerdings, dafs hier der Übergang
der Spirans zum Verschlufslaute bereits im Gotischen vollzogen
war. Jedenfalls war aber der alte Laut noch spirantisch, als nach
/ und fi der stimmhafte Laut eintrat. Denn der Übergang 71]) ]> «(f
bzw. /p'^ lä hat im Langobardischen (und vielleicht Althdt. s. S. 164)
seine Parallelen, nicht aber *«/ > nd.
Langobardisch (Brückner, Die Sprache der Langobarden) p
im Anlaut und Auslaut, ä im Inlaut und nach n, l, vgl. Taodepert,
Teudelupus, Teuderiilf, Agefrii, Axaiefrit, Adelfret usw.; aidus, faida,
snaida u. a. Auch hier liegt natürlich kein positiver Beweis dafür
vor, dafs der Übergang zum Verschlufslaut erst im Romanischen
erfolgte.
YränVisch presküfi, zS.. treschier tanzen; prastela — af.tras/e',
Peodbald — af. Tedbald, Thibaut; morpr — frz. meurtre, Ropoland,
mlat. Roiulandus, prov. Rotlant, af. Rolant; blauäjan >• ^blaudtre (af.
esbloir, prov. emblauzir) u. a. (Mackel),
Ebenso wird stimmloses h zu k, stimmhaftes '^ zu g (über das
Französische, das germanisches h erlernt hat, vgl. Rom. Gram. I,
S- 39)> Igb. blaihha, it. biacca Bleiweiss; Igb. ahd. rihhi, it. ricco; ahd.
spahha, mhd. spachen „dürres Reisig, Holzstecken", it. spaccare spalten
usw. (Brückner, Char. S. 20), vgl. ferner Fagüdus zu ^ot. fahs fröh-
lich; langob. *Äar/>/, mhd. Ätv-;^, oh&cit. gaj-bo; \^. hiivo, it. gufo.
Noch heute setzt der Italiener für deutsches ch k ein.
Damit komme ich zu dem prinzipiellen Teil meiner Arbeit
zurück. Es gibt also Lautgesetze. Diese Lautgesetze sind
wahre Naturgesetze. Sie beruhen auf physiologischen Vorgängen und
lassen sich, wie alles, was sich unabhängig vom Willen vollzieht, in
Formeln bringen. Diese Lautgesetze schliefsen den sprunghaften
i85
Lautwandel nicht aus, im Gegenteil, jede Lautsubstitution beruht
mehr oder weniger auf sprunghafter Veränderung. So sind die
deutschen Etschländer nicht über stimmloses fortis scfi zu is gelangt,
sondern haben ohne Zwischenstufe *z durch is ersetzt. Eine Laut-
substitution kann ferner, aber sie mufs nicht bewufst vor sich
gehen. Wenn der Deutsche z. B. für französisches j unterschiedslos
sein stimmloses lenis i- einsetzt, wird es gröfstenteils unbewufst ge-
schehen, und in der Mehrzahl der Fälle wird dem Deutschen
hinterdrein zwar der artikulatorische Unterschied zwischen dem von
ihm eingesetzten s und dem frz. stimmhaften i^ bewufst werden,
nicht aber der Unterschied zwischen der eigenen lenis und der
fremden fortis. Solche Unterschiede, die dem Sprechenden bzw.
Hörenden unbewufst bleiben, gibt es aber nicht nur bezüglich der
Intensität, sondern auch bezüglich Qualität und Quantität. Es wäre
daher geradezu unverständlich, wenn die vorlateinisclien Sprachen
nicht irgend eine Einwirkung auf die spätere Entwicklung des Latei-
nischen gehabt hätten. Diese Einwirkung hat sich ja gewifs nicht in so
grober Weise vollzogen, wie vielfach behauptet worden ist, als wäre
ein lat. u einfach deshalb durch ü ersetzt worden, weil das Gallische
(vielleicht) kein u besessen hat. Eine solche Substitution wäre rasch
als unzutreffend erkannt und wieder aufgegeben worden. Aber aus-
schlaggebend sind die vielen kleinen unbewufsten Substitutionen,
die nicht jede für sich, sondern vereinigt den Charakter einer
Sprache ändern müssen. Dafs eine Bevölkerung die eigene Artiku-
lationsbasis zugunsten einer fremden vollständig aufzugeben imstande
ist, ist eine durchaus unbewiesene Hypothese. Wenn das Einzel-
individuum, das inmitten einer fremdsprachigen Umgebung auf-
wächst, die fremde Sprache vollständig erlernt, so folgt daraus doch
nicht, dafs ein Volk, dessen Artikulationsbasis annähernd dieselbe
ist, zu demselben Ergebnis gelangt. Wenn man die ganze Jugend
eines Volkes aus ihrer Heimat weg unter fremdsprachige Bevölkerung
verpflanzen könnte, dann wäre ein Aufgeben der Eigentümlichkeiten
der ererben Sprache vielleicht möglich, nicht aber da, wo die
Jugend zuerst zweisprachig aufwächst, und die nächste Generation
einsprachig geworden, von den noch zweisprachigen Eltern das neue
Idiom mit den Keimen des alten erlernt, i
Wenn nun die Laute des eigenen Sprachsystems in ein fremdes
System übertragen worden sind, dann mufs sich aber notwendiger-
weise eine grofse Umgestaltung in der neu angenommenen Sprache
vollziehen; denn es können wohl die Laute der erlernten Sprache
durch die entsprechenden des ererbten Idioms ersetzt werden, nicht
1 Beachtung verdient ferner die Bemerkung Schnellers (Ma. S. 94), dafs
die ehemals deutschen Einwohntr von Terragnuol bei Roveredo auch im
Italienischen barJar, benir, bohr, zohem für varda7; vetiir usw. sprechen, da
in der untergegangenen deutschen Mundart nur b, kein w vorhanden war.
Schnellers Beobachtungen fallen vor das Jahr 1869. Unterdessen ist bereits
die zweite Generation herangewachsen, aber die von den Grofsvätern erwähnte
Eigenheit hat sich bis heute erhalten, trotzdem die ganze Umgebung v artikuliert.
i86
aber ganze Laut- und Artikulationsgrnppen. Nehmen wir z. B. an,
dafs ein Lautsystem nur stimmhafte Sonanten, dagegen stimmhafte
und stimmlose Verschlufslaute kennt. Soll nun in dieses System
ein fremdes -nt übernommen werden, so wird die zunächst ein-
tretende Substitution stimmhaftes ;/ -|- stimmloses t sein. Nach einem
physiologischen = d. h. Naturgesetz, mufs nun dieses ;// zu nt mit
stimmlosem «, oder was wahrscheinlicher ist, da im Lautsystem wohl
ein d, aber kein stimmloses ;/ besteht, zu 7id werden. Dieses itd
kann solange immer wieder zu /// rückgebildet werden, als eine
Korrektur seitens der Anderssprachigen eintritt, sobald aber diese
Korrektur aufhört, wird sich neuerdings der Wandel zu fid vollziehen
müssen. Das führt zu der merkwürdigen Erscheinung, dafs sich
das Nachwirken einer verdrängten Sprache in einem
Lautwandel zu erkennen gibt, der weder in der ver-
drängenden noch der verdrängten Sprache allein be-
gründet ist. Dieses Auslösen physiologischer Gesetze wird viel-
fach auch durch Eigenheiten des Akzentes und namentlich der
Silbentrennung bedingt sein. Wir haben oben gesehen, wie durch
die Beibehaltung der romanischen Silbentrennung ein neuer Laut
ins Lusernische gekommen ist. Es wäre aber auch der umgekehrte
Vorgang denkbar. Wenn in it. ra-aa (I — 4) der j-Laut als das
Charakteristische beibehalten und, weil im ererbten Lautsystem
stimmloses s nur im Silbenschlufs stand, zur ersten Silbe gezogen
worden wäre, dann hätte sich durch die lautlich genaue Herüber-
nahme des fremden Lautes der dynamische und musikalische Akzent
des Wortes geändert (also etwa ras-a = IV — l). Welchen Ein-
flufs diese Änderung auf die Gestaltung des betonten und unbetonten
Vokalismus gehabt hätte, läfst sich schwer erkennen. Aber wieder
hätte sich eine weitgehende Veränderung im Sprachmaterial voll-
zogen, die weder durch die Verhältnisse der einen, noch die der
anderen Sprachform allein erklärlich wäre, sondern die durch das
Ineinandergreifen beider Systeme bedingt ist.
Weil aber die abgestorbenen Sprachen bei der Entwicklung
der verdrängenden Sprachen ursprünglich von Einflufs waren, folgt
noch nicht, dafs sie für die ganze spätere Entwicklung verant-
MOrtlich zu machen sind. Wir haben gesehen, wie die Etschländer
unter dem Einflüsse ihrer Umgebung eine Gruppe von Lauten
(stimmlose Verschlufslaute als Lenes) ihrem Lautsystem eingegliedert
und einen Laut is für einen anderen einheimischen Laut z ein-
gesetzt haben. Wenn nun eine solche Beeinflussung seitens einer
ganz anderen Sprachfamilie erfolgen konnte, um wieviel mehr ist
eine solche Beeinflussung seitens einer eng verwandten Sprach-
gemeinschaft zu erwarten. Bartoli hat daher nach meiner Ansicht
durchaus Recht, wenn er in seiner präzisen Art behauptet: Piü
due linguaggi si assoviigliano e piü facilmente V titio influisce siill' altro
(1. c. S. 894). Es ist nur um so schwieriger, diesen Einflufs zu
kontrollieren, je näher verwandt diese beiden Sprachformen sind.
Auf die Frage des Lautwandels als Modesache einzugehen, ist hier
i87
nicht der Platz. Das Verhalten der deutschen Mundart des Etsch-
landes zeigt uns aber ganz deutlich, wie eine derartige Beein-
flussung innerhalb einer Sprachfarailie sich vollziehen kann. Der
Süden des Etschlandes hatte ehemals anlautendes z durch /seh
ersetzt (vgl. zu den oben angeführten Belegen noch den Tschutthof
bei Schluderns). Später hat die Berührung der Etschländer mit
den nördlichen Nachbarn eine Rückbildung des // eintreten lassen.
Nur die Wörter haben den alten Anlaut bewahrt, die an onomato-
poetische Bildungen erinnerten, oder denen die Schriftsprache kein
Korrektiv entgegenzusetzen hatte. So spalten sich die dem
Anlaute nach zusammengehörigen Wörter in zwei Gruppen.
Welche der beiden Gruppen ist die regelmäfsige? Diejenige, welche
den substituierten Anlaut erhalten hat, oder die, welche ihn wieder
rückgebildet hat? Ein altes Lautgesetz, dem zufolge silben-
anlautende Spiranten stimmhaft geworden sind, ist also zweimal
durchbrochen worden. Das erstemal bei der Ablösung des ein-
heimischen f- Lautes durch //, das zweitemal bei der nur teilweise
erfolgten Rückbildung zu s. Anderseits sind einige der mit is an-
lautenden Wörter weiter gewandert, und haben nun auch im Norden
ein „Lautgesetz" durchbrochen. Was bleibt also von den ursprüng-
lich ausnahmslosen Lautgesetzen zurück? Serien von W^örtern, die
durch ihre Form oder ihre Bedeutung (vgl. über diesen Punkt be-
sonders die ausgezeichnete Darstellung bei Bally, Traite de Slylisli-
que 1) im Bswufstsein eine Einheit bilden. Dafs wir auch heute
von dem Begriffe der Lautgesetze nicht Abstand nehmen können
und immer wieder auf das Gleichmäfsige der Entwicklung zurück-
greifen müssen, hat seinen Grund nur darin, dafs diese Serien fest
im Bewufstsein haften. Ein Lautwandel kann ferner bewufst sich
vollziehen (vgl. das Verhalten der Trinser S. 179 A.). Da aber die
bewufste Veränderung keine unvernünftige sein mufs, ergreift
sie nicht den einzelnen Laut am einzelnen Worte, sondern die zu-
sammengehörigen Serien. Wo aber ein Wort aus einer Serie tritt,
z. B. vereinzelt im Wortschatze steht, da entwickelt es sich ganz
unabhängig von allen sogenannten Lautgesetzen und wird durch
ein in eine bestehende Serie passendes Wort ersetzt, vgl. im
Gillieronschen Atlas die Karten arantile, auhepine, hoiix u. a.
Es gibt also allgemeingültige Laut -Naturgesetze. Dann gibt
es eine an Serien von Wörtern sich vollziehende Veränderung der
Sprache, die durch Kreuzung der Sprache verschiedener Kreise
erfolgt. Es bleibt nur noch die Frage zu beantworten, ob neben
diesen beiden Faktoren ein dritter bei der Entwicklung der Sprache
in Betracht kommt, der Faktor des sogenannten „mechanischen"
oder „immanenten Lautwandels". Wenn in den Sprachlauten der
Keim der Veränderung bereits enthalten ist, so müssen sich die
Sprachlaute einer Sprachgemeinschaft ohne Rücksicht auf eine
etwaige Abtrennung von verwandten Sprachgenossenschaften ver-
ändern. . Vergleicht man nun auf der beigefügten Tabelle die
Lautsysteme des Tiroler und Kärntner Deutschen mit dem des
i88
Lusemischcn, so ergibt sich die überraschende Tatsache, dafs sich
das Lusernische seit seiner Abtrennung vom deutschen
Etschlande nur dort von der zugrundeliegenden spät-
mittelhochdeutschen Mundart entfernt hat, wo seitens
des umgebenden Romanischen eine Beeinflussung statt-
gefunden hat.
Von den tiefgehenden Veränderungen, welche in nach-mhd.
Zeit sich auf dem gesamten südbairischen Sprachgebiet in Kon-
sonantismus und Vokalismus vollzogen haben, hat keine einzige
auch die deutsche Mundart von Lusern ergriffen, trotzdem ihre
Basis in allen Punkten dieselbe war. Diese Tatsache ist aber mit
der Annahme eines mechanischen Lautwandels als einzigen Faktors
jeder Sprachveränderung unvereinbar; dadurch wird aber, selbst
wenn Lusern ganz vereinzelt dastünde, die ganze so-
genannte Ablösungstheorie wenig wahrscheinlich. i Einen
1 In den Streitfragen der Romanischen Philologie (Halle 1904) stellt
Herzog zur Erklärung des mechanischen Lautwandels folgende Theorie auf
(S. 56 fF.): Beim Wachstum des sprechenden Individuums verschiebt sich das
akustische Element, indem die Laute ihre Klangfarbe verändern. Bei der
Übertiagung der Sprache auf die neue Generation bleibt das akustische
Element (d. h. die Klangfarbe, die louhöhe ist selbstverständlich durch die
Stimme des Kindes bedingt) gleich, das artikulatorische Element aber ver-
schiebt sich, weil die jungen Individuen mit ihren anders gestalteten Organen
verschieden artikulieren müssen, um die gleiche Klangwirkung hervorzubringen.
Oder tabellarisch dargestellt:
Artikulation: Klang:
1. Generation I ^ ,,
l alt
2. Generation { i^
3. Generation | 1^
Si
Xi
§1
X2
§2
Xi
^>
Xz
^3
Xz
^3
/*
etc.
etc.
etc.
Jedermann wird zugeben , dafs die Theorie auf den ersten Blick bestechend
wirkt. Da sie aber eine konstante Veränderung der Laute bedingt, und die
Tatsachen damit nicht übereinstimmen, mufs offenbar eine der Grundannahmen
unrichtig sein. Entweder ist es unrichtig, dafs die Veränderungen in den
Stiramwerkzeugen bei Gleichbleiben der Artikulation eine Veränderung in der
Klangfarbe hervorrufen (die Veränderung in der Tonhöhe ist selbstver-
sländlich und soll nicht in Frage gestellt werden), dagegen spricht aber die
Erfahrung; oder es ist die Annahme, dafs die Artikulation während des ganzen
Lebens die gleiche bleibe, unrichtig (d. h. in der obigen Tabelle die Be-
wahrung von li, ^2 usw. innerhalb einer Generation). Dies ist umso wahr-
scheinlicher, als (nach Jespersen, Phonetische Grundfragen S. 181) bei dem-
selben Individuum Schwankungen in der Artikulation stattfinden, je nachdem
„Eile, Müdigkeit, Faulheit, Tiunkenheit, Zorn, Eifer, Wichiigtuerei, Dozier-
lust, Hohn, verschiedene andere Stimmungen, Zustände und andere Umstände"
mitspielen. Dies vorausgesetzt, ergibt sich aber folgende Änderung in dem
obigen Schema.
Der Artikulation entspricht der Klang:
I. Generation | ■',^^ ►.* ^'
l alt I2 %x
189
immanenten oder mechanischen Lau twandel gibt es nicht.
Sonst wäre es undenkbar, dafs ein und derselbe Laut dort sieben
Jahrhunderte hindurch unverändert bleibt, wo eine Sprachgenossen-
schaft isoliert dasteht, während er hier, wo er fremden Einflüssen
ausgesetzt ist, eine reichliche Entwicklung mitmacht. Erst das Ein-
wirken von aufsen bringt Veränderung in die Sprache. Inzucht führt
wie überall zur Degeneration, Mischung zur Entwicklung.
Dieser Klang Xt wird nun auf die 2. Generation übertragen.
Dem Klange entspriclit die Artikulation:
2. Generation 1 ,^ ^* ?*
l alt xi I2
3. Generation | K^^ ^* t'
l alt Xi ^2
etc. etc. etc.
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Sachregister.
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ä>i 91.
Ablösungstheorie 188 Anm.
ai ^ i 92.
Akzent: Akutus 86, Il3f. — Gravis
86, 98. — Hauptakz. 89 f. — Neben-
akz. 89 f., 117 f. — scharfgeschnittener
Akz. 98, 113. — circumflexus (ge-
wundener A.) 86, 113 f. — musi-
kalischer 72, 82 f.
Akzentuierende Dichtung 106, 117.
Altitudo (vocis) 85 f.
Ancipites 97 f.
Antiphras tische Bestrebungen 75.
Archaische Redeweise 67 fF., 80.
Artikel bei Ortsnamen 8.
Artikulationsbasis 62.
Assimilation von Lauten I33f. —
von Vokalen 95 f. — teilweise 140 f.
Attraktion 135.
au ^ u 92.
Auslaut, nachakzentisch Schwund
130.
Aussichtspunkte als Faktoren bei
der Ortsbenennung 5, 25, 32 f. —
s. geographische Lage.
Bach- und Flufsnamen in Orts-
benennungen 4, 9 ff., 14, 15, 20,
21, 28, 30, 34 f., 38, 39, 44> 52, 54-
Bergnamen in Ortsbenennungen 4,
9, 14, 15. 19, 20, 22, 30, 33f., 47,
51.
Betonung s. Tonfall.
Blählaut HO.
Chronologie sprachlicher Erschei-
nungen 60 ff., 62, 80.
crassitudo (vocis) 85 f.
Dauer der Artikulation 69 ff. —
für Vokale 72 ff. — für Konsonanten
73 ff. — einzelner sprachlicher Evo-
lutionen 62 ff., 66.
Dehnung 114, 116, I20f. — der
Konsonanten 123 f.
Diphthongierung 120 f. — bedingte
I33f-
Dissimilation vgl. Assimilation.
Dreisilbengesetz 87, 103.
Ö, romanisches, im Lusern. d 182.
e ]> i 76. — Zusammenfall von e und
e 112.
Endbetonung 89 f., 96. — s. a.
Suffixbetonung.
Ersatz von Ausdrucksformen 64.
Exspirationsstrom 69 ff.
Exspiratorischer Druck 69 ff., 75 ff.
83 f., lOlf., 107 f., 116 f. — als
Grundlage der wichtigsten pho-
netischen Eigentümlichkeiten einer
Sprache 119 ff. — bei der Syn-
kopierung 126 f. — bei der "Wechsel-
wirkung der Silben 132 f. — bei
der Veränderung der Konsonanten
135, 138 f.
f, ahd. f als w im Südbair. 170 ff. —
südbair. f für roman. und slav. v
172. — roman. f im Tirolerdtsch.
als pf 173 ff.
Flurnamen in Ortsbenennungen 4,
12 ff., 23, 43, 49, 55.
Flüsterton 76.
193
Form 65; — innere s. Funktion.
Funktion 64, 65.
Gefühlsäufserungen als Faktor
bei der Ortsbenennung 6, 9, 19, 2t,
27, 29 ff., 38, 39, 42, 46, 47, 49,
51. 54. 55. 56.
Geographische Lage als Faktor
bei der Ortsbenennung 5 f., 13, 16,
19, 21, 35f., 38, 40, 41, 46, 48,
49. — s. a. Terrainverhältnisse.
Gesetz mäfs ig keit sprachlicher Er-
scheinungen 59 ff.
Gtsprochene Sprache 77.
Gleitelaut 121.
Haaropferzeremonie 144, 157 ff.
Habituelle Redeweise 67ff., 73ff.,
88 f., 142.
Hiatus 99, 105.
Historische Ereignisse als Faktoren
bei der Ortsbenenuung 30, 48, 50.
i ;> e 75. — 1 > e 108. — T und e
zusammengefallen 107.
lambenkürzungsgesetz 95.
Imperativ, doppelter, in Ortsnamen
8, 21, 22, 54 f., 55. — Imperativ-
komposita s. Verbalkomposita.
Infinitiv, Ausgleichung der Inf.e im
Spanischen 129,
Initialakzent 87, 88f., 100.
Intenlio (spiritus) 86.
Kasus Suffixe 64.
Kehlkopf 69ff., igof.
Klassisches Latein 77ff.
Konsonanten: Anschlufs 109, 115.
— Bildung 70 ff., 109 f, — Portes
109. — Lenes 109. — Veränderung
im Worlinnern 139. — Verschhils-
laute 71, 73.
Kulturtradilion, Widerstand der
68 ff.
Kürzung des langen Vokals in
nichtakzentuierter Silbe 92 f. — in
akzentuierter Silbe 112 f., 115 f. —
der Flexions- und Kasussuffixe 97,
Beiheft zur Zcitschr. f. rom. Pliil. XXVII.
Ulf. — der Positionslängen 99. —
der gedeckten Vokale 116 f. — der
Wörter I24f. — der vorakzentischen
Silben 126 f. — des An- und Aus-
lautes 131 f.
Lautgesetze, Ausnahmslosigkeit
oder Willkür der — 162 f., 187. —
als Naturgesetze 184; — s. Gcsetz-
mäfsigkeit.
Lautpsychologie 58.
Lautsubstitution, Definition 162.
— bewufste 182. — unbewufste 182.
Lautwandel: sprunghafter 185. —
physiologischen 86. — mechanischer
187 f. — immanenter 187 f.
Lockruf 153.
longitudo (vocis) 85 f.
Luft Strom 69 ff. — Intensität des —
70 ff. — Luftveibrauch 72 ff.
Mechanisierung sprachlicher Vor-
gänge 58, 74.
Media s. Tenuis.
Menschenopfer 157.
Metapher als Faktor bei der Orts-
benennung 6, 9, II, 14, 15 f., 18, 19,
21, 23, 27, 28, 29, 45, 47, 49, 50,
52, SS-
Metathese 135.
Mundkanal, Enge 70. — Länge 71.
— Form 71. — Vertiefung und
Verbreiterung 107 f.
Muskelenergie ögff., I07f,
o ;> u 76, 98. — Zusammenfall von
ö und 5 112.
Objektive Redeweise 67 ff.
oi >• i 62.
Okkasionelle Redeweise 67ff., 69,
73 ff., 88 f., 100, 142.
Organspannungen 69 ff., 74ff., 107 f.
Paenultima Akzent 87,
Perfektum in Ortsnamen 4.
Periphrastische Ausdrucksweise 64.
Personennamen in Ortsnamen 4,
II, 13, 14, 18, 19, 21, 23, 24, 25,
(Festschrift.) i o
194
27. 29, 31. 40, 42, 44. 46. 47. 50.
5'. 52. 53, 54. 56. — als zweiter
Bestandteil in der Verbalkomposition
8. 17. 25, 37. 43. 50.
Pflanzennamen in Ortsnamen 13,
30, 37, 55-
Praesens in Ortsnamen: Indik. 7. —
Konj. 4.
Pragmatische Geschichte der
Sprache 57 ff.
Psychophysische Vorgänge 58, 59,
61, 62, 74.
Quantität 69, 84 f., 91 f., lOl f., Illf.,
114 f.
Rhythmische Analogie 91.
Rhythmus 82, 90. — sem.-inlischer
90, 100, 107, 142. — fallender 83,
88 f., 90. — steigender lOi ff., 107,
119.
Romanisch 80. — Beginn des —
77 ff., 80. — Dauer 142.
S: lat. s in Lehnwörtern des Germa-
nischen 164. — slav. s im Südbair.
165 f. — im Nordbair. 166. — rom. s
im Tirolerdeutschen 166 ff.
S: deutsches s im Windischen 177. —
wind. 8 im Deutschen 177 f. —
roman. s im Tirolerdtsch. als ts 178.
— S > tä im Etschländer Dtschen.
179. — s aus tä in den 7 und
den 13 Gemeinden 179.
Sandhierscheinungen 125 f., 131.
Satz 81.
Sätze als Ortsnamen 4.
Satzrhythmus 8if., 88f., 100, 118,
119.
Saturnier.
Schallgipfel I22f. — Verstärkung
und Verminderung 132.
Schallnachahmung 145, 149, 152.
Schriftsprache 77 ff. — s. a. Kultur-
tradition.
Schutzvorkehrungen als Faktor
bei Ortsbenennungen 5, 23, 25,
39.
Semantische Vorgänge 59, 65, 82f.,
88 f., 90, 142.
Siedlungen in armen Gegenden 5,
6, 12, 27, 29, 44. — auf starken
Winden ausgesetztem Terrain 5, lo,
13. 23, 27, 42, 44, 59, 54, 55. —
auf Rodungen 5, 9, 18, 49, 51, 54.
— auf Durchgangspässen 6, 25, 41,
46. — s. Terrainverhältnisse und
Geographische Lage.
Silbengrenze, Verlegung der — 116,
169.
Silbentrennung: Unterschied
zwischen deutscher und rom. 169.
Sonanten im Wortinnern 138.
Spiranten, die german., im Rom.
184.
Spitznamen als Faktor bei der Orts-
benennung 6, 9, 10, II, 14, 18, 19,
21 ff., 27 ff., 39, 41 ff., 47, 50, 53,
55.
Sprachgrenze, altroman.- deutsche
163 f.
Sprachmischung 162.
Sprechton 63.
Stimmritzenver schlufs logf.
Subjektive Redeweise 67 ff., 83.
Suffixbetonung 88 f.
Synkopierung I25f.
Syntaktische Gebilde 63ff.
Systemzwang äufserer 65. — innerer
63.
Tenuis im Anlaut von Media getrennt
in Südtirol 175 Anm.
Terrainverhältnisse als Faktor
bei Ortsbenennung 6, 12 ff., 25, 28f.,
32, 38, 44, 47, 50, 52, 55. — s. a.
Geographische Lage.
Thoraxbewegungen 6gS., 73.
Tiernamen als Bezeichnung von Per-
sonen 144 ff., 150 ff. — als Eigen-
namen 150. — in Ortsnamen 5, 9 ff.,
i3ff., i8f., 2iff., 27ff., 37ff., 46ff.
52f. 55f. 151.
Tieropfer 157, 160.
Tonfall 76, 82, 85, 90.
195
Tonhöhe 69 ff. 74.
Trachealdruck 69 ff.
f>: rom. Jj im Lusernischen als ts 153.
ü ^ o 108. — Zusammenfall von li
und o 108. — ü und ü 112.
Übergangslaute 121.
Umlaut 133.
Unbewufste Sprachvorgänge 58, 182.
Ursachen sprachlicher Verände-
rungen: psychologische 66 ff., 88 ff.,
107. — physiologische 69 ff., lO/f.
Verbalkomposition in der Topo-
nomastik I ff. — Form des ersten
Bestandteiles 3. — geograph. Ver-
wendung 4. — Inhalt 4 f. — äufsere
Gestalt 7. — grammatische Be-
schaffenheit 7 f. — • Material 9 ff.
Verlängerung des Auslautes 142 f.
Vokale, gespannte 72 ff. — uu-
gespannte 73 ff.
Vokalbildung: 7off. — Einsatz 108 f.
Dehnung 115.
Volksaberglaube als Faktor bei
Ortsbenennung 9, 14, 17.
Volksetymologie 150.
Volkshumor als Faktor bei der
Ortsbenennung 7, 9, 13, 14, 20,
22 ff., 29, 41, 43 f., 48, 53, 56. —
s. a. Spitznamen.
Volkstümlich 78.
Vulgärlatein 77 ff.
Wechselwirkung der Silben 132 f.
Wortbedeutung 62.
Wortbildung 63ff., 91.
Wortsch atz 62.
Wortstellung 65 ff., 81 f. 141. —
Ursachen ihrer Veränderung 66.
Worttrennung I25ff., I3lf.
Wirtschaftliche Verhältnisse als
Faktor bei der Ortsbenennung 9,
16 f., i8f., 21 ff., 25, 40, 51, 53.
Zirkumflex s. Akzent.
Wortverzeichnis ,
Diakritische Zeichen sind nicht berücksichtigt; es ist also c c unter c, § unter
s eingereiht: ö folgt auf d, ;f auf h, |j auf t. Ein Verzeichnis der Verba, die
zur Bildung von Ortsnamen verwendet werden, s. S. 9 ff.
abbaco (ital.) 152.
abiot, mechant (Cöte d'or
147-
acrele (frz. dial.) 150.
agass- (prov.) 150.
agaza (ahd.) 140.
aidus (langobard.) 184.
aigrefin (frz.) 147.
amargasso (Tarn) 150.
alondra pipi (span.) 153.
a]7dls (got.) 184.
babbola (ital.) 152.
bacalao (span.) 147.
baccalä (ital.) 147.
baccalaro (ital.) 147.
bachelier (frz.) 147.
balteus (lat.) 169.
bal)?3 (got.) 184.
balz (iusern.) 169.
bardar (südtirol.) 185 A.
Baumpieper (dtsch.) 153.
bekaz (Iusern.) 169.
benir (südtirol.) 185 Anm.
bfistära (Iusern.) 176.
biacca (ital.) 184.
billi billi (ital.) 153.
bischaus (iusern.) 180.
blaihha (langobard.) 184.
blauSjan (fränk.) 184.
boler(südtirol.) 185 Anm.
bornigel (zimbr.) i6ö.
borondi (Iusern.) 166.
bovou, töte de (Mont-
beliard) 147.
boza (Iusern.) 169.
Canaille (frz.) 146.
capitium (lat.) 169.
carakin (orldan.) 149.
carcarazza (siz.) 149.
carex (lat.) 183.
caricara (orlean.) 149.
carusu (siz.) 144, 157,
161.
cattedra (ital.) 152.
cilia (lat.) 166.
cink (zimbr.) 180.
cobium (lat.) 147.
cognitus (lat.) 94.
cokilj (zimbr.) 180.
colomba (ital.) 153.
Colon (afrz., aprov.) 154.
conrotulare (lat.) 131.
couchoun (prov.) 150.
coujard (frz. dial.) 147.
coujat (frz. dial.) 147.
crac (savoy.) 149.
cracasser (poitev.) 149.
cracra (orlean., Guard,
Toulouse) 149.
crapaud (frz.) 146.
ergehe (frz.) 154.
cric-crac (orlean.) 149.
ciic cric (Jura) 149.
criquet (savoy.) 149.
crollare (ital.) 151.
darnaga (Toulon) 150.
dorschotten (zimbr.) 180.
ecrignole (Montbeliard)
50.
emblauzir (prov.) 184.
enziana (Iusern.) 169.
dpinoque (wallon.) 147.
esbloir (afrz.) 184.
faba (lat.) 173.
fafe (zimbr.) 176.
fahs (got.) 184.
faida (langobard.) 184.
falda (langobard.) 174.
fära (sloven.) 176.
faschi (Iusern.) 172.
fascia (lat.) 173.
favonius (lat.) 173.
femmina (ital.) 152.
fendra (kämt.) 171.
fent (sloven.) 176.
fifolare (ital. tirol.) 176.
filicaretum (lat.) 172.
filictum (lat.) 174.
finferli (südtirol.) 176.
fissus (lat.) 174.
fistera (südtirol.) 176.
197
foat (zimbr.) 176.
follis (lat.) 173.
fönte (lat.) 174.
forma (lat.) 174.
föspr (Icärnt.) 171.
fossa (lat.) 173.
fracta (lat.) 174.
fraga (lat.) 174.
frilla (südtirol.) 173.
fronte (iat.) 174.
fundus (lat.) 173.
funt (zimbr.) 176.
furca (lat.) 174.
lurnus (lat.) 174.
garbo (nordital.) 1S4.
gbiozzo (ital.) 146.
gnotus (lat.) 94.
gobione (lat.) 146, 154.
gobium (lat.) 147.
goi, goje (hebr.) 145.
go]7s (got.) 184.
gouge Mask. (afrz.) 147.
gouge Fem. (frz.) 145,
147 f.
goui- (frz. dial.) 146.
gouj- (frz. dial.) 145 ff.,
154.
goulue (frz.) 147.
gournaou (Marseille) 147.
goutjo (piov. dial.) i46.
gouy- (prov. dial.) 145 f.
Graspiepert (holländ.)
153-
gribiche (waatl.) 150.
grimmi|7a (got.) 184.
grinta (nordital.) 184.
gufo (ital.) 184.
guzan (lusern.) 169.
hache (frz.) 154.
harbi (langobard.) 184.
haunif'a (got.) 184.
Hecht, feiner (wien.) 147.
Hcnderl (wien.) 144.
herb (mhd.) 1S4.
honte (frz.) 184.
hüvo (langobard.) 184.
%aQaxiov (griech.) 169.
illius (lat.) 93.
kanzü (lusern.) 170.
karaz (lusern.) 169.
karekiet (holländ.) 149.
karitsch (lusern.) 183.
Karpf (wien.) 147,
karrischa (zimbr.) 183.
Katzerl (wien.) 144.
kaviz (lusern.) 169.
Kerl (dtsch.) 148.
k;(olm (kämt.) 182.
k;(rean (kämt.) 182.
kinkara (Doubs, Cote
d'or) 149.
köpf (zimbr.) 176.
Kricke (dtsch. 149.
Klick-, Krieg-, Kriegel-,
Kriek - , Kruck - ,
Krück-, Krugel-Ente
(dlsch.) 149.
Iö5 (lusern.) 170.
louvat (frz.) 147.
louve (frz.) 147.
Luderchen (sächs.) 146.
macho (span.) 145.
magrotsch (lusern.) 183.
masculus (lat.) 145.
Mäuschen (dtsch.) 145.
Mauserl (wien.) 144.
maz (lusern.) 169.
merlotto (ital.) 152.
meurtre (frz.) 184.
micha (span.) 145.
michino (span.) 145.
micho (span.) 145.
Misel (elsäfs.) 145.
monedula (lat.) 151.
monella (ital.) 151, 152.
monello (ital.) 151, 152.
mor|7r (fiänk.) 184.
morue, vieille (frz.) 146.
moslaz (lusern.) 170.
mousc-hunt (engl.) 145.
muchacho (span.) 145.
mucia -o (ital.) 145.
musculus (lat.) 145.
musna (rät.) 168.
neza (lusern.) 170.
noze (lusern.) 170.
öffel (zimbr.) 176.
officina (iat.) 174.
osoje (slav.) 165.
pantaz (lusern.) 170.
pega (span.) 152.
peixote (port.) 147.
penn marlus (Audierne)
147.
pepia (südfrz.) 153.
pepiage, pepiatge (süd-
frz.) 153.
pepi^ment (frz.) 153.
pequeiio (span.) 152.
pesce nuovo (ital.) 147.
peti (Metz) 153.
petit (frz.) 153.
pez (span.) 147.
pfiem (lirol.) 173.
pfoll (tirol.) 173.
pfrillen (tirol.) 173.
pfrosln (tirol.) 173.
pfulsen (mhd.) 164.
pibione (Iat.) 154.
picci picci (parm.) 153.
picci- (ital.) 152 f.
piccolo (ital.) 152.
pich- (prov.) 153.
pie (Irz.) 148 ff.
pie gvi^che (frz.) 148(1.
piepen (dtsch.) 153.
Piepleeuwerick (holländ.)
153-
piepsen (dtsch.) 153.
pigeon (frz.) 153 ff.
pigo (prov.) 150.
pigo borgno (prov.) 150.
pijouneu (prov.) 153.
pioüla (ir^rault) 153.
pioulin (Nizza) 153.
198
pipare (lat.) 153.
pipeis (afrz.) 153.
piper (frz.) 153.
pipiria (bergam.) 153.
pipette (pikard.) 153.
pipi und Ableitungen
(frz. ital.) 153.
pipiare (lat.) 153.
Pipihenderl (wien.) 153.
pipione (lat.) 153.
pipit (engl.) 153.
pipizo (lat.) 153.
Pipperling (dtsch.) 153.
pippi- (ital. sard.) 153.
pipulus (lat.) 153.
pispola (ital.) 153.
Pit (plattdtsch.) 153.
pitia piiia (Metz) 153.
Pitju (plattdtsch.) 153.
pi(t), pip (frz.) 153.
pit pit (breton.) 153.
pits-, pits- (frz. prov.)
155-
Pittkn (plattdtsch.) 153.
piiy- (frz. prov.) 155.
polz (ahd.) 164.
Pomuckelskopf (platt-
dtsch.) 146.
prasätko (tschech.) 166.
prochain (frz.) 154.
pti pti (Lot) 153.
ptit^- (frz.) 153.
ptso (frz.) 155 f.
ptsötö (frz.) 155 f.
plyö Adj. (nordfrz.) 154.
puls (lat.) 164.
pulsare (lat.) 164.
Putschen (dtsch.) 150.
Puthenne (dtsch.) 150.
putida (lat.) 150.
putta, -ella (ilal.) 150.
racaca (Aube) 149.
racanette (Aube) 149.
racasse (frz. dial.) 148 f.,
ragach- (frz. prov.) 150.
ragagella (mail.) 149.
raganella (ital.) 149.
ragass- (frz. prov.) 148 IF.
ragazz- (ilal.) I48.
raquette (Vienne) 149.
recuchoun (languedoc.)
ISO.
regach, regachon
(languedoc.) 150.
repepia, repepiage (prov.)
153.
ricco (ital.) 184.
rihhi (langobard., ahd.)
184.
ritsch (lusern.) 183.
riz (lusern.) 170.
robalz (lusern.) 170.
rouge (frz.) 154.
rousserole (frz.) 148 f.
Saban (got.) 164.
sabanum (lat.) 164.
Saccus (lat.) 164.
saetta (lusern.) 180.
sakkus (got.) 164.
salfn (kämt.) 171.
Salix (lat.) 168.
sarcelle criquart (savoy.)
149.
sarkela (zimbr.) 166.
Daumen (kämt.) 177.
saxum (lat.) 167.
schaine (zimbr.) 180.
schakä (lusern.) iSo.
schank (limbr.) 180.
schatta (zimbr.) 180.
schävera (zinabr.) 180.
schavita (zimbr.) 180.
schavöUo (zimbr.) 180.
schedl (lusern.) 180.
scheleragine (lusern.) 181.
schelerato (lusern.) l8l.
schelvis (holländ,) 146.
schial (lusern.) 179.
s chil (lusern.) 179.
s chink (zimbr.) 180,
^chokilj (zimbr.) 180.
schopärn (lusern.) 181.
schücka (zimbr.) 180.
schür (lusern.) 180.
schwiTs (lusern.) 170.
sedlo (sloven.) 165.
sedmina (nsloven.) 166.
äeleno (lusern.) 180.
sen(i)ca (sloven.) 165.
serra (lat.) 167.
setimine (friaul.) 166.
sfojaz (lusern.) 170.
äikuro (lusern.) 180.
Silva (lat.) 167.
sinj>s (got.) 184.
sipa (sloven.) 177.
situla (lat.) 166 f,
*sitularium (lat.) 168.
äkaf (sloven.) 177.
skari (sloven.) 177.
skavezarn (lusern.) 169.
skoff (sloven.) 177.
skopa (sloven.) 177.
slak (sloven.) 165.
slavago (lusern.) 180.
Smaltarn (lusern.) 180.
smola (istr., sloven.) 166.
snaida (langobard.) 184.
sobigoj (slav.) 165.
äoldado (lusern.) 180,
spaccare (ital.) 184.
spachen (mhd.) 184.
spahha (ahd.) 184.
spalla (ilal.) 151.
spatula (lat.) 151.
spiza (lusern.) 170.
sreda , sredina (allslav.)
165.
Sribate (sloven.) 177.
Stiz (lusern.) 170.
Stockfisch (dtsch.) 146.
älraz (lusern.) 170.
strase (südlirol.) 170.
stridulare (lat.) 155.
strillare (ital.) 151.
Suckel (nordbair.) 166.
suet (sloven.) 165.
suha (sloven.) 165.
suknja (kroat.) 166.
Sumpfpieper (dtsch.) 153.
igg
suokena (istr.) i66.
äupliko (lusein.) i8o.
sura (sloven.) 165.
tarnaga (Gard) 150.
taufa (kämt.) 171.
tedesco (ital.) 184.
teuse (afrz.) 157,
tiois (afrz.) 184.
tito tito (Tarn) 153.
tonsus, -a (lat.) 157, 160.
tos (aprov.) 144, 157.
tose (afrz.) 157.
toset (afrz. aprov.) 157.
toso -a (ital.) 144, 157,
160.
touse, -el, -eile, -et,
-ette (frz. prov.) 144,
157-
touso (nprov.) 157.
toza, -ar (aprov.) 157,
160,
trasle (afrz.) 184.
tresca (ital.) 184.
treschier (afrz.) 184.
triscar (port.) 184.
tschäi (lusern.) 180, 183.
tschaiue (zimbr.) 180.
tschat (lusern.) 180, 183.
tschalto (zimbr.) 180.
tschenk (zimbr. lusern.)
180.
tschikln (lusern.) 180,
183.
tschÖtschl (lusern.) 183.
tschot (lusern.) 180, 183.
tschovär (lusern.) 180,
183.
tschuvit (lusern.) iSo,
183.
tschovöl (lusern.) iSo,
1S3.
tschüka (lusern.) 180,
183.
tsenitsn (kämt.) 165.
tskrippetä (kämt.) 177.
tskröda (kämt.) 177.
laoia (kämt.) 177.
tuck tuck (dtsch.) 153.
tudesco (span.) 184.
Tiit (oslfries.) 153.
tut tut (dtsch.) 153.
Tütje (ostfries.) 153.
tyo (Adj., nordfrz.) 154.
]7eudisk (germ.) 184.
frastela (fränk.) 184.
)?reskan (fränk.) 184.
Jjriska (got.) 184.
Venzern (lusern.) 171.
vernieiro, ventre de —
(Gard) 147,
vicale (lat.) 178.
vicia (lat.) 183.
vitsch (lusern.) 171, 183.
Wiesenpieper (dtsch.)
153-
zamp, zamparn (lusern.)
168.
zampanjevec (sloven.)
177.
zapägo (lusern.) 168.
zarlalä (lusern.) 169.
zamogel (sloven.) 177.
zavariam (lusem.) 169.
Zedern (lusern.) 168,
zedrü (lusern.) 168.
zega (lusern.) 168.
zegger (tirol.) 166.
zeltro (lusern.) 168.
zentimeiro (lusem.) 168.
zenso (lusern.) 168.
zentro (lusern.) 168.
zeriola (lusern.) 168.
zertam (lusern.) 168.
zerto (lusern.) 168.
zervo (lusem.) 168.
zigal (lusern.) 168.
zigaro (lusern.) 168.
zikelär (lusern.) 168.
zikl (lusern.) 166.
zimento (lusern.) 168.
zizma (lusem.) 168.
zlok (kämt.) 165.
zobem (südtirol.) 185
Anm.
zornirn (lusem.) 168.
zurre (kämt.) 165.
Verzeichnis der Orts- und Personennamen.
Die mit Verben zusammengesetzten Ortsnamen s. S. 9 ff. an ihrer alpha-
betischen Stelle.
Adaulfus 184.
Adelfret 184.
Agassac 151.
Agassas 151.
Agasse 151.
Agefrit 184.
Aguessac 151.
Ataulfus 184.
Aunefrit 184.
Ayasse 151.
Balderedus 184.
Baldomirus 184.
Baltarius 184.
Caldonazzo 183.
Castelfeder 172.
Cateau 150.
Genta 183.
Dalzan 168.
Fagildus 184.
Fallätscha 172.
Fallatschn 172.
Falle 172.
Fallmair 172.
Fallmajur 172.
Fallmür 172.
Falls 172.
Fallscheney 172.
Falschgur 172.
Falschmair 172.
Faltmanige 172.
Falterschein 172.
Falung 172.
Favarias 173.
Feistritz 171.
Felders 174.
Figali 172.
Flath 174.
Flattnilz 171.
Folgarait 172.
Forn 174.
Frad Obbach 174.
Fraina 174.
Frains 174.
Fufs 173.
Gudenandus 184.
Gutumundus 184.
Jaque 150.
Kalnetsch 183.
Khoeit^ech 182.
Kholtsech 182.
Manazzo 183.
Manetsch 183.
Margot 150.
Moznas 168.
Niderpfondenell 174.
Oberpfragl 147.
Partschiller 178.
Pfäsch 173.
Pfäschwisen 173.
Pfässen 174.
Pfätsch 173.
Pfaffrial 173.
Pfandlspitz 174.
Pfanell 174.
Pfanes 174.
Pfannalpe 174.
Pfans 174.
Pfarmbeil 174.
Pfebers 173.
Pfefferleite 173.
Pfeffers 173.
Pfeffersberg 173.
Pfeis 174.
Pfelders 174.
Pfesch 174.
Pfitsch 174.
Pfitscher 174.
Pfitz 174.'
Pflatt 174.
Pfötsching 174.
Pfons 173.
Pforn 174.
Pfossen 173.
Pfraderhof 174.
Pfrans 174.
Pfrein 174.
Pfreinsbach 174.
Pfroll 174.
Pfrontner 174.
Pfrusl 174.
Pfund 173.
Pfundes 173.
Pfunders 173.
Pfundraitsch 173.
Pfunds 173.
Pfuns 173.
201
Pfurgl 174.
Pfurns 174.
Pfurnsee 171.
Pfurtschell 174.
Pfufs 173.
Pielach 171.
Plansel 167.
Plansöhl 167.
Plansol 167.
Plantsel 167.
Planzols 167.
Pozelnik 165.
Prantzage 167.
Pranzäg 167.
Pras^(e)gnai 166.
Prassnay 166.
Prumsag 167.
Prutznai 166.
Putizlao 164.
Ragaz 151.
Ratzöl 167.
Reifnit:6 171.
Ro(t)lant 184.
Rotulandus 184.
Ro]?oland 184.
Rubein 172.
Salgär 168.
Sax 168.
Sehen 178.
Schengels 178.
Schennen 178.
Sentarius 184.
Serfaus 167.
Sindofalus 184,
Talsoii 168.
Taodepert 184.
Tedbald 184.
Teudelupus 184.
Teuderulf 184.
Thibaut 184.
Tsanhn 165.
Tscbeinhof 178.
Tschen 178.
Tschengels 178.
Tschiffnon 178.
Tschingels 178.
Tschint 183.
Tschöfes 178.
Tschutthof 187.
Tswatndorf 165.
Treffen 171.
Tswainets 165.
peodbald 184.
Unterpfragl 174,
Valaruz 172.
VaU 172.
Vellach 171.
Vesche 173.
Vill 172.
Waideria 172.
Waldnigg 172.
Wälläralä 172.
Waldafag 172.
Walldaküern 172.
Walldalussey 172.
Wallone 172.
Wäll Plauna 172.
Wall Sant Jan 172.
Walsurtall 172.
Waratschnigg 172,
Wasenig 172.
Wischritz 171.
Zaggierhof 167.
Zagl 167.
Zahre 165.
Zaiach 165.
Zaiterhof 167.
Zalgair 168.
Zarz 165.
Zass 167.
Zassmühle 167.
Zatz 167.
Zauche 165.
Zazzick 167.
Zazzikhofen 167.
Zebegoi 165.
Zedlach 165.
Zeggerbiücke 167.
Zelfen 167.
Zenitze 165.
Zeredeii l65-
Zeron-Höfe 167.
Zetlitz 165.
Zettalunitz [65.
Zick-Hof 167.
Ziggler-Hof 167.
Zilf 168.
Zütlas 165.
Zoiginitz 165.
Zueiitipolch 165.
Zunig 165.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
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PC Zeitschrift für romanische
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