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Full text of "Zeitschrift für romanische Philologie. Beihefte"

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Univof 
Toronto 
Library 


BEIHEFTE 

ZUR 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ROMANISCHE   PHILOLOGIE 

HERAUSGEGEBEN 


Dr.  GUSTAV  GROBER 

PROFESSOR    AN    DER   UNIVERSITÄT   STRASSBURG   I.  E. 


XXIV.  HEFT 


ERICH  GIER  ACH,    SYNKOPE  UND  LAUT  ABSTUFUNG 
EIN   BEITRAG   ZUR   LAUTGESCHICHTE  DES  VORLITERARJSCHEN 

FRANZÖSISCH 


HALLE  A.  S. 

VERLAG    VON    MAX    NIEMEYER 
1910 


SYNKOPE  UND  LAUTABSTUFUNG 


EIN  BEITRAG  ZUR 
LAUTGESCHICHTE  DES  VORLITERARISCHEN  FRANZÖSISCH 


VON 


ERICH   GIERACH 


HALLE  A.  S. 

VERLAG     VON    MAX     NIEMEYER 

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Inhalt. 

Seite 

Verzeichnis  der  wichtigsten  Abkürzungen  für  Literaturangaben  vii 

Einleitung i 

I.    Die  gemeinromanische  Synkope. 

1.  Liquida  und  s IG 

2.  Konsonanten  gleicher  Artikulationsstelle i6 

3.  Vokalisierung  des  Konsonanten 29 

4.  Konsonanten  gleicher  Lautstufe 35 

II.    Palatal  im  Anlaut 39 

1.  Palatale  Gruppen  vor  c  und  t 42 

2,  g,  c  vor  d,  t 48 

3-    Cr 73 

4.    k^  vor  1,  n,  m 78 

m.   Liqvdda,  Nasal  und  Spirans  im  Anlaut 82 

1.  Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  t. 

a)  1,  r,  s  +  t  vor  dem  Ton lOO 

b)  n,  v,  m  vor  t 102 

2.  Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  k. 

a)  Liquida  vor  k,  k' 106 

b)  Nasal  vor  k,  k^ II2 

c)  Spirans  vor  k,  k^ Il6 

Zusammenfassung 117 

IV.    Einflufs  des  a  der  Ultima.    Versohlufslaut  vor  c,  p,  t  .    .  119 

1.  Einfache  Media  im  Anlaut 126 

2.  Einfache  Tenuis  im  Anlaut 133 

3.  Gedeckte  Media  im  Anlaut 137 

4.  Gedeckte  Tenuis  im  Anlaut 144 

V.    Media  und  Gruppe  im  Auslaut.   Die  stimmlosen  Spiranten. 

1.  Verschlufslaute  vor  Media 149 

2.  Vulgärlateinische  Langiormen 153 

3.  Die  stimmlosen  Spiranten  s,  f 154 

4.  Gruppe  im  Auslaut:  Kons.  -}-  r,  i ;  k^ 156 


VIII 

Seite 

Anhang.    Mundartliches 162 

Zusammenfassung 167 

Verzeichnisse : 

1.  Die  Grundformen 173 

2.  Die  Entsprechungen 182 

3.  Die  Gruppen 191 

4.  Grammatisches 192 

Berichtigungen 194 


n 


Verzeichnis  der  wichtigsten  Abkürzungen  für 
Literaturangaben. 


ALL:  Archiv  für  lateinische  Lexikographie  und  Grammatik,  hrg.  von  W. 
Wölfflin. 

Atl.  ling.:     J.  Gillieron,  Atlas  linguistique  de  la  France. 

Bauer:  A.  Bauer,  Der  Fall  der  Pänultima  und  seine  Beziehungen  zur  Er- 
weichung der  intervokalen  Tenuis  zur  Media  und  zur  Vokalveränderung 
in  betonter  freier  Silbe.    Diss.    Würzburg  1903. 

Berger:  H.  Berger,  Die  Lehnwörter  in  der  französischen  Sprache  ältester  Zeit. 
Leipzig  1899. 

Cl^dat:  Leon  C16dat,  Sur  le  traitement  de  C  apr^s  la  Protonique  et  la  Penul- 
treme  atones;  Consonnes  intervocales  aprfes  la  protonique  et  la 
penultieme  atones.  Revue  de  philologie  fran^aise  et  de  litterature 
XVII  (1903)  122—138,  209—228. 

Dict.  g6n. :  Hatzfeld  et  Darmesteter,  Dictionnaire  general  de  la  langue  fran9aise. 
Paris  (188  ff.). 

Diez:  Diez,  Etymologisches  Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen.  S.Aus- 
gabe (1887). 

Ellrath:  H.  Elfrath,  Die  Entwicklung  lateinischer  und  romanischer  Drei- 
konsonanz im  Altfranzösischen.     Rom.  Forsch.  X  (1899). 

God.:  F.  Godefroy,  Dictionnaire  de  l'ancienne  langue  fran^aise  et  de  tous 
ses    dialectes   du  IXe  au  XV«  siecle,   Bd.  i— 10,  Paris  1880— 1901. 

Gr.:  Grundrifs  der  romanischen  Philologie,  hrg.  von  G.  Gröber.  Band  I, 
2.  Aufl.  (1904 — 06). 

Gutheim:  F.  Gutheim,  Über  Konsonanten- Assimilation  im  Französischen,  Diss. 
Bern  1891. 

Herford:  H.Herford,  Die  lateinischen  Proparoxytona  im  Altprovenzalischen. 
Diss.    Königsberg  1907. 

Herzog:     E.  Herzog,    Streitfragen   der  romanischen  Philologie  I.     Halle  1904. 

Hetzer:     K.  Hetzer,  Die  Reichenauer  Glossen.     Halle  1906. 

Horning,  Prop.:  A.  Horning,  Die  Behandlung  der  lateinischen  Proparoxytona 
in  den  Mundarten  der  Vogesen  und  im  Wallonischen.  Programm 
Strafsburg  1902. 

Karsten:  P.  Karsten,  Zur  Geschichte  der  afr.  Konsonanten-Verbindungen.  Diss. 
Freiburg  1884. 

Klausing:  P.  Klausing,  Die  Schicksale  der  lateinischen  Proparoxytona  im 
Französischen.     Diss.    Kiel  1900. 


Körting:     G.  Körting,  Lateinisch-romanisches  "Wörterbuch.     I. — 3.  Aufl. 
Lindström:     Anmärkuingar  tili  de  obetonade  vokalernas  bortfall  i  nagra  nord- 

franskar  ortnamn.     Diss.    Upsala   1892. 
Marchot:     P.  Marchot,    Petite   phonetique    du   fran^ais   prelitteraire   (VI« — Xe 

siecles).     Freiburg  1901  f. 
M.-L.:     "W.  Meyer-Lübke. 

—  Bat.  im  Gall.:     Die   Betonung   im    Gallischen.      Sitz.-Ber.    der   kais.    Akad. 

d.  Wiss.  in  Wien,  phil.-hist.  Klasse  CXLIII  (1901). 

—  Einf. :     Einführung    in   das   Studium    der    romanischen   Sprachwissenschaft. 

Heidelberg  1901. 

—  Frz.  Gr.:     Historische  Grammatik   der  französischen  Sprache.     Heidelberg 

1908. 

—  Rom.  Gr.:     Grammatik  der  romanischen  Sprachen.    Leipzig  1890 — 1901. 
Nyrop :     Kr.  Nyrop,  Grammaire  historique  de  la  langue  fran9aise.    I.  Bd.  2.  Aufl. 

1904,  2.  Bd.  1903,  Kopenhagen. 
Rom.:     Romania. 
Schw.-B. :     Schwan-Behrens,  Grammatik  des  Altfranzösischen.    7.  Aufl.    Leipzig 

1907. 
Schuchardt  R.  E. :     H.  Schuchardt,   Romanische    Etymologien.     Sitz.-Ber.  der 

kais.   Akad.    d.  Wiss.    in  Wien,    phil.-hist.    KI.      Bd.   139    und    141 

(1S98,  99). 
Shepard:     W.  P.  Shepard,   A  Contribution  to  the  History  of  the  Unaccented 

Vowels  in  Old  French.     Diss.    Heidelberg  1897. 
Walde:     A.  Walde,  Lateinisches  etymologisches  Wörterbuch,  Heidelberg  1906. 
Zeitschr.:     Zeitschrift  für  romanische  Philologie. 


Einleitung. 

Es  ist  ziemlich  allgemein  anerkannt,  dafs  im  5. — 6.  Jahrhundert 
in  Gallien  die  einfachen  stimmlosen  Konsonanten  des  Lateinischen 
zwischen  Vokalen  stimmhaft  wurden.  Wenn  nun  ein  solcher  Kon- 
sonant durch  Ausfall  eines  unbetonten  Vokals  mit  einem  anderen 
Konsonanten  in  Berührung  trat,  so  erscheint  als  Endergebnis  im 
Altfranzösischen  bald  ein  stimmloser,  bald  ein  stimmhafter  Laut. 
Da  ist  nun  ebenfalls,  wenn  auch  nicht  so  allgemein  wie  bei  dem 
Satze  von  den  intervokalen  stimmlosen  Konsonanten,  anerkannt, 
dafs  diese  Verschiedenheit  des  Ausgleichungsergebnisses  abhängt 
von  der  Zeit  des  Ausfalles  jenes  Zwischenvokales.  Aber  wann  dieser 
Schwund  im  einzelnen  stattfindet,  nach  welcher  Richtung  sich  dann 
der  Ausgleich  vollzieht,  wann  der  stimmhafte,  wann  der  stimmlose 
Laut  obsiegt,  darüber  ist  man  zu  einer  klaren  Erkenntnis  noch 
nicht  gelangt.  Diese  Frage  nun,  wann  ein  lateinisch  intervokal 
stehender  stimmloser  Konsonant  im  französischen  Ausgleich- 
ergebnis als  stimmlos,  bezw,  stimmhaft  erscheint,  oder,  was  ziem- 
lich dasselbe  heifst,  in  welchen  Fällen  der  unbetonte  Zwischenvokal 
vor,  wann  nach  der  Lautabstufung  fällt,  soll  in  der  vorliegenden 
Arbeit  beantwortet  werden. 

Diez  war  auf  diese  Frage  nicht  eingegangen.  Es  kam  ihm 
bei  seiner  Auffassung  von  Lautgeschichte  noch  nicht  in  den  Sinn 
zu  fragen,  an  welche  Bedingungen  das  Auftreten  des  stimmhaften, 
bezw.  stimmlosen  Ergebnisses  geknüpft  ist.  In  seiner  Gramm.  P,  301 
spricht  er  von  der  „approximativen  Angleichung,  welche  Konso- 
nanten von  verschiedenen  Stufen  auf  gleiche  Stufe  setzt,  sodafs  .  .  . 
Tenuis  zu  Tenuis,  Media  zu  Media  sich  fügt."  Wo  also  Media 
und  Tenuis  zusammentritt,  ergibt  sich  ihm  entweder  Tenuis  oder 
Media.  So  hält  er  „sowohl  sopte  wie  sohde''-  für  richtig,  aber  cap- 
dolh,  inaracde  für  „unrichtig  oder  unpassend",  „wofür  cahdolh, 
maragde  oder  captolh,  marade  zu  erwarten  war". 

Das  Schicksal  d»r  zusammentretenden  Konsonanten  steht,  wie 
gesagt,  mit  dem  Eintritt  der  Synkope  in  Beziehung.  Über  die 
Bedingungen  des  Vokalausfalles  war  Diez  noch  nicht  zur  Auf- 
stellung bestimmter  Regeln  gelangt.  Mit  dem  Zwischentonvokal 
hatte  sich  zuerst  Brächet  im  Jahrbuch  f  10m.  und  engl.  Sprache 
und  Lit.  VII,  301  ff.  (1866)  beschäftigt  und  zwei  Gesetze  aufgestellt: 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  I 


I.  der  Vortonvokal,  wenn  nicht  anlautend  und  nicht  in  Position, 
fällt  im  Französischen,  wenn  er  kurz  ist;  2.  er  erhält  sich,  wenn 
er  lang  ist.  In  seinem  Dict.  etym.  brachte  er  dann  aber  eine  kleine 
Liste  von  Wörtern  bei,  wo  langer  Vortonvokal  „ausnahmsweise" 
fällt.  Die  Unrichtigkeit  dieser  Aufstellung  erkannte  J.  Storm  (Mem. 
de  la  soc.  de  ling.  de  Paris  11,  81;  1872)  und  meinte,  dafs  nicht 
die  Quantität  der  Vokale  ausschlaggebend  ist,  sondern  „meist  die 
Erinnerung  an  die  Grundform,  wo  der  Vokal  betont  ist,  aufserdem 
die  Bequemlichkeit  der  Aussprache."  Abschliefsendes  über  diesen 
Punkt  gab  bekanntlich  Darmesteter  in  seinem  Aufsatze  Romania  V, 
140 — 164  (1876),  wo  er  das  nach  ihm  benannte  Gesetz  aufstellte, 
dafs  a  als  e  erhalten  bleibt,  1  alle  übrigen  Vokale  aber  fallen,  aufser 
gestützt  durch  eine  Gruppe. 

Der  unbetonte  Pänultimavokal  wurde  in  eingehender  Weise 
zuerst  von  Meyer -Lübke,  Zeitschr.  VlII,  205  ff.  (1884)  in  den  „Bei- 
trägen zur  romanischen  Lautlehre"  behandelt.  Die  Hauptergebnisse 
für  das  Französische  sind  in  Kürze:  Die  Synkope  der  Pänultima 
ist  früher  als  die  Lautabstufung  und  geht  der  Entwicklung  von 
a>^  in  offener  Silbe  voran,  aber  sie  ist  später  als  die  Wirkung 
der  Auslautgesetze.  Indes  mufs  jeder  Fall  für  sich  beurteilt  werden: 
so  hat  in  monachus  >  vioine,  *fetacum  "^  firie  das  a  die  Syn- 
kope verhindert.  Ferner  verliert  die  Endung  -icum  die  Pänultima 
später  als  -ica,  daher  der  Gegensatz  von  nache,  manche  und  süge, 
age  usw.;  im  ersteren  Falle  hat  die  Synkope  vor  der  Lautabstufung, 
im  zweiten  nach  ihr  stattgefunden.  Die  Verschiedenheit  zwischen 
revanche  und  venger,  jaüe  und  jadeaii  usw.  wird  aus  der  verschie- 
denen Stellung  des  Tones  gedeutet  (S.  233  f.). 

Im  selben  Jahre  stellte  G.  Karsten,  Zur  Geschichte  der  afr. 
Konsonantenverbindungen,  Diss.  Freiburg  1884,  eine  ganz  andere 
Erklärung  des  afrz.  Nebeneinander  von  Tennis  und  Media  auf;  er 
will  darin  Einwirkung  der  Sprechtakte  sehen.  So  erklärt  er  S.  26 
die  fem.  7iete,  ate  gegenüber  rade^  sade,  malade  als  Satzdoppelformen, 
wonach  im  gall.  VI.  apt,  sapt  neben  habede,  sahede  gestanden  hätten 
(AUegro-  und  Lento- Formen).  Oder  -aticum  (S.  32)  entwickele 
sich  im  VI.  je  nach  dem  Nachdruck  nebeneinander  zu  -atek,   -aike, 


^  Nur  Cledat  S.  236  leugnet  dies  auf  Grund  von  rnerveille  und  echarhot, 
welches  er  S.  277  erklärt  aus  is  car  abo  ttum ,  das,  weil  zwei  unbetonte 
Silben  vorlagen,  zu  iscarbottum  wurde;  nur  in  den  Endungen  und  Suffixen, 
die  an  die  I.  Konj.  anknüpfen,  sei  a  >  i?  erhalten.  Als  ob  es  Sondergesetze 
für  die  l.  Konj.  gäbe!  —  Es  ist  vielmehr  auf  Rechnung  des  r  zusetzen,  dafs 
■wir  schon  vorfranzösisch 

*merbilia^  merveille       für  mirabilia 
*seprare      ~y^  sevrer  „     separare 

*Ortoriu     ~^  Auroir  „     Oratorium 

*Camracu    ~^  Cambrai         „     Camaracum 
*scarbottu  >  (?VÄa/-6o^        (aus    scarabaeus    durch    Suffix- 
tausch oder  Ableitung  von  axÜQaßog  vi.  scarabu  s  ^  *scarbiis  mittels  -ottu  ^ 
ot)  haben;    rv  in  merveille  erklärt  sich  wie  in  verve,  verveme,  motve,  orvet, 
arvoire.  —  separat  der  Reichn.  Gloss.  beruht  auf  falscher  Latinisierung. 


-atk;  usw.  Über  die  Unhaltbarkeit  dieses  Erklärungsversuches 
später  (§  84). 

Eine  „Weiterführung  und  teilweise  Berichtigung  mehrerer  (von 
Meyer-Lübke)  gegebenen  Andeutungen"  dagegen  unternahm  F.  Neu- 
mann in  der  Besprechung  der  Schwan'schen  Grammatik,  Zeitschr. 
XIV,  55gflF.  (i8go)  und  behandelte  hier  zuerst  die  Schicksale  der 
durch  Synkope  zusammentretenden  Konsonanten  im  Zusammenhang. 
Darnach  handelt  es  sich  hier  darum,  ob  zur  Zeit  des  Eintrittes  der 
gall.  kons.  Lautabstufung,  wonach  intervokale  Tenuis  zu  Media 
wird,  diese  Tenuis  noch  intervokal  stand.  Der  unbetonte  Vokal 
fiel  in  zwischentoniger  Stellung  später  als  in  der  Pän ultima,  das 
Nachton -i  der  Pänultima  aber  schwand  bei  u  der  Ultima  erst 
nach  der  Lautabstufung,  dagegen  bei  a  der  Ultima  schon  vor  Ein- 
tritt jenes  Wandels,  so  dafs  hier  Tenuis  beharrt.  Diese  Ergebnisse 
blieben  grundlegend  für  die  Folgezeit.  Die  Regel,  dafs  die  Syn- 
kope vor  dem  Ton  nach  der  Lautabstufung  eintrete,  nannte  man 
„Neumann'sches  Gesetz",  Schwan  nahm  sie  in  die  2.  Aufl.  seiner 
afr.  Grammatik  auf  (§  158),  Behrens  hat  sie  beibehalten  (§  103  b), 
auch  in  den  Tabellen  zur  afr.  Lautlehre  von  B.  Röttgers  er- 
scheint sie. 

Denselben  Standpunkt  nimmt  Meyer-Lübke  in  der  „Grammatik 
der  romanischen  Sprachen"  (i8go)  ein.  I,  §  336  sagt  er:  „zuerst  ist 
das  i  der  Pänultima  gefallen  bei  Wörtern  mit  auslautendem  a,  und 
zwar  bevor  die  intervokalen  Verschlufslaute  tönend  wurden".  Hatte 
schon  Neumann  eine  Reihe  von  Sonderfällen  festgestellt,  so  sah 
sich  auch  M.-L.  dazu  genötigt:  ohne  Rücksicht  auf  den  Auslaut 
ist  i  schon  in  der  ersten  Periode  geschwunden  bei  anlautendem  1: 
auques,  puce\  geht  dem  i  mehrfache  Konsonanz  voraus,  so  tritt  die 
Synkope  erst  in  der  zweiten  Periode  ein,  daher  forge,  gauge. 
Weniger  bestimmt  äufsert  er  sich  über  den  Zwischentonvokal  §  344. 
Der  Ausfall  trat  ein,  als  die  tonlosen  Laute  schon  tonend  waren; 
doch  bleibe  manche  Dunkelheit  und  es  scheint,  dafs  jede  Gruppe 
für  sich  betrachtet  werden  müsse:  l't  sei  früher  zusammengetreten 
als  l'c.  Verwickelt  wird  die  Sache,  äufsert  er  sich  §  538,  wenn  der 
Schlufskonsonant  tönend,  der  Anlaut  tonlos  ist  oder  umgekehrt, 
oder  wenn  im  Anlaut  eine  Gruppe  steht,  deren  zweiter  Laut  dann 
mehr  Widerstand  leistet,  oder  wenn  der  Anlaut  vor  der  Synkope 
zum  Spiranten  geworden  ist.  Im  ersten  Falle  siege  die  Stufe  des 
Anlauts  {moite,  piege),  im  zweiten  Falle  tritt  reziproke  Angleichung 
ein  {bondir,  gourde),  den  dritten  Fall  zeigt  -aticu  >  span.  azgo; 
einen  besonderen  Fall  bilde  -aticu  >  frz.  -age. 

begen  den  Einflufs  des  a  der  Ultima  sprach  sich  Horning, 
Zeitschr.  XV,  498  sehr  entschieden  aus  und  suchte  nachzuweisen, 
dafs  nachtoniges  a  die  Synkope  nicht  beschleunige.  Näheres 
s.  §  83. 

Lindström,  Anmärkningar  tili  de  obetonade  vokalernas  bortfall 
i  nägra  nordfranskr  ortnamn,  Diss.  Upsala  1892,  stimmt  in  unserer 
Frage   im   allgemeinen  mit  Neumann  überein,    allerdings   meint  er, 

I* 


dafs  in  den  geographischen  Eigennamen  -ica  in  der  Regel  -ge 
ergebe.  Über  die  Unrichtigkeit  dieser  Annahme  s.  u.  Ortsnamen 
sind  mit  Vorsicht  für  die  Lautgeschichte  zu  verwerten :  Volksetymo- 
logie, mundartliche  Entwicklung,  mittelalterliche  Latinisierung,  Lehn- 
wörtlichkeit  spielen  eine  grofse  Rolle. 

Im  allgemeinen  nichts  Neues  brachte  Andersson,  Zum  Schwund 
der  nachtonigen  Vokale  im  Frz.,  in  Sprakvetenskapliga  Sällskapets 
Förhandlingar,  Upsala   1893. 

Shepard,  A  Contribution  to  the  History  of  the  Unaccented 
Vowels  in  Old  French,  Diss.  Heidelberg  1S97,  bietet,  so  schätzens- 
wert seine  Materialsammlung  und  seine  Ergebnisse  über  das  Stütz -^ 
sind,  nichts  für  unsere  Frage.  Er  steht  auf  dem  Standpunkte 
Neumanns,  ohne  auf  die  Sache  näher  einzugehen. 

Elfrath,  Rom.  Forsch.  X,  757  (1899)  fafst  seine  Ansicht  dahin 
zusammen,  dafs  der  Pänultimavokal  zuerst  fiel,  im  allgemeinen  noch 
vor  dem  Stimmhaftwerden  intervokaler  Tenuis.  Vor  dem  Tone 
wurde  später  synkopiert,  nach  dem  Stimmhaftwerden  intervokaler 
Tenuis.  Und  noch  später  scheint  ihm  Synkope  in  Paroxytonis  ein- 
getreten zu  sein,  während  nach  Lindström,  dem  Vising  beistimmte, 
die  Reduktion  der  Pänultima  in  Proparoxytonis  und  der  Ultima  in 
Paroxytonis  gleichzeitig  vor  sich  gegangen  sein  soll.  Die  Ansicht 
Neumanns,  dafs  in  Proparoxytonis  die  Synkope  von  der  Natur  des 
folgenden  Vokals  abhängt,  leugnet  er  und  möchte  die  Beispiele 
Neumanns  durch  Analogie  erklärt  wissen. 

Klausing,  Die  Schicksale  der  lat.  Proparoxytona,  Diss.  Kiel  1900, 
hat  nur  als  Materialsammlung  Wert. 

Wenn  auch  die  Angaben,  welche  die  Grammatiken  von  Schwan- 
Behrens  §  103  b  (und  sonst)  und  Nyrop  §  255  (und  sonst)  bieten, 
recht  vorsichtig  sind,  so  galten  doch  ziemlich  allgemein  die  folgenden 
zwei  Sätze: 

1.  Der  Zwischentonvokal  (Nachnebentonvokal)  fällt  nach  der 
Stimmhaftwerdung  der  zwischenvokalischen  Konsonanten,  daher  vous 
vengüz  gegenüber  tu  venches. 

2.  Die  Pänultima  verschwand  früher,  wenn  der  letzte  Vokal  a 
als  wenn  er  ein  anderer  war,  daher  dete,  aber  cotide. 

Diese  beiden  Regeln  bezeichne  ich  im  folgendem  als  „Neu- 
manu'sche  Regel"  (entgegen  dem  herrschenden  Gebrauch,  der  darunter 
nur  die  erste  versteht);  denn  beide  wurden  von  ihm  gleichzeitig 
festgestellt  und  stehen  in  enger  Beziehung  zueinander. 

Gegen  die  zweite  Regel  hatte  sich,  wie  schon  gesagt,  besonders 
Horning,  Zeitschr.  XV,  498  (1892)  gewandt  und  vielfach  Zweifel  an 
ihrer  Gültigkeit  hervorgerufen.  Vising  (Litbl.  1893,2881!)  machte 
auf  comitem  >■  fow/i?  aufmerksam,   das  ihr  widerspricht.     Matzke^ 


1  J.  E.  Matzke,  The  question  of  free  and  checked  vowels  in  gallic  populär 
Latin  (Publications  of  the  Modern  Language  Association  of  America,  XIII, 
Nr.  I),  S.  34. 


liefs  sie  wiederum  vollauf  gelten,  während  Behrens,  Zeitschr.  XXV, 
760  {1901)  sie  „in  Anbetracht  der  zahlreichen  Fälle,  die  sich  ihr 
nicht  fügen",  nicht  für  so  sicher  halten  möchte. 

„Wenn  der  Konsonant  noch  vor  Abfall  des  freien  zwischen- 
tonigen  Vokals  stimmhaft  wird",  so  fand  Mussafia  in  der  Besprechung 
der  2.  Aufl.  von  Schwan's  Grammatik  (Zs.  f.  ö.  Gymn.  1894,  S.  53) 
mit  Recht  Worte  wie  dortoir,  linteau  einer  Erklärung  bedürftig,  „da 
auch  von  limite  man  nur  linde  erwarten  würde."  W.  Foester  aber 
stimmte  Zeitschr.  XXIII,  423  (189g)  der  ersten  Regel  durchaus  zu, 
während  G.  Paris,  Rom.  XXVIII,  635  (1899)  sie  gänzlich  ablehnte. 
Mit  Recht  wandte  er  sich  gegen  den  Ansatz  *amitariu  >>  laudier, 
weil  m't  auch  vor  dem  Ton  als  nt  erscheint.  Bei  der  Gelegenheit 
wendet  er  sich  aber  überhaupt  gegen  die  Annahme,  dafs  der  Akzent 
in  dieser  Frage  irgendeine  Wirkung  übe;  der  Ton  käme  hier  eben- 
sowenig in  Betracht  wie  in  vielen  anderen  Fällen,  wo  es  heute 
Mode  ist,  ihn  eine  Rolle  spielen  zu  lassen,  welche  es  erlaubt,  sich 
auf  bequeme  Weise  aus  offenkundigen  Widersprüchen  zu  ziehen. 
M.-L.,  ßet.  im  Gall.  S.  38  Anm.  2  (1901)  erkannte  an,  dafs  die 
Gruppe  m't  lautgerecht  nt  gibt  und  bekennt  seine  frühere  Ansicht 
(Zeitschr.  VIII,  233  f.)  als  erschüttert. 

Gegen  beide  Regeln  wurde  kurz  darauf  von  zwei  französischen 
Romanisten  Einspruch  erhoben  auf  Grund  jener  nicht  wenigen  Bei- 
spiele, die  sich  diesen  zweifellos  zu  allgemeinen  Sätzen  augenschein- 
lich nicht  fügen. 

Paul  Marchot,  Petite  phonetique  du  fran9ais  prelitteraire  II  (1902) 
erklärt  (§  53)  que,  regle  generale,  la  sonorisation  des  sourdes  inter- 
vocales  etait  posterieure  ä  la  syncope  und  (§  54)  l'atone  p^nultieme 
etait  aussi  tombee,  dans  la  majorite  des  cas,  avant  la  sonorisation. 
Die  Fälle,  wo  Erweichung  stattfindet,  sind  Ausnahmen,  die  unter 
besonderen  Bedingungen  stehen  und  eine  Sondererklärung  fordern. 

Schon  Cledat,  Revue  de  philol.  fran^.  et  de  litt.  XVII,  124  (1903) 
entgegnete  darauf,  que  les  exceptions  sont  aussi  nombreuses  que 
les  exemples  de  la  loi,  et  si  Ton  adoptait  la  Solution  inverse,  eile 
se  heurterait  ä  la  meme  objection.  Aber  auch  er  leugnete  die 
Gültigkeit  der  Neumann'schen  Regel  und  erhob  dagegen  folgende 
Einwände : 

Gegen  i:  a)  Während  man  afrz.  wirklich  tu  pleures,  vous  plonrez; 
tu  preuves,  vous  prouvez  konjugiert  hat,  zeigen  keine  Texte  die 
Konjugation  tu  plaites,  vous  plaidiez;  tu  juches,  vous  jugiez. 

b)  Wenn  man  leicht  begreift,  dafs  derselbe  Vokal  betont  eu, 
halbbetont  ou  ergibt,  so  sieht  man  nicht  ein,  warum  man  aussprach 
plactat,  als  man  fortfuhr,  placitare  zu  sagen,  und  colcat,  als 
man  fortfuhr,  das  o  in  collocare  hören  zu  lassen. 

Gegen  2:  a)  Diese  Annahme  entspricht  nur  einer  kleinen  Zahl 
von  Fällen,  die  man  auch  anders  erklären  kann,  und  steht  im 
Widerspruch  mit  vielen  anderen. 


b)  On  a  peine  ä  croire  que  le  maintien  ou  la  chute  d'une 
atone  ait  pu  ddpendre  de  la  nature  de  la  voyelle  qui  suivait. 

Als  einziges  Mittel,  diesen  Schwierigkeiten  zu  entgehen,  scheint 
ihm  „renoncer  ä  etablir  une  loi  generale";  „essayons  donc  de  formuler 
des  lois  particulieres  ä  la  nature  de  ces  consonnes."  Diese  Forderung 
ist  zweifellos  richtig,  aber  sie  bedeutet  keine  Widerlegung  der 
Neumann'schen  Regeln,  welche  mir  ebenso  richtig  scheinen,  nur 
einer  Einschränkung  bedürfen  auf  gewisse  Konsonantengruppen, 
während  ein  grofser  Teil  der  sekundären  Gruppen  die  Synkope 
vor  der  Tonerweichung  vollzieht,  was  Marchot  veranlafste,  in  un- 
berechtigter Weise  zu  verallgemeinern.  Cledat  S.  215  stellt  folgende 
Regeln  auf: 

La  protonique  et  la  penultieme  atones  sont  tombees  de  tres 
bonne  heure:  i.  Devant  une  dentale,  apres  toute  autre  consonne 
qu'une  labiale:  vir-de,  caldo,  frigdo,  preposlo,  meytatem. 

2.  Quelquefois  devant  une  autre  consonne  qu'une  dentale,  mais 
apres  une  liquide:  colpum,  cleraim.  Als  Grund  für  den  frühzeitigen 
Schwund  des  unbetonten  Vokals  bietet  sich  ihm  die  leichte  Sprech- 
barkeit  dieser  Gruppe,  die  sich  in  anderen  lateinischen  \\'örtern 
bereits  vorfindet:  perdit,  alia,  smaragdem,  pasta,  talpa,  circum  etc. 
Dagegen  für  b  +  t,  t  +  k  habe  die  Schwierigkeit  im  Aussprechen 
die  unbetonte  Silbe  lange  genug  bewahrt,  dafs  in  den  Wörtern, 
welche  diese  Gruppe  hinter  dem  Ton  enthalten,  der  Endvokal  sich 
im  Französischen  in  der  Form  eines  Stütz -^  gehalten  hat:  coude, 
courage  usw. 

Wenn  ferner  durch  Ausfall  der  unbetonten  Silbe  ein  Zusammen- 
treffen von  stimmhaften  und  stimmlosen  Konsonanten  eintritt,  so 
ergibt  sich  notwendig  eine  gegenseitige  Anpassung:  c'est  ainsi  que 
le  d  de  nitida  s'est  change  en  t  sous  l'influence  du  t  pr6cedant, 
fran^ais  nette,  et  il  est  vraisemblable  que  le  t  de  cogitare  s'est 
change  en  d  sous  l'influence  du  g,  d'oü  cogdare  =  cuidier',  de 
meme  que  l'yod  primitif  apres  labiale  produit  ge  apres  sonore  et 
che  apres  sourde.  Demgemäfs,  meint  Cledat,  beweist  das  Vorhanden- 
sein eines  stimmhaften  Konsonanten  an  Stelle  eines  stimmlosen 
Konsonanten  des  Lateinischen  in  den  genannten  Fällen  nicht  not- 
wendig, dafs  die  unbetonte  Silbe  nach  der  Erweichung  gefallen  ist.i 
Ferner  beweise  nichts  a  priori,  dafs  die  verschiedenen  stimmlosen 
Konsonanten  in  zwischenvokalischer  Stellung  zu  gleicher  Zeit  stimm- 
haft geworden  sind,  möglicherweise  wurde  t  früher  oder  später 
erweicht  als  c. 

Im  3,  Heft  desselben  Jahrgangs  (S.  2 10  ff.)  griff  er  die  Frage 
nochmals  auf.     Man  müsse  die  Konsonanten  in  der  Stellung  nach 


1  Leider  sagt  er  nicht,  warum  in  nitida  der  stimmhafte  Konsonant  an 
den  stimmlosen,  in  cogitare  der  stimmlose  an  den  stimmhaften  angeglichen 
worden  ist;  wann  das  Endergebnis  stimmhaft,  wann  stimmlos  ist,  das  ist  ja 
die  Hauptfrage. 


unbetonter  Silbe  besonders  behandeln,  weil  ihre  Entwicklung  ab- 
hängt vom  Schicksal  dieser  unbetonten  Silbe,  die  früher  oder  später 
gefallen  sei  je  nach  der  gröfseren  oder  geringeren  Sprechbarkeit 
der  dadurch  zusammentretenden  Konsonanten.  Da  ergeben  sich 
ihm  drei  Feststellungen:  i.  Wenn  der  auf  die  unbetonte  Silbe 
folgende  Konsonant  stimmlos  war,  blieb  er  stimmlos  oder  wurde 
stimmhaft,  je  nach  der  Zeit  des  Ausfalles  der  unbetonten  Silbe. 
2.  Der  Ausfall  der  Silbe  bringt  den  folgenden  Konsonanten  in 
Berührung  mit  dem  vorausgehenden,  mit  dem  er  sich  assimilieren 
mufs.  In  nitida  mufste  die  Gruppe  t  -f  d  entweder  dd  durch 
regressive  Assimilation  oder  //  durch  progressive  Assimilation  werden. 
(Wann  das  eine,  wann  das  andere,  darüber  weifs  er  keine  Aus- 
kunft.) 3.  Die  verlängerte  Erhaltung  der  unbetonten  Silbe  führt, 
wenn  vor  unbetontem  e  oder  i  ein  c  steht,  die  Assibilierung  dieses 
c  herbei. 

Marchots  Regel  ist  in  ihrer  Allgemeinheit  sicher  falsch.  Cledat 
macht  den  Fortschritt,  die  zusammentretenden  Gruppen  genau  von 
einander  zu  unterscheiden;  aber  seine  Aufstellungen  sind  oft  nur 
die  Kehrseite  von  Marchots  Ansicht,  sind  im  einzelnen  nicht  immer 
folgerichtig  und  manchmal  einander  widersprechend.  Er  hilft  sich 
bald  mit  regressiver,  bald  mit  progressiver  Assimilation,  ohne  an- 
geben zu  können,  unter  welchen  Umständen  diese  oder  jene 
eintritt. 

Gröber    hat   in  der  Neuauflage    des  Grundrisses  I,  317  (1904 

06)  seine  Gr.i  I,  250  (1888)  geäufserte  Ansicht  über  Proparoxytona 

und  Paroxytona  von  der  Art  von  cogitat  und  cogitare  nicht 
geändert:  zunächst  wurde  intervokale  Tenuis  zur  Media,  cogitat  > 
cojidat;  dann  trat  Ausfall  des  nachtonigen  Vokals  in  Proparoxytonis 
ein,  cojidat  >  cojdat,  placitum  ^  plactn;  darauf  Ausfall  des  vor- 
tonigen Vokals,  cojidare>  cojdare,  sodann  Ausfall  des  nachtonigen 
Vokals  in  Paroxyionis,  plactu  >  platjt ,  cojdare  y-  cojdar;  schliefs- 
lich  aiide,  plait ,  addier.  Suchier  im  Grundrifs  erörtert  die  Frage 
nicht. 

Der  Fall  der  Pänultima  und  seine  Beziehung  zur  Erweichung 
der  intervokalen  Tenuis  zur  Media  war  Gegenstand  der  Dissertation 
von  A.  Bauer  (1903).  Er  ordnet  die  Wörter  nach  den  Suffixen 
oder  Endungen  und  findet  folgende  Regeln: 

I.  In  den  Wörtern  auf  -ico,  -a  fällt  der  unbetonte  Vokal  der 
Pänultima  erst  nach  Erweichung  der  Konsonanten.  Das  c 
von  -ico,  -a  wird  stets  erweicht,  denn  es  ist  stets  inter- 
vokal. Ist  die  dem  Hauptton  unmittelbar  folgende  Tenuis 
gestützt,  so  kann  sie  nicht  erweicht  werden  und  trägt  den 
Sieg  über  den  erweichten  Palatalen  des  Suffixes  davon;  Er- 
gebnis der  Vereinigung:  i-  (coactico  >  cache,  pertica  > 
per  che).  Ist  diese  Tenuis  intervokal,  so  wird  sie  erweicht 
und  verbindet  sich  mit  dem  ebenfalls  erweichten  c  von 
-ico,    -a    zu  5   (hutica  >  Ä//^^,   retica  >  re-^^).     Ist  dieser 


dem  Hauptton  folgende  Konsonant  schon  stimmhaft,  sei  er 
frei  oder  gedeckt,  so  ist  eine  Erweichung  nicht  mehr  nötig: 
Ergebnis  z  (fodico  '^  fouge;  tardica  >  targe).     S.  13  ff. 

2.  Es  gibt  Wörter,  welche  neben  der  regelraäfsigen  Entwicklung 
zum  stimmhaften  palatalen  Reibelaut  {z)  auch  den  stimm- 
losen [s)  zeigen  (z.  B.  venge}-  und  revancher).  Sie  bilden  nur 
eine  scheinbare  Ausnahme,  auch  bei  ihnen  war  die  Er- 
weichung die  regelmäfsige  Entwicklung.  „Wenn  daneben 
auch  der  stimmlose  Laut  {s)  erscheint,  so  könnte  der  Grund 
dafür  nur  entweder  in  einer  vulgären  oder  mundartlichen 
Aussprache  zu  suchen  sein.  Diese  vulgäre  oder  mundart- 
liche Aussprache  hat  sich  in  einigen  Wörtern  durch  mehr 
oder  minder  gebildete  Schreiber  im  Laufe  der  Zeit  in  die 
Schrift  übertragen  und  wurde,  weil  von  der  überwältigenden 
Menge  des  Volkes  gesprochen,  schliefslich  auch  von  der 
Minderzahl  der  Gebildeten  angenommen." 

3.  Auch  bei  -ido,  -a  ist  zuerst  Erweichung  der  intervokalen 
Tenuis,  dann  Ausfall  der  unbetonten  Pänultima  eingetreten. 
S.  35  und  37. 

4.  Das  Suffix  -ito,  -a,  -em  ist  das  einzige,  welches  die  Er- 
weichung der  intervokalen  Tenuis  nicht  vor  dem  Ausfall  der 
unbetonten  Pänultima  hat  eintreten  lassen.     S.  38. 

Dafs  revancher  neben  vettger  vulgär  oder  mundartlich  oder  eine 
'spelling  pronunciation'  sei,  wird  wenig  Gläubige  finden.  Die  neben 
den  /f-Formen  bestehenden  «/-Formen  des  Suffixes  -itu,  -a  werden 
zumeist  erklärt  (nach  Marchots  Vorgang)  durch  Suffixtausch.  Es 
soll  malehabitum  durch  Suffixaustausch  zu  *malehapidum  ge- 
worden sein  (S.  37);  ebenso  wird  soude  durch  Suffixaustauch,  bondir 
als  prov.,  gougourde,  coude  durch  Suffixaustausch  oder  als  prov,  er- 
klärt usw.,  S.  41  ff. 

M.-L.,  Fr.  Gr.  §  122  findet  „im  ganzen  als  Regel,  dafs  zur  Zeit, 
da  die  Vokale  fielen,  die  alten  stimmlosen  Laute  noch  nicht  stimm- 
haft waren."  In  merkwürdigem  Gegensatz  dazu  stehen  coude,  malade'. 
kann  man  bei  malade  an  ein  in  Anlehnung  an  die  Adjektiva  auf 
-idu  gebildetes  *male  habidu  oder  -apidu  denken,  so  versagt 
dieses  Auskunftsmittel  bei  cgte.  Die  Vermutung,  dafs  bei  -a  Synkope 
früher  eintrat  als  sonst,  wird  abgelehnt  wegen  linte  usw.  und  cgie. 
In  -icu  (§  123)  ist  c  gefallen,  —lu  >  'iii  wurde  nach  stimmhaften 
Konsonanten  zu  g,  z,  nach  stimmlosen  c,  s.  Diese  letzte  Entwicklung 
ist  erst  eingetreten,  als  die  zwischenvokalischen  stimmlosen  Laute 
stimmhaft  geworden  waren.  Nicht  auf  späterer  Synkope,  sondern 
auf  teilweiser  Angleichung  an  den  in  starker  Stellung  stehenden 
Silbenanlaut  (§  124)  beruhen  goprde,  goorge,  onze,  catorze,  quinze. 
Auch  vortonig  (§  128)  fiel  der  Vokal,  als  die  Verschlufslaute  noch 
unversehrt  waren,  aber  zahlreiche  Ausnahmen  sind  vorhanden.    Dafs 


die  Stellung  des  Akzentes  ausschlaggebend  sei,  wird  als  wenig 
wahrscheinlich  betrachtet.  Bei  y-t  {aidier,  addier)  scheint  gegen- 
seitige Angleichung  stattgefunden  zu  haben;  k  dürfte  früher  als  t 
tönend  geworden  sein. 

Aus  den  angeführten  Ansichten  ergibt  sich,  dafs  man  zu  einer 
einheitlichen  Auffassung  über  das  Verhältnis  von  Synkope  und 
Lautabstufung  noch  nicht  gelangt  ist.  Einen  Beitrag  zur  Lösung 
dieser  Fragen  sucht  die  folgende  Arbeit  zu  geben. 


I.    Die  gemein  romanische  Synkope. 

1.  Liquida  und  s. 

§  I.  Die  Konsonantengruppen,  die  das  Frz.  im  7.  Jh.  besafs, 
stammten  teils  schon  aus  dem  klassischen  Latein,  teils  hatten  sie 
sich  im  Laufe  der  Zeit  ergeben.  In  letzterem  Falle  bleibt  zunächst 
festzustellen,  welche  Veränderungen  die  klassischen  Konsonanten 
etwa  schon  durchgemacht  hatten,  bevor  sie  zu  einer  Gruppe  zu- 
sammentraten. Das  Hauptereignis  im  Konsonantismus  ist  nun  die 
Lautabstufung.  Dafs  die  Synkope  nicht  in  allen  Fällen  zu  gleicher 
Zeit  eingetreten  ist,  sondern  in  mehreren  Schichten  erfolgte,  ist 
eine  allgemein  bekannte  Tatsache.  Man  kann  im  allgemeinen  drei 
solcher  Schichten  erkennen: 

1.  Vulgärlateinische  und  gemeinromanische  Synkope,  für  jene 
Fälle,  wo  der  Ausfall  in  alter  Zeit  belegt  ist  oder  in  mehreren 
Sprachen  sich  vorfindet; 

2.  Ausfall  vor  der  frz.  Lautabstufung ; 

3.  Ausfall  nach  der  frz.  Lautabstufung. 

Dafs  innerhalb  dieser  drei  Zeiträumen  die  Synkope  in  allen 
Fällen  gleichzeitig  sich  vollzog,  soll  damit  nicht  behauptet  werden, 
nur  haben  wir  kaum  Anhaltspunkte,  namentlich  innerhalb  des 
zweiten  und  dritten  Zeitraums,  dies  im  einzelnen  festzustellen. 
Vulgärlateinische  Synkopen  kommen  für  die  Lautabstufung  natürlich 
nicht  in  Betracht,  sie  sind  in  Kürze  ausfindig  zu  machen  und  aus- 
zuscheiden; da  aber  diese  Ausfälle  nicht  allgemein  gesetzmäfsig, 
sondern  fakultativ  sind,  was  man  bisher  meistenteils  verkannt  hat, 
so  müssen  sie  hier  in  Betracht  gezogen  werden. 

§  2.  Dafs  eine  Synkope  als  vulgärlateinisch  gelten  kann, 
dafür  haben  wir  drei  Kriterien:  i.  der  Ausfall  ist  vi.  belegt,  2.  er 
ist  in  mehreren  romanischen  Sprachen  vorhanden,  3.  die  sekundäre 
Gruppe  entwickelt  sich  wie  die  primäre.'  Wann  dies  der  Fall  ist, 
darüber  sind  verschiedene  Ansichten  geäufsert  worden.  Schwan- 
Behrens  §  19  betrachtet  „als  gemeinromanisch,  daher  vorromanisch" 


1  Kein  Kriterium  ist  das  Nichtvorhandensein  eines  Stütz-^:    so  hat  z.  B. 
primäres  wie  seljundärcs  Im  immer  Stütz-f,  sekundäres  v't  aber  nicht. 


II 

die  Synkope  zwischen  1 — p,  1 — d,  1 — t,  1 — m;  r — d,  r — m;  s — t. 
Nyrop  führt  in  der  i.  Aufl.  I,  §  259  die  gleichen  Gruppen  an 
„pour  le  gallo-roman"  [in  der  2.  Aufl.  ist  der  betreffende  Satz  ge- 
strichen]. Bezüglich  domnu,  lamna  zweifelt  Schw.-B.,  ob  sie  durch 
Synkope  entstanden  oder  ob  sie  einen  älteren  Lautstand  darstellen; 
letzteres  gilt  ihm  als  wahrscheinlich  bei  der  Lautfolge  —Kons.  /-  (z.  B. 
pericluin,  copla  usw.).  Meyer-Lübke  schwankt  in  seinen  Angaben. 
In  der  Grammatik  (i8go)  sagt  er  I,  §29:  Ausfall  des  Nachton- 
vokals  tritt  im  VI.  ein  vor  1,  zwischen  1,  r  einerseits  und  p,  m,  d 
andrerseits,  ferner  in  domnu s.  §  325  nennt  er  dieselben  Gruppen 
wie  Schw.-B.,  ferner  frigdus  und  domnus.  Zu  allgemein  ist  seine 
Angabe  in  der  Einführung  §  104,  der  Vokal  scheint  zu  schwinden, 
„wenn  der  eine  der  umgebenden  Kons,  eine  Liquida  ist",  wobei 
m'n,  Iv't  einbegriifen  und  postus,  frigdus  hinzugefügt  werden. 
Grundrifs  12,  S.  469^  (1902 — 04)  möchte  er  den  Schwund  ansetzen 
zwischen  1,  r,  s  +  Kons.,  wenn  nicht  besondere  Einflüsse  hemmend 
wirken,  frigdus  habe  sich  nach  caldus  gerichtet,  avi  wird  zu 
au.  Zwischen  Kons,  und  1  entwickelt  sich  klassisch,  aber  nicht 
vi.  der  Stimmton;  sonst  wird  u  vor  1  (aufser  nach  m  :  hamula) 
synkopiert  (vetulus  >  vechis). 

§  3.  Die  Frage,  ob  bei  mn,  Guttural  oder  Labial  +  1  über- 
haupt je  Synkope  stattgefunden  hat,  kommt  für  unsere  Untersuchung 
nicht  weiter  in  Betracht:  fest  steht,  dafs  vi.  hier  kein  Zwischen- 
vokal vorhanden  ist.  Zwischen  t,  d  -|-  1  wurde  sicher  vi.  synkopiert, 
näheres  noch  später.  Kons.  +  r  scheint  vi.  noch  nicht  synkopiert 
zu  werden:  das  Frz.  weist  daraufhin,  wo  primäres  gr  ohne  Stütz-«? 
[noir,  entir),  sekundäres  gr  aber  mit  Stütz-^  erscheint.'  Des  weiteren 
brauchen  wir  auf  Kons,  -f-  Liqu.  nicht  einzugehen,  weil  die  be- 
treffenden Gruppen  für  die  Lautabstufung  bedeutungslos  sind. 

§  4.     Wichtiger  ist  Liqu.  +  Kons.;  die  Beispiele  im  Afrz.  sind: 

l:d    calidu         a.{r.  ehalt        solidu  a.h.  so/i 


t  *fallitu2 

„   /aU 

Caletes 

„    Caux 

*tollitu 

„    loa 

Curiossol 

itae 

„     Corseult 

*solitu3 

„    so/t 

*volitu 

„    voU* 

[b  kommt  nicht  vor.] 


1  Allerdings  kann  in  beiden  Fällen  Ausgleich  vorliegen.  Lab.,  Dent.  4-  ^ 
erfordern  primär  wie  sekundär  Stützvokal.  Primäres  er  kommt  erbwörtlich  im 
Frz.  nicht  vor,  aigre,  aliegre,  maigre;  lucre,  lavacre  usw.  sind  Lehnwörter. 

2  Wenn  nicht  von  Haus  aus  *faltum,  ^toltum  für  falsum,  latum. 

*  Für  cl.  Solu  tum,  volütum.  Shepard  S.  44  geht  aus  von  *sölütum, 
*völütum,  M.-L.  Einf.  S.  117  von  *solvita,  *volvita:  letztere  könnten 
erst  in  einzelsprachlicher  Zeit  gekürzt  sein. 

■*  Nyrop  II  §  103  betrachtet  *faltum,  *soltum,  *toltum,  *voltum 
als  Neubildungen  nach  altum,  cultum,  consultum,  occultum,  sepultum.  —  Nfr. 
liegen  diese  Worte  vor  in  defaut,  faute;  maltote  (afr.  tolte);  soulte,  fem.  ab- 
soute, dissoute  (afr.  masc.  assout,  dissout,  resout);  voüte. 


12 


pi  colaphu  (gr.  xöXa^og)  colp. 

[g  kommt  nicht  vor.] 

[k,  k'  sind  nicht  vorhanden.] 

k^    salice     sauz    (prov.  saiäz,  span.  sauz),    neben 

smisse  {    „  sauze,       „      saiice), 

Y> oWice potiz    (    ,,  poutz) 

pouce  (    „  poiize) 

qu    aliquod^  oder  aliquid^  alques^ 

m^    calamu  chalme        *regalimen    reialme 

r:d    luridu         lo7-t^     laridu  lart 

viride  vert       horridu  ort"^ 

t    spiritu         espiri^  merita  inerte 

*experitu9  espert    exsarituio     essart 
Ortsnamen  auf  -ö-rttum  -orl^^ 

[b,  p  sind  erbwörtlich  12  nicht  vorhanden.] 
[g  nur  in  Eigennamen  i^ 

Biturlges  Bourges       Dorocoregum       Donqueur 
Caturlges  Chorges       Novioregum      ?  Royan 


1  polypus  (gr.  ■n.o'Kv7lov<^  ist  im  Frz.  nur  lehnwörtlich  vorhanden.  Nfrz. 
pieiivre  entstammt  dem  Norm. ;  hier  ist  es  so  altes  Lehnwort,  dafs  es  zwar  die 
Lautabstufung,  aber  nicht  mehr  die  vcreinzelsprachiiche  Synkope  mitgemacht 
hat.  Späteres  Lehnwort  ist  afrz.  folpe  (nfrz.  poulpe],  noch  jünger  afrz.  pohpe 
(nfrz.  polype).  —  Über  alipem  ^  auve  s.  §  6. 

*  So  z.  B.  Shepard  S.  43. 

3  S.  z.  B.  Nyrop  II  §  576,  2. 

*  Shepard  S.  45  denkt  für  das  Stütz-i?  an  Einflufs  von  Formen  wie 
donques ^  onques;  das  ist  kaum  richtig.  Ob  alte  oder  erst  einzelsprachliche 
Synkope  vorliegt,  läfst  sich  nicht  zwingend  entscheiden. 

^  Da  auch  uispr.  Im  (eschalme,  orme,  helme  usw.)  Stütz-^'  aufweist,  läfst 
sich  nicht  sicher  beweisen,  ob  der  Fall  der  Pänultima  hier  vi.  oder  einzel- 
sprachlich ist. 

^  faloitrde  s.  §  6. 

'  orre  bei  Beneeit,  Ducs  de  Normandie  (s.  God.)  ist  dem  Prov.  entlehnt. 

*  Noch  in  wall,  spir  (sper,  Speer)  „Gespenst".  Frz.  esprit  ist  selbst- 
verständlich Lehnwort. 

^  Für  peritus;  richtiger  geht  man  vom  Part.  Perf.  expertus  aus,  so 
dafs  keine  Synkope  vorliegt. 

*"  Ableitung  zu  sarire.  Körting^  geht  aus  vom  Part,  sartus  zu  sarcire , 
das  ist   der  Bedeutung  wegen  unwahrscheinlich. 

^^  Camboritum  ^  Chambort ,  Chambourg\  Catoritum  ]>  Cahours, 
Novioritum  |>  Niort,  Bonoritum  ]>  nix.  Bonart  >■  nfr.  Bonnard.  Vgl. 
M.-L.,  Bat.  im  Gall.,  S.  44. 

**  *scarabus  (gr.  oxdgaßog)  ]>  escharbe  (Shepard  S.  44)  ist  wohl 
Lehnwort. 

'3  Man  würde  erwarten,  dafs  -r'g- ^  rc  wird  (largu  ^  larc,  burgu]> 
bourc).  Die  oben  genannten  Beispiele  kommen  daher  nicht  in  Betracht.  In 
-regum  scheint  vielmehr  g  (wie  iu  -magum)  frühzeitig  zufallen:  in  '-riges 
ist  wegen  des  langen  i  die  Synkope  wohl  erst  frz.  eingetreten. 


13 

C^    parricu  parc 

m    eremu  erm"^ 

n    Turones  Tours 

s:t   i^ositu  "^posß      *quaesitu    ^quest^ 

praepositu     prevost 

Es  ist  dabei  gleichgültig,  ob  die  Liquida  kurz  oder  lang  ist 
(fallita,  parricus,  horridus). 

§  5.  Derartige  Synkopen  hat  bekanntlich  schon  das  klassische 
Latein,  so  findet  sich  caldus  für  calidus,  valde  steht  neben  validus, 
perte  für  perite,  saltem  aus  *salutem  usw.  Die  beste  Erklärung, 
die  man  für  dieses  Nebeneinander  gegeben  hat,  ist,  dafs  die  Kurz- 
form Schnellsprechformen  sind.  Im  VI.  sind  im  Gegensatz  zum 
klassischen  Latein  diese  Kurzformen  die  Regel,  aber  es  finden 
sich  doch  die  längeren  in  den  rom.  Sprachen  vor.  Dies  kann 
mehrere  Ursachen  haben. 

Wenn  wir  afrz.  Ws  finden,  so  weist  diese  Form  zweifellos  auf 
ein  vi.  *salcem,  vgl.  chalz  <<  calcem.  Daneben  aber  steht  afrz. 
salce,  das  ein  dreisilbiges  salicem  voraussetzt.  Wir  dürfen  an- 
nehmen, dafs  man  lautgerecht  im  VI.  salix,  *salcem  deklinierte, 
aber  durch  Systemzwang  die  Biegung  salix,  -icem  sich  daneben 
erhielt.  Bei  den  übrigen  Wörtern  der  Gruppe  Fk'^  finden  wir  die 
Kurzform  akz.  poiiz,  y>^o\.  pouiz  und  prov.  piu/z,  sonst  haben  sich 
nur  die  längeren  Formen  erhalten,  die  erst  für  die  einzelsprachliche 
Synkope  in  Betracht  kommen. 

Natürlich  lagen  die  Langformen  in  einzelsprachlicher  Zeit  vor, 
wo  es  sich  um  Entlehnung  handelte.  Manchmal  wurden  sie  vulga- 
risiert gleich  bei  der  Übernahme,  z.  B.  clericum  >■  c/erc,  wo  dann 
lautlich  kein  Unterschied  gegenüber  Erbwörtern  vorhanden  ist 
(arcum  >•  arc).  Gewöhnlich  aber  erfuhren  sie  erst  mit  den  Wörtern 
anderer  Kategorien  die  Synkope,  so  z,  B.  nach  der  Lautabstufung: 

polypu     pieiivre'^      clericu     clerge 
visitare    visder 

§  6.  Aber  diese  Gründe  reichen  nicht  aus.  Es  mufs  auch 
vi.  die  Langform  neben  der  kurzen  weiterbestanden  haben.  Man 
kann  die  ganze  Erscheinung  nicht  besser  erklären  als  mit  den 
Worten    Schuchardts  R.  E.  I,  33 :    „Wenn    das    i   von    -iihis   nach  / 


1  *barica  (zu  gr,  ßÜQLq)  ^  barca  Hegt  vor  in  it.  prov.  span.  ptg.  barca.  — 
clericus  ]>  clerc  ist  als  Wort  der  Kirche  zweifellos  entlehnt,  was  durch  die 
Nebenform  clergue,  clerge  sichergestellt  wird. 

'■'  Primäres  rm  hat  kein  Stütz-^.  M.-L.  Rom.  Gr.  I,  261  bietet  erm,  das 
Shepard  S.  55  als  nicht  vorhanden  bezeichnet.  —  Wenn  erimus  schon  vi. 
*  erm  US  wurde,  ist  das  Nachton-i?  in  ermes  der  Analogie  zu  verdanken. 

3  In  afr.  conipost,  repost  usw. 

*  Liegt  vor  in  acqiiet,  conqiiet,  qtcete,  conquete. 

5  Ftg.  polvo.  —  Vgl.  S.  12  Anm.  I. 


H 

und  r  schon  vi.  gefallen  ist,  so  mufs  dies  als  fakultativ  betrachtet 
werden;  es  handelt  sich  um  „Schnellsprechformen",  neben  denen 
die  volleren  Formen  nicht  notwendig  ausgestorben  sind.  So  leben 
trotz  altem  soldus  und  ardus  im  Rom.  solidus  und  aridus  fort, 
und  zwar  unter  Umständen,  welche  die  allzuleicht  sich  einstellende 
Bezeichnung  „Buchwort"  nicht  zulassen".  Die  Appendix  Probi 
zeigt  uns,  dafs  die  höheren  Gesellschaftskreise  die  synkopierten 
Formen  verpönten.  Wir  haben  also  auch  mit  dem  Einflüsse  sozialer 
Dialekte  zu  rechnen,  die  sehr  wohl  hie  und  da  die  Erhaltung  der 
Langform  hervorrufen  konnten. 

Die  Verkennung  dieser  Tatsache  hat  oft  Verwirrung  angerichtet. 
Elfrath  S.  770  weist  auf  Grund  von  afrz.  er?ne  die  vi.  Synkope  von 
eremus  überhaupt  zurück  und  wendet  sich  gegen  M.-L.'s  Ansatz 
*calmus  wegen  span.  pt.  calamo.  Shepard  S.  5Ö  denkt  bei  erme 
an  Analogie;  das  Stütz-^  in  fascem  luridum  '^  falourde  ist  ihm 
an  exception  difficult  to  explain.  Hetzer  S.  7g  drückt  seine  Ver- 
wunderung darüber  aus,  dafs  vi.  alipem  nicht  *alp,  sondern  afrz. 
ative^  ergeben  habe.  Herford  S.  16  mufs  verzichten,  ^xov.  prebosde 
(Thomas,  Rom.  XXXV,  332)  neben  prebost  zu  erklären.  Als  Lang- 
formen betrachtet,  bieten  die  Worte  keine  Unregelmäfsigkeit. 


gr.  xoAagpog  cl.  colaphus 
„    IgriiiOQ       „  eremus 


vi.  colpu  frz.    coup 

„   colapu  prov.  colbe 

„   ermu  it.  ermo        „      erm 

„   eremu  „  eremo  afrz.    erme 

„    xaXafiog    „   calamus  „   calmu  „  caimo    frz.    chaume 

„   calamu  span.  pt.  calartio 

„    aXsKpa       „   adeps,   -ipis    „   alipe  'R.aich.GX.  alaves  Siixz.  auve 

sard.  abile,  berg.  alef 


horridus       vi.  hordus,  -a 

„  horridus,  -a 
*barica  „  barca 

„   barica 
*parricus2     „  parcus 

„   parricus 
praepositus    „   pr^postus 

„   praepositus^ 


it.  ordo,  frz.  prov.  ort,  orde 

prov.  07-re,  orreza 
it.  prov.  span.  ptg.  barca 
prov.  bar  ja,  frz.  bärge,  berge 
it.  parco,  frz.  prov.  parc 
prov.  pargue,  ae.  pearroc,   ahd.  pferrih. 
it.  prevosto,  frz.  prevöt,  prov.  prebost 
prov.  prebosde 


So    wäre    auch  faloiirde   zu    deuten,    falls    darin  wirklich  das  masc. 
luridum  stecken  sollte. 


'  Körting^  erwähnt  auve  im  Wortverzeichnis  als  Nummer  796  N  (ver- 
druckt für  196?),  aber  die  Zahl  findet  sich  im  Nachtrag  nicht.  Vgl.  Behrens, 
Zeitschr.  XIII,  414.  —  M.-L.,  Einf.  §  140  sieht  in  dem  /  Einflufs  von  gr.  aksi(pa; 
richtiger  ist  alipes  als  ursprüngliche  Form  zu  betrachten ,  während  cl.  d 
sekundär  ist. 

2  Ableitung  vom  Stamm  parr-  in  span.  J>arra,  prov.  parran,  vgl.  Baist, 
Revue  hispanique  II,  205. 

2  Zwischen  Langform   und   gelehrter  Form  sind  hier  die  Grenzen  flüssig. 


15 

§  7-  Einen  weiteren  Beweis  für  den  Bestand  synkopierter 
Formen  neben  unsynkopierten  bietet  die  Entwicklung  von  t'l,  d'l. 
Der  Übergang  dieser  Gruppen  zu  cl,  gl  ist  aus  der  Appendix  Probi 
zur  Genüge  bekannt. 


cl. 

situla 

vi. 

seclai 

it. 

secchia 

frz. 

seille 

Tl 

setula 

lad. 

sedla 

H 

rotulum 

55 

roclu 

it. 

rocchio 

n 

rotulu 

prov. 

rotlo 

» 

rolle 

n 

vetulum 

n 

veclu 

it. 

vecchio 

afrz. 

vieil 

« 

spatula 

!) 

spatula 

rtr. 

spadia 

prov. 

spaila 

n 

radula 

w 

ragla 

frz. 

raille 

(. 

ralla 

« 

ralla 

it.  span. 

ralla'i) 

» 

*acedula 

frz. 

oseille 

rtr. 

aschiei 

Nyrop  behalf  sich  in  der  i.  Aufl.  I,  383  mit  der  Anm.:  Dans  quel- 
ques mots,  le  groupe  TL  s'est  changc  en  CL.  I^,  341,  3  ist  er 
der  gleichen  Meinung  wie  Schw.-B.  §  iiQ,  dafs  es  sich,  wo  //  nicht 
zu  cl  geworden  ist,  um  später  in  die  Volkssprache  aufgenommene 
Wörter  handelt.  Aber  es  ist  kein  Grund  zu  erkennen,  warum  lad. 
sedla  „später"  sein  sollte  als  it.  secchia.  Es  handelt  sich  einfach 
um  Zeitunterschiede  in  der  Synkope  aus  den  oben  genannten 
Gründen. 

§  8.  Während  der  vi.  Ausfall  der  Mittelsilbe  in  Proparoxytonis 
oft  behandelt  wurde,  hat  man  sich  um  den  Vortonvokal  wenig 
gekümmert;  ausführlich  hat  sich  damit  nur  Shepard  S.  55  ff.  be- 
schäftigt, auch  M.-L.  Einf.  S.  119  geht  darauf  ein.  Wir  finden 
hier  aber  ganz  die  gleichen  Erscheinungen.  Wie  dort,  finden 
sich  Synkopierungen  auch  in  diesem  Falle  schon  im  Klassisch- 
lateinischen : 


(ohne  Einschub: 

vgl.  aridus 

:  arder e 

discipulus    :  disciplina 

calefacere 

:  calfacere 

figulus       :  figliria  usw.) 

saritura 

:  sartiira 

VI.  mehren  sich  die  Beispiele;  Schuchardt,  VI.  Vok.  II,  423 ff. 
bietet:  maldicto,  pulcare,  vercundus,  virdiario  usw.  In  wie  weit 
derartige  vi.  Kurzformen  im  Frz.  weiterleben,  soll  später  erörtert 
werden. 


1  Nicht  *sicula,   *roculus,   *veculus,   *raculo,  wie  Körting  selt- 
samerweise ansetzt. 

2  Diese  Worte  stammen  von  ralla  =  radula  Schabeisen  und  nicht,  wie 
Körting  angibt,  von  rallum  Pflugschar. 


i6 


2.   Konsouauteu  gleicher  Artikulatiousstelle. 

§  Q.  Dafs  die  Synkope  in  nitidus  älter  ist  als  in  sapidus, 
rapidus,  ist  bekannt.  Aber  die  Angaben,  die  man  in  den  Gram- 
matiken findet,  sind  recht  dürftig.  Schwan -Behrens,  der  recht  oft 
auf  net  zu  sprechen  kommt  (§  78,  2ag;  §  103,  2b;  §  122,  2a), 
gibt  nur  in  der  Anm.  zu  122,  2  ganz  kurz  an,  dafs  in  nitida, 
putida  die  Synkope  vor  die  Lautabstufung  fällt.  Noch  unzuläng- 
licher ist  die  Angabe  Nyrops  I,  390,  der  als  cas  isol^s  (!)  anführt: 
d  >  /  par  assimilation  progressive:  nitida  >  nete,  putida  >■  vfr. 
pute.  Eine  Formulierung  der  zugrundeliegenden  Lautregel  ist  noch 
nicht  gegeben. 

§  10.  Zunächst  die  Beispiele  für  freie,  zwischenvokalische 
Zahnlaute : 

lat.    nitida  -a     afr.  w/,  nete^  lat.  putidu  -a   ^{x.pitt,pute 

„      peditu  „    pet  „    mattutinu     ,,    7natin 

„  ?  *lutidu  „    liit  „    asseditare    „    asseter'^ 

,,      ad  id  ipsu      vi.  addepso  afr.  ades 
„      *raditura3  afr.  raiicre  ,,    flatitare^       „   fiater 

Wenn  wir  die  Fem.  ncie,  piite  (Schw.-B.  §  122,  2  Anm.;  Nyrop 
§  3QO)  ins  Auge  fassen,  so  erscheint  die  Ansetzung  einer  beson- 
deren Lautregel  zunächst  unnötig.  Denn  falls  wir  der  Meinung 
Neumanns,  Zeitschr.  XIV,  560  zustimmen,  dafs  das  Nachton -i  der 
Pänultima  bei  a  der  Ultima  vor  Eintritt  der  Abstufung  von  Tenuis 
zu  Media  gefallen  ist,  ergibt  sich  nitida  >  nete  wie  debita  >  dete. 
Aber  das  masc.  tiei  im  Gegensatz  zu  sade,  7'ade  und  matin^  gegen- 
über *capitellu  >>*  chedel  bedingen  einen  früheren  Eintrittt  der 
Synkope,  t'd,  d't,  t't  erscheinen  ebenso  behandelt  wie  ursprüng- 
liches tt,  d'd  wie  ursprüngliches  dd.  Die  Synkope  mufs  eingetreten 
sein   vor    dem   westromauischen  Auslautgesetze.     Gänzlich  verkannt 


^  Der  Einwand  Klau'^ings  S.  43,  dafs,  wäre  net  (fem.  nette)  frz.  Erbwort, 
sein  Fem.  *nete  lauten  müfste  und  daher  ital.  Lehnwort  sei,  ist  unberechtigt; 
Belege  seit  dem   12.  Jahrb.  s.  bei  Littre. 

2  Dazu  das  Verbalsubstantiv  assiette,  mit  analogischem  ie  (it.  assetto).  — 
Die  I.  Person  assedito  mufs  lautgesetzlich  assiet  werden,  nicht  assiete ,  wie 
Bauer  43  angibt. 

^  rature  fehlt  bei  Körting,  der  nur  it.  raditiira  bringt.  Das  Dict.  g^n., 
Marchot  S.  85  u.a.  setzen  vi.  *raditura  an,  aber  das  Wort  ist  schwerlich 
Erbwort. 

*  So  Storm,  Rom.  V,  179.  Diez  ging  aus  von  germ.  flat.  (Dict.  gen. 
nd.  flat).  —  Vielleicht  auch  '  flatut  i  tat  ^^öwVd',  darnach  der  Infinitiv 
flaüter,  wenn  man  Hornings  Ableitung  *flatutitare  (Zeitschr.  XXII,  484)  zu- 
stimmt. 

^  Atl.  lingu.  Karte  823  weist  für  ganz  Frankreich  t  auf.  Die  Grenz- 
gebiete des  Gask.  und  Langued.,  also  die  Departements  H.-Pyr.,  Gers,  H.-Gar., 
Arifege  haben  mayti,  entsprechend  prov.  maiti.  Auch  nordit.  niaithi,  das 
Salvioni  Zeitschr.  XXIII,  522  auf  viersilbiges  matutinus  zurückführen  möchte; 
stimmt  man  ihm  bei,  so  läge  hier  die  Langform  vor. 


17 

hat  diese  Verhältnisse  Bauer  S.  37.  Er  meint,  nichts  hindert,  den 
Ausfall  der  unbetonten  Pänultima  nach  der  Konsonantenverschie- 
bung eintreten  zu  lassen.  Wenn  die  einschlägigen  Beispiele  ein  / 
zeigen,  so  soll  „das  seinen  Grund  darin  haben,  dafs  d  als  am 
Schlüsse  des  Wortes  stehend,  wieder  verhärtet  worden  ist  zu  /"  ;  die 
Feminina  seien  dann  zum  Maskulinum  neu  gebildet  worden.  Da- 
gegen hat  M.-L.  Frz.  Gr.  §  iig  die  Synkope  in  net,  put  bereits  als 
vorfranzösisch  erkannt. 

§  II.  Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  anderen  romanischen 
Sprachen,  so  finden  wir : 

prov.  net,  put,     mati,  ades,  assetar, 

cat.     7ief,      pet,  mati, 

it.        netto,  peto,  putto,  mattino,  -a,  addesso^  assettare, 
sard.  tiettu,  rtr.  nett,  span.  neto,'^  puio,  ptg.  peito. 

Span,  nitido  ist  ebenso  eine  gelehrte  Form  wie  it.  maiutino^ 

Wir  dürfen  also  auf  Grund  obiger  Formen  den  Eintritt  der 
Synkope  zwischen  dentalen  Verschlufslauten  als  gemeinromanisch 
betrachten.  Zu  beachten  ist  dabei,  dafs  die  Assimilation  weder 
ausgesprochen  regressiv  noch  progressiv  ist,  sondern  der  stimmhafte 
Dental  ausnahmslos  dem  stimmlosen  assimiliert  wird.  Ist  in  einer 
sekundären  Gruppe  beim  Zusammentritt  ein  Konsonant  stimmlos, 
so  ist  es  auch  das  Assimilationsergebnis;  dieser  Satz  wird  sich  für 
alle  sekundären  Gruppen  des  Frz.  als  gültig  erweisen. 

§  12.  Die  angeführten  Fälle  sind  die  einzigen,  die  hier  in 
Betracht  kommen.  Des  öfteren  findet  man  aber  noch  andere 
Wörter,  *battitura,  *pediticulo,  pedito,  *putidana  usw.,  als 
Vorstufen  für  frz.  Formen  angegeben.  Solche  Ansätze  sind  nur 
irreführend.  Schon  Darmesteter  hat  in  seinem  Aufsatze  über  den 
Zwischenvokal  gerügt,  dafs  man  viele  Wörter  für  das  VI.  ansetze, 
die  erst  frz.  sind,  so  z.  B.  komme  ho7n?nage  nicht  von  *homi- 
naticum,  sondern  von  komme.  Ähnlich  verhält  es  sich  in  den 
genannten  Fällen. 

Zwar  der  Ansatz  *putidana  hat  vielleicht  Berechtigung,  da 
es  it.  puttana,  rtr.  putanna,  frz.  putaine,  span.  putana  heifst.  Wahr- 
scheinlich aber  ist  putaine  nicht  vi.  *putidana,  sondern  die  be- 
kannte Akk.-Bildung  zu  pute;  das  mask.  putain  ist  daraus  sekundär 


'  neto,  puto  zeigen  nach  Baist  Gr.  I^  891  „vorspanische  Haplologie  der 
Silbe" ;  aber  Haplologie  ist  gewifs  nicht  der  richtige  Ausdruck  für  diese 
Synkope.  —  Gröber  ALL.  I  540  betrachtete  die  Ausstofsung  des  Vokals  nach 
der  Tonsilbe  in  Proparoxytonis  als  allgemein  romanisch  bei  den  Erbwörtern 
auf  -idus;  span.  neto,  lindo,  raudo  sind  ihm  lautregclmäfsig,  während  in  span. 
limpio ,  sucio ,  ptg.  nedeo  Sulfixlausch  {-io,  -eö)  eingetreten  sei.  ALL  IV  132 
erklärt  er,  dafs  span.  neto  dem  Frz.  entlehnt  ist,  dafs  sard.  nettu  dem  It.  ent- 
stammt und  auch  alz.  net  Lehnwort  ist,  da  das  Sardische  und  Rätische  nur 
dieses  Wort  aus  der  Gruppe  aufzuweisen  hat.  Wiese,  Altit.  Elementarbuch 
§  103,  2,  hält  it.  netto  für  einen  Gallicismus. 

^  Vgl.  dazu  noch  mlat.  mattina,  allir.  maten,  ahd.  mettina. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  2 


i8 

gewonnen  und  die  Fornaen  der  anderen  romanischen  Sprachen 
sind  dem  Frz.  entlehnt. 

Frz.  batture  ist  nicht  herzuleiten  von  einem  vi.  *battitura,  denn 
afr.  bat'etire  ist  deutlich  eine  Bildung  von  battre  mittels  des  Suff,  -eicre 
<C  -atura.  Frz.  hattiiiire  ist  entlehnt  aus  it.  batlitura.  Ebenso  sind 
baitage,  batteur ,  haitoir  usw.  Ableitungen  von  battre,  baitude  ist  ent- 
lehnt aus  prov.  batuda,  u.  dgl.;   nirgends  liegt  hier  Synkope  vor. 

*pediticulo,  -are  setzt  Körting  6g8i  an  für  frz.  peliller. 
Das  Wort  ist  aber  erst  im  i6.  Jahrh.  belegt,  daher  zweifellos  Weiter- 
bildung zu  peter,  das  seinerseits  erst  am  Ausgang  der  afr.  Zeit  zu 
pei  gebildet  wurde  und  das  afrz,  poire  (prov.  peire)  ■<  pedere  ver- 
drängte. Selbst  in  Klammer  gestellt,  ist  eine  derartige  „Kon- 
struktion" nicht  empfehlenswert. 

pedito,  -onis,  wie  Diez  240  und  ihm  folgend  Körting  6982 
für  pietoii  ansetzt,  hätte  afr.  *pef,  *peton  ergeben,  was  nicht  vorhanden 
ist.  Wir  haben  darin  vielmehr  eine  Ableitung  des  14.  Jahrh.  von 
pic  mittels  des  sekundären  Suffixes  -ton  zu  sehen. 

Weder  *quitidus  noch  *qultitus,  das  Körting  in  der  3.  Aufl. 
als  Neuerung  hinzufügt,  können  Grundlage  von  frz.  qm'tfe  sein. 
Abgesehen  davon,  dafs  *qultus  für  quietus  von  Körting  nicht  ge- 
rechtfertigt wird,  hätte  *qultidus  >>  *quittus  ]>  *quit  werden 
müssen.  Suchier  (Comment.  Wölff^lin  S.  7 1)  geht  aus  von  quietus, 
das  zu  fränk.  *kwit  wurde;  ähnlich  betrachtet  der  Dict.  gen.  quitie 
als  entlehnt  aus  lat.  quietus,  das  frühzeitig  als  Ausdruck  der 
Rechtssprache  gebraucht  und  („peut-etre  sous  l'influence  germanique") 
in  *quitus  geändert  wurde.  Schw.-B.  §  303  b  bezeichnet  qinte  als 
Verbaladjektiv.  ^  Diese  Ansicht  lehnt  Speich  Zeitschr.  XXXIII  321 
ab  und  schliefst  sich  Suchier  und  dem  Dict.  gen.  an,  indem  er 
quitte  aus  lat.  quietus  ableitet,  das  sich  unter  germanischem  Ein- 
flufs  in  *kwit,  *quitus  verwandelt  hatte.  Sicher  ist,  dafs  qtiiite  für 
die  Synkope  nicht  in  Betracht  kommt. 

§  13.  Während  in  den  genannten  Fällen  Ableitung,  nicht 
Synkope  vorliegt,  zeigen  andere  Wörter,  in  denen  die  unbetonte 
Silbe  -dit-  sicher  vorliegt,  keinen  vi.  Vokalausfall,  weil  sie  entlehnt 
sind.  Schwierigkeiten  hat  insbes.  afr.  ereter  <  hereditäre  geboten. 
Erbwörtliches  hereditat  mufste  erete  ergeben.  Aber  wie  sollte  der 
Inf.  hereditäre  lauten?  Damit  hat  sich  zuletzt  Herzog  S.  113  be- 
schäftigt: „Aus  hereditäre  würde  man  ^erdeer  erwarten,  heredi- 
täre ergäbe  allerdings  das  afr.  ereter  (oder  eher  *erederl),  aber 
man  kommt  auch  ohne  dies  aus,  denn  die  stammbetonten  Formen 
geben  korrekt  ercte.^'-  Es  fragt  sich,  ob  das  richtig  ist:  heredi- 
täre könnte  nur  ej-eter  geben,  aber  nicht  ereder;  hereditäre  mufste 
zunächst  ^herditare  werden,  dieses  hätte  wahrscheinlich  als  erdeer 
geendet   (vgl.  *horriditate  >  ordee).     hereditäre   könnte    seinen 


1  Umgekehrt  betrachtet  der  Dict.  gen.  quitter  als  Ableitung  zu  quitte. 
Körtings  *quiticlare,  *quittare  entbehrt  ebenso  der  Rechtfertigung  wie 
*quitidus.     Weiteres  über  quitter  s.  §49,  3. 


19 

Akzent  von  heredem,  hereditat  bezogen  haben.  Herzog  hilft 
sich  in  anderer  Weise:  „hereditäre  hat  ja  zunächst  durch  er^d^tdre 
passieren  müssen;  da  aber  auf  dieser  Stufe  etwa  ein  er^d^tat  (und 
vielleicht  auch  das  Subst.  berede)  daneben  stand,  so  blieb  statt 
des  zweiten  e  das  erste."  Der  ganze  Satz  bedeutet  eine  Rück- 
verlegung des  Ausgleiches  nach  der  stammbetonten  Form  in  etwas 
ältere  Zeit.  Darüber  eine  Entscheidung  zu  treffen,  ist  ausgeschlossen. 
Allerdings  scheint  H.  eine  Art  Begründung  zu  haben,  er  fährt  fort: 
„Vielleicht  klang  ein  solches  e  vor  dem  Fall  mehr  gegen  das  i  zu, 
so  würde  sich  das  i  der  Nbf.  eriter  erklären;"  aber  eine  solche 
constructio  ad  hoc,  durch  keine  weiteren  Beispiele  belegt,  kann 
nicht  befriedigen.  Der  Dict.  gen.  sieht  in  e7-eter  >>  ireter  u,  eriter 
eine  Dissimilationserscheinung,  von  den  Grammatikern  spricht  nur 
M.-L.  darüber.!  Aber  noch  andere  Formen  sind  zu  beachten.  God. 
belegt  zwar  nur  {h)eriter  und  [h)ireter.  Hetzer  S.  35  verweist  zu 
exheredet[avit]  der  Reich.  Gl.  auf  afr.  s'esserter.  Aber  auch  ereder 
ist  afr.  vorhanden,  wie  Berger  S.  120  angibt.  Ein  solches  Schwanken 
zwischen  stl.  und  sth.  Ergebnis  [ereter  und  ereder'),  wo  lautregel- 
mäfsig  Tenuis  zu  erwarten  wäre,  ist  immer  ein  Zeichen  von  Ent- 
lehnung, worauf  das  Wort  als  Terminus  der  Rechtssprache  auch 
selbst  hinweist.  Als  gelehrtes  Wort  betrachten  es  auch  M.-L. 
Zeitschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  XV  87  und  Berger  S.  120.  Das  gleiche 
gilt  dann  von  afr.  erite'^  <<  hereditate  und  eriiier  ■<  hereditariu 
und  für  die  afr.  Bildungen  eritage,  erüance,  eritement,  eritoison  usw. 
Für  frz.  tVditve  ging  Diez  von  lat.  traditor  aus.  Neumann 
Ztschr.  XIV  573  erklärte,  traditor  hätte  (wie  Imperator  ;>  em- 
perere)  trdire  geben  müssen.  Das  ist  nicht  richtig,  schon  wegen 
der  angezogenen  Parallele,  denn  das  Zwischenton-^  beweist,  dafs 
emperedre  frühes  Lehnwort  ist;  traditor  hätte  ^tratre  werden  müssen. 
N.  erinnert  an  ein  andrerseits  aufgestelltes  Etymon  tradutor,  was 
lautlich  entspräche,  aber  als  Bildung  zu  unwahrscheinlich  ist.  Körting 
meint,  dafs  *traditor  (zu  *tradire  für  tradere)  „vollständig 
genügt";  aber  *traditor  kann  nur  ^traire,  niemals  tra'üre  geben.^ 
Die  richtige  Lösung  fand  Sheldon,  Studies  and  Notes  in  Phil,  and 
Lit.  I  118  (Boston  1892),  der  ein  gelehrtes  Wort  darin  sieht: 
traditorem  >  tracleiour'^  >  traditour  unter  Einflufs  von  tradir. 
G.Paris  Rom.  XXn6i7  meint  dann,  dafs  Iradüre  im  Frz.  nach 
traditour  gebildet  ist. 

§  14.    Einzelfälle  bieten  der  Laulforschung  immer  die  gröfsten 
Schwierigkeiten,  weil  sie  der  Erklärung  zu  grofsen  Spielraum  lassen. 


1  Afr.  Gr.  §  232:  Afr.  ireter  aus  buchwörtlichem  eriter  wird  damit  zu- 
sammenhängen ,  dafs  nicht  i,  sondern  e  der  übliche  Vokal  zwischentoniger 
Silben  ist." 

^  Afr.  herte ,  das  God.  beibringt,  ist  wohl  sekundär  hervorgegangen  aus 
trete  wie  etwa  serment  aus  sairement  usw. 

3  Ebenso  ist  Körtings  Angabe:  praedator,  -orem  >  afr,  predeur 
lautlich  unhaltbar. 

*  tradetur  Pass.  148. 

2* 


io 

Afr.  covoitie,  das  Diez  übergangen  hatte,  setzte  Tobler,  GöLt.  gel. 
Anz.  1877,  1618  =  cupiditate.  Scheler  (Anhang,  zu  cupido) 
fügt  hinzu:  „(Dann)  müssen  wohl  auch  die  Verba  cubitar,  coheiiar, 
covoüier  durch  cupiditare  erklärt  werden.  Ist  dies  unbedingt  an- 
zunehmen? Oder  liegt  nicht  vielmehr  cupitare  zugrunde?  Die 
Wandlung  von  id't  >  eit  scheint  mir  bedenklich."  M.-L.  Ztschr. 
VIII  234  fand  cupiditare  >>  covoüier  ,,streng  nach  den  Laut- 
gesetzen; Schelers  Zweifel  entbehren  jedes  Grundes."  Auch  Herzog 
S.  114  sucht  cupiditare  zu  retten:  es  sei  cop^d^lar^  geworden,  wo 
dann  das  i.  e  unter  Einflufs  von  copcd^iat  erhalten  geblieben,  das 
2.  e  unter  dem  von  *cupidus  >  *cop^d^  >  *cobde.  Dann  sei 
intervok.  d  gefallen,  ee  >>  ei  dissimiliert  worden,  vgl.  cobeetar 
(Boeci)  >  coheiiar.  Das  alles  ist  wiederum  eine  constructio  ad  hoc, 
ein  durch  Ausfall  eines  Dentals  entstandenes  ee  wird  im  Afrz.  nicht 
zu  ei  dissimiliert,  vgl.  empeechier  >  empecher,  preechier  >>  precher. 
In  Betracht  gezogen  werden  mufs  auch  afr.  cofn)voiiise,  das  man 
*cupiditia  gleichzusetzen  pflegt.  Canellos  *cupidititia  (Arch. 
glott.  III  342)  erscheint  auch  Körting  als  überflüssig.  Der  Dict. 
gen.  hält  es  für  eine  Ableitung  zu  convoiier  und  ich  stimme  ihm 
zu.  Für  coveiiier  stellte  G.  Paris  Rom.  XXIII  285  die  Gleichung 
auf:  *cupedietare  :  coveitier  =  *cupedietltia  >>  coveilise;  es  sollte 
cupid-  durch  xup(p)edium,  cop(p)edia  beeinflufst  sein.  Das 
ist  wenig  wahrscheinlich.  Aber  an  der  Grundlage  *cupidietare 
ist  festzuhalten.  Das  Dict.  gen.  leitet  es  mit  Recht  von  *cupidie- 
tatem  (statt  kl.  cupiditatem)  her,  welch  letzteres  regelrecht  coveitii 
ergab.     Also 

cupiditas  durch  Suffixtausch  *cupidietas: 
*cupidietate    afr.  coveitie,  davon  abgeleitet  coveitier,  coveitise; 
prov.  cobeilat,       ,,  „         coheitar^  cobeitos. 

Ein  Wort,  wo  ein  Schwanken  zwischen  sth.  und  stl.  eigentlich 
ausgeschlossen  scheint,  ist  madidus,  das  über  *maddus  >>  frz. 
mat  hätte  werden  müssen.  Nun  lautet  aber  das  Fem.  dazu  mate 
(nprov.  matj  mate;  fem.  maio),  das  ein  *mattus  voraussetzt.  Wurde, 
wie  t't,  d't,  t'd,  so  auch  d'd  zu  tt?  Das  zog  schon  M.-L.  Ztschr. 
VIII  209  in  Erwägung:  ,,0b  mattus  =  *maddus  =  madidus  sei, 
ist  zweifelhaft;  dafs  dd  >  tt  werden  kann,  ist  möglich."  Aber 
diese  Möglichkeit  wird  durch  ad  id  ipsum  >■  "^addepso  widerlegt. 
Das  Dict.  gen.  möchte  maf^  in  du  pain  mat,  nne  pdte  mate  dem  frz. 
OTß/ =  pers.  (schach)  mat  gleichsetzen,  wie  schon  Littre  getan 
hatte.  Aber  mundartliche  Formen,  wie  das  von  Sigart  im  Glossaire 
angeführte  mont.  ?nate  „feucht"  oder  das  von  Littre  beigebrachte 
wall,  mat"^  =  ?/ioite,    ferner  Mistrals  prov.  t?iate  =  motte,  humide  und 


^  Nur  mat  in  der  Bedeutung  compact  möchte  das  Dict.  gen.  davon  trennen 
und  von  dem  Stamme  herleiten,  der  sich  in  hd.  Matte  =  lait  caille  wiederfindet. 

*  Littre  führt  es  auf  madidus  zurück,  nur  meint  er,  dieses  hätte  */«a(ftf 
ergeben  müssen  wie  rapidus  ^  rade.  Er  hat,  abgesehen  von  der  Unrichtigkeit 
des  Vergleiches,  übersehen,  dafs  ein  wall.  ''^ niade  unmöglich  ist,  da  im  Wall, 
sekundär  auslautende  Media  stimmlos  geworden  ist  (frz.  barbe  =  wall.  bäp). 


21 

afr.  Wendungen  wie  feinps  viat  et  pluvieux  (God.)  sichern  wegen 
der  Bedeutung  den  Zusammenhang  mit  madidus.  Dies  erkannte 
schon  Behrens  Ztschr.  XIV  369;  gegen  die  lautliche  Entwicklung 
fand  er  nichts  einzuwenden,  das  fem.  inate  „kann  aus  dem  Mask. 
umgebildet  sein."  Weder  madidus  >>  mattus  noch  mate  nach 
mat^  kann  befriedigen.  Eine  Lösung  der  Frage  könnte  in  aufsergaU. 
Formen  gefunden  werden.  Man  hat  bisher  aber  nur  it.  maito  „albern"' 
damit  in  Zusammenhang  zu  bringen  gesucht.  Dieses  hat  man  auch 
auf  das  Petronische  matus  „trunken"  zurückgeführt,  das  nach 
Vanicek  für  *mattus  stehe  und  aus  madidus  (?)  entstanden  sei. 
Körting  setzt  in  der  2.  Aufl.  „madidus,  bezw.  *maditus,  *mattus" 
an,  um  in  der  3.  Aufl.  *raaditus  zu  erklären  als  Umbildung  nach 
Analogie  der  Partizipia.2  Für  lat.  mattus  ist  schon  Osthoff,  Zur 
Geschichte  des  Perfektums  im  Idg.,  S.  556  (1884),  von  *maditos 
ausgegangen.  Auch  lat.  mattus  oder  eine  neuerliche  Parlizipial- 
bildung  *maditus  zu  madeo,  -ere  kann  für  das  Rom.  der  Ausgang 
sein.  Wann  immer  entstanden  und  synkopiert,  *raaditus  >  mattus  > 
frz.  mat,  mate  ist  die  ansprechendste  Lösung. 

§  15.  Nicht  unter  unsere  Regel  fällt  *quatottare  (Bugge  Rom. 
IV  352),  wenn  man  an  diesem  Etymon  für  raholer  festhalten  will.  Es 
müfste  Ausgleich  nach  der  stammbetonten  Form  *quatottat  >- 
cahote  angenommen  werden.  Besser  wird  man  nach  einem  Etymon 
für  das  Subst.  cahot  suchen  und  cahoter  Ableitung  dazu  sein  lassen 
als  umgekehrt,  zumal  cahot  im  15.  Jh.,  cahoter  erst  hundert  Jahre 
später  zu  belegen  ist. 

Anmerkungsweise  sei  noch  tout,  it.  iiifto  erwähnt,  das  als 
Zwischenstufe  zu  totus  ein  tottus  verlangt,  für  welches  Schw.-B. 
§  1 1 6  Anm.  (wie  heute  noch  fast  allgemein  geschieht)  die  Er- 
klärung durch  die  Verdoppelung  *tot-t(ot)u  gibt.  Diese  Annahme 
geht  bekanntlich  zurück  auf  Karsten  (1884),  der  von  totum- 
totum,  vgl.  it.  ttitutio,  ausging  (vgl.  auch  Gröber  ALL.  VI  129). 
Die  Zwischenstufe  *t6-toto  würde  in  unsere  Gruppe  fallen. 
Aber  diese  Erklärung  ist  ebenso  unnötig  wie  die  ältere  von  Thurn- 
eysen,  der  toto  -f-  Vok.  >>  totv  +  Vok.  >  tolt  werden  lassen 
wollte.  It.  tututto  bildet  durchaus  keine  Parallele,  erstens  stimmt 
die  Lage  des  Akzentes  nicht,  zweitens  ist  die  Reduplikation 
im  It.  auch  sonst  vorhanden.  Zweifellos  ist  totit  hervorgegangen 
aus  tottus, 3  das  bei  Consentius  (Foerster-Koschwitz,  Afr.  Übungs- 


1  An  -vert,  verte  findet  das  keine  Stütze,  da  die  lautgesetzHche  Fem.- 
Form  ja  nicht  verde,  sondern  -vert  ist  (vgl.  Vauvert). 

-  Ein  Ersatz  von  -idus  durch  -itus  ist  auf  rom.  Gebiet  nicht  unerhört: 
fracidus  %\l\\.  fracitu,  gravida  ?\z\\.  gravita,  siz.  ranctdu  waArancitu,  tepidu 
und  tepitu. 

3  lötus  ;>»  tottus  verlangt  Kürze  des  Vokals  bei  Länge  des  Konsonanten; 
wie  sich  der  Vokal  von  frz.  tout,  it.  tutto  dabei  erklärt,  ist  noch  unbekannt.  — 
Für  den  Plural  tiiit  stimme  ich  folgender  Erklärung  bei :  totti  Uli  homines  ^ 
tuit  li  omes.  Da  in  der  Mehrzahl  totti  meist  vor  Vokal  stand,  weil  ja  der 
mit  Vokal  beginnende  Artikel  darauf  folgte,  so  wurde  das  i  jotaziert  und 
tötti    entwickelte    sich    lautgerecht   zu   tuit.     Wenn  tti^  in  inace,  piece ,  place 


22 

buch  2,  S.  234)  belegt  ist.  M.-L.  Einf.  143  läfst  tt  entstehen  in 
Anlehnung  an  quottus,  das  aber  wahrscheinlich  nicht  *quoti-  to  -s 
darstellt,  sondern  selbst  sekundär  aus  quotus  entstand.  Daher  ist 
tottus  aus  tötus  (erhalten  in  span.  ptg.  todo)  zu  erklären  wie  raitto 
aus  *mito,  narro  aus  *näro,  cuppa  neben  cüpa,  muccus  neben 
mücus  usw.;  vgl.  auch  glütus  >  *gluttus:  it.  ghiolto,  afr.  gloi', 
glüto,  -onem:  frz.  glout,  glouton. 

§  16,  Mit  dieser  Synkope  zwischen  Dentalen  verhält  es  sich 
genau  so  wie  mit  dem  Vokalausfall  bei  den  Liquiden.  Sehen  wir 
schon  klassisch  lateinisch  valde  neben  validus  usw.,  so  zeigen  uns 
mattus  für  maditos,  cette  für  cedate,  vate  für  vaditei,  dafs  Syn- 
kope zwischen  Dentalen  dem  Klassischlateinischen  ebenfalls  nicht 
fremd  war.  Und  wie  neben  lurdo,  soldo  die  vollen  Formen  lurido, 
solido  weiter  bestanden,  so  findet  sich  die  entsprechende  Er- 
scheinung auch  bei  den  Zahnlautgruppen.  Darauf  führt  die  Er- 
klärung von  fade.  Diez  hatte  prov.  faf,  fada ;  frz.  fat  und  fade 
auf  fatuus  zurückgeführt.  G.  Paris  (Mem.  de  la  soc.  de  ling.  de 
Par.  I  90)  hat  fat  und  fade  geschieden,  nur  jenes  leitete  er  von 
fatuus  ab,  dieses  nicht,  weil  er  erkannte,  dafs  die  Kombination 
Uli,  ua  im  Frz.  den  vorhergehenden  Konsonanten  schützt,  sodafs  t 
sich  behaupten  würde.  Er  stellte  vapidu  als  Grundwort  auf;  für 
das  anlautende  f  nahm  er  Rom.  XVII  288  Anm.  Kreuzung  mit 
fatuus  an.  Eine  Stütze  dieser  Ansicht  fand  sich,  als  N.  du  Puits- 
pelu  im  Dict.  Lyonnais  S.  241  ein  mundartliches  vadou  beibrachte, 
das  er  auf  *vapidosus  zurückführte.  Ebenso  findet  sich  wall. 
wap(e),  das  Scheler  von  vapidus  herleitete,  worin  ihm  Horning, 
Ztschr.  XV  49 6  zustimmte.  Van  Hamel  hatte  es  allerdings  im 
Roman  de  Miserere  3,  2  aus  germ.  hwap  gedeutet.  Der  Ansatz 
ya/=  fatuus  ist  heute  abgetan.  Vom  Standpunkte  der  Lautlehre 
wäre  allerdings  nichts  dagegen  einzuwenden.  Fatuus  konnte  zu 
*fattus  werden,  gerade  so  wie  batuo  >  *batto  geworden  {aller- 
dings steht  neben  lat.  batuo  schon  battuo,  neben  quatuor  weit 
häufigeres  quattuor,  während  ein  *fattuus  nicht  belegt  ist).  Aber 
der  Umstand,  dafs  fat  erst  im  16.  Jh.  aufkommt,  dafs  Rabelais 
ausdrücklich  sagt,  fat  „est  un  mot  de  Languegoth",  hat  es  über 
allen  Zweifel  erhoben,  dafs  fat  dem  Süden  entlehnt  ist.2  Auch 
gegen  G.  Paris'  Erklärung  von  fade,  an  der  das  Dict.  g6n.  festhält, 
ist  vom  lautlichen  Standpunkt  nichts  einzuwenden.    Aber  Bedenken 


eine  andere  Entwicklung  zeigt,  so  ist  der  Unterschied  in  der  Zeit  begründet: 
die  Assibilierung  von  primitiven  tti  ist  alt,  während  junges  (frz.)  tti  als  it 
endete. 

1  S.  Zimmermann,  Zeitschr.  XXXI  494  f.  (1907). 

2  Körting    dagegen  leitet,    obwohl  das  Dict.  gen.  s.  v.  und  Nyrop  I'*,  43 
[nicht  32,  wie  der  Index  angibt]  obige  Erklärung  geben,  auch  in  der  3.  Aufl. 

fat  unmittelbar  von  fatuus  her;  fade  ist  ihm  gleich  *fatida,  wie  soudahi  aus 
subitaneus  und  sade  aus  sapida. 


23 

gegen  die  Bedeutungsentwicklung  veranlafsten  M.-L.  Ztschr.  XIX 
277  ff.  als  Etymon  *fatidus  anzusetzen.  Wegen  der  lautlichen 
Schwierigkeit  von  fade  gegenüber  net  nahm  er  an,  dafs  es  zu.  fatuus 
erst  gebildet  wurde,  als  nitidus  schon  nittus  lautete.  Diese  Er- 
klärung ist  gewifs  möglich;  allerdings  bleibt  es  eine  constructio  ad 
hoc.  Gegen  Gröber,  der  ziu:  Erklärung  von  afr.  saive  ein  *sabius 
aufgestellt  hatte,  gebildet  zu  sapere,  als  dieses  auf  der  Stufe  *sabere 
stand,  wandte  Schuchardt  R.  E.  I  15  ein,  dafs  ..es  nicht  erlaubt 
ist,  ein  *sabius  aufzustellen,  ohne  es  wenigstens  durch  einen 
2.  Fall  einer  derartigen  Adjektiv-Bildung  zu  stützen.''  Und  gegen 
eine  „jüngere-  Bildung  *fatidus  erhebt  sich  das  Bedenken,  dafs 
-idus  frühzeitig  aufhört,  produktiv  zu  sein,  und  durch  andere 
Suffixe  ersetzt  wird. 

§  17.  Wenn  wir  die  Reflexe  von  "^'rautidus  betrachten,  so  finden 
wir  in  südfrz.  moude  eine  Form,  die  man  recht  wohl  mit  fade  ver- 
gleichen kann.  Ebenso  bietet  eine  volle  Parellele  frz.-prov.  nede 
(Suchier  Gr.  I2  732).  Ein  unserer  Lautregel  entsprechendes  Hg. 
muitu^  hat  Parodi  Rom.  XVII  62  beigebracht.  Schuchardt  R.  E. 
I  20  meint,  dafs  sich  moude  :  mout  verhalte  wie  ptg.  nedeo  zu  span. 
tiefo.  Stellt  man  it.  7ieito,  frz.  prov.  7iet,  bezw.  putlo,  put  dem  ptg. 
nedeo,  span.  piidio  gegenüber,  so  kann  man  entweder  sagen^  die 
iberische  Halbinsel  hat  die  Entv>-icklung  von  ^tidus  >>  ^ttus  nicht 
mitgemacht,  weil  sie  erst  eintrat,  als  der  Zusammenhang  mit  den 
übrigen  rom.  Gebieten  sich  schon  gelöst  hatte;  oder  aber  man  mufs 
einen  anderen  Ausweg  suchen,  den  schon  Gröber  ALL.  IV  132 
gefunden  hat:  „Die  Kurzformen  scheinen  ihrer  Verbreitung  nach 
vorromanisch.  Aber  daneben  mufs  die  längere  Form  weiter- 
bestanden haben."  Wenn  aspan.  neto  als  erb  wörtlich  betrachtet 
wird  —  und  es  liegt  kein  zwingender  Grund  vor,  dies  nicht  zu 
tun  — ,  so  ist  der  Satz  zweifellos  richtig  und  notwendig.  Wie 
neben  afr.  colp  ein  prov.  colhe,  neben  it.  secchia  ein  lad.  sedla  steht 
usw.,  so  ergab  *fatidus  einerseits  *fattus  (das  übrigens  in  prov. /a/ 
ebensogut  vorliegen  kann  wie  fatuus,  nur  dafs  letzteres  gestützt 
wird  durch  vac  aus  vacuus;  beachte  iem.  fada),  andererseits  blieb 
es  als  *fatidus  bis  in  einzelsprachliche  Zeit,  das  über  *fadidus  > 
*fad'do  ein  fade  ergeben  mufste,  als  es  gleichzeitig  wie  sapidus, 
rapidus  usw.  frz.  Synkope  erfuhr.  Ebenso  erklären  sich  it.  netto, 
frz.  «1?/,  aspan.  neto  gegenüber  frc.-prov.  nede,  ptg.  nedeo,  rum.  neted; 
lig.  muttu  gegenüber  südfrz.  moude.     Also: 

Die  gemeinromanische  Synkope  des  unbet.  Vokals  zwischen 
freien  Dentalen  ist  fakultativ.  Neben  den  Kurzformen  bleiben  die 
längeren  erhalten  und  folgen  den  einzelsprachlichen  Regeln: 


^  Das  It.  hat  dafür  mozzo,  frz.  niousse,  das  sich  zu  mutidus  verhält  wie 
puzzo  zu  putidus;  piizzo  unmittelbar  aus  putidus  herzuleiten,  wie  Diez  dies 
wollte,  ist  unmöglich. 


24 

nitidu     frz.  prov.  «cV,  it.  iietto^  span.  7ieto. 

frc.-prov.  nede,  ptg.  nedeo,  rum.  ;/f/^(^/. 
putidu      frz.  prov.  /z//,  it.  puito:  sard.  pudtdu,  aspan.  pudio. 
*lutidui      afr.  lot,  prov.  /0/  :  span.  ludio,  ptg.  /«^r<?. 
*mutidu     lig.  z««//«  :  südfrz.  moude. 
*fatidu       frz.  fade. 

§  18.  Wir  haben  bisher  nur  den  freien  (zwischenvokalischen) 
Dental  betrachtet.  Wenn  der  Zahnlaut  gedeckt  ist,  tritt  Synkope 
überhaupt  nicht  ein,  s.  §  64,  3. 

§  IQ.  Für  die  Lippenlaute  kommt  nur  ein  Beispiel  in  Betracht: 
lat.  upupa  vi.  *üppa,  frz.  huppe,  prov.  upa. 

Im  It.  blieb  die  ursprüngliche  Form,  die  durch  Aphärese  der 
Anlautsilbe  gekürzt  wurde:  upupa  >>  *bupa,  durch  Assimilation 
mail.  Imha ,  durch  ein  Suffix  erweitert  it.  huhhola.  It.  upupa  ist 
Latinismus.  Ebenfalls  den  Anlaut  haben  eingebüfst  piem.  popa, 
romagn.  poppa,  ptg.  poupa.  Der  Name  des  Vogels  ist  seinem  Ruf 
nachgebildet  und  der  schallnachahmende  Einflufs  zeigt  sich  wohl 
auch  in  den  obigen  Formen,  wie  andrerseits  eine  neue  schall- 
nachahmende Bildung  vorliegt  in  span.  putput,  frz.  piiput. 

Wie  mattus  <<  *maditos  bei  den  Dentalen,  so  belegt 
Stipendium  <  *stipipendium  diese  Lauterscheinung  schon  für 
das  Altlatein. 

§  20.  Dieselbe  Erscheinung  wie  bei  den  Dentalen  finden  wir 
auch  bei  den  gutturalen  Verschlufslauten.  Es  handelt  sich  hier 
um  eine  Reihe  vi.  Verba  auf  -ccare,^  deren  Entstehungsweise  zwar 
oft  genug  besprochen  worden  ist,  aber  eine  zusammenfassende  Be- 
handlung noch  nicht  erfahren  hat. 

Schon  Diez  erklärte  rom.  ficcare  aus  figicare,  indem  er  darauf 
hinwies,  dafs  fodicare  zu  fodere,  vellicare  zu  vellere  schon  lat. 
sind,  wozu  noch  die  rom.  Bildungen  gemiccare,  volvicare, 
pendicare,    sorbicare   kommen,    und  Gröber    stimmte    ihm   bei. 


1  *lütidura  ^ /«^  setzt  Bauer  S.  38  an;  ptg.  ludro  führt  Cornu  Gr. 
I'  961  darauf  zurück.  —  Im  übrigen  ist  der  Ansatz  recht  zweifelhaft,  vgl.  die 
Lit.  bei  Körting*  5756,  5761.  —  Nfr.  Int,  luter  ist  dem  Dict.  gen.  entlehnt 
aus  lat.  lutum,  lutare. 

'  Weder  Sch.-B.  noch  Nyrop  sprechen  von  den  genannten  Fällen.  Die 
ersteren  führen  nur  §  142,2  toccare  (germ.  tukkon)  — tuchier,  maccare  — 
machier,  huccare — huchier,  p ecc nt '^ pechet  an;  bei  Nyvop  ist  ein  eigen- 
tümliches Versehen  unterlaufen:  er  pflegt  die  Behandlung  jedes  Konsonanten 
in  5  Abschnitte  zu  teilen,  l.  anlautend,  2.  vor  Konsonanten,  3.  zwischen 
Vokalen,  4.  final,  5.  geminiert.  Bei  c  ist  ihm  geschehen,  dafs  auf  2  gleich  4 
folgt;  bei  g,  dafs  auf  3  gleich  5  folgt;  so  wurde  bei  c  und  g  die  Gemination 
vergessen.  Auch  die  2.  Auflage  hat  das  nicht  gebessert.  Wenn  auch  die 
falsche  Numerierung  bei  g  ohne  weitete  Folgen  ist  (gg  spielt  eine  ebenso 
geringe  Rolle  wie  dd,  das  Nyrop  nichtsdestoweniger  im  §  396  gesondert  be- 
handelt hat),  so  führt  sie  bei  c  dazu,  dals  nur  4  Beispiele  (unter  c  initial  d'une 
syllabe),  dabei  kein  Zeitwort,  gegeben  wurden,  sekundäres  cc  aber  ganz  un- 
behandelt blieb. 


25 

Ein  rom.  oder  schon  vi.  *ficcare  setzen  aspan.  hincar,  fincar,  ficar, 
ptg.  fincar,  ficar,  prov.  ficar,  afr.  fichier  >>  nfr.  ficher,  rtr.  fichiar,  it. 
ficcare  voraus.  Dementsprechend  hatte  Nigra  Arch.  Glott.  XIV  337 
xi.toccare,  iiz.  toucher  aus  *tudicare  erklären  wollen  und  dies  ver- 
anlafste  Ascoli  (an  gleicher  Stelle),  folgende  Parallelen  zu  geben: 

*figicare         it.  ficcare      frz.  ficher, 
*ligicare  „    leccare        „   allecher, 

*tagicare        „    taccare        „   att acher. 

Dazui  fügt  Nigra,  Arch.  Glott.  XIV  107: 

*tragicare      it.  traccare    frz.  (pic.)  traquer', 
Salvioni  Rom.  XXVIII98: 

*mac-icare     it.  maccar      afr.  machier. 

In  gleicher  Weise  wurden  auch  zu  Part.  Perf.  Verba  auf 
-icare    gebildet.     Das    von    Horning  Zeitschr,  IX   140    aufgestellte 

*coacticare  fr.  c acher,  prov.  cachar^  qtiichar,  rtr.  squicciar 

ist  bisher  unwidersprochen  geblieben;  hier  ist  die  Bildung  zum 
Part,  das  Wahrscheinliche,  denn  dafs  nach  dem  Part,  ein  *coago 
statt  cogo,  dazu  *coagico  gebildet  worden  wäre,  ist  weniger  an- 
sprechend.    Ebenso  setzte  aber  Horning  (gegen  Ascoli)  an: 

*allecticare        frz.  allecher 

und  Ulrich  Zeitschr.  IX  429  fügte  hinzu: 

*tacticare  frz.  attacher       *ficticare       frz.  ficher, 

*torticare  ,,     torcher. 

Gröber  ALL.  II  285  bietet  noch 

*flecticare  afr.  flechier."^ 

§  21.  Solche  Verba  auf  -ccare  sind  aber  auch  als  Ent- 
lehnungen aus  dem  Germanischen  erklärt  worden:  so  schon  Diez 
(und  der  Dict.  gen.  stimmt  ihm  bei): 

germ.  *tukkön  (^6..  zuckari) 

it.  toccare     sp.  ptg,  prov.  tocar     frz.  ioucher, 
„     *likkön  >  ahd.  leccon,  as.  liccon 

it.  leccare     prov.  It'quar,  lichar,  lechar     frz.  lecher,  licher, 
„     *lökön  >  as.  Idkoji  (vgl.  ne.  look) 

it.  allocare    ?afr.  luchier,  norm,  luqiier,  daraus  frz.  reltiquer, 

^  Ascoli  erwähnt  noch: 

*strigicare         ho\.  strikar  (:=  it.  J^rzsaari?  <^  *strictiare) 

*fragicare  frakar 

*extiocicare  strokar  (von  extorcere  für  extorquere). 

Körtinr;  bietet  aufserdem  *glacico'^  :ih.  glacozer,  glacteri^).  Diez  hatte  ge- 
schrieben:.  „Das  Wovt  mufs  aus  glacies  geformt  sein",  was  K.  durchführte, 
statt  es  als  Bildung  zu  glace  zu  betrachten. 

^  Im  Dict.  g^n.  ist  flechir  d'origine  inconnuc.  flectere,  von  dem  Diez 
ausging,  wird  mit  Recht  abgelehnt.    Über  *flecticare  wird  nicht  gesprochen. 


26 

deutsch.  *lukk-   (mhd.  lücke,  nhd.  locker)     frz.  lochcr, 
„        *trekk-  (mhd.  trecken,  nd.  trekken) 

iL  treccare    pxov. /ric/iar    dSx.  trechier,  irichier    vSx.  iricher'^. 

Aber  damit  sind  die  Möglichkeiten  der  Entstehung  von  vi. 
-ccare  noch  nicht  erschöpft:  Schuchardt  lehnte  Zeitschr.  XXII  397 
*tudicare,  *tagicare  ab  und  stellte  Ableitung  von  schallnach- 
ahmenden Interjektionen  an  deren  Stelle;  schon  Scheler2  war  ihm 
bei  toucher  darin  vorangegangen: 

toc,  toc!  it.  toccare  frz.  ioqiier,  toucher, 

tac,  tac!  „   taccare  „  aitacher. 

Ähnlich  Horning  Zeitschr.  XVIII  215: 

ostfrz.  choc!        frz.  choquer; 
Dict.  gen.  croc  „     croqiier', 

Körting  pic  it.     piccar       fr.  piqiwr. 

Auch  Denominativa  können  -ccare  aufweisen: 

lat.  mücus  >  muccus,  dazu    prov.  mochar     frz.  moucher, 
celt.   lat.  beccus,     dazu  it.  heccare      afr.  hechier 

(nfr.  dial.  lecher,  sonst  heqiter) 
*croccum,    ,,  ,,   croccare     ^{x.crochier (nix.croquer), 

*roccum        „  vi.  *roccare,    „   rochier,  frz.  derocher, 

deroquer. 

Diez:  choc(mhd.schoc)  frz.  choquer', 
Dict.  gen.:  pic  (Subst.)  „    piquer 

trac  (d'orig.  ine.)       „     traquer 
ploc        „  „  „    ploquer 

vi.  *torca  „    torcher."^ 

Von  einem  Adverbium: 

lat.  hüc,  davon  *hu ccare      friaul.  uca  frz.  hucher 

prov.  2{car,  uchar      pic.  huqiicr. 

Aufserdem  ist  -ccare  natürlich  auch  einheimisch: 

lat.  si ccare  it.  se ccare        frz.  sicher 

„peccare  „   peccare         „    pecher 

„    tricare  >>  vi. /rzcfö/'^    afr.  trechier^      „    tricher. 


^  Ferner:  Diez  mhd.  spachen    \\..  spaccare 

Dict.  g6n.  holl.  schokken,    ne.  shock    frz.  choquer, 
während  Kluga-Lutz,  English  Etymolügy,  ne.  shock  aus  frz.  choquer   herleiten. 

'^  Allerdings  brachte  er  dieses  toc  unhaltbarer  Weise  in  Zusammenhang 
mit  dem  Stamme  tag-  in  längere. 

3  Diez    tortiare,    was    lautlich   nicht   genügt;    Gröber    torcare    stellt 
keltischen  Ursprung  zur  Erwägung.     Ulrich  *torticare  s.  o. 

*  Diez   tri  ccare;    Storm    Rom.  V  172;    Ulrich   Zeitschr.  IX  556;    eine 
Ableitung,  die  der  von  germ.  trekken  vorzuziehen  ist. 


Bildungen  zu  lateinischen  Stämmen: 

Stamm  lue-  (lucere,  lux;  vi.  *lucor,  *liicand) 

vi.  *luc-carei        prov.  ahtcar        afrz.  aluchier. 

Stamm  mäc-  (mäcerare,  mäceria-) 

vi.  mac-care      it.  maccare      afr.  machier  (nfr.  dial.  niachcr) 
rtr.  smaccar,     prov.  macar,  machar     pic.  maquer  >  nfr.  viaquer. 

§  22.  Bevor  man  bezüglich  taccare,  leccare  schlüssig  wird, 
mufs  eine  Vorfrage  erledigt  werden,  betreffend  das  Nebeneinander 
von  frz.  dl  und  qu.  Scheler  verglich  zu  toqiier  :  touchej-  das  Ver- 
hältnis von  moquer  :  moucher  und  hielt  ersteres  für  die  pic.  Form. 
Auch  Körting  meint,  dafs  moquer  „eigentlich  nur  picardisch"  ist. 
Durch  span.  viueca  Grimasse  werden  moquer  und  moucher  als  ver- 
schiedene Worte  erwiesen.  Das  Dict.  gen.  bringt  taquer  als  pic- 
norm.  Form,  abgeleitet  von  iac.  Stamm  von  aitncher',^  maquer  ist 
ihm  abgeleitet  von  maque;  dieses  norm. -pic.  für  mache.  Schuchardt 
äufserte  sich  Zeitschr.  XXII  397 :  .Joquer  wird  als  Nebenform  von 
ioucher  angegeben;  das  ist  insofern  richtig,  als  dieses  Wort  die 
Fortbildung  von  jenem  ist.'-  Wie  sich  Seh.  das  vorstellt,  ist  nicht 
klar.  VI.  *toccare  mufs  frz.  als  toucher  erscheinen,  kann  aber 
nicht  als  loquer  daneben  erhalten  bleiben.  Man  wird  daher  wohl 
am  besten  tun,  toquer  und  taquer  von  onomat.  roc,  bezw.  tac  her- 
zuleiten, für  ioucher,  atlacher  sich  aber  nach  anderen  Grundworten 
umzusehen.  ^ 

Es  fragt  sich,  ob  Ascolis  *tagicare  oder  Ulrichs  *tacticare 
anzusetzen  ist.  Frz.  müssen  beide  Formen  (at)lacher  ergeben,  der 
Unterschied  läge  nur  in  der  Zeit  der  Synkope.  Wie  aber  aufserhalb 
Frankreichs?  Die  eigentliche  Entscheidung  könnte  nur  *coacticare 
(wenn  man  *coagicare  für  ausgeschlossen  hält)  geben,  da  hier 
die  Ableitung  vom  Part,  einigermafsen  sicher  ist.    Leider  aber  kommt 


'  Man  pflegte  bisher  (Körting' 505)  auszugehen  von  *allücare;  das 
hätte  nur  prov.  *lugar,  *luyar,  afr.  *ltier  ergeben  können. 

2  Nicht  macula,  das  auch  mit  gr.  fiäooeiv  nichts  zu  tun  hat. 

^  Dieses  wird  betrachtet  als  Zusammensetzung  von  a  +  fache  im  Sinne 
von  point  fixe.  Zu  tache  aber  schreibt  das  Dict.  gen.:  „Wort  unsicherer  Her- 
kunft, wahrscheinlich  germanisch,  das  vom  Stamme  von  attacher  geschieden 
werden  mufs,  mit  dem  es  erst  in  einer  jüngeren  Zeit  zusammengeflossen  ist". — 
Dieser  Widerspruch  erklärt  sich  wohl  aus  der  verschiedenen  Zeit  der  Ab- 
fassung beider  Artikel. 

*  Die  übrigen  Doppelformen  von  qu  und  ch  erklären  sich  in  sehr  ver- 
schiedener Weise,  so  z.  B.  afr.  hechier  (noch  mundartl.  hecher)  entspricht 
it.  heccare ,  ist  also  alte  Bildung  zu  *beccus.  Nfr.  bequer  ist  eine  frz. 
Bildung  zu  bec  und  kommt  erst  im  15.  Jh.  auf.  —  Afr.  crochier  >  nfr.  crocher 
setzt  ein  *croccare  (zu  *croccum)  voraus;  nfr.  croquer  „mit  einem  Haken 
ergreifen",  das  erst  im  18.  Jh.  belegt  ist,  wurde  zu  ixi.  croc  gebildet.  — 
Yxz.  attaquer  ist  Lehnwort  aus  dem  It.  —  Usw.  Aber  es  bleibt  manche 
Schwierigkeit:  Nfr.  deroquer  kann  pic. -norm.  Form  von  derocher  sein  (ebenso 
afr.  aroquer  und  arochier),  aber  möglicherweise  ist  es  von  roc  neugebildet 
(wie  derocher  zu  röche). 


28 

das  Wort  aufserhalb  Galliens  nicht  vor,  nur  noch  rtr.  sqm'ccwr,  wo 
coactu  >  qttac  wird.  Ebenso  kommt  das  ganz  sicher  die  Ver- 
bindung ct'c  bietende  flecticare  aufserhalb  des  Frz.  nicht  vor. 
Für  it.  taccare  ist  aber  *tacticare  wohl  ausgeschlossen,  ebenso  ist 
figicare  als  Grundwort  für  ficcare  einem  *ficticare  vorzuziehen. 
Desgleichen  bleibt  für  it.  leccare  ein  *lecticare  besser  unberück- 
sichtigt; ob  es  aber  auf  *Iigicare  (zu  lingere)  oder  auf  germ. 
*likkün  zurückzuführen  ist,  diese  Frage  bleibt  offen.  Dagegen 
afr.  quachkr,  flechier  sind  zweifellos  aus  *coacticare,  bezw.  *flecti- 
care  entstanden. 

Es  bleibt  noch  *tudicare  zu  erledigen.  Schon  vor  Nigra 
hat  Boucherie,  Revue  des  langues  romanes  V  350 f.  (1874),  diese 
Herleitung  zu  touchcr  gegeben  und  dabei  auf  tudiculare  bei 
Varro  verwiesen;  klassisch -lateinisch  ist  iudito  vorhanden.  Jene 
Bildungsweise  ist  gewifs  einwandfrei.  Schuchardt  fand  auch  gegen 
die  lautliche  Seite  nichts  einzuwenden;  aber  frz.  lautet  das  Wort 
immer  ioticher,  während  die  Reflexe  von  — dicäre  schwanken 
zwischen  g  und  ch'. 

exradicare  ?i{r.  es)-agÜ7-,  esrachi'er  fodicare  ^Sr.  fougier,fotichier 
judicare  ,,    jtigier,  juchier^  *nidicare    ,.    nigier,  nichier. 

In  allen  Fällen  ist  die  Synkope  erst  frz.,  *tudicare2  konnte  nie 
gemeinrom.  *ioccare  ergeben.  Am  besten  tut  man  wohl,  wenn  man 
G.  Paris  Rom.  XXVII  626  zustimmt,  der  Schuchardts  Herleitung 
von  toc,  tac  für  prov.  iocar,  frz.  ioquer  und  vielleicht  rum.  iocä  an- 
nimmt, für  it.  ioccare,  frz.  toucher  aber  bei  germ.  *iukkön  bleibt,  mag 
auch  die  Bedeutungsentwicklung  noch  Schwierigkeiten  machen. 

%  2T,.     Fassen  wir  das  eben  Gesagte  zusammen,  so  finden  wir: 

*figicare  it.  ficcare       frz.  ficher 

(*ligicare  ,,    leccare        „     (al)lt'cher) 

*ad-tagicare      „    aUaccar     „     aiiacher 

d.  h.  die  Synkope  zwischen  g\:  ist  schon  gemeinromanisch.  Es 
fragt  sich,  ob  auch  sonst  bei  der  Bildung  das  volle  Suffix  -icare 
antrat,  also,  wie  Salvioni  (s.  o.)  ansetzt: 

*mac- icare  it.  maccare  afr.  machier, 

so  *luc-icare  prov.  alucar  ,,      aluchier 

oder  zu  huc:   *huc-icare  ,,       iicar  „     huchier, 

usw.,    oder    ob    hier    unmittelbar    von    vi.    *maccare,    *luccare, 


^  Von  den  Verben  auf  -ccare  hat  nur  eines  eine  Nebenform  auf  -ger: 
afr.  lochier  und  logier;  das  hat  aber  seinen  Grund  im  germ.  Etymon:  die 
Formen  verhalten  sich  zueinander  wie  mhd.  locker  und  loger. 

2  Möglich,  dafs  in  einzelsprl.  Zeit  * x.\iA\cat'^  \t.  toccat  wurJe,  vgl. 
cauda -«C^  trepida  ^  c?c2'r<'i'/a,  r a p i d u s  ];>  raif/o  (aber  frz.  rade).  Indes 
immer  giudicare. 


29 

*huccare  usw.  auszugehen  ist,  ohne  dafs  je  Synkope  eintrat.  Be- 
dürfen demnach  alle  diese  Zeitwortbildungen  auf  -ccare  noch 
einer  eingehenden  abschliefsenden  Untersuchung,  so  steht  doch 
fest,  dafs  Synkope  zwischen  freien  Gutturalen  schon  gemeinrom., 
vielleicht  vi.  ist,  also  dafs  dieselbe  Erscheinung  vorliegt  wie  bei 
den  dentalen  und  labialen  Verschlufslauten. 

§  24.  Fassen  wir  das  bisher  Behandelte  zusammen,  so  können 
wir  folgende  Lautregel  aufstellen: 

Zwischen  freien  Verschlufslauten  gleicher  Artikulationsstelle  ist 
die  Synkope  gemeinromanisch,  vielleicht  schon  vulgärlateinisch.  Wo 
Media  und  Tennis,  gleichgültig  in  welcher  Reihenfolge,  zusammen- 
treten, ist  das  Ergebnis  die  stimmlose  Geminata.  Wegen  des  hohen 
Alters  der  Synkope  erscheint  im  Frz.  im  Auslaute  kein  Stütz-«?.  Zu 
beachten  bleibt,  dafs  wie  bei  der  Liquida-Synkope  neben  diesen 
Kurzformen  die  Langformen  weiterleben. 

Die  aufgestellte  Regel  gestattet  noch  eine  Erweiterung: 
Novavilla     Neuville^  Senones     Sens. 

Neuville  widerspricht  dem  Darmesteter'schen  Gesetz,  Sens  zeigt  kein 
Stütz-f,  während  z.  B.  Redones  >  Rennes,  Rodanu  >  prov.  Rostie 
>  frz.  Rhone  ein  solches  aufweisen.  Also  nicht  nur  für  Verschlufs- 
laute  gleicher  Artikulationsstelle,  sondern  auch  für  Dauedaute  gleicher 
Art  ist  die  genannte  Regel  gültig. 

Dafs  zwischen  Konsonanten  gleicher  Artikulation  die  Synkope 
früher  eintritt  als  sonst,  ist  vom  phonetischen  Standpunkt  aus  leicht 
erklärbar. 

Alle  die  genannten  Synkopen  des  VI.  sind  in  der  lat.  Sprache 
nichts  Neues,  ganz  ähnliche  Erscheinungen  finden  sich  in  archaischer 
und  klassischer  Zeit. 


B.  Yokalisierung  des  Konsonanten. 

§  25.  Nicht  immer  ist  das  Ergebnis  eines  vi.  Vokalausfalles 
der  Zusammentritt  zweier  Konsonanten  zu  einer  Gruppe,  in  ge- 
wissen Fällen  tritt  vielmehr  eine  Vokalisierung  des  Anlautes  der 
unbetonten  Silbe  ein.  In  Betracht  kommen  hauptsächUch  die 
Gruppen  avi,  abii,  agu,  tgi. 


1  Ähnlich  Curva  villa^  Courville,  Novu  \ \ cn '^  Neuvy ,  Novu 
N\\\z.xQ^  Neuvilliers  usw.,  die  Herzog  107  durch  Haplologie  edilärt.  Zwischen 
Haplologie  und  Synkope  sind  hier  die  Grenzen  flüssig:  ersttre  liefse  Nova- 
villa >  *A'(?z77/a,  letztere  zu  *Novvilhi  werden.  Ähnlich  vice-comitem 
>■  vicomte,  disjejunare  ]>  vi.  *disjunare,  stammbet.  nfr.  dejeutier,  endungsbet. 
n'ä.  diner.  —  Synkope,  nicht  Haplologie,  läge  nach  Berger  S.  125  Anm.  vor 
in  *äcuculentum  {T>\qz)^  *acculentu'^  aigl^nt;  es  ist  aber  auszugehen 
von  *aquilentum  (G.  Paris),  das  aus  ^aciilentiun  hervorging  wie  cl.  aqui- 
folium  aus  acu-,  aci-lolium,  vgl.  Walde  Lal.  elym.  Wb.  s.v. 


30 

Wie  alle  genannten  Synkopen,  war  auch  avi  >>  au  vor  Kon- 
sonanten dem  Klassischlateinischen  nicht  unbekannt. 

*gavidet       gaudet,  vgl.  gavisus      *avidet  :  audet,  vgl.  avidus 
navita  und  nauta  claudere  neben  clavis 

avis,  aber  augur,  auspex,  auspicium,  auceps  usw. 

In  vi.  Bildungen  wiederholt  sich  diese  Erscheinung: 

avis:   *avica  vi.  auca  prov.  rtr.  ß?^fa,  ptg.  öwt?,  it.  span. 

oca,  afr.  oe,  oie. 
*avicellus  „aucellus  prov.  auzel,  it.  ucello,  afr.  oisel. 

avis  struthio  frz.  atäruche. 

avis  tarda  prov. aits/arda,  ii.us tarda,  ottarda, 

frz.  oufarde,  span.  av-uiarda.^ 

navis-:     *navica      vi.  *n auca        prov.  nauca,  frz.  noue. 
cavere^:  *cavicare   „  *caucare    frz.  choyer. 

*cavitare    „*cautare     rum.  cäufa    }  hz.  t-c/iouer. 

§  26.  Demgegenüber  findet  Sch.-B.  §  in  Anm.  unerklärt 
„die  Entwicklung  von  navikella  zu  {rz.tiacelk,  da  ersteres  ?iaukeäa 
und  weiter  frz.  noiselle  hätte  ergeben  sollen".'*  Es  verhält  sich  eben 
mit  dieser  Regel,  wonach  avi  vor  Konsonanten ^  zu  atL  wird,^  nicht 
anders  als  mit  den  bereits  erwähnten  Synkopen:  wir  haben  die 
ursprünglichen  Formen  daneben  erhalten.  Und  zwar  stehen  sie 
diesmal  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  Erhaltung  des 
Grundwortes: 

navis  it.  nave  span.  ptg.  nave        frz.  nef, 

daher 

*navigare    vi.  navigare    \i.  navigare  span.  ptg.  navegar  irz.nager"^. 
navicella     „  navicella  frz.  nacelle. 

Nur  *navica>  nauca  zeigt  Synkope,  ist  aber  unsicher; 
avis,    das    sich    so    häufig   in    Ableitungen   als    ati    findet,    hat    sich 


1  Nochmals  zufammengesetzt  mit  span.  ave,  s.  Diez  230. 

"^  Nicht  *navicularius,  sondern  vavxXrjQoq  ist  Grundlage  von  it. 
nochüre,  woraus  frz.  twcher  im   16.  Jh.  entlehnt  wurde. 

'  Aufserdem  noch  zu  auca:  *aucla  :  rtr.  o^'a;  *avicupare  :  *ancu- 
par e  :  rum.  at-«^a;  *flavitare  (von  flare)  :  *flautare  :  it. /?«/ari?.  Endlich 
auciun  Kass.  Gloss. ;  i'rz.oison,  it.  odo,  locio,  auf  die  hier  nicht  näher  ein- 
gegangen werden  kann. 

^  Nyrop  I^  §  446  dagegen  bezeichnet  die  Vokalisationen  von  v  als 
„cas  isol6s". 

5  Vgl.  noch -avit  ^ -aut  (amavit  ^  amaut  ]]>  it.  span.  awo,  ptg.  a/wo?^). 

^  Das  lat.  kons,  u  [v)  verlor  dabei  nicht  sofort  seinen  konsonantischen 
Charakter;  wenn  auch  im  Frz.  der  Konsonant  nach  diesem  au  intervokal 
stand,  so  zeigt  doch  span.  oca,  dafs  zur  Zeit  der  span.  Lautabstufung  das  c 
nach  Konsonant  stand. 

'  Körting  findet  diese  Ableitung  „nicht  unbedenklich"  und  will  von 
*naviare  ausgehen,  aber  die  Bedenken  sind  unbegründet;  it.  navicare  neben 
navigare  erklärt  sich  durch  Suffixtausch. 


31 

auf   der   iberischen    Halbinsel    erhalten:    aspan.  aptg.  ave    (sard.  ae)\ 
dort  finden  wir  dementsprechend 

avis  struthio    span.  avesiruz,  ptg.  abestruz, 
avis  tarda         ptg.  ahetarda,  be tarda. 

Nirgends  erhalten  hat  sich  cavere,  daher  haben  wir  nur  *cau- 
care,  *cautare.     Wohl  aber  finden  wir 

clavis:     *clavicella     afr.  clacelle 
gravis:        gravidus        it.   grmndo 
g  r  a  V  i  t  a  t  e       afr.  grietc. 

Über  avidus,  pavidus  >>  afr.  ave,  pave,  ferner  prov.  espautar, 
pic.  epauter  s.   §  129,  l,  bezw.   §  73. 

§  27.  Dieselbe  Erscheinung  wie  bei  v  findet  sich  auch  in 
einigen  Beispielen  bei  b.  Lat.  tabula  erscheint  im  Frz.  als  töle  und 
table.  Nyrop  I"^  371,  i  und  der  Dict.  g6n.  betrachten  töle  als 
dialektische  Form  zu  table.  Schw.-B.  §  26,  M.-L.  Einf.  S.  119  u.  a. 
setzen  "^taula  als  vi.  an,  was  durch  die  anderen  rom.  Formen  gestützt 
wird.  Wie  ist  aber  das  Nebeneinander  von  vi.  iaula  und  iabla  zu 
deuten?  Es  könnte  tabula  >  taiila  geworden  sein,  während  sich 
die  Langform  tabula  weitererhielt.  Aber  wie  wurde  tabula  > 
taula"}  Wurde  b  vokalisiert  nach  dem  Ausfall  des  ic  oder  fiel  b 
wie  V  vor  u  {aus,  flaus^  riiis  in  der  App.  Probi)?  Nun  heifst  es 
allgemein,  dafs  b  zwischen  Vokalen  seit  dem  i.  Jh.  n.  Chr.  zu  v 
geworden  ist  (M.-L.  Einf.  S.  127,  Marchot  S.  46).  So  müfste 
eigentlich  tabla  die  ältere  Synkope  (spätestens  im  i.  Jh.!)  zeigen 
und  die  Langform  tabula  >  tavula  >  taula  geworden  sein;  oder 
es  müfste  table  Lehnwort  sein,  wie  Shepard  meint,  in  welchem  Falle 
man  auch  äable,  fable,  sable  als  gelehrt  bezeichnen  müfste.  Beides 
ist  wenig  wahrscheinlich.  Wir  dürfen  eben  nicht  meinen,  dafs  mit 
dem  ersten  Beleg  von  v  für  b  der  Zeitpunkt  gegeben  ist,  seit  dem 
das  lat.  b  als  v  gesprochen  wurde.  So  findet  sich  bekanntlich  die 
Aussprache  wa  für  oi  mehrfach  im  16.  Jh.  bezeugt,  ja  Spuren,  wenn 
auch  dialektische,  reichen  bis  ins  13.  Jh.,  während  andrerseits  die 
Aussprache  we  bis  ins  19.  Jh.  dauert.  Ebenso  dürften  in  der 
Kaiserzeit  v  und  b  nebeneinander  gestanden  haben.  Wir  dürfen 
wohl  die  vulgäre  Aussprache  tavula  in  taula  wiederfinden,  während 
tabula  >  tabla  wurde  oder  unsynkopiert  blieb  (vgl.  it.  tai'ola,  pavola, 
\t.he\\\in.  stavol).  tabla  entstand,  bevor  die  Aussprache  v  für  b 
allgemein  durchgedrungen  war,  wie  etwa  auch  wa  erst  Jahrhunderte 
nach  dem  ersten  Auftreten  allgemein  geworden  ist.  Und  die 
sozialen  Verhältnisse,  durch  welche  ein  solcher  Kampf  zweier  Aus- 
sprachen bedingt  wurde,  waren  in  der  römischen  Kaiserzeit  ebenso 
vorhanden  wie  unter  dem  ancien  regime.  Die  Doppelheit  im  Laut- 
stande, die  Erhaltung  der  älteren  Aussprache  neben  der  neu  auf- 
kommenden vulgären  gilt  für  die  gesamte  vi.  Lautlehre,  was  bisher 
von  den  Grammatikern  viel  zu  wenig  betont  worden  ist. 


32 

Die  Beispiele,  die  für  abu  in  Betracht  kommen,  sind: 

kl.  tabula         vi.  *tavula  >  *taula  sard.  pvov.  cat.  fau/a,  venez. 

io/a,  frz.  iö/e. 
,,  *  t  a  b  1  a  rum.  /ab/ä,  piem.  berg.  iabt'a, 

frz.  iab/e,    span.  iabia,    ptg. 
iaboa. 
„  fabula  „  *favula  >  *faula  ipiov. /au/a,  it/ola. 

,,  *fabla  „     fahla,  \i.  fiaba  (=  frz. 

flabe),  span.  habla,  frz.  fable. 
Tiagaßolrj  „  *paravola>>  *paraula  prov.  aspan. /(^ra«/«,  it./a- 

rola,  frz.  parole. 
„  *parabla  span. pa/abra,  aptg.  paravoa, 

ptg.  palavra. 
,,  stabulum      „     stavulu  >■  *staulu       rum.  staul. 

„     stablum  (App.  Pr.)         it.  siabbio,  span.  establo. 
„  *stabla  frz.  <Va(5/(?. 

§  28.  Für  unsere  Untersuchung  über  die  Lautabstufung  kommen 
nur  zwei  Wörter  in  Betracht:  Diez'  zweifelhaftes  Etymon 

*trabucare     vi.  *traucare  pxo\.cn.i.  iraucar,  span.  trocar,  hz. 

troiier 
und  gabata  span.  gahata. 

„     gabita  ixz.jaiie,  ahd.  gebiza. 

„     gavita  >  gauta  prov.  ^rt?;/ö,  it.  go/a,  hz.  joue. 

Besser  als  die  Herleitung  von  trans  ■\-  germ,  buk  ist  Schelers 
Ansatz  *trabicare  zu  trabs.  Körting  wendet  ein,  dafs  trab[i]care 
frz.  trocher'^  ergeben  hätte;  das  Bedenken  hebt  sich,  wenn  wir  die 
vulgäre  Aussprache  *travicare  ansetzen  —  und  das  Wort  ist 
zweifellos  ein  vulgärer  Ausdruck  — ,  die  regelrecht  *traucare  er- 
geben mufste.  —  Das  dem  Keltischen  entlehnte  gabata  erscheint 
frz.  als  jatfe  und  joiie,  deren  Verschiedenheit  zunächst  auf  dem 
Zeitunterschied  in  der  Synkope  beruht:  jenes  ist  in  frz.,  dieses  in 
vi.  Zeit  synkopiert.  Ob  Jatie  aus  gabata  oder  gavata,  gabita 
oder  gavita  hervorging,  iäfst  sich  nicht  zwingend  entscheiden;  wer 
dem  a  der  Pänultima  eine  die  Synkope  verzögernde  Kraft  zuschreibt, 
wird  sich  für  /  als  Zwischenvokal  entscheiden ;  hz.  Jade/ aus  *gabi- 
tellu,  ahd.  gebiza  aus  *  gabita  machen  *  gabita  im  jatle  wahr- 
scheinlich, gavata  ist  belegt,  ixz.  joue  verlangt  vi.  *gauta,  dem 
man  am  besten  *  gavita  zugrunde  legt.  Körtings  Bedenken  in  der 
3.  Auflage  scheinen  mir  gegenstandslos.  Also  gabita  ixz.  jatte, 
*gavita  >>  *gauta  ixz.jone. 

§  29.  Wie  bei  v,  b,  findet  sich  solche  Vokalisation  einer  Laut- 
gruppe auch  bei  g,  und  zwar  handelt  es  sich  hier  um  die  Gruppen 
agu  und  igi.  Erstere  wird  au  in  unbetonter  oder  nebentoniger 
Stellung.     Welches    der   lautphysiologische  Weg  ist,  Iäfst  sich  wohl 


^  Das  ist  nicht  ganz  richtig.    Gall.-röm.  *trabicare  mufste  als  '^träger, 
♦trabicat  als  trache  *enden. 


33 

vermuten,  aber  nicht  zweifellos  sicherstellen:  es  kann  g  gefallen 
sein  und  a  +  "  verschmolzen  zum  Diphthong ;  oder  aber  g  wurde 
durch  Lösung  des  Verschlusses  zur  velaren  Spirans  j  und  durch 
weitere  Öffnung  zu  kons,  u,  so  dafs  dann  Verschmelzung  der 
Gruppe  auu  >  au  eintrat.     Die  Beispiele  sind: 

a.    in    unbetonter  Stellung    (Ultima    und  Pänultima   eines  Pro- 
paroxytonons) : 


sarcou 


gr.  caQyMipayog  ga!l.-rom.  sarcofau  afr.  ^^^.^^^^  nix.  cercueil. 

gall.  vertragus         „        „      vertrau      \i.7'eItro,  \)XOW.veltre,     „    vautre. 
Ferner  die  Ortsnamen-  auf  -magus:^ 

Rotomagus  Fred.  Rothomao,  -mo     engl.  Chron.  i?(?/*^w     afr. 

Riiem  (:  huc?n),  Roan     nfr.  Ronen,  Rouan,  Pondron. 
Catomagus  engl. Chron. ß?^//w    Domsday-BookCaö'ö»?  nfr. Ca^« 
P.icomagus       gall.-röm.  *Ricomau  „   Riom 

Burnomagus    spätlat.  Burnomum  „  Bournand 

Cassiomagus    frz.  Chassmon  Noviomagus       hz.A^oyofi,  Nyon 
Tournomagus    „    Tournon      Argentomagus   ^^  Argentan,Argenion 
Carentomagus  „    Charenton, 

Carentan     Blatomagus         „  Blond 
Eburomagus       „  Bran  Senomagus  „  Senan,  ^rov.Sejios. 

b)  in  nebentoniger  Stellung: 
Augustodunum      gall.-röm.  *Austodunu'*      afr.  Ostedun,      nfr.  Auiun. 

Schw,-B.  erwähnt  diese  Erscheinung  nicht.  Marchot  S.  78 
setzt  die  Verstummung  des  g  vor  o,  u  gegen  die  Mitte  des  7.  Jhs. 
an  und  beurteilt  Rothomau,  Rothomo  genau  so  wie  paum, 
Siusium,  Droho  (<  pagum,  Segusium,  Drocus),  die  sich  insgesamt 


1  Schw.-B.  §  300  bietet  als  cas.  obl.  sarcuef,  Nyrop  II  320  sarcou  und 
sarqueu.  God.  belegt  kein  sarcuef.  —  sarcophagu  mufs  also  über 
*sarcgvti  zu  sarcueu  geworden  sein ,  in  dem  zwischenvokal,  f  <^  ip  stimm- 
haft wurde,  vgl.  proueta  für  propheta  in  den  loca  monachorum  (P.  Meyer 
Recueil  I  17),  ferner  Estievene,  antievene,  ravene. 

2  Auch  in  dem  zweiten  Kompositionsglied  -briga  ist  g  gefallen,  aber 
über  y  in  dem  vorangehenden  i  aufgegangen:  Donobriga  ^  Denettvre, 
Pennobriga^  Peneiivre,  Vindobriga^  Vendoeuvre,  auch  prov.  Illobriga 
^  ILlohre,  Issobriga^  Issobre  usw.,  daher  mlat.  Formen  auf  -bra,  -brium, 
-brum.  Derselbe  Fall  des  g  auch  in  -regum,  s.  S.  12  Anm.  13.  Vgl.  M.-L. 
Bet.  im  Gall.  S.  21  ff. 

^  Über  die  Namen  auf  -magus  und  weitere  Beispiele  davon  s.  Longnon, 
Geographie  de  la  Gaule  au  VI«:  si^cle,  p.  269f.  (1878),  p.  242  Rem.  5;  C.  A. 
Williams,  Die  frz.  Ortsnamen  keltischer  Herkunft,  S.  64!^.  (1891);  Oeslberg, 
Les  voyelles  velaires  accentu6es,  la  diphthongue  au  et  la  desinance  -avus  dans 
quelques  noms  de  lieu  de  la  France  du  nord,  S.  54flf. ;  M.-L.,  Bet.  im  Gall., 
S.  4P  ff. 

*  Anderer  Ansicht  ist  M.-L.  Bet.  im  Gall.  S.  27,  der  an  Augustodunum 
als  romanische  Form  festhält.  Aber  die  Begründung,  dafs  sek.  *Austodunum 
afr.  *Ostun  ergeben  hätte,  ist  nicht  zureichend.  Über  die  Erhaltung  des 
Zwischentonvokals  in  afr.  Ostedun  s.  §  64,  3. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  ^ 


34 

bei  Fredegar  finden  (Haag,  Rom.  Forsch.  X,  868).  Dafs  dies  un- 
richtig und  nichthochtoniges  agu  >  au  weit  älter  ist,  beweist  afr. 
OsteJtin  gegenüber  aost  <<  agustu  und  fagu  >>  fou  gegenüber 
'magu,  von  dem  nur  der  Anlaut  erhalten  bleibt.  Nach  Nyrop  V-  433 
ist  g  in  diesem  Falle  verstummt  'apres  le  V^  siecle'.  Auch  M.-L. 
Frz.  Gr.  S.  119  läfst  g  hier  früher  fallen  als  sonst  und  —au  sich 
zu  u  zusammenziehen:  Rotomagus  >>  Rotomaus  >>  Rotomu  > 
Rouen.  Veltrahus  in  der  Lex  Burg.,  veltrum  in  der  L.  Sal. 
zeugen  von  hohem  Alter  des  g-Schwundes. 

§  30.  Weiter  zurück  reicht  die  Zusammenziehung  von  igi 
zu  i.  Vortoniges  lat.  igi  findet  sich  im  Frz.  nur^  in  digitale 
>•  afr.  deel  >■  nfr.  de.  Wie  deel  aus  digitale  entstanden,  darüber 
äufsert  sich  keine  Grammatik;  es  setzt  zweifellos  ein  vi.  detale  voraus, 
indem  igi  unbetont  zu  i  (vi.  e)  geworden  ist. 

digitale  >>  ditale,  vi.  detale      it.  ditak'^,  afr.  deel'P'  nfr.  dc,"^ 

span.  ptg.  dedal. 

Auch   zur  Zeit    der  Einwanderung  war   das  Gesetz   noch   wirksam: 

germ.  Sigihild     gall.-röm.  Seheid         afr.  Seheui. 


^  Körting  bietet  auch  noch  *cligitarium  aul  Grund  von  r\i.m.  de£;-ftar, 
ixz.  doigtier ;  ein  ü{x.  doitier  kommt  aber  er»t  im  14.  Jh.  auf,  weshalb  wir 
darin  eine  Ableitung  von  doigt  zu  erblicken  haben,  wie  auch  das  /  [d  kommt 
nicht  vor)  bezeugt.  —  Ebenso  führt  K.  *digitatus  (nicht  wie  jenes  in 
Klammern)  :  it.  di^itato,  rum.  degetat,  frz.  doigte;  „frz.  ist  auch  das  vollständige 
'Vh.  doigter  , die  Finger  setzen'  vorhanden".  Lautlich  würde  t  im  Gegensatz 
zu  cuidier  stehen;  da  doigter  erst  im  i8.  Jh.  aufkommt,  ist  es  eine  recht 
junge  Ableitung  zu  doigt.  Für  das  zu  diesem  Zeitwort  gebildete  Partizipial- 
■s\\!q%\..  doigte  ein  vi.  digitatus  anzusetzen,  kann  nur  irrefüliren  und  entbehrt 
der  Begründung. 

*  Weiterbildung  (mit  Ersatz  von  -ale  durch  -cllo)  dazu  ist  it.  ditello 
„Achselhöhle",  allerdings  nicht,  „weil  man  die  Finger  unter  die  Achsel  zu 
stecken  liebl"  (Diez,  S.  368),  sondern  wohl  wegen  der  Ähnlichkeit  der  Gestalt. 
Diese  Deutung  möchte  ich  jener  aus  *iitillus  von  titillare  „kitzeln"  trotz 
neap.  tetelleca  {tellecare  „kitzeln")  vorziehen. 

3  Nfrz.  de  ist  nach  Körting*  „entweder  =  datum  oder  aber  es  ist  durch 
starke  und  gegen  alle  Lautenlwicklung  verstofsende(!)  Kürzung  aus  digi- 
tatum  entstanden.  (Wenn  tf6''=  datum,  so  würde  sich  diese  Benennung 
daraus  erklären  lassen,  dafs  ein  Fingerhut  durch  Nadelstiche  ein  ähnliches 
Aussehen  erhält  wie  ein  punktierter  Würfel.)"  Eins  ist  so  wenig  glaublich  wie 
das  andere.  Liltre,  der  Dict.  gen.  und  Nyrop  I  ^  §  266  sehen  in  de  die  Fort- 
setzung von  deel  unter  Einflufs  von  de  aus  datum.  Ich  vermag  an  eine 
solche  Beeinflussung  nicht  zu  glauben,  sondern  halte  den  Schwund  des  /  für 
eine  lautliche  Erscheinung.  Afr.  deel  mufste  als  del  enden  (davon  im  16.  Jh. 
delot),  del  ergab  einerseits  deau  (so  noch  mundartlich),  andrerseits  de  (vgl. 
seneve  <^  afr.  setievel).  Wie  ich  sehe,  hat  Nyrop  in  der  2.  Aufl.  seine  Ansicht 
geändert  und  läfst  I^  266  de  gezogen  sein  aus  dem  Plur.  des  für  dels  und 
erkennt  §  344  den  Schwund  des  /  vor  Kons,  nach  <?  <;  lat.  a  als  dialektisch. 
Dafs  de  aus  deel  hervorging,  erkannte  Ebeling  (Auber^e,  afr.  Fablet,  Halle 
1895,  S.  89),  nach  dem  das  Suffi.x  in  deel  tälschlich  als  -ellu  aufgefafst  wurde. 
Auch  M.-L.  Frz.  Gr.  §  218  läfst  /  im  Auslaut  bei  de  verstummt  sein,  ohne 
eine  Begründung  der  sonstigen  Erhaltung  zu  geben.  —  Für  das  zweite  nfrz. 
Beispiel,  seneve,  geht  der  Dict.  gen.  aus  von  *sinapatum,  für  zSx.  senevel 
Körting  von  *sinapale  (wie  daraus  jf'«r?z'<?  wird,  darüber  äufsert  er  sich  nicht), 
Nyrop  I  344  von  *sinapillum. 


35 

§  31-     Schwieriger   ist    die   Frage,    ob    auch    betontes   igi  zu- 
sammengezogen wird.     Als  Beispiel  bietet  sich: 

digitus  it.  dito.,  sard.  didu,  cat.  did', 

vielleicht  rigidus  altobit.  ridi 

frtgidus  xovn.  frldus^  diS\).fHdo,  span.  ^ig.frio. 

Aber  ;-/(//  kann  auch  anders  erklärt  werden ;  aspan.  frido  kann 
ebensogut  aus  frigidus  hervorgegangen  sein  und  dafür  spricht 
nprov.  frit,  frits  (Atlas  ling.  612),  das  *frigdu  voraussetzt.  Aber  die 
i- Formen   von   digttus  {neben  denen  die  nichtkontrahierten  stehen: 

digitus     rum.  deget,  it.  tose,  deto,  span.  ptg.  deto,  afrz.  deit, 

prov.  rtr.  det, 

die  dann  als  ursprüngliche  Formen  aufzufassen  sind)  bedürfen  eine 
Erklärung.  ]\I. -L.  in  Zeitschr.  VIII  213  fand  sard.  dtdu  =  „nicht 
*digtum,  sondern  di(g)itum."  Anders  in  der  Rom.  Gramm.  I 
120:  ,,it.  diio,  astur,  dido,  cat.  dii  bleibt  dunkel."  Ähnlich  d'Ovidio 
Gr.  12  654:  ,. Unerklärt  ist  dilo.  Wollte  man  annehmen,  dafs  die 
beiden  1  von  digitus  zu  t  zusammenflössen,  so  müfste  man  den 
Ausfall  des  -g-  in  eine  Zeit  hinaufrücken,  in  der  1  noch  nicht  wie 
e  klang,  was  unwahrscheinlich  ist:  andrerseits  hat  jener  Ausfall  nicht 
verhindert,  dafs  eine  Reihe  von  Sprachen  regelmäfsig  deto  oder  ein 
Äquivalent  aufweisen.  Auch  die  Annahme  fördert  wenig,  dafs  es 
ein  halbgelehrtes  Wort  sei,  oder  dafs  sich  i  zuerst  in  Ableitungen 
wie  ditino,  ditoiie,  additare,  duale  ausbildete."  Aber  in  der  Fortsetzung 
Gr.  12  677  schreibt  M.-L.:  „Inlautend  nach  dem  Ton  verschmilzt 
j  mit  dem  folgenden  i  in  Proparoxytonis:  dito,  frale,  fano,coto  \\s\s.'* 
(frigidus  wird  nicht  erwähnt).  Entweder  nimmt  man  also  Zu- 
sammenziehung von  hochtonigem  igi  zu  I  an,  neben  dem  die  un- 
kontrahierte  Langform  igi  bestehen  bleibt,  oder  aber^  man  setzt 
nebeja  lat.  digitus  ein  *digitus  an,  das  auf  id.  *deik-  (vg.  dico) 
beruht.  Die  Erhaltung  einer  vulgären  Form  mit  langem  i  neben 
kl.  digitus  ist  ebenso  möglich  wie  die  Bewahrung  des  wurzelhaften  c 
in  vi.  dicitüs  (App.  Probi). 


4.   Konsonant eu  gleicher  Lautstufe. 

%  ^i"^.  Wir  haben  oben  gesehen,  dafs  zwischen  Konsonanten 
gleicher  Artikulationsstelle  Synkope  gemeinromanisch  ist.  Doch 
auch  gleiche  Lautstufe  kann  genügen,  um  so  frühe  Zusammen- 
ziehung eintreten  zu  lassen,  aber  sie  ist  nicht  allgemein,  sondern 
nur  für  Guttural  oder  Labial  vor  Dental  anzutreffen. 

r.  Für  g'd  hat  z.  B.  Schw.-B.  §  ig  die  Synkope  als  vorromanisch 
erklärt.     Auch   bei   c't   sind   romanische  Kurzformen  gesichert.     Da 


^  Urkundlich  646  in  Spanien. 


36 

„Palatal    im    Anlaut"    im    2.   Teile    dieser   Abhandlung    gesondert 
untersucht  wird,  begnüge  ich  mich,  darauf  zu  verweisen. 

2.  b'd  kommt  für  das  Frz.  kaum  in  Betracht.  Es  ist  bisher 
nur  in  einem  Worte  vermutet  worden,  s.  §  116,2. 

§  33-  Wichtiger  und  zweifellos  gemeinromanisch  ist  die  Syn- 
kope zwischen  p't  und  mp't. 

I.    p't  liegt  nur  in  einem  erbwörtlichen  Beispiel  vor: 

reputare     afr.  re/er     prov.  aspan.,  ptg.  reptar,  dazu  das  Verb.-Subst. 
*reputum       „    ret  aspan.  riepto     (nspan.  reto). 

mp't:  computare        it.  confare,  prov.  span.  ptg.  coiitar,  frz.  compter, 

[cofiter, 
dazu  das  Verb.-Subst.  it.  conto,  span.  cuento,  ptg.  conto. 

Alt  ist  auch  das  Kompositum  accomputare  :  it.  accontar,  rac- 
contar,  afr.  aconter,  raconter,  nfr.  raconter. 

Volle  Formen  liegen  vor  im 

Verb.-Subst.  *computum     afr.  campte,  conte,  prov.  comte,  comde 

und  in  *imputare      ahd.  impiton     frz.  enter  (Verb.-Subst.  ente) 

ostfrz.  äpe. 

Stütz-^  im  Frz.  (vgl.  redemptu  >  afr.  reeni),  d  im  Prov.  verlangen 
dreisilbiges  Substrat.  —  Der  Dict.  gen.  sieht  in  eiiter  eine  Verbal- 
bildung zu  1?«/^  (dieses  von  *emputa  aus  gr.  efi^vtov),  kaum  mit 
Recht.  Dem  ostfrz.  äpe  entsprechen  ahd.  impfön,  ae.  impiaii.  Ob 
*imputare  von  eiKpvrov  herzuleiten  ist  oder  sich  mit  lat.  imputare 
„einschneiden"   deckt,  kommt  für  uns  nicht  in  Betracht. 

Lat.  impetum  (G.  Paris,  Rom.  XXIX  262  A.  3)  kann  lautgerecht 
nur  ente  geben.     Die  Nebenform  cfide  ist  unerklärt.! 

Nur  p't  und  mp't  synkopieren  gemeinromanisch,  wohl  weil  pt, 
mpt  lat.  Gruppen  sind;  nicht  aber  sonst  gedecktes  p,  s.  §  iio. 

3.    Nur  lehnwörtlich  sind  die  Ableitungen  von  caput:"^ 

capitalis,  -e  (adj.)  afr.  chadel^     prov.  cabdal       sp.  ptg.  caudal. 
capitale  (subst.)         „    chatel,  chadel^  Vermögen,  Vieh, 

ne.  catih  Vieh,     nfr.  chepiel  Viehpacht. 

^  Shepard  49  läfst  impetum  >  ^«<f<;  werden,  ohne  eine  Begründung 
des  Unterschiedes  zu  * em^ntum^  etite  zu  geben.  Elfrath  761  will  ende 
durch  Angleichung  an  vortonige  Formen  erklären,  solche  sind  aber  nicht  vor- 
handen.    Auch  conter  und  enter  mufs  er  als  Analogiebildungen  erklären. 

*  Bernitt,  Lat.  caput  und  *capum  nebst  ihren  Wortsippen  im  Frz., 
Diss.  Kiel  1905,  ist  mir  nicht  zur  Hand. 

2  Diez  437  (ihm  nach  Körting  1872)  schreibt  chaudel,  das  kann  nicht 
frz.  Lautform  sein. 

*  Frc.-prov.  chedal  (=  hetail  in  Genf,  s.  Littr6) ,  bei  God.  chedaul  aus 
dem  Berner  Ms.  des  Droit  de  la  cort  li  rois  d'Alam.  —  Im  Me.  erscheint 
neben  catel  auch  cadel  (14.  Jh.),  ne.  cattle. 


37 

*capitellu    (für   capitulu)     afr.  chadel    prov.  capdel   ..grofser  Buch- 
stabe", daraus  entlehnt  nfr.  cadeau. 
afr.  chadel'^     prov.  capdel  „Führer"     gase,  capdet, 
daraus  nfr.  cadet. 
*capitaneus  „     chadaigtie,   chataigne,   jünger   chevetain,   cheve- 

taigiie,  nfr.  capitaine.- 

Dafs  chadel"^  nicht  entierement  populaire  sei,  hat  bereits  Marchot 
S.  85  ausgesprochen.  Mir  ist  ein  Beweis  dafür  das  Schwanken 
zwischen  d  und  /,  wo  /  die  volkstümlichere,  d  die  halbgelehrte 
Form  darstellt.  Auch  die  Bedeutung  der  Worte  spricht  für  Ent- 
lehnung, wie  auch  die  Erhaltung  des  vortonigen  a,  ferner  der  Um- 
stand, dafs  sie  immer  wieder  neuerdings  in  die  Sprache  aufgenommen 
wurden.  —  Neumann  Zeitschr.  XIV  560  fand  chadel^  seinem  Laut- 
gesetz entsprechend,  /  in  chatel,  chepiel  galt  als  unerklärt.  Wenn 
man  nun  chadel  für  die  erbwörtliche  Form  hält,  könnte  man  sich 
nach  bewährter  Methode  nach  einem  Worte  umsehen,  durch  das 
es  beeinflufst  sein  könnte.  Und  da  bietet  sich  recht  bequem 
chater,  achater '^  (nfr.  acheler)  aus  (ac)captare,  dessen  Bedeutung 
„erwerben"  recht  gut  zu  „Besitz"  pafst.  Aber  wie  chadaigne, 
chataigne,^  wo  das  Stütz -f  Entlehnung  aufser  Zweifel  stellt,  bald  d, 
bald  /  zeigt,  so  haben  wir  auch  bei  chadel  das  Schwanken  zwischen 
stimmhaft  und  stimmlos  als  Kennzeichen  des  Lehnwortes  zu  be- 
trachten. 

Falsch  sind  die  Ansätze: 

*capitastrum     cadastre,       *capitellum     cadeau, 
*capitettum        cadet. 


1  Körting  nennt  nur  das  dazu  gebildete  Verb  afr.  chadeler;  auch  prov. 
capdellar.  —  Marchot  S.  85  geht  für  cÄa^if/ (chef)  aus  von  capitale.  Aufser- 
dem  gibt  er  *capüaliu  ^  mundartl.  chcdail;  es  handelt  sicli  da  aber  wohl  um 
frz.  Suffixtausch. 

'  Nach  Littre  lebt  cataine  noch  mundartlich. 

3  Was  Gnthejm  S.  13  über  p't  angibt,  ist  unzureichend.  Das  von 
c-x-^'\\.-ä.\&~^  "oix.  cheptel  „infolge  einer  Spaltung"  jetzt  zwei  Formen  bestehen, 
„von  denen  die  eine  die  ursprüngliche  Gemination  beibehalten,  die  andere  sie 
vereinfacht  haben"  (sg.  catel~^x\t.  caltle,  dagegen  pl.  caiteux  [so  Littre,  Gutheim 
catteaux^,  bedarf  keiner  Widerlegung.  —  Cledat  S.  218  hat  erkannt,  dafs  p't 
voreinzelsprachlich  zusammentritt  (aber  von  den  Beispielen,  die  er  gibt,  gehören 
die  meisten  nicht  hierher;  nach  gedecktem  p  wird  sonst  erst  später  synkopiert). 
„Dialektisch"  aber  sei,  meint  er  ferner,  die  Synkope  später  eingetreten,  daher 
Q.?i\)\\.z.\t.'^  cabdal^  chadel.  —  Bos  stellt  die  Formen  c/rfl^t"/,  chaudel,  chatel, 
chedel,  ckez'el,  chael  (Adj.  reich,  .Subst.  Vermögen,  Führer),  ohne  sie  zu  scheiden, 
zusammen.  God.  trennt  l.  chatel  usw.  =  capitale,  2.  chadel,  cael ,  kael  =^ 
chef,  capitaine,  3.  chaudel.^  caiid(i)el,  chadel  =  trance,  machination.  Jüngeres 
Lthnwort  ist  cabal,  das  auch  Rabelais  gebraucht  (capitaie  ^  cabeflal  ]>  cabeal). 

*  Im  Roland?     Dort  nur  cadelet  936. 

5  Das  Jonasfragment  bietet  acheder;  das  ist  wohl  nicht  mlat.  accapitare, 
sondern  einer  jener  Fälle,  wo  der  Schreiber  einen  stimmlosen  Laut  fälschlich 
durch  einen  stimmhaficn  wiet'.ergab. 

«  Das  New  English  Dictionary  (Oxforder  Wb )  setzt  diese  Entlehnung 
ins  10.  Jh.i  während  im  12.  Jh.  das  Wort  nochmals  entlehnt  wurde  in  der 
Form  chevetain,  chevetaigne  (immer  mit  t). 


38 

Es  handelt  sich  viehnehr  um  Lehnworte  aus  prov.  cadastra,  capdel, 
gase,  capdel.  Frz.  cadastre  erscheint  erst  im  i6.  Jh.,  cadcaii  ist 
anfangs  des  15.  Jh.  belegt  und  die  älteste  Belegstelle,  die  Littrö 
aus  dem  15.  Jh.  für  cadet  bietet,  weist  genau  die  gase,  Schreibweise 
capdet  auf. 

§  34.  Hiermit  sind  keineswegs  die  vi.  Synkopen  und  Zu- 
sammenziehungen erschöpft.  Es  ist  vor  allem  zu  beachten,  dafs 
wir  vi.  eine  Reihe  von  Synkopen  bezeugt  haben,  die  für  die  rom. 
Sprachen  nicht  in  Betracht  kommen.  So  wird  Rom.  1 95  masma 
für  maxima  belegt,  it.  massi?iio,  afr.  maisme  zeigen  nicht  vi.  Vokal- 
ausfall. Auch  Schuchardt,  VI.  Vok.,  belegt  des  öfteren  Kurzformen, 
wo  die  romanischen  Sprachen  nur  die  unverkürzten  Formen  kennen. 

Abgesehen  davon  haben  noch  einige  sekundäre  Konsonanten- 
gruppen Anspruch,  zum  Teil  als  vorromanisch  betrachtet  zu  werden, 
wie  X,  et,  gn  vor  c,  t;  n't,  n'st,  s'c  usw.  Wie  weit  hier  Verlegung 
der  Synkope  in  vi.  Zeit  berechtigt  ist,  soll  in  den  folgenden  Ab- 
schnitten behandelt  werden,  und  zwar  empfiehlt  es  sich,  die  gutturalen 
Gruppen  im  Zusammenhang  mit  den  Gutturallauten  im  Anlaut  der 
synkopierten  Silbe  überhaupt,  n  und  s  gleichzeitig  mit  den  noch 
übrieren  Dauerlauten  zu  behandeln. 


II.  Palatal  im  Anlaut. 


§  35.  In  seiner  Abhandlung  über  die  Ortsnamen  fafst  Lind- 
ström die  Auslautregel  so,  dafs  ..ein  und  dieselbe  Äufserung  auf 
den  dem  Tonvokal  zunächst  stehenden  Vokal  wirkt,  also  in  covedu 
auf  das  e,  in  caldu  auf  das  u,  sodafs  covdii  und  cald  zu  ein  und 
derselben  Zeit  entsteht.  Jede  Reduktion  eines  Proparoxytonon, 
durch  welche  zwei  Vokale  verschwunden  sind,  wird  also  durch  zwei 
Schläge  bevvirkt:  exsaritum  >  exsarlimi  vor  dem  Auslautgesetz, 
essart  durch  das  Auslautgesetz."  Vising  stimmt  dem  durchaus  zu 
{Litbl.  1893,  288 — 292):  „Nichts  ist  a  priori  annehmbarer  als  eine 
solche  Wirkung  der  verstärkten  Expiration  der  Tonsilbe.  Dies 
erklärt  die  Verschiedenheit  zwischen  cubitu  >■  coiide  und  Septem  >> 
sept,  zwischen  pulice  '^  puce  und  chalce  ^  chaiix.'"'-  Lindström 
wollte  dann  den  zweiten  posttonischen  Vokal  erst  im  12.  Jh.  oder 
noch  später  fallen  lassen;  das  hat  schon  Vising  als  unhaltbar 
zurückgewiesen. 

Aber  auch  die  vorangehenden  Behauptungen  sind  nicht  einwand- 
frei, so  einleuchtend  sie  auf  den  ersten  Blick  scheinen.  Zunächst  ist 
gar  kein  Beweis  gegeben,  dafs  covdii  und  cald  gleichzeitig  entstehen. 
Wir  können  ,,a  priori"  ebenso  umgekehrt  annehmen,  dafs  der 
Zwischennachtonvokal  fiel  (cubitu  >  covdu)  und  dann  caldn  zur 
selben  Zeit  cald  wurde  wie  covdu  ^  covde;  denn  in  letzterem  Worte 
konnte  vielleicht  das  h  (das  übrigens,  wie  die  ins  Germ,  entlehnten 
Worte  beweisen,  zunächst  zu  0  geworden  war  und  vor  dem  Abfall 
wohl  den  Lautwert  eines  9  hatte)  nicht  schwinden,  weil  dem 
damaligen  Romanen  vd  möglicherweise   sonst   nicht  sprechbar  war. 

Ferner  wissen  wir  nicht,  ob  alle  Nachtonvokale  (abgesehen 
von  a)  gleichzeitig  fielen,  ja,  ein  und  derselbe  Nachton  vokal  braucht 
nicht  nach  allen  Kons,  auf  einmal  geschwunden  zu  sein.  Eine  Unter- 
suchung darüber  fehlt. 

Drittens  ist  es  durchaus  nicht  ,,a  priori  annehmbar",  dafs  ein 
und  derselbe  „Schlag"  das  Proparoxytonon  zum  Paroxytonon,  das 
Paroxytonon  zum  Oxytonon  macht.  In  anderen  Sprachen  finden 
wir  die  Kürzung  des  Proparox.  zum  Parox.,  ohne  dafs  darum  die 
Paroxytona  zu  Oxytona  werden.  Und  die  Entwicklung  des  a  in 
sapit  >  sei  gegenüber  sapidu  >  sade  beweist,  dafs  der  Nach  ton- 
vokal hier  später  fiel  als  der  Vokal  der  Pänultiraa. 


40 

Bestechend  für  Lindströras  Annahme  ist  chalx  gegenüber  piice. 
Gewifs  wenn  pulicera  schon  pulce  war,  dann  ist  nicht  einzusehen, 
warum  es  nicht  gleich  calcem  den  Nachtonvokal  verlor.  Lind- 
ströra  S.  46  und  ihm  folgend  Shepard  S.  45  finden  den  Grund 
dieser  verschiedenen  Entwicklung  in  Akzentverhältnissen.  In  den 
Worten  wie  pülicem  war  der  Ton  auf  der  letzten  Silbe  stärker 
als  in  solchen  wie  calcem,  wo  die  letzte  Silbe  sogleich  auf  die 
hochtonige  folgt.  Aber  wenn  dem  wirklich  so  war  und  diese  Ton- 
verhältnisse einwirkten,  warum  zeigen  dann  piacitum  >  plait, 
gurgitem  >-  gotirt,  plantaginem  >>  plantam  usw.  kein  Stütz-^? 
Staaf,  Revue  de  philol.  fr^.  et  de  litt.  IX  igg,  ist  der  Meinung, 
dafs  die  vorletzte  Silbe  vollständig  gefallen  war  vor  dem  Schwund 
der  Endsilbe.  Den  Unterschied  von  puce  und  dous  erklärt  er  dadurch, 
dafs  die  ursprüngl.  Prop.,  als  sie  Par.  geworden  waren,  den  Neben- 
ton auf  der  letzten  Silbe  gewahrt  hätten.  Cledat  S.  220  bezeichnet 
diesen  Ausweg  als  lautphysiologisch  unmöglich.  Elfrath  S.  771 
meint  gleichfalls,  dafs  die  Propar.  einen  Nebenton  auf  der  letzten 
Silbe  hatten,  der  sich  über  die  Synkope  hinaus  erhielt  und  dadurch 
die  urspr.  Prop.  und  urspr.  Par.  schied:  Liger  im  >  Legrh  >  Leire, 
aber  nigrum  >  neir.  Das  wird  widerlegt  durch  die  Proparoxytona, 
die  im  Frz.  Oxytona  geworden  sind. 

§  36.  M.-L.  Frz.  Gr.  §  120  läfst  ebenfalls  diese  verschiedene 
Behandlung  des  Auslautes,  je  nachdem  er  unmittelbar  oder  mittelbar 
dem  Tonvokale  folgte,  darauf  beruhen,  dafs  er  in  letzterem  Falle 
einen  Nebenakzent  trug.  Gegen  den  Einwand  von  placitu  >>  plait, 
vocitu  >>  w/// schützt  er  sich  dadurch,  dafs  er  sie  §  119  zu  jenen 
Proparoxy tonen  stellt,  die  „schon,  sei  es  im  Lateinischen,  sei  es  im 
Urfranzösischen,  ihren  vorletzten  Vokal  synkopiert  oder  konsonantiert 
hatten.''  Aber  die  älteste  Schreibung  plaid,  das  Zeitwort  plaidier, 
das  Fem.  vuide  (eine  Neubildung)  sprechen  dafür,  dafs  die  Synkope 
erst  nach  der  Lautabstufung  eintrat,  also  später  als  in  comite  >> 
comte.  Aufserdera  zeigen  auch  Eburovices^»  Evreux,  Atrebates;> 
*Atravetes  >>  Arraz  kein  „Stütz-.?",  ohne  dafs  man  behaupten  wird, 
die  Synkope  sei  hier  schon  älter  als  in  comitem  >>  co7nie  (aber 
redemptum  >>  ?-eeiit).  „Der  Rythmus  war  also  nicht  einfach  ein 
fallender,"  fährt  M.-L.  fort,  „sondern  die  gröfste  Tonschwäche  folgt 
unmittelbar  dem  Hochtone,  dann  trat  wiederum  eine  Steigerung 
ein,i  also  1.^^  bezw.  jl^^.  Man  darf  somit  sagen,  dafs  in  einer 
ersten  Periode  die  schwach  tonigen  Vokale  gefallen  sind ,  während 
die  nebentonigen  blieben,  dann  zu  -e  abgeschwächt  wurden: 
pulice,  dulce  ergeben  piike,  doh'-'' .  Verstehe  ich  recht,  so  heifst 
das:  in  der  ersten  Periode  wurde  cübitü  >  cohdo,  aber  Septem  >> 
sepi,  computum  >•  compto,  aber  redemptum  >>  reent,  comitem  > 


^  So  richtig  das  ist,  so  darf  doch  nicht  daraus  gefolgert  werden,  dafs 
die  Pänultima  ganz  dasselbe  ^Mafs  von  Tonschwäche  hatte  wie  die  Ultima  der 
Paroxytona,  im  Gegenteil,  sie  war  im  allgemeinen  weit  schwächer,  vgl.  sapidu^ 
sade  gegenüber  sapit^j^*. 


41 

covite,  aber  g  entern  >>  gent.  Da  nun  aber  com  item  >■  cornte  vor 
der  Lautabstufung  synkopiert  wird,  ist  damit  der  Schwund  des 
Vokals  der  Ultima  in  Paroxytonis  vor  die  Lautabstufung  gesetzt, 
was  den  Tatsachen  widerspricht.  Und  der  schon  erwähnte  Gegen- 
satz von  sapit  >  sei  und  sapidu  ]>  sade  zeigt,  dafs  in  einer 
„ersten"  Periode  nur  der  Pänultimavokal  fiel,  der  Ultimavokal  der 
Paroxytona  aber  in  einer  späteren  Zeit. 

Wenn  wir  pulicem  und  falcem  nacheinander  sprechen,  so 
fühlen  wir  sofort,  dafs  i  in  pulicem  schw^ächer  ist  als  -em  in 
falcem;  aber  dafs  -em  in  pulicem  stärker  artikuliert  würde  wie 
-em  in  falcem,  davon  merken  wir  nichts.  Nun  brauchen  zwar  die 
Romanen  nicht  so  artikuliert  zu  haben  wie  wir,  aber  die  Hypothese 
eines  Nebenakzentes  widerspricht  einerseits  den  Tatsachen  und 
reicht  andererseits  zur  Erklärung  der  Formen  nicht  aus.  Eine 
Einwirkung  solcher  Akzentverhältnisse  auf  die  Silbigkeit  ist  daher 
abzulehnen. 

§  37.  Wenn  placitum  über  '^playedo  zu  plaid  wurde,  so  mufs 
—  nach  der  Lautabstufung,  vor  dem  Fall  der  Ultima  in  Paroxytonis  — 
yed  durch  Aufsaugung  des  ?  durch  y  zu  id  geworden  sein,  so  dafs 
Sek.  zweisilbiges  *plaido  genau  so  behandelt  werden  konnte  wie 
*faito  <!  factum.  Man  darf  auch  nicht  computum  >■  compte, 
aber  redemptum  >>  reeni  als  Stütze  für  das  Vorhandensein  eines 
*c6mptüm  gegenüber  redemptum  (ohne  Nebenakzent)  betrachten; 
denn  computum  wurde  nicht  vor  der  Lautabstufung  zu  *comp- 
tum,  sondern  wurde  erst  nach  derselben  synkopiert,  computum  >> 
*compedo  >>  frz.  compfe,  conte,  prov.  comde.  Ebenso  handelt  es  sich 
bei  hoste  (prov.  osde\  tiede  (prov.  lebe),  erce  gegenüber  ost,  sept,  merz 
um  jüngere  Synkope. 

Der  Unterschied  in  der  Behandlung  von  primären  Ic  und 
sekundären  l'c,  prim.  mpt  und  sek.  m't  usw.  erklärt  sich  anders, 
cubitu  >  covedu  zeigt,  dafs  die  Erweichung  der  Ten.  zur  Med.  vor 
dem  vokalischen  Auslautgesetz  stattgefunden  hat.  Daraus  scheint 
zu  folgen,  dafs  comitem  >>  co7iie  zur  Zeit  des  vok.  Auslautgesetzes 
nicht  dreisilbig  gewesen  sein  kann,  sonst  müfste  ja  t  zur  Media 
geworden  sein;  aber  auch  nicht  zweisilbig,  sonst  wäre  kein  Stütz-^ 
vorhanden!  Aber  dieser  Widersinn  ist  eben  nur  scheinbar:  conte 
beweist  nur,  dafs  das  t  zur  Zeit  der  Lautabstufung  nicht  intervokal 
stand,  das  Wort  aber  gleichzeitig  nicht  zweisilbig  war.  Man  darf 
sich  eben  die  Synkope  nicht  falsch  vorstellen;  pulicem,  comitem 
wurden  nicht  mit  einem  „Schlage"  zu  place,  conte  (zweisilbig), 
sondern  waren  zunächst  dreisilbiges  pulce,  conte,  d.  i.  pul^/ie,  comteA 
Man  vgl.  etwa  nhd.  /em  =  Leben  im  Gegensatze  zu  nhd.  !em  = 
Lehm.  Und  wenn  nun  cake,  pit^ce  die  Wirkung  des  Auslautgesetzes 
erführen,  konnten  sie  nur  chalz,  aber  pulce  ergeben. 


^  \,  m  bedeutet  sonantisches,  d.  h.  silbenbildendes  /,  in. 


42 

§  T)S.  Freilich  so  einfach  wie  Nyrop  in  der  i.  Aufl.  §  25g  sich 
ausdrückt:  La  chute  de  la  penultieme  est  anterieure  ä  la  chute  de 
la  finale  und  La  penultieme  s'est  maintenue  plus  longstemps  dans 
les  mots  qui  conservent  la  finale  comme  voyelle  d'appui,  ist  die 
Sache  doch  nicht.  In  der  Neuauflage  ist  der  erste  Satz  weggebUeben, 
der  zweite  (ohne  die  notwendige  Einschränkung,  vgl.  calamus  > 
chaiime.  dominus  >>  dameX)  in  die  Anmerkung  gerückt.  Besser 
verfährt  Schwan -Behrens,  der  §  78,  2  g  die  Fälle  hervorhebt,  wo 
Zweisilbigkeit  der  Proparoxytona  vor  dem  Schwund  des  Auslautes 
eintritt;  er  verzeichnet  (abgesehen  von  den  schon  gemeinrom. 
Gruppen  t'd  und  d't)  die  Gruppen:  Lkit,  _'.yit,  _Lyine  und  „viel- 
leicht" J_grit,  Aryit.     g'd  ist  schon  §  ig  fürs  VI.  angesetzt. 

Diese  Gruppen  haben  gemeinsam,  dafs  vor  der  Pänultima 
ein  Palatal  steht.  Da  auch  die  übrigen  Gruppen  mit  einem  Palatal 
vor  dem  Synkopiervokal  manche  oft  unerklärte  Sonderheiten  zeigen, 
soll  „Palatal  im  Anlaut"  in  diesem  2.  Teil  abgesondert  behandelt 
werden. 

§  3g.  Von  den  bei  Schwan -Behrens  genannten  Gruppen 
kommt  g'n  für  die  Lautabstufung  nicht  in  Betracht.  Es  sei  daher 
sofort  erledigt;  die  Beispiele  sind: 

c a I i g i n e m       afr.  (nfr.  mundartl.)  vertiginem  avertm 

chalin  i  p  r  o  p  a  g  i  n  e        afr.  provain, 
indaginem^        andam  n  fr,  provin 

*fu3aginem       fusain  rubiginem  )  ^^j.        ■ 

plantaginem     plantain  (oder  aeruginem?)   \ 

Afr.  orine  und  frz.  chali7ie  sind  keine  Ausnahme,  sondern  haben 
das  Feminin -Suffix  -a  angenommen,  vgl.  prov.  caiina;  it.  provana, 
•^xo\. prolaina\  ii.  frana  <C  voraginem  -f-  a,  rum.  rugina,  rtr.  rtiina 
<<  aeruginem  +  a.  Also  g'n  entwickelt  sich  genau  so  wie  urspr. 
gn  im  Auslaut:  pugnum  '^  poing,  signum  >-  (toc)sin,  *stagnum 
>•  etain,  longe  >•  hm.  Wahrscheinlich  ist  diese  Synkope  älter  als 
in  jenen  Fällen,  wo  dem  g  ein  Kons,  vorangeht  und  Stütz-^  er- 
fordert wird: 

Langones  >>  Langrcs,     sang[u]ino  >  saigne, 
*niargino  >>  nfr.  mariie.'^ 


1.  Palatale  Gruppen  vor  c  und  t. 

§  40.  Bevor  wir  auf  die  von  Behrens  genannten  Gruppen 
eingehen,  empfiehlt  es  sich  —  im  Anschlufs  an  die  im  i.  Teil  be- 
handelten   Zeitwörter    auf   -ccare   —    die   palatalen    Gruppen    im 


1  chalin  und  chaline  im  Poit.  für  ora^e,  s.  Atl.  lin<:;u.  Karte  ora^c. 
*  Doch  vgl.  §  101,  I. 

'  Falls    dieses    erst  sehr  spät  belegte  Wort  wirklich  auf  ein  vi.  Etymon 
zurückzuführen  sein  sollte. 


43 

Anlaut  der  unbetonten  Silbe  zu  behandeln;  sie  kommen  für  uns 
hier  nur  in  Betracht,  wenn  im  Auslaut  dieser  Silbe  c  oder  t  steht. 

x'c 

*flexicare  afr.  fleschier  toxicum  (rogfXoV)  it.  tosco, 

*laxicare  ,,     laschier                                                afr.  tosche 

*taxicare  „     t aschier  *intoxicare     afr.  entoschier. 

Frz.  lächer  und  flechir  sind  sehr  umstrittene  Worte.  Diez  hatte 
flechir  unmittelbar  von  flectere  herleiten  wollen,  was  lautlich  nicht 
angeht.  Foerster  Zeitschr.  III  262  setzte  *fIeskio,  -ire  an,  ge- 
bildet zu  *fleskus  aus  flexus.  Er  vergleicht  *fleskir  von  flexus 
mit  *alaskir  von  laxus.  Diez  hatte  lache,  lächer  erklärt  aus  *las- 
cus,  *lascare  für  laxus,  laxare.  Gröber  ALL.  III  509  setzte 
germ.  *lask  für  prov.  la^c,  afr.  lasche  an,  wozu  dann  prov.  lascar, 
span.  lascar,  apt.  laiscar  gehören  würden.  Körting  wendet  dagegen 
ein,  dafs  *lask  ein  frz.  "^lais  ergeben  hätte,  ein  Ausgleich  nach  dem 
Fem.  *laska  aber  gegenüber  frisk,  *friska  'P'  frais, /reiche  mcai 
wahrscheinlich  ist.  G.  Paris  Rom.  VIII  628  leitete  das  Adj.  flesche 
vom  Ztw.  fleschier  ab,  das  er  =  *flexare  setzte,  und  Rom.  VIII 
448  erklärte  er  lache  als  Verb.-Adj.  zu  lächer.  Endlich  stellte 
Ulrich  Zeitschr.  IX  429  *laxicare  >  laschier,  *taxicare  > 
taschier  auf.i 

Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dafs  afr.  fleschier,  laschier  usw. 
Formen  wie  *flescare,  *lascare  usw.  voraussetzen,  wie  afr. 
peschier  (nfr.  pecher)  auf  piscare,  afr.  loschier  auf  *luscare  zu 
Iuscus2  zurückgehen.  Aber  woher  jene  Formen?  Man  sieht  darin 
gewöhnlich  Methatesen  aus  *flexare,  laxare.  Aber  ersteres  ist 
nicht  zu  belegen;  laxare  gibt  regelmäfsig  afr.  laissier  >>  nfr.  laisscr. 
Wir  werden  daher  daran  festhalten,  dafs  diese  Zeitwörter  Ab- 
leitungen auf  -icare   zu    flexus,   laxus,  *taxus  für  tactus  sind. 

Was  nun  die  Frage  der  Lautabstufung  betrifft,  mufste  x's 
zweifellos  stl.  Spirans  ergeben,  gleichgültig  ob  vor  oder  nach  der 
Erweichung  synkopiert.  Auch  *flexicare  >>  ^flexiga/'c  >>  fle.x'gar 
mufste  mit  ch  enden;  denn  die  Lautgruppe  x  (ks)  konnte  nicht 
erweicht  werden  und  mufste  Stimmlosigkeit  des  Assimilations- 
ergebnisses herbeiführen.  Aber  ein  Einwand  ist  zu  beachten,  den 
schon  Gröber  ALL.  U  285  gemacht  hat,  „aus  *flexicare  wäre 
frz.  *fletschier  geworden."  Wenn  die  Synkope  erst  nach  der  Mit- 
lauterweichung eintrat,  hätte  die  Entwicklung  sein  müssen: 

*flexicare  :  *fleissigare  :  *fleiss'gar  >  '^fteischier. 

^  Nyrop  I'^  §460,  2  erwähnt  *lax(i)care  und  *tax(i)care,  in  denen 
,,en  gallo-roman"  ks  vor  Kons,  zu  s  vereinfacht  vi'\xi^\  flechir  nennt  er  nicht; 
Schwan-Behrens  erwähnt  weder  flechir  noch  lächer  noch  tächer.  Der  Dict. 
gen.  betrachtet  lache  als  Verbaladj.  zu  lächer,  dieses  ist  ihm  =  vi.  *lascare 
(statt  kl.  laxare  ^ /az'jjifr).    flechir  bleibt  unerklärt. 

^  luscus  mit  kurzem  Stammvokal  ist  schon  cl.,  nicht  erst  vi.  aus  sclirift- 
lat.  lüxus  hervorgegangen,  wie  Körting  5752  angibt. 


44 

Elfrath  S.  820  sagt,  dafs  in  der  Gruppe  x'c^  das  erste  k 
schwindet:  „A'jX'  war  unbequem  zu  artikulieren  und  wurde  früii  zu 
Gunsten  von  sk  aufgegeben.'*  Man  könnte  zunächst  an  totale 
Dissimilation  denken;  aber  ist  die  Gruppe  hk  je  vorhanden?  Auf 
gallischem  Boden  nicht  mehr.  Die  genaue  Entwicklung  wäre  etwa 
gewesen : 

Vit.  gall.-röm.      VI.  Jh.        VII.  Jh.  VIII.  Jh. 

*flexicare   '^flcyjicare   ^fley^sigare  ''"fleys^gare  >>  '^fleiscar  >  *ßetschier. 

Hier  ist  Dissimilation  nicht  wahrscheinlich.  Es  mufs  also  die 
Synkope  geraeinrom.  sein:  *flexicare  >  *flexcare,  wo  dann 
X  vor  Kons,  zu  s  vereinfacht  wurde,  wie  in  excutere  >  afr.  escorre 
oder  dextera  >■  afr.  destre,  wozu  man  *taxitare  >>  *taxtare  >> 
afr.  iaster  vergleiche.  Afr.  flesche,  lasche  sind  mit  G.  Paris  als 
Verbaladj.  zu  fassen. 

x'c  wird  also  gemeinromanisch  synkopiert  und  er- 
gibt sc.i 

Neben  diesen  Kurzfonnen  stehen  wie  immer  auch  Langformen: 

toxi  cum:     i.         it.  tosco,  afr.  lösche, 

2.  prov.  tueissec,  span.  tos  ig  0,  ptg.  toxigo. 

Lehnwort  (mit  Akzentverschiebung)  ist  afr.  ioxiche,  noch  jünger  (seit 
Anfang  des   18.  Jh.)  nfr.  toxigue. 

Auch  sonst  scheint  die  iberische  Halbinsel  Langformen  zu 
bewahren  in 

*fixicare  s\)Z.n.  fisgar    i.  verspotten  (Ulrich  Zeitschr.  IX  429) 

span.  ptg.  2.  fischen  (Schuchardt  Zeitschr.  XXIV  415) 
*sexicare2  span.  ptg.  sesgar  (Ulrich  Zeitschr.  IV  383). 

Dafs  aber  die  iberische  Halbinsel  die  Kurzformen  kennt,  zeigt 
*taxicare  >»  span.  ptg.  tascar  Hanf  brechen.  Mag  die  Deutung 
auch  zweifelhaft  sein,  lautliche  Bedenken,  wie  sie  Baist  Gr.  I2 
go2  einwendet,  sind  bei  Ansatz  gemeinrom.  Synkope  nicht  mehr 
vorhanden. 

Noch  ein  Wort  über  flechir^  Dies  kann  nicht,  wie  Foerster, 
Zeitschr.  III  262  wollte,  auf  *fleskire  zurückgeführt  werden,  was 
*flezssir  ergeben  hätte.  Afr.  fleschir  ist  vielmehr  aus  fleschier  ge- 
bildet wie  afr.  alaschir  aus  alaschür,  oder  wie  afr.  blanchier  zu  nfr. 
hlanchir,  loschier  zu  louchir  geworden  ist,  usw. 


1  Zu  dem  hohen  Alter  dieser  Synkope  vgl.  maxima  ^  masma  Rom.  I  95. 

■■'  Dafs  diese  Herleitung  richtig,  will  ich  nicht  behaupten;  nur  die  Möglich- 
keit der  lautlichen  Entwicklung  sei  gezeigt.  —  Span,  sess^o,  für  das  Baist 
Zeitschr.  VII  122  als  Grundform  *sesecus  vorgeschlagen  hat,  wird  von  Carl 
C.  Rice,  Pub!,  of  the  Mod.  Langu.  Ass.  of  Am.  XX  339  ff.,  als  Verb.-Subst. 
zu  .fifj^ar  <^  *sesecar  e  „to  curt  apart"   erklärt. 

'  Diez'  Herleitung  von  flectere  wird  auch  durch  Gutheims  Annahme 
(S.  21)  von  fremdwörtlicher  (!)  Entwicklung  des  c\.'^  ch  nicht  gerettet. 


45 

§  41-     x'k2  ist  nicht  sicher: 

1.  *axicellus,  -a  fr.  aisseati      it.  assicella 

2.  *axicellus  „   essieu. 

Das  erstere,  ein  Deminutiv  zu  lat,  assis  (entstellt  axis)  „Brett", 
stellte  Diez  505  auf.  Wahrscheinlicher  ist  mir,  dafs  afr.  aissei 
„Schindel"  (erst  im  14.  Jh.  belegt)  und  it.  assicella  einzelsprachliche 
Deminutiva  zu  ais,  bezw.  asse  sind. 

Das  zweite,  Deminutiv  zu  axis  „Achse",  rührt  von  Schuchardt, 
Vokalismus  I  203,  her  und  wird  gestützt  durch  it.  assiculo  Zäpfchen. 
Über  die  Zeit  der  Synkope  in  einem  *axicellus  läfst  sich  nichts 
ausmachen;  ob  in  vi.  Zeit  zu  *ascellus  oder  erst  nach  der 
Eroberung  synkopiert,  in  jedem  Falle  mufste  afr.  aissel  erscheinen. 
Das  Wort  erscheint  afr.  mit  verschiedenen  Suffixen:  aissiel  (-alis), 
aissel  (-ellus),  aissil  (-Ilis),  aissuel  (-ölus);  inwieweit  dafür  vi. 
Formen  (*axalis,  *axellus,  *axllis,  *axiolus)  aufzustellen  sind 
oder  erst  französischer  Suffixwechsel  vorliegt,  ist  nicht  zu  entscheiden. 
Wegen  it.  assile  kann  man  *axilis  als  d:as  Ursprüngliche  in  An- 
spruch nehmen.  Ob  nfr.  essieu  aus  afr.  aissiels  (-alis)  hervorgeht 
(Suchier,  Gramm.  87)  oder  mundartliche  Entwicklung  von  afr.  aissils 
(-Ilis)  ist  (Dict.  gen.  §  458),  ist  strittig,  ebenso,  ob  Schuchardts 
*axicellus  oder  Koschwitz  (Ltbl.  f  germ.  u.  rom.  Phil.  1892  Sp.  68) 
*axellus  dem  afr.  aissel  zugrunde  liegt.  M.-L.  Frz.  Gr.  §§  74,  77 
erkennt  -ils  ]>  -ieus  als  lautgerecht  und  geht  für  nfr.  essieu  von 
*axilis  aus,  was  entschieden  das  Wahrscheinlichste  ist. 

§  42.     x't     *taxitare    afr.  taster      nfr.  tdter 

[*sexitare     it.  assestare  'i>^^^.x\..asesiar  Y[o\.assestar'\^ 

Das  Dict.  gen.  läfst  frz.  tdter  „unsicherer  Herkunft"  sein,  denn 
*taxitare  hätte  *taistcr  ergeben  müssen.  Nyrop  erwähnt  afr.  taster 
überhaupt  nicht,  während  Schwan-Behrens  §  158,  2  die  Entwicklung 
von  *taxitare  >  taster  der  von  intoxicare  >►  entoschier  parallel 
sein  läfst.  It.  tastare,  prov.  aspan.  tastar,  afr.  taster,  mit  n-Einschuh 
tatister  verlangen  ein  rom.  *tastare,  das  aus  *taxitare  auf  die- 
selbe Weise  hervorgegangen  ist  wie  *Iascare  aus  *laxicare. 
x't  wird  gemeinrom.  st  wie  x's  zu  sc. 

§  43.     Anspruch  als  gemeinrom.  zu  gelten  hat  noch  die  Gruppe 

gn'c^     *stagnicare       it.  stancare     prov.  span.  estancar     fr.  etancher 
dazu  die  Verbaladj.  it.  stanco         afr.  esianc. 

*stagnicum  prov.  estanc  „  itang. 


*  So  Ulrich  Zeitschr.  IV  383,  besser  Cornu  Rom.  XIII  305  von  *asses- 
sitare. 

'  ng'e  läge  vor  in  *angicare  (v.  angere),  das  Körting  in  der  3.  Aufl. 
für  frz.  tnger  in  der  Bed.  „quälen"  anführt;  aber  es  ist  schwerlich  das  richtige 
Etymon. 


46 

Diese  Formen  setzen  ein  gemeinrom.  *stancare, ^  *stancu  voraus. 
Der  Grund  der  frühen  Synkope  liegt  wohl  in  der  Artikulationsver- 
wandtschaft, gn'c  geht  leicht  in  nk  über.  Denn  gn't  wird  erst 
später  zusammengezogen.  Bevor  wir  auf  dieses  eingehen,  bleibt 
noch  zu  erledigen  die  Gruppe 

§  44.     ct'c: 

*coacticare     afr.  cachier     nfr.  cacher 
*flecticare         „    flechier     *fracticare       lothr.  frakhi 
?*pacticum         „   pache  (Bauer  S.  17). 

Über  allecticare  >■  alUcher  (Horning  Zeitschr.  IX  140),  *tac- 
ticare  >  attacher  (Ulrich  Zeitschr.  IX  42g)  s.  §§  20,  22. 

Foerster  hat  [zu  Yvain  6129]  quacier  (=  *quatt-iare),  qnatir 
und  quachier  (=  *quatt-icare)  von  quatto  =  lat.  coactum  her- 
geleitet. „Nur  das  Frz.  pafst  nicht,  da  es  quaitir  geben  müfste. 
Aus  diesem  Grunde  möchte  G.  Paris  emen  deutschen  Stamm  vor- 
ziehen." Horning  Zeitschr.  IX  140  war  es,  der  zuerst  *coacti- 
care  ansetzte;  wegen  des  nicht  zu  i  werdenden  c  verwies  er  auf 
factione,  lectione  ~^  fagoii,  legon.  Allein  diese  Parallele  ist  nicht 
ganz  stichhaltig:  c  in  cti,  das  sich  wie  ki,  cc^  und  tti  >>  g 
entwickelt,  steht  unter  anderen  Bedingungen  als  in  ct'c^.  Der 
Dict.  gen.,  der  H.'s  Etymon  annimmt,  gibt  *coacticare  >-  quacfcar 
>•  quaichier  ]>  Cache?-.  Aber  ein  Übergang  von  aich  >>  ach  ist  sonst 
nicht  nachgewiesen.  Elfrath  S.  63  meint,  in  der  Gruppe  c  +  t  +  c^ 
sei  das  erste  c  geschwunden.  Bauer  S.  15  hält  es  für  richtiger 
anzunehmen,  dafs  c  von  der  ganzen  Konsonantengruppe  in  dem 
einen  Laut  s  absorbiert  wurde;  wäre  es  geschwunden,  könnte  es 
höchstens  nach  Ausfall  der  unbetonten  Pänultima  gefallen  sein, 
sonst  hätten  wir  z  erhalten  müssen.2  —  Auch  die  übrigen  rom. 
Sprachen  geben  keine  Auskunft:  prov.  cachar,  rtr.  squicciar,  span.  aca- 
charse.  Lat.  co actus  gab  it.  quaito,  prov.  quaif,  rtr.  quac,  kann  aber 
nicht  vorliegen  in  span.  cacho,  vgl.  factum  >>  hecho.  Gab  etwa  im 
Span,  -acto  ein  -echo,  -act'co  aber  -acho"^  (vgl.  axis  >>  ejo,  *taxico 
>»  iasco). 

Sicher  ist,  dafs  ct'c  im  Frz.  stimmlos  werden  mufste;  wann 
die  Synkope  eintrat,  wann  und  wie  das  c  vor  t  schwand,  ist  nicht 
festgestellt.  3  —  Wenn  wir  bei  der  nasalierten  Form  neben  flenchier 
(mundartlich  noch  flancher  in  Bourg.  Yonne,  Percey)  auch  flengier 
linden,  so  liegt  Analogie  nach  Verben  wie  venche,  redigier  vor. 


'  Vgl.  Bauer  S.  30  Anm.  2,  wo  auch  andere  Ansichten  verzeichnet  sind. 

^  Karte  191  des  Atl.  lingu.  bietet  zur  Entscheidung  keinerlei  Anhalts- 
punkte. Das  Verbreitungsgebiet  von  cacher  ist  beschränkt:  es  fehlt  im  Pic. 
und  Westnorm,  (hier  ersetzt  durch  tmcsser) ,  im  Prov.  ist  es  nur  im  nördl. 
Grenzgebiet  und  in  dem  Dauphine  heimisch,  im  Gase,  scheint  es  dem  Frz. 
entlehnt.     Sonst  gebraucht  das  Südfrz.  dafür  escou7idre,  ama^a,  esUicha. 

ä  Am  besten  scheint  mir  die  Annahme,  dafs  *flecticare  >  *fletticare 
wurde  unter  dissimilierendem  Einflufs  des  zweiten  c. 


47 

§  45-     ct'c  setzt  Shepard  S.  77  an  in 

*coctitare  >  a.h.  coi/i'er, 

aber  dieser  Ansatz  ist  überflüssig,  *coctare  genügt  vollkommen 
für  it.  coi'iar,  prov.  coitar,  afr.  coitier,  span.  cochar. 

Ct'k^  liegt  vor  in 

*lacttcellu  ]>  afr.  laüel 

(Marchot  S.  87).  Zu  beachten  ist  das  Vorhandensein  des  i,  sonst 
ist  die  Entwicklung  von  X'2  die  gleiche  wie  nach  andern  stimm- 
losen Gruppen. 

§  46'     rg't  liegt  vor  in 

gurgite  B.ir.  go7iri 

expergitus      *espert,  dazu  prov.  aspan.  ptg.  esper ta?- 

de  +  expergitu        span.  despierto  ptg.  desperto  afr.  despert, 
dazu  wall,  dispierier    „     desperiar 
*ergitui  it.  erto  steil;   erta"^  die  Höhe. 

Ob  die  Synkope  hier  gemeinrom.,  ob  sie  vielleicht  etwas  später  als 
r't  eintrat,  ob  g  in  dem  folgenden  i  aufging  oder  zwischen  r[g]t 
ausfiel  oder  ob  die  Synkope  erst  einzelsprachlich  eintrat,  läfst  sich 
vom  Standpunkt  der  Lautlehre  nicht  entscheiden.  Fest  steht,  dafs 
die  Pänultima  vor  der  Lautabstufung  fiel  und  dafs  die  sekundäre 
Gruppe  rg't  im  Frz.  kein  Slütz-^  erfordert. 

rg'c  findet  Bauer  S.  22  in  afr.  surge  <  surgicum;  mit  Unrecht! 
Es  steht  zu  erwarten,  dafs  erbwörtliches  -rgicu  als  —rc  ge- 
endet hätte.  Lehnwörtlich  kann  surge  ebensowohl  chirurgus  wie 
chirurgicus  sein;  der  Anlaut  weist  auf  Entlehnung  aus  dem  Süden. 

rg'd,  das  für  die  Lautabstufung  zwar  nicht  in  Betracht  kommt, 
sei  gleichfalls  hier  erwähnt: 

*Burgidala  (umgestellt  aus  Burdegala)  züx.Bordele  (Rol.Gaut. 3684) 

nfr.  Bordeaux. 

Die  Zeit  der  Synkope  läfst  sich  nicht  näher  feststellen  und  es  bleibt 
fraglich,  wie  weit  das  Prov.  von  Einflufs  war. 

§  47-     gri't  und  ng't  haben  dasselbe  Ergebnis: 

cognitu  afr.  cointe,  selten  coint 
accognitu             „    accoint  „        accointe 

*(ad)cognitare     „    (a)cointier  nfr.  accointer 

dignitaie  „    deitilie  „     dainticr 

longitanu  frz.  lointam. 


*  Part,  zu  ärgere  =  erigere.     Körting  8266  setzt  *er[c]tus  an. 
^  Daraus    entlehnt    frz.   en    erte    (16.   Jh.)    und    ä    l'erte,    it.   aW  erta, 
heute  alerte. 


48        . 

Körting  hält  coinie,  Behrens  (§78a^)  accoint  für  lautgerecht. 
Das  Dict,  gen.  läfst  cointe  aus  cognitinn  entstehen,  aber  accointer  zu- 
sammengesetzt sein  aus  ä  +  ^^r- coiiii  aus  cogniinm.  Elfrath  S,  821 
meint,  dafs  cohit  Neubildung  ist  zu  Wörtern,  wo  das  Masc.  auf  -e 
ausgeht.  Shepard  S.  45  erkennt,  dafs  es  afr.  gewöhnlich  cointe,  aber 
accoint  halfst  und  hält  coinie  für  verallgemeinerte  Femininform.  Afr. 
findet  sich  cointe  in  weiblicher  Assonanz  bereits  Alex.  43.  Die 
Parallele  zu  ng'c  und  n't  würde  für  Einsilbigkeit  sprechen,  aber 
man  beachte,  dafs  es  prov.  zwar  estanc  und  gent,  aber  (neben  cointe) 
coitide,  eilende  heifst.  Daher  ist  es  wahrscheinlicher,  dafs  afr.  cointe 
mit  Stütz-^  lautgerecht  ist. 

loiniain  hielt  Neumann  Zeitschr.  XIV  563  für  lautliche  Analogie 
nach  anderen  Wörtern  auf  -tain  wie  certain,  autaiw,  das  ist  von 
vornherein  wenig  wahrscheinlich.  Prov.  lonhdan  beweist  nichts  gegen 
die  frz.  Entwicklung,  es  verhält  sich  zu  loiniain  wie  prov.  dondar 
(<C  domitare)  zu  frz.  domptcr,  d.  h.  im  Prov.  ist  nach  ix  und  m  die 
Synkope  nach  der  Lautabstufung  eingetreten,  im  Frz.  aber  vorher. 
perchoinded  Passion  113  ist  als  südliche  Form  zu  betrachten.  It. 
conto,  lontano  zeigt  natürlich  Tenuis,  da  ja  keine  Erweichung  des  / 
im  It.  eintritt;  der  Schwund  des  pal.  Element  ist  regelrecht. 

Also  zwischen  ng  oder  gn  und  t  ist  die  Synkope 
einzelsprachlich,  im  Frz.  tritt  sie  vor  der  Lautabstufung  ein. 


2.   g,  c  vor  d,  t. 

§  48.     g'd  liegt  vor 

frigidu   zSx.  froit  nix.froid     frigidere  nfr.  froideur 

rigidu       „    roit  und  roide    „    raide     frigidare  ^ir.  froidier 

*magidariu  lyon.  maidi 
magide     „    mait                     „     mait     magida  nh.7naie,emoi 

*rugidu    „    ruide  Lugudunu  „    Lyon 

1.  Synkope  zwischen  g'd  ist  schon  vi.  eingetreten.  Die  App. 
Probi  Z.  54  bietet  bekanntlich  _//-/^zV/a  non  fricdaA  Heraeus  ALL. 
XI  300  belegt  dazu  frigda,  frigduit,  frigdariam,  aber  auch  fricda, 
infricdat,  infricdavit.  Auch  Behrens  §  ig  setzt  *fregdu  und  regdu 
durch  vi.  Synkope  an. 

2.  Andrerseits  ist  frigdus  auch  nicht  durch  spontane  Synkope, 
sondern  durch  Angleichung  an  caldus  erklärt  worden  (Schuchardt 
R.  E.  I.;  M.~L.  Rom.  Gr.  P  46g).     Das  ist  abzulehnen. 

Schwierigkeiten  macht  der  Ton  vokal.  Lat.  frigidu  s  zeigt 
Länge;  von  den  rom.  Formen  setzen  rum.  frig,  aspan. yV/c/ö,  span. 
ptg.  frio,  nprov.  (auvern.)  fri,  frit,  fr  ich  langes  l  voraus,  die  übrigen 
Formen,  it.  freddo,  rtr.  freid,  prov.  freit,  frz.  froid,  cat.  fret,  ver- 
langen vi.  ^  <  ?.     Gröber  ALL.  II  428  hatte   bei  der  Verschieden- 


*  Das  c  betrachtet  man  am  besten  als  Zeichen  für  „Verschlufslaut  ^•". 


■       49 

heit  der  Quantität  an  Zeitunterschiede  gedacht:  „das  i  noch  in 
Hispanien,  nicht  in  jüngeren  Schichten."  Am  verbreitetsten  und 
auch  von  Körting  angenoromen  ist  die  Ansicht  d'Ovidios  Gr.  !• 
508,  wonach  frlgidus  durch  Einflufs^  von  rlgidus  zu  frigidus 
geworden  wäre.  Des  öfteren  hat  sich  M.-L.  über  die  Quantitäts- 
änderung ausgesprochen.  Zeitschr.  VIII  209  nahm  er  an,  „dafs 
ursprünglich  frlgdus,  aber  frigde  (-e  in  Endungen,  sofern  es  alt 
ist,  trägt  stets  den  Akzent)  gesagt  wurde",  und  wies  die  Meinung 
Foersters  zurück,  der  Rhein.  Mus.  XXXIII  297  frlgdus  in  rum. 
frig,  span.y)-/(9  sah.  In  der  Einf.  §  94  lehnt  er  d'Ovidios  Erklärung 
ab,  weil  die  rom.  Vertreter  von  frigidus  auf  zweisilbiges  frigdus 
hinweisen,  wogegen  afr.  roide  span.  recio  auf  dreisilbiges  rigidus 
zurückgehen. 2  Er  möchte  frigdus  zXs /rijdu  lesen,  woraus  durch 
Verschmelzung  von  ij  auf  der  iberischen  Halbinsel  /  geworden  ist, 
während  sich  sonst  ij  zu  ij  dissimilierte  und  it.  fredJo  usw.  ergab. 
Auch  Gr.  12  468  ist  er  der  Ansicht,  ,,frigdus  für  frigidus  aus 
frigidus  in  Italien  und  Frankreich  scheint  eher  einer  Dissimilation 
zu  verdanken  zu  sein,  die  vielleicht  den  Westen  nicht  erreicht  hat." 
Aber  die  Schreibung  fricda  scheint  auf  Verschlufslaut  zu  weisen 
und  igi  ist  sonst  nicht  zu  ij  dissimiliert  (orlginem  >  orine, 
callginem  >•  chalt7i.)  Man  kann  auch  an  spontane  Verkürzung 
in  drittletzter  Silbe  denken,  frigidus  wird  zu  frigidus  wie  lüridus 
zu  lüridus,  cögito  zu  cdgiio,  ohne  dafs  ein  lautvervvandtes  Wort 
oder  ein   dissimilationsfahiger  Konsonant   hilfsbereit  vorhanden  ist. 

Trotz  aller  Erklärungsmöglichkeiten  wird  man  am  besten  tun, 
in  den  /-Formen  lat.  trigidus  zu  sehen;  in  Italien  und  Gallien 
trat  Verkürzung  ein  —  wie,  ist  nicht  sichergestellt. 

Schon  vi.  trat  zwischen  g'd  Synkope  ein,  daher  aspan.  frido,  ^ 
iL/reddo,  rtr.  fretd,  prov.  fnit,  /reg,  cdX.fret,  ixz.  froid^    Daneben 


1  Man  b<-achte,  das  c\.  frlg-  und  ri^-  urverwandt  sind. 

2  Dieser  Einwand  ist  nicht  ganz  stichhaltig:  afr.  ist  auch  ro/^  vorhanden, 
das  zweisilbii;e-i  *rigdus  sein  kann;  andrerseits  geht  nach  Baisl  Gr.  I*  8gi 
span.  frio  auf  *frigio  aus  dreisilbigem  frigidus  zurück.  Span,  recio  hat  wohl 
anderen   Ursprung. 

^  fridus   hat   schon  Diez  aus  einer  Urkunde  in  Spmien  von  646  belegt. 

*  Karte  6l2  das  Atlas  ling.  bietet  das  Sub^t.  le  froid.  Hier  machen 
wir  zunächst  die  interessante  Kemerkung,  dafs  die  schriftsprachliche  Form 
frwa  nur  einen  kleinen  Verbreiiungskreis  hat,  weitaus  häufiger  aber  y>(?  ist, 
also  ganz  en'sprechend  raide  (daneben  natürlich  die  mundartlichen  Ent- 
wicklungtm  von  oi:  pic.  fro,  wall,  fioe  usw.).  fre  steht  kaum  unrer  Emflufs 
von  frais,  das  im  G  genteil  dazu  bt  i^^eiragen  haben  dürft-,^ ,  dafs  die  Schrift- 
sprache froid  erhalten  hat.  Die  afr.  männliche  Form  f roide  (durch  Analogie 
entstanden)  könnte  vorliegen  in  wtstfrz. /r?/ (norm.  Inseln  3q8;  Dep.  Ille-et-V. 
461,  402;  Maine-et-L.  415,  425;  Indre-ei-L.  406;  D.-S^vrrs  513;  Char.-Inf. 
535'  536.  527,  528;  Charente  518,  529);  da  aber  sonst  die  Verhärtung  von 
Med.  ^  Tt-n.  im  Auslaut  nicht  so  weit  reicht,  so  haben  wir  in  fret  wo'il  die 
Pau-a-Form  von  froid  zu  sehen  (vgl.  nfr.  le  fait  [ff]  und  [f£t]  in  donner 
ä  quelqu'un  son  /lit,  «-benso  sept,  htat). 

Im  Süden  der  Schweiz  findet  sich  frii  gyq,  989  und  im  angrenzenden 
Italien  yVf/  975,  985,  987,  daneben  988  frek.  Hier  ist  das  t  wohl  lautgesetzlich, 
frek  sekundär  aus  fret  entstanden. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XKIV.  a. 


50 

besteht  vielleicht  auch  die  Langform  weiter:  zwar  afr.  masc.  froide 
dürfte  Angleichung  an  das  Fem.  sein,  aber  alt-  und  neusp.  frio 
führt  Baist  Gr.  I'-  8g l  zurück  z.\x{*frigio  aus  dreisilbigem  frlgidus. 
Frz.  froideur^  ist  wohl  nicht  frz.  Bildung  zu  froid  (Dict.  Gen.), 
sondern  ist  von  frigidorem  herzuleiten,  das  wird  durch  iL  freddore, 
prov.  ptg.  freidor,  span.  cat.  fredor  wahrscheinlich.  Man  beachte, 
dafs  hier  auch  die  iberische  Halbinsel  kurzes  1  aufweist. 

3.  Auch  rigidus  wurde  zu  *rigdus  synkopiert.  Diese  Kurz- 
form wird  durch  it.  reddo  vorausgesetzt.  Die  Langform  liegt  vor  in 
prov.  rege,  regeza  oder  reze,  reza,  auch  in  span.  recioP-  wenn  dieses 
tatsächlich  aus  rigidus  entstanden  ist. 

Afr.  haben  wir  roit  und  roide  (Nyrop  II  §  389).  Man  kann 
in  roii  die  Kurzform,  in  roide  die  Langform  sehen;  oder  aber  eine 
der  beiden  Formen  ist  der  Analogie  3  zu  verdanken.  Die  Parallele 
zum  Prov.  macht  wahrscheinlich,  dafs  in  roide  die  Langform  vor- 
liegt, roit  eine  Neubildung*  ist. 

4.  rOgidus  (zu  rtigd)  ist  inschriftlich  nachgewiesen  von 
Schuchardt  Zeitschr.  XXII  532  und  war  schon  von  Foerster 
Zeitschr.  III  25g  angesetzt  für  it.  riivido.  Auch  frz.  rüde  hat  man 
davon  herleiten  wollen,  das  man  sonst  (so  auch  der  Dict.  Gen.) 
für  entlehnt  aus  lat.  rudis  betrachtet.  B.  Bianchi  Arch,  Glott. 
XIII  195  Anm.  2  hat  frz.  rüde  auf  *ruvde  <<  it.  ruvido  zurück- 
geführt. Schuchardt  R.  E.  I  20  meint:  „Wird  altes  *ruvidus  zu 
Grunde  gelegt,  so  werden  wir  das  auch  in  dem  sonstigen  rom.  rudo 
wiederfinden  und  nur  das  e  von  rüde  auf  Rechnung  von  lat.  rudis 
setzen". 


Im  Prov.  ist  die  Erhaltung  des  Dentals  im  gase,  frei,  hret,  im  langued. 
frei  lautgesetzlich;  ebenso  zeigt  das  Dep.  Yi.-K\piS  frei,  das  übrige  linksrhon. 
aber  fre,  frei;  lim.  meist  _/>v,  auvern.  meist  _/>Z,  daran  anschliefsend ,  aber 
vertinzeh  fr li,  fr zis,  desgl.  \a.ng.  frets,  frets.  Dafs  diese  Formen  y>-f'^/.  _/>-/// 
so  seilen  sind,  darf  nichi  Wunder  nehmen;  man  betrachte  die  K-ane  fn'i  und 
staune,  auf  welch  verschwindend  geringes  Gebiet  fac/i  heute  eingeengt  ist. 
Eine  bessere  Vorstellung  des  alten  yacA-Gebietes  gewährt  die  Karte  laitue. 

^  Körting  3988  schreibt:  „2l^x.  froid,  dazu  Ans 'üxxhsi.  froidtire,  afr.  auch 
froidcur'-'' ;  froideur  ist  auch  nfr. 

*  So  nach  Cabrera's  Annahme  Diez,  Körting,  M.-L.  Einf.  §  94.  —  recio 
setzt  zunächst  *recidus  voraus;  ein  solches  *recidus  wollte  M.-L.  Rom.  Gr. 
I  §  531  für  afr.  redde  annehmen.  Cohn,  Festschrift  für  Tobkr  S.  279,  aber 
führt  anglonorm.  redde,  rede  auf  rigidus  zurück.     Vgl.  auch  §  52,  I. 

*  Der  Dict.  Gen.  läfst  rigidus  zu  afr.  reit  werden.  Ebenso  M.-L. 
Rom.  Gr.  I  §  531;  schon  Zeitschr.  VIII  235  hatte,  er  gesagt:  „Im  nfr.  ist  das 
e  in  raide  vom  Fem.  übertragen,  Stütz-d"  kann  es  nicht  sein.  Dafs  roid  nicht 
auf  rig(i)dus,  sondern  auf  rigdus  geht,  lehrt  digitus".  Das  ist  allerdings 
nicht  stichhaltig.  Und  er  selbst  scheint  nun  roit  als  Neubildung  zu  fem.  roide 
zu  betrachten,  wenn  er  Rinf.  §  94  erklärt,  dafs  „afr.  roide,  span.  recio  auf  drei- 
silbiges rigidus  zurückgehen". 

*  Mask.  roid  ist  im  Frc.-Prov.  und  Lothr.  erhalten.  —  redze  findet 
sich  heute  in  der  Dauphin6  und  vereinzelt  in  der  Umgebung.  Vgl.  Atl. 
ling.   I128. 


51 

Afr.  rüde,  ruidc  lassen  eine  Fülle  von  Erklärungen  zu: 

1.  Lehnwort,  rudis  >  rüde,  unter  Einflufs  von  ruisie  neben 
niste  zu  ruide. 

2.  Erbwörtlich:  *rübidus,  -a  >  riide;  rugidus  >  *ruit, 
rugida  >■  riäde,  darnach  gebildet  oder  urspr.  Langform  masc.  ruide. 
Nur  ist  der  Ansatz  *rübidus  unsicher.^ 

3.  rugidus  erfährt  Metathesis.  Wie  magida  >  *mag'da  > 
mad^ ga  >>  ptg.  malga,  so  wird  *rugedo  >  *rudego  und  hat 
dann  dieselbe  Entwicklung  wie  rusticus  >  *rustego  zu  rüste 
und  rujste,  aridiis  zu  are  un  aire  usw. 

Eine  Entscheidung  ist  vom  Standpunkt  der  Lautlehre  nicht 
zu  geben. 

5.  Nicht  klar  ist  die  Entwicklung  von  magida  >  maie,  die 
in  digita  >•  deie,  cogitat  >>  cuie  ihre  Parallele  findet.  Unsere 
Grammatiken  bieten  uns  nicht  viel  darüber.  Nyrop  erwähnt  diese 
Formen 2  in  der  Lautlehre  überhaupt  nicht.  Schwan -Behrens, 
§  122  c  Anm.,  bemerkt,  dafs  maie,  deie,  cuier  von  vi.  *maida  (von 
mayida  für  cl.  magida),  *deita,  *coitare  kommen.  Aber  damit 
ist  nicht  viel  geholfen,  der  Gegensatz  von  coidier  und  cuier  bleibt 
bei  Ansatz  eines  vi.  *coitare  rätselhaft.  Wenn  M.-L.3  Rom.  Gr.  I 
§  448  digita,  magida,  cogitat  zu  doie,  cuie,  maie  werden  läfst, 
scheint  er  der  Ansicht,  dafs  diese  Entwicklung  in  dem  Nachton-a 
begründet  sei.  Dementsprechend  sagt  er  §  531:  „rigidus  >  roid, 
darnach  fem.  roide  statt  rwV." 

Gr.  fiaytg,  loa  ist  ins  Lat.  als  magis,  -ida  und  -idem  entlehnt 
worden  und  lebt  in  it.  madia,  prov.  7nag,  ptg.  malga.  Für  das  Afr. 
belegt  Godefroy  mee,  maye,  inait,  met;  may  so  spät,  dafs  es  sekundär 
entstanden  sein  kann.  Nfr.  sind  viait,  maie,  mai,  emoi  vorhanden, 
durchwegs  veraltet.  Der  Dict.  gen.  läfst  magidem  >  maid,  mait 
werden,  ,,souvent  ecrit  7nai,  met,  maie  ou  mee.''''  In  Imoi  (16.  Jh. 
esmoy)  sieht  es  eine  „alteration  de  mait'-'-;  eher  ist  es  aus  maie 
durch  Fall  des  e  entstanden. 4  Die  frz.  Formen  lassen  sich  also 
zurückführen  auf  zwei  Grundtypen,  mait  und  maie. 


*  Ptg.  rofo  Runzel  weist  auf  kurzes  u  hin;  it.  ruvido  hat  Diez  auf  das 
einmal  belegte  ruidus  bei  Plinius  zurückgeführt,  das,  wenn  überhaupt  richtig, 
ü  hat  (zu  rüere  kratzen). 

2  cöciiat  wird  nach  ihm  zu  cogitat  ^  ^i/z'ii«?,  darnach  in(.  ci/iJer  statt 
*coider  (§§  203,  204);  in  der  Neuaufl.  ist  das  Wort  an  dieser  Stelle  gi-strichen. 

—  digita  >>  deie  ist  in   der  Formenlehre  §  263  erw.Hhnt,  aber  ohne  Andeutung 
der  lautlichen  Entwicklung. 

'  Anders  hatte  er  sich  Zeitschr.  VIII  235  über  norm,  wi^  geäufsert:  „Hier 
ist  die  Synkope  jünger,  weil  gd  das  a  geschützt  hätte;  der  Grund  könnte 
derselbe  sein  wie  im  It.,  doch  hätte  a  +  i  ai,  später  ouai  ergeben:  daher  in 
magida  wohl  das  g  und  i  ebenso  spurlos  verscliwunden  sind  wie  in  digiius". 

—  „It.  Ttiadia   aus   maida   weist   auf  gr.  Betonung  ßa-ylöa,    sie.  maidda,  dazu 
stimmt  der  Ausfall  des  g"  (S.  216). 

*  Wie  eau  aus  eaue  usw. 


52 

Da  ein  '"^maide  nirgends  belegt  ist,  kann  man  magidem  in 
mait  (prov.  mag),  magida  in  viaie  sehen.  Wie  der  Gang  der 
Entwicklung  von  magida  >>  maie  war,  darüber  ist  nichts  Sicheres 
festgestellt.  Sollte  diese  Entwicklung  erbwörtlich-lautgesetzlich  sein, 
dann  müssen  froide,  roide  Analogiebildungen  statt  ''^froie  *roie  dar- 
stellen. Aber  es  hält  schwer,  diese  Folgerung  zu  ziehen.  Im  It. 
steht  deta,  cota  im  Gegensatz  zu  viadia;  ptg.  wird  magida  über 
magida  >  mad^ga  zu  malga,  aber  pedica  über  *pedega  zu  pega 
und  peia  (span.  piclga).  Behrens'  Ansatz  eines  vi.  *maida  steht  in 
Widerspruch  zu  belegtem  fricda;  und  stand  in  '^maida  der  Dental 
wirklich  intervokal,  so  dafs  er  schwinden*  konnte?  Man  könnte  auch 
an  Suftixtausch  denken,  aber  über  blofse  Vermutung  kommt  man 
nicht  hinaus. 

6.  Noch  unklarer  ist  die  Entwicklung  einiger  Ortsnamen  auf 
-dunum: 

Lug  (u)  dun  um  Loudun         Laon{s),  Lyon 

Mag(e) dunum  Medan  Mehtin,  Meung 

Agidunum  Ahun. 

Man  könnte  Lugudunum  und  Lugdunum  als  Lang-  und  Kurz- 
form auffassen.    Nach  dem  Muster  von  digitale  >>  vi.  *detale  gäbe 

Lugudunum     gall.-rom.  Lodunu     afr.  Loün,  Leün"^ 

Gesetzt,  -ünum  wurde  -on,  so  konnte  afr.  *Lodon  durch  Dissimi- 
lation (vgl.  quenotalle,  semondre,  sejour,  sehn,  secousse)  zu  Leo7t  werden. 
Einerseits  entwickelte  sich  dieses  wie  feon  >  faon  zu  Laon,  Laons 
[lä],  andererseits  wurde  es  wie  leotievi  >  lioji,  pedonem  >•  pioii  zu 
Lion,  Lyon.  In  spätlt.  Leudwium,  Laudu?nim  sind  wohl  Rück- 
latinisierungen  von  Lion,  Laon  zu  sehen.  Zwar  prov.  Laudun, 
Lauzwi,  Montlauzun  (aber  auch  Monilezwi)  setzen  au  voraus,  es 
könnte  dieses  aber  auch  erst  nachträglich  aus  der  Latinisierung 
Laudunum  eingedrungen  sein. 

Die  Kurzform  Lugdunum  wurde  Luiduno, ^  wir  erwarten  afr. 
*Loidun.  Vielleicht  entstand  daraus,  wie  etwa  coussin  aus  coissm, 
das  heulige  Loudun  oder  London. 

Magdunum  ergab  regelrecht  '^ Maidon,  Medan,  vgl.  *magi- 
darium  >>  lyon.  maidi.'^  In  Magedunum,  Agidunum  mufs  das 
g  ebenfalls  geschwunden  sein,  was  vielleicht  an  der  Art  des  gall. 
g  lag,  vgl.  den  Schwund  in  -magus,  -briga.  *Madunum  wurde 
regelrecht  zu  Meun,  *A dunum  >  Ahun. 


1  Behrens  läfst  vi.  *maida  ^  wa«'^  werden,  Nyrop  II  §  127  vi.  *faitis 
]]>  zS\.  faitesX 

2  Ersieres  für  Laon  (D^p  Aisne),  letzteres  für  Loin  (Dep.  Vienne)  belegt. 

3  Bei  Fredegar    (Haag,   Rom.  Forsch.  X  868),    vgl.  Daybertus   für  Dago- 
bertus  im  Liber  historiae  Francorum. 

*  N.  du  Puitspelu,   Dictionnaire  ^tym.  du  Patois  Lyonnais,   Phon^tique 
p.  LXXXVII. 


53 

Ganz  andere  Wege  der  Erklärung  geht  M.-L.,  Bet.  i.  Gall., 
S.  29  ff.,  was  man  sehe.i 

§  49-     g't  liegt  vor  in 

digitus  afr.  deit,  nfr.  doigt  digita  afr.  deie 

cogitare  „     coidier  cogitat  „      ade 

*rugitu  „     mit,  nfr.  riit  *fugita  frz.  fuite"^ 

fugitivu  ,,    fuitif  Magetobriga  ,,      Moigte  de  Brote. 

Da  g2  mit  di  unter  vi.  y  zusammenfällt,  sei  auch  di't  hier 
erwähnt : 

adjutare     afr.  aidier    nfr.  aider       *cupidietate     afr.  coveitie 
medietate   „      vieitie      „      moitic      *cupidietare     nfr.  convoiter 

Schliefslich  ist  zu  berücksichtigen 

-iet-:  *quietare    irz.  quitter     pietate    ixz. pitie,  afr.  auch /»zö'zV. 

I.  Auch  für  g't  ist  Synkope  in  vi.  Zeit  nachgewiesen,  dictus 
für  digitus  ist  bei  Schuchardt  Vok.  und  Georges  Handwb.  belegt. 
Die  App.  Probi  schreibt  digitus  non  dicitus,  letzteres  vielleicht  nicht 
fehlerhaft  für  dictus,  sondern  alte  Form. 3  Aber  diese  Zusammen- 
ziehung von  -git-  >  et  ist,    wie    so    manche   vi.  (inschrifilich   be- 


*  Die  Entwicklung  der  Ortsnamen  auf  -dun um  ist  überhaupt  recht 
rätselhaft,  insbesondere  fällt  der  Schwund  des  d  des  öfcern  auf.  M.-L.  S.  26 
meint,  man  müf~te  Schwund  des  (zwischentonigen)  e,  i,  o,  u  in  Namen  erwarten, 
deren  erster  Teil  zweisilbig  ist  (z.B.  'Br  zn  o  dwxwxm  "^  Brandon),  Schwund 
des  d  in  dreisilbigen  (Augustodunum  ^  Osteiliin'^  Autun)  und  in  solchen 
zweisilbigen,  die  auf  -a  ausgehen  (Caladunum  >  CÄa/o«j).  Bezüglich  der 
„dreisilbigen"  kann  ich  nicht  zustimmen.  Augustodunum  ist  zur  ent- 
scheidenden Zeit  wohl  schon  „zweisilbig",  s.  §  29  b ;  Noviodunum  ^  iV^'o« 
ist  kaum  üb^r  *Novieön  gegangen.  Eburodunum  wurde  vielleicht  laut- 
gesetzHch  *Evredono  '^  *Everdon  [Averdun,  Yverdon),  vgl.  lubricare>- 
altfr.  lovergier,  während  forger  nach  fabricat  >  forge  ausgeglichen  ist, 
s.  564,4b.  Vor  allem  aber  konnte  in  UxeUodunum  ^  Exullodunum 
nicht  Synkope  zwischen  xUl  eintreten,  sondern  der  dritte  Vokal  müfste  hier 
als  der  schwächere  (s.  §64  8)  fallen:  nicht  Ex' llodiino  ~^  * Isleün ,  sondern 
Exolf  duno  ]>»  Yssoiidun,  Exoudun  ist  lautgerecht.  Nun  zeigt  aber  die  Form 
Yssolu  selbst,  dafs  hier  Synkope  der  2.  Sdbe  nicht  eingetreten  ist.  Ganz  das- 
selbe gilt  von  Besaldunum  >■  .5^:i;az<:^««  und  ßesalu. 

Somit  zeigen  Embriin,  Yssolu,  Besalu  dieselbe  Entwicklung  wie  Congi - 
dunum  ];>  Cugnon,  Mellod unum  ^  il^/i^«  (neben  Meiidon),  Cervedunum 
^  Cervon,  Cravedunum^  Cravon,  CstmhidnnMm  ~^  Cambott  usw.  Hier 
ist  d  gegen  die  frz.  Lautregel  gefallen;  es  mufs  also  entweder  schon  bei  der 
Übernahme  ins  Romanische  nicht  mehr  vorhanden  gewesen  sein  (vgl.  Eburuno, 
Hebriuno  iür  Eburodunum),  oder,  wenn  dies  Schreibfehler  sind,  alle  diese 
Namen  sind  lehnwörtlich.  Z.  B.  Meli  o  dun  um  wurde  Meldon,  später  trat 
aus  der  Urkunden^prache  Meleiiujt  neuerdings  in  die  Voiks-prache  und  ent- 
wickelte sich  zu  Meleün'^  Melun.  Dort  hielt  sich  Meudon  bis  heute,  ander- 
wärts wurde  es  von  Melun  verdrängt.  —  Andere  Ortsnamen  mit  regelwidrigem 
Schwund  des  d  s.  §  117,3. 

-  Nfr.  Part.yi/z",  fuie  ist  neugebildet  zum  InLfidre. 

'   Das  Wort  gehört  zu  dlco,  idg.  deik-. 


54 

legte)  Synkope  nicht  romanisch,  das  beweist  it.'  tose,  (/f/c  gegen- 
über freddo. 

In  den  romanischen  Sprachen  liegt  vielmehr  nur  die  Langform 
vor.  Keine  Synkope  trat  ein  in  rum.  deget  und  in  Süditalien  2 
(lecc.  dicelu,  sie.  jidiiu^  neap.  jidete"^). 

Einzelsprachlich  ist  die  Synkope  in  it.  tose,  dclo,  span.  ptg.  dedo, 
frz.  dat,  prov.  rtr.  det.^  Im  Frz.  fiel  der  Vokal  erst  nach  der  Laut- 
abstufung,>'>  wie  cogitare  >>  coidier  beweist.  Ebenso  *rügitus  (für 
cl.  rugltum)  >  span.  ruido,  afr.  rtiit. 

2.    Wohl  aber  ist  die  Synkope  gemeinromanisch  bei  di't: 

medietate:    it.  7netä,    prov.  meiiat,    frz.  moihe,    span.  milad,    ptg. 

7netade. 
*cupidietate:  prov.  coheUat,  afr.  coveitie  (vgl.  o.  §  14). 
*cupidietare:  prov.  cobeitar,  afr.  covätier  >  nfr.  convoiter. 

Dagegen  trat  in  adjutare^  die  Synkope  erst  einzelsprachlieh  ein: 
Der  Lateiner  fühlte  wohl  noch  die  Komposition,  dazu  kam  der 
Systemzwang,  der  von  den  stammbet.  Formen  adjijto  usw.  ausgeübt 
wurde.  Es  blieb  also  die  Langform  allein  gültig.  Einzelsprachlieh 
ergab  adjutare  regelrecht  it.  aifavt ,  prov.  aidar,  /aAx.  aidwr  >> 
nfr.  aider. 

Ableitungen  zu  moilii  (nicht  aber  aus  vi.  Wortungeheuern  wie 
"mediet  adanus,'^  *medietarius,  Körting  6043,  6045  hervor- 
gegangen) sind  afr.  moiieain  (nfr.  miioyen  durch  Einflufs  von  mi  und 
ynoyen)  nnd  afr.  meiteier  >■  nfr.  metayer.    Ebensowenig  liegt  *medie- 


'  Über  die  i-Formeii  (it.  dito  usw.)  s.  §  31. 

2  i  ist  lautgerecht  tiir  betontes  vi.  e. 

^  Durch  Umstellung  aus  *diyitu. 

*  Der  Schwund  des  i  in  det  ist  unerklärt;  es  zeigt  dieselbe  Abweichung 
von  freit  (neben  dem  fr  et  vorkommt)  wie  etwa  nigru  ^  ner  von  fragro 
'^flair. 

^  Marchot  S.  85  will  coidier  erklären  durch  Analogie  zu  voidier.  — 
Cledat  S.  214  meint,  dafs,  wie  g'd,  c't  (*lrigdum,  *explictum)  auch  g't 
frühzeitig  zusammentrat,  aber  dafs  bei  der  Berührung  mit  stimmhaften  g  das  t 
stimmhaft  geworden  sei:  cogdo,  cogdare,  digdo;  die  umgekehrte  Assimi- 
lation dicto  sei  gegeben  in  der  App.  Probi!  Man  fragt  nun  vergebens,  warum 
einmal  progressive,  das  anderemal  regressive  Assimilation.  Bauer  S.  40  verweist 
ohne  jede  Bemerkung  auf  Marchot. 

®  Auch  Cledat  S.  215  Anm.  2  erklärt  den  Unterschied  von  moitie  und 
aider  dadurch,  dafs  der  unbetonte  Vokal  sich  in  adjutare  länger  gehalten 
hat,  weil  er  in  adjutat  betont  war.  —  Marchot,  nach  dessen  Annahme  auch 
bei  erst  frz.  Synkope  t  erscheinen  sollte,  mufs  S.  85  seine  Zuflucht  dahin 
nehmen,  dafs  aidier  entstanden  sei  aus  den  Formen  aiudo,  aiuäas,  aiuclat, 
bevor  in  ihnen  das  d  schwand. 

'  Es  müfste  mindestens  *medietatanus  lauten,  wie  dem  auch  der  Dict. 
gen.  statt  *medietarius  (das  doch  nwr  *meitier  ergeben  könnte)  *medieta- 
tarius  ansetzt.  —  Allerdings  ^ind  diese  Bildungen  wahrscheinlich  vorliterarisch, 
aber  als  älteste  Formen  sind  höchstens  gall.-röm.  *meytatanu ,  *meytatariu 
möglich,  wenn  die  Ableitung  noch  vor  der  Lautabstufung  stattgefunden  haben 
sollte. 


55 

tadana   dem   frz.  mitaine  zu  Grunde,   sondern  dieses  ist  wie  niHon 
gebildet  von  afr.  mite  (vgl.  Dict.  gen.). 

3.  Nach  der  Neumann'schen  Regel  müfste  medietatem  afr. 
*moidü  ergeben.  Ne.mann  Zeitschr.  XIV  562  mufs  daher  moitii  vi\& 
belle,  sanle,  plenle  usw.  rechtfertigen  als  angeglichen  an  jene  Fälle, 
wo  t  lautgesetzlich  ist:  poesle,  poverle,  liberle,  jovenle,  volente.  Als 
Stütze  seiner  Ansicht  vermag  er  nur  pietate  'p-  pidie  anzuführen, 
neben  dem,  ebenfalls  durch  Angleichung,  das  häufigere  pitii  steht. 
Da  aber  t  in  den  Reflexen  von  medietate  gemeinromanisch  ist, 
d-Formen  aufser  pidie  im  Frz.  völlig  fehlen,  die  angeblich  assi- 
milierend wirkenden  Wörter  zudem  viel  seltener  sind  als  die  assi- 
milierten, ist  Angleichung  hier  ausgeschlossen.* 

Darmesteter  Rom.  V  146  übernahm  von  Havet  die  Erklärung 
pietatem  >  piyelale  >>  piylat  >•  pilie  und  deutete  152  Anm.  4 
ebenso  quietare  ]>>  quiyelare  >  qwytare  ^  quitier  >>  quitler;  für 
die  Erhaltung  der  i-Qualität  könnte  man  auf  diem  >  dt  verweisen. 
M.-L.  Rom.  Gr.  §  376  läfst  -ie-  vortonig  zu  ü  werden:  quietare 
>  quiilare  >>  nfr.  quitter.  Ebenso  ist  nach  Nyrop  P  zwischentoniges 
e  als  zweiter  Hiatvokal  konsonantisch  [j]  geworden  (§  262)  und 
unter  seinem  Einflufs  findet  sich  /  statt  e  (§  162):  pietatem  >- 
pijtale  '^  pilie,   quietare  ^  quijlare  ^  quilier,  quilhr. 

Die  Grundform  für  quitter  ist  strittig.  Allerdings  Körtings 
quittare  (i.  Aufl.)  wie  quitidare  sind  unbrauchbar,  weil  quitus 
für  quietus  nicht  gerechtfertigt  ist.  Der  Dict.  gen.  betrachtet 
quitler  als  Ableitung  zu  qiiitteP-  Bleibt  man  bei  quietare  als 
Grundwort,    so  ist  t  als  lautgesetzlich    zu    betrachten. 

Neben  pilie  aber  steht  pidie  und  wir  finden  das  d  {neben 
häufigerem  /)  auch  in  den  Subst.  pida7icerie,  pidancier  und  im  Adj. 
pide  (neben  pite  =  qui  a  de  la  pitie).  Ein  solches  Auftreten  einer 
Media  neben  lautgerechter  Tenuis  ist  immer  ein  Kennzeichen  eines 
Lehnwortes  (vgl.  o.  §  33),  wozu  der  Umstand,  dafs  pietas  ein  Wort 
der  Kirche  ist  und  im  12.  Jh.  als  pielc  neuerlich  entlehnt  wurde, 
trefflich  pafst.  Afr.  pite,  pitee  sind  leicht  verständliche  Analogie- 
bildungen. 

4.  Neben  dieser  regelrechten  Entwicklung  von  g't  finden  wir 
aber  auch  die  Parallele  zu  maie.  M.-L.  Zeitschr.  VIII  235  schrieb: 
„In  digita  mufs  die  vollständige  Verflüchtigung  von  ':  g  1  vor  die 
Synkope  und  das  Auslautgesetz  fallen."  Anders  denkt  er  in  der 
Gramm.  I.  §  448,  denn  in  cogitat  >-  cuie  haben  wir  den  Palatal 
sicher  in  dem  /  vorliegen. 3 


^  Damit  erledigt  sich  auch  die  neuerdings  von  M.-L.  Afr.  Gr.  §  128  aus- 
gesprochene Ansicht,  dafs  bei  y — t  gegenseitige  Angleichung  stattgefunden  habe. 

■■*  Über  quiite  s.  §  12. 

^  Afr.  Gr.  §  161  meint  er,  -ain  <^  a^itie,  cuie  <^  cogita,  doie  <!^  digita 
„zeigen,  dals  die  Vokalisierung  des  j  älter  ist  als  die  vokalischen  Auslaut- 
gesetze und  als  die  Synkope  des  Nachtonvokals".  Aber  warum  dann  daneben 
deit  und  ctttde} 


56 

Nach  dem  Muster  von  vindicat  >>  vetiche,  vindicare  zu  venger, 
erwarten  wir  cogitat  >  *cuite,  cogitare  >>  coidier.  Mir  sind 
t- Formen  nicht  bekannt,  neben  coidier  steht  nicht  *cuiiier,  sondern 
cuier.  Wir  sind  demnach  berechtigt,  hierin  die  urspr.  stammbetonte 
Form  zu  sehen: 

cogitat  >>  cuie  digita  >•  deie  magida  >»  maie 
cogito  >>  cuit  digitu  ]>  deit  magidem  >  maii 
cogitare^  coidier  *magidariu  >>  lyon.  maidi 

dei,  cid,  cuier  sind  demnach  als  Ausgleichformen  zu  betrachten. 
Auf  welchem  Wege  cogitat  >•  cuie,  digita  >>  deie  werden,  bleibt 
noch  festzustellen;  vgl.  o.  S.  51   maie. 

Das  Provenz.  zeigt  hier  dieselbe  Entwicklung,  neben  cuidar 
steht  cuiar. 

5.  Im  Widerspruch  mit  dem  Gesagten  steht  "fugita  '^  fuife, 
für  das  fuie  zu  erwarten  wäre.  Dieses  ftiie  ist  ja  wirklich  vor- 
handen, nur  läfst  man  es  gewöhnlich  aus  älterem  fue  (<<  fuga) 
hervorgehen  unter  Einflufs  von  fuir  oder  fiiitc,  während  man  bei 
essuie  für  esstie  in  dem  i  einen  Gleitlaut  zu  erblicken  pflegt.  * 
Aber  2X1.  fuiie  (abgesehen  davon,  dafs  man  auch  von  *fucta  aus- 
gehen könnte)  darf  nicht  als  Gegenbeweis  gegen  cogitat  >>  cuie 
usw.  angeführt  werden,  denn  es  steht  unter  Systemzwang.  Solche 
Verbalsubstantiva  stellen  dar  den  betonten  Stantim  -}-  Endung  -te 
(s.  §  103,  2),  vg\.fui-te,  siii-te,  gis-ie,  frain-te  usw.,  während  *fugita 
>»  '^fuie,  *sequita  >>  -'seite,  *jacita  >■  *^//<f,  fracta  >•  *fraife  er- 
geben hätte. 

*fugitivus  ergab  lautgerecht  prov.  fiiidiü;  afr.  fiiitiz  steht  unter 
Einflufs  von  fuite. 

So  bleibt  noch  Magetobriga  >  Moigte  de  Broie.  M.-L.  Bet. 
im  Gall.  S.  22  neigt  zu  der  Annahme,  dafs  der  frz.  Form  unkom- 
poniertes  *raageta  briga  zugrunde  liegt.  Wenn  cogitat  prov. 
rttia,  afr.  cuie  ergab,  mufs  der  Ausgang  dieser  Entwicklung  in  vor- 
einzelsprachlicher  Zeit  liegen.  *Mageta  aber  wurde  als  solches  ins 
Frz.  übernommen  und  konnte  dann  nach  der  Neuraannschen  Regel 
nichts  anderes  als  Moigte  ergeben. 

§  50.     c't.     Die  Fälle  sind: 


a)     explicitum 

afr. 

espleit 

nfr.  exploit 

*implicita 

11 

empleite 

„     emplette 

*explicitare 

11 

espleitier 

„     exploit  er 

*implicitare 

11 

empleitier 

soUicitum 

•)■) 

souloit 

sollicita 

» 

souloite 

•  So  Nyrop  I279;  dagegen  Schwan-Behrens  §348,  3  b  denkt  an  Aus- 
gleich nach  «fj.fz«  ;>  exsuco(?).  Nach  M.-L.  Afr.  Gr.  §189  ist  essuier  noch 
unaufgeklärt. 


57 


b) 

placitum 
*placitare 
vocitu,  -a.- 

afr. 

51 

plait  ^ 
plaidier 
vuit,  vuide 

nfr. 

•n 
•n 

plaid 
plaider 

vide 

*vocitare 

JJ 

vuidier 

11 

vider 

nocitum 

)? 

nuit 

11 

nui^ 

c) 

facitis 
dicitis 

frz. 

faites 
dites 

d) 

ficatum 
*ficitare<*fiti- 
care 

5) 

afr. 

foie 

fegier,  figier 

11 

figer 

e) 

*jacita 
culcita 

giste 

colsire,  colte,  coilte 

11 
11 

gtte 

coite,  couetle 

amicitatem 

!1 

amistie 

11 

amitic 

mendicitatem       „     mendistie 

I.  Über  die  Entwicklung  von  -cit-  ist  oft  gehandelt  worden, 
wenn  auch  unsere  Grammatiken  nicht  darauf  eingehen;  Nyrop 
erwähnt  c  sekundär  vor  t  überhaupt  nicht,  Schwan-Behrens  gibt 
für  die  unter  a)  und  b)  genannten  Beispiele  §  158  Anm.  folgende 
Entwicklung  (ohne  nähere  Begründung):  plakitu  — '''plagitu,  *playtu, 
*pliiyt'u,  plait,  er  läfst  also  k^  >  g2  werden  vor  der  allgemeinen 
Lautabstufung.  Rydberg  (Le  developpement  de  faire  S.  105)  erklärt 
hz.  plait  aus  einem  nach  factum,  jactum,  doctum  usw.  analogisch 
gebildeten  '-plactura.  Ebenso  fafst  Horning  Zeitschr.  XIX  75 
es  „als  Neubildung,  nicht  als  frühsynkopiertes  placitum."  Der 
gleichen  Ansicht  ist  Körting  seit  der  2.  Aufl.;  placitum,  bezw. 
*plactum  nach  actum,  factum. 


1  Ältester  Beleg  plaid  in  den  Eiden  (aber  dreit^);  vgl.  dazu  plaido  in 
einem  Protokolle   aus  Verona  von  822,    erwähnt  von  Ascoli  Arch.Gloti.18l. 

2  Körtings  Angaben  über  das  Wort  sind  unvollständig  und  nicht  fehler- 
frei, vacare,  vocuus,  daneben  durch  Ausgleich  vocare,  vacuus;  die 
a-Formen  hat  vorwiegend  die  italienische  Halbinsel  und  Sardinien  bewahrt, 
sonst  herrscht  die  o-Form  vor. 

vacare:    ?,2.xA.bagare,  span.  ptg.  z/ff^ar;  lehnwörtlich  in  span.  prov.  zi^car, 

frz.  vaquer  (13.  Jh.). 
vocare:    log.  bogar. 

I  sonst  ist  -uus  ersetzt  durch  -itus,  also 
eine     Partizipialbildung      von     vacare, 
vocuus:   ? span.  ÄM^«:«?,  ptg.  ouco  (  vocare   nach  dem  Muster  von  domitus, 

I    crepilus  usw. 
*vacitus:    i,pin.  vaguido,  pig.  vag-ado  (beide  mit  geringer  Abweichung). 
*vocitus:    h.  voto,  vuoto,  prov.  voit,  vtiech,  vuei,  voja  usvf.,  afr.  vuzf^  nh: 
vide. 
*vocitare:    (zu  *vocitus  nach  Muster  von  lat.  domitare,  crepitare):  \\..votare, 
prov,  voidar,  vuiar;  afr.  viädier  >  nfr.  vider. 

Diese  Neubildung  ersetzt  cl.  vacuare,  das  vorliegt  in  sard.  svacd  und 
weitergebildet  ist  in  neap.  vacolare. 

2  Afr.  miit  ist  nach  Schwan-Behrens  §  422  neugebildet  zum  analogischen 
Inf.  nuire.     In  lui  liegt  wahrscheinlich  Neubildung  zum  Inf.  luire  vor. 


58 

Auf  die  Schwierigkeiten,  die  sich  Behrens'  wie  Rydberg's  Auf- 
fassung entgegensteilen,  hat  schon  M.-L.  Zeitschr.  VIll  234  hin- 
gewiesen: „Während  fuite  u,  a.  aus  einem  nach  dem  Muster  von 
ductus  usw.  gebildeten  fucta  entstanden  sein  kann,  widerstreben 
plait  und  vint  dieser  Annahme,  letzteres  weil  es  nicht  mehr  Parti- 
zipium ist,  beide  wegen  der  dazu  gehörigen  Formen  mit  0'." 

Das  Vorhandensein  dieses  d  hat  denn  auch  mehrfache  Er- 
klärung gefunden.  M.-L.  Zeitschr.  VIII  234  fragt,  ob  das  t  nur 
infolge  seiner  Stellung  im  Auslaute  tonlos  war.  „Die  gröfsere  Wahr- 
schemlichkeit  spricht  dagegen.  Zwar  scheint  die  Annahme,  dafs 
d  in  plaidier  gehöre  nur  endungsbetonten  Formen  an,  zu  scheitern 
an  vide.  Und  doch  ist  das  der  beste  Ausweg:  vide  kann  unter 
verschiedenem  Einflufs  z.  B.  dem  des  Verbums  oder  anderer  Ad- 
jektiva  {vuit  wuide  =  vert  werde^)  stehen.'-  Auch  in  der  Rom. 
G'"'  I  §  531  l^^st  er  afr.  vuit,  vuide  beeinflufst  werden  von  *vuidür 
=  *vogitare,  das  vor  dem  Ton  zu  vuidier  wird.  Während  er 
Zeischr.  VIII  235  faiies,  dttes  als  Stütze  für  die  Ursprünglichkeit 
des  t  anführt,  meint  er  Gramm.  I  §  313,  facitis  sei  unter  Einflufs 
von  facimus  länger  dreisilbig  gebheben  als  placitum.  Gröber, 
der  ALL.  IV  43g  plait  auf  plactum  beruhen  liefs,  ging  daselbst 
für  plaidiei-  nicht  wie  M.-L.  Gramm.  I  §  25g  von  mlat.  placitare, 
sondern  von  plait  aus,  wo  it  vor  dem  Tone  zu  id  umgebildet  sei 
wie  in  afr.  sonhaidier  aus  soiihail  oder  wie  s  aus  ts  in  croisier  aus 
croiz  =  €riice7n\  dagegen  in  esploitier,  faissier  usw.  liege  lat.  ex- 
plicitare,  fasciare  zu  gründe.^  Prov.  voidar,  afr.  vuidier  >■  vider  sei 
entstanden  wie  plaidiei',  das  frz.  fem.  voide  könne  der  Analogie  von 
Adj.  wie  froit,  froide  =  frigidus  gefolgt  sein.  Horning  Zeitschr. 
XIX  75  denkt  bei  vocitus  mit  Andersson  an  Beeinflussung  von 
rogitus,  „da  vocitus  und  rogitus  die  einzigen  [?]  Partizipia  auf 
-itus  von  Verben  der  I.  Konj.  waren;"  oder  aber  vocitus  sei 
unter  Einflufs  von  vacuus  zu  vocuitus,  voguidus  usw.  geworden 
(vgl.  Span,  vaguido,  ptg.  vagado).  Der  Dict.  gen.  läfst  nfr.  plaid  ent- 
stehen aus  placitum  >  *plagitum  >•  ''^playidum  ^  plaid;  dem  ent- 
sprechend *vocita  (für  cl.  vacuata)  >  '*vueide  >  vuide  >  vide. 
Aber  *explicitare  (zu  explicitus)  >  *explectare  >>  espleitier  >  ex- 
ploiter;  das  Verb.-Subst.  exptoit.  Einen  ganz  anderen  Weg  fand 
G.  Paris,  Miscellanea  Ascoli  S.  56,  der  *vocidu,  *placidu  durch 
Suffixtausch  annahm;  Marchot  S.  85  stimmt  ihm  bei.3 

Wie  der  Dental,  hat  auch  der  Palatal  viel  Schwierigkeit  ge- 
macht.     Am    verbreitetsten   ist   die    Lehre,    dafs    hier   die   palatale 


1  Afr.  verde  ist  selbst  Neubildung  für  fem.  vert. 

^  Aber  mhz.  poisser  sicher  von  poix  =■  picem,  denn  das  Afr.  gebrauchte 
dafür  poier  =  -picare  (Körting  7134  freilich  läfst  empoisser  aus  püare  hervor- 
gehen, auch  noch  in  der  3.  Aufl. !)  —  In  afr.  Zeit  wurde  freilich  empeser  zu 
peiz  gebildet. 

*  Schwan-Behrens  §  306  Anm.  meint,  d  in  vide  sei  analog  zu  voidier, 
Nyrop  leitet  vide  von  vocita  her  (§§  202,  233),  ohne  das  d  je  zu  rechtfertigen; 
*placitare  ^/Aj/i/^r,  *vocitare  ^  z'«<z<^(?r  sind  ihm  „cas  isol^s"  (§282,2). 


59 

Tenuis  frühzeitig  zur  Media  wurde,  und  diese  Erklärung  ist  schon 
alt.  Flechia  Arch,  Glott.  IV  371  nahm  für  it.  piaiio  die  Ent- 
wicklung *plagitu  >  *plajito  an  und  schon  Ascoli  Arch.  Glott. 
I  30  scheint  sich  die  Sache  so  gedacht  zu  haben.  Vor  allem 
wurde  sie  von  M.-L.  vertreten  und  in  der  Rom.  Gramm.  I  §  523 
dahin  formuliert,  dafs  schon  im  vi.  c  als  Anlaut  der  Pänultima  zu 
g  geworden  sei  (aufser  vor  1,  n  und  vielleicht  m):  fragidus, 
plagitu,  vogitu,  fagere,  digere.  In  der  Besprechung  von 
Rydbergs  Arbeit  (Zeltschr.  XVIII  435)  hatte  er  seine  Ansicht  durch 
Hinweis  auf  x\xm.  fraged  =■  fracidu,  rum.  agidu,  sard.  aidu  = 
acidus,  ferner  auf  die  rom.  Reflexe  von  vocitus  zu  stützen 
gesucht. 

Dagegen  hatte  sich  nachdrücklich  Gröber  ALL.  IV  442  aus- 
gesprochen: -cit-  sei  nicht  auf  gleiche  Stufe  zu  setzen  wie  -git- 
(cogitare,  rogitus,  digitus,  in  denen  -gi-  wie  in  regina  >  it. 
reina,  frz.  reine  vor  Ausfall  des  i  zu  j  assimiliert  wurden).  „Dieses 
-git-  bei  placitum  eintreten  zu  lassen,  verbietet  afr.  doi,  doie  aus 
digitus,  digita  gegenüber  afr.  plaid,  plait  und  afr.  cui-er  neben 
addier,  das  von  cid  (neben  cuid  aus  cogito)  herstammt."  „Die  An- 
nahme einer  Zwischenstufe  -yid-  für  -cit-  führt  zur  Voraussetzung, 
dafs  placitum  erst,  nachdem  explicitum  >>  explictum  [{x?..  exploit) 
und  bevor  *jacita,  decimu  (afr.  ^/j/^,  disme)  der  lat.  Volkssprache 
geläufig  geworden,  in  dieselbe  eingedrungen  wäre,  und  scheitert 
an  den  Formen  von  Wörtern  wie  roide  =  rigidus,  die  plaide  statt 
plait  aus  placitum  erwarten  lassen.'- 

Demgegenüber  hat  die  Notwendigkeit  der  Assibilierung  von  c 
in  -cit-  besonders  Horning  Zeitschr.  XIX  75  betont:  afr.  giste  < 
jacita,  cat.  lezde,  span.  lezda  <  licita,  it.  sozzo,  lazzo,  frazzo,  cat. 
sotza  <<  sucida  („während  frz.  side  für  vi.  sugida  keinen  sicheren 
Anhalt  bietet"). 

2.  Die  Lösung  der  Widersprüche  scheint  mir  folgendermafsen 
möglich. 

Synkope  zwischen  c't  ist  wie  bei  g'd  und  g't  schon  vi.  belegt: 
filicter  bei  Schuchardt  Vok.  Von  den  gegebenen  Beispielen  setzen 
die  unter  a)  verzeichneten  zweifellos  *explictum,  ^implicta, 
*im-,  *explictare,  *sollictum,  "^sollicta  voraus.  Wir  haben  in 
ihnen  gemeinrom.  Kurzformen  1  zu  erblicken,  ihre  Entwicklung  ist 
die  gleiche  wie  bei  ursprünglichem  et,  z.  B. 


1  Wohlverstanden,  durch  gemeinrom.  Synkope  entstanden,  nicht  durch 
Analogie,  wie  man  angenommen  hat.  Zwar  ein  *plictum  hätte  man  zu 
plicare  bilden  können  etwa  nach  Analogie  von  fricare  frictum,  secare  sectum, 
aber  bei  *sollictum  ist  Analogie  schwer  begreiflich,  da  es  ja  kein  Partizipium, 
sondern  Zusammensetzung  aus  sollus  +  ciius  (Part,  von  cieo)  ist. 

Zu  frühsynkopiertem  *sollictum  stimmt  auch  *sollicitare,  das  eine 
ganz  andere  Entwicklung  nimmt.  Körting  8860  leitet  frz.  soitcier  her  von 
soUTcitare;  das  ist  unmöglich.  Der  Dict.  gen.  setzt  *sollicTtare  an,  das 
solcider,  solcie'r,  soucier  geworden  sei;  das  ist  ebenfalls  niclit  angängig.  Soucür 
entsteht  vielmehr  durch  Ausgleich  nach  * soWicii^i '^  soucie. 


6o 


^explicitare*     afr.  espleiiier     prov.  espleitar     ptg.  espreitar. 


In  allen  übrigen  Fällen  liegen  Langformen  vor,  d.  h.  die 
Synkope  trat  erst  in  einzelsprachlicher  Zeit  ein,  u.  zw.  im  Frz.  nach 
der  Lautabstufung: 

placitum^   ;>   *playddo  >   2Sx.plaid  >  plaü 
vocitu  ^  "^voysdo     >■  afr.*OT//r/>>  vuit 

mit  Verhärtung  im  Auslaut.     Ebenso  vortonig: 

*placitare  >  afr.  plaidier"^       *vocitare  afr.  vuidier. 

3.  Für  plaid  wurde  die  Entwicklungsreihe:  placitum  >  pla- 
yidu  >  plaid  angenommen.  Das  scheinen  auch  die  it.  Formen  zu 
stützen ;    p  1  a c i t u m  >  piato,   *vocitus  >  voto   ganz  wie  c o g i t o 

>  coto,  digitus  >>  deto  im  Gegensatz  zu  factum  '^  fatto,  dictum 

>  detto. 

Dieses  plaid  (mit  Synkope  nach  der  Lautabstufung,  aber  zur 
Zeit  des  Auslautgesetzes  nur  zweisilbig)  bildet  zu  conte  (Synkope 
vor  der  Lautabstufung,  aber  zur  Zeit  des  Auslautgeseizes  noch 
dreisilbig)  keinen  Widerspruch.  Nach  m  trat  die  Synkope  vor 
der  Lautabstufung  ein,  aber  das  Wort  blieb  dreisilbig,  indem  das 
m  sonantisch  wurde.  Nach  Palatal  trat  die  Synkope  nach  der 
Erweichung  ein,  der  Palatal  aber  verschmolz  mit  dem  Vokal  zum 
Diphthong,  daher  zweisilbig.     Vgl.  §  37. 

Wie  ist  aber  die  Entwicklung  placitum  >•  'playedo  laut- 
physiologisch zu  rechtfertigen?  Man  nimmt  heute  ziemlich  all- 
gemein an,  dafs  k-  im  Laufe  des  4.  oder  Anfang  des  5.  Jh.  der 
Assibilierung  zuschritt.  Während  k  und  g  zwischen  Vokalen  vor 
a,  o,  u  zusammenfallen,  ist  k^  assibiliert,  g2  zum  Spiranten  geworden. 
Zur    Zeit   der   Lautabstufung:   war   k^  in    der   Entwicklung    so    weit 


^  Körting,  der  3461  *explicitare  für  ptg.  espreitar  ansetzt,  betrachtet 
3462  prov.  espleitar  frz.  expliiter  als  Verbalbildung  zu  afr.  prov.  espleit.  Da- 
gegen setzt  er  für  ■pxow  etnpleitar^  zSr.  emploiter  4783  implicitare  an,  wozu 
ihm  f»?^/i?//^  Verbalsubstantiv  ist.  Gerade  unigekthrt  der  Dict.  gen. :  exploiter 
kom«it  ihm  von  vi.  *explicitare  und  exploit  ist  Verbalsubstantiv  dazu; 
emplette  aber  stamme  von  vi.  *implici ta.  Man  sieht,  wie  wiederspruchsvoU 
man  in  Fragen  der  Wortbildung  ist.  Da  explicitu m  sclion  lat.,  *explici tare 
durch  die  irz.  prov.  ptg.  Form  vorauszusetzen  ist,  wird  man  das  Hauptwort 
wie  das  Zeitwort  als  voreinzelspracblich  betrachten  müssen. 

2  Dafs  nicht  ein  nach  factum  usw.  gebildetes  oder  durch  Synkope  ent- 
standenes *plactum  statt  placitum  anzusetzen  ist,  bezeugen  einerseits  die 
oben    belegten  d-Formen,   andererseits    der  Gegensatz  von  it.  fatto  und  piato. 

^  Es  fragt  sich,  ob  der  Ansatz  *placitare  berechtigt  ist  oder  *plaidier 
Verbalbildung  zu  plaid  ist.  Die  romanischen  Sprachen  sprechen  eher  für 
letzteres:  i\.  piatir,  piateggiare,  xXx.  plidar,  prov.  plaidejar,  i^Ytan. pleite ar,  ptg. 
preitejar.  Afr.  haben  wir  auch  plaidoiier  (noch  im  nfrz.  Subst. //a/rfoy^r), 
das  sicher  Neubildung  ist,  sei  es  zu  plaid,  oder  zu  plaidier  nach  Muster 
solcher  Verba ,  wo  -ler  und  -oiier  nebeneinander  stehen,  oder  beides  wirkt 
zusammen.  Auch  plattier  kommt  vor,  aber  so  spät,  dafs  es  ebenfalls  sicher 
Neubildung  ist,  sei  es  zu  plait,  sei  es  zu  plaidier  nach  Muster  solcher  Verba, 
wo  d  und  t    durch  Stammausgleicli   nebeinander   stehen ,  oder  beides. 


6i 

vorgeschritten,  dafs  es  nicht  mehr  g-  werden  konnte.  Vielmehr 
fiel  es  mit  ti  zusammen,  genau  so  wie  g^  mit  di  gleichwertig  ge- 
worden v.'ar.  In  unserem  Falle  mufs  also  die  Entwicklung  des 
k2  >  t'  >  zdz  nicht  zustande  gekommen  sein.  Was  war  der 
Grund  dafür? 

Einen  Versuch,  eine  phonetische  Erklärung  der  Erscheinung 
zu  geben,  machte  Karsten  S.  31:  „Der  zwischen  c  und  t  erhaltene 
Stimmton  mufs  also  nicht  i,  sondern  ein  dunkler  Laut  gewesen 
sein,  nämlich  jenes  mid  mixed  narrow  e,  zu  dem  im  frz.  alle  Vokale 
auf  einer  gewissen  Akzentslufe  abgeschwächt  wurden."  Aber  dabei 
bleibt  völlig  unklar,  warum  die  Assibilierung  nur  vor  Dental  (und 
vor  r),  nicht  aber  vor  m,  n,  1  unterblieben  ist. 

Ich  vermute  daher,  dafs  ein  dissimilatorischer  Einflufs  des 
silbenauslautenden  t  die  Ursache  war.  Als  k^  >>  t'  >  ty  geworden 
war,  trat  auf  der  Stufe  /y  Dissimilation  zu  y  ein:  placitum  : 
platyitu  >>  playitu  >>  playedo.  Dieser  Vorgang  müfste  sich  im  4.  Jh. 
vollzogen  haben.^ 

4.  Wenn  *vocitare  >  *voyedar  >  voidier  wird,  genau  so  wie 
cogitare  >>  coyedar '^  cotdier,  also  *vocitare  und  cogitare  auf 
der  Stufe  *coyedar,  *voyedar  zusammenfallen,  müssen  wir  auch  Formen 
entsprechend  aäer,  viaie,  deie  finden.     Solche  liegen  vor  in 

prov.  vuei,  voja  neben  voit,'^  voht,  voig,  viiech 

„       voiar,  vuiar  ,,  voidar 

frz.    voyer  (Thomas  Mel.  768)        „  afr.  vuider 
dazu  voyetle. 

Wir  dürfen  demrach  annehmen,  dafs  *vocita  >  prov.  voia  {vtieia, 
viiid)  wurde,  wonach  masc.  vuei  gebildet  ist,  *vocitat  >  voia,  vuia, 
das  den  Inf.  volar,  vuiar  nach  sich  zog.  Afr.  vuide  (fem.  und  3.  sg.) 
ist  dann  Neubildung  für  *vuie.  Daraus  erklärt  sich,  dafs  vider  keine 
t-Formen  zeigt,  dafs  ein  prov.  fem.  *voida  „nicht  vorhanden  zu 
sein  scheint."  Zugleich  ist  dies  aber  der  stärkste  Beweis,  dafs  k^ 
vor  t  zu  y  wurde. 

5.  Wenn  nun  vuide,  vielleicht  auch  froide  Neubildungen  zu 
den  masc.  vuU,  froit  sind,  auf  welchem  W(  ge  wurden  sie  gt-bildet? 
Es  ist  das  dieselbe  Frage,  welche  auch  für  die  Feminin-Bihtung 
der  afr.  masc.  graut,  vert,  fort  und  die  Adj.  auf  -ant,  -ent  besteht. 
Wir  finden,  entsprechend  der  lat.  Qualität  grande,  verde',  forte, 
-ante,  -ente.  Anzunehmen,  dafs  schon  vi.  *granda,  *virda',  *forta 
vorhanden  waren,  dazu  sind  wir  nicht  berechtigt.  Eine  einheitliche 
Erklärung  ist  darin  gegeben,    dafs  die  Femina  vor  der  Verhärtung 


1  Ein  ähnlicher  Vorgang  dürfte  sich  im  8.  Jh.  abgespielt  haben.     Wenn 
cavea  als  cage  erscheint,  liegt  folgende  Entwicklung  vor: 

cnv^a.'^  cavya"^  tiuvya'^  ky'ivya'^  kavya'^  caj^e,     indem    das    erste 

epent.  /  durch    das  zweite  infolj^e  einer  totalen  Dissimilation  in  Wegfall  kam. 

2  Bei  Herford  ist  das  Wort  seltsamer  Weise  nicht  verzeichnet. 


62 

im  Auslaut  gebildet  wurden.  Als  viridis  auf  der  Stufe  ^'verd  stand, 
formte  man  dazu  fem.  verde;  dagegen  nach  der  Verhärtung  ent- 
stand zum  masc.  vert  aus  dem  fem.  vert  durch  Anhängung  von  e 
ein  fem.  verfe. 

Freilich  eine  Reihe  von  Sprachforschern,  auch  Nyrop  P  §  314,  2 
sind  der  Ansicht,  dafs  zur  selben  Zeit,  wie  der  Schlufsvokal  fiel, 
auch  die  Verhärtung  eintrat.  Aber  diese  Meinung  ist  nicht  be- 
wiesen. Das  Nfr.  zeigt  uns,  dafs  nach  dem  Fall  des  s  die  Stimm- 
haftigkeit  der  Endkonsonanten  zunächst  erhalten  bleiben  kann, 
wenn  auch  die  Tendenz  zur  Verhärtung  vorhanden  ist,  worin  der 
Norden  (das  Wall.,  z.  T.  das  Norm,  und  Lothr.)  bereits  voran- 
gegangen ist.  So  dauerte  es  wohl  auch  im  Urfrz.  eine  geraume 
Zeit,  bis  die  Verhärtung  eintrat.  Sie  scheint  noch  in  den  Eiden 
nicht  durchgeführt,  wo  platd^,  aber  dreit  gesagt  wird.  So  spät 
dürfte  sie  aber  nur  im  Süden  des  frz.  Sprachgebiets  nicht  vorhanden 
gewesen  sein,  der  Norden  und  das  Zentrum  hatte  sie  um  jene  Zeit 
gewifs  schon  abgeschlossen. 

6.  Nach  dem  Gesagten  mufsten  facitis,  dicitis  lautgesetzlich 
faitz,  diiz"^  ergeben  und  diese  Formen  sind  nn  Frov.  auch  vor- 
handen, wenn  auch  ditz  früh  durch  dizetz  zurückgedrängt  wird.  Im 
Frz.  aber  erhielten  *faits,  *diis  frühzeitig  durch  Analogie  ein  e, 
ebenso  wie  esiis  >  prov.  etz.  Afr.  esie^,  faiies,  dites  haben  sich  nach 
der  I.  pl.  esmes,  faijjies,  ditnes  ausgeglichen,  wo  das  e  lautgesetzlich 
ist.  Es  ist  derselbe  Vorgang,  der  sich  im  Perfektum  wiederfindet: 
cantavimusS  >■  chatilamcs,  darnach  cantastis  >  *chajitais  (vgl.  prv. 
cantetz)  ersetzt  durch  chaniastes. 

7.  Frz.  foie  scheint  so  schwierig  zu  erklären,  dafs  unsere 
Grammatiken   vermeiden   darauf  einzugehen.*     Schon  Dieiz  wufste. 


^  Wenn  int  für  inde  in  den  Eiden  erscheint,  ist  das  kein  Gegenbeweis; 
es  nimmt  aus  satzphonetischen  Gründen  eine  Sonderstellung  ein:  wir  haben 
schon  afr.  en,  währrnd  nt  im  Auslaut  noch  vorhanden  war.  So  dürfte  hier  t 
wegen  des  tollenden  stimmlosen   Anlautes  stehen. 

^  Wallensköld,  Le  sort  des  voyelles  postioniques  finales  du  latin  en  ancien 
fran^ais,  Sonderabdruck  aus  den  Neuphilologischen  Mitteilungen,  hrg.  vom 
Neuphil.  Verein  in  Helsingfors,  1908,  p.  23ff.,  möchte  facitis  lautgesetzlich 
faites,  aber  placit  um  ]>•  p/arf  wcrdtn  lassen,  so  d-Ak  p/aiz,  oz,  Crtz  usw.  als 
Neubildungen  zum  A'kk.  p/ait,  ost,  Crist  zu  betrachten  wären.  Da  aber  sonst 
das  Flrxions-J  nach  anderen  Konsonanten  und  Konsonanten-Gruppen  nie  nach- 
weislich ein  Siütz-if  hervorruft  und  prov.  tatsächlich  ya??z  vorliegt,  glaube  ich, 
dafs  Wallenskölds  Annahme  abzulehnen  ist. 

^  Von  dieser  Form  ist  auszugehen,  nicht  von  *cantamus,  wie  Behrens 
§  342  und  Nyrop  II  §  165,  4  angeben.  Letzteres  tiätte  nur  *chantains  ergeben 
können,  cantavimus  aber  ergibt  lautgesetzlich  chantaines ,  \-'^\. jiivenis'^ 
jeunes.  Im  Prov.  erfolgte  der  Ausgleich  in  umgekehrter  Weise,  cantem  ver- 
liert nach  cantetz,  faiin  nach  Muster  von  faitz  sein  Stütz-^.  (Nachträglich 
sehe  ich,  dafs  auch  Wallensköld,  a.  a.  O.  (s.  Anm.  2)  p.  21  -avimus,  -ivimus 
als  Grundlage  von  -ames,  -imes  erkannt  hat.) 

*  Schwan-Bfhrens  erwähnt  das  Wort  überhaupt  nicht.  Nyrop,  der  in 
der  I.  Aufl.  I  §139,5  und  §150  fi c ätum  ^  fi ticum  ^ /öi>  ohne  weitere 
Begründung  ansetzt,  hat  das  Wort  in  der  2.  Aufl.  gestrichen. 


63 

dafs  es  auf  lat.  ficatum  zurückgeht,  das  er  mit  gr.  övxodtov  rjjcag 
(ngr.  Gixori)  verglich,  und  wies  auch  schon  auf  figido  in  den  Cass. 
Gl.  hin.  Aber  über  das  Verhältnis  dieser  Formen  war  man  im 
Unklaren.  Seitdem  ist  oft  über  das  Wort  gehandelt  worden,  s. 
die  Lit.  bei  Körting  3726,  wo  aber  die  wichtigste  Besprechung  in 
neuerer  Zeit,  nämlich  M.-L.  Einf.  §  140,  fehlt. 

Körting  geht  aus  von  lat.  ficätum,  das  —  nach  der  3.  Aufl.  — 
unter  Einflufs  von  *sicatum  =  gr.  ovxmtov  stehen  soll.  Aber 
woher  denn  ficatum?  Eine  lat.  Bildung  zu  ficus  kann  es  ebenso 
wenig  sein  wie  eine  Übersetzung  von  avxmröv.  M.-L.  Einf.  §140 
sieht  darin  entlehntes  övxmrov,  dafs  sich  mit  lat.  ficus  vermischte. 
Ich  glaube,  man  kann  noch  weiter  gehen  und  in  ficatum  un- 
mittelbar das  entlehnte  övxmrov  sehen.  Die  Lautgestalt  erklärt 
sich  dann  folgendermafsen: 

Lat.  ficus  und  gr.  ovxov  sind  identisch,  sei  es,  dafs  ersteres 
aus  letzterem  entlehnt  ist,  als  es  noch  gr.  piükoit  gesprochen  wurde, 
sei  es  dafs  beide  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zurückgehen  (vgl. 
Walde,  Etym.  Wtb.  d.  lat.  Spr.,  S.  221);  so  wurde  denn  auch  in 
Ovxmröv  das  0  als  f  übernommen.  Die  älteste  Gestalt  der  Ent- 
lehnung liegt  vor  in  den  Gloss.  Isid.:  ficotum,  quod  Graeci  ovxcoröv 
vocant. 

-ötum,  das  im  Lat.  selten  war  und  frühzeitig  abstarb,  wurde 
in  Angleichung  an  die  Part.  Perf  der  i.  Konj.  ersetzt  durch  -ätum.i 

Durch  die  Entlehnung  erklärt  sich  auch  das  Schwanken  zwischen 
/  und  e,  das  für  Lehnwörter  aus  dem  Gr.  charakteristisch  ist,  vgl. 
cicinus  und  cecinus;  girus,  cima,  aber  prebeteru.  Dementsprechend 
haben  wir: 

7:  rum.  ficai,    span.  higado,    ptg.  figado,   afr.  fie,  firie,    frc.-prov. 
fidie    (Val  Soana),    prov.   bearn.  y/^(?,     it.    lomb.    erx\{\.  fidegh 
{-dig,    -dag),    piem.  fidich,    mail.  fideg.      In    sard.  log.  fidigu, 
camp,  /igdu;    sie. /üa/u;  ven.  mant.  //gd,  hiaul. /ijdd  kann 
wie  e  vorliegen. 

_  :  it.  tose,  fegato  (neap.  fkato,  romagn.  fegat,  bol.  feghd,  röm. 
fedico,  abruzz.  feieche),  prov.  cat.  feige,  frz.  foie,  wall,  feilte, 
Schweiz,  fedze. 

Die  seltsamsten  Versuche  2  sind  gemacht  worden,  die  Akzent- 
verschiebung zu  erklären.  Bei  der  Annahme  der  Entlehnung  wird 
sofort  alles  klar.  Ein  Wort  wie  övxcoxöv  konnte  auf  zweierlei 
Weise  aufgenommen  werden.  l.  Mit  lat.  Akzent:  ficätum,  2.  mit 
Erhaltung    des    gr.  Akzent:    Qvxcoxöv    mufste    auf   v  einen  Neben- 


^  ficatum  als  Part,  aufzufassen,  geht  nicht  an,  denn  ein  lat.  *ficare 
gibt  es  nicht;   gr.  gvX(üt6v  ist   Verb.-Adj.  zu  ovxöu),  einer  echtgr.  Bildung. 

"^  D'Ovidio  Zeitschr.  VllI  105  dachte  an  die  proc).  Stellung  von  f  in  der 
Wortfolge  ficatum  jecur;  Körting  hielt  in  der  2  Aufl.  gar  einen  Einflufs 
von  fiJes  „Darmsaite"  möglich,  damit  halte  er  drei  Fliegen  auf  einen  Schlag: 
1,  d  und  die  Metathese ! 


64 

akzent    tragen;    da  Oxytona   im  Lat.   unmöglich,    machte    man  den 
Nebenton  zum  Hauptton,  daher  ficatum.^ 

Im  Lat.  standen,  wie  es  in  solchen  Fällen  zu  sein  pflegt, 
beide  Aussprachen  nebeneinander  und  beide  haben  sich  bis  heute 
erhalten : 

1.  lat.  Akzent:  ram..  ßcdt,  sard.  csimp.  //gdi/,"^  %\c.  ficätu,  ven. 
mant.  figd,  friaul.  ftjäd. 

2.  gr.  Akzent^:  span.  higado,  ptg,  figado,  sard.  log./idiga,  cat. 
prov.  fetge,  frz.  foie  (afr.  fie,  firie,  wali.  feute,  Schweiz,  fedze),  it. 
fSgato    nebst   den    übrigen  oben  genannten  mundartlichen  Formen. 

Welche  von  den  genannten  Formen  setzen  die  Reflexe  Galliens 
nun  voraus.  Karte  585  des  Atlas  ling.  ist  sehr  eintönig,  das 
schriftsprachliche  fwa  hat  den  gröfsten  Teil  des  Gebietes  erobert. 
Neben  afr.  feie  steht  bekanntlich  fie,  das  Pic.  hat  noch  ft  davon 
bewahrt.  Darin  haben  wir  einen  Reflex  von  /  zu  erblicken,  ebenso 
in  einigen  südfrz.  Formen  (gase,  hidye,  hldje;  Cantal  709  fwidje, 
Aveyr.  727  fitse).  \n  füdze  Sil,  fü/se  Jiy  ist  ü  dem  Einflufs  des 
anlautenden  Labials  zu  verdanken.  Für  die  übrigen  prov.  Formen 
ist  zweifellos  von  *feticum  (durch  Metathese  aus  *fecitum  für 
*fecatum  entstanden)  auszugehen,  desgleichen  für  ssLV.fe^o  [z  =  Ö) 
und  für  die  Schweiz.  Formen  [fedz.  fedzo,  fedzu,  feze,  feze  usw.). 
Ein  ähnlich  entstandenes  *liticum  liegt  in  lehnvvörtlicher  Ent- 
wicklung vor  in  afr.  fvie'.  das  Wort  wurde  nach  der  Synkope  in 
die  Volkssprache  aufgenommen  als  *fidigo,  dafs  sich  über  *fidie  zu 
firie  entwickelte. 

Auf  gleicher  Stufe  wie  prov.  cat.  frc.-prov.  feige  steht  auch 
das  afr.  Verbum:  *feticare  ^  fegier,  fiticare  '^  Jigier,  \\{x.  figer. 

Wie  aber  ist  frz.  foie  entstanden?  Nyrop  li  §  13Q,  5  und 
§  150  liefs  „ficätum  aliere  en  ficätum  ou  fiticum  ^  feie"^ 
werden;  abt-r  *fiticum  mufsle  *fege  ergeben.  Der  Dict.  gen.  geht 
aus  von  *tidicum,  „alteration  inexpliquee  du  lat.  ficatum,  devenu. 
^fedtgo,    *fedio,    *fedju,  feie'-''.      Aber    diese    Entwicklung    steht    im 


^  Eine  Parallele  bietet  die  ÜbernaVime  afr.  Worte  ins  Me.:  aU.  diligent 
^  me.  diligent.  afr.  guante  ^  mr.  qua  ity,   afr.  generdl  ^  me.  general  usw. 

2  Gröber  ALL  ]I  288  schreibt  flcäu  und  erlüän  es  wegen  des  c  als 
Buchfcrm;  Diez  S.  135,  V.  Paris  Rom.  \'I  132,  Behrens  Me  aihese  S.  99  aber 
bieten  figdu. 

8  Solchen  Fortbestand  der  g'.  B-tonung  gegen  das  lat.  Dreisilbengesetz 
ist  ja  recht  häufig:  it.  Tdranto,  Otranto,  Sölanto,  Lepanto  (NavTiaxzoc), 
Brlndisi\  spn.  .fi&ro  (IßrjQoq);  ferner  it.ydcppo,  idolo.  accöntti,  eipfte,  garö- 
fallo'^  ■^Y>A^.  po/lgloto ,  ciclfpe,  hcroe ,  pertfüneo;  frz.  tieße  (TQL(pvXXov),  eiicre 
(eyxavaxov)  Da-selbe  giU  auch  von  kelt.  Worten :  lr^.  Troycs  (Iricasses). 
Bei  den  Oxy'ona  ist  manchmal  das  Dreisilben-Gt  setz  eingehallen,  also  mit  lat. 
Betonung:  inO'/Tj  w.epoca,  S£t).7jibg  v.  Sileno;  andfiseits  ist  dagegen  ver- 
stol-en :  \pXey[.iOvil  n.flemmöne,  'lanstOQ  it.  Giapeto,  &Tj^iaxa  h.  triäca-j 
endlich  die  o.  g.  Betonungsweise  ötä  xioösicDv  it.  diacödio,  'Ayanrjtög  it. 
Agdpito,  yoj^vToq  span.  goldre. 


65 

Widerspruch  zu  allen  Lautregeln.  Gröber  ALL  II  424  Anm. 
leitet  frz.  foie,  wall,  feute  her  von  *ficatum  und  vergleicht  dazu 
digitum  >  doigt;  so  hatte  sich  auch  M.-L.  Zeitschr.  Vlil  234  ge- 
äufs:irt,  das  frz.  _/ö/(?  =  fecatum  ist,  zu  dem  es  sich  verhalte  wie 
digitus  zu  doi(gt),  nur  mufste  tonloses  a  >  e  werden  und  nicht 
schwinden.  Aber  dieser  Vergleich  ist  unzulässig,  digitum  gibt 
wall,  das,  ficatum  aber  erscheint  oXs/oet.  Horning  Zeitschr.  22,  488 
vergleicht  _/>/^  mit  suie  und  stellt  die  Gleichung  auf  ficidus  :  ficus 
=  *sucidus  :  sucus,  wo  dann  aus  *ficidusi  durch  Umstellung 
*fidicus  hervorgehe.  Auch  damit  ist  nichts  gewonnen,  stiie  hat 
als  nächste  Vorstufe  ein  suia,  bei  feie  ist  eine  Entsprechung  dazu 
nicht  vorhanden. 

Das  auf  nordfranzösischem  Boden  entstandene  Reichenauer 
Glossar  bietet  jecor  :  ficatus.  Daraus  entsteht  auf  dieselbe  Weise 
feie  wie  ane  aus  anatem: 

anatem    :   anet  (so  prov.)      afr.  a«? 
fecatum  :   */eyet  „    feie     nfr.  foie 

ficatum  :  *fiyet  „    fie      pic. /r 

Darin  haben  wir  eine  lehnwörtliche  Entwicklung  vor  uns. 

Am  schwierigsten  ist  wall,  feuie.  Der  Atl.  ling.  bietet  fät,  fet, 
fe^t,  fe^i,  fwät,  fwet  usw.,  das  auf  afr.  '^feite  >>  "^foite  weist.  Indes 
handelt  es  sich  hier  um  eine  speziell  wallonische  Entwicklung: 
*feticum  >  wall,  fcet  wie  cutica  >  wall,  cot,  medicus  >  wall. 
med,  natica  >  nat,  erpica  >  wall,  ip,  atriplicem  >  wall.  a7-ip 
usw.     Wie  diese  Entwicklung  vor  sich  ging,  ist  nicht  klar. 

Es  ergab  also: 

volkstümlich  *feticum  ^xov.  fetge,  fr.-prov.  y>^i? 

wall,  foei 
halbgelehrt  *fecatum(i)      frz.    foie  [y>\c.  fie) 
'•''  f  i  t  i  c  u  m  afr.    firie 

8.  Anzuschliefsen  ist  hier  afr.  pege.  M.-L.  Rom.  Gr.  II  410 
426  erklärt  sard.  pidigu  aus  *pic-idus  >  *pidicus,  aber  d  hätte 
im  Sard.  fallen  müssen.  Auch  UrteP  führt  frc.-prov.  pege  (die 
mundaril.  Formen  bei  God.)  auf  *pidicus,  umgebildet  aus  pica- 
tum,  zurück.  Aber  eine  solche  „Umbildung"  ist  unversiändlich 
und  Subst.  auf  -idus  hat  das  VI.  nicht  gebildet.  Mir  scheint  viel- 
mehr ein  subst.  Part,  vorzuliegen. 

Zu  picare  wurde  neben  picaiiim  ein  *picitum  (vgl.  vocitu 
S.  57  Anm.  2)  gebildet,    das  durch  Metathese  zu  *piticum  wurde. 


^  ficidus  sei  gebildet  zu  ficus  wie  *pici  dus  (neben //ca/M/w)  z\i  picem. 
Vgl.  §  50,  8. 

*  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Neuchateller  Patois  I,  Darmstadt  1897. 


Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV. 


66 

*piticu       sard.  pidi'gu,  zix.  pege,  hc.-pTO\.  pege;  dazu 

*piticare   Schweiz. /»^(/Sifr,  pedjyer;   afr.  -p.p.  pegic,    {pege  Cotgr.  i6ll 

=  pitched).       Dazu    afr.  pegeor    „  fabricant    de    poix". 

*pic-attum  liegt  vor  in  afr.  poiat. 

Heute  erscheint  das  Wort  als  Fem.  in  frc.-prov.  pege  usw., 
nordprov.  pedzo,  pedjo  usw.,  im  ganzen  übrigen  Prov.  (abgesehen 
vom  Gase.)  pego,  pega  (Atl.  ling.  1054).  Cat.  pega,  das  Körting 
zu  picem  stellt,  ist  natürlich  unser  Wort.  Auszugehen  ist  für  diese 
Formen  entweder  von  einem  neutr.  pl.  *picita  >>  *pedega  oder 
*piticu  wurde  unter  Einflufs  von  pix   [ixz.  poix,  pxov.  pcz)  weiblich. 

9.  Zu  erwähnen  bleiben  noch  die  Fälle,  wo  trotz  t  im  Aus- 
laut die  Assibilation  eingetreten  zu  sein  scheint. 

*jacita  für  afr.  gisie,  rxix.  gtte  ist  ein  unrichtiger  Ansatz;  *ja- 
citum  hätte  *git,  *jacita  ein  *gü  ergeben  müssen.  Mit  Körting 
das  s  als  analogisch  zu  betrachten  und  von  jacta  auszugehen, 
widerspricht  der  Tatsache,  dafs  die  übrigen  Part,  auf  -ctum  nirgends 
ein  solches  analoges  s  zeigen.  Der  Dict.  gen.  erblickt  mit  Recht  darin 
eine  Substantivbiidung  zu  gesir.  Und  zwar  ist  dieses  Verbalsubstantiv 
gebildet  vom  betonten  Stamm  gis-  mit  dem  Suffix  -ie  (§  49,  5). 
Daraus  erklärt  sich  auch  das  männliche  Geschlecht,  neben  dem 
afr.  das   weibliche    steht    (heute   noch    „comme  terme  de  marine"). 

licita  >>  prov.  span.  lezda,  cat.  leuda  (Thomas  Rom.  XXVIII 
196)  ist  erbwörtlich  im  Frz.  nicht  vorhanden.  God.  bietet  leide 
(Jatde),  lesde,  lete^  leude  [laude).  Alle  diese  Formen  sind  dem  Süden 
entlehnt,  sie  kommen  erst  im   13.  Jh.  auf. 

cuicita  wurde  durch  gemeinrom.  Synkope  zu  *culcta,  vgl. 
span.  ptg.  colcha.  Im  Frz.  entwickelte  sich  *culcta  zunächst  zu 
col' ia,  das,  wohl  mundartlich  verschieden,^  teils  colte,  teils  coite  ergab. 
Afr.  colte,  coute  (mit  unorganischem  r  coltre,  couire)  liegt  nfr.  vor  in 
couire  und  in  courie-pointe  (od.  conlre-poifite)  aus  afr.  coute-pointe.  Afr. 
coite  ist  erhalten  in  nfr.  coite,  mit  jüngerer  Schreibweise  couetie  (nicht 
Deminutiv,  wie  Körting  2657  will).  Neben  cuicita  steht  culcitra, 
nicht  vulgärlateinisch,  sondern  erst  romanisch,  sonst  hätte  culcitra 
betont  werden  müssen.  Dieses  liegt  vor  in  aspan.  colcedra,  it.  col- 
trice.  Im  Afrz.  wurde  es  *coltsedra  >•  colstre,  indem  es  —  wegen  der 
schweren  Gruppe  Its-tr  —  erst  nach  der  Lautabstufung  synkopiert 
wurde. 

*culcitinum  Diez  104,  Körting  2658  ist  zu  streichen,  daraus 
konnte  nimmer  afr.  coissin,  cozissin,  nfr.  coiissin  werden.  Das  richtige 
Grundwort  gab  dafür  P.  Meyer  Rom.  XXI  87  in  *coxInum  (zu 
coxa).  Afr.  coissin  erhält  die  Nbf.  coussin,  welche  schliefslich  die 
lautgesetzliche  Form  verdrängt,  vielleicht  nach  Muster  von  coite,  coute. 

Vortonig  erscheint  die  Assibilation  in 
*amicitatem    afr.  amistie,    mendicitatem    afr.  mendistie. 


^  Vgl.  dazu  fulgura  >  afr./öi7<ff^  \xn^  foldre,  xÄt.foudre. 


67 

Karsten  S.  30  will  amikitatem  >■  amiktatem  >  amitet  werden 
lassen  [wie.  Jeter ^  olroner,  diter,  roter,  floter  aus  et),  amistet  hält  er 
für  Neubildung  von  amis;  aviitiet,  amistiet  daraus  durch  Suffixtausch. 
M.-L.  Gramm.  I  §  531  ist  der  Meinung,  in  amicitate  ist  c  vor 
dem  Wandel  zu  g  durch  amicu,  -a  bewahrt  worden.  Über  men- 
distie,  das  auch  bei  Körting  fehlt,  sprechen  beide  nicht.  Der  Dict. 
gen.  geht  von  *amiktat  aus  ohne  die  ^-Formen  zu  erwähnen; 
wohl  aber  bucht  er  viendistic  unter  mendicit,',  das  im  13.  Jhr  ent- 
lehnt wurde  und  mendistie  verdrängt  hat. 

*amicitatem,  mendicitatem  mufsten,  wenn  nicht  gemeinrom. 
Synkope  eintrat,  afr.  *amidie,  *mendidie  ergeben.  Zu  untersuchen 
bleibt  noch,  ob  afn  amitie  überall  aus  älterem  amislit  hervorgeht 
oder  von  Haus  aus  daneben  steht;  in  letzterem  Falle  könnte  es 
*amiktatem  sein  oder  aus  '^^ amidie  analogisch  entstehen,  s  zeigen 
auch  die  afr.  Ableitungen  amistable,  amislage,  atnisiance,  sowie  die 
übrigen  rom.  Sprachen:  prov.  cat.  amistaf,  aspan.  amizad,^  ptg. 
amizade;  it.  atuistä  ist  nach  d'Ovidio  Arch.  Glott.  XIII  426  ein 
Gallizismus.  Zur  Erklärung  von  s  im  Frz.  müssen  wir  annehmen, 
dafs  unter  dem  Einflufs  von  amicus,  mendiciis,  mendicat  k2  vor  Dissi- 
milation durch  /  bewahrt  wurde.  Synkope  trat  vor  dem  Stimmhaft- 
werden von  X'2  ^  iz  ein:  amicitatem  >>  amit'setate  >  amistie. 

societatem  >  soistie  betrachen  Schwan -Behrens  §  80,  2  a  a 
und  der  Dict.  gen.  als  erbwörtlich.  Anderer  Meinung  war  Suchier 
Zeitschr.  XIV  175,  der  in  seiner  Ausgabe  von  Aucassin  et  Nicolette 
soiste  dreisilbig  angesetzt  hatte  wegen  der  Schreibungen  soiestee, 
Soest e,  soiestt',  soyeste,  soiheste',  er  hält  es  daher  für  ein  Lehnwort, 
„da  sich  seine  Form  mit  den  Erscheinungen  des  allgemeinen  Laut- 
wandels nicht  verträgt."  ki  entwickelt  sich  afr.  genau  so  wie  cc^, 
ki't  mufs  dasselbe  Endergebnis  haben  wie  cc'd.  Und  da  soistie 
genau  der  Entwicklung  von  flaccidu  >•  fiaiste  entspricht,  haben 
wir  soistie  als  zweisilbig  und  erbwörtlich  zu  betrachten.  In  soieste 
hat  man  jüngere  Entwicklung  aus  soistie  zu  sehen,  vgl.  neben  aisne 
vereinzeltes  aiesne  oder  moiete  neben  inoitie. 

Weitere  Ansätze  von  c't  sind  unrichtig,  rusticitas  (Diez  674) 
kann  nicht  prov.  ntstat,  afr.  rustie  ergeben  haben.  Frz.  diseiir  auf 
dicitorem  (Körting  in  der  2.  Aufl.),  ii.facitore,  x\xm.  facator,  prov. 
fazedor  auf  factorem  (Körting  noch  in  der  3.  Aufl.)  zurückzuführen, 
sind  Angaben,  die  einer  Widerlegung  nicht  bedürfen. 

§  5r.  Anhang.  Als  Grund  der  Nichtassimilation  hatte  ich 
oben  dissimilatorischen  Einflufs  des  t  angenommen.  Dem  scheinen 
zu  widersprechen  die  Formen  placet  >  piaist,  docet  >>  duist, 
nocet  >>  nuist,  *cocit  >>  ctiist,  die  Schwan-Behrens  §  135,3,  ^'^ 
heute  ziemlich  allgemein  geschieht,  als  lautgesetzlich  betrachtet 
gegenüber   analogischem  fait,    dit,    duit.      Schon    Horning    (Lat.  c, 


^  Körting  597  nennt  nur  span.  amistad,    das  nach  Baist  Gr.  I  ^  900  Ana- 
logiebildung auf  modestad  ist. 


68 

S.  37  ff.)  hat  den  Gegensatz  fait- piaist  betont  und  für  c  vor  der 
Pänultima  zu  verwerten  gesucht;  M.-L.  Zeitschr.  VIII  235  wies  das 
zurück,  denn  der  Nachtonvokal  in  placet,  facit  fiel  nicht  zur 
selben  Zeit  wie  in  placitum,  kann  also  für  die  Behandlung  der 
Pänultima  nicht  mafsgebend  sein.  Da  wir  aber  den  Wandel  von 
k2  zu  y  vor  die  Lautabstufung  setzten  und  als  unabhängig  von  der 
Synkope  betrachteten,  kann  dieser  Einwand  für  uns  keine  Geltung 
haben.  Wenn  placitum  xi^&x  playedo  zu  plaid  wurde,  mufste /A/i:«'/ 
zunächst  *playet  ergeben.     Die  Beispiele  sind: 

III.  Konj.  dicit  —  dit,  ducit — duil,  facit — fait,  cocit — cuit, 
*d  e  s  p  ^  c  i  t — despit,  c  o  n  -,  s  u  f  f  ^  c  i  t — con-,  sofit,  v  i  n  c i  t — veint.  Schliefs- 
lich  das  Perfektum  fecit — fist. 

II.  Konj.  docet  —  duist,  jacet — gist,  licet  —  loisi,  lucet  —  luisf, 
nocet — 7iuist,  placet — piaist,  tacet  —  taist. 

I,  Konj.  (Subjonctif)  circet  —  cersi,  exsucet — essuist,  man- 
ducet — menjust  (für  *manduist),  precet — prist,  ferner  die  Pro- 
paroxytona  caballicet — chevaizt,    collocet — colzt,   ex-colubricet 

—  escolurst,  judicet — juzt,  tardicet  —  taj-st,  die  durch  Analogie 
ihr  Stütz- ^  verloren  haben  unter  dem  Einflufs  der  Paroxytona  auf 
c  oder  ti  (corruptiet — curuzt,  curutst,  directiet — drest,  infortiet 

—  en/orst).  1 

Betrachten  wir  die  Konjugation: 

facio       faz  placeo  plaz  precem  *pris 

facis        fats  places  plais  preces  *pris 

facit         fait  placet  piaist  precet  prist 

facimus  faimes      placemus  plais-ons  precemus  *preis-ons 

(für  */aismes) 

facitis     faites        placetis  plais-iez  precetis  *preis-iez 

(für  *faitz) 

facunt     fönt  placent  plais  ent  precent  *priseitt 

Inf.   facere     faire         placere  plaisir 

Hieraus  ersehen  wir,  dafs  nach  beiden  Seiten  Ausgleich  ein- 
getreten sein  kann,  fait  kann  nach  faire  und  dem  Plural  sein  ^ 
verloren  haben,  umgekehrt  kann  auch  piaist  nach  plaisir  und  dem 
Plural  prist  nach  dem  Plural  sein  s  erhalten  haben.  Jedenfalls  ist 
die  Übereinstimmung  der  3.  Sg.  mit  dem  jeweiligen  Inf.  und  Plural 
in  die  Augen  springend. 

Läfst  sich  vom  frz.  Standpunkt  keine  Entscheidung  treffen,  so 
hilft  hier  das  Prov. ;  dort  finden  wir 

3.  sg.  fai         di         plai  cuei     iai     lei     tai 

ditz      platz        cotz     iatz    letz   tatz     7totz 
i.  pl.  faim      dizem    plazem 


'  Analogiebildungen  zu  solchen  Formen  sind  aist  von  aidier,  cuist  von 
coidier,  comanst  von  comatider,  escoarst  von  escoarder,  ravist  von  raviver, 
ruUt  von  rover. 


69 


2.  pl.  faitz       dizeiz    plazeiz  usw. 

3.  „    fan         dizon    plazon 


faire  hat  im  Plur.  von  Haus  aus  kein  s,  daher  konnte  auch  keine 
Analogieform  *-fatz  gebildet  werden;  nur  zur  2.  Plur.  wurde  durch 
Angleichung  gelegentlich  fazetz  gebildet.  Dagegen  zeigt  notz  kein 
*;zö/,  es  hat  im  Plur.  nur  s-Formen.  Beachtenswert  ist  dire:  da  es 
im  Prov.  durchaus  „regelmälsig"  geht  (aufser  vereinzeltem  dilz  in 
der  2.  Plur.),  so  steht  neben  di  ein  analoges  ditz,  während  im  Frz., 
wo  der  Plur.  in  früherer  Zeit  kein  ^  zeigt  {dimes,  dites,  dient),  die 
Form  dit  lautet.  Für  di,  ciiei,  iai,  ki,  plai,  tai  gibt  es  keinen  j-losen 
Plural,  nach  dem  sie  gebildet  sein  könnten. 

Daraus  ergibt  sich:  Auch  in  der  3.  sg.  liegt  derselbe  Laut- 
wandel vor  wie  in  placitum  >>/>/«//,  d.  h.  auf  der  Stufe  cit  >  tyit 
tritt  Dissimilation  zu  yit  ein.  Bei  jenen  Verben,  in  deren  Plural- 
formen die  Assibilation  herrscht  (also  bei  den  endungsbetonten), 
wurde  durch  Systemzwang  die  Dissimilation  teils  überhaupt  ver- 
hindert, teils  wurden  zu  den  dissimilierten  Formen  neue  j- Formen 
gebildet.  ^ 

§  52.  Reflexe  von  c'd  ist  im  Frz.  anscheinend  nicht  vor- 
handen. Es  hätte  mit  id  enden  müssen;  das  zeigt  uns  das  Rtr., 
wo  fracidus  >>  {i\?i.\\\.  fraid  wird. 

I.  Gelehrt  sind  acidus,  lucidus  als  acide,  liicide  seit  der 
Renaissance  in  der  Sprache.  *picidus  ist  falscher  Ansatz,  s.  §50,  8. 
Ein  Substrat  *r^cidus  (span. /y'«ö?)"-  vermutet  Horning,  Proparoxytona 
S.  12,  Anm.  I  in  voges.  rlychte  (dazu  reycJUanse,  vgl.  auch  rosteces 
Pred.  Bernh.),  das  aber  wegen  des  t  wohl  cc'd  birgt.  Vortonig 
erwähnt  Shepard  78  *calcedonia  >  (Trt'/f/ö/«^  (vgl.  salicineta  >  afr. 
salnoit),  das  offenkundig  Lehnwort  ist;  sonst  findet  man  für  lat. 
chal  cedonius  lehnwörtlich  cacidoine, cassidoine,  rsix.calcedoine.  Loudun 
(bei  Holder  11  344  als  Nr.  14)  hat  A.  Thomas  Rev.  Celt.  XX  442 
auf  Laucidunum  zurückgeführt. 

salmacidus  sieht  Körting  in  prov.  salmaciu,  afr.  saumache. 
Beide  Formen  sind  nicht  unmittelbare  Entsprechungen.  Afr.  saumache 
kann  aus  *salmadica  (durch  Metathese  entstanden)  hervorgegangen 
sein.  Schuchardt  Rom.  Et.  I  30  setzt  salmacidus  an  für  frz. 
satimdtre;  aber  salmacidus  könnte  nur  *salmaid,  ein  *salmaccidus 
nur  *salniaisi(r)e  ergeben.  So  ist  es  vorläufig  immer  noch  das 
Beste,  bei  Diez'  Annahme  zu  bleiben,  dafs  in  it.  salmastro,  frz. 
saumätre    Suffixtausch    vorliegt;    der  Dict.  gen.   setzt  *salmastrum 

1  Dem  genau  entsprechend  heilst  es  prov. ////<[  fugit  [hz.fuit),  neben 
dem  fug  steht  nach  dem  Vorbild  des  'Phxr.fugem,  fugetz,  fugen.  —  Prov. 
fa,  fam,  fatz  für  fai,  faim,  faitz  sind  genau  so  zu  erklären  wie  ybr  für 
faire^ 

"Fvz.  fist  im  Perfekt  verdankt  sein  s  der  Analogie  von  fis,  fesis;  fesimes, 
fesistes  und  den  jz-Perfckten. 

■'  Vgl.  §  48.  3- 


70 

iils  bereits  vi.  an.  Aber  die  Rechtfertigung  dieses  Suffixes  -astrum 
bleibt  noch  zu  geben. 

2.  c'd  könnte  auch  dem  frz.  suie  zugrunde  liegen.  Der  älteste 
rora.  Beleg  steht  in  einem  Pariser  Glossar:  fuligo  id  est  suia 
(Foerster-Koschwitz,  Übungsbuch  Sp.  363,  16).  Diez  682  setzte 
dafür  einen  Typus  *suga  an,  der  aber  dem  Frz.  nicht  gerecht  wird 
und  den  er  auf  ags.  söti^,  Adj.  zum  Subst.  söt  „Rufs"  zurückführt. 
Horning  Zeitschr.  XIII  ^2;^  wandte  dagegen  ein,  dafs  das  Wort 
rom.  0,  nicht  ö  verlange.  Aber  für  das  Frz.  genügt  auch  germ.  ö, 
da  dieses  gall.-röm.  0,  ö  +  ^  >  frz.  ///  wird;  ferner  beachte  man 
die  Nebenform  afr.  sieue  (aus  *sueiel)  und  prov.  sueia,  das  heute 
noch  lebt.  Ferner  verwahrt  sich  H.  gegen  die  Herleitung  von 
einem  germ.  Adj.;  man  könnte  schliefslich  statt  dessen  .eine  hybride 
Bildung  *sot-ica  setzen. 

Horning  geht  aus  von  sucidus,  Adj.  von  sücus,  sucida  sei 
durch  Metathese  zu  *sudica  geworden.  Zu  dieser  Annahme  be- 
wog  ihn  die  Parallele,  die  er  in  medicum  >■  ostfrz.  meü,  fodicat 
'^  fuye,  radicat  >>  raye,  dalmatica  >  danviaye  usw.   fand. 

Salvioni  Zeitschr.  XXIII  530  verlangte  auf  Grund  von  lomb. 
süga  als  Basis  eine  Form  -gia,'  Thurneysen  Zeitschr.  XXIV  428 
erklärt  auf  Grund  der  ins  7.  Jh.  zurückreichenden  Glosse  fuligine 
ir.  0  suidi  das  Wort  für  keltisch  und  setzt  als  gallische  Grundform 
*südia  an. 

Für  die  Gruppe  c'd  kommt  nur  Plornings  *  sucida  in  Be- 
tracht.    Wie 

magida     afr.   maü  cogitat     afr.  cuie     prov.  ruia 

digita  .,     deu-  vocitat      frz.  voie         .,      7mia, 

mufste  sucida  frz.  suie,  prov.  sm'a  geben.  Durch  Metathesis  ent- 
standenes *sudica  ergab  prov.  suga,  poit.  suge,  ostfrz.  seuchc.  Lehn- 
wörtliches (lana)  *sudica  ergab  über  *sut5ie  nach  bekanntem  Laut- 
wechsel siiric,  surje,  (laine)  surgc\  letztere  Unterschiede  dürften 
mundartlich  sein. 

Aber  das  Schwanken  zwischen  o  und  u  im  Tonvokal  weist 
wohl  darauf  hin,  dafs  dieses  Wort  einer  fremden  Sprache  entlehnt 
wurde.  Gall.  *sudia  ergab  regelrecht  frz.  suie,  prov.  suia,  lomb. 
silga;  mit  0  übernommen  prov.  sueia.  Durch  Suffixaustausch  ent- 
standenes *sudica  ist  die  Grundlage  von  prov.  suga,  lothr. 
soeche,  usw.  2 


*  siigia  weist  M.-L.  Jahresber.  II  69  aus  Glossen  nach  und  mifst  ihm  den 
Lautwert  snya  bei. 

2  Im  Frz.  mu/ste  *suia  und  troia  in  gleicher  Weise  ui  geben,  nicht 
aber  im  Prov.,  wo  die  Worte  als  suia  und  triieia  geschieden  sein  müssen. 
Neben  s^iia  steht  aber  sueia.  Karte  1265  suie  und  Karte  1342  truie  zeigen 
aber  Übereinstimmung  im  Vokal  für  das  Gase,  (aufser  dem  Norden)  und  dem 
daran  und  an  die  Pyrenäen  grenzenden  Teil  der  Languedoc;  in  Aude  heilst 
es  noch  heute  syejo. 

W^ährend  so  diese  Gebiete  auf  sueia  weisen,  geht  das  übrige  prov. 
Sprachgebiet  bei  aller  Mannigfaltigkeit  der  heutigen  Formen  in  der  Hauptsache 


71 

Schuchardt  Rom.  Et.  I  31  nimmt  an,  dafs  durch  Suffixtausch 
*sucyus  an  Stelle  von  sucidus  getreten  sei.  Horning  Proparoxytona 
S.  13  weist  diese  Ansicht  für  lothr.  saeis  ab.  Über  sonstige  ostfrz. 
Formen  vgl.  dort  Anm.  i.  Gegen  Salvioni  äufsert  er  sich  Zeitschr. 
XXXII  2 3  f.  —  Über  wall,  souf(e),  soef(e)  s.  Marchot,  Zeitschr.  f.  fr. 
Spr.  u.  Litt.  XXII 198. 

§  53.     Es  erübrigt  noch  die  Gruppe  cc'd: 

flaccidus     ^ii.  flaistre     muccidus     ah.  moi's/e 
*roccidus      „     roüfe  nfr.  ?no3ie. 


auf  siäa  zurück.  Auffällig  sind  sua,  suo  im  Norden  von  Ardeche,  in  Dröme, 
H.  Alpes  (aufser  äufserstem  Norden  und  Süden)  und  Norden  von  B.  Alpes. 
Doch  gehen  möglicherweise  auch  diese  Formen  zurück  auf  suia,  vgl.  trua 
H.  Alpes  971  oder  küre'o  (für  courroie)  Italien  982,  kUrea  H.  Alpes  879, 
B.  Alpes  889,  kürte  H.  Alpes  866,  868,  wenn  sich  auch  die  Verbreitungs- 
gebiete nicht  decken. 

Prov.  su^a  lebt  heute  nur  in  einem  schmalen  Streifen,  Süden  von  Alpes 
Mar.  und  B.Alpes,  Norden  von  Var,  Vaucluse  853  als  sugo ,  daneben  ver- 
einzelt masc.  SK^^u  896. 

Die  Konsonanten  von  troja,  sucida,  -aticum,  corrigia  sind  zusammen- 
gefallen im  Süden  von  Puy-de-D6me,  in  Grenze,  Südhälfte  von  Dordogne,  in 
Lot,  Tarn  et  Garonne  (aufser  dem  südlichsten  Teil),  Tarn,  Aveyron  (im 
Westen),   Cantal ;   z.  B.  in  Lot  fretso,  sutso,   -atse,  corretso,  selbst  pyetse  (pi^ge). 

Ahnliche  Übereinstimmung  zum  Teil  in  B.-du-Rhone  (z.  B.  872)  und 
Var,  nur  dafs  tritie  manchmal  Sondetwege  geht,  z.  B.  873  sudjyo,  küredjo, 
adjyi,  aber  tr-iheyo,  während  Var  886  tritcyo  mit  ayo  übereinstimmend  den 
anderen  gegenübersteht. 

Lothr.  Seuche  bietet  schon  Littre,  Horning  schreibt  es  phonetisch  sces, 
scets.  Der  Atl.  ling.  bietet  ostfrz.  s(£s,  scets  im  Süden  von  Vosges  und  in 
H.-Saone;  auch  das  Frc.-Prov.  hat  entsprechende  Formen,  sctts,  säts  im 
Norden,  sUtse,  sUse  usw.  im  Süden  der  Schweiz,  süxe  usw.  in  Savoyen,  suts, 
sics  im  Jura. 

R-Formen  liegen  vor  in  sUrts  (60 — 62  Schweiz)  .sUrxe  Schweiz  959, 
särj  916  Saone-et-Loire,  swöbrze  917  Ain ;  setzen  letztere  surge  voraus, 
scheinen  die  Schweizer  Formen  *surche  zu  verlangen. 

Noch  seltsamer  sind  die  ^-Formen ,  wall.  süf.  Ohne  Zusammenhang 
damit  finden  sie  sich  zerstreut  am  ^Mittellauf  der  Rhone:  swlfe  Norden  von 
Drome,  swafi  Nordosten  von  Isere,  swaß  Rhone  91,  syUfo  Nordosteck  von 
H. -Loire,  swif,  swafa  Ain  Mitte,  süfe  H.  Savoie  947.  Ist  in  dem  f  eine 
Sonderentwicklung  über  ]?  zu  sehen  (vgl.  Nyrop  I"^  §  395  Anm.)  oder  liegt 
Kreuzung  vor  mit  sebum  >  suif} 

Endlich  noch  Tp\c.  syü  (umgestellt  aus  suü  oder  Einfluss  von  sebum  > 
afr.  siu});   afr.  süue  scheint  ein  Analogen  zu  finden  in  sywy  in  ISIeurthe-et-M. 

Wichtig  ist  noch  die  Grundform  (type  regional)  *suge,  die  der  Atl.  ling. 
für  ein  grofses  zusammenhängendes  Gebiet  im  Südwesten  des  Frz.  und  im 
Norden  des  Prov.  verzeichnet.  Es  umfafst  den  Norden  von  Gironde,  Nord- 
hälfte von  Dordogne,  Charente  Inf.  aufser  dem  Westen,  Charente,  Süden  von 
Deux-Sävres,  Vienne,  H.-Vienne,  ferner  Puy-de-D6me  aufser  dem  .Süden  und 
Süden  und  Osten  von  Allier.  In  diesen  Gebieten  stimmt  suge  genau  zu  äge, 
frz.  mundartl.  siij.  saj,  st/Jj,  sceJj,  ebenso  aj,  aJ),  prov.  mundartl.  sudzo,  sudza 
entsprechend  edze,  adze. 

Dieses  südwestfrz.  *suge,  nordprov.  *sutja  ist  wohl  eine  Parallele  zu 
pTOV.suga,  d.h.  es  trat,  im  Gegensati  zu  *sudica'^  *  suche  (ostfrz.  seuche) 
in  diesen  Gebieten  trotz  a  der  Ultima  Synkope  erst  nach  der  Lautabstufung  ein. 


72 

1.  Man  hat  gezweifelt,  ob  diese  afr.  Formen  die  lautgerechten 
Entsprechungen  des  Masc.  sind.  Schwan-Behrens  betrachtet  §  122,  2  a 
flaisl(r)e,  vioisie  als  lautgesetzlich,  erwähnt  aber  §  306,  b  Anm.,  dafs 
sie  vielleicht  nach  dem  Fem.  ausgeglichen  sind  (wie  large^  juste, 
triste  für  lars,  juz,  iriz).  Letzterer  Meinung  ist  Nyrop  II  §  38g,  der 
erklärt,  moiste  habe  3  Stufen  durchlaufen:  man  sagte  zuerst  moisf^ 
—  moisde,  dann  inoist — moiste  und  schliefslich  moiste  in  beiden  Ge- 
schlechtern. Shepard  S.  47  hält /?£7;!y/(!',  moiste,  rozj/'^  (aus  *raucidus) 
gar  für  Lehnwörter.  Aber  für  alle  diese  Bedenken  sind  keine 
stichhaltigen  Gründe  vorgebracht  w-orden,  wir  haben  flaist(r)e,  moiste, 
roiste  als  lautgesetzliche  Maskulinformen  zu  betrachten. 

2.  Ferner  sind  die  Etyma  der  genannten  Wörter  umstritten. 
Nur  flaccidus  >>  afr.  flaistre,  flesire  steht  ziemlich  fest.  Dazu 
wurde  das  Verbum  afr.  ßaistrir,  nfr.  fleirir  gebildet.  Das  Simplex 
flaccus  liegt  vor  im  afr.  flac,  flache,  nfr.  nur  flache;  y>'\^.  flaque,  nfr. 
flaque;  nfr.  flasqve  scheint  gelehrte  Entlehnung  nach  flaccidus  mit 
assimilierter  Aussprache. 

Viel  umstritten  ist  frz.  vioite.  Diez  sah  darin  musteus,  das 
aber  afr.  nur  mois  geben  konnte,  mücidus,  an  das  Diez  bei 
moscio  daneben  gedacht  hatte  und  das  des  Vokals  wegen  nicht 
entsprach,  ersetzte  Foerster  Zeitschr.  III  260  durch  muccidus.2 
Scheler  hatte  eingewandt,  dafs  muccidus  nur  ;«(9/></i?  lauten  könnte; 
dies  wies  Foerster  durch  Hinweis  auf  buxida  >  hoiste  zurück. 
G.  Paris  Rom.  VIII  Ö28  stimmte  zu,  nur  Horning  Zeitschr.  XV  503 
machte  einen  lautlichen  Einwand,  welches  Bedenken  aber  Schuchardt 
R.  E.  I  56  nicht  teilt.  Aber  er  weist  muccidus  ab,  weil  .,die 
übrigen  rom.  Wörter,  welche  mit  diesem  {moiste)  so  grofse  lautliche 
und  begriffliche  Ähnlichkeit  haben,  dafs  man  ihnen  von  vornherein 
eine  enge  Verwandtschaft  mit  ihm  zuschreibt,  sich  fast  alle  der 
Herleitung  von  muccidus  nicht  fügen."  Er  weist  Gröbers  Her- 
leitungen von  *mucceus  (ALL  IV  122)  zurück,  ebenso  dessen  An- 
nahme von  Entlehnung  aus  dem  Frz.  seitens  der  anderen  Sprachen; 
„musteus  genügt  für  die  nord-  und  südwestlichen  Wörter  nicht; 
wohl  aber  ein  gleichbedeutendes  *mustidus  oder  das  mit  Endungs- 
wechsel daraus  hervorgegangene  *mustius."  Die  Möglichkeit  dieser 
Entwicklung  zugegeben:  aber  die  Abweisung  von  muccidus  er- 
scheint mangelhaft  begründet;  es  ist  durchaus  möglich,  dafs  zwei 
ursprünglich  ganz  verschiedene  Wörter  wie  muccidus  (frz.  vwite) 
und  musteus  (it.  moscio)  in  ihrer  endlichen  Entwicklung  zu  „so 
grofser  lautlicher  und  begrifflicher  Ähnlichkeit"  gelangt  sind.  Man 
vgl.  frz.  suie  und  ne.  soot,  die  auch  „lautlich  und  begrifflich"  so 
nahe  stehen,  dafs  Diez  das  eine  auf  das  andere  zurückführen  wollte. 
Und  an  muccidus  festzuhalten,  dazu  nötigt  die  von  Foerster  bei- 

'  Nyrop  stützt  diese  Form  nur  durch  ne.  moist,  das  ist  m.  W.  erst 
sekundär  für  me.  moiste. 

*  Die  Scheidung,  die  M.-L.  Gramm.  I  §  547  zwischen  lat.  muccus  Rotz 
und  mücidus  schleimig  macht,  ist  nicht  berechtigt;  Foerster  war  im  Recht, 
wenn  er  muccus  als  jüngere  Entwicklung  von  mücus  betrachtete. 


73 

gebrachte  Form  moide  im  Lyoner  Ysopet  375.  Schuchardt  R.  E. 
I  57  will  sie  nicht  gelten  lassen,  sondern  findet  die  Schreibung 
bedenklich;  aber  man  hat  darin  wohl  nur  eine  südliche  Form  zu 
sehen,  vgl.  licita  >■  prov.  lezda,  lei'Ja. 

*roccidus  setzte  Schuchardt  R.  E.  I  47  für  afr.  roiste.  Für 
das  ähnliche  prov.  raiisf,  cat.  rosf  hatte  Diez  666  *raucidusi  an- 
gesetzt und  Foerster  Zeitschr.  III  261  führte  auch  roiste  daraut 
zurück.  Aber  eine  solche  Entwicklung  ist  nach  dem  Gesagten  un- 
zulässig;   roiste  dürfte  *roccidus  sein,  roust  ist  davon  zu  trennen. 

3.  Horning  Zeitschr.  XV.  503  fand  an  flaccidus,  muccidus 
befremdlich,  dafs  cc  hier  ü  ergibt,  während  baccinu  >  bassin  wird. 
Hierin  liegt  eine  Schwierigkeit,  der  Rechnung  getragen  werden 
mufs.  Körting  setzt  wohl  deshalb  ein  *flaxidus  an.  Und  der 
Dict.  gen.  geht  für  moiste  aus  von  vi.  *müscidus  für  cl.  mücidus, 
das  *nioisde  ]>  moiste  wird  (während  er  flaccidus  unmittelbar  zu 
*ßaisde,  *flaisie  >-  flaistre  sich  entwickeln  läfst).  Auch  Nyrop,  der 
^*  §  390  noch  mucidum  >  moiste  angibt,  geht  II  §  38g  für  moisde 
aus  von  *muscida,  „alteration  de  mucida."2  Aber  es  ist  nicht 
einzusehen,  wie  flaccidus  zu  *flaxidus  oder  muccidus  zu 
*muscidus3  geworden  sein  soll.  Auch  die  Ansätze  fem.  *flaisde, 
"^moisde  sind  verfehlt,  denn  buxida  wird  boistc.  M.-L.  Frz.  Gr. 
§170  möchte  flaccidu,  muccidu  zu  *ßacitii,  *mucitu  durch 
Metathesis  der  Konsonanten -Qualität  erklären;  aber  *flacitu, 
'^mucitu  könnten  nur  *ßait,  "^moif  ergeben  und  solches  Umspringen 
der  Qualität  ist  sonst  nicht  bezeugt. 

4.  Aber  woher  das  epenth.  i?  Wir  wissen,  dafs  im  Frz. 
I.  g  und  di,  2.  c2  und  ti,  3.  cc^  und  ci  zusammengefallen  sind. 
Wir  haben  gesehen,  dafs  vor  Dentalen  c^  behandelt  wird  wie  die 
unter  i.  genannten  Laute,  d.  h.  mit  ihnen  unter  y  zusammenfällt. 
In  höchster  Gesetzmäfsigkeit  entwickeln  sich  nun  cc^  und  ci  vor 
Dentalen,  indem  auch  sie  eine  Stufe  vorschreiten  und  vor  Dentalen 
mit  den  unter  2.  genannten  Lauten  gleich  werden;  auch  hier  geht 
eine  Dental-Dissimilation  vor  sich.     Daher 

flaccidus  >■  flaist(r)c,   societate  >•  soistie. 

Da  das  Assimilations- Ergebnis  -^flaadii  stimmlos  ist,  ergibt  sich, 
dafs  die  Synkope  eintrat,  bevor  k^  >>  iz  stimmhaft  wurde. 

3.  c'r. 

§  54.  c'r  ist  der  zweite  Fall,  wo  man  die  Reihe  k^  >  g2  ^  y 
angenommen  hat:  facere  >  */agere  '^  faire,  i.  Dieses  faire  ist 
ein  alter  Zankapfel  der  Romanisten.     Diez  schwankte,  ob 

1  Unverständlich  ist  mir,  warum  Körting  7S10  *rauciclius  ansetzt.  Un- 
brauchbar sind  seine  Vorschläge  gtrm.  ratist /'an  und  *ruspidus. 

*  Dieser  Widerspruch  ist  auch  in  der  2.  Aufl.  des  l.  Teiles  nicht  be- 
seitigt. 

*  Cledat  S.  215  geht  ebenfalls  von  *muscidus,  muskedo  aus,  das  aber 
bei  ihm  eine  Ableitung  von  muscus  ist. 


74 

fakere  :  fahre  :  faire  oder 
fakere  :  fahre  ;  faire  oder 
fakere  :  fazere  '.  fazrc  :  faire  geworden  wäre. 

Nach  Joret  (1874),!  Rydberg  (i893),2  G.Paris  (1894),:»  Dict. 
gen.  (§  389),  Nyrop  (§  408),  Marchot  (S.  94)  wurde: 

facere  \  facre  '.faire 

Ascoli  (i873),4  Flechia  (i876),5  Koschwitzß  (1886),  Meyer- 
Lübke  (1894),''  Bauer  S.  35  (1903)  nahmen  folgende  Entwicklung  an: 

facere  :  fagere  \  fayere  :  faire. 
Anders  Horning  (i883):8 

facere  :  faisre  :  faire. 

Horning  (1895):  ^ 

faire  Neubildung  nach  fais,  fait. 

Ähnlich  wie  Horning  1883  hatte  sich  Mussafia  Litbl.  1883, 
279  ausgesprochen,  der  in  aderigere  >  aerJre,  tergere  >  terdre, 
surgere  >  sordre  g  r=r  g  oder  z  sein  und  d  vermitteln  läfst  und 
dazu  vincere  >>  ve'nstre  >-  7'eintre,  oder  *  torquere  >> 

iorcre  :  torsire  :  torire 
norkere  <  ^^;^^,^  ^^^^^^  ^^^.^^^^  .  ^^^^^^^,  .  /^^^^^^,  vergleicht. 

Ähnlich  wie  Horning  1895  schon  Andersson  Litbl.  XV  307  dire 
nach  dem  Imp.  di  nach  Analogie  von  da,  dare. 

It.  fare,  dafs  M.-L.  noch  wie  Ascoli  aus  fayere  entstehen  liefs, 
während  bereits  Rydberg  (ihm  zustimmend  Horning)  ein  schon 
vi.  fare  dafür  ansetzte  (wegen  aspan.  prov.  rtr.  far,  frz.  fut.  ferai, 
wall.  inf.  fer  >  fe),  kommt  hier  nicht  in  Betracht. 

Beispiele  sind  die  Inf.  cuire,  despire,  dire,  dtiire,  faire  (nicht 
aber  luire,  nnire,  plaire,  taire  Nyrop  I-  §  408,  Bauer  S.  35,  welche 
nicht  vi.  It'icere  usw.  voraussetzen,  sondern  erst  französische  Bildungen 
sind);  ferner  das  Perf.  fecerunt  >>  ;'f;r«/,  Plusqupf.  fecerat  >-^r^/ 
(Alexius  125),  die  Fut.  placeraio  >  plairai  usw.,  niiirai,  luirai, 
iairai;  cuirai,  despirai,  dirai,  duirai.  Über  macerat  >  maire, 
cicer  >  ceire,  socer  >»  suire  noch  später. 


*  Du  C  dans  les  langues  romanes,  Paris   1874. 
2  Le  d^veloppement  de  facere. 

^  In  der  Besprechung  von  Rydbergs  Arbeit,  Rom.  XXII  569. 

*  Arch.  Glott.  I  80;  IX  104  Anm. 
s  Arch.  Glott.  IV  371. 

'■  Kommentar  S.  71. 
'  Zeitschr.  XVIIl436fF. 

^  Zur  Geschichte    des   lat.  c  vor  e  und  i    im  Romanischen ,    Halle   1883, 
73- 

'  Zeitschr.  XIX  74. 


75 

2,  Zur  Annahme  der  Entwicklung  facere  :  fagere  :  fayere  :  faire 
führte  die  Parallele,  die  man  bei  g'r  fand: 

legere  frz.  lire^        frigere  frz.  frire 

legerunt       afr.  lirent      affligere  afr.  afflire 

Ligerim         hz.  Loire    *ad-augere  afr.  <7ot><? 

Ligericcus         Loiret  *tragere-  frz.  traire 

*ragere  (?)      afr.  raire    *strugere  afr.  esfruire. 

Endlich  Futurformen:  *legeraio  >•  lirai  usw.  Aber  ein  laut- 
physiologischer Grund,  warum  c^  vor  r  zu  g  werden  soll,  ist 
schlechterdings  nicht  einzusehen. 

So  ist  von  den  genannten  Deutungen  die  von  Joret-Rydberg 
aufgestellte  Reihe  facere  >  facre  '^  faire  festzuhalten.  *facre 
mufs  zu  einer  Zeit  eingetreten  sein,  wo  k-  noch  nicht  assibiliert 
war.  Der  phonetische  Grund  dafür  ist,  dafs  das  nachfolgende  r 
den  vorausgehenden  tonlosen  Vokal  infolge  seiner  Sonanzlähigkeit 
absorbierte."  Rydberg  bringt  auch  einige  Beispiele  wie  fecru, 
socru,  die  sich  in  Denkmälern  des  5.  und  6.  Jh.  belegen  lassen. 
Es  handelt  sich  hier  nicht  um  französische  Synkope  (die  jedenfalls 
nach  der  Assibilation  stattgefunden  hat),  sondern  um  Absorption 
durch  r  vor  der  Assibilierung. 

3.  Horning  Zeitschr.  XIX  73  hat  die  Entwicklung  von  facere 
>»  facre  ^  faire  als  unmöglich  hingestellt  wegen  ^^low  faire,  das 
weder  auf  fakre  noch  fagre  zurückgehen  könne,  denn  wir  finden 
prov.  lacrema,  sogre,  negre,  eiitegra.  Prüfen  wir  diesen  Einwand. 
Zunächst  steht  fest,  dafs  gr  im  Prov.  ir  werden  kann: 

flagrare  >>  flairar  7iigru  >>  '^neir  >  ner^ 

integrti  >>  entieir  (Atlas  ling.  enlyeyro  fem.  in  der  Languedoc). 

Daneben  können  negre,  eniegre  nur  als  Entlehnungen  gelten.  Schultz- 
Gera,  Altprov.  Elementarbuch  §  82,  schliefst  sich  daher  der  Meinung 
an,    dafs    für  faire   vermutlich    ein    *fagere    zugrunde    liegt.      Das 


'  Nyrop  II  §49,2  betrachtet  lire  als  Analogiebildung  für  *lir\  das  wird 
als  unrichtig  erwiesen  durch  Ligerim  ^  Loire,  wo  Analogie  ausgeschlossen  ist. 

*  So  pflegt  man  allgemein  anzusetzen  statt  cl.  trahere.  M.-L.  Einf. 
S.  87  möchte  trahere  unmittelbar  ixz.  traire  werden  lassen;  da  aber  aerem 
'^  air  (nicht  aire)  ergibt,  kann  trahere  nur  *trair  entwickeln;  das  <r  des  Inf. 
müfste  dann  analogisch  sein  wie  in  corre,  querre  (vgl.  soror  >•  Jz/^r).  Genau 
so  wie  trah  ere  ^  ^/aiVv,  ist  auch  struere^  afr.  *j^r«;V<f  zu  betrachten. 

3  Man  vgl.  die  ähnliche  Kraft  des  r  bei  der  Vortonsilbe:  crouler,  crier, 
briller,  vrai,  Frej'us,  droit,  dresser,  Dreux,  triacle  und  bei  a  der  Nach- 
nebentonsilbe,  s.  S.  2  Anm.  I.  Desgleichen  später  im  Frz.:  bougran,  broiiette, 
bouvreicil,  ecofrai,  esprit,  chaudron,  denree  usw.;  oder  mit  vorangehendem  r: 
dernier,  dorloter,  gtierdon,  harlo7i,  mordore,  parvis,  persil,  serment  usw.  — 
Dieses  *facre  ist  nicht  zweisilbig  (sonst  müfste  es  ^fair  ergeben),  sondern  als 
*facre  zu  fassen,  vgl.  §  37. 

•        *  i    ist   hier    in    noch    unerklärter  Weise   geschwunden    wie  in  digituui 
>  det. 


76 

Vorbild  müfste  dann  agere  :  actum,  legere  :  lectum  gewesen  sein; 
aber  solche  Analogie  ist  wenig  wahrscheinlich.  Aber  auch  er  gibt 
lautgerecht  ir\  die  Beispiele,  die  man  gewöhnlich  für  diese  Gruppe 
anführt,  sind: 

acrem  prov.  agre  afr.  aigre  macrum  prov.  magre  afr.  maigre 
alacrera     .,      a/egre    „     alaigre   socerura        „      sogre       ,,     soigre^ 

Die  frz.  Formen  zeigen  aufs  deutlichste,  dafs  diese  Worte  in  Gallien 
nur  lehnwörtlichen  Charakter  tragen.  2  Auch  prov.  lacrema  ist 
zweifellos  kein  Erbwort.     Dagegen  bev/eisend  für  er  >>  ir  sind: 

facere  "^  faire  *cocere  >  coire  und  cozer 

*placeraio  >  afr.  prov.  plairai        dicere  >>  dire"^  und  dizer. 
fecerunt  >■  feiron  fecerat  >■  feira. 

Neben  plair  ist  prov,  plazerai  durchsichtige  Neubildung. 

4.  Horning  erhebt  weiter  den  Einwand,  dafs,  .,wenn  man  von 
den  Verbalformen  absieht,  alle  Wörter  im  Frz.  Prov.  It.  das  c 
assimilieren.'-  Diese  Fälle  hat  er  selbst  Zeitschr.  XIX  70 ff.  zu- 
sammengestellt: 

cicera  >•  gesse  (und  eine  Reihe  von  Nebenformen,  jarosse, 
Jerzais  usw.).  Aber  der  frz.  Charakter  des  Wortes  ist  doch  recht 
fraglich,  der  Dict.  gen.  läfst  gesse  daher  entlehnt  sein  aus  prov. 
geissa   ..unbekannter  Herkunft". 

cicer  >>  ceire,  cesse^  usw.,  prov.  cczer,  noch  nfr.  mundartlich 
cerre'^  (wo  H.  an  Assimilation  von  sr  >>  rr  zu  denken  scheint), 
daneben  chiche.^ 

acer  arborem  >»  ^aisrarhre  >  nfr,  eraUe.  In  diesem  Falle 
ist  die  Assibilation  gesichert.  x\ber  cicer,  acer  bilden  keine 
Parallele  zu  facere  usw.  cicer  kam  naturgemäfs  kaum  anders 
als  im  Plur,  vor,  cicera  >-  "^ceire,  darnach  afr,  sg.  ceire,  pl.  ceires. 
Dagegen   trat    in    zweisilbigem    acer  (Nom,  =  Acc.)    die   Synkope 


1  Godefrcy  belegt  suire,  stiere,  sire,  soir ;  soegre,  seiigre,  sougre ;  soigre ; 
sogre ;  socre ,  seiicre ;  fem.  suire ;  suegre,  sogre;  socre ;  seure,  sevre ,  soivre, 
suivre.  Dafs  das  Wort  entlehnt  ist,  kanu  demnach  keintm  Zweifel  unter- 
liegen; selbst  suire  dürfte  nicht  lautgerecht  sein,  sondern  entstand  durch  Laut- 
substitution. 

*  sequere  ^  segre,  das  Schultz -Gera  noch  vergleicht,  bietet  keine 
Parallele;  vgl.  auch  aquila  ]^  prov.  az^/a  ixz.  aigle. 

3  Prov.  dir  ist  wie  prov.  far  zu  beurteilen. 

*  Afr.  cesse  usw.  ist  ebensowenig  Erbwort  wie  chiche;  möglich,  das  prov. 
cezer  ins  Frz.  entlehnt  wurde,  wodurch  eine  sekundäre  Gruppe  jV  entstand, 
die  zu  den  mannigfachsten  Umbildungen  Anlafs  geben  konnte. 

^  cerre  ist  wohl  aus  ceire  entstanden  wie  nfr.  verre,  tonerre  aus  afr. 
veire,  toneire. 

•*  Für  chiche,  das  H.  aus  cice,  durch  Diss.  zu  ciche^  durch  Assimilation 
zu  chiche  werden  läfst,  nimmt  der  Dict.  gen.  EntUhnung  aus  lat.  cicer  an. 


77 

des  Nachtonvokals  später  ein,  i  als  k^  und  ti  bereits  zusammen- 
gefallen waren. 

macerare  >  afr.  mairicr,  marrier)  H.  glaubt,  dafs  rr  hier  aus 
rs  assimiliert  sei. 

acerum  (statt  cl.  acrum  scharf)  >  poit.  arse.  Das  Poit.  scheint 
in  bezug  auf  die  Synkope  mehr  auf  prov.  als  frz.  Standpunkt  zu 
stehen,  vgl.  poit.  suge  :  prov.  siiga,  poit.  sendier  gegenüber  frz.  sentier 
(s.  §  129,4). 

sicera  >  afr.  sisire.  Gr.  oixtQa  >  lat.  slcera  hätte  '^seire 
werden  müssen,  die  Umstellung  mlat.  cisera  aber  *cistre  oder  *cisdre, 
je  nachdem  a  der  Ultima  die  Synkope  beschleunigte  oder  nicht. 
Da  aber  alle  rom.  Formen  i  zeigen  (it.  sidro,  cidro,  aspan.  sizra, 
nspan.  entlehnt  cidro,  ebenso  die  rum.  Formen),  setzt  der  Dict.  gen. 
lat.  sicera  an,  das  hätte  afr.  ^sire  ergeben  sollen.  Godefroy  belegt 
aus  dem  Rom.  d'Alex.  ein  cire,  das  sich  zu  ^sii-e  verhalten  kann 
wie  afr.  sistre  zu  cistre  [citre  ist  belegt),  wie  afr.  sidre  neben  cidre. 
Letzteres  leiten  M.-L.  Gr.  I  446  und  der  Dict.  gen.  her  von  cisera 
(daneben  auch  mlat.  cisara).  Das  Nebeneinander  von  afr.  citre 
und  cidre  ist  dann  unerklärt  und  müfste  einer  Analogie  zu  ver- 
danken sein. 

Wahrscheinlicher  ist  gr.  öixeQa  im  Frz.  nur  lehnwörtlich  vor- 
handen, darauf  weisen  /  für  z,  die  möglicherweise  eingetretene 
Assibilation,  das  Nebeneinander  von  sdr  und  s/r.  Das  Wort  erfuhr 
eben  nicht  zu  denselben  Zeiten  Zusammenziehung  wie  die  Erbwörter 
entsprechender  Lautgestalt. 

5.  Ferner  stützt  sich  Horning  auf  die  Verbalformen  didrai,  ditrai 
Leod.  7  und  9,  fedre  Pass.  188.  Aber  dafs  s  hier  geschwunden 
sein  sollte,  ist  ganz  unglaublich,  fecerat  gab  afrz.  firet  Alexius  125; 
wie  neben  firent  durch  Analogie  fisirent,  fisdretit  stehen,  so  hat  firet 
die  Nebenform  fistdra  Leod.  121.  Die  obengenannten  r/- Formen 
erklären  sich  als  umgekehrte  Schreibungen  prov.  Formen: 

fecerat       prov.  feira       viderat     prov.  vira 
miserat  „      mesdra,  durch  Analogie  meira  (vgl.  3  pl. 

miserunt  :  ?nesdren  und  meiroii).  In  den  beiden  Texten  von  der 
prov.-frz.  Grenze  steht  nun  fedre  Pass.  188,  medre  Pass.  420,  vidra 
Pass.  133,  331,  didrai  Leod.  7,  ditrai  Leod.  9.  Wie  der  Kopist 
bald  Pedre,  bald  Petre  schrieb,  aber  Peire  sprach,  so  gab  er  auch 
in  fedre,  medre  das  i  durch  d  wieder,  während  vidra  ihn  veranlafste, 
d  oder  t  auch  dort  zu  setzen,  wo  sie  nicht  berechtigt  sind.  Wo 
es  sich  ihm  dagegen  um  Wiedergabe  des  afrz.  fistre  handelt,  schreibt 
er  td.  Dafs  im  Leod.  fistdra,  in  der  Pass.  fedre  steht,  erklärt  sich 
daraus,  dafs  der  Schreiber  der  Pass.  ja  auch  sonst  viel  stärker 
provenzalisiert. 


^  Dem.  entsprechend  aspan.  azre  ^  neuspan.  arce  und,  ebenso  mit  Meta- 
thesis,  cat.  ars.  Frov.  e(s)rabre  (Körting)  kann  nur  dem  Frz.  entlehnt  sein. 
Als  einheimische  Form  hat  schon  Diez  Et.Wß.  6  izerablo  aus  Grenoble  erwähnt. 


78 


6.  Es  erübrigt  noch,  gedecktes  k^  zu  betrachten.  Wenn  in 
vincere  nicht  Aufsaugung  der  Pänultima  durch  r  vor  der  Assibi- 
lierung  eingetreten  wäre,  hätten  wir  afr.  ^veinstre  erhalten  müssen. 
Freih"ch  braucht  k^  nicht  mehr  unverändert,  sondern  kann  schon 
zu  /  vorgeschritten  gewesen  sein.     Die  Beispiele  sind: 

Gedecktes  k"^: 


cancerum 
vincere 


afr.  chainlrc 
-     veintre 


carcerem 
*torkere 


frz.  charire 
afr.  tortre, 


durch    Analogie    tordre.     ancre   und    chancre   sind    trotz   Cledat   285 
selbstverständlich  Lehnwörter. 


Vgl.  gedecktes  g: 


cmgere 

fingere 

frangere 

jüngere 

pingere 

plangere 

pungere 

stringere 


frz.  ceindre       ader[i]gere     afr.  aerdre 


„    feindte  expergere  „      esper dre 

afr.  fraindre  spargere  ,,      espardre 

frz.  joindre  surgere  „      sourdre 

„    peindre  tergere  ,,      t er  dre 
„    plaindre 

„    poijidre  fulgura  frz.  foiidre 
„     estreindre 

at-tangere  afr.  afaindre  nfr.  atteindre 
tingere         nfr.  teindre 


4.   Ii2  vor  1,  n,  m. 

Vor    allen    anderen   Konsonanten    als   Dental    und   r   wird   k^ 
assibiliert,  bevor  Synkope  eintritt: 

§55-     c'l 

gracilis     afr.  g rätsle^     nfr.  grele 
*fracilis      „     fraisle         „     freie 

Koeritz,  Das  s  vor  Konsonant  im  Frz.,  Diss.  Strafsburg  1886,  hatte 
fraisle  für  eine  umgekehrte  Schreibung  gehalten,  ähnlicher  Ansicht 
ist  der  Dict.  gen.  und  Klausing  S.  57.  Nyrop  I  430  läfst  fraile 
sich  an  graisle  angleichen.  G.  Paris  Rom.  XV  620  erkannte,  dafs 
fragilem  nur  "^frail  ergeben  könnte  und  setzte  daher  *fracilem 
durch  Einflufs  von  gracilem  an.  Shepard  S.  10  erklärt  fragilem 
>  fraile  wegen  der  Erhaltung  des  e  und  der  Nichtmouillierung 
des   1   als    Lehnwort.      Unhaltbares   bietet   Cledat   S.  276.2      Sicher 


^  Der  Ansatz  Shepard's  S.  97  graciliorem  ^  ^r^.f/or  ist  falsch,  denn 
vor  li  wird  nicht  synkopiert;  es  handelt  sich  vielmehr  um  eine  Ableitung  von 
gresle. 

^  Er  macht  einen  Unterschied  in  der  Entwicklung  von  fraile  und  breuil: 
in    fragilem    sei   g   geschwunden    unter    Entwicklung    eines  y,    dagegen    ia 


79 

steht,  dafs  fragilem  z.h.*frail  ergeben  mufste;i  wegen  des  Stütz-«- 
könnte  man  von  (belegtem)  fractilis  ausgehen,  aber  auch  da 
müfste  1  mouilliert  sein.  2  Das  s  in  fraisle  scheint  Lautwert  zu 
haben,  weil  sich  fredleU  für  fresletc  findet. 

So  bleiben  zwei  Auffassungen  möglich,  i.  gall.-röm.  *fracilis3 
^fraisle,  daraus  lautgesetzlich  fr  alle  mit  Schwund  des  s  um  die 
Mitte  des  u.  Jh.  Dagegen  scheint  der  älteste  Beleg  des  Wortes 
zu  sprechen  {frailes  St.  Alex,  q),  aber  zu  bedenken  ist,  dafs  die 
Überlieferung  mindestens  lOO  Jahre  später  und  anglonorm.  ist.  Oder 
(2.)  fragilis  ist  nur  lehnwörtlich  erhalten,  ergab  so  fraile,  das 
unter  Einflufs  von  graisle  in  der  Schrift,  vielleicht  aber  auch  in  der 
Aussprache  ein  s  erhielt. 

§56.     c'n: 

acinus  afr.  aisne  Vendocinum  frz.  VenJume 

cicinus  {xx.xvoi^        „  cisjie  Vicinonia  „     V Haine 

ricinus  „  reisne  *rucina  {QvxdvTj)  afr,  roisne 

circinus  (xigxivo^)  „  cersne  *vicinaticum  „     visnage 

*lacin-aria  „  lasniere  [*salicineta  „     salnoie\ 

aisne  lebt  noch  mundartlich  in  La  Beauce  als  aine  und  in 
champ.  pic.  vin  de  Vesne  (God.). 

Nfr.  cygne  verdankt  anerkanntermafsen  sein  ii  der  Einwirkung 
der  Schrift  auf  die  Aussprache.  Älteres  eine  aber  wird  teils  auf 
lat.  cygnus  (Körting,  Dict.  gen.,  Nyrop),  teils  auf  cisne  <C  cicinus 
(Cledat  S.  264)  zurückgeführt.  Körtings  Bedenken  gegen  cicinus 
>>  afr.  cisne  sind  unbegründet. 

Afr.  roisne  ist  erhalten  in  nfr.  rouanne;  die  Schreibung  erklärt 
sich  dadurch,  dafs  man  das  Wort  als  Ableitung  von  rone  empfand. 
Körting  8206  geht  statt  von  vi.  rücina  von  cl.  runcina  aus,  das 
lautlich  nicht  entspricht. 

Afr.  visnage  wurde  unter  Einflufs  von  voisin  zu  voisnage  und 
später  verdrängt  von  der  Ableitung  voisinage. 

Frz.  lani^re  kann  nicht  *laciniaria'*  (Bugge,  Scheler,  Körting) 
sein.     Wahrscheinlich    ist    auszugehen   von    einem    Typus   *lacina 


*bro{ji]um  schwinde  der  unbetonte  Vokal  und  1  wird  mouilliert.  Also 
fra[g]ilem,  aber  brog[i]lum.  S.  276  o.  bemerkt  er  ausdrückliob,  dafs 
-ilem  länger  Proparox.  bleibt  als  -inem.  Aber  eine  Begründung  für  jene 
Doppelentwicklung  gibt  er  nicht. 

^  Vgl.  v'xgWo '^veil  coagulo  ^  caü 

Altogilum  ^  Autetcü    bajulo  ^  bau 
*brogilum  ^  breuil 

"^  Vgl.  ductilem  >•  tföi/Zif. 

'Nicht  vi.,  denn  it.  fraile^  frale.  c  für  g  vielleicht  nicht  so  sehr 
durch  Einflufs  von  gracilis  als  vielmehr  von  frac-tura. 

*  Denn  vor  ni  tritt  überhaupt  keine  Synkope  ein,  vgl.  Schwan-Behrens 
§8ob/9. 


8o 

>•  afr.  lasne,^  davon  abgeleitet  afr.  lasnete  und  lasniere,  ferner  das 
Adj.  /asfii's.  Dieses  *lacina  mufs  eine  vi.  Ableitung  zu  dem  Stamme 
sein,  der  in  lacer,  lacinia,  lancinare  vorliegt.  Reichn.  Gl.  Lacinia 
=  laniare,  Hetzer  105. 

Ricinus  >>  roisne  ist  mundartlich  ebenfalls  noch  vorhanden. 
Gedecktes  k^  liegt  vor  in  circinus>>  afr.  cersne'^  >  nfr.  cerne.  Ab- 
leitung dazu  ist  cerner,  wie  die  Bedeutung  und  das  späte  Auftreten 
(13.  Jh.)  zeigt.  VI.  *circinare  (sard.  chirchinare,  span.  cercenar) 
hat  andere  Bedeutungen.  Afr.  cenielle  ist  nicht  vi.  *c ircin ella 
(Shepard  S.  83),  sondern  frz.  Ableitung  wie  nfr.  ceriteau. 

*cocinare  (für  coquinare)  kann  nicht,  wie  Körting  2291  an- 
gibt, =  frz.  cuisiner  sein.  Freilich  ist  die  Entstehung  dieses  Zeit- 
wortes nicht  so  einfach  sicher  zu  stellen.  Es  könnte  *cocInare 
^  *coisnier  unter  Einflufs  von  cuisine  zu  cuismer  geworden  sein, 3 
oder  aber  es  trat  Ausgleich  ein  nach  *cocInat  ]>  cuisine  ein,  oder 
schliefölich   es  kann  frz.  Bildung  sein  zu  cuisine  (so  der  Dict.  gen.). 

§  57-     Cm: 

facimus     diir./aimes  dicimiis    afr.  dimes 

decimus      „    disme,  dime     kirchenlat.  decima       „    disme     nfr.  dime 
-ecimus  (Endung  der  Ordinalia)  afr.  -ime,  isme     nfr.  -ihne 

Für  c'm  gibt  es  zwei  Auffassungen: 

1.  A'2  vor  m  wird  nicht  assibiliert  (Schwan  -  Behrens  §  158, 
Nyrop  II  S.  347,  Marchot  S.  94).  Dann  ist  s  in  disme  zu  verdanken 
dem  Einflufs  von  dix.  Für  diese  Auffassung  führt  man  an  die 
Ordinalzahlen  von  11  — 16,  welche  in  den  ältesten  Texten  als 
onzime  usw.  erscheinen. 

faimes,  dimes  betrachten  Rydberg,  G.  Paris,  Nyrop  als  hervor- 
gegangen aus  vi.  diimus,  faimus;  abgesehen  von  der  mangelhaften 
Rechtfertigung  dieser  Formen  vom  Latein  her,  genügen  sie  auch 
für  die  frz.  Form  nicht,  da  ''^diimus  nur  ^dins  ohne  Stütz -^  er- 
geben könnte. 

2.  k2  wird  assibiliert.  Dafür  spricht  disme  und  die  Parallele 
zu  k^  vor  1,  n.  s  vor  1  m  n  ist  nach  Schwan -Behrens  §  129  vor 
Ablauf  des  1 1.  ]h.,  nach  Nyrop  I  §  462  vor  der  Eroberung  Englands 
geschwunden.  Kein  Beleg  für  die  Ordinalzahlen  ist  aller  {dudzime 
Ges.  Wilh.  d.  E.,  trezime  Karlsreise  1 17,  unzime  usw.  Philipp  v.  Thaun). 
faimes,  dimes  für  "^faismes,  ^dis?jies  entstehen  durch  Angleichung  an 

die  übrigen  Formen,  dime  ist  jünger  als  dtsme.  undecimu  mufste 
'^ondisme  geben,  wurde  durch  Einflufs  von  onze  zu  ^onzisme,  durch 
totale  Dissimilation  zu  onzittie. 


^  Doch  erregt  das  fehlende  i  Bedenken. 

^  Elfralh's  Angabe  (S.  804),  dafs  k^  zwischen  r  und  n  fällt,   ist  also  un- 
richtig. 

'  Vgl.  afr.  visnage  :  voisinage. 


Beide  Auffassungen  sind  möglich.  Für  die  erste  spricht  die 
Überlieferung,  dagegen  der  Mangel  einer  phonetischen  Begründung. 
Man  beachte,  dafs  die  Synkope  nach  der  Diphthongierung  statt- 
fand [disme,  dime),  also  auch  nach  der  Lautabstufung. 

§  58.     k  vor  Nasal  findet  sich  in  dem  alten  Lehnwort 

*Jacomus  (für  Jacobus)     afr.  Jaimes     it.   Giacomo. 
Jüngere    Entlehnungen    ergaben    afr.  Jaanes,   nfr.  Jacques. 

Vor   n:     Sequana>'  Secona  (s.  §62,5)     ae.  Sigene      frz.  Seine. 

§  59.  Es  fragt  sich,  ob  das  s  in  den  assibilierten  Formen 
stimmhaft  war  oder  nicht.  Die  afr.  Formen  geben  dafür  keinen 
Anhaltspunkt.  Denn  gredle  für  gresle  zeigt  nur,  dafs  s  vor  dem 
Schwunde  2  war;  aber  vor  dem  Schwunde  vor  stimmhaften  Kon- 
sonanten v/ar  jedes  s  stimmhaft  geworden.  Wenn  decimu  laut- 
gerecht disme  wurde,  so  kann  die  Synkope  erst  nach  der  Laut- 
abstufung eingetreten  sein;  aber  es  ist  zweifelhaft,  ob  k2  =  ti 
gleichzeitig  mit  dem  übrigen  Konsonanten  stimmhaft  wurde.  Vgl. 
§  127. 

§  60.  Weitere  sekundäre  Gruppen  im  Anlaut  der  Pänultima, 
die  einen  Palatal  enthalten,  kommen  für  die  Frage  nach  dem  Ver- 
hältnis von  Synkope  und  Lautabstufung  nicht  in  Betracht  (z.  B. 
ng'l;  nc'l,  rg'I;  rc'l;  rc'f.  rc'l,  rc'm;  sc'l,  sc'r;  x'n,  x,r;  et  vor  1,  n,  r). 

Anm.  Vertrat  ich  im  Vorangehenden  die  Ansicht,  dafs  vor  Dental  k^  ^ 
ty  ]>■  y  durch  Dissimilation  wurde,  k^'r  durch  Aufsaugung  des  Vokals  durch  r 
vor  der  Assibilation  zu  er  wurde,  sonst  aber  Assibiherung  eintrat,  so  raufs 
ich  gestehen,  dafs  sich  aucli  die  Meinung  vertreten  läfst,  ^*  entwickelt  sich 
im  Anlaut  der  Pänultima  wie  g.  Denn  die  Fälle  der  Assibilation  können  auch 
erklärt  werden  teils  durch  EinfluCs  der  Grundwörter  [amistie ,  mettdistie, 
•visnage  \  amicus ,  mendiciis ,  vicinus),  teils  als  jüngere  Wörter  (kirchenlat. 
decima,  die  griechischen  Wörter  xvxvoq,  xiQXivoq,  Qvxävj],  gelehrtes  acinus, 
Eigenname  Vendocinutn ,  Langforra  gracüis ,  während  kl  sonst  schon  vi,  zu- 
sammentritt). Doch  hat  lautgerechte  Assibilation  vor  /  und  n  giöfste  Wahr- 
scheinlichkeit. 


Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV. 


III.    Liquida,  Nasal  und  Spirans  im  Anlaut. 


§  6i.  Von  allen  romanischen  Sprachen  hat  das  Frz.  die  un- 
betonten Silben  im  höchsten  Mafse  eingeschränkt.  Es  duldet  keine 
Proparoxytona  und  der  Zwischentonvokal  wurde  in  nahezu  gleichem 
Umfange  wie  der  Endvokal  aufgegeben  oder  geschwächt.  Diese 
Ausstofsung  ging  in  zwei  grofsen  Abschnitten  vor  sich,  einmal  vor, 
das  andere  Mal  nach  der  Lautabstufung,  abhängig  von  der  Natur 
der  umgebenden  Konsonanten,  bei  den  Paroxytonis  zum  Teil  vom 
Endvokal.  Ob  diese  beiden  Synkopierungen,  die  ältere  wie  die 
jüngere,  in  sich  einheitlich  sind,  oder  der  Zeit  nach  in  ver- 
schiedene Stufen  zerfallen,  läfst  sich  nicht  feststellen,  da  es  an 
Anhaltspunkten  fehlt. 

Was  nach  der  vi.  oder  gemeinrom.  Synkope  an  Paroxytonis 
erbwörtlich  vorhanden  war,  wurde  ausnahmslos  durch  Ausstofsung 
des  Pänultimavokals  zum  Paroxytonon.  Man  pflegt  daher  dem  un- 
betonten Vokal  der  vorletzten  Silbe  die  geringste  Widerstandsfähig- 
keit zuzuschreiben.  Denn  hier  fällt  sogar  a,  dafs  vortonig  stets 
als  e  erhalten  bleibt,!  und  auch  nach  Konsonantengruppen,  die  vor- 
tonig Stütz -^  verlangen  ,2  tritt  hier  Synkope  ein.  Das  ist  darin  be- 
gründet, dafs  hier  zwei  unbetonte  Silben  dem  Tonvokal  folgten, 
das  Übergewicht  des  Tones  über  den  Pänultima -Vokal  daher  viel 
gröfser  als  beim  Zwischentonvokal  war.  Neumanii  fand  es  deshalb 
naheliegend,  dafs  die  Vortonvokale  später  fallen  als  die  meisten 
tonlosen  Pänultima -Vokale.  Nyrop  I'  §  259  verallgemeinert  gar: 
„La  chute  de  la  penultieme  est  anterieure  ä  la  chute  de  la  contre- 
finale".3  Aber  aus  dieser  in  der  Natur  der  Sache  begründeten 
stärkeren  Wirkung  ein  höheres  Alter  zu  folgern,  dazu  berechtigt 
uns  nichts.  In  tepidus  >  tiMe  tritt  die  Synkope  z.  B.  weit  später 
ein  als  in  civitatem  >>  cite. 

§  62.  Aber  der  Frage  nach  der  Zeit  des  Ausfalles  von  a 
müssen    wir    näher    treten.      1.    M.-L.    Zeitschr.  VIII  234    glaubte, 


1  Abgesehen  von  den  S.  2  Anm.  genannten  Fällen;  Formen  wie  serment 
sind  sekundär,  vgl.  S.  75   Anm.  3. 

=*  Vgl.  S.  87  ff.  (§64). 

'  In  der  2.  Aufl.:  La  posttonique  non  finale  tombe  la  premiire  parmi 
toutes  les  voyelles  atones,  was  in  seiner  Allgemeinheit  ebenso  unrichtig  ist. 


83 

dieses  a  falle  später  als  das  i  der  Pänultima,  und  meinte,  fetacum 
sei  infolge  späterer  Synkope  zu  lautgerechtem  firie  geworden;  ebenso 
habe  in  monachus  >  meine,  *canonachus  >■  cmioine  das  a  die 
Synkope  für  einige  Zeit  gehindert.  Sehr  wahrscheinlich  ist  das  von 
vornherein  nicht.  Die  Bildung  eines  *canonachus  wäre  doch 
recht  seltsam,  viel  wahrscheinlicher  wäre  monicus  nach  canonicus, 
wenn  sich  beide  Worte  beeinflufst  haben  sollten.  Überdies  sind 
firie  wie  moine,  canoine  Lehnwörter,  die  nur  mittelbar  in  Betracht 
kommen.  Auch  Horning  Zeitschr.  XV  4g8  hat  M.-L.'s  Annahme 
abgelehnt,  indem  er  darauf  hinwies,  dafs  ganz  dieselbe  Entwicklung 
bei  -nicus,  -nica  stattfand,  wo  doch  a  nicht  in  der  Pänultima 
stand:  afr.  dü?neine,  wall,  mpi(e)  <<  manicum,  lothr.  gren(e)  << 
granica  iisw.i  Aber  die  mundartlichen  Entwicklungen  sind  kein 
strenger  Beweis. 

Auch  in  der  Gramm.  I  §  326  hatte  M.-L.  daran  festgehalten: 
wie  im  Span,  e  vor  n  falle,  a  aber  bleibe  {ciiehano,  pampand),  ebenso 
erkläre  sich  frz.  foie  aus  *fecatum,  moine  aus  monacus  (>  monei 
>>  mo7iie  >  mome),  pampre,  timbre  [coffre  Buchwort),  sonst  sei  es 
afr.  gefallen:  cannabis  >■  afr.  chanve. 

Behrens  §  76  kennt  zwischen  a  und  i  der  Pänultima  keinen 
Unterschied.  Der  Dict.  gen.  §  290  läfst  das  a  sich  länger  halten, 
es  finde  sich  afr.  als  e  in  der  ältesten  Zeit:  cannabem  >  chaneve 
>>  chanvre,  orfanum  >  orfene,  rafanum  >>  ravene.  Auch  Nyrop 
§  259  meint,  die  Pänultima  habe  sich  bis  ins  9.  Jh.  gehalten,  wann 
sie  a  war:  cannabem  >•  chaneve  >•  chanvre;  Isara  >>  Eisere  ]>  Eise, 
Oise;  orphanum  >>  orfene,  orfe,  *passara  '^passere,  passe  (aus- 
gen.  colaphus  >  frühzeit.  colpo). 

2.  Eine  Beantwortung  der  Frage  stöfst  auf  eigentümliche 
Schwierigkeiten,  a  der  Pänultima  ist  von  Haus  aus  im  Lat.  nicht 
berechtigt,  wie  schon  M.-L.  Zeitschr.  VIII  201  ausgeführt  hat.  Es 
findet  sich  in  jüngeren  gr.  Lehnwörtern  (in  älteren  wurde  a  >>  i: 
[layavä  >  machina),  z.  B.  colaphus,  monachus,  lampada, 
calamus;  entsteht  durch  Einflufs  des  Nominativs:  Caesaris;  er- 
hält sich  durch  Einflufs  des  Simplex:  atavus,  usw.  VI.  greift  es 
noch  weiter  um  sich:  pampanus,  carcara  usw.  Nun  finden  sich 
aber  (z.  T.  schon  bei  Plautus  u.  a.)  daneben  die  geschwächten 
Formen  und  vi.  stehen  meist  beide  nebeneinander;  so  sind  monicus, 
anites,  Caeseris  usw.  belegt.  Umgekehrt  dringt  a  in  Formen, 
wo  es  nicht  berechtigt  ist,  die  App.  Probi  bietet  passer  non  passar, 
anser  non  ansar,  camera  non  camara  (Assimilation  an  den  Ton- 
vokal, Einflufs  des  r)  und  im  It.  (z.  B.  giovane)  und  im  Span.  (z.  B. 
cuebano)  hat  a  der  Pänultima  noch  weiter  um  sich  gegriffen. 

Das  Nebeneinander  wird  vor  allem  bezeugt  durch  die  germ. 
Lehnwörter:  nhd.  Mönch  ><  monicus,  ne.  niutik  <C  monacus; 
ahd.  pferrih  <  parricus,    ae.  pearroc  <  parracus    (vgl.  frz.  parc, 


*  Dagegen  Propnr.  S.  19  nennt  Horning  lothr.  ^/f//,  ;//f«,  v/zW.  gr^n, 

6* 


84 


it.  parco).  Ein  Ersatz  des  a  durch  i  wird  verlangt  durch  ahd. 
estrich  <<  *astricus  für  astracus,  ahd.  munisiri  (Münster)  <[  m o ni- 
ster ium  für  raonasterium.  Dafs  dieses  Schwanken  romanisch 
und  nicht  germanisch  ist,  zeigt  abbätem  >■  ahd.  abbat  >>  mhd. 
abbet,  apt,  woneben  kein  Umlaut  steht. 

Schwan  ging  nun  in  der  i.  Aufl.  durchweg  von  Formen  aus 
wie  colopu,  monicu,  Sequina,  Rodinu,  asparigu.  Neumann 
Zeitschr.  XIV  557  wies  dies  als  unnötig  zurück.  Aufser  Horning  war 
auch  Lindström  der  Ansicht,  dafs  a  keine  besondere  Festigkeit  zeigt. 

3.  Zunächst  die  Beispiele: 

a)    gr.  xaXafiog 
„    xoXa^oq 


hy 


celt. 


xavvaßig 
ßdXöafiov 


gr.  jtXdravog 
„  Oxdgaßog 
„  oäßßarov 

1> 


calamus 

vi.  *calmu 

frz. 

.  chaunte 

colaphusi 

„    *colpu 

H 

coup 

cannabis 

afr.  c/ianve 

H 

chanvre 

balsamum 

„   baisme 

)1 

bäume 

gabata^ 
Lazarus 

„  Jafe 
„   /azäre 

11 

jatte 
ladre 

platanus 
scarabus 

„  pladne 
„   escharbe 

11 

plane 

„    sabbatum^    prov.  sapde,  sapte 
,,    secale  frz.  berr.  seille  (pic.  soile\   ge- 

lat.  separat    Reichn. Gloss.  Jif/^rö/     „   sevre  [lehrt  seigle 


cy 


Abrincates 
Atrabates 
Condate^ 
Lupare 


Avranches  Messava 

Arras  Sequana 

Condes 

Louvre  Samara 


Mesves 
Seine 

Sambre  "^ 


^  Körtings  (Nr.  2313)  Ansätze  *colopus,  *colipus,  *colepus  (nach 
Claussen  p.  36)  sind  überflüssig. 

*  Nicht  hergehörig  sind :  gr.  nkxaXov  >  frz.  poele  „Thronhimmel"  (Diez 
659),  da  dieses  wohl  dem /o<?^e^  <^  p a  1 1  i u m  gleichzusetzen  ist.  —  Nicht  un- 
mittelbar aus  dem  Lat.,  sondern  einer  anderen  rom.  Sprache  entstammen 

gr.  aonaQayoq  prov.  espargue ,  aspergue ,  mittelfrz.  esparge,  asperge,  esperge, 

asparge,  nfr.  asperge. 

gr.  ßovßaXoq  lat.  bubalus,  Nbf.  bufalus  ^  it.  bufalo,  daraus  (15.  Jh.)  bouffle, 

seit  16.  Jh.  büffle, 
usw.  -^  ■'■^ 

^  Daneben  mufs  *gabita  bestanden  haben,  vgl.  ahd.  gebiza. 

^  Für  das  Frz.  ist  nicht  von  sabbatum,  wie  gewöhnlich  geschieht,  sondern 
von  *sambaton,  einer  orientalischen  Nbf.  dazu,  auszugehen,  die  auch  in 
rum.  sambata,  ahd.  sambaz  tac  (obd.  und  rhein.)  vorliegt.  Für  den  Pänultima- 
Ausfall  kommt  das  Wort  im  Frz.  nicht  in  Betracht,  da  sambati  diem  früh- 
zeitig zu  * s a m b a d d i e  (]>  jflwö^^z)  wurde,  wo  a  als  Zwischentonvokal  stand. 
mb^  m  ist  unerklärt,  Kreuzung  von  sanibedi  mit  se(d)medi  <^septima  diem 
befriedigt  nicht  ganz. 

*  Ebenso  prov.  Namen:  Brivate  ^  Brioude,  Cornate  ]>•  Cordes, 
Mimate  ^  Mende,  Rhodanum  ^  Rhone,  Sibuzates  ]^  Saubusse,  So- 
tiates  !>  .Soj,  usw. 

^  S.  §  103,  I. 

'  Weitere  Flufsnamen  auf  -ara  (-era)  :  Avara  ^  iiz/r^,  Incara  ^ 
Ancre,  Lab  ara  ^  Lievre,  Savara  ^  Sevre,  Tevara  >•  Thievre  usw.  —  Da- 
gegen mit  „Fall"  der  letzten  Silbe  Gabarus  >•  Gave,  Lattara  >•  Za//^  usw. 


85 


Durocasses 

Vosagus 

Cranavis 

Dreux  i 

Vosges 
Cranves 

Isara,  Isera,  Isa           Oise 
Oscara,  Osca               Ouche 

Tiliacum 
Orcada 

Tilques 
Ourches 

-ömagum^            -on,  -an 
-6ialum3               -einl 

d)  gr.  xvf/ßaXov  lat.  cymbalum    Reichn.  G\.  cymb/is  zS.x.  cymble 

lat.  anatem,  -item   rtr.  anda  prov.  anet  „    ane 

gr.  lafiJtaq,  -adoq  lat.  lampada  frz.  /ampe 

„   övxcotÖp  „    fecatum  „  /oü 

lat.  passerem,  -arem  afr.  passere,  passe,  paistre,  pesse 

nfr.  mundartl.  passe,  parse,  prase 

gr.    novayöc,    lat.  monachus,  -icus                                frz.  moine 

„   OQjavov        „     Organum  afr.  orguene,  orgue           „  orgue 

„   ÖQ^avöq         „     orphanus  „    orfene,  orfe                „  [orphelin] 

„  Qmpavoq        „    raphanus  „    ravene 

„   ÖXttrdaAoi'    „    scandalum  „    esclandele,escland(l)e   „  esclandre 

„   2r£<f>avoq      „    Stephanus  „    Estevene,  Esteve          „  Etiettne 


4.  Gruppe  a  und  b  bieten  keine  Abweichung  vom  Gewöhn- 
lichen. Nyrop,  Dict.  gen.  stellen  chaneve  als  die  älteste  afr.  Form 
hin,  während  Neumann  gerade  den  Gegensatz  von  chanve  :  cheneviere 
hervorgehoben  hat.  Da  lat.  tenuis  >  afr.  tenve  in  einem  gewissen 
Gebiete  durch  Svarabhakti  sich  als  teneve  findet,  dürfte  chaneve  dem- 
selbe  Gebiete  angehören  und  nicht  franzisch  sein.  —  Sicherlich 
aber  bleibt  es  in  einigen  Fällen  unsicher,  ob  überhaupt  von  a  aus- 
zugehen  ist. 

Auch  die  geographischen  Eigennamen  zeigen  keine  Verzögerung 
der  Synkope.  Auffällig  ist  bezüglich  des  Stütz -(?  der  Gegensatz 
von  Condes  :  Ar  ras  und  Troyes  :  Bayeux,  Vieiix.  Da  Atrabates 
(Caesar  Atrebates)  als  *Arrades  geendet  hätte,  ist  von  *Atravates 
mit  vi.  V  für  b  auszugehen,  das  regelrecht  afr.  Arraz  ergab.  Was 
Troyes  betrifft,  bietet  Gregor  v.  Tours  zwar  Trecae  Campaniae 
tirbs,  aber  das  dürfte  wohl  nur  schlechte  Latinisierung  eines  ge- 
sprochenen *Tretes  sein.  M.-L.  Bet.  im  Gall.  S.  24  läfst  Bayatx 
hervorgehen  „aus  der  alten  Form  Bayüees,  wo  g  regulär  zu  ue 
wurde  und  nun  das  zweite  e  im  ersten  frühzeitig  aufging."  Aber 
ein  Lautgesetz,  nach  dem  ^  in  vorausgehenden  betonten  e  aufgeht, 
gibt  es  nicht.  Ist  afr.  -uees  aus  -öcasses  wirklich  bezeugt,  so  liegt 
in  Bayeux,  Vieux  dieselbe  Erscheinung  vor  wie  in  Caplia  ^  Chablies 


1  Aufserdem  noch  *Badiocasses  (belegt  Bodiocasses  und  Bajo- 
c a s s e s)  >  ^ay£?w;tr ,  *Vidocasses  (mit  Verallgemeinerung  des  häufigsten 
Vokals  der  Kompsitionsfuge  für  Viducasses)^  Vieux,  Vadicasses^ 
Vez,  ferner  Tricasses  ]>  Troyes. 

*  Beispiele  s.  S.  33. 

^  Rigojalus  {Rtoilus  im  J.  817,  Riogilus  S70)  >■  Rueil,  Marojalum  > 
Mar  euü,  Najogialum>'  Nieul,  Sirojalum  ^  Sireuü  usw. 


86 

>  Chablis,  vgl.  Nyrop  1^  253  Anm.  3;  sind  aber  Belege  für  -uees 
nicht  vorhanden,  so  ist  Bayeux  usw.  als  das  lautgerechte  Er- 
gebnis zu  betrachten,  während  für  Troyes  dann  Rückbildung  aus 
*Tricassinu  >»  Troy essin  anzunehmen  oder  von  *Tricas  (Kurz- 
form für  Tricasses,  mit  früher  Synkope  von  e  zwischen  s's)  aus- 
zugehen ist.  —  Wie  sich  Oise,  Isa,  Isara,  ebenso  Ouche,  Osca, 
Oscara  zueinander  verhalten,  ist  ein  ungelöstes  Rätsei. 

Gruppe  d  enthält  Lehnwörter.  Dafs  die  Erhaltung  dreisilbiger 
Formen  im  Afr.  nicht  auf  Rechnung  des  a  zu  setzen  ist,  zeigen 
imaginem  ^  imagene  ^  image,  virginem  ^  virgene  >  vierge, 
diaconus  >>  diacne,  diaqiie,  diacre,  canonicus  >>  chanoine,  chanonge, 
dies  dominica>  diemoine  usw.  Freilich  man  wird  Worte  wie 
afr.  ane^  passe,  frz.  fote  ungern  als  Lehnwörter  hinstellen,  anatem 
könnte  *anede  >>  *anee  >  ane  geworden  sein,  ficatum  >  feiede 
'^  feiee  ^  feie,  aber  schon  für  passaremi  ^  passe  ist  die  oft  ge- 
gebenen Erklärung    unzulässig,    da  r  zwischen  Vokalen  nicht   fällt. 

5.  Umgekehrt  ist  auch  kein  Beweis  erbracht  worden,  dafs  a 
gleichzeitig  mit  den  übrigen  Vokalen  schwand.  Karsten  S.  71 
meinte,  in  Sequana  sei  der  Schwund  des  labialen  Elementes  da- 
durch begründet,  dafs  qu  hier  vor  Konsonanten  zu  stehen  kam, 
also  Sequana  >  *Secna  >  Seme.  Dieselbe  Entwicklung  gibt  Nyrop 
I^  410,  2.  Zwar  Gregor  v.  T.  schreibt  noch  wie  Caesar  Sequana, 
aber  Fredegar  bietet  Secona,  Segona,  Sigona;  eine  ähnliche 
Aussprache  wird  auch  durch  ae,  Stgen  gefordert.  Haag  S.  851 
meint,  dafs  diese  Schreibung  darauf  hindeutet,  „dafs  a  durch  das 
vorangehende  qu  labialisiert  wurde,  ehe  der  Zwischenvokal  fiel." 
Ich  kann  nicht  glauben,  dafs  *Secna  die  Vorstufe  zu  Sehie  bildete, 
denn  dies  hätte  *Segne  ergeben.     Sequana  scheint  mir  über  Segona 

>  *Seyene  >>  Seine  geworden,  wie  *Jacomus  ]>  Jaime  (s.  §  58). 
Cledat  S.  274  hält  secale  >  seigle  für  erbwörtlich,  indem  hier  a 
die  Synkope  aufhielt,  bis  cl  nicht  mehr  mouilliert  wurde;  es  sei 
dann  dieselbe  Entwicklung  eingetreten  wie  in  den  Lehnwörtern 
aveugle,  jogieor.  Ebenso  möchte  er  b  >»  v,  f  in  fundabalum 
"^  fondefle  erklären  (S.  281).  Kein  Zweifel,  dafs  seigle  wie  fondefle 
lehnwörtliche  Entwicklung  zeigen,  und  sie  beweisen,  wie  schon  Horning 
hervorhob,  dafs  auch  in  Lehnwörtern  a  der  Pänultima  nicht  anders 
behandelt  wird  als  andere  Vokale,  seigle  wie  sihle,  aveugle. 

6.  Ich  gelange  also  zu  demselben  Ergebnis  wie  Horning 
Zeitschr.  XV  501,  dafs  „in  keinem  einzigen  sicher  nachweisbaren 
Falle  das  a  die  Synkope  verzögert  habe."  Aber  einen  Beweis 
dafür,  dafs  a  gleichzeitig  wie  die  anderen  Pänultimavokale  schwand, 
möchte   ich    darin    sehen,    dafs  jene  Gruppen,  die  im  Auslaut  und 


1  Cledat  S.  287  meint,  in  Isara,  passarem  habe  sich  e  aus  a  solange 
gehalten,  bis  der  Einschiib  eines  Dental  vorüber  war,  daher  Eisere^  Oise, 
passere"^  passe.     Aber  vgl.  Lazarus  "^  ladre  und  die  Nebenform /aw^^ff. 


»7 

zwischentonig  ein  Stütz-^-  erhalten,  keine  Verzögerung  der  Pänultima- 
synkope  im  Gefolge  haben: 

Namnetes      Nantes,  aber     somnum  >  soinme 

domnicellus  >•  dameüel 
Matrona'        Marne,  aber  patrem  y-  pere 

§  63.  Zu  untersuchen  bleibt  noch,  ob  die  Synkope  der  Pän- 
ultima  in  allen  Erbwörtern  eintrat.  Ich  glaube,  dafs  die  Frage  zu 
bejahen  ist.     Cledat  betrachtet  zwar 

episcopum  >  evesqtieve  >>  eveque       an  gel  um  >>  angele  ]>  ange 
principem  ^ princeve  ^ prince  glandula  >  glandre  >■  glande 

usw.  als  Erbwörter,  die  eine  solche  Entwicklung  nahmen  wegen  der 
schwierigen  Sprechbarkeit  der  sich  ergebenden  Gruppen.  Dafs 
i'veque  und  prince  Lehnwörter  sind,  bedarf  keiner  Erörterung.  Dafs 
in  angelum  die  Konsonanten  kein  Hindernis  bildeten,  zeigt 
spinula  >»  epingle.     Aber  auch  der  Dict.  gen.  bezeichnet 

supplicem  frz.  souple     encaustum  frz.  eiicre 

nicht  als  Lehnwörter.  Sind  sie  erbwörtlich,  so  müssen  wir  uns 
freilich  fragen,  was  aus  ppl'c,  nc'st  hätte  werden  sollen.  Aber 
encre  kann  seiner  Bedeutung  nach  sehr  gut  ein  halb  gelehrtes  Wort 
sein,  das  aus  dem  Klosterlatein  eindrang.  Frz.  souple  wird  durch 
das  ebenfalls  den  Lautregeln  widersprechende  it.  soffice  verdächtig 
gemacht.  Jedenfalls  genügen  sie  nicht,  ernstlichen  Zweifel  an  der 
ausnahmslosen  Synkopierung  erbwörtlicher  Proparoxytona  im  Frz. 
zu  begründen. 

§  64.  Während  also  die  tonlose  Pänultima  unter  allen  Um- 
ständen synkopiert  wird,  unterliegt  der  Zwischentonvokal  den  Ton- 
verhältnissen entsprechend  in  geringerem  Grade  der  Ausstofsung. 
Hier  tritt  nach  dem  bekannten  Darmesteter'schen  Gesetz  Synkope 
nicht  ein,  wenn  der  Nachnebentonvokal  ein  a  ist  oder  wenn  die 
Beschaffenheit  der  vorangehenden  oder  folgenden  Konsonanten 
einen  Stützvokal  verlangt. 

1.  Zunächst  ist  festzustellen,  dafs  auch  a  hier  vorliterarisch 
vollständig  schwinden  kann,  wenn  im  An-  oder  Auslaut  ein  r  steht, 
dafs  das  aus  a  geschwächte  e  aufsaugt:  mirabilia  >  merveille, 
separare  >■  sevrtr  usw.,  s.  S.  2  Anm. 

2.  Ferner,  welche  Konsonanten  vortonig  den  Stützvokal  ver- 
langen, ist  noch  nicht  ganz  geklärt.  Selbst  die  Grammatiken  von 
Schwan-Behrens  und  Nyrop  stimmen  hier  nicht  völlig  überein.  Die 
Synkope  unterbleibt 


*  Gregor  v.  Tours  und  die  Späteren  nennen  den  Flufs  Materna;  man  sprach 
den  Namen  zu  seiner  Zeit  wohl  MäJ^na,  was  er  Materna  schrieb  (vgl.  ae. 
Materne)  und  später  Materna  gelesen  wurde.  —  Vgl.  auch  Gregors  Schreibung 
Petragorü  für  Petrocorii. 


88 


I. 


nach  Nyrop  I^  §  256: 

Wenn  eine  Kons.-Gruppe 
vorausgeht,  die  Stütz -^  er- 
fordert. 

Wenn  eine  Kons.  -  Gruppe 
folgt. 


nach  Schwan-Behrens  §  Bob: 

1.  Nach  Kons. -Verbindungen 
mit  Liquida  oder  Nasal  als 
zweitem  Element. 

2.  Vor  mehrfacher  Kons. 


3.    Vor  einem  mouillierten  Kons.      3.    Vor  li,  ni. 

3.  Beide  machen  die  Synkope  also  abhängig  entweder  vom 
Anlaut  oder  vom  Auslaut.  Die  Möglichkeit,  dafs  erst  Anlaut  und 
Auslaut  gemeinsam  die  Ausstorsung  verhindern,  wird  nicht  in  Er- 
wägung gezogen.  Dies  scheint  der  Fall  zu  sein,  wenn  auf  ge- 
deckten Dental  ein  Dental  folgt.  1 

a)  Primäre  Gruppe: 

cvLSto dir e  a.f^r. cosfei'r  mentitorem  zir.menteor  nix.menteur 

vestitura     „   vesteüre  x\{r.veturevG.r\<l\ioxQio.      „   vendeor     „   vendeur 


Artedunum 

V\ 

Artun  castiti 

atem       „   chastee 

„  [chasteti] 

sancti 

tatem    „   samtei 

„  [satfttete] 

b)  VI.  Gruppe: 

Augustodunum 

vi. 

*Austodunu 

afr.  Osiedwi 

nfr.  Autun 

*horriditatem 

» 

*horditate 

„     ordei 

*nitidi-tatem 

« 

*nettitate 

„     netee 

„     [nettete] 

'"^putidi-tatem 

11 

*puttitate 

„    ptitee 

c)  sekundäre  Gruppe: 

comite  +  -tatem  >>  *comtedet 
Nemetodurum      >  *Nemtedor 


afr.  contei  [la  comte) 
frz.  Nafiterre. 


d)  Gedeckter  Dental  vor  di: 

sordidiorem  afr.  prov,  sordeior 

''nettidiare  „       netejar 


frz.  nett oy er 


Wohl  aber  tritt  vor  ti  auch  bei  gedecktem  Dental  Synkope 
Q\Xi\  foncer,  ven^-on ,  pargon,  plangon,  7nensoiige,  denen  gegenüber  afr. 
chantisier,  sortecier  usw.  Neubildungen  sind.  —  Der  Dict.  gen.  be- 
trachtet veture  als  Bildung  von  vetir  +  -eure  <]  -atura,  netee  als 
formation  ä  demi-populaire;  nach  M.-L.  Frz.  Gr.  §  130  liegt  in 
saintede,  vendedour  und  allen  entsprechenden  Fällen  das  Bestreben 
vor,  Stammauslaut  und  Suffixanlaut  deutlich  zu  bewahren.  Afr. 
coste'ir,  chastee,  samtei  könnten  auch  lehnwörtliche  Entwicklung  zeigen. 

Auch  zwischen  nd  und  n,  1  scheint  die  Synkope  zu  unter- 
bleiben: Vindonissa  >   Vendenesse,    Andelavus    (bei  Gregor  und 


1  Für  gedecktes  t  vor  d,  t   hat   dies  auch  C16dat  S.  216   ausgesprochen. 


89 

Fredegar  Andelaus)  >  Andelot,  Andelacum  >  Andelay,  lehnwörtlich 
*candelorum  >>  chandeleiir.  Keine  Verhinderung  der  Synkope 
dagegen  bewirkt  st'ra,  wie  gelegentlich  behauptet  wurde.  Die  Bei- 
spiele vestimentum  >•  vetement.,  testimonium  ]>  iestemoigne  sind 
nicht  brauchbar,  da  vettme^it  auf  Verallgemeinerung  der  Endung 
-amen tu  beruht,  testemoigne  (prov.  iestimoni')  Lehnwort  ist.  Synkope 
beweisen  testimonium  >'  tesmoin  >•  temoin,  testimoniare  >» 
iesmoigner,  aestimare  ]>  esmerA 

4.  Nun  zu  den  von  Nyrop  und  Schwan-Behrens  aufgestellten 
Fällen.  Für  den  Anlaut  ist  Nyrops  Fassung  die  bessere:  steht 
im  Anlaut  eine  Gruppe,  die  im  Wortauslaut  Stütz-«?  erfordert,  tritt 
Synkope  nicht  ein.  Nur  eine  Ausnahme  ist  festzustellen:  Wie  a 
als  Zwischentonvokal  von  r  aufgesaugt  werden  kann,  so  scheint 
auch  hier  Kons.  +  ''  Synkope  ermöglicht  zu  haben. 

a.    tr. 

nutritura  >  notrtura    a^r.  nörrefure,  norlure  r\h.nourrt/ure^ 

latrocinium       >  latrciniu     „   larrecin,  larcin  „   larcin 

quadrifurcum  >»  cadrforc  „   carrefour 

*putritura  „  pourreture  „  ponr(r)iture 

jistqoöeXivov  „  peresil,  persil  „  persil 

Hier  kann  es  zur  Zeit  der  Tonerweichung  keinen  Zwischen- 
tonvokal gegeben  haben,  sonst  hätte  werden  müssen: 

nutritura  >■  nodredure  >  ^ 710 r eure 

latrocinium        ]>  ladreizin     >  *laroisin 
quadrifurcum   >>  cadrevorc  >-  *caregrc. 

Dasselbe  gilt  auch  vor  //,  ci: 

nutritionemS  >  noirgon  afr.  norregon  nfr.  noiirrisson 
Patriciacum  frz.  Perrecy. 

Der  Unterschied,  den  Nyrop  zwischen  nourreture  und  larcin 
findet,  ist  nicht  vorhanden,  denn  er  ist  erst  sekundär.  Der  Dict. 
gen.  rechtfertigt  ebensowenig  wie  Nyrop  die  Erhaltung  des  t,  f  in 
nourriture,  carrefour.  Aber  die  Schwierigkeit  der  Erhaltung  des  c  in 
latrocinium  scheint  den  Dict.  zu  veranlassen,  darin  ein  gelehrtes 
Wort  zu  sehen:  latrocinium  entlehnt  >  ladrecin  )>  larrecin  >  larcin. 
Frz.  pourriture  ist  ihm  Ableitung  zu  pourrir.    Nur  Schw.-B.  gibt  die 


1  Vgl.  ferner  pastinaca  >  ^«^«arz'rt,  ax iem'isia.  "^  armoise ,  blas- 
phemare  ^  blasmer  nfr.  blämer,  *brustulare]>  brtisler  nfr.  brüler. 

*  Nfr.  nourrütire  aus  norreture  durch  Einflufs  von  nourrir  (Nyrop), 
kaum  wegen  lat.  nutritura,  so  der  Dict.  g^n.,  der  übrigens  Einflufs  von 
nourrir  für  nourrissoti  zugibt. 

*  Alle  übrigen  Ableitungen  (Körting  nutricatio,  Dict.  gen.  nutreclio 
usw.)  sind  abzuweisen. 


QO 

genannte  Entwicklung,  aber  nur  für  larrecin  und  noiirrelure,  zieht 
jedoch  auch  die  Auffassung  als  Lehnwörter  in  Betracht,  Die  Ein- 
heitlichkeit in  der  Entwicklung  der  genannten  Beispiele  überzeugt 
mich,  dafs  wir  hier  lautgerechte  Behandlung  vor  uns  haben. 

Cledat  S.  217  meint,  dafs  hier  tr  vor  dem  Ton  frühzeitig 
>  rr  geworden  sei,  weil  wir  schon  lat.  parricidium  haben.  Das 
ist  ein  Irrtum,  parricidium  geht  nicht  aus  *patricidium  hervor, 
sondern  beruht  (trotz  Breal  Mera,  soc.  lingu.  XIII  75 f.)  auf  päricida 
(*päsos  ==  gr.  üib6(^. 

*notrhire,  *laircin,  *catrforc  werden  —  nach  der  Lautabstufung 
—  zu  ^ix.  florreiure,  larrecin,'^  carrefourc.  Diese  Worte  werden 
später  —  gleichzeitig  wie  correcier  (corruptiare)  oder  guerredon 
(widarlon)  zu  corcier,  guerdon  —  zu  zweisilbigem  norture,  larcin, 
carfourc.  Das  Nfr.  hat  larcin,  persil  bewahrt,  in  carrefour,  Perrecy 
aber  die  alte  Schreibung  beibehalten.  Neben  nourreiure,  notirregon, 
poureture  waren  unter  dem  Einflüsse  der  Verba  nourrir,  pourrir 
die  Formen  tiourrifure,  nourrissoit,  poiiriiure  aufgekommen,  welche 
nfr.  allein  gültig  sind.  Also  weder  larcm  noch  persil  sind  „cas 
isoles",  wie  Nyrop  angibt. 

b.    br: 

Eburodunum     *Ebrdun      ixz.  Everdiin 
fabricare  *fabrgar      afr.  favergier^  favregicr 

lubricare  *lobrgar       „     lovcrgier,  lovregier 

Auch  hier  mufs  der  Zwischentonvokal  gefallen  sein,  sonst  hätte 
fabricare  >>  */avrener  werden  müssen.  Während  afr.  favergier 
[favargier,  favregier)  die  lautgerechte  Entwicklung  der  endungs- 
betonten Formen  darstellt,  ergab  fabricat  regelrecht  _/ör_§-i',  darnach 
ist  f orger  neugebildet.  Wenn  in  den  genannten  Fällen  t  zur  Zeit 
der  Synkope  noch  nicht  stimmhaft  war  (afr.  norture),  aber  k  schon 
zu  g  sich  entwickelt  hatte  (Jovergier),  so  stimmt  das  zur  allgemeinen 
Entwicklung  der  Gruppen  r't  und  r'c,  s.  §§  70,  76.  Zu  fabricare, 
Itihticare  vgl.  §  77.  —  Zu  ähnlichem  Ergebnis  ist,  wie  ich  nach- 
träglich sehe,  auch  M.-L.  Frz.  Gr.  §  129  gelangt. 

Anzumerken  ist  auch  die  Gruppe  mn  im  Anlaut;  wie  mn,  ?}i'7i 
im  Wortauslaut  teils  mit,  teils  ohne  Stütz-e  erscheinen  (vgl.  Schw.-B. 
§  182  Anm.,  Nyrop  P  §  819,  i,  M.-L.  Afr.  Gr.  §  118),  so  finden 
wir  auch  vor  dem  Ton  neben  unsynkopierten  Formen  auch  solche 
mit  Ausfall: 

*dominicellu  afr.  dameisel 

„    doncel,  dajicel;  vgl.  prov.  dofizel 


*  C16dat  dagegen  nimmt  an,  dafs  die  älteste  afr.  Form  larcin  ist,  welche 
durch  Einflufs  von  larron  zu  larrecin  geworden  ist  und  nachträglich  wieder 
zu  larcin  zusammengezogen  wurde.  Die  anderen  Beispiele  widerlegen  eine 
solche  Sonderentwicklung. 


91 

*dominicella     afr.  dameisele  >  nfr.  demoiselle 

.,    doncele,  dancele',   vgl.  prov.  donzella 
Dominivicus  Danvix 

5.  Für  den  Auslaut  geben  Nyrop  und  Schw.-B.  überein- 
stimmend an,  dafs  die  Synkope  unterbleibt,  sobald  eine  Kon- 
sonanten-Gruppe (abgesehen  von  Kons.  -}-  i)  folgt. 

a.  Shepard  S.  93  dagegen  hat  festgestellt,  dafs  vor  st,  sc  der 
Zwischentonvokal  fällt;  als  Grund  führt  er  an,  dafs  sc,  st  im  Lat. 
die  Silbe  beginnen  können  und  die  vorangehende  Silbe  nicht 
geschlossen  machen.  Auch  verweist  er  auf  minsterium  bei 
Plautus. 

st:      ministeriu     it.  mesliero  afr.  mestier     nfr.  mctier 
*monisteriu    afr.  prov.  viostier  „    moutier 

raajestate        „    maisiie 

sc:   canescere     >>  *canescire       afr.  chancir 

clarescere    >•  *clarescire        „    esclarcir     afr.  cdaircir 
nigrescere  >  *7iegrescire       „    noircir 

Doch  ist  der  Zusammenhang  der  Verba  auf  -cir  mit  denen  auf 
-escere  fraglich,  vgl.  Thomas  Rom.  XXVI  422.  *exclaricire  wird 
lautlich  prov.  esdarzir  besser  gerecht,  aber  die  Bildungsweise  ist 
wenig  klar. 

*glomuscellu        afr.  loinsel,      daneben  lemoissel 
*ramuscellu  „     rainsei,  „         ramaissel 


?*rivuscellu  od. 
*rogiscellu 


rutssel  nfr.  rm'sseau 


Auf  Grund  der  Ausführungen  von  Thomas  Rom.  XXV  83  f.,  8g  f. 
gelangte  M.-L.  Zeitschr.  XXI 153  zur  Erkenntnis,  das  vor  s  -f-  Kons. 
Ausfall  des  Vortonvokals  eintritt.  Thomas  hatte  die  Doppelformen 
loinsel  und  lemoissel  nicht  gerechtfertigt;  M.-L.  betrachtet  lemoissel 
als  aus  dem  Süden  stammend,  Horniiig  Zeitschr.  XXII  562  zitiert 
nicht  synkopierte  Formen  aus  dem  Südwesten.  Vor  sc  umfafste 
also  die  Synkope  nicht  das  ganze  frz.  Gebiet. 

Dagegen  tritt  Synkope  nicht  ein,  wenn  eine  Gruppe  im 
Anlaut  steht: 

*arbuscellu  oder  *arboriscellu     afr.  arhreissel 
*vermiscellu     zix.vermeissel     tempestate     iSx.iempesti. 

Wenn  sonst  der  Zwischentonvokal  vorhanden  ist,  liegen  ver- 
schiedene Gründe  vor:  in  arester,  conquester,  coneissons,  coneissance 
machte  sich  die  Zusammensetzung  und  der  Einflufs  der  stamm- 
betonten Formen  fühlbar;  chanesfrel,  oneste  und  onester,  peester,  aoster 
sind  Ableitungen  zu  chanestre,  otieste,  peestre,  aosle;  poeste  nach 
poeste;  auguste  ist  Lehnwort;  seneschalc,  mareschalc  sind  jünger;  usw. 


92 


M.-L.  Frz.  Gr.  §  127  läfst  Synkope  vor  s  -j-  Kons,  eintreten; 
da  aber  frz.  mcpriser  kaum  *minuspretiare,  sondern  frz.  Zu- 
sammensetzung 7nes  -\-  preisier  ist,  fehlen  für  andere  Gruppen  als 
st,  sc  die  Beispiele. 

b.  Auch  vor  Kons.  +  r  scheint  Synkope  einzutreten;  vgl. 
Shepard  S.  8g  f.,  der  aber  zu  keinem  festen  Ergebnis  gelangt.   Zwar 

*poletranu  oder  *pullitranu    z.{x.  poutrain 

könnte  damit  abgelehnt  werden,  dafs  poltrain  Ableitung  zu  poltre 
ist.  chaerel,  pekrin  sind  Lehnwörter.  *integrinu  >■  enferin,  entrin 
hat  Gruppe  im  Anlaut,  ebenso  das  gelehrte  multeplicat  >  molteplie. 
In  *deretranu>>  derer ain,  derrain  fühlte  man  wohl  die  Kom- 
position.    Aber  bei 

ossifraga  pic.  frz.  orfraie 

ist  eine  andere  Deutung  ausgeschlossen. 

6.  Was  Kons,  -f  /  betrifft,  so  stehen  die  Meinungen  hier  schroft 
gegenüber.  Nach  Schw.-B.  bleibt  nur  vor  li,  ni  der  unbetonte 
Vokal  erhalten  (dafs  er  in  /  übergeht,^  wfrd  nicht  erwähnt).  Nyrop 
denkt  an  Fortdauer  des  Zwischentonvokals  vor  allen  mouillierten 
Konsonanten,  gibt  aber  nur  Beispiele  für  ni,  U  und  erwähnt  selbst 
das  widersprechende  *materiamen  >  merrain.  M.-L.  Fr.  Gr. 
§127  nennt  nur  Ausfall  vor  ti. 

Zunächst  ist  selbstverständlich,  dafs  die  Synkope  unterbleibt, 
wenn  die  Anlautgruppe  es  verlangt,  wenn  auf  gedeckten  Dental  dj^ 
folgt  und  wenn  dem  i  eine  Gruppe  vorangeht.2  Im  übrigen  aber 
erfordern  die  Verhältnisse  noch  eine  gründliche  Untersuchung: 


nicht  synkopiert 
li:  papilionem         pavillon 


synkopiert 
Nobiliacum       Neuilly,  Neuille 


:   Albiniacum        Aubtgny 
Avenionem         Avignoyi 
*campanionem    Champignon 
Juviniacum         Juvigny 
Sabiniacum         Savigny 
*quatrinionem3  dSr.  carigtion     *laciniaria 
nfr.  carillon 


graciliorem  afr.  greslor 

Boviniacum  Bogny 

*dominiarium  danger 

*dorainionem  donjon 
*juveniorem 


afr.  joignor 
afr.  lamiere 


*catenionem 
ciconiola 


chignoti 
cignole 


1  Dieser  Übergang  ist  ziemlich  jung,  auch  <?  ■<  a  nimmt  daran  teil: 
*scalionem  >  ^jcÄ27/o«,  *campaniolu  ^  champignucl,  Orbaniacum^ 
Orbig7iy. 

^  calumniare  ^  chalongier  *suspecttonem  ^  sospeson 

comiptiare~^  correcier  angustiare     ^  angoissier. 

3  Körting  761 1  fälschlich  *quadrilio,  -onem;  M.-L.  Frz.  Gr.  §127 
quadernione. 


93 

ti  wird  später  behandelt  (§  126). 

synkopiert  nicht  synkopiert 

mi'.     Postumiacum  Potangis 

ri:   *impastoriare     l^afr.  empaistrier 
>  *empastriarej  nfr.  empetrer'^ 
*materiamen         afr.  mairien 

nfr.  viairain,  vierrain 
*materiamentum afr.  mairemejü (nfr. in 

marvienteaii) 
*posterionem         „    poistron 

ki:    *berbiciare  „     hercer  *ericioneni       Jurisson'^ 

Codiciacum  Coucy  *ericiare  herisser 

Ponticiacuni  Pionsat  Ferriciacum  Fcricy 

Vindiciacum  Vensat  suspicionem  afr.  sos- 


pegon 


hame(on  ist  Ableitung  zu  afr.  hain  <  hamus,  senegon  Lehnwort  aus 
lat.  senecio,  -onem. 

pi:  Attipiacum     Altichy 

Nimmt  man  für  herisson,  soupgofi  die  gegebenen  Erklärungen  an, 
betrachtet  man  greslor,  lasniere  als  Ableitungen  zu  gresle,  lasne  und 
danger ^  donjon  als  *domniarium,  *domnionem  (von  der  Kurz- 
form domnus,  nicht  dominus),  setzt  man  ferner  *jüniorem  (für 
juniorem)  ^  joignor^  an,  so  kann  man  Schwan-Behrens  zustimmen, 
dafs  nur  vor  li,  ni  die  Synkope  nicht  eintritt.^  Ausnahmen  bilden 
dann  die  Ortsnamen  Neuilly  [Neuille),  Bogny,  Ferricy,  Altichy,  die 
noch  einer  Erklärung  bedürfen. 


1  Ebenso  depetrer.    Körtings  Ansatz  (6915)  *impasttirare  reicht  nicht  hin. 

"^  Afr.  eri^ofi,  iregon;  ericier  hat  Horning  als  Ableitungen  von  afr.  *eri% 
^  ericium  gedeutet.  (Körting^  3273  meint,  *ericius  anzusetzen  sei  unnötig, 
„da  die  Erhaltung  des  i  im  Romanischen  aus  der  Einwirkung  des  nach- 
folgenden tonlosen  i  sich  genügend  erklärt,  wie  dies  auch  für  tidio,  -onem 
=  frz.  tison  angenommen  werden  darf"(!);  9562  leitet  er  selbst  dieses  tison 
her  von  titio,  -onem. 

*  Elfrath  759  ist  der  Meinimg,  dafs  in  suspicionem  der  tonlose  Vokal 
schwinden  mulsie,  und  schliefst  sich  der  Erklärung  Gutheims  S.  34  an,  der 
Einflufs  vom  Nom.  suspicio  vermutet.  Shepard  will  sogar  in  suspectionem 
dem  Zwischentonvokal  fallen  lassen  und  denkt  an  Einwirkung  von  suspectiat. 
suspectionem  halte  Horning  Zeitschr.  VI  435  (vgl.  Rom.  XI  621)  auf  Grund 
von  prov.  sospeisso  angesetzt  und  stützt  es  Zeitschr.  XXXII 23  durch 
suspectione  in  der  Mulomedicina  Chironis  und  h.  sospetto ,  s^iaia.  sospecha. 
Aber  wäre   da  nicht  afr.  sospeigon  zu  erwarten.'' 

*  Shepard  S.  96  vertritt  *juveniorcm  wegen  des  kurzen  u,  das  durch 
2Xx.joignor  gefordert  wird.     *jiiDior  unter  Einflufs  von  jüvenis. 

*  M.-L.  Bet.  im  Gall.  S.  5  Anm.  i  ist  der  Ansicht,  dafs  ostfrz.  balose 
(in  Tannois,  s.  Horning  Zeitschr.  XVI  473)  aus  bülluceäriu  entstanden  ist; 
aber  zwischentoniges  o  erweist  das  Wort  wohl  als  Ableitung  zu  afr.  *boloce 
"^  osür.  blas  (d,  i.  *bullucea  für  bulluca). 


94 

7-  Nyrop  I^  §  256,  2  bezeichnet  soupgon  als  cas  isol6;  das  ist 
durchaus  nicht  der  Fall.  Im  Afr.  tritt  eine  neuerliche  Synkopierung 
des  Zwischenvokals  ein.  Das  ein  r  der  Umgebung  tonloses  9  auf- 
saugt (z.  B.  courgi,  courfos),  ist  genügend  bekannt ;  aber  auch  sonst 
findet  Ausfall  statt:  esvashtonner  >  cvaltonner,  copeier  ]>  copter, 
soupegon  >>  soiipgon.  Häufig  wird  unter  Einflufs  der  betonten  Form 
die  alte  Schreibung  beibehalten :  acheter  [aste],  beqtieter  [bekte]  usw. 
Auch  Assimilationen  treten  ein :  chantepleure  >■  champleure,  senevel  >> 
semvel  usw.  Wie  weit  diese  Synkope  geht,  darüber  fehlt  heute  noch 
jede  Untersuchung. 

8.  Es  bleibt  noch  zu  erörtern,  wie  sich  drei  Silben  vor  dem 
Tonvokal  verhalten.  Weder  Schw.-B.  noch  Nyrop  noch  M.-L.  gehen 
in  ihrem  frz.  Grammatiken  auf  diese  Fragen  ein.  So  ziemlich  alle 
überhaupt  möglichen  Anschauungsweisen  haben  ihren  Vertreter  ge- 
funden. Schwan  war  der  Meinung,  der  Nebenakzent  folge  den- 
selben Gesetzen  wie  der  Hauptakzent,  d.  h.  er  fällt  auf  die  2.  Silbe, 
wenn  diese  lang  ist:  hereditäre,  aber  arboriscellu.  Darmesteter 
war  für  binare  Akzentuation :  asperitatem.  Im  allgemeinen  aber 
drang  die  Meinung  durch,  der  Nebenakzent  ruhe  auf  der  Anfangssilbe; 
Rydberg  Jahresber.  VI  218  hatte  daneben  eine  2.  Betonungsweise 
feststellen  w^ollen:  Caräntenäcu  >>  Carennac.  Der  Dict.  g6n.  (Traite 
§  339)  schliefst  aus  afr.  aegier,  frotegier,  panegier  auf  binare  Betonung 
der  lateinischen  Wörter ;  aedificare  usw.;  er  lehnt  daher  ^arboris- 
cellu m  als  Grundform  ab  und  ersetzt  es  durch  *arbuscellum; 
ebenso  sei  äpreie  nicht  asperitatem,  sondern  Neubildung  zu  apre 
mit  dem  Suffix  te.  M.-L.  Rom.  Gr.  I  §  610,  Zeitschr.  XXI  329, 
Bet.  im  Gall.  5,  Shepard  S.  99,  Armstrong  Mod.  Lang.  Not.  X  öoo 
lassen  den  Nebenton  auf  der  ersten  Silbe  ruhen. 

Wie  Wörter  der  Form  XX  |  xx  (vindicäre)  gleichsam  in 
2  Paroxytona  zerlegt  werden,  so  ist  es  zweifellos  richtig,  das  Wörter 
vom  Typus  XXXXX  *^^^  Nebenakzent  auf  die  i.  Silbe  erhalten: 
äntecessöre.  Diese  Betonung  kann  gestört  werden  i.  dadurch, 
dafs  man  die  Zusammensetzung  fühlt:  nicht  deli berare,  sondern 
deliberäre  >■  delivrer,  2.  dafs  die  stammbetonte  Form  Einflufs 
übt:  statt  cäballicäre  vielleicht  caballicäre  >>  chevaucher  unter 
Einflufs  von  cabällicat,  caballus,i  oder  pänificare  ^  panifi- 
care  (nach  panificat)  >>  panev(e)gar  'y-  panegier. 

Von  den  zwei  unbetonten  Silben  fällt  dann  jene,  welche  die 
schwächere  ist.  Dies  ist  wie  bei  den  Proparoxytonis  die  erste  von 
beiden;  ausgenommen,  wenn  sie  ein  a  enthält  oder  gedeckt  ist. 
In  diesen  Fällen  ist  die  zweite  die  schwächere  und  fällt,  während 
die  erste  zu  e  geschwächt  wird."^ 


^Einfacher  ist,  Ausgleich  nach  c&h -dWic  2i\.  ^  chevaiiche  unter  Mit- 
wirkung von  cheval  anzunehmen.  Der  Unterschied  in  diesen  beiden  Auf- 
fassungen liegt  einzig  und  allein  in  der  Zeit  der  Einwirkung,  ob  der  Ausgleich 
vi.  oder  erst  frz.  ist.     Das  zu  entscheiden,  fehlen  die  Mittel. 

*  Wenn  die  zweite  gedeckt  ist,  so  ist  die  erste  die  schwächere  und  fällt, 
selbst  wenn  sie  ein  a  enthält:  Andabernacum  ];>  .<4»»^<fr«a(r. 


95 


daher 

aber 

antecessore 

> 

afr. 

ancessor 

*Hgaminariu 

afr. 

lieyjiier 

*annotinense 

> 

?! 

antenois 

*loraminariu 

51 

lo  rentier 

*dominicellu 

> 

)7 

darneisel 

paraveredu 

nfr. 

palefroi 

*arboriscellu  i 

> 

r 

arhr  eissei 

Carantenacu 

11 

Carennac 

liberatione 

> 

)? 

livraison 

amaritudinem 

11 

amertume 

*auctoricare 

> 

„    otreiier 

usw. 

Natürlich  auch  hier  Störungen  aus  den  bekannten  Gründen; 
so  Einwirkung  der  stammbetonten  Form:  desiderare  >•  Jesirer 
nach  desiderat  >  destre,  Bewufstsein  der  Zusammensetzung:  arcu- 
balista  >»  ar-balite,  Einwirkung  des  Simplex:  so  belegtes  vi.  autor- 
tat e  unter  Einflufs  von  autor.  Nicht  asper itäte  ist  zu  betonen, 
sondern  auszugehen  von  äspertätem,  dafs  sich  zu  asper  verhält 
wie  paupertatem  zu  pauper.     Usw. 

Analoge  Verhältnisse  herrschen,  wenn  mehr  als  drei  Silben 
vor  dem  Hauptton  stehen. 

§  65.  Von  den  Zeitwörtern  kommen  für  uns  zweierlei  Formen 
in  Betracht,  stammbetonte  und  endungsbetonte;  die  ersteren  als 
Proparoxytona,  die  letzteren  für  den  Zwischentonvokal.  Die  Synkope 
trat  in  beiden  Fällen  ein,  manchmal  gleichzeitig,  manchmal  zu  ver- 
schiedenen Zeiten: 

domitat    >   donte       wie      domitare   >  donter, 
aber    vindicat  >>   venche   gegen  vindicare  >■  vengier. 

Im  letzteren  Falle  trat  bald  früher,  bald  später  Ausgleich  ein,  schon 
in  ältester  Zeit  ist  die  Konjugation  nicht  mehr  intakt.  Manchmal 
ist  dieser  Ausgleich  sehr  alt,  das  zeigt  die  Übereinstimmung  in 

dubitare  >>  frz.  donter     prov,  doptar  (statt  *douder,  *dobdar), 

wo  wohl  schon  unter  Einflufs  von  dubitat  >  dubtat  ein  Inf. 
*dubtare  vor  der  Lautabstufung  gebildet  wurde.  Manchmal  erhalten 
sich  die  Doppelformen  bis  auf  den  heutigen  Tag :  venger  und 
revancher.  Bald  tritt  der  Ausgleich  nach  der  ursprünglich  stamm- 
betonten Form  ein:  nfr.  arracher,  bald  nach  der  ursprünglichen 
endungsbetonten:  nix.  juger,  während  afr.  noch  beide  Formen  neben- 
einander stehen. 

Solcher  Ausgleich  ist  nur  dann  möglich,  wenn  die  stamm- 
betonte Form  proparoxyton  ist  (d.  h.  wenn  die  der  Endung  voran- 
gehende Silbe  kurz  ist);  anderenfalls  tritt  ja  in  ihr  überhaupt  keine 
Synkope  ein: 

adjuto  aiu  oder  aju"^  adjutare  aidier 

manduco      *mandu  >  maiiju       manducare      manger 


^  Reichn.  Glos«,  arbriscellum. 

*  Je  nachdem  die  Zusammensetzung  gefühlt  wurde  oder  nicht. 


96 

Solche  Formen  sind  zugleich  der  beste  Beweis  für  Eintritt  der 
Synkope  des  Zwischentonvokals  nach  der  Lautabstufung  (zwischen 
gewissen  Konsonanten). 

Diese  Doppelformen  sind  —  bei  der  grofsen  Verschiedenheit 
—  weit  seltener  erhalten.  Manchmal  bildeten  sich  zwei  vollständige 
Zeitwörter : 

*pertusiare  pertuisier    und   percer, 

meist  mit  leichter  Bedeutungsverschiedenheit: 

*dis[je]junare        dejeuner      und    diner 
*minutiare  menuisier       „       emincer.'^ 

Oder  die  beiden  Formen  sind  mundartlich  geschieden : 

*impastoriare        nfr.  empetrer       norm,  empaturer. 

Meist  aber  ist  schon  vorliterarisch  der  Ausgleich  eingetreten, 
seltener  nach  der  endungsbetonten  Form:  *impejorare  >>  e?npeirier, 
weit  häufiger  nach  der  stammbetonten. 

Dadurch  sind  eine  Reihe  von  Beispielen  für  die  Synkope  ver- 
loren gegangen,  was  insofern  bedauerlich  ist,  als  hier  eine  Be- 
einflussung durch  die  stammbetonte  Form  ausgeschlossen  wäre: 

salütat       '^  salue,    darnach  Jt?///(?r     statt  salutare       'y'*salter 

maritat      ~^  marie,  „  jnarier  „      maritare      ^*marter 

*ad-metat  >■  a;;/ö2i?,  „  ai7ioier  „  *amraetare  >»  *<27?/d'r 

convltat    ^  convie,  „  convier  „  *convitare  '^*conier 

*pilüccat     '^  tpluche,  „  cphicher  „  *piluccare   'p-*pelchier 

*acutiat       ^  aiguise,  „  aigiiiser     „  *acutiare      >  *atssie r 

mendicat  >  w«zfÄ>,  „  mettdier  „     mendicare^- *f«if«^/i?r 

argutat      '^  argue,  „  arguer  „      argutare     '^*ariier 

castigat     '^  chatie,  „  chätier  „      castigare    ~^*casch]er 

refusat       '^  reuse,  „  rtiser  „      refusare      "^  (*revzar?) 

Auch  soucier  ist  ausgeglichen  nach  *sollicItat  >>  soiicie,  aber  ob 
in  sollicitare  vortonige  Synkope  (Ic't)  überhaupt  eingetreten  wäre, 
ist  fraglich.  Ebenso  kann  ouhlier  ausgeglichen  sein  nach  *oblItat  >► 
oublie,  wahrscheinlicher  ist,  dafs  es  als  Kompositum  empfunden 
wurde,  *ob-litare  >-  prov.  ob-lidar,  afrz.  ob-lier;  was  *6blitäre 
frz.  ergeben  hätte,  ist  schwer  zu  sagen.  Auch  convitare  kann 
als  Kompositum  gefühlt  worden  sein,  con-vitare  ■>  convier,  ebenso 
*ad-metare,  das  indes  nach  ad-metat  >  ß?«o/(f  ausgeglichen  sein 
mufs  (*ad-metare  >  *ameer). 

In  ähnlicher  Weise  treten  eine  grofse  Zahl  von  Synkopen  nicht 
ein,  weil  die  Zusammensetzung  gefühlt  wird:  *ad-ripare  >>  arriver 
(statt  *arripare  >  *arper,  schwerlich  ausgeglichen  nach  *adripat 
>■  arrive),  u.  dgl.  m. 


1  Anders  Schuchardt,  Rom.  Et.  I  31. 


07 

Auch  supplicare  >>  afr.  soiiploher  dürfte  als  Kompositum  ge- 
fühlt worden  sein,  daher  sub-plicat  >•  souploie.  Denn  wenn  in 
supplicare  Synkope  lautgesetzlich  nicht  eintrat,  müfste  doch  in 
süpplicat  die  Pänultima  fallen.  Möglich  dafs  die  Unsprechbarkeit 
der  Gruppe  ppVc  dazu  beitrug,  den  Ausgleich  nach  dem  Inf.  (falls 
ein  solcher  eintrat)  zu  fördern  oder  das  Gefühl  der  Zusammen- 
setzung aufrecht  zu  erhalten;  wie  etwa  das  Vorhandensein  eines 
saltare  >  sauter  das  Aufkommen  eines  *saltar  <<  salutare 
zu  Gunsten  des  stammbetonten  salütat  >  saliie  mit  verhindert 
haben  mag. 

§  66.  Die  Synkope  im  Frz.,  deren  Umfang  in  den  voran- 
gehenden Paragraphen  beschrieben  worden  ist,  vollzieht  sich  an- 
erkannter mafsen  in  zwei  grofsen  Abschnitten,  teils  vor  der  Laut- 
abstufung, teils  nach  ihr.  Jenen  Vokalausfall,  der  sich  vor  der 
Erweichung  der  intervokalen  Tenuis  vollzieht,  verstehe  ich  im 
folgenden  unter  der  älteren  frz.  Synkope;  denjenigen  aber,  der 
nach  ihr  eintritt,  nenne  ich  die  jüngere  frz.  Synkope. 

Was  ihre  Zeit  betrifft,  so  hält  es  schwer,  auch  nur  das  Jahr- 
hundert festzusetzen.  Zunächst  ist  die  Bestimmung  abhängig  von 
der  Datierung  der  Lautabstufung.  Bonnet,  Haag,  G,  Paris,  Marchot 
setzen  sie  ins  6.  Jh.,  M.-L.  im  Gr.  V-  474  in  den  Anfang  des  5.  Jh. 

Die  Tatsache,  dafs  fränkische  Worte  an  der  Erweichung  teil- 
nehmen, beweist  nicht,  dafs  sie  erst  nach  der  Eroberung  stattfand. 
Es  kann  Lautsubstitution  vorliegen;  da  die  eigene  Sprache  zwischen- 
vokalisch  keine  Tenuis  mehr  kannte,  ersetzte  man  sie  auch  in  den 
Lehnwörtern  durch  die  Media.  G.  Paris  meint,  dafs  Lehnwörter  wie 
aveugle  usw.  an  der  Lautabstufung  teilgenommen  haben,  die  daher 
nicht  älter  sein  kann  als  das  6.  Jh.;  aber  diese  Entlehnungen  können 
sehr  wohl  nach  der  Erweichung  stattgefunden  haben,  s.  §  65,  2. 
Also  die  Lautabstufung  kann  sehr  wohl  älter  sein  als  die  fränkische 
Eroberung. 

M.-L.  stützt  seine  Ansicht  auf  Schreibungen  wie  fr i gare  bei 
Chiron,  carigas,  frigare,  migat  bei  Pelagonius,  insbesondere  auf 
ae.  IcBden  und  SigenA  Nimmt  man  an,  dafs  die  Angel-Sachsen  Iceden 
übernahmen,  als  sie  im  5.  Jh.  in  ihrer  neuen  Heimat  mit  lateinischer 
Kultur  in  Berührung  kamen,  so  folgt  daraus  nicht,  dafs  die  Romanen 
bereits  die  Media  in  latinus  sprachen,  sondern  nur,  dafs  der 
romanische  Laut  dem  germ.  d  näher  stand  als  dem  germ.  t  (das 
leicht  aspiriert  gewesen  sein  dürfte).  Es  genügt  vollauf,  dafs  im 
Rom.  zwischen  Vokalen  die  Lenis  gesprochen  wurde,  dafs  man  im 
Germ,  die  Media  an  ihre  Stelle  setzte.     So  mag  der  Übergang  von 


1  Aus  ae.  Materne  möchte  M.-L.  Gr.  1*475  den  Schlufs  ziehen,  da/s 
vor  r  die  stimmlosen  Kons,  später  erweicht  wurden  als  die  zwisclienvoiialischen. 
Aber  das  Beispiel  besagt  wohl  nichts,  denn  es  scheint  nicht  volkstümliche 
Form  wie  Iceden  und  Sigene,  sondern  ist  Buchwort,  wie  aufser  dem  t  auch 
das  nicht  zu  ce  erhöhte  a  zeigt.  Materna  ist  die  Form  Gregors  und  der 
meisten  mittelalterlichen  Texte  für  den  alten  Namen  Matrona. 

Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXXIV.  7 


98 

Tenui's  zur  Lenis  am  Anfang  des  5.  Jh.  beginnen,  die  volle  Stimm- 
haftwerdung  wurde  aber  vielleicht  erst  im  6.  Jh.  erreicht. 

Stimmen  wir  M.-L.  zu,  so  müfsten  wir  die  ältere  frz.  Synkope 
in  das  Ende  des  4.  Jh.  setzen.  Es  könnte  aber  comitem  erst 
synkopiert  worden  sein,  als  man  nicht  mehr  Tenuis,  sondern  schon 
Lenis  sprach  (frz.  comte,  prov.  dotnde),  worauf  die  Lenis  wieder  zur 
Tenuis  wurde.  Also  auch  die  erste  Hälfte  des  5.  Jh.  genügt.  Die 
ältesten  mir  bekannten  Belege  für  die  ältere  frz.  Synkope  sind 
culcare  der  Lex  Salica  und  Nemptodorum  bei  Gregor  v.  Tours 
(1.  X,  c.  XXVIII).  Die  jüngere  frz.  Synkope  rückt  dann  in  die 
zweite  Hälfte  des  6.  oder  die  erste  Hälfte  des  7.  Jh.  Das  älteste 
Beispiel  ist  limtato  für  lim pi dato  der  Reichn.  Gl. 

§  67.  Anhang.  Die  Frage  nach  der  Diphthongierung  des 
offenen  e  und  o  mufs  hier  wenigstens  gestreift  werden.  Die 
wichtigsten  Ansichten  hierüber  verzeichnet  IMarchot  S.  26,  Bauer 
S.  50.  Ich  erwähne  hier  nur  die  jüngsten  Äufserungen  über  diese 
Frage.  Marchot  S.  26  f.  setzt  die  Diphthongierung  in  die  Zeit 
zwischen  den  Eiden  und  der  Eulalia,  für  die  Paroxytona  nimmt 
er  S.  29  an,  que  les  diphthongues  existaient  ' virtuellement'  ou  'en 
puissance'  dans  ces  mots  avant  la  syncope  sous  forme  de  §  9  tres 
allonges  ou  dedoubles.  Aber  der  Unterschied  von  comie  gegenüber 
tiede  wird  dadurch  nicht  erklärt.  Bauer  S.  35  läfst  Synkope  und 
Erweichung  der  Diphthongierung  vorausgehen:  pedica  >>  pedie  >> 
piege  (wie  melius  >>  niieh),  tepidu  >>  tebdo  >>  tcde  >>  iicde  im 
9.  Jh.  M.-L.  Frz.  Gr.  S.  261  setzt  die  Diphthongierung  im  direkten 
Gegensatz  dazu  vor  die  Synkope  und  vor  die  Lautabstufung: 
friemeta. 

I.  Um  die  Verhältnisse  zu  erkennen,  müssen  wir  der  Analogie 
sicher  ferngebliebene  Beispiele  wählen;  solche  sind 

comes     afr.  cuens,     comitem     frz.  comte 
tepidus         „    tiede. 

Daraus  ergibt  sich:  die  Diphthongierung  ist  jünger  als  die  ältere 
frz.  Synkope,  *cotnpte  wurde  daher  nicht  diphthongiert.  Aber  sie 
fällt  vor  die  jüngere  frz.  Synkope,  daher  iiede,  siege  usw.  Demgemäfs 
ist  ie  in  friente,  fiente  analogisch,  nach  fremo  'p-  frien  usw.,  bezw. 
*f§mus  ]>  fien\  ebenso  meute  mit  Diphthong  aus  den  stamm - 
betonten  Formen  von  inouvoir. 

Freilich  ist  damit  nicht  gesagt,  dafs  die  Stufen  ie ,  uo  bereits 
in  der  Zeit  zwischen  den  beiden  Synkopen  erreicht  wurden. 
Sondern  nur  der  entscheidende  Anstofs  zu  dieser  Diphthongierung 
ging  vor  sich,  §,  9  wurden  in  freier  Tonsilbe  gelängt,  vielleicht 
mit  geschleiftem  Akzent  oder  doppelgipflig  gesprochen,  also  |  >»  ei, 
später  differenziert  zu  e§,  schliefslich  ie,  ein  Vorgang,  der  erst  im 
9.  Jh.  abgeschlossen  sein  dürfte. 

Haben  wir  somit  das  Verhältnis  der  Diphthongierung  zur 
Synkope    festgelegt,    so    sagen   uns  die  beiden  Beispiele  gar  nichts 


99 

darüber,  ob  die  Lauterweichung  älter  oder  jünger  als  die  Diphthon- 
gierung ist.  Diese  beiden  Entwicklungen  scheinen  ziemlich  gleich- 
zeitig vor  sich  gegangen  zu  sein,  die  ältesten  germanischen  Lehn- 
wörter zeigen  sowohl  Lautabstufung  wie  Diphthongierung. 

2.  Nun  gibt  es  Lehnwörter,  die  erheblich  später  als  das  5. — 
6.  Jh.  in  die  Sprache  eingedrungen  sind  und  Diphthongierung 
zeigen.  Aber  dasselbe  gilt  bezüglich  der  Lautabstufung.  Diese 
volkstümlichen  Lautentwicklungen  wurden  auch  in  der  Aussprache 
des  Latein  befolgt.  Man  schrieb  saeculum,  aber  sprach  und  las 
das  seegolom;  wenn  ein  solches  Wort  nun  entlehnt  wurde,  gab 
es  selbstverständlich  siegle.  So  zeigen  alte  Lehnwörter  Diphthon- 
gierung wie  Lautabstufung:  aviiegle,  siegle,  eglise.  Da  man  im 
merowingischen  Latein  *empeeriom  für  imperium  sprach  und 
las,  wurde  das  Wort,  als  es  zur  Zeit  Karls  des  Grofsen  entlehnt 
wurde  (M.-L.  Frz.  Gr.  §  53),  als  *empeerie  >»  empire  übernommen. 

Aber  es  gibt  auch  Lehnwörter,  die  zwar  Diphthongierung,  aber 
nicht  Lautabstufung  zeigen:  viatire,  liepre  (Marchot  S.  28),  siede. 
Ich  glaube  nicht,  dafs  sie  späteren  Eintritt  der  Diphthongierung 
als  der  Lautabstufung  beweisen.  Insbesondere  ist  siede  neben 
älterem  siegle  lehrreich,  es  handelt  sich  nur  um  eine  Reaktion  der 
Schrift.  Für  die  sekundären  intervokalen  Medien  schrieb  man  ja 
die  Tenues  t,  p,  c  und  sie  drangen  daher  in  die  Aussprache 
wieder  ein.  Für  ei,  e§  aber  hatte  man  nur  das  Zeichen  e  und 
man  übertrug  dieses  Zeichen  selbst  auf  Aufzeichnungen  in  der 
Vulgärsprache;  die  Schrift  wirkte  hier  also  nicht  ein.  So  gab  man 
in  den  Eiden  den  zweifellos  diphthongischen  (wenn  auch  vielleicht 
noch  nicht  ie,  uo  darstellenden)  Laut  mit  einfachem  e,  0  wieder. 
Nur  so  erklärt  sich  poblo,  das  Erweichung,  aber  scheinbar  nicht 
Diphthongierung  zeigt. 

§  68.  Von  den  frz.  Synkopen  kommen  für  die  vorliegende 
Untersuchung  nur  diejenigen  in  Betracht,  welche  durch  ihr  End- 
ergebnis einen  Schlufs  darauf  gestatten,  ob  sie  vor  oder  nach  der 
Lautabstufung  vor  sich  gingen.  Zur  älteren  frz.  Synkope  gehört 
vorwiegend  der  Vokalausfall  nach  Liquida,  Nasal  und  Spirans  und 
in  Paroxytonis  vor  a  der  Ultima.  Da  der  letztgenannte  Fall  heifs 
umstritten  ist,  soll  er  im  IV.  Teil  gesondert  behandelt  werden. 
Hier  hat  uns  nunmehr  die  Synkope  nach  Liquida,  Nasal  und 
Spirans  zu  beschäftigen,  soweit  sie  nicht  schon  im  Teil  I  §  i — 8 
als  vi.  behandelt  wurde.  Als  Auslaut  kommen  nur  t,  c  in  Betracht, 
denn  p  liegt  nur^  vor  in 

pullipedem     züx. polpied     nfr.    poiirpier 
celt.  arepennem     frz.  arpent,     prov.  arpen, 

wo    also    wie    bei  l't,  r't  Synkope  vor  der  Lautabstufung  nicht  nur 
im  Frz.,  sondern  in  ganz  Gallien  eintrat. 

1  alipem  s.  S.  14. 


loo 


1,   Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  t. 

a)   1,  r,  s  +  t  vor  dem  Ton. 

§  69.     l't  vor  dem  Ton  liegt  vor  in 

molitura  frz.  mouture         vilitatem  afr.  vilte 

*palitonem  ^{x. palton-ier  *bellitatem  ixz.  beauie 

*solitanus  „    soltain  *follitatem  ^{x.  folte 

*solitivus  „    soltif  *aequalitatem       „    ivelte 

[*maletolta  frz.  malidte]  *legalitatem  frz.  loyauti 

*devolütare  afr.  devouter  *regalitatem  „    royaute 

Die  Synkope  tritt  hier  zweifellos  vor  der  Lautabstufung  ein.  Ein 
sicherer  Beweis  wäre  *devolutare,  da  hier  Ausgleich  (*devolutat 
>■  *Jevolue)  nicht  eingetreten  sein  kann:  richtiger  denkt  man  wolil 
aber  an  Ableitung  von  de  -|-  vi.  *voItum. 

"i^k.  maltofe  ist  kaum  vi.  *maletolta  (Shepard  81),  sondern 
sekundär  entstanden  aus  afr.  vialetolte,  d.  i.  vi.  mala  *tolta,  vgl. 
it.  malatolta  (daneben   maltoltd). 

Nach  loyaute,  royaute  bildete  man  zu  den  Lehnwörtern  papal, 
p n'napa/  }ia.uptwöxtex  wie  papaufj,  principaiite,  ferner  amiraute,  primaute, 
privaute  usw.  —  vilte  wurde  ersetzt  durch  vilete,  da  die  Meinung 
aufkam,  als  stände  vor  -tc  die  weibliche  Form  des  Eigenschafts- 
wortes. 

Gevaudan  <  Gabali tanum  ist  nicht  frz.,  sondern  prov.  Ent- 
wicklung (Dep.  Basses-Alpes). 

Zwischen  l't  in  Paroxytonis  ist  nach  allgemeiner  Anschauung 
Synkope  schon  vi.;  es  fragt  sich,  ob  auch  vortonig  gleiches  Alter 
vorliegt.  Zwar  heifst  es  prov.  palton\  viutat,  beitat,  legaltat,  aber 
foldat  (Schultz-Gora  S.  log).  Kann  letzteres  jüngere  Bildung  auf 
-dat  sein,  so  stehen  doch  auf  der  iberischen  Halbinsel  span.  libertad, 
voluntad  (ptg.  libertade,  vontade)  den  synkopierten  Formen  beldad, 
lealdad  (ptg.  -dade)  schroff  gegenüber.  Vortonig  fand  die  Synkope 
also  wohl  erst  einzelsprachlich  statt. 

§  70.     r't: 

claritatem  ixz.  clarte  meretricem  2S.x.meltriz 

feritatem  ?Sx.  ferte  xxix.fierte  *exsaritare     frz.  essarter 

maturitatem  „    meürte  „    {tnaturite) 

puritatem  „   purte  „  purete 

securitatem  „    seürte  „    sürete  nutritura  afr.  norture 

veritatem  „    vert^  „    {verite) 

(caritatem  frz.  cherti) 

Die  Verhältnisse  sind  die  gleichen  wie  bei  l't.  Synkope  vor 
der  Lautabstufung,  auf  der  iberischen  Halbinsel  nach  ihr  (span. 
verdad,  ptg.  verdade).     Prov.  vertat,  purtat. 


lOI 

Frz.  cherle  ist  nicht  Erbwört,  sondern,  da  es  zuerst  in  der 
geistlichen  Literatur  aufkommt,  gebildet  zu  eher  nach  Muster  von 
Caritas,  ie  in  fierie  durch  Einwirkung  des  Eigenschaftswortes.  Frz. 
Bildungen  sind  heürie,  beneürte  usw. 

mereiricem  war  vielleicht  schon  voreinzelsprachlich  *meletricem 
geworden,  da  es  auch  in  Norditalien  altven.,  altlomb.  meltris  heifst, 
so  dafs  hier  also  Synkope  von  l't  vorliegt. 

Neben  essarter  steht  afr.  essarder:  man  wird  daher  besser  nicht 
von  einem  vi.  *exsaritare  ausgehen,  sondern  darin  frz.  Bildungen 
zu  essart  sehen  (vgl.  soiihaiter  und  souhaider  zu  souhatt)A  —  Über 
afr.  noriiire  nfr.  notirriture  s.  S.  89  f. 

§  71.     S't. 

*clausitura2  afr.  closture     nfr.  clöture 

*consutura  .,    costure         „    cotiture 

*rasitura  „    rasture 

*quaesitare  „    quester        „    queter 

pinsitare  „  pester    (Shepard  81) 

*cons(u)etumine     „    costume       „    coutume 
*mans(u)etinu  „    mastin         „    mätin 

utensile3  >-  *usetile,  dazu  *usetilium  afr.  ostil   nfr.  ouiil 
*lassitate4  „    laste. 

visitare  afr,  vis  der,  revider 

Die  Synkope  ist  hier  vi.,  vgl.  prov.  costura,  prov.  span.  mastin,  ptg. 
niastim,  usw.  Prov.  cosdnmna  ist  Lento-Form  (vgl.  prehosde  neben 
prebost,  s.  S.  14). 

Afr.  quester  ist  richtiger  Ableitung  von  afr.  queste,  Verb.-Subst. 
zu  querre  (nicht  zu  quester,  wie  Körting 3  7622   will). 

Afr.  (re)visder  ist  Lehnwort,  daher  Erweichung.  Wenn  man 
gegen  diese  Herleitung  anführt,  dafs  revider  in  Texten  vorkommt, 
die  sonst  regelmäfsig  s  noch  zeigen,  so  bleibt  zu  beachten,  das  vor 
stimmhaften  Konsonanten  j  viel  früher  verstummte  (Nyrop  Y-  462). 

consuetudinem  lautete  wohl  schon  vi.  (mit  Suffixtausch)^ 
*costumine:  SB-xd.  cosiu77iene,  it.  ptg.  costu/zie,  altsp.  costumne,  oder 
weiblich  *costumina:  it.  prov.  costuma,  cosdumna,  frz.  coutume,  ur- 
kundlich 705  coustuma  (Diez   iii). 


'  Oder  aber  essarder  ist  dialektisch  (poit.);  noch  heute  steht  es  neben 
essarter  in  Aunis  und  Saintonge. 

2  Afr.  clostiz  ist  wohl  frz.  Bildung,    kaum  vi.  *clausiticins  (Shepard  81). 

3  Körting^  9926  bezeichnet  diese  Deutung  als  unhaltbar  —  ohne  Gründe 
anzugeben.  Sein  in  der  3.  Aufl.  neugegebencs  Etymon  *hospitile  ist  un- 
brauchbar, da  dies  nfr.  *6til  geben  müfste  und  daraus  nimmer  it.  comask. 
usedel,  mail.  usadej  (Diez  652)  werden  könnte. 

*  Jünger  lassetc,  heute  ersetzt  durch  das  im  14.  Jh.  aufgenommene 
lassitude. 

^  Über  d'n  vgl.  jetzt  M.-L.  Frz.  Gr.  §  176. 


102 

b)   n,  V,  m  vor  t. 

§  72.  n't  wird  vor  der  Lautabstufung  synkopiert,  ohne  dafs 
ein  Stütz-^  auftritt: 

genitus  frz.  gent         *submonita     afr.  semonte 

(re)poenito     2iix.  (re)peui     *haunij?a  ixz.  honte,  dzzu  aho)itcr, 

*vanito  „   vani  hontoiier 

*annotinense    „  antenois 

Vortonig: 

cl.  poenitere  >  *penitire  ?S.x.  penfir  *vanitare     ixz.vanter 
*tlnitare  frz.  tinter    *tinnitlre     afr.  tentir. 

bonitatem  frz.  bonte       sanitatem  frz.  sante 

plenitatem  zSx,  plente. 

Ist  das  n  gedeckt,  so  ist  Stütz-Vokal  erforderlich: 

Namnetes     Nantes     Carnutes     Chartres. 

gent  läfst  der  Dict.  gen.  entlehnt  sein  aus  vi.  *gentus  für  cl. 
genitus;  die  Entlehnung  einer  vulgären  Form  ist  wenig  wahr- 
scheinlich.    Nichts  spricht  gegen  Erbwörtlichkeit. 

t inier  ist  dem  Dict.  gen.  unsicherer  Herkunft,  da  tinnitare 
ein  *tenter  hätte  ergeben  müssen.  Lat.  finden  sich  tinnitare, 
tinire,  tinnire  (Georges):  In  und  inn  zeigen  die  bekannte  lat. 
„Metathesis  der  Quantität"  (*näro  >  narro,  *mIto  >  mitto,  cüpa  : 
cuppa,  mücus  :  muccus,  tötus  :  tottus). 

Auch  das  Prov.  synkopiert  hier  vor  der  Lautabstufung:  gent, 
ania,  rcpentir,  van,  vantar,  nprov.  tinta,  bontat,  santat.  Das  It.,  das 
hier  ebenfalls  zusammenzieht,  hat  selbstverständlich  simmlosen  Laut: 
onia,  ripcntirsi,  boiiiä.  Die  iberische  Halbinsel  zeigt  span.  gento, 
aspan._/ö«/a,  aber  ptg.  qziejendo  (qtäjando),  arrependerse,  und  span. 
bondad,  ptg.  bondade.  It.  sanitä,  prov.  sanetat,  ple?ietat,  span.  sanidad, 
ptg.  sanidade  sind  gelehrt;  prov.  sandad  neben  santat  ist  wohl 
Analogiebildung.  So  kann  man  die  Synkope  zwischen  n't  als  ge- 
meinromanisch betrachten,  die  aber  das  Ptg.  nicht  erreichte. 

Nach  gedecktem  n  ist  aber  die  Synkope  erst  einzelsprachlich, 
vgl.  Cornate  >»  prov.  Cornde.  Lentoform  liegt  vor  in  Combronita 
>  prov.  Combronde. 

^n-  v't 

civitem  afr.  cit  civitatem  frz.  cite 

*movita  „     muete     nfr.  meute  *movitinus  „    »/«//;/ 

*terrae   movitus   „   *termuet  *flovitare  „    flotter 

*Atravetes  (für  Atrebates)      „  Arraz  *suavitudinem  afr.j-wa/z/w^ 
*grevitatem  dSx.  griete  *expavitare      pic.  ipauter 

Gedeckt : 

*solvitus,  -a         nfr.  {ab)sons,  -te  *d  es  er  vi  tum     afr.  desert 

*volvita  „    votVe  salvitate  „     saute 


I03 

Davon  ist  *flovitare  (G.  Paris i)  wohl  zu  streichen;  auch  Ab- 
leitung von  got.  flodus  oder  Kreuzung  von  flöd  mit  fluctus 
(Suchier,  Gr.  Ii  630  und  Gramm.  §  13^)  ist  unhaltbar.  Trotz  der 
Bedenken  des  Dict.  gen.  ist  an  fluctuare  (mit  ü  für  cl.  ü)  fest- 
zuhalten, indem  hier  et  >  tt  >  t  wurde,  wie  in  auctoricare 
>  afr.  otreiier,  jectare  '^  jeler,  rüctare  >  rüciare  >  afr.  roier, 
Cataracta  >  ChakUeP- 

Pic.  tpauier,  wall,  epaivter  zeigen  mundartliche  Erhaltung  des  v 
wie  im  Prov.  (espmdar,  ciutat).  Dafs  afr.  cit  nicht  auf  den  Nora, 
civitas  (Diez  100  und  noch  Bauer  43)  zurückgehen  kann,  sondern 
Thomas  Rom.  XXV  418  mit  civitem  das  Richtige  getroffen,  ist 
leicht  einzusehen. 

Afr.  tremuete  dürfte  erst  sekundär  (Shepard  4g)  hervorgegangen 
sein  aus  *termuet  (God.  belegt  terremot).  Dies  kann  nicht  terrae 
-f-  motus  darstellen  (Körting  9469),  sondern  die  Erhaltung  des  t 
verlangt  *movitus  als  Grundlage. 

"•'Atravetes  ist  für  Atrebates  anzusetzen,  weil  b't  Stütz-i?  er- 
fordert; V  für  b  ist  vulgärlateinische  Änderung  (vgl.  §  94). 

Frz.  mutifi  (dazu  muiitier)  ist  wahrscheinlich  erst  frz.  Ableitung 
zu  meiite\  es  ist  vor  dem  14.  Jh.  nicht  nachgewiesen.  —  Ebenso 
ist  afr.  voltiz  Ableitung  zu  afr.  volle,  kaum  *volviticium. 

serdele  <[  *servitella  (Shepard  78),  müfste,  wenn  überhaupt 
richtig,  lehnwörtlich  sein. 

Afr.  griete  ist  nicht,  wie  Körting^  4346  meint,  gelehrtes  Wort 
(dies  ist  vielmehr  gravite  12./ 13.  Jh.);  ie  stammt  von  grief,  davon 
beeinflufst  ist  die  Nebenfomi  grief te,  nfr.  grieveti. 

Zu  den  Ansätzen  *solvitum,  *volvita  vgl.  S.  1 1   Anm.  3. 

Die  feststehenden  Beispiele  ergeben  mit  Sicherheit,  dafs  die 
Synkope  zwischen  v't  vor  der  Lautabstufung  eintrat.  Im  Zentralfrz. 
trat  dann  regressive  Assimilation  ein,  v't  >  //,  das  wie  andere 
Doppelkonsonanten  nach  der  Lautabstufung  vereinfacht  wurde.  Auch 
das  Prov.  und  Cat.  [ciuiai)  synkopiert  vor  der  Stimmhaftwerdung, 
während  die  iberische  Halbinsel  (span.  ciudad,  ptg.  cidade)  nach  der 
Erweichung  den  Zwischen  vokal  ausstöfst. 

§  74.     m't: 
amita    afr.  ante  nfr.  tanie      com  item  nfr.  comie 

*camita   „    jante,  chante    „   jante      lim  item  afr.  linte 

fimita     „    ßenie  „    fienie      fremitum  „   friente 

*temitum    Reichn. Gl. /^w/ö 3 


1  Rom.  XVIII  520  (nicht  Bd.  XVII,  wie  Körting  angibt). 

2  Sicher  lehnwörtlich  ist  diese  Entwicklung  in  lectorinum  > /^^r/«, 
lutrin;  Y'^^cticus'^  pratique,  conir  3.c\.\im^  contrat,  sub  jec  tum  >■  jm/W, 
objectum  >»  oöyW;  ähnlich  gd  >>  d  :  M a g d a  1  e n a  >■  J/</(f «•/<,' zVz^ ,  vielleicht 
rigidamente  >■  redJement,  *inrigidirunt^  enreddirent  (norm.). 

ä  Nyrop  II  107  setzt  *tremitum  für  crient ,  Bauer  S.  50  *cremitum 
]>  cricnte  an,  beides  ungenau.  Crient  kann  wegen  des  felilenden  Stütz-^  nur 
Neubildung  sein;  crainte  (Subst.)  tritt  erst  im  13.  Jh.  auf  (früher  wird  crieme 
dafür  gesagt),  ist  daher  erst  afr.  Substantivschöpfung. 


I04 


semita  afr.  j<f«/i?       dial.  sente 
*amito     ,,    haute       nfr.  haute 
domito  „    do7ite  „    domptc 


Vortonig : 


Limites  nfr.  Linthes 

Campus  Limitis   „     Champlitte 
Nemetoduru  „    Nanterre 

Nemetogilu  „    Nanteuil 

Nemetacu  „    Nempty 


'semitariu         nfr.  sentier, 

(afr.  setitier  u.  sendier) 


*amitare  frz.  haut  er 

comitore         afr.  contour 

domitare        frz.  dompter 
*imprumutarei ,,    emprunter  Aber:  *amitariu     z.{x.andier wir. laudier 
*limitale2  afr.  liutel  nix.linteau  *fremitire      „   fraindir 

*limitariu3  „    Untier 

Gedecktes  m\ 
(t)armite  afr.  arte,  artre       dormitoriu  nfr.  dortoir 

palmite  \vz\\.  paute  firmitate  ?Sx.  ferte 

*termite  frz.  iertre^ 

Die  Beispiele  zeigen,  dafs  in  der  Verbindung  m't  die  Synkope 
vor  der  Lauterweichung  eintritt.  Neumann  hat  den  Fall  com  item 
>  conte,  der  ja  der  aufgestellten  Lautregel,  dafs  nur  bei  a  der 
Ultima  Synkope  vor  Lautabstufung  fällt,  zweifellos  widerspricht, 
nicht  behandelt.  Zuerst  hat  Vising  auf  diese  Sonderentwicklung 
aufmerksam  gemacht,  weiteres  s.  Einl.  S.  4  f.  Neumann  Zeitschr.  XIV 
536  hatte  friente  erklären  wollen  nach  friejiter,  dieses  nach  den 
stammbetonten  Formen  /riente  usw.  Dementsprechend  zählt  er  S.  560 
* h emitir e  'P'  /raindir^  unter  den  Belegen  für  sein  Gesetz  auf: 
aber  auch  der  Vokalismus  macht  Schwierigkeiten,  so  dafs  fraindir 
daraus  eben  nicht  auf  lautgesetzlichem  Wege  entstanden  sein  kann. 
—  Ebenso  kann  *amitariu  (M.-L.  Zeitschr.  VIII  22^1,  Rom.  Gr.  I 
§  430)  nicht  lautgerecht  in  landier  vorliegen.  Einf.  26  hat  M.-L. 
es  daher  als  Lehnwort  aus  dem  Prov.  erklärt.  K.  setzt  *ambitarius 
an,  was  lautlich,  aber  nicht  der  Bedeutung  nach  entspräche.*' 

Sind  fraindir,  andier  zu  unsicher,  um  ernstlich  eingewendet 
werden  zu  können,  steht  es  anders  mit  sendier.  Dies  ist  nicht,  wie 
man  bisher  anzunehmen  pflegte,  die  lautgesetzliche  Form,  sondern 
als  Abweichnng  aufzufassen.  Atlas  ling.  12 18  bietet  vereinzelt"' 
in  der  Vendee,  Deux-Sevres,  Vienne,  Puy-de-Döme,  Correze,  Lot 
Formen  mit  d;  dem  Gase,  und  Prov.  ist  das  Wort  fast  fremd.    Wir 


^  Für  impromutuare,  vgl.  rum.  imprutnnta. 

*  Shepard  *limitellum,  das  wird  widerlegt  durch  prov.  lindal. 
'  Vgl.  limitare  (Lex  Salica)  ^  limptare  Reichn.  Gl. 

*  Vom  Standpunkt  der  Synkope  und  der  Lautabstufung  ist  gegen  diese 
Herleitungen  von  arte,  paute ,  tertre  nichts  einzuwenden,  wenn  sie  auch  sonst 
bestritten  werden  (s.  Körting),  z.  T.  mit  Recht. 

*  Afr.  auch  fratntir  (God.);  bei  Körting  fehlt  das  Wort. 

*  Weiteres  §  lOl,  i. 

"  Nr.  521,  418,  510,  416,  409,  508,  804,  801;  Weiterbildungen  (Typus 
sendareT)  614,  609,  617,  618. 


I05 

dürfen  also  darin  eine  mundartliche  (südwestfrz.)  Abweichung  sehen. 
Schon  Marchot  S.  84  erklärt*  sendier  als  saintogeais.  Auch  in  der 
Schweiz  semita  >  senda  (s.  Atl.  ling.). 

Dafs  bei  m't  im  Frz.  S3'nkope  vor  der  Lautabstufung  eintrat, 
haben  bereits  G.  Paris  Rom.  XXVIII  635,  M.-L.  Einf.  26,  Cledat 
S.  217,  Marchot  S.  84,  Bauer  43  festgestellt;  hier  gilt  die  Neumannsche 
Regel  zweifellos  nicht.  Der  älteste  Beleg  für  den  Ausfall  ist 
Nemptodorum  vicus  bei  Gregor  v.  Tours,  sodann  impruntare, 
limptare  in  d.  Reichn.  Glossen. 

antain,  das  Neumann  Zeitschr.  XIV  563  nach  (t)ante  erklärt, 
kommt  wohl  überhaupt  nicht  in  Betracht:  es  ist  schwerlich  vi. 
*amitann,  sondern  erst  zu  ajite  gebildet.  —  dortoif-  scheint  ihm 
ebendort  beeinflufst  „durch  das  danebenstehende  lehn  wörtliche 
dormitor,  donnitoire'-'- ,  —  das  ist  von  vornherein  wenig  wahrschein- 
lich. Schw.-B.  §  122,  2  Anm.  denkt  an  Einwirkung  von  cuvertoir. 
Daneben  steht  afr.  dorior  und  dormeor  in  gleicher  Bedeutung; 
letzteres  erklärt  Cohn,  Suffixw.  S.  120  aus  *dormatorium;  richtiger 
scheint  mir,  es  als  lehnwörtliches  *dormetor  >  dormeor  zu  be- 
trachten. 

Schw.-B.  §  122,  2  Anm.  erklärt  wie  vanter,  so  auch  donter  durch 
Stammausgleich,  conti,  sentier,  liniel  aber  nach  conte,  sente,  linte;  aber 
diese  letzteren  müfsten  nach  Neumanns  Aufassung  ja  selbst  d  haben. 

Für  jante  sind  verschiedene  Formen  des  Etymons  gegeben 
worden:  Diez  *cames,  -itis,  Thurneysen  *cambita,  *cammita, 
M.-L. 2  (vgl.  Horning  Zeitschr.  XXI  452)  *camita,  Dict.  gen.  „peut- 
etre  d'un  type  *gambita,  oü  se  retrouve  le  radical  ö.q  jamhe^'- , 
Marchot  QO  *gammita.  Horning  S.  30  tritt  entschieden  für  *cam- 
bita  ein;  aber  lothr.  säm,  wall,  chame  (Littre)  entscheidet  weder  für 
m  noch  mb.  Ebensowenig  ist  aus  der  Erhaltung  des  t  ein  Schlufs 
zu  ziehen. 

Fem.  *fimita  hat  Diez  angesetzt,  Körting  und  Gröber  bieten 
fimitus,  woraus  nachträglich  das  romanische  Femininum  (prov. 
fenda,  span.  hienda)  entstanden  sein  müfste.3  ie  ist  nicht  lautgerecht, 
sondern  bezogen  von  afrz.  fien  <C.  fimus;  ebenso  ist  vsx  friente  der 
Diphthong  entlehnt  den  stammbetonten  Formen  von  fremere  (z.B. 
fremit  >>  frient).  Lautgerecht  (ohne  Diphthong)  ist  comitem 
>>  co7ite. 

Während  also  im  Frz.  (ausgen.  den  Südwesten)  die  Tenuis  er- 
halten blieb,  trat  im  Prov.  Synkope  erst  nach  der  Tonerweichung* 
ein,    prov.  domde    (domitum),   atnda,  fenda,  senda,  coftde,  lindal,  die 

*  Auch  andier  möchte  er  als  mundartlich  betrachten;  das  ist  wegen  der 
Allgemeinheit  der  d-Form  unwahrscheinlich. 

*  Register  zur  Rom.  Gramm.   1902,  ebenso  Frz.  Gr.  §  125. 

3  Bildung  des  Wortes:  Diez:  Entstellung  aus  fimetum,  Gröber:  zu 
fimare  wie  spirltus  zu  spirare,  Dict.  g^n.  zu  vi.  femus,  -oris  statt  cl.  fimus. 
—  e  für  e:  Gröber  ALL  VI  388  Einflufs  von  faetere;  M.-L.  Gram.  I  361 
läfst  allgemein  im  (aufser  im  Rum.)  >  cm  werden. 

*  Unhaltbar  scheint  mir  die  Ansicht  Herford's  S.  18,  dafs  t  unter  dem 
Einflufs  des  vorangehenden  Nasals  zu  d  geworden  ist. 


io6 

Ortsnamen  Arlende,  Mende,  Neronde,  Chassende.  Danebenstehende 
/-Formen  dürften  teils  frz.  (insbesondere  das  häufige  comie),  teils  in 
einigen  Gebieten  heimisch  sein.  Auch  auf  der  iberischen  Halb- 
insel trat  Synkope  erst  nach  der  Lautabstufung  ein,  span.  duendo, 
hienda,  senda,  ptg.  dondo  usw. 

Anhang.  Eine  besondere  Bemerkung  verdienen  noch  die 
Substantivbildungen  auf  -itatem  nach  Liqu.,  Nas.  und  Spirans.: 
bellitate,  puritate,  bonitate,  firmitate,  lassitate,  civitate 
|>  afr.  helte.,  purie^  baute,  ferie,  laste,  cite.  Nach  der  Neumannschen 
Regel  hätten  wir  überall  -de  zu  erwarten,  es  findet  sich  aber  aus- 
nahmslos -te.  Neumann  Zeitschr.  XIV  562  nahm  daher  an,  diese 
Wörter  seien  angeglichen  an  jene  Fälle,  wo  t  lautgesetzlich  ist: 
poeste,  poverte,  liberte,  Jovente,  volente  usw.  Schw.-B.  ist  seiner  Meinung 
beigetreten  und  erklärt  §  122,  2  Anm.  leitet,  santet,  plentet  nach  liberte, 
volonte. 

Als  Beweis  für  seine  Behauptung  vermag  Neumann  nur  pidie 
neben  piete  zu  nennen,  wo  das  Schwanken  zwischen  stimmhaften 
und  stimmlosen  Ergebnis  Lehnwörtlichkeit  wahrscheinlich  macht, 
s.  S.  55.  Da  aber  die  Fälle,  nach  denen  der  Ausgleich  ein- 
getreten sein  soll,  viel  seltener  sind  und  alle  anderen  Wörter  mit 
Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  t  stimmloses  Ergebnis  haben,  ist 
-te  als  lautgerecht  zu  betrachten. 


2.   Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  k. 

a)  Liquida  vor  k,  k^. 
§75-     l'c: 

collocare  ^Sx.colchier      wh. coucher    Basilica        Basoche, 

caballicare  ,,   chevalchier   „    chevaucher  Basoge 

*alicunu  „   alcun  ,,   aucun 

pollicare  ^^  polchier,  pochier        nux  gallica  ^Sx.nois gauge 

malecontentu  frz.  malcontent 

filicaria  B.{r./elchiere      nir.fougere    Tiliacu  Tilques 

•"'bullicare  „  bolgier  „  bouger 

delicatu  „  delgii 

Der  älteste  Beleg  ist  culcare  der  Lex  salica.  Atl.  ling.  32g 
belegt  keine  stimmhafte  Form.  Wohl  aber  hat  das  Prov.  colcar  und 
colgar;  im  Neuprov.  hat  das  Wort  stimmlosen  Laut  nur  auf  einem 
breiten  Streifen  vom  Dep.  Dordogne  bis  zum  Dep.  H.- Alpes.  —  Neben 
chevaucher  soll  nach  Bauer  S.  28  bürg,  chevatiger  stehen,  das  müfste 
mundartliche  Abweichung  sein.  —  Auf  malcontent  ist  natürlich  kein 
Gewicht  zu  legen. 

filicaria  scheint  mir  Lehnwort,  dafür  spricht  das  Schwanken 
von  ch  und  g  und  der  Übergang  von  el  ^  ol\  afr.  feuchiere,  feugiere, 


I07 

fouchiere,  fougtere,^  nfr.  fougere,  als  Familienname  Feugire.  Afr. 
felchiere  ist  mundartlich  erhalten  in  wzW.  fichtre,  /echt,  n^xunr.  fkhere, 
champ.  feiichüre  (Littre),  pik.  feuküre  (daneben  feuginere,  Marchot 
S.  86).  Lothr.  falejer,  faler  <  *faleeire  (Marchot  86)  würde  noch 
jüngere  Entlehnung  sein. 

Auch  delicatus  ist  nur  lehnwörtlich  2  vorhanden  in  der 
ältesten  Form  als  delcad  (Alexander  des  Alb.  d.  Bes.),  jünger  deugÜ 
(noch  heute  in  Touraine,  Maine,  Vendomois  als  doiigc,  -e,  in  der 
Normandie  als  deiigi),  noch  jünger,  mit  Ausfall  des  zwischen- 
vokalischen  c,  frz.  delie,  schliefslich  seit  dem  15.  Jh.  daneben  nfr.  delicat. 

Frz.  botiger  kennt  der  Atl.  ling.  igo  nur  mit  stimmhaften 
Laut.  Marchot  86  möchte  darin  eine  Entlehnung  aus  prov.  bojar 
sehen.  Aber  damit  ist  die  Schwierigkeit  nicht  gelöst,  sondern  nur 
ins  Prov.  verschoben.  Warum  zeigt  dieses  bojar,  bolegar,  aber  colcar 
und  colgar,  cavalcar  und  cavalga?-!  Mit  mehr  Recht  hatte  Diez  530 
bojar  als  frz.  betrachtet.  So  haben  wir  in  *bulicare  ein  jüngeres 
Wort  zu  sehen,  dafs  als  *  bollegare  in  Gallien  aufkam  und  dann 
regelrecht  frz.  bouger  und  prov.  bolegar  ergab.  Vgl.  dazu  it.  colcare 
(rum.  culca),  it.  cavakare  gegenüber  it.  bulicare.  Das  Wort  wurde 
von  bullire  und  -icare  erst  nach  der  Lautabstufung  gebildet,  als 
in  Gallien  erster  es  bollir,  die  Endung  -egare  lauteten. 

*pulicare  (xnm.. purtca,  prov.  span.  ptg.  espulgar)  ist  frz.  nicht 
vorhanden;  frz.  cpucer  stimmt  zu  it.  spulciare,  cat.  espussar,  kann  aber 
auch,  da  es  erst  im  1 6.  Jh.  zu  belegen  ist,  Neubildung  von  puce  sein. 

*balicare  für  ^{x.baloier  anzusetzen,  ist  unrichtig;  es  handelt 
sich  um  frz.  Ableitung  von  balle. 

Die  beiden  erstgenannten  Paroxytona  sind  ebenfalls  nur  in 
gelehrter  Form  erhalten.  Das  als  Ortsname  häufige  basilica  er- 
scheint als  Basoche  (norm.-pic.  Basoque)  und  Basoge.  Das  Schwanken 
zwischen  ch  und  g,  der  Übergang  von  el  >>  ol^  kennzeichnen  die 
Lehnwörtlichkeit  ebenso  wie  die  Bedeutung.  —  (Nux)  gallica  ist 
ebenso  wie  filicaria  ursprünglich  nicht  volkstümlich,  es  wurde  als 
*gallega  aufgenommen  und  dann  regelrecht  entwickelt;  pic.  gaugue, 
wall.  (Mons.)  gauque  (dazu  gauguier,  hezw.  gauquier,  s.  Marchot  Ql) 
zeigen  wiederum  das  für  Lehnwörter  charakteristische  Schwanken. 
—  Tiliacum   ergab   lautgerecht   frz.  Tilly;  wohl  unter  germ.  Ein- 


^  Der  Atl.  ling.  600  bietet  für  das  Westfrz.  ftijer,  nur  an  der  kelt. 
Grenze  oe.  Norm,  wechselt  u  und  ce,  ebenso  pic. ;  Artois  zeigt  Metathese: 
ferkel.  Stimmloser  Palatal  erscheint  öfters  wall.,  dann  in  dem  angrenzenden 
Dep.  Ardennes  und  im  Norden  von  Meurthe  et  Äl.  Auch  im  Zentrum  manch- 
mal stimmloser  Spir. :  Loiret  209,  Yonne  109,  106,  Cöte  d'Or  108  usw.  — 
Duez,  Dict.  fr^. -allem. -lat.  h\e.\.e.\.  fieztche  ou  fencJiiere,  et  ftiieux  fotigere;  ist 
dieses  mir  sonst  unbekannte  fieuche  =^*io\\cz.  für  filicem? 

*  Cledat  S.  127  dagegen  hält  das  Wort  für  erbwörtlich  (!),  das  einerseits 
lautgesetzlich  delgie,  andrerseits  unter  Einflufs  eines  Kompositums  aus  leie  = 
ligattim  zu  delie  geworden  sei. 

*  Vgl.  Q.  fougere.  Auch  in  Cadrella]|>  Charolles;  hier  *  Cadrill  a 
anzusetzen,  wie  M.-L.  Bet.  i.  Gall.  S.  16  Anm.  i  wünscht,  ist  nicht  notwendig, 
vgl.  elephante  ^  olifant. 


io8 


flufs  (Lindström  S.  ii)  anfangs  betont,  entwickelte  es  sich  im  Norden 
(daher  Erhaltung  des  k)  zu  Tilques,  wo  das  Stütz-f  zeigt,  dafs  die 
Synkope  jünger  ist  als  in  collocare. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich:  l'c  tritt  vor  der  Lautabstufung 
zusammen.  Die  Gruppe  erfordert  kein  Stütz-^:  colloco  >■  afr.  *colc, 
durch  Analogie  coiiche.  Die  Verbreitung  entspricht  der  von  m't 
(vgl.  cat.  span.  colgar,  span.  cabalgar,  ptg.  cavalgar,  cat.  algu,  span. 
a/gi/no,  ptg.  alguni). 


§  76.     r'c: 
carricare      afr.  charchier 


orichalcu 

clericu 
*balearicu 
*sororica 
*barica 

serica 

clericatu 


*claricare 
„   chargier    nir. charger     *ferricare 
*foricare 
archal 


afr.  esclargier 
„   enfergier 
„  forgicr 
„  '^'siirgier 
verecundia   frz.  vergognc 
verecundari  afr.  ver gonder 
muricariu      frz.  mürber 


soricare 


'^naricare 
*moricare 


„   narguer 
pik.  ??iorguer 


„  *orchalc        . 
frz.  clerc 
afr.  baiUarc,  -ge 

„   serorge 
frz.  bärge 

„  Serge 

„   clergi 
Durocassinu,,   Dorgessin 

Nach  parricus  >  vi.  parcus,  *b'arica  >  vi.  barca  (vgl.  §  4) 
und  der  Parallele  zu  r't  erwartet  man  Eintritt  der  Synkope  vor  der 
Lauterweichung  und  keinen  Stützvokal  im  Auslaut,  vgl.  frz.  parc, 
prov.  auctorico  >>  aulorc,  Petrucoricu  >  Peiregorc. 

Eine  entsprechende  Entwicklung  zeigen  clerc,  haillarc,  '^orchalc, 
sie  sind  nichtsdestoweniger  entlehnt.  Das  beweist  ihre  Herkunft  und 
die  Nebenformen:  afr.  baillarge,  prov.  clerge  (vgl.  Leod.  clerie  100, 
145),  clergue,  fem.  clerga,  it.  chierico;  it.  oricalco,  span.  auricalco. 
Ebenso  ist  frz.  clerge  Lehnform.  Wiederum  sehen  wir  das  be- 
zeichnende Schwanken  zwischen  erbwörtlicher  und  jüngerer  Ent- 
wicklung bei  diesen  alten  Lehnwörtern,  vgl.  Jelcad — deigte,  felchiere 
— folgiere,  Basoche — Basoge  usw.i 

So  bleibt  als  einziges  Beispiel  für  Synkope  vor  der  Erweichung: 
carricare:  Reichn.  Gloss.  carcafus,  carcati;  it.  carcare,  rum.  carca] 
afr.  charchier,  pic.  carquer,  wall,  (vereinzelt)  kertsi;  prov.  span.  cargar 
(vgl.  colgar).  Daneben  steht  aber  die  stimmhafte  Form:  carigas 
bei  Pelagonius  (Gr.  1 2  474),  {rz.  charger,  cdiL -ptg.  carregar.  Das  ist 
die  vollständige  Parallele  zu  it.  hulicare,  prov.  holegar,  frz.  hoiiger; 
daher   kann   man    darin    eine   jüngere    Bildung    sehen :    it.  caricare. 


^  Vgl.  ferner 

miraculu  mirail     \x.  miracle        *cordub-ense  corvois     m.  cordoan 

-anu 

maledicere      jnaldire  „   male'ir  matiiculariu  mar  eiller  „  marreglier 

(nfr.  margtäller). 

testimoniu     testnoin    „  testemoigne   habitaculu  abitail       „  ahitacle 

*vertibella      vervelle  „  vertevelle       aquila  aille  „  aigle 


log 

in  Gallien  *carregarA  Noch  ein  drittesmal  ist  dann  im  Frz.  ein 
Denominativum  gebildet  worden,  frz.  charroyer,  charriei-."^  —  Nfr. 
carguer  ist  entlehnt  aus  prov.  cargar. 

Sieht  man  nun  in  charchier  die  allein  lautgerechte  Form  eines 
von  Ursprung  an  in  der  Sprache  befindlichen  Wortes,  so  mufs  man 
sich  für  die  grofse  Zahl  der  übrigen  Fälle  um  Sondererklärungen 
umsehen.     Und  solche  sind  mehrfach  gegeben  worden. 

Kix.  enfergier  kann  mit  Thomas  Rom.  XXVI  425  auf  *infer- 
riare,  esclargie?-  mit  Marchot  S.  87  auf  *exclariare  (älter  alairer), 
serorge  nicht  auf  *sororicum  (Clcdat  S.  127  und  137),  sondern 
auf  entlehntes  sororius  (Diez  767,  Schw.-B.  §  201  Anm.)  zurück- 
geführt werden. 

serge  und  bärge  entstammen  nach  j\I.-L.  Zeitschr.  VIII  233  dem 
Süden.  Horning  Zeitschr.  XV  498  bezweifelte  dies  wegen  wall,  saie 
(serge),  föge  (fourche),  cerges  (cherches);  aber  in  den  zwei  letzteren 
sind  wohl  blofs  falsche  Graphien  zu  erblicken.  Nyrop  P  §  401,  2 
Rem.  hält  serge  für  mundartlich.  Der  Dict.  gen.  leitet  es  unmittelbar 
von  lat.  serica  ab,  bärge  scheint  ihm  kelt.  Herkunft.  —  serica 
(n.  pl.  von  sericum  als  fem.,  daneben  vi.  auch  sarica)  ergab  als 
Langform  (es  ist  kein  volkstümliches  Wort)  lautgesetzlich  span.  ptg. 
sarga,  prov.  sarga,  serga.  Daraus  ist  afr.  sarge  (zuerst  bei  Chretien) 
entlehnt,  ebenso  wie  it.  sargia  Lehnwort  ist.  Frz.  serger  ist  zu 
serge  gebildet  nach  Muster  von  lat.  sericarius  „Seidenhändler".  — 
*barica  zu  bäris  ergab  schon  lat.  barca  (vgl.  *avica  zu  avis: 
auca),  daher  it.  span.  ptg.  barca.  Aus  dem  It.  stammt  frz.  barque 
(16.  Jh.).  Frz.  bärge,  berge,  prov.  bar  ja,  spätlat.  barga  gehen  wohl 
zurück  auf  die  Langform  *barica,  entweder  so,  dafs  das  Wort 
erst  in  die  Volkssprache  übernommen  wurde,  als  man  in  Gallien 
es  *barega  aussprach,  oder  so,  dafs  *barica  lautgerecht  prov.  barga 
ergab,   aus  dem  frz.  bärge  entlehnt  wurde. 

Für  Dorgessin  vermutet  Herzog  S.  113,  dafs  o  sich  unter  Ein- 
wirkung von  Durocasses  länger  gehalten  habe.  Für  it.  vergogna, 
frz.  vergogne,  prov.  ptg.  vergonha,  span.  verguenza  möchte  Marchot 
S.  87  schon  vi.  *veregundia  ansetzen.  Zwar  wenn  man  späte 
Synkopierung  für  möglich  hält,  mufste  auch  it.  stimmhaftes  g  er- 
scheinen (verecundia  >  '^veregotiya  >  it.  7'ergogna).  VI.  ist  jedoch 
vercundia  belegt.  Mag  man  nun  auch  hier  Marchot  zustimmen, 
mit  seinem  Ansätze  vi.  *miirigariu  wird  man  sich  nicht  befreunden 


1  Marchot  S.  87  sieht  in  charger  „une  dissimilatiün  de  deux  sourdes 
identiques",  ähnlich  möchte  er  'S.  2)(i  f elftere  i\ix  felchiere  erklären  und  a.  m. 
Das  ist  solange  nicht  zulässig,  als  sichere  Beispiele  bei  nichtsynkopierten 
Wörtern  nicht  beigebracht  sind. 

"  *accarricare  (oder  -g^x^)'^  achariier,  acharoier  Körting"  82  ist 
unberechtigter  Ansatz.  Tobler  Zeitschr.  IV  375  hatte  ganz  richtig  gesagt, 
dafs  es  von  char  abgeleitet  sei,  Körting  aber  sah  sich  veranlafst,  daraus  ein 
vi.  Verbum.zu  machen.  Wenn  er  in  der  3.  Aufl.  *accarri  d  iare  ansetzt, 
ist  die  Sache  um  nichts  besser  geworden  (vgl.  viridiari  um  >■  T/^r^^r,  nicht 
*vereiier !). 


HO 

können.  Woher  denn  dieser  vereinzelte  Übergang  von  c  >  g,  der 
beispiellos  dasteht?  So  wird  man  lat.  verecundia  in  \\.vercundia 
als  Kurzform,  dagegen  als  Langform  in  dem  romanischen  Reflex 
vorliegen  sehen.  Für  murgier  würde  der  Ansatz  *muri-diariu 
jeden  lautlichen  Zweifel  beseitigen,  oder  man  betrachtet  es  als 
jüngere  Bildung. 

Mx..  für  gier  leitet  Körting  4071  von  *furcare  her,  vgl.  it. 
frtigare,  frucare  (ursprünglich  wohl  f?-ugare,  aber  frtica),  span. 
hur  gar,  jedoch  ptg.yor^ör.  Man  müfste  dann  (sonst  beispiellose) 
Zerdehnung  *furicare  zum  Ausgang  nehmen,  vgl.  \i.furtcare  (Caix, 
Studj  di  etimologia  329),  wtn.furegare,  sa.Yd.  farogai  (Diez  149). 
Der  Dict.  gen.  geht  aus  von  *foricare  zu  forare,  das  zu  afr. 
fourchier,  fourgier  „Selon  les  regions"  wurde;  dazu  irz.  fourgon, 
gleichsam  *foricönem  (afr.  forchori  und  fiirg07i).  Wie  nahe  die 
beiden  Herleitungen  stehen,  zeigt  der  Umstand,  dafs  man  furca 
selbst  als  *forica  hat  deuten  wollen  (Meringer,  Zeitschr.  f.  ö.  G. 
LIV  391).  Von  *soricare  (zu  sorex)  >  \>\q..  surgiiier  (afr.  subst. 
surgeüre)  sind  stimmlose  Formen  nicht  bekannt. 

*naricare  >>  narguer,  *moricare  (aus  *morigare  für 
movigerare)  >  morguer  erklärt  Horning  Zeitschr.  XXVIII  609  für 
pik.;  morgue,  das  er  Zeitschr.  XXI  45 7  ais  *morica  fafst,  erkennt 
er  für  postverbal,  r'c  ]>  pik.  -rgue  halte  ich  für  ausgeschlossen,  es 
müfste  rk  lauten.  Für  morgtier  mufs,  wenn  das  Etymon  richtig  ist, 
von  *morigare  ausgegangen  werden.  Für  narguer  denkt  Baist 
Zeitschr.  XXXII  39  an  nhd.  nergeln,  ae.  nyrjan;  7iarguois  trennt 
er  davon  und  stellt  es  zu  nark,  Wort  des  engl.  Rotwälsch. 

Stimmen  einerseits  die  Verhältnisse  zu  l'c,  so  ist  doch  nicht 
zu  verkennen,  dafs  die  Zahl  der  stimmhaften  Ergebnisse  zu  hoch 
ist,  als  dafs  Einzelerklärungen  Genüge  tun  könnten.  Schw.-B. 
§  143  Anm.  denkt  daran,  dafs  hinter  r  der  Vokal  der  Pänultima 
erst  nach  Übergang  von  intervokalem  k  >  g  schwand.  I\I.-L.  Frz. 
Gr.  §  128  erwägt  die  Annahme,  dafs  k  früher  tönend  wurde  als  t, 
also  auch  vor  der  Synkope  nach  Liquida ;  dann  bleibt  coucher,  che- 
vaucher,  charchier  unerklärt.  Auch  liefse  sich  {berge  und  serge  als 
Entlehnungen  betrachtet)  die  Meinung  vertreten,  dafs  zwischen  r'c 
die  Synkope  nicht  allgemein  vor  der  Lautabstufung  eintrat,  sondern 
sich  die  Dinge  verhalten  wie  bei  venger — reva7icher,  d.  h.  die 
Neumannsche  Regel  gilt,  aber  die  vi.  Synkopen  barca,  parcum  und 
die  Parallele  zu  l'c  sprechen  dagegen. 

Möglich  auch,  dafs  afr.  charchier  aus  dem  Norden  stammt: 
pik.  carquer,  Reichn.  Gloss.  carcatus;  Karte  239  des  Atl.  lingu. 
bietet  nirgends  stimmlose  Spirans. 

Eine  einwandfreie  Deutung  dieser  Verhältnisse  vermag  ich 
nicht  zu  geben. 

§  77.  Eine  Sonderbetrachtung  erfordern  die  Fälle,  wo  vor 
dem  r  ein  Konsonant  sich  befindet. 


II I 

1.  br:  fabrica     irz.forge      *excollubricat  afr.  escolorge 

fabricat       „      „  tenebricai  „   tenerge. 

Das  Wort  forge  ist  häufig  besprochen  worden,  am  wichtigsten 
sind:  M.-L.  Zeitschr.  VIII  233:  ,.\i\  fo7-ge  hat  die  Konsonanten-Ver- 
bindung im  Auslaut  der  Silbe  die  Synkope  bis  nach  Eintritt  der 
Lautabstufung  und  damit  verbundenen  Auflösung  des  Nexus  br  in 
ur  aufgehalten".  Neumann  Zeitschr.  XIV  563:  _/or^^  =  fabrica 
nach  forger  oder  hr  bewirkt  ähnlich  tönende  Spirans  wie  rb  in 
gourde.  Mussafia  Zeitschr.  f.  ö.  G.  1894  S.  53:  „Es  ist  kaum  zu 
zweifefn,  dafs,  wenn  nur  Formen  mit  betonter  Endung  da  wären, 
der  Stamm  nur  favre  lauten  würde;  erst  fabrica  (Subst.  und 
2.  Imp.),  -as,  -at  ergaben _/ow-d'^a,  -eza  (-f);  der  Abfall  der  Pänultima 
geht  mit  z/  <  v  Hand  in  Hand:  faurze,  forge.  Die  stammbetonten 
Formen  beeinflufsten  dann  die  anderen,  u.  zw.  zuerst  dadurch,  dafs 
an  Stelle  des  zu  erwartenden  favreiier  die  mundartliche  Form 
favregier  [favargier)  erscheint,  dann  durch  Anwendung  des  ganzen 
betonten  Stammes  in  tonloser  Stellung.  Nicht  anders  -lübricat 
>  -lövreze,  -lourge,  daraus  -lovregier  (statt  lovreiier)  und  -lourgier, 
-lorgier'-'- .  Marchot  S.  gi  f.:  forge  geht  aus  von  einer  Zwischenstufe 
faivria,  weil  das  Pic.-Norm.  nicht  forgue,  sondern  forze  sagt.  Aber 
er  selbst  erwähnt  den  Ortsnamen  Forgue,  den  er  für  tout  local 
hält,  der  richtiger  wohl  die  alte  Form  darstellt,  die  heute  durch 
irz.  forge  verdrängt  ist. 

Aus  den  Beispielen  ergibt  sich  folgende  Regel:  Zwischen  br'c 
erhält  sich  der  Zwischentonvokal  bis  nach  der  Lauterweichung, 
worauf  er  in  Proparoxytonis  ausgestofsen  wird,  während  vortonig 
das  r  sonantisch  wird. 

fabricare    >*   *favrgar        zSx.  favargier,  favregier 
lubricare   >  *lovrgar  „  lovergier. 

In  Paroxytonis  wurde  vrg  nach  a  zu  urg,  sonst  zu  rg  erleichtert. 
forger,  escolourgier  sind  nach  den  stammbetonten  Formen  aus- 
geglichen. Ausgleich  in  umgekehrter  Weise  liegt  vor  in  lothr. 
lovergent  L.  Job,  reloverget  Mor.  Job,  vgl.  loverianz  Greg.  (s.  Elfrath 
S.  813). 

Auffällig  ist  prov.  ienerc  (ebenso  frz.-prov.  im  Gir.  de  Rouss.) 
ohne  Stütz-!?:  afr.  tenerge  entspricht  prov.  fem.  tenerga,  wozu  das 
masc.  teuere  eine  Neubildung  sein  dürfte. 

rubricare  ]>  afr.  rehrechier  ist  Lehnwort. 

2.  tr:  auctoricare  >>  *auttregar    afr.  0 treuer,  prov.  autreiar, 
aber  auctoricat  „     autorga. 


'  Diez  .687  nur  prov.  tenerc;  Schw.-B.  geht  tiir  tenerge  §109  von 
tenebricu,  §  143  von  tenebrica  aus.  Bei  Körting  fehlt  das  Wort  auch  in 
der  3.  Aufl.  noch. 


112 


Das  Wort  ist  wegen  et  >  //l  und  -icare  >  eiier"^  ein  Lehnwort, 
auctorico  gab  prov.  autorc,  daneben  durch  Analogie  mitrei.  Zur 
starambetonten  F"orm  wurden  neugebildet  prov.  aiiiorgar,  span. 
oiorgar,  ptg.  auforgar,  während  im  Frz.  die  endungsbetonten  Formen 
verallgemeinert  wurden  (nfr.  octroyer). 


b)    Nasal  vor  k,  k'. 


§  78.    n'c. 

Zunächst  die  Ansätze,  ohne  über  ihre  Richtigkeit 

etwas  behaupl 

;en 

zu  wollen. 

*clinicus 

afr. 

esclenc 

dies  dominica 

frz.  dhnanche 

canonicu 

)7 

chanonge 

*fanica 

„  fange 

monicu 

51 

monge 

communicare 

afr.  commengier  und 
-chier 

*lanicu 

frz. 

lange 

*clinicare 

„    clingier 

*linicu 

n 

linge 

*excrenicare 

frz.  krancher 

Santonicu 

11 

Sanitojige 

*enecare 

„    enger 

Turonicu 

11 

toiirange 

*panicare 

afr.  panegier,    -chier 

Convenicu 

11 

Commenge 

*pronicare 

frz.  broncho- 

manicu 

51 

frz. 

manche, 
-prv.  mange 

*trinicare 

„    trancher 

manica 

)? 

manche 

granica 

)? 

(dial.)  granche 

Der  gröfste  Teil  dieser  zahlreichen  Beispiele  ist  zur  Erkenntnis 
der  lautgerechten  Entwicklung  von  n'c  nicht  brauchbar,  weil  teils 
Lehnwörter  vorliegen,  teils  die  Ansätze  zu  unsicher  oder  falsch  sind. 

Cledat  S.  134  möchte  zwischen  n'c  Synkope  frühzeitig  ein- 
treten lassen,  weil  nc  keine  Schwierigkeit  der  Aussprache  bietet. 
Doch  findet  er  bald  g  bald  ch,  ohne  einen  Grund  für  das  eine 
oder  das  andere  anzugeben.  Nach  dem  Vorgange  bei  n't  kann 
man  zunächst  vermuten,  dafs  n'c  vor  der  Lautabstufung  zusammen- 
trat, sodafs  -nicu  ]>  -71c,  -nica  >»  -nche,  -nicare  >>  -7?<r/«£r  wurde. 
Solche  Synkope  war  auch  schon  im  Lat.  vorhanden,  vgl.  juncus 
gegenüber  juniculus. 

Für  -nicu  würde  dieser  Forderung  nur  *clinicüs  genügen, 
aber  afr.  eslenc,  eslenche  wird  mit  mehr  Recht  auf  ahd.  slinc  zurück- 
geführt, vgl.  über  die  Streitfrage  Körting^  2261.  Afr.  chajionge 
{canunie  Rol.,  chanoig7ie,  chanoine,  nfr.  chanoine)  und  monge  (so 
Shepard  42,  God.  nioine,  mogne,  P.  Meyer  Rom.  XX  78  monegue) 
sind  kirchliche  Lehnwörter.  *lanicum,  *linicum  setzt  Cledat 
S.  134  an,  ob  mit  Recht?  Behrens  §  203  Anm.  und  Nyrop  I 
§  334  sehen  in  grange,  itrange,  lange,  linge  eine  lehnwörtliche  Ent- 
wicklung von  -neu,  -nea,  allein  es  ist  schwer  glaublich,  dafs  Wörter 


^  Vgl.  §  73. 

*  Der  Ansatz  *auctoridiar e  (Körting  3,  Aufl.)  ist  überflüssig. 


113 

wie  grange,  latige,  linge  erst  „d'adoption  posterieure"  sein  sollten. 
Saintonge,  tourange  können  ebenfalls  lehnwörtlich  sein,  vgl.  Cupe- 
donia  >  Couvonge,  Turonica  >  Toiwaine,  Cenomannicu  > 
Maine,  so  dafs  sie  mit  chaiionge,  chanoine  auf  einer  Stufe  stehen. 
Commenge  ist  keine  frz.  Entwicklung,  die  zahlreichen  Ortsnamen  im 
Frc.-Prov.  auf  -ange,  -inge  aus  -anicu,  -ianicu,  die  E.  Muret 
Rom.  XXX VII  390  ff.  behandelt,  sind  vielleicht  nur  jenem  Teile  des 
Sprachgebietes  lautgerecht,  vgl.  frc.-prov.  mange  gegenüber  frz.  manche 
-C.  manicus. 

Während  manica  regelrecht  mariche  ergibt,  ist  manche  für 
m anicu  auffällig.  Afr.  findet  sich  mange  im  Gir.  de  Rouss.;  die 
Karte  805  des  Atl.  ling.^  erweist  dies  als  die  frc.-prov.  Form,  die 
auch  in  die  angrenzenden  Gebiete  übergreift,  insbesondere  das 
Dep.  Saone-et-L.  umfafst.  Der  Dict.  gen.  sieht  in  le  manche  eine 
Scheideform  von  la  manche  (wie  le,  la  miinoire,  mode,  periode,  posie, 
remise  usw.);  da  bleibt  mange  unerklärt.  Aufserdem  ist  manicus 
belegt  und  lebt  fort  in  it.  manico,  span.  ptg.  mango.  Shepard  S.  42 
betrachtet  mange  als  „later",  aber  das  entbehrt  der  Begründung. 
Auf  prov.  Gebiete  zeigt  der  Atl.  ling.  marge  in  einem  breiten 
Streifen  vom  Dep.  Cantal  bis  zum  Dep.  Ariege.  Hier  in  Ari^ge 
heifst  es  auch  mänk,  in  der  Gascogne  manu.  Fem.  ist  das  Wort 
im  Norden  (Dep.  Somme,  Pas-de-C,  Nord  und  in  einem  kleinen 
angrenzenden  Teile  von  Belgien;  k-Formen  sind  im  Norden  nicht 
vorhanden.  —  Da  gemeinrom.  manicus  eine  Scheideform  zu 
manica  zu  sein  scheint,  it.  jnanica  neben  „Ärmel"  auch  die  Be- 
deutung „Griff"  hat,  dürfte  frz.  le  manche  (beachte  das  weibliche 
Geschlecht  im  Norden)  aus  la  mattche  hervorgegangen  sein.  Da- 
gegen die  Formen  mango,  mange  gehen  auf  manicu  zurück  wie  it. 
matiico,  span.  mango. 

-nica  mufste  frz.  unter  allen  Umständen  -nche  ergeben.  Dem 
entspricht  manica  >•  manche  (it.  manica,"^  lomb.  ven.  manega,  prov. 
manga,  span.  ptg.  tnanga)  und  *granica  >  gratiche,  neben  dem 
aber  häufigeres  grange  steht,  das  man  auf  granea  zurückzuführen 
pflegt  (Schw.-B.,  Nyrop  s.  o.),  während  Marchot  S.  92  es  von 
granica  herleitet.3  Frz.  dimanche  (afr.  diemenche,  diemenge,  diemoigne 
Wace,  diemeine)  ist  kirchliches  Lehnwort.  *fanica  setzt  INIarchot 
S.  92  an  auf  Grund  von  ^ix.fanc,  xi.  fange,  norm,  fangue,  kaum 
mit  Recht.  Zugrunde  liegt  der  germ.  Stamm  "^fanj-  {goi./ani,  -jis, 
ahd./enni)    sächlichen  Geschlechts:    das    germ.  j   wurde   hier    teils 


^  Auffällig  und  für  die  Entwicklungsgeschichte  des  Suffixes  -icu  wichtig 
sind  die  Formen  mägo  Ain  913,  Is^re  912,  921,  922,  S29  und  maiio  972,  mani 
982,  992  auf  italischem  Gebiete. 

*  It.  manica  (l.  Ärmel,  2.  Griff,  3.  Schar)  fehlt  bei  Körting. 

*  granche  lebt  noch  mundartlich,  selbst  für  das  Zentrum  weist  der  Atl. 
ling.  gras  z.\x{\  217  (Seine-et-Oise);  208,  210  (S.-et-Marne);  108,  109  (Yonne), 
114,  115  (Aube)  usw. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  8 


ti4 

als  g,   teils    als  /  ins  Rom.    übernommen, ^  das  Neutrum  erscheint 
teils  als  Mask.,  teils  als  Fem.;  daher 

*fangum     iL/ango,  prov.  afr.  fanc 

*fanga         lomb.  prov. /anga,  hz./afige,  nornx. fangue 

*fania         prov. /anha,  iiz.  fagne. 

Auch  die  vortonigen  Beispiele  sind  nichts  weniger  als  sicher. 
Afr.  {es-,  a-)  comengier  und  -chier  (daneben  communier,  seit  dem  14.  Jh. 
auch  communique?-)  zunächst  ist  Lehnwort.  Neben  afr.  clingier  steht 
cligner,  man  hat  auch  die  g-Form  auf  *cliniare  zurückgeführt, 
doch  dürfte  wall.  A7^7ä' *clinicare  sichern.  *excrenicare  (zu  crena 
Kerbe  nach  Baist  Zeitschr.  VII  116)  hat  nicht  allgemeine  An- 
erkennung gefunden;  frz.  krayicher,  klancher  sind  auch  erst  sehr 
spät  belegt.  Das  Etymon  *enecare  wird  kaum  jemand  aufrecht 
erhalten  wollen;  afr.  lauten  die  Formen  aengier,  aenchier  und 
aengnier.  *panicare  (Bauer  S.  2g)  ist  unzulässig,  s.  §  122,  2.  — 
Frz.  broncher,  emhroncher  (davon  das  Verb.-Adj.  afr.  (em)broiic)  werden 
auf  *(im)pronicare  zu  pronus  zurückgeführt  (vgl.  Diez  568  und 
den  Dict.  gen.);  G.  Paris  aber  leitet  richtiger  das  Zeitwort  von  bronc, 
embronc  her,  das  nach  Thurneysen  keltischen  Ursprungs  ist.  *trlni- 
care  ist  zu  umstritten,  um  als  sicheres  Beispiel  gelten  zu  können; 
meist  wird  der  Ansatz  *trincare  (für  trüncare)  vorgezogen.  — 
Es  fehlt  also  an  einwandfreien  Beispielen. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  können  wir  zunächst 
feststellen,  dafs  im  Frz.  bei  n'c  die  Synkope  nicht  allgemein  vor 
der  Lautabstufung  stattfindet,  wie  dies  bei  Nasal  vor  t  der  Fall  ist. 
Sonst  gelten  die  Neumann'schen  Regeln,  d.  h.  in  Proparoxytonis  bei 
a  der  Ultima  tritt  Synkope  vor,  sonst  nach  der  Lautabstufung  ein: 

manica  :  it.  manica  prov.  manga,  mancha,  frz.  manche  span.  ptg.  manga 
manico  :  it.  manico  frc.-prov.  mango,  mange,  span.  ptg.  mango 
*clinicare  afr.  clingier,  durch  Stammausgleich  wall,  kl^tsi. 

Dagegen 

n't:  repoenitere  it.  repentirsi  frz.  prv.  span.  repentir 
m't:  comite  „   conte  frz.  comte 

domitu  prov.  dojude   frz.  [je   dompte\    span. 

duendo  ptg.  dondo. 

§  79.     m'c: 

*ramica  frz.    rauche  pic.  rainke  (d.  i.  rfk) 

*biramica  „      branche 

*hamica  wall,  ainche,  inche  (d.  i.  ß) 

*ramicarius     frz.    rancher 

*fumicare  \o\S\x.  funger  p\c.  funkier 


^  Ähnlich  schon  Diez  S.  133,  nur  ist  seine  Parallele  vtnio'^ii.vengo, 
prov.  venc  nicht  brauchbar, 


115 

Auch  hier  scheint  die  Neumann'sche  Regel  zu  gelten.  *ramica 
(für  cl.  ramicem  Pfahl)  ist  als  Etymon  für  ranche  (dazu  ranchet, 
rancher)  von  Behrens  Zeitschr.  XXVI  664  ersetzt  worden  durch 
germ.  *hrunca  {dzMY>^.  franchon).  rancher,  für  das  Shepard  *rami- 
carius  ansetzt,  ist  wegen  seines  späten  Auftreten  (14.  Jh.)  zweifellos 
als  Ableitung  zu  ranche  zu  fassen. 

Wall,  aifiche  heifst  norm,  aingiie,  das  einer  lautlichen  Recht- 
fertigung noch  bedarf. 

Die  Ableitung  *blramica,  die  Neumann  Zeitschr.  V  386  auf- 
stellte und  an  der  Klausing  S.  42  weder  lautlich  noch  begrifflich 
etwas  einzuwenden  findet,  ist  heute  nicht  mehr  haltbar.  Gerade 
in  der  Parallele  von  bl  und  Zweig,  die  soviel  dafür  ins  Feld  ge- 
führt wurde,  liegt  eine  Unmöglichkeit  in  der  Bildungsweise.  Und 
auch  lautlich  ist  der  Ansatz  bedenklich,  seit  branca  im  Spätlat. 
nachgewiesen  ist  (vgl.  Rönsch  Jahrb.  XIV  336);  auch  it.  brancicare 
spricht  für  stammhaftes  c.  Und  schliefslich  stimmt  die  Bedeutung 
nicht,  was  schon  Nigra  Arch.  Glott.  XV  loi  hervorhob:  die  Grund- 
bedeutung ist  nicht  „Zweig",  sondern  in  dem  aus  branca  ent- 
lehnten hd.  „Pranke"  erhalten.  Auch  M.-L.  Zeitschr.  VIII  242 
(Nachtrag)  erklärte  branca  =  biramica  für  unhaltbar  (ohne  An- 
gabe der  Gründe)  und  wollte  es  als  echtlat.  Wort  hinstellen,  das 
in  der  Sprache  der  Gebildeten  durch  gr.  ßgayicov  verdrängt  wurde. 
Aber  seine  Herleitung  aus  einer  idg.  Basis  *bhrnk  ist  ebenso- 
wenig haltbar.  Walde,  Lat.  etym.  Wb.,  hält  germ.  Herkunft  für 
möglich;  das  stützt  sich  auf  Nigra,  Arch.  Glott.  XV  loi,  nach  dem 
branca,  pranca  durch  Umstellung  aus  germ.  *krampa  (nhd.  Krampe) 
„Haken"  entstanden  ist,  also  aus  demselben  Wort,  aus  dem  it. 
grampa,  frz.  crampe,  crampon  entlehnt  sind.  Für  it.  ravipo  Haken, 
Kralle,  graynpa  [rampd),  granfia  {ranfid)  Kralle  (auch  =  artiglio, 
rampa)  ist  diese  Herleitung  sicher,  namentlich  wegen  der  in  granfia 
sich  widerspiegelnden  Lautverschiebung.  Aber  die  Grundbedeutung 
ist  doch  „Haken",  daraus  „Kralle",  von  der  Bedeutung  „Zweig", 
die  branca  schon  lat.  hat,  keine  Spur.  So  ist  wohl  an  der  ältesten 
vorgebrachten  Etymologie,!  branca  <<  bracchia,  festzuhalten.  Zu- 
nächst stimmt  die  Bedeutung  völlig,  bracchium  heifst  lat.:  i.  Unter- 
arm, Arm,  2.  diese  GHedmafsen  bei  den  Tieren,  3.  Ast,  Zweig. 
Nun  hat  sich  bracchium  (it.  braccio,  frz.  bras)  und  ebenso  der 
pl.  bracchia  (it.  braccia,  afr.  hrace;  lehnwörtlich  in  nfr.  braques)  er- 
halten und  ist  auf  die  Bedeutung  „Arm"  eingeschränkt,  während 
branca  die  beiden  anderen  in  sich  fafst.  Und  diese  Verteilung 
begreift  sich:  die  gelehrte  Form  wurde  als  die  „feinere"  für  die 
Gliedmafsen  des  Menschen  fest  und  die  vulgäre  (vom  Volke  mund- 
gerecht gemachte)  Form  branca  für  Tier  und  Baum.  Nun  die 
lautliche  Seite.     Das  ein  Neutrum  zugrunde  liegt,  zeigt  *brancum 


'  Schon  Salmasius  leitet  branca  von  bracchium  ab,  ita  ut  branca  ursi  sit 
brancchium  ursi  und  er  fügt  hinzu,  dafs  die  Römer  in  „gallischer"  Sprache 
branc  für  bracchium  unterschiedslos  gebrauchen. 

8* 


Ii6 

>>  afr.  hranc  neben  brauche.  Der  n-Einschub  macht  keine  Schwierig- 
keit (vgl.  Diez,  Gr.  P,  S.  355,  354,  292,  Nyrop  P  503,  7I,  Hetzer 
127  usw.)  und  ist  bei  Worten  fremder  Herkunft^  besonders  häufig. 
Die  Zwischenstufe  zwischen  bracchia  und  branca  bietet  *brancia, 
was  sowohl  lat.  belegt  als  mundartlich  erhalten  ist.  Zwar  auf  Du 
Cange's  branchiae  ist  kein  Beweis  zu  stützen,  aber  Horning  Zeitschr. 
XVIII  214  verweist  auf  brantia,  branzia  „tenuis  auri  lamina" 
aus  Isidor  und  auf  die  frz.  Formen  brander,  brangon,  brancieux. 
Er  belegte  auch  zuerst  *brancia  in  ostfrz.  bräs  und  die  Karte  170 
des  Atl.  Hng.  bestätigt  diese  Form. 

c)  Spirans  vor  fe,  fe.^ 

§  80.     s'c: 

*nasicare  pic.  naquer,  (er)nancher  (Sigart) 

*rasica       (i.  zu  rasis  Pech)  afr.  rasche     nfr.  rache^   Bodensatz  des 
(2.    „    rasus)  „        „  „       „         Grind   [Teeres 

*o  s  s  i  c  a  r  e  4  ,^     0  schier 

*pessica    (-<  persica)  „    pesche       „   peche 

1.  Da  *rasicare  >  cat.  span.  rascar,  *pessica  >  it.  pesca 
wird,  ist  die  Synkope  zwischen  s'c  als  gemeinrom.  zu  betrachten. 
Sard.  rasigare,  span.  ptg.  rasgar  beruhen  dann  auf  der  Langform. 
persica  ist  sonst  lehnwörtlich:  \i.  persica,  prov. presega;  ebenso  it. persico 
(gegenüber  pesco),  span.  persico,  ptg.  pecego.  Frz.  pecher  ist  Bildung 
zu  peche.    It.  rosicare,  prov.  rosegar  ist  Langform  oder  jüngere  Bildung. 

Aurasica  gibt  nicht  Orange  (wie  noch  Cledat  134  meint), 
sondern  es  ist  das  ligur.  Suffix  -asca  ersetzt  durch  -enga  germ. 
Herkunft,     prov.  Aurenga,  frz.  Orange. 

2.  Nach  gedecktem  s  würde  Synkope  erst  einzelsprachlich  ein- 
getreten sein,  allein  die  Beispiele  sind  unsicher: 

*absecare         afr.  oschier  nfr.  hocher 

*reversicare     „     reverchier. 


^  Die  hier  gegebenen  Beispiele  können  leicht  vermehrt  werden:  coche 
und  conche,  a  coite  und  a  cointe  d^ esper on,  aeque  sie  ^  ainsi  (afr.  auch  amsi'nc); 
atque,  ac^  anque,  anc  (Havet  Rom.  VIII93,  Gröber  ALL  I241),  aequalis 
^  rtr.  prov,  engal,  airz.  envel,  engal;  aegrotus  ^  afr.  egront  und  engront, 
(re)cuperare>  afr.  cöwir^r  und  conbrer,  engres  Rol.  3251,  ross  :  nfr.  roncin, 
und  ronssin,  häufig  e7is-  für  es-;  ensemple ,  entdbler  (Foerster  Zeitschr.  I  560 
17  Beispiele,  aufserdem  enrachier,  ensuer  usw.).  Sehr  häufig  bei  God.  zu 
finden:  larrencin,  levenche  [liveche),  quinte  [quüte)  usw.  Ebenso  zahlreiche 
Beispiele  im  Altl.  ling. 

*  Eigennamen :  It.  Lepanto,  Monza,  Campidoglio ;  frz.  Donzere,  Ingrande, 
Angouleme,  Basencourt,  an.  A  s  f r  i  Ö  r  ^  ^/z/rj',  Asketil  ^  ^«^m^/z7,  Lehn- 
wörter: an.  sigla]>frz.  cingler,  span.  sis^lar,  celt.  alauda  ]>  span.  a/ö«rfra; 
bes.  gr.  i-;irrfÄro'e  ^  span.  enteco,  AccTta^ov  ^  span.  lamparro,  aßvyöaXa'^ 
gemeinrom.  amendala,  ;(a^ft(J^tos  ^  gemeinrom.  calandra. 

'  Nfr.  räche  führt  Sachs- Villatte  in  beiden  Bedeutungen,  im  Dict.  g^n. 
fehlt  es. 

*  So  Marchot  S.  87. 


117 

Zu  hocher  vgl,  Körting 3  4g,  Elfrath  S.  57.  Der  Dict.  g6n.  sieht 
darin  eine  Ableitung  zu  hoche  (afr.  osche,  prov.  osca).  Jedenfalls  liegt 
gemeinrom.  *osca,  *oscare  vor,  für  das  weder  '^ahsecare  noch  gar 
"^osiificare,  ^oslicare  (nach  Mafs,  s.  Körting)  brauchbar  sind. 

Zwar  ist  der  Einwand,  den  Elfrath  S.  790  gegen  *reversicare 
erhebt,  dafs  r  vor  s  hätte  schwinden  müssen,  nicht  stichhaltig,  weil 
rs  >  SS  nur  fakultativ  ist,  r  schwindet  nicht  in  versus.i  Aber  so- 
lange nicht  altes  reverschier  nachgewiesen  ist,  bleibt  man  besser 
beim  Ansatz  *reverticare. 

§  81.  v'c  Zunächst  bleibt  zu  beachten,  dafs  avi  zum  Teil 
schon  vi.  au  geworden  war,  *avica  >»  auca,  *cavicare  >>  *caucare 
>  choyer,  s.  §  25.     So  bleiben 

Avallovicus      Havelu,  Aveluy       *nivicare  afr.  negier 

Lemovicas        Limoges  *ad-suavicare        „    assoagier 

Davon  kommen  die  beiden  Ortsnamen  für  uns  nicht  in  Be- 
tracht. In  Avallovicus  entwickelt  sich  -ovi-  ähnlich  wie  -avi- 
in  den  oben  genannten  Fällen,  so  dafs  zur  Zeit  der  Synkope  v'c 
nicht  vorlag.  Limovicas  (für  Lemovices,  s.  §  127)  >  Limoges  stellt 
prov.  Entwicklung  dar. 

Die  Ansätze  *nivicare,  *suavicare  sind  nicht  beweisend, 
man  hat  mit  demselben  Rechte  *niviare,  *suaviare  angesetzt. 
Während  Körting  für  letzteres  nur  von  -icare  ausgeht,  gibt  er  bei 
ersterem  beide  Bildungsmöglichkeiten.  Der  Dict.  g6n.  stützt  -icare 
durch  it.  nevicare;  aber  es  besteht  kein  geographischer  Zusammenhang 
zwischen  neiger  und  it.  nevicare  (rtr.  prov.  nevar),  ferner  fehlen  die 
zu  erwartenden  c^-Formen,  die  durch  *nivicat  >  *neche  erfordert 
würden.  Das  Hauptwort  neige,  das  sicher  Verb.-Subst.  zu  neiger 
ist  (es  tritt  erst  im  14.  Jh.  auf,  bis  dorthin  heifst  es  nur  noif  <C^  nivera, 
vgl.  prov.  neti),  kommt  nicht  in  Betracht.  'J g  liegt  vor  in  navi- 
gare  >  nager,  s.  §  26. 

So  kann  in  Ermanglung  sicherer  Beispiele  nicht  festgestellt 
werden,  was  v'c  ergibt.  Wahrscheinlich  ist,  dafs  es  nicht  wie  v't 
allgemein  vor  der  Lautabstufung  synkopiert  wurde,  sondern  wie 
n'c,  m'c  den  Neumannschen  Regeln  folgt. 

Zusammenfassung. 

§  82.  I.  Es  ist  gleichgültig  für  die  Zeit  des  Eintritts  der 
Synkope,  ob  die  Liquida,  der  Nasal,  die  Spirans  einfach  oder 
doppelt  ist:  bellitate,  *tinnitire,  lassitate;  coUocare,  carri- 
care,  *pessica>>  afr.  belle,  lenlir,  lasle;  colchier,  charchier,  pesche. 
Wenn  den  genannten  Lauten  ein  Konsonant  vorangeht,  so  hat 
dies   vor  t  keine  Verzögerung  zur  Folge:  nutritura,    *mans(u)e- 


*  Prov.  ves,  vas  neben  vers  ist  sekundäre  Entwicklung,  vgl.  *excarpsu^ 
prov.  escars,  escas. 


ii8 

tinu,  Namnetes,  salvitate  >  afr.  noriiire,  mastin,  Nantes,  saute. 
Wohl  aber  führt  br  vor  c  unter  allen  Umständen  Synkope  nach 
der  Lautabstufung  herbei:  fabrica  ^  forge. 

2.  Bezüglich  der  Zeit  der  Synkope  sind  drei  Stufen  zu  unter- 
scheiden : 

a)  Gemeinromanisch  ist  die  Synkope  bei  n't,  s't,  s'c: 

poenitere  it.  repentirsi  frz.  prov.  span.  repentir 

cons(u)etudine  „  cos  turne     frz.  coutüme  prov.  costuma  ptg.  costume 

*rasicare  cat.  rascar  span.  rascar 

*pessica  „  pesca         frz. pesche 

Daneben  stehen,  wie  bei  allen  gemeinromanischen  Synkopen,  Lang- 
formen: ptg.  arrependerse ,  prov.  cosdu7iia,  sard.  rasigar,  span.  ptg. 
rasgar. 

b)  Vor  der  Lautabstufung  in  allen  Stellungen  synkopieren  l't, 
r't,  v't,  ferner  m't,  l'c;  doch  mit  einem  Unterschiede  in  der  Ver- 
breitung: bei  den  drei  erstgenannten  Gruppen  erfolgt  Synkope  vor 
der  Lautabstufung  in  ganz  Gallien,  bei  den  zwei  letzten  im  gröfsten 
Teil  des  Prov.  erst  nach  der  Erweichung;  in  allen  Fällen  nach  ihr 
auf  der  iberischen  Halbinsel. 

prov.  beitat  :  span.  heldad 
„  vertat :  „  verdad 
„      ciutat  :       „      ciudad 

„      domtar,  dondar 

„      domde     span.  duendo   ptg.  dondo 

„      colcar,  colgar  span.  colgar 

Daneben  gibt  es  jüngere  Bildungen,  die  im  Frz.  nach  der  Laut- 
abstufung, sonst  überhaupt  nicht  synkopiert  werden:  it.  bulicare, 
prov.  holegar,  frz.  bouger. 

c)  Die  Synkope  richtet  sich  nach  den  Neumannschen  Regeln, 
d.  h.  in  Proparoxytonis  tritt  vor  a  der  Ultima  Synkope  vor  der 
Lautabstufung  ein,  sonst  nach  ihr:  m'c,  n'c,  v'c. 

manica  frz.  manche  manicu      frz.-prov.  mange 

*fumicare         \othr. /unger  *nivicare  frz.  neiger 

Die  Stellung  von  r'c  ist  unklar,  es  bleibt  unentschieden,  ob  es 
zu  b  (^)  oder  zu  c  gehört.  —  Ln  allgemeinen  zeigt  sich,  dafs  die 
Natur  des  t  der  Synkope  geneigter  ist  als  die  des  c. 


«) 

bellitate 

afr. 

,  belte 

veritate 

)) 

verte 

civitate 

1) 

cite 

|3) 

domitare 
domitus 

n 

donter 

collocare 

» 

colchier 

IV.   Einflufs  des  a  der  Ultima. 


§  83.  Heifs  umstritten  ist  die  Frage,  ob  das  a  der  letzten 
Silbe  eine  beschleunigende  Wirkung  auf  den  Ausfall  der  unbetonten 
vorletzten  ausübt. 

Dafs  der  Pänultima -Vokal  teils  vor,  teils  nach  der  Laut- 
abstufung ausfiel,  ist  z.  T.  schon  lange  bekannt.  Eine  Erklärung 
versuchte  zunächst  M.-L.  Zeitschr.  VIII  233,  indem  er  bei  ca,  co 
verschiedene  Fälle  unterschied  und  fand,  „dafs  -ica  sein  i  früher 
verlor  als  —  icum,  was  wohl  mit  dem  auf  a  ruhenden  Nebenton 
zusammenhängt."  Er  wies  zwar  einerseits  darauf  hin,  dafs  im  Afr. 
neben  nache  auch  nage  (Berthe  au  gr.  p.)  vorkomme,  erklärte  aber, 
dafs  man  daraus  nicht  auf  ein  Schwanken  zwischen  stimmlosen  und 
stimmhaften  Konsonanten  schliefsen  dürfe,  sondern  es  handle  sich 
entweder  um  wall.  Abweichung  oder  um  Angleichung  an  die  Sub- 
stantive auf  -age.  Andrerseits  aber  ging  er  doch  nicht  streng  folge- 
richtig vor,  das  widersprechende  pedica  '^  pilge  erklärt  er  durch 
gegenseitige  Assimilation.  Und  bei  den  Dentalen  half  er  sich  eben- 
falls vielfach  durch  „gegenseitige  Assimilation",  ohne  Versuch,  warum 
diese  bald  regressiv,  bald  progressiv  ist;  ja  in  rade,  lüde,  sade  (S.  235) 
fiel  ihm  die  Synkope  nach  Eintritt  des  Auslautgesetzes,  ^  der  an- 
lautende Konsonant  assimilierte  sich  dem  d,  dd  wurde  durch  „Laut- 
abstufung"  zu  d.2 

Konsequenter  ging  Neumann  Zeitschr.  XIV  560  zu  Werke.  Der 
Gegensatz  von  cubitum  >>  couJe  und  debita  >  deite  ergab  ihm 
als  Schlufs:  „Das  Nachton-i  der  Pänultima  fiel  in  — it-,  — ic-  bei 
u  der  Ultima  erst  nach  der  konsonantischen  Abstufung  von  Tenuis 
zu  Media,  dagegen  bei  a  der  Ultima  schon  vor  Eintritt  jenes 
Wandels,  so  dafs  hier  Tenuis  beharrt."  Auch  die  lautphysiologische 
Erklärung  hat  er  schon  gegeben:  „Dafs  a  oder  u  in  Bezug  auf  den 
Zeitpunkt  des  Ausfalles  des  Pänultimavokales  einen  Einflufs  aus- 
üben und  einen  chronologischen  Unterschied  bewirken  kann,  begreift 


^  So  auch  noch  in  der  Rom.  Gramm.  I  §  336,  wo  er  sagt,  das  Frz.  habe 
gleich  dem  Rätischen  die  Synkope  „nach  dem  Wirken  des  vok.  Auslaut 
gesetzes"  eintreten  lassen. 

*  Schuchardt  R.  E.  I  29  hat  diese  Ansicht  als  „unverständlich"  be- 
zeichnet. 


I20 

sich.  In  debita  hatten  die  beiden  letzten  Silben  —  ita  Vokale  von 
sehr  ungleicher  Schallfülle,  i  mit  sehr  geringer,  a  mit  relativ  gröfster; 
dieses  Übergewicht  von  Schallfülle  der  Ultima  über  die  Pänultima, 
infolgedessen  das  Mafs  von  Nebenton,  das  der  Pänultima  und 
Ultima  eigen,  auf  der  letzteren  stark  konzentriert  ist,  bewirkt  einen 
Ausfall  des  Pänultimavokales.  In  cubitum  dagegen  hatten  die 
beiden  letzten  Silben  — itum  Vokale  mit  ziemlich  gleicher  Schall- 
fülle, die  sich  sozusagen  die  Wage  hielten,  dergestalt,  dafs  der 
eine  nicht  gerade  imstande  war,  den  Ausfall  des  anderen  zu  be- 
schleunigen." 

Dieser  Ansicht  über  die  Wirkung  des  a  der  Ultima  trat  kurz 
darauf  Horning  Zeitschr.  XV  498  entgegen.  Er  meinte,  dafs  *sudica 
>>  sute,  einige  Worte  auf -nica  :  diemeine,  granica  >  \o\.\iX.  gren(e), 
manica  >>  wall.  7}ipi(e),^  ferner  pertica  >  \ot\ix. piet  (nh&x perte),  wall. 
pis,  pirs  (über  perce)  M.-L.'s  Ansicht,  dafs  nachtoniges  a  die  Synkope 
beschleunigt  habe,  als  unrichtig  erweise.2  —  Die  hier  genannten 
Fälle  kommen  meiner  Meinung  nach  für  unser  Lautgesetz  nicht  in 
Betracht,  dennoch  hatten  Hornings  Ausführungen  die  Wirkung, 
dafs  vielfach  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Neumannschen  Regel 
wachgerufen  wurden.  Auch  Elfrath  leugnet  einen  Einflufs  des  a 
der  Ultima  und  möchte  die  Beispiele  Neumanns  durch  Analogie 
erklärt  wissen.  Behrens  Zeitschr.  XXV  760  möchte  entgegen  Matzke 
(Publ.  Mod.  Langu.  Ass.  XIII  Nr.  i),  der  die  Regel  gelten  läfst,  sie 
in  anbetracht  der  zahlreichen  Fälle,  die  sich  ihr  nicht  fügen,  nicht 
für  so  sicher  halten. 

§  84.  Von  einem  ganz  anderen  Standpunkt  war  Karsten  an 
die  Frage  gegangen,  indem  er  an  die  „Sprechtakte"  anknüpft.  Er 
erklärt  S.  26  die  fem.  nele,  ate  gegenüber  rade,  sade,  malade  als  Satz- 
doppelformen, wonach  im  gallischen  Vulgärlatein  apt,  sapt  neben 
habede,  sabede  gestanden  hätten  (Allegro-  und  Lentoforraen). 
Je  nach  dem  Nachdruck  ergibt  sich  ihm  (S.  32)  im  VI.  aus  -aticum 
nebeneinander  -atek,  -atke,  -atk.  -atek  würde  einen  Sprechtypus 
-aticum  voraussetzen,  eine  Betonungsweise,  die  schon  Shepard  S.  12 
als  dem  Lat.  und  Rom.  unbekannt  gefunden  hat.  Karsten  hat  hier 
seine  —  im  Grunde  ganz  richtige  —  Theorie  von  den  Sprech- 
takten zu  weit  getrieben.  Vom  lautphysiologischen  Standpunkt 
wäre  die  Hypothese  ja  annehmbar  und  in  mancher  Hinsicht  weit 
einfacher,  weil  von  vornherein  überall  eine  Doppelheit  gegeben  ist. 
Aber  es  ist  grundsätzlich  unrichtig,  eine  derartige  Vielheit 
der  Entwicklung  anzunehmen,  solange  man  nur  Belege  für  eine 
einzige  hat:  aticu  >  age,  rapidu  >  rade,  sapidu  >  sade,  nitidu 
>  net.  Die  gewaltsame  Durchführung  der  „Sprechtakte"  hat  Karstens 
Arbeit  viel  Abbruch  getan. 


»  Vgl.  S.  83  Anm.  i. 

^  Der  Gegensatz  von  stiie,  foie  zu  siege,  piege  drängte  ihm  Zweifel  auf, 
ob  das  Frz.  „überhaupt  ein  in  lautlicher  Beziehung  einheitlicher  entwickelter 
Dialekt  ist." 


121 

§  85.  Ein  Bild  vom  Widerspruch  der  Meinungen  geben  uns 
die  Grammatiken.  M.-L.  hat  im  i.  Bande  seiner  Rom.  Gramm. 
§  538  die  Annahme,  dafs  bei  auslautend  a  die  Synkope  eher  ein- 
trete als  bei  auslautend  u,  gelten  lassen  zur  Erklärung  des  Gegen- 
satzes von  coiide  und  coute,  malade  und  ostfrz.  molftu,  tiache  und  -age. 
Daneben  aber  stellte  er  andere  Gesetze  auf:  i.  Wenn  der  Schlufs- 
konsonant  tönend,  der  Anlaut  tonlos  ist  oder  umgekehrt,  dann 
siegt  die  Stufe  des  Anlautes:  muccidus  >  7noüe,  aber  pedicu 
>  piege.  2.  Wenn  im  Anlaut  eine  Gruppe  steht,  deren  zweiter  Laut 
mehr  Widerstand  leistet,  so  findet  reziproke  Angleichung  statt: 
hondir,  gourde,  courge,  ourde.  Einen  besonderen  Fall  findet  er  in 
frz.  -aticum:  als  Synkope  hier  eintrat,  war  c  >  j  geschwächt,  daher 
atije  >  adije  >-  adje  ]>  age\  ebenso  süge  aus  sedicum.  ■ —  Diese 
Aufstellungen  entsprechen  nicht  ganz  den  Tatsachen.  Dafs  piege 
unter  i.,  siege  aber  zum  Sonderfall  -age  gehören  soll,  ist  ein 
Widerspruch;  der  zweiten  Regel  widersprechen  venche,  penche,  vente, 
rente  usw. 

Schw,-B.  hat  die  a- Regel  nicht  aufgenommen.  Wohl  erklärt 
er  das  Auftreten  des  stimmlosen,  bezw.  stimmhaften  Konsonanten 
durch  die  Zeit  des  Eintritts  der  Synkope,  aber  eine  Erklärung 
für  diesen  Zeitunterschied  bietet  er  nicht  (§122,  2  Anm.;  §143 
Anm.).i 

Ebensowenig  bietet  Nyrop  eine  Formulierung  der  Regel:  er 
findet  die  Entwicklung  eines  ch  in  den  „meisten"  Paroxytonen  auf 
-ica,  deren  Vokal  folglich  vor  der  Änderung  des  intervokalen  f^-jv 
ausgefallen  sein  mufs  (§  401,  2  Anm.).  Die  Entwicklungen  coude, 
malade  sind  ihm   „cas  isoles"   (§  382,  2). 

Die  Zahl  der  Ausnahmen,  die  man  gegen  die  Neumannsche 
Regel  fand,  war  entschieden  zu  grofs,  um  ihr  allgemeine  Anerkennung 
zu  verschaffen.  Vising  hat  zuerst  auf  den  Fall  comite  ^  conte  auf- 
merksam gemacht,  den  weder  M.-L.  noch  Neumann  besprochen 
hatte  und  der  dessen  Regel  widerspricht.  In  den  letzten  10  Jahren 
hat  sich  der  Widerspruch  immer  mehr  gesteigert. 

Marchot  S.  84  (1902)  behauptet,  dafs  allgemein  die  Synkope 
vor  der  Lautabstufung  eintrat;  wo  stimmhaftes  Ergebnis  vorliegt, 
seien  Sondererklärungen  zu  geben.  Den  Beweis  dafür  findet  er 
einzig  und  allein  in  der  gröfseren  Zahl  der  Beispiele  für  stimmloses 
Ergebnis.  Auf  eine  Widerlegung  der  Ansicht  Neumanns  läfst  er 
sich  nicht  ein. 

§  86.  I.  Cledat  S.  122  ff.  (1903)  dagegen  erhebt  folgende 
Bedenken : 


'  Nur  in  der  Anm.  zu  §  76  stellt  er  als  schwer  entscheidbar  hin,  ob  in 
merle,  tremhle,  sente  das  Nach  ton  a  infolge  seiner  grofsen  Schallfulle  oder 
die  umgebenden  Konsonanten  die  Synkope  beschleunigt  haben.  —  Ebenso 
hält  Nyrop  I  §  259  hinsichtlich  der  Diphthongierung  (ie,  ue)  für  möglich  que 
la  p^nulli^me  lombe  le  plus  tot  lorsque  la  finale  est  un  a,  .  .  .  et  que  .  .  .  la 
chute  s'est  faite  avant  la  diphthongaison  ...  et  avant  la  sonorisation. 


122 

1.  Während  man  im  Afr.  wirklich  tu  pleures,  vous  plourez;  tu 
preuves,  vous  prouvez  konjugiert  hat,  zeigt  kein  Text  die  Biegung 
tu  plaites,  vous  plaidiez;  tu  juches,  vous  jugiez. 

2.  Es  ist  schwer  glaublich  und  nicht  einzusehen,  dafs  a  der 
Schlufssilbe  einen  Einflufs  auf  den  Fall  der  unbetonten  Pänultima 
ausüben  könne. 

3.  Die  Annahme  entspricht  nur  einer  kleinen  Zahl  von  Fällen, 
die  man  auch  anders  erklären  könne  und  steht  im  Widerspruch 
mit  vielen  anderen. 

Darauf  ist  zu  erwidern:  dafs  sich  eine  Konjugation  tu  juches, 
vous  jugiez  mehrere  Jahrhunderte  hindurch  erhalte,  ist  gar  nicht  zu 
erwarten,  hier  mufs  vielmehr  frühzeitig  Ausgleich  eintreten.  Wenn 
tu  preuves,  vous  prouvez  erhalten  bleibt,  so  ist  das  darin  begründet, 
dafs  ja  die  Voraussetzungen  dazu  —  betonter,  bezw.  unbetonter 
Stamm  —  auch  in  literarischer  Zeit  noch  vorhanden  waren.  Aber 
der  Unterschied  je  juge,  tu  juches  hatte  seine  lautliche  Voraussetzung 
—  o,  bezw,  a  der  Ultima  —  längst  eingebüfst;  mit  der  Zeit,  wo 
das  Stütz -f  und  das  abgeschwächte  a  gleichen  Lautwert  hatten, 
mufste  der  Ausgleich  wirksam  werden  und  die  ursprüngliche  Biegung 
bei  Beginn  der  Überlieferung  völlig  zerstört  sein. 

Punkt  2  bedarf  keiner  Widerlegung,  Neumann  hat  die  physio- 
logische Begründung  der  Wirkung  des  a  bereits  gegeben.  Und  aus 
dem  dritten  Einwand  folgt  nur,  dafs  die  Fassung  der  Neumannschen 
Regel  zu  weit  ist,  dafs  es  einer  Einschränkung  bedarf,  aber  nicht, 
dafs  sein  Prinzip  unrichtig  ist. ' 

2.  Ebenfalls  gegen  den  Einflufs  des  End-a  wendet  sich  Bauer 
S.  26.  Es  erscheint  ihm  „etwas  gekünstelt,  bei  ein  und  demselben 
Wort  bald  Analogie  zur  i.  Ps.,  bald  Analogie  zur  3.  Ps.  anzunehmen." 
Aufserdem  gebe  es  im  Afr.  Wörter,  welche  bald  mit  s,  bald  mit  z 
auftreten,  ohne  dafs  Gelegenheit  zu  einem  Ausgleich  vorhanden 
war.  Was  Wörter  mit  einer  ähnlichen  Doppelentwicklung  wie  vcnger 
und  revancher  betrifft,  so  sei  die  regelmäfsige  Entwicklung  Erweichung 
vor  dem  Ausfall  der  unbetonten  Pänultima.  „Wenn  daneben  auch 
das  stimmlose  s  erscheint,  so  könnte  der  Grund  dafür  nur  entweder 
in   einer  vulgären   oder  mundartlichen  Aussprache   zu   suchen   sein. 


^  Was  C16dat  an  dessen  Stelle  setzt,  ist  wenig  brauchbar.  S.  129  gibt 
er  die  Y.x^\.v^\z\Ci'ü.n^  \M.di'\z?i.\.'^  judegat,  judeiat,  judyat,  jiid-dje,  und  meint, 
wenn  man  auch  ixix  jiige  von  judegat  ausgehen  könne,  so  spreche  dagegen 
der  Parallelismus  zwischen  den  Formen  auf  -ico  und  denen  auf  -ica  und 
die  Gegenwart  des  Zischlautes  im  Pic.  (?),  die  allein  die  Annahme  judegat  — 
judeiat—juge  möglich  mache.  S.  209ff.  nimmt  er  für  p'd,  b't  Ausfall  bald 
vor,  bald  nach  der  Lauterweichung  an,  unter  Vernachlässigung  der  Grund- 
forderung jeden  „Lautgesetzes",  dafs  nicht  zwei  entgegengesetzte  Entwicklungen 
zu  gleicher  Zeit  unter  gleichen  Bedingungen  möglich  sind.  Teils  greift  er  zu 
Einzelerklärungen  (meist  weithergeholte  Angleichungen  oder  Dissimilationen 
—  wie  schon  bei  Marchot  —  z.  B.  dete,  doiiter  für  dede ,  doiider),  teils  stellt 
er  hier  stimmhaftes,  dort  stimmlosse  Ergebnis  fest,  ohne  überhaupt  zu  fragen, 
warum  diese  Verschiedenheit  in  der  Entwicklung. 


123 

Diese  vulgäre  oder  mundartliche  Aussprache  hat  sich  in  einigen 
Wörtern  durch  mehr  oder  minder  gebildete  Schreiber  im  Laufe  der 
Zeit  in  die  Schrift  übertragen  und  wurde,  weil  von  der  über- 
wältigenden Menge ^  des  Volkes  gesprochen,  schliefslich  auch 
von  der  Minderzahl  der  Gebildeten  angenommen."  —  Was  das 
Suffix  -it-  betrifft,  ist  er  S.  38  der  Ansicht,  dafs  es  das  einzige  ist, 
dafs  vor  der  Erweichung  den  Ausfall  hat  eintreten  lassen.  Für  die 
auftretenden  (/-Formen  gibt  er  Einzelerklärungen  (insbesondere  S.  40 
und  42). 

3.  M.-L.  Frz.  Gr.  §  122  äufsert  sich:  „Scheinen  hoiie  <  bibita 
jatte  <  gabata  und  sote  <  subita  die  Vermutung,  dafs  bei  u  die 
Synkope  später  eingetreten  sei  als  bei  -a,  also  cubitu  über  cuvedu 
zu  cgde,  aber  cubita  über  cuvta  zu  cgte  zu  bestätigen,  so  wider- 
spricht dem  nicht  nur  linte  usw.,  da  doch  sonst  -e  mit  -u,  nicht 
mit  a  auf  einer  Stufe  steht,  sondern  auch  der  Umstand,  dafs  cote 
weder  Plural  noch  Femininum  ist.  —  Dafs  Imte  usw.  nicht  wider- 
spricht, haben  wir  §  74  gesehen.  Und  cote  ist  afr.  jedenfalls  auch 
weiblich  gebraucht. 

4.  Als  letzter  Einwand  gegen  die  Beschleunigung  der  Synkope 
durch  a  ist  noch  die  Angabe  Lindströms  zu  erwähnen,  dafs  in  den 
geographischen  Eigennamen  -ica  in  der  Regel  -ge  ergebe.  Vising 
zitiert  die  folgenden  drei  Beispiele: 

Villa  dominica       Ville  domange         Cavanicas       Chavanges 
Bisilica  Basoge,  Basoche 

Da  fällt  auf  den  ersten  Blick  auf,  dafs  die  ersten  zwei  keine 
alten  Namen  sind,  sondern  erst  nach  der  Bekehrung  Frankreichs 
gegeben  sein  können.  Sie  zeigen  lehnwörtliche  Entwicklung  wie 
viele  andere,  z.  B. 

Sanctus  Leodegarius  St.  Ligiiaire  Deo  Medico  Dieu-U-Mire 
Sanctus  Patroclus         St.  Parres  >>  nfr.  Dieu  Liimüre 

Auch  Chavanges  scheint  mir  kein  einwandfreies  Beispiel,  es 
dürfte  nur  eine  Doublette  zu  den  zahlreichen  Chavagne(s)  sein  und 
auf  -nia  beruhen. 

Vor  allem  aber  bleibt  zu  beachten,  dafs  Ortsnamen  mit  Vor- 
sicht für  Lautregeln  zu  verwenden  sind:  sie  sind  frühzeitig  nieder- 
geschrieben worden  und  stehen  unter  Einflufs  der  latinisierten  Form. 
Die  schriftliche  Fixierung  in  Urkunden  äufsert  ihren  Einflufs  in 
Hemmung  der  Entwicklung.     Man  vergleiche 

Cupedonia      >  Couvonges  Ermedone     Ermont. 

Cervedunum  >»  Cervon  usw. 


*  Dann  müfste  aber  doch  eigentlich  /  die  „re-<elmäfsige"  Entwicklung 
sein,  das  von  der  „Minderzahl"  gesprochene  £  aber  „gelehrten"  Ursprung 
haben. 


124 

Lindström  Hefs  diese  Formen  unerklärt.  Vising  glaubte  darin  eine 
vortonische  Parallele  zu  teve,  tvape,  senne  usw.  zu  finden.  Es  handelt 
sich  wohl  um  lehnwörtliche  Entwicklung. 

§  87.  Fassen  wir  das  alles  zusammen,  so  sieht  man:  zwingende 
Gründe  gegen  die  Neumannsche  Regel  von  Einflufs  des  End-a 
sind  nicht  vorgebracht  worden.  Die  Hypothesen,  die  man  an  seine 
Stelle  zu  setzen  gesucht  hat,  haben  zum  mindesten  ebensoviel  „Aus- 
nahmen", wie  bei  Neumann  übrig  bleiben  und  in  den  Einzel- 
erklärungen ist  man  nicht  gerade  glücklich  gewesen. 

Einen  entscheidenden  Anhalt  gibt  uns  der  Atlas  linguistique. 
Afi*.  haben  wir  bekanntlich  malade  und  daneben  seltener  molate. 
Cornu,  der  Rom.  III  377  die  Diezsche  Herleitung  male  aptus 
durch  male  habitus  ersetzte,  hielt  afr.  ate  =  habitu  für  eine 
dialektische  Form.  Karte  803  inalade  zeigt  im  Wall,  vereinzelt  malat, 
das  ist  aber  bekanntlich  jüngere  Verhärtung  im  Auslaut  [harhe  :  wall. 
häp,  Claude  :  klöt,  cor  de  :  wall,  kht  usw.);  daneben  stehen  Formen  wie 
malad''  (so  auch  in  der  Bretagne),  die  das  Stadium  des  Überganges 
deutlich  zeigen.  Sonst  zeigt  das  ganze  französische  Gebiet  durch- 
aus malade  (aufser  lothr.  malaive).  Auch  das  frc.-prov.  Gebiet  hat 
stets  stimmhaften  Dental,  nur  Doubs  41  malctu.  Im  Prov.  dagegen 
erscheint  im  Norden  im  allgemeinen  d,  im  Süden  t;  aber  in  den 
nordprov.  Departements  finden  wir  durcheinander  bald  d,  bald  /, 
fast  von  Ort  zu  Ort  verschieden.  Und  endlich  finden  sich  hier 
auch  beide  Formen  getrennt  nach  den  Geschlechtern: 

Dep.  Correze  710  7nalaude,  f.  ynalauie 
„      Cantal  717      molaude,  f.  molatito. 

Damit  scheint  mir  der  Beweis  für  die  Richtigkeit  des  Prinzipes 
erbracht.  Dafs  die  Karte  eine  derartige  Doppelheit  der  Formen 
nur  noch  zweimal  bewahrt,  kann  nicht  wundernehmen;  und  dafs 
sich  beide  Formen  auf  prov.  Gebiete  erhalten  haben,  wird  uns  nicht 
beirren,  wenn  wir  den  zerstörenden  Einflufs  der  frz.  Schriftsprache 
auf  mundartliche  Sonderheiten  in  richtigen  Anschlag  bringen. 

§  88.  Erscheint  somit  die  Tatsache  festgestellt,  dafs  a  der 
Endsilbe  die  Synkope  beschleunigt,  so  bleibt  zu  untersuchen,  in 
welchem  Umfange  die  Wirkung  eintritt,   i.  Die  Fassung  der  Regel: 

„In  Proparoxytonis  tritt  bei  a  der  Endsilbe  die  Synkope  vor 
der  Lautabstufung,  sonst  nach  ihr  ein",  ist  falsch,  weil  zu  weit.  Sie 
bedarf  einer  Einschränkung,  denn  die  Synkope  hängt  auch  von  der 
Natur  der  umgebenden  Mitlaute  ab,  sowohl  von  denen,  welche 
vorangehen,  wie  von  jenen,  welche  folgen.  Ich  untersuche  hier  nur 
die  Giltigkeit  des  Gesetzes  für  jene  Gruppen,  die  für  die  Laut- 
abstufung in  Betracht  kommen.! 


•  Die  Frage,  ob  a  die  Synkope  beschleunigt,  hat  auch  Bedeutung  für 
die  Diphthongierung,  vgl.  S.  121  Anm.  Ich  gehe  auf  diese  Gruppen  hier 
nicht  ein. 


125 

Was  den  Auslaut  der  Pänultima  betrifft,  so  hat  M.-L.  ursprüng- 
lich die  Regel  nur  für  -ica,  -icum  gelten  lassen,  Neumann  hat 
es  auf  —  it-,  —  ic-  erweitert.  Bezüglich  des  Anlautes  der  Pänultima 
machten  sie  keinerlei  Einschränkungen. 

2.  Zunächst  müssen  wir  folgende  Gruppen  ausnehmen: 

Das  Gesetz,  dafs  die  Synkope  bei  End-«  vor  der  Lautabstufung, 
bei  anderen  Auslautvokalen  nach  ihr  ausfällt,  gilt  nicht: 

a)  In  jenen  Fällen,  wo  die  Synkope  bereits  vlt.  oder  gemein- 
romanisch eintrat;  denn  für  das  Frz.  liegen  hier  nur  mehr  Paroxytona 
vor.  Dazu  gehören  aufser  den  im  i.  und  2.  Teil  genannten  Fällen 
auch  n't,  s'c. 

b)  Bei  Liquida,  Nasal  oder  Spirans  vor  t  (soweit  nicht  schon 
gemeinrom.)  und  Vc;^  denn  hier  tritt  immer  Synkope  vor  der  Laut- 
abstufung ein. 

c)  Wenn  im  Auslaut  eine  Media  steht.  Das  gelegentlich  ge- 
forderte *saie  «<  sapida  hat  nie  bestanden. 

d)  Wenn  im  Auslaut  k^  oder  ti  steht.  Hier  fällt  im  allgemeinen 
die  Pänultima  vor  der  Erweichung  von  k^  oder  ti. 

3.  Sonst  gilt  die  Regel,  wenn  im  Auslaut  eine  einfache ^  Tenuis 
(k,  p,  t),  im  Anlaut 

a)  einfache  Medial  {debita        >>  afr.  defe,  nfr.  de//e), 

b)  einfache  Tenuis*  (*atrapica  >     „    arrache,     „    arroche), 

c)  gedeckte  Media  (derbita      >•     „    derte,  „    dartre), 

d)  gedeckte  Tenuis  (pertica      >>     „  per  che,       „  per  che) 

steht.     Es  gilt  ferner,  wenn 

e)  eine  in  vi.  Zeit  nicht  synkopierte  Langform  einfache  Tenuis 
im  Auslaut  hat, 

f)  m,  n,  v,  vor  c  stehen.^ 

§  8g.  Ziehen  wir  nun  den  Zwischentonvokal  in  Betracht. 
Während  bei  den  genannten  Gruppen  in  Proparoxytonis  bei  End-a 
die  Pänultima  vor  der  Lautabstufung  fällt,  so  bleibt  der  Nachneben- 
tonvokal  bei  denselben  Gruppen  bis  nach  der  Lauterweichung  er- 
halten. Neumann  hatte  die  Regel  etwas  zu  weit  gefafst,  die  §  88, 
a,  b,  d  genannten  Fälle  sind  auch  hiervon  auszunehmen.  6 


*  Vgl.  auch  r'c. 

*  Nicht  k",  da  dieses  zur  Zeit  der  frz.  Synkope  nicht  mehr  einfache 
Muta  ist. 

3  Aufser  d't,  g'c,  g't,  s.  Teil  I  und  II. 

*  Aufser  c'c,  p'p,  t't,  p't,  c't  s.  Teil  I  und  II. 
5  S.  Teil  III. 

^  Vereinzelt  sind  andere  Erklärungsversuche  gemacht  worden.  Es  ist 
eine  in  mehreren  Sprachen  bekannte  Erscheinung,  dafs  vor  der  Tonsilbe  der 
stimmhafte  Konsonant,  nach  der  Tonsilbe  der  stimmlose  Konsonanten  steht, 
z.B.  ne.  exicittor,   a:  =  ks,   aber  ex^ciäor,   a:  =  gz.     In  ähnlicher  Weise  war 


126 

§  go.  Treten  im  Frz.  durch  Synkope  zwei  Verschlufslaute  zu- 
sammen, so  tritt  totale  Assimilation  ein.  Bei  der  Erklärung  der 
Tonstufe  des  Assimilationsergebnisses  hat  man  sich  vielfach  (insb. 
Cledat)  damit  geholfen,  dafs  die  Assimilation  bezüglich  der  Stimm- 
haftigkeit  oder  Stimmlosigkeit  bald  progressiv,  bald  regressiv  sei. 

Demgegenüber  seien  als  Ergebnis  der  folgenden  Untersuchung 
die  sehr  einfachen  und  ausnahmslosen  Gesetze  der  Assimilation 
zweier  Verschlufslaute  vorweggenommen: 

1.  In  Bezug  auf  die  Artikulationsstelle  ist  die  Assimilation  stets 
regressiv:  debita  >>  dette,  vindicare  ^  venger. 

2.  Ist  von  den  beiden  Verschlufslauten  zur  Zeit  der  Synkope 
einer,  ganz  gleichgiltig  welcher,  stimmlos,  ist  auch  das  Ergebnis 
der  Assimilation  stimmlos:  debita  >>  *deVta  >  delte,  hospitale 
>  ^hospedale  >  ^hospdal  >  afr.  hostel. 


Tersclilufslaut  vor  c,  p,  t. 

I.  Einfache  Media  im  Anlaut. 
§  91.     b'c  ist  nicht  sicher  gestellt.     Körting  erwähnt 

*reprobicare     reprocher  *trabicare     irouer. 

Der  erste  Ansatz  rührt  von  Caix  her;  Shepard  78  führt  das 
Simplex  *probicare  >>  prochier.  Diez  geht  bekanntlich  aus  von 
*repropiare  (wie  *appropiare  zu  prope).  Da  nur  stimmlose 
Formen  vorhanden  sind,  ist  dies  vorzuziehen. 

Mit  *trabicare  (zu  trabs)  ersetzte  Scheler  Diezens  *trabucare 
(germ.  *bük  >  prov.  buc  Rumpf,  Bauch,  it.  huco  Loch).     In  beiden 


Gröber  ALL  IV  439  der  Meinung,  dafs  in  plaidier  -ü-  vor  der  Tonsilbe  zu 
-id-  umgebildet  worden  sei.  Aber  für  das  Frz.  ist  eine  solche  Annahme 
nicht  haltbar. 

Auch  die  Annahme,  dafs  vengier,  venchier  sich  als  Lento-  und  AUegro- 
form  erklären,  ist  abzuweisen.  Denn  solche  Doppelformen  erscheinen  nicht 
überall,  sondern  nur  bei  bestimmten  Gruppen,  wo  die  oben  genannte  Doppel- 
entwicklung durch  die  Tonverhältnisse  ermöglicht  ist,  und  bei  diesen  mit  einer 
gewissen  Regelmäfsigkeit. 

Durchaus  nicht  alle  Fälle,  wo  stimmlose  und  stimmhafte  Konsonanten 
im  Frz.  nebeneinanderstehen,  sind  auf  unser  Gesetz  zurückzulühren.  Afr. 
lochier  und  logier  gehen  zurück  auf  mhd.  locker  und  log  er,  ebenso  beruht 
der  Unterschied  zwischen  afr.  coche  und  coge  wohl  auf  ahd.  koccho  und  nd. 
cogge.  Afr.  coiitre  für  regelmälsiges  coudre  (auch  der  Atl.  ling.  verzeichnet 
kütr)  ist  wohl  Analogiebildung,  ähnlich  wie  mistrefit  für  tnisdrent.  —  Häufig 
finden  sich  in  schlechten  Texten  falsche  Schreibungen,  die  gewifs  keine  laut- 
liche Berechtigung  haben.  Die  Orthographie  des  Jonasfragmentes  ist  bekannt. 
God.  bietet  zahlreiche  Beispiele,  z.B.  f^horge  (wall.  17.  Jh.)  stztt  e'corce;  boche, 
buche  für  bouge  (bulga)  usw.  —  Willmotte,  Gloses  wall.,  verzeichnet  cerges 
für  cherches.  Karte  22  des  Atl.  ling.  kennt  nur  stimmlosen  Laut,  dem  Wall, 
geht  aber  chercher  eigentlich  ab,  es  gebraucht  dafür  kweri.  —  Wieder  anders 
ist  afr.  flengier  neben  flenchier  für  flcchir  zu  erklären,  es  handelt  sich  um 
Analogie  nach  venchier  und  vengier.     Usw. 


127 

Fällen  müfste  b  zu  vi.  v  und  die  Gruppe  avi,  bezw.  avu  zu  au 
geworden  sein  und  bietet  in  einzelsprachlicher  Zeit  nicht  mehr  die 
Gruppe  b'c.i 

§  92.     d'c  ist  eine  häufige  Gruppe: 

fodicare  ^Sx.fougier,  selien /ouc kür  {bes.  a/oiic/iier)  nix.fouger 

impedicare  „   empegür  /"„    empieger] 

judicare  y,  jugier,  \QXG.mze\\.  Juchier  „    juger 

*medicare  „   viegie?-  mundartl.  mtger"^ 

*nidicare3  „   nigier,  nichier  wix.nicher 

radicare  „   r agier ^  und  rochier 

exradicare  „   esr agier, ^  öfter  esr achter  nir.  arracher^ 

*rodicare6  „    rogier,  rongier  „    ronger 

*sedicare'  „   segier,  assiegier  „    assieger 

radicale  „  regiel  (Shepard  S.  77) 


*  Körtings  *trocare  (aus  *torcare,  das  selbst  auf  unsicheren  Füfsen 
stahl)  scheitert  an  afr.  trgu,  prov.  traue,  die  vi.  au  voraussetzen.  Ebensowenig 
verdienten  germ.  troga  Trog  und  gr.  XQaveiv  (?),  Q-gaveiv  Aufnahme  ins  Lat.- 
Rom.  Wb.  —  Dtr  Dict.  gen.  sieht  in  trouer  Ableitung  zu  tioii  („unb.  Herk."), 
aber  das  Verb,  ist  zum  mindesten  schon  gemeinrom.  —  Schw.-B.  §  145,  2  geht 
aus  von  traugu  (wohl  nach  traugus  der  L.  Rip.),  anzusetzen  ist  vi.  *traucus, 
*traucare. 

2  God.  verzeichnet  für  die  Franche  Comt6  medgier,  für  die  Schweiz 
meger,  für  Bagnard  meydyer  (=  traiter  les  malades  sans  autorisation).  —  Afr. 
megier  ist  wohl  Verbalbildung  zu  megis,  das  nach  Tobler  einen  Typus 
*medicaticium  ^  afr.  megeis  voraussetzt,  während  der  Dict.  g^n.  in  -gis 
(wegen  pic.  rneguichier  für  megissier)  ahd.  wiz  erblickt. 

2  Diez  nidificare  s.  §  122,2. 

*  Die  Formen  mit  g  sind  schon  afr.  selten ;  auch  in  den  Mundarten  ist 
der  stimmhafte  Laut  fast  geschwunden,  die  Karte  59  des  Atlas  ling.  belegt 
nur  ganz  vereinzelt  in  Saone-et-L.  II  ereje  und  919  arj't.  Pic.  ist  das  Wort 
nicht  heimisch,  im  Süden  eignet  es  nur  dem  Gase,  (ariga),  im  Prov.  ist  es 
ersetzt  durch  arrauca,  derraba,  nur  der  nördliche  an  das  Frz.  angrenzende 
Teil  zeigt  arracher  mit  stimmlosem  Laut  (t,  ts,  tsy  usw.),  daneben  auch  stimm- 
haft, hauptsächlich  im  Dep.  Corr^ze,  vereinzelt  darüber  hinausgehend,  dz,  z. 

5  Bei  Körting  herrscht  hier  etwas  Verwirrung:  Im  Wörterverzeichnis 
bietet  er  bei  arracher  44,  866,  3264,  unter  arrachier  260  a.  In  letzterem 
Artikel  setzt  er  üz.  arracher  =  abradicare,  dieses  wird  aber  44  in  []  ge- 
stellt und  866  abgelehnt  und  durch  *ar-radicare  ersetzt,  3264  bringt 
eradicare  für  prov.  esraigar,  afr.  esraicher.  —  Schon  Diez  bot  ganz  richtig 
exradicare  z^x.  esrachier,  das  nfr.  arracher  (M.-L.  Rom.  Gr.  II  618  „durch 
Assimilation   an   das   folgende  a",   Dict.  g6n. :  unbetontes  e  vor  r  >■  a)  wurde. 

ö  Diez  ging  aus  von  rumigare;  G.  P.  Rom.  X  69  deutet  ronger  aus 
*rondicare  für  *rodicare;  Gröber  ALL  V  238  weist  für  den  Einschub 
des  n  auf  manger  oder  runger  hin.  Der  Dict.  g6n.  läfst  roger  >■  ronger 
werden  durch  Einflufs  von  rumigare  (statt  cl.  r u m i n a r e)  >  rMw^z> r,  runger 
(später  geändert  >  rongier,  ronger  durch  Verwechslung  mit  ronger). 

'  Nfr.  Sieger  ist  junge  Bildung  zu  siege,  nicht  vor  dem  17.  Jh.  —  Die 
Ableitung  von  *assediare  (so  auch  Dict.  g6n.)  ist  lar.tlich  unmöglich;  siege 
wird  im  Dict.  gen.  richtig  von  sedicum  hergeleitet. 


128 


medicui  afr.  miege 

*pedicu2 

püge 

*  s  e  d  i  c  u  3           süge 

*sinefidicu 

afr.  senfege 

Leodicu^        Lüge 

uuadicuß 

gage 

*nidica              7uche^ 

*judicu 

jiige'i 

Ein  Zeitwort  dieser  Art^  konjugierte  also  folgendermafsen  die 
Gegenwart: 


judico 

juge^ 

judicamus 

jiigeoTis 

judicas 

juches 

judicatis 

jugez 

judicat 

juche 

judicant 

juchent 

Durch  gegenseitigen  Ausgleich  erklärt  sich  am  besten  das  Neben- 
einander der  stimmhaften  und  stimmlosen  Formen.  Dieser  Aus- 
gleich vollzog  sich  in  vorliterarischer  Zeit,  wir  haben  afr.  nur  mehr 
die  Überreste,  es  ist  meist  schon  entschieden,  welche  Form  den 
Sieg  davonträgt. 

Man  sieht  aus  den  Beispielen,  wie  wenig  entsprechend  Marchots 
Annahme  ist,  dafs  die  Synkope  allgemein  vor  der  Lautabstufung 
eintritt.  Kein  einziges  Zeitwort  zeigt  nur  stimmlose  Form,  nur  bei 
nichür  und  rachkr  ist  sie  verallgemeinert  worden.  Die  grofse  Zahl 
der  übrigen  spricht  dagegen.  Und  Marchot  setzt  S.  89  die  Synkope 
für  rongür  (pic.  ronguer)  auf  der  Stufe  "^rofjijdigare  an,  für  die 
übrigen  aber  gar  noch  später,  auf  der  Stufe  -lyare.  Wenn  man 
aber  nun  fragt,  warum  hier  die  Synkope  so  spät  eintrat,  findet 
man  keine  Antwort  bei  ihm. 

Andrerseits  wendet  sich  Bauer  S.  12  (Punkt  5)  gegen  die 
frühere  Synkopierung  vor  dem  Nachton  -  a.  Mit  ganz  un- 
zureichenden   Mitteln.      Er    erkennt,    dafs    Worte    auf    -icum    die 


*  Es  ist  ein  Lehnwort,  zwar  wie  ein  Erbwort  entwickelt.  Das  zeigen 
die  zahlreichen,   z.  T.  dialektischen  Nebenformen  mire,  meide,  meie,  mie  usw. 

'  Diez  pedica  (bei.  L.  Burgund.  tit.  72).  Neumann  Zeitschr.  XIV  554, 
561  setzte  des  Genus  wegen  *pedicum  an.  Afr.  kommt  auch  la  piege  vor, 
der  Dict.  g6n.  zieht  daraus  den  Schlufs,  dafs  von  pedica  auszugehen  sei; 
hier  dürfte  das  Fem.  sekundär  sein.  —  Neumann  wollte  übrigens  den  Diphthong 
ie  durch  Einwirkung  von  pied  (ebenso  siege  durch  sies,  stet)  erklären ;  das  ist 
in  Hinblick  auf  tiede  unberechtigt,  wohl  aber  hätte  pedica  afr.  *peche  ergeben 
(vgl.  ven.  pecd). 

"  Die  Ableitung  *sedium  ist  heute  wohl  endgültig  abgetan. 

*  Nyrop  P475,4  Leodium^Z?<?^(f;  aber  im  Liber  hist.  Franc.  Leu  die  o, 
vgl.  vläm.  Zmzä.  Nyrop  erwähnt  noch  Malbodium^  JJ^w^i?«^«?  (ein  Kloster, 
Lehnform  ?). 

^  Unsicher.     Nach  dem  Dict.  g^n.  entlehnt  aus  it.  nichia. 

*  Reichn.  Gloss.,  Hetzer  S.  54. 
'  S.  §  127,  d. 

*  Bauer  S.  13  zählt  dazu  auch  ravager,  wohl  in  Hinsicht  auf  die  Aus- 
führungen Parodis  Rom.  XXVI  198,  der  ravager  zu  *radico  stellen  möchte. 
Dieses  erst  im  16.  Jh.  belegte  Wort  ist  doch  eher  Ableitung  zu  ravage  (14.  Jh.), 
gebildet  von  ravir. 

*  Nicht/?«,  wie  man  behauptet  hat. 


129 

Tenuis  erweichen.  Seine  Beispiele  für  -ica  mit  Erweichung  sind 
unbrauchbar,  dianenge,  surge,  serge  sind  Lehnwörter,  r^ge  ist  ostfrz. 
(und  zweifelhaft),  forge  ist  gerechtfertigt,  granica  gibt  granche, 
hutica  >  huche',  gratige  ist  granea,  huge  neben  huche  erweist  das 
Wort  als  junge  Bildung  (germ.  Stamm!),  sieche  (bei  Girardin,  Le 
Vocab.  du  Fribourgeois  au  XV«  s.)  <  *sedica  erwähnt  er  selbst 
(vgl.  S.  28).  Afr.  fouchitr  neben  fougier  hat  er  übersehen,  r achter, 
ragitr  erwähnt  er  S.  13  überhaupt  nicht.  Seine  auf  S.  26  gegebene 
Lösung  als  „vulgäre  oder  mundarlHche  Aussprache"  kann  nicht 
befriedigen,  jedenfalls  ist  ihr  die  einfache  Deutung  Neumanns,  Aus- 
gleich der  stamm-  und  endungsbetonten  Formen,  die  in  den  ge- 
zogenen Grenzen  vollkommen  ausreicht,  weitaus  vorzuziehen. 

M.-L.  Zeitschr.  VIII  233  hatte  püge  aus  *pedica  durch  gegen- 
seitige Assimilation  erklären  wollen.  Auch  Cledat  arbeitet  mit 
„gegenseitiger  Assimilation",  die  bald  in  dieser,  bald  in  jener 
Richtung  erfolgt,  ganz  wie  es  der  Autor  braucht.  Demgegenüber 
ist  strengstens  zu  betonen,  dafs  das  Ergebnis  immer  stimmlos 
ist,  wenn  einer  der  zusammentretenden  Konsonanten  stimmlos  ist: 
radico  >  *radego  >  rage,  radicat  >  *rad'cat  >  räche.  Schon  in 
afr.  Zeit  sehen  wir  bei  den  Zeitwörtern  den  Ausgleich  meist  in 
dieser  oder  jener  Richtung  entschieden.  Bei  megier,  segier,  jugier 
kann  der  Einflufs  von  miege,  siege,  juge  zur  Verallgemeinerung  des 
stimmhaften  Lautes  beigetragen  haben,  rongier  mag  von  rungier 
•<  rumigare  beeinflufst  sein.  Warum  aber  fouger  gegenüber 
arracher,  läfst  sich  schlechterdings  nicht  sagen,  aber  diese  unsere 
Unwissenheit  kann  die  Richtigkeit  des  Prinzipes  nicht  in  Frage  stellen. 

Lehnwörter  sind  nfr.  empecher,  precher.  Zwar  Nyrop  I"^  §  401,  2 
findet /i;-(?(r^f/- anscheinend  lautgerecht,  aber  schon  Darmesteter  Rom.V 
150 f.  waren  sie  aufgefallen.  Er  glaubte,  neben  zix.  preechier  ein 
*prechier  zu  finden, i  worin  er  praedicare  sah.  Für /»r^^cy^/ifr  dachte 
er  an  *praedictiare,  was  lautlich  unhaltbar  ist.  Afr.  empegier 
liefs  er  auf  impedicare,  empaickier  auf  *empacticare  beruhen, 
empeechier  blieb  unerklärt.  —  praedicare  läfst  als  Wort  der  Kirche 
von  vornherein  erwarten,  dafs  es  Lehnwort  ist.  Und  so  hat  Gröber 
ALL  IV  425  mit  Recht  beide  Worte  als  nicht  erbwörtlich  erkannt. 
Die  ältesten  Formen  sind  predechier,  empedechier,  die  regelrecht  zu 
preechier,  empeechier,  später  precher,  empecher  werden.  Neben  em- 
peechier steht  afr.  auch  empegier.  Gröber  hält  dies  für  eine  Bildung  zu 
piige,  der  Dict.  gen.  betrachtet  diese  Form  als  „tout  a  fait  populaire". 
Vom  Standpunkt  der  Lautlehre  läfst  sich  keine  Entscheidung  geben.2 


^  Er  belegte  es  mit  Yvain  5955  (Holland),  wo  H.  preschier  schrieb, 
dessen  s  D.  für  rein  graphisch  hielt;  Förster  Yvain  59^3  \\^s\.  preechier.  — 
Körting  aber  steht  auch  in  der  3.  Aufl.  noch  auf  Darmesteters  längst  über- 
wundenem Standpunkt.  Weder  preechier  noch  empeechier  kennzeichnet  er 
als  Lehnwörter. 

*  Erwähnt  sei  noch  *ridiculare  >•  r7^o/<fr  (Litlr^  nach  Schelor,  der 
von  ahd.  riga  ausging,  dies  aber  später  aufgab  und  nach  G.  Paris  ridiculus 
als  Grundwort  ansah).  Man  müfste  es  als  Lehnwort  betrachten,  rigoler  fehlt 
bei  Körting. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  9 


130 

Unrichtige  Ansätze  sind  unter  anderem 

caudica     afr.  coche,  coge         Lemodica     Lmoges. 

Denn  coche,  coge  spiegeln  wohl  den  Unterschied  von  hd.  kocke 
und  nd.  cogge  wieder.  Ob  coque  damit  identisch  ist  oder  zu 
concha  gehört,  berührt  uns  hier  nicht. 

Lemodica  ist  falsche  Latinisierung  von  Limoges,  aber  auf 
Lemovices,  wie  man  zu  tun  pflegt,  kann  es  auch  nicht  zurück- 
geführt werden,  s.  §  127. 

Noch  eine  Bemerkung  über  gerra.  Eigennamen.  Audec(h)arius, 
Audegarius,  Autcharius,  Autgarius  hat  man  als  Ausgangs- 
punkt aufgefafst  für  Ogier.  Kluge  Gr.  P  508  erklärt  Gontier  aus 
Gunthacharius,  Ganiier  aus  Waldharius  usw.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dafs  dies  nicht  die  Formen  sind,  welche  den  frz.  Namen 
zugrunde  liegen.  Nicht  altgermanische,  sondern  ahd.  Formen  (mit 
Lautverschiebung)  liegen  vor:  Guntheri  >  Gontier,  Waltheri  >> 
Gaiitie?-,  Otger  >>  Ogier,  Guntberht  >»  Gonhert. 

§  93-     g'c  tritt  bereits  vi.  zusammen,  s.  §§  20,  23. 

b'p  würde  ebenfalls  vi.  synkopiert  worden  sein. 

d'p,  g'p  kommen  für  das  Rom.  nicht  in  Betracht.  Das  einzige 
Beispiel  für  d'p,  adipem,  lautete  in  der  Vulgärsprache  alipe,  s. 
darüber  §  6  und  §  120,  i. 

§  94.     b't  ist  eine  häufige  Gruppe. 

*adcubitarei  afr.  acoder  und  acoter  nfr.  accouder,   accouter 

debitore  „   detour  (prov.  detidor)  „  detteur 

dubitare  „   doter  „  douter 

*gabitellu2  „  jadel  „  jadeau 

subitanu  „   sodain,  selten  soiain  „  soudain 

*de-subitare  „   desoier 

habitu,  -a  „   ade,  ate 

male  habitu,  -a      „   malade,  malate'^  „  inalade 


^  Der  Dict.  gen.  sieht  in  nfr.  accouder  eine  Bildung  von  a  -J-  cotide,  da- 
gegen in  accoter  Ableitung  von  afr.  cote  „appui".  —  Körting  erwähnt  accouder 
nicht,  führt  aber  nfr.  accoter  auf  accubitare  zurück.  —  God.  bringt  acoter 
und  s'accouder  unter  ein  Wort.  Nach  Herzog  gehen  afr.  acoter,  nfr.  accoter, 
prov.  acobdar  auf  accubitare  zurück. 

'^  Ableitung  zu  gabita  für  gabata.  Shepard  68  hält,  wenn  er  auch 
Mackels  Herleitung  von  fränk.  gabita  vorzieht,  Herkunft  des  jadeau  von  vi. 
gautellum  für  möglich,  das  ist  natürlich  ausgeschlossen.  Germ.  Herkunft  hat 
bereits  Pogatscher  Zeitschr.  XII  555  abgelehnt.  Cledat  220  läfst  gabata 
]>  gafta  '^  jatte,  gabata  ]]>>  gavata  '^  joue,  gabata^  gäbda  ^  jade  werden, 
je  nach  der  Zeit,  in  der  der  unbetonte  Vokal  schwand,  ohne  aber  diese  ver- 
schiedene Zeit  des  Ausfalles  auch  nur  irgendwie  zu  begründen.  Marchot  S.  85 
sieht  den  Grund  der  späteren  Synkopicrung  (nach  der  Erweichung)  in  dem  a 
von  *gabatellu:  aber  in  einer  solchen  Form  wäre  ja  überhaupt  nie  Synkope 
eingetreten! 

^  Wenn  Cledat  220  meint,  dafs  malehabi  tum^*wa/aM^(prov.)]>*wa/o/, 
fem.  *malve  hätte  werden  können,  ist  er  im  Irrtum.     ga.\ita  "^ gauta  ist  vi., 


131 


cubitu,  -a* 

afr.  coude^  coiite 

„    coude 

debita,  -u 

„   dete,  dehde 

„    dette"^ 

gabata,  gabita 

„  jäte,  jade 

„   jatte 

subito, 

„   solide,  soute 

bibitas 

frz.  boite,  beite. 

Die  Annahme,  dafs  in  Proparoxytonis  mit  End-a  der  Pänultima- 
vokal  vor  der  Erweichung,  sonst  aber  die  unbetonte  Silbe  nach  der 
Erweichung  fiel,  gibt  eine  einheitliche  Erklärung,  malade,  malate 
sind  ursprünglich  nach  dem  Geschlecht  verschieden,  wie  §  87  er- 
wiesen wurde.  Jene  Erklärer,  welche  diese  Annahme  verwerfen, 
sind  zu  den  widersprechendsten  Ergebnissen  gelangt.  Marchot  S.  go 
erklärt  malade,  soude,  coude  durch  Suffixtausch,  -idu  sei  an  Stelle 
von  -itu  getreten.  Cledat  S.  222  findet  coude  lautgerecht,  coute  sei 
daraus  durch  assimilatorischen  Einflufs  des  c  entstanden.  Bauer 
S.  42  wieder  sieht  coute  als  das  Ursprüngliche  an,  coude  sei  entlehnt 
aus  prov.  coide  oder  (wie  soude)  durch  Suffixtausch  (-idu)  entstanden. 
M.-L.  Fr.  Gr.  S.  102  hält  für  zulässig,  bei  malade  an  *male  habidu 
oder  -apidu  zu  denken:  wo  im  Frz.  hat  man  je  ein  solches  Um- 
springen der  Tonstufe  von  habitu  zu  hapidu  beobachtet?  Der 
Dict.  gen.  nimmt  eine  doppelte  Entwicklung  an, 

cubitum  >•  cobete  >>  cobede  >  cobde,  Code,  coude 
und  cubitum  >  cohete  >  copte    >>  cote', 

aber  an  welche  Bedingungen  das  eine  oder  andere  geknüpft  ist, 
darüber  äufsert  er  sich  nicht.  Man  sieht:  Suffixtausch  (wobei  das 
damals  lebendige  -itu  durch  das  absterbende  -idu  ersetzt  werden 
soll),  Assimilation  seltsamster  Art,  Entlehnung,  unbegründetes  Neben- 
einander sind  in  gegenseitigem  Widerspruch  herangezogen  worden. 
Ihnen  gegenüber  ist  die  alte  Neumannsche  Auffassung  ihrer  Einheit- 
lichkeit wegen  vorzuziehen. 

Auch  hier  ist  bei  den  Zeitwörtern  früh  Ausgleich  eingetreten. 
Für  accouder  mag  coude  und  vielleicht  Scheidung  von  accoter  be- 
stimmend  gewesen    sein.     Für  douter   sind   mir    Formen   mit   inl.  d 


dagegen  prov.  malaute  (nicht  malant)  neben  malapte  ist  einzelsprachlich,  vgl. 
*adaptu  ^  azaut. 

1  C16dat  S.  222  findet  coute  schwer  zu  erklären,  ein  Fem.  cubita  scheint 
ihm  pas  vraisemblable,  denn  cubitum  könnte  nur  cout  oder  coude  ergeben. 
Ein  cout  ohne  Stütz-<f  ist  gewifs  nicht  möglich. 

*  In  der  2.  Aufl.  läfst  Körting  dette  entlehnt  sein  aus  it.  detta,  anscheinend 
wegen  des  Doppel-^!  Wenigstens  erklärt  sein  Schüler  Klausing  S.  48,  es  sei 
entlehnt,  weil  b't  im  Frz.  nie  tt  ergäbe;  auch  gabata  "^ jatte  scheint  Klausing 
deshalb  zweifelhaft.  —  Bemerkenswert  sind  afr.  doite,  doibte,  angeglichen  an 
die  stammbetonten  Formen  von  devoir. 

*  Ob  wirklich  ein  *bibita  je  bestand  oder  beite  erst  später  unmittelbar 
zu  beire  gebildet  wurde,  ist  nicht  zu  entscheiden.  *b:bita  hätte  afr.  *bete 
geben  sollen,  das  unter  Einflufs  von  boire  zu  boite  geworden  sein  mufs;  mittelfrz. 
bette  ist  erst  sekundär  aus  afr.  boite  hervorgegangen.  —  boitoire  ist  frz.  Ab- 
leitung zu  boire,  nicht  *bibitoria,  wie  Shepard  S.  78  ansetzt. 

9* 


132 

nicht  bekannt.  An  Dissimilierung  wegen  des  Anlautes  glaube  ich 
nicht.  Auffällig,  dafs  auch  prov.  doptar  nur  stimmlosen  Konsonant 
zeigt.  Es  mufs  also  der  Ausgleich  sehr  früh  eingetreten  sein,  schon 
*dubtare  für  dubitare  nach  dub(i)tat  (§  65).  Auch  alle  frz. 
Ableitungen  zeigen  durchweg  t:  doiitance  (it.  doilanza,  span.  dudanza), 
doute  (prov.  dople),  douiee^  doutaine,  doiitalson\  doiiteux,  doutihle,  douiif, 
doutü. 

Afr.  soiain  (in  soiaincment)  entsteht  durch  Ausgleich  mit  subita 
mente  >>  sotement.  Der  Umstand,  dafs  bei  soudahi  das  t  fast  nur 
im  Adv.  sotamement  vorkommt,  bestätigt  aufs  schönste,  dafs  dieses 
t  eben  nur  im  Adv.  sotement  berechtigt  ist.  Denn  subito  gibt 
lautgerecht  söude,  daneben  sote  durch  Ausgleich  nach  soiement\  um- 
gekehrt sodement.     Afr.  desoter  beruht  auf  *desubitat  >»  desote. 

Das  afr.  cote,  das  weit  häufiger  ist  als  malate,  wird  bestätigt 
durch  Karte  330  des  Atl.  ling.;  zwar  wall.  pik.  lothr.  kut  kann  auf 
Verhärtung  im  Auslaut  beruhen,  aber  daneben  findet  sich  z.  B. 
Dep.  Jura  küiu,  neben  kude  (z.  B.  D6p.  Ardennes)  steht  häufig  küie 
(norm.  355,  398;  im  Dep.  Marne  und  nördliche  Schweiz);  im  Dep. 
Vosges  kotre,  kotrey.  M.-L.  Rom.  Gr.  I  §  538  geht  für  coute  aus  von 
cubita,  afr.  ist  das  Wort  auch  fem.  1  —  Der  Ansatz  *cubitaia  ist 
kaum  berechtigt,  coudee  (afr.  auch  coutee)  dürfte  erst  frz.  Bildung  zu 
coude  sein. 

Für  dette  belegt  God.  auch  debde  (Joinville)  und  zweimal  depde 
aus  Freiburg.  Wir  dürfen  darin  die  Reflexe  von  dehituvi  erblicken, 2 
das  ja  die  klassische  Form  ist;  bekannt  ist  die  Tatsache,  dafs  das 
Geschlecht  im  Afr.  schwankt  und  noch  bis  ins  17.  Jh.  dette  als 
männlich  vorkommt.  Afr.  detour  steht  unter  Einflufs  von  dette,  wie 
prov.  deudor  bezeugt;  das  gleiche  gilt  vom  Nom.  debitor  ]>  detre,"^ 
während  prov.  deveire  (Körting)  nicht  auf  debitor  zurückgehen  kann. 
Afr.  detere  {deteor)  ist  kaum  *debitator  (Marchot  85),  sondern  sekun- 
däre Bildung  zu  dete.  Körting  setzt  auf  Grund  von  it.  mdebitare, 
prov.  endeniar,  frz.  endetter,  span.  endendar,  ptg.  endividar  ein  *hidebitare 
an.  Der  Dict.  gen.  läfst  endetter  entstehen  aus  en  +  dette.  Ob  nun 
die  Bildungen  erst  einzelsprachHch  sind  oder  auf  eine  gemeinrom. 
Zusammensetzung  zurückgehen,  ist  schwer  zu  entscheiden;  sicher 
zeigen  sie  alle  den  Einflufs  von  debita  >>  dette,  deiita,  deuda,  divido. 

Neben  jatte  steht,  wie  schon  Diez  bemerkte,  norm,  gade,  jade. 
Nach  Karte  715  des  Atl.  ling.  ist  in  Maine,  Anjou,  der  Vendee 
die  d-Yoxva.  die  Regel  und  findet  sich  häufig  in  der  frz.  Bretagne, 
im  Norm,  und  im  Südwesten.  Auch  im  südlichsten  Teil  des  Westfrz. 
(Süden  von  Saintonge  und  Angouleme)   tritt  hed  auf  und  schliefs- 


^  Anderer  Meinung  ist  er  Frz.  Gr.  122  geworden,  cubita  ];>  co/^  scheint 
zweifelhaft,  weil  cote  weder  Plural  noch  Femininum  sei.  God.  II  342  bietet 
coute  5.  L  =  cotide'e^  IX  232  coute  s.m..  =  coude.  Ursprünglich  wohl  cubita 
(unter  Einflufs  von  alina,  mensura)  Elle,  cubitus  Ellbogen,  dann  durch- 
einander. 

^  Auch  prov.  deude  neben  deuta. 

'  Schw.-B.  §  122,  2  dagegen  hält  detre  für  lautgerecht. 


^33 

lieh  Jäd  im  Nivernais.  Nach  M.-L.  Zeitschr.  VIII  234  ist  dieses  Jade 
„entweder  aus  dem  Dem.  [Jadeau)  zurückgebildet  oder  zu  erklären 
wie  coude'-'- ,  Neumann  Zeitschr.  XIV  563  läfst  jade  nach  jadeau  ge- 
bildet sein  und  dem  mufs  man  zustimmen,  da  es  im  yW^- Gebiet 
sogar  dieses  stellenweise  verdrängt  hat:  jdö  (Dep.  Morbihan  486), 
jedel  (Sarthe4ii).  Oh  jaile  von  gabita  oder  gabata  seinen  Aus- 
gang nahm,  ist  nicht  zu  entscheiden;  gabita  wird  durch  gabitellu 
'^Jadeau  wahrscheinlicher  gemacht.  —  Über  ixz.joue  s.  S.  32. 

SchUefslich  noch  Arras:  die  Grundform  kann  nicht  Atrebates 
(Cäsar)  noch  Atrabates  (Gregor  v.  T.)  sein,  da  b't  Stützvokal  ver- 
langt. Freilich  erscheinen  afr.  auch  det,  redot,  ebenso  acotity  die 
aber  nicht  debitum,  *redubitum,  *ad-computum  darstellen, 
sondern  jüngere  Bildungen  sind;  schon  Shepard  erklärt  sie  richtig 
als  frz.  Verb.-Subst.  (ebenso  sind  dubito,  dubitem>'  dout  An- 
gleichungen  an  atm,  mont  usw.).  Es  ist  daher  auszugehen  von 
*Atravetes  mit  vi.  v  für  b,  vgl.  §  73. 

Das  ausschliefsliche  /  in  doiiter  (prov.  doptar)\  coute,  jade  neben 
coiide,  jatte;  afr.  deire,  detour  bieten  gewifs  Schwierigkeiten  für  die 
Neumannsche  Auffassung,  aber  sie  sind  geringer  als  bei  allen 
übrigen  Deutungen. 

§  95.     d't   ist  bereits   gemeinrom.  synkopiert   worden,  s.  §  g  ff. 
g't  wurde  schon  im  2.  Teil,  §  4g,  behandelt. 


2.  Einfache  Tenuis  im  Anlaut. 

c'c  ist  gemeinrom.  synkopiert,  s.  %  2}^. 

§  g6.     p'c:     *atrapica   diix.  arrache,  nix.  ar röche  s.  §  127c. 

§  g7.     t'c  ist  dagegen  wiederum  häufig. 

*fiticare  ?Sx.  fegier,  s&Xttn  figier     xSx.  figer. 

*excuticarei   frz.  ecoucher 

Substantiva  auf  -aticu: 

afr.  -age  (-ache)  nfr.  -age"^ 

Adjektiva  auf  -aticu,  -a: 
*silvaticu,  -a  afr.  saiivage,  -ache  nfr.  sauvage 

*volaticu  „    volage 


1  So  Thomas,  Mel.  64;  dagegen  Horning  Zeitschr.  XXVII  142. 

2  Dieses  -age  nahm  Karsten  S.  32  zum  Anlafs  einer  längeren  Aus- 
einandersetzung, die  zur  Gänze  abzulehnen  ist.  Er  treibt  seine  Theorie  von 
den  Sprechtakten  soweit,  dafs  sich  ihm  vi.  —  je  nach  dem  Nachdruck  —  aus 
-aticum  nebeneinander  -atek,  -atke,  -atk  ergeben,  vgl.  §84. 

Neben  der  Entwicklung  -aticum  >  a^^^^ö  >  adge'';>  age  schlägt  Gutheim 
S.  23  eine  „kiirzere"  vor,  -^\.\cw'^  atge'P'  adgey>  age;  warum  zwar  f  >  ^, 
aber  nicht  t  >  d  erweicht  wurde,  darüber  gibt  G.  keine  Auskunft. 


134 

auf  -oticu,  -a: 

*feroticu,  -a^  af r.  feroge,  feroche                          nfr.  fa rouche 

*vivoticu,  -a^  „    vioche,  selten  vtoge,  viouge 

*annoticu  mundartl.  anoge 

hibernoticu  lyon.  vernoge  (prov.  ivernotge) 

Femer : 

natica  afr.  nache,  nage  nfr.  nache 

hutica  „    huche,  hnge  „    hicche 

*liticu3  „    lige,  lege      [*retica  ostfrz.  rige'\ 

hereticu  „    erege            Gemeticum  Jumüges 

arte  mathematica  „    artimage 

*fiticare,  das  einzige  vortonige  Beispiel,  ist  zu  *fiticum  für 
ficatum  gebildet  wie  mhd.  liberen  zu  leber.  Diese  Deutung  stammt 
von  G.  Paris  Rom.  VIII  434,  der  allerdings  *fidicare  ansetzte. 
Gröber  ALL  II  424  Anm.  möchte  fege?-  aus  „noch  nicht  nach- 
gewiesenen iiXx.  fege  (=  "prow.  feige  <<  *fiticum)"  gewinnen.  Der 
Unterschied  beider  Auffassungen  liegt  wiederum  in  der  Zeit:  Paris 
denkt  an  Ableitung  vor  der  Synkope,  Gröber  nach  ihr;  eine  Ent- 
scheidung zu  geben,  ist  vom  Standpunkt  der  Lautlehre  nicht  möglich. 
Vielfach  finden  sich  falsche  Ansätze,  so  bietet  Körting: 
*mansionaticare     menager  *passaticarius    passager 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  wir  es  mit  frz.  Bildungen  zu  menage, 
passage  zu  tun  haben.  —  Neumann  Zeitschr.  XIV  560  zählte  hierher 
auch  endomagier:  das  Wort  verrät  sich  deutlich  als  Bildung  zu 
do?)i?}iage. 

*nauticarius  (Foerster  Zeitschr.  lU  566)  frz.  nocher 

widerspricht  unserer  Regel.    Die  Diezsche  Herleitung  von  vavxXrjQog 

ist  freilich  unhaltbar  für  das  Frz.,  aber  einwandfrei  für  it.  nochiere, 
aus  dem  im  16.  Jh.  frz.  nocher  entlehnt  wurde,  vgl.  M.-L.  Zeitschr. 
f.  O.G.   1891,  S.  773. 

Nyrop  §  400  Rem.  findet  die  Entwicklung  der  Proparoxytona 
-icus  „peu  clair".  Ihm  scheint  der  Pänultimavokal  gewöhnlich 
nach  der  Lautabstufung  zu  fallen,  dazu  stimmt  ihm  -age,  fromage, 
fumüges,  erege,  juge,  müge,  püge,  süge.  Aber,  wendet  er  ein,  da- 
neben findet  man  Aventicum>  Avenches,  (pagus)  P o r t i c u s >■  Porche, 
porticus  ^/lört//^.  Dieses  „aber"  entbehrt  jeder  Berechtigung,  nach 
einer  stimmlosen  Gruppe   mufs  ja   das   Endergebnis   stimmlos   sein. 


1  Zu  ferox  nach  Vorbild  von  silvaticus,  vgl.  M.-L.  Rom.  Gr.  I  270 
und  Dict.  g^n. 

"^  Nach  Thomas,  Essais  philol.  240;  Horning  Zeitschr.  XIX  177  Anm. 
wollte  darin  eine  Ableitung  von  vivus  +  öccus  sehen,  wobei  aber  die 
Nebenform  mit  g  unerklärt  bleibt. 

*  *liticum  setzt  der  Dict.  gen.  an  und  bringt  es  in  Zusammenhang  mit 
liti  der  lex  Salica.  Sonst  von  ledig  hergeleitet,  s.  §  Il8,  l.  —  Dazu  afr. 
ligee  {^\z\A  ligde  wie  Körting). 


135 

Die  zahlreichen  Hauptwörter  auf  -age  sind  natürlich  nur  z.  T. 
erbwörtlich,  d.  h.  schon  cl.  oder  wenigstens  gemeinromanisch,  die 
übrigen  erst  frz.  Bildungen.  Aber  die  Entscheidung  ist  oft  recht 
unsicher.  Zu  den  ersteren  dürfte  man  etwa  rechnen  äge,  courage, 
dammage,  fromage,  lignage,  mäiage,  ouvrage,  parage,  eiage,  ombrage, 
olage,  usage,  voyage,  village,  vielleicht  auch  carnage,  barnage  usw.; 
zu  den  letzteren:  klairage,  feuillage,  heritage,  Hommage,  mariage, 
passage  und  viele  andere.  ^ 

Der  Atl.  ling.  bietet  cirage  (7,  292),  barrage  (10,  i\\o),  fourage 
(13,  606),  fromage  (14,  613),  heritage  (15,  688),  juariage  (18,  815) 
und  weist  überall  stimmhafte  Spirans  usw.  auf,  aufser  wo  Verhärtung 
im  Auslaut  eintritt.  Afr.  finden  sich  auch  Formen  mit  ch,  Foerster 
zu  Erec  1006  domage  und  domache,  God.  auch  d^inache  neben  ge- 
wöhnlichen -age,  dazu  dlmagier  und  -  achter  \  Metzke,  Arch.  f.  d. 
Stud.  d.  neueren  Spr.  LXV,  S.  65,  82  (1881),  fromache;  Görlich, 
Frz.  Stud.  VII  115  domasche,  Schulze2  S.  15,  Bauer  S.  29  {ver7tage 
und  grenache).  Es  handelt  sich  also  nicht  um  -ache  neben  -age, 
sondern  im  wesentlichen  um  domache  und  fromache,  für  die  eine 
Sondererklärung  zu  geben  ist.  Es  können  alte  Plurale  sein,  deren 
Erhaltung  bei  diesen  beiden  Worten  verständlich  wäre,  während 
sonst  die  Worte  auf  -aticum  ihres  Begriffes  wegen  selten  eine 
Mehrzahl  bilden. 

Schon  M.-L.  Zeitschr.  VIII  2-^t^  machte  aufmerksam,  dafs  neben 
nache  auch  nage  stehe:  dies  sei  entweder  wall.  Lautabweichung  oder 
eher  Angleichung  an  die  zahlreichen  Substantive  auf  -age."^  God. 
belegt  7iage  und  nache,  einmal  naiege',  für  das  Wall,  gibt  er  nhhe, 
nlge  an.  Mir  scheint  nage,  naiege  auf  lehnwörtliche  Entwicklung  zu 
deuten,  ein  Zurückgreifen  auf  die  lateinische  Form  ist  bei  dem 
Charakter  des  Wortes  recht  begreiflich.  Beachte  prov.  natja,  nagga, 
friaul.  nadie. 

Falscher    Ansatz    ist   *mordatica  >  mordache    (Gutheim  Z'^.'^ 


'  Vgl.  die  Liste  bei  Bauer  S.  19. 

2  Der  Konsonantismus  des  Französischen  im  XIII.  Jahrhundert,  Halle  1890, 

3  Gutheim  S.  23  meint,  nage  nach  fiagier;  ich  weifs  nicht,  was  für  ein 
nagier  das  sein  soll.  —  Cledat  hält  nage  für  lautgerecht.  Für  nache,  farouche 
möchte  er  annehmen,  dafs,  als  das  Auslaut-^  nahezu  stimmlos  war,  g  ,,a  pu 
etre  assimile  par  la  langue  h.  une  consonne  finale:  or,  on  sait  qu'une  sonore 
s'assourdit  lorsqu'elle  devient  finale";  aber  diese  Änderung  sei  nicht  allgemein, 
in  Woltern  wie  courage,  j'uge  sei  sie  „absolument"  verhindert  worden  durch 
Ableitungen  wie  cotirageux,  jug-er  usw.  —  Marchot  S.  93  hält  nache  nicht 
für  regelmäfsig,  weil  pic.  nake  nicht  nachgewiesen  ist.  Für  tiage  findet  er  die 
Erklärung  in  der  Entwicklung  des  Suffix  -icu,  -ica,  s.  §96.  —  Körting 
bietet  seltsamer  Weise  in  allen  Auflagen  afr.  nache,  nfr.  nage. 

*  Diez,  Körting!  leiten  mordache  von  mordax,  -com  her,  das  ist  un- 
haltbar. Der  Dict.  g6n.  betrachtet  es  als  Ableitung  von  mordre  ■\-  accus; 
mordache  für  mondasse  scheint  ihm  dialektisch;  ihm  folgt  Cledat  S.  132. 
Shepard  20  bezeichnet  mordache  als  Lehnwort  aus  dem  it.  mordochia  <[  *mor- 
dacula,  so  auch  Körting*  "»d ', 


136 

Das  spätlat.  hutica  verdankt  das  Schwanken  zwischen  ch  und 
g  wohl  seiner  verhältnismäfsig  jungen  Bildung.  Braune  Zeitschr.  XVIII 
513  wollte  bekanntlich  von  ostfries.  hucktje  ausgehen. —  *retica 
>  ostfrz.  rlge  (M.-L.  Rom.  Gr.  II  455)  ist  viel  zu  unsicher,  um 
gegen  unser  Gesetz  sprechen  zu  können;  Horning  Zeitschr.  XXI  459 
weist  den  Ansatz  ab  auf  Grund  von  nprov.  drai. 

erege  -<  hereticu,  arthnage  <i  arte(mathe)matica  sind 
selbstverständlich  Lehnwörter. 

§  q6.  Anhang.  Schwierigkeiten  bietet  der  Weg,  auf  dem 
Kons.  4-  icu  >>  frz.  -ge  geworden  ist.  M.-L.  Rom.  Gr.  und  Schw.-B. 
§  148,2  sind  der  Ansicht,  dafs  in  -icu  vor  Eintritt  der  Synkope  k 
über  g  zu  y  geworden  sei,  z.  B.  medicu  >>  miedeye  ]>  miege,  -aticu 
>-  -adeye  >>  -adze.  Nyrop  I  §  400  Rem.  läfst  -aticu m  >»  -adego 
y>  -adgo  >>  -age  werden.  Diese  Entwicklung  hat  zweifellos  auf  der 
iberischen  Halbinsel  stattgefunden:  ptg.  -adego,  span.  -adgo  >  -azgo. 
Wie  aber  -adgo  im  Frz.  zu  -age  wurde,  während  sonst  c,  g  nur  vor 
a  sich  zu  ch,  g  {/s  dz)  entwickeln,  darüber  gibt  Nyrop  keine  Aus- 
kunft. Für  das  Frz.  im  engeren  Sinne  könnte  man  sich  folgender- 
mafsen  helfen:  -adgo  wurde  zu  -adge  mit  Stütz -^  und  vor  dem  p 
entwickelte  sich  gedecktes  g  genau  so  wie  vor  a. 

Allein  diese  Annahme  ist  unzulässig  für  frc.-prov.  -ajo  und 
prov.  -aige.  Bereits  N.  du  Puitspelu,  Dict.  etym.  du  Patois  Lyonnais 
p.  LXXXVII  Anm.  2  führt  aus;  La  suffix  -aticum  a  donne  -aj'o, 
Sans  qu'on  puisse  l'expliquer  par  -at(i)cum,  car  c  devant  u  =  k 
ou  g.  II  faut  donc  admettre  -ati(c)um,  oü  -h'utn  ne  s'est  pas 
comporte  comme  la  finale  latine  -tium,  laquelle  a  donne  s  dans 
solatium  =  sola(s).  Dans  -aticum  il  y  a  eu  consonnification 
de  i'i,  d'oü  -atjo,  -ajo.  On  compremd  d'ailleurs  facilement  que 
-titim,  de  formation  romane,  ne  s'est  comporte  comme  le  -tium 
originaire  du  latin. 

Ferner  müfste  in  jenen  Gebieten,  wo  k^,  gl  nicht  zu  ts,  dz 
wird  (pic.-nordnorm.),  nicht  -ge  {-dz3),  sondern  -giie  {-g?)  erscheinen. 
Marchot  S.  93  macht  nun  darauf  aufmerksam,  dafs  -ague,  m/egue, 
piegue,  jiigue,  ligue  usw.  im  Norm.-Pic.  sich  nicht  finden. 1  Er 
gelangt  zu  dem  Schlufs:  die  Endung  -icu,  -ica  wurde  allgemein 
als  Suffix  gefühlt  und  man  widerstrebte  lange,  sie  zu  synkopieren, 
um  sie  nicht  zu  entstellen.  So  fiel  vor  der  Synkope  das  c  auf 
der  Stufe  y,  dann  wurde  j  in  -tis,  -dis  eingeschoben,  also  -tiJ3, 
-dijf,  dann  Synkope:  /'y>,  d^),  daraus  -che,  -ge. 

Wieder  einen  anderen  Weg  vermutet  Horning,  Proparoxytona 
S.  21  f.     In  -aticum  >  age,  manicum  >  mange,  pertica  "^ periye 


1  Es  fragt  sich,  ob  die  Behauptung  richtig  ist,  oder  uns  die  ursprüng- 
lichen Formen  nur  nicht  überliefert  sind.  Der  Dict.  des  Festes  kennt  nur  ein 
Forgiie,  aber  zahlreiche  Forge(s)  in  diesem  Gebiete.  Zum  mindesten  ist  Marchots 
Angabe  für  perche  unrichtig,  es  findet  sich  noch  heute  perk.  Ebenso  belegt 
der  Atl.  ling.  tnäke  für  tnafiger,  s.  §  99,  I.  Für  au  piege  sagt  nach  ihm  das 
Pic.  a  l  atrap,  das  Wall.  0  sep,  daher  kann  kein  *piegue  sich  finden. 


137 

>  voges.  perte^  wall,  pls  usw.  habe  man  i  in  der  Pänultima  statt  e 
gesprochen.  Aus  vi.  e  konnte  i  hervorgehen  unter  dem  Einflüsse  des 
mit  einem  Ansätze  zur  Palatalisierung  gesprochenen  c.  Dieses  i 
konnte  nun  seinerseits  wieder  auf  das  e  zurückwirken  und  den 
Prozefs  der  Palatalisierung  fördern,  während  es  selbst  durch  das  c 
vor  der  Reduzierung  geschützt  wurde  und  seine  vokalische  Natur 
länger  als  andere  Vokale  ungeschwächt  behielt;  es  konnte  nicht 
ausgestofsen  werden,  weil  es  nicht  zu  ^  verblafst  war.  Die  Paroxy- 
tona  hielten  sich  daher,  bis  c  durch  g  zu  y  wurde,  -iya  wurde 
allmählich  durch  Verschmelzung  beider  i-Laute  zu  -y3. 

M.-L.  Frz.  Gr.  §  123  nimmt  dagegen  an,  dafs  in  -icu  sich  c 
in  ähnlicher  Weise  verflüchtigt  hat  wie  g  in  —  agu,  nur  dafs  -icu 
über  -iu  zu  ///  und  nach  stimmhaften  Konsonanten  g,  nach  stimm- 
losen c  wurde. 

Um  eine  Entscheidung  zu  geben,  ist  vorerst  eine  gründliche 
Untersuchung  des  Pic.-Norm.  notwendig,  wie  weit  hier  -qiie,  -giie- 
Formen  bestanden  haben.  Die  eigentliche  Lösung  aber  wird  auf 
prov.  Gebiet  zu  finden  sein,  denn  die  Schwierigkeit  besteht  auch 
für  prov.  -aije\  die  stärkere  mundartliche  Gliederung  wird  hier  eher 
die  Möglichkeit  bieten,  sich  für  einen  der  obengenannten  Wege  zu 
entscheiden.  Der  Atl.  ling.  bietet  das  nötige  Material  dazu.  Auch 
das  Cat.  und  vor  allem  die  rätoroman.  Mundarten  werden  manchen 
Fingerzeig  geben  können.  Vom  frz.  Standpunkt  allein  gelangt  man, 
wie  die  oben  angeführten  Annahmen  zeigen,  zu  keiner  Entscheidung. 

§  97.     Tenuis  vor  p. 

c,  t  vor  p  kommen  nicht  in  Betracht;  p'p  tritt  voreinzel- 
sprachlich  bereits  zusammen,  s.  §  19. 

Tenuis  vor  t. 

c't  wurde  schon  im  Teil  II  behandelt,  s.  §  50. 

p't  und  t't  sind  gemeinromanisch,  s.  §  t^i  und  §  10. 


3.   Gedeckte  Media  vor  c,  p,  t. 

Erwähnt  sind  nur  jene  Gruppen,  die  tatsächlich  vorkommen. 
Die  Entwicklung  ist  ganz  die  gleiche  wie  bei  einfacher  Media. 

§  98.     Gedecktes  b  vor  c: 

I.  mb'c:  *plumbicare  a.{x.plongter,st[ievip!onchier  nix.plonger. 
M.-L.  Rom.  Gr.  1 275  sah  plonchier  als  die  lautgerechte  Form  an;  in  der 
Frz.  Gr.  §  106  erwähnt  er  nur  plonger.  Ebenso  findet  Marchot  S.  89 
plonchier  (pic.  pldke)  lautgerecht;  in  plonger  habe  der  Konsonant 
vor  b,  „au  moins  dans  une  aire  donnee",  die  Synkope  verzögert.* 
Bauer  .8.  20   denkt    sich    die   Entwicklung  *plunibico  '^  plumhigo 


'  Auch  Klausing  S.  43  meint,  die  Synkope  sei  durch  den  Lautnexus  nibc 
bis  zum  Übergang  von  k  ^  g  aufgehalten  worden. 


138 

>  plumhijo  >>  plumhie  >>  plonge.  Die  alte  Neumannsche  Erklärung: 
*plumbicare  >•  plongier,  *plumbicat  >  plonche  ist  völlig  ent- 
sprechend. 

2.  rb'c:        *berbicariu     afr.  her  gier,  lerchier     nfr.  berger 
*berbecaliu       „   berge  all  „    bcrcail 

Die  lautgerechten  Formen  sind  demnach  afr.  bergier,  bergeail.  Marchot 
S.  89  ist  wieder  dazu  gezwungen,  Kons.  +  b  die  Synkope  verzögern 
zu  lassen,  „dans  une  aire  donnee".  Norm,-Pic.  lauten  die  Worte 
berquer,  bercail,  letzteres  ist  nfr.  verallgemeinert.  Afr.  berchier  be- 
darf einer  besonderen  Erklärung.  Norm.-pic.  heifst  das  Wort  laut- 
gerecht berker,  hierqnier;  das  scheint  nun  ins  Zentralfrz.  als  berchier 
entlehnt  worden  zu  sein,  da  franzisch  ch  meist  pik.  k  entsprach. 
Dafs  es  nur  eine  literarische  Umbildung  ist,  dafür  spricht  der  Um- 
stand, dafs  in  den  heutigen  Mundarten  bercher  nirgends  vorkommt. 
Dagegen  pik.  berke  lebt  noch  fort  (Karte  128  des  Atl.  ling.),  aller- 
dings von  der  schriftsprachhchen  Form  berje  stark  eingeengt  und 
durchsetzt.  So  spricht  man  z.  B.  in  Tournai,  für  das  God.  so  oft 
bierquier  belegt,   heute  nur  mehr  berje. 

*cucurbica  >>  coprge  setzt  M.-L.  Frz.  Gr.  §  124  an.  Körting 
führt  nfr.  courge  zurück  auf  curbea,  curvea.  Der  Dict.  gen.  be- 
trachtet diese  erst  im  14.  Jh.  belegte  Form  als  Umgestaltung  von 
coicrde  unter  Einflufs  von  prov.  coja.  Ein  Ansatz  *cucurbica 
scheint  mir  für  das  so  spät  auftretende  Wort  nicht  berechtigt,  eher 
ist  Suffixtausch  von  -ita  mit  -ia  eingetreten.  Wahrscheinlich  ist 
Cucurbita  überhaupt  erst  aus  dem  Süden  nach  Nordfrankreich 
verpflanzt  worden. 

§  99.     Gedecktes  d  vor  c; 

I.  nd'c: 

Andecavu'        frz.  Anjou  Andecavis        frz.  Ajigers 

blandicare        afr.  blangier  manducare        „     manger 

pendicare  „    pengier ^ petichier  nfr.  peficher 

*expandicare       „    espanchier  „     ipancher 

vindicare  „    vengier,  venchier,  vAx.venger,  revancher 

vindicator  „    vengier e  vindicatione    afr.  vengison 

vindicatorem     „    z>enchedor,vengedor  nfr.  vejigeur 

Formen  wie  Anjou,  Angers,  manger  sind  beweisend,  dafs  Synkope 
erst  nach  der  Lautabstufung  eintrat.  Denn  zu  den  beiden  Orts- 
namen gibt  es  keine  stammbetonten  Formen,  manditcat  aber  sollte 
*mandue  (dafür  durch  Ausgleich  manjue)  geben.  3  Heute  ist  auch 
in  den  Mundarten  der  Ausgleich  fast  durchwegs  wie  in  der  Schrift- 


^  Elfrath  S.  783  hat  mit  Recht  den  Ansatz  *Andegavu  als  unnötig 
zurückgewiesen. 

2  pengier  führt  Neumann  S.  560  ohne  Beleg  an.  Godefroy  hat  nur 
penchier. 

^  Die  afr.  Formen,  die  z.T. eigentümliche  Mischbildungen  sind,  verzeichnen 
Coruu  Rom,  III  427  fF.,  Foerster  Zeitschr.  I  562,  P.  Meyer  Rom.  VII  432. 


139 

spräche  eingetreten.!  Marchot  S.  88  behauptet,  dafs  die  Zeitwörter 
■manger,  vetiger,  iarger,  jitger  keine  pic.  Nebenform  auf  g  oder  k 
haben;  mit  Unrecht,  die  Sprachatlaskarten  zu  manger  zeigen,  wenn 
auch  sehr  selten,  die  echt  pic.-norm.  Entwicklung  mit  Erhaltung 
des  ^.2    Wall,  heifst  das  Wort  magner^  (vgl.  it.  mundartl.  magnare). 

pencher,  eparicher,  revancher  sind  Ausgleichsformen  nach  pendi- 
cat,  expendicat,  revindicat.  Ist  für  tpancher  keine  Form  mit 
stimmhaften  Konsonanten  nachgewiesen,  so  kennt  blangier  keine  mit 
stimmlosen  Palatal;  während  vindico,  vindicas  die  entstehenden 
Doubletten  auf  das  Simplex  venger  und  das  Kompositum  revancher 
aufgeteilt  hat.  —  Afr.  vengison,  vengeor  zeigen  Ausgleich  nach  venger, 
vengiere. 

Marchot  S.  88  nimmt  an,  dafs  in  diesen  Zeitwörtern  auf  -ger 
die  Synkope  ziemlich  spät  eintrat,  auf  der  Stufe  mandnyare,  vendi- 
yare;  die  Gruppe  dy  hätte  franzisch  wie  pikardisch  dz  ergeben. 
Warum  aber  dann  revancher  neben  venger  usw.,  darüber  äufsert  er 
sich  nicht.  Er  umgeht  also  den  Kernpunkt  der  Frage,  in  welchen 
Fällen  die  Synkope  vor,  wann  nach  der  Lautabstufung  eintritt.* 

Falsche  Ansätze  sind: 

*vindicantia  vetigeance,    dies    ist    vielmehr    frz.  Ab- 

[leitung  zu  vettger 
*revindica  (Marchot  S.92)    revanche  (16.  Jh.),  dies  ist  vielmehr  frz. 

[Verbalsubst. 

*bandicare  (Körting  2.  Aufl.)  afr.  hanoiier;  in  der  3.  Aufl.  ersetzt 
durch  *bandidiare,  *banidiare,  nur  das  letztere  würde  lautlich 
entsprechen,  ist  aber  als  Bildung  nicht  zu  rechtfertigen.^ 


1  Der  Sprachatlas  verzeichnet  nur  kümmerliche  Reste  der  stammbetonten 
Formen:  Karte  mange  (Imperatif)  im  Pic.  myü  (275  und  284,  wo  aber  schon 
andere  Formen  daneben  stehen);  Karte  madige  zeigt  mye  287,  273. 

2  Karte  mang-e:  284  (pic.)  fnä'i,  me9,  tnäk,  myü  nebeneinander;  norm. 
249  mäk\  Karte  majige:  pic.  245  mäke,  249  7näke,  mäjd,  267  niäke,  meje.  — 
Auch  norm,  ist  7näke,  wie  ich  selbst  zu  hören  Gelegenheit  hatte.  In  neuester 
Zeit  mufs  sich  wiederum  eine  Doppelheit  des  Konsonanten  ergeben  in  den 
Mundarten,  wo  nach  Verstummen  des  e  muet  der  Konsonant  im  Auslaut 
stimmlos  wird  (pic.  wall.,  z.  T.  norm,  lothr.);  aber  infolge  der  dagegcnwirkenden 
endungsbetonten  Formen  sind  die  stimmlosen  sehr  selten. 

^  Karte  mangeons  :  niänö,  ?nangerats  :  viäirrcp,  mange  :  wä^,  mange 
:  mäni.  Vgl.  radicare  >  afrz.  ragier,  \o\!ax.  rayer;  dies  kann  man  erklären 
als  *^rad-iare  für  rad-icare,  aber  ein  *mand-iare  genügt  nicht. 

^  Noch  seltsamer  ist  die  Rechtfertigung  der  stimmlosen  Formen  bei 
Cledat  S.  I32f.  Er  geht  aus  von  pendit-icare  (gebildet  zum  Part,  penditum); 
dieses  ergibt  ihm  t^^x^W.q^z.x'^ penteyar'^ pentchier'^ pencher.  Die  stamm- 
betonte Form  dagegen  habe  -ege  ergeben,  daher  Inf.  fenchier  und  pengier. 
All  das,  weil  er  nicht  glaubt,  das  bei  End-a  die  Synkope  vor  die  Ton- 
erweichung fällt. 

5  Auszugehen  ist  vom  germ.  Stamm  band-,  gleichviel  ob  dieser  von  got. 
bandwa  oder  deutsch  band  herzuleiten  ist.  Er  ergibt  im  Frz.  das  Haupt- 
wort ban;  dazu  ist  mittels  -^Z2>r  <^ -id  i  are  das  genannte  Zeitwort  abgeleitet. 
Nur  als  frz.  Bilduug  zum  frz.  Hauptwort  ban  ist  das  Nichtvorhandensein  des 
d  gerechtfertigt.  —  Beachte  mhd.  baneken  =  mlat.  banicare. 


140 

mendicare  frz.  mendier.  Es  handelt  sich  viehnehr  um  Aus- 
gleich nach  mendicat  >>  mendie. 

2.  rd'c:     *tardicare         afr.  targier 

Formen  mit  stimmlosen  Konsonanten  sind  nicht  bekannt,  die 
stammbetonten  sind  also  frühzeitig  durch  Ausgleich  beseitigt  worden.! 
Man  hat  targier  auch  als  *tardiare  gedeutet,  was  aber  durch  den 
Konj.  tarst  widerlegt  wird;  allerdings  könnte  iarst  auch  nur  einer 
Analogie  zu  verdanken  sein.  —  Falscher  Ansatz  ist 

*ardicare  2Sx.  ardoür,  südfrz.  ardeja  (Schuchardt  Zeitschr.XIIl53i), 
es  handelt  sich  um  Ableitung  vom  Stamm  ard-  +  -euer  ■<  idiare. 

3.  ng'c,  rg'c  liegen  nicht  vor,  vgl.  §  43  und  §  46. 

§  100.  Gedeckte  Media  vor  p  kommt  nicht  in  Betracht  Afr. 
atnpars  ist  nicht  ambo  partes,  sondern  Umbildung  von  ambes 
partes  •<  ambas  partes  nach  Muster  von  andui. 

§101.     Gedecktes  b  vor  t. 

I.  mb't:  *bombitare,  -ire    afr.  bonder'^,  hondir    nfr.  hondir 

*ambitariu  „    andier                      „    laudier 

*ambitare  „    hanter                      „    hanter 

*ambitu  „    ande,  onde  mundartl. ö«</^ 

*ambitanu  „    andain,  ondain      nfr.  andain 

*cambita3  „  jante                        „  jante 

Körting^  1496  meint  noch  immer,  *bombitare  müfste  *bonter 
ergeben  wie  tinnitare  frz.  tentir\  aber  die  Gleichsetzung  von  mb't 
und  nn't  ist  völlig  unberechtigt.  1493  zieht  er  daher  vor,  bondir 
von  bonde  (aus  mhd.  bunde,  Nebenform  zu  spunt)  abzuleiten. 
Marchot  S.  86  läfst  wiederum  d  dem  Umstände  zu  verdanken  sein, 
dafs  dem  b  ein  Konsonant  vorangeht;  ebenso  möchte  er  ordilre, 
andier^  andain  erklären.  Bauer  S.  41  dagegen  vermutet  für  bondir 
Entlehnung  aus  prov.  bondire  und  zitiert  bombito  >- /5c>«/(f,  aber  eine 
solche  t-Form  ist  mir  nie  begegnet,  auch  in  den  Ableitungen  nicht. 

*ambitarius  ist  wohl  lautlich  entsprechend,  aber  die  Be- 
deutung macht  Schwierigkeiten.  *amitariu  (M.-L.  Zeitschr.  VIII 
233;  Rom.  Gr.  I  §  430)  und  *lampidariu  (Körtings  ^82)  sind 
auch  lautlich  nicht  geeignet.  Diez  wies  auf  mlat.  andena,  Schuchardt 
Zeitschr.  XXVI  397  auf  lat.  landica  (afr.  landie)  hin.  Neuerdings 
führt  Schuchardt*  das  Wort  zurück  auf  kelt.  *andero  {xv\2^..  anderius) 
=  „junger  Bock",  zweifellos  die  beste  Lösung. 


1  atarzie,  atarzerat  (Pred.  d.  hl.  Bernhard)  möchte  Elfrath  790  auf  *ad- 
tardicire  ^  atarzir  zurückführen.  Es  liegt  wohl  nur  mundartliche  Ent- 
wicklung vor. 

'  Heute  noch  im  Pic. ;  vgl.  nprov.  bounda. 

3  S.  S.  105. 

*  Festschrift  für  Mussafia  S.  3.  Ihm  zugestimmt  hat  Meringer  Idg.  F. 
XVI  137,   gegen   den   Horning  Zeitschr.  XXIX  526   *ambitarius   verteidigt. 


141 

Ebenso  ist  hanter  umstritten.  Wenn  ambitare  (Schaler  im 
Anhang),  müfste  Ausgleich  eingetreten  sein.  Littres  habitare  ist 
aus  lautlichen  Gründen,  Körtings  *amitare  (zu  ames,  -itis)  der 
Bedeutung  wegen  abzuweisen.  Besser  ist  Diez  an.  heimta  oder 
Schelers  *hamitare  (zu  *hamus  =  germ.  *haim-),  wo  das  h  und 
das  auschliefsliche  t  ihre  Erklärung  finden. 

ambitus  hat  Gröber  ALL  I  235  angesetzt  für  afr.  onde,  Körting 
583  findet  diese  Ableitung  unannehmbar,  leider  ohne  Angabe  von 
Gründen.  Eine  Weiterbildung  zu  ambitus  sieht  Gröber  ALL  1X235 
in  afr.  ondain,  aiidain,  nfr.  andain  1  Der  Dict.  gen.  sieht  darin  noch 
eine  Ableitung  von  andare;  das  ist  unhaltbar,  weil  andare  die  speziell 
it.  Entwicklung  eines  Grundwortes 2  ist,  welches  frz.  aller  ergab. 
G.  Paris  Rom.  XIX  499  ff.  geht  von  indaginem  aus.  Neuerdings  hat 
Horning  Zeitschr.  XXIX  513  ff.  über  ambitus  im  Romanischen  ge- 
handelt und  stellt  dazu  frz.  ande,  andain;  mundartl.  a7ide,  onde  dürfte 
wie  nprov.  ande,  abruzz.  anda  fem.  sein  und  zurückgehen  auf  den 
Plural  ambita  zum  Neutr,  ambitum.  Ob  aber  frz.  ande,  prov.  anda 
wirklich  von  *ambita  stammen,  bleibt  zweifelhaft,  vgl.  Horning 
Zeitschr.  XXXII  604. 

2.  rb't: 


*orbitaria 

altpic.  ordüre 

frz.  ornüre^ 

orbita 

afr.  ourde 

Cucurbita 

„    coourde 

„    gourde 

derbita 

„    derte 

„    dartre 

Davon  entspricht  ordüre  unserem  Gesetze.  Marchot  S.  85  da- 
gegen macht  das  Wort  Schwierigkeiten;  es  sei  entweder  auszugehen 
von  *orbida  oder  es  liege  der  Grund  für  d  darin,  dafs  dem  b 
ein  Konsonant  vorangehe  wie  in  bondir,  andier,  atidain.  Auch  ourde, 
coourde  erklärt  er  S.  90  dementsprechend  durch  Suffixtausch  oder 
durch  die  Tatsache,  dafs  ein  Konsonant  dem  b  vorangeht.  Elfrath 
S.  766  denkt  für  oiirde  an  Angleichung  an  ordüre,  ebenso  habe 
gourde   durch   ein    „gleich    oder    ähnlich    lautendes   Wort"    sein    d 


Aber  Meringer  ist  Zeitschr.  XXX  414  ff.  mit  guten  Gründen  bei  Schuchardts 
Etymon  geblieben.  Mlat.  andena  und  branderia  sind  demnach  Umgestaltungen 
von  *andero-,  ersteres  nach  catena,  letzteres  nach  germ.  brand.  —  Mundart- 
lich ist  midier  auch  noch  ohne  den  angeschmolzenen  Artikel  vorhanden,  vgl. 
noch  me.  aundire.  ne.  andiron  (angeglichen  an  irofi). 

^  ondain  noch  heute  in  einem  gröfseren  Teile  des  Westfrz.  (Dep.  Loire- 
et-C,  Sarthe,  Maine-et-L.,  Ile-et-V.)  und  westnorm.,  vgl.  den  Atl.  ling. 

2  Dieses  Grundwort  ist  für  mich  zweifellos  ambulare,  das  frühzeitig 
*amblare  wurde.  Aus  satzphonetischen  Gründen  (Unbetontheit  infolge  der 
Häufigkeit)  wurde  die  Gruppe  mbl  erleichtert  zu  m'l  >•  nl,  indem  b  vor  1  fiel 
wie  etwa  n  vor  i  in  %t.n\.ox'^*seior^sire.  Rom.  *anlare  ergab  durch 
regressive  Assimilation  frz.  aller,  durch  progressive  Assimilation  prov.  annar, 
durch  partielle  Assimilation  it.  andare.  Afr.  at}tbler  verhält  sich  zu  aller  wie 
afr.  seindre  zu  sire. 

*  Nach  M.-L.  Zeitschr.  XXII 440  entstanden  aus  ordiere  durch  Angleichung 
an  orne  <;  ordinem;  der  Dict.  g6n.  bezeichnet  orniere  als  Ableitung  zu 
orne  <C  ordinem. 


142 

erhalten  —  aber  er  weifs  keins  anzugeben.  Neumann  Zeitschr.  XIV 
562  nahm  an,  dafs  rb  den  Wandel  von  t  >  d  bewirkt,  umgekehrt 
wie  in  porticum  >■  portigum  rt  den  Wandel  von  g  '^  ch  bewirkt. 
Bauer  S.  41  geht  aus  von  orbitem,  woraus  er  t  erwartet:  d  sei 
von  ordiere  (Elfrath)  oder  von  *orbida  (Marchot),  gougoiirde  scheint 
ihm  *cucurbida  oder  prov.  Lehnwort.  Auch  Nyrop  I2  400,  i 
läfst  gourde  entlehnt  sein  aus  prov.  cougourdo,  während  der  Dict.  gen. 
nur  das  anlautende  g  auf  Rechnung  des  Prov.  (oder  von  gourd) 
setzt.  M.-L.  Frz.  Gr.  §  124  läfst  goorde,  onze,  caiorze,  quinze  auf 
teilweiser  Angleichung  an  den  in  starker  Stellung  stehenden  Silben- 
anlaut beruhen.  Aber  dagegen  erhebt  sich  das  starke  Bedenken, 
warum  denn  sonst  rb,  nd,  rd  nicht  stimmhaftes  Ergebnis  herbei- 
führten, vgl.  pencher,   epancher,  reva7icher,  darire,  venie,  petite,  perle  usw. 

Der  Einheitlichkeit  der  Regel  wegen  ist  in  ourde,  gourde  die 
Abweichung  zu  sehen.  Ersteres  kann  *orbitem  sein,  letzteres  mit 
seinen  zahlreichen  Nebenformen  ist  der  Entlehnung  verdächtig. 

Beweisend  wäre  derbita^  >>  afr.  derte,  aber  man  kann 
ebensogut  von  *dervita  ausgehen,  wo  stimmloser  Dental  sicher 
erscheinen  mufs. 

3.  sb't  liegt  nur  vor  in  dem  Lehnwort 

presbyter        2X1. prestre,  preste        nix.  pretre. 

Nach  dem  Dict.  g6n.  wurde  presbyter  zu  presb'tre  zu  prestre, 
während  unser  Gesetz  Synkope  nach  der  Lautabstufung  verlangt. 
Ich  halte  presbyter  nur  für  eine  graphische  Form,  das  Volk 
sprach,  da  die  Lautverbindung  sb  im  Latein  nicht  vorkam,  zweifel- 
los *prespiter. 

Dieses  wurde  —  eine  AUegroform^  —  gemeinromanisch  zu 
*prespter.  Nur  so  erklärt  sich  span.  aptg.  presie,  während  b't 
Stimmerweichung  erfuhr  (cubitu  >>  span.  codo,  ptg.  covado),  sp't 
nicht  synkopiert  wurde  (hospitem  ^  span.  huesped,  ptg.  hospede). 
*prespter  gibt  regelrecht  prestre',  nicht  im  Frz.,  sondern  voreinzel- 
sprachlich  liegt  die  entscheidende  Entwicklung. 

Ob  afr.  prestral  Ableitung  zu  prestre  oder  aber  Reflex  von 
mlat.  presbyterialis  ist,  kann  man  nicht  sagen;  in  letzterem  Falle 
müfste  prov.  preveiral  nach  preiveire  umgestaltet  sein.  Sicher  erst 
frz.  Bildungen  sind  prestage,  prestesse  usw.  —  Auch  der  Atl.  ling. 
Karte  374  zeigt  keine  stimmhafte  Konsonanz.  ^  —  Der  ursprüngliche 


^  Die  Herleitung  von  dartre,  it.  mail.  derbeda  von  herpötem,  das  sich 
mit  derbiosus  gekreuzt  haben  soll,  ist  abzuweisen.  Die  Betonung  macht  sie 
schon  unmöglich,  und  statt  derbiosus  ist  an  der  einzigen  Belegstelle  serniosus 
zu  lesen  (Niedermann  I.  F.  XV  118).  derbita  ist  in  Glossen  öfter  belegt 
(s.  Walde,  Lat.  etym.  Wb.,  s.  v.),  doch  ist  b  nicht  „schlechte  Schreibung"  für 
V,  wie  Walde  meint,  sondern  rv  ^  rb  ein  vi.  Lautwandel. 

^  Diese  Kurzform  ist  nicht  der  vi.  Synkope  zuzurechnen,  sondern  ent- 
steht aus  satzphonetischen  Gründen,  wohl  wegen  Unbetontheit  in  der  Anrede, 
wie  *seior  (frz.  sire)  aus  senior. 

3  Südschweiz,  prere,  pr'ire  ist  sekundäre  Entwicklung  aus  prete,  pr'ite, 
vgl.  vous  dites  =  dete  und  dere  südschweiz.  Karte  408. 


143 

Akkusativ  presbyterum  >  pxow  preveire,  zk.  provoire   (nfr.  in  Rue 
des  Prouvaires)  kommt  für  uns  nicht  in  Betracht. 

§  I02.     Gedecktes  g  vor  t  s.  Teil  II,  §§  46,  47. 

§  103.     Gedecktes  d  vor  t. 

I.  nd't:     Condatei   Condes,  Candes      *lendite     zir.  lende 
Verb.-Subst.    —  ndita        —jite  *lendita     frz.  knie 

a.  Synkope  zwischen  d't  trat  schon  voreinzelsprachlich  ein, 
nicht  aber,  wenn  das  d  gedeckt  ist,  wie  aus  den  Beispielen  hervor- 
geht.    Sie  entsprechen  durchaus  der  Neumannschen  Regel. 

Afr.  le)ide  erklärt  Körting  5523  nach  Diez  aus  lendinem  wie 
image  aus  imaginem;  dann  müfste  es  Lehnwort  sein,  was  unwahr- 
scheinlich ist.  Ie7ide  zu  lente  durch  Einflufs  des  Adjektivs  lentus, 
wie  K.  glaubt,  ist  abzuweisen.  Marchot  S.  go  erwähnt  nur  lendite 
]>  le7tte,  ohne  dann  die  d-Form  zu  rechtfertigen. 

Die  beste  Erklärung  ist:  cl.  lendem  ersetzt  durch  *lenditem 
(Thomas)  >>  prov.  afr.  lende^  durch  *lendicem  >>  prov.  lenze,  durch 
*lendinem  >>  it.  lendine,  span.  liendre.  Wie  neben  *lenditem  ein 
*lendita  ;>  frz.  knie,  so  steht  neben  *Iendinem  ein  *lendina 
]>  cat.  Ikmena,  ptg.  kndea. 

b.  Die  Verb.-Subst.  auf  —ndita  ergeben  regelrecht  frz.  —nie'. 
*vendita  ]>  vente,  *rendita  >  renie.  Die  Ansätze  sind  allgemein 
anerkannt,  nur  läfst  man  diese  nomina  actionis  teils  aus  dem  Sg. 
fem.  (z.  B.  Gröber  ALL  111  553),  teils  aus  dem  PI.  neutr.  (z.  B. 
Dict.  gen.  s.  venie)  gebildet  sein.  Körting  fügt  zu  diesen  beiden  noch 
*findita  ^  fenie,  *pendita  '^  penie,  *tondita  >  tonte^  *tendita 
>"  ienie.  Bauer  S.  41  setzt  solche  Bildung  auf  -ita  auch  an  für 
aiienie,  descente,  entente,  fo7iie,  soiipenie.  Körtling  betrachtet  descenie, 
renie  als  Bildungen  von  descendre,  rendre.  Der  Dict.  gen.  geht  für 
aiienie,  entenie,  ienie,  ionie  aus  von  *attenta,  *intenta,  tenta, 
*tonta  (für  tonsa),  dagegen  fenie,  fonie,  descente,  penie  seien  Bildungen 
zum  Verbum  nach  ienie,  retiie,  venie.  Klausing  S.  44  läfst  nur  *vendita, 
*pendita,  *rendita  gelten,  für  die  übrigen  geht  er  aus  von 
*intenta,  *descenta,  *tonta,  *fonta  usw. 

Schwierigkeiten  bereitet  auch  das  Verhältnis  der  t-  und  d-Formen 
im  Romanischen:  it.  rendiia,  vendiia,  frz.  renie,  venie,  prov.  rettda,^ 
venda,  span.  re?iia,  venia,  ptg.  renda,  venda.  Ullrich  3  erblickte  darin 
die  Typen  vendita,  rendita  usw.,  die  sich  in  zweifacher  Art  ent- 


^  Vorausgesetzt,  dafs  von  einer  Betonung  Cöndate  auszugehen  ist  und 
nicht  Rückbildung  aus  C  ond  atensis  ]>  *Co«^£'i?z'j  (zu  C o n  d ä t e  ]^  Cöw^/c') 
vorliegt,  was  in  Erwägung  zu  ziehen  ist,  vgl.  M.-L.,  Bet.  im  Gall.,  S.  52. 

^  Körting  sclireibt  auch  in  der  3.  Aufl.  fälschlich  renta. 

*  Die  Entwicklung  des  Part.  Praet.  in  den  rem.  Sprachen,  Diss.  Winterthur 
1879.  —  Diez  hielt  bekanntlich  vente,  tente  für  Verb.-Subst.  entsprechend  dem 
prov.  venda,  tenda,  aus  dem  Vcrbalstamm  gezogen,  wo  aber  das  d  sich  in  t 
verwandelte. 


144 

wickelt  hätten;  im  Frz.  fällt  das  i,  bevor  t  >  d  erweicht  wurde 
und  man  hat  vend'ta  >>  vente,  im  Prov.  fällt  das  i  später,  daher 
*vendida  >  venda.  G.  Paris  Rom.  VIII  448  wendete  dagegen  ein, 
dafs  nichts  berechtigt,  diesen  Unterschied  zwischen  dem  Gallorom. 
des  Südens  und  dem  des  Nordens  anzusetzen;  warum  nicht  an- 
nehmen, tenda,  venda  usw.  ebenso  wie  prov.  falha,  it.  tenJa,  span. 
prenda^  Demgemäfs  sieht  Schultz-Gora  §  157  in  renda,  tenda,  vetida 
Verbalsubst.  gebildet  vom  Stamm  +  a.  Herford  S.  15  hält  für 
möglich,  dafs  in  urprov.  *vefita,  *renia,  das  t  zu  d  geworden  sei 
erst  unter  Einflufs  des  voraufgehenden  n,  aber  domde  «<  domitum 
bildet  gar  keine  Parallele  dazu;  dann  hätte  t  auch  in  cantar  er- 
weicht werden  müssen. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  Frz.  und  Prov.  erklärt  sich  durch 
einen  Ausgleich.     Beide  Bildungen  sind  ursprünglich  vorhanden: 

vi.  *vendita     li.vendita     hz.  vente^      prov.  *^w^/a 
„    *  tenda  „   ienda  „    *tende  „      tetida 

Die  grofse  Zahl  der  zu  einem  Verbum  gehörigen  Subst.  auf  -te 
{conduite,  plat?ile,  vente,  rente  usw.)  riefen  die  Vorstellung  hervor, 
Verbalsubstantive  werden  gebildet  vom  betonten  Stamm  -f-  te  (vgl. 
§  49,  5) ;  daher  wurde  frz.  *tende  zu  tente,  daher  erhielten  fuite,  suite 
usw.  lautwidrige  Entwicklung,  daher  bildete  man  descente  zu  descendre, 
et?ipreinte  zu  empremdre^  ponte  zu  pondre  usw.  Im  Prov.  aber  war 
die  Vorstellung  lebendig,  Verb.-Subst.  bildet  man  vom  Stamm  -\-  a: 
falha,  tenda  usw.;  daher  wurden  *venta,  *renta  zu  venda,  renda. 

Somit  stehen  *vendita,  *rendita  fest,  *tendita  ist  ab- 
zulehnen, descente  ist  sicher  sekundär.  Inwieweit  im  einzelnen  für 
die  übrigen  — ndita  oder  — nta  oder  sekundäre  Bildung  anzusetzen 
ist,  ist  schwer  zu  sagen. 

c.  Vortoniges  nd  vor  t  wird  nach  §  64,  3  nicht  synkopiert. 

2.  rd't  nur  in 

perdita  ixz.  perte. 

Hier  gilt  das  Gleiche  wie  für  vendita  >  vente,  *rendita  >  rente. 
Vortonig  wurde  zwischen  rd  und  t  nicht  synkopiert,  vgl.  §  64,  3. 


3.    Gedeckte  Tenuis  im  Anlaut. 

§  104.  I.  Wenn  der  Verschlufslaut  der  Anlautgruppe  stimm- 
los ist,  können  wir  theoretisch  zwei  Fälle  unterscheiden: 

a)  die  Anlautgruppe  wird  zwischenvokalisch  stimmhaft,  dann 
deckt  sich  die  Entwicklung  mit  der  ursprünglich  stimmhaften  Laut- 
gruppe.    Dieser  Fall  kommt  aber  praktisch  nicht  vor. 


^  vende  für  vente,  das  God.  aus  Vienne  beibringt,  ist  südl.  Form. 


145 

b)  Die  Anlautgruppe  bleibt  intervokalisch  stimmlos;  dann  ist 
das  Ergebnis  der  Assimilation  in  allen  Fällen  stimmlos. 

2.  Dafs  in  Fällen,  wo  eine  stimmlose  Gruppe  im  Anlaut  steht, 
nicht  Ausgleich  nach  der  stammbetonten  Form  anzunehmen  ist,  hat 
bereits  Neumann  Zeitschr.  XIV  561  erkannt,  sowie  dafs  die  Tenuis, 
bezw.  tonlose  Spirans  erscheint  „wegen  gewisser  vorhergehender 
Konsonanten,  die  selber  tonlos  assimilatorisch  als  Nachbarlaut  einen 
stimmlosen  Laut  verlangen".  Aber  zu  genauer  Feststellung,  welcher 
Art  diese  „gewissen  vorhergehenden  Konsonanten"  sind,  ist  er 
nicht  gelangt.  Ferner  sieht  er  bei  st'c  (S.  562  o.)  den  Grund  der 
Stimmlosigkeit  nicht  in  dem  t,  das  in  der  Gruppe  st  stimmlos 
bleiben  mufste,  sondern  in  dem  s.  Auch  blieb  er  hin  und  wieder 
nicht  konsequent:  „hospitale  sollte  em  hosptdale  und  dieses  dann 
hosfdale — hosdel  geben"  (S.  563);  das  /  sei  hier  durch  Einflufs  des 
Simplex  und  des  benachbarten  s  hervorgerufen  worden.  Woher 
aber  dann  das  /  im  Simplex  hoste  =  hospitem? 

Die  genannte  Regel  ist  in  der  Folgezeit  oft  verkannt  worden. 
Z.  B.  *excorticare  >•  escorchier  erklärt  Rydberg  (Zur  Gesch.  des 
frz.  9,  Upsala  1896)  S.  37  durch  ,.regressive  Assimilation",  Shepard 
S.  100  durch  Angleichung  an  die  stammbetonten  Formen,  Elfrath 
S.  78g  denkt  an  „nördlichen  Einflufs".  Cledat  S.  130  erkannte, 
dafs  quand  la  dentale  qui  precedait  l'atone  etait  une  sourde  appuyee, 
on  a  constamment  en  fran^ais  la  chuintante  sourde  che. 

Allgemeiner  drückt  sich  schon  Bauer  S.  10  aus,  dafs  sich 
nämlich  „aus  der  Vereinigung  des  auf  den  Hauptton  folgenden 
stimmlosen  Konsonanten  mit  dem  Palatalen  des  Suffixes  -ico,  -a 
stets  ein  tonloser  palataler  Reibelaut  (i-)"  ergab,  wenn  dieser 
Konsonant  gestützt  war.  Aber  dieser  Satz  gilt  nicht  nur  für  das 
Suffix  -ico,  -a,  sondern  auch  für  alle  anderen  Konsonanten  im 
Auslaut.  Wenn  die  Konsonantengruppe  im  Anlaut  durch  die  Laut- 
abstufung nicht  erweicht  wird,  mufs  unter  allen  Umständen  das 
Assimilationsergebnis  stimmlos  sein, 

3.  Dafs  in  solchem  Falle  stimmloses  Ergebnis  erscheint,  gilt 
nur  für  das  Frz.,  nicht  für  das  Prov.,  das  sich  hierin  scharf  von 
jenem  unterscheidet. 

*excorticare  >•  *escortigar     afr.  escorchier     prov.  escorgar 
hospitale       >>  *ospedale         „    ostel  „      osdal. 

4.  Was  die  Proparoxytona  betrifft,  so  führte  fabrica  "P-  forge 
M.-L.  Zeitschr.  VIII  233  zur  Annahme,  dafs  jede  Konsonanten- 
kombination im  Anlaut  die  Synkope  bei  a  der  Endung  bis  nach  der 
Lautabstufung  verzögere;  „daher  ist  vielleicht /^rc/i^  nicht  per(t)ca, 
sondern  pertga".  Horning  Zeitschr. XV 497  meinte,  die  wallonische 
Entwicklung  des  Wortes  [pertica  >/('/-//o-(j;  y' per lye'^ perl se'y> pirs\ 
bestätige  die  Vermutung.  Aber  eine  solche  Ent'.vicklung  findet  sich 
auch  bei  einfachem  Anlaut.  Zur  Annahme  eines  *pt'rtga  haben  wir 
solange  keinen  Anlafs,  als  vindicat  >  vend^at  >  venche  wird. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  roiii.  Phil.  XXIV.  in 


146 

Gedeckte  Tennis  vor  c. 
§  105.     Gedecktes  c  vor  c  liegt  nicht  vor. 
§  106.     Gedecktes  p  vor  c: 

1.  pp'c:     cloppicare     afr.  clochier,  pic.  cloquer     frz.  clocher. 

Die  alte  Etymologie  claudicare  ist  wegen  prov.  dopchar  und  wall. 
klipi  heute  abgetan. 

2.  rp'c: 

*hirpicare  (von  hirpicem)     frz.  mundartl.  ortsi 

in  der  Franche-Comte;  Horning  Zeitschr.  XIX  494,  495  weist  es 
aufserdera  nach  in  metz.  trpyf,  lyon.  harpayi,  lothr.  p-piiyi,  die  eine 
andere  uns  hier  nicht  berührende  Entwicklung  zeigen. 

Nfr.  hercher  ist  nicht  Fortsetzung  von  vi.  *erpicare,  sondern  da 
es  erst  im  18.  Jh.  auftritt,  die  entlehnte  pic.-norm.  Form  von  herser 
(Verbalbildung  zu  he7-se  von  hirpicem). 

3.  sp'c:  suspicare     afr.  soschier,  sochier 

*ruspica     prov.  piem.  lomb.  ^-wj^a,  zit.rusche,  nh.  rucke, 

letzteres  nach  Carl  C.  Rice,  Publ.  of  the  Mod.  Langu.  Ass.  of  Am. 
XX33gff.,  der  es  als  Subst.-Bildung  zu  *ruspicare  für  ruspare, 
kratzen,  betrachtet. 

§  107.     Gedecktes  t  vor  c: 

1.  ct'c  s.  Teil  II  §  44. 

2.  nt'c:         Aventicum     Avenche. 

*denticatu       frz.  denche  (doch  vgl.  dagegen  Baist 
Zeitschr.  XXXII  35). 

Nyrop  §  400  Rem.  meint,  in  -icus  sei  die  Pänultima  nach  der 
Lauterweichung  gefallen,  aber  Avenche,  le  Perche,  porche  sprächen 
dagegen.  Das  ist  keineswegs  der  Fall;  nicht  durch  den  früheren 
Ausfall  des  i,  sondern  durch  die  stimmlose  Gruppe  im  Anlaut  ist 
stimmloses  ch  bedingt. 

3.  It'c:    *re-in-voluticarc     wall,  ravutsl  „einwickeln". 

4.  rt'c  ist  häufig: 

*excorticare       frz.  ecorcher  pertica       perche 

*torticare  „    torcher  (pagus)  P er t icus      le  Perche 

reverticare  „    revercher'^  porticus     porche,  porge. 

Karte  443  des  Atl.  ling.  zeigt  für  korcher  auf  dem  ganzen 
frz.  Sprachgebiete  stimmlose  Spirans  (bezw.  Affrikata).  Dem  prov. 
escorgar  entsprechend  zeigt  fast  die  ganze  Languedoc  und  der 
Süden  von  Limousin  noch  heute  stimmhaften  Laut. 


^  God.  belegt  einmal  revergier  im  Reime  a\xi  cerchier  in  einer  nördl.Hs. ; 
das  ist  wohl  nur  falsche  Franzisierung  eines  heimischen  k  durch  einen  pik. 
Schreiber. 


147 

*torticare  >  torcher  rührt  von  Ulrich  Zeitschr.  IX  429  her, 
dazu  to7-che  als  Verbal-Subst.  Diez  ging  aus  von  *tortiare,  was 
lautlich  nicht  genügt;  Gröber  ALL  VI  128  von  *torcare,  was  nicht 
lateinisch  sei,  er  deutet  auf  keltischen  Ursprung  hin;  it.  torciare, 
span.  eniorcher  usw.  seien  Lehnworte  aus  dem  Frz.  Körting  hält 
der  Bedeutung  wegen  torche  als  Verb.-Subst.  zu  torcher  für  unmög- 
lich; torcher  sei  vielmehr  abgeleitet  von  torche.,  dieses  =  lat.  *torca, 
Verb.-Subst.  zu  torquere.  Der  Dict.  gen.  geht  ebenfalls  aus  von 
vi.  *torca,  gewonnen  aus  *torcere  >  tordre  (daneben  afr.  torse 
=  torsa).  Marchot  S.  86  hält  an  *torticare  >>  torchier  fest,  läfst 
S.  g2  torche  nicht  *tortica,  sondern  *torca  sein. 

Von  den  Proparoxytonen  mufste  pertica  vor  der  Lautabstufung 
zu  pert'ca  geworden  sein,  das  per  che,  pic.  perqv.e,  pierqiie  ergab. 
Die  übrigen  machten  die  Lautabstufung  mit.  Die  Doppelforraen 
porche  und  porge  {prov. porge)  erweisen  porticus  als  Lehnwort  (vgl. 
S.  108,  insbesondere  Anm.  i),  seit  dem   16.  Jh.  dafür  portique. 

5.    st'c  ist  ebenfalls  häufig: 

*domesticare     afr.  domeschier  domesticus  afr.  domesche 

*fasticare  kz.  fächer  *forasticu  „  ferasche 

masticare  „   macher  *robesticu  nfr.  reveche 

*levistica    (für  ligusticu)     afr.  kvesche     nfr.  liveche 

*fasticare  hat  M.-L.  Rom.  Gr.  I  an  Stelle  von  fastidiare  (it. 
fastidiare)  von  fastidium  (cl.  fastidire)  angesetzt.  Storm  Rom.  V 
184  ging  von  *fastidicare  aus.  Der  Dict.  g6n.  leitet  *fasticare 
von  fastus  her,  kaum  mit  Recht.  Da  fastidiare  lautlich  nicht 
genügt  (vgl.  §  64,  3),  ist  mit  M.-L.  Suffixtausch  von  fast-idiare 
zu  *fast-icare  (prov.  fastigar)  anzunehmen. 

Ob  *forasticu  (zu  foras,  Horning  Zeitschr.  XIX  102)  oder 
*ferasticus  oder  *feroticus  (s.S.  134)  in  nir.  farouche  vorliegt, 
berührt  uns  hier  nicht  weiter.  —  *ostificare,  *osticare  (Mafs, 
s.  Körtings  4q)    sind  wegen  cat.  oscar  nicht  brauchbar,  vgl.  S.  117. 

§  108.     Gedeckte  Tenuis  vor  p: 
nt'p:  staute  pertica^       afr.  estamperche 

widerspricht  zwar  unserem  Gesetze  nicht,  ist  aber  zu  unsicher. 
Gedeckte  Tenuis  vor  t. 

§  log.     Gedecktes  c  vor  t  s.  §50,9  (culcita). 

§110.     Gedecktes  p  vor  t. 

I.  vift  ist  gemeinrom.  synkopiert  worden,  s.  §  32,  2. 


^  D.  i.  Akk.  stante(m)  pcrtica(m);    der  Nom.  stnns  pertica  (Körting 
7078)  entspricht  nicht,  müfsle  vi,  *stas  pertica  lauten. 


148 

2.   sp't: 
caespitare      afr.  cester  hospite       afr.  oste     nfr.  hüte. 

hospitale  „    hoste!      nfr.  hötel 

In  allen  Füllen  (aufser  vor  a  der  Ultima)  tritt  Synkope  wohl 
erst  nach  der  Erweichung  ein:  hospite m  >>  ^ospede: 

ptg.  hospede,  span.  huesped.,  prov.  osde,  afr.  äste. 
Über  vi.  *prespiter  >>  gem.-rom.  prespter  s.  §  loi,  3. 
Strittig  ist  die  Herkunft  von  nfr.  otage: 

Diez  229    *obsidaticum     zu  obses,  -idis, 
Foerster  Zeitschr.  III  261    *hostaticum        „    hostis,  -is, 
Tobler  Zeitschr.  Ill  568    *hospitaticum    „    hospes,  -itis 

Dict.  gen.:  obses,  -idis  wird  unter  Einfiufs  von  hospes,  -itis 
zu  obses,  -itis,  davon  *obsitaticura  (statt  cl.  obsidatus)  >>  ostage. 

Festzustellen  ist  zunächst,  dafs  sowohl  it.  ostaggio  wie  span. 
hostage  aus  dem  Frz.  oder  Prov.  entlehnt  sind;  nur  diese  kommen 
für  die  Ableitung  in  Betracht.  Eine  Verknüpfung  mit  lat.  obses, 
-idis  ist  lautlich  möglich,  b  hat  in  obsidem  nur  graphischen,  nicht 
lautlichen  Wert,  man  sprach  *opsidem  oder  *ossidem.  An  Stelle 
dessen  trat  das  abstrakte  obsidatus,  das  konkrete  Bedeutung  an- 
nahm. Durch  Suffixtausch  entstand  *ossid-aticum,  das  regelrecht 
afrz.  ostage  ergab.  Aber  ans  sachlichen  Gründen  ist  an  Toblers 
Deutung  festzuhalten,  vgl.  M.-L.  Germ. -Rom.  Monatsschr.  I  642. 

§  III.     Gedecktes  t  vor  t: 

1.  nt't:  mentita     afr.  juente 

setzt  Marchot  S.  go  an,  schwerlich  mit  Recht;  nitmte  ist  wohl  sekundär 
zu  mentir  gebildet.  Vortonig  trat  keine  Synkope  ein,  raentitore 
>  afr.  menteor  >>  nfr.  menteur,  s.  §  64,  3. 

2.  st't:    praestitu     afr.  prest     nfr.  p?-et 

setzt  Hetzer  S.  45  an  (prov.  prest,  -a;  cat.  prest;  it.  presto,  -a  und 
prestito,  -a,  aptg.  empresttdo);  aber  die  bisherige  Ableitung  von 
praestu,  -a  genügt  auch. 

Vortoniges  st't  synkopiert  nicht,  s.  §  64,  3. 

§  112.  Anhang.  Es  bliebe  noch  die  Frage  zu  erörtern,  ob 
bei  gedecktem  Verschlufslaut  überhaupt  eine  Assimilation  stattfand 
oder   zwischen   zwei  Konsonanten    der  mittlere  einfach  ausfiel,  also 

vindicare     ven  (d)ga  r     venger 
oder  vindicare     venggar        venger. 

Nur  scheinbar  weiter  führt  uns  hospitale  >•  hosp\lal\  hier  mufs 
durch  teilweise  Angleichung  d  >>  t  geworden  sein,  also  die  Assimi- 
lation der  Lautstufe  hat  stattgefunden.  Ob  aber  hosp'tal  über 
hos(p)tal  oder  über  hostial  zu  hostet  wurde,  ist  nicht  festgestellt. 


V.   Media  und  Gruppe  im  Auslaut. 
Die  stimmlosen  Spiranten.     Mundartliches. 


I.  Verschlufslaute  vor  Media. 

§  1 1 3.  Wir  haben  gesehen,  dafs  bei  Verschlufslaut  im  Anlaut, 
Tenuis  im  Auslaut  die  Synkope  in  Proparoxytonis  mit  End-a  vor 
der  Lautabstufung,  in  allen  übrigen  Fällen  nach  der  Lautabstufung 
eintritt.  Derartige  Proparoxytona  mit  End-a  verfallen  der  älteren 
frz.  Synkope,  alle  übrigen  Ausstofsungen  gehören  zur  jüngeren  frz. 
Synkope. 

Anders  liegt  die  Sache  bei  Media  im  Auslaut.  Hier  trilt 
Synkope  unter  allen  Umständen  erst  nach  der  Lautabstufung  ein. 
Das  ist  bis  jetzt  oft  verkannt  worden. 

Gutheim  S.  16  wollte  tepidu  :  tefdti  :  feVdu  :  tedde  :  tcde  :  tiede 
ansetzen.  Die  Annahme,  dafs  p  sich  partiell  an  d  zu  b  assimiliert 
habe,  weil  der  2.  Bestandteil  „meist"  siege,  ist  hinfällig.  Karsten 
S.  26  erklärt  die  Fem.  nefe,  ate  gegenüber  rade,  sade,  fnalade  als 
Satzdoppel  formen,  wonach  im  Gall.  VI.  apt,  sapt  neben  hahede,  sabede 
gestanden  hätten;  aber  ein  Typus  *sapt  liegt  nirgends  vor.  Nach 
anderer  Ansicht  sind  sade,  rade,  tiede  als  verallgemeinerte  INIaskulin- 
formen  zu  betrachten;  aber  *rafe,  *sate,  *tete  sind  nirgends  vorhanden. 

Es  tritt  also  nach  Verschlufslaut  t  vor  Media  die  Synkope  erst 
nach  der  Lautabstufung  ein.  Das  ziemlich  junge  Alter  dieser  Syn- 
kope wird  bestätigt  durch  die  Verhältnisse  im  Prov.,  wo  hier  über- 
haupt keine  Synkope  vorliegt. 

tepidusi  ^        .,  ,  mo\.  iebe 

tepida    Jfrz-^'^'^^  tebeza, 

ebenso  cupidus,  -a  >  ]^xo\.cobe,  cobeza,  sapida  ]>  prov.  sabeza.  Es 
wurde  also  im  Prov.2  tepidus  >>  tebed  und  Ö  schwand  im  Auslaut; 
tepida  aber  tebeöa  >  tebeza  >>  tebiza  >>  nprov.  tebeso.  Das  Prov. 
beseitigte  zwar  auch  die  proparoxytone  Betonung,  aber  nicht  durch 


1  .Abgesehen  nalürlich  von  vi.  Zusanimenziehunp,  z.  B.  g'd. 

2  Man  lasse  sich  nicht  beirren  durch  die  Ent\vicklun<j  von  hospitem 
^  ospede  ^  osde.  t  wird  im  Prov.  intervokaHsch  zu  d,  ursprünglich  d  aber 
über  3  zu  2.  Als  hospitem  /.Vi  ospede  geworden  war,  sprach  man  für  tepida 
bereits  tebeÖa.    Nun  trat  zwar  vor  prov.  d,  aber  nicht  vor  prov.  Ö  Synkope  ein. 


I50 

Synkope,  sondern  durch  Akzentversetzuug,  die  wohl  im  13.  Jh. 
durchdrang,  i 

§  114.  Wenn  der  Anlaut  und  der  Auslaut  der  Pänultima 
stimmhaft  ist,  so  ist  stimmhaftes  Ergebnis  der  Zusammenziehung 
ja  selbstverständlich  und  wir  haben  kein  Mittel,  die  Zeit  der 
Synkope  festzustellen.  Nach  Liquida  war  die  Synkope  vor  d  schon 
vi.  eingetreten.     Wann  aber 

na  vi  gare        frz.  nager  rumigare       afr.  rungier 

Caturiges  Catorges       usw. 

synkopiert  worden,  ob  zur  Zeit  der  älteren  oder  der  jüngeren  frz. 
Synkope,  läfst  sich  nicht  feststellen,  sondern  nur  nach  Analogie  der 
Synkope  vor  Tenuis  vermuten. 

Wo  aber  Verschlufslaut  im  Anlaut  vor  Media  stand,  werden 
wir  anzunehmen  haben,  dafs  die  Synkope  nach  der  Lauterweichung 
erfolgte.  Der  anlautende  Verschlufslaut  kann  entweder  einfache, 
bezw.  gedeckte  Media  sein  oder  einfache,  bezw.  gedeckte  Tenuis. 
Bei  Media  im  Anlaut  ist  stimmhaftes  Endergebnis  selbstverständlich. 
Bei  Tenuis  im  Anlaut  müssen  wir  zwei  Fälle  unterscheiden.  War 
die  Tenuis  einfach,  so  wurde  sie  intervokalisch  erweicht,  das  Assimi- 
lationsergebnis ist  daher  stimmhaft.  War  die  Tenuis  gedeckt,  so 
konnte  sie  nicht  erweicht  werden,  das  Assimilationsergebnis  mufste 
stimmlos  sein.     Also 

tepidus       ;>  tiehedo       >>  iicVdo  >>  Hede,  aber 

limpidato  >  limtaio  Reichn.  Gl.  (Hetzer  S.  83) 

hoiss'da  >  afr.  hoiste 
buxida         >  hoisseda  <  ^^^^^  ^,^,.^^^^^_ 

§  115.  Als  Medien  im  Auslaut  kommen  nur  g  und  d  in  Be- 
tracht, nicht  aber  b,  da  dieses  intervokalisch  längst  v  geworden 
war.     Daher 

*cordubensis  >»  *corduvesis  >>  afr.  corvois 
cl.     vertibula         >>  *vertivella      >>  frz.  vervelle. 

Wäre  b  zur  Zeit  der  Synkope  noch  erhalten  gewesen,  müfsten  die 
Formen  *corbois,  *verpelle  lauten. 

.    §  116.     Einfache  Media  im  Anlaut  ist  selten. 

1.  d'g:  afr.  lege,  lige  aus  fränk.  ledig.  G.  Paris  Rom.  XII  382 
betrachtet  afr.  eslegier,  esligier  als  Ableitung  dazu. 

2.  b'd:  *rabidare     mittel  frz.  r  edder 

nach  Scheler  im  Dict. ;  Körting  7697  weist  das  ab,  weil  *rahtdare 
„nur   ^roder,   allenfalls  ''^rauder''''   ergeben   konnte  (!).     Lautgesetzlich 


^  Vgl.  Lienig:,  Die  Grammatik  der  prov.  Leys  d'amors  verglichen  mit  der 
Sprache  der  Troubadours,  Breslau  1S90,  S.  109.     Herlord  S.  21. 


151 

kann  *rabidare  nur  afr.  *  rader  werden,  der  Wandel  von  a  in  e 
(i-edder)  bleibt  zu  rcchtferiigen.  K.  möchte  nun  *rabidare  in  frz. 
roder^  (afr.  r ander,  raudir)  sehen;  auch  da  bliebe  der  Wandel  von 
a  in  au  zu  rechtfertigen. 

§  117.     Einfache  Tenuis  im  Anlaut: 

1.  t'g:  *exlitigare     afr.  esiigter, 

so  Tobler,  Jahrb.  VIII  342.  Wegen  der  Nebenform  eslegier  sieht 
G.  Paris  Rom.  XII  382  in  dem  Verbum  eine  Ableitung  zu  lege,  lige, 
s.   §  116,  I. 

2.  p'd:  rapidus  afr.  rade  (nfr.  rapide) 

sapidus  „    sade  (nfr.  in  maussade) 

tepidus  „    ii^de 

*vapidosus   lyon.  vadou. 

rade  lebt  nach  God.  noch  in  pic.  rade,  wall,  rade,  rate  (letzteres  mit 
Verhärtung  im  Auslaut),  sade  ist  veraltet,  lebt  noch  mundartlich 
(bürg.  shlc).  Über  vog.  reffe,  afr.  savie,  saive,  frz.  sage,  afr.  tieve  usw. 
vgl.  §  129,  I. 

Im  It.  trat  keine  Erweichung  ein,  daher  rapidus  >  rat/o, 
cauda  trepida  >  cutretta.  Prov.  keine  Synkope:  iehe,  teheza',  *sabe 
(nicht  belegt),  saheza;  anstelle  von  rapidus  trat  *rapidnis:  prov. 
raheg,  rahey.  —  Über  vapidus  :  fade  s.  §  16. 

Was  die  Entwicklung  von  tepidus  usw.  anlangt,  so  ist  von 
den  vielen  vorgeschlagenen  Reihen  die  einzig  richtige 

tepidu  :  ielbedo  :  itWdo  :  tiehde  :  tiedde  :  Hede. 

Ob  e  >  ie  oder  p  >  Z*  das  ältere  ist,  läfst  sich  nicht  sagen,  s.  §  67. 
Die  gleiche  Entwicklung  auch  in  Ortsnamen: 

Cupidis  vicus2      Qiieude',  dagegen  im  Prov. 

*Ovida  *Oveza  >  Ovhe. 

3.  Eine  ganz  andere  Entwicklung  zeigen 

Cupedonia  >  Convonge,     Sclepedingus  >  Esclepens. 

Eine  Parallele  dazu  bieten 

Aussidingus     Äuxange      Ermedone     Ermotii? 


1  Diez  671  hat  dieses  Wort  nicht  =  lat.  rotarc  gesetzt,  wie  Körting 
ihm  zumutet;  sondern  er  bezeichnet  es  als  Entlehnung  aus  span.  prov.  rodar 
^-=  lat.  rotare.  Aber  dadurch  wird  afr.  rauder  nicht  erklärt,  falls  dieses  au 
nicht  blofs  umgekehrte  Schreibung  für  prov.  0  ist. 

"^  Villa  Copta  >- Cb/^;«?  mufs  wohl  davon  getrennt  werden  oder  die 
Zusammenziehung  von  *  Cupida  ]>  Cop  ta  ist  bereits  gallisch  und  hat  mit 
unserer  frz.  Synkope  nichts  zu  tun. 

*  Und  wohl  auch  eine  Reihe  von  Nimen  auf  -dununi:  Ccrvedunum 
>■  Cervon  usw.,  s.  S.  53  Anm.  I. 


152 

Lindström  liefs  Couvonge  unerklärt.  Vising  wies  darauf  hin,  dafs 
dieser  Ort  dem  Osten  angehört  und  meinte,  dafs  es  eine  pro- 
tonische Parallele  zur  posttonischen  Eigentümlichkeit  von  ieve,  tuape, 
senne  biete. 

Wahrscheinlich  haben  wir  hier  Worte  vor  uns,  die  jüngeren 
Datums  in  der  Volkssprache  sind.  Synkope  trat  überhaupt  nicht 
ein,  sondern  d  fiel  intervokalisch.  Den  jüngeren  Charakter  zeigt 
auch  nia  ]>  nge  in  Couvojige. 

§  ii8.     Gedeckte  Media  im  Anlaut: 

1.  mb'd:       ambo  duo  >>  *ambedui  >-  andui, 
nach  Analogie  dazu  ampars  für  amhes  parz. 

2.  rb'd:       *exturbidire       afr.  estourdir       nfr.  itonrdtr. 

Frz.  t-tourdir  mufs  immer  noch  als  ungeklärt  gelten.  Die  älteren 
Deutungen  bei  Diez  308,  der  seinerseits  von  torpidus,  starr,  aus- 
ging (wie  tepidus:  tiedir,  so  torpidus  :  iourdtr).  Aber  *extorpidire 
ist  lautlich  unmöglich,  sowohl  wegen  des  o  (Foerster  Zeitschr.  II  84) 
als  auch  wegen  rp'd,  das  als  rt  enden  müfste.  Foerster  griff 
zurück  auf  das  von  Covarrubias  aufgestellte  Etymon  iordo  aus  turdus 
(Drossel).  Baist  Zeitschr.  VI  119  schlug  *turbidus  vor  und  auch 
Gröber  ALL  VI  336  stellt  *exturbidire  auf.  Körting  denkt  wieder 
an  germ.  *sturtjan,  das  schon  Diez  und  zwar  endgültig  abgewiesen 
hat.  Der  Dict.  gen.  erwägt  Ableitung  von  iourd,  das  aus  prov. 
totird  "<  lat.  turdum  entlehnt  sei;  solche  Entlehnung  ist  bei  diesem 
gemeinromanischen  Verbum  nicht  glaublich.  Wegen  it.  stordire,  cat. 
Span,  ptg,  aturdir  ist  vi.  *a-,  *esturdire  anzusetzen,  das  schwerlich 
synkopiert  ist. 

§  iig.     Gedeckte  Tenuis  im  Anlaut. 

1.  mp'd:       limpidato  >  Umtat 0  Reichn.  Gl. 

*lampidarius  >  laudier  Körting  582. 

Letztere  Deutung  ist  abzuweisen,  weil  in  laudier  das  anlautende  / 
nicht  ursprünglich  ist  und  mp'd  im  Frz.  ?it  ergeben  hätte.  Über 
die  Herkunft  von  laudier  s.   §  loi,  l. 

2.  rp'd:         extorpidire  >>  nfr.  äourdir 
ist  abzulehnen,  s.  §  1 1 8,  2. 

3.  sp'd:         hispidosus         frz.  hideiux, 

davon  afr.  hisde,  hide  (Diez  615).  Körting  4581  leitet  das  fem.  Subst. 
hide  her  vom  Adj.  hispidus,  -a,  -um.  Ist  für  hisde  das  Grund- 
wort tatsächlich  hispidus,  so  liegt  nicht  lautgerechte  Entwicklung, 
sondern  Entlehnung  aus  dem  Süden  vor:  hispidu  >  hisde  (vgl. 
hospite  >  osde)  und  *hispe  (vgl.  tepidu  >  tebe)  >  hispre. 

4.  rt'd:  Arte  dun  um         ixz.  Artun 


153 

ist  vielleicht  überhaupt  nicht  synkopiert  worden,  sondern  afr.  Arteun, 
s.  §  64,  3. 

5-  st'd:  *rustidus  bietet  Körting^  8227  für  prov.  afr.  rusie', 
afr.  ruiste  setzt  er  =  rusteus.  Beides  mit  Unrecht;  rüste us  würde 
ja  *ruis  ergeben,  mste,  ruisie  (nfr.  rustre)  sind  lehnwörtliche  Ent- 
wicklungen von  rusticus,  das  im  14.  Jh.  nochmals  als  rustique 
übernommen  wurde. 

6.  x'd:  buxida         afr.  hoiste         nfr.  hozte. 

Körting  1674  setzt  schon  vi.  *buxta  an,  vgl.  bosta  (belegt  von  Land- 
graf ALL  IX  414).  Aber  aus  vi.  *busta  —  mag  it.  busta  darauf 
zurückgehen  oder  nicht  —  kann  frz.  boite  nicht  entstehen,  ebensowenig 
wie  afrz.  maistne  auf  die  belegte  Kurzform  masma  zurückgeht.  Für 
Gallien  ist  von  *buxida  auszugehen,  das  prov.  boisseza,  afr.  boiste 
ergibt.  Prov.  bostia  ist  aus  afr.  boiste  entlehnt;  prov.  boissa,  afr.  boisse^ 
ist  *buxa  für  buxis  aus  gr.  jivS,iq.  Frz.  boisseau  kann  nicht  ab- 
geleitet sein  von  afr.  boü/c  (gleichsam  *buxitellus),  wie  Körting 
meint,  ist  auch  nicht  *buxtiellum  (Dict.  gen.),  sondern  ist  Deminutiv 
zu  buxus  (für  pixis,  s.  Landgraf),  =  buxellus. 

2.  Vulgärlateinische  Langformen. 

§  1 20.  Ihre  Zahl  im  Frz.  ist  sehr  gering.  Sie  befolgen  natür- 
lich dieselben  Regeln  wie  die  übrigen  frz.  Proparoxytona. 

1.  Tenuis  im  Auslaut: 

vi.  alipem         afr.  aui'e  (s.  §  6) 

zeigt,  dafs  p  zur  Zeit  der  jüngeren  Synkope  schon  v  war. 
Über  g't,  c't  s.  §§  49,  50.     Usw. 

2.  Media  im  Auslaut: 

t'd:  fatidus  ixz.faik  (s.  §  16). 

nitidus         frc.-prov.  nede,  auch  prov. 

Häufiger  sind  solche  Langformen  im  Prov.  (vgl.  §  17): 

foetidus,  -a      ^\os.*fet^  feta  und /edeza 
horridus,  -a         „       orre,  orreza. 

3.  Die  gleiche  Entwicklung  zeigen  germ.  Lehnwörter,  die  natur- 
gemäfs  vi.  Synkope  nicht  erfuhren: 

ae.  falod,       2.  Fall  fal(o)des         dSx.  faude 
„     weoloc         „        weol(o)ces        „    welke', 

vielfach  geht  man  aus  von  den  jüngeren  ae.  Formen  fald,  weolc, 
wo  aber  das  Stütz-c  ungerechtfertigt  bleibt. 


*  Foerster  Zeitschr.  XXXI  566  führt  dies  auf  bustia  zurück;  aber  wo- 
her bustia?  Wenn  bustia  im  11.  Jh.,  buslellus  im  13.  Jli.  belegt  ist,  so 
handelt  es  sich  wohl  nur  um  Kücklatinisierung  von  boiste,  boissel. 


154 

3.    Die  stimmlosen  Spiranten. 

Aufser  den  intervokalen  Tenues  nehmen  an  der  Erweichung 
auch  die  stimmlosen  Spiranten  in  gleicher  Stellung  teil.  Von  solchen 
Spiranten  besafs  das  Urfranzösische  s  und  f. 

s 

§  12  1.  Dafs  s  erweicht  wurde,  dafür  fehlt  ein  unmittelbares 
Anzeichen,  da  die  Schreibung  für  den  stimmlosen  wie  den  stimm- 
haften Laut  die  gleiche  bleibt. 

s't,  s'c  werden  vor  der  Lautabstufung  synkopiert,  schon  vulgär- 
lateinisch, s.  §§  4,  71,  80. 

x't,  x'c  wurden  ebenfalls  schon  behandelt,  s.  §§  40 — 42,  x'd 
s.  §  119,  6. 

1.  Das  nach  s  vor  Liqu.  oder  Nas.  die  Synkope  nach  der  Er- 
weichung eintrat,  zeigt  die  Entwicklung  von  s'r: 

consuere>>vl.  *coscre  dSr.cosdre     nh.  condre 
Lazarus  „   lasdre       „     ladre 

ni  i  s e r  u  n  t  „   misJrent  {inisirent  durch  Analogie) 

frk.  masar  „   masdre  (nfr.  in  madre). 

Auch  vor  a  der  Ultima  scheint  Synkope  nach  der  Erweichung 
einzutreten:  sicera  >  cisera  >•  ciz}-a  >  afr.  cisdre,  frz.  cidre;    doch 

vgl.  §  54»  4- 

Wenn  das  s  gedeckt  war,  trat  natürlich  trotz  der  jungen  Syn- 
kope stimmloses  /  ein: 

antecessor  frz.  ancetre  *essere  frz.  etre 

scripserunt        afr.  escrt'stretit  dixerunt  afr.  distrcni 

duxerunt  ,,    duisirent 

Auxerre  (öslr)  bietet  Schwierigkeilen,  wenn  man  mit  Shepard  77 
Autosiderum  zugrunde  legt.  Sachs-Villatte  geht  aus  von  Auti- 
sidurum,  Gregor  hat  civitas  Autisiodorum.  Legt  man  mit  Holder 
Autessiödurum  zugrunde,  versteht  sich  s  von  selbst. 

2.  Nach  Liquida  trat  die  Synkope  vor  s  vor  der  Erweichung 
ein:  Elusa       Eatisse         Marosallum       Marsal. 

f 

§  122.  f  ist  intervokalisch  selten,  da  es  in  lat.  Wörtern  in 
solcher  Stellung  nicht  vorkommen  kann.  Es  findet  sich  daher  nur 
in  Wörtern  fremder  Herkunft  oder  in  Kompositis. 

I.    Von  letzteren  kommen  in  Betracht: 
*calefare         frz.  chaiiffer^  aurifaber  frz.  orflvre 

*malefatus      afr.  malfe  ossifraga  pic.  nfr,  orfraie 

*malifatius     frz.  maiivais  circumfodire  afr.  cerfouir 


^  Wenn  Körting  1746  wegen  des  ff  des  frz.  Wortes  cald[um]fare  als 
besser  empfiehlt,  so  zeugt  dies  von  Überschätzung  einer  verhältni^mäfsig  jungen 
Schreibung, 


155 

Nach  1  tritt  bei  t,  z.  T.  bei  c  Synkope  vor  der  Erweichung  ein; 
daraus  darf  nicht  ohne  weiteres  gefolgert  werden,  dafs  auch  vor  f 
sie  vor  ihr  stattfand.  Marchot  S.  go  meint,  wegen  chalfer,  orfraie 
sei  malifatiu  >  malvais  lautlich  nicht  genügend  gestützt.  Aber 
schon  cl.  steht  calfacere  neben  calefacere,  so  dafs  von  galloröm. 
calfare  auszugehen  sein  dürfte  (prov.  calfar).  Alle  übrigen  Wörter 
können  als  Komposita  gefühlt  worden  sein,  was  für  orfevrc,  cerfouir 
höchst  wahrscheinlich  ist.  Vom  Standpunkt  der  Lautlehre  ist  also 
gegen  eine  gallorömische  Bildung  *malifatiu  >>  jnalvais  nichts 
Zwingendes  einzuwenden, 

Körting  6748  zweifelt  an  dem  Etymon  ossifraga  wegen  der 
Vertauschung  von  s  mit  r.  ossifraga  mufste  *osfraie  geben,  das 
nicht  belegt  ist,  aber  wohl  in  offraye  (16.  Jh.)  vorliegt,  j-  >■  r  vor 
Konsonant  ist  pic.  (vgl.  jetzt  M-L.  Frz.  Gr.  §  iqq);  aus  dem  Pik. 
stammt  nfr.  orfraie.  Engl,  osprey  zeigt  s,  aber  merkwürdigerweise/. 
Zwischenformen  zwischen  frz.  orfraie  und  ne.  osprey  sind  bisher 
nicht  gefunden.  God.  hat  orpres  später  selbst  in  orfres  gebessert. 
Beachtenswert  ist,  dafs  das  Wort  erst  spät  belegt  ist,  frz.  1555 
(Dict.  gen.),  engl.  c.  1460  als  ospray  (Oxforder  Wb.). 

2.  Eine  besondere  Betrachtung  erfordern  einige  Zeitwörter  auf 
-ficare,  die  erbwörtlich  zu  sein  scheinen.  1 

aedificare  aigier"^  *nidificare     niger,  nicher^ 

*fructificare      froiigier,  frogier   *panificare   panegier^  panechier. 

Die  Entwicklungsstufen  dieser  Zeitwörter  sind  nicht  klar.  Von 
aigier  ist  nur  Fut.  aigere,  aigeront,  aijaront  belegt;  die  Entwicklung 
des  a'i  kann  nicht  franzisch  sein.  —  God.,  der  V&in  frotigier  kennt, 
bietet yrc^/'^r  =  fructifier.  —  Für  niger,  -eher  ist  Schuchardt  Zeitschr. 
XllI,  531  von  *nidicare  ausgegangen,  was  lautlich  die  Sache  sehr 
vereinfacht.  Wenn  aber  Bauer  2g  auch  für  panegicr,  pamehier  von 
*panicare  ausgeht,  ist  dies  lautlich  unhaltbar. 

Shepard  103  hält  froiigier,  aigier  kaum  für  volkstümlich, 
fructificat  sollte  *  fruit  ecke  geben;  froiigier  findet  er  regelrecht 
synkopiert,     Cledat  133  stellt  folgende  Entwicklung  auf: 

nid(i) ficare  :  nifegar  :  niffegar  :  nifchier  :  nicher 
fructificare  \  froitfegar  \frofchier  :  frouchier 

Der  Dict.  gen.  (Traite  de  la  formation  de  la  langue  fr^.  §  33g)  zieht 
aus  aegier,  frotegier,  panegicr  den  Schlufs,  dafs  die  lat.  Wörter  eine 


1  Die  Ansicht  M.-L.'s,  Rom.  Gr.  II,  §  578:  „Die  Vciba  auf  -ficare  ge- 
liören  lediglich  der  Bücherspiache  an",  hai  Thomas  Rom.  XXVI  436  zurück- 
gewiesen. 

'■^  Ptg.  eivigar.  —  Vgl.  zu  diesen  Verben  Daimosleter  Rom.  I  164, 
Thomas  Rom.  XXVI  436. 

3  Beide  Formen  leben  noch  heute.  Karte  380  des  Atl.  ling.  bietet 
denicher'.  das  Wort  ist  im  Wall.  Pik.  nicht  heimisch.  Die  Mitte,  der  Osten, 
das  Frc.-Prov.  zeigen  stimmlose  Spirans,  dagegen  der  Westen  (Bret.  Poit.) 
durchwegs  deniger. 


156 

binare  Betonung  hatten:    aedificare,    fructificare,    panificare 

(s.  §  65,  8).  ■       ■  ■       ;  _ 

Nach    der    Neumannschen   Regel    mufs   panificat  >>  panefcat 

>  afr.  paneche  werden,  panificare  aber  sollte  pan(e)vegare  >> 
*panveiie7-  ergeben;  wir  müssen  daher  unter  Einflufs  von  panif(i)cat 
Synkope  der  3.  Silbe  annehmen:  panev(e)gare  ]>  afr.  panegier. 
Ebenso  erklären  sich  aigier,  frotigier,  i  deren  i  vielleicht  mundartlich 
zu  rechtfertigen  ist,  vielleicht  aber  Entlehnung  bezeugt. 

Für  niger,  nicher  ist  daher  *nidicare  der  richtige  Ansatz  (so- 
lange nicht  *}üegier,  *niec}ie  als  ältere  Formen  nachgewiesen  sind). 
Kir.  frogier  kann  nicht  auf  fructificare  zurückgehen,  ebensowenig 
wie  *ostificare2  je  afr.  oschiei-  ergeben  konnte. 

Die    übrigen  Wörter   auf  -ficare    sind    gelehrt:    significare 

>  seneficr,  ebenso  certefier^  magnefier,  edifier  usw. 


4.    Gruppe  im  Auslaut. 

§  123.  Die  meisten  Gruppen  verlangen  Stütz-^  vor  sich 
(s.  §  64,  5),  kommen  also  für  uns  nicht  in  Betracht.  Pioparoxytona 
sind  im  aligemeinen  ausgeschlossen,  weil  ja  eine  Gruppe,  selbst 
Kons.  -}-  r,  den  Ton  auf  die  unmittelbar  vorangehende  Silbe  ver- 
legt. Und  Gruppen,  die  stimmhaft  werden  können,  sind  nur  solche, 
die  als  2.  Teil  ein  r  oder  i  enthalten,  ferner  k^.  Vor  r  erweichen 
sich  k,  p,  t,  vielleicht  f;  vor  i  nur  s  und  in  gewissem  Umfange  t. 
k2,  das  in  urfranzösischer  Zeit  bereits  Gruppe  ist,  wird  ebenfalls 
stimmhaft. 

Fand  die  Erweichung  dieser  Gruppen  gleichzeitig  wie  die  der 
einfachen  stimmlosen  Laute  oder  später  als  diese  statt?  Vor  r  ver- 
mutet M.-L.  Gr.  1^  475  spätere  Erweichung,  aber  es  ist  fraglich,  ob 
mit  Recht.  Für  k^,  si  scheinen  es  die  Synkopen  zu  erweisen,^ 
wie  im  folgenden  gezeigt  werden  soll;  ti  wurde  überhaupt  nur  in 
jüngeren  Worten  erweicht  (vgl.  jetzt  Horning,  Zeitschr.  XXIV  552  ff., 
XXXI  200;  M.-L.  Frz.  Gr.  §  157)- 

a)   Kons.  +  r 

§  124.  Kons.  +  r  im  Auslaut  scheint  sich  genau  so  zu  ver- 
hallen wie  einfacher  Konsonant. 

I.  Nach  Liquida  bleibt  tr  wie  einfaches  t  stimmlos: 

l'tr :    *  p  u  1 1  i  t  e  r    afr.  poltre     nfr.  poutre    *  p  u  1 1  i  t  r  a  n  u  s     afr.  pouirain. 

Der  Dict.  gen.  geht  aus  von  *püllitra  (zu  pullus).  Abgesehen 
davon,  dafs  *pulHtra  zu  erwarten  wäre,  bleibt  auch  die  afr.  Neben- 
form  polare    unerklärt.      Der    Atl.   ling.    1080    verzeichnet    ebenfalls 


»  et  <  t  s.  §  73. 

*  So  Mafs,  s.  Körting  49.  —  Vgl.  S.  117. 

3  Vgl.  auch  §  53,  4. 


157 

pnclr,  zerstreut,  recht  häufig  im  Westen  und  Südwesten  des  frz. 
Gebietes.  1  Da  sich  span.  ptg.  potro  und  it.  pnlcdro,  prov.  poiidrel, 
nhd. /oller  und  fohle r  (17.  Jh.),  ralat.  pulletrus,  poledrus  in  der 
L.  Sal.  und  L.  Alam.  gegenüberstehen,  auch  die  Cass.  Gl.  poledro, 
puledra  bieten,  ist  d  neben  t  als  vorromanisch  zu  betrachten.  Die 
Herkunft  dieses  *pulliter,  poledrus,  pulletrus  ist  noch  nicht 
ermittelt.  —  Über  culcitra  s.  §  50,  g. 

r'tr:  Afr.  fierire  (nfr.  fierle,  it.  feretro)  ist  entlehnt  aus  lat. 
feretrum.  *deretranus  >  dererain,  derrain  wurde  wohl  als  Kom- 
positum oder  als  Ableitung  zu  deretro  gefühlt;  afr.  Bildung  zu  derrain 
ist  afr.  derrenier  >>  nfr.  dernier. 

2.  fr  liegt  nur  vor  in  ossifraga  >  orfraie,  s.  §  122,  i. 

b)  si,  ti 

§  125.     si   liegt  nur  vor  in 

pertusiare  frz.  percer, 

dessen  starambetonte  Form  piertuisier  ergeben  hat.  Stimmloses  Er- 
gebnis ist  hier  selbstverständlich.  —  Nicht  von  Autisiodorum, 
sondern  von  Autessiodurum  ist  auszugehen  iüx  Auxerre,  s.  §121. 

§  126.  ti 
erfährt    nach    Horning    Zeitschr.  XXXI  200 ff.    Erv/eichung    nur    in 
jüngeren  Wörtern.     Dazu    stimmen    vollauf  die  Verhältnisse   in  der 
Synkope. 

Dafs  nach  stimmloser  Gruppe  das  Endergebnis  stimmlos  ist, 
ist  uns  selbstverständlich. 

*partitione  zix. pargon  *raentition(em)  +  ea  frz.  viensonge 
*plantitione     „   plaiigon. 

Demgegenüber  sind  prov.  menllzo,  afr.  parlison  jüngeren  Datums. 

Auch  nach  Liquida,  Nasal  und  Spirans  ist  stimmloser  Spirant 
von  vornherein  zu  erwarten: 

*nigritionem  afr. 7/<?rf««  (St. Brand.)   *cominitiare  {xz.commaicer 
?*transmovitiare  ixz.  trhnousser        P'^'minutiare       Ziix.mincer. 

Aber  auch  nach  stimmhaftem  Anlaut  erscheint  stimmloses  Er- 
gebnis : 

'*"'bibitione         frz.  boisson  *funditiare        foncer 

*largitione       ?i'ix.larsun  (St.  Brand.)      *venditione2      vengon. 


1  Näheres  darüber  in  der  sprachgeograpliischen  Untersuchung  von  J.  Jud, 
Arch.  f.  d.  Stud.  d.  neueren  Spr.  und  Lit.,  CXX,  lieft  1/2. 

*  Nach  Cl^dats  Auffassung  müfste  venditionem  *venzon  ergehen; 
für  •vengon  schlägt  er  zwei  Mögh'chlcoiten  vor,  entweder  ti^  sei  standhafter 
gegen  die  Erweichung  oder  es  sei  von  *vendi  tit  i  oucm  auszugelien.  —  Der 
Ansatz  *'d.h%cont.\-\\.'\a.xc'^ escoftser  (lilfrathySi)  ist  ribzulehnen.  Aiv.esconser 
ist  Ableitung  zu  escons,  dieses  substantiviertes  I'art.  zu  escondre  (vgl.  semons 
für  monitum  zu  semondre).     Alle  diese  Worte  fehlen  bei  Körting. 


158 

Aus  dem  Vergleich  mit  den  sonstigen  Verhältnissen  können 
wir  schliefsen,  dafs  nach  Media  und  gedeckter  Muta  die  Zusaramen- 
ziehung  zur  Zeit  der  jüngeren  frz.  Synkope  sich  vollzog,  dafs  also 
damals  eine  Erweichung  noch  nicht  eingetreten  war. 

c)  k2. 

§  127.  ti  entwickelte  sich  in  Erbwörtern  zwischen  Vokalen  zu 
ts  >  s.  In  der  Aussprache  des  Latein  war  es  mit  k^  zusammen- 
gefallen; in  jüngeren  Wörtern  wurde  es  wie  dieses  zwischen  Vokalen 
stimmhaft  und  endete  als  -iz-.  Die  Ergebnisse  der  Synkope  scheinen 
zu  erweisen,  dafs  diese  Stimmhaftwerdung  von  k^  und  ti  jünger 
ist  als  die  der  einfachen  stimmlosen  Konsonanten. 

a)  Nach  Liquida,  Nasal  und  v  trat  die  Synkope  wohl  wie  bei 
t  vor  jeder  Lautabstufung  ein: 

1.  l'k^:  pollice  frz.  pouce         filicella  nfr.  -ßcelle 

pulice  ,,    puce        "^-follicellu  2X1. foiicel 

salice  afr.  sauce         pullicella  frz.  pucelle 

collocet         „    coht  1       pullicenu  „   poussin 

caballicet     „    chevaht     sollicitat  „    soiicie 

*vallicellu,  -a  afr.  vaucel,  -e. 

Im  Prov.  aber  tritt  wie  bei  t  Erweichung  ein:  prov.  euze,  potize,"^ 
sauze.  Entlehnungen  aus  den  Süden  sind  daher  frz.  yeiise  (ilice) 
und  Cousin  (*culicinu).3 

Über  afr.  saiiz,  pouz,  prov.  sa7itz,  piutz,  poutz  s.  §  5. 

2.  r'k^:     *exclaricire*  afr.  esciarcir       nfr.  edaircir 

*nigricire  ,,    nercir  „    noircir 

excolubricet  „    escolurst 


0- 


mV: 


cimicella       nfr.  mundartl.  sincele  (Hetzer  S.  31). 
*ramicellu6       „    rainceati,  rinceau     domnicellu,  -a     "äh.  donceU-e 

neben  afr.  dameisel,  -e. 
pumice  frz.  ponce  rumice  frz.  ronce. 

4.  n'k'^:    vi.  *pinicellu  (cl.  penicillum)  nix. pinceau 

„    *canicire    („  canescere)  „    chaticir 

„    *romanice  afr.  romanz. 

Die  Kurzform  romanz  ist  zu  beurteilen  wie  afrz.  sauz,  pouz. 


1  Reichn.  Gl.  culicet  :  culcet.  —  Stütz-i?  in  den  Konjunktiven  fehlt  wohl 
durch  Systemzwang. 

'  Neuprov.  mit  stimmlosem  s  (Atl.  ling.  1068)  infolge  Entlehnung;  heimisch 
dafür  det  gros. 

3  Ebenso  frz.  meleze,  delph.  melezes  (urspr.  meleze,  vgl.  melze)  aus  vi. 
*mellice,  wohl  von  mal  nach  Muster  von  larice  gebildet  (Dict.  gen.). 

*  Vgl.  §  64,  5- 

*  Richtiger  *ramuscellu,  s.  §  64,  5> 


159 

5-  v'k-:     *navicella      frz.  ytacelle,  aber  im  Süden 

Navicellae      \>xo\'.  N'azelles. 
Eburovices  Evreux^      Eburovicinu  Evrecin, 

aber  im  Süden  Lemovicinu  >>  Limousm. 

Die  ältesten  Belege  für  diese  Synkope  sind  cimcella  und 
culcet  in  den  Reichn.  Glossen. 

b)  Wohl  der  jüngeren  Synkope  angehörig  sind  Wörter  mit 
stimmloser  Gruppe  im  Anlaut,  wo  stimmloses  Ergebnis  selbstver- 
ständlich ist: 


antecessor 
*butticella 
*corticella 

frz.  ancetre 
afr.  bocel 
„    escorcelle 

cortice 

forfices2 

hirpice 

frz.  ecorce 
„  forces 
„  herse 

*fusticellu 
*harticella 
*lacticellu 

„  fuissel"^ 
„    harct'le 
„    laicel^ 

pantice 
Pcircitem 

> 

*cirt 

icc 

„  pa7ise 
„   cerce^ 

*monticellu 
'■'ossicellu 
particella 

nfr.  viOTiceau 
afr.  osseß 
frz.  parcelle. 

x'k2 

s.  § 

41. 

c)  Einfache  Tenuis  liegt  nur  vor  in 

*atrapice  afr.  arrace,  wall,  aras,  oros. 

Lat.  atriplix,  -eis   ist   eine  volksetymologische  Umgestaltung   des  gr. 
atgäfpa^vq;  diesem  näher  stehende  Formen'  liegen  den  romanischen 


1  M.-L.  Bet.  im  Gall.  S.  42  betrachtet  als  Mittelstufe  merov.  Ebroicas, 
das  aber  auf  -ches  geendet  hätte;  ein  *Ebro(i)ces  aber  hätte  *Evruiz  (ge- 
geben. Ich  halte  die  Entwicklung  für  ganz  regelmäfsig:  Eburovices 
"^ Evruov'tses'^ Evreux.  Dafs  v  nicht  vorher  fiel,  dafür  scheint  mir  Eburö- 
vicinus  "^  Evrov^chio^  Evrecin  zu  sprechen,  da  wir  sonst  *Evreisi>t  zu 
erwarten  hätten.  Dagegen  Limoges  kann  nicht  Lemovices  sein,  sondern 
der  Ausgangspunkt  ist  Limovicas:  Gregor  von  Tours  benennt  die  Stadt 
im  I.Fall  mit  Lemovica,  im  4.  Fall  mit  Lemovicas.  Dieses  ergab  prov. 
*'Limovegas  ^  Limoges. 

ä  Diez  587  forpex,  -ice;  M.-L.  Rom.  Gr.  I  265  *forbice. 

'  So  Schuchardt  Zeitschr.  XXVI  424,  aber  i  in  fuissel  bleibt  dabei  un- 
erklärt. Thomas  Rom.  XXVIII  186  geht  aus  von  *fuscellum,  dessen 
Bildung  Schwierigkeiten  macht.  Afr.  fuisel  ist,  wenn  nicht  nur  graphische 
Variante,  Kreuzung  \ an  fuissel  \xn(i  fusel'^fuseaii  (Thomas). 

^  Nach  dem  Dict.  g6n.  ist  cerce  gezogen  aus  dem  Stamm  von  cerceau 
(circellus  für  circulus).  —  circitem]>-*cirticem  nach  Thomas,  M^langes. 
Schuchardt  Zeitschr.  XXVI  401  geht  aus  von  circinus,  das  afr.  als  tvrw^  und 
cerce  erscheine,  cerne  ist  ihm  vor  der  Assibilierung  synkopiert,  cerce  nach 
ihr,  n  sei  geschwunden  wie  in  vierge,  marge.  circinus  gab  lautgerecht 
cersne'^  cerne;  wenn  cerce -i^  cercene  <C  cit ein  \i  entstand,  kann  es  sich  nur 
um  ein  Lehnwort  handeln. 

5  M.-L.  Rom.  Gr.  II  500,  547  lacticella  >  laicelle,  laisselle;  God.  ver- 
zeichnet nur  masc.  laicel. 

'  So  Marchot  S.  87 ;  nfr.  noch  osselet. 

^  Die  Annahme,  dafs  in  den  romanischen  Formen  1  gefallen  ist,  ist 
ebenso  abzulehnen,  wie  dals  nfr.  arroche  dem  Norm,  entlehnt  ist. 


i6o 

Reflexen  zugrunde:  *atrapace  >>  afr.  arrace,  wall,  ardse  (phon.  aras), 
mit  unerklärtem  o  wall,  aurause  (phon.  ojvs),  norm,  arousse,  atu-oche. 
Durch  Suffixtausch  trat  -icu,  -ica  an  Stelle  von  -ice:  *atrapicu 
^  ^aprah'cH  >  lothr.  auvrege  (phon.  ovr§z)\  *atrapica  >  afr.  arraclu, 
nfr.  arroche,  wall,  arip  [arepe  Gloss.  v,  Tours  <]  *arrape?).  *atripice 
liegt  vor  in  it.  atrepice.  Vgl.  dazu  Horning,  Proparoxytona  S.  20; 
Zeitschr.  XXXII  20;  Claussen  Rom.  Forsch.  XV  795. 

d)  Aber  auch  nach  einfacher  Medial  findet  sich  stimmlose 
Spirans : 

medicina        afr.  mecine  judicet        afr.  pizt. 

radicina  frz.  racine 

Nicht  judicem  liegt  in  juge  vor,  sondern  dieses  ist  entweder  gleich 
*judicum  oder  postverbal.  Herzog  S.  100  meint,  judice  sei  zu 
^jiize,  dieses  durch  Einflufs  von  jugier  zu  juge  geworden.  Bos 
Rom.  XIX  weist  juge  als  Verbalbildung  zurück  und  macht  *judi- 
cum  wahrscheinlich  für  frz.,  frc.-prov.  jtige,  prov.  cat,  jutge. 

§  128.      I.  Andrerseits  aber  finden  wir  Doppelformen: 

officina  afr.  uissine,  ta'sine  nfr.  nsine 

berbecile  „    bercil,  berzil  „     Bercy 

Thomas  Rom.  XXVI  450  f.  läfst  öficina  >»  *ovicina  >»  oticina  (vgl. 
navicella  >>  riacelle)  werden;  andererseits  sei  *ovicina  >>  oucina 
>>  uisine  geworden  wie  aucellu  >>  oisel.  Ich  kann  diese  Entwick- 
lung von  f  nicht  glaubhaft  finden.  Sicher  steht,  dafs  das  Wort 
nicht  franzisch  ist,  sondern  aus  dem  Norden  stammt.  Wahrschein- 
lich weist  auch  hier  das  Schwanken  zwischen  stimmhaften  und 
stimmlosen  Konsonanten  auf  Entlehnung;  vgl.  das  deutsche  Fremd- 
wort Offizin.  Auch  herzil  ist  nicht  franzisch,  wo  nur  be?-cil  heimisch 
ist;  allerdings  findet  z  sich  auf  ziemlich  weitem  Gebiet.  Vgl.  dazu 
*berbecinu  „Schaffloh"  >■  *herzin,  mundarti.  hardin  (Bas-Maine), 
herdine  (H. -Maine),'-  im  Süden  harhesi(n),  bej-hesi(n)  (entsprechend 
Berbecile  ^  Barbezieux).  Marchot,  Cledat  meinen,  herzil  sei  der 
stimmhaften  Anlautgruppe  zu  verdanken  (vgl.  M.-L.  Frz.  Gr.  §  124); 
aber  warum  dann  daneben  herciP. 

2.  Nur  stimmhaftes  Endergebnis  liegt  vor  in  *reticellu  >  riseau 
und  den  Zahlen  11 — 16.  Ersteres  hat  bereits  Gröber  ALLG,  V  453 
Anm.  abgelehnt,  afr.  resel,  roisel^  ist  ihm  gebildet  aus  dem  Primitivum 
roiz.     Ähnlich  hält  Marchot  S.  88  es  für  eine  Ableitung  zu  retiu, 


^  Nach  gedeckter  Media  vielleicht  *cambice,  westfrz,  gajise,  genze 
(prov.  crtM^o;  vgl.  Horning  Prop.  S.  30,  Anm.  2). 

*  S.  Thomas,  Melanges  S.  29.  —  berchü,  hergil  sind  wohl  norm.-pic; 
Elfrath  betrachtet  berzil  als  lautgerecht,  bergü  stehe  unter  Einflufs  von  berger, 
bergeatl.  —  Sicher  liegt  Einflufs  von  bercaü  vor  in  berkil,  berquü  (God.). 

^  Was  den  Vokal  der  ersten  Silbe  betrifift,  denkt  Gröber  an  lautgerechte 
Entwicklung  [pi'^  ai  nach  r);  der  Dict.  g^n.  sieht  in  dem  e  Einflufs  von  rets. 


i6i 

als  dieses  auf  der  Stufe  redzju  stand.     Der  Dict.  gen.  aber  läfst  es 
hervorgehen  durch  Suffixtausch  aus  reseuil  <  *retiolu. 

3.  Sicher  stimmhaftes  z  auf  franzischem  Gebiete  aber  bieten  die 
Zahlen  11— 16.  M.-L.  Zeitschr.  VIII  238,  Rom.  Gr.  I  §536  erklärt 
dz  durch  gegenseitige  Assimilation,  ohne  auf  mecine,  racine  Rücksicht 
zu  nehmen.  Elfrath  782  ist  der  Meinung,  dafs  hier  die  Synkope 
nicht  nach  der  Stimmhaftwerdung  von  k^  angesetzt  werden  kann; 
allein  die  Begründung,  die  er  gibt,  ist  nicht  stichhaltig;  er  glaubt 
sonst  hätte  man  *ondze  erhalten.  Er  denkt  daran,  dafs  der  durch 
den  Nasal  gestützte  stimmhafte  Dental  auf  die  Entwicklung  des 
folgenden  Palatal  von  Einflufs  gewesen  sei.  Auch  Cledat  13Ö  hält 
doce,  trece,  sece  für  das  Ursprüngliche;  nur  da  wo  d  gestützt  war, 
habe  es  die  Kraft  gehabt,  das  assibilierte  c  stimmhaft  zu  machen, 
daher  onze,  quatorze,  quinze,  wonach  dojize,  treize,  sehe  umgebildet 
wurden.  Gleicher  Meinung  ist  jetzt  auch  M.-L.  Frz.  Gr.  §  124.  Aber 
dieser  Ansicht  stehen  entgegen  revancher,  dartre,  hercil  usw. 

Einen  anderen  Weg  geht  Marchot  S.  9 1 :  das  Gefühl  der 
Komposition  habe  die  Synkope  verzögert,  der  lebendige  Zusammen- 
hang mit  decem  die  Pänultima  bis  nach  der  Erweichung  erhalten. 

Vereinzelt  verzeichnet  God.  auch  stimmlose  Formen:  tmtse, 
doce,  katorce,  quince  (Crest.  Clig.),  quinche.  Wenn  ihnen  wirklich 
stimmloser  Lautwert  zukommt,  sprechen  sie  gegen  die  Ansichten 
von  Cledat  und  M.-L.,  weil  vorwiegend  gerade  die  Formen  mit 
stimmlosem  c  belegt  sind,  die  nach  ihrer  Meinung  stimmhaftes  z 
von  Haus  aus  haben  sollten. 

Die  Schwierigkeit  liegt  in  mecine,  racine  gegenüber  onze,  douze 
usw.  Zwar  könnte  mecine  gelehrt  sein,  aber  med icus  >>  7;»'i?^<?  zeigt 
doch  Erweichung.  Aller  Wahrscheinlichkeit  gehören  mecine,  racine 
aber  erst  der  jüngeren  frz.  Synkope  an.  Die  Synkope  in  den  Zahlen 
II — 16  kann  also  damit  in  keinem  Zusammenhange  stehen.  Zu- 
nächst scheint  sich  der  stimmhafte  Laut  in  douze,  treize,  seize  ent- 
wickelt zu  haben,  an  die  dann  die  Zahlen  1 1,  14,  15  angeglichen 
wurden.  In  den  ersteren  dürfte  sich  die  Abweichung  erklären  aus 
den  besonderen  syntaktischen  Verhältnissen,  unter  denen  die  Zahlen 
stehen  und  die  auch  bei  der  Entwicklung  der  Zehner  vom  Gl.  zum 
VI.  wirksam  gewesen  sind. 


Anhang. 

Mundartliches. 

§  129.  Eine  genaue  Untersuchung  der  Synkope  erfordern 
noch  die  Mundarten.  Die  angeführten  Gesetze  gelten  im  all- 
gemeinen für  das  ganze  französische  Sprachgebiet  und  einen  (noch 
näher  zu  bestimmenden)  Teil  des  Provenzalischen,  aber  es  sind 
gewisse  Ausnahmen  festzustellen  in  den  Randgebieten  im  Norden 
und  Osten,  ferner  im  Franko-Provenzalischen  und  im  Südwesten. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.  II 


l62 

I.  Das  Lothringische  und  Wallonische  beseitigt  eine  Reihe 
von  Proparoxytona  anscheinend  durch  „Abwerfen  der  letzten  Silbe". 
Es  soll  damit  nicht  das  Wesen  der  Sache  ausgedrückt  sein,  sondern 
nur  die  Tatsache  in  Worte  gekleidet  werden.  Neben  diesen  Formen 
findet  sich  in  anderen  Wörter  die  regelmäfsige  Entwicklung. 

-idu:        tepidus 

*ex-tremidus 
vapidus 
humidus 

-ite,  -a:  stipite 
gabata 

orbita  +  ^^ia 
male  habitu 

*camitem,  *cambita 
computus 

-icu,  -a  nach  Liquida  und  Nasal 
gallica      lothr.  zol 
granica        „ 
manicu         „      min 

nach  gedeckter  Tenuis: 

pertica  lothr.  pyei     wall,  pis 

„     pivas 
„      diimyes 


altlothr, 

,  tcive 

neulothr.  th) 

lothr. 

yjrem 

wall. 

wap 

» 

züim 

)5 

stip 

« 

zev,  glv 

)? 

warbir 

altlothr. 

,  vialaive 

neulothr.  malav, 
maliv 

lothr. 

sah,  Sam 

wall,  isam 

ostfrz. 
1 . 

compe 

[; 

'         wall,  dzay,  gay 

■hl         „ 

gren 

porticu 

domesticu 

nach 

Dental: 

cutica 

wall,  cot 

*fiticu 

natica 

„      7iat 

medicu 

wall,  foei,  afr.  feie 
„      med^  altlothr.  meie 

-ice:  hirpice  wall.  ?/>,  lothr. //-/>,     atrip(l)icem  wall.  ar?)>. 
Wahrscheinlich  ist  hier  von  -ica  für  -icem  auszugehen. 
Vortonig  zeigen  eine  ähnliche  Entwicklung 

-utare:  imputare        lothr.      äp6,  öpe 

computare     ostfrz.      co7nper  (Godefroy) 

-icare^:    fodicare         lothr.     ßiyi  wall,    fuyi 

radicare  „  7-ayi  „       rayi 

medicare  „  rmtiayi  „        medi 


^  Vgl.  dazu  Atl.  ling.  Karte  59  arracher,  Karte  257  chaiiffer,  ähnliche 
Formen  auch  Karte  239  charger,  usw.  Dadurch  sind  jetzt  die  Angaben  der 
Glossare  und  Hornings  zu  ergänzen.  Auch  aus  Godefroy  ist  noch  manche 
Form    zu   schöpfen,    so    belegt   er   z.  B.  für  enger  bei  Philippe  v.  Beaumanoir 

sowohl     aejigie  ;  changie  (Jean  et  Bl.) 
als  auch     aengnier  :  gaaignier  (Manekine)j  usw. 


i63 

caleficare  altlothr.  eschaufier  (Bernhard)    voges,  yofyc 

*hirpicare  lothr.       erpiiyi  wall.    \}nerchi\ 

masticare  „  irnüay^tyL^  „       mossi 

cloppicare  „        kllpi 

manducare  „       mani 

-icaria:    filicaria  „  faleyer,  Jahr  [    .,       fetsir\ 

Eine  ähnliche  Entwicklung  scheinen  eine  Reihe  afr.  Wörter 
aufzuweisen,  deren  erbwörtlicher  oder  lehnwörtlicher  Charakter  z.  T. 
umstritten  ist: 

aridus  >  are,  aire  (dazu  aretir),  avidus  >  ave,  cupidus  >> 
cove,  pallidus  > />fl/,f  [nir.  pale),  pavidus  > /öZ'i?,  sapidus  > 
save,  savie  [saive,  sage),  solid us  >  sol  (nfr.  sou)  usw. 

domesticus  ]>  domesie,  encaustum  >>  encre,  rusticus  >  rüste, 
ruiste  (nfr.  rustre),  monicus  >  moine  usw. 

Auch  sichere  Lehnwörter  haben  in  den  genannten  Mundarten 
oft  eine  entsprechende  Entwicklung: 

dies  dominica     wall,  diman     canonicu     wall,  isenon 

Bei  -icu,  -a  ist  zu  beachten,  dafs  nach  1,  n,  rt  die  wallonischen 
Formen  von  den  lothringischen  sich  durch  ein  epenthetisches  i 
unterscheiden. 

Wall,  wap,  stip,  cot,  foet,  nat  zeigen  keine  Lautabstufung;  sind 
sie  erbwörtlich,  mufs  der  Kons,  zu  ihrer  Zeit  gedeckt  gewesen  sein. 

Die  wichtigsten  Untersuchungen  über  diese  Erscheinung  sind 
Horning,  Zeitschr.  XV  493:  „Zur  Behandlung  der  Pänultima  im 
Französischen";  Schuchardt,  Romanische  Etymologien  I  (Sitz.-Ber. 
d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.  in  Wien,  phil.-hist.  Kl.  Bd.  138)  und  Horning, 
Die  Behandlung  der  Lateinischen  Proparoxytona  in  den  Mundarten 
der  Vogesen  und  im  Wallonischen  (Beilage  zum  Programm  des 
Lyceums,  Nr.  578,  Strafsburg  1902).  Da  diese  teils  mundartliche, 
teils  lehnwörtliche  Entwicklung  mit  dem  Verhältnis  von  Synkope 
und  Lautabstufung  nicht  in  unmittelbarer  Beziehung  steht,  gehe  ich 
nicht  näher  auf  dieses  schwierige  Problem  ein,  zumal  Horning  in 
dem  Programm  alles  zusammengestellt  hat,  was  derzeit  darüber 
gesagt  werden  kann. 

2.  Näher  berührt  unsere  Frage  die  Entwicklung  der  sekundären 
Gruppe  Kons,  -f-  k  im  Pic.-Norm.  —  Es  ist  bekannt,  dafs  die 
Palatalisierung  von  k  und  g  vor  a  im  Norden  auf  einem  grofsen 
Gebiete  unterbleibt.  So  ist  es  selbstverständlich,  dafs  wir  auch 
nach  der  Synkope  für  fr.  ch  hier  k  finden: 

*cloppicare     frz.    clocher  pic.-norm.  kloke 

masticare         „       mächer  „  make 

collocare         „      coucher  ,,  kulke 


1  Altlothr.  inassUr  (Ezech.);  God.  belegt  maissa,  maissier  in  Les  ch^tifs 
und  im  Chev.  au  cygne. 

II* 


164 

*ramica  frz.     ranche  pic.  norm,  rfk 

*nasicare  wall,  ernancher  „          nahe 

pertica  frz.    per  che  „         perk,  pierk 

[*tortica]             „      iorche,  torchet  „  t07'k,  torke 

[*revindica]  „      revanche  „          ervek 

Aber  seltsamer  Weise  findet  man  stimmloses  k  auch  dort,  wo 
wir  wie  im  Frz.  stimmhaftes  Ergebnis  erwarten.     Zwar 

carricare  frz.      charger  altpic.  querquier     neupic.  kerke 

*fumicare  Xo'Cax.  f imger  „       fiinkier 

*ex-radicare  afr.      esragier  „        esraqiiier 

plumbicare  frz.      plonger  pic.     pldki 

liefsen  Erklärung  durch  Ausgleich  nach  stammbetonten  Formen  zu, 
obwohl  das  Fehlen  jeglicher  g-Formen  dagegen  spricht;  aber 

*berbicariu       frz.     berger       altpic.  hierquier,  herker 

*berbecaliu      mfrz.  hergeail     pic.  nfr.       hercail 
manducare     frz.     nianger     pic.  norm,  mäke'^ 

können  nicht  dem  Ausgleich  ihr  stimmloses  k  verdanken. 

Andrerseits  gibt  es  aber  auch  Formen  mit  Lautabstufung. 
Doppelformen  zeigen 

*filicaria     ^ix.  feuchiere     ■^'ic.  feukih-e  wall.  fetStr 

Xiix.fonglre  „    feugtiüre 

gallica  frz.  gauge  „    gauque,  dazu  gatiquier 

„    gatigue,  „  gauguier. 

Nur  stimmhaften  Verschlufslaut  haben 

*rodicare     frz.  rotiger     pic.  ronguer 
f  a  b  r  i  c  a  Forgiie,  g  r  a  n  i  c  a  Grangue,  *  f  a  n  i  c  a  fangue. 

Aber  *filicaria,  gallica  sind  Kulturwörter,  die  wohl  als  *filigaria, 
*galliga  ins  Pic.  drangen.  Pic.  ronguer  kann  auf  rumigare 
zurückgehen.  Forgue,  Grangue  als  Ortsnamen  finden  sich  nur  je 
einmal  in  Calvados,  für  fangue  lälst  sich  auch  eine  andere  Er- 
klärung geben  (s.  S.  114). 

Freilich  kommen  in  pic.  Texten  Schreibungen  mit  g  vor,  aber 
es  ist  meist  nur  (oft  auch  falsche)  frz.  Schreibweise;  und  selbst 
wenn  gh,  gu  auftaucht,  bleibt  der  lautliche  Wert  fraglich.  Die 
Karten  des  Atlas  ling.  belegen  kein  g.  Während  charger  auf  dem 
übrigen  frz.  Gebiete  nur  stimmhaft  erscheint,  zeigt  es  nur  im  Pic. 
stimmlosen    Laut:    kerke.     Im    übrigen    gehen    diese    Formen    heute 


*  Marchot  S.  88  kennt  mäke  (vgl.  S.  139)  nicht,  erv2k  beachtet  er  nicht. 
Daher  ist  sein  Schlufs  auf  Synkope  auf  der  Stufe  manduyare,  vendiyare  un- 
richtig. 


i65 

stark  zurück.  Die  Karte  coucher  zeigt  kulke  nur  sehr  eingeschränkt. 
Die  Trümmer  von  7)iäke  sind  §  gg,  i  verzeichnet.  Für  arracher 
findet  sich  arake  überhaupt  nicht  mehr  (dafür  tirer). 

Diese  Tatsache,  dafs  der  Norden  hier  (abgesehen  von  Sonder- 
fällen) keine  Erweichung  eintreten  läfst,  ist  bisher  wenig  beachtet 
worden.  W.  Foerster,  Li  chev.  as  deus  espees,  S.  54,  führt  aus, 
dafs,  wo  der  franzische  Dialekt  Kons.  -|-  ica  in  g  verwandelt,  der 
pikardische  und  andere  ein  ch  haben  und  nennt  berchier,  juchier, 
grmiche,  nache,  esr achter,  messache,  Elfrath  S.  763  zieht  für  plongier 
und  plonchier  zunächst  in  Erwägung,  dafs  anglonorm.  der  Ausgleich 
nach  den  endungsbetonten,  pic.  nach  den  stammbetonten  Formen 
stattfand.  „Ferner  wäre  folgendes  möglich:  in  den  nördlichen 
Mundarten  waren  Formen  der  Stellung  /?  [nachnebentonig]  zur  Zeit 
des  Zusammentrittes  der  drei  Konsonanten  nach  der  Synkope  des 
Mittelvokals  noch  nicht  von  der  Medialisierungsbewegung  ergriffen, 
die  vielleicht  an  der  Grenze  des  Norm,  und  Franz.  gegen  den 
Norden  zu  erlahmte".  Für  Marchot,  der.S.  84 if.  die  Synkope  im 
allgemeinen  vor  die  Lautabstufung  setzt,  bieten  die  genannten 
Formen  natürlich  keine  Schwierigkeiten.! 

Die  ganze  Angelegenheit  bedarf  aber  erst  noch  einer  ein- 
gehenden Untersuchung,  die  vor  allem  das  Material  vollständig 
sammeln  müfste,  um  nicht  Fehlschlüsse  ex  absentia  zu  ziehen. 

3.  Auch  das  Frc.-Prov.  weicht  in  einigen  Punkten  vom  Zentral- 
französischen ab  und  nähert  sich  dem  Provenzalischen.  So  schon 
wenn  es  statt  von  *ficatum  >  ixz.  foie  von  *fiticum  (>  prov. 
fetge,  frc.-prov.  yi'^cf)  ausgeht. 

Während  zwischen  m't  im  Frz.  die  Synkope  vor  der  Laut- 
abstufung eintritt  (semita  >  sente),  zeigt  das  Frc.-Prov.  z.  T.  Er- 
weichung: so  weist  Karte  12 18  des  Atl.  ling.  in  der  Schweiz 
(Mitte)  einen  Typus  senda  auf. 

Auch  n'c  zeigt  Sonderheiten.  Dem  frz.  manche  •<  manicu 
steht  gegenüber  frc.-prov.  mange  (s.  §  78).  Noch  auffälliger  ist 
mägo  (Atl.  ling.  Karte  805,  Osten  von  Isere  an  der  Rhone).  Horning 
Prop.  S.  22  legt  dar,  dafs  lyon.  mango  eine  ganz  andere  Entwicklung 
von  -icu2  darstellt  als  frz.  mange.  Vor  k^  ist  Synkope  in  der  südl. 
Hälfte  des  Frc.-Prov.  erst  nach  der  Erweichung  (also  wie  im  Prov.) 
eingetreten.  Der  Atl.  ling.  verzeichnet  für  frz.  puce  südfrcprov.  pudze, 
pudzo  usw.,  für  {xz.  pouce  südfrcprov. /»t/'ü'si?,  pudzo  usw. 

Die  Zahlen  von  n — 16  lauten  nach  dem  Atl.  ling.  an  gewissen 
Orten  (70,  96g  Schweiz,  q66  Italien,  964  Savoyen)  otide,  dode,  trede, 
katorde,  tyhie  {kyende),  sede ;  undecira  >  onde  scheint  da  entwickelt 
wie  hirpicem  >  wall,  tp  usw.,  s.  §  129,  i. 

4.  Schliefslich  zeigt  das  Poit.  eine  Reihe  von  Abweichungen 
ähnlicher  Art.     Auf  suge  statt  frz.  suie,  ostfrz.  setiche,  das  dem  Prov. 


1  Vgl.  jedoch  §  96. 

'  -aticu  wird  lyon.  -atjo,   s.  §  96. 


i66 

stiga  entspricht,  ist  §  52,  2  aufmerksam  gemacht.  Ebenso  wurde 
sendier,  setidarel  für  sentier  schon  erwähnt.  Görlich  (F.  St.  III  86) 
weist  auf  den  Wechsel  von  /  und  d  nach  n,  r,  s  hin  [cosdume, 
vende,  rende  neben  costiime,  vente,  rente).  Wie  weit  diese  Formen 
heimisch,  wie  weit  die  d  dem  Prov.,  die  /  dem  Frz.  entlehnt  sind, 
bleibt  zu  untersuchen. 

Und  wie  im  Frc.-prov.,  ist  auch  hier  k^  vor  der  Synkope 
erweicht:  Der  Atlas  ling.  zeigt  für  puce  Y>oii.  pv uz, ^  für  pouce  poit. 
püz.  Selbst  ti  zeigt  hier  Erweichung:  *domitiare  >>  poit.  danzer 
„dompter". 

Auch  der  sog.  „Abfall  der  letzten  Silbe"  findet  sich  im  Poit. 
Laianne,  Glossaire  du  Patois  Poitevin  (1868),  verzeichnet 

made,  madre    (adj.  de  2  genres)     d.  i.  madidus 
rovre  (  „       „     „        ,,     )      „    „  rübidus? 

Gewifs  folgt  daraus  noch  nicht,  dafs  hier  dieselbe  Entwicklung  vor- 
liegt, wie  in  den  oben  behandelten  Worten  im  Wall,  und  Lothr. 
Aber  um  eine  abschliefsende  Antwort  auf  die  Frage  nach  der  Ent- 
wicklung dieser  Wörter  zu  geben,  ist  eine  Untersuchung  notwendig, 
die  das  Gesamtmaterial  der  ältesten  frz.  Lehnwörter,  allen  Mund- 
arten und  der  Wörter  tatsächlich  oder  scheinbar  ähnlicher  Ent- 
wicklung des  Prov.,  Rtr.,  It.  vorlegt  und  auf  Grund  dessen  zu 
scheiden  versucht,  was  heimisch,  was  lehn  wörtlich  ist  und  wie  die 
lautliche  Entwicklung  vor  sich  ging. 


^  Ebenso  pro%'.  piUze   (rechts   und    links    der  Rhone,    auf  weitem  Gebiet 
verdrängt  durch  negro,  neiro);  gase.  pus. 


Zusammenfassung. 


Der  Ausfall  des  unbetonten  Vokals  sekundärer  Gruppen  voll- 
zieht sich  in  der  Zeit  vom  klassischen  Latein  bis  zum  geschriebenen 
Französisch  in  mehreren  Abstufungen.  Drei  grofse  Abschnitte  lassen 
sich  erkennen : 

1.  die  Synkope  in  vulgärlateinisch-romanischer  Zeit, 

2.  die  Synkope  vor  der  französischen  Lautabstufung, 

3.  die  Synkope  nach  der  französischen  Lautabstufung. 

Die  Zeit  des  Ausfalles  hängt  in  erster  Linie  ab  von  der  Natur 
der  umgebenden  Konsonanten.  Im  VI.  ist  die  Synkope  nur  fakul- 
tativ, d.  h.  die  ursprünglichen  (längeren)  Formen  bleiben  neben 
den  synkopierten  Kurzformen  erhalten  (§  6  usw.).  In  frz.  Zeit  ge- 
winnen die  Stellung  vor  oder  nach  dem  Hauptton  und  der  Vokal 
der  Ultima  Einflufs. 

Die  Zahl  der  gemeinromanischen  Synkopen  ist  weit  gröfser 
als  man  gewöhnlich  annimmt.  Wenn  wir  von  mn,  Muta  +  1  ab- 
sehen, unterliegt  der  Synkope  der  unbetonte  Vokal  zwischen 

Liquida  +  Kons,  und  s't;  zu  den  von  Schwan-Behrens  §  ig 
angeführten  Gruppen  1  -}-  d,  t,  p,  m;  r  +  d,  m  sind  hinzuzufügen 
rk2  (afr.  sauz,  pouz),  n'k^  (afr.  romanz),  l'qu  (afr.  alqiies)  und  r't  (afr. 
espirt),  r'k  {parc).  Die  Liquida  kann  auch  lang  sein  (horridu  > 
ori).     §  4  fr. 

zwischen  Verschlufslauten  gleicher  Artikulationsstelle:  d't,  t'd, 
d'd,  t't;  p'p;  g'c,  c'c.  Ist  ein  Konsonant  der  Gruppe  stimmlos,  so 
ist  auch  das  Assimilationsergebnis  stimmlos:  nitida  >  nete,  *figi- 
care  >  ficher.  Auch  zwischen  gleichen  Dauerlauten  (n'n,  v'v) 
scheint  die  Synkope  alt,  wenigstens  erscheint  ebenfalls  kein  Stütz-e: 
Senones  >  Sens,  Novavilla  >>  Neuville.     §  9  flf. 

zwischen  Verschlufslauten  gleicher  Lautstufe,  falls  der  zweite 
Konsonant  ein  Zahnlaut  ist:  g'd,  c't  (s.  u.);  p't,  mp't:  reputare  > 
*reptare  :  afr.  reter,    computare  >>  *coraptare  :  afr.  conter.      §  32  f. 

Ferner  ist  mit  der  Synkope  Vokalisierung  von  v  oder  g  ver- 
bunden:  avi,  avu  >  au  (avica  >  auca  :  frz.  oie,  §25;  tabula  >> 
tavula  >  taula  :  frz.  tule,  %  27)  und  nicht  haupttoniges  agu  >•  au, 
igi  >  i  {öaQXOtpajoq  >  *sarc6fau  :  afr.  sarcoii;  digitale  >  ditale 
:  afr.  deel,  §  29  ff.). 


i68 

Damit  sind  die  Synkopen,  die  in  gemeinromanische  Zeit  hinauf- 
reichen, keineswegs  erschöpft  (s.  u.).  Aufserdem  kennt  das  Vulgär- 
latein eine  Reihe  von  Zusammenziehungen,  die  in  den  romanischen 
Sprachen  keine  Spuren  hinterlassen  haben  (maxima  >  masma,  aber 
afr.  inaisme,  §  34).  Alle  diese  Synkopen  zeigen  eine  Reihe  gemein- 
samer Eigentümlichkeiten : 

Sie  sind  nichts  Neues  in  der  Sprache,  schon  das  klassische 
oder  archaische  Latein  kennt  sie  (valde  neben  validus,  ferte  für 
ferite,  mattus  aus  *maditos,  augur  zu  avis). 

Neben  den  vulgären  Kurzformen  bleiben  die  ursprüng- 
lichen Formen  erhalten.  Manchmal  mag  Systemzwang  vorliegen 
(salicem  >  salce  :  afr.  sanz,  daneben  salix,  salicem  :  afr.  saiice, 
ebenso  2S.X.  pouz  und  potice,  §  5);  in  der  Regel  aber  handelt  es  sich 
um  Allegro-  und  Lentoformen.  Den  Kurzformen  frz.  seille,  coup 
net  stehen  zur  Seite  rtr.  sedla  (§7),  prov.  colbe  (§  6),  frc.-prov.  nede 
(§  17).  Als  solche  Langformen  sind  zu  betrachten  hz.fade  (§  17), 
afr.  auve  <  alipe  (§  6)  usw.;  so  erklärt  sich  *avicellu  >  aucellu  : 
afr.  oisel,  aber  navicella  >■  nacelle  (§  26). 

Das  Assimilationsergebnis  zweier  Konsonanten  einer  sekundären 
Gruppe  ist  stets  stimmlos,  sobald  einer  davon  stimmlos  ist.  Schwanken 
zwischen  stimmhaften  und  stimmlosen  Ergebnis,  wo  lautregelmäfsig 
stimmloses  Ergebnis  zu  erwarten  wäre,  ist  ein  Zeichen  von  Ent- 
lehnung: hereditäre  >  eriter  und  ereder  (§  13),  capitale  > 
chadel  und  chetel  (§  33,  2)  usw. 

Zu  diesen  alten  Synkopen  gehören  auch  eine  Reihe  sekundärer 
Gruppen,  die  einen  Palatal  im  Anlaut  haben.  Gemeinromanisch 
ist  die  Zusammenziehung  bei  folgenden  palatalen  Gruppen:  x'c, 
x't,  gn'c. 

(§§  40,  42,  43:  *laxicare,  *taxitare,  *stagnicare  >  gemeinrom. 
*lascare,  *tastare,  *stancare  :  frz.  lächert  idter,  üaficher),  viel- 
leicht auch  rg't  (§  46:  gurgite  >  afr.  gourt).  Alle  diese  Gruppen 
wie  auch  ct'c  (§  44:  *flecticare  >>  2i{x.  flechter)  haben  gemeinsam, 
dafs  der  Palatal  der  Anlautgruppe  spurlos  schwindet. 

Wenn  einfacher  Palatal  im  Anlaut  vor  Dental  steht,  wird  schon 
vi.  synkopiert:  g'd  (§  48,  frigidus  vi.  frigdus  :  \t.  freddo,  ixz.  froid), 
c't  (§  50,  *explicitare  >>  *esplectare  :  afr.  esplettier),  ebenso  g't 
(§  49,  vi.  belegtes  digtus)  und  das  gleichwertige  di't  (§  49,  2: 
medietatem  >  *meytate  :  frz.  moiiie),  vielleicht  auch  -iet-  (quietare 
>  quiytare  :  frz.  quitter,  §  4g,  3).  Daneben  sind  nun  wiederum  die 
vollen  Formen  erhalten  geblieben:  rigidus  >  prov.  rege,  -eza 
(§  48,  3),  digitus  >  it.  tose,  deto,  ixz.  doigt  (§  49,  i),  cogitare  > 
afr.  coidier,  *vocitare  >  afr.  voidier  (§  50,  2).  Manchmal  mag  zur 
Erhaltung  der  Langforraen  Systemzwang  beigetragen  haben:  adju- 
tare,  nicht  *aytare  wegen  adjutat,  placitum,  nicht  *plactum  wegen 
des  Zusammenhanges  mit  placere  usw.  Schwanken  zwischen  stimm- 
hafter und  stimmloser  Konsonanz  zeugt  auch  hier  für  Entlehnung  ^ : 


^  fecatu  <^yb«V  s.  §  50,  7. 


lög 

pietate  >  ^Sx.  pitie  und  pidie  (§49,3).  Erst  in  frz.  Zeit  fällt  die 
Synkope  zwischen  gn't,  ng't  (cognitu  >  coinie,  §  47)  und  c'd, 
cc'd  (§§  52,  53:  flaccidu  >  a.h.  fiazsire),  jene  vor,  diese  nach  der 
Lautabstufung.  gn't  und  cc'd  erfordern  Stütz-e,  während  alle 
übrigen  genannten  Gruppen  kein  Stütz-e  nach  sich  ziehen. 

Die  Langformen  dieser  palatalen  Gruppen  synkopieren  erst  in 
französischer  Zeit,  und  zwar  nach  der  Lautabstufung  (wenn  nicht 
a  in  der  Ultima  eines  Proparoxytonon  steht).  Die  Entwicklung 
geht  folgendermafsen  vor  sich : 

placitu  >>  platyato  >  playodo  >  plaido  >>  plaid,  d.  h.  k^,  zu 
ty  geworden,  wird  durch  das  folgende  t  zu  y  dissimiliert  {§  50,  3); 
playedo  wird  plaido  >  plait  (§  37),  während  comite  >  comte 
noch  dreisilbig  bleibt  und  daher  mit  Stütz-e  endigt:  comie  (§  35  ff.), 
facitis,  dicitis  geben  lautgerecht  prov. /at'/z,  dilz\  {rz.  failes^  dites 
verdanken  ihr  Stütz-.?  der  Analogie  (§  50,  6). 

Wenn  a  in  der  Ultima  eines  solchen  Proparoxytonon  steht, 
erfolgt  eine  andere  Entwicklung  (§§  48,  5;  4g,  4;  50,4;  52,2): 

g'd  magidem  >»  mait               magida  >  maie 

g't  cogitare  >  coidier  cogitat  ]>  cuie 

c't  vocitu  >  vuit  vocita     >■  prov.  voia 

c'd  fracidu  >  rix.fraid  Psucida    >  suie. 

Demnach  sind  vuide,  vielleicht  auch  froide  Neubildungen  zum  masc. 
vuit,  froit,  als  diese  noch  *vnid,  *froid  lauteten,  also  vor  der  Ver- 
härtung im  Auslaut  (ganz  wie  grande,  verde  zu  grant,  vei-t,  §  50,  5). 

Assibilierung  des  c  tritt  ein  vor  1,  n,  wahrscheinlich  auch  vor 
m  (gracile  >  graisle,  acinu  >>  aisne,  decimu  >>  disme,  §  55  ff.). 
Ebenso  assibilieren  ki,  cc  vor  t,  d  regelrecht  unter  Entwicklung 
eines  epentethischen  i  (societate>>  soisiie,  flaccidu  >>  flaistre, 
§§  53>  4J  50»  9)'  Keine  Assibilierung  findet  sich  vor  r^  {facere  > 
facre  '^  faire,  vincere  >•  afr.  veinire),  indem  hier  vor  der  Assibi- 
lierung r  den  tonlosen  Pänultimavokal  absorbierte  (wie  in  corro- 
tulat  >>  croule),  §  54,  2. 

Wenn  sonst  (abgesehen  von  1,  m,  n)  Assibilierung  vorliegt,  so 
handelt  es  sich  nicht  um  lautregelmäfsige  Entwicklung,  sondern  um 
Entlehnung  aus  anderen  Sprachen  (licita  >>  span.  prov.  lezda,  cat. 
leuda,  daher  afr.  lesdet  leude  usw.),  um  lehnwörtliche  Entwicklung 
(öiXEQa  >  lat.  sicera  :  afr.  sis/re  usw.),  Einflufs  verwandter  Wörter 
(amicitate  >  ajiiistie  durch  amicus  usw.)  u.  dgl.  §§  50,9;  54,4. 
Auch  die  Paroxytona  wie  f a c i t  >  yvz//  assibilieren  nicht,  placet 
>>  plaisi  usw.  verdanken  ihr  s  der  Analogie  nach  dem  Plural  und 
dem  Infinitiv,  §  51.  Die  Verbalsubstantiva  auf  -te,  die  aus  Parti- 
zipien hervorgehen,  zeigen  nicht  lautgesetzhche  Entwicklung,  sondern 
stehen  unter  Systemzwang ;  an  den  betonten  Stamm  tritt  das  Suffix 


^  Auch,  im  Prov.  gibt  die  Gruppe  er  lautgerecht  ir  (§  54,  3  fecerat  >• 
feira).  — fedre  Pass.  188  usw.  beruhen  auf  umgekehrter  Schreibung,  d  für  i 
(§  54,  5). 


170 

-ie^  {/ui'-ie,  gis-te,  sui-te,  während  *fugita,  *jacita,  *sequita  als 
"^fuie,  *gie,  *seife  hätten  enden  sollen,  §§49,5;  50,9). 

Die  französische  Synkope  erfafst  in  Erbwörtern  jeden 
Pänultimavokal  und  in  weitem  Umfange  den  Zwischenvokal  (§  6iif.). 
a  der  Pänultima  führt  keine  Verzögerung  herbei  (§  62).  Die  land- 
läufigen Regeln  über  den  Ausfall  des  Nachnebentonvokals  erfordern 
einige  Abänderungen 2  (§  64).  Wenn  zwei  Zwischentonsilben  vor- 
handen sind,  so  fällt  jene,  welche  die  schwächere  ist  3  (§  64,  8). 

Der  Ausfall  dieser  tonlosen  Vokale  vollzieht  sich  nicht  zur 
selben  Zeit,  sondern  teils  vor,  teils  nach  der  Lautabstufung.  Die 
ältere  französische  Synkope  tritt  Ende  des  4.  oder  Anfang  des  5.  Jahrh. 
ein,  die  jüngere  frz.  Synkope  fällt  in  die  zweite  Hälfte  des  6.  oder 
erste  Hälfte  des  7.  Jahrh.  (§  66).  Die  Lautabstufung  und  die  Diph- 
thongierung (richtiger  der  entscheidende  Schritt  zur  Diphthongierung) 
von  freiem  betontem  ^,  9  vollziehen  sich  zwischen  der  älteren  und 
der  jüngeren  Synkope  (comite  ^  comte,  tepidu  >  ti^de,  §  67). 
Ein  Zeitunterschied  im  Ausfall  des  Pänultima-  und  des  Zwischen- 
tonvokals  führt  bei  den  Zeitwörtern  Doppelformen  herbei  (fodicat 
>>  afr.  fouche,  fodicare  >  Siix.  fougier),  die  durch  Ausgleich  be- 
seitigt werden.  Manchmal  ist  dieser  Ausgleich  sehr  alt  (vorliterarisch 
dtibifat  >>  *duptat,  darnach  inf.  *duptare  >>  frz.  doiiter,  prov.  doplar 
ohne  d- Formen),  manchmal  erhalten  sich  beide  Formen  bis  heute 
(nfr.  venger  und  revancher),  §  65  f.  —  Von  den  frz.  Synkopen 
werden  im  folgenden  nur  jene  Fälle  untersucht,  die  zur  Lautabstufung 
in  Beziehung  stehen. 

Zur  älteren  französischen  Synkope  gehören: 

1.  Liquida,  Nasal  und  Spirans  vor  t,  zum  Teil  vor  c,  soweit 
nicht  schon  gemeinromanische  Synkope  eingetreten  war. 

2.  Paroxytona,  wenn  Tenuis  im  Auslaut  und  a  in  der  Ultima  steht. 

ad  I  siehe  die  Zusammenfassung  §  82.  —  Schwanken  zwischen 
stimmhaften  und  stimmlosen  Formen  bezeugt  wiederum  Lehnwört- 
lichkeit:  delcad — delgie,  felchiere — folgiere,  Basoche — Basoge,  haillarc 
—  baillarse  usw. 


*  Ebenso  beruht  der  Gegensatz  von  frz.  vente,  tente  zu  prov.  venda,  tenda 
auf  Ausgleich  in  verschiedener  Richtung,  vi.  *vendita,  aber  *  tenda,  §103,2. 

2  Auch  a  fällt,  wenn  r  folgt  oder  vorangeht  (m i r a b i  1  i a  ^  »^t-r^^z'//^, 
Camaracu  ^  Cambrai,  Einl.  S.  2).  Auch  nach  einer  Gruppe,  die  im  Aus- 
laut Stützvokal  verlangt,  kann  der  Zwischentonvokal  fallen;  so  nach  Kons. -j- r: 
latrociniu  ^ /arc:«,  fabricar e  ^  mundartl.  y<2X'ar^zi?r.  Ebenso  vor  einer 
Gruppe  im  Auslaut,  so  vor  st,  sc:  mini  s  t  e  riu  ]]> /«<?Vi>r,  ramu  sc  ellu  ]]>  afr. 
rainsei,  ferner  vor  Kon.  +  r:  ossifraga  >  or/rrt2>.  Dagegen  tritt  keine  Syn- 
kope ein,  wenn  auf  gedeckten  Dental  einfacher  Dental  folgt  custodire  ]>•  afr. 
coste'ir.     Usw. 

'  Dies  ist  wie  bei  den  Proparoxytonis  im  allgemeinen  die  erste  von  beiden 
(annotinense  ^  aw^ifwöw),  ausgenommen  wenn  sie  ein  a  enthält  oder  gedeckt 
ist  (Carantenacu]>  Caretinac);  wenn  aber  die  zweite  gedeckt  ist,  fällt  die 
erste,  selbst  wenn  sie  ein  a  enthält  [A.nA2,h^xna.c\i^  Ambernac). 


171 

ad  2.  Dafs  a  der  Ultima  —  in  gewissen  Fällen  —  den 
Ausfall  der  unbetonten  Pänultima  beschleunigt,  zeigt  male  habitu 
>>  ?7ialade,  male  habita  >  vialate.  Dafs  die  d-Form  dem  Mask., 
die  t-Form  dem  Fem.  zukommt,  zeigt  der  Atlas  ling.  Karte  803 
(Nr.  710,  717).  Damit  erscheint  die  Richtigkeit  der  a-Regel  be- 
wiesen (§  83flf.,  insb.  §87).  Sie  gilt,  wenn  im  Auslaut  einfache 
Tenuis  (k,  p,  t),  im  Anlaut  einfacher  oder  gedeckter  Verschlufslaut 
steht  (soweit  nicht  schon  vorfrz.  Synkope  vorliegt),  §  88. 

*radicat  >  afr.  räche  pendicat  >  ^{i. penche 

gabita  ">     ,,    jäte  derbita  >>     „    derie 

*atrapica  >>    „    arrache  pertica  >     .,   perche 

natica  >>    „    nache  caespitat  >■     „    ceste. 

Zur  jüngeren  französischen  Synkope  gehören: 

1.  Der  Zwischen  ton  vokal  zwischen  Verschlufslauten  (soweit  nicht 
schon  gemeinromanisch). 

2.  Der  Pänultimavokal  zwischen  Verschlufslauten,  wenn  nicht  a 
in  der  Ultima  steht  (soweit  nicht  schon  gemeinroraanisch). 

3.  Der  Zwischenton-  und  Pänultimavokal,  wenn  Verschlufslaut 
vor  Media  steht. 

ad.  I. 


*radicare 

> 

afr 

ragier 

ad. 

2.  *sedicu 

afr.  siege 

*gabitellu 

> 

)) 

jadel 

cubitu 

,,   coude 

^fiticare 

> 

n 

fegier 

-aticu 

!»   -age 

manducare 

> 

» 

mangier 

domesticu 

„   domesche 

*bombitare 

> 

H 

bonder 

hospite 

„   oste 

cloppicare 

> 

n 

clochier 

ad 

3.  sapidu 

„   sade 

masticare 

> 

)7 

maschier 

vapidosu  1 

yon.  vadou. 

Das  vor  Media  die  Synkope  jung,  bezeugt  das  Prov.,  das  in  diesem 
Falle  überhaupt  nicht  synkopiert:  tepidu  >•  frz.  Hede,  prov.  tehe\ 
tepida  >  frz.  lüde,  prov.  tebeza  (§  113). 

Treten  durch  die  Synkope  zwei  Verschlufslaute  zusammen,  so 
tritt  totale  Assimilation  ein.  Dabei  gelten  ausnahmslos  folgende 
zwei  Regeln  der  Assimilation  (§  90): 

1.  In  Bezug  auf  die  Artikulationsstelle  ist  die  Assimilation  stets 
regressiv:   debita  >>  dete,  vindicare  >>  vengier,  derbita  >  derte, 

2.  Ist  von  den  beiden  Verschlufslauten  zurzeit  der  Synkope 
einer,  gleichgültig  welcher,  stimmlos,  ist  auch  das  Ergebnis  der 
Assimilation  stimmlos:  de.hiidi'^ deie,  hospitale>>hosp3dal3]>//öJ7)V/a/ 
>>  hostel  (§  104).  Wenn  daher  im  Anlaut  eine  Gruppe  steht,  die 
nicht  erweicht  werden  kann,  so  ist  das  Assimilationsergebnis  jeder- 
zeit stimmlos,  auch  wenn  die  Synkope  nach  der  Erweichung  eintrat 
(§  104,  119):  limpidato>  limtato  Reichn.  Gl.,  buxida  >>  a^r.  bo/s/e, 
*excorticare  >>  escortegare  >  escorchier  (dieses  Gesetz  gilt  nicht 
für  das  Prov.:  osdel,  escorgar). 

Aufser  den  bisher  behandelten  Verschlufslauten  kommen  für 
die  Lautabstufung  auch  die  Spiranten  s,  f,  die  Gruppen  tr,  fr, 


172 

si,  ti  und  k^  in  Betracht,  Meist  läfst  sich  aus  Mangel  an  sicheren 
Beispielen  nicht  viel  Bestimmtes  sagen.  Vor  s  tritt  nach  Liquida 
Synkope  vor  der  Erweichung  ein  (Marosalum  >  Marsal),  sonst 
scheint  sie  nach  ihr  sich  vollzogen  zu  haben  (*cosere  ]>  cosdre), 
§12  1.  Für  f  mangelt  es  an  zweifellos  sicheren  Beispielen,  §  122. 
tr  nur  in  frz.  poiiire  (§  124)  und  vi.  culcitra  (§  5g,  g),  fr  nur  in 
ossifraga  ^  orfraie  (§  122,  i),  si  nur  in  pertusiare  >> /crir^r 
(§  125).  ti  war  zurzeit  der  jüngeren  Synkope  wahrscheinlich  noch 
nicht  erweicht;  daher  erscheint  unter  allen  Umständen  stimmloses 
Endergebnis:  *bibitione  >>  hoisson  (§  126).  Ebenso  verhält  sich  k2: 
radicina  >«  racine  (§  127);  wo  daher  stimmhaftes  Ergebnis  anzu- 
treffen ist,  sind  besondere  Gründe  mafsgebend  [usme,  berzil,  onze 
—  setze,  §  128). 

Die  Mundarten  (Lothr.-Wall.,  Pik. -Norm.,  Frc.-Prov.,  Poit.) 
zeigen  z.  T.  wichtige  Abweichungen  von  der  frz.  Entwicklung,  die 
einer  gründlichen  Untersuchung  noch  bedürfen  (§  12g ff.). 


Verzeichnisse. 


I.   Die  Grundformen. 

Alle  Ansätze,  auch  die  sich  als  falsch  erwiesen,  sind  aufgenommen.     Sie  sind, 

soweit  möglich,  in  klassischlateinischer  Form  gegeben.     Zeitwörter  sind  in  der 

Nennform,  Nomina  im  l.  Fall  angeführt. 


abbas,  -atem  84. 
Abrincates  84. 
*abscond-itiare  157. 
*absecare  Il6f. 
accaptare  37. 
*accarricare,  -idiare  109. 
*accognitus,  -are  47. 
accubitare  130. 
*acedula   15. 
acer,  -um  76,  77. 
acer  arbor,  -em  76. 
acidus  59,  69. 
acinus  79,  81. 
*acu(cu)lentum  29. 
*acutiare  96. 
*adaugere  75. 
adeps,    -ipem    14,    99, 

153- 
*ader(i)gere  74,  78. 
ad  id  ipsum  16  f. 
adjutare  53  f.,  95. 
*admetare  96. 
*adripare  96. 
*ad-suaviare,  -icare  117. 
*ad-tagicare  25,  27  f. 
*ad-tardicire   140. 
aedificare  155  f.,  94. 
*aequalitas,   -atem  lOO. 
aerugo,  -inem  42. 
aestimare  89. 
affligere  75. 


Agidunum  52  f. 
alacer,  -crum  76,  77. 
Albiniacum  92. 
*ahcunus  106,   108. 
aliquid,  -quod  12. 
*allecticare  25,  28. 
*allucare  27. 
Altogilum  79. 
*amaritudo,  -inem  95, 

100. 
*ambitanus   140  f. 
*ambitare  140  f. 
*ambitarius  140,   104. 
*ambitus,  -a  140  f. 
ambo  duo   152. 
ambo  partes  140,   152. 
ambulare  141. 
amicitas,  -atem  66  f.,  58, 

81. 
amita   103. 
*amitanus  104. 
*amitare  141. 
*amitarius  104. 
anas,  -atem  65,  83,  85  f., 

125,  133- 
Andabernacum  94. 
Andecavus,  -is  138 
Andelacum  89. 
Andelavus  88  f. 
andena  140. 
anderius  mlat.   140. 


andero-  celt.   140. 
angelus  87. 
*angicare  45. 
angustiare  92. 
*annoticus  134. 
*annotinense  102,  94. 
antecessor,    -orem    94  f., 

154.  159. 
aquila  108,  76. 
*aquilentum  29. 
*arboriscellus,      *arbus- 

cellus  91,  94  f. 
arcubalista  95. 
ardicare  140. 
arepennis  99. 
Argentomagus  33. 
argutare  96. 
aridus   163,  51. 
ars     mathematica      134, 

136. 
Artedunum  88,   152  f. 
artemisia  89. 
asparagus  84. 
asperitas,  -atem    93,  95. 
*assediare  127. 
*asseditare   16  f. 
*assessitare  16  f. 
assis  45. 

•astis  {2.pl.  Perf.)  Ö2. 
astracus  84. 
atavus  83. 


174 


-aticnm    133—37.   2,    3, 

71,  120,  121. 
Atrebates  84  f.,  133,  40, 

102  f. 
atriplix,    *atrapica    159, 

162,  65,  125,  133. 
*attenla  143. 
Attipiacum  93. 
*auca  30,  109,   117. 
*aucla  30. 
*auctoricare     ilif.,    95, 

103,  loS. 
*auctoridiare  112. 
Audegarius  130. 
Augustodunum    33,    53, 

88. 
Aurasica  116. 
aurifaber  154. 
Aussidingus  151. 
Autessiodurum  154,  I57- 
autoritas,  -atem  95. 
Avallovicus  117. 
Avaia  84. 
Avenio,  -onem  92. 
Aventicum  146.   134. 
*avica  30,  109. 
*avicellus  30,   160. 
*avicupare  30. 
avidus   163. 
-avimiis     (l.   pl.    Per/.) 

62. 
avis,  a.  struthio,  a.  tarda 

30  f. 
-avit  (3.  sg.  Per/.)  30. 
axis,    *axicellus,    *axilis 

usw.  45. 

Bajocasses  85. 
bajulare  79. 
*balearicus  108. 
*balicare  107. 
balsamum  84. 
*bandicare,    -idiare    139. 
banicare  mlat.  139. 
bar(i)ca     13,     14,    108 — 

HO. 
Basilica  106  f.,   123. 
*battitura  18. 


beccus  26. 

*bellitas,  -atem  lOO,  106, 
117  f. 

*berbicalium   138,   164. 

*berbicarius  138,   164. 

*bei'biciare  93. 

berbecile  160. 

*berbecinum  160. 

Besaldunum  53* 

*bibita  131,  123. 

*bibitio,  -onem   157. 

*bibitoria   131. 

blandicare  138  f. 

blasphemare  89. 

Blatomagus  33. 

*bombitare,  -ire   140. 

bonitas,  -atem  102,  106. 

Bonoritum  12. 

Boviniacum  92. 

bracchium  115  f. 

branca  1 1 5  f. 

brandeiia  jiilat.   141. 

Branodunum  53. 

-briga  33, 

Brivate  84. 

*brogilum  78,  79. 

*brustu]are  89. 

bubalus  84. 

*bullucea,  -ariu  93, 

*bullicare   106  f.,   118. 

Burdegala  47. 
Buinomagus  33. 
buslia  i53. 

buxida    153,    72  f.,    150, 
buxus,    *buxta,  bosta, 
*buxellus,  *buxitellus, 
*buxtiellum  153. 
*butticella  159. 

Caballicare  106 — 08,  94, 

caballicet  68,   15S. 
Caesar,  -aris  83. 
caespitare  148. 
Caladunum  53. 
calamus  12,   14,  42,  83  f. 
calcedonia  69. 
*calefare  154  f. 
*caleficare  163. 


Caletes   II. 
calidus    II,   13,  6,  39. 
caligo,  -inem  42. 
calumniare  92. 
calx,  -cem  39  ff. 
Camaracum  2. 
Cambidunum  53. 
*cambita,  *cammita,  *ca- 
mita    105,     140,    162, 
camb-icem  160. 
Camboritum  12. 
Camera  83. 

*cames,  -item    103,   105. 
*campanio,  -iolus  92. 
Campus  Limitis  104. 
Cancer,  -um  78. 
*candelorum  89. 
*canescere  91. 
*canicire  158, 

cannabis  84  f.,  83. 

canonicus    II2,   83,   86, 
163. 

Caplia  86. 

capitalis,  -e  36  f. 

*capitaneus,     -astrum, 
-ellus,  -ettus  37. 

carcer,  -rem  78. 

Carantenacum  94  f. 

Carentomagus  33. 

Caritas,  -atem  100  f. 

carricare   io8f.,  97, 

Cassiomagus  33. 

castitas,  -atem  88. 

Cataracta  103. 

*catenio,  -onem  92. 

Catomagus  33. 

Catoritum  12. 

Caturiges  12,  150. 

cauda  trepida  151, 

caudica  130. 

Cavanicas  123. 

cavea  61. 

cavere,  *-itare  30. 

*cavicare  30,  117. 

Cenomannicus  113. 

Cervedunum53, 123, 151. 

chirurgus,  -icus  47. 

Christus  62. 


175 


cicer,  -a  74,  76. 
cicinus  79,  63. 
ciconiola  92. 
cimicella  158  f. 
cingere  78. 
circare,  circet  68. 
circinus  79  f.,  *-item  159, 

*-inella  So,    *-are  80. 
circumfodire   154  f. 
cives,  *-item  102  f. 
civitas,  -atem  102  f.,  82, 

106,  118. 
clarescere  91,  *-icire  91, 

*-icare   108  f. 
claritas,  -atem  lOO. 
claudicare  146. 
*clausitura,  -icius  lOl, 
^clavicella  31. 
clericus  13,  108,  6. 
*clericatus  108. 
*clinicus,  -are  112,  114. 
cloppicare  146,  163. 
*coacticare  25,  27  f. 
coagulare  79. 
koccho  ahd.,    cogge  nd. 

126,   130. 
comes,    -item    103  f.,    4, 

40  f.,  98,  114,   121. 
comite  -f-  -tatem  88. 
*coctare,  -icare  47. 
Codiciacum  93. 
cogitare    53—56,    6,    7, 

51,  59,  60,  70. 
cognitus,  -are  47  f. 
colaphus  12,   14,  6,  83  f. 
coUocare      106 — 08,     5, 

117  f.,     103;     coUocet 

68,  158  f. 
Combronita  102. 
*cominitiare   153. 
*comitor,  -orem  104. 
communicare  112,  114. 
computare  36,  162, 
*computus      36,      40  f., 

162, 
concha   130. 
Condate  143,  83  f.,  -ensis 

143. 


Congidunum  53. 
conficere,  -fecit  68. 
consuere  154. 
consuetudo,  -umine  lOl, 

118. 
*consutura  lOl. 
contractum   103. 
Convenicum  112. 
convitare  96. 
Copta  (villa)  151. 
coquere,  *cocit  67,  69. 
coquinare  80. 
*cordubanus,  -ensis  108, 

150. 
Cornate  84,  102. 
corrigia  71. 
corriiptiare  90,  92. 
cortex,     -icem,      *-icella 

159- 
*coxinum  66. 
Vxzxa^3.  germ.  115. 
Cranavis  85. 
Cravedunum  53. 
*cremitus  103. 
croc  onom.  26. 
*croccum  26. 
cubitus,  -a  131 — 33,  41, 

119  f.,  123. 
*cubitata  132. 
Cucurbita  141,   -ica  138. 
*culicinum  158. 
culcit(r)a  66,  57,   147. 
*culcitinum  66. 
Cupedonia  151,  113,  123. 
*Cupida  (villa)  151, 
Cupidis  vicus  151. 
cupiditas,  *-ietas,  -atem, 

-are,  -itia  20,  53  f. 
cupidus,  -a  49,  163. 
curbea,  -vea  138. 
Curiossolitae  II. 
Curva  villa  29. 
custodire  88, 
cutica,    *-are    133,    162, 

66. 
cygnus  79. 
cymbalum  84. 


dalmatica  70. 

*damnaticum  135. 

debita,  -um  131  f.,  119  f., 
125,   126. 

debitor,  -orem  130,   132. 

decimus,  -a   80,   81,  59. 

deliberare  94. 

delicatus  106  f. 

denticatum  146. 

Deo  Medico   123. 

derbiosus  142. 

derbita  141  f.,   125. 

*deretranus  92,   157. 

*descenta  143, 

*deservitum   102. 

desiderare  95. 

despicere  74. 

*despecit  68. 

*de-subitare  130. 

*devolutare   100. 

diaconus  86. 

dicere  74,  76,  dicit  67 — 
69,  dicimus  80,  dicitis 
57,  62,  Futurum  77, 
dixerunt  154,  dictus 
58. 

dicitor,  -orem  67. 

dicitus  35,  53. 

dies  dominica  112  f.,  83, 

86,  163. 

digita   55  f.,    53,  51,  59, 

70. 
digitale  34,  52,   *-arium 

34,  *-atus  34. 
digitus   35,    53—56,  59, 

60,  65. 
dignilas,  -atem  47. 
*disjejunare  29,  96. 
docere,     docet     Ö7 — 69, 

doc(u)it  68. 
domesticus,    *-are     147, 

163,   162. 
*dominiarium  92  f. 
dominica,  Villa  123;    s. 

dies  dorn. 
*dominicellus,  -a  90,  58, 

87.  95- 
*domiiiio,  -onem  92  f. 


176 


Domini vicus  91. 
dominus  II,  42. 
domitare    104,    llS,    95, 

*-iliare  166. 
domitus     105,    98,     114, 

118,  144. 
Donobriga  33. 
dormitorium  104. 
Doiocoregum   12. 
dubitare  130  — 33,  95. 
ducere  74,  ducit  67 — 69, 

duxerunt  154,    ductus 

58. 
ductilis,  -e  79. 
-dunum  52  f.,   151. 
duodecim  161,   165. 
duodecimus  80. 
Durocasses     85,     -inum 

108  f. 

Eburodunum  96,  -magus 
33,  -vices  40,  159, 
-vicinus  159. 

elephas,  -antem  107. 

Elusa  154. 

*emputa  36. 

encaustum    163,    64,  87. 

episcopus  87. 

eremus  13,   14. 

*ergitus  47. 

*ericio,     -onem;     -are 

93. 
erigere  s.  ad-erigere. 
Etmedone   123,   151. 
^^essere     154,     erimus 

(I.  Fl.  Fut.)  13. 
*exclari(c)are  loSf.,  -icire 

91,  158. 
*excolubricare   s.    lubri- 

care. 
*excorlicare  146,   145. 
*excrenicare  112,  114. 
*excuticare  133. 
*exlitigare  151. 
*expandicare  138  f. 
*expavitare  102. 
expergere  78,    *-itus  47. 
*experitus  12. 


explic(i)tnm,  -are  56 — 59, 

54- 
*exradicare  28,  127,  139, 

164. 
*exsaritare   100  f. 
*exsaritus  12,  39. 
exsucare  56,  -cet  68. 
*extoicicare  25. 
*extorpidire   125. 
*ex-tremidus  162. 
*exturbidire  152. 
*exturdire  152. 

fabrica  II  l,  118,  145, 
164. 

fabricaie  iil,  90,  53. 

fabula  31. 

facere  73  fF.,  68  f.,  76,  fa- 
cit  67 — 69,  facimus  80, 
facitis  57,  62,  fecit  68, 
fecerunt  74,  76,  fecerat 
74.  76,  77,  factum  41, 
60. 

factor,  -orem  67. 

*fallitum   II,   13. 

falod  ae.   153. 

falx,  -cem  41. 

*fanj-  gertn.,  *fangum, 
-a,  -nia  113  f, 

*fanica  112 — 14,   164. 

*fascinaie  58. 

*fasticare,  -idiare   147. 

*fatidus  23,   153. 

fatuus  22. 

*ferasticus   147. 

feretrum  157. 

feritas,  -atem  lOO. 

*feroticus,  -a  134,  147. 

*ferricare  I08f. 

Ferriciacum  93. 

ficatura  57,  62 — 65,  2, 
83,  85  f.,   165. 

ficus,  *-are  63. 

*ficticare  25,  28. 

fides  63, 

*figicare  24  f.,  28. 

filicaria  106  f.,   163. 

*micella  158. 


filicter   59. 

♦fimitus,  -a  105,  98,  103. 

fimus  98. 

♦findita  143  f. 

fingere  78. 

firmitas,  -atem  104,   106. 

*fiticare  57,  64,   133  f. 

*fixicare  44. 

flaccidus  71  f.,  67. 

flagrare  75. 

*flatitare  16. 

*flatutitare   16. 

*flavitare  39. 

*flaxidus  73. 

flectere  43  f. 

*flecticare  25,  28,  46. 

*fleskire  43. 

*flexicare  43  f. 

*flexus,  -are  43. 

*flovitare  102  f. 

fluctuare   193. 

fodicare  127,   8,  24,  28, 

70,   162. 
foetidus  153. 
*follicella  158. 
*follitas,  -atem  100, 
*fonta  143. 
*forasticus  147. 
*foricare  108,   HO. 
*foimaticum  135. 
fortis  61. 
fracidus  69,  59. 
fracta  56. 
*fracticare  46. 
*iractilis  79. 
fragicare  25. 
fragilis  78  f. 
frangere  78. 
*fremitire  104. 
frigere  75. 
frigidare  48. 
frigidor,  -orem  48,  50- 
frigidus,   -a  35,   48—50, 

6,  58. 
fructiiicare  155  f. 
*fucta  56,  58. 
fugere,  fugit  69. 
*fugita  53,  56. 


177 


fugitivus  53,  56. 
fulgur,   -a  78. 
*fu!iiicaic-     115  f.,     iiS, 

164. 
fundabalum  86. 
*funditiare  157. 
*fur(i)care  iio. 
fusago,  -inem  42. 
*fuscelluni  i  59. 
*fiisticelium    159. 

Gabalitau  um   100. 

Gabarus  84. 

gabata   131—33.   32,  S4, 

123,    130,    162. 
*j,';ibitelius   I30,    133. 
gallica   106  f. 
*gambita   105. 
Gemeticum   134. 
genitus  102. 
gens,  -tem  41. 
*glacicare  25. 
glandula  87. 
*glomuscellus  91. 
glutus,  -tonem  22. 
gracilis  78  f.,  81,  -iorem 

78,  92. 
grandis  61. 
granica,    -ea    112  f.,    83, 

120,  129,  162,  164. 
gravidus,  -tas  31,  102. 
Guntbreht  germ.  120. 
Gunthacharius,  Guntheri 

ger7n.   1 30. 
gurges,  -item  47,  40. 

*habitaculum   108. 
habitare   141. 
habitus,  -a  124,  130,  149. 
haereticus   134,    136. 
*hamica   114  f. 
*hamilare   141,   104. 
*bamus      [germ.     haim) 

93- 
*harticella  159. 
*hauni}^a  germ.   102. 
heimta  an.   141. 
hereditäre  18,  94. 

Beiheft  zi;r  Zeitschr.  f.  rom 


herpes,  -etem   142. 
hibeinoticus   134. 
liirpex,    -icem    159,    65, 

146,   162,  165. 
*hirpicare   146,    163. 
hispidus,  -osus  152. 
honidus  12,  13,  14,  153, 

*-itas  iS,  88. 
liospes,  -item    148,   142, 

145.   149- 
*hospitale  148,  126,  145, 

-aticum  148,  -ile  lor. 
hostis  62,  *-aiicum  148. 
*hrunca  germ.   II 5. 
hcc,  *huccare  26,  28  f. 
Immidus  162. 
*li'jtica  134,  136,  7,  129. 
*hwap  germ.  22. 

-icus,  -a  136  f.  {ii.  0.). 
ile.x,  -icem  158. 
Illobriga  33. 
imago,  -inem  86,   143. 
*impastoriare  93,  96. 
impedicare  127,   129. 
*impejorare  96. 
imperiuni  99. 
impetum  36. 
*implicita,   -are    56 — 60. 
impromutuare  104  f. 
imputare  36,   162. 
Incara  84. 

indago,  -inem  42,   141. 
indebilare   132. 
*inferri(c)are   I08f. 
integer,  -rum  75,    -rinus 

92. 
*intenta   143. 
*intoxicare  43. 
Isara  85  f.,  83. 
Issobriga  33. 

jacere,    jacet    68,    jacta 

66. 
*jacita  66,  56,  57,  59. 
jactare,  ''jectare   103. 
Jacobus  Sl,  86. 

Phil.  XXIV. 


judicare    127 f.,    28,    ju- 

dicct  68,    160. 
*jii(licus   12S. 
juugeie   78. 
junior,    *juvenior,    -orem 

92  f. 
juvenis  62. 
Juviniacum  92. 


Labara  84. 

*lacina    79,    -aria    79  f., 

92. 
lacrima  75  t. 
■^lacticeila  47,   159. 
lampas,  -ada  85,  88. 
*lampidarius   140,   152. 
landica   140. 
laneus,  *-icus   102  f. 
Langones  32. 
largitio,  -onem   157. 
laridum   12. 
*lascus,  -are  43. 
*]a=;sitas,  -atem  100,  106, 

XI7. 
latinus  97. 
latrocinium  89. 
Lattara  84. 
Laucidunum  69. 
laxave,  *-icare  43  f. 
Lazarus  84,  86,   154. 
*lecticare  25,  28. 
lectorinum  103. 
ledig /rä«>fe.   150,   134. 
legalitas,  -atem  100. 
legere,  legerunt  75. 
Lemovices  117,  130,  159, 

-icinus  159. 
lens,     *lenditem,     -cem, 

-Dem,  -ta,  -na  143. 
Leodicum  128. 
Leodfgarius,  St.   123. 
*levistica   147. 
liberatio,  -onem  95, 
licere,  licet  68. 
licita  66,  59,  73. 
*ligaminarius  95. 


178 


Liger,  -im  40,  75,    -icus 

75- 
*]igicare  25,  28. 
ligusticum   147. 
*likk6n  gertn.  25,  28. 
limes,  -item   103,   123. 
*limitale,     -are,     -arium 

104  f. 
Limites  104. 
limpidatus     152,    98, 

150. 
*lineus,  -icus  112  f. 
*liticus  134. 
locker  nhd.  26,    126. 
*16k6n  germ.  25. 
longitanus  47. 
*loraminarius  95. 
lubricare  90,  53,  *excolu- 

bricet  68,    158. 
*lüc-care  27,  29. 
lucere  74,  lucet  68. 
lucidus  69. 

Lug(u)dunum  48,  52  f- 
*lukk-  germ.  26. 
Lupare  84. 
luridus  12,   14. 
*lutidus  16,  24. 

macer,  -rum  76. 
macerare  27,  74. 
machina  83. 

*mac(i)care  25,  27 f.,  29. 
macula  27. 
madidus  20  f.,    i6ö. 
Magdalena  103. 
Mag(e)dunum  52  f. 
Magelobriga  53,   56. 
*magidarium  48,   56- 
magis,  -ida  48,  51 '^■>  55f'i 

70. 
-magus  33,  84. 
majestas,  -aiem  91. 
Malbodium   128. 
male  aptus  124. 
male  contentus  106. 
male  dicere  lOS. 
*malefatius  I54f; 
*ma1efatus  154. 


*male  habitus  124,  I30f., 

8,  149,  162. 
*maletolta  106. 
manducare  138  f.,  95, 162, 

manducet  68. 
manica,     -us     112  — 114, 

83,  HO,  120,  139,  163, 

164,  165. 
*mansionaticare   134. 
*mansuetinus    lOl,    I17. 
*marginare  42. 
maritare  96. 
Älarojalum  85. 
Warosallura   154. 
masar  y)-/^.   154. 
ma&ma  s.  maximus. 
masticare  147,   163. 
*materiamen,    -mentum 

92  f. 
matricularius  108. 
Matrona  87,  97. 
maturita?,  -atem  lOO. 
matus  21. 
matutinus   16  f. 
medicina  160. 
*medicare    127,   162. 
medicus  128,  65,  70,  136, 

*-aticiu  127. 
medietas,   -atera  53 — 55, 

6,  *-adanus,  -a,  *-a(ta)- 

rius  54  f. 
*mell-ice   158. 
Melodunum  53. 
mendicare  96,   140. 
mendicitas,    -at<.m    66  f., 

57.  81. 
*meniita  88,   148. 
*memitio,   -OD(eni)  +  ea 

157- 

meretrix,  -icem   100  f. 
merita   12. 
merula   121. 
Wessava  84. 
Mimate  84. 
ministerium  91. 
■''minuspreliare  92. 
*minutiare  96,   179. 
mirabilia  2,  87. 


miraculum   108. 
mittere,    miserat    77, 

-erunt  154. 
molitura  100. 
monachus   112,    2,    83  f., 

85,   163. 
monasterium  91,  84. 
*monticellum  159. 
*mordacula,    -atica    135. 
*morica,    -are  108,    HO. 
■''movita,  -itinus   102. 
muccidus  71 — 73,   121. 
muc(c)us  72. 
multiplicare  92. 
muricarium   108,    HO. 
*muscidus  73. 
*rausteus,   -idus  72. 

Najogialum  85. 
Namnetes  102,   87,   117. 
*naiicare  108,  110. 
*nasicare  116,  164. 
natica    134  f.,     162,    65, 

119. 
navicella  30,   159. 
Navicellae  159. 
navis,    *-ica,    *-icularius 

30. 
navi(g)are  30,   117. 
vavxh]Qoq  30,   134. 
nauticarius  134. 
Nemetacum,  -ogilum  104. 
Nemetodurum  I04f.,  88, 

98. 
*nidica    128,     -are    127, 

156,   28. 
*nidificare   155  f- 
niger,  -um  40,  75,    -itio 

157- 
nigrescere  91,  *-icire  158. 
nitidus    l6f.,    23  f.,    6  f., 

120,   149.   153. 
*nitidi-diare    SS,     -itas 

88. 
Nobiliacum  92. 
Docere  74,  nocet  67 — 69, 

nocitum  57. 
Novavilla  29. 


1/9 


Noviodunum  53,  -inagus 
33,  -rcgum  12,  -lituin 
12. 

Novu(s)  vicus,  villare  29. 

nulritio,  -onem  89. 

nutritura  89,  lOO,  lij. 

objectum  103. 
oblitare  96. 
*obsidaticum   148. 
officina  160. 
Oratorium  2. 
Orbaniacum  92. 
orbita,  -em  141  f.,  *-aria 

141,  162. 
Orcada  85- 
orJo,  -inem   141. 
Organum  85. 
orichalcum  lOS. 
origo,  -inem  42. 
orplianus  85,   83. 
Oscara  85. 
*osca,  -are  117. 
*ossicare   Il6f. 
*ossicellum   159- 
ossifraga   154  f.,  92,   157- 
*osti(fi)care  117,147,156. 
Otger  ahd.   130. 
*Ovida  151. 

*pacticum  46. 
*palito,  -onem   100. 
pallidus  163. 
pallium  84. 
palmes,  -item   104. 
pampinus  83. 
*pani(h)care     155  f-.     94. 

112,    114. 
pantex,  -icem   159. 
papilio,  -onem  92. 
parabola  32. 
paraveredus  95. 
parcus,    parricus   13,    14, 

83,   lOS,   110. 
parricidium  90. 
particeUa   159'. 
*parlitio  I57- 


*passaticarius   134. 
passer,  -em  83,  85  f. 
paslinaca  89. 
Patriciacum  89. 
Patroclus,   St.    123. 
puvidus  163. 
peccare  26. 
pedere    18,    -itum    16  f., 

*-iticulare  18. 
pedica,  -um  128,  52,  Il9i 

121. 
pedito,  -onem   iS. 
pendicare  138  f. 
*pendita  143  f. 
penicillum   158. 
Pennobriga  33. 
peritus   12. 
persica  II6,   Iljf. 
perlica   146  f.,    162,   164, 

7,   120,    125,    136. 
Perticus  (pagus)  146, 134. 
*pertusiare  96,   I57. 
TcixaXov  84. 
Pelrocorii  87,  -icum  108. 
petroselinum  89. 
*pic  26. 
picare   58- 

picatum,  *-itum  65  f. 
*picidus  65  f.,  69. 
pietas,  -atem   53. 
*piluccare  96. 
pingere   78. 
pinsitare   lOl. 
*piticare  66. 
pix,  -cem  58,  65  f. 
placere  68  f.,    74,    placet 
67—69,    Fut.  74,    76. 
■*placitare  57  f.,  69,  5. 
placilum  57 — 62,  7,  40 f., 

68  f.,  *-idum  58. 
plangere  78. 
plantago,    -inem    42,  40. 
*plantitio   157- 
platanus  84. 
plenitas,  -atem   102. 
*ploc  26. 

*plumbicare   134  f.,    164. 
pocnitere  102,   114,   118. 


poledrus   157' 

poHcx,      -icem     12,     13, 

158. 
pollicare    106. 
polypus   12,   13. 
Ponliciacum  93. 
poriicus    146,    162,    134, 

142. 
positus   13. 
*posterio,  -onem  93. 
Postumiacum  93. 
practicus   103. 

praedator,  -orem  19. 

praedicare  129. 

praepositus  13,  14,  6. 

praestitus   148. 

precare  Konj ,  Präs.  68. 

presbj'ter,     -um     142  f., 
148,  63,  -ialis  142. 

princeps,  -ipem  87. 

*probicare   126. 

*pronicare  112,   114. 

propago,  -inem  42. 

pulex,    -icem    158,    165, 

38  ff. 
*pulicare   107. 
puUicella,  -cenum  158. 
pullipes,  -edem  09. 
*pulliter,  -tra  156  f. 
*puliitranus  92,   156. 
pumex,  -icem  l^S. 
pungere  78. 

puritas,  -atem  100,   106. 
putare  36. 

putidus  16  f.,  -ana   17. 
*putritura  89. 

quadrifurcum  89. 
*quaesitus   13,  -are   lOl. 
*quatrinio,  -onem  92. 
*quattotare  21. 
quattuordecim  161,  145, 

165. 
quietus  iS,  *-are  53,  55. 
quindecim  l6l,  142,  165. 
■*'quitidus,  -are   15,  55- 
quotus  22. 


[8o 


*rabidare    I50f. 

*raclicale   127. 

radicare    127,    28,    139, 

70,  162. 
radicina   160. 
radilura  16. 
radula  15. 
*ragere  75. 
ralla  15. 

*ramica   Il4f.,   164. 
*ramicarius  114  f. 
*ramuscellus,  *iamicelius 

91,   158- 
rapidus    151,    119,    120, 

149,  *-ius  151. 
raphauus  85,  83. 
*rasica     Il6,    -are    116, 

118. 
*rasitura  lOl. 
*raucidus  73. 
*recidus  5O)  69. 
redeniptiis  36,  40. 
Redones  29. 
refusare  96. 

*regalimen  12,  -itas  lOO. 
regina  59. 

*re-in-voluticare  146. 
*rendita  143  f. 
*reprobicare,   -piare  126. 
*repulare,  -utum  36. 
*relica  134,  136,  7,  129. 
*relicellum  160. 
*retiolum  l6l. 
reveriicare  146. 
*reveriicare  116  f. 
*revindica   139,  164. 
*revindicare  s.  vindicare. 
Rhodanus  29,  84. 
ricinus  79  f. 
Ricomagus  33. 
*ridiculare   129. 
rigidus  40—50,  35- 
Rigojalus  85. 
*rivuscellu3  91. 
*robesticus   147. 
*roccidus  71,  73. 
*roccum  26. 
*rodicare  127 — 29,   164. 


*rogiscellus  91. 
romanice  158,  12  [s.  194). 
rotare  151. 
rotulus  15. 
Rotomagus  33. 
*rubidus,  *ruvidus  50  f., 

166. 
rubigo,  -inem  42. 
lubricare   III. 
*rucina  79. 
ructare  103. 
rudis,  -e  50 f. 
*rugidus  48,  50  f. 
*rugitus  53  f. 
ruidus   51. 
rumex,   -icem   15S. 
rumigare    150,   127,    129, 

164. 
runcina  79. 
*ruspica  146. 
rusticus     153,    51,     163, 

-eus,  -idus  153,  -icitas 

67. 

Sabbatum  84. 
Sabiniacuni  92. 
saeculuru  92. 
*salicinL'ta  79. 
Salix,  -icem  12,   13,   158. 
salraacidus,     *sahTiasti'us 

69  f. 
salutare  961'. 
salvitas,  -atem  102,   118. 
Samara  84. 
sanctitas,  -atem  88. 
sanguinarc  42. 
sanitas,  -atem   102. 
Santonicus   112  f. 
sapere,  sapit  39,  41, 
sapidus  151,  39,  41,  119, 

121,    125,     149,     163, 

*sabius  23. 
sarcophagus  33. 
sartus   12. 
*scalio,  -onem  92. 
scandalum  45. 
*scarabus    2,    12,    84, 

-aeus   2. 


schokkeu  holl.  26. 
Sclepedingus  151. 
scribeie,      scripserunt 

154- 

stcale  84,  86. 

securitas,  -atem   100. 

sedecim   161,    165. 

*sedica  129,  -u  128,  121, 
127,  -are   127. 

semita    104  f.,    121,    165, 
*-arius   I04f.,  i66. 

senior  141,   142. 

Seuomagus  33. 

Senones  29. 

separare  2,  84,  Sj. 

Septem  39. 

Sequana  86,  81,   84,  97. 

sequere  76. 

*sequita  56,   144. 

serica  loS — 10. 

sericarius   109. 

*servitella  103. 

*sesecus,  -are  44. 

*sexicare  44,  -tare  45. 

shock  en^'l.  26. 

Sibuzates  84. 

siccare  26. 

sicera  77,   154. 

Sigiiiild  germ.  34. 

*silvaticus   133. 
siriapi  +  -atum,     -ale, 
-illum  34. 

*sinefidicus  12S. 
Sirojalum  85. 
situla  15. 
socer  74,  76. 
sociclas,   -atem  67,  73. 
solidus   II,   163. 
*solitus,  *soltus  1 1. 
"'^solitanus,  -ivus   100. 
*sollicitare  59,    96,   158. 
sollicilum,  -a  56 — 59. 
*solviius  II,   102. 
sordidior,  -orem   88. 
*soricare  loS,   iio. 
*sorori(c)us   loSf. 
Sütiates  84. 
sötij  ags.  70. 


iSi 


spachen  mhd.  26. 
spargeie  78. 
spatula   15. 
spir.ula  87. 
Spiritus   12. 
*stagnicum,  -are  45. 
slans  pertica  147. 
Stephanus  85. 
siipes,  -item  162 
*strigicare  25. 
stringere  78. 
struere  75. 
*iturtjaii  germ.   152. 
*siiavitudo,  -inem   162. 
subitus,     -a,     -o    131  f., 

123. 
subitanus   130,   132. 
subjectum  103. 
Siibmonita  102. 
*sucidns,  -a;  sudica  70 f., 

59,  65,  120,   165. 
*iudia,  *sudica  70 f. 
sufficere,  sufiFecit  68  f. 
supplex,  -icem  87. 
supplicare  97. 
Bürgere  78,  74. 
*siirgicus  47. 
suspicio,    *suspeclio, 

-onem  92  f. 
suspicare  149. 

tabuhi  31  f. 
*tdc  26  ff. 
ta;ere  74,  tacet  68. 
*lacticare  25,  27f. 
*t;:gicare  25,  2 7  f. 
längere  78. 

*tardicare   150,   138,  8. 
tardicet  68. 
tarmes,  -item  104. 
*t3xicare  43. 
*taxitare  45,  44. 
*temitum  103. 
tempestas,  -atem  91. 
*tciida,  -ita   143  f. 
tenebricus   iil. 
*lcnta   143.     • 
tenuis  85. 


tepidxis    151,     162,    82, 

149,   150. 
tergere  78,  74. 
terminus,  *-item  104. 
terrae  movitus  I02f. 
testimonium,     -iare     89, 

108. 
Tevara  84. 

Tiliacum   85,    106 — 180. 
tingere  78. 
*tinitare,   *tinnitire   102, 

117,  140. 
*titillus  34. 
*titio,  -onera  93. 
*toc  26  ff. 
*collitus  II. 
*londita,  *tonta  143. 
*torca,  -are  26,  127,  147. 
torpidus   152. 
*torliare  26,   I47. 
*tortica,    -are  25,  146 f., 

164. 
totus,  lottus  21. 
loxicum  43. 
*trabicare ,    -bucare    32, 

126. 
*ir:ic   26. 

traditor,   -orem   19. 
*tragicare  25. 
*trahere  75. 
*transmovitiare  157. 
*traucus,  -are  127. 
tredecim  l6l,   165,  -mus 

80. 
*tr.kk-  deutsch  26. 
'tremitum   103. 
trepida,  cauda   151. 
tricare  26. 
Tricasses  85  f.,  64,  *-inus 

85- 
*trinicare  112,   114. 
troja  70  f. 
♦tudicare  25,  28. 
*tukk6n  germ.  25,  28. 
turbidus,  turdus  152. 
Turnomagus  33. 
Tiironos     13,     -icus,     -a 

II2f. 


Undecim   i6i,    142,    145 

-imus  80. 
upupa  24. 

utensile,    *usetilium  lOl. 
Uxellodunum  53. 

vacare  57. 

vacuus  23,  57,  -uare  57. 
Vadicasses  85. 
vallicellum,  -a   158. 
vapidus  22,   151. 
*vapidosus   151,  22,  162. 
*vfndita   143  f.,    -tor  88. 
*vendilio,  -onem  157. 
Vendocinum  79,  81. 
verecundia,  -ari  108,  lio. 
veritas,  -atem    lOO,   ll8. 
*vermisce]lus  91. 
versus  117. 
vertibula  150. 
vertigo-,  -inem  42. 
vertibellum,  -a  loS,  150. 
vertragus  33. 
vestimentum  89. 
vestitura  88. 
velulus  15. 
vice-comes,  -item  29. 
*vicinaticum  79,  81. 
Vicinonia  79. 
Viducasses  85. 
vigilare  79. 
vilitas,  -atem  lOO. 
vincere  74,  78,  vincit  68. 
vindicare  136 f.,    94,    95, 

126,   145,  148. 
vindicator,  -atio,  *-antia 

138  f- 
Vindiciacum  93. 
Vindobriga     33,     -nissa 

88. 
virgo,  -inem  86. 
viridis  12,  61  f.,  6,  -iariuni 

109. 
visitare  13,  lOl. 
♦vivoticus  134. 
vocare,  -uus  57. 
*vocitus    57 — 62,    40, 

-idus  58. 


l82 


*volaticus  133. 
*volitus,    -vitus   II,  102 
*voluticare   143  f. 
*volviticius  103. 


voiago,  -inem  42. 
Vosagus  85. 

*wadicum  germ.   128. 


WaKiliarius,    Waltheri 

ahd.   1 30. 
weoloc  ags.  153. 
*wiÖarl6n  germ.  90. 


2.   Die  Entsprechungen. 

Um  den  Raum  zu  verringern,  sind  alle  romanischen  Entsprechungen  nur  in 
neufranzösischer  Form  gegeben,  falls  eine  solche  vorhanden  ist.  Sonst  suche 
man  die  altfranzösische  Form  (vi.  e  unter  ei,  vi.  o  unter  ou,  1  von  Kons,  er- 
halten). Anderssprachige  Formen  sind  nur  dann  aufgenommen ,  wenn  irgend 
eine  Besonderheit  erwähnt  ist. 


abitail  afr.    108. 

absoiis,  -te  II,    102. 

accointer  47  f. 

accoter   130  f. 

acconder   1 30  f. 

acheter  87,  94. 

acide  69. 

acoint,  -e  afr.  47  f. 

acont  afr.   133. 

acupa  rum.  30. 

ade,   ate   afr.    130,    120, 

124,   149. 
ades  afr.   16  f. 
aerdre  afr.  74,  78. 
aflire  afr.  75. 
-a^^  133— 37.  3,71.120, 

121. 
Ahun  5  2  f. 
aigier  afr.   154  f.,  94. 
aider  53  f.,  9.  95. 
aigle  108,   76. 
aiglent  afr.  29. 
aigre  76,  77. 
aiguiser  96. 
ainche  wall.   114. 
aisseau  45. 
aissil  [-ei,  -iei,  -iiel)  afr. 

45- 

aisne  afr.   79. 
alaigre  afr.   77. 
alerte  47. 
aliecher  25. 
a/&r  141. 
ailocare  it.   25. 
alques  afr.   12. 


aliichier  afr.  24. 
fl/^'^  afr.  14,   153. 
Ambernac  94. 
ambier  14I. 
amertume  95. 
amiraute  100. 
afuitie'  57,  81. 
amoier  afr.  96. 
ampars  afr.   140,   152. 
ancetre  154,  159. 
ancessor  afr.  94. 
allere  78. 
Ancre  84. 
andain   I40f,  42. 
ande,  onde  afr.    140  f. 
Andeiay,  -lot  88  f. 
andtti  afr.   152. 
a«^  afr.   65,  85  f. 
aw^«'  87. 
Angers  138. 
angoisser  92. 
Anjou  13S. 
anoge  mundart).    134. 
antain  afr.    105. 
antenois  95»   102. 
ßozrrf  afr.   75. 
aoi'^t?  afr.  91. 
arbalete  95. 
arbr eissei  afr.  91,  95. 
arcfial  108. 
ardoiier  afr.   140. 
ar^,  azr«  afr.  51,    163. 
Argentan,  -on  33. 
arguer  96. 
Arlc7ide  IU5. 


armoise  89. 

arpeni  99. 

arracher     127 — 29,    28, 

95,     165,     lothr.-wall. 

162,  70,  130,  pic,  164. 
Arraz    84  f.,     132,     40, 

102  f. 
arriver  96. 
«rröiTÄ^  I59f,   125,   133, 

wall.   162. 
arj^  poit.  76. 
ar^^  afr.  104. 
art Image  afr.   134,    136. 
y^r/zm  88,  152  f. 
asperge  84, 
asse Stare  it.  45. 
asseter  afr.    I6i. 
assieger   127,   129. 
assiette   16. 
assoagier  afr.   114. 
a^if  afr.  s.  aJ*. 
att acher  25  ff. 
atteindre  78. 
attente  143. 
Attichy  93. 
Aübigny  92. 
aucun   106,   108. 
auguste  afr.  91. 
Auroir  2. 
Auteiiii  79. 
aittruche  30. 
Autun  33,   53,   88. 
Auxangc    151. 
Aiixerre   154,    157. 
az/(?  163. 


i83 


Avehiy   1 1 7. 
Aveiiches   146,   134. 
Averdon  53. 
avertin  42. 
aveugle  99,  86. 
Avignon  92. 
Avranches  84. 

haillar,  -ge   108 — HO. 
ballier  79. 
baleiier  afr.    107. 
balose  ostfrz.   93. 
baneüer  afr.    139. 
Barbezieux  160. 
barca  prov.   13,   14. 
bärge,     berge     io8 — 10, 

13.   H- 
Basoche  106,    103,   123. 
batta^e,  -eur,  -itttde,  -otr, 

-ude^  -ure   18. 
bäume  84. 
Baytiix  85. 

beautelQO,  55,  106,  Il7f. 
beneürte  afr.   10 1. 
bequer  26  f. 
bequeter  94. 
bercaü  138,   164, 
bercer  93. 

bereu  afr.    160,   löl. 
Bercy   160. 
berger  138,    164  f. 
Besalu  53- 
Bezaudun  53. 
bldmer  89. 
blangier  afr.    138  f. 
blanchir  44. 
Blond  33. 
ö^j  ostfrz.  93. 
ööc^/  afr.    159. 
Bogny  92  f. 
boisseau   153. 
boisson   157. 
öoz/i?  (ö<r«<?)   131,   123. 
iox/£'   153,  72,   150. 
boitoire  afr.   13 1. 
Bonnard  12. 
^'ö;2^£?  102,   io6. 
Bordeaux  47. 


banger   106  f.,   108. 
Bourges   12. 
Bournand  33. 
-ßra«  33. 
brauche  114 — 16. 
Branden  53. 
breuil  78,   79. 
Brionde  84. 
broncher  112,   114. 
brüler  89. 
bubbola  it.  24. 
i>zf;$^^  84. 

Cabal  mfrz.  37. 

cacher  25,  46,  7. 

cadastre  3  7  f. 

cadeau  37  f. 

cadet  3  7  f. 

Ca^M  33. 

6'a^i?  61. 

cahot,  -er  21. 

Cahours  12. 

cailler  79. 

calcedoine  69. 

Cambrai  2. 

Cambon  53. 

Candes  s.   Condes. 

capitame  37. 

Caretiton  33. 

Carentiac  94. 
cargiier  109. 
carülon  92. 
carrefour  89. 
catteux  37. 

Cat  arges  150. 

t<2«A:    1 1 . 
ceindre  78. 
Ci??r<f  afr.  74,  76. 
<:(?r^^  159- 
cercueil  33. 
cerfouir  afr.   154 f. 
cerne,  -er  79. 
cerneau  -eile  (afr.)  80. 
Cervon  53,   123,   15 1. 
ccster  afr.    148. 
Chablis  86. 
chadaigne  afr.   37. 
chadel  afr.   36  f. 


chaerel  afr.  92. 

chaintre  afr.  78. 

Chalette  103. 

Chälons  53. 

chalin(e)  42. 

chalongier  afr.  92. 

Chamber t,  -bourg  12. 

Champignon  92. 

champignuel  afr.  92, 

Ckamplitte  104. 

chancir  91,   158. 

chancre  78. 

chandeleur  89. 

chanestrel  91. 

chajioine  112  f.,    83,    86, 
wall.   163. 

chantepleure  94. 

chanvre  84  f,  83. 

charger    108 — 10,     II 7, 
pic.    164. 

Charenton  33. 

Char  olles  107. 

charrier,  -oyer  109. 
chartre  78. 
chastee  afr.  88. 

Chassefide  106. 

Chassenon  33. 
chdtier  96. 
chaud  1 1,   39. 
chauffer  1 5  4  f ,  lothr.  163. 
chaume  12,  84. 
chaux  39  fF. 

Chavan^es,-agne(s)  123. 
cheneviere  afr,   85. 
cheptel  36. 

chercher,  cerst  afr.  68. 
chevaucher  106 — 08, 1 10, 
94,    chevaht    afr.   68, 

158- 
chevetain  afr.  37, 
chiche  76. 
chignon  92. 
choquer  26. 
Chorges   12. 
choyer  30,    1 17. 
Christ  62. 
^/^/r^?  77,  154. 
cignole  92. 


i84 


cü  afr.   102  f. 
cite   102,   I06,  82,  iiS. 
clacelle  afr.  31. 
clarte  100. 
clerge  108. 
ir/<frc  12,  108. 
clingier  afr.   112,   114. 
clocher  146. 
clostiz  afr.   10 1. 
clöttire  lOl. 
coö^,  -(fza  pvüv.   149. 
co£-Äi?  126,   130. 
£-o^r<?  83. 

<r(j/(^;,fr  alr.  53—56,  9,  5 1 , 
59,  9,  cuie  (s.Sg.)  afr. 

53.  55f-.  59. 
coint,  -e  afr.  4 7  f. 
coite  66,  57- 
coitier  afr.  47. 
colstre  afr.  66. 
Combronde  102. 
commencer  157. 
commenge  112  f. 
comtnefigierair.  112,  114. 
connnunier,    -iquer   II4. 
compost  afr.   13. 
covipte,     -er     36,     40  f., 

ostfrz.   162. 
comte  103  —  106,  40f.,  4, 

90,    114,    121. 
comte  88. 
Conde   143. 
Condes  I43,  84  f. 
conduire  s.  -duire. 
confire,  confit  68. 
connaissance  gi. 
conquete   13,  -^r  91. 
construire  75. 
conte,  -er  s.  cottipie. 
conto  it.  36. 
contour  afr.    104. 
contrat  103. 
convier  96. 
convoiter,  -ise  20,    53. 
copter  94. 
coque  130. 
Cordes  84. 
cordoiian  108. 


Cornde  102. 

Corseult  I  r . 

corvois  150. 

föZ?  wall.   162 f. 

CoZ/tf   151. 

coucher     106 — 08,     164, 

HO,     iT7f,    <:(7/3jf   afr. 

68,  158. 
ro«^_j/  93. 
cöziif«'  131 — 33,    4,  6,  8, 

39,  41,  119,   121. 
coudee   132. 
coudre  153,   126. 
couette  66,  57. 
^OA'^   II,    14,  83  f. 
courge  138. 
courroie  71. 
courroticer  90,   92,  94. 
courte-pointe  66. 
Courville  29. 
Cousin   158. 
coussin  66. 

coutume  10 1,    118,    166. 
couture  lOl. 
covoitie  afr.   20,   53. 
crainte  103. 
Cranves  85. 
Cravon  53. 
crocher,  -quer   16  f. 
cuebano  span.  83. 
Cugnon  53. 
cuidier,  cuier  afr.  s.  füi- 

cuismier  80. 
i-z/iVi»  74. 
ciitretta  it.   151, 
O'i^"^  70  f. 
cymble  afr.  85. 

daintier  47. 
dalinaie  afr.  70. 
darneisel,  doncel  87,   90, 

95.   158- 
danger  92  f. 
Danvix  91. 

dartre   I44f.,    125,    161. 
^^'  34. 
^i?ir/  ..fr.  34,  52. 


defaut  II. 
ddj'euner  29,  96. 
del(g)ie  afr.    I06f,    108. 
dellvrer  94. 
demoiselle  91,   158. 
denche   146. 
Deneuvre  33. 
depStrer  93. 
der(e)ram  afr.    92,    157. 
dertiier  157. 
derocher,  -quer  26  f. 
descente  143  f. 
desert  afr.   102. 
desirer  95. 

desouttr  afr.    130,    132. 
despert  afr.  47. 
despire  afr.   74. 
»/<?;?  afr.   153. 
tftf//'^  131  f.,  4,  119,  122, 

125,  126. 
dettezir   144  f.,   125,   161. 
devouter  afr.   100. 
diacre  86. 
Z>z'£?/<  Lumiere  123. 
dimanche    1 1 2,    83,    86, 

120,  129,  wall.   163. 
^?w^  80  f. 
diner  19,  96. 
Jz/v  74,  69,  i^j'//  67 — 69, 

di'mes    afr.     So,    tf?/^j 

57  f.,  62,  distrent  afr. 

154,  didrai  Leod.  77. 
diseur  67. 

t^zi/«<?  afr.  80,  81,  59. 
ditello  it.   34. 
Ä'^o  it.  35. 
'^«'^^^    53—56,     35,    65, 

-^i?r,  -/<f',  -/'z'*'r  34. 
domde    piov.     105,     98, 

114.   118,  144. 
dofnesche   afr.   147,    -J'^<f 

163,  wall.    162. 
dommage  135. 
dompter   104,  90,   II 8. 
donjon  92  f. 
Donqiieiir   12. 
Dorqeisin   108  f. 
dortoir  104  f.,  5. 


donille  afr.  79. 
doute,  -eux  132. 
doiiter  130 — 33,  q5,  123. 
doux  40. 
douze  161,    165. 
douzieme  80. 
Dreux  85. 
duire  \docere\  afr.,  diiist 

68,Perf.</o/i-/68(s.i94). 
-dinre  [diicere]  74,  ^?«'^ 

68,  duistrent  afr.  154. 

E:iussd   154. 
echarbot  2. 
echillon  92. 
echouer  30. 
eclaircir  91,   158. 
eclairer  109. 
ecorce  159. 
ecorchcr  146,  145. 
econcher  133. 
ecrancher   I12,   II 4. 
ecrire,     escristrent     afr. 

157. 
d-^^Z/j-f  99. 
Einbrun  53. 
emincer  96. 

emoiüfi,  5if->  vgl.  wa/^. 
empechcr   I  29. 
empeser  58. 
empetrer  93,  96. 
empieger   127. 
empire  99. 
enipirer  96. 
empleitier  afr.   56 — 60. 
emplette  56 — 59. 
empr  einte   144. 
emprunter   104. 
encre  64,  87,   163. 
^«i/«?,  i?«^<f  afr.  36. 
endetter  132. 
enf eruier  afr.   108  f. 
enger    45,    112,    II4, 

162. 
entente   I43f. 
^«2f^r  36,  lothr.   162. 
enterin  afr.  92. 
entier  75. 


enfoschier  air.  43. 
epancher  138  f.,    141, 
epaide   1 5 . 
epauter  pic.   102  f. 
eplucher  96. 
epucer  107. 
eräble  76  f. 
^/v^'-^'  afr.   I3J,   1-36. 
«■r/«,  -I?  afr.    13,   14. 
Ei-tnont  151,    123. 
escharbe  r.fr.   12,   84. 
ezclandre  85. 
esclargier  afr.    108  f. 
Esclenc  112. 
Esclepens   1 5 1 . 
escoloiirgier  afr.  III,  53, 

escolurst  58,   158. 
esconser  afr.    157. 
escorcelle  afr.   159. 
tslegier,  -ligier  150,  151. 
espardre  afr.  78. 
esper dre  afr,   78. 
espert  afr.   12. 
espirt  afr.    12. 
esprit  1  2. 
essart  afr.    12,  39. 
essarte  r   100  f. 
s^esserter  afr.   19. 
cSiieu  45. 

estamperche  afr.    147. 
e table  3I  f. 
etaiic,  -eher  45. 
Etienne  85. 
etotirdir   152. 
t^^r^   154. 
etreindre  78. 
evaltonner  94. 
eveque  87. 
Everdun  53,  90. 
£'z//-c'  84. 
Evreux  40. 
Exoudiin  53. 
exploit,  -er  56 — 59. 

/<j(J'/^  3 1  f. 
fache r   147. 
/ßi<?  22  f.,    153. 
faisser  58. 


ya//-<f  73  ff.,  68  f.,  /ij// 
67 — t(),faiines  afr.  80, 
faites  57  f.,  62,  j^i^  68, 
firent  74,  yßz'/  P.  P. 
41,  60,  afr.  Plpf.  /f/-^^ 
74,  fedre,  fistdra   77. 

falha  prov.    144. 

falourde   14. 

fange  1 1 2  —  1 1 4 ,  pic. 
164. 

_/a/-^  it.   74. 

farouche  134,    147. 

/a/f  22. 

finde  afr.   153. 

faute   1 2. 

favergier  afr.  90,   III. 

fazedor  prov.  67. 

feindre  78. 

/^«#<?   143. 
Fericy  93. 

/^r/i?  afr.   104,   106. 

feta^  fedeza  prov.    153. 

/c'/'^^  prov.  64,   134. 

ficelle   158. 

/trÄtr  25. 

y^^'?'-   133  f-.  57.  64. 

ji?<fw  afr.  98. 

fiente   I03f.,  98. 

fierte   1 00  f. 

fiertre  afr.   157. 

fieiiche  mundartl.   187. 

fisgar  Span.  44. 

fiutare  it.  30. 

flache,  flaque  72. 

flaistre  afr.   71  f.,  67, 

flasque  11. 

flatter  1 6. 

flechier  afr.  25,  46. 

ßechir  25,  43  f.,  46,  126. 

ßeiichier,  (g)  afr.  46,  126. 

fleschier  afr.  43  f. 

fletrir  72. 

flotter   102. 

/oz-6'  57,  62—65,  83,  85, 
120,  wall.  65,  162  f., 
/^^'j  yfr/if    afr.    63 — 65, 

2,    83. 

folcelU  afr.   158. 


i8t) 


folte  afr.   lOO. 
foncer   157. 
fondefle  afr.  86. 
fönte   143. 
forces  159. 

/(7r^^  III,    2,  118,   129. 
/ör^cr^r  III,  3,  53,  90. 
Forgue  lil,   136,    164. 
ybr^,  -i>  61  f. 
foiidre  78. 
f Ollger   127,   7,  28,    129, 

ostfrz.     162,     70,    pic. 

164. 
f Öligere     106  f.,       :o8f., 

lothr.    163,     107,    pic. 

164. 
fourgier  afr.    108. 
frard  rtr.  69. 
fraindir  afr.    104. 
fraiitdre  afr.   78. 
frainte  56. 
frakar  it.  bol.   25. 
fraiia  it.  42. 
fratchi  lothr.  46. 
frazzo  it.   59. 
/r^/,?  78  t. 
friente   103  f.,  98. 
/rzr^  75. 
/>oz^  48 — 50,    58,    fem. 

52,  61  f. 
froideur  50,  48. 
fromage   135,    134. 
frotigier,    frogier     afr. 

155  f-,  94- 
_/m^  afr.   56. 

/"^'^  53,  56,  58. 
fuire   69,  P.  P.   53. 
fuissel  alr.   159. 

/w^^"?  53.  56,  58,  144- 
funger  lothr.    114,    118, 

164. 
f usain  42. 
fuseau   1 59. 

gra^i?   128. 

gauge  afr.  106,   3,  lothr. 

wall.    162,  pic.    164. 
Gautier   130. 


Gave  84. 
^^«^  41,   102. 
gc'sir  66. 
gesse  76. 

Gevaudan   lOO. 
giovane  it.  83. 
^"■iifr  66,   56.  57. 
glagoier,  -der  afr.   25. 
glout,  -on  22. 

Gonbert  130. 

Gontier   130. 
goiirde  141  f.,  3,  8,   121, 

138. 
gourt  afr.  47,  40. 
grand,  e  61. 
grange    Il2f.,    83.    129, 
165,    lothr.  wall.   162, 
83,   120. 

Grang'ue   1 64. 
gravide  it.   31. 
^r6'/^  781.,  81. 
greslor  afr.  78,  92  f. 
griete  afr.  3I,    102. 
grievete   103. 
guerdon  90. 

habitacle  II 8. 
hanter  104,    I40f. 
harcele  afr.   159. 
Havelu   1 1 7. 
hercher  146,  lothr.  wall. 

163. 
herisser,  -on  93. 
heriter,  -ier,  -age  1 8  f. 
/i^^j«?     159,     146,     wall., 

lothr.   162,  165. 
heürte  afr.    lOl. 
hideux  152. 
hisde,  hide  afr.   152. 
hoche,    -er     Il6f.,     147, 

156. 
haute  102. 
Äö^^  148,   145,   149. 
ÄJ^tf/  148,   149,   126. 
hucke   134,    136,    7, 

129. 
hucher  26. 
huppe  26. 


-lerne  80. 
Illohrt  33. 
image  86. 
Issobre  n. 
ivelte  afr.    100. 
ivernotge  prov.    134. 

jideau   130,   133,   2. 

yaimes  afr.   81. 
jante     103,      105,      140, 
wall,  lothr.   162. 

Jaques  81. 
/ai-if^    131—33.    32,    84, 

123,    130,  wall.   162. 
je  um  62. 
jetter  103. 
joignor  afr.  92  f. 
joindre  78. 
yöz<ir  32,   130. 
jouvente  afr.  55. 
_7M^<?   128,   134. 
7«^"-^r    127,    5,    28,    95, 
122,     129,     139,    165, 

yi/2^  68,  160. 

jfutnieges  134. 
Juvigny  92. 

Idcher  43  f. 
/Wr^  84,  86,   154. 
laicel  afr.  47,    159. 
lampe  85. 
landie  afr.    I40. 
lafidier   140  f,    104  f.,  5, 

152. 
lange   1 12  f. 
Lang  res  42. 
Lanier e  79  f.,  92  f. 
Laon{s)  52  f. 
larcin  89  f. 
/ßrt/  12. 
lärme  75  f. 
larsun  afr.   157. 
/aj«^   afr.   79. 
lassitude  i  o  i . 
/aj-^i?  afr.    lOi,    106,   II 7. 
Za^/.f  84. 
/<:£3(3  it.   59. 
lecher,  licher  25. 


i87 


lege  s.   lige. 

tlldcher  147,  lothr. 

wall. 

megüis  afr.    127. 

leide,  lesde  afr.  68. 

163. 

megier   afr.      i  27, 

129, 

lemoissel  afr.  91. 

machier  afr.   25,  27 

loihr.  wall.    162. 

lente   143. 

Madeleine   103. 

Mehun   52  f. 

lepre,  afr.  lüpre  gq. 

madre  154. 

WifzV  ostfrz.  70. 

liberte  55,  lOO,   106. 

maidi  lyon.  48,  56 

Melun  53. 

licher,  lecher  25. 

maie,  mait  48,  5 1  f., 

55  f- 

meleze  158. 

Z/<?^<r   128. 

70. 

7neltriz  afr.   100  f. 

Ltevre  84. 

inaigre  76. 

meftager  134. 

/z>^,  /<f^^  afr.  1 34, 1 50, 1 5  I . 

.Maine   II3. 

Mende  84,   106. 

St,  Liguaire   123. 

mairdin   93. 

mendicite  67. 

limier  95. 

mairier  afr.   76,  74 

mendier  96,   140. 

Limoges  11 7,   130. 

maisme  afr.  38. 

mendistie  afr.   57,  8 

I. 

limpio  span.   17. 

maistie  afr.  91. 

mensonge  157. 

hmtato  Reichn.  Gl.   152, 

malade  124,  I39f., 

2,  8, 

inente  afr.   148. 

98,   150. 

120,    121,   149,    1 

othr. 

menteur  88. 

/?«^o  span.   17. 

162. 

menuisier  96. 

/iW^^   112  f. 

malcontent   107. 

mepriser  92. 

//«^^  afr.  103,  5,  8,   123. 

maltote   II,    100. 

w»^r/if  121. 

linteau   104,  5. 

wfl//y  afr.    154. 

merrain  93,   92. 

Ltnthes  104. 

7nanche  m.  1 12  f.,  2, 

118, 

merte  afr.   12. 

Untier  afr.  104. 

136,    165,    fem.   112  f., 

merveiile,  2,  87. 

/^V<f  75,  lirent  afr.  75. 

118,    lothr.    162, 

83, 

message  165. 

liveche   147. 

120. 

Mesves  84. 

liv raison  95. 

manger    l3Sf.,  95, 

136, 

metayer  54. 

locker  26,   126. 

menjust  afr.  68, 

wall. 

tnetier  9 1 . 

Zoz«  52. 

163,     139,     pic.-norin. 

mettre,  misdrentvk{x. 

154. 

loinsel  afr.  91. 

139,   164. 

medre  Pass.  77. 

lointain   47  f. 

niaque  afr.   27. 

Meudon  53. 

Loire  40,   75. 

maquer  25,  27. 

Meung  52  f. 

Loiret  75. 

Mareuil  85. 

meürte  afr.   100. 

loisir,  loLst  afr.  68. 

marguiller   108. 

meitte  102  f.,  98. 

lormier  95. 

marechal  91. 

miege  afr.  128,  134, 

136, 

/öit  afr.  24. 

marier  96. 

161,  lothr.  wall. 

162. 

louchir  44. 

Marne  87. 

tnincer  157. 

Loicdun  52,  69. 

marner  42. 

mir  ade  108. 

/o?/r/-(/  12. 

Marsal  154. 

OTzi"*?  afr.  55. 

Louvre  84. 

ninsdre  afr.    154. 

mitaine,   -on,  -oyen 

54  f. 

lovergier    afr.    s.    «fjro- 

;««/  21,  poit.    166. 

Moigte  de  Broie  53 

56. 

lourgier. 

maticre,    alr.  inatire  99. 

tnoine    112,    2,    83, 

85, 

loyaute   100. 

matin  16  f. 

163. 

lucide  69. 

;«a/m   lOI,   I18. 

WÖZV^    71 73,    3,     12 

I. 

/z^i>-^    74,    /z<z'^    68,     /i^« 

maturite  loO. 

■»noitie  53 — 55,  67. 

P.  P.  57- 

Maubeiige   128. 

monceau   159. 

liiquer  25,   27. 

maudire   108. 

moquer  27. 

/z/^  afr.  24,   16. 

mauvais  154  f. 

vior  dache   135. 

lutrin   1 03 . 

mecine  afr.    l6of. 

morgue   HO. 

ZyöM  48,  52  f. 

Medan  5  2  f. 

morgiier  pic.    108, 

110. 

i88 


moucher  26  f. 
moude  südlVz.  23  f. 
viotisse  23. 
tnoutter  91. 
moutiire  100. 
mozzo  it.  23. 
niueca  span.   27. 
multiplier  92. 
mtirger  108,   HO. 
viutin   102, 

nacelle  30,    159. 

nache  I34f.,  2,  119,  121, 

165,  wal!.   162  f. 
nager  30,    II 7,   150. 
Nanterre  204,   88,  98. 
Nantes  87,    1 18. 
Nanteuil  104. 
naqiter  pic.    1X6. 
narguer   108,    HO. 
narquois  HO. 
«^/  30. 

neige,  -er   II 7,    II 8. 
Nempty   104. 
iiergun  afr.    157. 
Neronde    106. 
«£•/  16  f.,   120,  span.  «tfi'o 


frc 


-  pro'» 


nede 


23  f- 
«^^^^'  afr.  88. 
nettoyer  88. 
Netlilly,  -e  92  f. 
Neuville,  -iers  29. 
Neuvy  29. 

«/fÄe?      128,       -f'/'       127!., 
155  fo    28. 

iV/^«/  85. 

Niort  12. 

nocher  30,  134. 

no/r   40,    prov.  «t'r   54, 

75- 
tioircir  91,   158. 
«oziif  30. 
nourrisson  89  f. 
noitrritiire     89  f.,      loo, 

118. 
««f>£'  74,  //z^zV  3   Sg.  68, 

w«z'  P,  P.  57. 


A^'ö«  53. 

oi/V^  103. 

ora  !-pan.  30. 

octroyer  iiif.,  95,   103, 

118. 
Ogier  130. 
oie   30. 

0^J■^  85  f.,  84. 
oiseau  30,    160. 
olifant  afr.    107. 
o/^a  rtr.   30. 
oneste,  -er  nfr.  91. 
onze    161,    8,    142,    frc- 

prov.   165. 
Orange   II 6. 
Orbig ny  92. 
ordee  afr.   88. 
ordiere   pic.    142,    wall. 

162. 
orfene  afr.  85,  83. 
orfevre  154. 
orfraie   I54f,  92. 
ör_^zi:,f  85. 
()r«^   141. 
orniere   14I  f. 
origine,  afr.  orm^  42. 
orphelin  85,  83. 
o/rt'    prov.     12,     14, 

153- 
ort  afr.   12,    I4. 
oseille  15. 
oj'ji?/  afr.    159. 
ost  afr.  62. 
otage   148. 
Ouche   85. 
Ourches  85. 
cur  de  afr.   I41  f.,    121. 
outarde  30, 
o?/^<7   lOI. 
Oiete  151. 
packe  afr.  46. 
/«/,?   163. 
palefroi  95. 
paltunier  afr.  lOO. 
pampre,    spau.  pampano 

83. 
panais  89. 


panegier,      -chier      afr. 

155  f.,  94,    112. 
pause  159. 
papaiite   100. 
/«rc   13. 
parcelle   1 59. 
parcon  afr.    157. 
parole  32. 
Ä.  Parres   123. 
passager  134. 
passe (re)  afr.   85  f.,   83. 
pauvrete  55. 
paute  wall.   104. 
j5az'^  afr.   163. 
pavillon  92. 
peche   116,   II7f. 
pecher  26. 
peester  afr.  91. 
_^^^^  afr.  65  f. 
peger  Schweiz.  66. 
peindre  78. 
peire  afr.   18. 
pelerin  92. 

pencher  I38f,   I2I,  I41. 
Peneuvre  33. 
pente  143  f.,    142. 
percer  154,  96. 
per  che     \i\bi.,     7,     125, 

136,   145,    wall,  lothr. 

162,     120,     137,     pic. 

164. 
Perche   146,    134. 
Perigor  d  108. 
Perrecy  89. 
persil  89  f. 
/<rrifif   144,   142. 
pertuisier  96. 
pester  afr,   10 1. 
/<?j;  nfr.    16  f. 
peter,  -Hier  18. 
peuple,  afr,  /o5/o  99. 
//i?^,  ^zi?^  afr.   55. 
pddancerie,   -ier    afr.  55. 
/>?,f^^   128  f.,    3,  98,   118, 

121.      134,     pt.  i^^^a, 

^i?z'a  52. 
pieton  18. 
pieuvre   12,    13. 


i89 


pinceau   158. 

Pionsat  93. 

piquer  26. 

■püid  53,  55,   106. 

plaid  40  f.,  58—62,  68  f. 

plaider  i^"] {.,  60,   5,  122. 

plaidoyer  60. 

plaindre  78. 

plaire  74,  plaisir  68, 
//az'/  3.  Sg.  67 — 6g, 
plairai  afr.  74,  prov. 
76. 

plancoji  afr.    158. 

plane  84. 

plantain  42,  40. 

plente  afr.    102,  55. 

plei/rer  122,  5. 

plonger  137  f.,    165. 

ploquer  26. 

poele  84. 

poeste  afr.  55. 

poiat  afr.  66. 

jioz'c'r  afr.  88. 

poindre  78. 

poisser  mfrz.  58. 

poistron  afr.  93. 

^ozl«  65  f. 

polchier  afr.  ic6. 

polt  rinn  afr.    156,  91. 

polype  12. 

ponce  158. 

Pondron  33. 

ponte  1 44. 

porche  afr.    146  f.,   134. 

portique   1 47. 

Potangis  93. 

^öz^c^   12,   158. 

poulpe   12. 

pouriture  89  f. 

poiirpier  99. 

poussin   158. 

poutre  156  f. 
pratique  103. 
pr  Scher  129. 

predeur  afr.    19. 
prestral  afr.   142. 
/r^^  148. 
pretre  I42, 


prevot   13,    14. 

prier,  Konj.  Präs.  68. 

primaute   100. 

prince   87. 

principaute   ICO. 

privaiite   lOO. 

Prouvaires   143. 

prouver  5. 

provin  42. 

^z/^^  13,  158,  39  ff.,  165  f. 

piicelle  158. 

puput  24. 

purete  100,    106. 

^m/,  -I?   1 6  f. 

putain(e)   1 7. 

/z^^^tf'  afr.  88. 

piizzo  it.  23. 

quatorze    161,    8,     142, 

165,   -z'^wi?  80. 
quejendo,   quijando  ptg. 

102. 
quete   13. 
qiieter   lOI. 
Queude  1 5 1 . 
quinze  161,  8,   I42,  165, 

■lerne  80. 
(7«zV/^,  -^r   18,   53,  55. 

Yache  II 6. 

rachier,     -gier     afr.    s. 

arracher. 
racine  160  f. 
raconter  37. 
ra^i?    afr.    151,    2,    119, 

120,   149. 
raz]£f<f   48 — 50,    59,    lem. 

52. 
raille  15. 
rainceaii  91,    158. 
raire  afr.  75. 
rfl/Za  it.    15. 
ranieissel  afr.  91. 
ranche,    -er  114  f.,    pic. 

164. 
rapide   151,  s.  ra^f^. 
rasgar    span.  ptg.    116, 

118. 
r asture  afr.   lOI. 


rature   1 6. 
rauder  afr.   151. 
raudo  span.  17. 
raust  prov.   73. 
r avager  128. 
ravene  afr.  85,  83. 
z^-ab  spp.n.  49 f.,  69. 
rebrechier  afr.   III. 
redde    anglonorm.     50, 

103. 
redder  mfrz.    150. 
redot  afr.    133. 
reent  36,   40  f. 
ri?^(?    ostfrz.     134,     136, 

129. 
regiel  afr.   127. 
reine  59. 
reisne  afr.   7 9  f. 
reluquer  25,  27. 
Rennes  29. 

rtf^zz/«'   143  f.,   166,   121. 
repeiitir  102,    II 4,   II 8. 
reprocher   126. 
reseau   1 60  f. 
reseuil  161. 
rt/,  -^r  afr.  36. 
revanche  139,    pic.   164. 
revancher   138  f.,     2,     7, 

110,    161. 
revSche  147. 
reverchier  afr.   116  f. 
revider  afr.  10 1. 
Rhone  29,  84. 
rigoler  129. 
Äö/zz  33. 
rochier  afr.   26. 
roder  151. 
rotste  afr.  71,  73. 
rü/d'  15. 
romanz      afr.      158,      12 

(s.  194). 
ronce  158. 

rcnger  127 — 29,  pic.  164. 
rostece  afr.  69. 
ro^^r  afr.   103. 
Rouan,  Rouen  33. 
roi/anne  79. 
rovre  poil.   166. 


igo 


Royan   i  2. 

royaume  12. 

royaute  lOO. 

ruche  146. 

rüde  50  f. 

i?M^27  88. 

rw2'«  afr.  42. 

ruisseaii  9I. 

rmigier    atV.    150,    127, 

129. 
ruser  96. 
riistie  afi'.  67. 
rwj/;v  51,   153,    163. 
r?//  5  3  f. 
ruvido  it.  50  f. 

SßiJ'/if  31. 

jrti/d-  afr.  151,  2,  39,  119, 

125,   149. 
sage,  afr.  jazW  163,  23, 

151- 

saigner  42. 

saintee  afr.  25. 

Saintonge  112. 

salnoie  afr.  79. 

j-aZ('<r  afr.    102,   1 1  8. 

jß/a,  -Ci?  afr.   12  f.,   158. 

saluer  96  f. 

Sambre  84. 

samedi  84. 

ja«^/  102,  106,  55. 

Sattbusse  84. 

saumache  afr.  69. 

saumatre  69. 

sauvage  133. 

Savigny  92. 

savoir,  satt  3.  Sg.  39,  41. 

secher  26. 

Seheut  ■äXx.  34. 

seigle  84. 

.y^z'//^   15. 

5««.?  8r,  84,  86. 

j(?/z^   161,   165. 

semonte  afr.   I02. 

Senan  33. 

sendchal  91. 

seneve  34,  94. 

senfege  128. 


senne  afr.    124. 
^ifwj  29. 

j^«^^   104  f.,   121,    165. 
sentier  104  f.,   166. 
j^^/  39. 

serdele  afr.    103. 
5-ifr^tf   108  f.,   129. 
sergier  109. 
serorge  afr.    I08f. 
sesgar,  -o  span.  44. 
Sevre  84. 

sevrer  afr.  2,  84,  87. 
siede  99,  86. 

J?'^^^     128,     2,     98,      120, 

121,   127,   134,  mund- 

artl.  sieche  129. 
Sieger  127. 
sincele  mundartl.   158. 
j/r^  14  T,    142. 
SireiiiL  85. 
societe  67,  73- 
soigre  afr.   74. 
soistie  afr.  67,  73. 
50//  afr.   II,   102. 
soltain,  -tif  afr.   100. 
sordeior  afr.  88. 
.Söj  84. 
jo«   163. 

soucier  59,  96,    158. 
joz<^^,   -/<?    afr.    13t  f.,   8, 

123. 
soudain   130,   132. 
souhait,   -er  58,   lOI. 
souloit,  -e  afr.  S^- 
soulte   II. 
souple  87. 
soupi;oii  92,  93,  94. 
soi4rdre  afr.  78,   74. 
souchier  afr.    146. 
jöizo  it.   59. 
spaccare  it.  26. 
j/z/>  wall.   162  f. 
strikar  it.  hol.   25. 
strokar  it.  bol.  25. 
suatume  afr.   102. 
jM«ö  span.   17. 
.fz«'^  70  f.,    59,    65,    120, 

166. 


siiire  afr.   74. 

i-zz/V^  103. 

suppUer  97. 

snrete  100. 

surge  afr.  47. 

surge  [laine]  70,    1 29. 

surgeüre  afr.    IIO. 

sur guier  pic.    HO. 

faJ/^  31. 

tache  27. 

/dz>v  74,  /«/i?  68. 

/ö;;/c'   103. 

t  aquer  1~i . 

targier  afr.    14O,  7,  139. 

/ars-i!  68. 
tascar  span.  44. 
^az'^r  45,  44. 
teindre  78. 
temoig7ier  89,    108. 
femoin  85. 
tempete  9t. 
tenerge  afr.   III. 
/'^«^^   1 43  f. 

^^m/zV  afr.  102,  117,  140. 
tenve  afr.  85. 
terdre  7,  4,  78. 
tertre   104. 
Thievre  84. 
/z',?^^   151,    82,    98,    119, 

149,    150,    ostfrz.   162, 

124. 
Tilques  85,   106— 08. 
tinibre  83. 
^zW/^r   102. 
/■zit);?   93. 
/o/if  31. 
^ö//  afr.    1 1 . 
ifö«/«?   143. 
toquer  26  ff. 
torche,    -er    25  f.,    146  f., 

pic.   164. 
tordre  74,  78. 
tosche  afr.  43. 
toucher  25,  27  f. 
Touraine  II 3. 
tourani-e   112, 


IQI 


Tourtion  33. 

Tours    13. 

tout  21. 

toxigue  44. 

traire  75. 

traitre  19. 

traneher   112,   II4. 

tr aquer  25  f. 

^/-^^  64. 

trembler   121. 

treize    161,     165,    -/< 

80. 
trejnotisser  157. 
tref miete  afr.   102  f. 
tr  icher  26. 
/ro;^,  -^r   126  f. 
Troyes  85  f.,  64. 
/rwz'if  70. 
/?n'^  afr.  21. 

tlsine   160. 

Vö:<r  prov.  23. 
vadou  lyon.   154,  22. 
vaincre  74,  78. 
valcel,  -e  afr.   158. 
vanter   102. 
vautre  33. 
veiller  79. 


vcintre  afr.   74,   78. 
■vencon   157. 
Vendenesse  88. 
vendeur  88. 
Vendeuvre  33. 
Vendüine  7g. 
venger    138  f,    2,    4,    7, 

56,  95,   110,  121,  126, 

145,   148. 
vengeur,     -eance,     -ison 

138  f. 
Vensat  93. 

z»^«/^  143 f.)  I2r,  166. 
verger  109. 
vergogne   108. 
vergonder  afr.    108. 
verite  100,   I18. 
vermeissel  afr.  91. 
t/^r^  12,  58,  61  f. 
vertevelle   108. 
vervelle  108,   150. 
veture  88. 
F^«  85. 

rzif^  40,  57 — 62. 
•vider  5  7  ff. 
vierge  86. 
vietix  1 5 . 
Vieux  85. 
Vilaine  79. 


■vilete  100. 
f^zV/i?  domange  123. 
viouche  afr.   134. 
visder  afr.   lOi,  13. 
visnage  afr.  79,  81. 
voiar,  vuiar  prov.   61. 
voisinage  79. 
wö/a  prov.   61. 
volage  afr.   133. 
volonte  100,  45. 
«»ö//  afr.  II. 
voltiz  afr.  103. 
TöJ-^tfj  85. 
voüte  II,   102. 
voyer,  -ette  61,  70. 
i-?«?  afr.  40,  57 — 62, 

fem.  61  f.,    prov.    7/7/^2' 

61. 

wa/  wall.  i62f.,  125. 
■welke  afr.  153. 
Tf//«  wall.   162. 

yjrem  lothr.    162. 

yeuse  158. 
Yssolu  53. 
Yssoudim   s,3. 
Yverdon  53,  90. 


3.   Die  Gruppen. 

abu  31  f.,  agu  33  f.,  avi  30 — 32. 

b  :  c  126,  32,  c*  160,  16  f.,  :  d  150,  36  :  1  31  f.  :  t  130 — 33,  32  :  ti  157. 

mb  :  c  137 f.  :  d  152  :  t  140 f.;  rb  :  d  152  :  t  141  f.;  sb  :  t  142. 
c:  c  24 — 29  :  d  69 — 71   :  1  78 f.  :  m  8of.  :  n  79f.  :  r  73 — 77  :  t  56 — 69,  35. 

cc  :  d  71 — 73;  nc  :  r  78;  rc  :  f  I54f.,   157  :  n  79  :  r  78. 
d  :  c  127 — 30,  26,  28  :  d,  t  16 — 24  :  g  150  :  1  15  :  p  130. 

nd  :  c  138 — 40  :  1,  n  88f.  :  t  143  f.  :  ti  157;  rd  :  di  SS  :  g  47. 
ff:  c*  160;  rf  :  c^  159. 
g  :  c  24—29  :  d  48—52,  35  :  1  79  :  n  42 

ng  :  c  45  :  r  78  :  t  47f.;  rg  :  c  47 
igi  34  f- 

-iet-  53—55;  Ji  :  t  53-55- 
j  :  j  29. 
1(1)  :  c*  12,  158  :  d  II  :  f  i54f.  :  m  12,  14  :  p  12  :  qu  12  :  s  154  :  l  11,  100  :  tr 

156  f.,  92. 


r  75  :  t  53—56. 

d  47  :r  78  :  t  47  :  ti  157. 


192 

m  :  c-  158. 

n  :  c«  158  :  n  29  :  ti  157. 

gn  :  c  45  :  t  47f. ;  m'n  :  c^,  v  90  f.,  158. 
p  :  c  133,  159  i-  :  tl  151  :  p  :!4  :  t  36-38. 

mp  :  d  152  :  t  36;  pp  :  c  146;  ip  :  c  146,  c*  159  :  d  152;  sp  :  c  146 

:  d  152  :  l  148. 
qu  :  1  108  :  t  56,  144. 

r  :  b  12  :  c  13,  108 — iio,  c^  15S  :  d  12  :  f  I54f.  :  g  12  :  m  1.3. 
r  :  n  13,  14  :  s  154  :  t  12,  loof.,  tr  156  f. 

br  :  c  III,  c2  I58;gr  :  c^  158  :  ti  157,  t'r  :  c  iiif. 
s  :  c  116  :  r  154  :  t  13,  lOi. 

bs  ;  c  116,  ns  :  t  lOl,  ps  :  r  154,  rs  :  c  116;  ss  :    c  Il6,  c'^  159  :  fr  I54f. 

:  r  154- 
t  :  c  133—37.  c^  i6of.  :  d,  t  16—24,  153  :  g  151   :  1  i5- 

et  :  c  25,  28,  c-  159  :  t  47;  It  :  c  146;  nt  :  c  146,  c^  159  :  t  14S,  ti  127; 

pt  :  c^  159;  rt  :  c  25  f.,  146,  c^  159   :  d  152  f.   :  si  157  :  li  157;   st  :  c  147, 

c^  159   :  d  153  :  t  148.     Kons.  +  t  vor  d,  t,  di  (li)  88,  vor  n,  in,  1  89. 
V  :  c  30,  117,  c2  159  :  d  31  :  g  30  :  t  30,  ti  157  :  v  29. 
X  :  c  43f.,  c2  45  :  d  153  :  r  154. 
z:r  154. 

Kons.  4-  st,  sc  (n,  j  :  st;  n,  r,  gr,  m,  v,  g  :  sc)  91. 
Kons.  +  li,  ni,  mi,  ri,  ki,  pi  92 f. 

4.   Grammatisches. 

a.    Zur  Lautlehre. 
Akzent: 

Akzent  in  griechischen  Lehnwörtern  64. 
Nebentoa  auf  der  Ultima  in  Proparoxyiouis  40  f. 
Drei  Silben  vor  dem  Ton  94  f. 

Vokalismus: 

Metathesis  der  Quantität:  tötus  21,  tinnitare  102. 

Diphthongierung  von  e,  0  98  f. 

e  und  i  in  griechischen  Lehnwörtern  64. 

a  der  Pänuhima  82 — 87. 

Absorbierung  des  tonlosen  Vokals  durch  r  2,  75,  94. 

Synkope  der  Pänultima  87. 

Synkope  des  Zwischentonvokales  87 — 93. 

Synkope  des  afr.  zwischeutonigen  a  94. 

Konsonantismus : 

Metathesis  der  Lautstufe  (liabitus  ^  *hapidus)  131. 

gr,  er  >  ir  im  Prov.  75  f. 

et  >  tt  >  t  103. 

d  für  i  durch  umgekehrte  Schreibung  im  Prov.  [fedre  Pass.  usw.)  77. 

aller  <^  ambulare  141. 

n-Einschub  I16,  afr.  fle7igier  46. 

Lautabstufung  in  Lehnwörtern  99. 

Zeit  der  Lautabstufung  97  f. 


193 

b.  Zur  Wortbildung. 

Scheideformen,  manicus,  -a   113. 
Suifix  -idus  23,  65,  72. 
Verbalsubstantiva:  lat.  -ita  frz.  -te  56,  66. 

lat.  J!-ndita  frz.  -nte  143  f. 

c.  Zur  Formenlehre. 

Das  Nomen: 

Femininbildung  der  Eigenschaftswörter   einer  Endung  (grandis  usw.) 
61  f. 

tOUt,    pl.    tUlt  21. 

Das  Verbum: 

I.  Konj.,  Konjunktiv  Präs.  3.  Sg.  mit  s  {cerst,  coht,  tarst  usw.)  68. 
Perfectum,  i.  2.  Plur.  -avimus,  -aslis  92. 
II.  Konj.,  placet  >;i/az,s-/':  facit>/azV  67—69. 
III.  Konj.,  Infinitiv-e  durch  Analogie  75. 

faire,  dire  usw.  73  f.,  fare  it.  74,  Jait :  piaist  67-Ö9,  /az>«^.r, 
dimes  80,  faites,  dites  62. 
Plusquamperfektum  77,  76,  74. 
Ausgleich   in    der   Konjugation   der  Zeitwörter,    wo    durch    Synkope 
Doppelformen  eintreten  95  f. 

d.  Lehnwörter. 

Diphthongierung  von  e,  ö  99, 
Lautabstufung  99. 
Doppelformen  107,  37,  55. 
Gvxoixov  '^foie  62 — 65. 

e.  Ortsnamen  auf 

-anicu  \  -dunum  52  f.,  151.  -regum  12. 

-ianicu  i        i-  .jalum  84.  -riges  12. 

■^"g^  33-  -magus  n,  84.  -ritum  12. 


Berichtigungen. 


S.  12,  Z.  7  V.  o.  füge  hinzu:  romanice  afr.  romanz. 

S.  15,  Z.  8  V.  o.  lies  prov.  rotle  frz.  role  für  prov.  rotlo  frz.  rolle. 

S.  16,  Z.  15  V.  o.  lies  matutinu  für  mattutinu 

S.  24,  Z.  30  V.  o.  lies  gemicare  für  gemiccare 

S.  30,  Z.  14  V,  u,  lies  aucupare  für  ancupare 

S.  31,  Z.  10  V.  u.  \\&%  favola  für  pavola 

S.  39,  Z.  12  V.  o.  lies  calce  für  chalce 

S.  43,  Z.  I  V.  u.  lies  lüscus  fiir  liixus 

S.  45,  Z.  8  V.  u.  gn'c  für  gn'c» 

S.  47,  Z.  I  V.  o.  et't  für  ct'c 

S.  54,  Z.  6  V.  u.  lies  denn  für  dem 

S.  68,  Z.  14  V.  o.  füge  hinzu:  Perf.  doc[u]it>  doist  (Leod.  23) 

S.  78,  Z.  19  V,  o.  lies  e'treindre  für  estreindre 

S.  91,  Z.  16  V.  o.  lies  nfr.  für  afr. 

S.  91,  Z.  15  und  17  lies  frz.  für  afr. 

S.  100,  Z.  8  V.  u.  füge  hinzu  amaritudine  frz.  amgrtume 

S,  104,  Z.  7  V.  o.  lies  *hamitare  für  amitare 

S.  105,  Z.  12  V.  o.  lies  *amitanu  für  amitann 

S.  HO,  Z.  25  V.  o.  lies  narquois  für  narguois 

S,  134,  Z.  3  V.  u.  lies  Perticus  ^  Perche  für  Porticus  >■  Forche 


Druck  von  Ehrhardt  Karras.    Halle  a.  S. 


BEIHEFTE 

ZUR 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ROMANISCHE   PHILOLOGIE 

HERAUSGEGEBEN 


Dr.  GUSTAV  GRÜBER 

PROFKSSOR    AN    DER    UNIVERSITÄT    STRASSBURG   I.  E. 


XXV.  HEFT 


ADALBERT  HÄMEL,    DER  CID  IM  SPANISCHEN  DRAMA  DES  XVI. 
UND  XVn.  JAHRHUNDERTS 


HALLE  A.  S. 

VERLAG    VON    MAX    NIEMEYER 
1910 


DER  CID 
IM  SPANISCHEN  DRAMA 

DES  XVI.  UND  XVII.  JAHRHUNDERTS 


ADALBERT  HAMEL 


HALLE  A.  S. 

VERLAG    VON    INIAX    NIEMEYER 
igio 


Den  lieben  Eltern  zur  Silberhochzelt 

(15.  September  1909). 


Inhalt. 

Seite 

Vorwort ix 

Einleitung. 

I.   Der  Cid  in  der  Geschichte • I 

II.    Der  Cid  in  der  Poesie 5 

Hauptteil: 
Der  Cid  im  spanischen  Drama  des  XVI.  vmd  XVn.  Jahrhunderts : 

I.    Dramen,  die  die  Jugendtaten  des  Cid  behandeln: 

1.  Guillen  de  Castro:  Las  Mocedades  del  Cid.     I^ parte       ...  14 

2.  Juan  Bautista  Diamante:  El  Honrador  de  su  padre   ....  22 
II.   Dramen,  die  die  Kämpfe  um  Zamora  oder  Toro  zum  Inhalt  haben: 

1.  Juan  de  la  Cueva:  Comedia  de  la  muerte  del  Rey  Don  Sancho, 

y  Relo  de  Zamora  etc • 28 

2.  Guillen  de  Castro:  Las  Mocedades  del  Cid.     11^  parte    ...  33 

3.  Lope  de  Vega :  Las  almenas  de  Toro 40 

4.  Matos  Fragoso:  No  esid  en  matar  el  vencer 49 

5.  Diamante:  El  cerco  de  Zamora 56 

III.  Dramen,  über  den  Cid  unter  der  Regierung  Alfonsos  VI. 

1.  Anonimus:  Las  Hazanas  del  Cid  y  su  muerte,   con  la  tomada 

de  Valencia 61 

2.  Tirso  de  Molina:  El  cobarde  mas  valiente 69 

3.  Matos  Fragoso :  El  amor  hace  valientes 76 

4.  Zarate  y  Castronovo:    El  Cid  Campeador  y    el    noble   sienipre 

es  valiente 81 

5.  Francisco  Polo:  EI  Honrador  de  sus  hijas 90 

IV.  Burlesken: 

1.  Cancer  y  Velasco:  Las  Mocedades  del  Cid 95 

2.  Bernardo  de  Quirös:  El  Hermano  de  su  hermana       ....  98 
Schlufswort 103 

Anhang. 

1.  Verzeichnis  der  bekannten  Ciddramen  des  spanischen  Theaters     107 

2.  Verzeichnis  der  in  den  besprochenen  Dramen  verwendeten  Cid- 
Romanzen 109 

3.  Comedia  de  las  Hazanas  del  Cid,  y  su  Muerte,  con  la  tomada 

de  Valencia xi2 


a 


Vorwort. 


Der  Zweck  vorliegender  Arbeit  ist  eine  eingehende  Besprechung 
aller  gedruckten  spanischen  Dramen  des  ausgehenden  i6.  und  des 
ganzen  17.  Jahrhunderts,  die  den  Cid  in  die  Darstellung  verweben. 
Zum  gröfsten  Teile  sind  diese  Dramen  nur  bekannt  aus  kurzen 
Notizen  in  Schacks  oder  Schäffers  Darstellungen  des  spanischen 
Dramas. 

Es  kam  mir  vor  allem  darauf  an,  nach  den  nötigen  biblio- 
graphischen Hinweisen  eine  genaue  Inhaltsangabe  und  Charakteri- 
sierung zu  geben  und  auch  darzutun,  wie  der  jeweilige  Verfasser 
den  Romanzen  gegenüber  sich  verhalten  hat.  Eine  Besprechung 
der  auf  den  Cid  bezüglichen  nichtdramatischen  Dichtungen  habe 
ich  deswegen  vorangehen  lassen,  weil  bis  jetzt  in  deutscher  Sprache 
eine  zusammenfassende  Arbeit  aufser  in  einer  tendenziös  gefärbten 
Abhandlung  1  nicht  existiert  und  um  einen  Vergleich  mit  dem  In- 
halte der  Dramen  zu  erleichtern. 

Die  Abhandlung  ist  gedacht  als  Teil  einer  Sammlung  aller 
den  Cid  behandelnden  Dramen  der  europäischen  Literaturen. 

Die  Anregung  hiezu  gab  mir  mein  verehrter  Lehrer  Herr 
Professor  Dr.  H.  Schneegans  in  Bonn,  der  mit  seinem  erfahrenen 
Rate  mir  stets  zur  Seite  stand  und  der  Arbeit  von  Anfang  an  das 
gröfste  Interesse  entgegenbrachte;  ihm  bin  ich  dafür  zeitlebens 
Dank  schuldig. 

Viele  wertvolle  Hinweise  verdanke  ich  besonders  auch  seinem 
hiesigen  Nachfolger,  Herrn  Professor  Dr.  K.  Vofsler,  durch  dessen 
gütige  Vermittlung  Herr  Prof.  A.  Farinelli  in  Turin  mir  ein  Exemplar 
seiner  reichen  spanischen  Bibliothek  zur  Verfügung  stellte. 

Allen  diesen  Gelehrten  sei  hier  in  erster  Linie  mein  aufrichtigster 
Dank  abgestattet. 

Wenn  ich  auch  selbst  keine  Mühe,  keine  Reise  scheute  um 
die  sehr  zerstreut  liegenden  altspanischen  Drucke  aufzufinden,  so 
ist  mir  das  nur  möglich  gewesen  durch  das  allseits  liebenswürdige 
Entgegenkommen  der  Herren  Beamten  der 


'  Baumgarten,  Der  Cid  in  Geschichte  und  Poesie  in  „Stimmen  aus  Maria 
Laach,  54.  Band.    Freiburg  i.  B.   1898.    pag.  32  ff.,  429  ff..   505  ff. 


Kgl.  Universitätsbibliothek  zu  Würzburg, 

Kgl.  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München, 

Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin, 

Kgl.  Universitätsbibliothek  zu  Göttingen, 

Stadtbibliothek  zu  Hamburg, 

K.  K.  Hof  bibliothek  zu  Wien, 

Bibliotheque  Nationale  zu  Paris, 

wofür  hier  nochmals  die  dankbarste  Anerkennung  ausgesprochen 
sein  möge. 

Als  Anhang  ist  der  Arbeit  ein  Verzeichnis  aller  bekannten 
Cid-Bearbeitungen  des  spanischen  Theaters  beigegeben,  sowie  eine 
Zusammenstellung  aller  in  den  besprochenen  Dramen  verwendeten 
Romanzen  in  der  Reihenfolge  der  Ausgabe  von  C.  Michaelis  mit 
Angabe  der  Nummerierung  bei  Daran.  Aufserdem  ist  das  anonyme 
Ciddrama  (siehe  pag.  6i)  nach  dem  Exemplar  der  Hamburger  Stadt- 
bibliothek abgedruckt  worden. 

Was  die  Textbehandlung  betrifft,  so  war  mein  Grundsatz  mög- 
lichst getreu  den  überlieferten  Text  wiederzugeben.  Ich  habe  daher 
die  alte  Schreibung  mit  ihren  Inkonsequenzen  beibehalten  und  nur 
da  wo  offensichtlich  eine  Umstellung  eines  Buchstabens  vorlag,  wie 
besonders  bei  u  und  n,  den  richtigen  eingesetzt.  Die  Strophen  sind 
wie  in  dem  mir  vorliegenden  Drucke  auch  äufserlich  kenntlich 
gemacht. 

Würzburg,  20.  Juli  1909. 

Adalbert  Hämel. 


Einleitung. 


I.    Der  Cid  in  der  Geschichte. 

Die  heroische  Gestalt  des  Cid  Ruy  Diaz  de  Vivar  ist  mit  so 
viel  Sage  und  Poesie  umkleidet,  dafs  es  schwer  ist,  ein  historisch 
einwandfreies  Bild  vom  Leben  des  Campeador  zu  geben.  Mariana  i 
erzählt  das  Leben  und  die  Taten  des  Cid  und  fügt  ztim  Schlüsse 
hinzu:  Algiinos  tienen  por  fabulosa  gran  parte  desta  narracion;  yo 
tamhien  muchos  mas  cosas  traslado  que  creo,  porque  ni  tne  atrevo  d 
pasar  en  silencio  lo  que  oiros  afinnan,  ni  qiiiero  pofier  por  cierto  en 
lo  que  tengo  duda,  por  razones  que  d  ello  me  mueven  y  otros  las  ponen. 
17(^2  entdeckte  der  Augustiner  Manuel  Risco  in  der  Bibliothek  des 
Klosters  des  hl.  Isidor  zu  Leon  die  Gesfa  Roderici  Campidocti.-  Diese 
Biographie  mufs  vor  dem  Jahre  1238  entstanden  sein,  da  der  Ver- 
fasser gelegentlich  des  Berichtes  von  der  Belagerung  von  Valencia 
durch  die  Sarazenen  nach  dem  Tode  des  Cid  sagt:  Et  'numquayn 
eam  ulterius  perdiderunt.  1238  jedoch  war  Valencia  durch  Jakob  L 
von  Aragon  eingenommen  worden. ^  Der  Jesuit  Juan  Franzisco  de 
Masdeu  zog  indes  (1805)  nicht  nur  die  Echtheit  dieser  Urkunde, 
sondern  die  Existenz  des  Cid  überhaupt  in  Zweifel.^  Er  betrachtete 
Risco  selbst  als  den  Verfasser  der  von  ihm  veröffentlichten  Schrift. 
Letztere  Ansicht  wird  schon  dadurch  widerlegt,  dafs  das  fragliche 
Manuskript  sich  wirklich  in  der  Biblioteca  de  la  Academia  de  la 
historia  zu  INIadrid  befindet,  wo  überdies  auch  ein  anderes  Exemplar 
dieser  Schrift  gefunden  wurde,  das  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammt.^ 
Es   handelt   sich  nur  darum  zu  untersuchen,    ob  der  Verfasser  der 


1  Historia  gener al  de  Espana  ^  Madrid  1770,  2  vis.  Lib.  IX,  c.  5  bi', 
lib.  X,  c.  4.  (Abgedruckt  in  der  Biblioteca  de  antares  espanoles.  Band  XX)^, 
wo  obige  Stelle  pag.  282  zu  finden  ist). 

^  Gedruckt  als  Anhang  zu  Risco,  La  Castilla  y  et  mas  famoso  Castellano. 
Madlid  1792.  (Inhalt  auch  bei  Rios,  Historia  critica  de  la  lit.  esp.  Madrid 
1862.     Bd.  11,  pag.  175—182). 

*  Dozy,  Recherches  sur  Vhistoire  et  la  litterature  de  l^ Espagne  pendaut 
le  moyen  äge.     Leyde   1881.     Tom.  II,  pag.  3. 

*  Refutacioii  critica  de  la  historia  leonesa  del  Cid,  angef.  bei  Ed.  da 
M6ril,  Poesies  latines  populaires  du  moyen  äge.     Paris  1847,  pag.  285. 

^  Dozy,  1.  c,  pag.  4. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV.  1 


Gesla  Roder ici  CanipiJocli  den  Glauben  verdient,  den  ihm  Risco* 
und  J.  V.  INIüller^  beigemessen  haben,  oder  ob  der  Inhalt  nur  als 
Dichtung  aufzufassen  ist,  wie  Masdeu  annahm.  Ähnlich  verhält  es 
sich  mit  dem  Poema  del  Cid,  der  Crönica  rimada  und  der  Crönica 
general.  Bei  allen  diesen  uns  vorliegenden  Quellen  handelt  es  sich 
darum  zu  unterscheiden,  was  ist  daran  historisch,  was  erdichtet. 

Den  Versuch,  die  geschichtlichen  und  sagenhaften  Elemente 
zum  erstenmale  kritisch  zu  scheiden,  hat  Viktor  Aime  Huber  ge- 
macht in  seiner  Geschichte  des  Cid  Ruy  Diaz  Campeador  von  Bivar. 
Nach  Quellen.  (Bremen  1829),  ferner  durch  die  Herausgabe  der 
Chronica  del  famoso  cavallero  Cid  Ruy  diaz  Campeador  (Marburg  1844) 
und  durch  sein  Werk:  De  primitiva  cantilenarum  populär ium  epicarum 
(vulgo  Romances)  apud  Bispanos  forma   (1844). 

Im  selben  Jahre  fand  der  holländische  Gelehrte  R.  Dozy  auf 
der  Bibliothek  zu  Gotha  einen  arabischen  Bericht  über  den  Cid 
und  die  Eroberung  von  Valencia.3  Er  war  enthalten  in  dem  dritten 
Bande  einer  arabischen  Literaturgeschichte ,  den  der  maurische 
Schriftsteller  Ibn  Bassäm,  wie  er  selbst  angibt,  im  Jahre  503  der 
Hedschra,  iiog  unserer  Zeitrechnung,  verfafste.'*  Ohne  Zweifel 
besitzt  dieses  Dokument  grofsen  historischen  Wert,  wenn  es  auch 
von  einem  Araber,  also  von  einem  Feinde  des  Cid,  verfafst  ist. 

Wir  wollen  nun  kurz  ein  Bild  des  Cid  in  der  Geschichte  ent- 
werfen.^ 

Wenn  auch  das  Geburtsjahr  des  Cid  nicht  bekannt  ist,  so 
fällt  es  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  den  Anfang  des 
1 1 .  Jahrhunderts.  Zum  erstenmal  wird  er  1064  erwähnt.  Er  hatte 
sich  schon  in  einem  Kriege,  den  Sancho  von  Castilien  gegen  Sancho 
von  Navarra  geführt  hatte,  ausgezeichnet  und  infolge  eines  mit 
einem  navarresischen  Ritter  geführten  Zweikampfes  den  Beinamen 
Campeador  d.  i.  der  Herausforderer  erhalten.^  Der  Tod  P'erdinands  I. 
(1065)  gab  zu  einem  neuen  Bruderzwiste  Anlafs,  da  Ferdinand  in 
seinem  Testamente  sein  Reich  unter  seine  fünf  Kinder  geteilt  hatte, 
und    der   ehrgeizige  Sancho  Alleinherrscher  sein  wollte.     Anf  Seite 


1  A.  a.  O. 

*  Joh.  V.  Müller,  Der  Cid.  Nach  Quellen.  Einleitender  A.ufsatz  zur 
ersten  Ausgabe  seines  Cid.  1805.  Dasselbe  in  spanischer  Übersetzung  ent- 
halten in  Juan  de  Müller,  Romancero  e  historia  del  tnuy  Valeroso  Caballero 
El  Cid  Ruy  Diaz  de    Vivar.     Francoforto   1828. 

^  Veröffentlicht  bei  Dozy,  1.  c.  im  Urtext,  tom.  II.  Appendix  und  in 
französischer  Übersetzung,  tom.  II,  pag.  8 — 28. 

*  Der  Verfasser  beruft  sich  auf  eine  Person,  die  den  Cid  selbst  ge- 
kannt bat. 

^  Zum  folgenden  vergleiche  Dozy,  1.  c,  pag.  104 fif.,  der  auch  stets  die 
einzelnen  Quellen  zitiert,  sowie  Puymaigre ,  Les  vicux  auteurs  Castillans, 
2  tom.  Paris  1888.  t.  I,  pag.  109  — 135,  der  zum  Teil  auf  Dozy  beruht. 
Baumgarten,  a.a.O.  schliefst  sich  in  der  Sache  an  Dozy  an,  ohne  dem 
arabischen  Berichte  betreff  der  Greueltaten  des  Cid  den  Glauben  beizumessen, 
der  ihm  von  Dozy  gezollt  wird. 

"  Zur  Etymologie  des  Wortes  vergleiche  Dozy,  1.  c,  II,  pag.  58  ff.  und 
Puymaigre,  1.  c,  I,  pag.  114  ff. 


Sanchos  stand  auch  Rodrigo  de  Bivar,  der  nach  dem  Siege  bei 
Llantada  (1068)  Oberbefehlshaber  seines  Heeres  geworden  war. 
Drei  Jahre  nach  jener  Schlacht  kam  es  wieder  zum  Kampfe;  diesmal 
war  Sancho  der  Besiegte.  Da  aber  nach  beiderseitigem  Überein- 
kommen der  Sieger  das  Reich  des  Unterlegenen  als  Kampfpreis 
erhalten  sollte,  so  betrachtete  sich  nunmehr  Alfonso  als  Herrn  von 
Castilien.  Rodrigo  von  Bivar  jedoch  überfiel  die  ahnungslosen 
Sieger  und  nahm  Alfonso  gefangen.  Alfonso  wurde  ins  Kloster 
geschickt,  entfloh  aber  bald  zu  Mamoun,  dem  Könige  von  Toledo. 
So  war  Sancho  wieder  Herr  von  Castilien.  Seinem  Bruder  Garcia 
nahm  er  Galizien  weg,  während  seine  Schwester  Elvira  keinen 
Widerstand  leistete  und  ihm  Toro  übergab.  Die  Stadt  Zamora, 
die  nach  dem  Testamente  des  Vaters  Urraca  zugefallen  war,  mufste 
Sancho  indes  vergeblich  belagern.  Ja,  er  verlor  sogar  dabei  sein 
Leben.  Einem  Zamoraner,  Bellido  Dolfos,  gelang  es  nämlich  den 
König  Sancho  mit  seiner  Lanze  zu  durchbohren  (7.  Oktober  1072) 
und  so  die  Stadt  zu  befreien.  Sanchos  Leiche  wurde  nach  dem 
Kloster  Ona  gebracht  und  dort  bestattet.  Nun  boten  die  Ritter 
Alfonso  die  Krone  an.i  Nachdem  dieser  trotz  so  vieler  Hindernisse 
zur  Herrschaft  gelangt  war,  gab  er  Rodrigo  seine  Base  Jimene,  die 
Tochter  des  Grafen  Diego  von  Oviedo,  zur  Frau  (19.  Juli  1074). 
So  schien  der  Campeador  als  Verwandter  des  Königs  zu  einer  der 
ersten  Stellen  im  Reiche  berufen  zu  sein.  Er  sollte  sich  jedoch 
nicht  lange  dieser  Auszeichnung  treuen.  Als  er  als  Verbündeter 
Motamids,  des  tributpflichtigen  Königs  von  Sevilla,  Abd-alläh,  den 
König  von  Granada,  besiegt  hatte  und  Motamid  ihn  mit  dem 
Tribute  und  reichen  Geschenken  für  Alfonso  entliefs,  beschuldigten 
ihn  seine  Feinde  der  Veruntreuung  eines  Teils  der  Geschenke. 
Dazu  kam  noch,  dafs  Rodrigo  ohne  Erlaubnis  des  Königs  1081 
einen  Angriff  auf  die  Mauren  unternahm.  Diese  scheinbare  Auf- 
lehnung hatte  die  Verbannung  des  Campeador  aus  dem  Reiche 
zur  Folge.  Rodrigo  ging  nun  in  maurische  Dienste  und  zwar  zum 
Herrscher  von  Saragossa.  Hier  waren  nach  dem  Tode  des  Emirs 
Moktadir  unter  dessen  beiden  Söhnen  Streitigkeiten  entstanden. 
Der  Campeador  nahm  für  Mutamin  Partei,  welcher  Saragossa  als 
Erbe  erhalten  hatte,  und  besiegte  mit  unglaublicher  Kühnheit 
Mondzir,  den  Bruder  Mutamins.  Darauf  folgten  Streifzüge,  in 
denen  er  mit  einer  solchen  Schnelligkeit  das  Land  verwüstete,  dafs 
er  stets  schon  abgezogen  war,  ehe  man  gegen  ihn  zu  Felde  ziehen 
konnte.  Doch  fehlt  uns  über  seine  weiteren  Feldzüge  (1085 — 1088) 
jede  genauere  Kenntnis.  In  der  Zwischenzeit  hatte  er  nicht  unter- 
lassen sich  seinem  Vaterlande  und  dem  König  Alfonso  wieder  zu 
nähern,  aber  ohne  dauernden  Erfolg.    Mit  Mutamins  Sohn,  Mostain, 


1  Die  Bedingung,  an  die  sich  Alfonsos  Krönung  knüpfte,  dafs  nämlich 
Alfonso  auf  Eidaussage  hin,  am  Morde  seines  Bruders  nicht  beteiligt  gewesen 
sei,  wird  zwar  von  Dozy  (1.  c,  II,  loS)  für  historisch  gehalten,  von  Pugmaigre 
aber  (I.e.,  I,  pag.  119 11.)  mit  überzeugenden  Gründen  bestritten. 


* 


schlofs  er  1088  ein  Bündnis,  das  sich  die  Eroberung  Valencias  als 
Ziel  setzte. 

Der  rechtmäfsige  Erbe  dieser  Stadt  war  Cädir,  Abu-Bekr  ibn- 
Abdolaziz  hatte  sie  aber  in  Besitz  genommen  und  durch  letzteren 
kam  sie  an  König  Alfonso.  Dieser  verkaufte  die  Stadt  an  den 
Moktadir  von  Saragossa  (1076),  später  (1085)  an  den  rechtmäfsigen 
Erben  Cädir,  wobei  er  sich  verpflichten  mufste,  Cädir  zum  Besitz 
der  Stadt  zu  verhelfen.  Valencia  war  unterdessen  bei  Abu -Beer 
ibn-Abdalaziz  geblieben.  Als  dieser  starb  (1085)  und  seine  beiden 
Söhne  sich  um  das  Erbe  stritten,  machten  nun  vier  Parteien  auf 
die  Stadt  Anspruch,  die  beiden  Söhne  des  Abu-ßecr  ibn-Abda- 
laziz, Cädir  und  Mostain,  der  König  von  Saragossa.  Cädir  ge- 
langte mit  Hilfe  des  Königs  Alfonso  in  den  Besitz  der  Stadt. 
Die  Einwohner,  zu  schwer  bedrückt  durch  harte  Steuern,  die 
Cädir  ihnen  auferlegte,  beschlossen  die  Stadt  dem  Bruder  des 
Königs  von  Saragossa,  Mondzir,  in  die  Hände  zu  spielen.  Rodrigo 
versprach  sowohl  Mostain  wie  Mondzir  zum  Besitze  der  Stadt  zu 
verhelfen  und  riet  Cädir,  Valencia  unter  keinen  Umständen  aus- 
zuliefern. Dem  König  Alfonso  verhehlte  er  keineswegs  seine  Absicht 
die  Mauren  zu  schwächen  und  das  ganze  Land  dem  König  zu 
unterwerfen.  Es  ist  also  eine  sehr  zweideutige  Rolle,  die  Rodrigo 
hier  gespielt  hat.  Mit  Alfonso  traf  er  io8g  zusammen.  Dieser 
nahm  ihn  sehr  gütig  auf.  Jedoch  dauerte  das  gute  Einvernehmen 
nicht  lange.  Infolge  verläumderischer  Einflüsterungen  entzog  ihm 
Alfonso  abermals  seine  Gunst.  Wieder  war  Rodrigo  sich  und 
seiner  Tapferkeit  allein  überlassen,  doch  gelang  es  ihm  mehrere 
Herrscher  tributpflichtig  zu  machen,  so  auch  Cädir,  der  im  Besitze 
der  Stadt  Valencia  blieb.  Die  nächste  gröfsere  Waffentat  war  ein 
Sieg  über  Berengar  von  Barcelona,  Dieser  geriet  in  Gefangenschaft; 
durch  den  Edelmut  Rodrigos  indes  wieder  freigelassen,  wurde  er 
dessen  Verbündeter.  Um  sich  König  Alfonso  wieder  zu  nähern, 
gab  Rodrigo  die  Belagerung  von  Livia  auf  und  verband  sich  mit 
ihm  gegen  die  Almoraviden.  Der  König  zeigte  sich  auch  diesmal 
wieder  undankbar  und  wollte  Rodrigo  wegen  einer  Geringfügigkeit 
sogar  gefangen  setzen.  Als  dieser  im  Dunkel  der  Nacht  entkam, 
fafste  Alfonso  den  Plan  aus  Rache  Valencia  zu  belagern.  Rodrigo 
verheerte  indes  die  Lande  des  Königs  derart,  dafs  dieser  sich 
genötigt  sah,  die  Belagerung  von  Valencia  aufzugeben,  um  seine 
eigenen  Ländereien  schützen  zu  können. 

In  Valencia  war  der  bisherige  König  Cädir  ermordet  worden 
(1092).  Die  unter  den  Bürgern  ausgebrochene  Uneinigkeit  benützte 
Rodrigo  um  sich  der  beiden  Vorstädte  Villanueva  und  al  Cudia 
zu  bemächtigen  und  die  Stadt  zu  belagern.  Durch  die  furchtbarste 
Hungersnot  gezwungen,  mufste  sie  sich  am  15.  Juni  1094  ergeben. 
Gegen  das  Oberhaupt  der  Stadt,  den  meineidigen  Ibn-Dchahhäf 
verfuhr  Rodrigo  aufs  grausamste.  Die  Eroberung  von  Valencia 
bedeutet    den   Höhepunkt   in    der    Siegeslaufbahn    des    Cid.i      Sein 

1  Cid  vom  arabischen  el.  Sejjid,  der  Herr. 


Streben  ging  jedoch  dahin,  die  Mauren  vollständig  aus  Spanien  zu 
vertreiben.  Zu  diesem  Zwecke  unternahm  er  noch  mehrere  sieg- 
reiche Feldzüge  nach  dem  Süden,  so  nach  Almenara  und  nach 
Murviedro.  Als  er  aber  durch  Alter  und  Krankheit  gezwungen 
nicht  mehr  an  der  Spitze  seiner  Truppen  kämpfen  konnte,  erlagen 
diese  den  Alauren  und  nur  wenige  flüchteten  sich  nach  Valencia 
zurück.  Dieser  Schlag  ging  dem  Helden  so  nahe,  dafs  er  nach 
einer  fünfjährigen  Herrschaft  über  Valencia  starb  (Juli  1099).  Er 
wurde  von  seiner  Gattin  Jimene  zum  Kloster  San  Pedro  de  Cardena 
bei  Burgos  gebracht,  woselbst  er  feierlichst  bestattet  wurde,  und, 
wenn  auch  mehrmals  an  verschiedene  Plätze  versetzt,  1  heute  noch 
ruht.  Jimene  überlebte  ihren  Gatten  fünf  Jahre  und  wurde  nach 
ihrem  Tode  neben  ihm  beigesetzt  (1104).  Eine  ihrer  beiden 
Töchter  v^urde  die  Gemahlin  des  Infanten  Don  Ramiro,^  die  andere 
verheiratete  sich  mit  Ramor  Berengar  III.  von  Barcelona. 

Unsere  Darstellung  des  historischen  Cid  können  wir  wohl  am 
besten  schliefsen  mit  der  kurzen  Charakteristik,  die  sein  Zeitgenosse 
und  politischer  Gegner  Ibn-Bassäm  in  seiner  Literaturgeschichte 
von  ihm  gibt,  indem  er  sagt!'^ 

La  pinssance  de  ce  tyran  alla  toujours  en  croissantj  de  sorte  quil 
fut  un  lourd  fardeau  pour  les  contrces  basses  et  pour  les  conträs 
elevees,  et  qiüil  remplit  de  crainte  les  nobles  et  les  rotiiriers.  Quelqiüun 
7n!a  raconte  Vavoir  entenda  dire,  dans  im  vioment  oü  ses  desirs  itaient 
trh  vi/s  et  oü  son  avidite  etait  extreme:  Sons  un  Rodrigue  cette 
Pcninsule  a  ,'fe  ronqin'se,  mais  un  aiitre  la  delivrera ;  parole  qui  re?nplä 
les  Coeurs  d^epotivanle,  et  qui  fit  penser  aux  hotnmes  qiie  ce  qu'ils 
craignaient  et  redoutaient ,  arriverait  bientotl  Pourtant  cet  homme,  le 
fleau  de  son  temps,  etait  par  so?i  amour  pour  la  gloire,  par  la  prudente 
f erntete  de  son  car acter e  et  par  son  courage  heroique,  un  des  miracles 
du  Seigneur. 

II.    Der  Cid  in  der  Poesie.^ 

Für  den  Gegenstand  unserer  Darstellung  kommt  als  gemein- 
same Quelle  aller  dramatischen  Bearbeitungen  jedoch  der  Cid  in 
Betraclit,  wie  ihn  uns  die  Poesie,  vor  allem  die  Romanzen,  schildern. 
Diese  Romanzen  gehen  auf  verschiedene  ältere  Denkmäler  kastilischer 
Sprache  und  Poesie  mittelbar  oder  unmittelbar  zurück. 

Noch  zu  Lebzeiten  des  Cid  entstand  ein  lateinischer  Hymnus, 
der    seinen  Ruhm    besingt,^    bald   ..nach  seinem  Tode  wurde  seine 


1  Siehe  darüber  Ticknor,  Geschichte  der  schönen  Literatur  in  Spanien. 
(Neue  Ausgabe  1867.  2  Bde.  u.  Supplementband.)  Bd.  I.  Anmerkung  2  zu 
pag.  138. 

'■^  Vergl.  Sandoval ,  Historia  de  los  reyes  de  Castilla  y  de  Leon ,  Dona 
Urraca.     Madrid  1792,  pag.  4  u.   5. 

3  Französische  Übersetzung  bei  Dozy,  1.  c,  pag.  22. 

■•  Vergl.  hiezu  Dozy,  1.  c,  ]I,  197  ff.  sowie  Puymaigre  1.  c,  I,  I37ff. 

^  Baist,  Die  spanische  Literatur  in  Grdr.  der  rom.  Phil.,  II,  2,  396  und 
ZrPh.  V,  64.  Abgedruckt  von  Edelstand  du  Meril  in  Poesies  populaires 
latines  du  moyen  äge,     Paris   1847.     pp.  284 — 314. 


Biographie  in  rauhem  Latein  geschrieben  '  und  zur  Enkelzeit  (zwischen 
1147  und   1157)  sagt  das   Carmen  von  Almeria  von  ihm: 

De  quo  cantatur  quod  ab  hostibus  haud  superatur, 

womit  nur  die  Volkssprache  gemeint  sein  kann'".^ 

Um  dieselbe  Zeit  scheint  das  Poema  del  Cid,"^  das  älteste 
Denkmal  kastilischer  Poesie  entstanden  zu  sein.  Es  schliefst  sich 
keineswegs  an  die  geschichtlichen  Ereignisse  an  mit  Ausnahme  des 
Rahmens  in  dem  uns  die  Dichtung  den  Cid  vorführt. 

Das  Gedicht  beginnt  mit  der  Verbannung  des  Cid,  seiner 
List,  wie  er  von  2  Juden  600  Mark  als  Darlehen  zu  erhalten  suchte, 
und  mit  seinem  Abzüge  aus  Castilien.  Seine  Gemahlin  und  seine 
Töchter  läfst  er  im  Kloster  von  San  Pedro  de  Cardena  (i — 375). 
Des  weiteren  erzählt  uns  das  Poema  von  der  Siegeslaufbahn  des 
Cid,  von  seinen  Siegen  über  die  Mauren  und  von  der  Belagerung 
von  Valencia  (376 — 1834).  Dann  erscheint  die  Sage  von  den 
Infanten  von  Carrion,  Diego  und  Fernando,  welche  die  Töchter 
des  Cid  als  Gattinnen  begehren.  Der  Cid  gibt  seine  Zustimmung 
nur  deshalb,  weil  der  König  diese  Heirat  wünscht.  Nach  der 
Hochzeit  jedoch  mifshandeln  die  Infanten  ihre  Gattinnen  mitten 
im  Walde  und  ziehen  dann,  sie  einsam  zurücklassend,  ab.  Felez 
Munoz  findet  die  armen  Frauen  und  bringt  sie  zurück  nach  Valencia 
(1335 — 2897).  Der  Cid  verlangt  Genugtuung,  welche  ihm  auch 
zuteil  wird.  Die  Infanten  werden  empfindlich  gestraft,  die  Töchter 
des  Cid  vermählen  sich  mit  den  Infanten  von  Navarra  und  Aragon 
(2898 — 3739).  So  kann  der  Verfasser  des  Poema  zum  Schlüsse 
seines  Gedichtes  vom  Cid  sagen : 

Oy  los  rreyes  d  Espaiia  sos  parientes  son  (V.  3723). 

Etwas   später    als    das  Poema    ist   die   sogenannte  Crömca  rimada'^ 
entstanden. 


^  Abgedruckt  bei  Risco,  a.  a.  O.  (siehe  dazu  oben  pag.  i). 

'■*  Baist,  1.  c,  pag.  396.     [Grdr.  II,  2). 

^  Zum  Poema  del  Cid  vergl.  aufserdem  Fitzmaurice-Kelly,  A  History 
of  Spanish  Lüera'tire.  London  1907.  pp.  47 — 53-  Rios  1.  c,  tom.  III,  pp.  I15 
— 218  ferner  Menendez  Pidal,  Caiitar  del  t?no  Cid.  Madrid  1908.  I.  Band. 
Ausgaben  von  Sanchez,  Colecciön  de  poesias  castellanas  anteriores  al 
siglo  XV.  Madrid  1779 — 1790.  Schubert,  Biblioteca  casteliana,  portugnez  y 
proverizal.  Altenbuig  1S04.  Eug.  de  Ochoa.  Paris  1842.  Biblioteca  de 
autores  espanoles ,  tom.  57.  Karl  Vollmöller,  Halle  1879.  Menendez  Pidal. 
Madrid  1900.  Archer  M.  Huntington,  Poem  of  the  Cid.  New  York  1897 — 
1902.  Deutsche  Übersetzung  von  O.  L.  B.  Wolff.  Jena  1850.  Wir  zitieren 
nach  K.  Vollmöller's  Ausgabe. 

*  Herausgegeben  von  Fr.  Michel  in  den  Wiener  Jahrbüchern  der 
Literatur  CXVI  (1846).  Duran,  Romancero  general  II  =^  Band  16  der 
Bibl.  de  aut.  esp.  pp.  647 — 664  (mit  Einleitung).  Vergleiche  auch  Huber, 
Chronica  del  famoso  Caballero  Cid  Ruy  diez  Campeador,  Marburg  1844. 
pag.  CXLV — CXLVIII  (Manuskript  No.  9988  der  Pariser  Nalionalbibliothek) 
und  Ochoa,  Catdlogo  razoiiado  de  los  Mss.  esp.  exist.  en  la  biblioteca  real  de 
Paris  (pp.  105 — iio),  sowie  die  Ausführungen  bei  Rios,  I.e.,  tom.  III, 
pp.  67 — 112. 


Die  Zeit  ihrer  Entstehung  ist  noch  unsicher;  man  schwankt 
zwischen  der  Mitte  des  12.  und  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts. 
Riosi  nimmt  das  12.  Jahrhundert  an,  während  Dozy2  sie  vei-s  la 
fin  du  XII ^  Oll  au  commencement  du  XIII ^  siede,  und  Baist^  sie 
erst  in  das  Ende  des   13.  Jahrhunderts  verlegt. 

Die  Crönica  rimada  berichtet  von  den  Ereignissen  in  Spanien 
seit  dem  Tode  König  Pelayos  bis  zu  D,  Fernando  dem  Grofsen 
und  eingehender  von  den  Taten  des  Cid.  Erst  ist  ein  kurzer 
Abschnitt  in  Prosa  geschrieben ;  die  darauffolgenden  Verse  können 
auf  poetischen  Wert  keinen  Anspruch  machen. 

Der  Cid  tritt  hier  mit  12  Jahren  zum  erstenmal  auf  in  einem 
Kampfe  gegen  den  Grafen  Don  Gomes  und  seine  INIannen,  welche 
die  Hirten  des  Diego  Lainez  geschlagen  und  die  Herde  geraubt 
hatten  (V.  280  IT.).  Der  Graf  wird  vom  Cid  getötet  ca  no  lo  pudo 
fardar  (306),  die  zwei  Söhne  des  Grafen  gefangen  genommen  (309). 
Als  die  Töchter  Don  Gomes'  Elvira,  Aidonsa  und  Jimena,  den 
Tod  ihres  Vaters  und  die  Gefangennahme  ihrer  Brüder  erfahren 
hatten,  gingen  sie  zu  Don  Diego  und  auf  ihre  Bitten  wurden  ihnen 
die  Brüder  zurückgegeben  (3 1 5  ff.).  Diese,  voll  Rachegefühl,  wollen 
nach  15  Tagen  Bivar  verbrennen.  Doch  Jimena  wünscht,  dafs 
ihre  Brüder  por  amor  de  caridat  (338)  sich  mäfsigen  und  schickt 
sich  an  nach  Zamora  zum  König  D.  Fernando  zu  gehen  und  bei 
diesem  ihre  Klagen  vorzubringen  (339  ff.). 

Als  Don  Fernando  aber  erklärt,  dafs  er  einen  Aufstand  der 
Castilianer  befürchte,  rät  ihm  Jimena  den  Streit  dadurch  beizulegen, 
dafs  ihr  der  Cid  zum  Gemahle  gegeben  wird  (357).  Nun  wird  ein 
Bote  abgesandt,  um  D.  Diego  und  seinem  Sohn  Rodrigo  davon 
JNIitteilung  zu  machen.  D.  Diego  jedoch  der  INIeinung,  dafs  er 
wegen  des  Todes  des  Grafen  Gomes  zur  Rechenschaft  gezogen 
werde  (V.  37 1  ff.)  beschliefst  ohne  seinen  Sohn  an  den  Hof  zu 
gehen,  Rodrigo  möge  sich  unterdessen  bei  seinem  Onkel  Ruy  Laines, 
im  Falle,  dafs  der  König  seinen  Vater  töten  sollte,  zur  Rache  vor- 
bereiten. Der  junge  Held  folgt  der  Aufforderung  seines  Vaters 
nicht,  sondern  begleitet  ihn  mit  300  Rittern  an  den  Hof  (390  ff.). 
Der  Cid  ist  ungehalten  darüber,  dafs  sein  Vater  dem  König  die 
Hand  küfst.  Letzterer  läfst  Jimena  vorführen  und  verheiratet  sie 
mit  dem  Cid.     Dieser  antwortet  sehr  charakteristisch  darauf: 

Senor,  vos  me  despossastes  mas  a  mi  pessar  que  de  grado 

mas  prometolo  a  Christus  que  vos  no  besse  la  mano 

nin  me  vea  con  ella  en  yermo  nin  en  poblado, 

ffasta  que  vensa  cinco  lides  en  buena  lid  en  campo.     (V.  4i9ff.) 

Als  der  König  dies  hört,  spricht  er  (V.  424): 

No  es  este  ombre,  mas  ligura  ha  de  peccado. 


>  L.  c.  III,  112. 
2  L.  c.  II.  86. 

^  L.  c.  pag.  399. 


8 

Nun  folgt  die  Schilderung  der  Kämpfe  des  Cid.  Es  raufs  auffallen, 
welch  klägliche  Rolle  der  König  spielt;  er  ist  dem  Cid  gegenüber 
ganz  willenslos.  Der  Cid  jedoch  erscheint  als  ein  Held,  der  sich 
durch  nichts  einschüchtern  läfst,  seinen  Willen  stets  durchsetzt  und 
einen  Sieg  nach  dem  anderen  erringt.  Auch  der  religiöse  Sinn 
des  Cid  kommt  zum  Ausdruck,  so  ganz  besonders  in  der  Episode 
mit  dem  Aussätzigen,  der  sich  als  der  h.  Lazarus  entpuppt  (V.  557 
— 580).  Zum  Schlüsse  trägt  der  Papst  dem  Cid  die  Kaiser- 
krone von  Spanien  an  (1065).  Der  Cid  schlägt  sie  aus  um  un- 
abhängiger zu  sein ;  denn  nach  dem  Gedichte  besitzt  er  schon 
mehr  Macht  als  die  Könige  von  Spanien.  Mitten  in  diesen  Reden 
und  Gegenreden  bricht  das  Gedicht  ab. 

Vergleichen  wir  den  Cid  des  Poema  mit  dem  der  Crönica 
riniada,  so  fällt  uns  sofort  auf,  dafs  wir  es  mit  zwei  grundver- 
schiedenen Charakteren  zu  tun  haben.  Das  Poema  zeigt  uns  den 
Cid  als  einen  Verehrer  des  Königtums,  als  einen  treuen  Untertanen 
seines  Königs,  dessen  Gunst  er  durch  verleumderische  Zungen  ver- 
loren hat,  den  er  aber  gleichwohl  auch  in  der  Verbannung  als 
seinen  Herrn  anerkennt.  Die  Crönica  rimada  andrerseits  führt 
uns  den  Cid  vor  als  Befehlshaber  seiner  Truppen,  der  selbst 
seinen  König  beherrschen  will  und  ihn  fast  als  seinen  Vasallen 
behandelt. 

Über  den  tieferen  Grund  dieser  verschiedenen  Charakterzüge 
des  Cid,  auf  die  wir  uns  hier  nicht  näher  einlassen  können,  ver- 
gleiche man  Duran,i  der  diese  Gegensätze  mit  den  damaligen 
politischen  Verhältnissen  in  Spanien  in  Verbindung  bringt  und 
Dozy,2  der  sie  als  den  Ausdruck  verschiedener  Epochen  be- 
trachtet. 

Eine  fortlaufende  Erzählung  vom  Leben  und  den  Taten  des 
Cid  gibt  uns  die  Crönica  ge7ieral.'^  Sie  verdankt  ihre  Entstehung 
dem  gelehrten  Könige  Spaniens,  Alfonso  X  (1252  — 1284)  und 
erzählt  die  Geschichte  Spaniens  von  der  Zeit  der  römischen 
Eroberung  bis  zum  Regierungsantritte  Alfonsos  X.  Dabei  be- 
nützte der  Verfasser  neben  lateinischen  Chroniken  auch  spanische 
Volkslieder,  welche  historische  Ereignisse  zum  Gegenstande  ihrer 
Darstellung  machten.  Aufserdem  dienten  ihm  noch  arabische  Be- 
richte als  Quellen.  Obgleich  nicht  alle  in  der  Cröftüa  general  ent- 
haltenen als  historisch  erzählten  Ereignisse  der  Kritik  standhalten 
können,  so  hat  sie  doch  das  unschätzbare  Verdienst  uns  erzählende 
Gedichte  überliefert  zu  haben,  die  sonst  verloren  gegangen  wären. 
Die  Crönica  zerfällt  in  vier  Teile.     Mehr  als  die  Hälfte  des  vierten 


^  Romancero  general  (Madrid  1882)  II,  p.  665  [Bibl.  de  aiit.  esp.  tom.  16). 

2  L.  c.  II,  pag.  215. 

'  Verfjl.  Dozy,  1.  c.  II,  30  ff.  und  Rios,  1.  c.  tom.  III,  pp.  565  ff.  Heraus- 
gegeben V.  Ocampo,  Zamora  1541  dann  Valladolid  1604.  Eine  neue  Ausgabe 
von  Ramön  Menendez  Pidal  ist  im  Erscheinen  begriffen.  (Bis  jetzt  der  i.  Band 
erschienen.) 


Teiles  handelt  vom  Cid.i  Die  in  die  Crönica  general  aufgenommenen 
nicht  historischen  Züge  des  Cid  sind:  Der  Tod  des  Grafen  Gormas, 
der  Feldzug  Rodrigos  gegen  Frankreich,  sein  Sieg  über  den  Grafen 
von  Savoyen,  die  Heirat  der  Töchter  des  Cid  mit  den  Infanten 
von  Carrion,  deren  schmählicher  Verrat,  wie  der  Cid  gerächt  wird, 
ferner  die  Episode  mit  dem  Aussätzigen,  unter  dessen  Gestalt  sich 
der  hl.  Lazarus  verbirgt. 

In  den  hauptsächlichsten  Zügen  stimmt  die  Crönica  general  mit 
der  Crönica  rimada  überein.  Sie  reicht  jedoch  noch  weiter  als 
diese,  indem  sie  uns  auch  vom  Tode  des  Cid  und  seiner  An- 
gehörigen berichtet  und  verschiedene  Wunder  erzählt,  die  am  Grabe 
des  Cid  geschehen  sein  sollen. 

Der  Crönica  general  folgen  „die  Geschichtschreiber  im  14.  und 
15.  Jahrhundert.  Die  Masse  der  Romanzen  geht  unmittelbar  oder 
mittelbar  auf  sie  zurück,  nur  bei  sehr  wenigen  kann  Unabhänigkeit 
vielleicht  vermutet,  bei  keiner  bewiesen  werden.  Was  sie  über  den 
Cid  berichtet,  erlangte  eine  noch  verstärkte  Verbreitung  durch  einen 
Auszug:  die  Crönica  pariicular  del  Cid,"^  welche  dem  16.  Jahrhundert 
mafsgebend  war, "  3 

Die  Romanzen  vom  Cid. 

Eine  Zusammenfassung  aller  bis  jetzt  besprochenen  poetischen 
Quellen  des  Cid  gibt  der  Romancero  del  Cid  eine  Sammlung  von 
Romanzen,  die  den  Cid  zum  Gegenstande  ihrer  Darstellung  haben. 
Solche  Romanzen  wurden  zum  erstenmal  gesammelt  von  Juan  de 
Escobar.^  Nach  und  nach  wurden  diese  und  andere  auf  Grund 
der  Escobarschen  Sammlungen  ergänzt,  so  dafs  die  jetzt  voll- 
ständigste Sammlung  205  Romanzen  enthält.^ 


*  Betreff  der  Autorschaft  Alfonsos  dieses  letzten  Teils  vergl.  Dozy  1.  c 
II,  31  ff.,  der  zu  beweisen  sucht,  dafs  der  Teil  der  Crönica,  der  über  den  Cid 
handelt,  eine  Übersetzung  eines  uns  verloren  gegangenen  Berichtes  aus  dem 
Arabischen  ist. 

2  Siehe  hiezu,  wie  zu  allen  einschlägigen  Quellen:  Huber,  Chronica  del 
famoso  .  .  .  Campeador.  Marburg  1844.  Introduccion.  Appendix  pp.  LXXXV 
bis  CXLVIII. 

'  Baist,  1.  c.  pp.  399.     Siehe  die  dort  angegebene  Literatur. 

■*  Juan  de  Escobar,  Romancero  e  historia  del  muy  valeroso  caballero  el 
Cid,  Ruy  Diaz  de    Viar,  en  lenguaje  antiguo,  rec.  Alcalä  16 12. 

^  Romancero  del  Cid.  Nueva  edicion  ailadida  y  reformada  sobra  las 
antigiias  qiie  contiene  doscientos  y  cinco  romances  recopiladox ,  ordeitados ,  y 
puhlicados  por  Carolina  Michaelis.  Leipzig  1871  u.  öfter.  Vergl.  darin  im 
Anhang  den  Catälogo  de  los  documentos  y  fueiites  donde  se  hallan  romances 
del  Cid. 

Sicherlich  könnten  noch  weitere  Romanzen  gefunden  werden,  die  in  der 
Sammlung  von  C.  Michaelis  nicht  enthalten  sind,  so:  So  estos  Reyes  cercanos, 
gedruckt  bei  Gallardo,  Ensayo  de  iina  Biblioteca  Espanola.  Madrid  1863 — 
1889.  Tom.  III,  pag.  I192.  Auch  El  Testamento  del  Cid  von  Lope  de  Vega 
(siehe  Obras  sueltas,  Madrid  1776 — 1779  Tom.  III,  pag.  45S).  Jedoch  scheint 
diese  Romanze  nur  eine  andere,  in  mancher  Hinsicht  erweiterte  Leseart  der 
bei  C.  Michaelis  als  aus  dem  Romancero  general  stammenden  Romanze  193 
zu  sein. 


lO 

Man  kann  den  Inhalt  der  Romanzen  vom  Cid  in  3  Ilaupt- 
teile  zerlegen: 

1.  Leben  und  Taten  des  Cid  unter  der  Regierung  Fernandos  I, 
des  Grofsen  (1063  — 1065),  Romanzen   i  —  45.1 

2.  Der  Cid  unter  Sancho  II,  dem  Tapferen  (1065 — 72)  bis 
zur  Krönung  Alfonsos  VI.,  Belagerung  und  Herausforderung  von 
Zamora  (1072),  Romanzen  46  —  96. 

3.  Der  Cid  unter  der  Regierung  Alfonsos  VI.  (1072  — 1109) 
bis  zu  seinem  Tode   1099.     Romanzen  97 — 205.- 

Die  erste  Romanze  steht  mit  den  folgenden  in  keinem  Zu- 
sammenhang. Sie  erzählt  uns  vom  Cid,  wie  er  mit  10  Jahren 
bereits  als  Richter  auftritt.  In  den  folgenden  erprobt  der  Vater 
des  Cid,  Diego  Lainez,  seine  4  Söhne,  ob  einer  es  wagen  würde 
für  ihn  am  Grafen  Lozano  Rache  zu  nehmen.  Der  jüngste,  Rodrigo, 
tötet  den  Grafen  (2 — 8).  Er  reitet  dann  mit  seinem  Vater  an  den 
Hof  des  Königs  und  tritt  hier  in  verwegenster  Weise  auf  (10).  Die 
Tochter  des  Getöteten,  Jimene,  kommt  ebenfalls  zum  König  und 
erfleht  von  diesem  Genugtuung  für  ihren  Vater  (il  — 16). 

Rodrigos  erste  Waffentat  ist  die  Besiegung  und  Gefangennahme 
von  fünf  Maurenkönigen  (17 — 18).  Jimene  verlangt  als  Sühne  für 
die  Tat  Rodrigos  dessen  Hand.  Die  Hochzeit  wird  mit  grofsem 
Glänze  gefeiert  {17 — 21).  Der  Cid  macht  eine  Wallfahrt  nach 
Santiago  und  trifft  auf  dem  Wege  einen  Aussätzigen,  den  er  in 
seiner  Herberge  aufnimmt  und  welcher  sich  dann  als  der  hl.  Lazarus 
entpuppt  (22 — 23). 3 

Im  folgenden  werden  verschiedene  Kämpfe  mit  den  INIauren 
erzählt  (24,  2% — ,32),  die  Klagen  Jimenens  über  die  stete  Abwesen- 
heit ihres  Gemahles  (25 — 27),  wie  Rodrigo  der  Cid  genannt  wird; 
ferner  erfahren  wir  von  einer  Gesandtschaft  von  fünf  INIaurenkönigen, 
welche  mit  Geschenken  für  den  Cid,  seine  Gattin  und  seine  zwei 
Töchter  zu  diesem  kommen  [t^t^ — 34)-* 

Die  daran  anschliefsenden  Romanzen  zeigen  uns  den  Cid  in 
einem  ganz  anderen  Lichte,  der  Crönica  rmada  entsprechend.  Er 
verteidigt  die  Rechte  des  Königs  gegen  Kaiser  und  Papst,  besiegt 
die  gegen  ihn  gesandten  Heere  (35),  stürzt  beim  Papste  den  Thron 

'  Ich  zitiere  nach  der  Ausgabe  von  Car.  jNIichaelis. 

2  C.  Michaelis  zerlegt  unseren  2.  Teil  in  i.  der  Cid  unter  Sancho  II., 
dem  Tapferen  (Rom.  46 — 70)  und  2.  der  Cid  vom  Tode  Sanchos  II.  bis  zur 
Krönung  Alfonsos  VI.  (71 — 96).  Wir  halten  eine  Dreiteilung  (wie  auch  Duran) 
mit  Rücksicht  auf  die  dramatischen  Bearbeitungen  hier  für  angezeigter. 

*  Ähnliche  Legenden  finden  sich  im  Mittelalter  mehrfach,  so  wird  vom 
hl.  Martin  von  Tours  erzählt ,  dals  er  einem  Bettler  seinen  Mantel  gab  und 
unter  diesem  Bettler  Christus  selbst  sich  verbarg.  Es  wäre  vielleicht  nicht 
uninteressant,  eine  Gruppierung  all  dieser  Legenden  zu  versuchen,  die  Acta 
Sanctorum  würden  hier  wohl  Material  genug  liefern.  Ich  glaube,  dafs  alle 
diese  Legenden  ihren  tieferen  Grund  haben  in  der  aus  der  Bibel  bekannten 
Parabel  vom  barmherzigen  Samariter.     (Evangel.  S.Luc,  cap.  X  v. 30 — 37). 

*  Die  beiden  Töchter  des  Cid  sind  aber  noch  gar  nicht  geboren. 


1 1 

des  Königs  von  Frankreich,  wird  exkommuniziert,  der  Papst  ver- 
zeiht ihm  wieder,  nur  allein  auf  seine  Drohung  hin  (36 — 38). 
Romanze  3g  schliefst  an  25 — 27  an,  Jimene  beklagt  sich,  wie  oben, 
beim  König  über  die  stete  Abwesenheit  ihres  Gemahls.  Sie  trägt 
bereits  neun  Monate  ein  Kind  unter  ihrem  Herzen.  Die  folgende 
Romanze  (40)  bringt  uns  die  Antwort  des  Königs  und  Glückwünsche 
zur  Geburt,  ferner  Jimenens  ersten  Kirchengang  als  Wöchnerin  mit 
dem  König  (41).  Romanzen  42  —  45  sind  dem  Schlüsse  der 
Regierungszeit  König  Fernandos  gewidmet.  Er  macht  sein  Testa- 
ment, seine  Tochter  Urraca  beklagt  sich  leer  ausgegangen  zu  sein, 
und  erhält  daraufhin  Zamora. 

Der  zweite  Teil  der  Romanzen  erzählt  von  D.  Sancho,  der 
Alleinherrscher  sein  will  und  deshalb  seine  Geschwister  bekämpft. 
Er  wird  jedoch  von  seinem  Bruder  Garcia  gefangen  genommen; 
durch  Alvar  Fafiez  befreit,  besiegt  er  mit  Hilfe  des  Cid  Garcia. 
Mit  Alfonso  ergeht  es  Sancho  ähnlich.  Er  wird  geschlagen,  greift 
aber  auf  den  Rat  des  Cid  hin  nochmals  an  und  Alfonso  erleidet 
eine  vollständige  Niederlage  (46 — 50).  Dieser  flüchtet  nach  Toledo 
(51).  Der  Cid  wird  von  Sancho  nach  Zamora  gesandt,  um  Urraca 
zur  Übergabe  zu  bewegen.  Diese  will  lieber  sterben  als  die  Stadt 
ausliefern  (52 — 56).  Daraufhin  wird  der  Cid  vom  König  verbannt, 
geht  nach  Toledo,  wird  aber  bald  wieder  zurückgerufen  (57).  Nun 
folgen  die  Belagerung  und  die  Zweikämpfe  von  Zamora  (5g — 63). 
Zwei  Kastilianer  werden  von  zwei  Zamoranern  besiegt,  andere  zwei 
kämpfen  gegen  sieben  Kastilianer,  von  denen  sechs  getötet  wurden, 
während  der  siebente  die  Flucht  ergreift  (5g — 60).  König  Sancho 
wird  durch  den  Verräter  Bellido  Dolfos  ermordet.  Trauer  um  den 
König  (64 — 70). 

Im  weiteren  Verlaufe  nimmt  der  Cid  an  der  Belagerung  Zamoras 
nicht  teil,  da  er  geschworen  hat  nicht  gegen  Urraca  zu  kämpfen. 
So  folgt  die  Herausforderung  und  der  Zweikampf  des  Diego  Ordonez 
mit  Arias  Gonzalo  und  seinen  vier  Söhnen.  Die  beiden  ersten 
fallen  im  Kampf,  für  den  Dritten,  der  tödlich  verwundet  wird, 
ist  der  Ausgang  unentschieden.  Arias  Gonzalo  und  Diego  Ordonez 
reichen  sich  die  Hand  zur  Versöhnung  (71  —  g5).  Die  letzte 
Romanze  (g6)  dieses  Zyklus  erzählt  uns  von  der  Botschaft  Urracas 
an  Alfonso,  der  jetzt  König  wird.  Der  Cid  verlangt  die  Eidaussage 
des  Königs,  dafs  dieser  an  dem  Morde  seines  Bruders  nicht  be- 
teiligt gewesen  sei.  Alfonso  flieht  aus  Toledo  und  kommt  nach 
Zamora.  Der  Schwur,  den  der  Cid  fordert,  wird  in  Santa  Gadea 
geleistet. 

Der  dritte  und  letzte  Teil  der  Romanzen  vom  Cid  ist  zugleich 
der  umfangreichste.  Er  beginnt  mit  einer  detaillierten  Schilderung 
der  Vorgänge  nach  dem  Tode  König  Sanchos,  besonders  der  Eides- 
leistung des  neuen  Königs  Alfonso,  seines  darüber  entstandenen 
Unwillens  und  der  Verbannung  des  Cid  (g7 — 103).  Die  folgende 
eingeschobene  Romanze  behandelt  eine  kurze  Episode  bei  der  An- 
kunft  des    Königs  Alfonso  vor  Zamora.     Er  verliebt   sich   in   seine 


12 

eigene  Schwester  ohne  sie  zu  erkennen.  Als  er  die  Wahrheit  er- 
fährt, verwandelt  sich  seine  Liebe  in  Hafs  und  er  will,  man  solie 
auf  sie  schiefsen.  Der  Cid  tritt  ihm  hier  energisch  entgegen  (104). 
In  Romanze  105  geht  der  Cid  als  Gesandter  zum  König  von  Sevilla 
und  besiegt  den  König  von  Granada  und  seine  Helfershelfer,  die 
gegen  Sevilla  anrücken.  Dann  folgt  die  Verbannung  des  Cid, 
seine  Verteidigung  dem  Könige  gegenüber,  seine  Vorbereitungen 
zur  Abreise.  Er  überlistet  zwei  Juden,  indem  er  ihnen  als  Pfand 
für  1000  Gulden  zwei  mit  Sand  gefüllte  verschlossene  Kisten  gibt 
(106 — 115).  Während  seiner  Verbannung  macht  er  mehrere  Er- 
oberungszüge und  bezahlt  mit  Hilfe  der  erbeuteten  Schätze  auch 
die  Juden  wieder.  Einen  anderen  Teil  seiner  Beute  sendet  er  dem 
König  Alfonso  (i  16  — 123).  Jetzt  wird  der  Cid  wieder  in  Gnaden  auf- 
genommen (124 — 125).  Nun  beginnt  die  Belagerung  von  Valencia. 
Zuerst  wird  die  Episode  mit  ^Martin  Pelaez  erzählt,  der  feige  aus 
der  Schlacht  flieht,  vom  Cid  darüber  zur  Rede  gestellt,  die  gröfsten 
Heldentaten  verrichtet  (126  — 133).  Die  Stadt  wird  schliefslich 
erobert,  der  Cid  schickt  reiche  Geschenke  an  den  König  und  dankt 
Gott  in  San  Pedro  de  Cardena  für  die  Eroberung  von  Valencia. 
Der  König  wünscht  die  Töchter  des  Cid  mit  den  Infanten  von 
Carrion  vermählt  zu  sehen.  Nur  aus  Gehorsam  gegen  den  König 
willigt  der  Cid  ein  (134  — 142).  Aber  bald  zeigt  sich  die  Feigheit 
der  Infanten;  vom  Cid  zur  Rede  gestellt,  schwören  sie  Rache 
(143 — 145)-  Als  König  Bucar  die  Stadt  Valencia  bestürmt,  wird 
er  entscheidend  geschlagen  (146  — 151)-  Darauf  ziehen  die  Infanten 
von  Carrion  mit  ihren  GemahHnnen  ab  und  vollführen  ihren  Rache- 
plan, indem  sie  die  beiden  Töchter  des  Cid  im  Walde  nackt  zurück- 
lassen. Diese  werden  jedoch  von  ihrem  Oheim  Ordonez  gefunden 
und  nach  Valencia  zurückgebracht  (152  — 160).  Der  Cid  erhebt 
beim  König  Anklage  gegen  die  Treulosen.  Hier  wird  ihm  volles 
Recht  zuteil;  die  Infanten  müssen  einen  Zweikampf  bestehen,  in 
dem  sie  schmählich  unterliegen  (161 — 183).  Inzwischen  werben 
zwei  Königssöhne,  die  Infanten  von  Navarra  und  Aragon  um  die 
beiden  Töchter  des  Cid  (184 — 185). 

Der  weitere  Verlauf  zeigt  uns  den  Ruhm  des  Cid  als  Herrn 
von  Valencia;  sogar  der  Sultan  von  Persien  sendet  ihm  Geschenke 
(186).  Als  König  Bucar  ein  zweitesmal  gegen  Valencia  zieht,  ist 
der  Cid  krank  und  der  hl.  Petrus  verkündet  ihm  seinen  baldigen 
Tod  (187 — 188).  Doch  auch  als  Toter  besiegt  er  noch  seine 
Feinde.  Sein  Leichnam  wird  seinem  Wunsche  gemäfs  auf  sein 
Pferd  gebunden  und  so  reitet  er  mit  in  die  Schlacht,  die  zu  Gunsten 
der  Christen  entschieden  wird  (i8q  — 198).  Dann  wird  der  Leichnam 
nach  San  Pedro  de  Cardeiia  gebracht  und  dort  zuerst  am  Hoch- 
altar zur  Schau  gestellt,  wo  er  über  zehn  Jahre  unverwest  bleibt 
199  —  200).  An  seinem  Grabe  geschehen  Wunder;  ein  Jude  be- 
kehrt sich  zum  Christentum.  Don  Sancho,  der  Enkel  des  Cid, 
legt  die  Kriegsbeute,  die  or  den  Castiliern  abgenommen,  am  Grabe 
seines  grofsen  Ahnen  nieder  (200 — 205). 


13 

Dem  Roviancero  del  Cid  fehlt  natürlich  jene  Einheit,  die  ein 
von  einem  einzigen  Verfasser  herrührendes  Gedicht  haben  müfste. 
Während  der  Cid  in  einigen  Romanzen  einen  unbeugsamen,  trotzigen 
Willen  kundgibt,  zeigt  er  sich  in  anderen  als  demütiger  Vasall 
seines  Königs  und  als  treuer,  hingebender  Gatte  Jiraenens.  Seine 
Freude  am  Rauben  und  Plündern  pafst  wenig  zu  seinem  Ver- 
kehr mit  den  Heiligen  des  Himmels  und  zu  seiner  übersteigerten 
Frömmigkeit;  auch  dürfte  sich  der  heifse  Durst  nach  Rache 
schwerlich  mit  seinem  sonstigen  christlichen  Denken  und  Fühlen 
in  Einklang  bringen  lassen.  Jedoch,  wie  dem  auch  sei,  diese 
Verschiedenheit  in  der  Charakterdarstellung  des  Cid  erklärt  sich 
eben  daraus,  dafs  die  Romanzen  zu  verschiedenen  Zeiten  und 
von  verschiedenen  Autoren  verfafst  sind  und  so  die  Auffassung 
der  PersönUchkeit  des  Cid  einmal  mehr  dem  Poema  del  Cid,  ein 
andermal  mehr  der   Crönica  rmada  entspricht. 

Schon  aus  der  obigen,  nur  kurzen  Inhaltsangabe  dürfte  hervor- 
gehen, welche  Fülle  von  dramatischen  Stoffen  im  Roinancero  ver- 
borgen liegt  1  und  es  ist  daher  kein  Wunder,  wenn  die  dramatischen 
Dichter  der  folgenden  Jahrhunderte  sich,  wie  so  vieler  anderer 
Romanzenstoffe,  auch  der  Geschichte  des  Cid  bemächtigten,  zu- 
mal viele  der  Romanzen  sich  mündlich  von  Geschlecht  zu  Ge- 
schlecht forterbten  und  im  wahrsten  Sinne  des  Wortes  Gemeingut 
des  spanischen  Volkes  wurden. 

Von  den  dramatischen  Bearbeitungen,  besonders  der  älteren 
Zeit,  sind  nicht  alle  auf  uns  gekommen,  manche  nur  handschriftlich 
erhalten.2 

In  vorliegender  Arbeit  können  nur  diejenigen  bekannten  Dramen 
des  i6.  und  17.  Jahrhunderts  Berücksichtigung  finden,  die  wirklich 
gedruckt  wurden.     Es  sind  dies  folgende: 

I.  Dramen,  welche  die  Jugendtaten  des  Cid  behandeln  (ent- 
sprechend dem   I.  Teil  des  Romancero): 

1.  Guillen    de    Castro,    Las    Mocedades    del    Cid.      P  parte. 
1612  — 13.3 

2.  Diamante,  El  Honrador  de  su  padre.      1658.2 

II.  Dramen,  welchen  die  Kämpfe  um  Zainora  resp.  Toro  zu- 
grunde liegen  (entsprechend  dem  2.  Teil  der  Romanzen): 

1 .  Juan  de  la  Cueva,  Comedia  de  la  Muerte  del  Rey  Don  Sancho, 
y  Reto  de  Zaviora  por  Don  Diego  Ordonez.      157g.'* 

2.  Guillen    de    Castro,    Las    Mocedades    del    Cid.      11^    parte. 
1612 — 13.2 


^  Vergleiche  zu  dem  Zusammenhang  der  Romanzen  mit  dem  Drama: 
Schack,  Geschichte  der  dramatischen  Literatur  und  Kunst  in  Spanieti. 
2.  Aufl.  Frankfurt  a.  M.   1S54.  (3  ßde).    Band  I,  pag.  I04ff. 

*  Vergl.  hiezu  die  Zusammenstellung  am  Schlüsse  dieser  Arbeit. 

3  Erster  bekannter  Druck. 

^  Erste  Aufführun". 


14 

3.  Lope  de  Vega,  Las  almenas  de  loro.      l6i8 — 19J 

4.  Matos  Fragoso,  No  estd  en  matar  el  vencer.      1668.2 

5.  Diamante,  El  cerco  de  Zamora.      1674,2 

III.  Dramen,  die  den  Cid  unter  Alfonso  VI.,  die  Episoden  mit 
Martin  Pelaez  und  den  Infanten  von  Carrion,  sowie  die  Eroberung 
von  Valencia  und  den  Tod  des  Cid  zum  Inhalt  haben  (entsprechend 
dem  3.  Teil  des  Romancero): 

1.  Anonym,  Las  Hazanas  del  Cid  y  su  miierte.      1603.2 

2.  Tirso  de  Molina,  La  conquista  de    Valencia  por  el  Cid.    ? 

3.  Matos  Fragoso,  El  atnor  haze  valientes.      1658.2 

4.  Zärate,  El  noble  siempre  es  valiente   16 60. 3 

5.  Polo,  El  Honrador  de  sus  hijas.      1665.2 

IV.  Dramen,  die  den  Cid  in  burlesker  Weise  behandeln: 

1.  Cancer  y  Velasco,  Las  Mocedades  del  Cid.      1673.2 

2.  Quiros,  El  Hermano  de  su  Hennana.      1656.2 


I.  Dramen, 
die  die  Jugendtaten  des  Cid  behandeln. 

I.   Guillen  de  Castro:   Las  Mocedades  del  Cid. 
Primera  parte. 

Guillen  de  Castro  (1569 — 163 1)  schrieb  2  Dramen  über  den 
Cid :  Las  Mocedades  del  Cid.  Primera  parte  y  segunda  parte.  Vom 
ersten  Stücke,  das  uns  hier  zunächst  beschäftigt,  existiert  eine 
Handschrift  in  der  Biblioteca  Nacional  zu  Madrid.^  Sie  ist  aus 
dem  17.  Pahrhundert.  Gedruckt  wurde  das  Drama  zum  erstenmale, 
wie  Stiefel^  nachgewiesen  hat,  1612/13.  Die  älteste  uns  erhaltene 
Ausgabe  stammt  aus  dem  Jahre  1618  und  wurde  wie  die  erste 
legitime  Ausgabe  (162 1)  zu  Valencia  gedruckt  in  dem  ersten  Bande 
der  Komödien  unseres  Autors.*^  Gewidmet  ist  dieser  Band  der 
Tochter   Lope    de  Vegas,    Marcela.     Der    Text    der   Ausgabe    vom 


•  Entstehungszeit. 

^  Erster  bekannter  Druck. 

2  Datierung  der  erhaltenen  Handschrift. 

^  Siehe  Paz  y  Melia:  Catälogo  de  las  piezas  de  Teatro  que  se  conservan 
efi  el  departimento  de  Manuscritos  de  la  Biblioteca  Nacional.  Madrid  1899. 
pag.  334.    No.  2175. 

6  ZrPh.  XV,  217  fr, 

*  Primera  parte  de  las  comedias  de  don  Giiillem  de  Castro  .  .  .  Valencia, 
por  Felipe  Mey    1621. 


15 

Jahre  1621  diente  als  Grundlage  für  die  Ausgabe  von  Wendelin 
Foerster.i  während  alle  anderen 2  auf  Einzeldrucke  {sueltas)  des 
18.  Jahrhunderts  zurückgehen.  Die  letzte  Ausgabe,  in  der  Biblioteca 
Romanica'^  beruht  auf  dem  Text  des  43.  Bandes  der  Bihlioteca  de 
auiores  espanoles  mit  Angabe  der  Abweichungen  der  Foersterschen 
Ausgabe. 

Der  Inhalt  gestaltet  sich  folgendermafsen: 

I.  Akt.  Don  Rodrigo  de  Vivar  erhält  vom  König  Fernando 
vor  versammeltem  Hofe  eigenhändig  den  Ritterschlag ;  die  Infantin 
Urraca  zieht  ihm  selbst  die  Sporen  an.  Dann  soll  er  als  jüngster 
Ritter  den  Damen  des  Hofes  sich  auf  dem  Pferde  zeigen,  während 
der  König  und  sein  Staatsrat,  der  Graf  Lozano,  Diego  Lainez, 
Arias  Gonzalo,  Peranzules  zurückbleiben  um  über  die  Wahl  eines 
neuen  Erziehers  für  den  Prinzen  D.  Sancho  zu  beraten.  Diese 
Ehre  will  der  König  Diego  Lainez,  dem  Vater  Rodrigos,  übertragen 
und  rechnet  dabei  auf  die  Zustimmung  seiner  Vasallen.  Der  Grat 
Lozano  hat  diese  Auszeichnung  jedoch  längst  für  sich  ersehnt  und 
so  entsteht  ein  heftiger  Wortwechsel  zwischen  ihm  und  Diego,  der 
trotz  des  versuchten  Eingreifens  des  Königs  so  weit  führt,  dafs  der 
Graf  dem  Diego  einen  Backenstreich  versetzt.  Diego,  der  eine 
solche  Beleidigung  angesichts  des  Königs  für  unverzeihlich  hält, 
geht  wütend  über  die  erlittene  Schmach  nach  Hause.  Dorthin  ist 
unterdessen  Rodrigo  gekommen  und  wird  hier  von  seinen  beiden 
jüngeren  Brüdern  um  die  Ehre,  die  ihm  widerfahren,  beneidet. 
Da  kommt  der  Vater,  Diego  Lainez,  mit  einem  zerbrochenen  Stab. 
Er  ist  noch  unentschlossen,  was  er  tun  soll,  schickt  seine  Söhne 
fort  und  gibt  seinen  Rachegedanken  in  einem  Monolog  beredten 
Ausdruck.  Er  will  zuerst  selbst  Rache  nehmen  und  den  Flecken 
an  seiner  Ehre  mit  Blut  abwaschen.  Deshalb  greift  er  zum  Degen, 
fühlt  sich  aber  zu  alt  um  seinem  Gegner  im  Kampfe  stand  zu 
halten.  Er  ruft  nun  der  Reihe  nach  seine  drei  Söhne  und  um 
ihre  Tapferkeit  und  ihren  Mut  zu  erproben  drückt  er  jedem  der 
beiden  ersten  die  Hand.  Diese  können  den  Schmerz  nicht  ertragen, 
sondern  geben  ihm  laut  Ausdruck.  Sie  sind  also  nicht  fähig  zur 
Ausführung  seiner  Rache.  Als  letzten  ruft  er  Rodrigo  herein. 
Diego  beifst  ihn  nun  in  den  Finger;  Rodrigo,  schon  darüber  auf- 
gebracht, dafs  er  als  letzter  zum  Vater  gerufen  wurde,  wird 
nur  noch  kecker  und  ruft:  „Wenn  du  nicht  mein  Vater  wärest, 
würde  ich  dir  eine  Ohrfeige  geben".  „Es  wäre  nicht  die  erste", 
meint  Diego.  Damit  ist  die  Überleitung  zur  Erzählung  des  Vor- 
gefallenen   gegeben.     Diego    fordert  Rodrigo    auf  seinen  Vater  zu 


1  Bonn  1878. 
■    2  Bibl.   de   aiitores   esp.    Bd.  43.     Madr.  1881.     Lemcke,    Handbuch   der 
Span.  Literatur.    Bd.  III.    Leipzig  1856.     Carolina  Ivlichaelis,    Tres  flores   del 
teatro    anti^uo   espanol.    Leipzig  1870.      M6rimee,    Las   mocedades    del    Cid. 
Toulouse  1890  (=  Bibl.  meridionale  tom.  2). 

^  No.  37 — 39  mit  Einleitung  von  W.  v.  Wurzbach. 


i6 

rächen.  In  der  Seele  des  jungen  Helden  widerstreiten  nun  die 
beiden  Gefühle  der  Ehre  und  Liebe,  denn  der  Graf  ist  der  Vater 
seiner  geliebten  Jimena.  Er  entschliefst  sich  jedoch  die  Rache 
auszuführen.  Ganz  von  diesem  Gedanken  erfüllt,  trifft  er  Jimena 
und  Urraca.  Als  nun  der  Graf  erscheint,  wird  er  beim  Anblicke 
der  Geliebten  wieder  unschlüssig  und  erst  als  Diego  auftritt  und 
ihn  von  neuem  an  seine  Pflicht  erinnert,  nimmt  er  keine  Rücksicht 
mehr  auf  Jimena,  fordert  den  Grafen,  der  seiner  spottet,  zum 
Kampfe  heraus,  besiegt  und  tötet  ihn.  Als  man  auf  den  Mörder 
eindringen  will,  reitet  ihn  das  Eingreifen  Urracas,  dann  bahnt  er 
sich  mit  seinem  Schwerte  den  Weg. 

II.  Akt.  Der  König  erfährt  den  Tod  des  Grafen.  Jimena 
erscheint  vor  ihm  und  bringt  ihre  Klagen  vor,  während  Diego  die 
Tat  seines  Sohnes  rechtfertigt.  Der  König  beruhigt  Jimena  und 
befiehlt,  Rodrigo  gefangen  zu  nehmen,  bestellt  aber  seinen  Sohn 
Don  Sancho,  der  für  Rodrigo  tatkräftig  eingetreten  ist,  zu  seinem 
Kerkermeister.  Rodrigo  selbst  kommt  in  die  Wohnung  Jimenas 
und  hört  hier  in  einem  Verstecke,  dafs  diese  ihn  trotz  der  Er- 
mordung ihres  Vaters  noch  liebt.  Er  wirft  sich  ihr  zu  Füfsen  und 
verlangt  von  ihrer  Hand  den  Tod.  Sie  bittet  ihn  zu  entfliehen, 
auf  dafs  sie  ihn  nur  verfolgen,  nicht  aber  töten  könne.  Hierauf 
trifft  Rodrigo  seinen  Vater,  der  seinen  Mut  lobt  und  ihm  den  Rat 
gibt  gegen  die  Mauren  zu  ziehen;  es  seien  bereits  500  Mann  aus- 
gerüstet. 

Im  folgenden  zeigt  sich  uns  der  Cid  als  gefürchteter  Gegner 
der  Mauren.  Dem  König  Alfonso  schickt  er  einen  gefangenen 
Maurenkönig.  Dieser  freut  sich  darüber  so  sehr,  dafs  er  den  Cid 
zurückruft  und  ihn,  frei  von  aller  Verfolgung  in  seine  Rechte  wieder 
einsetzt.  Rodrigo  wird  vom  König  huldreich  aufgenommen,  der 
ihm  den  Titel:  El  viio  Cide  verleiht.  Jimena  kommt  neuerdings 
mit  ihren  Klagen  und  bittet  um  Bestrafung  des  Cid.  Der  König 
vertröstet  sie  damit,  dafs  er  den  Cid  für  sie  aufbewahre. 

In  diesen  Akt  ist  noch  eine  Episode  eingeflochten,  die  mit 
der  Haupthandlung  in  keinem  Zusammenhang  steht.  Sie  knüpft 
daran  an,  dafs  D.  Sancho  geweissagt  worden  war,  er  werde  durch 
einen  Speerwurf  getötet  werden.  Urraca  kommt  nun  mit  einem 
blutigen  Jagdspiefs.  Die  Geschwister  geraten  in  Streit  und  Sancho 
will  die  Schwester  töten,  weil  er  der  Weissagung  zufolge  glaubt, 
dafs  sie  die  Ursache  seines  Todes  sein  werde;  er  wird  jedoch 
von  Diego  zurückgehalten. 

III.  Akt.  Urraca  klagt  ihren  Bruder  D.  Sancho  wegen  des 
oben  erwähnten  Vorfalles  beim  König  an,  welcher  ihr  verspricht 
für  sie  zu  sorgen,  da  er  sein  Reich  nicht  allein  Sancho,  sondern 
allen  seinen  Kindern  zu  hinterlassen  gedenke.  Jimena  erneuert 
ihre  Klage.  Diesmal  nimmt  sie  der  König  etwas  ungnädig  auf, 
da  sie  ihn  immer  mit  derselben  Bitte  belästige.  Um  diesen 
fortwährenden  Klagen    ein   Ende   zu   machen   und   Jimenas   wahre 


17 

Gefühle  zu  erfahren,  will  Arias  Gonzalo  dieselbe  überlisten.  Als 
sie  wieder  beim  König  ist,  kommt  ein  Diener,  der  den  Tod 
des  Cid  durch  die  INIauren  meldet.  Jimena  fällt  in  Ohnmacht. 
Als  man  ihr  nun  den  wahren  Sachverhalt  mitteilt,  gewinnt  sie  sofort 
wieder  die  Herrschaft  über  sich  selbst  und  erklärt,  dafs  der  Ge- 
danke ihre  Rache  nicht  mehr  ausführen  zu  können,  sie  so  er- 
schüttert hätte.  Zur  Bekräftigung  dieser  ihrer  Worte  verspricht  sie 
demjenigen,  der  ihr  das  Haupt  des  Cid  bringe,  ihre  Hand  und  ihr 
Vermögen,  wenn  er  ihr  im  Range  gleichstehe,  im  gegenteiligen 
Falle  die  Hälfte  ihres  Vermögens.  Zwischen  dem  König  Alfonso 
und  dem  König  von  Aragon  ist  nun  ein  Streit  entbrannt  betreff 
der  Stadt  Calahorra,  Um  das  viele  Blutvergiefsen  zu  vermeiden 
beschliefsen  beide  Parteien  die  Sache  durch  einen  Zweikampf  aus- 
tragen zu  lassen.  Der  Cid  ist  inzwischen  an  den  Hof  seines  Königs 
gekommen  und  will  mit  Martin  Gonzalez,  dem  Vertreter  von  Aragon, 
den  Zweikampf  bestehen.  Der  grofssprecherische  Martin  verspricht 
Jimena  ihr  das  Haupt  des  Cid  zu  bringen  und  ersucht  sie  bereits 
brieflich  ihr  Hochzeitskleid  anzuziehen.  Sie  ist  darüber  untröstlich, 
kommt  jedoch  vor  den  König  in  Feiergewändern  und  spielt  hier 
zum  letztenmale  die  gekränkte  Tochter.  Aber  als  ein  Diener  die 
Meldung  bringt,  dafs  ein  Ritter  das  Haupt  des  Cid  bringe,  kann 
sie  ihre  wahren  Gefühle  nicht  mehr  verbergen.  Sie  verspricht 
Martin,  den  sie  für  den  Sieger  hält,  ihr  Vermögen,  sie  selbst  ist  ent- 
schlofsen  sich  in  ein  Kloster  zurückzuziehen.  Da  kommt  der  Cid 
und  bringt  ihr  selbst  sein  Haupt.  Innerlich  froh  des  glücklichen 
Ausganges,  reicht  sie  ihm  nach  kurzem  Widerstände  nun  die  Hand. 

Wir  finden  in  diesem  Akte  wieder  zwei  Episoden.  Die  Ge- 
schichte mit  dem  Aussätzigen,  um  welchen  sich  der  Cid  annimmt 
im  Gegensatze  zu  seinen  Soldaten.  Der  Cid  gibt  ihm  einen  Über- 
rock und  ifst  mit  ihm  an  einer  Tafel.  Schliefslich  enthüllt  sich 
der  Aussätzige  als  der  hl.  Lazarus  und  verkündet  den  Ruhm  des 
Cid.  Weiter  ist  das  Testament  König  Fernandos  eingeflochten,  der 
sein  Reich  unter  seine  Kinder  verteilt  wissen  will. 

Über  die  Vorzüge  der  Mocedades  del  Cid  sind  alle,i  die  das 
Stück  bis  jetzt  eingehender  besprochen  haben,  einig.  Behack^  sagt 
nach  seiner  Inhaltsangabe  von  ihm:  »Von  Gang  und  Szenenfolge 
des  Stückes  konnte  diese  Skizze  einen  Begriff  geben,  nicht  aber 
von  dem  reichen  Farbenzauber,  der  über  das  ganze  Gemälde  ge- 
breitet ist,  nicht  von  dem  echt  romantischen  Geiste,  der  es  durch- 
weht;   nicht   von    der  psychologischen  Feinheit,    womit  der  Kampf 


'  Ticknor,  I.e.  I,  pp.  650— 657;  Schack,  I.e.  II,  pp.  43ofl".  SehaefFer, 
Geschichte  des  spatitschen  Nati'onaldratnas.  Leipzig  1 890.  I,  pp.  2i2fF.  Mörimee, 
1.  c.  (Einleitung  zu  seiner  Ausgabe).  Boimann,  Der  Cid  im  Drama.  Beitrag 
zur  vergleichenden  Literaturgeschichte  und  Ästhetik.  Zeitschr.  für  vergl. 
Literaturgeschichte.  1893.  pp.  5 — 33.  Der  Aufsatz  befafst  sich  nur  mit 
3  Dramen:  i.  Guill6n  de  Castro.  2.  Corneille.  3.  Feeder  Wehl,  Liebe  und 
Ehre.     Schauspiel  in  4  Aufzügen.    Leipzig  (Reklam). 

*  L.  c.  pag.  436. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  roiu.  Phil.  XXV.  2 


widerstreitender  Gefühle  in  Rodrigos  und  Jimenens  Brust  geschildert 
ist".  Schäfferi  würde  es  „als  Meisterwerk  ersten  Ranges  bezeichnen, 
wenn  nicht  die  Handlung  einige  Mängel  aufwiese".  A.  W.  Schlegel^ 
nennt  den  Stoff  „einen  der  schönsten,  der  je  einem  Dichter  zuteil 
geworden  ist".  Wie  schon  aus  der  Inhaltsangabe  hervorgeht,  ist 
die  Handlung  überaus  lebendig;  dadurch  wird  das  Interesse  des 
Lesers  wie  des  Hörers  stets  wach  gehalten.  Aber  trotz  der  Fülle 
der  Handlung  ist  die  Charakterisierung  der  Hauptpersonen  nicht 
vernachlässigt  worden. 

Verfolgen  wir  etwas  die  Charakterzeichnung  des  Cid.  Stets 
tritt  er  für  den  König,  seinen  Herrn,  ein  und  was  er  gleich  zu 
Beginn  verspricht,  das  hält  er  auch: 

Es  tuyo  tambien  mi  pecho.     (1,35)' 

sagt  er  zum  König.  Auch  wenn  er  von  Siegeszügen  nach  Hause 
zurückkehrt,  ist  er  nur  der  getreue  Vasall  seines  Königs: 

Te  hechura  soy.     (II,  750) 

In  jugendlichem  Übermute  tritt  er  sogar  seinem  eigenen  Vater 
entgegen  (I,  357  ff.).  Er  liebt  Jimena  aufrichtig,  jedoch  die  Ehre 
steht  ihm  höher  und  er  entschliefst  sich  sogar  um  derselben  willen 
auf  Jimena  zu  verzichten  (I,  385  ff.).  Nach  der  Tat  aber  bringt 
ihn  die  Liebe  zu  Jimena  wieder  ganz  in  ihre  Gewalt  und  er  will 
lieber  von  der  Hand  der  Geliebten  sterben  als  ohne  sie  weiter- 
leben (11,  240  ff.).  Als  diese  seinem  Wunsche  nicht  willfährt,  ruft 
er  in  bitterem  Weh: 

Considera 
Que  el  dejarme  es  la  venganza: 
Que  el  matarme  no  lo  fuera.     (II,  322fF.) 

In  der  Episode  mit  dem  Aussätzigen  (III,  225 — 468)  zeigt  er  sich 
als  frommer  Christ,  der  die  Gebote  seiner  Religion  auch  in  die 
Tat  umsetzt  und  dafür  belohnt  wird.     Auch  der  Hirte  sagt  es  uns: 

Hombie  no  he  visto  en  mi  vida 
Tan  devoto  y  tan  soldado, 

worauf  der  Cid  erwidert: 

Y  ^es  estorbe  el  ser  devoto 
AI  ser  soldado.?     (III,  255 ff.) 

und  weiter  unten: 

El  ser  cristiano 
No  impide  al  ser  Caballero;     (III,  375 ff.) 

*  L.  c.  pag.  217. 

2  Über  dramatische  Kunst  und  Literatur.  10.  Vorlesung.  Heidel- 
berg 181 1. 

ä  Ich  zitiere  nach  der  Ausgabe  der  Bibl.  Romanica,  da  bei  ihr  die  Verse 
numeriert  sind  und  sie  auch  am  leichtesten  zugänglich  ist. 


i9 

Jedoch  noch  eine  andere  Charaktereigenschaft  finden  wir  in  ihm 
ausgeprägt,  eine  Eigenschaft,  die  ganz  der  Zeit  des  Dichters  ent- 
spricht: die  Galanterie: 

^Que  te  parece,  Jimena, 
De  Rodrigo?     (I,  i6) 

fragt  gleich  zu  Beginn  Urraca  und  Jimena  antwortet: 

Que  es  galan. 

Und  diese  Galanterie  zieht  sich  durch  das  ganze  Stück  hindurch. 
So  spricht  Don  Sancho  von  ihm: 

^No  es  galan,  fuerle  y  lucido?     (1,27) 

Urraca  sagt  von  ihm: 

Sera  un  bravo  cavallero, 
Galan,  bizarro  y  valiente,     (I,  443) 

Den  Höhepunkt  erreicht  die  Galanterie  aber  in  der  Szene  mit  Dona 
Urraca  (II,  449  ff.).     So  spricht  er  z.  B.  zu  Urraca: 

Siendo  tu  mi  defensora,  advierte  cömo  saldria  (459) 

Weiter  unten  Urraca: 

Galan  vienes,  bravo  vas;  mucho  vales, 

mucho  obligas; 
Bien  me  parece,  Rodrigo,  tu  gala  y  tu  valentia.     (465) 

Desgleichen  Rodrigo: 

La  tierra  que  ves  adoro  etc.  etc.     (482). 

Dafs  die  Tapferkeit  und  Kriegstüchtigkeit  des  Cid  hervor- 
gehoben wird,  ist  ja  bei  der  ganzen  Stellung,  die  der  Cid  in  der 
spanischen  Geschichte  und  Poesie  einnimmt,  eigentlich  selbst- 
verständlich. In  unserem  Stücke  erfahren  wir  davon  aus  den  Er- 
zählungen der  gefangenen  Maurenkönige  (II,  701  ff.).  Ganz  be- 
sonders kommt  sie  jedoch  auch  in  der  Besiegung  des  Grafen 
Lozano    und    des    Martin    Gonzalez    zum    Ausdruck    (I,   675     und 

m,  973). 

Was  die  Charakterdurchführung  Jimenas  betrifft,  so  werden 
wir  Schäfferi  recht  geben  müssen,  wenn  er  sie  „das  gröfste  Meister- 
stück" in  dieser  Beziehung  nennt.  In  echt  mädchenhafter  Scheu 
weifs  sie  nach  der  Ermordung  ihres  Vaters  ihre  Liebe  zu  Rodrigo 
verborgen  zu  halten.  Jedoch  Rodrigo  zu  verlieren  ist  ihr  ebenso 
viel  wie  der  Tod  ihres  Vaters: 

Que  la  mitad  de  mi  vida 

Ha  rauerto  la  otra  mitad.     (II,  219) 

'  L.  c,  I,  216. 

2* 


20 

Aber  sie  bezwingt  sich  selbst  und  will  ihre  Liebe  der  Ehre  zum 
Opfer  bringen. 

jAy  honor,  cuänto  me  cuestas!     (111,196) 

Deshalb  bleibt  ihre  Liebe  doch  dieselbe  und  wird  vielleicht  durch 
diese  Überwindung  ihrer  selbst  nur  noch  gesteigert: 

Sigo  y  adoro 
Las  sombras  de  mi  enemigo.     (III,  825) 

Zum  Schlüsse  ist  sie  nicht  mehr  imstande  ihre  wahren  Gefühle  zu 
verbergen,  wenn  es  sich  darum  handeln  sollte  einen  anderen  als 
den  Geliebten  zu  heiraten.  Und  als  sie  dann  am  Schlüsse  sich 
überlistet  sieht,  da  will  sie  auch  nicht  mehr  länger  ihrem  eigenen 
Herzen  widerstehen  und  mit  den  kurzen  aber  inhaltsschweren 
Worten: 

Cid.  soy  tu  esposo 

Jimena.  Y  yo  tuya     (III,  983) 

schenkt  sie  sich  Rodrigo. 

Die  übrigen  Personen  treten  gegen  den  Cid  und  Jimena  in  den 
Hintergrund.  Der  König  ist  schwach  und  will  es  mit  keinem, 
weder  mit  dem  Grafen  noch  mit  Diego  verderben  (I,  201  IT.).  Der 
eingebildete  Graf  wird  für  seinen  Stolz  und  Hochmut  gestraft. 

Y  ha  de  peiderse  Castilla 
Antes  qua  yo.     (I,  476) 

spricht  er  in  seinem  Übermute.  Diego,  der  Vater  des  Cid,  ist  das 
Bild  eines  in  seiner  Ehre  empfindlichst  gekränkten  Vasallen,  der 
um  jeden  Preis  den  Schimpf  gerächt  sehen  mufs  und,  da  er  dazu 
selbst  nicht  mehr  imstande  ist,  seinen  Sohn  dazu  auffordert.  Als 
Vater  ist  er  jedoch  um  das  weitere  Schicksal  seines  Sohnes  un- 
gemein besorgt  (II,  343  ff.). 

Was  an  dem  Stück  ausgesetzt  wurde,  das  fafst  Schaeffer^  in 
die  Worte  zusammen:  Die  Mängel  „bestehen  in  der  Einschaltung 
der  Episoden  mit  Don  Sancho,  Urraca  und  dem  Aussätzigen,  ferner 
in  der  dramatisch  zwecklosen  Liebe  Urracas  zu  Rodrigo".  Auch 
Schack^  glaubt,  dafs  man  „die  Figur  des  Prinzen  Sancho"  und 
„die  Episode  des  dritten  Aktes"  tadeln  könnte,  fügt  aber  hinzu: 
„man  bedenke,  wie  fest  beide  durch  Romanze  und  Geschichte 
in  der  Erinnerung  des  Volkes  mit  dem  gefeierten  Lieblingshelden 
verwachsen  waren  und  man  wird  den  Dichter  nicht  tadeln  wollen 
die  charakteristische  Gestalt,  die  schöne  Sage  zur  Gruppierung  um 
den  Helden  benutzt  zu  haben". 

Es  läfst  sich  nicht  leugnen,  dafs  diese  Erklärung  Schacks  etwas 
für  sich  hat.  Aufser  den  bereits  angeführten  Einschaltungen  ist, 
wie   ich   glaube,    noch    eine  zu  erwähnen,    nämlich  das  Testament 


*  L.  c,  I,  217. 

»  L.  c,  II,  pag.  437. 


21 

König  Fernandos  (siehe  Inhaltsangabe).  Es  ist,  soviel  ich  weifs, 
darauf  noch  nicht  hingewiesen  worden,  obwohl  diese  Episode  nicht 
weniger  als  85  Verse  in  Anspruch  nimmt  (III,  82g — 914).  Ich 
denke, ^  dafs  Guillen  de  Castro  mit  all  diesen  zum  Gange  der 
Handlung  nicht  gehörenden  Episoden  eine  Verbindung  mit  seinem 
zweiten  Ciddrama  herstellen  wollte.  Dies  w-ar  ihm  nur  dadurch 
möglich,  dafs  er  in  das  erste  Drama  gewisse  Szenen  einflocht,  die 
für  das  zweite  als  Vorgeschichte  gelten  konnten.  Freilich  glauben 
wir  nicht,  dafs,  vom  Standpunkte  der  Kunst  aus  gesprochen,  eine 
solche  Verknüpfung  zweier  in  ihrem  Inhalte  ganz  verschiedener 
Dramen  zu  billigen  ist. 

Die  Episode  mit  dem  hl.  Lazarus  ist,  worauf  auch  Bormann 2 
hinweist,  wohl  nicht  anders  entstanden,  als  um  das  Bild  des  Cid 
noch  mehr  zu  vervollständigen,  nämlich  um  auch  seinen  religiösen 
Sinn  zu  beleuchten. 

Was  entsprach  damals  wohl  mehr  der  Zeit  und  noch  dazu 
einem  Lande,  das  durch  und  durch  religiös  ist,  dessen  Literatur 
der  damaligen  Zeit  ebenfalls  zum  grofsen  Teile  eine  religiöse  ist? 
Was  liegt  da  näher,  als  dafs  es  auch  seinen  Nationalhelden  mit 
diesem  religiösen  Glänze  umgeben  wollte  und  da  dieser  Zug  sich 
auch  bereits  in  den  Romanzen  findet,  so  ist  es  erst  recht  erklärlich, 
dafs  Guillen  de  Castro  denselben  auch  in  sein  Drama  auf- 
genommen hat. 

Dies  führt  uns  zu  einem  Vergleich  mit  dem  Romancero  del  Cid. 
Der  Dichter  hat  sich  so  ziemlich  an  seine  Vorlage  gehalten.  Es 
sind  i^f  Romanzen,  die  Guillen  de  Castro  entweder  ganz  oder 
teilweise  aufgenommen  hat.     Und  zwar  sind  es  die  Romanzen: 

2.  Ciiidando  Diego  Lainez 

4.  Ese  hueii  Diego  Lainez 

5.  Pensativo  estaba  el  Cid 

6.  No  es  de  sesudos  homes 

7.  Consolaiido  al  noble  viejo 

1 1 .  Grande  rumor  se  levanta 

1 2.  Dia  era  de  los  Reyes 

13.  Ell  Biirgos  esiä  el  bueti  Rey 

15.  Delante  el  Rey  de  Leon 

16.  Sentado  estä  el  senor  Rey 

17.  De  Rodrigo  de   Vivar 

18.  Reyes  moros  en   Castilla 

19.  A  Jimena  y  ä  Rodrigo 

22.  Ya  se  parte  don  Rodrigo 

23.  Ce lehr a das  ya  las  bodas 

24.  Sohre  Calahorra  esa  villa 
29.  Cercada  tiene  ä  Coitnbra 
33.  En  Zamora  estd  Rodrigo 

^  Siehe  auch  Mcrim6e,  1.  c,  pag.  XCVIII. 
2  L.  c,  pag.  9  ff. 


21 

34-    En  Zamora  esiaba  el  Rey 

42.  Acahaba  el  Rey  Fernando 

43.  Doliente  esiaba,  dolienie 

(=  Doliente  se  siente  el  Rey) 

44.  Morir  vos  queredes,  padre 

45.  Atento  esciicha  las  quejas. 

Natürlich  können  für  einen  Dramatiker  nur  solche  Romanzen  in 
Betracht  kommen,  die  ein  einheitliches  Bild  der  einzelnen  Charaktere 
erkennen  lassen. 

Was  in  unserem  Drama  nicht  der  Vorlage  entspricht,  ist  vor 
allem  der  Umstand,  dafs  Rodrigo  und  Jimena  bereits  vor  dem 
Tode  des  Grafen  sich  geliebt  haben.  Nur  so  konnte  der  dramatische 
Konflikt  zwischen  Liebe  und  Ehre  entstehen.  Dadurch  wird  natürlich 
die  ganze  Handlung  beeinflufst.  Damit  hängt  zusammen  Rodrigos 
Zusammenkunft  mit  Jimena  vor  seinem  Abzug,  wo  er  sich  im 
Zimmer  versteckt,  sie  um  den  Tod  aus  ihrer  Hand  bittet.  Die 
List,  mit  der  man  am  Hofe  Jimenas  Liebe  zu  erfahren  sucht,  kann 
ebenfalls  in  den  Romanzen  noch  nicht  zur  Darstellung  gelangt  sein 
aus  dem  oben  erwähnten  Grunde.  Auch  die  Ursache  des  Streites 
zwischen  Don  Diego  und  dem  Grafen  Lozano  findet  sich  weder 
in  den  Romanzen  noch  in  den  Chroniken.  Wir  hören  nur  von 
einem  Streite  zwischen  den  Hirten  der  beiden  Edelleute.i 

Die  Mocedades  del  Cid  wurden  aufserhalb  Spaniens  erst  be- 
rühmt durch  die  Nachahmung  Corneille's.  Als  ein  weiterer  Dichter, 
Diamante,  von  dem  im  folgenden  die  Rede  sein  wird,  denselben 
Stoff  auf  die  Bühne  brachte,  benützte  er  weder  Guill6n  de  Castro's 
Drama  noch  die  Romanzen  als  direkte  Vorlage,  sondern  Cor- 
neille's  Cid. 

Über  die  spanischen  Dramatiker,  die  den  Stoff  im  19.  Jahr- 
hundert von  neuem  behandelten,  werde  ich  an  einer  anderen  Stelle 
sprechen. 

Über  das  Verhältnis  der  Mocedades  zu  Corneille's  Cid  ist  eine 
eigene  Literatur  angewachsen. 

Man  vergleiche  hiezu  hauptsächlich:  Picot,  Bibliographie  Cor- 
nelienne  pag.  457 — 484;  Schack,  1.  c,  II,  pag.  437  ff.  Schäffer,  1.  c, 
I,  p.  217.  Bormann,  I.e.,  pag.  12  ff.  Marty-Laveaux ,  CEuvres  de 
Corneille  tom.  III.  Paris  1862,  pag.  207  ff.  Merimee,  1.  c,  pag.  CXff,, 
sowie  die  einschlägigen  Darstellungen  der  französischen  Literatur. 

Ins  Deutsche  wurden  die  Mocedades  übersetzt  durch  A.  v.  Schack 
in  Spanisches  Theater  2.  Aufl.    Stuttgart   1892. 


2.  Juan  Bautista  Diamante:  El  Honrador  de  su  padre. 

Diamantes  (1626 — nach   1684)  Stück   ist    zum  erstenmale  ge- 
druckt worden  zu  Madrid  1658  im   11.  Bande  der  Comedias  nuevas 


^  Siehe  Crönica  rimada,  pag.  7  dieser  Arbeit. 


23 


escogidas  de  los  niejores  higenios  de  Espana,  dem  1659  eine  zweite 
Auflage  folgte.  Es  ist  das  erste  darin  enthaltene  Stück.  Die 
jüngste  Ausgabe  ist  die  der  Bihlioteca  de  atitores  espailoles  Band  49 
(Madrid   1859). 

Wie  schon  oben  erwähnt,  schliefst  sich  das  Stück  hauptsächlich 
an  Corneilles  Cid  an  und  zwar  an  die  Ausgabe  des  Jahres  1637. 
Diamante  hat  in  die  Comedia  auch  noch  das  komische  Element, 
einen  gradoso  [N'uno)  eingefügt,  m.  E.  nicht  zum  Vorteile  des 
ganzen  Stückes. 

Um  einen  Vergleich  mit  der  französischen  Tragödie  zu  er- 
leichtern, wollen  wir  die  Aufeinanderfolge  der  Handlung  beider 
Dramen  gegenüberstellen. 


Diamante : 

1.  Akt.  I.  Nuno  bringt  Elvira,  der 
Dienerin  Jimenas,  einen  Brief  Rodrigos 
und  wird  dabei  vom  Grafen  über- 
rascht. 

2.  Der  Graf  spricht  mit  Elvira  über 
Rodrigo,  den  er  seiner  Tochter  zum 
Gatten  bestimmt. 

3.  Elvira  erzählt  Jimena  die  Unter- 
redung mit  dem  Grafen. 

4.  Rodrigo  und  Jimena.  Er  bittet 
um  ein  Bild  von  ihr. 

5.  Die  Infantin  sagt  Elvira,  dafs  sie 
über  die  Liebe  der  beiden  bekümmert 


Corneille: 
Nicht  bei  Corn. 


Findet  sich  in  der  Ausgabe  des 
Jahres  1637.  Später  ist  diese  Szene 
von  Corneille  gestrichen  worden. 

1.  Akt.     I.  Szene. 

Nicht  bei  Corneille. 

2.  Szene.  (Statt  Elvira  hat  Corneille 
den  Namen  Leonor.) 


6.  Der  König  hat  Diego  Lainez  zum 
Erzieher  seines  Sohnes  bestimmt. 

7.  Streit  zwischen  Diego  und  dem 
Grafen.  Letzterer  erhält  von  Diego 
eine  Ohrfeige. 

8.  Monolog  Diego's. 

9.  Rodrigo  erhält  das  Bild  Jimenas 
von  Nufio. 

IG.  Diego   fordert  seinen  Sohn   auf 
den  Vater  zu  rächen. 
II.  Monolog  Rodrigos. 

IL  Akt. 

1.  D.  Sancho  hält  dem  Grafen  seine 
Tat  vor. 

2.  Rodrigo  kommt  zum  Grafen  und 
fordert  ihn. 


3.  Szene. 

4.  Szene. 

Nicht  bei  Corneille. 

5.  Szene. 

6.  Szene. 

IL  Akt. 

1.  Szene,   jedoch   nicht  D.  Sancho, 
sondern  D.   Arias. 

2.  Szene. 


24 


D  i  a  m  a  n  t  e : 
Fehlt  bei  Diamante. 


Bei  Diamante  nur  angedeutet. 


Fehlt. 

3.  Der  König  ist  erbofst  über  die 
Haltung  des  Grafen  nnd  befiehlt  ihn 
festzunehmen. 

4.  Der  Tod  des  Grafen  wird  dem 
König  gemeldet. 

5.  Jimenas  Klage  und  Diegos  Ver- 
teidigung vor  dem  König. 

6.  Rodrigo  kommt  ins  Haus  Jimenas. 
Gespräch  mit  Elvira. 

7.  D.  Sancho  bringt  Jimena  nach 
Hause. 

8.  Jimena  gesteht  Elvira ,  dafs  sie 
den  Mörder  noch  liebt. 

9.  Rodrigo  tritt  aus  seinem  Ver- 
stecke hervor  und  bittet  Jimena,  ihn 
zu  töten.  Sie  will  dem  König  die 
Rache  überlassen. 

10.  D.  Diego  trifft  seinen  Sohn  und 
fordert  ihn  auf  gegen  die  Mauren  zu 
kämpfen. 

in.  Akt. 

1.  Jimena  im  Gespräch  mit  Elvira. 
Sie  will  nicht  verzeihen  trotz  des 
Sieges  des  Cid. 

2.  Die  Infantin  will  Jimena  von 
ihren  Rachegedanken  abbringen. 

3.  Der  König  will  Jimenas  wahre 
Gefühle  durch  List  erfahren. 

4.  Diego  erzählt  die  Siege  seines 
Sohnes. 

5.  Rodrigo  kommt  zum  König  und 
erzählt  seine  Heldentaten. 


Corneille: 

3.  Die  Infantin  beruhigt  Chimene 
und  will  Rodrigue  im  Palaste  zurück- 
halten. 

4.  Ein  Page  meldet,  dafs  Rodrigue 
und  der  Graf  aus  dem  Palaste  ge- 
gangen seien.  Chimene  eilt  ihnen 
nach. 

5.  Die  Infantin  beklagt  ihre  Liebe 
zu  Rodrigue. 

6.  Szene. 


7.  Szene. 

8.  Szene. 

III.  Akt.    I.  Szene. 

2.  Szene. 

3.  Szene. 

4.  Szene. 


5.  und  6.  Szene. 


IV.  Akt. 


1.  Szene. 

2.  Szene. 

Nicht. 

3.  Szene. 


25 


Diamante:  Corneille: 


6.  Jimena  bringt   von    neuena   ihre  4.  Szene. 

Klagen  vor.     Der  König  will  schein-  5.  Szene.    Der  König  teilt  Chim^ne 

bar    ihrem    Wunsche    willfahren    und       mit,  dafs  Rodrigue  im  Kampfe  gefallen 
läfst  Rodrigo  gefangen  nehmen.  sei.      Sie   wird    ohnmächtig.     Als    sie 

wieder  zu  sich  kommt,  fordert  sie 
die  Ritter  zu  einem  Zweikampfe  mit 
Rodrigue  auf.  Sie  wolle  den  Sieger 
heiraten.    D.  Sanche  bietet  sich  an. 

Die  übrigen  Szenen  der  3.  Jornada  (7 — 12),  sind  von  dem 
5.  Akte  Corneilles  vollständig  verschieden.  Jimena  geht  mit  Elvira 
ins  Gefängnis  und  verbirgt  sich  hier.  Rodrigo  weifs  von  der  An- 
wesenheit Jimenas  und  spricht  von  seiner  baldigen  Hinrichtung. 
Sein  Vater  Diego  rät  ihm  zur  Flucht.  Da  kommt  Jimena  aus  ihrem 
Verstecke  hervor  und  will  mit  ihrem  Geliebten  sterben  um  sich 
nicht  mehr  von  ihm  trennen  zu  müssen.  Ein  Schreiber  bringt  das 
Todesurteil  und  gleich  darauf  erscheint  der  König  selbst  mit  der 
Infantin,  findet  die  beiden  Liebenden  in  den  Armen  und  verzeiht 
Rodrigo. 

Von  diesem  letzten  Teile  abgesehen  ist  Diamantes  Stück  eine 
Erweiterung  der  Corneilleschen  Tragödie.  Nur  einige  wenige  Szenen 
hat  er  gestrichen;  auch  liebt  bei  ihm  die  Infantin  den  Cid  nicht. 
Was  aber  sonst  Corneille  nur  angedeutet  oder  berichtet  hat,  ge- 
staltet Diamante  zuweilen  zu  eigenen  Szenen  um.  Jede  einzelne 
Rede  ist  verlängert,  jeder  Dialog  in  die  Länge  gezogen.  Gereicht 
das  nun  dem  Drama  zum  Vorteil?  Keineswegs.  Einerseits  leidet 
die  Handlung  sehr  darunter,  da  sie  überaus  schleppend  wird.  Die 
Charakterisierung  der  Helden  wird  nicht  etwa  vertieft  sondern  ver- 
schwommener und  manchmal  auch  unwahrscheinlicher.  Die  besten 
Teile  des  Dramas  sind  die  direkten,  wortwörtlichen  Übersetzungen 
Corneilles,  die  besonders  im  ersten  Akte  überaus  zahlreich  sind,  in 
den  folgenden  Akten  seltener  werden.  Die  Einführung  des  komischen 
Elementes  ist,  wie  schon  oben  erwähnt,  für  das  Stück  keineswegs 
von  Vorteil  und  weist  wie  in  so  vielen  anderen  Dramen  dieser 
Zeitperiode  schon  auf  den  kommenden  Verfall  der  spanischen 
Poesie  hin. 

Von  allen  1  Beurteilungen  des  Dramas  ist  die  von  Schack  die 
günstigste.  Er  sagt:  „Allerdings  hat  dieses  Drama  nicht  den 
zauberischen  Farbenschimmer  der  Poesie,  nicht  jene  jugendliche 
Frische  und  Glut  wie  die  Mocedades  del  Cid,  allein  in  dem  lebendigen 
Organismus  der  ganzen  Komposition,  in  der  überdacht  kunstvollen 
Anordnung  des  Stoffs,  wo  nirgends  eine  müfsige  Einzelheit  den 
schnellen  Fortschritt  stört,  besitzt  es  einen  Vorzug,  dessen  das 
Drama  des  Guillcn  de  Castro  vielleicht  nicht  in  gleich  hohem  Grade 


'  Schack,  a.  a.  O.,  III,  373ff.    Schaeffer,  a.  a.  O.,  II,  219  ff.    Ticknor,  1.  c, 
II,  pag.  70.     Marty-Laveaux,  CEuvres  de  Corneille  III,  pag.  238ff. 


26 

teilhaftig  ist  und  auf  der  anderen  Seite  wird  doch  auch  ein  eigen- 
tümlich glänzendes  Kolorit  nicht  vermifst."  Man  kann  es  Schade 
nicht  zum  Vorwurf  machen,  dafs  er  Diamantes  Drama  für  das 
Original  und  Corneilles  Cid  für  das  Plagiat  hält,  wenn  er  auch 
früher  die  gegenteilige  Meinung  vertrat. i  Als  er  sein  Werk  schrieb, 
konnte  sich  sein  Urteil  nur  auf  innere  Gründe  stützen  und  er 
hoffte  immer  noch'-  „dafs  sich  für  Diamantes  früheres  Auftreten 
auch  ein  äufseres  Zeichen  finden  werde".  Wir  werden  von  diesem 
„äufseren  Zeichen",  das  die  Frage  endgültig  entscheidet,  weiter 
unten  zu  sprechen  haben. 

Die  von  Schack  angeführten  Vorzüge  des  Dramas  passen  wohl 
sehr  gut  auf  Corneilles  Cid,  auf  Diamantes  Stück  stimmen  sie  nur 
insoweit,  als  er  eben  Corneille  übersetzte.  Wenn  aber  Schack  sagt, 
dafs  „nirgends  eine  müfsige  Einzelheit  den  schnellen  Fortschritt 
stört",  so  trifft  das  für  Diamantes  Drama  nicht  zu.  Schack  dachte 
wohl  an  die  bei  Guillen  de  Castro  überflüssigen  Episoden,  die  bei 
Diamante  zwar  nicht  zu  finden  sind;  dafür  aber  sind  es  andere 
„müfsige  Einzelheiten",  die  wir  Diamante  zum  Vorwurfe  machen. 
Wozu  braucht  es  die  lächerliche  Geschichte  mit  dem  Bilde  Jimenas 
oder  das  komische  Element?  Wirkt  das  nicht  jedesmal  störend 
auf  den  Gang  der  Handlung?  Wozu  diese  langen  Reden?  Wir 
müssen  Schäffer3  zustimmen,  wenn  er  von  diesen  langen  „Parade- 
reden"  sagt,  dafs  sie  nur  Erhöhung  der  Langeweile  bewirken. 

Die  Charakterzeichnung  ist,  soweit  sie  nicht  mit  Diamantes 
Vorbild  übereinstimmt,  zum  grofsen  Teil  mifsglückt.  Der  tapfere 
Rodrigo,  der  sich  vor  niemand  fürchtet  und  sogar  seinem  Vater, 
als  er  ihm  (wie  bei  Guillen  de  Castro)  seine  Hand  fest  drückt, 
entgegentritt,  glaubt  den  Grafen  Lozano  darauf  hinweisen  zu  müssen, 
dafs  er  ihn  wohl  hätte  töten  können  sin  advertencia,  also  im  feigen 
Hinterhalt.  Der  Graf  überläfst  ihm  die  Wahl  der  Waffen.  Darauf 
weifs  ihm  Rodrigo  zu  erwidern: 

Conde,  obrar  mas  y  hablar  menos. 

Dazu  ist  zu  bemerken,  dafs  Rodrigo  jedoch  nochmal  soviel  spricht 
als  der  Graf,  dem  er  diese  gute  Lehre  gibt.  Vielleicht  ist  diese 
Stelle  zurückzuführen  auf  eine  ähnliche  in  Guillen  de  Castros 
zweitem  Ciddrama,  wo  der  Cid  zu  D.  Diego  spricht: 

El  valiente,  aunque  gallardo, 
Habla  menos.     (III,  503) 

und  weiter  unten  nochmals: 

ijNo  ad  viertes  que  contradice 

AI  mucho  hacer,  mucho  hablar?     (IIJ,  509) 


^  Siehe  1.  c,  Band  II,  Anmerkung  150  zu  pag.  430. 
'  L.  c.  Band  III,  Anmerkung  lil  zu  pag.  373. 
'  L.  c,  II,  pag.  224. 


27 

Der  Jimena  des  Diamante  können  wir  nicht  die  Sympathie  ent- 
gegenbringen, wie  jener  des  Guillen  de  Castro  oder  der  Chimene 
des  Corneille. 

Welcher  Stolz  spricht  aus  den  Worten,  die  sie  Rodrigo  ent- 
gegenhält, als  dieser  sie  um  ihr  Bild  bittet: 

Que  forma  y  color  se  pintan, 
Mas  no  la  gracia  y  donaire. 

Als  der  Graf  getötet  ist  und  sie  vor  den  König  kommt,  sagt  sie 
ganz  richtig: 

La  voz  muere,  el  dolor  no  habla, 

weifs  aber  doch  des  Langen  und  Breiten  zu  erzählen,  wie  sie  ihren 
toten  Vater  gefunden  hat: 

De  polvo  y  sangre  la  caraa 
Cubierta,  como  el  que  cae 
AI  foso,  de  una  escalada. 

Spricht   so  wohl  eine  über  den  Tod  des  Vaters  betrübte  Tochter? 
Bei   den    übrigen  Personen    kann    von    einer  Charakterisierung 
überhaupt  nicht  gesprochen  werden.     Sie  reden  meist  eine  unnatür- 
liche, oft  triviale  Sprache,  so  der  König,  wenn  er  vom  Grafen  sagt: 

Las  alas  le  cortard, 

oder  wenn  Diego  von  der  Ohrfeige  erzählt: 

Que  de  su  mano  (j  que  pena!) 
Sobre  el  papel  de  mis  canas 
Imprimiö  las  cinco  flechas. 

Am  meisten  findet  sich  der  Geist  des  Kultismus  in  der  Sprache 
des  gracwso,  die  mit  allen  möglichen  komischen  (anheiterndeu) 
Sprüchen  durchtränkt  ist. 

Das  höchste  aber  leistet  Diamante  am  Schlüsse  des  3.  Aktes. 
Als  Jimena  überlistet  wird  und  sie  mit  Rodrigo  sterben  will,  falls 
dieser  nicht  begnadigt  werden  sollte,  sagt  Diego: 

Ap.     No  puedo  tener  la  risa. 

Wir  müssen  das  mit  Schäfferi  als  ,.erbärmlich"  bezeichnen. 
Er  fügt  hinzu:  „Die  gewaltige  Macht  der  Leidenschaft,  weiche  eine 
edle  Jungfrau  angesichts  einer  vermeinten  Todesgefahr  ihres  Ge- 
liebten dazu  bringt,  alle  Schranken  der  Konvenienz  und  weiblicher 
Zurückhaltung  zu  durchbrechen,  würde  von  jedem  Dichter  als  ein 
erhabenes  Motiv  aufgefafst  worden  sein.  Von  wahrhafter  Erhaben- 
heit hatte  aber  Diamante  keinen  Begriff,  und  wenn  sich  dies  auch 
in  den  übrigen  Teilen  des  Stücks  nicht  so  extrem  äufsert,  so  ist 
doch  der  ganze  Ton  desselben  mehr  derjenige  eines  Familien-  als 
eines  Heldendramas." 

*  L.  c,  II,  pag.  219. 


28 

Voltaire  i  und  nach  ihm  Sismondi  u.  a.  glaubten  in  Diamantes 
Stück  die  Quelle  zu  Corneilles  Cid  gefunden  zu  haben.  Dafs  gerade 
das  Gegenteil  zutrifft,  ist  schon  zur  Genüge  dargelegt  worden  und 
wird  auch  keineswegs  mehr  bestritten.  Nach  den  von  Barrera^ 
angestellten  Untersuchungen  ist  Diainante  im  Jahre  1626  geboren, 
kann  also  unmöglich  schon  vor  1636  (das  Jahr,  in  dem  Corneilles 
Cid  auf  die  Bühne  kam)  sein  Drama  geschrieben  haben. 3 

Was  von  Guillen  de  Castro  ohne  Vermittlung  Corneilles  ent- 
lehnt zu  sein  scheint,  beschränkt  sich  auf  die  Erprobung  Rodrigos 
durch  seinen  Vater,  ob  er  zur  Rache  tauglich  sei,  und  dessen 
kecke  Antwort. 

Der  von  Corneille  abweichende  Schlufsteil  des  3.  Aktes  wird 
von  Diamante  wohl  selbst  erfunden  sein.  Er  enthält  nämlich  ein 
im  spanischen  Drama  dieser  Zeit  so  häufiges  Versteckspiel. 

El  Honrador  de  su  padre  ist  durch  den  wegen  des  Dramas 
ausgebrochenen  Streit  bekannter  geworden,  als  es  eigentlich  ver- 
diente."*  Wie  man  nach  einem  Vergleich  des  französischen  und 
spanischen  Stückes  und  der  übrigen  dramatischen  Leistungen 
Corneilles  und  Diamantes  überhaupt  dazu  kommen  konnte  Corneille 
des  Plagiats  zu  beschuldigen  bleibt  mir  ein  Rätsel. 


II.  Dramen,  welche  die  Kämpfe  um  Zamora  oder 
Toro  behandeln. 

I.  Juan  de  la  Cueva:  Comedia  de  la  Muerte  del  Rey  Don 
Sancho,  y  Reto  de  Zamora  per  Don  Diego  Ordonez. 

Da  Juan  de  la  Cueva  (cc  1550  bis  nach  1607)  als  der  in- 
venior  de  la  comedia  htstörüa^  angesehen  wird,  so  ist  das  uns  vor- 
liegende Drama  wohl  das  erste  Stück,  das  den  Cid  auf  die  Bühne 
bringt. 


*  CEuvres  de  Voltaire,  publiees  par  M.  Beuchot  XLI,  pp.  490  u.  491 
(Artikel  in  der  Gazette  litte'raire).  Die  ia  Frage  kommende  Stelle  ist  bei 
INlarty-Laveaux,  1.  c,  III,  pp.  4  ff.  abgedauckt. 

3  Mitgeteilt  bei  Marty-Laveaux ,  1.  c,  III,  pp.  6  u.  7  (Brief  Barreras  an 
Antoine  de  Latour). 

^  Vergl.  zu  dieser  Frage  die  bei  Picot,  1.  c,  pp.  457 — 484  angegebene 
Literatur,  und  vor  allem  die  Ausführungen  Marty-Laveaux's,  I.e.,  III,  pp.  4ff. 
und  pp.  238ff.  damit  werden  auch  die  Ausführungen  Schacks  (I.e.,  III,  373  ff. 
gegenstandslos. 

*  Französische  Übersetzung  in  Fee,  M.  A.:  Etudes  siir  Vancien  theätre 
espagHol.     Paris  1873. 

'•"  Gil  de  Zärate,  Manual  de  Lüeratura.  Principios  Generale^  de  PoHica 
y  Retörica.     Paris  1S53.    Parte  II,  pp.  224ff 


29 

Es  wurde  in  dem  ersten  Bande  der  Komödien  unseres  Ver- 
fassers gedruckt.  Bis  jetzt  war  nur  ein  Druck  zu  Sevilla  1588' 
bekannt;  aber  schon  Salvä  y  Mallen  sowie  A.  Farinelli^  vermuten, 
dafs  noch  eine  frühere  Ausgabe  existieren  müsse.  Es  ist  mir  ge- 
lungen diesen  Druck  zu  finden.  Er  stammt  aus  dem  Jahre  1583 
und  befindet  sich  in  der  K.  K.  Hofbibiiothek  zu  Wien.  Der  Titel 
lautet  folgendermafsen :  Primer a  parte  ||  de  las  Comedias  ||  i  tragedias  || 
de  Juan  de  la  Ciieva  \  Dirigidas  ||  a  j|  Motfio  ||  ^  E?i  Sevilla,  en  casa 
de  Andrea  Pescioni\  Afio  de  1583. 

Unser  Drama  ist  das  erste  darin  enthaltene  Stück.  Die  An- 
gabe, dafs  es  1579  in  Sevilla  zum  erstenmal  aufgeführt  wurde,  findet 
sich  nicht  in  diesem  Druck,  nach  Barrera  {Caidlogo  pag.  1 19)  aber  in 
dem  aus  dem  Jahre   1588.     Weitere  Drucke  sind  nicht  bekannt. 

Das  Drama  besteht  noch  aus  4  Jornadas  und  schliefst  sich 
eng  an  die  Romanzen  an.  Den  gröfsten  Teil  (2. — 4.  Akt)  nimmt 
der  reto  de  Zamora  por  Dem  Diego  Ordonez  ein,  während  nur  der 
erste  Akt  sich  mit  dem  Tode  König  Sanchos  befafst. 

Der  Inhalt  ist  folgender: 

I.  Akt.  König  Sancho  beklagt  sich,  dafs  seine  Schwester 
Urraca  auf  seinen  Wunsch  nicht  eingehe  und  ihm  Zamora  nicht 
übergebe,  auch  nicht,  wenn  er  ihr  dafür  andere  Städte  geben  würde. 
Jetzt  ist  er  entschlossen  Rache  zu  nehmen.  Er  schickt  den  Cid 
nach  Zamora  um  Urraca  nochmals  einzuschüchtern,  da  er  niemand 
verschone.  Der  Cid  kommt  nach  Zamora,  wo  Urraca  sich  ihm 
gegenüber  beklagt,  dafs  er  sie  schutzlos  lasse,  nachdem  ihr  Vater 
tot  sei.  Dem  Wunsch  des  Königs  entspreche  sie  nie  und  sie  sei 
entschlossen  Zamora  zu  verteidigen.  Diese  Meldung  bringt  der  Cid 
dem  König  und  fügt  zugleich  seine  eigene  Meinung  über  die  Be- 
lagerung bei:  dafs  er  es  nämlich  auch  für  ungerecht  halte  gegen 
die  Schwester  zu  Felde  zu  ziehen.  Gegebenenfalls  bleibe  er  neutral. 
Der  König,  dem  inzwischen  der  Verräter  Vellido  Dolfos  seine 
Dienste  angeboten  hat,  hört  nicht  auf  den  Cid  und  will  sich  von 
Vellido  den  geheimen  Zugang  zur  Stadt  zeigen  lassen.  Obwohl 
von  der  Wache  von  Zamora  gewarnt,  vertraut  sich  Sancho  dem 
Verräter  an  und  wird  von  diesem  mit  seinem  Speer  niedergestofsen. 
Der  Cid  findet  seinen  König  im  Sterben,  während  der  Mörder  sich 
in  die  Stadt  geflüchtet  hat. 


^  Diesen  Druck  habe  ich  leider  nicht  finden  können.  Ich  mufs  mich 
daher,  was  die  diesbezüglichen  bibliographischen  Angaben  betrifft,  auf  das  bei 
Salvä  y  Mallen,  Catdiogo  de  la  biblioteca  de  Salvd,  Valencia  1872  wieder- 
gegebene Titelblatt  verlassen.     I.  Band,  pag.  425. 

2  Archiv  f.  d.  Stud.  der  N,  Spr.  53.  Jahrgang  (102.  Bd.)  1S99,  pp.  456 
Anmerkung  i. 

'  Die  Ausgabe  des  Jahres  1588  enthält  den  Zusatz:  Van  anadidos  en 
esta  segunda  Impression,  en  las  Comedias,  y  Tragedias  Argumentes,  y  en  todas 
las  Jornadas ,  Enmendados  muchos  yerros,  y  f alias  de  la  primera  Impression. 
Con  Privilegio.  Impresso  en  Sevilla  en  casa  de  Joan  de  Leon.  1588.  [Cat. 
de  la  Bibl.  de  Salvd,  I,  pag.  425.) 


30 

Im  zweiten  Akte  ruft  der  Cid  seine  Ritter  zusammen  um  mit 
ihnen  zu  beraten,  was  zu  tun  sei.  Diego  Ordoilez  will  die  Zamoraner 
herausfordern  und  tut  dies  auch  mit  heftigen  Worten.  Arias  Gonzalo 
verteidigt  von  der  Stadt  aus  die  Zamoraner,  die  an  der  Ermordung 
König  Sanchos  völlig  unbeteiligt  gewesen  seien.  Er  macht  Diego 
darauf  aufmerksam,  dafs  nach  einem  alten  Rechte  er  als  der  Heraus- 
fordernde mit  5  Gegnern  zu  kämpfen  habe.  Es  wird  ein  Gericht 
eingesetzt,  das  zu  bestimmen  hat,  ob  Diego  5  Zamoranern  gegen- 
über gestellt  werden  soll. 

Der  dritte  Akt  bringt  uns  die  Gerichtsversammlung,  die  das 
alte  Recht  bestätigt,  Arias  Gonzalo  will  selbst  mitkämpfen,  die 
Infantin  läfst  es  jedoch  nicht  zu;  er  fordert  dafür  seine  Söhne  auf 
in  den  Kampf  zu  ziehen.  Diego  besiegt  die  drei  Söhne  des  Arias, 
beim  letzten  ist  der  Sieg  unentschieden.  Man  macht  nämlich  Diego 
den  Vorwurf,  dafs  er  aus  dem  vorgeschriebenen  Kreise  heraus- 
getreten und  geflohen  sei.  Der  Cid  beendigt  den  dadurch  aus- 
gebrochenen Streit,  indem  er  die  Kämpfer  auf  die  Entscheidung 
des  Kriegsgerichts  vertröstet. 

Der  letzte  Akt  bringt  uns  in  recht  ausführlicher  Weise  das 
Schiedsgericht.  Der  Cid  tritt  für  Diego  ein  und  giebt  dessen  Pferd 
die  Schuld  an  der  Flucht.  Er  schlägt  vor  Diego  den  Sieg  zuzu- 
erkennen, Zamora  aber  für  schuldlos  an  dem  Verrate  des  Vellido 
Dolfos  zu  erklären.  Nach  langem  Streite  zwischen  den  zwei  Parteien 
willigt  auch  der  Richter  von  Zamora  ein.  Diego  und  Arias  müssen 
den  Schwur  leisten,  dafs  sie  von  jetzt  an  die  Feindseligkeiten  auf- 
heben wollen. 

Am  besten  scheint  mir  der  erste  Akt  zu  sein,  während  die 
übrigen  stark  dagegen  abfallen.  Bis  zur  Ermordung  König  Sanchos 
ist  Leben  in  der  Handlung,  dann  wird  sie  durch  die  ständige 
Wiederholung  der  Kämpfe  und  Schiedsgerichte  sehr  schleppend. 
Nach  unseren  Begriffen  könnte  man  das  Ganze  überhaupt  kein 
Drama  nennen,  sondern  eine  Erzählung  der  Ereignisse  von  den 
Teilnehmern  selbst.  Allerdings  wird  das  sehr  begreiflich,  wenn 
man  bedenkt,  dafs  zur  damaligen  Zeit  das  Drama  noch  in  den 
Anfängen  stand  und  von  diesem  Standpunkte  aus  verdient  das 
Drama  unser  Interesse.  Man  kann  sich,  wie  Schaefferi  sagt,  „eine 
Aufführung  ohne  die  primitive  Einfachheit  der  altspanischen  Bühne" 
gar  nicht  denken. 

Auffällig  erscheinen  mufs  uns  auch  die  fortwährende  Dialog- 
führung ohne  jeden  Szenenwechsel.  Zuerst  sind  wir  im  Lager  von 
Zamora,  dann  in  Zamora  selbst  und  der  Verrat  des  Vellido  Dolfos 
ist  abseits  vom  Lager.  Die  Kämpfe  des  Diego  Ordonez  mit  den 
3  Söhnen  des  Arias  Gonzalo  finden  zu  Pferde  statt  und  zwar  vor 
der  Mauer,  dazu  müssen  wir  uns  die  Zinnen  der  Stadt  von  Zu- 
schauern besetzt  denken.  Die  Zamoraner  sprechen  auch  von  da 
aus   zu   den  Castilianern.     Man   kann    sich   indes   all  das  wohl  er- 

1  L.  c.  I,  pag.  58. 


31 

klären,  dafs  der  Leser  und  Hörer  den  Verlauf  der  Handlung  zu 
sehr  aus  den  Romanzen  kannte,  als  dafs  eine  nähere  Bezeichnung 
im  Drama  und  vielleicht  auch  auf  der  damaligen  Bühne  nötig  war. 

Wolfi  wirft  dem  Dichter  vor,  dafs  er  mit  seiner  „bedeutenden 
Erfindungskraft  .  .  .  nicht  hauszuhalten  wufste"  und  dafs  „der 
ordnende,  organisierende  Verstand  nur  zu  oft  in  seinen  Stücken" 
fehle. 

Den  ersten  Akt  unseres  Dramas  dürfte  dieser  Vorwurf  am 
wenigsten  treffen,  da  sich  der  Dichter  eben  hier  ganz  enge  an  die 
alten  Romanzen  anschlofs.  Die  drei  übrigen  Akte  jedoch  lassen 
den  ..ordnenden,  organisierenden  Verstand"  arg  vermissen.  Sie 
könnten  mit  Weglassung  aller  überflüssigen  Beigaben  und  mit  klarer 
Anordnung  des  Stoffes  leicht  auf  zwei  Akte  reduziert  werden,  und 
m.  E.  wäre  das  nur  zum  Vorteile  des  Stückes. 

Von  einer  Charakterisierung  seiner  Personen  kann  schwerlich 
gesprochen  werden.  Ansätze  hierzu  finden  sich  beim  Cid.  Dieser 
steht  im  Mittelpunkte  des  Ganzen,  wird  von  allen,  Castilianern  wie 
Zamoranern,  als  unbesiegter  Feldherr  geachtet  und  sein  Wort  ist 
ausschlaggebend.  Um  ihn  gruppieren  sich  die  übrigen  Kämpfer 
der  Castilianer.  Mit  der  wichtigen  Botschaft  an  Urraca  wird  wieder 
der  Cid  beauftragt  und  er  darf  es  sogar  wagen,  dem  König  ins 
Gesicht  zu  sagen:  2 

que  no  es  justo, 

Mira  bien  que  es  inhumano 
Matar  la  ermana  el  hermano 
Sin  mas  causa  que  su  gusto. 
Ablando  tu  crudo  pecho 
Muera  su  sobervio  intento 
La  fuer9a  del  juramento 
Que  a  tu  padre  tienes  hecho, 
I  si  las  cosas  del  suelo 
Menosprecias,  tea  memoria 
Que  si  desto  as  la  victoria 
Ai  quien  te  juzgue  en  el  cielo. 

Das  sind  kühne  Worte.  Der  König  pocht  demgegenüber  nur 
auf  seinen  eisernen,  unabänderlichen  Willen.  Der  Cid  erklärt  ihm 
nun  fest  und  bestimmt,  dafs  er  seinem  Eide  nicht  untreu  sein  wolle 
und  daher  sich    neutral   verhalten  werde.     Der  König  spöttelt  ihn : 

Id  Rodrigo  que  ya  entiendo 
El  fin  de  vuestra  piedad 
Yo  hare  mi  voluntad, 
I  vere  lo  que  pretendo. 

und  geht  seinem  Verderben  entgegen. 


•  Studien  zur  Geschichte  der  spanischen  und  portugiesischen  National- 
literatur.    Berlin  1859.    p.  614. 

^  Nach  der  Schreibweise  des  Originals. 


32 

Wie  schon  oben  erwähnt,  folgt  das  Drama  ganz  den  Er- 
zählungen der  alten  Romanzen  und  zwar  hat  der  Verfasser  den 
Inhalt  folgender  Romanzen  zu  seinem  Drama  benutzt : 

50.  Jiey  Jon  Sancho,  Rey  Jon  Sancho 
Ya  que  te  apiintan  las  barhas 

52.  Despues  Jel  lamento  triste 

53.  Apenas  era  el  Rey  muerto 

54.  Afnera,  afuera,  Rodrigo, 

55.  Llegado  es  el  Rey  Jon  Sancho 

56.  Entrado  ha  el  Cid  en  Zamora 

66.  De  Zamora  sale  Dolfos 

67.  Estando  del  Rey  Jon  Sancho 

71.  Muerto  yace  el  Rey  Jon  Sancho 

72.  Ya  Diego   Ordoüez  se  parte 

74.  Despues  que    Vellido  Dolfos 

75.  Ya  se  sale  Diego   Ordonez 

76.  Ya  cabalga  Diego  Ordonez 
77>  Sälese  Diego  Ordonez 

78.  Despues  que  retö  d  Zamora 

80.  Aun  no  es  hien  amanescido 

81.  Tristes  van  los  Zamoranos 

82.  Ya  estä  esper  and 0  don  Diego 

83.  Muerto  habia  don  Diego  Ordonez 

84.  A  pii  estä  el  fuerte  don  Diego 

85.  Des  de  el  muro  de  Zamora 

92.  De  la  cobdicia  que  es  mala 

93.  Despues  que    Vellido  Dolfos 
95.    Ya  se  sale  por  la  puerta 

Während  er  nun  diese  Romanzen  freier  umarbeitete,  meistens 
erweiterte,  sind  andere  Romanzen  teilweise  wörtlich  aufgenommen 
worden.  Es  ist  dies  vor  allem  der  Anfang  der  Romanzen  64 
und  65,  die  wir  hier  dem  Texte  bei  Jueva  gegenüber  stellen 
wollen. 

Juan  de  la  Cueva:  Rom.  64  u.  65. 

Rei  don  Sancho,  Rei  d5  Sancho  Rey  don  Sancho,  Rey  don  Sancho 

No  digas,  que  no  te  aviso  No  digas  que  no  te  aviso 
I  porque  estes  advertido, 

Te  vengo  a  avisar  agora,  Rom.  64. 

Que  del  cerco  de  Zamora  Que  del  cerco  de  Zamora 

Un  traidor  avia  salido.  Un  traidor  havia  salido 
Si  de  ti  no  es  conocido, 

Ni  a  ti  ä  llegado  su  fama,  Rom.  64. 

Vellido  Dolfos  se  llama  Vellido  Dolfos  se  llama 

Hijo  de  Dolfos  Vellido.  Hijo  de  Dolfos  Vellido 
Sabes  Rei  porque  nie  ahinco, 


33 

Porque  esse  tu  amigo  estrecho  Rom.  65. 

Cuatro  tiaiciones  h  hecho  Cualro  traiciones  ha  hccho. 

I  con  esta  seran  cinco.  Y  con  esta  serän  cinco. 

Mögen  die  dazwischen  liegenden  Verse  zu  einer  verlorenen 
Romanze  gehört  haben  oder  nicht,  auch  diese  Gegenüberstellung 
zeigt  schon,  wie  getreu  Cueva  sich  hier  an  den  Text  der  Romanzen 
anlehnte. 

Ziemlich  genau  hat  sich  Cueva  auch  an  folgende  Romanze  (55) 
gehalten.  Es  handelt  sich  um  die  Städte,  welche  Sancho  seiner 
Schwester  für  Zamora  geben  will: 

Juan  de  la  Cueva:  Rom.  55. 
.     .     .  el  te  dara  en  trueco 

A  Medina  de  Rioseco,  A  Medina  de  Rioseco 

De  que  te  haze  Senora.  Yo  por  ella  la  daria 

Date  desde  Villalpando  Con  todo  el  infantazgo, 

A  Valladoli,  i  sin  esto  Y  tambien  le  prometia 

El  Infantadgo,  i  sobre  esto  A  Villalpando  y  su  tierra, 

De  Tiedra  te  dara  el  mando  etc.               O  Valladolid  la  rica, 

O  d  Tiedra,  que  es  buen  castillo  etc. 

Vielleicht  darf  ich  auch  darauf  hinweisen,  dafs  bei  der  Heraus- 
forderung des  Arias  Gonzalo  siebenmal  das  Wort:  re/o  wiederkehrt; 
in  Romanze  77  finden  wir  eine  sechsmalige  Wiederholung  desselben 
Wortes  {riepto). 

Über  die  Bedeutung  Juan  de  la  Cuevas,  des  precursor  de  Lope 
de  Vega,^  für  die  Geschichte  des  spanischen  Dramas  vergleiche 
man  die  Ausführungen  Schacks,^  die  darin  gipfeln,  dafs  „unser 
Dichter  ihr  (=  der  neuen  Richtung)  zuerst  entschieden  Bahn  brach 
und  sie,  freilich  noch  in  grofser  Rohheit  und  mit  Übertreibungen 
ihrer  Fehlerhaftigkeiten,  in  Besitz  der  Bühne  brachte".^  Die 
Dramen  Juan  de  la  Cuevas  sind  eine  bibliographische  Seltenheit 
—  in  Deutschland  in  keiner  Bibh"othek  zu  haben  —  was  bei  der 
Stellung,  die  der  Dichter  in  der  Geschichte  des  spanischen  Dramas 
einnimmt,  sehr  bedauerlich  ist.  Nur  zwei  Dramen:  £/  saco  de  Roma 
und  EL  Infamador  sind  von  E.  de  Ochoa  in  seinem  Tesoro  del 
Teatro  espanol  Tom  1  (Paris   1838)  gedruckt  worden.'* 


2.  Guill6n  de  Castro:  Las  Mocedades  del  Cid,  Segunda  parte. 

Das   zweite,    von  Guillen  de  Castro   verfafste  Ciddrama  wurde 
zugleich  mit  dem  oben&  besprochenen  gedruckt.    Von  den  neueren 


*  Gil  de  Zarate,  1.  c,  II,  pag.  224. 

*  L.  c,  1,277  ff.,  desgleichen  Gil  de  Zurate  1.  c. 
ä  L.  c,  pag.  288. 

"  Ich  bereite  eine  Ausgabe  aller  Dramen  der  Primera  parte  vor.     (Eine 
Segunda  parte  existiert  bekanntlich  nicht). 
5  Siehe  pp.  14  fr. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.    Phil.  XXV.  -i 


34 

Ausgaben  des  ersten  Dramas  enthalten  alle,  aufser  denen  von  Carol. 
Michaelis  und  E.  Merimees  auch  den  zweiten  Teil.i 

Das  Stück  beginnt  mit  den  Kämpfen  König  Sanchos  gegen 
seine  Geschwister.  Er  hat  bereits  Garcia  gefangen  gesetzt  und 
führt  jetzt  gegen  Alonso  Krieg.  Anfangs  ist  das  Glück  ihm  nicht 
günstig,  er  wird  sogar  gefangen  genommen,  aber  vom  Cid  befreit. 
Alonso  mufs  fliehen  und  geht  nach  Toledo.  Das  Vorgehen  des 
Königs  Sancho  befriedigt  jedoch  den  Cid  nicht  und  dieser  macht 
ihm  zum  Vorwurf,  dafs  er  das  Testament  seines  Vaters  Fernando 
zu  wenig  achte.  Der  König,  darüber  erzürnt,  beschliefst  zum  Trotze 
auch  gegen  Zamora  zu  Felde  zu  ziehen.  In  dieser  Stadt  ist  Urraca 
besorgt,  es  möchte  auch  ihr  das  Erbe  von  ihrem  Bruder  entrissen 
werden.  Arias  Gonzalo  versichert  sie  seines  und  seiner  Söhne 
treuer  Hilfe.  Bellido  de  Olfos  bringt  die  Nachricht,  dafs  Sancho 
im  Kampfe  mit  Alonso  gesiegt  habe  und  jetzt  auf  dem  Wege  nach 
Zamora  sei.  Arias  Gonzalo  und  seine  Söhne  bereiten  die  Ver- 
teidigung vor.  Als  Sancho  vor  Zamora  kommt,  fordert  ihn  Arias 
auf,  nicht  gegen  den  Willen  seines  Vaters  zu  handeln,  aber  diese 
Mahnung  hilft  ebenso  wenig^  wie  die  Bitte  Urracas ;  plötzlich  er- 
scheint König  Fernando  in  einer  Vision  seinem  Sohne  mit  einem 
Speer  in  der  blutigen  Hand  und  verkündet  ihm  seinen  baldigen 
Tod.  Sancho  ist  anfangs  darüber  sehr  ergriffen,  hält  die  Erscheinung 
für  ein  Trugbild  der  I^hantasie  oder  Zauberei  und  läfst  nicht  ab 
von  der  Belagerung  Zamoras.  Bellido  de  Olfos  bietet  Urraca  seine 
Dienste  zur  Befreiung  Zamoras  an,  verdächtigt  zugleich  Arias  Gonzalo, 
der  nur  aus  Eigennutz  handle;  als  dieser  eben  kommt,  mufs  er 
fliehen,  da  dessen  Söhne  ihn  töten  wollen.  So  geht  Bellido  aus 
der  Stadt,  kommt  zu  den  Soldaten  Sanchos  und  wird  ihrem  König 
vorgeführt.  Diesen  belügt  er,  indem  er  Arias  als  Volksaufwiegler 
beschuldigt,  während  er  die  Stadt  Sancho  zu  übergeben  geraten. 
Nun  bittet  er,  Vasall  Sanchos  werden  zu  dürfen  um  ihm  Zamora 
dadurch  verschaffen  zu  können.  Von  der  Stadt  aus  warnt  Arias 
den  König,  sich  nicht  dem  Bellido  anzuvertrauen ;  denselben  Rat 
erteilt  auch  der  Cid.  Der  Verräter  verdächtigt  aber  nun  sogar  den 
Cid,  der  ja  als  Verwandter  des  Arias  diesem  zustimmen  müsse. 
Hierauf  verbannt  der  König  den  Cid.  Trotzdem  etwas  unent- 
schlossen, ob  er  sich  der  Führung  Bellidos  anvertrauen  solle,  hört 
er  erst  auf  des  Verräters  Wort,  als  dieser  ihn  zu  verlassen  droht. 
Auf  die  Mitteilung,  dafs  mit  dem  Cid  eine  Reihe  von  Soldaten 
abgezogen  seien,  läfst  der  König  den  Campeador  sogleich  wieder 
zurückrufen. 

In  diesem  Akte  findet  sich  auch  wie  in  dem  folgenden  eine 
Szene,  die  in  Toledo  spielt,  wohin  Alonso  geflüchtet  ist.  Der 
Maurenkönig  hat  ihn  liebgewonnen  und  behandelt  ihn  als  Freund. 
Alonso  fafst  Liebe  zur  Maurenprinzessin  Zaida. 


'  Wir    zitieren    wieder    nach     der    Ausgabe     der    Biblioteca    Romanica 
No  37—39- 


35 

Zu  Beginn  des  zweiten  Aktes  ist  der  Cid  wieder  zurückgekehrt 
und  erfährt,  dafs  der  König  sich  der  Führung  des  Bellido  de  Olfos 
anvertraut  habe.  Man  eilt  dem  König  nach.  Dieser  ist  vor  den 
Mauern  vor  Zamora  an  einem  versteckt  Hegenden  Platze,  von  wo 
er  in  die  Stadt  einzudringen  glaubt.  Bellido  de  Olfos  sucht  nur 
eine  günstige  Gelegenheit,  den  König  zu  töten.  Diese  bietet  sich, 
als  der  König  abseits  gehti  und  dabei  seinen  Speer  verliert. 
Diesen  nimmt  der  Verräter,  tötet  damit  Sancho  und  flieht  nach 
Zamora.  Der  Cid  kommt  eben  dazu  und,  ohne  noch  vom  Morde 
Kenntnis  zu  haben,  verfolgt  er  den  Mörder.  Diego  findet  den 
König  im  Sterben.  Der  Cid  wird  vor  Zamora  von  der  Infantin 
angerufen,  die  sich  bitter  beklagt,  dafs  auch  er  gegen  sie  kämpfe, 
obwohl  sie  ihm  nur  Wohltaten  erwiesen.  Der  Cid  verteidigt  sich 
dagegen  und  versichert  Urraca,  dafs  er  an  dem  Kampfe  um  Zamora 
nicht  beteiligt  sei.  Dann  kommt  er  zum  König,  der  in  den  letzten 
Zügen  liegt.  Diego  will  sogleich  Rache  nehmen  und  schlägt  einen 
Zweikampf  mit  einem  der  Zamoraner,  die  er  für  mitschuldig  an 
dem  Morde  des  Königs  hält,  vor  und  bietet  sich  selbst  dazu  an. 
Urraca  hat  unterdessen  den  Mörder  ihres  Bruders  ins  Gefängnis 
werfen  lassen.  Diego  beginnt  nun  die  Bewohner  der  Stadt  heraus- 
zufordern. Nach  einem  alten  Rechte  hat  er  mit  fünf  Gegnern 
nacheinander  zu  kämpfen.  Arias  Gonzalo  will  selbst  mit  seinen 
Söhnen  in  den  Zweikampf  ziehen. 

In  Toledo  wird  uns  wieder  ein  Liebesidyll  zwischen  Alonso 
und  Zaida  vorgeführt.  Dann  hört  Alonso,  der  sich  schlafend  stellt, 
dafs  zwei  Mauren  den  König  Alimaimon  darauf  aufmerksam  machen, 
dafs  Toledo  eingenommen  werde,  denn  so  steht  es  in  den  Sternen 
geschrieben.  Sie  raten  ihm  den  Christen  Alonso  zu  töten,  da 
dieser  der  Verräter  sein  könne.  Der  König  schwankt  lange  hin 
und  her,  bis  Zaida  ihm  entgegentritt  und  sagt,  dafs  wohl  der  Schwur 
Alonsos,  nichts  gegen  Toledo  zu  unternehmen,  genüge.  Nachdem 
die  Mauren  sich  entfernt  haben,  erfährt  Alonso  vom  Tode  des 
Königs  Sancho ;  er  ist  jetzt  Erbe  der  Krone.  Wie  soll  er  aber 
aus  Toledo  entkommen?  Zaida  bietet  ihm  ihre  Dienste  an,  er 
wird  sie  dafür  zur  Königin  von  Spanien  machen. 

Der  letzte  Akt  schildert  die  Zweikämpfe  vor  Zamora.  Arias 
will  selbst  als  erster  kämpfen,  läfst  sich  aber  durch  Urraca  be- 
stimmen, bei  ihr  zu  bleiben,  als  sie  ihn  an  das  Versprechen  erinnert, 
das  er  ihrem  Vater  gegeben.  Sie  betrachten  von  der  Mauer  aus 
die  Zweikämpfe,  die  nicht  auf  der  Bühne  stattfinden,  deren  Verlauf 
nur  aus  den  Gesprächen  zu  erkennen  ist.  Als  Streitrichter  fungiert 
der  Cid  und  die  hervorragendsten  Ritter  der  Castilier.     Die  ersten 


1  Man    sieht    hier    die  Naivität  der  Romanz'.n  in    der  Darstellung  dieses 
Vorgangs:  Rom.  64  sagt: 

Desque  el  Key  lo  ha  rodeado  Rom.  66: 

Sali6rase  cabe  el  rio,  Con  voluntad  de  facer 

De  se  hubo  de  apear  Lo  que  ä  nadie  es  excusado. 

Por  necesidad  que  ha  habido. 


zwei  Söhne  des  Alias  besiegt  Diego,  den  einen,  weil  er  zu  un- 
besonnen kämpft  und  sich  dadurch  eine  Blöfse  gibt,  den  anderen, 
weil  er  einen  Teil  seiner  Rüstung  verliert,  beim  dritten  bleibt  der 
Sieg  unentschieden.  Diegos  Pferd  hat  einen  tödlichen  Schlag  er- 
halten und  jagt  davon.  Man  glaubt,  Diego  sei  aus  der  Schranke  ge- 
flohen. Die  Richter  erkennen  ihm  jedoch  den  Sieg  zu  und  erklären 
zugleich  Zamora  für  frei  und  schuldlos  an  der  Ermordung  König 
Sanchos.  Alonso  ist  aus  Toledo  geflohen  und  empfängt  die  Huldigung 
der  Krieger.  Als  alle  dem  König  Treue  schwören,  schweigt  der 
Cid.  Er  will,  dafs  Alonso  schwört,  an  dem  Morde  seines  Bruders 
nicht  beteiligt  gewesen  zu  sein.  Der  König  leistet  zwar  den  Eid, 
ist  aber  darüber  so  erbittert,  dafs  er  den  Cid  verbannt.  Auf  Urracas 
Wunsch  wird  die  Verbannung  wieder  zurückgenommen,  und  aus 
der  Hand  des  Cid  empfängt  dann  Alonso  die  Krone.  Zaida  wird 
auf  den  Namen  Maria  getauft  und  heiratet  Alonso. 

Allgemeini  hält  man  dieses  Drama  Guillen  de  Castros  für 
weniger  vollkommen  wie  sein  oben  besprochenes,  jedoch  gehört  es 
gleichfalls  zu  den  wirkungsvollsten  Stücken,  die  das  spanische 
Theater  aus  dieser  Zeit  besitzt.  Als  ein  INIeisterwerk  mufs  im 
dritten  Akte  die  Szene  von  dem  Zweikampfe  der  Söhne  des  Arias 
Gonzalo  mit  Diego  Ordonez  und  der  Kampf  desselben  mit  sich 
selbst  betrachtet  werden. 

Wie  aus  der  Inhaltsangabe  hervorgeht,  würde  der  Titel  El 
cerco  y  el  reto  de  Zamora  viel  eher  angebracht  sein,  als  der  ihm 
von  Guillen  de  Castro  wohl  in  Anlehnung  an  sein  erstes  Stück 
gegebene. 

Wie  schon  bei  seinem  ersten  Ciddrama  hat  der  Dichter  hier 
ebenfalls  darauf  gesehen,  möglichst  viel  Abwechslung  in  die  Handlung 
zu  bringen.  Es  genügt  ihm  daher  nicht,  wie  Juan  de  la  Cueva, 
nur  den  Tod  König  Sanchos  und  die  Kämpfe  um  Zamora  dramatisch 
darzustellen,  er  ging  noch  weiter,  indem  er  auch  noch  den  Kampf 
Sanchos  gegen  Alonso  und  am  Schlüsse  dessen  Eidesleistung  und 
Thronbesteigung  ins  Drama  hereinzieht.  Desgleichen  fügt  er  die 
Schicksale  Alonsos  in  Toledo,  seine  Liebe  zu  Zaida  und  ihre 
schliefsliche  Vermählung  ein. 

Die  Sprache  ist  wie  im  ersten  Drama  würdig  zu  nennen,  wenn 
auch  Gongorismen  hin  und  wieder  zu  finden  sind. 

Was  den  Aufbau  der  Handlung  betrifft,  so  fällt  uns  auf,  dafs 
das  Drama  keinen  Haupthelden  enthält.  Damit  hängt  zusammen, 
dafs  keine  der  vielen  Personen  so  scharf  und  deutlich  gezeichnet 
ist,  wie  im  ersten  Drama  Rodrigo  und  Jimena. 

Der  Cid,  der  hier  mehr  den  trotzigen  Charakter  der  crönica 
rimada  zur  Schau  trägt,  sagt  dem  König  Sancho  offen  und  ehrlich 
seine  Meinung  über  die  Belagerung  der  Stadt  Zamora,  erklärt  ihm 
kurz  und  bündig,   dafs  er  seinem  Eide  treu  bleiben  und  nicht  mit 


'  Ticknor,    1.  c,  I,    p.  65g  fF.,    Schaeffer,    1.  c,    I,  219  ff.,    Schack ,  1.  c. 
II,  442  ff. 


31 

dem  König  ziehen  werde.  Dabei  ist  er  aber  doch  ein  ergebener 
Vasall  seines  Königs,  wie  er  selbst  sagt: 

Y  en  el  vasallo  es  honor 
Acudir  ä  la  obediencia     (II,  2.) 

was  er  auch  durch  die  Tat  beweist.  Seinem  neuen  Herrn  Alonso 
gegenüber  tritt  er  gleich  kühn  auf,  indem  er  ihn  zur  Eidesleistung 
drängt.  Als  ihn  der  König  deshalb  verbannt,  spricht  er  stolz,  dafs 
er  dahin  gehe : 

Donde  el  valor  de  mis  brazos 
Venza  reyes,  gane  reinos.     (III,  879.) 

König  Sancho  ist  rücksichtslos  gegen  seine  Geschwister,  hört  nicht 
auf  die  Warnungen  des  Cid  und  des  Arias  und  geht  so  seinem 
Verderben  entgegen.  Vor  seinem  Tode  sieht  er  jedoch  seine 
Schuld  ein  und  verzeiht  allen,  wie  er  bittet,  dafs  ihm  verziehen 
werde.     Er  spricht  zu  D.  Diego : 

Fu6  hijo  inobedienle,  estiive  cieyo, 

Y  el  cielo  me  castiga  .     .     .     (II,  289.) 

und  weiter  unten: 

Perdono,  y  perdon  pido     (II,  342.) 

Als  Bild  treuer  Anhänglichkeit  gegen  das  Herrscherhaus  steht 
neben  dem  Cid  Arias  Gonzalo,  der  seine  drei  Söhne  opfert,  um 
Zamora  für  Urraca  zu  retten  und  der  selbst,  obwohl  schon  hoch- 
betagt, in  den  Kampf  ziehen  wollte,  wenn  er  nicht  von  der  Infantin 
an  noch  gröfsere  Pflichten  erinnert  würde.  Sein  und  seiner  Söhne 
Sinnen  und  Trachten  nach  Kriegsruhm  zeigt  sich  besonders  in 
der  wirkungsvollen  Szene,  in  der  der  tödlich  verwundete  Rodrigo 
Arias  sterbend  dreimal  seinen  Vater  fragt,  ob  er  gesiegt  habe,  und 
als  ihm  Arias  Gonzalo  versichert : 

Si  has  vencido     (III,  656.) 
und  weiter  unten  sogar  noch  hinzufügt: 

Yo  tus  hazafias  envidio,  y  tu  muerte  no  llorara     (111,671.) 
stirbt  er  mit  dem  Bewufstsein : 

Muera  yo,  viva  mi  fama,     (III,  656.) 

das  er  schon  oben  ausgedrückt  hat,  nachdem  sein  Vater  ihn  noch 
ermahnt  seine  Seele  Gott  zu  empfehlen. 

Bellido  de  Olfos  hat  der  Dichter  nicht  nur  als  Verräter,  sondern 
auch  als  Verleumder  dargestellt.  Er  scheut  sich  nicht,  Arias  Gonzalo 
bei  Urraca  zu  verdächtigen: 

Pues  por  hacerse  senor 
De  Zamora  te  ha  engafiado 
Arias  Gonzalo,     (I,  55211'.) 


38 

Kr   treibt    dieses    verbrecherische  Spiel    auch  bei  Sancho,    bei  dem 
er  sogar  den  Cid  selbst  verleumdet: 

Si  Arias  Gonzalo  y  Rodrigo  son  parientes  tan  cercanos, 
No  es  mucho  le  corresponda,  aunque  contra  ti.     (I,  750.) 

Dann  erinnert  er  an  die  Liebe  Urracas  zu  Rodrigo : 

.     .     .  el  favorecer  al  Cid  tu  hermana  Urraca,  don  Sancho, 
Los  caducos  lo  entendieron  y  los  ninos  lo  contaron, 
Y  el  amor  entie  los  dos  reciproco,  aunque  pasado, 
Tiene  fueiza  en  sus  reliquias  mayor  que  en  los  muros  altes 
De  Zamora.     (1,753  ff.) 

Wie  in  seinem  ersten  Ciddrama  Guillen  de  Castro  den  Cid 
auch  als  galanten  Höfling  den  Damen  gegenüber  darstellte,  so  ist 
es  in  unserem  Stücke  der  König  Alonso,  der  in  Toledo  die  schöne 
INIaurin  Zaida,  die  Tochter  des  Königs  von  Sevilla,  kennen  und 
lieben  lernt.  Man  müfste  die  ganzen  Szenen  abschreiben,  wollte 
man  all  diese  galanten  Redensarten  wiedergeben,  die  sowohl  Zaida 
an  Alonso,  als  auch  dieser  an  seine  Geliebte  richtet  (I,  243  —  357). 

Als  übertriebene  Galanterie  müssen  wir  jedoch  anführen,  wie 
Don  Alonso  seine  Freude  darüber  ausdrückt,  dafs  er  an  ihrer 
Seite  beim  Mittagsmahle  sitzen  darf: 

Solo  uu  bocado 
Podra  el  coraerle  ä  tu  lado 
Hacer  eterna  una  vida, 
Y  mas  si  potable  el  oro 
De  tus  entranas  comiera.     (I,  340.) 

Guillen  de  Castro  ist  den  Romanzen  wiederum  sehr  treu  gefolgt. 
Im  einzelnen  sind  es  die  Romanzen: 

47.    Don  Sancho  reina  en   Castilla 

50.  Rey  don  Sancho,  rcy  do7i  Sancho 
Va  que  ie  apimtan  las  barbas 

5 1 .  E7i   Toledo  eslaba  Alfonso 
57.    El  Cid  fiie  para  su  tierra 

64.    und  65.  Rey  don  Sancho,  Rey  don  Sancho 
JVo  di'gas  que  no  te  aviso 

66.  De  Zamora  sale  Dolfos 

67.  Estando  del  Rey  don  Saticho 

7  I .  Muerio  yace  el  Rey  don  Sancho 

80.  Ann  no  es  bieti  amanescido 

81.  Tristes  van  los  Zamoranos 

82.  Ya  estd  esper  and 0  don  Diego 

83.  Muerio  habia  don  Diego  Ordonez 

84.  A  pie  estd  el  fuerte  don  Diego 

87.  Por  el  muro  de  Zamora 

88,  Sobre  el  cuerpo  de  Rodrigo 


39 

g2.  De  la  cohdicia  qiie  es  mala 

96.  Dorm   Urraca,  la  Infanta 

97.  E71   Toledo  estaba   Alfonso 

98.  Aluerto  es  el  Rey  dort  Sancho 

99.  Hizo  hacer  al  Rey  Alfo7iso 

100.  En  Santa  Gadea  de  Burgos 

10 1.  Fincad  ende  mos  sesudo 

102.  Despiies  qiie  sohre  Zamora, 

aus  denen  der  Dichter  den  Stoff  für  sein  Drama  genommen. 

Bei  Romanze  100  ist  jedoch  zu  bemerken,  dafs  sie  bei  Guillen 
de  Castro  in  einem  ganz  anderen  Zusammenhang  erscheint.  Es 
handelt  sich  um  die  Verbannung  des  Cid  und  um  die  berühmten 
Worte : 

Tu  me  destierras  por  uno, 
Yo  me  destieno  por  cuatro. 

(Guillen  de  Castro  I,  761.) 

die  im  Drama  ebenso  wiederholt  sind.  In  der  Romanze  werden 
sie  erst  gesprochen  nach  der  Eidesleistung  des  Königs  Alonso, 
während  im  Drama  der  König  Sancho  den  Cid  verbannt  auf  Grund 
der  Verleumdungen  des  Bellido  de  Olfos. 

Romanze  44  Morir  vos  qiieredes ,  padre,  ist  mit  Ausnahme  von 
ein  paar  Versen  wortwörtlich  ins  Drama  übernommen  worden 
(I,  48-63). 

Die  Verse  217 — 226  des  2.  Aktes  entsprechen  mit  Berück- 
sichtigung der  von  C.  Michaelis  angegebenen  verschiedenen  Lesearten 
genau  der  Romanze  54  Aßiera,  afuera,  Rodrigo,  und  zugleich  auch 
Vers  217 — 224  desselben  Aktes  den  Schlulsversen  der  einzelnen 
Strophen  der  Romanze  52  Despues  del  la^nento  triste,  die  in  der 
Escobarschen  Ausgabe  vom  Jahre  181 8  (INIadrid),  wie  C.  Michaelis 
angibtji  zusammenhängend  sich  vorfinden. 

Ziemlich  genau  finden  sich  auch  Teile  der  Romanzen 

72.    Ya  Diego  Ordonez  se  parte  und 
76.    Ya  cabalga  Diego   Ordonez 

wieder  in  II,  540 — 562. 

Auch  die  Verse  der  Romanze  82: 

Don  Arias,  envia  otro  hijo 
Que  este  ya  tiene  recaudo 
und 

Don  Arias,  envia  el  tercero, 
Que  el  segundo  es  despechado 

sind  in  dieser  Fassung  im  Drama  zu  finden  (IIJ,  383  und  III,  499). 
Eine    direkte   Anlehnung    des    Dramas    an    das    eben    besprochene 

1  L.  c,  pag.  88, 


40 

]uan  de  la  Cuevas  kann  nicht  bewiesen  werden.  Was  sie  in  der 
Handlung  oder  im  Texte  geraeinsam  haben,  geht  auf  die  gleichen 
Quellen  zurück. 


3.   Lope  de  Vega:  Las  almenas  de  Toro. 

Die  Entstehungszeit  des  Dramas  ist  einfacher  zu  bestimmen 
als  bei  anderen  Stücken  Lope  de  Vegas  (1562  — 1635).  In  den 
zwei  Listen  des  El  percgrino^  ist  es  nicht  enthalten,  daher  mufs 
es  nach  1618  entstanden  sein,  aber  im  äufsersten  Falle  ein  Jahr 
nachher,  da  es  bereits  im  14.  Teil  seiner  Komödien,  wozu  er  i6ig 
das  Privileg  erhielt,  enthalten  ist;  gedruckt  wurde  dieser  Band  1620. 
In  der  von  Menendez  y  Pelayo  redigierten  Gesamtausgabe  der 
Werke  Lope  de  Vegas  2  steht  es  im  8.  Bande.  Eine  Handschrift 
des  Stückes  ist  in  der  Bihliokca  nacional  zu  Madrid, 3  sie  ist  aus 
dem   17.  Jahrhundert. 

Der  Dichter  hat  sein  Drama  Guillen  de  Castro  zugeeignet, 
vielleicht  mit  Rücksicht  auf  dessen  beide  Teile  der  Mocedadcs  del 
Cid,  und  um  jeden  Schein  einer  Rivalität  zu  vermeiden.  In  der 
Dedikation  bezieht  er  sich  allerdings  nur  im  allgemeinen  auf  die 
dramatischen  Leistungen  des  Dichters  und  erwähnt  dessen  Drama 
Dido, 

Es  ist  uns  ferner  bekannt,  dafs  Dona  Elvira  von  einer  be- 
rühmten Schauspielerin  la  gallarda  Jiisepa  Vaca,*  wie  es  im  Stücke 
heifst,  gespielt  wurde. 

I.  Akt.  Don  Sancho  ist  vor  Toro,  dessen  Beherrscherin  seine 
Schwester  Elvira  ist,  und  will  es  einnehmen.  Der  Graf  Angures 
weist  den  König  auf  seinen  Eid  hin,  den  er  seinem  sterbenden 
Vater  geleistet.  Auch  der  Cid  rät  von  einer  Belagerung  ab.  Der 
König  hört  nicht  darauf  und  beauftragt  den  Cid,  Elvira  aufzufordern, 
ihm  die  Tore  der  Stadt  zu  öffnen.  Dieser  begegnet  dem  Diego, 
der  als  Gesandter  Urracas  von  Zamora  bei  Elvira  war.  Die  beiden 
Helden  kennen  sich  jedoch  nicht,  reden  sich  scharf  an,  wobei 
jeder  seine  Tapferkeit  hervorhebt.  Diego  fürchtet  nur  einen,  das 
ist  der  Cid.  Dieser  gibt  sich  zu  erkennen  und  nun  freuen  sich 
beide  des  W^iedersehens.  Der  Cid  kommt  nun  zu  Elvira,  sagt  ihr, 
wer  er  sei,  warum  er  komme,  nämlich  als  Gesandter  ihres  Bruders. 
Sancho    wolle    sie    in    ein    Kloster    schicken,    denn  in   Castilien   sei 


1  Obras  sueltas  de  Lope  de  Vega,  Madrid  1776 — 1779.  21  Bde.  Band  5, 
pag.  XVIII  ff. 

"^  Obras  de  Lope  de  Vega  publicadas  por  la  Real  Academia  Espanola. 
Noch  nicht  vollständig.  Seit  1S90.  Madrid.  Für  jedes  Jahr  ist  ein  Band  be- 
stimmt    (8.  Bd.   1898.). 

^  Paz  y  Melia,  1.  c,  pag.  20. 

*  ßarrera  sagt  in  seiner  Nueva  Biugrapliia  de  Lope  de  Vega  (=  Bd.  I 
der  oben  zitierten  Ausgabe  der  Werke  Lope  de  Vegas)  1890  von  ihr  (pag.  168): 
Fue  tan  aplaudida  por  sus  talentos  y  hahilidad  en  las  tablas,  como  galan- 
teada  por  su  gracia  y  hermosura. 


41 

niemand,  der  ihrer  würdig  sei.  Sie  solle  ihm  die  Tore  der  Stadt 
öffnen  und  nicht  mifstrauisch  sein.  Elvira  läfst  sich  nicht  überreden, 
denn  in  ihre  Angelegenheiten  hätte  sich  Sancho  nicht  einzumischen. 
In  Tore  sei  sie  ohnehin  wie  in  einem  Kloster  und  es  sei  nicht 
Sitte  die  Tore  des  Klosters  zu  öffnen;  sie  verspreche  ihm  aber,  in 
diesem  Kloster  zu  bleiben.  Der  Cid  kann  es  sich  jedoch  nicht 
versagen,  Elvira  noch  seine  eigene  Meinung  über  die  Absichten 
des  Königs  zu  verraten  und  sagt  ihr,  dafs  er  Sancho  für  übel- 
beraten halte.  Inzwischen  kommt  der  König  selbst  mit  dem  Grafen 
An<;ures.  Von  der  schönen  Lage  Toros  ist  er  entzückt,  wendet 
aber  bald  seinen  Blick  auf  die  Mauer  zu  Elvira,  die  er  nicht  kennt, 
da  er  sie  seit  seiner  Geburt  noch  nicht  gesehen.  Er  fängt  an  sie 
zu  lieben  ^  und  will  sie  heiraten,  wenn  sie  die  Tochter  eines  Fürsten 
oder  Grafen  sei,  wenn  sie  aber  eines  Bauern  Tochter  wäre,  raüfste 
sie  seine  Geliebte  werden.  Die  aus  diesem  Verhältnis  hervor- 
gehenden Söhne  bestimmt  er  bereits  als  Herren  von  Carrion  und 
Palencia  und  als  Bischöfe  von  Burgos  und  Corapostela,  die  Mädchen 
würde  er  verheiraten.  Der  Cid  zerstört  ihm  nun  diesen  Traum, 
indem  er  ihm  Mitteilung  macht,  dafs  die  Dame  seine  Schwester 
sei.  Jetzt  verwandelt  sich  seine  Liebe  in  Hafs.  Er  findet  sie  häfs- 
lich  und  nun  soll  sie  einen  ihr  nicht  ebenbürtigen  I\Iann  heiraten 
müssen.  Er  ruft  seine  Bogenschützen,  die  sie  herunterschiefsen 
würden,  wenn  nicht  der  Cid  energisch  für  Elvira  eingetreten  wäre 
und  jeden  mit  dem  Tode  bedroht  hätte,  der  es  wagen  würde,  der 
Infantin  ein  Leid  zuzufügen.  Der  König,  der  seinen  Plan  nicht 
aufgeben  will,  Toro  sein  eigen  zu  nennen,  will  es  nun  durch  List 
einnehmen.  Hiezu  ruft  er  Bellido  Dolfos,  der  ihm  dazu  seinen 
Rat  geben  soll.  Man  will  Elvira  bestimmen,  mit  vier  Soldaten  beim 
Anbruche  der  Nacht  zum  König  zu  kommen,  um  mit  ihm  zu 
verhandeln.  Einige  Soldaten  könnten  sich  verborgen  halten  und 
Elvira  dann  gefangen  nehmen.  Anyures  soll  den  Auftrag  ausführen. 
Elvira  aber  durchschaut  den  Plan  und  geht  nicht  darauf  ein,  da 
sie  auf  der  Mauer  sicherer  sei.  Der  König  ist  darüber  sehr  erzürnt 
und  will  Leitern  anlegen  lassen.  Elvira  ruft  ihre  Soldaten  mit 
Nufio  Veläzquez  an  der  Spitze,  welche  die  Stadt  tapfer  verteidigen. 
Sancho  verspricht  dem,  der  seine  Fahne  auf  den  Zinnen  von  Toro 
aufpflanze,  die  Stadt  und  die  Hand  Elviras.  Der  Kampf  entscheidet 
sich  jedoch  zu  Ungunsten  Sanchos.  Er  mufs  mit  seinen  Soldaten 
schmählich  abziehen. 

In  diese  Handlung  ist  noch  eine  zweite  verflochten.  Wir  lernen 
ein  liebliches  Landleben  kennen.  Der  alte  Ritter  D.  Vela  hat  sich 
aufs  Land  zurückgezogen.  Seine  Bauern  kommen  gerade  von  der 
Feldarbeit  zurück;  man  unterhält  sich  über  das  Ergebnis  der  Ernte. 
Da  tritt  D.  Enrique  verwundet  auf.  Alle  sind  erschrocken.  Der 
Ankömmling    erzählt,    er    sei   von    zwei   Rittern    verräterischerweise 


1  Dasselbe  Moliv,  wo  der  Bruder   seine  Schwester  liebt,  beliandclt  Lopa 
auch  in  El  vaguero  de  Morana  und  in  La  Carbonera, 


42 

angegriffen  worden.     Er   bittet   um   Aufnahme,   die   ihm   gerne   ge- 
M'ährt  wird. 

II.  Akt.  Bellido  ersinnt  eine  neue  List.  Er  verspricht  dem 
König  Toro  zu  verschaffen  um  den  Preis  Elviras.  Sancho  verspricht 
sie  ihm.  Nun  nähert  er  sich  mit  looo  Soldaten  der  Stadt  und 
gibt  sich  als  Diego  Ordonez  aus,  der  von  Zamora  zur  Unterstützung 
Toros  gesandt  sei.  Elvira  ist  darüber  sehr  erfreut  und  will  den 
vermeintlichen  Zamoranern  noch  während  der  Nacht  die  Tore 
öffnen,  damit  Sancho  sie  nicht  entdecken  könnte.  Der  König  hat 
sich  jedoch  mit  seinen  Soldaten  in  der  Nähe  versteckt  gehalten 
und  kaum  sind  die  Tore  geöffnet,  dringt  er  selbst  schon  in  die 
Stadt  ein.  Elvira  wird  im  Dunkel  der  Nacht  in  Sicherheit  gebracht. 
Sie  flieht  und  kommt  zu  D.  Vela,  bei  dem  sich  auch  D.  Enrique 
aufhält.  Sie  gibt  sich  für  die  Tochter  eines  Landmanns  aus  und 
sagt,  dafs  sie  vor  den  Soldaten  des  Königs  Sancho  geflohen  sei. 
Enrique  hat  aber  Elvira  erkannt  und  liebt  sie.  Er  läfst  ihr  wissen, 
dafs  sie  mit  ihm  in  standesgemäfser  Ehe  leben  könne. 

Im  Lager  des  Königs  ist  Bellido  auf  Sancho  erzürnt,  da  der 
König  ihm  Elvira  nicht  gibt,  sondern  sie,  wie  Bellido  glaubt,  verborgen 
halte.  Der  König  versichert  ihm  zwar,  dafs  seine  Schwester  nicht 
in  Toro  sei,  sagt  ihm  aber  zugleich,  dafs  er  Elvira  nie  zur  Frau 
bekommen  könne.  Betrug  werde  wieder  mit  Betrug  bezahlt.  Bellido 
droht,  dafs  er  jetzt  in  den  Dienst  Urracas  nach  Zamora  gehe  und 
führt  diese  Drohung  auch  aus.     Der  König  läfst  Elvira  suchen. 

III.  .\kt.  Sancho  will  nach  Zamora  ziehen  und  kommt  auf 
dem  Wege  zu  dem  Verstecke  Elviras.  Diese  erkennt  jedoch  ihren 
Bruder  und  läfst  sich  nicht  sehen,  was  von  der  Tochter  des  Land- 
manns damit  motiviert  wird,  dafs  sie  eine  Dienerin  sei.  Enrique 
erzählt  Elvira  seine  Geschichte,  er  sei  aus  Burgund,  sein  Vater  ein 
Herzog  und  verwandt  mit  der  Krone  Frankreichs.  P>  sei  ihr  also 
ebenbürtig.  Sie  lehnt  aber  ab  mit  der  Begründung,  sie  sei  nur 
eine  arme  Frau.  Der  Landmann  sendet  Enrique  nach  Zamora  zu 
Rodrigo  de  Lara,  den  er  seiner  Tochter  als  Gatten  bestimmt  hat.  Als 
Enrique  wieder  zurückkommt,  erzählt  er  die  Ermordung  D.  Sanchos. 
i\Ian  habe  ihn  von  Zamora  aus  vor  Bellido  Dolfos  gewarnt,  der 
König  hätte  darauf  nichts  gegeben  und  so  sei  er  dem  Verräter 
zum  Opfer  gefallen.  Desgleichen  berichtet  er  von  der  daran  an- 
schliefsenden  Herausforderung  D.  Diegos  und  dem  Kampfe  desselben 
mit  den  Söhnen  des  Arias  Gonzalo.  Elvira  ist  über  den  Tod  ihres 
Bruders  betrübt.  Sie  beschliefst  mit  Enrique  zu  fliehen  und  nach 
Toro  zu  reiten.  D.  Vela,  der  Elvira,  und  seine  Tochter  Sancha, 
die  Enrique  liebt,  reiten  ihnen  nach. 

Der  Schlufs  des  Aktes  spielt  einige  Tage  später.  Alfonso  ist 
jetzt  König  und  auch  Herr  von  Toro,  da  man  Elvira  für  tot  hält. 
Die  Bevölkerung  der  Stadt  erkennt  ihn  jedoch  nicht  als  Herrn  an, 
da  man  fest  glaubt,  dafs  Elvira  sich  nur  verborgen  halte.  Elvira 
und  Enrique    kommen    und   werden   nur  von   dem  Vasallen  Nuiio 


43 

erkannt.  Elvira  bittet  sie  nicht  zu  verraten.  Sie  gibt  sich  jedoch 
bald  selbst  zu  erkennen,  heiratet  Enrique,  den  Herzog  von  Burgund, 
und  bleibt  Herrin  von  Toro.  Die  Vasallen,  wie  auch  D.  Vela  und 
seine  Bauern,  kommen  und  huldigen  ihr. 

Nach  Menendez  y  Pelayo '  ist  die  Comedia  agradable,  aiinque 
no  de  las  mejores  de  Lope.  Schlegel  ^  sagt  von  den  historischen 
Stücken  Lopes,  dafs  in  ihnen  ..eine  gewisse  Rohheit  der  Darstellung 
herrscht,  die  aber  gar  nicht  ohne  Charakter  ist,  und  absichtlich  für 
die  Gegenstände  gewählt  zu  sein  scheint."  Schaeffer^  rechnet  den 
ersten  Akt  zu  den  „besten  Produktionen-  Lopes,  .,während  die 
übrigen  Akte  stark  dagegen  abfallen".  Schuck ^  bringt  nur  eine 
kurze  Notiz  über  den  Inhalt  des  Dramas,  während  Bouterweck^  den 
Inhalt  ausführlicher  erzählt. 

Ich  glaube,  man  wird  dem  Urteile  Schaeffers  unbedenklich  zu- 
stimmen müssen.  Der  erste  Akt  ist  in  jeder  Hinsicht  ein  Meister- 
stück. Die  Handlung  ist  folgerichtig  aufgebaut,  erweckt  das  Interesse 
das  Lesers  wie  des  Hörers  in  gleicher  Weise.  Keine  überflüssige 
Szene  stört  den  Gang  der  Ereignisse.  Im  zweiten  und  dritten 
Akte  hebt  sich  die  Handlung  durch  den  often  Szenenwechsel  nicht 
mehr  so  klar  ab,  manche  Szenen  hätten  hier  unbedenklich  ge- 
strichen werden  dürfen.  Die  Liebe  des  Bauern  D.  Vela  und  seiner 
Tochter  Sancha  zu  Elvira  resp.  Enrique  und  die  daraus  entstehenden 
Eifersuchtsszenen  und  Verwicklungen  stehen  eigentlich  mit  der 
Haupthandlung  in  gar  keinem  Zusammenhang.  Einen  gewissen 
Reiz  verleihen  dem  Drama  die  eingestreuten  lyrischen  Partien,  in 
denen  besonders  die  Anmut  des  Landlebens  geschildert  wird. 

Vom  Charakter  des  Cid  sagt  Menendez  y  Pelayo  :6  hay  algunos 
toques  felices,  si  bien  el  aiitor  le  presenia,  por  lo  comi'in,  demasiado 
sumiso  y  coriesano,  contradiciendo  abiertamente  ä  la  tradicion  y  ä  la 
hisioria. 

Menendez  y  Pelayo  bezieht  sich  auf  folgende  Worte  des  Cid 
zu  König  Sancho: 

Soy  vasallo,  como  veis; 

Vuestro  padre  me  criö, 

Y  vos  rae  favoreceis; 

A  vuestro  si  ö  vuestro  no, 

Obediente  me  teneis. 

En  las  cosas  de  los  reyes 

Nunca  yo  pongo  la  mano, 

Ni  en  sus  fuerzas  ni  en  sus  leyes, 


'  Einleitung  pag.  XXVI  zum  Band  8  der  Obras  de  L.  de  V.  (Madrid  1S9S). 

^  Über  dramatische  Kunst  und  Literatur.  Vorlesungen  II.  Teil.  2.  Ab- 
teilung,   pag.  351.     (Heidelberg  iSll). 

2  L.  c,  I,  pag.  81. 

*  L.  c.,  II,  pag.  265. 

*•  G£schichte  der  spanischen  Poesie  und  Beredsamkeit.  GöUingen  1S04. 
pag.  371  ff. 

«  L.  c, 


44 

Mas  que  si  fuera  un  villano 
Entre  el  arado  y  los  bueyes  .  .  . 

Auch  weiter  unten  gibt  der  Cid  in  einem  Monolog  demselben 
Gedanken  Ausdruck: 

Obedecer  al  mayor 
Y  no  replicar  al  rey, 
No  solo  fu6  justa  ley, 
Pero  es  lealtad  y  es  amor. 


Bien  claramente  le  hable; 

Havto  un  rey  sufriö  ä  un  criado; 

Con  sufrirme  me  ha  obligado; 

Lo  que  me  ha  mandado,  hard  .  .  . 

Aber  nicht  immer  ist  er  so  demasiado  siimiso,  er  hat  auch  den 
Mut  der  Meinung  des  Königs  seine  eigene  gegenüber  zu  stellen. 
Er  weist  dem  König  aus  der  Bibel  nach,  wie  oft  der  Fluch  des 
Vaters  sich  erfüllt  habe,  und  fügt  dann  hinzu: 

Pues  si  hay  ejemplos  tan  llanos 
Del  castigo  y  del  rigor 
Contra  los  que  son  tiranos, 
(-•Por  que  quieres  tu,  senor, 
Desheredar  tus  hermanos? 

Dafs    der    König    diese    Frage    auch    als   Kühnheit    auflafst,    zeigt 
dessen  Antwort: 

Paso,  Cid,  que  yo  no  os  di 
Tanta  licencia. 

Als   aber   Bellido   Dolfos   den  Cid    beim  König   verdächtigt,   nimmt 
dieser  ihn  energisch  in  Schutz  und  sagt  sogar: 

j.  .  .  es  mi  igual,  si  no  mejor! 

Weniger  gut  dürfte  sich  jedoch  im  Munde  des  Cid  folgender 
Vergleich  ausnehmen.  Als  nämlich  D.  Sancho  seine  Schwester 
vergeblich  zu  bestimmen  sucht,  ihm  Toro  zu  übergeben,  fragt  der 
König  den  Cid,  was  er  von  seiner  Unterredung  mit  Elvira  denke. 
Der  Cid  erwidert  darauf: 

Que  al  reves  se  ve  la  historia 
De  Ulises  el  gricgo. 

Und  als  Sancho  die  Anspielung  nicht  versteht,  wird  er  deutlicher: 

Porque  tu  cantas  enganos, 
Navegante  temeroso, 
Y  siendo  Elvira  sircna, 
Tiene  los  oidos  sordos. 


45 

Wir  glauben,  dafs  dieser  Vergleich  eher  in  den  Mund  eines 
Humanisten  des  1 6.  Jahrhunderts  als  in  den  des  Cid  des  ii.  Jahr- 
hunderts pafst. 

Elvira  zeigt  sich  uns  als  entschlossene,  kluge  Frau.  Dafs  sie 
trotzdem  von  Bellido  Dolfos  überlistet  wird,  ist  nicht  ihre  Schuld. 
Diego  hat  ihr  versprochen  Hilfe  aus  Zamora  zu  senden,  wie  kann 
sie  da  vermuten,  dafs  nicht  Diego,  sondern  der  Verräter  ano-erückt 
kommt.-'  Sie  bleibt  ihrer  Rolle  stets  treu  und  wird  uns  nur  noch 
sympathischer  dadurch,  dafs  sie  den  Tod  ihres  Bruders  Sancho, 
der  ihr  so  viel   Unheil  angetan,  aufrichtig  beklagt. 

Bei  Bellido  Dolfos  bringt  uns  das  Drama  ein  neues  Moment, 
nämlich  den  Grund,  warum  er  den  König  Sancho  vor  Zamora  er- 
mordet. Auch  Lope  de  Vega  hat  Bellido  von  Anfang  an  als  Verräter 
und  Verleumder  gezeichnet.  Durch  seinen  Verrat  nimmt  Sancho 
Toro  ein.  Er  verlangt  dafür  die  Hand  Elviras.  Da  er  diese  nicht 
erhält,  geht  er  in  die  Dienste  Urracas  und  ermordet  den  König. 

Die  Tatsache,  dafs  Bellido  Dolfos  Urraca  (nicht  Elvira)  liebt, 
findet  sich  nicht  in  den  Romanzen.  Zum  erstenmale  begegnet  sie 
uns  unter  sehr  eigentümlichen  Umständen,  nämlich  in  den  Zusätzen, 
die  ein  Unbekannter  aus  der  Zeit  Heinrichs  IV.  zum  Sumario  dd 
Despensero  de  la  reina  Z?«.  Leotior  machte.i  Die  bei  Menendez  y 
Pelayo  zitierte  Stelle  lautet:  ..Bellido  Dolfos  le  dixo  (d  Z>°  Urraca) 
qiie  ä  le  prometia  descercar  ä  Zamora  si  k  promeiia  dar  mir  con  <?/". 
Urraca  verspricht  es  ihm,  denkt  aber  schon  daran  ihn  zu  über-, 
listen.  Bellido  tötet  den  König  und  verlangt  dann  seinen  Lohn. 
.,Y  doila  Urraca  fizo  aiar  de  pies  e  de  manos  al  dicho  Bellido 
Dolfos,  c  mandöle  meter  en  un  costal,  c  liäronle  hien:  e  por  teuer 
la  promesa,  mandöle  echar  en  la  cama  donde  ella  dormia,  e  doila  Ur- 
raca se  acosto  vestida  en  aqiiella  viisma  cama:  c  como  fiie  amafiecido 
olro  dia,  mandö  traer  quairo  poiros  bravos,  e  ?nandö  atar  los  pies  e 
las  manos  de  Bellido  d  los  potros,  e  sacäronle  al  campo,  por  ial  manera, 
que  cada  potro  llevö  su  pedazo  del,  c  asi  muriö  como  Iraidor."  {Folios  24 
y   25   de  la  ediciön  de  Llaguno). 

Man  sieht  aber,  dafs  es  sich  um  die  Befreiung  von  Zamora 
handelt  und  nicht,  wie  bei  Lope  de  Vega,  um  die  Einnahme  von 
Toro;  dafs  ferner  Bellido  Dolfos  die  Hand  Urracas  verlange,  wenn 
er  den  König  getötet  und  nicht,  wie  bei  Lope  de  Vega,  er  Elvira 
zur  Gemahlin  bekäme,  wenn  er  Sancho  Toro  verschaffe.  Vielleicht 
bezieht  sich  aber  auf  diesen  Verrat  des  Bellido  Dolfos  der  oft 
wiederkehrende  Vers: 

Cuatro  traiciones  ha  heclio.^ 


Herausgegeben  von  Llaguno.  Ich  habe  das  Buch  nicht  selbst  gesehen, 
mufs  mich  also  auf  Menendez  y  Pelayo's  Angaben  (I.  c.  pag.  XXV)  verlassen 
der  weder  Ort  noch  Datum  der  Ausgabe  zitiert.  ' 

'^  Nur  in  Rom.  92  [De  la  cohdicia  que  es  mala)  werden  die  früheren 
traiciones  des  Bellido  Dolfos  erwähnt,  jedoch  nur  eine  derselben  näher  be- 
zeichnet; 

Que  aqueste  matö  al  buen  conde 
Que  (Jon  Nuno  era  llamado. 


46 

Diese  Abweichungen  von  dem  überlieferten  Texte,  sowie  die  Liebe 
Ehiras  zu  Enrique  und  die  ländlichen  Szenen  werden  von  Lope 
wohl  selbst  erfunden  sein. 

Der  Titel  der  Comedia,  sowie  die  Haupthandluiig  (i.  Akt) 
stammen  aus  einer  alten  Romanze,  die  zum  Teil  ins  Drama  auf- 
genommen wurde.  Menendez  y  Pelayo^  glaubt  nun,  dafs  der  Text 
bei  Lope  de  Vega  nicht  der  der  uns  überlieferten  Romanze  ist, 
vielmehr  scheinen  ihm  die  Verse  Lopes  mas  tradicionales  que  los  del 
romance,  wenn  er  auch  zugibt,  dafs  Lope  war  rnuy  capaz  de  lograr 
por  si  mismo  tal  gmero  de  bellezas.  Lope  versichert  uns,  dafs  die 
Romanze  zu  seiner  Zeit  zum  Einschläfern  der  Kinder  benützt  wurde, 
ob  nun  in  der  Form,  in  der  er  sie  uns  gibt,  oder  in  jener  der 
Romanze,  können  wir  natürlich  nicht  entscheiden.  Die  betreffende 
Stelle  lautet  (Bellido  rät  dem  König,  er  solle  Elvira  heiraten,  darauf 
antwortet  der  König): 

D.  Sancho:  Que  Elvira  no  ha  de  quererme 

Para  su  marido  ä  mi. 
Bellico:        Ya  se  canta  por  ahi, 

Y  hasta  en  la  cama  se  duerme 
El  nino  con  las  canciones 

Que  se  han  hecho  a  las  almenas 
De  Toro,  y  aun  estan  llenas 
De  tu  historia  mil  naciones  etc. 

Um  einen  Vergleich  zu  erleichtern,  wollen  wir  hier  die  Romanze 
(104)  wiedergeben  und  dann  den  Text  bei  Lope,  den  Menendez 
y  Pelayo  für  einen  anderen  Romanzentext  hält: 

Romance  104:     En  las  almenas  de  Toro 
Alli  estaba  una  doncella, 
Vestida  de  panos  negros, 
Reluciente  como  estrella: 
Pasara  el  Rey  den  Alonso, 
Namorado  se  habia  de  ella, 
Dice:  „Si  es  hija  de  Rey 
Que  se  casaria  con  ella, 

Y  si  es  hija  de  duque 
Serviria  por  manceba." 
Alli  hablara  el  buen  Cid, 
Estas  palabras  dijera. 
„Vuestra  hermana  es,  senor, 
Vuestra  hermana  es  aquella." 
Si  mi  hermana  es,  dijo  el  Rey, 
Fuego  malo  encienda  en  ella! 
LIamenme  rais  ballesteros, 
Tirenle  sendas  saetas, 

'  L.  c,  pag.  XXIII. 


47 

Y  d^  aquel  que  le  enare 
Que  le  corten  la  cabeza." 
Alli  hablara  el  buen  Cid, 
De  esta  suerte  respondiera: 
„Mas  aquel  que  la  tirare 
Pasc  por  la  misma  pena". 
„los  de  mis  tiendas,  Cid, 
No  quiero  que  esteis  en  ellas." 
„Pläceme,  respondiö  el  Cid, 
Que  son  viejas  y  no  nuevas; 
Irme  he  yo  para  las  mias, 
Que  son  de  brocado  y  seda, 
Que  no  las  gane  holgando, 
Ni  bebiendo  en  la  taberna; 
Gan^las  en  las  batallas 
Con  mi  lanza  y  mi  bandera". 

Soweit    der   Text    der   Romanze.      Bei    Lope    de   Vega    sehen 
wir  nun  eine  viel  ausführlichere  Behandlung: 

Rey  D.  Sancho: 
Por  las  almenas  de  Toro     —     se  pasea  una  doncella, 
Pero  dijera  mejor     —     que  el  mismo  sol  se  pasea 


An^ur. 
Bianca  es  y  colorada,     —     que  es  de  los  amores  reina 

Rey  D.  Sancho. 
Si  es  hija  de  duque  ö  conde,     —     yo  me  casare  con  ella 
De  buen  gana,  vasallos,     —     y  harela  en  Castilla  reina. 
Corroza  le  har6  de  plata,     —     y  de  blanco  raarfil  las  ruedas, 
Eslribos  y  asientes  de  oro,     —     y  las  cubiertas  de  tela. 
Los  caballos  que  la  lleven,     —     las  crines  ricas  que  peinan, 
Cubrirän  lazos  de  nacar,     —     y  ellos  besarän  la  tierra. 
Harele  el  mds  rico  estrado     —     que  moro  ö  cristiano  tenga 
Donde  no  se  echen  de  ver     —     con  los  diamantes  las  telas. 
Hare  que  Elvira  y  Urraca,     —     juntas  de  rodillas  vengan 
A  servilla,  y  que  el  cojin     —     la  lleve  Alfonso  d  la  iglesia. 
Mas  si  por  dicha,  si  ya,     —     que  esto  puede  ser  que  sea, 
Es  hija  de  labrador,     —     tendrela  por  mi  manceba. 
Har6  que  por  celosias     —     mire  las  püblicas  fiestas, 
Juegos  de  caiias  y  toros,     —     torneos,  justas,  libreas. 
Iremos  los  dos  d  caza     —     por  los  montes  y  florestas; 
Gavildn  que  lleve  en  mano,     —     de  oro  tendrd  las  pihuelas. 
Si  de  ella  tuviere  hijos,     —     har6  que  el  nnayor  posea, 


'  Menindez  y  Pelayo  läfst  ä  fort  und  schreibt  blofs  y  aquel  etc. 


48 

Como  juro  de  heredad,     —     ä  Carrion  y  ä  Palencia. 

Los  demäs  no  inin  ([uejosos,     —      cjue  yo   casare  las  hembras, 

Y  har^  obispos  los  varones,     —     de  Burgos  y  Compostela. 

Cid. 
Dejad,  el  buen  ley  den  Sancho,     —      de  hablar  palabras  como  esas; 
Oue  es  vuestra  hermana,  senor,    —     la  que  veis  en  las  almenas  .  .  . 

Rey  don  Sancho : 
Pues  si  ella,  Cid,  es  mi  hermana,    —    mal  fuego  se  encienda  en  ella! 
jNo  tenga  jamds  Ventura,     —     pues  no  la  tendrd  per  fea! 
Case  mal  con  hombre  indigno,     —     cuyo  nacimiento  venga 
Desde  el  primero  villano     —     que  puso  arado  en  la  tierra. 
Na  haya  subido  ä  caballo,     —     calzado  bota  ni  espuela, 
Piiesto  camisa  de  holanda,     —     vestido  sayo  de  seda. 
i  Hola,  ballesteros,  hola !     —     apercibid  las  ballestas  .... 
Poned  al  coral  la  mira     —     nadie  goce  su  belleza ! 
j  Tiralde,  los  mis  monteros! 

Cid: 
Todo  hidalgo  se  detenga, 
Que  al  hombre  que  la  tirare,     —     antes  que  ponga  cuerda 
Le  volare  de  los  hombros,     —     y  de  un  reves,  la  cabeza  .... 

Zu  bemerken  ist  noch,  dafs  die  Romanze  vom  König  Alonso 
und  nicht  von  Sancho  spricht. 

Es  ist  die  soeben  erwähnte  Romanze  die  einzige,  die  von 
Toro  handelt.  Die  Stadt  wird  noch  genannt  in  Romanze  5Ö 
Enirado  ha  el  Cid  en  Zamora,  wo  es  heifst: 

A  Toro  tomö  ä  mi  hermana, 
A  mi  hermana  dona  Elvira, 

während  bei  der  Testaraentsverteilung  König  Fernandos  sie  nicht 
genannt  wird  (siehe  Romanze  44,  wo  Sancho,  Alonso  und  Garcia 
erwähnt  werden  und  Urraca  klagt  leer  ausgegangen  zu  sein). 

Von  anderen  Romanzen  sind  einige  Verse  aus  den  sehr  be- 
liebten Romanzen  64  und  65  aufgenommen  in  dieser  Fassung: 

Rey  don  Sancho,  rey  don  Sancho, 
Hijo  de  Fernando  el  bueno, 
No  digas  que  no  te  aviso 
Si  hubiere  algün  mal  suceso; 
Que  del  muro  de  Zamora 
Donde  cerco  tienes  puesto. 
Ha  salido  un  gran  traidor, 
Falso,  engafioso  y  discreto; 
Bellido  Dolfos  se  llama, 
Hijo  de  Bellido  el  viejo, 
Que  si  traidor  era  el  padre, 
El  hijo,  Rey,  no  lo  es  meiios. 
En   Leon   Avila,  Toro, 


49 

Cuatro  traiciones  ha  hecho; 
Gudrdate,  Rey,  no  sean  cinco 
Si  no  tomas  mi  consejo. 

Vergleicht  man  dazu  den  oben  angeführten  Text  der  Romanzen,! 
so  sieht  man,  dafs  bei  Lope  immer  nach  jedem  Verse  der  Romanze 
ein  anderer  Vers  eingefügt  ist.  Hier  sind  auch  die  anderen 
traiciones  erwähnt  und  es  wäre  nicht  unmögUch,  dafs  der  bei  Lope 
vorliegende  Text  einer  verlorenen  Romanze  angehören  würde. 

Auch  zwei  kurze  Lieder  fügt  Lope  ein,  die  nach  Menendez  y 
Pelayo^  algiinas  reininiscencias  de  cantarcillos  popidaj-es  sind. 

Das  eine  wird  von  den  heimkehrenden  Landleuten  gesungen 
und  lautet: 

Por  aqui  dareis  la  vuelta, 

El  Caballero; 

Por  aqui  dareis  la  vuelta 

Si  no  me  muero     .     .     . 

Das  andere  singen  zwei  Soldaten: 

Velador  qua  el  castillo  velas, 

Velale  bien,  y  mira  por  ti, 

Que  velando  en  ei  me  perdi     .     .     . 

Aus  den  Worten  eines  Soldaten:  „Alzad  la  primera"  geht  hervor, 
dafs  dies  nur  der  Anfang  des  Liedes  ist,  leider  ist  der  weitere 
Text  nicht  mehr  erhalten. 

Das  Drama  ist  das  einzige,  dessen  Stoff  der  fruchtbare  Dichter 
dem  Romancero  del  Cid  entnommen  hat.  Nach  ihm  wurde,  so 
viel  uns  bekannt  ist,  die  Belagerung  von  Toro  nicht  mehr 
dramatisch  dargestellt. 

4.   Juan   de  Matos  Fragoso: ^   No   estä  en  matar  el  vencer. 

Das  Drama  ist  nur  in  einer  Ausgabe  bekannt,  in  dem  30.  Bande 
der  Coinedias  ntievas,  y  escogidas  de  los  mejores  Ingeniös  de  Espana, 
Madrid  1668,  wo  es  das  11.  der  enthaltenen  Stücke  ist. 

König  Sancho  ist  entschlossen  gegen  Zamora  zu  ziehen,  will 
aber  zuvor  noch  den  Cid  zu  seiner  Schwester  senden.  Der  Cid  über- 
bringt Urraca  den  Vorschlag  des  Königs  ihr  für  Zamora  andere 
Städte  zu  geben.  Urraca  geht  darauf  nicht  ein.  Durch  die  ab- 
schlägige Antwort  erbittert,  verbannt  Sancho  den  Cid.  Aber  kurz 
darauf  wieder  zurückgerufen  geht  der  Cid  nun  gleichfalls  mit  gegen 
Zamora.  Die  Belagerung  beginnt,  Arias  Gonzalo  befehligt  die  Ver- 
teidigung der  Stadt.  Bellido  Dolfos  kommt  zum  König  und  bittet 
ihn  um  seinen  Schutz  gegen  Arias  und  seine  Söhne,  wofür  er  ver- 
spricht  die  Tore    der  Stadt    zu    öffnen.     Obwohl    von  Zamora    aus 


1  Pag.  32  u.  33. 

*  a.  a.  O. 

*  1610  oder  1614  bis   1692. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV. 


50 

gewarnt,  vertraut  sich  Sancho  Bellido  an,  wird  aber  von  diesem 
getötet.  Der  Mörder  entkommt  in  die  Stadt.  Diego  fordert  die 
Zamoraner  heraus.  Des  Arias  Sohn  Pedro  kämpft  gegen  ihn.  Den 
Verlauf  des  Zweikampfes  erfahren  wir  aus  den  Worten  des  Cid, 
die  uns  auch  den  unentschiedenen  Ausgang  mitteilen.  Zamora 
wird  für  frei  erklärt. 

Soweit  die  uns  bereits  aus  den  Romanzen  und  den  bisher  be- 
sprochenen Dramen  bekannten  Vorgänge  in  Zamora.  Dem  Dichter 
hat  jedoch  das  nicht  genügt,  sondern  er  hat,  nicht  nur  als  Episoden 
sondern  als,  fast  möchte  man  sagen,  eigenes  Drama  eine  zweite 
Handlung  eingefügt,  hinter  der  die  oben  angegebene  vollständig 
zurücktritt  und  nur  dazu  dient  das  Drama  mit  den  Romanzen  in 
Verbindung  zu  bringen. 

Diese  Handlung  ist  nun  folgende: 

Don  Diego  liebt  Beatriz,  die  Tochter  des  Arias  Gonzalo.  Er 
hat  mit  ihr  eine  Zusammenkunft  auf  einer  Insel  im  Duero  verabredet 
und  führt  sie  von  dort  ins  Lager  des  Königs  Sancho.  Der  Diener 
Don  Diegos,  Passamano,  der  gracioso  des  Dramas,  liebt  die  Dienerin 
der  Beatriz,  Costan^a.  Im  Lager  angekommen,  sieht  König  Sancho 
Beatriz  und  liebt  sie  sogleich.  Sie  kennt  den  König  nicht,  verhehlt 
ihm  aber  auch,  wer  sie  ist  und  warum  sie  ins  Lager  gekommen, 
Diego  hält  sich  in  der  Nähe  in  einem  Versteck  auf  und  kann  so 
das  ganze  Gespräch  des  Königs  mit  Beatriz  anhören.  Da  kommt 
der  Cid  und  durch  ihn  erfährt  erstens  der  König,  dafs  die  Dame 
Beatriz  die  Tochter  des  Arias  ist,  zweitens  diese,  wer  der  Ritter 
ist,  der  sie  um  ihre  Liebe  gebeten.  Schlief slich  kommt  nun  auch 
Diego  aus  seinem  Verstecke  hervor  und  erklärt,  dafs  Beatriz  seine 
Braut  ist.  Der  König  will  jedoch  davon  nichts  wissen  und  weist 
Beatriz  darauf  hin,  dafs,  im  Falle  sie  Diego  die  Hand  reiche,  dessen 
Leben  gefährdet  sei.  Sie  schwankt  lange,  verweigert  ihm  aber  dann 
ihre  Hand  um  sein  Leben  nicht  aufs  Spiel  zu  setzen.  Diego  ist 
darüber  gekränkt,  hält  sie  für  wankelmütig  und  verzichtet  auf  jede 
weitere  Nachricht  von  ihr.  Schliefslich  begegnen  sie  sich  und 
streiten  sich  in  heftigster  Weise,  dann  hält  ihr  Diego  ihre  Treulosig- 
keit vor.  Sie  erklärt  ihm  indes,  dafs  sie  nur  aus  Liebe  zu  ihm  so 
hätte  handeln  müssen  um  sein  Leben  zu  retten.  Plötzlich  kommt 
der  König.  Diego  hat  eben  noch  Zeit  sich  zu  verstecken,  trotzdem 
bemerkt  Sancho,  dafs  jemand  sich  vor  ihm  geflüchtet  hat.  Gleich 
darauf  tritt  auch  der  Cid  auf,  und  da  er  den  König  mit  Beatriz 
schon  wieder  allein  trifft,  will  er  nicht  stören  und  verbirgt  sich 
gleichfalls  an  demselben  Platze,  den  Diego  sich  erwählt  hatte. 
Beatriz  hat  unterdessen  den  König  zu  bestimmen  gesucht  nicht 
nach  Diego  zu  suchen,  Sancho  will  jedoch  unbedingt  wissen,  wer 
es  sei,  der  vor  ihm  geflohen.  Er  findet  nun  den  Cid  und  zieht 
ihn  am  Arme  heraus.  Die  Szene  wird  dadurch  unterbrochen,  dafs 
Bellido  Dolfos  zum  König  kommt. 

Im  dritten  Akte  ist  Passamano  als  Frau  verkleidet,  während 
Diego   und  Beatriz  vor   dem  König   flüchten.     Diego   verbirgt   sicli 


51 

wieder,  der  König  beginnt  seine  Galanterie  von  neuem,  bis  der 
Cid  kommt.  Da  Beatriz  dessen  Ankunft  fürchtet,  weil  sie  wieder  mit 
dem  König  allein  ist,  löscht  sie  die  Lichter  aus.  Der  Cid  will 
wissen,  was  in  dieser  Dunkelheit  vorgehe.  Diego  kommt  um  Beatriz 
zu  suchen.  Diese  ahnt,  dafs  ihr  Geliebter  zu  ihr  kommt  um  sie 
zu  entführen  und  befiehlt  Costan^a  sich  für  sie  beim  König  aus- 
zugeben; sie  will  mit  Diego  fort.  In  der  Dunkelheit  hält  sie  jedoch 
den  Cid  für  Diego  und  geht  mit  diesem  in  seine  Wohnung.  Diego 
glaubt  in  seinem  Diener  Passamano  Beatriz  gefunden  zu  haben, 
während  dieser  Diego  für  den  Cid  hält.  So  entflieht  auch  Diego 
mit  seinem  Diener.  Es  bleiben  also  nur  der  König  und  Costan9a 
zurück,  welche  dieser  für  Beatriz  hält.  Die  Dienerin  will  nun 
wieder  Licht  machen  und  so  erkennt  der  König  seinen  Irrtum.  Er 
wird  nun  von  Bellido  Dolfos  an  die  Mauer  geführt.  Um  den  Zu- 
schauern dieses  unglaubliche  Wirrwarr  etwas  zu  klären,  hält  Costan^a 
noch  eine  lange  „Paraderede".  Diego  ist  nun  auf  der  Suche  nach 
Beatriz  und  findet  sie  nicht.  Dazwischen  fordert  er  die  Zamoraner 
heraus  und  tötet  die  Söhne  des  Arias,  die  Brüder  seiner  Geliebten. 
Während  man  über  den  unentschiedenen  Sieg  verhandelt,  kommt 
Beatriz  als  Mann  verkleidet,  gibt  sich  für  einen  Zamoraner  aus  und 
bereitet  sich  vor  mit  Diego  zu  kämpfen.  Da  aber  der  Dichter 
Braut  und  Bräutigam  nicht  miteinander  fechten  lassen  will,  mufs  er 
irgend  eine  Lösung  finden.  Beatriz  hat  sich  die  Waffen  des  Cid 
angeeignet;  dieser  will  daher  wissen,  wer  der  Ritter  sei.  Ohne  sich 
lange  bitten  zu  lassen,  enthüllt  sich  Beatriz  und  erklärt  ihr  Verhalten 
damit,  dafs  sie  Diego  nicht  mehr  zum  Gemahl  nehmen  wolle,  da 
er  ihre  Brüder  für  Verräter  erklärt  habe.  Der  gute  Diego  hat  nun 
nichts  Eiligeres  zu  tun  als  zu  erklären,  dafs  Zamora  frei  von  Schuld 
an  dem  Königsmorde  sei.  Nun  will  Beatriz  seine  Gemahlin  werden ; 
der  Cid  und  Arias  geben  bereitwilligst  ihre  Zustimmung,  Passamano 
heiratet  natürlich  Costan^a  und  die  ganze  „Heldentragödie"  endet 
so  friedlich  mit  einer  Doppelhochzeit. 

Die  Inhaltsangabe  spricht  schon  für  sich  eine  deutliche  Sprache. 
Es  ist  unglaublich,  was  der  zu  seiner  Zeit  ziemlich  angesehene 
Dichter  alles  erfindet  um  seine  Zuhörer  zu  unterhalten  und  Spannung 
zu  erregen.  Dabei  ist  jedoch  die  Darstellungsweise  und  die  Sprache 
des  Stückes  eine  überaus  schwülstige  und  gezierte  und  man  atmet 
förmlich  auf,  wenn  man  das  ziemlich  umfangreiche  Stück  durch- 
gelesen hat.  Seine  Charakterdarstellung  mufs  sich  ganz  nach  dem 
richten,  was  dem  Dichter  gerade  einfällt  und  so  kommt  es,  dafs 
man  in  ein  und  derselben  Person  scharfe  Gegensätze  beobachten 
kann.  Die  einzelnen  Charaktere  darf  ich  wohl,  soweit  sie  den 
Romanzen  entsprechen,  voraussetzen.  Wie  pafst  nun  da  z.  B.  zu 
diesem  Charakter  des  Cid,  zu  dessen  Mut  sogar  dem  König  gegen- 
über (den  er  auch  in  Matos  Fragosos  Stück  an  den  Tag  legt)  diese 
Furcht  vor  der  Antwort,  die  er  Urraca  geben  soll,  als  diese  ihn 
fragt,  ob  sie  Zamora  übergeben  soll  oder  nicht: 

El  corazon  me  enterneze     Ap. 


52 

und  dann  weiter  unten: 

jamas  besudo  ^  de  azeio, 
en  fiera  sangrienta  lid, 
estreraeciendo  los  campos 
bruto  Africano  temi 
como  esta  respuesta. 

Aber  dann  nimmt  er  gleich  wieder  seine  trotzige  Miene  an  und 
will,  ganz  entgegen  den  Romanzen,   auch  gegen  Zamora  kämpfen: 

porque  si  de  la  Ciudad 

la  entrada  me  resistis, 

tantas  vidas  a  la  muerte 

mi  espada  ha  de  conducir 

que  solo  el  que  hallare  el  Cielo 

sc  ha  de  hallar  seguro  alli. 

Arias  Gonzalo  soll  unter  den  ersten  sein: 

pues  sereis  de  los  primeros 
que  ha  de  esmaltar  de  rubi 
mi  espada     .... 

Beim  König  steht  er  auch  seines  Mutes  wegen  in  hoher  Gunst;  wenn 
dieser  ihn  auch  auf  kurze  Zeit  verbannt,  so  dauert  das  doch  nicht 
lange,  er  wird  dafür  reichlichst  mit  Worten  entschädigt.  Die  erste 
Szene  des  3.  Aktes  kann  eine  direkte  Verhimmelung  des  Cid  ge- 
nannt werden.  Wir  glauben  mehreres  davon  zitieren  zu  dürfen, 
weil  gerade  diese  Szene  für  den  ganzen  Ton,  der  durch  das  Stück 
geht,  charakteristisch  ist.  Vor  allem  die  Anspielung,  die  der  König 
auf  den  Namen  Cid  macht: 

Cid:     Senor.     Rey:  Cid  en  esto  solo 
vereis  que  somos  iguales, 
pues  a  vos  os  Hämo  yo, 
lo  raismo  que  me  Ilamasteis, 
porque  esta  palabra  Cid, 
en  lengua  Africana  vale 
tanto  como  senor,  luego 
yä  es  Indicio  de  igualdades 
si  vos  me  Ilamais  senor, 
que  yo  a  vos  senor  os  llame. 

Der  Cid  preist  sich  glücklich  verbannt  worden  zu  sein,  da  er  solche 
Genugtuung  erfahre.  Der  König  lobt  dann  seine  Lehenstreue  und 
versichert  ihn  seiner  steten  Freundschaft: 


1  Dieses  Wort  ist  in  dem  mir  vorliegenden  Drucke  der  Pariser  Nätional- 
bibliothek  nicht  zu  lesen ,  es  steht  dort  bef .  ,  .  do,  aus  dem  Zusammenhang 
glaube  ich  besudo  erschliefsen  zu  dürfen. 


53 

Ya  he  experimentado  en  vos 
la  lealtad  de  las  lealtades, 
yo  severe,  vos  quexoso, 
yo  importuno,  y  vos  constante 
nos  despedimos  ayer, 
para  que  fuessen  senales 
despediros  de  pediros 
palabra  famoso  Marte, 
de  que  aveis  de  ser  mi  amigo, 
hasta  que  en  urna  de  jaspe 
sea  este  animado  cuerpo 
inanimado  cadaver. 

Er    geht   noch   weiter    und    bezeichnet   ihn  sogar  als  Majestät  und 
als  seinen  Vater: 

Con  unos  mismos  linages 

de  respeto  han  de  tratar 

Cid  nuestras  dos  Magestades; 

siempre  que  es  nombren  senor 

har6  que  todos  os  Hamen, 

partire  tambien  con  vos 

quantos  Reynos  sujetare, 

esto  a  vuestra  sangre  devo, 

deved,  pues,  esto  a  mi  sangre, 

mi  padre  os  tuvo  por  hijo, 

yo  os  he  de  tener  por  padre. 

Die    Antwort    des    Cid    darauf  zeigt   von    der    Geschraubtheit   der 
Sprache  des  Stückes: 

Donde  vas  fortuna  mia, 
el  exe  no  desencaxes, 
que  si  mueves  mas  la  rueda 
podra  torcerse,  6  quebrarse. 

Einen  augenscheinlichen  Kontrast  bildet  auch  der  Bellido 
Dolfos  des   I.  Aktes  und  der  der  folgenden  Akte. 

Im  Gegensatze  zu  den  Romanzen  ist  Bellido  Dolfos  ein  an- 
gesehener Vasall  der  Infantin;  sie  bezeichnet  ihn  als: 

Noble  Bellido  Dolfos,  mi  cuidado 
vive  de  vuestro  afecto  pagado 
que  fuera  en  no  mostrarme  agradecida 
dexar  vuestra  fineza  deslucida. 

Er  bekommt  dann  auch  seinen  Platz  angewiesen  bei  der  Ver- 
teidigung der  Stadt  und  füllt  ihn  voll  und  ganz  aus.  Beim  dritten 
Akte  scheint  der  Verfasser  an  obige  Stelle  nicht  mehr  gedacht  zu 
haben,  oder  er  wollte  die  allbekannte  Romanze  64  [Rcy  don  Sancho, 
rey  don  Sancho)  in  seinem  Stücke  unterbringen;  und  so  schreibt  er: 


54 

que  si  traidor  era  el  padre 
mucho  mayor  lo  es  el  hijo 
und: 

quatro  traiciones  ha  hecho. 

Dafs  Bellido  von  der  Infantin  wohl  kaum  als  noble  bezeichnet 
würde,  wenn  er  viermal  einen  Verrat  begangen  und  aus  einer 
Verräterfamilie  gestammt  hätte,  dürfte  klar  sein. 

Es  nimmt  uns  nicht  wunder,  dafs  Matos  Fragoso  auch  das 
komische  Element  eingeführt  hat  und  zwar  in  der  Form,  in  der 
wir  es  sonst  im  spanischen  Theater  dieser  Zeit  finden,  nämlich  als 
den  verliebten  Diener.  Nur  erlaubt  er  sich  manchmal  Späfse,  die 
als  direkte  Blasphemien  bezeichnet  werden  können. 

Auch  sind  Anspielungen  auf  die  Bibel  häufig.  Abgesehen 
von  den  nur  zu  Zwecken  der  Belustigung  gebrauchten,  findet  ein 
an  die  Bibel  sich  anlehnender  Vergleich  sich  in  einer  in  ihrer  Art 
tragischen  Situation.  Sie  ist  für  das  Stück  zu  bezeichnend,  als  dafs 
wir  sie  unerwähnt  lassen  könnten.  Als  Sancho  vor  Zamora  ist  und 
dort  seine  Schwester  sieht,  vergleicht  er  sie  mit  dem  Cherubim, 
der  das  Paradies  bewache: 

.     .     .     .     me  acordare 

que  luego  que  al  primero  hombre, 

echö  de  Dios  el  poder 

del  Paraiso,  le  puso 

un  Querubin,  que  cruel, 

si  bolver  a  entrar  quisiesse, 

no  le  dexasse  bolver; 

y  si  tu  assi  la  Ciudad 

me  defiendes,  pensare 

que  es  Zamora  el  Parayso, 

y  le  vendre  a  aparecer, 

viendo  que  un  Quierub  la  guaida, 

y  que  de  su  luz  a  ley, 

viendo  que  en  el  me  perdi, 

no  me  dexa  a  entrar  en  el. 

Der  Zusammenhang  mit  den  Romanzen  ist,  wie  aus  der  Inhalts- 
angabe hervorgeht,  ein  ziemlich  loser  und  beschränkt  sich  nur  auf 
die  wenigen  oben  erwähnten  Szenen.  Die  Romanzen  64  und  65 
sind  teilweise  wörtlich  wiedergegeben: 

Rey  D.  Sancho,  Rey  D.  Sancho 
no  digas  que  no  te  aviso, 
que  de  dentro  de  Zamora, 
un  traidor  avia  salido. 


Su  nombre  es  Bellido  Dolfos, 
hijo  de  Dolfos  Bellido, 


55 

que  si  traidor  era  el  padrc, 
mucho  mayor  lo  es  el  hijo. 

Quatro  traiciones  te  ha  hecho 
mira  no  lleguen  a  cinco, 
porque  si  a  las  cinco  llegan, 
buen  Rey  no  quedaräs  vivo. 

Ziemlich  frei  sind  die  Romanzen: 

72.  Va  Diego   Ordonez  se  parte 

73.  Con  el  rostro  entristecido 

74.  Despues  que    Vellido  Dolfos 
75-  Ya  se  sah  Diego   Ordonez 

76.  Ya  cahalga  Diego   Ordonez 

77.  S diese  Diego  Ordonez 

aufgenommen. 

]Man  sieht,  dafs  Matos  Fragoso  zwar  die  Personen  der  Romanzen 
in  sein  Drama  aufnahm  und  sich  manchmal  ziemlich  genau  an  den 
Text  hielt,  dafs  er  aber  im  übrigen  ihren  Charakter  ganz  nach 
dem  Geiste  seiner  Zeit  umgestaltet  hat. 

Ob  nun  der  Dichter  die  Liebe  des  Diego  zu  Beatriz  selbst 
erfunden  oder  von  einem  anderen  Dichter  übernommen  hat,  läfst 
sich  bei  dem  Untergange  so  vieler  spanischer  Dramen  nicht  ent- 
scheiden. Es  ist  kein  Drama  bekannt,  das  vor  Matos  dieses  Ver- 
hältnis auf  die  Bühne  gebracht  hätte. 

Der  Titel  des  Dramas  erklärt  sich  aus  der  Szene,  in  der  Diego 
dem  Arias  vorhält,  dafs  doch  er  gesiegt  habe,  weil  er  seinen  Gegner 
getötet.     Arias  gibt  ihm  dann  zur  Antwort: 

No  estä  en  matar  el  vencer. 

Damit  jedoch  auch  der  nötige  Humor  nicht  fehlt,  und  damit 
auch  am  .Schlüsse  der  Titel  in  der  üblichen  Weise  wiederholt  wird, 
sagt  Passamano  zu  Costan^a,  als  er  sie  um  ihre  Pland  bittet: 

Pues  casate  tu  conmigo, 
ö  matarete  Cosfan^a. 
Co.     No  estä  en  matar  el  vencer. 

gibt  sie  ihm  zur  Antwort. 

Wir  glauben  darauf  hinweisen  zu  müssen,  dafs  Matos  Fragoso 
viele  andere  Dramen  gedichtet  hat,  die  mehr  Anspruch  auf  künstle- 
rischen Wert  erheben  können,  und  dafs  wir  vermuten,  dafs  das 
vorliegende  wohl  einer  seiner  ersten  dramatischen  Versuche  sein 
wird,  wenn  sich  auch  aus  dem  nur  in  einer  einzigen  Ausgabe  vor- 
handenen Drama  nichts  Bestimmtes  darüber  feststellen  läfst. 

Wie  sehr  unser  Stück  von  den  übrigen  Leistungen  des  Dichters 


sich  unterscheidet,  zeigt,  was  Schack'  über  den  Dichter  sagt:  „Seine 
Stücke  sind  reich  an  allen  den  Vorzügen,  die  man  als  die  mehr 
äufserlichen  der  spanischen  Komödien  bezeichnen  kann;  sie  haben 
einen  wohlberechneten  Bau,  komplizierte  und  doch  klare  Ver- 
wicklungen, viel  Leben  und  Bewegung,  Kraft  und  Würde,  und 
glänzen  durch  eine  ebenso  reiche  und  elegante  als  edle  Sprache, 
die  sich  fast  durchgängig  von  Schwulst  und  Ziererei  freihält." 

Von  diesen  Eigenschaften  finden  wir  in  unserem  Drama  nicht 
eine  einzige;  besonders  was  den  „Schwulst  und  die  Ziererei"  an- 
langt, so  ist  gerade  damit  unser  Drama  derart  vollgepfropft,  dafs 
es  wahrlich  keine  angenehme  Aufgabe  ist,  sich  durch  diese  ge- 
schraubte Redeweise  hindurchzulesen. 

Man  kann  sich  daher  eher  dazu  verstehen  anzunehmen,  was 
Schaeffer^  von  des  Dichters  Werken  sagt:  „Wie  diejenigen  Moretos, 
sind  auch  seine  Stücke  sehr  ungleich  an  Wert,  was  bei  beiden,  wie 
bei  vielen  altspanischen  Dramatikern,  nicht  allein  auf  die  Gunst 
oder  Ungunst  des  Augenblicks,  sondern  auch  auf  die  oft  fabrik- 
mäfsige  Produktion  zurückzuführen  ist." 


5.  Juan  Bautista  Diamante:  El  Cerco  de  Zamora. 

Diamantes  zweites  Ciddrama  steht  in  der  Sammlung  seiner 
Komödien,  Madrid  1674.  Aufserdem  ist  mir  noch  ein  Druck  aus 
dem  Jahre   1766  (Valencia)  bekannt. 

I.  Akt.  Die  Tochter  des  Arias  Gonyalo,  des  Verteidigers  von 
Zamora,  Leonor,  ist  mit  Diego  Ordoiiez  verlobt.  Sie  hat  ihn  Je- 
doch schon  vier  Monate  nicht  mehr  gesehen  und  auch  nichts  von 
ihm  gehört.  In  der  Nacht  nun,  in  der  das  Stück  beginnt,  meldet 
die  Dienerin  Beatriz,  dafs  ein  Ritter  vom  Heere  Sanchos  angekommen 
sei.  Es  ist  Diego.  Er  erzählt  ihr  die  Feldzüge  König  Sanchos 
gegen  seine  Geschwister  Alfonso  und  Elvira,  die  seine  Abwesenheit 
erklärlich  machen.  Jetzt  stünde  aber  alles  auf  dem  Spiele,  da 
Sancho  auch  gegen  Zamora  ziehen  wolle,  im  Falle  Urraca  ihm  nicht 
die  Stadt  übergebe.  Er,  Diego,  sei  als  Abgesandter  nach  Zamora 
geschickt  worden.  Leonor  hoßt  noch  auf  eine  gütliche  Beilegung 
des  Zwistes.  Im  gegenteiligen  Falle  wolle  sie  mit  Diego  fliehen. 
Arias  und  seine  Söhne  haben  die  Verteidigung  schon  vorbereitet. 
Die  Infantin  erwartet  den  Gesandten  Sanchos.  Diego  bringt  nun 
das  Angebot  des  Königs,  ihr  jede  beliebige  Stadt  für  Zamora  zu 
überlassen  und  sieht  in  ihrem  Widerstand  nur  eine  Folge  der  Be- 
einflussung durch  Arias  Gonzalo.  Arias  beruft  sich  auf  sein  Ver- 
sprechen, das  er  König  Fernando  gegeben  sich  Urracas  an- 
zunehmen. Die  Infantin  verurteilt  Sanchos  Vorgehen  gegen  seine 
Geschwister  und  fürchtet  seine  Drohungfen  nicht. 


1  L.  c,  III,  359 

2  L.  c,  II,  196. 


57 

Sancho  wartet  inzwischen  ungeduldig  auf  Diegos  Ankunft.  Der 
Cid  rät  von  der  Belagerung  ab  ina  Hinweis  auf  die  geschützte 
Lage  Zamoras  und  auf  die  Tapferkeit  des  Arias  und  seiner  Söhne. 
Diego  kommt  mit  der  Antwort  Urracas.  Der  König  ist  darüber 
erzürnt  und  erklärt  Arias  als  Verräter,  Diego  tritt  ihm  energisch 
entgegen.  Man  meldet  die  Ankunft  Bellidos,  der  vor  Arias  fliehen 
raufste  und  Sancho  seine  Dienste  anbietet.  Der  König  nimmt  ihn 
mit  Freuden  auf  ohne  auf  die  Warnungen  des  Cid  und  des  Arias 
zu  hören. 

II.  Akt.  Bellido  hat  seine  verräterische  Tat  bereits  ausgeführt. 
Er  flieht  vor  dem  Cid,  der  nichts  Gutes  ahnt,  in  die  Stadt.  Der 
verwundete  König  stirbt  in  den  Armen  Diegos  nicht  ohne  vorher 
seinen  Ungehorsam  gegen  seinen  Vater  bereut  zu  haben.  Der  Cid 
findet  den  König  bereits  tot  und  fordert  die  Ritter  zur  Rache  auf,  mufs 
jedoch  von  der  Beteiligung  seiner  eigenen  Person  infolge  des  Eides 
absehen.  Alles  schweigt.  Da  ergreift  Diego  das  Wort  und  bietet 
sich  an  Zamora  herauszufordern.  Es  wird  ihm  aber  klar,  dafs  er 
Leonorens  Hand  damit  verspiele.  Ein  Bote  bringt  ihm  die  Meldung, 
dafs  Leonor  ihn  diese  Nacht  erwaite.  In  der  Stadt  herrscht  grofse 
Entrüstung  über  die  Beschuldigung  an  der  Ermordung  des  Königs 
beteiligt  gewesen  zu  sein.  Man  sucht  nach  dem  Mörder.  Arias 
gab  auch  Befehl,  dafs  die  Kastilianer  nach  Zamora  kommen  dürften 
um  von  der  Trauer  über  Sanchos  Tod  Augenzeugen  zu  sein.  So 
kann  Diego  ungehindert  zu  Leonor  kommen,  die  von  Diegos  Plan 
noch  nicht  unterrichtet  ist.  Sie  wünschte  ihn  zu  sehen,  damit  ein 
eventueller  Zweikampf  verhütet  werde.  Diego  der  vor  Aufregung 
anfangs  nicht  sprechen  kann,  erzählt  nach  und  nach,  dafs  er  den 
Rittern  seines  Heeres  angeboten  habe  den  Tod  König  Sanchos  zu 
rächen.  Leonor  hält  es  für  Diegos  Pflicht  sein  Versprechen  zu 
halten,  macht  ihm  aber  zugleich  seiner  Undankbarkeit  wegen  bittere 
Vorwürfe.  Die  Liebenden  nehmen  für  immer  Abschied.  Die  ganze 
Szene  spielt  im  Dunklen.  Arias  und  sein  Sohn  Pedro  kehren  nach 
Hause  zurück,  Leonor  entkommt  noch  rechtzeitig,  während  Diego 
die  Türe  nicht  finden  kann.  Da  die  beiden  Ankömmlinge  ein  Ge- 
räusch gehört  hatten,  suchen  sie  mit  gezogenen  Schwertern  nach 
dessen  Ursache  und  lassen  zugleich  Licht  bringen.  Mittlerweile- 
findet  Diego  doch  noch  den  Ausgang  und  kann  so  unentdeckt 
entkommen.  Bald  darauf  erscheint  er  vor  Zamora  und  fordert  die 
Bewohner  der  Stadt  zum  Zweikampfe  heraus,  den  er  mit  fünf 
Gegnern  zu  bestehen  hat.  Arias  und  seine  vier  Söhne  werden 
den  Kampf  wagen. 

in.  Akt.  Der  Kampf  ist  bereits  soweit  fortgeschritten,  dafs 
drei  Söhne  des  Arias  getötet  sind.  Nun  soll  Pedro  an  die  Reihe 
kommen.  Er  wird  schwer  verwundet,  Diego  fällt  indes  ebenfalls 
vom  Pferde  und  tritt  aus  der  Schranke.  Er  schiebt  die  Schuld  auf 
sein  Rofs,  der  Cid  erklärt  jedoch  Diego  für  besiegt  und  Zamora 
für  schuldlos.    Aufserdem  ruft  er  Alfonso  zum  König  aus,  wenn  er 


58 

schwöre  am  Morde  seines  Bruders  unbeteiligt  gewesen  zu  sein. 
Der  Cid  selbst  will  den  Eid  abnehmen.  Diego  hat  nun  Leonor 
nicht  vergessen  können  und  um  sie  zu  sehen  will  er  den  kranken 
Pedro  Arias  besuchen.  Er  trifft  Leonor,  die  nicht  mit  ihm  zu 
sprechen  wünscht,  sondern  ganz  kurz  Beatriz  den  Befehl  erteilt  ihn 
zu  Pedro  zu  führen.  Er  bittet  Leonor  immer  wieder  ihn  doch  an- 
zuhören. Sie  fordert  ihn  mehrmals  auf  sie  zu  verlassen,  hört  aber 
schliefslich  doch  die  lange  ..Paraderede"  an,  in  der  er  ausführt,  dafs 
nicht  er  an  dem  Tode  ihrer  Brüder  schuld  sei  sondern  das  Geschick. 
Leonor,  die  ihn  heimlich  noch  liebt,  gibt  zu,  dafs  er  seine  Pflicht 
getan;  um  aber  das  Gespräch  abzubrechen,  erklärt  sie,  dafs  sie  nur 
dem  die  Hand  zum  Lebensbunde  reichen  werde,  den  der  Vater 
für  sie  bestimme.  Diego  setzt  nun  seine  letzte  Hoffnung  auf  eine 
Aussprache  mit  Pedro  Arias. 

Inzwischen  ist  König  Alfonso  von  Toledo  zurückgekehrt  und 
wird  vom  Cid  aufgefordert  den  Eid  zu  leisten.  Der  König  ist 
darüber  aufgebracht,  will  aber  nicht  widersprechen  und  schwört. 
Alle  Ritter  mit  Ausnahme  des  Cid  werden  zum  Handkusse  zu- 
gelassen. Zum  Schlüsse  kommen  Diego  und  Pedro,  welche  die 
besten  Freunde  geworden  sind.  Für  ihre  ruhmvollen  Taten  will 
der  König  ihnen  eine  Gnade  gewähren.  Pedro  bittet  den  König 
seine  Schwester  mit  Diego  zu  vereinen.  Arias  willigt  aus  Gehorsam 
gegen  den  König  ein  und  so  endet  alles  gut. 

Ticknori  sagt  von  dem  Drama,  dafs  es  „den  nämlichen  Stoff 
behandle,  wie  der  zweite  Teil  von  Guillen  de  Castros  Cid,  aber 
viel  weniger  dichterisch."  Nach  Schaeffer^  ist  „die  Sprache  des 
Stückes  im  ganzen  würdig,  aber  aller  echten  Poesie  bar". 

An  dichterischem  Werte  glaube  ich  das  Drama  zwischen  GuiI16n 
de  Castros  zweiten  Teil  und  jNIatos  Fragosos:  A^o  estä  en  inatar  el 
vencer  stellen  zu  müssen,  wie  sich  auch  der  Inhalt  teils  an  das 
eine,  teils  an  das  andere  Stück  anschliefst.  Es  kann  sich  nicht 
vergleichen  mit  den  lebendigen,  echt  dramatischen  Szenen  Guillen 
de  Castros,  man  darf  es  aber  auch  nicht  mit  den  schwulstigen 
Versen  und  der  teilweise  direkt  unsinnigen  Handlung  des  Matos 
Fragoso  auf  eine  Stufe  stellen.  Diamante  war  wohl  bestrebt,  die 
einzelnen  Handlungen  zu  motivieren,  geglückt  ist  es  ihm  allerdings 
nicht  immer.  Er  bedient  sich  dabei  der  in  allen  spanischen  Stücken 
so  häufigen  Ankündigung  dritter  Personen,  der  Dunkelheitsszenen 
oder  des  Versteckspielens.  Auch  hat  er  versucht  einen  Konflikt 
herzustellen  zwischen  Liebe  und  Ehre,  einen  ähnlichen  wie  zwischen 
Rodrigo  und  Jimene  in  den  uns  bekannten  Stücken.  Die  Lösung 
des  Konfiikts  ist  allerdings  eine  sehr  eigentümliche,  indem  nämlich 
der  Bruder  der  Leonor  den  König  bittet,  Diego  die  Hand  seiner 
Schwester  zu  geben.  Das  Merkwürdige  ist  nur,  dafs  Pedro  Arias 
und  Dieffo   in   so   kurzer  Zeit  aus  Feinden  Freunde  werden.     Man 


1  L.  c,  II,  pag.  69. 
^  L.  c,  II,  pag.  220. 


59 

könnte  ja  annehmen,  dafs  Diamante  den  Bericht  der  Romanzen 
von  der  Versöhnung  Arias'  und  Diegos  auf  den  Sohn  des  Arias, 
auf  Pedro  übertragen  hat,  aber  auch  dann  ist  es  unwahrscheinlich, 
dafs  der  Bruder  denjenigen  als  Schwager  wünscht,  der  seine  Brüder 
getötet  hat. 

Auf  die  Charakterisierung  seiner  Helden  hat  der  Dichter  nicht 
viel  Mühe  verwandt.  Als  Hauptpersonen  des  Stückes  kann  man 
Diego  und  Leonor  bezeichnen.  Diego  hat  im  Momente  seiner 
Herausforderung  seine  Liebe  zu  Leonor  vergessen,  erst  dann  kommt 
ihm  wieder  zum  Bewufstsein,  dafs  er  Leonor  liebt  und  dafs  dieses 
Verhältnis  zu  Leonor  nun  ein  Ende  haben  müsse: 

.     .     .     .     pues  he  cumplido 
con  lo  que  toca  al  honor, 
ä  la  lealtad,  y  al  carino 
de  mi  Rey,  dexa  que  cumpla 
tambien  con  el  amor  mio  . 

Nachdem  er  drei  Söhne  des  Arias  getötet,  kommt  er  (wie  Rodrigo 
bei  Guillen  de  Castro)  zu  seiner  Geliebten;  die  Motivierung  ist  sehr 
schwach:  er  will  einen  Krankenbesuch  bei  dem  von  ihm  verwundeten 
Pedro  machen.  Dann  kommen  diese  philosophischen  Auseinander- 
setzungen, dafs  es  die  Schuld  des  Geschickes  sei,  dafs  Diego 
Leonorens  Brüder  getötet:  - 

no  puede  ser  culpa  mia, 
culpa  es  de  mi  suerte  avara, 
ö  violencia  del  destino ; 

Auch  Leonor  ist  keine  Heldin  für  ein  Drama.  Der  Kampf  zwischen 
Geschwisterliebe  und  der  Zuneigung  zu  Diego  kommt  nur  schwach 
zum  Ausdruck  und  als  sie  sich  nicht  mehr  zu  helfen  weifs,  sagt 
sie  ganz  einfach: 

Que  a  mugeres  como  yo 

son  sus  padres  quien  las  casa. 

Wie  bei  Matos  Fragoso,  so  tritt  auch  in  diesem  Drama  der 
Cid  wenig  hervor,  obwohl  er  sozusagen  der  Leiter  des  Ganzen  ist. 
Er  beruft  nach  dem  Tode  König  Sanchos  die  Versammlung  ein, 
spricht  Diego  seine  Anerkennung  aus  wegen  seines  Mutes,  leitet 
den  Zweikampf  und  verkündet  schliefslich  das  Urteil.  Aufser- 
dem  bestimmt  er,  dafs  Alfonso  zu  schwören  habe  an  dem  Morde 
seines  Bruders  unbeteiligt  gewesen  zu  sein. 

Wie  bei  allen  Stücken  dieser  Zeitperiode  darf  das  komische 
Element  nicht  fehlen;  es  ist  hier  der  Diener  Diegos:  Lain.  Seine 
Witze  stören  die  Handlung  nicht  in  dem  Mafse,  wie  Nufio  in  des 
Dichters  erstem  Cid-Drama  es  tut. 

Die  Sprache  des  Dramas  fliefst  zwar  leicht  und  ungezwungen 
dahin  ohne  jedoch  höheren  dichterischen  Schwung  zu  verraten. 

Die  Romanzen  sind  in  unserem  Stücke  ziemlich  frei  benützt 
worden.    Auch  hat  sich  Diamante  Änderungen  in  der  herkömmlichen 


6o 

überlieferten  Darstellung  erlaubt.  So  ist  bei  ihm  Diego  und  nicht 
der  Cid  der  Gesandte  König  Sanchos.  Auch  wird  Arias  nicht  von 
der  Infantin  zurückgehalten  selbst  mitzukämpfen;  es  wird  nur  da- 
durch verhindert,  dafs  der  Zweikampf  für  beendigt  erklärt  wird, 
nachdem  Diego  aus  der  Schianke  getreten.  In  den  Romanzen 
kämpft  ferner  Diego  nur  mit  drei  Söhnen  des  Arias,  besiegt  den 
dritten,  der  schliefslich  auch  stirbt  und  wird  als  Sieger  erklärt. 
Bei  Diamante  sind  3  Söhne  des  Arias  getötet,  der  vierte,  Pedro, 
wird  verwundet,  genest  und  schliefst  mit  seinem  Gegner  Diego,  der 
hier  als  der  Besiegte  gilt,  innige  Freundschaft,  die  sich  darin  aus- 
drückt, dafs  Pedro  den  Diego  als  Schwager  wünscht. 

Die  Liebe  Diegos  zu  Leonor  hat  Diamante  vielleicht  Matos 
Fragoso  entlehnt.  Es  gereicht  das  dem  Stück  keineswegs  zum 
Vorteil,  w-enn  auch  bei  Diamante  dieses  Verhältnis  nicht  so  vor- 
herrscht, dafs,  wie  bei  Matos  Fragoso,  die  übrige  Handlung  zu 
knapp  behandelt  wäre. 

Diamante  hat  es  sich  auch  nicht  versagen  können,  die  beliebte 
Romanze  64  —  65  in  sein  Stück  aufzunehmen,  wenn  auch  in  etwas 
veränderter  Fassung: 

.     .     .     Rey  Don  Sancho, 
no  digas  que  no  te  aviso 


que  del  Cerco  de  Zamora 
un  traidor  havia  salido. 

Traidor  fue  tambien  su  padre 

cobarde,  y  advenedizo : 

y  si  para  conocerle 

no  es  bastante  lo  que  hc  dicho, 

Bcllido  tiene  por  nombre, 

hijo  de  Dolfos  Bellido. 

Sonst  finden  wir  aufser  einem  Verse  der  Romanze  68: 

No  es  Bellido  quien  me  ha  muerto, 

der  ebenso   bei  Diamante  steht,  keine  wörtliche  Anlehnung  an  die 
Romanzen. 

Vergleicht  man  El  cerco  de  Zamora  mit  El  Honrador  de  su 
padre,  so  mufs  das  zweite  Ciddrama  trotz  der  vielen  Mängel  ent- 
schieden als  besser  und  schöner  betrachtet  werden  als  die  Nach- 
ahmung und  Übersetzung  Corneilles. 


6i 


III.   Dramen,  die  den  Cid  unter  Alfonso  VI,  die 

Episoden  mit  Martin  Peläez  und  den  Infanten  von 

Carrion,  sowie  die  Eroberung  von  Valencia  und 

den  Tod  des  Cid  behandeln. 

I.   Las  Hazanas  del  Cid  y  su  muerte,  con  la  tomada 
de  Valencia. 

Das  Drama  steht  in  dem  überaus  seltenen  Bande  einer  Samm- 
lung von  Komödien:  Sei's  \\  Coinedias  ||  de  Lope  de  Vega  ||  Carpio,  y 
de  otros  au  ||  tores  ciiios  nomhres  de  ||  llas  son  estos.  Dann  folgt  das 
Verzeichnis  der  enthaltenen  Stücke.  En  Madrid,  Impresso  por  Pedro 
Madrigal  Ano  MDCIII.  Auch  zu  Lisboa  por  Pedro  Crasbeeck,  A/io 
1 603  ist  der  Band  erschienen,  wie  Barrera  1  angibt.  Barrera  kannte 
das  Buch  nur  de/  excelenie  exemplar  que  acaba  de  adquirir  en  Portugal 
el  sefior  don  Pascual  Gayangos}  Ticknor3  hat  zu  Mailand  in  der 
Biblioteca  Ambrosiana  einen  zu  Madrid  1603  gedruckten  Band  ge- 
funden. Ein  bis  jetzt  unbekanntes  Exemplar  dieses  Buches  befindet 
sich  in  der  Stadtbibliothek  zu  Hamburg.*  Es  stimmt  mit  den  An- 
gaben Ticknors  überein.  Das  3.  Stück  (der  Inhaltsangabe):  De  los 
amigos  enojados  ist  nach:  De  las  hazanas  del  Cid  (das  5.  Stück) 
gedruckt.  Diese  Anordnung  ist  nach  Schack  und  Barrera  auch  die 
des  zu  Lissabon  gedruckten  Buches.  Von  den  sechs  enthaltenen 
Dramen  ist  nur  eines  von  Lope,  das  letzte:  Comedia  del  Perseguido. 
Es  scheint,  dafs  Lope  de  Vega  sich  auf  diesen  Band  bezieht,  wenn 
er  in  seinem  Vorwort  zum  El  Peregrino  en  su  patria  {zum  ersten- 
mal 1604  gedruckt)  sagt:  Ya  para  mi  lo  son  (enemigos)  los  que  con 
mi  nombre  imprimen  agenas  obras.  Agora  han  salido  algimas  comedias 
que,  impressas  en  Casiilla,  dicen  que  en  Lisboa;  y  asi  quiero  adver tir 
d  los  que  leati  mis  escritos  con  aficion  ....  que  non  crean  que  aquellas 
son  mis  comedias,  amique  tengan  mi  nombre;  y  para  que  las  conozcan 
nie  ha  parecido  acertado  poner  aqui  los  snyos  ....  Dann  zählt  er 
die  von  ihm  geschriebenen  Komödien  auf  und  führt  von  den  in 
unserem  Bande  enthaltenen  Stücken  nur  El  Perseguido  an.  Man 
mufs  also  annehmen,  dafs  die  übrigen  fünf  Dramen  nicht  von  Lope 
herrühren.  Über  den  Verfasser  des  uns  hier  zunächst  beschäftigenden 
Ciddramas  ist  nichts  Sicheres  zu  ermitteln.  In  einem  uns  erhaltenen 
Briefe  an   den  Herzog   von   Sesa»   erwähnt  Lope,   dafs  Linan  zwei 


^  L.  c,  pag.  679. 

*  Auch  Schack  kannte  das  Buch;  siehe  Bd.  I,  Anhang  pag.  40. 

^  L.  c,  Anhang  94.     Anmerkung  zu  Seite  573,  Zeile  9  von  oben. 

*  Der  Name  des  Besitzers  ist  handschriftlich  eingetragen:  Jehle  James, 
dann  folgt  ein  unleserlicher  Zusatz,  aus  dem  nur  die  Zahl  24  und  dann  1604 
zu  ermitteln  ist. 

''  Gedruckt  bei  Schack,  Nachträge  zum  2.  Bande  seines  bekannten  Werkes, 
pag.  34- 


62 

Ciddramen  geschrieben  habe.  Barrera^  vermutet  nun,  dafs  diese 
beiden  Dramen  in  dem  uns  vorliegenden  Bande  erhalten  seien  und 
zwar  in  der  Libertad  de  Castilla  und  in  den  Hazailas  del  Cid.  Das 
erste  Drama  fällt  weg,  da  es  nicht  vom  Cid  handelt,^  Ob  das 
zweite  von  Li-nan  ist,  läfst  sich  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der 
Forschung  nicht  entscheiden,  wenn  es  auch  nicht  unmöglich  ist.3 
Das  Personenverzeichnis  nennt  54  Personen,  die  aber  in  der  Auf- 
zählung bunt  durcheinander  geworfen  sind,  so  dafs  es  z.  B.  heifst: 
qtiatro  moros  und  später  wieder:  tin  7noro.  Auffallen  müssen  auch 
die  vielen,  oft  detaillierten  Szenenangaben, 

Die  Handlung  beginnt  im  ersten  Akte  mit  der  Episode  des 
uns  aus  den  Romanzen  bekannten  Martin  Peläez  und  zwar  ist  er 
zu  Beginn  des  Stückes  bereits  aus  der  Schlacht  geflohen  und  sucht 
in  einem  Monolog  seine  Feigheit  zu  entschuldigen,  zumal  er  auch 
glaubt,  dafs  man  ihn  nicht  gesehen  habe.  Die  Ritter  kommen  mit 
dem  Cid  an  der  Spitze  aus  der  Schlacht  zurück,  waschen  sich  die 
Hände  um  sich  zur  Mahlzeit  vorzubereiten.  Martin  Peläez  mischt 
sich  unter  die  Soldaten.  Man  hat  jedoch  seine  Flucht  bemerkt, 
denn  als  der  Cid  Andeutungen  über  die  Feigheit  eines  ihrer  Ritter 
macht,  schauen  alle  auf  Martin  Peläez  und  auch  die  anderen 
Kämpfer  machen  ihre  Bemerkungen.  Der  Cid  wünscht  mit  ihm 
allein  zu  sprechen,  befiehlt  daher  allen  sich  zu  entfernen,  aber 
Martin  Peläez  hört  nicht  auf  den  Ruf  des  Cid,  sondern  will  mit 
den  anderen  zur  Mahlzeit  gehen.  Hier  ist  eine  Szene  eingeschoben, 
in  der  zwei  Soldaten  des  Cid  sich  um  zwei  gefangene  Maurenfrauen 
streiten.  Der  Cid  schlichtet  den  Streit  und  befiehlt,  dafs  die  beiden 
zu  seiner  Gemahlin  Jimene  gebracht  und  getauft  werden  sollen. 
Nun  meldet  ein  Page,  dafs  Martin  Peläez  mit  den  anderen  Rittern 
an  einem  Tische  speise.  Das  kann  der  Cid  keineswegs  dulden; 
er  holt  daher  den  feigen  Soldaten,  der  mit  einem  Stück  Brot 
im  Munde  und  einem  anderen  in  der  Hand  auf  die  Bühne  ge- 
zogen wird.  Der  Cid  macht  ihm  nun  Vorhalt,  dafs  er  sich  zu  den 
anderen  gesetzt  habe,  er  der  doch  heute  aus  der  Schlacht  geflohen. 
Noch  heute  abend  soll  er  seinen  Mut  zeigen  und  gegen  die  Mauren 
kämpfen.  Martin  Peläez  nimmt  sich  denn  auch  fest  vor  seinen 
Mann  zu  stellen  und  seinen  Fehler  wieder  gut  zu  machen.  Als 
dann  der  Kampf  beginnt,  geht  er  begeistert  mit  nicht  ohne  zuvor 
seiner  Tapferkeit  in  überschwenglichen  Worten  Luft  zu  machen. 
Die  Mauren  fliehen  vor  ihm,  er  verfolgt  sie  über  die  Bühne,  sie 
geben  ihm  ihre  Waflfen  und  bitten  um  ihr  Leben.  Er  will  sie  je- 
doch töten,  nachdem  er  sie  dem  Cid  vorgeführt.  Zwei  andere 
kastilische  Ritter  wissen  ihn  zu  bestimmen,  dafs  er  den  Mauren  das 
Leben  läfst.    Er  gibt  seine  Gefangenen  dem  Cid,  der  darüber  grofse 


'  L.  c,  pag.  216. 

"  Dieses  sowie  die  anderen  Dramen  des  seltenen  Bandes  werde  ich  an 
einer  anderen  Stelle  besprechen. 

3  Eine  Handschrift  des  Dramas  besitzt  nach  Paz  y  Melia  (1.  c,  pag.  141) 
die  Biblioteca  Nacional  zu  Madrid. 


63 

Freude  äufsert  und  ihn  für  würdig  hält  mit  den  anderen  Rittern 
zu  Tisch  zu  sitzen.  Die  beiden  Mauren  treffen  nun  die  bereits 
gefangenen  Frauen,  mit  denen  sie  verlobt  sind.  Letztere  machen 
den  Männern  Vorwürfe  ob  ihrer  Feigheit,  sie  wollen  nur  tapfere 
Männer,  deshalb  hätten  sie  ihr  Herz  auch  denen  gegeben,  die  sie 
gefangen  hätten,  Martin  Peläez  und  Antolinez. 

Valencia  ist  nun  eingenommen.  Der  Cid  gibt  den  Gefangenen 
die  Freiheit  und  läfst  den  Frauen  kein  Leid  geschehen.  Den  Juden, 
die  er  beim  Abzüge  aus  Kastilien  überlistet,  sendet  er  das  Geld 
zurück.  Jimena  und  ihre  Töchter  sollen  nach  Valencia  kommen. 
An  Alfonso  geht  eine  Gesandtschaft  mit  Geschenken  ab,  die  den 
Sieg  des  Cid  melden  soll.  Auch  gibt  er  den  freigelassenen  Frauen 
Geld  zu  ihrer  Hochzeit,  die  Männer,  darüber  hocherfreut,  danken 
dem  Cid. 

Der  zweite  Akt  zeigt  uns  den  Cid  als  Beherrscher  von  Valencia. 
Zu  Beginn  erteilt  er  den  Mauren  Audienz,  schlichtet  Streitfälle, 
die  vor  seinen  Richterstuhl  gebracht  werden,  in  gerechter  Weise. 
Man  meldet  die  Ankunft  Jimenas.  Sie  wird  aufs  feierlichste 
empfangen,  die  Mauren  zeigen  ihre  Begeisterung,  om  Juglar  trägt 
eine  Romanze  vor.  Dieser  Willkommgrufs  wird  dadurch  gestört, 
dafs  vom  Meere  her  ein  Heer  feindlicher  Mauren  gegen  die  Stadt 
anrückt.  Der  Cid  bringt  seine  Familie  in  Sicherheit  und  zwar  auf 
einen  hohen  Turm,  von  wo  aus  sie  die  Feinde  beobachten  können. 
Er  kämpft  selbst  mit,  Martin  Peläez  verrichtet  wieder  Grofstaten 
der  Tapferkeit  und  kommt  schliefslich  mit  einem  Mauren  unter 
dem  Arm  zurück.  Der  König  Funes,  der  feindliche  Anführer,  wird 
selbst  verwundet,  auf  Seite  der  Christen  ist  niemand  getötet  worden. 
Nach  dem  Kampfe  dankt  der  Cid  seinen  Mannen. 

Das  im  ersten  Akte  angedeutete  Liebesverhältnis  der  beiden 
Mauren frauen  zu  Martin  Peläez  und  Antolinez  wird  hier  in  einer 
Episode  fortgeführt.  Martin  Peläez  erhält  von  einer  der  Mauren- 
frauen, Lizarra,  einen  Brief,  kann  ihn  aber  nicht  lesen,  er  braucht 
dazu  einen  Mauren.  Da  kommt  gerade  Ali,  der  Mann  der  Lizarra, 
vorbei  mit  einem  Korb  Früchte  für  den  Cid.  Ali  ist  höchst  er- 
schrocken, als  er  das  Schriftstück  erklären  soll,  folgt  aber,  die 
Drohungen  des  Martin  Peläez  fürchtend.  Lizarra  teilt  dem  kastilischen 
Ritter  mit,  dafs  die  beiden  Mauren  nicht  zuhause  wären,  der  eine, 
Zulema,  sei  mit  Tagesanbruch  fort,  der  andere,  Ali,  sei  nach 
Valencia.  Ali  ist  natürlich  nicht  sehr  erbaut,  dafs  seine  Frau  in 
seiner  Abwesenheit  solche  Dinge  treibt,  aber  Martin  Peläez  weifs 
ihn  mit  der  Versicherung  zu  beruhigen,  er  hätte  ihm  den  Brief 
nur  lesen  lassen  um  ihn  auf  die  Probe  zu  stellen.  Auch  gibt  er 
den  Bitten  Alis  nach,  das  Schriftstück  Antolinez  nicht  zu  zeigen 
und  fügt  hinzu,  dafs  er  die  Ehre  einer  Frau  hochhalte,  der  Maure 
habe  sich  vor  nichts  zu  fürchten,  er  wolle  die  Frauen  nur  taufen 
lassen.  Sollte  Ali  aber  seiner  Frau  ein  Leid  zufügen,  so  würde  er 
ihn  töten. 

Den  dritten  Akt  läfst  der  Dichter  mehrere  Jahre  später  spielen. 


Ö4 

Der  Cid  ist  jetzt  alt  und  ruft  sich  seine  Taten  nochmals  ins  Ge- 
dächtnis zurück,  wobei  auch  die  Heirat  seiner  Töchter  mit  den 
Infanten  von  Carrion  und  deren  schmählicher  Verrat  erwähnt  wird. 
Er  freut  sich  jetzt  ehrbare  Schwiegersöhne  zu  haben.  Man  hört 
einen  Trompetenstofs,  der  Cid  glaubt,  es  kämen  Mauren  gegen  die 
Stadt  angerückt.  Es  ist  jedoch  ein  persischer  Gesandter,  der  dem 
Helden  vom  Sultan  Geschenke  übergeben  soll.  Der  Cid  zeigt  sich 
darüber  sehr  erfreut  und  behandelt  den  Perser  mit  grofser  Auf- 
merksamkeit. 

Der  König  Bucar,  der  Sohn  des  Funes,  zieht  gegen  Valencia 
und  läfst  sich  durch  die  Warnungen  eines  Mauren  aus  der  Stadt 
nicht  abhalten,  seinen  Plan  auszuführen  seinen  Vater  zu  rächen. 
Der  Cid  hatte  unterdessen  eine  Erscheinung  des  heiligen  Petrus, 
der  ihm  seinen  baldigen  Tod  mitteilte.  Er  läfst  nach  dem  Bischof 
Hieronimo  schicken  um  sich  auf  den  Tod  vorzubereiten.  Dann 
gibt  er  Martin  Peläez  und  seinen  übrigen  Rittern  genaue  An- 
weisungen, was  sie  mit  ihm  nach  seinem  Tode  tun  sollten.  Er 
werde  nämlich  auch  als  Toter  noch  seine  Feinde  besiegen.  Man 
binde  ihn  mit  der  Rüstung  auf  sein  Pferd  und  lasse  es  neben  dem 
Bischof  traben.  Nach  der  Schlacht  bringe  man  ihn  nach  Kastilien 
und  nach  San  Pedro  de  Cardena.  Der  Cid  stirbt  (nicht  auf  der 
Bühne)  und  man  tut,  was  er  befohlen.  Der  Verlauf  des  Kampfes 
wird  uns  von  Mauren,  die  von  der  Mauer  aus  zusehen,  berichtet. 
König  Bucar  mufs  fliehen,  die  anderen  Könige  der  Feinde  sind 
getötet  worden,  Valencia  ist  wieder  frei. 

Der  übrige  Teil  des  Aktes  spielt  in  San  Pedro  de  Cardena. 
Der  Cid  wird  hier,  auf  einer  Bank  sitzend,  zur  Schau  gestellt. 
Unter  dem  Volke  befinden  sich  auch  zwei  Juden,  Samuel  und 
Abraham.  Während  nun  die  Christen  eine  Prozession  veranstalten, 
zieht  Abraham  den  Vorhang,  der  den  Cid  verdeckt,  zurück  und 
spricht  den  Toten  in  kühner  Weise  an,  zupft  ihn  am  Bart,  fällt 
aber  wie  vom  Blitze  getroffen  zu  Boden,  während  der  tote  Cid 
sein  Schwert  aus  der  Scheide  zieht.  Alle  Anwesenden  kommen 
herzu,  staunen  über  das  Wunder,  Samuel  läfst  sich  taufen. 

Die  im  i.  und  2.  Akte  erwähnte  Episode  ist  auch  in  diesem 
Akte  weitergesponnen.  Das  Stelldichein  kommt  wirklich  zustande, 
die  Verliebten  werden  aber  von  Zulema  und  Ali  überrascht  und 
alle  gehen  dann  gekränkt  auseinander. 

Wie  man  sieht,  umfafst  das  Drama  fast  den  ganzen  dritten 
Teil  des  Romanzero.  Das  Stück  erinnert  in  der  Komposition  an 
Juan  de  la  Cuevas  Drama,  Handlung  für  Handlung  ist  einfach  an- 
einandergefügt, wie  sie  die  Romanzen  erzählen.  Die  Comedia  ent- 
hält jedoch,  was  bei  Cueva  nicht  der  Fall  ist,  bis  ins  einzelne 
gehende  Szenenangaben,  die  zuweilen  den  Worten  der  Romanzen 
entsprechen. 

Besonders  gut  scheint  mir  der  i.  Akt  zu  sein,  der  ein  in  sich 
abgeschlossenes  Ganzes  bildet  und  dessen  Stoff,  wie  man  in  der 
Folge  sehen  wird,  von  späteren  Dichtern  zu  einem  einzigen  Drama 


65 

benützt  wurde.  Von  allen  uns  hier  beschäftigenden  Dramen  ver- 
dient vielleicht  kein  zweites  den  Namen  „Ciddrama"  mit  gröfserem 
Rechte.  Hier  dreht  sich  alles  um  den  Cid  und  all  die  54  auf- 
tretenden Personen  dienen  nur  dazu  den  Lieblingshelden  des 
spanischen  Volkes  in  möglichst  verklärtem  Lichte  erscheinen  zu 
lassen. 

In  Beziehung  auf  den  Cid  zerfällt  das  Drama  in  zwei  Teile: 
die  Belagerung  und  Verteidigung  von  Valencia  (i.  u.  2.  Akt),  dann 
die  letzten  Augenblicke  des  Helden,  sowie  die  an  seinem  Grabe 
geschehenen  Wunder  (3.  Akt),  Äufserlich  will  der  Dichter  diese 
Scheidung  zum  Ausdruck  bringen,  indem  er  den  3.  Akt  mit  der 
Bemerkung  beginnt: 

Säle  el  Cid  mas  viejo. 

In  seiner  Charakterdarstellung  hat  der  Dichter  das  einheitliche 
Bild  gewahrt,  wie  überhaupt  des  Verfassers  Streben  war  den  Cid 
scharf  zu  zeichnen;  alle  anderen  Personen,  auch  Jimena  und  seine 
Helden,  im  ersten  Akte  Martin  Peläez  höchstens  ausgenommen, 
treten  so  stark  in  den  Hintergrund,  dafs  von  einer  Charakterzeichnung 
ihrerseits  überhaupt  nicht  gesprochen  werden  kann.  Der  Cid  hat 
hier  alle  guten  Eigenschaften,  die  sich  nur  von  einem  National- 
helden denken  lassen.  Gegen  Christen  wie  Mauren  ist  er  in  gleicher 
Weise  gerecht,  fürchtet  nichts  auf  der  Welt,  wehrt  alle  Angriffe  auf 
Valencia  siegreich  ab.  Nach  der  Einnahme  der  Stadt  dankt  er 
Gott  und  allen  Heiligen  des  Himmels  für  den  Sieg,  er  ist  also 
auch  religiös: 

A  la  Trinidad  sagrada 

gracias  que  llegö  esta  dia, 

gracias  a  Santa  Maria 

virgen  pura  consagrada. 

Y  a  san  Pedro  se  le  den 

gracias,  que  yo  se  las  fago, 

y  al  Apostol  Santiago 

y  a  San  Lazaro  tambien. 

Daneben  ist  er  auch  ein  zärtlicher  Familienvater,  wenn  es  auch 
etwas  eigentümlich  anmutet,  wenn  der  sonst  so  rauhe  Cid  beim 
Empfange  seiner  Frau  und  seiner  Töchter  ganz  sentimental  wird 
und   spricht: 

Es  todo  para  vos  Ximena  mia, 

es  todo  para  vos  la  mi  Ximena, 

y  rata  esta  guarrida  compaüia. 

Vengades  vos  mil  vezes  nora  buena, 

endonanae  otro  abra90  doiia  Elvira, 

y  vos  dona  Sol  con  fas  serena. 

Von  seinen  Soldaten  wird  er  schon  zu  seinen  Lebzeiten  wie  ein 
Heiliger  verehrt,  keiner  wagt  ihm  zu  widersprechen.  Dabei  ist  er 
aber    nicht   neidisch    auf  die  Taten  anderer,  im  Gegenteil  er  freut 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV.  5 


66 

sich  ihrer  und  stellt  sie  sogar  über  seine  eigenen,  er  legt  also  eine 
gewisse  Bescheidenheit  an  den  Tag.  Diese  spricht  sich  Martin 
Pelaez  gegenüber  aus,  wenn  er  sagt: 

Non  se  fizo  aquel  escano 
para  tni  ni  para  vos, 
mejor  que  ambos  a  dos 
le  ocupan  y  no  me  engaiio. 

Dem  aus  der  Schiacht  fliehenden  Martin  Pelaez  hält  er  ruhig  aber 
bestimmt  seine  Feigheit  vor  und  fordert  ihn  auf  seine  Schande 
gut  zu  machen: 

.  .  .  Que  en  la  batalla  passada 

y  en  esta  lo  merecistes, 

que  bien  vi  lo  que  fizistes 

per  la  lan^a  y  per  la  espada. 

Y  esta  tarde  parad  mientes 

que  tambien  es  he  de  ver, 

y  de  vos  han  de  aprender 

ganar  honra  mis  parientes. 

Eines  mufs  auffallen,  das  Verhältnis  des  Cid  zum  König,  der 
im  Stücke  nicht  auftritt,  wird  nur  an  zwei  Stellen  kurz  gestreift. 
Einmal  nach  der  Belagerung  von  Valencia  läfst  der  Cid  dem  König 
Geschenke  übermitteln  und  ihn  bitten  ihm  zum  Empfange  seiner 
Familie  einen  juglar  zu  senden. 

Zum  Schlüsse  erfahren  wir,  dafs  der  König  zum  Grabe  des 
Helden  zieht,  und  dafs  die  Bank,  auf  welcher  der  tote  Cid  sitzt, 
ein  Geschenk  des  Königs  ist.  Die  Verbannung  des  Cid  und  sein 
nicht  immer  ungetrübtes  Verhältnis  zum  König  wird  mit  keinem 
Worte  erwähnt. 

Neben  dem  Cid  ist  es  nur  noch  Martin  Pelaez,  der  in  einer 
Charakteristik  Erwähnung  verdient.  Aus  den  Romanzen  ist  bekannt, 
dafs  er  aus  der  Schlacht  Hiebt ,  durch  die  Worte  des  Cid  aber 
beschämt,  einer  der  tapfersten  Krieger  wird.  Unser  Dichter  hat 
nun  Martin  Pelaez  als  wahren  Riesen  dargestellt.  Man  sehe  nur, 
wie  er  mit  einem  Mauren  unter  dem  Arm  nach  Valencia  kommt. 
Die  Mauren  fürchten  ihn  wie  den  Satan  und  fliehen  alle  entsetzt, 
wenn  sie  nur  seinen  Namen  hören.  Es  wirkt  aber  sehr  komisch, 
dafs  nach  der  Schlacht  IMartin  Pelaez  immer  Hunger  hat.  Schon 
als  er  vom  Cid  zur  Rede  gestellt  wird,  kommt  er  mit  einem  Stück 
Brot  im  Munde,  einem  andern  in  der  Hand  herein.  Als  er  dann 
aus  der  Schlacht,  in  der  er  sich  zum  erstenmal  mutig  zeigt,  zurück- 
kehrt und  der  Cid  ihm  erlaubt  mit  den  anderen  Kriegern  zu  speisen, 
weifs  er  darauf  zu  erwidern: 

Pues  que  dixis  de  ganar 
seiios  de  hambre  me  fino 
Cid:     mandedes  le  dar  del  vino 
del  pan  le  mandedes  dar 


67 

und  weiter  unten: 

Pues  o  en  ella  (=  mesa)  o  en  qualquiera 

fazed  me  dar  de  gantar, 

sinon  quereis  esperar 

aqui  de  hambre  me  muera. 

Dann  kommt  ein  Page  und  meldet: 

Ambas  tablas  estan  prestas. 

Nun  fordert  der  Cid  zum  Essen  auf: 

Ea  fidälgos  hid  entrando. 

Weiter  unten  finden  wir  eine  ähnliche  Stelle.  Als  der  Maure 
Ali  Martin  Pelaez  das  Schriftstück  übersetzt  hat,  bricht  letzterer 
das  Gespräch  damit  ab,  dafs  er  sagt: 

Finca  en  pas  que  estoi  ha.mbriento 
y  el  mangar  me  face  bien. 

Wie  aus  einem  Vergleich  mit  den  Romanzen  hervorgeht, 
stimmt  unser  Drama  mit  folgenden  Romanzen  in  der  Handlung 
überein: 

120.  Va  que  acahö  la  vigilia 

121.  Ordofio  dice  al  Rey  Alfonso 
128.  Cercada  tiene  ä  Valencia 
12g.  De  Vlies tra  ho7ira  el  crisol 

130.  A  solas  le  7-eprehende 

131.  El  Cid  Salier a  otra  dia 

132.  Corrido  Martin  Pelaez 

133.  Por  la   viano  prende  el  Cid 

134.  Partios  ende  los  moros 

1 40.  Aquese  fanioso   Cid 

141.  Ya  se  salen  de  Valencia 
146.  Si  de  mortales  feridas 
150.  Helo,  hilo  por  da  viene 

186.  Llegö  la  fama  del  Cid 

187.  Eslando  en    Valencia  cl  Cid 

188.  Muy  doliente  esiaba  el  Cid 
192.  Coronadas  de  victorias 

196.  Jjas  ohsequias  funerales 

197.  Miierio  yace  ese  buen    Cid 

198.  Mientras  se  apresla  Jiniena 

199.  Ve72cido  queda  el  Rey  Bucar 
201.    En  Sant  Pedro  de   Cardena 

Romanze  134  Partios  ende  los  moros  ist  am  Schlüsse  des  ersten 
Aktes  wortwörtlich  ins  Drama  übernommen  worden,  es  fehlen 
nur  die  vier  letzten  Verse.  Bei  Romanze  150  sind  einige  Ände- 
rungen zu  verzeichnen,  die  jedoch  ebenso  einer  verlorenen  Romanze 
angehört  haben  können.     Man  vergleiche  daher  die  beiden  Texte: 


6ä 


Text  des  Dramas : 
O  Valencia  o  Valencia 
de  mal  fuego  seas  quemada, 
primero  fuiste  de  moros 
que  de  Christianos  ganada. 
Si  la  lan^a  no  me  miente 
y  la  yegua  ne  me  cansa, 
antes  que  veiiga  la  noche 
de  moros  seras  tornada. 
Y  a  esse  perro  del  Cid 
prenderele  por  la  barba 
SU  mujer  Ximena  gomes 
serä  de  mi  caplivada 
y  SU  fija  dona  Elvira 
seria  mi  namorada 
y  doiia  Sol  la  pequena 
essa  nos  fara  la  cama. 

Cid.    Pues  que  tenedes  mis  fijas 
las  aljubas  de  las  pascoas, 
a  esse  moro  que  aqui  biene 
detenemelo  en  palauras. 
Las  palauras  sean  rocas 
ya  que  has  de  amor  tocadas, 
mientras  en  sillo  abavie^a 
y  me  ciiio  la  mi  espada. 

Elv.    Bien  seas  venido  el  moro 
buena  sea  tu  llegada 

Siete  aiios  avia  siete 
que  soi  la  tu  enamorada 

Mor.  otros  tantos  ha  senora 

que  por  vos  me  cino  espada. 


Text  der  Romanze; 
i  Oh  Valencia,  oh  Valencia, 
De  mal  fuego  seas  quemada! 
Primero  fuiste  de  moros 
Que  de  cristianos  ganada. 
Si  la  lanza  no  me  miente, 

[diese  Verse  fehlen] 

A  moros  seräs  tornada, 

Y  ä  aquel  perro  de  aquel  Cid 
Prenderelo  por  la  barba, 

Su  mujer  dona  Jimena 
Serä  de  mi  captivada, 

Y  SU  hija  Urraca  Hernando 
Serä  mi  enamorada, 
Despues  de  yo  harto  della 
La  entregar^  ä  mi  compaiia. 

„Dejad  las  ropas  conlinas 

Y  vestid  ropas  de  Pascua. 
Aquel  moro  hi-de-perro 
Detienemelo  en  palabras 

Beide  Verse  fehlen  hier. 

Mientras  yo  ensillo  ä  Babieca 

Y  me  cino  la  mi  espada." 

„A^i  faga  ä  vos,  seilor, 
Buena  sea  vuestra  llegada! 

Siete  aiios  ha,  Rey,  siete, 
Que  soy  vuestra  enamorada." 

„Otros  tantos  ha,  seflora, 

Oue    OS  tengo  dentro  en  mi  alma." 


Auch  in  Szenenangaben  kann  man  den  Wortlaut  der  Romanzen 
wiederfinden.     Vergleiche : 

Säle  Albarfanes,  Bermudo,  Antolhies  y  Mariin,  y  los  devias  sacando 
al  Cid  defujicto  con  ima  celada  de  purgaviino  y  con  plutnas  y  tm 
escudo  de  lo  mismo,  un  capxtillo  verde  en  el  su  enseila  venneja  y 
unas  calgas  justas,  y  el  brago  llevaniado  en  lo  alto  con  la  espada 
desnuda  en  la  mano  .... 

mit  den  Versen  der  Romanze  198: 

Alvar  Fanez  de  Minaya, 

Don  Ordono,  y  don  Bermudo, 


6g 

Para  la  batalla  äprestan 
Del  Cid  el  cuerpo  difunto. 

De  pergamino  pintado 

Le  ponen  yelmo  y  escudo, 

Y  de  un  cendal  claro  verde 
Vestido  un  tabardo  justo, 

Unas  calzas  de  colores 

En  la  mano  su  Tizona. 
El  limpio  fierro  desnudo. 

Ob  das  Lied,  das  der  jiiglar  vorträgt,  mit  irgend  einer  Romanze 
in  Verbindung  steht,  habe  ich  nicht  entscheiden  können.  Es  lautet 
folgendermafsen : 

,  Aluerto  es  bido  a  ca^a 

A  los  montes  de  Leone 

ravia  le  maten  los  perros 

Aguilas  el  su  falcone 

Por  los  mas  sobervios  montes 

le  arastre  el  su  trotone 

y  antes  que  de  ca^a  buelva 

para  gozar  el  mi  amore. 

Lan^ada  de  moro  esquierdo 

le  atreviesse  el  cora9one. 

Die  ins  Drama  eingeschobenen  Beziehungen  des  Martin  Peläez 
und  des  Antolints  zu  den  Maurenfrauen  finden  sich  nicht  in  den 
Romanzen. 


2.  Tirso  de  Molina  (1570-1648):  El  Cobarde  mäs  valiente. 

Ein  uns  bekannter  Druck  dieses  Dramas  ist  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert. Dieser  Text  diente  auch  als  Grundlage  der  neuen  Ausgabe, 
besorgt  von  D.  Emilio  Cotarelo  y  Mori.  1  Im  Kataloge  von  Huerta^ 
finden  sich  als  Komödien  erwähnt : 

El  cobarde  mas  valiente.  —  De  Molina. 

La  conquista  de    Valencia  por  el  Cid.  —  De  Molina. 

Diese   Angabe   hat   Barrera   in   seinen  Catdlogo"^  und   Miinoz  Peila^ 
in  sein  Werk  über  Tirso  de  Molina  übernommen.     Da  jede  weitere 


'   Comedias  de   Tirso  de  Molina.     Tom.  II.    Madrid  1907. 

2  Madrid  1785. 

3  Pag.  390. 

*  El  Teatro   del  Maestro   Tirso   de  Molina.     Estudio    Critico   Literario. 
Valladülid  1889.    Pag.  86. 


bibliographische  Angabe  bei  Huerta  fehlt,  so  kann  man  nicht  unter- 
suchen, ob  es  sich  um  zwei  verschiedene  Dramen  handelt,  oder  um 
ein  Stück,  das  unter  zwei  Titeln  zitiert  wurde.  Auf  das  uns  vor- 
liegende Drama  passen  beide  Titel,  warum  sollte  nicht,  ähnlich  wie 
bei  dem  soeben  besprochenen  Drama,  der  ursprüngliche  Titel  ge- 
lautet haben  können :  El  coharde  vias  valienie  y  la  conquista  de. 
Valencia  por  el  Cid?  Eine  andere  noch  unentschiedene  Frage  ist, 
ob  das  uns  vorliegende  Drama  von  Tirso  de  Molina  ist  oder  nicht. 
Cotarelo  y  Morii  sagt,  dafs  diese  Frage  sei:  cosa  que  por  hoy  no 
nos  atrevemos  d  afirmar  ni  d  negar.  Man  stützt  sich  eben  auf  die 
Angaben  Huertas  und  auf  den  oben  erwähnten  Druck,  in  dem  es 
dem  Fray  Gabriel  de  Tellez,  also  Tirso  de  Molina  zugeschrieben 
wird.  Solange  aber  nicht  ein  Grund  dagegen  angeführt  wird,  und 
das  ist,  soviel  ich  weifs,  noch  nicht  geschehen,  kann  man  die 
Autorschaft  Tirso    de  Molinas    wohl   kaum  ohne  weiteres  ablehnen. 

1.  Akt.  Der  Vater  des  Martin  Peläez,  Payo,  ist  über  die  Feig- 
heit seines  Sohnes,  der  sich  scheut  in  die  Schlacht  zu  ziehen, 
ungehalten,  gürtet  ihm  die  Waffen  um  und  schickt  ihn  zu  seinem 
Vetter,  dem  Cid.  Martin  Peläez,  der  seinem  Vater  den  Gehorsam 
nicht  verweigern  will,  bricht  sehr  betrübt  auf  und  nimmt  zuvor 
noch  von  seiner  Geliebten  Sancha  Abschied.  Vor  ihr  spricht  er 
über  seine  Tapferkeit  und  seine  zukünftigen  Heldentaten.  Sancha 
will  ihm  im  geheimen  folgen,  da  sie  glaubt,  ihr  Geliebter  ziehe  nur 
in  den  Krieg  um  sie  zu  vergessen. 

Die  Szene  verändert  sich.  Wir  sind  in  Castilien  am  Hofe  des 
Königs  Alfonso.  Der  Cid  tritt  auf  um  sich  gegen  seine  Ver- 
leumder zu  verteidigen.  Der  König,  der  schon  ungehalten  ist, 
dafs  sein  Vasall  mit  so  vielen  Kriegern  angekommen,  schenkt  ihm 
keinen  Glauben,  verbannt  ihn  und  will  ihm,  anstatt  der' von  ihm 
verlangten  40  Tage,  nur  drei  Tage  Frist  gewähren.  Schliefslich 
läfst  er  sich  doch  herbei,  ihm  neun  Tage  zu  geben.  Der  Cid 
kommt  in  sein  Lager  zurück,  wo  ihm  Martin  Peläez  vorgeführt 
wird.  Er  freut  sich  seinen  Vetter  zu  treffen  und  gibt  ihm  die 
nötigen  Anweisungen,  wie  er  sich  im  Kampfe  zu  verhalten  habe. 

Auch  ins  Lager  der  Mauren  führt  uns  der  Dichter.  Hier  ist 
Alvar  Fanez  als  Gefangener,  soll  jedoch  vom  Maurenkönig  ohne 
Lösegeld  freigelassen  werden,  wobei  dieser  erwartet,  dafs  der 
castilische  Ritter  bei  den  Töchtern  des  Cid,  die  er  liebt,  für  ihn 
sprechen  werde.  Mit  kühnen  Worten  weist  der  Ritler  diese  Zu- 
mutung zurück  und  zerreifst  sogar  einen  ihm  übergebenen  Brief 
vor  den  Augen  des  Königs.  Dieser,  darüber  aufgebracht,  läfst  ihn 
zwar  frei,  droht  ihm  aber,  dafs  er  sich  beim  nächsten  Kampfe  an 
ihm  rächen  werde. 

U.  Akt.  Der  Kampf  ist  ausgebrochen,  Sancha  kommt  als 
Mann  verkleidet  ins  Lager   der  Castilier   und  bittet  um  Aufnahme. 

»  L.  c,  pag.  XIIIfF. 


71 

Alvar  Faiiez  nimmt  sie  als  Diener  an.  Martin  Pelaez  ist  aus  der 
Schlacht  geflohen  und  setzt  sich  an  den  Tisch  des  Alvar  Faiiez. 
Der  Cid  zieht  ihn  mit  sich  fort  und  zeigt  ihm  die  Gröfse  seines 
Vergehens.  Martin  Pelaez  nimmt  sich  fest  vor  seine  Ehre  wieder- 
zugewinnen. Er  geht  von  neuem  in  den  Kampf  und  trifft  hier  den 
Maurenkönig  selbst,  den  er  besiegt.  In  Anbetracht  des  von  dem 
Mauren  an  Alvar  Faiiez  geübten  Edelmutes  läfst  er  ihn  frei.  Der  Cid 
hatMartin  Peläcz  beobachtet  und  freut  sich  jetzt  über  dessen  Mut. 
Sancha  ist  von  ihrem  Geliebten  erkannt  worden,  und  dieser,  voll 
Eifersucht,  verlangt  sie  von  Alvar  Fanez  zurück.  Dieser  weifs 
nicht,  dafs  sein  Diener  ein  Mädchen  und  die  Geliebte  Martins  ist, 
und  will  Sancha  nicht  verlieren.  Der  Streit  endet  mit  einer  Heraus- 
forderung Martins,  der  in  seiner  Eifersucht  glaubt,  Sancha  sei  nur 
Alvars  wegen  ins  Lager  gekommen.  Sancha  sucht  zwischen  den 
beiden  Streitenden  zu  vermitteln,  aber  erst  das  Eingreifen  des  Cid 
macht  dem  Zv.eikampfe  ein  Ende.  Der  Cid  will  gegen  Valencia 
ziehen  und  kann  daher  nicht  dulden,  dafs  seine  eigenen  Leute  sich 
befehden.  .A.lvar  Fanez  und  Martin  Pelaez  gehorchen  ihm  zwar,  jedoch 
nicht    ohne    die   gegenseitige  Drohung,    sich  vor  Valencia  zu  töten. 

in.  Akt.  Valencia  wird  bereits  belagert.  Erst  müssen  sich 
die  Castilier  zurückziehen,  der  Cid  begeistert  seine  Ritter  von  neuem 
zum  Angriff.  Sancha  ist  gefangen  genommen  worden.  Der  Mauren- 
könig hat  erfahren,  dafs  sie  ein  verkleidetes  Mädchen  sei  und  will 
sie  unbedingt  zu  seiner  Gattin  machen.  Sie  behauptet  jedoch  ein 
Mann  zu  sein  ohne  den  Mauren,  der  Gewalt  anwenden  will,  ab- 
wehren zu  können.  Da  kommt  zur  rechten  Zeit  Martin  Pelaez,  der 
gerade  seinen  Diener  Botija  von  einem  Mauren  befreit  hat,  und 
greift  den  König  an.  Dieser  mufs  nun  von  Sancha  lassen  und 
gegen  Martin  Pelaez  sich  verteidigen.  Zugleich  fordert  Martin  die 
Mauren  zur  Verteidigung  von  Valencia  auf,  da  der  Cid  von  neuem 
auf  die  Stadt  eindringe.  Martin  Pelaez,  der  dem  Cid  versprochen 
hat,  ihm  Valencia  als  „Speise"  vorzusetzen,  nimmt  die  Stadt  ein 
und  schliefst  dann,  nachdem  Alvar  Faiiez  über  Sancha  aufgeklärt 
ist,  mit  diesem  ewige  Freundschaft.  Zum  Lohne  für  seine  Tapfer- 
keit erhält  Martin  Pelaez  die  Hand  seiner  geliebten  Sancha,  was 
auch  der  soeben  ins  Lager  gekommene  Vater  Payo  zugibt.  Der 
Held  denkt  noch  an  weitere  Taten  und  will  auch  Granada  für 
den  Cid  erobern.  Als  Hochzeitsgeschenk  bietet  ihm  der  Cid 
Valencia  an,  was  Martin  aber  ausschlägt,  denn  Valencia  sei  nur 
für  den  Cid  bestimmt.  So  kommt  es,  dafs  es  auch  heute  noch 
Valencia  del  Cid  heifst. 

Man  sieht,  dafs  unser  Drama  stofflich  dem  i.  Akt  des  kurz 
zuvor  besprochenen  entspricht.  Wenn  wir  uns  nun  fragen,  worin 
der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Darstellungen  besteht  und 
warum  Tirso  den  gleichen  Stoff  in  drei  Akten  behandelt,  so  können 
wir  uns  das  dadurch  erklären,  dafs  in  dem  oben  erwähnten  Drama 
alles  sich  um  den  Cid  gruppiert  und  alles,  was  nicht  in  Verbin- 
dung mit  dem  Haupthelden  steht,  ausgeschaltet  wird,  während  in 


72 

dem  vorliegenden  Drama  nicht  der  Cid,  sondern  Martin  Pelaez  die 
Hauptrolle  spielt.  Daher  die  Erfindung  der  Liebesgeschichte  mit 
Sancha,  daher  das  Auftreten  Payos,  daher  des  Martin  Eifersucht 
auf  Alvar  Fanez  und  die  durch  Martin  erfolgte  Einnahme  Valencias. 
Ist  es  nun  dem  Dichter  geglückt,  Martin  Pelaez  so  zu  zeichnen, 
dafs  dessen  Charaktereigenschaften,  vor  allem  dessen  Feigheit,  der 
sich  in  ihm  vollziehende  Charakterwechsel  und  seine  spätere  Tapfer- 
keit sich  klar  und  deutlich  abheben?  Wir  müssen  die  Frage  un- 
bedingt bejahen.  Der  Dichter  war  sichtlich  bemüht,  seinen  Helden 
bis  ins  einzelnste  zu  zeichnen. 

Schon  in  der  ersten  Szene  bekommen  wir  durch  die  Vorwürfe, 
die  Payo  seinem  Sohne  macht,  einen  Begriff  von  dessen  Charakter: 

Hasta  cuändo  pretendias 
afrentar  nuestras  montanas, 


Tu  eres  mi  hijo? 

no  han  de  llamarme  d  mi 

padre  de  hijos  cobardes. 
Tienes  fuerzas  superiores 
al  mäs  robusto  leön, 
y  siempre  tus  hechos  son 
regalos,  gustos  y  amores. 


Des  Martin  schüchterne  Entschuldigung: 

Yo  no  estoy  acostumbrado 
d  ver  paveses  y  cotas 

bestätigt  die  Worte  des  Vaters.  Er  soll  in  den  Krieg  ziehen  und 
geht  in  seiner  Feigheit  sogar  soweit,  dafs  er  an  der  Liebe  seines 
Vaters  zweifelt: 

Senor, 
^•quieres  qua  me  maten  luego? 


En  poco  estimais  d  un  hijo. 

Er  folgt  aber  seinem  Vater,  wenn  auch  unwillig: 

pues  mi  padre  me  destierra, 
asi  parüre  ä  la  guerra. 

Als   er   aber  seiner  Geliebten  Sancha  gegenübersteht,    da  zeigt  er 
den  mutigen  Krieger: 

pienso  matizar  la  tierra 

con  sangre  morisca 


^no  sabes  que  a  matar  voy 
mil  moros? 

Rayo  de  los  moros  soy 


73 


Pienso  matar,  Sancba  mia, 
diez  mil  moros  en  un  dia. 


Diese  Grofssprecherei ,  die  bei  dem  verliebten  Martin  sehr  er- 
klärlich ist,  sieht  man  auch  in  der  Versicherung  seiner  unwandel- 
baren Liebe: 

Primero  veräs  arder 

las  aguas,  el  aire,  el  fuego, 

y  al  sol  de  la  lumbre  ciego 

precipitado  caer, 

y  todo  nuestro  horizonte 

sin  las  que  d  tu  sol  reservo, 

vivir  en  el  mar  un  ciervo 

y  un  delfin  en  ese  monte 

que  yo  te  olvide  jamäs. 

Im  Lager  des  Cid  fürchtet  er  sich  sogar  vor  dem  Cid: 

de  ver  la  grave  presencia 
del  Cid;  espanto  me  pone. 

Die  eindringliche  Rede  des  Cid  nach  seiner  Flucht  aus  der 
Schlacht  macht  auf  ihn  einen  solchen  Eindruck,  dafs  er  sich 
seiner  selbst  schämt  und  seinen  Fehler  wieder  gut  zu  machen 
bestrebt  ist: 

porque  es  gran  parte  de  honor 

la  vergüenza  de  perdello.     {Tocan  al  arma) 

la  ocasiön  puedo  decir 

que  el  cielo  me  la  vendiö ; 

de  mi  he  de  vengarme  yo 

tanto,  que  los  que  miraron 

las  afrentas  que  cargaron 

sobre  mi  ofendido  honor, 

viendo  ahora  mi  valor 

presuman  que  se  enganaron. 

Er  führt  seinen  Vorsatz  auch  aus  und  ist  auf  einmal  ein  Held 
geworden.  Wir  verstehen  dann  die  Worte,  die  er  dem  Cid  ent-* 
gegnet,  als  dieser  sagt: 

porque  al  que  viere  veucido 
lo  he  de  juzgar  por  cobarde. 
Martin:     Primero  vereis  mi  muerte 
que  me  de  atributos  tales 
vuestra  lengua. 

Er  kennt  auch  Gehorsam  gegen  seinen  Feldherrn,  den  Cid: 

pero  mas  sabe  que  yo 

el  Cid  y  es  prudente  y  viejo. 


74 

Seine  Eifersucht  auf  Alvar  P'afiez  läfst  sich  in  seine  eigenen  Worte 
zusammenfassen : 

De  rabia  y  de  celos  muero. 

Er  ist  aber  nicht  unversöhnlich,  sondern  reicht  gern  die  Hand  zum 
Frieden : 

desde  lioy  quicro  ser  tu  amigo 

sagt  er  zu  Alvar  Fanez. 

Als  er  Valencia  eingenommen  hat  und  der  Cid  es  ihm  geben 
will,  lehnt  er  es  ab,  glücklich,  im  Besitze  seiner  geliebten  Sancha 
zu  sein. 

Die  anderen  Personen  treten  Martin  Peläez  gegenüber  in  den 
Hintergrund  und  man  kann  den  Charakter  des  Cid  eigentlich  nur 
aus  der  Szene  entnehmen,  in  der  er  vom  König  verkannt  wird. 
Hier  ist  er  der  trotzige  Heerführer  der  crönica  rirnada^  während 
sein  mildes,  versöhnUches  Wesen  der  folgenden  Szenen  damit  nur 
um  so  schärfer  kontrastiert. 

Als  ihm  der  König  nur  neun  Tage  Aufschub  gewährt,  weist 
er  ihn  auf  seine  Siege  hin: 

No  fui  tan  corto  jamäs 
en  las  viclorias  que  os  di, 

ebenso  auf  seinen  Einflufs: 

sabes  que  muchos  rej^es 

me  han  besado  d  ini  la  mano. 

Besonders    aber    zeigt    sich    dieser    trotzige    Zug    in    den    Schlufs- 
worten : 

Rey :     j  Bueno  estä ! 

Cid:      No  estä,  senor. 

Rey:  iQue  decis.? 

Cid:      Rey  Alfonso,  esto  que  ois. 

In  seinem  Lager  jedoch  darf  es  keinen  Streit  geben: 

porque  no  ha  de  haber  agravios 
donde  el  Cid  hace  los  paces. 

Tadeln  könnte  man  an  dem  Drama  die  unnötige  Episode  mit 
dem  Maurenkönig,  der  den  gefangenen  Alvar  Faiiez  entläfst,  damit 
er  die  Töchter  des  Cid  zu  Gemahlinnen  bekäme. 

Die  Sprache  des  Dramas  ist  fiiefsend,  wenn  auch  nicht  ganz 
frei  von  gongoristischen  Anklängen;  so  sagt  Martin  Peläez,  als 
Sancha  herankommt : 

Pues  di  que  brotaudo  vienen 
sus  bellas  plantas  heimosas 
muchos  claveles  y  rosas. 

In  unserem  Drama  finden  wir  auch  Ausfälle  auf  kirchüche 
Einrichtungen,    wie  wir  sie   nur  in  den  Dramen  Tirso  de  Molinas 


75 

gewohnt  sind.  Es  kann  dies  eventuell  als  ein  Beweis  für  die 
Autorschaft  des  Dichters  gelten.  Schacki  sagt  in  dieser  Hinsicht 
von  Tirso  delMolina:  „Die  Kühnheit  seiner  Ausfälle  auf  die  Grofsen 
der  Erde,  auf  Hof  und  Hofleute,  auf  Geistliche  und  Mönche  ist 
einzig  in  der  spanischen  Literatur,  und  man  erstaunt  über  die 
Freiheit  der  Bühne,  auf  der  diese  Satiren  in  einer  Zeit,  als  die 
Macht  der  Inquisition  auf  ihrer  Höhe  stand,  laut  werden  durften. 
Die  Verwunderung  wächst,  wenn  man  bedenkt,  dafs  ihr  Urheber 
selbst  eine  bedeutende  geistliche  Stelle  bekleidete.  Bei  all  ihrer 
Schärfe  jedoch  sind  diese  epigrammatischen  Stellen  mit  einer 
solchen  scheinbaren  Gutmütigkeit  vorgetragen,  durch  die  wohl- 
lautendsten, von  einem  leichten  Anhauch  von  Ironie  überflogenen 
Verse  in  ein  so  reizendes  Gewand  gehüllt,  dafs  wohl  die  An- 
gegrilfenen  selbst  in  das  Lachen  des  barmherzigen  Ordensbruders 
einstimmten." 

In  unserem  Stücke  sind  all  diese  Ausfälle  Botija,  dem  Diener 
des  Martin  Peläez  in  den  Mund  gelegt,  der  in  dem  Stücke  den 
gracioso  vertritt: 

In  der  2.  Szene  des  i.  Aktes  führt  Botija  als  Grund  an, 
warum  Payo  seinen  Sohn  nicht  in  den  Kampf  senden  soll: 

Pues  yo  he  visto,  Dios  me  acuerde 
y  aun  sois  buen  testigo  vos, 
ä  un  ciento  y  mäs  de  soldados 
cantalles  requiem  amen. 

Man  denke  sich  dieses  Bild  in  der  Schlacht,  wo  die  Soldaten  das 
Requiem  singen. 

Eine  Anspielung  auf  die  Bibel  ist: 

Que  el  que  el  peligro  buscare 
muera  muerte  supetaiia. 

Eine  Anspielung  auf  die  Wallfahrten: 

Librädmele,*  San  Antön, 
y  OS  dare  un  rocin  de  cera. 

Als  Botija  von  einem  Mauren  angegriffen  wird,  schreit  er: 

Ah  Martin,  que  estän  matando 
d  tu  Botija!     Ven  presto 
dame  un  confesor. 

Abgesehen  von  dieser  Eigenschaft  der  Tirsoschcn  Komödien 
passen  fast  alle  anderen  bei  Schack'  angegebenen  Merkmale  seiner 
Dramen    auf   unser    Stück    und    so    liefsen    sich    vielleicht   —    eine 


1  L.  c„  II,  p.  565 ff. 

*  le  =^  SU  rocin. 

'  L.  c,  II,  pag,  562  ff. 


76 

Nachprüfung  der  Schackschen  Kriterien  vorausgesetzt  —  auch  innere 
Gründe  anführen  um  die  Autorschaft  Tirsos  bei  dem  vorliegenden 
Drama  festzustellen,  i 

Die  vom  Verfasser  benützten  Romanzen  sind  die  oben  (pag.  67) 
bereits  erwähnten  128  — 133,  ohne  dafs  eine  derselben  ganz  oder 
teilweise  aufgenommen  worden  wäre.  Die  Liebe  des  Martin  Pelaez 
zu  Sancha  und  die  daraus  resultierende  Eifersucht  findet  sich  nicht 
in  den  Romanzen.  Die  Episode  mit  dem  Maurenkönig,  der  die 
Cidtöchter  liebt,  könnte  vielleicht  auf  Grund  der  Romanze  134  ent- 
standen sein,   die  auch  im  vorhergehenden  Drama  Aufnahme  fand. 

Wenn  auch  die  Entstehungszeit  des  Dramas  nicht  feststeht,  so 
zeigt  doch  der  ganze  Aufbau  und  die  Sprache,  dafs  es  geraume 
Zeit  später  verfafst  sein  mufs,  als  das  oben  besprochene  Drama, 
jedoch  kann  eine  Abhängigkeit  von  diesem  nicht  bewiesen  werden. 


3.  Juan  de  Matos  Fragoso:   El  amor  hace  valientes. 

Das  Drama  wurde  gedruckt  im  i.  Bande  der  Komödien  unseres 
Autors:  Madrid  1658.  Cotarelo  y  Mori^  erwähnt  auch  einen  Einzel- 
druck aus  dem  17.  Jahrhundert,  ohne  Angabe  des  Druckortes,  noch 
des  Jahres. 

I.  Akt.  Elvira  hat  zwei  Liebhaber,  den  feigen  Martin  Pelaez 
und  den  tapferen  Alvar  Fanez.  Letzterer  hält  sich  für  den  be- 
vorzugteren, während  Elvira  nur  Martin  liebt.  Sie  darf  jedoch  nur 
den  heiraten,  der  im  Kampfe  um  Valencia  der  tapferste  ist.  Der 
Streit  der  beiden  Ritter  endet  mit  einer  Herausforderung  des 
Martin  Pelaez  durch  Alvar  Fanez.  Der  Cid  kann  nicht  dulden, 
dafs  seine  Kämpfer  sich  selbst  befehden,  denn  er  bedarf  ihrer  bei 
der  Belagerung  von  Valencia.  Sie  sollten  ihre  Tapferkeit  an  den 
Mauren  und  nicht  unter  sich  erproben.  Sie  werden  als  Anführer 
zweier  Schwadronen  bestimmt.  INIartin  Pelaez  gerät  in  Furcht,  über- 
nimmt aber  ebenso  wie  Alvar  Faiiez  den  Oberbefehl  über  seine 
Truppe.  Damit  Elvira  ihren  Geliebten  in  der  Schlacht  zu  erkennen 
vermöge,  gibt  sie  ihm  ein  Band,  das  er  an  der  Brust  befestigen 
soll.  Alvar  Fanez  spottet  darüber  und  meint,  sie  erkenne  dann 
besser  seine  Feigheit.  Elvira  hofft  jedoch,  dafs  Martin  ihr  Ver- 
trauen rechtfertigen  wird,  denn  die  Liebe  allein  habe  bei  der 
Wahl  ihres  Gatten  nicht  zu  entscheiden.  Martin  tröstet  sie  im 
Hinweis  auf  seine  Tapferkeit.  Vor  seinem  Diener  Gergon,  dem 
gracioso  des  Dramas,  eröffnet  er  seine  Furcht  vor  dem  Kampfe  und 


^  Sie  wird  dadurch  erleichtert,  dafs  jetzt  alle  vorhandenen  Dramen  Tirsos 
gedruckt  vorliegen:  in  der  Bibl.  de  antares  espanoles.  Band  5  und  in  den 
2  Bänden  von  Cotarelo  y  Mori:  Comedias  de  Tirso  de  Molina,  Madrid  1907, 
die  alle  Dramen  enthalten  die  in  der  Bibl.  de  aut.  esp.  nicht  gedruckt  wurden. 
So  bildet  die  Ausgabe  von  Cotarelo  y  Mori  eine  willkommene  Ergänzung  zur 
Bibl.  de  aut.  esp. 

»  L.c,  II,  pag.  XIII. 


77 

beklagt  sich,  dafs  ihm  besonders  das  Band  Elviras  unangenehm 
sei.  Schliefslich  entschliefst  er  sich  überhaupt  nicht  in  die  Schlacht 
zu  ziehen,  sondern  sich  für  krank  auszugeben,  fürchtet  aber  dann 
die  Ärzte,  die  ihn  ja  auch  töten  könnten,  und  geht  doch  lieber  in 
die  Schlacht. 

Der  Kampf  hat  bereits  begonnen.  Der  RIaurenkönig  fordert 
seine  Soldaten,  die  bereits  zu  fliehen  begannen,  von  neuem  auf, 
ihre  Tapferkeit  zu  zeigen  und  wendet  sich  besonders  an  Celin, 
seinen  Sohn,  der  ebenfalls  Elvira  liebt,  den  übrigen  Mauren  als 
Beispiel  zu  dienen.  Sie  werden  jedoch  zurückgeschlagen  und  fliehen 
von  den  Kastiliern  verfolgt.  Der  Cid  sieht  zu  seinem  Schrecken 
Martin  Peläez  fliehen.  Martin  und  sein  Diener  wollen  sich  verbergen, 
der  Cid  läfst  auch  nicht  merken,  dafs  er  die  beiden  gesehen  und 
will  sich  die  Zurechtweisung  auf  später  ersparen.  Als  Celin  mit 
einigen  Mauren  kommt,  fürchten  sich  die  beiden  Feiglinge  noch 
mehr,  werden  jedoch  von  Celin  entdeckt.  Dieser  wirft  ihnen  ihre 
Feigheit  vor.  Martin  Peläez  sucht  durch  eine  Lüge  seine  Ehre  zu 
retten,  indem  er  einen  Sturz  vom  Pferde  vorgibt  und  erklärt  sich 
aus  Scham  darüber  verborgen  zu  haben  als  er  Schritte  gehört. 
Celin  schenkt  seinen  Aussagen  keinen  Glauben  und  will  sich  an 
ihm  rächen,  da  er  ja  Elviras  wegen  Grund  zur  Eifersucht  hat. 
Martin  erklärt  sich  lieber  zu  seinem  Gefangenen,  ohne  mit  ihm  zu 
kämpfen.  Celin  verlangt  das  Band  auf  seiner  Brust  von  ihm,  da  es 
von  Elvira  sei  und  entreifst  es  ihm  trotz  des  Widerstandes  des 
Martin.  Damit  sei  Martin  gebrandmarkt  genug.  Alvar  Faiiez,  der 
sich  im  Kampfe  überaus  tapfer  gezeigt,  kommt  mit  den  von  ihm 
erbeuteten  Fahnen  und  will  sie  einstweilen  hier  niederlegen.  Als 
er  fort  ist,  eignet  sich  Martin  diese  Trophäen  an  und  kommt  zu- 
gleich mit  Alvar  zu  Elvira.  Alvar  bietet  ihr  die  gefangenen  Mauren 
an,  während  Martin  auf  die  erbeuteten  Fahnen  hinweist,  die  von 
seiner  Tapferkeit  Zeugnis  ablegen  sollen.  Elvira  merkt  sofort  den 
Verlust  des  Bandes.  Alvar  spricht  die  Vermutung  aus,  dafs  die 
von  Martin  gebrachten  Fahnen  die  von  ihm  erbeuteten  seien. 
Schliefslich  kommt  der  Cid  und  erzählt,  dafs  Martin  geflohen  sei. 
Er  habe  mit  ihm  allein  zu  sprechen.  Nun  wird  die  bekannte  Tisch- 
szene auf  dem  Theater  selbst  vorgeführt.  Der  Cid  weist  allen  ihre 
Plätze  an.  Martin  setzt  sich  ohne  aufgefordert  zu  werden  zu  Pedro 
Bermudez.  Darüber  macht  ihm  der  Cid  Vorhalt  und  weist  ihm 
den  Platz  an  seiner  Seite  an.  Nun  hält  ihm  der  Cid  seine  Feig- 
heit vor  und  schickt  ihn  fort.  Ein  ehrloser  Krieger  gehöre  nicht 
zu  erprobten  Rittern. 

II.  Akt.  Martin  Peläez  kommt  zu  Elvira,  die  nach  ihrem  Bande 
fragt.  Er  macht  seinen  Diener  dafür  verantwortlich,  der  es  einem 
Mauren  gegeben  habe.  Elvira  glaubt  ihm  zwar,  hält  es  aber  für 
sehr  eigentümlich,  dafs  ein  Liebender  auf  eine  von  der  Geliebten 
empfangene  Gabe  so  wenig  achten  könne.  Sie  verläfst  ihn  deshalb 
gekränkt.  Nun  kommt  der  Cid  und  erzählt  die  Ruhmestaten,  die 
er  in  seiner  Jugend  mit  dem  Vater  des  Martin  Peläez  vollführt  hat 


78 

um  Martin  aufzufordern,  seine  Feigheit  wieder  gut  zu  machen.  In- 
zwischen kommt  Celin,  der  betreff  des  Friedens  zu  unterhandeln 
wünscht.  Alle,  auch  Martin,  der  das  Band  Elviras  auf  der  Brust 
des  Mauren  gesehen,  wünschen  die  Fortsetzung  des  Kampfes.  Der 
Cid  will  Valencia  in  Besitz  nehmen.  Celin  sucht  nach  Elvira  und 
findet  sie  auch.  Sie  verlangt  von  ihm  ihr  Band  zurück.  Der 
Maure  erzählt  ihr,  dafs  er  es  einem  überaus  feigen  Krieger  ab- 
genommen habe,  der  ihrer  Liebe  nicht  wert  sei.  Elvira,  anders 
berichtet,  hält  ihm  vor,  dafs  er  es  sich  widerrechtlich  von  einem 
Diener  angeeignet  habe,  Martin  Pelaez  habe  ihr  das  selbst  erzählt. 
Celin  wird  nun  deutlicher  und  klärt  sie  über  die  Feigheit  Martins 
auf.  Das  Band  würde  er  ihr  nie  wiedergeben.  Sie  nimmt  sich 
nun  fest  vor,  Martin  Pelaez  zu  vergessen,  denn  einem  Feigling 
könne  sie  nie  und  nimmer  die  Hand  reichen.  Ihrem  Geliebten  hält 
sie  dann  auch  seine  Lüge  vor  und,  um  ihn  zu  strafen,  fordert  sie 
Alvar  Fanez  auf,  möglichst  tapfer  zu  sein,  gibt  ihm  ein  Band  und 
verspricht  ihm  ihre  Liebe.  Alvar  ist  darüber  überglücklich,  Martin 
vor  Eifersucht  höchst  aufgebracht.    Der  Kampf  beginnt  von  neuem. 

III.  Akt.  Die  Mauren  haben  einen  neuen  Ausfall  aus  der  Stadt 
unternommen.  Der  Cid  fordert  seine  Soldaten  auf  mit  neuem  Mute 
in  den  Kampf  zu  ziehen,  dem  tapfersten  verspreche  er  die  Hand 
F'Jviras.  Martin  nimmt  sich  fest  vor  seine  Ehre  wiederzugewinnen 
und  läfst  Alvar  Fanez  zu  sich  rufen.  Dieser  erscheint  und  beide 
beginnen  zu  fechten.  Alvar  wird  besiegt.  Martin  schenkt  ihm  das 
Leben,  beginnt  aber  von  neuem  auf  ihn  einzudringen  als  sein 
Gegner  ihm  sagt,  dafs  er  ihm  für  seinen  Edelmut  keinen  Dank 
zolle.  Schliefslich  greift  der  Cid  ein  und  hält  den  beiden  Streitenden 
vor,  dafs  sie  doch  sicherlich  vor  Beginn  der  Schlacht  besseres  zu 
tun  hätten  als  einen  Zweikampf  auszufechten.  Im  geheimen  freut  er 
sich  aber  der  Tapferkeit  des  Martin  Pelaez.  Die  beiden  eifersüchtigen 
Ritter  schwören  sich  Rache  während  der  Schlacht.  Elvira  hat  ebenfalls 
Martins  Unerschrockenheit  Alvar  gegenüber  gesehen  und  fordert  nun 
Martin  auf,  diesen  Mut  auch  den  INIauren  gegenüber  an  den  Tag 
zu  legen.  Ihrer  Dienerin  gegenüber  klagt  sie,  dafs  sie  Martin  trotz 
ihrer  Liebe  zu  ihm  nicht  heiraten  könne  wenn  er  sich  wieder  als 
feige  erweise,  da  der  Cid  es  nicht  zugeben  würde.  Von  Alvar 
Faiiez  will  sie  nicht  einmal  den  Namen  hören.  Inzwischen  hat 
Martin  Pelaez  sich  in  den  Kampf  begeben  und  dort  den  Mauren 
grofsen  Schrecken  eingejagt.  Celin  mufs  vor  ihm  fliehen.  Martin 
verfolgt  ihn  und  zwingt  ihn  mit  ihm  zu  kämpfen.  Der  Maure  wird 
besiegt,  bittet  um  sein  Leben,  indem  er  seinem  Sieger  zugleich  das 
Band  Elviras  übergibt.  Alvar  Faüez,  der  gerade  hinzukommt,  ver- 
langt, dafs  Celin  diese  Tat  ihm  zuschreibe,  sonst  werde  er  ihn 
töten.  Das  kann  aber  Martin  nicht  dulden  und  er  fordert  daher 
Alvar  zum  Zweikampf,  der  durch  die  Ankunft  des  Cid  beendet 
wird.  Der  Cid  lobt  beide  Helden  ob  ihres  Mutes  und  ihrer 
Unerschrockenheit,  beide  hätten  Elvira  verdient.  Er  müsse  daher 
die  Wahl  ihr  selbst  überlassen.    Diese  wählt  natürlich  Martin  Pelaez. 


79 

Um  auch  Alvar  Fanez  zu  belohnen,  ernennt  ihn  der  Cid  zum 
General.  Celin  wird  freigelassen;  dafür  erhält  der  Cid  die  Schlüssel 
Valencias. 

Nach  Schaefferi  ist  das  Drama  „würdiger  gehalten"  als  Ä'o 
esid  en  matar  el  vencer,  „aber  der  Geist  der  Volkstümlichkeit  und 
Naivetät,  welcher  zur  Behandlung  dieser  Stoffe  gehört,  ist  eben- 
sowenig hier  wie  dort  zu  finden." 

Ich  halte  das  Drama  für  eine  weitere  Ausführung  der  Neben- 
handlung in  Tirso  de  Molinas  Drama.  Während  dort  die  Liebe 
Sanchas  zu  Martin  Peläez  sekundärer  Natur  ist  und  die  Eifersucht 
des  Martin  auf  Alvar  unbegründet  ist,  finden  wir  bei  Matos  Fragoso 
dieses  Liebesverhältnis  als  die  eigentliche  Haupthandlung.  Diese 
Liebe  ist  es  auch,  die  Martin  zu  einem  tapferen  Ritter  macht;  die 
kurzen  Worte,  die  der  Cid  zu  ihm  spricht,  indem  er  ihm  seine 
Feigheit  vorhält,  hätten  auf  ihn  nicht  so  einwirken  können,  wie  die 
Befürchtung,  durch  seine  Feigheit  die  Liebe  Elviras  zu  verlieren. 
Gerade  darin  liegt  auch  die  Originalität  und  psychologische  Fein- 
heit des  Dramas.  Es  handelt  sich  für  den  Dichter  darum  eine  an 
und  für  sich  unwahrscheinliche  Charakteränderung  wahrscheinlich  zu 
machen.  Dann  hat  Matos  Fragoso  Alvar  Faiiez  als  Nebenbuhler 
des  Martin  dargestellt.  Daraus  resultieren  eine  weitere  Reihe  von 
Nebenhandlungen,  so  vor  allem  die  Zweikämpfe  der  beiden  Ritter. 

Das  Stück  entbehrt  auch  nicht  des  komischen  Elementes.  Es 
ist  der  Diener  des  Martin  Pelaez.  Auch  bei  Tirso  de  Molina  finden 
wir  den  gracioso  Botija,  vergleichen  wir  aber  die  beiden  miteinander, 
so  fällt  uns  sofort  auf,  dals  Botija  eine  ganz  nebensächliche  Stelle 
einnimmt  und  dessen  Rolle  vollständig  weggelassen  werden  könnte. 
Gergon  bei  Matos  Fragoso  dagegen  ist  eine  viel  bedeutendere 
Persönlichkeit.  Obgleich  selbst  feige  wie  sein  Herr,  gibt  er  ihm 
gute  Ratschläge  und  unterhält  sich  mit  ihm  ganze  Szenen  hindurch, 
alle  Anwesenden  hören  ruhig  zu,  ohne  ihm  abzuwehren.  Man  sieht 
deutlich,  dafs  bei  Matos  Fragoso  und  den  Epigonen  seiner  Zeit 
der  gracioso  eine  unentbehrliche  und  keineswegs  nebensächliche 
Rolle  hatte. 

Die  Feigheit  des  Martin  Peläez  kommt  scharf  zum  Ausdruck 
im  Gegensatze  zur  Tapferkeit  des  Alvar  Fanez.  Als  Elvira  sagt, 
dafs  ein  Liebender  seiner  Dame  auch  gehorchen  müsse,  wenn  sie 
von  ihm  verlange  feige  zu  sein,  zeigt  sich  dieser  Kontrast  in  den 
Antworten  der  beiden  Rivalen: 

Alv.      Pues  yo  no  obedeceria; 

porque  como  soy  mas  necio, 
sufrir^  vuestro  dcsprecio 
antes  que  mi  cobardia 


und  weiter  unten: 


Pues  yo  no  quiero  el  favor, 
si  la  fama  he  de  perder. 


1  L.  c,  II,  pag.  i{ 


8o 

während  Martin  Pelaez  erwidert: 

Pues  yo  el  premio  de  obeiiiente 
escojo,  que  es  por  su  amor 
el  que  vence  su  furor 
mas  amante,  y  mas  valiente. 

Deutlicher  zeigt  sich  die  Feigheit  des  Martin  Pelaez  seinem  Diener 
gegenüber,  wo  er  spricht: 

Gergon  peligro  notable; 
yo  he  de  salir  de  los  Moros? 
de  pensarlo  se  me  caen 
las  alas  del  cora^on.* 

Die  Liebe  zu  Elvira  und  seine  grenzenlose  Eifersucht  auf  Alvar 
Fanez  bewirken  aber  in  ihm  die  Änderung  seines  Charakters,  so 
dafs  er  ein  Held  wird  und  auch  der  Cid  mit  ihm  zufrieden  ist 
und  ihm  die  Hand  der  geliebten  Elvira  reicht. 

Interessant  dürfte  auch  die  Ansicht  des  Martin  Pelaez  über  die 
Stellung  eines  Liebenden  zu  seiner  Dame  sein: 

El  galan  que  fino  es, 

y  que  mas  de  veras  ama, 

deve  preferir  su  dama 

a  SU  mayor  interes: 

y  hecha  con  esta  atencion, 

serä  SU  desaire  justo. 

Was  die  Persönlichkeit  des  Cid  anlangt,  so  tritt  er,  um  ein 
Bild  seines  Charakters  entwerfen  zu  können,  viel  zu  wenig  hervor. 
Ein  Zug  kehrt  immer  wieder,  das  ist  seine  Religiosität.  Nach  der 
Schlacht  schreibt  er  den  Sieg  Gott  zu: 

Aquesas  gracias  sobrina, 
solo  a  Dios  darlas  es  deuda, 
que  es  quien  vence  las  balallas, 

sagt  er  zu  Elvira. 

Auch  erfahren  wir,  warum  er  Valencia  sein  nennen  will: 

.  .  .  que  yo  me  he  movido 

a  prosegu'ir  esta  guerra 

mas  por  ensal^ar  la  Fe 

de  Dios,  que  el  pecho  confiessa, 

que  por  conveniencias  mias. 

y  hasta  que  Valencia  sea 

tan  mia,  que  sostituya 

el  error  de  vuestra  seta 

del  Evangelio  divino 


1  Zugleich  ein  Beispiel  der  gongorislischen  Ausdrucksweise. 


la  Catolica  certeza. 

y  hasta  que  vuestras  Mezquitas 

en  vasilicas  convierta, 

donde  el  Bautismo  sagrado 

del  cielo  os  abra  las  puertas 

no  he  de  levantar  el  sitio. 

Er  versieht  also  hier  eine  Art  von  Mission,  die  auch  darin  dem 
Geiste  seiner  Zeit  entspricht,  dafs  er  die  Mauren  von  der  catolica 
certeza  mit  Feuer  und  Schwert  überzeugen  will.  Auch  nach  der 
Eroberung  von  Valencia  dankt  er  Gott: 

La  vitoria  ä  Dios  se  deve. 

Die  Anlehnung  an  die  Romanzen  ist  eine  sehr  lose  und  be- 
steht nur  in  dem  dem  Drama  in  letzter  Linie  zugrunde  liegenden 
Charakterwechsel  des  Martin  Peläez,  der  zwar  in  den  Romanzen 
128  — 133  (siehe  pag.  67)  zum  Ausdruck  kommt,  aber  in  ganz 
anderer  Weise. 

In  den  Romanzen  sind  es  die  eindringlichen  Worte  des  Cid, 
bei  Matos  Fragoso  ist  es  Eifersucht  und  Liebe,  die  Martin  Peläez 
bestimmen  tapfer  zu  werden. 

Ob  die  oben  erwähnte  Anlehnung  an  Tirso  de  Molinas  El 
coharde  mäs  valiente  eine  bewufste  oder  unbewufste  war,  oder  ob 
beide  Dramen  auf  ein  verlorenes  Stück  zurückgehen,  kann  natürhch 
nicht  entschieden  werden.  Ich  konnte  eben  nur  auf  den  Zusammen- 
hang hinweisen,  der  zwischen  den  beiden  Dramen  besteht. 


4.    Fernando  de  Zärate  y  Castronovo: 
El  Cid  Campeador  y  el  noble  siempre  es  valiente. 

Von  dem  vorliegenden  Stücke  existiert  eine  Handschrift  in 
der  Bihlioieca  Nacional  zu  Madrid  *  unter  dem  Titel:  El  Noble 
siempre  es  valiente.  El  noble  Martin  Peläez.  Vida  y  mtierte  del  Cid. 
Comedia  de  D.  Fernando  de  Zärate  y  Castronovo.  Die  Dedikation 
an  D.  Alonso  de  Carcamo  ist  vom  15.  April  1660.  Wie  Cotarelo 
y  Mori  uns  versichert  2,  ist  das  derselbe  Text,  wie  der  eines  Druckes 
ohne  Angabe  des  Jahres:  Vida  y  viuerte  del  Cid  y  noble  Martin 
Peläez.  Comedia  de  im  ingenio  de  la  Corte.  Salamanca,  Imprenta 
de  la  Santa  Cruz.  Huerta  in  seinem  Catdlogo  (Madrid  1785)  er- 
wähnt das  Stück  dreimal,  als  ob  es  drei  verschiedene  Stücke 
wären : 

El  noble  siempre  es  valiente.  —  De  Zärate. 

El  noble  Martin  Peläez  y  vida  y  muerte  del  Cid.  —  Del  viismo. 

Vida  y  Muerte  del  Cid.  —  De  Zärate. 


•  Paz  y  M^lia,  1.  c,  pag.  364. 

*  L.  c,  pag.  XIII  ff. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV. 


82 

Cotarelo  y  Mori^  zitiert  verschiedene  ihm  bekannte  Ausgaben: 
Madrid  1792.  Barcelona  1807.  Valencia  1813.  Valencia  1822. 
Aber  keiner  dieser  Drucke  enthält  den  Namen  des  Verfassers.  Die 
bei  Barrera^  erwähnte  Siielta  hat  den  Zusatz:  de  im  ingenio.  Der 
Text  stimmt  aber  bei  all  diesen  Drucken,  wie  aus  Cotarelo  y  Mori's 
Ausführungen  hervorgeht,  überein.  Der  mir  vorliegende  Druck  der 
Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  bringt  den  Titel  in  einer  etwas  ver- 
änderten Form. 3  Die  Anfang-  und  Schlufsverse  stimmen  ebenfalls 
mit  der  bei  Paz  y  Melia  zitierten  Handschrift  überein.  Auch  der 
Name  des  Dichters  wird  erwähnt.  Der  Druck  ist  aus  dem  Jahre 
1750.     Zuvor  steht  eine  Dedikation: 

Dedicatoria  ||  A  los  muy  Illustres  S''^*  Regentes,  y  || 
Contribtiymtes   del  Colegio  de  la   Comedia  Espa/lola.  {j 

Siendo  Regentes, 
los  S»""  Jahacob  de  David  de  Pinto. 
Abraham  Levy  Ximenes  Pereira. 
Jahacob  Hisqiuau  da  veiga  Henriques 
Ishac  Jesurun  da  Cunha. 

Dann  folgt  das  Vorwort,  woraus  die  Stelle  interessant  ist,  die  uns 
angibt,  warum  das  Stück  wieder  gedruckt  wurde:  .  .  .  por  haver 
reconocido  lo  viucho  que  ha  aplaudido  el  puhlico  la  Comedia  del  Cid 
Campeador,  y  los  pocos  Exeniplares  que  ay  de  ella,  a  darle  nuevamente 
a  la  Imprenta,  afin  de  que  qualquiera  Legendola  coii  toda  comodidad 
en  particular,  brille  mas  su  Representacion,  .  .  . 

Amst.  a  2^  de  Fehrero  de   1750.  J.  M\ 

Auf  der  nächsten  Seite  steht  dann  der  Titel: 

El  Cid  Campeador  \\  V  el  noble  siempre  es    Valienie  || 
Comedia   j|  famosa,   ||   de  Don  Fernando  de  Zärate.   jj 

Wie  die  Inhaltsangabe  zeigen  wird,  passen  auf  das  Drama  alle  oben 
erwähnten  Überschriften,  und  es  dürfte  kaum  zweifelhaft  sein,  dafs 
wir  es  hier,  wie  so  oft  bei  spanischen  Dramen,  mit  einem  Stücke 
zu  tun  haben,  das  unter  verschiedenen  Titeln  gedruckt  wurde. 

Der  I.  Akt  führt  uns  zunächst  ins  Lager  der  Mauren.  Nicht 
nur  Männer  sondern  auch  Frauen  kämpfen  hier  mit,  allen  voran 
die  Tochter  des  Königs  Bucar.  Sie  ist  soeben  von  einem  Siege 
zurückgekehrt  und  erzählt  nun  in  weitschweifiger  Rede  ihre  Helden- 
taten. Sie  denkt  immer  noch  an  neue  Feldzüge  und  da  sie  hört, 
dafs  die  Krieger  König  Alfonsos  nach  Valencia  gezogen  kämen, 
will  sie  einen  Angriff  vorbereiten. 


^  L.  c.  [poseo  .  .  .  cast  todas  las  sueltas  que  t>tenciond). 

2  L.  c,  pag.  508. 

*  A.  Rts'.ori  in  Studj  di filologia  romanza.  fasc.  15.  1891.  pag.  123  er- 
wähnt ein  Exemplar  der  Bibliothek  zu  Parma,  das  den  Titel  führt;  Cid 
Campeador.     Sevilla  s.  a. 


83 

Nun  ändert  sich  die  Szene;  wir  sind  im  Palaste  des  Königs 
Alfonso.  Gegen  den  Willen  des  Königs  hat  der  Cid  Toledo  an- 
gegriffen, dazu  erinnert  der  Höfling  Bermudo  Alfonso  an  den  Eid, 
den  der  König  in  Santa  Gadea  schwören  mufste ;  es  sei  klar,  dafs  der 
Cid  sich  als  absoluter  Herr  Spaniens  dünke,  zumal  er  auch  der  Auf- 
forderung des  Königs  an  den  Hof  zu  kommen  noch  keine  Folge 
geleistet.  Alfonso  ist  entschlossen,  den  Cid  zu  verbannen.  Als 
dieser  mit  seinen  Getreuen,  Alvarfanez  und  Lain,  kommt,  wird  er 
überaus  ungnädig  aufgenommen.  Der  König  hält  ihm  dann  alle 
erwähnten  Anschuldigungen  vor.  Anfangs  will  der  König  nicht  auf 
den  Cid  hören,  gibt  aber  schliefsHch  doch  nach  und  hört  die  frei- 
mütige, kühne  Verteidigung  seines  Vasallen  an,  der  den  Verlust 
der  königlichen  Gunst  nur  den  Verleumdern  zuschiebt.  Zum 
Schlüsse  wendet  er  sich  an  die  Höflinge  und  erinnert  sie  an  ihre 
Feigheit,  wie  sie  den  von  vierzig  Mauren  gefangenen  König  ver- 
lassen hätten,  während  er  dreifsig  davon  getötet  und  die  anderen 
in  die  Flucht  geschlagen.  Gerade  Bermudo,  der  jetzt  dem  König 
so  schmeichlerisch  entgegenkomme,  sei  damals  der  erste  gewesen, 
der  sich  in  Sicherheit  begab.  Der  König  ignoriert  die  Verteidigungs- 
rede des  Cid  und  schickt  ihn  auf  ein  Jahr  in  die  Verbannung. 
Der  trotzige  Vasall  will  freiwillig  vier  Jahre  dem  Hofe  fern  bleiben. 
Seine  Freunde  sind  erstaunt  darüber,  dafs  er  die  Beleidigungen 
des  Königs  so  geduldig  hingenommen,  er  weist  sie  aber  darauf 
hin,  dafs  er  nur  ein  Vasall  sei  und  zum  Beweise  dafür  werde  er 
jetzt  Valencia  für  Alfonso  erobern.  Zu  diesem  Zwecke  entsendet 
er  auch  Albarfanes  zu  seinem  Vetter  Martin  Pelaez,  der  ein  tüch- 
tiger Krieger  werden  soll.  Dieser  ist  ein  Naturschwärmer  und  will 
nichts  von  Kämpfen  hören,  als  folgsamer  Sohn  läfst  er  sich  aber 
von  seinem  Vater  die  Waffen  umgürten  und  geht,  wenn  auch  un- 
gern, mit  seinem  Diener  ins  Lager  des  Cid.  Zuvor  trifft  er  noch 
seine  Geliebte  Elvira  und  ihr  gegenüber  rühmt  er  sich  schon  der 
Taten,  die  er  zu  vollführen  gedenkt. 

II.  Akt.  Martin  Peläez  kommt  ins  Lager  und  wird  unter  die 
Soldaten  aufgenommen.  Man  ist  bereits  auf  dem  Marsche  nach 
Valencia,  welches  Bucar,  der  Maurenkönig,  verteidigt.  Beim  ersten 
Gefecht  hält  sich  Martin  ferne  und  sucht  sich  mit  seinem  Diener 
zu  verbergen.  Der  Cid  hat  aber  die  Feigheit  der  beiden  bemerkt 
und  ist  darüber  sehr  erzürnt.  Er  befiehlt,  dafs  zur  Mahlzeit  vor- 
bereitet werde.  Man  bringt  zwei  Tische.  An  dem  einen  nehmen 
Albarfanes  und  Lain,  an  dem  anderen  der  Cid  Platz.  Martin  will 
sich  zu  den  beiden  Rittern  setzen,  wird  aber  vom  Cid  daran  ge- 
hindert, er  mufs  sich  zu  seinem  Vetter  setzen.  Albarfanes  und 
Lain  unterhalten  sich  über  die  Feigheit  Martins,  während  der  Cid 
noch  nichts  davon  erwähnt ;  er  will  warten,  bis  er  mit  Martin  allein 
ist.  Dann  macht  er  ihm  klar,  wie  feige  es  wäre  vor  dem  Feinde 
zu  fliehen.  Er  solle  doch  lieber  ins  Kloster  gehen,  denn  der  Cid 
könne  nur  tapfere  Ritter  in  seinem  Heere  dulden.  In  einem  langen 
Monolog   verspricht  Martin,    seine  Schande  wieder   gut  zu  machen. 

6* 


84 

Kurz  darauf  ertönt  der  Schlachtruf  und  der  vorher  so  feige  Martin 
stürzt  sich  mit  solchem  Eifer  unter  die  Mauren,  dafs  er  200  der- 
selben tötet.  Nun  darf  er  sich  zu  den  anderen  Rittern  setzen  und 
wird  von  diesen  beglückwünscht.  Der  Cid  erhält  zwei  Briefe,  vom 
König  Alfonso  und  von  Jimene.  Letztere  beklagt  sich,  dafs  sie 
vom  König  gefangen  gehalten  werde,  der  zudem  ihre  Güter  ein- 
gezogen hätte.  Die  Mitteilung  Alfonsos  besagt,  dafs  der  Cid  an 
den  Hof  nach  Burgos  kommen  solle.  Mit  reichen  Geschenken  für 
den  König  wird  Martin  dorthin  entsandt.  Bermudo  rät  die  Gaben 
nicht  anzunehmen,  da  ein  ungehorsamer  Vasall  dieselben  über- 
reichen lasse.  Trotzdem  Martin  seinen  Feldherrn  in  Schutz  nimmt, 
beschliefst  der  König,  den  Cid  gefangen  nach  Leon  zu  führen. 
Als  der  Cid  nach  Burgos  kommt,  will  Bermudo  den  Befehl  des 
Königs  ausführen.  Alfonso  verhandelt  aber  zuvor  nochmals  allein 
mit  dem  Cid,  wiederholt  die  alten  Anklagen  und  will  seine  Absicht 
wissen,  warum  er  jetzt  gegen  Valencia  ziehe,  er  wolle  gewifs  König 
werden.  Der  Cid  erinnert  Alfonso  an  die  Dienste,  die  er  seinem 
Vater  Fernando  geleistet  und  dafs  er,  wenn  der  König  es  verlange, 
ihm  auch  Konstantinopel  erobern  würde.  Er  habe  stets,  auch  vor 
dem  Papste,  die  Rechte  Spaniens  verteidigt.  Da  fällt  plötzlich  das 
Bild  des  Königs  von  der  Wand  herab  und  wird  durch  den  Cid 
aufgehalten.  Dieser  knüpft  sofort  daran  an  und  sagt,  es  sei  ein 
Zeichen,  wie  er  in  Wirklichkeit  den  König  beschütze.  Schliefslich 
gibt  ihm  Alfonso  die  Erlaubnis  Valencia  zu  erobern ;  so  scheidet 
der  Cid  versöhnt.  —  Elvira  will  ihren  Geliebten,  Martin  Peläez, 
aufsuchen  und  begegnet  auf  dem  Wege  nach  Valencia  der  Mauren- 
prinzessin, welche  Elvira  nach  Valencia  mitnimmt  und  ihr  erzählt, 
dafs  sie  jetzt  gegen  den  Cid  zu  kämpfen  habe. 

III.  Akt.  Martin  kommt  als  Abgesandter  des  Cid  ins  Lager 
der  Mauren  und  soll  sie  auffordern  Valencia  zu  übergeben.  Man 
erfährt,  dafs  der  Cid  bereits  ein  Jahr  lang  die  Stadt  belagere. 
Bucar  und  seine  Tochter  gehen  auf  den  Vorschlag  nicht  ein  und 
wollen  weiter  kämpfen.  Martin  trifft  Elvira  bei  den  Mauren.  Die 
maurische  Prinzessin  gibt  aber  nicht  zu,  dafs  sie  mit  ihm  gehe. 
Der  Ritter  ist  entschlossen  entweder  seine  Geliebte  zu  befreien 
oder  zu  sterben.  Der  Maurenkönig  will  ihn  töten  lassen,  obwohl 
er  als  Gesandter  gekommen.  Zum  Glück  für  ihn  greift  die 
maurische  Prinzessin  ein,  die  über  Martins  Liebe  zu  Elvira  gerührt 
ist.     Sie  gibt  deshalb  Elvira  frei. 

Der  Kampf  beginnt  von  neuem.  Ins  Lager  des  Cid  kommt 
König  Alfonso  und  gibt  sich  hier  als  Ritter  Don  Enrique  del 
Castillo  aus  um  den  Cid  auf  die  Probe  zu  stellen.  Dieser  erkundigt 
sich  auch  bei  Alfonso,  wie  es  am  Hofe  zugehe.  Alfonso  erzählt  ihm, 
dafs  es  sei  wie  immer,  der  König  höre  nur  auf  Schmeichler,  sei 
grausam,  rachgierig,  ehrgeizig.  Der  Cid  will  solche  Reden  nicht 
hören  und  bedeutet  Alfonso-Enrique,  dafs  er  sein  Freund  nicht 
sein  könne,  wenn  er  über  den  König  Schlimmes  aussage.  Er 
fordert   ihn   zum  Kampfe   heraus.     Alfonso   ist   darüber  so  erfreut, 


85 

dafs  er  den  Cid  seiner  Lehenstreue  wegen  überaus  lobt  und  ihm 
Valencia  verspricht.  Der  Cid  weifs  jedoch  noch  nicht,  dafs  unter 
dem  Namen  Enrique  sein  König  mit  ihm  spricht  und  hält  ihn  für 
einen  Versucher,  zugleich  zieht  er  sein  Schwert.  Da  gibt  sich  der 
König  zu  erkennen.  Vor  Bermudo  und  den  übrigen  Rittern  hält 
der  König  dann  eine  Lobrede  auf  den  Cid,  der  über  alle  Ver- 
leumdungen erhaben  sei. 

Im  weiteren  Verlaufe  des  Kampfes  werden  die  Mauren  besiegt. 
Martin  und  Albarfanes  streiten  um  die  maurische  Prinzessin,  die 
aber  vom  Cid  freigelassen  wird.  Nach  diesem  Siege  zieht  sich 
der  Held  zurück,  und  ein  Bote  des  Himmels  verkündet  ihm  seinen 
nahen  Tod.  Infolgedessen  gibt  er  seinen  Freunden  Anweisungen, 
was  sie  mit  ihm  nach  seinem  Tode  zu  tun  hätten.  Dem  König 
wünscht  er  alles  Glück  für  die  Zukunft  und  empfiehlt  ihm  Jimena. 
Dann  stirbt  der  Cid.  Der  König  Bucar  kommt  vom  Meere  her 
gegen  Valencia  gezogen.  Der  tote  Cid  wird  auf  sein  Pferd  ge- 
bunden und  reitet  so  allen  voran  in  die  Schlacht.  Die  Mauren 
werden  in  die  Flucht  geschlagen.  Dann  wird  der  Cid  feierlichst 
bestattet. 

Wenn  wir  zunächst  an  den  Tod  des  Cid  anknüpfen,  so 
müssen  wir  die  Darstellung  desselben  als  durchaus  unwahrscheinlich 
bezeichnen.  Nach  der  Einnahme  von  Valencia  ist  der  Cid  müde 
und  zieht  sich  zurück  um  zu  sterben.  Der  Verfasser  wollte,  wie 
es  scheint,  sein  Drama  unbedingt  mit  dem  Tode  des  Cid  ab- 
schliefsen,  vielleicht  in  Anlehnung  an  das  oben  besprochene  anonyme 
Drama.  Dort  ist  aber  die  Darstellung  eine  viel  wahrscheinlichere. 
Der  ganze  dritte  Akt  handelt  von  den  letzten  Lebenstagen  des 
Cid  und  erfolgt  der  Tod  des  Helden  nicht  so  unmittelbar  auf  die 
Belagerung  von  Valencia. 

Aufser  dieser  Szene  sind  so  viele  andere  nur  dazu  geeignet 
die  eigentliche  Handlung  unklar  werden  zu  lassen.  Cotarelo  y 
Morii  sagt  von  unserem  Drama  sehr  zutreffend:  Esta  obra  mds 
confusa  por  abundar  mds  los  episodios  de  todo  genero  qiie  ahogan  la 
acciön  principal  que  es  ö  debe  ser  el  trdnsito  eti  el  alma  de  Martin 
Peldez  de  la  extrema  cobardia  al  valor  7nds  temerario.  Besonders 
hervorheben  möchten  wir  daraus  die  Stelle:  es  6  debe  ser  usw. 
Ich  halte  es  wirklich  für  fraglich,  ob  der  irdnsito  en  el  alma  de 
Martin  Peldez  die  Haupthandlung  darstellen  soll.  In  der  mir  vor- 
liegenden Ausgabe  lautet  der  Titel  ja  auch  in  erster  Linie :  El  Cid 
Campeador.  Die  Geschichte  mit  Martin  Pelaez  erscheint  eben  mehr 
episodenhaft.  Schaeffer^  hat  dieselbe  Ansicht,  wenn  er  sagt:  Das 
Drama  „behandelt  die  Geschichte  des  Cid  unter  der  Regierung 
Alfonsos  VI.  Als  Episode  dient  die  bekannte  Begebenheit  mit 
dem  Neffen  des  gewaltigen  Helden,  Martin  Pelaez,  welcher  aus 
einem  Feigling   ein  tapferer  Recke  wird."     Dafür  spricht  auch  die 


1  L.  c,  pag.  Xlllff. 

2  L.  c,  II,  pag.  231. 


86 

umfassende  Behandlung  des  Verhältnisses  des  Cid  zum  König, 
seine  Verbannung  und  schliefsliche  Rechtfertigung,  sowie  auch  der 
ins  Drama  aufgenommene  Tod  des  Cid. 

Viele  andere  Einzelheiten  sind  sowohl  für  den  Gang  der 
Handlung  wie  für  die  Charakterisierung  der  Hauptpersonen  voll- 
ständig unwichtig.  So  das  Amazonenheer  der  Mauren,  die  Liebe 
des  Martin  Peläez  zu  Elvira,  von  der  man  übrigens,  nachdem  sie 
von  der  Maurenprinzessin  freigelassen  worden  ist,  nichts  mehr 
erf^ihrt.  Bei  Matos  Fragoso  dient  sie  doch  wenigstens  dazu,  die 
Charakterentwicklung  des  Martin  Peläez  zu  erklären.  Auch  die 
Person  der  Jimena  ist  in  dem  Drama  nur  überflüssig.  Der  Cid 
erhält  von  ihr  einen  Brief,  in  dem  sie  sich  über  den  König  beklagt; 
was  aber  der  Cid  für  seine  Gemahlin  tut,  ob  sie  nach  Valencia 
kommt,  wie  bei  dem  anonymen  Drama,  das  denselben  Stoff  be- 
handelt, davon  erfährt  man  nichts  mehr.  Nur  vor  dem  Tode  des 
Cid  empfiehlt  der  Held  seine  Gattin  der  Fürsorge  des  Königs. 
Wozu  also  überhaupt  Jimena  in  die  Handlung  verweben,  wenn 
nicht  auch  ein  gewisser  befriedigender  Abschlufs  in  der  Darstellung 
ihrer  Persönlichkeit  erzielt  wird?  Wir  wollen  jedoch  nicht  ver- 
kennen, dafs  die  Darstellung  des  Sieges  über  Valencia  einer  ge- 
wissen Lebendigkeit  nicht  entbehrt.  Aber  sonst  läfst  sich  über  das 
Drama  nicht  viel  Gutes  sagen.  Man  vergleiche  dazu  auch  die 
teilweise  unnatürliche  Sprache.  Die  Erzählung  des  Sieges  der 
Maurenprinzessin  enthält  z.  B.  folgende  Stelle: 

Todo,  Senor,  se  debe  ä  tu  Corona, 
triunfa,  conquista,  emprende,  solicita, 
postra,  rinde,  sujeta,  perfecciona; 
tala,  reforma,  dd,  castiga,  quita, 
rompe,  acomete,  ensalza,  sigue,  abona, 
alcanza,  fortaleze,  facilita; 

Der  Cid  ist  hier  das  Ideal  des  trotzig -stolzen  Vasallentums  voll 
Selbstbewufstsein  aber  auch  voll  Ergebenheit  gegen  seinen  Herrn. 
Wie  kühn    tritt    er  dem  König    entgegen,    als  dieser  ihn  verbannt: 

....  aun  que  vos 

me  desterreis  por  estado, 

no  teneis  ningun  soldado 

mejor  que  yo,  vive  Dios, 

y  esta  espada. 
Alf.     Basta  digo. 
Cid.     No  basta,  Rey  soberano, 

que  los  disgustos  de  un  Rey 

son  muerte  de  los  vasallos. 

Als  ihn  dann  Albarfaiies  fragt,  warum  er  die  Beleidigungen  des 
Königs  so  ruhig  hingenommen,  sagt  er: 


87 

Es  mi  Roy,  soy  su  vasallo, 

und  will  dem  König  Valencia  erobern. 

Einen  Feigling  kann  er  in  seinem  Heere  nicht  dulden: 

como  en  mi  compania 

hombre  cobarde,  alienta 

con  deshonor  tan  Conocida  afrenta. 

Auch  in  diesem  Drama,  wie  bei  Matos  Fragoso,  hat  der  Cid  Musik 
bei  sich  und  fragt  Martin  Peläez: 

Gustais  de  Müsica? 
Mart.   A.qui 

Müsica,  Senor? 
Cid.     Pues  no? 

la  Militär  quiero  yo. 

Zu    dem    sonst   einfachen,    annehmbaren  Stil  des  Cid  passen  nicht 
die  folgenden  Übertreibungen: 

Perded  el  miedo,  que  yo 
no  tengo  en  mi  Compania 
sino  Roldanes,  Reynaldos, 
Xerxes,  Cesares,  Sansones, 
Alexandros,  y  Scipiones, 
Anibales,  y  Bernardos. 
Ebenso : 

pues  puedo  desde  Valencia 
con  el  aliento  mataros. 

An  die   Crönica  rimada  erinnert  folgende  Erzählung  des  Cid: 

la  (=  silla)  del  Key  de  francia  sola 
estava  un  grado  mas  alta, 
que  la  vuestra     .... 


de  un  puntapie  que  le  di 
fue  la  tal  silla  Gascona 
a  estrellarse  con  el  techo, 
y  a  nuestra  silla  Espanola 
la  puse  con  la  del  Papa, 
y  que  el  Duque  de  Vandoma, 
que  lo  quiso  defender, 
assiendole  de  la  Gola, 
le  anoje  de  un  puntapie 
mas  alto  que  una  Pelota. 


Martin  Pelaez  ist  als  ein  Naturschwärmer  und  Philosoph  dargestellt, 
was  aus  seinen  Worten  zu  entnehmen  ist: 

buen  pastor,  y  mal  Adonis, 
buen  labrador,  mal  soldado 


querer  que  vaya  d  la  guerra 
es  querer  que  me  deshonren 
los  Amigos,  y  Enemigos, 
que  mis  faltas  no  conocen: 
philosopho  soy,  que  busca 
la  quietud  entre  essos  Robles 

he  leido,  que  la  vida 
es  un  transito,  que  coge 
la  cuna,  y  la  sepultura, 
en  Cuza  Mansion  el  hombre, 
apenas  se  assoma  dia, 
quanto  se  introduce  noche. 

Als    sein  Vater    ihm   vorhält,    dafs    ein   hombre   nohle   nie   feige  ge- 
wesen, sagt  ihm  dieser  Philosoph: 

cobarde  se  ha  de  llamar 

el  que  naciö  con  valor, 

y  no  sustenta  su  hönor 

pudiendole  sustentar; 

pero  el  que  tuvo  d  el  nacer 

pacifica  inclinacion, 

no  faltando  a  la  Razon, 

nadle  le  puede  ofender, 

la  perfecta  Cobardia 

es  aprender  d  matar; 

pero  saber  perdonar 

es  la  Mayor  Valentia     .     .     . 

Bei  seiner  Geliebten  denkt  er  aber  anders: 

no  es  buen  enamorado 

el  que  no  ha  sido  Valiente, 

hasta  que  haya  conquistado 

el  nombre  de  Capitan, 

no  he  de  verme  en  vuestros  brazos. 

Im  Kriege  huldigt  er  aber  mehr  dem  von  seinem  Diener  aus- 
gesprochenen Grundsatz : 

Dies  dixo:  no  mataras, 
guardaras  su  mandamiento, 
tambien  corao  en  un  convento, 

und  zittert  schon,  wenn  er  nur  einen  Trompetenstofs  hört.  Auf 
den  Vorhalt  des  Cid  hin  wird  er  ein  anderer  und  macht  sich 
selbst  die  bittersten  Vorwürfe: 

soy  infame  Ciudadano, 
y  mal  Vassallo,  pues  loco 


89 


agravio  al  Rey,  y  a  los  hombres, 
caigase  el  Etna  en  mis  ombras. 


Seinem  einmal  gefafsten  Vorsatz  bleibt  er  aber  treu  und  wird  ein 
tüchtiger  Ritter,  der  sich  auch  im  Lager  der  Mauren  nicht  fürchtet 
und  dafür  durch  die  Freilassung  seiner  Geliebten  belohnt  wird; 

el  dar  la  vida  a  la  muerte 
por  defender  a  su  dama, 
mas  obliga,  que  desprecia, 
mas  ennoblece  que  agravia, 

sagt  die  Maureninfantin. 

Was  das  Verhältnis  zu  den  Romanzen  anlangt,  so  diente 
aufser  den  obeni  erw-ähnten  über  Martin  Peläez  auch  diejenigen 
als  Vorlagen,  die  vom  Cid  in  Santa  Gadea,  von  der  Verbannung 
des  Cid  und  seinem  Tode  handeln: 

9 8.    Muerto  es  el  Rey  don  Sancho 

100.  En  sanda   Gadea  de  Burgos 

101.  Fincad  ese  7nas  sesiido 

107.  Si  atendeis  que  de  los  hrazos 

108.  Tengovos  de  replicar 
lOg.  Del  Rey  Alfonso  se  que  ja 
I  lO.  De  palacio  sale  el  Cid 

111.  Obedezco  la  seniencia 

112.  Escuchö  el  Rey  don  Alfonso 

ferner  120,  134,  140,  141,  187,  188,  192,  196,  197,  198,  199 
die  bereits  oben  (pp.  67)  erwähnt  wurden.  Die  Romanzen  sind 
jedoch  freier  behandelt  und  nur  in  einzelnen  Versen  wörtlich  auf- 
genommen, so  findet  sich  der  Vers  der  Romanze   130: 

que  las  faltas  de  los  buenos 
a  solas  se  han  de  renir, 

wortwörtlich  im  Drama. 

SchaefFer^  sagt:  „das  Stück  zeigt  offenbar  zwei  Hände,  weshalb 
sich  annehmen  läfst,  Zärate  habe  längere  Stellen  eines  früheren 
Dramas  ganz  oder  beinahe  wörtlich  eingeschaltet''. 

Auch  ich  halte  das  Drama  für  eine  Zusammenstellung  ver- 
schiedener Szenen  der  drei  oben  besprochenen  Dramen  dieses  Teiles. 
Wörtliche  Anlehnungen  an  ein  früheres  Drama  habe  ich  jedoch 
nicht  gefunden.  Freilich  läfst  sich  die  Entstehungszeit  weder  dieses 
noch  aller  anderen  Dramen,  die  die  Episode  mit  Martin  Paläez 
behandeln,  feststellen,  denn  ein  Stück  kann  schon  lange  geschrieben 
worden    sein,    bevor    es    gedruckt   wurde.     Zudem   fehlt   uns    über 


1  Pag.  67  (128—133). 
>  L.  c,  II,  pag.  232. 


go 

unseren  Dichter  jede  biographische  Kenntnis,  wir  wissen  nur,  dafs 
er  um   1660  gelebt  haben  mufs.' 

Man  kann  also  nicht  angeben,  welche  Dramen  späteren  Dichtern 
als  Vorlage  dienten,  oder  ob  ein  verlorenes  Drama  die  gemein- 
same Quelle  war.  Immerhin  ist  der  innere  Zusammenhang  der 
vier  Dramen,  soweit  er  nicht  auf  die  gemeinsame  Quelle  des 
Romancero  zurückgeht,  auffallend. 


5.   Francisco  Polo:  El  Honrador  de  sus  hijas. 

Das  Drama  steht  im  2^.  Bande  der  Comedias  nuevas  y  escogidas 
de  los  mejores  ingeniös  de  Espana.  Madrid  1665  und  1666.  Es  ist 
das   IG.  Stück.     Weitere  Ausgaben  sind  nicht  bekannt. 

I.  Akt.  König  Alfonso  hat  beschlossen  den  Infanten  von 
Carrion,  Diego  und  Fernando,  die  Töchter  des  Cid,  Elvira  und 
Sol,  zu  Gattinnen  zu  geben.  Albar  Fanez  soll  dem  Cid  diesen 
Entschlufs  mitteilen.  Die  Grafen  von  Carrion  bedanken  sich  in 
hochtrabenden  Worten  für  die  hohe  Ehre.  Im  geheimen  freut  sich 
jedoch  Fernando,  sich  an  dem  Cid  rächen  zu  können.  Als  er  mit 
Diego  allein  ist,  erzählt  er  diesem,  dafs  er  beim  cerco  de  Zamora 
ohne  Waffen  verfolgt  worden  sei  und  um  sein  Leben  zu  retten, 
hätte  fliehen  müssen.  Der  Cid  habe  das  gesehen  und  ihn  des- 
wegen vor  allen  Rittern  zur  Rede  gestellt.  Er  habe  ihm  deshalb 
Rache  geschworen  und  betrachte  die  gegenwärtige  Gelegenheit  als 
sehr  günstig,  da  der  König  seiner  Bewerbung  um  eine  Tochter  des 
Cid  willfahren  habe.  Diego  hält  es  aber  für  feige,  wenn  Fernando 
sich  an  Frauen  rächen  wolle. 

Albar  Fanez  bringt  dem  Cid  die  ihm  vom  König  aufgetragene 
Botschaft.  Dieser  hat  die  Nacht  zuvor  einen  unruhigen  Traum 
gehabt,  ruft  seine  Gattin  und  seine  zwei  Töchter  und  erzählt  ihnen, 
dafs  er  zwei  schöne  Frauen  nackt  an  zwei  Bäumen  gebunden  ge- 
sehen habe.  Dann  sei  ihm  der  heilige  Lazarus  erschienen,  der 
ihm  verkündet,  dafs  er  der  Stolz  der  Christen  und  der  Schrecken 
der  Mauren  sein  werde  und  ruhmbedeckt  sterbe.  Er  werde  die 
Ehre  seiner  Töchter  verteidigen.  Während  Jimena  den  Traum  nur 
für  das  Produkt  einer  momentanen  Unruhe  hält,  glaubt  der  Cid 
an  eine  wirkliche  Prophezeihung.  Seine  Töchter  sind  über  das 
Gehörte  sehr  erschrocken.  Nun  folgt  eine  völlig  überflüssige  Szene 
zwischen  Jimena  und  ihrem  Gatten,  die  sich  nur  Schmeicheleien 
sagen,  bis  Alvar  Faüez  als  Bote  des  Königs  erscheint.  Nach  einer 
langen  Einleitung,  in  der  er  von  den  Heldentaten  des  Cid,  von 
denen  des  Königs  und  seinen  eigenen  spricht  und  man  seine  Ab- 
sichten gar  nicht  zu  erkennen  vermag,  da  er  zu  allem  noch  eine 
Betrachtung  über  das  Staatswesen  anstellt,  erfährt  man  erst,  dafs 
Alvar   als  Gesandter    des  Königs  kommt.     Jimena,    die  sich  vorher 


^  Siehe  Barrera,  1.  c,  pag,  506  u.  507. 


91 

zurückgezogen,  ist  plötzlich  neugierig  geworden  und  versteckt  sich 
um  das  Gespräch  belauschen  zu  können.  Sie  hört  nun,  dafs  der 
König  ihre  Töchter  mit  den  Infanten  von  Carrion  zu  verheiraten 
wünsche.  Sie  spricht  für  sich  ihre  Befürchtung  aus,  auch  der  Cid 
zögert  anfangs,  gehorcht  aber  dann  dem  König  und  erklärt,  dafs 
er  den  Grafen  seine  Töchter  gibt.  Da  springt  plötzlich  Jimena 
aus  ihrem  Verstecke  hervor  und  sagt,  dafs  sie  ihre  Töchter  nicht 
den  Infanten  verheiraten  wolle,  da  diese  an  den  Grafen  sicherlich 
keinen  Geschmack  fänden.  Der  Cid  hat  jedoch  bereits  seine  Zu- 
sage gegeben,  und  Alvar  Fanez  wird  die  Antwort  des  Cid  dem 
König  überbringen.  Als  aber  der  Gesandte  fort  ist,  fällt  ihm  die 
Feigheit  des  Fernando  vor  Zamora  ein  und  er  ist,  gleich  seiner 
Gemahlin,  besorgt  um  die  Zukunft  seiner  Töchter. 

II.  Akt.  Die  Hochzeitsfeier  findet  statt.  Auch  der  König  ist 
dabei  anwesend  und  bemerkt,  dafs  Jimena  in  den  allgemeinen 
Jubel  nicht  einzustimmen  vermag.  Er  fordert  die  Grafen  auf,  ihrer 
Freude  Ausdruck  zu  geben.  In  galanten  Worten  tun  sie  es  auch, 
im  geheimen  freut  sich  aber  Fernando  seiner  Rache.  Das  Mahl 
beginnt.  Die  Frauen  setzen  sich  zur  Rechten,  die  Männer  zur 
Linken  des  Königs.  Man  unterhält  sich  in  recht  eigentümlicher 
Weise  über  die  Liebe.  Auch  der  Cid  und  Jimena  mischen  sich 
in  das  Gespräch  ein.  Nach  dem  Mahl  überreicht  der  Cid  seinen 
Schwiegersöhnen  seine  beiden  Schwerter.  Dann  entfernen  sich  alle 
Anwesenden  bis  auf  die  beiden  Grafen.  Da  hört  man  plötzlich 
Rufe  hinter  der  Szene,  dafs  ein  Löwe  entkommen  sei.  Die  Infanten 
haben  nichts  Eiligeres  zu  tun  als  zu  fliehen  und  Schutz  zu  suchen. 
Von  seinem  Diener  Toston  erfährt  der  Cid  die  Feigheit  der  Grafen 
und  hält  ihnen  eine  Strafpredigt,  dafs  sie,  trotz  seiner  Schwerter, 
feige  gewesen.  Fernando  und  Diego  beschliefsen  nun  erst  recht 
sich  zu  rächen,  wollen  aber  vor  dem  König  ihre  wahre  Absicht 
verhehlen.  Letzterer  hält  ihnen  ebenfalls  ihre  unritterliche  Haltung 
vor.     So  ist  nun  auch  Diego  für  die  Rache  gewonnen. 

III.  Akt.  Die  Grafen  haben  bereits  ihre  Schandtat  ausgeführt. 
Albar  Fanez  bringt  dem  König  die  Meldung.  Die  Infanten  sollen 
strenge  bestraft  werden.  Nun  kommt  auch  der  Cid  mit  Jimena 
und  ihren  weinenden  Töchtern.  Sie  verlangen  Rache  für  den  an 
ihnen  verübten  Frevel,  denn  der  König  habe  diese  Heirat  befür- 
wortet. Jimena  erzählt  unter  Klagen  die  Freveltat,  wie  die  Infantin 
ihre  Töchter  nackt  im  Walde  gelassen  und  wie  sie  von  Albar  Fanez 
gefunden  wurden.  Es  wird  ein  Zweikampf  des  Cid  mit  den 
Grafen  beschlossen.  Der  König  und  Albar  Fanez  werden  als 
Richter  fungieren.  Elvira  und  Sol  freuen  sich,  dafs  sie  gerächt 
werden  sollen.  Die  Infanten  erhalten  einen  Brief  vom  König, 
worin  dieser  sie  auffordert  an  den  Hof  zu  kommen  und  den  Zwei- 
kampf zu  bestehen.  Als  der  Streit  beginnt,  verlangt  der  Cid  seine 
Schwerter  zurück.  Man  gibt  den  beiden  Grafen  andere  von  zwei 
Dienern    aus    dem  Gefolge  des  Königs.     Zuerst  wird  Diego,    dann 


92 

Fernando  besiegt.  Da  die  beiden  sich  selbst  für  überwunden  er- 
klären, schenkt  ihnen  der  Cid  das  Leben.  Der  König  bezeichnet 
nun  die  Grafen  öflfentlich  als  Verräter,  während  der  Cid  Jimena 
den  für  ihn  glorreichen  Ausgang  mitteilt. 

Die  einzige  Notiz  über  dieses  Drama  findet  sich  bei  Schaeffer,i 
die  besagt,  dafs  es  im  23.  Bande  der  Escogidas  steht  und  „eines 
der  schlechtesten  in  dieser  Sammlung  abgedruckten  Stücke  ist." 
Schon  die  Inhaltsangabe  ist  eigentlich  nichts  anders  als  eine 
blofse  Aneinanderreihung  möglichst  vieler  Bilder  aus  dem  Romancero. 
Schaeffers  Urteil  wird  jedoch  noch  mehr  bestätigt,  wenn  man  das 
Stück  im  einzelnen  betrachtet,  die  Darstellung  der  einzelnen  Szenen 
und  die  dabei  angewandte  Sprache  und  die  nichts  weniger  als 
gelungene  Charakterdarstellung.  Führen  wir  dafür  einige  Bei- 
spiele an. 

Schon  in  der  ersten  Szene,  in  der  der  König  dem  Wunsche 
der  Infanten  nachkommt,  ihnen  die  Töchter  des  Cid  zu  Gemahlinnen 
zu  geben,  knüpft  sich  ein  Gespräch  an  über  die  für  einen  König 
nötige  Ruhe   und   über  die  Wichtigkeit  der  Augen  beim  Regieren: 

Fern.    Con  la  quietud,  con  el  sueSo 

la  noche  combida  ya, 

y  es  hora  de  qua  descanses. 
Rey.    Ay  mucho  que  despachar, 

y  no  me  es  licito  el  suenos. 
Dieg.    Bien  podia  dispensar 

tu  Magestad  con  el  sueno. 

esta  noche.     Rey:  Assi  es  verdad 

pero  aun  un  instante  fuera 

al  cargo  de  Rey  faltar. 

Siempre  ha  de  tener  los  ojos 

abiertos  la  Magestad. 


porque  el  oficio 

de  Principe,  se  ha  de  hallar 
con  ojos,  sin  embara^o 
para  el  govierno;  etc.  etc. 

Dann    geht    der  König    ab   mit   der  sonderbaren  Motivierung,  dafs 
er  viel  Arbeit  habe. 

Überflüssig   ist  auch   die  Szene  zwischen  dem  Cid  und  seiner 
Gattin,  in  der  sie  sich  nur  Schmeicheleien  zu  sagen  haben: 

Cid.      ya  de  la  inquietud  reposa 
mi  cora9on;  quien  lo  duda, 
si  tu  belle  ser  me  ayuda, 
tan  contrario  ä  mi  passion, 
que  adorna  mi  cora9on, 
de  lo  que  al  miedo  desnuda? 

*  L.  c,  II,  pag.  272. 


93 

Von  der  langen  Rede  des  Albar  Fafiez,  der  die  Botschaft  des 
Königs  dem  Cid  überbringt  und  da  des  Langen  und  Breiten  seine 
Heldentaten,  sowie  die  des  Cid  und  des  Königs  erzählt,  will  ich 
nur  die  Definition  erwähnen,  die  er  vom  Staat  gibt: 

La  Republica,  Rodrigo, 

no  es  mas  que  un  mixtico  cuerpo, 

cuyo  todo  se  compone 

de  Nobles  y  de  Plebeyos. 

Dann  das  Geschwätz  über  die  Liebe  bei  der  Mahlzeit!  Der 
König  will  eine  Academia  de  amor  einsetzen  um  zu  bestimmen,  was 
die  Liebe  sei  und  begründet  dies  damit: 

.     .     .     .     que  aunque  es  cierto 
que  muchos  amor  confiessan, 
no  saben  que  es,  y  professan 
en  lo  mas  claro  lo  incierto. 
De  amor  la  fuer^a  suave 
al  ser  de  la  luz  imita, 
SU  claridad  acredita, 
y  que  es  la  luz  nadie  sabe. 

Es  würde  zu  weit  führen  wollte  ich  noch  mehr  anführen,  es 
sei  nur  erwähnt,  dafs  sich  auch  der  Cid  und  Jimena  in  den  Streit 
mischen  und  zum  Schlüsse  auch  der  Diener  des  Cid,  Toston.  Dann 
bricht  plötzlich  das  Gespräch  ab,  der  König  will  mit  Albar  Fafiez 
gehen  und  fragt  naiverweise  die  Neuvermählten: 

pues  Dona  Sol,  D»   Rodrigo, 
D«  Jimena,  D»   Diego 
todos  donde  vais? 

Der  Cid  antwortet  darauf  echt  vasallenmäfsig: 

Cuidado 
de  la  obligacion  nos  guia 

Darauf  der  König : 

No,  Don  Rodrigo;  este  dia 
es  dia  previlegiado 


Cid.      Tu  gusto  es  nuestra  obediencia. 

Im  Charakter  des  Cid  ist  es  eigentlich  nur  diese  eine  Eigen- 
schaft, nur  dieser  Zug  der  Vasallentreue,  der  scharf  ausgeprägt  ist. 
Aufser  den  bereits  erwähnten  Stellen  führen  wir  noch  an: 

^no  es  mi  Rey,  quien  me  lo  manda? 

sagt    er   zu    sich    selbst,    dann    gibt    es   keine  Widerrede  mehr,   er 
gehorcht. 


94 

Das  gleiche  spricht  er  auch  Jimena  gegenüber  aus: 

Esto  es  ser  leal  vasallo 
es  ser  con  mi  Ray  atento. 

Wie  pafst  aber  zu  dem  uns  so  sympathischen  Bilde  Jimenas 
der  Romanzen  dieser  Zug  der  Neugierde: 

Ni  me  ha  dexado  el  recelo, 
ni  de  mi  curiosidad 
puedo  sossegar  el  ceno, 
hasta  saber  la  ocasicn, 
que  a  Albar  Fanez  con  secreto 
d  mi  casa  se  ha  traido; 
aqui  estan,  desde  aqui  puedo 
escucharlos,  sin  ser  vista; 

Was  die  Infanten  von  Carrion  betrifft,  so  hat  Polo,  entgegen 
den  Romanzen,  Diego  als  den  edleren  der  beiden  dargestellt,  denn 
dieser  findet  es  schmählich  sich  an  Frauen  zu  rächen: 

tente,  no  digas  mas 
que  me  corro  vive  el  cielo 
de  oirlelo  pronunciar: 
en  mugeres  ay  venganfa? 
Fernando,  muy  mal  estäs 
con  tu  valor,  y  tu  sangre. 
Si  yo  me  llego  d  casar 
con  hija  del  Cid,  Fernando, 
es  para  estimarla  mas, 

sagt  er  zu  Fernando. 

Als  er  aber  wegen  seiner  Feigheit  zur  Rede  gestellt  wird,  da 
will  er  auch  an  der  Rache  teilnehmen: 

que  quanto  hagas 
para  vengarnos  del  Cid, 
tendrä  en  mis  iras  constancia. 
Und  weiter: 

Fern,      Pues  viva  el  enojo. 
Diego.    Y  muera 

d  manos  de  la  vengan^a. 

Im  übrigen  schliefst  sich  der  Inhalt  an  folgende  Romanzen  an: 

23.  Celebrades  ya  las  bodas 

142.  Considerando  los  condes 

143.  Casadas  tiene  sus  hijas 

144.  Acahado  de  yantar 

145.  Non  quisiera,  yernos  mios 
153.  De  concierto  estän  los  co?ides 


05 


154-  D^  concierto  estdn  tos  co?ides 

155.  En  las  malezas  de  un  monte 

156.  AI  cielo  piden  justicia 

158.  No  con  poco  sentimiento 

159.  Elvira,  soltä  el  punal 

160.  Lloraba  dona  Jimena 
166.  Yo  me  estando  en  Valencia, 

171.  A   Toledo  habia  llegado 

172.  Digädesme,  aleves  condes 

173.  En   Toledo  esiaba  Alfonso 

174.  Despues  que  el  Cid  Campeador 
176.  A  vosotros,  femenlidos 

17  g.  En  las   Cor t es  de    Toledo 

18 1.  Ya  se  parte  el  Rey  Alfonso 

185.  Rodrigo  Diaz  de  Vivar. 

Einzelne  Verse  derselben,  so  aus  23: 

^Duermes  ö  velas  Rodrigo? 
oder  aus  144: 

Guarda  el  Leon 

sind  auch  wörtlich  übernommen  worden. 


IV.  Dramen,  die  den  Cid  in  burlesker  Weise 
behandeln. 

I.  Gerönimo  de  Cancer  yVelasco;!  Las  Mocedades  del  Cid. 

Gedruckt  wurde  dieses  Stück  im  39.  Bande  der  Comedias 
nuevas  de  los  tnejores  Ingeniös  de  Espana.  Madrid  1673  als  das  8.  der 
enthaltenen  Komödien.  Auch  verschiedene  Einzeldrucke  sind  mir 
bekannt.  Es  ist  mit  der  Burleske:  Las  Travesuras  del  Cid,  die  in 
dem  -apokryphen  dritten  Band  der  Komödien  von  D.  Agustin  Moreto 
y  Cabaiia2  gedruckt  wurden,  identisch.  Wie  nämlich  Schaeffer^ 
nachwies,  ist  dieser  3.  Band  nur  „eine  piratische  Buchhändler- 
spekulation". Er  enthält  nicht  weniger  als  8  Dramen,  die  aus 
den  Comedias  escogidas  abgedruckt  sind  unter  verändertem  Titel. 
6  davon  sind  von  Moreto,  2  von  anderen  Autoren.  Die  von  mir 
vorgenommene  Textvergleichung  ergab,  dafs  die  Abweichungen  nur 


•  t  1655. 

'  Tercera    parte    de    comedias     de     don    Agustin    Moreto   y    Cabanc, 
Madrid   1681. 

2  L.  c,  II,  pag.  168. 


96 

orthographischer  Natur  sind.  Die  Ausgaben  des  Dramas  (aufser  bei 
Moreto)  geben  auch  an,  dafs  die  Burleske  am  Fastnachtsdienstag 
vor  den  königlichen  Majestäten  aufgeführt  wurde.  ^  Eine  kurze 
Skizzierung  der  Handlung  wird  am  besten  zeigen,  welche  Momente 
aus  dem  Leben  des  Cid  der  Verfasser  travestiert  hat. 

Der  Graf  Lozano  will  seine  Tochter  Jimena  mit  D.  Sancho 
verheiraten,  während  sie  Rodrigo  liebt.  Als  sie  gerade  einen  Brief 
an  ihren  Geliebten  schreibt,  kommt  ihr  Vater  mit  D.  Sancho  und 
liest  den  Brief.  Sie  soll  deshalb  sterben.  Rodrigo  selbst  klagt  er 
beim  König  an,  dafs  er  in  seiner  Tochter  liebende  Gefühle  erregt 
hat.  Jimena  erhält  von  ihm  Gift,  stirbt  aber  nicht;  nun  will  der 
Graf  seinen  Degen  ziehen  und  verwundet  sich  selbst  dabei.  Unter- 
dessen kommt  Diego  Lainez,  dem  er  sagt,  dafs  er  sich  selbst  mit 
seiner  Tochter  verheiraten  wolle.  Darüber  geraten  sie  in  Streit  und 
der  Graf  gibt  Diego  eine  Ohrfeige.  Diego  fragt  seinen  Sohn,  wen 
er  in  dieser  Ehrensache  zu  Rate  ziehen  soll.  Dieser  meint,  den 
Beichtvater.  Diego  gibt  ihm  zwar  Recht,  hält  es  aber  für  besser, 
wenn  er  den  Grafen  gleich  töte.  Dieser  fordert  Lozano,  tötet  ihn 
und  stellt  sich  selbst  dem  König.  Darauf  zieht  er  in  den  Kampf 
mit  den  Mauren.  Als  er  vor  Valencia  ist,  wird  ihm  die  Stadt  ohne 
weiters  übergeben.  Jimena  kommt  während  der  Mahlzeit  an  den 
Hof  und  verlangt  Rache  für  den  Tod  ihres  Vaters.  Da  erscheint 
der  Cid  als  Eroberer  von  Valencia.  Nachdem  er  seine  Taten  er- 
zählt, verlangt  er  Jimena  zur  Gattin,  die  auch  sofort  einwilligt. 

Ist  schon  der  Gang  der  Handlung  komisch  gehalten,  so  umsomehr 
die  ganze  Dialogführung  und  die  eingeflochtenen  nebensächlichen 
Szenen  des  Stückes.  Man  müfste  wirklich  die  ganze  Comedia  ab- 
schreiben, wollte  man  sie  alle  anführen.    Ich  will  nur  einige  erwähnen. 

Ein  Maure  bringt  dem  König  reiche  Geschenke:  80  Pferde  (der 
König  fragt:  Warum  nicht  gleich  100?),  Kamele,  Elephanten,  Tiger, 
etc.  aufserdem  noch  6  Quitten  aus  Toledo,  all  dies  um  das  Haupt 
des  Cid  zu  erhalten.  Als  der  König  darüber  böse  wird,  will  der 
Maure  Christ  werden;  der  König  lehnt  es  jedoch  ab,  da  er  noch 
zu  jung  sei. 

Als  Rodrigo  von  seinem  Vater  aufgefordert  wird,  den  Grafen 
zu  töten,  verlangt  er  dafür  200  escudos,  Diego  will  ihm  aber  nur 
100  geben.  Rodrigo  braucht  das  Geld  für  Jimena,  die  er  nach 
dem  Tode  ihres  Vaters  versorgen  müsse.  Diego,  der,  wie  es 
scheint,  schon  öfter  den  Wünschen  seines  Sohnes  in  dieser  Richtung 
nachgegeben  hat,  ruft  aus: 

este  mozo  ha  de  enterrarme 
porque  siempre  anda  en  pendencia. 

Als  der  Cid  vor  Valencia  ist,  weifs  er  nicht,  ob  dies  die  Stadt 
wirklich  ist,  er  mufs  daher  erst  einen  Mauren  rufen  und  ihn  darum 
fragen.      Den   Mauren    verspricht   er   auch    durchsetzen   zu    wollen, 


Fiesta  que  se  representö  d  siis  Magestades,  Mdrtes  de  Carnestolendas. 


97 

dafs  sie  nicht  in  die  Hölle,  sondern  ins  Fegefeuer  kommen 
sollten. 

Manchmal  wird  der  Dichter  auch  sehr  trivial,  wenn  er  z.  B. 
den  König  zum  Cid  sagen  läfst,  als  dieser  um  die  Hand  Jimenas 
anhält : 

ved  que  es  muger,  y  se  siembra 

gran  duda,  si  con  vos  casa. 

Vielleicht  darf  ich  auch  einige  literarische  Anspielungen  in  dem 
Stücke  vermuten.  Als  Jimena  zum  König  kommt,  redet  sie  dieser 
mit  Beatriz  an;  da  sie  ihn  aufmerksam  macht,  dafs  dies  nicht  ihr 
wirklicher  Name  sei,  meint  er: 

Si  es,  que  lo  proprio  es  decir 
Beatriz,  que  Ximena  Gomez, 
en  estylo  pastoril. 

Sollte  sich  dies  nicht  auf  die  damalige  Schäferdichtung  beziehen 
können  ? 

Und  wenn  schliefslich  der  Cid  am  Schlüsse  der  Erzählung 
seiner  Heldentaten  sagt: 

todo  lo  venci  en  un  dia, 

kann  er  damit  nicht  an  Corneille's  Cid  und  an  die  Unwahr- 
scheinlichkeit  seiner  Handlung  in  24  Stunden  gedacht  haben? 

An  dem  vorliegenden  Stücke  fällt  am  meisten  wohl  der  ganz 
unvermittelte  Schlufs  auf.  Als  der  Cid  die  Erzählung  seiner  Taten 
beendet  hat,  verlangt  er  zum  Lohne  dafür  die  Hand  Jimenas. 
Er  erhält  sie  ohne  den  geringsten  Widerstand  und  das  Stück  ist 
zu  Ende.  Das  geht  ohne  jede  Vermittlung,  mit  ein  paar  Versen 
ist  die  Angelegenheit  abgemacht  und  der  Leser  wie  der  Hörer,  der 
kurz  zuvor  die  lange  Rede  des  Cid  angehört  hat,  ist  ganz  erstaunt 
sich  so  plötzlich  aus  dem  Humor  und  Spott  der  Komödie  wieder 
in  die  nackte  Wirklichkeit  versetzt  zu  sehen,  wenn  er  hört: 

y  aqui,  Senado,  se  acaba 
Las  Mocedades  del  Cid. 

Ein  kurzes  treffendes  Urteil  über  die  Comedia  fällt  D.  Luis  Fernandez- 
Guerra  y  Orbe,  der  noch  zu  keiner  Lösung  kommt,  ob  es  von 
Cancer  oder  Moreto  ist,  in  der  Einleitung  zu  den  Komödien  D. 
Agustin  Moreto  y  Cabana's ' : 

Los  aviores  de  Rodrigo  y  Jimena,  la  bofetadä  que  recibe  Diego 
Lainez  del  conde  Lozano,  la  satigrienla  venganza  del  Cid  y  sie  hoda 
con  la  hija  de  aquel  magnate,  son  los  sucesos  que  presenla  en  burlas 
el  poeta,  ridiculizando  graciosamente  los  desvarios  que  entonces  des- 
lustraban    el  ieatro.     Ni  se  perdona    ä   si  proprio,    dando  por   ello  d 


1  Bibl.  de  aut.  esp.  Band  39,  pag.  XLIII. 
Beiheft  zur  Zeilschr.  f.  rom.  Phil.  XXV. 


98 

conocer  (como  otros  dramdticos  de  aquel  siglo)  qiie  erraha  con  cotio- 
citniento  de  causa.  Los  chistes^  de  bueiia  ley ;  la  saiira,  muy  apreciahle. 
In  ähnlicher  Weise  sagt  Schack^  von  den  beiden  Burlesken 
Cancers  (aufser  Las  Mocedades  del  Cid  noch  La  muerie  de  Baldo- 
vinos),  dafs  sie  „von  ausgelassener  Lustigkeit"  seien  und  „zu  dem 
Besten  gehören,    was  das  spanische  Theater  in  dieser  Art  besitzt". 


2.    Bernardo  de  Quirös:  El  Hermano  de  su  Hermana. 

Von  dem  Drama  existiert  nur  ein  Druck,  nämlich  die  Ausgabe 
zu  Madrid  1656. 

L  Akt.  Die  Szene  beginnt  in  Toledo,  v^^o  König  Alfonso  als 
Gefangener  weilt  und  die  Maurenkönigin  Zoraida  liebt.  Dieses 
Verhältnis  ist  jedoch  nicht  ohne  Folgen  geblieben.  Der  Maure 
Zelimo  hebt  ebenfalls  die  schöne  Maurin  und,  auf  Alfonso  eifer- 
süchtig, will  er  dem  Gatten  Zoraidas  Mitteilung  machen.  Diese 
ahnt,  dafs  der  König  sie  ob  ihrer  Untreue  töten  wird  und  macht 
mit  Alfonso  ein  Stelldichein  am  Morgen  während  der  Messe 
aus.  Zelimo  bringt  dem  König  die  Meldung,  der  beide  zu  töten 
beschliefst.  Als  nun  die  beiden  Liebenden  kommen,  rät  er  Alfonso 
sich  zu  verbergen,  Zoraida  aber  will  er  töten.  Alfonso  legt  sich 
ins  Mittel,  dadurch  wird  der  Maurenkönig  versöhnt  und  will  sogar 
die  Hebamme  holen  zur  Geburt. 

König  Sancho  ist  vor  Zamora  und  hat  den  Cid  zu  seiner 
Schwester  Urraca  gesandt.  Die  Infantin  ist  entschlossen  die  Stadt 
nicht  auszuliefern.  Sancho  will  sie  deshalb  mit  Gewalt  nehmen. 
Der  Cid  rät  ihm  davon  ab,  da  Urraca  seine  Konkubine  sei.  Da- 
durch fühlt  sich  Sancho  hochgeehrt,  verbannt  aber  den  Cid  als 
dieser  sagt,  dafs  er  Zamora  verteidigen  werde.  Die  Unterredung 
Sanchos  mit  Urraca  und  Arias  Gonzalo  führt  ebenfalls  nicht  zu 
dem  von  ihm  gewünschten  Erfolge. 

In  Toledo  warnt  Zulema  den  König  vor  Alfonso,  der  ihm  die 
Stadt  rauben  könnte.  Er  rät,  ihn  am  Charfreitag  zu  Tische  zu 
laden  und  ihm  eine  ungeheure  Menge  Speisen  und  Wein  auf- 
zusetzen und  ihm  dann  während  der  Mahlzeit  den  Eid  abzunehmen, 
dafs  er  nie  aus  dem  Palaste  gehe.    Der  König  tut,  wie  ihm  geraten. 

II.  Akt.  Der  Diener  Lope  bringt  Sancho  einen  Brief  vom  Cid, 
der  in  Paris  als  Verbannter  ist.  Dann  soll  ein  Kampf  zwischen 
einem  Mauren  Fulano  und  Diego  stattfinden,  letzterer  kann  aber 
nicht,  da  der  Arzt  es  verboten  habe.  Nun  will  Urraca  mit  Fulano 
kämpfen,  unterdessen  wird  ihr  Bruder  für  sie  beten.  Der  Maure 
will  aber  dann  lieber  statt  zu  fechten  essen.  Urraca  geht  darauf 
nicht  ein  und  beschliefst  Fulano  zu  töten.  Dann  kommt  Arias 
Gonzalo    mit   einer  Guitarre,    dadurch  wird   der  Kampf  verhindert. 

1  L.  c,  III,  p.  404. 


99 

Bellido  de  Olfos  kommt  ins  Lager  des  Königs  Sancho  und 
will  den  König  allein  sprechen.  Er  fürchtet  belauscht  zu  werden 
und  fordert  daher  Sancho  auf  mit  auf  das  Feld  hinaus  zu  gehen. 
Auch  draufsen  sprechen  sie  einander  ins  Ohr.  Bellido  sagt  dem 
König,  dafs  er  ihn  töten  werde,  er  solle  sich  nun  die  Todesart 
auswählen.  Da  Bellido  ihn  nicht  gleich  töten  will,  dringt  der 
König  in  ihn,  er  habe  ihn  doch  zu  töten  und  danke  ihm,  dafs  er 
ihn  darauf  aufmerksam  gemacht  habe,  denn  sonst  wäre  er  wie  ein 
Esel  gestorben.  Dann  tanzen  beide  mitsammen  und  schliefslich 
tötet  Bellido  den  König.  Nun  kommt  Diego  und  findet  Sancho, 
der  zwar  tot  ist,  aber  immer  noch  sprechen  kann.  Der  König 
erzählt  Diego,  dafs  Bellido  ihn  getötet  habe  und  verlangt  nach 
dem  Cid.  Als  er  erscheint,  will  der  König  sein  Testament  machen. 
Der  Cid  soll  nach  Toledo  gehen  und  Alfonso  das  Vorgefallene 
mitteilen.  Arias  Gonzalo  singt  plötzlich  auf  der  Mauer  und  warnt 
den  König  vor  Bellido ;  es  ist  aber  bereits  zu  spät. 

III.  Akt.  Urraca  betrauert  den  Tod  ihres  Bruders.  Der  er- 
mordete König,  mit  einem  Chorhemde  bekleidet  und  einer  Krone 
auf  dem  Haupte,  erzählt,  dafs  er  heute  begraben  werde.  Er  sei 
aus  der  anderen  Welt  zurückgekehrt  um  mit  seiner  Schwester 
Hochzeit  zu  feiern.  Diego  kommt  auf  einem  Schiffe  angefahren 
um  Zamora  herauszufordern.  Nun  tritt  auch  Alfonso  mit  Zoraida 
und  dem  Maurenkönig  auf.  Letzterer  dispensiert  die  Geschwister 
von  dem  Ehehindernis  der  Blutsverwandtschaft.  Sancho  erzählt 
nun  des  Langen  und  Breiten,  v/ie  er  sich  zweimal  verheiratet  habe. 
Während  dieser  langen  Rede  verloben  sich  nun  Urraca  und  der 
Maurenkönig,  er  will  Christ  und  Urraca  Maurin  werden.  Auch 
Alfonso  will  Urraca  als  Gattin,  sie  gibt  auch  dazu  ihre  Zustimmung. 
Zum  Schlüsse  erklärt  der  Cid,  dafs  alle  diese  Liebeleien  nur 
Späfse  gewesen  seien. 

Die  kurze  Notiz  Schäffers^  über  das  Drama  besagt,  dafs  sie 
„stark  gepfeffert"  sei.  Barrera^  bezeichnet  sie  als  nna  de  las  mas 
sazonadas  de  este  genero  que  tiene  nuestro  teatro.  Ich  halte  das 
Stück  für  zu  überladen  mit  Späfsen  und  satirischen  Angriffen.  Auf 
die  Dauer  ermüdet  diese  Art  Witze  zu  machen. 

Von  den  oben  besprochenen  Dramen  ähnelt  die  Handlung  am 
meisten  der  Cornedia  Guill6n  de  Castro's,  der  ja  auch  die  Liebe 
Alfonsos  zu  einer  schönen  Maurenprinzessin  behandelt.  Ob  aber 
das  vorliegende  Stück  Bernardo  de  Quirös'  eine  Travestie  des 
Dramas  Guillen  de  Castro's  ist,  kann  kaum  mit  Sicherheit  ent- 
schieden werden. 

Das  Stück  wurde  von  der  Inquisition  verboten.  Dieses  läfst 
sich  wohl  aus  verschiedenen  Stellen  erklären. 


1  L.  c,  II,  pag.  273. 
»  L.  c,  pag.  315. 


lOO 

Vor  allem  finden  wir  eine  Reihe  von  Herabwürdigungen  kirch- 
licher Einrichtungen.  Die  schwangere  Zoraida  will  ins  Kloster 
gehen  und  zwar  in  einen  Männerorden : 

y  en  pariendo  diez  Perayles 
de  ser  Monja  tengo  intento 
en  un  Convento  de  Frayles 

sagt  sie  zu  Älfonso. 

Ferner  finden  wir  Stellen  aus  dem  Offizium  der  Messe : 

D.  Sancho:     Salios  todos  afuera 
ya  se  han  ido. 
Urraca:     Pues  laus  Deo. 
D.  S.:     Yo  tambien  me  quiero  ir. 
Urr.:     Don  Sancho 

Dominus  tecum. 

Dann  sprechen  die  beiden  Geschwister:  d  la  oreja,  y  recio,  was  viel- 
leicht eine  Anspielung  auf  die  Beichte  sein  kann. 

Auch  ein  Maure  (Fulano)  gebraucht  Stellen  aus  dem  Officium. 

Ful.     Deo  gracias,  te  Deum  laudamus. 

Ebenfalls  Zelimo: 

Aleluya 


como  es  possible  que  muera 
quien  sähe  bailar  a  son; 
en  Madrid,  y  Talabera, 
Kirie,  y  mas  Kirie, 
Kirie  eleison. 


Dann  die  Dispensation  des  Maurenkönigs: 

Yo 

como  Ar^obispo  Ingles 

dispenso,  dale  la  mano. 

Eine  ähnliche  Dispense  erzählt  uns  auch  König  Sancho : 

Escuchad. 

Con  dispensacion  de  Roma 
de  narices,  en  un  Credo 
me  cas6  como  pension 
con  dona  Clara  de  huevo. 

Eine  andere  Stelle  ist  eine  Anspielung  auf  den  hl.  Lucas  und  dessen 
Handwerk : 

Zelimo:     SeBora  ne  nos  inducas; 
pues  escrivele  un  villete, 


lOI 


que  si  te  faltara  alguna 
alhaja  para  escrivir, 
el  tintero  de  san  Lucas 
soy  yo,  tu  mano  el  papel. 

Eine  Anspielung  auf  die  Bibel  ist  auch  folgendes: 

D.  Sancho:     Vamos  d  pescar  lampreas 

Urraca:     Adonde? 
D.  Sancho :     AI  monte  Tabor. 

Manchmal  werden  die  Witze  arg  derb  : 

Zora:     Advierte  esposo  que  estoy 

de  don  Alfonso  prefiada. 
Alm.:     Pariräs  manana  ö  oy? 
Zor. :     Oy,  porque  estoy  colocada. 

Oder  wenn  König  Sancho  Diego  fragt:  . 

No  viene  la  Infanta  ä  Missa? 

und  Diego  zur  Antwort  gibt: 

En  este  punto  senor, 
Rodrigo  el  Cid  Campeador 
la  vestia  la  camisa. 

Yo  la  vi  un  dia  en  Ocana 
sin  camisa  en  una  manta. 


und  weiter  unten: 


Als  Satire  auf  die  Ärzte  könnte  vielleicht  gelten  die  Unter- 
redung Sanchos  mit  Bellido,  wo  letzterer  dem  König  mitteilt,  dafs 
er  ihn  töten  wolle  und  der  König  darauf  erwidert: 

Eres  Medice  ? 
Vellido:     No  seiior; 

pero  procuro 

matar  como  matan  ellos. 

Dagegen  kann  man  sehen,  welche  Verehrung  der  Dichter  dem  Lope 
de  Vega  entgegenbrachte.  Als  der  Diener  Lope  zu  Sancho  kommt, 
fragt  dieser: 

A  visitarme  vendrd 

es  este  Lope  de  Vega.' 

Diego  erwidert  darauf: 

No  senor, 

que  sus  destinos, 

sus  meritos,  y  su  zelo, 

le  tienen  allä  en  el  Cielo, 

porque  es  patria  de  divinos. 


I02 

Der  Stil  ist  im  ganzen  fliefsend,  doch  ist  die  Sprache  mehr  die 
der  unteren  Volksklassen.  An  die  bei  Zärate  (siehe  pag.  86) 
erwähnte  Stelle  erinnert: 

Diräs  que  Mahoma  manda 
que  coma  tozino  fresco, 
y  dale  pabos,  perdizes, 
cernicalos,  y  abadejo, 
mirlas,  tortolas,  gorriones, 
abestruces,  pabos,  cuerbos, 
gilguerillos,  y  palomas, 
oropendolas,  vencejos; 
Y  darasle  de  pescado 
una  vallena,  un  cangrejo, 
un  camaron,  una  trucha, 
un  albur,  y  un  salmo  fresco, 
darasle  carauesas,  peras, 
ubas,  albayalde  y  guebos, 
rabanos,  melocotones, 
guindas,  cirvelas  y  peros. 

Man  sieht,  dafs  es  sich  um  die  Aufzählung  der  Speisen  handelt, 
die  der  Maurenkönig  Alfonso  vorsetzen  soll. 

Sancho  und  Bellido  tanzen  mitsammen,  bevor  Bellido  den 
König  ermordet  und  singen  dabei  folgendes  merkwürdige  Lied: 

Que  sino  tiene  saya  Marigandi, 

que  sino,  que  si  si,  que  sino,  que  si  si; 

que  que,  que  se  me  da  ä  mi. 

Die  so  oft  wiederkehrenden  Romanzen  64/65  finden  sich  auch 
hier,  natürlich  in  einer  komischen  Situation  und  mit  Einschaltung 
zweier  Verse.  Arias  warnt  den  König  singend,  nachdem  Sancho 
bereits  getötet  ist: 

Rey  don  Sancho 

Rey  don  Sancho, 

no  digas  que  no  te  aviso, 

que  del  cerco  de  Zamora 

un  gran  traidor  ha  salido. 

El  dize  que  vä  ä  la  viSas 

ä  llevarte  unos  pepinos, 

Vellido  de  Olfos  se  llama, 

y  hijo  de  Olfos  Vellido, 

Die  ebenfalls,  wenn  auch  in  freierer  Form,  wiederkehrenden 
Romanzen  der  Herausforderung  Zamoras  durch  Diego,  hat  Quirös 
folgendermafsen  travestiert: 

Relo  el  pan,  reto  la  carne, 
nabos  cebollas,  y  ver9as. 


I03 

arroz  con  grasa,  alcuzciiz, 

los  nabos  de  Somosierra, 

los  diamantes  del  Zeilan, 

los  ^afiros  de  essa  esfera, 

sideral  piel  estreilada, 

que  once  hojas  se  enquadernan. 

Reto  los  signos  Celestes, 

la  caterba  de  planetas. 

Reto  sastres,  Boticarios, 

alfaareros,  estafetas, 

los  Medicos,  y  organistas, 

y  quanto  cifra  el  et  cetera. 

Die  Satire  ist,  wie  man  sieht,  manchmal  sehr  derb  und  verrät 
keinen  höheren  dichterischen  Schwung.  Mit  Cancers  Burleske 
verghchen,  fällt  das  Stück  sehr  ab,  hauptsächlich  durch  die  bereits 
obenerwähnte  Überfülle  der  Handlung  und  der  Späfse. 


Schlufswort. 


Werfen  wir  einen  kurzen  Rückblick  auf  die  besprochenen 
Dramen,  so  fällt  uns  unwillkürlich  auf,  dafs  die  Dramatiker  des  16. 
und  17.  Jahrhunderts  es  nicht  vermocht  haben  den  episch-lyrischen 
Charakter  des  Cid  des  Poema  (resp.  Cantar)  und  der  Romanzen 
zu  einem  wirklich  dramatischen  Charakter  umzugestalten.  Nur 
Corneille  brachte  es  zustande,  indem  er  das  ganze  Gewicht  auf 
den  Konflikt  zwischen  Ehre  und  Liebe  verlegte.  Ein  anderer  Kon- 
flikt, der  sehr  wohl  einer  spezifisch-dramatischen  Behandlung  fähig 
gewesen  wäre,  ist  der  zwischen  Vasallentreue  und  Selbstbewufstsein. 
Aber  keines  der  spanischen  Dramen  hat  ihn  mit  Energie  zum 
dichterischen  Mittelpunkt  gemacht.  Man  sieht,  dafs  die  Ciddichtung 
ihre  wahre  Blüte  in  der  epischen  und  lyrischen  Poesie  der  Spanier 
erlebt  hat.  Im  Drama  ist  die  Ciddichtung  allmählich  verfallen. 
Guillem  de  Castro  dürfte  etwa  den  Höhepunkt  bedeuten,  der  von 
keinem  späteren  mehr  übertroffen  wurde.  In  der  2.  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  wird  die  Gestalt  des  Cid  von  anderen  Interessen 
immer  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt.  Das  Drama  wird  galant, 
wird  psychologisch  vertieft,  hört  auf  national  zu  sein;  es  wird 
individualistisch  oder  sinkt  zur  Intriguenkomödie  herab  und  ver- 
mischt sich  so  mit  der  comedia  de  capa  y  espada.  Ein  Zeichen,  dafs 
der  Cidstoff  als  dramatischer  Gegenstand  schon  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  sich  überlebt  hatte,  sind  die  dramatischen  Parodien, 
Travestien  und  Burlesken. 

Übrigens  hängt  die  Geschichte  der  Ciddichtungen  mit  der 
Geschichte  des  spanischen  Nationalgefühls  und  zum  Teil  auch  mit 
der  des  religiösen  Gefühls  und  des  sozialen  Bewufstseins  aufs  innigste 


I04 

zusammen.  So  spiegelt  sich  z.  B.  in  der  Ciddichtung  das  jeweilige 
Verhältnis  von  König  und  Vasall;  das  Anschwellen  und  Ab- 
schwellen der  religiösen  Begeisterung;  das  Aufkommen  und  Über- 
handnehmen individualistischer,  rein  phantastischer  und  psycho- 
logischer Interessen. 

Das  i8.  Jahrhundert  als  die  Epoche  der  Aufklärung,  des 
Nationalismus,  Internationalismus,  Klassizismus,  Absolutismus,  der 
Franzosenherrschaft  usw.  hatte  wenig  Geschmack  für  den  Cidstoff. 
Erst  von  der  romantischen  Bewegung  wird  er  wieder  mit  Sympathie 
erfafst  und  neu  gestaltet,  wie  das  die  Bearbeitungen  des  Breton  de 
los  Herreros,  Hartzenbusch  u.  a.  zeigen. 


Anh 


ang. 


Verzeichnis  aller  bekannten  Cid-Dramen. 


I.   Nur  handschriftlich  erhaltene  Dramen.^ 

1.  Anönimus:   Los  Hechos  del  Cid,  y  miierte  del  Rey  D.  Fernando  y  prisiön 
de  D.  Garcia.     (Segunda  parte).     Paz  y  M61ia  pag.  227. 

Aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 

2.  Anönimus:  El  Cid.     Mojiganga.    Paz  y  Melia  pag.  85.     Barrera,  pag.  614. 

Aus  dem   17.  Jahrhundert. 

3.  Anönimus:  El  Cid.     Auto  sacramental.     Paz  y  M^lia  pag.  85. 

Aus  dem   17.  Jahrhundert. 

4.  Anönimus:  Las  Mocedadts  del  Cid.     Paz  y  M^lia  pag.  616. 

Aus  dem   18.  Jahrhundert  (die  Handschrift). 

5.  Anönimus:    Don  Rodrigo  de    Vivar,    Tragedia  en  ß  actos.     Traducciön  de 
Corneille.    1781.    Picot,  pag.  352. 

6.  Anönimus:  Las  Bodas  de  Jimena.     Comedia.     Paz  y  Melia  pag.  59- 

7.  Laviano    (lebte    nach  Barrera    (pag.  202)    im    zweiten    Drittel    des    18.  Jahr- 
hunderts):  La  afrenta  del  Cid  vengada.     Paz  y  Melia  pag.  14. 


II.    Durch  den  Druck  veröffentlichte  Dramen.* 

a)    Jugentaten  des  Cid. 

1.  Guill6n  de  Castro  (pag.  14). 

2.  Diamante  (pag.  22). 

3.  Garcia  Suelto:  El  Cid,  tragedia  de  P.  Corneille,  refimdida  por  D.  T.  G.  S. 

Zum  erstenmale  am  25.  August  1803  aufgeführt.    Madrid  1805.  (Picot, 
pag-  352.) 


1  Angabe:  Paz  y  Melia  bezieht  sich  auf  Paz  y  M61ia:  Catdlogo  de  las 
piezas  de  teatro  etc.  Madrid  1899.  —  Bnrrera,  auf  La  Barrera:  Catdlogo 
biblibgräfico  y  hiogrdfico  del  teatro  antigiio  espanol  .  .  .  Madrid  1860.  —  Picot, 
auf  Vicot,  Bibliographie  Cornelietine.    Paris  1876. 

*  Dtr  Vollständigkeit  halber  führe  ich  auch  die  Autoren  der  besprochenen 
Dramen  auf. 


io8 

4.  Fernandez  y  Gonzalez;  Cid,  Rodrigo  de  Vivar,  drania  en  tres  actos  y  en 
verso  original. 

Aufgeführt  am   18.  Dez.  1853.     Madrid  1858. 
Dasselbe:  reftmdido  por  el  autor  Madrid  1862.     (Picot,  pag.  352 — 353.) 

La  Espana  dramdtica  bezeichnet  es  als  eine  Nachahmung  Corneilles. 
Nach  meiner  Ansicht  ist  der  Zusammenhang  mit  Corneille  ein 
ziemlich  loser. 

5.  Alberto  Rossi:  Las  Mocedades  del  Cid.  Nach  Picot,  pag.  353:  Refonte  de 
la  tragedie  de   Guillen  de  Castro. 

6.  Iza  Zamacola:  Horior  y  atnor,   drama  en  cinco  actos.     (Picot,  pag.  353). 

7.  A.  F.  de  la  Serna:  Don  Rodrigo,  drama  original  en  versos.  (Picot, 
pag.  353-) 

b)    Belagerung  von  Zamora  oder  Toro. 

1.  Juan  de  la  Cueva  (pag.  28). 

2.  Guillen  de  Castro  (pag.  33). 

3.  Lope  de  Vega  (pag.  40). 

4.  Matos  Fragoso  (pag.  49). 

5.  Diamante  (pag.  56). 

6.  Breton  de  los  Herreros:  Bellido  Dolfos.  Enthalten  in  Galeria  dramdtica. 
T.  22.     Madrid  1839. 

7.  Juan  Eugenio  Hartzenbusch:  La  jura  en  Santa  Gadea.  Aufgeführt  am 
Teatro  del  Principe  am  29.  Mai  1845.  Enthalten  in  dessen  Obras  escogidas, 
Paris  1850. 

8.  Garcia  Gutierrez:  Dona  Urraca  de  Castilla  l8']2.  Erwähnt  bei  Blanco 
Garcia,!  j^  pag^  235. 

9.  Asquerino:  Dona  Urraca.  Erwähnt  bei  Blanco  Garcia.  I,  pag.  265.  Das 
Drama  ist  enthalten:    Galeria  dramdtica.    T.  10.    Madrid   1838. 

c)  Der  Cid  unter  der  Regierung  Alfonsos  VI. 

1.  Hurtardo  de  VeJarde:  Comedia  del  Cid,  doha  Sol  y  doHa  Elvira,  zitiert  bei 
Fabio  Franchi  in  seinem  Ragguaglio  di  Parnasso  {Essequie  Poetiche  .  .  . 
del  signor  Lope  de  Vega.  Venecia  1636.  (Siehe  Lope  de  Vega.  Obras 
sueltas  t.  XXI,  pag.  63.) 

Von  dem  Drama  ist  kein  Druck  und  auch  keine  Handschrift  er- 
halten.    (Barrera,  pag.  195.) 

2.  Anonimus:   1603  (pag.  61). 

3.  Tirso  de  Molina  (pag.  69). 

4.  Matos  Fragoso  (pag.  76). 

5.  Zarate  (pag.  81). 

6.  Polo  (pag.  90). 


*  Blanco  Garcia:    La  Literatura   Espahola   en   el  siglo  XIX.     P.  i — 3. 
Madrid  1891. 


I09 

^-  t^,^'-  ^"^  ^'^''"  ^'^  ^''^'  ^'■''^^  histörico  i846.  (Mitteilung  der  KpI 
Bibliothek  zu  Berlin.) 

8.  Galvez  Amandi:  Para  hertdas  las  d.l  Honor  6  El  Desagravio  del  Cid. 
t-icot  pag.  353.  Ist  jedoch  keine  Nachahmung  des  Corneille,  es  behandelt 
den  Stoff,  den  Polo  auf  die  Bühne  brachte. 

Ich  besitze  eine  Abschrift  des  Druckes:  Madrid  1849. 

9.  Borao  (D.  Jerönimo):  La,  hijas  del  Cid.     Blanco  Garcia  I,  pag.  267. 

d)    Burlesken. 

1.  Cancer  (pag.  95). 

2.  Quirös  (pag.  98). 

Aufser   den    angegebenen   wissen  wir   noch,    dafs  Linan  zwei  Komödien 
über  den  Cid  schrieb  (siehe  oben  pag.  61). 


Verzeichnis  der  in  den  besprochenen  Dramen 
verwendeten  Cid-Romanzen. 


Zählunc 


bei  C.  Michaelis 

Zählung  bei  Duran 

Kommt  vor  pag. 

2. 

725. 

21. 

4- 

726. 

21. 

5- 

727. 

21. 

6. 

728. 

21. 

7- 

729. 

21. 

II. 

732. 

21. 

12. 

733- 

21. 

13. 

734. 

21. 

15. 

735- 

21. 

16. 

73Ö. 

21. 

17- 

738. 

21. 

18. 

737- 

21. 

19. 

739. 

21. 

22. 

742. 

21. 

23- 

743- 

21.  94. 

24. 

744- 

21. 

29. 

749- 

21. 

33- 

753. 

21. 

34- 

754- 

22. 

42. 

760. 

22. 

43- 

762. 

22. 

44. 

7Ö3- 

22.  39.  48. 

I  lO 


Zählung  bei  C.  Michaelis    Zählung  bei  Du  ran 

Kommt  vor  pag.: 

45 

761. 

22, 

47 

765. 

38. 

50 

— 

32.  38. 

51 

767. 

38. 

52 

769. 

32.  39. 

53 

773- 

32. 

54 

774. 

32.  39- 

55 

768. 

32.  33- 

5Ö 

770. 

32.  48. 

57 

771. 

38. 

64 

m- 

32.  38. 

48.  54.  60.  102 

65 

778. 

32.  38. 

48.  54.  60.  102 

66 

779. 

32.  38. 

67 

780. 

32.  38. 

68 

781. 

60. 

71 

784. 

32.  38. 

72 

787. 

32.  39- 

55- 

73 

786. 

55- 

74 

789. 

32.  55- 

75 

790. 

32.  55- 

76 

791. 

32-  39- 

55- 

77 

1896. 

32.  33- 

55- 

78 

792. 

32. 

80 

794- 

32.  38. 

81 

795- 

32.  38. 

82 

797. 

32.  38. 

39. 

83 

798. 

32.  38. 

84 

799. 

32.  38. 

85 

800. 

32. 

87 

802. 

38. 

88 

805. 

38. 

92 

806. 

32-  39- 

93 

785. 

32. 

95 

796. 

32. 

96 

807. 

39. 

97 

808. 

39- 

98 

809. 

39.  89. 

99 

810. 

39- 

100 

812  (u.  811). 

39-  89. 

lOI 

813. 

39-  89. 

102 

814. 

39. 

104 

816. 

46. 

107 

819. 

89. 

108 

820. 

89. 

109 

821. 

89. 

110 

822. 

89. 

III 

824. 

89. 

III 


Zählung  bei  C.  Michaelis 

Zählung  bei  Duran 

Kommt  vor  pag.: 

112. 

825. 

89. 

120. 

830. 

67.  89. 

121. 

— 

67. 

128. 

837. 

67.  76. 

81.  89. 

129. 

839. 

67.  76. 

81.  89. 

130. 

838. 

67.  76. 

81.  89. 

131. 

— 

67.  76. 

81.  89. 

132. 

840. 

67.  76. 

81.  89. 

133- 

841. 

67.  76. 

81.  89. 

134- 

842. 

67.  76. 

89. 

140. 

848. 

67.  89. 

141. 

849. 

67.  89. 

142. 

850. 

94- 

143- 

852. 

94- 

144. 

851. 

94- 

146. 

854. 

67.  94- 

150. 

858. 

67  u.  68. 

153- 

861. 

94- 

154- 

S62. 

95- 

155. 

863. 

95- 

156. 

864. 

95- 

158. 

866. 

95- 

159. 

867. 

95- 

i6o. 

868. 

95. 

166. 

— 

95- 

171. 

876. 

95- 

172. 

877. 

95. 

173- 

878. 

95. 

174. 

879. 

95. 

176. 

881. 

95. 

179. 

884. 

95- 

181. 

886. 

95. 

185. 

890. 

95- 

186. 

891. 

67. 

187. 

892.  893. 

67.  89. 

188. 

— 

67.  89. 

192. 

897- 

67.  89. 

196. 

900. 

67.  89. 

197- 

901. 

67.  89. 

198. 

902. 

67.  68. 

89. 

199. 

903. 

67.  89. 

201. 

905. 

67. 

Comedia  de  Las  |  Hacanas  del  Cid,   y   su  Muer 
te,  con  la  Tomada  de  Valencia. 


Figuras 

Martin  Pelaes. 

el  Cid  Ruydias, 

Bermudo 

Albar  fanes 

Ordono 

Gon^alo  bustos, 

Albar  salvadores 

Martin  antolines 

dos  soldados  Christianos 

Lizara  moia 

Dalifa  mora 

quatro  o  cinco  Pajes 

Alicaudillo  moro 

Zulema  caudillo  moro 

quatro  moros 

Terfe  moro 

Nami  moro 

Alivenaxa  caudillo 

Dona  Xiraena 

Dona  Elvira 

Dona  Sol 

un  Yuglar 


della. 

el  Rey  Funes 

un  moro 

un  Mensajero  moro 

un  criado  suyo, 

Xarifa  criada 

Bucar  Rey  moro 

Domingo  villano 

un  moro  Valenciano 

quatro  moros  Valencianos 

una  mora 

un  nino  suyo 

un  moro  viejo 

Sancho  viejo  Castellauo 

Alfonso  viejo 

un  mayordomo 

Urraca  villana 

Gill  villano 

Anton  villano 

Samuel  Judio 

Abraham  Judio 

Gill  dias 


Säle  Martin  Pelaes  con  un  paves  con  el  brago,  y  una  espada  en  la  rnano,  y 

un  morrion  en  la  cabeza,  y  unas  espuelas  calgadas,  como  que  viene  huyendo 

de  la  batalla,  y  mirando  atras  dize. 

M.  P.     Dexando  aqui  mi  troton 
en  este  nispero  atado, 
non  podre  ser  reprochado 
de  los  que  en  Valencia  son. 
Ni  diran  les  fize  tuerto 
los  buenos  homes  del  Cid, 
en  saliime  de  la  lid 
cuidando  le  dexe  muerto. 


"3 


Que  mal  se  puede  amanar 
vn  fidalgo  mal  manero, 
con  armas  de  cauallero 
a  pie,  mal  puede  lidiar. 

Esto  es  andar  en  la  guerra 
ya  yo  he  visto  guerra  assas, 
quanto  major  es  la  päz 
y  estarse  el  ombre  en  su  tierra. 

O  quäl  gritan  los  paganos 
par  Dios  turbaii  el  sentido, 
al  fidalgo  mas  erguido 
q  ai  en  todos  los  Christianos. 

Pero  yo  aque  vine  aca 
si  fuyo  a  cada  veguada, 
si  tan  mal  vzo  la  espada 
mejor  fuera  estarme  allä. 

Si  me  abran  bisto  fuir 
los  fidalgos  de  vibar, 
quan  mal  fize  en  non  fincar 
con  ellos  fasta  morir. 

Que  el  morir  e,  cosa  llana 
y  no  hai  remedio  que  preste, 
porq  es  muy  mayor  la  gueste 
morisca,  que  la  Christiana. 
Do  tanto  fidalgo  muere 
porque  me  ariedro,  por  suerte 
non  me  ha  de  faltar  la  muerte 
donde  quiera  que  estubiere. 

Martin  Pelaes  q  aueis  fecho 
no  OS  vido  a  caso  el  pagano, 
con  el  tspada  en  la  mano 
y  con  el  paues  al  pecho. 
Perplexo  estoi  ademas 
que  couardia  me  mouiö, 
soi  menor  home  de  pro 
a  dicha  que  los  de  mas. 

Boluere,  mas  donde  he  dir, 
ya  es  sin  sazon  no  ay  dudar, 
quisa  me  veran  tornar 
y  no  me  vieron  salir, 

Pero  que  miro  rai  Dios 
ya  el  de  la  barua  vellida, 
lleua  al  moro  de  vencida 
encubrid  mis  fallas  vos. 

Mala  fortuna  me  empesca 
sin  que  se  lo  estoruar  pueda, 
pugne  contra  mi  su  rueda 
cada  quäl  bien  le  paiisca. 
Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  roni.  Phil.  XXV. 


114 

Desgastador  del  honor 
de  Asturiana  sangre  noble, 
manos  moles,  pies  de  roble 
que  dird  el  Cid  mi  senor. 

Aora  biea  serä  encelarme 
donde  dexS  el  troton  antes, 
y  en  bueltas  de  los  triüphätes 
en  casa  del  Cid  entrarrae. 

Que  viedome  en  la  manada 
non  diran  les  fize  mengua, 
y  alli  cegara  la  lengua 
lo  que  non  cego  la  espada. 

Vase,  y  salen  el  Cid  Alharfaties,  Martin  antolines,  Nuno  bustos,  Albar  salba- 
dores,  Ordono,  Ber?nudo  Gottgales ;  poluorosos  y  descompuestos  conto  gue  salen 
de  la  batalla,  y  dos  pajes  vno  a  dalle  agua  a  tnanos  al  Cid  y  otro  a  los 
demas  fidalgos,  y  Martin  Pelaes  sale  el  postrero  y  a  hurto  se  llega  a  lauar 
con  los  demas  fidalgos'. 
Cid.  Aliiiad  los  atauios 

aun  que  nos  los  alinedes, 
que  vienan  si  parecedes 
soldados  sobrinos  mios. 

Que  a  los  tales  non  empiesse 
dexar  de  ser  alinosos 
sino  quando  vitotiosos 
ir  a  ver  a  Dios  se  offrece, 

Que  quando  gente  enemiga 
nuestras  fronteias  niolesta, 
el  pechero  su  ballesta 
solo  que  aline  obliga. 

Todos  fisgan  de  Martin  Pelaes. 
Ber.  Non  cor^o  co  tal  vehemecia 

ba  fuyendo  a  los  sabuessos, 
Alb.  de  los  escuderos  buessos 

deue  de  ser  mal  querencia. 
Ber.  Digo  que  ayer  se  fuyö 

y  que  hoi  se  fuyö  tambien, 

buenas  donas  se  le  den 

que  muy  bien  las  conquisto. 

Llegase  a  lauar  Martin  Pelaes. 
Ord.  No  ay  en  la  fas  de  la  tierra 

con  que  lauar  sus  manzillas, 
AI.  S.         que  se  laua  a  hurtadillas 
And.  buen  home  para  la  guerra. 

Cid.  Ya  se  de  lo  que  tratades 

tambien  lo  vi  yo  fuir, 

pero  no  se  han   de  dizir 


115 

ciaras  todas  las  verdades. 

Y  quando  cosas  veamos 
que  las  ten  homes  de  pres, 
emos  por  la  primer  ves 
cuidar  que  nos  enganamos. 

Maguer  q  puede  guisarse 
a  fuir  (como  fuyo) 
por  algun  mal  que  le  diö 
con  que  puede  disculparse. 
M,  P.  Hablando  estan  en  puridad 

y  yo  apostare  !a  vida, 
que  dizen  de  mi  fuida 
Cid.  no  le  afrentedes,  callad. 

Basta  SU  desauentura 
que  de  la  luna  la  cara, 
iion  pareciera  tan  clara 
a  non  ser  la  noche  obscura. 

Digo  que  su  cobardia 
no  tengais  por  mal  siniestro, 
q  noche  dSdes  he  pres  vuestro 
luze  mas  que  el  sol  del  dia. 

Entradbos  ora  a  jantar 
non  le  baldonedes  non, 
que  non  esta  en  ocaziou 
de  auerle  de  baldonar. 

Vanse  todos  y  queda  el  Cid  y  Maitin  Pelaes. 
M.  P.  Digo  que  ninguno  dellos 

me  vido  fuir,  que  espero, 
pues  q  n5  me  an  bisto  quiero 
entrarme  a  comer  con  ellos. 

Vase  a  entrar  y  dizele  el  Cid. 
Cid.  Buen  fidalgo  non  entredes 

altended  vn  poco  amigo, 

Vase  Martin  Pelaes. 
Sälen  dos  soldados  de  pendencia  con  dos  rnoras  captibas,  Liiara  y  Dalaija,  y 

detieneles  el  Cid. 
So!.  1.         la  mayor  morisca  digo 

aun  que  os  pese  lleuaredes. 
Sol.  2.  Voto  fago  a  la  cruz  vera 

non  la  lleuedes  soldado, 
nin  sufiir  desaguisado 
guisado  de  tal  manera. 
Que  donoso  maneria 
Cid.  pues  CaslelJanos,  ques  esto? 

Sol.  2.         con  perdon  de  vuestro  gesto 
vna  gran  veliaquaria. 

S* 


ii6 


Esculcando  por  las  tiendas 
del  ya  robado  real, 
que  los  moros  se  dexaron 
sin  poderle  defensar. 

Yo  y  este  home  demaziado 
y  ocasionero  en  la  pas, 
encontramos  estas  dos 
moriscas  de  len  del  mar. 

Y  porque  bentura  quiso 
(porque  non  deuio  ser  por  al) 
yo  encontre  con  la  pequeiia, 
y  este  la  deraas  hedad. 

Y  agora  que  esse  home  vido 
la  mia  de  mas  beldad, 

y  yo  soi  home  pequeno 
y  el  fornido  baragan. 

Dize  que  ha  de  a  pesar  mio 
la  mora  me  ha  de  quitar, 
para  fazella  Christiana 
pera  con  ella  folgar. 

Que  me  tome  yo  la  suya, 
ved  bue  Cid  si  esto  ha  luego 
fazed  derecho  a  este  tuerto 
y  ha  los  malos  castigad. 
Cid.  q  dizis  bos?  si  vuestra  desauenecia 

fuera  en  tiepo  de  solas, 
y  no  a  vista  de  los  moros 
y  tan  lexos  de  folgar. 

Yo  vos  fizera  contentos 
a  ley  de  buena  amistad, 
dando  a  cada  quäl  amigos 
lo  que  gano  cada  quäl. 

Pero  como  son  las  fembras 
la  joya  mas  principal, 
al  tiempo  quando  los  homes 
las  pueden  bien  festejar, 

Son  la  carga  mas  pesada 
y  mas  mala  de  lleuar, 
para  buenos  guerreadores 
que  cada  dia  an  de  lidiar. 

Y  assi  por  tirarnos  dellas 
bos  ruegome  las  vendais, 
que  mas  valen  que  las  moras 
dineros  para  gastar. 

Pedid  sin  teuer  acato 
que  estades  a  mi  maudar, 
lo  que  que  queredes  por  ellas 
que  yo  bos  lo  fare  dar. 


117 


Que  me  han  parecido  big 

que  se  las  quiero  embiar, 

a  la  mi  dona  Ximena 

que  las  haga  christianar. 
Sol.  2.  Pareceme  a  mi  buen  Cid 

que  esta  val  a  mi  estimar, 

hasta  mil  marauedis 
Sol.  I.         y  esta  vale  otro  que  tal. 
Porque  labra  paxaretas 

de  SU  mano  en  el  sendal, 

que  para  andar  con  las  vibas 

non  les  falta  son  bolar. 
Cid.  Pues  etrad,  dizid  a  Albarfanes 

que  bos  las  faga  pagar, 

que  con  esto  bos  aparto 

de  renir  y  de  piccar. 
Liz.  Fagaos  Alä  prosperado   . 

buen  Cid  Ruy  dias  de  biuar, 
Dal.  y  el  premie  vuestras  fa9anas 

bien  dinas  de  su  premiar. 

Vanse  los  soldados  y  las  moras,  y  dize  el  Cid,  como  q  habla  con 
Martin  Pelaes. 
Cid.  Fize  bos  quedar  aqui 

por  diziros  de  mi  a  bos, 

Vase  Martin  Pelaes. 
fidalgo,  bala  me  Dios 
por  do  se  fue  que  non  le  bi. 

Säle  un  Paj'e. 
Paje.  Ya  el  gantar  aparegado 

estä,  Cid,  atendeme  hermano, 

a  Pelaes  Austuriano 

as  le  por  suerte  encontrado? 
Paje.  Non  le  conosco  buen  Cid 

y  mal  fago  en  dizir  non, 

si  senor  el  infanson 

que  hoi  se  fuyö  de  la  lid. 
Cid.  Quien  de  Ja  lid  se  fuyö 

es,  pero  fazedes  mal, 

en  dalle  reproche  tal 

que  yo  s6  que  non  fuyo 
Paje.  En  el  escafio  assentado 

con  buessos  homes  le  vi, 

aora  quando  sali 

a  daros  este  recado. 

Aprestandose  a  jantar. 
Cid.  esso  non  consintir^, 


ii8 

qne  niicnlras  yo  biiio  cst6 
lo  tal  non  ha  de  pagar. 

Vaiise  y  salen  los  dos  soldados  de  los  moros. 
Sül.  I.  Ya  no  mas  ballesta  abra9o, 

ya  no  mas  tras  las  ensenas,  • 

a  pie  por  riscos  y  penas 
por  el  llano  y  el  riba^o. 

Pues  foituna  me  ha  edonado 
mil  marauedis  yo  quiero, 
punar  por  ser  cauallero 
y  home  bueno  denodado. 

Comprare  de  los  quiilientos 
vn  buen  troton  saltador, 
como  Bauieca  y  Meger 
con  tcdos  sus  guarnimentos. 

Do  lo  demas  comprare 
coracacos  y  capacetes, 
paues,  coraca  y  rinetes 
y  escarcela  que  non  he. 

Vos  Vizeril  que  cuidades 
conquirir  con  vuestro  auer? 
Sol.  2.        yo  amigo  abre  de  fazer 

lo  mismo  que  vos  fagades. 

Vamonos  al  armadero 
y  a  la  regatonaria, 
que  alli  jaze  el  que  vendia 
ayez  el  troton  obero. 

Y  si  finca  an  su  poder 
comprare  y  quiera  Dios, 
que  non  falte  para  vos 
otro  de  tanto  valcr. 
Sol.  I.  Bos  dizis  bien  no  ay  dudar 

por  onde  seguir  o.s  quiero, 
Sol.  2.         pues  caminad  companero 
depriessa  y  non  deuagar. 

Vanse  y  sale  el  Cid  trayedo  a  Martin  Pelaes  de  la  faläa  del  sayo,  y  el  trae 
un  baiiadero  y  un  bocado  de  pan  en  la  boca  y  nn  pedago  en  la  inano. 
Cid.  Non   se  fizo  aquel  escano 

para  mi  ni  para  vos, 
mejor  que  ambos  a  dos 
le  ocupan  y  no  me  engano. 

Non  bos  dixe  ayer  amigo 
que  non  hera  vuestro  assieto, 
aquel,  non  estais  contento 
Martin  de  gentar  conmigo. 
Con  sangre   de  saetadas 


iig 


y  gorgusas  passaderas, 
vertida  en  estas  fronteras 
por  gentes  non  baptizadas: 
Compraron  la  posession 
del  SU  assiento  mis  parientes, 
homes  guereros  balientes 
mas  que  quantos  homes  son. 

Y  assi  non  bos  assentedes 
Martin  a  gantar  en  el, 
en  quanto  el  assiento  del 
con  sangre  non  le  conpredes: 

Gentar  conniigo  es  major 
en  mi  escodilla  y  mi  prato, 
questo  cresta  mas  barato 
que  al  fin  sei  el  vencedor. 

Que  en  la  batalla  passada 
y  en  esta  lo  merecistes, 
que  bien  vi  lo  que  fizestes 
por  la  lan9a  y  por  la  espada. 
Y  esta  tarde  parad  mientes 
que  tambien  os  he  deuer, 
y  de  vos  han  de  aprender 
ganar  honra  mis  parientes. 
y  saldredes  a  mi  lade 
a  ferir  en  los  paganos, 
y  es  menester  buenas  manos 
que  hes  exercito  folguado: 

El  que  Ali  auenaxa  viene 
de  alarues  de  alen  del  mar, 
y  es  de  menester  lidiar 
como  home  que  valor  tiene. 

Bueluoos  Martin  avisar 
que  saldredes  a  mi  lado, 
teneuos  por  avisado 
y  entrad  comigo  a  gantar. 

K»»   ./  C.  y  Marun  P.laes  arroja  H  f,,,  y  ,„,„,  ,,  ,„„„,,,„,       ,,^^^ 

lo  que  ttene  en  el  suelo. 
^f-  P-  Cuidareis  Cid  campeador 

que  Martin  non  bos  entiede, 
pues  aunque  non  labla  ende 
bien  bos  entiende  senor. 

Que  en  mirar  vuestro  talante 
^'i  lo  que  me  reprochastes, 
y  entendi  lo  que  fablastes 
con  halaguero  semblante. 
Todes  la  mi  couardia 
vieron,  y  agora  yantando, 


estauan  de  mi  mofando 
non  hoi  si  non  cada  dia. 

Triste  amenguado  de  mi 
non  sera  bueno  maguer, 
que  supe  al  Cid  entender 
fazer  que  non  le  entendi. 

Y  entrar  me  a  gantar  con  el 
si  porque  esconder  la  fas, 

le  dara  mayor  soläs 

aunque  les  de  en  a  entender. 

Que  esta  vegada  fare 
tal  destro^o  en  los  paganos, 
con  boca,  con  pies,  y  manos 
que  al  mundo  satisfare. 

Y  en  desquite  de!  fuir 
juro  de  perder  la  vida, 

o  non  dar  a  home  ferida 
que  della  pueda  guarir. 

Mas  Martin  estais  en  bos 
bien  bos  ajudarä  el  cielo, 
ay  mal  home  que  en  el  suelo 
dexauas  la  fas  de  Dios. 

Vase  en  algando  el  pan,  y  salen  Aliauenaxa  caudillo  mayor  de    Valencia,  y 
Ali,  y  Zulema  caudillos  menores. 
Alia.  Del  passado  desbarate 

me  siento  con  tal  tristeza, 
que  non  cabra  en  mi  alegreza 
hasta  boluer  al  debate. 

Que  aun  rebano  de  cabrones 
que  a  unos  pocos  bateados, 
bolueis  espaldas  menguados 
mugeres  que  non  varones. 

Per  mi  Mahoma  faraoso 
que  del  tosigo  del  pecho, 
estoi  por  hazer  vn  hecho 
pera  siempre  memorioso. 

Y  es  mandaros  enforcar 
por  ser  infantes  alanos, 
muerte  vil  de  Castellanos 
que  viuen  de  tapinar. 

Mil  vezes  Ala  maldigas 
moros  que  dantre  las  manos 
consienten  q  los  Christianos 
Heuen  presas  sus  amigas. 

Que  quando  iueran  agenas 
a  vian  de  ser  defensadas, 
y  si  captiuas  compradas 


121 


con  la  sangre  de  su  venas, 

Capitanes  con  amores 
homes  de  sanos  consejos, 
mejores  pera  conejos 
que  non  para  ca9adores. 

Y  que  ante  min  parecistes 
mostradlo  que  conquistastes 
quales  joyas  me  ganastes 
que  captiuos  me  truxistes. 

q  estrenas  de  buena  andan^a 
me  venistis  a  pedir, 
venis  me  a  ensenar  a  huir 
que  es  onorosa  ensenanfa. 

Couardes  acobardados 
homes  baxos  homes  villes, 
toquessen  mis  anafiles 
y  yuntessen  mis  soldados. 

Que  si  Mahoma  me  dexa 
regir  vna  ora  los  mios, 
yo  har6  baxar  los  brios 
a  este  de  la  cruz  vermeja. 

Y  non  me  siguais  los  dos 
sin  que  las  moras  ganedes, 
que  si  otra  cosa  fazedes 
guai  de  vos,  y  guai  de  vos. 

Vase  el  caudillo,  y  quedan  Zidemai  Ali. 
Ali.  Guai  de  vos  y  guai  de  mi 

si  ante  el  caudillo  tornamos 
y  las  moras  non  ganamos : 
Zul.  como  puede  ser  Ali, 

Ganallas  a  los  Christianos 
aunq  mas  moros  sobre  ellos, 
fuessen  que  tienen  cabellos 
que  son  homes  soberanos  ? 
Ali.  Pues  boluer  acä  sin  ellas, 

ya  vedes  lo  ha  defendido, 
Anenaxa  endurecido: 
Zul.  pues  bolver  acä  con  ellas, 

Tengolo  por  inposible, 
sabes  lo  que  hemos  de  hazer, 
(Ali)  dexamos  prender 
desta  gente  aborrecible. 

Qui9ä  faziendolo  a  si 
los  fados  alifiaran, 
quedo  las  moras  estan 
nos  Heuen  a  ti  y  a  mi. 
Do  biueremos  con  ellas 


122 

y  el  tiempo  andando  podria, 
prestar  tu  suerte  y  la  tnia 
sazon  para  huir  con  ellas. 

Entremonos  ensellado 
mietras  se  ajütan  las  guestes, 
baxo  aquello  acipestes 
que  tienen  aquel  cercado. 

Y  quando  la  has  sa  guera 
venga  del  todo  a  romper, 
nos  dexaremos  prender 
de  los  de  la  delantera. 
Ali.  O  buen  aconsejador 

de  fecho  propio  y  ageno, 
es  el  consejo  tan  bueno 
que  no  puede  ser  mejor. 

Vanse  y    sueiia  algagara  de  moros ,  y  sale  el  Cid  y  sus  fidalgos  alboratados 
y  Martin  Pelaes  quitandose  del  bra^o  el  partes . 
Alb.  Enfrena,  Ber.  encilla,  Anto.  abrocha  esta  cora9a 

Sal.  mi  capacete?     Ord.  mi  paues.''     Cid.  mi  cscudo? 

Alb.  liga  bien  alarzon  estoque  y  ma^a, 

Ber.  Que  vn  fidalgo  Austuriano  tan  membrudo, 

fuya  de  vn  moro  triste  afeminado, 
por  ik.  de  bueno  que  lo  vi  y  lo  dudo. 
M.  Pel.      Senor  yo  boi  en  este  encubertado, 

y  entienda  matare  la  mitad  menos, 
si  llevo  estotro  tu  bra9o  enbara9ado. 
Que  entrambos  bra90s  son  sanos  y  buenos, 
ya  que  este  surdo,  el  cora^on  le  anima, 
corrido  den  lidiar  fechos  agenos. 
Veredes  hoi,  si  soi  home  de  estitna, 
veredes  hoi  (y  cada  dia  veredes) 
si  doi  a  fechos  hazanosos  sima. 
De  hüi  mas  fidalgos  no  me  afrontaredes, 
ni  me  catuniaredes  de  auer  visto, 
ligado  mi  troton,  tras  las  paredes. 
Atended,  atended,  auer  si  aquisto, 

el  onor,  que  perdido  os  tengo  el  vuestro 
con  que  coraje  aquesta  ves  le  envisto. 
Que  la  ofension  que  fizo  el  bra^o  diestro, 
al  dueno  que  le  enpina  tal  y  tanta 
le  ba  de  satisfazer  este  sinestro. 
Atended,  atended,  veredes  quanta, 

sangre  derrarao,  y  no  sea  yo  acorrido 
fasta  ver  que  me  llega  a  la  garganta. 
Non  quiero  ser  de  nadie  fauorido, 

quedaos  a  Dios  fidalgos  Castellanos, 
que  hoi   desonorado  y  acorrido. 


123 

Vase  Martin  Pelaes,  y  dize   Ordeno. 
Ord.  El  quiere  pelear  con  ambas  manos, 

lleuando  el  cuerpachin  fecho  terrero, 
de  ebu9os  y  saetas  de  paganos. 
Alb.  Non  es  tan  mandirä  que  diziros  quiero, 

que  baxo  el  suyo  Ueua  vna  cora^a 
de  foyas  dobles  de  templado  azero. 
Cid.  El  can  de  buena  ley,  de  bucna  ra^a, 

non  puede  desmentir  la  su  natura 
que  si  ayer  non  caso,  maiiana  cata. 
Los  homes  por  secretos  del  altura, 

muchas  vezes  se  animan  y  acobardan 
que  non  ba  en  ellos  la  desauentura. 
Y  con  tanto  los  moros  nos  aguardan, 
a  caualgar  fidalgos  mano  a  mano, 
mirad  que  ya  los  fiere  el  austuciaro 
y  homes  buenos  ningunos  le  resguardan, 

Vanse,  y  suena  rtiido  de  guerra  sale  vn  moro  hnyendo. 
Mor.  Por  quäl  guargero  infernal 

salio  monstro  tan  terrible, 

guarda  la  furia  inuencible 

nascida  por  nuestro  mal. 

Sälen  otros  dos  moros  hnyendo  de  Martin  Pelaes,  y  cercanle. 
M.  I.  Desde  fuera  le  tiremos 

chu^as,  dardos  y  saetas, 
M.  2.  cerque  mosse  de  carretas 

y  ansina  le  mataremos. 
M.  4.  No  ay  vereda  segura 

a  ebarcar  al  puerlo,  al  puerto, 

Sale  Martin  Pelaes  y  dale  con  la  porra  y  derribalo. 

AI.   P.         mas  cedo  llegaras  muerto 

a  la  triste  sombra  obscura. 
O  que  hermosa  porrada 

aquel  tarde  huiiä, 
M.  2.  por  aqui,  Mart.  mas  por  alla 

que  esta  vereda  es  vedada. 

hnlra  Martin  y  sale    tras  ellos  dädoles  y  ellas  huyen  y  dize  Martin  Pelaes. 
M.  P.  Que  traigo  yo  aqui  espias 

con  que  el  Camino  os  ahorro, 
esta  espada  y  este  porro 
y  las  fuer^as  de  Golias. 

Matasteme  el  rai  troton 
y  auedes  lo  de  pagar, 
que  non  bos  presta  gritar 
triste  ya  batida  nascion. 


124 


Non  fuyades  mala  andan9a 
me  venga  si  alla  boluedes, 
non  fujaes  que  non  diredes 
que  OS  hago  mal  amistan9a. 

Que  fuyendo  llegaredes, 
can9ados  y  desbalidos, 
y  yo  bos  dexo  adormidos 
donde  no  lo  sentiredes. 

Sälen  Zulema  y  Ali  rendiendo  las  espadas  a  Martin  Pelaes. 
Zul.  Dexa  q  quedemos  viuos 

onoroso  Castellano, 

lleua  pues  esta  en  tu  mano 

dos  capitanes  captiuos. 
M.  P.  Que  diablo  hazeis  soi  sancto 

para  que  os  ahinogais 

y  las  armas  me  entreguais 

ergueos  ende,  lidiad  vn  täto. 
Mas  ya  vuestra  maiia  se 

fazeis  de  los  amenguados, 

y  OS  poneis  agapachados 

para  cogerme  del  pie. 
Lleuantadbos  y  lidiad 

que  bos  quiero  adormecer, 

de  vna  espadada,  y  boluer 

adonde  el  buen  Cid  estä. 
Ali.  Castellano  baleroso 

buen  fidalgo  dole  bos, 

(por  Alä)  de  ambos  a  dos, 

que  bos  faga  bitorioso. 
M.  P.  Non  me  podreis  enpecer 

moriscos  lleuantadbos, 

que  pues  non  credes  en  Dios 

Dios  non  bos  ha  de  baier. 
Raposos  poneos  enhiestos 

non  cuideis  cansarme  ansi 

Sale7t   Ordono  y   Gon^alo. 
Ord.  Digouos  que  jaze  aqui 

de  9aga  destos  recuestos. 
Mirad  el  rastio  que  dexa 

de  muertos  por  donde  va 
Gon.  veis  lo  all  donde  estä 

quäl  Dios  Marte  me  semeja. 
Ord.  Martin,  Mar.  OrdoBo  y  GS^alo 

fidalgos  que  bos  parece, 

agora  non  desmerece, 

Martin  fartura  y  regalo. 


125 

Vno  y  otro  me  anenaza 
que  los  captiue  y  nö  quiero, 
sino  matallos  primero 
y  despues  sin  embara^a, 

Trataremos  del  partido 
aunque  es  cosa  fastidiosa, 
por  ser  la  primera  cosa 
q  homes  moros  me  hä  pedido. 

Amenazalos  y  dize. 
M.  P.  Matobos,  Ali.  a  fidalgo 

Zul.  Sensor  fidalgo  de  pres, 

Ord.  a  fe  que  por  esta  v§s 

eis  de  fazer  por  mi  algo. 

Que  bien  es  que  por  testigos 
de  vuestras  grandes  fa^anas, 
(tan  onorosas  y  estrafias)    . 
lleueis  vuestros  enemigos. 

Y  a  los  homes  mas  altiuos 
cuenten  y  a  los  mas  expertos, 
las  feridas  de  los  muertos 

los  ensombros  de  los  biuos. 
M.  P.  Pues  q  es  bie  destos  fagamos 

ya  que  bos  fago  mercedes? 
Gon.  que  al  buen  Cid  los  lleuedes 

Martin,  y  a  casa  boluamos. 
Venios  noble  fidalgo 

conusco  acä  por  mi  vida, 

que  ya  la  lid  es  vencida 

y  hemos  ganado  el  finalgo. 

Y  los  moros  de  Valencia 
quieren  endonalla  al  Cid, 
hostiguados  de  la  lid 

con  harto  buena  auenencia 
Ligaldos  con  vn  dogal 
y  echaldos  delante  nos, 
M.  P.         moriscos  lleuantadbos 

non  hajais  pauor  de  mal. 

Y  endere^ad  el  caminar 
do  tiene  el  Cid  su  alberguada 
non  fujais  que  abra  porrada 

y  vos  boluere  a  matar. 

Vanse  y  salen  el  Cid,  Albarfanes,    Bermiido  Albar  salbadores ,  Nuno  bustos, 
y  los  denias  y  dize  el  Cid. 
Cid.  Bien  sc  ha  fecho  la  fazienda 

ruego  yo  a  la  trinidad, 
que  se  nos  d6  la  ciudad 


120 


y  alarues  non  atienda. 
Que  ya  se  faze  de  mal 

ver  nueue  raeses  passados, 

y  estar  todos  albergados 

solos  en  el  arrabal. 
Alb.  Que  bos  dixo  el  faqui? 

Cid.  que  manana  en  aquel  dia, 

finca  Valencia  por  mia 

ruego  yo  a  Dios  que  sea  ansi, 
Que  dizedes  de  Martin 

que  semeyo  lo  que  fizo 

vna  entera  has  desfizo 

ya  non  ferirle  el  rocin, 
Semejo  que  desfiziera 

scgun  le  vi  los  denuedos, 

quatro  montes  de  robledos 

y  a  toda  la  gente  entera. 
Ber.  Buen  Cid  no  bi  cosa  ygual 

que  por  do  quier  que  lidiaua, 

todo  aquel  gentio  gritaua, 

guardala  furia  infernal. 
Alb.  Veisse  donde  vien  seuor 

con  Gon^alo  y  con  Ordoiio, 
Cid.  y  con  tan  buen  testimoSo 

que  non  puede  ser  mayor. 

Entra  Martin  Pelaes,   Ordoho  y   Gon^alo,  y  los  dos  moros  atados. 
M.  P.  Buen  Cid  estos  captiuados 

hazi  para  vos  senor, 

que  son  homes  de  valor 

aunque  jazen  mal  parados. 
Son  caudillos  estos  dos 

de  los  moros  de  Valencia, 

y  Ordono  fizo  auenencia 

que  bos  los  truxesse  a  bos. 
Cid.  Buen  fidalgo  yo  agradesco 

este  presente  ademas 

y  confiesso  que  de  hol  mas 

gantar  con  bos  non  meresco. 
M.  P.  Pues  que  dizis  de  ganar 

seiior  de  hambre  me  fino, 
Cid.  mandedes  le  dar  del  vino 

del  pan  le  mandedes  dar. 
M.  P.  Sacad  bien  para  a  los  dos 

que  pues  que  juntos  gStemos 

el  y  yo  gantar  tenemos, 
Cid.  ya  yo  no  ganto  con  bos. 

Yu  yo  Martin  non  meresco 


127 

gantar  con  bos  todo  el  ano 

tendreis  por  vuestro  el  escano 

y  como  tal  vos  le  offresco. 
Con  mis  sobrinos  entrad 

Martin,  pues  lo  merecedes, 
y  en  la  mesa  os  sentaredes, 
que  en  par  de  mi  mesa  estä. 
^"  ^-  Ya  cayo  en  la  razon  vuessa 

sin  duda  porque  fuya, 
me  honoraua  y  me  hazia 
que  me  pusiesse  a  su  mesa, 

Pues  o  en  ella  o  en  qualquiera 
fazed  me  dar  de  gantar, 
sinon  quereis  esperar 
aqua  de  hambre  me  muera. 

£f7ira  vn  Paje  y  dize. 
Paje.  Ambas  tablas  estan  prestas, 

^'d.  ea  fidalgos  hid  entrando 

Mar.  fincad  bos  aqui  rezando 

pues  teneis  la  manas  puestas, 

qua  yo  llegare  a  rogar 

al  Cid  mi  senor  por  vos, 

y  OS  fara  bien  a  los  dos 

y  bos  fara  desatar. 

Vase  Martin  Felaes,  y  sale  Lizara  y  Dalifa. 
Liz.  Digo  le  vide  Dalifa 

y  qua  es  homa  de  tal  talle, 
que  pone  pauor  miralle, 
fui  doblar  el  alcatifa, 
Y  agora  sali  y  leui, 
I^al.  como  viene  en  desonor, 

por  teuer  cobarde  amor 
tan  forsugo  le  escogi. 

Y  en  esto  de  amar  Lizara 
non  faze  contra  razon, 
amar  la  hembra  baron 
mal  fecho  y  de  mala  cara. 

Mas  como  es  el  tu  Christiano 
fermoso  (Lizaro  creo) 
te  parece  Martin  feo 
poder  de  Alä  soberano. 

Mi  Antelines  no  ay  dudar 
que  non  se  falla  en  den  mil, 
home  de  cuerpo  gentil 
que  se  le  pueda  ygualar. 
Non  son  Zulema  y  Ali? 


Ali 
Liz 


Dal 


128 


Zul.  non  son  Dalifa  y  Lizara? 

Ali.  mi  DaUfa,  Zul.  prenda  chara, 

Ali.  bede  aquien  el  alma  di. 

Zul.  Dexame  bezar  Lizara 

non  los  pies  mas  los  9apatas, 
Liz,  porque  maluado  non  catas 

la  verguen^a  de  mi  cara. 
Ali.  Dexad  Dalifa  hermosa 

que  ponga  mi  indigna  boca, 
do  tu  pi^  fermoso  toca, 
Dal.  fazienda  bien  alinosa. 

Ali.  Farad  mientes  cora9on 

que  poi  veniros  auer, 
mas  nos  dexamos  prender 
que  no  nos  prenderon  non. 
Dal.  Assi  es  bien  que  se  entienda, 

Liz.  dexa  que  per  ti  y  por  mi, 

quiero  yo  fablar  aqui 
pues  es  toda  una  fazienda. 
Dal.  Yo  te  doi  consentimiento, 

Liz.  pues  cobardes  amenguados, 

moros  desauenturados, 
tengais  triste  sinamiento. 
si  sois  vosotros  por  quien 
las  dos  captiuos  jazemos, 
que  nos  pedis  que  bos  demos 
lan^ada  mala  bos  den. 

Si  es  que  queredes  dizir 
en  el  vuestro  razonar, 
bos  boluames  a  destrar 
para  boluer  a  fuir. 

La  vuestra  primer  fuida 
nos  puso  donde  nos  vcdes, 
a  la  segunda  queredes 
que  finquemos  sin  la  vida. 
Fazed  moros  pauorosos 
que  en  soltädo  nos  las  manos 
cale  mas  a  los  Christianos 
bien  mas  que  vos  fa9anosos. 
Quel  fauor  dado  capliuas 
non  le  presta  a  los  captiuos, 
y  queremos  homes  biuos 
que  fazen  fazanas  biuas. 

Ya  nuestro  se  ha  cambiado 
en  mal  aborrecimiento, 
y  ya  haze  fincamento 
en  puerto  mejor  parado. 
Y  por  fablaros  berdad 


129 

ya  hemos  dado  el  cora9on, 
aquellos  que  duefios  son 
de  la  nuestra  voluntad. 

Si  captiuar  los  dexastes 
fazed  vos  tambien  soltar, 
y  boluednos  a  quitar 
a  los  que  nos  entregastes 

Aun  que  las  vuestros  fatigas 
a  los  Christianos  no  ofFende, 
que  mejor  sieruas  defienden 
que  los  moros  sus  amigas. 

Vanse   las  moras. 
Ali.  Alma  que  fazeis  en  mi, 

Zul.  cora9on  si  aueis  sintido, 

Säle  vn  Paje. 
Paje  Si  hä  sentido  ho  n5  ha  senlido 

entrense  los  dos  alli. 

Que  entra  el  Cid  en  Valecia 

y  se  ha  de  Ueuar  alla, 

el  auer  que  tiene  acä 
Ali.  paciecia  amigo,  Zul.  paciecia. 

Vanse  y    sale    el    Cid  y    los   demos   que  pudieren,  y   dos  moros  vieios  a  los 
lados  del  Cid,  al  son  de  atabales  y  instrumentos. 

Cid.  A  la  Trinidad  sagrada 

gracias  que  llego  esta  dia, 
gracias  a  Santa  Maria 
virgen  pura  consagrada. 

Y  a  san  Pedro  se  le  den 
gracias,  que  yo  se  las  fago, 
y  al  Apostol  Sanctiago 
y  a  san  Lazaro  tambien. 

De  hoi  mas  deseo  no  audaras 
cargado  sobre  mis  cuestas, 
ah  Valencia  que  me  cuestas 
en  nueue  meses  y  mas. 

Digo  de  penas  y  a  fanes 
que  sabe  Dios  si  algun  dia, 
que  te  cerque  non  tenia 
si  atan  solos  quatro  panes. 

Si  fago  derecho  en  ella 
dexcme  la  gozar  Dios, 
y  se  tuerto,  ruego  a  Dios 
que  cedo  buena  a  perdella. 

Moros  teneis  me  preplexo 
nn  pensamiento  ademas, 

Beiheft  zur  Zeilschr.  f.   rom    Phil.  XXV.  9 


I30 


como  venis  dos  no  mas 
a  fablar  por  vn  consejo. 
jaf.  No  OS  deueis  marauillar 

desso  marauilla  duos, 
que  aya  en  Valencia  dos 
moros  que  puedan  fablar. 
Na.  Y  aü  puedes  no  tener  duda 

que  si  de  tu  fe  faltaras, 
hol  manana  quando  entraras 
fallaras  la  cuidad  muda. 

Porque  tal  nos  ha  parado 
la  fome  dessa  forada, 
que  no  liay  cabe9a  al^ada 
ni  home  nihiesto  no  a  quedado. 

Y  ansi  daSos  non  esquiuos 
que  jantan  haja  dos  meses, 
los  cueros  de  los  paueses 
q  an  quedado  algunos  biuos. 

Mira  quäl  Valencia  estä 
que  los  que  acä  nos  embian, 
por  ensenas  nos  dezian 
que  veniessemos  acä. 
Jaf.  Enpurtunan9as  prolixas 

nos  for9aron  a  los  dos, 
aparecer  ante  vos 
y  el  amor  de  nuestras  fijas. 
Lizara  y  Dalifa,  Cid.  anfi, 
Jaf.  que  estauan  las  malfadadas, 

para  cazar  otorgadas 
con  Zulema  y  con  Ali. 

Primos  de  Jafadcudir 
vltimo  Rey  de  Valencia, 
Cid.  amigos  de  mi  presencia 

llorando  no  os  aueis  dir. 

Fatavos  alegre  cara 
sinon  partides  daqui, 
sin  Zulema  y  sin  Ali 
sin  Dalifa  y  sin  Lizara. 
Jaf.  A  senor  nuestro  a  seiior. 

Na.  Cid,  grande  respondedbos, 

por  la  anguslia  de  los  dos 
Cid  grande,  Cid  campeador. 
Cid.  Partibos  dende  los  moros 

non  pongais  mientes  en  al, 
curad  de  los  doloridos 
y  los  rauertos  soterrad. 

Dizid  a  los  acuitados 
y  a  los  acuitados  contad, 


quel  soberuioso  en  la  guerra 
es  vmildoso  en  la  pas. 
Poned  agucia  en  fazer 
que  me  vengan  a  fablar, 
porque  les  diga  mi  boca 
toda  Ja  mi  voluntad. 

Que  non  quiero  sus  faziedas 
ni  se  las  he  de  quitar, 
ni  para  mis  barraganes 
sus  figas  he  te  tomar. 

Que  yo  no  vso  mugeres 
si  non  la  mia  natural, 
que  en  san  Pedro  de  Cardeiia 
jaze  agora  a  mi  mandar, 

Y  mandobos  Albarfaues 
mi  buen  sobrino  leal, 
bais  por  ella  y  por  mis  fijas' 
mis  fijas  olro  que  tal. 

Lleuad  trinta  marcos  de  oro 
con  que  se  puedan  guisar, 
para  venir  a  Valencia 
a  la  ver  y  a  la  gozar. 

Lleuad  otros  tantos  de  plala 
para  san  Pedro  el  altar, 
y  entregaldos  a  don  Sancho 
que  ende  jaze  por  Abbad. 

Y  al  noble  Ray  don  Alfonso 
de  mi  parte  en  presentad, 
dozientos  cauallos  moros 
bien  guarnidos  a  mi  vsar. 

Ya  los  honrados  Judios 
Raquel  y  Judas  lleuad, 
trezientos  marcos  de  oro 
tanto  de  plata  y  no  mas. 

Que  me  endonarä  prestados 
quanto  me  parti  a  lidiar, 
sobre  dos  cofres  de  arena 
farto  donoso  emprestar. 

Y  dereisse  de  mi  parte 
que  me  quieran  perdonar, 
que  con  acuita  lo  fize 
tle  mi  gran  necessidad. 

Que  aunq  cuidan  es  arena 
Ja  que  en  los  cofres  esta, 
quedo  soterado  en  ella 
el  oro  de  mi  berdad. 

Pagualdes  la  logreria 
quL-l  16  ha  tenido  a  les  dar, 


del  tiempo  que  sus  aueres 

he  tenido  a  mi  mandar. 
Y  vos  Martin,  antolines 

la  hiredes  acompanar, 

y  las  mis  buenas  venturas 

a  mi  Xiraena  contar. 

Direisle  al  Rey  Don  Alfonso 

que  me  preste  el  su  juglar, 

porque  a  Ximena  festeje 

con  SU  taiier  y  cantar. 

Sus  dos  yernos  sus  dos  fijas 

a  estos  moros  entregad, 

y  dos  mil  marauedis 

para  ajuda  a  su  casar. 
Jaf.  Galardoneos  el  cielo, 

Na.  de  vos  larga  vida  Alä, 

y  el  cresca  vuestros  plazeres 

bien  como  crescendo  van. 

Vanse  todos. 

Segunda   Jornada. 

Säle   el  Cid   haziendo   audiencia   a   los  moros  de  Valencia  sientase  en  su  silla 

y  los  moros  en  el  siielo,  y  han  de  ser  los  que  pitdieren. 

Cid.  Lunes  y  luebes  por  el  auenencia 

que  fize  con  bos  moros  sei  tenudo, 
de  fazeros  justicia  en  el  audiencia. 

El  buen  senor  si  non  es  mal  sesudo, 
ardides  que  non  faze  se  enpenada, 
si  la  tal  fe  en  razon  darsela  puedo. 

Voluedes  me  a  pedir  otra  veguada, 
que  la  tierras  y  casas  que  ganaron, 
mis  homes  por  la  lan9a  y  por  la  espada: 

Primero  que  las  pazes  se  Juntaron, 
bos  las  faga  boluer  y  reste  tuya, 
en  moneda  el  auer  que  bos  costaron. 

De  la  verdad  cuidad,  que  yo  non  fuya 

que  al  que  della  se  aredra,  Dios  condena, 
aquella  moros  es  fazienda  suya. 

Si  mi  palaura  liga  o  enca  deua, 

promesa  r.lguna  que  ende  contra  fagua 
non  puedo  yo  testar  de  cosa  agena: 

Nin  mi  palaura  ni  mi  onor  es  tragua 
si  fazer  non  la  pude  non  complilla, 
ni  ay  home  aqien  lo  tal  non  satisfagua: 

Antes  mi  onor  estragua  y  amanzilla, 
el  otorgar  que  moros  tan  villanos 
contraten  con  fidalgos  de  Castilla. 


133 


Quantas  vezes  (pregunto)  a  mis  Christianos 
faziendo  cimenteras  los  dexeron, 
tollidos  y  mal   trechas  vuestras  manos. 

Quantas  y  quantas  vistes  que  sembraron, 
entre  linaxa,  entre  panizo  y  trigo, 
sangre  que  de  vuestros  chu90s  derramaron. 

Y  quantos  fueron,  (yo  soi  buen  testigo) 
los  que  entre  las  taleguas  y  el  arado, 
matö  vuestro  rigor  fiero  enemigo. 

Pues  si  sangre,  si  heridas  han  costado, 
a  mis  fidalgos  justos  possehedores, 
hende  los  tales  fechos  bien  guisado: 

Tiradbos  dende  hoi  mas  demandadores, 
Ali.  los  alcaide  de  Nia  y  de  juella, 

y  de  segorue  los  procuradores. 

Dan  sobre  vn  mismo  hecho  vna  querella, 
junto  con  los  de  liria  y  Almenara 
moluiedro  Albarazin  entran  en  ella. 

En  que  dizen  (senor)  ques  cosa  clara 
se  les  haze  crecido  agrauamiento, 
si  en  vuestra  non  se  le  repara. 

Quando  fizieron  capitulamiento, 

y  con  vos  amistades  las  primeras, 
por  dar  se  asi  seguro,  a  vos  contento; 

Y  que  non  molestasses  sus  fronteras, 
dendonaros  sus  parias  os  tratarön, 
por  cartas  de  notarios  valederas. 

Complieronlas,  las  parias,  os  paguaron, 
y  por  vos  aun  Christiane  que  tenia, 
cada  lugar  al  quäl  le  seSalaron. 
De  soldada  (buen  Cid)  por  cada  vn  dia 
los  tres  marauedis  que  vos  mandastes, 
Cid.  si  ende  el  fidalgo  lal,  cauallo  auia. 

Lo  sustancioso  aqui  vos  oluidastes, 
porque  si  el  tal  cauallo  non  obiera 
a  dos  marauedis  los  obligastes. 
Porque  cobrasse  y  porque  sustubiera, 
la  SU  persona  como  Castellano, 
y  algun  algo  ahorrase  y  conqueriera. 
Ali.  Es  muy  buena  verdad,  Cid.  es  claro  y  llano 

Ali.  dizen  por  sus  consejos  que  no  tienen, 

ya  porque  sostentar  el  tal  Christiano, 
Que  a  los  almoxarifes  aquien  vienen, 
y  aquien  acuden  con  las  pecherias, 
les  denocia  soldada  y  los  mantienen. 
Cid.  Fazed  se  bueluan  a  sus  alcaidias, 

y  den  en  adelante  non  sustente 
si  a  los  que  acuden  con  sus  renterias. 


134 


Säle  Zuktna  al  quäl  irae  n  sido  Martin  Pflars  por  los  cahe^ones 
M.  Pel.      Digo  que  bos  mentis  y  todos  mienten, 

que  yo  non  do  passadas  por  la  calle, 
que  los  vezinos  con  razon  mal  cuenten. 
Y  que  si  entrades  vil  moro  a  fablalle, 
vos  tengo  de  ferir  por  lo  garganta, 
bien  antes  que  acabedes  de  informalle. 
Cid.  Quien  jaze  aqui  con  furia  tal  y  tanta? 

Suelta  Martin  Pelaes  a  Zulema. 
Zul.  Este  Martin  que  nunca  le  tubieras, 

este  vestiglo  que  la  gente  espanta. 
Este  con  quien  las  duenas  parideras, 

a  sus  fijos  (si  lloran)  enmudecen, 

nombrandole  de  burlas  o  de  veras. 

Este  lidalgo  senor 
que  mira  la  mi  muger, 
con  ojos  de  mal  fazer 
y  agucia  mi  desonor, 

Y  si  en  la  mesquita  jaze 
alli  finca  y  jaze  alli, 

mil  vefas  al  alfaqui 

y  a  mil  vefas  me  haze. 

Y  porque  le  he  amenazado 
con  bos,  es  su  furia  tanta, 
que  jura  que  en  mi  garganta 
ha  de  fincar  su  tercado. 

Cid.  Co  quie  puedes  fazer  prueua 

moro  de  tu  mal  sinestro? 
Zul.  con  otro  fidalgo  vuestro 

senor  que  consigo  lleua. 
(Scnor)  antolines  es 

el  que  viene  nora  buena, 

con  la  seiiora  Ximena 

y  Giros  moros  dos  o  tres. 
M.   P.  Si  el  dia  que  vos  cogi 

los  guargeros  os  cortara, 

non  casareis  con  Lizara 

nin  vinierades  aqui. 
Cid.  Tu  ficiste  en  tu  loor 

fa9afta  bien  abatida 

si  le  endonaste  la  vida 

para  tiralle  su  onor 

Partidbos  dende  Zulema 

que  yo  bos  far6  derecho, 
M.  P.         yo  bos  dexard  conlrecho 

si  non  desgasto  mi  flema. 
Cid.  Non  porque  asi  repiehender 


135 

bien  a  lo  que  repetio, 
Zulema,  soi  ombre  yo 
que  lo  tal  he  de  crer, 

Que  sera  contra  razon 
cuidar  que  fembras  queredes 
pues  aun  a  penas  auedes 
salido  del  casquaron, 

Pollastro  rapas  menguado 
con  moras  quereis  peccar, 
bien  bos  podria  redundar 
faceros  engerisado. 

Non  sabedes  que  lo  ariedra 
nuestra  ley  so  graues  penas, 
son  estas  fa^anas  buenas 
repeti  home  de  piedra? 

Vuestras  mentes  aredrä 
de  cosa  tan  mal  guisada, 
guardabos  que  otra  vegada 
non  buelua  Zulema  acä. 

Que  vos  far6,  Paje,  mi  seiior 
mis  estrenas  me  ordenad, 
q  jaze  ya  en  la  ciudad, 
vuestra  Xiraena,  Cid.  el  mi  amor 

A  llegado?     Paje.     si  seiior 
Cid.  gracias  al  beruo  vmanado, 

Dios  y  hombre  encarnado 
mi  Dios  y  mi  redentor. 

Non  quede  ninguno  acä 
sigan  todos  tras  mi  ensena, 
M.  P.         por  san  Pedro  de  Cardena 
que  estoi  por  non  ir  allä. 

Vanse  y  sahn  los  moriscos  con  täbelejos  en  las  einlas  grltando  y  derramando 
juncia  y  narangas  delatite  y  cantan, 

Vengades  en  ora  buena, 
senora  Ximena. 

En  ora  buena  vengades 
y  por  cieruos  nos  tengades, 
que  pues  vos  nos  visitades 
non  tcnemos  mala  estrena, 
vengades  en  ora  buena 
senora  Ximena. 

Repitelo  al^unas  vezes  holuiendo  a  su  algagara,  y  tras  esto  entra  el  Cid  y 
Ximena  de  la  rnano  y  sus  hijas  cercado  de  los  ßdalgos  y  delante  el  Juglar 
tanendo  el  Conde   claros,  y   sientanse    todos  y  dize  el  Cid  despues  de  sentado 

cdbe  Ximena. 

Cid.  Es  todo  para  vos  Ximena  mia, 

es  todo  para  vos  la  mi  Ximena, 


I3Ö 


y  rara  esta  guanida  compania. 

Vengades  vos  mil  vezes  nora  buena, 
endoname  otro  abra^o  dona  Eluira. 
y  vos  doBa  Sol  con  fas  serena. 

En  cosa  no  podreis  poner  la  mira, 

que  no  sea  fruito  de  mis  bien  andan^as, 
quando  se  aluengua  o  qiiando  se  retira. 

Y  con  estas  y  mas  auenturan^as, 

no  pudiera  viuir  vuestro  Rodrigo, 

si  pudiera  olvidar  vuestras  membran^as, 

Quereis  vos  solazar  aqui  comigo, 

o  quereis  descan9ar  finquais  causadas? 
Ximen.  non  mi  seiior  el  ml  solas  y  abrigo. 

Cansada  me  senli  muchas  vegadas, 

de  imaginaruos,  (bien  y  agrado  mio) 
entre  dardos  alarues,  y  entre  espadas. 
Eluira.        Pues  yo  senor  Maguer  quäl  faze  el  rio, 
a  las  mas  lueiias  tierras  caminara, 
por  veros  sin  cansarme,  Sol.  pues  yo  fio. 

Que  si  los  pies  descal^os  caminara, 

de  San  Pedro  a  Valencia  que  en  vndia, 
veniendo  por  vos  ver  non  me  cansara. 
Cid.  Alcanceos  fijas  la  bendicion  mia, 

y  la  de  Dios  ter  no  bos  alcance, 
a  si  quäl  los  mis  fechos  rige  y  guia. 

Cantedes  el  juglar  de  buen  romance, 
alguna  troba  nueba  bien  guisada 
de  amor  vn  chiste,  o  de  lidiar  vn  lance. 

El  Juglar  tocando  el  Conde  claros  dize  de  repente. 
Jugl.  Si  estades  Cid  escuchando 

repetiruos  he  vn  cantar, 

de  amor,  que  plugo  trouar 

al  iufante  don  Fernando. 

Y  por  vuestra  bien  querecia 

hoid  dizir  mi  cantar, 

que  Dios  bos  dexe  gozar 

esta  ciudad  de  Valencia. 
Ya  vuestra  doiia  Ximena 

sin  poner  mientes  en  al, 

las  fijas  otro  que  tal 

y  OS  lo  otorge  sante  Elena. 
Cid.  Ficiste  de  tu  denuedo 

essas  trobas?     Jugl.  si  senor, 

y  vos  fare  otras  mejor 

que  ende  se  fazerlo  puedo. 
Cid.  Dalde  seis  marauedis 

y  mi  aljuba  de  contray, 


137 


Jugl.  donde  estos  fidalgos  ay 

non  los  hai  de  aqui  a  Paris. 

Darauos  solas  que  cante 
el  cantar  que  bos  fable? 

Cid.  repitelo,  Xime.  si  que  fue 

gran  trobador  el  infante. 

Cid.  El  buen  Rey  rae  lo  erabiö 

porque  con  lo  que  cantase, 
ende  a  vos  os  festejasse 
y  me  festejasse  yo. 

Canta  el  jfuglar. 

Aluerto  es  bido  a  ca9a 
a  los  montes  de  Leone 
rauia  le  maten  los  perros 
Aguilas  el  su  falcone 

Por  los  mas  soberuios  mptes 
le  araslre  el  su  trotone 
y  antes  que  de  ca^a  buelua 
para  gozar  el  ini  amore. 

Lan^ada  de  moro  esquierdo 
le  atrauies-e  el  cora^one. 
Xim.  Grande  enemiga  tenia 

esta  duena  a  su  velado, 
Cid.  el  cantares  bien  trovado 

mi  fe  ya  Ximena  mia. 

No  ay  que  vos  marauillar 
que  lengua  y  trouas  barrunto 
que  mas  subidas  de  punto 
en  ya  mas  podran  estar. 

Pues  non  auia  cuido  yo 
el  infante  don  Fernando 
bie  llenos  viente  aSos  quädo 
la  troba  que  veis  trobo. 
M.  P.  Si  viente  aflos  non  auia 

senor  al  vuestro  sentir, 
y  non  folgar  mas  doimir 
con  Miraluica  queria. 

Paraque  me  saheristes 
hablar,  con  fenbras  a  mi, 
y  me  afrontasles  aqui 
ende  buen  Cid  malficistes. 
Cid.  Non  es  para  esta  sazon 

la  tal  fabla  calladbos, 
fincad  en  agradar  a  Dios 
que  vos  darä  el  galardon. 

Säle  vn  vn  Paje  alborotado, 
Paje.  Senor  de  fazia  la  mar 


138 


tantos  moros  sobreuienen, 

que  ni  cuento  ni  partienen 
Cid.  non  bos  querais  acuitar. 

Mandad  al  vuestro  corafon 

vos  buelua  el  color  fermoso, 

y  non  este  temeroso 

que  si  tantos  moros  son. 

Que  cuento  ni  par  no  han 

mis  fidalgos  y  escuderos, 

son  tan  buenos  caualleros 

que  cedo  los  contaran. 

Non  bos  cause  sobreueuta 

ved  que  tenedes  al  lado, 

Ximena  al  vuestro  velado 

no  le  echedes  en  afrenta. 
Xim.  Mi  buen  senor  sabe  Dios 

que  si  el  color  le  fuyo, 

no  el  temor  lo  causö 

si  no  el  amaros  a  vos. 

Que  aunq  se  el  vuestro  balor 

de  tantas  vegadas  vna, 

temo  le  vltrage  fortuna 

y  veniros  a  perder. 
Cid.  Y  bos  non  podeis  fablar, 

EIu.  seiior  que  fablar  podemos, 

y  ningun  pauor  auemos 

temiendo  el  vuestro  agrauiar. 
Antes  senor  vos  rogamos 

se  viene  al  vuestro  plazer, 

que  nos  queredes  poner 

donde  los  moros  veamos. 
Cid.  Pues  en  la  torre  mayor 

que  algunas  finestas  tiene, 

alli  estareis  que  conuiene 

hazia  donde  el  mi  amor. 

AI  entrar  se  vno  de  los  fidalgos  habla  al  hoido  al  Cid. 
Cid.  Pues  sea  muy  nora  buena 

non  me  tenia  de  folgar, 
salid  a  escaramu9ar 
por  el  gusto  de  Ximena. 

Vanse  Ximena  y  sus  hij'as  y  quedan  los  fidalgos  solos. 

M.  P.  Mirad  Albar  saluadores 

menos  hemos  de  Ueuar, 
porque  al  escaramu^ar 
mas  [m]enos,  son  mas  mejores. 
Cieto  es  muy  buena  manada 


139 


y  otras  tantas  rccagadas, 
en  las  guerras  entramadas 
se  quedaran  en  celada. 

Y  quando  trauada  este 
fingiremos  el  fuir, 

Ber.  non  lo  solias  vos  fingir 

M.  P.         que  ya  el  miedo  Ic  me  fue. 
En  este  tiempo  chuflais 

buen  bagar  teneis  por  Dios, 

guardaos  non  fuyades  vos 

y  ende  lo  que  yo  fagais. 
DigouGs  que  la  anagaza 

se  faga  desta  maner[a], 

la  manada  de  lantera 

lo  ha  de  sacar  a  la  pla9a, 

Y  despues  fazerla  rueda 
los  encellados  y  nos, 

y  non  quedara  por  Dios 
quie  lleuar  las  nueuas  pueda. 
De  los  que  muy  auidiosos 
vinieron  por  nos  danar, 
Ant.  sesudo  es  su  razonar 

ea  fidalgos  fa9anosos. 

Vanse  y  salo  el  Cid  a  lo  alto  y  dona  Xiviena  y  sus  hijas. 

Xim.  Ai  que  crecida  algazara 

dellos  vienen  contra  nos, 
Cid.  pues  con  el  fauor  de  Dios 

la  fara  [m]enor  mi  espada. 
Porque  estos  al  mi  cuidar 

por  el  bien  que  los  queremos, 

an  sabido  que  tenemos 

dos  fijas  para  casar. 

Y  el  mi  menester  tambien 
y  anjuntado  sus  faziendas, 
porque  finqucn  en  las  tiedas 
do  por  dote  se  las  den. 

Elv.  Elo  elo  por  do  viene 

el  moro  por  la  cal^ada, 
Borzeguies  marro  qui  es 
espora  de  oro  cal^ada. 

Veis  padre  donde  se  apea 
de  la  su  jegua  a  lazana, 
por  ver  que  passar  non  puede 
el  tremedal  de  la  cana. 

Y  con  la  lan9a  en  la  mano 
y  ante  los  pechos  la  adarga, 


140 


viene  mirando  a  Valencia 
como  estä  tambien  cercada. 

Entra  el  moro  como  lo  ha  pintado  Eluira  y  dize. 
Mor.  O  Valencia  o  Valencia 

de  mal  fuego  seas  quemada, 
primero  fuiste  de  moros 
que  de  Christianos  ganada. 

Si  la  lan^a  no  me  miente 
y  la  yegua  no  me  cansa, 
antes  que  vengua  la  noche 
de  moros  seras  tornada. 

Y  a  esse  perro  del  Cid 
prenderele  por  la  barba, 
SU  muger  Ximena  gomes 
serä  de  mi  captiuada, 

Y  SU  iija  doila  Eluira 
seria  mi  namorada 

y  dona  sol  la  pequena 
essa  nos  fara  la  cama. 
Cid.  Pues  que  tenedes  mis  fijas 

las  aljubas  de  las  pascoas, 
a  esse  moro  que  aqui  biene 
detenemelo  en  palauras. 

Las  palauras  sean  locas 
ya  que  has  de  amor  tocadas, 
mientras  en  sillo  abauie9a 
y  me  cino  la  mi  espada. 

Vase  el  Cid. 
Elu.  Bien  seas  venido  el  moro 

buena  sea  tu  llegada, 
Mor.  Alfl  vos  guarde  senora 

Mahoma  sea  en  vuestra  guarda. 
Elu.  Siete  anos  auia  siete 

que  sei  la  tu  enamorada, 
Mor.  otros  tantos  ha  senora 

que  por  vos  me  cino  espada. 
Elu.  Vayaste  el  moro  de  hay 

non  digas  que  te  fui  falsa, 

que  mi  padre  el  Cid  Ruy  dias 

hoi  a  encillado,  hoi  caualga. 
Mor.  Non  bos  de  pena  senora 

non  bos  de  pena  mi  alma, 

que  se  bien  corre  bauie9a 

mi  yegua  buelua  sin  alas. 

Y  pues  que  ya  de  Valencia 
he  catado  las  murallas, 


141 

boluerme  quiero  a  los  mios 

non  me  buelua  mala  andä9a. 
^°^'  Ya  sube  el  moro  en  su  yegua, 

Elu.  ya  sale  padre  de  casa, 

Xim.  ya  fuje  el  acobardado 

ya  fuje  que  non  aguarda. 
Sei.  Donde  pone  el  pie  la  yegua 

Elv.  bauie^a  pone  la  planta, 

Sale  el  Cid  con  langa  y  adargua. 
Cid.  Atendedeme  mi  yerno 

oyades  me  vna  palaura, 
oya  que  non  me  aguardades 
recogedeme  alla  esta  lan^a. 

Mal  obiesse  cauallero 

que  sin  espuelas  caualga, 

Xim.  y  bien  obiessen  los  ojos 

que  mirassen  vuestras  canas. 

Honor  pres  y  valentia 
de  la  nascion  Castellana, 
salid  acä  mi  seiicr 
dexedes  folgar  las  armas. 

Que  tienen  ya  nue^sos  homes 
la  escaramuca  trauada, 
Cid.  ya  subo  la  mi  senora 

venturado  el  que  bos  ama. 
y  de  vuestro  amor  que  goza 
y  de  la  vuestra  compana. 

Entrase  y  sube  a  lo  alto  y  suena  ruzdo  dentro  de  escaramuca. 
Xim.  Los  cavallos  sin  senores 

que  de  la  priesa  se  aredran, 

mal  los  Africanos  medran 

con  nuestro  Albar  salbadores. 
Cid.  Si  mas  muy  cebado  en  ellos 

va  muy  dentro  y  me  da  pena 

mirad  a  Martin  (Ximena) 

la  ri^a  que  haze  en  ellos. 
^°^-  Veiste  por  donde  viene 

con  vn  moro  so  el  brafo. 

Sale  Martin  Pelaes  con  vn  moro  debaxo  del  bra^o. 
Cid.  pesa  mucho?     M.  q  esta  flaco 

poca  carne  es  la  que  ticne. 
despeSad  vna  soga  aqui 
ireuos  trayendo  ouejas, 
mas  mirad  que  las  peleja 
ande  fincar  para  mi. 


142 

Este  do  a  vuestra  Ximena 

non  fagades  Cid  mandar, 

que  tanana  retirar 

fasta  hazir  vna  dozena. 
Cid.  Entralde  fasta  el  patin 

y  al  alcalde  lo  entregad, 

y  non  boluades  alla 

que  ba  el  sol  baxo  Martin. 
Baste,  baste,  lo  lidiado 

soldados  a  recoger, 

contaldos  (Martin)  por  ver 

si  algunos  nos  an  menguado. 
M.  P.  Viente  diezes  fueran  ellos 

y  otros  tantos  bolueran, 

(mi  seSor)  que  non  an 

menguado  ninguno  dellos. 
Cid.  Bueno  sera  decender 

porque  podrais  descansar, 

quel  sol  se  moja  en  el  mar 

y  viene  el  anochecer. 

Quüase  el  Cid  de    lo  alto  salen  todos  lo   que  pudieren    menos  Martin  Pelaes 
y  Albar  salbadores. 

Bei.  Perdiose  de  persumido 

y  mal  sesudo  por  Dios, 

que  culpa  tenemos  nos 

pues  ninguno  non  le  vido. 
Ord.  Quiso  fazer  lo^ania 

porque  Ximena  lo  viesse, 

que  muclio  que  se  perdiesse 

donde  tanto  moro  auia. 
M.  P.  Pues  que  es  esto  lidiadores? 

Alb.  que  por  ser  vos  descuidado, 

nos  han  muerto  o  captiuado 

al  buen  Albar  salbadores. 
M.  P.  Muerto  non  puede  ser  cierto 

que  yo  esculque  por  el  llano, 

se  auia  muerto  algü  Cristiano 

y  non  bi  ninguno  muerto. 
Mas  si  captiuado  eslä 

ay  mas  que  boluer  por  el, 

por  san  Pedro  que  sin  el 

non  he  de  boluer  acä. 
Ber.  Donde  queredes  boluer, 

Martin  ya  sedes  insano? 
M.  P.         non  me  tendre  por  Cristiano 

si  le  dexo  de  traer. 
Ant.  Tened  Marlin  non  boluades, 


143 


Säle  el  Cid  solo. 
Cid.  que  es  mis  fidalgos  horados? 

Aba.  boluer  harto  auergon^ados, 

donde  vos  senor  estades, 

dexando  cuido  que  en  fierros 

a  Albar  salbadores  puesto, 
M.  P.         digo  que  voluere  presto, 
Ab.  f.        entre  encarni9ados  perros. 
M.  P,  Ea  tanto  que  el  cozinar 

se  aliiia  para  la  cena, 
Ab.  f.        esta  sandes  no  es  muy  buena, 

que  quiere  por  el  tornar. 
M.  P.  Por  daruos  a  vos  solas 

y  sentir  vuestro  reproche, 
Cid.  folgad  Mariin  esta  röche 

que  manana  ay  tiempo  assas. 
Non  mires  en  pundonores 

ques  azonobio  mejor. 

y  plazera  al  vedor 

de  guardar  a  salbadores. 
Y  entremonos  a  cenar 

que  deueis  de  tener  gana, 

mas  mirad  que  en  la  manana 

OS  teneis  de  confessar. 
Porque  soi  determinado 

si  al  Rey  Funes  le  pluguiere, 

batallar,  y  el  que  muriere 

finque  biuo  si  es  saluado. 

Vanse  y  salen  el  Rey  Funes  y  otros  y  dtze  el  Rey. 
Fun.  De  a  viente  mil  lidiadores 

de  a  troton  orden  aredes, 
qualro  hazes,  y  pondredes, 
de  los  alances  mejores. 

Vna  que  la  guardia  faga 
del  atrazado  bagaje, 
bariagane  y  peonnje 
que  queda  en  la  recagada. 

De  los  moros  alezados 
fazed  otras  qualro  bie  fechas 
que  con  nublados  de  flechas 
sobre  salgan  por  los  lados. 

De  los  moros  que  batallaii 
con  dardos,  venablos,  chu9o[s], 
lan^as,  cotas  y  gorgu9os 
y  gritan  donde  se  hallau, 

Fazed  otras  qualro  algaradas 
y  otras  qualro  sobre  puestas, 


144 


de  los  que  tiran  ballestas 
y  visaimas  enhasladas. 

Aunque  no  es  ta  sandio  el  Cid 
que  cuide  su  inadueitencia, 
de  defender  hoi  Valencia 
sea  por  fuer9a  o  por  lid. 

Porque  si  los  mis  gentios 
los  mios  enpoderan, 
ansi  selos  sorueran 
como  el  mar  sorue  los  rios. 
Dexad  q  mil  mandaderos 
nos  farä,  que  mas  contentos, 
mudemos  los  pensamientos 
q  hoi  en  todo  el  dia  le  espero. 
Mor.  Veis  senor  adonde  viene 

bien  asi  como  alordido, 
pasmado  y  descolorido 
como  home  q  grä  mal  tiene. 
Fun.  Sin  duda  deuio  de  dar 

el  Cid  en  la  mi  enbaxada, 
respuesta  desmesurada 
y  cudale  de  matar. 
Men.  No  puso  mi  cora^oo 

ni  el  mi  rostro  puso  ansi, 
temor  que  le  tenga  a  si 
ni  a  quantos  conligo  sod. 

Porque  mis  ojos  a  penas 
vieron  al  Cid  campeador, 
quando  se  me  he  16  seiior 
la  sangre  dentro  en  las  venas. 

Las  razones  me  faltauan 
y  quede  como  atordido, 
perdid  a  fabla  y  sentido 
y  aun  mis  ojos  se  turbaron. 
El  quäl  non  de  mala  gana 
I  so9egado  me  escuchö, 

y  luego  me  respondiö 
que  lunes  por  la  mauana. 

Veras  lograr  su  esperan9a 
quando  la  Haue  te  traya, 
don  Albarfanes  minaja 
en  la  punta  de  la  lan^a. 

Esta  respuesta  me  dio 
vien  como  quien  escarnece, 
Fun.  tanto  el  animo  me  crece 

quando  el  tugo  se  menguö. 

NS  mas  soberuias  respuestas 
a  los  armas  maguer  muera 


U5 


fazed  que  ginia  la  tierra 

que  OS  tiene  sobre  suscucstas. 

Vanse  y  salen  el  Cid  y  doha  Ximena  y  sus  hijas. 

Cid.  La  Uli  Ximena  el  mi  amor 

quereis  estas  donde  estades, 

porque  a  los  moros  veades 

desde  la  yglesia  mayor. 
Xim.  Ende  serä  nuestra  estan^a 

rogando  a  la  virgen  pia, 

vos  fauoresca  este  dia 

en  fecho  tan  de  importancia. 
Ein.  Non  vos  acuitedes  madre 

que  si  a  mi  dado  me  fuera, 

yo  bos  juro  que  ende  fuera 

escudero  de  mi  padre. 
Sol.  Mucho  Eluira  os  promete 

sefior  mio  yo  non  dudo, 

que  vos  lleuase  el  escudo 

y  aun  vos  lleuase  el  amete. 
Xim.  Yo  si  fuera  bos  lleuara 

(crisol  de  buenas  fa^aiias) 

escondido  en  mis  entranas 

porque  nadie  os  ofensara. 
Cid.  Soläs  de  mis  luengos  dias 

fincad  contenta  y  cuidä, 

que  nadie  me  offenderä 

porque  os  Ueuo  yo  en  las  mias. 

Y  con  tanto  a  Dios,  a  Dios. 

Säle  Martin  Pelaes  con  vn  porra  capacete  y  espada  y  dize. 

M.  P.  Que  diablos  fazeis  ahi, 

que  ya  son  todos  aqui 
aguardandouos  a  vos. 

Y  non  para  que  lidieis. 
sino  que  para  escarmiento, 
destos  moriscos  sin  cuenlo 
a  muerte  los  condenais. 

Non  hajais  pauor  en  al 

Ximena,  Sol.  nö  lloreis  madre, 

Marlin  cuidad  de  mi  padre 

non  pongais  mentes  en  al. 
Xim.  Lleuades  libros  las  dos 

para  fazer  rogatibas? 
Ela.  si  madre,  Xim.  mil  aRos  biuas 

Sol.  y  yo  täbie,  Xi.  guardate  Dios. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.     XXV.  jO 


146 

Todos  se  van  y  suena  de  defttro  7-tiido  y  dizen  de  dentro. 
AI  cerro  al  cerro  que  llega, 
guarda  a  encötrarnos  no  acierte, 
la  guadana  de  la  muerte 
que  vidas  a  moriscos  ciega. 

Säle  vn  tnoro  huyendo. 
Mor.  Guarda  la  fiera  sabuessos 

que  lleua  por  las  montanas, 
las  viias  llenas  dentraSas 
y  el  vientre  Ueno  de  guessos. 

Säle  Martin  Pelaes  todo  Ueno  de  saetas  en  buelto  en  algimos  moros  que  httyen 
y  el  tras  dellos  dandoles  con  vna  porra. 
M.  P.  Dale  quedaras  pagano 

hide  can  maluado  perro, 
que  soi  vna  torre  de  hierro 
y  el  tu  tirar  es  enbano. 

Säle  vn  moro  huyendo  y  dale  Marlin  Pelaes  vna  porrada. 
Mor.  Guarda  el  sangriento  Leon 

guarda  que  los  lobos  vienen, 
M.  P.         cuido  que  estos  moros  liene 
las  cholles  de  requeson, 

Y  de  papellas  celadas 
y  las  corazas  tambien, 
que  amala  ves  que  le  den 
fincan  fechos  retilladas. 

Porradas  descomuiiales 
he  dado  juro  a  mi  vida, 
ya  la  Cid  va  de  vencida 
pues  cesan  los  atabales. 

Mas  con  todo  no  conuiene 
dexas  folgar  las  visarmas, 

Vase  y  sale  el  Rey  Fiines  herido  y  aroj'a  la  espada  en  el  suelo. 
Fun.  que  prestau  las  buenas  armas 

aquien  Ventura  no  tiene. 

Entre  gentes  enemigas 
la  mi  tizona  quedais, 
que  me  parece  pezais 
el  pezo  de  mis  fatigas. 

De  Mahoma  dereniego 
mil  vezes,  pocas  son  mil, 
vn  millon  profeta  vil 
subime  de  Juso  luego. 

Denrae  mi  yegua  parida 
que  pues  dexo  el  porto  alla, 
sin  espuelas  bolara 


147 

y  me  escapara  la  vida. 

O  Bucar  fijo  querido 
vuestros  bra9os  que  fizieran, 
quando  vuestros  ojos  vieran 
al  viejo  padre  ferido. 

Fase  y  sale    el  Cid   con    la    espada   en    la  mano  y  ve  la  del  Rey  en  et  suelo. 
^i*^-  Aguardame  vna  veguada 

Rey  Funes  buelue  a  lidiar, 
a  pie  te  vengo  a  buscar 
aqui  dexö  la  su  espada. 

Esta  llamad  es  tizona 
non  la  vi  mejor  a  fe, 
des  que  acolada  gane 
al  Conde  de  Barcelona. 

Saleft  Albarfane  y  los  demas  menos  Martin  Pelaes. 
Alb.  Bolued  presto  a  caualgar 

non  esteis  ansi  por  Dios, 
Cid.  que  lan^a  veis  contra  vos 

con  quien  queredes  lidiar. 

Asigurados  estamos 
que  öo  ay  moro  ningnuo, 
abra9adme  vno  per  vno 
y  a  las  tiendas  nos  boluamos. 

£sta?zdose  abracädo  entra  Martin  Pelaes  sangriento  y  poltwroso. 
M.  P.         Non  ay  abra9o  para  mi 
Cid.  non  faltara  llegadbos, 

fidalgo  vala  nie  Dios 
como  venides  ansi. 

Venis  ferido.?     M.  que  non 
Cid.  como  venis  tal  parado  } 

M.  P.         de  las  feridas  que  he  dado 

vengo  a  bos  fecho  sayon. 
Cid.  Balasme  santa  Maria 

quien  lo  tal  podra  crer, 
M.  P.         quien  vos  viera  a  vos  vencer 

tantos  moros  en  vn  dia. 
^^^*  Baigame  el  verbo  encarnado 

a  me  venido  al  cuidar, 
que  en  sangre  sabeis  nadar 
pues  non  bos  eis  afogado. 
Vamos  a  fazer  partijas 
porque  he  de  boluer  con  vos, 
a  dalle  gracias  a  Dios 
y  auer  mi  muger  y  fijas, 

10* 


148 

Vanse   a    eiitrar  y   a  Martin  Pelaes   ques   es  el  postrero  le  da  vn  moro  vna 

curia  o  papel. 
Paje.  Este  villete  aiiudado 

me  dio  una  mora  guarrida, 
que  ama  mas  que  a  lu  su  bida 
vn  Christiano  descuidado. 

Vna  dixe,  digo  dos 
moriscas  me  le  endonaron, 
y  ambas  a  dos  me  mandaron 
que  bos  lo  endonese  a  vos. 
Lo  que  auedes  de  fazer 
es  fazer  porque  conuiene, 
lo  que  dentro  se  con[t]iene 
si  en  o  bien  o  mal  torcer. 

Vase  el  moro  y  ahre  el  escrito. 
M.  P.  Ay  mayor  vella  quaria 

pues  balgabos  Lucifer, 
(oseades  home  o  muger) 
entiendo  yo  algarauia. 

Maxime  no  ay  entendello 
coza  dize  de  comer, 
que  me  deuia  de  traer 
y  aquel  se  fuyo  con  ello. 

Si  topase  por  aqui 
qualquer  buen  declarador, 
que  le  entendiese  mejor 

Säle  Ali  con  vna  sera  al  ombro. 
M.  P.         pues  adonde  buena   A.li? 
Ali.  O  mi  senor  por  quien  tengo 

el  honor,  contento  y  vida 

que  tengo,  la  mi  venida 

fue  veruos,  a  veros  vengo. 
M.  P.  Non  fableis  Ali  lisonjas 

Ali.  digo  que  aueros  venia, 

y  a  la  Ximena  trahia 

esta  sera  de  toranjas. 
M.  P.  Y  para  mi?     Ali.    para  vos 

trahemos  Zulema  y  yo, 

cierta  cosa  que  costö 

lo  que  sabemos  los  dos. 
M.  P.  Aclaradme  el  razonar 

deste  escrito.     Ali.  ay  de  mi, 
M.  P.         non  tengais  pauor  Ali 

que  non  bos  quiero  matar. 
Lo  que  ende  quiere  dizir 

en  la  nii  lengua  aclarad, 


149 

Ali.  justo  y  poderoso  Alä, 

M,  P.         non  acabais  descopir. 

Non  engullais  copetina 

desmenuzad  la  razon, 

que  bos  dare  vn  torniscon 

fazed  lo  que  mando  haina. 
AH.  Por  todo  quanto  valeis 

que  antes  me  mandeis  matar, 

senor  que  tal  declarar 

raatadme  que  bien  podeis. 
M.  P.  Vos  quereis  que  so  la  tierra 

bos  suma  de  vna  punada, 
Ali.  alraa  desauenturada 

M.  P.         pierro  fijo  de  otra  perra. 

Lo  que  bos  mando  fazed 

de  {uer9a  sino  degrado, 

y  en  auiendo  lo  aclarado 

al  punto  bos  matar6. 

Le  a  Ali  la  carta  que  diz. 
Estrella  de  lidiadores  luengo  iietjipo  ha  que  bos  bien  quiero  del  mi  corai^on 
y  la  mi  voliintad,  si  el  falago  de  los  vuestros  ojos  (verdadero  amor  jmito 
con  vuestro  amigo  Martin  Antolines  aquien  Dalifa  se  encomieda)  nos  piidiere 
ver,  sera  bueno porq  Zulema  q  Dios  ?naldiga,  partio  agubello  esta  madrugada, 
y  Ali  es  hido  a  Valencia  a  lleuar  al  Cid  vnas  frtitas  guardeuos  el  mi  senor, 

la  vuestra  Lizara. 
M.  P.  Farto  buen  recado  he  fecho, 

Ali.  desuenturado  de  mi, 

M.  P.         non  bos  acuiteis  Ali 

q  por  pouarbos  lo  he  hecho. 
Ali.  Quie  bos  guisö  a  me  ofFender 

buen  desquite  dado  auedes, 
quanto  mas  cierto  queredes 
prouar  a  la  mi  muger. 

Yo  bos  ruego  por  Alä 
que  este  escrito  ri5  ensenedes 
a  Antolines,  ni  auisedes 
sefior  de  lleuarlo  allä. 

Que  si  de  la  tal  manzilla 
liuertaredes  mi  honor, 
vos  endonare  senor 
la  mi  yegua  la  pardilla. 
Y  dos  mil  marauedis 
dos  bezeros  y  des  chibos 
fermosos,  gordos  y  biuos 
y  mas  si  mas  me  pedis. 
■  M.  P.  Escrito  a  mi  prometer 

en  lo  mejor  de  mi  seno, 
quäto  estima  el  ombre  bueno 


I50 


el  honor  de  la  muger. 
Bes  el  escrito  desfecho 

non  quiero  el  tu  prometer, 

mas  non  offendas  tu  muger 

cS  mal  dicho  o  c3  raalfecho. 
Que  boto  fago  y  promessa, 

al  agua  del  baptizar, 

de  la  tu  mengua  callar 

quäl  si  estubiese  en  la  guessa. 
Mas  si  la  tocas  vn  pelo 

o  se  que  es  de  ti  offendida, 

yo  te  quitarS  la  vida 

aun  que  te  subas  al  cielo. 
Ali.  Pues  viuire  capitan 

sin  que  tu  mando  atrauiesse, 

bien  asi  como  si  fuesse 

lei  que  reza  el  mi  alcoran. 
M.  P.  Finca  en  pas  q  estoi  habriento 

y  el  mangar  me  face  bien, 
Ali.  yo  me  partire  tambien 

mas  seguro  y  mal  contento. 
Vatise  ambos. 

Jornada   tercera. 

Säle  el  Cid  mas  viejo,  y  sientase  en  su  cilla. 
Cid.  Grandes  fazanas,  grandes  auenturas, 

grandes  venturas,  grandes  bien  andan^as, 
contentos  grandes,  grandes  desuenturas, 
grandes  fermosas  bienauenturan^as: 
grandes  empresas  bien  y  mal  seguras, 
y  bien  y  mal  logradas  esperan^as, 
an  dado  pena  y  gloria  al  alma  mia 
desdes  mis  verdes  anos  a  este  dia. 
Mate,  desagrauie,  finque  contento, 
calle,  obedeci,  case  altamente, 
fice  en  ser  lidiador  a  fincamento 
fui  recebido  y  loado  de  la  gente: 
mas  bien  y  onor  del  mundo  es  todo  viento, 
y  passo  con  el  tiempo  breuemente, 
y  vna  ofencion  o  puesta  de  vna  gloria 
jaze  por  tiempo  eterno  en  la  memoria. 
Cas6  mis  fijas  con  los  cautelosos, 

Condes  de  carion  que  non  deuiera, 
aunque  vengu6  sus  fechos  aleuosos 
me  oprime  el  alma  la  fa9ana  fiera: 
mas  ya  tienen  maridos  honorosos, 
memoria  de  mi  offensa,  salid  fuera, 


151 


con  et  tiempo  bolad,  memoria  raia, 
dexadme  descan^ar  tan  solo  vn  dia. 

Suena  vna  trompeta  dentro. 
Cid,  La  indiuidua  Trinidad, 

vienen  me  parece  algunas, 
gentes  moras  importunas 
contra  de  la  mi  ciudad. 

Sälen  Albarfanes  y  los  demas. 
Cid.  Quien  trompas  faze  rocar? 

Alb.  senor  la  mas  honorosa, 

fazienda  y  mas  grandiosa 

que  o  hi  ni  sabre  contar. 
El  Soldan  de  Persia  embia 

vn  SU  pariente  a  vos  ver, 

y  sus  dones  ofFrecer, 
Cid.  balgarae  sancta  Maria. 

Como  de  tan  luengas  tierras 

ha  portado  por  acd, 
M.  P.         denen  de  sonar  alla 

vuestros  fechos  en  las  guerras. 
Cid.  Guarnidbos  todos  de  fiesta 

y  bamos  le  a  recebir, 
M.  P.         yo  me  quiero  ir  a  guarnir 

que  non  traigo  cosa  puesta. 

Vanse  y  sale  vn  moro  Persiano  y  vn  criado  suyo  y  ätze. 
Per.  Los  bufanos  donde  viene 

plata  y  erb,  cuidad  dellos, 

no  rifen  con  los  camellos 
Cri.  acuenta  Abrahin  los  tiene. 

Per.  Pueden  fazer  carcail 

si  acaso  a  encötrarse  aciertan, 

que  mira  y  balsamo  viertan 

rompiendose  algun  barril. 
Eh  los  dromedarios  venga 

toda  la  tapeceria, 

de  oro  y  de  pedreria 

que  non  ay  Rey  que  la  tenga. 
En  los  otros  animales 

cargareis  las  demas  cosas, 

marfil  y  piedras  preciosas 

cornelinas  y  serdales. 

Y  en  hileras  concertadas 

seguiran  todos  tras  mi, 

gran  gente  parece  alli 

baxo  aquellas  enrramadas. 

Sin  duda  el  Cid  campeador 


152 

hoyo  la  mandedaria, 
(del  sefior)  y  gente  embia 
tan  solo  a  fazerle  fauor. 

Elle  sin  duda  es  verdad 
quien  abra  que  lo  tal  crea, 
bien  le  plaze  el  Cid  que  vea 
se&or  la  su  raagestad. 

Sälen  el  Cid  y  los  suyos  y  viendole  los  moros  se  espantan,  y  dize  el  Cid. 
Cid.  Immensas  gracias  te  doi 

eterno  Dios  soberano, 
amigo  noble  Persiano 
fabla  que  tu  amigo  soi. 
Estremecelde  sobrino, 
M.  P.         del  margarite  le  trauen, 
Cid,  los  tus  angeles  te  alauen 

Dios  viuo,  Dios  vno  y  trino. 

Buelue  el  moro  en  si  y  arodillase  y  lleuantale  el  Cid  y  dize  el  tnoro. 

Persia.  Saluete  Dios  el  Cid  auenturado, 

el  Christiane  mejor  que  eine  espada, 

el  mejor  que  en  troton  he  cabalgado, 

des  la  hedad  del  fierro,  a  la  dorada. 

El  Soldan  con  quien  soi  aparentado 
y  en  Persia  reina,  y  tiene  su  aluergada, 
como  al  mejor,  y  mas  mayor  su  amigo 
sus  dones  y  salud,  te  embia  comigo. 

Vino  a  las  sus  orejas  la  tu  fama, 
que  Alä  por  luengos  tiempos  en  mantenga, 
la  quäl  de  su  balor  con  bida  y  llama, 
aque  en  la  vida  tu  amistan9a  tenga: 

Y  como  es  cosa  quel  mas  quiere  y  ama, 
a  mi  mando  que  con  querir  la  venga, 

y  essos  animales  alla  vsados 
sus  dones  te  truxessen  en  presentados. 
Cargados  todos  de  nobleza  vienen 
de  plata  y  oro  y  panos  mui  priciados, 
y  tantas  margaritas  que  non  tienen, 
estimacion  ni  precios  limitados. 

Y  de  aquellos  vnguentos  que  preuienen, 
Reyes  para  guardar  ossos  finados, 

las  cinco  ta9as  de  oro  en  que  venia 
y  los  belecos  mas  en  que  coraia. 
Cid.  Tener  el  gran  Soldan  de  mi  membran9a 

estimo  en  mucho  y  la  persona  tuya, 
besarete  en  el  ombro  a  la  vsan^a, 
si  vistiera  en  el  cuerpo  ropa  tuya. 


153 

Llega  el  moro  a  bezar  la  tnano  al  Cid,  y  el  retirase  y  no  la  qiiiere  dar. 
Persi.  No  meresco  tal  bien  auenturan^a, 

la  tu  merced  de  darmela  non  fuja, 
Cid.  antes  tu  raerecer  noble  Persiano 

fizo  por  fuer9a  retirar  la  mano. 

Guido  que  del  camino  fatigoso, 
fincas,  y  de  lo  ver  estoi  con  pena, 
conmigo  vin  do  yo  fuelgo  y  reposo, 
y  mi  alma  viue  de  la  alegrance  llena. 
Veras  (noble  senor  moro  onoroso) 
el  mi  solas  mi  bien,  la  mi  Ximena, 
el  thesoro  mayor  que  Dies  me  ha  dado 
y  fincaras  en  ver  las  descan9ado. 

Vanse,  y   salen  Dalifa  y  Litara   rebogadas  detras  de  Xarifa  su  criada  con 
cestillos  de  iiaranj'as  en  las  mafios. 
Dal.  Non  es  mucho  q  vegadas 

faga  el  amor  por  desoras, 

criadas  de  las  senoras 

y  a  las  senoras  criadas. 
Liz.  Xarifa  voi  big?     Xar.  mui  bien 

Dal.  y  yo  voi  bie?     Xar.  mui  bie  vas, 

encubrete  vn  poco  mas 

que  las  naranjas  se  ven. 
Dal.  Pues  Xarifa  has  de  aduertir 

que  si  a  caso  alguien  saliere, 

y  a  nosotras  se  viniere 

lo  que  tienes  de  dizir. 

O  sea  moro  o  Christiano 

de  poco  o  mucho  auer, 

diräs  que  vamos  a  ver 

al  mandadero  Christiano. 
Y  si  Martin  se  llegare 

y  Antolines  donde  estamos, 

vrdiras  fablar  con  ambos 

y  quando  Martin  le  fablare, 
Diras  tiraos  con  Lizara 

y  Antolines  el  rai  amigo, 

le  da  en  la  cara  comigo 

auer  si  le  he  dado  eucara. 
Liz.  Ya  estamos  en  el  ^aguan 

a  tener  los  mis  cuidados, 

non  binieran  tan  folgados 

con  grande  festejo  estan. 

Säle  Martin  Pelaes  y  Martin  Antolines  rebogados  conto  de  noche. 
Xar.  Veis  donde  vienen  callä 

Dal.  son  ellos?     Liz.  si  que  son  ellos, 


154 


Dal.  fas  que  te  retiras  dellos 

Xarifa  y  llegate  acä. 
M.  P.  Que  con  gente  innumerable 

viene  Bucar?     Ant.  si  Martin, 
M,  P.         yo  le  mando  triste  fin 
aziago  y  miserable. 

Que  fue  la  causa  dizid 
fazer  que  aqui  nos  quedassen, 
y  la  guerra  adere^assen 
Zulema  y  su  amiga  Ali? 
Ant.  Fue  Martin  enteucion  mia 

el  daros  contento  a  vos, 
con  poder  salir  los  dos 
a  la  tal  barragania. 

Que  en  tanto  que  los  faueres 
alinan  nos  folgaremos, 
y  libremente  podremos 
fablar  a  las  sus  mugeres. 
M.  P.  Non  es  de  mala  manera 

la  mora  juro  a  mi  vida, 
Ant.  por  mi  vida  ques  guarrida 

llegemos  y  sea  quien  quiera. 

Dama  del  vera  a  catar 
dama  del  cuerpo  gensor, 
que  ayades  dicha  en  amor 
si  auedes  sabor  de  amar. 
Pues  es  cosa  facedera 
non  mostredes  mal  talante, 
descubrid  vuestro  semblante 
que  yo  sc  quien  lo  fiziera. 
Xar.  Si  la  vuestra  fauorida 

Dalifa  lo  tal  fara, 
M.  P.         entendido  bos  lo  ha, 
Ant.  tireme  el  cielo  la  vida, 

Si  non  tengo  por  mejor 
vuestro  pie  que  non  su  cara, 
Dal.  andaos  adamar  Lizara 

por  mi  ß  que  os  tiene  amor. 
Ant.  Quien  pudiera  vna  vegada 

gozar  vuestro  aluore  dama, 
M.  P.         quien  gozara  de  tal  dama 

vn  frescor  de  vna  aluorada. 
Xar.  Y  en  quedandabos  dormido 

Uegara  y  bos  despertara, 
vn  manda'do  de  Lizara, 
Ant.  tambien  bos  han  entendido. 

M.  P.  Quando  tal  me  socediesse 

non  me  ba  tanto  en  aquella, 


155 


que  OS  dexasse  a  bos  por  ella 
Liz.  ay  homes  quien  bos  creyesse. 

M.  P.  Quiere  la  vuestra  mezura 

comigo  o  mi  companero, 
entrar  en  el  mi  sillero 
que  yo  la  fago  segura? 
Xar.  Si  lo  tengo  en  voluntad 

vos  lo  sabeis  cora^on, 
y  mis  duenas  que  aqui  son 
que  sientan  la  mi  maldad. 

Entran  Zulenta  y  Ali  y  dize. 

Zul.  Fazeis  nos  Ueuar  los  panos 

y  lo  demas  que  queredes, 
y  en  todo  el  dia  non  fazedes 
que  se  Heuen  los  escanos. 

M.  P.  A  buen  tiempo  aueis  Uegado 

fablad  asi  os  guarde  Dios, 
los  dos  con  aquellas  dos 
moras  que  estan  aquel  lado. 
En  quanto  nos  festejamos 
Alä  del  cuerpo  gentil 

Ali.  muger  es  del  Alguasil 

como  los  dos  aqui  estamos. 

Zul.  Non  sea  tu  muger  Ali, 

Ali.  non  sea  tu  muger  Zulema, 

Zul.  q  esta  alli  quien  tu  onor  quema, 

Ali.  que  esta  Antolines  alli. 

Dal.  Ay  mal  dicha  y  malfadada, 

Liz.  ay  desdichada  de  mi, 

Dal.  cuitado  el  dia  en  que  nasci, 

Liz.  muger  desauenturada. 

Xar.  Senor  retiradbos  dende 

non  subceda  algun  desman, 
ved  en  que  peligro  estan 
si  por  desdicha  se  entiende. 
Ved  que  Lizara  y  Dalifa 
son  las  que  jazen  alli, 
con  Zulema  y  con  Ali, 

M.  P.        y  bos  quie  sois  ?     Xa.  yo  Xarifa. 

Ali,  Los  rostros  tienen  tapados 

llegadbos,  Zul.  allegadbos, 
hablemos  dos  para  dos 

Liz.  tiradbos  que  sois  casados. 

Ali.  Ya  plugiera  a  la  Ventura 

que  nunca  lo  fuera  yo, 
'  Zul,  mal  haja  quien  me  caso 

para  mi  desauentura. 


156 


M.  P.  Balgauos  vna  legion 

de  demonios  fechiceras, 
Dal.  y  esso  fablais  lo  de  veras? 

Ali.  ay  Dios  con  quanta  razon. 

Zul.  Yo  jurare  que  los  dos 

jazemos  arepentidos, 
Liz.  mirad  los  nuebos  maridos 

asi  bos  faga  bien  Dios. 
Ant.  Que  digo  bolued  a  la  guerta 

y  si  non  fuere  de  acä, 

neu  mentre  persona  alla 

y  atendenos  a  la  puerta. 

Vanse  Zuhma  y  Ali  y  diie. 
M.  P.  Dizid  que  lo  que  diximos 

que  no  fue  por  offensallas, 
si  tan  solo  por  burlallas 
que  luego  los  conocimos. 
Dal.  Mala  maldicion  me  caya 

quando  mas  hoines  fablare, 
Liz.  quando  mas  homes  amare 

mas  mal  que  hai  en  ellos,  haya. 
Ant.  Bamos  q  no  hai  suerte  mala 

la  folgan9a  estä  segura, 
Dal.  hid  a  la  mala  Ventura, 

Liz.  hid  a  la  Ventura  mala. 

Homes  sin  ley  y  sin  fe 
que  sin  empacho  fablais, 
y  las  caras  que  adamais 
trocais  por  qualquiera  pie. 

Y  non  dedes  mas  passadas 
cristianos  por  las  mis  puertas, 
q  en  las  fuetes  y  cn  las  guerlas 
fablareis  nuestras  criadas. 

Vanse. 
M.  P.  Bamos  q  no  hay  suerte  mala 

la  folgan9a  esta  segura, 
Ant.  hid  a  la  mala  Ventura 

hid  a  la  Ventura  mala. 

Pues  negra  me  la  de  Dios 
si  a  mi  se  me  da  vn  chanflon, 
maldigame  santo  Anton 
sinon  me  p?.resco  a  vos. 

Vanse  y  sale  el  Cid  desnudo  y  alborotado. 
Cid.  Aguardadme  Apostol  santo 

Vicario  de  Christo  espera, 


157 

San  Pedro  ei  Apostol  era 

q  Dios  me  quiere  a  mi  tanto: 

Que  con  tal  tnandaderia 
me  embia  tal  mandadero, 
con  que  alegran9a  que  espero 
gran  senor  la  muerte  mia. 

En  SU  lecho  reposado 
no  es  mucho  morir  mi  Dios, 
el  que  muriera  per  vos 
mil  vezes  martirizado. 

Säle  Albarfanes  y  Bermuda  y  Antolines. 
Alb.  Pues  que  nouedad  es  esta? 

senor  farauos  prouecho, 
el  salir  fuera  del  lecho 
la  gamacha  desconpuesta. 

Fue  sueno?     Cid.    sueiio  es  la  vida 
Ber.  n5  nos  dizis  lo  que  fue, 

Cid.  vna  buena  nueba  a  fe 

de  buena  parte  venida. 

Don  Hieronimo  queria 
que  me  viniesse  a  fablar, 
Ant.  el  Obispo?     Cid.    bilde  a  llamar 

sobrino  por  vida  mia. 

Vase  Antolines. 

Y  vos  mi  sobrino  amado 
fincad  pues  siempre  seguides, 
mi  lado  en  todas  las  lides 

en  esta  lid  a  mi  lado, 

Y  boluedme  luego  al  lecho 
que  estar  echado  me  aplaze, 

Ber.  el  cora^on  se  me  haze 

mil  peda^os  en  al  pecho. 
Alb.  Yo  non  bos  sabre  dizir 

quäl  me  siento  de  pezar, 
Cid.  yo  OS  sabve  certificar 

que  es  cercano  el  mi  morir. 

Lleuan  al  Cid  y  salen  el  Rey  Bucar  y  los  moros  q  pudiere  de  acdpanatnieto, 
tanendo  atabales  y  viene  el  Rey  ablando  con  vn  morisco  Valenciano. 
Buc.  Tego  en  mucho  el  bastimeto 

que  tu  concejo  me  oflFrece, 
o  como  en  el  se  parece 
que  viuis  condescontento. 

Ansi  que  fue  tu  salida, 
a  furto  de  la  cuidad? 
Mor.  digo  que  ansi  es  la  verdad 


158 


y  que  sahen  tu  venida. 
Buc.  Gracias  por  tan  buena  sueite 

Mahoma  mio  te  doi, 
ah  Valencia  Bucar  soi 
Bucar  ha  venido  auerte, 

Bucar  biene  por  la  espada 
que  SU  padre  aqui  perdio, 
y  la  sangre  que  dexo 
en  tus  campos  derramada. 

Como  no  vmillas  los  muros 
cuidas  que  estäs  en  las  manos 
de  quatro  alarues  Christianos 
firmes  enhiestos  seguros. 

Pues  son  buenos  tus  intentos 
que  yo  piso  tus  arenas, 
porque  vengan  tus  almenas 
abra^ar  con  los  cimientos. 

Alcaide  de  su  Alca^aua 
bos  fago  Caide  tarife, 
ya  vos  Naime  Almoxarife 
a  vos  Alguasil  leisaua. 
M.  V.  No  fagas  tanto  desden 

asi  de  tus  anos  gozes, 
de  aquello  que  non  conoces 
bien  ni  mal,  ni  mal  ni  bien. 

Cuidas  que  el  hado  cruel 
la  tu  potencia  no  imbidia, 
as  sonado  que  el  Cid  lidia 
con  espadas  de  papel. 

Guarte  que  saldra  al  deuate 
Christiano  de  tantos  brios, 
que  sean  pocos  tus  gentios 
para  que  destroce  y  mate. 
Buc.  Pues  mesti90  Mahometano 

nascido  en  infame  tierra, 
de  alguna  Christiana  perra 
y  algun  Alarbe  villano. 

Por  suerte  mis  esperan9as 
nascen  de  vanos  antojos, 
no  alcan^an  a  vuestros  ojos 
essas  montanas  de  lan9as. 

Essas  nubles  de  flecheros, 
essas  sombras  de  pendones, 
essas  diuersas  nasciones, 
que  cubren  essos  oteros. 

Tiene  el  Cid  mas  de  quinietos 
Christianos  de  armas  tomar, 
Mor.  tan  sano  es  tu  contar 


159 


como  son  tus  pensamientos. 

De  otra  manera  decuenta 
se  an  de  contarlas  sus  gentes, 
Maguer  senor  que  las  cuetes 
en  SU  honor  en  nuestra  afreta. 

Ansi  sera  bien  contadas 
vn  Cristiano  mil  Cristianos, 
cada  Cristiano  mil  manos 
cada  mano  mil  espadas, 

Que  a  mil  filos  y  a  mas  van 
y  con  tal  fuer9a  esgremidas, 
que  en  cada  filo  mil  vidas  " 
de  los  tuyos  sacaran. 

Esta  es  la  cuenta  major 
y  en  entra  el  Cid  en  ella, 
que  essa  cuenta  no  hai  fazella 
y  pliega  Alä  gran  senor, 

Non  aguoelas  las  tus  veturas 
el  de  la  orrible  presencia, 
que  Uamamos  en  Valencia, 
el  coco  de  las  criaturas. 

Queste  con  poco  trabajo 
quäl  si  non  fiziera  nada, 
fende  de  cada  espadada 
vn  meto  de  ariba  abaxo. 

Y  no  para  en  el  arzon 
de  la  silla  la  cochilla, 
que  en  bezes  rompe  la  silla 
y  en  bezes  silla  y  troton, 
Buc.  Parte  moro  acobardado 

y  di  a  tu  consejo  triste, 
lo  que  viste  y  lo  que  hoiste 
y  que  estoi  determinado, 

Si  Valencia  se  me  entregua 
de  temor,  non  la  querer, 
si  non  lidiar  y  vencer, 
Mor.  o  jubentud  loca  y  ciega. 

Buc.  Y  fazer  en  ella  estrago 

alcanfando  la  victoria, 
que  borre  de  la  memoria 
los  de  Numancia  y  Cartago. 

N5  porque  lo  tal  me  quadre 
ni  engiandece  mi  poder, 
mas  tan  solo  por  fazer 
la  vengän^a  de  mi  padre. 

Y  nosotros  nos  boluamos 
auer  poner  el  real, 
Mor.  librete  el  cielo  del  mal 

que  sintimos  y  Iloramos. 


i6o 


Vanse  todos  y  sacan  al  Cid  de  los  bra^os  Martin  Pelaes^  y  los  demas. 
Alb.  Ya  no  hai  que  temer  mal 

y  al  pregon  obedeciendo, 
los  moros  se  van  saliendo 
a  viuir  al  arabal, 

Con  sus  fijas  y  mugeres, 
Cid.  mirad  que  por  mi  contento 

les  fagais  buen  tratamiento 
non  les  quiteis  sus  aueres. 

Stent ase  el  Cid. 

Y  a  vos  he  repetido  el  mi  sobrino, 

que  he  de  morir  manana  en  todo  el  dia, 
que  asi  le  plaze  al  fazedor  divino. 

Bien  si  que  sintireis  la  muerte  mia, 
por  ser  en  tiempo  tan  necessitado, 
y  por  el  grande  bien  que  vos  queria. 

Mas  jaze  en  las  alturas  ordenado, 

y  mandalo  el  senor  y  de  la  muerte, 
non  se  puede  fuir  home  criado. 

Non  es  mi  dolor  ora  tan  fuerte, 

por  morir  no  es  tanta  la  mi  pena, 
por  temor  de  fallar  blanca  la  suerte. 

Que  jaze  el  alma  de  vn  seguro  llena, 

que  san  Pedro  le  dio  de  Dios  firmado, 
y  a  mi  anunciado  por  tu  boca  buena, 

Estä  le  el  mi  dolor  por  ser  llamado 
solo,  y  partir  sin  mi  Ximena  amada, 
bien  que  en  la  vida  fue  todo  mi  agrado. 

Mas  pues  que  asi  al  senor  grande  le  agrada, 
non  mas  quiero  tratar  en  mi  partida, 
notad  mi  fabla  la  postrer  vegada. 

Fincando  ya  el  mi  cuerpo  sin  la  vida, 
vn  baSo  le  dareis  de  agua  de  rosas, 
(bafio  agradable  de  la  hedad  florida). 

Y  despues  de  mis  ropas  mas  costosas, 
le  vestireis  que  finque  muy  apuesto, 
guarnido  al  nuestro  vsar,  de  todas  cosas. 

Y  pondredes  despues  de  todo  aquesto, 

en  vn  verde  sendal  la  senal  mia, 

que  tanto  espanto  a  la  morisca  ha  puesto. 

Y  el  bra^o  diestro  por  quien  en  algun  dia, 
bos  respetar  an  moros  y  el  Christiano, 
y  ya  la  muerte  en  la9a,  abate,  enfria: 

Pouelde  inbiesto  y  alto,  y  en  la  mano, 
bien  fixada  y  desnuda  mi  tisona, 
tan  conocida  deste  Rey  pagano. 

Y  en  tal  guisa  liguad  a  mi  persona, 


» 


i6i 

sobre  bauieca  y  hireis  a  acompanalla, 
donde  tanta  morisma  se  amontona: 

Y  non  dudeis  ganar  esta  batalla, 

(sobrino)  porque  Dios  me  ha  rebelado, 

que  ansi  defunto  tengo  de  ganalla. 
A  mi  Ximeiia  tengo  ya  auisado, 

que  non  plana  por  mi  porque  non  sienta, 

que  so  muerto  este  moro  renegado. 
Fareis  sobre  los  muros  sobreuenta, 

como  que  non  sintis  la  tal  raanzilla, 

con  alegresa  que  el  dolor  desmienta: 

Y  vencido  este  moro  en  la  renzilla, 

con  los  aueres  y  con  mi  Ximena, 

secretamente  bos  partid  a  Castilla. 
M.  P.         Ya  aqui  jaze  Antolines  con  la  cena, 
Cid.  entre  Antolines  y  las  auejas  mias, 

crecen  y  crescan  muy  en  ora  buena. 

Säle   Antolines  y   trae   dos  escudillas   que  fingen    la   mirra  y   el  balsatno  y 

come  el  Cid. 
Ber.  Dexedes  ya  seiior  vuestras  porfias, 

dexad  la  mirra  y  balsamo  y  aulado. 

basta  auerlo  tomada  nueue  dias. 
Tema  alguna  sustancia,  Cid.  es  escusado, 

aforroos  el  cuidar  de  embalsamarme, 

y  quiero  yo  fazerme  embalsamado. 
Para  viuirme  ni  para  alentarme, 

non  presta  (non)  la  medicina  humana, 

sustancia  menos  non  puede  prestarme 

que  tengo  de  morir  cierto  manana. 
Bien  nos  podemos  bolver 

que  me  da  crecida  pena, 

el  no  ber  la  mi  Ximena 

y  quiero  la  entrarauer. 

Lleuä  al  Cid  y  salen  de  dos  en  dos  los  moriscos  y  moras  cargados  de  ropa, 
y  despidiejidose  de  Vale?icia. 
M.  I.  Quedate  a  Dios  patria  ingrata 

que  tus  hijos  menosprecias, 

y  aluergas,  amas,  y  precias 

aquien  los  deslruye  y  mala. 
M.  2.  Quedate  a  Dios  madre  mia 

ciudad  desauenturada, 

de  tristeza  rodeada 

y  vestida  de  alegria. 
M.  3.  Fuentes,  jardines,  a  menos 

mesquita,  alca9ar  a  Dios, 

festejad  y  honrad  bos 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV.  II 


102 

fijos  y  fijas  agenos. 
M.  4.  Menos  riguroso  mal 

fuera  sipultarnos  juntos, 

entre  muertos  y  defuntos 

que  echarnos  al  araual. 
Cid  engaiioso  Christiaoo 

encarni^ado  Leon, 

de  te  Aid  su  maldicion 

y  el  castigo  de  su  mano. 
Mor.  Que  dizis  vos  fijo  mio 

guerfano  desemparado, 
Nin.  madre  que  voi  mui  cansado 

pero  en  Mahoma  confio, 
Que  llegarS  a  barraguan 

y  an  vna  trauadalid, 

tengo  de  matar  al  Cid 

y  a  quantos  con  el  estan. 

Y  aun  es  poco  a  lo  q  enliedo 

matar  al  Cid  es  poco, 
Mor.  y  se  estä  conel  el  coco 

Nin.  hirerae  a  casa  coriiendo. 

Mor.  Lo  grado  te  vean  mis  ojos, 

1.  crecido  Ueua  su  madre, 

2.  barraguan  Heue  a  su  padre 
y  vengar  nuestros  enojos, 

3.  Que  fazeis  para  adelante 
que  son  pensamientos  banos, 

^  que  tienen  estos  Christianos 

el  cora^on  de  diamante. 
1.  Ciudad,  2.  o  madre,  3.  o  Valencia 

4.  alca^ar,     M.  mesquita  y  fuente, 
a  Chiistanos  fiera  gente 
mortal  rabia  y  pestilencia. 

Säle  Albarfanes,  Bermuda,  Antolines  y  Martin,  y  los  demas  sacando  al  Cid 
defunuo  con  vna  celada  de  purgamino  y  con  plumas  y  vn  escudo  de  [l]o  mismo, 
vn   capotillo    verde   en  el  su  ensena  vermej'a  y  vnas  calgas  j'ustas,  y  el  brago 
lleuantado  en  lo  alto  con  la  espada  desnuda  en  la  mano  y  dize  Bermuda. 
Ber.  Por  la  puerta  de  rozeros 

sale  Ximena,  seguilla, 
y  endere^alla  a  Castilla 
alto  famosos  guerreros. 

Ea  famoso  campeador 
ea  Castellano  famoso, 
que  al  pecho  mas  valeroso 
muerto  matais  de  pauor. 

Galan  por  estremo  bais 
y  con  tizona  en  la  mano, 


i63 

veremos  noble  Chiistiano 
de  que  manera  lidiais, 

Ea  famosos  Castellanos 
el  que  pres  y  honor  dessea, 
faga  como  el  cielo  vea 
la  forfecha  de  sus  manos. 

En  buen  orden  y  concierto 
salgamos  en  esquadron, 
a  sustentar  la  opinion 
de  nuestro  caudillo  muerto. 

Non  faga  ninguno  mengua 
que  aü  que  veis  q  muerto  va, 
el  tal  fecho  le  darä 
para  reprocharlo  lengua. 

Ved  que  la  noche  se  vä 
endere^ad  essa  deuisa, 
M.  P.         a  bauiefa  a  priessa,  priessa 
o  la  a  bauie^a  aprestä. 

Lleuan   al  Cid  y   sali  los   moros  por  lo  alto  auer   la   batalla,  y  fingen  que 

la  Vena, 
M.  I.  Reciuirle  como  a  hermanos 

si  por  Ventura  vencieren, 
y  se  de  la  lid  fujeren 
los  alfanges  en  las  manos. 

Defendamosses  la  entrada 
que  la  gen[t]e  que  quedö, 
con  Ximena  cuido  yo 
pues  mui  poca,  y  vale  nada. 

Suena  vna  tromfeta. 
M.  2.  Veis  el  Cid  por  donde  vä 

enhiestado  en  los  estribos, 

3.  mirad  los  golpes  esquibos 
que  Maitin  el  coco  da. 

4.  Mirad  el  Obispo  si  atiene 
con  el  Cid  encorajado, 

no  se  le  quita  del  lado 

1.  mala  suerte  Bucar  tiene. 

Non  vedes  desotro  lado 
a  Gil  dia  el  tornadizo, 
los  flechazüs  el  granizo 
con  el  cierco  en  igual  grado. 

2.  Pues  cl  otro  me  leiiudo 
pero  Garcia  las  porradas, 
queda  tan  desatinadas 

3.  n5  le  he  bisto  a  dS  Bermudo. 

4.  Non  le  veis  con  el  perdon 


164 


de  la  SU  sefla  vermeja, 

1.  par  Dios  que  se  rae  semeja 
que  diablos  con  cuerpos  son. 

2.  Pues  mirad  nessa  manada 
Albarfanes,  salbadores, 

que  parecen  seguadores 

3.  defendamosles  la  entrada. 

El  Rey  de  Argel  se  fujö 
veis  auatida  su  ensena, 

4.  y  al  de  Mallorca  y  Cerdeila 
don  Albarfanes  matö 

I.  Bucar  se  sale  fuyendo 

con  siete  Reyes  nomas, 

velde  buelue  para  tras 

SU  desuentura  plaiiiendo. 
3.  Comed  que  sale  tras  bos 

la  gomia  que  sangre  beue, 

Reyes  truxo  viente  y  nueue 

muertos  dexa  vinte  y  dos. 

3.  Vuestros  alfanges  tomä 
y  a  la  puerta  vos  poned, 
y  la  entrada  defended 
para  quien  baxare  allä. 

4.  Temome  que  ande  a  solar 
trecientos  homes  con  crisma, 
el  resto  de  la  morisma 

y  aun  alli  no  han  de  parar, 

Non  an  dexado  tieda  inhiesta 
el  robar  el  destruir, 
enfardelar  engoUir 
engolli  que  poco  os  cuesta, 

1.  Non  seguireis  Manilla 
la  gente  que  desfalece, 

2.  espera  que  me  parece 
que  endere^an  a  Castilla, 

Digo  que  a  Castilla  van 
decindamos.    3.  esso  es  malo, 
guardo  non  busques  el  palo 
en  lugar  de  buscar  pan. 

Van  baxaddo  los  moros  y  salen  vno  a  vno. 

3.  En  Alä  glorioso  espero 
ques  la  suerte  alegre  y  diestra, 
libertad  Valencia  es  nuestra, 

4.  yo  q  aguardo,  i.  yo  q  espero. 
2.  Pues  amigos  guardabos 

que  cuido  que  puede  ser, 
queste  Cid  querä  saber 


i65 

lo  que  puede  fäar  de  nos. 

q  alli  andauä  muctos  menos 
de  los  que  solian  lidiar, 
y  dellos  deuen  de  estar 
las  cimas  y  dllos  llenos. 

Y  aquellos  que  estan  alla 
q  hai  mil  demonios  entrellos, 
y  non  nos  fiemos  dellos 

que  pueden  estar  acä. 
ot.  5.  Que  fazeis  aqui  pasmados 

venid  a  gozar  ruines, 
vuestras  casas  y  jardines 
desiertos  y  despollados. 

Si  recelais  de  mal  trato 
mirad  sin  armas  ni  manos, 
que  no  solo  no  hai  Cristianos 
mas  nin  ay  perro  nin  gato. 

Bolued  a  la  ciudad  vuestra 
lecebid  vuestia  ciudad, 
y  apelidad  libertad 
libertad,  Valencia  es  nuestra. 

Sälen  dos  Castellanös  viejos  criados  del  Rey  don  Alfonso  vno  Hanta  do  Sancho 

y  otro  Alfonso. 
San.  Que  dizis,  q  es  caso  cierto 

que  ayer  con  la  roxa  ensena, 

Ximena  llego  a  cardena 

con  el  Cid  de  biuar  muerto? 
Alon.  Non  dudedes  de  lo  tal 

bien  lo  podedes  crer, 

porque  hoi  al  amanecer 

se  parte  el  pendon  real. 

Y  el  Rey  si  quiere  partir 
porque  ya  en  palacio  son, 
de  Nauarra  y  de  leon 

los  infantes  q  alla  han  de  ir. 
San.  Non  son  yernos  del  Cid?     AI.  si 

que  heredaa  grandes  aueres, 

de  parte  de  sus  mugeres 
San.  ansi  me  parece  a  mi. 

Non  tiene  fijo  ninguno? 
Alon.         vno  tiene  don  Ramiro, 
San.  de  tal  subcesso  me  admiro, 

que  don  Ramiro  tiene  vno. 
Alon.  Garci  Gon9ales  se  llama 

dexele  lograr  el  cielo, 

que  si  parece  al  aguelo 

el  sera  varon  de  fama. 


i66 


Yo  cuido  q  en  todo  el  saelo 
tanto  Rey  y  seüor  junto, 
en  las  bodas  de  vn  difunto 
non  deue  auer  visto  el  cielo. 

Säle  vn  mayordomo. 
May.  Ea  fidalgos  si  hemos  dir 

a  dicha  aueis  de  sonallo, 

ya  estan  todos  a  cauallo 

y  el  Rey  se  quiere  partir. 
San.  Ea  senor  non  deis  bozes 

que  non  caeremos  en  falta, 

que  solo  se5or  nos  falta 

vestirnos  los  albornozes. 
AloD.  Callemos  Sancho  callemos 

y  por  esta  calle  abaxo, 

las  saldremos  al  atajo 

y  los  enparejatemos. 

Vanse  suena  en  san  Pedro  de  Cardena  muche  tropel  de  gente  vill[a]na. 
Elu.  Puja  por  entras  Furraca 

Vrr.  non  bino  Domingo  acä? 

Elu.  otra  vegada  vendrä, 

que  finca  agora  mui  fraca. 
Gil.  Atended  dadme  la  mano 

que  a  fS  que  si  tal  supiera, 

que  a  san  Pedro  non  biniera 

auer  al  Cid  Castellano. 
Ant.  Que  no  le  aueis  visto?     Gil.  n5 

Ant.  pues  es  cosa  de  mirar 

y  Ileuareis  que  contar 
Gil.  de  que  manera  es  Anton? 

Ant.  Veredes  que  es  marauilla 

come  jaze  todo  el  afio, 

sentado  en  vn  rico  escaSo 

que  le  dio  el  Rey  de  Castilla. 
Es  cosa  para  mirar 

Sälen  Samuel  y  Abraham  ludios, 
Sam.  digo  que  me  marauillo 

que  por  ver  vn  Cristianillo 

quereis  en  san  Pedro  entrar. 
Abr.  Pues  yo  os  digo  Samuel 

que  sie  alguna  vez  le  veis, 

que  vos  a  mi  confessareis 

que  ay  mucho  que  ver  en  el. 
De  dentxo. 

Que  me  afogan,  Gil,  Anton. 

Säle  Gil  dias  y  dize. 


167 


G.  d,  Bien  nos  podemos  böluer, 

que  ninguno  lo  ha  de  ver 
fasta  andar  la  procession. 

Ant.  Senor  tuerto  nos  facedes 

y  dais  agrados  a  los  otros, 
nS  le  hemos  de  ver  nosotros 

G.  d.  si  que  todSs  le  veredes. 

Sana.  Digo  que  codicio  velle 

y  que  tengo  de  atender, 
fasta  que  le  pueda  ver 
pera  solo  escarnecelle, 

G.  d,  Callad  Anton  ques  locura, 

Ant.  mas  sandia  es  vuestra  porfia, 

que  le  muda  cada  dia 
el  Abbad  la  vistidura. 

G.  d.  Par  Dios  regalar  le  pinta 

casi  me  estoi  por  reir, 
non  bos  falta  son  dezir 
son  que  tiene  espada  en  cinta. 

Ant.  Non  mentir^  selo  digo, 

G.  d.  con  que  buen  disanto  viene, 

Ant.  digo  que  su  espada  tiene, 

quatro  mil  vezes  lo  digo. 

Que  le  quieren  descobrir 
salgan  todo  acd  fuera 
cogamos  la  de  lantera 
por  aqui  hemos  de  salir. 

Quedan  los  ludtos  solos. 
Sam.  Abraham  non  es  razon 

que  los  que  mal  nos  desean, 
con  los  Christianos  nos  vean 
andar  en  la  procession. 

Vos  podedes  atender 
que  yo  he  de  linear  aqui, 
Abr.  pues  ficadbos  bos  ahi 

que  tengo  vn  poco  q  hazer. 

Y  el  mesias  prometido 
Samuel  quede  con  vos, 
Sam.  esse  nos  guarde  a  los  dos 

vnos  y  otros  han  salido. 

Non  hai  quien  pueda  ver 
el  cuerpo  que  jaze  aqui, 
ah  Christiano  estäs  ahi 
todo  me  hazes  eslremecer. 

Mas  do  estä  mi  pundonor 
ques  de  mi  balame  Dios, 
don  Samuel  estais  en  vos 


i68 

de  vn  difunto  aueis  temor, 

Si  a  tornado  al  teplo  alguna 
persona  en  esta  occasion, 
non,  y  anda  la  procesion 
que  non  hai  major  ninguna. 

Corte  la  cortina,  y  el  Cid  parece  en  su  escano  con  la  espada  cenida. 

Demuestrese  mi  balor 
balgame  el  dios  de  Abraham, 
y  que  saiiudo  ademan 
vos  sois  al  Cid  campeador, 

Vos  sois  el  Cid  Castellano  ^ 

a  cuja  barua  vellida 
non  llegö  mano  en  su  bida 
de  raoro  nin  de  Christiano? 

Puede  verme  alguno,  no, 
pues  Cid  al  vuestro  pesar, 
don  Samuel  ha  de  llegar 
donde  ninguno  llego. 

Tendole  ha  hechar  mano  a  la  barha ,  desenbaina  media  espada  el  Cid,  y  cae 
el  Judio  en  tierra,  y  el  Cid  se  queda  con  la  capada  sacada  la  niitad  no  mas. 
Sam.  Balgame  el  Dios  q  crchiste, 

Llegan  todos  corriendo. 
G,  d.  corrase  aquessa  cortina, 

Sam.  misericordia  diuina, 

con  quien  tanto  raereciste. 
Dom.  Ay  como  jaze  sanudo 

Ant.  mi  f§  non  fincaua  asi, 

la  otra  vez  que  yo  le  vi 
Dom.  veis  Gil  se  ha  tornado  mudo. 

G.  d.  Par  Dios  que  tollese  el  bra^o, 

Ani.  non  bedes  el  se  ha  ensaiiado, 

contra  algun  desmesurado 
Gil.  mi  fe  non  hai  duda  deso. 

G.  d.  Samuel  a  Judio  honrado, 

Ant.  non  beis  que  jaze  tendido, 

G.  V.  el  difunto  lo  ha  atordido 

y  algü  panchafus  le  ha  dado. 

Tornan  a  correr  la  cortina^  y  tapan  el  Cid. 
G.  d.  Asas  ay  tiempo  de  velle, 

Ant.  dexenos  ver  bien  la  cara, 

G.  V.         a  senor  non  le  tapara 

que  tenemos  que  fazelle. 
G.  d.  Samuel  que  faceis  aqui 

mostrad  la  mano  alentadbos, 


169 


y  se  podeis  lleuantadbos, 
Sam.  senor  saqueme  daqui. 

Que  yago  fuera  de  sesso 

y  pues  biuo  me  lleuanto, 

dedesme  el  baptismo  santo 

de  Dios,  pues  a  Dios  cSfiesso. 
G.  V.  Salid  amigo  venid 

manifestase  esta  gloria, 
Ant.  aqui  se  acaba  la  historia 

de  las  fa9anas  del  Cid. 

Fin  de  la  Comedia  de  las  bazanas  del  Cid. 


Druclv  vou  Ehrhardt  Karras,  Halle  a.  S. 


^:^<^ö^. 


BEIHEFTE 

ZUR  , 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ROMANISCHE   PHILOLOGIE 

HERAUSGEGEBEN 


Dr.  GUSTAV  GROBER 

PROFESSOR    AN    DER   UNIVERSITÄT   STRASSBUKG   I.  E. 


XXVI.  HEFT 


PRINZIPIENFRAGEN  DER  ROMANISCHEN  SPRACHWISSENSCHAFT. 
MEYER -LÜBKE  GEWIDMET.     TEIL  I 


MALLE  A.  S. 

VERLAG    VON    MAX    NIEMEYER 
IQIO 


PRINZIPIENFRAGEN 

DER 

ROMANISCHEN 
SPRACHWISSENSCHAFT 


WILHELM  MEYER -LÜBKE 

ZUR  FEIER  DER  VOLLENDUNG  SEINES  50.  LEHRSEMESTERS 
UND  SEINES  50.  LEBENSJAHRES 


GEWIDMET 


TEIL  I 

KARL  V.  ETTMAYER: 
BENÖTIGEN     WIR      EINE      WISSENSCHAFTLICH     DESKRIPTIVE 

GRAMMATIK  ? 

SEXTIL  PUSCARIU: 

ZUR  REKONSTRUKTION  DES  URRUMÄNISCHEN 

EUGEN  HERZOG: 

DAS  -TO- PARTIZIP  IM  ALTROMANISCHEN 

MARGARETE  RÖSLER: 
DAS  VIGESIMALSYSTEM  IM  ROMANISCHEN 


HALLE  A.  S. 

VERLAG   VON   MAX   NIEMEYER 
1910 


UNSEREM  GROSSEN  MEISTER 

IN 

VEREHRUNG  DANKBARKEIT  LIEBE 


MATTEO  GIULIO  BARTOLI         CARLO  BATTISTI 
KARL  VON  ETTMAYER     ERNST  GAMILLSCHEG     EUGEN  HERZOG 

A.  VON  NEUMANN-SP ALLART         SEXTIL  PU^CARIU 

ELISE    RICHTER  MARGARETE    RÖSLER  PETER    SKOK 

ALICE    SPERBER  JULIUS    SUBAK  GIUSEPPE    VIDOSSICH 

ADOLF  ZAUNER 


v:' 


Inhalt. 

Seite 
Karl  von  Ettmayer,   Benötigen  wir  eine   wissenschafilich    deskriptive 

Grammatik? l 

Sextil  PusCARiu,  Zur  Rekonstruktion  des  Urrumänischen 17 

Eugen  Herzog,   Das  -to-Partizip  im  Altromanischen.     Ein  Beitrag   zur 

Lehre  vom  syntaktischen  Wandel 76 

Margarete  Roesler,  Das  Vigesimalsystem  im  Romanischen  ....  187 

Wortindex 206 

Sachindex 210 


1} 


Hochverehrter  Herr  Hofrat, 
Teurer  Meister! 

Die  Entstehung  dieses  Buches  ist  angeregt  worden,  um  drei 
Daten  Ihres  Lebens  zu  feiern,  die  in  den  Jahren  igio  und  igii 
in  kurzen  Abständen  auf  einander  folgen:  die  Vollendung  Ihres 
fünfzigsten  Lehrsemesters,  den  Beginn  des  vierzigsten  Semesters 
Ihrer  Tätigkeit  an  der  Wiener  Universität  und  Ihren  fünfzigsten 
Geburtstag. 

Schon  fünfzig  Semester  Dozentur!  Bei  so  jugendlichem  Inter- 
esse, so  unverbrauchter  Kraft,  die  fortwährend  an  neue  Probleme 
herantritt! 

Erst  fünfzig  Jahre  alt!  Bei  der  schier  unübersehbaren  Tätig- 
keit, die  Sie  auf  dem  Gesamtgebiet  der  Romania  und  auf  anderen 
Spezialgebieten  entfaltet  haben,  bei  Ihrer  mehr  als  300  biblio- 
graphische Nummern  umfassenden  Produktion! 

Wie  Ihr  rasches  geistiges  Emporwachsen  die  ältere  Generation 
in  Staunen  setzte,  so  blickt  die  jüngere  auf  den  in  der  Vollkraft 
des  Schaffens  Stehenden  in  freudiger  Bewunderung,  in  brennender 
Lust,  ihm  nachzueifern,  seiner  Spur  zu   folgen. 

Zu  beleuchten,  was  Ihre  Werke  für  die  wissenschaftliche  Welt 
bedeuten,  ist  nicht  unseres  Amtes.  Sie  sind  für  die  moderne  Wissen- 
schaft grundlegend  und  sind  es  vor  allem,  weil  ihnen  zwei  Dinge 
eignen:  Der  weite,  die  Gesamtheit  der  Erscheinungen  umfafsende 
Blick,  der,  auch  wenn  es  sich  um  Detailarbeit  handelt,  nie  versäumt, 
dieses  Detail  dem  Ganzen  einzuordnen,  es  innerhalb  des  Ganzen 
zu  sehen;  für  Sie  ist  jede  Arbeit  geraeinromanisch,  weil  Sie  nie 
aus  dem  Auge  lassen,  welchen  Platz  das  zu  Untersuchende  in  der 
Gesamtheit  der  Romania  einzunehmen  hat.  Das  zweite  aber  das 
jeder  Ihrer  Arbeiten  den  eigenartigen  Stempel  aufprägt,  ist  die 
Methode;    für    Sie    ist   jede    Arbeit    von    prinzipieller    Bedeutung, 


weil  Sie  sich  nie  mit  einem  Einzelfalle  beschäftigen,  sondern  das 
Charakteristische,  das  Typische  der  Erscheinungen  erforschen  und 
ins  richtige  Licht  stellen.  Daher  Ist  es  Ihnen  ein  Bedürfnis,  stets 
alles  nicht  Zugehörige,  alles  Zufällige,  nur  scheinbar  Gleichartige 
klar  zu  sondern  von  dem,  was  den  eigentlichen  Gegenstand  Ihrer 
Untersuchung  ausmacht,  erst  den  Schutt  früherer  Meinungen  zu 
sieben,  das  Untaugliche  wegzuräumen,  um  mit  dem  wohlgeprüften 
INIaterial  Ihren  Bau  aufzuführen. 

Diese  Hauptmerkmale  Ihrer  Arbeiten  kennt  jeder,  der  sich  ein- 
mal mit  ihnen  beschäftigt  hat.  Besonders  vertraut  mit  ihnen  aber 
sind  alle,  denen  es  vergönnt  war  und  ist,  als  Schüler  Ihren  münd- 
lichen Unterricht  zu  geniefsen.  In  Kollegien  mannigfachsten  Inhalts, 
in  der  ungezwungeneren  Belehrung  der  Seminarübungen,  nach 
denen  jeder  von  uns  noch  nach  Jahren  Heimweh  fühlt,  endlich  in 
ganz  privater  Unterweisung,  die  Sie  ja  in  wahrhaft  unerschöpflicher 
Geduld  uns  allen  so  häufig  zu  teil  werden  lassen,  geben  Sie  uns 
Gelegenheit,  neben  der  nie  geschwächten  Lebhaftigkeit  Ihrer  Teil- 
nahme diese  zwei  Grundzüge  Ihrer  Lehrmethode  zu  bewundern  und 
in  uns  aufzunehmen.  Aber  wir  Schüler  verdanken  Ihnen  noch 
mehr.  Wie  verschiedenartig  wir  auch  sein  mögen,  in  einigen  Punkten 
haben  Sie  uns  alle  gleich  gemacht:  Sie  prägten  uns  den  Sinn  für 
geistige  Ordnung  ein  und  pflegten  in  uns  jenes  nützliche  Mifstrauen 
in  alles  nicht  selbst  Geprüfte,  die  gesunde  Lust  am  Zweifel,  die  die 
Grundlage  der  Erkenntnis  ist ;  Sie  pflanzten  in  uns  die  heilige  Ehr- 
furcht vor  der  Wissenschaft;  Sie  erweckten  und  nährten  unsere 
Begeisterung  für  sie.  Und  uns  alle  vereinigt  warme  Verehrung  und 
treu  dankbare  Liebe  zum  Meister. 

Aus  der  Gesamtschar  dieser  Gemeinde  tritt  nun  heute  ein 
kleiner  Bruchteil  vor  Sie  hin.  Unser  vierzehn  Kollegen  aus  ver- 
schiedenen Semestern,  haben  wir  uns  vereinigt,  Ihnen  die  folgenden 
Blätter  zu  überreichen. 

Wir  mafsen  uns  keineswegs  an,  alle  Ihre  Schüler  zu  vertreten; 
in  einem  gemeinsamen  Gedanken  haben  wir  uns  zusammengefunden 
zu  gemeinsamer  Arbeit. 

Wir  wollten  Ihnen  zu  Ihrer  Gedenkfeier  ein  geistiges  Angebinde 
von  möglichst  einheitlichem  Charakter  darbringen.  Uns  schwebte 
ein  grofsor  Gedanke  vor:  Wir  wollten  uns  bemühen,  Ihnen  zu 
zeigen,  inwieweit  Ihre  Lehrmethode  in  uns  Wurzel  geschlagen  hat; 
die  geistige  Einheit  unsrer  Arbeit  sollte  in  dieser  Gleichheit  der 
Methode  zutage  treten. 


XI 

Wir  setzten  uns  daher  vor,  nur  Themen  zu  wählen,  die  den 
Ausblick  ins  Gemeinromanische  gestatten  und  die  Untersuchung 
aus  einem  prinzipiellen  Standpunkt  durchzuführen,  so  dafs  die 
Bearbeitung  zugleich  von  methodischem  Wert,  von  allgemein 
linguistischer  Giltigkeit  wäre. 

Manch  widriges  Geschick  setzte  sich  der  Ausführung  in  den 
Weg;  nicht  nur  das  typische,  dafs  der  Wurf  hinter  dem  Zielpunkt 
zurückbleibt;  nicht  nur,  dafs  die  Zeit  bei  der  mannigfachen  Be- 
schäftigung aller  Beteiligten  mitunter  kaum  ausreichte;  es  ergaben 
sich  noch  ganz  unerwartete  Schwierigkeiten  rein  innerlicher,  sach- 
licher Natur.  Einige  der  gewählten  Themen,  deren  methodisches 
Interesse  aufser  Frage  war,  widersetzten  sich  der  Durcharbeitung 
auf  gemeinromanischem  Gebiete  ihrer  Gröfse,  andere  ihrem  Wesen 
nach,  indem  die  nähere  Durchforschung  ergab,  dafs  die  betreffende 
Erscheinung  nicht  gemeinromanisch  sei.  Freilich  ist  —  um  ein 
öfter  von  Ihnen  gehörtes  Urteil  zu  zitieren  —  ein  negatives 
Resultat  auch  ein  Resultat.  Immerhin  scheinen  nun  einige  Arbeiten 
in  gewisser  Hinsicht  dem  Titel  unseres  Bandes  nicht  zu  ent- 
sprechen: Der  Ausgangspunkt  war  dennoch  allemal  eine  romanische 
Prinzipienfrage. 

In  vielen  Fällen  hat  die  Beschäftigung  mit  den  allgemein- 
romanischen Fragen  eine  auffallende  Ähnlichkeit  der  Ansichten 
und  Durchkreuzung  der  Arbeitsgebiete  ergeben,  so  dafs  manche 
Sätze  drei-  und  viermal  in  dem  Bande  von  verschiedener  Seite 
her  ausgesprochen  worden  sind.  Wir  haben  solche  Überein- 
stimmungen nicht  ausgemerzt,  sondern  vielmehr  durch  besondere 
Vermerke  hervorgehoben  als  Zeichen  innerlichen  Einklangs  und 
einer  geistigen  Zusammengehörigkeit,  die  sich  auf  Grund  der  ge- 
meinsamen Schulung  gewissermafsen  organisch  entwickelt  hat. 

Ihre  Art  war  es  immer,  jeden  Ihrer  Führung  Anvertrauten  zur 
Selbständigkeit  zu  erziehen,  zum  Selbstsehen  und  Selbstdenken. 
Sie  äufserten  einmal  —  in  einer  Kommersrede,  als  wir  die 
Vollendung  der  „Syntax"  feierten  —  dafs  es  für  einen  Lehrer  keine 
gröfsere  Freude  gebe,  als  die,  von  seinen  Schülern  belehrt  zu 
werden.  Und  dies  ist  bei  Ihnen  keine  Redensart.  Es  ist  nicht 
denkbar,  dafs  wahre  Überlegenheit  mit  geringerem  Anspruch  auf 
Autorität  den  Jungen  und  Jüngsten  gegenüber  treten  könnte. 
Immer  wieder  verwundert  sich  der  Anfänger  über  Ihre  Freude  an 
seinem  Widerspruch,  seinem  Beharren  auf  eigner  Meinung,  wenn 
er    sie    irgend  erhärten  und  begründen  kann.     In  solchem  Freimut 


xn 

erzogen,  haben  wir  es  auch  diesmal  gewagt,  gelegentlich  nicht 
Ihrer  Meinung  zu  sein.  Sie  werden  uns,  wie  wir  aus  alter,,  lieber 
Erfahrung  wissen,  in  solchen  Falten  nur  Eines  übel  vermerken: 
wenn  wir  —  nicht  recht  haben! 

Empfangen  Sie,  lieber  hochverehrter  Meister,  unsere  Gabe  als 
Ausdruck  der  dankbaren  das  Leben  durchdauernden  Ergebenheit, 
mit  der  wir  uns  als  von  Ihnen  Gebildete  empfinden  und  unsern 
Stolz  darein  setzen,  als  Ihre  Schüler  erkannt  zu  werden.  Empfangen 
Sie  unsere  aufrichtigen  Glückwünsche  zu  den  drei  Gedenktagen. 
Für  uns  erhoffen  wir  durch  weitere  ungezählte  Seraester  Ihre  lehr- 
und  arbeitsfrohe  Tätigkeit  und  Ihre  uns  Schülern  stets  bewährte 
Freundschaft. 

Juni  igio. 


Benötigen   wir    eine   wissenschaftlich    deskriptive 
Grammatik  ? 


Vorausgeschickt  sei,  dafs  der  Titel  tatsächlich  als  oifene  Frage 
gedacht  ist;  und  wenn  auch  in  folgendem  der  Versuch  gemacht 
sein  soll,  dieselbe  in  bejahendem  Sinne  zu  beantworten,  so  liegt 
dem  Fragesteller  nichts  ferner,  als  in  dozierendem  Tone  in  dem 
Augenblicke  belehren  zu  wollen,  wo  er  selbst  sich  an  die  Erfahrung 
der  Weitgewanderten  wendet  und  bescheiden  nach  dem  Wege  fragt. 

Die  Anregung  zu  diesen  Anführungen  wurden  durch  Ihre 
Historische  Grammatik  der  französischen  Sprache,  hochgeehrter  Meister, 
gegeben,  in  der  Sie  speziell  im  Vorworte  (p.  VllI)  Anlafs  nehmen, 
das  Problem  der  „deskriptiven  Grammatik"  zu  streifen.  Sie  denken 
sich  dieselbe  als  eine  Zusammenstellung,  welche  „den  zeitlichen  und 
örtlichen  Bestand  von  Lauten  und  Formen  in  der  gröfsten  erreich- 
baren Genauigkeit"  zu  umfassen  hätte.  „Eine  deskriptive  Grammatik 
zu  schreiben  {fahren  Sie  fort),  wäre  gewifs  eine  lohnende  Aufgabe, 
sie  würde  ein  brauchbares,  ziemlich  umfangreiches  Nachschlagewerk 
für  Spezialisten,  aber  doch  eben  nur  für  Spezialisten."  Ich  werde 
wohl  nicht  fehlgehen,  wenn  ich  als  auf  ein  Musterbeispiel  dieser 
Art  auf  die  „Altbairische  Grammatik"  von  Schatz  hinweise.  Es  ist 
kein  Zweifel,  dals  ein  solches  Werk,  wie  es  Ihnen  vorschwebt, 
einen  hohen  wissenschaftlichen  Wert  besitzen  könnte,  wenn  auch 
der  pädagogische  Erfolg,  etwa  bei  den  Studierenden,  zurückbleiben 
müfste.  Ob  aber  eine  solche  „deskriptive  Grammatik"  sich  das 
Beiwort  einer  „wissenschaftlichen  Grammatik"  beilegen  dürfte,  wäre 
doch  recht  fraglich.  Ich  meine  nämlich,  ob  das  Deskriptive  an 
diesem  Werke  nicht  sozusagen  das  unwissenschaftliche  weil  kom- 
pilatorische  Element  wäre,  und  die  wirklich  wissenschaftlichen  Ver- 
dienste dieser  Grammatik  in  der  direkten  oder  indirekten  Be- 
reicherung, welche  für  die  „historische  Grammatik"  dabei  heraus- 
kommen, lägen.  Gerade  das  oben  zitierte  Beispiel  der  Grammatik 
von  Schatz  zeigt,  dafs  dem  so  sei.^ 


*  Um  allen  eventuellen  Mifsverständnissen  vorzubeugjen  betone  ich ,  dafs 
ich  Schalzens  Werk  nicht  blofs  dem  Inhalte  nach  (den  zu  beurteilen  mir 
nicht  obliegt),  sondern  auch  methodisch  für  höchst  bedeutsam  halte.  Was  die 
wissenschaitlichen  Verdienste  des  Werkes  betrifft,  verweise  ich  auf  die  aus- 
führlichen Besprechungen,  die  ihm  gewidmet  wurden. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVI.     (Festschrift.)  1 


Wenn  aber  hier  die  Frage  aufgeworfen  wurde,  ob  wir  eine 
wissenschaftlich  deskriptive  Grammatik  benötigen,  möchte  ich  von 
vorne  herein  nur  eine  solche  Grammatik  ins  Auge  fassen,  die  nicht 
blofs  als  Materialsammlung  und  Kommentar  zur  wissenschaftlichen 
historischen  Grammatik  zu  gelten  hätte,  sondern  eine  Grammatik, 
die  vermöge  ihrer  ganzen  Struktur,  vermöge  der  Probleme,  die  sie 
darzustellen  sucht,  an  sich  schon  wissenschaftlichen  Wert  beanspruchen 
dürfte,  also  der  historischen  Grammatik  nicht  unter-,  sondern  bei- 
geordnet wäre. 

Auszugehen  wäre  mithin  von  Prinzipien,  die,  an  sich  unhisto- 
risch, eine  geschichtliche  Betrachtungsweise  nicht  zulassen,  die  der 
historischen  Untersuchungsmethode  ihrer  Natur  nach  nicht  zugänglich 
sind  und  dennoch  zum  richtigen  Verständnis  der  Sprache  eine 
notwendige  Voraussetzung  bilden.  Es  dürfte  hier  am  besten  sein, 
die  Methode  a  contrario  einzuschlagen  und  zunächst  einen  Blick 
auf  die  historische  Grammatik  und  ihre  Ziele  zu  werfen.  Die  Auf- 
gabe jeglicher  Historie  —  und  die  historische  Grammatik  ist  ein 
Teil  derselben,  man  mag  sagen,  was  man  will,  —  ist  die  Dar- 
stellung einer  zeitlich  verbundenen  Kette  von  Ereignissen  mit  dem 
Zwecke,  deren  ursächliche  Zusammenhänge  aufzudecken.  Wir  pflegen 
dabei  zwei  verschiedene  Wege  einzuschlagen;  —  beide  sind  in  der 
historischen  Grammatik  tatsächlich  mit  grofsen  Erfolgen  beschritten 
worden,  und  beide  Methoden,  das  ist  das  eigentümliche,  schliefsen 
sich  nicht  gegenseitig  aus,  sondern  ergänzen  sich  auf  das  Innigste. 
Die  eine,  welche  ich  die  historische  schlechthin  nennen  möchte, 
pflegen  wir  bei  der  Darstellung  menschlicher  Begebenheiten,  —  in 
einer  Biographie,  in  der  Geschichte  eines  Regenten,  eines  Feldzuges 
usw.  anzuwenden.  D.  h.  wir  heben  ein  bestimmtes  Geschehnis  aus 
der  Fülle  heraus,  schildern  seine  Voraussetzungen,  seinen  Verlauf, 
seine  Folgen,  wir  individualisieren  es  mit  andern  Worten.  Ganz 
anders  pflegen  wir  aber  zu  verfahren  bei  Ereignissen  der  sogenannten 
unbelebten  Natur.  Wenn  uns  ein  Botaniker  die  Geschichte  des 
Wachstumes  eines  Baumes  erzählt,  so  verfährt  er  recht  unhistorisch. 
Den  Zeitverlauf  skizziert  er  ganz  aligemein  (eventuell  auch  nicht), 
und  führt  nicht  sowohl  die  einzelnen  Phasen  des  Wachstums  aus, 
—  die  uns  wenig  Interessantes  böten,  sondern  stellt  die  Prinzipien 
fest,  nach  denen  sich  das  Wachstum  vollzieht:  die  Gliederung  in 
Wurzel,  Stamm  und  Krone,  die  Stellung  der  Äste,  die  Blütenansätze, 
die  Befruchtung  usw. ;  ähnlich  verfährt  der  Chemiker,  der  die  Synthese 
einer  Verbindung  erzählt,  der  Astronom,  der  eine  Kometenbahn 
bestimmt  usw.  Nicht  das  Individuelle,  wie  beim  Historiker, 
sondern  sein  gerades  Gegenteil,  das  Typische  wird  methodisch 
untersucht,  durch  Vergleichen  herausgeschält  und  dadurch  dem 
Zeitlichen    in    einer    gewissen    Hinsicht    entrückt.!      Nicht    darauf 


^  Ich  glaube,  was  ich  mit  den  beiden  Begriffen  individuell  und 
typisch  kennzeichne,  ist  ohne  weiteres  klar.  Diesem  Gegensatze  etwa  von 
der  naturphilosophischen  Seite  näherzutreten,  fühle  ich  mich  nicht  kompetent. 


kommt  es  an,  ob  der  Himmelskörper  ein-,  zwei-  oder  millionenmal 
seine  Bahn  durchzieht,  sondern  darauf,  wie  diese  immer  wieder  durch- 
raessene  Bahn  beschaffen  ist.  Ich  möchte  diese  zweite  Methode  in 
der  Betrachtungsweise  von  Ereignissen,  die  sich  in  der  Zeit  ab- 
spielen, kurz  die  evolutionistische  nennen.  Beide  Methoden 
haben  ihre  Berechtigung,  beide  können  im  Prinzipe  gleichmäfsig 
angewendet  werden,  doch  nicht  ganz!  Ein  Ereignis  mufs  immer 
erst  individualisiert  werden,  ehe  das  Typische  darin  abgelesen 
werden  kann.  Dieses  Individualisieren  ist  in  der  „leblosen  Natur" 
meist  eine  so  einfache,  selbslverständliche  Sache  (doch  nicht  immer, 
z.  B.  in  der  Geologie!),  dafs  man  meist  darüber  schweigend  hinweg- 
gehen kann,  während  es  in  der  menschlichen  Historie  die  ganze 
angestrengte  wissenschaftliche  Arbeitskraft  unter  Umständen  in  An- 
spruch nimmt.  Das  Individualisieren  ist  das  primäre,  es  ist  z.  B. 
in  der  historischen  Grammatik  geradezu  identisch  mit  der  einfachen 
Empirie,  während  die  evolutionistische  Methode,  das  Suchen  nach 
dem  Typischen,  allgemein  Gültigen  die  eigentliche  Theorie  bildet. 
Daraus  wird  man  ersehen,  wie  oben  der  Satz  gemeint  war,  die 
historische  und  die  evolutionistische  Methode  schlössen  sich  nicht 
gegenseitig  aus,  sondern  ergänzten  sich.  Viel  liegt  an  der  Natur 
und  Veranlagung  des  Forschers,  wohin  seine  Vorliebe  neigt,  viel 
aber  auch  an  der  Eigenart  des  Stoffes,  den  er  zu  bearbeiten  hat. 
In  der  Praxis  dürfte  es  kaum  möglich  sein,  die  eine  oder  die 
andere  Methode  völlig  auszuschliefsen.  Weiter  darüber  zu  sprechen 
würde  zu  Gemeinplätzen  führen. 

Ich  will  es  vorziehen,  in  der  INIeyer-Lübke  Festschrift  an  Hand 
seiner  Grammatiken,  besonders  seiner  letzten,  der  Französischen,  die 
obigen  Gedanken  zu  exemplifizieren.  Es  ist  hochinteressant,  den 
Gang  zu  verfolgen,  den  der  in  diesem  Buche  gefeierte  Jubilar  ge- 
nommen hat.  In  seiner  Italienischen  Grammatik  (deutsche  Ausgabe) 
z.  B.  ist  das  Schema,  das  die  historische  Grammatik  von  der  älteren 
deskriptiven  übernommen  hatte,  noch  ziemlich  unverändert  erhalten. 
Zwar  ist  diese  ältere  Methode,  welche  zunächst  von  den  heute  be- 
stehenden Lauten  ausging  und  dieselben  in  verkehrt- historischem 
Wege  zurück  verfolgte,  bereits  verlassen,  doch  sind  wir  von  jenem 
„organischen"  d.  h.  rein  historischen  Aufbaue,  der  uns  in  der 
Französischen  Grammatik  vorgeführt  wird,  noch  weit  entfernt.  Be- 
tonte Vokale,  Auslautsvokale,  Nachton-  und  Vortonvokale,  Kon- 
sonanten werden  in  ähnlicher  Weise  als  selbständige,  gegebene 
Einheiten  aufgefafst,  wie  es  die  nichthistorische  Grammatik  mit  den 
Flexionsformen  seit  jeher  getan  hatte.  Das  System,  in  welches  sie 
gebracht  werden,  ist  im  allgemeinen  physiologisch -typisch  und  die 
Folge  davon,  dafs  ganz  junge  Entwicklungen  der  Sprache  mit  uralten 
Erscheinungen  in  bunter  Folge  wechseln.  Nur  aus  einzelnen  syste- 
matischen Grundbegriffen:  der  Zusammenfassung  der  anlautenden 
Konsonanten   gegenüber   dem  Inlaute,  ^   mithin   der  Durchbrechung 


^  Ital.   Gr.  p.  94  resp.  115. 

I* 


des  alphabetisch-phonetischen  Systems  zu  gunsten  historischer  Ent- 
wicklungsprinzipien in  Unter-  resp.  Oberitalien,  nur  aus  solchen 
Einzelnheiten  kann  man  entnehmen, ^dafs  Mcyer-Lübke  schon  damals 
den  Weg  eingeschlagen  hatte,  auf  dem  er  uns  heute  führt.  Vor 
allem  zeigt  aber  die  Art,  wie  das  dialektische  Material  herangezogen 
wird,  wie  sehr  das  Streben  nach  deskriptivem  Umfassen  gegenüber 
dem  historischen  Individualisieren  des  gewaltigen  Stoffes  überwogen 
hatte.  Darum  das  starke  Betonen  des  sprachgeographischen  Momentes. 
Ist  es  ein  Zufall,  dafs  Meyer-Lübke  in  seiner  ersten  Schaflfenszeit 
gerade  auf  diese  Seite  der  Sprache  ein  so  grofses  Gewicht  legt, 
während  die  in  ihren  Anfängen  liegende  rein-historische  Anschauungs- 
weise noch  wenig  zur  Geltung  gelangte,  —  und  dafs  heute  der 
Schöpfer  einer  grofsangelegten  Sprachgeographie,  Gillieron,  sowohl 
in  der  Art,  wie  er  die  Dialekte  aufnehmen  liefs,  als  in  der  Weise 
wie  er  sie  ausbeutet,  mit  vollem  Bewufstsein  das  traditionelle  laut- 
historische Moment  ausscheidet,  um  zunächst  nur  Geograph  zu  sein? 
Ich  denke  wohl,  dafs  wir  hier  auf  ein  in  sich  unhistorisches  Prinzip 
im  Sprachenstudium  —  eben  das  geographische  —  stofsen,  und 
will  gleich  hinzufügen,  dafs  es  weder  das  einzige  noch,  wie  ich 
denke,  das  bedeutendste  ist. 

Die  weitere  Entwicklung  der  historischen  Methode  in  der 
„Rom.  Gramm.'",  in  der  „Einführung"  usw.  zu  verfolgen,  hiefse  die 
ganze  Arbeitsleistung  Meyer -Lübkes  einer  detaillierten  Würdigung 
unterziehen.  Es  genüge,  wenn  ich  als  vorläufigen  Endpunkt  die 
Franz.  Grammatik  in  kurzen  Strichen  skizziere. 

Das  „Individualisieren"  des  Talbestandes,  von  dem  ich  ein- 
gangs sprach,  ist  straff  durchgeführt.  Die  neufranzösische  Schrift- 
sprache, —  als  historisches  Produkt  betrachtet,  —  ist  das  Problem, 
dem  jede  Zeile  im  Buche  zu  dienen  hat.  Die  Mundarten  sind 
nicht  mehr  als  geographische,  der  Schriftsprache  gleichwertige 
Sprachglieder,  sondern  als  historische  Faktoren,  sozusagen  als  „Hilfs- 
kräfte" aufgefafst.  Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  eine  rein  „ge- 
schichtliche". Die  Trennung  zwischen  betonten  Vokalen,  tonlosen 
Vokalen  und  Konsonanten  wird  zwar  „nicht  aufgegeben"  aber  als 
„Konzession"  empfunden  (Einleit.  pag.  VIII).  Innerhalb  dieser  drei 
Hauptabschnitte  wird  aber  jede  Rücksicht  auf  das  deskriptive  Schema 
verlassen  und  rein  historisch  vorgegangen.  Meyer-Lübke  selbst 
scheint  die  französische  Grammatik  noch  nicht  als  Endziel  auf  dem 
Wege,  den  er  besonders  seit  seiner  „Einführung"  klar  und  scharf 
erkannt  hat,  aufzufassen.  Der  Umstand,  dafs  er  von  den  oben 
erwähnten  Konzessionen  spricht,  die  er  mit  der  noch  nicht  genügend 
gesicherten  Chronologie  seines  Geschichtswerkes  begründet,  sagt  es 
mir.  Wenn  prophezeien  erlaubt  ist,  ergäbe  sich  da  als  Endpunkt 
eine  „pragmatische  Geschichte  des  Lautwandels"  an  Stelle  der  bis- 
herigen „Lautlehre",  eine  Geschichte,  zu  deren  klarer  Durchführung 
wir  in  erster  Linie  einer  „Chronologie"  bedürfen,  die  den  „orga- 
nischen Aufbau"  zu  vermitteln  hat.  Ob  etwa  unter  Meyer-Lübkes 
Leitung  diese  Chronologie  zu  einer  eigenen  philologischen  Disziplin 


sich  auswachsen  wird?  —  Ob  wir  gerade  ihretwegen  nicht  wieder 
zunächst  einer  deskriptiven  Gramrüatik  bedürfen? 

Doch  vorläufig  noch  nicht  davon.  Hat  uns  Meyer-Lübke  in 
seiner  Französischen  Grammatik  das  derzeit  höchstmögliche  an  einer 
„historischen"  Grammatik  beschert,  so  möchte  ich  zunächst  diesem 
Werke,  dieser  INIethode,  die  Grundzüge  einer  „evolutionistischen 
Grammatik"  zur  Seite  stellen.  Ich  möchte  dies  gerade  für  den 
Stoff,  den  Meyer -Lübke  im  wesentlichen  historisch  behandelt  hat. 
Nach  dem  was  einleitend  gesagt  Wurde,  ist  das  Verdienst  einer 
solchen  Umordnung  des  Stoffes  nicht  gar  zu  grofs,  zumal  IMeyer- 
Lübke  selbst  viel  „Evolutionistisches"  hinein  verwoben  hat.  Wenn 
einmal  das  historische  Element  klar  gelegt  ist,  wird  es  nicht  eben 
schwer,  Theorien  darauf  aufzubauen.  Immerhin  sind  auch  evolutio- 
nistische  Zusammenfassungen  mitunter  von  Wert,  vorausgesetzt,  dafs 
sie  gegen  die  Historie  nicht  verstofsen.i 

Die  zahllosen  Lautwandlungen,  .welche  das  heutige  Französische 
seit  der  Romanisierung  durchgemacht  hat,  welche  zu  so  vielfältigen 
Mundartbildungen  in  dem  weiten  Lande  geführt  haben,  lassen  sich 
eigentlich  auf  verhältnismäfsig  wenige  Prinzipien  zurückführen.  Wenn 
wir  von  der  Behandlung  der  Liquiden  absehen,  in  der  vielfach 
uralte  lateinische  Entwicklungstendenzen  ihre  Fortsetzung  fanden, 
können  M'ir  uns  z.  B.  für  den  Konsonantismus  eigentlich  mit  zwei 
Hauptklassen  von  Lautveränderungen  zufrieden  geben. 

I.  Artikulationschwächung  d.  i.  Lenierung  der  Tenuis  bis  zur 
Media,  Neigung  der  Media  in  der  nämlichen  Stellung  zu  schwinden 
(wozu  auch  gewisse  qualitative  Änderungen  intervokalischer  und 
silbenauslautender  Konsonanten,  besonders  Liquiden  zu  rechnen 
sind),  n.  Palatalisierung,  u.  zw.  durch  folgendes  _>'  oder  i,  e  [a, 
ü,  ö),  und  in  schwacher  Stellung  vor  Konsonanten,  denen  noch  die 
Entlabialisierung  des  qu  resp.  gii  vor  y,  vor  e,  i  und  vor  a  beizu- 
fügen wäre. 

Die  unbetonten  Vokale  folgen  fast  ausnahmslos  der  Tendenz 
der  Artikulationsschwächung  (event.  Schwund),  dem  selten  eine  Artiku- 
lationsverstärkung (wie  etwa  in  Sizilien)  und  ebenfalls  selten  eine 
Vokalentfaltung  zur  Seite  steht.  Aufserdem  Erscheinungen,  wie  bei 
bet.  Vokalen. 

Schliefslich  ist  der  betonte  Vokalismus  durch  vier  Haupt- 
erscheinungen charakterisiert:  das  Positionsgesetz,  die  Umlauts- 
wirkung, die  Vokalpalatalisierung  besonders  nach  Palatalkonsonanten 
und  die  Diphthongassimilation  {au  zu  6)  resp.  Dissimilation  {ei  zu  oi). 
Es  dürfte  kaum  einen  französischen  Lautwandel  geben,  der^  nicht 
in  einem  dieser  Grundtypen  enthalten  wäre,  die  man  z.  B.  be- 
trächtlich vermehren  müfste,  wollte  man  die  vielgestaltigeren  Dialekte 


^  Diese  Rücksicht  läfst  es  mir  rätlicli  erscheinen,  für  das  frz.  Sprach- 
material ganz  selbständig  vorzugehen  und  mithin  mich  auch  von  anderen 
„evolutionistischen"  Systemen  zu  emanzipieren. 

2  Abgesehen  von  den  Wirkungen  sek.  Akzentverschiebungen. 


Italiens  typisch  darstellen.  Nur  eine  Doppellendenz  ist  noch  hinzu- 
zufügen, die  in  Frankreich  gerade  die  entgegengesetzte  Form  be- 
hauptet als  z.  B.  in  Sardinien,  nämlich  Erhaltung  des  Wortanlautes 
und  Abstofsung  des  Wortauslautes. 

Was  den  Wortanlaut  betrifft,  so  ist  diese  Entwicklungstendenz 
in  Nordfrankreich  besonders  rein  durchgebildet:  frz.  de  (aber 
oreiUe),  sp.  Ilave,  it.  cJn'ave.  Sie  steht  in  direktem  Gegensatz  zur 
keltischen  Entwicklung  (zum  mindesten  zu  jener  des  Inselkeltischen 
vgl.  H.  Pedersen,  Grammatik  der  keltischen  Sprache  p.  25)  bis  zu 
einem  Grade  aber  auch  des  Latein  und  zwar  in  gemeinromanischer 
Zeit  (anl.  k  -\-  e,  i,  ebenso  wie  inl.  palatalisiert!)  wie  in  der  älteren 
italischen  Epoche,  wo  zwar  anl.  f  erhalten  bleibt,  aber  andere  Laut- 
wandel Anlaut  und  Inlaut  gleichmäfsig  treffen.  Auffällig  ist  nun,  dafs 
in  einigen  westromanischen  Worten  (die  z.  T.  keltischer  Herkunft 
sind)  der  Anlaut  unregelmäfsigerweise  durch  die  ]\Iedia  statt  durch 
die  ursprünglichen  Tennis  gegeben  wird,  wo  aber  gerade  in  Nord- 
frankreich die  scheinbar  regelrechte  Tenuis  mehr  oder  weniger  weite 
Verbreitung  hat.  Man  vgl.  das  Wort  chai  im  Atlas  ling.,  wo  nur 
die  Gascogne  und  die  Küsten  des  Mittelmeeres  den  ital.-span. 
Anlaut  führen,  man  vgl.  crier,  cage  (allerdings  neben  geole)  und 
wenigstens  im  Picard.-Wallonischen  cras  für  gras.  Nur  die  griechischen 
Lehnworte  {Jamhe)  und  späte  italienische  Entlehnungen  wie  gonfler 
[Frz.  Gr.  p.  15)  sind  hier  fernzuhalten.  Wenn  wir  von  diesen  letzten 
Fällen  absehen,  kann  ich  mich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  dafs 
in  den  französischen  Tenuisformen  spätere,  gelehrte  Einflüsse  vor- 
liegen und  ursprünglich  überall  ein  —  (zunächst  wohl  gallororaanisches) 
gattus,  grassus,  gritare,  gabia,  —  im  Westromanischen  vorgelegen 
habe.  Die  französische  Tenuis  würde  einer  Epoche  entstammen,  in 
der  auch  in  anderen  Fällen,  die  wir  heute  nicht  mehr  kontrollieren 
können,  ein,  nach  keltischer  Art  unregelmäfsig  gebildeter  Wortanlaut, 
durch  die  heutige  korrekte  Form  verdrängt  wurde.  Nach  dieser,  wie 
ich  gerne  zugebe,  kühnen,  doch  keineswegs  unwahrscheinhchen  Hypo- 
these, hätte  die  heute  streng  durchgeführte  Tendenz  des  erhaltenen 
Wortanlautes  in  allerältester  Zeit  in  Nordfrankreich  nicht  geherrscht. 

Mit  dem  Wortauslaute  kommt  man  im  Französischen  auch  nicht 
so  leicht  ins  Reine.  Das  Latein  hatte  schon  in  seiner  italischen 
Epoche  (also  bis  in  die  römische  Kaiserzeit  hinein)  gewisse  Neigungen, 
den  Auslaut  abzustofsen  und  zwar  sowohl  hinsichtlich  der  Kon- 
sonanten (beginnender  j'-Schwund  im  Altlatein,  ebenso  Fallenlassen 
des  auslautenden  Dentals  [wohl  gleichzeitig  auch  Gutturals  und 
Labials]  durch  Sandhibindungen  seit  dem  i.  Jh.  n.  Gh.),  als  der 
Vokale  (frühzeitig  in  ,,Kurzformen"  deiji  usw.,  etwas  später  i^-Schwund 
nach  r  {biber),  der  heute  noch  vielfach  in  mittel-  und  unteritalienischen 
Mundarten  konstatierbar  ist),  wogegen  das  provinzielle  Latein  solche 
Wortnuanzierungen  offenbar  vermied.  In  erster  Linie  ist  es  wieder 
Nordfrankreich,  welches  den  Auslaut  ganz  streng  bewahrte:  1  so  be- 


*  Zur  scheinbaren  Ausnahme  dts  ausl.  -c,  vgl.  Meyer-Lübke  Frz.  Gr.  p.  142  f. 


kanntlich  die  auslautende  Dentalis  vgl.  Frz.  Gr.  p.  155,  die  im 
Pompeianischen  a?)ia  bereits  fehlt.  1  Wie  nun  das  Gallische  gerade 
den  Wortauslaut  lange  Zeit  in  seiner  idg.  Form  fast  unverändert 
erhält,  um  ihn  dann  etwa  im  6.  Jh.  n.  Ch.  plötzlich  zu  modifizieren,^ 
so  scheinen  auch  im  Französischen,  mindestens  vor  dem  6.  Jh. 
[Frz.  Gr.  p.  64)  die  vokalischen  Auslautgesetze  jählings  eingesetzt 
zu  haben,  denen  dann  die  weiteren  Abstofsungen  des  Wortauslautes 
sukzessive  folgten.  Dabei  ist  zu  beachten,  dafs  der  Schwund  der 
auslautenden  Vokale  im  Französischen  offenbar  wesentlich  älter  ist, 
als  z.  B.  in  Oberitalien.  Die  nämliche  Erscheinung  im  Rätoroma- 
nischen, die  wohl  nicht  vor  das  12.  Jh.  zurückreicht,  wie  sowohl 
das  Gröbersche  Sprachdenkmal  als  die  St.  Galler  und  Tiroler  Orts- 
namenschreibungen (bei  denen  allerdings  zwischen  dem  althoch- 
deutschen und  dem  romanischen  Vokalschwund  sorgsam  zu  scheiden 
ist!)  zu  erweisen  scheinen.  Stellen  wir  hinzu,  dafs  z.  B.  im  Emilia- 
nischen dieselbe  Erscheinung  ebenfalls  der  nämlichen  Zeit  angehört 
(so  dafs  vor  dieser  Epoche  z.  B.  die  IMundart  von  Bologna  mit 
ihrem  erhaltenen  ie  und  uo  usw.  eigentlich  vom  Venezianischen 
wenig  differierte),  dafs  weiter  auch  im  Lombardischen  der  Vokal- 
schwund im  Auslaut  damit  zusammengehangen  haben  dürfte,  so 
kommen  wir  dazu,  diese  im  Prinzipe  identischen  Lauterscheinungen 
örtlich  und  historisch  sorgsam  auseinanderzuhalten. 

Da  es  sich  nur  darum  handelt,  das  Methodische  hier  klar- 
zulegen, kann  ich  mich  auch  in  den  anderen  Hauptpunkten  kurz 
fassen.  Über  jenen  Erscheinungstypus,  den  ich  oben  als  Artikulations- 
schwächung bezeichnete,  hat  schon  Meyer-Lübke  viel  evolutionistische 
Theorie  mit  der  historischen  Darstellung  verwoben:  über  schwache 
und  starke  Stellung  resp.  Silbenanlaut  und  Silbenschlufs  (§§  149  ff,, 
bes.  184),  so  dafs  es  nicht  rätlich  erscheint,  noch  weiter  zu  gehen.  Nur 
so  viel  sei  angedeutet,  dafs  allerdings  starker  Wortanlaut  und  starker 
Silbenanlaut  (resp.  umgekehrt)  Hand  in  Hand  zu  gehen  scheinen, 
dafs  aber  die  Schwierigkeit  mit  der  Frage  entsteht,  wo  die  Silben- 
teilung in  älterer  und  heutiger  Zeit  jeweils  einsetzte.  Der  Begriff 
der  Zwischensilbigkeit,  den  Meyer-Lübke  glücklich  einführt,  könnte 
theoretisch  leicht  mifsverstanden  werden,  —  er  scheint  mir  mehr 
den  Tatbestand  festzustellen  als  begründend  zu  sein.  Jedenfalls 
kommt  er  dem  Gebiete  mit  starkem  Silbenanlaute  [porta)  ebenso 
zu  wie  den  unteritalienischen  ;>(?yTa-Mundarten.3  Dem  schwachen 
Silbenauslaut  gehören  im  Französischen  die  Erscheinungen  der 
Nasalierung,  der  Vokalisierung  des  /,  der  .y-Schwund  vor  Konsonant, 
wohl  auch  die  Palatalisierung  der  Guttiiralis  vor  Konsonant  (vgl. 
Fr.  Gr.  §  164  ff.).  Zum  Typus  des  zwischensilbigen  Lautwandels 
rechne  ich  aufser  den  bekannten  Behandlungen  der  intervokalischen 
Tenuis   resp.  Media   auch   intervokalisch   r  zu  z  in  Frankreich  (wie 


^  Vgl.  Wiclv,   La  fonetica   delle  iscrizioni  parietarie  Pompeiane  p.  44. 
"^  Vgl.  H.  Pedersen,  Kelt.   Gramm,  p.  243. 

3  Mit  X  (tt,  Äf)   bezeichne   ich   die  unterital.  Tenuis  lenis  nach  Vokal,  m, 
r  und  /. 


8 

/  zu  //  und  ;-  in  provenzalischen  Mundarten).  Besonders  wichtig 
für  die  Beurteilung  der  zwischensilbigen  Stellung  ist  die  Sonder- 
behandlung der  Tenuis  nach  Diphthong  im  Nordfranzösischen:  afrz. 
oie,  Joe,  poe  gegen  prov.  atica,  oberit.  sp.  oca  usw.,  vgl.  Meyer-Lübke 
R.  Gr.  I,  360,  Fr.  Gr.  66.  Wenn  wir  von  piem.  gavia  absehen 
(ein  Fall  für  sich),  so  ergibt  sich,  dafs  dieser  Tenuisschwund  für 
Nordfrankreich  spezifisch  ist.  Da  nun  die  Monophthongierung  des 
ö«  erst  im  8.  Jh.  einsetzte,  mufs  die  bereits  im  5.  Jh.  sich  geltend 
machende  Lenisbildung  noch  3  Jh.  später  in  voller  Wirksamkeit 
geblieben  sei,  so  dafs  im  10. — 11.  Jh.  das  viel  länger  erhaltene  / 
in  Joe  mit  jenem  von  ruee  zusammengefallen  war.  Der  Gegensatz 
zur  Provence  ergibt  sich  aus  dem  dort  unveränderten  au,  der  zu 
Oberitalien  daraus,  dafs  auch  hier  viel  länger  als  in  Nordfrankreich 
au  gesprochen  wurde  (wohl  bis  ins  11.  Jh.).  Ähnliches  wäre  auch 
für  Spanien  daraus  zu  folgern.  Eine  Form  *gauta  halte  ich  auch 
dort  für  ausgeschlossen,  wo  die  Tenuis  erhalten  blieb  und  verweise 
auf  die  abweichende  Behandlung  von  rapidus,  sapiJus  usw.  z.  B. 
span.  raiido  (vgl.  Zaun  er,  AJtsp.  Elem.  p.  20)  frz.  rade  usw.  In  den 
EmfP-  p.  135  zusammen gefafsten  Fällen  ist  vielmehr  rein  vokalisches 
au  anzunehmen.  Das  /  in  gauta  ist  also  nicht  „zwischensilbig"  (so 
wenig  als  das  in  porta),  wohl  aber  jenes  von  gpta. 

Die  Palatalisierung  ist  historisch  viel  leichter  zu  fassen  als 
evolutionistisch.  Von  jenem  Standpunkte  aus  möchte  ich  drei  Phasen 
unterscheiden:  eine  primäre  in  die  lateinische  Zeit  fallende  (lat. 
/-Verbindungen:  soHus  später  miUa,  nalw,  braküi,  dann  lat.  Gutt. 
vor  e  und  t)  dann  eine  sekundäre  (Gutt.  in  schwacher  Stellang, 
Gutt.  vor  pal.  a,  ö,  ü)  und  endlich  akzessorische  Palatalisierungen 
(vor  rom.  /,  vor  /  usw.).  In  prinzipieller  Hinsicht  liegt  aber  die 
Schwierigkeit  darin,  dafs  die  Palatalisierung  in  schwacher  Stellung 
m.  E.  gar  nicht  hierher  gehört  sondern  richtiger  im  vorhergehenden 
Abschnitte  zu  behandeln  wäre,  da  es  sich  vielleicb.t  nicht  sowohl 
um  eine  „Palatalisierung"   als  um  eine  „Entgutturalisierung"  handelt. 

Meyer-Lübke  nahm  Einf?-  2  1 2  f.  keltische  Einwirkung  an.^-  Dafür 
sprechen  inschriftliche  Formen  wie  Pixticenus.,  Pixtauc[us]  usw.,  wo 
allerdings  Doppelformen  wie  Pixtillus  und  Pistillus  (Pirson,  Inscr. 
d.  l.  Gaule  p.  71)  den  Lautwert  des  x  als  -^  mitunter  fraglich  er- 
scheinen lassen.  Jedenfalls  ist  es  auffallend,  dafs  solchen  gallo- 
lateinischen  Schreibungen  kein  ^/x  in  griech.  Inschriften  zur  Seite 
steht.  1  Entgegen  steht  vor  allen  das  geographische  Moment:  die 
iberische  Halbinsel,  welche  ausnahmslos  yj,  y^s  usw.  voraussetzt,  ob- 
wohl die  Keltiberer  doch  nur  im  gebirgigem  Norden  (nebst  Zentrum) 
und  Westen  gesessen  hatten.  Mögen  wir  auch  der  grofsen  Un- 
bekannten   des    „Iberischen"    zuliebe,    das   Keltentum    südlich    der 


^  Vgl.  Eckinger,  Die  Orthographie  lat.  Wörter  in  griech.  Inschriften 
p.  102  (4).  Nebenbei  ein  Argument  gegen  ein  umbr. -lateinisches  *fahtu,  — 
beileibe  nicht  das  einzige. 

2  Doch  vgl.  Die  rom.  Literaturen  u.  Sprachen  p.  457  in  Hinnebergs 
Kultur  der  Gegenwart. 


Pyrenäen  unterschätzen,  —  so  einflufsreich,  dafs  man  ihm  eine 
Lautmodulation  des  hispanischen  Latein  zumuten  dürfte,  kann  es 
nicht  gut  gewesen  sein.  Ich  möchte  meinen,  dafs,  wo  Kelten 
wohnten,  deren  ;f- Laute  auf  eine  Aussprache  faytii^  ^^'/ß<-  usw.  be- 
günstigend einwirkte,  dafs  aber  eine  rein  lateinische  Entwicklung 
diesen  Keltismus  vorbereitet  hatte  und  dafs  in  dieser  lateinischen 
Entwicklung,  nicht  in  keltischen  Sprachgewohnheiten,  die  nächste 
Ursache  für  obiges  fayju  zu  suchen  ist.  Die  Frage  ist  allerdings 
kompliziert.  In  älterer  Zeit  folgten  zunächst,  wenn  auch  sehr 
zögernd,  die  lat.  Gutturalen  dem  allgemeinen  Zuge  der  Assimilation 
in  Konsonantengruppen.  Sehr  früh  wurde  gn  zu  ?^«,  in  weit  späterer 
Zeit  ks  zu  ss,  kt  zu  //.  Dem  sehr  alten  dii^nus  mufs  aber  anderer- 
seits eine  zunächst  wohl  künstlich  durch  die  Schulen  verbreitete 
Aussprache  dig-nus,  wie  wir  Deutschen  z.  T.  heute  sprechen,  zur 
Seite  gestanden  haben:  Beweis  dtsch.  segenA  Die  Entstehung  dieser 
Aussprache  denke  ich  mir  aus  einer  gelehrten  Reaktion  gegen  die 
in  der  Kaiserzeit  immer  weiter  um  sich  greifende  Gutturalassimilation 
(App.  Probi  aticior  iion  autor).  Es  kämpften  also  fattu^  frassinu, 
dirjjiu  oder  di7]7]u  vs\\\.  fak-tu,  frak-sinn,  dig-nii.  In  Mittel-  und  Unter- 
italien blieben  die  ersten  Formen  siegreich  bis  auf  dirpiti.  Dafs 
dieses  noch  in  Sard.  liniia  usw.  fortlebe,  halte  ich  für  ziemlich 
wahrscheinlich.  2  Als  weitere  Reste  sehe  ich  die  Formen  vengo, 
tengo  neben  veüo^  teno,  als  irrtümliche,  analogische  Übertragungen, 
an.  Allerdings  sind  hier  zwei  Sachen  festzuhalten:  i.  kann  nicht 
einfach  ein  vulgärlat.  ^vcrmo  neben  veitio  existiert  haben  (vgl.  Meyer- 
Lübke,  Rom.  Gram.  11,  221),  2.  ist  neben  vengo  auch  valgo  usw. 
in  Betracht  zu  ziehen.  Aber  ich  meine,  dafs  die  doppelte  Aus- 
sprache des  gn,  die  sich  ziemlich  lange  gehalten  hat,  3  Analogien 
wie  piango,  pi'agno,  vengo,  vegno  fördern  mufste.  Bedenklich  ist  nur 
in  dieser  Auffassung,  dafs  z.  B.  in  ligmmi  und  pugtius  die  ursprüng- 
lich unvolkstümliche  Aussprache  auch  in  Mittel-  und  Unteritalien 
siegte.  Doch  mögen  diese  Worte  anderen  Fällen  wie  digniis,  pignus, 
regftum,  co^natus,  selbst  (christlich)  agnus,  agnellus  usw.,  die  gelehrten 
Einflüssen  zugänglicher  waren,  gefolgt  sein.  Von  gn  abgesehen 
kann  man  also  sagen,  im  eigentUchen  Italien  wurde  die  Guttural- 
assimilation durchgeführt,  in  den  Provinzen  blieb  die  Gutturalis 
erhalten.  Hier  setzte  nun  das  ein,  was  ich  Entgutturalisierung 
nannte.  Das  älteste  Stadium  scheint  uns  das  Dalmatische,  resp. 
das  von  denselben  Grundformen  ausgehende  Albanische  erhalten  zu 
haben.  Nach  velaren  Vokalen  erfolgt  Labialisierung  (dalra.  guapto, 
kopsa,   komnüt,   alb.  trofte,    kofse,  gümiüre),-^   nach  palatalen  Vokalen 


1  Auf  die  nicht  eindeutige  Stelle  bei  Priscian  Gratnm,  Lat.  I,  p.  39  über 
ignosco,  cognosco  etc.  will  ich  nicht  eingehen. 

^  Vgl.  z.  B.  Wagner,  Lautlehre  der  südsardischen  Mundarten  §  Il6 
gegen  §  179. 

*  Ich  möchte  auch  afrz.  dine,  rene  (vgl.  Meyer- Lübke,  Frz.  Gr.  133) 
die  im  Provenzalischen  z.  T.  bis  heute  fortleben,  hier  heranziehen. 

^  Bartoli,  Das  Dalmatische  II,  369  und  Meyer-Liibke  in  Gröbers  Grund- 
ri/s  P  1054. 


lO 

tritt  Neigung  zur  Palatalisierung  ein  (zwar  dalm.  frcksura,  piakno 
aber  alb.  dreili).  Ich  vermute,  dafs  ähnliches  ursprünglich  auch 
im  Rumänischen  vorgelegen  hatte  und  lese  dies  aus  MegLy«/,  fris 
einerseits  i  und  dem  p  in  rum.  astepi-  andrerseits  heraus.  In  der 
grofsen  rumänischen  Wanderperiode,  deren  Motive  wir  aus  den 
heutigen  Verhältnissen  der  Arumunen,  wie  sie  uns  Weigand  schildert, 
erraten  können,  und  welche  in  erster  Linie  zu  tiefgreifenden  dialek- 
tischen Ausgleichen  Anlafs  boten,  wurden  nun  im  allgemeinen  die 
labialisierten  Formen  nach  jedem  Vokale  durchgeführt.  Nur  vor  s 
blieben  Reste  der  älteren  Stufe  erhalten:  rum.  coapsa^  altrum.  toapsec 
aber  lesie,  fes.'-^  Ich  vermute  weiter,  dafs  auch  im  Westromanischen 
I.  der  Palatalisierung  gelegentlich  und  örtlich  auch  eine  entsprechende 
Velarisierung  zur  Seite  gestanden  hatte  und  2.  namentlich  in  ge- 
bildeten Kreisen  fortlebte,  als  im  Volke  die  Palatalisierung  längst 
verallgemeinert  worden  war.  Ad.  i  möchte  ich  mich  auf  die  Be- 
handlung von  g7i  in  Apulien  berufen,  ad.  2  auf  sp.  atiio  usw.  prov. 
maraiide,  neuprov.  cieune.^  In  diesem  Zusammenhange  möchte  ich 
also  frz.  '^fa-'/J.u  usw.  betrachten.  Noch  eines  will  ich  anführen.  ]\Ian 
könnte  meinen  Ausführungen  entgegenhalten,  dafs  zwar  im  Frz.  kl 
und  kl  im  Inlaute  übereinstimmend  palatalisiert  werden,  —  dafs 
aber  in  jenen  rom.  Mundarten,  welche,  wie  Italien,  Spanien  und  ein 
Teil  von  Südostfrankreich,  auch  //  und  fl  palatalisieren,  ein  Zu- 
sammenhang —  nehmen  wir  gar  von  iL/aifo  mit  cloppio  xxwd.  fianifna 
nicht  konstruiert  werden  könne.  Demgegenüber  wäre  folgendes  zu 
sagen.  Wenn  die  Palatalisierung  vom  /  ausgegangen  wäre,  müfste 
Assimilation  der  Gutturalis  an  folgendes  /  stattgefunden  haben  (eine 
solche  hat  wohl  nie,  weder  im  Latein  noch  im  Romanischen  exisliert.)^ 
Sodann  ist  das  /  nach  Konsonanten  ein  /  pinguis,  und  dieser  velare 
Charakter  des  /  wird  nicht  nur  durch  alte  Grammatiker  sondern 
auch   durch   den   altlat,  Lautwandel  von  //  zu  kl  erwiesen. 6     Aller- 


^  Densusianu,  His!oire  de  la  langue  roiimame  p.  335. 

2  Puscaiiu,  Etym.  Wth.  150  möchte  einem  Fortleben  von  excepto  in 
unserem  Falle  das  Wort  reden.  Vom  Latein  her  erjjeben  sich  aber  schwere 
Bedenken,  denn  excepto  heifst  im  Altertum  nie  „empfangen'',  auch  wohl  nicht 
volksiiimlich,  da  z.  B.  die  Glossen  eine  ganz  andere  Bedeutungsentwicklung 
von  excepto  sicher  stellen.  Hingegen  weist  Sardinien  auf  *assedito,  das  auch 
lautlich  zu  mgl.  stet  besser  stimmt.  Meyer -Lübke  zieht  adspectare  vor 
{Sitzimgsberichte  der    Wien.  Akad.  CXLV,  p.  36). 

3  Abzusehen  ist  von  vielen  Verbalformen,  \onfructus,  ngriech.  (pQovxzov, 
vegl.  froit,  alb.  früt.  In  Spanien  und  in  vielen  Mundarten  Oberitaliens  und 
der  Provence  ist  *JrTittii  anzusetzen.  Schwierig  sind  die  Formen  von  fraxinu 
wie  überhaupt  die  Reflexe  nach  a  am  Balkan  nicht  leicht  erkennbar  sind. 
Zu  miel  vgl.  p.  37,  Puscarius  ansprechende  Deutung. 

^  Vgl.  Meyer-Lübke,  Ro7n.  Gr.  I,  p.  389;  Zauner,  Altspan.  Elementb. 
p.  20;  Pidal,  Gram.  esp.  p.  89  n.  2  mit  abweichenden  Deutungen.  Weiter 
Mugica,  Dtal.  Castellanos  bes.  p.  13,  17,  84.  Natürlich  geht  die  entsprechende 
gelehrte  Behandlung  von  lat.  pt ,  ps  damit  Hand  in  Hand. 

5  Auch  ein  Wandel  *z'ik-la — vJlla  ist  aus  mehr  als  einem  Grunde  un- 
wahrscheinlich. 

^  tl  zu  kl  wäre  eine  teilweise  Assimilation,  wie  rl,  dl,  sl,  nl  zu  einer 
vollständigen  Assimilation  führten,  was  phonetisch  wohl  einleuchtet. 


II 

dings  v.urde  in  der  Zeit  des  Consentins  das  /  in  cludit  bereits 
ebenso  gesprochen  wie  in  ludit,  doch  könnte  dies  nur  auf  einem 
weiten  Umwege  als  palatales  /  exilis  gedeutet  werden.  Ich  spiele 
hier  an  die  Stelle  Gram.  Lat.  V,  395  an:  item  litteram  c  quidam  in 
quibusdam  dictionibus  non  latine  ecferunt,  sed  ita  crasse  ut  non  dis- 
cernes  quid  dicant;  ut  puta  si  quis  dicat  sie  hidit  ita  hoc  loquitur 
ut  putes  eum  in  secunda  parte  orationis  cludere  dixisse.  Alii 
contra  ita  subtiliter  hoc  efFerunt,  ut  cum  duo  c  habeant  desinentis 
prioris  partis  orationis  et  incipientis  alterius  sie  loquuntur  quasi  uno 
c  utrumque  explicat.  Was  im  übrigen  die  Deutung  dieser  Stelle 
betrifft,  so  war  ich  früher  geneigt,  sie  für  ganz  verderbt  zu  halten. 
Ich  bin  jetzt  gewissermafsen  davon  abgekommen  und  will  ver- 
suchen, ihr  einen  Sinn  zu  geben,  welcher  mit  den  sonstigen  An- 
gaben bei  Consentius  übereinstimmt.  Der  Grammatiker  (es  ist 
möglicherweise  hier  Consentius  selbst)  richtet  sich  hier  offenbar  gegen 
das,  was  ich  früher  als  lateinische  Sandhibindungen  bezeichnete. 
Sagen  wir,  er  sprach  als  Gallier  (was  er  wahrscheinlich  nach  obigem 
ist),  —  und  rügte  gleichzeitig  vornehmlich  die  Aussprachefehler 
seiner  eigenen  Landsleute,  Die  falsche  Artikulation  {iion  latine) 
wäre  ein  zu  schwach  artikuliertes  c  in  sic'^  das  er  dem  anl.  c  in 
cludere  gleichstellt.  Daraus  geht  weiter  hervor,  dafs  er  selbst  den 
Wortanlaut  crasse  d.  i.  schwach  artikuliert  sprach,  was  oben  für  die 
lateinsprechenden  Gallier  ältester  Zeit  vermutet  worden  ist.  Andere 
—  fährt  er  fort  —  sprächen  snhliliter,  d.  i.  —  wie  ich  seinerzeit  . 
aus  anderen  Consentiusstellen  erschlofs,  —  zu  stark  artikulierend. 
Sie  gäben,  sagen  wir  hoc  cludit  gleichsam  durch  ein  einziges  c  wieder. 
Das  wäre  m.  E.  die  mittel-  und  unteritalische  Sandhibindung: 
siccome,  e-cchiude,  welche  Wortan-  und  -auslaut  zu  einer  einzigen 
Geminata  verschmilzt,  während  unser  Gallier  offenbar  hoc  und  cludit 
nicht  geminierte  sondern  wohl  auseinanderhielt. 

Wie  immer  übrigens  diese  Dinge  sich  verhalten  mögen,  das 
glaube  ich  sagen  zu  können,  dafs  nicht  das  /  sondern  das  c  in  sie 
ludit  anders  gesprochen  wurde  als  in  cludit.  Von  ihm  ging  die 
Palatalisierung  in  it.  chiave  sp.  llave  ebenso  aus,  wie  jene  in  frz.  soleilf 
oreille.  Die  Palatalisierung  von  pl,  bl,  fl  ist  sowohl  räumlich  be- 
schränkter als  zeitlich  jünger,  und  ich  möchte  sie  als  eine  Artikulations- 
analogie bezeichnen,  sowie  ja  auch  die  sog.  Palatalisierung  von  />/, 
bi  (trotz  Jespersens  „palatalem"  /»,  höchstens  eine  ausgeklügelte 
phonetische  Konstruktion,  da  ein  Labialkonsonant  nie  „palatal" 
werden  kann ! )  eine  Artikulationsanalogie  nach  //,  di,  ki,  gi 
darstellt. 


1  Ohne  es  feststellen  zu  können,  möchte  ich  vermuten,  dafs  Consentius 
hier  (vgl.  Z.  f.  r,  Ph.  XXX,  p.  652)  in  der  Unterscheidung  des  soniis  pinguis 
[crassus,  plenus)  und  exilis  [subtilis)  etwa  die  bei  den  späteren  griechischen 
Grammatikern  beliebten  Ausdrücke  \^)ü.oq.  (von  Vokalen  und  Konsonanten  ge- 
braucht) und  /.ityccg  resp.  daav^  vorgeschwebt  haben  mochten.  Soweit  ich  mich 
wenigstens  nach  Steinthal,  Geschichte  der  Sprachwissenschaft  11-,  p.  198 ff. 
bes.  201  n.  unterrichten  konnte. 


Ich  will  damit  abbrechen,  denn  ich  bin  nicht  in  der  Lage  ein 
evolutionistisches  System  etwa  für  den  französischen  Vokalismus 
aufzustellen  ohne  in  Gewaltsamkeiten  zu  verfallen.  Nicht  um  ein 
mutwilliges  Spiel  der  Phantasie,  sondern  darum  handelt  es  sich  hier, 
den  methodischen  Gegensatz  des  Suchens  nach  dem  Individuellen 
und  nach  dem  Typischen  möglichst  anschaulich  zur  Geltung  zu 
bringen.  Gleichzeitig  dürfte  aber  dieser  Versuch  selbst  recht  gut 
dartun,  wie  schwer  es  wäre,  diese  beiden,  in  ihren  Zielen  konträren 
Betrachtungsweisen  in  der  Praxis  einseitig  zu  pflegen.  Sie  sind 
bestimmt  einander  zu  ergänzen. 

Damit  will  ich  zum  Problem  der  deskriptiven  Grammatik 
zurückkehren,  die,  wie  bemerkt,  ihrem  Wesen  nach  unzeitlich 
sein  soll.  Zunächst  mufs  angeführt  werden,  dafs  vieles  von  Meyer- 
Lübke  selbst  in  der  Einführung  im  IV.  Kapitel  (Biologische  Auf- 
gaben) in  dieser  Hinsicht  zusammengestellt  ist.  Lautphysiologie, 
Sprachgeographie,  Sprachpsychologie,  Wortschöpfung  sind  an  sich 
unzeitlich  und  dort  als  „biologische"  Momente  behandelt.  Sie 
stehen  aber  m.  E.  nicht  gleichwertig  nebeneinander,  sondern  zeigen 
verschiedene  Affinitäten  zueinander,  und  sind  vor  allem  in  sehr 
verschiedenem  Sinne  unzeitlich.  Schon  der  Sammelname  der  „Bio- 
logie", den  Meyer -Lübke  wählte,  besagt,  dafs  er  auch  hier  an 
sprachliche  „Geschehnisse"  denkt.  Darum  ist  „biologisch"  mehr 
als  blofs  „descriptiv".  Im  Grunde  wäre  es  das,  was  ich  „evolu- 
tionistisch"  nannte,  doch  greift  Meyer-Lübke  auch  über  dieses 
Prinzip  weit  hinaus,  indem  er,  ein  Problem  mit  einschliefst,  das 
überhaupt  aufserhalb  der  Grammatik  im  eigentlichen  Sinne  liegt. 
Das  grammatische  Problem  xar'  l^o)(i]V  ist  die  Sprache  in  ihrer 
Gesamtheit,  —  von  der  Tätigkeit  des  Sprechenden  ab- 
strahiert. In  der  Biologie  ist  aber  auch  das  Problem  des 
Sprechens  als  solches,  —  vor  allem  die  Lautphysiologie  enthalten, 
das  mit  den  einzelnen  Sprachen  nur  indireckt  zusammenhängt. 
Die  Aktion  des  Sprechens  ist  ein  Problem  der  Sprachwissenschaft, 
aber  man  könnte  ein  solches  „Handbuch  der  Sprechbiologie" 
nicht  gut  als  Grammatik  bezeichnen.  Somit  müfste  die  Laut- 
physiologie trotz  ihres  deskriptiven  Charakters  von  einer  deskriptiven 
Grammatik  ferngehalten  werden.  Der  Lautphysiologie  am  nächsten 
steht  die  Sprachpsychologie,  bei  der  deutlich  zweierlei  Teile  zu 
unterscheiden  sind:  eine  Psychologie  des  Sprechens,  welche  das 
sprechende  Individuum  zum  Objekte  wählt,  und  einer  Sprach- 
psychologie im  engeren  Sinne,  die  aus  den  Sprachtatsachen 
Materialien  zur  psychologischen  Forschung  gewinnt.  In  dem  weit- 
gespannten Rahmen,  den  Wundt  seiner  Völkerpsychologie  zugrunde 
legte,  sind  beide  Elemente  (Sprache  I,  Kap.  i — 4,  —  und  I,  Kap.  5 
und  II)  verschmolzen.  Was  dort  an  sprachlichen  Forschungen 
von  psychologischen  Tatbeständen  ausgehend  enthalten  ist  (Theorie 
des  Grimmschen  Gesetzes,  Lautassimilation  und  Dissimilation  usw.) 
könnte  in  einer  rein  deskriptiven  Grammatik  keinen  Platz  finden, 
—  wohl  aber  in  einer  historischen,  speziell  evolutionistischen  Gram- 


13 

matik.i  Beide  Disziplinen  Lautpbysiologie  und  Sprachpsychologie 
würde  ich  daher  für  ungeeignet  erachten,  als  Basis  einer  deskriptiven 
Grammatik  zu  dienen.  Soweit  sie  „grammatisch"  d.  h.  die  Sprache 
in  ihrer  Gesamtheit  ins  Auge  fassend  sind,  scheinen  sie  mir  „zeit- 
lich"  zu  sein,  soweit  sie  rein  deskriptiv  sind,  nicht   „grammatisch". 

Jetzt  erübrigt  nicht  mehr  viel.  Um  zu  einer  unzeitlichen 
Grammatik  zu  gelangen,  sehe  ich  nur  zwei  Wege.  Das  Zeitliche 
an  der  Sprache  läfst  sich  entweder  so  ausschalten,  dafs  die  gram- 
matische Darstellung  auf  eine  möglichst  kurze  Epoche,  sozusagen 
auf  ein  Momentbild  in  der  Sprachgeschichte  eingeschränkt  wird. 
Der  Gewinnst  dieses  Verfahrens  läge  darin,  dafs  eine  solche  Grammatik 
Dingen  nachzugehen  vermöchte,  welche  die  historische  Grammatik 
nur  stiefmütterlich  zu  berücksichtigen  in  der  Lage  ist.  Da  wäre 
einmal  das  schon  von  Meyer-Lübke  von  der  Paläontologie  fern- 
gehaltene geographische  Moment.  Sodann  die  mindestens  ebenso 
wichtigen  sozialen  Schichtungen  der  Sprachen:'-  Literatursprache, 
Kanzleisprache,  Schul-,  Bühnen-,  Kanzelsprache,  Mischung  dieser 
Kulturelemente  mit  den  bodenständigen  Dialekten,  diese  selbst, 
Argot,  Geheimsprachen  usw.  Wenn  ich  als  wahrscheinliches  End- 
ziel der  historischen  Grammatik  eine  „pragmatische  Geschichte" 
der  betreffenden  Sprache  hinstellte,  so  denke  ich  mir  eine  solche 
deskriptive  Grammatik  als  „sprachgeographisches  Handbuch"  (also 
von  einem  „Handbuch  der  Sprachbiologie"  wesentlich  verschieden!). 
Wie  nun  in  einer  solchen  geographischen  Schilderung  auch  historische 
Daten  Verwendung  finden,  so  kann  auch  diese  deskriptive  Grammatik 
historische  Exkurse  und  Erklärungen  verschiedenster  Art  in  sich  auf- 
nehmen. Alle  Grade  der  Vermischung  historischer  und  deskriptiver 
Methoden  sind  in  dieser  Richtung  denkbar.  Welcher  Kategorie 
ein  bestimmtes  Werk  zuzulegen  ist,  wird  in  erster  Linie  von  der 
Absicht  des  Verfassers  abhängen,  ob  er  den  Stand  einer  Sprache 
oder  deren  Entwicklung  darzustellen  im  Sinne  hat. 

Der  zweite  Weg  führt  vielleicht  zu  höheren  Zielen,  —  mufs 
aber  durch  grofse  prinzipielle  Schwierigkeiten  gebahnt  werden. 
Diese  setzen  mit  der  Frage  ein:  hat  sich  der  Sprachforscher  ledig- 
lich mit  der  sprachlichen  Form  der  menschlichen  Gedanken  zu 
befassen,  oder  ist  er  berechtigt  resp.  verpflichtet  darüber  hinaus- 
zugehen? Dieses  Darüberhinausgehen  führt  nämlich  i.  zu  den  Be- 
deutungen der  Worte,  2.  —  um  den  Ausdruck  gleich  hinzusetzen, 
—  zu  den  Funktionen  der  Worte.  Zunächst:  was  nenne  ich 
eine  Wortfunktion? 

Um  zu  diesem  Begriffe  zu  gelangen  sei  vorerst  hervorgehoben, 
dafs  zwischen  dem  „Sinne"  eines  Wortes  und  seiner  „Bedeutung" 
unter  Umständen  zu  unterscheiden  ist.    Hinsichtlich  dieser  ist  fest- 


1  Auf  Völkerpsychologie  und  syntaktische  Forschung  werde  ich  unten 
zu  sprechen  kommen.  Selbst  kein  Philosoph,  bin  ich  nicht  in  der  Lage,  auf 
die  allerjüngsten  Diskussionen,  welche  seit  Jahresfrist  auf  diesem  Felde  geführt 
wurden,  entsprechend  einzugehen. 

2  Vgl.  Einf.  S.  Sy  fr. 


»4 

zuhalten,  dafs  dieselbe  immer  „etwas"  sein  mufs.  Lat.  arhor  „be- 
deutet" soviel  als  „Baum",  heifst,  es  deutet  (in  des  Wortes  eigent- 
lichstem Sinne)  auf  eine  Vorstellung  „Baum"  hin.  So  ist  jede 
Wortbedeutung  eine  Vorstellung,  sei  sie  einfach  oder  komplex, 
anschaulich  oder  unanschaulich.  Nun  haben  wir  aber  auch  Worte, 
die  effektiv  nichts  bedeuten,  die  mit  keinerlei  Vorstellung  unmittel- 
bar verknüpft  sind,  aber  eines  gev^^issen  Sinnes  nicht  entbehren, 
wenn  sie  mit  einem  „bedeutenden"  Wort  verbunden  wurden.  Ich 
kann  lat.  arbor  mit  .^Baum'"''  wie  mit  der  Bainn  oder  ein  Baum 
wiedergeben;  jedesmal  beziehe  ich  mich  vielleicht  auf  dieselbe  Vor- 
stellung. Die  Artikel  geben  der  Vorstellung  einen  andern  Sinn 
ohne  an  der  Vorstellung  an  sich  etwas  zu  ändern,  i  Dasselbe  gilt 
von  Präpositionen,  vielen  Pronomina,  Konjunktionen  u.  a.  m.  Der 
charakteristische  Unterschied  liegt  darin,  dafs  jedes  Wort  mit  selbst- 
ständiger Bedeutung  für  sich  gesetzt  schon  einen  Satz  bilden  kann, 
während  blofs  sinnvolle  Worte  in  beliebiger  Anzahl  aneinander 
gereiht  nie  einen  solchen,  sondern  höchstens  das  bilden  können, 
was  Wundt  z.  B.  als   „Satzäquivalent"   bezeichnet. 

Wenn  ich  nun  ein  Wort  mit  Bedeutung  mit  einem  blofs  sinn- 
vollen Worte  verbinde,  so  sage  ich,  letzteres  drücke  eine  Funktion 
aus:  de?-  Baum,  heim  Baume,  und  Bäume  etc.  sind  syntaktische 
Funktionen  der  Vorstellung  Baum  resp.  Bäume.  Unsere  sprach- 
lichen Ausdrucksmittel  der  sog.  flektierenden  Sprachen  erlauben  es 
uns,  solche  syntaktische  Vorstellungsfunktionen  darzustellen  ohne 
eigene  Wörtchen  beizufügen.  Alle  Formen  der  Flexion  dienen 
lediglich  dem  Ausdruck  bestimmter  Funktionen.  Man  kann  geradezu 
sagen:  die  Syntax  ist  die  Lehre  von  den  Wortfunktionen. ^  Das 
schwierigste  Problem  der  syntaktischen  Funktion  ist  jenes:  ob  mit 
der  Änderung  der  sprachlichen  Ausdrucksmittel  sich  auch  die 
Funktionen  selbst  mitändern.  Ich  will  durch  einige  Belege  dartun, 
wie  gerade  in  diesem  Punkte  in  unsern  Grammatiken  vollständige 
Verwirrung  herrscht. 

Ich  sage  de?-  Knecht  des  Vaters;  des  Vaters  nenne  ich  Genitiv. 
Genitiv  \si patris,  —  sind  auch  de!  padre,  du  plre  Genitive  zu  nennen? 
In  der  Romanistik  half  man  sich  mit  der  Konstruktion  eines  casus 
obliquus    ohne    sich    zu    fragen,    welche    syntaktische    Funktionen 


1  Nicht  aber  bleibt  die  Vorstellungsassoziation  oder  die  zu  analysierende 
Gesammtvorstellung  unverändert. 

2  Ich  stelle  diese  Definition,  nicht  als  erster,  in  bewufsten  Gegensatz  zu  der 
üblichen:  die  Syntax  wäre  die  Lehre  vom  Satze.  Der  Satz  ist  kein  sprach- 
liciies,  sondern  ein  rein  gedankliches  Gebilde.  Nicht  was  der  .Satz  (resp.  das 
Urteil)  ist,  sondern  mit  welchen  sprachlichen  Ausdrucksmitlein  die  Worte  ver- 
knüpft werden,  wenn  Sätze  (Urteile)  mitgeteilt  werden  sollen,  das  ist  für  den 
Grammatiker  entscheidend.  Solange  die  Syntax  von  logischen  oder  psycho- 
logischen Tatsachen  ausgehen  will,  wird  sie  wohl  zu  einer  logisch-psycho- 
logischen Forschung  auf  grund  sprachlicher  Materialien  führen,  —  diese  mufs 
aber  billiger  Weise  der  Völkerpsychologie  überlassen  bleiben.  Gerade  die 
Philologie  mufs  dafür  sorgen,  dafs  sie  sich  von  der  Philosophie  reinlich  scheidet, 
um  ihren  eigenen  Aufgaben  gerecht  zu  werden. 


15 

diesem  Obliquus  zukommen,  gegen  welche  die  unglückliche  Ein- 
teilung der  traditionellen  lat.  Deklination  mit  ihren  nur  6  Kasus- 
formen ein  Kinderspiel  ist. 

Aber  es  kommt  noch  schlimmer:  dialektisch  sagt  z.  B.  der 
Österreicher  gar  nicht  der  Knecht  des  Vaters  sondern  dem  Vater 
sein  Knecht,  und  wenn  ich  nicht  irre,  bestehen  ähnliche  Wendungen 
in  einem  weiten  Teile  Deutschlands.  Da  hilft  kein  zurecht- 
gezimmerter Casus  obliquus.  Die  Frage  ist  einfach,  ob  dem  Vater 
in  diesem  Falle  ein  Genitiv  ist  oder  nicht?  Wollten  wir  aber 
durch  ein  Hintertürchen  entschlüpfen  und  meinen:  dem  Vater  sein 
Knecht  sei  zwar  kein  Genitiv,  auch  kein  richtiger  Dativ,  da  das 
Verb  fehlt;!  wir  wollten  ihn  aber  „Possessiv"  nennen,  so  erhebt 
sich  sofort  die  Frage:  ist  serviis  palris,  il  servo  del  padre,  Vaters 
Knecht  nicht  ebenso  ein  Possessiv? 

Nehmen  wir  einen  andern  Fall.  Die  historische  Grammatik 
erkennt  zwar  du  pere,  au  pere  nicht  als  Genitiv  resp.  Dativ  an, 
weil  diese  Formen  mit  patris,  patri  in  keiner  Weise  etymologisch 
zusammenhängen.  Sie  räumt  aber  in  der  Kasuslehre  den  fort- 
lebenden lat.  Genitiven  des  Altfranzösischen,  den  rumänischen 
Dativen  etc.  ihren  Platz  ein.  Warum  verfährt  sie  beim  Futurum 
ganz  anders  und  begnügt  sich  nicht  etwa  mit  der  Verzeichnung 
des  afrz.  ier,  iers,  iert}  Warum  läfst  sie  das  zusammengesetzte 
Perfekt  als  richtiges  Perfekt  gelten?  Das  eine  Mal  geht  man  von 
der  ursprünglichen  Form  der  Funktionen  aus  und  wirft  die  ver- 
schiedensten Funktionen  einzig  aus  dem  Grunde  zusammen,  weil 
ihre  Formen  nicht  immer  ohne  weiteres  unterschieden  werden 
können,  das  andere  Mal  geht  man  von  der  futurischen,  perfektischen 
Funktion  selbst  aus,  denen  zu  Liebe  etymologisch  ganz  und  gar 
nicht  zusammenhängende  Formen  zusammengestellt  werden.  Aber 
auch  hier  ist  man  oft  genug  inkonsequent.  So  gelten  als  Typen 
der  rom.  Futurbildungen:  cantare  haheo,  haheo  cantare,  volo  cantare,  habeo 
ad  ca7itare,  debeo  cantare,  venio  aa  cantare  [Rom.  Gr.  II,  138)  während 
das  frz.  je  vais  chanter  so  wenig  mitgezählt  wird  als  das  perfektische 
je  viens  de  chanter  bei  den  Praeteritalformen. 

Man  könnte  diese  offenen  und  versteckten  Widersprüche, 
welche  die  Tratition  allmählig  in  unserer  Grammtik  eingebürgert 
hat,  leicht  vermehren,  und  es  wäre  wohl  gut,  diesen  Systemlosig- 
keiten  einmal  abzuhelfen.  Hier  gibt  es  nur  zwei  Möglichkeiten: 
entweder  sehen  wir  die  syntaktische  Funktion  mit  ihrem  jeweiligen 
sprachlichen  Ausdrucksmittel  identisch  an,  d.  h.  mit  einer  unter- 
gehenden Form  würde  die  Funktion  selbst  mitverschwinden  und 
durch  andere  ersetzt  werden.  Dann  wäre  dem  Vater  sein  Knecht 
ein  Dativ,  das  sizil.  sard.  sp.  video  ad  illum  hominem  wäre  der 
nämliche  casus  wie  litteras  ad  le  mitlo  usw.  Die  Folgen  scheinen 
mir   höchst    bedenklicher  Natur,    doch  halte   ich  es  für   die  einzige 


1  Dafs  kein  „Dativ"  vorliegt  zeigt  z.  B.  Ich  gehe  mit  dem    Vater  seinem 
Knechte. 


i6 

Möglichkeit  die  grammatischen  Formen  lediglich  vom  historischen 
Standpunkte  zu  behandeln,  ohne  sich  um  ihren  Sinn  weiter 
zu  kümmern,  d.  h.  die  hist.  Formenlehre  der  hist.  Lautlehre  gleich- 
zusetzen. 

Oder  —  und  dies  scheint  mir  weit  richtiger,  —  die  Wort- 
funktionen wären  etwas  Festes,  von  der  äufseren  Sprachform  Un- 
abhängiges d.  h.  der  sogenannte  lat.  possessive  Genitiv  wäre  ein 
syntaktischer  Possessiv  (wenn  auch  in  genitiver  Form),  das  Futurum 
drücke  bei  Römern  und  Franzosen  genau  dasselbe  Zeitverhältnis 
aus,  usw.  Von  dieser  zweiten  Supposition  ausgehend  müfste  weiter 
angenommen  werden,  die  Zeitabstufungen  hätten  im  Denken  der 
Urindogermanen  ebenso  bestanden  wie  heute,  wenn  auch  die  Aus- 
drucksraittel  ungleich  primitiver  waren,  dafs  Aorist  und  Perfekt  von 
Römern  jeder  Zeit  ebenso  distinkt  empfunden  wurden  wie  von 
den  späteren  Romanen,  die  neuerlich  beide  zu  unterscheiden  suchen, 
dafs  frz.  moi  und  mail.  venez.  ini  vielfach  regelrechte  Nominative 
sind,  wie  neuprov.  ieu  auch  als  Akkusativ  zu  gelten  hat.  Doch 
man  mag  noch  so  sehr,  wie  ich,  zur  Bejahung  dieser  Fragen  hin- 
neigen, —  es  mufs  zugegeben  werden,  dafs  es  einem  Philologen 
schwer  ist,  eine  bestimmte  Antwort  abzugeben.  Was  die  historische 
Formenlehre  und  die  historische  Syntax  zu  lehren  vermögen,  das 
ist  der  Wandel  der  sprachlichen  Ausdrucksmittel.  Über  die  Funktionen 
der  Worte  wissen  sie  so  wenig  zu  sagen  als  etwa  die  Lautlehre 
über  die  Bedeutungen.  Früher,  bevor  man  historische  Grammatik 
trieb,  war  gerade  die  Klarlegung  der  Wortfunktionen  die  Haupt- 
aufgabe der  deskriptiven  Grammatik.  Heute  ist  durch  das  historische 
und  vergleichende  Sprachstudium  unsere  Sprachkenntnis  und  unser 
Verständnis  für  sprachliche  Vorgänge  gewaltig  angewachsen.  Was 
die  deskriptive  Grammatik  einst  geleistet  darf  uns  nicht  mehr 
genügen,  die  Materialien  von  heute  legen  die  Unzulänglichkeit  der 
alten,  normativ  konzipierten  Darstellung  der  Funktionen  auf  Schritt 
und  Tritt  dar.  So  meine  ich  denn,  hier  setze  der  Weg  zu  einer 
modernen,  wissenschaftlich  deskriptiven  Grammatik  ein,  —  es 
gilt  nur  bewufst  alle  historischen  Ziele  und  Hintergedanken  bei- 
seite zu  lassen  und  die  Wortfunktionen  soweit  sie  syntaktisch  unter- 
scheidbar sind  zu  untersuchen.  Ist  diese  Arbeit  einmal  geschehen, 
so  wird  auch  die  historische  Grammatik  Nutzen  und  Anregung 
daraus  zu  schöpfen  wissen. 

Karl  von  Ettmayer. 


Zur  Rekonstruktion  des  Urrumänischen. 


Im  Folgenden  wird  ein  Problem  berührt  werden,  welches  seit 
mehr  als  einem  Säkulum  die  Historiker  und  die  Sprachforscher,  die 
sich  mit  dem  rumänischen  Volke  und  seiner  Sprache  befafsten,  in 
hohem  Mafse  beschäftigt  hat.  Es  ist  die  berüchtigte  „Rumänen- 
frage", in  welcher  unermüdliche  Arbeit  und  geistreiche  Hypothesen 
wohl  manches  Neue  zutage  gefördert  haben,  deren  Lösung  indessen 
noch  lange  nicht  gegeben  wurde.  Ich  mafse  mir  natürlich  nicht 
an,  eine  solche  in  diesen  Zeilen  herbeizuführen,  ja  selbst  dem  ver- 
lockenden Wunsche  eine  neue  Hypothese  aufzustellen,  bin  ich, 
soweit  es  ging,  aus  dem  Wege  gegangen.  Es  schien  mir  nämlich, 
dafs  im  gegenwärtigen  Stadium  der  Forschung  künstliche  Rekon- 
struktionen —  mögen  sie  auch  kunstvoll  sein  —  nicht  besonders 
geeignet  sind,  die  Lösung  des  Problems  zu  fördern,  sondern  das, 
was  not  tut,  ist  fleifsiges  Sammeln  von  neuem  Material  und 
Säuberung  des  Arbeitsgebietes  von  allen  methodischen  Fehlern,  die 
bis  jetzt  begangen  worden  sind. 

Jede  Zeit  hat  ihre  besondere  Vorliebe  für  gewisse  Fragen  und 
daher  besitzen  wissenschaftliche  Streitfragen  zu  verschiedenen  Zeiten 
eine  ungleichmäfsige  Anziehungskraft.  Die  „Rumänenfrage"  stand 
einst  bei  den  Rumänen  im  Vordergrund  jeder  historischen  und 
philologischen  Betrachtung,  weil  man  aus  ihr  für  gewisse  politische 
und  patriotische  Forderungen  Anhaltspunkte  gewinnen  wollte.  Dieser 
Standpunkt  ist  glücklicherweise  bei  den  Rumänen  überwunden  und 
an  Stelle  der  tendenziösen  ist  eine  objektive  Betrachtungsweise 
eingetreten.  Dadurch  hat  aber  diese  Frage  an  Reiz  verloren  und 
liegt  augenblicklich  ziemlich  abseits  vom  allgemeinen  Interesse. 

Man  sollte  aber  meinen,  dafs  ein  Einblick  in  die  Urverhältnisse 
einer  Sprache  zu  allen  Zeiten  ein  erstrebtes  Ziel  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  bieten  müfste.  Dieses  Problem  ist  so  vielseitig, 
dafs  man  es  immer  von  der  Seite  angreifen  kann,  welche  im 
Mittelpunkt  der  zeitgenössischen  Beschäftigung  liegt.  Unsere  gegen- 
wärtigen Bestrebungen  gehen  auf  die  Vertiefung  jeder  Hnguistischen 
Frage  in  prinzipieller  und  methodischer  Richtung  und  es  scheint 
mir,  dafs  gerade  in  dieser  Beziehung  die  „Rumänenfrage"  ein  sehr 
dankbares  Forschungsgebiet  abgibt.  Die  Lösung  des  Rätsels  wird 
dadurch    allerdings   nicht   das   eigentliche  Ziel,    vielmehr  rückt   die 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVl.     (Festschrift.)  3 


i8 

Perfektionierung  der  Mittel,  die  dazu  führen,  in  den  Vordergrund, 
Infolgedessen  werden  auch  die  folgenden  Zeilen  eher  dazu  bei- 
tragen, das,  was  andere  auf  falschen  Wegen  erschlossen  haben,  zu 
widerlegen,  als  an  dessen  Stelle  Neues  aufzubauen.  Sie  werden 
aber  vielleicht  auch  zum  Nachdenken  über  diese  Streitfrage  anregen 
und  hin  und  wieder  für  unseren  Gedankengang  neue  Bahnen 
eröffnen.  Hasdeu  hat  einmal  das  schöne  Wort  geprägt:  Das  beste 
Buch  ist  nicht  gerade  jenes,  welches  mir  Lösungen  gibt,  sondern 
dasjenige,  welches  mich  zum  Nachdenken  anregt. 

Der  weite  Blick  des  Meisters,  welcher  das  Gesamtgebiet  der 
Romania  beherrscht,  fehlt  der  Abhandlung  seines  Schülers.  Ich 
würde  mich  jedoch  glücklich  schätzen,  wenn  Sie,  hochverehrter  Lehrer 
und  Freund,  darin  einen  schwachen  Abglanz  jener  ausgezeichneten 
Methode  wiederfänden,  die  aus  allen  Ihren  Schriften  und  Vorlesungen 
vorbildlich  zutage  tritt. 


I.  Obschon  die  ältesten  rumänisch  geschriebenen  Schriftstücke 
nur  bis  ins  XV.  Jahrhundert  zurückreichen,  sind  wir  doch  in  der 
Lage,  die  rumänische  Sprache  bedeutend  weiter  nach  rückwärts  zu 
verfolgen.  Schon  einige  Jahrhunderte  früher  hat  sich  nämlich  das 
rumänische  Volk  in  mehrere  Gruppen  geteilt,  die  dann  im  Laufe 
der  Zeit  gänzlich  von  einander  getrennt  wurden,  indem  sich  zwischen 
sie  fremde  Volksstämme  einschoben.  Da  von  nun  an  ein  Verkehr 
unter  den  einzelnen  Gruppen  —  mit  Ausnahme  zweier  unter  ihnen, 
der  aromunischen  und  der  meglenitischen  —  nicht  mehr  möglich 
war,  können  wir  heute  aus  dem  Vergleich  der  vier  Hauptdialekte 
einen  ziemlich  klaren  Einblick  in  die  Urverhältnisse  gewinnen.  Die- 
jenigen Spracherscheinungen,  die  in  allen  Hauplmundarten  vor- 
kommen und  den  übrigen  romanischen  Sprachen  gegenüber  sich 
als  Neuerungen  erweisen,  kann  man  infolge  dessen  —  da  wir  dem 
Zufall  keine  übertriebene  Rolle  einräumen  wollen  —  als  urrumänisches 
Sprachgut  betrachten,  wenn  man  nämlich  unter  Urrumänisch  die 
Sprache  versteht,  die  von  den  Vorfahren  der  heutigen  Dakorumänen, 
Aromunen,  Megleniten  und  Istrorumänen  gesprochen  wurde,  bevor 
jeglicher  Verkehr  unter  ihnen  abgebrochen  war. 

Derjenige,  der  das  Bild  der  urrumänischen  Sprache  entwerfen 
will,  hat  die  Aufgabe,  die  vier  Hauptmundarten  mit  einander  zu 
vergleichen,  das  Gemeinsame  zu  sichten  und  auf  die  Urgestalt 
zurückzuführen.  Damit  ist  jedoch  nur  die  Aufgabe  des  historischen 
Grammatikers  erfüllt;  der  Sprachforschung  eröffnet  sich  aber  in 
diesem  Augenblick  ein  neuer  Arbeitsweg.  Wir  wissen  nämlich  über 
die  Geschichte  und  die  Wohnsitze  der  Urrumänen  so  gut  wie  gar 
nichts  Positives.  In  Ermangelung  historischer  Daten  kann  aber 
die  Philologie  mit  ihren  aus  der  Sprache  gewonnenen  Argumenten 
etwas  Licht  in  diese  dunkeln  Verhältnisse  bringen.  Die  Rekon- 
struierung   der    urrumänischen   Sprache    ist    demnach    zugleich    ein 


19 

wichtiges  Hilfsmittel,   um  die   Geschichte  der  Rumänen  in  der  ersten 
Hälfte  des  Mittelalters  zu  rekonstruieren. 

Eine  einfache  Betrachtung  der  vier  Hauptmundarten  zeigt  zu- 
nächst, dafs  fast  alle  jene  Merkmale,  die  sich  gegenüber  den 
anderen  romanischen  Sprachen  als  rumänisch  erweisen,  sowohl 
im  Dako-  und  Istrorumänischen,  als  auch  im  Aromunischen  und 
Meglenitischen  vorhanden  sind,  dafs  sie  also  schon  zur  urrumänischen 
Zeit  so  gut  wie  ausgebildet  waren.  Dies  durch  Beispiele  zu 
illustrieren  ist  an  dieser  Stelle  wohl  nicht  nötig.  Statt  dessen  will 
ich  aber,  da  eine  solche  Probe  noch  nie  gegeben  worden  ist,  den 
Anfang  eines  meglenitischen  Märchens  (aus  P,  Papahagis,  Megleno- 
Romänü,  II,  9)  anführen,  den  ich  ins  Dakorumänische  übersetzte 
und  durch  einen  Aromunen  (Herrn  Dr.  P.  Papahagi)  und  einen 
Istrorumänen  (Herrn  Dr.  A.  Belulovici)  in  ihre  Mundarten  übertragen 
liefs.  Ein  jeder  Sprachforscher  wird  schon  aus  diesem  frag- 
mentarischen Bilde  mit  Leichtigkeit  Schlüsse  ziehen  können. 

Dakorumämsch:  Erä^  odatä^  un  impärat  care  nu  aveä  nici 
un  flu  .^i  doreä  mult  sä  aibä  un  flu,  ca  sä  nu  i  se  stingä  numele. 
De  aceea  (darä)  se  rugä  (el)  la  Dumnezeu^  sä-i  dea  un  flu.  Intr'o 
zi  se  duse*  la  un  vräjitor,  sä  vadä^  dacä^  i  va  da  DomnuH  un 
flu,  sau  nu.  larä  acel  vräjitor  li  dete  un  mär  si-i  zise:  „sä  dai 
nevestiis  tale  acest  mär  sä-1  mänänce  §i  ea  va  naste'J  un  flu  asä. 
cum  i|i  cere  inima''. 

Aromtmisch:  Earä  nä  oarä  un  amirä,  ^e'o  no-aveä  niti-un^i 
h'il'ü  §i  multu  dureä^^  s'aibä  un  h'il'ü,  tra  s  nu-l'  se-astingä  numa. 
De-a^eä  näs  urä  ^3  la  Dumnidzäu  sä-l'  1*  da  un  h'il'ü.  Nä  dzuä  si«i 
duse  la  un  magü,  ma  z-veadä,  di  se  va-l'da  Domnul  '&  h'il'ü,  icä  nu. 
Am  ajel  magü  il'  deade  un  mer  ^i-l'  dzäse:  „si-1  dai  a  mul'are- 
tai  aestu  mer  §i  s-lu^^  mäcä  §i  ea  va  s-facä*''  un  h'il'ü,  a^i^e  cum 
il'  doarei*  inima". 

Meglenitisch :  Ra  unä  oarä  un  ampirat,  cari  nu  v§  niji  un  iriü 
§i  multu  ^ireä  sä  aibä  un  il'iü  sa  nu-l'l  si  stingä  numea.    Di  tea  lel 


*  Oder:  a  fost. 

*  Vgl.  de  douä  ori. 
ä  Oder:  la  Domnul. 
"  Oder:  a  mers. 

*  Oder:  sä  caute. 

*  Oder:  de. 

^  Oder:  Dunanezeu. 

8  Oder:    muierii ,    mundartlich  auch:    la  oder  lu  muiere(a)-ta  (nevastä-ta). 

8  Oder:  va  face. 
'"  Oder:  carT. 
^^  Oder:   väruä. 
^*  Oder:  vrea. 
1*  Oder:  späläcärseä. 
1^  Oder:  si-l'. 
'5  Oder:  Dumnidzälu. 
16  öder:  si-1. 
1'  Oder:  va  s-amintä. 
'"  Oder:  il'  va. 

2* 


20 

tucu  si  rugä  la  Domnu  sä-l'i  da  un  \\'m.  Unä  zuuä  si  dusi  la  un 
maghesnic,  sä  catä,  dä-li  sä-l'i  da  Domnu  vrin  iriu,  ili  nu.  Arä 
^el'a  maghesnicu  äl'i  d^di  unä  m^rä  .si-l'i  zisi :  „sä-ü  da!  la  muriari-ta 
J^stä  m^rä  si  sä-ü  mänancä  §i  ea  sä  rud^scä  un  il'iü,  sa  cum  a^I 
\^n  buricu". 

Is/rorumäm'sch :  O  vot^  fost-a  un  cräl',  cärle  n-ä  vut  na?yk(e) 
un  fil'  si  ie  r§  fost  cäro  räda  v§  un  fil',  se  nu  l'i  se  zatar^  lumele. 
Din  ^ästa  rugät-a  Domnu  neca-l'  däie  un  fil'.  O  zi  mes-a  la  un 
strigün  za  ved^  se-l'  va  Domnu  da  un  fil'  all  se  nu  va.  Si  ^ela 
strigün  l'-a  dät  un  mer  si  I'-a  zis:  „d^  ^esta  mer  lu  t§  mul'^re 
neca-l  poid^i  si  va  rodi  un  fil'  cum  r§i  tu  vr§".2 

Es  ist  nicht  möglich,  darin  nicht  eine  und  dieselbe  Sprache 
zu  erkennen.  Nicht  nur  die  „Lautregel"  sondern  auch  ihre  „Aus- 
nahmen" sind  in  den  vier  Hauptmundarten,  soweit  sie  alt  sind, 
dieselben  und  die  Übereinstimmungen  sind  so  auffallend,  dafs  wir 
gezwungen  sind,  den  Rumänen  vor  der  Absonderung  in  die  heutigen 
vier  Dialekte  ein  einheitliches  Wohngebiet  zuzuweisen,  auf  dem  der 
Verkehr  die  Sprachneuerungen  nach  allen  Teilen  fortpflanzen  konnte. 

Anmerk.  Ich  habe  diese  längst  erkannte  Wahrheit  be- 
sonders hervorgehoben,  da  in  neuerer  Zeit  von  einem 
Geschichtsschreiber,  und  zwar  von  keinem  geringeren  als 
N.  Jorga  {Geschichte  des  rtimänischen  Volkes,  Gotha,  1905, 
Bd.  I,  S.  99  ff.)  der  Versuch  gemacht  wurde,  das  Dako- 
rumänische  und  das  Aromunische  als  zwei  verschiedene, 
wenn  auch  nahe  verwandte  Sprachen  hinzustellen.  Es 
widerspricht  aber  allem,  was  uns  die  sprachwissenschaft- 
liche Erfahrung  lehrt,  wenn  wir  die  Übereinstimmungen 
zwischen  Aromunisch  und  Dakorumänisch  nur  auf  die 
ethnische  Verwandtschaft  zurückfühen  wollten,  denn  eine 
noch  so  gleichartige  Blutmischung  zwischen  „Römern"  und 
„Barbaren"  hätte  gewifs  nicht  eine  derartige  Gleichmäfsig- 
keit  in  der  Sprache  zeitigen  können.  (Vgl.  auch  Convorbiri 
lUerare  XIX,  S.  589 — 590,  wo  D.  Onciul  eine  ähnliche  Be- 
hauptung A.  D.  Xenopols  mit  Recht  zurückweist). 

2.  Diese  auf  rein  spekulativem  Wege  gewonnene  Erkenntnis 
ist  die  wichtigste  —  ich  möchte  fast  sagen,  bis  jetzt  die  einzig 
sichere,  —  die  man   aus   der  Sprache  der  Rumänen  folgern  kann. 


^  muj^cä  hat  im  Istrorumänischen  imperfektiven  Sinn,  konnte  also  an 
dieser  Stelle  nicht  stehen. 

'*  In  Übersetzung:  Es  war  einmal  ein  Kaiser,  der  keinen  Sohn  hatte, 
und  er  sehnte  sich  sehr,  einen  Sohn  zu  haben,  damit  sein  Name  nicht  zugrunde 
ginge.  Daher  betete  er  zu  Gott,  er  möge  ihm  einen  Sohn  schenken.  Eines 
Tages  ging  er  zu  einem  Zauberer,  damit  er  erfahre,  ob  ihm  Gott  einen  Sohn 
schenken  werde  oder  nicht.  Und  jener  Zauberer  gab  ihm  einen  Apfel  und 
sagte  ihm:  „Gib  diesen  Apfel  deiner  Frau,  dafs  sie  ihn  esse,  und  sie  wird 
einen  Sohn  gebären,  so  wie  ihn  dein   Herz  wünscht." 


21 

Der  Historiker  hat  unbedingt  mit  ihr  zu  rechnen  und  mufs  der 
Sprachwissenschaft  für  die  Erbringung  dieses  Beweises  dankbar 
sein.  Die  Sprachforscher  haben  sich  aber  begreiflicherweise  nicht 
damit  begnügt  und  getrachtet,  auch  weitere  Schlüsse  aus  ihrem 
Material  zu  ziehen.  Dadurch  sind  sie  aus  dem  Bereiche  des 
menschlich  Sicheren  in  das  Gebiet  der  Hypothese  gelangt  und 
haben    der  Geschichtsschreibung   meist    schlechte  Dienste   erwiesen. 

Schon  die  ganz  eklatante  Ähnlichkeit  der  vier  rumänischen 
Hauptmundarten  ist  geeignet,  in  uns  ein  falsches  Bild  des  Ur- 
rumänischen zu  erwecken.  Wir  wollen  gleich  mit  einem  Beispiel 
beginnen. 

Auf  dem  gröfsten  Teil  des  dakorumänischen  Gebietes,  ist  von 
dem  ableitenden  -e-  und  -/-  des  lat.  Präsens  bei  den  Verben  der 
IL — IV.  Konjugation  keine  Spur  geblieben.  Man  sagt  also  väd, 
aiid  <C  viuKO,  AUuio,  ebenso  wie  man  cad,  vänd  <C  Cado,  venuo 
spricht.  Nur  in  einigen  Gegenden  erkennt  man  noch  die  Folgen 
dieses  /:  bei  den  Verben,  die  auf  /,  d,  ;/,  r  ausgehen,  und  zwar 
nicht  nur  dort,  wo  es  etymologisch  berechtigt  ist,  sondern  bei  allen 
Zeitwörtern  auf  /,  d  ist  die  Erscheinung  durchgeführt,  während  bei 
n,  r  der  Usus  schwankt.  Man  hört  also  väz,  auz,  aber  auch  caz, 
vdnz,  oder  zum  mindesten  im  Konjunktiv:  vazä,  auzä,  cazä,  vänzä 
und    es    bestehen    sowohl   pun,    als  pm'u  <C  pono,    neben   vin   und 

Vl'u   <   VENIO. 

Im  Aromunischen,  Meglenitischen  und  Istrorumänischen  ist  bis 
jetzt  keine  jotazierte  Form  nachgewiesen  worden,  also  arom.  avdti, 
megl.  lid,  istrorum.  Sivdu  <  audio.  Als  Weigand,  dem  diese  Formen 
von  seinen  Reisen  in  der  Balkanhalbinsel  und  in  Istrien  her  bekanr.t 
waren,  das  dakorumänische  Gebiet  mit  dem  Banat  zu  durchreisen 
begann,  und  auch  hier  nur  (7ud  hörte,  schrieb  er  {Jahresbericht  W\, 
240):  „Die  häfslichen  dialektischen  Formen  [im  Konjunktiv]  wie 
vazä,  vänzä,  irimifä  (Banat:  vadä,  vindä,  trämaiä),  die  auch  in  die 
Schriftsprache  eingedrungen  sind,  sind  [im  Banat]  unerhört,  gerade 
wie  auch  die  erste  Person  Sg.  des  Ind.  unverändert  bewahrt  ist, 
obgleich  doch  schon  in  den  ältesten  Texten  vädzu  für  väd  etc. 
vorkommt.  Der  Banater  Dialekt  ist  in  dieser  Beziehung  gerade 
so  konservativ  gewesen,  wie  das  Aromunische.  Die  Ansicht,  dafs 
die  Formen  vädzu  etc.  die  älteren  seien,  läfst  sich  leicht  als 
unhaltbar  nachweisen  aus  der  Übereinstimmung  der  vier  rum. 
Hauptdialekte  trotz  der  ältesten  überlieferten,  natürlich  dialektischen 
Form.  Die  einzige  Form,  die  Veränderungen  zeigt  hi  pos  ==  pot, 
pociu.  Die  Form  mufs  ihrer  weiten  Verbreitung  nach  sehr  alt  sein; 
den  Schlüssel  zur  Erklärung  bietet  das  Istrische  pok,  indem  /  durch 
k    ersetzt   wurde,    wie   bei    anderen  Verben   d  durch  gA      Zu  pok 


1  W.  meint  offenbar  die  Verba  purced  ^^  purceg ,  ucid  =  ucig.  Der 
Vergleich  mit  diesen  ist  indessen  nicht  passend,  weil  sich  ihr^  <^  ^  durch  eine 
falsche  Riickbildun}^  aus  dem  Part,  purces,  icris  nach  der  Analogie  von 
intins-iniind  und  intins-inting  erklärt.  Eine  derartige  Analogie  fehlt  indessen 
bei  pot. 


22 

lalltet  die  zweite  Person  poci,  die  in  manchen  d[ako]r[rumänischen] 
Dialekten  in  die  erste  eingedrungen  ist,  wie  väz,  irimel  etc.  und 
auch  ins  Banat  durch  Einwanderer  verschleppt  wurde;  allein  pot  ist 
dort  viel  verbreiteter  als  pos.'"'' 

Wenn  man  die  Sache  näher  ins  Auge  fafst,  so  sieht  man,  dafs 
sich  Weigand  im  Unrecht  befindet.  Wir  haben  lat.  audio  und 
rumänisch  die  lautlich  vollkommen  entsprechende  Form  auz.  Es 
liegt  also  vorläufig  kein  Grund  vor,  an  einer  regelrechten  Ent- 
wicklung zu  zweifeln.  Sieht  man  sich  im  Altrumänischen i  um,  so 
bemerkt  man  nicht  nur,  dafs  die  jotazierte  Form  zu  allen  erreich- 
baren Zeiten  bestanden  hat,  dafs  also  die  Kontinuität  bewahrt  ist, 
sondern  auch,  dafs  das  a;/2- Gebiet  früher  bedeutend  gröfser  war 
als  heute,  dafs  z.  B.  die  Moldau,  wo  jetzt  (nach  Weigand,  Über- 
sichtskarte 15)  nur  and  vorkommt,  noch  im  XVII.  Jahrhundert  audz 
gesprochen  wurde  (so  bei  Dosofteiu  ^^vädzü  und  nicht  vadü''^  Lacea, 
Jahresbericht  V,  77).  Es  handelt  sich  also  offenbar  um  eine 
Neuerung  {atid),  die  sich  auf  Kosten  der  alten,  regelrechten  Form 
[auz)  verbreitet  hat.  Sucht  man  dafür  eine  Erklärung,  so  ist  diese 
leicht  zu  finden.  Nach  laud-lauzi  etc.  konnte  zu  auzi  umso  leichter 
eine  erste  Person  and  gebildet  werden,  als  die  dritte  Plural is  schon 
sehr  früh  zu  aud  geworden  war  2  und  in  der  II. -IV.  Konjugation 
die  I.  Sg.  und  die  3.  Plur.  immer  gleich  lauten.  Dagegen  ist 
Weigands  Erklärungsversuch,  auz  sei  eine  Neuerung  nach  der 
2.  Sing.,  schon  deshalb  nicht  stichhaltig,  weil  er  für  die  Verba  auf 
«,  r  (diese  Laute  werden  vor  t  und  -es,  -is  nicht  verändert)  nicht 
mehr  pafst.  Aber  es  zeigt  sich  bei  einer  näheren  Betrachtung, 
dafs  auch  den  anderen  Mundarten  die  jotazierten  Formen  nicht 
gänzlich  abgehen.  So  belegt  Weigand  selbst  für  das  Aromunische 
ein  sampi  <C  Senxio  (Aromunen  II,  328  3;  vgl.  auch  die  Doppelform 
arap  und  arak'  <C  kapig  bei  P.  Papahagi,  Basme  aromäne,  S.  532) 
und  in  den  von  mir  veröffentlichten  istrorumänischen  Texten 
{Studii  istroromäne,  Bucuresti,  1906,  S.  26)  findet  sich  die  Form 
spuie  vor. 

Anmerk.  Die  Frage  der  jotazierten  Verba  im  Ru- 
mänischen ist  überaus  interessant,  harrt  jedoch  noch  einer 
eingehenden  Untersuchung,  die  selbstverständlich  nicht  vom 
lateinischen,  sondern  vom  romanischen  Stand  [Ronianische 
Grammatik  W.,  §  174  ff.)  auszugehen  hätte.  An  dieser  Stelle 
sollen  nur  einige  Momente  aufgegriflfen  werden. 

Vor  allem  ist  das  istrorum.  spuie  merkwürdig.  Es  findet 
sich   in    dem  Satze:    cum  l'-e  ^ud^,    cän    nu    vr^se  spuie; 


'  Unter  „Altrumänisch"  wird  selbstverständlich  das  Altdakorumänische 
verstanden. 

*  Wir  haben  im  Rumänischen  keine  Spur  von  -lUNT:  die  Endung  -UNT 
hat  sich  in  uralter  Zeit  auf  Kosten   des  -lUNT  verallg^emeinert. 

3  Sie  findet  sich  (aus  Weigand.!")  auch  bei  K.  Nikola'ides,  Ezv/noXoyixov 
}.e^ixov  ZTjg  xovx'Coß/M/jXTjq  yXcooOTjq,  Athen  1909,  S.  464 


23 

ie  va  mai  voH  otopi-se  nego  spure.  (Gott  bestraft  einen 
Undankbaren,  der  ihm  nicht  sagen  will,  dafs  er  Brot  und 
Käse  besitzt,  indem  er  ihn  zu  ertränken  droht.  Als  der 
heilige  Petrus,  der  Begleiter  Gottes,  sieht,  dafs  das  Wasser 
bis  zur  Brust  des  Mannes  steigt,  erbarmt  er  sich  seiner 
und  bittet  Gott,  er  möge  ihm  verzeihen,  denn  es  sei  ihm 
nun  genug  geschehen.  Darauf  antwortet  Gott) :  „wieso 
genug?  Da  er  doch  nicht  aussagen  will  und  lieber  er- 
•  trinken  möchte,  als  dafs  er  es  sagte".  Während  sonst  im 
Istrorumänischen,  mit  Ausnahme  einiger  Formen  von  a  fi 
(vgl.  Weigand,  Romania  XXI,  246),  der  Konjunktiv  allgemein 
durch  den  Indikativ  ersetzt  ist,  dem  neca  vorangestellt  wird, 
erscheint  hier  auf  einmal  ein  vr§se  spme  (statt  spure).  Dieses 
ist  eigentlich  in  vrf  se  spiiie  zu  trennen  und  entspricht 
genau  dem  dakorum.  ^,vrea  sä  spuie'^.  Aus  solchen  erstarrten 
Verbindungen  ist  sicherlich  das  vr§se  abgetrennt  worden, 
welches  dann  zu  einer  ganz  eigentümlichen  Konjugation 
des  Hilfsverbums  velle  im  Präsens  führte:  vrescii  (nach 
den  -^j£- -Verben),  vresi,  vrfse,  vresin,  vreset,  vresii.  Da  im 
Istrorumänischen  das  mouillierte  n  bis  heute  bewahrt  ist, 
sehen  wir  ferner,  dafs  die  Form  sptäe  nicht  etwa  auf  ein 
älteres  sptme  zurückgeht  (ein  *exponiat  hätte  auch  kaum 
etwas  anderes  als  *spoane  ergeben),  sondern  dafs  aus  spunu 
zunächst  die  rotazierte  Form  spurii  entstand,  die  dann  wie 
cer,  pier  behandelt  wurde.  Daher  entfällt  auch  die  Be-- 
merkung,  die  Tiktin  {Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV,  497)  über 
die  «-Verba  macht. 

Wenn  man  die  altrum.  Texte  untersucht,  so  gewinnt  man 
den  Eindruck,  dafs  sich  zu  irgend  einer  Zeit  im  Dako- 
rumänischen  die  Regel  ausgebildet  habe,  das  2,  /  gehöre 
dem  Konjunktiv  (wo  es  bei  den  Verben  der  IV.  Konj.  in 
allen  Personen  erscheint:  auz,  auzi,  auzä,  auzim,  auzifi, 
auzä),  das  d,  t  dagegen  dem  Indikativ.  In  der  Tat  kennt 
beispielsweise  das  älteste  dakorum.  Sprachdenkmal,  der 
Vorone|er  Codex,  im  Konjunktiv  nur  jotazierte  Formen, 
während  im  Indikativ  der  Usus  schwankt,  u.  z.  so,  dafs 
man  auch  aiidu  <  auüio  und  credzu  <C  crküo  hat.  Da 
die  betreffenden  Beispiele  nicht  zahlreich  sind,  will  ich  sie 
hier  anführen.  Im  Konj.:  se  audzu  71/1,  se  cadzä  Q2/3,  se 
scooß  93/13,  se  spuiu  21/4  {se  sptie  51/9,  84/4),  se  s[iip]ue-se 
122/14,  ^^  ß^  153/13»  -s"^  vädzu  101/13  {■^^  vadzä  153/12), 
se  v'ie  45/12,  62/2,  {se  vie  75/5);  nur  se  carä  110/5  zeigt, 
dafs  bei  diesem  Zeitwort  die  Jotazierung  spät  ist.  Dagegen 
haben  wir  im  Indikativ  das  Schwanken:  despüru  162/10  < 
uiSPONO,  Viru  131/6  {piru  2/14)  neben  spüiu  79/1,  pWiu 
145/13»  7'ilu  ig 1 12  und  ai/du  81/13,  ^^^^^  '44/8  neben 
credzu  90/ 1.  Ähnlich,  viel  später  bei  Dosofteiu  (vgl.  Lacea, 
Jahresbericht  Y,  "]"]).     Es    ist    sehr   zu  bedauern,    dafs  sich 


24 

Weigand  schon  vor  dem  Bereisen  des  dakorum.  Gebietes 
eine  Meinung  über  die  „häfslichen"  —  bei  einem  Gram- 
matiker bedeutet  „häfslich"  meist  „neu"  —  j-Formen  ge- 
bildet hatte,  so  dafs  er  Wörter  wie  (sjpun,  cer  nicht  unter 
seine  Normalwörter  aufnahm.  Schon  aus  seinen  gelegent- 
lichen Bemerkungen  über  diese  geht  jedoch  hervor,  dafs 
das  j/iw'- Gebiet  dasjenige  von  vaz  heute  noch  bei  weitem 
übertrifft. 

Auch  die  rum.  Wortbildungslehre  gestattet  uns,  einen 
Einblick  in  die  älteren  Verhältnisse  der  Sprache  zu  ge- 
winnen. Es  gibt  nämlich  im  Dakorumänischen  eine  Regel, 
wonach  alle  deverbalen  Ableitungen  von  Verben  auf  /,  d 
der  II. — IV.  Konjug.  (desgleichen  auch  das  Gerundium,  vgl. 
selbst  aibänJ  nach  aiba)  den  jotazierten  Stamm  aufweisen, 
während  bei  denen  auf  r  und  n  der  Usus  schwankt.  Vor 
allem  kommen  hier  die  Verbaladjektiva  auf  -tor  und  die 
Abstrakta  auf  -hira  in  Betracht,  z.  B.  arzätor,  arzatiirä 
(arzänd),  ascunz-,  cäz-,  crez-,  deschtz-,  tntinz-,  pierz-,  prinz-, 
räspunz-,  räz-,  räz-,  roz-,  scot-,  ^ez-,  trimif-,  väz-,  vänz-, 
etc.,  dann  aber  auch  Ableitungen  mittelst  anderer  Suffixe 
(ich  führe  absichtlich  keine  solchen  an,  die  auch  anders 
gedeutet  werden  könnten,  beispielsweise  ascuf-tme,  impu^-ime 
etc.),  z.  B.  crez-are,  pierz-,  prinz-\  crez-ämäni,  cäz-',  crez-anie, 
pierz-;  asamz-t^,  asci/t-,  vänz-af,  räz-u^;  arzoiu  etc.,  endlich 
Postverbalia  wie  auz,  crez,  vazä.  Diese  Regel,  die  heute 
für  das  gesamte  dakorum.  Gebiet  geltend  ist,  wird  mit 
solcher  Konsequenz  durchgeführt,  dafs  man  den  Satz  um- 
drehen und  sagen  kann :  so  oft  wir  hiervon  eine  Ausnahme 
haben,  handelt  es  sich  um  keine  rumänische  Bildung: 
credtftß  „Glaube"  mufs  also  auf  ein  lat.  *creuentia  zurück- 
geführt werden  und  kann  nicht  erst  auf  rumänischen  Boden 
gebildet  sein,  da  es  sonst  *crezin{ä  lauten  würde.  Die 
anderen  romanischen  Sprachen  (ital.  credenza,  friaul.  kre- 
di7itse,  a.-prov.  crezensa,  fr.  croyatice,  span.  creencia,  portg. 
crengd)  und  der  Begriff  des  Wortes  selbst,  der  schon  auf 
die  ersten  Zeiten  des  Christentums  weist,  bestätigen  diese 
Annahme.  Dagegen  wird  ein  *audium  in  vorrumänischer 
Zeit  durch  nichts  belegt  und  man  mufs  annehmen,  dafs  es 
erst  eine  rumänische  Bildung  darstelle.  Da  es  aber  auch 
in  jenen  Gegenden  vorkommt,  die  im  Präsens  des  ent- 
sprechenden Verbums  heute  nur  mehr  mid,  sä  audä  kennen, 
so  können  wir  schliefsen,  dafs  man  früher  überall  eu  auz, 
sä  auzä  sagte,  denn  die  rum.  Postverbalia  entsprechen 
formell  immer  dem  Präsens  des  betreffenden  Verbums. 

3.  Wenn  es  nicht  gerade  schwer  ist  zu  beweisen,  dafs  die 
Weigand'sche  Erklärung  der  jotazierten  Verba  nicht  aufrecht  erhalten 
werden  kann,  so  ist  sein  Irrtum  für  uns  besonders  lehrreich  und 
es  ist  der  Mühe  wert,  ihn  näher  zu  betrachten. 


25 

Weigand  weifs  sehr  wohl,  dafs  auz  die  lautlich  korrekte  Form 
ist,  die  dem  audio  entspricht,  es  ist  ihm  ferner  bekannt,  dafs  diese 
Form  früher  auch  in  jenen  Gegenden  gesprochen  wurde,  wo  man 
heute  and  hört;  wie  kommt  es,  dafs  er  dennoch  eine  Kontinuität 
zwischen  rum.  auz  und  lat.  audio  in  Abrede  stellt  und  die  Ansicht 
vertritt,  dafs  auz  eine  neue  aus  aud  entstandene  dialektische  Form 
sei?  Er  giebt  uns  die  Antwort  selbst:  weil,  durch  die  Vergleichung 
der  vier  Hauptdialekte  des  Rumänischen,  aud  sich  als  urrumänisch 
erweist.  Das  ist  zweifelsohne  richtig.  Aud  ist  urrumänisch,  denn  es 
ist  nicht  anzunehmen,  dafs  sich  diese  Form  in  jeder  der  vier  Mund- 
arten nach  deren  Lostrennung  selbständig  entwickelt  habe,  zum 
mindesten  nicht  so,  dafs  diese  Neuerung  die  ganz  gleichen  Resultate 
ergeben  hätte.  Nur  sind  Weigands  weitere  Schlüsse  nicht  zwingend, 
und  es  geht  nicht  an  zu  folgern,  dafs  audio  >  aud  eine  all- 
gemeine Erscheinung  des  Urrumänischen  gewesen  sei,  weil  sie  in 
die  Zeit  vor  der  Trennung  der  vier  Hauptmundarten  zu  datieren 
ist,  und  dafs  dagegen  auz  eine  dialektische  Neuerung  innerhalb 
des  Dakoruraänischen  sei,  weil  diese  Form  den  übrigen  Haupt- 
mundarten angeblich  fehlte  und  dem  gröfsten  Teil  des  Dako- 
rumänischen  selbst  heute  unbekannt  sei. 

Viel  natürlicher  wäre  zu  sagen:  Neben  der  alten,  regelrechten 
Form  auz,  die  noch  heute  dialektisch  erhalten  ist  und  früher  weiter 
verbreitet  war,  kam  schon  im  Urrumänischen  die  neue  und 
analogische  Form  aud  auf.  Diese  verdrängte  die  alte  Form  immer 
mehr,  doch  hatte  sie  jene  noch  nicht  besiegen  können,  als  sich' 
das  Urrumänische  in  die  heutigen  Dialektgruppen  trennte.  Der 
Kampf  währte  in  den  einzelnen  Mundarten  fort  und  sein  Resultat 
war  der  gänzliche  oder  fast  vollkommene  Sieg  von  aud  über  auz  im 
Aromunischen,  Meglenitischen  und  Istrorumänischen,  während  im 
Dakorumänischen  sich  die  alten  Formen  zäher  hielten. 

Dieser  Gedankengang,  auf  den  doch  alles  weist,  ist  so  einfach, 
dafs  ihn  nur  eine  Voreingenommenheit  nicht  aufkommen  liefs. 
Diese  besteht  darin,  dafs  man  mit  dem  Begriffe  einer  Ursprache 
zu  leicht  denjenigen  von  Dialektlosigkeit,  von  sprachlicher  Einheit- 
lichkeit verknüpft.  Denn  nur  bei  einem,  der  sich  das  Urrumänische 
als  dialektlos  vorstellt,  ist  der  Schlufs  möglich :  auz  mufs  eine  spätere 
mundartliche  Neuerung  sein,  trotz  lat.  audio,  weil  im  Urrumänischen 
aud  existiert  hat. 

Es  handelt  sich  hier  um  einen  prinzipiellen  Fehler,  dem  man 
nur  zu  oft  begegnet  und  der  speziell  begangen  wird,  wenn  man  vom 
Urrumänischen  spricht.  Die  ganz  auffallenden  Übereinstimmungen 
zwischen  den  vier  Hauptmundarten  haben  es  mit  sich  gebracht, 
dafs  man  aus  ihnen  eine  Ursprache  rekonstruiert  hat,  die  sich  als 
dialektlos  darstellt.  Dabei  hat  man  aber  den  tatsächlichen  Unter- 
schieden zwischen  den  einzelnen  Mundarten  zu  wenig  Aufmerk- 
samkeit geliehen  —  und  ich  meine  darunter  nicht  jene  Unter- 
schiede, die  sich  mit  Leichtigkeit  als  natürliche  Weiterentwicklung 
der  Sprache  oder  als  späte  Neuerungen  und  Entlehnungen  in  jedem 


26 

einzelnen  Dialekt  nach  der  Lostrennung  erweisen,  sondern  solche, 
die  schon  zur  urrumänischen  Zeit  bestanden  haben.  Es  ist  eine 
bekannte  Tatsache,  dafs  einem  die  Ähnlichkeit  sonst  verschiedener 
Dinge  mehr  in  die  Augen  fällt,  als  die  Verschiedenheiten  selbst. 
Haben  wir  bei  zwei  Menschen  Ähnlichkeiten  gefunden,  die  uns 
deren  Verwandtschaft  erraten  lassen,  so  werden  wir  bei  jeder  neuen 
Begegnung  mit  den  zwei  verwandten  Personen  von  ihrer  Ähnlichkeit 
gleichsam  im  Banne  gehalten,  an  ihnen  immer  mehr  Gleichartiges 
entdecken  und  darob  gar  zu  leicht  das  Ungleichartige  vergessen. 
So  ist  es  zum  guten  Teil  auch  den  Erforschern  der  rumänischen 
Dialekte  ergangen. 

Aber  „es  lehrt  die  Erfahrung,  dafs  es  absolut  dialektlose 
Sprachen  nicht  gibt.  Im  Grunde  weicht  ja  die  Sprache  jedes 
Individuums  von  der  des  antlern  in  der  Aussprache  der  Laute, 
der  Wahl  der  Worte,  der  Satzformen  usw.  ab,  und  diese  Unter- 
schiede wachsen  in  der  Regel  mit  dem  Umfange  des  Sprach- 
gebietes .  .  .  Man  hat  sich  denn  der  Einsicht  nicht  verschlossen, 
dafs  bereits  in  der  indogermanischen  Ursprache  dialektische  Unter- 
schiede bestanden  haben  müssen,  und  hat  solche  auch  tatsächlich 
nachweisen  zu  können  geglaubt  .  .  .  Müssen  wir  aber  schon  der 
Ursprache  dialektische  Diflferenzierung  zuschreiben,  dann  .  .  .  [ist 
ihr]  das  einzige  Merkmal,  wodurch  die  Ursprache  in  prinzipiellen 
Gegensatz  zu  der  folgenden  Periode  der  Sprachsonderung  trat,  die 
völlige  Einheitlichkeit  .  .  .,  genommen." 

Ich  habe  dieses  lange  Zitat  aus  Kretschmers  Einleitung  in  die 
Geschichte  der  griechischeti  Sprache  (S.  9  ff.),  obschon  darin  eigentlich 
nur  Selbstverständliches  enthalten  ist,  nicht  gescheut,  eben  weil 
man  das  Selbstverständliche  zu  oft  aufser  acht  läfst.  Dafs  Weigand 
das  Urrumänische  richtig  auffafst,  geht  ja  schon  aus  folgender 
Stelle  hervor  ^Jahresbericht  III,  140):  ,,Nach  unserer  jetzigen  Kenntnis 
der  Dialekte  ist  es  keine  Hypothese  mehr,  dafs  sämtliche  Dialekte 
einmal  eine  Einheit  gebildet  haben,  die  wir  Urrumänisch  nennen, 
in  dem  selbstverständlich  schon  mundartliche  Unterschiede  vor- 
handen gewesen  sein  können,  und  auch  manche  Spuren  weisen 
darauf  hin,  allein  sämtliche  Dialekte  sind  in  der  Hauptsache  über- 
einstimmend in  Laut-,  Flexions-,  Satz-  und  Wortbildungslehre." 

Obwohl  man  theoretisch  die  Existenz  von  dialektischen  Unter- 
scheidungen im  Urrumänischen  zugibt,  leiht  man  ihnen  in  der 
Praxis  nicht  mehr  die  nötige  Aufmerksamkeit  und  man  ist  geneigt, 
für  die  Ursprachen  mit  der  territorialen  Einheit  zugleich  eine 
sprachliche  Einheitlichkeit  zu  verknüpfen. 

Schon  die  Vorsilbe  „Ur-"  ist  geeignet,  falsche  Vorstellungen 
zu  erzeugen.  Gewöhnlich  denkt  man  sich  die  Entwicklung  einer 
Sprache  gleichsam  eingezwängt  in  der  Form  eines  Kegels,  an 
dessen  Basis  wir  uns  befinden,  und  man  ist  versucht,  sich  die 
Sprache  um  so  einheitlicher  vorzustellen,  je  weiter  man  sie  nach 
rückwärts  verfolgt.  Wie  lange  hat  man  doch  in  der  indogermanischen 
Sprachwissenschaft    nach    einer    geographisch    engumgrenzten    Ur- 


27 

heitnat  —  vergebens  —  gesucht,  und  gibt  es  nicht  solche,  die 
noch  heute  beispielsweise  die  „Wiege"  des  Semitischen  im  Quellen- 
gebiet des  Euphrat  und  Tigris  suchen  ?  Sobald  man  den  ersten 
prinzipiellen  Irrtum  begeht,  so  folgt  ihm  bald  ein  zweiter:  Wenn 
man  sich  die  Ursprache  einheitlich  denkt,  so  ist  es  nur  natürlich, 
dafs  man  auch  ihre  geographische  Verbreitung  verringern  möchte, 
da  man  aus  sonstiger  Erfahrung  weifs,  dafs  mit  der  gröfseren  ört- 
lichen Ausdehnung  eines  Sprachgebietes  gewöhnlich  auch  die  Be- 
dingungen zur  Ausbildung  von  Dialekten  günstiger  werden. 

Tatsächlich  finden  wir  denn  auch  bei  den  meisten  Forschern, 
die  sich  mit  dem  Urrumänischen  befafst  haben,  das  Bestreben,  die 
„Wiege"  der  Rumänen  auf  irgend  einen  territorial  eng  begrenzten 
Raum  zu  lokalisieren,  von  dem  aus  sie  sich  dann  die  Ausbreitung 
des  Rumänischen  durch  Auswanderungen  vorstellen.  Wir  werden 
noch  auf  diesen  Punkt  zu  sprechen  kommen.  Hier  soll  nur  als 
Probe  die  Ansicht  eines  jungen  Gelehrten  zitiert  werden:  „Tout  en 
admettant  en  partie  !a  theorie  de  Rösler  sur  la  naissance  du  rou- 
main  dans  la  Peninsule  ßalkanique,  l'etat  actuel  de  la  philologie 
roumaine  ne  nous  permet  pas  de  fixer  les  regions  oü  le  latin 
balkanique  se  transforma  en  Roumain.  Rösler  croyait  que  c'est 
en  Thessalie,  en  Epire,  en  Macedoine  et  en  Illyrie  qu'il  fallait 
chercher  l'origine  du  roumain ;  pour  les  philologues  d'aujourd'hui 
il  n'y  a  que  deux  regions  oh  le  roumain  et  la  nation  roumaine 
purent  naitre:  en  M6sie  (Bulgarie)  et  notamment  dans  les  Balkans, 
et  en  Illyrie.  Pour  ces  deux  regions  parlent  aussi  les  noms  de 
localit6  d'origine  romane  ou  roumaine."  (Dr.  Th.  Capidan,  Reponse 
critique  au  Dictionnaire  d'cfymologie  koutzovaiaqiie  de  Consfantin  Nico- 
laidi,  Salonique,   1909,  S.  11  — 12.) 

Eine  Sprache  kann  selbstverständlich  aus  einem  kleinen  Gebiet 
ausgehend  immer  weitere  Kreise  erobern,  bis  sie  eine  sehr  grofse 
Ausbreitung  erlangt.  Wir  haben  dafür  Beispiele  genug,  und  ein 
klassisches  unter  ihnen  ist  gerade  das  Latein.  Aber  dieser  Fall 
mufs  nicht  überall  eingetreten  sein  und  wir  brauchen  nur  an  die 
Sprachen  zu  denken,  die  durch  das  Latein  verdrängt  wurden,  um 
ebenso  klassische  Belege  für  den  entgegengesetzten  Fall  zu  be- 
kommen. Wüfsten  wir  nun  aus  der  Geschichte,  dafs  die  Rumänen 
im  frühen  Mittelalter  aus  irgend  einem  Gebiet  in  grofsen  Massen 
in  ihre  jetzigen  Wohnsitze  eingewandert  sind,  oder  hätten  wir 
historische  Belege  dafür,  dafs  die  Rumänen  ein  eroberndes  Volk 
wie  etwa  die  Lateiner  waren,  die  die  Nachbarvölker  unterjochten 
und  ihnen  ihre  Sprache  in  irgend  einer  Weise  aufzwangen,  dann 
müfsten  wir  allerdings  eine  derartige  „Wiege"  suchen.  Von  alledem 
ist  aber  nicht  der  geringste  Nachweis  vorhanden.  Im  Gegenteil 
wissen  wir  aus  der  Geschichte  ganz  genau,  dafs  im  europäischen 
Osten  des  Römerreiches,  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeit- 
rechnung die  ganze  grofse  Strecke  vom  Adriatischen  bis  zum 
Schwarzen  Meere,  auf  beiden  Ufern  der  Save  und  der  Donau, 
stellenweise    mit    sehr    weit    nach    Norden    und    Süden    reichenden 


28 

Streifen,  von  einer  römisch  sprechenden  Bevölkerung  bewohnt  war. 
Heute  sprechen  —  die  dalmatische  Städte  ausgenommen  —  auf 
dem  ganzen  europäischen  Osten  nur  noch  die  Rumänen  die  einstige 
hier  weitverbreitete  romanische  Sprache,  und  wir  wissen,  dafs  diese 
Rumänen  selbst  im  späten  Mittelalter  nicht  soweit  nach  Osten 
reichten  wie  heute.  Das  Rumänische  erscheint  also  gegenüber  dem 
einstigen  Ostromanischen  als  eine  Sprache,  die  an  Ausbreitung 
verloren  hat,  was  ja  nur  selbstverständlich  ist,  wenn  man  bedenkt, 
dafs  diese  Ostromanen  kein  erorberndes  sondern  ein  erobertes  Volk 
waren. 

Die  Aufstellung  einer  „Wiege"  der  Rumänen  ist  also  nicht 
eine  historische  Forderung,  sondern  man  hat  sie  als  eine  aus  ihrer 
Sprache  sich  ergebende  Notwendigkeit  betrachtet,  eben  weil  das 
Urrumänische  eine  derart  einheitliche  Sprache  gewesen  sein  soll, 
dafs  es  unmöglich  auf  einem  so  weit  verbreiteten  Raum  entstehen 
konnte,  wie  die  heute  von  Rumänen  bewohnten  Provinzen  sind 
(selbst  wenn  man  von  diesen  die  östlichen,  nachweislich  spät 
rumänisierten  Gegenden  abzieht). 

Wir  haben  bei  der  Betrachtung  der  jotazierten  Verba  gesehen, 
dafs  in  bezug  auf  diese  Spracherscheinung  das  Urrumänische  dia- 
lektisch gefärbt  sein  mufste,  da  es  zweierlei  Formen  aufweist.  Bevor 
wir  zu  weiteren  Erörterungen  schreiten ,  wollen  wir  noch  einige 
derartige  Verschiedenheiten  innerhalb  des  Urrumänischen  zeigen. 

4.  Das  lat.  Imperfektum  laudabam,  -as,  -at,  -amus,  -atis, 
-ANT  sollte  lautgerecht  im  Rumänischen  i,  2,  3,  6  läudd,  4  läJi- 
dam(u),  5  läudat(i)  lauten.  Es  ist  nur  zu  leicht  begreiflich,  dafs 
dieser  Zustand  geändert  wurde  und  zwar  haben  wir  in  der  heutigen 
Schrifi  Sprache  läudatn^  läudai,  läudä,  läudam,  läuda(i,  läudau.  Dafs 
die  neuen  Formen  nicht  auf  lautlichem  Wege,  sondern  durch  An- 
lehnung an  andere  Verbalformen  entstanden  sind,  ist  klar  und  es 
ist  auch  nicht  besonders  schwer  herauszufinden,  worauf  die  Analogie 
sich  stützt,  wenn  man  das  Präsens  mit  dem  Imperfektum  beim 
Zeitwort  habere  vergleicht: 

am  :  aveam 

ai  :  aveai 

a  :  avea 
am  :  aveam 

ati  :  avea^i 
au  :  aveau 

Von  der  früheren  2.  Sing,  '^aveä  besitzen  wir  keine  Spur  mehr. 
Sie  hat  sich  am  allerfrühesten  nach  dem  Präs.  ai  gerichtet.  Da- 
gegen ist  in  3.  Plur.  die  Form  aveä  noch  heute  im  Aromunischen, 
Meglenitischen,  Istrorumänischen  und  dem  gröfsten  Teile  des  Dako- 
rumänischen  allein  gebraucht.  Nur  auf  einem  kleinen  Gebiete  ist 
sie  nach  an  zu  aveau  geworden  und  die  Schriftsprache  und  die 
Schulgraramatiken,    welche    den  Unterschied  zwischen  3.  Sing,    und 


2g 

3.  Plur.  scharf  ausgebildet  wissen  wollen,  verhelfen  ihr  erst  in  neuester 
Zeit  zum  Siege.  (Allerdings  nur  in  den  Fällen,  in  denen  die 
3.  Plur.  noch  klar  zutage  tritt,  denn  auch  die  Schriftsprache  ge- 
braucht immer  nur:  „il  chemä  loan",  nicht  „il  chemau  I.",  wie 
man   „grammatisch"  erwarten  sollte,  da  das  Subjekt  „oamenii"  ist.) 

Besonders  bemerkenswert  ist  die  i.  Sing.  Wir  haben  aveam, 
läudatn  etc.  heute  in  allen  vier  Mundarten  durchgeführt.  Das  ist 
ein  Beweis,  dafs  diese  Neuerung  schon  urrumänisch  ist,  denn  sonst 
könnte  man  nicht  leicht  begreifen,  dafs  sie  in  jedem  Dialekt  nach 
der  Lostrennung  in  gleicher  Weise  entstanden  wäre.  Wie  wir  für 
aud  annehmen  müssen,  dafs  es  schon  urrumänisch,  im  Urrumänischen 
selbst  aber  noch  nicht  durchgeführt  war,  so  auch  für  aveam,  läiidam, 
denn  es  gibt  innerhalb  des  Dakorumänischen  Unterdialekte,  welche 
die  alten  Formen  aveä,  läudä  bewahren.  Heute  sind  diese  Formen 
allerdings  nur  für  das  Dorf  Borgo~]\Iareseni  im  Nordosten  Sieben- 
bürgens nachgewiesen  [Jahresbericht  VI,  37),  doch  war  bis  um  die 
Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  die  alte,  ;«-lose  Form  eine  allgemeine 
Erscheinung  der  altrumänischen  Sprachdenkmäler,  die  in  Sieben- 
bürgen, nördlich  vom  Mures  entstanden  sind  (vgl.  Cipariu,  Prvi- 
ctpia,    150). 

Wir  haben  es  hier  infolgedessen  mit  einem  zweiten  Fall  zu 
tun,  bei  dem  wir  ersehen  können,  dafs  eine  urrumänische  Neuerung 
zu  urrumänischer  Zeit  noch  nicht  durchgeführt,  sondern  innerhalb 
des  Urrumänischen  selbst  nur  dialektisch  vertreten  war. 

Anmerk.  In  bezug  auf  das  Istrorumänische ,  das  be- 
kanntlich kein  Imperfektum  mehr  hat,  ist  die  einstige  m- 
Form  nur  durch  Fälle  wie  cuviniav^iam,  veriv§'iam,  veriiani 
u.  ä.  gesichert. 

Für  die  Entstehung  der  2.  Sing,  habe  ich  in  Convorbiri 
literare,  1905,  S.  62 — 63  die  hier  angeführte  Deutung  zu 
erklären  versucht,  weiche  also  etwas  von  der  Erklärung  in 
der  Ro}n.  Gramm.  I,  §  309  ab.  Dafs  sich  die  i.  Sg.  nicht 
nach  der  i.  Plur.  gerichtet  hat,  wie  Miklosich  [Laulgruppe7i,  21) 
wollte  und  noch  heute  Tiktin  {^Rumänisches  Elementarbuch, 
S.  106)  u.  A.  annehmen,  sondern  dafs  diese  Form  dem  am 
sein  -m  verdankt,  ist  nach  dem,  was  Rom.  Gramm.  II, 
§§  238  u.  256  steht,  ohne  weiteres  klar.  Man  mufs  sich 
ja  vor  Augen  halten,  dafs  am  zugleich  zur  Bildung  eines 
Tempus  der  Vergangenheit  dient,  dafs  also  nach  läiidat-am 
sehr  leicht  läudam  entstehen  konnte.  Allerdings  dürfte  am 
selbst  zuerst  das  *aib  des  prägnanten  Verbums  verdrängt 
haben  und  dann  erst  das  *aiu  des  Hilfsverbums,  denn 
dieses  (<C  *hayo  =  habeo)  konnte  noch  ein  *voYO 
(=  voleo)  >  voiu  erzeugen  (cfr.  Bartoli,  Das  Dalmatische, 
II.  397). 

5.  Einen  ähnlichen  Fall  bietet  der  Umlaut  von  ü  in  a  bei  der 
Bildung  des  z-Plurals  der  Feminina.     Heute  ist  der  Umlaut  im  Aro- 


30 

munischen,  Meglenitischen  und  Dakorumänischea  (in  beschränkterem 
IMafse)  Regel.  Dagegen  kennt  ihn  das  Istrorum.  nicht,  und  Formen 
wie  cctati,  adiinari  etc.  (heute:  cetä(i,  adunari  etc.)  finden  sich  im 
Altrumänischen  bis  im  XVllI.  Jahrhundert  (vgl.  Cipariu,  Principia 
122  ff.).  Wir  wissen  noch  nicht,  wie  dieses  ä  entstanden  ist;  sein 
Auftreten  ist  so  auffallend,  dafs  man  schwerlich  annehmen  kann, 
dafs  sich  diese  Neuerung  selbständig  in  jeder  Mundart  nach  deren 
Lostrennung  entwickelt  hätte.  Vielmehr  ist  anzunehmen,  dafs  die 
alten  Plurale  adunari  usw.  schon  im  Urrumänischen  durch  die  neuen 
Formen  adunari  usw.  verdrängt  zu  werden  begannen,  dafs  jedoch 
diese  wohl  dialektische  Neuerung  im  Urrumänischen  noch  nicht 
durchgedrungen  war,  zum  mindesten  nicht  in  jenen  Teilen,  auf  die 
ein  grofser  Teil  des  Dakorumänischen  und  das  Istrorumänische 
zurückgehen. 

Anmerk.  Während  im  Aromunischen  und  im  Megle- 
nitischen alle  Feminina,  die  die  Mehrzahl  auf  -/  bilden, 
den  Umlaut  kennen,  also  sowohl  Wörter  wie  vä^i  „Kühe", 
als  auch  die  Proparoxytona  läcrini  „Tränen"  und  alle 
Pluralia  ^.vS. -uri  :  cärnuri  „Fleischarten",  ja  sogar  Adjektiva 
wie  märi  „grosse  (fem.)"  —  haben  wir  im  Dakorumänischen 
nur  vaci,  fragi  „Erdbeeren",  und  mari  (Adj.  fem.,  gegen 
man  „Meere")  und  der  Gebrauch  schwankt  noch  bei 
Wörtern  wie  lacrimi  und  läcriini,  vrabii  und  vräbii,  laturi 
und  laturi.  Leider  läfst  sich,  in  Ermangelung  von  Vor- 
arbeiten, die  geographische  Verbreitung  und  die  Zeitgrenze 
der  alten  0- Formen  im  Altrumänischen  nicht  näher  be- 
stimmen. Nur  auf  zweierlei  möchte  ich  die  Aufmerksamkeit 
lenken:  i.  Die  umgelauteten  Formen  erscheinen  schon  in 
den  ältesten  Texten,  die  aus  den  südlichen  dakorumänischen 
Gegenden  stammen;  so  enthält  z.  B.  der  Molitvelnic  von 
Coresi  keine  einzige  a-Form,  sondern  nur  dereptäfile,  cärfile 
und  scäldäriei^  [Prinos  Sturdza  S.  255,  257,  269)  und 
ebenso  findet  sich  nur  cre^tinätäfiei  in  der  noch  älteren 
Intrebare  cre§tineascä  {Cuvinte  diu  bäirdni  II,  loo).  Um 
zweihundert  Jahre  später  finden  wir  im  Norden  des  Ge- 
bietes noch  die  nicht  umgelauteten  Formen,  ein  Beweis, 
dafs  die  Neuerung  vom  Süden  nach  Norden  und  zwar 
ziemlich  langsam  durchgedrungen  ist.  —  2.  Im  Norden 
selbst  tritt  der  Umlaut  zunächst  bei  Wörtern  ein,  in  denen 
dem  a  ein  r  folgt.  So  finden  wir  cäräri,  (äri  (Genetiv), 
cärfile  (aber  carte  im  Genetiv)  in  einer  Bukovviner  Urkunde 
aus  dem  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  (Jorga,  Documentele 
Bistrifei,  I,  S.  8 — 1 1)  und  desgleichen  finden  wir  bei  den 
Moldauern  Dosofteiu  {Viafa  svinfilor,  aus  den  Jahren  1682 
— 1686)  scäri,  aber  nur  gauri,  vrabii,  curabii,  sabii  [Jahres- 


'  Dei  Geneliv-Daüv  Sing,   geht   mit   dem  Nom.-Accus.  Flur,  zusammen. 


3t 

hericht  V,  73)  und  Varlaam  [Cazania,  aus  dem  Jahre  1643) 
ram'le  l  O  l  v. / 1  etc.  sahiile  212/12,  pacei  93/19  laturi  122/4 
(allerdings  auch  parti  45/10  etc.,  carti  134/14),  falciM,  50 
(in  der  fast  gleichzeitigen  Bukarester  Bibel  aus  dem  J.  1688: 
fälcile  139)  aber  nur  dezmierdärile  330v,/ii,  mäncäri 
22b jy  etc. 

Dieser  letztere  Umstand  bekräftigt  die  Vermutung,  dafs 
der  Umlaut  von  a  in  ä  zunächst  bei  den  zahllosen  Feminina 
auf  -are  (dahin  gehören  alle  substantivierten  Infinitiva,  alle 
Ableitungen  aut  -alis  und  sehr  viele  Wörter  in  denen 
diese  Lautgruppe  zum  Stamm  gehört)  aufgetreten  ist  und 
es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dafs  wir  es  hier  mit  einer 
Lautregel  zu  tun  haben.  In  diesem  Falle  wären  die  Plurale 
wie  aurari  usw.  die  „Ausnahmen",  die  sich  leicht  als 
durch  den  Singular  beeinflufst  erklären  würden.  Ich  will 
dies  hier  nur  als  eine  Möglichkeit  aufstellen,  die  näher  zu 
untersuchen  vielleicht  der  Mühe  wert  ist.  Es  gibt  nämlich 
ziemlich  viele  Momente,  die  dafür  sprechen.  So  das  arom. 
muri  als  Plural  fem.  vom  Adj.  7nare  (die  dakorum.  Form 
mari  wäre  in  diesem  Falle  die  analogische  Form),  und 
die  dakorum.  „Ausnahmen"  mäduläri,  caläri,  buzunäri 
(Mehrzahl  von  den  männlichen:  mädular,  calar(e)y  bu- 
zimar),  dann  die  Verbalformen  säri,  spärii  (von  sar,  sparht) 
vor  allem  aber  die  Ableitungen  auf  -ea,  richtiger  -ia  i),  ein 
Suffix,  welches  Eigennamen  (Spitz-  und  Spottnamen)  bildet, 
z.  B.  Secäria,  Purcäria  von  secarä,  purcar  (bei  Cäldäria 
könnte  man  allenfalls  an  die  Mehrzahl  cäidäri  denken). 

Jedenfalls  ist  Tiktins  Erklärung  [Rumänisches  Elemeniar- 
huch  S.  27),  wonach  es  sich  um  eine  Analogie  nach  Wörtern 
wie  sarä-säri,  pradä-präzi  usw.  handelte,  schon  deshalb 
hinfällig,  da  wir  ja  im  Aromunischen ,  Meglenitischen  und 
einem  Teil  des  Dakorumänischen  seara-seri  haben,  und 
pradä-präzi  so  vereinzelt  und  unregelmäfsig  ist  (vgl.  Con- 
vorbiri  liierare  XXXIX,  323),  dafs  es  unmöglich  den  Anlafs 
zu  einer  so  weitverbreiteten  Erscheinung  gegeben  haben 
kann  und  selbst  noch  einer  Erklärung  bedarf. 

6.  Man  kann  noch  andere  derartige  Fälle  aus  allen  Gebieten 
der  Grammatik  anführen.  Ich  erinnere  hier  nur  an  die  Behandlung 
der  Lautgruppe  te  und  Tl,  welche  im  Arom.  /ä,  ^ä,  im  Meglen.  /p 
(<<  /ä,  td)  ergeben  und  desgleichen  auf  dem  gröfsten  Teil  des 
Dakorumänischen  als  /a,  /«  erscheinen,  während  der  übrige  Teil 
das   ältere   ^e,   {i   hat  (vgl.  Weigands  Übersichtskarte  14),  geradeso 


1  Dafs  es  sich  tatsächlich  um  ursprüngliches  -t,  und  nicht  um  -if  in 
diesem  Suffixe  handelt,  ersieht  man  aus  dem  Mangel  an  Brechung  eines 
vorhergehenden  o  (und  e),  vgl.  floarea  „die  Blume"  gegenüber  dem  Eigen- 
namen Florea,  Besonders  lehrreich  ist  Costea,  welches  auf  Costi  (Kurzform 
von  Constantin)  beruht. 


2,2 

wie  das  Istrorumänische.  Ferner  hebe  ich  die  Resultate  von  re, 
fi*  hervor,  welche  im  Aromunischen  als  rä  (bezw.  ra),  rä,  im 
Meglenitischen  als  rp>  (<<  ra,  rä,  bezw.  ra),  im  Istrorum.  als  rä 
(bezw,  är,  ra)  erscheinen,  desgleichen  wie  im  Dakorumänischen 
auf  dem  gröfsten  Teil  des  Gebietes,  z.  B.  dakorum.  räu  <[  reus 
(rece,  race  <  RECii[N]b),  räd  ■<  rideo,  räm  <C  kimo[k],  ränä  <<  *RiiNA, 
rä/>ä  <  RIPA,  räu  <  Rivus,  uräsc  <  hokreslo,  urt  <  *horrike  etc.; 
arom.  aräu,  arafe,  aräd,  aräm,  aräpä,  aräii,  aurascu,  urut  (<C,  urät), 
desgleichen  carä  -<  caknem  etc.,  dzinirä  <<  dzinir'le  (•<  *generum 
-illum);  megl.  rgu,  rati,  rgd^  rpm,  rgpä,  rgu^  urgt  etc.,  istrorum. 
(revu),  rä(e,  ärdti,  ärpä  etc.  Die  ältesten  dakorumänischen  Texte, 
so  der  Codice  Vorone^ean,  kennen  nur  Formen  auf  re,  ri  (z.  B. 
reu  I2^ig  etc.,  risulu  iigj^,  revnitoriu  37/ lO,  curere  33/9,  selbst 
Riniu  7/8  etc.,  Riinkanu  44/5  etc.,  neben  auffallendem  curundu 
42/2  etc.),  2  und  desgleichen  die  Psaltire  Hurmuzachi  (G.  Giuglea, 
Cercetäri  lexicografice  1,  Buc.  190g,  S.  26)  u.  a.  Leider  ist  es  aus 
Weigands  Dialektforschungen  nicht  ersichtlich,  ob  heute  noch  diese 
alte  Aussprache  erhalten  ist,  da  sich  unter  seinen  Normal  Wörtern 
keines  für  re  findet  und  dort,  wo  man  heute  in  einigen  Dörfern 
des  nördlichen  Banats  rid  {riu,  nrit,  rimä,  rind)  spricht,  wird  fast 
überall  auch  grau  zu  griu  (vgl.  Jahresbericht 'XW.,  211;  IV,  257,  277). 

Anmerk.  Angesichts  dieser  Fälle  wird  man  über  die 
Einheitlichkeit  des  Urrumänischen  etwas  skeptischer  urteilen. 
Der  Übergang  von  e  -\-  n  oder  gedecktem  m  zu  /  reicht 
sicher  in  urrumänischer  Zeit  zurück,  da  er  in  allen  Dialekten 
vorhanden  ist.  Wenn  das  Altrumänische  aber  noch  mit 
ziemlicher  Konsequenz  nach  Labialen  e  schreibt  {rnene, 
wipenge  etc.),  so  wird  man  darin  (trotz  Byhans  Ausführungen 
im  Jahresbericht  III,  14  — 19)  kaum  etwas  anderes  sehen 
dürfen,  als  den  Überrest  einer  dialektischen  Verschiedenheit 
des  Urrumänischen  selbst.  Bei  der  Trennung  der  Dialekte 
gab  es  noch  Gegenden,  die  das  alte  e  zum  mindesten 
nach  Labialen  bewahrten,  im  Gegensatze  zu  den  übrigen 
Regionen,  die  dasselbe  zu  /  verwandelt  haben.  Dieses  e  hat 
sich  denn  noch  bis  im  XVII.  Jahrhundert  mundartlich  im 
Dakorumänischen    erhalten    und    lebt    möglicherweise    bis 


^  Das  r,  das  heute  noch  im  Aromunischen  an  manchen  Orten  und  in 
der  Tara  Oasului  sich  von  r  in  der  Aussprache  unterscheidet  und  im  Alt- 
rumänischen öfters  mit  zwei  r  [qq)  geschrieben  wird,  geht  hervor  aus  i.  lat. 
rr,  2.  lat.  und  slav.  an'autendem  r,  3.  im  Aromunischen  (dialektisch)  aus  den 
Gruppen  rn  und  rl.  Vgl.  darüber  eingehender  Conv.  lit.  XXXIX,  315 — 321 
und    Weigand,  Linguistischer  Atlas,  Einleitung,  Sp.  5. 

*  Ebenso  iür  unbetontes  re-  :  revnitoriu  37/10.  Wenn  dagegen  neben 
respunsu  155/I  auch  raspunsul  12/4  vorkommt  und  konsequent  raspimdu, 
rasaru  steht,  so  haben  wir  es  hier  mit  einer  Angleichung  an  Verba  wie 
rasipi  etc.  zu  tun,  deren  Präfix  das  Slavische  raz-  ist.  Interessant  ist  auch 
das  Wort  rebdä  [reabdä  111/14,  rebdap  149I7  etc.),  welches  beweist,  dafs  im 
dakorum.   rabJ,  arom.  aravdu  das  a  auf  älterem  e  beruht. 


33 

heute  noch  fort  (vgl.  Jahresbericht  IV,  284),  indem  es  aber 
immer  mehr  durch  das  i  der  übrigen  Gegenden  verdrängt 
wurde  oder  wird. 

7.  Zwei  Fälle  von  Übereinstimmungen  zwischen  einigen  der 
vier  Hauptmundarten  mit  einem  Teile  des  Dakorumänischen  ver- 
dienen eine  besondere  Beachtung,  schon  deshalb,  weil  sie  den  An- 
lafs  gegeben  haben,  Theorien  in  der  „Rumänenfrage"  aufzustellen, 
die  hier  nicht  unbesprochen  gelassen  werden  können. 

Da  ist  zunächst  die  Verwandlung  der  Labialreihe  vor  i  (bedingt), 
und  betontem  e  (ebenfalls  bedingt)  und  i  (auch  -es,  -is  der  Flexion) 
in  Palatale  oder  mouillierte  Dentalis  zu  nennen.  Der  Übergang 
ist  zweifellos  sehr  alt  und  reicht  in  eine  Zeit  zurück,  wo  das  Dako- 
rumänische  vom  Aromunischen  noch  nicht  getrennt  war.  Die  An- 
nahme einer  Sonderentwicklung  in  jedw  dieser  zwei  Mundarten, 
wie  sie  beispielsweise  von  Byhan  {Jahresbericht  WL,  18)  ausgesprochen 
wurde,  ist  an  und  für  sich  höchst  unwahrscheinlich,  handelt  es  sich 
doch  um  einen  Lautübergang  der  ganz  eigenartig  ist  und  —  von 
w^i  !>  (w)?^  abgesehen  —  kaum  in  einer  andern  Sprache  ein  Ana- 
logen findet. 

Bei  den  Aromunen  ist  der  Übergang  durchgeführt  und  wir 
haben  überall  Ä'',  g,  Ti,  y,  n  an  Stelle  eines  allen/»,  b,  J,  v,  vi.  Einige 
Beispiele  werden  genügen:  kapio  >•  arak'u,  pkctino  >»  k'aptin, 
PKCTUS>k'ept,  PKiJiCA>k'adicä,  PttREo>  k'er,  pInus  >k'in,  spInus 
>>  sk'in,  LUPi  >  luk';  bene  >  gine,  albT  >>  alg;  Ferrum  >  h'er, 
FEKVO  >  h'erbu,  fTcus  >  h'ic,  fIlum  >  h'ir;  venio  >  yin;  *vespis 

>  yaspe,  vinum  >  yin,  vTsum  >  yis;  medius  >  nedzu,  meqs  >  aneu, 
mIlia  >  nil'e,  dokmTre  >  durni  etc. 

Die  Megleniten  haben  nur  den  Übergang  von  f  >  i  (aus 
älterem  /i)  durchgeführt:  Ferrum  >  ier,  febrarius  >  ierar,  fekv(k)o 

>  ierb,  fTcus  >  ic  (aus  *iic),  fIlius  >  il'u,  fIlum  >  ir,  fIke  >  ire. 
Dagegen  haben  sie  das  b  erhalten:  *albTre  >>  albire,  *albTna 
>>  albinä,  *verko  >  zb(i)er,  bene  >  bini.  Bei  p  sehen  wir  den 
Übergang  nur  vor  i  und  e  und  auch  da  schwankt  der  Gebrauch: 
*PECTiNEM  >  k'aptine,  pectino  >- k'aptin,  pectus  >  k'ept,  *pedinus 

>  k'^din,  appropio  >  prok'u,  —  gegen  pedica  >  p^dicä,   pekko 

>  per,  pekdo  >  perd,  *Picco  >  pic,  pTnus  >  pin,  kapTre  >  räpire, 
pTss-  >>  pis,  spIca  >  spie,  spInus  >>  spin,  picior.  Desgleichen 
herrscht  bei  v  Schwanken  zwischen  g  (aus  y)  und  v:  vermis  >■  g'armi, 
VESPis  >  g'aspi,  VIOLA  >  goarä,  vivus  >>  g'iu  (auch  ga^ä  „Leben"), 
vTcius  >  g'ipt,  —  gegen  venio  >  vin,  viNUM  >  vin,  vTnea  >  vinä, 
vIsuM  >  vis,  viTA  >  vitä  (auch  vi|;9l  „Kalb"),  vTtea  >  vi^ä.  End- 
lich finden  wir  bei  m  die  zweifache  Entwicklung  7nni  und  ni,  n, 
neben  altem  w,  oft  in  ein  und  demselben  Worte:  mergo  >>  mierg 
und  nerg,  mercukii  >  (m)niercuri,  *mele  >>  (m)niari,  mekula 
>-  mnierlä,  mkus  >  meu,  medius  >>  (m)niez  (dazu  mniazä|i,  mejluc), 
mIc-  >  tnic,  mTcula  >>  (m)nicurä,  mIlia  >>  mil'ä,  mIko  >•  mn^ir, 
dormIre  >>  durmire  (germi,  blastimi  etc.). 

Beiheft  zur  Zeitschr,  f.  rom.  Phil.  XXVI.    (Festschrift.)  -i 


34 

Was  das  Istrorumänische  anlangt,  so  sehen  wir  hier  die 
Labialreihe    intakt:    peruo  >  pl'erd,    Piss-  >  pis,    pi|or,    *albIna 

>  albir^,  hene  >  bire,  fekrum  >  fl'er  (ficatum  >  ficät),  fIlius 
>fir,   FiKE  >  fi,  VENU)  >  Viru,   VEKMis  >  l'erm  (<  vl'erm),  vinum 

>  vir,  vTvus  >  viu,  vIctum  >  vipt,  visuM  >  vis  (vitüLlus  >  vi^e); 
MELK  >»  ml'äre,  merula  >•  raerl^,  meus  >•  mev,  meuius  >  mez 
(mezloc),  Mic- >>  mic,  mIlia  >  rail'e,  dokmTke  >  durmi,  vekmis 
>•  l'erm.  Nur  in  drei  Fällen  haben  wir  eine  Ausnahme  und  zwar 
in  kl'ept  «<  pectus,  tsäptir  <<  pectinem  und  in  mn-ä,  mn-e  <<  Ml 
HA(Bii)T,  Ml  est.  Was  den  letzten  Fall  betrifft,  so  ist  er  von  vorn- 
herein auszuschalten,  denn  wir  haben  es  hier  gar  nicht  mit  der 
gemeinrumänischen  Entwicklung  von  mi  '^  n  im.  tun,  sondern  mit 
einem  spezifisch  istrorumänischen  Übergang.  In  dieser  Mundart 
wird  nämlich  in  der  Lautgruppe  Kon.  +  i  nach  kroatischem  Muster 
ein  r  eingefügt  (vgl.  pl'erd  <  pierd,  fl'er  <  fier,  ml'äre  <  miare 
etc.).  Nach  dieser  Regel  würde  man  zwar  *7nl'-ä,  *ml' -e  erwarten, 
doch  hat  eine  Assimilation  des  l'  an  die  Natur  des  vorhergehenden 
Nasals  umso  eher  stattfinden  können,  als  dadurch  auch  einer  Ver- 
wechslung mit  dem  Pronomen  der  dritten  Person  (l'-ä,  l'-e)  vor- 
gebeugt wurde  (vgl.  slav.  zemia  >>  altbulg.  ze?nl' a  >>  n.-bulg.  zemna\ 
auch  in  der  zweiten  Person  des  Pronomens  haben  wir  im  Istrorum. 
c-ä,  c-e  anstelle  des  zu  erwartenden  tsi-ä,  tsi-e).  Aber  auch  die 
anderen  zwei  Wörter  sind  deshalb  wenig  geeignet,  als  Beweise  für 
die  Existenz  eines  /;'<!/  im  Istrorum.  angeführt  zu  werden,  weil 
beide  die  Lautfolge  p-ct  aufweisen,  und  es  wird  wohl  nicht  nur 
Zufall  sein,  dafs  gerade  nur  diese  zwei  Wörter  das  k'  zeigen.  Es 
kann  eine  Metathese  *keptlt,  *kkptine  in  zwei  Perioden  statt- 
gefunden haben,  die  inbezug  auf  die  Behandlung  der  Gruppe  ke- 
verschieden  waren  (zuerst  *keptine  >»  tsäptir,  wie  kena  >  tsir§; 
später  *KEKTU  >>  kieptu  >  kl'ept);  wahrscheinlicher  jedoch  dünkt  mir 
das  Eintreten  einer  Assimilation  *kekiine,  *KhKTü,  die  in  mancher 
Hinsicht  eine  Parallele  zu  Herzogs  Erklärung  des  franz. <://////<; Captivus 
{Literaturblait  f.  germ.  u.  rom.  Phil.  ig02,  S.  125)  bieten  würde. 

Was  endlich  das  Dakorumänische  betrifft,  sind  wir  jetzt 
durch  Weigands  Dialektforschungen  genau  unterrichtet  (vgl.  die 
Übersichtskarten  6  —  8  des  Linguistischen  Atlasses),  dafs  die  erhaltenen 
Labialen  nur  noch  im  Banat  und  in  den  daran  angrenzenden 
Teilen:  der  kleinen  Walachei,  dem  westhchen  Siebenbürgen  und 
z.  T.  in  dem  ungarländischen  Gebiet  zwischen  den  Karpathen  und 
der  Theiss  zu  treffen  sind.  Dagegen  weist  das  ganze  übrige  Sprach- 
gebiet k',  g-,  h',  y,  n  oder  daraus  entwickeltes  t'  bezw.  ts,  d'  bezw. 
dz,  S  bezw.  s  (s,  s),  ^  (d',  dz)  bezw.  z  (z,  z,  z)  oder  Schwund  des  y  (und 
Ersetzung  durch  Aspiration)  auf.  Aufser  diesen  Lauten  finden  sich 
in  den  Grenzgebieten  Übergangsformen:  pk'  (pt',  pts),  bg  (bd', 
bdz),  fh'  (fk',  ft'  bezw.  sk',  si),  vy,  mn.  Die  Grenzen  für  die 
einzelnen  Labialen  stimmen  nicht  überein  und  zwar  reicht  am 
weitesten  das  Gebiet  des  erhaltenen  v,  etwas  geringer  ist  dasjenige 
des    reinen  _/,    um  vieles   kleiner   das  des  nicht  veränderten  m  und 


35 

noch  beschränkter  dasjenige  des  rein  erhaltenen  p  (eine  Übersichts- 
karte für  h  fehh).  Selbst  innerhalb  dieser  Grenzen  nehmen  nicht 
alle  in  betracht  kommenden  Wörter  in  gleichem  Umfang  an  den 
Veränderungen  teil,  so  dafs  z.  B.  auf  einem  grofsen  Landstrich  in 
der  Walachei  das  Wort  piaträ  noch  den  alten  Lautstand  bewahrt, 
während  die  neue  Aussprache  in  li  ept  durchgedrungen  ist. 

Ziemlich  auffallend  ist  die  Tatsache,  dafs  im  Altrumänischen 
für  lange  Zeit  keine  Spur  von  Palatalen  zu  finden  ist.  Erst  am 
Ende  des  XVL  und  im  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  tritt  sporadisch 
in  Urkunden  (Hurrauzaki-Jorga  XI,  34g,  369;  Jorga,  Documentele 
r Omanern  din  arhwele  Bisiri^ei  I,  8)  neben  f  auch  h  (im  Verbum 
,,a  fi")  auf,  das  einige  Jahrzehnte  später  auch  bei  den  moldauischen 
Schriftstellern  oft  begegnet.  Viel  seltener  sind  die  anderen  Laute. 
Vielleicht  liegt  ein  Fall  von  hi  >>  gi  im  Worte  ghiräl  (=  biräi  „a 
fi  biräu"?)  in  einer  Privaturkunde  vom  Jahre  1593  vor  (Hurmuzaki- 
Jorga,  XI,  342)  und  Hasdeu  {Eiymologicum  2231  ff.)  belegt  k't  für  pi 
aus  einer  ebenfalls  moldauischen  Urkunde  vom  Jahre  1644  "i^d 
zitiert  eine  Stelle  aus  Cantemir,  der  um  die  Wende  des  XVU.  und 
XVIII.  Jahrhunderts  die  Aussprache  k' ,  g,  Ji,  y,  n  als  dialektisch  und 
\ailgär  in  der  Moldau  bezeichnet.  Wir  müssen  also  annehmen,  dafs 
die  erhaltenen  Labialen  in  den  früheren  Jahrhunderten  auf  dako- 
rumänischem  Gebiet  einen  bedeutend  gröfseren  Raum  einnahmen 
als  jetzt.  Ihre  Verdrängung  ist  noch  heutzutage,  trotz  des  Ein- 
flusses der  Literatursprache,  ersichthch,  am  besten  aus  den  Über- 
gangsformen und  der  unvollständigen  Vertretung  eines  li  in  den 
Wörtern  piaträ  und  piept.  Man  darf  allerdings  nicht  glauben,  dafs 
die  Palatalen  überhaupt  erst  im  XVI.  Jahrhundert  auftreten,  weil 
sie  früher  nicht  bezeugt  werden  können.  Wenn  die  altrum.  Texte 
die  intakte  Labialreihe  aufweisen,  so  beruht  das  zum  guten  Teil  auf 
der  literarischen  Tradition.  Wir  wissen  heute  (Jorga,  Istoria  literatiirii 
religioase  a  Romänilor,  Bucuresti,  1904,  S.  15  ff.),  dafs  die  Rumänen 
im  XV.  Jahrhundert  unter  dem  Einflüsse  der  hussitischen  Religions- 
bewegung zum  ersten  Male  ihre  Sprache  anstelle  des  Slavischen  in  der 
Kirche  zu  gebrauchen  und  die  Bibel  ins  Rumänische  zu  übersetzen 
begannen.  Der  Einflufs  dieser  Schriften  war  gröfser,  als  man  es 
gewöhnlich  anzunehmen  pflegt,  und  durch  sie  wurde  eine  literarische 
Tradition  begründet.  Die  ersten  Bibelübersetzungen  müssen  in 
einer  Gegend  entstanden  sein,  die  in  der  Umgangssprache  die 
reinen  Labialen  noch  bewahrte,  da  sie,  als  erste  Schriftversuche, 
sonst  sicherlich  nach  der  Volkssprache  kept  statt  piept  geschrieben 
hätten.  Auch  sonstige  Anzeichen,  von  denen  einige  noch  weiter 
unten  hervorgehoben  werden,  sprechen  dafür,  dafs  diese  Denkmäler 
in  einer  Gegend  zu  lokalisieren  sind,  die  ziemlich  weit  im  Nord- 
westen des  dakorumänischen  Gebietes  gelegen  ist,  etwa  an  dem 
Schnellen  Cri.^,  wo  heute  noch  zwar  nicht  mehr  piept,  aber  viii  und 
fier  gesprochen  wird.  Immerhin  bleibt  es  aber  auffällig,  dafs  man 
selbst  in  Privaturkunden  die  Palatalen  so  spät  und  so  spärlich  findet. 


36 


Anmerk.  Der  selbst  in  seinen  Irrtümern  lehrreiche 
Hasdeu  hat  (a.  a.  O.)  aus  der  Tatsache,  dals  im  Istro- 
rumänischen  nur  die  Ausdrücke  für  „Brust"  und  „Kamm" 
den  Palatallaut  aufweisen,  eine  Stütze  für  seine  Hypothese 
zu  finden  geglaubt,  wonach  dieser  Übergang  infolge  „weib- 
lichen Einflusses"  auf  die  Umgangssprache  erfolgt  sei.  Er 
glaubte  nämlich,  dafs  p  >>  k'  etc.  ein  Rest  der  dakischen 
Ursprache  sei  und  sich  durch  die  an  Römer  verheirateten 
dakischen  Frauen  in  die  römische  Sprache  eingebürgert 
hätte.  Natürlich  ist  es  ihm  nicht  gelungen,  einen  solchen 
Übergang  im  Dakischen  selbst  nachzuweisen.  Neben  anderen 
Gründen  spricht  aber  dagegen  auch  der  Umstand,  dafs  der 
Übergang  selbst  nicht  zu  den  ältesten  gehört,  die  die  Sprache 
durchmachte.  Er  ist  beispielsweise  jünger  als  derjenige  — 
allerdings  zum  Teil  schon  vorrumänische  —  von  Iv,  rv 
>>  Ib,  rb,  denn  wir  haben  alvIna  >>  albinä  >>  alginä, 
CORVT  >>  corbi  >  corg,  fkrvis  >  fierhi  >»  Jierg,  und  eben- 
falls jünger  als  das  Verstummen  des  intervokalischen  v  (b): 
HiBKKNA  >>  mrnä,  liberio  >>  ür/,  und  als  der  Übergang 
von   bz  >  ib:    *cübium  >  cutb  etc. 

Das  ist  aber  auch  alles,  was  man  auf  spekulativem  Wege 
über  das  Alter  und  die  geographische  Ausbreitung  des 
Übergangs  feststellen  kann.  Die  Fremdwörter  eröffnen  uns 
in  dieser  Hinsicht  keinen  neuen  Weg.  Die  Tatsache,  dafs 
sich  der  Übergang  auch  in  jüngeren  Entlehnungen  aus 
fremden  Sprachen  vorfindet,  kann  daraus  erklärt  werden, 
dafs  er  relativ  jung  ist;  doch  mufs  man  diese  Deutung 
nicht  unbedingt  akzeptieren,  da  der  Lautwandel  in  der 
Flexion  eine  grofse  Rolle  spielt  {/up-/uk';  dorm- dorn  etc.); 
er  ist  also  heute  noch  nicht  abgeschlossen,  so  dafs  ihn 
die  jüngeren  Entlehnungen  auch  mitmachen  können,  zu- 
nächst in  den  Biegungsformen  [scump-scunk'),  dann  aber 
auch  sonst  (man  hört  selbst  liilozoJi,  als  Mehrzahl  zu  dem 
Neologismus  filozof).  Aus  einzelnen  Wörtern  ist  auch  nicht 
viel  zu  holen.  Das  Wort  fränghie  „Tau"  <;  fimbria,  — 
eines  der  wenigen,  welche  in  der  Schriftsprache  in  der 
dialektischen  Form  aufgenommen  wurden,  —  ist  im 
Mährischen  als  frembia  erhalten,  wie  man  dies  auch  gar 
nicht  anders  erwartet,  da  der  Norden  des  dakorumänischen 
Gebietes  sich  auch  durch  andere  Anzeichen  als  einstiger 
Bewahrer  der  Labialen  erweist.  Die  alte  Form  ist  als 
främbie  noch  heute  im  Banat,  wo  die  Labialen  rein  sind, 
erhalten  (Zanne,  Proverbe\]l,\'^2\  Marian,  Natter ea,  38; 
Lexiconul  de  Buda  etc.,  vielleicht  selbst  noch  bei  Dosofteiu, 
Psaliirea,  150).  Das  Wort  movila  „Hügel"  stammt  wahr- 
scheinlich aus  dem  Slavischen  (kslav.  mogylo,  bulg.  mogilü, 
russ.  mogila,  kruss.  mohela,  poln.  mo^ita).  Man  betrachtet 
es   als    das  Resultat  einer  Überentäufserung  aus  der  z.  T. 


37 

dialektisch  erhaltenen  Form  vioghila  (vgl.  Densusianu,  Hisioire 
de  la  langue  roiimaine ,  I,  276).  Da  aber  das  /-Gebiet 
(für  V)  sehr  klein  ist  (vgl.  VVeigands  Übersichtskarte  No.  8, 
mit  gelb  bezeichnet)  und  die  Form  movila  auch  dort  ver- 
breitet ist  wo  man  vin  oder  yin  sagt,  so  wird  diese  Er- 
klärung wohl  unrichtig  sein  (man  würde  eher  die  Über- 
entäufserung  *moh}lä  erwarten).  Es  scheint  vielmehr,  dafs 
wir  es  hier  mit  dem  auch  sonst  bekannten  Übergang  des 
^  >  j)  zu  tun  haben,  oder  noch  wahrscheinlicher,  mit  dem 
Wechsel  von  h  '^  v,  da  das  Wort,  als  Eigenname,  zur  Zeit 
seines  ersten  literarischen  Auftretens  die  kleinrussische  Form 
Mohila  hat  (Hurmuzaki-Jorga  XI,  317  in  einer  Urkunde 
aus  dem  Jahre  1593.  Das  slav.  Wort  ist  etymologisch  nicht 
ganz  klar,  vgl.  G.  Meyer,  Etymol.  Wörterbuch  d.  alb.  Sprache, 
118  — 119).  Eine  Autklärung  könnte  eher  das  Wort 
AGNELLUS  >  miel  bieten,  doch  haben  wir  leider  kein 
zweites  ähnlich  gebautes  Wort  im  Rumänischen,  das  uns 
zur  Kontrolle  dienen  könnte.  Nach  lignum,  Signum  puünus 
COGNATUS  ;>  lemn,  semn,  pumti,  cumnat  einerseits  und 
*ANELLUS  „Ring"  >  iiiel  andererseits  zu  urteilen,  würden 
wir  *(a)mnel  erwarten.  Dagegen  zeigen  die  heutigen  Formen 
des  Wortes  dasselbe  Resultat  wie  *mele  :  dakorum.  7niel : 
miere  (mnel '.  jnnere;  nel :  nere),  arom.  nel :  nare  (am  Olymp 
niel  :  7iiere)\  megl.  mniel :  mniari  [niel :  ntari),  istrorum.  ml'e 
(aus  ml'el)  :  ml' äre.  Es  scheint  fast,  als  ob  das  den  rum.  • 
Formen  zu  gründe  liegende  Wort  *agmellus  wäre  (eine 
Kreuzung  mit  agmen  ., Schar,  Herde'"  ist  wohl  kaum  an- 
zunehmen), welches  über  *aunüllu,  zu  *(ajmelli(  geworden 
sein  könnte  (vgl.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXXIII,  2'}^'^.  Jeden- 
falls ist  es  nicht  möglich,  die  Form  miel  aus  einer  früheren 
mnel  oder  nel  mit  Überentäufserung  zu  erklären,  denn 
miel  wird  auch  im  Banat  gesprochen,  wo  weder  die  Über- 
entäufserung noch  der  Schwund  eines  n  möglich  ist.  Auch 
die  Ableitungen  zeigen,  dafs  die  Annahme  eines  Überganges 
-gm-  >  (mjne  schwer  ist,  denn  *agnelliola  ergab  (im 
Megl.)  mil'oarä,  woraus  (arom.)  ml' oarä,  oder  mit  Assimi- 
lation (im  Banat)  mirioarä.  Mit  m  ist  das  Wort  auch  in  die 
Nachbarsprachen  aufgenommen  worden:  älb.  mil'or§,  ung. 
millöra  etc.  Aus  demselben  Grunde  wie  bei  miel,  kann 
man  auch  dem  Worte  furnicä  >>  formIca  keine  Beweis- 
kraft beimessen,  wie  dies  Miklosich  tat  {Coiisonantismus 
II,  43),  für  welchen  die  rum.  Form  mit  n  statt  m  „darauf 
hinzudeuten  schien,  dafs  einst  ni  für  7ni  allgemein  rumänisch 
war".  Wir  haben  es  hier  vielmehr  mit  einer  Dissimilation 
der  zwei  Labiale  f-m  >>  f-n  zu  tun ,  wie  wir  sie  öfters 
bemerken  können,  im  Rumänischen  bei  dem  Worte  malva 
>  nalhä  (auch  sonst  im  Romanischen  weit  verbreitet,  vgl. 
mein  Etym.  Wörlh.  No.  11 50)  posnä  <  *posmä  (zu  slav. />ö- 


38 

smeif),  im  Romanischen  aufserdem  sehr  oft,  z.  B.  mespilus 
>>  ital.  nespola,  span.  nispero,  frz.  nlfle\  membrum  >■  a.-oberit. 
nembro,  frl.,  bell,  nemhri,  obländ.  nejnher,  span.  nembro,  vgl. 
überdies  ital.  nibbio  etc.  zu  MiLVUS. 

Dafs  bei  den  Megleniten  gerade  i  für  fi  durchgeführt 
ist  und  auch  bei  den  moldauischen  Schriftstellern  gerade 
Ii  für  f  in  der  Literatursprache  sich  zuerst  Bahn  bricht, 
wird  seinen  Grund  wahrscheinlich  in  dem  häufigen  Vor- 
kommen des  Verbums  a  fi  „sein"  haben.  Es  dürfte  nicht 
uninteressant  sein  zu  erwähnen,  dafs  meine  nun  neunzig- 
jährige Grofsmutter,  die  im  übrigen  „dialektfrei"  spricht, 
gerade  das  h  ihrer  Kronstädter  Mundart  (jedoch  nicht 
auch  das  k' ,  g  etc.)  immer  in  ihrer  Sprache  gebraucht. 

Was  das  istrorum.  isäptir  betrifft,  so  wollte  Densusianu 
(Histoire  de  la  langue  rou??iaine  I,  340)  daraus,  dafs  pecten 
auch  in  der  Mures-,  Cris-  und  Somes-Gegend  als  isaptän, 
is^ptätt  vorkommt  auf  eine  nähere  Verwandtschaft  zwischen 
den  zwei  Dialekten  schliefsen.  Er  hat  aber  übersehen, 
dafs  im  obengenannten  Gebiet  der  Übergang  von  k'  (über  /) 
zu  is  relativ  sehr  neu  ist,  jedenfalls  viel  jünger  als  die  Los- 
trennung des  Istroruraänischen  vom  Dakorumänischen,  denn 
während  das  Istrorumänische  für  lat.  cl  und  te  noch  auf 
der  Stufe  cl'  und  te  (clamo  >>  cl'efn,  te  >>  ie)  steht,  ist 
in  jenen  Gegenden  jedes  k'  zu  //  geworden,  also  auch 
CLAMO  >>  tse?n,  wie  tilium  >>  t  eiu  >>  k'eiti  >»  tseiu. 

8.  Alle  bisher  vorgebrachten  Fälle  erwiesen  sich  als  Ur- 
rumänisch, weil  es  sich  um  Sprachneuerungen  handelt,  die  in  allen 
Dialekten  vorhanden  sind  und  es  eine  höchst  unwahrscheinliche 
Annahme  wäre,  dafs  sie  sich  erst  nach  der  Trennung  in  jeder 
Mundart  selbständig  entwickelt  und  überall  gerade  dieselben  Re- 
sultate ergeben  hätten.  Nun  haben  wir  einen  anderen  Fall,  der 
sich  durch  andere  Erwägungen  als  urrumänisch  erweist.  Es  ist 
dies  der  sogenannte  Rotazismus ,  der  Übergang  von  einfachem  n 
zwischen  Vokalen  in  r.  Er  mufs  zeitlich  in  die  urrumänische 
Periode  fallen,  weil  er  nur  in  lateinischen  Erbwörtern  auftritt.  Ein 
einziges  slavisches  Lehnwort  macht  hiervon  Ausnahme.  Es  ist  dies 
*süm§tana,  welches  im  Istroruraänischen  als  smäntär§  (nicht  ganz 
sicher)  erscheint.  Aber  schon  der  jedenfalls  noch  ältere  Übergang 
von  an  >>  an  zeigt,  dafs  dieses  Wort  mit  4 — 5  anderen  Hirten- 
ausdrücken  sehr  früh,  vor  der  eigentlichen  Beeinflussung  im  grofsen 
Mafsstabe  durch  die  Slaven,  ins  Rumänische  durch  wandernde 
Hirten  übernommen  worden.  Nun  reicht  aber  der  Einflufs  des 
Slavischen  ziemlich  weit  ins  Urrumänische  zurück,  denn  wir  haben 
in  allen  Dialekten  die  gleichen  u.  z.  manchmal  nachweislich  sehr 
alten  Entlehnungen  aus  dem  Slavischen  (vgl.  besonders  Sandfeld- 
Jensen,  in  Gröbers  Grundrifs  I2,  530 — 532)  und  es  ist  sicher,  dafs 
die   Slaven    auf   das  Rumänische   lange  Zeit  gewirkt  hatten,   bevor 


39 

sich  die  heutigen  vier  Gruppen  von  einander  getrennt  haben  (vgl. 
§  14).  Nun  war  aber  der  Rotazismus,  wie  die  meisten  Laut- 
wandelungen im  Urrumänischen,  zur  Zeit  des  slavischen  Einflusses 
abgeschlossen,  da  aufser  in  dem  einen  oben  besonders  betrachteten 
und  noch  dazu  nicht  ganz  sicheren  Fall,  in  keinem  einzigen  Wort 
slavischer  Herkunft  intervokalisches  w  zu  r  wird.  Dies  gilt  selbst 
für  solche  Wörter,  die  durch  ihr  Vorkommen  in  mehreren  rumänischen 
Mundarten  möglicherweise  in  urrumänischer  Zeit  entlehnt  wurden, 
wie  z.  B.  leyie  (arom.  leane),  hränesc  (arom.  härnescu),  gonesc  (arom. 
agunescu),  hrean  (arom.  hreanu),  iinä  (arom.  tinä),  rogojinä  (arom., 
megl.  ruguzinä),    cremene  (megl.  cr^mini),    riwien  (arom.  rumin)  etc. 

Durch  die  vorzügliche  Abhandlung  von  A.  Procopovici  [Despre 
nazah'zare  si  rotadsm,  Bucuresti,  igo8),  welche  z.  T.  früher  von 
Byhan  und  Weigand  ausgesprochene  Meinungen  bestätigt,  sind  wir 
jetzt  über  die  Geschichte  des  rumänischen  Rotazismus  ziemlich  gut 
unterrichtet.  Die  Vorbedingung  des  Rotazismus  war  die  Nasalierung 
der  Vokale  vor  n  (einfach  oder  gedeckt,  doch  nicht  vor  n  -f-  Nas.) 
und  vor  gedecktem  tn  (ausgenommen  bei  folgendem  Nasal).  Diese 
Nasalierung  war,  zum  mindesten  dialektisch,  im  Dakorumänischen 
bis  ins  XV.  Jahrhundert  vorhanden,  da  die  ältesten  Sprachdenkmäler 
sie  durch  einen  besonderen  Buchstaben  (|)  ausdrücken.  Es  tritt 
aber  dieses  Zeichen  der  Nasalität  in  slavischen  Lehnwörtern  nur 
dann  auf,  wenn  sie  im  Slavischen  selbst  Nasalvokale  enthielten 
(a  oder  §),  sonst  aber  nie. 

Nun  hat  Procopovici  (S.  25  —  26)  aus  der  Behandlung  der 
Wörter  una,  granum,  frenum  und  *ßRANUM  (?)  mit  grofsem 
Scharfsinn  nachgewiesen,  dafs  die  Nasalierung  nur  dem  Dako- 
rumänischen und  Istrorumänischen  bekannt  war,  dafs  sie  dagegen 
das  Aromunische  und  das  Meglenitische  nie  gekannt  haben,  oder 
doch  nur  in  einem  (in  bezug  auf  Intensität  oder  auf  geographische 
Ausbreitung)  verschwindend  geringem  Mafse.  In  der  Tat  zeigen 
nur  die  ersten  zwei  Mundarten  die  Entwicklung  *üä,  *gräu,  *fräu, 
*bräu  >>  dakorum.  *uä  >•  0,  grau,  fr  du,  brau,  istrorum.  uä  >>  0, 
*gräu  >>  gravu,  *bräu  >■  brävu,  während  in  den  zwei  letzten  Mund- 
arten das  n  bis  heute  bewahrt  ist:  arom.  (u)nä,  grau  (gärnu,  gäru), 
brau,  frdn  (färnu,  fäfu)   und  megl.  (u)}iä,  grpti,  frgn. 

Während  die  Nasalierung  eine  allgemeine  Erscheinung  des 
Dakorumänischen  und  Istrorumänischen  ist,  blieb  der  daran  an- 
knüpfende Rotazismus  selbstverständlich  dem  Aromunischen  und 
Meglenitischen  gänzlich  fremd;  er  erscheint  im  Istrorumänischen 
durchgeführt,  ist  aber  im  Dakorumänischen  selbst  nur  mundartlich 
vorhanden.  Heute  fristet  er  sein  Dasein  nur  noch  in  einigen 
Dörfern  des  Siebenbürger  Erzgebirges  und  ist  daselbst  im  raschen 
Absterben  begriffen.  Die  alten  Sprachdenkmäler  beweisen  uns 
indessen,  dafs  er  vor  einigen  hundert  Jahren  ziemlich  weit  ver- 
breitet .  war  und  wenn  wir  seine  Ausdehnung  im  Urrumänischen 
nicht  mehr    nachweisen  können,    lassen   sich  zum    mindesten    seine 


40 

Grenzen  für  das  XV. — XVI.  Jahrhundert  aus  den  spärlichen  Daten 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  feststellen.  Ich  glaube,  dafs  wir 
nicht  fehlgreifen,  wenn  wir  als  rotazierend  die  Gegend  bezeichnen, 
die  sich  nördlich  von  Mures  erstreckt  und  auch  den  gröfsten  Teil 
der  Bukovina  mit  der  nördlichen  Moldau  umfafst.  Dies  stimmt 
fast  genau  mit  dem  heutigen  Gebiet  der  x^ussprache  färinä  überein 
(Weigands  Übersichtskarte  No.  5).  Die  Argumente,  welche  für 
diese  Lokalisierung  sprechen,  wären  folgende:  Wenn  wir  von  Westen 
nach  Osten  schreiten,  so  sehen  wir  zunächst,  dafs  ein  ziemlich 
grofses  Gebiet  noch  heute  irima  (auf  Weigands  Übersichtskarte 
No.  5  mit  grün  bezeichnet)  und  gerunchiu  (ebenda,  mit  rot  um- 
grenzt) spricht.  Es  ist  wohl  anzunehmen,  dafs  in  diesen  zwei 
Wörtern  die  rotazierte  Form  sich  durch  eine  dissimilatorische 
Tendenz  erhalten  hat,  die  sich  gegen  die  Aufeinanderfolge  zweier 
Nasalen  (inimä  <  anima,  genunchiu  <  genuclum)  sträubte  (s.  die 
Anmerkung).  In  dieser  Gegend  ungefähr  dürften  auch  die  ersten 
rumänischen  Übersetzungen  zu  lokalisieren  sein,  die  sich  gerade 
durch  den  Rotazismus  kennzeichnen,  denn  hier  findet  man  ur- 
sprünglich noch  die  bewahrten  Labiale,  hier  ist  noch  Ußi  >>  iuä 
erhalten  (Weigands  Übersichtskarte  No.  q),  hier  erklären  sich  am 
besten  die  vielen  Lehnwörter  aus  dem  Ungarischen,  und  es  ist 
auch  historisch  bezeugt,  dafs  gerade  in  der  Nähe  von  Grofswardein 
die  hussitische  Bewegung,  unter  deren  Einflufs  diese  Schriften  ent- 
standen sind,  am  stärksten  vertreten  war  (vgl.  Hurmuzachi,  Docu- 
mente,  I,  2.  No.  507  ;  vgl.  auch  Tiiteraturhlatt  f.  germ.  u.  rom.  Phil. 
igo8,  Sp.  804 — 805).  In  der  Nähe  von  Turda,  im  Dorfe  Mähaciu, 
kopierte  um  das  Jahr  1600  ein  Dorfpfarrer  in  einem  Codex 
miscellanius  verschiedene  Schriften,  die  zu  seiner  Zeit  zirkulierten. 
Diese  weisen  z.  T.  Rotazismus  auf,  wenn  ihr  Ursprungsort  im 
Norden  war,  z.  T.  sind  es  unrotazierte,  aus  dem  Süden  stammende 
Texte.  Das  wichtigste  ist,  dafs  der  Pfarrer  Grigorie  selbst  ^  (<  «) 
sprach,  da  er  in  einer  Mitteilung  ciri  (=  „eine")  gebraucht  (Hasdeu, 
Ciivinie  din  haträni  II,  107).  Vom  Ende  des  XVI.  und  Anfang  des 
XVII.  Jahrhunderts  haben  wir  einige  rotazierende  Briefe,  die  im 
Bistritzer  Archiv  aufbewahrt  werden  und  von  Jorga  {Documente 
romäne^U  din  arhivele  Bistri{ei,  I,  Bucuresti,  1899)  herausgegeben 
wurden  (doch  ist  der  Rotazismus  nicht  durchgeführt).  Aus  diesen 
läfst  sich  der  Rotazismus  belegen  für  Seli^tou  in  Maramures  (No.  11, 
von  1587 — 1596:  mchinaciure ,  omiiri  =  „oa.meni"' ,  mrain/e,  bire), 
für  Moldavita  in  der  Bukovina  (No.  V,  von  1597:  ein  mere  = 
„mine",  gegenüber:  sänätate,  impräunä,  bunä,  raene;  die  Urkunde 
stammt  aus  der  bischöflichen  Kanzlei),  aus  dem  Maramure§  (No.  XXXI, 
von  1602 — 1603:  verit,  oamiri)  aus  Rädäu|;i  in  der  Bukovina 
(No.  XXXVII,  nach  1607:  zweimal  särätate,  sonst:  bun,  bine,  veni 
usw.;  aus  der  bischöflichen  Kanzlei),  aus  Suciul-de-sus  (No,  XXXVIII 
von  1609:  mära,  [nimäruea] ,  inrainiea^  neben  dreimal:  bun),  aus 
Vorone|;  in  der  Bukovina  (No.  XL,  von  1616 — 1630:  spure,  neben 
sänätate,  mänä,  bun,  bine).     Für  die  IMoldau  belegt  aufserdera  aus 


41 

dem  XV.  Jahrhundert  Hasdeu  [Ciivinte  din  hairdni  II,  13 — 14)  in 
slavisch  geschriebenen  Urkunden  die  Namen /a«/'ö;-^ö//(„Fäntänele"), 
Geamär  („gemen")  und  Ruviär  („roraän"),  die  sich  durch  den 
Eigennamen  Galbir  („galbin")  in  einer  slavischen  Urkunde  vom 
4.  Juni,  1546  aus  Husi  (Mss.  der  Rumänischen  Akademie,  Petschaft 
106;  mir  mitgeteilt  von  J.  Bianu)  ergänzen.  Aufserdem  lokalisiert 
J.  Bogdan  den  Schreiber  der  von  ihm  mitgeteilten  rotazierenden 
rumänischen  Glossen  [Convorhiri  literare  XXIV,  727  ff.)  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  im  Kloster  Neam|:u.  In  einer 
Novelle  von  M.  Sadoveanu  fand  ich  den  Rotazismus  in  der  als 
Ausruf  gebrauchten  erstarrten  Formel  fä  rapoi! ,  die  offenbar  zur 
Zeit  der  Entrotazierung  nicht  mehr  (als  „fa  inapoi")  verstanden 
wurde.  Er  bestätigt  mir,  diesen  Ausdruck  heute  in  der  Nähe  von 
Folticeni  gehört  zu  haben  und  er  kommt  auch  in  der  Bukovina 
vor  (nea  rapoi!  in  Bäläceana). 

Wie  bereits  erwähnt,  existieren  keine  sicheren  Anzeichen,  dafs 
einst  der  Rotazismus  im  Dakorumänischen  weiter  verbreitet  ge- 
wesen wäre;  im  Gegenteil  sehen  wir,  dafs  in  dem  in  Kronstadt 
gedruckten  Psalter  vom  J.  1577  ^^^  rotazierten  Formen  der  (zugleich 
der  rotazierenden  Psaltire  Scheianä  dienenden)  Vorlage,  konsequent 
(einige  male  mit  umgekehrter  Schreibweise)  durch  «-Formen  wieder- 
gegeben werden.  Ja,  auf  dem  oben  umgrenzten  Raum  selbst  scheint 
der  Rotazismus  im  XV. — XVI.  Jahrhundert  nicht  überall  allgemein 
gewesen  zu  sein,  wie  das  Schwanken  im  Gebrauche  in  den  meisten 
Urkunden  beweist.  Allenfalls  ist  die  Wiederherstellung  des  Ji  noch 
zu  einer  Zeit  erfolgt,  als  die  Vokale  nasaliert  gesprochen  wurden: 
sonst  würde  man  auch  Fälle  von  falscher  Herstellung  eines  n  an 
Stelle  eines  etymologischen  r  (oder  aus  -/-  entstandenem  r)  an- 
treffen. Die  Tatsache  selbst,  dafs  ti  wieder  in  seine  alten  Rechte 
gelangen  konnte  ist  aber  ein  Beweis  dafür,  dafs  im  Dakorumänischen 
ein  Teil  der  Bevölkerung  unbedingt  das  alte  n  bewahrt  hat;  sonst 
würde  man  nicht  begreifen,  von  wo  der  Anlafs  zu  einer  Wieder- 
herstellung auf  einem  so  weiten  Gebiete  ausgegangen  wäre. 

An  merk.  Die  assimilatorische  und  dissimilatorische 
Störung  hat  bei  Entstehung  der  rotazierten  Formen  und 
bei  der  Entrotazierung  eine  grofse  Rolle  gespielt.  Da  ich 
demnächst  darüber  eine  Abhandlung  zu  veröffentlichen 
gedenke,  so  will  ich  hier  nur  einige  Fälle  anführen.  Alle 
„Ausnahmen",  sowohl  im  Istro-,  als  auch  im  Altrumänischen 
erklären  sich  durch  die  Nachbarschaft  eines  n  (m)  oder  r 
(z.  B.  istrorum.  nuntru,  amnat  <  amanat,  serninät  nb.  semirät, 
altrum.  sträminare,  etc).  Es  scheint,  dafs  der  Einflufs  der 
Assimilation  und  Dissimilation  schon  bei  der  Vorstufe  des 
Rotazismus,  bei  der  Nasalierung  eine  grofse  Rolle  gespielt 
hat.  Wir  finden  nämlich  im  Dakorumänischen  eine  sehr 
.  grofse  Anzahl  von  Fällen  mit  Wandel  eines  n  >  r,  und 
umgekehrt    unter   dem  Einflufs    eines    benachbarten  Nasals 


42 


bezw.  eines  r,  z.  B.  sanguinosus  >>  sängeros,  sanguinare 

>  sängerare,  nomina  >»  numere  (nb.  numene),  nominare 
>>  numärä,  nemin-  >  nimärui  (nb.  nimänui);  umgekehrt: 
SERENUS  >»  senin,  arena  >  aninä  (nb.  arinä);  hikundul- 

>  ränduneä  (nb.  rändureä),  juniperus  >  juneapän  (nb. 
juneapär),  Corona  >  cununä,  similare  ^  *sHmärä  > 
sämänä,  assimile  >  *asemere  >>  asemene,  viezure  +  inä 
>>  *viezuninä  (woraus  viezuinä  oder  viezunie),  PhCORiNA  >> 
*päcuninä  >>  päcuinä  (cfr.  farina  >>  fäninä  >•  fäinä),  MIRO 
-f-  une  >■  minune,  arin  anin,  ustur  -|-  oniu  >  usturoiu  und 
ustunoiu,  master  -f-  oniu  >■  mästinoiu,  pur-  -|-  oniu  >> 
puroiu  und  punoiu,  räsurä  +  oniu  >  räsuroiu  und  räsunoiu, 
lature  -j-  oniu  >  läturoiu  und  lätunoiu,  misun  +  oiu  >> 
mu^unoiu  und  musuroiu,  adineaurea  und  adineaunea, 
GUTTUK  +  AKiUM  >  gutunar  (aber  guturaiu  <  guttur  -}- 
alium),  räscräcärat  und  räscräcänat,  lubkicake  >  lunecare 
(woraus  auch:  lunec),  süspikare>>  suspinare  (woraus  auch: 
suspin).  Besonders  interessant  sind  die  Fälle,  in  welchen 
ein  vorhergehender  Nasal  ein  n  in  der  nächsten  Silbe  er- 
zeugt; in  den  meisten  Fällen  werden  aber  die  zwei  n  nicht 
nebeneinander  geduldet,  sondern  das  eine  verwandelt  sich 
in  r  um:  minutus  >>  (a)mänunt  und  (a)märunt,  panicum 
>■  pärinc,  renuculum  >  rärunchiu,  canuius  >>  cärunt, 
genuculum  >  genunchiu  und  gerunchiu,  *junica  >>  jurincä 
und  junincä,  minacio  >  ameninj;  und  amerint.  Von  allen 
diesen  Fällen  kennt  bezeichnenderweise  das  Aromunische 
keines,  sondern  man  hat  nur  die  regelrechten  Formen: 
minut,  serin  usw.  Die  einzige  Ausnahmen  venenum  >> 
verin  ist  durch  ital.  veleno,  a.-fran.  velin  zweifelhaft  und 
man  ist,  angesichts  dieser  Fälle,  im  Recht  anzunehmen, 
dafs  auch  fürs  Rumänische  eine  (bereits  dissimilierte)  Form 
*velemjm  anzusetzen  ist,  die  regelrecht  verui  ergeben  bat 
und  dafs  dieses  auf  dakorum.  Boden  zu  venin  assimiliert 
wurde. 

Während  der  Rotazismus  im  Istrorumänischen  und  im 
Altrumänischen  ganz  unter  denselben  Umständen  auftritt, 
zeigen  heute  die  paar  Dörfer  in  dem  Siebenbürgischen 
Erzgebirge  ganz  andere  Verhältnisse.  Wir  finden  hier  a) 
dafs  Erbwörter  den  Übergang  zu  r  nicht  haben,  z.  B. 
intineri,  cuvine,  räzbunä  etc.,  dagegen  b)  finden  wir  den 
Rotazismus  in  Lehnwörtern,  oft  ganz  jungen  Datums,  z.  B. 
agorisi,  dori^ä,  hairä,  hodiri,  Huedir,  in|;eperi,  nevirovat 
etc.  c)  finden  wir  Rotazismus  in  Wörtern  die  ein  mi  hatten: 
ingärä,  d)  finden  sich  Kompromifsformen,  wie  länros, 
cänrepi^te.  Wenn  wir  berücksichtigen,  dafs  Goldgruben 
in  allen  Ländern  und  zu  allen  Zeiten  eine  grofse  An- 
ziehungskraft besitzen,  so  wird  diese  Unregelmäfsigkeit 
durch    späte    Einwanderungen    ins    Siebenbürgische    Erz- 


43 

gebirge  zu  erklären  sein.  Früher  wird  auch  hier  der 
Rotazismus  unter  denselben  Umständen  vorhanden  gewesen 
sein,  wie  im  Istro-  oder  im  Altrumänischen.  Die  Ein- 
wanderer, die  von  hausaus  keine  r-Formen  besafsen,  haben 
sich  mit  der  Zeit  an  die  dortige  Aussprache  gewöhnt,  aber 
da  für  sie  die  ursprüngliche  Regel,  welche  die  Verteilung 
von  n-  und  r- Formen  bedingte,  nicht  existierte,  so  haben 
sie  auch  an  unrichtiger  Stelle  intervokalisches  n  in  r  über- 
gehen lassen,  oder  haben  Kompromirsformen ,  wie  /änrä 
<  fänä  -\-  lärä  angenommen.  Das  Interessante  dabei  ist 
aber,  dafs  auch  die  Einheimischen  durch  die  fremde  Aus- 
sprache beeinflufst  wurden,  und  einige  ihrer  r-Formen 
aufgaben.  Es  ist  ein  ganz  lehrreicher  Fall  für  die  Art  wie 
sich  eine  Sprache  durch  Einwanderungen  „abschleift" 
(vgl.  §  1 1).  Ich  möchte  hier  nur  bemerken,  dafs  die  aus 
den  bekannten  Büchern  von  Fräncu  und  Candrea  [Rota- 
cismul  und  Romänii  diu  31unfii  apusent)  angeführten  Bei- 
spiele auch  durch  die  Sammlung  von  Volksliedern  von 
Alexici  (Texte  diu  literatura  poporanä  romdnä  I,  Budapest, 
1899)  bestätigt  werden:  vgl.  gräd'irä,  bärat,  lievirovat, 
int'irä  (S.  144)   etc. 

9.  Die  im  Vorhergehenden  angeführten  Fälle  beweisen,  dafs 
das  Urrumänische  mundartlich  gefärbt  war.  Ihre  Anzahl  ist  aller- 
dings nicht  sehr  grofs  im  Verhältnis  zu  den  Übereinstimmungen 
in  allen  vier  Mundarten,  doch  läfst  sie  sich  bei  einer  sorgfältigen 
Prüfung  in  dieser  Richtung  wahrscheinlich  vermehren.  Vor  allem 
dürfen  wir  aber  eines  nicht  vergessen.  Die  Sprachdenkmäler,  die 
wir  besitzen,  stammen  erst  aus  dem  XV.  Jahrhundert.  Schon  diese 
haben  uns  indessen  gezeigt,  dafs  verschiedene  Erscheinungen,  die 
heute  im  Dakorumänischen  allgemein  sind  oder  fast  durchgeführt 
erscheinen,  zu  dieser  Zeit  noch  nicht  überall  bestanden  haben. 
Würden  unsere  Denkmäler  zufälligerweise  erst  mit  dem  XVIII.  Jahr- 
hundert beginnen,  so  würden  wir  heute  keine  Ahnung  haben,  dafs 
im  Altrumänischen  m-lose  Imperfekta  in  der  i.  Sg.  bestanden  haben 
(§  4),  dafs  die  Feminina  den  i-Plur.  ohne  Umlaut  bildeten  (§  5), 
dafs  e  und  /  nach  r  erhalten  blieben  (§  6)  und  dafs  ein  grofses 
Gebiet  des  Dakorumänischen  intervokalisches  71  zu  r  werden  liefs 
(§  8).  Wir  würden  in  allen  diesen  Fällen  sagen  müssen,  das 
Dakorumänische  stimme  mit  dem  Aromunischen  vollkommen  überein, 
also  die  Zahl  der  mundartlichen  Unterschiede  innerhalb  des  Ur- 
rumänischen, die  wir  heute  erkennen  könnten,  wäre  um  so  viele 
Fälle  geringer.  Nun  können  wir  aber  vermuten,  dafs  wir  auch 
andere  derartige  Unterschiede  feststellen  könnten,  wenn  wir  ebenso 
alte  Texte  aus  den  übrigen  Mundarten  oder  dakorumänische 
Sprachdenkmäler  aus  früheren  Jahrhunderten  besälsen  und  es  ist 
sehr  möglich,  dafs  gar  manche  von  den  Spracherscheinungen,  die 
heute  allgemein  sind,   zur  Zeit  der  Lostrennung  der  Dialekte  noch 


44 

nicht  das  ganze  Gebiet  gewonnen  hatten.  Es  ist  jedenfalls 
prinzipiell  falsch  zu  glauben,  dafs  die  mundartlichen  Unterschiede 
innerhalb  einer  Sprache  immer  geringer  werden  müssen,  je  weiter 
mau  die  Sprache  nach  rückwärts  verfolgt,  denn  ebenso  wie  die 
Zeit  sprachliche  Verschiedenheiten  erzeugt,  so  vermag  sie  auch 
Differenzen  zu  verwischen.  Wenn  z.  B.  Tiktin  {Zeitschr.  f.  rom. 
Phil.  XXVJU,  6g  i)  als  selbstverständlich  annimmt,  dafs  die  Unter- 
schiede zwischen  Mundart  und  Mundart  im  Dakorumänischen  „vor 
mehr  als  dreihundert  Jahren  noch  weit  geringer''  als  heute  ge- 
wesen waren,  so  ist  das  nicht  ganz  zutreffend  und  die  alt- 
rumänischen  Texte  beweisen  uns  gerade  das  Gegenteil  davon. 
Seither  hat  manche  Neuerung,  die  damals  nur  mundartlich  auftrat, 
das  ganze  Gebiet  ergriffen,  sodafs  der  Unterschied  von  Dialekt  zu 
Dialekt  wieder  verwischt  wurde;  aber  es  trat  auch  der  entgegen- 
gesetzte Fall  ein,  dafs  nämlich  eine  mundartliche  Neuerung  seither 
wieder  verschollen  ist.  Man  kann  ja  aus  jeder  beliebigen  Sprache 
Belege  dafür  vorführen,  dafs  zu  einer  gewissen  Zeit  irgendwo  eine 
sprachliche  Neuerung  eintrat,  die  rasch  um  sich  griff,  um  dann, 
nach  einigen  Jahrzehnten  oder  Jahrhunderten,  wieder  ganz  zu  ver- 
schwinden oder  nur  in  spärlichen  Resten  ihr  Dasein  zu  fristen. 
Ich  brauche  gar  nicht  an  die  französische  Aussprache  Pazis  für 
Paris  zu  erinnern  (vgl,  Rom.  Gra?nm.  I,  §  456,  Hist.  Gramm,  d.  franz. 
Sprache  §  203),  sondern  ich  verweise,  um  auf  rumänischem  Boden 
zu  verbleiben,  nur  auf  den  Rotazismus  des  zwischen  vokalischen  n. 
Im  Grunde  genommen  beruhen  ja  die  zwei  entgegengesetzten 
Tendenzen,  die  Neuerungen  einführende  und  die  ausgleichende, 
auf  demselben  Prinzip:  in  beiden  Fällen  handelt  es  sich  um  die 
allmähliche  Verbreitung  einer  neuen  Aussprache,  die  wohl  im  An- 
fang durch  den  Nachahmungstrieb,  dann  durch  das  Bedürfnis,  so 
zu  sprechen,  dafs  man  von  anderen  nicht  mifsverstanden  wird, 
immer  weitere  Kreise  zieht.  Denn  der  Rumäne  war,  als  er  buru 
sagte,  sich  nicht  bewufst,  dafs  diese  Aussprache  neuer  wäre  als 
bimu,  welches  er  später,  durch  die  Berührung  mit  seinen  südlicheren 
Nachbarn  erlernte  und  damit  ein  viel  älteres  Stadium  der  Sprache 
in  seiner  Mundart  als  Neuerung  wieder  einführte. 

Diese  Erwägungen  lassen  uns  vermuten,  dafs  die  dialektischen 
Unterschiede  im  Urrumänischen  wahrscheinlich  gröfser  waren,  als 
wie  wir  sie  heute  feststellen  können.  Eine  ganz  andere  Frage 
ist  nun,  wie  wir  uns  die  Dialekte  des  Urrumänischen  zu  denken 
haben. 

10.  Der  erste,  welcher  die  Vermutung  aussprach,  dafs  im  Ur- 
rumänischen Dialekte  bestanden  haben  müssen,  war,  wenn  ich  nicht 
irre,  Miklosich.  Allerdings  tat  er  dies  im  Anschlufs  an  eine  Be- 
hauptung, die  nicht  gerade  überzeugend  ist,  und  er  fand  dafür 
eine  Erklärung,  die  nicht  ganz  mit  dem  übereinstimmt,  was  ich 
nach  Kretschmer  im  §  3  angeführt  habe.  Da  aber  auf  Miklosich' 
Äufserung  die  weiter  unten  zu  nennenden  Theorien  anderer  Forscher 
aufgebaut  sind,  ist  es  nötig  diese  hier  näher  zu  erörtern. 


45 

Nachdem  Miklosich  die  Ergebnisse  der  lat.  Velarlaute  vor  e, 
i  und  /  im  Rumänischen  besprochen  hat,  vertritt  er  die  Ansicht  — 
und  man  wird  ihm  darin  vollkommen  Recht  geben  müssen  —  dafs 
der  Unterschied  zwischen  den  Ergebnissen  im  Dakorumänischen 
(//,  dz)  und  denjenigen  im  Aromunischen  {ts,  dz),  ursprünglich  sei, 
dafs  also  weder  das  dakorumänische  //,  dz  auf  (heute  im  Aro- 
munischen noch  erhaltenem)  ts,  dz  beruht,  noch  umgekehrt.  Ich 
glaube,  in  meiner  Habilitationsschrift  [Lalemisches  2i  und  Ki,  S.  i68) 
Beweise  erbracht  zu  haben,  die  diese  Annahme  ganz  sicher  machen. 
Ebendort  (S.  175 — 178)  ist  gesagt  worden,  dafs  im  Urrumänischen 
die  Affizierung  von  k,  g  vor  e,  i  nur  bis  zur  Stufe  ts,  dz  gelangt 
ist,  aus  der  dann,  wahrscheinlich  erst  nach  der  Trennung,  die 
Aromunen  ts,  dz  werden  liefsen,  die  Dakorumänen  dagegen  mund- 
artlich den  alten  Stand  (bezw.  daraus  entstandenes  /,  z)  bis  heute 
bewahren,  während  ein  anderer  Teil  derselben  zu  ts,  dz  gelangt  ist. 

Miklosich  hat  eine  andere  Ansicht.  Er  glaubte  nämlich,  dafs 
schon  im  Urrumänischen  die  Vorfahren  der  heutigen  Aromunen 
ts,  dz,  und  diejenigen  der  heutigen  Dakorumänen  ts,  dz  sprachen, 
dafs  also  die  zwei  Mundarten  schon  im  Urrumänischen  im  Keime 
bestanden  hätten.  „Dafs  das  Vulgärlatein  nicht  eine  homogene 
Sprache  bildete,  sondern  dafs  sich  die  lateinische  Volkssprache 
Galliens  von  der  Italiens  und  beide. von  der  in  den  Balkanländern 
gesprochenen  etc.  mehr  oder  weniger  unterschieden,  bedarf  keines 
Beweises;  und  dafs  die  lllyrier,  die  nach  meiner  Ansicht  bei  der 
Bildung  der  rumunischen  Nationalität  in  hervorragender  Weise  be- 
teiligt waren,  sich  von  den  anderen  Völkern,  die  römische  Sprache 
angenommen  haben,  wesentlich  verschieden  waren,  kann  ebenso 
wenig  in  Abrede  gestellt  werden.  Diese  Diiferenzen,  die  im  einzelnen 
nachzuweisen  unmöglich  ist,  brachten  die  Verschiedenheiten  zwischen 
dem  Rumunischen  und  den  anderen  romanischen  Sprachen  hervor. 
Was  jedoch  die  Differenzen  anlangt,  die  zwischen  dem  gegenwärtigen 
Nordrumunisch  und  dem  heutigen  Südrumunisch,  zwischen  dem 
drum.  f=  Dakorumänisch]  und  mrum.  [=  Aromunisch]  bestehen, 
so  sind  sie  wohl  auf  die  Sprache  der  Vorfahren  der  heutigen  Dako- 
und  der  heutigen  Macedorumunen  zurückzuführen."  {Consonimiismus 
II,  48.) 

Das  was  Miklosich  vor  siebenundzwanzig  Jahren  als  selbst- 
verständlich annahm,  bedarf  nach  dem  heutigen  Stand  der  Wissen- 
schaft eines  Beweises.  „Der  Gedanke,  dafs  bei  der  Romanisierung 
die  verschiedenen  fremden  Völker  das  Lateinische  auf  Grundlage 
ihrer  eigenen  Artikulationsart  ausgesprochen  haben,  und  dafs  daraus 
die  Verschiedenheit  der  romanischen  Sprachen  gegenüber  dem 
einen  Latein  entstanden  sei,  liegt  ja  in  der  Tat  nahe  genug. 
Allein,  wenn  man  der  Sache  tiefer  auf  den  Grund  geht,  so  ergibt 
sich  bald,  dafs  ein  Beweis  dieser  Annahme  durch  die  Tatsachen 
fast  unmöglich  ist  .  .  .  Das  eine  scheint  schon  jetzt  sicher  zu  sein, 
dafs  die  romanische  Formenlehre  vollständig  unberührt  geblieben 
ist";  was  aber  das  Lautsystem  betrifft,  so  erweisen  sich  die  Spuren 


46 

der  einstigen  Sprachen  nur  als  „Nebensächlichkeiten,  Kleinigkeiten, 
nichts  von  dem,  was  man  als  das  Konstitutive  bezeichnen  kann" 
(Meyer-Lübke  in  Hinnebergs  Die  Kultur  der  Gegenwart,  Teil  I, 
Abteilung  XI,  /,  Die  romanischen  Literaturen  und  Sprachen,  Berlin- 
Leipzig,  Teubner,   iQOg,  S.  457.  458). 

Es  handelt  sich  hier  wieder  um  eine  prinzipielle  Frage,  die 
bei  der  Rekonstruierung  einer  Ursprache  von  gröfster  Wichtigkeit 
ist;  daher  müssen  wir  bei  ihr  etwas  mehr  beharren.  Auf  der  einen 
Seite  steht  eine  z.  T.  aprioristische  Annahme,  die  an  und  für  sich 
sehr  wahrscheinlich  scheint,  auf  der  anderen  aber  mehrere  Tat- 
sachen, die  ihr  widersprechen.  Nun  sind  aber  gerade  solche  An- 
nahmen, die  die  Wahrscheinlichkeit  auf  den  ersten  Blick  auf  ihrer 
Seite  haben,  sehr  gefährlich,  da  sie  zur  Voreingenommenheit  führen 
können. 

In  der  letzten  Zeit  hat  besonders  Hirt  (Die  Indogermanen  I, 
Strafsburg,  Trübner,  1905)  den  Einflufs  der  Urbevölkerung  auf  die 
erobernde  Sprache  geradezu  zu  einem  Kriterium  zur  Beurteilung 
der  vorindogermanischen  Verhältnisse  erheben  wollen.  Er  unternimmt 
sogar  den  Versuch  „mit  Hilfe  heute  bestehender  Dialektgrenzen 
die  Grenzen  der  alten  Sprachen  zu  ermitteln"  (S.  19)!  Auch  irrt  er 
sich,  wenn  er  gerade  die  Verhältnisse  in  den  romanischen  Sprachen 
als  Beweis  bringt:  „Tatsächlich  ist  dieser  Grundsatz  von  den 
Romanisten  auch  völlig  anerkannt,  und  es  steht  fest,  dafs  die 
grofsen  Verschiedenheilen  der  romanischen  Dialekte,  durch  die  sie 
eigentlich  als  besondere  Sprachen  erscheinen,  auf  der  Verschieden- 
heit der  Volkssprachen  beruhen,  auf  denen  sie  erwachsen  sind" 
(fl.  a.  O.).  Dafs  die  Ansichten  der  Romanisten  nicht  gerade  so 
lauten,  erhellt  am  besten  aus  dem,  was  Sie,  hochverehrter  Meister, 
in  dem  eben  zitierten  Buch  (S.  461)  schreiben,  und  zwar  ein  Jahr 
vor  dem  Erscheinen  des  Hirt'schen  Werkes  (vgl.  S.  470),  gleichsam 
als  ob  Sie  diese  Behauptung  geahnt  hätten  und  auf  sie  schon 
antworten  wollten:  „Wo  kirchliche,  politische  oder  natürliche  Grenzen 
dem  Verkekr  ein  Hindernis  bieten,  da  finden  sich  auch  Sprach- 
differenzierungen ein  .  .  .  Die  kirchlichen  Grenzen  im  Mittelalter 
decken  sich  vielfach  mit  den  Völker-  und  Gaugrenzen  aus  vor- 
römischer Zeit,  und  zwar  hauptsächlich  darum,  weil  trotz  der 
Romanisierung  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  der  alten 
Stämme  blieb  und  die  Kirche  diesem  Zustande  Rechnung  trug. 
Daraus  folgt  unmittelbar,  dafs  die  heutigen  romanischen  Sprach- 
und  Dialektgruppen  mehrfach  sich  mit  den  vorrömischen  Völker- 
gruppen decken,  ohne  dafs  doch  ein  direkter  sprachlicher  Einflufs 
nachweisbar  wäre.  So  erklärt  sich  einerseits  die  geringe  Dialekt- 
bildung bei  den  wandernden  Rumänen,  andererseits  die  sehr  starke 
Differenzierung  in  den  wenig  zugänglichen  Tälern  Graubündens  . . . 
So  scheint  die  Loslösung  der  südostfranzösischen  Mundarten  von 
den  nordfranzösischen  mit  der  Gründung  und  der  Selbständigkeit 
des  burgundischen  Königreich  zusammenzuhängen.  Das  bunte  Bild, 
das  uns  die  »Italia  Dialettale'  zeigt,  stimmt  mit  dem  nicht  weniger 


47 

bunten  der  vorrömischen  sprachlichen  und  politischen  und  der  mittel- 
alterlichen politischen  überein.  Eine  Geschichte  der  romanischen 
Sprachen  und  Mundarten  wird  also  dereinst  eine  Verkehrsgeschichte 
werden,  die  die  politische  und  administrative  Geschichte  ergänzen 
und  vertiefen  kann,  letzteres  insofern,  als  sie  zeigt,  wie  weit  ad- 
ministrative Zusammenlegung  und  Trennung  wirklich  auf  die  Be- 
völkerung gewirkt  haben." 

Wenn  wir  Beweise  haben,  dafs  der  Einflufs  der  Urbevölkerung 
auf  die  neuen  Sprachen  ein  minimaler  ist,  wenn  wir  ferner  das 
Zusammenfallen  von  Grenzen  heutiger  Dialekte  mit  alten  ethnischen 
Grenzen  anders  deuten  können,  so  dürfte  es  uns  auch  nicht  zu 
schwer  fallen  zu  erklären,  warum  dieser  Einflufs  kein  zu  grofser 
sein  konnte.^  Wir  brauchen  nur  die  Entwicklung  eines  Kindes  zu 
beobachten,  welches  einen  „Sprachfehler",  etwa  die  Aussprache  / 
für  r,  in  späteren  Jahren  korrigiert.  Wenn  das  Kind  die  richtige 
Aussprache  r  erlernt,  so  kommen  bei  ihm,  wenigstens  in  den  von 
mir  beobachteten  Fällen,  keine  Überentäufserungen  vor.  Wenn  es 
beispielsweise  bis  zum  fünften  Jahre  „Haal",  von  da  ab  aber  richtig 
„Haar"  ausspricht,  so  kommt  es  nicht  vor,  dafs  es  vom  fünften 
Jahre  an  auch  „kahr"  an  stelle  von  „kahl"  sagt.  Warum?  Doch 
nur  deshalb,  weil  es  um  sich  die  Kontrolle  seiner  Familie  hat 
und  diese  wirkt  so  intensiv,  dafs  solche  Fehler  gleich  korrigiert 
werden  oder  überhaupt  nicht  entstehen  können.  Ich  glaube,  dafs 
diese  „Sprachfehler"  des  Kindes  am  ehesten  verglichen  werden 
können  mit  der  „Artikulationsbasis"  eines  Volkes,  welches  eine 
neue  Sprache  annimmt.  Die  Entnationalisierung  eines  Volkes 
kann  doch  nur  dann  stattfinden,  wenn  schwerwiegende  Ursachen 
und  ein  sehr  grofser  Einflufs  von  selten  eines  anderen  Volkes  vor- 
handen ist.  Die  Bedingungen  der  Entnationalisierung  sind  nicht 
überall  dieselben,  aber  an  allen  Orten  gleich  mächtig:  man  verliert 
so  seine  Sprache  nicht  ohne  weiteres,  sondern  es  gehört  doch 
dazu  der  unaufhörliche  Einflufs  der  erobernden  Sprache,  der 
gleichsam  zur  Kontrolle  für  ihre  richtige  Erlernung  wird.  Wohl 
können,  solange  die  Entnationalisierung  nicht  vollständig  und  ein 
Volk  zweisprachig  ist,  ganze  Generationen  das  neue  Idiom  mit 
einer  fremdartigen  Aussprache  reden,  doch  werden  diese  Ab- 
weichungen mit  der  Zeit  gewifs  immer  geringer  und  wenn  ein 
Volk  seine  Muttersprache  aufgibt,  so  hat  es  auch  ihre  Artikulations- 
basis verloren.  Aus  diesem  Grunde  geht  es  nicht,  mit  Hirt  {a.  a.  O., 
S.  i8)  folgendermafsen  zu  räsonnieren:  „Wie  stark  der  Einflufs  der 
Muttersprache  bei  der  Aussprache  der  fremden  ist,  kann  man  in 
grober  Form  beobachten,  wenn  Engländer  oder  Franzosen  deutsch 
sprechen.  Jedem  fällt  das  Fremdartige  dieses  Deutsch  auf,  und 
der    geschulte  Forscher   merkt    sehr  bald,    dafs    dies    auf   der  Bei- 


^  Vgl.  auch  E.  Herzog,  Streitfragen  der  romanischen  Philologie ,  Halle, 
Niemeyer  (1903),  §  51  f. 


48 

behaltüng  einer  Reihe  von  Eigentümlichkeiten  der  Muttersprache 
beruht.  Wenn  also  eine  Sprachübertragung  stattgefunden  hat,  so 
müssen  sich  fast  mit  Notwendigkeit  soviel  neue  Dialekte  entwickeln, 
als  alte  vorhanden  waren."  Der  Franzose  oder  Engländer  der  mit 
einem  „heimatlichen  Akzent"  deutsch  spricht,  tut  das  eben  weil 
er  noch  ein  Engländer  oder  Franzose  ist,  also  eine  fremde 
Sprache  spricht,  die  romanisierten  Gallier,  Iberer  usw.,  waren  aber 
keine  GaUier,  Iberer  mehr,  sondern  schon  Romanen,  als  sie  gänzlich 
entnationalisiert  wurden.  Mit  demselben  Rechte  könnte  man  bei- 
spielsweise die  entgegengesetzte  These  mit  folgendem  Räsonne- 
ment  beweisen:  Wie  leicht  und  wie  gänzlich  man  seine  ursprüngliche 
Artikulalionsbasis  verliert,  kann  man  in  grober  Form  beobachten, 
wenn  man  die  grofse  Anzahl  von  Deutschen  hört,  die  sich  von 
ihren  Stammesgenossen  in  der  Aussprache  absolut  nicht  unter- 
scheiden, obwohl  sie  französische  Namen  führen  und  nachweislich 
einen  französischen  Emigranten  zum  Vorfahren  haben.  Ich  habe 
{Zeitschrift  f.  rom.  Phil.  XXVIII,  612)  über  einen  Fall  von  Ent- 
nationalisierung berichtet,  der  sich  heute  abspielt  und  bei  dem  wir 
infolgedessen  in  der  Lage  sind,  genaue  Beobachtungen  zu  machen. 
Es  handelt  sich  um  die  Rumänisierung  von  Sachsen  in  Sieben- 
bürgen. Während  die  Sachsen  das  Rumänische  sehr  schlecht  aus- 
sprechen, wenn  sie  es  noch  so  fliefsend  sprechen  und  die  Laute 
ä  und  d  nicht  wiederzugeben  vermögen,  habe  ich  in  einem  schon 
fast  gänzlich  rumänisierten  sächsischen  Dorfe  stundenlang  mit 
einem  Bauer  gesprochen,  ohne  dafs  ich  bemerken  konnte,  dafs  er 
kein  Rumäne,  sondern  wie  es  sich  später  erwiesen  hat,  ein  Sachse 
war,  der  allerdings  nur  mit  seiner  Frau  sächsisch  sprach,  während 
er  mit  seinem  Sohne  rumänisch  redete.  Das  tat  er  eben,  weil  ihm 
das  Rumänische  bequemer  war,  weil  er  diese  Sprache  ganz  be- 
herrschte, d.  h.  sich  auch  die  rumänische  Artikulationsbasis  an- 
geeignet hatte. 

Um  nun,  nach  dieser  Abschweifung,  zu  unserer  Frage  zurück- 
zukehren, so  ist  es  nötig,  dafs  wir  auch  in  bezug  auf  das  Ur- 
rumänische diesen,  ich  möchte  fast  sagen,  traditionellen  Irrtum  von 
der  Selbstverständlichkeit  des  Einflusses  der  autochthonen  Elemente 
beseitigen.  Und  dies  umsomehr,  als  wir  über  diese  Autochthonen 
so  gut  wie  gar  nichts  wissen.  Wenn  wir  aber  nicht  einmal  mehr 
geneigt  sind,  das  französische  ü  auf  gallischen  Einflufs  zurück- 
zuführen (vgl.  den  eben  angeführten  Artikel  Meyer-Lübkes),  so  wäre 
es  ein  ganz  phantastisches  Trachten,  Einflüsse  der  uns  gänzlich 
unbekannten  oder  unklaren  Ursprachen  auf  das  Rumänische  nach- 
zuweisen. 

Aber  wir  brauchen  auch  gar  nicht  zu  diesen  unsere  Zuflucht 
zu  nehmen,  da  wir  doch  ganz  bestimmt  wissen,  dafs  eine  Sprache 
aus  sich  heraus,  ohne  Einflufs  der  Urverhältnisse,  Neuerungen 
hervorbringen  kann  und  mufs,  die  zu  dialektischen  Unterschieden 
führen.  Und  da  wir  einen  prinzipiellen  Unterschied  zwischen 
Sprache  und  Ursprache  nicht  akzeptieren,  so  ist  für  uns  die  mund- 


45 


artliche  Färbung    des  Urrumänischen    von  vornherein  angenommen 
und  durch  die  angeführten  Tatsachen  bewiesen.  &^"^mmen 

Anmerk  Es  ist  vielleicht  nicht  zu  gewagt,  wenn  man 
geradezu  als  Grundsatz  Folgendes  aufstellt:  Je  weniger 
verwandt  zwei  Sprachen  sind,  desto  geringer  Verden  Sie 
Überreste  sem  die  aus  der  autochthonen  in  die  neuerlernte 
Sprache  hmubergenommen  werden.  So  würde  sich  z  B 
erklaren  dafs  im  Norditalienischen  so  gut  wie  keine 
venetischen  oder  ligurischen  Elemente  nachweisbar  sind 
wahrend  m  mittel-  und  südiralienischen  Mundarten  oskische 
und  umbrische  Einflüsse  im  Lautsystem  möglicherweise  noch 
erkennthch  smd  (vgl.  Meyer-Lübke  a.  a.  O.  457).  Im  Ru- 
mänischen ist  es  ähnlich.    Nach  dem  Reiche  eingewanderte 

lhr\  ?T  ^"^'^'^''  ^'^  '^^g^  '^^  ^^'^  Ausspräche,  haupt- 
sächlich Ihr  langsameres  Tempo  und,  wenn  sie  aus  Gegenden 
stammen,  die  die  Dentale  mouillieren,  ihr  /',  d'  etc  Da- 
gegen  eignen  sich  Bulgaren  sehr  rasch  das  Walachische 
vollkommen  an  wei  Bulgarisch  eben  eine  fremde  Sprache 
ist  „Die  in  der  Walachei  einmal  vorhanden  gewesenen 
liulgaren  .  .  .  lassen  sich  durch  einzelne  lautliche  Er- 
scheinungen im  jetzigen  Dialekte  nicht  nachweisen;  auch 
de  neuerdings  zahlreich  in  der  Walachei  angesiedelten 
Bulgaren    sprechen    so    vollkommen    Rumänisch?   dafs    sie 

l'^rLn  ^""^^u'"  ^"  '^^'  Aussprache  unterschieden 

Worden  können,  wahrend  man  doch  die  Siebenbürger 
Rumänen,  auch  wenn  sie  jahrzehntelang  in  der  Walachei 
ansässig  smd,  leicht  herausfinden  kann"  (Weigand,  Z/;W./. 
At/as,    Einleitung     Sp.  17).      Die  Ursache    dieser  Tatsache 

er  di^l  •  ^r"  ' -T"'  ""'''  ^^^  Konnationale,  auch  wenn 
er  dialektisch  spricht,  doch  verstanden  wird:  es  besteht 
infolgedessen  kein  zwingender  Grund,  seine  Aussprache 
anzugeben.  Auch  ist  man  sich  oft  sehr  schwer  bewufst! 
dafs  man  „dialektisch"  spricht,  so  lange  man  nicht  daran 
aufmerksam  gemacht  wird,  und  ich  weifs  es  beispielswdse 
aus  eigener  Erfahrung,  dafs  es  mich  viel  mehr  Mühe  kostet! 
meine  dialektische  Aussprache  und  die  mundartlichen  Aus- 
drucke im  Rumänischen  als  Siebenbürger  zu  korrigieren 
als  eme  korrekte  Aussprache  im  Deutschen  odfr  L 
Franzosischen  zu  erlangen.  Was  also  Hirt  (a.  a.  O.  I  18) 
für   seine  These  weiter  vorbringt,    kann  ich  ebensogut'  für 

ran.''7";^^l'P''°'J''"'  Beobachtung  als  Beweis  zitieren: 
„Ganz  deutlich  wird  dies  an  dem  Beispiel  der  neuhoch- 
deutschen  Schriftsprache.  Zweifellos  ist  diese  für  die  .rofse 
Masse  der  Deutschen  eine  .  .  .  Sprache,  die  sie  er£rnen 
müssen.  In  der  Schrift  scheint  sie  im  grofsen  nd  gan  n 
.einheitlich  zu  sein,  wenn  auch  einige ^Abweichungei/vor- 
kommen.     Sobald    sie    aber  ausgesprochen   wird,  erkennen 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.     (Festschrift.) 


50 


wir,  woher  der  Sprecher  stammt.  Der  Schwabe,  der  Baier, 
der  Sachse,  der  Ostpreufse,  sie  alle  sprechen  die  Schrift- 
sprache etwas  verschieden  aus,  weil  sie  die  Artikulations- 
basis und  den  Akzent  des  heimischen  Dialektes  bei- 
behalten". 

Dadurch,  dals  der  Einflufs  der  autochthonen  auf  die 
neuerlernte  Sprache  hier  als  unbewiesen  und  unwahr- 
scheinlich gezeigt  wurde,  ist  noch  nicht  ausgesprochen 
worden,  dafs  die  ethnische  Mischung  zweier  oder  mehrerer 
Völkerschaften  keinen  Einflufs  auf  die  Weiterentwicklung 
einer  Sprache  haben  kann.  In  dieser  Beziehung  kann  man 
möglicherweise  Hirt  Recht  geben,  der  da  schreibt  {a.  a.  O.  20) : 
„Es  braucht  sich  natürlich  nicht  mit  Notwendigkeit  in  der 
neuen  Sprache  irgend  eine  besondere  Eigentümlichkeit  der 
alten  zu  zeigen,  da  ja  auch  aus  der  Verbindung  zweier 
Stoffe  ein  neuer  entstehen  kann,  der  von  den  beiden  alten 
vollständig  verschieden  ist,  wie  sich  denn  aus  Chlor  und 
Natrium  Salz  bildet,  das  weder  die  Eigenschaften  des 
Chlores  noch  des  Natriums  zeigt".  In  der  Tat  machen 
die  meisten  romanischen  Sprachen,  hauptsächlich  aber  das 
Rumänische,  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Mittelalters 
so  tiefgehende  Entwicklungen  mit,  wie  sie  sie  seither  in 
einem  Jahrtausend  nicht  mehr  aufweisen.  Eine  Erklärung 
dafür  ist  noch  nicht  gegeben  worden  und  sie  könnte  z.  T. 
darin  gesucht  werden,  dafs  die  ethnische  Mischung  das 
ganze  Wesen  und  infolgedessen  auch  die  Sprache  der 
jungen  Völker  beeinflufst  hat.  Sicherlich  haben  aber  auch 
andere  INIomente  eine  wichtige  Rolle  dabei  gespielt,  so 
vor  allem  die  Gruppierung  um  neue  Zentren,  mit  anderen 
politischen  Zielen  als  das  alte  Rom,  und  dadurch  die 
Isolierung  von  den  übrigen  romanischen  Völkern,  die 
hauptsächlich  bei  den  Urrumänen  eine  sehr  starke  war. 
Nicht  im  geringeren  Mafse  dürfte  aber  auch  ein  anderer 
Umstand  mitgewirkt  haben.  Es  ist  die  Emanzipierung  der 
allgemeinen  Verkehrssprache  vom  Joche  des  Lateins.  In 
den  ersten  Jahrhunderten  nach  Christi  Geburt  war  der 
Einflufs  des  Lateins,  das  eine  grofse  Menge  von  Leuten 
im  Reiche  sprach,  das  in  Amt  und  Schule  herrschte, 
ein  so  überwältigender,  dafs  er  die  natürliche  Entwick- 
lung der  Sprache  gänzlich  im  Banne  hielt.  So  erklärt 
es  sich  zum  grofsen  Teil,  dafs  die  Reichssprache  im  I. — 
in.  Jahrhundert  verhältnismäfsig  noch  fast  dialektlos  war. 
Volkstümliche  Formen  wurden  latinisiert,  und  das  ging 
soweit,  dafs  man  heute  beispielweise  in  Sardinien  asfu/a 
hört,  eine  Form,  die  unmöglich  anders  erklärt  werden 
kann,  als  dafs  man  annimmt,  die  volkstümliche  Entwick- 
lung ASSULA  >  *ass'la  >  *ASSCLA  wurde  durch  Latini- 
sierung   nach    dem    jMuster    von    veclus  =  vetulus    zu 


5t 

*ASTüLA.i  In  den  meisten  Fällen  war  lateinisch  d.  h. 
die  „feine  Sprache"  identisch  mit  der  Sprache  der  all- 
mächtigen Hauptstadt,  Roms.  Ein  einziges  Beispiel  wird 
dies  zeigen.  Nach  den  prächtigen  Ausführungen  im 
Grundri/s  P,  465 — 466  wissen  wir  jetzt  ganz  genau,  wie 
es  sich  '  mit  dem  lat.  AU  verhielt.  Die  Aussprache  0  ist 
eine  dialektische  gewesen,  die  sich  aus  der  Umgebung 
von  Rom  auch  in  die  Hauptstadt  in  einigen  Wörtern  ver- 
breitete, so  in  OKiCLA  und  coliclu  —  schon  die  di- 
minutive Formen  sind  kennzeichnend!  —  die  sich  durch 
die  aus  der  Provinz  stammenden  Ammen  oder  Köchinnen 
in  die  Kinderstube  und  in  die  Küche,  dann  in  die  Sprache 
der  Mütter  und  Hausfrauen,  von  da  in  die  Umgangssprache 
verbreiteten.  Nun  gehen  wohl  alle  romanischen  Wörter 
für  „Ohr"  nicht  auf  aukis,  sondern  auf  okicla  zurück, 
weil  man  überall  in  der  Provinz  diese  Aussprache  aus 
Rom  für  die  „feine"  hielt,  und  während  caulis  noch 
auf  einem  Teil  der  Romania  bewahrt  ist,  ist  in  Italien 
und  in  Dazien  das  römische  coliclu  durchgedrungen.  — 
Doch  bald  nach  dem  III.  Jahrhundert  sank  der  all- 
gemeine Bildungsgrad  und  die  politischen  Ereignisse  brachen 
nicht  nur  die  Macht  Roms,  sondern  auch  diejenige  der 
klassischen  Sprache.  Es  folgte  die  Reaktion  und  die  so 
lange  in  Fesseln  gehaltene  Sprache  der  grofsen  Massen 
scheint  sich  nun,  gleichsam  als  Entgelt  für  die  lange 
Knechtschaft,  in  voller  Freiheit  entwickelt  zu  haben:  alle 
Keime  der  Entwicklung  ersprossen  nun  mit  Elementar- 
gewalt und  hatten  zur  Folge  die  tiefgehenden  Ver- 
änderungen, welche  die  romanischen  Sprachen  von  der 
römischen  unterscheiden. 

Es  braucht  hier  wohl  nicht  besonders  betont  zu  werden, 
dafs  man  die  Begriffe  „Sprache"  und  „Volk"  oder  gar 
„Rasse"  nicht  miteinander  verwechseln  darf  (vgl.  eingehend 
darüber  Hirt,  op.  cit.,  I,  6  ff.):  das  jüdische  Volk  mit  seinen 
verschiedenen  Sprachen  ist  der  beste  Beweis  dafür.  Wenn 
die  Ursprache  bei  einem  entnationalisierten  Volk  für  die 
neuangenommene  Sprache  so  gut  wie  belanglos  ist,  so  ist 
in  ethnischer  und  anthropologischer  Hinsicht  die  Ur- 
bevölkerung für  den  Charakter  eines  Mischvolkes  ausschlag- 
gebend. Für  jeden  Kenner  des  rumänischen  Volkes  ist  es 
geradezu  auffallend,  wie  sehr  der  Volkscharakter  in  den 
verschiedenen  Provinzen  verschieden  ist,  wo  doch  die 
Sprache  fast  dialektlos  erscheint.  Der  Unterschied  zwischen 
Serben  und  Banater  Rumänen  ist  beispielsweise  bei  weitem 
geringer,  als  derjenige  zwischen  letzteren  und  Siebenbürger 
Rumänen    und    die    Rumänen    in    der    südlichen  Walachei 


*  Vgl.   Rom.    Gramm.  II,  §  43O,    Einführung'^.  §  29. 

4* 


52 

unterscheiden  sich   von  den  Moldauern  ethnisch  mehr,  als 
erstere  von  den  Nordbulgaren. 

II.  Miklosichs  Äufserung  von  dem  selbstverständlichen  Be- 
stehen von  Dialekten  im  Urrumänischen,  die  sich  aus  der  Ver- 
schiedenheit der  Urbevölkerung  erklären  liefsen,  wurde  von  D.  On- 
ciul  als  eine  unzweifelhafte  Erkenntnis  aufgenommen  und  als  eine 
der  Hauptstützen  seiner  geistreichen  Theorie  angeführt  („Teoria 
lui  Rösler.  Studii  asupra  stäruin^ii  Romänilor  in  Dacia  Traianä 
de  A.  D.  Xenopol."  Convorhiri  Utcrare  XIX,  60  ff.,  174  ff.,  255  ff., 
327  ff.,  424  ff.,  589  ff.). 

Onciul  hat,  auf  historische  Argumente  gestützt,  in  seiner 
geradezu  mustergültigen  Abhandlung  die  Behauptung  aufgestellt, 
dafs  seit  der  Kolonisation  durch  Traian  in  Dakien  immer  eine 
romanische,  bezw.  rumänische  Bevölkerung  bestanden  habe,  und  dafs 
die  heutigen  Dakorumänen  unmöglich  durch  erst  im  späten  Mittel- 
alter eingewanderte  Balkanrumänen  erklärt  werden  könnten.!  Zu- 
gleich schliefst  er  aber  die  Balkanhalbinsel  nicht  aus,  und  glaubt, 
dafs  das  rumänische  Volk  in  Dazien  und  auf  der  Balkanhalbinsel 
entstand.  Er  hat  ferner  als  Erster  den  Gedanken  aufgi'worfen, 
dafs  die  Donau,  ebensowenig  wie  heute,  in  urrumänischer  Periode 
ein  Hindernis  für  einen  regen  Verkehr  der  romanischen,  bezw. 
rumänischen  Bevölkeruns:  hüben  und  drüben  bilden  konnte. 2     Für 


1  Ich  vermeide  in  dieser  Abhandlung  absichtlich  jedes  nähere  Eingehen 
auf  die  historische  Seite  der  Frage.  Da  sie  aber  nicht  leicht  gänzlich  aus- 
geschieden werden  kann,  will  ich  in  dieser  Fufsnote  die  Ergebnisse  Onciuls, 
so  wie  er  sie  in  einer  späteren  Arbeit  (unter  dem  Stichworte  „Romänii"  in 
der  Enciclopedie  romdna,  III;  als  Sondevabdruck  unter  dem  Titel  Romänii  in 
Dacia  Traiana,  1902,  Bucarest,  Socec)  zusammenfafst,  anführen  und  verweise 
den  Leser  neuerdings  auf  N.  Jorgas  angeführte  Werke,  wo  die  Beweise  für 
die  „Kontinuität"  ausführlich  besprochen  werden.  „Ein  allmählig  und  un- 
bemerkt eingewandertes  Volk,  welches  gleich  gerade  dasselbe  Gebiet  einnahm, 
das  vor  tausend  Jahren  seine  Vorfahren  besessen  hatten ;  welches  nach  seinem 
Eintreffen  unverzüglich  von  seinen  Nachbaren  als  ein  altansässiges,  ja  selbst 
als  das  älteste  unter  allen  hier  wohnenden  Völkern  anerkannt  wurde;  welches, 
kaum  angelangt,  auf  einem  weilen  Gebiete  die  hier  vorgefundenen,  noch  nicht 
entnationalisierten  und  staatlich  organisierten  Stämme  aufsaugte,  um  sich  dann 
auf  einmal  zu  einer  bedeutenden  sozialen  und  politischen  Rolle  aufzuschwingen: 
ein  solches  Volk  der  Wunder  ist  der  Geschichte  unbekannt  und  unserem 
Verstände  unfafsbar."     (Enciclopedia  romäna,  III,  Soi — 802). 

^  „Die  einheitliche  Entwicklung  des  Dakorumänischen  und  des  Aromu- 
nischen  erklärt  sich  durch  die  territoriale  Einheit  zur  Zeit  der  Entstehung 
der  rumänischen  Sprache  auf  beiden  Ufern  der  Donau,  wo  das  romanische 
Element  im  Osten  für  längere  Zeit  einheitlich  war.  Der  Strom  hat  nicht  ver- 
hindern können,  dafs  sich  die  dortige  romanische  Sprache  im  Wesentlichen 
gleichartig  ausbildete  und  auch  der  Verkehr  unter  den  beiden  Teilen  hat  nach 
Aurelians  Rückzug  aus  Dazien  nicht  aufgehört  zu  bestehen.  Seit  der  römischen 
Eroberung  der  Donaialänder,  durch  welche  die  Grundlage  des  rumänischen 
Volkes,  sowohl  auf  der  Balkanhalbinsel,  als  auch  in  der  Dacia  Traiani  ge- 
legt wurde,  bis  zur  Trennung  dieses  Volkes  durch  die  slavo-bulgarische 
Invasion,  ist  reichlich  genügend  Zeit  verstrichen,  dafs  sich  die  Sprache  auf 
beiden  Ufern  der  Donau  im  wesentlichen  entwickeln  konnte."  [Convorhiri 
literare,  XIX,  591.) 


53 

Onciul  ist  die  ,. Wiege"  des  rumänischen  Volkes  auf  dem  als 
territoriale  Einheit  zu  fassenden  Gebiete  zu  suchen,  das  gebildet 
wird  auf  dem  linken  Ufer  der  Donau  durch  das  heutige  Banat, 
das  westliche  Siebenbürgen  und  die  kleine  Walachei  und  auf  dem 
rechten  Ufer  des  Stromes  durch  die  gegenüberliegenden  Gebiete 
Westbulgarien  und  Serbien,  also  auf  jenem  Gebiete,  das  nach- 
gewiesenermafsen  am  stärksten  romanisiert  war.  Zugleich  nimmt  er 
an,  dafs  vom  Süden  der  Donau  her  öfters  ziemlich  bedeutende 
Wanderungen  von  Rumänen  in  die  Gegenden  nördlich  des  Flusses 
stattgefunden  haben,  und  so  erklärt  er  sich  einerseits  die  stets 
abnehmende  Zahl  der  Südrumänen  und  andererseits  die  zunehmende 
Masse  der  Nordrumänen.  Für  diese  seine  Admigrationstheorie  will 
er  neben  einigen  geschichtlichen  Daten  auch  einen  sprachlichen 
Beweis  anführen,  und  zwar  die  eben  besprochene  Verteilung  der 
Palatale  anstelle  der  Labialen  im  Rumänischen. 

Schon  Miklosich  {a.  a.  O.  49)  hatte  darauf  hingewiesen,  dafs 
„im  Norden  der  Donau  Dialekte  vorkommen,  die  mit  der  Sprache 
der  Macedorumunen  übereinstimmen".  Da  er  aber  die  „Wiege" 
der  Rumänen  auf  die  Balkanhalbinsel  verlegt  „auf  der  Ostküste 
des  adriatischen  Meeres,  wo  die  tapferen  Illyrier  wohnten  und  wo 
heutzutage  ihre  trotzigen  Nachkommen  von  Zeit  zu  Zeit  die  Auf- 
merksamkeit der  Welt  auf  sich  ziehen",  1  so  suchte  er  sich  diese 
Tatsache  so  zu  erklären,  „dafs  die  Ordnung  I  (Dakorumunisch)  und 
die  Ordnung  II  (Maccdorumunisch)  im  Süden  der  Donau  entstanden 
sind  und  Stämme  beider  Ordnungen  den  Zug  an  das  linke  Ufer 
der  Donau  unternommen  haben'"    [a.  a.  O.). 

Ähnlich  Onciul,  der  die  Sache  an  einem  konkreten  Fall  ver- 
folgt und  ihn  seiner  Theorie  anpafst.  Der  Übergang  von  Labialen 
in  Palatale  sei  eine  spezifisch  aromunische  Erscheinung  und  hätte 
sich  schon  im  Urrumänischen  ausgebildet.  Durch  die  Wanderungen 
von  Aromunen  nach  Dazien  wäre  diese  Erscheinung  auch  ins  Dako- 
rumänische  eingeführt  worden. 

So  einleuchtend  diese  Hypothese  auf  den  ersten  Blick  auch 
erscheint,  so  schwer  widersteht  sie  der  Kritik. 

Vor  allem  wissen  wir  fast  nichts  darüber,  ob  eine  solche 
Importation  einer  Spracherscheinung  möglich  ist.  Man  fragt  sich 
mit  Recht,  ob  die  Aromunen  diese  ihre  Aussprache  nicht  eher  ver- 
loren hätten,  oder,  wenn  wir  die  in  der  Anmerkung  des  vorher- 
gehenden Paragraphen  ausgesprochene  Beobachtung,  dafs  kon- 
nationale Einwanderer  ihre  dialektischen  Spracherscheinungen  längere 
Zeit  bewahren,  auf  viele  Generationen  ausdehnen,  so  bleibt  immer- 
hin die  Frage  offen,  ob  sie  sie  der  dakorumänischen  Bevölkerung 
hätten  übertragen  können? 

Erst  in  der  allerletzten  Zeit  haben  Sie,  hochverehrter  Meister, 


1  „Skipetaren  (=  Albanesen)  und  Rumunen  sinJ  miteinander  unzertrenn- 
lich verbünden.  Diese  siud  wesentlich  romanisieite  Illyrier,  jene  sind  Illyrier, 
die  sich  vollständiger  Romanisierung  erwehrt  haben"  [a.  a.  O.) 


54 

aus  der  Prüfung  des  „Französischen  in  Kanada"  {Germanisch-rotyia- 
itische  Monatsschrift  I,  133  ff.)  einige  allgemeingültige  Sätze  festzustellen 
versucht,  welche  die  Verhältnisse  bei  ausgewanderten  Sprachen  und 
bei  solchen,  in  denen  neue  Einwanderungen  stattfinden,  beleuchten. 
In  dieser  letzten  Hinsicht  haben  Sie  die  Beobachtung  gemacht: 
„gerade  wenn  die  neu  Hinzugekommenen  einen  etwas  anderen 
Typus  bringen,  schleifen  sie  diesen  Typus  an  dem  schon  vor- 
handenen ab  und  halten  diesen  dadurch  zugleich  fest"    (S.  139). 

Im  Rumänischen  hätten,  wenn  Onciuls  Theorie  richtig  wäre, 
die  Verhältnisse  kaum  anders  sein  können  als  sie  im  kanadischen 
Französisch  oder  im  siebenbürgischen  Erzgebirge  (§  8,  Anm.)  er- 
scheinen. Die  Aromunen  innerhalb  des  Dakorumänischen  hätten 
wahrscheinlich  nach  einiger  Zeit  ihre  Palatalen  an  den  dakorumä- 
nischen Labialen  irgendwie  „abgeschliffen"  und  es  ist  kaum  an- 
zunehmen, dafs  sie  eine  mundartliche  Spaltung  des  Dakorumänischen 
herbeigeführt  hätten. 

Onciul  scheint  in  dieser  Beziehung  der  Ansicht  zu  sein,  dafs 
die  Verallgemeinerung  einer  solchen  durch  Einwanderer  gebrachten 
Spracherscheinung  von  dem  numerischen  Verhältnis  zwischen  der 
eingewanderten  und  der  einheimischen  Bevölkerung  abhängig  sei. 
Er  setzt  daher  in  einer  späteren  Abhandlung  {Enciclopedia  romänä 
III,  802)  als  Zeit  dieser  Admigration  das  IX.  Jahrhundert  an  und 
meint,  dafs  die  Aromunen  ihre  Palatalen  nur  in  den  östlicheren, 
spärlich  bewohnten  Gegenden  des  dakorumänischen  Gebietes  be- 
halten konnten,  Avährend  sie  sie  aufgeben  mufsten  im  Banat,  der 
kleinen  Walachei  und  dem  westlichen  Siebenbürgen  (vgl.  §  7),  wo 
die  alten  römischen  Kolonisten  eine  dichte  Masse  mit  dakorumä- 
nischem  Dialekt  bildeten. 

Nun  gibt  es  aufser  den  Palatalen  an  Stelle  von  Labialen,  wie 
wir  gesehen  haben,  noch  andere  Spracherscheinungen,  die  im 
Aromunischen  heute  durchgeführt  sind,  im  Dakorumänischen  da- 
gegen nur  mundartlich  vorkommen.  Diese  könnte  man  mit  dem- 
selben Recht  als  „aromunische"  Sprachneuerungen  betrachten  und 
man  würde  daher  erwarten,  dafs  sie  ebendort  zu  finden  seien,  wo 
man  auf  dakorumänischem  Boden  die  Palatale  trifft,  da  sie  ebenso 
durch  aromunische  Emigranten  gebracht  werden  mufsten.  Aber  es 
zeigt  sich,  ganz  im  Gegenteil,  dafs  man  /<f;/  sagt,  wo  man  bine 
spricht,  dafs  im  Banat  die  Heimat  von  piept  und  von  aud  ist  usw. 

Aber  beweisender  als  alle  diese  theoretischen  Erwägungen  ist 
die  eine  Tatsache,  dafs  gerade  jenes  Gebiet,  welches  Onciul 
[Convorbiri  literare  XIX,  438)  als  die  Urheimat  der  Aromunen  be- 
zeichnet, die  Gegend  „neben  der  Donau  und  der  Save,  in  territorialer 
Einheit  mit  Italien  und  der  Dacia  Traiani"  nachweisbar  reine  Labiale 
besafs.  Zwar  wohnen  heute  hier  keine  Rumänen  mehr,  aber  ihre 
einstige  Existenz  ist  noch  aus  einigen  Ortsnamen  ersichtlich.  Es 
zeigt  sich  aber,  dafs  alle  Ortsnamen  die  vom  westlichen  Bulgarien 
angefangen,  durch  Serbien,  Bosnien  und  Herzegovina  nach  Westen 
reichen,    diese    Palatale    anstelle    der  Labialen    nicht   kennen.     So 


55 

hat  Weigand  [Rumänen  und  Aromnnen  in  Bulgarien  S.  40  ff.)  eine 
Reihe  von  Ortsnamen  aus  Bulgarien  angeführt,  darunter  Picior  (Dorf 
bei  Teteven),  Petrus  (wahrscheinlich  petros  „steinig."  Berg,  nördlich 
von  Dupnica)  und  das  wohl  ebenfalls  von  „piaträ"  abgeleitete 
Kollektivum  auf  -ina  :  Petrina,  bei  Glogovica,  in  der  Nähe  von 
Sofia.  In  Serbien  und  der  Herzegovina  haben  wir  öfters  den  noch 
ganz  rumänisch  klingenden  Bergnamen  Allel  und  den  Diinnltor. 
Wäre  der  Übergang  von  p  >>  k' ,  m  >>  n  hier  zuhause  gewesen,  so 
könnten  diese  Namen  im  IMunde  der  Slaven  nur  k'ltsor,  k'etros,  nel, 
duriiitor  lauten,  da  die  Slaven  diese  Laute  besitzen  und  die 
endungsbetonten  Formen  sich  im  Rumänischen  nach  den  stamm- 
betonten richten. 

A  n  m  e  r  k.  Onciuls  Theorie  wurde  später  von  O.  Densusianu 
in  seiner  Hlstolre  de  la  langiie  roumahie  mit  einigen  un- 
wesentlichen Änderungen  aufgenommen.  Er  glaubt  eben- 
falls, dafs  sich  die  rumänische  Sprache  sowohl  auf  der 
Balkanhalbinsel,  als  auch  in  der  Dacia  Traiani  entwickelt 
hätte,  ist  aber  nicht  geneigt  .,dem  romanischen  Element  in 
Dazien  bei  der  Entstehung  der  rumänischen  Nationalität 
die  bedeutende  Rolle  zuzuerkennen,  die  ihm  Onciul  zu- 
schreibt" (S.  328).  Er  ist  vielmehr  der  Ansicht,  dafs  die 
„Wiege"  des  rumänischen  Volkes  weiter  nach  Westen  ver- 
setzt werden  mufs  und  lokalisiert  sie,  Miklosich  folgend, 
„in  die  Nähe  Dalmatiens",  „inmitten  des  illyrischen  Ge- 
bietes, dort,  wo  die  Ahnen  der  Albanesen  gelebt  haben" 
(293  —  294).  Diese  „ursprünglichen  Rumänen",  die  er 
„Macedo(!)-roumains"  nennt  (S.  320,  357  usw.)  hätten  dann 
durch  Einwanderungen  ins  dakorumänische  Gebiet,  neben 
albanesischen  Lehnwörtern,  über  welche  weiter  unten  noch 
gesprochen  werden  wird,  auch  die  sprachlichen  Eigentüm- 
lichkeiten ihrer  Mundart  gebracht,  vor  allem  die  Palatale 
anstelle  der  Labialen.  Da  also  Densusianu  eigentlich  nur 
wiederholt,  was  Onciul  schon  ausgesprochen  hat,  gelten 
die  obigen  Einwände  nicht  nur  gegen  diesen  sondern  auch 
gegen  jenen.  Einen  Beweis,  dafs  innerhalb  des  Raumes, 
den  er  für  die  Wiege  der  rumänischen  Sprache  hält,  einst 
in  der  Tat  Palatale  existiert  haben,  bringt  Densusianu 
nicht  und  der  Berg  Durmlior,  der  gerade  dieses  Gebiet 
beherrscht,  spricht  entschieden  für  die  bewahrten  Labialen. 
D.  ist  indessen  bestrebt,  noch  andere  Macedoromunismen 
im  Dakorumänischen  nachzuweisen.  Das,  was  er  aber 
(S.  32g  —  330)  als  solche  zitiert,  ist  keinesfalls  geeignet, 
überzeugend  zu  wirken.  Will  man  die  Übereinstimmungen 
zwischen  zwei  Mundarten  zeigen,  so  darf  man  sie  nicht 
kritiklos  anführen,  denn  nicht  ihre  Zahl,  sondern  vor  allem 
ihre  innere  Beweiskraft  ist  mafsgebend.  Wer  wird  denn 
grofses  Gewicht  darauf  legen,   dafs  im  Aroraunischen  und 


56 


bei  den  Siebenbürger  Mo^en  zu  der  2.  Sg.  e^ti  eine   i.  Sg. 
escu  (nach  cresii  :  cresc  usw.)  gebildet  wurde?    Dann  müfste 
man    mit    demselben  Recht    doch    auch    eine   nähere  Ver- 
wandtschaft   zwischen  Aromunisch   und  Istroruraänisch   an- 
nehmen,   da    eine    solche    Form    auch    in   Brdo    vorkommt 
{Jahresbericht    IX,    5).      Ebenso     können    überall    analoge 
Singularbildungen  wie  berbec,  pdntec,  soarec,  purec  entstehen, 
wie   sie  auch  tatsächlich  fast  überall  auf  dakorumänischem 
Gebiete    vorkommen.     Ebenso    können    überall    nach  allen 
übrigen   Verben   die  wenigen    der  III.  Konj.  in    i — 2  Plur. 
eine    Akzentverschiebung    erfahren,    wie    denn  fäcem    usw. 
durchaus   nicht    nur  dem  Aromunischen  und  dem  Banater 
Dialekt   eigen,    sondern    in    der  Bukovina  gang  und  gäbe 
sind,  und  man  braucht  nur  die  Gedichte  von  Jancu  Väcärescu 
zu    lesen,    um    sich    zu    überzeugen,    dafs    sie    auch  in  der 
Walachei    gebräuchlich    sind.      Ebenso    reicht   die   Grenze 
der  Partizipien    am  f acuta  ^    am  väziitä  usw.  weit   über  das 
Banat  hinaus;  ich  habe  solche  Formen  in  Bran,  in  Sieben- 
bürgen gehört  und  für  Välenii-de-munte,    in  der  Walachei, 
werden    sie    durch    Jipescu    bezeugt.      Wie    weit    aber    die 
Einfügung  eines  c  zwischen  j  und  /  aufserhalb  des  Banats 
reicht,  —  eine  Spracherleichterung,  die  überall  und  zu  allen 
Zeiten    sporadisch    auftritt,  —  geht  aus  Weigands  Lingui- 
slischeni  Atlas   (Übersichtskarte  16)    hervor    und    das    insel- 
artige Auftreten    der  Erscheinung  zeigt   uns  klar,  dafs  wir 
es  nicht  mit  einem  Lautwandel  innerhalb  eines  geschlossenen 
Gebiets  zu  tun  haben,  sondern  mit  einer  Spracherleichterung. 
Ebenso    kommt    die  Form   cace  in  Kronstadt  vor  und  war 
im    Altrumänischen    überall    gebräuchlich,    desgleichen    die 
Bedeutung  „oft  gehen"  des  Verbums  urdinä.   Die  Bedeutung 
„Welle  vom  kochenden  Wasser"  des  Wortes  undä  ist  ebenso 
für   die  Moldau,  wie   für   das  Banat  belegbar  usw.     Es  ist 
kennzeichnend,    dafs  Densusianu    meist    solche  Belege    für 
eine  angebliche  nähere  Verwandtschaft  zwischen  Aromunisch 
und   Banatisch    bringt,    von   denen  Weigand  [Jahresbericht 
III,  141)  ausdrücklich  und  mit  Recht  bemerkt  hat,  dafs  sie 
keine  Beweiskraft  für  eine  engere  Beziehung  zwischen  diesen 
zwei  Mundarten  besitzen.    Am  wunderlichsten  berührt  einen 
aber    der    Widerspruch,    in    den    Densusianu    verfällt.      Er 
nimmt  an,  dafs  die  eingewanderten  Aromunen  ihre  Palatale 
anstelle   von   Labialen   im  Banat,    dem    westlichen  Sieben- 
bürgen und  der  kleinen  Walachei  nicht  behalten  konnten, 
weil    „c'est    precisement    dans    cette    rdgion    du    nord   du 
Danube,  que  la  romanisation  fut  la  plus  intense"   (S.  314). 
Wie   kommt   es    dann,    dafs   gerade    dieses   selbe    Gebiet, 
welches  der  Einführung  der  Palatale  widerstrebt,  die  anderen 
angeblichen  Macedorumänismen,    die    er  S.  :^2Q^ — 330  auf- 
zählt, bewahrt? 


57 

12.  Desgleichen,  wie  die  Verteilung  der  Labialen  im  Rumä- 
nischen, so  wurde  auch  der  Rotazismus  zur  Aufstellung  von  ver- 
schiedenartigen Theorien  verwertet.  Es  ist  ganz  lehrreich,  dieselben 
kurz  vorzuführen,  da  sie  ein  Beispiel  dafür  geben,  wie  eine  und 
dieselbe  Tatsache  als  Stütze  für  ganz  verschiedene  Ansichten  ge- 
braucht werden  kann.  Vorausgeschickt  mufs  nur  das  eine  werden, 
dafs  der  Rotazismus  unter  gleichen  Umständen  im  toskischen 
Dialekt  des  Albanesischen  vorkommt,  während  der  andere  Dialekt, 
das  Gegische,  nur  die  ältere  Stufe  der  Entwicklung,  die  Nasalierung 
der  Vokale  kennt.  Diese  Übereinstimmung  hat  viele  Forscher  zur 
Annahme  bewogen,  dafs  die  Rumänen  einst  in  der  unmittelbaren 
Nähe  der  Albanesen  gewohnt  haben  müssen.  Wir  wissen  schon, 
dafs  Miklosich  und  nach  ihm  Densusianu  diese  Ansicht  vertreten. 
Desgleichen  hält  beispielsweise  Sandfeld-Jensen  „die  Entstehung  der 
rumänischen  Sprache  im  alten  Dazien  für  eine  Unmöglichkeit"  und 
lokalisiert  sie  südlich  der  Donau  {^Jahresbericht  IX,  125),  indem  er 
den  Rotazismus  unter  den  albano-rumänischen  Übereinstimmungen 
aufzählt  (Gröbers   Gnindrifs  I2,  527). 

Hasdeu  {Cuvinie  diu  häirdni  11,  i6  — 18),  ein  Verfechter  der 
Kontinuität  der  Rumänen  in  Dazien,  glaubt  nicht,  dafs  die  Urheimat 
der  Rumänen  dieser  Übereinstimmung  wegen  in  die  Nähe  Albaniens 
gesetzt  werden  mufs;  vielmehr  führt  er  sie  auf  dasselbe  Substrat 
in  beiden  Sprachen  zurück.  Aus  dem  Vorhergehenden  geht  hervor, 
dafs  wir  von  einer  solchen  Wirkung  des  Substrates  nicht  viel 
halten. 

Weigand,  der  sich  auch  zu  wiederholten  Malen  als  Anhänger 
der  Theorie  von  der  Entstehung  des  rumänischen  Volkes  im  Süden 
der  Donau  bekannt  hat,  (vgl.  u.  a.  Kritischer  Jahresbericht  über  die 
Fortschritte  d.  rom.  Phil.  1904,  I,  99)  schreibt  neuerdings  über  den 
Rotazismus  {Linguist.  Atlas,  Einleitung  li)  folgendes:  „Es  ist  wahr- 
scheinlich, dafs  zu  keiner  Zeit,  auf  keinem  Gebiete  der  sogenannte 
Rotazismus  konsequent  durchgedrungen  war,  1  sondern  dafs  er  nur 
eine  durch  ein  fremdes  Volkselement,  vermutlich  gleichzeitig  mit 
Rumänen  eingewanderte  Tosken,  auf  die  noch  so  manche  andere 
Erscheinung  im  ältesten  Rumänisch  hinweist,  eingeführte  Bewegung 
war,  die  keinen  festen  Boden  unter  den  Rumänen  gewinnen  konnte, 
nur  auf  kleinerem  Gebiet  vordrang  und  dann  wieder  eine  rück- 
läufige Bewegung  nahm."  Wie  der  Rotazismus  in  so  einem  Falle 
im  Rumänischen  aussehen  müfste,  wird  uns  ungefähr  durch  die 
Verhältnisse  im  Siebenbürger  Erzgebirge  gezeigt. 

Endlich  leugnet  Procopovici  [op.  cit.  41  —  42)  jeden  Zusammen- 
hang zwischen  dem  rumänischen  und  dem  albanesischen  Rotazismus 
und  sieht  in  dem  Übergang  -n-  >  -r-  einen  Beweis  für  die  Kon- 
tinuität  der  Rumänen   in  Dazien.     Er  konstatiert,    dafs  sowohl  die 


1  Dagegen  spricht  die  ganz  konsequente  „lautgerechte"  Entwicklung  im 
Istrorumänischen  und,  in  den  ältesten  Sprachdenkmälern,  zum  mindesten  im 
Codice   Voronctcan  und  in  dem  Codice  Hurmuzachi. 


58 

Nasalisierung  der  Vokale,  als  auch  der  Rotazismus  eminent  dako- 
uiid  istroruraänische  Sprachcrschcinungcn  sind.  Wären  die  Dako- 
und  Istrorumänen  erst  aus  der  Balkanhalbinsel  in  ihre  jetzigen  Wohn- 
orte eingewandert,  so  hätten  sie  auch  diese  zwei  urrumänische 
Spracherscheinungen  von  dort  mitbringen  müssen.  Bei  den  noch 
heute  auf  der  Balkanhalbinsel  lebenden  Rumänen  existiert  aber  keine 
Spur  davon.  Es  wäre  demnach  höchst  wunderbar,  dafs  eine 
Gegend,  die  eine  Sprachneuerung  erzeugt,  dieselbe  später  spurlos 
aufgibt,  und  dafs  diese  Spracherscheinung  gerade  auf  einem  anderen 
Gebiete  gedeihen  soll,  wo  doch  wahrscheinlich  alle  jene  Bedingungen 
fehlen,  die  die  Neuerung  erzeugt  haben. 

So  überzeugend  auch  die  Argumentation  Procopovicis  ist,  eine 
Verwandtschaft  zwischen  dem  albanesischen  und  dem  rumänischen 
Rotazismus  läfst  sich  nicht  rundweg,  ohne  jede  Beweisführung, 
leugnen.  Selbst  wenn  wir  keine  weiteren  Übereinstimmungen 
zwischen  diesen  zwei  Sprachen  hätten,  könnte  man  nicht  an  einen 
Zufall  denken,  denn  die  Bedingungen,  unter  denen  der  Rotazismus 
auftritt,  sind  in  beiden  Sprachen  die  gleichen :  er  erscheint  bei  den 
Albanesen  nur  in  Erb  Wörtern  und  in  lateinischen  Lehnwörtern  (vgl. 
Gröbers  Grundri/s  P,  1042)  und  zwar  nur  bei  kurzem  n  (tosk. 
z£ri  „die  Stimme",  gegenüber  geg.  zäni,  tosk.  guri  „das  Knie"  : 
ge^.  gjüni,  tosk.  gilptre  „Nadel"  :  geg.  gülpän),  nicht  auch  bei 
langem  tm  (tosk.  ngng  „Mutter"  :  geg.  nän,  vgl.  griech.  vävv}],  tosk. 
pune  „Arbeit"  :  geg.  pün  <  spudnä  etc.,  vgl.  Pekmezi,  Grammatik 
der  albanesischeyi  Sprache,  S.  16  u.  23).!  Auch  ist  der  Rotazismus 
in  beiden  Sprachen  jünger  als  der  Übergang  von  an  ]>  an,  und 
als  das  Christentum:  christjanus  >>  tosk.  kestfre  {geg.  ggrsten). 
Aber  wir  wissen,  ganz  im  Gegenteil,  dafs  zwischen  diesen  zwei 
Völkern  sehr  nahe  und  sehr  alte  Beziehungen  bestanden  haben. 
Diese  bilden  denn  auch  das  Hauptargument  für  diejenigen,  welche 
die  „Wiege"  der  Rumänen  südlich  von  der  Donau,  womöglich  in 
unmittelbare  Nähe  des  Albanesischen  verlegen  (vgl.  Sandfeld-Jensen, 
in  Gröbers   Grundri/s  P,  528). 

Nun  mufs  aber  auch  für  die  Vertreter  der  Meinung  von  der 
süddanubianischen  „Wiege"   des  rumänischen  Volkes  eine  Tatsache 


1  Diese  Übereinstimmung  ist  so  auffallend,  dafs  man  die  Sache  auch 
umdrehen  und  sagen  kann,  dafs  das  erste  n  in  rum.  mandnc  nicht  auf  nd  von 
lat.  MANDUCO  zurückgehen  kann,  da  man  im  Altrum.  (mliränc)  und  Istrorum. 
(marä?/k)  den  Rotazismus  findet.  Dadurch  scheint  sich  meine  Erklärung  dieses 
Wortes  zu  bewahrheiten  [JEtym.  Wörterbuch  d.  rum.  Sprache  I,  No.  1022): 
„tncincä  steht  vielleicht  für  ^mandcä  ^  MANDUCARE  und  manatic  ist  wahr- 
scheinlich, zunächst  in  der  Kinderstube  (cfr.  päpä,  mamäliga),  aus  tndnc  mit 
Reduplikation  der  ersten  Silbe  {*mämd?tc,  daraus  mit  Dissimilation  gegen  das 
vorhergehende  m  oder  mit  Assimilation  an  das  folgende  n,  mandnc)  ent- 
standen". Auch  zeigt  es  sich,  dafs  in  beiden  Sprachen  der  Schwund  des 
Endvokals  in  einigen  Fällen  älter  war,  als  der  Rotazismus.  So  steht  im 
Istrorum.  der  unbestimmte  Artikel  un  neben  dem  Numeral  uru,  und  im  Alba- 
nesischen scheint  in  k' en  <[  CANis  die  Erhaltung  des  n  einen  ähnlichen  Grund 
zu  haben  (vgl.  Zeitschrift  f.  rom.  Phil.  XXIX,  632). 


59 

befremdend  sein:  Von  den  Albanesen  zeigen  gerade  die  Tosken, 
also  die  im  Süden  wohnenden,  den  Rotazismus,  während  die  Gegen, 
im  Norden  des  heutigen  albanesischen  Gebietes,  ihn  weder  heute 
kennen,  noch  jemals  gekannt  haben.  Die  Grenze  zwischen  Toskisch 
und  Gegisch  wird  durch  den  Flufs  Skump  gebildet.  Es  zeigen 
aber  von  den  Rumänen  gerade  die  zwei  nördliche  Dialekten,  das 
Dako-  und  Istrorumänische,i  den  Rotazismus,  der  bei  den  zwei 
südlichen  Stämmen,  bei  den  Aromunen  und  IMegleniten,  fehlt,  und 
wohl  nie  vorhanden  war.  Sieht  man  sich  ferner  die  Karte  an,  so 
mufs  einem  gleich  die  merkwürdige  Tatsache  in  die  Augen  fallen, 
dafs  gerade  jene  Gegend,  die  Miklosich  und  Densusianu  als  die 
Urheimat  der  Rumänen  bezeichnen,  mitten  im  gegischen  Gebiete 
liegt.  Also  man  läfst  die  Dakorumänen,  hauptsächlich  ihres  Rota- 
zismus' wegen,  mitten  zwischen  jenen  Albanesen  gewohnt  haben, 
in  deren  Sprache  das  Fehlen  des  Rotazismus  ein  auszeichnender 
Zug  ist. 

Und  so,  wie  mit  dem  Rotazismus,  verhält  es  sich  ungefähr 
auch  mit  den  anderen  rumäno- albanischen  Übereinstimmungen. 
Sieht  man  sich  diejenigen  an,  die  beispielsweise  Densusianu  [op.  cit. 
S.  294  ff.  und  349  ff.)  aus  dem  Etymologischen  Wörterbuch  von 
G.  Meyer  zusammengestellt  hat,  so  ist  es  geradezu  wunderlich,  dafs 
er  S.  356 — 357  zu  folgendem  Resultat  gelangen  konnte:  „La 
presence  d'un  nombre  relativement  assez  grand  d'elements  albanais 
en  daco-roumain,  s'explique  par  cette  emigration  d'un  element 
roumain  du  sud  au  nord  du  Danube  que  nous  avons  constatee  au 
chapitre  precedent.  Cest  des  M accdo-roinnains  etablis  dans  la  regmi 
des  Carpalhes  que  les  Daco-roiimahis  ont  regu  les  fonnes  albanais  que 
7ions  venons  d' etiidier'''- .  Man  erwartet,  um  eine  Bekräftigung  dieser 
kategorischen  Aussage  zu  erhalten,  dafs  die  angeführten  Lehn- 
wörter aus  dem  Albanesischen  im  Aromunischen  selbst  zu  hause 
seien.  Es  zeigt  sich  aber,  dafs  die  meisten  darunter,  ebenso 
wie  der  Rotazismus,  ganz  im  Gegenteil,  dem  Aromunischen  un- 
bekannt sind.  Derartige  Wörter  sind:  alb.  val^  (G.  Meyer,  Eiym. 
Worierh.  462)  >>  dakorum.  vare  {-care  etc.,  arom.  dafür  nu^a'u  care 
oder  einfach  ««),  alb.  aH-  {ibid.  6)  :  dakorum.  acä  {-iare),  alb.  mugut 
{ibid.  288)  >  dakorum.  viugiir  (arom.  bubuk'e),  7i\h.  per  ua  {ibid.  335; 
das  Wort  ist  sicherlich  nicht  romanischen  Ur^prungs)  >  dakorum. 
pärdu  {arom.  ardu^or,  fraß,  vale),  alb. /äz/  {ibid.  112 — 113;  die  Her- 
leitung aus  lat.  FossATQM,  oder  gar  *massatu.\i  ist  doch  höchst 
unsicher)  >  dakorum.  sat  (arom.  hoarä);  alb.  ^0/  {ibid.  121)  >  dako- 
rum. g-^/Az  {axom.  etimu,  eimtc,  hazdr,  hazdre),  aXh.  güs  {ibid.  143)  >> 
dakorum.  ghiiij  (arom.  vibogru),  alb.  magar  {ibid.  253)  :  dakorum. 
mägar  {diXom.  guntar,  yumar,  tar),  aXh.  strep  {ibid.  137)  :  dakorum. 
sirepede  {arom..  yermu  di  ca(),  alb.  k' afi.  {ibid.  219)  >  dakorum.  ccafä 
(arom.  nucä,  zvercä,  madular),  alb.  hunk  {ibid.  54)  >  dakorum.  bung-et 
(arom.  arbiiret,    arburame),    alb.  gl'imp,   gemp  {ibid.  140)  >  ghimp(c) 


1  Die  österreichischen  Albanesen  sind  alle  Gegen. 


6o 

(arom.  jA'Vw),  alh.  geress  [ibid.  130)  >  dakorum.  ^r^w  {^xom.  k' aträ, 
7niracune).  Zu  diesen  könnte  man  noch  hinzufügen:  alb.  boli 
[ibid.  4 1 ;  die  Herleitung  aus  relua  ist  zu  verwerfen ;  wegen  ^  >  0 
vgl.  jetzt  Grimdri/s  I',  1040)  :  dakorum.  balaur  (arom.  lamne),  alb. 
kurüs  {ibid.  216;  sicherlich  kein  türkisches  Wort)  :  dakorum.  cur  sä 
(arom.  batä,  princä,  ptayidä,  ala(ü),  alb.  vjeötite  {ibid.  474)  >  dako- 
rum. vieziire,  alb.  6aiB  [ibid.  83)  >>  dakorum,  zarä  (arom.  öalä  ist 
junge  Entlehnung  aus  dem  Albanesischen),  alb.  haaiss  >■  dakorum. 
hämesit  {Convorbiri  literare  XXXVIII,  464)  etc.  Unter  diesen  Wörtern 
ist  besonders  päräu  interessant,  da  es  dieselbe  Entwicklung  wie 
grau,  fr  du  etc.  zeigt  („das  zweite  ä  erklärt  sich  aus  dem  «  der 
alb.  Stammbildung."  G.  Meyer,  op.  dt.  335),  also  eine  spezifisch  dako- 
und  istrorumänische  Behandlung  aufweist.  INIit  diesem  Sprachgebiet 
hat  das  Albanesische  ferner,  im  Gegensatz  zum  Aromunischen,  die 
Ausdehnung  der  y-Präsentia  bei  solchen  Verben  gemeinsam,  welche 
von  hausaus  kein  y  hatten,  also  dakorum.,  istrorum.  sptiie  (arom. 
dipiina),  wie  alb.  ^' m  etc.  (vgl.  Grimdrifs  I^,  105 6).  In  bezug  auf 
ihre  Bildung  sind  u.  a.  dakorum.  siiin-ed-enie  und  ?nä}iz-at,  die  dem 
Aromunischen  fehlen,  auffallend,  und  lehnen  sich  direkt  an  alb. 
siimsts  {ibid.  41Q)  und  ?7i(e)zat  {ibid.  276)  an.  Auch  manche  syn- 
taktische und  phraseologische  Eigentümlichkeit,  auf  die  Sandfeld- 
Jensen  im  Griaidri/s  V-,  527 — 529  und  ich  in  Convorbiri  literare 
XXXVIII,  46 1  fT.,  XXXIX,  56ff.  hingewiesen  haben,  teilt  das  Alba- 
nesische nur  mit  dem  Dakorumänischen,  nicht  aber  mit  dem  Aro- 
munischen, z.  B.  ca  (^i)  cdnd  (alb,  sikur,  arom.  dafür  ca  si  cum)  „als 
wenn",  toatä  casa  {aXb.  gits  stspia,  arom.  dafür  cad-e  casä  oder  ifi  casä) 
„jedes  Haus",  un  /rate  al  mieu  (alb.  iiB  veians  t-im,  arom.  dafür  7m 
/rate  di  a  iiei)  „ein  Bruder  von  mir",  ai palatuliii  (alb.  ts  paiatit,  arom. 
dafür  oaminl'i  dit  pdlate)  „die  Angehörigen  des  Palastes",  iau  de 
7ievastä  „nehme  zur  Frau",  l-a  lovit  de  moarte  „hat  ihn  zum  Tode 
geschlagen",  gata  de  nu7itä  „für  die  Hochzeit  bereit"  (cfr.  alb,  mar 
per  grua,  e  godiii  per  Ttgordsjs,  gati  per  martese,  dagegen  arom,  im 
ersten  Falle  l' atc  nveasta,  in  den  zwei  letzten  lu-agudi  ti  moarte, 
etim  ti  7iu7tta),  räu  in  der  Bedeutung  viel  (alb.  k'eli)  fehlt  dem 
Arom.  (dafür  malt),  ebenso  wie  ihm  die  Verbindung  der  Negation 
mit  dem  Gerundium  unbekannt  ist  {^cifida/ui,  aber  /ä7-ä  sä  §cie), 
die  so  häufig  im  Dakorumänischen  {jiepiind)  und  im  Albanesischen 
{panohiir)  ist,  oder  die  auffallende  Einschiebung  des  Pronomens 
zwischen  Stamm  und  Endung,  die  das  Dakorumänische  {duce-vä-fi) 
mit  dem  Albanesischen  {lit7ini  ■<  li-me-ni,  statt  lini-me  „lafst  mich") 
gemeinsam  hat.  Das  alb.  sal' e  „Schenkel",  das  dem  Rumänischen 
^ale  „Hüften"  (Mehrzahl  von  sa  „Sattel")  entlehnt  ist,  weist  eine 
Bedeutung  auf,  die  dem  Aromunischen  unbekannt  ist,  usw.i 

Will  man  dem  Zufall  keine  übertriebene  Rolle  zuschreiben,  so 
kann   man   nicht  einfach  annehmen,    dafs  die  Aromunen  im  Laufe 


*  Die  Herren  Dr.  P,  Papahagi   und  Dr.  T.  Capidan   haben   die  Liebens- 
würdigkeit gehabt,  meine  Liste  in  bezug  auf  das  Aromunische  zu  kontrollieren. 


6i 

der  Zeit  diese  albanesischen  Lehnwörter  und  Einflüsse  wieder 
verloren  hätten,  und  dies  um  so  weniger,  als  sie  doch  in  un- 
mittelbarer Nähe  der  Albanesen  wohnen  und  von  diesen  unaus- 
gesetzt in  ihrer  Sprache  beeinflufst  werden.  Vielmehr  wird  man 
die  Ansicht  verwerfen  müssen,  dafs  das  albanesische  Lehngut 
zu  den  Dakorumänen  durch  aromunische  Einwanderer  gebracht 
worden  wäre. 

Es  will  mir  aber  scheinen,  dafs  es  überhaupt  methodisch  falsch 
ist,  aus  dem  albanesischen  Lehngut  im  Rumänischen  auf  die  süd- 
danubianische  Urheimat  dieses  Volkes  zu  schliefsen.  Wir  wissen 
weder,  wer  die  Albanesen  sind,  noch  wo  sie  im  frühen  Mittelalter 
gelebt  haben.  Es  geht  daher  nicht  an,  die  Urheimat  der  Rumänen 
in  den  Süden  der  Donau  zu  versetzen,  weil  sie  in  ihrer  Sprache 
gemeinsame  Züge  mit  dem  Albanesischen  aufweisen,  und  weil  die 
Albanesen  heute  in  diesen  Gegenden  wohnen.  Man  könnte  doch 
ebenso  gut  den  Spiefs  umdrehen  und  sagen,  dafs  die  Albanesen 
einst  unbedingt  viel  weiter  nach  Nordosten  ausgebreitet  gewesen 
sein  müssen,  weil  sie  mit  dem  Rumänischen  derartige  Sprach- 
erscheinungen gemeinsam  haben,  die  sich  im  Rumänischen  selbst 
als  norddanubianisch  erweisen. 

Anmerk.  Man  hält  die  Albanesen  für  Illyrier,  die 
einer  gänzlichen  Romanisierung  entgangen  sind.  Diese 
Ansicht  gründet  sich  nicht  etwa  darauf,  dafs  wir  illyrische 
Spracherscheinungen  im  Albanesischen  nachweisen  könnten, 
sondern  weil  sie  heute  dort  wohnen,  wo  früher  Illyrier 
bezeugt  sind.  „Wie  wenig  das  aber  beweist,  lehren  zahl- 
reiche Beispiele  von  Volksverschiebungen.  Danach  müfsten 
wir  auch  die  Serben  für  Illyrier,  die  Bretonen  für  Nach- 
kommen der  alten  Gallier  halten",  schreibt  Hirt  {op.  cit. 
I,  141)  und  neigt  eher  zur  Ansicht,  die  ja  auch  schon 
früher  ausgesprochen  worden  ist,  dafs  das  Albanesische 
zum  Thrakischen  zu  rechnen  sei.  „Denn  das  Venetische 
in  Oberitalien  gehört  zweifellos  zu  den  f^«/«w-Sprachen, 
und  wenn  wir  dies  nicht  vom  Illyrischen  losreifsen  wollen, 
wofür  durchaus  kein  Grund  vorliegt,  so  sind  wir  genötigt 
das  Albai:iesische  entweder  als  besondere  Sprache  auf- 
zufassen oder  einer  anderen  Gruppe  der  ja/^w -Dialekte 
zuzurechnen"  {ebenda).  Ich  kann  nicht  umhin,  hier  die 
Meinung  des  Professors  für  alte  Geschichte  an  der  Bukarester 
Universität  V.  Parvan,  anzuführen,  dessen  Spezialgebiet  gerade 
der  römische  europäische  Osten  bildet.  Um  seine  Meinung 
gefragt,  schreibt  er  mir  folgendes:  „Bekanntlich  reichten 
die  Albanesen  zu  einer  früheren  Zeit  von  der  Donau  — 
mindestens  —  bis  zum  Cap  Matapan.  Ihre  Ausbreitung 
ist  nicht  simultan,  sondern  allmählich  vor  sich  gegangen. 
.Es  ist  sicherlich  verfehlt  zu  behaupten,  dafs  sie  nur  eine 
noch  nicht    romanisierte  illyrische  Tribus    seien,    wo  doch 


62 


die  Hälfte  der  Balkanhalbinsel  von  ihnen  besetzt  war,  wo 
sie  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  von  Nis  in  Serbien  bis 
Epirus  und  Thessalien  intakt  erhalten  haben  und  die 
heutigen  Griechen,  Serben  und  Kroaten  in  ihren  Adern 
zum  guten  Teile  albanesisches  Blut  haben.  Woher  kommen 
sie?  Die  indogermanische  Sprachwissenschaft  zeigt,  dafs 
sie  ursprünglich  im  Norden  zu  hause  waren, i  wie  die 
Slaven.  Sie  haben  also  einst  nördlich  der  Donau  gewohnt 
und  ich  sehe  gar  nicht  ein,  warum  man  gerade  auf  die 
albanesischen  Entlehnungen  gestützt,  die  Wiege  der 
Rumänen  in  den  Südwesten  verlegt,  da  doch  diese  Ent- 
lehnungen im  Norden  des  Flusses  von  denjenigen  Albanesen 
empfangen  werden  konnten,  die  in  der  grofsen  Masse  der 
hier  lebenden  Dakorumänen  untergegangen  sind,  in  der- 
selben Weise,  wie  sie  z.  B.  im  Süden  von  den  Griechen 
verschlungen  wurden.  Die  Zeit,  die  Sie  mir  angeben,  das 
III. — VI.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung,  stimmt  mit 
dieser  Auffassung  vollkommen  überein.  Es  ist  gerade  die 
Zeitperiode,  wo  das  indogermanische  Volk  der  Albanesen 
aus  dem  Norden  gegen  Süden  ziehen  mufste,  als  Vorläufer 
jenes  anderen  jungen  Volkes,  der  Slaven.  Wenn  man  auf 
einer  ethnographischen  Karte  die  Richtung  verfolgt,  in 
welcher  sich  die  heutigen  selbständigen  Reste  der  Albanesen 
verbreiten,  so  gelangt  man  zur  Ansicht,  dafs  ihr  Weg  der- 
selbe war,  wie  derjenige  der  Slaven,  d.  i.  vom  Nordosten 
gegen  Südwesten,  die  Höhen  der  Karpathen  entlang,  durch 
Siebenbürgen,  also  gerade  durch  das  Herz  der  Dako- 
rumänen. Diese  ihre  Wanderungen  mufsten,  so  wie  die- 
jenigen der  Slaven,  friedlichen  Charakters  und  daher  un- 
bemerkt gewesen  sein:  nach  und  nach  kamen  die  fremden 
Hirten  in  die  südlichen  Gegenden,  so  dafs  dann  später 
auf  einmal  der  ganze  Westen  der  Balkanhalbinsel  von  einem 
neuen  Volke  erobert  erschien."  (Brief  vom  20.  März  igo6, 
aus  Rom.) 

Ich  wage  nicht  zu  dieser  Theorie,  die  jedenfalls  sehr 
beachtenswert  ist,  Stellung  zu  nehmen.  Nur  soviel  sei 
bemerkt,  dafs  die  sprachlichen  Momente  sehr  zu  ihrem 
Gunsten  sprechen.  Sieht  man  sich  das  lateinische  Element 
des  Albanesischen  näher  an,  so  kann  man  sich  des  Ein- 
druckes nicht  erwehren,  dafs  dieses,  chronologisch  sowohl 
als  auch  geographisch,  zwei  Stufen  der  Entlehnung  auf- 
weist. So  ergibt  beispielsweise  lat.  a  bald  a  und  bald 
wieder  e  (Grundrifs  P,  104 1  — 1043),    lat.  ü    sowohl  ü   als 


^  „In  der  Vertretung  von  0  durch  a  geht  es  mit  den  nordindoger- 
manischen Sprachen,  Slavisch,  Litauisch  und  Germauisch  zusammen,  eine  Über- 
einstimmung, die  kaum  zufällig  ist  und  sehr  entschieden  für  nördliche  Herkunft 
des  Albanesischen  spricht".     Krelschmer,  op.  cit.  261. 


auch  //  {ibid.  1046 — 1047),  anlautendes  lat.  s  undy,  neben 
s  und  f  auch  d-  (ibid.  105 3)  usw.,  ohne  dafs  dies  durch 
die  Struktur  der  Wörter  irgendwie  für  uns  genügend 
erklärUch  wäre.  Diese  Verschiedenheiten  lassen  sich  aber 
ziemlich  leicht  begreifen,  wenn  man  annimmt,  dafs  die 
Albanesen  schon  in  Dazien  die  erste  Schichte  romanischen 
Lehngutes  empfingen,  während  ihres  Zusammenlebens  mit 
den  Vorfahren  der  Rumänen,  und  dafs  sie  später  eine 
zweite  Schichte  von  den  Vorfahren  der  Altdalmatiner 
übernahmen.  Dann  würde  a  >  a  und  n  >>  n  ganz  genau 
den  rumänischen  Lautstand  wiedergeben,  während  a  ^  e 
und  «  >>  «  auf  dalmatoromanischen  Einflufs  zurückginge 
(vgl.  Bartoli,  Das  Dalmatische,  I,  232).  Da  die  Betonung 
SECALE  dem  Rumänischen  fremd  ist,  so  können  wir  ver- 
muten, dafs  die  Albanesen  dieses  Wort  erst  auf  illyrischen 
Boden  aufnahmen,  wo  s  möglicherweise  schon  die  Aus- 
sprache s  hatte  (vgl.  Bartoli,  0/.  c//.  I,  262);  dann  würde 
lat.  s  '^  s  (später  s)  die  ältere  mit  dem  Rumänischen 
identische  Stufe  des  Albanesischen  darstellen,  dagegen  ^, 
das  auch  im  alb.  d-eksr^  auftritt,  die  jüngere,  in  lllyrien 
angelernte.  Dafür  sprechen  auch  die  rum.  Wörter  cursä 
und  sämbure,  aus  denen  zu  erschliefsen  ist,  dafs  kurd-e  und 
d-niiibui  zur  Zeit  ihres  dazischen  Aufenthaltes  von  den 
Albanesen  selbst  noch  mit  s  gesprochen  wurden.  Im 
Grundrifs  L^,  1053  ist  alb.  m^söj  <  invitiäre  wegen  seines 
Anlautes  mit  istrorum.  nme^ä  verglichen  worden ;  dies  würde 
sehr  wohl  zum  istro-alb.  Rotazismus  passen,  denn  wir  haben 
viele  Anzeichen  dafür,  dafs  der  istrorumänische  Dialekt 
einst  mit  dem  westlichen  Dakorumänisch  eine  Gruppe 
bildete.  Wenn  man  aber  die  Albanesen  als  ein  Volk  be- 
trachtet, das  vom  Norden  kommend,  eine  Zeit  lang  in  Dazien 
mit  den  Vorfahren  der  Rumänen  zusammenlebte  und  z.  T. 
dort  verblieb,  worauf  es  später  rumänisiert  wurde,  so  würde 
sich  dadurch  auch  die  merkwürdige  Tatsache  erklären, 
dafs  der  dakorumänische  Rotazismus  gerade  bei  denjenigen 
Albanesen  vorhanden  ist,  die  nach  Süden  dringend,  die 
südlicheren  Gegenden  im  heutigen  Albanien  bewohnen. 
Auch  die  Lehnwörter  aus  dem  Albanesischen  würden 
dieser  Theorie  zu  gute  kommen,  denn  diejenigen,  die  im 
Dakorumänischen  vorkommen,  weisen  auf  eine  ältere  Periode 
der  Entlehnung  als  die  aromunischen.  So  zeigt  z.  B. 
ceafä  den  Übergang  von  //  >>  is,  der  sehr  alt  ist,  und 
während  alb.  ^atB.  im  Dakorumänischen  einen  der  ersten 
Lautübergänge:  l  "^  r  aufweist,  erscheint  es  im  Aro- 
munischen als  öalä,  also  als  ein  Lehnwort,  welches  nach 
der  Vollendung  dieses  Lautwandels  aufgenommen  wurde. 
Vielleicht  ist  ebenso  dakorum.  mar,  in  aiäla  mar  de  ani 
„so  viele  Jahre"   zu  betrachten,    das  dem  alb.  mat  „Fülle, 


64 

Überflufs"  entlehnt  sein  könnte,  woraus  später  auch  arora. 
mal  „Reichtum"  entnommen  ist.  Ebenso  ist  das  Verhältnis 
zwischen  alb.  {htrms  und  dakorum.  /ärdmä  sehr  alt,  während 
arom.  sännä  junge  Entlehnung  aus  dem  Alban.  ist.  Auch 
dakorum.  barzä  läfst  durch  seine  Bedeutungsentwicklung 
„Storch"  auf  eine  ältere  Aufnahmezeit  schliefsen,  als  arom. 
bardzu,  das  noch  Adjektiv  ist  und  den  Sinn  „blond"  hat, 
wie  alb.  bard-   „weifs". 

13.  Die  Lösung  der  „Ruraänenfrage"  gehört  der  Geschichte 
an.  Die  Sprachforschung  kann  dem  Historiker  wertvolles  Material 
liefern;  sie  darf  sich  aber  nicht  anmafsen,  das  Problem  allein  zu 
enträtseln.  Die  richtige  Forschungsmethode  scheint  mir  daher  die 
zu  sein,  dafs  der  Historiker  aus  seinen  eigenen  Mitteln  zunächst 
die  Rekonstruktion  der  urrumänischen  Periode  unternehmen  mufs, 
und  dafs  der  Linguist  diese  an  seinem  Material  zu  kontrollieren 
und,  wenn  möglich,  zu  ergänzen  hat.  Jedenfalls  müssen  Geschichte 
und  Sprachwissenschaft  zusammengehen  und  sich  gegenseitig  er- 
gänzen. 

Wenn  einige  Geschichtsschreiber  behauptet  haben,  die  Aromunen 
seien  die  Fortsetzer  der  süddanubianischen  romanisierten  Völker- 
schaften, die  Dakorumänen  dagegen  die  Nachkommen  der  romani- 
sierten Dakier,  eine  Annahme,  die  an  und  für  sich  nicht  unmöglich 
sein  könnte,  so  konnte  die  Sprachforschung  diese  Hypothese  durch 
triftige  Gründe  widerlegen,  denn  die  Sprache  der  Rumänen  zeigt 
zweifellos  eine  einstige  einheitliche  Entwicklung  dieser  beiden 
Gruppen.  Es  bleiben  daher  nur  mehr  drei  Möglichkeiten  übrig, 
die  tatsächhch  alle  drei  schon  ausgesprochen  wurden:  entweder 
nimmt  man  an,  dafs  diese  einheitliche  Entwicklung  der  Urrumänen 
a)  nur  in  Dakien  oder  b)  nur  auf  der  Balkanhalbinsel,  oder  wieder 
c)  in  Dakien  und  auf  der  Balkanhalbinsel,  indem  zwischen  diesen 
Teilen  ein  Verkehr  bestand,  vor  sich  ging. 

Die  erste  dieser  drei  Ansichten  erscheint  heute  allgemein  auf- 
gegeben; weder  die  Historiker,  noch  die  Sprachforscher  sind  geneigt, 
sie  noch  zu  behaupten. 

Die  zweite  Ansicht,  dafs  die  rumänische  Nationalität  und  Sprache 
südlich  von  der  Donau  entstanden  sei  und  dafs  die  heutigen  Dako- 
rumänen von  dort  im  späteren  Mittelalter  in  ihre  jetzigen  Wohn- 
sitze eingewandert  wären,  findet  heute  Verfechter  mehr  unter  den 
Sprachforschern  als  unter  den  Historikern.  Wir  müssen  es  hier 
gleich  sagen:  alles  was  im  Vorhergehenden  an  Spracherscheinungen 
besprochen  worden  ist,  kann  sehr  wohl  mit  dieser  Hypothese  in 
Einklang  gebracht  werden.  Es  ist  sprachlich  sehr  gut  möglich,  dafs 
das  Urrumänische  auf  der  Balkanhalbinsel,  eine  dialektische  Färbung 
hatte,  und  dafs  sich  erst  später,  nach  der  Trennung  der  heutigen 
vier  Gruppen,  in  jeder  derselben  diese  mundartlichen  Unterschiede 
entweder  verallgemeinerten,  oder  regional  begrenzt  blieben.  Nun 
erhebt  aber  die  Geschichte  gewichtige  Argumente,    die  gegen  eine 


65 

nur  süddanubianische  Urheimat  der  Rumänen  sprechen.  Nach  der 
eben  bezeichneten  Forschungsmethode  ist  es  daher  angebracht,  dafs 
die  Sprachforscher  dieser  historischen  Argumentation  Rechnung 
tragend,  anstatt  sich  den  Historikern  schroff  gegenüberzustellen,  ihr- 
Material  nach  dieser  Richtung  hin  einer  neuerlichen  Prüfung  unter- 
ziehen. 

Für  die  Verfechter  der  süddanubianischen  Urheimat  der 
Rumänen  wird  sich  dabei  ergeben,  dafs  einige  ihrer  Hauptargumente 
hinfällig  oder  doch  nicht  überzeugend  sind.  Es  zeigt  sich  sogar, 
dafs  der  Grundgedanke  dieser  Hypothese  einen  Ausgangspunkt  hat, 
der  nicht  gerade  unwiderlegbar  ist.  Dieser  liegt,  wie  mir  scheint, 
in  der  aprioristischen  Annahme  einer  territorial  eng  begrenzten 
„Wiege".  Da  eine  territoriale  Einheitlichkeit  für  das  Urrumänische 
durch  die  Sprache  gefordert  wird,  hat  man  damit  auch  eine  Ein- 
heitlichkeit der  urrumänischen  Sprache  verbunden,  die  umso  leichter 
anzunehmen  war,  als  das  gemeinsame  Sprachgut  in  den  vier  heutigen 
Hauptmundarten  tatsächlich  auffällt.  Da  man  aber  glaubte,  dafs  die 
Entstehung  von  Dialekten  hauptsächlich  von  der  Gröfse  des  Sprach- 
gebietes abhängt,  so  hat  man  logisch  folgern  können :  die  Urrumänen, 
deren  Sprache  einheitlich  war,  haben  gerade  deshalb  ein  eng- 
begrenztes Gebiet  bewohnen  müssen.  Ich  habe  im  §  3  die  Aus- 
führungen eines  jungen  Forschers  —  je  mehr  man  im  Anfang 
seiner  wissenschaftlichen  Bahn  ist,  desto  klarer  und  weniger  kom- 
pliziert erblickt  man  die  Sachen  —  zitiert,  aus  denen  hervorgeht, 
dafs  die  Gelehrten  heute  nur  mehr  schwankend  sind,  wohin  diese 
süddanubianische  „Wiege"  zu  versetzen  sei,  auf  die  Ostküste  des 
adriatischen  Meeres,  wohin  soviel  Übereinstimmungen  mit  dem  Alt- 
dalmatischen und  dem  Albanesischen  weisen,  oder  an  die  Abhänge 
des  Balkans,  wohin  die  auffallenden  bulgaro-rumänischen  (im 
Gegensatz  zum  Fehlen  der  serbo- rumänischen)  Berührungspunkte 
weisen  (man  denke  nur  an  den  nachgesetzten  Artikel,  an  den 
abgekürzten  Infinitiv,  an  die  Vereinfachung  der  Deklination  im 
Bulgarischen,  nach  rumänischem  Muster!). 

Nun  war  ich  bestrebt  zu  zeigen,  dafs  wir  zur  Annahme  einer 
derartigen  „Wiege"  schon  theoretisch  durch  nichts  gezwungen  sind, 
dafs  sie  nach  alledem,  was  wir  von  der  Ausbreitung  der  romani- 
sierten  Bevölkerung  in  Osteuropa  wissen,  unwahrscheinlich  ist  (§  3), 
und  dafs  wir  sogar  dagegen  Stellung  nehmen  müssen,  da  im  Ur- 
rumänischen ziemhch  starke  mundartliche  Differenzen  nachweisbar 
sind  und  diese  wahrscheinlich  sogar  gröfser  waren,  als  wir  heute 
erkennen  können  (§  q).  Wenn  aber  die  Ausbreitung  einer  Sprache 
im  Verhältnis  zu  deren  mundartlichen  Färbung  steht,  so  müssen 
wir  uns  die  Grenzen  des  Urrumänischen  so  erweitert  denken,  dafs 
der  Verkehr  innerhalb  dieses  Gebietes  sprachhche  Differenzen  ent- 
stehen lassen  und  eine  Ausgleichung  derselben  nicht  mehr  herbei- 
führen konnte. 

Aber  der  Verkehr  ist  sicherlich  nicht  der  einzige  Faktor,  der 
bei    der    Entstehung   von    Dialekten    mafsgebend    ist.     Dies    erhellt 

Beiheft  zur  Zeiischr.  f.  rora    Phil.  XXVI.     (Festschrift.)  e 


66 

schon  aus  der  Tatsache,  dafs  Sprachen,  die  ein  gröfseres  Gebiet 
mit  weniger  Verkehrsmittel  umfassen,  oft  weniger  Dialekte  umfassen, 
als  geographisch  viel  enger  begrenzte  Sprachen,  mit  fast  keinen 
Verkehrsstörungen.  „Bei  den  Russen,  welche  trotz  Kreuzung  mit 
Finnen  und  Tartaren  weniger  Dialekte  besitzen,  als  die  Mehrheit 
anderer  europäischer  Sprachen  auf  weit  kleinerem  Raum,  liegt  dieser 
konservative  Zug  zweifellos  im  Blut.  Der  Mangel  an  Eigenart  und 
schöpferischer  Kraft,  die  Gleichförmigkeit  und  Monotonie  der 
Lebensweise  sind  Eigenschaften  des  russischen  Volkscharakters, 
welche  nach  dem  Urteile  von  Kennern  auch  in  anderen  Gebieten 
als  auf  sprachlichem  hen^ortreten"  (Kretschmer,  op.  cit.  122  — 123). 
Ähnlich  dürften  die  Verhältnisse  bei  den  Urrumänen  gewesen  sein 
und  der  konservative  Zug  ihrer  Sprache  liegt  vielleicht  nicht  nur 
in  der  Gleichmäfsigkeit  ihrer  Beschäftigung,  sondern  möglicherweise 
auch  in  ihrem  „Blute"  —  wenn  wir  unter  diesem  Begriffe  alles 
das  zusammenfassen,  wofür  wir  heute  noch  keine  klaren  Ausdrücke 
besitzen.  Sind  doch  heute  noch  die  dialektischen  Unterschiede  in 
den  einzelnen  Gebieten  verhältnismäfsig  sehr  gering  und  meist  nur 
auf  dem  Wortschatz  beschränkt!  Und  dies  gilt  sowohl  von  den 
Dakorumänen,  die  schon  durch  ihre  politische  und  geographische 
Lage  einen  kaum  merklichen  Verkehr  miteinander  pflegen,  als  auch 
von  den  Aromunen,  die  in  den  verschiedenen  Provinzen  fast  gar 
nicht  miteinander  verkehren. 

Wenn  man  alle  diese  Momente  in  betracht  zieht,  so  scheint 
es  eher,  dafs  das  Gebiet  des  Urrumänischen  ziemlich  weit  verbreitet 
war,  und  es  steht  zunächst  nichts  im  Wege,  es  in  die  Gegend  auf 
beiden  Ufern  der  Donau,  wo  einst  Romanen  nachweislich  waren, 
zu  versetzen. 

Damit  gelangen  wir  zur  dritten  Hypothese,  die  heute  von  den 
meisten  Historikern  und  zwar  mit  überzeugenden  Argumenten  ver- 
fochten wird.  Die  sprachlichen  Momente  sprechen  m.  E.  nicht 
gegen  diese  Ansicht,  sondern  sind  eher  geeignet,  sie  zu  bekräftigen 
und  zu  ergänzen.  Allerdings  bleibt,  wie  es  gar  nicht  anders  möglich 
ist,  dabei  noch  mancher  unklare  Punkt  bestehen  und,  wenn  man 
im  grofsen  ganzen  Onciuls  Ansicht  akzeptiert,  so  wird  man  ihm  im 
einzelnen  nicht  immer  Recht  geben  können. 

Vor  allem  sprechen  wichtige  Argumente  gegen  seine  Ad- 
migrationstheorie.  Wie  §  11  gezeigt  wurde,  lassen  sich  zur  ur- 
rumänischen Zeit  keine  aus  der  Balkanhalbinsel  durch  Einwanderer 
importierte  Spracherscheinungen  nachweisen.  Wenn  Wanderungen 
aus  dem  Norden  nach  Süden,  und  in  gröfserem  Mafse  in  um- 
gekehrter Richtung  stattfanden,  so  haben  diese  kaum  eine  andere 
Folge  haben  können,  als  dafs  sie  die  relative  Einheitlichkeit  des 
Urrumänischen  noch  mehr  begünstigten.  Nach  den  Beobachtungen, 
die  über  das  „Französische  in  Kanada"  gemacht  worden  sind,  ist 
es  heute  sicher,  dafs  „Zuwanderung  in  ähnlicher  Weise  die  Sprach- 
entwicklung hemmt,  wie  es  die  Schriftsprache,  oder  wie  es  allgemein 
gesagt,  ein  starker  Verkehr  tut"  (Meyer-Lübke,  Germanisch-romanische 


67 

Monatsschrift  I,  139).  Vielmehr  ist  es  wahrscheinlicher,  dafs  sich 
die  sprachlichen  Neuerungen,  die  sich  im  Urrumänischen  als  dia- 
lektisch erweisen,  auf  dem  natürlichen  Weg  der  wellenartigen  Fort- 
pflanzung ausgebreitet  haben  und  dafs  sie  eben  zur  Zeit,  als  sich 
das  Urrumänische  gespalten  hatte,  noch  nicht  zur  völligen  Aus- 
breitung gelangt  sind. 

Onciul  glaubt,  dafs  die  Palatalen  anstelle  der  Labialen  eine 
süddanubianische  Sprachneuerung  im  Rumänischen  sei.  Dazu  wird 
er  durch  die  Erwägung  geführt,  dafs  diese  Erscheinung  im  Aro- 
munischen  durchgeführt  ist,  daher  älter  sein  mufs,  als  im  Dako- 
rumänischen,  wo  sie  nur  mundartlich  vertreten  erscheint.  Dasselbe 
könnte  man  auch  für  die  meisten  anderen  Fälle  behaupten,  denn 
ebenso  verhält  es  sich  mit  te,  ti  >  /a,  /a,  mit  re,  ri  >  ra,  rd,  mit 
eu  läudam  aus  eu  läudä,  eu  aud  aus  eii  auz,  douä  adtmäri  aus  douä 
adunari.  Zwar  ist  diese  Annahme  nicht  zwingend,  da  die  Ver- 
allgemeinerung einer  Sprachneuerung  nicht  immer  einen  Schlufs 
auf  deren  Alter  zu  ziehen  gestattet,  sie  ist  aber  doch  schon  durch 
die  Anzahl  der  Fälle  wahrscheinlich  gemacht.  Auch  zeigt  ihre 
Verbreitung  im  Dakorumänischen,  dafs  diese  Neuerungen  meisten- 
teils vom  Süden  nach  Norden  gedrungen  sind.  Dies  ist  der  Fall 
für  läudam,  adunari,  räu,  die  vor  dreihundert  Jahren  im  Norden 
des  dakorumänischen  Gebietes  noch  unbekannt  waren,  während  sie 
im  Süden  allgemein  zu  sein  schienen,  bei  den  Palatalen  anstelle 
von  Labialen  sieht  man  auf  Weigands  Linguistischem  Atlas  förmlich, 
wie  sie  vom  Südosten  nach  Norden  und  Nordwesten  dringen, 
während  aud  anstelle  von  auz  vom  Südwesten  nach  Norden  und 
Nordosten  gedrungen  zu  sein  scheint,  jedenfalls  im  Osten  des 
dakorumänischen  Gebietes  (in  der  Moldau)  seit  dem  XVIL  Jahr- 
hundert sehr  grofse  Fortschritte  gemacht  hat. 

Diese  Beobachtungen  sprachlicher  Natur  finden  möglicherweise 
ihre  Erklärung  in  den  geschichtlichen  Verhältnissen  der  Zeit.  Wir 
können  überall  wahrnehmen,  dafs  eine  Sprache  um  so  mehr  Ver- 
änderungen ausgesetzt  ist,  je  mehr  die  sie  sprechenden  Menschen 
ein  bewegtes  Leben  führen.  Je  gröfser  die  Kultur  eines  Volkes, 
desto  prägnanter  wird  seine  Ausdrucksweise,  die  bestrebt  ist,  für 
die  gröfsere  Varietät  der  täglichen  Begriffe  schärfer  ausgeprägte 
Ausdrücke  zu  formen.  Daher  ist  in  Städten,  hauptsächlich  in 
grofsen  Kultur-  und  Verkehrszentren,  mit  bewegtem  geistigen  und 
geschäftlichen  Leben,  die  Sprache  der  Bevölkerung  nicht  nur  reicher, 
sondern  gewöhnlich  um  einige  Stufen  der  Entwicklung  weiter  fort- 
geschritten, als  die  Sprache  auf  dem  Lande.  Hier  verändern  sich 
Sitten  und  Lebensweise  kaum  merklich,  dieselbe  Beschäftigung  oft 
mit  denselben  Mitteln  wie  vor  Jahrhunderten  bringt  es  mit  sich, 
dafs  die  Sprache,  die  sozusagen  die  Wiederspiegelung  des  täglichen 
Lebens  ist,  konservativer  bleibt  und  weniger  zur  Differenzierung, 
und  damit  eng  verbunden,    zur  Entstehung  von  Neuerungen  neigt. 

Nun  mufste  das  Kulturleben  in  Dakien  stark  zurücksinken,  nach- 
dem Aureliau  diese  Provinz  aufgegeben  hatte.    Durch  den  Abzug  der 


68 

Legionen,  der  Beamtenschaft  und  der  Kapitalisten  einerseits  und 
durch  die  drohenden  Einbrüche  der  Barbaren,  die  gewifs  vor  allem 
die  Städte  aufsuchten,  andererseits,  wurden  alle  wichtigeren  Verkehrs- 
zentren zerstört.  Dagegen  blühten  auf  der  Balkanhalbinsel  noch 
durch  Jahrhunderte  bedeutende  Städte,  mit  nicht  unwesentlicher 
Kultur  und  mit  ziemlich  regem  Handel.  Es  ist  also  wahrscheinlich, 
dafs  in  diesen  Gegenden  auch  die  Sprache  einer  rascheren  Ent- 
wicklung ausgesetzt  war,  als  in  Dakien. 

Es  konnte  den  Verkehr  der  Dakoromanen  mit  ihren  Stammes- 
genossen auf  der  Balkanhalbinsel  nur  fördern,  dafs  es  keine  Städte 
gab,  weder  in  Dakien  —  kein  einziger  Name  irgend  einer  uns 
bezeugten  dakischen  Stadt  hat  sich  bis  heute  im  Munde  der  Be- 
völkerung erhalten!  —  noch  w^eit  und  breit  im  Norden  und  Westen: 
die  zur  Erzeugerin  von  Rohprodukten  gewordene  dakische  Be- 
völkerung konnte  diese  nur  in  den  Städten  südlich  von  der  Donau 
gegen  feinere  Exportware  umtauschen.  Vor  allem  aber  müssen  die 
religiösen  Bande  die  Bewohner  Dakiens  mit  dem  Süden  verbunden 
haben,  in  dessen  befestigten  Städten  im  ganzen  frühen  Mittelalter 
nachweislich  Residenzen  von  Bischöfen  waren;  auch  erscheinen  die 
Dakorumänen  bei  ihrem  ersten  geschichtlichen  Auftreten  kirchlich 
von  süddanubianischen  Bistümern  abhängig. 

Für  eine  raschere  Entwicklung  der  Sprache  war  also  das 
rechte  Donauufer  günstiger  und  wenn  eine  Ausbreitung  von  Sprach- 
neuerungen stattfinden  sollte,  so  war  es  natürlich,  dafs  sie  von  den 
dort  gelegenen  Handels-  und  religiösen  Zentren  ausging.  Allerdings 
waren  auch  auf  dem  rechten  Donauufer  die  historischen  Begeben- 
heiten nicht  derart,  dafs  dort  viel  Städte  durch  Jahrhunderte  ihre 
Bedeutung  ungestört  behalten  konnten,  sondern  zu  verschiedenen 
Zeiten  blühten  und  sanken  immer  wieder  andere  Städte.  Dies  er- 
klärt vielleicht  die  Tatsache,  dafs  die  oben  erwähnten  Neuerungen, 
die  chronologisch  gewifs  nicht  gleichzeitig  sind,  an  verschiedenen 
Orten  die  Donau  überschritten:  aud  reicht  vom  Westen  des  dako- 
rumänischen  Gebietes  nach  Osten  bis  01t  {Übersichtskarte  15), 
während  k' ept  vom  Osten  nach  Westen  schon  bei  der  Mündung 
des  Arge§  eine  Grenze  findet  [Übersichtskarten  6 — 8)  und  wir 
wissen  (§  11),  dafs  auch  jenseits  des  Stromes  vom  Isker  bis  zum 
Adriatischem  Meere  die  rumänische  Bevölkerung  die  Labialen  rein 
aussprach. 

Allerdings  darf  man  nicht  glauben,  dafs  nur  die  Sprache  der 
Balkanrumänen  einer  Entwicklung  fähig  war.  Auch  auf  dako- 
rumänischem  Boden  entstanden  Neuerungen.  Nur  konnten  sich 
diese  nicht  nach  Süden  fortpflanzen,  weil  ein  Ausströmen  nach 
dieser  Richtung  mangels  dakischer  Verkehrszentren  nicht  stattfinden 
konnte.  Man  könnte  als  Beispiel  den  Rotazismus  anführen,  der 
nicht  einmal  das  ganze  dakorumänische  Gebiet  vom  Norden  nach 
Süden  erobern  konnte,  sondern  umgekehrt,  auch  im  Norden  mit 
der  Zeit  wieder  verloren  ging,  da  vom  Süden  aus  das  alte  «  in 
seine  Rechte  wieder  eingeführt  wurde. 


69 

Halten  wir  uns  nun  vor  Augen,  dafs  einige  hundert  Jahre  vor 
dem  Auftreten  unserer  Sprachdenkmäler  das  Dakorumänische  noch 
nicht  soweit  entwickelt  war,  wie  im  XV.  Jahrhundert;  um  nur  drei 
Fälle  aus  der  Lautlehre  anzuführen,  es  waren  die  Laute  n  und  /' 
noch  nicht  zu  i  verwandelt  —  ii  ist  bekanntlich  noch  heute  im 
Banatischen  erhalten  und  das  Original  des  Codice  Vorone^ean 
hat  offenbar  noch  das  /'  gehabt,  da  in  der  uns  erhaltenen  Abschrift 
aus  dem  XVL  Jahrhundert  einmal  ein  lat.Mi.  ce  72/6 — 7  bezeugt 
ist  —  und  der  Einflufs  der  Labialen  auf  folgendes  lat.  e  hatte  noch 
nicht  begonnen  —  der  Codice  Vorone|;ean  hat  noch  zum  guten 
Teile  reines  e.  Hieraus  ergibt  sich,  dafs  zu  jener  Zeit  die  Unter- 
schiede zwischen  dem  Süden  des  dakorumänischen  Gebietes  und 
dem  Aromunischen  sehr  gering,  jedenfalls  weniger  ausgeprägt  wären, 
wie  zwischen  jenem  und  dem  Norden  des  dakorumänischen  Ge- 
bietes. Wenn  also  schon  im  Urrumänischen  irgend  eine  natürliche 
Grenze  ein  Verkehrshindernis  bildete,  so  war  dies,  nach  der  Sprache 
zu  urteilen,  eher  der  Mures  als  die  Donau.  Denn  nördlich  vom 
Mure§  sprach  man  biiru,  eu  läudä,  adunart,  riu,  audzu,  piept,  wahr- 
scheinlich auch  impefige,  während  weiter  nach  Süden,  auf  beiden 
Ufern  der  Donau,  die  Sprache  ziemlich  gleichartig  war,  und  bunu 
(bezw.  bünii),  rdu,  läudatn,  adundri  dürften  allgemein  gewesen  sein, 
während  die  Neuerungen  }i  ept,  aud,  wenn  auch  nicht  überall  durch- 
gedrungen, doch  schon  beide  im  Süddakorumänischen  regional  ver- 
treten waren.  Die  Tatsache,  dafs  der  Muref  im  Vergleiche  zur 
Donau  ein  recht  kleiner  Flufs  ist,  ist  nicht  vom  Belang,  da  oft 
kleine  Gewässer  scliärfere  Sprachgrenzen  bilden,  als  breite  Flüsse; 
als  „Verkehrshindernis"  ist  im  hnguistischen  Sinne  nicht  eine  un- 
überwindbare  natürliche  Grenze  zu  betrachten,  sondern  in  den 
meisten  Fällen  jene  topographischen  Bildungen,  die  an  der  Grenze 
zwischen  zwei  Gebieten  liegen,  von  denen  jedes  durch  politische, 
administrative,  religiöse,  handelsverkehrliche  oder  was  immer  für 
sonstige  Bande  für  sich  ein  Ganzes  bildet.  Ob  sich  dieser  aus 
der  Sprache  gewonnene  „Eindruck"  —  denn  es  M'äre  zu  kühn,  bei 
dem  heutigen  Stand  unserer  Kenntnisse,  ihn  anders  zu  nennen  — 
auch  historisch  begründen  läfst,  ist  eine  Frage,  die  ich  hier  nicht 
erörtern  will.  Ich  begnüge  mich  auch  in  diesem  Funkte  mit  einem 
Zitat  aus  der  neuesten  Schrift  dessen,  der  mir  in  dieser  Beziehung 
als  der  kompetenteste  erscheint:  „Als  die  Magyaren  am  Ende  des 
IX.  Jahrhunderts  bis  zur  Theiss  und  Donau  kamen,  waren  die 
dakischen  Gebiete  von  „Walachen  und  Slovenen"  bewohnt,  die  in 
Herzogtümern  (voivodate)  organisiert  waren.  Ein  derartiges  Herzog- 
tum, unter  einem  rumänischen  Herzog  namens  Gelou  —  so  nennt 
ihn  der  erste  ungarische  Chronist  —  wird  im  nord- westlichen 
Gebiete  von  Siebenbürgen  bezeugt,  mit  der  Residenz 
neben  dem  Some^,  in  der  Nähe  von  Giläu,  westlich  von 
Klausenburg;  zwei  andere  in  den  Gegenden  zwischen  der  Theiss 
und  den  Karpathen,  in  Verbindungen  mit  dem  bulgarischem  Reiche. 
Einer  von  diesen,  ...  im  ßanat  .  . .,  ist  als  von  dem  bulgarischen 


70 

Bistum    von    Vidin    abhängig   bezeugt".      (D.  Onciul,    Diu   Istöria 
Roinäniei,  Buc,  Socec,   1909,  S.  16). 

Anmerk.  Würde  sich  der  in  diesem  Paragraph  ver- 
folgte Gedankengang  als  richtig  erweisen,  dann  könnte 
man  noch  manche  Vermutungen  aufstellen.  Die  Sprache 
der  Siebenbürger  Rumänen  weist  oft  merkwürdige  Doppel- 
formen auf.  Während  beispielsweise  die  -BULUM-Ableitungen 
auf  dem  ganzen  von  Rumänen  bewohnten  Gebiet  synkopiert 
erscheinen,    und    über   -blum  >  id  werden:    stab'luai  > 

Staul,    *SUß'LUM   ^   sul,    SUB^LA   >>   Sulä,    *EXCUB^LA.KE   >>   SCtl- 

lare,  *FIbYakia  >  fiiilare,  *SUb'liciuUS  >  siileget,  TUb'lus 
>  arom.  tul  (Papahagi,  Nötige  etünologice,  45)  (vgl.  auch 
*deb[i]lare  >  däulä),  haben  wir  im  Norden  und  Osten 
von  Siebenbürgen,  nicht  siatil,  sondern  siaur  (bezeugt  für 
Reteag,  am  Some§  [Pop.  Reteganul,  Pove^ti  IV,  15 — 16, 
und  für  Sämpetru  im  Doboca-er  Komitat  Jorga,  Siudii  p 
documente  XIII,  252]  und  in  dem  Ausdrucke  S/mcrile  florilor, 
auch  in  Häghic  im  Osten,  im  Komitat  Trei-scaune),  welches 
die  Übergänge  stabülum  >  stauru  voraussetzt.  Ebenso 
finden  wir  neben  allgemeinen  ceresia  >>  cirea^ä,  auf  einem 
kleinen  Gebiet  im  Südosten  Siebenbürgens  von  Kronstadt 
nach  Schässburg  und  Vama-Buzäului  (vgl.  Weigands  Normal- 
wort 41)  die  Form  cera^ä,  welche  nicht  aus  jener  ent- 
standen sein  kann  (vgl.  Co?ivorbtri  literare  XXXIX,  317  ff.), 
sondern  auf  cerasea  zurückgehen  mufs.  Nun  sind  aber 
STABULUM,  GERAS-  die  klassischen  Formen,  gegenüber 
ST  ABLUM,  CERES-,  diejenigen,  welche  die  volkstümliche 
Aussprache  wiedergeben.  Wir  wissen  aber,  dafs  gerade 
der  Norden  und  der  Osten  von  Siebenbürgen  zur  Römer- 
zeit nicht  in  dem  Mafse  romanisiert  war,  wie  der  Westen; 
es  scheint,  dafs  sich  die  Dakpr  dorthin  geflüchtet  hatten 
und  dafs  —  nach  den  oben  erwähnten  zwei  Fällen  zu 
urteilen  —  eine  spätere  Romanisierung  unternommen  und 
z.  T.  auch  durchgeführt  wurde,  indem  die  Behörden  ihre 
Amtssprache  —  damals  noch  das  klassische  Latein  — 
durchzusetzen  wufsten.  Das  könnte  auch  für  spätere  Zeiten 
eine  Erklärung  dafür  abgeben,  dafs  die  Dakorumänen  im 
Osten,  und  hauptsächlich  im  Norden  des  Gebietes,  als 
Fortsetzer  einer  nicht  in  demselben  Verhältnis  zu  den 
römischen  Behörden  stehenden  Bevölkerung,  wie  im  organi- 
sierten Westen,  Gruppen  abgaben,  die  mehr  für  sich  ab- 
geschlossen waren  und  einen  weniger  regen  Verkehr  mit 
der  nach  Süden  ausgewanderten  offiziellen  Römerherrschaft 
pflegten.  Für  die  letztgenannten  Gegenden  ist  beispiels- 
weise das  Wort  fara  „Geschlecht"  (in  der  Gegend  von 
Ha^eg,  Revista  criticä  III,  153,  auch  bei  Petru  Maior,  htoria 
202,  238)    recht   charakteristisch.     Es   ist    dies    das  longo- 


71 

bardische  fara  (Paul.  Diac.  2,  g)  „Nachkommenschaft, 
Familie",  das  ziemlich  früh  ins  Norditalienische  ein- 
gedrungen ist,  von  da  aber  den  Neugriechen  und  Albanesen 
übermittelt  wurde,  von  welchen  das  Wort  zu  den  Bulgaren 
und  den  Rumänen  auf  der  Balkanhalbinsel  drang  (heute 
noch  bei  den  Aromunen  sehr  gebräuchlich)  und  von  diesen 
zu  den  mit  ihnen  im  regen  Verkehr  stehenden  Dako- 
rumänen  in  dem  westlichen  Siebenbürgen. 

14.  Bisher  wurde  eine  wichtige  Frage  noch  nicht  erörtert,  es 
ist  die  Zeitfrage,  über  die  nun  am  Schlüsse  dieser  Abhandlung 
einiges  gesagt  werden  soll.  Auch  in  dieser  Hinsicht  sind  wir  nicht 
in  der  Lage  präzise  Angaben,  weder  aus  dem  geschichtlichen,  noch 
aus  dem  sprachlichen  Material  zu  gewinnen,  doch  läfst  sich  aus  beiden 
zugleich  ein  annähernd  richtiges  chronologisches  Bild  gewinnen. 

In  der  Einleitung  zu  seinem  Linguistischen  Alias,  Sp.  8,  setzt 
Weigand  das  Urrumänische  zwischen  das  „VIL  und  IX.  Jahr- 
hundert". Das  ist  die  Zeit,  wo  das  Rumänische  noch  nicht  in  die 
heutigen  Dialekte  gespalten  war  und  gleichzeitig  jene  besonderen 
IMerkmale  besafs,  die  „sowohl  von  den  vulgärlateinischen,  als  auch 
von  den  übrigen  romanischen  verschieden  waren".  Diese  Auf- 
fassung trägt  allerdings  den  beiden  Hauptmomenten  Rechnung,  die 
im  Worte  selbst  zum  Ausdrucke  kommen,  sowohl  der  Vorsilbe  Ur- 
als auch  dem  Worte  rumänisch.  Nur  möchte  ich  etwas  vor- 
sichtiger sein,  und  die  Grenzen  nicht  so  scharf  ansetzen,  nicht  nur 
weil  sie  noch  nicht  als  richtig  bewiesen  worden  sind,  sondern  weil 
sie  höchst  wahrscheinlich  nie  bewiesen  werden  können. 

Vor  allem  möchte  ich  die  untere  Grenze  ganz  offen  lassen, 
denn  wie  das  Bild  einer  „Wiege"  zu  falschen  Vorstellungen  Anlafs 
geben  kann,  ebenso  ist  es  verfehlt  ein  neugeborenes  Kind  in  sie 
legen  zu  wollen.  Eine  lebende  Sprache,  die  der  Entwicklung  fähig 
ist,  repräsentiert  zu  allen  Zeiten  nur  Cbergangsstufen  und  wir  haben 
kein  Recht  diese  oder  jene  Entwicklungsphase  als  ihren  Anfang  zu 
bezeichnen.  Es  wäre  ebenso  willkürlich  zu  sagen:  die  rumänische 
Sprache  beginnt  in  dem  Augenblicke.  v,-o  man  das  a  als  ä  aus- 
sprach, weil  dies  für  die  Kenner  der  übrigen  romanischen  Sprachen 
eines  der  charakteristischen  Merkmale  des  Rumänischen  ist,  wie 
wenn  man  sagen  würde,  ein  Knabe  wird  zum  Manne,  wenn  ihm 
der  Schnurrbart  wächst.  Für  diejenigen,  die  um  jeden  Preis  einen 
Anfang  der  rumänischen  Sprache  datiert  wissen  wollen,  mag  er  in 
jene  Zeit  angesetzt  werden,  wo  das  Wort  komanus  >  riimän 
wurde;  für  eine  wissenschaftliche  Betrachtung  ist  eine  solche  Grenze 
nach  unten  überhaupt  nicht  aufstellbar  und  auch  gar  nicht  nötig; 
im  VII.  Jahrhundert  war  das  Rumänische  nichts  anderes  als  heute: 
die  Sprache  einer  romanisierten  Bevölkerung  in  einem  bestimmten 
Zeitpunkte  ihrer  Entwicklung. 

Wenn  wir  die  Grenze  nach  unten  offen  lassen,  so  brauchen 
wir  bei  der  Definition  des  Urrumänischen  einen  besonderen  Nach- 


72 

druck  nur  auf  die  Vorsilbe  ur-  zu  legen,  und  zu  sagen,  wie  wir 
es  sclion  im  §  l  getan:  Wir  nennen  urrumänisch  die  Sprache  der 
Vorfahren  der  heutigen  Dakorumänen,  Aromunen,  Meglcniten  und 
Istrorumänen  (vielleicht  auch  anderer,  im  Laufe  der  Zeit  ent- 
nationalisierter Gruppen),  bevor  der  Verkehr  unter  ihnen  gänzlich 
abgebrochen  war.  Welches  ist  diese  Zeit  gewesen?  Weigand 
setzt  das  IX.  Jahrhundert  an.  Dagegen  glaubt  Sandfeld-Jensen, 
dafs  die  Ersetzung  des  Infinitivs  durch  Konjunktivsätze,  vom 
Griechischen  ausgehend,  im  Rumänischen  erst  „zwischen  looo — 
I200"  eintreten  konnte  {Jahresbericht  IX,  125).  Schon  aus  diesen 
zwei  Datierungen  geht  hervor,  wie  weit  die  Ansichten  auseinander 
gehen  können. 

Die  Lehnwörter  fremden  Ursprungs  im  Rumänischen  können 
in  mancher  Hinsicht  die  zeitlichen  Verhältnisse  des  Urrumänischen 
beleuchten.  Vor  allem  sahen  wir,  dafs  so  gut  wie  alle  wichtigsten 
Lautübergänge  des  Rumänischen  älter  sind,  als  die  slavischen 
Lehnwörter,  denn  diese  konnten  sie  nicht  mehr  mitmachen.  Diese 
Erkenntnis  ist  sehr  wichtig,  da  wir  doch  wissen,  wann  die  Slaven 
in  diesen  Gegenden  erschienen  sind.  Wenn  wir  auch  annehmen, 
dals  nach  der  Niederlassung  der  Slaven  in  dem  von  Rumänen  be- 
wohnten Gebiet,  einige  Zeit  verstreichen  mufste,  bis  es  zum  sprach- 
lichen Austausch  zwischen  beiden  Völkern  kam,  so  können  wir 
doch  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  das  VII.  Jahrhundert  als  die 
Zeit  betrachten,  die  den  Abschlufs  für  die  meisten  Lautwandlungen 
des  Urrumänischen  bedeutet.  Dagegen  ist  der  albanesische  Ein- 
flufs  viel  älter  und  die  rumäno-albanesischen  Beziehungen  müssen 
sehr  eng  gewesen  sein,  da  die  albanesischen  Lehnwörter  im 
Rumänischen  die  ältesten  Übergänge  mitmachen,  so  H  >  ts  [k'af£ 
>  ceafa)  ^>  (d)z  (^^üm-  y^  jumäiate),  l^  r  (vjedule,  0iimbul, 
raugui,  dale,  vale,  mal  >  viezure,  sämbure,  mugtir,  zarä,  vare-,  mar  (?)', 
vgl.  Convorbiri  literare,  XXXIX,  309  ff.),  und  in  manchen  Punkten 
dieselbe  lautliche  und  semasiologische  Entwicklung  des  lateinischen 
Bestandteiles  zeigen  (so  den  Schwund  von  intervok.  b  und  v,  den 
Übergang  von  [rumänisch  unbetontem]  a«  ]>  a,^  071  ]>  an,  -n-  ]>  -r- 
usw.  Vgl.  Sandfeld-Jensen,  Grimdrifsl'^,  ^2"]  ii).  Alle  diese  nach- 
weislich vorslavischen  Entwicklungen  des  Rumänischen  sind  allen 
vier  Mundarten  gemein.  Daraus  folgt  (wenn  es  wahr  ist,  dafs  sich 
das  rumänische  Volk  in  Dakien  und  auf  der  Balkanhalbinsel  zu- 
gleich entwickelt  hat),  dafs  vor  dem  Auftreten  der  Slaven  der  Ver- 
kehr zwischen  dem  linken  und  dem  rechten  Donauufer,  trotz  der 
Völkerwanderung,  die  auf  der  Balkanhalbinsel  nicht  weniger  wie 
in  Dakien  gewütet  hatte,  ein  so  reger  war,  dafs  sich  die  Sprache 
hüben  und  drüben  in  verhältnismäfsig  gleichartiger  Weise  ent- 
wickeln konnte. 

Dieser  Verkehr    scheint   sich    erst   später    gelockert   zu  haben, 
als   die   slavischen  Massen   immer   dichter   wurden.     In  dieser  Zeit 


^  Convorbiri  literare,  XLIV,  I,  468. 


73 

dürften  die  meisten  in  den  vorhergehenden  Paragraphen  angeführten 
sprachlichen  Neuerungen  entstanden  sein.  Es  liegt  in  der  Tat  kein 
Grund  vor,  die  Übergänge  von  p  '^  k'  usw.,  (e  //  («<  te,  tl)  >>  /ä, 
(ä,  re,  ri  >  ra,  rä,  sowie  die  Veränderung  von  eti  läudä  in  eu 
läudarn,  adwiari  in  adunäri  in  einen  früheren  Zeitabschnitt  zu  ver- 
setzen, denn  auch  die  slavischen  Lehnwörtern  machen  sie  mit. 
Andererseits  erweisen  sie  sich  im  Rumänischen  selbst  als  ziemlich 
spät,  und  die  altrumänischen  Texte  zeigen  uns,  wie  sie  erst  in 
historischer  Zeit  an  Gebiet  gewinnen.  Die  Tatsache,  dafs  sie  im 
Dakorumänischen  so  langsam  oder  noch  gar  nicht  zur  Verall- 
gemeinerung gelangt  sind,  würde  sich  gerade  dadurch  erklären, 
dafs  sie  die  Donau  in  ziemlich  später  Zeit  überschritten  hatten, 
als  der  Verkehr  nicht  mehr  so  rege  war  wie  früher.  Auch  die 
Überschreitungsstellen  waren,  wie  im  §  13  gezeigt  wurde,  nicht  die- 
selben: atid  anstelle  von  auz,  welches  vom  01t  westlich  zuhause 
ist,  dürfte  früher  nach  Norden  gelangt  sein,  als  die  Palatalisierung 
der  Labialen,  die  auffallend  spät  belegt  ist  und  auch  durch  die 
östlich  von  Arges  gelegene  Übergangsstelle  sich  als  jung  erweist: 
in  diesen  Gegenden  ist  eine  rumänische  Bevölkerung  erst  ziemlich 
spät  bezeugt. 

Diese  selbe  östliche  Gegend  würde  auch,  nach  den  Aus- 
führungen Sandfeld- Jensens  über  die  Ersetzung  des  Infinitivs  durch 
Konjunktivsätze  am  ehesten  als  Übergangsstelle  zu  den  linksuferigen 
Rumänen  in  Betracht  kommen,  denn  die  Erscheinung  ist  im 
Serbischen  ziemlich  jung  [a.  a.  O.121),  im  Nordalbanesischen  ist 
der  Infinitiv  noch  erhallen  (a.a.O.  116),  während  bei  Bulgaren 
und  Rumänen  die  Ersetzung  am  weitesten  (je  mehr  man  nach 
Süden  geht)  gediehen  ist.  Die  Richtung  dieser  Neuerung  ist  also 
diejenige  von  Südwesten  nach  Nordosten  gewesen.  Zeitlich  dürfte 
sie,  wie  erwähnt,  „zwischen  1000  und  1200"  im  Rumänischen 
zu  datieren  sein.  Um  diese  Zeit  fällt  gerade  die  Gründung  des 
„walacho-bulgarischen"  Reiches  (11 36 — 1257)  und  wir  wissen  dafs 
„die  ersten  Assaniden,  deren  Heere  hauptsächlich  aus  ,Walachen 
und  Kumanen'  zusammengesetzt  waren,  in  ihren  Kämpfen  von 
ihren  Waffengenossen,  den  norddanubianischen  Walachen  und 
Kumanen  unterstützt  wurden.  In  dieser  Art  sind  die  linksuferigen 
Rumänen  in  innigere  Beziehungen  mit  den  rechtsuferigen  Bulgaro- 
walachen  getreten,  mit  denen  sie  schon  durch  ihre  politischen  und 
kirchlichen  Banden  von  früher  her  vereint  waren"  (Onciul,  Din 
Istoria  Roinäiiiei,  S.  18 — ig). 

Die  vollständige  Trennung  der  Urrumänen  in  die  heutigen 
Gruppen  dürfen  wir  uns  nicht  als  die  Folge  einer  Auseinander- 
sprengung durch  die  Invasion  der  Slaven  vorstellen.  Das  ge- 
meinsame slavische  Lehngut  in  allen  vier  Dialekten  ist  ein  Beweis, 
dafs  die  Urrumänen  lange  Zeit  mit  den  Slaven  zusammengelebt 
haben.  In  diesen  Zeiten,  wo  von  einem  Nationalgefühl  nicht  die 
Rede  sein  konnte,  fühlten  sich  die  Rumänen  und  die  Slaven,  die 
dieselbe  Religion  und  eine  gemeinsame  Kirche,  dieselbe  Beschäftigung 


74 

und  die  gleichen  Interessen  hatten,  nicht  als  zwei  verschiedene 
Völker.  Nur  die  Zeit  und  die  staatlichen  Organisationen  südlich 
von  der  Donau  brachten  eine  endgültige  Trennung  mit  sich.  Dort 
verloren  die  Rumänen  allmählich  ihre  Sprache  und  wurden  Slaven, 
hier  gingen  die  Slaven  in  dem  Meere  der  Rumänen  unter.  Wir 
haben  es  also  mit  einem  natürlichen  Entnationalisierungsprozefs  zu 
tun,  dessen  Resultat  die  slavischen  Staaten  jenseits  und  die  ru- 
mänischen diesseits  der  Donau  sind.  Die  Megleniten  scheinen  die 
letzten  Überreste  der  einst  mit  den  Bulgaren  zusammenlebenden 
Rumänen  zu  sein,  die  am  spätesten  den  Verkehr  mit  ihren  Stammes- 
verwandten nördlich  der  Donau  verloren.  Dagegen  müssen  sich 
die  Aromunen  bedeutend  früher  von  der  grofsen  Masse  der  Ru- 
mänen losgelöst  haben.  Sie  scheinen  heute  nicht  auf  ihren  einstigen 
Wohnsitzen  zu  leben,  sondern  durch  die  Slaven  weiter  nach  Süden 
verdrängt  worden  zu  sein.  Ihre  Sprache  zeigt  deutlich  die  Spuren 
einer  früheren  Isolierung  von  dem  Gros  der  Rumänen,  denn  wir 
haben  megleno-istro-dakorumänische  Übereinstimmungen,  die  den 
Aromunen  nicht  mehr  bekannt  sind.  Auch  der  alte  slavische  Ein- 
schlag in  ihrer  Sprache  ist  geringer,  als  in  den  übrigen  Mund- 
arten. Was  die  Istrorumänen  anlangt,  so  dürften  sie  sich  aus  dem 
westlichen  Teil  des  Dakorumänischen  losgelöst  haben  und  zwar 
früher  als  hier  ein  ungarischer  Einflufs  begann,  also  kaum  nach  dem 
XI — XII.  Jahrhundert,  und  als  Wanderer  bis  in  ihre  jetzigen  Wohn- 
sitze gelangt  sein.  Ihr  Los,  —  sie  sind  dem  Aussterben  geweiht 
—  gleicht  dem  Schicksal  der  schon  entnationalisierten  Rumänen 
in  Galizien  und  Mähren  und  zeigt  uns,  was  ungefähr  die  Dako- 
rumänen  erwartet  hätte,  wären  sie  nur  als  Hirten  aus  der  Balkan- 
halbinsel eingewanderte  Walachen  gewesen. 

An  merk.  Eine  genauere  Kenntnis  des  fremden  Be- 
standteiles der  rumänischen  Sprache  wird  uns  sicherlich 
noch  manche  Aufklärung  über  die  Wohnsitze  der  Urrumänen 
geben.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit  verdienen  haupt- 
sächlich jene  Sprachveränderungen,  die  über  das  Gebiet 
der  einen  Sprache  in  die  andere  greifen,  so  die  albano- 
rumänischen  Übereinstimmungen  in  der  Behandlung  des 
lateinischen  Elementes  und  die  nicht  minder  auffälligen 
gleichen  Entwicklungen  des  Bulgaro-rumänischen  (vgl.  letzthin 
Weigand,  Jahresbericht  XV,  155!!.).  Sie  zeigen  vor  allem, 
wie  wenig  sich  solche  zusammenlebende  Völker  als  national 
verschieden  fühlten:  der  Übergang  von  unbetontem  a  in 
ä  kennt  keinen  Unterschied  zwischen  Rumänen,  Albanesen 
und  Bulgaren,  sondern  hat  sich  über  das  gesamte  von 
diesen  Nationen  bewohnte  Gebiet  verbreitet,  so  wie  sich 
eine  Riesenwelle  über  den  Strand  ergiefst.  Auch  die 
gänzlich  vernachlässigte  Ortsnamenkunde  ist  berufen,  manches 
Licht  auf  diese  strittigen  Fragen  zu  werfen.  Sie  hat  viele 
Rätsel  zu  entwirren,  vor  allem  mufs  sie  klarstellen,  warum. 


75 

weder  in  Dakien,  noch  auf  der  Balkanhalbinsel,  kein 
einziger  der  aus  der  Römerzeit  bezeugten  Flufsnamen 
(aufser  etwa  Cri^)  heute  die  Gestalt  aufweist,  die  den 
rumänischen  Lautregeln  entspräche.  Das  Fehlen  der  Städte- 
namen ist  erklärlich.  Auch  wird  sie  demjenigen,  der  sich 
zur  Aufgabe  macht,  die  Wohnsitze  der  Rumänen  im  frühen 
ßlittelalter  festzustellen,  eines  der  wichtigsten  Hilfsmittel 
abgeben.  Dies  war  aber  nicht  der  Zweck  meiner  Ab- 
handlung. 

Czernowitz,  im  Dezember  190g. 

Sextil  Puqcariu. 


Das  to -Partizip  im  Altromanischen. 

Ein  Bcilrai;  zur  Lehre  vom  syntaktischen   Wandel. 

Tutto  Valtro  e  bestiale,  ragion  fallita. 
Guittone  d'Arezzo. 

Abkürzungen 

(soweit  sie  nicht  selbstverständlich  oder  allgemein  gebräuchlich  sind). 

AI.     Alexiusleben  L.     Foerster  u.  Koschwitz,    Altfranzösisches   Übungsbuch 2. 

Leipzig  1902. 
Alex.     Li  romans  d'Alixandre     Stuttgart,  Litt.  Ver,   1846. 
Alex.-fr.     Foerster  u.  Koschwitz,  altfr.  Übungsb.^     Sp.  238 — 242. 
B.ign.  Pozz.     I  bagni  di  Pozzuoli  im  Arch.  stör,  per  le  prov.  napol.  XL  597. 
Bai.  Jos.     Gui  von  Cambrai,   Balaham  und  Josaphas,  hsg.  von  Appel.    Halle 

1907. 
Best.     Le  Bestiaire  de  Philippe  de  Thäun,  p.  p.  Walberg.  s.  a. 
BLLfr.     Bartsch-Horning,  La  langue  et  la  litterature  franqaises  depuis  IcXIes. 

jusqu'au  XIV e  s.     Paris  1887. 
Bonv.     S.Job,  AI.,  Laud.,  DRV  (Disputatio  Rosae  cum  Viola),  DMF  (Dispu- 

tatio  Muscae  cum  Formica)  p.  p.  Becker,  Monatsberichte  der  Berliner 

Akademie  1850,  i. 
„  3  scr.,  VlgV,   II   libro    delle  Tre  Scritture  e  il  Volgare    delle  Vanitä 

di  Bonvesin  da  Riva  p.  p.  V.  de  Bartholomaeis,  Rom  1901. 
CAj.     Cancioneiro  da  Ajuda  p.  p.  Michaelis  de  Vasconcellos,  Halle,  Niemeyer, 

1904. 

C.  d'A.     Carta    de    Logu    de    Arborea,  p.  d.  E.  Besta    e   P.  E.  Guarnerio,   S.- 

Abdr.  aus  Studi  Sassaresi  III.     Sassari  1905. 
Chr.  de  Tr.  Phil.     Chretien  de  Troyes,  Philomena,  Ed.  critique  par  C.  de  Boer, 

Paris  1909. 
CNA     Bibliotheca  roraanica  71,  72  (Cento  novelle  antiche). 
CP     II  Condaghe  di  San  Pietro  di  Silki,  p.  d.  Dr.  G.  Bonazzi,  Sassari-Cagliari 

1900. 
CSM     Cantigas  de  Santa  Maria  p.p.  L.  de  Cueto  Madrid  1891. 
CVC     Le  Carte  Volgari  dell'  Archivio  arcivescovile  di  Cagliari  p.  d.  A.  Solmi. 

SA.  aus  dem  Archivio  Storico  Italiano.     Florenz  1905. 

D.  Dante,  la  Divina  Commedia. 

Docum.  lingu.     Documents  linguistiques  du  Midi  de  la  France,  p.  p.  Paul  Meyer, 
Paris  1909. 


77 

Est.  Tr.     Estoria  Troy3a,  Extiaits  du  Ms.  de  la  Bibliolheque  de  Madrid,  p.  p. 

J.  Coinu. 
FG     Poema   de  Fernan  Gon^rilez   p.  p.  C.  Carroll  Marden,   Baltimore  1904. 
Gir.  Fat,     Das   Spruchgedicht   des    Girard  Pateg   von  A.  Tobler  aus  den  Abh. 

der  preufs.  Akad.     1886. 
Gorm.     Fragment    de   Gormund    et   Isembard,    p.  p.  Heiligbrodt.     Romanische 

Studien  III. 
Lap.     Pannier,   les  Lapidaires    fran?.  au   moyen   äge.     (ßibl.  de  l'Ec.  d.  H.  Et. 

Fase.  52).     Paris  1SS2. 
LE     O  Livro  de  Esopo  p.  p.  Dr.  J.  Leite  de  Vasconcellos.     Lisboa  1906. 
Marg.     Eine   altlombardische    Margarethen- Legende,    hsg.  von    Berlh.  Wiese. 

Halle  a.  S.   1890. 
Men.  R.     Rdcits  d'un  Menestrel  de  Reims  p.  p.  N.  de  Wailly.     Paris  1876. 
Mulom.     Claudii  Hermeri  Mulomedicina  Chironis.  ed.  E.  Oder,  Leipzig,  Teubner 

1901. 
Myst.  prov.     Mysteres  provcn^aux  du  XV  e  si^cle  p.  p.  A.  Jeanroy  et  H.  Teulie, 

Toulouse  1893.     (Bibl.  nierid.  Ire  s.  Tome  III). 
IV  P.     IV  Poemetti  sacri  dei  secoli  XIV o  e  XVo  p.p.  Dr.  Er.  Percopo,  Bol. 

1885  (Scelta  di   curios.  lett.,  Disp.  CCXI). 
PC     Poema  del  Cid,  hsg.  von  Karl  Vollmöller,  Halle  a.  S.   1879. 
RD     Das  Liederbuch  des  Königs  Denis  von  Portugal,  hsg.  von  Henry  R.  Lang. 

Halle  a.  S.  1894. 
Rp,     Reimpredigt  hsg.  von  Hermann  Suchier  (Bibl.  Norm.  I.),  Halle  a.  S.  1879. 
SA     Sancta  Agnes  p.  p.  Karl  Barisch,  Berlin  18Ö9. 
SF     Sancta  Fides  p.  p.  Leite  de  Vasconcellos.     Romania  XXXI  179  ff. 
Sim.  Fr.     Les    ceuvres    de    Simund    de    Freine,    p.  p.  J.  E.  Matzke,   Paris  1909 

(Soc.  Anc.  T.). 
StC     Statuto  di  Castelsardo  p.  d.  E.  Besta  in  Archivio  Giuridico  Serafini  LXII 

(N.  S.  3)  p.  305  ff. 
StS     GH  Statuti   della  Repubblica  sassarese,    p.  d.  Guarnerio  in  Arch.  glottol. 

XIII  p.  iff. 
Sydr.  Otr.     Un'  antica  Versione  del  'Libro  di  Sydrac'  p.  d.  V.  de  Barlholomaeis, 

ebenda  XVI,  50  ff. 
Td.  oder  Tard.     Monuments    historiques.     Archives    de   l'Empire    p.  p.  Tardif. 

Paris. 
7  W     Die  katalanische  metrische  Version  der  sieben  weisen  Meister,  hsg.  von 

Adolf  Mussafia.    (Aus  den  Denkschr.  der  Wiener  Ak.  XXV.  ph.-h.  Kl.). 


Bei  der  Frage  nach  dem  Warum  der  sprachlichen  Wandlungen 
sind  es  gewifs  die  syntaktischen  Probleme,  die  uns  die  gröfsten 
Schwierigkeiten  in  den  Weg  stellen.  Die  Gründe  dafür  sind 
mannigfach.  Da  ist  zunächst  die  Unbestimmtheit  des  Begriffs 
Syntax  und  syntaktische  Erscheinung  überhaupt  und  die  schwankende 
Grenze,  die  sie  von  den  andern  Gebieten  des  Sprachlebens  trennt. 
Gegen    verschiedene    andere    Zweige    wie    Formenlehre,    Lexikon, 


78 

Wortbildungslehre  scheiden  sie  ja  eigentlich  nur  negative  Merkmale. 
Diese  Gebiete  lassen  sich  noch  so  ungefähr  begrenzen;  und  was 
nicht  da  hineingehört  und  doch  mit  dem  Ausdruck  der  Ideen  in 
Bezieliung  steht,  gehört  eben  in  das  Gebiet  der  Syntax.  Das  Gebiet 
der  Stilistik  können  wir  als  ein  Teilgebiet  der  Syntax  auffassen; 
jedenfalls  hängt  sie  mit  ihr  auf  das  innigste  zusammen,  i  —  Mit 
b.  diesem  Punkt  in  Zusammenhang  steht  die  zweite  Schwierigkeit,  der 
fortwährende  Wechsel  des  Standpunkts,  den  die  syntaktische  Be- 
trachtung erfordert,  bald  von  dem  sprachlich  gegebenen  Material, 
bald  von  der  auszudrückenden  Idee  aus,  zwei  ganz  disparate  Dinge, 
von  denen  leider  nur  das  erste  direkt  fafsbar  und  beobachtbar  ist. 
Wo  die  gedanklichen  Substrate  bekannt  und  unverrückbar  sind: 
etwa  Verknüpfung  von  Sachbegriffen  mit  der  Idee  der  Mehrheit, 
Verknüpfung  einer  Handlung  mit  der  Idee  der  Subjektsperson  oder 
mit  einer  Zeitidee,  da  hat  man  leichtes  Spiel.  Es  sind  für  diese 
Ideen  gewisse  Ausdrucksmittel  da:  Pluralendungen,  Personalendungen, 
Temporalendungen  usw.  und  es  bleibt  nur  die  Frage  übrig,  wie 
sich  von  mehreren  gleichwertigen  Ausdrucksraitteln  jedes  einzelne 
auf  den  Sprachstoff  verteilt;  und  die  Wandlungen,  die  man  da  be- 
obachtet, machen  eben  den  Gegenstand  der  Flexionslehre  aus,  die 
sich  leicht  nach  diesen  unverrückbaren  Ideenkategorien  einteilen 
und  behandeln  läfst.  Aber  die  Ideenkategorien  bleiben  häufig  nicht 
unverrückt  und  wo  sie  sich  verrücken,  hat  man  auf  zweierlei  zu 
achten:  auf  die  Ursache  der  Veränderung  der  Idee  und  auf  die  der 
veränderten  sprachlichen  Form.  Wenn  Perf.  bätiuit  durch  haticdit 
ersetzt  wird,  so  kann  man  das  Gedankliche  als  un verrückt  setzen 
und  um  hattedit  zu  erklären,  wird  man  einfach  Umschau  nach  dem 
andern  sprachlichen  Material  halten,  das  uns  -aUt  zeigt,  und  das 
gleiche  Gedankenverhältnis,  das  z,  B.  zwischen  perdit  :  perdedit  und 
baitidt  (Präsens)  :  hattedit  besteht,  heranziehen.  Wenn  aber  nun 
an  einer  Stelle,  wo  früher  Perf  hattuit  oder  hattedit  oder  hattivit  ge- 
sagt wurde,  später  habet  hattiäu  erscheint,  so  kommt  aufser  der 
Suche  nach  dem  analogischen  Anknüpfungspunkt,  die  auch  hier 
vorgenommen  werden  mufs,  die  Frage  in  Betracht:  wieso  kommt 
es,  dafs  habet  -\-  Part,  (entweder  bei  hattere  oder  bei  den  Fällen, 
wonach  sich  dies  gerichtet  hat),  das  doch  etymologisch  etwas  ganz 
anderes  bedeutet,  nun  in  der  Funktion  eines  einfachen  Präteritums 
erscheint?  Wo  wir  wieder  andrerseits  das  sprachliche  Ausdrucks- 
mittel selbst  als  etwas  unverrückbares  betrachten,  läfst  sich  an- 
geben, dem  Ausdruck  welcher  Gedanken  es  dient,  d.  h.  welche 
Bedeutungen  es  hat  und  wie  sich  diese  Bedeutungen  untereinander 
verbinden  und  auseinander  ableiten  lassen.  Und  das  tut  das  Lexikon 
und  z.  T.  die  Wortbildungslehre  bei  den  stofflichen  Ausdrucks- 
mitteln.    Aber   der  Grund  der  Bedeutungsverschiebungen  läfst  sich 


1  Eine  Definition  der  Stilistik  habe  ich  Zs.  f.  frz.  Spr.  XXIX^  S.  281 
zu  geben  versucht,  dabei  aber  mehr  auf  die  praktische  als  auf  die  theoretische 
Seite  Rücksicht  genommen.     Eiue  umfassendere  Begrifisbestimmung  s.  u.  S.  84. 


79 

zum  grofsen  Teil  erst  erkennen,  wenn  wir  das  Wort  in  den  Ver- 
bindungen, in  denen  es  vorkommt,  beobachten  und  diese  Ver- 
bindungen sind  wieder  nichts  unverrückbares,  sondern  etwas  ewig 
wechselndes  und  so  gehört  auch  diese  Seite  des  Bedeutungswandels 
der  Syntax  an:  die  Bedeutungsveränderung  von  estrange  'fremd' 
>>  'sonderbar'  können  wir  vielleicht  auch  ohne  weitere  Nachforschung 
verstehen  (vgl.  Littbl.  f.  g.-r.  Ph.  1902,  Sp.  180),  weil  uns  die  Ver- 
bindungen, in  denen  das  Wort  vorkommt,  auch  ohne  weiters  ge- 
läufig und  gegenwärtig  sind;  wenn  aber  mortu  'tot'  in  den 
romanischen  Sprachen  die  Bedeutung  'getötet'  annimmt,  so  wissen 
wir  zwar,  dafs  die  Bedeutungen  so  verwandt  sind,  dafs  sich  die 
zweite  aus  der  ersten  ableiten  läfst,  den  Grund  des  Wandels  ver- 
stehen wir  aber  erst,  wenn  wir  die  sprachlichen  Formen,  in  denen 
das  Wort  auftritt,  genau  beobachten  und  untersuchen  (vgl.  112).^ 
Aber  die  Sprache  hat  nicht  nur  stoffliche  Ausdrucksmittel,  die 
sich  lexikalisch  buchen  lassen;  daneben  kommen  ja  eben  die  ver- 
schiedenen Verbindungen  der  sprachlichen  Stoffelemente  in  Betracht, 
wie  sie  zunächst  dazu  dienen  die  Verbindung  von  gedanklichen 
Elementen  auszudrücken,  dann  aber  als  Verbindungen  gewohnheits- 
mäfsig  werden  und  erstarren  und  so  eben  formelle  Ausdrucks- 
mittel bilden,  die  mit  der  Zeit  andere  gedankliche  Verbindungen 
oder  Elemente  ausdrücken,  als  sie  ursprünglich  besagen,  ja  vielleicht 
nun  auch  die  Möglichkeit  des  Ausdrucks  gewisser  ideeller  Nüanzen 
schaffen,  die  dann  wieder  verwandte  oder  analoge  andere  Nüanzen 
ermöglichen,  für  die  eine  neue  sprachliche  Form  geschaffen  wird. 
Dabei  sind  diese  formellen  Ausdrucksmittel  sehr  verschiedener  Art:  Sie 
bestehen  entweder  in  der  blofsen  Aneinanderreihung  und  Stellung 
der  einzelnen  Elemente,  oder  in  der  Wahl  gewisser  flexi vischer 
Varianten,  oder  in  der  Setzung  und  Auswahl  (ev,  auch  Nicht- 
Setzung) gewisser  lexikaUscher  Elemente,  die  sich  eigens  heraus- 
gebildet haben,  um  gewisse  Kategorien  der  ideellen  Verbindung 
herzustellen,  bei  der  gesprochenen  Rede  auch  in  der  Wahl  des 
Akzents  und  Tons  (wofür  in  der  geschriebenen  das  dürftige  Surrogat 
der  Interpunktion  eintritt),  was  sich  alles  in  der  mannigfachsten 
Art  kombinieren  kann.  Diese  Formen  sind  nun  in  beständigem 
Flufs,  in  beständiger  gegenseitiger  Einwirkung,  gerade  wie  die 
Formen  des  Verbalsystems;  aber  auch  die  andre  Seite,  das  ideelle 
Substrat  bleibt  nicht  ewig  gleich:  Die  Tradition  der  bei  einer 
gewissen  Gelegenheit  ausgesprochenen  Gedanken  ändert  sich  wie 
jede  Tradition  und  wenn  schon  ziemlich  verschieden  ist,  was  jede 
Sprachgemeinschaft  oder  auch  eine  Sprachgemeinschaft  in  ver- 
schiedenen Epochen  als  gewohnheitsmäfsige  Ideen  und  Rlitteilungs- 
material  mit  sich  führt,  so  ist  beinahe  ganz  unabsehbar  verschieden, 
was  bei  der  einzelnen  Mitteilung  für  Nebenumstände  denkbar  oder 
vorhanden    sind,    die    gewohnheitsmäfsig    ausgedrückt    oder    ver- 


1  Kursive  Ziffern   gehen   auf  die  am  Rande  durchgerührte  I'aragraphen- 
ziihlung. 


8o 

schwiegen  werden.  Man  denke  nur  an  die  Bestimmtheit  oder  Un- 
bestimmtheit der  Sachbegriffe  (Artikel),  die  zeitHchen  Beziehungen 
der  Handlung  auf  die  Gegenwart  oder  auf  andre  Handlungen 
(Tempora  und  Aktionsstufen)  u.  v.  a. 

c.  Und  damit  kommen  wir  auf  einen  weitern  Punkt,  der  die 
syntaktischen  Probleme  so  schwierig  macht,  die  Vieldeutigkeit  der 
Rede.  Wir  sind  nie  sicher,  welche  und  wie  viel  Nebenumstände 
der  Sprechende  in  seiner  Rede  wirklich  enthalten  wissen  will,  wir 
können  Nebenumstände  hineinlegen,  die  nicht  beabsichtigt  waren, 
wir  können  Nebenumstände  vernachlässigen,  die  beabsichtigt  waren. 
Diese  Nebenumstände,  um  die  die  Auffassung  des  Hörenden  von 
der  des  Sprechenden  differiert,  können  sich  aber  im  Lauf  der  Zeit 
summieren  und  wichtig  werden  und  so  hat  die  Forschung  alles 
Interesse  daran,  ihre  Entwicklung  schrittweise  zu  verfolgen,  soweit 
das  eben  möglich  ist.  Nun  ist  aber  die  Sicherheit,  mit  der  man 
der  Rede  des  Sprechenden  den  gewollten  Sinn  beilegt  —  man 
nennt  diese  Sicherheit  Sprachgefühl  —  selbst  der  Muttersprache 
gegenüber  nicht  absolut,  nicht  vollkommen,  um  so  weniger  fremden, 
später  gelernten  Sprachen  gegenüber  und  früheren  Zuständen  der 
eigenen  Sprache.  Dieser  Mangel  macht  sich  also  gerade  bei  der 
historischen  und  bei  der  vergleichenden  Sprachbetrachtung  un- 
angenehm bemerkbar,  bei  jener  Sprachbetrachtung,  die  gerade  zur 
Erklärung  der  Phänomene  die  notwendige,  ja  die  einzig  in  Betracht 
kommende  ist.  Auch  wenn  wir  in  irgend  einem  Denkmal  noch  so 
genau  in  den  Gesamtsinn  und  den  Zusammenhang  eingedrungen 
sind  und  wenn  wir  ihn  noch  so  scharf  erfafst  haben,  werden  wir 
über  den  genauen  Sinn  des  einzelnen  Wortes,  der  einzelnen  Formel 
häufig  im  unklaren  sein. 

d.  Eine  letzte  Schwierigkeit,  mit  der  die  syntaktische  Forschung 
zu  kämpfen  hat,  ist  der  Mangel  an  Übersicht  der  Erscheinung 
gegenüber.  Um  den  Gründen  einer  syntaktischen  Wandlung  nach- 
zugehen, müssen  wir  zunächst  die  Ausgangspunkte  der  Wandlung 
aufsuchen.  Nun  ist  aber  die  syntaktische  Erscheinung  in  ihrem 
Äufsern  zumeist  viel  mannigfaltiger  und  vielgestaltiger  als  die  morpho- 
logische; niemals  können  wir  darauf  rechnen  das  Material,  das  wir 
brauchen,  vollständig  zusammenzubekommen.  Oft  können  wir  für 
eine  syntaktische  Formel  hunderte  von  Beispielen  zusammenstellen 
und  davon  ist  fast  keines  ganz  so  gebaut  wie  das  andre.  — 

2,  So  sind  denn  schon  in  jeder  syntaktischen  Arbeit,  die  auf  die 

Gründe  der  Wandlungen  lossteuert,  die  Vorarbeiten  schwer,  in 
denen  man  hauptsächlich  zu  sondern  hätte,  was  Tradition  und  was 
neuentwickelt  ist.  Für  jene  gerade  vom  Standpunkt  der  allgemeinen 
Sprachwissenschaft  so  dankbaren  und  lehrreichen  Vorgänge,  die 
sich  zwischen  dem  Lateinischen  und  Romanischen  abgespielt  haben, 
allerdings  bleibt  einem  nun  diese  Vorarbeit  zum  grofsen  Teil  er- 
spart. Man  ist  nicht  mehr  darauf  angewiesen,  von  vorn  anzufangen, 
wie  man  es  wäre,  wenn  Sie  nicht  in  Ihrer  monumentalen  romanischen 


8i 

Syntax  gerade  diesem,  hier  so  hervorragend  wichtigen,  Punkt  eine 
erhöhte  Aufmerksamkeit  geschenkt  hätten.  Sie  haben  hier  zum 
erstenmal  die  historische  Methode  konsequent  auf  die  romanische 
Syntax  angewendet.  Zum  erstenmal  tun  wir  hier  einen  Blick  hinter 
die  Kulissen.  Hat  sich  die  bisherige  Forschung  im  grofsen  und 
ganzen  begnügt,  das  vorhandene  Material  zu  sammeln,  zu  ordnen 
und  zu  deuten  —  zu  deuten  in  dem  Sinn,  dafs  sie  den  vom 
Sprechenden  gewollten  Sinn  ergründete  oder  zu  ergründen  suchte 
—  hat  sie  die  Erklärung,  wenn  sie  sich  überhaupt  darum  kümmerte, 
zumeist  mit  ein  paar  jener  Schlagwörter  abgetan,  die  in  der  Syntax 
noch  mehr  als  auf  andern  Gebieten  ihr  Unwesen  treiben,  so  lehrten 
Sie  uns  unseren  Bück  auf  die  grofsen  Zusammenhänge  —  die 
historischen  und  die  geographischen  —  lenken  und  auf  das  Werden 
und  Vergehen  und  auf  die  stete  Umbildung  der  syntaktischen 
Formen. 

Ich  habe  denn  auch,  um  mich  über  das  Wesen  der  syntak- 
tischen Wandlung  im  allgemeinen  zu  orientieren,  dieses  Ihr  Werk 
gelesen  und  wieder  gelesen.  Aber  wie  viel  ich  auch  daraus  für 
meine  Zwecke  lernte,  wie  viel  neue  Erkenntnis  und  vertieftes  Ver- 
ständnis ich  daraus  schöpfte,  es  war  mir  auf  diesem  Wege  nicht 
möglich,  zu  einer  Übersicht  der  hier  herrschenden  Triebkräfte,  um 
die  es  sich  mir  zunächst  handelte,  zu  gelangen.  Eine  jede  Er- 
scheinung, wie  Sie  sie  mit  markigen  Zügen  umgrenzen,  um  sie 
Ihrer  grofszügigen  Gesamtdarstellung  unterzuordnen,  zerfällt,  wenn 
man  sie  daraufhin  untersucht,  in  eine  Menge  von  Teilerscheinungen; 
das  Problem,  das  sie  birgt,  zerfasert  und  zerfädelt  sich  denn  auch 
in  eine  Menge  kleiner  Probleme,  die  miteinander  manchmal  recht 
wenig  zu  tun  haben,  aber  dafür  oft  aufs  innigste  mit  andern  Er- 
scheinungen und  deren  Problemen  und  Teilproblemen  zusammen- 
hängen. Der  Schritt  vom  einzelnen  ins  allgemeine  war  vorläufig 
unausführbar,  zuerst  mufste  der  Schritt  vom  einzelnen  ins  einzelste 
gemacht  werden.  Und  so  habe  ich  mich  entschlossen,  zuerst 
Einzeluntersuchungen  zu  unternehmen  und  habe  mir  dazu  zunächst 
eines  Ihrer  Kapitel,  gleich  eines  vom  Anfang  Ihres  Buches,  das 
vom  allgemeinen  Standpunkt  zu  behandeln  besonders  lohnend  zu 
werden  versprach,  ausgesucht,  das  vom /ö-Partizip  (§  1 1 — 14).  Und 
da  zeigte  sich  sogleich  die  Komplexität  der  syntaktischen  Er- 
scheinung. Ich  konnte  es  nicht  behandeln,  ohne  gleichzeitig  ge- 
wisse andere  Kapitel  der  romanischen  Syntax  mitzuuntersuchen, 
besonders  das  von  den  partizipialen  Verbindungen  (§288  ff.).  Da 
nun  aber  auch  die  lateinischen  Grundlagen  noch  einer  erneuerten, 
sorgfältigen  Betrachtung  unterzogen  werden  mufsten,  so  wuchs  mir 
der  Stoff  so  an,  dafs  ich  weit  entfernt  Einzeluntersuchung  an 
Einzelurttersuchung  zu  reihen,  wie  ich  es  ursprünglich  und  zwar  als 
ganz  private  Vorarbeit  für  meinen  eigenen  Gebrauch  und  meine 
eigene  Belehrung  beabsichtigte,  mich  schliefslich  mit  der  Hälfte  der 
ersten  Einzeluntersuchung'  begnügen  mufste,  um  noch  etwas  für 
den  Zweck    des   geplanten  Bandes  verwerten  zu  können.     So  habe 

Beiheft  zur  Zeitsclir.  f.  rom.  Phil.  XXVI.     (Festschrift.)  6 


82 

ich  denn  das  /ö-Partizip  vom  Lateinischen  ins  Romanische  etwa  des 
13.  Jh,  verfolgt,  habe  nur  gelegentlich  weiter  nach  vorn  gegriffen, 
wo  es  der  Zusammenhang  erheischte,  im  Prinzip  aber  die  neuere 
Entwicklung  beiseite  liegen  lassen.  Und  selbst  auf  diesem  be- 
schränkten Gebiet  habe  ich  noch  manches  von  dem  gesammelten 
Material  ausgeschieden,  weil  dies  noch  nicht  zur  Erklärung  oder  zu 
einer  geschlossenen  Darstellung  genügend  schien,  oder  weil  die 
Erscheinung,  wenn  auch  schon  früher  vorbereitet,  doch  erst  in 
jüngeren  Perioden  allgemeinsprachgeschichtliches  Interesse  gewinnt; 
so  z.  B.  die  Verbindung  des  /0- Partizips  mit  gewissen  Verben  der 
Bewegung  oder  des  Verbleibens  {andare,  estar,  fincar  usw.). 

So  übergebe  ich  statt  der  von  mir  ursprünglich  geplanten 
Gesamtübersicht  eine  auf  ganz  kleines  Gebiet  beschränkte  Arbeit 
Ihnen  und  der  Öff"entlichkeit,  obwohl  sie  ursprünglich  nicht  dafür 
bestimmt  war.  Aber  ich  habe  das  Gefühl,  dafs  ich  mit  den  Er- 
gebnissen dieser  Vorarbeit  zufrieden  sein  kann.  Viele  neue,  un- 
bekannte Erscheinungen  hat  sie  zwar  nicht  zutage  gefördert.  Aber 
dadurch,  dafs  ich  jede  syntaktische  Formel  auf  ihre  Anknüpfungs- 
punkte hin  prüfte,  ihr  Werden,  ihr  Sich- Ausbreiten  und  ihr  Ver- 
gehen so  genau  verfolgte,  als  es  eben  die  mir  zugänglichen  Quellen 
zuliefsen,  jene  Bedeutungen  und  Bedeutungsnüanzen  in  den  ver- 
schiedenen Gebrauchsarten  soweit  zu  fixieren  suchte,  als  es  meinem 
Sprachgefühl  möglich  war  und  der  steten  Wechselwirkung  zwischen 
der  Formel  und  ihrer  Bedeutung  nachging,  erschien  mir  manche 
altbekannte  Erscheinung  in  ganz  neuem  Licht,  erschien  mir  manches 
erklärlich,  was  mir  früher  rätselhaft  war,  als  so  selbstverständlich 
es  auch  bisher  dargestellt  zu  werden  pflegte. 

Ein  System  der  syntaktischen  Wandlungen  nach  ihrem  Wesen 
und  ihren  Gründen  angeordnet  läfst  sich  natürlich  auf  so  begrenztes 
Material  noch  lange  nicht  aufbauen.  Aber  gewisser  treibender 
Kräfte  werden  wir  auch  hier  schon  gewahr.  Zwei  Vorgänge  sind 
es,  die  sich  selbst  auf  diesem  Gebiet  immer  und  immer  wiederholen. 

Der  eine  ist  die  Neubildung.  Die  Neubildungen,  die  mir 
im  Verlauf  dieser  Arbeit  begegneten,  waren  immer  analogischer 
Natur.  Die  analogische  Neubildung  auf  syntaktischem  Gebiet  ist 
nicht  wesensverschieden  von  der  Analogie,  die  in  der  Flexions- 
und Wortbildungslehre  eine  so  grofse  Rolle  spielt.  Sie  bewegt  sich 
ganz  in  den  gleichen  Formen  :i  es  besteht  intransitives  levat  neben 
levat  se  in  der  Bedeutung  'erhebt  sich'  mit  einem  gewissen  feinen 
Unterschied.  Das  Perfekt  ist  für  beide  ursprünglich  levatus  est. 
Da  dies  nun  formell  nur  zu  levat  zu  gehören  scheint,  so  bildet  man 
zu  se  levat  das  entsprechende  levatus  se  est,  also  ein  Proportions- 
ergebnis  wie  es  für  jede  eigentliche  Analogiebildung  charakteristisch 
ist.  Neben  der  eigentlichen  Analogiebildung  haben  wir  auch  hier 
die  uneigenlhche  Analogiebildung  oder  Kontamination,  z.  B.  wenn 


^  Eine   gedrängte  Übersicht   über  den  Vorgang  bei  der  Analogiebildung 
habe  ich  Z.  f.  frz.  Spr.  XXV^,  125  fr.  gegeben. 


83 

se  rappeler  geh.  durch  die  Beeinflussung    von   sc  sotivenir    de    qch.  zu 
se  rappeler  de  qch.  umgestaltet  wird. 

Den  zweiten  Vorgang  möchte  ich  Funktionsverschiebung  4. 
nennen.  Es  handelt  sich  hier  nämlich  darum,  dafs  die  Beziehung 
zwischen  einer  syntaktischen  Formel  und  ihrem  Sinn,  also  ihre 
Funktion,  geändert  wird.  Wir  haben  zwei  Formen  zu  unterscheiden, 
die  spontane  und  die  analogische  Funktionsverschiebung.  Die 
spontane  Funktionsverschiebung,  die  bei  der  syntaktischen  Formel 
das  ist,  was  die  Bedeutungsverschiebung  beim  einzelnen  Wort  ist, 
beruht  auf  der  Verschiedenheit  der  Auffassung  des  Sprechers  und 
Hörers.  Sie  ist  im  Grund  genommen  ein  konsequentes  Mifs- 
verständnis.  Ein  Beispiel  wird  sofort  dartun,  wie  das  gemeint 
ist:  Je  mange  bien  du  pain  heifst  ursprünglich  'ich  esse  tüchtig  Brot'. 
hien  gehört  hier  zu  dem  ganzen  Ausdruck.  Wer  nun  aber  im 
Brotessen  tüchtig  ist,  ifst  viel  Brot.  Der  Hörer  versteht  von  diesen 
beiden  in  unserm  Fall  auf  das  gleiche  hinauslaufenden  Nuancen 
die  zweite  und  kommt  zu  dem  Gefühl,  dafs  bien  du  pain  'viel 
Brot'  heifst. 

Bei  der  analogischen  Funktionsverschiebung  dagegen  nimmt  5. 
eine  Form  nach  einem  bereits  gegebenen  Verhältnis  eine  andere 
Bedeutung  an.  *credutu  eigentlich  'geglaubt',  oder  auch  'was 
geglaubt  wird'  nimmt  die  Bedeutung  'der  glaubt'  an,  vermutlich 
nach  arbitratus  u.  a.,  die  schon  früher  ungefähr  das  gleiche  be- 
deuteten; hibiius  eigentlich  'getrunken'  erhält  von  einer  bestimmten 
Zeit  an  die  Bedeutung  'wer  getrunken  hat'  nach  potus,  cenatus, 
pransus  u.  a.  s.  7/.  Auch  hier  haben  wir  Proportionsbildung: 
creduiu  '.  credere  =  arhitratu  :  arbiträre.  Der  Unterschied  von  der 
analogischen  Neubildung  ist  aber  der,  dafs  die  Formen  credutu, 
hihilu  schon  früher  bestanden,  aber  mit  verschiedener  Funktion. 

Nach  einem  andern  Gesichtspunkt  könnte  man  die  Funktions-  6. 
Verschiebung  in  singulare,  partielle  und  generelle  einteilen. 
Singular  wäre  sie,  wenn  sie  nur  eine  bestimmte  syntaktische  Formel 
ergreift,  wie  das  Beispiel  mit  hie7i  oder  noch  deutlicher  vielleicht 
die  spontane  Funktionsverschiebung  von  oil  'dies  er'  (wie  man  o-ie, 
o-tu  sagte),  das  vom  Hörenden  als  eine  die  Gültigkeit  des  früher 
fragend  gesprochenen  Satzes  aussprechende  Partikel  gefafst  wurde, 
ähnlich  wie  sie,  71071.  Bei  der  partiellen  würde  die  Neuerung  sich 
auf  einzelne  bedeutungsverwandte  Fälle  ausdehnen,  wie  bei  credutu 
usw.  Generell  wäre  die  Funktionsverschiebung,  wenn  sie  bei  einem 
ganzen  morphologischen  Typus  durchgreift,  Beispiele  unten  28,  ^2, 
lop,  120  usw. 

Die  vorhin  besprochenen  Schwierigkeiten  zeigen  sich  nun  dann,  7. 
wenn  es  gilt,  im  Verlauf  irgend  einer  Entwicklung  diese  wenigen 
aber  sehr  wesensverschiedenen  Triebkräfte  auseinanderzuhalten.  Sie 
verbinden  sich  meistens  in  sehr  wechselnder  Art  und  wenn  eine 
Erscheinung,  wie  es  oft  vorkommt,  mit  der  Zeit  grofse  Ausdehnung 
gewinntj  so  mufs  man  jede  der  einzelnen  Stadien,  sogar  zuweilen 
jeden  Einzelfall  besehen  und  ihn  nach  seinen  besonderen  Beziehungen 

6* 


84 

einordnen  und  unterbringen.  —  Diö  generelle  Funktionsverschiebung 
war  vielleicht  ursprünglich  nur  partiell,  die  partielle  ursprünglich 
Singular.  Die  spontane  Funktionsverschiebung  tritt  erst  in  Er- 
scheinung, wenn  sie  sich  mit  analogischen  Verschiebungen  und 
Neubildungen  paart.  Solange  das  französische  bei  je  majige  hien  du 
pain  blieb,  hätte  uns  nur  das  Sprachgefühl  des  damals  lebenden 
Franzosen  darüber  belehren  können,  dafs  er  in  hicn  du  pain  die 
Bedeutung  'viel  Brot'  herausfühlte.  Erst  dadurch,  dafs  man  sagte 
avec  bien  du  pain,  hien  du  pain  est  sur  la  fahle  usw.,  sind  wir  über 
die  Funktionsverschiebung  orientiert.  Das  sind  jedoch  analogische 
Neubildungen.  Ebenso  wäre  aber  auch  die  analogische  Neubildung 
levaius  se  est  nicht  möglich  gewesen,  solange  levatus  est  seine  etymo- 
logische Bedeutung  eines  Zustands  gehabt  hat.  Die  Nuance,  die 
es  als  ein  Perfekt  zu  levat  oder  levat  se  erscheinen  liefs,  hat  es 
erst,  entweder  durch  analogische  Neubildung  oder  aber  durch 
analogische  Funktionsverschiebung  erlangt.  Da  sich  nun  die  ana- 
logische Neubildung  oft  mit  der  spontanen  Funktionsverschiebung 
paart,  so  ist  dann  häufig  schwer  zu  entscheiden,  ob  dies  oder  ob 
analogische  Funktionsverschiebung  vorliegt:  ainatuin  habeo  konnte 
nach  lateinischem  Brauch  nur  ungefähr  heifsen:  'ich  habe  lieb',  'ich 
liebe'.  Wenn  es  nun  in  den  romanischen  Sprachen  in  der  Bedeutung 
'ich  habe  geliebt'  erscheint,  so  kann  a  priori  dieses  amatutn  habeo  eine 
von  jenem  ganz  unabhängige  analogische  Neubildung  sein  nach 
Fällen,  wo  bereits  im  lat.  haheo  -f-  Part,  durch  spontane  Funktions- 
verschiebung Perfektbedeutung  angenommen  hat;  es  kann  aber  auch 
sein,  dafs  das  lat.  amattim  habeo  durch  Einwirkung  dieser  Fälle  die 
Perfektbedeutung  angenommen  hat,  d.  h.  es  wäre  nie  zu  dem  Perfekt 
amatitm  haheo  gekommen,  wenn  die  Formel,  allerdings  in  andrer  Be- 
deutung, nicht  schon  früher  bestanden  hätte.  Wir  werden  solchen 
Problemen  wiederholt  begegnen  und  sie  wiederholt  offen  lassen  müssen. 
Neben  den  Neubildungen  und  Funktionsverschiebungen  ver- 
dient ein  dritter  Vorgang,  das  Aussterben  einer  syntaktischen 
Form  oder  Funktion,  unsere  Beachtung.  Wir  werden  auch  dieser 
Erscheinung  wiederholt  begegnen.  Sie  ist  zumeist,  doch  vielleicht 
nicht  immer,  die  Folge  einer  Konkurrenz.  Bei  einer  Funktions- 
verschiebung ist  es  nämlich,  wie  es  scheint,  der  seltenere  Fall,  dafs 
die  ursprüngliche  Funktion  sogleich  verschwindet;  so  vielleicht  bei 
dem  zitierten  Beispiel  oil.  Im  allgemeinen  erhält  sich  die  neue 
Funktion  längere  oder  kürzere  Zeit  neben  der  alten.  Dann  aber 
tritt  doch  häufig  eine  der  Funktionen  aufser  Gebrauch,  entweder 
die  alte,  wie  bei  fai  aine  'ich  habe  lieb',  vgl.  12^ ü.  oder  die  neue, 
vgl,  705.  Die  absichtliche  Wahl  spielt  dabei  eine  grofse  Rolle,  man 
wählt  für  eine  Funktion  eine  Form  nicht  mehr,  die  den  Hörenden 
zu  einer  andern  Auffassung  verleiten  könnte.  Es  sind  dies  im 
Grunde  stilistische  Beweggründe,  ist  es  doch  die  Aufgabe  der 
Stilistik,  zu  untersuchen,  warum  von  mehreren  möglichen  Gedanken- 
wiedergaben in  dem  bestimmten  Fall  die  eine  oder  die  andere 
gewählt  wird.    Eine  häufige  aber  vielleicht  nicht  notwendige  Voraus- 


85 

Setzung  für  die  Nichtwahl  einer  syntaktischen  Form  ist,  dafs  für 
den  Gedanken  eine  andere  Ausdrucksform  besteht.  Durch  Nicht- 
wahl und  zumeist  eben  auch  durch  Bevorzugung  einer  andern 
Ausdrucksform  können  aber  auch  unter  Umständen  syntaktische 
Formen  aussterben,  die  ihre  Funktion  nicht  verschoben  haben.  Ein 
Beispiel  dafür  ist  die  Aufgabe  des  lat.  Passivums,  vgl.  66  i. 


Das  mit  Suffix  -to  gebildete  Verbaladjektiv  im  Lat. 

Die  Entwicklung  der  Bedeutung  und  der  Verwendung  des  -io-"  g. 
Part,  im  Lateinischen  ist  den  Grundzügen  nach  meisterhaft  von 
Brugmann  in  den  Indog.  Forsch.  V,  8g — 152  dargestellt  worden. 
Darauf  fufst  naturgemäfs  Ihre  Darstellung  im  3.  Band  der  Rom.  Gr. 
Dadurch  dafs  Sie  von  der  Grundbedeutung  und  dem  eigentlichen 
Wesen  des  Partizips,  wie  es  sich  durch  Brugmanns  Untersuchung 
ergibt,  ausgehen,  ist  es  Ihnen  geglückt,  auch  manche  bisher  auf- 
fällige romanische  Erscheinung  in  einem  neuen  Licht,  in  einem 
Licht  zu  zeigen,  das  sie  minder  oder  gar  nicht  auffällig  erscheinen 
läfst,  z.  B.  diejenige,  die  man  bisher  als  „Ausartung  des  Gebrauchs" 
im  Altfrz.  oder  sonst  wo  anzusehen  geneigt  war. 

Es  wird  also  von  nun  an  daran  festzuhalten  sein,  dafs  weder 
die  passive  noch  die  präteritale  Bedeutung  etwas  dem  Verbal- 
Adjektiv  auf  -to  anhaftendes  sei.  „Dieses  Adjektiv  hat  weder  be- 
stimmte Beziehungen  zu  einem  Tempus  noch  auch  zum  Aktiv  und- 
Passiv"  (R.  Gr.  III,  S.  14).  Dagegen  prädiziert  es,  wie  Br.  richtig 
erkannte,  eine  Handlung  einem  Wesen  in  der  Gestalt  einer  (in 
einem  bestimmten  Moment  oder  überhaupt)  „anhaftenden  Eigen- 
schaft", eines  charakteristischen   „Merkmals". 

Dabei  tritt  der  Gedanke  an  das  Vorsichgehen  dieser  Handlung  10. 
vollständig  zurück.  Es  ist  deshalb  vielleicht  schon  zu  viel,  wenn 
man  die  Bedeutung  des  -/0 -Adjektivs  so  definiert,  dafs  dadurch 
etwas  als  „von  einem  Vorgang  betroffen  und  durch  ihn  in  einen 
Zustand  geraten"  (Brugm.  im  Grdr.)  gedacht  wird.  Der  Vorgang 
selbst  ist  von  so  untergeordneter  Wichtigkeit,  dafs  er  in  manchen 
Verbindungen  überhaupt  nicht  vorhanden  ist.  Nicht  für  alles,  was 
man  mit  occidtus,  Junciiis,  coimexus,  separaius  bezeichnet,  läfst  sich 
ein  occulere,  jüngere,  conneciere,  separate  konstatieren;  was  aper  tum 
ist,  kann  es  von  jeher  gewesen  sein  und  was  claustivi,  war  nicht 
zwingender  Weise  einmal  apertum,  so  dafs  die  Handlung  des  claudere 
hätte  eintreten  müssen;  \g\.  jimcta  vitis  ulmo  Ov.,  ita  confusa  est 
oratio,  ita  perturbata,  7iihil  iit  sit  primum,  nihil  secundum  Cic,  naves 
apertae  Cic,  dissociata  locis  concordi  pace  ligavit  Ov.  met.  I,  20. 
Durch  eigene  Bedeutungsentwicklung  kann  sich  das  Adjektiv  sogar 
ganz  vom  Verb  entfernen,  so  dafs  die  genaue  Beziehung  zur 
Handlung  oft  nicht  mehr  klar  erkannt  wird:  privatus,  consultus.  Im 
allgemeinen  aber  läfst  sich  sagen,  dafs  selbst  dort,  wo  die  Handlung 
in  facto  nicht  vorhanden  ist,  die  ideelle  Beziehung  des  Adjektivs 


86 

zu  ihr  sich  klar  und  bestimmt  feststellen  läfst.  Die  Lage  der  terrae 
separafae,  die  natürlich  nie  beisammen  waren,  ist  doch  so,  als  ob 
die  Handlung  des  separare  an  ihnen  ehemals  vorgenommen  wäre, 
so  dafs  hier  sep,  passiven  und  präteritalen  Sinn  hat.  Das  ist  nicht 
blofs  spekulative  Spitzfindigkeit,  sondern  das  eigentliche  genetische 
Verhältnis.  Denn  wenn  der  menschliche  Geist  nicht  beobachtet 
hätte,  dafs  in  so  und  so  viel  Fällen  das  Auseinander  der  Dinge 
durch  die  Handlung  des  separare  zustande  gekommen  wäre,  würde 
er  den  von  separare  abgeleiteten  Ausdruck  nicht  dort  anwenden, 
wo  eine  solche  Handlung  niemals  vorgenommen  wurde. 
ii"-  Da   nun    also    die  Handlung,    die    durch    den    mit   -io  weiter- 

gebildeten Verbalstamra  ausgedrückt  wird,  zum  mindesten  ideell, 
für  irgend  ein  Zeitverhältnis  Gültigkeit  haben  mufs  und  bei  der 
Beziehung  dieses  Adjektivs  auf  einen  Seinsbegriff  feststellbar  sein 
mufs,  in  welchem  Verhältnis  der  Seinsbegriff  zu  eben  dieser  Handlung 
steht,  ob  er  nämlich  davon  betroffen  wird  (Objekt)  oder  ob  er  die 
Handlung  veranlafst  (Subjekt),  da  weiter  diese  Beziehungen  eben 
nicht  durch  das  Verbaladjektiv  als  solches  zum  Ausdruck 
gebracht  werden,  das  vielmehr  fast  alle  darin  denkbaren  Ver- 
schiedenheiten zuläfst,  sondern  sich  erst  aus  dem  jeweiligen  Zu- 
sammenhang der  Rede  und  besonders  der  Bedeutung  des 
Verbs  selbst  ergeben  müssen,  so  ist  die  Frage  am  Platz,  unter 
welchen  Bedingungen  sich  diese,  unter  welchen  jene  Zeitstufe  ein- 
stellt, wann  das  objektive  (passive)  wann  das  subjektive  (aktive) 
Verhältnis  zum  Seinsbegriff,  auf  den  es  bezogen  ist,  vorliegt.  Diese 
Frage,  die  vielleicht  an  und  für  sich  belanglos  wäre,  ist  deshalb 
zu  stellen,  weil  Zeitstufe  und  Genus  verbi  bei  jenen  Veränderungen 
eine  wichtige  Rolle  spielt,  durch  die  das  mit  einem  Hilfsverb  in 
Verbindung  gesetzte  -/ö-Adjektiv  eine  Bedeutung  erlangt,  die  ander- 
wärts (in  früheren  Perioden  oder  andern  Sprachen)  durch  eine 
bestimmte  Form  des  Verbum  finitura  selbst  ausgedrückt  wird,  d.  h. 
bei  jenen  Strömungen,  durch  die  es  —  als  Bestandteil  des  Passivum 
oder  perfektischer  Aktivformen  —  in  das  Verbalsystem  selbst  hinein- 
gerissen wird. 

Konstatieren  wir  also,  welche  Beziehungen  überhaupt  denkbar 
sind  und  belegen  wir  die  wirklich  vorhandenen  durch  Beispiele. 
Es  sind  denkbar  für  das  Genus  Verbi:  Aktivum  und  Passivum;  für 
die  Zeitstufe:  Präteritum,  Präsens  und  Futurum.!  Davon  wird  rein 
futurischc  Beziehung  durch  die  Bedeutung  des  Verbal  -  Adjektivs 
ausgeschlossen,  denn  es  ist  nicht  gut  möglich,  dafs  eine  zukünftige 
Handlung  eine  irgend  welchem  Seinsbegriff  anhaftende  Eigenschaft, 
ein  ihm  charakteristisches  Merkmal  bildet.  Alles  andere  dagegen 
kommt  auch  wirklich  vor  und  wir  haben  demnach: 

1  Diese  Ausdrücke  sind  natürlich  vom  Standpunkt  der  jeweiligen  Situation 
zu  verstehen,  die  dem  Sprechenden  vorschwebt.  Man  könnte  statt  dessen 
vorzeitig,  gleichzeitig,  nachzeitig  sagen,  wenn  ein  Vergleich  in  zeitlicher  Be- 
ziehung mit  einer  andern  Handlung  nicht  ursprünglich  durch  den  adjektivischen 
Charakter  der  -/o-Form  ausgeschlossen  wäre. 


87 

I.  Das  Verbaladjektiv  hat  passive  und  präteritale  Beziehung 
zur  Handlung:  caro  cocta,  opus  perfectujii,  porta  clausa ^  dona  merita. 

II.  Das  Verbaladjektiv  hat  aktive  und  präteritale  Beziehung: 
cenatus  'der  eine  Mahlzeit  eingenommen  hat',  midier  ?iupta,  ohitus 
'gestorben',  praeieriium,  tergo  velamina  lapsa^  serviis  pessime  vieritusy 
fesstis  'abgemüht',  'müde'. 

III.  Das  Verbaladjektiv  hat  passive  und  präsentische  Be- 
ziehung: amatus  'der  Geliebte',  regio  habitata,  taciium  pati  aliquid 
(Liv.),  omnis  honores  non  ex  merilo,  sed  quasi  debiles  a  vobis  repelil 
(Sali.),  imperiosus  intra  Urnen  alque  impotens,  humilis  foris  et  tarn 
contemptus  quam  contemnens  (Sen.),  servili  habitu  per  tenebras 
igfioralus  evasit  (Tac). 

IV.  Das  Verbaladjektivum  hat  aktive  und  präsentische 
Beziehung:  placitus,  tacitus  'schweigend',  veriius  'fürchtend',  fluxus 
'fliefsend',  cauius,  falsus  'täuschend'  =  'falsch',  praesumpius  'kühn' 
(zu  praesumere  'sich  etwas  herausnehmen'),  ?naestus,  fletus  'weinend', 
palatus  ' umherschweifend ',  y^r/aZ/^j-  'müfsig  feiernd',  licitus  'was  er- 
laubt ist,  frei  steht'. 

Abgesehen  wird  in  dieser  Zusammenstellung  von  den  mannig- 
fachen modalen  Nebenbeziehungen,  die  sich  ergeben  können,  ferner 
von  den  Fällen,  wo  die  Verwendung  aktiv  und  passiv  zugleich,  also 
reflexiv  oder  medial  ist. 

Überblicken  wir  die  gegebenen  Beispiele,  so  ergibt  sich  im' 
grofsen  und  ganzen  folgendes: 

«)  Passive  Beziehung  verbindet  sich  nur  mit  transitiven 
Verben,  aktive  zumeist  mit  intransitiven.  Erscheint  ein  Verbal- 
adjektiv in  beiden  Kategorien  wie  taciius,  meriius,  so  kennt  auch 
das  Verbum  beide  Gebrauchsweisen  nebeneinander:  tacere  absolut 
und  tacere  aliquid ,  mereo(r)  aliquid  und  mereor  'ich  mache  mich 
verdient'. 

/3)  Präsentische  Beziehung  verbindet  sich  mit  durativen, 
präteritale  mit  perfektiven  Verben. 

Diese  Verteilung  erklärt  sich  aus  der  oben  erwähnten  Grund- 
bedeutung des  Verbaladjektivs,  dafs  es  nämlich  etwas  als  charakte- 
ristisches Merkmal  prädiziert  und  zwar  am  leichtesten  bei  I  und  IV. 

Bevor  ich  aber  auf  diesen  Punkt  näher  eingehe,  mufs  ich  an  12. 
einen  Unterschied  erinnern,  der  die  transitiven  Verba  in  zwei  aller- 
dings nicht  scharf  getrennte  Gruppen  teilt.  Die  Handlung  der 
einen  hat  eine  Veränderung  im  Wesen,  im  Zustand,  in  der  örtlichen 
Lage  des  von  ihr  regierten  Objekts  zur  Folge;  nennen  wir  diese 
Verba  die  real-transitiven.  Durch  die  Handlung  wird  das  Objekt 
geschaffen,  zerstört,  verändert,  verschoben:  mwidum  crcare,  littcras 
scribere;  murum  destruere,  catenas  rumpere;  hostem  vulnerare,  lignum 
colorare;    memhra  movere,    tabulas  collocare.     Wie  man  sieht,   zerfällt 


88 

diese  Gruppe  wieder  in  eine  P>.eihe  Nuancen,  die  sich  in  der  ge- 
wählten Reihenfolge  immer  mehr  der  2.  Gruppe  nähern.  —  Die 
andere  Gruppe  drückt  eine  Handlung  aus,  die  ebenfalls  eine  Be- 
ziehung zwischen  Subjekt  und  Objekt  herstellt,  aber  die  Wesenheit 
des  Objekts  nicht  berührt:  aliquem  inviiare,  rogare,  aniare ;  aliquid 
timere,  cognoscere,  scire.  Nennen  wir  sie  pseudo-transitiv.  Die  Verba 
der  ersten  Gruppe  sind  vorwiegend  perfektiv,  und  zwar  diejenigen, 
die  ein  Schaffen  oder  Zerstören  ausdrücken  wohl  durchwegs,  die 
der  2.  Gruppe  sind  perfektiv  oder  durativ.  Freilich  ist  auch  hier 
eine  Mittelstufe  nicht  ausgeschlossen,  es  sind  dies  die  iterativen 
Verba,  die  je  nach  der  Stellung  im  Satze  und  der  Verbindung 
bald  perfektiv,  bald  durativ  verwendet  werden  können.  Wir  können 
vorläufig  davon  absehen,  werden  aber  darauf  noch  zurückzukommen 
haben. 

13.  Dafs  nun  bei  den  real  transitiven,  perfektiven  Zeitwörtern  die 
Handlung,  die  das  -/(?-Adjektiv  raitausdrückt,  passiv  und  präterital 
sein  mufs,  liegt  auf  der  Hand.  Die  Handlung  geht  hier  vom 
Subjekt  aufs  Objekt  über  und  modifiziert  das  Objekt  in  entscheidender 
Weise.  Nur  dem  Objekt  erwächst  ein  anhaftendes  IMerkmal  aus 
dieser  Handlung,  die  also  vergangen  sein  mufs,  damit  das  Merkmal 
prädiziert  werden  kann:  so  also  caro  coda,  opus perfecium  vgl.  quae- 
dam  nondum  perfecta  animalia,  sed  tum  primum  accipieniia  spiriiuni  et 
ex  parte  jam  formata  ex  parte  adhuc  terrena  vistmtiir  I\Iela  9  52.  Die 
Handlung  ist  hier  durch  ihren  Erfolg  an  dem  Objekt  wahrnehmbar 
oder  erkennbar. 

Von  derartigen  an  den  Dingen  selbst  wahrnehmbaren  Folgen 
kann  bei  der  Gruppe  der  pseudotransitiven  Verba  nicht  die  Rede 
sein.  Ist  aber  die  Handkmg  des  Verbs  perfektiv,  ist  also  durch 
sie  etwas  zum  Abschlufs  gebracht,  so  mufs,  wenn  auch  nicht  am 
Ding  selbst,  so  doch  an  seinen  Beziehungen  zu  anderen  Dingen, 
besonders  zum  Subjekt,  eine  Veränderung  hervorgebracht  sein, 
während  das  Subjekt,  das  als  Agens  gedacht  ist,  keine  derartige 
Veränderung  erleidet.  Was  sich  also  als  charakteristisches  Merkmal 
aus  der  Handlung  des  Verbs  ergibt,  mufs  zunächst  wieder  an  dem 
Objekt,  zwar  nicht  an  seiner  Wesenheit,  wohl  aber  an  diversen 
Folgeerscheinungen,  die  sich  an  die  veränderten  Beziehungen 
knüpfen,  erkennbar  sein;  diese  veränderte  Sachlage  kann  als 
charakteristisches  Merkmal  des  Objektsbegriffs  aufgefafst  und  durch 
das  -/o-Adjektiv  ausgedrückt  werden.  So  haben  wir  also  auch  hier 
passive  und  präteritale  Bedeutung:  iter  cogtiitum,  res  testata,  pretium 
Petitum,  amicus  invitalus,  dona  merita. 

14.  Tritt  also  beim  perfektiv-transitiven  Verb  das  Verbal-Adjektiv 
auf  -to  naturgemäfs  mit  dem  Objekt  in  Verbindung,  so  kann  die 
durative  Handlung  sehr  wohl  als  etw^as  für  das  Subjekt  charakte- 
ristisches aufgefafst  werden.  Ja  es  scheint  zunächst,  als  ob  dies 
das  einzig  denkbare  wäre;  denn  es  liegt  im  Wesen  der  durativen 
Handlung,  dafs  sie  bei  einem  Objekt  eine  einschneidende  Ver- 
änderung nicht  hervorbringen  kann,    höchstens  kann   sie  einen  an- 


89 

dauernden  Einflufs  darauf  ausüben;  diese  dauernde  Einwirkung 
kann  aber  schwerlich  als  ein  charakteristisches  anhaftendes  Merkmal 
des  Objekts  angesehen  werden,  solange  sich  nicht  daraus  für  es 
ein  Resultat  ergibt,  welches  aber  natürlich  nicht  durch  das  durative 
Verb  selbst,  sondern  erst  recht  durch  ein  perfektives  ausgedrückt 
würde.  Dagegen  kann  die  durative  Handlung  sehr  leicht  als  etwas 
für  das  Subjekt  charakteristisches  angesehen  werden,  da  eine  Person 
oder  ein  Ding,  das  dauernd  eine  Handlung  auszuüben  vermag, 
gewisse  seinem  Wesen  anhaftende  Qualitäten  haben  mufs,  die  es 
immer  wieder  dazu  befähigen.  Die  durative  Handlung  ist  aber 
nun  natürlich  nur  solange  charakteristisch  für  das  Wesen,  als  es 
sie  ausübt  und  so  hat  das  -/c/ -Adjektiv  hier  die  Bedeutung  eines 
[durativen,  generellen]  Präsens:  cauliis  'der  cavet',  veritus  'fürchtend', 
7naestiis  'traurig',  operatus  'tätig'. 

Danach  findet  sich  also  das  -/ö-Adjektiv  in  aktiver  präsentischer 
Bedeutung  bei  intransitiven  und  pseudotransitiven  Verben,  bei 
letzteren  immerhin  nicht  gerade  häufig  und  nur  ohne  Objekt  — 
also  intransitiv  gebraucht  —  oder  wenigstens  nicht  mit  nominalem 
Akkusativ-Objekt:  scitus,  ohsiinaius  inori,  aber  nicht  *obstinatiis  affini- 
tatem  hmic  wue  obsfmavii  affinitaiem  hanc  Plautus  Aul.  267.  Es  er- 
klärt sich  dies  eben  daraus,  dafs  der  Akkusativ  eine  verbale  Kon- 
struktion, also  neben  dem  Adjektiv  nicht  am  Platz  war,  s.  Brugm. 
1.  c.  10 1  f.  Auch  bei  realtransitiven  Verben  wäre  möglich,  dafs 
diese  Bedeutung  sich  hie  und  da  entwickelt  hat,  nämlich  dann, 
wenn  diesen  Verben  der  iterative  Sinn  beigelegt  wurde,  vgl.  das 
seltene  y>r/?/j-  'fruchtbar'.  Im  ganzen  versteht  man  aber,  dafs  sich 
Ausdrücke  wie  *homo  occisus  =  'ein  Mann,  der  zu  töten  pflegt' 
sich  neben  homo  occisus  'getöteter  Mann'  nicht  recht  entwickeln 
konnten;  es  standen  ja  überhaupt  für  die  aktiv-präsentische  Bedeutung 
konkurrierende  Ausdrucksweisen  mit  mehr  oder  minder  identischem 
Sinn  zur  Verfügung;  Partiz.  auf  -nt-,  Nomina  auf  -ior,  parasyn- 
thetische Komposita    von  den  Typen  multiscius,    agricola,    henevolus. 

Bei  rein  perfektiven  [nicht  iterativen]  Verben  ist  eine  präsentische 
Bedeutung  nicht  am  Platz.  Die  Bedeutung  könnte  hier  nur  die 
eines  punktuellen,  nicht  die  eines  allgemeinen  Präsens  sein.  Das 
punktuelle  Präsens  ist  aber  im  Widerspruch  mit  der  Bedeutung  des 
-/(?-Adjektivs  als  der  eines  anhaftenden  charakteristischen  Merkmals  {g). 
Wir  werden  später  sehen,  auf  welchem  Wege  man  zu  Ausnahme- 
fällen wie  sol  occasus  gelangt. 

Damit  wäre  I  und  IV  erklärt.  II  ist  zunächst  in  Fällen  be-  je, 
rechtigt,  wo  durch  die  Handlung  eines  perfektiven  Verbums  eine 
Zustandsänderung  des  Subjekts  eintritt.  Es  bezeichnet  dann  an 
dem  Subjekt  jenen  Zustand,  den  es  durch  die  Handlung  erreicht 
hat  und  findet  sich  zunächst  bei  intransitiven  und  pseudotransitiven 
Verben:  nupia  'die  geheiratet  hat,  also  im  Stand  der  Ehe  lebt', 
aber  nicht  einfach  'die  einmal  geheiratet  hat',  denn  ?mpta  tritt  auch 
in  Gegensatz  zu  vidua:  nuptati  est  an  vidua?  Plaut.  M.  Gl.  965. 
Ebenso  adiiUus  'erwachsen',  desperatus  'der  die  Hoffnung  aufgegeben 


90 

hat',  'verzweifelt',  jurattis  'der  einen  Eid  geschworen  hat,  also 
eidlich  verpflichtet  ist',  faiiä  flammä  deflagrata  . .  siant  'stehen  nieder- 
gebrannt' Enn.  trag.  7g;  cenatus  'wer  seine  Mahlzeit  eingenommen 
hat';  atisus  'wer  den  Mut  gefafst  hat';  parta  'das  Schaf,  das  ge- 
boren hat',  zu  intrans.  pario,  im  Gegensatz  zu  niitrix  'das  blofs 
nährt'  Colum.   7,  4,  3. 

16.  Da  nun  der  Ausdruck  für  solche  Handlungen,  die  auf  das 
Subjekt  rückwirken,  häufig  die  passive  Form  hat,  so  treten  derartige 
Verbaladjektiva  vielfach  zu  Deponentien  in  der  Bedeutung  eines 
aktiven  Präterital -Partizips:  vier  Uns  'der  (für  sich)  etwas  verdient 
hat'  zu  mereor.  laiitus  'wer  sich  gewaschen  hat'  zu  iavor.  versus  'der 
sich  gedreht  hat'  zu  verlor,  commentus  'wer  sich  etwas  ausgedacht 
hat'  zu  comininiscor.  amplexus  'wer  etwas  umschlungen  hat,  um  es 
bei  sich  zu  halten':  duae  mulierculae  .  .  .  sigmim  ftenies  amplexae 
tcnent  Plautus  Rd.  560.     genihus  nixae  ebda  696. 

17.  Wie  in  den  Fällen  I  und  11  das  -/o- Adjektiv  in  der  Verbindung 
mit  esse  von  einer  analogischen  Bewegung  erfafst  wurde,  die  dazu 
führte,  dafs  häufig  die  adjektivische  Geltung  verloren  ging  und 
die  -/ö-Form  als  Bestandteil  des  Verbalsystems  aufgefafst  wurde, 
davon  soll  weiter  unten  die  Rede  sein.  Hier  mufs  erwähnt  werden, 
dafs  dies  auch  in  rein  adjektivischer  Verwendung  möglich  war,  und 
zwar  nicht  blofs  bei  den  Fällen  I  und  Depon.  11,  wo  dieser  sehr 
häufige  Gebrauch  eben  von  der  Verbindung  mit  esse  ausgehen 
kann.  Wenn  PL  Amph.  437  nam  injurato  scio  plus  credet  miJii  quam 
jurato  tibi  ursprünglich  auch  heifst:  'mir  dem  eidlich  nicht  ver- 
pflichteten', 'dir  dem  eidlich  verpflichteten',  so  konnte  es  doch  auf 
die  Handlung  bezogen  werden  und  aufgefafst  werden  als:  'dir,  der 
geschworen  hat'.  Ebenso  wie  homo  morhius  von  der  Bedeutung 
'ein  toter  Mensch'  übergehen  konnte  zu  der  'ein  Mensch,  der  ge- 
storben ist',  vgl.  z.  B.  PI.  Poen.  107  l  Quo  me  privatum  aegre  patior 
morluo,  hier  allerdings  durch  den  Einflufs  von  mortuus  esl,  konnte 
obitus  die  Bedeutung  'der  verschieden  ist'  annehmen  Paulin.  Carm. 
24  568-  In  einer  Verbindung  wie  lempus  praeterilum  'eine  Zeit,  die 
vergangen  ist',  kann  dann  kaum  mehr  von  einem  infolge  der 
Handlung  anhaftenden  Merkmal  gesprochen  werden.  Ahnlich  wird 
zu  fassen  sein:  annis  festinaiis  raptus  'durch  die  Jahre,  die  sich 
beeilt  hatten'  (Mart.). 

18.  Am  schwierigsten  gestaltet  sich  die  Beurteilung  des  Falles  III. 
Der  präsenlische  passive  Sinn  hat,  wie  wir  gezeigt  haben,  seinen 
Platz  bei  transitiven  durativen  Verben.  Der  Sinn  ist  also  der,  dafs 
eine  Handlung  dauernd  an  einer  Person,  einer  Sache  ausgeführt 
wird :  amalus  der  Geliebte.  Eine  derartige  Handlung,  die  an  einem 
Seienden  von  einem  andern  Seienden  ausgeübt  wird,  ohne  ein 
definitives,  wahrnehmbares  Resultat  zu  haben,  kann  schwerlich  als 
eine  charakteristische  anhaftende  Eigenschaft  jenes  Seienden  auf- 
gefafst werden. 1     Das  „Geliebtwerden"   ist  an  sich  nicht  eine  dem 

^  Solange   es   sich  wirklich  um  dieses  rein  passive  Verhältnis  handelt. 
Manche    Verba   haben    aber   die   Natur,   dafs    die    Handlung   nicht   ohne  Mit- 


91 

Wesen  einer  Sache  zukommende  Eigentümlichkeit.  Ebenso  wenig 
liefse  sich  dudus  vir  'ein  Mann,  der  geführt  wird',  aus  der  Grund- 
bedeutung des  -/(^-Adjektivs  ableiten.  Ganz  anders  wenn  dudus 
durch  eine  zugefügte  Zielbestimmung  aus  einem  durativen  Verb  zu 
einem  perfektiven  geworden  ist:  homo  in  carcerem  dudus.  Da  ist 
iti  carcerem  ducere  eine  Resultathandlung,  die  den  ]\Iann  in  eine 
neue  Situation  bringt  und  diese  Situation  kann  nun  ganz  gut  als 
etwas  ihm  anhaftendes  gefafst  werden.  Aber  dann  ist  eben  der 
Sinn  des  -/ö-Adjektivs  präterital. 

Höchstens  bei  iterativen  Verben,  die  eigentlich  eine  Summe  ig. 
perfektischer  Handlungen  ausdrücken,  deren  jede  eine  gewisse  Ein- 
wirkung auf  das  Seiende  ausübt,  ist  der  passiv -präsentische  Sinn 
verständlich  und  wir  finden  denn  auch:  verberaius  'wer  geschlagen 
wird'  schon  bei  Plautus :  Rogitavi  ego  vos  verber atas  amhas  pendeiües 
simiil  Truc.  777,^  U7iam  (nodem)  verberatus  quam  pepeJidi  perpetem 
Am.  280;  laudatus  vir  Naev.fr.  17;  hieher  wäre  auch  zu  ziehen 
terra  cuita,  was  allerdings  in  der  ältesten  Zeit  noch  nicht  vor- 
zukommen scheint,  ferner  celebraius,  metrioratus  u.  ä. 

Sonst  aber  finden  wir  in  der  ältesten  Periode  der  lateinischen  20. 
Literatur  eine  derartige  Gebrauchsweise  nur  äufserst  selten  und  auf 
gewisse  Fälle  beschränkt  und  diese  Fälle  zeigen  uns  durch  ihr 
Wesen,  dafs  es  sich  bereits  um  ein  Resultat  einer  analogischen 
Bewegung  handelt.  Das  Fehlen  der  präsentischen  Bedeutung  im 
altern  Latein  ist  bereits  wiederholt  hervorgehoben  worden,  z.  B. 
Dräger,  Synt.  II,  776  und  dies  hat,  soweit  es  sich  um  passivischen  • 
Gebrauch  handelt,  bis  zu  einem  gewissen  Grad  seine  Richtigkeit, 
Die  Beispiele  aber,  mit  denen  Tammelin,  de  participiis  priscae 
latinitatis,  Helsingf.  i88g  und  auf  ihn  sich  stützend  Brugm.,  I.e.  loi 
das  Gegenteil  beweisen  wollen,  sind,  soweit  es  sich  um  passivischen 
Gebrauch  handelt,  nicht  zutreffend.^  Es  ist  eigentlich  nur  iratus 
erwähnt,  das  im  Plautus  'erzürnt'  zu  bedeuten  scheint.  Aber  von 
iratus  läfst  sich  nichts  aussagen,  da  das  zugehörige  Verb  nicht 
vorhanden  ist.  Zum  Inchoativ  irascor,  das  ja  zunächst  'erzürnt 
werden'    geheifsen    haben    mochte,    gehört    es    ursprünglich    ebenso 


Wirkung  von  seilen  des  Objekts  von  sich  gehen  kann ;  von  solchen  Verben 
hat  denn  auch  die  passive  Form  ein  stärker  oder  schwächer  fühlbares  aktives 
Bedeutungselement.  Dieses  Bedeutungselement  konnte  ja  dazu  führen,  dafs 
ein  Verb  passiv-medialer  Form  schliefslich  rein  aktiv  wurde,  besonders  wenn 
das  Verb  in  seiner  aktiven  Form  verloren  ging.  So  gehört  in:  in  ea  (Argo) 
deiecti  viri  vecti  petebant  pellein  inauratarn  aiietis  Enn.  fr.  tr.  210  vecii  zu 
einem  fast  aktiven  vehor  (Fall  IV). 

1  Hier  haben  die  Codd.  allerdings  verberantis,  was  vielleicht  nicht  ganz 
unmöglich  ist,  wenn  man  sich  an  den  passiven  Gebrauch  der  Part,  wie  amans 
'Geliebter',  subigens,  vehens,  pascens,  gigneutüi,  volveiitibus  annis  u.  dgl.  er- 
innert.    Vgl.  Brugm.  1.  c.  117;  Bücheier,  Alelanges  Boissier  86  ff. 

2  Ebensowenig  das  für  den  aktiven  Gebrauch  angeführte  complexus,  am- 
plexus,  das  zu  II  gehört.  Über  fretiis  läfst  sich  nichts  sagen,  da  das  zu- 
gehörige Verb  nicht  vorhanden  ist,  das  uns  darüber  Auskunft  gäbe,  oh  fretus 
ursprünglich  passivisch  oder  aktivisch,  präsenlisch  oder  präterital  zu  ver- 
stehen sei. 


wenig  wie  sciliis  zu  sa'sco.  Hätte  aber  ein  verloren  gegangenes 
Verbund  *irare,  von  dem  es  abgeleitet  sein  könnte,  die  Bedeutung: 
'zornig  sein'  oder  'in  Zorn  geraten'  oder  'zornig  machen',  so 
würde  es  beziehungsweise  zu  den  oben  besprochenen  Fällen  IV, 
II  oder  I,  nicht  aber  zu  III  gehören.  Dabei  ist  aber  überhaupt 
nicht  ausgemacht,  dafs  es  von  einem  Verbum  abgeleitet  ist;  es 
könnte  sich  zu  i'j-a  verhalten  wie  harhatus  zu  harha  (vgl.  'zornig' 
von  'Zorn'  wie  'bärtig'  von  'Bart'),  vgl.  auch  amoratus,  moralus  zu 
mores  etc.  Mit  der  Möglichkeit,  dafs  das  -/ö-Adjektiv  von  einem 
Subst.  abgeleitet  ist,  ist  überhaupt  gegebenenfalls  zu  rechnen,  selbst 
dort,  wo  das  Verb  daneben  steht.  So  könnte  sich  fortunare  auf 
das  viel  früher  belegte  fortunatiis  aufgebaut  haben,  das  selbständig 
aus  fortuna  gebildet  werden  konnte,  honorare  auf  honoratus,  so  wie 
sich  im  frz.  auf  eben  unser  ire  =  iratus  ein  Verb  irer,  ?l\E ferre  = 
fcrratus  ein  f er  7-er  aufbaut.  ^  animatus  brauchte  nicht  eine  Form 
von  animare,  cenatus  in  der  Bedeutung  'mit  einer  Mahlzeit  vor- 
sehen' {cefiatas  noctes  'durchzechte  Nächte'  PI.  Truc.  279)  nicht  ein 
Partizip  von  cenare  zu  sein. 
21.  Trotzdem   finden  wir  auch  bei  Plautus  einige  hieher  gehörige 

Fälle,    die  aber  in  diesem  Zusammenhang  bisher  nicht  erwähnt  zu 
sein  scheinen. 

I.  tacihis  'was  verschwiegen  wird'.  Hoc  tu  tecuvi  tadtum  haheio 
Poen.  890  'behalte  es  bei  dir'.  Teann  haheto.  —  Et  tu  hoc  iaceto. 
—  Tacitum  erit.  —  Celahitur.  Persa  246,  vgl.  ferner  Poen.  876, 
wo  aber  die  Überlieferung  unklar  ist.  Dies  tacitum  'verschwiegen' 
ist  wohl  ursprünglich  nach  dem  Vorbild  von  dictum  'gesagt'  ge- 
bildet; der  Gegensatz  von  tacitum  erit  im  zweiten  Beispiel  \si  dictu7?i 
erit,  das  richtig  den  perfektisch-präteritalen  Sinn  hätte.  Dafs  dieser 
perfektisch-präteritale  Sinn  dem  Gegensatz  abgeht,  erklärt  sich  aus 
dem  negativen  Charakter  des  Verbs;  so  zeigt  oft  die  Zusammen- 
setzung mit  in  privativum  präsentische  Bedeutung,  z.  B.  indictus 
{Deum  caelestem  indictum  innominahilem  nostris  Apul.  Dogra.  Plat.  i), 
invisus  {invisa  oculis  astra  Lact.),  incitus  in  der  Redensart  ad  incitas 
redigere,  inviolatus.  Entfernt  sich  nun  das  -/ö-Adjektiv  in  diesen 
Fällen  von  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  anhaftenden  INIerk- 
mals,  indem  das  Verschwiegenwerden,  Nichtgesehenwerden  nicht 
als  solches  angesehen  werden  kann?  Nicht  immer.  Denn  wenn 
ich  das  Nichtgesehenwerden  als  Charakteristikum  des  Gegenstands 
auffasse,  so  konstatiere  ich  zugleich,  dafs  es  etwas  an  sich  hat, 
was  das  Sehen  unmöglich  macht  und  so  schreibe  ich  ihm  eine 
Fähigkeit,  ein  Vermögen,  eine  Nötigung  zu.  Es  kommt  ein  modaler 
Sinn  hinein,  den  wir  im  deutschen  mit  Suffixen  wie  -bar,  -lieh  zum 
Ausdruck  bringen  'unsichtbar',  'unverletzbar',  'unbesiegbar'  (vgl. 
den  Superlativ  invictissimus  Plaut.  ]MG1.  57).  So  kann  man  das 
tacitum  im  ersten  Beispiel  fassen  als  das  'was  verschwiegen  werden 


^  Das  Romanische  ist  damit  einem  Verlangen  des  Grammatikers  Priscian 
nachgekommen,  vgl.  dessen  interessante  Ausführung  442,  5  ff. 


93 

soll,  mufs'  und  noch  deutlicher  ist  der  modale  Sinn  dieses  Wortes 
in  vulgator  tacili  Ov.  am.  3,  7,  51.  —  Zur  Stelle  tacere  nequeo  misera, 
quod  tacito  usus  est  Cist.  127  u.  ä.,  wo  auch  Analogie  nach  dicto  vor- 
liegen dürfte  s.  ^2.^ 

2.  Eine  zweite  Gruppe  wird  dargestellt  von  den  Verben  des 
Erwartens,  Hoffens.  Betrachten  wir  zunächst  Beispiele  wie:  ui  optata 
eveniant  PI.  Persa  62g,  Amphitnio  uxorem  salutat  laeius  speratam 
suam  PL  Am.  676,  (pater)  recessit  ncc  sese  dedit  in  conspecttim  cor  de 
cupitus  qiiatnqiiam  .  .  .  mani/s  .  .  .  tendebam  lacrimans  Enn.  Frgm. 
28,  14  (Bä.).  Die  Verba  sind  zwar  durativ,  der  Sinn  ist  aber  hier, 
wo  das  Verbura  finitum  die  Erfüllung  des  Gewünschten  ausdrückt 
oder  mitverstehen  läfst,  nicht  präsentisch,  sondern  präterital,  denn 
in  dem  Moment,  wo  das  gewünschte  eintritt,  wo  man  den  Erwarteten 
begrüfst,  hört  ja  Wunsch  und  Hoffnung  auf.  Dafs  dieses  Zeit- 
verhältnis gefühlt  worden  ist,  darauf  weisen  vielleicht  Beispiele  wie 
spcm  insperatam  daie  mihi  (eine  Hoffnung,  die  —  bis  jetzt  —  noch 
nicht  gehegt  worden  ist)  PI.  Men.  1081;  insperata  accidu7it  magis 
saepe  quam  qiiae  speres  PI.  Most.  197,  wo  sich  die  auffällige  In- 
konzinnität  eben  daraus  erklären  würde,  dafs  die  zweite  Ausdrucks- 
weise stärker  präsentisch  ist  als  die  erste,  weil  da  weniger  an  die 
Erfüllung  gedacht  ist.  Jedenfalls  entfernt  sich  die  Bedeutung  des 
-/o-Partizips  von  der  Grundbedeutung  und  dies  wohl  durch  Analogie 
nach  Fällen  mit  perfektiven  Verben  ähnlich  der  i'j  erwähnten 
Analogie:  invilaius  venu,  urspr.  *er  kommt  als  einer,  der  eine  Ein- 
ladung hat'  wird  gefafst  als  'er  kommt  als  einer,  der  eingeladen 
worden  ist';  statt  des  Zustandsverhältnisses  tritt  eine  temporal-kausale 
Beziehung  ein.  Noch  inniger  berühren  sich  mit  den  obigen  Fällen 
folgende,  wo  das  Verb  ebenfalls  ursprünglich  perfektive  Bedeutung 
haben  dürfte:  Credo  exspeclatus  veniam  familiarihus  Most.  441,  vgl. 
a.  Am.  658  f.,  679,  680,  Erit  et  tibi  exoptaium  continget  M.  Gl.  lOi 
v.  a.  Am.  654,  wo  das  ex  den  Verben  den  Sinn  'hervorwünschen' 
—  wir  würden  sagen:  herbeiwünschen,  erwünschcn,  erhoffen, 
ersehnen  —  verleiht,  mit  der  logisch  nicht  gerechtfertigten,  aber 
sehr  verständlichen  Vorstellung,  als  ob  durch  eifriges  Wünschen  die 
Erfüllung   des  Wunsches  erreicht  oder  beschleunigt  werden  könnte. 

Wenn  jene  erst  angeführten  Beispiele,  die  sich  präterital  auf- 
fassen lassen,  die  älteren  sind,  so  ist  doch  jedenfalls  nur  ein  kleiner 
Schritt  von  hier  zu  wirklich  präsentischen ;  es  braucht  nur  ein  Satz 
wie  dii  optafa  dant  negativ  gewendet  zu  werden  und  das  Zeit- 
verhältnis ist  sogleich  verschoben :  Potire  quod  dant ,  quando  optata 
non  danunt  Caec.  St.  fr.  176.  Dann  vielleicht  schon  bei  Plautus: 
Ibi  quidem  si  regnum  detur,  non  est  cupita  civitas  Merc.  841  (aber 
B  hat  aipida) ;  im  Wortspiel :  stultust  qui  cupita  cupiens  cupienter 
cupit  Enn.  fr.  tr.  256.  Später  häufig:  mihi  in  optatis  est  .  .  .  Cic; 
optata  furiosorum  Cic;  omnia  desider ata  magis  quam  assidue percepta 


^  Im  Griechischen   ist   diese  Nuance    besonders  ausgebildet  worden:    /«- 
OtjTÖg  hasseuswert,  OQazög  sichtbar. 


94 

(kleciant  Cic;  Melior  itiliorque  est  certa  pax  quam  sperata  vkloria 
Liv.  3O30;  seit  Optimum  viodum  esse  cupitorum  non  qiiantum  velis, 
sed  quantum  debeas  sumere  Sen.;  Quis  non  diver sa  praesentibus  con- 
irariaque  exspectatis  aut  speret  aut  ti^neat  Vell. 

3.  Wie  expectare  etc.  dürften  auch  manche  andere  Verl)a  ur- 
sprünglich perfektive  Bedeutung  haben,  so  dafs  die  Beispiele,  die 
hierher  zu  gehören  scheinen,  eigentlich  richtig  zu  I  zu  zählen  sind. 
So  scheint  falsus  est  gleichbedeutend  zu  sein  mit  eum  falUt  'er 
irrt  sich',  *er  weifs  nicht';  aber  die  ursprüngliche  Bedeutung  der 
Verbindung  mufs  doch  sein:  'es  entgeht  ihm',  'er  gerät  in  den 
Irrtum';  also  haud  falsa  sum  nos  odiosas  haberi  PI.  Aul.  123  (ähnl. 
Men.  755)  'darüber  bin  ich  nicht  in  Irrtum  geraten'  =  'das  weifs 
ich  ganz  gut'  und  positiv:  qiiippe  qui  quem  illorum  ohservet  falsust 
Rd.  784  'er  ist  auf  unrechte  Fährte  geraten',  'er  weifs  nicht'. 
Einem  corpule?itior  videre  atque  hahitior  Ep.  10  liegt  ein  habere  'halten' 
=  'aufziehen,  nähren'  zu  gründe,  ähnlich  wohl  dem  ynale  habiti 
Ps.  132. 

4.  Bei  den  Verben  der  Gefühlsbewegung  sind  folgende  Bei- 
spiele bei  Plautus  zu  betrachten:  Ita  magister  quasi  lucerfia  uncto 
expretus  linteo  .  .  .  Bacch.  446,  wo  expreius  mit  .verschmähen'  über- 
setzt wird ;  die  Stelle  ist  nicht  sicher  überliefert.  Im  übrigen  kann 
das  Hapax  Legomenon  expretus  zu  einem  Perfektiv  gehören,  das 
'in  Verachtung  geraten'  heifst  (vgl.  oben  exoptare).  Sicher  perfektiv 
ist  nach  seiner  Etymologie  diledus  eig.  'ausgewählt',  ferner  invisus 
Merc.  80  'verhafst',  eig.  'den  man  mit  scheelem  Blick  angesehen 
hat,  um  ihm  zu  schaden'.  Dann  haben  wir:  nuntiavit  .  .  .  7nea 
deamata  (Hs.  deamat)  dona  acceptaque  habita  esse  apud  Phronesium  . .  . 
militis  odiosa  iiigrataque  habita  Truc.  703 — 5.  Wenn  die  Stelle 
richtig  hergestellt  ist,  so  heifst  d.  wohl,  wie  Georges  übersetzt  und 
die  Zusammenstellung  mit  accepta  nahelegt  'grofsen  Gefallen  finden ', 
'willkommen  heifsen',  wobei  die  Zusammensetzung  mit  de-  wieder 
perfektiven  Sinn  verleiht.  Endlich:  Vir  7ne  habet pessumis  despicatam 
modis  Gas.  189  =  Vir  pessumis  me  7nodis  despicatui  dojni  185;  einer 
der  beiden  Verse  ist  wahrscheinlich  Dittographie,  die  Überlieferung 
auch  hier  nicht  sicher.  Es  könnte  der  Dativ  despicatu(i)  das  richtige 
sein,  s.  Ritschis  Ausg. 

Jedenfalls  fehlen  bei  Plautus  vollständig  die  später  so  üblichen 
amatus  'geliebt',  contemptus  'verachtet'.  Besonders  bei  amatus  ist 
das  auffällig  und  gewifs  —  in  Anbetracht  der  grofsen  Rolle,  die 
das  Verb  bei  PI.  spielt  —  nicht  zufällig.  PI.  drückt  'geliebt'  regel- 
raäfsig  durch  einen  Relativsatz  aus :  Servire  atnanti  miseriast,  prae- 
sertim  qui  quod  aniat  caret  Poen.  820,  Satietatem  dum  capiet  paier 
illius  quam  amat  Am.  473,  ferner  Cure.  138,  327.  Cist.  85,  97. 
Ep.  46.     Bacch.  190  etc.^ 


*  amata   würde,    wenn    das   Zitat   bei    Gellius    auch    dem  "Wortlaut   nach 
genau  ist,    zuerst   in    der  Formel    der  Juris   ponteficii  libri    des    Fabius  Pictor 


95 

Welche  Ausbreitung  die  -io-Yorm  im  passiv-präsentischen  Sinn  22. 
in    späterer  Zeit    angenommen    hat,    möge    aufser    den  schon  21,  2 
gegebenen  Beispielen  noch  durch  folgende  illustriert  werden: 

Brixia  Vetonae  viaier  am  ata  meae  Catull  6734;  cognoscit 
amaias  .  .  aqtias  Ov.  met.  5  en,j;  sie  amet  ipse  licet,  sie  noti  potiaittr 
amato  eb.  3  4Q5.  cursusque  Jabit  venerata  secundos  Y erg.  Aen.  ^  ^^qA 
quod  (pulchriim  atque  praeclarum)  spreta  et  contempta  voluptate 
oplumus  quisque  sequeretur  Cic.  Cato  43 ;  in  rem  tarn  humilem  tamque 
co7itemptatn  ds.  Lael.  32. 

Moenia  jam  stahatit,  populis  angusta  futuris  Credita,  sed  turhae 
tunc  nimis  ainpla  sitae  Ov.  fast.  III,  IÖ2,  vgl.  Tac.  Ann.  6,  35,  16; 
alimetita  debita  dives  poscebatur  hunius  Ov.  met.  I  137. 

Nee  tarnen  ego  sum  ille  ferreus  qui  .  .  .  non  movear  horum  .  .  . 
lacrimis  a  qiiihus  me  circtimsessum  videtis  Cic,  Cat.  IV,  3 ;  ita  trac- 
taturn  esse  ut  .  .  .  lictor  occidereiur,  ipse  circumsesstis  paene  incenderere 
ds.  Verr.  II,  185.  —  rai'is  habitata  mapalia  tectis  Verg.  Ge.  111,340. 
habiiata  pruinis  Nursia  Sil.  Ital.  VIII,  416;  habitata  calido  Gradivo 
(d.  h.  Marte)  pectora  eb.  XV,  337.  —  gens  Pandae  sola  Indonim 
regnata  feminis  Plin.  n.  h.  VI,  20. 

ptieri  feriint  {p.ä.va\.  dolorem)  gloria  dncti,  fertint  pndore  alii  Cic. 
Tusc.  II,  46.  —  quam  Juno  fertur  posthabita  coliiisse  Samo  Verg. 
Aen.  I,  16.  —  Hie  (Critognatus)  summo  in  Arvernis  ortus  loco  et 
magfiae  habitus  aiictoritatis  *■  NihiV  inquit  .  .  .  Caes.  b.  g.  7,  77,  3.  — 
Dispersa  milite  qtii  in  uno  habitus  hostem  promptus  sustentavisset  Tac. 
Ann.  15,  10,    17. 

quidquid  erat,  quod  in  cernendi  sensum  caderet,  id  sibi  adsumpsit 
non  tranqiüllum  et  quieium,  sed  inmoderate  agitatum  et  fluitans  Cic. 
Tim.  g,  übersetzt :  Plato  Tim.  30  A  ovxco  ö?]  Jim'  'ööov  i]V  oQaxöv, 
jtaQccXaßcov  ovx  rjOv/iav  ayov,  alla  ■aivoviiEVOV  JiXTjfifisXag 
xal  aräxTCOg.  —  Emicuit  Summanus  (=  Pinto)  e  terris  ctirsu  qiiadri- 
jugo  vectitaius  Arn.  V,  37,  tantae  molis  rotatae  vertigine  adsidua 
sonitus  Plin.  n.  h.  I  3. 

Ceteris  in  rebus  sive  praetermissum  sive  igJioratum  est  quippiam, 
non  plus  incommodi  est  quam  .  .  .  Snmmum  autem  botium  si  ignoretur, 
vivendi  rationem  ignorari  necesse  est  Cic.  Fin.  V.  15,  nisi  servili  hahitu 
per  tenebras  ignoratus  cvasisset  Tac.  bist.  4,  36,  13;  negotiis  fami- 
liaribus  impediti  vix  satis  otium  studio  suppeditare  possumus  Cic. 
Her.  I,  I.  —  Galli  arce?n  tenebant  defejisi  tenebris  et  dono  noctis 
opacae  Verg.  Ae.  8,  658,  mare  .  .  .  ripis  contentum  instilarum  non 
longe  distantibus  Mela  III,  331.^ 


begegnen:  ita  te,  amata,  capto.  Man  wcifs  nicht,  ob  F.  P.  dem  2.  oder  i.  Jli. 
Vor  Chr.  anijehört.  Was  G.  über  den  Grund  dieser  Benennung;  I  ^i  i9  niillcilt, 
ist  wohl  Fabelei.  Als  Eigenname  begegnet  Amatiis  -a  sonst  nicht  in  so  alter 
Zeit.     Vgl.  W.  Otto  Jb.  f.  Phil.  Suppl.  24  (1899)  S.  756,  858. 

^  Enn.  Frgm.  30  ist  venerata  erst  durch  Konjektur  hergestellt. 

2  Was  Dräger  Synt.2  §  594,  5S2,  Madw.  §  237,  Reisig  Vorl.  (Berl.  18SS) 
S.  752f.  anführen,  gehört  nur  zum  kleinen  Teil  hieher;  manches  gehört  zu  der 
48,  2  besprochenen  Erscheinung.     Auch  Fälle  wie  poenas  dedit  pugnis  caesiis 


96 

23.  Fragen    wir    uns    nach    den    Gründen    dieser  Ausdehnung,    so 

dürften  sie  in  erster  Linie  darin  zu  suchen  sein,  dafs  die  Grenze 
zwischen  durativen  und  perfektiven  Verben  sehr  wenig  scharf  ist 
und  fortwährend  Verschicbungen  zwischen  den  beiden  Gruppen 
vorkommen.  Ursprünglich  mögen  vielfach  die  Komposita  durativer 
Verba  perfektiv  gewesen  sein,  wie  wir  schon  bei  exoptare,  deama?-e 
festgestellt  haben.  Vgl.  Mea  Phikmaiium,  polare  teciim  conluhitumst 
mihi  ('ist  mir  die  Lust  gekommen').  Ph.:  Et  eJepol  mihi  tecum; 
iiam  qvod  tibi  lubet,  idem  mihi  hibet  PI.  Most.  295  f.  Immo  dicamus 
setiibus  legem  censeo  Priusqiiam  abeamus,  qua  se  lege  teneant  con- 
tentiqtie  sint  Merc.  1016.  Mirari  nolim  vos  quapropter  Juppiter 
Nunc  histriones  cur  et.  Ne  miremini :  Ipse  hanc  acturust  Juppiter 
comcediam.  Quid  admirati  estis  ('seid  in  Verwunderung  ge- 
raten') quasi  vero  novom  nunc  proferatur,  Jovem  facere  histrioniam 
Am.  86 — 90.1  Mit  der  Zeit  wird  der  Damm  zwischen  durativen 
und  perfektiven  Verben  eingerissen;  es  würde  zu  weit  führen, 
hier  auf  das  Wie  und  das  Warum  dieser  Erscheinung  einzugehen; 
natürlich  handelt  es  sich  wieder  um  eine  analogische  Bewegung, 
die  ihren  Grund  in  einer  Funktionsverschiebung  hat.  So  mögen 
servare  und  conservare  ursprünglich  verschieden  gewesen  sein;  aber 
soweit  sie  für  uns  belegbar  sind,  finden  wir  beide  mit  beiden  Be- 
deutungen I.  erhalten  =  retten,  2.  erhalten  =  bewahren,  ebenso 
occupare  beschäftigen  i.  =in  Anspruch  nehmen,  2.  =  in  Atem  hallen; 
vgl.  Tibi  .  .  ,  tnagmwi  malum  (nämlich  di  dabunt)  Qui  oratiofie  hie 
occtipatos  occupes  V\.  Rud.  109.  So  auch  bei  manchen  Verben,  die 
man  zunächst  für  rein  perfektiv  halten  würde,  z.  B.  7tego'.  i.  perf. 
nempe  negas  ad  beatum  vivendum  satis  posse  virtutem?  —  prorsus  nego 
('bestreite')  Cic.  Tusc.  V,  12.  2.  dur.  negat  Epicurus  .  .  .  quemquam 
qui  honeste  non  vivat  jucunde  posse  vivere  ('seine  Meinung  ist'  .  .  .) 
Cic.  Fin.  —  Oder  vetare'.  l.  perf.  Cum  cornix  cecinerit,  tum  aliquid 
eam  aut  jubere  aut  vetare  .  .  .  Cic.  Ac.  128  ('ein  Verbot  aussprechen'). 
2.  dur.  quae  {lex  naturae)  vetat  tdlam  rem  esse  cujusquam  nisi  qui 
tractare  et  uti  sciat  Cic.  R.  1,  27  ('unter  Verbot  halten').  Ähnliche 
Doppelbedeutungen  kommen  vielen  Verben  zu:  credere,  curare,  aesti- 
mare,  superare,  incingere  usw.  Es  ist  nun  klar,  dafs  wenn  man 
servatus  (z.  B.  in  PI.  Aul.  677  sahom  et  servatuvi)  oder  occupatus 
(z.  B.  in  der  oben  zitierten  Stelle  des  Rud.)  oder  vetitus,  negatus 
(z.  B.  in  dem  bekannten  Ovidischen  Nitimur  in  vctitum  semper  cu- 
pimusque  negata)  statt  zum  pt-rfektivgebrauchten  zum  durativ- 
gebrauchten Verb    zieht,    ein  präsentischer  Sinn  sich   ergeben  mufs 


ferroque  petitus  .  .  .  (Hör.)  stellen  nur  eine  weitere  Komplikation  derselben  vor. 
Da  ich  mich  darauf  beschränken  mufs ,  die  Entwicklung  der  Bedeutung  des 
Parliz.  zu  untersuchen,  soweit  sie  für  das  Romanische  von  Wichtigkeit  ist, 
kann  ich  das  nicht  besprechen,  was  blofs  vom  lat.  Standpunkt  aufiällig  ist. 

*  Gelegentlich  ist  wohl  auch  andern  Mitteln  der  Wortbildung  die  Rolle 
zugekommen,  die  Aktionsart  zu  ändern.  So  wird  amplecto(r)  ursprünglich 
perfektiv,  amplexor  durativ  gewesen  sein. 


97 

und  dafs  von  solchen  Fällen  der  präsentische  Sinn  sich  auch  dorthin 
verbreiten  konnte,  wo  das  Verb  nur  durativ  gebraucht  war. 

Weniger  in  Betracht  dürfte  kommen,  dafs  der  präteritale  Sinn  24. 
manchmal  bis  knapp  an  die  Grenze  des  präsentischen  heranrücken 
kann,  dafs  nämlich  der  Handlung  der  -io-Fovm  so  unmittelbar  die 
durch  das  Hauptverb  bezeichnete  folgt,  dafs  nicht  das  temporale, 
sondern  nur  das  kausale  prius  deutlich  erkennbar  ist,  wie  etwa  in 
dem  Beispiel  Verg.  Ge.  III,  310:  laefa  .  .  .  pressis  manabimt  flumina 
mammis. 

Der  Übergang  vom  Verbal-Adjektiv  zum  Partizip  läfst  sich  in  25. 
der  attributiv-qualifikativen  Verwendung  an  dem  einzelnen  Wort 
aus  den  i  c,  i'j  hervorgehobenen  Gründen  schwer  verfolgen.  Nur 
wo  teils  durch  Funktionsverschiebung,  teils  durch  Analogie  die  Be- 
ziehung auf  das  Genus  verbi  und  die  Zeitverhältnisse  eine  Ab- 
weichung zu  verzeichnen  hat,  die  sich  mit  dem  ursprünglichen 
Sinn  des  Verbal- Adjektivs  nicht  verträgt,  sind  wir  sicher,  dafs  wir 
bereits  das  Partizipium  vor  uns  haben.  Das  ist  bei  der  Ver- 
wendung III  fast  durchwegs,  bei  II  z.  T.  der  Fall.  Gerade  aber  die 
Fälle  n  und  III  sind  für  uns  ungemein  wichtig,  da  auf  ihnen  die 
eigenartigen  romanischen  Verwendungen  des  Part.  pf.  +  esse  beruhen. 


Prädikativer  Gebrauch  des  -fo-Adjektivs.  -ifo-Partiz.  +  esse. 

Viel   früher,    entschiedener   und   allgemeiner    als   in   attributiv-    26. 
qualifikativer  Stellung  ist  die  -/ö-Form  in  ihrer  Stellung  als  Prädikat  ^ 
vom    nominalen    syntaktischen    Charakter    zum    verbalen    hinüber- 
geschwenkt. 

Die  -/ö-Form  dient  in  Verbindung  mit  esse"^  seit  den  ältesten 
für  uns  erreichbaren  Zeiten  zur  Umschreibung  der  Perfektform  der 
passiven  Verbalfiexion.  Die  Entwicklung,  die  dazu  geführt  hat, 
ist   bereits   vor  Plautus   zum  Abschlufs   gekommen   und   um   sie  zu 


^  Im  folgenden  ist  hauptsächlich  die  Verwendung  als  Hauptprädikat 
(Prädikat  erster  Ordnung)  ins  Auge  gefafst.  Daneben  spielt  es  bekanntlich 
als  Nebenprädikat  (Prädikat  zweiter  Ordnung  =  absolute  oder  konjunkte 
Partizipialkonstruktion)  eine  wichtige  Rolle,  besonders  in  der  kunstmäfsig  aus- 
gebildeten Schriftstellersprache.  Dieser  Gebrauch,  ursprünglich  in  der  adjektivisch 
attributiven  Verwendung  wurzelnd,  vgl.  /y,  steht  gänzlich  unter  dem  Einflufs 
der  prädikativen,  d.  h.  das  Partizip  wird  so  verwendet,  wie  in  den  ent- 
sprechenden Temporal-,  Kausalsätzen  das  -/ö-Partizip  mit  den  Formen  von 
esse,  die  Gleichzeitigkeit  ausdrücken,  verwendet  würde.  Zum  mindesten  geht 
die  Entwicklung  parallel  damit  und  was  über  die  Bedeutungsverschiebungen 
der  prädikativen  Partizipien  gesagt  wird,  gilt  auch  für  die  Partizipial- 
konstruktionen. 

2  Oder  auch  ohne  esse.  Besonders  in  der  älteren  Zeit  fehlt  noch  häufig 
das  Hilfsverb  beim  prädikativ  gebrauchten  Partizip,  worin  sich  vielleicht  ein 
Gebrauch  der  Umgangssprache  widerspiegelt.  Die  in  der  vorigen  Anmerkung 
hervorgehobene  Parallelität  der  Partizipialkonstruktionen  erklärt  sich  möglicher- 
weise z.  T.  aus  diesem  Umstand. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil,  XXVI.    (Festschrift.)  7 


98 

verstehen,  müssen  wir  das  Nebeneinander  von  Altem  und  Jungem, 
ursprünglich  Berechtigtem  und  Analogischem,  das  uns  Plaulus  bietet, 
in  ein  Nacheinander  aufrollen. 

27.  Die  Konstruktion  mufs  ihren  Ursprung  bei  perfektiven  Verben 
gehabt  haben  und  die  Verbindung  des  -/<?-Part.  mit  esse,  ursprüng- 
lich den  Sinn  des  sich  aus  einer  Handlung  ergebenden  Zustands, 
dann  den  damit  sehr  verwandten  eines  präsentischen  Perfekts 
gehabt  haben. 

In  folgenden  Beispielen  geht  die  Verbindung  auf  den  Zustand, 
entsprechend  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  -/ö-Adjektivs : 

Obsignatast  rede  (das  von  den  Anwesenden  angeschaute 
Kistchen)  Am.  784;  Sed  quid  hoc?  occbisa  januast  interdius  Most. 
444;  quibiis  nee  locus  nullus  nee  spes  parata  est  Rud.  278;  occisi 
suynus  ('es  ist  aus  mit  uns')  MGI.  172;  An  mortui  sunt?  Factum 
Poen.  1067.  Vgl.  auch  einen  Superlativ  wie  7iam  ego  sum  ex- 
clusissumus  Men.  698.  —  Mit  generellem  Präsens:  Semel  fugiendi  si 
datast  occasio,  Satis  est  Capt.  117. 

Ist  hier  überall  der  aus  der  Handlung  sich  ergebende  Zustand 
dasjenige,  worauf  es  ankommt,  so  gibt  es  sehr  viele  Fälle,  wo  man 
zweifeln  kann: 

Sed  istuc  quid  est,  tibi  quod  commutatust  color?  Numquid  tibi 
dolet?  'ist  jetzt  anders'  =  'hat  sich  geändert'  Men.  368;  liaque 
huic  insidiae  paratae  sunt  probe  Persa  481;  gnata  viea  hosiiumst  potita 
neque  ea  nunc  ubi  sit  scio  Ep.  532.  —  Mit  generellem  Präsens:  Nam 
canis  quando  est  percussa  lapide,  non  tarn  illuiu  adpetit  Qui  sed  icit, 
quam  illu7n  eumpse  lapidem,  qui  ipsa  icta  est,  petit  Pacuv.  fr.  39. 

28.  Der  ursprüngliche  auf  den  Zustand  gehende  Sinn  ist  hier 
überall  möglich;  aber  auch  der  andere  auf  die  Handlung,  aus 
der  der  gegenwärtige  Zustand  entsprungen  ist,  gehende  überall 
unterlegbar.  Es  kann  also  der  Hörende  eine  andere  Nuance  heraus- 
gefühlt haben,  als  der  Sprechende  beabsichtigt  hatte,  ohne  dafs 
das  Mifsverständnis  (./)  irgendwie  fühlbar  wurde. 

Der  Gedanke  an  die  Handlung  kann  dann  ganz  in  den  Vorder- 
grund treten;  etwa  wenn  ihr  Zeitpunkt  angegeben  ist:  Quem  sum- 
bolum?  Qui  a  milite  allatust  modo  Ps.  717;  quae  emptast  nudius 
tertius  Ep.  697  oder  andere  Umstände,  die  sich  ausschliefslich  auf 
sie,  nicht  auf  den  Zustand  beziehen:  longe  hinc  abest,  unde  advectae 
huc  sumus  Rud.  267,  eodem  consilio  quod  intus  vieditoti  sitmus  Gerimtis 
rem  MGI.  612;  und  mit  allgemeinem  Präsens  z,  B.  Nam  bene  con- 
sultum  consilium  surripittir  saepissume  Si  miiius  cum  cura  aut 
cauiela  locus  loquendi  lectus  est  MGI.  603. 
20.  Die  Adjektivbedeulung  ist  in  derartigen  Beispielen  schon  recht 

schwach  fühlbar;  immerhin  können  auch  andere,  nicht  von  Verben 
abgeleitete,  Adjektiva  unter  günstigen  Umständen  in  ungefähr 
gleichem  Mafse  verbale  Kraft  erlangen;  z.  B.  Postquam  liberast, 
Ubi  habitet  dicere  admodum  incerte  scio  Ep.  505  (vgl.  auch  Men.  24); 
Nisi   quidem    hie    agitare    mavis    variiis    virgis    vigilias    MGI.  216. 


99 

Ja,  ein  derartiges  Adjektiv,  mortiius  (vgl.  Brugm.  Gr.  II,  i  ^  S.  448), 
hat  sich  der  Entwicklung  der  Verbaladjektiva  so  völlig  angeschlossen, 
dafs  es  ihnen  gleichwertig  geworden  ist. 

Dafs  nun  aber  in  diesem  Stadium  der  Dinge  unsere  Kon-  30. 
struktion  völlig  in  das  Verbalsystem  hineingezogen  wurde,  wird 
begreiflich,  wenn  wir  bedenken,  dafs  auch  das  synthetische  (Aktiv-) 
Perfekt  von  perfektiven  Verben  genau  denselben  Bedeutungspiel- 
raum inne  hat.  Auch  dieses,  soweit  es  ein  präsentisches  Perfekt 
ist,  vereinigt  die  zwei  Ideen,  ein  vergangenes  Geschehen  und  einen 
gegenwärtigen  Zustand;  und  je  nach  dem  Zusammenhang  tritt 
mehr  jene: 

pater  ddest  .  .  .  Quis  vidit?  —  Egomet  inquam  vidi  Most.  367; 
ut  nie  vie  exorjiavit,  ita  suvi  ornatiis  Tr.  857, 

oder  mehr  diese: 

nos?nei  sciinus  atque  attdivimus  Ps.  463;  ita  adsimulavit  se 
gtiasi  Amphitruo  siet  Am.  115  in  den  Vordergrund.  Aber  wie  bei 
dem  Verbaladjektiv  ist  die  Grenze  nicht  scharf;  es  ist  nicht  nur 
eine  Zwischenstufe  denkbar,  die  eben  vollzogene  Handlung:  Id 
adeo  nos  nunc  factum  invenimus  Most.  477»  certo  vox  muliebris  auris 
tetigit  meas  Rud.  233;  sondern  in  derselben  Rede  einer  Person  kann 
nacheinander  bald  die  eine  bald  die  andere  Idee  hervortreten: 
uhi  tu  me  novisti  getitium  (Zust.)  Aut  vidisti  (Handl.)  aut  conlocutu^s? 
Ps.  620,  Qui  tiominat  vie?  —  Qtii  pro  te  argentum  dedit.  (sieht  zu- 
nächst aus,  als  ob  es  auf  die  Handlung  ginge,  aber  der  Sklave 
versteht  es:)  —  Quasi  me  iuom  esse  servovi  dicas,  Daeniones  Rud.  98. 

Der  Übergang  der  Konstruktion  'tu  •\-  esse  ist  aber  erst  dann  Si- 
vollständig  vollzogen,  wenn  die  ursprüngliche  Idee  des  gegenwärtigen 
Zustands  überhaupt  nicht  mehr  zutrifft,  d.  h.  wenn  die  Folge  der 
Handlung  überhaupt  nicht  in  die  Gegenwart  reicht.  Dann  haben 
wir  das  sogenannte  aoristische  Perfekt.  Zwei  Möglichkeiten  sind 
denkbar.  Entweder  hat  sich  dieser  Übergang  in  Analogie  zum 
aktiven  Perfekt  vollzogen.  Aoristische  Bedeutung  war  vielleicht  bei 
einem  Teil  der  lat.  Perfekta  die  ursprüngliche,  da  gewisse  Form- 
typen auf  alte  Aoriste  zurückzugehen  scheinen;  bei  einem  grofsen 
Teil  war  sie  aber  jedenfalls  selbst  analogisch,  durch  generelle 
Funktionsverschiebung  entstanden,  indem  eben  bei  Beispielen,  wie 
das  jo  erwähnte  mit  exoniavit,  nur  mehr  die  vergangene  Handlung 
herausgefühlt  wurde.  So  haben  wir  z.  B.  deutlich  aoristisches 
Perfekt  in  quas  spopondi  Tx.  427,  wo  der  Tatbestand  der  Bürgschaft 
nicht  mehr  gilt,  weil  die  Sache  bezahlt  ist.  Oder  wir  haben  keinen 
Einfiufs  des  Aktiv-Perfektums,  sondern  nur  Parallelentwicklung  mit 
diesem,  die  gleiche  generelle  Funktionsverschiebung  anzunehmen. 
Welche  der  beiden  Möglichkeiten  zutrifft,  ist  nicht  mit  Sicherheit 
zu  entscheiden,  die  zweite  ist  wohl  die  wahrscheinlichere,  da  uns 
andere  Sprachen  lehren,  dafs  der  Übergang  zum  aoristischen  Perfekt 
sehr  häufig  das  Schicksal  des  eigentlichen  Perfekts  ist. 


lOO 

Deutlich  aoristisches  Perfekt  haben  wir  z.  B.  in  folgenden 
Sätzen,  wo  der  Zustand,  der  aus  der  Handlung  entspringt,  nicht  in 
die  Gegenwart  fortdauert:  Vinctus  sum,  sed  dolis  me  exemi  (also 
vinclus  stitn  ganz  deutlich  nicht  =  'ich  bin  ein  gebundener') 
Bacch.  952,  rcpentino  exorUis  siim,  repentino  occidi  Ps.  39,  cenam  .  .  . 
qiiae  quondam    Thyestae  anteposita  est  Rud.  508. 

32.  So  steht  denn  unsere  Konstruktion  dem  aktiven  Perfekt  auch 
vollständig  gleich  als  die  Zeit  der  zusammenhängenden,  Glied  an 
GUed  anreihenden  Erzählung.  In  dieser  Verwendung  ist  es  zwar 
nicht  immer  notwendigerweise  aoristisch  zu  fassen,  denn  besonders 
bei  kürzeren  Erzählungen,  wie  man  sie  in  der  täglichen  Rede  hören 
kann,  lassen  sich  häufig  alle  Einzelhandlungen  in  die  Gegenwart 
nachwirkend  denken:  Qiioniam  hinc  est profecius peregre  Charmides, 
thensaurum  demonstravit  viihi  in  hisce  aedihiis  .  .  fletis  me  obse- 
cravit  suo  ne  gnato  crederem  etc.  Trin.  150  ff.;  aber  in  der  Regel 
haben  wir  doch  den  Aorist  vor  uns  sowohl  bei  erst  kürzlich  Ver- 
gangenem: ?nensa  ablatast:  culitum  hinc  abiimus  Am.  807,  als  bei 
Längstvergangenem:  abhinc  annos  factmnst  sedecim,  Quo?n  con- 
spicaiust .  .  .  puellam  exponi  Gas.  40. 

33.  Die  so  entwickelte  neue  Tempusform  gehört  ursprünglich  nicht 
notwendig  zur  Passiv-Flexion;  das  beweisen  Fälle  wie  ausus  stim, 
juratus  siim.      In  der  IMehrzahl  der  Fälle  allerdings  ergibt  sich    die 

Beziehung  zu  passivischen  Präsensformen  von  selbst.  Wir  haben  ja 
hier  nur  mit  den  Fällen  I  u.  II  (//)  zu  rechnen.  In  I  hat  das 
Partizip  durchwegs  passive  Bedeutung,  in  II  hat  es  wohl  zunächst 
aktive  oder  mediale  Bedeutung,  gehört  aber  auch  sehr  häufig  zu 
einem  Verb  mit  passiver  Form  {16).  Zum  integrierenden  Bestand- 
teil des  Verbalsystems  ist  die  Verbindung  jedenfalls  nur  beim 
Passivum  geworden,  hier  hat  es  —  warum,  können  wir  natürlich 
nicht  sagen  —  die  alten  synthetischen  Formen  des  Perfekts  so 
vollständig  verdrängt,  dafs  auch  nicht  der  mindeste  Rest  davon 
auf  uns  gekommen  ist. 

34.  Nun  finden  wir  aber  unsere  Konstruktion  auch  im  passiven 
Formenschema  von  durativen  Verben  u.  zw.  wieder  ganz  genau 
in  den  gleichen  Bedeutungsnuancen  wie  das  aktive  Perfekt.  Zur 
Veranschaulichung  mögen  folgende  Beispiele  aus  Plaulus  dienen. 

a)  Ursprünglich  mag  das  aktive  Perfekt  durativer  Verba  eine 
Handlung  bezeichnet  haben,  die  sich  aus  der  Vergangenheit  bis 
zu  dem  gegenwärtigen  Moment  erstreckt:  hiinc  servavi  semper  Jiiecum 
una  anultun  Cure.  Ö53;  lacrumas  haec  mihi,  quom  video,  eliciunt,  quia 
ego  ad  hoc  genus  honwium  duravi  Trin.  290;  postquam  natiis  stim, 
satur  mimquam  fui  St.  156. 

Ebenso  die  Umschreibung:  mihi  quidem  attas  actast  ferme 
Trin.  ^iq,  jam  satis  est  philosophalum  Ps.  687,  diu  me  estis  demorati 
Ep.  376;  vgl.  noch  St.  467. 


b)  Unter  deutlichem  Ausschlufs  der  Gegenwart,  u.  zw.  in 
Parallele  oder  im  Gegensatz  mit  der  Gegenwart:  Valen?  Valuisiin? 
—  Valeo  et  valiii  rectiiis  Trin.  50;  vgl.  auch  Trin.  106,  330.  Speravi 
ego  isfam  tibi  parturam  filiam.  Verum  non  est  piiero  gravida  Am.  716. 
Im  Infin.:  miserum  istiic  verhum  et  pessumumst  '■hahiiisse  et  nil  habere' 
Rud.  1321. 

Ebenso  die  Umschreibung:  Qtio  nemo  adaeque  juventiiti  ex 
omni  Attica  Aniehac  est  habitiis  parcus  nee  magis  contincns  Is  nunc  in 
aliam  partem  palmam  possidet  Most.  30  f.  Quihus  advorsum  jus  .  .  . 
injuria  hie  factast  fitque  Rud.  699  i;  vgl.  noch  MGI.  1374,  Capt.  143, 
Aul.  216,  Pars.  779,  Truc.  165,  Man.  566. 

c)  Mit  Ausschlufs  der  Gegenwart,  ohne  dafs  eine  Beziehung 
zur  Gegenwart  zum  Ausdruck  gebracht  ist  2; 

nam  nisi  qui  ipse  amavit,  aegre  amantis  iugenium  inspicit 
MGI.  636;  at  eiiam  duhitavi  hosce  homines  emerem  an  non  emerem 
Capt.  455;  filiolavt  ego  unam  habui,  eatn  unam  perdidi  Kwd.  106;  uhi 
fuisti,  ubi  lusirattCs,  uhi  bibisii'^.    Gas.  245. 

Ebenso  die  Umschreibung:  Fui  ante  peior  Nile  ego  quam  yiiinc 
tu:  amata  sum  atque  uni  ?nodo  gessi  morem  Most.  200;  istic  homo 
rabiosus  habiius  est  in  Alide  Capt.  547;  haec  illic  est  pugnata  pugna 
a  mani  ad  vesperiim  Am.  253;  Siniiam  hodie  sum  sectatus  nostram 
MGI.  289;  vgl.  noch  Persa   169,  211,  648  f.;  Ps.  13 18. 

Die  Ausdehnung  unserer  Konstruktion  auf  durative  Verba  ist  35. 
nicht  so  leicht  und  sicher  zu  beurteilen  wie  die  Ausdehnung  auf  . 
das  aoristische  Perfekt  bei  perfektiven  Verben.  Von  einer  Funktions- 
verschiebung könnte  nur  in  jenen  Fällen  die  Rede  sein,  wo  ein 
Verb  neben  der  durativen  Bedeutung  öfter  oder  gewöhnlich  die 
perfektive  hat,  wie  z.  B.  oben  ß^h  in  dem  Beispiele  Rud.  699  facta 
est.  Es  würde  also  dann  etwa,  weil  irgend  welche  aktive  Perfekta, 
z.  B.  fecit,  neben  der  perfektiven  hie  und  da  eine  durative  Bedeutung 
haben,  analogisch  facta  est  ebenfalls  eine  solche  zugelassen  haben. 
Dies  wäre  also  eine  analogische  Funktionsverschiebung  (5).  Diese 
Erklärung  gälte  jedoch  jedenfalls  nicht  für  blofs  durative  Verba  wie 
amaius  sum  in  dem  Beispiel  Most.  200,  da  nach  dem  21,  \  aus- 
geführten  amatus  als  Adjektiv  überhaupt  zunächst  nicht  vorhanden 

1  Mit  deutlich  durativer  Verwendung  des  sonst  perfektiv  gebrauchten 
Verbs. 

*  Das  Perfektum  durativer  Verba  rückt  so  einem  Imperfektum  sehr  nahe. 
Ein  Unterschied  scheint  aber  doch  immer  vorhanden  gewesen  zu  sein:  Das 
Perfektum  betrachtet,  auch  wo  keine  direkte  Beziehung  zur  Gegenwart  aus- 
gedrückt ist,  das  Geschehen  doch  vom  Standpunkt  der  Gegenwart,  vom  Gesichts- 
punkt des  Sprechenden;  beim  Imperfekt  verläfst  der  Sprechende  sozusagen 
völlig  die  Sphäre,  in  der  er  lebt  und  versenkt  sich  durchaus  in  die  der  Zeit, 
von  der  er  berichtet,  nimmt  völlig  den  Gesichtspunkt  des  damals  handelnden 
Subjekts  ein.  Es  würde  zu  weit  führen  auf  diesen  Unterschied  der  die  relative 
Seltenheit  des  Imperf.  in  dem  Konversationsstil  des  Plautus  erklären  dürfte 
und  der  mir  andrerseits  bis  in  die  modernsten  Phasen  der  roman.  Sprachen 
nachzuwirken  scheint,  hier  näher  einzugehen. 


I02 

gewesen  zu  sein  scheint.  Wir  müssen  vielmehr  annehmen,  dafs 
die  erste  Verwendung,  in  der  diese  Form  gebraucht  wurde,  eben 
die  verbale  war:  amatiis  ^j/i  = 'er  ist  geliebt  worden'.  Wie  sich 
nun  aber  der  Vorgang  im  einzelnen  abgespielt  hat,  ob  die  Form 
nach  bedeutungsverwandten  perfektiven  Verben  wie  etwa  deamatiis 
est  geschaffen  ist,  ob  sie  von  jenen  früher  erwähnten  Verben  aus- 
geht, die  die  durative  und  perfektive  Bedeutung  vereinigen,  ob  sie 
direkt  nach  dem  Aktivum  (also  direkt  nach  der  Proportion:  amalus 
sum  :  ornatus  sunt  wie  amavit  :  ornavit)  gebildet  ist,  oder  ob  mehrere 
Momente  zusammenwirken  entzieht  sich  vöUig  unserer  Beurteilung. 

36.  Wie  Conductus  sum  von  der  Bedeutung  'ich  bin  gedungen'  zu 

der  'ich  bin  gedungen  worden',  so  gelangt  conductus  eram  von  der 
Bedeutung  'ich  war  gedungen'  zu  'ich  war  gedungen  worden', 
c.  ero  zu  'ich  werde  gedungen  worden  sein',  c.  esse  zu  'gedungen 
worden  sein'  etc.,  und  wie  der  erste  dem  aktiven  conduxi,  so  ent- 
sprechen die  andern  den  Formen  conduxeram,  conduxero,  conduxisse 
etc.  Nun  waren  aber  auch  weitere  Verbindungen  möglich,  für 
deren  Weiterentwicklung  kein  aktives  Analogon  zu  Gebote  stand. 
Zu  conductus  sum,  das  ja  als  Ganzes  zunächst  durativen  Sinn  hat 
und  den  aus  der  Handlung  entspringenden  Zustand  als  etwas 
Gegenwärtiges  bezeichnet,  tritt  conductus  fut  als  duratives  Perfekt, 
mit  allen  jenen  Bedeutungsmöglichkeiten,  die  wir  in  j^  für  das 
Perfekt  durativer  Verba  festgestellt  haben.     Es  bezeichnet  also 

a)  den  Zustand,  der  sich  bis  zur  Gegenwart  erstreckt:  ecastor 
mmc  Bacchae  nullae  ludunt.  —  Ohlitus  fui  Gas.  980;  vgl.  Poen.  40  u.  s. 

b)  mit  Ausschlufs  der  Gegenwart,  im  Gegensatz  zu  ihr:  operta 
quae  fuere  aperta  sunt  Capt.  524,  tempestas  .  .  .  qtiae  modestiam  omnem 
detexit,  tectus  qua  fui  Most.  163. 

c)  mit  Ausschlufs  der  Gegenwart,  ohne  besondre  Beziehung 
darauf:  Quod  fui  juraius,  feci  Cure.  566,  Quaenam  ballaeiia  nieum 
voravit  vidtcban,  Aurum  atqiie  af-genium  ubi  compactum  fuit  Rud.  545» 
Quamqiiam  gravatus  fuisti,  no7i  nocuit  tarnen  St.  722.  —  ]\Iit  andern 
Formen  als  dem  Indikativ:  visam  hestemas  reliquias  .  .  .  opcrtaen 
fuerint  Persa  79,  tun  me  induimn  fuisse  pallatn  praedicas  Men.  5i5i 
vgl.  ferner  Ep.  122,  Persa  380,  Poen.  1280. 

Wo  die  Dauer  durch  eine  Handlung  abgeschlossen  ist,  wie 
oben  b)  im  Beispiel  aus  der  Blostell.  oder  in  Quod  numquam  opina- 
tus  fui  .  .  .  id  contigit  Am.  1862  (vgl.  auch  MGI.  118,  Most.  994, 
Aul.  208),  so  gelangt  man  zu  einer  Art  Plusquamperfekt;  aber 
deutlich  ausgedrückt  ist  die  Vorzeitigkeit  nicht;  wollte  man  das,  so 
mufste  man  zu  .  .  .  -tus  fueram  greifen,  wie  in  Condormivimus, 
Lucernam  forte  oblitus  fueram  extinguere  INIost.  487. 


^  Oder  auch  amatus  allein,  s.  26  Anm. 

*  Wo    das  Part,    nach  II  IV  zu   beurteilen   ist.     Ebenso   ?niratus  Poen. 
1347,  advorsatus  Trin.  383. 


I03 

Durch  ganz  denselben  Vorgang  nun,  durch  den  conductus  sunt  37. 
'ich  bin  gedungen'  aus  dem  Präsens  eines  durativen  Zustands  zu 
dem  präsentischen  Perfekt  einer  perfektiven  Handlung  übergeht 
•ich  bin  gedungen  worden',  nämlich  durch  scharfes  Hervortreten 
der  bewirkenden  Handlung  und  Zurücktreten  des  bewirkten  Zu- 
stands, geht  conductus  fui  'ich  bin  gedungen  gewesen'  aus  dem 
Perfekt  eines  durativen  Zustands  in  das  aoristische  Perfekt  einer 
perfektiven  Handlung  über  'ich  wurde  gedungen'  z.  B.  haec  Athetiis 
parva  fuit  virgo  surpfa  Rud.  1105,  noti  nie  fefellit,  sensi:  eo  exani- 
mai US  fui  Ba.cch.  298;  h  publice  legatus  Naupactum  fuit  WQA.  103  etc. 
Besonders  charakteristisch  sind  zwei  Stellen  aus  der  Aulularia.  448 
sagt  der  Koch:  Nunimo  sujji  conductus:  plus  jam  medico  mercedist 
opus  'ich  bin  gedungen  (worden)'  mit  deutlichem  präsentischen 
Einschlag  'ich  habe  einen  N.  zu  bekommen  .  .  .',  dagegen  457: 
Coctum  ego  non  vapulatum  dudum  conductus  fui  'als  man  mich  vorhin 
bestellte,  war  es  zu  dem  Zweck,  dafs  ich  koche,  nicht  dafs  ich  ge- 
prügelt werde'.  Auch  jetzt  noch  müfste  dieser  Unterschied  in  den 
romanischen  Sprachen  durch  das  gleiche  Mittel  zum  Ausdruck 
gebracht  werden. 

Da  nun  aber  conductus  sum  selbst,  durch  den  in  ßi  ge- 
schilderten Vorgang,  als  aoristisches  Perfekt  gebraucht  werden  kann, 
so  tritt  conductus  fui  damit  in  Konkurrenz.  Vgl.  das  angeführte 
Beispiel  Rud.  1 105  fuit  suj-pta  mit  Poen.  1346,  wo  genau  in  der- 
selben Situation  Eae  sunt  surruptae  . .  .  gesagt  ist.  Vgl.  ferner  wieder 
im  gleichen  Zusammenhang  Capt.  7  Seni  huic  fuerunt  filii  nati  duo 
mit  Men.  18  Ei  sunt  natei  filii  geminei  duo.  Ferner  wären  hier 
Stellen  mit  vectus  fui  und  vectus  sunt  anzuführen  etc. 

Da  nun  conductus  fui  ebenso  wie  conduxi  das  aoristische  Perfekt  38. 
der  Handlung  bezeichnete,  mufste  auch  conductus  fueram  wie 
conduxeram  die  aoristische  Vorvergangenheit  der  Handlung,  also 
das  Passe  anterieur  des  Franz.,  bezeichnen:  Posterius  quam  mercatus 
fueram,  visus  sum  Tu  ciistodelam  simiae  concredere  Merc.  232.  Diese 
Verwendung  ist  also  verschieden  von  der  in  j(5  besprochenen,  wo 
die  Formel  als  Plusquamperfekt  des  Zustands  dient.  Durch  diesen 
Doppelsinn  war  dann  die  Herbeiführung  des  Mifsverständnisses  mög- 
lich, das  wir  in  Most.  821  ff.  finden.  Theopr.:  Non  videor  vidisse 
postis  pulcriores.  Si.:  Pol  mihi  eo  pretio  empti  fuerani  olim  (gemeint 
als  aoristische  Vorvergangenheit  der  Handlung;  etwa  zu  verstehen: 
bevor    das    Haus    gebaut    wurde)  1.     Ir.:    Audin    ,^ fuerani'''    dicere? 


1  Dafs  das  Plusqpf.  mit  dem  Perfekt  gleichwertig  gebraucht  wäre,  wie 
Blase  §48fF.,  Lindsay,  Synt.  of  Plautus  p.  62  wollen,  kann  ich  bei  Plautus 
nicht  finden.  Es  schwebt  vielmehr  immer  unbestimmt  eine  Aktion  vor,  vor 
der  die  andre  sich  abgespielt  hat.  So  Merc.  760  etwa  'Bevor  ich  hieher- 
gekommen war',  Cure.  426  'bevor  er  mich  damit  weggeschickt  hat',  AI  Gl.  132 
'bevor  er  nach  Naup.  gegangen  war',  Am.  458  ante hac  ='hfvox  ich  ihm 
begegnet  war',  Poen.  65  'den  er  hatte  (bevor  er  starb)';  was  Capt.  305,  das 
Bl.  anführt,  beweisen  soll,  ist  mir  vollends  unverständlich,  da  die  Sache  doch 
ohnehin  ausgedrückt  ist  [richtig  bei  Dräger^  1 259].  Wie  weit  für  spätere 
Zeiten  eine  solche  „Verschiebung"  anzunehmen  ist,  war  ich  nicht  in  der  Lage 


I04 

V/x  viddur  continere  lacrifjias.  Er  will  glauben  machen,  dafs  S.  das 
Abgeschlossene,  durch  den  angeblichen  Verkauf  an  Theopr,  zum 
Ende  Gekommene  des  Zustands:  nnhi  empti  =  mir  gehörig  durch 
die  gewählte  Ausdrucksform  bezeichnen  wollte. 

39.  Von  den  Klassikern  der  Folgezeit  wird  im  ganzen  der 
aoristische  Gebrauch  von  condudus  fiii  vermieden;  vgl.  Blase  S.  173. 
Die  Beispiele,  die  Dräger^  I  276  und  Blase  174  f.  anführen,  zeigen 
fast  alle  die  durative  Bedeutung,  öfters  mit  der  plusquamperfek- 
tischen Nuance,  die  wir  oben  festgestellt  haben.  Der  Grund  dieses 
Sichenthaltens  ist  wohl,  dafs  es  von  den  Redekünstlern  und  Gramma- 
tikern als  Pleonasmus  empfunden  wurde,  condudus  fui  zu  sagen, 
wo  condudus  sum  genügt,  die  präteritale  Idee  also  gcwissermafsen 
zweimal  auszudrücken,  ungefähr  wie  das  heutige  Schriftdeutsche 
die  doppelte  Negation  [das  isf  kein  Spielzeug  nicht)  verbannt.  Aber 
vereinzelte  Beispiele  zeigen  doch,  dafs  der  Gebrauch  nicht  ver- 
schwunden ist.  Z.  B.  Caes.  b.  c.  3,  101,4  oppidum  fuit  defensum. 
Livius  3,  24,  jo  Fuerunt  censa  civiiim  capita  centtcm  septcndecim 
milia  .  .  A  In  der  spätem  Latinität  bei  Florus,  Gellius,  Justin. 
Besonders  aber  findet  sich  der  aoristische  Gebrauch  in  den  ab- 
geleiteten (d.h.  imi  fuera?n,  fuero  etc.  zusammengesetzten)  Zeiten, 
wo  er  auch  von  Riemann  (1.  c.  1 7 1  ff.)  nicht  geleugnet  wird. 

40.  Die  Konkurrenz  von  condudus  sum  und  conduclus  fui  ist  aber 
nicht  die  einzige,  die  sich  ergibt.  Schon  zu  den  ältesten  Zeiten 
mufsten,  wo  von  durativen  Verben  -/ö-Partiz.  mit  aktiv-präsentischer 
Bedeutung  in  Verwendung  waren,  diese  in  Verbindung  mit  esse 
ungefähr  gleichwertig  mit  dem  einfachen  Präsens  gebraucht  werden: 
solitus  sum  =  soleo  :  Si  ille  te  compri7nere  solitus(t) ,  hie  noster  7ion 
jo/^/ Rud.  1075  (vgl.  ferner  Merc.  511,  aber  präterital  z.  B.  Ps.  1177), 
lubitum  est  =  lubet,  iacitus  sum=^tacco,  operatus  sum=^  operor,  osa 
sum  'ich  hasse'. 

41.  Als  dann  aber  das  -/ö-Partizip  immer  mehr  in  der  Bedeutung 
eines  passiven  Präsens  von  durativen  Verben  ausgebildet  wurde, 
ergab  sich  mit  Folgerichtigkeit  die  Gleichung  amafus  est  =  amatur, 
habitatus  est  =  habitatur.  Trotzdem  ist  diese  Verwendung  sehr 
selten  und  wir  begreifen  warum.  Es  fällt  ja  diese  Bewegung  gerade 
in  die  klassische  Zeit,  die  aus  der  Sprache  alles  Zw'eideutige  und 
Überflüssige  fernzuhalten  sucht.  Amatus  est  ist  nun  aber  längst  zu 
seiner  andern  Bedeutung  'er  ist  geliebt  worden'  gekommen  [j^  f.) 
und  für  das  präsentische  Passiv  steht  eben  das  einfachere  amatur 
zur  Verfügung.  Und  so  finden  wir  nur  wenige  Spuren,  dafs  in  der 
Volkssprache  jene  für  die  Folgezeit  so  wichtige  Bewegung  bereits 
begonnen    hat:    Quid  7niruvi    est  .  .  .  omne   ab  ea  (divina  Providentia) 


nachzuprüfen,  nur  möchte  ich  gegen  Lindsay  bemerken,  dafs  selbst  im  Afrz. 
die  plusqpf.  Bedeutung  nicht  ganz  geschwunden  ist,  wie  Ernst  Gamillscheg 
Z.  XXXIII,  129  fF.  sich  zu  zeigen  bemüht. 

*  Riemann,    Etudes    de    la  1.  et  la  gr.  de  Tite-Live   S.  166 f.    will    mit 
Unrecht  diese  Stellen  durch  Konjektur  beseitigt  wissen. 


I05 

gentts  htmiamim  esse  contempium  Cic.  Nat.  D.  III.  93 ;  capita  fontium 
cum  sunt  angnstiis  co77tpressa  ruunt  Vitr.  8,  3, 3 ;  namentlich  dort, 
wo  die  -/ö-Form  gleichgestellt  ist  mit  andern  Adjektiven:  genus 
hominum  mobile,  infidum,  neque  beneficio  neqiie  metti  coercitum  Sali. 
Jug.  91  7,  Spectis  .  .  .  habäarique  et  digniis  et  creditus  Mela  I,  13,75 
oder  sonst  die  Konzinnität  es  erheischt,  wie  in  dem  Beispiel  mit 
ignoraliim  aus  Cicero  s.  22.  Und  dann  mit  Perfektformen,  wo  keine 
Zweideutigkeit  möglich  ist:  nocie  ac  die  continiiatum  incendium  fuit 
Liv.  26,  27,4;  obsidebantur  haud  paulo  vi  ?}iaJore  Velitrae  quam 
Tuscuhtm  obsesstim  fuerat  ebenda  6,  36,5;  Ursa  per  incidtos  errabat 
squalida  monies  Quae  fuerat  amata  Jovi  Ov.  fast.  II.  1 82 ;  Quae  fuerat 
virgo  credita,  mater  erat  ebenda   176.1 

Diese  präsentische  Verwendung  des  prädikativen  Partizips  42. 
erhält  aber  noch  von  einer  andern  Seite,  wo  es  sich  wesentlich 
um  perfektive  Verba  handelt,  eine  Unterstützung.  Wenn  nämlich 
eine  perfektive  Handlung  nicht  als  solche  selbst  ausgesagt  wird, 
sondern  als  Objekt  irgend  einer  Notwendigkeit,  eines  Willens  etc. 
dargestellt  wird,  ist  es  für  den  Zusammenhang  der  Rede  zumeist  — 
nicht  immer,  s.  die  Beispiele  —  gleichgültig,  ob  diese  Handlung 
präsentisch  oder  präterital  ausgedrückt  ist,  d.  h.  ob  die  Ausführung 
der  Handlung  oder  das  Vollendetsein  derselben  als  notwendig, 
wünschenswert,  befohlen  hingestellt  wird. 

Die  wichtigsten  Typen  sind: 

Nach  Verben  des  Wunsches:  [Notwendig  ist  präteritale  Aus- 
drucksweise in  Ä^iüic  te  illum  melius t  capere,  Si  captum  esse  vis 
Poen.  677,  ferner  wohl  Gas.  22,  ohne  esse  Ep.  644].  Foras,  Gidde- 
viini,  est  qui  illam  conventam  esse  volt  Poen.  1 1 1 8 ,  ferner  Ps.  905, 
St.  127.  —  Ohne  esse  :  Di  nie  servatum  cupimtt.  —  Et  me  perditum. 
Rud.  1164;  vgl.  ferner  Poen.  9 1 7,  1410.  Cure.  304,  335.  Cist.  704. 
St.  igi.    MGI.  1138.    Truc.  6ggf.    Persa  722.    Trin.  1175. 

Nach  Verben  der  Notwendigkeit,  stets  ohne  esse.  [Präteritaler 
Ausdruck  notwendig:  Dum  stas,  reditum  oportuitV&x?>2i  j^^^^.  Factum 
oportuit  St.  354,  ferner  Am.  740,  St.  130.  —  Opus  est  hac  tibi  cmpta 
Persa  384,  ferner  Cure.  302,  ^22.  Am.  791.  Men.  955.  —  Quam 
subito  argento  7tti  usus  invento  siet  Ps.  50,  ferner  Rud.  398.  St.  57. 

Nach  Verben  des  Bewirkens;  Jam  ego  hoc  ipsu?n  nppiduvi 
expugnatum  faxo  erit  le?ionium  Ps.  766,  vgl.  Aul.  273.  volo  .  .  . 
siquid  stulte  fecit,  ut  ea  missum  facias  omnia  Trin.  1 168.  S.  Tammelin 
1.  c.  90;   vgl.   ferner  Men.  992.    Most.  400.    Poen.  580.     Ohne  esse  : 


^  Ebenso  wie  von  amatus  'geliebt'  zu  a7natus  est  'er  wird  geliebt', 
gelangte  man  auch,  wie  es  scheint  viel  häufiger,  in  umgekehrter  Richtung  von 
amatus  est  'er  ist  gelieb  worden'  zu  amatus  'wer  geliebt  worden  ist'  also 
zu  einem  richtigen  Perfekt-Partizip  durativer  Verba:  cetttuvt  quotuiam  urbibus 
haiitata  crete  Mela  II  7 1,2.  So  ist  wohl  zu  verstehen:  puella  ..  .  amata 
nobis,  qiiantiim  aftiäbitur  7tidla  Cat.  8,  5  und  sehr  deutlich  die  Stelle  des 
Vergil,  wo  der  Schild  des  Aen.  beschrieben  wird:  illic  gmus  onme  futurae 
stirpis  ab  Ascanio  pi/gnataque  ('die  durchfochtenen';  nämlich  vom  Standpunkt 
der  Gegenwart)  m  ordine  bella  8  029- 


io6 

infecla  dona  facio  Most.  1 84.  Hieher  gehören  vielleicht  die  Beispiele 
mit  reJdere  und  dare.  Damit  vergleichbar  ferner  Fälle  wie:  sie 
expectabat  populus  .  .  .  rebus    utri   magni   victoria    sit  data  regni  Enn. 

fr.  55  13- 

Auch  abgesehen  von  unsrer  Konstruktion  finden  wir  ja  unter 
diesen  Umständen  präteritale  Ausdrücke:  Si  tibi  venissest  opus 
Persa  384,  exquisisse  oportuit  Cist.  574,  7iolit,o  edepol  devellisse  Poen. 
^^2,  vgl.  Tammeliu  S.  7  7  ff.  Dräger  bist.  S.  I,  254  ff.,  II,  404  ff. 
Noch  andre  Typen,  die  hieher  gehören,  führt  Lindsay,  Synt.  of  PL 
61  f.  vor,  vgl.  auch  Engwer,  Über  die  Anwendung  der  Tempora 
perfectae  etc.  S.  7  ff.  und  die  dort  angeführte  Literatur.  Auch  der 
Konjunktiv  Perfekt  im  Prohibitiv  und  der  Konjunktiv  Plusquam- 
perfekt im  unerfüllbaren  Wunsch  wäre  zu  erwähnen. 

Dafs  nun  aber  diese  perfektischen  Ausdrücke  nicht  mehr  ver- 
standen und  einfach  als  gleichwertig  mit  präsentischen  aufgefafst 
wurden,  zeigt  der  Umstand,  dafs  hie  und  da,  wenn  auch  selten, 
durative  Verba  die  gleiche  Konstruktion  zeigen:  At  si  non  licet 
Cavere  quid  agam?  Nam  ego  tibi  caiitwn  volo  Persa  370,  ...  quod 
tacito  usus  est  Cist.  127.     tarnen  viso  opust,  cautost  opus  Capt.  225. 

Das  -io-Partizip  bezogen  auf  ein  Akkusativobjekt  von 

luiheve. 

43.  Wir  haben  gesehen,  wie  die  mit  esse  versehenen  -/ö-Adjektive 

in  die  Verbalflexion  hineingezogen  wurden.  Viel  merkwürdiger 
und  minder  leicht  verständlich  ist  die  Entwicklung,  durch  die  habeo 
scriptum  eine  Verbalform  von  scribere  geworden  ist.  Und  da  ist  es 
ein  wahres  Glück,  dafs  wir  über  die  einzelnen  Etappen  dieser  Ent- 
wicklung viel  besser  orientiert  sind  als  bei  scriptum  est.  Denn  sie 
gehört  einer  viel  späteren  Zeit  an.  Während  nämlich  der  Typus 
scriptum  est  bereits  in  der  ältesten  Zeit  völlig  ausgebildet  ist  und 
im  Romanischen  nur  gewisse  Verschiebungen  in  Verwendung  und 
Bedeutung  zu  konstatieren  sein  werden,  zeigt  uns  das  älteste 
Lateinische  den  Typus  haheo  scriptu  erst  in  seinen  Anfängen  und 
die  völlige  Ausbildung  gehört  erst  der  romanischen  —  nicht  einmal 
der  ältesten  romanischen  —  Zeit  an.  Wenn  nun  auch  das  Bild, 
das  wir  von  der  Entwicklung  bekommen,  infolge  der  Eigenart  der 
geschichtlichen  Verhältnisse,  nicht  lückenlos  ist,  so  haben  wir  doch 
Daten  genug,  um  den  Gang  derselben  zu  bestimmen  oder  doch 
ungefähr  zu  erraten.  Wäre  dem  nicht  so,  so  hätten  wir  keine 
Möglichkeit  zu  erkennen,  wie  y'W  ö'örwz' zu  der  Bedeutung  'ich  habe 
geschlafen'  gekommen  ist,  oder  mit  andern  Worten,  wie  das  Verbum 
des  Besitzens  dazu  gekommen  ist,  dem  gröfsten  Teil  des  roma- 
nischen Zeitwortmaterials  zum  Ausdruck  seiner  präteritalen  Zeit- 
stufen zu  verhelfen. 

Die  Grundzüge  der  Entwicklung  sind  bereits  durch  Thiel- 
manns    eingehende    Untersuchungen  1    aufgeklärt.      Schon    früher 

^  Arch.  f.  lat.  Lex.  II,  372  ff.,  509  ff. 


I07 

wufste  man,  dafs  die  Konstruktion  von  den  Fällen  ausgeht,  wo 
das  Partizip  zu  einem  Akkusativ-Objekt  tritt  und  durch  Th.  sind 
wir  auch  sicher,  dafs  sie  sich  im  Lateinischen  in  diesen  Grenzen 
erhalten  hat,  Th.'s  Verdienst  ist  es  ferner,  den  nahen  Zusammen- 
hang aufgezeigt  zu  haben,  in  dem  das  -/ö-Partizip  hier  zu  ander- 
weitigen Adjektiven  steht.  Die  naheliegenden  Folgerungen  aus  dem 
Umstand  zu  ziehen,  dafs  ja  das  -/ö-Partizip  eben  im  Anfang  auch 
nichts  andres  ist  als  ein  Adjektiv,  hat  er  versäumt.  Ferner  hat  er 
gleich  im  Anfang  eine  Scheidewand  aufgerichtet  zwischen  den 
Fällen,  wo  das  Part,  attributiv  ist  und  denen,  wo  es  prädikativ  ist 
(S-  373)  und  die  ersteren  aus  der  Untersuchung  ausgeschlossen; 
auch  das  halte  ich  nicht  für  ganz  glücklich. 

In  einer  Sprache  nämlich,  die  wie  die  lateinische  weder  in 
der  Wortstellung  noch  durch  den  Artikel  noch  durch  irgend  eine 
bestimmte  Flexionsart  zwischen  attributivem  und  prädikativem 
Adjektiv  einen  Unterschied  macht,  ist  es  im  einzelnen  Fall  oft 
sehr  schwer  zu  bestimmen,  wie  ein  Beispiel  einzureihen  ist.  Das 
Lateinische  hat  überhaupt  die  Eigentümlichkeit,  die  prädikative 
Funktion  eines  Begriffs  häufig  dort,  wo  sie  andere  Sprachen 
hervorheben  müfsten,  nicht  zu  bezeichnen,  es  sei  denn  durch  den 
Akzent.  Als  besonders  markantes  Beispiel  für  viele  will  ich  die 
Stelle  Aul.  152  hervorheben:  {tnihi  misero  cerehnim  exciititint  tua 
dicta\)  lapides  loqneris,  wo  wir  das  prädikative  Element  notwendig 
ausdrücken  müssen  und  dadurch  das  so  einfach  Geformte  nur  mit 
einem  grofsen  Aufwand  von  Worten  wiedergeben  können:  'das  was 
du  redest,  sind  Steine'  od.  ä. 

So  kann  auch  das  Adjektiv  beim  Objekt  von  habere  oft  in  44. 
demselben  Beispiel  je  nach  Umständen  als  prädikativ  oder  als 
attributiv  angesehen  werden.  Wenn  z.  B,  Euclio  in  der  Aulularia 
seine  Armut  schildert  und  bei  der  Gelegenheit  sagt  (iQi):  Virginan 
habeo  gr andern,  dote  cassam  atqiie  inlocabilem  Neque  eam  qiieo  locare 
quoiquam,  so  kann  damit  verschiedenes  zum  Ausdruck  gebracht 
werden.  Setzt  er  voraus,  dafs  Megaronides  in  seine  Verhältnisse 
überhaupt  nicht  eingeweiht  ist  oder  tut  er  so,  als  ob  er  das  voraus- 
setze, so  wäre  zu  übersetzen:  'ich  habe  eine  erwachsene,  der  Mit- 
gift bare,  unanbringbare  Tochter',  so  etwa  wie  Quadrilibrem  aulam 
auro  onus  tarn  habeo  Aul.  809  bedeutet  'ich  habe  einen  vier  Pfund 
fassenden,  mit  Gold  gefüllten  Topf  oder  non  nostra  formani  habet 
dignani  domo  Merc.  395  'sie  hat  nicht  die  unserm  Haus  entsprechende 
Gestalt';  d.  h.  das  Adjektiv  bildet  mit  dem  Substantiv  eine  Einheit 
und  von  dieser  Einheit  wird  der  Besitz  ausgesagt.  Anders  wenn 
Eu.  annehmen  kann,  dafs  INIeg.  weifs,  dafs  er  eine  Tochter  besitze 
und  nur  die  nähern  Umstände  als  unbekannt  voraussetzt.  Dann 
müfste  es  heifsen:  'die  Tochter,  die  ich  habe,  ist  erwachsen,  hat 
keine  Mitgift  und  kann  nicht  angebracht  werden'  [vgl.  Donner: 
'meine  Tochter  ist  erwachsen'].  Deutlich  ist  ein  derartiges 
Verhältnis  etwa  in:  filiolain  ego  tinam  hahui  Rud.  106  'als  die  einzige', 
novos    omnis    ?)iores   habeo   Truc.  677    'mein    ganzes   Benehmen    ist 


io8 

neu'  und  mit  Subst.:  lu  mc  antidhac  supremi/fn  habnisli  coinitem  co?i- 
sih'is  ttiis  [Donner:  'ich  war  ja  sonst  bei  deinen  Unternehmungen 
dein  geheimster  Rat'].  Wir  sehen,  dals  der  Begriff  des  Besitzes 
im  Deutschen  überhaupt  nicht  hervortritt;  es  Hegt  eben  das  Haupt- 
gewicht auf  der  Prädizierung  des  Adjektivs  und  wenn  das  habere 
überhaupt  eine  Rolle  spielt,  so  ist  es  eine  etwas  veränderte,  von 
der  Grundbedeutung  sich  entfernende:  'ich  habe  dich  als  solchen 
oder  solchen'  entweder  a)  =  'ich  behandle  dich  so  oder  so':  Tmmo 
cdepol  tu  qtiidcni  iniseriim  me  habes  miseris  modis  Ep.  697,  ähnlich 
Sunt  tarnen  quos  miseros  maleque  habeas  Trin.  268 1;  sacruni  profanum, 
publicum  privatum  habent  Trin.  286;  di  nos  quasi  pilas  homines  habent 
Capt.  22 2  —  oder  aber  b)  =  'ich  halte  dich  so  und  so'  (ich  sehe 
darauf,  dafs  du  die  prädizierte  Eigenschaft  nicht  aufgibst):  Nimium 
te  ego  habui  delicatam  Men.  119  'zu  sehr  hielt  ich  dich  als  ver- 
wöhnte' [Donner  wieder  völlig  ohne  Berücksichtigung  des  habere'. 
'gar  zu  sehr  hab'  ich  dich  doch  verwöhnt'],  haud  mirti?n  si  te  habes 
carum  MGI.  1041  'wenn  du  deinen  Preis  wahrst',  ita  me  viea  fortna 
habet  soUicitum  'meine  Schönheit  erhält  mich  in  einem  fortwährenden 
Zustand  der  Sorge'  MGI.  1087,  vgl.  Men.  579,  589. 
45.  Es   sind  Sonderentwicklungen,    die    die    innige  Verschmelzung 

der  beiden  Prädizierungen  und  damit  die  Ausbildung  einer  Gesamt- 
prädizierung  zur  Folge  hat.  Aber  noch  eine  andere  Auffassung 
des  Verhältnisses  der  drei  Teile  zueinander  kann  zu  einem  ähnlichen 
Resultat  führen.  Es  läfst  sich  nämlich  noch  eine  dritte  Nuance  in 
jenes  Beispiel  aus  der  Aulularia  hineinlegen,  wobei  es  sich  um  die 
Gültigkeit  der  aus  der  Prädizierung  hervorgegangenen  Situation 
handelt.  Gewissermafsen  'ich  habe  das,  dafs  meine  Tochter  er- 
wachsen, ohne  Mitgift  und  unanbringbar  ist'  d.  h.  'ich  habe  damit 
zu  rechnen,  dafs  .  .  .'  'ich  befinde  mich  in  der  Lage,  dafs  .  .  .'. 
Diese  Situation  wird  im  allgemeinen  ausgedrückt  durch  selbständige 
Prädizierung:  Virgo  (est)  graftdis,  dote  cassa.  Das  Eigentümliche 
ist  also  nur,  dafs  die  Situation  selbst  ohne  weiteres  als  Objekt  zum 
Begriff  des  Besitzes  gesetzt  wird  in  der  Form,  in  der  sonst  ein 
einzelner  Begriff  als  Objekt  gesetzt  wird,  ohne  in  einen  Satz  ge- 
kleidet zu  sein,  ohne  Abstraktum  etc.,  wie  das  meist  im  Deutschen 
erforderlich  ist,  vgl.:  aliquem  inimiciim  habeo  (Trin.  654)  'mit  jemand 
Feindschaft  haben';  quorum  mihi  dona  accepfa  et  grata  habeo  Truc.  617 
'ich  habe  das  Gefühl,  die  Empfindung  etc.,  dafs  ihre  Geschenke 
mir  willkommen  und  angenehm  sind',  ähnlich  Am.  184,  quoniam  bene 
quae  in  jjie  fecerunt,  iiigrata  ea  habui  atque  inrita  'hatte  nicht  Dank 
dafür  noch  Rücksicht  darauf,  ferner  die  späteren  carum,  acerbum 
habere  aliquem,  utrtim  propiiios  an  iratos  habere  Romanos  mallent 
Plin.,  aliquid  certum  habere  'Gewifsheit  über  etwas  haben'  Cic.  etc., 


*  Beachte  die  Annäherung  an  eine  Modalbestimmung!  —  Es  stimmt 
also  nicht,  dafs  tniserum  habere  nur  im  Kompar.  und  Superl,  vorkommt,  nicht 
im  Positiv,  wie  Thielmann  1.  c.  S.  377  behauptet. 

'  Daraus  dann  weiter  'halten  für',  'erachten  als'  ... 


log 

und  so  denn  aliquid  cognilum  habere  ungefähr  dasselbe  wie  notiotiem 
habere  alicujus  (Cic.  Ac.  II,  t^T)). 

Es  handelt  sich  bei  der  3.  Nuance  um  eine  Erscheinung,  die  46. 
im  Lat.  weitverbreitet  ist  und  durchaus  nicht  auf  das  Objekt  von 
habere  beschränkt  bleibt.  Vgl.  z.  B.  nunc  cum  vidi  miseriim  et  me  eins 
miserittimst  Trin.  430  'ich  sah  ihn  unglücklich'  =^  'ich  sah,  dafs  er 
unglücklich  sei'  =  'ich  sah  sein  Unglück',  rogilo  pisces,  indicant  caros 
Aul.  373.  Ita  naugas  blatis.  —  Verum  actutum  nosces  'dafs  es  wahr 
sei'  Am.  627.  bo7iis  Ulis  rebus  (da  deine  Lage  glücklich  ist)  meas 
res  inrides  malas  'lachst  du  darüber,  dafs  meine  Lage  schlecht  ist'  = 
'über  mein  Unglück'  Trin.  446.  Bei  späteren  Autoren:  ao-i  gaudei 
eqtio  Verg.  Aen.  IV,  156  'er  freut  sich  über  das  feurige  Rofs'  = 
'darüber,  dafs  das  Rofs  feurig  ist';  vel  regnum  malo  quam  liberum 
populum  Cic.  Rp.  III.  47;  post  über  am  civHatevi  'nach  Befreiung  des 
Staates'  Cic.  Par.  1 1 ;  Suadeiit  cadentia  sidera  somnos  'der  Untergang 
der  Gestirne'  Verg.  Aen.  IV,  8 1 ;  ut  ego  amicior  invenirer  Phrygnm 
et  Cilicum  aerariis  quam  nostro  'dafs  meine  Liebe  zu  .  .  .  gröfser 
gefunden  wird  als  die  zu  .  .  .'  Cic;  Si  te  ruentes  non  saiis  Thebae 
movent,  at  scepira  moveant  lapsa  cognatae  domiis  Sen.  Oed.  510.  Be- 
sonders bezeichnend  ist  die  Gleichstellung  mit  einem  Verbalabstraktum 
in  qui  expidsiones  vicinorwn  qui  lairocinia  in  agris  qui  possessiones 
vacuas  recordetur  Cic.  Par.  46  oder  In  nova  fert  animus  mutatas 
dicere  formas  Corpora  Ov.  met.  i,^,  wo  diese  Themaangabe  dem 
griech.  Titelwort  ^Era^ÖQcpfOöLq  entspricht. 

Es  ist  klar,  dafs  eine  Situation  am  besten  charakterisiert  wird,  47. 
indem  man  sagt,  dafs  etwas  geschehen  ist  oder  dafs  ein  Ge- 
schehen bevorsteht.  Dadurch  erklärt  sich,  dafs  die  meisten  hierher- 
gehörigen Ausdrücke  ein  -/ö-Part.  oder  ein  Gerundivum  aufweisen. 
Beim  Gerundivum  ist  die  Sache  allgemein  bekannt,  es  liegt  ja  darin 
das  eigentliche  Wesen  der  Gerundivkonstruktion.  Auch  für  das 
-/o-Partizip  ist  schon  genug  Material  zusammengestellt,  vgl.  Dräger 
112,  ^y^;  ^^das  Partizip  ...  als  Attribut  mit  einem  konkreten  Sub- 
stantiv verbunden,  vertritt  zuweilen  ein  abstraktes  Verbalsubstantiv 
oder  einen  Substantivsatz";  Brugm.  1.  c.  145.  Nur  eben  wäre 
darauf  hinzuweisen,  dafs  die  Erscheinung  mit  andern  Fällen  wesens- 
gleich ist,  dafs  das  Attribut  eben  auch  ein  Gerundiv,  ein  Partiz.- 
Präsentis  (s.  die  Beisp.  aus  Vergil  und  Seneca),  ein  Adjektiv  sein 
kann.  Letzterer  Fall  wird  mit  Unrecht  ganz  unbeachtet  gelassen, 
nur  Dräger  führt  §  576  Ende  aus  Tacitus  einige  Beispiele  mit  Adjektiv 
an,  als  ob  diese  Abart  erst  damals  aufgetaucht  wäre.  Ferner  haben 
beide  Autoren  darin  Unrecht,  dafs  sie  die  Konstruktion  in  vor- 
klassischer Zeit  auf  die  in  ^2  erwähnten  Fälle  von  opus,  usus  est 
beschränkt  sein  lassen.  Sie  ist  im  Gegenteil  schon  bei  Plautus 
vollständig  ausgebildet:  perdita  perdidit  me  'ihr  Verlust  hat  mich 
ins  Verderben  gestürzt'  Cist.  686;  Scio  istaec  facta  proinde  ut  pro- 
loquor  'dafs  es  geschehen  sei'.  Non  ego  illam  mihi  dotem  duco  esse, 
quae  dos  dicitur,  Sed  pudiciliam  et  pudorem  et  sedatum  cupidincm  'der 
Umstand,  dafs  . . .'  Am.  840.    Und  mit  nicht  ausgedrücktem  Neutral- 


HO 

Objekt:  Facttwi,  neqite  facti  pigei  'es  ist  geschehen  und  es  ärgert 
mich  nicht,  dafs  es  geschehen  ist'  oder  'die  Tat  verdriefst  mich 
48.  nicht'  Trin.  127.  —  In  diesem  Gebrauch  wurzeln  zwei  Erscheinungen, 
mit  denen  sich  bereits  Brugmann  beschäftigt  hat,  ohne  doch  den 
Zusammenhang  mit  diesen  Verhältnissen  völlig  klarzulegen,  nämlich 
I.  das  neutrale  Verbalsubstantiv,  2.  der  sogenannte  Ablativus  ab- 
solutus. 

1.  Wir  haben  Trin.  127  übersetzt  'die  Tat'.  Die  Äquivalenz 
unsrer  Konstruktion,  als  Ganzes  betrachtet,  mit  einem  abstrakten 
Substantiv  führt  dazu ,  dafs  factum  ein  solches  werden  kann ,  also 
aus  einem  Partizip  ein  Substantiv,  für  das  dann  natürlich  die  Zeit- 
losigkeit  charakteristisch  ist.  Das  tritt  klar  an  Beispielen  hervor 
wie  Neque  mei  tieqiie  te  tui  .  .  .  hitus  puditwnst  f actis  quae  facis 
Bacch.  379  oder  Quom  mi  haec  diccntur  Jicta  Gas.  140,  während 
immo  si  scias  dicia  quae  dixit  hodie  Gas.  668  die  ursprünglich  be- 
rechtigten Tempusverhältnisse  noch  aufweist. 

2.  Eine  Situation,  ein  Tatbestand  im  Instrumental  —  sei  dieser 
nun  genauer  besehen  Bezeichnung  des  Mittels,  oder  Bezeichnung 
des  begleitenden  Umstands  —  kann  leicht  dazu  kommen  als  Grund- 
oder als  Zeitbestimmung  aufgefafst  zu  werden.  re7n  patez-ihun  me 
adjutrice  perdidit  Trin.  13  'dadurch  dafs  ich  geholfen  habe,  mit 
meiner  Hilfe',  capite  obvoluto  ut  fugiat  sujumo  metu  'wobei  er  das 
Haupt  verhüllt  hat'  ==  'nach  Verhüllung  des  Hauptes';  vgl.  Tamm. 
1.  c.  126  ff.  Dadurch  dafs  Nom.  -}-  Part.,  und  zwar  nicht  blofs  im 
Ablativ,  in  der  Bedeutung  einer  Situation  als  Angabe  für  ein  Mittel, 
für  die  Zeit,  für  den  begleitenden  Umstand  gefafst  werden  konnte 
und  durch  generelle  Funktionsverschiebung  direkt  in  eine  solche 
übergeht,  geschieht  es  nun  manchmal,  dafs  die  -/ö-Form  zu  einer 
Bedeutung  gelangt,  die  sie  ihrem  Ursprung  nach  eigentlich  nicht 
haben  kann  (/^),  die  punktuell  präsentische:  sol  occasus  suprema 
tempestas  esto  XII  T.,  mimquam  ad  solem  occasitm  viverem  Men.  1022. 
Aus  späterer  Zeit:  Oonsul  .  .  .  in  urhetn  redit  Cloelio  .  .  .  ante  currum 
ducto  praelatisque  spoliis  Liv.  4,  lO,  7;  pavetque  laedere  Jactatis  maternas 
ossibus  umbras  Ov.  met.  I,  387  'dadurch  dafs  er  wirft',  nicht  'dafs 
er  geworfen  hat';  ante  proelium  factum  Liv.;  vgl.  ferner  Gaesar, 
b.  g.  6,  16,  5.  Besonders  deutlich:  Etenim  quaedam  sunt  talia,  ut 
s  tat  im  facto  suo  noceant;  quaedam  talia ,  ut  in  praesentiarum  nihil 
tioceant,  in  futurum  autem  nocere  debeant  Ulp.  43,  8  Dig.  2,  31. 

3.  Besonders  gern  wird  eine  derartige  Situationsbezeichnung 
das  Objekt  (oder  auch  Subjekt  etc.)  eines  Verbs  (oder  Substantivs), 
das  ein  Wissen,  Glauben,  Aussagen,  eine  Gemütsbewegung  od.  dgl. 
ausdrückt.  Die  lateinische  Elementargrammatik  pflegt  dann,  wo  sie 
im  blofsen  Akkusativ  steht,  von  einem  Akkusativ  cum  Inf.  mit  Ellipse 
von  esse  (d.  h.  von  einem  accusativus  cum  infinitivo  sine  infinitivo!) 
zu  sprechen.  Hierher  also  Fälle  wie  qui  te  jiuntiaret  mortuotn  Tr,  443, 
te  omnes  saevumque  severtwiqtie  .  .  .  cotrimemorant  Trin.  843,  ut  vera 
haec  credas  mea  dicta  Most.  198,  abductarn  illam  aegre  pati  Merc.  251, 


III 

Ai  erum  servavi  quem  servaiuvi  gaudeo  Cpt.  70?»  ^'^  späterer  Zeit: 
ira  in  Romanos  propier  obsides  nuper  interfedos  Liv.,  rapium  juvenem 
plorare  Hör.,  bonis  rebus  laetari  Cic,  graiidatio  rd  piiblicae  conser- 
vatae  Cic,  Angebant  Hafinibalem  Sicilia  Sardiniaeque  amtssae  Liv., 
Haec  liberatariim  Thebarum  p7-op}-ia  laus  est  Pelopidae  Nep.,  gaudium 
ia?ttae  perpetratae  rei  Liv.,  paenitet  neglectt  consilii  Just.,  crimen  inter- 
feciae  sororis  Val.  Max.  usw.  Öfters  gibt  es  dann  für  ein  solches 
Verb  eine  eigene  Übersetzung,  z.  B.  evVt'/-/ 'scheinen':  Hilurica  facies 
videtur  hominis  Trin.  852  eigentlich:  'dafs  das  Antlitz  des  Mannes 
ein  illyrisches  ist,  sieht  man',  inveniri  =  'befunden  werden'  u. 
dgl.  Dabei  kommen  immer  von  neuem  die  vermittelnden  Fälle 
vor,  wo  die  Auffassung  zweifelhaft  ist,  z.B.:  iantis  excitati  praemiis 
Caes.  b.  g.  VI,  142  'durch  so  grofsen  Lohn  aufgemuntert'  oder 
'dadurch  dafs  der  Lohn  so  grofs  ist'. 

Die  Sache  ist  ja  auch  in  andern  Sprachen  nicht  unbekannt; 
nur  geht  z.  B.  das  Deutsche  lange  nicht  soweit  wie  das  Lateinische. 
'Er  wurde  wegen  einer  unrichtigen  Meldung  bestraft'  oder  selbst 
'wegen  der  unterlassenen  Meldung'  fällt  nicht  besonders  auf;  eigen- 
tümlicher mutet  schon  an  'wegen  der  gestohlenen  Brieftasche',  ganz 
unmöglich,  geradezu  spafshaft  klingt  'er  wurde  wegen  des  gemordeten 
Briefträgers  aufgehängt'.  Aber  lateinisch:  occisus  didator  Caesar 
aliis  Pessimum,  aliis  pulcherrinnwi  fadtius  videbatur  Tac.  oder  Est 
majus  aliqiiod  patre  madato  nefas  Sen.  Oed.  18. 

Die  Frage,  ob  es  sich  in  solchen  Fällen  um  ein  attributives 
oder  ein  prädikatives  Adjektiv  handelt,  ist  müfsig.  Wenn  wir  etwa 
in  dem  erwähnten  ocdsus  Caesar  .  .  oder  in  Post  Caesarein  occisum 
eher  das  erstere,  in  Scio  Caesarem  ocdsum  oder  Caesare  ocdso  (Abi. 
abs.)  eher  das  letztere  anzunehmen  geneigt  sind,  so  beruht  das 
auf  der  deutschen  Übersetzung.  Für  das  Lateinische  besteht  der 
Unterschied  nicht  und  wie  hinfällig  er  ist,  erkennen  wir  aus  den 
mannigfachen  Fällen,  wo  es  sich  überhaupt  um  einen  eingliedrigen 
Ausdruck  handelt. 

Bei   habere   mit    dem  Partizipium  finden  wir  nun  alle  die  drei  49. 
Nuancen,    die    wir    rekapitulierend    durch    folgende    drei    Beispiele 
charakterisieren  wollen : 

1.  quadrilibrem  aulam  habeo  —  attributiv 

2.  filiolam  habeo  unam  —  prädikativ 

3.  aliqiiem  inimicum  habeo  —  situationell. 

Doch  betonen  wir  früher  noch  einmal,  dafs  die  Grenze  keine 
scharfe  ist  und  dafs  oft  genug  Zweifel  bestehen  werden,  in  welche 
Kategorie  das  Beispiel  untergebracht  werden  soll.  Das  erklärt  sich 
eben  aus  dem  gemeinsamen  Ursprung,  aus  dem  sich  die  3  Varietäten 
durch  Funktionsverschiebung  entwickelten,  ohne  aber  dafs  die  ur- 
sprünglichen Bedingungen  je  in  Wegfall  kamen. 


I  12 

Wir  haben  also: 

A. 

1.  deum  vir  tute  .  .  .  et  iua  Multa  bona  hene  parta  hahemus 
Trin.  347  (aber  nicht  hieher,  sondern  zu  2  gehört  qui  atit  faenore 
atit  perjurüs  habent  rem  paratam  Men.  584). 

2.  7?iea  quide?n  haec  habeo  o?)inia,  vieo  peculio  empta  Ps.  1189. 
Nequiquam  abdidi,  ahsco7ididi,  abstriisam  haheham  Merc.  360.  Ni  suo 
vivit^  qui  eum  vi?ictutn  habebit,  lihras  farris  endo  dies  dato  XII  T.  (wo 
allerdings  der  Relativsatz  für  einen  Einschub  erklärt  wird).  — 
Minder  deutlich :  Ut  amicitiam  colunt  atque  ut  eam  jimctam  habent 
inter  se  Cist.  26.  Jam  instituta,  ornata  Cuncta  in  ordine,  animo  ut 
volueram,  certa,  deforniata  habebam  Ps.  675 — 7. 

3.  Non  maneo  neque  tu  7ne  habebis  /also  suspectum  *Du  wirst 
keinen  falschen  Verdacht  gegen  mich  haben'  Bacch.  572.  —  Be- 
sonders deutlich:  illa  omnia  7nissa  habeo  quae  ante  agere  occepi  ' Mies 
was  ich  früher  ausgeheckt  habe,  kommt  schon  für  mich  nicht  mehr 
in  Betracht'  Ps.  602 ;  Immo  res  ojnnis  relictas  habeo  prae  qiiod  tu 
velis  'Alles  andere  ist  für  mich  nichts,  gegen  das  was  du  willst' 
St.  362. 

Das  Subjekt  des  Partizips  ist  dabei  vollständig  gleichgültig. 
In  den  angeführten  Beispielen  (A)  war  es  identisch  mit  dem  des 
habere.  Aber  es  kann  auch  ein  verschiedenes  sein  (B)  oder  es 
kann  ganz  unbestimmt  sein,  von  wem  die  durch  das  Partizip  be- 
zeichnete Handlung  ausgeht  (C). 

B. 

1.  tunc  .  .  .  liberos  parentibtis  sublectos  habebis  Rud.  74g. 

2.  pactam  rem  habeto  'das  soll  dir  bewilligt  sein'  Poen.  1157, 
ebenso  St.  566,  Trin.  500.  —  Minder  deutlich:  semper  tibi pro?nissum 
habeto  .  .  .  Asin.  166.  per  jociim  itidem  dicta  habeto,  quae  nos  tibi 
respondimus  Poen.  542. 

3.  Satis  jam  dictum  habeo  'das  was  du  gesagt  hast,  genügt 
für  mich'  Persa  213,  ähnlich  satin  ego  istuc  habeo  offirmatum"? 
Bacch.  1202. 


1.  qnia  buccolas  tam  belle  purporissatas  habes  Truc.  2go. 

2.  Sub  gemman  abstnisos  habeo  tuayn  matrem  et pafrem?  Cure.  606. 

3.  At  nullos  habeo  scriptos  'ich  habe  keine  schriftliche  Auf- 
zeichnung über  sie  bei  mir',  'es  stehen  mir  keine  schriftlichen  Auf- 
zeichnungen über  sie  zur  Verfügung'  MGI.  48,  ähnl.  Rud.  21. 

CQ.  In  all  den  zitierten  Fällen  bleibt  das  Partizip  seiner  Bedeutung 

ziemlich  treu.  Wir  finden  bei  perfektiven  Verben  durchweg  prä- 
teritale  Bedeutung.  Nur  an  folgenden,  besonders  gearteten  Stellen 
haben  wir  wohl  präsentisch-passive  Bedeutung  anzuerkennen :  an 
me   hie  partim    exc(r)ciiu7n    hisce  habefit   Persa  856,  ähnl.  Epid.  529 


113 

(A  2,  iterativ  ig)\  die  Stellen  mit  despicatam  und  invisuvi  habere 
Rud.  700  (A3,  21,^)',  quae  molat,  Hgntim  caedal,  qiiae  haheat  cotti- 
dianum  fatniliae  coctmn  cihum  'welche  täglich  das  Kochgeschäft  für 
die  Familie  besorgt'  Marc.  398,  vermutlich  ebenso  frgm.  ine.  i  (A  3, 
gelegentlich  iterativer  Gebrauch  perfektiver  Verba);  hoc  tu  tecutn 
tacitum  habeto  Poen.  8go  (A  2  mit  der  Nebenbedeutung  'bewahren' 
'halten'  2/,/,  44b). 

Es  ist  klar,  dafs  von  letzteren  Fällen  abgesehen,  die  Verbindung  51. 
Ptz.  -|-  habere  überall  durch  ein  Perfektum  präsens  ersetzbar  und 
übersetzbar  ist  und  zwar  in  A  durch  ein  perfektisches  Präsens  in 
derselben  Person  in  der  habere  steht,  denn  diese  Idee  liegt  ja 
eben  schon  im  Partizip  selbst.  Aber  dennoch  deckt  sich  der  Sinn 
nicht  genau  mit  einem  solchen,  zum  mindesten  in  i  und  2.  Denn 
in  I  und  2  findet  sich  eben  daneben  die  Idee  des  Besitzes,  die 
durch  ein  Perfekt  nicht  zum  Ausdruck  kommt,  oder  die  daraus 
abgeleitete,  mehr  kausative  des  in  einem  Zustand  erhalten,  welche 
ja  auch  durch  das  stärkere  teuere  (oder  attinere)  ausgedrückt  werden 
kann  (Beisp.:  Tamm.  103).  Viel  weniger  genau  ist  die  Grenze  zu 
ziehen,  die  3  von  einem  gewöhnlichen  perfektischen  Präsens  trennt. 
Hier  ist  die  Verbindung  von  habere  mit  dem  nominalen  Objekt 
etwas  loser.  Im  Deutschen  können  wir  meist  nur  durch  eine  weit- 
schweifige Umschreibung  der  lat.  Ausdrucksweise  ganz  gerecht 
werden  und  immer  wieder  drängt  sich  die  Versuchung  auf,  mit 
einem  Perfekt  zu  übersetzen.  In  der  Tat,  wenn  der  Sinn  ur- 
sprünglich ist:  'die  Situation  (den  Tatbestand)  vor  sich  haben,  ' 
dafs  .  .  .',  'in  der  Situation  sein,  die  entstanden  ist  dadurch,  dafs 
eine  bestimmte  Handlung  an  dem  Objekt  vollzogen  ist'  oder  [in  A] 
'dadurch,  dafs  ich  eine  bestimmte  Handlung  vollzogen  habe',  so 
unterscheidet  sich  das  eigentlich  von  einem  Perfektum  präsens 
'man  hat  .  .  .  (ich  habe)  .  .  .  vollzogen '  nur  mehr  durch  zwei  gering- 
fügige Umstände:  i.  dafs  die  neugeschaffene  Situation,  der  neue 
Tatbestand  für  das  Subjekt  von  einer  gewissen  Wichtigkeit,  von 
einem  gewissen  Interesse  ist,  eine  Nuance,  der  ich  in  der  Über- 
setzung mehrerer  obiger  Beispiele  durch  Einschalten  eines  'für 
mich',  'mir'  gerecht  zu  werden  suchte  und  die  auch  im  Lat.  ge- 
legentlich durch  hinzugefügtes  ?nihi  zum  verstärkten  Ausdruck  ge- 
langen kann,  2.  dafs  in  der  Konstruktion  selbst  eben  nichts  ent- 
halten ist,  was  uns  über  das  logische  Subjekt  des  Partizips  aufklärt, 
sodafs  wir  eventuell  immer  erst  aus  dem  Zusammenhang  erkennen 
müssen,  dafs  es  das  gleiche  wie  das  von  habere  ist.  Durch  beides 
steht  unsere  Konstruktion  in  natürlicher  Konkurrenz  mit  der  Kon- 
struktion Part.  -{-  esse  -\-  Dat.  [mihi),  worauf  Thielmann  1.  c.  379  ff. 
hingewiesen  hat.  Doch  glaube  ich  nicht,  dafs  diese  Konkurrenz 
in  irgend  beträchtlicher  Weise  auf  die  weiteren  Schicksale  unserer 
Konstruktion  eingewirkt  hat. 

Auf   dieser    3.  (situationeilen)  Verwendung    und   zwar   Fall    A    52. 
beruht    nun    nach    meiner  Überzeugung    die  Entstehung  der  neuen 
Perfektumschreibung,  indem  durch  Funktionsverschiebung  a)   die  in 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVl.     (Festschrift.)  8 


53. 


114 

j"/  besprochene  Nuance  i  [die  Idee  'für  mich'  etc.]  sich  verlor, 
b)  die  Subjektsgleichheit,  die  ursprünglich  nur  etwas  zufälliges  war, 
das  durch  den  Zusammenhang  erkannt  wurde,  von  diesen  Fällen 
aus  als  etwas  der  Konstruktion  anhaftendes  empfunden  wurde.  Dafs 
der  Fall  A  2  (und  möglicherweise  sogar  A  i)  bei  der  Ausbildung 
mitgeholfen  haben,  ist  durchaus  wahrscheinUch,  aber  den  ent- 
scheidenden Anteil  hat  nach  meiner  Ansicht  A  3. 

Dadurch  unterscheidet  sich  meine  Betrachtungsart  ziemlich 
wesentlich  von  der  Thielmanns,  der  den  Fall  A  3  überhaupt  nirgends 
anerkennt  und  lediglich  mit  der  zweiten  Varietät,  der  prädikativen 
Verwendung,  arbeitet.  Er  hat  die  in  Betracht  kommenden  Fälle 
nach  Bedeutungsgruppen  zusammengestellt  und  das  Überhandnehmen 
der  Konstruktion  als  eine  allmählich  vor  sich  gehende  Erweiterung 
dieser  Gruppen  aufgefafst  und  dargestellt.  Man  wäre  also  — 
wenigstens  anfänglich  —  durch  das,  was  wir  in  6  partielle  funktionelle 
Verschiebung  genannt  haben,  nicht  durch  generelle,  zu  dem  neuen 
Wirkungskreis  der  Konstruktion  gelangt. 

Käme  nun  tatsächlich  blofs  der  Fall  2  in  Betracht,  so  hätte 
diese  Anordnung  unzweifelhaft  ihre  Berechtigung.  Denn  es  ist 
klar,  dafs  in  dem  Fall,  wo  habere  nur  zwischen  den  Bedeutungen 
'besitzen'  und  'halten'  (d.  h.  in  einem  Zustand  erhalten)  schwankt,  die 
Auswahl  der  in  Betracht  kommenden  Partizipia  eine  beschränkte  sein 
mufs.  Es  wird  für  'besitzen'  nämlich  hauptsächlich  die  Handlung 
sein,  durch  die  das  Subjekt  in  den  Besitz  gerät:  efnptum,  comhictiim, 
collectinn,  captum  h.  oder,  was  bereits  zu  'halten'  überführt,  die- 
jenige, wodurch  der  Besitz  für  den  Moment  wertvoll  wird :  parattim, 
instruclum  h.  etc.;  für  'halten'  die  Zeitwörter,  deren  Handlung  zu 
einem  Zustand  führen,  oder  die  Adjektive,  die  ihn  angeben  (örtliche 
Lageverhältnisse:  clüusinn,  abditum ,  conjunctum,  segregaiuin,  positiim 
h.  etc.;  moralische  Zustände:  obligalum^  iviplicatum,  domitiim  h.\ 
äufserliche  Pflege  und  Schmuck:  ciiratum,  ornatuin,  vestitwn  h.\  Ge- 
fühlszustände:  sollicäiwi,  tristem,  occupatum,  iratton  h.  etc.).  Die 
Abzweigung  des  „behandelns"  {^^  a)  käme  dann  etwa  für  Aus- 
drücke wie  pensum,  ratum,  irritum,  auch  gelegentlich  sandum  h.  in 
Betracht.  —  Wenn  aber  die  Konstruktion  bereits  jene  einen  Tat- 
bestand kennzeichnende  Bedeutung  angenommen  hat,  so  scheint 
dafür  diese  Behandlung  nicht  geeignet ;  denn  dann  haben  wir  ja 
eine  Form  vor  uns,  in  die  nach  freier  Wahl  beinahe  jede  beliebige 
durch  ein  transitives  Verb^  mit  seinem  Objekt  ausgedrückte  Idee 
geprefst  werden  konnte,  und  hier  eine  Entwicklung  nach  und  in 
Bedeutungsgruppen  zu  verlangen,  wäre  ebenso  verfehlt,  als  etwa 
die  Entwicklung  des  lateinischen  Ablat.  absol.  oder  des  französischen 
präpositionalen  Infinitivs  nach  der  Bedeutung  der  zu  der  Konstruktion 
verwendeten  Verba  zu  gruppieren. 

Dafs  nun  tatsächlich  der  Weg,  den  Th.  einschlägt,  verfehlt  ist, 
zeigt  der  Umstand,    dafs  die  Gruppierung  ohne  grofse  Willkürlich- 


•  Ausnahmen  s.  ^6. 


115 

keiten  nicht  durchzuführen  war.  So  bereiten  zwei  Beispiele,  die 
wir  schon  im  Beginn  der  lat.  Literatur,  bei  Plautus,  fanden,  Th. 
arge  Verlegenheit:  es  sind  die  zwei  ^g  K  t,  zitierten  mit  missa 
und  relictas  haheo  (S.  535  f.).  Als  direktes  Perfekt  kann  er  sie  nicht 
gelten  lassen;  tatsächlich,  wenn  schon  damals  das  Perfektum  so 
ausgedrückt  werden  konnte,  wie  es  in  den  romanischen  Sprachen 
ausgedrückt  wird,  wozu  dann  noch  zeigen,  wie  die  Verwendung 
mit  habere  erst  im  Lauf  der  lat.  Sprachentwicklung  langsam  dazu- 
kommt, sich  einem  Perfektum  zu  nähern  ?  Mit  der  Grundbedeutung 
von  habere  waren  die  Beispiele  logischersveise  nicht  in  Verbindung 
zu  bringen  („denn  was  ich  aufgegeben  habe,  das  besitze  [habeo] 
ich  nicht"),  wie  man  wohl  in  Anbetracht  des  hohen  Alters  der 
Beispiele  verlangen  könnte,  wenn  die  Ausbildung  tatsächlich  langsam, 
in  den  einzelnen  Gruppen  vom  berechtigten  zum  minder  berechtigten 
schreitend,  vor  sich  gegangen  wäre.  So  erklärt  er  denn  missa, 
relictas  habeo  als  Präsentia  —  darin  hat  er  Recht,  denn  das  sind 
sie,  solange  die  angegebene  unterscheidende  Nuance  noch  fühlbar 
war  —  und  verweist  einerseits  auf  das  entsprechende  missiim  facio  — 
darin  hat  er  Unrecht,  denn  habeo  ist,  selbst  wo  es  sich  der  kausativen 
Bedeutung  nähert,  nie  gleichbedeutend  mit  facio  (wie  auch  Th.  selbst 
S.  539  die  Gleichheit  von  habent  operaium  mit  'opfern  lassen'  in  Ab- 
rede stellt)  — ,  andrerseits  auf  Redensarten  wie  contemptiitn,  neglectum 
habeo  \  diese  aber  sind  erst  aus  späterer  Zeit  zu  belegen,  unter- 
einander und  mit  den  Plautinischen  ungleich.  Contemptum  h.  als 
Ausdruck  eines  Gefühls  läfst  sich  überhaupt  nicht  vergleichen; 
neglectum  habere  hat  an  der  einzigen  Stelle,  wo  es  vorkommt,  die 
Bedeutung,  die  in  </^  3  charakterisiert  ist:  'im  Zustand  der  Ver- 
nachlässigung erhalten',  die  relictum,  missum  habeo  an  den  Stellen 
von  Plautus  nicht  haben  können. 

Aber  auch  sonst  macht  die  Gruppierung  Th.'s  den  Eindruck 
der  Willkürlichkeit.  Um  möglichst  viele  Verba  in  seinen  Gruppen 
unterzubringen,  konstruiert  er  Bedeutungsverwandtschaften,  die  kaum 
bestehen,  so  „der  mit  hassen  verwandte  Begriff  beargwöhnen" 
(S.  383);  constiiuhim  habere  wird  an  positum  habere  angeschlossen, 
auch  wo  es  gar  nicht  'setzen'  bedeutet,  sondern  'organisieren' 
oder  'bestimmen'  (S.  413),  ebensowenig  versteht  man,  wie  sich  die 
Ausdrücke  für  'richten',  'wenden'  hier  anschliefsen  (S.  415);  repertum 
h.  findet  sich  h^\  paratum  h.  (S.  417)  etc.  Trotz  dieser  gewaltsamen 
Einordnung  bleibt  aber  doch  noch  manches  übrig,  was  dann  erst 
in  einen  historischen  Anhang  zusammengeprefst  wird,  wie  consitum, 
satum,  conversum  h.  u.  dgl.,  vor  allem  aber  die  beiden  wichtigen 
Gruppen  dictum  h.  und  factum  h.,  die  merkwürdigerweise  erst  hier 
zur  Sprache  kommen.  Wenn  überhaupt  diese  Anordnung  gewählt 
wurde,  so  hätten  diese  beiden  Typen  eine  dominierende  Stellung 
verdient,  factum  hätte  zu  manchem  gesellt  werden  müssen,  was 
in  der  ganzen  Arbeit  verstreut  ist,  z.  B.  ptrfectum,  per  actum  h.  (395), 
aedificatum  h.  (408),  das  nur  dann  zu  posHu?n  h.  Beziehungen  haben 
kann,    wenn  eine  Ortsbeslimniung  dabei  ist,  absolulutti,  emeritum  h. 

8* 


ii6 

(536),  was  dann  weiter  zu  'beenden'  führt:  finiias  cuptdifales,  Cic. 
Fin.  I,  62,  bellum  habere  profligaluvi  Liv.  35,  6,  ;j,  expleta  cumulataque 
Cic.  Oif.  II,  18.  Zu  dieser  letzteren  Gruppe  tritt  dann  die  Gruppe, 
die  'anfangen'  bedeutet,  in  gewisse  Beziehung:  snscepium  (419), 
contestatum,  insiituium  (536),  incohaiuvi  (517).  An  der  Seite  von 
dictum  h.  findet  scriptum  h.  (421  ff.)  seinen  natürlichen  Platz.  — 
Viele  von  den  gezwungen  und  unnatürlich  angeordneten  Beispielen 
gehören  eben  unserer  3.  Kategorie  an,  aber  auch  von  dem,  was 
der  Bedeutungssphäre  nach  an  seiner  natürlichen  Stelle  steht, 
würde  manches  seiner  Verwendungsart  nach  hieher  gezogen 
werden  müssen,  z.  B.  in  der  Gruppe  positujn  h.,  ferner  die  ganze 
Gruppe  von  cognitum  h.,  wo  die  Auffassung  eines  „geistigen  Be- 
sitzes"  schwerlich  das  richtige  trifft. 

Die  Geschichte  der  in  Rede  stehenden  Konstruktion  wird  also 
unter  Berücksichtigung  der  von  mir  aufgestellten  Unterscheidungen 
vom    neuen    zu  schreiben  sein.     Für  meine  Zwecke  kann  ich  mich 
mit  obigen  Andeutungen  begnügen. 
54.  Für   den  Romanisten   kommt    zunächst  die  Frage  in  Betracht, 

wann  unsere  Konstruktion  mit  einem  Perfekt  gleichbedeutend  ge- 
worden ist.  Der  Beantwortung  dieser  Frage  stellen  sich  mannig- 
fache Schwierigkeiten  in  den  Weg.  Die  Redensart  gehörte,  wie 
wir  aus  ihrer  Verwendimg  bei  Plautus  mit  Sicherheit  erschliefsen 
können,  der  täglichen  Umgangssprache  an  und  die  weitere  Ent- 
wicklung hat  sich  offenbar  auch  in  der  täglichen  Umgangssprache 
vollzogen.  Aber  über  den  Zustand  der  Umgangssprache  nach 
Plautus  sind  wir  nahezu  gar  nicht  unterrichtet.  Terenz  entfernt 
sich,  wie  in  andern  Punkten,  so  auch  in  diesem,  bewufst  von  ihr 
und  wir  finden  unsre  Redensart  bei  ihm  nur  in  seltenen  Fällen, 
aus  denen  wir  nichts  neues  lernen.  Die  Kluft  wird  immer  gröfser 
und  wenn  die  spätem  gelegentlich  aus  der  Umgangssprache  schöpfen, 
so  tun  sie  es  mit  bewufster  künstlerischer  Auswahl  dessen,  was  für 
ihre  Zwecke  brauchbar  ist;  so  erklärt  sich  die  Vorliebe  des  Cicero 
für  cognitum  h.  'ich  habe  Kenntnis  .  .  .'  vgl.  Thielmann  510  ff.,  517. 
Um  den  Zustand  der  Umgangssprache  aufzuklären,  sind  wir  also 
wesentlich  auf  indirekte  Anzeichen,  Rekonstruktionen  etc.  ange- 
wiesen. * 


^  Natürlich  miifs  man  sich  aber  der  dabei  möglichen  Fehlergrenzen  be- 
wufst bleiben.  Wie  unsicher  wäre  es  beispielsweise,  wenn  sicli  jemand  nach 
Jahrhunderten  au^  einigen  Schriften  moderner  deutsch-österreichischer  Autoren 
von  der  deutsch-österreichischen  Umgangssprache  der  Gebildeten  ein  Bild  würde 
n)achen  wollen.  Wie  selten,  wenn  überhaupt,  würde  er  so  beliebten  Kon- 
struktionen wie  „dem  Vater  sein  Haus",  „Wenn  ich  ihn  bitten  möchte,  möchte 
er  mir  es  schicken"  (==  bäte,  würde  .  .  .)  begegnen.  Umgekehrt  würde  etwa 
der  Konjunktiv  Präsentis  eine  viel  häufiger  und  regelmäfsiger  angewandte 
Form  scheinen,  als  es  der  jetzigen  Umgangssprache  entspricht.  Einfaches 
„dafs"  zur  Wiedergabe  eines  finalen  ut:  'Komme  früh,  dafs  du  einen  guten 
Platz  bekommst'  würde  man  vermutlich  für  einen  von  gewissen  Schriftstellern 
angewandten,  von  andern  gemiedenen  Archaismus  halten,  dem  man  eine 
Existenz  in  der  Umgangssprache  überhaupt  nicht  zutraut,  während  es  doch 
hier  nach  meinen  Beobachtungen  viel  häufiger  ist  als  das  von  der  Schriftsprache 
bevorzugte  „damit". 


117 

Indizien  für  die  Perfektgeltung  wäre  das  Vorkommen  bei 
intransitiven  Verben  l^dortjiitum  haheo)  oder  die  Verschiebung  von 
einem  präsentischen  Perfekt  zu  einem  aoristischen  oder  historischen. 
Dergleichen  läfst  sich  noch  lange  nicht  nachweisen. 

Oder  die  Verwendung  der  Partizipien  durativer  Verba  mit 
habere  im  präteritalen  Sinn:  ein  *amatum  habeo  'ich  habe  geliebt' 
wie  amaius  sum  'ich  bin  geliebt  worden'.  Auch  das  läfst  sich  nicht 
nachweisen.  Wo  das  Partizip  durativer  Verba  verwendet  wird,  hat 
die  Konstruktion  präsentischen  Sinn,  vgl.  die  oben  (50)  zitierten 
Beispiele  oder  coniemptum  habere  Cat.  60  5.  Das  hängt  wohl  damit 
zusammen,  dafs  der  genaue  Sinn  eines  präsentischen  Perfekts  von 
einem  durativen  Verb  überhaupt  nicht  gut  denkbar  ist.  —  Andrer- 
seits beweist  die  Koordination  unserer  Konstruktion  mit  präsentischen 
Perfekten  (oder  Ptz.  -f-  habebam  mit  Plusqpf.)  nichts,  weil  die  Zeit- 
sphäre ja  die  gleiche  ist. 

Danach  würde  es  also  scheinen,  als  ob  die  Verschiebung  dem 
Latein  des  Altertums  überhaupt  fremd  gewesen  wäre  und  das  ist  tat- 
sächlich das  Resultat,  zu  dem  Thielmann  auf  Grund  seines  Materials 
gelangt.  Dieses  Resultat  wäre  in  Anbetracht  des  romanischen  Zu- 
stands,  bzw.  der  romanischen  Übereinstimmung  recht  überraschend, 
namentlich  wenn  wir  bedenken,  wie  nahe  schon  im  ältesten  Latein 
manche  Ausdrucksweisen  dem  romanischen  Perfektura  praesens 
stehen.  Nun  wiegt  aber  nach  dem,  was  wir  sonst  über  das  Ver- 
hältnis von  Schrift-  und  Umgangssprache  wissen,  das  Argument  ex 
silentio  nicht  gerade  viel  und  so  wollen  wir  denn  noch  einmal  nach- 
prüfen, ob  sich  nicht  gerade  durch  kritische  Betrachtung  der 
historischen  Entwicklung  irgend  welche  Anhaltspunkte  für  eine 
gegenteilige  Auffassung  ergeben. 

Thielmanns  Verdienst  bleibt  es,  den  Sprachgebrauch  der  55, 
lateinischen  Schriftsteller  selbst  sowohl  in  grofsen  Zügen  als  in  den 
Einzelheiten  verfolgt  und  festgestellt  zu  haben.  Danach  ergibt  sich 
folgendes:  Nach  einer  Periode  reicher  Entfaltung,  die  bis  auf  Cicero 
und  Cäsar,  in  manchen  Zügen  noch  bis  auf  Livius  reicht,  erscheint 
der  Siegeslauf  der  Konstruktion  plötzlich  gehemmt,  wie  mit  einem 
Mal  abgehackt.  Die  literarische  Verwendung  wird  auf  ein  paar 
Formeln  beschränkt,  die  auch  bei  den  Klassikern  häufig  sind;  selten 
wird  ein  neues  Verb  so  verwendet  und  dann  wirklich  meist  nur 
solche,  die  in  der  Bedeutung  engen  Zusammenhang  mit  einer  dieser 
überlieferten  Formeln  haben.  Zunächst  finden  wir  noch  einige  Be- 
wegungsfreiheit bei  jenen  Autoren,  deren  Sprache  aufserhalb  der 
eigentlichen  literarischen  künstlerischen  Sphäre  steht:  Vitruv,  Colu- 
mella,  die  Juristen,  dann  nicht  einmal  mehr  dies.i  Auch  ein  ganz 
später,  sonst  stark  von  der  vulgären  Sprache  beeinflufster  Autor  wie 


^  Vgl.  immerhin  si  mortificatas  voluntates  ac  desideria  niundi  huj'us 
hdbeamus  abscisa  Cass.  Coli.  VII  6,  I,  ähnl.  Inst.  IV  35.  habens  cotitritum 
Satanan  snb  pedibus  suis  Cass.  Coli.  X,  11,4.  lila  omnia  7)u<;sa  habeo  quae  ante 
agere  coepi  Hier.  Ps.  58 1  erinnert  au  Plaulus. 


ii8 

der  der  IMulomedicina  macht  davon  keine  Ausnahme.''  Erst  im 
beginnenden  Mittelalter  ändert  sich  die  Sachlage  mit  einem  Schlag. 
Freilich  ist  die  Veränderung  nicht  gar  so  grofs,  als  es  Th.  scheint, 
namentlich  wenn  wir  den  Gebrauch  der  Merowingerzeit  mit  dem 
der  klassischen  vergleichen.  Manche  Verba  können  sich  früher 
nicht  finden,  weil  sie  überhaupt  früher  nicht  vorhanden  waren  oder 
selten  gebraucht  wurden  wie  (di)sponsaiam  habere  'geheiratet  haben V^ 
adiuallahnn,  hetieficiaium  h.  Andre  Verba  würden  sich  ganz  un- 
gezwungen der  gruppenweisen  Betrachtung  Thielmanns  gefügt  haben 
und  die  betreffenden  Stellen,  wenn  sie  bei  klassischen  Autoren  be- 
gegnet wären,  nichts  auffallendes  für  ihn  gehabt  haben:  consinnmaiiivi 
h.  zu  perfectiim  h.,  injunctuvi  h.  zu  posiium  h.,  foedus  iniium  h.  zu 
conslituhim  h.  usw.  audituni  h.  findet  sich  in  gleicher  Verwendung 
wie  es  in  der  Merowinger-  und  Karolingerzeit  vorkommt  schon  bei 
Livius  40,  8,  15  neben  vistitn  h.  Aber  einerseits  erscheint  eben 
mancherlei  wieder,  was  in  der  Zwischenzeit  aufgegeben  schien  wie 
eben  dies  auditiwi  h.  oder  reperiiim  h.  (Plautus),  andrerseits  erscheint 
56.  nun  wirklich  einiges,  was  früher  nicht  vertreten  war.  Denn  wenn 
auch  das,  was  im  Altertum  vorhanden  ist,  sich  nicht  ohne  Zwang 
in  Bedeutungsgruppen  einstellen  läfst,  so  läfst  sich  doch  von  ge- 
wissen Bedeutungsgruppen  zeigen,  dafs  sie  fehlen  und  auch  be- 
gründen, warum  sie  fehlen.  Da  ist  es  zunächst  der  Typus  datum, 
donatum,  pro?)iissiim  h.,  andrerseits  Ausdrücke  wie  rogatum,  invitatuvi 
habere  u.  zw.  beides  als  Fall  A  {4g). 

Warum  sich  diese  Ausdrücke  nämlich  kaum  finden  können, 
solange  als  Sinn  der  Konstruktion  noch  jene  dritte  Varietät 
empfunden  wird,  ist  leicht  ersichtlich:  rogare,  invitare  gehören  zu 
jener  Gruppe  von  Verben,  die  wir  oben  (72)  als  pseudo- transitive 
bezeichnet  haben,  die  also  an  dem  Zustand  des  Objekts  selbst 
nichts  ändern,  keinen  neuen  Zustand  herbeiführen,  so  dafs  man 
kaum  in  die  Lage  kam,  von  jemand  zu  behaupten,  dafs  er  sich 
vor  dieser  (neuen)  Situation  befinde.  Anders  steht  die  Sache  bei 
der  rtczr.?- Gruppe.  Hier  ist  wohl  eine  derartige  Zustandsänderung 
vorhanden,  da  durch  das  dare  etc.  das  Objekt  in  einen  andern 
Besitz  übergeht.  Aber  ein  fühlbares  Interesse  an  der  hiedurch  her- 
vorgerufenen Situation  hat  nicht  derjenige,  von  dem  die  Handlung 
ausgeht,  sondern  der,  dem  gegeben  wird,^  die  Person  also,  die  als 
Dativobjekt  fungiert.  In  dieser  Verwendung  (.^p,  Fall  B),  die  den 
Übergang  zum  Perfekt  ausschliefst,  finden  wir  unsre  Gruppe  tat- 
sächlich: lice7itiain  co7icessam  habere;  promissum  habere;  pactum  habere 


*  Vgl.  Pirson  in  Münchner  Festschrift  zum  12.  Neuph.-T.  S.  406. 

*  desponsam  in  andrer  Bedeutung  bei  Cic.  prov.  cons.  37:  is  ut  eatn  (die 
Provinz)  desponsam^  non  decretam  habere  videatur,  obwohl  nach  Wölfflin 
(ALL  II,  371)  auch  hier  die  Auffassung  des  Verhältnisses  von  Statthalter  und 
Provinz  als  das  von  Mann  «nd  Frau  vorliegt. 

'  Wo  Verba  dieser  Gruppe  in  übertragener  Bedeutung  gebraucht  werden, 
kann  das  unter  Umständen  anders  sein;  so  z.  B.  in  priusgtiam  hanc  nxorem 
duxi,  habebam  alibi  animian  a^nori  deditum  Ter.  Hec.  294. 


119 
(schon  bei  Plautus);  commendatum  h.  aliquem  seit  Cicero,  s.  Thielm. 

5I2ff. 

Wenn  nun  Th.  in  diesem  Umschwung  eine  von  Gallien  aus-  57. 
gehende  „Wiedererweckung  und  Neubelebung  der  bereits  erstarrten 
Verbindung  ...  an  der  Hand  noch  erhaltener  Formeln:  cogriitum, 
comperttim,  accepfum  haheo''''  sieht,  so  kann  ich  ihm  hierin  nicht  recht 
geben.  Zunächst  trifft  der  Grund,  den  Th.  für  diese  Wiedererweckung 
angibt,  nicht  zu.  Der  Konj.  Plusqpf.  war  nicht  „längst  zum  Konj. 
Impf,  geworden",  sondern  behielt  seine  Bedeutung  neben  der  neuen 
noch  weit  ins  Mittelalter  hinein,  der  Indik.  Plusqpf.  hat  sich  ebenfalls 
erhalten,  und  da  sich  das  Futur  exakt  in  benachbarten  romanischen 
Gebieten  erhalten  hat,  so  ist  nicht  anzunehmen,  dafs  es  in  Gallien 
bereits  vor  der  Merowingerzeit  verschwand. 

Die  Anknüpfungspunkte,  die  Th.  findet,  werden  von  den 
romanischen  Sprachen  nicht  legitimiert;  keine  der  Formen  cognitum, 
compertiim,  accepfum  h.  etc.  beweist  hier  ihre  Lebenskraft,  comperttim, 
acceptum,  exploratum,  absirusum  sind  gänzlich  zugrunde  gegangen. 
cognitum  hat  sich  erhalten,  aber  bezeichnenderweise  als  Adjektiv; 
die  alte  Formel  cognitum  haheo  ist  aber  ersetzt  worden  durch  ^cogno- 
vitian,  ^cognovutum,  '^cognoscitum  h,  etc.  —  factum  und  dictum  habeo, 
die  sich  in  allen  romanischen  Sprachen  erhalten  haben,  würden  viel 
bessere  Anknüpfungspunkte  darbieten. 

Man  mufs  aber  nur  die  Beispiele,  die  Th.  bietet,  durchsehen, 
um  sofort  zu  erkennen,  dafs  sie  sich  in  Tat  und  Wahrheit  gar  nicht 
an  diese  Formeln  anknüpfen  lassen,  dagegen  sehr  gut  an  den  Ge- 
brauch, wie  ihn  uns  die  lat.  Schriftsteller  zur  Zeit  der  höchsten 
literarischen  Entfaltung  unsrer  Konstruktion  darbieten.  Wir  haben 
den  Eindruck,  dafs  ein  Flufs  von  einem  gegebenen  Punkt  an  unter- 
irdisch weiterfliefst,  um  endhch  wieder,  durch  zugeflossene  Bäche 
etwas  verstärkt,  an  der  Oberfläche  zu  erscheinen. 

Und  so  haben  wir  keinen  andern  Ausweg,  als  die  von  Th.  58. 
a  limine  abgewiesene  Ansicht,  dafs  das  Zurücktreten  von  habere 
mit  -/ö-Partizip  seit  dem  i.  Jahrh.  n.  Chr.  ein  „scheinbares, 
blofs  literarisches"  war  und  dafs  die  Konstruktion  inzwischen  ein 
immer  wiederkehrender  Teil  des  Vulgärlateins  oder  besser  der 
lateinischen  Umgangssprache  war.  Und  wenn  wir  fragen,  warum 
die  Schriftsprache  dieser  Konstruktion  sichtbar  ausweicht,  so  kann 
der  Grund  kein  anderer  sein,  als  der,  dafs  damals  das  Verständnis 
für  den  ursprünglichen  Sinn  vollständig  erlosch.  Solange  ein  positum 
habeo  seine  eigene  feine  Nuance  ausdrückte,  war  es  literaturfahig, 
sowie  es  Synonym  von  posui  wurde,  hatten  die  Puristen  allen  Grund 
es  auszumerzen.     Es  war  eine  überflüssige  Länge. 

Das  Zurückgehen  der  Konstruktion  haben  wir  also  nicht  einer 
von  selbst  vor  sich  gehenden  Entwicklung,  einem  langsam  vor- 
schreitenden Verfall,  sondern  einem  bewufsten  Entgegenarbeiten  zu 
verdanken.  Zu  einem  solchen  bewufsten  Entgegenarbeiten  von 
Seite  derjenigen,  denen  die  Pflege  des  literarischen  Latein  oblag, 
war   übrigens  in   manchen  Fällen  noch  ein  sehr  bestimmter  Anlafs 


I20 


vorhanden.  Neben  der  aus  der  Nuance  3  {4g)  entstehenden  Perfekt- 
bedeutung bleiben  ja  noch  die  Bedeutungen  i  und  2  weit  ins 
Romanische  (7/5)  hinein  bestehen;  neben  A  dauert  B  und  C  fort. 
Dafs  diese  Koexistenz  zu  unerquicklichen  Zweideutigkeiten  führen 
mufste,  kann  man  am  besten  an  Phrasen  wie  eben  aliquid  datum 
habeo,  aliquid  rogatum  habeo  sehen,  die  eine  der  ursprünglichen  'ich 
habe  etwas  Gegebenes,  Erbetenes'  geradezu  entgegengesetzte  Be- 
deutung annehmen.  Wie  oft  mag  schon  der  römische  ABC-Schütz 
auf  ein  von  der  Strafse  in  die  Schule  geschlepptes  „pecuniam 
habeo  datam"  'ich  habe  das  Geld  gegeben'  die  Zurechtweisung 
des  Lehrers  gehört  haben:  „quocl  habes,  non  dedisti".  Und  da 
dies  bei  der  Häufigkeit  des  Fehlers  zu  den  Elementen  des  schul- 
meisterlichen Drills  gehört  haben  mufs,  so  verstehen  wir,  dafs  ein 
jeder,  der  soweit  gekommen  war,  überhaupt  ein  Buch  verfassen  zu 
können,  auch  die  Apulejus  und  Tertullian  (Thielm.  543),  prinzipiell 
auf  die  Konstruktion  verzichtete  und  sich  ängstlich  an  das  hielt, 
was  auch  den  Klassikern  geläufig  war.  1  Wenn  die  Konstruktion 
in  Gallien  früher  auftaucht  als  in  Italien  oder  Spanien,  so  hat  das 
einfach  darin  seinen  Grund,  dafs  in  Gallien  auch  früher  die 
literarische  Tradition  gestört  wurde.  — 

Ist  unsre  Argumentation  richtig,  so  hätten  wir  die  entscheidende 
Wendung  etwa  an  den  Anfang  unsrer  Zeitrechnung,  in  die  erste 
Hälfte  des  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderts  zu  setzen. 
59.  Diese    Art    der   Betrachtung    wirft    neues    Licht    auf  zwei   für 

unsern  Gegenstand  äufserst  wichtige  Juristenstellen,  die  bereits  die 
Aufmerksamkeit  Thielmanns  erregt  haben,  ohne  dafs  dieser,  wie  ich 
glaube,  ihre  Bedeutung  richtig  zu  würdigen  verstand. 

In  Auslegung  des  Prätorischen  Edikts:  Quod  in  via  publica 
itinereve  publica  factum,  immissutn  habes,  quo  ea  via  idve  iter  deterius 
Sit,  fiat,  restituas  sagt  Ulpian  43,  8  Dig.,  2,  37  f:  Hoc  interdicto  non 
is  tenetur  qui  in  via  publica  aliquid  fecit;  sed  is  qui  factum  habet. 
Et  est  hoc  utilius:  quia  is  polest  restUuere,  qui  factum,  immisstim  habet. 
Habere  eum  dicivms  qui  utiiur  et  jure  possessionis  fruitur:  sive  ipse 
opus  fecit  sive  ex  causa  emptionis  vel  conductionis  vel  legato  vel  here- 
ditate  vel  alio  modo  acquisiit.  Derjenige  ist  also  nach  Ulpian 
restitutionspflichtig,  der  das  Objekt,  das  zu  einem  Verkehrshindernis 
führt,  besitzt,  also  im  genauen,  sozusagen  etymologischen  Sinn  der 
Phrase.  Wenn  er  nun  gerade  an  dieser  Stelle  dem  Römer  klar- 
zulegen sich  bemüfsigt  sieht,  was  habere  bedeutet,  so  scheint  daraus 
hervorzugehen,  dafs  sie  in  der  gewöhnlichen  Verkehrssprache  schon 
auch  einen  andern  Sinn  haben  konnte,  so  dafs  man  davor  warnen 
mufste,  factum  habet  als  einfaches  Perfekt  zu  verstehen.  Für  diese 
Auslegung    des  Edikts   weifs    sich  Uip.    eine  Stütze    darin    zu    ver- 


^  Charakteristisch  ist  die  Stellung  des  Tacitus,  der,  wie  er  sich  überhaupt 
von  allem  fernhält,  was  vulgär  klingt,  auch  unsre  Konstruktion  geflissentlich 
meidet.  Wir  finden  sie  bei  ihm  nur  dort,  wo  jeder  Verdacht  ausgeschlossen 
ist,  dafs  es  sich  um  ein  Perfekt  handelt,  wie  ignotnyn  habere  Ann.  13,21,  prae- 
sumptum  haheaiit  'sie  mögen  im  voraus  überzeugt  sein'   Ann.  I4>64' 


121 

schaffen,  dafs  es  eben  ein  edictum  resiitutorium  ist;  das  entsprechende 
idictinn  prohihitorium  hat:  .  .  .  facere,  immittere  .  .  .  veto  (ebenda  20). 
Ob  er  aber  den  Sinn  des  habere  nicht  doch  zu  scharf  urgiert? 
In  einem  andern  Edikt,  das  eben  kein  ed.  restitutorium  ist,  finden 
wir  nämUch:  Ne  quis  in  stiggruenda  protedove  supra  eum  locum  qua 
viilgo  iter  fiel  inve  quo  consistetur,  id  positum  habeat,  cujus  casus  nocere 
cut  possit.  Qui  adversus  ea  fecerit  in  eum  solidorum  deceni  iji  factum 
Judicium  dabo;  si  servus  insciente  doniino  fecisse  diciiur,  auf  aestirnationem 
dari  aut  noxae  dedi  jubebo.  Hier  meint  Ulpian:  9,  3.  Dig.,  5,  10. 
Posifum  habere  etiam  is  rede  vidctur  qui  ipse  quidem  non  posuit,  verum 
ab  alio  positum  patitur.  Quare  si  servus  posuerit,  dominus  auiem 
positutn  patiatur,  non  noxali  judicio  dominus,  sed  suo  nomine  tenebitur. 
Hier  ist  die  Auslegung,  wie  mir  scheint,  etwas  verschieden.  Es 
würde  ja  auch  bei  dem  strikten  Wortsinn  des  habere  der  Besitz 
jenes  Gegenstands  verboten  werden,  was  keinen  Sinn  haben  würde. 
Auf  den  Besitz  des  Gegenstandes  scheint  es  überhaupt  nicht  an- 
zukommen, sondern  darauf,  wem  die  Wohnung  gehört,  wo  der 
Gegenstand  aufgestellt  ist  {qtiia  positum  habuisse  non  tiiique  vidctur 
qui  posuit  nisi  vel  dominus  fuit  aediuni  vel  inhahitaior  ebdi?i  12).  Das 
kann  aber  doch  nicht  der  Sinn  von  aliquid  positum  habere  sein, 
wenn  habere  streng  in  der  Bedeutung  des  Besitzes  genommen  ist. 
Die  Phrase  mag  wohl  hier  die  etwas  verschwommene  Bedeutung 
haben,  die  wir  oben  als  Varietät  3  aufgestellt  haben:  „der,  für 
den  die  Aufstellung  des  Gegenstands  in  Betracht  kommt"  od.  ä. 
Freilich  ist  ein  derartiger  Ausdruck  weit  entfernt  von  juristischer 
Präzision.  Es  drückt  aber  den  präziseren  Sinn,  den  Ulpian  in 
diesem  Fall  herausfindet:  „der,  in  dessen  Gewahrsam  der  auf- 
gestellte Gegenstand  sich  befindet"  ebenso  mit  aus  wie  im  ersten 
Fall  „der,  für  den  das  auf  den  Weg  legen  in  Betracht  kommt", 
wieder  anders  spezialisiert,  bedeuten  kann:  „der  den  auf  den  Weg 
gelegten  Gegenstand  besitzt".  Ob  aber  Ulpian  in  beiden  Fällen 
das  Edikt  richtig  verstanden  hat  und  ob  man  diesen  Unterschied 
machen  mufs,  ist  wieder  eine  andre  Frage,  die  ich  den  Juristen 
überlasse. 

Die  Voraussetzung  für  die  Abschwächung  von  habeo  war  aber  60. 
in  gewissen  Formen  auch  in  andrer  Weise  gegeben.  Wie  nämlich 
das  -/ö- Partizip  mit  esse,  dort  wo  nicht  von  einer  sich  voll- 
ziehenden oder  vollzogenen  Tatsache  gesprochen  wird,  sondern 
von  einer  modal  abhängigen,  im  Futur,  im  Imperativ,  in  den  Kon- 
junktiven dem  Hörer  oft  die  freie  Wahl  läfst,  an  den  durch  die 
Handlung  geschaffenen  Zustand  oder  an  die  Handlung  selbst  zu 
denken,  s.  ^2,  so  auch  das  mit  habere  in  Verbindung  tretende  -to- 
Part.  In  dem  boves  maxima  diligentia  curatos  habeto  bei  Cato  (vgl. 
Th.  S.  38g)  ist  das  eures  ebenso  eingeschlossen  wie  in  dem  boves 
uti  .  .  .  curati  be?ie  sient.  Ebenso  in  den  Vorschriften  der  Mulo- 
medicina  pulverem  in  qnolibet  vaso  tritum  habebis,  habeto  rcpositum  in 
vaso  stagneo  etc.  (Pirson,  1.  c.  40Ö).     Der  Keim  einer  Gleichsetzung 


122 

mit    dem    einfachen   Verbum    finitum    ist   hier   vorhanden,    gelangt 
aber  vorläufig  nicht  zur  Entfaltung. 
6l.  Aber    auch    in    der    Sphäre    der    vergangenen    Handlung    liegt 

die  Konkurrenz  des  Ausdrucks  mit  dem  einfachen  Verb  vielfach 
nahe.  Ein  *facUiin  hahui  konnte  ursprünglich  die  Bedeutung  eines 
in  der  Vergangenheit  abgeschlossenen  Zustands  haben,  so  etwa  in 
dum  habuit  ornatu?n  .  .  .  Cic.  Verr.  4  g  oder  aber  auch  einfach  die 
eines  in  der  Vergangenheit  dauernden  Zustands  in  inoniibus  casfra 
habuit  posita  Pompejus  B.  Hisp.  73  entsprechend  der  durativen  Be- 
deutung des  habere  s.  j^.  Nun  aber  ist  bei  dem  Perfekt  eines 
jeden  perfektiven  Verbums,  soweit  es  eben  aoristischen,  nicht  rein 
perfektischen  Sinn  hat,  ein  danach  eintretender  Zustand  gegeben, 
der  dadurch  mit  bezeichnet  wird.  Die  eben  zitierte  Ausdrucksweise 
aus  dem  B.  Hisp.  unterscheidet  sich  also,  aufser  der  dem  habere 
eigentümlichen  Nuance,  die  sich  später  verliert,  nur  insofern  von 
einem  einfachen  posm'f,  als  bei  letzterem  die  Handlung  selbst  be- 
zeichnet, der  daraus  entstehende  Zustand  (der  aber  sehr  häufig, 
im  Verlauf  der  erzählten  Begebenheiten,  das  wichtige  sein  kann) 
als  selbstverständlich  mitbegriffen  wird,  in  positiim  hahdt  aber  dieser 
als  Hauptsache  erscheint,  während  die  Handlung  selbst  sich 
eben  aus  dem  -/c-Partizip  ergibt.  Dafs  unter  solchen  Umständen 
die  beiden  Ausdrucksweisen  oft  nebeneinander  hergehen  können, 
ist  klar.  So  bei  Cic,  de  r.  p.  2^^^:  et  ipse  urbem  condidit  .  .  .  ex 
singulis  si/igulos  cooptavit  augures  et  habuit  plebem  in  clientelas 
principum  discriptam',  ähnl.  Val.  Max.  Q,  ext.  4:  Antiochus  quoque 
Syriae  rex  nihilo  confineniioris  exempli.  Cujus  caecam  et  amentem 
hixuriam  exercitus  imiiatus  magna  ex  parte  aureos  clavos  crepidis 
subjectos  habuit  argenteaque  vasa  culinae  comparavit  et  tabernacxda 
textilibus  sigillis  adornata  statuit,  wo  dann  ein  späterer  Epitomator 
subjectos  habuit  durch  subjecit  ersetzt  (Thielm.  406).  So  ist  denn 
die  Grenze  der  beiden  Konstruktionen  eine  leicht  verschwimmende 
und  in  einem  negativen  Satz  wie  neque  ea  res  falsu7n  mc  habuit 
'und  dies  täuschte  mich  nicht'  Sali.  Jug.  lOj  ist  die  ursprüngliche 
Bedeutung  kaum  mehr  wahrnehmbar.  Ähnlich  nun  auch  am  Beginn 
eines  Abschnitts:  Qua  iempestate  (David)  Bersaben  quandam  stupro 
compertam  habuit.  Haec  Uri  cujusdam  uxor  qui  tum  in  castris  erat, 
fuisse  traditur.  Hunc  D.  .  .  ,  interficiejidum  curavit  Sulp.  Sev.  Chron. 
l,38j.  Somit  zeigt  sich  factum  habui  in  der  Bedeutung  eines  ge- 
wöhnlichen aoristischen  Perfekts  und  der  Weg,  auf  dem  es  dazu 
gelangte,  ist  im  Grund  genau  derselbe  wie  conductus  fui  zu  dieser 
Bedeutung  gelangt,  s.  j^.  Ferner  zeigt  sich  diese  Entwicklung  sehr 
deutlich  in  den  vom  Perfekt  abgeleiteten  relativen  Tempora,  also 
factum  habuissem  ^=  fecissem  wie  factum  habui  =^  feci.  Hieher  ge- 
hören also  die  von  Thielm.  538  f.  zitierten  Beispiele:  cum primum  . . . 
exploratum  habuero,  faciam  te  certiorem  Brut.  =  exploravero ;  si  jam 
arborem  satam  habueris  .  .  .  serito  Col.  =  scveris ;  rex  cujii  jam  sex 
civitatis  lectos  habuisset  Vitr.  =  legisset ;  ähnlich  si  jnores  nostros 
emendatos    habuerimus,    possit    tiobis   cum    omnibus    convenire    Cassian, 


123 

Inst.  IX.  Cap.  Eine  Kontamination  von  legisset  und  lectos  haberet 
anzunehmen,  halte  ich  für  unnötig,  da  die  natürliche  Entwicklung 
der  obengenannten  Konstruktion  zu  solchen  Formeln  führen  mufste. 

Auf  anderem  Weg  und  wahrscheinlich  bedeutend  früher  ist  ja  62. 
in  andern  Fällen  hahiii  mit  dem  -/ö-Partiz.  zu  einem  Konkurrenten 
des  Perfekts  geworden.  Bei  den  durativen  Verben  hatte,  wie  wir 
gesehen  haben,  despicaiiim  habeo  den  Sinn  eines  Präsens,  zu  dem 
also  desp.  habui  das  natürliche  Perfekt  war.  So  dürfte  ille  quod  in 
se  fuit  accuratum  hahuii  qtiod  posset  mali  faceret  in  nie  Plaut,  ßacch. 
(Th.  391)  (durativ  oder  iterativ)  zu  fassen  sein;  sicher  gehört  hieher: 
7ia»i  me  intus  tuos  pater  itwravit  modo  quo  pacto  me  habucris  prae- 
positam  amori  iiio  Hec.  382,  wo  praepono  =  vorziehen.  Dann  exosurn 
habui  u.  ä.  Wenn  aber  noium  habui  von  den  Grammatikern  als 
Perfekt  zu  dem  durativen  novi  aufgefafst  wird,  so  ist  hier  erst 
sekundär  dasselbe  Verhältnis  eingetreten. 

So  sehen  wir  denn,    dafs  sich  die  Verbindung  des  Partiz.  mit 
haheo    zu    einem  Perfectum    praesens    perfektiver  Verba   verschoben 
hat,    während    sich    die  Verbindung    des  Part,    mit  habui  zu  einem  • 
nicht  präsentischen  Perfekt  umwandelt. 


Rückblicke  und  Vorbemerkungen. 

Wir  haben  gesehen,  dafs  im  Lateinischen  das  -/ö-Adj.  haupt-  50^ 
sächlich  dadurch  zu  einem  Partizip  geworden  war,  dafs  es  in  • 
inniges  syntaktisches  Verhältnis  zur  Passivflexion  trat,  ein  Verhältnis, 
das  allerdings  formell  keinen  Ausdruck  gewann.  —  Dennoch  hat 
die  -/ö-Form  damit  keineswegs  ihre  adjektivische  Natur  aufgegeben. 
In  dem  Fall  IV  (//)  ist  eine  Beziehung  zum  Verbalsystem  über- 
haupt kaum  eingetreten;  auch  in  III  bewahren  sich  manche  Fälle 
ihre  Selbständigkeit  {juratus  etc.).  Aber  auch  Formen,  die  in  das 
Verbalsystem  hineingezogen  wurden,  zeigen  neben  dieser  Verv/endung 
eine  andere,  in  der  sich  ihre  ungeschwächte  adjektivische  Kraft 
kundtut.  Konstatierbar  ist  dies  im  Lateinischen  besonders  in 
Fällen,  wie  den  in  10  erwähnten,  wo  der  Gedanke  an  die  zugrunde- 
liegende Handlung  gänzlich  ausgeschlossen  ist:  separatus,  conjunctus, 
politus  etc.,  ferner  in  Fällen,  wo  sich  die  Handlung  mit  einem 
modalen  Nebenbegriff  verbindet,  der  der  syntaktischen  Funktion 
selbst  nicht  zukommt,  also  Adjekliva  wie  kctus  'auserlesen',  d.  h. 
was  gewählt  werden  kann,  savialus  'was  man  küssen  mufs',  spcclatus 
'sehenswert'  und  besonders  in  den  negierten  Formen  s.  21  x- 

Sonst  allerdings  mag  es  bei  der  Unbestimmtheit  der  Grenze 
oft  schwer  fallen  zu  sagen,  ob  eine  bestimmte  -/ö-Form  noch  als 
Adjektiv  oder  nur  als  Partizip  empfunden  wurde.  In  manchen 
Fällen  beweisen  oder  bestätigen  die  romanischen  Sprachen  dadurch 
die  syntaktische  Selbständigkeit  der  -/ö-Form,  dafs  sie  das  Verbum 
untergehen  lassen,  die  -to-Vorvn  aber  entweder  als  Adjektiv  oder  in 
verschobener  Verwendung  als  Substantiv  bewahren  (ausus,  con/essus, 


124 

e.xpfrius,  exsi/c/iis,  fixus  und  *fictus,  quassiis,  qtiictus,  sanctus  —  sponsus, 
gestu,  -a,  actu,  pactu  etc.)  oder  dadurch,  dafs  sie  dem  Adjektiv, 
resp.  Substantiv  die  traditionelle  Form  bewahren,  während  sie  das 
Partizip  durch  eine  morphologische  Neubildung  ersetzen  {debituy  -a\ 
cogniiu;  Jirectu;  placilii). 

Dieser  Fall  der  Isolierung  ist  aber  als  ein  Grenzfall,  als  das 
Äufserst-IMögliche  zu  betrachten,  bei  dem  starke  lautliche  Diffe- 
renzierung mit  starker  Bedeutungsdifferenzierung  Hand  in  Hand 
gehen.  In  den  meisten  Fällen  bleibt  trotz  der  ausgesprochenen 
adjektivischen  Verwendung  das  Gefühl  für  den  Zusammenhang  mit 
dem  Verbum  und  den  Ableitungsvorgang  so  lebhaft,  dafs  bei  dem 
Ersatz  durch  die  Neubildung  auch  das  Adjektiv  mitgezogen  wird, 
wofür  yi  bezeichnende  Beispiele  bieten  wird. 

64*  Die  festen  Beziehungen  nun,  in  denen  das  Partizip  im  Latei- 

nischen zur  Passivflexion  stand,  sind  durch  das  Aufgeben  der 
Passiv flexion  aufgehoben  und  so  der  ganze  passive  Gedanken- 
ausdruck entscheidend  umgewandelt  worden.  Die  lateinische  Form 
des  Passivs  war  ja  schon  vom  Anfang  der  Literärsprache  an  nur 
dort  deutlicher  Träger  der  medial -passiven  Idee,  wo  es  neben 
dem  aktiven  Formenschema  stand.  Aber  bekanntlich  hat  lange 
nicht  das  ganze  Zeitwortraaterial  diese  Zweiheit  aufzuweisen:  auf 
der  einen  Seite  gab  es  die  Deponentia,  die  passive  Form  bewahren, 
trotzdem  ihre  Bedeutung  zum  grofsen  Teil  ganz  ausgesprochen  aktiv 
geworden  war:  molior  'ich  unternehme',  popidor  'ich  verheere',  um- 
gekehrt gab  es  aktive  Verba,  die  ausgesprochen  passive  Bedeutung 
erlangt  hatten i;  venire  'verkauft  werden',  fit  'es  wird  gemacht', 
vapuJat  'er  wird  geprügelt'. 

65.  Die     passiven    Endungen     waren    also    nicht    sicheres,    aus- 

gesprochenes Zeichen  für  medial -passive  Funktion.  Eine  gewisse 
Tendenz,  sie  dazu  zu  machen,  verrät  sich  ja  in  dem  Umstand, 
dafs  die  Deponentia  zu  jeder  Zeit  stärkere  oder  schwächere  Hin- 
neigung zur  Annahme  der  aktiven  Flexion  kundgeben,  und  damit 
gleichzeitig  zur  Annahme  passiver  Bedeutung  für  die  überlieferten 
Formen.  Aber  diese  Tendenz  wurde  wieder  durch  allerhand 
Einzelanalogien  gekreuzt,  die  in  entgegengesetzter  Richtung  wirken, 
man  findet  certari  für  certare  etwa  nach  luctari,  despoltari  etwa  nach 
praeJari,  vnlnera  qnae  vix  coeiintur  etwa  nach  c/audimiur  Wulomed. 
278  24  und  manches  andre,  was  wohl  kaum  überall  als  verkehrte 
Sprechform  aufzufassen  ist  (vgl.  Dräger,  12  S.  155).    So  dürfen  wir 


^  Zunächst  mag  man  daran  zweifeln,  ob  nicht  der  Deutsche,  verleitet  durch 
die  Übersetzung,  einen  passiven  Sinn  unterschiebt,  den  der  Lateiner  gar  nicht 
herausgefühlt  hat.  Dies  Bedenken  wird  weniger  durch  die  passive  Konstruktion 
ßt  a  te,  ab  hostibiis  venire  etc.  widerlegt  als  einerseits  dadurch,  dafs  die 
passive  Bedeutung  zu  formellen  Analogiebildungen  lührte:  fier\^  venitVLV,  veniri 
etc.,  andrerseits  durch  die  ausdrücklichen  Zeugnisse  der  lateinischen 
Grammatiker,  die  des  Widerstreits  von  Form  und  Bedeutung  Erwähnung  tun: 
ea  verba  quae  in  declinatiojie  activa  tantiim  sunt  et  intellectu  passiva  .  .  .  ut 
veneo,  vapitlo,  ardeo  Charis.  254,  ,5  [ähnl.  lö';,!^;  562,«;  Priscian  I  377, 14 
(VIII,  12),  Pomp.  213,31  etc.]. 


125 

uns  wohl  den  Ausgang  des  Alterturas  als  ein  Zeitalter  vielfacher 
Doppelformen  vorstellen,  von  deren  Ausbreitung  und  Konkurrenz- 
kampf uns  die  Literatur  ein,  wenn  auch  sehr  verkleinertes  und  un- 
vollständiges, Bild  gibt.  Der  Ausgang  des  Kampfs  ist  dann  der 
gewesen,  dafs  die  alte  Aktiv -Flexion  für  die  Aktiv -Funktion  als 
die  eingewurzeltere,  vollständigere,  überall  klare  den  Sieg  davon 
getragen  hat,  die  alte  Passiv- Flexion  aber  als  ein  zweideutiges, 
unvollständiges,  zusammenhangloses  System  ganz  aufgegeben,  d.  h. 
von  anderweitigen  Konkurrenten  aus  dem  Feld  geschlagen  wurde, 
die  entweder  den  Vorzug  gröfserer  Einfachheit  oder  den  gröfserer 
Stetigkeit  hatten.  —  Vorbereitet  waren  aber  diese  Ersatzmittel  66. 
schon  seit  langem. 

Es  sind  i.  das  einfache  [intransitive]  Aktiv,  terra  movet  'die 
Erde  bewegt  sich'.  Eigentlich  wohl:  der  Begriff  'Erde'  ist  mit 
dem  Begriff  'bewegen'  verknüpft.  Von  der  sonstigen  Verwendung 
des  movere  weicht  dies  dadurch  ab,  dafs  die  Verknüpfung  nicht 
eine  kausale  ist,  das  Subjekt  also  nicht  das,  was  die  Handlung 
veranlafst.  Wir  haben  in  dieser  ungewöhnlichen  Verbindung  von 
Subjekt  und  Prädikat  entweder  einen  Rest  von  ursprünglich 
gröfserer  Freiheit  in  der  Auffassung  des  syntaktischen  Verhältnisses 
dieser  Satzglieder  oder  aber  einen  durch  Funktionsverschiebung 
eingetretenen  analogischen  Zustand  zu  erkennen.  Jedenfalls  läfst 
sich  eine  derartige  grölsere  Freiheit  auch  sonst  vielfach  in  der 
Sprache  belegen,  vgl.  zum  Beispiel  mit  dem  Zeitwort  ardere  :  ardent 
aliaria  'das  Opfer  auf  dem  Altar  brennt',  ai'deo  'meine  Habe  . 
brennt',  ardeo  amore  u.  dgl.  oder  aber  fluo  stidore  'ich  triefe  von 
Schweifs'  und  vieles  andere.  —  So  finden  wir  passiv -mediale  Be- 
deutung z.  B.  bei  ahstinere,  applicare,  demiilare,  def ledere,  erwnpere, 
inclinare,  pettetrare,  vertere  etc.  l,  vgl.  Dräger,  Syntax  P  140.  —  Da 
das  Passiv  in  manchen  Fällen  eine  ihm  eigene  charakteristische 
Bedeutungsnuance  angenommen  hat,  so  wird  es  manchmal  schwer 
zu  entscheiden  sein,  ob  die  Annahme  der  aktiven  Form  mit  diesem 
Vorgang  —  der  freiem  syntaktischen  Auffassung  —  auf  eine  Stufe 
zu  stellen  ist  oder  ob  wir  Ersatz  der  Passiv- Flexion  durch  Aktiv- 
flexion beim  Deponens  —  also  etwas  mehr  morphologisches  —  an- 
zunehmen haben.  Es  ist  also  z.  B.  unsicher  ob  der  Ersatz  von 
pasciiiir  durch  pascit  zu  dem  von  sequitiir  durch  sequi t,  consolatur 
durch  consolai  oder  aber  zu  dem  von  nioveiur  durch  movet  (intr.), 
rumpitur  durch  *rumpii  (intr.)  zu  stellen  ist. 

Bei    dieser    Art   des   Ersatzes   geht    der   passive    oder  mediale 
Charakter    ganz    verloren.      Es    tritt    eine    wesentlich    verschiedene 


1  Man  darf  also  keineswegs  mit  Scliucliardt  ZRPh.  XXXII,  S.  231  ff.  an- 
nehmen, dafs  zwischen  transitiver  und  intransitiver  Verwendung  immer  das 
Reflexiv  in  der  Mitte  stellt,  s.  Rom.  Gr.  ITI,  S.  383  f.  Dagegen  wäre  zu  er- 
wägen, inwieweit  Analogiebildung  nach  Nominalableitungcn  in  Betracht  kommt, 
bei  denen  die  transitive  und  die  intransitive  Bedeutung  von  Anfang  an  neben- 
einander zu  stehen  scheinen:  grandire-,  niaturare ,  ofßrmare,  tardare,  in- 
sinuare  etc. 


120 

Auffassung  des  Vorgangs  an  die  Stelle:  statt  der  Handlung  im 
engern  Sinn,  die  an  dem  Subjekt  vorgenommen  wird  oder  die 
dieses  an  sich  selbst  vornimmt,  tritt  die  Bezeichnung  als  Zustand, 
resp.  als  Zustandsänderung  ein.  Von  jeher  hatte  ja  das  aktive 
Verbum  in  einer  erklecklichen  Anzahl  von  Fällen  diese  Funktion 
zu  erfüllen:  latere,  vigere,  superhire,  —  inveterascere,  ruhescere  etc. 

2.  Die  reflexive  Ansdrucksweise:  terra  se  movet.  Entstehung: 
deutliche  Funktionsverschiebung  von  Fällen  wie  hestia  se  movet,  das 
wohl  ursprünglich  bedeutete  'das  Tier  bewegt  sich,  d.  h.  seinen 
Körper',  genau  so  aktiv  wie  bestta  lapidem  7novet  'es  bewegt  einen 
Stein'.  Wird  diese  genaue  Unterscheidung  von  Subjekt  und  Objekt 
von  selten  des  Hörenden  nicht  in  ihrer  Schärfe  aufgefafst,  so  bleibt 
die  an  dem  Objekt  vollzogene  Handlung  als  sinnfälliges,  resul- 
tierendes übrig.  Deutlich  wird  dieser  Übergang  durch  die  Über- 
tragung auf  Fälle,  wo  überhaupt  kein  nennbares  Subjekt  (medial) 
oder  ein  von  dem  Objekt  verschiedenes  Subjekt  (passiv)  in  Betracht 
kommt.  Die  Entwicklung  ist  in  eingehender,  verständiger  Weise 
von  El.  Richter,  ZRPh.  XXXIII,  135  ff.  geschildert  worden.  Nur  ist 
nach  meiner  Auffassung  in  terra  se  movet  nicht  das  „leblose 
Objekt"  so  behandelt  worden,  „als  ob  es  mit  eigener  Initiative 
begabt  wäre  und  seine  Tat,  speziell  seine  Bewegungen,  aus  eignem 
Willen  ausführte",  sondern  man  hat  im  Gegenteil  in  Fällen,  wo 
dies  ursprünglich  der  Fall  war  (bestia  se  movet)  die  eigene  Initiative 
und  eigene  Tat  nicht  mehr  herausgefühlt,  und  nun  war  die  ana- 
logische Übertragung   auf  leblose  Gegenstände  von  selbst  gegeben. 

Der  Unterschied  gegen  l.  ist  der,  dafs  der  Verbalbegrift  zu- 
nächst doch  noch  als  Handlung,  nicht  als  Zustand  aufgefafst  wird. 
Die  treibende  Kraft  wird,  wie  Richter  1,  c.  ganz  richtig  hervorhebt, 
als  eine  dem  Auge  des  Beschauers  unsichtbare  aufgefafst,  zunächst 
wohl  weil  sie  wie  bei  bestia  und  tetra  im  Bereiche  des  Subjekts, 
mit  dem  Subjekt  verbunden  gedacht  ist  (medial).  Diese  Ver- 
bindung, in  die  das  grammatische  Subjekt  mit  dem  logischen,  d.  h. 
jener  treibenden  Kraft,  tritt,  kann  aber  sehr  lose  werden:  in  Eul.  20 
poro  no's  coist  besteht  sie  in  der  Eigenschaft,  dafs  eile  colpes  non 
auret,  in  si  che  veder  si  pothi  tutti  qtianti  D.  Inf.  4.  117»  darin,  dafs 
sie  eben  da  sind,  in  molt  s'e}i  coroce  darin,  dafs  er  sich  dem  Zorn- 
gefühl hingibt,  in  eis  mariaiges  se  reftise  Bai.  Jos.  8885  darin,  dafs 
die  Heirat  derartige  Qualitäten  hat,  dafs  sie  abgewiesen  werden 
raufs,  in  Onques  inais  rois  plus  a  envis  El  siech  ne  se  courorma 
ebenda  1 1  747  darin,  dafs  er  schliefslich  doch  trotz  Widerstrebens 
es  sich  gefallen  lassen  mufs,  und  in  L'evesque  culvert  N^oti  0  pressofi 
gaire  Se'l  sainz  vas  se  pert  App.  Chr.  70  r,j  ist  sie  überhaupt  kaum 
mehr  vorhanden.  Je  loser  diese  Verbindung,  umsomehr  nähert 
sich  die  Konstruktion  dem  passiven  Sinn.  Inwieweit  wirklich  Er- 
satz des  Passi\aims  durch  das  Reflexiv  eintritt,  ist  aus  Diez  III, 
306  ff.,  RGr.  III,  §  382  ersichtlich.  1 


*  Hier  nur,    weil  solche  bisher  vermifst  werden,  ein  paar  instruktive  alt- 
portugiesische  Beispiele,  u.  zw.  aus  den  Cantigas  de  Santa  Maria:    «0«  sofras 


127 

3-  Das  -/ö-Partizip  selbst,  obwohl  anfänglich  mit  keinem  Genus 
verbi  in  ideeller  Verbindung,  ist  durch  die  ihm  innewohnende  Be- 
deutung häufig  —  bei  transitiven  Verben  —  deutlicher  passiv  als 
die  sogenannten  passiven  Formen  selbst.  So  hat  es  bereits  in  weit 
vor  den  Anfängen  der  Literatursprache  liegender  Zeit  das  alte 
Passivperfekt  verdrängt  s.  26 ff.,  so  tritt  es  in  Verbindung  mit  esse 
während  der  Literalurperiode  in  Konkurrenz  zu  der  gesamten 
synthetischen  Passivkonjugation  bei  durativen  Verben  s.  ^/.  Auch 
in  einigen  der  Präsensformen  perfektiver  Verba  kann  es  mit  dieser 
in  Konkurrenz  treten  s.  ^2. 

Für  die  punktuelle  Aktionsstufe,  besonders  der  Gegenwart, 
reicht  esse  nicht  aus.  'Die  Speise  wird  (gegenwärtig)  gekocht' 
kann  damit  nicht  ausgedrückt  werden.  Aber  hier  kommt  es  immer 
auf  eine  ziemlich  starke  Betonung  der  Handlung  an  und  eine 
solche  passiv  auszudrücken  mag  relativ  selten  erforderlich  sein. 
Im  klassischen  Latein  allerdings  ist  das  Passivum  die  einzig 
mögliche  Form  dort,  wo  das  logische  Subjekt  der  Handlung  un- 
bekannt oder  die  Nicht -Nennung  desselben  aus  irgend  welchem 
Grund  bequem  war.  Für  diesen  Fall  bilden  sich  aber  vielleicht 
schon  in  der  spätlateinischen  Umgangssprache  die  Formeln  hovio 
coqiiit,  tiniis  coqiiit  (RGr.  III,  §  92  f.)  aus. 

Aufserdem  aber  konnten  (wie  im  Deutschen)  in  diesem  Fall 
statt  des  Verbs  'sein'  jene  Zeitwörter  eintreten,  die  'werden',  'ent- 
stehen' bedeuten.  Tatsächlich  findet  sich  schon  im  Lateinischen 
akzidentell  fie7-i  mit  -/ö-Part,  wofür  Beispiele  weiter  unten  (pj)  im 
Zusammenhang  mit  dem  Romanischen  gegeben  werden  und  für 
venire  war  durch  die  lateinische  Bedeutungsentwicklung  diese  Ver- 
wendungsmöglichkeit bereits  gegeben:  vitiutn  pejus  quod  ex  üiopia 
quam  quod  ex  copia  venu  Qu.,  'Valesii  Fusn  in  ^Valerios  Furiosque' 
venenint  Qu,,  utnbra  loco  deerat,  umhra  loco  venu  Ov.  Der  ent- 
scheidende Schritt,  die  Verbindung  mit  prädikativem  Adjektiv  oder 
-/ö-Partizip,  ist  bereits  im  4.  Jhd.  gewagt  worden :  si  jumenlum  de 
via  coactum  veiiiel  Mul.  158,  cihiim  quem  conceptum  venire  oportet 
Mul.  266.1 

Durch  jene  immer  in  der  Sprachentwicklung  wirksame  Auslese,  67. 
die  das  Einfache  und  Deutliche  dem  Komplizierten 2  und  Undeut- 
lichen   vorzieht,    ist    das    passive  Formsystem    aus    der  lateinischen 
Sprache    verdrängt    worden.     Die    neuen   Mittel    boten    durch    ihre 
Mannigfaltigkeit    den  Vorteil    feiner  Nuancierung;    sie    hatten   aber 


que  nie  perca  CGI;  a  inissa  quc  ss'y  dizia  CCXI;  atal  espanf  cn  coUeron, 
que  pero  gran  poder  era,  logo  todos  se  vencero7i  Cf.XXXI;  Santa  Maria 
piinna  d'aviir  os  seiis,  por  se  d'eles  mellor  servtr  CCLIX. 

1  Vgl.  A.  Ernout  in  I'liilol.  cl  L\n^\\.  (Melanses-Havet)  p.  149. 
•  2  Die  Mittel   der  Passiv-Flexion  waren  liomplizieiter,  weil  sie  eine  ganze 
Reihe  Personalendungen  aufwies,    die,  namentlich  in  ihrer  Weiterentwicklung, 
weder  miteinander  noch  mit  den  viel  häufigem  Aktivendungen  assoziiert  werden 
konnten;  die  Ersatzmittel  arbeiten  durchwegs  mit  den  aktiven  Endungen. 


128 

auch  den  Nachteil,  dafs  sie  kein  geschlossenes  Formsystem  dar- 
boten. Es  fehlte  ihnen  von  Haus  aus  der  Sinn  der  wirklich 
passiven  Verbalform,  sie  hatten  diesen  Sinn  erst  durch  den  bei  syn- 
taktischen Übertragungen  üblichen  Vorgang  angenommen.  Hätten 
sie  mit  der  Zeit  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  abgelegt,  so  wäre 
vielleicht  ein  neues  Passivschema  an  Stelle  des  alten  entstanden. 
Das  war  aber  vorläufig  nicht  der  Fall.  Banden  der  Form  und 
Banden  der  Bedeutung  verknüpfen  durch  vielfach  abgestufte  Über- 
gänge das  aktive,  aber  passiv  verwendete  Verb  mit  dem  aktiven 
und  aktiv  verwendeten,  das  reflexive,  passiv  verwendete  mit  dem 
aktiv-rückbezüglich  verwendeten,  die  Partizipialkonstruktion  mit  dem 
Verbaladjektiv.  Ein  mehr  oder  minder  beträchtlicher  Rest  der 
etymologischen  Bedeutung  bleibt  immer  noch  haften  und  so  konnte 
die  ursprünglich  berechtigte  Auffassung  jeden  Moment  für  die  an- 
genommene eintreten. 

Durch  das  Überhandnehmen  dieser  funktionell  zweideutigen 
Mittel  hört  die  Sprache  aber  überhaupt  auf  passiv  zu  denken,  d.  h. 
die  passive  Idee  —  wie  es  in  der  klassischen  Sprache  mehr  oder 
minder  ausgeprägt  der  Fall  war  —  als  eine  der  Handlung  eigen- 
tümliche, sie  in  besonderer  Weise  charakterisierende  Nuance  zu 
betrachten,  die  man  am  Verbum  zum  Ausdruck  bringt,  wie  man 
daran  die  zeitlichen  und  modalen  Verschiedenheiten,  die  Person 
des  Subjekts  zum  Ausdruck  bringt.  Das  Passiv  wurde  je  nach 
den  Umständen  als  eine  vom  Subjekt  ausgehende  Plandlung,  oder 
als  eine  Eigenschaft  des  Subjekts  ausgedrückt,  d.  h.  formell  in  den 
Kategorien  untergebracht,  die  sich  die  Sprache  für  den  Ausdruck 
dieser  beiden  Gedankentypen  geschaffen  hat,  auch  wo  das  logische 
Verhältnis  nicht  gut  diesen  Gedankentypen  entsprach. 


68.  Die  Frage,    wann    der   passivische  Ausdruck  der  Volkssprache 

und  der  gewöhnlichen  Umgangssprache  verloren  ging,  zu  beant- 
worten, wäre  für  die  weitere  syntaktische  Entwicklung  wichtig 
genug;  doch  läfst  sich,  soviel  ich  sehe,  mit  Sicherheit  nichts  ermitteln. 
Es  ist  jedenfalls  nicht  mit  einem  Schlag  geschehen  und  wir  werden 
namentlich  mit  grofsen  Verschiedenheiten  in  der  sozialen  Schichtung 
der  Sprache  zu  rechnen  haben.  Wir  sind  hier  in  einer  noch 
schwierigeren  Lage  als  in  andern  Fällen.  Eine  Schreibung  wie 
PYTtOLis,  eine  Form  wie  illui,  eine  Gruppe  wie  cum  discipidos  suos 
zeigt  uns  doch  wenigstens,  dafs  ein  lautlicher,  formeller  oder  syn- 
taktischer Wandel  zu  einer  gewissen  Zeit  in  einer  gewissen  Gegend 
vollzogen  war,  denn  diese  Formen  sind  vom  Standpunkt  der  schrift- 
lateinischen Grammatik  unrichtig.  Bei  den  Ersatzformen  von  Medium 
und  Passiv  handelt  es  sich  aber  durchaus  um  gut  lateinische 
Formeln  und  wenn  irgendwo  das  auftaucht,  was  uns  als  die 
stereotype  Ausdrucksform  aus  den  romanischen  Sprachen  geläufig 
ist,  so  wissen  wir  deshalb  noch  lange  nicht,  ob  der  entsprechende 
synthetisch-passive  Ausdruck  schon  unerhört  geworden  ist. 


129 

Wenn  z.  B.  in  der  Peregr.  ad  loca  sancta  zu  lesen  ist  tantus 
rugitus  est  .  .  .  ut  porro  ad  cwitatem  gemitus  auditiis  sit,^  so  kann 
darin  einfach  die  Weiterausdehnung  des  ^2  erwähnten  Gebrauchs 
gesehen  werden,  ohne  dafs  deshalb  andiaiur  oder  gar  audihir  völlig 
aufgegeben  war.  Bei  einem  conahit  ViwXoxxi.,  conaveril  Toxö..  19  (Ö70), 
seqiiis  Form.  Sen.  add.  22,2>j  4  und  den  andern  analogen  von  Anglade 
1.  c.  39  f.,  Bonnet,  Le  lat.  de  Gr.  407  ff.,  Slijper,  De  Form.  Andec. 
lat.  97,  aufgezählten  Fällen  zeigt  sich  zunächst  blofs,  dafs  das 
längst  zu  beobachtende  Schwanken  der  Deponentia  zwischen  aktiver 
und  passiver  Form  sich  auf  eine  Anzahl  andrer  Verba  ausgedehnt 
hat.  Auch  in  prosternamus  terrae  Greg.  v.  T.  (Bonnet  628  f.), 
quantumciimque  in  ipsa  donatione  continet  Form.  Tur.  16429  kann  es 
sich  um  eine  Ausdehnung  der  in  66 1  erwähnten  Erscheinung 
handeln,  so  dafs  dies  mit  intransitivem  moveo,  ahstineo,  prorumpo  usw. 
auf  eine  Stufe  zu  stellen  wäre.  —  Etwas  mehr  beweisen  wohl  die 
umgekehrten  Sprechweisen,  wie  civitatem  vocihus  irnpletur  Greg., 
infantolo  sangtiinolento  qui  adhuc  vocahidum  non  habetur  Form.  And. 
2i,2i>  cibum  erogatitr  Vita  Gang.  III,  652  23»  missorium  .  .  .  cidtellos 
intromittthatur  furtim  Ven.  Fort.  VRd.  43  22  u^^d  andere  von  Bonnet 
I.e.  411  ff.,  633,  Slijper  97  angeführte  Formen,  von  denen  aller- 
dings nicht  alle  gleich  beweiskräftig  sind,  wenn  es  gilt  zu  zeigen, 
dafs  das  Verständnis  für  die  passiv -synthetische  Bildungsweise 
erloschen  sei.  Ferner  aber  Fügungen,  wie  die  von  Bonnet  1.  c.  400 
angeführte  super  ripam  Bahilonia  civiias  collocatur  u.  ähnl.  Latiniaco 
que  ponitur  in  pago  Meldequo  Tard.  25  (688 — q),^  die  doch  zu  zeigen 
scheinen,  dafs  man  bereits  sehr  eifrig  lehrte,  man  dürfe  nicht  amatus 
est  etc.,  sondern  müsse  amatur  sagen.  Wären  nun  diese  Fälle 
wirklich  beweisend,  so  käme  man  zirka  auf  das  6.  Jh.  als  den  Zeit- 
punkt, in  welchem,  wenigstens  für  Gallien,  die  Passivformen  schon 
aus  der  Volkssprache  geschwunden  wären. 


Das  Verbaladjektiv  im  Romanischen. 

Die  Aufgabe  der  passiven  Flexion  hatte  zunächst  bei  den  69. 
Deponentien  die  Ausbildung  neuer  analogischer  Perfektformen  zur 
Folge  und  damit  die  Lostrennung  der  alten  analytischen  Perfekt- 
formen vom  Verbalschema,  also  eine  eigentümliche  Rückkehr  zu 
den  ursprünglichen  Verhältnissen.  Zu  mentio  'ich  lüge'  bildete 
man  mentii  'ich  log';  menlitns  sum  war  nun  nicht  mehr  ein  Perfekt 
zu  mentio,  sondern  ein  Adjektiv  -\-  sum,  wie  vielleicht  in  grauer 
Urzeit.  Der  Bedeutungswandel  von  'ich  bin  einer,  der  gelogen 
hat'  zu  'ich  bin  einer,  der  gelogen  hat  und  von  dem  man  auch 
weiter  erwarten  kann,  dafs  er  lügt,  von  dem  das  also  ein  Merkmal 
ist'  =  'verlogen'    war  vielleicht  schneller  zurückgelegt  als  der  ent- 

^  Vgl.  Anglade,    De  latinitale  libelli  etc.  S.  85,    solche  Fälle  fehlen  bei 
Gregor  voft  Tours,  Bonnet  627  f. 

^  Ähnl.  38  (697),  72  (775),  89  (790,  Kufstein). 

Beiheft  zur  Zcitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVI.     (Festsclirift.)  g 


130 

sprechende  umgekehrte,  umsomehr  als  man  noch  vom  Lat.  her  eine 
Anzahl  analoger  Adjektivbildungen  bewahrt  hatte.  So  bekam  durch 
die  ehemaligen  Deponentia  die  aktive  Adjektivbedeutung  neue 
Nahrung.  Aber  der  ursprüngliche  Sinn  der  Ableitung  (p)  ist  doch 
nicht  mehr  lebendig  und  die  neuen  Fälle,  die  wir  im  Altromanischen 
finden,  lassen  sich  alle  —  mit  wenigen  fast  immer  leicht  zu  erklärenden 
Ausnahmen  —  durch  partielle  Funktionsverschiebung  erklären.  Sie 
knüpfen  ganz  genau  entweder  an  die  lateinisch  belegten  Fälle' 
oder  aber  an  die  Deponentia  an.  Dabei  ist,  wenn  auch  das  Ver- 
ständnis für  die  funktionelle  Bedeutung  des  Partizips  verschwunden 
ist,  das  für  das  etymologische  Verhältnis  so  rege  geblieben,  dafs, 
wo  das  Partizip  als  Verbalform  durch  eine  analogische  Form  ver- 
drängt wird,  das  Verbaladjektiv  folgt,  oder  wo  das  Verb  überhaupt 
einem  Synonym  Platz  macht,  das  Partizip  des  neuen  den  Sinn  des 
alten  Verbaladjektivs  übernimmt :  ose,  jo'i,  failli,  desespere  etc. 
70-  Auf   den    Zusammenhang    dieser    romanischen    Verbaladjektive 

mit  den  lateinischen  aktiven  Verbaladjektiven  und  Partizipien  der 
Deponentia  ist  schon  verschiedentlich  aufmerksam  gemacht  worden, 
so  von  Tobler,  Jb.  VIII,  334  und  Diez,  Gr.  III,  264  f.  Doch  kommen 
hier  für  unsere  Zwecke  alle  jene  Fälle  aufser  Betracht,  wo  es  sich 
um  gelehrte  Herübernahme  handelt  (frz.  dissimiile,  circonspect,  tacite, 
7nerile,  mfr.  conspire;  ital.  so/ilo,  ruerito,  circunispectu  [Reg.  San.  410]  etc.), 
ferner  konnten  alle  jene,  wo  das  Verb  selbst  sich  nicht  erhalten 
hatte,  höchstens  vergleichsweise  zugezogen  werden  (frz.  os,  it.  oso\ 
afr.  prov.  espert;  it.  palio,  adolto  'hoch'  Bonv.  3  scr.  6 13). 2  Auch 
diejenigen,  die  nur  in  jüngerer  Zeit  belegt  sind,  also  alle  neu- 
spanischen, rumänischen,  etc.,  obwohl  sie  sich  auch  zum  gröfsten 
Teil  in  die  andern  Gruppen  einreihen  lassen  (Rom.  Gramm.  III, 
§  13),  scheide  ich  aus,  da  es  sich  hier  leicht  um  spätere  Analogie- 
bildung handeln  konnte.  Dagegen  sind  einzelne  Partizipien  auf- 
genommen worden  von  Verben,  die  im  romanischen  auch  in  einer 
derartigen  transitiven  Bedeutung  vorkommen,  dafs  das  Partizip  als 
passives  aufgefafst  werden  könnte,  so  hcrite,  he?-(e)dado  neben  einem 
heriter,  her  dar  'in  ein  Besitztum  einsetzen',  avojidado  neben  avondare 
'reichlich  bedenken':  avondou  de  pescado  un  i?ify  GSM  CCCLXXXVI 
u.  s.  o.  Andere  wieder  stehen  neben  Reflexiven  wie  atrevudo  neben 
aireverse  'sich  erdreisten',  wo  also  das  Partizip  zu  seiner  Bedeutung 
nach  Analogie  der  in  yg  besprochenen  Erscheinung  gekommen 
sein  könnte.  Sie  sind  aufgenommen  worden,  weil  alle  Wahr- 
scheinlichkeit dafür  spricht,  dafs  der  Gang  der  Dinge  der  war,  dafs 
eben  die  neue  Bedeutung  oder  die  neue  Konstruktion  des  Verbs 
von  dem  Partizip  ausgeht,  das  roiit  der  Zeit  als  passives  oder 
mediales  aufgefafst  wurde.3 


1  Bezüglich  dieser  vgl.  Dräger,  lat.  Syntax  I^,  151  ff. 

-  Hieher  vielleicht  auch  ortado  \v^  maestro  ortado  Berc.  Alx.  1160,  1997, 
wenn  ■==hortatus  und  die  Bedeutungsentwicklung  etwa  war:  'aneifernd',  'eifrig', 
'  tüchtig'. 

^  Die  altfranzösischen  Beispiele  sind  zumeist  dem  bekannten  Tobl  ersehen 
Aufsatz  VB,  I^  146 ff.    entnommen,    die    altprovenzalischen    der    Schrift    von 


131 

juratus:  7^- 

Frz.  jure.,  \iXOV.  jurat,  it.  giuralo,  sp.  portg.  j'urado. 
Danach  afr.  fiancie,  pltvi. 

Ferner  2Sx.  parjure,  a.sp.  aportg.  perjuraJo ;  Vih./orjure,  it.  pre- 
jurato  Buccio  di  Ran.  in  IVP,  220,53. 

diffisus: 
Vgl.  it.  sfidato. 

desperaius'. 
Mr.  despe?-d    (Leg.  Tlieoph.  BLLfr.  48692)    und    desesperc    (QL), 
prov.  Jesesperai,  aport.  desasperado,  it.  desperato,  disperato. 

falsns  (vgl.  <i{x./als  etc.);  vgl.  auch  lapsus  'wer  sich  ver- 
gangen hat'. 

h.{x.-failli,  Yixox.falhü,  ^i'poxig.  falido,  asp.  ya/Z/do. 

Vgl.  asp.  aportg.  errado  'wer  einen  Fehltritt  begangen  hat' 
(FG  113  a,  Est.  Tr.  29),  \t.  erraio  'wer  sich  geirrt  hat'  (Brun.  Lat. 
Tesor.  28,  IVP  63288)- 

Ferner:  zXxz.  forfaity  mesfait,  entrepris,  viespris  'wer  etwas  be- 
gangen hat',  pxov.  forfait,  mespres,  aital.  menesprisu  Mon.  Chr.  I,  4,  22. 
Endlich  afrz.  deceti  'trügerisch',  dazu  auch  afr.  conchii. 

fictus  'verstellt,  unaufrichtig': 
Mx. fehlt   'verstellt,    heuchlerisch',    aber    auch    'träge,   pflicht- 
vergessen'. 

mentitus: 
afr.  menti  'verlogen',  apr.  mentit,  vgl.  ptg.  asp.  desmentido;  sogar 
fidem    7nentitus'.    ^Ix.  foitncnti,    px^!.  fementit,    :ijip.  femeniido,    vgl. 
Foerster,  zu  Erec  61 14. 

desiricius: 
Afr.  destroit  s.  Tobler  1.  c.  150. 

pranstis,  cenatus,  potus  und  vermutlich  schon  im  Lat. 
hibitus  in  aktiver  Bedeutung: 

Asp.  cenado,  jantado,  almorzado,  hebdo  oder  beudo',  aportg.  bevedo, 
vgl.  auch  rum.  baut;  vielleicht  auch  afrz.  dtsne,  prov.  disnat  und  alt- 
frz.  desjtme  RF.  XXIU,  543.ii;j. 

Der  Gegensatz :  jj'asf«  tras  ayunados  Berceo  SDom.  468  (Ed.  Fitz- 
Gerald),  afr.  esjuni  (iorm.  603. 

cretus: 
Frz.  ereil.,    aportg.  cregudo    [o   venire    mui   cregido    CSM  CCCVI), 
it.  cresciuto  cressuto. 


Dittes,    'Über    den    Gebrauch    der   Partizipia   und    dps    Gerundiums  im  Alt- 
proveuzalischen',  Progr.  der  d.  Staatsrealschule  in  Budweis,  S.  ayff. 


132 

coalilus    'was  Wurzel  gefafst    hat',    desgl.  radicatus,  da- 
nach vielleicht  *prensus  von  pr ender e  'Wurzel  fassen'. 
It.  (ar)radicaio  Bagn.  Pozz.  125,  492. 
Entsprechend  altfrz.  reprisA 

*consideratus  (vgl.  tncojisiderattis),  circumspectus , 
cauius\  vgl.  auch  den  Eigennamen   Pens  ata. 

Prov.  consirat  'bedacht'. 

Mr.  petise,  asp.  petisado  (Bery.  Sign.  17),  aportg.  penssado  (CSM 
XCV) ;   ferner  altfr.  /respenst',  porpense. 

Afr.  porveu.'^ 

scitus: 
Vgl,  prov.  sauhut    (das  Beispiel    mit  saputz    aus  Albertet,  Rayn. 
Lex.  V,  122  b    und  sauhiidamen  ebenda);    it.  sapudo;  ?,p.  sabudo.     Frz. 
das    Gegenteil :    desseu.      Ferner    apris  (?)    und    coneu    mit    desconeu, 
mesconeu;  asp.  apreso',  ferner  das  gewifs  recht  alte  r\xm.  in felept. 

?intentus  (zu  reflexivem  oder  medialem  inieiidere?),  ex- 
pertus  (vgl.  afr.  prov.  esper t): 

Afr.  eniendu  'etwas  verstehend',  prov.  entendut,  kat.  entes,  aportg. 
eniendudo,  asp.  entendido,  it.  intetiio  'bedacht'  (CNA  85),  inhso  (CNA  84 
'etwas  verstehend'). 

Vgl.  afr.  (ü)parceu,  prov.  apcrceiibul ,  apoiig.  (a)percehiido,  asp. 
perfebido. 

Vgl.  auch  it.  sentito  'klug'. 

tacitus'. 
Afrz.  taisi. 

Vgl.  auch  frz.  celi,  prov.  celat. 
Aportg.  calado. 

ausus  (vgl.  afr.  os,  ait.  os(s)o)'. 
Vgl.  afr.  ose,  prov.  ausat,  aportg.  ousado,  asp.  osado. 

praesumptus  'vermessen': 

Vgl.  asp.  aportg.  atrevudo  (heute  -ido)  'vermessen',  aber  auch 
'getrost'. 

Vgl.  ferner  afr.  outreandie,  prov.  trascuiat,  ontracuidat;  afrz.  despii. 

obstinatus  'hartnäckig',  vielleicht  auch  o/firmaius. 
Vgl.  apoxig.  perfiado  'hartnäckig'  (heute  /»(?r-). 

suspectus    (vgl.    portg.    sospeito    ' mifstrauisch ,    ängstlich'), 
suspicatus ,  suspectatus  (Amm.  28,  i,  8): 
Portg.  sospeitado. 


*  Doch  könnte  vielleicht  eine  passive  Vorstellung  vorliegen  (von  der 
Erde  erfafst),  wie  wir  sie  etwa  bei  Cicero  tellus  prehetidit  stirpes  finden. 
Dann  ist  dies  Partizip  zu  streichen. 

^  Sard.  cum  aiijmo  delliberado  C.  d'A.  2  t.  etc.,  beruht  wohl  auf  Mifs- 
verständnis  lateinischer  Rechtsformeln. 


133 

rnemoratus  'der  einer  Sache  eingedenk  gewesen  ist': 
Frz.  membre,  prov.  membrat,  asp.  membrado  (vgl.  PC  3 1 5),  portg. 
ftembrado. 

oblifus: 
Vgl.  afrz.  oblü  'der  die  Besinnung  verloren  hat'. 

atientus:  'aufmerksam,  bedacht'. 
It.  attenio,  aiteso;  kat.  ales  (vgl.   7  W  30 16). 

Vgl.:  Pora  vengar  nos  d^el  set  byen  miaites  metidos  FG.  505, 
ähnlich  miejites  meiudo  Berc.  Alx.  614. 

arbitraius,  ratus,  opinatiis: 

Asp.  alvidrado  Berceo  Alx.  i88g. 

Vgl.  afr.  ereil,  asp.  creydo  [iVesio  so  bien  creydo  FG.  343  d), 
aportg.  creudo  (CSM  p.  581  a). 

Daran  schliefsen  sich:  ah.  recreu,  prov.  reerezn/,  asp.  nrrecdo, 
portg.  recreudo,  nordit.  recreto,  recreuo  etc. 

Afr.  descreu,  mescreu,  asp.  descreydo,  aport.  descriudo,  dcscreudo. 

Afr.  coniredit.^ 

gavisus: 
Altnordit.  gaviso,  aprov.  gavis  SF  393,  Jauzitz,  aix.  joi.     Daneben 
afr.  esjoi. 

parta : 
Ksp.  parida  (Berceo  Mil.  536,  823). 

Vgl.  aix.  feonee.  Hieher  vielleicht  auch  sardisch  bacha  biciaia 
'Kuh,    die  gekalbt  hat'  CP  424,  s.  Zur  Kenntn.  des  Altlog.,   S.  31. 

placitus: 
lt.  piaduto  [vgl.  auch  rum.  pläcui\. 

assensus    'der   beigepflichtet    hat',    consensics    (vgl.  Greg. 
v.T.,  h.  Fr.  14215): 
Prov.  consens. 

auxiliatus,  adminiculatiis: 
Vgl.  asp.  iiviado  'hilfreich'  Berceo  SMill.  255,  Mil.  826. 

adeptics,  tianctus: 
Vgl.    aportg.  cobrado    'der    [die    Gesundheit]    erlangt   hat':  foi 
säa  et  cobrada  de  quanios  nenbros  avia  CSM  CCLXVIII,  vgl.  Lang  zu 
RD  2322. 


^  Damit  berührt  sich  weiter  afr.  renoie ,  sp.  renegado,  it.  renegato,  die 
wohl  schon  auf  ein  kirchcnlateinisches  renegatus  zurückgehen.  Desgleichen 
hat  es  im  Mittellatein  discretiis  gegeben  (vgl.  übrigens  indiscretio),  dessen 
Anknüpfungspunkt  nicht  ganz  klar  ist  und  das  sich  nur  in  gelehrter  Form 
in  den  rom.  Sprachen  zu  finden  scheint  (frz.  discret,  ait.  descretii,  discretu 
Reg.  San.).  Volkstümlich  aber  ist  das  in  der  Bildungsweise  damit  sich  völlig 
deckende  prov.  eissernit,  das  der  Bedeutung  nach  an  scitiis,  aperceu  etc.  an- 
knüpft, ferner  chauzit. 


134 

experlus  'aufgeweckt'   (zu  expergiscor): 
Afr.  espert,    esperiz,    prov.  espert   (Levy,    SW  III,  260    und   262), 
portg.  esperto,  sp.  (d)espierto. 

*hospttatus  'der  eingekehrt  ist'  zum  Depon.  fiospiiari: 
Asp.  ospedado  'Gast'  PC  2262. 

*hereditalus  'der  geerbt  hat'   (vgl.  bei  Augustin  heredilari 
als  Deponens). 

Afrz.  heriti;  kat,  er  etat,  asp.  eredado  {sea  en  parayso  tan  buen 
rrey  heredado  FG  1256;  vgl.  auch  PC  2605,  VII  part.  11,20,  L.  III). 

suetus^  consuetus: 
Vgl.  it.  tisato,  frz.  accostume,  use  etc. 

requietus: 
Vgl.  portg.  di's,'^.  folgado  'ausgeruht',  afr.  repose  etc. 

licitu: 
aprov.  legut,  it.  lecito. 

praeteritus: 
Vgl.  frz.  passi;  asp.  passado,  it.  passaio  etc. 

In  ähnlichem  Sinn  wird  auch  angewendet  asp.,  aptg.  andado 
{and.  aquel  afio  etc.  Chron.  gen.),  it.  andato  (Bonv.  3  scr.  1105).  Hier- 
her ferner  vielleicht  elapsus:  sard.  elapsu  et  passadu  su  termen  con- 
tentu  in  su  striimentu  StC  54,  wenn  nicht  Latinismus. 

Hierher  gehören  ferner  mort(ii)us  (vgl.  2p)  und  natus,  die 
sich  überall  gehalten  haben,  neben  tiatus  kommen  z.  T.  analogische 
Neubildungen  in  Betracht  wie  sp.  nagido. 

Übrig  bleiben  etwa:  araisnie,  refuse  (vgl.  asper  natus),  radotl- 
(etwa  nach  desseu;  erinnert  auch  an  degeneratus.  Danach  wieder 
haey,  obei  (yg\.  obsecjitus'^),  desire,  despit  i^'g\.  desptcatus),  sauve  {in  den 
Tobler  1.  c.  153  erwähnten  Beispielen;  erinnert  an  auxiliatus,  uviado), 
pio\.  ßrt'tJ  —  asp.  per cudz'do  'durchbohrend'  Berc.  Alex.  1999,2009. 
—  prov.  avondat,  asp.  ptg.  avo?idado,  nach  cretus}  Das  Aufkommen 
einiger  neuer  Typen  kann  uns  ja  nicht  wundern,  da  so  mancherlei 
neue  Deponentia  aus  Aktiven  in  der  spätlateinischen  Periode  zum 
Vorschein  kommen,  vgl.  6^. 
11.  Nicht    eigentliche    aktive    Bedeutung,    sondern    Bedeutungsver- 

schiebung der  fertigen  Adjektiva  liegt  wohl  vor  in  esfree  'schreck- 
lich': ein  estor  ist  esfree,  bei  dem  die  Kämpfer  esfree  sind  oder 
bei  dem  ein  Zuschauer  esfrei  wäre. 


*  Eine  sehr  fragliche  Existenz.  Die  einzige  Stelle  in  Alb.  (Meyer):  El 
pobles  de  la  vila  firitz  et  firendiers  7618.  Der  Herausgeber  schlägt  firens  vor. 
Es  könnte  aber  etwa  'hitzig',  'ungestüm'  hcifsen  und  von  der  Schlacht,  dem 
Kampf  übertragen  sein,  wo  sich  f er it  durch  den  inncrn  Akkusativ  yi-riV  u?ia 
batalha  erklären  würde.  Wenigstens  findet  sich  a  batalha  ferida  schon  im 
altporig,  {a  batalla  tä  ferida  Est.  Tr.  14;  0  tor?ieo  möi  ferido  ebenda  iS)- 


135 

Ähnlich  wäre  man  von  einem  stie,  tressue  {trasstidat  Pass.  141; 
vgl.  it.  sudaio,  neusp.  sudado  etc.)  versucht  auf  ein  lateinisches  sudatus 
'der  geschwitzt  hat' = 'verschwitzt'  zu  schliefsen,  dafs  ja  nicht  gar 
zu  fern  von  Fällen  wie  cenatiis,  potiis  wäre.  Aber  schliefslich  ist 
der  Übergang  von  richtig  passivem  vestis  sudata  'verschwitztes  Kleid', 
das  man  tatsächlich  findet,  zu  *corpiis  sudaium  (vgl.  Rol.  2100)  und 
von  da  zu  *hoT?io  sudatus  ein  leicht  erklärlicher.! 

Fälle  wie  forsenc  (it.  forssenato  etc.),  dessene  (prov.  dessenat), 
emparle,  enragie,  span.  es/orgado  können  direkt  von  seyi,  parole,  rage, 
fuer(a  parasynthetisch  abgeleitet  sein;  dafs  die  aktiven  Verba  auch 
vorkommen,  hindert  nicht,  vgl.  auch  sorsali,  sorfait,  sorciiidie  (woraus 
entlehnt  it.  sorquidatu  Libro  dei  Vizii  e  delle  Virtii  p.  d.  Gregorio 
S.  21),  u.  a.,  die  vor  den  betreffenden  Verben  vorzukommen  scheinen. 
Sie  können  aber  auch  von  dem  romanischen  Perfekt  etiragiez  est 
usw.  ausgehen,  worüber  im  folgenden  Kapitel,  etwa  wie  frz.  flori, 
'\\.  avveduto,  a.s\).  salido  'landesflüchtig'  PC  955,  C)^i,  fuydo  'flüchtig' 
FG  3  c,  exido  PC  II 25;  it.  peniuio,  apg.  repentudo  'reuig'  {foi  tan 
repentudo  CSM  CXVII,  ähnlich  auch  sp.  it.)  u.  dgl.  —  nois  iiegiee 
(Clig.  846)  knüpft  wohl  an  nois  cheue  an,  das  selbst  ebenso  zu 
erklären  ist.  2 

So  viel  über  die  aktive  Verwendung  des  -/ö-Adjektivs  im  Roma- 
nischen. Was  die  passive  betrifft,  so  geht  die  Entwicklung  ganz 
parallel  mit  der  Entwicklung,  wie  wir  sie  in  Verbindung  mit  esse 
treffen,  und  wird  deshalb   besser  im  folgenden  Kapitel  besprochen. 


-<0- Partizip  +  esse  im  Romanischen. 

Wir  haben  gesehen,  dafs  die  Formel  -/6>-Part.  -|-  sum  ins  lateinische  73. 
Verbalsystem  eingefügt  wurde.  Die  Bedeutung  der  -/o-Form,  die  zu 
dieser  Einpassung  Veranlassung  gab,  war  jene,  die  den  passiv- 
medialen Sinn  mit  dem  präteritalen  vereinigt.  Die  reichliche  ana- 
logische Entfaltung,  die  dann  diese  Formel  fand,  war  es  ja,  die  sie 
—  schon   sehr    frühzeitig  —  nahezu   als  einzige  analytische  in  das 


*  So  ist  auf  der  iberischen  Halbinsel  mini4atus  =  minguado  tnenguado 
ursprünglich  vom  Vermögen  gesagt  worden  'vermindert',  'dürftig',  dann  auf 
Menschen  übertragen  worden  'arm'.  —  Ahnlich  wird  sich  in  neuerer  Zeit  aus  be- 
sonderen Verhältnissen  heraus  coitru,  tremble'wx  icne  ecriUcre  coiirue,  icne  signature 
tremhlee  erklären.  Wie  etwa  nebeneinander  iL  gribouille  und  la  lettre  gribouillee 
steht,  so  konnte  i.w  il  trcmhle:  i/Jie  s/gnatitre  tremble'e  geschaffen  wexd'in.  Fälle 
wie  affectionne,  distingue  werden  sich  wohl  durch  Bedeutungsüberlragung 
(ähnlich  wie  oben  effraye)  erklären,  Cledat  in  Revue  XVII  58  ff.  dürfte  kaum 
das  richtige  treffen.  Ntr.  convenu  dürfte  kaum  mit  lat.  convetitus  in  Verbindung 
zu  bringen  sein,  sondern  es  ist  wohl  von  einem,  ü  est  convenu  mit  folgendem 
^M<?-Satz  auszugehen,  das  sich  wieder  als  natürliche  Folge  zu  on  convient  que 
einstellt. 

*  Katal.  color  •7midat:  cotn  sots  color-imidades  7W  672,  ähnlich  1053, 
erinnert  auffallend  an  miitata  suos  fluinina  cursus  Verg.  ecl.  8,  4.  Doch  ist 
das  Partizip  hier  nicht  aktiv,  sondern  medial  zu  verstehen  und  der  Akkusativ 
als  ein  solcher  der  Beziehung. 


136 

lateinische  Formensystem  einführte.  —  Die  Formel  bleibt  nun  auch 
ein  —  wenn  auch  vielleicht  loserer,  so  dafür  viel  bedeutungsvollerer 
—  Bestandteil  des  romanischen  Verbalsystems.  Durch  Tendenzen 
jedoch,  die  bereits  im  Lateinischen  mehr  oder  minder  deutlich  zutage 
liegen  und  die  nun  durch  die  Aufgabe  der  synthetischen  Passiv- 
formen sich  frei  entfalten  konnten,  wurde  eine  eigenartige  und  in 
den  Resultaten  recht  überraschende  Veränderung  in  der  Bedeutung 
der  Konstruktion  herbeigeführt.  Die  ebengenannte  lateinische  Ge- 
brauchsweise erscheint  wesentlich  eingeschränkt  und  rückgebildet 
und  die  Sphäre,  wo  die  Partizipia  gleichzeitig  passiven  und 
präteritalen  Sinn  haben,  wird  allmählich  auf  Fälle  eingeschränkt, 
die  der  ursprünglichen  adjektivischen  Bedeutung  nahestehen,  auf 
Fälle  also,  die  eigentlich  wieder  aus  dem  Formensystem  des  Verbs 
auszuscheiden  sind.  Die  verbal  verwendeten  romanischen  Formeln 
sind  entweder  passiv,  dann  aber  liegt  die  präteritale  Kraft  nicht 
mehr  im  Partizip,  oder  präterital,  dann  hat  das  Partizip  aber  nicht 
mehr  passive  Bedeutung,  sondern  aktive,  höchstens  mediale.  Dabei 
knüpfen  aber,  glaube  ich  wenigstens,  die  romanischen  stark  ge- 
änderten Gebrauchsweisen  an  lateinische  Entwicklungsphasen  an 
und  sind  nicht  direkt  aus  der  Bedeutung  des  -/0- Partizips  zu 
erklären.  Die  Abweichung,  die  sich  in  diesem  Punkt  von  Ihrer 
Auffassung  ergibt  (III,  §  278,  303),  ist,  wie  die  Folge  zeigen  wird 
(vgl.  84),  nicht  so  grofs,  wie  es  zunächst  scheint. 
74.  Wir  finden  nämlich  drei  Gebrauchsweisen  unserer  Kombination: 

I.  als  Perfekt  von  intransitiven  Verben,  2.  als  Perfekt  von  reflexiven 
Verben,  3.  als  Passiv;  und  alle  drei  lassen  sich  an  das  lateinische 
anknüpfen,  wie  im  folgenden  gezeigt  werden  soll.  ^ 

I.  als    Perfekt    intransitiver   Verba    hat    die    Konstruktion 
eine  dreifache  Wurzel  im  Latein: 
a.  a)  die  Deponentia,  die  mit  der  Zeit  aktive  Flexion  annehmen, 

behielten  ihre  zusammengesetzten  Formen  bei,  z.  B.:  mortus,  natus, 
deinoraius,  consecuUis,  lacrimatus,  partitus,  revcrsiis,  passiis  esi:  viorz, 
nez,  demorez,  consoüz  (vgl.  Rol.  2372),  Icrmez,  parliz,  revers  oder 
reverliz  est,  patiito  e  (vgl.  fosti  patuta  Mon.  Chr.  S.  90,  28).  Dabei 
ist  zu  beachten,  dafs  die  Verba,  die  an  die  Stelle  solcher  Deponentia 
treten,  häufig  auch  ihre  Konstruktionen  erben;  so  macht  reversus 
est  ■■=  revers  est  einem  repairiez,  retornez  est  allmählich  Platz,  für 
confessus  est  ist  neben  nicht  mehr  verbal  auffafsbarem  est  confes  ein 
est  confessez,  für  usus  est:  usez  est  eingetreten:  la  langue  dunt  simt 
des  enfance  use  Rpr.  128.  —  Vgl.  Chabaneau,  bist,  et  theorie  de  la 
conjug.   2.  Aufl.  S.  26;  Rom.  Gr.  III  §  293. 

b.  b)  Bei    den    Zeitwörtern,    die    nach  66,  i   eine    Art   Passivums 

einfach    durch    den  intransitiven  Gebrauch  des  Aktivs  ausdrückten. 


1  "Wo  irgend  eine  Formel  mit  Beispielen  aus  mehreren  romanischen 
Sprachen  zu  belegen  wäre,  ist  im  folgenden  das  Französische  als  Vertreter 
genannt  worden;  wo  Verschiedenheiten  der  Entwicklung  nach  Sprachgebieten 
bestehen,  wird  der  Leser  schon  aufmerksam  gemacht  werden. 


137 

konnte    die  Konstruktion    als    das   regelrechte  Perfekt   zum  aktiven 
Verb    treten.      Schon    im    Lateinischen    konnte    beispiehveise    terra  a. 
?nota   est  als  Perfekt  zu  terra  viovet  fungieren,   mutatus  est  zu  vmtat, 
7iavis  applicata  est  zu   navis  applicat,  trajectus  est  zu  traicitA     Ebenso  ß. 
bei    einer    Reihe   Verba,    besonders    Adjektivableitungen,    wo    der 
transitive    und    intransitive    Gebrauch    nebeneinander    stehen,    ohne 
dafs  klar  ist,  welcher  der  frühere  ist:  pejoratus  est  'er  ist  verschlechtert 
worden'  =  'er  hat  sich  verschlechtert'  zw  pejorat  'er  wird  schlechter', 
graiiditus    est   'er    ist    grofs    gemacht    worden'  =  'er    ist  grofs  ge- 
worden' zu  grandit  'er  wird  grofs'.     Dann  also  in  den  Fällen,  wo  y. 
erst    die    ganz    späte  Latinilät    oder   die  romanischen  Sprachen  die 
intransitive  Bedeutung  aufweisen,  wie  Icvez  est  =  levatus  est  zu  licve^ 
couchüz  est  zu  couche,  rotiz,  rompiiz  est  zu   roiit,"^  prov.  es  ereubutz  zu 
erehre.     Ferner  romanische  Neubildungen,  die  uns  sofort  im  transi-  <5. 
tiven  und  intransitiven  Gebrauch  erscheinen:  eschaper ^  monier .,  avaler, 
avancier,  baissier,  trebuchier  etc.     Schliefslich  wohl  auch  ursprünglich  £. 
intransitive  Verba,  die  im  Romanischen  transitiv  geworden  sind  und 
nun    die  Formel    -tiis    sum  zunächst  als  passiv-präteritale  verwendet 
haben  werden;  so  könnte  crepare  'platzen'  transitiv  geworden  sein: 
'platzen  machen',  weil  das  erwähnte  verwandte  rumper e  die  beiden 
Bedeutungen    vereinigte:    'reifsen'    intr.  und    'reifsen    machen'    und 
crevez  est  ursprünglich  zum  transitiven  Verb  gehören.*      ars  est  da- 
gegen   geht   wohl   schon  auf  lat.  arstts  zurück,  das  sich  in  passiver 
Bedeutung  einmal  findet  (vielleicht  nach  deflagratus) ;  dafs  das  Verb 
auch  transitiv  gebraucht  wird,  kann  sekundär  sein. 

Hierher  gehört  der  gröfste  Teil  der  Verba,  die  im  Altroma- 
nischen gleichzeitig  transitiv  und  intransitiv  vorkommen,  ohne  dafs 
es  in  allen  Fällen  mit  Sicherheit  möglich  ist,  das  Verb  in  eine  be- 
stimmte der  genannten  Untergruppen  einzureihen.  Ich  möchte  des- 
halb, ohne  dies  auch  nur  zu  versuchen,  noch  ein  paar  Typen  zu 
den  bereits  erwähnten  fügen:  scvrer — reposer — changier  —  estordre — 
sordre — comencier,^  finer  finir  —  allumer  aus  lat.  illuminare,  escaufer, 
esclarcir,  esteindre — enveillir,  refroidir,  blajichir — noiier  (necare)  — 
ponere  etwa  in  era  ptiesto  el  so!  PC  416  —  volvcre  (bueltos  son)  PC  599 
etc.  Ich  verweise  für  das  frz.  auf  die  reiche  Beispielsammlung  von 
Fr.  Hofmann,  avoir  und  estre  in  den  umschreibenden  Zeiten  des 
französischen  Zeitworts,  Berl.  1890. 


^  Vielleicht  weiterlebend  in  span.  es  trocido. 

^  Ven.  Fort.  2S2,  9,3u:  nemo  parens  nee  levat  ulla  maniis  [s.  Elss,  Unter- 
suchungen über  V.  F.  37];  ievet  et  conculcet  Form.  Merk.  253  jj. 

3  Intrans.  rumpere,  vorbereitet  durch  die  schon  khissischen  intrans.  Kom- 
posita e-,  per-,  pro-,  in  der  Mulomediciiia,  vgl.  Pirson,  I.e.  S.  393  IT.,  wo 
auch  vieles  andere  analoges. 

*  Allerdings  ist  auch  Annahme  der  deponentialen  Konjugation  im  Spät- 
lateini^schen  möglich,  vgl.  6^.  Über  einen  andern  Weg  aber,  auf  dem  intransitive 
Verba  zu  faktiiiv-transiiivcn  werden  können  vgl.  112. 

^  Bei  ■  covienciez  est  konnte  das  bereits  lateinische  coeptus  est  als  Vor- 
bild dienen. 


138 

c.  c)  Einige  -/ö-Adjektive  mit  aktivem  Sinn,  die  sich  ins  Romanische 

fortgepflanzt  haben,  vgl.  yi,  finden  dort  Aufnahme  in  die  Verbal- 
llexion  [wie  in  der  lateinischen  Zeit  fisiis,  soliius,  gavisus,  ausus  dort 
Aufnahme  gefunden  haben],  creius  :  creuz  siii;  placitus  :  it.  piaciuto 
sono.  fahus  alicui  'wer  sich  eine  Täuschung  gegen  jemand  zu 
schulden  hat  kommen  lassen':  failliz  sui  a  un  home,  worauf  sich 
dann    die  romanische  Konstruktion  von  /allere  neu  aufgebaut  hat.  • 

Auch  hier  treffen  wir  den  Ersatz  der  lateinischen  Konstruktion 
durch  Synonyme  an.  An  die  Stelle  von  praeferire  ist  passare  ge- 
treten, dem  aktiven  praetei'itiis  entsprechend  haben  wir  passez  est. 
agetie  est  knüpft  wohl  an  das  yi  erwilhnte/ör/a  an;  reposcz,  sejornez 
est  an  reqiiietus  u.  dgl. 

Wo  das  Verb  perfektiv  ist,  versteht  sich  die  präteritale  Be- 
deutung von  selbst,  so  ja  schon  im  \z.\..  jiirattis  siim  =  jiiravi  bei 
Turpil.,  Diom.  402  -  ff.  In  den  andern  Fällen,  wie  placitus  sum  er- 
klärt sie  sich  durch  die  analogische  Funktionsverschiebung  (j)  nach 
den  andern  Fällen. 
75.  Von  diesen  drei  Quellen  dürfte  die  zweite  die  ergiebigste  ge- 

wesen sein.  Aufser  ihnen  kommen  aber  noch  besondere  Umstände 
für  manche  Verba  in  Betracht.  Hie  und  da  sind  in  ein  romanisches 
Zeitwort  zwei  stammverwandte  lateinische  zusammengefallen,  pendlre 
und  assidere'-  haben  transitiv -perfektive  Bedeutung  angenommen, 
indem  das  erstere  auch  die  Form  des  transitiven  penJere  bekam, 
das  andre  sich  mit  dem  intransitiven  perfektiven  Verb  assidere  ver- 
mischte (prov.  asstre  neben  assezer).  Das  Perfekt  est  pendu,  das 
zunächst  zum  transitiven  Verbum  gehört  haben  wird,  wurde  nun 
zum  intransitiven  bezogen;  est  assis  dagegen,  sowie  it.  <?  seduto  (vgl. 
auch  kat.  foren  segiits  'sich  niedergesetzt  hatten'  7  W  19 10)  erklären 
sich  nach  dem  Gegenteil  Status,  arreste.  statiis  ist  zunächst  aktives 
Partizip  von  stare  (Bedeutung  //  IV;  Stella  statu  'Fixstern')  und 
fungiert  auch  als  passiv  präteritales  Partizip  zu  sistere.  sistere  ist 
verschwunden;  in  der  präteritalen  Bedeutung,  die  status  in  it.  sono 
stato  'ich  bin  gestanden'  hat,  könnte  man  noch  eine  Spur  von  dem 
Verhältnis  erblicken,  wahrscheinlicher  aber  haben  wir  sie  zu  erklären, 


^  Oder  wurde  bereits  vulgärlateinisch  fallitur  (alicui)  zu  fahxs  est  ge- 
bildet? Die  Stelle  S>;lp.  Sev.  Dial.  I,  14:  nee  f adle  unquam  bestia  fallerettir 
quin  illo  ad  legitimam  hora^n  refectionis  occitrreret  %z\\^m\.  daraufhinzuweisen, 
da  hier  f.  ja  wohl  schon  die  aus  'ich  lasse  im  Stiche'  abgeleitete  Bedeutung 
'ich  bleibe  aus'  hat.  Dann  wäre  der  in  6^61  besprochene  Vorgang  anzunehmen. 
—  Ähnlich  dürfte  die  Bedeutung  von  \\.  giicgnere  'ankommen'  \on  Junctum 
esse  fad  aliquem  oder  ad  aliqiiid)  ausgehen ;  hier  handelt  es  sich  aber  um 
ursprünglich  passive  Geltung.  Ebenso  vermutlich  esprendre,  efnprendre  'ent- 
brennen' und  wohl  auch  das  einfache  prendre  in  Fällen  wie  pitiez  l'en  prent 
\*pietds  Uli  inde  prensa  est  =  pitiez  l'en  est  prise  'sein  Mitleid  ist  von  der 
Sache  erfafst  worden'];  dann  analogisch  la  dolors  7n' est  prise  \i%\v.  Die  Älög- 
lichkeit,  die  oben  661  angedeutet  wurde,  besteht  aber  auch  hier. 

^  Hofmann,  1.  c.  S.  19,  behauptet,  dafs  assi-oir  ursprünglich  transitiv  ist; 
natürlich  eine  vollständige  Umkehrung  des  Sachverhalts.  Allerdings  hat  sich 
ein  sekundärer  transitiver  Gebrauch  des  Lat.  ins  Romanische  gerettet,  die  Be- 
deutung 'belagern',  was  hier  weiter  nicht  in  Betracht  kommt. 


^39 

wie  oben  {'/4  c)  die  von  sofio  piaciuto.  Bei  dem  Kompositum  restare, 
das  nun  tatsächlich  die  Bedeutung  'stehen  bleiben'  von  rcsistere 
übernommen  zu  haben  scheint,  ist  "^siim  restatiis  (it.  so7io  restafd)  neu 
nach  sono  slato  gebildet.  Frz.  aresieu  zu  arester,  das  mehr  die  Be- 
deutung von  resistere  als  die  von  reslare  fortsetzt  und  mit  der  eines 
transitiven  (re)  -f-  statiiere  vereinigt,  entspricht  in  der  Form  und 
Bedeutung  einem  lateinischen  re  -j-  slatntu.  iratus  est,  worüber  20 
zu  vergleichen  ist,  setzt  sich  in  ir(i)ez  est  und  irascuz  est  fort. 

Die  angeführten  IMomente  dürften  vollständig  hinreichen,  um  76. 
die  Ausdehnung  der  Konstruktion  im  Frühroraanischen  mit  Hilfe 
der  Analogie  und  partiellen  Funktionsverschiebung  zu  verstehen. 
Ja  in  manchen  Fällen  bietet  sich  sogar  mehr  als  eine  Erklärungs- 
möglichkeit; da  unsere  Hilfsmittel  nicht  ausreichen,  zwischen  ihnen 
die  Entscheidung  zu  treffen,  werden  wir  sie  vorläufig  nebeneinander 
stehen  lassen,  umsomehr  als  in  solchen  Fällen  sehr  häufig  auch 
wirklich  mehrere  Momente  vereint  miteinander  gewirkt  haben  können. 

Beispiele  für  derartige  analogische  Ausbreitung  und  derartige 
Zweifel:  ^remanstis  est  nach  demoraius  est,  U  l  sopcrchiato  (CNA  30) 
nach  ^  rimaso  oder  h  ristato. 

targiez  est  kann  an  transitives  targier  (vgl.  trans.  tardare)  an- 
knüpfen oder  nach  ctmctattis  est  gebildet  sein. 

*approximatus  est  entweder  nach  adripatus  est,  applicatiis  est 
(b  a)  oder  von  einem  transitiven  approximare  (b  /3  oder  b  f). 

peritz  est,  sp.  ptg.  tra7isido  es  nach  mo7-tuus  est  (a)  oder  nach 
int  er  it  US  est  (c). 

apareuz  est,  disparetiz  est  nach  arrivez  est,  eslot'gniez  est.  Nach 
ersterem  dann  apleuz  est. 

sailliz  est  nach  levez,  montez  est. 

descenduz  est  entweder  nach  dem  Gegenteil  Itvez,  montez  est 
oder  nach  devalez  est  (b  (J)  oder  nach  dejectus  6'.f/ (b  «) 'er  ist  herab- 
gestürzt', span.  äVf/f/o  es.'^ 

esveilliez  est  mag  gebildet  sein  nachdem  das  Verb  transitiv  ge- 
worden ist  (b£)2  oder  es  hat  expertus  est  (a)  (=  prov.  est  resperitz) 
abgelöst. 

endorviiz  est,  sp.  ador?nido  es  und  in  gleicher  Bedeutung  dormido 
es  {Despertaron  al  conde  que  era  ya  dormido  FG  468)  wieder  ent- 
weder b  £  oder  nach  esveilliez  est,  dem  Gegensatz. 

diirez  est  (Hofm.  1.  c.  17;  wie  es  scheint  selten),  teils  an  die 
Bewegungsverba  anknüpfend,  teils  an  remes,  demorez  est. 

cheuz  est  ist  durch  occasiis  (c)  bereits  im  Lat.  vorbereitet.  Es 
konnte  um  so  leichter  gebildet  werden  als  cadcre  auch  an  die  Stelle 
von  labi  trat. 

Eine  besondere  Beachtung  verdienen  noch  die  Verba  der  Vor-  r,^^ 
wärtsbewegung.    *itiis  est  (sp.  ido  es  it.  (g)ilo  ^)  ist  durch  obitus  prae- 


^  Wenn,  wie  ich  veimute,  sp.  decir,  ptg.  decer  =  deicei'e.  Die  bisher  ge- 
gebenen Etymologien  des   Wortes  sind  unannehmbar. 

"  Vielleicht,  nachdem  transitives  excitare  nach  ba  auch  die  intransitive 
Konstruktion  angenommen  hatte,  in  Anlehnung  an  diesen  Doppelgebrauch. 


140 

tcrUus  inlcriitis  inilus  bereits  in  lateinischer  Zeit  vorbereitet.  Danach 
dürften  zunächst  andere  Komposita  von  ire  ergriffen  worden  sein. 
So  finden  wir  exUus  sum  in  der  speziellen  Bedeutung  einer  juristischen 
Formel  in  der  fränkischen  Zeit.  1  Aus  gleicher  Zeit  stammt  viel- 
leicht auch  redüits  {tyiio  male  in  gioja  m  e  ridiio  Mon.  Chr.  I,  S.  95,54), 
transitus  (südit.  trasuto  =  'intrato').  Von  exitus  est  [eissiz  est)  und 
den  andern  allein  braucht  man  aber  itus  est,  dann  alkz  est,  atulato 
c,  vcnuz  est  nicht  zu  erklären,  es  kommen  noch  die  alten  Deponentia 
profectus,  egressus,  progressus,  advectiis  etc.  in  Betracht,  an  deren 
Stelle  jene  Verba  im  Romanischen  treten.  Dazu  kommen  noch 
spezielle  Anknüpfungspunkte:  für  allez  est  'er  ist  aufgebrochen,  weg- 
gegangen': motus  zu  inoveri  'aufbrechen,  fortgehen',  für  vemiz  est: 
applicatus  und  adripatus,  für  revenuz  est:  reversus  usw.  2  Von  diesen 
Verben  mehr  allgemeiner  Bedeutung  übernehmen  dann  die  Kon- 
struktion diejenigen,  die  auch  die  Art  der  Vorwärtsbewegung  mit 
andeuten,  wie  viare  (sp.  es  viado,  vgl.  Berc.  S.  Dom.  506),  currere,^ 
volare,  fugire,  navigare,^  mtrare  (Gegensatz  zu  exire),  für  die  aber 
wieder  mannigfaltige  andere  Analogien  in  Betracht  kommen,  z.  B. 
vectus  für  navigarc,  eschaper  (bd)  für  fuir,  für  int  rare  schon  lat. 
penetratiis  est  (vgl.  auch  venenum  penetratum  Ven.  Fort.  II,  36  28)-  Für 
span.  es  salido  ist  teils  exitus,  teils  finitus  (b;  el  dia  es  salido), 
für  span.  es  enfrado  (Ja  noch  eiitrada  es  PC  169g)  die  Verba  des  An- 
kommens  mafsgebend;  vermutlich  desgleichen  für  Ausdrücke  wie 
it.  Lo  maitino  l  sonato  Bol.  Not.  Mon.  Chr.  loi,  V3,  das  ursprünglich 
passiv  gemeint  sein  dürfte. 
78.  Was    schliefslich    die   unpersönlichen  Verba    betrifft,    so    ist  zu 

unterscheiden.  Solche  wie  ajourni,  asseri,  avespre,  anuitie  est,  die 
daneben  auch  persönlich  gebraucht  werden  (z.  B.  li  jours  est  ajournez 
Rol.  2147)  knüpfen  einerseits  an  comenciez,  levez  est  an,  andrerseits 
erinnere  man  sich  an  lat.  lux  orta  est  u.  dgl.  Danach  gelegentlich 
auch  Witterungsausdrücke  wie  il  estoit  malt  durement  gielc  et  negie 
Henri  de  Val.  575;  prov.  es  plogut  (vgl.  Appel  Chr.  107 j,),  und 
entsprechend  erst  später,  wie  es  scheint,  im  Italienischen.  Noch 
unmittelbarer  an  die  Bewegungsverba  schliefsen  sich  Formeln  für 
Verba,  die  ein  Geschehen  angeben,  ob  sie  nun  persönlich  oder 
unpersönlich   gebraucht  sind:    mescheu,  avenu,  arrivi  est  etc.  sind  ja 


1  dixit  esse  exüum  Tard.  42  (703),  ferner  53  (750),  57  bis  (759)-  Vgl. 
auch  Form.  Mer.  Index.  Über  die  Bedeutung  der  Formel  s.  Heusler,  Instit, 
des  deutschen  Privatrechts  II,  S.  68. 

2  est  perventum  in  den  Form,  rhythm.  (Form.  Sen.  add.  22433).  Wenn 
man  2i\\iliiigerm?imtxi  \\\q  Adventus,  Eventus,  Conventa,  Cessus,  Concessiis  n.  ä, 
achtet,  so  hätte  man  in  Betracht  kommende  Beispiele  aus  viel  früherer  Zeit; 
aber  Eigennamen  befolgen  zum  Teil  ihre  eigenen  Bildungsgesetze.  Für  recessus 
vgl.  allerdings  die  Stelle  aus  Vitruv,  für  discessiis  (vgl.  it.  dicediito  jNIon.  Chr. 
II,  II2  6)  das  ausdrückliche  Grammatikerzeugnis  des  Priscian. 

3  Bei  Ven.  Fort,  schon  decursus  {ad  nos  decursa  niorte  I,  229 ;  II,  9) 
und  transcursus. 

*  Übrigens  bei  Jordanes  als  Deponens  gebraucht:  gut  recto  cursu 
navigatur  973. 


141 

erst  durch  Metapher  zu  ihrer  Bedeutung  'es  hat  sich  ereignet'  usw. 
gekommen.  Nach  solchen  richten  sich  dann  bien  rrüest  encontre 
(==.  hien  mest  avetiu),  it.  e  inconirato,  kat.  axi'us  es  pres  7W  2436 
oder  sp.  es  ciintido  (auch  in  Fällen  wie  la  ondra  que  es  cuntida  a 
nos  PC  2941)  von  ciintir,  das,  wie  man  vermutet,  von  contingere 
stammt.  Analoges  läfst  sich  von  frz.  souvenu  est,  it.  ^  convenido  (wo- 
nach i  bisogniato)  sagen. 

Auch  sonst  behalten  die  Bewegungsverba  ihre  Konstruktion 
bei,  auch  wenn  sie  sich  von  der  ursprünglichen  Bedeutung  ent- 
fernen, z.  B.  la  chose  est  mal  alee,  sp.  es  erguda  'sie  hat  sich  gebrüstet' 
FG  231  von  erzer,  ursprünglich  synonym  von  levar,  sp.  avenir  e7i 
tino  'übereinkommen',  convenir,  devenir,  it.  e  tornato  'ist  geworden'  etc. 

Nach  stare  mag  sich  auch  constare  gerichtet  haben,  it.  l  costato 
'hat  gekostet'  (frühester  Beleg?),  auch  sard.  pro  ciissu  presiu  qui  ad 
ipsu  at  esser  costadu  StC  223.  Unklar  ist  dagegen  der  Anknüpfungs- 
punkt für  it.  e  hastalo  (seit  wann  belegbar?). 

2.  Als  Perfekt  reflexiver  Verba. 
levatiir,  zu  dem  lat.  levatns  est  in  syntaktische  Verbindung  ge-  79. 
treten  war,  wird  nicht  nur  durch  levat,  sondern  auch  durch  levat 
se  ersetzt,  mit  einem  kleinen  Bedeutungsunterschied,  von  dem  in 
66-1  die  Rede  war.  Ebenso  mufste,  als  plangitur  vor  plangit  se, 
recordatur  vor  *recordat  se  ganz  verschwand,  plancliis,  rccordatus  est 
als  zu  den  reflexiven  Ausdrücken  gehörig  betrachtet  werden. 

Wir  haben  also : 

Frz.  prov.:  Rollanz  s'eti  turnet  Rol.  2184  und  in  gleicher  Ver- 
wendung Puls  sunt  turnet  Bavier  et  Aleman  Rol.  3960.  Quant  il 
fu  conseilllez  a  ses  homes  Men.  R.  75. 

li  fei  Jiideus  ja  s'aproismed  Pass.  131  und  //'  felun  .  .  .  7)ers 
nostre  don  son  aproisviad  Pass.  142  etc.;  7ion  pot  estar  que  no's  en- 
dorma  e  cant  es  adormit  elad  viet  mort  App.  Chr.  12534;  Qoch  im 
15.  Jh.:  Dieu  es  a  nos  demostrat  Myst.  pr.  S?)d>?)- 

It.:  La  matlna  si  si  levava  . . .  Et  quando  era  levato  .  . .  CNA  62 ; 
Qiiesto  phllosapho  era  bagfiato  (P  si  era)  CNA  66;  ne  le  tud  mani 
sono  arenduta  Mon.  Chr.  I,  97^;  se  ml  se^  offerto  servldore  Chiaro 
Dav.;  10  che  fui  accorto  dl  sii  arte  D.  Purg.  1 12c»  sonst  accorgersl; 

lo  sono  tarde  recordato  de  leze  in  questo  quaderno  Bonv.  3  scr.  264; 
ognia  persona  nada  la  quäle,  per  soa  matana,  a  preiidere  le  ombrle  l 
data  'sich  hingegeben  hat'  Bonv.  Volg.  Van.  72;  In  terra  sego  in- 
senia  tugi  tri  fon  assetai  Bonv.  Job  218. 

Sard. :  cum  bolintadi  bona  de  su  piscobu  a  ki  fudi  affiliadu  '  den 
er  zum  Teilerben  eingesetzt  hatte'  CVC  XVII,  6  (vgl.  Et  afiliessi 
a  S.  y.  donna  Jurgca  XIII,  12  u.  entspr.  VII,  i). 

Span.:  Tornado  es  myo  Qld  con  toda  esta  ganangla  PC  1231 
(ähnl.  938),  vgl.  torno's,  se  torno  13 13,  1395;  -AI  salir  de  la  viissa 
todos  juntados  son  PC  2070  (ähnl.  3621),  vgl.  se  jnnto  3624;  Assi 
lo  fazen    todos,    ca    eran    acordados    PC  2488    (ähnl.  3589);    non    so 


142 

arrepentido  FG421  (ähnl.  PC  3557,  3569),  vgl.  se  van  rrepintiendo 
PC  3568;  si  ainos  fueremos  ayuntados  Conde  Luc.  Enx.  IX,  vgl.  se 
fueron  poco  a  poco  ayuntando  ebenda;  Que  <?«  mis  he7-edades  fuerte 
viicntre  es  inetido  PC  1623;  Entrar 011  sohre  ?)iar,  en  las  harcas  son 
metidos  PC  1627;  O  dizeii  el  Anssarera,  ellos  posados  son  'haben  sie 
sich  gelagert'  PC  2657. 

Portg.:  do  setmor  de  que  er a  foi  espedido  *vet?ihsc\iiQd&ie  ex  sich.^ 
CSM  LXI,  vgl.  por  se  d'ela  espedir  LIX;  fillou-ss''  a  repentir  et  pois 
que  foi  repentido  .  .  .  CCLXXII;  e  pois  foi  maenfesfada  'nachdem  sie 
gebeichtet  hatte'  LXXV,  CCXVII,  vgl.  se  maen feslasse  CXVI  T.; 
quando  toda  a  noite  er  an  alongados  da  pena,  en  a  inannda  y  er  an 
tornados  XCV;  a  mäo  destra  cott  a  fou^e  apertada  foi  CCLXXXIX, 
vgl.  a  mäo  con  que  cuidava  0  maolP  algar  de  terra,  con  ele  se  //' 
apertava  'verwuchs  damit'  ebenda;  en  0  levaren  sigo  foron  end 
acordados  CCXVIII,  vgl.  de  0  y  lexaren  todos  s'acordaron  ebenda; 
pois  que  foron  deitados  'sie  sich  hingelegt  hatten'  CLI,  vgl.  por  sse 
deitar  etc.  ebenda;  foachin  que  era  vieiudo  no  meogo  d'iias  grandes 
motiiannas  CSM  Sp.  569  b  {=^  fiz  aqiii  estada  570  a). 
80.  Nach    dem,    was  einleitend  bemerkt  ist,    kann  -/ö-Part.  -f-  sum 

nur  dort  zum  Reflexiv  treten,  wo  dieses  medial  ist  und  also  einem 
medialen  Deponens  entspricht,  nicht  aber  dort,  wo  es  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  einer  aktiv-reflexiven  Tätigkeit  bewahrt  hat.  Die 
Grenzen  sind  allerdings,  wie  bereits  aus  661  hervorgeht,  äufserst 
fliefsende.  Deshalb  verstehen  wir  es,  dafs  wir  -/ö-Part.  -f-  sum  in 
dem  italienischen  Beispiel  aus  Ch.  Davanzati,  dem  letzten  pro- 
venzalischen ,  den  letzten  drei  spanischen  und  letzten  zwei  portu- 
giesischen Beispielen  finden,  wo  sich  der  Sinn  dem  einer  aktiv- 
reflexiven Tätigkeit  sehr  nähert.  Ganz  ausgesprochene  Fälle  aller- 
dings wie  *ocis  est  'er  hat  sich  getötet',  *bleciez  est,  *coniandez  est 
scheinen  zu  fehlen  und  im  Französischen  scheint  man  nicht  einmal 
solchen  Fällen,  wie  den  zitierten,  aus  den  südlichen  Sprachen  zu 
begegnen.  Jedenfalls  haben  wir  es  hier  mit  analogischer  Aus- 
dehnung der  Ausdrucksweise  zu  tun,  w^ährend  in  den  Fällen,  wo 
wie  im  Lateinischen  Passiv  statt  Reflexiv  eintritt  [phligari  für  se 
ohligare  etc.  Dräger  S.  147,  El.  Richter  1.  c.  138)  vielleicht  eher 
ein  Rest  oder  eine  Nachwirkung  der  etymologischen  Verhältnisse 
vorliegt,  falls  nämlich  das  -r  des  Passivs,  wie  man  früher  — 
vielleicht  doch  mit  Recht  —  angenommen  hat,  aus  dem  Reflexiv- 
pronomen entstanden  ist. 
3j^  Eine    andere,    weit   häufiger  sich  darbietende  Schwierigkeit  ist 

aber  die,  ob  man  zu  einer  derartigen  Fügung  ein  reflexives  oder 
ein  intransitives  Präsens  stellen  soll.  Die  Zahl  der  Verba,  wo  diese 
beiden  Konstruktionen  konkurrieren,  ist  eine  sehr  beträchtliche;  um 
sich  davon  zu  überzeugen,  braucht  man  blofs  einen  Blick  auf 
Hofmanns  Verzeichnis  S.  27 — 47  zu  werfen,  das  lange  noch  nicht 
alles  anführt,  was  man  anführen  könnte.    Da  nun  aber,  wie  gesagt,  1 


'  Vgl.  auch  Diez  III 3,  191,  290,  Tobler,  VB.  IP,  76,  Rom.  Gr.  III,  407  f. 


143 

die  beiden  Ausdrücke  nicht  gleichwertig  sind,  so  erklärt  sich  leicht, 
dafs  man  auf  die  unterscheidende  Nuance,  die  man  im  Präsens 
zum  Ausdruck  bringen  konnte,  in  den  zusammengesetzten  präteri- 
talen  Formen  nicht  verzichten  mochte.  So  schuf  man  zu  levez  est, 
das  zuerst  gleichmäfsig  zu  litve  wie  zu  lieve  se  gehörte,  zunächst 
in  Fällen,  wo  sich  diese  Nuance  stark  aufdrängte  ein  levez  s'esi 
und  schränkte  dann  levez  est  immer  mehr  auf  die  im  Präsens  durch 
blofses  lieve  ausgedrückte  Zustandsänderung  ein.i 

Das  Nebeneinander  der  intransitiven  und  reflexiven  Konstruktion,  82. 
dort  wo  das  Lateinische  ein  Medium  transitiver  Verba  gebrauchte, 
hatte,  wie  schon  längst  richtig  erkannt  ist,  zur  Folge,  dafs  das 
Reflexivum  nun  auch  zu  ursprünglich  intransitiven  Verben  tritt, 
offenbar  um  dieselbe  Nuance  auszudrücken,  die  dem  se  levat  gegen- 
über dem  levat  zukommt;  daher  dann  dort  se,  muert  se  etc.^  Auch 
hier  schlich  sich  auf  die  gleiche  Weise  das  Reflexiv  in  die  zusammen- 
gesetzten Zeiten  ein.  So  finden  wir  schon  in  den  frühesten  franzö- 
sischen Texten: 

I.  (zu  81)    il  se   erenl   convers  Jon.,    s'est   ajonelet   Steph.,    ?«'<?« 
esteie  penet,  qiiet  il  s'en  seit  turnet,  fies  deduit  Alex. 

II.  (zu  82',    poro-s  füret   morte    Eul,    ähnl.    Leod.,    il  s'en   seit 
alet  Alex. 

Nun  ist  aber  folgendes  zu  beachten.  Das  Gesagte  erklärt  uns  83. 
nur  zu  einem  Teil,  warum  esse  -f-  Part-  als  Perfekt  reflexiver  Verba 
gebraucht  wird.  Dagegen  sind  so  direkt  nicht  deutbar:  i.  die  Fälle, 
wo  das  Reflexivum  Dativ  ist:  gratiz  coJtps  se  donetit;  2.  die  Fälle, 
wo  das  Reflexivpronomen  ausgesprochenes  Akk. -Objekt  eines 
wirklichen  Aktivs  ist  il  s'ocit,  il  se  contande  a  Dieu;  da  Fälle  wie 
*gra7iz  cops  sont  done(z),  *est  ocis  als  Perfekt  nicht  vorkommen.  In 
granz  cops  se  sont  done,  ocis  s'est  liegt  also  wohl  direkt  eine  Über- 
tragung nach  den  so  massenhaften  Fällen  vor,  wo  mediales  Re- 
flexivum   erscheint.      Hier    mufste    man    sich    erst    daran    gewöhnt 


1  Dal5  die  Konstruktion  z.  T.  auch  auf  trans,  Deponentia  zurückgehe, 
wie  me  tiltus  su7n,  7ne  jaculatiis  sunt  ist  nicht  geradezu  ausgeschlossen,  wenn 
auch  nicht  wahrscheinlich.     Darauf  hat  Chabaneau  aufmerksam  gemacht. 

2  Dafs  auch  ursprünglich  dalivische  Reflexiva  in  solchen  Fällen  vor- 
kommen, möchte  ich  nicht  bezweifeln.  Dann  war  der  Sinn  allerdings  nicht 
der  der  oben  angetührten  Nuance ,  sondern  wirklich  der  der  „reflexiven  Ver- 
innerlichung".  Da  aber  die  äufsere  Form  die  gleiche  geworden  war,  so  läfsi 
sich  nicht  mehr  reinlich  scheiden.  —  Im  Altportugiesischen  nämlich  scheint 
der  Dativ  lange  vom  Akkusativ  verschieden  gewesen  zu  sein,  und  wie  in  der 
2.  Person  che  (sprich  ce)  und  te,  so  unterscheiden  sich  in  der  dritten  xe  {xi) 
[sprich  se,  s'i']  und  se  nach  dem  Kasus.  Zwar  sind  die  Verhältnisse  schon 
etwas  verdunkelt,  indem  aus  unklaren  Gründen  xe  als  Akkusativ  vor  einem 
dativischen  Pronomen  eintrat;  unter  den  restlichen  Fällen  aber  sind  viele,  die 
dem  afr.  Gebrauch  von  se  völlig  analog  sind:  z.  B.  van-xi  muitos  säos  GSM 
XXXI,  u  xe  jazia  LXXV,  ähnl.  CCCIX,  tal  xe  ficoti  covio  xe  veera  (nämlich 
Jungfrau)  CV,  pon-ll'o  (den  Fufs)  u  x'  anf  estava  CXXVII,  el  que  x'a  vai 
ja  quanto  conliocendo  RD  266S.  xe  als  Akkusativ  scheint  sonst  nur  vor- 
zuliegen in  vii'i  seu  acor  na  vara  ü  xe  soya  pöer  CSM  CCXXXII  und  das 
nicht  einmal,  wenn  nämlich  das  Subjekt  von  soya  nicht  agor,  sondern  dessen 
Herr  ist. 


144 

haben,  .  .  .  nie  st/?',  .  .  .  s'est  usw.  als  das  reguläre  Perfekt  von 
reflexiven  Verben  zu  empfinden.  In  den  andern  Fällen  liegt  also 
eine  analogische  Konstruktion  vor,  wie  bezüglich  der  ersteren  bereits 
Tobler  VB  II 2,  68  erkannt  hat,  der  damit  die  Flexionsfrage  glänzend 
löste,  und  ich  möchte  noch  hinzufügen,  dafs  man  sehr  gut  täte, 
einmal  auch  auf  das  erste  Auftreten  dieser  sekundären  Fälle  zu 
achten.  In  den  ältesten  Texten  scheinen  sie  noch  nicht  vor- 
zukommen 1 ;  das  erste  —  übrigens  vielleicht  auch  nicht  ganz 
zweifellose  —  Beispiel  scheint  c/iier  me  sui  venduz  Rol.  2055  zu  sein. 

Im  altern  Provi;nzalischen,  das  ebenfalls  levaiz  s'es  kennt,  ist 
mir  ein  Beispiel  für  die  Ausdehnung  auf  jene  zwei  Fälle  nicht 
untergekommen.  Bezüglich  des  Katalanischen  s.  jj^.  Auch  im 
älteren  Italienisch  scheint  die  Ausdrucksweise  im  ganzen  auf  das 
mediale  Reflexiv  beschränkt  (vgl.  ijj).  Wir  finden  jedoch:  De 
spine  Se  coroni  che  rege  s'e  chiamalo  Mon.  Chr.  II  S.  47920-  Freilich 
bedeutet  se  clamare  in  unendlich  viel  öftern  Füllen  'heifsen',  und 
ist  dann  regulär  medial;  so  ist  nicht  zu  verwundern,  dafs  die 
hiebei  berechtigte  Konstruktion  einmal  auch  dann  eintritt,  wenn 
es  den  etymologischen  Sinn  'sich  nennen'  hat. 

Im  Altsardischen  begegnet  die  Konstruktion  sehr  selten,  über- 
haupt nicht  in  CP  u.  CVC,  dann:  Sos  quales  si  vi  esseren  otio  elecios, 
se  pothan  refirmare  StS.  I,  lo8(?);  Ei  si  pus  sa  dicta  admonitione  los 
aen  accaiiare  et  non  s'aen  esser  partitos  StS  III,  17;  cussa  caiisa  de 
qtii  s'at  essere  lamentadii  C.  d'A.  LVII  (ähnl.  CXIII);  de  ssa  tocha  qiii 
s'est  dadu  a  ssos  7iiasiros  StS  II,  44.  Aber  unter  den  wenigen  Fällen 
findet  sich  ein  deutlich  aktiv-reflexiver:  pj'oguiteu  a  caxoni  cussa 
persofii  si  ad  esser  morta  (von  einem  Selbstmord)  C.  d'A.  VIII. 

Im  Spanischen  hat  die  Konstruktion  überhaupt  keine  grofse 
Verbreitung  erlangt  und  scheint  dialektisch  beschränkt  zu  sein. 
Manche  Texte  wie  das  PC,  Aut.  RM  weisen  sie  überhaupt  nicht 
auf.  Immerhin  vgl.:  Fueranse  los pagafios  essas  oras  iornados  FG  81  b; 
E  sson  se  iornados  Por  oiras  carreras  a  sus  reytiados  LRd'Or.  46. 
Drei  Beispiele  aus  Berceo,  davon  zwei  mit  iornado  s.  Gessner,  1.  c. 

Ins  Altportugiesische  scheint  die  Konstruktion  überhaupt  nicht 
gedrungen  zu  sein.  Wenigstens  enthalten  die  über  600  Grofsquart- 
seiten  bedeckenden  Cantigas  de  Santa  Maria  kein  einziges  Beispiel,^ 
ebensowenig  RD,  Livro  Es.,  Est.  Tr. 

Auch  in  altnorditalienischen  Texten  dürfte  sie  nicht  oder  nur 
selten  3  angetroffen  werden. 


1  Gessner  hat  vollständig  unrecht,  in  dem  oben  zitierten  Beispiel  aus 
Jon.  ein  transitiv-reflexives  Verb  zu  sehen,  Jb.  XV,  207;  es  entspricht  genau 
einem  lateinischen  converti.  Bei  dem  'sich  bekehren'  hat  man  den  Gemüts- 
zustand dessen,  der  bekehrt  wird,  im  Auge,  nicht  aber  die  Tätigkeit  dessen, 
der  bekehrt.  —  Ebensowenig  gehören  Fälle,  wie  vante  se,  noie  se  'er  ertrinkt' 
(daneben    vante,    noie!),  venge  se  in  die  Kategorie  der  reflexiv-aktiven  Verba. 

^  In  Pois  que  ss'assi  os  didbos  foro7i  t^'a/z"«^ar«/(/(3j  XLV  liegt  natürlich 
foron  sse  'sie  gingen  weg'  vor. 

^  Unsicher  ist  das  Beispiel:  Beti  se  porave  esser  "vencu  [verkauft]  E  de 
hon  dinar  aver  ahlti  Et  avtr  fato  caritä  aus  Baisegap^. 


145 

Das  auf  diese  Weise  gebildete  Perfekt  intransitiver  oder  reflexiver  84. 
Verba  tritt  auf  der  ganzen  Linie  in  Konkurrenz  mit  dem  alten 
oder  [bei  den  Deponentien]  neugebildeten  einfachen  Perfekt.  Wie 
zumeist  bei  derartigen  Konkurrenzen  ergibt  sich  leicht  eine  Be- 
deutungsdifferenzierung. Da  sich  die  -/ö-Form  ja  vielfach  auch 
selbständig  erhielt,  so  mufsten  die  zusammengesetzten  Formen  in 
jenen  Verbindungen  bevorzugt  werden,  die  dem  ursprünglichen 
adjektivischen  Sinn  nahe  liegt-n;  es  ist  also  völlig  gerechtfertigt, 
wenn  Sie  wieder  auf  die  Grundbedeutung  des  Partizips  zurück- 
gehen (HI,  §  303). 

Zu  einer  reinlichen  Spaltung  der  beiden  Grundbedeutungen 
des  Perfekts  ist  es  freilich  nicht  gekommen,  wenn  auch  das  einfache 
Perfekt  im  ganzen  an  den  Aorist,  das  zusammengesetzte  an  das 
Perfekt  des  Griechischen  erinnert.  Das  einfache  Perfekt  behält 
vielmehr  auch  noch  seine  ursprüngliche  lateinische  Funktion  als 
Perfektum  Präsens  bei,  das  die  in  der  Gegenwart  abgeschlossene 
und  in  ihren  Resultaten  auf  die  Gegenwart  sich  erstreckende 
Handlung  bezeichnet,  u.  zw.  nicht  nur  in  den  südromanischen 
Sprachen,  für  die  Beispiele  zu  geben  überflüssig  wäre,  sondern 
auch  im  Französischen: 

Nos  ne  veiilmes  viie  por  vos  mal  faire  ^  ains  venimes  por  vos 
garder  Villeh.  146  c;  //  aveir  dunt  li  vitit?  Rp.  54  a;  Vmc  eti  Jerusalem 
KR  154»  eis  tu  rien  . . .?  naie  .  .  .  fors  . . .  du  pain  qui  7tous  demoura  . . . 
ves  en  chi  Adam  H.,  Rob.  M.  651;  de  tei  (Adam)  eissit  (näml.  Eva) 
J.  Ad.  20.1 

Andrerseits  braucht  man  blofs  eine  beliebige  Seite  der  afrz.  85. 
Epik  —  volkstümliches  oder  höfisches  Epos  —  aufzuschlagen,  um 
das  zusammengesetzte  Perfekt  in  buntem  Wechsel  mit  dem  ein- 
fachen und  dem  Präsens  zur  Darstellung  historischer  Ereignisse  ver- 
wendet zu  finden.  Natürlich  ist  es  unmöglich,  dafs  bei  einem  Satz 
wie  Gormund  li  lance  utie  guivre,  Parmi  le  cors  li  est  saillie,  De 
Vautre  part  s'en  est  eissie,  Fiert  loi  danzel  de  Lumbar  die  Gorm.  14g 
— 152,  alez  en  est  en  un  vergier  suz  Vumbre  Rol.  ll,  a  Vencoiitre  li 
est   alez    Er.  2092    ein    in    die    Gegenwart    dauernder   Zustand   be- 


1  Vgl.  Haase,  Synt.  Unters.,  S.  87  f.  Rom.  Gr.  III,  S.  129.  Brunot,  bist. 
1.  fr.  I,  240. 

2  Vgl.  ferner  italienisch:  attanto  si  s^arrendono  tutti  a  pregioni  e 
ssono  messi  presso  al  porto  nel  castello  dt  Pr.  e  tnadonna  Isaotta  st  appiattoe 
la  spada  di  Tr.  sotto  sl  et  tutte  Valtre  chose  fiiorono  tolte  e  ssono  tntrati 
dentro  a  Vantiporto  Rom.  Trist.,  Mon.  Chr.  II,  ll5i/,6;  La  preite  se  partio,  ad 
soa  gente  ne  e  annatu  IV  P  37,590;  Quando  madonna  vede-li,  nel  lectu  se 
e  ricsatu  IV  P  21320!  Una  grand  tneraveja  per  la  fo  po  fnostradha ,  Fo  del 
so  tnonumento  una  planta  gk'  e  nadha  Sover  zascuna  folia  .  .  .  Scrigi'o  era 
Ave  Maria  Bonv.  Laud.  505 — 8;  la  terra  ha  nome  Edessa ,  o  el  e  arrivao 
Bonv.  AI.  64.  Spanisch:  Ähren  las puertas,  de  fuera  salto  davan  .  .  .  Todos 
son  exidos  PC  459 — 61 ;  Estan  parando  fnientes  al  qtie  en  biien  ora  tiasco. 
El  Campeador  en  pie  es  levantado:  „Pues  qite  .  .  ."  PC  2218 — 20.  Katalan.: 
A  l'emperafre  es  vengtits  e  salnda'l  ab  breus  mots  7W  87O;  el  setiyor  rey 
lo  convidd ;  el  nostre  palau  es  intrat,  feu  se  de  tni  anamorat  7W  959. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXIV.     (Festschrift.)  lO 


146 

zeichnet  werden  sollte.  Allerdings  kann  man  sich  auch  nicht  der 
Ansicht  verschliefsen,  dafs  die  Wahl  der  mit  einem  Präsens  zu- 
sammengesetzten Zeit  jener  Tendenz  der  Verlebendigung  und  Ver- 
gegenwärtigung entspringt,  die  für  das  alte  Epos  charakteristisch 
ist  und  der  man  auch  die  Wahl  des  Präsens  selbst  verdankt.  Man 
wird  also  die  Nuance  des  zusammengesetzten  Perfekts  so  auf- 
fassen können,  da^  es  die  in  ihren  Resultaten  in  Betracht 
kommende  Handlung  bezeichnet:  es  hebt  hervor,  dafs  das  End- 
ziel der  Handlung  erreicht  wurde  und  für  das  Subjekt  in  der 
jeweiligen  —  gegenwärtigen  oder  lebhaft  als  gegenwärtig  vor- 
gestellten —  Situation  eine  gewisse  Wichtigkeit  besitzt:  Ja  sont 
tuit  inonte,  si  s\m  vont  Er.  75,  Das  Perfekt  fafst  die  Handlung 
rein  als  solche  ins  Auge,  gleichgültig  ob  längst  vergangen  oder 
kürzlich  geschehen,  gleichgültig  ob  die  Resultate  sehr  fühlbar 
oder  ob  überhaupt  keine  zu  verzeichnen  sind.  Dem  entspricht, 
dafs  das  einfache  Perfekt  bei  mar  und  huer  gewählt  wird, 
trotzdem  es  sich  fast  immer  um  ein  präsentisches  Perfekt  handelt, 
weil  eben  ausgedrückt  werden  soll,  dafs  ein  glück-  oder  unglück- 
bringendes Element  in  der  Handlung  selbst  liegt,  diese  also 
zunächst  ohne  Rücksicht  auf  das  dadurch  erzielte  Resultat  hin- 
gestellt werden  mufs:  mar  arrivames  en  Pontif  Gorm.  588;  hier  i 
ala  que  Piiille  a  conquesiee  Bertr.  Bar,  Girard  de  Vienne  in  BLLfr. 
34120-  Und  ganz  verwandt  damit:  alquant  dirrunt  qii' en  vain  ine 
travaillai  qiiant  cest  livre  ordenai  Comp.  109  und  das  oben  {8^ 
aus  Villehardouin  zitierte  Beispiel. 

Aus  alledem  ist  ersichtlich,  dafs  vielfach  dieselbe  Handlung 
in  derselben  Situation  sowohl  durch  die  eine  wie  durch  die  andre 
Zeit  bezeichnet  werden  kann,  je  nach  der  Auffassung  und  Intuition 
des  Berichterstatters,  und  wir  verstehen,  dafs  die  zusammengesetzte 
Zeit  dem  Stil  des  epischen  Dichters  naheliegt  und  dem  des  Ge- 
schichtsschreibers fernsteht.  1 

8ß_  3.    Bei    der   Verwendung    des    Partizips    transitiver    Verba   mit 

esse  erweist  sich  der  Unterschied  zwischen  durativ  und  perfektiv 
von  grofser  Bedeutung.  Schon  Diez,  Gramm. ^  IIL  202  hatte  darauf 
hingewiesen.  Bei  durativen  Verben  hat  die  Verbindung  mit  sitm 
streng  präsentischen  Sinn  und  zwar  hat  sie  ihn,  wie  in  ^i  gezeigt 
wurde,  schon  im  Lateinischen  erlangt,  wo  sie  ein  sehr  schüchtern 
auftretender  Konkurrent  des  alten  synthetischen  Passivpräsens  ge- 
worden ist.    Wenn  dort  gesagt  ist,  dafs  die  beiden  Ausdrucksweisen 


1  Ganz  unerhört  ist  sie  auch  hier  nicht;  in  Momenten  der  höchsten 
Spannung  findet  sich  gelegentlich  das  Präsens  ein  und  mit  ihm  zugleich  die 
Perfektumschreibung:  Quant  eil  de  Damiette  se  percurent,  si  coiiriirent  aus 
armes ;  et  fönt  sonner  un  gresle  et  sont  vetiW;  et  commencierent  .  .  .  Men. 
R.  374.  —  Vereinzelt  sind  folgende  zwei  sardische  Fälle,  wo  es  sich  um 
aoristisches  Perfekt  zu  handeln  scheint:  JSt  avende  parthitic  morivit  Jorgia  et 
est  7iatu  Sagio.  Bocarunimi  a  ccorona  CP341;  sservindelis  Plave  ad  issos 
est  mortu.  Vennerun  .  .  .  CP  342.  Vielleicht  hat  sich  hier  ausnahmsweise  das 
Perfekt  des  lat.  Deponens  in  dieser  Funktion  erhalten. 


147 

amatur  und  amatus  est  denselben  Sinn  haben,  so  soll  nicht  auch 
gesagt  werden,  dafs  sie  gleich  getont  waren.  Es  wird  vielmehr 
derselbe  feine  Unterschied  vorhanden  gewesen  sein,  der  im  heutigen 
Deutsch  zwischen  'er  wird  geliebt'  und  'er  ist  geliebt'  besteht. 
Die  erste  Ausdrucksweise  nimmt  mehr  Rücksicht  auf  das  logische 
Subjekt,  von  dem  die  Handlung  —  Handlung  im  weitesten  Sinn 
des  Wortes  —  des  Liebens  ausgeht,  die  zweite  abstrahiert  davon, 
um  die  Handlung  in  der  Form  einer  Eigenschaft  dem  von  der 
Handlung  betroffenen  Wesen  zuzuteilen  —  der  ursprüngliche 
Adjektivcharakter  der  -/o-Form  ist  bei  amatus  est  ebenso  fühlbar  wie 
bei  er  ist  geliebt.  Trotzdem  kann  von  einer  eigentlichen  Be- 
deutungsverschiedenheit keine  Rede  sein.  Es  ist  nicht  denkbar, 
dafs  in  irgend  einem  Zusammenhang  die  eine  Formel  pafst,  die 
andere  nicht  pafst.  Das  eine  schliefst  das  andre  ein:  die  Handlung 
hat  den  Zustand  zur  notwendigen  Folge,  der  Zustand  die  Handlung 
zur  notwendigen  Voraussetzung. 

Durativen  Verben  sind  die  iterativen  nächstverwandt.  Bei  87. 
Mola  und  Apulejus  ersetzt  didus  est  'er  heifst'  das  klassisch 
lateinische  dicitur  (s.  Blase  S.  172),  und  da  man  bei  Plautus 
verberatus  in  der  Bedeutung  'der  geschlagen  wird'  findet,  so  wird 
man  wohl  in  der  Volkssprache  früh  ein  ^verberatus  est,  *battutus 
est  in  der  Bedeutung  'er  wird  geschlagen'  gewagt  haben. 

Damit  berührt  sich  dann  wieder  ein  Gebrauch,  bei  dem  auch  88. 
perfektive  Verba  in  dieser  Verbindung  präsentische  Bedeutung  an- 
nehmen können;  nämlich,  wenn  es  sich  um  generelles  Präsens 
handelt.  Das  Ausgesagte  gilt  nicht  nur  für  die  Gegenwart,  sondern 
auch  für  Vergangenheit  und  Zukunft,  stellt  sich  also  als  oft  wieder- 
holtes dar.  Es  unterscheidet  sich  aber  von  dem  vorigen  Fall  da- 
durch, dafs  die  Wiederholung  nicht  in  der  Bedeutung  des  Verbums 
selbst  liegt,  wie  bei  <//«' .heifsen',  verberari  ,ge.?>c\\\z.gen  werden*,  sondern 
in  dem  Zusammenhang.  Auch  diese  Verwendung  war  vielleicht 
schon  im  Lateinischen  bekannt;  hieher  zu  rechnen  wäre  etwa:  .  . .  a 
verho  '/endo'  componitur  quod  7ion  est  kctuvi  Prise.  562  jj.  — 

Im  beginnenden  Mittelalter  finden  sich  mancherlei  Belege,  auf  89. 
die  schon  Diez  hingewiesen  hat,  aber  immerhin  weniger  als  man 
erwartet.  So  etwa  sicut  ad  me  est  possessum  et  moriens  dereliquero 
Tard.  26  (690)  =  sicut  a  me  praesenti  tempore  posseditur  ebenda. 
Das  videtur  der  gerichtlichen  Entscheidungen  ist  jetzt  durch  visus 
est  ersetzt  Tard.  60  (768).  Ferner  vgl.  quantumaimquae  ad  die 
praesente  possedire  vidimur  in  ftindo  illa  villa  .  .  .  vel  ubique  abire  visi 
sumtnus  Form.  And.  1225—27»  (ferner  Form.  Arv.  28,5  etc.).  Ganz 
unsicher  ist  cum  omnia  quae  ibi  sunt  aspccta  Td.  (528),  da  das 
aktive  aspicere  die  Bedeutung  'gehören'  angenommen  hat  (vgl. 
Form.  Mer.  Index);  doch  kann  allerdings  ein  Gebrauch,  wie  wir  ihn 
in  dem  erwähnten  Satz  sehen,  die  Vorstufe  dazu  gewesen  sein. 
Wohl  aber  darf  man  auf  die  schon  oben  {68)  zitierten  verkehrten 
Sprechweisen  wie  poititur  für  positus  est,  basilica  quae  huic  con- 
jungitur  cimitirio  hinweisen,    die  uns  zeigen,  dafs  bereits  positus  est 

10* 


148 

für  ponitur  gesagt  wurde  und  das  kann  wohl   vorläufig  nur  in  der- 
artigen   Fällen    des    generellen    Präsens    geschehen    sein.      Ähnlich 
qui    adnionetur    et    venire    coiitempserit,    dehit    aspendi  =  admonilus    est 
Form.  Mer.  et  Kar.  535,  i.i 
go.  Die    lateinische  Tradition    wird    bestätigt    durch    den   überein- 

stimmenden Gebrauch  der  altromanischen  Sprachen,  die  die  Kon- 
struktion bei  durativen  (I),  iterativen  (II)  und  perfektiven  (III) 
Verben   kennen,    bei  den  letztgenannten  für  das  generelle  Präsens: 

I.  Frz.-prov.:  par  tot  es  mimd  es  adhoraz  Pass.  500;  miilt  est 
e  amee  et  preisee  Lap.  20Q;  un  rai  don  je  sni  encombrez  Clig.  747; 
do7it  ele  est  abitee  Alex.  2  7  6  jg ;  il  sunt  dUiseriers  servi  tot  tens  et  este 
et  hyver  Raoul  H.  S.  d'Enf.  468;  gfeu  fi'aura  dieiis  memhransa 
d'aquelhs  per  cid  es  obltdaiz  Aim.  Bei.  RF.  XXI  423. 

Ital.:  sofio  da  lei  atnaio  Pier  V.;  Ongni  gioja  cKi piü  rara  tetiuta 
(?  piu  preziosa  Giac.  da  L.;  uno  iesoro  riposto  sotter ra,  che  se  non  l 
sapiito,  piü  che  terra  non  vale  Fra  Gu.  da  Bol.,  Mon.  Chr.  57  ^3; 
da  che  la  favella  i  accornpagnata  .  .  .  cd'la  justitia  ebenda  64;  De  far 
Zu  Kel  no  po  nixun  ho77i  l  tenudho  Bonv.  Job  1 3 ;  altressl  co?mi  Vacqua 
abevera  la  terra  et  mantene  la,  cossi  lu  corpo  de  V omo  i  adheverato  de 
la  sänge  e  mantemtta  da  epsa  Sydr.  Otr.  65  f. 

Kat.:  eil  es  del  tot  er e gut  7W  2374. 

Span.:  De  vos  hien  so  se?-vido  PC  2152  (vgl.  270);  de  todos  los 
pueblos  eres  tu  postulado  Ber9.  Mil.  714. 

Portg.:  dos  angeos  .  .  .  senpr  e  servida  CSM  CXLI;  0  qiie  ela 
filla  por  guardar  e  gtiardado  CLXIX  (ähnl.  CCCLXIX);  miragre 
cofinogudo  .  .  .  que  e  de  miiitos  sahiido  CCXIII. 

IL  Frz.-prov.:  Apelee  est  gemme  des  gemtnes  Lap.  179;  7ie  vus 
esmaez  Si  hatuz  estes  u  plaez  Sim.  Fr.,  SGe.  484;  La  sont  tortnente  li 
jaiant  Qui .  .  .  voldrent  par  force  el  ciel  motiier  En.  2733;  Se  la  terre 
71! est  hien  setnee  et  cultivee  et  gaeig7iiee  El  7ie  vaut  giiere  s.  Littre  s.  v. 
cultiver,  hist. ;  No7n  es  apelatz  per  go  que  .  .  .  Don.  prov.  (Stengel)  i  § ; 
eu  sui  batutz  ebenda   10  42. 

Ital.:  La  quäle  citä  .  .  .  f o  kia7nata  Orelia  e  mo  e  kia?nato 
Areggo  Rist.  d'Ar.,  Wiese,  Elem.  30  5. 

Span.:  por  que  eres  rabi  clamado?  Aut.  R.  M.  13g;  Madre,  tu 
eres  dicha  fuente  de  piadat  Berceo,  Loores   199. 

Portg.:  per  ela  santos  chamados  so7i  CSM  XV. 

IIL  Frz.-prov.:  U71  altre  acate  rest  trovee  e7i  Crete  d^U77i  est 
aportee  Lap.  99;  La  vespree  est  chantee  Par  go  en  la  vespree  Kar 
lores    sis    veirs    cors    Fut   el   sepulcre   e7iclos  Best.;    AI  solail  par  tme 


1  Vielleicht  liegt  eine  ähnliche  verkehrte  Sprechweise  bereits  vor,  wenn 
wir  in  der  Mulomedicina  lesen:  quorum  caput  ducitnr  usque  ad  terram  ('ist 
geneigt'),  ad  medullas  eorutn  qui  inaleos  prenduntur  .  .  .  (vgl.  A.  Ernout, 
Phil,  et  Lingu.  Mdl.-Havet  S.  I34f.)  und  sogar  schon,  wenn  Cäsar  schreibt: 
ad  eius  (des  Horns)  summo  sicut  pahnae  ramique  late  diffundtmtur  b.  G. 
VI,  26,2.  Doch  ist  vielleicht  auch  eine  andere  Auffassung  zulässig:  eine  Ver- 
schiebung von  der  perfektiven  zur  durativen  Verwendung  analog  den  in  25 
behandelten  Fällen. 


149 

nue  Est  sa  grant  clarti  iolue  Sim.  de  Fr.,  R.  Ph.  496;  Sovatit  en  est 
assailliz  Rolant  RF  XXII  55332'.  «^«2«  l<^  ve,  el  s'adorm  e  sa  fauda  et 
adoncx  es  pres  App.  Chr.  125  54;  ticit  li  mal  e'l  hen  del  viont  soti  mes 
eti   retnembransa  per  trobadors  Raim.  Vid.  (Stengel)  68  2s- 

Ital.:  Ad  culiij  che  co?nanda  piü  temper atamente,  h  piu  tosto  iibi- 
dito  A.  de  Gross.  Tratt.  mor.  LI;  Lo  coitu  multo  h  delectevele,  s'l 
facto  CO  misiira  Reg.  San.  657;  Se  ehest'  acqua  canosse  lo  malato, 
CoUerio  non  cerchc  altro,  et  e  sa?iato  Bagn.  Pozz.  372;  la  malvasa 
aniina,  qiia)ido  si  parte  de  quisto  secolo  .  .  .  incontinente  e  menata  in  lo 
Inferno  Sydr.  Otr.  63  oq- 

Span.:  (die  Wahrheit)  ni  en  nostras  vocas  es  falada  Aut.  RM 
147;  Et  por  esto  son  viuchas  veces  vencidos  et  muertos  et  presos  VII 
part.  II  26  Ley  III;  al  omne  alli  da  es  fallado  O  en  hien  0  en  mal 
por  ello  es  judgado  Berc.  Mil.  91. 

Portg.:  log'  all  somos  d'el  perdöados  CSM  XXX;  Co?no  somos  per 
consello  da  demo  perdudos,  assi  somos  pelo  da  Vir  gen  tost'  acorrudos 
CXIX;  et  isto  e  cada  sabato  visto  ebenda  p.  606  b;  quen  guarez  a 
Virgen,  e  guarid'  en  pouca  d'  ora  CCCXLVI. 

So  hat  also  unsere  Umschreibung  die  alte  synthetische  Passiv- 
form verdrängt,  indem  sie  nicht  nur  wie  im  Lateinischen  in  einzelnen 
Fällen  eintritt,  wo  das  Prädizierte  stark  adjektivisch  empfunden  wird, 
sondern  auch  dort,  wo  es  deutlich  als  Handlung  gefühlt  ist. 

Übersehen  wir  nun  die  deutlichen  Fälle  verbaler  Verwendung  gj^ 
im  Romanischen  und  vergleichen  sie  mit  denen  im  altern  Latein, 
so  wird  die  divergierende  Tendenz  offenbar.  Im  Latein  war  der 
Sinn  ziemlich  einheitlich,  im  Romanischen  haben  wir  drei  grofse 
Klassen,  zwischen  denen  sich  die  Grenze  vielleicht  vorläufig  noch 
nicht  haarscharf  ziehen  läfst,  die  aber  in  ihren  maikanten  Beispielen 
funktionell  weit  auseinander  liegen.  Zwischen  i  und  2  {'/f)  ist, 
wie  wir  gesehen  haben,  die  Unterscheidung  noch  schwer  zu  treffen, 
vgl.  81;  doch  ob  ein  Beispiel  zu  i — 2  auf  der  einen  Seite,  3  auf 
der  andern  gehört,  darüber  wird  nur  selten  ein  Zweifel  möglich  sein. 
Für  2  aber,  das  gewissermafsen  die  Vermittlerrolle  spielt,  streben, 
wie  wir  gesehen  haben,  die  Mehrzahl  der  romanischen  Sprachen 
zu  einer  neuen  Form,  indem  sie  das  Reflexivpronomen  in  die  Um- 
schreibung einführen,  oder  indem  sie  die  ^jj^- Umschreibung  von 
einer  andern  konkurrierenden  Konstruktion  {ijo  ff.)  ganz  verdrängen 
lassen.  Für  alle  drei  Kategorien  allerdings  gilt,  dafs  die  Grenzen 
gegen  die  ursprüngliche  adjektivische  Bedeutung  nirgends  fest- 
geworden sind,  mit  dieser  sind  sie  vielmehr  durch  vielfache 
Schattierungen  verbunden.  Auch  Rückschläge  erfolgen  leicht,  so 
ist  z.  B.  est  alez,  est  tornez,  das  zumeist  eine  Handlung  ausdrückt, 
wieder  vollständig  zuständlich,  situationausdrückend  geworden  in 
einer  Redensart  wie  li  avoirs  de  nos  terres  est  toiis  a  niefit  alcs, 
li  deduis,-  li  depors  est  a  noient  tornes  Alex.  368  2  f-;  ebenso  wenn 
ßewegungsverba   von  Zeitbegriffen    ausgesagt    werden:    venuto   h  lo 


I50 

icmpo  de  la  diliveraziom  del  mio  venire  Mon.  Chr.  115,53;  Nom  chegou 
0  men  amigo  e  of  est  0  präzo  saido  RD  1822,  vgl.  1825. 

92.  Was  die  Zeitstufe  betrifft,  so  ist  der  Sinn  in  i,  2  durchweg 
präterital,  in  3  präsentisch;  was  die  Beziehung  zu  Subjekt  und 
Objekt,  so  ist  die  Handlung  dort  zumeist  aktiv  oder  medial,  1  hier 
fast  durchwegs  passiv.2  Was  die  Konstruktion  der  Verba  betrifft, 
so  nimmt  2  in  jeder  Beziehung  eine  Mittelstellung  ein;  bei  3  sind 
transitive  Verba  vorherrschend,  doch  wird  das  unpersönliche  Passiv 
intransitiver  Verba  in  entsprechender  Weise  von  unserer  Kon- 
struktion abgelöst:  con  c'esi  bien  haU  Ad.  H.,  Rob.  Mar.  844,  vielleicht 
auch  que  ch'est  bien  ale  ebenda  854,  beide  zu  I  gehörig,  3  vgl.  auch 
das  I.  ital.  Beispiel  von  III.  Bei  i  herrschen  die  intransitiven  Verba 
vor.  Bei  transitiven  Verben  wäre  die  gleiche  Konstruktion  eigent- 
lich nicht  ausgeschlossen,  da  sie  doch  z.  T.  an  lateinische  Depo- 
nentia anknüpft,  die  vielfach  transitiv  sind.  Es  scheinen  aber  nur 
Fälle  in  Betracht  zu  kommen,  wo  die  Auffassung  zwischen  einem 
Objekt  und  einer  akkusativischen  Zeit-  oder  Raumbestimmung 
schwanken  mag,  z.  B.  bei  vivre,  durer,  sejor7ier ,  passer,  trespasser, 
wovon  die  letzteren  beiden  an  transgressus  est  anknüpfen  mögen.'* 
Transitiv,  aber  ohne  Objekt  gebraucht:  vergene  serä  qumido  ella 
serä  coiiceputa  Sydr.  Otr.  54  07,  wo  Analogie  an  das  'ji  erwähnte /»ß/-/« 
'die  geboren  hat'  vorliegen  mag.  les  tuens  jugcmctiz  ne  sui  ohliez 
Oxf.  Ps.  118  30  ist  aber  wohl  sklavische  Übersetzung  von  judicia 
tiia  non  sum  oblitus. 

93.  Was  die  Aktionsart  betrifft,  läfst  sich  zwar  auch  nicht  ein 
durchgreifender  Unterschied  nachweisen,  aber  es  zeigt  sich  doch 
eine  ziemlich  ausgesprochene  Gruppierung.  In  l,  2  ist  sie  gröfsten- 
teils  perfektiv.  Durative  Bedeutung  kommt  nun  allerdings  auch 
vor,  so  im  frz.  bei  lerme,  demore,  sejorjü,  repose,  vescu.  Vgl.  folgende 
aus  Hofmann  entnommene  Beispiele:  Sont  al  duc  lerme  li  dui  oil 
Ben.;  De  Lenz  issirent  qiie  Ji'i  sont  demore  R.  Cambr.;  Gauvains  tuest 
giiaires   el  champ    reposez    Gl.  4918;    7)ous    qui  estes   toiis  jors   vesciis 


^  Gelegentliche  Ausnahmen  erklären  sich  aus  dem  adjektivischen 
Charakter  der  Konstruktion,  von  dem  eben  immer  auszugehen  ist,  so  est  nez, 
ferner  est  mortuus  das  vielfach  heifst  'er  ist  getötet'  und  in  dieser  passiven 
Bedeutung  sogar  nach  3  präsentisch  werden  kann,  vgl.  das  sehr  bezeichnende 
zweite  spanische  Beispiel  in  go  III,  ferner  it.  ove  son  omini  devorati  e  denu- 
dati  e  morti  come  in  deserto  Guitt.  d'Ar.,  Mon.  Chr.  17533  und  z/2,  dann  est 
cretus  in  Fällen  wie  Beeyta  a  ta  leite  onde  foi  governada  a  cartte  de  teu 
Fillo  e  cregud'  e  uviado  CSM  S.  583;  suo  gentile  vescovato  hen  e  cresciuio 
e  meliorato  Cantil.,  Mon.  Chr.  9  g. 

"^  Ausnahmsweise  auch  medial.  Sehr  deutlich  z.  B.  in  En  aqest  saher 
de  trobar  sott  enganat  li  trobador  Raim.  Vid.  (Stengel)  68  36  =:  e7Jganan  lor 
mezeis  ebenda  68  45  (zu  III  gehörig). 

3  Hofmann,  avoir  und  estre  S.  6 f.,  bringt  zwei  hiehergehörge  Beispiele 
aus  dem  Cambridger  Psalter,  die  aber  als  sklavische  Übersetzungen  aus  dem 
Lateinischen  nichts  beweisen. 

*  Beispiele  bei  Hofmann,  S.  17,  20,  31   [Cele  ntiit  i  est  sejorncs),  33,  40. 


151 

Por  povres  darms  soiisfenir  Ch.  11  esp.  i  Ferner  werden  auch  andere 
sonst  perfektive  Verba  gelegentlich  durativ  gebraucht,  z.  B.  ale: 
Pur  lautes  terres  est  alez  cunqiierant  Rol.  553;  coU:  Viaue  li  est  a 
la  cur  nue  tres  parmi  le  hauberc  colee  Ferg.  25  27  etc.  Noch  weiter 
geht  das  Italienische,  das  z.  B.  kennt:  sono  stato  eigentlich  'ich 
bin  gestanden',  'ich  habe  mich  aufgehalten'  (vgl.  dove  era  stato 
longamentf  CNA  50),  dann  das  Perf.  von  esse  ersetzend:  s07io  stati 
inolti  che  sono  vivuti  grande  lunghezza  di  tempo  CNA  l ;  iibidente  sono 
stato  tutavia  Guid.  Col.;  le  cose  chi  so  et  cht  seramio  et  chi  so  State 
Sydr.  Otr.  65  26-  Dafür  aber  auch  die  Neubildung  sono  suto:  la 
biada  di  Val  di  P.  d^tignano  die  suto  in  soma  .iiii.  mogia  Siena  1238, 
Mon.  Chr.  I  21  ^-^^\  vgl.  auch  CNA  69.  l  paruto  'es  hat  geschienen' 
(s.  z.  B.  CNA  3);  S0710  vivtito  (vgl.  das  eben  zitierte  Beispiel  aus 
CNA  I,  ferner  D.  Purg.  21  100);  ^otio  durato  (vgl.  CNA  52,  Dante 
Inf.  I  20);  sono  piaciuto:  non  i  maraviglia  che  B.  vi  i  piaciiiio  vivo 
s'elli  vi  place  di  morto  CNA  62,  un  fante  che  mi  si  plaguto  nol  te 
podria  dire  Bologna,  Mon.  Chr.  II  S.  291  a,  4 ;  h  valicto:  e  denari  ci 
sono  valuti .  .  .  cinque  denari  e  sei  libra  Siena  1260,  Mon.  Chr.  59  49- 
—  Da  einige  schon  lateinische  Fälle  hieher  gehören  wie  demoratus 
sunt,  lacrimatus  sum,  so  haben  wir  keinen  Grund  anzunehmen,  dafs 
die  durativen  Fälle  durchwegs  sekundärer  Natur  seien;  aber  jeden- 
falls ist  die  Hauptmasse  der  Verba  perfektiv  und  das  erklärt  sich, 
wenn  wir  bedenken,  dafs  der  Fall  b  {y^)  der  ausgiebigste  war  und 
hier  nur  perfektive  Verba  in  Betracht  kommen.  2 

In  3  dagegen  haben  wir  es  entweder  mit  durativen,  resp.  94. 
iterativen  Verben  zu  tun  (I,  II) ,  oder  wenn  es  perfektive  sind ,  so 
erstreckt  sich  doch  die  Aussage  über  einen  langen  Zeitraum.  Ist 
nun  aber  nicht  doch  auch  ein  punktuelles  Präsens  von  perfektiven 
Verben  gewagt  worden?  Es  ist  klar,  dafs  eine  derartige  Ausdrucks- 
weise, sagen  wir  ein  vencuz  est  =  er  wird  besiegt,  eine  unangenehme 
Zweideutigkeit  birgt,  da  ja  zunächst  der  Sinn  ist:  'er  ist  besiegt' 
{gg).  Solange  es  sich  um  ein  generelles  Präsens  handelt,  ist  diese 
Zweideutigkeit  nicht  besonders  störend,  da  wenig  dran  liegt,  ob 
man  bei  einer  Aussage,  die  für  viele  zeitlich  aufeinanderfolgende 
Fälle  gilt,  die  Handlung  selbst  oder  der  daraus  entspringende 
Zustand  ins  Auge  gefafst  wird.  Anders  bei  einem  punktuellen 
Präsens,  wo  gesagt  werden  soll,  dafs  sich  die  Handlung  in  dem 
Augenblick  vollzieht,  wo  von  ihr  gesprochen  wird.  Und  doch 
findet  sich  die  Konstruktion  im  Neufrz.,  allerdings  nur  unter 
Umständen,    die    jenen    zunächst    erwarteten    Sinn    deutlich    aus- 


1  Dagegen  ist  remes,  areste  in  der  Regel  perfektiv,  wie  das  deutsche 
'bleiben'.  Vgl.  Paul,  die  Umschreibung  des  Perfekts  .  .  .  Abh.  bayr.  Ak. 
ph.-h.  Kl.  XXII  S.  169. 

2  Da  die  Komposita  von  durativen  Verben  häufig  perfektiv  sind,  so 
finden  wir,  dafs  jene  öfters  das  Perfekt  mit  estre  bilden,  wo  diese  durchaus 
oder  vorzugsweise  avoir  anwenden:  agesir  ^  asseoir,  arester ,  reinanoir, 
endormir,  esveilUer,  aplovoir,  meserrer,  revivre. 


152 

scliliefsen.  1  Und  dieser  Gebrauch  ist,  wie  ich  glaube,  bereits  alt- 
roinanisch,  wenn  ich  ihn  auch  nicht  so  sicher  nachweisen  kann, 
wie  ich  gern  möchte.  Der  Grund  ist  leicht  ersichtlich.  Das  streng 
punktuelle  Präsens  ist  schon  in  der  Sprache  des  gewöhnlichen 
Lebens  so  selten,  dafs  z.  B.  die  slavischen  Sprachen  keine  eigene 
Form  dafür  entwickelt  haben,  sondern  bei  perfektiven  Verben  nur 
Futur  und  Präteritum  kennen.  In  der  Literatur,  die  sich  ja  zu- 
meist im  schildernden  oder  erzählenden  Stil  bewegt,  ist  erst  recht 
keine  Gelegenheit  dafür  vorhanden,  und  es  ist  nur  einem  glück- 
lichen Zusammentreffen  von  Umständen  zu  verdanken,  wenn  uns 
einmal  eine  Form  wie  aperiliir  ostwm  Plautus  Capt,  io8  die  Exi- 
stenz dieser  Nuance  verrät.  So  bin  ich  auf  die  folgenden  paar 
nicht  ganz  sicheren  Beispiele  angewiesen:  ^^Hoste,'-'-  ceo  dit,  ^^hen  vengez, 
Bon  ostel  ici  tengez!  Estes  ci'-'- ,  ceo  dit  en  giu,  ^^Herbergcz  en  riche 
liu'"''  'ihr  werdet  hier  aufgenommen'  Sim.  Fr.  S.  Geo.  746 — 9;  Aloit 
sin  dolans  eii  mo7i  corage  K'en  mo7i  vivant  est  departie  Nostre  tres 
dotcche  compagnie  'getrennt  wird'  Gui  de  C.,  Bai.  Jos.  12  791;  con 
chis  vins  nous  pourfite!  Or  primes  somrnes  assenes  'jetzt  erst  werden 
wir  ins  richtige  Fahrwasser  gebracht'  Jean  Bod.,  Jeu  Nie.  105 1;  — 
Aines,  ieu  vos  ai  demandada,  st  vos  est  (eSTIS)  ancars  consellada  qiie  . . . 
SA  40 f.;  —  lo  dolor  saccejine  che  piü  e  viuWplicato  Jac.  Todi, 
Mon.  Chr.  II  480  35.  Sind  diese  Beispiele  auch  nicht  über  allen 
Zweifel  erhaben,  so  wird  doch  durch  indirekte  Erwägungen  die 
Existenz  des  punktuellen  Passivpräsens  bestätigt  werden  s.  102, 
loj.  Zu  seiner  Erklärung  aber  s.  ///. 
95.  Immerhin     müssen     wir    diese    punktuelle    Verwendung    vom 

historischen  Standpunkt  als  etwas  Sekundäres,  oder  sagen  wir  als 
den  Schlufspunkt  der  ganzen  Entwicklung  ansehen.  Im  Lateinischen 
wäre  ein  est  victus  in  der  Bedeutung  'er  wird  [jetzt]  besiegt'  un- 
möglich; dagegen  wäre  denkbar,  dafs  man  zu  einem  fit  victus  ge- 
langt. Tatsächlich  findet  sich  missutn  fieri  'entlassen  werden'  schon 
bei  Cicero  (z.  B.  Phil.  V  53).  Später  findet  sich  auch  andres. 
Belege  im  punktuellen  Präsens  selbst  sind  freilich  wegen  der  eben 
geschilderten  Schwierigkeiten  nicht  aufzutreiben;  man  könnte  höchstens 
Mala  III  216:  ora  Cantahricis  fit  adversa  terris  anführen,  wo  wenigstens 
für  den  die  Beschreibung  mit  dem  Finger  auf  der  Karte  ver- 
folgenden Leser  ein  punktuelles  Präsens  vorliegt.    Sonst  finden  wir 


1  Vgl.  Yvon,  Y  a-t-il  un  present  passif  en  fran9ais?  in  Melanges  phil. 
off.  ä  Brunot.  Von  den  hier  S.  353  gegebenen  Beispielen  gehört  allerdings 
das  erste  zu  III,  ebenso  vielleicht  das  dritte.  Nur  das  2.;  an  moinent  oh  le 
duc  de  Guise  franchü  le  seuil,  il  est  frappe  beweist  uns  die  Möglichkeit 
eines  punktuellen  Präsens,  wenn  es  selbst  auch  historisches  Präsens  ist.  Die 
auf  S.  354  nach  Darmesteter  zitierten  Beispiele  gehören  zu  III,  das  S.  356 
angeführte  ce  rocher  est  battu  par  les  flots  kann  je  nach  der  Auffassung  des 
Sprechenden  zu  I  oder  II  gehören.  Ganz  einwaudsfrei  sind  aber  Bühnen- 
anweisungen wie:  Une  chaise  est  passee,  de  7iiain  en  main,  aii-dessiis  des  tetes 
Rost.,  Cyr.  de  Berg.  I  3,  tous  les  yeux  revent  —  et  des  larmes  sont  furtive- 
ment  esst/yees  avec  un  revers  de  manche,  un  coin  de  manteau  ebda.  IV  3, 
oder  Inhaltsangaben. 


153 

aber  nur  Beispiele,  wo  das  Präsens  sich  bereits  generalisiert  hat: 
ex  quo  et  iempora  cavata  fiiini  et  oculi  depressi  Mulora.  46  jg;  pascha 
fit  domini  et  regeneratiis  m  fiovo  iestamento  Priscill.  VI  g8.  In  zu- 
sammengesetzter Zeit:  Sl  enim  complantaii  facti  sumiis  similiiiidini 
mortis  ejus,  simul  et  resurrectionis  erimus  Vulg.  Rom.  6,  5-  Im  Kon- 
junktiv: Fiat  habitatio  eorum  deserta  Vulg.  Ps.  18.2g. 

Eine  Spur  zu  innigerer  Verschmelzung  nehmen  wir  indes  im 
Lateinischen  nirgends  wahr;  das  Partizip  in  der  letzten  Stelle  steht 
zum  Beispiel  auf  gleicher  Stufe  mit  Adjektiven,  Substantiven  oder 
anderen  adjektivischen  Ausdrücken  in  Flüchen  wie:  Fiant  dies  ejus 
pauci;  fiant  filii  ejus  orphaiii,  fiant  nati  ejus  in  interitum^  fiat  iticnsa 
eorum  coram  ipsis  in  laqueum  (Vulg.  Ps.  108,  §,9, 13;   6823). 

Einen  Schritt  weiter  können  wir  vielleicht  im  Mittellatein  96. 
konstatieren,  wo  wir  die  Konstruktion  besonders  in  Italien  finden, 
wie  bereits  Diez  IIP  202  konstatiert  hat.  Z.  B.  ut  fiat  discriminatum 
päpstl.  Bulle  786  (Tard.  Mon.  84).  Doch  kommt  sie  auch  in  Frank- 
reich vor:  duas  precepciones  uno  tenure  conscripttas  exinde  fieri  jussi- 
rnus  695   Td.  34,  ähnl.  689  Td.  25  bis. 

Die    direkte    Fortsetzung    der    lateinischen    Verhältnisse    zeigt  97. 
sich    im    Norditalicnischen,    vgl.    Rom.  Gr.  III  §307,    und    es    ist 
interessant  zu  sehen,    wie   sich  an  Hand  der  Texte  die  historische 
Entwicklung  in  einer  Weise  konstruieren  läfst,   die  uns  die  genaue 
Umkehrung  zu  dem  bei  Part.  +  ^wn  beobachteten  Gang  darbietet. 

Wir  finden  es  also  zunächst  als  punktuelles  Präsens: 

Mo  fizo  svcdoada  dal  me  fio  pretioxo  Bonv.  3  scr.  1247;  Or  fizo 
abandonada  da  tuto  lo  me  conforto  ebenda  1216;  ähnlich  1235,  wo 
sich  die  Bedeutung  gegen  die  ^Jjc'-Konstruklion  mit  voller  Schärfe 
abhebt:  Doiente  mi,  tristissima,  como  sonto  desconsorada,  dal  ine  fiollo 
didcissimo  ch'  e^ fizo  abandonada.  Häufig  auch  auf  ein  andres 
Tempus  bezogen:  Or  Margarita  cognosco  ben  che  ela  ft  mena  al  re 
Marg.  894. 

Punktuelles  Präsens  historisch  aufgefafst:  Con  grand  devoiion 
la  planfa  fi  cavadha,   Cercan  la  soa  radix  Bonv.  Laud.  5  13  f. 

Generelles  Präsens:  Si  tosto  como  l'  07n  e  morto,  Viagamente  el 
fi  sepolto  E  fieramentre  fi  plurad  Ug.  L.  813  ff.;  segondo  ke  fi  lezudho 
Bonv.  Job  223;  de  ii  fi  fagio  corone  (beachte  die  Inkongruenz) 
Bonv.  DVR  150.  Hier  tritt  natürlich  schon  Konkurrenz  mit  der 
oben  po  111  berührten  Konstruktion  mit  esse  ein:  vgl.  senza  nexun 
perigoro  eo  fizo  ben  acollegia,  ganz  parallel  mit  Tu  nasci  et  h  bregadha 
pur  entre  spin  ponzente  Bonv.  DVR  53  und  49.  Doch  auch  hier 
benutzen  die  Schriftsteller  die  ursprüngliche  Verschiedenheit  der 
Auffassung  zu  feiner  Nuancierung:  Tute  le  ca  per  done  fi  monde  e 
netc  fate,  S'ele  sta  pur  U7i  ano  senfa  ler  ('ohne  sie')  e  desfata  Gir. 
Pat.  295  f.;  In  quanto  Voro  fi  plil  cogio  entra  fornax ,  in  tanto  i  lo 
plu  piirgao  e  lux  (lucet)  phi  claramente  Bonv.  Job  2']']  i.,  ähnl.  281  f. 

Iterativ:  Or  vie  di  7jer  .  .  .  Si  com  tu  fi  clamata  e  dita  Marg.  281 ; 
que   pö  fare  quellt  ki  fino  si  scavezadi,    Baiudi  da  li  demoni  e  morsi 


»54 

e  sinuinadi  Bonv.  3  scr.  565  f.  Auch  hier  natürlich  Konkurrenz  mit 
esse'.  Pctki  io  stele  al  mondo  ligato  in  li  pcccati  Perzd  me  fi  in  questo 
logo  Ic  mt'vihre  incadenatil  Per  mi  viedesmo  li  ho  facti  li  dardi  atosse- 
gati  Donde  e  //  membri  proprii  feriii  e  impiagati  Bonv.  3  scr. 
637—40. 

Dann  also  selbst  bei  durativen  Verben:  in  fi  a  ogio  tenudha 
Bonv.  DMF  67 ;  conseiar  anci'l  faio  per  grand  sen  fi  tigniido  Gir. 
Pat.  505;  perzb  yo  fizo  punito  in  logo  infernale  Bonv.  3  scr.  '^2}y. 
qiu  non  fi  lassaio  reposso  ebenda   632. 

Analog  in  den  andern  Formen:  Inf.:  che  pd  fi  creduto  de  quello 
ke  . . .  Bonv.  3  scr.  391.  Impf.:  /'  imagine  .  .  .  fiva  servadha  e  hahiiidha 
in  grand  hoiior  Bonv.  AI.  67;  Fut.:  Poxe  la  mortale  angnstia  sempre 
firano  torinentaii  Da  tuti  li  hcn  del  viondo  loro  firano  abandonati 
Bonv.  3  scr.  190 f.;  en  firai  (a  ahiii  viafajnetttre  .  .  .  alegre  ('jamque 
beatus  habebor')  Panf.,  Mon.  Chr.  54.  Sogar  in  zusammengesetzter 
Zeit  und  zwar  noch  ganz  mit  der  lat,  Suppletivform:  San  fob  in 
poco  de  tempo  e  fagio  tuio  inrichio  Bonv.  Job  253. 

Damit  sind  auch  die  Grenzen  der  Konstruktion  erreicht ;  in 
die  Gebrauchssphäre  von  y^  i  und  2  scheint  fieri  nicht  über- 
gegriffen zu  haben. 1  Da  sich  nun  rnorto  mit  fi  findet,  so  ist  auch 
dadurch  sicher,  dafs  m.  'getötet'  heifst:  ki  fi  rnorto  hcn  fazando,  la 
soa  anima  <?  headha  Bonv.  DMF  87. 

Im  Zentralitalienischen  hat  pieri  nur  schwache  Spuren  in  dem 
futurisch  gebrauchten  fia  etc.  hinterlassen,  das  auf  das  lat.  Futur 
zurückzugehen  scheint,  mit  Partiz.  z.  B. :  Se  questo  reo  huomo  .  .  . 
fion  fie  punito  per  voi  .  .  .  andrä  per  la  cittä  .  .  .  uccidendo  Ret.  Guid. 
Bol.,  Mon.  Chr.  57  i20j  ^'^  casone  soa,  la  quäle,  se  Justa  sera  staha, 
fia  aibua  excusevole  Bologna,  Mon.  Chr.  123  3-.  Hie  und  da  scheint 
es  sich  in  der  eine  Vermutung  ausdrückenden  Verwendung  zu  finden, 
die  wir  sonst  beim  Futur  kennen,  wie  /o'  mperio  fia  ora  piü  volle 
muiato  CNA  21. 
98.  Im    Sardischen    haben    Sie    in    der    Bedeutung    des    fieri    das 

Perfekt  feki  und  Plusqpf.  fekerat  nachgewiesen,  (Zur  Kenntnis  des 
Altlogudor.  §  64),  das  sich  wohl  nach  66  ^   erklärt. 

Sonst  aber  tritt  im  Italienischen  venire,  s.  66^,  an  die  Stelle 
von  fieri,  das  übrigens  auch  im  Altnorditalienischen  damit  kon- 
kurriert: donde  el  vene  äff  dato  Bonv.  3  scr.  74;  ke  den  prega  umel- 
mettte  lo  so  preg  vien  auduo  Gir.  Pat.  153;  varda  fo  que  te  ven  dato 
Dist.  Cat.,  Mon.  Chr.  51  9,  wo  der  mittelital.  Text  l  hat.  Im  heutigen 
Schriftitalienischen  hat  es  genau  den  Umfang  angenommen,  den 
fieri  im  Altnorditalienischen  hatte,  macht  also  im  selben  Umfang 
esse  Konkurrenz,  betont  aber  stärker  als  esse  den  Moment  der 
Handlung   selbst.     Es    wird    also   dort   vorzugsweise  verwendet,  wo 


1  In  Ne  may  serä  conselio  ke  eilt  possano  fi  scampati  Bonv.  3  scr.  192 
ist  scampare  transitiv  'retten'  wie  da  li  moiidani  pericolt  el  fne  ha  scampato 
e  guare7itito  ebenda  16S2.  Sehr  eigentümlich  wäre  La  faza  strabcllissima  . . . 
Se  pva  sozada  dra  spuda  ebenda  1031.  Doch  ist  wahrscheinlich  mit  dem 
2.  Ms.   Ge  fiva  zu  lesen.     In   1420  aber  ist  si  sicher  Adverbium, 


155 

esse  zunächst  auf  den  aus  der  Handlung  entsprungenen  Zustand 
gedeutet  würde :  7/  cappone  viene  ingrassato  nella  capponaja.  Es  ist 
aber  unmöglich,  wo  das  Verb  mehr  mediale  Bedeutung  hat;  man 
könnte  also  in  dem  von  Yvon  angeführten  Satz :  Chaque  fois  qiie 
je  vai's  ä  Paris,  Je  suis  frappi  de  V äniination  qui  y  rigne  das  je  suis 
frappi  vielleicht  durch  vengo  colpito,  aber  niemals  durch  vengo  mara' 
vigliato,  sondern  nur  durch  sono  maravigliato  wiedergeben.^ 

Im  Spanischen  sind  nur  mehr  Spuren  einer  analogen  Ent- 
wicklung vorhanden,  ftii  fecho  findet  sich  gelegentlich  einem  siim 
/actus  entsprechend  (/05):  fue  end  a  pocos  dias  fecha  etnparc  lada 
Berceo,  SDom.  325.  Weiter  verbreitet  scheint  in  bestimmten  Redens- 
arten reflexives /ßf^ri?  zu  sein  (vgl.  das  mir.  fekit  im  Sardischen): 
\.2LL/eu  se  de  mi  anamorat  7W  760;  aportg.  fago-me  maravilhada  como  . . . 
RD  198g,  ähnl.  Est.  Tr.  26;  so  auch  it.:  nullo  si  faccia  tniralo  Re. 
Giov.,  Mon.  Chr.  34  ßo»  ferner  fiizisi  cuasi  morto  (siz.)  Mon.  Chr.  133. 
Für  venir  läfst  sich  anführen  de  la  vida  del  sieglo  vengo  bien  espedida 
Berc,  S.Dom.  321 ;  todos  venian  cohyertos  los  oteros  e  los  llanos  FG  251. 
Da  aber  im  Spanischen  auch  andere  Verba  der  Bewegung  und 
der  Ruhe  ebenso  verwendet  werden,  so  ist  fraglich,  ob  wir  auch 
hier  an  das  lateinische  anknüpfen  dürfen,  vgl.  Rom.  Gr.  III,  §  308 
—310. 

Sehen  wir  uns  nun  jenen  Fall  an,  der  aller  Wahrschein-  gg. 
lichkeit  nach  als  erster  im  Lateinischen  zur  Ausbildung  gelangte 
und  sich  dort  üppig  analogisch  weiter  entwickelt  hat,  denjenigen, 
wo  die  -/ö-Form  der  perfektiv-transitiven  Verba  mit  den  Präsens- 
formen von  sum  zusammengestellt  ist.  Die  ursprüngliche  Bedeutung 
eines  gegenwärtigen  Zust.inds,  der  aus  der  Handlung  entspringt, 
hat  sich  ungeschwächt  in  alle  altromanischen  und  —  mit  Aus- 
nahme der  zwei  westlichsten  2  —  neuromanischen  Sprachen  gerettet 
und  überall  finden  wir  Formeln  wie  la  la^npe  est  alhinue,  Vordre  est 
retabli,  la  parte  est  fermie.     Weitere  Beispiele  sind  überflüssig. 

Auch  finden  sich  in  früherer  Zeit  noch  viele  Beispiele,  wo 
man  zweifeln  kann,  ob  das  Augenmerk  des  Sprechers  nicht  gleich- 
zeitig auf  d'"e  zugrunde  liegende  Handlung  gerichtet  ist,  auf  die 
die  beigefügten  Umstände  zu  weisen  scheinen:  la  graut  perte  QiCui 
cesi  jor  nos  est  aovcrte  Clig.  5830;  Or  nie  ditcs  par  qtiel  raisou  Ceste 
costuTiie  est  establie  Que  .  .  .  Raoul  H.,  Veng.  Ragu.  1220 — 2.  A  madre 
de  Dens  chega  sen  tardada  U  c  con  fi  chamada  (bei  generellem 
Präsens !)  CSM  LXXXIX. 


1  In  Rin.  d'Aqu.,  Mon.  Chr.  41,  V5  che  dipoH  dire  non  vengna pentuto 
ist  p.  natürlich  bereits  Adjektiv  s.  72.  —  Neben  venire  auch  gelegentlich 
diventre,  diventare. 

*  Im  Spanischen  ist  die  Formel  in  neuerer  Zeit  gerade  in  dieser  Be- 
deutung yon  estar  +  Partiz.  verdrängt  worden,  vgl.  G.  Cirot  'scr'  et  'estar', 
Mölanges  Brunot  57 fF.  Wie  weit  das  Portugiesische  mit  dem  Spanischen  über- 
einstimmt, bedarf  noch  näherer  Untersuchung. 


156 

100.  Da    Handlung    und    Zustand    unlöslich    miteinander    verknüpft 

sind,  ist  es  eben  im  einzelnen  Falle  schwer  zu  unterscheiden,  was 
gemeint  ist.  Immerhin  scheinen  in  der  altern  Zeit  noch  Fälle  vor- 
zukommen, wo  der  Sprechende  nur  die  Handlung  im  Auge  hat, 
also  wirkliches  Perfekt  vorliegt.  Wenigstens  weisen  darauf  die 
Parallelität  mit  andern  Ausdrücken  oder  sonstige  Umstände  in 
Beispielen  wie 

Par  sa  mort  dcvenqui  Sathan  nosire  enemi ;  Par  la  mort  Damnedi 
Niis  est  repos  dune  Ph.  Th.  Best.  344;  c'est  a  hon  droit  quil  est 
ocis  G.  de  Coinci  in  BLLfr.  36800)  ^^  ^^  faito  conto  ke  tu  se'  molto 
sapnto  CNA  3;  che  l  cavallo  e  nutricato  a  latte  d''  asino  ebenda; 
eW  i  traduto,  Jiida  si  /'  a  venduto  Jac.  Todi,  Mon.  Chr.  11,  S.  4797; 
non  so  se  v'e  cotitato  Keo  lo  faccia  per  arte  Giac.  Not.,  Mon.  Chr.  25, 
II,  33;  El  ne  regratia  deo  de  zb  Ki  indevenudho  De  zb  Uel  h  scampao 
e  non  l  cognoscudho  Bonv.  AI.  112;  ;«  co  vos  naro  sun parthitos  'wie 
ich  euch  sage,  sind  sie  verteilt  worden'  CP342;  siat  condempnatu 
pro  ssa  injuria  facta  ad  ccusse  qui  est  missu  in  presiofie  in  lihras  .iii. 
StS  II,  25;  perdat  su  prethti  qiii  li  est  promissii  dave  sii  sengnore  de 
ssa  vigna  StS  III,  26;  Vinfanl  es  nicnjat  7  W663;  trohats  son  los 
draps  sangonets  7  W  677;  (u  en  iä  pouco  tepo  soo  vengiido  do  amor 
e  tä  feramente  desmayado  Est.  Tr.  22. 

loi.  Besonders    deutlich    ist    die   Perfekt -Bedeutung   bei    durativen 

Verben;  so  ünden  wir  im  Prov.  noch  1474  in  den  Sitzungsberichten 
von  Castellane  mehrere  mal  Anno  quo  supra  et  lo  XXIX  de  aost 
(oder  ähnl.)  es  tengut  cottsel  (Docum.  lingu.  S.  304  f.)  neben  gewöhn- 
lichem es  istat  consel\  ital.  üglio,  perche  fascundi  dal pecto,  6  se'  lactato 
Jac.  Todi,  Mon.  Chr.  II,  S.  47974.  Und  ebenso  im  Plusquamperfekt: 
contaro  allo  'niperadore  si  cotne  Consiglio  n\ra  tenuto  CNA  22.^ 

102.  Später    freilich,    als    ein    zusammengesetztes    Perfekt    von    esse 

schon  vorhanden  war  (/^7),  gab  es  auch  die  Möglichkeit,  diese 
Perfekt-Handlung  präzis  und  unzweideutig  auszudrücken :  Por  che 
qtiil  est  ocis  a  tort  Vos  a  este  ci  ejivoies  Raoul  H.,  VRagu.  183; 
Dite  mi  come  lo  giovane  e  stato  nodrito  CNA  5  (vgl.  in  100  das 
Beispiel  mit  nutricato).  Diese  Formen  erklären  sich  offenbar  als 
konsequente  Neubildungen  zu  punktuell-präsentischem  est  envoics, 
i  nodrito  (s.  p^)  und  beweisen  so  indirekt  deren  Existenz.2 


•  In  epischer  Darstellung  beweisen  Beispiele  wie:  Domentre  ke  stete  po 
vivo,  el  e  molt  hen  guidJmo  Bonv.  Laud.  479  f.  nichts,  da  es  sich  um  historisches 
Präsens  [go  Fall  I)  handeln  kann. 

2  Dafs  wir  die  Konstruktion  auch  im  Sardischen  finden :  issa  condicionj 
desaos  hotnj'nis  qui  est  istadu  dae  tandu  innoguj  mtdtum  permutada  C.  d'A.  i  t". 
würde  uns  in  Anbetracht  des  späten  Datums  dieses  Denkmals  nicht  wundern. 
Dennoch  scheint  es  mir,  dafs  die  Wendung  hier  aus  dem  Italienischen  entlehnt 
ist  ;  denn  das  eine  Zeile  früher  zu  lesende:  inutacionj  dessos  tetnpos  qui  sunt 
istados  seguidos  posclia  sieht  aus  wie  eine  Überentäufserung,  und  das  weist 
darauf  hin,  dafs  die  eigentliche  Funktion  der  Formel  nicht  verstanden  wurde. 
Ein  zweites  Beispiel  in  der  C.  d'A.  ist  CXLI :  cando  indi  siat  istadu  coman- 
dadtc  per  isa  corti.  In  den  Denkmälern  des  15.  Jh.  dann  häufig:  in  StC  und 
im   späteren  Teil    der  StS  (II,  39  ff.),    während    die  älteren  Teile  von  StS  kein 


157 

Die  oben  gegebenen  Beispiele  für  perfektische  Auffassung  der  103. 
Konstruktion  -/ö-Part.  -f"  ^^^^^  waren  immerhin  bei  perfektiven  Verben 
solche  für  präsentisches  Perfekt.  Es  wird  eine  Handlung  bezeichnet, 
deren  Folge  sich  in  die  Gegenwart  erstreckt,  wenn  auch  auf  die 
Mitbezeichnung  des  daraus  entstandenen  Zustands  kein  Gewicht 
gelegt  werden  soll.  Finden  wir  nun  aber  auch  die  Konstruktion 
direkt  wie  im  Lateinischen  als  historisches,  aoristisches  Perfekt? 
Dafür  scheinen  zunächst  Beispiele  zu  sprechen  wie  Baptiziet  sunt 
asez  plus  de  Cent  viilie  Rol.  367 1.  Dies  scheint  zunächst  die  ganz 
richtige  Entsprechung  von  haptizati  sunt  'sie  wurden  getauft'  zu 
sein.  Sieht  man  sich  die  Stelle  aber  näher  an,  so  findet  man, 
dafs  der  Autor  sich  ledigHch  ganz  in  die  von  ihm  berichtete 
Situation  hineinversetzt  (z7  Ic  fait  pendre  3670;  En  France  dulce 
iert  menie  3673).  Es  liegt  also  historisches  Präsens  vor  und  dies 
ist  ein  weiteres  Anzeichen  für  die  Existenz  des  punktuellen  Passiv- 
Präsens  im  Romanischen.  Ähnlich  Des  dous  harons  justce  est  la 
bataille  Rol.  3874,  a  icest  colp  est  li  esturs  vencuz  3930.  Ebenso  im 
Italienischen :  Quando  fo  crescudho  Alexio,  una  sposa  gK  e  dada  Bonv. 
AI.  37;  In  tuto  quel  dl  dre  noze  multi  homini  eri  confortai  ebenda  43 
(vgl.  das  Präsens  46 ff.);  ssono  messi presso  al porto  etc.  s.  S.  145  Anm.  2 
aus  dem  Rom.  Trist.  Span.:  Las  yentes  de  fuera  todas  son  deramadas 
PC  463.  Ebenso  historisches  Präsens,  aber  mit  genereller  Färbung: 
Cid  il  consuit,  iuz  est  vencicz  Gorm.  616. 

In  der  ruhigen  prosaischen  Darstellung  findet  sich  diese  Formel 
nicht,  sondern  nur  diejenige,  die  seit  jeher  im  Lateinischen  damit 
konkurrierte    und    sie   verdrängt  hat:  furent  baptizie,  fut  vencuz  etc. 

Aber  dieses  Vorkommen  im  epischen  Stil  gibt  uns  auch  den  104. 
Schlüssel  zum  Verständnis  der  rückschreitenden  Entwicklung.  So- 
lange die  Deponentia  noch  vorhanden  waren,  hatten  die  historischen 
Perfekte  est  victus  etc.  einen  Anhaltspunkt  in  est  conatus,  mort(u)us 
usw.  Dann  aber  verschwanden  hier  die  passiven  Formen  und  est 
conatus,  mort(u)us  wurde  im  historisch-aoristischen  Sinn  von  den 
billig  zu  habenden  Neubildungen  *conavit,  *mormt  verdrängt,  die 
mit  den  bei  den  aktiven  Verben  vorkommenden  Formen  in  Über- 
einstimmung waren.  Ein  jetzt  noch  übrig  gebliebenes  est  victus 
hätte  aber  inmitten  der  andern  Formen  den  Eindruck  einer  aus 
dem  Rahmen  der  sonstigen  Erzählung  herausfallenden,  vergegen- 
wärtigenden Darstellung  gemacht,  die  sich  zur  andern  längst  vor- 
handenen Formel  fuit  victus  verhielt  wie  ein  in  gleicher  Weise  an- 
wendbares est  fortis  oder  vincit  zu  dem  eigentlich  historischen  fuit 
fortis  oder  vicit.  Es  gab  also  einmal  den  Zeitpunkt,  wo  dem 
Hörenden  das  Verständnis  für  etwas  ausging,    das  der  Sprechende 


einziges  Beispiel  aufweisen,  sondern  sich  mit  est  +  Ptz.  begnüj^en  [lOÖ),  obwohl 
sie  das  einfache  est  (statu  'ist  gewesen'  schon  kennen.  —  Wir  hätten  also 
hier  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  dafs  die  Anfangselemente  einer  syn- 
taktischen Erscheinung  sich  durch  Becinflufsung  oder  Entlehnung  eingefunden 
haben,  ein  Vorgang,  der  auch  gewifs  sonst  oft  vorkommt,  für  den  sich  aber 
in  unserer  Arbeit  kein  sicheres  Beispiel  findet. 


158 

noch  besafs  [während  sonst  meist  umgekehrt  dem  Hörenden  ein 
neues  Verständnis  auftaucht,  das  der  Sprechende  noch  nicht  hat]; 
freiHch  schwerHch  zum  Schaden,  sondern  eher  zum  Nutzen  der 
Sprache,  die  dadurch  gröfsere  Klarheit  und  logisch-konsequente 
Durchbildung  erlangt. 

105.  So  sind  denn  die  analogischen  Weiterentwicklungen,  die  wir 
im  Lateinischen  für  die  Formel  -/o-Partiz.  -\-  siini  konstatiert  haben, 
stark  zurückgedrängt  worden.  Die  perfektische  Bedt;utung  bei  per- 
fektiven Verben  macht  zwar  erst  im  IMittelalter  einer  Neubildung 
Platz.  Die  aoristische  Bedeutung  bei  perfektiven  Verben  fehlt 
schon  von  Anbeginn,  und  die  perfektischc  Bedeutung  bei  durativen 
Verben  ist  selten  geworden.  Die  Konstruktion  aber,  von  der  sie 
ersetzt  werden,  ist  diejenige,  die  wir  schon  im  Altlateinischen  ge- 
funden haben  (s.  jß  f.)  und  die  sich  in  der  Zeit,  die  zwischen 
der  klassischen  Latinität  und  dem  ersten  literarischen  Auftreten 
der  romanischen  Sprachen  liegt,  unzähligemal  belegen  läfst:! 

Z.  B.  bei  perfektiven  Verben :  Marsiis  paene  fui  /actus  herhas 
incaniando  malignas  Comm.  Apol.  8;  illa  casa  stia  per  nocte  fuit 
efracta  ei  oriines  presiditos  suos,  auricm,  argentum  .  .  .  per  ipso  fiirfe 
exinde  fuit  deportata  Form.  And.  1525—30'»  fuirunt  judecati  677/8 
(Td.  Mon.  21);  propter  hoc  missus  fuit  755  (Td.  Mon.  56);  Karolo  . . . 
a  quo  capta  fuit  Italia  798  (Td.  Mon.  q8,  päpstliche  Bulle);  fuit 
cauronatus  ad  imperator  esse  1053  (Mon.  Nov.  1  S.  414);  civitatc  Papia 
ab  ingne  co7ibusta  fuit  1055   (ebda  416). 

Bei  durativen  Verben:  visi fueinus  concessisse  677  (Td.  Mon.  20); 
fuit  possessa  688/9   (ebenda  25)  etc.2 

106.  Das  Altlateinische  hatte  naturgemäfs  keinen  Unterschied  zwischen 
Passivum  und  Deponens  gemacht  und  auch  die  spätere  Zeit  greift 
für  das  letztere  nicht  stets  sofort  zu  den  in  6g,  104  erwähnten 
Analogiebildungen.  Wir  finden  vielmehr:  quoniam  mala  passi  fuere 
Comm.  Instr.  II,  3,  8;  locutus  fuit  Form,  And.  85;  in  loco  illo  per 
7iocte  fuit  a  pessimis  naufragium  passus  Form.  And.  1414;  taliter  fuit 
professa  692  (Td.  Mon.  32);  ibidem  demorati  fuimus  787  (Td.  Mon.  86). 
Es  fragt  sich  nun,  ob  sich  auch  in  den  romanischen  Sprachen 
entsprechende  Fälle  mit  aktiver  Bedeutung  erhalten  haben,  die 
also  den  z.  T.  aus  Deponentien  entstandenen  Gebrauchsarten  von 
^^,  I  und  2  entsprechen  würden.  Es  ist  das  um  so  eher  zu  er- 
warten, als  sich  ja  ein  andrer  guter  Teil  dieser  Gebrauchsarten  (i  b) 
auf  das  lateinische  Passivum  selbst  zurückführen  läfst.  Und  in  der 
Tat  finden  wir  in  den  altromanischen  Sprachen  fui  +  Pt.  Pf.  in 
der  Bedeutung  eines  historischen  Perfekts  zu  aktiven  Präsensforraen 
gehörig. 


1  Vgl.  u.  a.  Haag,  RF.  X,  920. 

^  Auch  die  Formel  Juerdt  victus  etc.  hat  sich  in  der  alten  Verwendung 
zum  mindesten  auf  der  iberisclicn  Halbinsel  erhalten :  non  lle  foi  escaecudo 
cfir  ü  seu  fillo  leixara  morto  que  fora  traitdo  (verraten  worden  war)  CSM. 
CLXXV. 


159 

Im  Frz.-Prov.  haben  wir  besonders  fuit  ?iaiiis  und  mortmis  so  107. 
erhalten:  //  se  fu  morz  Leod.  51,  115;  Reys  Alexandre  quant  fud 
naz,  per  granz  ensigiies  fud  mosiraz  Alex.  Fr.  46  f. ;  si  mare  fumes 
nez  Rol.  2146;  bor  fu  nez  qui  hoen  puet  estre  Sim.  Fr.,  SGe.  5^35 
Von  li  geia  un  viortier  sus  la  teste  et  fu  mors  Joinv.  70  §  127; 
aufserdem  li  assauz  fu  remes  Men.  R.  333. 

Ital.:  Quand  zö  intese  san  fob,  el  fo  im  pe  levao  Bonv.  Job  137; 
lo  fui  nato  e  cresciuto  Sovra  il  bei  fiume  d^Arno  alla  gran  villa 
Dante  Inf.  2394  f.;  Lu  Emperadore  odetido  queste  parole  dicendo  mullu 
se  fo  alegrato  IV  P  77,  606;   et  poy  se  nne  foro  exciniilY  P  99,  1071. 

Kat.:  Ueviperador  vengut  fo  E  dix  ...  7W  414;  ahdos  caen 
verament;  ceyll  de  Vinfajit  se  fo  lavats  e  es  en  lo  cavall  piiyats  e  va 
ss'en  .  .  .   7W  3207  — 10. 

Span.:  Eh  ora  buena  fuestes  nagido  PC  72;  Si  d'el  non  he  derecho, 
en  mal  hora  fuy  nasgido  FG  194;  sobrre  ellos  todos  fuer07i  movydos 
FG  117  (nicht  verschieden  von  Pora  venir  movio  se  191);  Qtuvido 
fueron  las  armas  desfechas  e  quemadas,  Fueron  aquestas  nuevas  a 
Marruecos  passadas  FG  7 1 ;  A  la  cibdat  de  Burgos  fueron  todos 
lieg  ad  OS  FG  279. 

Altptg.:  fez  chamar  a  pregon  e  gentes  forofi  lyudas  GSM  XXXI; 
pois  m  est'  aparegudo  foi,  quero-me  batigar  XXVIII;  07ide  foi  pois  tnui 
repentuda  LXII ;  pois  se  conpriron  estes  quinze  dias,  0  fol  foi  passado 
LXV;  poren  non  foi  peregudo  CVII.  Hieher  gehören  ferner  viele 
der  in  yg  erwähnten  Beispiele.  Im  Portugiesischen  finden  wir  auch 
die  von  fui  abgeleiteten  Zeiten  entsprechend  verwendet:  estos  maos 
judeus  .  .  .  meagan  de  queitndren  a  cartH  e  estes  mens  ossos,  pois  for 
[fuero]  passada  CSM  S.  579  b. 

Die  punktuelle  Bedeutung  ist  gewifs  auch  vielfach  in  den  modal  108. 
affizierten  Formen:  Infinitiv,  Konjunktiv,  Imperativ,  ferner  im  Futur 
und  Kondizionell  vorhanden;  nur  ist  es  schwer,  dafür  entscheidende 
Beispiele  anzugeben,  aus  Gründen,  wie  sie  schon  in  ^2  gezeigt 
wurden.  Das  Erreichen  eines  Zustandes  und  den  erreichten  Zustand, 
das  Sein  und  das  Werden  hier  scharf  zu  trennen,  liegt  nur  selten 
eine  Nötigung  vor,'  eine  Form  mag  für  beide  Funktionen  aus- 
reichen, wie  ja  im  Rumänischen  hier  überall  das  Werden  für  das 
Sein  eingetreten  ist.  Man  vergleiche  folgende,  absichtlich  so  ver- 
schiedenartig als  möglich  gewählten  Beispiele: 

Ki  la  porte,  ja  n'ert  malntis  Par  nul  de  luz  ses  enemis  Lap.  83; 
Qtii  fai  lo  bieji,  laudaz  enn  er  Leod.  38;  qui  nie  veritc,  asnes  seit 
apelc  Best.  1128;  ne  seies  escharni  Best.  1855;  — ja  no  es  ops  focx 
i  ssia  alumnatz  Boeci   164. 

Sarä  sceverato  il  viarito  da  la  molglie  e  l  padre  dal  filgliuolo  . . . 
la    vostra    cittä   sarä    arsa  Gu.  d'Ar.;    de   le    corne    Väi  sl  ben  fornito 


1  Unter  bestimmten  Umständen  natürlich  ist  es  der  Fall.  Sehr  instruktiv: 
Feeho  debe  ser  el  fuero  bien  et  complidamente,  guarJando  en  todas  cosas 
razon  et  derecho,  aber  debese  facer  con  consejo  de  homes  bueiios  et  sesudos 
VII  part.  I,  2  Ley  IX. 


i6o 

CJiuyia  gallea  ne  sereV  armata  Rim.  Bol.;  mai  non  voglio  essere  piü 
consolaio  CNA  5g;  a  fo  che  la  tiia  malicia  sia  conoscoda  Gu.  Fava 
(Wiese  El.  26,  2,  14)- 

si  alicuna  persone   .  .  .  consentirei  qui  ess€7-emtis  offetisidos  C.  d'A.  I. 

d^aqui  sea  inandada  PC  150;  El  sabor  que  dend''  e,  non  sera 
olbidado  PC  1063;  Non  deve  otrra  cosa  y  ser  olvidada  FG  215  a. 

Dens  vol  sia  dexelat  E  que  sia  casligat  7  W  2819  f. 

faz  ve}i(udos  seer  CSM  CLXXXV;  quis  que  de  mal  fosse  lihrado 
CCXLV;  lle  rogue  que  da  ssa  grafa  .  .  .  non  seiamos  deitados  XXX; 
gannar  per  que  ssa  eigreia  feita  podcss^  agynna  seer  XXXV. 

Überall  ist  hier  gleichgültig,  ob  ich  etymologisch  verstehe: 
'er  wird  mifshandelt  sein',  'er  sei  Esel  genannt',  etc.,  oder  aber  'er 
wird  mifshandelt  werden',  'er  werde  Esel  genannt'  etc.  Ein  prov. 
jio  sia  turhat  vostre  cors  B.  prov.  Chr.  1 1 7  wäre  ebenso  unklar,  wenn 
wir  nicht  wüfsten,  dafs  es  die  Übersetzung  von  Non  turhetiir  cor 
veslrum  darstellt.  Bei  der  altsardischen  Strafbestimmung  li  siat 
secaia  sa  oricla  dextra  StS  lU,  2  i  wird  erst  dadurch,  dafs  sich  eben- 
dort  daneben  findet  sechet  se  li  sa  oricla,  wahrscheinlich,  dafs  der 
Gesetzgeber  an  die  Ausführung  der  Strafe,  nicht  an  den  Zustand 
des  Diebes  danach  gedacht  hat. 
109-  In  diesen  Fällen,  wo  es  an  und  für  sich  gleichgültig  ist,  welche 

Fassung  dem  Gedanken  gegeben  wurde,  mochte  nun  der  Sprechende 
es  lieben,  diejenige  zu  wählen,  in  der  der  erreichte  Zustand  aus- 
gedrückt wurde.  Durch  generelle  Funktionsverschiebung  aber  konnte 
die  so  ausgebildete  Konstruktion  auf  die  Handlung  selbst  bezogen 
werden,  und  nun  wurde  sie  auch  dort  gewählt,  wo  nur  punktuelle 
Auffassung  möglich  war.  Damit  aber  war  der  Untergang  der 
synthetischen  Formen  laudetur,  laudare  (Imper.),  laudari  etc.  er- 
möglicht. 

Eine  derartige  punktuelle  Auffassung  tritt  nun  tatsächlich  oft 
mehr  oder  minder  deutlich  hervor,  z.  B.  in  Pass.  360:  gardes  i  tnet, 
non  sia  emblaz  können  die  Wachen  nur  verhindern,  dafs  man  den 
Leichnam  stehle,  nicht  dafs  er  gestohlen  sei.  Gorm.  47g  Sur  etis 
n'ert  terre  conqiiesiee'.  Das  Nichterobertwerden,  nicht  das  Nicht- 
erobertsein ist  ein  Zeichen  der  Tapferkeit  der  Franzosen.  In  // 
roiaumes  en  porroit  bien  estre  perduz  et  cheoir  es  mains  des  Sarracins 
Men.  R.  30  zeigt  die  Zusammenstellung  die  Auffassung  des 
Sprechenden  an.  Vgl.  noch  la  traisuji  ne  poet  estre  celee  Rol.  1458; 
Aqiii  seredes  escarriidas  PC  2715;  guardatvos  de  seer  conquerido  del 
estranno  Conde  Luc.  IX;  Serd-vos  de  Jesu-Cristo  A  sa  alma  de- 
mandada  CSM  LXXV;  porqui  sa  alma  agora  sera  do  demo  levada 
ebenda  etc. 
110.  Durch  dieselbe  Funktionsverschiebung,  durch  die  bei  transitiven 

Verben  die  Zustandsbezeichnung  zu  einem  punktuellen  Passiv  wurde, 
hätte  bei  intransitiven  Verben  ein  punktuelles  Aktiv  entstehen  können. 
Tatsächlich  finden  wir  ja  nun  in  den  genannten  modal  affizierten 
Formen  einen  Anfang  in  der  Richtung,  eine  gewisse  Vorliebe,  den 
erreichten  Zustand  auszudrücken,  wo  der  Sprechende  sich  mit  dem 


i6i 

Ausdruck  der  Handlung  hätte  begnügen  können  und  sich  in  andren 
Sprachen  begnügen  würde.  Es  ist  die  bekannte  Erscheinung,  von 
der  Rom.  Gr.  III,  §  303  die  Rede  ist  und  die  von  Engwer,  Über 
die  Anwendung  der  Tempora  Perfectae  statt  der  Tempora  Im- 
perfectae  Actionis  Berlin,  1884,  für  das  Aitfranzösische  sehr  reichUch 
belegt  ist;  also  au  Borgigrioii  vtieil  estre  retornes',  bien  matin  soii  no  gens 
fors  dou  chastel  issue  etc.,  ferner:  vull  al  camp  sien  inirats  dos  cavallers 
7  W  3184;  A  Vir  gen  .  .  .  y  che  gar  foi  pol-o  miir  anparar  que  non 
fosse  caudo  CSM  XXVIII  etc.  Dennoch  scheint  es  zu  einer  wirk- 
lichen Verschiebung  nur  ganz  selten  gekommen  zu  sein.  Diese 
Beispiele,  wie  die  allermeisten  von  Engwer  [für  Part.  +  estre\  an- 
geführten, lassen  die  Auffassung  zu,  dafs  der  erreichte  Zustand 
ausgedrückt  werden  soll.  Nur  ganz  wenige  scheinen  diese  Auf- 
fassung direkt  auszuschliefsen,  so  das  von  Engw.  S.  2g  zitierte  kremi 
liüil  ne  ftist  ä  V Apostoile  alez,  wo  Verf.  zeigt,  dafs  für  den  Fürchtenden 
die  Furcht  ausgeschlossen  war,  dafs  er  auch  hingelangte.  Aber 
vielleicht  heifst  hier  akr,  wie  so  manchmal,  'aufbrechen'.  Ferner 
S.  3  2 :  Letfres  .  .  .  escrire  fist  .  .  .  Que  tuit  soient  apareillie  Si  tost  con 
les  lettres  veront,  dann  die  Wunschformeln  A  joie  sott  ü  cy  venuz 
und  Et  mal  jor  vos  soit  ajornez  S.  42;  endUch  einige  Beispiele,  wo 
es  sich  um  das  Partizip  des  durativen  Verbs  demourer  handelt:  sil 
veut  estre  en  ma  cort  detnoris,  Chevaus  et  rohes  li  donrai  a  plentes 
(S.  11);  ä  Romme  cuidai  hien  estre  dernoxire  S.  15;  ferner  S.  44,  48. 
Hier  kann  es  sich  nun  allerdings  um  punktuellen  Sinn  nicht  handeln, 
wohl  aber  um  Equivalenz  mit  präsentischem  demorer,  wobei  nun 
ein  Einflufs  des  einfachen  esire  oder  eine  Kontamination  von  estre 
und  demorer  nicht  ausgeschlossen  ist;  aber  auch  das  ist  auffällig 
und  spricht  dafür,  dafs  der  Sinn  in  der  ursprünglichen  Konstruktion 
sich  verdunkelt  hat. 

Jedenfalls  ist  diese  Bewegung  in  den  Anfangen  stecken  ge- 
blieben und  dann  wieder  gänzlich  zurückgegangen.  Und  wir  be- 
greifen, warum.  Sie  hatte  an  der  einfachen  Aktivform  einen 
mächtigen  Konkurrenten.  Solange  die  Konstruktion  Part.  -J-  ^^^^ 
sich  noch  nicht  gar  so  stark  differenziert  hatte  und  durch  die  Fälle 
7^  I  b  und  2  Bindeglieder  vorhanden  waren,  solange  ein  Je  ne 
quier  estre  partie  de  vous  oder  namentlich  ein  il  manda  qtiil  fust 
armez,  ein  Ja  nHerejit  converti  (Best.  8g)  ursprünglich  passiv,  zum 
intransitiven  oder  reflexiven  Gebrauch  gezogen  werden  konnte, 
hatte  es  einen  gewissen  Anhaltspunkt.  Wenigstens  ein  gewisser 
Hang,  den  Zustand  statt  der  Handlung  zu  betonen,  kann  auf  derlei 
Fälle  zurückgeführt  werden,  solange  eben  die  Zustandsbedeutung 
noch  sehr  deutlich  damit  verknüpft  war.  Und  diese  Zustands- 
bedeutung tritt  eben  mit  der  Ausbildung  der  Konstruktion  mehr 
und  mehr  zurück,  ohne  allerdings  je  vollständig  zu  erlöschen. 

Anders    verhielt    sich   jedoch    die  Sache,    wenn    mit  der  einen    m. 
Funktionsverschiebung    gleichzeitig    eine    zweite    sich  einstellte,    die 
das  Partizip   mit   esse   als  Passivum  erscheinen  liefs.     Verba,   deren 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVI.    (Festschrift.)  II 


102 

Bedeutung  sich  für  eine  solche  Funktionsverschiebung  eignete,  gab 
es  mannigfach. 

Im  Passiv  hatten  sich  ja  allmählich  die  verschiedenen  Formen 
von  esse  in  Verbindung  mit  dem  Partizip  zu  einem  beinahe  voll- 
ständigen Flexionsschema  zusammengefunden.  Für  den  punktuellen 
Gebrauch  \v2iX  fuit  scripta  schon  lange  der  Aorist,  nun  kamen  der  In- 
finitiv, die  Konjunktive,  der  Imperativ,  die  Futura  hinzu.  Der  Indikativ 
des  Präsens  und  des  Imperfekts  darf  wenigstens  für  den  generellen 
Gebrauch  als  spätlateinisch  angesetzt  werden.  Bei  dem  innigen 
Zusammenhang,  der  zwischen  Formen  mit  und  ohne  esse  besteht, 
ist  es  kein  Wunder,  dafs  das  Partizip  selbst  eine  generelle  oder 
punktuelle  Präsensbedeutung,  d.  h.  eine  solche,  die  von  der  Idee 
des  erreichten  Zustands  absieht  und  dem  griechischen  XtyöfiEVOq 
etc.  entspricht,  erhalten  kann,  so  in  den  von  Haag,  Rom.  F.  X,  922 
ausgehobenen  Beispielen  aus  Fredegar:  vove  te  deinccps  haptizatum 
und  tnelius  esse  uno  hominem  inorUurum  quam  tolum  exercitum  in 
periciilum  missum,  und  dies  war  um  so  leichter  möglich,  da  ja  bei 
den  durativen  und  iterativen  Verben  die  gleiche  Bedeutung  schon 
längst  bestand.  Es  blieb  also  eigentlich  blofs  das  punktuelle 
Präsens  als  Schlufsstein  des  Gebäudes  übrig  und  wir  begreifen, 
dafs  von  allen  Seiten  her  die  Analogie  wirksam  war,  diesen  Schlufs- 
stein einzusetzen. 

112.  Passive  Auffassung  liegt  aber  nun  nahe  in  Fällen  wie:  Dieiis 
ne  voll  qu'il  seit  morz  ne  venctiz  Rol.  3609;  eigentlich  „Gott  will 
nicht,  dafs  er  tot  oder  besiegt  sei"  ist  auffafsbar  als  „Gott  will 
nicht,  dafs  er  getötet  oder  besiegt  werde"  und  so  finden  wir 
tatsächlich  das  Partiz.  mortu  +  esse  in  ganz  deutlicher  passiver  Ver- 
wendung, sodafs  folgende  Fassung  einer  Verordnung  möglich  war: 
voletnus  et  statuimus  qui  si  alcuiui  persone  esse r et  morta  in  alcuna 
villa  .  .  .  sicmt    tenudos  sos  jurados  .  .  .  de  provare  et  de  tenne  sii  male- 

factore  etc.  C.  d'A.  VI.  Der  weitere  Schritt,  der  hier  nicht  gemacht 
wurde,  aber  wohl  bei  dem  synonymen  perir,  ist  dann  der  Über- 
gang des  aktiven  Verbs  zur  transitiv -faktitiven  Bedeutung.  So 
mag  auch  die  faktitive  Bedeutung  bei  asseoir,  arester,  descendre, 
taisir  etc.  sich  entwickelt  haben.  Bei  esveillier,  crever,  aprochier  u.  a. 
mögen  diese  Verhältnisse  die  anderweitigen  Analogien  y^  ff.  unter- 
stützt haben.  Vgl,  Rom.  Gr.  III,  §  353  fr.  —  Auf  halbem  Weg  ist 
alez  stehen  geblieben,  dafs  die  Bedeutung  'verloren'  entwickelt: 
des  que  la  chose  est  alee,  il  «V  a  que  del  consirrer  Yv.  31 18.  Andere 
Beispiele  aus  Berthe  und  Ren.  bei  Littrc,  aller  bist. 

113.  Zum  Schlufs  sei  erwähnt,  dafs  punktuelles  Präsens  vielleicht 
auch  zugrunde  liegt,  wo  eine  auf  die  Zukunft  bezügliche  Aussage 
so  lebhaft  vorgestellt  wird,  dafs  das  Präsens  von  estre  statt  der 
Zukunft  erscheint.  Also  in  Fällen  wie :  Mais  faillet  une  feiz  pur 
sa  recreantise,  Trancherai  lui  la  teste  a  ma  spee  furhie,  II  et  li  .xii. 
per  sunt  livred  a  martirie  KR  699;  gueriz  sui  sefen  ai  iin  bei  sam- 
blant  en  ma  vie  M.  de  Craon  in  BLLfr.  302  |-j;  Ptndu  estes  sans 
nul   restor   Jean  Bodel,    SNic.  1283;    Abel,    morz  es  Ad.  680,    ähnl. 


i63 

Rol.  3513;  vgl.  ferner  Rol.  3955,  KR  52,  Alex  280,2,  358-21.  Sim. 
Fr.  SG.  186,  122g  etc.  —  En  Paradis  tu  e'  ticoronaia  Marg.  Leg.  820. 
In  gleicher  Bedeutung  finden  sich  auch  aktive  Ausdrücke,  aber 
mit  ziemlich  deutlich  passivem  Sinn:  Si  issi  ne  la  getet,  com  il 
er-seir  le  dtst,  Trancher ai  Itii  la  teste  a  mun  braut  acerin,  11  et  li 
.xä.  per  sunt  venu  a  lur  fin  KR  743,  vgl.  Alex.  26621,  4^5  5'  J^^^ 
Bodel  J.  Nie.  1245.  —  se  per  loro  non  v^i  fatto  socorsso  Tra  i 
ternafini  del  disperare  sono  corsso  Chiaro  Dav.,  vgl.  Engw.  1,  c,   S.  50. 

Die  punktuelle  Färbung  unseres  Partizips  im  selbständigen  Ge-  114. 
brauch,  die  schon  im  klassischen  Latein  sich  unter  bestimmten  Um- 
ständen einstellt  (s.  ^8 -i},  die  wir  dann  wieder  anders  bei  Fredegar 
(///)  gefunden  haben,  zeigt  sich  aber,  wenn  auch  nur  spärlich,  im 
Romanischen.  Hieher  dürfen  wir  wohl  rechnen  das  Partizip  bei  ecce 
in  Fällen  wie  As  li  venue  Aide  Rol.  3708  (ähnl.  KR  333),  as  les  vus 
desevrez  Rol.  200g,  wo  sich  der  Begriff  der  Handlung  vermutlich  aufs 
neue  durch  Funktionsverschiebung  aus  dem  des  Zustands  entwickelt 
hat.  Dagegen  knüpft  ein  Gebrauch  wie  las  tierras  e  los  gtelos  semejavan 
viovydos  'schienen  sich  zu  bewegen'  genauer  an  die  bei  Partiz.  + 
esse  geschilderten  Verhältnisse  an  und  in  ante  del  sol  salido  Cron. 
Gen.,  adormeceu  hen  tro  en  0  sol  levado  CSM  CXXXV  scheint  das 
lat.  sol  occasus  noch  fortzuwirken.  Doch  finden  wir  auch  ganz 
analog:  0«/'  0  prazo  saldo,  passado  RD  1876,  187g  'vor  Ablauf  des 
Termins',  Ausdrücke,  die  auf  eben  solche  Weise  entstanden  sein 
werden  wie  lat.  ante  solum  occasum,  d.  h.  sich  aufbauend  auf  0  prazo 
es  saldo  etc.  (p/),  worin  nicht  mehr  eine  Handlung,  sondern  eine 
Situation  zum  Ausdruck  kam,  die  sich  dann  trefflich  für  Zeit- 
bestimmungen eignete. 


Das  -fo-Partizip  +  Jiahere  im  Romanischen. 

Wir  haben  gesehen,  wie  weit  die  Konstruktion  auf  dem  Weg,  nr. 
der  sie  zu  einem  Bestandteil  des  romanischen  Forraenschemas 
macht,  bereits  im  Lateinischen  und  frühen  Mittellatein  vorgeschritten 
war.  Bevor  wir  diese  Linien  noch  weiter  verfolgen,  ist  es  nötig 
zu  zeigen,  dafs  die  andern  Bedeutungen,  die  dieser  Konstruktion 
zukommen,  noch  keineswegs  erloschen  waren,  sondern  —  z.  T.  noch 
bis  auf  den  heutigen  Tag  —  fortleben,  vgl.  also  mit  ^g : 

I.  inagestres  ah  beyn  affactatz  Alex.-Fr.  82;  Chi  avesse  gocta 
fredda  ne  li  nervi  trasuta  Bagn.  Pozz.  313;  und  so  noch  neufrz.  il 
a  nne  sornine  enfouie  dans  la  terre,  il  a  wie  maison  construile  au 
XVIP  sihle  etc.,  entsprechend  in  den  andern  Sprachen.  Hieher 
gehört  auch  der  überall  vorkommende  altromanische  Brauch  bei 
unpersönlichem  habet  'es  gibt',  zu  dem  man  i^fS  vergleiche:  DAffrike 
i  ad  un  Aff^rican  venut  Rol.  1550;  desoz  avia  escript  u  pei  Boeci  205; 
et   ouv  y   con    alegria   niuitas  Idgrimas  choradas  CSM  CCCXXIII  etc. 

II* 


164 

2.  St  je  te  piiis  7)ai7icre,  fai  ta  terre  doimee  Alex.  359  oo-  — 
Las  ferida'i  primeras  que  las  aya  yo  otorgadas  PC  1709  (ähnl.  Berc^eo, 
Loores    100);  Honorcs  e  tierras  avellas  condonadas  PC  887. 

3.  Si  at  li  emfes  sa  lendra  carn  mtidede  AI.  24  a  (ähnl.  Gönn.  483) ; 
Je  nat  treiichi  ke  Valketon  Et  un  petit  del  peligon  Gorm.  271;  Par 
un  viien  filz  Ad  li  uns  boes  hrisi  le  col  Sim.  Fr.,  S.  Ge.  84 1 ;  iant  a 
Boecis  lo  vis  esvaniiit  que  . .  .  Boeci  202 ;  enflad  a'l  cor  SF  554.  Por  eles 
encravelados  Ouve  seit  FiW  os  nembros  na  criiz  CSM  XV;  avia  os 
pies  enferrollados  CLXXVI;  71011  ottvy  mollado  pc  CCXLV;  sarrada  A 
(a  gargania)    ouve   de   ial  maneira  que  cuidou  ser  afogado  CCCXXII. 

Hier  sind  die  Subjekte  der  partizipialen  Handlung  vom  Satz- 
subjekt verschieden  oder  können  es  wenigstens  sein.  Auch  mit 
Adjektiven  finden  sich  noch  Beispiele,  die  lateinischen  Gebrauch 
fortsetzen,  besonders  avoir  chier  etc.  =  habere  carujii.  Andere 
Beispiele  fürs  Französische  und  Italienische  bietet  Gaspary,  ZRPh. 
IX,  427  1;  aportg. :  a  mäo  que  avia  corta  'abgehauen'  CSM  CCLXV. 
Auch  Fälle  mit  präpositionalem  Ausdruck  sind  verwandt  wie  Si 
vous  nie  faites  ce  que  vous  viavez  eii  couvettt  Men.  R.  403. 
116.  Inwieweit   nun    allerdings    in    den    oben   unter    3    angeführten 

Beispielen,  dann  in  avoir  chier  etc.  die  ursprüngliche  situationeile 
Bedeutung  sich  noch  fühlbar  machte,  ist  nicht  leicht  zu  entscheiden. 
Wenn  wir  die  romanischen  Beispiele  mit  den  von  Thielmann  auf- 
geführten vergleichen,  so  läfst  sich  eine  Verarmung,  ein  Zurück- 
gehen nicht  in  Abrede  stellen,  sodafs  es  sich  um  traditionelles 
Festhalten  einiger  weniger  nicht  mehr  in  der  ursprünglichen  Nuance 
gefühlten  Typen  handeln  könnte.  Die  partizipiellen  Fälle,  die  wir 
angeführt  haben,  sind  alle  ziemlich  gleichartig:  es  handelt  sich 
stets  um  einen  Körperteil  des  Subjekts,  eventuell  auch  um  ein  von 
dem  Subjekt  getragenes  Kleidungsstück,  das  eine  durch  das  Partizip 
angedeutete  Veränderung  erlitten  hat.2  Diese  aber  führen  uns  zu 
den  bekannten  Formeln  wie  il  a  les  yeux  hleus  über,  in  denen  eine 
wirkliche  Besitzidee  gewifs  noch  fühlbar  war,  und  sind  vermutlich 
von  diesen  aus  gestützt  und  gehalten  worden.  Dann  haben  wir 
noch  avoir  mort,  das  ja  ursprünglich  heifsen  mochte  'als  tot  vor 
sich    haben',    wie  z.  B.    noch    in  ja   ires    dias    avia  que  0  fillo  morf 


'  Nur  dürfte  auszuscheiden  sein:  Vedi  lä  Farinata  che  s'' e  dritto,  in 
dem  die  partizipiale  Natur  des  dritto  noch  gefühlt  worden  sein  dürfte. 

2  Nur  im  Sardischen  scheint  sich  die  Konstruktion  freier  zu  bewegen. 
Ich  finde:  et  ego  provaila  a  .inj.  annos  de  co  Vavea fu^ita  (wenn  ich  riclitig 
verstehe:)  'und  ich  fand  sie  vier  Jahre,  seitdem  sie  mir  entflohen  war'  CP46; 
Giraimus  manu  a  parthire  sos  cht  aviamus  rotnositos  CP  14  'die  uns  übrig 
geblieben  waren'  (kann  allerdings  auch  zu  2  gehören).  Ein  weiterer  Rest  ist 
vielleicht  in  altportg.  Beispielen  wie  0  estado  a  qiie  yn'avedds  chegado  RD  IO05 
erhalten;  Lang  gibt  zwar  chegar  die  Bedeutung  'nahebringen',  'führen',  die 
etymologisch  möglich  wäre,  aber  es  kommt  sonst  nicht  so  vor  und  die  Be- 
deutung 'kommen'  pafst  besstr,  wofern  man  eben  kein  Perfekt  darin  sieht; 
ganz  ebenso  in  355  Um  tat  oine  sei  eii  que  per  vos  teni  a  sa  viorte  clicgada 
und  den  von  Lang  in  der  Anm.  zitierten  Beispielen,  wo  es  also  gar  nicht 
nötig  wäre,  in  eh.  ein  Adjektiv  'nahe'  zu  sehen. 


i65 

ouvera  CSM  CLXVII,  dann  aber  offenbar  durch  die  Einwirkung 
von  est  morz,  s.  112,  die  Bedeutung  'getötet  haben'  angenommen 
hat,  da  etwa  einem  ocis  est  'er  ist  getötet'  in  gleicher  Bedeutung 
ein  Penemi  ai  ccis  zur  Seite  steht.  So  ganz  unverkennbar  und  un- 
zweifelhaft in  ital.:  El  Jragon  tu  ai  vengtito,  Tu  V  äi  beii  fnorto  ei 
desirudo  Marg.  818;  ////  han  morio  tugi  li  fangi  Bonv.  Job  106; 
Tu  he  zä  morto  mulii  liomini  con  to  viorso  venitienio  Bonv.  DMF  233; 
katal.  Aquest  es  traydor  mes  que  si  avia  viort  son  senyor  7  W  1632, 
ferner  2880  f.  usw. 

Wo  aber  als  Subjekt  des  Partizips  das  Satzsubjekt  zu  denken 
ist,  ist  für  uns  sehr  häufig  überhaupt  keine  Möglichkeit  gegeben, 
za  entscheiden,  ob  eine  dieser  Konstruktionen  vorliegt  oder  bereits 
die  neugebildete  Zeit;  wir  können  nicht  erraten,  ob  in  einem 
Beispiel  wie  Satan  qiii  ume  prent  Qiimit  pute  V at  lie  Supris  et 
engignie  Best.  838  Philipp  von  Thaon  sich  das  /'  at  lie  als  den 
Vertreter  von  lat.  vijictuni  habet  [^g  A  2)  oder  aber  als  den  von  lat. 
vinxit  gedacht  hat.i  Eine  grofse  Anzahl  von  Beispielen,  die  man 
zunächst  als  Perfekta  ansehen  würde,  lassen  sich  auch  nach  A  3 
(Situationen)  auffassen:  perdiit  avez  vostre  moreis  Gorm.  104  ('ihr 
habt  jetzt  keinen  mehr',  'ihr  habt  seinen  Verlust  zu  beklagen'),  qui 
ant  perdut  lor  cant  Boeci  77  (vgl.  auch  Leod.  i6i);  besonders  gut  ist 
so  fafsbar:  Pols,  pos  los  ag  U7i  an  per  duz,  Dens  li  redded  per  leis  la 
luz  SF  443  'nachdem  er  ein  Jahr  ohne  Augen  war';  in  todo  quanto 
mal  avedes  rregeludo^  todo  por  mi  rrecebestes  Est.  Tr.  2  g  wieder  geht 
die  Situationelle  Nuance  von  a.  rr.  ziemlich  klar  durch  den  Parallel-  • 
satz :  donzelas  que  sodes  por  vii  mizquinas  et  desanparadas  que  por  nii 
perdcsies  alegria  hervor.  —  Besonders  scheint  der  Begriff  der  Sach- 
lage sich  ferner  erhalten  zu  haben  in  den  Ausdrücken,  die  das 
lat.  consuetum  habeo,  solitum  habeo  fortsetzen  (s.  Thielm.  S.  379):  Ce 
que  morz  a  acostume  Ne  puet  muer  quele  ne  face  Clig.  5^44!  n^avoit 
pas  tel  chose  usee  Gui  de  C.,  Bai.  Jos.  982;  —  per  que  no  la  avemos 
usada  (die  Wahrheit)  ;//  en  7iostras  vocas  es  falada  AutRM  146;  — 
as  .  .  .  coitas  quaes  avemos  doitas  CSM  XLIX;  os  judeos  que  sevipr' 
acostumad''  an  de  querer  gran  mal  ä  do  mui  bon  talan  XXIII. 

Wenn  wir  nur  solche  Beispiele  hätten,  so  würden  wir  einen  117. 
Fortschritt  gegen  das  Lateinische  und  ein  Wegrücken  von  dem 
ursprünglichen  Sinn  nicht  konstatieren  können.  Urteile  wie  folgendes 
von  Bastin  (Etüde  de  partic.3,  St.  Petersb.  1889),  p.  17  f.:  „Jusque 
dans  le  courant  du  XI^  siecle,  le  vcrbe  avoir  accompagnant  un 
participe  passe  n'est  pas  auxiliaire,  mais  conserve  sa  signification 
propre  de  tenir,  posscder  .  .  .  Le  part.  p.  n'exprimait  alors  que  l'ctat, 


1  Oft  auch  schwankt  die  Auffassung  sogar  zwischen  Perfekt  und  Fall 
C2;  d.h.  falls  die  Konstruktion  nicht  als  Perfekt  gedacht  ist,  ist  es  auch 
nicht  nötig,  dafs  die  Subjekte  die  gleichen  sind:  Si  V  (den  Stein)  a  li  um  al 
col  pendiie  Cuiitre  glitte  cha'ive  valt  Lap.  268 ;  Bei  sun  li  drap  que  la  do7nn'a 
vestit  Boeci  199.  Erst  neuere  Stadien  der  frz.  Sprache  haben  durch  ge- 
bundenere Wortstellung  oder  verschiedene  Flexionsverhältnisse  derartigen  Un- 
klarheiten z.  T.  ein  Ende  gemacht. 


i66 

la  Situation,  ne  faisait  pas  corps  a\ec  l'auxiliaire;  en  d'autrcs  terincs 
les  temps  compos6s  n'existaient  pas  encore  .  .  ."  oder  das  von 
Haas,  Neufranz.  Syntax  S.  62  ausgesprochene,  wonach  der  hier  in 
Frage  kommende  Prozefs  erst  im  16.  Jh.  zum  Abschlufs  gekommen 
wäre,  würden  einen  Schein  von  Berechtigung  haben. 

Nun  haben  wir  bereits  in  den  Merowingertexten  Beispiele  an- 
getrofTen,  die  sich  als  deutliche  Erweiterung  lateinischen  Gebrauchs 
darstellen;  wir  fanden  die  Konstruktion  bei  gewissen  Verbalgruppen, 
wie  gelten,  bif/cn  {^6),  wo  sie  bei  Subjektsgleichheit  schwer  anders 
als  als  wirkliches  Perfekt  aufgefafst  werden  kann.  So  auch  im  Roma- 
nischen:  Pass.  341,  348;  Ak  24  c,  42  c,  Steph.  Xlb;  esie  feo  que 
dado  mi-ds  CSM  XV  etc. 
118.  Ferner   zeigt    sich   die  Konstruktion  in  völliger  Parallelität  mit 

dem  Perfekt,  mit  dem  es  abwechselt,  an  vielen  Stellen;  doch  darf 
der  Beweiswert  dieser  Tatsache  nicht  zu  hoch  angeschlagen  werden. 
Z.  B.  jo  l'eji  conqiäs  et  Poitou  et  le  Maine  .  .  .  Conquis  l'en  ai  pdis  et 
terres  tantes  Rol.  2323 — ^y,  Un  grant  miracle  i  avum  veu  .  .  .  diin 
neV  ve'is  tu?  Amdui  ben  le  ve'imes  mis  Ost.  127 — g;  vgl.  femer  Rol. 
2371  mit  2388,  Rp.  127  mit  128,  Veng.  Ragu.  944 — 50. 

Nun  finden  wir  aber  auch  sonst  mannigfache  Erweiterungen 
des  Gebrauchs,  die  sich  selbst  im  Latein  der  Merowinger-  und 
Karolingerzeit  nicht  nachweisen  lassen.  So  ist  es  ziemlich  natürlich, 
dafs  in  der  situationeilen  Bedeutung  eine  Sache  als  Subjekt  kaum 
denkbar  sei,  und  in  der  Tat  findet  sich  das  nicht. 1  Jetzt  finden 
wir  gleich  von  Anfang  an  Beispiele  wie:  pechet  le  m^a  tolut  AI.  22  c. 
Dafs  sich  tpse  in  einem  Fall  wie  tu  eps  I'as  deit  Pass.  181  zum 
Subjekt  gesellt,  ist  nur  denkbar,  wenn  es  ganz  deutlich  als  Subjekt 
von  dictu  empfunden  ist  und  wenn  die  Handlung  des  dicere  selbst 
bezeichnet  ist. 

Auch  nähere  Bestimmungen,  die  wir  als  Objekte  oder  Umstände 
bei  unserer  Konstruktion  finden,  vertragen  sich  oft  nicht  mit  einer 
situationeilen  Auffassung,  z.  B,  de  saiiit  haptesme  Vunt  fait  regener  er 
AI.  6d;  cel  son  servant  ad  a  sei  apdet  AI.  56  d.  —  Ein  reiner 
Objekts-Dativ  wäre  auch  als  Ergänzung  des  Partizips  denkbar: 
ob  hoc  vobis  .  .  .  ialis  datus  habiiisset  fidcjussores  Marc.  Form.  674, 
quam  .  .  .promissam  habet  dovino  Cap.  Karl.  14635  mag  Situationen 
sein,  in  a  me  lassa  as  tolt  vio  senor  B.  Chr.  25  07  wäre  noch  die  wenn  auch 

recht  gezwungene  Auffassung:  habes  dominum  mihi  sublatum  'du 
hast  ihn  als  einen  mir  geraubten'  möglich,  wenn  es  nicht  die 
Übersetzung  von  sustulisti  wäre.  Aber  ganz  ausg(;schlossen  wäre 
eine  derartige  Ausdrucksweise  mit  einem  Dativus  commodi :  vos  ai 
lavaz  los  pes  B.  Chr.  9  35  geht  deutlich  auf  die  Handlung  und  nicht 
auf  die  daraus  entspringende  Situation,  sonst  könnte  es  nicht  anders 
heifsen  als:  lavaz  ai  vostres  pes. 


*  Wohl  aber  in  der  44  besprochenen  Variation  2b:  multiplex  aeriwuia 
exercitam  med  habet  PI.  Bacch. 


i67 

Wenn  wir  also  mit  unserer  Datumbestimmung  in  ^8  Recht 
hatten,  so  müssen  wir  immerhin  annehmen,  dafs  ein  ziemlich  grofser 
Zeitraum  verstrich,  ehe  jene  analogischen  Verschiebungen  eintraten, 
durch  die  die  in  Rede  stehende  Funktionverschiebung  erst  so  recht 
zur  Geltung  kam  (vgl.  y). 

Vor  allem  aber  müssen  wir  nun  vier  wichtige,  auf  der  gene- 
rellen Funktionsverschiebung  beruhende  Gebrauchserweiterungen  ins 
Auge  fassen,  die  uns  die  erlangte  Perfektbedeutung  besonders 
deutlich  zeigen,  die  aber  nicht  in  allen  Gebieten  oder  in  jedem 
Stil  glcichmäfsig  anzutreiTen  sind. 

I.  Während  die  Fälle,  wo  das  Partizip  eines  perfektiven  Verbs  ii9- 
mit  dem  Präsens  von  habeo  ein  präsentisches  Perfekt  ausdrückt, 
d.  h.  eine  Handlung,  deren  Resultat  in  die  Gegenwart  nachwirkt, 
sich  nicht  streng  von  der  ursprünglichen  präsentischen  Bedeutung 
der  lat.  Konstruktion  absondern  lassen,  finden  wir  nun  die  Kon- 
struktion sclion  auf  Fälle  angewandt,  wo  die  resultierenden  Zustände, 
die  resultierende  Lage  sich  nicht  auf  die  Gegenwart  erstreckt,  also 
als  historisches  Perfekt. 

Z.  B.  Frz.-Prov.:  Cum  li  niatin  fii  esdairaz,  Davant  Pilai  l'cn 
ant  ynenet  Pass.  201 ;  Ce  fu  granz  dols  que  ii  ont  demenet  AI.  2  1  d; 
Gonnum  ad  Pcspee  iraite  si  Fad  fern t  Gorm.  53. 

Ital.:  Jiida  frayfo?'  lo  so  segnor  ha  bassä  E  li  Giiivi  l'am  pris 
e  liä  piem.  Laud.,  Mon.  Chr.  146,  111,  13;  viden  tal  meraveja,  Uilloga 
er''  aparia,  vezudho  hau  ke  V  so  moiiego  zeva  per  bofia  via  Bonv. 
Laud.  5ilf. ;  Questo  grande  signore  a  la  caza  se  ne  va  incontancnie 
E  ha  inosirafo  la  legora  al  so  livrero  .  .  .  Lo  so  livrere  al  crido  si 
corre  viazamente  Bonv.  Volg.  Van.  2g — 32;  Lo  Satanax  illora  si  fa 
da  illb  pariia  Et  ha  ferio  San  Lob  de  pessima  maratia  Bonv.  Job.  181  f.; 
Poy  che  enlro,  Mac  theo  ä  salutato,  li  altri  non  ci  äo  niente  parlatu 
IV  P  20,  306  f. 

Span.:  Qiianto  i  a  qiie  la  vistes  i  que  la  percibistcs?  .  .  .  XLLL  dias 
a  .  .  .  que  la  avemos  veida  i  bine  percebida  Aut.  R.  g6 — 10 1  (unsicher); 
Myo  Qid  gafio  a  Xerica  e  a  Onda  e  Almcnar,  Tierras  de  Borriana 
iodas  coTiqm'stas  las  ha  PC  1092  f. 

Kat. :  Lo  cavaller  fo  fort  irat,  al  librer  ha  lo  cap  taylat ']^  b"] y, 
Un  meige  vench  en  lo  regnat  e  a  li  dita  Verität  7W  1549. 

Wir  finden  also  unser  Perfekt  im  bunten  Wechsel  mit  dem 
einfachen  Perfekt  und  dem  Präsens  im  epischen  Stil  der  alt- 
romanischen  Sprachen.  Ganz  gleichbedeutend  mit  einem  historischen 
Perfekt  (Präteritum,  Aorist)  ist  es  deshalb  nicht  geworden;  der 
beste  Beweis  dafür  ist,  dafs  es  die  ruhige  prosaische  Darstellung 
der  Historiker  im  ganzen  verschmäht.  Es  entspringt  jener  Tendenz 
der  Vergegenwärtigung  und  Verlebendigung,  die  für  das  Epos 
charakteristisch  ist  und  der  man  eben  auch  das  Präsens  selbst 
verdankt.  Es  bezeichnet  zwar  die  Handlung  selbst,  aber  die  in 
ihren  Resultaten  in  Betracht  kommende.  Es  betont,  dafs  dieses 
Resultat   erreicht  und  für  das  Subjekt  in  der  jeweiligen  —  lebhaft 


i68 

als  gegenwärtig  vorgestellten  —  Situation  seine  Wichtigkeit  besitzt. 
Es  ist  mit  einem  Wort  vollständig  analog  der  Konstruktion  mit 
esse  in  dem  y^ — S^  besprochenen  Fall. 

120,  Und  diese  Parallelität  mit  der  ^jj^r-Konstruktion  weist  uns  eben 
auf  unsere  3.  Abart,  auf  die  Situation  eile  Variante,  als  Haupt- 
ausgangspunkt  der  weiteren  Entwicklung.  viaman  levatam  habeo 
bezeichnet  zunächst  eine  Situation,  die  auch  durch  manus  levata 
(est)  bezeichnet  werden  könnte  und  so  bezeichnet  auch  levatus  sum 
zunächst  eine  Situation.  Nur  hatte  jene  Formel  noch  das  Plus, 
dafs  diese  Situation  als  für  ein  Individuum  interessant,  wichtig,  be- 
deutend hervorgehoben  wird,  für  das  Individuum,  das  eben  als  Subjekt 
von  hahco  fungiert.  Nun  ist  mit  der  Zeit  wesentlich  geworden,  was 
ursprünglich  akzidentell  war,  dafs  nämlich  das  Individuum  jene 
Situation,  die  für  es  wichtig,  interessant  etc.  ist,  selbst  herbeiführt, 
selbst  veranlafst,  das  logische  Subjekt  ist  also  mit  dem  von  habeo 
identisch  geworden.  Dann  aber  finden  wir  gleichmäfsig  den  Vollzug 
dieser  auf  genereller  Funktionsverschiebung  beruhenden  Wandlung, 
dafs  nämlich  sowohl  in  inantim  levatam  habeo  als  in  levatus  sum  die 
Idee  der  Situation  mehr  und  mehr  vor  der  Idee  der  Handlung, 
die  zu  dieser  Situation  führt,  verblafst,  sodafs  die  Situation  schliefslich 
nicht  mehr  streng  präsentisch  gedacht  wird. 

121.  S°  S^ht  denn  auch  in  den  Details  die  Verwendung  von  esse 
+  Part,  mit  der  von  habere  +  Part,  parallel.  Um  auszudrücken, 
dafs  eine  perfektive  Handlung  sofort  auf  die  andere  folgt,  wird 
unsere  Konstruktion  mit  Vorliebe  angewandt.  Sie  sagt  dann  ge- 
wisserm.afsen :  wenn  die  eine  Handlung  sich  vollzieht,  so  ist  die 
andere  auch  schon  bis  zu  ihrem  Resultat  gediehen.  Wir  finden 
sie  also  mit  Ausdrücken,  die  „sofort"  bedeuten  und  zwar  auch  mit 
Bezug  auf  das  (generelle)  Präsens. 

So  wird  vom  Seemann  gesagt,  der  die  Sirene  hört:  La  nef 
niei  en  uhli  Senes  est  endortni  Best.  1374  (ähnl.  972,  1894).  quani 
on  te  voit  desmonter  .  .  .  Gl  qui  as  aleve  toudis  ,  .  .  N'ont  eure  de  toi 
escouter,  Ai?is  fönt  tost  laissie  et  desmis  Huon  C,  Regr.  ND  Str.  72. 
Aus  andern  Sprachen  z.  B.:  Aas  seus  acomendados  A  Vir  gen  tosf  a 
livrados  de  mortes  CSM  LXXXin. 

Handelt  es  sich  um  historische  Darstellung,  so  ist  das  ent- 
sprechende zunächst  _/?<;//,  habuit  +  Part.i;  mal  conseil  donat  qui  ceo 
li  loat;  car  tost  l'out  sozduit  Rp.  l ;  Fergus  fu  7nolt  tost  etidormis 
Ferg.  34 1  etc.  Aus  andern  Sprachen:  Vemperador  broca  ab  aytant, 
sempre  lo  portal  hac  passat  7W  2631;  Por  los  puerios  de  Aspa  fueron 
luego  tor(idos  FG  138;  Dando  e  rrescebiendo  miicha  buena  lant^ada 
Ovyeron  miicho  ayna  el  agiia  travessada  FG  357;  E  taji  tost  a  moller 
bda  foi  d^este  mundo  passada  CSM  LXXV;  tirou  II' un  vermen  .  .  .  E 
tan  toste  oyr  ouve  cobrado  e  foi-ss'  a  casa  do  menge  privado  e  logo 
per  sinas  Wouve  mostrado  que  ja  oya  LXIX. 


1  Vgl.  Laubscher,  The  past  tenses  in  French,  Baltim.  1909,  S.  57 f. 


lög 

Doch  ist  natürlich  im  epischen  Styl  auch  das  Präsens  von 
habere,  esse  in  gleicher  Verwendung  üblich:  Reiorna  sen;  en  es  le 
pas  En  est  venue  a  lui  Pallas  En.  1 46 ;  Ses  fet  lever  tS7telemejit,  Et 
eil  a  son  comandement  Se  sont  tnoiit  tost  apareillie  Chr.  de  Tr.,  Phil.  667 ; 
Devant  leur  vint  Symojis  et  Constcmce  .  .  .  Quant  Berte  les  choisi,  mouU 
tost  est  sus  saillie  Berte  a.  gr.  p.  3146;  quant  li  rois  le  voit,  tost  V  a 
reconneu  ebenda  3041;  vgl.  auch  Pass.  414,  BLLfr.  620g,  Aiol  3944 
etc.  Aus  andern  Sprachen :  Trasch  lo  cap  al finestral . . .  et  mantenent 
eil  ha  vist  la  muyler  ab  son  amich  7  W  1350;  Ab  tajit  .i.  hom  vench 
per  lo  cami  e  sempre  ha  los  dit  Merli ,  .  .    7 W  2515.* 

Ahnlich    bedeutet  die  Konstruktion  eine  schnelle  Aufeinander-    122. 
folge  in  Fügungen  wie  die  folgenden:  Li  rois  monte,  tuit  sont  monte, 
Si    vienent    au    chastel  poignant  Clig.  2198;    Li  rois  s'assiet,    tuit  sont 
assis  RHoud.,  RIer.  50S3;  Li  rois  lava,  tuit  ont  lave  Mer.  5085. 

Analog  mit  dem  iio  dargestellten  Gebrauch  wird  ferner  auch  123. 
habere  -j-  Part,  in  den  modal  affizierten  Formen:  Imperativ,  Kon- 
junktiven, Futur  etc.  verwendet,  um  statt  der  Handlung  das  Resultat 
anzugeben  in  Fällen  wie :  Totit  vion  roiaume  vorroie  avoir  perdu, 
je  voel  qiie  li  rois  ait  la  chose  juree,  ayes  la  clef  saisie,  jura  que 
Jamals  Ji'avera  le  pais  degerpi  etc.,  s.  Engwer  in  der  zitierten  Schrift 
und  italienische  Beispiele  bei  Tobler,  Jb.  XV,  250;  gelegentlich  auch 
mit  Präsens,  wo  dies  futurischen  Sinn  hat:  Se  nous  perdons  Da- 
miete,  nous  av07is  tout  perdu  Men.  R.  165. 

Wir  haben  gesehen,  wie  habeo  victu  allmählich  sich  einem  124. 
historischen  Perfekt  nähert.  Es  ist  das  aber  wohl  eine  ziemlich 
späte  Entwicklung.  Dagegen  haben  wir  bereits  im  Lateinischen 
für  eine  andere  Formel  die  gleiche  Bedeutung  gefunden,  nämlich 
für  habui  victu  und  auch  darin  eine  Parallele  mit  der  Verbindung 
esse  -\-  Partiz,  konstatiert,  vgl.  61.  Diese  Formel  hat  sich  nun  eben- 
falls ins  Romanische  gerettet. 

Zwar  im  Franz.-Prov.  kann  ich  die  Verwendung  von  habui  victu 
für  ein  einfaches  historisches  Perfekt  (bei  dem  ja  die  Idee  des 
durch  die  Handlung  erzeugten  Zustands  noch  mehr  oder  minder 
deutlich  zu  Bewufstsein  kommen  kann)  nicht  mit  Sicherheit"  nach- 
weisen,2  wohl  aber  in  den  südromanischen  Sprachen. 

Ital. :  Ella  guardä  en  cel  la  drito,  Avo  vegii  la  cros  de  Christo 
E  po  si  vit  una  colonba  Marg.  Leg.  808;  Deo  represe  /'  animo  et 
abe-la  incarnata  IVP  38615;  la  donna  n  abe  deo  rcngratiatu  IVP  8  g4 
und  so  häufig  in  diesen  Texten. 

Katal.:  Lo  lebrer  viu  la  serpent  .  .  .  va  la  pendre  cant  fo  levat; 
e  la  serpent  fach  fort  siblat  e  gita  la  a  una  part  7W  631  (nicht 
sicher). 


^  Natürlich  findet  sich  dieselbe  Erscheinung  auch  in  andern  Tempus- 
Verhältnissen:  Tost  sereit  inorz  s'ü  (das  IEa)  fust  bruisiez  AlFr.  Fab.  5215  etc. 
Eine  reiche  Beispielsammlung  für  Futur  und  Kond.  gibt  zum  Altfrz.  Engwer, 
Über  die  Anwendung  etc.,  S.  45  f. 

"^  Vgl.  immerhin  für  das  Prov. :  Entro  eti  pres  Den  pietaz  Et  en  la 
croz  los  ag  salvaz     Et  de  Diahle  deliuraz  SF  43. 


I70 

Span.:  A/  ny   Yu^ef  {res  co.'pes  h  ovo  dados  PC  1725. 

Portg.:  Ungemein  häufig  in  den  CSM:  deroji  üa  pedrada  a 
itn  ome  na  cabffa  mni  grand^  ossi  qne  hritada  W  oiiveron  loda  a 
fronte  et  a  tea  assedada  CCCLXXXV;  et  pois  veo  outra  dia  ssa  tia 
a  ouv'  achada  CCCllI ;  tan  iosf  a  Monpesler  chegaroji  et  y  achado  0 
ouveron  et  disseroJi-Ue  CXXXV;  Et  pois  que  aquesto  disse  a  säet*  oiive 
tirada  stiso  et  fez  niui  grau  demoranga  En  viir  CLIV  etc. 

Die  Umschreibung  mit  hahui  findet  sich  nicht  blufs  im  Zu- 
sammenhang der  Erzähkmg,  sondern  auch  bei  Aufführung  von 
Einzeltatsachen,  wo  man  auch  präsentisches  Perfekt  erwarten  könnte, 
aber  das  ist  nicht  zu  verwundern,  da  ja  eben  haha  selbst  beide 
Funktionen  hat:  vgl.  Por  tnano  del  rrey  Alfonso  que  a  mi  lo  ovo 
viandado  Do-vos  cstas  ducuas  PC  2232;  Non  temas,  Anna;  ca  Dens 
oj'da  a  ta  oragon  ouve,  e  poren  seil  falida  de  teu  ?nando  fillo  avei-as 
CSM  p.  56gb;  tal  otnägen  da  Vir  gen  e  que  Dens  ouv"  esleuda  Por  ssä 
madre  CXCVI  und  später,  als  die  Perfektumschreibung  auch  beim 
Verbum  subst.  schon  existierte,  sogar  im  Passiv:  De  aqueste  se  dise 
que  ovo  seydo  muerto  del  sobredicho  rey  als  Übersetzung  von  fertur 
fuisse  peremtus  (Ms.  des   15.  Jh.;  abgedruckt  in  LE  122). 

Ganz  entsprechend  dem  lateinischen  Gebrauch  {61)  finden  wir 
auch  im  Portg.  die  von  ,^ai5?// abgeleiteten  Zeiten;  habueram:  trotix' 
aquel  canto  inenesmo  que  el  ouvera  comprado  CCCLV;  outorgou-Ies  logo 
quani^  ouveron  demandado  CCCLXXXVI;  aquel  ome  era  0  que  a  viezcra 
feita  ouvera  (=  0  outro  que  aquele  Juezcrärd)  LXXVIII;  que  seu  era 
jurou  .  .  .  et  que  //'  0  furtad^  ouvera  0  inogo  que  0  tragea  CLXXV; 
habuero:  non  d  tan  arrizado  de  vos  que  possa  cantar  se  muit''  ouver 
Jajüado  LXXXVIII.  So  sehen  wir  im  Portugiesischen  fast  voll- 
ständig und  konsequent  eine  lateinische  Formel  bei  allen  Perfektum- 
schreibungen bewahrt,  die  im  sonstigen  Romanischen  sich  nur  für 
eine  der  Formen  (Jiabuissem  vicium)  fast  vollständig  und  für  die  zweite 
{habueram  victum)  nur  teilweise  [in  kondizionaler  Verwendung,  und 
da  nicht  überall]  erhalten  hat. 

125.  2.    Unsere  Konstruktion    war,    wie  v/ir  wissen  (j-o,  5^)  im  lat. 

nur  bei  perfektiven  Verben  im  präteritalen  Sinn  vorhanden,  bei 
durativen  Verben  hat  sie  präsentischen  Sinn,  aliqucm  amaluin 
habeo  hat  also  etwa  denselben  Sinn  wie  aliqucm  cartun  habeo  'ich 
habe  jemand  lieb'.  Auch  davon  sind  Spuren  in  den  romanischen 
Sprachen   vorhanden:    , 

Frz.:  Et  dist  que  il  Va  inolt  amee  'dafs  er  sie  sehr  lieb  habe' 
Gui  de  C,  Bai.  Jos.  3790,  vgl.  Appel  in  der  Einl.  LXXIV;  he! 
Marion,  taut  amee  t^ai  Jeh.  Erars  in  BLLfr.  5089;  Por  wie  k'en  ai 
hau  Ai  dite  as  autres  folie  Co7n  hom  irous  Con.  Beth.  Chs.  VII  2  y. 

Ital.:  E  altrieri  fui  iti  parlamento  com  quella  chui  agio  amata 
IMon.  Chr.  I  S.  97,  2  [vgl.  "^2?^;  la  pena  undexena  ke  ha  lo  niisero 
confondudo  Bonv.  3  scr.  789;  sentito  agio  l  coltello  che  fo  profetizato 
Mon.  Chr.  II,  S.  481,  66;  tu  ai  saputo  piii  di  ine  CNA  77.1 

1  S.  S.  171  Note  I. 


171 

Katal.:  honrat s  un  vosita  servidor,  per  so  com  eu  vos  e  antat 
be  de  cor  e  de  voluntat  7W  67. 

Span.:  Di,  rahi,  la  vertad,  st  tu  lo  as  sabido  Aut.  RINI  135 
(ähnl.  126  wo  si  lo  a?i  sabido  gleichbedeutend  sein  mufs  mit  si  lo 
sahen).  ^ 

Portg. :  OS  qtie  esto  cretuV  an  ...  e  que  queren  mais  viver  .  .  . 
fazen  mal  sen  Joan  Soares  Som.  CAj.  489  (Mich.:  „Wer  jenes 
glaubt"),  esiranhado  do  be?n  que  ei  dcsejado  RD  1009.  Gram pesar 
ei .  .  .  sofrndo  por  vos  dizcr  meic  mal  ascondudo,  mais  nom  ous'  oj'  eu 
comvosc  a  /a la r  RD  2231  (vgl.  das  Präsens  in  dem  Parallelvers  2226). 

Entsprechendes  auf  andern  Zeitstufen:  cum  in  ous  enhadithe 
AI.  87  d,  nicht  ganz  sicher  da  enhair  vom  Anfang  an  inchoativ  ge- 
wesen sein  kann;  vgl.  auch  par  vos  7n  a  mes  cuers  cnhaie  Qui  me 
sohlt  estre  de  foi  Clig.  476;  Rendili  gualardon,  ca  ovo-te  servido 
Bcrceo,  Mil.  255;  eil  sempre  fora  e  era  ofigiall  d'  el-rrey  que  avia 
curado  sseiis  cavaleyros  LE61  (unsicher);  atan  gran  mcdo  ...y 
preseron  que  fogindo  non  avia  niun  redea.  teuda  CSIM  CLXXXI; 
loaredes  a  Madre  .  .  .  de  Deus  .  .  .  et  averedes  0  dem'  avorrcgudo 
CSM  CCXXXVl. 

Im  ganzen  aber  schehit  der  Gebrauch  recht  selten  zu  sein. 
Nur  auf  der  iberischen  Halbinsel,  wo  habere  z.  T.  von  teuere  ab- 
gelöst wird,  finden  sich  etwas  häufiger  Beispiele  wie  Tovyeron 
Castellanos  el  ptierto  vyen  guardado  FG  87 ;  et  me  te  presso  0  amor 
Est.  Tr.  22,  wie  dort  überhaupt  mit  tenere  die  Eigentümlichkeiten, 
die  wir  als  für  die  lateinische  /zß^^r<?- Konstruktion  charak- 
teristisch angeführt  haben,  sehr  gut  erhalten  sind. 

Wahrscheinlich  gehören  nun  aber  auch  verschiedene  Beispiele 
hieher,  die  Tobler  und  Engwer  an  den  schon  mehrfach  erwähnten 
Stellen  für  unsre  Umschreibung  bringen  und  die  sie  mit  den  //o, 
122  berührten  Erscheiimngen  bei  perfektiven  Verben  zusammen- 
werfen. Also  Fälle  wie  Ensement  .  .  .  voeilt  ses  gens  avoir  lentis 
Baud.  Seb.;  Dhissicz  estre  en  vo  chambre  pavee  A  ./.  malfc  qui  vos 
ctist  amee  Alisc,  «'  aics  doel  tentc  etc. 

Der  hier  geschilderte  Gebrauch  geht  offenbar  parallel  mit  dem,  126. 
den  wir  in  go  bei  esse  unter  I  dargestellt  haben,  und  es  würde 
sich  fragen,  ob  nicht  auch  hier  eine  analoge  Entwicklung  und 
Ausbreitung  vorliegt.  Das  nächste  (II)  wären  iterative  Verba;  dafür 
habe  ich  keine  Beispiele  gefunden  ■ —  doch  mag  das  Zufall  sein. 
Dagegen  scheinen  folgende  Sätze  Beispiele  für  das  generelle  Präsens 
(III)  abzugeben:  cum  ella  s  auga,  ccl  a  del  cap  polsat;  quant  be  se 
drega,  lo  cel  a  pertusat  Boeci  167 f.;   Quoras  que's  vol,  s'  en  a  lo  Corps 


^  Indem  derartige  Beispiele  im  gewöhnlichen  prätcritalen  Sinn  gefafst 
wurden,  konnte  der  Übergang  zu  der  häufigen  inchoativen  Bedt-ulung  'er- 
fahren*, 'lernen'  staltfinden,  ähnlich  von  'haben'  zu  'btrkommen'  clc.  Vgl. 
z.  B.  Ben  sab^  a  que  pod'  e  val  Fisica  celestial  Ca  de  seii  FiW  a  sabitda 
Fisica  muit'  ascondiida  CSM  CLXXIX.  Diese  Verhältnisse  werden  nicht  die 
einzige  Ursache  des  Bedeulungsübergangs  sein ,  aber  sie  mögen  ihn  bclördert 
haben. 


172 

(lucis  Boeci  181.  Anderenfalls  müfste  es  auf  den  erreichten  Zu- 
stand gehen,  was  nicht  gut  in  den  Zusammenhang  passen  würde. 
Auf  der  iberischen  Halbinsel  haben  wir  mit  ienere:  mtiiias  vegadas 
0  deni  enganadas  iefi  as  genfes  CSM  CCCXCVII,  und  ähnlich  CXCll. 

127.  Sonst  aber  finden  wir  unsere  Konstruktion  auch  bei  durativen 
Verben  mit  deutlicher  präteritaler  Bedeutung,  und  zwar  im  Franzö- 
sischen und  Provenzalischen  seit  den  ältesten  Texten:  gram  en 
avem  agud  errors  Pass.  365,  iatttes  dolurs  ad  pur  tei  enduredes 
AI.  80  b,  cum  liinga  demurede  ai  atendude  94  d,  tatit  Vai  vedud  79  e, 
tanz  jitrz  Vai  dcsirret  95  a,  ähnl.  I04d,  115  a;  il  ad  deu  hien  servil 
35b,  ähnl.  Steph.  XII b;  Trente  qiiatre  am  ad  si  siai  cors  penei 
AI.  56a;  si  poti  vus  ai  out  2  2d;  maheise  guarde  t'ai  fait  suz  mun 
degred  79  d;  a  qiiel  doleur  dedidt  as  ta  juventa  91b;  nos  de  molt 
omes  nos  0  avem  veut  Boeci  106;  0  es  eferms  0  a  afan  agut 
Boeci  108;  dann  aus  späteren  Denkmälern:  Jo  vus  ai  servii  taut 
si  '«  ai  out  e  peines  e  ahans,  faites  batailles  e  vencues  en  camp  Rol. 
863 — 5;  mut  franchement  l'ad  regrete  Gorm.  52g;  si  iint  Venchauz 
avant  tenu  Gorm.  627   etc. 

Wir  finden  hier  alle  Möglichkeiten  vertreten:  eben  zum  Ab- 
schlufs  gebrachte  Handlungen  und  längst  verflossene  (AI.  56  a), 
Verba,  die  wesentlich  durativ  sind,  und  solche,  die  nur  im  Zu- 
sammenhang durative  Bedeutung  annehmen  (AI.  79de),  Beispiele 
mit  Dauerbestimmungen  und  ohne  solche. 

Ebenso  im  Italienischen,  wo  uns  leider  der  Mangel  an  gleich 
alten  Denkmälern  aufser  Stand  setzt  zu  sagen,  ob  diese  Verhält- 
nisse ebenso  alt  sind,  wie  im  Französischen;  doch  vgl.  im  Longo- 
barden-Latein  abet  ?nodo  regnato  .viiij.  anno  1053  (Mon.  Nov.  I,  S.  414): 
—  Li  nosiri  madri  che  in  corpo  lüa  portati  Decal.  Berg.  79;  i'agio 
amato  ed  amo  co'  leanza  Bondie  Diet.;  Ciercat^ajo  Calabra,  Toscana  e 
Lombardia  Cielo  dal  C,  Contr.  13;  S'eo  minespreso  äjoti  .  .  .  a  voi 
m'arenno  ebenda  ^^z;  gioja  che  tant'  0  disiata  Giac.  da  L. ;  Lungo 
tempo  afo  soferto  Bol.  Not.,  Mon.  Chr.  10 1,  IV  3;  ben  agia  lo  rnartore 
ch'io  per  lei  lungiamente  agio  durato  Rugg.  Pal.,  Mon.  Chr.  37  gj  lo 
gravoso  affanno  Co  lungiamente  per  amore  patuto  Madonna  lo 
nia  '«  gioja  rüornato  Guid.  Col.;  noi  avemo  auta  tanta  hriga  e  avcmo 
Siena  1260,  Mon.  Chr.  5974;  lo  te  ho  per  grande  amor  e  passuto  e 
allevato  Bonv,,  Volg.  Van.  60;  tute  co7tse  ella  si  a  saplude  Cat. 
Leg.  127  19   usw. 

128.  Dagegen  ist  die  Erscheinung  in  den  alten  iberischen  Sprachen 
erst  im  Anfangsstadium.  Man  kann  lange  lesen,  ohne  auf  ein 
Beispiel  zu  stofsen.  In  manchen  gröfseren  Denkmälern  wie  dem 
Poema  del  Cid  habe  ich  überhaupt  keines  gefunden.  ^  An  den 
Beispielen,  die  man  findet,  läfst  sich  aber  so  ziemlich  ersehen,  auf 
welchem  Weg  die  durativen  Verba  zu  der  präteritalen  Bedeutung 
der  Konstruktion   gekommen  sind.     Es   sind  eigentlich  zwei  Wege. 


*  Mit  Ausnahme  des  143  erwäiinten  Beispiels. 


173 

Zunächst  von  der  eben  genannten  Konstruktion  mit  präsen- 
tischem Sinn  aus.  Da  bei  einem  durativen  Verb  der  präsentisch- 
punktuelle  Sinn  ausgeschlossen  ist,  so  umfafst  das  Präsens  hier 
immer  ein  Stück  Vergangenheit  oder  Zukunft  mit.  Wird  dies  Stück 
Vergangenheit  nun  durch  ein  Zeitadverb  fixiert,  so  kann  es  ge- 
schehen, dafs  Gegenwart  und  Zukunft  darüber  vernachlässigt  wird, 
und  dies  umso  leichter,  als  eben  bei  perfektiven  Verben  die  Kon- 
struktion ja  vorwiegend  den  präteritalen  Sinn  hat.  Ein  Beispiel, 
wie  lonch  ieinps  vos  he  amat  7W  ig  (ähnl.  386),  bedeutet  eigentlich 
'lange  Zeit  liebe  ich  euch  [schon]',  aber  das  ist  im  Zusammenhang 
nicht  verschieden  von  'lange  Zeit  habe  ich  euch  geliebt';  ähnlich 
tostejnps  vos  he  amada  7W  1068.  Das  entsprechende  gilt  von  rela- 
tiven Zeitverhältnissen,  wo  das  Imperfektum  auf  gleiche  Weise  das 
Plusquamperfekt  mit  umfafst  und  daher  als  solches  aufgefafst  werden 
konnte:  ao  porto  chegaron  cedo  que  desejado  avian  CSiNI  XXXVI.  — 
Ähnlich  also :  ynuito  pei-  as  dormido  CSM  VI  *  viel  Zeit  schläfst  du 
schon'  =  'viel  hast  du  geschlafen';  ca  0  que  vos  a  servida,  erged' 
olho  e  veelo  edes  RD  1151  'was  er  euch  (nuii  schon)  dient'  =  'wie 
lange  er  euch  gedient  hat';  AqitesC  e  0  que  tauf  ei  buscado  CSM 
LXV;  von  hier  aus  gelangt  man  dann  leicht  zu  Fügungen  wie  La 
donseyla  an  sercada  ejitro  que  la  an  trohada  7W75f,,  wo  die  Dauer 
des  sercar  durch  die  Termin-Angabe  eine  perfektive  Nuance  erhält. 

Der  andere  Weg  geht  direkt  von  den  perfektiven  Verben  aus. 
Ebensogut  wie  von  einer  einmaligen  präteritalen  Handlung  konnte 
natürlich  die  Konstruktion  auch  von  einer  wiederholten  gebraucht 
werden,  in  Fällen  wie:  esta  noü'  ei  sonnado  vel  duas  vezes  ou  tres 
CSM  CCXCII  [genau  wie  Outro  tal  sonn!  ei  sonnado  CCCIX] ;  Eu 
soon  aquela  que  äs  chamada  tanto  'sooft'  LXXI;^  u?iygreja  ...  en 
que  ela  mostrad'a  mir ag res  böos  et  muitos  CCXLIV;  ofttr'os  que  oge 
7iados  son  d'omees  muit' onrrados ,  a  mi  a  ela  viostrados  mais  hees  que 
contarei  CC,  in  welch'  letzteren  Beispielen  die  Wiederholung  der 
Handlung  nur  aus  der  Pluralität  der  Objekte  hervorgeht,  Verb  -f- 
Objekt  als  Ganzes  jedoch  auch  als  durative  Handlung  aufgefafst 
werden  kann,  namentlich  wenn  statt  des  pluralen  Objekts  ein 
kollektives  Singular -Objekt  steht:  pois  por  hem  nom  teedes  Que  eu 
aja  de  vos  grado  Por  quanfafam  ei  levado  Por  vos  RD  231,  ähnl. 
1299,  2317,  2592  oder  ein  Quantitätsadverb:  Vay  t\io  Papa,  ca 
muit'  as  errado  'viel  hast  du  gesündigt'  CSM  LXV.  Bei  gewissen 
Verben  oder  Verbindungen  läfst  sich  dann  überhaupt  zwischen  den 
einzelnen  Akten  schwer  entscheiden;  sie  sind  eben  nur  mehr  Teil- 
akte einer  einzigen  durativen  Handlung:  e  desejarei  vosso  hem  que 
mui  servid^ei  RD  388.  Und  schliefblich  in  einem  Fall,  wo  das 
durative  Element  überhaupt  nicht  mehr  angezeigt  ist:  tanlo  sty  d'el 
ja    que    jue   serve    e   servid^a    bat    com    a    mi  prazia  CSI\1  LXXXVII. 


'  Natürlich  finden  sich  derartige  Fälle  in  allen  Sprachen:  con  qiiesia 
penüentia  et  coli  altre  ke  tu  äi  levate  Beichlf.,  Mon.  Chr.  43«;  Omne  dl  me 
a  recfiüsa  IV  P  lOi,   1129;  assai  v'a^^w  laudata  Giac.  Not.  etc. 


»74 

Dieses  letzte  Beispiel  ist  wichtig,  es  zeigt  durch  die  Gegenüber- 
stellung mit  serve  und  das  Imperfekt  im  Nebensatz,  dals  serviiVa 
doch  sicher  präterital  empfunden  wurde.  Bei  den  angeführten 
portg,  Beispielen,  in  denen  das  Verb  selbst  schon  deutlich  dura- 
tiven Charakter  hat  wie  RD  231,  388,  1151,  CSM  LXV,  war  das 
nämlich  nicht  ganz  sicher,  man  käme  auch  mit  der  präsentischen 
Auffassung  durch.  Übersetzt  ja  Michaelis  auch  eine  analoge  Stelle 
des  Pero  Velho:  da  coita  qiie  eii  per  vos  ei  levada  mit  'die  ich  um 
euch  ertrage'  CAj.  8832. 

So  wird  die  Konstruktion  denn  hier  von  einer  sich  bis  zur 
Gegenwart  erstreckenden  Vergangenheit,  einmal  auch  in  Parallele 
zur  Gegenwart  von  der  Vergangenheit,  die  sich  bis  zu  der  schwer 
definierbaren  Grenze  zwischen  Vergangenheit  und  Gegenwart  er- 
streckt, gebraucht  (vgl.  j^«  i^);  weiter  aber  scheint  man  im  Portu- 
giesischen in  der  alten  Zeit  noch  nicht  gekommen  zu  sein;  von 
einer  entfernten  Vergangenheit  oder  ganz  ohne  Bezug  auf  die 
Gegenwart,  wie  so  früh  schon  im  Frz.,  wurde  sie  nicht  gebraucht. 
Die  paar  spanischen  Beispiele,  die  ich  gefunden  habe,  zeigen  uns 
dieselbe  Stufe:  Travajado  avemos,  mcnesier  es  que  durmamos  FG  480; 
Pucs  qtie  avemos  soffrido  grand  lazerio  Chr.  gen.  (S.  152  in  der  Ausg. 
des  FG);  aqui  todo  me  viato  del  niicdo  que  In  avido  Juan  R.  1382. 
12g.  Im  Altsardischen  habe   ich  von  durativen  Verben  fast  nur  das 

Verbum  des  Besitzes  {habere,  teuere)  mit  habeo  konstruiert  gefunden. 
Im  CP  nur  im  Plusqpf. :  torraitimila  sa  domo  de  Ogothi .  .  .  pro  sa 
anima  sua  et  de  ssu  frate  jiidike  G.  ki  la  aveat  appita  pro  pinniis 
(12 10)  392;  kertaitimi  D.  de  C.  pro  cusla  terra  ca  naravat  ca  l^aviat 
tenta  isse  innanti  meu  .  .  .  Et  ego  binkiiidelu  ca  Vavia  tenta  ego  imianli 
suo  414.  Oft  und  in  mannigfachen  Formen  in  StS  und  Cd'A, 
Ein  Beispiel  wie  da  essu  die  c'at  avir  apida  sa  possessione  ad  iciissu 
die  qui  IVat  avir  torrada  Cd'A  LH  freilich  zeigt  uns  deutlich  die 
inchoative  Bedeutung,  vgl.  12^  Anm.,  und  diese  ist  auch  geboten 
StS  11  30,  34,  III  27  und  sonst  vielfach  möglich.  Ausgeschlossen 
dagegen  in  Si  alciina  persone  0  personis  avirint  lemida  e  possedida  .  .  . 
alcuna  possessione  .  .  .  per  .  .  .  annos  L  Cd'A  LXVII.  Es  handelt  sich 
also  hier  wohl  um  analogische  Funklionsverschiebung  (j).  Über 
ein  Beispiel  mit  navigare  s.   1^2. 

130.  3.    Die     Konstruktion     haheo   -\-   Partizip     fehlt    im     Lat,     bei 

reflexivem  Akkusativ -Objekt.  Ein  jne  commendaltcm  habeo  würde 
ja  bedeuten  'ich  bin  in  der  Lage,  dafs  ich  empfohlen  (worden)  bin', 
also  kaum  etwas  andres  als  das  einfache  prädikative  commendatus 
sum.  Wenn  aber,  wie  meist,  das  Reflexiv  nicht  rein  aktiv  zu  ver- 
stehen ist,  sondern  medial,  so  ist  ein  Bedürfnis  sich  so  auszu- 
drücken noch  viel  weniger  gegeben:  statt  'ich  bin  in  der  Lage, 
dafs  ich  aufgestanden  bin',  auch  hier  einfach  levatns  sum. 

In  dem  Moment  aber,  wo  der  ursprüngliche  Sinn  der  Kon- 
struktion verloren  geht  und  einfach  der  eines  präsentischen  Perfekts 
vorliegt,  ist  bei  den  reflexiv  aktiven  Verben  die  Konstruktion  sofort 


175 

möglich.  Ebenso  wie  ich  einen  andern  empfohlen  haben  kann, 
kann  ich  auch  mich  empfohlen  haben;  es  ist  dieselbe  Handlung: 
Je  Vai  coma7ide,  danach  je  mai  comande  \  parfitement  s'ad  a  Den 
coviandet  AI.  5Qb.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Stelle  wird  man  keinen 
Anstand  nehmen  KR  848  zu  lesen  a  Den  s'unt  ciimandez.  Ferner 
del  tierz  s'a  si  delivri  Erec  2904;  mes  je  m^an  ai  viis  au  defors 
Clig.  5249,  vgl.  Littbl.  1904,  Sp.  24.  Des  flors  errant  s'a  recovert 
Fl.  ßl.  2339. 

Bei  den  viel  häufigeren  medial -reflexiven  Verben  ist  eine  so  131. 
unmittelbare  Anknüpfung  nicht  gegeben.  Jemanden  in  die  Höhe 
erheben  und  sich  erheben  sind  nicht  zwei  Handlungen,  die  in 
Parallelität  zueinander  stehen.  Jenes  Beispiel  aus  Alexius,  das 
einzige  mit  avoir ,  ist  auch  das  einzige,  das  ein  aktives  Reflexivum 
aufweist.  Die  andern  Fälle  haben  entweder  die  lateinische  Wendung 
(jssi  est  o turnet  49  e,  //  dolz  qui  sor  moi  est  vertlz  93  d)  oder  die 
neue  analogische  me  siii  -j-  Part.,  die  81  ff.  besprochen  wurde. 

Freilich  ist  die  Grenze  keine  scharfe;  oft  mag  die  Auffassung 
zweifelhaft  sein  (vgl.  Gessner  Jb.  XV,  205),  z.  B.  (juant  ele  s'a  bün 
lavee  T.  Antechr.  3;  Conan  s'a  bün  defendn  RBr.  61 40.  Hat  sich 
das  Ohr  einmal  an  die  Verbindung  viai,  s'a  usw.  gewöhnt,  so  mag 
sie  leicht  auf  Fälle  übergreifen,  wo  sie  nicht  berechtigt  ist,  namentlich 
wenn  das  Verb  auch  sonst  als  transitives  mit  avoir  vorkommt.  So 
in  folgenden  Beispielen,  wo  die  mediale  Verwendung  vorliegt:  I^fi- 
vers  le  roi  s'a  aproismii  Fl.  Bl.  2940;  or  changie  niai  Rom.  Past. 
III,  46,  93.  Doch  das  scheint  eine  jüngere  Entwicklung  zu  sein 
und  der  Übergang  auf  Verba,  die  überhaupt  nur  reflexiv  vor- 
kommen, ist  gewifs  noch  jünger  und  offenbar  mundartlich  beschränkt. 
Andrerseits  ist  ja,  wie  wir  in  Sj  gesehen  haben,  die  Übertragung 
von  estre  auf  Fälle  wie  nie  sui  cotiuvukz,  oci's  jüngeren  Datums. 

Wo    das  Reflexivum  Dativ    ist,    liegt  im  Lateinischen  natürlich    132. 
kein    Bedenken    gegen    die    Konstruktion    vor.      Wir   finden    denn 
auch:    sibi    commendatum,    dictum,  persuasum    habere    Thielm.,    ALL 
II,  512,  514,  532. 

In  der  ältesten  französischen  Literatur  findet  sich  zufällig  kein 
Beispiel  dafür,  dafs  man  sich  so  ausgedrückt  hätte,  aber  auch 
keines  dafür,  dafs  man  sich  anders  ausgedrückt  hätte.  Später: 
Dius  a  taut  sojferl  Qiie  je  toliic  niai  ma  joie  II le  3904,  de  liii  qui 
joie  s'a  tolue  Yv.  2795,  wo  als  Subjekt  des  Partizips  nicht  not- 
wendigerweise das  Satzsubjekt  qui  =  Yvains  zu  denken  ist  (//j) ; 
MiaiiZ  vandroit  que  il  s'eust  Les  iatiz  trez  R.  Ch.  5574,  qui  bien  s'ot  garde 
douee  Perc.  2645,  s.  Tobler  VB  II 2,  70;  Ebeling  ZfrSpr.  XXIIP,  105. 
Bezeichnend  ist,  dafs  alle  Fälle,  wo  die  Konstruktion  bei  Chretien 
de  Troyes  durch  die  Kritik  hergestellt  worden  ist,  zu  denen  ge- 
hören, wo  sie  ursprünglich  berechtigt  ist. 

Dieser  Gang  der  Entwicklung,  der  sich  in  der  französischen 
Spräche  mehr  erraten  und  konstruieren  läfst,  als  er  deutlich  zu 
Tage  tritt,  wird  durch  die  andern  romanischen  Sprachen  glücklicher- 
weise bestätigt. 


176 

Im  Provenzalischen,  wo  berechtigtes  habere  z.  B.  vorliegt  in  ieu 
nie  ai  donat .  .  .  vana  gloria  de  vion  cantar  Beichtf.  36  (RF  XXIII,  433), 
wäre  ein  auffallend  frühes,  vereinzeltes  Beispiel  der  habere -Y^oxi- 
slruktion:  Don,  qcus  avez  aitant  tarzad  Pos  est  regti^  aggestz  acaplad? 
SF  148.  Doch  ist  wohl  hier  aila7tt  als  das  eigentliche  Akk.-Objekt 
{ij'f)  und  -US  als  Dativ  eth.  zufassen.  Vgl.  estre  in  346,  348,  372, 
591   etc. 

133.  Für  das  Italicnische  sagt  schon  Diez  IIP,  291  das  Nötige,  der 
überhaupt  die  dreifache  Natur  der  reflexiven  Konstruktion  klar  er- 
kannt hat,  während  die  spätere  Forschung  den  Sachverhalt  eher 
verdunkelte  als  erhellte. 

Tatsächlich  finden  wir  z.  B.  in  den  CNA  die  genaue  Scheidung. 
Bei  aktivem  Reflexiv  avere:  s'aveano  longamenie  amaio  (reziprok)  34, 
ebenso  bei  Dativ:  s'avea  inessa  la  piü  ricca  roba  96.  Bei  medialem 
Reflexiv  dagegen  esse',  io  7)u  sojio  costumato  di  levare  38;  ke  s'era 
bandito  nna  Corte  dt  nozze  75;  domandoUa  si  s^era  posata  a  San 
Giorgio  96.  Ebenso  bei  Dante:  Gu.  con  S.  e  con  L.  s'avea  niessi 
dinanzi  dalla  fronte  (aktives  Refl.)  Inf,  33^3;  la  liice  che  pr07nessa 
tanto  s'avea  Par.  8  44 ,  Tre  Friso7i  s'averian  dato  mal  iKvito  Inf.  3 1  ^4, 
ferner  71710  dente  el  quäle  no7i  s'avea  lasciato  far  trare  Conti  ant.  cav., 
Mon.  Chr.  142,   151. 1     Vgl.  auch  83. 

Im  Altsardischen  finde  ich  habere  nur  beim  Dativ  und  da 
selten:  pro  ca7ide  li  kerean  parte  avendesi  levatu  su  issoro  CP  254(?); 
SIC  cantu  7rCaea  postu  in  com  de  plantare  CVC  XVII,  2;  deppiat  jurare  . .  . 
qtii  77071  sVWat  furada  7ii  levada  issu  7te  attera  persone  pro  se  C.  d'A. 
XXXIV -,2  ausgenommen  folgendes  Beispiel  aus  dem  spät  hinzu- 
gekommenen Teil  der  StS:  Et  hue  in  sas  catisas  statas  0  alchiina 
de  ciissas  si  aet  faclii  su  contrariu  II,  39. 

134.  In  der  katalanischen  metrischen  Version  der  sieben  weisen 
Meister  ist  bei  Dativ  strenge  habere  durchgeführt:  a7is  lo's  ha  tot 
me7ijat  666,  ähnl.  717;  les  faldes  se'71  ha  utnplides  797;  ara  7710  he 
aco7-dat  1143;  sus  al  coli  la  ss'a  levada  1400;  la  do7ia  a'l  sen  portat 
1784;  U7ia  palissa  sa  vestida  1839.  Vgl.  besonders  Prif^a  jö«  Jd'7/y er 
e  a's  pensat  184;  la  7nadastra  si  sa  pe/isais  que  lo  filastre  fus  tudats 
2695;  a's  porpensat  per  la  vila  fos  rossegat  1253.  Damit  ist  die 
Frage  nach  dem  Kasus  des  Reflexivs  bei  soi  pe7iser  gelöst,  soweit 
sie   überhaupt   berechtigt    ist.     Vgl.   auch    im    Provenzalischen    des 


^  Im  Sizilianisclien  hätten  wir  ein  frühes  Beispiel  für  habere  beim 
medialen  Refl.  in:  la  sira  di  l'assautu  per  paura  st  havianu  avtmucciatu 
'nira  li  cantiiti  .  .  .  Mon.  Chr.  IT,  13457,  wenn  das  Denkmal  echt  wäre.  Im 
Sydr.  Otr. :  non  si  aveaito  soll  cussi  arsi  5204  neben  si  si  foy  multu  corrichatii 
52^21  ^'"^  si  fosse  .  .  .  tiitto  turbato  5^23  und  s''era  co7tvertuta  5322- 

^  Dabei  sehe  ich  von  einigen  Fällen  ab,  wo  im  Sardischen  sibi  illu  für 
Uli  illu  einzutreten  scheint.  Es  handelt  sich  um  folgende  Beispiele  der  C.  d'A.: 
de  alcuna  attera  persone  qui  s'iila  avirit  acomandada  XXXIV  (ähnlich 
XVIII)  und  mostret  qui  s'iila  at  avir  dada  CLVIII.  (Es  ist  zu  beachten, 
dafs  sich  in  allen  drei  Fällen  das  sibi  auf  das  Subjekt  des  Hauptsatzes  zurück- 
bezieht). Zu  einer  eingehenden  Beurteilung,  ob  es  sich  um  eine  syntaktische 
oder  phonetische  Tatsache  handelt,  reicht  das  Material  nicht. 


177 

15- Jh.:  Sabeiz,  compajih,  que  me  iey  pensat?  Myst.  pr.  3139.  —  Beim 
Akkusativ  haben  wir  durchwegs  esse:  Melquider  s^es  eti  peiis  levats 
7VV  49;  et  piiys  es  se  acordat  e  en  Varhre  se  rües  puyat  802  f.  etc, 
auch  se  lües  anat  218g;  und  hier  finden  wir  die  unbestimmte 
Grenze  überschritten,  die  die  mediale  von  der  aktiven  Konstruktion 
trennt:  ab  lo  colteil  s'es  farit  e  es  se  foi-tment  nafrat  1263  f.,  ebenso 
1267.  Dort  freilich,  wo  das  Rückwirken  auf  das  Subjekt  scharf 
und  klar  auszusprechen  war,  mufste  ohnehin  das  betonte  Pronomen 
gewählt  werden  und  dann  finden  wir  natürlich  habere:  per  aver  ha 
trahii  si  viateix  1633,  wie  wir  ja  auch  im  Roland  lesen  mei  ai 
perdut  e  tresiiiie  ma  gent  2834. 

Im  Altspanischen  und  Altportugiesischen  findet  man  habere  135. 
beim  Reflexivpronomen  sehr  selten.  Ich  habe  glücklich  ein  alt- 
spanisches Beispiel  mit  habere  für  das  aktive  Refl.:  Party  endo  nos 
de  Dyos  a  se  de  nos  partido  FG  loo  c  und  eines  für  einen  ethischen 
Dativ  gefunden:  Myos  averes  se  me  hau  levado  PC  2912.  Altportu- 
giesisch, mit  reziprokem  Dativ:  dous  que  sse  avian  jurados  que  casassen 
ambos  en  uno  CSiM  CXXXV  T. ;  mit  Akkusativ,  wahrscheinlich  auch 
reziprok:  mester  ouz^y  ^^ /  Calade ! '''•  E  pois  sse  calad'  ouveron  ('sich 
gegenseitig  zum  Schweigen  gebracht  hatten'),  contou-lles  CLXXV. 
Ein  Akkusativ  bei  medialem  Reflexiv  wäre:  a  gapata  ao  pee  assi  se 
IVa  apres  que  .  .  .  LXIV,  doch  dürfte  hier  mit  den  beiden  andern 
Hss.  das  einfache  Perfekt  zu  setzen  sein:  se  W apres. 

Die  Verallgemeinerung   von   habere   beim  Reflexiv  gehört  also 
in  den  iberischen  Sprachen  einer  späteren  Epoche  an. 

4.  Die  Konstruktion  habere  -f-  Part,  hat  sich  schliefslich  auf  136. 
intransitive  Verba  ausgedehnt.  Im  Lateinischen  finden  wir  davon 
noch  keine  Spur.  Nur  treffen  wir  sie  öfters  objektlos  bei  sonst 
transitiven  Verben,  wo  also  das  Objekt  aus  dem  Vorhergehenden 
oder  aus  dem  Sinn  zu  ergänzen  ist,  vgl.  Thielm.  ALL  II,  547  co7n- 
perium,  auditum  habere,  auch  dictum  habere  S.  537,  wonach  dann 
das  immerhin  auffällige  sicut  parabolatum  habuistis  'wie  ihr  es  gesagt 
hattet'  Form.  Merk.  26O7.  So  also  z.  B.  auch  eil  lo  fisient  dont  ore 
aveist  odit  Jon. 

Im  Französisch-Provenzalischen  finden  wir  nun  zwar  habere  bei  137. 
intransitiven  Verben  vom  Anbeginn;  aber  die  Fälle  in  den  ältesten 
Texten  sind  spärlich  und  so  beschaffen,  dafs  wir  die  Entstehung 
deutlich  erkennen  können.  Die  meisten  Fälle  enthalten  eine  Dauer- 
bestimmung: trop  i  ave?n  dormit  Spo.  35,  fors  stil  le  lit  oü  il  a  geu 
ta7it  k\.  15  d  A(P);  quatre  dis  jagud  aveis  toz  pudenz  Pass.  32;  longa- 
ment  ai  od  lui  converset  AI.  69  a;  auch  A71  tant  dement  res  cum  il  iloec 
unt  sis  'innerhalb  so  vieler  Zeit,  als  sie  hier  gesessen  sind'  AI.  67  a 
gehört  hieher.  Man  sagte  also  zunächst  wohl  trop,  mout  u.  dgl. 
avons  dormit,  jeu,  sis,  und  diese  Ausdrücke  sind  nach  dem  Muster 
von  trop,  mout  etc.  avons  fait,  veu,  o'i,  mangii  verständlich,  wo  trop, 
mout  zwar  zunächst  Objekte  sind,  aber  doch  daneben  auch  Dauer- 
bestimmungen sind  oder  sein  können,   indem  zum  Machen,  Sehen 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil    XXVI.     (Festschrift.)  12 


178 

etc.  von  vielen  Objekten  die  Zeit  entsprechend  lang  bemessen  sein 
mufs.  Bei  Zeitwörtern  der  Bewegung  kommt  auch  noch  die  Be- 
stimmung der  örtlichen  Ausdehnung  in  ähnlicher  Weise  dazu:  tant 
a  alc  usw.  Von  hier  aus  war  der  Schritt  zu  bestimmten  Dauer- 
und  Streckenbestimmungen  ein  kleiner.  Man  denke  auch  an  Zeit- 
wörter wie  percurrere,  errare,  degere,  im  Frz.  auch  an  Ausdrücke 
wie  ai  aU  7?iaint  pas  (=  mont)  Adam  H.,  JusP.  5,  wo  das  Objekt 
gleichzeitig  die  durchmessene  Zeit  oder  Strecke  darstellt.  Dafs  im 
Romanischen  die  Auffassung  als  Objekt  noch  nachwirkt,  sehen  wir 
•an  gelegentlicher  Übereinstimmung  wie  cele  nuit  ont  tote  dormie 
Er.  141g,  Cele  voie  qtialee  avoit  Ch.  II  esp.  9367.  Dafs  nicht  immer 
übereingestimmt  wird,  wird  uns  erklärlich,  wenn  wir  bedenken,  dafs 
es  sich  ja  eben  um  eine  von  den  neutralen  Adverbien  ausgehende 
Gebrauchserweiterung  handelt  und  dafs  die  Übereinstimmung  ja 
auch  sonst  nicht  obligatorisch  ist.i 

Von  einem  mout  oder  longament  as  jeut  konnte  man  natürlich 
leicht  zu  ou  as  geut  de  hing''  enf erntetet  AI.  98  b  gelangen  und  auch 
von  einem  lungament  ai  converset  'lange  habe  ich  verkehrt'  zu  einem 
'ich  habe  verkehrt':  qtüa  tei  ensemble  n^02isse  converset  98  d  ist  kein 
weiterer  Schritt  als  von  einem  hoc  dictum  habeo  zu  dictum  haheo  im 
Lateinischen.  Die  Dauerbestimmung  dürfen  wir  wohl  auch  für  die 
/W^ifr^- Konstruktion  verantwortlich  machen  in:  Tant  teg  aquella 
seholtura  Tro  a  remas  aquist  rancura  'Solange  hielt  sich  jenes  Grab, 
als  dieser  Kummer  geblieben  ist'  SF  414.  Ich  glaube  also,  dafs 
die  für  einige  Fälle  RGr.  III,  S.  316  gegebene  Erklärung  allgemeine 
Gültigkeit  beanspruchen  darf. 

138.  Immerhin  ist  zu  beachten,  dafs  die  angeführten  acht  Beispiele 
und  eventuell  das  neunte  aus  7j2  Ende  die  einzigen  sind,  die  sich 
in  den  ältesten  Texten  (inklusive  Alexius,  Boeci,  SF)  finden  lassen. 
Es  mag  ja  ein  Teil  Zufall  hineinspielen,  dafs  wir  so  wenig  finden; 
vielleicht  ist  es  auch  Zufall,  dafs  noch  kein  Beispiel  für  Bewegungs- 
verba  vorkommt,  aber  man  kann  trotz  allem  nicht  verkennen, 
dafs  diese  Erweiterung  der  Konstruktion  damals  noch  in^  den  An- 
fängen steckte.  Man  begnügte  sich  eben  bei  solchen  Verben  noch 
mit  dem  einfachen  Perfekt,  vgl.  z.  B.  Pass.  356.  Schwer  läfst  sich 
auch  einem  Zufall  zuschreiben,  dafs  das  zusammengesetzte  Perfekt 
von  estre  in  diesen  Texten  noch  vollständig  fehlt,  auch  hier  bedient 
man  sich  noch  durchwegs  mit  des  einfachen  Perfekts,  vgl.  Pass.  88, 
381;  AI.  68  de:  morz  est  tes  provendiers  e  fo  sai  dire  qic'il  fiit  bans 
cristiens. 

139.  Jedenfalls  verstehen  wir  nun,  dafs  hier  habere  in  der  ersten 
Zeit  nur  bei  durativen  Verben  auftritt.  Wo  es  sich  in  der  altern 
Zeit  bei  perfektiven  zu  finden  scheint,    zeigt  sich  bei  näherem  Zu- 


^  Schon  im  Lateinischen  finden  sich  einige  Fälle  von  Nicht -Überein- 
stimmung, s.  Thielmann  S.  547.  Doch  läfst  sich  aus  den  Beispielen  nichts  für 
die  funktionelle  Bedeutung  abgewinnen.  In  oninia  probatwn  habere  heifst 
fr.  h.  'als  Erprobtes  haben',  also  zusammenlassendes  Neutrum,  vgl.  Ihre  Ein- 
führung ^^  §  193. 


179 

schauen,  dafs  sie  eben  doch  durativ  oder  iterativ  gebraucht  sind, 
z.  B.  in  dem  sehr  instruktiven  Beispiel:  mais  puis  que  rois  Embrons 
mors  fu,  n^avoit  fors  de  Vestahle  zssu,  wo  die  Dauerbestimmung 
durch  den  Nebensatz  gegeben  ist.  So  die  zahlreichen  ian/  ai  aU, 
plus  ai  ale,  encor  navons  nous  plus  venu  JBod.,  SNic.  730  etc.  u.  dgl.; 
ebenso  prov.:  Anat  ai  cimi  cauz'enversa  Lonc  temps  Raimb.  d'Aur., 
App.  Chr.  IQ 33  etc.  Die  überwiegende  Anzahl  der  von  Hofmann 
für  avoir  aufgeführten  Beispiele  zeigt  noch  die  Dauerbestimmung.i 
Natürlich  ist  nicht  zu  verkennen,  dafs  der  Gesamtcharakter  des 
Satzes  oft  ein  perfektiver  ist.  Aber  eben  erst  durch  die  hinzu- 
gefügte Strecken-  und  Dauerbezeichnung.  Die  Handlung  selbst, 
ob  Bewegung  oder  Ruhe,  wird  in  ihrer  gleichbleibenden  Stetigkeit 
aufgefafst.  Deutlich  sind  Fälle  wie  oben  AI.  q8  b  oder  wie  ases 
ai  par  la  terre  et  venu  et  ale  Alex.  26022'  ^^  ^^'^  Handlung  als 
eine  sich  einem  Resultat  nähernde  und  es  erreichende  aufgefafst 
wird,  tritt  sofort  estre  ein,  z.  B.  bei  aler,  wenn  das  Ziel  angegeben 
ist.  Wo  es  aber  nur  auf  die  Gehbewegung  ankommt,  tritt  schliefs- 
lich  avoir  auch  dort  ein,  wo  kein  Ausdruck  Strecke  oder  Dauer 
näher  bezeichnet,  z.  B.  in  dem  sehr  lehrreichen  Vers  Alex.  28015: 
Cist  sevent  les  desers  qui  partout  ont  ali.  Und  so  findet  man  denn 
auch  fai  dormi,  j'ai  mes  etc.  ohne  derartige  Bestimmungen.  Eigen- 
tümlich und  das  Gesagte  bestätigend  ist  das  Verhalten  von  drester, 
das  nach  den  Beispielen  bei  Hofmann  nur  negativ  mit  avoir  vor- 
kommt: A  tant  curent  as  armes ,  ni  unt  plus  areste,  weil  eben  nur 
im  negativen  Fall  das  gleichmäfsige  Fortschreiten  der  Handlung  des 
courir  möglich  ist. 

Von  den  durativen  Verben  aus  sind  dann  auch  die  perfektiven  140. 
ergriffen  worden.  Allmählich  und,  wie  ich  glaube,  auf  zwei  ver- 
schiedenen Wegen.  Einerseits  gelangte  man  etwa  von  quatre  liues 
ont  sigle  zu  tresqu'a  Gimeges  ont  sigle,  wo  in  tr.  a.  G.  gleich- 
zeitig Strecken-  und  Zielangabe  gesehen  werden  kann,  und  von 
derartigen  Fällen  zu  Ausdrücken  mit  direkten  Zielangaben.  Andrer- 
seits war  es  gerade  die  resultatlose  Nuance,  z.  B,  in  partout  ont  ale, 
die  dann  Übertragung  auf  Bewegungsverba  ermöglichte,  für  die 
die  Nichterreichung  eines  Zieles  ein  begriff"liches  Charakteristikum 
bildet,  wie  saillir,  passer  'vorbeigehen'.  Doch  kann  ich  mich,  so 
sehr  mich  der  Gegenstand  reizt,  hier  drauf  nicht  einlassen,  diese 
Entwicklung  näher  darzustellen,  da  die  erreichten  Endstadien  schon 
aufserhalb  des  uns  interessierenden  Zeitraums  liegen.  Nur  soviel  sei 
der  Merkwürdigkeit  halber  nochmals  festgestellt,  dafs,  während  sonst 
bei    der    präteritalen  habere-KonsixxxkXion   die  Verwendung  bei  per- 


1  Ganz  anders  zu  beurteilen  sind  natürlich  Fälle  wie  a  failli  'er  hat 
einen  Mifserfolg  gehabt',  wo  offenbar  ein  ursprünglich  transitives  Zeitwort 
vorliegt  (sein  Ziel  verfehlen),  bei  dem  der  gewohnlieitsmäfsige  Akkusativ  als 
selbstverständlich  vermifst  werden  konnte.  Ähnlich  auch  a  mesfait,  mespris, 
und  ddinach'  meserre.  Fälle  wie  sus  en  lo  cel  a  reguardat  erklären  sich  aus 
dem  Nebeneinander  der  Konstruktionen:  reguardar  lo  cel  und  en  lo  cel. 


i8o 

fektiven  Verben    die    primäre,    die  bei  durativen  die  sekundäre  ist, 
bei  den  intransitiven  die  Verhältnisse  gerade  umgekehrt  liegen. 

141.  Die  Entwicklung,  wie  wir  sie  für  das  Französische  skizziert 
haben,  wird  durch  das  Italienische  bestätigt,  das  auch  im  13.  Jh, 
kaum  weiter  gelangt  ist,  als  das  Französische  in  der  ältesten  Zeit. 
In  den  CNA  z.  B.  finden  wir  keinen  einzigen  Fall,  wo  habere  bei 
einem  wirklich  intransitiven  Verb  steht,  nur  solche  von  intransitiv 
gebrauchten  transitiven  Verben:  in  non  äi  sognato,  anzi  chomhaUiito 
37,  vostri  figliubli  anno  guadagnato  50  etc.  Und  so  finden  wir  auch 
sonst  habere  häufig  bei  intransitiven  Verben,  die  daneben  auch  die 
transitive  Konstruktion  kennen:  Ed  0  servuto  adesso  co  leanza  A  la 
sovrana  Guid.  Col. ;  non  i  7neraveja  s'  el  ha  a  ti  servio  Bonv.  Job86; 
De  sexe  grandi  mar  turn  recordato  avemo  Bonv.  3  scr.  537;  irenta  sei 
anni  regnatu  avea  lu  imperiatii  IV  P.  51,  37  f.,  vgl.  das  Beispiel  aus 
dem  Longobardenlatein  iiy  etc.;  ferner  oft  hb  pianto,  das  ja  auch 
häufig  transitiv  vorkommt  wie  frz.  ai  plore  und  danach  analog  das 
seltener  transitive  sospirare  und  ridere:  non  hanno  riso  D.  Par.  6  jßp 
Auf  analogischem  Weg  ist  wohl  auch  nocere  (wie  frz.  nutstr)  zur 
Äa^^ri?-Umschreibung  gekommen:  altre  me  ha  noxuto  Bonv.  3  scr.  701, 
etwa  nach  far  male  oder  danno','^  od&x  faiigare  'sich  anstrengen': 
dapoi  che  lu  cavallu  a  fatigatii  Rusio,  Mascalcia  p.  6 1  nach  lahorare 
oder  ähnlich. 

Mit  einer  Dauerbestimmung  dann  in  Fällen  wie  Tanf  agio 
dimorato  E  dottato,  Istato  niuto  E  riletmlo  Giac.  Pugl.;  enlro  II  peccati 
en  äi  demorad  tanto  Que  .  .  .  Ugu<;.  L.,  Mon.  Chr.  47  ii4'  "'  ^^^^  ^^  ^  ^^^^ 
noge  .  .  .  nienie  dixen  a  loh  K  aveva  anc  ello  tazudho  Bonv.  Job  224; 
po  anc  cenio  quaranta  ajini  z«  qiiest  mondo  have  ello  stao  Bonv.  Job  270 
(sonst  esse  s.  pj)-"^ 

142.  Ganz  selten  scheint  habere  beim  Intr.  auch  im  Altsardischen  zu 
sein.  In  appimus  convemitu  de  departire  sos  filios  de  G.  T.  Mon. 
Chr.  I.  8  3j  haben  wir  wohl  transitiven  Gebrauch  von  conv.  zu  sehen 
und  die  Infinitivkonstruktion  spielt  die  Rolle  eines  Akk.-Objekts. 
In  per  tota  sa  terra  huy  at  avir  dellenquidu  dürfte  das  Verbum 
transitiv  empfunden  sein  (vgl.  lat.  delinquere  aliquid  etc.),  C.  d'A. 
CXXIX;  transitive  Verba,  intransitiv  gebraucht,  finden  sich  natürlich 
auch  sonst  mit  habere.  Aber  für  wirkliches  Intransitivum  finde  ich 
blofs    si   aet    accattare  per  provas   legitimas    qui  alcunu   in   lignos   de 


^  Allerdings  kommt  nocere  auch  transitiv  vor,  s.  Tommaseo,  Diz.  s.  v.  2. 
und  schon  in  der  Mulomed.  nocitutn  fiierit. 

*  Im  Süden  wären  frühe  Beispiele  von  habere:  ma  firchi  Sit  galeri 
haviatiu  vimäu  cu  Vautri  Fransisi  per  terra  Mon.  Chr.  II,  13461  chi  havianu 
trasutu  di  nottt  ebenda  71,  und  mit  statu:  chistu  a-via  statu  monacu  80  und 
passiv:  havianu  statt  chiamati  73.  Das  Denkmal  ist  aber  unecht.  Im  Sydr. 
Otr.  averia  campato  S^^i  und  se  non  abessero  consentuto  allu  demonio  57  ss- 
Auftällig  ist  afaticato  colui  c'  a  corso,  rende  il  pennone  ad  un  altro  che  corre 
Retor.  Guid.  Bol.  in  Mon.  Chr.  57i98;  vielleicht  darf  man  sich  an  correre  il 
palio  usw.  erinnern.  Dagegen  erklärt  sich  wohl  Mai  non  fu  home  che  cqui 
tirannasse  Che  Dia  non  habia  venuto  punenno  Buccio  di  Renn,  in  IVP21411 
aus  dem  vorschwebenden  habia  punilo. 


löl 

corsales  appat  navigatu  StS  III  4g,    für    das  sich  Anknüpfungspunkte 
bei   transitiven    und    perfektiven  Verben   besonders   leicht   ergeben. 

Viel  früher  nun  hat  sich  die  Konstruktion  in  den  iberischen  143. 
Sprachen  eingestellt.  Und  zwar  finden  sich  hier  nicht  nur  Beispiele, 
wie  sie  sich  im  Französischen  finden:  span.:  Los  yfantes  de  Carrion 
bien  nn  cavalgado  PC  2246,1  Eriantes  que  ovyesseii  una  legua  andado, 
Salida  fue  la  noch  FG  666;  portug. :  aqueles  que  as  carreiras  de 
Dens  ouveron  andadas  CSM  CCLXXXVIII;  E  iani^  ouv'  i  andado 
Que  achou  .  .  .  LXV;  E  assi  andado  ouve  per  mnitas  terras  CCCXXXIII; 
katal.:  com  hac  un  patit  anat  .  .  7W  704;  con  hi  aura  jagut  una  nit 
1566;  7nassa  avia  tardat  202;^;  und  schlielslich  com  avets  esiat?  357; 
bona  e  prous  avia  stat  e  manteguda  castedat  17 19  (neben  Lo  rty  es 
esiat  pagats  2231  mit  weniger  durativem  Charakter);  und  solche, 
wie  sie  überall  zu  finden  sind,  bei  Verben,  die  auch  transitiv  vor- 
kommen: span.:  por  el  agiia  a  passado  PC  150  (vgl.  passada  han 
la  Sierra  1823);  portug.:  pois  ouv"  alen  passado  CSM  CCXLIV  (vgl. 
per  Morabe  passaron  que  ante  passad''  ouveran  CLXXXI),  dissess'  ante 
todos  de  com'  avia  errado  CCCII  (vgl.  Esta  moller  .  .  .  tan  ?/iuit'  avia  errado 
CCLXXII),  pois  que  mh  0  meu  a  errado  RD  11 28;  por  que  jajüacV  avian 
(nach  comido  avian,  das  wieder  oft  transitiv  ist)  CCLXXVII;  katal.: 
quäl  es  aquell  qui  ha  errat  7W  575;  encara  no  ha  lo  seny  caylat 
('geschwiegen';  nach  parlat  etc.)  1465  —  sondern  auch  bei  ent- 
schieden perfektiven  Verben  mannigfaltiger  Art:  span.:  Fata  la 
(intura  el  espada  legado  ha  PC  2424;  a  Valengia  an  ejitrado  PC  2247; 
Eizo  una  corrida  .  .  .  Quando  ovo  corrido,  todos  se  maravillavan  PC 
1590;  que  por  hi  non  le  an  venido  LRd'Or.  49  [daneben  sonst  es 
legado,  entrado  etc.;  el  an  gel  fue  a  el  venido  LRd'Or.  85];  Toda  esta 
ganancia  en  su  mano  a  rastado  PC  1733  [neben  son  rastados  2270]; 
Falido  a  a  myo  Cid  el  pan  PC  581;  de  toda  Espanna  esse  (puerto) 
ovo  fyncado  FG  87d;  —  portug.:  assi  que  ouve  chegado  a  Terrejia  CSM 
CCCXXXIII;  tal  conü  esta  aqtiela  e  que  m'  ouv  apareguda"^  CXCVI 
(neben  mellor  fegicra  lle  foi  y  appareguda  ebenda) ;  pois  entrado 
ouv  en  un  barqti  e  passado  Sena  .  .  CXI  [mit  Präteritumbedeutung, 
s.  I2^\ 

Die  Ursache  des  frühzeitigen  Umsichgreifens  von  habere  bei  144. 
intransitiven  Verben  im  Spanischen  und  Portugiesischen  dürfte  viel- 
leicht in  dem  Umstand  zu  suchen  sein,  dafs  hier  für  das  Sprach- 
gefühl die  transitiven  und  intransitiven  Verba  weniger  scharf  ge- 
schieden sind  als  in  den  andern  Sprachen,  indem  hier  das  persönliche 
Akkusativobjekt  durch  d  eingeleitet  war,  derartige  Sätze  also  formell 


^  Besonders  auffällig,  weil  hier  das  Präsens  von  habere  -j-  Part,  eines 
durativen  Verbs  den  Sinn  eines  historischen  Perfekts  zu  haben  scheint. 

*  Beachte  die  eigentümliche  Übereinstimmung  mit  dem  Subjekt.  Sie 
scheint  drauf  hinzuweisen,  dafs  hier  ursprünglich  das  unpersönliche  habet  (llß,  1) 
vorlag  und  aktiv-präteritale  Bedeutung  des  Partizips.  Diese  aktiv-prätentale 
Bedeutung  würde  sich  etwa  so  erklären  wie  salido,  repentitdo  in  72.  Aber 
natürlich  rriufste  diese  Konstruktion  bald  mit  der  perfektischen  Äa^ifr^  -  Kon- 
struktion zusammengeworfen  werden. 


l82 

nicht  verschieden  waren  von  solchen  mit  intransitiven  Verben,  die 
etwa  eine  mit  ä  eingeleitete  Zielbestimmung  oder  dgl.  enthielten; 
in  ovi  al  tu  fijo  negado  (Berc.  Mil.  8i6)  mufste  das  Gefühl  für  die 
Beziehung  zwischen  Objekt  und  Partizip  viel  schneller  verschwinden 
als  in  oi  ton  fil  renoiie  oder  ehhi  il  tiio  figUo  renegato.  Man  denke 
auch  etwa  an  Beispiele  wie  avyan  a  toda  Canpos  corrydo  e  robado 
FG  717%  die  vermittelnd  gewirkt  haben  können. 

145.  Die  Verba  der  Bewegung  haben  auch  die  meist  unpersönlichen 
Verba  des  Geschehens,  Sich-Ereignens  mitgezogen.  Vgl.  ^como  vos 
a  ydo?  'wie  ist  es  euch  ergangen?'  FG49C;  conimol  avia  contido 
FG  24g  (neben  häufigem  es  ydo,  contido);  sopieron  lo  que  /'  avia  acaescido 
Cond.  Luc.  Enx.  18;  udieron  la  cosa  que  avie  contegida  Berc.  Mil.  216.1 
Ähnlich  im  Katalanischen:  fort  mal  hi  a  aveiigut  7  W  888;  com  «'  a 
pres  al  cavaller  2683   (aber  axi'us  es  pres  2436). 

146.  Aufser  diesen  unpersönlichen  Verben,  wo  habere  neben  esse 
steht,  welch  letzteres  im  Frz.  allein  gebräuchlich  ist,  gibt  es  noch 
eine  Reihe  andere,  die  auch  im  Frz.  mit  avoir  erscheinen,  ohne 
dafs  der  Anknüpfungspunkt  stets  klar  ist.  Für  das  Franz.  vgl.  Hof- 
mann S.  2  5  f.  Bei  chaloir  mag  das  meist  dabeistehende  mout,  petit 
als  Akkusativ  gefühlt  worden  sein,  bei  anoiier,  grever,  peser  die 
sonstige  transitive  Konstruktion  eingewirkt  haben.  Unklar  sind  mir 
membrer  und  paroir.  Die  Witterungsausdrücke  a  pleu,  negie  etc., 
katal  anit  710  ha  plogut  7  W  2363  gehen  wahrscheinlich  wieder  von 
den  häufigen  Fällen  aus,  die  eine  Dauerbezeichnung  (resp.  eine  als 
Objekt  fafsbare  Mengenbezeichnung)  enthalten:  il  ot  negic  la  matinee 
Mer.  14 12,  si  ot  un  poi  pleu  R.  Cambr.  2774,  diu  que  amt  ha  tant 
plogut  7  W  2375. 

^47*  Bei    dem  Verbum    substantivum    verlohnt   es    sich  noch   einen 

Moment  zu  verweilen.  Wir  haben  in  i^S  gesehen,  dafs  die  zu- 
sammengesetzten Formen  in  den  ältesten  Denkmälern  fehlen.  Sie 
fehlen  auch  in  jüngeren  Texten:  im  Oxforder  und  Cambridger  Psalter, 
in  Gormund,  der  Karlsreise,  wenn  ich  nichts  übersehen  habe,  ai 
este  in  der  Bedeutung  'ich  bin  gewesen'  ist  also  erst  jüngeren 
Datums.  In  den  QLdR  stofsen  wir  dann  auf  ein  Beispiel  wie 
Li  reis  Yram  de  Tyr  out  ested  amis  lu  rei  David  III  5.  Interessant 
ist  das  Rolandslied.  Hier  kommen  mehrere  Beispiele  für  ai  este 
vor,  aber  alle  sind  so  beschaffen  wie:  set  anz  tuz  pleins  ad  estet  en 
Espaig7ie  2,  ensevible  avum  estet  et  anz  et  dis  2028,  en  cest  pa'is  avez 
estet  asez  134,  vgl.  noch  266,  351,  2610,  2736.  Wir  haben  es  also 
direkt  in  dem  Sinn  von  'ich  habe  verweilt',  'ich  habe  gelebt',  was 
auf  Stare  =  ester  weist  (vgl.  AI.  38  b,  Rol.  2691,  KR  74),  immer 
mit  einer  Dauerbezeichnung,  also  ganz  parallel  zu  dem  in  den 
ältesten  Texten  konstatierten  Gebrauch  von  ai  ßu,  ai  sis.  In  der 
Bedeutung  'ich  bin  gewesen'  ist  es  dann  in  den  Texten  aus  der 
2.  Hälfte  des  12.  Jh.  häufig.  Aber  in  gewissen  Dialekten  scheint 
es  auch  in  späterer  Zeit  noch  nicht  durchgedrungen  zu  sein.     So 


*  S.  S.  181,  Anmerkung  2. 


fehlt  es  gänzlich  in  der  burgundischen  Prosa-Übersetzung  von  Ami 
und  Amile.  Es  wäre  sehr  ratsam,  auf  das  Vorkommen  dieser 
Konstruktion  mehr  zu  achten  als  es  bisher  geschehen  ist. 

Dafs  im  Italienischen  teils  eine  Neubildung  versucht  wurde 
{sono  suio),  teils  snm  Status  die  Bedeutung  eines  Perfekts  von  esse 
angenommen  hat,  haben  wir  bereits  gesehen  (^j).  Daneben  im 
Norditalienischen  {i^i)  habeo  statiim  in  der  dem  Frz.  entsprechenden 
Verwendung.  Auch  das  Prov.  und  das  Katalanische  ^  haben  siim 
Status  neben  haheo  statum,  und  zwar  mit  der  entsprechenden  Ge- 
brajchsverschiedenheit.2  Wie  anderwärts  das  Verbum  stare,  ist  im 
Span.-Portug.  das  Verb  sedere  dazu  gekommen,  das  fehlende  Perfekt 
zu  supplieren  und  zwar  in  der  Gestalt  habeo  seditu.  Aber  alles  dies 
sind  spätere  Bedeutungsverschiebungen  und  was  speziell  den  letzteren 
Typus  betrifft,  so  ist  mir  ein  Beispiel  in  der  älteren  Literatur  nicht 
begegnet. 

Dagegen  bestand  auf  einem  grofsen  Teil  des  romanischen  14°« 
Sprachgebiets  eine  andere  Formel  für  diesen  Zweck,  die  hohes 
Alter  beanspruchen  darf.  Sie  geht  zurück  auf  den  schon  im 
Lateinischen  sehr  wohl  bekannten  Gebrauch  haben  für  esse,  eigent- 
lich 'gehalten,  gehabt  werden '.3  Dieses  haberi  lebt  fort  z.  B.  eccksia 
in  qua  Uli  supra  metnorati  habentur  lapides,  Adamn,  Iter  Hier.  2657, 
vgl.  auch  274g  etc.;  abentur  nanique  in  dicto  vico  balnea  calida  Chron. 
nov,  I.  frgm.  9 ;  nur  müssen  wir  uns  vorstellen,  dafs  es  in  der  Volks- 
sprache durch  habere  ersetzt  wurde,  wofür  Beispiele  bei  Thielmann 
ALL  II  548  zu  finden  sind;  ebenso  wie  dicit  für  dicitur,  rumpo  für 
rumpor  etc.  sich  einfinden,  vgl.  66 ^  und  Diez  Gr.  III  208.  Dazu 
dann  habitus  entsprechend  unserem  'befindlich':  De  spelunca  in  rupe 
montis  Oliveti  habita  Adamn.  241  j^,  das  nun  natürlich  zu  einem  est 
resp.  fuit  habitus  'war  befindlich'  führte  [cella  hospitiim  quae  ex 
antiquo  habita  fuit  8g8  Td.  219).  Dies  hat  sich  unter  der  roma- 
nischen Form  *est  hahitus   weithin   erhalten.  4     Da  sich  nun   dieses 


1  Vgl.  oben  149.  Auch  noch  später;  so  ist  in  PV  ser  die  Regel:  a 
vion  pare  es  estada  merce  gran  654  etc.  und  so  beim  Passiv:  era  stat  vengut 
640  etc.;  aber  apres  de  haver  stat  per  sei  anys  sens  infants  64S. 

^  Für  das  Provenzalische  vgl.  avion  estat  grant  terrnini  essems  B.  Chr. 
prov.  259;  al  castel  on  a  istat  lo  cavalliers  tan  lotigamentz  App.  Chr.  3,  310; 
vgl.  ferner  ebenda  337,  40  05)  939!  aber  tot  quant  es  de  he  et  es  estat  e  sera 
App.  Chr.  115,  277,  und  für  das  Passiv  segon  qiC  es  estat  dig  12413.  Später 
freilich  verwischen  sich  die  Unterschiede:  der  Donat  prov.  gibt  für  das  Passiv 
teils  eu  avia  estat  amatz  etc.,  teils  die  beiden  Konstruktionen  nebeneinander 
ohne  Unterschied  der  Verwendung  an  (1725,  18,3,45  etc.)  und  in  den  Rasos 
de  trobar  des  Raim.  Vid.  liest  man  6935  in  der  einen  Hs.  Ni  non  crezas  qiie 
neguns  hotns  n'  aia  istat  maistres.     Ferner  Bartsch  Chr.  3124,   etc. 

*  Auf  die  Grundbedeutung  selbst  könnte  ein  Gebrauch  zurückgeführt 
werden,  wie  wir  ihn  r.  B.  finden  in  ung  ort  que  ero  agut  de  Peyron  Vachares 
Doc.  lingu.  S.  333. 

*  Ich  ziehe  somit  die  Erklärung  zurück,  die  ich  von  dieser  Erscheinung 
ZRPb.  XXVI  740  gegeben  habe  und  die  sich  mit  einer  von  Gauchat  in 
dem  ^sono  avuto'  betitelten  Aufsatz  versuchten,  aber  wieder  zurückgezogenen 
deckt.  Betreffs  der  Ausdehnung  und  älteren  Literatur  über  den  Gegenstand 
s.  Gauchat  1.  c. 


i84 

haheri — habere  im  Spätlatein  und  in  der  Merowingerzeit  in  der 
dreifachen  Verwendung  des  Romanischen  findet:  i.  dem  unpersön- 
lichen a  entsprechend:  habehat  de  eo  loco  ad  montem  Dei  quatüor 
milia  Peregr.  3715,  habet  in  ipsa  cripta  hebraeis  litleris  scriptum  nomina 
It,  Burg.  25  6,  2.  mit  persönlichem  Subjekt  und  zumeist  Ortsbestimmung 
Et  deus  in  te  est  et  praeter  te  non  alter  habetur  Comm.  ap.  374;  ibi 
habetur  capella,  qiiae  ijiibi  habere  vide7itur  etc.  s.  Thielm.  1.  c,  3.  mit 
Perfektpartizip:  quorum  pignora  in  ipso  monastirio  habentur  inseria 
670  Td.  ig;  nisi  quod  hie  descriptum  habetur  1058  Td.  272,  so  ist 
die  Anknüpfung  von  selbst  gegeben  und  die  Erklärung  Gauchats, 
die  auf  einer  nur  beim  ersten  Gebrauch  möglichen  Verschränkung 
beruht,  abzuweisen. 

14g.  In   manchen   Denkmälern,   wo   diese  Konstruktion  mit  ai  estat 

konkurriert,  sieht  man  noch  sehr  deutlich  die  ganz  verschiedene 
Entstehung,  so  in  der  Sancta  Agnes  und  in  dem  von  J.  Huber 
herausgegebenen  Evangile  d'Enfance  RF  XXII.  Vgl.  für  ai  estat: 
Aynes  Pa  gitat  d'enfern  on  avia  tant  estat  SA  1 207  ;  Totz  ietnps  dedins 
esta  maysoti  A  estat  en  oracion  Ev.  800;  ohne  Zeitbestimmung  aber 
deutlich  ebenfalls  =  'verweilt  haben':  mort  ai  estat  ins  en  enfern 
SA  1190,  ähnlich  1186;  E  la  verges  c'  aviaji  estat  Am  Maria  li  071 
parlat  Ev.  791,  ähnlich  1363;^  Que  ac  estat  en  greti  perill  de  malautia^ 
Ev.  2254,  ähnlich  136;  aber  für  sui  agutz'.  ieus  diray  ques  es  agiit 
'was  es  gewesen  ist'  SA  1214;  Anz  fom  cays  morta  e  lassada  Car 
era  aguda  trebayllada  130;  Li  message  son  tost  agut  a  Frondisi  1500. 
Besonders  bezeichnend  ist  Et  ac  estat  for  sa  mayson  Neu  mes 
que  non   hi  es  agut  778  f. 

Ganz  ähnlich  noch  in  späten  Urkunden.  In  einem  Send- 
schreiben aus  ßriangon  (1495):  et  aven  ista  a  Grciioble  circo  des 
jors  Et  ptiis  sen  annas  a  Lion\  et  quant  sen  agus  a  Lion,  aven 
atendus  .  . ;  ferner  a  ista  hen  malate,  aber  quant  son  agus  ensens  et  al 
consel\  allerdings  auch  a  ista  revisto  la  ordenaiiso  Doc.  Lingu.  428!^. 
Wo  aber  im  späteren  Prov.  estre  estat  neben  estre  agut  ver- 
wendet wird,  scheint  allerdings  kein  Unterschied  mehr  gemacht  zu 
werden.  So  in  einer  Urkunde  aus  Digne:  Item  es  estat  ordenat 
que  .  .  .  Doc.  lingu.  S.  249  (ebenso  252  ff.),  aber  zweimal  es  agut 
ordenat  que  .  .  S.  250;  es  stat  elegit  guardian  S.  256  (1440)  neben 
sia  aguda  elegissa  badessa  S.  261  (1441).  Dagegen  wird  aver  estat 
noch  in  der  alten  Weise  verwendet:  que  hy  an  istat  ambe  my  chascun 
jors  X  S.  274  (1449)  und  so  öfters.  Ähnlich  es  agutz  und  es  istatz 
ohne  Unterschied  in  einer  Urkunde  aus  Beuil  1430,  S.  597  f. 

150.  Wo    sich   dagegen    im  Norditalienischen   est  habutus  neben   est 

Status  findet,  dürfte  sich  vielleicht  noch  ein  leises  Gefühl  für  die 
Verschiedenheit  der  Bedeutung  erhalten  haben.  In  den  7  Beispielen, 
die  Bonvesin  für  die  erste  Konstruktion  aufweist,  3  steht  es  entweder 


^  Vgl.  qu^ella  estei  am  mi  ensemps  649. 

'  Ahnlich  estac  en  sa  (^=  de  Dich)  mantenenza  988. 

«  Sechs  davon  zitiert  bei  Mussafia,  SWAk.  ph.-h.  Kl.  Bd.  39,  S.  546. 


i85 

allein  [s'eo  710  fosse  habiudho);  oder  mit  adjektivischem  Prädikat  {fosse 
hahiudo  acorto  e  avedudo  3  scr.  79^;  sont  h.  trop  molk  etc.;  hieher 
auch  digio  g^ha  in  penitentia  com  ^  h.  so  siaio)  oder  mit  einem  sub- 
stantivischen Prädikat  {inanze  ka  esse  habiudho  zamai  to  companion 
etc.).  Wo  dagegen  eine  hinzutretende  Ortsbestimmung  dem  Aus- 
druck die  Nuance  des  'Verweilens'  verleiht,  steht  stets  die  zweite; 
Konstruktion:  El  pare  ke  in  sii  siadha  enir''  infer7ial  horror  DMF  188; 
yo  sono  staio  ujia  hora  in  quello  malvaxo  inferno  3  scr.  877.  Wenn 
wie  in  dem  letzten  Beispiel  eine  Dauerbestimmung  auftritt,  finden 
wir  auch  habeo  stattim  s.  o.  i/f.i. 

Jede  romanische  Sprache  kommt  schliefslich  mit  Hilfe  von  IS^« 
habere  und  esse  dazu,  sich  ein  vollständiges  Formenschema  der 
Perfektumschreibung  auszubilden.  Jede  aber  geht  darin  ihre 
eigenen  Wege,  jede  nimmt  die  Verteilung  in  ihrer  Weise  vor.  Das 
haben  wir  in  den  Anfängen  festgestellt,  und  das  würde  sich  noch 
deutlicher  zeigen,  wenn  ich  diese  Verhältnisse  Schritt  für  Schritt  in 
die  neuere  und  neueste  Zeit  verfolgen  könnte.  Dieses  Bild  würde 
noch  in  eigenartiger  Weise  vervollkommnet,  wenn  es  möglich  wäre, 
das  Rumänische  in  den  Kreis  der  Untersuchung  zu  ziehen,  das 
hier  wieder  so  besonders  und  von  den  andern  Sprachen  abweichend 
verfährt.  Durch  den  beklagenswerten  Umstand,  dafs  die  rumänische 
Literatur  einige  Jahrhunderte  später  einsetzt  als  die  der  Sprachen, 
mit  denen  wir  uns  beschäftigt  haben,  sind  wir  aufser  stände  gesetzt, 
zu  beobachten,  wie  sich  dort  die  heutige  Verteilung  festgesetzt  hat 
und  wir  wären  deshalb  darauf  angewiesen,  den  Gang  der  Ereignisse 
aus  dem,  was  wir  in  den  andern  Sprachen  lernen,  mit  mehr  oder 
weniger  Wahrscheinlichkeit  zu  rekonstruieren. 

Das  eine  sehen  wir  deutlich:  es  ist  verfehlt,  ohne  Rücksicht- 
nahme auf  die  historische  Entwicklung  gewisse  Kriterien  aufzustellen, 
nach  denen  die  Verteilung  vor  sich  geht,  wie  dies  oft  für  das 
Französische  geschieht,  wenn  man  sagt,  etre  bezeichne  den  Zustand, 
avoir  die  Handlung  oder  wie  es  ebenfalls  für  das  Französische 
noch  komplizierter  Cledat,  Rev.  phil.  fr^.  XVI  40 ff.  tut,  der  aufstellt: 
Mit  elre  verbinden  sich  „i^  Verbes  qui  expriment  le  maintien  dans 
un  lieu  ou  dans  un  etat;  20  Verbes  qui  expriment  un  changement 
de  lieu;  30  Verbes  qui  expriment  un  changement  d'etat;"  —  avoir 
dagegen  „fait  prevaloir  l'idee  du  mouvement  sur  celle  du  change- 
ment de  lieu".  Wenn  man  nun  in  der  Verschiedenheit  der  „id6e 
du  changement  du  lieu  proprement  dit  et  celle  de  l'action  qui  le 
produit"  (ebenda  58)  —  man  sieht,  es  ist  im  Grunde  doch  nichts 
andres  als  der  alte  Unterschied  von  Zustand  und  Handlung  —  die 
eigentliche  Ursache  der  Wahl  des  einen  oder  andern  Hilfszeitworts 
in  einem  bestimmten  Fall  sucht,  so  stöfst  ein  Blick  auf  die  historische 
Entwicklung  1  oder  die  andern  romanischen  Sprachen  eine  derartige 


1  Man'   denke   an    afr.  sailliz   est,    entrez   est ;  jeii  ai,   sis  ai,    demore  ai 
longuement. 


i86 

Aufstellung  um.  Denn  ursprünglich  bedeuten  ja  beide  Konstruktionen 
einen  Zustand;  und  die  Idee  der  Ortsveränderung  und  der  Hand- 
lung, die  sie  bewirkt,  hat  sich  erst  in  den  Formeln  und  mit  den 
Formeln  ausgebildet.  Wenn  sich  das  Gefühl  für  die  Verschieden- 
heit der  Bedeutung  wirklich  so  einstellte,  wie  es  Cledat  will,  so  ist 
es  erst  aus  dem  vorhandenen  Sprachmaterial  abstrahiert  zu  einer 
Zeit,  wo  die  Verhältnisse  eben  durch  anderweitige  Verschiebungen 
schon  so  lagen,  dafs  sich  dieses  Gefühl,  gewissermafsen  als  Durch- 
schnittswert, daraus  gewinnen  liefs.  Als  es  dann  schon  gewonnen 
war,  mag  es  freilich  mitgeholfen  haben,  die  Tradition  noch  genauer 
danach  zu  regulieren  und  abweichende  Fälle  verschwinden  zu  lassen, 
dort  namentlich  wo  Konkurrenz,  also  Wahlmöglichkeit,  vorhanden 
war.  Dafs  es  aber  nicht  imstande  war,  festgegründete  Tradition  zum 
Weichen  zu  bringen,  beweist,  um  nur  je  ein  Beispiel  zu  geben, 
auf  der  einen  Seite  ü  sest  tue,  auf  der  andern  il  a  He  ä  Vkole. 
152.  Langsam  und  schrittweise,   durch  stetes  Zusammenwirken  und 

gegenseitige  Beeinflufsung  des  formeilen  und  des  ideellen  Elements 
haben  sich  die  romanischen  Sprachen  eine  Reihe  neuer  Tempora 
gebildet.  Von  zwei  verschiedenen,  wenn  auch  vielfach  analogen 
Ausgangspunkten  aus  haben  sich  dafür  zwei  verschiedene  Formeln 
gebildet,  die  immer  weitere  und  weitere  Kreise  zogen,  bis  sie  sich 
endlich,  keine  Lücke  mehr  lassend,  in  das  ganze  Zeitwortmaterial 
teilen.  Über  die  entscheidenden  Schritte  bietet  uns  die  früh-mittel- 
alterliche lateinische  Literatur  leider  nur  ein  unvollständiges  Bild, 
aber  die  romanischen  Literaturen  kommen  noch  gerade  rechtzeitig, 
um  uns  den  letzten  Akt  der  Bewegung  mitansehen  und  dadurch 
die  früheren  Akte  erraten  zu  lassen.  Schon  haben  die  beiden 
Kreise  sich  an  einzelnen  Stellen  ihres  Umfangs  berührt  und  fest 
aneinandergeschlossen  und  hie  und  da  sogar  haben  sie  sich  gekreuzt, 
indem  einer  in  das  Gebiet  des  andern  eingedrungen  ist.  Daneben 
finden  wir  aber  noch  unberührte  Fleckchen:  esse  hat  noch  keine 
Perfektumschreibung  {^138,  i^y)  und  für  volere,  potere,  auch  debere 
als  Hilfszeitwort  weist  die  älteste  französisch-provenzalische  Literatur 
ebensowenig  ein  Beispiel  auf  wie  die  spanisch-portugiesische  Literatur 
und  die  sardischen  Urkunden  noch  im  13.  Jh.  und  am  Anfang  des 
14.,  während  sie  in  Italien  allerdings  um  diese  Zeit  schon  ihr  Per- 
fektum  haben.  Vielleicht  fehlt  es  noch  in  manchen  andern  Fällen, 
wo  die  älteste  Literatur  schweigt,  aber  nur  bei  jenen  so  häufig  ge- 
brauchten Verben  darf  man  den  Schlufs  ex  silentio  mit  einiger 
Berechtigung  wagen.  Freilich  nirgends  sollte  es  mehr  lang  dauern 
und  auch  diese  letzte  Stelle  wird  von  der  siegreich  vordringenden 
Perfektumschreibung  erobert. 

Wien,  Jänner   1910. 

Eugen  Herzog. 


Das  Vigesimalsysteni  im  Romanisclien. 


„Von  jeher  haben  gewisse  Zahlen  einen  geheimnisvollen  Zauber 
auf  den  Menschen  ausgeübt  und  dadurch  eine  mehr  als  blofs 
mathemalische  Bedeutung  für  ihn  bewährt",  sagt  Hirzel.* 

Doch  kann  man  gerade  in  Bezug  auf  die  Zahl  bei  fort- 
schreitender Kultur  ein  Schwinden  des  Interesses  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert  wahrnehmen  und,  wenn  noch  Isidorus  in  seinen 
Origines  von  ihr  sagte:  Tolle  numeruin  rebus  Omnibus  et  oi7inia 
peretmt  und  sie  im  JNIittelalter  in  den  Spekulationen  der  Astrologen 
eine  grofse  Rolle  spielte,  so  hat  sie  heutzutage  —  abgesehen  von 
ihrem  eigentlichen  Gebiete  —  fast  nur  in  abergläubischen  Prophe- 
zeiungen alter  Weiber  und  in  den  Kinderreimen  irgend  welche 
Bedeutung.  In  der  Sprachwissenschaft  wird  die  Zahl,  mit  wenigen 
Ausnahmen,  meist  ziemlich  geringschätzig  behandelt.  In  der  Formen- 
und  Bedeutungslehre  der  Grammatiken  hat  sie  keinen  festen  Platz, 
bald  mufs  sie  bei  dem,  bald  bei  jenem  Redeteil  einen  Unter- 
schlupf suchen,  ja  es  gibt  Grammatiker,  die  wirklich  nur  bis  drei 
zählen  können. 

Und  doch  ist  die  Zahl  nicht  blofs  für  den  Mathematiker  von 
Bedeutung.  In  den  Rund-  und  Stufenzahlen  drücken  sich  kultur- 
geschichtliche Strömungen  aus  und  die  Verschiedenartigkeit  der 
Kardinalzahlsysteme  ist  auch  für  den  Sprachforscher  nicht  ohne 
Interesse. 

Allerdings  ist  dem  heutigen  Bewufstsein  der  Kulturnationen 
jedes  andre  Prinzip  der  Zahlenbildung  als  das  dekadische 
vollständig  fremd  geworden  und  als  selbstverständlich  wird  sein 
Vorkommen  gar  nicht  besonders  vermerkt.  Dagegen  werden  Er- 
scheinungen wie  französisches  qiiatrc-vingt  als  vereinzelte  Anomalien 
empfunden  und  als  solche  hervorgehoben.  INIan  vergifst  dabei  ganz, 
dafs  jede  moderne  Sprache  Reste  eines  andern  Zahlsystems  auf- 
weist, man  gedenkt  —  um  nur  das  geläufigste  Beispiel  zu  nennen  — 
nicht  der  ungeheuren  Verbreitung  des  Zahlbegriffs  Dutzend,  der 
sich  aus  dem  Zehnersystem  nicht  erklären  läfst. 

Man  braucht  nur  Umschau  zu  halten,  um  bei  den  verschiedensten 


^  Über   Rundzahlen,   Bericht   der   sächsischen   Ges.   der   Wissenschaften 
Jan.  1885,  p.  I. 


i88 

Völkern  Spuren  nicht  dekadischer  Zählung  zu  finden.  Von  weit- 
gehendstem Einflufs  auf  das  indoeuropäische  Zahlsystem  scheint 
das  babylonische  gewesen  zu  sein.  Die  Sumerier,  die  Urbevölkerung 
Babyloniens,  zählten  nach  dem  Sexagesimalsystera,  die  ein- 
wandernden Semiten  rein  dezimal,  i  Das  Sexagesimalsystera  be- 
hauptet sich  neben  dem  dezimalen.  Die  Zahlen  schritten  von  60 
zu  600  zu  3600  zu  36000  zu  216000  vor.  Dieses  System  verbindet 
die  Vorzüge  des  Duodezimal-  und  des  Dezimal  Systems. 2  Wahr- 
scheinlich ursprünglich  ein  Zeitmafs  und  der  Berechnung  der 
Himmelskörper  entnommen,  wurde  das  Sexagesimalsystem  auch  auf 
Mafse  und  Gewichte  ausgedehnt.  In  der  Teilung  der  Zeit  und 
des  Kreises  hat  sich  das  System  bekanntlich  bis  heute  erhalten, 
aber  auch  sonst  finden  sich  Spuren  der  Sexagesimalteilung,  be- 
sonders bei  den  Völkern  des  Alterturas.  Brandis^  sagt:  „Nichts 
liegt  so  offen  zu  Tage  wie  der  morgenländische  Ursprung  des 
griechischen  Gewichtssystems.  Wenn  60  Minen  auf  das  Talent, 
50  Stater  auf  die  Mine,  12  Obolen  auf  den  Stater  und  raithin 
600  Obolen  auf  die  Mine,  3600  auf  das  Talent  gingen,  so  sieht 
man  wie  hier  die  Grundzahl  60  eine  hervorragende  Rolle  spielt".  — 
Der  360.  Teil  der  Sphäre  ward  als  Mafs  der  Elle  betrachtet,  deren 
60  ein  Plethron,  360  ein  Stadion  bildeten. 

Wie  sehr  aber  das  Sexagesimalsystem  im  Volksbewufstsein 
wurzelte,  zeigt  sich  in  der  häufigen  Anwendung  der  60  und  deren 
Vielfachen  als  „Rundzahl"  bei  griechischen  Schriftstellern.  Nach 
HirzeH  „müssen  wir  daran  festhalten,  dafs  schon  vor  aller  Zahlen- 
spekulation gewisse  Zahlen,  die  sich  besonders  häufig  darboten, 
eben  dadurch  ungesucht  eine  höhere  Bedeutung  erhielten".  „Diese 
kann  sich  auch  herleiten  von  der  Stelle,  welche  jene  Zahlen  in  der 
Zahlenreihe  einnehmen.  Auf  diese  Weise  mufste  man  dazu 
kommen,  der  Zehn,  Hundert  und  Tausend  vor  andern  einen 
gewissen  Vorrang  einzuräumen.  Es  sind  dies  Stufen  zahlen,  sie 
eröffnen  eine  neue  Reihe,  die  von  ihnen  beherrscht  wird." 

Die  meisten  Völker  haben  für  diese  Stufenzahlen  kurze,  an- 
scheinend nicht  zusammengesetzte  Ausdrücke  und  verwenden  sie 
mit  Vorliebe  auch  als  Rundzahlen,  d.  h.  als  Zahlen,  die  statt 
grofser  oder  geringerer  Mengen  gebraucht  werden,  ohne  dafs  es 
auf  ein  paar  Einheiten  mehr  oder  weniger  ankäme.  Auch  10  000, 
für  das  den  Griechen  ein  einfaches  Wort,  fiVQioi,  zur  Verfügung 
stand,  wurde  von  ihnen  gern  als  Rundzahl  gebraucht,  daneben 
finden  sich  aber  auch  die  sexagesimalen  Zahlen.  60  Tage 
warten  die  Griechen  an  der  Brücke  am  Ister,  300  Peitschenhiebe 
läfst   Xerxes    dem    Hellespont    geben    und   300  Spartaner    erwarten 


1  J.  Schmidt,  Die  Urheimat  der  Indogermanen  und  das  europäische  Zahl- 
system p.  44. 

2  Lehmann,    Verhandlungen    der    physikalischen    Gesellschaft    zu    Berlin 
22.  Nov.  1889,  p.  84  ff. 

8  Das  Münz-,  Mals-  und  Gewichtssystem  in  Vorderasien   1866,  p.  43. 
*  L.  c.  p.  2. 


iSg 

ihn  in  den  Thermopylen  i,  300  athenische  Schiffe  werden  im  Hafen 
von  Syrakus  eingeschlossen  (obwohl  es  nach  genauerer  Rechnung 
nur  ungefähr  iio  waren).2  In  360  Gräben  wird  der  Flufs  Gyndes 
verteilt  etc. 

Auch  die  Zahl  12,  die  ihre  Wichtigkeit  im  Sexagesimalsystera 
erhält,  wenn  es  durch  Einschiebung  einer  Dezimale  unterbrochen 
ist  und  wieder  durch  die  duodezimale  Unterabteilung  (wie  oben 
durch  die  12  Obolen)  auf  die  60  zurückgeführt  werden  soll,  findet 
als  Rundzahl  Anwendung,  z.  B.  die  12  Kinder  des  Äolus  nach 
den  12  Hauptwindrichtungen  der  babylonisch -phönizischen  Geo- 
graphie.3 

Das  Gewicht  der  im  Altertum  von  den  Perserkriegen  bis 
Philipp  von  Mazedonien  verbreitetsten  Goldmünze,  des  Dareikos, 
war  ein  Sechzigste!  des  altbabylonischen  leichten  Gewichts.  Um 
nun  ein  Siiberstück  zu  haben,  das  zugleich  dem  Verhältnis  des 
Goldes  zum  Silber  entsprach  und  eine  für  die  Zirkulation  geeignete 
Schwere  besafs,  liefs  Dareios  die  Drachme  zum  Wert  von  V20 
Dareikos  ausprägen.  Er  schlofs  sich  hierbei  im  allgemeinen  an  die 
krösische  Münzordnung  an.4  Wir  finden  hier  also  eine  weitverbreitete 
Vigesimalteilung   der   Münze. 

Auch  auf  die  Römer  scheint  das  Sexagesimalsystem  eingewirkt 
zu  haben.  Es  ist  ja  allgemein  bekannt,  dafs  sexaginta  und  sescenti 
als  Rundzahlen  vorkommen.^  Und  die  Duodezimalteilung 
findet  sich  sowohl  im  Gewichts-  und  Münzsystem  als  in  der 
Bruchrechnung.  Cantor^  sagt  von  letzterer:  „Wenden  wir  uns 
zu  den  Zahlen  unterhalb  der  Einheit,  so  stehen  wir  vor  einem 
ausgesprochenen  Duodezimalsystem.  Wir  haben  es  hier  mit  einem 
ähnlichen  Gedanken  zu  tun  wie  bei  dem  Sexagesimalsystem  der 
Babylonier  und  der  griechischen  Astronomen  .  .  .  Die  Ähnlichkeit 
beider  Systeme  zeigt  sich  beispielsweise  in  Ausdrücken  wie  andert- 
halb Zwölftel"   (statt  i/g). 

„Eine  weitere  Ähnlichkeit  zwischen  den  Sexagesimalbrüchen 
und  den  römischen  Duodezimalbrüchen  dürfte  darin  gefunden 
werden,  dafs  beide  von  einer  ganz  bestimmten  Teilung  her- 
genommen sind,  also  ursprünglich  benannte  Zahlen  waren,  bis  all- 
mählich der  Bruchgedanke  über  den  des  kleinen  Bogenteiles  der 
Babyloner,  des  kleinen  Gewichtsteils  der  Römer  die  Oberhand 
gewann". '^ 


1  Schon  V.  Hugo  fiel  diese  Zahlenübereinslimmung  auf,  Legende  des 
SiÄcles,  Les  Trois  Cents:  Et  de  ces  trois  cents  coups,  ü  fit  trois  cents  soldats. 
Et  Xerxes  les  trouva  dehout  aiix   Thermopyles. 

2  Vgl.  Schmidt  p.  45,  Hiizel  p.  6. 

3  Nautische  Märchen,  D.  Rundschau    1S96  p.  435. 

^  Vgl.  Brandis  p.  68,  190,  218.  Auch  die  Juden  hatten  eine  vigesimale 
Einteilung  der  Münze:  der  Shekel  zerfiel  in  20  Gora.     Vgl.  1.  c.  p.  97. 

*  Vgl.  auch  Schmidt  1.  c.  p.  41. 

*  Vorlesungen   über  Geschichte    der  Mathematik.     Leipzig  1894,    p.  489. 
^  Cantor  1.  c.  p.  490. 


iqo 

Als  Rundzahl  scheint  die  1 2  bei  den  Römern  nicht  gebraucht 
worden  zu  sein,  dagegen  hat  sie  wohl  seit  alter  Zeit  kollektiven 
Sinn  gehabt,  da  wir  sie  in  der  Anzahl  der  12  Tafelgesetze  an- 
treffen. Doch  hat  das  Sexagesimalsystem  der  Römer  nicht  zur 
Entwicklung  eines  vigesimalen  geführt  und  das  römische,  streng 
nationale  Münzwesen  blieb  vom  griechisch -persischen,  d.  h.  von 
einer  Einteilung  in  Zwanzigstel,  vollkommen  unbeeinflufst. 

Die  Bruchrechnung  der  Römer  ging  nicht  in  die  romanischen 
Sprachen  über  und  vom  Sexagesimalsystem  erhielt  sich  aufser  dem 
Erbe  aller  Kulturvölker,  der  Kreis-  und  Stundenteilung,  nur  hin 
und  wieder  die  Verwendung  von  60  als  Rundzahl.' 

Dagegen  finden  wir  in  einzelnen  romanischen  Sprachen  Spuren 
eines  Vigesimalsystems,  die  wir  nicht  auf  den  lateinischen 
Sprach-  und  Kulturschatz  zurückführen  können.  Zum  Teil  sind  es 
ganz    versprengte  Reste  in  räumlich  wenig  ausgedehnten  Gebieten. 

Während  auf  der  ganzen  iberischen  Halbinsel,  bei  Katalanen, 
Spaniern  und  Portugiesen  dezimal  gezählt  wird,  gebraucht  man  in 
Tras  OS  Montes,  neben  oitenta,  quatro  vezes  vinte  für  80.2 

Dezimal  zählt  man  ebenfalls  auf  der  Apenninhalbinsel,  sowohl 
im  Rätoromanischen  als  im  Italienischen.  Nur  in  zwei  Dia- 
lekten des  italienschen  Sprachgebiets,  in  denen  von  Teramo^  und 
von  Noto*  wird  vom  Volke  nach  Zwanzigern  gerechnet. 

Das  räumlich  ausgedehnteste  Gebiet  der  Vigesimalzählung 
findet  sich  in  Frankreich.  Im  Altfranzösischen  zählte  man 
von  2  mal  20  bis  17  mal  20;  im  Neufranzösischen  ist  allerdings 
die  Zwanzigzählung  auf  die  Zahlen  von  70  bis  99  beschränkt.  Im 
Altprovenzalischen  war  die  Vigesimalzählung  selten,  sie  scheint 
nur  eine  literarische  Nachahmung  der  nordfranzösischen  gewesen 
zu  sein, 5  dagegen  verzeichnet  die  moderne  provenzalische  Literatur 
nicht  nur  tres-vint  und  quatre-vint,  sondern  auch  sieis-vint,  trege-vini 
und  dh-e-7iuu-viniß 

Das  romanische  Vigesimalsystem  läfst  sich  nach  dem  Gesagten 
nicht  aus  dem  Lateinischen  herleiten,  da  die  Römer  dieses 
System  nicht  kannten.  Sein  Ursprung  mufs  bei  andern  Völkern 
gesucht  werden,  mit  denen  die  Romanen  in  engere  Beziehung  traten. 
Als  solche  kommen  nur  die  Kelten  und  die  Germanen  in  Betracht. 
Bei  beiden  Völkerstämmen  finden  wir  Spuren  eines  Vigesimalsystems, 
beide  wohnten  eine  Zeitlang  auf  demselben  Gebiete  wie  romanische 
Stämme   und   vermischten  sich  teilweise  mit  ihnen.     Zur  Erklärung 


>  Wie  mir  Professor  v.  Ettmayer  freundlichst  mitteilt,   ist  60  in  der  Be- 
deutung von  viel  in  den  Tiroler  Dolomiten  nicht  unbekannt. 

*  Nach  brieflicher  Mitteilung  von  Frau  Caroline  Michaelis  de  Vasconcellos, 
für  die  ich  ihr  an  dieser  Stelle  meinen  besten  Dank  ausspreche. 

3  G.  Savini,  La  Grammatica  ed   il  Lessico  del  Dialetto  Teramano,    1891. 

*  Avolio,  Canti  popolari  di  Noto   1875. 

^  Guilhem  de  Peitieu:  C.  e.  IUI.  vint.  e.  VIII  vetz,  —  Girart  de  Rossilho: 
Tres.  C.  e.  IUI.  vint  en  un  tropel. 
«  Vgl.  Mistral. 


igi 

des  französischen  Vigesimalsystems  hat  man  auch  häufig  den 
keltischen  Einflufs  herangezogen.  Natürlich  kann  es  sich  hierbei 
nur  um  die  Einwirkung  eines  keltischen  Stammes,  der  Gallier, 
handeln,  die  das  heutige  Frankreich  und  die  angrenzenden  Gebiete 
bewohnten.  Gerade  von  diesen  Kelten  ist  uns  jedoch  das  Zahl- 
system vollkommen  unbekannt.  Wir  wollen  uns  deshalb  zuerst  der 
Besprechung  der  nicht  dekadischen  Zahlen  bei  den  Germanen 
zuwenden;  für  diese  finden  sich  Belege  schon  aus  vorchristlicher  Zeit. 

Die  mit  dem  Dezimalsystem  konkurrierenden  Zahlen  zeigen  bei 
ihnen  eine  eigenartige  Entwicklung. 

„An  drei  Stellen  wird  das  indogermanische  Zahlsystem  durch- 
brochen, 12,  60,  120  bilden  schon  urgermanisch  neue  Abschnitte."  ^ 
Der  Ansicht  Schmidts,  dafs  60  die  ursprüngliche  Zahl  sei,  weil  im 
Gotischen  die  Zehner  inklusive  60  mittels  tigjus,  die  folgenden 
mittels  iehund  gebildet  wurden  und  analog  in  den  andern  germa- 
nischen Sprachen  aufser  dem  Altnordischen,  wo  sich  nur  mehr  im 
Adjektiv  Spuren  der  zweifachen  Bildung  finden,  widerspricht  Brug- 
mann.2  Doch  auch  er  gibt  zu,  „dafs  die  Zahlen  60  und  120 
bereits  im  Urgermanischen  Haupt-  und  Rundzahlen  waren",  wenn 
er  auch  nicht  wie  Schmidt  babylonischen  Ursprung,  sondern 
„aus  indogermanischer  Urzeit  ererbte  Zählweise"  annimmt,  da 
sie  in  vier  indogermanischen  Sprachzweigen  begegnet  und  die  60 
sich  auch  auf  Zehner  oder  Zwanziger  aufbauen  konnte. 

Bemerkenswert  ist  jedenfalls,  dafs  die  Babylonier  ein  nach 
Lehmann  „offenbar  älteres  System"  besafsen,  das  als  Längen- 
einheiten 2,  12,  120,  720  besafs,  d.  h.  die  Verdoppelung  der 
gewöhnlichen  Einheiten. 3 

Die  120  entfaltete  sich  bei  den  Germanen  zu  grofser  Be- 
deutung. Die  Skandinavier  der  Heidenzeit  drückten  durch  himdrad 
überhaupt  nur  120  aus,  da  sie  für  das  dezimale  Hundert  iiu-tiu 
gebrauchten.  Als  durch  die  Einführung  des  Christentums  dann 
auch  das  dekadische  Hundert  eindrang,  unterschied  man  die 
beiden  Hundert  durch  Vorsetzung  von  tolfroeU  und  Hn-oett.  Aber 
auch  dann  noch  wurde  im  gewöhnlichen  Leben  das  duodezi- 
male Hundert  fast  ausschliefslich  gebraucht  und  selbst  in  Annalen 
kommt  es  vor,  wenn  es  z.  B.  heifst,  dafs  das  Jahr  drei  hundert  vier 
Tage  (3x120  +  4)  enthalte  oder  dafs  König  Olafs  Leibwache 
aus  hundert  Hirten,  60  Hausleuten  und  60  Gästen,  im  ganzen  aus 
200  Personen  bestanden  habe.* 

Als  Werteinheit  bezeichnet  100  ursprünglich  120  Ellen  des 
Stoffes  ivaömal  und  bei  der  Umrechnung  in  Silber  rechnet  man 
6  Ellen  auf  eine  Unze. 

Auch  das  \Nox\.  püsund  bezeichnet  nicht   1000,  sondern   1200, 


1  .Schmidt  1.  c.  p.  38. 

2  Morphologische  Untersuchungen  V  p.  14O, 
8  L.  c.  p.  84. 

*  Vgl.  Cleasby-Vigfusson  sub  hundraö. 


192 

wurde  aber  viel  häufiger  als  Rund  zahl,  denn  als  Bezeichnung 
einer  bestimmten  Zahl  verwendet,  weil  man  lieber  nach  der  Anzahl 
der  Hunderte  zählte  und  dabei  bis  zu  60  Grofshunderten  fort- 
schritt. 

Auch  bei  den  Franken  ist  nach  der  Lex  Salica  ein  Grofs- 
hundert  zu  finden  (ttialepti),  die  Angelsachsen  unterschieden  hund- 
teontig  und  hundlwelßig,  im  Friesischen  wurde  tolftich  gebraucht  etc. 

Ob  nun,  wie  Schmeller*  meint,  von  Grofshundert  das  Grofs  = 
144  Stück  abgeleitet  ist,  oder  ob  das  im  6.  Jahrh.  belegte  mittel- 
lateinische Wort  grossiis,  vorliegt,  ist  eine  noch  offene  Frage.  Ur- 
sprünglich hat  grossiis  wohl  nicht  nur  dick,  sondern  auch  grofs 
bedeutet,  vgl.  Ducange,  Ludoviciis  Grossiis  qui  et  Mngnus  niincu- 
patur  quid  siaiiira  proceriori  et  crassiori. 

Jedenfalls  war  in  Norddeutschland,  wie  aus  alten  Rechenbüchern 
ersichtlich  ist,  noch  im  17.  und  18,  Jahrh.  das  Grofshundert  im 
Gebrauch. 2  In  England  kommt  das  long  hundred  sogar  jetzt  noch 
vor,  besonders  beim  Verkauf  von  Fischen,  z.  B,  1886  Glasgow 
Herald  A  mease  [of  Jurring]  is  five  hundreds  of  120  each.  Im 
18.  Jahrh.  auch  für  andre  Waren  z.  B.  Chambers  Cyclopaedia 
{l'J2'j — 41)  Deal  boards  are  six  score  to  the  hundred,  called  long 
hundred.^ 

In  wiefern  nun  mit  dem  Grofshundert  die  Vigesimalzählweise 
der  Germanen  zusammenhängt,  ist  schwer  festzustellen.  Wollte  man 
ursprünglich  durch  das  Zuzählen  von  20  die  Kluft  zwischen  dem 
dezimalen  und  duodezimalen  Hundert  ausfüllen  ?  Oder,  was  des 
hohen  Alters  der  Zählweise  wegen  wahrscheinlicher  ist,  hat  man 
das  Grofshundert  in  Sechstel  zerlegen  wollen?  Oder  war  es  nur, 
wie  Cleasby-Vigfusson  meint,  das  Bedürfnis,  die  umständliche 
Dekadenzählweise  zu  vermeiden,  die  ja  vielleicht  auch  in  den 
keltischen  Sprachen  das  Vigesimalsystem  förderte.  Die  10  war 
nämlich,  wie  in  den  keltischen  Sprachen,  Substantiv.  Man  zählte 
bei  den  Skandinaviern  z.  B.  4  Zehner  und  i  oder  i  von  der 
5.  Dekade  =  41;  die  Hälfte  des  5.  Zehners  =  45;  und  48  war 
5  Zehner  weniger  2  (vgl.  duo  de  qmnquaginta,  övolv  dsoina  uxoOi  etc). 
Schon  aus  ältester  Zeit  ist  bei  den  Nordgermanen  daneben  eine 
Art  Zwanzigerzählung  überliefert,  die  in  Island  noch  heute  vom 
Volke  gebraucht  wird.  Man  zählt  die  Zahlen  von  21 — 3g  zu  20 
zu  {emn  og  iuttiigu  =  i  -j-  20,  iiu  og  tultugu  =  10  -f-  20,  nitjän  og 
tuttugu  ^=  19  +  20),  die  nächsten  19  Zahlen  zu  fjörutiu  {=  40) 
usw.  bis   120. 

Im  Dänischen  dagegen  entwickelt  sich  eine  Vigesiraalzählung 
nur  von  50 — go.  Sie  ist  aber  scheinbar  noch  komplizierter,  weil 
die  altnordische  Form  des  halben  Zehners  (vgl.  oben  45)  auf  den 
halben  Zwanziger  übertragen  und  die  Worte  für   10  und  20  lautlich 


'   Bayrisches  Dialeklwörterbuch. 

*  Vgl.  Kluge  in  Pauls  Grundrifs  p.  490. 

^  V"l.  Oxf.  Dict.  sub  hundred. 


193 

in  tyve  zusammengefallen  sind.  Während  fyrre  fyve  =  4X10  be- 
deutet, heifst  fyresindslyve  4X20  und  halvh'edsindstyve  3X20 
weniger  1/2  Zwanziger  =  50  (daneben  auch  im  Altdänischen  fyroe 
siniingh  =  80,  haff  thrithice(sm)fiugh  =  50}. 

Bei  den  andern  Skandinaviern  wurde,  als  im  14  Jrh.  die 
substantivische  Natur  der  10  verloren  ging,  rein  dezimal  gezählt, 
voliistümlich  aber  fuhr  man  fort,  vigesimal  zu  zählen  und  zwar  mit 
Hilfe  von  sneis  und  skor  (beides  =  20),  die  dadurch  einen  Vorrang 
vor  andern  Zahlen  erhielten,  zu  Stufenzahlen  wurden.  Die 
Germanen  hatten  für  solche  Stufenzahlen,  die  ursprünglich  Kollektiv- 
bedeutung besafsen  und  diese  auch  später  neben  der  kardinalen 
beibehielten,  grofse  Vorliebe.  Jene  Zahlen  gingen  meist  auf 
konkrete  Begriffe  zurück.  Sneis  (snes)  hiefs  ursprünglich  Zweig, 
Stock,  skor  der  Einschnitt  auf  dem  Kerbholz,  stiege  Hürde  (oder 
auch  Treppe),  Mandel  und  Schock,  eine  kleinere  oder  gröfsere 
Menge  Garben.^  Man  zählte  mit  diesen  Worten  ursprünglich  nur 
Dinge,  die  sich  damit  in  Verbindung  bringen  liefsen,  z.  B.  eine 
Sneise  Fische,  d.  h.  eine  Anzahl  auf  einen  Stock  aufgereihte  Fische, 
eine  „Schnassn  Zwifel",  ein  Strohband  mit  Zwiebeln,  eine  Stiege 
Schafe  etc. 

Im  Anfang  kann  die  Anzahl  willkürlich  gewesen  sein,  soviel 
eben  darauf  oder  darin  Platz  fanden,  später  empfahl  es  sich  für 
Handelszwecke  immer  die  gleiche  Menge  zu  nehmen  und  man 
wählte  nun  als  Stufenzahlen  wichtige  wie   20,   15,  60. 

Der  Ursprung  der  Worte  erklärt  auch,  warum  man  manchmal 
um  I  Einheit  mehr  hinzufügte.  Waren  die  Dinge  dem  Verderben 
oder  Zerbrechen  ausgesetzt,  so  mufste  man  schon  vorher  für  Ersatz 
sorgen,  damit  der  Empfänger  die  volle  Zahl  erhalte,  z.  B.  ein  Skor 
Gurken,  Spargel  =  21.2  Nach  skor  zählt  man  schon  in  den  Is- 
ländischen Gesetzen,  z.  B.  ellefu  skorar  af  karlm'önnum.  Besonders 
verbreitet  war  aber  die  Zählung  bei  den  Engländern,  die  das 
Wort  und  den  Begriff'  von  den  Nordmännern  übernahmen.  Vom 
II.  bis  zum  18.  Jrh.,  vereinzelt  auch  im  19.  Jrh.,  finden  sich  zahl- 
reiche Belege.  Der  älteste  aus  der  Mitte  des  11.  Jrh.  in  einem 
Klosterinventar  mit  lateinischer  Übersetzung :  V  scora  scoep  qiiin- 
qiiies  viginti  oves;  VIII  score  (Beere  octies  viginii  agri.^  Besonders 
beliebt  war  three  score,  vielleicht  der  Übersetzung  des  8g.  Psalms 
wegen,  wo  three  score  and  ten  =  70  vorkommt,  ebenso  auch yb/^r  score 
■=  80.  Bei  Shakespeare  findet  sich  three,  four,  five,  six  score,  nine 
score  und  twelve  score.  In  modernen  Dialekten  ist  das  Wort  häufig 
gebraucht,  bedeutet  jedoch  manchmal  auch  21. 

Nach  Lagerbring*   gebrauchte   der   schwedische  Bauer  fyra 

1  Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch. 

*  Vgl.  Larousse,  Dict.  Encyclop6dique  ^ro^j^:  douze  douzaines  (daiis  les 
fahriques   de  pipes   la  grosse   est   de   quinze  douzaines,  ä  cause  de  la  casse 

qui  se  produit  dans  le  transport). 

^  Vgl'.  Schröer,  Die  Angelsächsische  Prosabearbeituug  der  Benediktiner- 
regel p.  XXII. 

*  Schwedische  Reichsgeschichte  I,  14  §  11. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVI.     (Festschrift.)  I3 


194 

sneser  =  8o,  wie  franz.  quatre-vingt,  und  von  der  weiten  Verbreitung 
des  Wortes  zeugen  folgende  Stellen,  Charta  anno  Il86  in  Tabulario 
S.  Bertini:  De  inierclusionihiis  vieatum  aquarum  ejiisdem  Ecchsiae, 
quae  vtilgo  Warren  dicunhir,  de  quibiis  2^  Snesas  aiigtti/larum  annuatim 
persolvehdtur  etc.i  Quinque  sneise  piscium.''-  In  Westfriesland  und 
in  Holland    ist    die  Zählung  nach  snees  noch  jetzt  gebräuchlich. 3 

In  Deutschland  wurde  20  nur  in  vereinzelten  Fällen  durch  sneis, 
sonst  durch  stiege  bezeichnet,  ein  Wort,  dessen  Alter  und  dessen 
Verbreitung  durch  das  krimgotische  stega  =  20  bezeugt  wird. 

Andre  Kollektiva,  die  Kardinalbedeutung  erlangten,  gehen 
direkt  von  Münze  und  Gewicht  aus.  Das  Pfund  zerfiel  in 
20  Schillinge  und  der  Schilling  in  12  Pfennige.  Der  Schilling 
erhielt  daher  die  Bedeutung  12  Stück,  auch  wenn  diese  nicht 
klingende  Münze  waren,  z.  B.  Eier,  ja  sogar  Schläge,  da  nach 
schwäbischem  Landrecht  nicht  mehr  als  12  Streiche  verabfolgt 
werden  durften.  Als  später  durch  die  Verschlechterung  des  Münz- 
wesens der  Schilling  30  Pfennige  enthielt,  bekam  er  hin  und  wieder 
auch  die  Bedeutung  von  30  Stück  z.  B.  Reinanken,  Eier  etc. 

Das  Pfund,  das  240  Pfennige  enthielt,  bekam  die  Bedeutung 
240  Stück,  die  wohl  ursprünglich  auch  gewogen  werden  konnten. 
Später  vergafs  man  diese  Grundbedeutung  und  zählte  z.  B.  i  Pfund 
Bäume,  i  Pfund  {fueder)  Salz  :=  240  fueder  =  28000  Pfund  des 
gewöhnlichen  Gewichtes.  Ein  halbes  Pfund  Trinchen  =120  kleine 
Trinkmafse  =  i  Eimer.* 

Die  Kelten  teilen  die  Vorliebe  der  Germanen  für  Kollektiva, 
die  zu  Stufenzahlen  wurden,  nicht,  es  findet  sich  bei  ihnen  über- 
haupt keine  solche  Mannigfaltigkeit  der  Bezeichnungen.  Dagegen 
konnte,  wenigstens  im  Irischen,  nicht  nur  20,  sondern  auch  jeder 
darauffolgende  Zehner  zum  Anfangsgliede  einer  neuen  Reihe 
werden.  Deshalb  gebraucht  man,  obwohl  das  Dezimalsystem 
ganz  ausgebildet  ist  und  jeder  Zehner  seinen  besonderen  Namen 
hat,  für  60,  neben  sesca  auch  /;-/  ßchif  (drei  Zwanziger),  für  80, 
neben  ochtmoga,  ceithri  fichit,  für  100,  neben  cet,  cüic  fichit  etc.  Ebenso 
findet  sich  z.  B.  secht  frichit  (sieben  Dreifsiger)  cöic  ceihorchuit  (fünf 
Vierziger)  etc.5  Diese  Ausdrucksweise  wird  dadurch  veranlafst, 
dafs  die  Zehner  Substantiva  sind  und  als  solche  flektiert  werden. 
Man  könnte  daher  beim  Irischen  ebenso  gut  von  einem  Trigesimal- 
usw.  System  sprechen,  als  von  einem  vigesimalen. 

Die  übrigen  keltischen  Sprachen,  deren  Zahlsystem  wir  kennen, 
besitzen  ein  Vigesimalsystem.  Doch  hatte  das  Welsh  noch  am 
Ende    des  8.  oder  Anfang  des  9.  Jrh.  (Gloss.  Oxon.)  für  30  eine 


*  Ducange. 

2  Kloster  Luzern  1309,  vgl.  Schmeller. 

*  Pott,  Die  quinäre  und  vigesimale  Zählmethode  p.  38. 

*  Vgl.  Schmeller. 

^  Vendryes,  Grammaire  du  vieil  Irlandais  190S  §  246. 


195 

dezimale  Form  {trimuceint)  und  Zeuss  nimmt  an :  ,,nuvieroru?n 
denariorum  exstitisse  formas  proprias  hritaiinicas.^ 

Jetzt  wird  allerdings  auch  30  schon  vigesiraal :  deg  ar  ugeynt 
(10 -|-  20)  gebildet.  Noch  erhalten  ist  aber  die  30  im  Bretonischen 
tregont  und  sowohl  Bretonisch  als  Cornisch  bezeichnen  50  mit 
hanter  cant  ==  ein  halbes  Hundert,  eine  Form,  die  auch  gelegentlich 
im  Welsh  vorkommt  (Jiaiiner  can  inlynedd  =:  50  Jahre)  und  die  gegen 
ein  altes  Vigesimalsystem  spricht,  aufser  man  hätte  ursprünglich 
damit  60,  d.  h.  ein  halbes  Grofshundert  bezeichnet. 

Seit  dem  g.  Jrh.  findet  sich  im  Welsh  das  Vigesimalsystem 
belegt  und  die  Zwanzigerzählung  reicht  auch  über  100  hinaus; 
z.B.  chue  ugein  =  120,  seith  ugeint  =  140.  Die  Zahl  100  wird 
jedoch  immer  durch  cant  (=  centum)  ausgedrückt. 

Nach  Wundt2  tritt  das  Vigesimalsystem  häufig  nicht  nur  in 
Verbindung  mit  dem  dezimalen,  sondern  auch  mit  dem  quinären 
auf.  Von  allen  keltischen  Sprachen  findet  sich  das  nur  beim 
Welsh.  Im  Irischen,  Cornischen  und  Bretonischen  treten  die 
Einer  vor  den  ersten  Zehner  von  11 — 19.  Im  Welsh  aber  nur 
von  II — 14  {un  arddeg,  deuddeg,  tri  ar  ddeg,  pedwar  ar  ddeg. 
15  dagegen  wird  als  einheitlicher  Begriff  gefafst  und  die  Einer 
treten  davor  wie  vor  die  Dekade  un  ar  bymtheg).  Zeuss  meint 
nun  3  :  Numeros  XI — XIX  in  cambrica  lingua  exstitisse  compositos  eodem 
modo  quo  in  aretnorica  vel  aliis  docent  residxii  XU  et  XV  (die  beide 
ohne  Bindewort  ar  gebildet  werden).  Wenn  dies  der  Fall  ist, 
so  wäre  die  dezimale  Zählweise  die  ursprünglichere  und  es  würde 
sich  daraus  ergeben,  dafs  die  andern  keltischen  Sprachen  die 
ältere  Form  bewahrt  haben.  Sowohl  das  Quinär-  als  das  Vigesimal- 
system des  Welsh  wären  also  nach  dem  Zerfallen  des  Urkeltischen 
in  die  Dialekte,  vielleicht  auch  erst  Jahrhunderte  später  auf- 
gekommen. Die  keltischen  Sprachen  haben  überhaupt  jede  ihre  Be- 
sonderheiten im  Zahlsystem  z.  B.  wird  18  im  Bretonischen  durch 
tri-chuech  (3x6),  im  Welsh  durch  deu-naiv  (2X9)  ausgedrückt. 
Während  im  Welsh  auch  nach  20  durch  ar  (und)  die  Einer  an  die 
Zehner  gefügt  werden  z.  B.  nn  ar  hugeint  (l  und  20),  gebraucht  man 
im  Bretonischen  und  Cornischen  oar,  var  (supra)  z.  B.  wian- 
oar-n-uguent.  Von  der  Arithmetik  der  Gallier  sind  uns  nur  äufserst 
spärliche  Reste  überliefert.  Da  der  Kalender  von  Coligny*  zwar 
die  Monatsnamen  angibt,  die  einzelnen  Tage  jedoch  nur  mit 
Strichen  bezeichnet,  so  ist  man  auf  Substantiva  angewiesen,  die  im 
ersten  Kompositionsglied  Zahlwörter  enthalten.'''    Man  raüfste  daher 


*  Zeuss-Ebel,  Grammatica  Celtica  p.  319  *petuarmuceint  (40),  ^pimpmii- 
ceint  (50),  *setthmuceint  (70),  *nauceint  (90). 

■''  Völkerpsychologie  I,  2,  p.  28. 
ä  Grammatica  Celtica  p.  318. 
"  Revue  Celtique  XIX. 

*  Cz«/w_a-/?a/«j  =  primogenitus ;  /lovr]}<a?.r]66viog  (Ptol  2,  3.  l).  Tricorii 
(Livius  21,  31,9).  Trigaramis  CIL  XIII,  3026;  petorritum  (Hör.  serm  l, 
6,  103  etc.).  Petrucorius,  11  i-Tova(jla  [Pto].  2,  3.  10);  nsfintdovla  (Dios- 
corid.  4,  42).     Unsicher,   ob   man   es   mit  keltischen  Zahlwörtern  für  6,  8  und 

13* 


die  gallische  Zähl  weise  aus  den  andern  keltischen  Sprachen  er- 
schliefsen.  Dem  stellen  sich  jedoch  Schwierigkeiten  entgegen,  wenn 
wir  uns  fragen,  ob  die  Gallier  dezimal  oder  vigesimal  gezählt 
haben.  Es  ist  weder  die  Zahl  20  noch  ein  Kompositum  von  20 
erhalten.  Die  verschiedenen  keltischen  Stämme  verhalten  sich, 
wie  wir  gesehen  haben,  in  ihrer  Zähimethode  verschieden.  Nach 
Pott  findet  sich  die  Vigesimalmethode  bei  den  verschiedensten 
europäischen  und  aufsereuropäischen  Völkern,  ohne  dafs  man  da- 
durch auf  Stammeszusammengehörigkeit  schliefsen  könnte,  dagegen 
haben  einander  nahe  verwandte  Völker  nicht  immer  die  gleiche 
Zählweise. 

Da  die  Zähl  weise  von  Tras  es  Montes  und  der  beiden 
italienischen  Dialekte  wenig  bekannt  ist,  hat  man  die  französische 
meist  als  ein  Unikum  auf  romanischen  Sprachgebiete  dargestellt 
und  es  lag  daher  nahe,  lokale  gallische  Einflüsse  als  mafsgebend 
anzusehen,  wie  schon  oben  bemerkt  worden  ist.  Am  ausführlichsten 
handelte  über  diese  Theorie  Henry,  Lexique  Etymologique  du 
Breton  moderne,  Rennes  1900,  XXVI  Anm.  2:  Seuls  de  toiis  les 
Indo-Europcens ,  toiis  les  Celles  ont  la  mimer ation  vigesi77iale.  Celle 
parlicularile  lew  esl  commune  avec  les  Fran(ais,  seuls  de  tous  les 
peuples  romans ;  et  les  Frangais  sont  atissi  les  seuls  qui  hahitent  un 
domaine  jadis  exclusivement  celte.  II  est  donc  impossihle  de  ne  pas 
songer  ä  des  occupants  prihistoriques,  qui,  comme  aujourd^hui  encore 
les  Eskvnos  par  exemple,  comptaient  par  les  dix  doigts  des  mains,  puis 
par  ceux  des  pieds,  puis  recommengaient ,  et  qui  auraient  legui  leur 
Systeme  aux  Celles  envahisseurs.  Es  ist  natürlich  unnötig  darauf  hin- 
zuweisen, dals  Henry  sich  nicht  nur  in  Bezug  auf  die  Aus- 
dehnung des  Vigesimalsystems,  sondern  auch  in  Bezug  auf  die 
Wohnsitze  der  Kelten  irrt.  Von  der  Vigesimalzählung  seines 
Urvolkes  wissen  wir  nichts,  da  uns  ja  nicht  einmal  die  Zähl  weise 
der  Gallier  bekannt  ist.  Aufser  Henry  und  Davau,  seinem  Gewährs- 
mann, gehen  die  Sprachforscher  nicht  auf  das  Urvolk  zurück. 
Desto  häufiger  aber  auf  die  Gallier,  wenn  auch  einzelne  Stimmen 
sich  dagegen  erhoben  haben  wie  z.  B.  Nyrop.i 

Für  Ihre  Schüler,  lieber,  verehrter  Meister,  kann  hier  kein 
Zweifel  sein,  wir  sind  ja  gewarnt!  Kaum  hat  der  angehende 
Romanist  Ihre  ersten  Vorlesungen  gehört,  wird  er  über  die  Gallier- 
frage orientiert  und  erfährt,  dafs  der  Anteil  der  Gallier  an  aller- 
hand grammatischem  Ungemach  viel  geringer  ist,  als  einige  moderne 
Gelehrte  wollen.  Denn,  „was  man  nicht  erklären  kann,  das  sehen 
sie  als  gallisch  an",  sei  es  das  ü  «<  u,2  sei  es  manche  böse  crux 
etymologica.      Hingerissen    vom    Feuer   Ihres  Vortrags,    empfindet 


10  zu  tun  hat,  ist  man  bei  Seccan-ehae,  Octocannae  (Ortsnamen)  und  bei 
Dectunathes  (Tac.  Germ.  29).  Auf=erdem  sind  belegt:  CIL  XIII,  2494  petru- 
decaneto  =  14  und  tricontis  =  30. 

1  Grammaire  Historique    de   la  Langue  Fran9aise  1899 — 1908,  II,  §  489. 

^  Historische  Grammatik  der  französischen  Sprache  §  48,  Einführung  in 
das  Studium  der  romanischen  Sprachwissenschaft  §215  ff. 


197 

mitunter  der  Anfänger  kaum,  dafs  er  die  Tiefe  Ihrer  Beweisführung 
nicht  ermessen  kann,  und  so  mancher  kommt  vielleicht  erst  nach 
Jahren  dazu,  eine  im  Kolleg  empfangene  Anregung  auszugestalten. 

Im  allgemeinen  scheint  die  Zählmethode  einer  unterjochten 
Bevölkerung,  deren  Sprache  untergeht,  nicht  von  den  Eroberern 
des  Landes  angenommen  zu  werden.  Ein  Beispiel  dafür  liefert 
die  Kolonisationsgeschichte  der  Pyrenäenhalbinsel.  Die  vor- 
römische Bevölkerung  bestand  zum  grofsen  Teil  aus  Kelten.  Wäre 
im  Urkeltischen  ein  Vigesimalsystem  vorhanden  gewesen,  so 
hätten  ebenso  wie  die  Gallier  auch  die  Keltiberier  vigesimal 
zählen  müssen.  Aus  römischen  Berichten  ist  uns  nichts  davon 
überliefert.  Von  den  Basken  dagegen  wissen  wir,  dafs  sie  noch 
heute  nach  20  ern  zählen  von  2x20  bis  4X20-}-  io.>  Trotz- 
dem sind  sowohl  Spanier,  Portugiesen  als  Katalanen  der  lateinischen 
Zählweise  treu  geblieben.  Auch  späterhin,  als  die  Spanier  auf 
ihren  Eroberungszügen  nach  Mexiko  kamen,  wo  sie  doch  numerisch 
in  der  Minderzahl  waren  und  mit  einer  hochentwickelten  Kultur 
zusammentrafen,  gaben  sie  weder  ihr  Zahlsystem  noch  ihre  Zähl- 
weise auf  und  doch  hatten  die  Mexikaner  ein  vollkommen  aus- 
gebildetes Quinär-  und  Vigesimalsystem,  das  6  durch  5  -j-  i,  30 
durch  20  +  10,  300  durch  15  x  20  etc.  ausdrückt  und  das  eigene 
Zeichen  für   i,  20,  400  und  8000  besafs.2 

Eher  tritt  das  Umgekehrte  ein,  nämlich  dafs  die  Urbevölkerung 
die  Zählweise,  oft  auch  direkt  die  Zahlwörter  des  kultivierten  Volkes 
annimmt.  Die  Brasilianer  besafsen  z.  B.  nur  einheimische  Zahl- 
wörter bis  3  und  ergänzten  ihre  Numeration  aus  dem  Portugiesischen. 3 
Manche  slavische  Stämme  entlehnten  das  ihnen  fehlende  Wort  für 
Tausend  aus  dem  Deutschen  oder  Griechischen. 

Der  Beweis,  dafs  das  Urkeltische  und  infolgedessen  auch 
das  Gallische  ein  Vigesimalsystem  gehabt  habe,  läfst  sich  also 
nicht  erbringen.  Trotzdem  könnten  die  Gallier  nach  Zwanzigern 
statt  nach  Dekaden  gezählt,  respektive  eine  solche  Zählweise 
früher  entwickelt  haben  als  die  übrigen  Kelten  und  sie  den  Gallo- 
römern  übermittelt  haben.  Da  ist  es  nun  wichtig  festzustellen, 
wann  die  Vigesimalzählung  in  Frankreich  auftritt.  Man  müfste  sie 
ja  in  den  ältesten  Belegen  finden,  da  das  Gallische  schon  in  den 
ersten  Jahrhunderten  der  christlichen  Zeitrechnung  wenig  ge- 
sprochen wurde  und  vor  der  Festsetzung  der  Germanen  fast  ver- 
schwunden war.  Die  Zählmethode  der  Gallier  hätte  sich  ja  nur 
dann  im  Volksbewufstsein  erhalten  und  zwei  Invasionen  anders- 
sprechender Völker  überdauern  können,  wenn  sie  im  fortwährenden 
Gebrauch  gewesen  v.äre.  Aber  nicht  ein  einziger  Personenname 
oder  Ortsname  enthält  die  Zahl  20  oder  deren  Multiplikation, 
weder  in  keltischer,  noch  in  romanischer,  noch  in  germanischer  Form. 


^  Pott,  Die  quinäre  und  vigesimale  Zählmethode  p.  98. 

2  Pott.  1.  c.  p.  97,  Cantor  1.  c.  p.  8. 

3  Pott.  1.  c.  p.  7. 


Auch  die  ältesten  lateinischen  Dokumente  wenden  weder 
gallische  Zahlwörter  für  20  oder  dessen  Vielfache,  noch  Über- 
tragungen der  sogenannten  keltischen  Ausdrucksweise  ins  Roma- 
nische an.  Die  einzige  Stelle,  an  der  quatuor  viginti  vorkommt, 
belegt  Ducange:  gallice  qttatre-vingt,  ocioginta  in  vet.  Ceremoniali 
Ms  B.  Maria  DeauratcB,  doch  sind  Ceremoniale  erst  im  15.  Jrh. 
in  Gebrauch  gekommen, *  daher  liegt  eine  Übersetzung  aus  dem 
Französischen  vor. 

Auch  die  ältesten  poetischen  Werke  in  französischer  Sprache 
zeigen  noch  keine  Vigesimalzählung.  Im  Rolandlied  fehlen  zwar 
70,  80  und  90,  jedoch  60  ist  vorhanden  und  wird  auf  dekadische 
Weise  durch  seisante  ausgedrückt.^  Gegen  eine  dem  Volksbewufst- 
sein  geläufige  Zählweise  nach  Zwanzigern  spricht  auch  die  Stelle, 
an  der  die  heidnischen  Scharen  aufgezählt  werden 3;  die  Heiden 
stellen  ir etile  eschieies  auf,  die  in  drei  aufeinanderfolgenden  Laissen 
in  drei  Dekaden  gegliedert  werden.  Das  Pelerinage  Charle- 
magne  enthält  an  Zehnern  nur  20  und  80,  beides  mit  Tausend 
zusammengesetzt.  80  wird  nur  dekadisch  ausgedrückt  durch 
uitante.  * 

In  der  ältesten  Prosa  dagegen  kommen  neben  den  dezimalen 
Ausdrücken  schon  die  vigesimalen  vor:  Quatre  Livres  des  Rois: 
setante  und  t}-eis  vinz  dis;  oitante  und  quatre  vinz  im  Oxford  er  und 
Cambridger  Psalter.  Knösel^  hat  daher  unrecht,  wenn  er  meint, 
„diese  [vigesimale]  Art  des  Zählens  lebte  namentlich  im  Volke  und 
so  finden  wir  sie  auch  im  Volksepos  am  verbreitetsten.  Auch 
dürfte  die  Breite,  die  den  mit  vint  kombinierten  Zahlen  anhaftet, 
sie  mehr  fürs  Volksepos  bestimmt  haben.  Die  Formen  setante, 
huitante^  nonante  sind  dagegen  häufiger  in  der  Übersetzungsifteratur 
und  Kunstpoesie."  Auch  im  12.  und  13.  Jrh.  kommen  sowohl  in 
Prosa  als  in  Poesie  beide  Zählraethoden  nebeneinander  vor  und 
auch  die  „Breite"  der  Vigesimalzahl  ist  sicher  nicht  ausschlag- 
gebend gewesen,  denn  gerade  das  so  beliebte  sept-vingt  ist  um 
zwei  oder  drei  Silben  gegen  Cent  (et)  quarante  kürzer.  Manchmal 
mag  allerdings  bei  Umwandlung  von  älteren  zehnsilbigen  Versen 
in  Alexandriner  das  Zahlwort  eine  bequeme  Verlängerung  der  Zeile 
geboten  haben,  in  diesem  Fall  aber  nicht  nur  das  vigesimale. 

Es  ist  sehr  schwer,  das  Verhältnis  der  dekadischen  zu  den 
vigesimalen  Zahlwörtern  festzustellen,  da  manche  Herausgeber  von 
IManuskripten  der  Sache  keine  Bedeutung  beiraafsen  und  die  mit 
Ziffern  geschriebenen  Zahlen  auflösen  oder  nur  die  Schreibung 
einer  Handschrift  angaben.  Deshalb  ist  die  Arbeit  von  Knösel, 
der   kein    Manuskript   verglichen    hat,    auch    als    Materialsammlung 


'  Vgl.  Wetzer  und  Weite  Kirchenlexikon  III,  Spalte  16. 

2  V.  1689,   1849,  2111. 

3  V.  3216 — 3261. 
*  V.  96  und  99. 

^  Über  altfranzösische  Zahlwörter,  Göttingen   1883. 


199 

nicht  zuverlässig  und  bei  den  Historikern,  die  ich  selbst  eingesehn 
habe,  stellten  sich  mir  dieselben  Schwierigkeiten  entgegen:  Bei 
Villehardouini  findet  sich  80  nur  einmal  ausgeschrieben  als  quatre 
vinz  (§  1)  sonst  sind  die  Zahlen  80,  120,  140  mit  römischen  Zahlen 
jyxx^  yjxx^  VIl^^  bezeichnet,  aber  vom  Herausgeber  aufgelöst. 
Für  60  und  100  findet  sich  diese  Schreibung  nicht.  Das  älteste 
Ms.  stammt  aus  dem    13.  Jrh. 

Bei  Joinville2  findet  sich  80  im  §  35  als  qiiatre  vinz 
(chevaliers),^  aufserdem  sind  six  vins,  douze  vins  und  qiiatorze  vüts 
belegt,  niemals  findet  sich  jedoch  60  +  10,  80  -|-  10. 

Das  einzige  Mal,  wo  70  vorkommt,  ist  es  mit  Zahlen  ge- 
schrieben.'* Aus  beiden  benützten  Ausgaben  läfst  sich  nicht  mit 
vollkommener  Sicherheit  erkennen,  wann  die  Zahlen  ausgeschrieben, 
wann  abgekürzt  sind.  Da  das  älteste  Joinvüle-lManuskript  aus  dem 
Ende  des  14.  Jrh.  stammt,  so  gäbe  allerdings  auch  ein  diplomatischer 
Abdruck  keine  vollkommene  Sicherheit  in  Bezug  auf  die  Schreib- 
weise des  Autors,  da  jüngere  Manuskripte  häufig,  je  nach  Mafsgabe 
des  vorhandenen  Raumes,  Zahlwörter,  die  im  Original  ausgeschrieben 
sind,  mit  Zahlzeichen  bezeichnen  und  umgekehrt.  Besser  steht  es 
in  dieser  Beziehung,  wenigstens  für  die  spätere  Zeit,  bei  Original- 
drucken. Fauchet,  Les  Antiquit6s  et  Histoires  Gauloises 
(verfafst  159Q,  gedruckt  161 1)  gebraucht  nicht  mehr  die  Abkürzungen 
jyxx  g^^_^  dagegen  häufig  andere  römische  und  arabische  Zahlen. 
Gezählt  habe  ich  nur  die  in  Worten  ausgeschriebenen  Zahlen.  Es 
findet  sich  sepiafite  33 mal,  soixante-dix  (ofize  etc.  mitgezählt)  35  mal; 
octatite  10,  qua/re-vingi  ^^ina.];  nona?ite  2)^,  quatre-vi7igt-dix  [oiize  die.) 
17  mal.  Es  überwiegt  bei  go  also  noch  die  dezimale  Zählung,  bei 
70  halten  sich  beide  Methoden  ungefähr  die  Wage. 

Höhere  Vigesimalzahlen  kommen  nicht  mehr  vor,  über  100 
tritt  die  Dezimalzählung  ein.  Lehrreich  ist  folgende  Stelle:  11,  2 
p.  507  „y'üz'  entendii  dtre  ä  mon  pire  (qui  le  ieiioit  de  plus  anciens 
que  lui)  que  depuis  six-vingls  ans  (disoü-il)  quelqiitin  donna  certain 
poids  d'argent  etc.  Hieraus  geht  klar  hervor,  dafs  zur  Zeit  des 
Vaters  (also  ungefähr  in  der  IVIitte  des  16.  Jrh.)  six-vingls  noch 
gebräuchlich  war,  zur  Zeit  J'auchets  aber  nicht  mehr. 

Der  Beginn  der  Vigesimalzählung  ist  also  in  das  12. 
die  Blütezeit  vom  13. — 16.  Jrh.  anzusetzen.  Im  13.  Jrh. 
nannte  Ludwig  IX.  das  Spital  in  Paris  les  Quinze-vingls,  ja  man 
zählte  sogar  bis  17x20.^  Fünf  und  zehn  mal  20  wurden 
jedoch   auch   damals   nicht  gebraucht. 

Im  17.  Jrh.  ist  die  Vigesimalzählung  mit  Ausnahme  einiger 
Archaismen  auf  70 — go  beschränkt.  In  der  Schreibung  hat  sie  sich 
jedoch    noch    länger    erhalten.      M.  Omont,    Direktor   der   Hand- 


1  Ed.  Natalis  de  Wailly. 

*  Ed.  von  Nat.  de  Wailly  und  von  Michel. 

^  Litire  gibt  diese  Stelle  als  ältesten  Beleg  für  quatre  vingt, 

*  §  759  mil  CCLXX. 
5  Romania  I,  346.  27. 


200 

schriflenabteilung  der  Bibl.  Nationale  äufscrl  sich  brieflich:  poiir  la 
jiiiiiürotation  vicesimah  (je  parle  des  fenillets  de  Mss)  sans  poiivoir 
ahsohiment  prkiser,  on  trotwe  VI^^,  VIl"^'^,  etc.,  au  XIII ^  sikle,  jiisque 
dans  la  premüre  moltU  du  XVII ^  sikle.  Au  XVIII ^  sikle,  les 
comptes  royaux  offrent  encore  des  exemples  de  ceiU  numeraiion,  qvand 
les  sommes  «'^  sojit  pas  moncks  en  toutes  letlres.  Da  man  sicher 
im  l8.  Jrh.  nicht  mehr  six-vingts  sprach,  sieht  man,  wie  irrefü'nrend 
die  Schreibung  manchmal  sein  kann. 

Umgekehrt  kommen  vereinzelte  dezimale  Beispiele  für  die 
Zählung  von  70 — 99  noch  im  17.,  18.  und  19.  Jrh.  vor.'  Im  all- 
gemeinen ist  aber  das  Gebiet  der  beiden  Zählweisen  vom  17.  Jrh. 
an  streng  geschieden:  das  dezimale  von  i — 60  und  über  100; 
das  vigesimale  von  70 — 99. 

In  den  Mundarten  jedoch  ist  die  Vigesimalzählung  auch  in 
diesem  beschränkten  Ausmafse  nicht  im  entferntesten  durchgedrungen. 
Noch  heute  werden  in  einzelnen  Dialekten  manche  der  erwähnten 
Zahlen  dezimal  gebildet  und  die  Vigesimalzahl  wird  nur  durch  die 
Schule  verbreitet. 

In  Bezug  auf  die  Häufigkeit  der  Verwendung  ist  am  weitesten 
verbreitet  quatre-vingt,  dennoch  finden  sich  zu  huitante  ge- 
hörige Formen  auf  einem  Streifen  Landes,  der  vom  Golf  von 
Gascogue  im  Departement  Landes,  sich  am  franz.  Abhang  der 
Pyrenäen  entlang  zieht,  am  Rhein  und  den  Alpen  sich  nach  Norden 
wendet,  auch  die  französisch  sprechenden  Gebiete  Italiens  und  der 
Schweiz  umfafst,  und  im  Jura  endet.  Allerdings  kommt  auf  dem- 
selben Gebiet  daneben  meist  auch  quatre-viyigt  vor.  Versprengt 
ist  ütät  in  Malmedy  (Preufsen),  oktal  in  den  Ardennen  und  auf 
Guernesay  {huitante,  octajite  kommt  in   i  7  franz.  Departements  vor). 

Bedeutend  günstiger  für  die  dekadische  Zahl  fällt  das  Ver- 
hältnis bei  7  o  aus.  Sein  Gebiet  beginnt  zwar  erst  mit  den  Basses- 
Pyrenees,  ist  aber  im  Süden  und  Osten  breiter,  umschliefst  wieder 
Rhone-  und  Alpengebiet  sowie  die  italienischen  und  schweizer 
Distrikte,  wo  es  fast  ausscbliefslich  herrscht,  hört  aber  nicht  im  Jura 
auf,  sondern  reicht  in  ununterbrochener  Linie  an  der  deutschen 
Grenze  über  die  Ardennen  bis  in  das  Departement  Nord  und  mit 
Ausnahme  der  Provinz  Lüttich  gehört  ganz  Belgien  dazu.  Aufser- 
dem  wird  septante  auf  allen  normannischen  Inseln  gebraucht  (im 
ganzen  2  6  Departements  und  die  Grenzländer). 

Am  häufigsten  unter  den  dekadischen  Zahlen  ist  71  on  ante  be- 
legt und  zwar  wieder  auf  derselben  Strecke  und  in  denselben 
Grenzländern  wie  septante,  auch  auf  den  normannischen  Inseln,  im 
ganzen  in  3  i  Departements.  Jedoch  wird  es  in  Belgien  etwas 
seltener  gebraucht.^ 


^  Z.  B.  septante  Moliire,  Bourg.  G.,  Bossuet,  Voltaire,  Rostand,  vgl. 
Nyrop;  huitante  Castil  Blaze,  Hist.  de  l'Ac.  de  Musique  II,  240  [kuttattte 
amazones). 

*  Vgl.  üillieron,  Karten  iOixantc-dix,  quatrc-vingt,  quatre-vingt-dix. 


201 

Erwähnenswert  sind  Reste  niedrigerer  Vigesimalzahlen  in 
Savoien:  Haute-Luce  und  St.  Martin  La  Porte  ira  (irej  ve, 
obwohl  dort  tveiäta  und  nonäta  gebraucht  werden,  in  Seez  (Bourg 
St.  Maurice)  du  reJ     In  Isere,  Theys:  ire  ve^  {iionäte\  katre  vi). 

Im  Verhältnis  zu  den  dürftigen  Spuren  eines  Vigesimalsystems 
auf  romanischem  Boden  war  also  seine  Verbreitung  in  Nord-  und 
Mittelfrankreich  eine  beträchtliche. 

Von  den  Römern  haben  die  Franzosen  die  Zählung  nach 
Zwanzigern,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  übernommen,  und  nur 
ein  Volk,  das  Handel  und  Verkehr  beherrschte,  konnte  einer 
anders  sprechenden  Nation  sein  Zahlsystem  aufdrängen.  Die 
Gallier  waren  sicher  kein  solches  Volk.  In  Münz  und  Gewicht 
hingen  sie  vollständig  von  den  Griechen  und  Römern  ab.  Ur- 
sprünglich kursierte  in  Gallien  als  einzige  Goldmünze  der  Stater 
Philipps  II.  von  Mazedonien  (Philipper)  und  dessen  Nachahmungen, 
später  als  Silbermünzen  die  römischen  Denare  und  Solidi.  Cicero 
sagte  ntimmus  in  Gallia  riiiUiis  sine  civiiim  romanorum  iahidis  commo- 
vetur.'^  Und  schon  im  ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  war  der 
Handel  in  den  Händen  der  römischen  Eroberer.3  Dies  änderte 
sich  auch  später  wenig,  als  die  Franken  den  Norden  und  die 
Mitte  Galliens  besetzten.  Der  Handel  war  jetzt  hauplsächhch  in 
den  Händen  der  Byzantiner  und,  Vvenn  auch  die  Merovinger- 
könige  anfingen,  die  Münzen  Justinians  nachzuahmen,  so  schlössen 
sie  sich  anfangs  eng  an  dessen  Silberprägung  an.  Das  Pfund 
Silber  galt  25  solidos,  sank  allerdings  zur  Zeit  Pippins  durch  die 
Münzverschlechterung  auf  22  solidos.  Erst  Karl  der  Grofse  schuf 
ein  unabhängiges  Münzsystem,  indem  er  das  Pfund  um  ein  1/4 
erhöhte  und  in  20  solidos  [sols]  zu  12  Denarien  (deniers) 
=  240  Denarien  einteilte.  Wieso  kam  nun  Karl  zu  dieser  Ein- 
teilung? Ein  Zurückgreifen  auf  die  Einteilung  des  Dareikos  in 
20  Drachmen  ist  des  verschiedenen  Gewichtes  halber  unwahr- 
scheinlich und  aufserdem  waren  der  Dareikos  und  die  sich  ur- 
sprünglich an  dessen  Einteilung  anschliefsenden  Philipper  wirklich 
ausgeprägte  Goldmünzen,  Karls  des  Grofsen  Silberpfund  war  nur 
Rechnungseinheit.  Sollte  er,  indem  240  Denarien  auf  das 
Pfund  gerechnet  wurden,  beabsichtigt  haben,  es  in  2  Grofs- 
hunderte  einzuteilen?  Diese  Einheit  ist  uns  für  die  Franken 
bezeugt,  während  wir  von  einer  Vigesimalzählung  bei  ihnen 
nichts  wissen.  Soviel  ist  sicher,  dafs  die  Münzordnung  Karls  eine 
aufsergewöhnliche  Lebensfähigkeit  bekundet  hat. 

Während  die  römische  Republik,  das  römische  und  das  byzan- 
tinische Kaiserreich  fortwährend  Änderungen  in  der  Einteilung  der 
Münzen  vornahmen,  hat  Karls  des  Grofsen  Münzordnung  über 
1000  Jahre,   bis  zur   französischen  Revolution   bestanden  und  sich. 


1  vieilli. 

*  Pro  IM'Fonteio  II,  IV. 

'  Blanchct:  Trait6  des  monnaies  gauloises  p.  94. 


202 

wenn  auch  mit  etwas  geänderlcm  Gewicht,  in  England  bis  heute 
erhalten.  Die  beiden  zur  Einteilung  des  Pfundes  verwendeten 
Zahlen  20  und  12  haben  sich  jedenfalls  für  den  Handelsverkehr 
als  ungemein  praktisch  erwiesen,  weil  dadurch  die  Bruchteile 
(V-i'  V4'  V5.  Vio  von  20  und  1/2.  Vs'  V4.  Ve  von  12)  Ganze  der 
niedrigeren  Ordnung  ergaben.  Wir  wissen  nun,  dafs  Karl  der 
Grofse  mit  den  Nordmännern  in  Beziehung  stand,  die  zu  seiner 
Zeit  noch  nicht  die  gefürchteten  Piraten  der  folgenden  Jahrhunderte 
waren.  Sie  kamen  als  Handeltreibende  an  die  Küste  von  Frank- 
reich, England  und  Irland  und  vermittelten  allen  Verkehr  dieser 
Länder  untereinander  und  mit  dem  Süden.  Sie  besafsen  ein  voll- 
ständig entwickeltes  Vigesimalsystem  (vgl.  oben)  und  wenn  sie  auch 
noch  keine  Münzen  prägten,  sondern  die  byzantinischen  verwendeten, 
so  hatten  sie  doch  eine  nationale  Werteinheit,  das  hwidrad  =  (Grofs)- 
hundert  Ellen  eines  Stoffes  7vadinal,  der  auch  zur  Bezeichnung 
liegender  Güter  verwendet  wurde,  z.  B.  ein  Grundbesitz  zu  20,  zu 
60,  zu  120  Ellen  Waömal.'  Kaiser  Karl  liefs  in  Dorestad  für  die 
Normannen  besondere  Münzen  prägen,  die  seinen  Namen  auf  der 
Vorderseite  trugen  und  die  später  in  Hedeby  nachgeahmt  wurden,  2 
da  ist  es  nicht  erstaunlich,  dafs  zwischen  seinem  Münzsystem  und 
ihrer  Zählweise  eine  Übereinstimmung  zu  finden  ist. 

Später  allerdings  trat  an  Stelle  des  Karolingerpfundes  im 
Norden  die  Mark  und  ein  himdrad  taliö  (120  Ellen)  wurde  gleich 
ein  hundraö  silfi-s  oder  2 1/2  Mark  gesetzt  ==  60  erhtgar.  Die 
Einteilung  des  ertug  war  dann  wieder  vigesimal  =  20  pcnningar. 
Auch  nach  der  Zeit  Karls  des  Grofsen  war  der  nordische  Einflufs 
bedeutend.  „Die  Wikinger  kommen  nicht  nur  und  beeren  mit 
Feuer  und  Schwert,  sie  verleihen  den  Ländern  auch  das  Gepräge 
ihrer  physischen  und  geistigen  Persönlichkeit."  3  „Die  altnordischen 
Bezeichnungen  für  Gewicht  und  Münzen,  Mark,  Halbmark,  Ore  und 
Pfennig  gewannen  Verbreitung  überall  in  Westeuropa."  4  An  allen 
Küsten  haben  sie  Ansiedlungen  und  wenn  sie  auch  in  der  Nor- 
mandie  die  .Sprache  des  unterworfenen  Volkes  annehmen,  so  be- 
einflussen sie  es  doch  in  Bezug  auf  Sitte  und  Anschauungsweise. 
Wäre  es  da  auffällig,  wenn  sie  ihre  Zählweise  nach  Grofshunderten 
und  Zwanzigen  beibehalten  und  sie  dann,  so  gut  es  ging,  ins 
Französische  übertragen  hätten?  Es  ist  sicher,  dafs  sie  skor  =  20 
in  England  eingebürgert  haben,  dessen  Verbreitung  allerdings  da- 
durch befördert  wurde,  dafs  es  an  scor  =  Kerbe,  Einschnitt  ein 
angelsächsisches  Äquivalent  hatte. 

Im  Französischen  fand  sich  natürlich  kein  entsprechendes 
Wort  vor  und  die  Sprache  prägte  damals  aus  dem  romanischen 
Sprachgut   keine  Ausdrücke   wie    Kerbe    (von    so    und   soviel   Ein- 


*  Alex.  Bugge,  Die  Wikinger  p.  191   (Übers,  von  Hungerland). 
^  Vgl.  Cleasby-Vigfusson. 

^  A.  Bugge  1.  c.  p.  91. 

*  A.  Bugge  1.  c.  p.  218. 


203 

schnitten),  Zweig  (mit  einer  Anzahl  Gegenständen),  es  blieb  nichts 
übrig  als  das  Zahlwort  für  20  selbst  zu  wählen  und  ihm  gleichsam 
substantivischen  Charakter  zu  verleihen.  Bekanntlich  finden  sich 
für  100  und  200  keine  Formen  mit  vint.  Ob  cent  nicht  manch- 
mal auch  das  Grofshundert  bezeichnet  hat,  läfst  sich  kaum  ent- 
scheiden. Folgende  Stelle  scheint  dafür  zu  sprechen:  6"  a  de  vies 
honies  7i€  sai  C  ou  VII^^.l  Es  wäre  doch  merkwürdig,  mit  der 
Zahlabschätzung  von  100  gleich  auf  140  zu  springen,  während  die 
von  120  auf  den  nächsten  20er  ganz  begreiflich  ist,  da  die  Ab- 
schätzung um  einen  Zwanziger  leicht  schwanken  kann.  An  der 
grofsen  Verbreitung  der  Vigesimalzählung  ist  jedenfalls  die  Poesie 
mit  beteiligt.  Die  Epen,  die  in  der  Normandie  und  deren  Grenzen 
entstanden,  sind  gerade  in  der  ältesten  Zeit  der  poetischen  Ent- 
faltung überaus  zahlreich,  und  so  gut,  wie  die  Spielleute  von  den 
germanischen  Sitten  und  Anschauungen  beeinflufst  wurden,  konnten 
sie  auch  die  germanische  Zählweise  annehmen  und  weiter  verbreiten. 

Ein  lautlicher  Umstand,  der  die  rasche  und  doch  nur  auf 
drei  Zehner  beschränkte  Verbreitung  der  neuen  Ausdrucksweise 
unserm  Verständnis  näher  bringen  kann,  wäre  noch  ins  Auge  zu 
fassen.  Die  Formen  seissante,  oitante  und  ?ionanie  weichen  im  Vokal 
der  ersten  Silbe  von  den  entsprechenden  Einern  six,  nii,  niief  ab, 
während  quarante  und  cmquattte  mit  ihren  Einern  übereinstimmen. 
Da(s  man  diese  Ungleichmäfsigkeit  empfunden  hat  und  ihr  steuern 
wollte,  bezeugen  die  Formen  süsante  und  (h)uitafite,  während  aller- 
dings eine  Form  *nuevante  nicht  entstanden  ist.  Bei  setanie  :  set 
war  allerdings  lautliche  Übereinstimmung  vorhanden,  hier  macht 
sich  aber  das  Reihenassoziationsgesetz  geltend,  der  vorhergehende 
und  der  nachfolgende  Zehner  zogen  siebzig  mit,  so  dafs  wir  seissante, 
seitanie  und  oitante,  nonante  gegen  six,  set  und  (h)uii,  nuef  haben. 
Da  begreift  es  sich,  wenn  das  Volksbewufstsein,  dem  ohnedies  hohe 
Zahlen  nie  ein  anschauliches  Bild  geben,  diesen  Zahlen,  die  den 
Einern  nicht  entsprachen,  treis  vinz  etc.  vorzog,  die  seinem  Auf- 
fassungsvermögen näher  standen.  Damit  würde  sich  auch  erklären, 
warum  gerade  quatre-vingt  eine  so  grofse  Ausdehnung  gewann  und 
sich  am  längsten  erhielt. 

Gerade  bei  den  Zahlwörtern  hatte  der  Kleriker  früh  das  Be- 
dürfnis, sie  möglichst  dem  Lateinischen  wieder  anzupassen.  Während 
bei  sept  und  septante  beide  Zahlen  einer  wohl  nur  graphischen  An- 
passung unterworfen  wurden,  liefs  man  nit  unverändert  und  formte 
das  ohnedies  schwankende  oitante  zu  octante  um.  Für  die  Gebildeten 
war  allerdings  jetzt  das  Zahlwort  klar,  der  Masse  des  Volkes  aber 
ganz  entfremdet. 

Die  Vigesimalzahlen  über  100  hatten  wahrscheinlich  eine  Zeit 
lang  an  denen  unter  lOO  eine  gewisse  Stütze,  besonders  so  lange 
man .  sowohl  im  gewöhnlichen  Leben  als  in  der  Literatur  gern 
Rundzahlen    verwendete.      Als    es    jedoch    später    mit    dem    Fort- 


^  Raoul  de  Cambrai  p.  241  (nach  Knösel). 


204 

schreiten  der  historischen  und  exakten  Wissenschaften  mehr  auf 
Genauigkeit  ankam,  wurden  sie  durch  die  dezimalen  wieder  ver- 
drängt. 

Für  die  französische  Vigesimalzählung  lassen  sich,  wie  wir  ge- 
sehen haben,  die  wahrscheinlichen  Ursachen  nachweisen.  Nun 
entsteht  aber  die  Frage,  wie  die  andern  verstreuten  Reste  des 
vigesimalen  Systems  auf  romanischem  Boden  zu  erklären  sind.  In 
erster  Linie  kommt  wohl  jedenfalls  die  Entlehnung  aus  dem 
Französischen  in  Betracht,  erst  in  zweiter  der  Verkehr  mit 
andern  umwohnenden  Völkern,  obwohl  es  möglich  wäre,  dafs 
im  einen  oder  andern  Fall  beide  Einflüsse  in  derselben  Richtung 
gewirkt  hätten. 

Bei  der  Entlehnung  aus  dem  Französischen  ist  eine  verschieden- 
artige Beeinflussung  zu  unterscheiden:  durch  die  Literatur,  auf 
dem  Wege  des  Handels  und  durch  militärische  Okkupation 
des  Landes. 

Der  literarische  Einflufs  hat  sich  hauptsächlich  auf  das  Pro- 
venzalische  geltend  gemacht,  wie  schon  oben  erwähnt  wurde. 
Auch  die  ganz  vereinzelte  Stelle  beim  spanischen  Dichter  Berceo, 
S.  Dom.  Str.  457:  tres  veni  medidas  de  farina  ist  wahrscheinlich  darauf 
zurückzuführen. 

*  Allerdings  ist  es  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen,  dafs  in 
Tras  OS  Montes  quairo  vezes  vinie  gerade  beim  Kornhandel 
häufig  gebraucht  wird,  was  man  entschieden  geneigt  ist,  auf  die 
zweite  Gruppe  von  Entlehnungen  zurückzuführen.  Es  wäre  daher 
möglich,  dafs  sich  auch  die  Stelle  bei  Berceo  auf  eine  alte  Handels- 
gepflogenheit der  Pyrenäenhalbinsel  zurückführen  liefse,  das  Ge- 
treide nach  dem  vigesimalen  System  zu  berechnen.  Die  Vermittler 
des  Handels  waren  wohl  lange  Zeit  hindurch  die  Franzosen,  das 
bezeugen  eine  Anzahl  Lehnwörter  für  Mafse  ur;d  Münzen.  Ein 
spanisches  Getreidemafs  hiefs  quarlera,  altfranz.  quarter,  das  sich 
auch  im  Englischen  quarter  noch  bis  heute  erhalten  hat.  In  Portugal 
gab  es  bis  1880  ein  Münze  pataco  (=  40  Reis),  die  wohl  jeden- 
falls aus  provenzalisch/a/öf,  Rechnungsmünze  in  Avignon=  i/jnoLivre 
entlehnt  ist.  Desgleichen  ist  der  jetzt  noch  in  Portugal  im  Volks- 
munde für  100  Reis  gebräuchliche  Ausdruck  iostäo  oder  tesiäo  auf 
die  französische  Münze  tesion  zurückzuführen,  die  Franz  1.  und 
Ludwig  XII.  prägen  liefsen,  IMerkwürdigerweise  läfst  sich  dagegen 
für  portugiesisch  vinleni  (==  20  Reis)  keine  entsprechende  französische 
Münzbezeichnung  auffinden,  vintain  kommt  nur  als  Abgabe  vor: 
droit  en  vertu  dtiquel  le  seig7ieur  prenait  la  vingtieme  partie  du  fruit 
de  la  terre  und  als  Zahlwort  =  vingt. 

Zur  dritten  Gruppe  von  Entlehnungen  möchte  wohl  das  Vor- 
kommen der  Vigesimalzählung  im  Dialekt  von  Teramo  zu  zählen 
sein.  Die  französische  Besatzung  des  Landes  hat  im  Wortschatz 
zahlreiche  Spuren  hinterlassen  und  auch  eine  andere  Besonderheit 
in  der  Zählweise  geht  wahrscheinlich  auf  französischem  Sprach- 
gebrauch zurück.    Man  verwendete  statt  milk  cento  etc.  uttnece  cende 


205 

etc.  gegen  die  sonstige  Gepflogenheit  des  Italienischen,  dem  fran- 
zösischen onze  Cent  etc.  entsprechend.  Der  Gebildete,  der  Italienisch 
liest,  gebraucht  die  italienischen  Zahlwörter,  nur  die  Analphabeten, 
..i  piü  chietti  fra  i  7iostri  popolani,  e  sopratutte  le  donne^'- ,  wie  Savini 
sagt,  ersetzen  quaranta  durch  do  vendine,  sessanta  durch  tre  vendine, 
settanta  durch  tre  venditie  e  ddice  etc.  bis  Hundert. 

Am  schwierigsten  gestaltet  sich  die  Frage  bei  den  Dialekten 
von  Noto.  Man  gebraucht  dort  ru  vintini  (40),  ru  vintini  rici 
(50),  tri  bi7itini  (60)  etc.  Ob  die  Zählung  bis  100  reicht  oder  noch 
weiter,  gibt  Avolio  nicht  an,  nur  sagt  er:  i  il  computo  ordinario 
delle  viasse  campagnuole.  In  Sizilien  folgten  sich  so  viele  Völker- 
schaften, dafs  die  Entlehnungen  manche  Rätsel  aufgeben.  Nun 
wissen  wir  allerdings,  dafs  weder  Griechen  noch  Römer  nach 
dem  Vigesimalsystem  zählten  und  auch  von  den  Arabern  ist  uns 
ein  solches  nicht  überliefert.  Die  Normannen  jedoch,  die  jeden- 
falls ein  Zwanzigersystem  hatten,  wenn  wir  auch  nicht  wissen,  in 
welchem  Ausmafse  sie  bei  der  Besetzung  Siziliens  danach  rechneten, 
besafsen  im  Süden  der  Insel  geringeren  Einflufs.  Fände  die 
Vigesimalzählung  sich  in  der  Gegend  von  Messina  oder  Palermo, 
würde  man  leichter  geneigt  sein,  sie  auf  die  normannischen  Eroberer 
zurückzuführen. 

Inwieweit  der  Einflufs  des  Französischen  zur  Zeit  der  Besetzung 
des  Landes  durch  die  Bourbonen  reichte,  ist  auf  Grund  des  vor- 
handenen Materials  nicht  möglich  nachzuweisen. 

Kollektiva,  die  Kardinalbedeutung  erlangt  haben,  sind  nicht 
nur  im  Französischen,  sondern  auch  in  den  übrigen  romanischen 
Sprachen  selten.  Zu  erwähnen  wäre  neben  französisch  grosse,  spanisch 
griieso,  portugiesisch  grösa,  piemontesisch  bor/a,  das  ursprünglich 
„grofse  Last"  bedeutete  und  dann  die  Bedeutung  20  Jahre  er- 
langte, i  Belegt  findet  es  sich  allerdings  nur  als  Ausdruck  für  80: 
quat  borle. 


1  Vgl.  E.  Richter,  Die  Bedeutungsgeschichte  der  romanischen  Wortsippe 
bur(d).     Sitzungsb.  Ak.  Wiss.  Wien,  vol.  156,  p.  72,  4. 

Brunn,  November  190Q. 

Margarete  Rösler. 


Sachregister. 


A  zu  a  (alb.)  63. 

a  zu  1?  (alb.)  63.  —  a  -f-  r  zu  tz  -|-  r? 
(rum.)  31. 

AU  zu  O  (lat.)  51.  —  au  zu  o  im  West- 
rom. 8.  —  au  vortonig  zu  a  (rum.)  72. 

Ablativus  absolutus  IIO. 

Adjektiva  nehmen  verbale  Bedeu- 
tung an  98.  —  mit  -to-Suffix  s.  -to. 
—  HABERE  4"  prädik.  Adj.  s.  habere. 

Akkusativ  mit  dem  Infinitiv  mit 
Ellipse  von  ESSE  iio. 

Aktive  Verba  mit  passiver  Bedeutung 

124.  —  Aktiv  für  Passiv  eintretend 

125.  —  aktiver  Sinn  der  -to-Parti- 
zipien  s.  Partizip. 

aller:  yV  vais  chanter  15. 

Analogie  in  der  Syntax  82 f.,  90. 

Artikulationsschwäcbung  5,  7. 

Artikulationsverstärkung  un- 
betonter  Vokale  in  Sizilien  5. 

Assimilation:  der  lat.  Konsonanten- 
gruppen 9;  —  der  lat.  Gutturalen  9; 
der  französ.  Diphthonge  5;  —  im 
Istrorum.  34;  im  Rumän.  41  f. 

Aussterben  syntaktischer  Formen 
oder  Funktionen  84,   157  f. 

Attributiv  s.  prädikativ. 

B:  zwischen  Vokalen  verstummt  im 
Rumän.,  bevor  be  zu  ge  36. 

Bi  zu  ib  älter  als  Bi  zu  gi  (rum.)  36. 

Bedeutung  der  Worte  14. 

biologische  Probleme  12 f. 

Bolognesisch:  Charakter  dieser 
Mundart  7. 

C:  lat.  CT  zu  tt,  yi,  ft,  pt,  ut,  it  8 f. 


Chronologie:  der  rumän.  Lautiibei- 
gänge  36,  58  Anm. 

Consentius  llf. 

Dareikos   189,  201. 

„Dativ"  in  dtsch.  dem  Vater  sein 
Knecht  15. 

Deponentia  zu  Aktiven  und  um- 
gekehrt 124.  —  mit  aktiver  Be- 
deutung 124.  —  Folgen  des  Auf- 
gebens der  Passivflexion  bei  D.  129, 
—  Perfekta  von  D.  im  Rom.  er- 
halten 136. 

Deverbalia  mit  jolaziertem  Stamm 
im  Dakorum.  24. 

Dissimilation  der  franz.  Diphthonge 
6.  —  im  Rum.  37,  41  f. 

Duodezimalsystem  1 88 f.  —  Brüche 
189.  —  duod.  Hundert  191.  — 
duod.  Teilung  der  Münze  1S9,  202. 

Durative  Verba  87  ff.,  96.  —  Per- 
fekta   d.  Verba  lOOfF.,    151,    172!?, 

e  vor  Nasalen  im  Rum.  32  f. 

Empirie  3. 

Entgutturalisierung  von  Guttural 
+  Konsonant  8  f. 

Entlabialisierung  von  qu,  gu  5. 

Entlehnung  von  Zahlwörtern  204. 

Faktitiv  s.  transitiv. 

Funktions Verschiebung  83. 

Futurbildung  im  Rom.  15. 

g  zu  V  (rum.)  37.  —  gn  zu  ?;n  9.  — 
gu  entlabialisiert  5. 

generelles  Präsens  s.  Präsens. 

Genitiv  als  Form  und  Funktion.  — 
als  Possessiv  15. 


207 


Gerundivurn  1O9. 

Grammatik:  deskriptiv  und  wissen- 
schaftlich I."  —  historisch -indivi- 
dualisierend 2.  —  evolutionistisch 
3,  7  f.,  12.  —  die  Sprache,  nicht 
das  Sprechen  darstellend  12.  —  geo- 
graphisch-deskriptiv 13.  —  syntak- 
tisch-deskriptiv 16. 

Grofshundert  192. 

1h  zu  V  im  Rum.  37. 

HABERE  +  Adjektiv  107  fF.,   164. 

Hauptzahlen  191. 

ieu  als  Akkusativ  im  Neuprov,  16, 

Imperfektum  im  Rum.  28  ff.  — 
Unterschied  vom  Perfekt  lOi  Anm.2. 

Intransitives  Aktiv  für  Pajsiv  125 
s.  auch  transitiv. 

Iterative  Verba  88,  91,   147, 

Jotazierte  Verba  (rum.)  21  ff.  — 
(tum.  und  alb.)  60. 

k'  zu  ts  (rum.)  63. 

Kollektive  statt  Kardinalia  ver- 
wendet 193  f.,  205. 

Komposita:  perfektive  Bedeutung 
93  f.,  96,   151  Anm. 

Konjunktiv  im  Islrorum.  23.  —  im 
Altrum.  23. 

Kontamination  82. 

L:  Aussprache  des  lat.  L  (pinguis  und 
exilis)  10  f.  —  Iv  zu  Ib  älter  als  BT 
zu  ^  (rum.)  36. 

Labial  zu  Palatal  (rum.)  33f. 

Media  statt  Tennis  im  Anlaute  im 
Westroman.  6. 

Metathese  im  Istrorum.  34. 

tni  als  Nominativ  im  VenezianiscliLn 
und  im  Mailändischeu   16. 

Modal  nuancierte  Verballormen 
zeigen  Gleichgültigkeit  gegenüber 
der  Zeitstufe  I05f.,  121  f.,  159  f., 
169. 

Modaler  Nebensinn  der  -to- Parti- 
zipien s.  Partizip. 

moi  franz.  als  Nominativ  16, 

Münzordnung  Karls  des  Grofsen 
201  ff. 

fiV(Jioi  als  Rundzahl  188. 

Nasalisierung  im  Rum.  39. 


Negativ:  Einwirkung  des  negativen 
Charakters  auf  den  Sinn  92  f. 

Neubildung,  syntaktische  82. 

2)  palatal  il. 

Palatalisier ung  5  —  primäre,  se- 
kundäre und  akzessorische  8. 

Partizip.  -to-Partizip.  Das  mit 
Suffix  -to  gebildete  Verbaladjektiv 
im  Lat.  85  ff.  —  im  Rom.  129  ff.  — 
mit  aktiver  Bedeutung  im  Lat.  83, 
87  ff.  —  im  Rom.  129  ft.  —  mit 
passiv-präsentischer  Bedeutung  87ff., 
162  f.  —  Eigentliche  Bedeutung 
des  -to-Part.  85.  —  modaler  Neben- 
sinn 92,  123.  —  prädikativer  Ge- 
brauch 97  ff.  —  Gefühl  für  den  Zu- 
sammenhang mit  dem  Verb  124. 

Partizip  mit  esse  im  Lat.  97 ff.  — 
im  Rom.  135  ff.  —  als  Perfekt  in- 
transitiver Verba  136  ff.  —  als 
Perfekt  reflexiver  Verba  141  ff.  (mit 
Reflexivpronomen  143  ff.).  —  als 
Passiv  146  ff. ,  162.  —  Rückkehr 
zur  Zustandsbedeutung  149.  —  als 
Zustandsbezeichnung  und  als  Passiv- 
perfekt im  Rom.  155  ff.  —  in  modal 
nuancierten  Formen  gleichwertig  mit 
einf.  Verb  löoff.  —  mit  fui  etc. 
103  ff.,  157  ff.  —  Part.  +  EST  in 
Futurbedeutung  162  f. 

Partizip  mit  habere  im  Lat.  lOÖff. 

—  im  Rom.  163  ff.  —  in  der  Be- 
deutung eines  Präsens  112  f.,  117, 
171  f.  —  in  modal  nuancierten 
Formen   mit   habere  im  Lat.  120  f. 

—  modal  nuancierte  Formen  gleich- 
wertig mit  einf.  Verb  im  Rom.  169. 

—  mit  HABUI  im  Lat.  121  f.  —  im 
Rom.  (=  histor.  Perfekt)   169,   170. 

—  bei  durativen  Verben  170  ff.  — 
bei  reflexiven  Verben  174  ff.  —  bei 
intransitiven  Verben  177  ff. 

Partizip  mit  HABERE  und  ESSE  ver- 
wendet als  historisches  Perfekt;  zur 
Bezeichnung  einer  sofort  folgenden 
Handlung  s.  Perfekt. 

Partizip  mit  facere,  fieri,  venire 
s.  diese  Verba  im  Wortregister. 


2o8 


Partizip:  -NT-Partizip  91   Anm.  I. 

Passd  ant^rieur  zur  Bezeichnung 
einer  sofort  folgenden  Handlung 
168  f.  —  =  historisches  Perfekt  159, 
169. 

Passiv  gebildet  aus  -to-Partizip  + 
ESSK   104  f.,   146  ff. 

Passiv  flexion:  Aufgeben  der  P. 
124  ff.,  160.  —  Ersatzmittel  125  ff., 
146 — 162.  —  Passiv  für  Aktiv  (ver- 
kehrte Sprechweise)  129.  —  Passiv 
für  Verbaladjektiv  -f  esse  129. 

Perfekt:  Unterschied  vom  Imperfekt 
lOl  Anm.  2.  —  präsentisches  und 
aorislisches  (historisches)  99.  —  P. 
durativer  Verba  lOOf,  I72ff.  — 
historisches  Perfekt:  einfaches  und 
zusammengesetztes  im  Rom.  I45ff-i 
166  ff.  —  einfaches  bei  huer  und 
mar  146.  —  zusammengesetztes  als 
Bezeichnung  einer  sofort  folgenden 
Handlung  168  f.  —  von  esse  im 
Rom.  182  ff. 

perfektive  Verba  87ff.,  96,   151. 

Pfund  =  240  Stück   194. 

Plusquamperfekt  mit  Perfekt- 
bedeutung (?)   103  Anm. 

Positionsgesetz  der  betonten 
Vokale  6. 

Prädikat  erster  und  zweiter  Ordnung 
97  Anm.  I. 

prädikative  und  attributive  Ver- 
wendung des  Verbaladjektivs  97 
Aum.  I.  —  bei  habere  107  ff. 

Präsens:  punktuelles  89,  127,  151  ff., 
160.  —  im  Passiv  durch  -to-Part. 
-|-  ESSE  ausgedrückt  151  ff.  —  durch 
-to-Part.  -f  FiERi,  VENIRE  etc.  127, 
152  ff.  —  generelles  89,  147.  — 
HABERE  +  Part,  im  Sinn  eines  gene- 
rellen Präsens  171. 

Quinäre  Zählmethode  195,  197. 

R;  re,  ri  im  Rum.  32.  —  RV  zu  rh 
älter  als  Bi  zu  /;  (rum.)  36. 

Reflexiv:  Ersatz  des  Passivs  durch 
das  R.  126  f.  —  Kasus  des  R.-Pro- 
nomens  ht\  pe7iser  176.  —  reflexive 


Verba  126  f.    —    Perfekt    reflexiver 
Verba  174  ff. 

Rhotazismus  (rum.)  38  ff. 

Rund  zahlen  188 f.,  191  f.  —  Rund- 
zahl  in   kollektiver   Bedeutung  190. 

S:  s  zu  />  (alb.)  63.  —  s  zu  s  zu  / 
(all).)  63.  —  sl  zu  sei  (rum.)  56. 

Sandhibin  düngen  im  Latein.  6,  il. 

Satz  14  Anm.  2. —  Satzäquivalent  14. 

Schwund  der  Auslautvokale  im 
Franz.,  Rät.  und  Oberital.  7.  — 
von  auslautenden  Vokalen  und  Kon- 
sonanten im  Lat.  6. 

sechzig  als  Rundzahl  188,   190. 

Sexagesimalsystem  i8Sff.  — 
Soxagesimalbrüche  189. 

Situationelle  Bedeutung  von  Sub- 
stantiv +  Determinativ  108  ff.,  163, 
i64ff.,  168. 

Sprachgeographie  13. 

Sprechweise:  umgekehrte  129. 

Stufenzahlen  187t.  —  mit  ursprüng- 
lich kollektiver  Bedeutung  193  f. 

Subjekt  und  Prädikat,  ungewöhnliche 
Verknüpfung  125. 

Suffixe  -ea,  -ia  (rum.)  31. 

Synkope:  -BULIFM  zu  -blum  70. 

Syntax:  Definition  14  Anm.  2.  — 
Schwierigkeit  der  Behandlung  syn- 
taktischer Probleme  77  ff.  —  syn- 
taktische   Proportionalbildung    82  f. 

T:  TE  und  Ti  im  Rum.  31.  —  lat. 
TL  zu  CL  10  Anm.  6. 

T  e  n  u  i  s  lenis  in  Unteritalien  7  Anm.  3. 

-to-Suffix  85ff.  —  -to-Adjektiva, 
bei  denen  der  Gedanke  an  die  Hand- 
lung ausgeschlossen  ist  123.  —  Ad- 
jektiva  aus  -to-Partizipien  129  f. 

Transitive  Verba:  echte  und  pseu- 
do-transitive  87f,  —  transitiv-fakti- 
tive  Bedeutung  aus  passiver  Auf- 
fassung entwickelt  162.  —  transitive 
und  intransitive  Bedeutung  bei  der 
Adjektiv-Ableitung  125. 

U:  ü  zu  u  und  ü  zu  m  (alb.)  63. 

Umgangssprache  Bedeutung  der 
Zeugnisse  der  Schriftsprache  für  die 
Umgangssprache  116. 


Umgekehrte  Sprechweise  s.  Sprech- 
weise. 

Umlaut  als  Haupterscheinung  des 
betonten  Vokalismus  im  Frz.  6.  — 
von  a  zu  5  im  Plural  der  Feminina 
im  Rum.  29  ff. 

Unpersönliche  Verba:  esse  bei  un- 
persönlichen Verben  140.  —  HA- 
BERE 182.  —  Passivum  bei  unpers. 
Verba  150. 

venir:_;V  viens  de  chatiter  l^, 

Verbalsubstantiv  iio. 

Vigesimal  teilung  der  Münze  189. 
201  f. 

Vigesimalzählung:  lautl.  Gründe 
dafür  203.  —  bei  den  Basken  197. 
—  in  Frankreich  190,  197  ff.  —  bei 
den  Germanen  I90ff.  —  bei  den 
Kelten    190,    I94ff.    —    in    Manu- 


209 

Skripten  199,  200.  —  in  Mexiko  197. 
—  in  Noto  190,  205.  —  bei  den 
Skandinaviern  192,  202.  —  in  Te- 
ramo  190,  204.  —  in  Tras  os  Montes 
190,  204.  —  bei  der  vorgallischen 
Bevölkerung  196. 

Vokalpalatalisierung  im  Frz.  6. 

Wortanlaut  im  Kelt.,  Lat.  und  Frz. 
6,   II. 

Wortauslaut  im  Lat.  6. 
Wortfunktionen  14. 
X:  lat.  X  zu  ss  9. 
Zahlenbildung:  Prinzip  der  Zahleu- 

bildung  187. 
Zahlsystem,    baby  ionisches     lS8, 

191. 
Zähl  weise  der  Brasilianer  197. 
Zw  ischensilbigkeit  7. 


Beiheft  zur  /'.eitcclir.  f.  roni    Phil.  XXVl.     (l'cstschiift  ) 


H 


Wortregister. 


adspectare(lat.)  lO,  Anm. 

2. 
*agmellus  (lat.,  rum.)  37. 
al  (rum.)  60. 
ü\6      „verloren"       (frz.) 

162. 
ama  (lat.)  7. 
amalus  (lat.)  90,  94  f- 
amnät  (istrorum.)  41. 
animalus  92. 
ar     „und''     bei     Zahl- 
wörtern (bret.)  195- 
arak'  (aromun.)  22. 
arester:  zusammen  gesetz- 
tes Perf.  (frz.)  179. 
aresteu  (frz.)  139- 
*.isscla  (lat.)  50. 
*assedito  (lat.)  10,  A.  2. 
*ass'la  (lat.)  50. 
assula  (lat.)  50. 
astept  (rum.)   10,  A.  2. 
*'astula  (lat.)  51- 
astula  (sard.)  50. 
auca  (prov.)  8. 
auris  (lat.)  51. 
auto  (span.)   10. 
autor  (lat.)  9. 

balaur  (rum.)  60. 
barzä  (rum.)  64. 
berbec  (rum.)    56. 
biber  (lat.)  6. 
bintini  in  Zusammensetz 
205. 


bole  (alb.)  60. 
borla  (piem.)  205. 

cac6  (rum.)   56. 

cage  (frz.)  6. 

ca  (si)  cänd  (rum.)  60. 

caulis  (lat.)  51- 

ceafä  (rum.)  63. 

cenatus  (lat.)  90,  92. 

Cent  „120",  203. 

cerasä  (rum.)  70. 

cerasia  (lat.)  70. 

ceresia  (lat.)  70. 

Chat  (frz.)  6. 

chegado     ,,nahe"     (apg.) 

164  Anm. 
chegar  „nahebringen"  (?) 

(apg.)   164  Anm. 
chetif  (frz.)  34. 
chiave  (ital.)  6,   II. 
christianus  (lat.)  58. 
chue      ugein      (kymr.) 

195- 
ci6une  (nprov.)   10. 

cireasä  (rum.)  70. 

cl6  (frz.)  6. 

coapsä  (rum.)   10. 

cöic    cethorchuit    (altir.) 

194- 
*coliclu  (lat.)  51- 
color-mudat    (kat.)     135 

Anm. 
convenu  (frz.)    135  Anm. 
couru  (frz.)   135  Anm. 


cras  (pik.,  wall.)  6. 
*credenlia  (lat.)  24. 
crier  (frz.)  6. 
cursä  (rum.)  60. 
curundu  (altrum.)  32. 


daulä  (rum.)  70. 
de  (rum.)  60. 
*deb(i)lare  (lat.)  70. 
decer  (apg.)  139  Anm. 
C^^c\x{2.'^^:)Jierabsteigen" 

139  Anm. 
deg    ar    ugeint     (kymr.) 

195- 
dein  (lat.)  6. 
deu-naw  (kymr.)  195- 
dine  (afrz.)  9.  Anm.  3. 
diz/nus  (lat.)  9- 
discretus  (lat.)  133  Anm. 
douze  vins  (afrz.)   I99- 
dreitf  (alb.)   10. 
dritto  (ital.)  164. 
duce-va-ti  (rum.)  60. 
Dutzend   1S7. 

einn  og  tuttugu  (isländ.) 

192. 
escu  (rum.)  56. 
esfree  (alrz.)   I34- 
excepto  (lat.)  10,  Anm.  3. 
exire  :  exitum   esse   (lat.) 

140  Anm. 
facem  (rum.)  S^- 


211 


facere  zur  Passivuni- 
Schreibung"  (lat.)    154. 

facere  se  (lat.)  155. 

fäculä  =  facut  (rum.)  56. 

fa;jtu  (lat.)  9  ff . 

faillir  Konstr.  (frz.)   138. 

falsus  (lat.)  87,  94. 

fara  (langobard.)  71. 

farä  (rum.)  70  f. 

färämä  (rum.)  64. 

fat  (megl.)  10. 

ferrer  (frz.)  92. 

fiche  in  Ziisammensetzg. 
(kelt.)    194. 

fieri  mit  Part,  (lat.)  127, 
(it.)  152  ff. 

firit  (prov.)  134  Anm. 

fjöruliu  (Island.)  192. 

fl'er  (istrorom.)  34. 

fortunare,  -atus  (lat.)  92. 

fossatum  (lat.)  59. 

frambie  (rum.)  36. 

fränghie  (rum.)  36. 

freksura  (dalm.)   10. 

fris  (megl.)  10. 

Irüit  (vegl.)  10,  Anm.  4. 

triit  (alb.)   10,  Anm.  4. 

*friiUu  (lat.)  10,  Anm.  4. 

föat  (alb.)  59. 

furnicä  (rum.)  37. 

fyrcesintiugh  (skand.)  193. 

fyresindstyve  (dän.)  193. 

fyrretyve  (dän.)  193. 

*gabia  (westrom.)  6. 
*gattus  (westrom.)  6. 
gavia  (piem.)  S. 
geole  (frz.)  6. 
gerunchiu  (rum.)  40. 
ghiräi  (rum.)  35. 
gitf  (alb.)  60. 
giugnere    (ital.)     konstr. 

138. 
gonfler  (frz.)  6. 
gras  (frz.)  6. 
*grassus  (westrom.)  6. 
*gridare  (westrom.)  6. 
grosa  (pg.)  205. 


grosse(frz.)  193,  A.  2,  205. 
grueso  (sp.)  205. 
giimtiire  (alb.)  9. 
gutunar  (rum.)  42. 
guturaiu  (rum.)  42. 
guapto  (dalm.)   10. 

habere  (lat.)  rnit  Akkusa- 
tiv- Objekt  und  De- 
terminativ =  y^behan- 
dein''  10?,;  =  „halten'' 
108.  Vgl.  Partizip 
und  Adjektiv  im  Sach- 
register. —  habere, 
haberi  =  esse  183  ;  — 
habitu,  -utu  zum  Per- 
fekt von  esse  ver- 
wendet 1 83  ff. 

haff    thrithioe(sin)liugh 
(skand.)  193. 

halvtredsinstyve       (dän.) 

193- 
hamesit  (rum.)  60. 
hanner     can      (mlynedd) 

(kymr.)   195. 
hanter  cant  (bret.)   195. 
honorare,  -atus  (lat.)  92. 
huitante  s.  oitante 
hundrad  „120"  191, 202. 

ier  (afrz.)  15. 

inveniri  (lat.)   „befunden 

werden'^    III. 
iratus  (lat.)  91. 
irer  (afrz.)  92. 
irimä  (rum.)  40. 

Jambe  (frz.)  6. 
Joe  (afrz.)  8. 

k'ek'  „sehr"  (alb.)  60. 
*kektine  (lat.)  34. 
♦kektu  (lat.)  34. 
k'fn  (alb.)  58  Anm. 
*keptine  34. 
*keptu  34. 
kfatfrf  (alb.)  58. 


kl'ept  (istrorüm.)  34. 
koapsa  (dalm.)  10. 
kofäe  (alb.)  10. 
komnut  (dalm.)  10. 
kurÖ^e  (alb.)  60,  63. 

lätunoiu  (rum.)  42. 
läturoiu  (rum.)  42. 
levare  (lat.)  intrans.  137 

Anm. 
lesie  (rum.)    10. 
lini-m£  (alb.)  60. 
linna  (sard.)  9. 
llave  (sp.)  6,  11. 
long  hundred  (engl.)  192. 
lunec  (rum.)  42. 

mal  (alb.)  63. 
mänänc  (rum.)  58  Anm. 
manducare  (lat.)  5S  Anm. 
mänzat  (rum.)  60. 
mar  (rum.)  63. 
maraude  (prov.)  10. 
*massatum  (lat.)  59. 
niästinoiu  (rum.)  42. 
mcsoj  (alb.)  63. 
miel  (rum.)  37. 
minguado   (asp.)    135  A, 
ml  äre  (istrorüm.)  34. 
mn-ä,    mii-e    (istrorüm.) 

34- 
Mohila  (rum.)  37. 
mortuus  (lat.)  99. 
mort     „getötet "     (rom.) 

162,   164  f. 
movila  (rum.)  36  f. 
mu//cä  (istrorüm.)  20. 
musunoiu  (rum.)  42, 
musuroiu  (rum.)  42. 

nalbä  (rum.)  37. 
navigari   (lat.)    140  Anm. 
negi6e :  noisnegi^e  (afrz.) 

135- 
nestiind  (rum,)  60. 
m'tjan    og    tuttugu    (isl.) 

192. 


14^ 


212 


nmc^ii  (istiorum.)  63. 
nonante(fiz.)  IcjSfT.,  203. 
nuntru  (istrorum.)  41. 

oar    „supra'^    in    Zahl- 
wörtern^' (kelt.)  195- 
oca  (ital.,  sp.)  S. 
ochtmoga  (kelt.)  194. 
oclante    (tVz.)   s.  oitante. 
oie  (frz.)  8. 

oitante  (afrz.)  198  fr.,  203. 
oreiUe  (frz.)  6,   il. 
*oricla  (lat.)  51. 
ortado  (sp.)  130  Anm.  2. 
Örtug  (aoid.)  202. 

päcuinH  (rum.)  42. 

paüohur  (alb.)  60. 

päntec  (rum.)   5Ö. 

päräu  (rum.)  59. f. 

pataco  (sp.)  204. 

pfr  (alb.)  60. 

perir  ^^zugrunderichten'-'' 

(frz.)   162. 
pfrua  (alb.)  59  f. 
piagno  (ital.)  9. 
piakno  (dalm.)   10. 
Pistillus  (lat.)  8. 
Pixtaucus  (lat.)  8. 
Pixticenus  (lat)  8. 
Pixtillus  (lat.)  8. 
pl'erd  (istrorum.)  34. 
poc  (istrorum.)  21. 
pociu  (rum.)  21. 
poe  (afrz.)  8. 
pos  (rum.  ban.)  21. 
posnS  (rum.)  37. 
pot  (rum.)  21. 
prendre     (frz.)     intrans. 

138  Anm. 
punoiu  (rum.)  42. 
purceg  (rum.)  21. 
purec  (rum.)  56. 
puroiu  (mm.)  42. 

(pQOVZxov  (ngriech.)  10, 
Anm.  4. 


quartera  (sp.)  204. 
quatorze  vins  (afrz.)  199. 
quatre-vingt    (frz.)     187, 

igSff.,  203. 
quatro   vezes  vinte    (pg.) 

190,  204. 
quatuor      viginti       (lat.) 

198. 
Quinze-vingls   (frz.)  199- 

räbdä  (rum.)  32. 
rade  (frz.)  8. 
räsaru  (altrum.)  32. 
räscräcSnat  (rum.)  42. 
rä^crScärat  (rum.)  42. 
räspunsu  (altrum.)  32. 
räsunoiu  (rum.)  42. 
räsuroiu  (rum.)  42. 
Tau  „sehr"  (rum.)  60. 
raudo  (sp.)  8. 
rebdä  (altrum.)  32, 
rene  (afrz.)  9,  Anm.  3. 
renegatus  (lat,  rom.)  133 

Anm. 
rei>Tis„ezngewurzelt^'{frz.) 

132. 
respunsu  (altrum.)  32. 
rumpere    (lat.)    intrans. 

137. 

sale     „  Hüften  ■'     (rum.) 

60. 
Sal'e  (alb.)  60. 
samtu  (arom.)  22. 
särmä  (arom.)  64. 
sat  (rum.)  59. 
scor  (germ.)  202. 
score  (engl.)   I93- 
secale  (lat.)  63. 
sedeo,  *seditu  (lat.)  zu7n 
Perf.    von    esse    ver- 
wendet 183. 

Segen  (dtsch.)  9. 

seith  ugeint  (kymr.)  195. 

seminät  (istrorum.)  41. 

septante  s.  setante. 

sept-vingt  (frz.)   198. 


sesca  194. 

setante  (frz.)  198  fr,  203. 
sikur  (alb.)  ÖO. 
six  vins  (frz.)   199  f. 
skor  (germ.)   193,  202. 
snees,  sncis  (germ.)  194. 
soarec  (rum.)   56. 
*sokius  (lat.)  8. 
spuie  (istrorum.)  22  f. 
statu     (lat.)     138;     zum 
Perf.    von    esse    ver- 
wendet 182  f. 

staur  (rum.)  70. 

stega  (germ.)  194. 

Stet  (megl.)  10,  Anm.  2. 

stiege  (germ.)  193  f. 

slräminare  (rum.)  41. 

sudato  (ital.)  etc.   135. 

sumedenie  (rum.)  60. 

suspin  (rum.)  42. 

tacitus  (lat.)  37,  92. 
tenere    +    Part.       113, 

171  f. 
tes  (rum.)   10. 
testäo  (pg.)  204. 
tirrcett  (skand.)   191. 
tiu  og  tuttugu  (isl.)  192. 
tiu-tiu  (skand.)  191. 
toapsec  (altrum.)  10. 
tölfroett  (skand.)   191. 
tot  (rum.)  60. 
treis     vinz     (afrz.)     201, 

203. 
treis      vinz     dis     (afrz.) 

198. 
tremble    (frz.)    135  Anm. 
tro^ir  (asp.)   137. 
triebe     in    Zuss.    (kelt.) 

194- 
tri-chuech  (bret)  I95- 
trofte  (alb.)  10. 
tsäptir  (istrorum.)  34. 
tub'lus  (lat.)  70. 

^erimf  (alb.)  64. 
^umbul  (alb.)  63. 


2  I 


]7Üsund  (skand.)   191. 

ucig  (rum.)  21. 

unda  „  Welle  v.  kochen- 
dem Wasser''''  (rum.) 
56. 

urdinä  „oft gehen'-'  (rum.) 
56. 

ustunoiu,  usturoiu  (rum.) 
42. 

valgo  (ital.   sp.)  9. 
*veclus  (lat.)  50. 


*velenum  (lat.)  42. 
velle  im  Istrorutn.  23. 
vengo  (ital.,  sp.)  9. 
vendine    in   Zuss.    (süd- 

ital.)  205. 
venin  (dakorum.)  42. 
venire     mit    Part.    127 

154  f. 
verin  (arom.)  42. 
vetulus  (lat.)  50. 
videri    ^^scheinen'-'- 

III. 


viezuina  (rum.)  42. 
viezunie  (rum.)  42. 
Villa  (lat.)   10,  Anm.  6. 
vintini    (Noto)    in   Zus. 

205. 
vintem  (pg.)  204. 

waÖmal  191,  202. 


(lat.)       xe,  xi  (apg.)   143  Anm. 


Druck  von  Ehrhardt  Karras,  Halle  a.  S. 


BEIHEFTE 

ZUR 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ROMANISCHE   PHILOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr.  GUSTAV  GRÖBER 

PROFESSOR    AN   DER   UNIVERSITÄT   STRASSBURG    I.  E. 

UNTER  MITWIRKUNG 

VON 

Prof.  Dr.  E.  HOEPFFNER 


XXVII.  HEFT 


PRINZIPIENFRACtEN  der  romanischen  SPRACHWISSENSCHAFT. 
MEYER -LÜBKE  GEWIDMET.     TEIL  II 


HALLE  A.  S. 

VERLAG    VON    MAX    NIEMEYER 
1911 


PRINZIPIENFRAGEN 

DER 

ROMANISCHEN 
SPRACHWISSENSCHAFT 


WILHELM  MEYER -LÜBKE 

ZUR  FEIER  DER  VOLLENDUNG  SEINES  50.  LEHRSEMESTERS 
UND  SEINES  50.  LEBENSJAHRES 


GEWIDMET 


TEIL  II 

PETER  SKOK: 

DIE  VERBALKOMPOSITION  IN  DER  ROMANISCHEN 

TOPONOMASTIK 

ELISE   RICHTER: 

DER  INNERE  ZUSAMMENHANG  IN  DER  ENTWICKLUNG  DER 

ROMANISCHEN  SPRACHEN 

ALICE  SPERBER: 

ZUR  BH^DUNG  ROMANISCHER  KINDERNAMEN 

ERNST  GAMILLSCHEG: 

ÜBER  LAUTSUBSTITUTION 


HALLE  A.  S. 

VERLAG   VON   MAX   NIEMEYER 
191  I 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Peter  Skok,  Die  Verbalkomposition   in  der  romanischen  Toponomastik  i 

Elise   Richter,    Der    innere    Zusammenhang    in    der   Entwicklung    der 

romanischen  Sprachen 57 

Alice  Sperber,  Zur  Bildung  romanischer  Kindernamen 144 

Ernst  Gamillscheg,  Über  Lautsubstitution 162 

Sachregister 192 

Wortverzeichnis 196 

Verzeichnis  der  Orts-  und  Personennamen 200 


Die  Verbalkomposition  in  der  romanischen 
Toponomastik. 


La  composition  avec  l'imperatif  est  ^minemment  synth6- 
tique.  Avec  ses  complications  apparentes,  eile  n'en  reste 
pas  moins  naturelle  et  porte  bien  le  cachet  de  l'esprit 
populaire, 

A.  Darmesteter,  Formation  des  noms  composes 
en  fran^ais.    S.  173. 

Die  Zusammensetzung  Imperativ  und  Appellativ,  seltener 
Adjektiv  oder  noch  seltener  adverbielle  Bestimmung  wird  nicht 
nur  zur  Bildung  von  Appellativen  in  allen  romanischen  Sprachen 
ungemein  häufig  herangezogen,  sondern  sie  ist  auch  in  der  roma- 
nischen Onomastik  recht  zahlreich  vertreten,  wie  man  bisher  auch 
jedesmal  hervorgehoben  hat.  Bei  Appellativen  dient  sie,  wie  kaum 
erwähnt  zu  werden  braucht,  vorzugsweise  zur  Benennung  ver- 
schiedenartigster Geräte  und  Pflanzen.  Diese  Kompositionen 
studierte  bekanntlich  fürs  Französische  eingehend  und  abschliefsend 
A.  Darmesteter  in  seinem  Traite  de  la  formation  des  mots  com- 
poses dans  la  langue  fran9aise  compar^e  aux  autres  langues  ro- 
manes  et  au  latin,  Paris  1875.  Er  hat  S.  199  (5,  Verbes  avec 
vocatif,  Fufsnote  6)  auf  Ortsnamen  hingewiesen,  denen  canta  und 
ein  Vogelname  etc.  zugrunde  liegt.  Früher  schon  hat  sie  Houze, 
Etüde  sur  la  signification  des  noms  de  lieux  en  France,  Paris 
1864,  S.  17 — 21  kurz  behandelt,  ohne  sich  natürlich  in  die  Be- 
trachtung ihrer  grammatischen  Beschaffenheit  einzulassen.  Bei  der 
Abfassung  meines  Artikels:  Cantare  in  französischen  Ortsnamen, 
Zeitschrift  XXXII  555  ff.  war  mir  diese  kleine  Arbeit  leider  nicht 
zugänglich.  Einige  venezianische  Verbalkomposita  als  Ortsnamen 
hat  Olivieri  in  Studi  sulla  toponomastica  veneta  in  de  Gregorios 
Studi  glottologici  itahani  S.  iii  — 113  gesammelt  und  kurz  be- 
sprochen.    (Bei  mir  zitiert:  Olivieri  mit  Seitenangabe). 

Nachdem  ich  die  fa«/a- Ortsnamen  im  Französischen  a.a.O. 
behandelt  habe,  will  ich  im  folgenden  diejenigen  einer  Besprechung 
unterziehen,    denen   andere   Verbalkompositionen   zugrunde   liegen. 

Die  vorliegende  Arbeit  bezweckt  nicht  so  sehr  eine  sichere 
Interpretierung  der  Bedeutungen  dieser  Kompositionen,  was  ohne 
genaue  ethnographische,  kulturhistorische  und  topographische  Kennt- 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f,  rom.  Phil.  XXVU,     (Festschrift.)  j 


nisse  nicht  möglich  wäre,  als  vielmehr  eine  Vorführung  des  Reich- 
tums solcher  Bildungen  in    der  romanischen  Toponomastik. 

Um  das  Prinzip  der  Namengebung  mittels  Verbalkomposition  zu 
veranschaulichen,  war  eine  Vergleichung  der  romanischen  Ortsnamen 
untereinander  notwendig,  wie  das  beim  Studium  von  Appellativen 
in  so  grofsem  Mafsstabe  und  schon  seit  langen  Jahren  üblich  ist, 
nach  der  Methode,  die  Sie,  unser  verehrter  Meister,  in  Ihren  zahl- 
reichen Werken  in  so  vorzüglicher  Weise  und  so  ergebnisreich 
verwertet  haben. 

Meine  diesbezüglichen  toponomastischen  und  topographischen 
Kenntnisse  schöpfte  ich  aus  folgenden  Quellen: 

A.  Für  Frankreich: 

Dictionnaires  topographiques,  die  jetzt  für  25  Departements 
vorliegen,  und  zwar  für  Aisne,  Aube,  I3asses-Pyrenees,  Calvados, 
Cantal,  Deux-Sevres,  Dordogne,  Drome,  Eure,  Eure-et-Loir,  Gard, 
Hautes-Alpes,  Haute-Loire,  Haute-Marne,  Haut-Rhin,  Herault, 
Mayenne,  Marne,  Meuse,  Meurthe,  Morbihan,  Moselle,  Nie  vre, 
Vienne  und  Yonne.  Dazu  noch  zwei  aufserhalb  dieser  Sammlung: 
für  Ain:  Guigue,  Topographie  historique  de  1'  — ,  Trevoux  1873,  und 
für  Savoie:  Vernier,  Dict.  topogr.  du  d6p  de  la  — ,  Chambery  1897. 

Für  Südfrankreich  bietet  sehr  viel  noch  F.  Mistral,  Lou  tresor 
dou  felibrige. 

Moderne  Ortsnamen  ohne  alte  Belege  haben  mir  geliefert: 
Paul  Joanne,  Dict.  topogr.  et  administratif  de  la  France  et  de  ses 
colonies.  7  Bde.  Paris  i8gi  — 1909,  und  Dictionnaire  des  postes 
de  l'empire,  Paris. 

Die  Abkürzungen  hierfür  sind: 
Dt.  =  Dictionnaire  topographique  eines  Dep.; 
Dp.  =  Dictionnaire  des  postes; 

Joanne    und    Mistral.     Sie    sind    dem    betreffenden  Dep.  bei- 
gegeben. 

B.  Für  Italien: 

Amati,  Dizionario  corografico  dell'  Italia.  8  Bde.  (ohne  An- 
gabe des  Jahres).     Mailand. 

Casalis,  Dizionario  geografico,  storico,  statistico,  commerciale 
degli  stati  di  Sua  Maestä  il  Re  di  Sardegna.  Turin  1833  —  56. 
28  Bde. 

Fabi,  Dizionario  geografico,  storico,  statistico  etc.  della  Lom- 
bardia,  Mailand   1855. 

Repetti,  Dizionario  geografico,  fisico,  storico  della  Toscana. 
Florenz   1833 — 43.     5  Bde. 

Abkürzungen:  Amati,  Casalis,  Fabi,  Repetti. 

C.  Für  Spanien: 

Del  Castillo,  Gran  diccionario  geografico,  estadistico  y  histo- 
rico  de  Espana.     Barcelona  1890.     4  Bde. 


Madoz,  Dicc.  geogr.,  estadistico,  historico  de  Espana.  i6  Bde. 
Madrid   1845  —  50. 

Andere  Ortsnamen-  und  Urkundensammlungen  werden  im 
Texte  erwähnt. 

Schon  aus  diesem  Verzeichnis  ersieht  man,  dafs  die  Arbeit 
keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit  erheben  kann.  Für  eine 
Gegend  stand  eben  ein  ausreichend  belegtes  Material  zur  Ver- 
fügung, für  andere  wenig  oder  gar  nichts.  Deswegen  schien  es 
auch  geboten,  sich  voreiliger  Schlüsse  zu  enthalten. 


Die  Arbeit  gliedert  sich  in  zwei  Teile.  Im  ersten  werden 
prinzipielle  Fragen  und  die  Kompositionen  als  Ortsnamen  kurz 
skizziert,  während  der  zweite  Teil  als  Materialsammlung  gedacht 
ist.  Eine  gründlichere  Besprechung  aller  sich  an  diese  Ortsnamen 
knüpfenden  prinzipiellen  Fragen  kann  vorderhand  nicht  geboten 
werden,  solange  die  Bedeutungen  der  Kompositionen  nicht  genau 
festgestellt  sind.  Der  zweite  Teil  will  eben  nur  Versuche  über 
die  Deutungen  derjenigen  Kompositionen,  wo  beide  Bestandteile 
klar  sind,  geben.  Lokale  Forschung  hat  hier  wie  überhaupt  bei 
Ortsnamen  noch  sehr  viel  zu  tun.  Das  Nähere  über  die  im  ersten 
Teile  erwähnten  Ortsnamen  suche  man  im  zweiten  alphabetisch 
angeordneten  Teile,  welcher  auch  einen  Überblick  darüber  bieten 
soll,  welche  Verba  zur  Komposition  verwendet  werden  und  wo  sie 
vorkommen. 


I.  Die  romanischen  Ortsnamen  sind  seit  ungefähr  zwei 
Dezennien  Gegenstand  ziemlich  intensiver  Forschung.  Die  bis- 
herigen Ergebnisse,  Ziele  und  Wege  dieses  interessanten  Studiums 
haben  Sie,  verehrter  Meister,  in  letzter  Zeit  in  dem  kleinen  aber  sehr 
viel  bietenden  Büchlein  „Einführung  in  das  Studium  der  roman. 
Sprachwissenschaft",  Heidelberg   1901,  am  besten  zusammengefafst. 

So  viel  man  aus  der  schon  ziemlich  umfangreichen  Literatur 
ersehen  kann,  waren  in  überwiegender  Mehrheit  die  nicht  zu- 
sammengesetzten Ortsnamen  im  Mittelpunkte  des  Studiums.  Die 
Kompositionen  blieben  gröfstenteils  unberücksichtigt.  Man  hat 
allerdings  denjenigen  mit  villa  oder  curtis,  denen  mit  Personen- 
namen, in  neuester  Zeit  auch  denjenigen  mit  Heiligennamen, 
einige  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Doch  die  Erforschung  einer 
grofsen  Anzahl  von  echt  romanischen  Ortsnamen,  die  auf  Verbal- 
komposita zurückgehen,  liegt  noch  immer  brach;  und  gerade  bei 
dieser  Art  von  Ortsnamen  zeigt  sich  die  romanische  Eigenart  am 
allerbesten.  Selbst  im  Romanischen  ist  sie,  was  Ortsnamen  betrifft, 
beschränkt  auf  das  Westromanische.  So  viel  das  von  mir  ge- 
sammelte Material,  welches  keineswegs  vollständig  ist,  urteilen  läfst, 
sind  Frankreich,   Spanien,  Nord-  und  Mittelitalien  die  eigentlichen 


Gebiete  dieser  Ortsnamen;  das  übrige  Westromanische  zeigt  sie 
nur  sporadisch.  —  Sie  erscheinen  in  zweifacher  Art,  am  aller- 
häufigsten  als  Imperativkomposita,  seltener  als  Komposita  mit 
anderen  Verbal  formen.  Obwohl  die  erste  Art  im  Mittelpunkte 
unserer  Betrachtung  steht,  soll  die  zweite  doch  nicht  unerwähnt 
bleiben.  Man  findet  z.  B.  Zusammensetzungen  mit  Conj.  präs.: 
Diosleguarde  in  Spanien  (Prov.  Salamanca);  in  Basses -Pyren^es 
Dt.  Diusajude,  Lehnsgut,  a.  1385  Dius  Ayde.  Die  letzte  Ver- 
bindung kommt  allerdings  auch  mit  Imper.  vor:  Divajeu,  Dorf  in 
Drome  Dt,  a.  1145  Castrum  de  Deoajua,  Deu  ajuda  1212.  Vgl. 
den  Personennamen  Adulpho  Dielwart  und  Awost  Dieuslewart 
(a.  1343  und  1366)  im  Cartulaire  de  l'^glise  Saint  Lambert  de 
Liege.  Im  Italienischen  entspricht  dem  der  Name  einer  Burg: 
Castrum  Diulaguarda  a.  1136,  geschrieben  auch  a.  1209  Castrum 
Deolaguarde,  in  Conte  M.  Fantuzzi's  Monumenti  Ravennati,  Venezia 
1801,  III.  Bd.  S.  255,  307.  Auch  das  Perfekt  ist  einmal  nach- 
zuweisen: Dieulefit  in  Drome  Dt.,  a.  126g  Castrum  de  Dieulefit, 
1332  Dioulophes,  a.  1366  latinisiert  Deofecit;  Deode  in  Dordogne 
Dt.  ist  auch  als  Personenname  genug  bekannt.  Zwei  Mühlen  in 
Marne  Dt.  und  Aube  Dt.  haben  zum  Namen  einen  ganzen  Satz: 
Ecoute-s^tl-pleut,  welche  Ausdrucksweise  für  wasserarme  Mühlen 
bekannt  ist;  auch  ein  Flurname  in  Marne  Dt.  Les  Escoutc-sHl-pleitt\ 
desgleichen  ein  Gehöft  in  Meuse  Dt.  Dieu-s'en-Sotivienne;  drei 
Flurnamen  und  zwei  Dörfer  in  Dordogne  Dt.  Tonfyfaut;  Dorf  in 
Indre-et-Loire  Joanne  I,  27  E Air-y-danse.  Alle  diese  sind  jüngere 
Bildungen.  Die  mit  Imperativ  lassen  sich  dagegen  bekanntlich  bis 
ins  9.  Jh.  hinauf  verfolgen. 

2.  Die  Imperativkomposita  finden  als  geographische  Namen 
verschiedenartige  Verwendung,  u.  zw.  i.  als  Namen  besiedelter 
Plätze,  Strafsen,  Dörfer,  Gehöfte;  2.  als  Bergnamen;  3.  als  Namen 
kleinerer  Wasserläufe  und  4.  als  Flurnamen.  Das  meiste  Material 
bieten  jedoch  besiedelte  Orte.  —  Nach  ihrer  Verwendung  kann 
man  diese  Namen  in  vier  Gruppen  einteilen.  Die  erste  Gruppe 
umfafst  solche  Namen,  die  sich  nur  als  geographische  Namen  nach- 
weisen lassen  (Typus:  Mirehel,  Canialupo,  Brametourie);  die  zweite 
Ortsnamen,  die  zugleich  auch  Appellativa  sind  (Typus:  Taravento, 
Passetempi);  die  dritte  solche,  die  auch  Personennamen  sind  (Typus: 
Bevilacqua,  Pai-ahipo,  Tuebosuf)',  die  vierte  endlich  Kompositionen, 
die  in  allen  drei  Funktionen  auftreten  (Typus:  Passavant,  Portefaix, 
Taille/er).  Es  lassen  sich  keine  Merkmale  auffinden,  nach  denen 
man  diese  Gruppen  voneinander  unterscheiden  könnte. 

3.  Dem  Inhalte  nach  zerfallen  sie  in  zwei  grofse  Gruppen, 
die  wieder  ihre  Unterabteilungen  haben.  Die  eine,  die  man 
primäre  nennen  kann,  umfafst  solche  Verbindungen,  die  tat- 
sächliche Beschreibungen  der  Ereignisse  oder  der  Terrainverhältnisse, 
Gefühlsäufserungen  oder  metaphorische  Ausdrücke  enthalten.  Die 
zweite,  die  sekundäre,  scheint  die  meisten  Verbindungen  zu  um- 


fassen,  ü.  zw.  solche,  die  ursprünglich  Spitznamen  einzelner  Personen 
oder  ganzer  Bevölkerungsgruppen  waren  und  dann  Ortsnamen  ge- 
worden sind.  Phantasiereiche  Vorstellungen,  die  solchen  Bildungen 
zugrunde  liegen,  lassen  solchen  Ursprung  leicht  vermuten,  nicht  aber 
immer  bestimmt  nachweisen.  Eine  sichere  Unterscheidung  zwischen 
den  einzelnen  Klassen  und  Unterabteilungen  ist  fast  unmöglich. 
Da  der  Zweck  der  Arbeit  dahingeht,  das  Prinzip  der  Verbal- 
korapositionen  als  Ortsnamen  aufzudecken,  nicht  aber  diese  Namen 
endgültig  zu  deuten,  so  möge  eine  kurze  Skizzierung  der  Motive 
folgen,  aus  denen  die  zu  besprechenden  Bildungen  entspringen. 

I.    Primäre  Klasse. 

a)  Während  sich  im  allgemeinen  in  Ortsnamen,  denen  ein- 
fache Substantiva  zugrunde  liegen,  das  Bestreben  zeigt,  die  Lage 
oder  kulturelle  Wichtigkeit  eines  Ortes  zu  bezeichnen,  drücken  die 
Verbalkompositionen  als  Ortsnamen  einen  Vorgang  aus,  der  sich 
im  betreffenden  Orte  fortwährend  ereignet  oder  einmal  ereignet 
hat.  Ein  Hang  nach  Schilderung,  nach  Beschreibung  ist  in 
ihnen  unverkennbar.  Gewöhnlich  sind  diese  Vorgänge  von  ganz 
unbedeutender,  lokaler  Natur.  Hunderte  und  hunderte  von  Malen 
finden  wir  Verbalkomposita,  die  eine  Handlung  der  Tiere  oder  an 
den  Tieren  ausdrücken.  So  sind  z.  B.  schier  zahllos  die  Namen, 
welche  Örtlichkeiten  andeuten,  wo  verschiedene  Tiere  ihre  Stimmen 
hören  lassen  [brama,  canfa,  corna,  hnca,  hne,  jappa,  layra,  piula, 
ronca  und  Tiernamen).  Andere  wiederum  bezeichnen  Stätten,  wo 
man  einst  Tiere  verbrannt,  geschlachtet,  geschunden  oder  getötet 
hat  (patti,  hrusa,  viazza^  matta,  escana,  etrartgle,  scortica,  strozza, 
stanga,  trajiche,  trousse,  tue  und  Tiernamen),  wo  sich  Ochsen  oder 
Kühe  die  Hörner  abgebrochen  haben,  wo  man  der  Kuh  den 
Schwanz  weggenommen  oder  sie  verstümmelt  hat  [ecorne  und  hosuf; 
escoda^  esguarra  und  vacd),  oder  wo  der  Wolf  sein  Lager  hat,  wo  er 
klopft,!  frifst,  springt  oder  gehängt  wird,  wo  verschiedene  Tiere 
pissen,  scharren  oder  Bewegungen  machen  [coiwa,  heiirte,  gratte, 
mangia,  nega,  passa,  pissa,  pende,  torna,  trepa  und  Tiernamen).  — 
Eine  andere  Gruppe  bezeichnet  wiederum  Vorgänge,  die  auf  Schutz- 
vorkehrungen hinzielen,  so  gegen  Wölfe  {Paraloup),  gegen  heftige 
Winde  {Para-,  Garovenl);  Beobachtungspunkte 2  (Gtiarda  und  ver- 
schiedene Objekte).  Arme  Gegenden  werden  treffend  ausgedrückt 
durch  Zeitwörter  brama,  guzza  ^xx\.^.  fanie,  manca  Viwdi  parte,  etc.  —  Alle 
möglichen  Verhältnisse  werden  auf  diese  Weise  veranschaulicht. 
Für  Örtlichkeiten,  wo  starke  Winde  wehen,  dienen  biifa,  heurte, 
piglia,  spazza,  torna  und  aura,  bise  oder  vent.  Örtlichkeiten  mit 
schöner    Aussicht    werden    hervorgehoben    durch    7mra,    Rodungen 


*  [oder  aber  wo  man  auf  Wölfe  stufst] 

*  [oder   vielleicht   eher   Punkte,   wo   man   verschiedene  Tiere  zu  Gesicht 
bekommt] 


durch  arranca,  cava,  sega,  taille  und  cepa,  ceppo,  hots;  Durchgangs- 
pässe durch  passa.  In  allen  diesen  Fällen  wird  etwas  Tatsächliches 
beschrieben.  Beide  Bestandteile  sind  in  gewöhnlicher  Bedeutung 
zu  nehmen ;  deshalb  ist  es  am  besten  diese  Klasse  primär  zu  nennen. 

b)  Die  zweite  Unterabteilung  dieser  Klasse  umfafst  solche 
Ortsnamen,  welche  affektische  Anteilnahme  des  Menschen  an  der 
Örtlichkeit  bekunden.  Sie  zerfällt  wiederum  in  zwei  Gruppen. 
Entweder  werden  bezeichnet:  angenehme  oder  unangenehme 
Gefühle,  die  durch  die  Lage  oder  durch  sonstige  Terrainverhält- 
nisse hervorgerufen  werden:  Amavida,  Andavias,  Esclate-Sang,  Crevacor, 
Premilcuore;  oder  Wünsche  der  Begründer:  Scacciapensieri,  Passe- 
temps,  Matagriffon,  Reculafol,  -fort.  Die  Begründer  dürften  auch 
Wünsche  gehegt  haben,  ihre  Burgen  mögen  feindliche  Städte  und 
Befestigungen  vernichten  oder  sie  erobern. i  Solche  Verbindungen 
erscheinen  am  häufigsten  mit  bourg  oder  ville  im  zweiten  Bestand- 
teile: Heurteville,  Le  Maillebourg,  Marquebielle,  Taillehotirg,  -ville, 
Tourneville,  Troussebourg.  Doch  kann  diese  letztere  Gruppe  von 
Ortsnamen  auch  unten  zur  sekundären  Klasse  gehören. 

c)  Meistens  sind  aber  die  in  Rede  stehenden  Ortsnamen 
metaphorisch  zu  verstehen.  Der  primitive  Volkshumor  spielt 
hier  die  gröfste  Rolle.  So  bezeichnet  man  kleine  Wasserläufe, 
Bäche,  von  denen  einige  vielleicht  im  Sommer  versiegen,  Baignecul, 
-chat,  Cacherat,  -pied,  Moiällcpied,  Tournevalade,  Wasserfälle  werden 
durch  Pissevache  bezeichnet;  Wohnorte  in  armen  Gegenden,  welche 
weder  den  Tieren  noch  den  Menschen  ausreichende  Nahrung  bieten 
können,  durch  b?-a7}ia,  corna  und  bove?n,  vacca,  famem,  panem;  Sied- 
lungen bei  Wäldern  oder  in  sumpfigen  Gegenden  durch  canta  und 
Vogel-  und  andere  Tiernamen,  magna  und  Tiernamen,  pasce  und 
lupo;  steile  Terrainverhältnisse  durch  Crevacuore,  Scaricalasino,  Leva- 
31710,  Scavezzazenoci,  Montaboule  (Felsen),  Premilcuore,  Tirecul;  rauher, 
steinreicher  Boden  durch  pica  +  cailloux,  pierre,  Taillepied,  Tire- 
pied,  gratte  und  cambe,  cuisse,  dos;  weiches  Terrain  durch  moidlle 
und  sola,  savate  etc. 

IL    Sekundäre  Klasse. 

Dafs  Ortsnamen  zugleich  Familiennamen  sind,  ist  nicht  auf- 
fällig, weil  dadurch  die  Herkunft  des  Individuums  oder  gegeben- 
falls  das  feudale  Verhältnis  zu  dem  betreffenden  Orte  bezeichnet 
wird.  Bemerkenswerter  ist  dagegen  die  Tatsache,  dafs  sehr  oft 
dieselben  Verbalkomposita  auch  als  Spitznamen  dienen  oder  dienten. 
Leider  fehlt  uns  eine  Sammlung  von  romanischen  Spitznamen, 
die  uns  ermöglichen  würde,  den  Vergleich  zwischen  diesen  zwei 
Funktionen    durchzuführen.     Doch    kann   man   sich    ein  ungefähres 


1  Eine  ähnliche  deutsche  Bildung  ist  Zwing-Uri  in  der  Schweiz.  Auch 
für  affektische  Bildungen  findet  man  deutsche  Parallelen,  z.  B.  Schreckenstein 
bei  Leitmeritz,  Schröcken  bei  Bregenz,  Sehr  eck  hörn  (Schweiz)  etc. 


Bild  machen,  wenn  man  die  als  Ortsnamen  vorkommenden  Verbal- 
komposita mit  den  bei  Darmesteter  und  Mistral  als  Spitznamen 
belegten  vergleicht.  Mistrals  Tresor  bringt  noch  dazu  viele  Verbal- 
komposita, die  als  Spitznamen  von  den  Bewohnern  gewisser  Orte 
und  Gegenden  gebraucht  werden.  Dafs  die  Verbalkomposition  sich 
zu  solcher  Funktion  besonders  eignet,  ist  ohne  weiteres  klar,  wenn 
man  sich  ihre  synthetische  Kraft  vor  Augen  hält.  Durch  Verb  und 
Komplement  ist  man  imstande,  sowohl  das  Allgemeine  als  das 
Spezielle  auszudrücken.  Da  nun  der  volkstümliche  Humor  das 
Hauptagens  solcher  Spitznamenbildungen  ist,  so  begreift  es  sich, 
dafs  die  Volkspyche  nach  diesem  besonders  ausdrucksfähigen  Mittel 
greift.  Wie  die  Spitznamen,  so  zeigen  auch  die  Ortsnamen  sehr 
oft  humoristische  Auffassung:  Aiapuerca^  Badafols,  Basaculo^  Chieloup, 
Cacciapiatti,  Calzagatta,  -vacca,  Cavalcabö,  Croquipine,  Cureplats, 
Esquicho  -  mousco ,  Ferraheccho,  -mosche,  IngannapoJtron,  Ligamusca^ 
Pelafol,  Pmceloup,  Pillemoine,  Rosegaferro  etc.  etc.  Die  Entstehung 
solcher  humoristischen  Ortsnamen  kann  man  sich  nicht  anders 
erklären,  als  eben  durch  die  Annahme,  dafs  sie  ursprünglich 
Spitznamen  waren. 

4.  Über  die  äufsere  Gestalt,  in  welcher  diese  Ortsnamen  auf- 
treten, läfst  sich  nicht  viel  sagen.  In  Spanien  und  Italien  erscheinen 
sie  meist  in  schriftsprachlicher  Form.  In  Italien  zeigen  Ortsnamen 
überhaupt  nur  toskanische  Gestalt.  Ausnahme  machen  einige  nord- 
italienischen Verbindungen  mit  -hö  >  bove,  und  lovo  >  lupo ;  in 
Spanien  nur  die  auf  dem  katalanischen  Gebiete  liegenden  Miramhell, 
Caniallops  und  Grattallops.  Die  gröfste  Mannigfaltigkeit  zeigt  die 
südfranzösische  Toponomastik.  Wie  in  der  Orthographie  so  herrscht 
auch  in  der  sprachlichen  Gestalt  die  gröfste  Willkür.  Am 
häufigsten  kommt  der  Fall  vor,  dafs  die  Endungen  sowohl  des 
Imperat.  als  auch  des  zweiten  Bestandteiles  französiert  erscheinen : 
Grateloube,  Massevaques^  Masseville,  N^gue-Sauvie,  Nlgue-Vaques, 
Tirecabre.  Auch  das  ist  nicht  konsequent  durchgeführt.  Manchmal 
ist  nur  die  Endung  des  zweiten  Bestandteiles  französiert :  Cantarane, 
DarnaciieilleUe,  Massabielle.  Sehr  oft  wird  der  zweite  Bestandteil 
ganz  durch  nordfranzösische  Form  ersetzt:  Masseboeuf,  Porteboeiif, 
während  bei  Massehiau  nur  die  Imperativendung  französiert  ist. 
Der  letzte  Fall  ist  ziemlich  häufig:  Mayepan,  Masse jail,  Nlguebiou, 
Taillecavat,  Taillebeau,  Tourneb  oiiich ,  Tournecapet.  Doch  gibt  es 
genug  Beispiele,  bei  welchen  die  amtliche  Orthographie  dialektische 
Formen  noch  bewahrt:  Mirabel  —  Mirabeau  —  Mireheau  —  Mi- 
rebel  —  Miribel;  Miravail  —  Miraval  —  Mireval\  Miramon  — 
Miretnont ;  Negabio,  Panapeys  etc. 

5.  Heute  gilt  es  schon  als  ausgemacht  (s.  Romanische  Gram- 
matik II  §  547),  dafs  der  erste  Bestandteil  dieser  Komposita  ein 
Imperativ  ist,  welcher  sich  aber  in  den  Ortsnamen  sehr  oft  als 
Indikativ  interpretieren  läfst.  Ein  sicherer  Indikativ  liegt  nur 
vor  in   Mancalacqiia,    -lavita,    -pane,   -tutto.     Als  zweiter  Bestandteil 


dienen  in  erdrückender  Mehrzahl  der  Fälle  einzelne  Substantiva  in 
verschiedeneu  Funktionen  als  Objekt,  Vokativ  oder  adverbielle  Be- 
stimmung, wofür  hier  Beispiele  anzuführen  nicht  notwendig  ist. 
Seltener  erscheinen  Adjektiva,  die  sich  indessen  als  Subst.  inter- 
pretieren lassen:  Caniamuda,  Cantavieja,  Mirabtcenos,  Matasajios, 
Nigtievieille,  Pissevieille,  oder  wo  man  noch  etwas  hinzudenken  mufs: 
Mirabelliim  (sc.  locum),  vielleicht  auch  bei  Gagne-Petit,  Taille-Petit 
und  Tdlapetit',  ebenfalls  selten  Personennamen :  Cantalucia,  Pelar- 
rodriguez,  Strozza  Martino\  hie  und  da  mit  einer  Präposition  ge- 
bildete adverbiale  Bestimmung:  Battindarno,  Miransic,  Pissenval, 
Pissincanna,  Pissintorno.  Ebenso  selten  erscheinen  zwei  Impe- 
rative: Curemonte,  Filletrame,  Tour7iepique  (?),  Townemire  (?), 
Tournevire  (?),   Tranche-Pouge  (?),   Trinqiutaille  (?). 

6.  Diese  Ortsnamen  zeigen  auf  dem  ganzen  grofsen  Gebiete 
der  Romania  die  Artikellosigkeit,  Ausnahme  machen  nur 
einige  französische  Ortsnamen:  Le  Maillebourg,  Le  Miremont,  Le 
Miraval,  Le  Passetemps,  Le  Pellegrain,  Le  Portefaix,  L! Ecorchechien, 
Le  Chantoiseau,  Le  TaiUepied,  Le  Toiirnefeiiille ,  Le  Touriiebride, 
L' Etrangle-Chevre ,  La  Canierrane,  La  Chantraine,  Les  Cacherats, 
Les  Gratte-Chiens,  Les  Garde-Bois,  Les  Mirabeaux.  Diese  Aus- 
nahmen müssen  vorderhand  unerklärt  bleiben,  bis  die  Regeln  über 
den  Gebrauch  des  Artikels  bei  den  französischen  Ortsnamen  auf- 
gefunden sind. 

Da  in  Italien  die  Ortsnamen  auch  sonst  ohne  Artikel  gebildet 
werden,  so  ist  die  Artikellosigkeit  hier  gar  nicht  auffallend.  Be- 
merkenswert ist  sie  nur  auf  dem  spanischen  und  dem  französischen 
Gebiete.  Hier  haben,  wie  uns  die  Romanische  Grammatik  II  §  146, 
S,  178  lehrt,  die  Ortsnamen  romanischen  Ursprunges  den  Artikel, 
zwar  nicht  durchgehend,  aber  in  vorwiegender  Tendenz.  Die 
NichtSetzung  des  Artikels  versteht  sich  nur  beim  Verbalkompositum 
mit  Rücksicht  darauf,  dafs  eben  sein  erster  Teil  die  2.  Pers.  des 
Imper.  ist,  also  eine  bestimmte  Verbal  form.  Demnach  war  für 
die  Anwendung  des  Artikels  gar  kein  Anlafs  vorhanden.  Diese 
Tatsache  im  Vereine  mit  vielen  anderen,  die  schon  Darmesteter 
1.  c.  und  andere  hervorgehoben  haben,  ist  ein  schlagender  Beweis 
gegen  die  Theorie  Osthoflfs,  wonach  im  ersten  Bestandteile  ein 
Verbalsubstantivum  zu  sehen  wäre.  Dafs  die  als  Appellativa 
dienenden  Verbalkomposita  diese  Altertümlichkeit  nicht  beibehalten 
haben,  ist  wiederum  wegen  der  Analogie  mit  anderen  Substantiven 
leicht  begreiflich. 

6.  Der  zweite  Bestandteil  ist  ebenfalls  im  grofsen  ganzen 
artikellos;  einzelne  sehr  bemerkenswerte  Ausnahmen  sind  allerdings 
über  die  ganze  Romania  verstreut;  so  in  Spanien:  Canta-el- gallo,  — 
'la-rana,  —  -la-piedra ;  Miralpeix,  Miralrio  (Mira-el-rio),  Parala- 
cuesta ;  in  Frankreich:  Ca7iteloi<zel  (?),  Tombeloly,  in  Italien:  Bevi- 
lacqua,  Crevalcuore,  Mäncalacqua,  Mnncalavita,  Miralbello,  Passa- 
lacqtia,    Pref}iilcuore,    Scaricalasino.      Da    man    dieselbe  Erscheinung 


auch  bei  den  als  Appellativa  dienenden  Imperativbildungen  kon- 
statieren kann,  so  wird  man  diese  Ausnahmen  nur  im  Zusammen- 
hange mit  jenen  erklären  können. 

Die  NichtSetzung  des  Artikels  spricht  für  das  hohe  Alter  der 
romanischen  Verbalkomposition.  Diese  Tatsache  steht  im  Einklang 
mit  der  dem  gesamten  Altromanischen  eigenen  Artikellosigkeit 
des  Komplementes  (s.  Romanische  Grammatik  II,  §142,  S.  174). 

II. 

1.  Amar  ist  das  Anfangsglied  von  Amarnda,  Ort  und  Flufs, 
Del  Castillo  I,  155  und  Madoz  11,  235  {situado  en  una  cuesta  suave 
con  esposition  ä  todos  los  vientos)  in  der  spanischen  Provinz 
Avila.  Die  Bildung  will  wohl  einen  zum  Bewohnen  oder  zum 
Aufenthalt  sehr  geeigneten  Ort  bezeichnen.  Vgl.  italienische  und 
französische  Ortsnamen  Passatempo  und  Passeiemps. 

2.  Ammaccare  nach  Olivieri  112  in  Macachiove  =  amm. 
chiodi ;  ursprünglich  wohl  ein  Spitzname. 

3.  Andar  in  einer  Verbindung  mit  via:  Andavias  (lugar) 
Madoz  n,  283  in  der  spanischen  Provinz  Zamora  (situado  en  una 
pequena  hondonada  formada  en  un  llano  de  bastante  estension, 
aunque  no  corren  los  vientos  con  la  misma  libertad  que  en  altura). 
Vgl.  ital.  Passavia. 

4.  Arrancar  ,,  ausreifsen "  in  einer  Verbindung  mit  cepa 
„Stamm,  Weinrebe"  :  Arrancacepas  (lugar)  in  der  spanischen  Provinz 
Cuenca,  Del  Castillo  1,214.  Es  bezeichnet  wohl  eine  Siedlung, 
die  auf  einer  Flur,  einem  Rodeacker,  entstanden  ist.  Vgl.  arran- 
casiega  sf.  =  Ernte  von  ungleich  gewachsenem  Getreide,  wovon 
das  längere  geschnitten,  das  kürzere  ausgerissen  wird.  Osthoff,  Das 
Verbum  in  der  Nominalkomposition  S.  252,  292. 

5.  Atar  „binden",  sehr  gebräuchlich  in  appellativen  Zusammen- 
setzungen (cf.  aiapierna  „Strumpfband",  atagatos  „Elender  Wicht", 
etc.)  ergibt  in  Ortsnamen  nur  Atapuerca  (villa)  Madoz  III,  88  in  der 
spanischen  Provinz  Burgos  (al  pie  de  la  sierra  de  su  nombre), 
belegt  a.  963  Ataporca  (summa  serra  de  —  in  Escritura  LIX  de  quan- 
tiosa  donacion  de  Dona  Fronilde)  a.  1045  Atapuerca  s.  Berganza, 
Antigäedades  de  Espana  II,  S.  400,  421.  Was  für  eine  Bedeutung 
dieser  humoristischen  Verbindung  eigentlich  zugrunde  liegt,  ist,  so- 
lange wir  über  die  Bevölkerung  nichts  wissen,  schwer  zu  sagen; 
doch  vgl.  sie  mit  atagatos. 

6.  Badar  „gaffen"  nur  in  Badefol  (bei  Joanne  I,  258  ge- 
schrieben Bade/oh),  Gemeinde  im  D6p.  Dordogne  Dt.,  belegt  1243 
port  de  Bada/ol,  Badeffou  im  17.  Jh.  In  demselben  D6p.  heifst 
ebenso  noch  eine  andere  Gemeinde,  belegt  1292  Badaffou.  Im 
zweiten  Bestandteile  haben  wir  wohl  fou  zu  sehen.  Badevillain 
(Vienne,  Ch^")    Dp.  gehört  sicher   auch    hierher.     Beide  Bildungen 


lO 

sind    wahrscheinlich   humoristische    Benennungen    der  Bevölkerung, 
ursprünglich  also  Spitznamen. 

7.  Bagnacavalio  hcifsen  zwei  Ortschaften,  die  eine  bei  Ravenna, 
die  andere  im  Venetischen,  s.  Amati  I,  537.  Die  erste  hiefs  noch 
bis  ins  10.  Jh.  hinein  Tiberiaco  (vgl.  Monumenti  Ravennati,  S.  301, 
a.  953  Castrum  qui  vocatur  Tiberiacis);  daneben  erwähnt  Amati 
a.  a.  O.  noch  die  Benennung  Cahallo  allein.  Der  älteste  mir  be- 
kannte Beleg  für  die  angeführte  Ortschaft  stammt  aus  1056:  in 
Castro  qui  vocatur  Bagnacaballo,  Mon.  Ravennati.  Es  erscheint 
begreiflicherweise  auch  im  Namen  der  Besitzer  dieser  Burg : 
Comites  de  Bagnacaballo.  Dafs  die  Bildung  als  Irap.  bagna  und  ca- 
vallo  gefühlt  wurde,  lehrt  auch  die  Betrachtung  des  Wappens  (s. 
Amati  a.  a.  O.)  Im  Wappen  sieht  man  nämlich  ein  Pferd  am 
]\Ieeresstrande  oder  in  einem  Flusse  daherlaufen.  Ähnliche 
romanische  Bildung  ist  mir  in  den  Namen  eines  Baches  und  eines 
Teiches  begegnet:  Bagncchat  oder  Liaigue,  ruisscau  de  la  Vienne 
(Joanne  I,  265,  vgl.  ibid.  die  Beschreibung);  Baigne-Cul  (etang  ä 
Villars,  Ain  Dt.). 

8.  Venez.  basar  =  baciare  in  vier  bei  Olivieri  112  zitierten 
venez.  Ortsnamen :  Basaculo,  -gwocchi,  -lovo,  nösa  (=  noce,  frutto), 
alle  vier  ursprünglich  Spott-  oder  Spitznamen. 

g.  Die  Verbindungen  mit  battere  sind  gröfsten teils  auf  dem 
italienischen  Gebiete  anzutreffen.  Einige  als  Ortsnamen  vorkommenden 
Zusammensetzungen  wie  Battiferro,  Batfifolle,  Battilana  sind  auch 
dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauche  bekannt.  Als  zweiter  Bestand- 
teil erscheint  nur  einmal  ein  Tiername:  Baitihue  in  der  Provinz 
Piacenza;  sonst  sind  es  wirtschaftliche  Ausdrücke  :y>rrö,  paglia,  lana, 
Uno,  gora :  Battiferro  in  der  Emilia,  in  Umbrien  und  im  Venetischen 
(s.  Olivieri  iii);  Battipaglia  im  Neapolitanischen  und  im  Venetischen 
(Olivieri  1 1 1),  einmal  auch  als  Bachname.  Für  die  letztere  Ver- 
bindung kann  ich  aus  Urkunden  nur  ein  Beispiel  anführen:  a.  1264 
Battipalia  in  Monumenti  Ravennati  II.  Battipagliano  in  Ligurien  ist 
vielleicht  eine  spätere  Ableitung  von  Battipaglia  mittels  des  so 
verbreiteten  Ortsnamensuffixes  -ano.  Battilino,  Battigora,  Battilana 
(vgl,  damit  hattilano  s.  m.  „Wollkämmer"),  alle  drei  ebenfalls  aus 
Ligurien.  Battifoglia  in  Sizilien.  Neben  diesen  an  die  Land- 
wirtschaft erinnernden  Ausdrücken  i  gibt  es  noch  einige  andere: 
so  Baitivento  in  der  Emilia,  wo  man  wohl  an  eine  dem  Wetter  aus- 
gesetzte Örtlichkeit  denken  darf,  vgl.  damit  französische  Ortsnamen 
Henrtebise  und  Tournebise.  An  irgendwelchen  Lokalaberglauben 
wird  Baltiorco  im  Venetischen  (Olivieri  1 1 1)  anknüpfen.  Dazu  noch 
mit  adverbieller  Bestimmung:  Battindarno  in  Ligurien.  —  Schwieriger 
zu  verstehen  ist  die  Verbindung  mit  folle :  Battifolle  in  der  Toskana 
dreimal,  s.  Repetti  I,  290;  einmal  heifst  so  eine  Burgruine,  davon 
aueh    der  Name  Monte    di  Battifolle,    und   zweimal    als   Dorfname. 


^  Dazu  vielleicht  auch  Batistocchi  bei  Olivieri  II  l. 


II 

Die  „frazione  del  commune"  von  Montemignaio  (Toskana)  hat 
noch  die  Nebenform  Baiiifollo,  s.  Amati  I,  667;  in  Belegen:  Batti- 
follum  sive  castrum  ultra  Tanagrum,  heute  BaUifollo,  heifst  eine 
Ortschaft  in  Piemont,  Amati  a.  a.  O.  In  IMonumenti  Rav.  III,  336 
lesen  wir  noch  den  Namen  Comes  Guido  de  Battifolle,  a.  1282. 
Der  Name  erscheint  in  der  Auvergne  und  Languedoc  als  Familien- 
name :  Baiifol  (vgl.  La  Batifol,  Mühle  in  Haute-Loire  Dt.)  BaptifoU, 
s,  Mistral  I,  245.1  Der  Beleg  des  Ortes  in  Piemont  sowie  der 
Ort  in  der  Toskana  zeigen  deutlich,  dafs  man  hier  battifolle  s.  m. 
=  Citadelle  hat.  —  Aus  Frankreich  notiere  ich  nur  ein  von 
Darmesteter  a.  a.  O.  179  schon  gebrachtes  Beispiel  Battipalma  in 
einer  Urkunde  aus  Roussillon  (10.  Jh.).  Auf  diese  Grundlage  gehen 
vielleicht  zahlreiche  Bapaume  zurück,  nach  Joanne  I.  in  Eure-et- 
Loir,  Lot-et-Garonne,  Pas-de-Calais,  Wald  in  Eure-et-Loir,  Seine- 
Inferieure,  Flufs  in  Seine-Inf. 

10.  Imp.  von  bibere  und  aquam  ist  als  Ortsname  nur  wenige- 
male  in  Italien  und  Frankreich  anzutreffen,  und  zwar  Bevilacqua  im 
Venetischen  (Olivieri  1 1 1)  und  Emilianischen,  s.  Amati  1,783,  in 
Frankreich  Beajdaigue  (Dordogne  Dp.)  und  Beulaygue  (Gironde  Dp.), 
während  es  als  Personenname  sowohl  in  Italien  als  auch  in  Frank- 
reich sehr  verbreitet  ist,  s.  Darmesteter  o.  c.  i4Qf.,  in  Südfrankreich 
in  der  Form  Beulaygue,  Beulac,  I\Iistral  s.  v.  Beulaigo.  Der  zweite 
Bestandteil  ist  einmal  auch  vinum:  Beiino  im  Venetischen  (Olivieri  1 1 1). 

11.  Die  Verbindung  bramar  (=  crier,  beugler,  braire)  und  bos, 
vacca,  fames  (=  Hunger)  ist  auf  Südfrankreich  beschränkt. 2  Vgl. 
in  Nordfrankreich  den  afr.  Ortsnamen  Brayhif  bei  Osthoff,  das 
Verbum  in  der  Nominalkomposition  S.  304 ;  heute  Brebnif,  zweimal 
in  Calvados  Dt.  a.  11 98  Braibou.  Eine  Grotte  im  Dep.  Ain,  in 
deren  Grunde  sich  eine  „nappe  d'eau"  befindet,  heifst  Bramahceuf 
oder  Bramabu.  Schon  Joanne  I,  585  vermutet,  dafs  die  Grotte 
nach  dem  Geräusche,  welches  das  Grundwasser  hervorruft,  benannt 
wurde.  Mit  Bramahiaii  (Gard)  wird  ein  Abgrund  benannt,  wahr- 
scheinlich auch  wegen  des  im  Schlünde  rauschenden  Gewässers. 
In  demselben  Dep.  heifst  ebenso  ,,une  grotte  traversee  par  un 
torrent  qui  forme  cascade,  pres  l'Esperon.^  Nach  dem  Brüllen  der 
Kuh  sind  benannt  Bramevaque  (Hautes  -  Pyren^es ,  Joanne  1.  c)., 
Ortschaft  mit  einer  Burg  aus  dem  XI.  Jh.,  Bra?nevache  und  zwei 
Bäche  in  Dröme  Dt.  Vgl.  damit  bei  Mistral  11,  358  die  Pflanzen- 
namen  hramo-vaco  s.  m.  =  colchique  d'automne,  plante  ven6neuse 
qui  fait  beugler  les  vaches;  gratiole,  autre  plante.  Der  Wolf 
erscheint   nur   einmal   im   Namen    eines  Teiches   im   Dep.  Ain  Dt. 


1  Wegen  i  v^jl.  aprov.  baticor  sm.  =  Herzklopfen. 

2  In  Italien  ein  wohl  metaphorisch  zu  verstehendes  Beispiel:  Brania- 
ludame  und  -lotarm,  beides  im  Venez.  (Olivieri  lli),  wo  der  zweite  Bestandteil 
=  Schmutz,  also  Bezeichnung  einer  kotigen  ürtlichkcit. 

*  Vgl.  languedoc.  Bramo  coumo  un  bioou  =  il  ne  crie  pas,  il  beugle, 
D'Hombres,  Dict,  languedoc.  137  sv.  brama. 


12 

Brameloup  (6tang  ä  Saint -Olive).  —  Bramefan,  wo  in  fan  der 
Akk.  zu  sehen  ist,  vgl.  crier  fanaine,  ist  dagegen  bedeutend  zahl- 
reicher. Houz6  1.  c.  hat  im  zweiten  Bestandteile  pavo,  onis  sehen 
wollen,  was  aber  gar  nicht  zutriflft,  weil  die  ältesten  Belege  -in 
zeigen.  Brama/an  kommt  allein  im  Dep.  Hautes -Alpes  Dt.  gegen 
zehnmal  vor,  und  zwar  als  Name  von  entlegenen  Orten  (vgl.  das 
Sprichwort  bei  Mistral:  Barrau  [Ort  in  Gers],  Pais  de  Bramo-pan), 
Wäldern  und  Gehöften  (Pachtgütern),  im  Dep.  Ain  Dt.  fünfmal 
und  in  Savoien  Dt.  einmal  als  lieu-dit  (Flurname).  Die  Belege  aus 
dem  14.  Jh.  (1321)  lauten  Bramafam.  In  Basses-Alpes  heifst  auch 
ein  Wildbach  Lou  Bramo-Fam  (Mistral  II,  358).  Ein  alter  Turm, 
Überrest  einer  Burg,  in  Alpes-Maritimes,  .,1a  tourre  de  Bramo-fam", 
wo  nach  volkstümlicher  Erzählung  die  Prinzessin  Marie  de  Bra- 
gance  vor  Hunger  starb,  daher  der  Name  (s.  Mistral  a.  a.  O.). 
Ferner  kommt  es  sechsmal  in  Dordogne  Dt.  vor  als  Flurname, 
entlegener  Ort  (=  6cart)  und  Gehöft  (domaine);  in  der  Form 
Bramefan  zweimal  in  Dröme  Dt.  Am  deutlichsten  zeigen  die  Un- 
haltbarkeit  der  Etymologie  Houze's  sieben  Bramefahn  in  Dröme 
Dt.,  von  denen  einige  als  Bramffan,  Bramefons  (17 18)  belegt  sind.  ^ 
Der  letzte  Beleg  zeigt  uns  vielleicht  den  Weg  zur  Auffassung  des 
Ortsnamens  Bramefonß  in  Dordogne  Dt.  und  Haute-Loire  Dt.  (hier 
maison  isolee)  trotz  der  irreführenden  Orthographie.  Das  nörd- 
lichste Bramefaim  befindet  sich  im  Dep.  Loire  Joanne  I,  585.  — 
Mit  dieser  Bildung  wollte  das  Volk  auf  humoristische  Weise  ent- 
legene, arme,  unwirtliche  Orte  bezeichnen,  welche  den  Erholung 
bedürftisfen  Reisenden  oder  überhaupt  den  Bewohnern  wenig 
Nahrung  bieten.  Als  Appellativum,  im  Languedoc  mit  Artikel 
bravio-la-fam,  s.  m.,  hat  der  Ausdruck  verschiedene  Bedeutungen, 
denen  allen  dieselbe  humoristische  Auffassung  zugrunde  liegt;  es 
heifst  I.  personne  aflfam^e,  homme  avide,  insatiable  qui  crie  famine ; 
2.  päturage  maigre,  de  mauvaise  qualite ;  3,  verschiedene  Pflanzen- 
namen; 4.  sogar  ein  Fisch,  breme  (INIistral  a.  a.  O.).  Zu  dieser 
Bildung  gesellt  sich  La  tourre  de  Branio-Pan  in  der  Nähe  von 
IMarseille,  dazu  Bramepan  (Var,  Dp.);  auch  als  s.  m.  :=:  affame, 
meurt-de-faim  (Mistral  a.  a.  O.).  Vereinzelt  ist  Bravie-Fa?-ine, 
Name  eines  Berges  in  Isere,  Joanne  1.  c.  Das  Zeitwort  kommt  auch 
einmal  mit  Vogelnamen  verbunden  vor:  Brametourte  (Tarn)  in 
St.-Martin-de-Brametourthe  von  nprov.  tourio  =  tourterelle  (Mistral 
a.  a.  O.)  belegt  a.  1060  im  Namen  Geiraldus  de  Bramma  Torta, 
Cartulaire  de  Marseille,  Charte  832. 

12.    Briser   ist   mir  in  einigen  Beispielen  bekannt;    eines  aus 
einer   Lausanner  Urkunde:    Brisicol  (locus    quem    vocant,    vgl.  nfr. 


1  Vgl.  auch  interessante  Belege  für  Les  Bergerons ,  Dorf  in  Dröme  Dt. 
a.  1481  Bayana  seu  in  Bramaffons,  a.  1535  Terra  Johannis  Bergeronis  in  Bayana 
seu  Bramafan,  wo  man  auch  sieht,  dafs  die  Verbindung  auch  als  Benennung 
von  Gegenden  galt. 

*  Dp.  schreibt  Bramefon  (Dor4ogne,  c"«  Fossemagne). 


13 

Irise-cou  „gefahrlicher  Weg" ;  Ort,  wo  man  sich  den  Hals  brechen 
kann)  in  Memoires  de  Lausanne  B.  6  (anno  XXXVIII  regnante 
domino  nostro  Chuonrado  Rege).  Brisi  ist  natürlich  die  südostfrz. 
Imperativform  wie  in  Miribel.  Die  anderen  Beispiele  sind  moderne 
Ortsnamen:  Briscpain,  Gehöft  (ferme)  in  Card  Dt.,  jetzt  zerstört, 
belegt  1558  Brizepan,  welches  auch  als  Zuname  belegt  ist:  Ugon 
Brisepain,  Darmesteter  o.e.  S.  183;  ßrise-Tete  (commune,  Seine-et- 
Oise,  Joanne  1,  633),  Briseverre  (Vosges  Dp.)  und  Brisfert  (Mühle 
in  Aisne),  wenn  im  zweiten  Bestandteile  ferrum  vorliegt. 

13.  Bruciare,  in  norditalienischer  Gestalt  brusar,i  ist  einige- 
male  in  Verbindung  mit  Tier-  und  Sachnamen  anzutreffen:  in 
Monumenti  Ravennati  di  conte  M.  Fantuzzi,  Venezia  1801  wird  ein 
feudum  D.  Ubertini  Mainardi  positum  in  Brusaheccho  a.  1249  und 
a.  1352  erwähnt;  Briisaporcello  (luogo  donato  ai  Astigiani  dal  conte 
Umberto  II  di  Savoia,  in  Historiae  patriae  mouumenta  Bd.  IV.) ; 
Brusaporco  im  Venetischen  (Olivieri  1 1 1);  Brusalovo  nell'  Oltrepö 
ist  in  Codex  diplomaticus  Cremonae  (Histor.  patr.  mon.  Ser.  11, 
Tomus  XXII)  belegt  S.  57  a.  1334  Bruxalupo,  Bnisamussa  (raussa 
=  Esel)  und  Brusabö  (monte,  Caltrano)  im  Venetischen  (Olivieri 
iii).  Merkwürdigerweise  kommen  auch  Fliegen  in  diese  Gesell- 
schaft :  Bnisamosca  und  Mäuse  Bnisasurgi  im  Venetischen ,  Olivieri 
iii).  Vgl.  damit  den  Zunamen  Ermennarius  Ustura  leporem 
(a.  1097 — 1125)  bei  Darmesteter  S.  149.  Hierher  noch  Brusaiasso 
bei  I\lantova.  Unklar  ist  Brusaporto,  eine  alte  Burg  in  der  Provinz 
Bergamo.  Vielleicht  erklärt  die  Lage  den  Namen:  E  al  pie  della 
coUina,  che,  quäl  isola,  sorge  dal  piano  in  territorio  sassoso 
(Fabi);  porto  wäre  vielleicht  hier  in  der  Bedeutung  „Zufluchtsort, 
sicherer  Ort"  zu  nehmen.  Vgl.  Pelleport  und  Brusamonte  im  Venez. 
(Olivieri  iii).     Die  zwei  letzteren  Beispiele  sind  Fabi  entnommen. 

14.  Prov.  bufar  =  blasen  in  Bouffelaiire,  ecart  und  ferme 
in  Haute-Loire  Dt.;  es  ist  eine  analoge  Bildung  zu  Heiirtevent, 
da  prov.  aura  =  vent.  Vielleicht  gehört  hierher  auch  Boufloiip 
(Cher,  Joanne  I);  vgl.  Cornaloup. 

15.  Buttare  in  Buttapietra  im  Venezianischen  (Olivieri  112); 
in  Codice  diplomatico  padovano,  Venezia  1877:  Butafava  a.  1010. 
Französische  Beispiele:  Boutavant-la-Gra7ige  (Oise  Joanne  I)  und 
Boulavetit  (Jura,  Marne,  Joanne  I)  enthalten  vielleicht  adv.  avant. 

16.  Cacare:  Cacaturriga,  locus  a.  980  in  Codice  diplom. 
padovano,  mit  unklarem  zweiten  Bestandteile,  Cacaratli  bei  Como, 
s.  Fabi;  Caindqiia  im  Venetischen  (Olivieri  112)  ist  vielleicht  eine 
Verkürzung  von  *caga  in  acqua,  vgl.  Pissincatma.  In  Frankreich 
(D6p.  Savoien  Dt.)  erscheint  dies  Zeitwort  nur  in  Verbindung  mit 
loup:  Chieloup,  hameau;   Cheyloup  (Chäteau  de);   Chclou,  hameau;  in 


*  Vgl.  veron.  bru'sacör  sm.  =  pirosi,  bruciore  di  stomaco,  Bolognini- 
Patuzzi,  Pic.  diz.  veronese,  Verona  1901  und  andere  Verbindungen  im  Mai- 
ländischen  s.  bei  Cherubini,  Vocabolario  mil.  I,  160. 


14 

Ain  Dt.  Chiloup  zweimal  als  hameau  und  einmal  als  Teich.  Hierher 
gehört  wohl  auch  Montagne  de  Chien-Loup  (Savoien) ;  der  erste 
Bestandteil  hat  sich  mit  einen  vermengt.  Vgl.  den  Zunamen  Do- 
menico Cagadinari  a.  1072  im  erwähnten  codice. 

17.  Verbindungen  mit  cacciare  sind  auf  Italien  und  Frankreich 
beschränkt.  Als  zweiter  Bestandteil  erscheinen  begreiflicherweise 
zunächst  Tiernamen :  Cacciabue;  Caccialepori,  vgl.  frz.  chasse-lüvre  s. 
m.  =  Treiber  auf  der  Jagd,  im  Prov.  auch  als  Familienname, 
s.  Osthof  S.  271;  Caccialupa',  Caccialupi  Amati  II,  9;  Caccialupo  vier- 
mal s.  Fabi  S.  107;  lauter  Ortsnamen  aus  Piemont  und  Lombardei. 
Mit  letzten  Ortsnamen  vgl.  den  afr.  Zunamen  Cacheleu  (XIV.  Jh.) 
bei  Darmesteter,  o.  c.  187.  Aus  Frankreich:  Chasseloup  (Charente- 
Infer.  Dp.),  Chasse-Baeuf,  ein  Wald  in  Hautes-Alpes  Dt.  und  Chassipol 
(Ain  Dt.),  wo  pol  =  pullus,  Körting  7526.  Hierher  gehört  trotz 
der  Orthographie  der  Flufsname  Cazzabisso  (Rio  di-)  bei  Olivieri 
112,  wo  bisso  sm.  =  biscia,  serpe  (Bolognini-Patuzzi,  Pic.  diz. 
veronese),  da  schriftital.  cazzare  unverständlich  wäre.  Die  Sach- 
namen sind  vertreten  in  Cacciapiatti  in  Piemont  und  in  Chasse- 
Profit,  ein  Dorf  in  Aube  Dt.  —  Chasseforet  (Dome  de-,  in  Savoien) 
heifst  der  höchste  Punkt  im  Massiv  von  Vanoise.  „Cette  cime  est 
un  veritable  ilot  de  pierre  perdu  dans  une  vaste  mer  de  glace  et 
de  neige."  (Joanne  U,  895.)  Der  Name  will  also  metaphorisch 
einen  waldlosen  Punkt  bezeichnen.  Auch  scacciare  bietet  einige 
Beispiele:  Scacciadiavolo,  eine  hohe  Bergspitze  in  „Apennino  Silano" 
im  Neapolitanischen,  Amati  VII,  332.  Der  Name  wird  offenbar 
mit  irgendwelchem  Volksaberglauben  zusammenhängen.  An  die 
Benennung  Passatempo  erinnert  Scacciapmsien  in  der  Provinz  Siena, 
Amati  a.  a.  O.  Vgl.  npr.  cassopensa?nen  sm.  ce  qui  chasse  le  souci, 
distraction  (Mistral  I,  488). 

18.  Cacher  meistens  in  Verbindung  mit  rat  als  Benennung 
von  besiedelten  Orten  und  Wasserläufen.  Besiedelte  Orte  sind: 
Cacherat  in  Calvados  Dt.,  Loire  Dp.;  in  Haute -Loire  Dt.  fünfmal, 
davon  dreimal  als  Mühle,  einmal  als  maison  isol6e,  Les  Cacherats 
(AUier  Joanne  II).  Bäche  sind :  Cacherat  in  Nievre  und  Le  Cacherat 
in  Haute-Loire  Dt.,  wohl  offenbar  Bäche,  die  leicht  versiegen  oder 
überhaupt  wenig  Wasser  haben.  Dieselbe  Vorstellung  liegt  zugrunde 
auch  dem  Cachepied,  Bach  in  Allier,  Joanne  II.  Recht  humoristisch 
ist  auch  CachepoHx,  lieu-dit  in  Haute-Loire  Dt,  welches  im  13.  Jh. 
noch  in  mundartlicher  Gestalt  unter  Cacha-Pezoil  belegt  ist. 

19.  Calzare  ist  auf  Italien  beschränkt.  Die  betreffenden 
Ortsnamen  dürften  Spitznamen  gewesen  sein  oder  auf  humoristischen 
Volkserzählungen  beruhen:  Calzagatta  in  Ligurien,  Calzavacca  in 
Piemont,  Amati  II,  175.  Dafs  derlei  Bildungen  als  Spitznamen  ge- 
bräuchlich waren,  ist  selbstverständlich,  vgl.  bei  Darmesteter  o.  c. 
181   Rivallonus  Calcebof.    Vgl.  Ftrraheccho. 


15 

20.  Cansar  in  einer  Verbindung  mit  lohö'.  Cansa  Lolos^  Dorf 
(aldea)  in  der  spanischen  Provinz  Albacete  bei  Madoz  V,  468. 
Vgl.  in  Spanien  Matalobos. 

21.  Bei  dieser  Gelegenheit  seien  die  romanischen  Canta- 
Ortsnamen  im  Zusammenhange  besprochen;  vgl.  Zs.  f.  r.  Phil.  XXXII 
S.  555  ff.  und  die  Besprechung  dieses  Artikels  in  Revue  de  phil. 
fran^aise  et  de  litt.  XXllI  S.  128  f.  Leider  mufs  ich  die  Bemerkung 
vorausschicken,  dafs  mir  für  Italien  und  Spanien  kein  so  reich- 
haltiges Material  zu  Gebote  stand  wie  für  Frankreich.  Portugal 
scheint  überhaupt  keine  solchen  Ortsnamenbildungen  zu  besitzen. 
Alle  meine  Bemühungen,  auf  diesem  Gebiete  der  Romania  etwas 
Derartiges  aufzutreiben,  blieben  erfolglos.  —  Wie  Frankreich,  so 
zeigen  auch  Spanien  und  Italien  canta  verbunden  mit  Vogel-, 
Frosch-  und  Tiernamen.  Einige  Typen  sind  über  das  ganze 
grofse  Gebiet  verbreitet.  So  z.  B,  Canta  und  Gallus^:  Cantagallo  ist 
eine  Ortschaft  (borgo)  in  der  Emilia;  ferner  heifst  so  ein  kleines  Dorf 
in  einer  gebirgigen  und  waldreichen  Gegend  im  Apennin  von 
Pistoja,  bekannt  schon  seit  13.  Jh.,  vgl.  darüber  aufser  Amati  II 
noch  Repetti  I  S.  445  —  447,  auch  die  Berge,  die  das  Dorf  um- 
geben, werden  Monti  di  Cantagallo  benannt.  Eine  Ableitung  davon 
lautet  Cantagaletto  in  Piemont  (vgl.  auch  Manno,  Bibl.  storica  degli 
stati  della  monarchia  di  Savoia,  Bd.  IV  s.  v.).  In  Toscana  hat 
diese  Form  noch  die  Endung  -/,  welche  vielleicht  derselben  Natur 
ist,  wie  diejenige  in  italienischen  Familiennamen:  Cantagalli,  frazione 
del  commune.  Vgl.  damit  Castrum  CantagalH  in  comitatu  Imolae, 
a.  137 1  in  Monumenti  Ravennati  Bd.  V  S.  7,  wo  allerdings  Canta- 
galli ein  lateinischer  Genitiv  von  Cantagallo  sein  kann.  Alle  diese 
Beispiele  sind  Amati  II,  324  f.  entnommen.  Auch  in  Italien  scheint 
die  Bildung  sehr  alt  zu  sein.  Spanien  (Prov.  Salamanca)  besitzt  ein 
Cantagallo  (villa),  Del  Castillo  I,  507.  Vgl.  noch  weiter  unten.  — 
Von  anderen  mit  Frankreich  gemeinsamen  Vogelnamen  ist  zu 
nennen  merla,  7nerlo-:  Cantamerla  in  Piemont;  Cantamerlo  bei  Nizza 
(cf.  Manno  o.  c.  IV);  in  Toscana  Cantamerlo  bei  Repetti  VI,  47  (hier 
ist  das  Alter  der  Belege  nicht  angegeben,  wahrscheinlich  schon 
1083),  eine  kleine  Burg.  —  Von  anderen  Vogelnamen  ist  in  Italien 
nur  noch  herta  =  Häher  dreimal  in  der  Lombardei  anzutreffen: 
Cantaberta.  Spanien  bietet  avifser  dem  obigen  noch  el  gallo,  im 
Gegensatz  zum  Französischen  und  Italienischen,  mit  dem  Artikel: 
Canta- el- gallo  bei  Madoz  V,  471  als  Benennung  eines  Baches  und 
einer  Viehweide  in  der  Prov.  Toledo,  eines  Baches  in  Badajoz 
und  eines  Ortes  in  Lugo.  —  Ebenso  ist  Canta  und  rana  überall  an- 
zutreffen.    Es    werden    dadurch    bezeichnet    nicht   nur    Siedlungen, 


'  Aus  Frankreich  sei  noch  erwähnt:   Chantejail,  village,  a.  1493  Chanta- 
Ghail  (Haute-Loire  Dt.). 

*  Der    älteste   Beleg    hierfür    in   Frankreich   ist   Canta   merula,    villa   in 
pago  arvernico,  vicaria  Randanensi,  a.  963  in  Recueil  des  chartes  de  Cluny  I 


S.  354. 


i6 

welche  offenbar  in  sumpfigen  Gegenden  gegründet  waren,  sondern 
begreiflicherweise  auch  Wildbäche  und  Bäche  überhaupt,  wie  z.  B. 
Cantarane,  ein  Wildbach  im  Dep.  Pyr.-Or.  Joanne  II  S.  71g;  Chante- 
reinc  für  „petite  riviere  du  Cher"  und  drei  Bäche  in  den  Dcp. 
Indre- et -Loire,  Seine -et -Marne  und  Haute -Loire  (affl.  de  l'Allier) 
Dt.  Beispiele  aus  Joanne  II,  71g  und  845.  Cantarana'^  ist  in  Italien 
sehr  verbreitet;  so  heifst  z.  B.  in  Piemont  (Asti)  ein  Dorf,  dessen 
Gebiet  einst  sehr  sumpfig  war,  ebenso  der  Bach,  der  durchfliefst 
(s.  Amati  11  und  Casalis  III,  43g).  Derselbe  Name  ist  noch  an- 
zutreflfen  je  zweimal  in  der  Lombardei  und  im  Venetischen,  einmal 
sogar  auf  Korsika,  besonders  aber  zahlreich  in  Piemont,  gegen 
neunmal  allein  bei  Manno  o.  c.  IL  Fabi  verzeichnet  in  der  Lom- 
bardei noch  ein  „casale"  in  der  Prov.  Cremona,  wo  rana  im  PI. 
ist:  Cantarane,  was  zu  vergleichen  ist  mit  Cantagalli.  —  Spanien 
bietet  nach  Madoz  a.  a  O.  viermal  Canta-la-Rana,  alle  vier  sind 
Benennungen  von  Ortschaften  (lugares)  in  den  Provinzen  Coruiia, 
Lugo  und  Pontevedra,  Auch  hier  findet  man  das  zweite  Glied 
im  PI.  Cantarranas,  eine  Ortschaft  (caserio)  in  der  Prov.  Salamanca,^ 
dessen  Name  sich  auch  sehr  leicht  aus  der  geographischen  Lage 
erklärt.  Madoz  a.  a.  O.  sagt:  situado  en  terreno  llano  por  el  que 
passa  un  arroyo  permanente  que  sirve  para  dar  riego  a  varias 
huertas.  In  derselben  Prov.  heifst  eine  andere  Ortschaft  (caserio) 
im  Diminutiv  Cantarranillas.  —  Auf  demselben  Gebiete  ist  auch 
reich  vertreten  der  Typus  Caiita  +  lupus,^  lupa,  womit  Siedlungen, 
weniger  Bäche,  bezeichnet  werden,  die  sich  in  der  Nähe  von 
grofsen  Waldungen  oder  mitten  in  ihnen  befinden;  es  wird  z.  B. 
für  Chantelonp  (Indre -et -Loire)  bei  Joanne  II,  844  angegeben,  dafs 
es  sich  befindet  „ä  la  lisiere  de  la  foret  d'Amboise",  ebenso  für 
Chanteloup  (Maine-et-Loire)  „pres  d'un  grand  bois",  für  Chantelouve 
(Is^re)  „sur  la  haute  montagne".  In  Frankreich  haben  wir  nur 
zwei  Fälle,  wo  dieser  Typus  auch  Flüsse  bezeichnet,  so  Canteloup 
„petite  riviere  du  dep.  des  Landes"  und  Fontaine  de  Chanteloup, 
ein  Bach  im  Dep.  Eure-et-Loir.  Ebenso  zahlreich  wie  in  Frank- 
reich ist  dieser  Typus  in  Italien  vertreten.  Bei  Amati  II,  3230",  allein 
findet  man  vier  und  zwanzig  moderne  derartige  Ortsnamen,  von 
denen  die  meisten  sich  in  den  Provinzen  Piemont  und  Lombardei 
befinden,  dann  in  der  Emilia,  im  Neapolitanischen,  im  römischen 
Territorium  und  Molise,  dazu  Cantalövo  im  Venetischen  (Olivieri  113). 
Vgl.  die  Statistik  bei  Casalis  III,  438  s.  v.  Canialupo.  Der  älteste 
Beleg  ist  mir  aus  Hist.  patr,  monumenta  IX  S.  236  a  im  Namen 
Milanus  de  Cantalupo  a.  i2go  bekannt.  —  Nicht  so  zahlreich  ver- 


^  Im  Mailändischen  auch  Appellativum:  cantarättna  =  fognone;  chiavica, 
cloaca,  fogna;  fognajuolo;  cattiva  cantatiice.  Cherubini,  Vocabolario  mila- 
nese  I,  210. 

"  Eine  Strafse  in  der  Stadt  Sahagun  hiefs  a.  1374  la  calle  de  Cantar- 
ranas in  Documentos  del  monasterio  de  Sahagun.     Nr.  2183. 

'  Aus  Frankreich  noch  li  vivier  cui  ou  apeile  de  Canteleu,  a.  1269  in 
Monuments  pour   servir  ä  l'historie   des  Provinces  de  Namur  etc.  (pikardiscb). 


17 

breitet  in  Italien  ist  Cantalupa,'^  in  der  Lombardei  zweimal,  ebenso 
oft  in  Piemont.  Die  Ortschaft  Cantahipa  bei  Pinerolo  befindet  sich 
in  einer  gebirgigen  und  sterilen  Gegend.  —  Spanien  bietet  merk- 
würdigerweise nur  einen  Ortsnamen,  den  ich  schon  in  der  Zs. 
a.a.O.  S.  561  Note  i  zitiert  habe:  Cantallops  (Provinz  Gerona).  — 
Aus  den  Urkunden  notiere  ich  für  Italien  Caniacapra,  erwähnt 
a.  II 64  Und  a.  121 8  irgendwo  in  Piemont,  s.  Hist.  patr.  mon. 
Bd.  VI  8.992,  1295.  Unter  modernen  Ortsnamen  ist  mir  diese 
Bildung  nirgends  begegnet.  —  Gry  Uns,  so  zahlreich  in  Frankreich,  2 
ist  nur  einmal  in  Italien  bei  Amati  II  s.  v.  vertreten:  Cantagrillo  in 
Toscana.  Cicada  ist  hier  ebenso  selten  wie  in  Frankreich,  wo 
canto-cigalo  sm.  =  lieu  arride  et  expos6  au  soleil  (oü  les  cigales 
foisonnent,  bei  INIistral):  Caniazigäle  im  Venez.  bei  Olivieri  113.  — 
Dagegen  bietet  Spanien  einige  Ortsnamen,  denen  man  weder  in 
Frankreich  noch  in  Italien  Parallelen  an  die  Seite  stellen  kann: 
Cantavieja  (villa  und  rio)  in  der  Prov.  Teruel  bei  Del  Castillo  I, 
wobei  vorausgesetzt  ist,  dafs  das  Schlufsglied  vieja  sf.  =  alte  Frau 
enthält;  dazu  gesellt  sich  S.  Salvador  de  Cantamuda  in  der  Prov. 
Valencia  bei  Madoz  o.  c,  falls  viuda  sf.  =  stummes  Frauenzimmer 
ist,  und  schliefslich  Cantalucia,  ein  Ort  {lugar)  bei  Del  Castillo  I, 
wenn  man  im  zweiten  Bestandteile  den  Frauennamen  Lucia  sehen 
darf.  —  Während  diese  drei  letzten  Ortsnamen  begreiflich  sind,  so 
ist  höchst  auffallend  Cantalapiedra  (situado  en  la  cuspide  de  una 
eminencia,  Del  Castillo  I,  507)  in  der  Prov.  Salamanca.  Eine  Be- 
merkung bei  Madoz  gibt  uns  möglicherweise  einen  Fingerzeig  zur 
Erklärung;  er  sagt:  „en  cuyo  alrededor  se  encuentran  residuos  de 
muralla  antigua".  Ähnliche  Bildung  besitzt  auch  Frankreich: 
Chantepierre  (INIayenne  Dt.,  s.  Zs.  XXXII  S.  563)  und  Chanteroc, 
hameau  in  Haute-Loire  Dt.,  wo  roc  =  rocher.  Offenbar  haben  wir 
es  mit  einem  Lokal -Aberglauben  zu  tun.  Dasselbe  wird  der  Fall 
sein  bei  Baumnamen:  Chante-Faye  (Dordogne  Dt.)  und  Chantefage 
(Lot), 3  erwähnt  in  der  Zs.  a.a.O.;  CantaJpino  (ayuntamiento  in  der 
Prov.  Salamanca,  Del  Castillo  I,  508).  Über  diese  volkstümlichen 
Vorstellungen  vom  Singen  der  Steine  und  Buchen,  worauf  die 
Ortsnamen  schliefsen  lassen,  müfste  uns  natürlich  die  Lokalgeschichte 
genauen  Aufschlufs  geben.  —  Wie  aus  der  bisherigen  Darstellung 
hervorgeht,  haben  die  romanischen  Sprachen  mit  Canta  Wucher 
getrieben.     Da  singen^  nicht  nur  alle  möglichen  Vögel,  von  denen 


'  Den  ältesten  Beleg  für  die  Verbindung  bietet  Chantelotive,  welches  in 
Haute-Loire  Dt.  als  hameau,  ferme,  d'cart  siebenmal  vorkommt;  a.  952  Cantus 
lupae. 

*  Vgl.  Porteau,  Rev.  phil.  fran9aise  XXIII  S.  138  aus  Creuse  Chante- 
grioiix  und  seine  Berichtigungen  zu  meinen  Angaben  in  Zs.  1.  c.  Neuprov. 
canto-greu  sm.  =  terrain  pierrcux,  aride.  Aus  Frankreich  notiere  ich  noch 
Chantegris  (dreimal  in  Haute-Loire  Dt.  als  Name  zerstörter  Örtlichkeiten, 
Ain  Dt.  hameau);   Chantegrület  (vieimal  in  Ain  Dt.). 

3  Dp.  S.  304  schreibt  Catitcfage  (F.ot,  c"e  St.  Maurice). 

*  Das  Zeitwort  mufs  in  dieser  Verbindung  nicht  gerade  „singen"  be- 
deuten,   es   kann   auch  „Laut   ertönen  lassen"   heifsen.     Vgl.  in  Dict.   langue- 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom,  Pliil.  XXVII.     (Festschrift.)  2 


iS 

sich  viele  durch  keinen  angenehmen  Gesang  auszeichnen,  wie  z.  B. 
der  Rabe  etc.,  sondern  auch  Frösche,  Heimchen  und  Wölfe,  ja 
sogar  alte  Frauen  und  stumme  Frauenzimmer,  von  den  leblosen 
Dingen  Steine  und  Buchen,  i 

22,  Catar,  in  appellativen  Verbindungen  oft  gebräuchlich 
{calavmo,  catavinos,  caiaviento  etc.),  ist  in  Ortsnamen  wahrscheinlich 
in  folgenden  Beispielen  vertreten :  Catapcije,  Ort  (lugar)  in  der 
Provinz  Pontevedra,  falls  der  zweite  Bestandteil  =  peje  „Fisch" 
ist,  vgl.  in  Südfrankreich  Mirepoix.  Mehr  Sicherheit  bietet  Cata- 
trigo,  Ort  (lugar)  in  der  Provinz  Lugo,  womit  man  wahrscheinlich 
schöne  Weizenfelder  bezeichnen  wollte.  Dann  ein  bekanntlich 
auch  als  Appellativum  dienendes  Cniasol,  Dorf  (aldea  und  lugar) 
in  der  Provinz  Coruila,  womit  man  die  ital.  Bildungen  wie  Mirasol, 
ScalJasol  vergleiche.  Auch  der  spanische  Ortsname  bezeichnet 
wahrscheinlich  wie  diese  einen  der  Sonne  ausgesetzten  Ort.  Alle 
diese  Beispiele  sind  Madoz  VI,  255  entnommen. 

2T).  Cavalcahö  Amati  II,  795  in  der  Lombardei  ist  klar.  Die 
Bildung  kommt  auch  als  Familienname  vor:  s.  Hist.  patr.  mon.  VII 
S.  221  Cavalcabovis  domus  a.  1161  und  in  Codex  dipl.  Cremonae 
sehr  oft  Marchiones  de  Cavalcabobus.  Cavalcaselle  im  Venetischen 
(Olivieri  iii).  Es  handelt  sich  auch  bei  diesen  Ortsnamen  wohl 
um  ursprüngliche  Spitznamen.  Vgl.  in  Cartulaire  de  Marseille  a. 
1026  Pontius  Cavalcans  Vaccas. 

24.  Cavare  dient  im  ital.  Sprachgebrauche  sehr  oft  zur 
Verbalkomposition:  cavadeiiti,  cavafango,  cavalocchio,  etc.  Von  den 
Ortsnamen  werden  hierher  sicher  gehören:  Cava  Podios  (rumpida 
de)  a.  i::25  in  Cartulaire  de  Marseille  (carte  947). ^  Cavaceppo  in 
Marche.  Der  Name  erinnert  vielleicht  an  einen  Rodeacker,  wo 
später    eine    Siedlung    entstand;    vgl.    Arrancacepas.    —    Unklar   in 


docien-fran^ois,  par  Mr.  L.  D.  S.  (L'abb6  de  Sauvages)  Nismes  1785,  1,141: 
Canta  se  prend  quelque  fois  pour  sonner,  resonner:  aqel  pla  canto  äou  rout  = 
ce  plat  feie  sonne  creux.  Im  Span.  (s.  Tolhausen)  cantar  =  krähen  (Hahn), 
quaken  (Frosch),  knarren  (Wagenrad);  im  Ital.  cantare  (Rigutini- Bulle)  = 
schreien  (Vögel,  Grillen,  Zikaden  etc.),  knarren,  klirren,  klingen,  tönen, 
knistern,  krachen  (Papier,  gebranntes  Tongefäfs,  hart  gebackenes  Brot  etc., 
cf.  vin  che  salti  et  pan  che  canti);  nfr.  chanter  (Sachs- Villatte)  =  von  Vögeln: 
singen,  schlagen,  zwitschern,  wirbeln,  krähen,  zirpen,  singen  (von  siedendem 
Wasser),  knarren  (von  einer  Türe),  cf.  une  porte  mal  graissee  chante;  vgl. 
schon  lat.  bucina,  tibia  cantat  (Georges). 

^  Frankreich  besitzt  noch  von  den  Tiernamen:  Chantebou  (etang,  Ain 
Dt.):  <^bove,  Chantemule ,  domaine  in  Haute -Loire  Dt.,  wo  mvle  =  tmila, 
■muola  {vgl.  den  Beleg  a.  1583  —  MyoUe).  Chantemesse ,  hameau  in  Haute- 
Loire  Dt.  vgl.  mit  prov.  tnessacantan  =  Messe  singend.  Chanteiile  in  D^p. 
Savoien,  Chantavrü  (Ain  Dt.),  Chantenid  (Ain  Dt.),  Chantabord  (Dorf  und 
Bach  im  D6p.  Savoien  Dt.)  enthalten  im  zweiten  Bestandteil  vielleicht  be- 
kannte Appellativa.     Chante -Egrijole   nach  Porteau,   Rev.  1.  c.  =  eh.,  lezard! 

'  Vgl.  den  Zunamen  Vitalis  Cavasola  (=  c.  suola)  a.  978  und  Wualdus 
filius  Cavacornarius  a.  1079  in  Codice  diplomatico  padovano  N.  63,  261. 


19 

Bezug    auf  die  Bedeutung,    aber   doch    hierher  gehörig,    ist  Cava- 
zocchi^  im  Venetischen.     Beides  aus  Amati  II,  795  und  819. 

25.  Changer  ist  vertreten  in  einem  Bergnamen:  Le  Causse 
de  Changefege  (territoire  de  la  commune  de  Baisieges,  dep.  Lozere, 
sur  le  bord  du  plateau  est  le  petit  hameau  de  Changefege,  Joanne  II, 
843  s.  V.),  npr.  Chanjo-fege  =  qui  change  le  foie,  ainsi  nomm6 
pour  la  qualit^  de  ses  pälurages,  bemerkt  wohl  richtig  Mistral 
I,  590- 

26.  Charger  in  Cha)-geloup,  hameau,  belegt  a.  1442  Le  Lac 
de  — ,  Nievre  Dt. 

27.  C/z/ar/jöCffo  im  Venetischen,  Amati  11,  10 13  gehört  offenbar 
zur  Verbalkomposition,  die  ursprünghch  Spitzname  war.  Man  will 
wahrscheinlich  eine  Siedlung  bezeichnen,  deren  Bewohner  sich  durch 
verwegene  Diebstähle  berühmt  gemacht  haben. 

28.  Prov.  cordar  =  messen  in  Courdeleau  („miss  das  Wasser"), 
ecart  in  Haute-Loire  Dt. 

29.  Cornare  =  blasen:  Comialoup,  hameau  in  Ain  Dt.  und 
Cornafaine  in  Piemont,  Casalis  V,  127.  Beide  gehören  zur  grofsen 
Gruppe  Chantelottp  und  Bramafam. 

30.  Co  UV  er  hat  bekanntlich  seine  ursprüngliche  Bedeutung 
eingeengt.  Doch  lassen  einige  Imperativbildungen  sie  noch  hervor- 
schimmern; es  sind  dies  die  Verbindungen  mit  loup:  Couvalotip 
„Wolfslager"  (Isere  Dp.;  quartier  de  Lausanne;  Wald  im  Kanton 
Vaud,  Dict.  topogr.  de  la  Suisse),  Coiiveloiip  (Ille-et-Villain  Dp.); 
dazu  vielleicht  Conaloup,  hameau  in  Haute-Loire  Dt.  mit  un- 
verständlichem «,  187g  noch  Coualoup  geschrieben.  Vielleicht  ein 
Druckfehler? 

31.  Couvrir  erscheint  in  einem  schon  als  Appellativum 
dienenden  Ortsnamen:  Couvrechef,  zwei  hameaux  und  ein  Lehngut 
in  Calvados  Dt.,  wofür  der  älteste  Beleg  aus  a.  11 93  Kevrechie. 

32.  Sehr  oft  kommt  die  Verbindung  crepa  -|-  cor  vor  (vgl. 
languedoc.  aquo  crcbo  lou  cor  bei  D'Hombres  Dict.  lang.  231  sv. 
creba),  beschränkt  allerdings  auf  Frankreich  und  Norditalien.  Der 
älteste  Beleg  dafür  in  Cartulaire  de  Marseille:  in  illa  (vinea)  de 
Crebacor,  c.  104,  a.  1065 — 1079.  Die  Verbindung  dient  bekanntlich 
auch  als  Appellativum  und  als  Personenname :  Philippe  Crevecceur, 
Rumpicorda  in  lateinischer  Übersetzung  bei  Darmesteter  S.  14g  etc.  — 
Im  Dep.  LIautes-Alpes  Dt.  heifst  ein  „quartier"  Crivecoeur,  der  a.  1333 
neben  Crebacor  auch  Masus  de  Sala  hiefs;  vgl.  noch  unno  vingno 


i  Vgl.  zocch  o  löpp.  T.  de'  Fornac.  E  quel  vase  in  cui  si  riene  l'acqua 
colla  quäle  si  vengono  immolando  sullo  spazzo  detto  Spiarda  le  terre  per 
farnc  buona  pasta  da  tegoli  e  mattoni.    Cherubini,  Vocab.  Milan.  IV,  552. 

2* 


20 

situa  en  Crebacor,  a.  1545  im  Kataster  von  Gap,  P.  Meyer,  Doc. 
ling.  S.  463;  in  Drume  Dt.  ein  Dorf  Crevecaeur,  im  13.  Jh.  Creba 
euer;  in  üard  Dt.  ein  Gehöft  (Pachtgut,  ferme)  Crivecor.  Eine 
Anhöhe,  welche  die  Stadt  Orange  beherrscht,  hat  denselben  Namen, 
npr.  Criho-cor  (Mistral  a.  a.  O.),  desgleichen  ein  altes  Tor  in  Puy 
(Haute-Loire  Dt.)  Crebacor  (a.  1237).  Viermal  kommt  dieser  Orts- 
name in  Aisne  Dt.  vor,  als  Pachtgut,  Windmühle,  Wassermühle  und 
ein  kleines  Dorf.  Joanne  11,  1166  und  Dp.  haben  noch  Creve  cxur 
in  Ardennes  Calvados  Dt,  Eure,  Manche,  Jura,  Nord,  Oise  (Dp. 
hier  fünfmal),  Puy-de-D6me,  Seine,  Seine-et-Marne;  dazu  noch  aus 
Ain  Dt.  ein  Dorf;  aus  Savoien  Dl.  drei  Dörfer,  davon  eines  schon 
im  XI.  Jh.  Crevacor  und  zwei  Bäche.  Bei  einigen  von  diesen  Orten 
befinden  sich  Burgruinen.  —  In  Italien  ist  der  Ortsname  bezeugt 
in  Piemont:  Crevacuore ,  welches  schon  seit  a.  1075  bekannt  ist, 
Amati  III,  -^,21  mit  Beschreibung  der  Lage:  una  pianura  ricinta  da 
erti  montagni);  ferner  heifst  in  der  Emilia  „un  piccolo  borgo"  (il 
suo  territorio  anticamente  conformato  a  valli  bassi  e  pallustri  ed  a 
stagni,  ora  presenta  una  pianura,  Amati  a.  a.  O.,  hier  auch  die 
Vermutungen  über  die  Herkunft  des  Namens)  Crevalcore.  Über 
die  Entstehung  des  Crevacuore  in  Piemont  hat  Dionizotti,  Illustrazioni 
storico-corografiche  della  regione  subalpina,  Turin  1898,  S.  136  ff. 
geschrieben,  dessen  Meinung,  Crevacuore  sei  „cuoificio",  gar  nicht 
ernst  zu  nehmen  ist,  ebenso  die  Ansicht  Casalis's  V,  635,  dafs  es 
keltisch  sei.  —  Die  Form  des  Namens  ist  nun  zwar  ganz  klar,  die 
Bedeutung  aber  nicht.  Man  kann  ital.  Premilciiore  dazu  stellen. 
Crepa  kommt  sonst  nur  noch  in  einer  Verbindung  vor:  Crevetete, 
Bergspitze  im  Dep.  Savoie;  hier  entspricht  der  Name  der  Vorstellung, 
die  durch  die  ungewöhnliche  Höhe  der  Bergspitze  wachgerufen 
wird.  Wir  werden  nicht  fehlgehen,  wenn  wir  annehmen,  dafs 
Crevecmir  Örtlichkeiten  bezeichnet,  die  durch  ihre  Lage  oder  durch 
andere  Umstände  im  Menschen  grofses  Unbehagen  hervorrufen; 
auch  Mistral  a.  a.  O.  drückt  sich  ähnlich  aus:  Creve-coeur,  dans  le 
nord  de  la.  France,  designe  aussi  une  localite  escarpee,  dont 
l'ascension  fait  battre  le  cceur". 

"^2^.  Croquer  in  fünf  Ortsnamen:  Croqiioison,  ein  kleines  Dorf 
in  Somme  Joanne  I,  1 1 7  7 ;  in  Aube  Dt.  ein  Gehöft  (terme)  Croque- 
pine,  erwähnt  1553,  jetzt  zerstört;  Croque-Chataigne  (Loiret  Dp.); 
Croque  niais  (Loire-Infer.,  rna'is  =  türkischer  Weizen);  in  Mayenne 
Dt.   Croqueloup,  ecart  et  landcs. 

34.  Curar  (=  vider,  nettoyer  quelque  chose  de  creux, 
D'Hombres,  Dict.  langd.  237)  in  zwei  bei  Mistral  I,  69 1  angeführten 
Beispielen,  die  beide  recht  humoristisch  sind:  Curehouffet,  bei  Asta- 
fort  (Lot-et-Garonne),  npr.  Curo-boufet,  wo  der  zweite  Bestandteil 
entweder  boufet  =  i.  soufflet,  instrument  a  faire  du  vent  [cfr.  apr. 
hu/et  =  Souffle  (Raynouard),  Blasebalg  (Levy)]  oder  2.  coup  sur  la 
joue  sein  kann.  Curebousson  bei  Malemort  (Bouches-du-Rhöne)  und 
Cureboussot  bei  Nimes  (Gard)  sind  schon  von  Mistral  a.  a.  O.  mit  npr. 


21 

Appellativum  curo-boursoi  sm.  =  vide-gousset  identifiziert.  Diese 
Spitznamen  deuten  demnach  auf  leichtsinnige,  verschwenderische 
Bewohner  hin.  Ciireplats  (Aveyron  Dp.)  ist  wohl  auch  Spottname. 
Unklar  wäre  die  Bedeutung  von  Cnremojite  (Correze)  npr.  Curo- 
mounto  INIistral  1, 962,  wenn  hier  zwei  Imperative  vorlägen.  Der 
zweite  Bestandteil  ist  klar,  wenn  er  auf  die  Lage  des  Ortes  Bezug 
hat.  Der  Ort,  eine  Gemeinde,  befindet  sich  nämüch  nach  Angabe 
Joannes  11,  1191  s.v.  „sur  une  colline  de  223  ra.  dominant  de 
haut  la  Sourdouire" ;  daselbst  auch  Burgruinen. 

35.  Npr.  darna  =  fendre,  diviser  in  einem  auf  volkswirt- 
schaftliche Verhältnisse,  vielleicht  auf  die  Zehentabgabe  an  den 
Grundherrn  hinweisenden  Beispiele:  DarnacueiUette  (Aude)  npr. 
Darno-cuielo  (=  Ernteverteilung)  INIistral  I,  699.  Das  Subst.  la  darna 
erscheint  auch  als  Ortsname:  La  Darne^  Dame,  Darnes  (Haute- 
Loire  Dt.).  Ferner  gehört  hierher  Le  Dernebiou  affluent  de  la 
Loire  (Haute-Loire  a.  1626  Dict.),  in  französisierter  Form;  vgl.  afrz. 
derne  =  morceau  (Godefroy),  Ort,  wo  man  den  Ochsen  zerstückelt 
und  vielleicht,  da  es  sich  um  einen  Bachnamen  handelt,  auswäscht. 
Die  vom  Jahre  187g  belegte  Benennung  desselben  Baches  Le 
Tranchard  stimmt  zu  dieser  Deutung  von  Dernehiou. 

36.  Despeiiar  =  abwerfen,  hinabstürzen,  in  einer  Verbindung 
mit  perro.  Despena-Pefros,  Gebirgskette  in  der  Prov.  Ciudad-Real, 
ebenso  ein  Engpafs  in  der  Prov.  Jaen,  Madoz  VII,  381. 

37.  Donar  -f-  dien  ist  viermal  in  Herault  Dt.  vertreten: 
Donnadieu  heifsen  zwei  Dörfer  und  Grange  de  Donnadieu  ein  „ecart" 
und  eine  „ferme"  (Lot  Dp.).  Doch  können  diese  Ortsnamen  auch 
von  dem  Personennamen  Donadeus  s.  Darmesteter  S.  161  und 
Mistral  I,  819  herrühren.  —  Schwer  zu  verstehen  ist  dagegen 
Donneville  (Haute-Garonne) ,  welches,  nach  nprov,  Dono-vielo  Mistral 
I,  811   zu  urteilen,  doch  hierher  gehören  dürfte. 

38.  Eclater  in  Esdate-Sang  bei  Apt  (Vaucluse)  npr.  Esclato- 
sajig  Mistral  II,  993  scheint  auch  vereinzelt  vorzukommen.  Es 
werden  wahrscheinlich  die  allzu  sanguinischen  Bewohner  des  Ortes 
darunter  zu  denken  sein. 

39.  Enfler  in  einem  Beispiele,  welches  sicher  auf  einen  Spitz- 
namen hindeutet,  Y.vS\.-dS.o\  ].  Anglefort  (Ain  De);  die  moderne  Form 
ist  stark  verändert. 

40.  Epargner:  Epargnemaille,  Gehöft  (ferme)  in  Aisne  Dt., 
Espargnemaille,  1716  Pargnemaille.  Der  zweite  Bestandteil  ist 
tnaille  =  kleine  Geldmünze,  so  dafs  die  Bildung  vielleicht  „Knicker, 
Knauser"  bedeutet;  cf.  LichemaiUe. 


^  Vgl.  auch  bei  D'ITombres,  S.  237  Un  curohussd  =  un  mange-lout, 
qui  ruine  ses  parents  et  vide  leur  bourse.  Für  die  Form  vgl.  Sauvages,  Dict. 
lang.  I,  105;  botissö  ou  botissot. 


22 

41.  Prov,  sp.  escornar:  Ecornehoeuf,  ein  Hügel  in  Dordogne 
Dt.,  belegt  schon  1163  Escornabou,  npr.  Escorno-bidii;  dann  Escorne- 
hacuf  (Gers)  bei  Mistral  I,  995.  In  Spanien  Escornabois  (Sta.  Maria), 
Escornalhoii  {Taragona,  bei  Mufioz),  parroquia  ira  Ayuntainiento 
Trasmiras  (Prov.  Orense),  Escueriiavacas ,  lugar  im  Ayuntamiento 
Moronta  (Prov.  Salamanca),  Del  Castillo  IV,  479. 

42.  Nprov.  escoula,  apr.  escolar  =  ausleeren,  ausschöpfen, 
auslaufen  lassen  (Levy),  Kanal  des  Teiches  (H6rault):  Lou  Grau 
d! Escoulo-harrau  [in  Languedoc  haräou  =  baril],  nach  der  Über- 
setzung Mistrals  II,  999  =  qui  vide  les  barrils  oder  noch  besser, 
der  Ort,  wo  die  Leute  ihre  barils  trocknen,  cfr.  lang,  escoiiladoii  = 
un  ^gouttoir  oü  Ton  met  la  vaisselle  lavee  ä  egoutter  (Sauvage, 
Dict.  languedocien). 

43.  Nprov.  esgarra  (vom  aprov.  garra  sf.  =  jambe,  cuisse, 
Raynouard)  =  estropier  quelqu'un  d'une  jambe  erscheint  verbunden 
mit  vacca:  Esgouarrehaque  (Basses-Pyrenees) ,  was  sich  wiederum  den 
Verbindungen  mit  strangulare  an  die  Seite  stellt.    Mistral  I,  1014. 

44.  Nprov.  esquicha  (quicha)  =  presser,  serrer,  epreindre 
(langued.  eskicha  un  limoun,  bei  Sauvages  o.  c.)  recht  humoristische 
Benennung  einer  Strafse  von  Aix-en -Provence:  Esquicho-mousco 
(15.  Jh.).  Mistral  I,  1045  übersetzt  es  mit:  oü  se  pressent  les  mouches, 
was  nicht  richtig  scheint,  denn  esquicha  wird  von  ihm  selbst  a.  a.  O. 
nur  als  v.  a.  angegeben  und  andere  bei  ihm  angeführten  Imperativ- 
büdungen  mit  diesem  Zeitworte  haben  Passivobjekt.  Es  wäre  dem- 
nach auch  in  mousco  Akkusativ  zu  sehen;  also  wiederum  eine  den 
vielen  anderen  wie  Escanecrabe ,  Etrairgle-mouton  ähnliche  Bildung, 
womit  vielleicht  einfältige  Bewohner  dieser  Strafse  gebrandmarkt 
werden  sollten  (vgl.  esquicho-figo  =  avare,  chiche,  esquichomeleio  = 
qui  mange  du  fretin  =  vetilleur,  avare,  ladre  usw.). 

45.  Nprov.  faia,  falha  erscheint  im  Namen  eines  Waldes 
des  Dep.  Basses-Alpes:  La  foret  de  Faillefeu,  bei  Prads,  npr. 
Faio-Fuc.  Allerdings  stimmt  die  Bedeutung  feler,  fendre  (in 
Languedoc,  s.  D'Hombres  Dict.  langu.  334)  hier  nicht,  für  Gascogne 
gibt  Mistral  I,  1090  die  Bedeutung  =  flamber,  cf.  aprov.  falha  = 
sf.  torche,  falot,  nprov.  faio,  sf.  =  flambeau,  chandelle  de  resine. 
Diese  Bedeutung  scheint  auch  im  erwähnten  Ortsnamen  vorzuliegen. 

46.  Ferrar  in  zwei  venezianischen  bei  Olivieri  112  erwähnten 
Ortsnamen,  die  ursprünglich  Spitznamen  waren;  Ferraheccho  und 
-inosche.  Derlei  Spitznamen  scheinen  im  Afr.  besonders  beliebt  ge- 
wesen zu  sein:  Andreas  Ferrechat  (12.  Jh.),  Ami  ferre  coc  (13.  Jh.), 
Ferrebouc  (14.  Jh.)  bei  Darmesteter  o.  c.  S.  i8f,  184,  187.  Vgl. 
Calzagatta. 

47.  Filar:  Filastoppa  im  Venezianischen  (Olivieri  112)  kann 
vielleicht  auf  wirtschaftliche  Etablissements  Bezug  haben;  desgleichen 
auch   Filletravie    in    Haute -Loire   Dt.,    welches    wahrscheinlich    ein 


23 

Doppelimper.  ist,  falls  das  11  im  ersten  Bestandteil  zu  verstehen  ist 
wie  das  in  ville. 

48.  Fuggire  in  einem  venez.  Ortsnamen  Filovo,  belegt  Fulovo, 
Fuilovo  (Olivieri   1 1 2). 

49.  Fracär  =  premere,  comprimere,  stipare  im  venezianischen 
Ortsnamen  Fraccalöca  „zerstückle  die  Gans"  (Olivieri  112),  welcher 
wohl  als  Spitzname  aufzufassen  ist. 

50.  Gagner.  Ein  Gehöft  (ferme)  in  Hautes- Alpes  Dt.  heifst 
Gagne-Paht,  eine  Benennung,  die  wohl  auf  Zunamen  des  Inhabers 
zurückgehen  kann,  vgl.  Darmesteter  o.  c.  184  Yves  gaaigne  pain; 
vgl.  auch  das  Appel.  in  frz.,  prov.  und  span.  Gagne-Pelit  (Loire,  Dp.). 
—  Auch  einmal  mit  loup:   Gagne-Loup,  ein   „quartier"   in  Gard. 

51.  Npr.  gara,  apr.  garar  (beachten,  acht  haben  auf,  cf.  gar  atz 
vostra  gonela,  Levy),  wird  von  Mistral  II  aiigenommen  im  Orts- 
namen Garovent  bei  Menton  (Alpes-Maritimes),  womit  ein  Ort  an- 
gedeutet wird,  wo  entweder  eine  Vorrichtung  gegen  die  Winde 
angebracht  ist  oder  wo  man  sich  vor  starken  Winden  hüten  mufs. 
Es   ist  ein  vereinzeltes  Beispiel  für  nprov.  Imperativ  in  Ortsnamen. 

52.  Gäter,  apr.  gastar,  welches  sonst  in  den  als  Appellativa 
dienenden  Imperativbildungen  sehr  häufig  ist  (cf.  Mistral  II,  34), 
kommt  in  Ortsnamen  nur  in  einigen  Beispielen  vor:  Gasie-Bourse 
(Dordogne  Dt.),  wo  eine  humoristische  Benennung  der  verschwende- 
rischen Bevölkerung  klar  vorliegt;  Gdte-Bourse  (Charente,  Charente- 
Inf.,  Indre- et -Loire,  Vicnne  Dp.);  Gadebled  (Calvados  Dt.),  ferme 
a.  1877  geschrieben  Gäteble;  vgl,  den  ital.  Familiennamen  Gastavino 
in  Monumenta,  auch  npr.  =  qui  gäte  le  vin,  sobriquet  des  pressu- 
reurs  de  vendange,  Mistral  II,  34. 

53.  Giovare  läfst  sich  in  einer  Verbindung  belegen,  die  als 
Ortsname  zweimal  in  Italien  vorkommt:  Giovagalio,  Dorf  in  Luni- 
giana  (Tiraboschi,  Diz.  degU  stati  estensi,  I,  83)  und  in  Toscana 
Giovagallo  oder  Zovagallo,  dessen  Burg  schon  1032  erwähnt  ist; 
Repetti  II,  461. 

54.  Kpr.  gouta,  apr.  gotar,  vn.  =  couler  goUtte  ä  goutte, 
degoutter  erscheint  in  einem  Ortsnamen  des  Dcp.  Haute-Garonne: 
Goutteveriiisse  npr.  Goiäo-vtrnisso  Mistral  II,  77. 

55.  Grassar:  in  einem  venezianischen  Talnamen  Grassabö 
(Olivieri  112),  wodurch  metaphorisch  gute  Weide  bezeichnet  wird; 
cf.   Changefhge. 

56.  Gratter,  it.  grattare,  prov.  cat.  gratar,  in  Verbindung 
mit  Tiernamen  ist  meist  in  Frankreich  verbreitet;  aus  Italien  nur  ein 
Beispiel:  Grattacavallo  im  Venetischen  (Olivieri  iii).  Von  den 
Tieren  ist  natürlich  der  Wolf  und  die  Wölfin  am  häufigsten  ver- 
treten: G.ratteioup  (=  lieu  hante  par  les  loups  nach  Mistral)  eine 
Gemeinde,  eine  Bergspitze  in  Var  Col  de  Gratelotip,  drei  Dörfer  in 


24 

Savoien  Dt.,    wofür  der  älteste  Beleg  a.  1266  de  Gratalupo;    dann 
in  Dep.  Allier  und  Loir-et-Cher  als  Name  eines  Baches.    S.  Joanne 
III,  1615.      Aus   Mistral   II,  8g    noch    Graieloup    (Lot-et-Garonne); 
auch    als  Familienname  im  Süden  bekannt.     Dazu  wird  wohl  noch 
Graiteloiir    (Cotes-du-Nord,   Joanne   1.  c.)    gehören.      Houz6    zieht 
hierher  noch  Lotigrafle,  wozu  urkundliche  Belege  nötig  wären.     In 
Cantal  Dt.  heifst  noch  ein   „ecart"    Gratte-Loup,  ebenso  ein  „ecart" 
in  Nievre  Dt,    belegt    so    im    15.  Jh.     Nach  Dp.    ist   es   noch    an- 
zutreffen in  Cötes-du-Nord,  Loiret,  Seine-et-Marne  und  Tarn.    Auch 
Katalonien  liefert  ein  Beispiel:    Graiallops,   lugar,  Prov.  Tarragona, 
Del  Castillo  11,  236.  —   Grateloiihe  (Charente  Dp.),   Grateloupe  (Deux- 
Sevres  Dt.)    sind   wohl   nicht   zu   trennen.     Andere  Tiere   kommen 
seltner  vor:   Gratte-Chien  (Indre-et-Loire  Dp.,  Nievre  Dt.),  Les  Graite- 
Chiens,    ein   „ecart"    in  Haute-Marne  Dt.     Aus  IMistral  II,  89  führe 
ich    noch    an:    Gralo-Cats,    Name    eines    „quartier"     bei    Vendres 
(Herault),  aus  Dp.  öraZ/ij-C/za/ (Charente);   Grate-L3re,   Graie-Galine, 
Grate-Perdrix ,    Grate-Saume  (=  prov.  sauma  =  anesse)  und  merk- 
würdigerweise   Grate- Rane,    alle    fünf    aus   Perigord.      Dazu    noch 
Grattavache  in  Kanton  Freiburg  (eleve  du  betail,  culture  fourragere, 
Dict.  topogr.    de    la  Suisse,    II,  367).    —    Auch    andere  Appellativa 
finden  sich:   Gratte-Sac  zweimal  als  Name  einer  Mühle  in  Mayenne 
Dt.,    das    eine   schon    im   10.  Jh.    belegt  Molendinum    quod    dicitur 
Gratta-Saccum  989.     Diese    humoristische  Benennung    einer  Mühle 
ist    leicht    begreiflich.       Sogar    Bezeichnungen    von    Körperteilen: 
Baronie    de    Graite-Cuisse    in    Mayenne    Dt.;     Graiecavihe    (Lot-et- 
Garonne  Mistral   II,  89),    belegt   Gratacamba,    wo    cambe  auf   prov. 
camba  =  jambe    zurückgeht;    Grattepanche    in  Nord  Dp.,    wo  panche 
(pic.)  =  panse;    Grattedos,    eine    Mühle    in    Haute -IMarne    Dt.,    das 
letztere  auch  als  Appellativum  gebräuchlich:  gra'.ie-dos  s.  m.  „Rücken- 
kratzer".    Vereinzelt    kommen    noch    vor:    Gratte-Champ,    Wald  in 
Haute-Loire  Dt.  (vgl.  Grata  la  sero  =  egratigner  la  terre,  l'effleurer 
seulement,  lui  donner  un  labour  trop  leger,  d'Hombres,  Dict.  lang.); 
Gratte-Saule  in  demselben  Dep.,  wo  saule  a.  1467  sola  geschrieben 
ist,  also  mit  saule  nichts  zu  tun  hat,  sondern  =  Fufssohle,  zu  ver- 
gleichen mit  Tatlkpied,   Tirepied;    Gratte-Haye ,   „ecart"   in  INIayenne 
Dt.;    in  Aisne    Dt.   Gratttpierre    (fabrique    de    socs    de   charrue);    in 
Cantal  Dt.    und    Haute-Loire    Dt.    Graite-Paille,    eine    INIühle,    das 
letztere  auch  als  Zuname  belegt,  s.  Jaikemin  Graite-Paille  (13.  Jh.) 
bei  Darmesteter  o.  c.  183,  auch  als  Appellativum  gratie-paille  sf.  = 
Braunellen -Fluevogel,    Xi.\>x.  grato-paie,   grato-palhc    s.    und    adj.  = 
moineau,   pierrot;    bruant  jaune,    en    Rouergue,    s.  Mistral  a.  a.  O. 
Grattelard,    Gemeinde  in  Loiret,   ist  wohl  als  Spitzname  zu  fassen, 
vgl.  npr.  grato-lard  s.  m.  =  gargolier,  mauvais  cuisinier  bei  Mistral 
a.  a.  O.     In    diese  Gruppe   gehören    noch   der  Name  eines  Waldes 
in  Haute-Marne  Dt.   Grattepelle,  in  Seine-Inferieure  Grattenoix  (nach 
Dp.  -nois  geschrieben);  in  Indre-et-Loire  Dp.  Gratte-Bec,   Gratacasolo, 
casale  in  der  Prov.  Bergamo,   Fabi,  vgl.  gratacasola  sf.  =  grattugia 
bei  Bologuini-Patuzzi,  Pic.  diz.  veronese. 


25 

57-  Guardare,  obwohl  allen  romanischen  Sprachen  eigen 
und  in  Appellativen  überaus  zahlreich  zur  Verbalkomposition  ver- 
wendet, ist  in  gröfserem  Umfange  zur  Komposition  in  Ortsnamen 
nur  im  Italienischen  und  Französischen  herangezogen.  —  Guardahiate 
heifst  ein  Dorf  in  der  Lombardei.  Schon  die  bei  Amati  IV,  370 
gegebene  Beschreibung  seiner  Lage:  E  un  villaggio  che  giace  in 
mezzo  a  risaie  e  ubertosi  prati,  läfst  schliefsen,  dafs  es  „Getreide- 
warte" ist.  /  statt  d  wird  sich  hier  wohl  wie  beim  sehr  produktiven 
Ortsnamensuffixe  -aie  (dialektisch  ä)  erklären ;  da  in  der  Lombardei 
sowohl  /  als  d  schwindet,  so  ist  -te  anstatt  -de  als  schlechte 
Toskanisierung  aufzufassen.  Sicherer  ist  der  Name  des  Dorfes 
Gtiardainiglio,  „villaggio  in  territorio  ä  biade  e  risi",  sagt  Fabi  11. 
In  Guardarotta  in  der  Lombardei  ist  im  zweiten  Bestandteile  viel- 
leicht rotla  =  Dammbruch  zu  sehen.  Klarer  sind  die  Bildungen 
wie  Giiardapasso  in  Piemont,  Garde-Chemin  (Jura  Dp.)  und  Giiarda- 
valle  („Talwarte")  in  Graubünden,  s.  Pallioppi,  Dizionari  dels  idioms 
romauntschs.  S.  340;  Toscana  Repetti  II,  558  (risiede  in  costa  sulla 
pendice  dei  poggi)  und  im  Neapolitanischen  (Amati  IV,  321  sagt 
über  das  letztere :  il  capoluogo  e  un  picolo  borgo  situato  in  una 
piccola  valle  tutta  cinta  all'  intorno  da  montagne).  Die  Entstehung 
des  Ortsnamens  in  Graubünden  ist  vollkommen  bekannt  (s.  Egli, 
Noraina  geographica,  s.  v.).  —  Klar  ist  auch  Guardasole ,  Amati 
IV,  321,  in  Piemont.  Mit  diesem  Namen  wird  eine  Siedelung  oder 
überhaupt  ein  Terrain  angedeutet,  welches  der  Sonne  ausgesetzt 
wird.  —  Nicht  hierher  gehören  dürfte  Guardahosone,  Amati  1.  c,  in 
Piemont,  da  nach  Dionizotti  o.  c.  137  im  zweiten  Bestandteile  der 
Personenname  Bosone  zu  suchen  ist,  also  grammatisch  dieselbe 
Verbindung  wie  Chäteau-Thierry;  vgl.  noch  bei  Tiraboschi  I,  S.  366, 
a.  1303  locus,  castrum  de  Guarda  manone.  —  In  Frankreich  haben 
wir  Garde-Bois  in  Haute-Savoie,  Joanne  III,  1617,  in  Nievre  Dp. 
Les  Garde-Bois,  ein  Dorf,  bei  Cassini  ohne  Artikel  genannt,  welche 
Verbindung  auch  als  Familienname  belegt  ist,  s.  Darmesteter  o.  c.  180 
und  Mistral  11,  24.  An  Pareloiip  erinnert  Gardchnp  (Seine-et-Marne, 
Joanne  1.  c.)  „Wolfswarte".  Unklar  sind  der  Name  eines  Waldes 
in  Gard  Dt.  Garde-Sceaux  und  Gardcdeuil  (Dordogne  Dt.).  Unklar 
wegen  des  zweiten  Bestandteiles  bleibt  Gardefort  (Cher,  Joanne  1.  c, 
Nievre  Dt.).  Man  weifs  vorläufig  noch  nicht,  ob  in  fort  ein  Adverb 
oder  ein  Subst.  zu  suchen  ist.  Wegen  des  mittleren  a  ist  Garda- 
mont  (Seine -et -Loire,  Joanne  III,  1615)  ungewöhnlich;  vielleicht 
*Garde  amont.  Ursprünglich  ein  Zuname  ist  wahrscheinlich  Garde- 
Ept'e  (Charente  Dp.).  Aus  Spanien  kann  ich  nur  den  alten  Namen 
von  Miramar  Guardamar  s.  Madoz  11,  S.  430  anführen;  dazu  aus 
Del  Castillo  II,  248  Guardamar,  lugar  in  der  Prov.  Valencia,  und 
Gardamar  (Villa  in  der  Prov.  Alicante).  —  Wegen  der  Form  ist 
es  nicht  ganz  sicher,  ob  man  hierher  ziehen  darf  Guastalla,  eine 
in  der  Provinz  Reggio,  mitten  in  der  fruchtbaren  Ebene  gelegene 
und  Überschwemmungen  ausgesetzte  Siedelung,  s.  die  Beschreibung 
bei  Amati  IV,  32g.     Die  Vorstadt   Pieve  di  Guastalla,    in   den  Ur- 


26 

künden  „Plebem  de  Guastalla",  ist  auch  sehr  alt.  Im  Q.  Jh.  war 
es  „una  semplice  corte",  wie  Tiraboschi,  Dizionario  degli  stati 
estensi  II,  420  sagt.  INIuratori,  Rerum  ital.  scriptores,  Tomus  V, 
Lib.  II,  cap.  17,  nota  170  erklärt  den  Namen  wie  folgt:  „est  autem 
Langobardica  vox,  sive  quod  idem  est  germanica  composita  ex 
warda,  scilicet  custodia  et  stallum,  quod  est  sedes,  et  statio.  Italice 
diceremus  Guardasito.  Nempe,  ibi  ut  conjicio,  militum  erat  statio 
et  custodia  ad  Padi  fluminibus  viam  tuendam".  Diese  geistreiche 
Erklärung  zitiert  auch  Affo  in  seiner  grofsen  Storia  della  cittä  e 
ducato  di  Guastalla  IV  Bde.  St.  14  und  nimmt  sie  als  sicher  an. 
Zugleich  erwähnt  er  eine  ähnliche  Erklärung  von  Balvi,  der  auch 
in  „stall  derivato  dello  stare,  stazione"  sieht.  Für  die  Beurteilung  des 
Terrains,  wo  die  Siedlung  gegründet  war,  ist  sehr  wichtig  die  Stelle 
in  der  Schenkungsurkunde  von  Ermengard:  cappellulam  quandam 
Sancti  Petri  nomine  constructam  in  loco  qui  dicitur  Warstaila  in 
Roncalia'^;  also  der  Ort  war  auf  einem  erst  ausgegäteten  Felde 
entstanden,  wie  „in  E.oncalia"  besagt.  Das  läfst  uns  schliefsen, 
dafs  hier  in  stalla  wohl  nicht  an  das  lat.  Wort,  welches  in  roman. 
Sprachen  nicht  fortlebt,  sondern  an  ital.  stallo,  slalla  =  Stall  zu 
denken  ist.  Es  dürfte  also  ursprünglich  eine  Hirtensiedlung  sein. 
Die  einzige  Schwierigkeit  bietet  die  formale  Seite.  Die  ältesten 
Belege  zeigen  nämlich  -/-  -e-  anstatt  a.  Codex  diplofnaticus  Longo- 
bardiae  XIII  enthält  die  Belege:  S.  316  a.  853  loco  Wardestalla 
dreimal,  ebenso  a.  864,  a.  885,  a.  902,  a.  903,  a.  904,  S,  386  a.  864 
curtem  Wardistallum  sechsmal,  ebenso  a.  865,  a.  882,  a.  901,  a.  950. 
Erst  im  10.  Jh.  erscheinen  die  Formen  mit  a:  Guardastallam  a.  917, 
a.  924,  a.  926,  a.  952.  Codex  Cremonensis  zeigt  noch  a.  1102 
S.  63  Guardistalla,  a.  im  Wardestalla  und  11 16  Warstaila  mit 
dem  Schwunde  des  e,  wie  es  im  Emilianischen  auch  üblich  ist. 
Dieselben  Belegen  wie  in  Codex  diplomaticus  Longobardiae  sehen 
wir  in  I  diplomi  di  Berengaro  I,  Fonti  XXXV  a.  888,  a.  905 
Wardistalla,  a.  903  Wardestalla,  a.  917  Guardastalla  und  a.  909 — 
915  ecclesiam  Sancti  Petri  in  Guarstalla.  Dafs  -e-  -i-  primär  sind 
und  nicht  0,  beweist  auch  der  toskanische  Ortsname  Guardistallo, 
gia  Giialdistallo,  nella  Maremma  della  Cecina  Repetti  II,  558.  In 
den  Urkunden  ist  der  jetzige  Ort  als  „castellum"  bekannt.  Amati 
n,  326  kennt  nur  die  Form  Guardistallo ,  commune  in  Toscana, 
prov.  Pisa,  circond.  di  Volterra.  Er  gibt  auch  die  Beschreibung 
der  Lage  wie  auch  Repetti  a.  a.  O.:  „II  suo  territorio  per  la 
maggior  parte  e  lasciato  a  boschi  e  a  pascoli  ...  II  capoluogo 
e  un  borgo  situato  sopra  un  poggio  selvoso."  Die  Form  Giialdi- 
stallo dürfte  wohl  volksetymologisch  entstanden  sein,  wie  auch 
Repetti  meint:  e  posto  sulle  colline  selvose  (quasi  Stallum  Gualdi). 
Hier  läfst  der  Name  wie  auch  die  Lage  auf  eine  Hirtensiedlung 
schliefsen.     Das  a   in    der  Komposition    ist   aber   vielfach    der  Ab- 


1  Kommt  sehr  oft  in  der  Toponomastik  vor :  Roncdla,  Roncdglia,  -ajette 
im  Venetischen  (Olivieri  180).  Auch  Appell,  roticdja  mail.  =  vigneti  a  ripiani; 
molti  ronch  continuati;  lunga  serie  di  vigne  in  poggio;  ro/z^-o/a  =  roncone. 


27 

Schwächung  ausgesetzt,    wie  die  Beispiele  in  M.-L.,  Ital.  Grammatik 
zeigen. 

58.  Giizzafame  kommt  in  der  Lombardei  achtmal  vor,  Amati 
IV,  34g.  Es  ist  wohl  gestattet,  im  ersten  Bestandteile  das  Zeitwort 
aguzzare  (veron.  gusär)  zu  suchen.  Wir  haben  hier  auf  dem 
ital.  Gebiete  eine  ähnliche  Ortsbenennung  wie  in  Südfrankreich 
Bramefam. 

59.  Heurter,  meist  verbunden  mit  Windnamen:  hise^  vetit. 
Die  Verbindung  dürfte  also  eine  Siedlung  bezeichnen,  welche  den 
Winden  ausgesetzt  ist.  Hurtehise  kommt  in  Aisne  Dt.  dreimal  vor, 
zweimal  als  Benennung  von  Gehöften  („ferme")  und  einmal  als 
Dorfname,  dann  noch  im  Dp.  Ardennes,  Charente,  Meuse,  Nord 
dreimal,  Seine-et-JNIarne.  Zwei  Dörfer  im  Dep.  Aisne  heifsen  in 
nfranz.  Gestalt  Fhiitehise,  eines  von  ihnen  1363  Hurtebise  belegt. 
In  demselben  Dep.  noch  ein  „fief"  Hurievent,  welches  auch  als  Zu- 
name gebräuchlich  war,  cf.  Darmesteter  o.  c.  187  Hurtevant.  Houze, 
der  diese  Verbindung  richtig  erkannt  hat,  bringt  noch  Hcw-teveiü 
(Calvados  a.  1134,  Seine-Inferieure  Dp,),  Heurtebise  (nach  Dp.  in 
Seine-et-]Marne  dreimal,  Loire-Inf.,  Marne;  Haute-Marne  und  Yonne). 
Von  Heurtebise  haben  wir  in  Mayenne  Dt.  noch  eine  Ableitung 
mittels  -ieres'.  Heurtcbizüres  bei  Joanne  III,  188 1.  Auch  diese  Ver- 
bindung kommt  im  13.  Jh.  als  Zuname  vor.  Darmesteter  o.  c. 
S.  183  zitiert  aus  einem  Livre  des  M6tiers  Raoul  Heurtebise.  Dieser 
Umstand  erschwert  uns  einigermafsen  die  Erklärung.  Doch  lassen 
diese  Verbindungen  verschiedene  Deutungen  zu.  —  Der  Wolf 
figuriert  auch  einmal:  Heurteloup  (Seine-et-Oise,  Eure  Dp.).  Dem 
Taiileville,  -bourg  entspricht  Heurteville  (Mühle,  Aisne  Dp.). 

60.  Hu  eher  als  ein  Zeitwort  der  Jägersprache  kommt  be- 
greiflicherweise nur  in  Verbindungen  mit  Tiernamen  vor.  Schon 
Houze  S.  21  hat  diese  Verbindung  richtig  interpretiert.  Dem 
Hucaloup  (Aveyron)  entspricht  Hiicheloup  (Vendee)  bei  Joanne  III,  igi. 
Houz6  a.  a.  O.  zieht  hierher  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  noch 
Hucleu  (Loire-Inferieure)  und  Heiicheloiip ,  pres  Mirecourt  (Vosges). 
In  Mayenne  Dt.  siebenmal.  Auch  Vogelnamen  sind  vertreten: 
Huchepie  (Orne,  Joannne  a.  a.  O.,  nach  Houz6  a.  a.  O.  noch  in 
Loir-et-Cher.).  Dann  dSrz.  poche  (sorte  d'oiseaux,  Godefroy):  Huche- 
poche,  auch  ein  Gehöft  in  Mayenne  Dt.  Die  Bildung  gehört  also, 
was  die  Bedeutung  anbelangt,  zu  der  grofsen  Gruppe  Chanteloup  etc. 

61.  Huer  (vgl.  in  der  Jägersprache  „huer  le  loup"  hinter 
dem  Wolfe  herschreiten)  nur  in  Verbindung  mit  loup:  Huloup,  ein 
Gehöft  in  Mayenne  Dt,  Dieselbe  Bildung  hat  schon  Houze  in 
,,la  rue  de  Hue-Leu"  1270,  jetzt  la  rue  du  Grand-Hurleur  in 
Paris,  erkannt  (cf.  auch  Gaston  Paris,  Romania  X). 

62.  Ingannare  erscheint  in  zwei  bei  Olivieri  113  erwähnten 
venezian.  Ortsnamen:  Ingannapollron  und  Ingaunainaiore,  die  beide 
ursprünglich  Spitznamen  gewesen  sein  müssen. 


28 

63.  Prov.  ivernar  =  überwintern  in  Hivemehoeuf,  ecart  in 
Haute-Loire  Dt.  Unsicher  ist  t! Hiver nehocuf,  affluent  de  la  Loire, 
da  es  a.  1626  Le  Dernebiou  hiefs.  Der  Bach  hatte  keinen  sicheren 
Namen,  wie  die  weiteren  Belege  im  Dict.  Top.  zeigen:  a.  1626 
Le  Ruisscau  des  Potences,  a.  187g  Le  Tranchard  (vgl.  Denielnou). 
So  ist  eine  Korrumpierung  von  Le  Dcnieh.  zu  L Hiverjieh.  wohl 
möglich. 

64.  Prov.  japar  =  bellen  in  zwei  Ortsnamen  des  Dep.  Haute- 
Loire  Dt.:  Jappe-Renard,  maison  isolee  und  Japretiard,  lieu-detruit. 
Vgl.  LLuelonp. 

65.  Prov.  lairar  =  bellen  in  Leyreloup,  maison  isolee  in  Haute- 
Loire  Dt.     Vgl.  Jappe-Re?iard  in  demselben  Dep. 

66.  Lavar  in  einem  für  den  Sumpf  passenden  Namen:  Lava- 
glero  palude  verso  Bagnoli,  a.  954,  geschrieben  auch  palude  de 
Lavaglaro;  Codice  diplomatico  padovano  S.  62,  Nr.  42,  LXIII. 

67.  Levar,  in  einem  alten  venez.  OrisxxdiVixen.  Leimastno  (a.  11 78, 
Olivieri   112);  vgl.  damit  Descargalasino. 

68.  Nprov.  (langd.)  lica,  aprov.  lecar  =  16cher  erscheint  in 
einem  Ortsnamen  in  Card  Dt.  Liqi/emaille,  wo  der  zweite  Bestandteil 
wohl  ?naiHc,  aprov.  mealha  neben  mezalha  =  Münze  von  geringem 
Werte  (=  1/2  denier)  Levy  ist,  wie  es  die  Belege  Hqua  mealha, 
Licca  Mealhe  nahelegen,  eine  Bezeichnung,  die  vielleicht  auf 
knickerige  Bevölkerung  schliefsen  läfst.  Dem  entspricht  in  Haute- 
Loire  Dt.  Lichemailie,  village,  a.  1393  Licha  Mealham.  In  dem- 
selben Dep.  noch  Lichesol,  ferme,  wo  sol  =  Fulsboden;  eine  Be- 
zeichnung, die  sich  als  spöttelnder  Spitzname  begreifen  läfst. 

69.  Ligare  erscheint  nur  einmal  im  Namen  Albertus  de 
Liga  musca  in  Hist.  patr.  mon.  VI,  S.  491,  a.  11 58,  wo  wegen  des 
de  an  einen  Ortsnamen  zu  denken  ist,  der  auf  einen  Spitznamen 
zurückgeht,  wie  es  der  Herausgeber  im  Index  auch  tut. 

70.  Macher  =  meurtrir,  froisser  oder  noch  besser  vielleicht 
macher  erscheint  in  Mayenne  Dt.  als  Mache/er,  ferme;  auch  hiefs 
so  ein  Wald,  welcher  jetzt  ausgerodet  ist,  erwähnt  im  14.  Jh.  Eine 
Ableitung  davon  ist  La  Macheferri^re ,  dreimal  als  Gehöft  und 
einmal  als  hameau.  Auf  die  gleiche  Art  erklären  sich  La  Mache- 
pinilre  von  *Machepin  und  La  Machelottihe  von  *]Machelot;  für 
das  letztere  wird  allerdings  noch  geschrieben  La — noiticre  und  Les 
Machinottilres^  wodurch  die  Etymologie  zweifelhaft  erscheint.  Alle 
diese  Namen  wären  Spitznamen. 

71.  Nprov.  maia,  aprov.  malhar  =  hämmern  (Levy),  marteler, 
battre  (Raynouard)  erscheint  in  einem  Flufsnamen  in  VarZ^  Mayepan, 
rivicre  qui  passe  ä  Cuers,  nprov.  l\laio-pan  sm.  bei  Mistral  II,  250. 
Da  im  Nprov.  zwei  gleichlautende  Zeitwörter  mit  verschiedener  Be- 
deutung   bestehen,    so    ist   sowohl    der    erste   als    auch    der   zweite 


29 

Bestandteil  unklar.  Vielleicht  haben  wir  im  ersten  zu  sehen  nprov. 
maia,  malha  Mistral  II,  24S  =  fouler  les  draps,  fendre  du  bois, 
manger,  en  parlant  des  animaux,  welches  auf  *malleare  von  malleus, 
cf.  Körting  5845,  zurückgeht  und  im  zweiten  panem.  Die  Bildung 
dürfte  demnach  metaphorisch  einen  Flufs  bezeichnen,  welcher  durch 
Überschwemmungen  auf  den  Feldern  grofsen  Schaden  anrichtet. 
Maillebois  (Eure-et-Loir  Dp.)  und  Le  Maillehourg  (Haute-Saone  Dp.) 
vgl.  mit  Tatllebourg.  Mit  Maillebois  vgl.  W.  Massabois  a.  1217  in 
Cartulaire  de  Marseille.  Vgl.  den  südfrz.  Personennamen  Malhabiau 
=  qui  assomme  les  boeufs  bei  Mistral  II,  249. 

72.  Mancare  ist  nur  auf  dem  ital.  Gebiete  anzutreffen.  Die 
Verbindungen  sind  in  Bezug  auf  die  Bedeutung  mit  Bramefan  zu 
vergleichen.  Mancalacqua  im  Venetischen,  begreiflich  durch  die 
Lage  (su  di  un  torrente),  Olivieri  113;  Mimcalavita  (mit  der  dia- 
lektischen Nebenform  JMangalaviid)  im  Napoletanischen,  Mmicapane 
(Olivieri  113)  in  Emilia  und  der  Lombardei,  Mancasale  in  Emilia, 
und  zuletzt  Mancaiutto  in  der  Lombardei.  Vgl.  in  Frankreich 
Touiyfaut,  zweimal  als  hameau  und  viermal  als  lieu-dit  in  Dordogne 
Dt.     Beispiele  aus  Amati  IV,  867  ff, 

73.  Manducare  ist  meist  in  Italien  vertreten,  Amati  IV,  831, 
Als  zweiter  Bestandteil  erscheinen  meistens  Tiernamen.  Magna- 
cavallo  mit  der  Nebenform  Magnocavallo ,  wo  das  befremdende  0 
volksetymologisch  vielleicht  durch  Angleichung  an  das  Adj.  magno 
entstanden  ist,  in  der  Lombardei,  gelegen  in  einem  sumpfigen  Ge- 
biete auf  dem  rechten  Po-Ufer.  Magnavacca  in  Emilia,  hier  auch  ein 
Porto  di  Mag7iavacca ,  ein  Kanal,  welcher  die  Lagune  von  Comachio 
mit  dem  adriatischen  Meere  verbindet;  derselbe  Ortsname  noch 
einmal  in  den  Marche  und  im  Venetischen,  hier  auch  Magnavacche 
(Olivieri  1 1 2).  Diese  Ortsnamen  deuten  wohl  sumpfige  Terrains 
an,  wo  Pferde,  Kühe  zugrunde  gehen.  Dasselbe  ist  der  Fall  in 
Mangiabarche^  ein  Felsenriff  bei  Sardinien,  weil  dort  viele  Schiff- 
brüche vorgekommen  sind.  Vgl.  den  Namen  eines  Berges  im 
Venez.  Magnahoschi  (Olivieri  112).  Auf  gleiche  Weise  könnte  man 
Mangialupo,  Fabi  12,  S.  2go,  in  der  Lombardei  auffassen,  obwohl 
natürlich  auch  die  eigentliche  Bedeutung  von  mangiare  nicht  aus- 
geschlossen wäre.  —  Es  kommen  Beispiele  vor,  wo  mangiare  nur 
in  eigentlichem  Sinne  zu  nehmen  ist :  Magnalardo  in  Umbrien,  dem 
entspricht  Mangialardo  in  Sizilien,  vgl.  manjo-lard  sm.  mangeur  de 
lard  bei  Mistral  II,  269.  Aus  der  französischen  Toponomastik  ist 
der  Name  eines  „quartier"  vom  Arsenal  in  Toulon  „oü  il  y  a 
beaucoup  de  rats"  anzuführen  Alanjo-gärri,  was  auch  als  Spitzname 
der  Einwohner  von  Eyragues  (Bouches-du-Rhone)  bei  Mistral  a.  a.  O. 
gebräuchlich  ist.  Magnagudgni  (=  guadagni)  im  Venez.  (Olivieri  112) 
und  Majige-Profit  (Landes  Dp.)  sind  ursprünglich  Personen-  resp. 
Spitznamen.  Unklar  ist  der  Name  eines  Felsens  unter  der  Festung 
von  Saint-Jean  bei  Marseille  Mangevin,  npr.  Alanjo-vin,  Mistral  II,  269. 
Die  Verbindung    mit    den    verschiedenartigsten    Objekten    ist    eine 


30 

recht  ausgiebige  Quelle  humoristischer  Spitznamen  für  die  Insassen 
eines  Ortes.  Mistral  11,  268 — 26g  bietet  mehr  als  siebzig  derartige 
Beispiele  aus  allen  Gauen  Südfrankreichs.  Viele  von  diesen  sind 
grotesk  und  derb,  wie  Manjo-lesert  (Spitzname  von  Lastours),  Manjo- 
nrtigo  (Artigues,  Aude),  Manjo-sahlo  (Cannes,  Alpes -Maritimes), 
JManjo-agasso  (Beaulieu  und  Jacon,  Herault),  Manjo-fango  (Gruissan, 
Aude,  dont  le  pays  est  marecageux)  etc.  Auch  als  Zuname  war 
es  im  alten  Frankreich  gebräuchlich :  Grimaldus  Mangemusche 
(12.  Jh.),  Hugo  comedens  rusticum  (10.  Jh.),  Gerardus  Mangechievre 
(13.  Jh.)  bei  Darmesteter  o.  c.  S.  181. 

74.  Nprov.  marca  =  taller  oder  bourgeonner,  Mistral  II,  273, 
oder  aprov.  marcar  =  zertreten,  niedertreten,  Levy,  in  einem  Orts- 
namen in  Haute-Garonne:  Marquefave,  npr.  Marco-favo.  Vielleicht 
liegt  die  zweite  Bedeutung  vor  in  Marqucbielle  (Landes),  vgl.  Massa- 
hielle  und  TourneviUe\  in  Mivqiiehoeuf  (Eure  Dt.)  und  Marqueglise 
(Oise  Dt.)  dagegen  die  gewöhnliche. 

75.  Sehr  beliebt  ist  sp.  prov.  matar  in  Verbindung  mit  Tier- 
namen und  Ausdrücken  für  Menschen.  Matabestias,  eine  Meierei, 
ein  Landgut  (granja)  in  der  Prov.  Ciudad  Real.  Matalobos,  welches 
bekanntlich  auch  als  Appellativum  dient,  ist  in  Sj>anien  dreimal  an- 
zutreffen, als  Dorf  und  Pfarre  in  Pontevedra,  als  Ort  (lugar)  in  Leon 
und  Palencia.  Matapuercas  heifst  ein  Bach  in  der  Prov.  Cordoba 
(vgl.  maiapuerco  sm.).  Vielleicht  kann  Maiapoi-quera,^  ein  Ort  (lugar) 
in  der  Prov.  Santander  für  eine  Ableitung  von  maiapuerca  (cf.  Heurte- 
hizüres  von  Heurtehise)  gelten.  —  Matarrana,  Flufs,  welcher  in  den 
Ebro  einmündet,  Del  Castillo  II,  274.  Matazorras,  ein  Bach  in  der 
Prov.  Logrono.  Matamoros,  eine  Ortschaft  in  der  Prov.  Badajoz,  kann 
auf  geschichtliche  Ereignisse  zurückgehen,  vgl.  auch  matamoros  sm. 
=  Eisenfresser.  Maiahijos  in  der  Prov.  Salamanca  in  gebirgiger 
Gegend  erinnert  an  ital.  Scannamadre  und  Matalavilla  (lugar  im 
Ayuntamiento  Palacios  del  Sil,  Del  Castillo  IV,  499)  an  Massahielle. 
Sehr  charakteristisch  für  Spanien  ist  natürlich  Matajudios  (vgl.  Mala- 
judaica,  lugar  im  Ayuntamiento  Casavells),  zwei  Bäche  in  den 
Provinzen  Segovia  und  Burgos,  vgl.  viatajiidio  sm.  =  Meeräsche. 
Alle  diese  Beispiele  sind  Madoz  XI,  292  entnommen.  Hierzu 
dürften  noch  gehören  Matasanos,  zwei  Bäche  in  den  Provinzen 
Sevilla  und  Badajoz  und  ein  Landgut  (cortijo)  in  Badajoz,  vgl.  auch 
jnatasanos  sm.  Quacksalber,  Afterarzt;  Maiaviejas-  in  der  Prov. Burgos; 
Matavenero  (die  Bedeutung?),  ein  Ort  (lugar)  in  Leon.  —  Aus 
Frankreich  sind  mir  bekannt  Matafelon,  ein  Berg  in  Savoien  Dt. 
(belegt  auch  Montafelon,  Monthafaloii)  und  Mateflon  (Maine-et-Loire), 
womit   man    auch   Hugo   de   Matafelone    bei  Darmesteter  o.  c.  181 


^  Porquera  =  Sauloch  ist  auch  Ortsname,  s.  Del  Castillo  IV,  511. 

*  Ein  Bach  desselben  Namens  ergiefst  sich  in  den  Arlanzon,  erwähnt  zum 
ersten  Male  1487,  früher  a.  919  Ura,  s.  F6rotin,  Recueil  des  Chartas  de  l'abbaye 
de  Silos,  S.  i,  Note  2. 


31 

vergleichen  möge,  Matdbiau,  eine  Strafse  und  Vorstadt  in  Toulouse, 
INIistral  IV,  297,  Maio-Pesou,  Mato-Pesouls  (oü  Ton  tue  des  poux), 
nom  d'un  quartier  de  Narbonne  habit^  autrefois  par  les  juifs  bei 
INIistral  II,  297  und  das  unklare  Mateguerre,  nom  d'une  tour  de 
l'ancienne  enceinte  de  Perigueux,  Mistral  II,  297.  Dafs  die  Bildung 
zur  Feudalzeit  beliebt  war,  zeigt  auch  der  Umstand,  dafs  Richard 
Löwenherz  eine  Festung,  die  er  bei  Messina  gegen  die  Griechen 
erbaute,  Matte-Griffon  benannte,  D.  Bouquet  XVIII,  509  bei  Darme- 
steter  o.  c.  S.  181,  Fufsnote  28. 

76.  *Matteare  ist  in  Italien  und  Südfrankreich  recht  zahl- 
reich vertreten.  Als  zweiter  Bestandteil  erscheinen  ausschliefslich 
Tiernamen.  Mazza  ho  in  der  Lombardei,  im  Venetischen  als  Ort 
und  Berg  (Olivieri  112),  Mazzacavallo,^  auch  im  Venetischen 
(Olivieri  112);  Mazzalupo  in  Emilia,  Ligurien  und  in  Rom,  dazu 
noch  eine  Ableitung  Mazzalnpetto  in  Rom,  wo  man  natürlich  nicht 
weifs,  ob  die  Ableitung  von  lupo  allein  oder  von  Mazzalupo  ge- 
bildet wurde,  Mazzalovo  und  Mazzagatta  (cf.  mazzagatto),  beides 
im  Venet.  (Olivieri  112).  Die  Verbindung  war  auch  als  Familien- 
name gebräuchlich:  in  Codice  diplomatico  padovano  wird  a.  1027 
N.  118  ein  gewisser  Johannes  Mazzalovo  erwähnt;  auch  in  Süd- 
frankreich Masseloup,  Massaloup  bei  Mistral  a.  a.  O.  Die  anderen 
Beispiele,  in  denen  mazza  erscheint,  der  zweite  Bestandteil  aber 
unsicher  ist,  führe  ich  nicht  an;  ich  verweise  nur  auf  Amati  IV,  99g  ff. 
Diesen  Ortsnamen  entspricht  in  Frankreich  Mussehiau  (Aveyron), 
MassehcEuf^  Var  Dp.  (Alpes -Maritimes)  bei  Joanne,  ein  Bach  in 
Hautes-AlpGS  Dt.  Massebaeu/',  dazu  noch  Massebeau  in  Cantal  Dt. 
volksetymologisch  aus  Massabou  13 15,  Massabef  1491,  Massabeuf 
15.  Jh.  entstanden,  vgl.  lautlich  Barbadeati  (Dordogne),  Barbadeu 
bei  Mistral  I,  222  =  barbadieu,  barbo-ä-dieu  =  priere  superstitieuse 
dont  le  sens  est  impertinent  et  irapie.  Hierher  noch  Massevaques 
(Lozere  Dp.),  Massabrac  in  Haute-Garonne  bei  Mistral  II,  291,  wo 
prov.  brac  sm.  =  braque,  chien  couchant,  brache;  Masselebre  (Puy- 
de-Döme  Dp.),  dann  der  Name  des  bekannten  Felsens  bei  Lourdes 
Massabielle  =  qui  assomme  la  ville  nach  der  Übersetzung  Mistrals; 
der  zweite  Bestandteil  ist  gase,  hieb  (viele)  >  villa.  Im  Dep.  Charente 
Dp.  entspricht  dem  Masseville.  Zu  vergleichen  ist  also  die  Bildung 
mit  Taillebourg.  Es  ist  nicht  klar,  wie  man  den  zweiten  Bestandteil 
auffassen  soll  in  Massegros  (Lozere)  npr.  Masso-gros  Mistral  II,  292, 
cf.  Chajitegros,  wo  gros  vermutlich  =  gruau.  Dagegen  liegt  gallus 
klar  vor  in  Massejail,    Berg  in  Haute-Loire  Dt.,  a.  1495.  —  gailh. 


1  Vgl.  mantov.  mazzacavall  =  cipero,  cunzia,  erba  padulina,  .?iunco  quad- 
rellato  o  quadrello  etc.,  Cherubini,  Vocab.  mantovano,  Milano  1S27  und  mai- 
länd.  mazzacavaj  ==  coppacavaj  =  Strapazzator  di  cavalli,  chi  alTatica  i  cavalli 
senza  discrezione,  Cherubini,  Diz.  milan. 

*  Bei  Sauvages,  Dict.  languedocicn:  masso-bioou;  als  app.  und  Personen- 
name, ancien  nom  des  bouchers  pour  la  viande  de  boeuf.  Daselbst  klagt  er 
über  die  Sucht  der  Notare,  die  languedocischen  Namen  zu  französieren.  Zitiert 
auch  bei  D'Hombres  et  Charvet,  Dict.  languedoc,  S.  474. 


2>2 

77.  Menare  kommt  in  zwei  mir  bekannten  Beispielen  vor: 
Menabö  in  der  Prov.  Alessandria  bei  Amati  V,  31  und  Menahue, 
ein  „casale"  in  der  Prov.  Cremona  bei  Fabi  S.  301.  Vgl.  mennabo 
raail.  =  guida,  traccia;  frz.  guideäne,  Cherubini. 

78.  Dem  Westromanischen  ist  gemein  die  Zusammensetzung 
mirarei  als  erstes  Kompositionsglied: 

a)  mira  +  adj.  bellum,  hinzuzudenken  hat  man  wohl  locum, 
da  es  sich  meist  um  Namen  besiedelter  Orte  handelt.  Diese  Zu- 
sammensetzung übersetzt  Mistral  II,  343  =  belvedere^;  auch  Joanne 
IV,  2686,  wie  auch  schon  der  alte  Sauvages,  Dict.  languedocien, 
Nismes  1785,  II,  S.  83  s.  v.  Mirabel  =  Beauregard  und  I,  79  s.  v. 
Belveze,  betrachtet  sie  als  gleichbedeutend  mit  vielen  Ortsnamen: 
Bellevue,  Belvedere,  Beauvoir,  Beauregard?  Vgl,  noch  das  Appella- 
tivum  viirahelle  sf.,  nprov.  mirahUo  (=  sorte  de  prune  ronde,  jaune 
et  sucree,  D'PIombres,  Dict.  lang.  487),  sp.  mirabela.  Die  gleich- 
lautenden Personennamen  dürften  wohl  ursprünglich  Ortsnamen  ge- 
wesen sein.  Nach  Mistrals  Angabe  a.  a.  O.  lautet  das  fem.  von  ihnen 
Mirahello,  woraus  eben  ersichtlich  wird,  dafs  der  zweite  Bestandteil 
als  Adj.  aufzufassen  ist.  —  Die  auf  diesen  Typus  zurückgehenden 
Ortsnamen  sind  durch  ganz  Frankreich  zerstreut.  Mirabel  findet 
sich  in  Gard  Dt.,  hier  als  castrum  de  Mirabel  1237  erwähnt. 
Mirabel  in  Dröme  Dt.  besitzt  Ruinen  einer  alten  Burg  aus  dem 
13.  Jh.,  liegt  auf  einem  Hügel,  der  das  Tal  von  Eygues  beherrscht. 
In  demselben  Dep.  noch  Les  Mirabeaux,  was  vielleicht  auf  eine 
Siedelung  hinweist,  deren  Einwohner  Mirabeau  hiefsen.  Dordogne 
Dt.  hat  vier  Mirabel,  deren  ältester  Beleg  aus  1322  stammt.  Im 
Cartulaire  de  Conques  wird  ein  Ort  in  der  Gemeinde  Enguiales 
mit  Namen  Deodat  de  Mirabel  belegt.  Im  Specilegium  brivatense 
ist  la  vina  de  Mirabel  oder  Mirabeil  Beleg  für  jetziges  Mirabel,  in 
Haute-Loire  Dt.,  jetzt  ein  zerstörter  Ort,  latinisiert  983  Villa  quae 
vulg.  Mirabilia  nuncupatur,  ebenso  1082  Vineae  de  Meravila.  Das 
letztgenannte  Dep,  besitzt  noch  eine  Burgruine  und  einen  Berg 
desselben  Namens.  Mirabel  ist  weiter  einmal  anzutreffen  in  dem 
Allier-Dp.,  Ard^che  zweimal,  Aveyron,  Tarn  dreimal,  Tarn-et-Garonne 
zweimal  und  ebenso  in  Cantal  Dt.  Sonst  lautet  die  Form  auf  dem 
südfranzösischen  Gebiete  Mirabeau.  Nach  Dp.  ist  es  vorhanden  in 
AUier,  Basses -Alpes,  Puy-de-Döme,  Haute -Vienne  und  Vaucluse 
(daher  stammt  der  Name  des  berühmten  Redners  Gabriel -Honor6 
de  Riquetti,  comte  de  Mirabeau).  Auf  dem  südostfranzösischen 
Gebiete,    wo    mirare    in    die   erste    Konjugation,    Abart   A    gehört, 


^  Davon  bekanntlich  prov.  mirdnda  sf.  donjon,  belveder  (Raynouard), 
welches  als  Ortsname  weit  verbreitet  ist. 

*  Ebenso  wird  die  Bildung  in  den  Urkunden  aufgefafst.  Im  Cartulaire 
de  Marseille  finden  wir  für  Notre-Dame-de-Belair  (ermitage,  c^e  Murs,  Vau- 
cluse) folgende  Belege:  de  Belveder  (a.  1055),  de  Pulchro  Visu  (a.  1059)  und 
de  Mirahello  (a.  I135),  alles  Übersetzungen  eines  und  desselben  Begrifl"es. 

*  Nach  Olivieri   142  =  „luogo  che  guarda  bene",  aprico. 


33 

finden  wir  die  Entsprechung  Mirihel  in  Ain  zweimal,!  Loire,  Isere 
(hier  wird  Äliribel-et-P Enchdtre  in  CoUection  des  documents  dau- 
phinois  8  als  cappella  de  Älirabel  belegt,  also  ein  Beweis,  dafs 
7niri  als  Imperativ  von  den  Schreibern,  die  vielleicht  keine  Südost- 
franzosen waren,  gefühlt  wurde).  Desgleichen  hiefs  Miribel-les- 
Echelles  (Isere)  noch  138 1  Mirabel  im  Specilegium  brivatense. 
Ebenso  wird  Miribel  (Dröme  Dt.,  c"*^  Parnans)  1164  als  Mirabel 
belegt,  1442  castrum  Mirabelli;  Mirabel  in  demselben  Dep.,  c"^ 
Noyons,  dagegen  132 1  castrum  de  Miribello.  Savoie  bietet  drei 
Flurnamen  namens  Miribel  und  Pic  de  Miribel.  Bei  Marion  liest 
man  schon  1107  Castrum  Miribellum  Im  Miribel-les-Echelles  (Isere); 
bei  Chevalier  für  ein  anderes  Miribel  in  Isere  ii73(?)  Bernardus 
de  Miribello  und  Humbertus  de  Mirebello.  Aus  der  Schweiz  notiere 
ich  nur  den  Namen  einer  Alpe:  Alpe  de  Meribe,  neben  Col  de 
Meribe  (Kanton  Valais)  im  Dictionnaire  de  la  Suisse  III,  301,  wo 
der  Ortsname  auch  richtig  gedeutet  wird.  —  Im  Zentralfranzösischen 
lautet  die  Form  naturgemäfs  Mirebemi  (Vienne),  dieses  schon  zu 
Karolinger  Zeit  belegt,  s.  Longnon,  Atlas,  Text  S.  igo  und  Dt.; 
aus  den  Belegen  geht  hervor,  dafs  so  ein  castrum,  castellum  hiefs; 
in  Allier  zweimal  und  Cöte-d'Or.  Mayenne  Dt.  hat  Mirebeau  als 
Namen  eines  Waldes  und  eines  „ecarts".  Die  Orthographie  läfst 
manchmal  den  Mittelvokal  ausfallen:  Mirbaidt  (Nievre  Dt.),  belegt 
1575  Mirebeaux;  Mirbeau  in  demselben  D(^p.,  womit  man  den  Zu- 
namen des  bekannten  Romanciers  Octave  Mirbeau  vergleiche.  Nord- 
frankreich zeigt  in  einigen  Gegenden  die  Erhaltung  des  -i:  Mirebel 
in  Jura,  Calvados  Dt.  zweimal  und  Seine-et-Oise;  dazu  noch  Mirbel 
in  Haute -Marne,  belegt  1233  Mirabel.  —  Die  Formen  mit  ein- 
geschobenem m  vor  Labial  deuten  auf  den  Umstand  hin,  dafs  das 
Gefühl  für  die  Zusammensetzung  schon  in  den  alten  Zeiten  ver- 
loren ging.  Mirambeau  ist  vorhanden  in  Charente,  Charente-Inferieure 
zweimal,  Haute-Garonne  und  Deux-Sevres  Dt.  (hier  belegt  1472 
Le  Puy  Mirembeau);  Mirambel  in  Correze.  Der  Ortsname  in 
Charente-Inferieure  erscheint  in  Cartulaire  de  Savigny  et  Ainay 
belegt  noch  ohne  m:  a.  1097  Pontius  de  Mirabello,  desgleichen 
a.  1 107.  Sogar  erscheinen  daselbst  einige  Belege  in  südostfrz. 
Form:  a.  11 24  in  loco  qui  Miribel  dicitur,  a.  iioi  Vuido  de  Miri- 
bello (im  Lesartenverzeichnis  Mirabello).  Röles  gascons  I  Index 
kennen  für  diesen  Ortsnamen  noch  a.  1242  die  Formen  ohne  m: 
Castrum  de  IMirabello,  jNIirebel;  Cartulaire  de  Saintonge  Mirebellum 
für  jetziges  Mirambeau -l'Artaud,  ar.  de  Jonzac.  Also  steht  der 
Zusammenhang  dieser  Ortsnamen  mit  den  obenbesprochenen  aufser 
jedem  Zweifel  fest.  Allerdings  kann  man  in  m  auch  in  sehen,  also 
gewissermafsen  *Mira  in  bellum,  vgl.  Pissincanna. 

Die  Beschreibung   der   geographischen    Lage   von    den   vielen 


*  Die  Belege  für  diesen  Ortsnamen  aus  dem  Anfang  des  I4.  Jh.  s.  jetzt 
bei  Paul  Meyer,  Doc.  ling.  du  Midi  de  la  France,  S.  86  ff.,  D^p.  Ain,  bearbeitet 
von  Ed.  Philipon. 

Beiheft  zur  Zcitschr.  f,  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift.)  -i 


34 

hier  angeführten  Orten  bei  Joanne  IV,  26S6  lehrt,  dafs  sich  diese 
Ortsnamen  meist  auf  Siedlungen  in  erhöhter  Lage  mit  schöner 
Aussicht  beziehen.  Die  Urkunden  sichern  uns  das  Vorhandensein 
von  castra,  castella  und  heute  noch  sieht  man  bei  vielen  Orten 
dieses  Namens  Ruinen  von  alten  Burgen.  Also  ist  es  eine  Orts- 
namenbildung, die  weit  in  das  feudale  Zeitalter  hineinreicht. 

Italien  zeigt  Mirahello  in  vielen  Provinzen,  wie  in  Alessandria, 
Mailand,  Cremona,  Como,  Lodi  (s.  Fabi  S.  128),  Pavia  und  Turin, 
also  in  der  Lombardei  und  Piemont,  dann  in  Ferrara,  Molise, 
Toscana  (s.  Pieri,  Toponomastica  della  Val-di-Serchio  S.  120,  s.  v. 
bellu)  und  im  Venez.,  wo  es  einen  Berg  bezeichnet  (Olivieri  142). 
Die  alten  Belege  sind  mir  leider  nicht  zugänglich,  aber  auch  hier 
dürfte  die  Ortsnamenbildung  sehr  alt  sein.  Ich  notiere  nur  aus 
Historiae  patriae  monumenta  I.  Mirabelio  a.  1124  locus  bei  Asti, 
in  derselben  Urkundensammlung  Bd.  VI,  S.  89  a.  1003  Mirabelio, 
locus  et  castrum.  Interessant  ist  die  Tatsache,  dafs  wir  in  Itaüen 
sehr  oft  den  zweiten  Bestandteil  in  der  Femininform  antreffen,  wo 
man  also  villa  hinzudenken  mufs.  Mirahella  in  den  Provinzen  von 
Mailand,  Novara,  Brescia,  Como,  Neapel,  im  Principato  Ulteriore, 
in  Sizilien  bei  Catania.  Die  Erklärung  Amati's  s.  v.  Mirabella- 
Eclano  Bd.  V,  151:  il  nuovo  paese  assunse  la  nuova  denominazione 
di  Mirabella  dal  suo  castello,  il  quäle  sembra  sia  stato  chiamato 
Mirabella  dal  re  Ruggero,  probabilmente  a  riguardo  degli  strepitori 
fatti  d'armi  che  nei  tempi  andati  avevano  luogo  in  esso  e  nelle 
sue  vicinanze,  ist  wohl  nicht  ernst  zu  nehmen.  In  Frankreich  sind 
derlei  Formen  selten:  in  Eure-et-Loire  Fonlame  Mirebelle,  erwähnt 
1470,  was  aber  anders  geartet  ist  als  Mirabella  in  Italien;  dann 
ein  kleiner  Flufs  (rivierette)  in  Puy-de-D6me  Alirebelle  oder  Riviere 
de  Gerzat  s.  Joanne  a.  a.  O.,  welcher  an  der  Burg  Mirabel  vorbei- 
fliefst,  „d'oü  sans  doute  son  nom",  bemerkt  Joanne.  In  diesen 
zwei  Fällen  kann  man  den  Einflufs  der  Substantive  fontaine  und 
riviere  annehmen.  Dazu  noch  Mirabelle,  maison  isolee  (Haute-Loire 
Dt).  Ein  einziges  Mirabella  ist  in  Spanien  anzutreffen,  Madoz  XI, 
S.  427:  antiguo  castillo  arruinado  en  la  provincia  de  Logrono. 
Ebenfalls  ganz  vereinzelt,  durch  seine  Bildung  interessant,  ist  der 
toskanische  Ortsname  Miralbello  bei  Repetti  III,  S.  220  in  Val-di- 
Sieve,  erwähnt  schon  1306,  in  alten  Zeiten  auch  ein  befestigter 
Ort,     Im  mittleren  /  ist  wie  in  Crevalcuore  der  Artikel  zu  sehen. 

Auf  der  iberischen  Halbinsel  scheint  der  Ortsname  nicht  be- 
sonders verbreitet  zu  sein.  Bei  Del  Castillo  II,  658  haben  wir  in 
der  Provinz  Cäceres  Mirabel  (estä  situado  en  terreno  que  participe 
de  monte  y  Ilano,  libre  al  embate  de  todos  los  vientos).  Auch 
mit  dem  bei  den  südfrz.  Ortsnamen  erwähnten  Einschub-m:  MiraJtibel 
II,  660  in  der  Prov.  Terruel,  dessen  Lage  dieselbe  ist  wie  die  von 
Mirabel  (Madoz  sagt:  en  un  pequeiio  Uano  al  pie  della  cordillera). 
Ferotin,  Chartes  de  l'abbaye  de  Silos  hat  noch.  Mirambel  qw  Kragon 
(a.  1434).  Auf  dem  catalanischen  Gebiete  (Prov.  Barcelona)  finden 
wir  zwei  Dörfer  (aldea),  namens  MirambelL 


b)  Mira  -j-  mare,  nach  Mistrals  Übersetzung:  d'oü  l'on  voit 
la  mer.  Auch  diese  Verbindung  ist  dem  Westromanischen  eigen. 
Die  Belege  sind  allerdings  nicht  so  zahlreich  wie  für  Mirabellum. 
Die  Orte  dieses  Namens  liegen  selbstredend  an  der  Meeresküste 
und  zwar  an  der  mittelländischen :  Miramare  bei  Triest.  Ungewöhn- 
licher als  dieser  Ortsname  sind  zwei  südfranzösische  Formen : 
Miramas  (Bouches-du-Rhöne),  belegt  im  Cartulaire  de  Marseille 
Miramaris  und  Ugo  de  Miramare  a.  12 14,  carte  998.  S.  Be- 
schreibung der  Lage  bei  Joanne  a.  a.  O.  Bei  Mistral  II,  344  lautet 
die  Form  Mirama.  Dafs  -s  kein  nur  orthographischer  Schnörkel 
sei,  beweist  die  Ableitung  Mira7nassen,  enco  =  habitant  de  Miramas. 
Dasselbe  -s  zeigen  noch  Notre-Davie-de-Milamas  (Var)  und  Saint- 
Pierre-de-Miramas ,  pres  Sainte-Maxime  (Var).  Der  erste  Ortsname 
ist  in  demselben  Cartulaire  belegt  a.  1035  mons  de  Miramars  (c.  592), 
roca  de  Miramars  (c.  592,  a.  1035).  Andere  gleichartige  Belege 
aus  dem  11.  und  12.  Jh.  bietet  für  diesen  Ortsnamen  Moris,  Cartu- 
laire de  Lerins.  In  diesem  Beispiele  sieht  man  das  bekannte  Dissi- 
milationsgesetz r  —  r  >  / — r.  Für  -rs  >  s  vgl.  Miirs  (Vaucluse), 
w^x.  Mus  bei  Mistral  II,  388  und  Mus  (Card)  a.  1060  Murs,  11 65 
de  Muris.  Das  -j  wird  sich  wohl  wie  bei  Cantalops  erklären;  es 
ist  eine  spätere  Hinzufügung,  um  den  Nominativ  des  Ortsnamens 
anzudeuten.  —  Katalonien  hat  zwei  Miramar  in  den  Provinzen 
Valencia  (hier  nahe  dem  oben  erwähnten  GuarJamar)  und  Taragona. 

c)  Mira  -|-  montem  ist  auf  Südwestfrankreich  beschränkt,  wo 
es  auch  nach  Mistrals  Angaben  als  Personenname  vorkommt,  im 
Fem.  MiravioiindOy  Miramoiindeto.  Das  d  erklärt  sich  wahrscheinlich 
durch  den  Einflufs  von  adj.  mounde,  moundo  =  net,  nette,  pur, 
welches  auch  als  Familienname  in  Südfrankreich  bekannt  ist,  s. 
Mistral  11,  361  s.  v.  Mond.  —  Auch  diese  Komposition  bezieht  sich 
auf  die  Namen  besiedelter  Orte.  Wie  schon  der  Name  selbst  an- 
deutet, befinden  sich  fast  alle  diese  Siedelungen  auf  einer  Anhöhe, 
s.  Joanne  IV,  2687.  Miramon  kommt  zweimal  vor  in  Basses- 
Pyrenees  Dt.,  belegt  a.  1385  IMiremon;  in  Cantal  Dt.  als  Le  Puy 
de  Älira?7Wfi.  Die  Form  Miramont  ist  häufig;  nach  Dp.  und 
Joanne  in  Ariege,  Gers,  Lot-et-Garonne  je  zweimal;  in  Tarn-et- 
Garonne,  Haute-Loire  Dt.,  Haute-Garonne  und  Landes  je  einmal; 
Miremont  je  einmal  in  Haute-Garonne,  Puy-de-Dome,  Deux-Sevres 
und  Cantal  Dt.  Dordogne  Dt.  hat  Miramont  und  Miremont  zwei- 
mal, das  letztere  belegt  einmal  a.  1273  als  castrum  de  Miromonte. 
Solche  Latinisierung  kommt  auch  in  Spicilegium  brivatense  vor  im 
Namen  Amelius  de  Miromonte  a.  1250  — 1263,  was  sich  vielleicht 
z\x{  Miremont  in  Puy-de-Döme  bezieht;  desgleichen  in  Röles  gascons 
U,  407  a.  1289  für  Mirattiont  in  Lot-et-Garonne  lesen  wir  de  Miro 
Monte,  worauf  sich  vielleicht  auch  folgende  Belege  beziehen:  II,  291 
a.  1289  Miro  Monte  und  II,  396  a.  1289  et  bajulo  suo  Miri  Montis. 
Gleich  lauten  ferner  die  Belege  für  Miramont-Sensacq  (Landes) 
Augerius  de  Miro  Monte  II,  295  a.  1289.  Man  sieht  also,  dafs 
die  latinisierenden  mittelalterlichen  Schreiber  im  ersten  Bestandteile 

3* 


36 

adj.  niirus,  a  um  sehen  wollten.  Dordogne  Dl.  zeigt  Miramoni  und 
Mircmont  mit  dem  Artikel  le,  was  sehr  befremdet.  Analoges  auch 
bei  Miraval. 

d)  Mira  +  piscem  ist  auch  nur  regional  verbreitet,  in  Südwest- 
frankreich und  Katalonien.  Basses-Pyrenees  Dt.  hat  zwei  Mirepeix, 
von  denen  eines  a.  1181  als  Rlirapes,  im  13.  Jh.  Mirapiscis,  a.  1684 
aber  merkwürdigerweise  Mirepoix  belegt  ist.  Mirepeix  ist  ferner  in 
Landes  anzutreffen,  belegt  im  Cartulaire  de  Sorde  Mirepeis  und 
Mire-Peis.  Ebenso  heifst  eine  Insel  im  Adour.  Auch  ein  Deminutiv 
ist  davon  vorhanden:  Mirepeissd  (Aude).  Dieselben  Belege  wie 
der  Ortsname  in  Basses-Pyr6nees  Dt.  zeigen  auch  moderne  Mirepoix. 
Wir  haben  eine  kleine  Gegend  dieses  Namens  in  Languedoc,  eine 
Stadt  in  Ariege,  zwei  Ortschaften  in  Haute-Garonne  und  Gers, 
s.  Joanne  IV,  2690.  An  einen  lautHchen  Übergang  von  ei  >>  oi 
ist  natürlich  nicht  zu  denken  (vgl.  Gilli^ron,  Atlas  c.  T052  peytÄ), 
eher  dafs  man  den  zweiten  Bestandteil  als  pei,  poi  Plural  von 
podium  auffafste;  vgl.  auch  die  falsche  Übersetzung  Mistrals:  d'oü 
i'on  voit  les  puys.  —  Wie  Mistral  II,  344  zeigt,  lauten  die  Mire- 
/)öz>- Ortsnamen  in  der  mundartlichen  Aussprache  MirapUs  und 
Mirapech,  was  sich  mit  der  Gestalt  des  Appellativums  in  diesen 
Gegenden  genau  deckt.  Die  alten  Belege  für  Mirepoix  in  Haute- 
Garonne:  Mirapeis  in  Cartulaire  de  Conques  bestätigen  das.  Vgl. 
auch  das  Sprichwort  in  B6arn  bei  Mistral  a.  a.  O.  Mirapich  tninyo 
pech.  —  Die  geographische  Beschreibung  von  diesen  Orten  bei 
Joanne  I.  2690  lehrt  uns,  dafs  es  sich  um  Siedelungen  an  Flüssen 
und  Bächen  handelt.  Sie  stellen  uns  eine  Fischzucht  treibende 
Bevölkerung  vor  Augen.  —  In  Katalonien  (Provinz  Lerida)  ein 
Dorf  (aldea)  Miralpeix  bei  Del  Castillo  IV  S.  500,  wo  im  mittleren 
/  wiederum  der  Artikel  zu  sehen  ist.  Vgl.  die  Beschreibung  bei 
Madoz  XI,  S.  429:  estä  situado  ä  la  märgen  izquierda  del  rio 
Segre  en  una  pequena  ribera  fertihzada  por  los  aguas  del  mismo 
rio  que  corre  entre  dos  cordilleras  de  montes. 

e)  Mira  -|-  vallem  (Mistral's  Übersetzung:  d'oü  Ton  voit  la 
vallee)  oder  valles  ist  hauptsächlich  auf  Südfrankreich  und  Spanien 
beschränkt:  Miraval  (Basses- Alpes,  s.  Mistral,  Var,  Aude),  Mireval 
(Herault,  belegt  a.  11 12  Miraval,  Aude,  Ariege).  Diesen  Namen 
erhalten  Siedelungen  im  Tal  oder  auf  einem  Platze,  der  das  Tal 
beherrscht.  Miravail,  zweimal  in  Basses-Alpes,  gehört  wahrscheinlich 
auch  hierher;  dazu  der  Name  einer  Quelle  in  Vaucluse  bei  La 
Mothe-d'Aigues  La  foiit  de  Miravai,  Mistral  II,  344.  Fürs  Laut- 
liche vgl.  Le  Riail  in  Dröme,  Bach,  welche  Form  wohl  mit  le  Rial, 
npr.  Riau,  afr.  riau  «<  *rivale  von  rivus  zusammenhängt.  Die 
Bildung  kommt  einmal  merkwürdigerweise  mit  dem  Artikel  vor: 
Le  Miraval  (Lozere).  —  Spanien  hat  Miravalles  in  den  Provinzen 
Viscaya  (sit.  en  terr.  llano  y  margen  izquierda  del  rio  Nervion, 
Del  Castillo  II,  668.     Pico  de  este  nombre  ibid.)  und  Oviedo,^  bei 


^  Belegt  a.  980:  prope  riba  maris  Ozeani  in  villa  quam  uocitant  Miraualles 
locum  predictum  Samellas  latus  flumen  Soloria,  Documentos  de  Sahagun  Nr.  720. 


ZI 

Madoz  noch  MiravaJes  in  der  Prov,  Lugo  und  Miravall  dreimal  in 
der  Prov.  Lerida.  —  Die  nordfranzösischen  Beispiele  sind  unsicher. 
Mureau  (Vosges)  sollte  nach  Gallia  christiana  XIII,  1157  Miravallis 
sein.  Doch  ist  der  Schwund  des  v  merkwürdig.  Für  Mirvaux 
(Seine-et-Marne,  Somme)  fehlen  mir  urkundliche  Belege. 

f)  Aufser  diesen  auf  einem  kleineren  oder  gröfseren  Gebiete 
verbreiteten  Zusammensetzungen  kommen  noch  sporadische  vor. 
So  in  Cantal  Dt.  Mirecomhe,  a.  1473  Mansus  de  Miracumba;  in 
Vienne  Mirevachi,  ein  Dorf  (hameau)  und  in  Seine-Inferieure  Mit-- 
ville  (s.  die  Beschreibung  bei  Joanne  IV,  2687),  was  an  die  Schreibung 
Mirbeau  gemahnt.  Dazu  noch  der  Name  einer  Strafse  in  Castres: 
Miro-Damo  {o\x  l'on  voit  les  dames),  Mistral  II,  344.  Mirecourt 
(Vosges,  s.  die  Beschreibung  bei  Joanne  IV,  2688),  welches  auf 
Mercurii  curtis  (s.  Sachs -Villate  s.  v.)  zurückgeht,  verdankt  das  :' 
im  Anfangsgliede  mire  gegenüber  mercredi  wohl  dem  volksetymo- 
logischen Einflüsse  dieses  Zeitwortes.  —  Spanien  bietet  auch 
solch  vereinzelte  Bildungen,  wie  Mh-alcauip  (lugar,  Prov.  Lerida), 
Miralrio  (villa,  Prov.  Guadalajara,  dessen  „suelo,  banado  por  el 
rio  Henares"),  beides  aus  Del  Castillo  II,  659.  Den  letzten  Orts- 
namen schreibt  INIadoz  XI,  42S  Mi?-a  el  rio  Er  hat  noch  zwei 
Miralcampo  als  granja  und  cas  (Prov.  Albacete  und  Guadalajara). 
Hierher  dürfte  noch  gehören  Miralcazar  ebenda,  wo  man  im  zweiten 
Bestandteile  alcazar  =  Festung,  festes  Schlofs  erblicken  darf.  Schwer 
ist  Miragenil  zu  deuten.  Man  könnte  im  zweiten  Bestandteile  henil 
=  Heuboden  sehen  oder  wie  im  Puenie-Geyiil,  zu  dem  Miragenil 
auch  gehört  (Madoz  XIII,  273),  den  Flufs  Genil.  Vereinzelt  ist 
Mirafue7Ües  villa  (Spanien,   Prov.  Navarra). 

g)  Nur  in  Spanien  ist  adj.  bonus  als  zweiter  Bestandteil  an- 
zutreffen: Mirahueno  und  Mirabuenos,  das  erste  villa  in  der  Prov. 
Guadalajara,  Del  Castillo  II,  658  und  „cortijo",  das  zweite  ein  cas, 
beides  in  der  Prov.  Jaen,  Madoz  XI,  427.  Vgl.  noch  Mirabofiell 
(Valencia),  wo  der  zweite  Bestandteil  auf  einen  Eigennamen  zurück- 
gehen kann,  wie  es  in  Mirabozon  (hameau  in  Savoien  Dt.)  der 
Fall  ist;  dann  ist  aber  auch  möglich,  dafs  der  erste  Teil  eben  ein 
Subst.  ist. 

h)  In  Spanien  scheint  dagegen  mehr  verbreitet  zu  sein  Mira- 
flores.  Madoz  a.  a.  O.  verzeichnet  zehn  solche  Ortsnamen,  einmal 
auch  Miraflor  (Alicante,  Del  Castillo  II,  658).  Italien  kennt  Mira- 
fiori  als  frazione  del  commune,  castello  und  casale  in  der  Provinz 
Torino;  Frankreich  nur  ein  Mircflcurs  in  Puy-de-Döme.  Vgl.  Mira- 
rosa lugar  in  der  Prov.  Alicante. 

i)  Auf  Italien  und  Spanien  ist  beschränkt  Mira  -|-  solem:  Mira- 
sole in  den  Provinzen  Novara,  Mailand,  Como  und  Mantua;  Mirasol 


Diccionario  geogr.  S.  659  sagt  allerdings:  Villa  situada  en  Asturias,  en  la  prov. 
de  Oviedo,  partido  jud.  de  la  Pola  de  Labiana,  que  probablemente  tomö 
nombre  del  .arroyo  de  Miravalles.  Miravalles  (S.  Esteban),  parroquia,  ay.  Villa- 
viciosä  (Prov.  Cordoba)  Del  Castillo  IV,  500. 


38 

in  der  span.  Prov.  Huesca  Madoz  XI,  437.  Allerdings  kann  man 
darunter  sowohl  den  Namen  der  Pflanze  (Helianthus  annuus)  als 
auch  die  Benennung  eines  der  Sonne  ausgesetzten  Ortes  verstehen. 
Hierüber  mufs  uns  natürlich  die  lokale  Betrachtung  belehren. 

j)  Adverbia  sind  vertreten  nur  in  einem  einzigen  Falle:  Pieve 
di  Miransu  (Toscana),  bei  Repetti  III,  220.  Seine  geographische 
Lage  (E  posto  sulla  foce  di  due  poggi  che  scendono  costä  verso 
l'Arno;  esistono  tuttora  pochi  ruderi  a  fior  di  terra  dei  fondamenti 
della  torre  o  castelletto)  erlaubt  uns  im  zweiten  Bestandteile  insu 
zu  sehen. 

k)  Als  einen  substantivierten  Infinitiv  und  nicht  als  Verbum 
wird  man  wohl  auffassen  dürfen  den  zweiten  Bestandteil  in  Mira- 
vhe,  pres  la  Cadiere  (Var),  welches  schon  Mistral  II,  344  in  mira  -f- 
vese,  veire  richtig  zergliedert  hat.  Den  zweiten  Bestandteil  vgl. 
mit  den  recht  zahlreichen  Belveyre  (Correze),  Belves  (Dordogne, 
Gironde,  Cantal),  Belveze  (Aude,  Tarn-et-Garonne),  Belheze  (Haute- 
Garonne,  Tarn-et-Garonne),  Beanvezer  (Basses-Alpes,  Dröme),  Bel- 
veze (Gard,  Aveyron,  Lozere,  Cantal),  Bethczer  in  Gascogne  und 
unzählige  Beauvoi?-  und  in  Italien  Belvedere. 

79.  Monter  in  einer  im  Dp.  Ain  Dt.  neunmal  vertretenen 
Verbindung:  Montaplan,  „Steige  auf  die  Ebene",  haraeau.  In  Haute- 
Loire  Dt.  heifsen  einige  schon  a.  1306  erwähnte  Felsen  Denis  de 
Monlaboule  „Bringe  die  Kugel  hinauf". 

80.  Montrer  in  Monlrebceuf,  ferme,  Mayenne  Dt.  Vgl.  Marqiie- 
boeuf. 

81.  Mouiller  in  Verbindung  mit  pied:  Mouille-Pied,  zweimal 
in  Charente-Inferieure.  Einen  Teich  Etang  de  MoiUepied  bietet 
Nievre,  erwähnt  schon  1559.  Ebenso  heifst  ein  Felsen.  „Cette 
röche  permet  d'apprdcier  la  montee  de  l'eau  dans  les  etiers  du 
Marais  breton",  sagt  Joanne  I.  —  Also  will  man  offenbar  durch 
diese  Benennung  den  Ort  bezeichnen,  den  man  durchs  Waten 
erreichen  mufs  (oder  welcher  im  kotigen  Terrain  liegt).  In  derlei 
Terrainverhältnissen  liegende  Siedlungen  dürften  bezeichnen  Molha- 
sola  (..]\Iache  die  Fufssohle  nafs"),  zerstörte  Örtlichkeit  in  Haute- 
Loire  Dt.,  a.  13 10  Mansus  de  — ,  La  7I/ö/ä-&«/(?  (Doubs  Dp.)  und 
Moinlle-Savate,  Dorf  in  Calvados  Dt.  Zur  ersten  Verbindung  gehört 
vielleicht  noch  Molissole  {Ain  Dt.),  welche  aber  bei  Paul  Meyer, 
Doc.  ling.  du  Midi  S.  45  wegen  der  Belege  INIaillisola,  Maillisolan 
auf  *macula  solam  zurückgeführt  wird.  Schwer  zu  beurteilen  ist 
gleichfalls  MoHesoulaz,  Dorf  und  Bach  in  Savoien  Dt.  -z  ist  nur 
orthographisches  Beiwerk,  da  hier  bekanntlich  -a  bleibt,  wie  es  auch 
der  Beleg  a.  1738  Mollie-Solla  zeigt.  Nachdem  aber  die  mund- 
artliche Form  Marchcida  lautet,  so  kann  man  nicht  mit  Sicherheit 
behaupten,  dafs  es  hierher  gehört.  —  Mit  Taillebourg  vgl.  Mouille' 
villers  (Doubs  Dt).      Mouilleferts  (c"^   Chäteau-Chinon.t  Nievre,  bei 


1  Dp.  schreibt  Mouillefer,  cne  Chatcau-Chinon,  Champagne. 


39 

Joanne  s.  v.)  und  Moillefier,  fief  de  la  cbätellaine  de  Montreuillon, 
erwähnt  1638,  ebenfalls  in  Nievre  Dt.,  gehören  wahrscheinlich  zu- 
sammen; doch  ist  mir  der  zweite  Bestandteil  unklar. 

82.  Prov.  negar  =  noyer,  submerger,  etre  submerge,  cf.  aprov. 
nega-barnatge  =  der  Ritterlichkeit  zu  Grunde  richtet  (Levy)  ist  nur 
in  Südfrankreich  anzutreiTen,  verbunden  mit  allerlei  Tiernamen. 
N^gue-Sauim  heifst  ein  quartier  in  Gard,  belegt  1380  Negua-Sauma. 
Ebenso  ein  Flurname  in  Dordogne,  belegt  schon  1535  und  nach 
Mistral  ein  altes  Tor  von  Beziers.  Hierher  dürfte  wahrscheinlich 
gehören  Les  Negacals,  ein  kleiner  Bach  in  H6rault,  belegt  11 66 
Neguacatos,  1751  Neguecats,  bei  Mistrals  II,  401  Le  Negacats.  Der 
Ochs  darf  natürlich  auch  nicht  fehlen:  Negahio,  ein  Dorf  in  Dor- 
dogne Dt  und  N^gii^-Biou,  pres  les  Saintes-Maries  de  la  Mer  bei 
Mistral  II,  401.  Vgl.  in  Nordfrankreich  Tuhceuf  und  in  Spanien 
Matalohos.  Auch  die  Kuh :  Negue-  Vaqiies,  pres  Montagnac  (Herault). 
Die  Hündin  aprov.  gossa  =  N^go-Gousses,  Name  einer  alten  Strafse 
in  Toulouse,  Mistral  II,  401.  An  ital.  Scannamadrc  erinnert  in  Süd- 
frankreich Nigo-danos  (prov.  negua-donas,  oü  les  dames  se  noient), 
Name  einer  Strafse  in  Albi,  durch  welche  einst  ein  Bach  flofs;  dann 
Neguevieille,  ein  Bach  in  Tarn-et-Garonne,  beides  aus  Mistral  II,  401. 
Niguebourg  (Gers  Dep.)  vgl.  mit   Taillebotirg. 

83.  Prov.  panar  (afr.  paner  =  saisir)  =-.  enlever,  gascogn.  auch 
recueülir,  moissonner  in  Glossaire  des  mots  etc.,  Bordeaux  1873, 
voler,  erscheint  einmal  im  Namen  einer  kleinen  Gasse  in  Albi:  La 
vouto  de  Pdiio-Deuies  (=  qui  vole  ou  qui  essuie  les  dettes,  nach 
Mistral  11,471),  wo  der  Name  auf  einen  Personennamen  zurück- 
gehen kann.  Verständlicher  sind  dagegen  der  Name  eines  „quartier" 
der  Gemeinde  Saintes-Maries-de-la-Mer  Panapeys,  nprov.  Pano-plis, 
Pannessac  (Deux-Sevres  Dp.,  Haute-Loire  Dt.  a.  1745  Panassac) 
Panassac  (Dordogne  Dt.  Gers  Dp.),^  wahrscheinlich  auch  humo- 
ristische Benennungen  der  Einwohner,  denen  man  einmal  vor- 
geworfen haben  mag,  sie  hätten  Fische  bezw.  Säcke  gestohlen.  In 
Panneloiip  (Charente  Dp.)  und  Panloup  (Jura  Dp.)  steckt  wahrscheinlich 
die  Bedeutung  paner  ==  saisir.  Panneville  (Seine-Inferieure  zweimal 
Dp.)  vgl.  mit   Tailleboxirg. 

84.  P arare,  so  zahleich  in  Appellativen  aller  westromanischen 
Sprachen,  ist  in  Ortsnamen  hauptsächlich  auf  Oberitalien  und  Süd- 
frankreich beschränkt.  Parovmto  im  Venetischen  (Rovere  di  Velo, 
Oüvieri  1 13)  und  in  der  Prov.  Modena,  Amati  V,  31,  dürfte  natürlich 
dasselbe  sein  wie  das  Appellativum;  in  Haute-Loire  "Di.  La  Paravcnt, 
village,  1561  La  Parevent.  —  In  Parasacco,  welches  in  Oberitalien 
viermal  vorkommt,  Amati  1.  c,  wird  man  wiederum  eine  humoristische 
Bezeichnung  der  Bevölkerung,  die  fremdes  Eigentum  unsicher  macht, 
erblicken  dürfen.    Dazu  noch  sacco  in  pl.  Parasacchi  (presso  Polesine 


1  Meine  frühere  Ableitung  vom  Pflan/.ennamen /««atr^'a,  s.  Beihefte  II,  214, 
ist  wohl  unrichtig. 


40 

Parmense)  in  Codex  dipl.  Cremonae  I,  204.  Zu  diesen  italienischen 
Pd}\7sacco  stelle  ich  nun  auch  vier  Parassac  in  Hautes-Alpes  Dt., 
zwei  „6carts",  ein  „quartier"  und  eine  „ferme",  gegen  meine  frühere 
Meinung,  vgl.  „Die  mit  den  Suffixen  -äcum  etc.  gebildeten  südfrz. 
Ortsnamen"  S.  195.  574.  Dafs  Parassac  wirklich  hierher  gehört, 
beweist  nun  die  nprov.  Form  Parosac  (c"^  Gap)  (dreimal  a.  1545)  in 
einem  Kataster  von  Gap,  abgedruckt  bei  F.  Meyer,  Doc.  linguistiques, 
S.  462  f.  Vgl.  auch  Parassat  (Isere  Dp.).  Vgl.  dazu  die  Ausdrucks- 
weisen ä  paro-lou-coufin,  ä  paro-sa  =  ä  profusion;  recoin,  coin  bei 
jNIistral  II,  484.  —  Paravino  „Weinschutz"  zweimal  in  der  Prov. 
Como,  Amati  1.  c;  in  derselben  Provinz  noch  Paravicino  „schütze 
den  Nachbar"  bei  Fabi;  in  Historiae  patriae  monumenta  VII,  596 
a.  962  Paragallo,  locus  in  comitatu  Vintimilli.  Alle  drei  enthalten 
irgend  welche  lokale  Anspielungen,  die  man  natürlich  heute  schwer 
ergründen  kann.  Ebenso  Parabispo,  zwei  Orte  in  der  span. 
Provinz  Coruna.  —  Mehr  verbreitet  und,  wie  es  scheint,  in  all- 
gemeinerer Verwendung  ist  Para  +  lupus  „Wolfschutz"  oder  nach 
Mistral:  lieu  oü  il  faut  se  garder  contre  les  loups.i  Paralupo  in 
den  ital.  Prov.  Cuneo  und  Pavia,  Amati  1.  c. ;  zwei  Pareloup  in 
Gard  Dt.,  beidemale  als  Benennungen  von  „quartier".  Allerdings 
finden  sich  daneben  noch  andere  Namen:  Pareloup  sive  Porte- 
Caciere  1468,  Puech  du  Pela-Loba  1503,  Pareloup  ou  Chemin 
d'AIais  167 1.  Paraloiip  „quartier"  in  Hautes-Alpes  Dt.,  schon 
1100  belegt  Paralupum.  Mistral  11,484  hat  noch  einige:  Pareloup 
bei  Nimes  (Gard)  und  ParaJoup  bei  Salon  (Bouches- du -Rhone), 
belegt  in  Cartulaire  de  Marseille  (c.  428)  a.  1035  in  loco  quem 
nominant  Para  Lupus;  dazu  noch  NosiG-Damo-de-Paro-Loiip,  eine 
Kapelle  im  Friedhofe  von  Mazan  (Vaucluse),  welcher  einst  von 
Wölfen  bedroht  war.  Vgl.  damit  den  Personennamen  Paralupus 
bei  Darmesteter  1.  c.  S.  149  Fufsnote  7.  —  Ebenso  scheint  Para  -\- 
collos  „Halswehr,  -schütz"  in  allgemeinerer  Verwendung  zu  stehen; 
es  deutet  vielleicht  auf  gefährlich  gelegene  Orte  hin.  Spanien  hat  zwei 
Paracuellos  in  den  Provinzen  Cuenca  (sit.  en  terr.  de  alguna  elevacion) 
und  Zaragoza;  (P.  de  Jiloca,  sit.  en  terr.  algun  tanto  accidentado, 
beide  Angaben  aus  Del  Castillo  III,  229);  Paracuelles  (lugar  in  der 
Prov.  Santander).  Der  Ort  in  Cuenca  befindet  sich  „en  la  cima  de 
un  cerro",  derjenige  in  Zaragoza  (bei  Del  Castillo  genannt  P.  de  la 
Ribera)  „situado  ä  la  izquierda  del  rio  Jalon".  Dieser  spanischen 
Bildung  entspricht  in  Frankreich  „versus  abyssum  Paracol"  a.  1480, 
s.  Tranchee  de  Castel-Real  in  Dordogne  Dt.;  Paracoh  bei  Correns 
(Var),  nprov.  Paracdii,  in  Urkunden  Paracollis  bei  Mistral  II,  477  und 
Saint-Jean  de  Paracol  (Aude  Dp.).  Hierher  gehört  vielleicht  auch 
Loii  Paragdu,  nom  d'un  quartier  ou  d'une  place  de  Frontignan 
(Herault)    und    mit    dem  Schwunde    des  -a-    (über  a  '^  e):    Parcoul 


^  Vgl.  in  Bezug  auf  die  Bedeutung  in  Languedoc:  paro-mousco  =  une 
6mouchette  dont  on  couvre  un  cheval  en  voyage,  pour  le  d^fendre  des  mouches; 
paro-fio  =  garde-feu. 


41 

(Dordogne),  belegt  Parcol,  Paracol,  in  Urkunden  Paracolla,  ebenfalls 
bei  Mistral  II,  47g.  Damit  vgl.  wiederum  den  Zunamen  Rainaldus 
Paracols  bei  Darmesteter  I.e.  S.  181  (11.  Jh.).  In  Spanien  noch: 
Paralacuesta  bei  Merindad,  ,.villa"  de  Cuesta-Urcä,  Del  Castillo 
IV,  508. 

85.  Span,  papar,  zahlreich  in  Appellativkomposition  z.  B. 
popahiievos ,  papamoscas  etc.,  kommt  in  zwei  spanischen  Beispielen 
vor:  Papatrigo,  „lugar"  in  der  Prov.  Avila,  wodurch  wahrscheinlich 
die  Bewohner,  welche  von  Weizen  leben,  bezeichnet  werden  (cf.  bei 
Del  Castillo  III:  El  suelo  destinado  a  cultivo,  es  de  mediana 
calidad  y  sus  productos  consisten  en  cereales,  legumbres,  hortalizas, 
frutos  y  pastos).  Sehr  humoristisch  ist  die  Bezeichnung  eines 
Baches  in  der  Prov.  Cadiz:  Papa-Rakmes.  Beides  aus  Madoz  XII,  676. 
Auch  in  Italien:  Papafava  im  Venetischen  (Olivieri  112).  Vgl. 
prov.  Spitznamen  mit  dem  ersten  Bestandteile  manjar,  Nr.  73. 

86.  Pascere  in  zwei  Beispielen:  Pascehipo  in  Umbrien,  Ort 
und  Wildbach  (torrentello)  in  der  Nähe.  Die  Benennung,  eine 
humoristische  Metapher,  wird  begreiflich  durch  die  Lage  des  Ortes 
in  gebirgiger  Gegend;  „abbonda  di  pascoli  e  specialraente  di 
ghiande,  etc."  Amati  V,  985.  Vgl.  Molendinura  di  Paismouche 
(12.  Jh.)  bei  Darmesteter  1.  c.  149.  Dazu  Passigatto  (Legnago,  im 
Venezianischen,  Olivieri   112),  ursprünglich  wohl  ein  Spitzname. 

87.  Passare  zeigt  viele  Verbindungen,  namentlich  in  Frank- 
reich und  Italien.  Als  Appellativum  und  als  Personenname  ist  im 
Afr.,  Nfr.  und  Prov.  gebräuchlich  Passavatit  (die  Bedeutungen  s.  bei 
Godefroy  und  Sachs- Villatte):  s.  bei  Darmesteter  1.  c.  182  Gaufredus 
Passavant  12.  Jh.,  S.  184  Jaques  passe  avant.  Als  Orts-  und  Flufs- 
name  ist  es  ziemlich  häufig.  Bei  Passavant  in  Doubs  und  Maine- 
et-Loire  stehen  Burgruinen.  Im  letztgenannten  Dep.  heilst  so  auch 
eine  „nappe  d'eau".  Ein  Ru  de  Passavant  durchfliefst  in  Vosges 
Passava7it-la- Roche re ,  woher  nach  Annahme  Joannes  V,  342g  auch 
der  Name  des  Baches.  Dieser  Bach  teilt  Passavant- la-Rochere  in 
zwei  „quartiers",  von  denen  der  eine  zu  Lothringen,  der  andere 
zur  Champagne  gehörte.  Beide  hatten  ihre  festen  Burgen.  Joanne 
a.  a.  O.  meint  nun,  dafs  sein  Name  von  passe  avant  =  Passierschein 
herrühre,  weil  beide  „quartiers"  ihre  Zollämter  hatten.  Diese  An- 
nahme wird  wegen  der  Verbreitung  des  Namens  kaum  richtig  sein. 
In  Haute-Saöne  heifst  ein  Wald  Passarant.  Passar^ant  (Marne)  „ä  la 
lisiere  de  la  grande  foret".  A.  1242  baute  dort  Herzog  Thibaut  IV. 
von  Champagne  eine  weit  und  breit  gefürchtete  Burg,  s.  Joanne 
a.  a.  O.  Denselben  Namen  trägt  eine  zerstörte  Mühle  in  Haute- 
Marne  Dt.  Dem  Passavant  entspricht  Passcnatis  (Jura);  dafs  im 
zweiten  Bestandteile  ejta^it  =  vorwärts  vorliegt,  wird  angeblich  durch 
urkundliche  Belege  bestätigt.  Dazu  pafst  Pasanant,  lugar  in  der 
Prov.  Tarragona  (sit.  en  terr.  que  participa  de  monte  y  llano), 
Del  Castillo  III,  237.  —  Diese  Bildung  scheint  also  gewählt  für 
Siedelungen  auf  einem  irgendwie  gefährlichen  Platze,    wo  ein  Ver- 


42 

bleiben  nicht  ratsam  war.  Vgl.  Passe-Vite,  maison  isolee  und  ccart 
in  Haute-Loire  Dt.  Die  anderen  Verbindungen  wiederum  bezeichnen 
Siedeiungen  am  Flusse  etc.,  den  man  passieren  muls,  um  sie  zu 
erreichen:  so  Passerouey  (Dröme),  „quartier",  belegt  a.  1460  als 
Passa  Key.  Der  Beleg  aus  1665  "La  Rybeyre  ou  Passe-Roey" 
beweist,  dafs  sich  der  Ort  am  Ufer  eines  Wasserlaufes  befand. 
Püssen'etfx  (Lot-et-Garonne  Dp.).  In  Italien  Passalacqua  zweimal 
in  der  Lombardei,  Amati  V,  31.  Dazu  gehören  noch  Passemontet 
(Saone-et-Loire),  wo  montet  =  kleiner  Berg;  Passapoiite  in  der  Prov. 
Florenz;  Passefons  in  Cantal  Dt.,  wo  fons  anderen  Ortsnamen  Föns 
(lat.  fontes,  fontaine)  in  Ardeche,  Gard  und  Lot,  Mistral  II,  1151 
entspricht;  Passavia  in  der  Prov.  Bologna  entspricht  dem  frz.  Passa- 
vant (veron.  pasär  via  =  oltrepassare,  passare  avanti),  das  ich 
in  Italien  in  einem  Personennamen  belegen  kann:  Enrigiiino  de 
poenzol  et  passauante  a.  1207  in  Hist.  patr.  monumenta  VII,  S.  551, 
geschrieben  im  Texte  fälschlich  Passamante  locus.  —  Auch  das 
Appell.  Passat cmpo  haben  wir  als  Ortsnamen  dreimal  in  Italien;  in 
Frankreich  mit  dem  Artikel  Le  Passdemps  (Eure  zweimal,  Nord).  — 
Von  Tiernamen  kommen  der  Wolf,  Hase  und  Esel  je  einmal  vor: 
Passdoup  (Rhone,  Joanne  V,  3430).  Passcühre,  ferme  in  Haute- 
Loire  Dt.  und  in  Italien  Passaseno  bei  Oliveri  S.  112.  Passamosche 
im  Venet.  (Olivieri  a.  a.  O.)  kann  auch  als  „pasci  mosche"  auf- 
gefafst  werden.  —  Damit  vgl.  französische  Familiennamen  Passelac, 
Passemard  (vgl.  Moulm-Passemard,  Haute-Loire,  Passemard,  a.  1328 
Passamer  in  Dröme),  worin  mar  =  Meer  zu  stecken  scheint,  Passe- 
naud  etc.  bei  Mistral  II,  494.  —  Passe-Bise,  zerstörte  Örtlichkeit  in 
Haute-Loire  Dt.,  erinnert  an  Heurte-Bise. 

88.  Pilare  =  enthaaren,  schälen,  sehen  wir  in  einigen  Ver- 
bindungen, ähnlich  den  Verben  battere,  badar  mit  fol:  Pelafol 
(Dröme  Dt.),  belegt  Pelafollum,  Pellafol  (Isere  Dp.).  Damit  vgl. 
pelafoiis  ■=:z  co^'S.w,  riche  bei  Sauvages,  Dict.  languedoc.  II,  151.  Als 
Zuname  ist  es  schon  im  11.  Jh.  belegt:  Poncia  Pelafol  in  Cartulaire 
de  IMarseille.  —  Die  Verbindung  mit  galliis  ist  als  Zuname  ziemlich 
alt:  Autbertus  Pelagallos  a.  1030,  Pontius  Pelagal  a.  1098,  Bertrandus 
Pellagallus,  miles  a.  125g,  in  Cartulaire  de  Marseille.  In  Ortsnamen 
begegnet  sie  mir  nur  in  Saint-Amans-de-Pelagal  (npr.  Pdagau,  Mistral 
s.  V.)  in  Tarn-et-Garonne;  in  Italien:  Pelagalli  im  Venetischen 
(Olivieri  S.  112).  —  Mehrdeutig  ist  der  zweite  Bestandteil  in  Pdagat 
(Lot-et-Garonne).  Es  könnte  sein  l.  2^6.].  gat,  gate  (lim.)  =  rendu 
de  fatigue,  las,  faible,  epuise,  2.  gat  sm,  =  chat;  3.  da  der  Ort 
auf  dem  gascognischen  Gebiete  liegt,  auch  gallus.  Von  Vogel- 
namen kommt  noch  grue  vor:  Pdlegrue  (Gironde,  Indre  Dp.),  nprov. 
Pdo-gruo  bei  Mistral  II,  530.  Diese  Bildung  kann  auch  natürlich 
in  Verbindung  stehen  mit  dem  Ausdrucke  pelar  la  grua  =  muser, 
perdre  son  temps.  —  Von  den  Früchtebezeichnungen  nur  figo  und 
grain:  Pelle figue  (Gers),  Le  Pellegram  (Charrente  Dp.).  Die  erste  Ver- 
bindung  ist   in    der    Gascogne   auch    als    Familienname   verbreitet: 


43 

Pelleßgue,  De  Pellefigue,  Pekhigues;  auch  als  Spitzname  der  Ein- 
wohner von  La  Caunette  (Herault)  und  als  Appellativum  für  bec- 
figue,  s.  Mistral  II,  530.  —  Merkwürdiger  ist  die  Verbindung  mit 
port:  Pelleport  (Haute-Garonne,  Tarn  Dp.,  Ariege  Dp.),  nprov.  Pelo- 
Port^  welche  Bildung  indessen  auch  als  Familienname  in  der 
Gascogne  lebt;  vgl.  damit  analoge  Bildung  wie  Pelaprat  (Lot  Dp.), 
Pdlaprat,  Pellaprat,  de  Ptdlaprat,  alles  Familiennamen  aus  Languedoc, 
Mistral  n,  530.  —  Hierher  gehören  mit  den  Tiernamen:  Pelle-Loup 
(Puy-de-D6me),  Piiech  de  Pela-Lopa,  das  letztere  a.  1503  für  heutiges 
Pareloup  (Gard  Dt),  und  Pelkchevau  (Haute-Vienne  Dp.).  —  Hierzu 
gehört  noch  die  Bildung  Pelevesy  (Dordogne  Dt.),  nprov.  Pelo-Vesi, 
Pellevoisin  (Indre  Dp.)  auch  als  Familienname  in  der  Gascogne 
bekannt:  Pelevesy,  Pelavezis.  Mistral  II,  531  vergleicht  sie  mit  it. 
Pallavicini  und  nfr.  Pellevoisin.  —  Damit  sind  aber  diese  humo- 
ristischen Bildungen,  welche  ursprünglich  Spitznamen  gewesen  sein 
müssen,  nicht  erschöpft.  A.  1107  heifst  eine  Burg  Castrum  Pela- 
drudi  (=  enthaare  den  Geliebten),  jetzt  Paladrud  (Isere),  bei  Marion, 
Gart,  de  Grenoble.2  Aus  Dp.  noch:  Pellepoix  (Haute-Garonne), 
-hoiisset  (Gironde),  -foj-t  (Puy-de-D6me);  La  Pellegoussüre  (Indre-et- 
Loire);  -grolle  (Puy-de-D6me)  und  Pelapussms  (Ain  Dt.).  Aus 
Spanien  notiere  ich  zwei  Beispiele,  die  sich  auch  als  Spitznamen 
deuten  lassen :  Pelahravo  (lügar  y  ayuntamiento  in  der  Prov.  Sala- 
manca),  wofür  die  mutmafsliche  Bedeutung:  enthaare  den  Rauf- 
bold; Pelarrodriguez  (in  derselben  Prov.,  lugar  y  ayunt.)  mit  dem 
bekannten  Eigennamen. 

8g.  Pendere  erscheint  nur  in  einem  Beispiele:  Pendelupum, 
locus,  a.  1 100  und  1080  ungefähr  bei  Marion,  Cartulaire  de  Grenoble, 
identifiziert  mit  Pelloux  (Lscre).  Vgl.  zwei  Flurnamen:  La  Loiive- 
Petidue,  in  Haute-Loire  Dt.,  a.  1339  Loba  penduda  und  Chaipendu 
in  Savoien  Dt. 

90.  Prov.  pertusar  =  trouer,  percer  erscheint  in  einem  Orts- 
namen in  Gard  Dt.:  Periuise-Vie  bei  Besseges,  nprov.  Pertuso-vio 
(Mistral  s.  v.). 

gi.  Prov,  pessar  =  zerstückeln  in  Pessemezelle ,  lieu-dit  in 
Haute-Loire  Dt.,  wo  der  Beleg  a.  1339  Pesa  Mezel  zeigt,  dafs  der 
zweite  Bestandteil  =  ladre,  lepreux  (Raynouard);  cf.  Pelafol. 

92.  Peter  in  sehr  derben  Verbindungen:  Piteloup,  maison 
isolee  in  Haute-Loire  Dt.;  Petie-Lotip,  hameau  und  Petteloitp,  maison 
de  garde,  beides  in  Nievre  Dt.     Dieselbe  Verbindung  wird  in  dem- 


1  Vgl.  Pealleviale,  Dorf  in  Haute-Loire  Dt.  Der  zweite  Bestandteil  ist 
offenbar  villa^  da  a  nur  nach  i  vor  l  eingeschoben  wird  (RGr.  I,  §  37)  Die 
Belege  zeigen  gegenseitige  Beeinflussung  beider  Bestandteile,  so  a.  1368  Pela 
Vela,  a,  1507  Piala   Viala,  a.  1639  Pialle-Vialle. 

2  S.  noch  den  Beleg  in  Cartulaire  de  St.-Andre-lc-Bas  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jh.:  Pe'adrudum  (castrum);  die  jetzige  Gestalt  wird  im  Index 
Peladru  geschrieben. 


44 

selben  Dep.  noch  Pct-Joup  (ecart)  geschrieben.     Pet-PAsne,    ecart  in 
Nievre   Dt. 

93.  Prov.  picar  erscheint  ziemlich  oft  und  zwar  in  Piqiie-talen, 
nprov.  Pico-taknt,  ein  Ortsname,  welcher  nach  Angabe  Mistrals  U,  568 
in  Languedoc  sehr  verbreitet  sein  soll  (nach  Dp.  nur  in  Ariege). 
Seine  Übersetzung  ■=  qui  frappe  !a  faim  dürfte  wohl  stimmen; 
danach  gehört  es  also  in  die  Bramafam-^x\y^^t.  Die  Bedeutung 
von  talent  =  desir,  envie,  faim  s.  II,  947  (auch  gascognisch,  Glossaire 
des  mots  des  dialectes  gascons,  Bordeaux  1873).  —  Der  zweite 
Bestandteil  ist  unklar  in  Piquecos,  nprov.  Plco-cos  in  Tarn-et-Garonne. 
]\Iistral  II,  567  sieht  hierin  den  Plural  von  cop\  danach  wäre  die 
Bedeutung  =  creuser  a  coups  de  pic.  Es  würde  also  einen  Ort 
bezeichnen,  wo  man  viel  roden  mufste.  Aber  auch  cos  sm.  = 
hauteur,  monticule  und  cos  =  corps  (plural)  im  erwähnten  Glossaire 
etc.  wären  nicht  ausgeschlossen.  —  Pique  -  Cailloux  (Gironde), 
-Pierre  (Loire)  und  -roque  (Var)  bezeichnen  ^vohl  Siedelungen  in 
öden,  steinreichen  Gegenden,  Piquctnousqiie  (Lot-et-Garonne)  und 
-Lourci  (Orne)  waren  wahrscheinlich  Spitznamen,  obwohl  man  sie 
auch  anders  erklären  könnte,  nämlich  den  ersten  als  Ort,  wo  die 
Fliege  sticht;  den  zweiten,  wo  man  den  Wolf  gestochen  hat. 

Q4.  Piller:  Pilk-Avoine,  eine  Mühle  in  Nievre,  belegt  1624 
Moulin-Pilavoine.  Auch  diese  Verbindung  verrät  die  volkstümliche 
humoristische  Auffassung  der  Mühle.  Doch  kann  diese  Benennung 
auch  auf  den  Inhaber  dieser  l\Iühle  zurückgehen.  Die  Verbindung 
war  nämlich  als  Zuname  gebräuchlich:  Guiart  pile  avoinne  13.  Jh., 
bei  Darmesteter  1.  c.  184,  Fremin  pille  avoine  (14.  Jh.),  o.e.  S.  186. 
Spitznamen  waren  wohl  auch:  Pilk-Bois  (Ain  Dt.,  Pas-de-Calais), 
Pillemoine  (Jura  Dp.),  Pille- Bronillon  (Ain  Dt.)  und  Le  Pille-Choux 
(Jura  Dp.).  Pigliavento  (el-)  im  Venetischen  bei  Olivieri  1 1 2  erinnert 
an  Heurtebise. 

95.  Pincer  kommt  am  meisten  in  dem  D6p.  vor,  das  über- 
haupt die  gröfste  Anzahl  von  Imperativbildungen  von  ganz  Frank- 
reich aufweist,  in  Mayenne  Dt.  Die  Verbindung  ist  recht  humo- 
ristisch. Als  zweiter  Bestandteil  ist  am  häufigsten  ,Wolf':  Pince- 
Loup,  Dorf  und  vier  „fermes";  chäteau  in  Seine-et-Oise  Dp.; 
Pinchelotip  in  Eure  Dp.;  Pince-Louvetfe  ecart  et  logis;  Pince-Rat, 
ecart.  Unklar  ist  La  Piiice-Guerriere.  Vgl.  den  Zunamen  pince 
pate  (13.  Jh.)  bei  Darmesteter  1.  c.  184. 

96.  Die  Verbindungen  von  pisser  mit  einigen  Tiernamen 
sind  hauptsächlich  auf  französisches  Gebiet  beschränkt.  Sie  be- 
zeichnen besiedelte  Orte,  Wälder  oder  Wasserläufe.  Pisse-Chien 
(yg\.  cL^r.  pisse-chien  =  valet  des  chiens  bei  Godefroy,  it.  prov.  pissocan 
als  Name  verschiedener  Pflanzen,  bei  Mistral  II,  583)  Wald  in 
Hautes-Alpes  Dt.;  „ancien  faubourg  de  Reims",  belegt  seit  1230, 
bei  Joanne  V,  3430,  maison  isolee  in  Haute-Loire  Dt.  und  Rhone 
Dp.     Verbreiteter    mit  lupus:    Pisseleu  (Oise,    Joanne  V,  3536),  Ge- 


45 

meinde  und  Bach  in  Marne  Dt;  Pissekux  (Aisne  Dt.)  Gemeinde 
an  einem  Waldrande;  Pisse-Loz^p,  Gegend  und  Brunnen  in  Meuse 
Dt.  Zwei  Pisseloiip  (vgl.  auch  Osthoff,  Das  Verbum  etc.,  S.  259) 
in  Haute-Marne  Dt.;  der  Ort  in  der  Gemeinde  La  Ferte-sur- 
Amance  liegt  nach  Joanne  a.  a.  O.  „au  pied  et  au  penchant  d'un 
dur  coteau",  ferner  ein  Ortsname  in  Haute-Saöne,  ebenda  noch 
ein  Bach  desselben  Namens.  Auch  in  Marne  Dt.  ein  Bach  Le 
Pisseloiip.  Pisseloup  nach  Dp.  noch  in  Aisne,  Loiret,  Haute-Saöne, 
Sarthe.  Lupa  kommt  vereinzelt  vor,  nur  in  Pisselouhe  in  Dordogne 
Dp.,  c"^  Saint-Paul-Lisonne,  im  Dt.  nicht  angegeben.  —  Wenig  ver- 
breitet ist  bos:  Pissebaeuf  (Puy-de-Döme,  Joanne  1.  c),  in  Italien 
Pissabö  (el-)  im  Venetischen  (Olivieri  113);  verbreiteter  dagegen 
vache:  Pissevache,  auch  Pisse- Vache  geschrieben,  .,ferme"  in  Haute- 
Marne  Dt.,  Dorf  in  Nievre  Dt.,  Wald  in  Meuse  Dt.,  Wildbach  und 
Wasserfall  in  Haute-Savoie,  herrliche  Wasserfälle  in  den  Kantonen 
Genf  und  Waadt  (Knapp,  Dict.  top.  de  la  Suisse,  III,  684,  wo  der 
erste  Bestandteil  mit  „romanche  pisch  =  cascade"  identifiziert  wird). 
In  Italien  mehrere  Ortschaften  Pissavacca  im  Venetischen  (Olivieri 
113).  Nach  der  Mitteilung  des  Herrn  Dozenten  Dr.  C.  Battisti 
noch  Pissavacca  bei  Trient  in  Südtirol  (im  Gemeindeiexikon  von 
Tirol  nicht  vorhanden).  Ein  anderer  Wasserfall  im  Kanton  Waadt 
heifst  PissecMvre,  in  Cantal  Dt.  Pisse- Chevre  Bach.  Vereinzelt  sind 
Pisse- Pourcel  (Lot)  und  Pisse-Saiime  (Gard),  wo  säume  =  Esel.  — 
Diese  recht  humoristische  Namengebung,  Ausflufs  primitiver  Volks- 
phantasie, wird  noch  weiter  getrieben  in  Pisse-Oison,  welcher  Name 
als  Benennung  von  zwei  Dörfern  und  drei  Gehöften  („ferme")  in 
Mayenne  Dp.  vorkommt,  dazu  in  Italien  Pissamerlo,  Berg  (Creazzo, 
Vicenza,  Olivieri  113);  Pissevieille  (Cher)  und  Bachname  in  Jura, 
Joanne  I.e.,  Savoien  Dt.  und  in  Haute-Loire  Dt.,  belegt  1287  Pissa 
Velha,  auch  Pissanvelha  1348;  dann  Pissevin,  zwei  „quartier"  in 
Gard  Dt.,  belegt  Pissabins  1380,  Pissevins  1479  ^^^  ^^^  '^  '^^ 
Belegen  vgl.  Miramas),  bei  Mistral  II,  583  Pissevin,  nom  de  quartier 
oia  il  y  a  des  vignobles,  a  Nimes,  Pissavy,  Weingarten  in  Hautes- 
Alpes  Dt.  (1479  belegt).  Auch  als  Appellativum  in  verschieden- 
artigen Bedeutungen  gebräuchlich,  die  bei  Mistral  nachzuschlagen 
sind.  Hierher  gehört  ferner  Pisciamosto  (Amati  VI,  223)  im  „tenitorio 
romano".  In  Frankreich  gibt  es  weiter  noch  einige  humoristische 
Bildungen:  Pisse-Gerbes  (Mistral  II,  583  übersetzt  Pisso-garbo  „oü  les 
gerbes  abondent"),  ein  „quartier"  in  Gard  Dt.,  belegt  1164  En  Pixa- 
Garbas;  dann  Pissenval  ^\2.xrv&  Dt.),  falls  es  auf  pissa  in  vallem  zuück- 
geht.  Sicher  als  *pissa  in  canna  ist  venez.  Pissincanna,  Flufs,  auf- 
zufassen (Olivieri  112,  dem  es  unklar  ist);  dazu  in  Friaul  Pissin^haiine 
=  Pissincanna,  Ort  und  Flufs  (Pirona,  Dizionario  s.  v.).  Vgl.  Pissempont 
(hameau  in  Haute-Loire)  =  pissa  in  pontem ,  Pisse- Fontaine  (Seine- 
et-Oise,  Joanne  Dt.).  Ein  Springbrunnen  (cascade)  in  Cauterets 
wird  metaphorisch  Pissat-os,  nprov.  Pisso-ros  benannt,  wo  ros  =  rosee, 
dans  le  haut  Languedoc,  le  Querci  et  la  Gascogne,  Mistral  II,  583. 
In  Ital.  einmal  mit  adv.  Pissintomo  im  Venet.  (Olivieri   1 1 2). 


46 

97-  Prov.  piular  =  piauler,  piailler,  brailler,  crier  in  Piotdeloup, 
localite  detruite,  in  Haute -Loire  Dt.,  a.  1507  Pioulalop.  Vgl. 
Leyreloiip. 

98.  Porter,  obwohl  es  in  der  Verbalkomposition  über  120  mal 
vorkommt,  liefert  in  französischen  Ortsnamen  wenig  Beispiele.  Davon 
ist  eines  seit  13.  Jh.  auch  als  Appellativum  gebräuchlich:  Porte faix, 
ein  Gehöft  („ferme")  in  Drorae  Dt.,  Le  Poriefaix,  maison  isolee 
(Haute-Loire  Dt.).  Auch  als  prov.  Familienname  bekannt:  Portefaix, 
Portafax  bei  Mistral  II,  603.  Portalovo  im  Venetischen  (Olivieri  1 1 2) 
Poriehaeitf  (Ain  Dt.,  a.  1097  de  Portabo;  Charente  Dp.),  Porle-Chaise 
(Loire-Inf.  Dp.)  waren  ursprünghch  wohl  Personen-  oder  Spitznamen. 

99.  Premere  in  einem  Beispiele:  Premilaiore  in  Toscana, 
Amati  VI,  618,  wo  die  Beschreibung  seiner  Lage  und  sein  Wappen 
nachzuschlagen  sind.  Im  Orte  befindet  sich  eine  alte  Burg.  Wie 
bei  Bagnacavallo,  so  erklärt  das  Wappen  von  Premilcuore  den 
Namen.  Im  Wappen  wird  ein  Herz  durch  Krallen  eines  Vogels 
gedrückt.  Die  Bedeutung  dürfte  also  dieselbe  sein  wie  von  Creval- 
cuore.  Monumenti  ravennati  S,  81  (a.  1371)  geben  die  Beschreibung 
von  einem  anderen  Orte :  Castrum  Premalcori  est  in  quadam  valle 
super  flumen  Raiborum  super  quodam  sasso  super  strata  magistra, 
qua  itur  in  Tusciam  habet  Rocham  et  Turrim  fortissimam  ad  cujus 
custodiam  moratur  unus  castellanus  etc.  Der  Ortsname  wird  ebenda 
S.  544  Premelcori  geschrieben  (castrum  montis  CasteUi). 

100.  Pungere  nach  Olivieri  112  in  Ponzilovo ,  vgl.  in  Frank- 
reich Pinceloup.  Hierher  zieht  er  noch  Pondiäca  =  Pun^ivacca  in 
den  Urkunden.     Auch  mit  miglio:  Ponzimiglio. 

lOi.  Reculer  in  Namen  von  zwei  Dörfern  des  Dep.  Ain  Dt. 
Reculafol  und  Rectilefort;  cf.  Mategriffon. 

102.  Nprov.  rena  =  pousser  la  terre  avec  un  traineau  pour 
combler  un  bas-fonds,  Mistral  II,  757  erscheint  im  Ortsnamen  Anse 
de  Renecros  bei  Bandol  (Var),  nprov.  Reno-cros,  Mistral  II,  759.  Der 
zweite  Bestandteil  ist  natürlich  cros  sm.  =  bas-fond,  welches  seiner- 
seits als  Ortsname  unzählige  male  erscheint  [Le  Cros).  Geographisch 
pafst  die  Bedeutung  vorzüglich. 

103.  Rendere  erscheint  nur  in  Rendevacca  (le  terre,  i  prall 
e  i  boschi  de  .  .  .),  Distrikt  Villa  de  Cesio,  jetzt  Bastia;  Tiraboschi, 
Diz.  degU  stati  estensi,  II,  245. 

104.  Prov.  rodar,  npr.  rouda  =  roder,  tourner  erscheint  in 
Ortsnamen  in  Dordogne:  Rode-Mieuh ,  nprov.  Rodo  tniolo,  -tnuelo, 
welches  nach  Angabe  Mistrals  II,  799  in  Perigord  sehr  verbreitet 
sein  soll  (vgl.  Rodemiaule,  Dordogne  Dp.  und  Rodemule,  Tarn-et- 
Gar.).  Im  zweiten  Bestandteile  erkennt  Mistral  II,  799  miolo  oder 
molo  =  meule. 

105.  Rompere  im  venez.  Rompizocco  (Olivieri  112),  wo  der 
zweite  Bestandteil  trotz  der  Orthographie  vielleicht  auf  sbco  sm.  ^^ 
(ciocco)  ceppa,  ceppo  zurückgeht;  cf.  Arrancacepas. 


47 

io6.  Prov.  roncar  =  schnarchen  in  einem  sehr  alten  Beispiele 
in  Recueil  des  chartes  de  Cluny  II:  a.  954 — 987  Runcavulpem  in 
pago  Arvernico.  In  Haute-Loire  Dt.  zwei  Dörfer  solchen  Namens: 
Ra7ichevoux,  a.  1340  Roncha  Volp  und  Rattchoux,  a.  12 13  Roncha- 
volp  mit  merkwürdigem  Ausfall  des  v. 

107.  Rosegar  ==  nagen  in  einem  venez.  Ortsnamen  Rosega- 
ferro  (Olivieri   113),  welcher  wohl  ursprünglich  Spitzname  war. 

108.  Saltar  kommt  in  je  einer  spanischen  und  einer  italienischen 
Verbindung  vor:  SaltacabaUo  in  der  Prov.  Saiitander:  „monte  y 
criadero  de  hierro  del  lugar  de  Mioiio".  Vgl.  den  Ausdruck  der 
Architektur  ä  saltacaballo.  In  Italien:  Sallarana,  locus  archiepisco- 
patus  Januae  in  Historiae  patriae  monumenta  VI,  a.  1 158  ff.  Eine 
genaue  moderne  Entsprechung  fehlt,  doch  dürfte  sie  in  Salierana, 
Amati  VII,  81,  in  den  Provinzen  Genua  und  Novara  anzuerkennen 
sein.  Aus  Frankreich  kann  ich  nur  anführen  Sautolebre,  nom  d'un 
quartier  du  territoire  d'Aix  bei  Mistral  II,  858,  welche  Komposition 
ebendaselbst  als  Name  einer  Pflanze  angegeben  wird  und  Saute- 
Caille  (Maine- et-Loire  Dp.). 

109.  Sauver  ist  manchmal  nicht  sicher  nachzuweisen.  Die 
Art  der  Bildung  wäre  unverständlich  in  Sauveloiip,  dreimal  in 
Mayenne  Dt.  als  Name  von  „ferme",  Sauveleiix  (Oise  Dp.).  Viel- 
leicht ist  hier  sauve  <  silva.  Vgl.  aber  die  Verwendung  von  sauver 
in  sauvogati,  sauvo-jal  sm.  repas  qu'on  donne  aux  ouvriers  qui  ont 
acheve  un  bätiment  bei  Mistral  II,  860.  Sicher  werden  hierher- 
gehören Sauvegenoux  (Yonne  Dp.)  und  Sauvehceuf,  belegt  Sauvebuo, 
Salvabuo  in  Dordogne,  Mistral  II,  860;  das  letztere  in  Perigord 
auch  als  Familienname  gebräuchlich.  Dagegen  in  vielen  Sauveterre, 
span.  Salvatierra  dürfte  das  Adj.  salvus  vorliegen.  In  Spanien  Sal- 
vadiös,  lugar  in  der  Prov.  Avila.  Vgl.  noch  Salvaleon  Del  Castillo 
III,  474,  villa  in  der  Prov.  Badajoz  (sit.  an  una  hondonada).  — 
Salvar  in  einer  anderen  Bedeutung  (serbare,  aufheben)  in  Sälvalaio 
im  Venez.,  nach  der  Übersetzung  Olivieris  112  =  serba  l'aglio, 
ursprünglich  wohl  ein  Spitzname. 

110.  Sbregar  in  Sbregavalle,  Abfiufsgraben  (scolo)  im  Venez. 
bei  Olivieri  113  =  squarcia  v.,  wohl  metaphorische  Benennung  des 
Abflusses;  vgl.  Escoulobarau. 

111.  Sbroiar  =  sbrucciarsi,  scorticarsi,  spellarsi  im  venez. 
Sbroiavacca  (Olivieri   112),  vgl.  damit  Escanecrabe. 

112.  Scaiar  (scagliare)  in  vQXiez.  Scatapezzo;  nach  Übersetzung 
Olivieris   112  =  pialla  abete,  auch  ein  Spitzname. 

113.  Scaldare:  Scaldasole,  dreimal  in  der  Lombardei,  Amati 
VII,  341.  Die  Bedeutung  ist  nicht  recht  klar.  Da  der  Ort  in  der 
Ebene  liegt,  so  soll  wohl  ausgedrückt  werden,  dafs  auf  den  Ort 
die  Sonne  besonders  stark  hinbrennt.     Der  zweite  Bestandteil  wäre 


48 

dann   als    ein  Vokativ    aufzufassen.      Ein    ursprünglicher   Personen- 
oder Spitzname  ist  Scaldaferro  (Olivieri    113). 

114.  lt.  scannare,  nprov.  escana,  in  den  Appellativen  nicht 
selten,  ist  auch  in  Ortsnamen  vertreten:  Scannahue  in  der  Lombardei; 
Scannaserpe  bei  Palermo  und  Scannavacca  im  Venet.  (Olivieri  113). 
Ein  Bach  in  der  Provinz  Molise  heifst  merkwürdigerweise  Scanna- 
madre.  Scannahecco  in  der  Provinz  Sondrio,  wo  hecco  =  Bock. 
Beispiele  aus  Amati  VII,  352  f.  Scatinabecco  entspricht  in  Südfrank- 
reich Escanecrabe  (Haute-Garonne),  nprov.  Escanocrabo  (oü  l'on  egorge 
les  chevres)  bei  Mistral  I,  981. 

115.  Scaricare  nur  einmal  in  Scaricalasifw,  Dorf  in  der 
Provinz  Bologna,  Amati  VII,  361.  Der  Name  wird  begreiflich, 
wenn  man  sich  die  Lage  des  Ortes  vor  Augen  hält:  „e  un  villaggio 
che  sorge  suUa  cima  di  una  montagna  elevata",  sagt  Amati  a.  a.  0. 
Vgl.  mail.  giugä  a  scarega  1'  äsen;  mantov.  zugär  a  scarga  1'  asan, 
Cherubini,  Vocab.  mantov.,  Milano   1827,  S.  192. 

116.  Scavesär  =  spezzare,  stroncare  im  Namen  einer  steilen 
Strafse  im  Venetischen:  Scavezzazenoci  (Olivieri   113). 

117.  Schiantare  auch  nur  in  einem  Beispiele:  Schianiacappa 
in  der  Provinz  Arezzo,  Amati  VII,  373;  es  ist  ein  „castellare"; 
ebenda  war  auch  eine  gleichnamige  Burg.  Die  Bezeichnung  bezieht 
sich  demnach  vielleicht  auf  feudale  Streitigkeiten. 

118.  Schiappare  auch  nur  in  einem  Beispiele:  Schiappacassa, 
Prov.  Alessandria.  Auch  eine  von  den  zahlreichen  humoristischen 
Bezeichnungen  für  die  Bevölkerung,  die  das  fremde  Eigentum  nicht 
schont. 

119.  Scodar  in  xenez.  Scodavacca  (Olivieri  112).  Vgl.  den 
Namen  Poncio  Escodacani  a.  1061  in  Cartulaire  de  Marseille  und 
Escuernavacas. 

120.  Scortare,  scorticare  in  Verbindungen  mit  Tiernamen 
ist  auf  Italien  und  Frankreich  beschränkt.  Scortabö  in  Ligurien; 
Scorticabovi  in  der  Umgebung  Roms,  beides  aus  Amati  VII,  414; 
Torre  di  Scortegabeccho  (mandamento  di  Diano),  wovon  jetzt  nur 
Reste  bestehen,  hiefs  a.  1172  Scortagabeccho  =  schinde  den  Bock, 
Hist.  patr.  mon.  VI,  S.  1035.  In  Frankreich  dementsprechend 
Ecorcheb(£ufs  in  Isere,  Joanne  III,  1347,  Ecorchebmif  (Seine-Inf.  Dp. 
und  Calvados  Dt.),  welche  Verbindung  auch  als  Zuname  aus  dem 
13.  Jh.  belegt  ist:  Escorchebof  bei  Darmesteter  1.  c.  S.  182.  Dazu 
gesellen  sich  Ecorchevache  (OiseDp.);  Escorge-Chat,  ecart  in  Haute- 
Loire  Dt.,  a.  1880  aber  geschrieben  Escorche-Chats;  L Ecorchechien, 
Haus  in  Nievre  Dt.,  mit  unklaren  Belegen:  1701  Lacorchien,  1779 
Corchechien.  Der  erste  Beleg  erklärt  sich  durch  Haplologie.  Corche- 
vaux,  Gehöft  (ferme)  in  Aisne  Dt.,  geht  nach  dem  Belege  aus  16 15 
Cense  d'Escorcheveau  auf  *Excortica  vitellos  zurück.  Der  Ort  hiefs 
merkwürdigerweise  auch  Ecorchevache,  also  ein  Beispiel  dafür,  dafs  der 


49 

zweite  Bestandteil  sich  im  Laufe  der  Zeit  ändern  konnte.  Ebenso 
hiefs  Ecorcheloup  (oder  Corcheloup)  in  Ain  Dt.  seit  1261  neben 
Escorchilou  auch  Escorchebo.  Hier  ist  allerdings  Verschreibung 
möglich.  Ferner  noch  Ecorcheval  (Eure)  und  Ecorcheville  (Calvados 
Dt.),  belegt  a.  1083  Escorchevilla,  beides  aus  Joanne  III,  1347. 
Das  erste  kann  ebenfalls  durch  Haplologie  aus  *Ecorchecheval  ent- 
standen sein;  das  zweite  vgl.  mit  Massabielle;  dazu  noch  Escorchc- 
mont  (Eure  Dp.). 

121.  Prov.  segar  =  couper,  scier  erscheint  wahrscheinlich  im 
Ortsnamen  Segoufielle  (Gers),  nach  Joanne  Dict.  g^ogr.  Paris  1869 
S.  2069  auch  Segouvielle,  nprov.  Sego-fiello.  Das  ou  im  heutigen 
Namen  ist  allerdings  in  Anbetracht  der  nprov.  Form  unklar.  Im 
zweiten  Teile  möchte  Mistral  II,  868  (mit  Fragezeichen  allerdings) 
fuelho  sehen.  Besser  wird  passen  fielo,  fialo  <^  *fila,  sf.  =  lam- 
bourde,  piece  de  bois  effil6e,  arbre  droit  et  elanc6  que  l'on  coupe 
dans  une  foret.  Der  Ortsname  zeigt  demnach  auf  bestandene 
Waldungen  hin.  Heute  sind  dort  „magnifiques  prairies",  s.  Joanne  o.  c. 

122.  Serrare  geht  nur  eine  Verbindung  ein,  aber  die  ist  sehr 
zahlreich  vertreten.  Serravalle  „Talsperre"  ist  überall  auf  dem 
italienischen  Gebiete  anzutreffen,  so  dafs  man  davon  absehen  kann, 
Beispiele  anzuführen;  s.  übrigens  das  Verzeichnis  bei  Amati  VII,  506, 
54611.  und  Repetti  V,  246  f. 

123.  Sferrare  nur  in  einer  Verbindung,  und  zwar  wie  auch 
begreiflich,  mit  cavallo  :  Sferracavallo ,  einmal  als  Name  einer 
„frazione  del  comune"  von  Palermo,  ein  anderes  Mal  als  Name 
eines  Vorgebirges  (promontorio)  von  Sardinien. 

124.  Nprov.  sira  =  tourbillonner,  en  parlant  de  la  neige 
soulevee  par  la  tourmente  (Mistral  s.  v.)  ist  möglicherweise  zu  er- 
kennen in  Siradan,  Ort  in  Hautes-Pyrenees,  „dans  la  vallee  du 
meme  nom,  pres  de  la  Garonne",  Joanne,  Dict.  geogr.  S.  2720. 
Im  zweiten  Bestandteile  wäre  da^i  <C  damnum  zu  sehen.  Vgl.  prendre 
dan  =  Schaden  erleiden,  teuer  =  schaden,  Levy,  Supplement- 
Wörterbuch.  Die  Bildung  bezeichnet  demnach  einen  Ort,  wo 
grofse  Schneeverwehungen  vorkommen. 

125.  Prov.  soielhar  =  etre,  se  trouver  au  soleil,  mit  bovem 
Bezeichnung  eines  Berges,  der  als  Weide  diente:  Soleü-Bceuf,  zwei- 
mal in  Hautes- Alpes,  belegt  im  13.  Jh.  Pratum  de  Soleila  bou, 
1389  Sollelha  bove;  die  heutige  Form  mit  dem  unklaren  Schwunde 
der  Imperativendung  datiert  aus  1343  Montanea  de  Sollelh  buou. 
Mistral  II,  912  hat  noch  Soleille-Baetif,  quartier  du  territoire  de 
Barcelonnette  und  La  fönt  de  Souleio-Buou,  nom  de  lieu  pres  de 
ßrianc^on;  lo  portalet  de  Solelhahuons  (a.  1441)  in  Digne  (Basses- 
Alpes),  vallonus  de  Sorelhabou  aus  dem  14.  Jh.  in  Alpes^Maritimes, 
beides  aus  P.  Meyer,  Doc.  linguistiques,  S.  260. 

126.  Sparar=:  tralasciare,  fare  a  meno  in  Sparraväcche  (Oli- 
vieri   1 1 3). 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift.)  a 


50 

127-  Spartire  in  einem  bekannten  Beispiele:  Spartivento 
„Windspalter"  (cf.  spartiacque  „Wasserscheide"),  Vorgebirge  im 
jonischen  Meere.     Über  die  Bedeutungen  s.  Amati  VII,  891. 

128.  Spazzare  in  zwei  Verbindungen,  von  denen  eine  auch 
als  Appellativum  gebräuchlich  ist.  Spazzacamitw  (Prov.  Como)  kann 
natürlich  dasselbe  bedeuten,  wie  das  gleichlautende  Appellativum. 
Spazzavento,  zweimal  in  der  Prov.  Florenz,  deutet  den  Ort  an,  wo 
der  Wind  stark  weht,  gewissermafsen  die  Strafsen  vom  Staub 
reinigt.     Vento  ist  demnach  als  Vokativ  aufzufassen.    Amati  VII,  891. 

129.  Spigar:  Spigafasölo  im  Venetischen  (Olivieri  113)  =  wo 
die  Bohne  ins  Kraut  schiefst,  wodurch  vielleicht  ein  zum  Bohnen- 
anbau nicht  geeigneter  Boden  bezeichnet  wird. 

130.  Squar^ar  im  venez.  Squargaburse  (Olivieri  113),  vgl. 
Tagliaborsa  und  weiter  unten. 

131.  Squassar  im  venez.  Squassabodriga  (Olivieri  113),  nach 
seiner  Übersetzung  =  squassa  ventre;  vgl.  Brisicol. 

132.  Stangär  =  bastonnare  im  venez.  Stangabö  ((dXwAftx'i  113), 
wofür  unzählige  Parallelen  im  Romanischen  bestehen. 

133.  Stornar  in  einem  sehr  alten  Ortsnamen:  Stornapietra 
(=  rimuovi  pietra),  luogo  nelle  vicinanze  di  S.  Ilario,  a.  829,  Codice 
diplomatico  padovano  S.  15  und  GVL 

134.  Stracciare  nur  in  einem  Beispiele:  Lago  di  Stracciacappe 
in  der  Umgebung  Roms.  Amati  VII,  975  sagt:  „L'attuale  denomi- 
nazione  gli  derivo  da  un  castello  dei  bassi  tempi,  di  cui  rimane 
tuttora  una  torre  detta  'Stirpacappe'".  Von  dieser  Angabe  müssen 
wir  bei  Beurteilung  der  Benennung  ausgehen.  Da  es  sich  hier  ur- 
sprünglich um  die  Benennung  einer  Burg  handelt,  die  später  auf 
den  kleinen  See  (laghetto)  übertragen  wurde,  so  geht  auch  dieser 
Name  auf  feudale  Übergriffe  zurück,  wie  auch  das  obige  Schianta- 
cappa. 

135.  Strangolare  ist,  wie  begreiflich,  in  Verbindung  mit 
Tiernamen,  in  Italien  und  Frankreich  anzutreffen.  Die  Verbindungen 
waren  auch  als  Personennamen  gebräuchlich:  Sl)\mgolagaUi  in  der 
Umgebung  Roms;  Strangolagallo  in  der  Provinz  Terra  di  Lavoro, 
Amati  VII,  980;  L Elr angle- Chlvre  in  Indre,  Joanne  III,  1409  und 
Etrangk-Monton,  ein  „quartier"  in  Hautes-Alpes  Dt.,  belegt  schon 
im  15.  Jh.  In  Frankreich  ist  die  Bildung  als  Personenname  zu  be- 
legen in  Cartulaire  de  l'eglise  Saint  Lambert  de  Liege  (in  Collection 
de  chroniques  beiges  inedites  XXII)  S.  25:  a.  1271  Odo  Strangulans 
Vaccam. 

136.  Strozzare  in  Verbindung  mit  volpe:  Strozzavolpe,  kleiner 
Bach  in  Etruria  Transciminia,  ein  anderes  Mal  als  Name  eines 
Ortes,  der  vielleicht  im  13.  Jh.  Scorticavolpe  hiefs,  s.  Amati  VII,  992. 
Für  die  Bedeutung  vgl.  Thiib<£uJ\   Tuloup  in  Frankreich.    Als  zweiter 


51 

Bestandteil    erscheint    einmal    ein    Personenname:    Strozza    Martino 
im  Venet.  (Olivieri   113). 

137.  Tailler  geht  einige  Verbindungen  ein,  von  denen  die 
mit  ferrum  die  verbreitetste  ist  und  bekanntlich  schon  in  sehr  alter 
Zeit  als  Familienname  vorkommt.  Den  ältesten  Beleg  hierfür  bringt 
Darmesteter  1.  c.  S.  17g:  Willelmus  sector  ferri,  a.  936,  s.  noch 
S.  180,  182,  184.  Im  Femininum  lautet  der  Familienname  in  Süd- 
frankreich Talhaferra.  Vgl.  noch  im  Afr.  taillefer  als  adj.  =  qui 
tranche  ie  fer,  bei  Mistral  II,  945  auch  als  sm.  =  grosse  libellule, 
en  Rouergue.  Mit  talea  -\-  ferrum  (cf.  auch  Osthof,  Das  Verbum 
etc.  S.  281  f.)  werden  nicht  nur  Siedelungen,  sondern  auch  Berge, 
Bergspitzen  benannt.  In  Morbihan  haben  wir  eine  Pointe  de  Taillefer, 
daneben  auch  eine  gleichnamige  Ortschaft;  dann  eine  andere  Ort- 
schaft in  Saone-et-Loire.  Eine  kleine  Anhöhe  in  der  Bergkette  von 
Alberes  (Pyrdnees-Orientales)  heifst  Pic  de  Taillefer.  In  Alpes 
Dauphinoises  haben  wir  Col,  Massif  la  cime,  Montagne  de  Taillefer, 
Im  Gebirge  Laup  (Hautes  Alpes)  auch  eine  Bergspitze  Taillefer. 
Alles  dies  aus  Joanne  VII,  4757.  In  Cantal  Dt.  Dorf,  eine  Mühle 
und  zwei  zerstörte  Domainen,  belegt  1441  affarium  de  Taihafer; 
in  Herault  Name  eines  Gartens.  Achtmal  kommt  der  Name  in  Dor- 
dogne  Dt.  vor,  als  „ancienne  maison  noble,  ancienne  metairie"  etc., 
als  Flurname  und  zuletzt  als  Name  von  einigen  Dörfern.  Der 
älteste  Beleg  für  „ancienne  porte  de  ville  et  rue  a  Perigueux" 
Tailafer  stammt  aus  dem  12.  Jh.  Man  findet  in  diesem  D6p. 
dreimal  sogar  die  Ableitung  davon:  La  Tailleferie;  in  Mayenne  Dp. 
La  Tailleferriire.  In  Basses-Pyr6nees  Dt.  heifst  ein  Gehöft  (ferme) 
Taillefer.  Nach  Dp.  noch  in  Loir-et-Cher  und  Lot  zweimal.  In 
Italien  (Beispiele  aus  Piemont,  Venetien  und  Toscana)  heifsen 
einige  „frazioni  di  commune"  Tagliaferro  (Prov.  von  Torino, 
Firenze),  einmal  nur  die  Form  Tagliaferri,  Amati  VIII,  10  und 
Tajaferro  im  Venet.  (Olivieri  113).  —  Aus  Spanien  ist  mir  nur 
ein  Beispiel  bekannt:  Tajahierro  (y  casa  de  Naveda:  venta  arruinada 
en  la  prov.  de  Santander  bei  Madoz  XIV).  Es  mufs  der  genauen 
Lokalgeschichte  überlassen  werden  zu  entscheiden,  wo  diese  Namen 
von  Familiennamen  herrühren  und  wo  sie  auf  Eisenindustrie  hin- 
weisen. —  Von  anderen  Verbindungen  ist  besonders  die  mit  bourg 
erwähnenswert:  Taillebourg  an  dem  Flusse  Charente  (Charente- 
Inferieure,  Joanne  1.  c.)  mit  Resten  einer  einst  sehr  wichtigen  Burg, 
wo  Karl  der  Grofse  808  die  Sarazenen  schlug.  Belege  s.  in  Röles 
gascons  I.  An  dem  Flusse  Garonne  befinden  sich  noch  zwei 
gleichnamige  Orte  (Haute-Garonne  und  Lot-et-Garonne),  Joanne  1.  c. 
aprov.  Talhaborc.  Analog  erscheint  das  Zeitwort  einmal  mit  ville: 
Tailleville  (Calvados  Dt.):  Tailliavilla  a.  1068.  Unsicher  ist,  was 
man  im  zweiten  Bestandteile  von  Taillecourt  (Doubs,  Joanne  1.  c.) 
zu  suchen  hat,  adj.  court,  e  oder  curtis.  Vgl.  das  Adj.  in  Taille- 
peiit,  Dorf  in  Dordogne,  a.  1150.  Talapetit  (s.  unten)  zweimal  als 
hameau  und  village.  Hierzu  noch  Taillehois  (Aude,  Orne  Dp.), 
womit    man   afr.  taillehois  bei  Godefroy,    ital.  tagliaboschi  vergleiche. 


52 

Auch  als  Zuname  war  es  gebräuchlich,  s.  Darmesteter  1.  c.  S.  l8o. 
In  Südfrankreich  gehört  wohl  Tayhosc  (Gers)  Mistral  II,  945  dazu. 
Aus  Italien  Tagliarotta  in  Piemont,  wo  eine  „gora"  so  benannt 
wird,  und  Tagliaborsa  bei  Catania.  Frankreich  bietet  noch  manches: 
Taille- Varetme  (SartheDp.);  Ta/Z/^wifj«// (Seine-Inf.  Dp.);  Taillefontaine 
in  Aisne  Dt.,  seit  12.  Jh.  so  belegt;  Taillesac,  Benennung  einer 
Mühle  in  Haute-Marne  Dt.;  Taillepied,  in  Indre-et-Loire,  Sarthe, 
Manche,  Deux-Sevres,  Le  Taillepied  in  Aisne  Dp.,  in  Manche  noch 
Basses  de  Taillepied,  vgl.  damit  nprov.  taio-ped  sm.  =  courtiliere, 
Mistral  II,  948;  Taillevent,  ein  Dorf  in  Herault  Dt.,  vgl.  damit  taille- 
vent  sm.  =  Sturmsegel,  nprov.  taio-vent  sm.  =  goeland  brun,  oiseau 
de  mer;  rodomont,  fanfaron  bei  Mistral.  —  Tiernamen  kommen 
seltener  vor.  In  Frankreich  Taillecavat  (Gironde),  wenn  im  zweiten 
Bestandteile  caballu  (gase,  cabat)  steckt;  in  Italien  Tajalasino  im 
Venet.  (Olivieri  113)  und  zweimal  Tagliahue,  wozu  in  Frankreich 
laillebeau  (Cantal),  Name  eines  zerstörten  Dorfes,  belegt  1558  Le 
villaige  de  Tallebiau,  wenn  es  gestattet  ist,  im  zweiten  Bestandteile 
biau  <<  bovem  zu  sehen,  das  später  volksetymologisch  zu  beau  wurde. 
So  haben  wir  auch  den  Personennamen  Bonvesinus  de  Taiabove 
in  Codex  diplomaticus  Cremonae  S.  124,  a.  1226,  Vgl.  Taille-Bouc 
(Gard  Dt.),  a.  1789  allerdings  Taillabon  geschrieben. 

138.  Auch  das  begriffsverwandte  Zeitwort  prov.  talar  =  ver- 
wüsten liegt  in  zwei  Verbindungen  vor,  wie  in  Talamon  (Gironde), 
auch  als  Familienname  in  Südfrankreich  gebräuchlich,  Mistral  II,  947. 
Der  zweite  Bestandteil  ist  wohl  montem.  Dann  Tallagard,  quartier 
de  la  commune  de  Salon,  nprov.  Talagar d,  wo  in  gard  vielleicht 
gard,  gart  sm.  =  troupeau  de  vaches  ä  demi  sauvages,  en  Gascogne, 
zu  suchen  ist,  oder  langued.  gart  =  duvet  (Sauvages,  Dict.  langued. 
I,  368). 

139.  Tirer,  bei  Appellativen  aufserordentlich  gebräuchlich,  ist 
in  Ortsnamen  auch  so  zahlreich.  Hierzu  Tire-Clanc/iette,  ein  „ecart" 
in  Haute-Marne  Dt.,  wo  der  zweite  Bestandteil  clenchette  sf.  ist. 
Die  Volkssprache  will  damit  wohl  arme  Häuser  bezeichnen.  —  La 
Montee  de  lirebceuf,  lieu-dit  (Haute-Loire  Dt.),  1185  Tirabou; 
Tirecabre  (Aveyron  Dp.),  Tirechevre  (Puy-de-D6me,  Joanne  VII,  4877) 
und  Tirevache  (Puy-de-Dome,  Joanne  1.  c.)  sind  zu  vergleichen  mit 
Zunamen  aus  dem  13.  Jh.  Hugo  Tireveel  bei  Darmesteter  1.  c. 
S.  183  und  S.  183  Guillaume  armurier  dit  tire  veel  und  S.  186 
Adam  tire  coc  (14.  Jh.);  der  letztere  Ortsname  natürlich  auch  mit 
nprov.  tiro-vaco  sm.  =  narcisse  des  pres  bei  Mistral  II,  996.  — 
Ein  kleiner  Wald  in  Isere  Joanne  1.  c.  heifst  merkwürdigerweise 
lire-Gerhe,  und  ein  Bach  in  Aube  Ru  de  Tiremotit  oder  de  Tr^ 
mo?it,  wobei  die  letzte  Nebenform  unklar  ist.  Tirepied  in  Manche 
Joanne  1.  c,  das  auch  als  Appellativum  in  allen  romanischen 
Sprachen  bekannt  ist,  Tiracols  (Lozere  Dp.)  und  Tirapelle  im  Venez. 
(Olivieri  113)  lassen  sich  mit  Taillepied  vergleichen.  Solche  Aus- 
drücke  deuten  wahrscheinlich  den  rauhen  Boden  an.     Eine  solche 


53 

Bodenbeschaffenheit  wird  auch  Tirepeyre,  ecart  in  Haute-Loire  Dt. 
bezeichnen.  Aus  Hautes-Alpes  Dt.  zwei  Fälle  Tire-Cosk,  Wald  und 
das  humoristische  Tire-Cul,  „ferme".  Der  letzte  Ortsname  kommt 
noch  in  Ain  Dt.  und  Dordogne  Dt.  vor,  wo  aber  der  Beleg  etwas 
auffällig  ist:  Tiracul  in  der  Gegend  von  Perigueux,  belegt  1286 
Tiracuol,  was  wahrscheinlich  nur  eine  graphische  Darstellung  der 
mundartlichen  Form  cuou  ist.  Vgl.  nprov.  firo-cuou,  tiro-quieu  sm. 
=  quartier  montueux,  chemin  escarp6  bei  Mistral  II,  996.  Der 
Verbindung  wird  also  dasselbe  Motiv  zugrunde  liegen  wie  bei 
Crh'ecoeur.  —  Auch  mit  gan  =  Handschuh  eine  Verbindung  in 
Dordogne  Dt.:  Tiregan,  eine  Burg  und  eine  „domaine",  belegt 
a.  1485  Mansus  de  Tiragan,  a.  1606  Tireguent,  Tiraguant.  Dazu 
Tiremanteau  (Rhone  Dp.).  Vgl.  Stracciacappe.  Unverständlich  ist  der 
Name  eines  Teiches  in  Ain  Dt.:  Tire-fer.  —  Auf  irgendwelche 
wirtschaftliche  Anlage  wird  hinweisen  Tirebouras,  hameau  in  Haute- 
Loire  Dt.,  wo  bouras  sm.  =  i.  lie,  boue  qua  depose  l'huile  soit 
dans  les  fosses  du  pressoir  soit  au  fond  des  jarres.  2.  etoffe  de 
laine  grossiere  bei  D'Hombres,  Dict.  lang. 

140.  Tombar  erscheint  in  drei  mir  bekannten  Beispielen 
Tombehceuf,  nprov.  Toiimbo-buoti,  in  lat.  Urkunden  Locus  de  Tomba- 
bove,  Ort  in  Lot-et-Garonne,  Mistral  II,  1006.  Vgl.  damit  Escane- 
crahe.  —  Tomheloly,  nprov.  Toumbo-röli,  Strafse  in  Bordeaux,  Mistral 
a.  a.  O.:   Tombelame,  hameau  (Calvados  Dt.). 

141.  Mit  dem  Zunamen  Torcafol  (=  qui  torche  les  fous, 
Mistral  II,  1000)  ist  lorchefelon  (Isere  Dp.)  zu  vergleichen.  Torche- 
ville  (Meurthe  Dp.)  vgl.  mit  Henrieville. 

142.  Toucher:  Toccalmatto,  frazione  del  commune  di  Fonta- 
nellato,  Prov.  Parma,  Amati  VIII,  282,  vgl.  mit  Badefol.  In  Frank- 
reich: Toliche/eii,  hameau  in  Savoien  Dt.  und  Tochebuef,  lieu  detruit 
in  Nievre  Dt.,  erwähnt  a.  1331. 

143.  Tourner  geht  verschiedenartige  Verbindungen  ein.  So 
mit  Tiernamen:  Toiirnaloup  zwei  Dörfer  in  Savoien,  Joanne 
VII,  4917.  Man  hat  in  diesem  Falle  auch  retourner:  so  in  Marne 
Dt.  Retoiirneloup ,  Dorf,  belegt  a.  12 10  Retorneleu;  derselbe  Name 
noch  zweimal  in  Aisne  Dt.  als  Dorfname  (bei  Cassini  geschrieben 
Tourneloup)  und  als  Name  einer  Wassermühle.  Im  zweiten  Be- 
standteile von  Tournevelle  (Aisne  Dt.)  1  wird  sicherHch  veau  stecken, 
da  der  Ortsname  1287  Tourneveel  hiefs.  Die  Katze  auch  einmal: 
Seint-Felix-de-7ö?/r«<?^ö/  (Ariege  Dp.).  In  der  spanischen  Provinz 
Cäceres  haben  wir  Tornavacas,  villa,  (sit.  en  una  pequeiia  hondonada), 
bei  Del  Castillo  IV,  82  und  Madoz  XV,  34,  auch  als  „puerto  6 
passo",  wo  der  zweite  Bestandteil  ganz  deutlich  ist.  —  Verbunden 
mit  Sachnaraen:  Tourne-Talon  (Isere  Joanne  I.  c.)  ein  grofses  von 
Weiden  besetztes  Plateau  bei  Allevard,  dessen  Gröfse  humoristisch 


'  Dp.  schreibt  es  mit  dem  Artikel  Le. 


54 

durch  den  Namen  charakterisiert  wird.  —  Unklar  ist  Tourntmenton, 
maison  isolee  in  Haute-Loire  Dt.;  vielleicht  ein  Spitzname.  — 
Tournefeuille ,  eine  Ortschaft  in  Haute-Garonne  Joanne  1.  c.  und 
zwei  Bäche  in  Lot  Joanne  1.  c.  und  Dordogne  Dt.;  einmal  mit  dem 
Artikel  Le  Tournefeuille ,  „ferme"  in  Mayenne  Dt.  Vgl.  tourne- 
feuille sm.  =  Notenblatt -Wender;  tourne-feuillet  sm.  Blatt-Lese- 
Zeichen.  —  Ein  Bach  in  Dordogne  wird  trefflich  Tourtievalade  be- 
nannt; desgleichen  Tornapassolo,  torrentello  nella  prov.  di  Mantova 
bei  Fabi  S.  458,  falls  in  passolo  Dim.  von  passo  =  Schritt  vorliegt 
(cf.  passolino).  Den  Namen  vgl.  mit  der  Angabe  bei  Fabi:  dopo 
breve  corso  sbocca  nel  Tartaro.  —  Verbreiteter  ist  piche,  pique  sf. 
Tournepiche  (Charente  Joanne  I.e.);  ferner  Flurname,  Gasse  und 
Burg  in  der  Gemeinde  Grignol  (Dordogne  Dt.)  und  eine  Vorstadt 
von  P6rigueux,  belegt  schon  1260  Tornapicha.  Auch  die  Form 
Tourne-Pique  kommt  in  diesem  Dep.  vor,  als  Flurname  und  als 
Name  einer  Mühle.  Das  letztere  kann  allerdings  auch  doppelter 
Imper.  sein.  Durch  den  Ausdruck  sollen  wohl  gewesene  Rodeacker 
bezeichnet  werden.  —  Zu  der  Gruppe  Passavant,  die,  wie  wir  ge- 
sehen, unliebsame  Orte  charakterisiert,  gehört  auch  Tournedos,  zwei- 
mal in  Eure  Joanne  1.  c;  dazu  Tournedoz  (Doubs  Joanne  1.  c.)  mit 
anderer  Orthographie,  Vgl.  ä  tourne-dos  =  verkehrt  sitzend  und 
Castrum  de  Tornaculo  a.  1203  bei  Tiraboschi,  ,,al  cui  nome  diede 
forse  origine  qualche  sconfitta  che  constrinse  i  combattenti  a  volger 
le  spalle".  —  Die  Gruppe  Taillebourg^  Tailleville  etc.,  dient  zur 
schildernden  Bezeichnung  von  mächtigen  Burgen,  Städten  etc.,  die 
den  Feinden  Furcht  einflöfsen.  Zu  dieser  gehört  vielleicht  Fort  de 
Tourneville  (Seine-Inferieure,  Ille-et- Villaine,  Eure,  Manche  Joanne  1.  c). 
Vgl.  in  der  Schweiz  Ziving-Uri.  Unklar  ist  daher  die  Bedeutung  von 
lournefort  (Alpes-Maritimes,  Bouches-du-Rhone  Joanne  1.  c;  Hautes- 
Alpes  Dt.,  hier  belegt  1271  Castrum  Tornaforti;  H6rault),  Torna- 
fort  (lugar,  Del  Castillo  IV,  51g)  in  der  spanischen  Provinz  Lerida, 
weil  man  nicht  weifs,  ob  im  zweiten  Bestandteile  Adv.  oder  Appell, 
zugrunde  liegt.  Der  spanische  Ort  befindet  sich  nach  Madoz  XV: 
sobre  una  collina  muy  elevada,  rodeada  de  otras  mas  altas.  Vgl. 
im  Nizzaischen  tourna  fuorie  =  a  forte  di  nuovo  bei  Amati  VIII,  385 
und  nprov.  tourna-mai  =  derechef  bei  Mistral.  Auch  als  Familien- 
name: Joseph  de  Tournefort,  bekannter  französischer  Botaniker.  — 
Zwei  Mühlen  in  Nievre  Dt.  hiefsen  Tournesac.  Jetzt  bezeichnet 
einer  von  diesen  Namen  ein  Dorf.  Ebenso  heifst  ein  Wildbach  in 
Cote-d'Or,  Joanne  I.  c.  Im  zweiten  Bestandteile  erkennen  wir 
Saccus.  —  In  Bezug  auf  die  Bedeutung  wird  man  Tournebise  (Puy- 
de-Döme  zweimal,  Joanne  1.  c.)  wohl  mit  Heurtehise  und  dem 
Personennamen  Tornavent  bei  Darmesteter  1.  c.  S.  150  und  180 
vergleichen  können.  —  Tournehride,  entlegenes  Dorf  und  zweimal 
als  „ferme"  in  Mayenne,  in  Calvados  Dt.  dreimal  als  hameau,  nach 
Dp.  noch  in  Aisne,  Ille-et -Villaine,  Loire-Inferieure,  Manche, 
Moselle,  Seine-et-Marne,  Vendee,  Yonne,  auch  mit  dem  Artikel 
Le  Tournehride  (Nord),  sind  wahrscheinlich  identisch  mit  dem  Appell. 


55 

le  tournebride  ==  petit  cabaret  de  campagne.  —  Dazu  noch  lourne- 
coiipe  (Gers),  vielleicht  Doppelimperativ;  7r)?^/-«f<-ö/ (Haute-Loire  Dt), 
mit  merkwürdigen  Belegen  a.  1544  Tornacot,  a.  1695  Tornacotte; 
Tourneloiiich  (Aude  cf.  gase,  bouych  =  buis  in  Glossaire  etc.)  und 
Tourneboissei  (Eure),  welche  buxus  enthalten,  Toiirnemire  (Aveyron, 
Cantal,  Gers  Dp.,  Tarn  Joanne  1.  c),  wo  vielleicht  mira  sf.  oder 
doppelter  Imper.  vorliegt;  Tourne-Poele  (chäteau,  Vienne  Dp.);  Le 
Toiirneboule  (Yonne  Dp.).  —  Unklar  ist  die  Bedeutung  des  zweiten 
Bestandteiles  in  Toiirnehanne,  „ecart"  in  Marne  Dt.  Es  kann 
nämlich  sowohl  nfr.  banne  als  afr.  bane  =  banniere  sein.  —  Hierher 
gehört  offenbar  auch  Tourttecapet ,  Mühle  und  Lehnsgut  in  Basses- 
Pyrenees  Dt.,  belegt  a.  1535  Tornacapet  und  Tornacapeg,  1635 
Tornacapeig,  lauter  gascognische  Formen  von  *türna  cappellum.  — 
Als  Doppelimperativ  ist  wohl  zu  fassen  Tourne-Vire  (Lac  de),  en 
Maurienne  Savoien  Dt.,  womit  die  Vorstellung  von  immer  wogenden 
Wellen  des  Sees  ausgedrückt  wird. 

144.  Trancher  (nprov.  trenca,  trinca)  liegt  sicher  vor  in 
Tranche-Serp,  Mühle  in  Dordogne  Dt.,  und  in  Le  moulin  de  Trinque- 
Serp,  pres  Chateaurenard  (Bouches-du-Rhone)  bei  Mistral  II,  1039. 
Vgl.  ital.  Scafinaserpe.  Desgleichen  in  Trenque-Vedel,  pres  Tavels 
(Card),  auch  bei  Mistral  a.  a.  O.  In  Lot-et-Garonne  Dp.  ein  chäteau : 
TrenqueUon,  vgl.  damit  einen  adeligen  gascognischen  Familiennamen 
Trenqueh'on,  Mistral  a.  a.  O.  Unklar  ist  die  Bedeutung  von  Tranche- 
Pouge,  Dorf  in  Dordogne  Dt.  Nach  den  Belegen  aus  1332  Mansus 
de  Tranche-Poye  hätten  wir  im  zweiten  Bestandteile  den  Imperativ 
von  pojar  =  steigen  oder  *podia  sf.  zu  suchen,  worauf  nprov.  piejo, 
pijo,  apijo  sf.  =  etai,  etan9on,  pointal  Mistral  II,  569  zurückgeht. 
Vgl.  damit  tranche-montagne  sm.  =  Prahler,  Aufschneider  und 
Talamon.  —  Tranquehise  (Tarn-et-Garonne)  bei  Mistral  II,  1039, 
Tranche-Pied  (A liier  Dp.);  Tranchevilliers  (Eure  Dp.)  und  Tranchesol 
(Haute-Loire  Dt.)  erinnern  an  schon  bekannte  Spariivenio,  Taillepied, 
TailleviUe  und  Taille-Vm-enne.  —  In  TrinquetaiUe ,  faubourg  d'Arles, 
situe  dans  l'ile  de  Camargue,  ä  l'endroit  oü  le  Rhone  „tranche  et 
taille"  son  delta,  wie  Mistral  a.  a.  O.  erklärt,  1  sind  zwei  Imperative 
zu  sehen.  Tranchebourse,  localite  detruite  und  lieu-dit  in  Haute- 
Loire  Dt.  ist  dagegen  nur  als  Spitzname  der  Bevölkerung  begreiflich ; 
vgl.  it.  Tagliaborsa. 

145.  Prov.  trepar  =  springen  (trepigner,  trembler)  in  Ver- 
bindung mit  loup,  Tripalou  (Aveyron  Dp.):  Trepaloups  (Gard  Dt.) 
quartier,  belegt  1789  Trepaloux.  Das  andere  Trhpeloup  in  Gard  Dt., 
eine  „ferme",  obwohl  es  auch  Cr^pelotip  heifst  und  a.  1343  de 
Crepalupo  belegt  war,  gehört  wahrscheinlich  auch  hierher.  Vgl. 
den  Pflanzennamen  trepo-chivau,  -chival  sm.  bei  Mistral  II,  104 1. 


•^  Vgl.  bei  Sauvages  11,335  trincotälio  =  \a.  renouee,  plante  rampante. 
Derselbe  Autor  und  nach  ihm  d'Hombres  S.  637  erwähnen  diesen  Ortsnamen, 
erklären  ihn  aber  anders:  =  oü  l'ou  ne  paie,  dit-on ,  point  de  taille.  Son 
nom  est  le  mSme  que  taille  rompuc,  etc. 


56 

146.  Prov.  trissar  =  zerreiben  im  Namen  einer  alten  Mühle: 
Trisse-Paille,  Herault  Dt. 

147.  Tromper  in  einem  recht  humoristischen  Beispiele: 
Trompe-Sourts,  „ferrae"  in  Mayenne  Dt.  und  zweimal  als  hameau 
in  Calvados  Dt.  Bei  Trompe-Vauvre,  „ferme"  in  Dröme  Dp.  könnte 
man  zweifeln,  ob  es  hierher  gehört,  da  im  ersten  Bestandteile  auch 
das  Substantivum  trompe  und  im  zweiten  das  Adj.  vorliegen  kann. 
Da  aber  Trompe-Paiivres  bei  Beziers  eine  sichere  Deutung  zuläfst 
wegen  des  Akkusativs,  so  wird  T?-ompe-Fauvre  auch  hierher  gehören, 
Mistral  II,  105  6. 

148.  Nprov.  troussa  =  ployer,  fausser,  tortuer,  fl6chir  violem- 
ment,  trousser,  replier,  rendre  boiteux  etc.,  aprov.  trossar  =  casser, 
mettre  en  morceaux,  briser,  erscheint  in  Troussebasuf  nprv.  Trosso- 
bidu,  aprov.  Trossabiou,  in  P^rigord,  was  sich  wiederum  an  die 
schon  bekannten  Fälle,  wie  Etraiigle-Motäon,  Esgouarrehaque,  Es- 
canecrabe  etc.  reiht.  Dazu  in  Nord  Frankreich  Trotisse-vache  (Seine-et- 
Marne).  Dem  Massabielle  entspricht  hier  TroJisseboiirg  (Calvados  Dp.). 
Vgl.  Troussecaillau  (Passes-Pyrenees  Dt.). 

14Q.  Tu  er  mit  Tiernamen  ist  auf  Frankreich  beschränkt. 
Thubaeuf  ist  viermal  in  Mayenne  Dt.  vertreten  zur  Benennung  einer 
Gemeinde,  einer  „ferme",  eines  Lehngutes  und  einer  Burg.  Die 
älteren  Belege  zeigen  deutlich  die  ursprüngliche  Form:  Tuebof  1 184, 
Decima  de  Tuebove  12.  Jh.,  Tueboeuf  1651.  Hierher  auch  der 
Bergname  Tubeuf  (Herault  Dt.).  Diese  Verbindung  ist  auch  als 
Zuname  belegt,  s.  bei  Darraesteter  1.  c.  S.  180  Tudeboeuf  in  einem 
afr.  fabliau,  1.  c.  S.  182  Hubert  Tue-Buef,  aus  dem  13.  Jh.  S.  183 
Raymondus  Tuebuef.  —  Mit  lupus:  Tueloup  (Indre-et-Loire  Dp.); 
Tuloup,  Haus  in  Nievre.  Vgl.  den  Zunamen  Robert  tue  leu  o.  c.  186 
und  den  Pflanzennamen  nprov.  tuo-loup  sm.  aconit  tue-loup  und 
estranglo-loup  =  aconitum  lycoctonum  bei  Mistral  II,  1064  und  I,  1070, 
wo  auch  andere  gleichgebildete  Pflanzennamen  zu  finden  sind. 

150.  Prov.  ventar  =  venter,  souffler,  jeter  au  vent,  vanner, 
agiter  l'air,  battre  des  ailes  in  Veniead  (Haute-Loire),  a.  1340 
Campus  vocatus  Ventacul  und    Vente-Farme  (Card  Dt). 

Peter  Skok. 


Der  innere  Zusammenhang  in  der  Entwicklung 
der  Romanischen  Sprachen. 


Nescire    autem    quid   antequam   natus  sis 
acciderit,   id  est  semper  esse  puerum.     Quid 
enim  est  aetas  hominis,  nisi  ea  memoria  rerum 
veterum  cum  superiorum  aetate  contexitur? 
Cicero,  Orator  34,   120. 

I.    Forderung  einer  pragmatischen  Geschichte  der  Sprache. 
Chronologie   und  Kausalnexus  der  sprachlichen  Vorgänge. 

Alle  sprachliche  Entwicklung  —  aus  irgend  einem  einmal 
gegebenen  Zustand  in  einen  anderen  —  dürfte  erschöpfend  dar- 
gestellt sein,  wenn  folgende  Punkte  berücksichtigt  wurden:  i.  Wort- 
schatz, 2.  Artikulationsbasis,  3.  Bedeutung,  4.  Akzent,  5.  Wort- 
bildung, 6.  Syntaktische  Fügung,  7.  Funktion,  8.  Wortstellung,  l 

Die  historische  Grammatik  hat  davon  abstrahiert,  dafs  in 
Wirklichkeit  alle  diese  Punkte  oder  die  Mehrzahl  von  ihnen  nicht 
getrennt  voneinander  zu  beobachten  sind,  und  so  haben  wir  uns 
gewöhnt,  die  Sprache  „Punkt  für  Punkt"  zu  betrachten,  im  Auf- 
und  Umrifs,  in  allen  Projektionen.  Abgesehen  von  der  inneren, 
prinzipiellen  Berechtigung  dieser  Abstraktion  wäre  es  auch  anders 
nicht  möglich  gewesen,  zur  Erkenntnis  der  sprachlichen  Vorgänge 
zu  gelangen.  Aber  die  historische  Grammatik,  wie  sie  bisher  be- 
trieben wurde,  deckt  sich  nicht  mit  dem,  was  wir  uns  unter  dem 
Begriffe  „Geschichte  der  Sprache"  zu  denken  haben.  Sie  selbst, 
hochverehrter  und  lieber  Meister,  haben  es  in  Ihrem  letzten, 
viel  bewunderten  Buche  ausgesprochen,  2  dafs  die  Darstellung 
sprachlicher  Entwicklung  „eine  historische  und  organische"  sein 
müsse.  Die  Geschichte  der  Sprache  mufs  die  Rolle  der  lebenden 
Photographie  spielen;  sie  soll  uns  nicht  einzelne  Teile  vergegen- 
wärtigen, sondern  den  ganzen  lebendigen  Vorgang  in  der  fort- 
währenden Wechselwirkung  aller  Kräfte.     Das  Bedürfnis  nach  einer 


*  Die  Reihenfolge  dieser  Aufzählung  wird  auf  S.  62  näher  erörtert  werden. 

*  Historische  Grammatik  der  französischen  Sprache,  S.  VIII. 


58 

solchen  Geschichtschreibung  der  Sprache  drückte  sich  bisher  nur 
in  der  Wortgeschichte  aus.  Die  Wortgeschichte  gibt  uns  nun  zwar 
die  Gesamtheit  der  sprachlichen  Erscheinungen,  aber  nur  an  Bruch- 
teilen der  Sprache.  Wir  steuern  der  Geschichte  der  Sprache  zu, 
die  für  das  ganze  Sprachmaterial  leistet,  was  die  Wortgeschichte 
für  das  einzelne  Wort:  die  Darstellung  aller  Schicksale  in  ge- 
schlossener Reihe,  unter  Berücksichtigung  sämtlicher  Einschlagfäden, 
nicht  in  willkürlich  abstrahierender,  sondern  in  streng  chronologischer 
Gruppierung,  so  dafs  der  Beobachter  das  Leben  der  Sprache  als 
Ganzes  in  allen  aufeinander  folgenden  Stadien  ihrer  Entwicklung 
vor  Augen  hätte.  Mit  andern  Worten:  Sprachgeschichte  wie 
Menschheitsgeschichte,  nicht  in  methodischer  Sonderung  der  Er- 
eignisse, sondern  in  fortlaufender,  innerlich  zusammenhängender 
Schilderung  des  Wirkens  aller  Faktoren.  Nach  der  zergliedernden 
Darstellung  der  historischen  Grammatik  winkt  uns  als  weitere  Auf- 
gabe die  pragmatische  Geschichte  der  Sprache. 

Dagegen  wird  vielleicht  mancher  von  vornherein  Stellung 
nehmen  mit  der  Begründung,  die  Sprache  wäre  kein  adaequater 
Gegenstand  der  pragmatischen  Geschichtsschreibung,  weil  sie  nicht 
nur  Objekt  der  Geisteswissenschaften,  sondern  auch  Objekt  der  Natur- 
wissenschaft sei  und  daher  mindestens  auch  nach  naturwissen- 
schaftlicher Methode  behandelt  werden  müsse.  Diesen  Einwand 
halte  ich  für  widerlegbar.  Die  Sprache  geht  auch  in  ihrem  physischen 
Teil  auf  die  Psyche  zurück,  da  wir  ja  doch  ohne  zentrale  Hirn- 
tätigkeit keinen  Laut  wirklich  artikulieren  können;  der  Ausdruck  Maut- 
mechanisch',  der  Vergleich  der  Sprache  mit  einem  Mechanismus 
scheint  mir  viel  Unheil  angestiftet  zu  haben.  Mechanisch  ist  in  der 
Sprache  tatsächlich  gar  nichts;  nur  sind  uns  die  Vorgänge,  die 
man  als  'mechanische'  zu  bezeichnen  pflegt,  infolge  unendlicher 
(ontogenetischer  und  phylogenetischer)  Einübung  unbewufst.  Sie 
können  uns  aber  jeden  Augenblick  bewufst  werden  (und  werden 
es  auch),  was  bei  wirklich  automatischen  Daseinsvorgängen,  z.  B, 
beim  Stoffwechsel,  nie  der  Fall  ist.  Wir  haben  es  in  der  Sprache 
nicht  mit  mechanischen,  sondern  mit  mechanisierten  Bewegungen 
zu  tun.  In  die  Naturwissenschaft  gehört  nur  die  Lautphysiologie, 
die  Betrachtung  der  physischen  Möglichkeit,  der  physischen 
Voraussetzungen  für  Lautentstehung  überhaupt.  Die 
Sprache  als  Vorgang  hingegen  scheint  mir  gar  nicht  in  das 
Gebiet  der  Naturwissenschaft  zu  fallen.  Die  tatsächliche  Hervor- 
bringung der  Laute  gehört  in  den  Bereich  der  Lautpsychologie, 
die  der  Lehre  von  der  möglichen  Hervorbringung  der  Laute,  der 
Lautphysiologie,  gegenüber  zu  stehen  hat.i 

Aber  auch  der  psychophysische  Vorgang  ist  noch  nicht 
Sprache.  Der  hervorgebrachte  Laut  wird  doch  erst  dann  zum 
Sprachlaut,    wenn    die    Absicht    einer    Mitteilung    vorhanden   ist. 


*  Dieser  Zweiteilung    der  Aufgabe  sollten  alle  Lehrbücher  der  Phonetik 
Rechnung  tragen. 


59 

wenn  eine  Ideenassoziation  zu  ihm  tritt.  Somit  ist  alle  Sprache 
als  solche  rein  psychischer  Vorgang  und  das  Widerspiel  zwischen 
„mechanisch  und  psychisch",  wie  es  meistens  dargestellt  wird, 
wäre  besser  zu  charakterisieren  als  Widerspiel  zwischen  „unbewufst 
und  bewufst".  Im  Einzelindividuum  wie  in  der  Gesamtheit  der 
Sprechenden  sehen  wir  es:  der  Widerstreit  zwischen  unbevvufsten 
und  bewufsten  Sprachvorgängen,  das  ist  der  Widerstreit  zwischen 
Tradition  und  Neuschöpfung,  zwischen  Individualisierungs-  und 
Nivellierungstrieb,  zwischen  Erhaltungs-  und  Veränderungstrieb. 

Die  Sprache  ist  kein  Mechanismus.  Sie  ist  aber  auch  kein 
Organismus  im  naturwissenschaftlichen  Sinne.  Sie  existiert  nicht  an 
sich,  sondern  nur,  insofern  sie  von  hierzu  befähigten  Wesen  ge- 
handhabt wird.  Die  Sprache  ist  ein  Geistes- (resp.  Kultur-)  produkt. 
Sie  ist  eine  Institution.  Wie  jede  Institution  gewinnt  sie  ge- 
wissermafsen  objektives  Dasein  und  hat  Macht  über  den,  der  sie 
ausübt.  Ihr  Einflufs  erstreckt  sich  aber  gleichermafsen  auf  geistige 
wie  auf  psychophysische  Vorgänge;  ohne  diese  letzteren  ist  sie  so 
wenig  vorhanden,  wie  ohne  die  ersteren.^ 

Somit  ist  sie  ein  Objekt  sui  generis.  Daher  mufs  sie  auf  ihre 
eigne  Weise  behandelt  werden. 

Wenn  die  Sprache  in  keinem  Punkte  ihres  Wesens  etwas 
Physisch-Mechanisches  ist,  so  erscheint  es  auch  ungerechtfertigt,  in 
sprachlichen  Dingen  die  mathematische  Exaktheit  zu  erwarten,  mit 
der  wir  physische  Vorgänge  beobachten  und  voraussagen.  Es 
scheint  mir,  als  ob  die  Erwartung  dieser  Exaktheit  auch  in 
rein  lautlichen  Dingen  nicht  am  Platze  wäre.  Und  zwar  haupt- 
sächlich deshalb:  Es  geht  nicht  gut  an,  die  „lautlichen"  Vorgänge 
von  den  „anderen"  abzuschneiden  und  für  sie  eine  besondere 
Methode  in  Anwendung  zu  bringen.  Die  phonetischen  Vorgänge 
sind  Abflufs  desselben  Quells  wie  die  semantischen;  es  sind 
zweierlei  Wirkungen  derselben  Kraft,  der  Psyche.  Sie  sind  einander 
nicht  entgegengesetzt.  Sie  müssen  einheitlich  erklärt  werden. 
Denn  wir  wissen  jetzt,  dafs  die  phonetischen  Vorgänge,  die  „rein 
phonetischen"  Entwicklungen  gerade  so  (oder  erst  recht)  auf 
Analogiewirkungen  beruhen,  indem  die  Neigung  zu  irgend  einer 
artikulatorischen  Eigenheit  nicht  täglich  und  stündlich  frisch  hervor- 
bricht, sondern  dafs  eine  Neuerung  der  Artikulationsweise  von  einem 
Falle  auf  alle  ähnlich  gearteten  übertragen  wird.  Allerdings  liegt 
es  in  unserer  Denkart,  das  Gesetzmäfsige  überall  aufzusuchen,  denn 
es  ist  der  Ausdruck  dafür,  dafs  wir  den  Zusammenhang  der  Er- 
scheinungen verstehen.  Indem  wir  nun  darauf  verzichten,  mathe- 
matisch exakte  Gesetze  aufzufinden,  die  sich  doch  nur  auf  einen 
Bruchteil  der  sprachlichen  Vorgänge  beziehen  können,  auf  die 
Laute,  werden  wir  um  so  mehr  unser  Augenmerk  darauf  richten,  in 
der  Gesamtentwicklung  der  Sprache  ihre  Gesetzmäfsigkeit  historisch 
darzulegen.     Wir   werden    für    die  Betrachtung    der    Sprache    als 


^  Da   auch    die   nur    gedachte  Sprache    artikuliert   sein    mufs,    um    Laut- 
sprache zu  sein,  von  der  allein  hier  die  Rede  ist. 


6o 

Ganzes  die  geistige  Disposition  fordern,  die  Ernst  Mach  im  Sinne 
hat,  wenn  er  sagt,  ein  Naturgesetz  bedeute  für  uns  die  Einschränkung 
unsrer  Erwartungen:  Eine  eindringende  Beobachtung  des  ganzen 
Wesens  und  des  allgemeinen  Habitus  einer  Sprache  gibt  uns  nämhch 
den  Fingerzeig,  was  wir  in  einem  und  dem  anderen  Punkte  der 
Entwicklung  zu  erwarten  haben  und  befähigt  uns,  nach  rückwärts 
zu  prophezeien,  befähigt  uns  zur  Kritik  der  einzelnen  Fälle  und  zu 
den  paläontologischen  Aufgaben,  die  Sie  in  Ihrer  'Einführung' ^ 
analysiert  haben,  ohne  deren  Lösung  natürlicherweise  die  prag- 
matische Geschichte  der  Sprache  lückenhaft  wäre. 

Wenn  ich  also  überzeugt  bin,  dafs  die  Sprache  durchaus  ge- 
eignet ist,  Objekt  der  historischen  Wissenschaft  zu  sein,  so  zeigt 
sich  doch  sofort  ein  aufserordentlicher  Gegensatz  zwischen  Sprach- 
geschichte und  Menschheitsgeschichte,  sobald  wir  auf  das  Thema 
näher  eingehen. 

Wie  der  pragmatischen  Geschichtsschreibung  die  Annalen 
vorausgehen,  so  mufs  es  auch  bei  der  Sprachgeschichtsschreibung 
sein.  Ehe  wir  uns  daran  machen,  zu  schildern,  wie  ein  Zustand  B 
aus  dem  Zustande  A  erwächst,  müssen  wir  objektive  Gewifsheit 
haben,  dafs  der  Zustand  b  der  zeitlich  spätere  ist.  Die  chrono- 
logische Sprachbehandlung  mufs  der  pragmatischen  den  Weg  bahnen. 
Welcher  Unterschied  aber  hier  und  dort !  Die  Annalen  sind,  wenn 
man  so  sagen  darf,  eine  naive  Äufserung  des  INIenschengeistes;  sie 
entspringen  einem  unmittelbaren  Bedürfnis  und  sind  der  tatsächliche 
kunstlose  Vorläufer  der  Geschichtschreibung,  die  tieferen  Einblick 
in  den  Kausalnexus  der  Dinge  und  gröfsere  Reife  des  Urteils 
voraussetzt.  Es  lag  ein  kultureller  Fortschritt  darin,  dafs  man  von 
der  Beobachtung  des  Nacheinander  zum  Nachdenken  über  die 
Zusammenhänge  und  zur  Erkenntnis  einer  notwendigen  Verknüpfung 
gelangte. 

In  der  Linguistik  liegen  die  Dinge  fast  umgekehrt.  Erst  der 
tiefere  Einblick  in  die  Natur  der  sprachlichen  Veränderungen  be- 
fähigt uns,  das  unabweisbare  Bedürfnis  nach  chronologischer  Dar- 
stellung zu  befriedigen.  Die  Chronologie  der  sprachlichen  Er- 
scheinungen bildet  nicht  die  Grundlage  aller  sprachgeschichtlichen 
Untersuchung,  vielmehr  mufsten  die  aufserordentlichsten  Leistungen 
auf  jedem  einzelnen  Gebiete  vorausgehen,  ehe  wir  daran  denken 
konnten,  sie  in  Angriff  zu  nehmen.  Während  die  Annalen  mehr 
oder  weniger  sichere  Daten  geben,  die  aber  doch  tatsächlich  ge- 
gebene Daten  sind,  aus  denen  die  Verknüpfung  der  Ereignisse 
verständlich  wird,  mufs  die  sprachliche  Chronologie  ihre  Daten  aus 
den  Erscheinungen  abziehen,  wenn  es  ihr  nicht  gar  obliegt,  aus 
dem  vorhandenen  Sprachzustand  erst  zu  erschliefsen,  was  für  Vor- 
gänge diesen  Zustand  überhaupt  bewirkt  haben.  Die  Schwierig- 
keiten, denen  wir  dabei  begegnen,  sind  zu  bekannt,  als  dafs  man 
sie  noch  aufzählen  müfste :  die  Unzuverlässigkeit  und  die  Ungleich- 

^  2.  Auflage,  S.  62. 


6i 

heit  der  Überlieferung,  der  Mangel  an  datierten  Dokumenten,  der 
Zufall,  der  zahllose  Wendungen  nicht  bucht,  die  ohne  Frage  vor- 
handen gewesen  sein  müssen,  vor  allem  der  Umstand,  dafs  die 
gesprochene  Sprache,  insofern  sie  Augenblicksschöpfung  ist,  ja  nicht 
gebucht  wird,  während  die  „gebuchte",  die  Schriftsprache,  stets 
etwas  Rückständigkeit  zeigt  und  die  gesprochene  Sprache  von 
gestern  vorstellt.  In  bezug  auf  die  Entwicklungszeit  vom  spät- 
lateinischen zum  romanischen  Schrifttum  haben  Sie,  im  Hinblick 
auf  diese  Tatsachen,  den  Versuch  einer  absoluten  Chronologie  ab- 
gelehnt und  uns  für  die  lautlichen  Veränderungen  mit  einer  relativen 
beschenkt.  Eine  relative  Chronologie  aber  ist  der  Ausdruck  für 
den  aus  den  Tatsachen  zu  vermutenden  oder  sich  klar  ergebenden 
inneren  Zusammenhang  der  sprachlichen  Erscheinungen. 

Für  die  frühere  Entwicklungszeit  des  Romanischen  innerhalb 
des  lateinischen  Schrifttums  scheinen  die  Verhältnisse  etwas  günstiger 
zur  Aufstellung  einer  objektiven  Chronologie.  Und  diese  zu  liefern, 
war  der  eigentliche  Zielpunkt  meiner  Arbeit.  Von  Jahrhundert  zu 
Jahrhundert  fortschreitend,  wollte  ich  den  Wandlungen  nachgehen, 
die  wir  tatsächlich  belegen  können,  und  so  eine  Chronologie  der 
Romanismen  innerhalb  des  Lateinischen  schreiben.  Aber  die  Ver- 
knüpfung der  Erscheinungen,  wie  sie  sich  mir  aus  dem  Studium 
offenbarte,  fesselte  mich  derart,  dafs  die  Festlegung  der  Chronologie 
zurückblieb  und  die  Erforschung  des  inneren  Zusammenhanges  der 
Sprachvorgänge  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  trat.  So 
wurde  denn  statt  der  einen  —  ganz  objektiven  —  Seite  der  Auf- 
gabe die  andere  —  mufs  ich  sagen:  ganz  subjektive?  —  aus- 
gearbeitet. So  oder  so  war  es  meine  Absicht,  Material  zu  der 
Pragmatischen  Geschichte  des  Romanischen,  zunächst  innerhalb  des 
Lateinischen,  zu  fördern.  Eine  pragmatische  Geschichte  des 
Lateinischen  müfste  nicht  nur  die  Entfaltung  des  „klassischen"  und 
des  „vulgären"  Sprachgebrauchs  darstellen,  sondern  auch  die  Ent- 
stehung aller  der  Vulgarismen,  die  früher  oder  später  wieder  unter- 
gegangen sind.  Ich  beabsichtige  aber  nur  das  zu  verzeichnen,  was 
mindestens  im  Frühromanischen  noch  erhalten  ist.  Also  wieder 
nur  ein  Bruchstück;  aber  die  Geschichte  der  romanischen  Sprachen 
ist  ja  allerdings  in  diesem  Sinne  auch  nur  ein  Bruchteil  der  Ge- 
schichte des  Lateinischen. 

IL   Fassung  der  Aufgabe.     Dauer  der  verschiedenen 
sprachlichen  Evolutionen. 

Die  Darstellung  des  inneren  Zusammenhanges  der  sprachlichen 
Vorgänge  wird  natürlich  auf  alle  Lebensäufserungen  der  Sprache 
gleiche  Rücksicht  nehmen,  auf  die  rein  psychischen  wie  auf  die 
psychophysischen,  und  sie  wird  sich  aller  zu  Gebote  stehenden 
Mittel  zu  bedienen  haben,  der  sprachpsychologischen  und  der 
physiologischen  wie  der  historischen.  Der  Stand  unserer  sprach- 
psychoiogischen  wie  unserer  physiologischen  Beobachtungen  scheint 


62 

mir  nämlich  nun  so  weit  gediehen,  dafs  der  Versuch  gemacht 
werden  kann,  die  mehr  oder  weniger  theoretischen  Ergebnisse  der 
ersteren  und  die  praktischen  der  letzteren  auf  die  Geschichte  der 
Sprache  anzuwenden,  um  die  Verkettung  der  Einzelerscheinungen 
nachzuweisen.  Die  folgende  Arbeit  steckt  es  sich  also  zum  Ziele, 
das  Ineinandergreifen  der  rein  psychischen  und  der 
psychophysischen  Vorgänge  an  den  historisch  belegten 
Tatsachen  zu  demonstrieren,  also  das  unleugbar  vorhandene 
alte  Sprachmaterial  im  Lichte  der  experimentellen 
physiologischen  (resp.  sprachpsychologischen)  Forschung 
zu  zeigen.  Von  selbst  ergab  sich  dann  konsequentes  Weitergehen 
in  der  Anwendung  dieser  Methode  auf  das  historisch  nicht  Belegte. 

In  erster  Linie  wird  es  uns  zu  der  Frage  drängen :  Welche 
Gattung  der  S.  57  angeführten  sprachlichen  Veränderungen  mufs 
früher  resp.  später  auftreten  als  die  andere?  Von  welcher  werden 
wir  mit  objektiver  Gewifsheit  nachweisen  können,  dafs  sie  zur  Ver- 
änderung der  anderen  den   Anstofs  gab? 

Von  vornherein  ist  es  klar,  dafs  nicht  alle  sprachlichen  Ver- 
änderungen gleich  rasch  vor  sich  gehen.  Je  nach  dem  Grade 
der  Zähigkeit,  mit  dem  wir  an  sprachlichen  Eigenheiten  hängen, 
mufs  sich  der  Verlauf  verschieden  gestalten.  Betrachten  wir  daraufhin 
die  anfangs  aufgestellten  acht  Punkte,  an  denen  die  sprachlichen 
Veränderungen  sich  abspielen.  1 

Am  leichtesten  wechseln  wir  den  Wortschatz,  der  so  wenig 
zu  unserem  innersten  Sprachleben  gehört,  dafs  wir  in  entsprechend 
veränderter  Umgebung  imstande  sind,  ihn  im  Verlaufe  weniger 
Jahre  vollständig  aufzugeben ;  in  viel  kürzerer  Zeit,  oft  schon  nach 
wenigen  Wochen,  überraschen  wir  uns  dabei,  dafs  wir  beim  Denken 
und  im  Traume  das  neu  erworbene  Wortmaterial  anwenden  (im 
Traume  allerdings  meist  nur  scheinbar).  Bei  Veränderungen  des 
Wortschatzes  spielen  Mode  und  individuelle  Lage  eine  grofse  Rolle. 
Er  ist  bei  weitem  das  Äufserlichste  an  der  Sprache. 

Nach  ihm  trennen  wir  uns  am  leichtesten  von  der  Artiku- 
lationsbasis. Schon  der  einzelne  kann  die  seine  von  Grund  aus 
ändern ;  es  gelingt  nicht  nur  die  Artikulationsweise  einer  fremden 
Sprache  vollständig  nachzubilden,  es  kommt  auch  vor,  dafs  die 
fremde  Artikulationsbasis  in  der  eignen  Sprache  beibehalten  wird. 
Man  denke  nur  an  Deutsche,  die  in  Amerika  leben.  Auch  ist  es 
für  Veränderungen  der  Artikulationsbasis  geradezu  charakteristisch, 
dafs  sie  nur  eine  gewisse  Zeit  hindurch  in  Kraft  sind  und  nach 
längerer  oder  kürzerer  Dauer  nicht  weiter  verfolgt  werden.  Es 
wechselt  also  in  verhältnismäfsig  geringen  Zeitabständen  die  ganze 
Richtung  der  Artikulationstendenz. 

Die  Bedeutung  hängt  von  inneren  und  äufseren  Umständen 
ab;    sie    kann    jederzeit    und    in    verschiedenster    Geschwindigkeit 

^  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  werden  die  Sprachentwickluugsvorgänge 
von  den  Spracherlernungsvorgängen  beleuchtet. 


63 

wechseln.  Sie  ist  von  der  inneren  und  äufseren  Form  der  Wörter 
nicht  zu  trennen;  sie  beherrscht  die  lautliche  Gestalt  der  Wörter 
als  „innerlicher  Systemzwang".  Wiederholt  fällt  Bedeutungs- 
wandel mit  Veränderungen  der  Wortbildung  zusammen,  begründet 
sie,  geht  aus  ihr  hervor.  Haftet  die  ursprüngliche  Bedeutung  mit 
grofser  Zähigkeit  an  der  betreffenden  Lautgruppe,  so  hält  sie 
sich  neben  der  neuen  Bedeutung.  Auf  diese  Weise  entstehen  die 
Wörter  mit  aufserordentlich  vergröfserter  oder  übertragener  Be- 
deutungssphäre, Wörter  mit  vielerlei  Verwendungen.  Denn  der  Vor- 
gang kann  unendliche  Male  stattfinden. 

Viel  schwerer  trennen  wir  uns  von  unserem  gewohnten  Sprech - 
ton  (darunter  verstehe  ich  „Akzent"  im  weitesten  Sinne).  Ob  die 
Hervorhebung  des  Wichtigen  durch  Höhe,  Stärke  oder  Dauer  des 
Luftstromes  geschieht,  ob  nur  eines  der  drei  Hervorhebungs- 
prinzipien vorherrscht,  oder  ob  sie  sich  in  irgend  einer  charakte- 
ristischen Art  mischen,  immer  ist  die  Behandlungsweise  des  Luft- 
stromes ein  Hauptcharakterzug  der  Sprechgewohnheit,  der  den 
Sprecher  als  Angehörigen  einer  Sprachgemeinschaft  erkennen  läfst, 
auch  wenn  er  sich  irgend  eines  anderen  Idiomes  bedient.  Wir 
erlernen  die  Artikulation  einer  fremden  Sprache  viel  leichter  als 
ihren  eigentümlichen  Tonfall,  ihren  Vokaleinsatz,  ihren  mehr  oder 
weniger  gleichmäfsigen  Silbendruck.  Daher  verraten  fliefsend  und 
„rein"  sprechende  Ausländer  doch  am  Sprechton  ihre  Heimat. 
Akzentveränderungen  innerhalb  einer  Sprachgemeinschaft  sind 
Prozesse,  die  sich  mindestens  über  viele  Hunderte  von  Jahren 
erstrecken. 

Die  Wortbildung  entspringt  unmittelbar  dem  Sprachbewufst- 
sein  und  hängt  aufs  innigste  mit  ihm  zusammen.  Die  wortbildnerische 
Kraft  ist  das  „Sprachgefühl"  an  sich:  sie  bewirkt  den  Amal- 
garaierungsprozefs,  den  wir  bei  der  Entlehnung  von  Fremdwörtern 
beobachten,  die  der  eignen  Sprache  angeglichen  werden;  sie  be- 
wirkt die  Neuschöpfungen  nach  Mafsgabe  vorhandener  Proportionen, 
die  analogischen  Veränderungen.  Sie  sitzt  so  tief  im  Geiste,  dafs 
bei  (unbewufster)  Verwendung  ihres  Materials  kaum  ein  MifsgrifF 
vorkommt.  Eine  unermefsliche  Einübung  macht  sie  zum  unmittel- 
baren Denkwerkzeug.  Die  Behandlung  der  Kasus-  und  Fle.xions- 
suffixe  sowie  die  Zusaramenfügungen  in  weiterem  und  engerem 
Sinne  sind  so  intensiv  mit  dem  Wesen  der  Sprache  verbunden, 
dafs  sie  auf  Jahrtausende  hin  an  ihnen  festhält.  Nach  ihnen  wird 
die  Sprache  agnosziert;  sie  bilden  das  Kriterium  für  die  Stamm- 
verwandschaft der  Sprachen. 

Zur  Wortbildung  verhalten  sich  die  syntaktischen  Gebilde 
wie  das  Frühere  zum  Späteren.*  Es  ist  wohl  keine  Frage,  dafs  die 
Sprache  keine  Suffixe  als  solche  hervorbringt.  Sie  schafft  syntaktische 
Gebilde    zum    vollen    Ausdruck    eines    Gedankeninhaltes    und    nach 


^  Vgl.  Brugmann,  Über  das  Wesen  der  sogenannten  Wortzusammen- 
setzung, Berichte  der  Sachs.  Ges.  der  Wiss.  1900,  S.  359IF.  und  die  dabelbst 
angeführte  Literatur. 


64 

unendlich  langen  Zeiträumen  verschmilzt  dieses  syntaktische  Gebilde 
lu  einer  Sprecheinheit,  verändert  seinen  Rhythmus  und  wird  ein 
zusammengesetztes  VVort,i  dann  ein  Wort  mit  fühlbarer  Komposition, 
dann  ein  scheinbar  einheitliches  Gebilde.  Das  minderbetonte  Element 
ist  ein  Suffix  geworden  und  dient  nunmehr  als  traditioneller 
Ausdruck  einer  Begriffsbeziehung.  Dann  dient  es  also  zur 
Wortbildung,  während  es  einstmals  Bestandteil  der  syntak- 
tischen Bildung  ^ar.  Allgemach  verblafst  seine  Bedeutung, 
es  wird  inhaltleer  und  sinkt  zum  rein  formalen  Anzeiger 
der  Funktion  herab.  Damit  ist  es  ein  ganz  abstraktes  Aus- 
drucksmittel geworden  und  für  die  lebhafte  Rede  und  den  von 
ihr  beabsichtigten  raschen,  sicheren  Eindruck  nicht  mehr  kraftvoll 
genug.  Zum  emphatischen,  okkasionellen  Ausdruck,  der  kräftig, 
bildhaft  und  von  besonderer  Wirkung  sein  soll,  wird  ein  neues 
syntaktisches  Gebilde  als  Umschreibung  des  erstarrten 
verwendet  und  nach  abermals  unendlich  langem  Zeitraum  wieder- 
holt sich  der  Vorgang:  dieses  Neue  tritt  an  stelle  des  früheren, 
nachdem  es  die  gleichen  Wandlungen  durchgemacht  hat.  Das 
Neue  wächst  nach  und  nach  in  die  Stelle  des  Alten  hinein;  das 
Alte  stirbt  am  eignen  Alter.  Weit  entfernt,  dafs  die  Sprache  „nach 
Ersatz  sucht",  der  Ersatz  liegt  undenkliche  Zeiten  bereit  in  ihrem 
Schatze;  es  ist  die  seltnere  Münze,  deren  Prägung  voll  in  die 
Augen  leuchtet,  im  Vergleich  zur  abgenutzten,  nicht  mehr  leser- 
lichen.2  Ich  verweise  nur  auf  den  Ersatz  der  Kasussuffixe  durch 
präpositionale  Wendungen,  oder  den  Ersatz  der  Deponentia  und 
Mediopassiva  durch  die  reflexive  Form,  oder  den  Ersatz  des  Adverbs 
durch  die  Bildung  des  Adjektivs  mit  mente.  Allemal  wird,  zunächst 
okkasionell,  die  einfache  Ausdrucksweise  durch  eine  peri- 
phr  astische  ersetzt,  die  nach  gröfseren  Zeitabschnitten  zur 
stehenden  „Form"  erstarrt  und  uns  die  Vermutung  gestattet,  dafs 
die  uns  überlieferten  „Formen"  seinerzeit  denselben  Weg  zurück- 
gelegt haben.  Daher  sind  syntaktische  Bildungen  und  Wort- 
zusammensetzungen nicht  typisch  verschieden,  sondern  nur  ver- 
schiedene Stadien  desselben  Entwicklungsweges.  Sie  zeigen  gleichen 
Rhythmus,  gleiche  Bildungsgesetze  (vgl.  unten  Rhythmus  und  Wort- 
stellung). Es  sei  daher  der  Kürze  halber  gestattet,  die  fliefsenden 
wie  die  festen  Gefüge  unter  dem  Ausdruck  „syntaktische  Fügungen" 
zusammenzufassen. 

Die    Funktion,     „die    innere    Form",    gehört    zum    zähesten 
Sprachbesitz.     Als    Ausdruck    der    Beziehungen,    die    zwischen    den 


'  Vgl.  Rom.  Gram.  II,  S.  576,  J.  van  Ginnecken,  Principes  de  Linguistique 
psychologique,  S.  280  und  die  daselbst  angeführte  Literatur. 

*  In  der  schriftlichen  Überlieferung  mag  hier  oft  die  Täuschung  möglich 
sein,  dafs  es  sich  anders  verhält,  indem  eine  Wendung,  vielleicht  als  zu  niedrig 
oder  anstöfsig,  besonders  lange  von  der  Schriftsprache  ausgeschlossen  bleibt, 
so  dafs  man  sie  erst  konstatieren  kann,  wenn  die  alte  schon  ausgestorben  ist. 
Das  beweist  aber  nichts  gegen  die  Annahme,  dafs  jeder  Gedanke  in  der 
Sprache  fortwährend  ausdrückbar  ist  und  sein  mufs. 


65 

Teilen  der  Gesamtvorstellung  besteht,  ist  sie  vom  Denken  selbst 
kaum  zu  trennen.  Sie  beherrscht  und  beeinflufst  die  lautliche 
Gestalt  der  Wörter  als  „äufserer  Systemzwang"  und  ruft  die 
Proportionsbildungen  hervor. 

Ich  habe  die  „Form"  nicht  als  einen  eignen  Punkt  unter  die 
anderen  Beobachtungspunkte  eingereiht.  Es  scheint  mir,  wie  ich  es 
schon  einmal  auszuführen  versuchte,^  prinzipiell  unmöglich,  die  Ver- 
änderung der  Form  den  hier  besprochenen  an  die  Seite  zu  stellen,  es 
wäre  denn  in  der  eben  erwähnten  Evolution  vom  syntaktischen  Ge- 
bilde zur  Wortzusammensetzung,  hervorgerufen  durch  die  Veränderung 
in  der  Wahl  der  Ausdrucksmittel  (vgl.  oben  die  periphrastischen 
Bildungen).  Im  übrigen  ist  die  Form  entweder  „innere  Form", 
das  ist  Funktion  resp.  Bedeutung,  und  unterliegt  den  oben  an- 
geführten Schicksalen;  oder  sie  ist  „äufsere  Form",  Form  im  engeren 
Sinne:  dann  ist  sie  das  Ergebnis  der  phonetischen  und  semantischen 
Veränderungen  des  Wortes.  Sie  zeigt  uns  an,  in  welchem  Zu- 
stande das  Wort  sich  eben  befindet;  sie  kann  historisch  betrachtet 
werden,  insofern  es  sich  um  Beschreibung  eines  in  der  Geschichte 
feststehenden  Punktes  der  Sprache  handelt;  aber  sie  ist  kein  Stoff 
für  ein  selbständiges  Kapitel  der  Entwicklungsgeschichte,  denn  was 
den  Wechsel  der  Form  herbeiführt,  ist  entweder  Wechsel  der 
Artikulation  oder  Wechsel  der  Funktion,  artikulatorische  oder 
semantische  Analogie.  Daher  ist  alles,  was  über  die  Geschichte 
der  Form  vorgebracht  werden  kann,  schon  in  den  anderen  Kapiteln 
der  Entwicklungsgeschichte  enthalten. 

Das  innerste  Rad  in  der  Werkstatt  ist  die  Wortstellung,  in 
der  sich  die  Satzauffassung  ausspricht,  die  Art  und  Weise,  wie  die 
Gesamtvorstellung  zergliedert  wird.  Hier  handelt  es  sich  um  die 
letzten  Zusammenhänge  zwischen  Denken  und  Sprechen,  wo  die 
Grenzlinie  zwischen  beiden  verläuft.  Denn,  wenn  wir  auch  in  ab- 
gekürzten und  nicht  vollständig  abgegrenzten  Gedankenkomplexen 
—  ohne  Worte  —  denken  können,  so  gibt  es  kaum  ein  Denken 
ohne  eine  irgendwie  geartete  Gruppierung  der  Vorstellungen. 
Denken  heifst  doch:  Eine  Gesamtvorstellung  zergliedern  oder  Teil- 
vorstellungen zu  einander  in  Beziehung  zu  bringen.  Es  ist  kaum 
in  Abrede  zu  stellen,  dafs  die  Teile  der  Gesamtvorstellung  also 
notwendigerweise  vom  Denkenden  resp.  Sprechenden  in  irgend 
eine  Reihenfolge  gebracht  werden,  die  Reihenfolge  sei  übrigens 
wie  sie  wolle.  In  diesem  Punkte  sind  die  in  der  ersten  Jugend 
erlernten  Gepflogenheiten  vom  gröfsten  Einfiufs;  hier  sitzt  die 
Überlieferung  am  zähesten,  und  nirgends  ist  der  Widerstand,  den 
die  allgemeine  Übung  der  Einzelauffassung  entgegensetzt,  gröfser. 
Dementsprechend  sehen  wir,  dafs  die  Veränderungen  in  der  Wort- 
stellung unendlich  langsamer  vor  sich  gehen  als  alle  übrigen;  es 
sind   vieltausendjährige  Prozesse;    daher  ist  unser  Belegmaterial  ein 


»  Vgl.  Die  Rolle  der  Semantik   in  der  historischen  Grammatik,   Germ.- 
Rom.  Monatshefte  1910. 

Beiheft  zur  Zeitschr,  f.  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift  )  c 


66 

recht  spärliches.  Ich  erinnere  nur  an  die  Wortstellungsverhältnisse 
in  den  Romanischen  Sprachen:  die  —  wie  man  annehmen  darf  — 
indogermanische  Wortstellung,  wie  sie  uns  als  „lateinische"  entgegen- 
tritt, ist  noch  immer  nicht  abgestorben.  Sie  hat  mindestens  drei 
vollständige  Umwälzungen  der  lautlichen  Sprachgestalt  überdauert: 
vom  Urindogermanischen  zum  Uritalischen,  von  diesem  zum  Latei- 
nischen und  vom  Lateinischen  zum  Romanischen.  Sie  ist  archaisch, 
aber  sie  wird  in  allen  Fällen  noch  voll  verstanden.  Man  bildet 
zwar  nicht  mehr  neue  syntaktische  Fügungen  nach  ihr,  aber  sie 
lebt.  In  bestimmten  Punkten  ist  sie  in  vielen  romanischen  Sprachen 
noch  immer  die  einzige  Mögliche  (z.  B.  in  der  Stellung  der  Negation 
vor  dem  Verbum);  sie  lebt  in  einzelnen  Wendungen,  sie  lebt  mit 
geringen  Einschränkungen  in  der  Poesie,  die  ja  noch  konservativer 
ist  als  die  prosaische  Schriftsprache  und  in  der  die  bewufste  An- 
knüpfung an  das  Althergebrachte  einen  noch  breiteren  Raum 
einnimmt. 

Wenn  man  nun  sieht  (vgl.  unten),  dafs  die  romanische  Wort- 
stellung schon  vor  Beginn  unserer  Zeitrechnung  stark  ausgebreitet 
war,  so  mufs  der  Umwandlungsprozefs  von  der  lateinischen  zur  roma- 
nischen Wortstellung  viele  Hunderte  von  Jahren  früher  begonnen 
haben.  Ja,  in  Anbetracht  dessen,  dafs  alle  indogermanischen  Sprachen 
denselben  Wandel  durchmachen,  ist  man  versucht,  die  Frage  auf- 
zuwerfen, ob  nicht  auch  die  , romanische*  Wortstellung  schon  in 
die  indogermanische  Urzeit  hinabreicht.  Der  Keim  lag  vielleicht 
schon  in  der  Ursprache;  er  konnte  dann  nicht  anders  als  an- 
nähernd gleich  aufgehen. 


III.    Psychologischer  Exkurs  über  die  Ursachen 
sprachlicher  Veränderung. 

Es  ist  klar,  dafs  die  Veränderung,  die  am  langsamsten  vor  sich 
geht,  unendlich  viel  früher  begonnen  haben  mufs,  als  jede  andere, 
mit  der  wir  sie  gleichzeitig  konstatieren.  Wir  können  also  ohne 
weiteres  als  gesichert  annehmen,  dafs  die  Reihe  der  Romanismen 
mit  der  Veränderung  der  Wortstellung  beginnt  und  es  fragt  sich 
nun,  ob  es  möglich  ist,  irgend  einen  Zusammenhang  zwischen 
den  einzelnen  Veränderungen  festzustellen.  Können  wir  wahr- 
nehmen, dafs  ihre  Aufeinanderfolge  eine  innerlich  bedingte 
ist?  In  erster  Linie  käme  es  natürlich  darauf  an,  zu  wissen,  warum 
sich  zuerst  die  Wortstellung  verändert?  Denn  nachdem  sie  als  das 
weitaus  zäheste  aller  Sprachelemente  erkannt  worden  ist,  möchte 
man  versucht  sein  zu  glauben,  dafs  nichts  sie  erschüttern  könnte. 
Und  nun  werden  wir  sehen,  dafs  sie  am  frühesten  zu  wanken 
beginnt. 

Warum  verändert  sich  die  Wortstellung  überhaupt?  Einen 
Fortschritt  im  Denken  kann  man  darin  nicht  sehen.  Dafs  der 
Denkprozefs    nach   jeder    der    zwei    Methoden    —   der  lateinischen 


67 

wie  der  romanischen  —  gleich  gut  von  statten  gehen  kann,  ist 
nicht  nur  prinzipiell,  sondern  auch  historisch  offenbar,  da  ja  die  für 
unsere  ganze  geistige  Kultur  grundlegenden  Gedanken  in  derjenigen 
Wortstellung  gedacht  und  ausgedrückt  worden  sind,  die  jetzt  nicht 
mehr  die  herrschende  ist.  Den  Anforderungen  des  Denkenden  und 
Sprechenden  genügt  selbstverständlich  jede  der  beiden  Zerlegungs- 
methoden, Aber  für  den  Hörenden,  der  aus  den  Stück  für  Stück 
dargereichten  Teilen  die  Gesamtvorstellung  wieder  aufbauen  soll, 
ist  es  allerdings  ein  Unterschied.  Es  ist  keine  Frage,  dafs  die  roma- 
nische Wortstellung  dem  Hörer  diesen  Wiederaufbau  erleichtert, 
indem  sie  geeignet  ist,  seinen  Gedanken  rascher  die  Richtung  zu 
geben,  wohin  sie  sich  wenden  sollen.  Obzwar  an  sich  jede  Wort- 
stellung klar  ist,  nämlich  für  den,  der  sie  gewohnheitsmäfsig  braucht, 
bemerken  wir  doch  einen  Unterschied  zwischen  unsrer  deutschen, 
die  dem  archaischen  Typus  vielfach  ähnlicher  geblieben  ist,  und 
der  romanischen,  die  sich  ganz  wesentlich  von  ihm  entfernt  hat: 
Uns  scheint  die  romanische  Darstellungsweise  besonders  durch- 
sichtig und  klar,  und  die  Romanen  beschweren  sich  über  unsere 
schwierigen  Konstruktionen.  Setzen  wir  nun  einfach  statt  lateinisch 
und  romanisch  die  Ausdrücke  archaisch  und  modern,  so  können 
wir  sagen:  die  moderne  Wortstellung  nimmt  mehr  Rücksicht  auf 
den  Hörer  als  die  archaische.  ^  Darin  äufsert  sich  zwar  kein 
logischer,  wohl  aber  ein  entwicklungsgeschichtlicher  Fortschritt  des 
Menschen.  Eine  rein  teleologische  Erklärung  dieser  Entwicklung 
wäre  gewifs  ganz  verfehlt.  Doch  könnte  vielleicht  die  folgende 
Erwägung  auf  die  Veränderung  der  Wortstellung  einiges  Licht  werfen. 
In  einer  aufserordenthch  weit  hinter  aller  Überlieferung  liegen- 
den Zeit  ging  den  Sprechenden  der  Sinn  für  das  Ineinander- 
greifen von  Sprechen  und  Hören  auf.  Dies  bedeutet  den  Fort- 
schritt zur  Objektivierung  der  Rede,  die  nicht  mehr  herausgestofsen, 
sondern  dem  Hörer  in  geordneter  Folge  mitgeteilt  wird.  Erst  wenn 
der  Sprecher  im  Stande  ist,  sich  in  die  Lage  des  Hörers  zu  versetzen, 
wird  er  seine  Rede  in  bewufster  Absicht  gliedern  und  die  Teile  so 
anordnen  können,  wie  es  für  den  Hörer  am  bequemsten  ist.  Von 
diesem  Zeitpunkt  an  kann  erst  das  Widerspiel  von  okkasioneller 
und  habitueller,  d.  i.  das  Widerspiel  von  subjektiver  und  ob- 
jektiver Redeweise  beginnen.  Denn  die  habituelle  Redeweise  ist  die 
wohlüberlegende,  die  an  das  Bekannte  anknüpfend  zum  Neuen 
(dem  Hörer  Unbekannten)  fortschreitet,  wie  alles  Erklären  und  alles 
Deuten  fortwährend  vom  Geläufigen  zum  Ungeläufigen,  vom  Be- 
kannten zum  weniger  Bekannten  übergeht. 2    Der  Sprechende  steht 


'  Ähnlich  äufsert  sich  Dr.  Hugh  Blair  (Lectures  on  Rhetoric  and  Beiles 
Lettres  I,  No.  7,  S.  138,  ein  m.  W.  von  den  neueren  Linguisten  und  Sprach - 
Psychologen  ganz  übersehenes  Buch,  in  dem  speziell  sehr  viel  Treffendes  über 
Wortstellung  geäufsert  wird)  im  Jahre  1783. 

2  Vgl.  auch  F.  Barth,  Zur  Psychologie  der  gebundenen  und  der  freien 
Wortstellung,  Philosoph.  Studien  XIX,  26,  27. 


68 

seinem  Stoffe  objektiv  gegenüber  und  nimmt  seine  Richtschnur  von 
der  Zweckmäfsigkeit  in  Bezug  auf  den  Hörer. 

Die  okkasionelle  Redeweise  hingegen  ist  die  subjektive;  der 
Sprechende  nimmt  nicht  Rücksicht  auf  den  Hörer,  sondern  bringt 
die  Stücke  seiner  Gesamtvorstellung  so,  wie  sie  ihm  selbst  in  den 
Blickpunkt  des  Bewufstseins  kommen.  Daher  ist  die  Anordnung 
die  entgegengesetzte:  sie  bringt  stets  das  wichtigste  zuerst,  und 
schreitet  also  vom  Neuen  (dem  Hörer  Unbekannten)  zum  Bekannten 
(wofern  sie  überhaupt  den  ganzen  Darstellungsinhalt  zergliedert). 
Es  ist  aber  selbstverständlich,  dafs  die  subjektive  Redeweise  gerade 
so  gut  traditionell  wird,  wie  die  objektive.  Ihr  Prinzip  ist,  der 
habituellen  entgegengesetzt  zu  sein.  Im  übrigen  unter- 
scheidet sie  sich  ungefähr  ebensowenig  von  ihr,  als  etwa  die 
Sonntagszüge  von  den  Wochentagszügen:  eigne  Fahrordnung, 
gleiche  Geleise. 

Es  liegt  nun  nahe,  anzunehmen,  dafs  die  ursprünglichste 
Sprechweise  subjektiv  (also  von  okkasionellem  Gepräge)  war,  und 
dafs  die  objektive  Sprechweise  erst  einem  weiteren  Entwicklungs- 
stadium angehört.  Betrachten  wir  die  älteste  uns  überlieferte  objek- 
tive Wortfolge,  wie  sie  uns  in  der  sogenannten  archaischen  Wort- 
stellung entgegentritt.  Das  Prinzip  der  archaischen  Wort- (und 
Gedanken-)  folge  ist  die  Vorausstellung  des  Determinierenden  vor 
das  Determinierte;  die  ihr  entgegengesetzte  okkasionelle  kann  nichts 
anderes  ergeben  als  die  Nachstellung  des  Determinierenden,  und 
das  ist  ja  das  Prinzip  der  modernen  Wort- (und  Gedanken-)  folge. 
Gesetzt  also,  die  archaische  Wortfolge  war  die  seit  unbestimm- 
barer Zeit  habituelle,  so  ist  die  moderne  die  einzig  mögliche 
okkasionelle.  Sobald  eine  syntaktische  Fügung  in  einer  be- 
stimmten Folge  der  Teile  erstarrt,  verliert  sie  die  Fähigkeit,  durch 
die  Anordnung  zu  wirken.  Dann  wird  die  okkasionelle  Folge 
habituell,  und  zu  okkasioneller  Hervorhebung  wird  zur  entgegen- 
gesetzten gegriffen,  also  zu  der  —  einstmals  habituellen. 

In  historischer  Zeit  bietet  sich  als  Beleg  für  die  Zurücklegung 
einer  solchen  Spirallinie  die  Stellung  des  Adjektivs  im  Franzö- 
zösischen  und  z.  T.  auch  im  Spanischen.  Aus  archaischem  habi- 
tuellem alba  vestis  entwickelte  sich  vestis  alba  zunächst  okkasionell, 
dieses  wird  dann  habituell  und  das  neueste  Französisch  zeigt  uns 
wieder  U7ie  blanche  robe  zur  okkasionellen  Hervorhebung. 

Schematisch  dargestellt,  wäre  der  Entwicklungsgang  der  Wort- 
stellung also: 

I  habituell  BA,  okkasionell  AB 


n  habituell  AB  — ►  okkasionell  BA. 


Nirgends  können  wir  diese  Entwicklung  rein  beobachten.  Aus 
leicht  begreiflichen  Ursachen.  Sie  bleibt  aus  irgend  einem  Grunde 
auf   halbem   Wege   stehen,    wird    durch    das   Zusammentreffen   der 


69 

mannigfaltigsten  Umstände  in  einem  oder  dem  anderen  Punkte 
starr  festgehalten;  so  ergeben  sich  Mischstadien.  Je  höher  die 
Kultur  entwickelt  ist,  desto  gröfser  ist  der  Widerstand  der  Tradition, 
die  an  Rechtssatzungen,  an  religiösem  Zeremoniell,  an  literarischem 
Erbgute  festhält;  desto  geringer  ist  die  Aussicht  auf  völlige  Um- 
drehung des  Verhältnisses,  desto  länger,  zum  mindesten,  ist  der 
Fortschritt  verzögert. 


IV.    Physiologischer  Exkurs  über  die  Ursachen 
sprachlicher  Veränderung. 

Nach  einer  längst  gemachten  physiologischen  Beobachtung, i 
äufsert  sich  nicht  nur  der  physische,  sondern  auch  der  psychische 
Zustand  des  Menschen  in  der  Art  seiner  Thoraxsenkungen,  so  dafs 
man  diesen  Zustand  (Aufregung,  Zorn,  Furcht,  Verlegenheit)  an 
seinen  Thoraxbewegungen  messen  kann.  Jeder  okkasionelle  Zu- 
stand des  Sprechenden  wird  okkasionelle  Thoraxbewegungen  zur 
Folge  haben.  Folglich  mufs  auch  die  okkasionelle  Erregung,  die 
der  Veränderung  der  Wortstellung  zu  Grunde  liegt,  sich  in  okka- 
sionellen Thoraxbewegungen  äufsern.  Naturgemäfs  wird  durch  jede 
Veränderung  der  Thoraxsenkung  eine  Veränderung  des  zum 
Sprechen  verwendeten  Expirationsstromes  eintreten.  Also  wenn  wir 
infolge  okkasioneller  Erregung  die  Thoraxbewegungen 
modifizieren,  so  modifizieren  wir  damit  auch  den  Ex- 
spirationsstrom.  Im  folgenden  soll  nun  kurz  besprochen  werden, 
welchen  Einflufs  der  Exspirationsstrom  auf  die  Quantität,  die  In- 
tensität und  die  Tonhöhe  der  Sprache  hat. 

Die  Quantität  ist  nicht  abhängig  von  der  Tonhöhe,  wohl  aber 
von  der  Beschaffenheit  des  Luftstromes.  Wie  E.  A.  Meyer  2  nach- 
gewiesen hat,  hängt  die  Dauer  der  Artikulation  stets  von  der 
Muskelenergie  ab,  die  sie  erfordert,  3  so  dafs  man  den  Satz  auf- 
stellen könnte:  Die  artikulatorische  Leistung  ist  das  Ergebnis  aus 
Muskelenergie  und  Zeit.  Das  ist  so  zu  verstehen:  Die  Muskel- 
energie umfafst  die  Organspannungen  (Lippen,  Zunge,  Gaumen- 
segel, Stimmbänder)  und  den  unterhalb  des  Kehlkopfes  mefsbaren 
Trachealdruck  (d.  i.  der  Druck,  den  der  Ausatraungsstrom  auf  die 
Trachea  ausübt).  Das  Verhältnis  zwischen  diesen  Einzelenergien 
ist  verschieden;  nach  den  Messungen  von  Roudet*  steht  der 
Trachealdruck    im    gleichen    Verhältnis    zu    den    anderen    Muskel- 


1  Vgl.  die  ganze  Reihe  der  Sprachphysiologen  von  Kempelen  S.  389  an 
bis  H.  Gutzmann,  Das  Verhältnis  der  Affekte  zu  den  Sprachstörungen,  Z.  f. 
klinische  Medizin  1905,  Bd.  57,  385  fF.,  speziell  Gutzmann's  Physiologie  der 
Stimme  und  Sprache,   1909,  S.  16 fF.  und  die  daselbst  angeführte  Literatur. 

*  Über  Englische  Lautdauer,  Schriften  der  Univ.  Upsala  1903. 
s  a.  a.  O.  S.  40. 

*  Le  role  de  la  pression  sous  -  glottique  dans  la  parole  (La  Parole 
1900,  599  ff.). 


70 

Spannungen.  Die  Intensitätsmessungen  Roudet's  scheinen  mir  raafs- 
gebender  als  die  Rousselot's  (La  parole  avec  un  larynx  artificieU), 
denn  Rousselot  mifst  den  Trachealdruck  von  aufsen,  wobei,  wie 
mir  vorkommt,  nicht  dieselbe  Gewähr  für  die  Erkenntnis  des  Sach- 
verhaltes gegeben  ist,  als  beim  Messen  mit  der  Kanüle.  In  der- 
selben Untersuchung  konstatierte  Rousselot  auch,  dafs  alle  Vokale 
aufser  a  bei  dem  Patienten  tiefer  klangen,  als  bei  normal  Sprechen- 
den und  hat  dabei  die  Unbeweglichkeit  des  künstlichen  Kehl- 
kopfes, der  offenbar  nicht  entsprechend  gehoben  werden  konnte, 
nicht  in  Anrechnung  gebracht. 

Es  steht  nun  fest,  dafs  die  Muskelspannung  für  einen  Vokal 
um  so  gröfser  ist,  je  höher  im  Munde  die  Artikulation  gebildet 
wird.  Da  die  Energie  der  Zungenspannung  von  allen  Teilen  der 
Artikulation  am  schwersten  zu  untersuchen  ist,  konnten  darüber 
Zweifel  bestehen,  ob  die  Höhenstellung  der  Zunge  tatsächlich 
gröfsere  Muskelarbeit  erfordere  als  die  Zusammenballung  in  tieferer 
Lage.  Entscheidend  mufsten  für  diese  Frage  die  Beobachtungen 
bei  Paralysis  glosso-labio-laryngea  sein,  wie  sie  Hugo  Stern  nach 
Strümpell  verzeichnet  (Die  Sprachstörungen  bei  Nervenkrankheiten). 2 
Danach  werden  bei  solchen  Kranken  die  Artikulationen  des  i  r  l 
s  d  t  zuerst  undeutlich  (S.  434);  es  ist  also  offenbar,  dafs  die 
Höhenstellung  der  Zunge  mehr  Kraft  erfordert,  als  die  Tiefen- 
stellung. Man  kann  daher  auch  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dafs 
die  Muskelleistung  in  demselben  Verhältnis  wächst,  als  der  Mund- 
kanal enger  wird. 

Da  nun  die  Energie  des  Trachealdruckes  der  Energie 
der  Muskelspannung  im  geraden  Verhältnis  entspricht,  so  ist  der 
Trachealdruck  für  eine  hoch  im  Munde  gebildete  Vokalartikulation 
gröfser  als  für  eine  tief  im  Munde  liegende;  er  ist  mithin  um  so 
gröfser,  je  enger  der  Mundkanal  wird. 

Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig  darüber  zu  sprechen,  wie 
der  Trachealdruck  sich  zu  dem  Exspirationsstrome  verhält,  der 
zu  akustischer  Wirkung  gelangt.  Man  könnte  in  Versuchung 
kommen  zu  glauben,  der  Trachealdruck  sei  das  Ergebnis  dieses 
Exspirationsstromes  schlechthin;  so  grofs  (in  Bezug  auf  Kraft  und 
Volumen)  dieser  Exspirationsstrom,  so  grofs  müsse  der  Tracheal- 
druck sein.  Dagegen  ist  in  Erinnerung  zu  bringen,  dafs  das 
Verhältnis  zwischen  diesen  beiden  Faktoren  nicht  unbedingt  so 
geartet  sein  mufs,  vor  allem,  dafs  man  vom  Trachealdruck  nicht  un- 
mittelbar auf  den  zu  akustischer  Wirkung  gelangenden  Exspirations- 
strom schliefsen  kann,  und  umgekehrt.  Der  Trachealdruck  ist,  wie 
bemerkt,  gerade  proportional  zur  Enge  des  Mundkanals:  je 
enger  der  Kanal,  desto  gröfserer  Trachealdruck  ist  erforderlich, 
den  Luftstrom  durchzublasen.    Kraft  und  Volumen  des  Exspirations- 


1  La  Parole  1902,  65  ff. 

'  Medizinisch -Pädagogische   Monatsschrift    für    die    gesamte    Sprachheil- 
kunde, XVII,  428  ff. 


71 

Stromes  aber,  der  durch  den  Mundkanal  ins  Freie  und  also  zu 
akustischer  Wirkung  gelangt,  hängt  von  der  Länge  des  IMund- 
kanals  und  der  ganzen  Art  der  Artikulation  ab,  nämlich  von 
den  Hindernissen,  die  dem  Entweichen  des  Luftslromes  durch  die 
Organe  entgegengestellt  werden. 

Es  mufs  also  zunächst  das  Verhältnis  zwischen  Exspirations- 
strom  und  Muskelspannung  in  Betracht  gezogen  werden. 
Dieses  Verhältnis  ist  bei  den  Vokalen  entgegengesetzt  zu  dem  bei 
Konsonanten.  Beim  Vokal  nämlich  ist  der  Exspirationsstrom 
abhängig  von  der  Muskelspannung,  respektive  von  der  durch 
die  Muskelspannung  bewirkten  Form  des  Mundkanals.  Daher  ist 
der  Exspirationsstrom  am  dünnsten  beim  /,  also  beim  höchsten 
Trachealdruck  und  am  breitesten  beim  a,  beim  schwächsten 
Trachealdruck;  er  ist  am  kräftigsten  beim  u,^  wie  die  einfachen 
Versuche  vor  der  brennenden  Kerze  sofort  bestätigen.  Die  Luft- 
abgabe, d.  h.  das  Quantum  Luft,  das  aus  dem  Munde  heraustritt, 
ist  nach  den  Messungen  Roudet's^  am  gröfsten  bei  /  und  u.  Bei 
den  Vokalen  ist  also  das  Verhältnis  zwischen  Muskel- 
spannung einerseits  und  Stärke  und  Volumen  des  Exspi- 
rationsstromes  andrerseits  ein  schwankendes;  es  ist  durch 
die  Form  des  Luftkanals  von  Fall  zu  Fall  beeinflufst.  Daher  gilt 
für  die  Vokale  der  Satz: 

Der  Trachealdruck   ist   gerade  proportional  zur  Muskel- 
spannung, aber  der  Exspirationsstrom  ist  es  nicht. 

Bei  den  Konsonanten  hingegen  (es  soll  zunächst  nur  von  den 
Verschlufslauten  die  Rede  sein),  ist  es  der  Exspirationsstrom, 
der  den  Grad  der  Muskelspannung  bestimmt:  je  stärker  der 
Luftstrom,  desto  gröfser  mufs  die  Muskelspannung  sein,  die  sich 
ihm  entgegensetzt,  damit  die  konsonantische  Wirkung  erzielt  werde; 
beide  Faktoren  wachsen  und  sinken  also  in  geradem  Verhältnisse 
zueinander.  Sie  sind  am  stärksten  bei  p^\  denn  einerseits  sammelt 
sich  mehr  Luft  vor  den  Lippen  als  vor  irgend  einer  andern  Ver- 
schlufsstelle,  weil  eben  der  Mundraum  nun  seine  weiteste  Form 
und  seinen  gröfsten  Fassungsraum  erhält;  andrerseits  ist,  um  dieses 
gröfste  Luftvolumen  zu  stauen,  die  Kontraktion  der  Weichteile 
erforderlich,  für  deren  Spannung  eine  gröfsere  Energie  aufgewendet 
werden   mufs,    als    für   den   Verschlufs    am    harten    Gaumen.      Aus 


1  Vgl.  auch  Bourdon,  Application  de  la  methode  graphique  ä  l'eUide  de 
l'intensite  de  ia  voix,  L'Annde  Pbychologique  IV,  1898,  S.  369  ff.  Danach  ist 
die  austretende  Intensität  des  Luftstroms  der  Enge  der  Öffnung 
umgekehrt  proportional.  Werden  also  a  und  u  mit  gleicher  Stärke  der 
Atemausgabe  gebildet,  so  ist  die  austretende  Intensität  bei  a  viel  geringer  als 
bei  u.    S.  373. 

2  De  la  depense  d'air  dans  la  parole  (La  Parole  1900,  201  ff.). 

3  Vgl.  E.  A.  Meyer  .Beiträge  zur  deutschen  Metrik  (Die  Neueren  Sprachen 
VI,  133)  die  Beobachtung  des  Verhältnisses  zwischen  Muskelaktion  des  Aus- 
atmens  und.  Muskelaktion  des  Organes,  dessen  Tätigkeit  den  Charakter  des 
Konsonanten  bedingt  usw. 


72 

eben  demselben  Grunde  erscheinen  Exspirationsstrom  und  Muskel- 
spannung am  schwächsten  bei  gA  Die  Übergänge  zur  vokalischen 
Artikulation,  die  die  Engenlaute  aller  Lagen  aufweisen,  brauchen 
hier  nicht  weiter  erwähnt  zu  werden. 

Da  aber  bei  Erhöhung  der  gesamten  exspiratorischen  Leistung 
eine  Erhöhung  des  Trachealdruckes  eintreten  mufs,  so  gilt  für 
die  Konsonanten  der  folgende  Satz: 

Die  Leistungen  des  Trachealdruckes,  der  Muskelspannung 
und  des  Exspirationsstromes  sind  einander  gerade  pro- 
portional. 

Der  Gesamtatemverbrauch  wird  bestimmt  werden  durch 
die  Gröfse  der  Spannung  einerseits  und  die  Stärke  des  zur 
akustischen  Wirkung   notwendigen   Luftstromes   andrerseits. 

Was  nun  das  Verhältnis  von  Energie  und  Zeit  anbelangt, 
so  finden  wir  es  wieder  bei  den  Vokalen  anders  als  bei  den 
Konsonanten. 

Beim  Vokal  stehen  Energie  und  Zeit  in  einem  Ergänzungs- 
verhältnis: Wird  der  eine  Summand  vergröfsert,  so  erscheint  der 
andere  um  eben  dieses  Mafs  verringert.  Es  wird  nämlich  die 
Dauer  der  akustischen  Wirkung  entsprechend  um  so  viel  kürzer  je 
längere  Zeit  das  Einstellen  der  Organe  in  Anspruch  nimmt.  Je 
gröfser  also  die  Muskelarbeit  ist,  bis  die  gewünschte  Vokalstellung 
zustande  kommt,  desto  kürzer  ist  die  Normaldauer  eines  Vokals. 
Daher  ist  i  kürzer  als  e  usw. 

Vergleicht  man  endlich  das  Verhältnis  von  Gesamtluft- 
verbrauch und  Zeit,  so  findet  sich: 

Je  gröfser  der  Luftverbrauch,  desto  kürzer  wird  die  artikula- 
torische  Stellung  eingehalten; 

Und: 

Je  länger  eine  artikulatorische  Stellung  gehalten  werden  soll, 
desto  geringer  wird  der  Durchschnittsluftverbrauch.  Wir  üben  also 
eine  Art  vorschauender  Ökonomie  beim  Sprechen,  wodurch  der 
Gesamtluftverbrauch  bei  langem  Aushalten  der  artikulatorischen 
Stellung  gar  nicht  erheblich  wächst  im  Vergleich  zum  kurzen 
Aushalten. 

Vergleicht  man  mit  Rücksicht  auf  das  eben  Gesagte,  die 
Dauer  aller  Vokale,  so  ergibt  sich: 

Für  die  gespannten  Vokale^; 

ihre  Dauer  ist  .um  so  kürzer  je  gröfser  die  Spannung; 
daher  ist  ein  gespanntes  („geschlossenes")  i  kürzer  als  ein  ge- 
spanntes („geschlossenes")  e  usw. 


^  Vgl.  E.  A.  Meyer,  Engl.  Lautdauer  S.  73,  wo  die  tönenden  Verschlufs- 
laute  als  Engenlaute  mit  Verschlufskern  nachgewiesen  werden. 

*  Ich  bediene  mich  der  Terminologie  Jespersen's.  Vgl.  Grundziige  der 
Phonetik,   1904. 


73 

Für  die  ungespannten  Vokale: 

ihre  Dauer  ist  um  so  kürzer  je  gröfser  der  Luftverbrauch; 
daher  ist  ungespanntes  („offenes'')  z  und  ü  kürzer  als  e  und  d  usw. 
Der  Luftverbrauch  ist  charakteristisch  für  die  Kürze.  Die  Messungen 
ergeben  das  Vorhandensein  eines  gröfseren  Luftdruckes  für  Staccato- 
als  für  Legatolöne '  und  ebenso  verbraucht  der  kurze  (ungespannte) 
gesprochene  Vokal  mehr  Luft  als  der  lange  (gespannte)  der  gleichen 
Artikulationslage. 

Was  die  Konsonanten  anbelangt,  so  hängt  bei  der  Ver- 
schlufsbildung  die  Dauer  von  der  Lage  des  Verschlusses  ab: 
am  raschesten  ist  er  am  Velum  gebildet,  am  langsamsten  bei  den 
Lippen,  die  Dauer  ist  also  im  geraden  Verhältnis  zur 
Energie;  daher  ist  auch  der  gespannte  Konsonant  länger  als  der 
ungespannte:  es  dauert  länger,  bis  ein  fester  Verschlufs  gebildet 
ist,  als  ein  loser.  Die  Dauer,  wie  lange  der  Verschlufs  selbst 
gehalten  wird  (die  Pause  der  Artikulation)  hat  E.  A.  Meyer  für 
sich  allein  berechnet.  Mit  Recht,  da  ja  dieses  Aushalten  des  Ver- 
schlusses von  der  Bildung,  auf  die  es  hier  besonders  ankommt, 
und  von  der  Lösung  gesondert  betrachtet  werden  mufs. 

Die  Engenlaute  zeigen  die  verschiedensten  Abstufungen 
zwischen  den  vokalischen  und  konsonantischen  Verhältnissen. 

Da  die  Laute  nicht  für  sich  allein,  sondern  in  Gruppen 
stehen,  so  ist  in  jedem  Lautkomplex  eine  Ausgleichung  zwischen  den 
einzelnen  Komponenten  wahrnehmbar.  Die  Dauer  jedes  Lautes 
ist  abhängig  von  seiner  Umgebung.  2 

Die  Dauer  hängt  also  vom  Luftverbrauch  ab;  der  Luftverbrauch 
kann  am  Trachealdruck  abgeschätzt  werden.  Verstärkt  man  den 
Exspirationsstrom,  so  wird  der  Trachealdruck  vergröfsert  und  die 
Dauer  der  Artikulation  verkürzt. 

Ist  nun  der  Exspirationsstrom  ein  so  mafsgebender  Faktor  für 
die  ganze  Artikulation,  so  ist  es  klar,  dafs  jede  Veränderung  des 
Exspirationsstromes  auch  eine  Veränderung  der  Artikulation  zur 
Folge  hat.  Wird  also  (wie  oben  angedeutet)  durch  okkasionelle 
psychische  Erregung  eine  okkasionelle  Veränderung  der  Thorax- 
senkung und  dadurch  eine  okkasionelle  Veränderung  des  Exspirations- 
stromes bewirkt,  so  mufs  eine  okkasionelle  Veränderung  der 
Artikulation  die  Folge  sein.  Denn  dem  verstärkten  Luftstrom 
müssen  andere  Organspannungen  entgegentreten,  als  dem  habituellen: 
Vor  allem  ist  es  nötig,  im  Kehlkopf  die  nun  eintretende  passive 
Stimmbänderspannung  dadurch  zu  regulieren,  dafs  die  aktive 
Spannung  herabgemindert  wird,^  wenn  der  Ton  unverändert  bleiben 
soll;  und  in  derselben  Weise  werden  sich  beim  Sprechen  alle 
Organspannungen  dem  veränderten  Luftstrom  adaptieren  müssen, 
so     dafs    der     Effekt    eine    okkasionelle    Erhöhung    (resp.    Herab- 


^  Vgl.  Nagel,  Handbuch  der  Physiologie  S.  740. 

*  Vgl.  E.  A.  Meyer  a.  a.  O. 

»  Vgl.  Roudet  a.a.O.   1900,  S.  211. 


minderung)  der  artikulatorischen  Gesamtleistung  sein  wird  (matt 
oder  heftig  sprechen,  deklamieren). 

Je  nach  dem  Verhalten  der  Organspannungen  kann  man  bei 
okkasioneller  Verstärkung  des  Luftstromes  zwei  Typen  von  Vor- 
gängen beobachten.  In  dem  eben  beschriebenen  ersten  Typus 
finden  wir  eine  bewufste  Gegenleistung  aller  Organe.  Das  Artiku- 
lationsprodukt wird  als  ein  okkasionelles  empfunden,  es  bleibt 
okkasionell,  individuell  und  erscheint  qualitativ  unverändert.  Es 
unterscheidet  sich  vom  habituellen  Sprechen  nur  durch  den  Grad 
der  Intensität. 

Anders  der  zweite  Typus.  Hier  ist  keine  bewufste  Gegen- 
leistung, die  in  gleicher  Zielrichtung  mit  dem  verstärkten  Expirations- 
strom  arbeitet.  Sondern  gerade  umgekehrt.  Die  Organspannungen 
wirken  also  nicht  in  der  Zielrichtung  des  Expirationsstroms;  sie 
beugen  aus,  sie  streben  nach  Ausgleichung  der  Gesamtleistung,  so 
dafs  das  Übermafs  auf  der  einen  Seite  durch  Kraftverminderung 
auf  der  anderen  aufgehoben  wird.  Hier  reguliert  die  aktive 
Spannung  der  Kehlkopfmuskeln  nicht  die  passive,  daher  wird  der 
akustische  Eindruck  nicht  der  einer  Steigerung  der  Gesamtleistung 
sein,  sondern  der  einer  Veränderung:  Zunächst  wird  der  Ton 
sich  verändern,  in  demselben  Mafse  werden  aber  auch  alle 
Artikulationsprodukte  sich  anders  gestalten,  sobald  in  den 
betreffenden  Organspannungen  Änderungen  der  Muskelleistungen 
zutage  treten.  Das  Charakteristische  an  diesen  Vorgängen  ist,  dafs 
sie  unbewufst  eintreten;  es  arbeitet  ihnen  keinerlei  bewufste  Er- 
haltungstendenz entgegen  und  sie  werden  deshalb  um  so  leichter 
mechanisiert.  So  lange  sie  okkasionell  sind,  werden  sie  nicht 
empfunden;  aus  diesen  unbewufsten  okkasionellen  Modifikationen 
der  Sprechweise  entwickelt  sich  eine  neue  habituelle.  Das  Merk- 
zeichen dafür,  dafs  sie  habituell  geworden  ist,  kann  man  darin 
sehen,  dafs  dann,  wie  bereits  erwähnt,  die  Organstellung  vorbereitet 
und  —  infolge  unendlicher  Einübung  —  der  zu  der  beabsichtigten 
Organstellung  passende  Luftstrom  zugeführt  wird.  Diese  unendliche 
Einübung  erstreckt  sich  natürlich  auf  eine  nicht  näher  zu  be- 
zeichnende Zahl  von  Generationen  und  setzt  die  Überlieferung  der 
artikularischen  Veränderungstendenz  voraus.  Einübung  einer  zunächst 
okkasionellen  Artikulationsweise  und  Aufgeben  der  traditionellen 
bedingen  sich  gegenseitig,  gehen  also  nach  demselben  Prinzip  vor 
sich.  Über  diese  Fortpflanzung  der  artikularischen  Veränderungs- 
tendenz vgl.  Herzog's  Streitfragen  der  Romanischen  Philologie 
S.  56  ff.,  speziell  S.  65  ff. 

Die  Wechselbewegung  von  traditioneller  und  okkasio- 
neller Sprache  als  psychophysisches  Produkt  läfst  sich,  rein 
physiologisch  gesprochen,  so  ausdrücken:  bei  der  traditionellen 
Rede  ist  die  Organspannung  das  Primäre  und  der  Luft- 
strom das  Sekundäre.  Das  läfst  sich  in  weiterem  Sinne  auch 
auf  die  Konsonanten  ausdehnen;  denn  jedes  Mitglied  einer  Sprach- 
gemeinschaft wird  zu  einem  etwa  von  ihm  beabsichtigten  Verschlufs- 


75 

laut  von  vornherein  in  normaler  Sprechweise  für  den  Luftstrom  einen 
solchen  Trachealdruck  verwenden,  dafs  die  Organspannung  keine 
von  dieser  normalen  Sprechweise  abweichende  zu  sein  braucht. 
Man  bedenkt  schon  die  Organspannung,  während  man  den  Luft- 
strora  reguliert.  Bei  der  okkasionellen  Rede  hingegen  ist,  wie 
eben  früher  besprochen,  das  Verhältnis  umgekehrt.  Der  Luft- 
strom ist  (infolge  der  beeinflufsten  Thoraxbewegung)  das 
Primäre  und  die  Organstellungen  sind  das  Sekundäre. 

Es  ist  also  klar,  dafs  jede  habituelle  Veränderung 
der  exspiratorischen  Hervorhebung  (des  exspiratorischen 
Druckes)  auch  eine  Veränderung  der  Artikulation  zur 
Folge  haben  mufs,  die  sich  zugleich  in  der  Veränderung  der 
Dauer  ausspricht. 

Dabei  können  scheinbar  gleichartige  Vorgänge  konstatiert 
werden,  die  nicht  auf  die  gleiche  Entwicklungstendenz  zurück- 
zuführen sind,  und  dennoch  wäre  es  voreilig,  zu  glauben,  dafs 
darum  die  eine  oder  die  andere  dieser  Tendenzen  aus  dem  Ent- 
wicklungsschema ausgeschieden  werden  müsse.  Wenn  z.  B.  /  >>  ^ 
wird,    so    kann    das   auf  ganz  verschiedene  Ursachen  zurückgehen: 

L  Auf  Erhöhung  des  exspiratorischen  Druckes.  Der 
Thorax  wird  rascher  gesenkt,  dadurch  der  Trachealdruck  erhöht 
und  dem  so  vergröfserten  Luftstrom  wird  der  Weg  erweitert  durch 
Tieferlegung  der  Organstellung  (vgl.  S.  74). 

IL  Auf  Verminderung  des  exspiratorisches  Druckes 
besonders  am  Wortende.  Die  Thoraxsenkung  erfolgt  langsamer; 
zur  Gleichhaltung  des  musikalischen  Tones  müfste  ihr  eine  Er- 
höhung der  Organspannung  entgegentreten.  Unterbleibt  die  Stimm- 
bandspannung, so  wird  der  Ton  zunächst  schwächer,  der  Auslaut 
schwachtonig,  eventuell  bis  zur  Tonlosigkeit.  Alle  Organe  streben 
der  Ruhelage   näher   und   daher    sinkt  die  Artikulation  von  /  >  e. 

in.  Auf  antiphrastisches  Bestreben:  dem  physiologisch 
Nächstliegenden  wird  entgegengearbeitet  in  dem  Mafse,  dafs  nun 
ein  Ausschlag  ins  gerade  Gegenteil  erfolgt.  In  unserem  Falle,  beim 
Wandel  von  i  >  e,  in  folgender  Weise:  bei  gleicher  Intensität  des 
Trachealdruckes  kommt  der  geschlossene  Vokal  schwächer  heraus 
als  der  offene  (vgl.  S.  71  —  73).  Wenn  nun  in  Silben  mit  schwachem 
Trachealdruck  dennoch  keine  Schwächung  des  vokalischen  Aus- 
druckes erfolgen  soll,  wenn  einer  solchen  mechanischen  Silben- 
schwächung das  Prinzip  der  Erhaltung  entgegenarbeitet,  so 
erfolgt  Öffnung,  resp.  Tieferlegung  der  Artikulation  als  psychische 
Gegenbestrebung  gegen  die  physiologische  Entwicklung.  Es  würde 
genügen,  die  Artikulation  auf  gleicher  Kraftstufe  zu  erhalten.  Nun 
tritt  aber  eine  Überentäufserung  ein:  Man  vertauscht  die  Artiku- 
lationsstufe gegen  eine  solche,  auf  der  die  kräftigere  Wirkung  un- 
mittelbar gegeben  ist.  In  diesem  Falle  wirkt  wieder  die  Veränderung 
der  Artikulationsstufe  dem  gänzlichen  Verstummen  entgegen  und 
gibt  Zeugnis    für    ein  Sprachstadium,    in    dem    der    exspiratorische 


76 

Druck  mehr  oder  weniger  gleichmäfsig  auf  den  verschiedenen  Silben 
h'egt,  jedenfalls  die  Hervorhebung  einer  einzigen  auf  Kosten  aller 
übrigen  nicht  in  der  sprachlichen  Tendenz  liegt. 

So  erklärt  sich  die  doch  eigentlich  merkwürdige  Tatsache, 
dafs  in  einer  Sprachgemeinschaft  der  Akzentvokal  ebenso  behandelt 
wird  wie  der  Nichtakzentvokal.  Die  aus  ganz  verschiedenen  Ur- 
sachen hervorgehenden  Veränderungen  müssen  aber  nicht  immer 
zusammen  auftreten. 

Auch  der  Wandel  von  ^  >  »'  hat,  je  nach  der  Stellung,  in  der 
er  vor  sich  geht,  nicht  ganz  gleichen  physiologischen  Wert. 

I.  Die  Entwicklung  von  ^  >  /  bedeutet  eine  Erhöhung  der 
Organspannungen,  der  eine  Verminderung  der  Thoraxsenkung  ent- 
spricht, eine  Leistung,  die  der  Hervorbringung  des  höheren  musi- 
kalischen Tones  parallel  ist.  Wenn  also  eine  Sprache  am  Wortende 
musikalischen  Hochton  hat,  so  erklärt  es  sich,  dafs  sie  im 
Auslaute  ^  >•  z,  0  >  «  wandelt.  Dies  ist  tatsächlich  im  vorhistorischen 
Latein  der  Fall. 

IL  Da  bei  gleicher  Intensität  e  stärker  herauskommt  als  /,  so 
kann  umgekehrt  aufgestellt  werden:  eine  Herabminderung  der 
Intensität  bewirkt  als  Gegenleistung  eine  stärkere  Organ- 
spannung. Wenn  daher  eine  Silbe  im  nachlassenden  exspira- 
torischen  Druck  gesprochen  wird  und  im  steigenden  musikalischen 
Tone,  so  ergibt  sich  daraus  die  eben  besprochene  Kombination: 
langsamere  Senkung  des  Thorax,  gröfsere  Spannung  der  Organe, 
also  Höherlegung  der  Artikulation.  Daher  wird  in  solchen  Mittel- 
silben  e^i,  wie  0  >  z/,  resp.  es  erfolgt  eine  zusammengesetzte 
Stellung  ar,   i^  (vgl.  unten). 

Es  kann  also  in  einer  bestimmten  Übergangsperiode  das 
Bestreben,  e  in  i  zu  verändern,  gleichzeitig  auftreten  mit  dem 
scheinbar  entgegengesetzten  i  in  e  zu  wandeln.  Der  erstere  Vor- 
gang liegt  ganz  in  der  Sphäre  des  musikalischen  Akzentes,  der 
zweite  in  der  Schnittfläche  des  musikalischen  Akzentes  und  des 
exspiratorischen  Druckes;  sobald  der  expiratorische  Druck  über  den 
musikalischen  Akzent  die  Obeihand  gewinnt,  siegt  dieser  zweite 
Veränderungstypus. 

So  sehen  wir  im  fast  vorhistorischen  Latein  des  dritten  Jahr- 
hunderts im  direkten  Auslaut  die  Tieferlegung  von  /  >  <r:  mare 
und  die  Höherlegung  von  e  >»  /':  agit,  Veneris. 

So  viel  vorläufig  über  den  Einflufs  der  Druckveränderung. 

Eine  habituelle  Veränderung  des  Tonfalles  hingegen 
kann  nur  in  dem  Falle  eine  Veränderung  der  Artikulation  bewirken, 
dafs  gänzliche  Stimmritzenöffnung  eintritt,  also  Flüsterton.^  Die 
Veränderung  kann  dann  kaum  anders  begriffen  werden  als  so,  dafs 
durch  die  erweiterte  Glottisöffnung  ein  stärkerer  Luftstrom  entweicht, 


*  Vgl.  Paul  Passy,  Etüde  sur  les  Changements  Phonetiques  S.  116,  wo 
die  Rolle  des  Flüstertons  beim  Eintreten  des  Ablautes  besprochen  wird,  und 
Brugmann,  Kurze  vergl.  Gram.  S.  138  ff. 


77 

der  auf  die  Artikulationsspannung  wirkt.  Dabei  ist  vorausgesetzt, 
dafs  den  im  Flüsterton  artikulierten  Wortteil  ein  mehr  oder  minder 
starker  exspiratorischer  Druck  trifft.  Fällt  das  Sinken  des  Tons  bis 
zum  Flüstern  mit  dem  Nachlassen  des  exspiratorischen  Druckes  zu- 
sammen (nicht  hervorgehobener,  vernachlässigter  Wort-  oder  Satz- 
teil), so  ist  der  Eifekt  ein  völliges  Verhauchen  der  Artikulation, 
besonders  gegen  Ende  der  sprachlichen  Aufserung,  wo  sie  sich  bei 
trochäischem  Rhythmus  stets  verlangsamt  und  abschwächt,  wie  alle 
Phonautogramme  nachweisen. 

In  diesem  Falle  bewirkt  aber  nicht  der  Tonfall  die  Artikulations- 
Veränderung,  sondern  doch  wieder  der  Exspirationsstrom. 

Wenn  eine  Sprache  von  der  Hervorhebung  durch  den 
Tonfall  zu  der  Hervorhebung  durch  exspiratorischen 
Druck  übergeht,  so  müssen  notwendigerweise  Verände- 
rungen der  Artikulation  daraus  erfolgen. 

Es  soll  nun  versucht  werden,  mit  Hilfe  dieser  psychologischen 
und  physiologischen  Voraussetzungen  die  Verkettung  der  Roma- 
nismen im  Lateinischen  darzustellen. 

Zunächst  ein  Wort  zur  Feststellung  der  Aufgabe. 


V.   Was  ist  Vulgärlatein?  Wann  beginnt  das  Romanische? 

Das  sind  zwei  alte  Fragen. 

I.   Aus  welchem  Latein  entwickelt  sich  das  Romanische? 

Das  Verhältnis  zwischen  Klassisch-Latein  und  Vulgär-Latein 
hat  Schuchardt  im  Vokalismus  I  unübertrefflich  geschildert,  den 
Einflufs  der  einzelnen  Volksschichten,  das  retardierende  Moment 
der  Schriftsprache,  die  vielerlei  Redeweisen  im  Munde  des  Einzelnen, 
die  Unmöglichkeit,  das  klassische  Latein  als  Sondersprache  dem 
Vulgärlateinischen  gegenüberzustellen,  die  fortwährenden  Wechsel- 
wirkungen des  einen  auf  das  andere.  Daran  anknüpfend  haben 
Sie  in  der  Einführung  i  die  ganze  Gegenüberstellung  von  Klassisch- 
Latein  und  Vulgär-Latein  verworfen  und  nur  von  Latein  gesprochen 
und  auch  in  der  Abhandlung  „Die  romanischen  Sprachen"  2  sind 
die  beiden  Ausdrücke  mit  grofser  Zurückhaltung  gebraucht,  offen- 
bar nur  mit  Rücksicht  auf  ihre  Verwendung  in  weiteren  Kreisen. 
Ich  habe  keine  Ursache  dem  „vagen  und  willkürlichen"  Ausdruck 
„klassisches  Latein"  das  Wort  zu  reden;  es  verdiente,  dafs  man  es 
endlich  fallen  liefse.  Aber  das  Wort  ,Vulgärlatein'  müfste  nicht 
dasselbe  Schicksal  haben.  Wie  in  jeder  Sprache  steht  auch  im 
Lateinischen  der  Schriftsprache  aller  Perioden  die  gesprochene 
Sprache  i.  aller  Perioden  und  2.  aller  Volksschichten 
gegenüber:  das  Vulgärlatein.  Diese  weitere  Bedeutung  mufs  man 
dem   Worte    allerdings    zugestehen.      Es    ist    die    gesprochene 


1  5.  83,  84,  zweite  Auflage,  S.  97. 

2  Kultur  der  Gegenwart  I,  IX:  Die  romanischen  Sprachen  und  Literaturen, 
Berlin  1909,  S.  454. 


Sprache  im  Gegensatz  zur  geschriebenen,  in  tausend  Fällen  die- 
selbe, in  tausend  von  ihr  abweichend,  ihre  ewige  Quelle  und  ihre 
Mündung,  dasselbe  und  doch  grundverschieden.  Dieser  Gegensatz 
(und  diese  Übereinstimmung),  das  ist  in  letzter  Linie  nichts  anderes 
als  der  Gegensatz  zwischen  traditioneller  und  individueller  Rede  und 
da  er  so  ziemlich  gleichaltrig  ist  mit  der  Sprache  überhaupt,  reicht 
auch  das  Vulgärlatein  in  die  älteste  Periode  des  Lateinischen.  Der 
Ausdruck  , Vulgärlatein'  ist  also  hauptsächlich  dann  irreführend, 
wenn  er  temporär  beschränkt  wird  auf  die  Umgangssprache  der 
Kaiserzeit,  wodurch  das  Vulgärlatein  gewissermafsen  als  Nachfolger 
des  , klassischen'  erscheint. 

Das  Vulgärlatein,  als  gesprochene  Sprache  im  Gegensatz  zur 
Schriftsprache,  wird  nur  dann  weit  genug  gefafst,  wenn  man  es  als 
die  Sprache  aller  Volksschichten  ansieht,  nicht  nur  der  mittleren, 
niederen  und  niedersten,  sondern  auch  der  gebildetsten  und  höchsten. 
In  dieser  Richtung,  glaube  ich,  wäre  auch  der  Begriff  „volkstümlich" 
einigermafsen  richtig  zu  stellen.  Wer  möchte  denn  behaupten,  dafs 
nur  der  Pöbel  das  ,Volk'  ausmacht?  Und  doch  scheint  dies  an- 
zunehmen, wer  elegante,  feine,  auf  gewählter  Überlieferung  be- 
ruhende Ausdrücke  „unvolkstümlich"  nennt,  nur  deshalb,  weil  sie 
von  Fischern,  Dienstboten,  kleinen  Beamten  nicht  verstanden  werden, 
während  man  doch  alle  Handwerker-,  alle  Argot-  und  Jargonaus- 
drücke durchaus  als  ,volkstümlich*  bezeichnet,  obgleich  sie  einem 
grofsen  Teil  der  Sprachgemeinschaft  vollkommen  unverständlich  sind. 
Ich  meine  damit  nicht  nur,  dafs  z.  B.  der  vornehme  Stadtrömer 
keine  klare  Vorstellung  von  Ackergeräten  hatte  und  vermutlich  nie 
in  die  Lage  kam,  ihre  Bezeichnungen  zu  gebrauchen,  —  auf  dieser 
Unvertrautheit  mit  dem  Landleben  beruht  ja  die  Wirkung  der 
Georgica  und  der  Idyllen  —  aber  auch  der  in  der  Stadt  auf- 
gezogene Sklave  kannte  sie  nicht;  der  Fischer  versteht  die  Sonder- 
ausdrücke der  Weinbauern,  der  Schuster  und  Schneider  nicht,  und 
umgekehrt.  Jeder  Stand  hat  seine  Spezialsprache,  die  durchaus  nicht 
vom  Volke  im  allgemeinen  verstanden  wird.  Dennoch  gilt  sie  als 
volkstümlich.  Und  nur  die  Sprache  der  Gebildeten,  der  geistig 
Kultivierten  und  Hochstehenden,  die  nicht  selten  dem  ganzen 
Volkstum  sein  Gepräge  geben,  sollte  im  allgemeinen  Sprachschatze 
nicht  inbegriffen  sein?  Womit  erklärt  sich  die  Sonderstellung,  die 
man  der  Sprache  der  oberen  Volksschichten  anweist,  wobei  man 
sie  aus  dem  allgemeinen  Sprachschatze  höflich  hinauskomplimentiert? 

Die  Ursache  ist  nicht  allzuschwer  auffindbar.  Unsere  Auf- 
fassung von  .Volkstümlichkeit'  und  die  damit  verbundene  engere 
Auffassung  von  ,Vulgärlatein'  ist  wohl  darauf  zurückzuführen,  dafs 
vielfach  Sprachgeschichte  =  Lautgeschichte  gesetzt  wurde  und 
diese  letztere  das  blinde  Wirken  der  Lautgesetze  illustrieren  sollte. 
Da  nun  die  auf  festere  Tradition  gegründete  Sprache  der  Ge- 
bildeten vielfach  konservativer  ist  als  die  Sprache  der  Ungebildeten 
(speziell  der  Analphabeten),  da  sie  sich  anders  entwickelt  als 
diese,  hat  man  sie  aus  dem  Erbwortschatz  ausgeschaltet.    Gerade  die 


79 

Familien-  und  Schultradition  vererbt  einen  alten  Wortschatz  in 
möglichst  treuer  Überlieferung  und  daher  kann  die  Sprache  der 
Gebildeten  uns  viel  besser  Aufschlufs  geben,  wie  lange  ein  Wort  sich 
überhaupt  unverändert  erhalten,  wie  lange  es  einer  oberen  Volksschicht 
allein  angehören  kann.  Wer  nun  einwendet:  diese  Schultradition  ist 
eben  etwas  Künstliches,  und  die  , gelehrten'  Ausdrücke  selbst  sind 
nichts  natürlich  Gewachsenes,  sondern  künstlich,  dem  könnte  ent- 
gegnet werden,  dafs  zunächst  jeder  Ausdruck  eine  „künstliche" 
Individualschöpfung  darstellt,  die  dann  bei  denen  Beifall  fand,  die, 
über  das  Gleiche  nachdenkend,  noch  keinen  so  passenden  Ausdruck 
gefunden  hatten;  auf  diese  Weise  wird  eine  Individualschöpfung,  ein 
übertragener  Gebrauch ,  Gemeingut,  i  Der  Gelehrte  kann  aus  den 
allgemein-menschlichen  sprachlichen  Voraussetzungen  so  wenig  heraus, 
als  der  Bauer.  Der  Ausdruck,  den  er  seinem  Gedanken  erringt,  ist 
zunächst  Augenblicksschöpfung  der  Individualsprache;  wenn  sie  in 
den  allgemeinen  Sprachschatz  der  Gleichgesinnten  übergeht,  so  be- 
weist das,  dafs  sie  dem  Bedürfnis  der  andern  entsprochen  hat. 
Prinzipiell  ist  es  der  gleiche  Vorgang,  ob  das  Wort  pensare  „ab- 
wägen, erwägen"  zum  ersten  Male  auf  das  schwer  zu  erringende 
Gleichgewicht  der  Gedanken  bezogen  wurde  —  und  das  war  gewifs 
ein  feiner,  tief  in  sich  schauender  Kopf,  der  seine  psychischen  Er- 
lebnisse so  darzustellen  verstand!  —  oder  ob  testa  seinen  im 
höchsten  Grade  „volkstümlichen"  Bedeutungswandel  durchmacht. 
Zudem  ist  ja  oft  das  , gelehrte'  Wort  von  heute  in  lOO  Jahren  schon 
im  Munde  der  breiten  Schichten,  und  nach  300  Jahren  ist  die 
spätere  Aufnahme  in  den  Durchschnittswortschatz  auch  durch  seine 
äufsere  Anpassung  an  die  Artikulationsweise  der  Masse  ganz  ver- 
wischt. Schon  deshalb  wird  die  pragmatische  Geschichte  hierin 
einen  ganz  anderen  Gesichtspunkt  haben  als  die  historische  Gram- 
matik, die  sich  die  Erforschung  einer  bestimmten  Gruppe  von  Er- 
scheinungen zum  Ziele  setzt.  Ja  sogar  die  Bildungen  der  geschäfts- 
mässigen  Besserwisser  und  Sprachverbesserer  können  prinzipiell 
nicht  ausgeschieden  werden;  sie  sind  im  völligen  Bewufstsein  der 
Sprache  geschaffen  und  daher  lehrreich,  wenn  auch  ein  eigentüm- 
liches Geschick  gewollt  hat,  dafs  gerade  sie  nur  in  den  seltensten 
Fällen  mehr  als  Augenblicksgebilde  gewesen  und  in  den  allgemeinen 
Sprachschatz  übergegangen  sind.  Aber  so  gut  wie  das  ,Volk'  alle 
seine  Vertreter  umfafst,  die  Genies,  die  Perversen,  die  Verrückten, 
die  Durchschnittsmasse  und  die  Zurückgebliebenen,  so  ist  es  auch 
in  der  Sprache:  wer  vom  deutschen  Volke  spricht,  wird  nicht 
gerade  seine  typischen  und  gröfsten  Vertreter,  Bismarck,  Goethe, 
Kant  usw.  ausnehmen;  folglich  darf  er  ihre  Spezial spräche  nicht 
ausnehmen,  wenn  er  von  der  Sprache  des  deutschen  Volkes  spricht. 


^  Vgl.  z.  B.  die  Bedeutungsenlwicklung  von  frz.  apache.  Bei  Sachs- 
Villate  1901  nur  in  der  Bedeutung  „nordamerikanischer  Indianerstamm"  ver- 
zeichnet, wird  es  von  einem  Berichterstatter  des  Matin  1901,  zunächst  ver- 
gleichsweise, auf  die  Plattenbrüder  angewendet,  die  die  Bezeichnung  aulgreifen, 
und  nun  ist  sie  ganz  eingebürgert. 


8o 

Er  darf  es  schon  deshalb  nicht,  weil  diese  Spezialsprache  nicht 
nur  aus  der  allgemeinen  Sprache  herausgewachsen  ist,  sondern  un- 
verlöschbar  auf  sie  zurückwirkt. 

Zugestanden,  dafs  das  Wort  »Vulgärlatein'  als  Gegensatz  zum 
schriftsprachlichen  Ausdruck  die  gesprochene  Sprache  aller 
Volksschichten  zu  allen  Zeiten  der  Latinität  bedeutet,  so 
reicht  es  selbstverständlich  temporär  viel  weiter,  als  Schuchardt 
aufstellt.  Das  so  definierte  Vulgärlatein  verliert  sich  natürlich  in 
die  italische  Urzeit  und  ist  jedenfalls  der  lateinischen  Schriftsprache 
um  eine  nicht  bestimmbare  Zeitspanne  vorausgegangen.  Aber 
auch  nach  oben  ist  die  Grenze  nicht  absteckbar.  Wäre  sie  es,  so 
hätten  wir  ja  die  Antwort  auf  die  Frage: 

II.    Wann  beginnt  das  Romanische? 

In  der  Einführung  i  und  in  der  Kultur  der  Gegenwart  2 
ist  das  erste  nachchristliche  Jahrhundert  als  der  Zeitpunkt  an- 
gegeben, von  dem  an  die  Entwicklung  ins  Romanische  zu  be- 
obachten ist;  malsgebend  für  die  Bestimmung  des  Zeitpunktes  ist 
der  lateinische  Lautstand  gewesen.  Nun  ist  es  ja  einleuchtend, 
dafs  die  Diiferenzen  des  Lautstandes  in  gewisser  Hmsicht  die  mafs- 
gebenden,  die  grundlegenden  Differenzen  zwischen  verschiedenen 
Sprachen  bilden,  während  semantische  oder  syntaktische  Unterschiede 
(beziehungsvveise  Ähnlichkeiten),  viel  weniger  ins  Gewicht  fallen, 
wenn  Sprachen  von  einander  geschieden  werden  sollen.  Die  Voran- 
stellung der  Lautlehre  ist  in  diesen  Fällen  innerlich  höchst  gerecht- 
fertigt. Wenn  es  sich  aber  nicht  um  die  Festlegung  von  Grenzen 
handelt,  sondern  um  den  Entwicklungsgang  aus  einer  Sprache  in 
die  andere,  werden  wir  natürlich  dem  Lautstand  der  Sprachen 
nicht  diese  mafsgebende  Stellung  einräumen.  In  der  Geschichte 
der  Sprache  ist  die  Geschichte  der  artikulatorischen  Veränderungen 
nur  ein  Kapitel  unter  vielen.  Es  scheint  mir  daher  gerechtfertigt, 
die  Chronologie  der  Romanismen  nicht  von  vornherein  mit  den 
lautlichen  Veränderungen  zu  beginnen.  Ich  verstehe  nämlich  unter 
„Romanisch"  (resp.  unter  Romanismus)  jede  sprachliche  Eigentümlich- 
keit, die  sich  im  Gegensatz  zu  „Lateinisch"  (resp.  zur  lateinischen 
konservativen  Schriftsprache)  entwickelt  und  in  nachweisbarer  Kon- 
tinuität die  lateinische  Schriftblüte  überdauert,  also  mindestens  bis  ins 
frühe  Mittelalter  erhalten  bleibt.  Romanisch  verhält  sich  in  vieler  Hin- 
sicht zu  Lateinisch  wie  modern  zu  archaisch.  Das  Romanische, 
das  sind  die  jeweiligen  Neuschöpfungen  des  Lateinischen. 
, Lateinisch'  und  .Romanisch'  ist  der  Ausdruck  für  den  in  die  Er- 
scheinung tretenden  typischen  Gegensatz  von  Tradition  und  Neu- 
schöpfung. Die  einzelnen  sprachlichen  Erscheinungen  werden  also 
im  folgenden  nur  insofern  angeführt,  als  sie  sich  bewufst  oder 
unbewufst  von  dem  zur  Zeit  traditionellen  Sprachgebrauch  unter- 
scheiden. 


'  S.  91  resp.  S.  106. 
»  S.  450. 


8i 

Das  Romanische  geht  eo  ipso  aus  dem  Vulgärlatein  hervor, 
aber  nicht  erst  aus  dem  Vulgärlatein  des  i — 2.  nachchristlichen 
Jahrhunderts.  Wenn  wir  vorurteilslos  die  Romanismen  im  Lateinischen 
zurückverfolgen,  so  kommen  wir  tief  in  die  vorchristliche  Zeit  bis 
an  die  Grenze  der  lateinischen  Überlieferung,  oder  vielmehr  hinter 
sie  zurück,  denn  der  älteste  uns  überlieferte  lateinische  Beleg  ent- 
hält einen  Romanismus.  Bedenkt  man  nun,  wie  zäh  sich  die 
Schrift,  und  besonders  damals,  gegen  das  neu  Eindringende  wehrte, 
so  müssen  wir  die  Wurzeln  des  Romanischen  Jahrhunderte  weit 
hinter  unsere  lateinische  Überlieferung  zurückverlegen. 

Dieser  älteste  Romanismus  liegt  auf  dem  Gebiete  der  Wort- 
stellung und  findet  sich  in  der  Inschrift  auf  der  pränestinischen 
Fibel  (5. —  6.  Jh.  v.  Chr.):  Diienos  med  fefaked  Numasioi.  Vgl.  auch 
aus  einer  der  nächstältesten  Inschriften:  Duenos  med  feced  en  manom. 
Man  mag  die  Inschrift  deuten  wie  man  will,  sicher  ist  en  manoin 
eine  nähere  Bestimmung  des  Verbs. 

Dem  traditionellen  allgemeinen  Gebrauche  entgegen  steht  das 
Verb  nicht  am  Satzende,  sondern  das  Determinierende  folgt  dem 
Verb.  Die  nähere  Bestimmung  des  Verbalbegriffs  steht  nach  diesem 
Begriffe,  während  in  der  lateinischen  Wortstellung  das  Determinierende 
dem  Determinierten  vorausgeht. 


VI.    Der  lateinische  Satzrhythmus.    Verhältnis  von  Wort- 
stellung und  Satzrhythmus. 

Nach  dem  oben  Gesagten  (S.  69  ff.)  ist  es  nun  klar,  dafs  die 
Veränderung  der  Wortstellung  sich  nicht  nur  in  einer  Veränderung 
der  syntaktischen  Gefüge  äufsern  wird,  sondern  auch  den  rein 
physiologischen  Bau  der  Sprache  beinflussen  mufs.  Denn  sie 
modifiziert  den  Satzrhythmus  und  dieser  die  Artikulation. 

Ich  ergreife  gern  die  Gelegenheit,  das  in  meiner  Dissertation i 
Versäumte  hier  nachzuholen.  Röttgers^  hat  mit  Recht  getadelt,  dals 
ich  darin  das  Verhältnis  von  Wortstellung  und  Rhythmus  nicht 
genügend  berücksichtigt,  resp.  die  Begriffe  Rhythmus  und  Satz  nicht 
festgestellt  habe. 

Unter  Satz  verstehe  ich  eine  sprachliche  Mitteilung,  die 
zwischen  zwei  gröfseren  Atempausen  liegt.  Wo  die  Mitteilung  zu 
Ende  ist,  also  eine  Atempause  eintritt,  ist  es  auch  der  Satz,  wobei 
es  nicht  weiter  in  Betracht  kommt,  ob  diese  Mitteilung  nach  den 
Regeln  der  Logik  sprachlich  voll  ausgedrückt  ist  oder  ob  infolge 
der  seelischen  Verfassung  oder  der  tatsächlichen  Lage  die  Gesamt- 
vorstellung nur  zum  Teil  entwickelt  wird.  Der  Teilsatz,  der 
zwischen  zwei  kleinen  Atempausen  liegt,  gilt  hier  wie  ein  Vollsatz. 


*  Über  die  Entwicklung  der  romanischen  Wortstellung  aus  der  Lateinischen, 
Halle,  1903. 

'  Neuphilologische  Rundschau   1904,  S.  399  ff. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift.)  6 


82 

Der  Nebensatz  ist  ja  ursprünglich  ein  Vollsatz,  der  erst  sekundär 
in  Abhängigkeit  gerät.  Im  Nebensatz  sind  die  Stellungen  meist 
konservativer  als  im  Hauptsatz,  bewahren  daher  länger  ihren  älteren 
Typus.  Endlich  sind  häufig  gröfsere  Satzteile  durch  Atempausen 
geschieden;  innerhalb  dieser  sehen  wir  immer  wieder  den  gleichen 
Satzrhythmus. 

Unter  Rhythmus  fasse  ich  hier  in  einen  Ausdruck  den 
Wechsel  von  hervorgehobenen  und  nicht  hervorgehobenen 
Redeteilen  zusammen,  sei  es,  dafs  die  Hervorhebung  durch  den 
musikalischen  Akzent,  durch  expiratorischen  Druck  oder  durch 
Dehnung  (Quantität)   bewirkt  wird. 

Wie  verhaken  sich  nun  Wortstellung  und  Satzrhythmus  zu- 
einander? Bis  zu  einem  gewissen  Grade  werden  sie  immer  Hand 
in  Hand  gehen,  weil  naturgemäfs  das  iru  Satz  Wichtige  doch  auf 
einen  „guten  Taktteil"  fallen  mufs.  Dabei  sind  zwei  Möglichkeiten 
gegeben: 

Entweder  der  Satzrhythmus  ist  biegsam  und  der  Hauptton 
des  Satzes  kann  das  Wichtige  in  jeder  Stellung  treffen  (wie 
im  Deutschen),  dann  richtet  sich  der  Ton  nach  der  Stellung.  Man 
kann  also  im  deutschen  Satze  jedem  Worte  den  Hauptton  geben, 
ohne  es  von  seinem  Platze  zu  rücken.  Z.  B.:  „Ich  habe  ihn  nicht 
gesehen".  Bei  gleicher  Stellung  können  fünf  verschiedene  Satztöne 
zur  Anwendung  kommen  und  dadurch  fünf  verschiedene  Bedeutungen 
hervorgebracht  werden.  Oder,  der  Hauptton  kann  das  Wichtige 
nicht  in  jeder  Stellung  treffen  (wie  im  Französischen),  dann  richtet 
sich  die  Stellung  nach  dem  Tone.  Derselbe  Satz:  Je  ne  Pai pas  vu 
müfste  für  einige  Bedeutungen  folgende  Veränderungen  erleiden: 
I.  Ce  nest  pas  moi  qiii  Vai  vu,  resp.  tnot,  je  ne  Vai pas  vu,  2.  ce  ri'est 
pas  lui  que  fai  vu,  resp.  je  ne  Vai  pas  vu,  lui,  3.  Die  Heraushebung 
des  ai  wäre  stets  unfranzösisch,  die  Betonung  von  pas  und  vu 
hingegen  ergibt  sich  aus  dem  normalen  Tonfall  und  ihre  Hervor- 
hebung durch  Verstärkung  resp.  Erhöhung  des  Tones  ist  an  dieser 
Satzstelle  sprachgemäfs.i 

Ausgehend  von  derartigen  Beobachtungen  und  von  dem  doch 
kaum  anfechtbaren  Satze,  dafs  man  niemals  das  Unwichtige  in  rhyth- 
mischer Hervorhebung  sagen  wird,  das  Wichtige  aber  im  schlechten 
Taktteil  des  Satzrhythmus, 2  habe  ich  die  lateinische  Wortstellung 
beobachtet.  Ich  versuchte  aus  der  Stellung  des  Wichtigen  im 
lateinischen  Satze  die  Stelle  des  lateinischen  Satzhauptakzentes  nach- 


^  Vgl.  bei  L.  Roudet,  La  d^saccentuation  dans  le  franfais  moderne,  Rev.  de 
Phil.  Fr.  et  de  Lit.  1907,  S.  302  ff.  die  Einteilung  der  stets  akzentuierten 
und  der  stets  nicht  akzentuierten  Wörter. 

2  Diese  eigentlich  selbstverständliche  Wahrheit  hat  Bourdon,  L'expression 
des  dmotions  et  des  tendances  dans  le  langage  S.  138  zu  der  „praktischen 
Stilregel"  verwertet:  Dans  la  formation  d'une  unit6  verbale,  un  bon  ecrivaiu 
devra,  si  la  grammaire  le  permet,  se  pr6occuper  de  donner  au  mot  qui  exprimera 
la  partie  la  plus  impoitante  de  l'idee  la  place  qui  est  ordinairement,  dans  la 
langue  employee,  celle  du  plus  fort  acccnt. 


Ö3 

zuweisen  1  und  da  stellte  sich  heraus,  dafs  in  den  Sätzen  mit 
archaischer  Wortfolge  der  Hochton  in  der  Mitte  des  Satzes  gelegen 
haben  mufs,2  denn  da  liegt  das  Wichtige  der  Mitteilung.  Mit 
dieser  Feststellung  ist  nun  aber  nicht  viel  erreicht,  wenn  wir  nicht 
wissen,  welcher  Art  dieser  Hochton  des  Lateinischen  war:  musi- 
kalischer, exspiratorischer  oder  quantitativer  Natur?  Denn  nur,  wenn 
wir  das  wissen,  haben  wir  die  Grundlage  für  die  weitere  Frage, 
was  für  rhythmische  Umwälzungen  das  Eindringen  der  romanischen 
Wortstellung  hervorgerufen  haben  mufs. 

Natur  des  lateinischen  Satzrhythmus. 
Wenn  als  ältester  Typus  der  Wortstellung  der  subjektive 
gelten  kann,  so  mufs  folgerichtig  als  ältester  Satzrhythmus  der 
fallende  angenommen  werden.  Denn  wenn  immer  das  Wichtige 
vor  dem  minder  Wichtigen,  das  Neue  vor  dem  Bekannten  kommt, 
so  wird  die  Hervorhebung  von  Glied  zu  Glied  abnehmen.  Der 
älteste  Rythmus  ist  also  a  b  c;  das  ist  auch  naturgemäfs,  dafs  die 
Stimme  zum  Ende  zu  sinkt,  resp.  der  exspiratorische  Druck  nach- 
läfst.  Was  nun  die  Natur  dieses  ältesten  Rhythmus  anbelangt, 
so  wird  man  wohl  dabei  bleiben  dürfen,  dafs  der  ,Urakzent'  der 
musikalische  ist.  Denn  er  liegt  ja  vor  aller  Artikulation,  wie  er 
im  Notfall  zu  elementarer  Mitteilung  genügt.  Der  musikalische 
Akzent  kann  nie  aus  der  Sprache  ganz  hinweggedacht,  aber 
offenbar  auf  ein  JNlinimum  reduziert  werden.  Eintöniges  Reden  ist 
doch  eben  Reden  auf  einem  Ton,  wenn  auch  nur  auf  einem;  und 
irgend  ein  Steigen  oder  Sinken  werden  die  Apparate  immer  ver- 
zeichnen. Vgl.  die  starken  Kurven,  die  E.  W.  Scripture  in  Studies 
of  IMelody  in  English  Speech,  Phil.  Studien  XIX,  599  ff.,  und  Phon. 
Studien  X  verzeichnet.  Nun  kann  man  natürlich  nicht  den  Satz 
aufstellen,  dafs  die  Verminderung  oder  Abschwächung  des  musi- 
kalischen Akzentes  etwa  in  geradem  Verhältnisse  zum  Kulturfort- 
schritte stehe:  denn  das  Griechische  hatte  noch  einen  vorwiegend 
musikalischen  Akzent.  Die  Erhaltung  resp.  Verminderung  des  musi- 
kalischen Akzentes  steht  auch  in  keiner  Beziehung  zum  inneren 
Wachstum  der  Sprache,  wie  man  nach  dem  Chinesischen  geneigt 
wäre  zu  glauben;  wiederum  wegen  des  Griechischen,  das  mit 
seinem  Flexionenreichtum  darin  auf  derselben  Stufe  stand  wie  das 
über  die  Flexion  hinausgediehene  Chinesische. 

Ganz  ohne  exspiratorischen  Druck  ist  keine  Sprache  denk- 
bar, so  wenig  wie  ohne  allen  musikalischen  Akzent.  Zwar  hat 
neuerlich  Roudet^  gegen  Brücke  ■*  nachgewiesen,  dafs  die  Steigerung 


»  Wortstellung  S.  46  ff. 

'  Worin  mir  van  Ginnecken,  Principes  de  psycliologie  linguistique  S.  526 
Recht  gibt,  während  er  verdienterweise  die  Versäumnis  tadelt,  nicht  auf  Henri 
Weil  zurückgegangen  zu  sein,  dessen  Buch  mir  entgangen  war. 

'  L.  Roudet,  De  la  depense  d'air  dans  la  parole,  La  Parole  1900, 
S.  201  ff. 

*  Physiologische  Grundlagen  der  hochdeutschen  Verskunst  S.  3. 

6* 


84 

der  Tonhöhe  an  sich  nicht  notwendigerweise  eine  Drucksteigerung 
bedingt;  die  Steigerung  der  Tonhöhe  kann  durch  andere  physio- 
logische Vorgänge  erreicht  werden.  Aber  die  psychische  Anteil- 
nahme an  dem  Inhalt  des  Gesagten  bewirkt  notwendigerweise  auch 
Schwankungen  der  Atmung  und  dadurch  Vergröfserung  resp.  Ver- 
ringerung des  exspiratorischen  Druckes. 

Die  Quantität  ist  in  letzter  Linie  nichts  anderes  als  die 
Zeitmessung  des  Luftstromes,  der  durch  die  jeweilige  Organstellung 
streicht.     Sie  hängt  also  von  der  Beschaft'enheit  des  Luftstromes  ab. 

Ob  die  eine  oder  die  andere  Art  des  Satzrhythmus  im  Vorder- 
grunde steht,  das  gehört  zu  den  eigentümlichen  Merkmalen  der 
sprachlichen  Disposition,  für  die  wir  nicht  ohne  weiteres  einen  Er- 
klärungsgrund anführen  können.  Wohl  aber  beobachten  wir,  wie 
in  andern  Fällen,  so  auch  hier,  den  Wechsel  in  der  Auswahl 
sprachlicher  Mittel.  Jeder  derartige  Wechsel  mufs  notwendiger- 
weise auf  die  Gesamtsprache  wirken. 

Im  Griechischen  ist  der  exspiratorische  Druck  äufserst  langsam 
ein  dem  musikalischen  Akzent  gleichwertiges  Ausdrucksmittel  ge- 
worden; die  ersten  Spuren  gehen  nach  Kretschmer  (Kuhn's  Zeitschr. 
XXX,  5g  I  ff.)  ins  5.  bis  4.  Jahrhundert  vor  unsrer  Zeitrechnung  zurück, 
die  ersten  Wirkungen  (Verwischung  der  Quantität)  ins  3.  bis  2.  Jahr- 
hundert, und  in  den  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderten  kann 
von  exspiratorischem  Drucke  die  Rede  sein. 

Der  grofse  Unterschied  der  Struktur  des  Griechischen  und  des 
Lateinischen  geht  in  erster  Linie  darauf  zurück,  dafs  im  Latei- 
nischen der  exspiratorische  Druck  viel  früher  dem  musikahschen 
Akzent  den  Rang  abläuft  und  daher  viel  früher  auf  die  Artikulation 
wirkt. 

Nicht  nur  das  vorhistorische,  sondern  auch  noch  das 
historische  Latein  mufs  lange  Zeit  hindurch  alle  drei  Mittel 
der  Hervorhebung  besessen  haben:  ausgeprägten  exspirato- 
rischen Druck  zur  Hervorhebung  der  ersten  Silbe  (Initial- 
druck), der  in  der  letzten  Zeit  nur  noch  von  Holger  Pedersen 
(Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachforschung  XXXVIII,  S.  338  ff.)  an- 
gezweifelt wurde,  unbestreitbaren  musikalischen  Akzent,  der 
noch  in  der  Kaiserzeit  nicht  erloschen  war^  und  diese  beiden  sind 
ebenso  unleugbar  als  die  Hervorhebung  durch  Quantität,  die  bis 
ins  zweite  nachchristliche  Jahrhundert  eine  bedeutende  Rolle  spielt 
und  zwar  in  abnehmender  Kraft.  In  ihr  haben  wir  also  einen 
Faktor,  der  um  so  mafsgebender  ist,  je  tiefer  wir  in  die  lateinische 
Vergangenheit  zurückgehen. 

Da  das  Vorhandensein  der  Quantität  nicht  weiter  bewiesen 
und  besprochen  zu  werden  braucht,  handelt  es  sich  nur  darum, 
das  viel  umstrittene  Verhältnis  der  beiden  anderen  Hervorhebungs- 
mittel zu  untersuchen. 


^  Vgl.  dazu  Brugmann,  K.  Vgl.  Gramm.  S.  62  ff. 


85 

Ich  glaube  dabei  von  einer  nochmaligen  Darstellung  und  Be- 
urteilung aller  früheren  Meinungen  absehen  zu  dürfen. 

Es  sei  besonders  darauf  hingewiesen,  dafs  im  Folgenden  —  wie 
auch  schon  in  der  oben  durchgeführten  Skizze  phonetischer  Vor- 
gänge —  streng  zwischen  „Ton"  und  „Druck"  geschieden  wird. 
Es  kommt  ja  eben  darauf  an,  ihren  Wechselwirkungen  nachzugehen. 
Das  Wort  'Betonung'  hat  hier  also  ausschliefslich  musika- 
lischen Wert  und  wird  niemals  im  Sinne  von  exspiratorischer  Hervor- 
hebung gebraucht.  Für  diesen  letzteren  Begriff  verwende  ich  das 
Wort  „Druck"  (exspiratorischer  Druck);  freilich  stellt  das  Deutsche 
uns  hier  die  Schwierigkeit  entgegen,  dafs  wir  neben  .betont  und 
unbetont'  keine  parallelen  Adjektiva  vom  Stamme  'Druck'  setzen 
können.  Die  sprachliche  Ungeschicklichkeit  scheint  mir  aber  ein 
geringerer  Übelstand  als  die  fortwährende  Ungenauigkeit,  die  sich 
für  die  Darstellung  ergibt,  wenn  'Ton'  zugleich  für  Ton  und  ex- 
spiratorischen  Druck  verwendet  wird.  Das  Wort  'Akzent'  nehme  ich 
zum  Ausdrucke  für  „Hervorhebung  überhaupt",  es  sei  durch 
welches  Mittel  immer. 

Das  Vorhandensein  beider  Akzente  bezeugen  die  lateinischen 
Grammatiker  und  wir  haben  keine  Ursache,  ihren  Aussagen  von 
vornherein  den  Glauben  zu  versagen.  Vollkommen  deutlich  spricht 
über  den  musikalischen  Akzent  vor  allem  Varro  apud  Sergium, 
524,  24  K.  (Schoein  Il^ff.)  „Scire  autem  oportet  vocem  .  .  .  tres 
habere  distantias:  longUudinem  altitudinem  crassUudinem  .  .  .  Ab 
altitiidine  discernit  accentus  cum  pars  verbi  aut  in  grave  deprimitur 
aut  sublimatur  in  acutum"  und  so  seine  Nachfolger.  Ferner  sagt 
Varro  525,  18  K.  (Schoell  III):  „in  vocis  altitudine  omnino  spectatur 
adeo  ut,  si  omnes  syllabae  pari  fastigio  vocis  enuntientur,  prosodm 
Sit  nulla".  Martianus  Capeila  III,  65,  19  Eyss.  (Schoell  XII)  „Et 
est  accentus  .  .  .  seminarium  musices,  quod  omnis  modulatio  ex 
fastigiis  vociim  gravitateque  coraponitur  ideoque  accentus  quasi  aJ- 
cantus  dictus  est".  Am  mafsgebendsten  vielleicht  ist  Cicero's  Be- 
merkung (Orator.  18,  57):  „mira  est  enim  quaedam  natura  vocis, 
cuius  quidem  e  tribus  omnino  sonis,  inflexo  acuto  gravi,  tanta  sit 
et  tarn  suavis  varietas  perfecta  in  cantibus.  Est  autem  etiam  in 
dicendo  quidam  cantus  obscurior,  non  hie  e  Phrygia  et  Caria  rhetorum 
epilogus  paene  canticum,  sed  ille,  quem  signiticat  Demosthenes  et 
Aeschines,  cum  alter  alteri  obicit  vocis  flexiones". 

Hiervon  ist  die  Intensität  =  crassitudo  deutlich  zu  scheiden. 
Es  ist  die  Empfindung  des  breiten  oder  dünnen  Exspirationstromes: 
Varro  (Seh.  II ^):  ^^crassitudo  autem  in  spiritu  est,  unde  etiam  Graeci 
adspirationem  appellant  öaohiav  et  tpiXrjv;  nam  omnes  voces  aut 
aspirando  facimuspinguicres  aut  sine  aspiratu  pronuntiando  tenuiores." 
Dies  scheint  sich  zwar  in  erster  Linie  auf  den  Vokaleinsatz  zu 
beziehen,     aber     die     Dreiteilung     in     altitudo    crassitudo    longiiudo 


1  De  accenlu  linguae  latirae,  Acta  Soc.  Phil.  Lips.  1876,  Bd.  VI. 


86 

(=  Quantität)  läfst  für  die  Bezeichnung  ^^crassihido'^  ^  kaum  eine 
andere  Deutung  zu  als  „Intensität".  Vgl.  noch  Donat  (Cod.  Bern.) 
Seh.  11^:  crassitudine  vel  latitudine. 

Unter  ,spiritus'  ist  nicht  nur  „Stimmeinsatz"  (das  ist  eben 
adspiratio),  sondern  überhaupt  Atem  zu  verstehen.  Vgl.  Quintilian 
Inst.  Or.  XI,  53:  „Spiritus  nee  crebro  receptus  concidat  sentenüam, 
nee  eo  usque  trahatur,  donec  deficiat".  Dafs  die  Intensität  als  etwas 
vom  Tone  Verschiedenes  erkannt  wurde,  sehen  wir  weiter  aus 
Quintilian  ebd.  55:  „Est  interim  et  longus  et  plenus  et  elarus  satis 
Spiritus,  non  tarnen  firmae  intentionis  ideoque  tremulus  etc.  42: 
Mediis  ergo  utendum  sonis,'  hique  cum  augenda  intentione 
excitandi,  cum  summittenda  sunt  temperandi".  Noch  deutlicher  ist 
die  Scheidung  von  Druck  und  Ton  bei  Diomedes  430,  2g  K. 
(Seh.  X):  „Accentus  est  acutus  vel  gravis  vel  inflexa  elatio  orationis 
vocisve  intentio  vel  inclinatio  aeuto  aut  inflexo  sono  regens  verba." 
Der  Akzent  ist  'spitz'  oder  'fallend'  oder  eine  gewundene  Erhebung 
der  Rede,  sowie  eine  Anspannung  der  Stimme  oder  Hinneigung,  die 
mit  spitzem  oder  gewundenem  Tone  die  Wörter  regiert.  Darin 
spricht  sich  doch  deutlich  das  klare  Gefühl  aus,  dafs  man  in 
spitzem  oder  gewundenem  Tone  mit  der  angespannten  Stimme 
eine  Silbe  hervorhebt,  dafs  die  Intensitätshervorhebung  auf  die  eine 
oder  die  andere  Weise  (acuta  oder  inflexa)  geschieht,  und  dafs  von 
diesen  beiden  Arten  des  Akzentes  das  Moment  der  intejitio  vel 
inclinatio  damals  deutlich  geschieden  war.  Inclinatio  ist  also  hier 
als  Silbendruck  anzusehen,  das  Hinneigen  auf  einen  bestimmten 
Teil  des  Wortes,  wodurch  dieser  der  herrschende  wird.  Es  ist  er- 
sichtlich und  auch  begreiflich,  dafs  die  Erklärung  des  exspiratorischen 
Druckes  bei  Quintilian  und  Diomedes  von  der  bei  Varro  erheblich 
abweicht.  Es  liegt  ein  Stück  Sprachgeschichte  darin;  die  Sprech- 
weise hatte  sich  in  der  Zwischenzeit  von  je  ca.  150  Jahreri  so  weit 
geändert,  dafs  nun  leicht  erfafslich  war,  was  man  zur  Zeit  Varro's 
noch  nicht  so  scharf  kennzeichnen  konnte.  Es  ist  auch  sehr 
charakteristisch,  dafs  erst  Donat- Diomedes -Pompeius  die  Beob- 
achtung machen,  eine  Wortgruppe  wie  male  saniis  habe  einen  minder 
einheitlichen  Akzent  als  das  eine  Wort  malesanus. 

LindsayS  hat  die  Annahme  einer  in  den  Grammatikerzeugnissen 
sich  spiegelnden  Weiterentwicklung  glatt  abgewiesen,  obzwar  er 
natürlich  dem  Gedanken  an  eine  Veränderung  des  Akzentes  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  nicht  fern  steht  und  ihn  fürs  Griechische 
zugibt.  Die  lateinischen  Grammatiker  sollen  nur  die  griechischen 
nachgeäfft,  nichts  selbst  beobachtet  haben.     Warum? 

In  der  Streitfrage,    ob  das  Lateinische  musikalischen  oder  ex- 

1  So  fafst  es  auch  Storm  auf,  Phonet.  Studien  II,  S.  169. 

*  Vgl.  zu  den  mediis  sonis  A.  Ahlberg,  Studia  de  Accentu  latino, 
Lund  1905. 

8  Die  lateinische  Sprache,  S.  178.  Vgl.  auch  noch  Niedermann  (Historische 
Lautlehre  des  Lateinischen,  S.  13),  der  bis  zum  IV.  Jahrh.  musikalische  und 
von  da  ab  exspiratorische  Hervorhebung  annimmt,  ohne  den  Wandel  irgend 
zu  erklären. 


87 

spiratorischen  Akzent  gehabt  habe,  entscheidet  sich  Lindsay  (a.  a.  O. 
171  ff.)  mit  Seehnanni  für  den  exspiratorischen.  Ihm  hat  Vendryes^ 
widersprochen  mit  der  befremdüchen  Behauptung,  das  Latein  der 
„klassischen"  Zeit  sei  rein  quantitierend  gewesen,  nur  vorhistorisch 
und  spätlateinisch  lasse  sich  exspiratorischer  Druck  annehmen. 

Mir  scheint  die  Sache  anders  zu  liegen.  Die  Frage  ob  das 
Lateinische  musikalischen  oder  exspiratorischen  Akzent  hatte,  ist 
von  vornherein  nicht  richtig  gestellt.  Es  hatte  eben  beide,  und  es 
ist  gar  nicht  anders  möglich,  als  dafs  es  beide  Akzente  hatte,  schon 
deshalb,  weil  die  Evolution  vom  Aufkommen  der  exspiratorischen 
Hervorhebung  bis  zur  Verdrängung  des  musikalischen  Akzentes 
mindestens  mehrere  hundert  Jahre  in  Anspruch  nehmen  mufste. 
Schon  aus  diesem  einen  Gesichtspunkt  ist  Vendryes'  Ansicht  nicht 
hahbar.  Das  Lateinische  der  klassischen  Zeit  zeigt  uns  das  Über- 
gangsstadium  zwischen  musikalischem  und  exspira- 
torischem  Akzent.  Sie  waren  annähernd  gleichwertig,  mit  Rück- 
schrittstendenz des  ersteren  und  Fortschrittstendenz  des  zweiten. 
Bedenkt  man  nun,  dafs  auch  die  Quantität  eine  bedeutende  Rolle 
hat,  so  ergibt  sich  eine  schwebende  Aussprache,  in  der  die 
exspiratorische  Hervorhebung  der  einen  Silbe  der  quantitativen 
Hervorhebung  der  anderen,  der  musikalischen  der  dritten  annähernd 
das  Gleichgewicht  hielt.  Ein  Reichtum  an  Ausdnicksmitteln,  den 
wir  uns  am  besten  am  modernen  Französischen  vergegenwärtigen 
können,  wenn  es  in  pausa  zur  Erzielung  breiterer  Wirkung  die 
sonst  nicht  hervorgehobene  vorletzte  Silbe  durch  den  höchsten 
Ton  auszeichnet,  während  der  exspiratorische  Druck  gewohnheits- 
mäfsig  auf  der  letzten  bleibt:  fidtion;  na-  hat  den  höchsten  Satzton 
-tio7i  den  stärksten  Druck.  Roudet^  hat  einige  Sätze  gemessen, 
wie:  Veiit,  que  fais-tu'^  und  in  diesem  Falle  fais  als  höchsten  Ton, 
tu  als  gröfste  Intensität  objektiv  festgestellt.  In  solchen  Fällen 
bildet  die  Sprache  gewissermafsen  Spondeen  aus  psychisch 
gleichen  Heraushebungswerten,  deren  jeder  physiologisch  auf 
andere   Weise  hervorgebracht  ist. 

Wie  kam  das  Lateinische  in  diesen  Zustand  und  wieso  ent- 
wickelt sich  der  einheidiche  Silbendruck  nach  dem  „Dreisilbengesetz", 
wodurch  die  Silben  im  Verlaufe  der  Jahrhunderte  sehr  ungleich 
werden? 

So  lange  man  das  Verhältnis  von  Initialakzent,  musikalischem 
Akzent  und  Paenultimabetonung  allein  aus  rhythmischen  Gesichts- 
punkten zu  verstehen  versucht,  wird  eine  befriedigende  Lösung  wohl 
immer  ausbleiben.  Die  Sprache  ist  mehr  als  nur  ein  rhythmisches 
Gebilde  und  ihre  Entwicklung  wird  erst  dann  verständlich,  wenn 
man  alle  Faktoren  des  Sprachlebens  in  Betracht  zieht. 


1  Die  Aussprache  des  Latein,  1885,  wo  S.  25  alle  früheren  Ansichten 
aufgeführt  werden. 

*  Recherches  sur  l'histoire  et  les  effets  de  l'intensit^  initiale  en  latin, 
1901,  S  63,  64  und  vor  allem  S.  lOO. 

3  Parole  1899,  S,  321  ff. 


88 

Vor  allem  ist  der  Gedanke  an  fremden  Einflufs  abzuweisen. 
Das  Lateinische  hat  den  Initialakzent  weder  von  fremden  Völkern 
übernommen,  wie  Vendryes  aufstellt, i  noch  ihn  durch  Einflufs  des 
Griechischen  verloren,  wie  vielfach  behauptet  wurde.  Dagegen  ist 
schon  von  Weil-Benloew^  ausgesprochen  worden,  dafs  die  Ver- 
änderung des  Akzentes  als  ein  organischer  Prozefs  aufzufassen  ist. 
Jedoch  ist  weder  Ursache  und  Anstofs  der  Entwicklung  noch  das 
Ineinandergreifen  des  Räderwerkes  bisher  dargelegt  worden. 


VII.  Die  Veränderung  des  lateinischen  Satz-  und  Wort- 
rhythmus vom  fallenden  bis  zum  steigend -fallen  den  und 
die  daraus  sich  ergebenden  Veränderungen  der  Artikulation. 

Das  älteste  Latein  tritt  uns  unter  Sprachformen  entgegen,  die 
beweisen,  dafs  es  einen  exspiratorischen  Initialdruck,  der  aus  dem 
Indogermanischen  nicht  ererbt  war,  angenommen  und  bereits 
wieder  aufgegeben  hatte  vor  Beginn  der  historischen  Über- 
lieferung. 

Die  Ursache,  warum  das  Lateinische  den  Initialakzent  verlor, 
scheint  mit  der  psychischen  Disposition  zusammenzuhängen,  durch 
die  es  ihn  einst  erworben  haben  mufs:  mit  dem  Bedürfnis,  der 
habituellen  Heraushebung  eine  andere  (okkasionelle)  entgegen- 
zusetzen. 

Es  ist  für  jede  Sprache  ziemlich  klar,  dafs  sie  aus  einem 
Stadium,  in  dem  die  Phoneme  einzeln,  also  unmoduliert,  hervor- 
gebracht wurden,  fortschreitet  zu  Abstufungen  inbezug  auf  die 
Heraushebung,  d.  h.  zu  der  Gruppierung  der  Phoneme.  Dafs  diese 
Gruppierung  mittels  jeder  der  drei  Arten  des  Satzrhythmus  von 
vornherein  möglich  war,  zeigt  uns  die  indogermanische  Wissen- 
schaft, die  uns  Wirkungen  des  wechselnden  exspiratorischen  Druckes 
sowohl  als  des  wechselnden  musikalischen  Akzentes  und  der 
Quantität 3  aufzeigt.  Fürs  Lateinische  leistet  die  Indogermanistik 
allerdings  dabei  am  wenigsten.  Wir  können  über  die  vorhistorische 
Zeit  des  Lateinischen  weniger  klar  urteilen,  als  über  die  der 
anderen  indogermanischen  Sprachen.*  Aber  das  scheint  doch 
ziemlich  annehmbar,  dafs  die  Aneinanderrückung  der  Satzelemente 
zu  einer  Suffixbetonung  führte. 

Die  Rolle  der  Akzente,  die  nun  ausführlicher  besprochen 
werden  soll,  läfst  sich  vorausgreifend  kurz  in  folgender  Übersicht 
darstellen : 


1  S.  100. 

*  Theorie  generale  de  l'accentuation  latine  S.  249  ff.,  speziell  S.  252. 
'  Vgl.  Brugmann  a.  a.  O.  138  ff.,  53  ff. 

*  Vgl.  bei  Hirt,  Der  indogermanische  Akzent,   1895,  S.  43. 


89 

L    Durchwegs  hochtonige  Redeteile  (Hauptakzent  i).    AneinanJerfügung. 
Entwicklung   der    Suffixbetonung    als   Betonung    des    letzten   Deter- 
minierenden. 
II.    Der    Hauptakzent  1    wird    hierdurch    Nebenakzent i.      Suffixbetonung 
wird  Hauptakzents. 

III.  Nebenakzent  1  wird  (Initial-)Hauptakzent3.  Hauptakzent«  (Suffix- 
betonung) wird  Nebenakzent 2. 

IV.  (Historische  Zeit).  Nebenakzento  (musikalische  Endbetonung)  geht 
verloren.  Hauptakzents  wird  teils,  durch  Quantität  beeinflufst,  zum 
Hauptakzent 4,  teils  bleibt  er  als  (Initial-)Nebenakzent3. 

Als  Stadium  I  haben  wir  uns  also  vorzustellen,  dafs  es  durch- 
wegs hochakzentuierte  Redeteile  gab,  die  in  fallender  Anordnung 
hervorgestofsen  worden  sein  mögen. i  Dafs  der  semantisch  fallende 
Rhythmus,  die  Anordnung  nach  dem  subjektiv  Wichtigen,  der  primäre 
ist,  bedarf  keiner  weiteren  Begründung.2  Welcher  Art  der  erste, 
ursprüngliche  Akzent  war,  läfst  sich  natürlich  nicht  sagen.  Allgemach 
rücken  die  Redeteile  aneinander.  Es  entsteht  eine  Gruppierung. 
Die  Unterordnung  erfolgt  nach  dem  Prinzip  du  dernier  delerminant;^ 
da  nun  der  Hauptbegriff  durch  Anrückung  eines  zweiten  Sprach- 
elementes näher  erklärt,  determiniert  wird,  so  erfolgt  Heraushebung 
des  determinierenden  Elementes  und  es  entwickelt  sich  die  Suffix- 
betonung. Diese  Siiffixbetonung  wird  habituell ;  der  einst  vorhandene 
Hochton  des  determinierten  Begriffs  schwächt  sich  ab  und  sinkt 
zum  Nebenakzent  herab.*  Das  Stadium  II  zeigt  uns  daher  den 
nicht  näher  bezeichenbaren  Hauptakzentj  als  Nebenakzentj,  die 
Suffixbetonung  als  Hauptakzent2. 

Die  weitere  Entwicklung  ist  die,  dafs  der  nunmehr  habituellen 
Endbetonung  (musikalischer  Qualität)  eine  okkasionelle  Hervor- 
hebung des  Wortanfangs  (resp.  der  Stammsilbe)  durch  exspira- 
torischen  Druck  entgegentritt,  woraus  sich  ein  neuer  (Initial-)  Haupt- 
akzent bildet,  so  dafs  die  Endbetonung  ihrerseits  zum  Nebenakzent 
herabgedrückt  wird.  Stadium  III  zeigt  uns  also  den  exspiratorischen 
Initialakzent 5  als  Hauptakzentg,  und  die  musikalische  Suffixbetonung 
(ehemaliger  Hauptakzent  oder  Hauptakzent^)  als  Nebenakzent2. 
Der  Wechsel  im  Gebrauch  der  Hervorhebungsmittel  ist  nicht  nur 
theoretisch  begreiflich,  es  ist  auch  überall  zu  beobachten,  dafs,  je 
nach  dem  habituellen  Vorherrschen  des  einen,  der  andere  zu 
okkasioneller  Wirkung  herangezogen  wird. 

Wir  stehen  in  diesem  Stadium  der  sprachlichen  Entwicklung 
zwar  noch  lange  nicht  auf  historischem  Boden,  aber  wir  haben  alle 


*  Vgl.  bei  Hirt  S.  92  die  Darlegung,   dafs  der  schleifende  Ton  aus  dem 
stofsenden  entstanden,  dieser  also  der  primäre  ist. 

2  Schon  Blair   a.  a.  O.    S.  134   nennt   die  „lateinische"    Wortstellung   die 
natürliche,  die  anfängliche. 

«  Vgl.  Hirt  a.  a.  O.  S.  206. 

*  Ygl.  Weil-Benloew  a.  a.  O.   S.  II5  und  Hirt  a.  a.  O.  S.  205. 

s  Über  das  Verhältnis  von  Suffixbetonung  und  Initialakzent  im  Lateinischen 
vgl.  Brugmann,  a.  a.  O.,  S.  62. 


QO 

Ursache  anzunehmen,  dafs  das  vorhistorische  Latein  exspiratorischen 
Initialdruck  und  musikahschen  Endton  hatte.^ 

Die  Quantität  war  selbstredend  an  keine  Stelle  gebunden. 

Der  musikalische  Ton,  der  damals  zwar  nur  das  Ende  habituell 
hervorhob,  konnte  und  mufste  in  der  stark  musikalischen  Sprache 
auch  auf  den  andern  Silben  empfunden  werden. 

Der  exspiratorische  Druck  hingegen  haftete  zunächst  am  Wort- 
anfang, der  offenbar  musikalisch  am  schwächsten  betont  war.  Der 
rein  exspiratorischen  Hervorhebung  der  ersten  Silbe  stand  also  eine 
rein  musikalische  Betonung  der  Endsilbe  gegenüber.^  Die  Mittelsilbeu 
sprach  man  daher  im  steigenden  musikalischen  und  im  fallenden 
exspiratorischen  Akzent.  Da  aber  der  exspiratorische  Druck,  dem 
keine  mäfsigende  Wirkung  entgegenarbeitet, 3  eine  Steigerung  der 
Tonhöhe  hervorruft,  mufs  notwendigerweise  mit  der  Zeit  die  Druck - 
silbe  auch  zu  musikalischer  Hervorhebung  kommen  und  daher 
die  Herrschaft  im  Worte  an  sich  reifsen,  so  dafs  die  musikalische 
Endbetonung   vernachlässigt   wurde    zu    gunsten    des   Initialdruckes. 

Was  die  Beweggründe  zu  den  früheren  Veränderungen  gewesen, 
können  wir  erschliefsen,  wenn  wir  versuchen,  uns  diese  letzte  Ver- 
änderung klar  zu  machen,  die  uns  schon  auf  historischen  Boden 
führt:  Die  Entwicklung  des  Initialakzentes  können  wir  be- 
gründen. Dieser  Rhythmus  der  Hervorhebung  ist  ge- 
fordert durch  die  ganze  Satz(und  Sprach-)auffassung  des 
ältesten  uns  erreichbaren  Latein.  Der  akustische  Rhythmus 
entspricht  dem  semantischen;  er  ist,  wie  dieser,  fallend:  das 
Determinierende  steht  vor  dem  Determinierten,  das  Neuere  vor 
dem  Bekannten.  Das  Adverb  und  das  Präverb  haben  den  Haupt- 
ton, das  Verb  wird  dadurch  enklitisch;  *rcdago,  ^hnmaneo  usw.  sind 
Zusammenwachsungen  und  legen  gleiches  Zeugnis  ab  mit  den  be- 
weglichen und  doch  stehend  verkürzten  Formen  wie  amänt  sunt. 
Es  ist  nicht  das  Verb  an  sich  akzentlos,  aber  es  tritt  hinter  dem 
Akzent  des  Determinanden  zurück.  So  entspricht  auch  die  Enklise 
des  Pronomens  und  gewisser  Substantive  dem  Denkhabitus:  cum 
tibi,  sid  fraude  wie  rc-facio  nt-scio.  Bei  allen  Wörtern,  die  eine  be- 
griffliche Näherbestimmung  des  Folgenden  ausdrücken,  ist  der 
Rhythmus  nicht  nur  oder  vielmehr  zunächst  gar  nicht  mechanisch 
sondern    semantisch   zu   erklären.     Es  war   eine   okkasionelle 


^  Vgl.  Havet,  Mem.  soc.  lingu.  VI,  S.  iifF.  und  auch  Ch.  Bally's  Aus- 
führungen (Melanges  de  Lingnistique  ä  F.  Saussure,  Paris  1908)  über  den  be- 
weglichen Ini'ial-  und  Finalakzent  des  Indogermanischen. 

2  Diese  von  Havet  a.  a.  O.  sicher  mit  Recht  gemachte  Aufstellung  be- 
streitet Philippide  (Lateinischer  und  rumänischer  Wortakzent,  Festgabe  für 
H.  Suchier  1900)  mit  der  Begründung,  wir  hätten  keinen  Beweis  für  exspira- 
torischen Druck  auf  der  Anfangssilbe  und  musikalischen  auf  der  Innensilbe, 
und  er  meint,  es  wäre  unmöglich,  ein  solches  „Wortungeheuer"  auszusprechen. 
Die  Akzentuierung  des  Magyarischen,  des  Tschechischen,  des  Serbischen  gibt 
Beispiele  zur  Genüge  für  die  Verbindung  von  exspiratorischem  Druck  und 
musikalischem  Tone,  wie  er  hier  für  das  Lateinische  vorausgesetzt  wird. 

^  Vgl.    Roudet,    Parole   1900,    S.  599  ff. ;    Gutzmann,    Mediz.-päc 
Monatshefte  1906,  S.  197. 


91 

Heraushebung,  die  dann  stehend  wurde.  Der  semantische 
Akzent  fördert  also  den  Initialdruck  als  rhythmisches 
Prinzip:  er  ist  durch  die  damalige  Satzauffassung  bei  einem 
grofsen  Teil  der  Wörter,  speziell  der  Komposita  geradezu  be- 
dingt. Sobald  er  bei  diesen  habituell  war,  konnte  eine  rhythmische 
Ausgleichung  entstehen,  so  dafs  der  Initialdruck  schliefslich  überall 
gewohnheitsmäfsig  gesetzt  wurde. 

Bei  dieser  Satzauffassung  mufste  auch  das  Wichtige  der  Mit- 
teilung stets  am  Anfang  des  Satzes  stehen.  Diese  Satzgliederstellung 
des  Lateinischen  ist  uns  nicht  überliefert.  Aber  die  Wortbildung 
bezeugt  es  ja  zur  Genüge,  wie  es  sich  mit  den  syntaktischen  Ge- 
bilden verhielt. 

Wir  stehen  an  einem  Punkte  der  Entwicklung,  in  dem  der  inten- 
sive Initialdruck  zunächst  semantisch  gefordert,  dann  infolge  rhyth- 
mischer Analogie  als  Hauptakzent  herrscht,  während  der  musikalische 
Endton  Nebenakzent  geworden  ist.  Zwischen  den  beiden  Hervor- 
hebungen lagen  die  Mittelsilben,  wie  bemerkt,  in  schwachem  Ton 
und  schwachem  Druck.  Sie  mufsten  Veränderungen  erleiden,  und 
die  erste  Wirkung  dieser  antipodischen  Hervorhebungen  fällt  wohl 
recht  tief  in  vorhistorische  Zeit,  aber  sie  dauert  noch  fort  in  einer 
Periode,  die  wir  lang  und  klar  vor  Augen  haben,  so  dafs  es  nicht 
allzu  phantastisch  erscheint,  die  Geschichte  der  Veränderungen  ein- 
mal in  chronologischer  Reihenfolge  zu  skizzieren.  Eine  vollständige 
Darstellung  ist  natürlich  nicht  im  entferntesten  geplant.  Das  hiefse 
ja  die  Geschichte  der  lateinischen  Sprache  schreiben.  Vielmehr 
soll  das  folgende  nur  dazu  dienen,  die  Geschichte  des  lateinischen 
Wort-  und  Satzrhythmus  aufzuhellen,  um  für  die  Geschichte  der 
Romanismen  den  Anfangspunkt  zu  finden. 

Die  Veränderung  der  Mittelsilben  ist  gradweise  ver- 
schieden: denn  einmal  handelt  es  sich  um  Veränderung  der 
Artikulation,  das  andremal  um  gänzliche  Vernachlässigung  (Syn- 
kopierung). Die  Veränderung  der  Artikulation  (Vokalschwächung ') 
allein  soll  hier  in  ein  paar  Worten  besprochen  werden. 

Bekanntlich  spielt  bei  diesen  Vorgängen  die  Quantität  die 
wichtigste  Rolle  und  zwar  nicht  nur  die  Dauer  des  einzelnen  Vokales, 
sondern  auch  die  Dauer  des  Lautkomplexes,  der  in  der  Wort- 
mitte steht. 

Kurzer    freier    Vokal.      Typus:    *refacere  >  *reficere.'^     Die 


1  Vgl.  Lindsay,  Die  lateinische  Sprache,  S.  212. 
*  Erklärung  der  Zeichen : 

'  exspiratorischer  Hauptdruck. 
^  exspiraiorischer  Nebendruck. 
Vom   exspiratorischen   Druck   nicht   betroffene    Silben  werden    nicht   be- 
zeichnet. 

Musikalischer  Hochton   (Akutus). 
"  Musikalischer  Hochton  (Circumflexus). 

Musikalischer  Tieflon  (Gravis). 
"  Länge. 
^  Kürze. 


92 

Periode,  von  der  hier  gesprochen  wird,  setzt  natürlich  ein  anderes 
Substrat  voraus  als  *refacere.  Das  s  des  Infinitivs  war  noch  erhalten, 
das  -e  noch  nicht  für  das  einst  vorhandene  Kasussuffix  eingetreten. 
Doch  kommen  diese  beiden  Tatsachen  für  das  hier  zu  Besprechende 
nicht  in  Betracht. 

Einfaches  *fdcere  hatte  Initialdruck  und  Endton ;  das  an  re 
enklitische  *fäcere  r=  *refdcer£  verliert  den  Initialdruck,  ohne  den 
einstigen  musikalischen  Akzent  wieder  zu  gewinnen.  Daher  ver- 
schiebt sich  die  Artikulationstelle:  *reface7-e  wird  zunächst  *rifecere 
und  dann  weiter  *rcficere.  Nicht  nur  bewirkt  die  Flüsterstellung 
den  Verlust  der  Schallkraft  (je  offener  die  Stimmbänder  stehen, 
desto  weniger  Ton  liefern  sie),  sondern  die  verringerte  Intensität 
des  Druckes  hat  eine  Erhöhung  der  Muskelspannung  im  Gefolge. 
Nach  dem  oben  (S.  71  und  76)  Gesagten  kann  das  nicht  Wunder 
nehmen.  Es  ist  das  eine  instinktive  Ausgleichung,  wodurch  die 
Leistung  als  Ganzes  die  unveränderte  Summe  beibehält.  Der  ge- 
ringen Muskelspannung  des  a  -\-  starker  Intensität  entspricht  die 
erhöhte  Energie  für  die  Bildung  des  e  und  schliefslich  i  -\-  geringer 
Intensität. 

Kurzer  gedeckter  Vokal.  Typus:  *refach7s  >  *rSfectüs. 
Während  *refacere  über  *7-c'fecere  zu  *reficere  wird,  hebt  sich  die 
Artikulation  des  naturkurzen  gedeckten  a  im  ganzen  nur  bis  zu  <?: 
*re/ac/üs  >  ^rifeckls.  Ebenso  *ananslo  >>  *anenslo  (die  weitere  Ent- 
wicklung von  *anensJo  ^  anelo  \atih.elo\  gehört  nicht  hierher). 

Freier  Diphthong.  Das  Lateinische  übernahm,  wie  es  scheint, 
nur  kurze  Diphthonge.^  Typen:  sed fräiide '^  se(d)frude\  obcäido'^ 
öccido.  m  cöino  ^  inquino.  Auch  der  Wandel  von  ai,  oi  ]>  /,  au'^  u 
(Verlust  des  tonreicheren  Elementes)  erklärt  sich  aus  der  Flüster- 
stellung, die  durch  das  besprochene  Zusammentreffen  von  sinkendem 
Druck  und  schwachem  Ton  entstehen  kann. 

Ursprünglich  hochtoniges  fraude  wird  dem  mit  exspiratorischem 
Drucke  hervorgehobenen  sed  untergeordnet.  Nun  wird  es  im  ver- 
laufenden Atemstrom  des  sed  hervorgebracht.  Dadurch  kann  eine 
Flüsterstell  jng  der  Stimmbänder  eintreten,  durch  die  der  Wandel 
von  au  >"  u  bewirkt  wird. 

Naturlanger  freier  Vokal.  Der  naturlange  Vokal  wird  nur 
gekürzt,  wenn  er  vor  einem  Vokale  oder  Halbvokale  steht:  sedeo, 
minuo,  domo  <  *dö?näyd  (vgl.  Lindsay  S.  544).  Kürzung  des  langen 
Vokals  kann  sich  ebenfalls  aus  der  Flüsterstellung  der  Stimmbänder 
erklären;  der  Glottis  entströmt  ein  Plus  an  Luft,  durch  Nachlassen 
der  Muskelspannung  wird  das  Gleichgewicht  in  der  Gesamtleistung 
hergestellt  (vgl.  oben  S.  73),  ehe  zur  neuen  Vokalstellung  ge- 
schritten wird. 

Es  ist  wohl  anzunehmen,  dafs  die  Correptio  vocalis  ante 
vocalem    zunächst     in    solcher    Stellung    oder    bei    satzunbe- 


*  Vgl.  Lindsay,  S.  277,    Brugmann ,    Grundrifs    der   Vergl.   Grammatik*, 
S.  203  und  800,  K.  Vgl.  Gr.  §  310. 


93 

tonten  Wörtern  eintrat  (z.B./?//),  und  erst  dann  allgemein 
üblich  wurde.  Lindsay  stellt  (S.  153)  auch  die  alte  Kürzung  des 
nominativischen  ä  (z.  B.  terra)  und  die  viel  spätere  des  aus- 
lautenden ö  (z,  B.  pono)  hierher,  wobei  mir  aber  auch  andere 
Faktoren  mitzuwirken  scheinen  (vgl.  unten  S.  1 1 1  ff.).  Da  diese  Vor- 
gänge sich  zum  Teil  erst  in  historischer  Zeit  abspielen,*  wurde  in 
einzelnen  Fällen  die  spontane  Entwicklung  durch  die  gefestigtere 
Tradition  der  Schriftsprache  gelegentlich  verdunkelt,  so  dafs  sich 
zwei  Formen  einstellen  konnten,  eine  spontane  und  eine  Kompromifs- 
form,  z.  B.  Ulms  und  tllius.  Die  spontane  Form  zeigen  Ulms, 
alterms  u.  a.,  die  zwar  nicht  alt  belegt  sind,  aber  gewifs  mit  den 
älteren  gleichartigen  Vorgängen  in  historischer  Kontinuität  stehen. 
Aus  den  späteren  Sprach  Verhältnissen  ist  eine  solche  Zurückziehung 
des  Akzentes  eigentlich  nicht  verständlich;  sie  entspricht  gar  nicht 
der  spätlateinischen  Gepflogenheit  und  steht  als  vereinzeltes  Phäno- 
men da.  Es  ist  daher  bei  weitem  wahrscheinlicher,  dafs  wir  es  mit 
alten,  spät  gebuchten  Erscheinungen  zu  tun  haben.  Die  schrift- 
sprachliche Form  dagegen  ist  illiiis;  sie  erklärt  sich  dadurch,  dafs 
in  *iUucs  die  alte  Quantität  unverändert  beibehalten  wurde,  was 
bei  Wörtern,  die  zunächst  zu  kräftiger  Hervorhebung  dienten,  die  so 
oft  unter  emphatischem  Satzakzent  standen,  nicht  unbegreiflich  ist. 
Folglich  ist  Ulms  die  Normalform  und  Ulms  eine  Kompromifs- 
form,  in  der  der  Akzent  der  Quantität  nachgerückt  ist  (vgl.  unten 
S.  lOlff.).  Auf  ähnliche  Vorgänge  geht  eine  Reihe  von  Doppel- 
formen zurück,  so  aus  Licinia  Licnia  und  Licinia,  aus  Mänilius 
Manlhis  und  Mamlius,-  aus  öpitunms  optimus  und  opitunms,  aus 
dixisti  dixti  und  dixisii  etc.  Zu  dieser  Doppelentwicklung  heimischer 
Formen  stellt  sich  die  zwiefache  Behandlung  der  griechischen 
Lehnwörter,  in  denen  mit  Beibehaltung  der  ursprünglichen  Quanti- 
tät der  Silbendruck  wechselt  z.  B.  üiolvjiovg  >  pölypus  u.  a.,  oder 
bei  Bewahrung  des  Silbendruckes  die  Quantität  der  mittleren  resp. 
der  vorletzten  Silbe  verändert  wird,  z.  B.  övficpcavia  >  simphönia  <= 
audääUf^  äjtXaOTQOV  >  *äplasirum  >  *dplusirum  >  aplüstrum, 
Täratitoji  >  Tarentum  etc.  Bei  einzelnen  Wörtern  zeigen  Doppel- 
bildungen beide  Behandlungsarten:  ßaXaväov,  übernommen  zur 
Zeit  des  absoluten  Initialdruckes,  wird  bdlineiim  und  dann  einerseits 
balneum,  andrerseits,  offenbar  im  Munde  derer,  die  sich  bemühen, 
das  Wort  unverstümmelt  zu  erhalten,  die  auf  „saubere  Aussprache" 
achten,  zu  balineum,  wobei  der  Silbendruck  analogisch  zum  damals 
allgemeinen  Brauch  weiter  nach  vorn  rückt,  um  den  zwei  folgenden 
Kürzen  das  Gleichgewicht  zu  halten.  Vgl.  franz.  tioft  plus  tdtrd 
u.  ä.  Hierher  gehört  auch  die  Doppelbildung  Filpus  —  Philippiis. 
Es  ist  daher  gar  nicht  geboten,  mit  Vendryes  zur  Erklärung  dieser 
Form  den  Vokativ  zu  Hilfe  zu  nehmen  (S.  102). 


^  Vgl.  Seelmann  a.  a.  O.  S.  79. 

2  Vgl.  Seelmann  a.  a.  O.  S.  31  ff. 

'  Vgl.  Claussen,  Die  griechischen  Wörter  im  Französischen  S.  44  fF. 


94 

Gegen  die  oben  geraachte  Aufstellung  vom  Verhalten  des 
langen  Vokales  resp.  des  Diphthonges  scheinen  drei  Fälle  zu 
sprechen:  l.  pomerium,  2.  dejero,  3.  agniiiis.  Pls  is  daher  geboten, 
diese  Fälle  näher  ins  Auge  zu  fassen.  Der  Widerspruch  löst  sich 
auf  folgende  Weise: 

1.  pomerium.  Hier  ist  nach  Brugmann  das  alte  oi  über  ei^  e 
geworden  (Berichte  der  Sachs.  Ges.  Wiss.  1900,  S.  407),  nach  der 
Beobachtung,  dafs  ei  [r  nicht  /  sondern  e  ergibt,  also  eine  Spezial- 
entwicklung  vorliegt.  ^ 

2.  deiero,  peiero.  Nach  Joh.  Schmidt,  Stolz  (S.  170)  Vendryes 
(S.  159)  gehen  sie  auf  eine  tiefstufige  Wurzel  zurück. 

3.  agntius,  cognitus  zu  gnötus.  Sie  widersprechen  dem  früher 
Gesagten  in  doppelter  Beziehung.  Nicht  nur  wird  der  lange  Vokal 
gekürzt,  sondern  die  Artikulation  wird  überhaupt  verschoben.  Man 
erwartet  den  Wandel  von  0  >>  «.  Es  mufs  daher  eine  besondere 
Bewandtnis  damit  haben.  Die  Annahme  Vendryes'  (S.  158),  man 
habe  kurzvokalige  Formen  zur  Bildung  der  Komposita  bevorzugt  (!) 
und  daher  zu  gnötus  ein  gnöt-  gebildet,  ist  wohl  nicht  überzeugend. 
Vielmehr  werden  agniius  cogjiilus  mit  nota"^  einen  Tiefstufenstamm  re- 
präsentieren und  zwar  könnte  man  sich  die  Entwicklung  etwa  so 
denken:  Vor  der  Bildung  des  Inchoativums  mufs  doch  ein  Simplex 
angenommen  werden.  Dieses  konnte  den  Infinitiv  *gndre  und  das 
Präteritum  *gmtum  haben,  wie  stäre  und  siätum  u.  a.  Aus  diesem 
Präteritum  ergibt  sich  nöta.  Die  am  Präverb  enklitischen  und  dann 
mit  ihm  verwachsenden  Formen  mufsten  ihr  ö  zu  ü  wandeln  (vgl. 
angustus  homullus  etc.).  Diese  Artikulationserhöhung  geht  über  die 
ö-Stellung.  Es  wäre  kein  unerhörter  Fall,  dafs  die  physiologische 
Entwicklungstendenz  durch  Systemzwang  aufgehalten  würde,  dafs 
man  die  Präterita  in  ihrem  Durchgangsstadium  6  in  Anlehnung 
an  die  anderen  Stammesformen  mit  ö  aufgehalten  und  nicht  bis 
zu  u  entwickelt  hätte.  Doch  haben  wir  den  Beleg  einer  solchen 
Entwicklung  nur  in  ig7ioius,  das  allerdings  zu  allen  Zeiten  an  gnötus 
angeglichen  worden  sein  kann.  Das  bei  Diomedes  388,  7  belegte 
agnötiniis  stellt  eine  Zwitterbildung  dar.  Die  andern  Komposita 
sind  auf  dem  Wege  des  äufseren  Systemzwangs  zu  der  -?7«>r-Gruppe 
übergegangen   [praestitus  domttus  meritus  etc.),    da  die  Bildung  des 


1  Gegen  Brugmann's  (Vergl.  Grammatik  §  348  geäufserte)  Ansicht, 
jedes  £■2'  öz  ffz'  werde  über  e  zu  i,  liefse  sich  einwenden,  dafs  wir  eigenUich 
keinen  Anhaltspunkt  für  diese  Aufstellung  haben,  da  die  Schreibung  e  für  ei 
und  i  so  wesentlich  die  seltnere  ist,  dafs  man  hieraus  auf  eine  lautliche  Ent- 
wicklung nicht  schliefsen  kann ;  ferner,  dafs  im  Nebtrnakzent  immer  das  schall- 
kräftigere Element  schwindet,  also  für  die  nichtakzentuierten  Diphthonge  die 
Entwicklung  über  ?  zu  ?  nicht  wahrscheinlich  ist;  endlich  dafs  auch  für 
haupttoniges  ei  die  Entwicklung  über  e  zu  i  nicht  gar  fest  bewiesen  ist 
(§  ^37) >  ^'^  ^^^^  durch  das  folgende  i  erklärt  ist;  bei  deus  (§  15S,  5)  aus- 
drücklich diviis  als  lautgesetzliche  Form  angegeben  wird;  seu  <^  *sez'e  neben 
sive  (§  158,2)  eine  dialektische  Form  sein  kann,  wie  *elex  zu  ilex  (vgl.  Ihre 
Schrift  „Zur  Kenntnis  des  ALog."  S.  lO). 

'  Vgl.  Brugmann,  Morph.  Unters.  I,  47  und  Stolz,  Hist.  Gram.  S.  164. 


95 

Präteritums  -iiftis  vereinzelt  war.  Nur  erülus  neben  rfilus  und  in- 
clüftis  neben  cliitus  kommen  in  Betracht.  Diesem  letzteren  wird 
inclitus  an  die  Seite  gesetzt. 

Die  lautliche  Entwicklungsreihe  -ö  -ü  -1,  wie  sie  z.  B,  in 
viaximus  vorliegt,  kann  auf  agnihis  eic.  deshalb  nicht  Anwendung 
finden,  weil  letztere  von  vornherein  die  einzige  überlieferte  Form 
ist,  also  nicht  in  dieselbe  Entwicklungszeit  fällt  wie  viaximus,  dessen 
-u-  Varianten  in  historischer  Zeit  erhalten  sind. 

Naturlanger  gedeckter  Vokal  verändert  sich  nicht. 
Bedenkt  man  aber,  dafs  der  Lautnexus  -aid-  (nach  den  Messungen 
E.  A.  Meyer's  a.  a.  O.)  alles  in  allem  nicht  kürzer  ist  als  z.  B.  der 
Nexus  -äct-  in  redadus,  so  zeigt  es  sich,  dafs  nicht  der  exspira- 
torische  Initialdruck  allein  das  Wort  gestaltet.  Dieser  hätte  die  ihm 
folgende  Länge  sicher  gekürzt,  so  gut  er  die  ihm  vorhergehende 
Länge  zu  kürzen  vermag;  sie  mufs  nur  völlig  tonlos  sein:  vgl. 
vold  scire,  seneciüle  etc.  Ich  meine  die  Erscheinungen  des  soge- 
nannten Jambenkürzungsgesetzes,  die  aber  bekanntlich  nur  da  auf- 
treten, wo  eine  semantische  Einheit  vorliegt. 

Einzelne  Verschiebungen  der  Artikulation  im  Munde  von 
rückwärts  nach  vorn  oder  umgekehrt,  haben  mit  den  Akzent- 
bewegungen nicht  unmittelbaren  Zusammenhang,  wie  z.  B.  die  Ver- 
schiebung von  0  >•  (f  (das  dann  weiter  zu  i  wird,  wie  ursprüng- 
liches e),  oder  die  Verschiebung  von  ,?  >>  ö  vor  /  (das  dann  u 
wird,  wie  jedes  andere  o).  Dissimilative  Erscheinungen,  wie  die 
Erhaltung  des  e  nach  t  [socielas),  gehören  ebenfalls  nicht  her. 

Etwas  näher  berührt  sich  mit  unserem  Problem  die  assi- 
milative  Erscheinung,  die  den  Doppelformen  mit  -u-  und  -i- 
vor  p  b  f  VI  zugrunde  liegt.  Diese  Entwicklung  scheint  folgenden 
Weg  genommen  zu  haben:  Bei  a;  z.  B.  in  recapero.  Indem  die  Zunge 
sich  zu  e  hebt,  wird  doch  die  Spaltstellung  der  Lippen  fürs  e  nicht 
voll  entwickelt,  sondern  die  Lippen  gehen  von  der  ursprünglichen 
«-Stellung  in  die  /-Stellung  weiter,  so  dafs  gar  kein  reiner  ^-Laut 
entsteht,  sondern  oe.  Von  hier  aus  kann  sich  nun  regional  ver- 
schieden, sowohl  i  als  u  entwickeln,  je  nachdem  die  Muskel- 
spannung  der  Zunge  im  Vordergrunde  der  Veränderungstendenz 
steht,  oder  die  assimilative  Bestrebung  für  die  Lippen- 
stellung. Im  ersten  Falle  wird  über  osi  i,  im  zweiten  über  ü  u 
entstehen  [recipero,  recnpero,  coniuhernalis  etc.).  Zu  der  Erklärung 
der  ö- Fälle  scheint  mir  folgendes  zu  sagen:  Es  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, dafs  0  sich  erst  zu  e  entwickelt  haben  wird,  und  dieses 
dann  wieder  zu  ce  oder  iL  Vielmehr  wird  crassopes  unmittelbar  zu 
crassopes  geworden  sein,  wobei  die  Unterstellung  des  e  andeuten 
soll,  dafs  nur  die  Zungenspannung  zum  e  fortschreitet,  die  Lippen 
aber  weiter  für  op  gestellt  bleiben.  Die  Entwicklung  von  o  "^  u 
ist  ja  die  normale,  und  leicht  begreiflich  ist  von  a  aus  die  Hebung 
der  Hinterzunge  statt  der  Vorderzunge,  eben  wegen  des  folgenden 
Labiales,   also  Zungenspannung   von  a  über  o  zu  u.     Es   ist  daher 


q6 

für  die  -/-Entwicklung  der  -0- Silben  gewifs  noch  ein  äufserlicher 
Anreiz  mafsgebend  gewesen,  der  in  der  Geschichte  jedes  einzelnen 
Wortes  auf  zu  suchen  wäre.  In  einigen  Fällen  ist  es  der  von 
Brugmanni  erwähnte  Vokalausgleich;  wobei  aber  eher  an  Beispiele 
wie  magnificus  (neben  magituficus)  zu  denken  ist,  als  an  accipio. 
Denn  bei  -a-  kommt  die  gleiche  Entwicklung  ja  auch  ohne  das 
folgende  -/-  zustande  (vgl.  immineo).  Bei  -imus  wird  -issimus  mit- 
gewirkt haben;  bei  libet  quid  (-libet),  bei  agnitus  die  Präterita  auf 
-üus  (vgl.  oben  S.  94). 

Ich  gehe  nun  zur  Besprechung  des  Endtones  über.  Während 
der  exspiratorische  Druck  den  Wortanfang  beherrscht  und  die 
Quantität  auf  die  Wortmitte  den  wesentlichsten  Einflufs  hat,  ist  der 
musikalische  Ton  auf  dem  Wortende  noch  vorhanden.  Feinstes 
Gefühl  für  Quantität  und  erstaunliches  Streben  nach  Gleichgewicht 
in  der  Wirkung  der  verschiedenen  rhythmischen  Hervorhebungen 
tritt  zutage  durch  einige  Beobachtungen  Max  Niedermann's;^  zunächst 
die,  dafs  an  einen  Stamm  aus  zwei  Kürzen  ein  langes  Suffix  tritt, 
z.  B.  sepells,  äpens,  aber  an  den  Stamm  von  einer  Länge  (vgl.  unten 
S.  98)  oder  an  den  aus  einer  Länge  und  einer  Kürze  bestehenden 
ein  kurzes  Suffix,  z.  B.  deslpls.^  Niedermann's  Voraussetzung,  dafs 
das  Simplex  sapis  'fast  aufser  Gebrauch'  war  und  daher  nicht  auf 
das  Kompositum  wirken  konnte,  ist  insofern  nicht  ganz  befriedigend, 
als  die  Bildung  desipis  doch  schon  wegen  der  Veränderung  des  a 
in  vorhistorische  Zeit  reicht,  so  dafs  man  nicht  mit  Bestimmtheit 
sagen  könnte,  wann  es  aufkam.  Auch  mufs  doch  zur  Zeit  als  das 
Kompositum  gebildet  wurde,  das  Simplex  unbedingt  in  Gebrauch 
gewesen  sein.  Übrigens  vermindert  dieser  Einwand  gar  nicht  die 
Gültigkeit  der  Niedermann'schen  These.  Wir  sehen  das  Bestreben, 
zwei  gleichwertige  Wortteile  zu  erhalten,  nämlich: 


während  drei  Kürzen  vermieden  werden.  Folglich  behielt  man 
die  rhythmisch  entsprechende  Form  desipis  bei  und  behielt  nicht 
die  rhythmisch  nicht  entsprechende  Form  resipis,  die  zu 
resipis  umgewandelt  wurde.  Daher  haben  wir  auch,  um  wieder 
Niedermann'*  zu  folgen,  födl  neben  fodwr  etc.,  das  Alternieren  von 
-les  und  -lä  wie  fäcüs  etc.  neben  grätiä  '^  etc.  Diese  vorhistorischen 
Bildungen  setzen  voraus,  dafs  die  Endquantität  ihren  vollen  Wert 
hat,  müssen  also  noch  vor  der  Zeit  des  verlöschenden  Endtones 
entstanden   sein.     Denn    später   spielt,    wie    wir   wissen,    die    End- 


1  K.  Vergl.  Gr.  S.  354. 
'  M^langes  Saussure  S.  51. 
^  a.  a.  O.  S.  51  Aamerkg. 
*  Ebd.  S.  56. 
6  Ebd.  S.  54. 


97 

quantität  eine  geringe  und  fortwährend  abnehmende  Rolle,  so  dafs 
sie  für  die  Wortbildung  nicht  mehr  in  Betracht  kommt. 

Der  musikalische  Endton  wird  allmählich  aufgegeben,  reicht 
aber  noch  in  historische  Zeit.  Wir  beobachten  dieses  Aufgeben  in 
der  Veränderung  des  Auslautes:  vorhistorisch  ist  die  Schwächung 
von  ä  l  ö  in  e  wie  *sequeso  >  sequere  (vgl.  Lindsay  269)  und  die 
beginnende  Kürzung  der  Kasus-  und  Deklinationssuffixe  wie  z.  B. 
der  Nominative  terra,  amör;  aviet  etc.  Historisch  ist  z.  B.  der 
Wandel  von  ploirümöi^  (über  *plGerumoi,  *pl6eriimoe)  zu  ploiriivie 
{=.  i)  u.  ä.  Die  Monophthongierung  dieses  Diphthongen  ist  nur 
die  Fortsetzung  des  gleichen  Vorganges,  wie  er  beim  Dativ  {ai  >•  a) 
etc.  in  älterer  Zeit  beginnt.  Der  Verlust  des  volltönenderen  Ele- 
mentes  ist  auch  hier  charakteristisch  für  die  Abnahme  des  Tones. 

So  lange  das  Suffix  sich  in  voller  Heraushebung  durch  den 
Endton  befand,  konnte  es  schwerlich  quantitativ  oder  qualitativ  ver- 
mindert werden.  Die  Schwankungen  im  Auslaut,  die  schon  im 
Indogermanischen  nachw'eisbar  sind,  beziehen  sich  auf  Wörter  mit 
verschiedenem  Satztone  wie  me  pro;  Imperativformen  konnten  En- 
klitika sein  und  mochten  ihren  Eigenton  an  das  Objekt  abgeben. 
In  vielen  Kompositionen  sind  die  Spuren  dieses  Schwankens  nach- 
gewiesen. Es  wird  gedeutet  als  das  Streben  nach  Ausgleichung 
zum  Folgenden  wie  zum  Vorhergehenden.  2  In  der  einen  oder  der 
andern  Form  sind  die  syntaktischen  Gebilde  dann  erstarrt. 

Die  nunmehr  auftretenden  Kürzungen  der  Flexions-  und  Kasus- 
suffixe, wie  Nom.  terra,  amor,  amet  etc.,  beweisen  also,  dafs  die  aus 
dem  Indogermanischen  übernommene  Suffixbetonung  sich  ver- 
flüchtigte. Aber  nicht  geradeswegs  verliert  jede  Auslautsilbe  ihre 
rhythmische  Hervorhebung.  Die  Entwicklung  nimmt  einen  charakte- 
ristischen Verlauf.  Der  stärkste  Punkt  des  musikalischen  Tones 
fällt  mit  dem  schwächsten  des  exspiratorischen  Druckes  zusammen; 
denn  es  liegt  im  Wesen  des  exspiratorischen  Akzentes,  Silben,  die 
unmittelbar  vor  oder  nach  dem  Hauptdruck  liegen,  am  schwächsten 
zu  versehen.  Die  Auslautsilbe,  die  vor  dem  Initialdruck  des 
folgenden  Wortes  steht,  wird  daher  am  leichtesten  gekürzt.  Aber 
in  Pausa  entfällt  diese  Ursache  der  Kürzung;  ja  es  wird  sogar  in 
gewissem  Sinne  der  ältere  Zustand  gefördert  durch  die  bei  ex- 
spiratorischem  Drucke  eigne  Minderleistung  am  Wortende:  die 
Organe  streben  der  Sprechpausenstellung  zu,  das  ist  der  einfachen 
Atemstellung;  die  Stimmbandspannung  läfst  nach;  die  Schwingungen 
verlangsamen.  Phonautographische  Messungen  erweisen  den  Laut 
am  Wortende  länger  als  im  Inlaut.-^    So  entstehen  die  „Ancipites", 


^  Vgl.  Hirt,  Der  indogermanische  Akzent  S.  1 14. 

*  Vgl.  Brugmann  K.  Vgl.  Gr.  S.  145. 

^  Herr  Dr.  F.  Hauser,  Direktor  des  Wiener  Phonogramm- Archivs,  hat 
mir  freundlich  Einblick  in  eine  Reihe  von  phonographiechen  Aulzeichnungen 
gestattet,  wofür  ich  an  dieser  Stelle  nochmals  danke. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift  )  n 


die  im  Satzinnern  kurz  und  in  Pausa  lang  sind,  die,  ohne  dafs  man 
dem  Sprachgebrauch  Gewalt  antäte,  als  Kürze  wie  als  Länge  be- 
handelt werden  können. 

Diese  eben  geschilderte  Erscheinung  erklärt  zugleich,  dafs  der 
Gravisauslaut  an  Boden  gewinnt:  Selbstverständlich  mufste  nun 
der  Ton  am  Wortende  tiefer  werden.  Hier  finden  wir  auch  die 
Erklärung  für  den  Wandel  von  e  >>  i,  von  t»  >»  «  im  Auslaut.  Er 
fällt  offenbar  in  eine  Zeit,  in  der  der  volle  Endton  nicht  mehr  und 
der  Gravisendton  noch  nicht  herrscht,  vielmehr  ein  Mittelstadiura 
zwischen  beiden.  Der  exspiratorische  Druck,  der  vom  Wortanfang 
her  verläuft,  bewirkt  zwar  schon  die  veränderte  Behandlung  der 
Endsilbe,  überragt  aber  noch  nicht  so  sehr,  dafs  auch  die  Organ- 
spannungen der  Endarlikulation  davon  beeinflufst  würden.  Vielmehr 
setzen  diese  letzteren  dem  schwachen  Intensitätsstrom  den  oben 
(S.  76)  besprochenen  Widerstand  entgegen:  das  Gefühl  für  den 
Endton  ist  immer  noch  vorhanden  und  um  ihm  Geltung  zu  ver- 
schaffen, wird,  der  Intensitätsschwächung  entgegenarbeitend,  die 
Organspannung  erhöht. 

Die  nicht  mehr  betonte  auslautende  Länge  wird  hauptsächlich 
dann  der  Kürzung  zugänglich,  wenn  sie  unmittelbar  auf  akzen- 
tuirte  Kürze  folgt.  Das  hängt  damit  zusammen,  dafs  der  ex- 
spiratorische Druck  bei  ungespannter  Artikulation  auf  die  nächst- 
folgende Artikulationsstelle  wirkt.  Vgl.  die  Erscheinungen  beim 
„scharfgeschnittenen"  Akzent.  Wenn  aber  die  akzentuierte  Silbe 
einen  gespannten  Vokal  enthält,  so  erlahmt  der  Exspirations- 
strom  innerhalb  der  Vokalartikulation  und  wirkt  nicht  auf  die 
folgende  Artikulation.  Daher  konstatieren  wir  die  Kürzung  vom 
Typus  ämänt,  siüdent,  vide  zu  ätnänt,  siüdent,  lüde,  aber  nicht  die 
vom  Typus  cläre  zu  cläre.  Diese  Erscheinungen  gehen  parallel  zu 
den  von  Niedermann  1  beobachteten,  dafs  der  kurze  einsilbige  Stamm 
durch  ein  kurzes  Suffix  modifiziert  wird  z.  B.  cäpis,  langer  durch 
ein  langes,  z.  B.  aüdis:  Erscheinungen  aus  verschiedenen  Zeiten  der 
sprachlichen  Entwicklung,  die  eine  gleichartige  Tendenz  auf- 
weisen. 

Derselbe  Vorgang  aus  einer  noch  älteren  Sprachperiode  ist 
die  Differenzierung  von  dedlsti  gegen  r'edd'idistiP- 

Die  Kürzung  erfolgt  also  sowohl  durch  den  Einflufs  des 
folgenden  Initialakzentes  als  des  vorhergehenden  Akzentes  der 
kurzen  Silbe. 

Die  konsequente  Vernachlässigung  des  musikalischen  Endtones 
führt  schliefslich  zur  durchgängigen  Tieftonigkeit  des  Wortendes. 
Die  Durchführung  des  Gravis-Auslautes  empfanden  die  Grammatiker 
als  einen  Hauptunterschied  des  Lateinischen  vom  Griechischen, 
Sie  erwähnen  ausdrücklich,  um  wie  viel  heiterer  das  Griechische 
klinge,   wo  der  höchste  Ton  am  Wortende  liegen  könne,  während 


1  A,  a.  O.  51  ff. 

'^  Vgl.  Havel,  a.  a.  O.  12. 


99 

alle  lateinischen  Wörter  mit  abfallender  Stimme  gesprochen 
werden.  1 

Die  Hervorhebung  durch  den  Ton  erweist  sich  also  als  das 
dem  lateinischen  Sprachbedürfnis  weniger  kongeniale  Moment.  Sie 
weicht  konstant  vor  der  Hervorhebung  durch  den  Druck  zurück. 
Demgemäfs  können  Endsilben  ganz  unterdrückt  werden,  wie 
wir  es  bei  lac,  post,  mors,  esi,  ui,  duc  u.  a.  bald  früher,  bald  später 
beobachten.  Die  Kürzung  von  mors  <i  *viortis,  est  <<  *esti  und 
Konsorten  ist  vorhistorisch;  hingegen  haben  wir  Nom.  Acc.  lade 
noch  bei  Plautus,  poste  noch  bei  Ennius,  Imperat.  ahdiice  noch  bei 
Terenz  usw.  2  Hierher  gehört  natürlich  auch  Silbenverlust  bei 
Enciise  wie  amatust,  das  wohl  am  ehesten  aus  amätus  {ejst  zu  er- 
klären ist.  Auch  die  Kürzung  der  Positionslängen  gehört 
hierher.  Sie  ist  seit  Plautus  nachweisbar,  und  ist  echte  Umgangs- 
sprache: In  der  klassischen  Diktion  gilt  sie  für  unfein, 3  hingegen 
ist  sie,  wie  der  Hiatus  und  die  Abstofsung  der  auslautenden 
Konsonanten,  charakteristisch  für  die  älteren  szenischen  Dichter.^ 

In  der  Behandlung  des  Auslautes  vveicht  das  Lateinische  aufser- 
ordentlich  vom  Griechischen  ab,  das  die  Endbetonung  und  damit 
die  auslautende  Quantität  fest  bewahrt,  andrerseits  die  einzelnen 
Phoneme  viel  weniger  streng  von  einander  trennt  als  das  Lateinische. 
Havet^  charakterisiert  diesen  Unterschied  in  der  Metrik  beider 
Sprachen:  der  griechische  Vers  vereint  Silben,  der  lateinische 
Wörter.  Im  Lateinischen  ist  das  Zusammenfallen  von  Iktus  und 
Wortakzent  wichtig,  im  Griechischen  nicht.  Das  Lateinische  ist 
unendlich  empfindlicher  für  die  Cäsur  als  das  Griechische.  Die 
Atempause  ist  eben  der  natürliche  Gegenwert  des  Atemdrucks; 
bei  musikalischer  Hervorhebung  hingegen  spielt  sie  keine  so  ein- 
schneidende Rolle.  Wir  sehen  die  typischen  Unterschiede  zwischen 
Sprachen  mit  verschiedenem  exspiratorischem  Druck  (vgl.  unten): 
je  geringer  der  exspiratorische  Druck,  desto  schwächer  die 
Differenzierung  der  einzelnen  Silben,  desto  bessere  Bewahrung  der 
Mittel-  und  Auslautsilben,  desto  mehr  satzphonetische  Erscheinungen 
und  umgekehrt. 

Mit    dem    Aufgeben    des    musikalischen    Endtones    ist    selbst- 


1  Quintilian,  Inst.  or.  XII,  IG.  33  (Seh.  LVIII):  „Accentus  quoque  cum 
rigore  quodam,  tum  similitudine  ipsa  minus  suaves  habemus,  quia  ultima 
syliaba  nee  acuta  umquam  excitatur  nee  flexa  circumducilur,  sed  in  gravem  vel 
duas  gravis  cadit  semper;  itaque  tanto  est  sermo  graecus  laiino  iucundior,  ut 
nostri  poetae,  quotiens  dulce  carmen  esse  voluerunt,  illorum  id  nominibus 
exornent". 

-  Vgl.  Lindsay  a.  a.  O.  237  ff. 

2  Vgl.  Lindsay  a.  a.  O.  241. 

*  Vgl.  Gleditsch,  Metrik  der  Griechen  und  Römer  (Iv.  Müller's  Handb.) 
S.  257. 

^  A.  a.  O.  S.  15.  Vgl.  auch  bei  Quicherat,  Traitfc  de  versification  latine" 
S.  389  und  526  ff.  die  Gegenüberstellung  des  heroischen  Verses  der  Griechen 
und  der  Römer,  und  die  Charakterisierung  des  ersteren  aus  der  Quantität,  des 
zweiten  aus  dem  Akzent. 


lOO 

verständlich  nicht  der  musikalische  Ton  überhaupt  aufgegeben. 
Während  er  eine  Zeit  hindurch  dem  luitialdruck  gegenübersteht 
zieht  er  sich  nach  und  nach  auf  die  Drucksilbe  hin.  Er  erlischt 
am  Wortende  und  erscheint  schliefslich  da,  wo  er  sich  naturgemäfs 
entwickeln  mufs,  in  der  Drucksilbe  selbst. 

Da,  wie  wir  eben  gesehen,  der  musikalische  Endton  noch  in 
historischer  Zeit  nachweisbar  ist,  haben  wir  mit  Erwähnung  dieser 
letzten  Tatsache  dem  Laufe  der  Entwicklung  vorgegriffen. 

Es  möge  hier  nur  noch  eine  Erwägung  Platz  finden.  Es  ist 
wiederholt  darauf  hingewiesen  worden,  dafs  der  romanische  In- 
tensitätsakzent aus  dem  lateinischen  musikalischen  entstanden  sei, 
weil  eben  mit  der  musikaHschen  Höhe  stets  eine  gewisse  Intensität 
verbunden  sein  müsse. i  Dies  würde  aber  nur  dann  stimmen, 
wenn,  wie  im  Griechischen,  der  exspiratorische  Druck  in  den 
Silben  herrschend  geworden  wäre,  auf  denen  einst  die  musikalische 
Hervorhebung  lag.  Beim  Griechischen  kann  man  sagen,  dafs  der 
exspiratorische  Druck  sich  aus  dem  musikalischen  Akzent  entwickelt 
hat  und  an  seine  Stelle  getreten  ist.  Dies  stimmt  aber  keineswegs 
so  ohne  weiteres  fürs  Lateinische,  wo  die  Verhältnisse  nachweisbar 
kompliziert  waren,  und  wo  der  exspiratorische  (Initial-)  Druck  in 
knapp  vorhistorischer  Zeit  ebenso  wenig  geleugnet  w^erden  kann, 
wie  das  Hineinragen  des  musikalischen  Endtones  in  die  historische. 
Die  Entwicklung  des  (romanischen)  exspiratorischen  Druckes  geht 
also  keinesfalls  direkt  und  unmittelbar  auf  den  vorhistorischen  indo- 
germanischen musikalischen  Akzent  zurück,  sondern  es  liegen 
mehrere  Entwicklungsstadien  dazwischen. 

Wir  kehren  nun  zurück  in  die  Zeit  des  Initialdruckes.  Das 
Lateinische  hatte  ein  weiteres  Stadium  der  Entwicklung  erreicht, 
als  jeder  Initialdruck  semantisch  und  rhythmisch  habituell  geworden 
war,  so  dafs  er  also  keine  Hers^orhebung  mehr  bedeutete,  sondern 
den  normalen  Darstellungstypus.2  War  nun  der  habituelle  Satz- 
(Wort-)rhythmus    (vgl.  S.  83)  a  b  c,    so   mufste  er  notwendigerweise 

gelegentlich  in  Zwiespalt  geraten  mit  der  okkasionellen  Be- 
deutung,3    die    den    Rhythmus  a  b  c    forderte.      Von    den    oben 

(S.  82)  besprochenen  zwei  Möglichkeiten,  den  okkasionellen  Aus- 
druck durch  Wechsel  der  Stellung  oder  durch  Wechsel  des  Rhythmus 
zu  bewirken,  lag,  wie  es  sich  zeigt,  dem  damaligen  Latein  die 
Beweglichkeit  des  Rhythmus  näher.  Die  Anfangsintensität  wird 
verschoben  bis  zu  dem  wichtigeren  Satz-(Wort-)Teil;  man  verzögert 


^  Vgl.  Roudet,  Parole  1900,  S.  228  ff.     Bourdon  a.  a.  O.  S,  56. 

'  Dafs  bei  Plautus  keine  Intensität  der  Initialen  anzusetzen  sei,  fand 
Duvau,  Mem.  Soc.  Lingu.  XII,  139. 

3  Leonce  Roudet,  La  Desaccentuation  et  le  deplacement  d'accent  dans 
le  fran9ais  moderne  (Revue  de  Phil.  Fran9.  et  de  Lit.  1907,  S.  314)  erklärt 
ähnliche  Vorgänge;  im  modernen  Französischen  als  „un  manque  de  syn- 
chronisme  cntre  l'emotion  et  son  expression  par  le  langage". 


lOI 

ihre   Ausgabe,    so    dafs   wohl  ein  Übergangstypus  a  h  c  bestanden 

haben  mag,  in  dem  die  Teile  a  und  b  gleich  stark  gesprochen 
wurden  und  der  Abfall  erst  nach  b  begann.  Dieser  Tendenz 
folgend,  wird  die  gröfste  Intensität  immer  mehr  vom  Satz- (Wort-) 
Anfang    vorgeschoben    in    die  Satzmitte:   a  h  c   und  von  der  Mitte 

weiter    ans    Ende:  a  h  c.     Das    archaische    Latein    zeigt   uns   eine 

Sprachstufe,  in  der  der  steigend-fallende  Rhythmus  herrscht,  also 
einen  mittleren  Zustand  zwischen  dem  vorauszusetzenden  rein 
fallenden  vorhistorischen,  und  dem  ganz  steigenden  modernen 
romanischen.  Und  zwar  zeigt  es  diesen  Übergang  nicht  nur  in 
der  Satzakzentuierung,!  sondern  auch  in  jedem  einzelnen  syn- 
taktischen Vorgang,  auch  in  der  Wortakzentuierung. 

Ich  greife  ein  typisches  Beispiel  für  zahllose  gleichartige  heraus: 
*perhabeo,  *öccaido  sind  infolge  stehender,  habitueller  Akzentuierung 
zu  *p£rhibeo,  *occido  geworden,  ohne  dafs/tr-  occ-  die  Hervorhebung 
semantisch  dauernd  rechtfertigen  könnten.  -  Zuerst  okkasionell 
verschiebt  sich  der  Hauptakzent  nach  vorn;  der  exspiratorische 
Nachdruck  wird  also  in  der  Initialsilbe  nicht  voll  verbraucht,  sondern 
vielmehr  zurückgehalten  bis  zu  derjenigen  folgenden  Silbe,  die 
ihrer  Quantität  nach  zur  Hervorhebung  geeignet  ist. 
Denn  der  exspiratorische  Druck  wird  hierin  offenbar  von  einem 
rhythmischen  Prinzip  beeinflufst,  wonach  die  Hervorhebung  durch 
Druck  mit  der  Hervorhebung  durch  Quantität  in  einer  gewissen 
Übereinstimmung  stehen  mufs.  Der  exspiratorische  Akzent  rückte 
also  vom  Wortanfang  in  die  Wortmitte,  sobald  die  Quantität 
der  Wortraitte  danach  beschaffen  war,  den  Akzent  zu 
tragen. 

Die  Art  der  Vorrückung  des  exspiratorischen  Akzentes  iäfst 
sich  etwa  in  folgendes  Schema  bringen: 

Erste  Silbe.  Endsilbe. 

Exspiratorischer  Druck.  Kein   exspiratorischer  Druck. 

Je  nach  der  Beschaffenheit  des  Wortes,  Zur  Tiefe    strebender  oder   tiefer 

spitzer   (akuter)   oder  gewundener  Ton. 

Ton.  Quantität   gleichgültig. 
Quantität  gleichgültig. 


»  Vgl.  Wortstellung  S.  8i. 

*  Vgl.  B.  Bourdon,  L'expression  des  emotions  et  des  tendances  dans  le 
Jangage  S.  45  über  den  Akzent  der  Komposita  .  .  .  „si  cnsuite  le  mot  vient  ä 
cesser  d'etre  senti  comme  compose,  l'influence  de  l'habitude  fera  qu'il  con- 
servera  cependant  pour  ses  diverses  syllabes  inegalilc  d'accentuation. 


I02 

Mittelteil  des  Wortes. 

Verlaufender   exspiratorischer  Druck. 

Mittlerer   Ton. 

Quantität: 

A.  Eine  Länge  -^    v^:  Die  Silbe  wirkt  der  ersten  gleichwertig  und 

kann  zur  okkasionellen  Hervorhebung  dienen,  virfufis. 
Hierher  sind  auch  die  Samprasäranaerscheinungen^  vom 
Typus  sacerJos  <[  sao-dos,  faailtas  <C  fac  lias  zu  rechnen. 
Durch  das  Vorrücken  des  exspiratorischen  Druckes  entsteht 
ein  neuer  Schallgipfel. 

B.  Eine  Kürze  -^ ^^\    Die  Silbe   ist    der  ersten  nicht  gleichwertig 

und  kann  nicht  zur  Hervorhebung  dienen,     crescere,  ludicis. 

C.  Zwei  Kürzen  -^^^^.'.    Sie    sind    gleich    einer   Länge,    also    zu- 

sammen der  ersten  Silbe  gleichwertig  und  können  den 
Akzent  tragen.  Da  der  Akzent  steigend-fallend  ist,  fällt 
auf  die  erste  der  beiden  Kürzen  der  Hauptdruck,  iudicibus, 
facilius. 

D.  Eine  Länge,  eine  Kürze  ^^^^^    Wie  A.     Der  Akzent  kann 

um  eine  Silbe  vorrücken,  aber  nicht  weiter,     amatior. 

E.  Eine  Kürze,   eine  Länge  :^„    -:    Die   Länge   ist    der   ersten 

Silbe    gleichwertig,    die  Kürze    nicht.     Der    exspiratorische 
Druck    gleitet    auf  die  dritte  Silbe  vom  Anfang,     sapientis. 
Ob    ein  Übergangsstadium   *sapientis    bestanden  haben 
kann,  ist  nicht  zu  entscheiden. 

F.  Drei  Kürzen  4^^^^:    Der   Rhythmus    teilt    sie    in    i    und   2, 

daher  dasselbe  Verhältnis  wie  unter  E.     dificilius. 

G.  Zwei    Längen   ^__^:    Vgl.  E.     Hier    ist  vermutlich  in  einem 

Übergangsstadium  der  Sprache  zunächst  die  erste,  und 
erst  später  die  zweite  Länge  unter  den  exspiratorischen 
Hauptdruck  gelangt.     Vgl.  S.  104.  senectufis,  amatorum. 

H.  Eine  Länge,  zwei  Kürzen  -^  _^^i^:  Sie  sind  gleich  zwei 
Längen.     Daher  der  Fall  G.     amabilior. 

L  Zwei  Kürzen,  eine  Länge  ^_^^_~:'.  Auch  sie  sind  gleich  zwei 
Längen.  Also  wieder  Fall  G,  resp.  Entwicklung  wie  E. 
faciliorem. 

K.  Drei  Kürzen,  eine  Länge  ^-^^^^^'.  Das  Verhältnis  ist  wie 
bei  F  und  G;  Entwicklung  wie  E.     dificiliorem. 

L.  Eine  Kürze,  eine  Länge,  eine  Kürze  ^^_^^\  Wie  bei  E 
gleitet  der  exspiratorische  Druck  bis  auf  die  dritte  vom 
Anfang,  aber,  wie  bei  D,  nicht  weiter,     sapientia. 


'■  Diese  Schemata  der  besprochenen  Wörter  beziehen  sich,  wie  man  am 
Akzent  sieht,  nicht  auf  das  historisch  Erreichte,  sondern  auf  das  Ausgangs- 
stadium der  Entwicklung. 

^  Vgl.  Brugmann,  Kurze  vergl.  Gram.,  S.  251. 


103 

M,    Zwei  Längen,    eine   Kürze  ^ .^:    Hier    tritt    wieder    der 

Fall  G  ein.  Der  Druck  gleitet  auf  die  letzte  Länge,  aber, 
wie  bei  D,  nicht  weiter,     amatissimus. 

N.  Zwei  Kürzen,  drei  Längen  ^^ ^:  Noch  eine  Er- 
weiterung des  Falles  G.    parlicipavissemus. 

usw. 

Die  Vorstellung,  dafs  der  exspiratorische  Akzent  vom  Wort- 
ende 'zurückgezogen'  worden  wäre,  ist  zwar  allerorten  ausgesprochen, 
aber  eigentlich  durch  nichts  begründet,  denn  dafs  die  lateinischen 
Grammatiker  die  Akzentsilbe  vom  Wortende  aus  zählten,  beweist 
ja  noch  nicht,  dafs  der  Akzent  zu  irgend  einer  Zeit  vom  Ende  aus 
zurückgezogen  wurde.  Es  ist  merkwürdig,  dafs  dieselben  Gelehrten, 
die  den  vorhistorischen  Initialdruck  mit  Bestimmtheit  ansetzen,  wie 
Lindsay,  dennoch  von  einer  'Zurückziehung'  des  Akzentes  sprechen, 
wo  es  sich  um  die  Akzentregelung  ..nach  dem  Dreisilbengesetz" 
handelt.  Der  Akzent  ist  vielmehr  vom  Wortanfang  so  weit 
nach  vorn  geschoben  worden,  als  dies  nach  der  Quantität 
der  Mittelsilben  möglich  ist. 

Die  Abneigung,  das  Wortende  herauszuheben,  führt  dazu,  dafs 
man  nicht  mehr  als  eine  Länge  oder  zwei  Kürzen  nach  dem  Wort- 
akzent haben  will;  sonst  bekäme  das  Wortende  ein  zu  grofses 
Gewicht.  Der  Akzent  rückt  also  vom  Wortanfang  so  lang  vorwärts, 
bis  er  dem  Wortausgang  das  Gleichgewicht  hält.  Wenn  wir  nun 
finden,  dafs  im  Wortausgang  die  Silbengruppe  -  weniger  schwer 
wiegt  als  die  — ;  die  den  Akzent  bis  auf  die  vorletzte  Silbe  zieht, 
so  erklärt  sich  das  daraus,  dafs  die  Länge  im  Auslaut  nunmehr 
den  geringsten  Wert  im  Worte  hat;  die  Endsilbe  ist  anceps.  Die 
Endbetonung  ist  geschwunden:  der  Auslaut  ist  der  am  wenigsten 
beachtete  Wortteil  geworden. 

In  der  Verschiebung  nach  dem  Wortende  zu  ist  der  Akzent 
nicht  bis  an  den  Auslaut  vorgedrungen.  Die  Tendenz  der  Akzent- 
verschiebung ist  nicht  so  weit  verfolgt  worden,  so  lange  die  End- 
quantität überhaupt  vorhanden  war.  Ehe  also  prinzipiell  eine 
weitere  Verschiebung  nach  vorn,  auf  die  letzte  (lange)  Silbe  ein- 
treten konnte,  waren  durch  die  S.  1 1 1  zu  besprechende  Wirkung 
des  exspiratorischen  Druckes  die  auslautenden  Längen  gekürzt,  und 
die  ganzen  Akzentverhältnisse  verändert. 

In  bestimmten  Fällen  ist  nicht  nur  die  Quantität  bestimmend 
für  die  Lage  des  exspiratorischen  Druckes,  sondern,  wie  es  scheint, 
der  Wert  der  Silbe,  da  vor  -que  -ve  -ne  der  Akzent  auch  bei 
naturkurzer  Auslautsilbe  auf  diese  fällt:  viusäqtie  miisäve  (vgl.  Scholl 
XCI%  XCI^  etc.,  XCIV^  etc.),  als  ob  die  Silben  -ve,  -ne  mit  Nach- 
druck gesprochen,  den  Akzent  auf  den  letzten  Schallgipfel  vor  ihnen 
gezogen  hätten.  Vielleicht  ist  eine  Analogiewirkung  im  Spiele: 
die  Fälle  mit  kurzer  Mittelsilbe  des  neu  entstehenden  Dactylus 
sind  sehr  in  der  Minorität  gegen  die  mit  langer,  oder  es  entstehen 
mehr    als    dreisilbige    Rhythmen:    musae-    ä-    am-    is-    arumque    in 


104 

denen    stets    der   exspiratorische  Druck    mit   der  letzten  Länge  zu- 
sammenfällt. 

In  der  stehenden  Verbindung  dagegen,  wenn  -qiie  ver- 
allgemeinernde Bedeutung  hat,  trat  der  Akzentwechsel  nicht  ein. 
Hier  war  eben  -que  stets  kurzes  und  nicht  mehr  hervorgehobenes 
Suffix:  t'itique  etc. 

Es  liegt  keine  Ursache  vor,  nicht  auch  beim  Silbendruck  viel- 
fache Analogiewirkungen  anzunehmen.  Die  Durchführung  des 
.jDreisilbengesetzes"  versteht  sich  am  leichtesten,  wenn  man  bedenkt, 
dafs  sie  in  die  Zeit  des  verlöschenden  Endtones  fällt.  Dieses  Ver- 
löschen des  Endtones  bewirkte  zu  derselben  Zeit  die  Veränderung 
des  auslautenden  o  ^  u ,  also  wieder  eine  Schalldämpfung  und 
eine  Höherlegung  der  Artikulation,  wie  sie  oben  (S.  76)  besprochen 
wurde.  Der  Initialakzent  fand  am  Wortende  fast  kein  Gegen- 
gewicht. Um  so  mehr  kam  die  Quantität  der  dem  Ende  zu 
liegenden  Silben  in  Betracht.  In  Fällen  wie  ^dmätörilm  entfaltete 
sich  nach  Erlöschen  des  Endtones  i* ä inätörutn)  die  Quantität  des 
dr  zu  einem  '  Gegen 'akzent,  sodafs  nach  dem  Vorrücken  des 
Akzentes  auf  die  erste  Mittelsilbe  ein  Nebenakzent '  auf  der  zweiten 
entstand:  *a?näldrum.  Sobald  Einheitlichkeit  der  Hervorhebung  zum 
sprachlichen  Prinzip  geworden  war,  konnte  nur  -or-  den  Akzent 
tragen.  Den  umgekehrten  Weg  der  Argumentation  betritt  Vendryes,^ 
der  nach  Meillet^  von  der  Voraussetzung  ausgeht,  dafs  Endlänge 
an  sich  kürzer  sei  als  Innenlänge  —  was  aber  die  phonauto- 
graphischen  Messungen  durchaus  nicht  erweisen  —  und  dafs 
infolge  dessen  die  Quantität  der  Endsilbe  bei  der  Betonung 
nicht  in  Betracht  komme;  denn  auch  die  Länge  trage  keinen 
Ton.  Er  dreht  also  das  ganze  Verhältnis  um :  Weil  die  Quantität 
am  Ende  nicht  beachtet  wird,  hat  das  Ende  keinen  Ton. 
Warum  aber  die  Quantität  am  Ende  vernachlässigt  wird,  das 
erfahren  wir  nicht.  Aus  diesem  Grunde  kann  die  Erklärung 
nicht  befriedigen,  denn  eine  ursprüngliche  Suffix-  und  Endbetonung 
kann  doch  nicht  geleugnet  werden;  es  kann  daher  das  Auf- 
geben des  Tones  Voraussetzung  für  Verwischung  der  Quantität 
sein,  aber  nicht  umgekehrt. 

Die  Wandlung  der  Akzentuierung  entspricht  der 
Wandlung  der  Wortstellung  und  spiegelt  sie.  So  wie  im 
Satze  nun  mehr  der  Hochton  in  der  Mitte  liegt,  so  auch  im 
Wort.  Alle  nicht  akzentuierten  Silben  sinken  in  Tieftonigkeit. 
In  der  Drucksilbe  allein  wird  der  eigentümliche  Schleif-  oder  Stofs- 
ton  charakteristisch  hörbar.  < 

Das  historische  Latein  kommt  erst  verhältnismäfsig  spät  zu 
dieser    strengen   Einheitlichkeit,    konnte    man    doch    sowohl    ürbajii 


»  Vgl.  Lindsay  S.  182  ff. 
»  A.  a.  O.  S.  85  Anm. 
3  Ebd.  S,  83  ff. 

*  Auf  die  Verbindung   von   exspiratorischem   Druck   und   musikalischem 
Akzent   in   derselben  Silbe  deutete  schon  Schoell  hin  a.  a.  O.  S.  17. 


105 

als  iirbdni  skandieren.^  Desgleichen  bemerkt  Ahlberg,  2  dafs 
der  Akzent  des  einzelnen  Wortes  je  nach  der  Wortgruppe 
wechselt,  dafs  z.  B.  erat  in  der  Verbindung  ei  erat  amicus  in  anderer 
Weise  vom  exspiratorischen  Druck  betroffen  wurde,  als  in  et  erat 
servus  oder :  uxörem  ?neam  in  der  Versmitte  gegen  lixorem  meäm 
am  Versende.3  Zieht  man  zum  Vergleiche  z.  B.  das  Deutsche  oder 
auch  nur  das  Italienische  heran,  so  sieht  man  den  Unterschied. 
Wir  können  nicht  nach  Belieben  Wändlungen  und  Wandlungen 
skandieren,  oder  die  Italiener  Römani  und  Romäni.  Wir  empfinden 
eine  solche  willkürliche  Skansion  als  Unterbrechung  des  Rhythmus. 
Wäre  dies  bei  den  Alten  ebenso  gewesen,  so  hätten  wir  —  auch 
bei  den  besten  Dichtern  —  unendlich  mehr  Verse  mit  Unter- 
brechung als  mit  fester  Durchführung  des  Rhythmus,  Diefs  wider- 
spricht doch  aber  der  ganzen  Anschauung,  die  wir  von  der  latei- 
nischen Dichtung  haben.  Man  darf  daher  wohl  annehmen,  dafs  auch 
ein  antiker  Dichter  nicht  hätte  willkürlich  ürbani  skandieren  dürfen, 
wäre  der  Silbendruck  als  einheitliches  Hervorhebungsmittel  schon 
durchgeführt  und  in  jedem  Worte  also  nur  eine  Silbe  und  zwar 
nur  durch   ein  rhythmisches  Mittel  heraushebbar  gewiesen. 

Zu  Beginn  der  historischen  Überlieferung  zeigt  sich  uns  somit 
als  das  Resultat  verschiedener  Hervorhebungen,  deren  jede 
durch  andere  Komponenten  erzeugt  wurde,  eine  durchaus  schwebende 
Sprache,  die  mehr  und  mehr  einer  akzentuierenden  weicht.  Den 
Unterschied  zwischen  dem  kräftigeren  exspiratorischen  Druck  der 
jüngeren  Generation  und  der  ausgeglicheneren  Sprechweise  der  älteren 
hat  Cicero  offenbar  herausgehört,  da  er  von  seiner  Schwiegermutter 
schreibt  (De  Orat.  III,  45):  .,.  .  .  cum  audio  socrum  meam  Laeliam  — 
facilius  enim  mulieres  incorruptam  antiquitatem  conservant  .  .  .  — , 
sed  eam  sie  audio,  ut  Plautum  mihi  aut  Naevium  videar  audire;  sono 
ipso  vocis  ita  recto  et  simplici  est,  ut  nihil  ostentationis  aut  imi- 
tationis  afferre  videatur;  ex  quo  sie  locutum  esse  eius  patrem  iudico, 
sie  maiores;  non  aspere  ut  ille,  quem  dixi  (L.  Cotta,  ebd.  42), 
non  vaste,  non  rustice,  non  hiulce  sed  presse  et  aequabiliter 
et  leviter." 

Die  Schwiegermutter,  die  die  gute  alte  Zeit  repräsentierte, 
sprach  also  nicht  rauh,  bäuerisch  breit  und  stofsend,  wie  der 
hochmoderne  L.  Cotta,  sondern  eng,  gleichmäfsig  und  leicht. 
Das  „hiulce"  bezieht  sich  ganz  ausdrücklich  auf  den  Hiatus,  vgl. 
Orator  Cap.  44:  ,, .  .  .  ne  extremorum  verborum  cum  insequentibus 
primis  concursus  aut  hiulcas  voces  efficiat  aut  asperas".  Das  beweist, 
dafs  der  kräftigere  Atemstrom  Cicero  auffiel.  Auch  der  Gegensatz 
von  'vaste'  und  'presse'  ist  für  die  Veränderung  der  Artikulation 
sehr  wichtig,  vgl.  unten  S.  107  ff. 


^  Aus  der  Tatsache,  dafs  man  am  Versanfang  ürbani  skandierte,  gewinnt 
Vendryes  S.  67  eine  Stütze  für  die  Behauptung,  dafs  die  Sprache  damals  rein 
quantitierend  war. 

«  A.aO.  S.  38  fi". 

»  Ebd.  S.  31. 


io6 

Aus  der  ganz  schwebenden,  musikalisch- exspiratorisch-quanti- 
tierenden  Akzentuierung  erklärt  sich  uns  die  metrische  Be- 
handlung der  Sprache,  wie  wir  sie  in  allen  älteren  Denkmälern 
finden,  die  weder  rein  akzentuierend  noch  rein  quantitierend  ist, 
in  der  offenbar  auf  die  verschiedenartigste  Weise  ein  dem  Ohr  an- 
genehmer rhythmischer  Wechsel  hervorgebracht  werden  konnte. 

Es  scheint  in  der  Tat,  dafs  die  älteste  lateinische  Dichtung  — 
wie  vielleicht  alle  Dichtung  —  zunächst  nur  rhythmisierte  Prosa' 
war,  Prosa  mit  Herausarbeitung  des  Anfangs.  Dem  Initialakzent 
entspricht  als  älteste  poetische  Form  die  Alliteration.  Erst  später 
tritt  die  Herausarbeitung  des  Endes  hinzu.  Die  völlige  rhythmische 
Durcharbeitung  des  Ganzen  ist  ein  Kunstprodukt.  Die  volkstüm- 
liche Dichtung  der  ersten  christlich-lateinischen  und  der  ersten 
romanischen  Periode  steht  wieder  auf  dem  Standpunkt  der  end- 
rhythmisierten Prosa. 

Für  die  Akzentuierung  des  Lateinischen  scheint  mir  aus 
den  ältesten  Dichtwerken  gar  nichts  erweislich.  Man  weifs, 
dafs  die  entgegengesetztesten  metrischen  Theorien  sich  aus  ihrer 
Untersuchung  ergaben ;  keine  kann  die  andere  ganz  Lügen  strafen, 
wenn  auch  natürlich  die  „akzentuierende"  dem  wahren  Sachverhalt 
viel  näher  kommt.  Doch  bleiben  immer  Verse  übrig,  die  sich  dem 
aufgestellten  Schema  schlechterdings  nicht  einfügen  lassen.  Und 
unbegreiflich  bleibt  dabei,  wie  die  rein  akzentuierende  Sprache  die 
griechischen  Versmafse  annehmen  und  mit  einem  Schlage  sich 
ihnen  anpassen  konnte.  Denn  wenn  die  ersten  Hexameter  auch 
rauh  genug  klingen,  die  Hauptschwierigkeit  hätte  dann  bei  den 
ältesten  Versuchen  gar  nicht  im  Zimmern  der  Verse  gelegen, 
sondern  darin,  der  Sprache  einen  ihr  gänzlich  fremden  Rhythmus 
aufzuzwingen.  Nirgends  erfahren  wir  etwas  hierüber.  Und  doch 
hätte  die  spätere  Generation,  die  diesen  Rhythmus  in  ihren  Versen 
leicht  handhabte  und  der  er  geläufig  im  Ohr  war,  sich  ihres  Sieges 
freuen,  ihres  intensiven  Gegensatzes  zur  Volkssprache  bewufst  sein 
müssen.  Sicher  hätte  sie  ihn  als  Kulturfortschritt  aufgefafst  und 
gepriesen.  Nun  mag  man  den  griechischen  Kultureinflufs  so  hoch 
einschätzen,  als  man  will,  dafs  er  den  Sprachrhythmus  des  ganzen 
täglichen  Lebens  umgeändert  hätte,  wird  niemand  behaupten  wollen. 
Nichts  geringeres  aber  mufste  eintreten,  wenn  einer  Sprachgemein- 
schaft die  iirbnni  zu  akzentuieren  gewohnt  war,  nun  ürhanl  erträglich, 
ia  sogar  schön  und  richtig  vorkommen  sollte.  Und  zu  dieser  An- 
nahme wird  man  gedrängt,  wenn  man  die  Theorie  vom  rein 
akzentuierenden  Saturnier2  konsequent  weiter  verfolgt. 

Es  scheint  sich  daher  doch  anders  verhalten  zu  haben.  Und 
zwar,  wie  eben  angedeutet :  Bei  aller  Verschiedenheit  des  lateinischen 
und  des  griechischen  Sprachrhythmus  hielten  sich  dennoch  zur  Zeit 


^  Vgl.  Thurneysen,  Rheinisches  Museum  43,  S.  349. 
*  Die  Theorien  vom  Saturnier   sind    sehr   übersichtlich    zusammengestellt 
bei  Gleditsch  a.  a.  O.  S.  250fr. 


107 

des  Eindringens  der  griechischen  Kultur  die  Akzente  im  Latei- 
nischen so  sehr  das  Gleichgewicht,  dafs  die  griechische  Metrik 
ohne  alle  Sprachwidrigkeit  eingeführt  werden  konnte.  Trotzdem 
dürfte  ein  lateinischer  Hexameter  stets  anders  geklungen  haben  als 
ein  griechischer.  Dafs,  nebenbei  gesagt,  der  Sprache  gar  nichts 
Fremdes  aufgezwungen  wurde,  zeigt  der  Bau  des  lateinischen 
Verses,  der  vielfach  und  zu  allen  Zeiten  —  auch  bei  den  klassischen 
Dichtern  —  vom  griechischen  abweicht,  i 


VIII.   Einbürgerung  des  steigend-fallenden  Satz-  und 

Wortrhythmus  und  die  daraus  sich  ergebenden 

Veränderungen  der  Artikulation. 

Wie  nun  der  exspiratorische  Druck  im  einzelnen  Worte  zur 
Mitte  strebt,  so  auch  im  Wortgefüge.  Das  Wichtige  rückt  vom 
Satzanfang  weg:  semantisch  haben  wir  den  steigend -fallenden 
Rhythmus  mit  der  Tendenz,  eine  fortlaufende  Steigerung  her- 
zustellen. Für  die  syntaktischen  Gefüge  entwickelt  sich  der  seman- 
tische Rhythmus 

Objekt     nähere  Bestimmung 

als  der  habituelle.  Nunmehr  ist  das  zweite  Glied  dasjenige,  das 
unter  dem  Hauptdruck  steht,  der  Sprecher  eilt  vom  ersten  auf  das 
zweite,  und  daher  werden  diese  zweiten  Glieder  —  wie  in 
jedem  einzelnen  W^orte  die  neue  Akzentsilbe  —  unter  einem 
bisher  ungewohnten,  verstärkten  exspiratorischen  Druck 
artikuliert.  Die  unbewufst  eintretende  Gegenarbeit  in  den  arti- 
kulatorischen  Bewegungen  (vgl.  S.  74)  bewirkt  nun 

I.    eine  neue  Veränderung  der  Artikulation, 
II.    eine  verstärkte  Veränderung  der  Quantität  in  nicht 
akzentuierten  Silben. 

I.  Die  Veränderung  der  Artikulation  erklärt  sich  nach 
dem  auf  S.  70 ff.  Gesagten:  Der  Exspirationsstrom  hat  einen  um 
so  engeren  Weg  durch  den  Mundkanal,  je  höher  die  Artikula- 
tionsstelle liegt.  Ist  der  zu  emittierende  Luftstrom  kräftiger,  als 
dafs  er  durch  diesen  Mundkanal  passieren  könnte,  so  verbreitert 
resp.  verlieft  sich  der  Mundkanal,  mit  anderen  Worten:  die 
Artikulation  wird  tiefer  gelegt,  die  akustische  Wirkung  ist  eine 
offenere.  So  wird  jemand  im  Affekt  sagen:  eine  Dommheit  statt 
eine  Dummheit',  er  sali  statt  er  sollr  Im  Lateinischen  sehen  wir 
alle  Kürzen  sich  um  eine  Stufe  öffnen.  Der  Effekt  des  steigenden 
exspiratorischen  Druckes    ist    der  Wandel    von  ü  >>  g   und   ?  ]>  .^; 


^  Vgl.  die  Beobachtungen,  die  Cornu  in  seinen  Beiträgen  zur  lateinischen 
Metrik  anstellt  (Sitz.-Ber.  Akad.  Wiss.  Phil.-hist.  Klasse,  Wien  CLIX,  3)  und 
Vendryes  a.  a.  O.  S.  77  fF. 

'  Vgl.  Mehringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache,  S.  242  ff. 


io8 

zugleich  wirkt  ö  als  p,  c  als  c.  Der  Luftstrom  fordert  einen  breiteren 
Weg  und  erhält  ihn  in  den  Fällen,  bei  denen  eine  geringere 
Muskelspannung  erforderlich  ist,  also  bei  den  ungespannten 
(„kurzen")  Vokalen.  Dies  gilt  auch  fürs  0,  wenn  es  gleich  den 
Anschein  hat,  als  ob  hier  eine  Ausnahme  vorläge,  weil  dennoch 
a  übrig  bleibt.  In  der  Vordcrtieflage  sind  unendlich  mehr 
Variationen  der  Artikulation  möglich  als  in  der  Flochlage,  daher 
ist  eben  0,  wenn  auch  mehr  geöffnet,  doch  ein  a  geblieben.  Bei 
den  gespannten  („langen")  Vokalen  hingegen  setzt  die  kräftigere 
Muskelspannung  dem  gröfseren  Atemstrom  einen  solchen  Wider- 
stand entgegen,  dafs  die  akustische  Wirkung  im  Ganzen  unver- 
ändert bleibt.  Die  langen  Vokale  werden  nur  strichweise  verändert, 
so  im  Vegliotischen,  wo  auch  bei  ü  und  i  eine  Tieferlegung  der 
Artikulation  zu  konstatieren  ist  (sie  werden  zu  0  und  e,  vgl.  Bartoli, 
Das  Dalmatische  II,  Sp.  337)  oder  in  einzelnen  rätischen  Dialekten, 
wie  z.  B.  in  Domleschg  (ike  >  §ir  etc.),'  in  Pinzolo  (Inf.  durmer, 
-INA  >  ena  etc.)  2  u.  a.  Im  übrigen  bleiben  die  langen  Vokale 
sich  gleich. 

Es  ändert  nichts  an  diesen  Beobachtungen,  dafs  wir  e  statt  i 
und  0  statt  u  zuerst  in  akzentloser  Silbe  konstatieren.  Das  beweist 
nur,  dafs  man  beim  Schreiben  die  Akzentsilbe  sorgfältiger  berück- 
sichtigt, also  eher  bei  der  traditionellen  Schreibung  bleibt. 

Der  Zusammenfall  von  früherem  ü  und  p,  von  früherem  i  und  e 
ergibt  sich  gewissermafsen  von  selbst.  Wie  Jespersen^  aufstellt,  ist 
die  Artikulationsstelle  für  den  gespannten  und  den  ungespannten 
Laut  nicht  wirklich  dieselbe,  auch  wo  von  „gleicher  Qualität"  die 
Rede  ist.     Die  Zickzacklinie 

\^      la  dünn 
i''__\  breit 

\v     2^  dünn 

2^ breit 

etc. 

zeigt,  dafs  dem  breiten  Vokale  tatsächlich  eine  mittlere  Stellung 
zwischen  den  zwei  nächstliegenden  dünnen  zukommt.  Da  nun  die 
Artikulation  um  so  länger  dauert,  je  tiefer  sie  gebildet  ist,  so  ist 
die  Artikulation  i*^  von  vornherein  länger  als  die  i^;  wird  nun 
i^  in  eine  nächsttiefere  Artikulationsstellung  gelegt,  so  fällt  es  mit 
2*  zusammen. 

Das  Lateinische  hatte  offenbar  einen  anderen  Vokaleinsatz 
als  das  Griechische,  denn  den  lateinischen  Grammatikern  fiel  der 
Spiritus  lenis  der  Griechen  auf  und  wir  haben  sichere  Nachricht, 
dafs   er   im  Lateinischen   nicht  üblich   war.     Das  Lateinische  hatte 


^  Vgl.  Gröber,  Grundrifs'  I,  623. 

'  Vgl.  V.  Ettmayer,  Lombardisch-Ladinisches  aus  Südtirol  S.  437. 

*  Grundzüge  der  Phonetik,  S.  54, 


I09 

also  nicht  den  starken  Stimmritzenverschlufs,  sodafs  die  Glottis  sich 
mit  einen  Knall  öffnet,  nach  dem  der  Exspirationsstrom  sich  hinter 
dem  Verschlufs  angesammelt  hat,  wodurch  dem  folgenden  Vokal  ein 
mehr  oder  weniger  scharfer  /z-Laut  vorangeht,  sondern  den  schwachen 
Stimmritzenverschlufs,  bei  dem  die  Glottis  noch  vor  der  Ein- 
stellung der  betreffenden  Organspannungen  so  fein  geöffnet  wird, 
dafs  der  Exspirationsstrom  sacht  entweicht;  daher  ein  nicht  wahr- 
nehmbarer oder  gar  kein  >^-Laut  emittiert  wird.i  In  Sprachen  mit 
festem  Vokaleinsatz,  z.  B.  im  Deutschen,  beobachtet  Roudet^  ge- 
ringere Luftabgabe  während  der  Artikulation  der  Vokale  als  in 
Sprachen,  in  denen  der  Stimmritzenverschlufs  von  Anfang  an  lose 
ist,  wie  bei  der  romanischen  Vokalartikulation. 

Diese  Verschiedenheit  der  Stimmbandbehandlung  im  Griechischen 
und  Lateinischen  mufste  notwendigerweise  auch  in  der  Artikulation 
der  Konsonanten  zum  Ausdruck  kommen.  Während  das  Griechische 
aspirierte  Konsonanten  besitzt,  die  im  Laufe  der  Zeit  die  charakte- 
ristische Entwicklung  zu  AftVikaten  durchmachen,  haben  wir  sie 
im  Lateinischen  nicht.  Das  Lateinische  kennt  offenbar  nicht  nur 
keine  aspirierten,  sondern  überhaupt  keine  Portes -Konsonanten, 
vielmehr  hatte  es  Lenes.  Das  Charakteristikum  des  Lenis-Kon- 
sonanten  ist  der  feste  Anschlufs  des  folgenden  Vokals,  der  be- 
kanntlich dadurch  bewirkt  wird,  dafs  nach  Öffnung  des  Verschlusses 
die  Stimmbänder  unmittelbar  in  die  Vokalstellung  treten.  Dies  ist 
der  Fall  in  den  romanischen  Sprachen,  aber  nicht  im  Deutschen. 
Daher  ist  der  Luftverbrauch  beim  Übergang  vom  Konsonanten  zum 
Vokal  im  Deutschen  viel  gröfser  als  in  den  romanischen  Sprachen. 

Wird  nun  bei  der  Artikulation  eines  Konsonanten  der 
exspiratorische  Druck  vergröfsert,  so  kann  zweierlei  stattfinden: 

A.  Das  Plus  an  Luft  entströmt  nach  kräftiger  Explosion  durch 
die  weit  sich  öffnende  Stimmritze.  Starker  Luftstrom  bei  offnen 
Stimmbändern  erzeugt  (oder  verstärkt)  Blasen  oder  Hauchen.  Es 
wird  also  Aspiration  resp.  Affrikation  eintreten,  wie  z.  B.  im  Ger- 
manischen.3 

Dies  ist  aber,  wie  eben  erwähnt,  eine  dem  Lateinischen  nicht 
gebräuchliche  Artikulationsweise.  Daher  mufste  die  Wirkung  des 
exspiratorischen  Druckes  sich  in  anderer  Weise  kundtun. 

B.  Dem  verstärkten  Luftstrom  wird  durch  verstärkte  Stimm- 
bandspannung entgegengearbeitet.^  Hierdurch  entstehen  Stimm- 
bandschwingungen und  der  Konsonant  wird  zur  tönenden 
Aussprache  neigen.  Je  kräftiger  der  Ton,  desto  geringer,  wie 
bekannt  (vgl.  oben  S.  71),    der  entweichende  Luftstrom.     Der  Um- 


^  Gutzmann,  H.,  Physiologie  der  Stimme  und  Sprache,  Braunschweig 
1909,  S.  46,  Nagel,  a.  a.  O.  S.  744. 

'  Parole  1900,  S.  219. 

3  Vgl.   Victor,  Elemente  der  Phonetik,  S.  286. 

*  Über  das  Verhältnis  von  Kehlkopispannung  und  Exspirationsstrom  vgl. 
auch  Sievers,  Phonetik,  §  183. 


HO 

stand,  dafs  die  Stimmbänder  zum  tönen  kommen,  hat  also  zugleich 
eine  Verringerung  des  Luftstroms  im  Munde  zur  Folge.  Die  bisher 
übliche  Verschlufsspannung  erscheint  daher  als  zu  grofs,  sie  ist  dem 
Bedürfnis  nicht  mehr  proportional  (vgl.  oben  S.  74).  Der  Ver- 
minderung des  Luftstroms  entsprechend  tritt  mit  der  Zeit  eine  Ver- 
minderung der  Verschlufsspannung  ein:  Der  Konsonant  wird 
von  einem  gespannten  in  einen  ungespannten  übergehen. 
Ist  schon  während  jedes  tonlosen  Verschlusses  der  erste  Teil,  der 
„Anglitt",  tönend,!  so  setzt  sich  das  Schwingen  der  Stimm- 
bänder im  Spätlateinischen  während  der  ganzen  Artikulation  fort. 
Aus  der  Zeit,  in  der  der  Stimmritzenverschlufs  bereits  ein- 
getreten, die  Mundverschlufsspannung  aber  noch  nicht  verringert 
war,  stammt  vielleicht  die  Entwicklung  des  „Blählautes",  der 
Ansammlung  von  Luft  über  der  Glottis,  die  im  Verhältnis  zum 
Zwischenraum    zwischen    Glottis    und    Verschlufsstelle    bei    p-    am 

o 

kleinsten,  bei  h  am  gröfsten  ist  2  und  die  Lösung  des  Verschlusses 
sanfter  macht. 

Infolge  dieser  Vergröfserung  der  Muskelspannung  im  Kehlkopf 
und  der  Verringerung  der  Verschlufsspannung  wird  der  tonlose 
Konsonant  tönend.  Ein  Beispiel  des  Übergangsstadiums  ist  obbrob7'io,^ 
in  dem  durch  bb  die  Länge  der  labialen  Artikulation,  die  Locker- 
heit des  Verschlusses,  die  Vokalstellung  der  Stimmbänder  ange- 
deutet ist.  Vgl.  die  nordsardischen  Verhältnisse:  paggu,  figga, 
kanneddu  <^  -etu,  zinibbiri,  ihliobbulu  <C  scopa  etc.  Dafs  die  Stimm- 
bänder nun  überhaupt  in  der  Vokalstellung  verharren,  ist  in  letzter 
Linie  ein  assimilatorischer  Vorgang.  Die  Tendenz,  dem  Exspirations- 
strom  im  Munde  eine  geringere  Spannung  entgegenzusetzen,  führt 
zur  gänzlichen  Vernachlässigung  des  Verschlusses  bei  den  un- 
gespannten Konsonanten,  die  daher  in  Engenlaute  übergehen:  b^  v 
g  >y,  während  d  viel  länger  bleibt  und  überhaupt  nur  einzel- 
sprachlich fällt. 

Beim  velaren  Verschlusse  scheiden  sich  natürlich  die  rein  velaren 
Laute  wie  lacus,  laciuca,  securns,  die  wie  die  andern  gespannten 
Konsonanten  gehen,  von  denen,  deren  Verschlufs  mehr  palatal  ist. 
Hier  wird  dem  Exspirationsstrom  in  der  Weise  nachgegeben,  wie 
bei  den  ungespannten  Konsonanten,  indem  ein  Engenlaut  entsteht: 
ts  oder  c  oder  s.  Während  p,  t,  velares  c,  b,  g  eine  sehr  alte  Ent- 
wicklungsstufe aufzeigen,  ist  dies  beim  palatalen  c  nicht  der  Fall. 
Der  Weg  ist  viel  weiter,  er  konnte  nicht  in  derselben  Zeit  zurück- 
gelegt werden  als  die  andern ;  daher  die  Zerstückelung  der  Gesamt- 
sprache vor  die  Vollendung  dieser  Evolution  fällt. 

Selbstverständlich  ist  die  eben  geschilderte  Beeinflufsung  der 
Artikulation  durch  den  Exspirationsstrom  nicht  die  einzig  mögliche, 
sondern  eine  unter  vielen.  Ganz  besonders  wichtig  erscheint  die  Ver- 


1  Vgl.  E.  A.  Meyer,  S.  107. 

^  Vgl.  Nagel,  Handbuch  der  Physiologie,  S.  750. 

»  Orelli-IIenzen  6086  IL 


II I 

schiedenheit  vom  Germanischen,  dessen  Lautverschiebung  ja  ebenfalls 
durch  eine  Verstärkung  des  exspiratorischen  Druckes  erklärt  wird.  Im 
Lateinischen  trifft  die  Veränderung  in  erster  Linie  den  Vokal,  in 
zweiter  den  Konsonanten,  indem  dem  stärkeren  exspiratorischen  Druck 
eine  Verminderung  der  Organspannung  entspricht,  die  für  die  Vokale 
unmittelbar  eintritt,  für  die  Konsonanten  mittelbar.  Hier  nämlich 
erst  durch  das  Eintreten  einer  erhöhten  Muskelspannung  im  Kehl- 
kopf, die  das  Abnehmen  der  Muskelspannung  im  Mundraum  zur 
notwendigen  Folge  hat.  Der  Verminderung  der  Organspannung 
im  Mundraum  entspricht  (vgl.  oben  S.  71)  und  gesellt  sich  eine 
gröfsere  Dauer  der  Artikulation  (Dehnung),  vgl.  unten  S.  114  ff. 

Im  Germanischen  dagegen  trifft  die  Veränderung  in  erster  Linie 
den  Konsonanten;  das  bedeutet:  dem  stärkeren  exspiratorischen 
Druck  wird  kein  Widerstand  im  Kehlkopf  entgegengesetzt,  daher 
erfolgt  eine  Erhöhung  der  Spannung  im  Mundraum.  Hierdurch 
haben  natürlich  alle  Begleit-  und  Folgeerscheinungen  verschiedenen 
Charakter. 

In  Anbetracht  dessen,  dafs  der  exspiratorische  Druck  erst  im 
zweiten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  wirklich  einheitlicher  Her- 
vorheber ist,  begreift  es  sich,  dafs  diese  artikulatorischen  Ver- 
änderungen, die  sehr  langsam  im  2./1.  vorchristlichen  Jahrhundert 
auftauchen,  auch  nicht  früher  allgemein  werden.  Bei  dieser  Be- 
obachtung fällt  ja  auch  der  Widerstand  der  Schrifttradition  sehr 
ins  Gewicht. 

IL    Weitere  Veränderungen  der  Quantität. 

Die  Kürzung  der  nicht  akzentuierten  Silbe,  die  in  vorhistorischer 
Zeit  beginnt  (z.  B.  beim  Nom.  terra,  amor,  bei  amem,  amet),  nimmt 
naturgemäfs  im  Verlaufe  der  lateinischen  Entwicklung  mehr  und 
mehr  zu,  in  dem  Verhältnis,  in  dem  der  exspiratorische  Druck  zum 
alleinigen  Silbenherausheber  wird.  Die  Kürzung  der  auslautenden 
Quantität  macht  stetige  Fortschritte.  Martial  skandiert  noch  have 
(vgl.  S.  98),  Quintilian  konstatiert  aber  schon  have  (vgl.  Lindsay  147). 
Die  Abschleifung  der  Kasussuffixe  hatte  zur  Folge,  dafs  die  zuerst 
okkasionell  gebrauchten  präpositionalen  Kasus  immer  alltäglicher 
wurden ;  die  Suffixe  waren  dann  überflüfsig  für  das  Verständnis, 
Tautologien.  So  ist  zugleich  die  semantische  und  die  physiologische 
Bedingung  für  ihre  Vernachlässigung  gegeben.  Zuletzt  verkürzt  sich 
-OS  -as,  wodurch  der  Schwund  des  -^  bewirkt  wird  (wo  er  über- 
haupt stattfindet),  denn  das  s  hielt  sich  stets  nach  Länge  und 
wurde  von  da  analogisch  wieder  der  Kürze  zugefügt,  vor  der  es 
zuerst  schwand  (vgl.  Leo,  Plautinische  Forschungen). 

Die  'Kürzung'  der  auslautenden  Länge  ist  aber  vielleicht  nicht 
geradezu  eine  Quantitätsveränderung.  An  sich  ist  das  nämlich 
gar  nicht  wahrscheinlich,  weil  ja  gerade  beim  exspiratorischen  Druck 
die  nicht  hervorgehobene  Auslautsilbe  eine  ausgesprochene  Tendenz 
hat,  sich  zu  längen  (vgl.  oben  S.  97).  Der  Hauptunterschied  liegt 
in  der  Energie  der  Artikulation,  im  Grade  der  Aufmerksamkeit,  die 


112 

man  ihr  zuwendet.  Nun  ist  allerdings  oft  nachgewiesen  worden,' 
dafs  die  gespannte  Artikulation  ein  gröfseres  Mafs  von  Energie 
erfordert  als  die  ungespannte;  die  'lange'  ein  gröfseres  als  die 
'kurze'.  Und  weil  dem  so  ist,  haben  wir  als  Hörende  von  der 
gespannten  Artikulation  den  Eindruck  des  Energischen,  von  der 
ungespannten  den  des  Schlaffen,  Weichen,  und  wir  vermengen 
diese  Eindrücke  in  dem  Grade,  dafs  uns  die  gespannte  Artikulation 
auch  stets  'lang'  klingt,  die  ungespannte  'kurz'.  Erst  schwierige 
objektive  Messungen  haben  über  diese  psychischen  Irrtümer  Auf- 
klärung gebracht.  Es  könnte  also  sehr  gut  mögUch  sein,  dafs  die 
„Kürzung"  des  Auslautes  zunächst  nur  als  Übergang  von  der  ge- 
spannten zur  ungespannten  Artikulation  aufzufassen  ist.  Und  ein 
solcher  Übergang  konnte  leicht  stattfinden,  wenn  man  aufgehört 
hatte,  die  Endsilbe  mit  Aufmerksamkeit  zu  artikulieren.  Durch  das 
gewohnheitsmäfsige  Nachlassen  der  Stimme  im  Gravis-Auslaut,  durch 
die  Ungleichmachung  des  exspiratorischen  Druckes  ist  einer  Ver- 
nachlässigung der  Endartikulation  eigentlich  schon  vorgearbeitet. 
So  mufste  ü  und  ü,  e  und  ?  etc.  im  Auslaute  zusammenfallen. 

Die  Vernachlässigung  der  langen  Verbalsuffixe  vollzog  sich 
langsamer,  da  hier  andere  semantische  Bedingungen  vorwalteten. 
Immerhin  waren  auch  sie  wohl  mit  dem  Ende  des  IV.  Jahrhunderts 
gekürzt,  da  die  Ermahnung  des  Cledonius  (Keil  V,  19.  14):  'futuro 
kgam  leges'.  secunda  persona  futuri  indicativo  singulari  numero  e 
producta  pronuntiando  est,  ne  secunda  persona  praesentis  tem- 
poris  intellegatur'  darauf  hindeutet,  dafs  die  Aussprache  leges  in 
beiden  Fällen  das  gewöhnliche  war. 

Diese  Qualitätsänderung  der  akzentlosen  Länge  verliert 
sich  nach  rückwärts  in  vorhistorische  Zeit  und  wir  haben  keine 
Möglichkeit,  irgendwo  eine  Grenzlinie  zu  ziehen  und  zu  sagen: 
von  da  ab  ist  es  die  romanische  Veränderung,  die  früheren  Vor- 
gänge sind  vorromanisch.  Vielmehr  ist  es  die  gleiche  Veränderungs- 
tendenz, die  uns  von  Anbeginn  entgegentritt,  sodafs  wir  entweder 
die  Quantitätsveränderung  des  Auslautes  überhaupt  nicht 
als  Romanismus  ansehen  dürfen,  oder  den  Beginn  dieser 
romanischen  Entwicklung  ebenfalls  in  vorhistorische  Zeit 
hinaufsetzen  müssen.  Denn  es  gibt  keinen  genügenden  Anhalts- 
punkt für  die  Trennung  der  Erscheinungen,  die  naturgemäfs  erst 
seltner,  dann  häufiger  zur  Beobachtung  kommen,  die,  aus  einer  und 
derselben  langsam  wirkenden  Ursache  entspringend,  in  gleicher 
Weise  stetig  vor  sich  gehen.  Die  Kürzung  des  Nominativs  terra, 
malus  ist  die  erste  Etappe  derselben  Veränderungstendenz,  die  mit 
der  Kürzung  von  terms,  malos  ihr  Ende  erreicht. 

Dagegen  ist  die  Quantitätsveränderung  der  akzentuierten 
Silbe  ein  wesentlich  späterer  Vorgang.  NatürUch.  Sie  ist  die 
Folgeerscheinung  der  ersteren;  sie  kann  erst  eintreten,  wo  die 
Quantitätsveränderung  der  akzentlosen  zur  Tatsache  geworden. 


'  Vgl.  vor  allem  Sievers,  Phonetik,  S.  255. 


"3 

Wie  A.  Ahlberg  a.  a.  O.  nachgewiesen  hat,  sind  die  Grammatiker- 
Aussagen  über  Zirkumflex  und  Akut  im  Lateinischen  durchaus 
glaubwürdig  und  nicht  kurz  und  gut  (resp.  gedankenlos!)  von  ihnen 
aus  dem  Griechischen  aufs  Lateinische  übertragen  worden. 

Die  lange  freie  Drucksilbe  vor  kurzer  Silbe  und  in  Monosyllaben 
wurde  mit  dem  Zirkumflex  gesprochen  metä,  dös.  Das  letztere 
ist  um  so  begreiflicher,  als  die  modernen  Messungen  den  aufser- 
ordentlichen  Unterschied  der  Artikulationsdauer  im  ein-  und  im 
zweisilbigen  Worte  darlegen,  vgl.  bei  E.  A.  Meyer  die  Messungen 
der  Artikulation  im  einsilbigen  Worte  S.  54  und  im  zweisilbigen 
S.  80,  die  Bemerkungen  Ph.  Wagners  (Phonet.  Studien  IV,  80) 
über  den  zweigipfligen  Ton  der  einsilbigen  Wörter,  sobald  sie  den 
Satzakzent  haben,  endlich  die  Messungen  Gregoire's  (Variations  de 
la  duree  de  la  syllabe  fram^aise  suivant  sa  place  dans  le  groupe- 
ment  phon^tique,  La  Parole  1899  S.  löiif,),  sowie  die  von  Fauste 
Laclotte  (ebd.  263  ff.)  berichteten. 

Mit  dem  Akutus  wird  gesprochen: 

Die  (lange  oder  kurze)  Drucksilbe  vor  langer  {nipös,  modös),  die 
kurze  vor  kurzer  (malus),  die  positionslange  vor  kurzer  wie  vor  langer 
Silbe  {an US,  arcös).  Für  die  Quantität  des  Auslautes  hatten  die 
Alten  übrigens  ein  feineres  Ohr  als  wir,  wie  die  bekannte  Stelle  des 
Donat  ad  Ter.  Phorm.  I,  2,  77  (127)  beweist:  ego  te  cognatum  dicam 
et  tibi  scribam  dicam,  wo  das  Substantiv  den  Zirkumflex  hat  {dicani), 
das  futurische  Verb  den  Akut.  Für  uns  ist  es  nicht  ersichtlich,  ob  ■ 
der  mafsgebende  Unterschied  in  der  Artikulation  des  Stammes  oder 
des  Suffixes  lag;  vermutlich  wohl  im  Suffix;  das  Verbalsuffix  mufs 
etwas  länger  gesprochen  worden  sein  als  das  Akkusativsuffix.  Das 
wahrscheinlichste  aber  ist,  dafs  das  ganze  Wort  etwas  weniger  breit 
gesprochen  wurde  als  das  Substantiv,  wie  ja  auch  im  Deutschen  die 
Gesamtbehandlung  ein  Objektssubstantiv  von  einer  Verbalform  scheidet, 
z.  B.  ich  sage  Dir  stets  .  .  .  gegen  ic/i  kenne  diese  Sage.  (Vgl.  übrigens 
auch  die  Untersuchung  von  Clara  Hechtenberg-Collitz,  Circumflex 
and  Acute  in  German  and  English,  in  The  Journal  of  English  and 
Germanic  Philology,  Illinois  U.  St.  A.  VI,  576  ff.).  Diese  Beobachtung 
mufs  sich  natürlich  auch  objektiv  durch  Apparatmessungen  erhärten 
lassen,  aber  jeder  Mensch  kennt  diesen  Unterschied  ohne  weiteres 
und  verbessert  sich,  z.  B.  wenn  er  im  Lesen  Objekt  und  Subjekt 
gleichlautender  Wörter  nicht  sofort  sinngemäfs  erkannt  hat,  in  der 
Behandlung  des  Satzakzentes  und  der  gesamten  Muskelspannungen 
für  das  betreffende  Wort,  die  es  eben  in  dem  bestimmten  Satz- 
akzent erfordert. 

Ahlberg  vergleicht  den  Akut  dem  „scharfgeschnittenen"  Akzent. 
Jedenfalls  ist  es  der  „gestofsene",  der  steigende,  im  Gegensatz  zum 
schleifenden,    dem    steigend- fallenden. ^      Vgl.    Cledonius  31.  30  K 


1  Isidor,  Etym.  I,  17,  2,  3  (Seh.  XXIX  a)  u.  A.  erklären  den  Zirkumflex 
als  Folge  von  Akut  und  Gravis. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom,  Phil.  XXVII.     (Festschrift.)  g 


114 

(Seh.  XXVI '^):  „acutus  excusso  sono  dicendum  est,  circumflectus 
tractira,  gravis  pressa  voce".  Gerade  die  späteren  Grammatiker  be- 
tonen ausdrücklich :  non  possumus  dicere  arais,  non  possumus 
dicere  musa  (Servius  bei  Donat  426.  10  K,  Pompeius  126.  4  K, 
Seh.  XXVI  ^  ^),  d.  h.  der  gedehnte  oder  geschleifte  Akzent  bedingt 
den  im  Vokal  verlaufenden  exspiratorischen  Druck  der  freien  Silbe ; 
umgekehrt  läfst  sich  der  freie  gespannte  Vokal,  wie  in  ttiusa,  nicht 
hervorstofsen,  weil  die  Behandlung  des  Luftstromes,  wie  der  ge- 
spannte Vokal  sie  erfordert,  das  kurze  und  kräftige  Herausstofsen 
verhindert,  resp.  unmöglich  macht. 

Während  die  Akutusbetonung  der  kurzen  Silbe  überhaupt  und 
vor  einer  Länge  insbesondere  ganz  begreiflich  ist,  mufs  der  Wechsel 
von  Akutus  und  Zirkumflexus  auf  der  langen  besonders  beleuchtet 
werden.  Länge  vor  Kürze  hat  Zirkumflex ;  Länge  vor  Länge  Akut. 
Darin  haben  wir  ein  Stück  Ökonomie  der  Sprache  zu  erkennen:  Der 
Akzent  wird  auf  der  Drucksilbe  nicht  voll  verbraucht;  auch  die 
drucklose  hat  einen  Anteil  am  artikulatorischen  Interesse.  Nur  bei 
nachfolgender  Kürze  kann  das  ganze  Interesse  sich  auf  die  Druck- 
silbe konzentrieren.  Mit  Rücksicht  auf  die  folgende  Silbe  wechselte 
daher  der  Akzent  der  Drucksilbe  in  den  verschiedenen  Kasus  und 
erst,  nachdem  die  Vernachlässigung  der  auslautenden  Quantität 
die  Kasussuffixe  verändert,  erfolgt  eine  Ausgleichung  des  Akzentes: 
an  Stelle  der  einstmaligen  Deklination  Roma,  Rötnöe,  Roinäm,  Roma 
etc.  tritt  durchwegs  zirkumfleklisches  Roma,  während  alle  Wörter  mit 
gedeckter  Akzentsilbe  natürlich  von  vornherein  durchgehends  den 
Akut  hatten  und  behielten:  scriptüs  -i  etc.,  dictüs  -i  etc.  Hier  war 
also  eine  einheitliche  Akzentuierung  für  alle  Kasus  von  jeher  vor- 
handen; dieser  einheitlich  akzentuierten  Deklination  mit  akutem 
Akzent  stellte  sich  nun  eine  zweite  einheitlich  akzentuierte  mit 
Zirkumflex  an  die  Seite.  Das  Bestreben  nach  analogischem  Aus- 
gleich des  Rhythmus  kann  natürlich  eingewirkt  haben.  Eine  voll- 
ständige Gleichheit  der  Akzentuierung  kann  jedoch  erst  eingetreten 
sein,  nachdem  die  oben  (S.  1 1 1  fT.)  besprochene  letzte  Kürzung  des 
Auslautes  vollzogen  war. 

Die  gröfste  Veränderung  geht  mit  der  kurzen  freien  Druck- 
silbe vor  sich;  die  Tieferlegung  der  Artikulation  (vgl.  S.  107)  be- 
dingt auch  eine  gröfsere  Dauer  (vgl.  S.  72)  und  daher  erfolgt 
zuerst  eine  quantitative  Ausgleichung  zwischen  der  gelängten  ehe- 
mals kurzen  Drucksilbe  und  der  mehr  und  mehr  verkürzten 
ehemals  langen  Auslautsilbe.  Z.  B.  mddö,  einst  quantitativ  ein 
Jambus,  wird  in  der  gesprochenen  Sprache  ein  Spondäus  aus 
verschiedenen  Heraushebungswerten  (vgl.  oben  S.  87),  dann  ein 
Trochäus,^  in  dem  der  Druck  als  Heraushebungswert  überwiegt: 
modo.  In  den  Fällen  mit  kurzer  Auslautsilbe  mufste  dieser  Zustand 
noch  früher  eintreten:  tnödiim,  morit.     Dafs  er  eingetreten  ist,  be- 


*  Vgl.  Ahlberg  a.a.O.  31.     Der    Jambus    verliert  je    nach    der  Stellung 
im  Satze  seinen  jambischen  Charakter. 


"5 

weisen  die  Bemerkungen  des  Consentius  (K.  391,  25,  Seh.  XCIX*^), 
der  piper,  und  die  des  Servius  im  Donat  (K.  444,  12,  Seh.  XCIX^), 
der  die  Verwechslung  der  Quantität  wie  Romam.  —  rösam  als  Barba- 
risraus  tadelt.  Wir  sind  am  Anfang  des  V.  Jahrhunderts.  Von  da 
bis  zur  allgemeinen  Durchführung  der  Vokaldehnung  ist  jedesfalls 
noch  ein  Jahrhundert  anzusetzen.  ^ 

Der  Zirkumfiexus  ist  an  die  Drucksilbe  gebunden.  Die  Gramma- 
tiker bemerken  ausdrücklich  hämorum  gegen  hämus'^  ete.  (vgl.  z.  B. 
Priscian  I,  576,  Seh.  XXVIH). 

Die  zirkumflektische  Betonung  ist  die  Vorbedingung  der 
Diphthongierung. 3  Der  gewundene  Akzent  ist  in  der  alten  Sprache 
an  die  freie  Silbe  gebunden;  für  ihn  ist  der  lose  Ansehlufs  des 
folgenden  Konsonanten  eine  Existenzbedingung,  und  wie  es  scheint, 
für  die  Diphthongierung  auch.  Wo,  wie  im  Spanischen,  auch  ge- 
deckte Silben  diphthongieren,  liegt  oder  lag  zum  mindesten  die 
Silbengrenze  nicht  im  Konsonanten.  Zum  Teil  war  ja  schon  im 
Lateinischen''  die  Silben  grenze  vor  der  Konsonantengruppe,  z.  B. 
no-sier,  di-gtms  a-stla  no-ctem  pro-pler.  Diese  Verteilung  des 
Atemdruckes  ist  dann  offenbar  auch  auf  die  Fälle  übertragen 
worden,  wo  die  lateinischen  Grammatiker  den  Silbenschlufs  zwischen 
den  Konsonanten  ansetzen  [al-ier],  da  wir  span.  vuelvo,  iendo 
finden.  Für  die  Gemination  (Typus  mit-to  sü-cus)  hat  das 
Spanische  die  Vereinfachung  resp.  Kürzung  eintreten  lassen,  daher 
auch  noch  jetzt  due-na  geteilt  wird  wie  caha-llo.  Jedenfalls  setzt 
die  Diphhongierung  die  Dehnung  der  Silbe  voraus.  Das  Ver-' 
löschen  des  Atemdrucks  innerhalb  der  Vokalartikulation  ist  das 
Normale  beim  langen  Vokal.  Die  Silbengrenze  liegt  am  Ende  des 
langen  Vokals. 

Beim  Akut  hingegen  ist  der  Konsonantenanschlufs  straff.  Der 
Atemstrom  geht  vom  Vokal  in  den  Konsonanten  über,  und  die 
Silbengrenze  liegt  innerhalb  der  konsonantischen  Artikulation,  sei 
es,  dafs  es  sich  um  einen  einzelnen  Konsonanten  handelt,  oder 
um  eine  Konsonantengruppe.  Eben  dieselbe  Behandlung  des  Luft- 
stromes charakterisiert  aber  auch  den  kurzen  Vokal.  Es  ist  daher 
physiologisch  leicht  begreifhch,  dafs  bei  akutem  Akzent  eine 
Kürzung  des  langen  Vokals  stattfand.  Wir  haben  verschiedene 
Typen  zu  konstatieren. 

I.   Langer  Vokal  -|-  kurzer  Konsonant. 

Wo  der  Akut  den  langen  Vokal  vor  einfacher  Konsonanz  traf, 
wurde  (sofern  nicht  zirkumflektische  Akzentuierung  siegte)  die 
Verteilung  von  Spannung  und  Druck  auf  die  beiden  Artikulations- 


1  Vgl.  Einführung  S.  119. 

'  Die  Akzentuierung  ist  hier  die  der  alten  Grammatiker, 
ä  Vgl.    Etlmayer,    Lombardisch -Ladinisches    aus    Südtirol   S.  466  ff.    und 
Goidänich,  L'origine  e  le  forme  della  dittongazione  romanza. 
*  Vgl.  die  Belegsammlung  bei  Seelmann  a.a.O.  S.  139 ff. 

8* 


Ii6 

Vorgänge  umgedreht:  Man  kürzt  den  Vokal  und  längt  den  Kon- 
sonanten, wodurch  zugleich  die  Spannung  beim  ersteren  nachläfst 
und  beim  zweiten  zunimmt.  Also  aus  der  Gruppe:  langer  Vokal 
+  kurzer  Konsonant  entsteht  eine  andere:  kurzer  Vokal  +  langer 
Konsonant.  Es  sind  die  von  Ahlberg  (S.  52fif.)  verzeichneten  und 
näher  verfolgten  Entwicklungen  cuppa,  Juppifer,  muccus  etc.,  zu 
denen  auch  llte7-a  =  httera  gehört. 

Ahlberg  erwähnt,  dafs  diese  Veränderung  nur  bei  c  p  t  ein- 
trifft, ohne  den  Grund  festzustellen.  Er  ist  leicht  zur  Hand:  Die 
gespannten  Verschlufslaute  sind  die  von  Natur  längsten  i  und  daher 
sind  die  Vokale  am  kürzesten,  wenn  sie  ihnen  vorausgehen. 2  So 
sind,  bei  wachsender  Energie  der  Artikulation,  die  Vokale  in  dieser 
Stellung  hier  zu  weiterer  Kürzung,  die  Konsonanten  zu  weiterer 
Dehnung  geneigt. 

2a.    Langer  Vokal  -\-  langer  Konsonant. 

Die  Gruppe:  langer  Vokal  +  langer  Konsonant  wider- 
strebte wohl  der  allgemeinen  Sprachökonomie. '^  Es  erfolgt  eine 
Veränderung,  indem  eine  der  beiden  Artikulationen  gekürzt  wird: 
entweder  der  Konsonant:  stela  frz.  etoile  etc.  oder  der  Vokal: 
STELLA.:  it.  Stella,  sp.  estrella  etc. 

Dieser  letztere  Weg  wird  ausschliefslich  eingeschlagen,  wo  es 
sich  um 

2b.    Langen  Vokal  -f-  Konsonantengruppe  handelt. 

Hier  wird  also  immer  der  Vokal  gekürzt  und  die  Silben- 
grenze in  die  konsonantische  Artikulation  verlegt,  scriptiis  >'  scnplus, 
so  dafs  scripius  und  dictus  einander  gleich  werden,  oder  besser 
gesagt  scfitto  und  deilo,^  denn  als  dieser  exspiratorische  Ausgleich 
eintrat,  war  die  artikulatorische  Angleichung  des  Verschlusses 
sowie  die  Tieferlegung  der  /-Artikulation  längst  erfolgt.  Dieser 
Vorgang  hängt,  wie  eben  angedeutet,  unzertrennlich  mit  einem 
anderen  zusammen,  mit  der  Verlegung  der  Silbengrenze: 
scrl-plus  wird  scrlp-tus  etc.  Die  Verstärkung  des  exspiratorischen 
Druckes  bewirkt,  dafs  der  Atemstrom  nicht  im  /  erlischt,  sondern 
bis  in  die  konsonantische  Artikulation  reicht.  Dadurch  wird  aber 
eben  die  Silbengrenze  verlegt. 

Die  Dehnung  aller  freien  und  die  Kürzung  aller  ge- 
deckten Vokale  erweist  sich  somit  —  so  gut  wie  die  Ver- 
änderung der  Artikulation  —  als  letzte  Folge  des  siegenden 
exspiratorischen  Druckes.  Also  wieder  eine  Erscheinung,  die 
sich   aus   der  Kette  der   früher   besprochenen    ohne   Gewaltsamkeit 

'  Vgl.  E.  A.  Meyer,  a.  a.  O.  S.  40. 
»  Ebd.  S.  48. 

'  Vgl.  Sievers,  Grundzüge  der  Phonetik,  S.  242. 

*  Frz.  dit,  sp.  dicho,  ptg.  dito  sind  bekanntlich  Angleichungen  an  die 
Z-Eormen. 


117 

und  Willkür  nicht  loslösen  läfst,  und  daher  tief  in  die  vorchristliche 
Zeit  zurückgeht. 

Etwa  im  IV.  Jahrhundert  unsrer  Zeitrechnung  haben  wir  ein- 
heitliche Hervorhebung  durch  exspiratorischen  Druck  auf  der 
zweiten  (resp.  dritten)  Silbe  vor  dem  Wortende.  Der  ehemalige 
Initialdruck  ist  aber  nicht  gänzlich  überwunden.  Er  ist  zum 
Nebenakzent  geworden,  der  bewirkt,  dafs  in  den  romanischen 
Sprachen  die  anlautenden  Silben  sich  anders  entwickeln  als  die  in- 
lautenden, i  Am  meisten  fühlbar  bleibt  er  im  Italienischen,  das 
eine  Neigung  zeigt,  die  Anlautsilbe  zu  dehnen:  seppelire,  legge, 
febbre  etc.  Einer  der  späteren  Grammatiker  empfindet  deutUch 
den  Unterschied  zwischen  Haupt-  und  Nebendruck:  Martianus 
Capella  (III,  68,  15,  Eyssenh.,  Seh.  LXXV)  .  .  .  uni  vocabulo  accidere 
omnes  tres  accentus  posse  ut  est  Argiletura. 

Da  sich  der  exspiratorische  Druck  organisch  aus  den  leicht 
nachweisbaren  sprachlichen  Verhältnissen  entwickelt,  ist  die  Theorie 
W.  Meyer's2  trotz  aller  geistvollen  Ausführungen  des  Verfassers 
nicht  haltbar;  nach  ihm  wäre  nämlich  die  akzentuierende  Dichtung 
sowohl  des  Spätlateinischen  als  des  Griechischen  aus  der  semi- 
tischen Dichtung  übernommen.  Die  lateinische  Sprache  drängte 
ganz  selbständig  dazu  und  wenn  die  rhythmische  Dichtung  zuerst 
in  christlichen  Texten  auftritt,  so  liegt  das  ja  ganz  handgreiflich 
in  den  Kulturbedingungen:  Hier  war  nicht  nur  die  gröfsere  Möglich- 
keit, die  klassische  Tradition  zu  durchbrechen;  sie  war  oft  gerade- 
zu zum  Wunsche  gesteigert,  mit  der  klassischen  Tradition  in 
Widerspruch  zu  geraten.  Die  Liturgie,  mit  bestimmten  Ton- 
modulationen gesungen,  war  ja  gewifs  nur  leicht  rhythmisierte 
Prosa  und  das  nichtlateinische  Vorbild  kann  auf  die  lateinische 
Nachbildung  eingewirkt  haben,  aber,  wie  oben  gezeigt  worden,  ist 
jede  volkstümliche  Dichtung  in  ihrem  Beginn  nichts  anderes,  als 
endrhythmisierte  Prosa.  Wir  sehen  hier,  wie  auch  bei  den  Hexa- 
metern Commodians,  wieder  die  rohere  Dichtkunst,  die  sich  an 
sorgfältigerer  Behandlung  des  Vers(Satz)ausganges  genügen  läfst. 

In  ihrer  Gänze  ist  die  akzentuierende  Dichtung  das  selbst- 
verständliche Produkt  der  akzentuierenden  Sprache,  und  eine  fremde 
Einmischung  ganz  undenkbar.  Auch  W.  Meyer's  eigne  Beobachtungen 
über  rhythmische  Prosa-*  stützen  den  Widerspruch,  der  sich 
gegen  diese  seine  Herleitung  erhebt:  Der  Wandel  vom  quanti- 
tierenden  Satzschlufs  (Cursus)  zum  akzentuierenden,  der  sich 
zwischen  dem  2. — 4.  Jahrhundert  vollzieht,  kann  nicht  auf  semitische 
Vorbilder  zurückgeführt  werden;  er  zeigt  sich  bei  allen,  auch  den 
ganz  heidnischen  Autoren,  z.B.  Vegetius,  im  Querolus  etc.,  und 
ist  doch  prinzipiell  keine  andere  Erscheinung  als  die  in  der  Dichtung 


*  Vgl.  Thurneysen,  Rev.  Celt.  VI,  313  und  Duvau,  A  propos  des  initiales 
latines,  Mdm.  Soc.  Lingu.  XII,  139. 

'  Gesammelte  Abliandlungen  zur  mittellateinischen  Rhythmik  II  S.  lOSfl". 
»  Ebd.  II,  202 fl".,  236 ff.,  I,  uff. 


ii8 

beobachtete.  Meyer's  Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete  sind  kost- 
bare Beiträge  zur  Geschichte  der  Ausbreitung  des  exspiratorischen 
Druckes.  Anknüpfend  an  diese  Untersuchungen  Meyer's  über 
lateinische  und  griechische  rhythmische  Prosa  hat  Burdach  t  seiner 
Verwunderung  Ausdruck  gegeben,  dafs  das  Griechische  in  irgend 
einem  Punkte  Nachahmer  des  Lateinischen  sein  sollte,  was  bei 
dem  in  Frage  stehenden  der  Fall  wäre.  In  dem  hier  erörterten 
Zusammenhang  erklärt  sich  dieser  Umstand  sofort:  Das  Griechische 
ist  später  zur  akzentuierenden  Sprache  geworden  als  das  Lateinische; 
es  mufste  zwar  aus  seiner  eigenen  Entwicklung  heraus  zur  Hervor- 
hebung durch  exspiratorischen  Druck  gelangen,  aber  das  Lateinische 
war  ihm  auf  diesem  Wege  um  ein  paar  hundert  Jahre  voraus.  Die 
Kunstsprache  ist  also  auf  keinem  der  in  Betracht  kommenden  Ge- 
biete irgend  gewaltsam  dem  herrschenden  Sprachgebrauch  auf- 
gepfropft, sondern  sie  ist  entweder  selbst  bodenständig  oder  doch 
nur  eine  schwache  Modifikation  des  Bodenständigen.  Begabung 
und  Entwicklungsgang  des  einzelnen  Autors  sind  hierbei  natürlich 
von  grofsem  Einflufs.  Der  Widerstand  der  literarischen  oder  viel- 
mehr der  Grammatiker  -  Tradition  macht  das  Hervortreten  der 
akzentuierenden  Rhythmen  so  bunt  und  kraus  wie  wir  es  sehen. 
Eine  reiche  Sammlung  beweiskräftigen  Materials  findet  sich  be- 
sonders bei  W.  Meyer  II,  S.  242  ff. 

Die  akzentuierende  Sprache  ist  also  das  erste  End- 
ergebnis der  grofsen  Evolution,  die  wir  verfolgt  haben;  in 
ihrem  Gefolge  geht  die  Kürzung  der  gedeckten,  die  Dehnung  der 
freien  Vokale,  die  artikulatorischen  Veränderungen,  die  besprochen 
wurden.  Für  diese  Umwälzung  ist  die  Dauer  von  rund  tausend 
Jahren  nachweisbar;  ihre  eigentliche  Ursache  ist  die  Ver- 
schiebung des  exspiratorischen  Druckes  durch  die  zu- 
erst okkasionelle  und  später  traditionelle  Einbürgerung 
der  modernen  Satzauffassung. 


IX.    Der  Einflufs  des  exspiratorischen  Druckes  auf  die 
artikulatorische   Entwicklung    der    romanischen    Sprachen. 

Aus  der  akzentuierenden  lateinischen  Sprache  mit  festen 
Hervorhebungen  durch  exspiratorischen  Druck  entwickeln  sich  nun 
die  einzelnen  romanischen  Sprachen.  Aber  die  Teilung  in  einzelne 
Dialekte  mufs  früher  angesetzt  werden  als  die  Vollendung  der 
Evolution:  Noch  war  das  Lateinische  nicht  zu  dem  Punkt  gelangt, 
dafs  man  von  der  einheitlichen  Hervorhebung  durch  exspiratorischen 
Druck  mit  allen  seinen  Begleiterscheinungen  reden  könnte,  als  ein 
einheitliches  Lateinisches  Reich  zu  existieren  aufhörte.  Denn  dieses 
endigt   im  IV.  Jahrhundert,    und    erst  im  VI.  sehen  wir  die  letzten 


^  Über    den    Satzrhythmus    der    deutschen    Prosa,    Sitz.-Ber.  Preuls.  Ak. 
d.  W.  1909,  S.  528. 


IIQ 

Stadien  der  besprochenen  sprachlichen  Evolution  erreicht.  Im 
VI.  Jahrhundert  aber  gibt  es  schon  ganz  unzweifelhafte  Merkmale 
für  gallisches,  spanisches,  italienisches  etc.  Latein. 

Wenn  man  nun  von  unzweifelhaften  Merkmalen  einiger 
Dialekte  redet,  so  heifst  das  doch  wohl  nichts  anderes  als 
dafs  eben  die  allgemeine  (früher  einmal  einheitliche)  Ent- 
wicklungstendenz der  Sprache  auf  verschiedenen  Ge- 
bieten verschiedene  Modifikationen  erfährt.  So  ist  es 
auch  hier.  Der  exspiratorische  Druck  ist  tatsächlich  nicht  auf 
dem  ganzen  Gebiet  alleiniger  Herrscher  geworden,  sondern 
in  einzelnen  vorromanischen  Gebieten  ist  er  in  seiner  Ent- 
wicklung gewissermafsen  verkümmert.  In  einzelnen  Sprachen 
ist  die  Hervorhebung  einer  Silbe  auf  Kosten  der  anderen  konse- 
quent durchgeführt,  in  anderen  nicht.  Hier  setzt  eine  neue  Unter- 
suchung ein  mit  der  Frage:  inwieweit  sind  die  neu  hinzugekommenen 
Völkerelemente  daran  beteiligt,  die  vorhandene  Veränderungstendenz 
zu  beschleunigen,  zu  erhöhen,  oder  umgekehrt,  sie  zu  verlangsamen? 
Die  endgültige  Antwort  ist  noch  nicht  gegeben,  doch  sehen  wir, 
dafs  im  Mittelitalienischen,  in  der  sich  entwickelnden  „Lingua"  und 
im  Sardischen  die  Veränderungstendenz  am  schwächsten  weiter- 
wirkt und  am  frühesten  nachläfst.  In  Nord-Italien,  Rätien,  Gallien 
wirkt  sie  am  kräftigsten,  ungebrochensten  und  konsequentesten. 
Eine  mittlere  Stellung  nimmt  Spanien-Portugal  und  Rumänien  ein, 
und  eine  ganz  eigenartige  das  Vegliotische,  worüber  zum  Schlufs 
einige  zusammenfassende  Worte  gesagt  werden  sollen.  Die  Frage, 
nach  der  Entwicklung  der  romanischen  Sprachen  ist  die 
Frage  nach  der  Durchführung  aller  früher  angedeuteten, 
im  Lateinischen  seit  tausend  Jahren  angebahnten  Ver- 
änderungen, d.  i.:  die  Durchführung  des  romanischen  (steigen- 
den) Satzrhythmus,  der  romanischen  Wortstellung,  der  Silben- 
hervorhebung durch  den  exspiratorischen  Druck  und 
deren  Folgen. 

Die  Entwicklung  des  lateinischen  steigend-fallenden  Rhythmus 
zum  steigenden  romanischen  spricht  sich  in  der  Wortstellung  und 
der  Wortbildung  aus.  Der  Satzrhythmus  ist  von  der  Satzglieder- 
stellung nicht  zu  trennen.  Ihm  entspricht  der  Rhythmus  der 
einzelnen  Satzteile,  der  Wortgruppen,  resp.  der  aus  ihnen  er- 
wachsenden Zusammensetzungen.  Dafs  der  steigende  Rhythmus 
zum  habituellen  geworden  ist,  braucht  nicht  weiter  erörtert  zu 
werden.  Der  steigende  Rhythmus  ist  noch  immer  der  einzig 
produktive.  Jedoch  beginnt  zu  okkasioneller  Heraushebung  der 
fallende  in  Frankreich  in  Verwendung  zu  kommen. 

Weit  mehr  ist  über  die  Durchführung  der  Veränderung  in 
Druck  und  Artikulation  zu  sagen.  Man  kann  den  Satz  aufstellen, 
dafs  alle  charakteristischen  phonetischen  Eigentümlich- 
keiten der  einzelnen  Sprachen  sich  erklären  lassen  aus  der 
Behandlung     des     Exspirationsstromes :      aus      dem     jeweiligen 


I20 

Silbendruck   und  den  daraus  sich  ergebenden  resp.  dadurch 
geforderten  artikulatorischen  Spannungen. 

Im  folgenden  sollen  diese  Punkte  übersichtlich  zusaramen- 
gestellt  werden. 

Der  exspiratorische  Druck  als  Ungleichmacher  der 
Silben  wird  an  folgenden  Erscheinungen  kenntlich  sein: 

A.    Dehnungserscheinungen. 

I.  Diphthongierung  der  Akzentvokale.  Mit  je  gröfserem 
Nachdrucke  auf  dem  Akzentvokal  verweilt  wird,  je  mehr  sich  die 
zirkumflektische  Akzentuierung  Bahn  bricht,  um  so  leichter  wird 
der  Vokal  diphthongieren.  Es  ist  daher  charakteristisch  für  die 
Sprachen  mit  kräftigem  Akzent,  dafs  sowohl  gespannte  als  un- 
gespannte Vokale  diphthongieren.  Dies  ist  der  Fall  im  Rätischen, 
Französischen!  und  Vegliotischen.  Es  ist  auch  ein  Beweis 
von  kräftiger  Akzentwirkung,  wenn  der  Vokal  in  gedeckter  Silbe 
noch  gedehnt  wird.  Dadurch  entsteht  nämlich  ein  Übermafs  an 
Energieentfaltung,  indem  die  Silbe  durch  langen  Vokal  und  langen 
Konsonanten  (Konsonantengruppe)  ausnehmend  viel  artikulatorische 
Aufmerksamkeit  erfordert.  Mit  Sicherheit  nachweisbar  nur  im 
Rätischen,  da  die  dalmatischen  Belege  nicht  klar  sind  (vgl. 
Bartoli  a.  a.  O.  338). 

Im  Spanischen  diphthongieren  nur  die  ungespannten 
Vokale,  also  die,  deren  Energieleistung  nicht  so  grofs  ist.  Der 
Konsonantenanschlufs  ist  im  Spanischen,  wie  bemerkt,  lose.  Daher 
kann  die  Druckenergie,  die  zur  Diphthongierung  auch  vor  Kon- 
sonantengruppen führt,  nicht  gar  so  grofs  genannt  werden.  Dasselbe 
gilt  fürs  Rumänische  und  Vegliotische  und  die  Mundarten 
nördlich  vom  Lago  Maggiore  (vgl.  Salvioni  AG.  IX,  igoff.).  Im 
Mittel-Italienischen  diphthongiert  nur  der  ungespannte 
Vokal  und  nur  in  freier  Silbe.  Der  Druckaufwand  ist  also 
wesentlich  geringer  als  in  den  eben  besprochenen  Sprachen. 

Die  Diphthongierung  ist  abhängig  von  nachfolgenden  Lauten 
im  Neapolitanischen,  Sizilianischen  und  Provenzalischen 
bei  ungespannten  Vokalen,  und  im  Rumänischen  bei  gespannten 
Vokalen.  Diese  von  der  folgenden  Silbe  abhängige  Veränderung 
soll  mit  der  ihr  wesensverwandten,  dem  Umlaut,  zusammen  be- 
sprochen werden  (S.  132  ff.). 

Romagnolisch,  Mailändisch,  Altvenezianisch,  Sar- 
disch,  Portugiesisch  nehmen  an  der  Diphthongierung  nicht  teil. 

Die  Dehnung  des  Vokals  in  der  Antepaenultima  ist 
von  den  Druckverhältnissen  nicht  abhängig:    it.  lieviio,    franz.  Hede, 


^  Vgl.  Frz.  Gram.  §  59 :  „  Dehnung  bringt  eine  Steigerung  der  den 
geschlossenen  Vokalen  eigenen  Artikulationsenergie  mit  sich,  die  sich  in  einer 
Verengerung  des  Mundkanals  äulsert  .  ..:  i?»  j^"."  —  Es  kann  auch  um- 
gekehrt „antiphrastische"  Bewegung  sein;  um  die  enge  Position  trotz  der 
verlängerten  Dauer   nicht  zu  erweitern,  erfolgt  eine  Verengerung.     Vgl.  S.  75. 


121 

span.  miercoles,  rum.  Mierctirl,  siz.  nievula:  Sprachen  mit  ver- 
schiedensten Druckverhältnissen  verhalten  sich  hierin  gleich. 

IL  Auf  Dehnung  der  Artikulation  beruht  die  Entwicklung 
eines  Übergangslautes  (Gleitelautes),  der  vokalischer  oder  kon- 
sonantischer Natur  sein  kann.  Die  Entwicklung  des  Gleitelautes 
ist  aber  nicht  hervorgerufen  durch  den  Druck  als  Ungleichmacher 
der  Silben;  vielmehr  beweist  sie  eine  Artikulationsenergie,  die  nicht 
unmittelbar  beim  Bilden  der  akzentlosen  Silbe  nachläfst,  sondern  in 
diese  hinüberspielt.  Die  Entstehung  des  Gleitelautes  erklärt  sich  ja 
überhaupt  nur  durch  die  Fortdauer  des  Atemstroraes,  während  die 
Artikulationsorgane  ihre  Stellung  wechseln.  Geht  der  Atemstrom 
nicht  aus  einer  Silbe  in  die  andere  über,  so  wird  der  Wechsel 
der  Stellung  ohne  hörbaren  Gleitelaut  vorgenommen;  der  Ausdruck 
„Hiatustilgung"  ist  daher  für  diese  Erscheinung  sehr  unglücklich 
gewählt.  In  einem  wirklichen  Hiatus,  wenn  zwei  Vokale  hinter- 
einander artikuliert  werden  mit  frischem  Atemansatz  nach  dem 
ersten,  kann  eo  ipso  kein  ,  Gleite 'laut  entstehen,  der  Vokal  einsalz 
schneidet  ja  das  Gleiten  ab.  Bleibt  aber  der  Atemstrom  in  Tätig- 
keit während  der  Stellungsänderung  der  Organe,  so  kann  man  von 
keinem  Hiatus  reden,  i  Besonders  deutlich  wird  uns  dieses  Ver- 
hältnis durch  die  Untersuchungen  J.  Seemanns  mit  seinen  neuen 
in  der  Zeitschrift  für  biologische  Technik  und  Methodik  I,  igo8, 
S.  HO  ff.  beschriebenen  Instrumenten.  Die  auf  S.  119  reproduzierte 
Aufnahme  von  a-er  und  acr  zeigt  die  Unmöglichkeit  der  Ent- 
wicklung eines  Gleitelautes  während  des  wirklichen  Hiatus. 

Ein  charakteristisches  Licht  auf  die  Natur  der  Gleitelaute  wirft 
auch  der  Umstand,  dafs  sie  besonders  häufig  an  Stelle  verstummter 
intervokalischer  Konsonanten  treten,  wie  z.  B.  im  Portugiesischen. 
Das  Verstummen  des  n  z.  B.  bedeutet  ein  Nachlassen  der  Arti- 
kulation, wodurch  eine  akustische  Pause  entsteht.  Ist  nun  jede 
Spur  der  //-Artikulation  geschwunden,  so  gehen  die  Organe  direkt 
von  einer  Vokalstellung  in  die  andere  über,  aber  unendlich  lang- 
samer, als  in  anderen  Fällen,  da  die  Gesamtdauer  der  Wort- 
artikulation noch  nicht  gekürzt  ist.  Dies  ist  die  richtige  Grundlage 
für  die  Entwicklung  des  Gleitelautes,  Sonst  ist  eine  günstige  Be- 
dingung dafür  in  eintretender  Gleichmachung  der  Silben,  so  dafs 
das  Auftreten  der  Gleitelaute  symptomatisch  für  eine  Sprach- 
periode mit  ausgleichender  Druckstärke  ist,  während  in  den 
Sprachen  mit  starker  Akzentheraushebung  keine  Gleitelaute 
entstehen. 

Intervokalischer  Gleitelaut  ist  kaum  nachweisbar  im  Rätischen. 

Er  ist  selten  im  Französischen:  Westfranz,  bloie  poie  oie 
(vgl.  Rom.  Jahresbericht  für  IQ06,  I,  81),  essuier  noiel  bayer  (vgl. 
östberg,  Bloi  und  Poi,  Mel.  Chabaneau),  Belege  fürs  Wallonische 
u.a.   bei  Herzog,    Französische    Dialekttexte,    Einleitung   Nr.  236 ff. 


1  Vgl.    Schuchardt,    Baskisch    und    Romanisch,    Beihefte    zu    Gr.  Z.  VI, 
S.  22  und  Rom.  Jahresbericht  1906  T,  73. 


122 

Im  Rumänischen  ist  die  Entwicklung  eines  intervokalischen  Gleite- 
lautes in  der  heutigen  Umgangssprache '  das  Gewöhnliche.  Aus 
älterer  Zeit  fehlt  es  fast  gänzlich  an  Belegen,  nur  etwa  dcrtni-o-as 
und  einige  andere  können  als  eingebürgerte  Formen  aus  früheren 
Perioden  gelten.  Offenbar  handelt  es  sich  um  einen  neuzeitlichen 
Vorgang.  Etwas  mehr  liefert  das  Spanische:  suyo,  miyo\  viel 
mehr  das  Portugiesische,  wo  der  Gleitelaut  im  Verlauf  des 
Mittelalters  spät  aber  häufig  auftritt  in  der  durch  Verstummen  des 
n  entstehenden  akustischen  Pause,  sereia  -<  serena  etc.  Überhaupt 
zeigt  das  Portugiesische  eine  Neigung,  durch  Dehnung  der  vor- 
und  nachakzentischen  Silben  eine  gewisse  Ausgleichung  des  Silben- 
wertes zu  bewirken,  oder  wenigstens  den  Silbenwert  der  Nicht- 
akzentuierten  zu  erhöhen.  Erst  in  neuerer  Zeit  konstatieren  wir 
einen  Wechsel  der  Veränderungstendenz  (Kontraktion  der  Hiatus- 
vokale seit  dem  XIV.  Jahrhundert  u.  a.).  Im  Bardischen  finden 
wir  den  intervokalischen  Gleitelaut  noch  später,  nämlich  erst  in  der 
neuen  Sprache:  meju  soju.  Sein  Hauptgebiet  ist  Italien:  Genova  etc.; 
altnordit.  coiititiox'O  etc.,  neumailänd.  cotiiinof,  stfülof  (Salv.  145), 
romagn.  hejei  «<  beatus,  veja,  geyugra/eja,  abbtiuvt,  musiruvös  (Mus- 
safia  §  131  ff.),  Lucca  agoro  <  laurus  (AG.  XVI,  397  ff.),  neap. 
Itiio,  fuie,  girg.  cävusa  ■<  causa  etc. 

Die  Entwicklung  des  interkonsonantischen  Gleitelautes 
unterliegt  etwas  anderen  Atembedingungen.  In  gedeckter  Silbe 
haben  wir  den  scharfgeschnittenen  Akzent;  der  Atemstrom  geht  un- 
aufhaltsam vom  Vokal  bis  zum  nächsten  Vokal  (vgl.  oben  S.  115);  die 
Entwicklung  des  Gleitelautes  ist  daher  fast  unvermeidlich  und  tat- 
sächlich ungemein  verbreitet  über  Sprachgebiete,  die  sonst  das 
verschiedenartigste  Gepräge  haben,  z.  B.  der  konsonantische  Gleite- 
laut zwischen  m-r  (inenihrar),  n-l  (wien.  Pfändet),  vi-t  [empliis]  etc. 
Der  interkonsonantische  Gleitelaut  ist  aber  nicht  ausschliefslich 
konsonantischer  Natur;  er  kann  auch  vokalisch  sein.  Die  Ent- 
wicklung eines  interkonsonantischen  vokalischen  Gleitelautes  be- 
weist, dafs  sich  ein  neuer  Schallgipfel  bildete,  und  hierdurch  kommt 
also  klar  das  Bestreben  zum  Ausdruck,  den  Silbendruck  aus- 
zugleichen, den  konsonantischen  Silbenteil  nicht  weniger  hervor- 
zuheben, als  den  vokalischen,  den  eigentlichen  Akzentträger.  Während 
interkonsonantischer  konsonantischer  Gleitelaut  kein  spezielles  Merk- 
mal irgend  einer  Sprache  abgeben  kann,  ist  der  interkonsonantische 
vokalische  Gleitelaut  charakteristisch  für  nachlassende,  resp. 
von  vornherein  geringere  Atemenergie.  Wir  beobachten  ihn 
nicht  im  Französischen  und  Rätischen.  Fürs  Französische  ist  die 
Vermeidung  vokalischer  Einschübe  zwischen  Konsonantengruppen 
geradezu  eine  Haupterfordernis  richtiger  Aussprache:  otr-»  gegen 
die  bei  Deutschen  so  beliebte  ot^r. 

Im  Provenzalischen   z.  B.    di  veiuhr;    und   so    in    vielen    nord- 


^  Nach   Mitteilungen   des  verehrten  Kollegen  Professor  Puscariii,  auT  die 
ich  mich  auch  im  Folgenden  mehrfach  stütze. 


123 

italienischen  Mundarten;  im  Piemontesischen  z.  B.  aiiler  etc.  Im 
Norditalienischen:  nördlich  vom  Lago  INIaggiore  Veri  <  Aprile 
(AG.  IX,  S.  22^);  altmailänd.  tenderelle  (Bonves.),  romagnol.  sepolcar 
feriim  <  fikmu,  ölum  <  ulmü  etc.  Im  Veronesischen  und  ver- 
wandten Mundarten:  zender  etc.  Sizil.:  Giacomo  da  Lentino  (Ant. 
Rime  Volg.  I,  i6)  adiveiie.  Sardisch:  äieru,  leptirt.  Nsard.:  nliitnu, 
turinä  (tornare),  aitiluru,  umhara,  ülumu,  arrelikimi. 

Die  Entwicklung  neuer  Schallgipfel  wie  okm,  romagn.  ulem  <C 
ULMU  usw.  beweist,  dafs  das  gekürzte  olm  wieder,  und  zwar  in 
seinem  zweiten  Bestandteil  (der  Konsonantengruppe),  gelängt  wird, 
dafs  der  Druck  sich  aus  dem  Akzentvokal  weiter  verbreitet  in  die 
Konsonanten,   daher  ein  neuer  Schallgipfel  notwendig  wird. 

Während  also  im  Norditalienischen  und  Provenzalischen  auf 
eine  Zeit  der  Synkopierung  i^Ven'^rsi)  eine  Periode  des  nachlassenden 
Atemdruckes  folgt  (Vcnd^r),  ist  im  Sardischen  von  vornherein  keine 
Kontraktion  erfolgt,  vielmehr  die  übernommene  Konsonantengruppe 
noch  durch  neue  Schallgipfel  zerlegt  worden. 

Neben  diesen  konsonantischen  und  vokalischen  Gleitelauten 
sehen  wir  dann  noch  eine  bestimmte  Reihe  von  konsonantischen 
Lauten ,  die  ihren  besonderen  Charakter  haben.  Es  sind  halb 
(resp.  ganz)  konsonantische  Gleitelaute,  die  infolge  sehr  kräftiger 
Artikulation  entwickelt  werden:  Auf  diese  Weise  entstehen  die 
eigenartigen  Formen  des  -wz'-Perfektes  im  Provenzalisch-Katalanischen: 
volui  über  voigni  mit  Assimilation  des  g  und  u  zu  gg  und  endlich 
-c\  ebenso  iolc,  crec  ac  etc.  etc.  Die  Bildung  des  u  wird  energisch 
übertrieben,  so  dafs  ein  ^-Verschlufs  entsteht.  Bei  fortdauernder 
Tendenz  zu  energischer  Artikulation  entwickelt  sich  das  gji  in  der 
eben  beschriebenen  Weise. 

Im  Spanischen  finden  wir  die  Entwicklung  von  11  >  ///- 
nn  >  nnj.  11  und  nn  werden  mit  solcher  Energie  gebildet,  dafs 
bei  Verlassen  der  Stellung  der  Gieitelaut  /  entsteht,  der  dann 
nach  und  nach  in  die  Artikulation  des  /  und  n  selbst  einbezogen 
wird.  Diese  Jotazierung  der  beiden  Liquiden  erfolgt  aber  so  spät 
und  so  unvollständig,  dafs  sie  die  Artikulation  des  vorhergehenden 
Lautes  nicht  mehr  beeinflufst,  keinen  Umlaut  und  keine  Schliefsung 
des  Vokals  hervorruft.  Das  Portugiesische  macht  von  diesen  Ent- 
wicklungen nur  die  des  n  mit. 

III.    Dehnung  der  Konsonanten. 

Die  Vergröfserung  der  Energie  in  der  Artikulation  des 
Konsonanten  geht  nicht  parallel  mit  der  Dehnung  des  Vokals. 
Das  eigentliche  Gebiet  der  Konsonantendehnung  ist  Italien  vom 
Süden  bis  zum  Norden  (ausgenommen  das  Maiiändische  und 
Piemontesische),  Rälien  und  Sardinien.  Die  übernommenen 
Dehnungen  werden  bewahrt:  it.  iutto,  rät.  iuoita,  ella,  sard. 
casteddu  etc.  etc.;  ebenso  die  durch  Assimilation  entstandenen: 
rät.  u/fiern  <C  infernu,  it.  e/e//o,  engad.  /ei/a,  sard.  assutta  (<<  AD 
SUBT-),    it.    Otto,    sard.    ottu,    eng.  oick    (AG.   I,    S.  208),    sard.  siz. 


124 

kaimo  etc.  etc.  Es  erfolgt  Dehnung  vor  Liquida:  it.  lahhro  etc., 
vor  /:  rät.  it.  sappia,  mazzar(c),  palazzo,  sard.  pezza  etc.  etc.,  rät. 
chaminier  <  CAMßlARE,  asiz.  perüglioso  u.  a.  (Giac.  de  Lentino  Ant.  Rime 
Volg.  I).  Dehnung  vor  dem  Akzent:  it.  seppdire,  hicch.  genne- 
rasionc  u.a.  (AG.  XVI,  397  ff.).  Dehnung  nach  dem  Aiizent, 
speziell  bei  den  Perfektformen:  ehhi,  seppi  etc.,  eine  Dehnung, 
die  auf  Assimilation  beruht,  tatsächlich  aber  in  den  andern  Sprachen 
nicht  stattfindet,  ausgenommen  das  Provenzalisch-Katalanische,  wo, 
wie  eben  besprochen,  die  Assimilation  erst  nach  der  Entfaltung  des 
Gleitelautes  eintreten  kann,  also  ein  wesentlich  späterer  Vorgang 
ist,  der  eine  sekundäre  Veränderungstendenz  der  Sprache  voraus- 
setzt. Wir  konstatieren  dort  also  einen  Assimilationsprozefs,  der  zur 
Doppelung  des  Konsonanten  und  dann  (im  sekundären  Auslaut) 
wieder  zur  Vereinfachung  führt.  Sonst  zeigen  Provenzalisch-Kata- 
lanisch  in  alter  Zeit  keine  Neigung  zur  Konsonanten -Doppelung, 
vielmehr  vereinfachten  sie  die  im  älteren  Sprachstadium  gewonnenen: 
\)Xov.apella  etc.;  auch  vor  Liquida  trat  keine  Dehnung  ein:  cat  sapia  etc. 

Das  Spanische  ist  der  Konsonantendehnung  im  ganzen  ab- 
geneigt; es  kürzt  die  Konsonanten,  wo  es  sie  gedehnt  übernimmt. 
Nur  die  Liquiden  sind  lang;  r  wird  gedehnt.  Im  übrigen  sind  die 
Konsonanten  kurz;  der  Vokal  vor  dem  ehemals  gedehnten  Kon- 
sonanten wird  jetzt  etwas  gedehnt  gesprochen,  ohne  dafs  man  eine 
Veränderung  der  Artikulation  konstatieren  könnte. 

Im  Portugiesischen  fehlen  alle  Dehnungserscheinungen  der 
Akzent-  und  Nebenakzentsilbe.  Französisch  zeigt  in  alter  Zeit 
keinerlei  Neigung  zur  Konsonantendehnung,  vielmehr  wurden  die 
übernommenen  Doppellaute  gekürzt;  und  ebensowenig  bietet  das 
Rumänische. 

IV.  Es  bleibt  noch  ein  Wort  über  die  Verlängerung  des 
Auslautes  zu  sagen. 

Auch  diese  sprachliche  Veränderung  ist  ein  Symptom  gleichen 
Interesses  an  akzentuierten  und  nicht  akzentuierten  Silben.  Je 
schärfer  der  Wunsch  nach  Hervorhebung,  desto  schroffer  bricht 
das  Wort  ab;  die  Verlängerung  nach  dem  Akzent  findet  sich  nur 
in  den  Sprachen,  in  denen  keine  Neigung  zur  Verschärfung  des 
Akzentes  nachweisbar  ist:  im  Rumänischen,  z.  B.  sase,  miere 
ftere'.  im  Sardischen:  com  (-0,  -e),  feie,  inele ;  etil,  esii,  sunfi,  asard. 
dane,  amaäa  (-<  amat  in  Pausa) ;  nachvokalisch:  illoi,  ädoi  (vgl.  Wagner 
S.  62ff.);  im  Italienischen:  Neapolitanisch: /«/c,  Altumbrisch: 
voie,  noi'e,  Rugieri  d'Amici  (Ant.  Rime  Volg.  I)  essere.,  Messer  Rinaldo 
d'Aquino,  ebd.  I,  92  sone  <  sunt,  97  meve,  Kaiser  Friedrich  IL  ebd. 
142  mene  etc.  Guittone  d'Arezzo  (ebd.  II)  none,  spene,  tue  etc.  Im 
Schriftitalienischen  und  in  zahlreichen  Dialekten  die  Endung  der 
3.  Pers.  PI.  -Otto  -ano,  cuore,  fiek,  mie/e  u.  a. 

B.    Kürzungen. 
Nach    den    Dehnungserscheinungen    sind    die   Kürzungen    vor 
und  nach  dem  Akzent  wichtig  zur  Beurteilung  des  Wachsens  oder 


»25 

Sinkens  der  Atemstärke.  Die  Dehnungserscheinungen  bereiten  sich 
langsamer  vor,  in  der  Anlage  sind  sie  natürlich  gleich  alt. 

Die  Kürzungen  werden  entweder  im  Inlaut  vorgenommen 
(Synkopierung),  oder  in  der  Fuge  der  Wortgruppen,  im  Anlaut 
oder  im  Auslaut  der  einzelnen  Wörter.  Es  mufs  dabei  gleich 
hervorgehoben  werden,  dafs  die  Kürzungen  nur  in  den  Sprachen 
stattfinden,  in  denen  die  Wörter  als  Einzelbestandteile  der  Rede 
empfunden  werden.  Der  exspiratorische  Druck  bildet  aus  jedem 
Worte  oder  aus  kleinen  Wortgruppen  {z.  B.  Artikel  +  Substantiv) 
eine  Einheit,  innerhalb  deren  der  Akzent  zu  seinem  Gipfel  steigt 
und  von  da  wieder  abfällt.  Diese  Einheiten  bleiben  untereinander 
unvermischt  und  der  Auslaut  der  einen  wirkt  nicht  auf  den  An- 
laut der  anderen,  vielmehr  hängen  sowohl  Auslaut  als  Anlaut  jeder 
einzelnen  Einheit  von  ihrem  eignen  Akzente  ab.  Wir  bemerken 
also,  dafs  die  durch  den  Akzent  hervorgerufenen  Kürzungen 
nicht  gleichzeitig  mit  den  Sandhierscheinungen  auftreten. 
Dafs  die  Wirkungen  beider  Vorgänge  in  demselben  Sprachzustande 
anzutreffen  sind,  beweist  natürlich  nichts  gegen  die  Richtigkeit  dieser 
Aufstellung,  bewahrt  die  Sprache  doch  Spuren  aus  verschiedenen 
Bildungsstadien  durch  aufserordentlich  lange  Zeiträume.  Auch  können 
noch  nach  einer  Richtung  Entwicklungen  infolge  semantischer 
Analogien  stattfinden,  während  die  physiologische  Veränderungs- 
tendenz schon  eine  andere  Richtung  einschlägt.  Hier  nun  läfst  sich 
sagen:  Eine  Sprache  hat  entweder  Synkopierungstendenzen,  oder  sie 
hat  Sandhitendenzen.  Dies  ist  an  sich  ja  ganz  begreiflich.  Die 
Sandhierscheinungen  sind  nur  da  möglich,  wo  nicht  jedes  Wort  für 
sich  besteht  sondern  die  Sprache  in  mehr  oder  minder  ungehindertem 
Flufse  aus  einer  Worteinheit  in  die  andere  übergeht.  Wenn  der 
Auslaut  des  einen  Wortes  und  der  Anlaut  des  folgenden  auf- 
einander wirken  sollen,  so  müssen  alle  Silben  gleichstark  im  Be- 
wufstsein  existieren;  die  Silbenhervorhebung  darf  nicht  in  dem  Mafse 
vereinheitlicht  sein,  dafs  darüber  alle  andern  Silben  vernachlässigt 
werden.  Der  exspiratorische  Druck  bewirkt  Worttrennung; 
je  geringer  der  exspiratorische  Druck  ist,  desto  leichter 
fliefsen  die  Wörter  ineinander. 

Die  Sandhierscheinungen  sind  also  offenbar  mit  dem  Herrschen 
des  stark  exspiratorischen  Druckes  nicht  vereinbar;  sobald  eine 
Silbe  in  einer  gröfseren  Silbengruppe  besonders  hervorgehoben 
wird,  verändern  sich  nicht  alle  Silben  gleich;  bei  stark  akzen- 
tuierenden Sprachen  ist  eben  die  Wortscheidung  gröfser  als  bei 
schwach  akzentuierenden.  Wo  aber  eine  Silbe  nicht  besonders 
hervorgehoben  wird,  verändern  sich  alle  Silben  gleichmäfsiger. 
Daher  sind  die  Sandhierscheinungen  hier  begreiflicherweise  in  viel 
höherem  Mafse  vorhanden.  Es  ist  somit  von  vornherein  anzunehmen, 
dafs  wachsender  exspiratorischer  Druck  die  Sandhierscheinungen  ein- 
schränkt. Synkopierungs-  und  Sandhierscheinungen  stehen, 
wie  sich  herausstellt,  im  umgekehrten  Verhältnis  der  Häufig- 
keit; sind  die  einen  stark  vertreten,  so  sind  eben  deshalb  die  andern 


126 

nicht  vorhanden.  Die  Sandhierscheinung  beweist  mehr  als  alle 
andern  die  geringe  Hervorhebung  einzelner  Silben  auf  Kosten  der 
übrigen;  es  sind  mehr  oder  weniger  gleichwertige  Redeteile,  die 
aufeinander  wirken.  In  denjenigen  Sprachen,  die  Sandhierscheinungen 
aufweisen,  sind  die  einzelnen  Redeteile  noch  Jahrhunderte  hindurch 
gleichwertig  geblieben,  während  in  den  andern  Sprachen  die  stärksten 
Differenzierungen  vorgenommen  wurden.  Die  allgemeine  Sprach- 
geschichte scheint  diese  Aufstellung  zu  bestätigen.  Wir  kennen  die 
starken  Sandhierscheinungen  und  den  geringen  exspiratorischen  Druck 
des  Sanskrit ;  im  Altgriechischen  haben  wir  weit  mehr  Sandhivorgänge 
als  im  Lateinischen  und  für  die  romanischen  Sprachen  kann  geradezu 
der  Satz  von  der  umgekehrten  Proportion  beider  Phänomene  auf- 
gestellt werden.  Er  verträgt  sich  wohl  auch  mit  den  Beobachtungen, 
die  wir  im  Keltischen  machen  können.  Deutlich  zeigt  uns  diesen 
Wechsel  der  Vorgänge  das  Ali  französische;  auf  die  Synkopierungs- 
periode  folgt  eine  Periode  der  Veränderung  des  Auslautes,  der  in 
dem  früherem  Zeitabschnitt  intakt  bewahrt  worden  war.  i  Eine 
eingehendere  Untersuchung  auf  nicht  romanischen  Sprachgebieten 
lag  leider  meinem  Arbeitsfelde  zu  fern.  Doch  glaube  ich,  den  all- 
gemeinen Satz  aufstellen  zu  dürfen:  Die  Zeiten  des  gröfseren 
exspiratorischen  Druckes  wechseln  mit  Perioden,  in  denen  das 
Sandhi  zunimmt;  sie  fallen  nicht  zusammen. 

Was  die  Synkopierung  anbelangt,  so  ist  es  von  vornherein 
klar,  dafs  sie  mit  der  Druckvergröfserung  im  engsten  Zusammen- 
hang steht.  Je  intensiver  der  exspiratorische  Druck  auf  der  Akzent- 
silbe liegt,  desto  mehr  werden  die  unmittelbar  vorhergehende  und 
die  nachfolgende  Silbe  vernachlässigt. 

Es  ist  nun  sehr  bemerkenswert,  dafs  viel  mehr  romanische 
Sprachen  die  vorakzentische  Silbe  kürzen,  als  die  nachakzentische. 
Der  vorwärtseilende  Akzent  vernachläfsigt  alles  auf  dem  Wege  zur 
Hervorhebungssilbe;  viel  weniger  sind  die  nachakzentischen  Silben 
gefährdet,  wo  die  Natur  des  Konsonanten  für  die  Möglichkeit  der 
Synkopierung  mafsgebend  wird. 

Die  Tendenz,  vorakzentische  Silben  zu  kürzen  ist 
also  gröfser  als  die,  nachakzentische  zu  verwischen. 
Auch  hier  ist  Wortteilung  offenbar.  Der  Akzent  eilt  zum  Haupt- 
druck, aber  nach  dem  Druck  ist  die  Hervorhebungstendenz  befriedigt. 
Die  Nachakzentsilben  sind  der  Zerstörung  viel  weniger  ausgesetzt 
als  die  Vorakzentsilben.  Charakteristisch  ist  z,  B.  fürs  Romagnolische, 
die  Mundarten  nördlich  vom  Lago  Maggiore  {vde,  sren  <,  serenu 
sru  <  SORORE  etc.)  der  Unterschied  der  Konsonantenhäufung  vor 
und  nach  dem  Druck.  Nach  dem  Druck  ist  die  „Empfindlichkeit" 
für  die  Art  der  Gruppe  viel  gröfser,  d.  h.  die  Neigung  zur  Syn- 
kopierung ist  unendlich  geringer.  Vor  dem  Druck  kommen  sehr 
harte   Verbindungen    heraus,    die    nachträglich    wieder    erleichtert 


^  Vgl.    G.  Gröber,    Eine  Tendenz    der    französischen    Sprache,    Miscell. 
Ascoli. 


127 

werden,  d.  h.  eine  sehr  energische  Synkopierungstendenz  wird  später 
durch  eine  Nivellierungstendenz  der  Silben  abgelöst.  Die  Einführung 
eines  neuen  Schallgipfels  bedeutet  eine  Verminderung  der  Ein- 
heitlichkeit in  der  Silbenhervorhebung.  Dies  ist  das  spätere  Stadium, 
das  auf  die  Tendenz  der  Ungleichmachung  der  Silben  folgt. 

Das  Hauptgebiet  der  Synkopierung  ist  Frankreich,  Rätien  und 
in  Norditalien  die  Emilia.  Im  Emilianischen  erfolgt  sie,  man  möchte 
sagen,  mit  elementarer  Gewalt  ohne  Rücksicht  auf  die  sich  aus  ihr 
ergebenden  Konsonantengruppen,  die  in  einer  späteren  Sprach- 
periode —  wie  oben  besprochen  —  durch  Einführung  neuer 
Schallgipfel  erleichtert  werden. 

Im  Französischen!  ist  im  ganzen  der  Drang  zu  synkopieren 
grofs  und  er  ist  früher  durchgesetzt  worden  als  viele  andere  Folge- 
erscheinungen des  exspiratorischen  Druckes  nachweisbar  sind.  Die 
Kette  der  Synkopierungen  vom  Altlateinischen  her  ist  nicht  unter- 
brochen: culu  >  chi\  cupressiis  etc.;  caldus  etc. 

Vor  dem  Akzent  kann  Synkopierung  nur  vor  -st  stattfinden. 
Vor  anderen  Konsonantengruppen  bleibt  e  (resp.  z).  Die  Syn- 
kopierung fand  vor  Erweichung  der  Tenuis  statt;  aber  k  scheint 
schon  g  gewesen  zu  sein. 

Im  Provenzalischen  zeigt  sich  die  Silbenhervorhebung  insofern 
weniger  energisch,  als  die  unmittelbar  auf  den  Akzent  folgende 
Silbe  nicht  allemal  vernachlässigt  wird,  sondern  umgekehrt  ihre 
Vernachlässigung  sehr  stark  von  der  Beschaffenheit  der  Kon- 
sonanten abhängt,  die  in  den  nachakzentischen  Silben  stehen ;  man 
formuliert  den  Ausdruck  gewöhnlich  so,  dafs  man  sagt,  die  Syn- 
kopierung erfolge  nicht,  wenn  die  Konsonantengruppe,  die  dadurch 
entstünde,  dem  Sprachgebrauch  nicht  genehm  wäre.  Die  Annahme 
einer  solchen  vorschauenden  und  vermeidenden  Kraft  in  der  Ver- 
änderungstendenz hat  etwas  nicht  ganz  Überzeugendes.  Es  ist  vielleicht 
physiologisch  richtiger  zu  sagen,  dafs  die  Synkopierungstendenz  am 
ungehindertsten  bei  den  Halbkonsonanten  auftritt,  vor  allem  bei  Liqui- 
den, wo  der  Atemstrom  ohne  Hindernis  von  der  ersten  Silbe  über  die 
zweite  zum  Konsonanten  der  dritten  läuft  (oder  wo  der  Halbkonsonant 
am  Anfang  der  dritten  den  Schallgipfel  der  zweiten  leicht  entbehren 
und  einbüfsen  kann).  Welche  Konsonanten  der  Energie  des  Atem- 
stromes eine  gröfsere  Stauung  entgegensetzen,  hängt  von  der 
einzelnen  Sprache  ab  und  in  vieler  Hinsicht  wird  man  die  Beweis- 
führung umdrehen  und  aufstellen  können:  wenn  in  einer  Sprache 
ein  bestimmter  Laut  der  Energie  des  Atemstromes  diesen  Wider- 
stand entgegensetzt,  so  ist  das  eben  charakteristisch  und  gestattet 
einen    Schlufs   auf   die    Art   seiner   Artikulation. 2      Ist    die    Hervor- 

*  Vgl.  Hist.  Gram,  der  franz.  Sprache,  §  127  ff. 

*  Vgl.  die  Untersuchungen  E.  A.  Meyev's,  Neuere  Sprachen  IV,  l8fi".  über 
die  Wirkung  des  silbenschliefsenden  Konsonanten  auf  die  Tonkurve  des  Vokals. 
Je  mehr  exspiratorische  Kraft  der  Konsonant  in  Anspruch  nimmt,  um  so 
geringer  wird  die  Wirkung  auf  den  Anstieg  resp.  Abfall  der  Tonbewegungs- 
kurve des  Vokals. 


128 

hebungstendenz  sehr  kräftig,  so  örfolgt  die  Synkopierung  natürlich 
früher,  und  zwar  vor  der  Tönendmachung  der  tonlosen  Laute. 
So  romagnolisch,  rätisch,  französisch.  Im  Provenzalischen  hingegen 
setzt  z.  B.  -p-  im  Anlaut  der  zweiten  Silbe  dem  Atemstrom  eine 
so  kräftige  Grenze,  dafs  es  —  man  könnte  sagen  —  wie  ein  Wall 
die  folgende  Silbe  schützt.  Der  Schallgipfel  wird  nicht  unterdrückt; 
so  bleibt  das  p  intervokalisch  und  entwickelt  sich  entsprechend. 
Andrerseits  ist  das  rhythmische  Interesse  nicht  an  allen  Silben 
gleich  grcfs,  vielmehr  erlahmt  es  im  Verlauf  der  Nachakzentsilbe. 
Daher  wird  die  zweite  Silbe  nach  dem  exspiratorischen  Druck  ver- 
nachlässigt und  schwindet. 

Der  Unterschied  der  Synkopierung  im  Französischen  und 
Provenzalischen  besteht  darin,  dafs  das  Provenzalische  den  Neben- 
akzent der  letzten  Silbe  vermindert  zugunsten  der  vorletzten.  Es 
lälst  den  Akzent  nach  der  Hervorhebung  der  Hauptsilbe  nicht  so 
tief  sinken,  oder  vielmehr,  es  reifst  die  Hauptsilbe  nicht  so  stark 
hervor.  Dadurch  bleibt  dann  die  Pänultima  erhalten,  während  die 
Ultima  fällt;  der  Widerstand  bei  gewissen  Konsonanten  ist  gröfser 
als  im  Französischen,  wo  der  Kürzungstrieb  in  erster  Linie  schafft. 
So  bleiben  im  Provenzalischen  alle  Silben  mit  Spirant  in  der  Anlaut- 
silbe; alle  mit  n  in  der  Auslautsilbe.  Je  weiter  nach  Süden  desto 
deutlicher  tritt  die  Abneigung  gegen  Synkopierung  hervor. 

Das  Katalanische  steht,  wie  immer,  auf  einer  Mittelstufe,  es 
synkopiert  in  einigen  Fällen,  und  zwar  mit  Entwicklung  des  Gleite- 
lautes. 

Das  Spanische  synkopiert  ohne  diese  Begleiterscheinung, 
z.  B.  viernes.  Die  Synkopierung  tritt  zwar  ein,  aber  die  Artikulation 
ist  nicht  so  energisch,  dafs  sie  zur  Entwicklung  des  Gleitelautes 
führen  würde.  Man  erreicht  eine  von  selbst  gleitende  Artikulations- 
folge, indem  die  Verschlufs-  resp.  Engenbildung  ans  Ende  der 
Konsonantengruppe  gerückt  wird:  rn,  ebenso  dl  >>  /(/. 

Einem  späteren  Entwicklungsstadium  gehören  die  Fälle  an, 
die  dieser  Aufstellung  zu  widersprechen  scheinen:  honibre  hembra 
etc.  Denn  homne  ist  ja  altspanisch  belegt;  dieses  wird  dissimiliert  zu 
homre  und  dann  erst  entwickelt  sich  der  Gleitelaut. 

Die  Synkope  tritt  nicht  ein  nach  zwei  Konsonanten.  Der 
Atemdruck  ist  also  dann  nicht  mehr  so  intensiv,  dafs  er  über  die 
zweite  Silbe  weg  für  die  Bildung  des  folgenden  Konsonanten  reichte: 
hosp-t-e  kann  sich  im  Französischen  entwickeln,  nicht  im  Spanischen. 
Der  zweite  Schallgipfel  bleibt  erhalten  und  daher  die  nachakzentische 
Silbe. 

Die  spanische  Synkopierung  steht  unter  dem  Zeichen  der  nicht 
über  zwei  Konsonanten  hinwegreichenden  Stärke  des  Exspirations- 
stromes.  Er  erlahmt  im  zweiten  Konsonanten.  Es  entspricht  den 
Beobachtungen,    die   z.  B.  Bourdoni  gemacht  hat,   dafs  auch  nach 


*  Application   de   la   methode   graphique   ä  l'dtude   de   l'intensite   de   la 
voix,  L'Annee  psychol.  1S98,  S.  3693". 


129 

/  keine  Synkopierung  eintritt.  Das  f  erfordert  nämlich  neben  / 
die  gröfste  Intensität.  Die  Synkopierung  nach  y"  erfolgt  im  Spanischen 
und  Provenzalischen  gar  nicht,  sondern  nur  im  Französischen.  Und 
hier  ist  es  auffallend,  dafs  die  Synkopierung  erst  nach  der  Zeit 
der  Diphthongierung  der  offenen  Vokale  eintritt,  also  später  als  in 
den  andern  Fällen,  vgl.  jiießie,  Estiefne,  iiMe,  das  *iievede  voraussetzt, 
ehe  vd  >  dd  >  d  werden  konnte.  Es  scheint  also  auch  hier  die 
»-Artikulation  der  Synkopierung  gröfseren  Widerstand  entgegengesetzt 
zu  haben.    Vgl.  dagegen  gendre,  dompte  <[  domitat  etc. 

Andrerseits  ist  aber  doch  auch  im  Spanischen  und  im  Pro- 
venzalischen die  Hervorhebung  der  Drucksilbe  stärker,  als  dafs  zwei 
folgende  Silben  gleichwertig  bleiben  könnten.  So  entscheiden  sich 
beide  Sprachen  in  diesem  Falle  für  die  zweite  zu  Ungunsten  der 
letzten  Artikulationsphase. 

Die  spanische  Synkopierung  erfolgt  nach  der  Erweichung  der 
Tenues :  caudal.  Die  Neigung  zur  Synkopierung  ist  so  schwach,  dafs 
ihr  die  Ausgleichung  der  Infinitivtypen  zuvorkommt.  Das  Spanische 
bevorzugt  *legire  über  Uglre  usw.  Die  Entwicklung  der  Verben  mit 
-ng-  zeigt  deutlich,  dals  die  Akzentverschiebung  nach  der  Ver- 
änderung von  ^Tigere  zu  —njere  stattfand  (wäre  sie  vorher  erfolgt, 
so  würden  diese  Stämme  -rtz-  aufweisen,  vgl.  enzia  <C  gingiva,  seti- 
zillo  <C  *äiNGELLUs,  Berzeo  <C  vekgegiu  etc.,  esparci'r,  uncir,  asp. 
terzer,  in  denen  die  endungsakzentuierte  Form  verallgemeinert 
wurde;  vgl.  auch  renzilla  neben  reiiir,  das,  wie  die  Mehrzahl  der 
-«^-Verben,  zum  späteren  Typus  gehört)  und  dafs  damals  die  Syn- . 
kopierung  fern  lag.  Die  Hervorhebung  der  Akzentsilbe  überragte 
also,  wie  man  sieht,  die  Nachakzentsilbe  nicht  in  dem  Mafse,  dafs 
nicht  noch  Entscheidung  zu  gunsten  dieser  letzteren  möglich  ge- 
wesen wäre. 

Im  Portugiesischen  sind  die  Verhältnisse  zunächst  wie  im 
Spanischen.  Die  Trennung  der  beiden  Sprachen  ist  erst  nach  der 
Synkopierung  vor  sich  gegangen.  Daher  weist  das  Portugiesische 
nur  spätere  Spezialentwicklungen  auf  Seit  neuerer  Zeit  läfst  sich 
hier  die  Tendenz  zu  einheitlicherem  Silbendruck  beobachten.  Die 
Synkopierung  nimmt  zu.  Sehr  lehrreich  ist  es,  wo  sie  sich  vor 
allem  einstellt:  trive  •<  tekebellum,  praiso,  crda,  fruncho  und  so 
bei  d — r,  g — r,  h — r\  ferner  im  Hiatus.  Ebenso  beim  nachakzen- 
tischen  Vokal:  vivra  •<  vifera.     So  war  es  zu  allen  Zeiten. 

Die  Akzentverhältnisse  sind  also  im  ganzen  im  Portugiesischen 
wie  im  Spanischen;  nur  in  einigen  Punkten  weicht  es  ab  und  da 
meist  erst  im  späteren  Mittelalter.  Zusammenfall  von  Hiatusvokalen 
ist  natürlich  portugiesische  Spezialentwicklung;  diese  hängt  aber 
nicht  mehr  von  dem  exspiratorischen  Druck  ab,  der  aus  dem 
Lateinischen  übernommen  wird. 

Den  Sprachen  mit  schwachem  exspiratorischem  Druck 
widerstrebt  Synkopierung:  Sardisch,  Süd-  und  Mittel-Italienisch, 
Rumäriisch    synkopieren    nicht    oder   doch   nur   in  geringem  Mafse. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXVII.     (Festschrift.)  y 


»30 

Der  Schwund  des  nachakzentischen  Auslautes  hin- 
gegen ist  gradatim  zu  finden;  am  bedingungslosesten  in  den  stark 
synkopierenden  Sprachen,  am  geringsten  in  den  nicht  synkopierenden. 
Es  ist  nicht  nötig,  wieder  alle  Sprachen  daraufhin  durchzugehen, 
es  möge  nur  eine  Bemerkung  über  das  Verhalten  des  Spanischen 
Platz  finden. 

Allgemeiner  Verlust  des  auslautenden  Vokals  unmittelbar  nach 
dem  Akzent  ist  charakteristisch  für  den  nordspanischen  Dialekt,  für 
leonesisch-aragonesische  Texte. 

Im  Kastilianischen  ist  der  Abfall  des  auslautenden  Vokals 
Regel  nach  r  l  n  s  z  (t)  d,  *  wenn  er  spätlat.  e  i  war.  Die  Artiku- 
lation eines  tönenden  Lautes  wird  auf  Kosten  des  nachfolgenden 
vokalischen  gebildet,  aufser  wenn  es  sich  um  a,  o  handelt.  Das 
artikulatorische  Interesse  ist  also  nur,  wenn  0  o  im  Sinne  sind,  rege 
genug,  um  dem  Verbrauch  der  ganzen  artikulatorischen  Kraft  im 
Konsonanten  entgegenzuwirken.  Das  c*»  wird  erst  tönendes  z,  das 
/  erst  d,  ehe  der  Abfall  des  nachfolgenden  Vokals  zu  konstatieren 
ist.  Man  artikuliert  also  (mindestens)  zwei  tönende  Laute,  Vokal 
-\-  l  n  r  s  z  d,  und  vernachlässigt  die  folgende  vokalische  Artiku- 
lation, sobald  sie  ein  e  sein  soll,  während  a  überall  die  Aufmerksam- 
keit mehr  auf  sich  zieht,  fester  in  der  Sprachgewohnheit  haftet, 
wenn  man  so  sagen  darf,  „lieber"  ausgesprochen  wird,  als  die 
anderen  Laute.  Zu  bemerken  ist  nur,  dafs  -0  mit  -a  geht,  nicht 
mit  -e,  -i.  Es  mufs  eine  starke  Ausgabe  an  tönender  Kraft  vor- 
gelegen haben;  so  wie  ein  Halbkonsonant  vorausgeht  oder  nach- 
folgt, bleibt  die  Erhaltung  des  Schallgipfels  im  Nachlaut  gesichert: 
e//e  ^  ell-j-e. 

Damit  stimmen  die  im  Cid  vorhandenen  Formen  der  2.  Ps.  perf. 
fust,  prisist  nicht,  wenn  man  sie  für  echt  kastilianische  nimmt.  Man 
sieht,  dafs  der  Abfall  nach  tönendem  Konsonanten  wirklich  kastilia- 
nischem  Sprachgebrauch  entspricht,  denn  er  hat  sich  erhalten;  der 
Abfall  nach  tonlosem  Konsonanten  aber  entspricht  ihm  nicht,  und 
es  ist  daher  wahrscheinUch,  dafs  diese  Formen  zu  den  nicht  echt 
kastilianischen  des  Gedichtes  gehören.  Formen  mit  -e  stehen  neben 
ihnen. 

Im  Norditalienischen  finden  wir  ein  Zunehmen  der  Abfalls- 
tendenz seit  dem  Mittelalter.  So  hat  der  Abfall  des  auslautenden 
Vokals  seit  Bonvesin  Fortschritte  gemacht;  jetzt  ist  die  Nachakzent- 
silbe  geschwunden,  die  Oxytonierung  hat  sich  daher  ausgebreitet. 
Aber  nicht  auch  die  Synkopierung.  Vielmehr  sind  die  Proparoxytona 
nur  durch  Abfall  der  Ultima  gekürzt  worden  und  auch  das  erst 
später:  aus  coser  (kochen)  >»  cos  usw.,  iogliere  >>  toeu  (Cherubini). 

Auch  im  Portugiesischen  beobachten  wir  seit  dem  Mittelalter 
eine  Neigung  zur  Verkürzung,  sowohl  im  Anlaut  als  im  Auslaut; 
man  kann  die  Veränderungstendenz  des  Portugiesischen  charakteri- 


1  Vgl.  Men6ndez  Pidal,  CanUr  de  Mio  Cid,  I  S.  262  ff. 


13? 

sieren  als  eine  Zentralisierung  des  Interesses  auf  den  Mittelteil  der 
Artikulation. 

Gehen  wir  nun  zum  Gegenstück  der  Synkopierung,  zu  den 
Sandhierscheinungen,  über. 

Die  sogenannte  Satzphonetik  ist  gering  im  Rätischen:  doch 
aber  vorhanden,  vgl.  dad  el  neben  da  cons  und  einige  andere;  im 
Französischen:  Abfall  des  -c  in  syntaktischen  Verbindungen  gegen 
Bewahrung  in  Pausaform;  Verstummen,  resp.  Abfall  vor  i  d  s,  nach 
den  Darlegungen  in  der  Französischen  Grammatik,  §  184 ff.,  vgl. 
oben  S.  126;  im  P  rovenzalischen  und  Katalanischen,  wo 
erst  in  neuerer  Zeit  einige  Fälle  zu  verzeichnen  sind. 

Im  Spanischen  haben  wir  aus  alter  Zeit  geringe  Spuren  von 
Satzphonetik:  jio  lo  <  nos  lo  u.  a.  In  der  modernen  Sprache  ist 
das  auslautende  s  resp. -i"  nicht  abhängig  von  der  folgenden,  sondern 
von  der  vorhergehenden  Artikulation,  da  nach  /  e  das  -s  und  nur 
nach  a  0  das  -s  hörbar  ist.  Aber  so  wie  das  auslautende  -s  in 
Pausa  kräftiger  artikuliert  wird  als  vor  einem  folgenden  Laute,  so 
wird  auch  das  -s  in  Pausa  länger  beibehalten  als  im  Satzinnern.  In 
Andalusien  z.  B.  ist  auslautendes  -.y  nur  noch  in  Pausa  vorhanden, 
im  Satzinnern  vor  konsonantischem  Anlaut  ist  es  verstummt.  In 
einigen  westlichen  Dialekten,  die  ans  Portugiesische  angrenzen,  ist 
Assimilation  des  Auslautes  an  folgenden  Anlaut  Regel,  so  in  Estre- 
madura  und  Salamanca  (Men.  Pidal,  El  dialecto  leones  S.  37,  ceid- 
aTws  =  seis,  anteh-de  =  antes  usw.). 

Im  Portugiesischen  wird  u.  a.  das  auslautende  -s  je  nach 
dem  folgenden  Laute  modifiziert. 

In  allen  norditalienischen  Sprachen  alter  oder  neuer  Perioden 
wie  im  Dalmatischen  ist  kaum  eine  Spur  von  Sandhierscheinungen 
zu  finden.  Im  Rumänischen  gibt  es  Sandhivorgänge,  deren 
Spuren  dem  in  Pausa  gesprochenen  Worte  nicht  mehr  anhaften. 
Das  eigentliche  Gebiet  der  Sandhierscheinungen  ist  Mittel-  und 
Süditalien  und  Sardinien,  Es  ist  nicht  nötig,  dies  durch  Bei- 
spiele zu  erhärten. 

Die  Kürzung  des  An-  und  Auslautes  ist  nicht  nur  als  Kürzung 
der  Silbe  zu  verstehen.  Es  handelt  sich  auch  darum,  ob  die 
artikulatorische  Energie  bis  zur  letzten  überlieferten  Stellung  in  der 
letzten  Silbe  des  Wortes  ausreicht.  In  diesem  Punkte  ist  es  nun 
wieder  sehr  wichtig  für  die  artikulatorische  Abänderung,  ob  die  be- 
treffende Sprache  die  Wörter  trennt,  oder  nicht.  Gibt  es  scharf 
getrennte  einzelne  Wörter,  so  haben  wir  Bewahrung  resp. 
Verlust  der  an-  oder  auslautenden  Artikulation,  je  nach  dem 
Mafse  des  Silbendruckes;  wo  die  Wörter  aber  nicht  scharf  ge- 
trennt werden,  haben  wir  es  nicht  mit  Abfall,  sondern  mit  Assimi- 
lation zu  tun.  In  einer  Sprache  mit  steigendem  Druck  trennen 
sich  die  einzelnen  Wörter  voneinander  und  zentralisieren  sich  an 
irgend  einem  Punkte  ihrer  Artikulation;  die  Rücksicht  auf  die 
vorhergehenden  und  nachfolgenden  Artikulationen  ist  gering;  es 
treten  Kürzungen  ein,  entweder  in  bezug  auf  Laute  oder  auf  Laut- 


132 

gruppen.  Bei  nachlassendem  Silbendruck  dagegen  herrscht  eine 
gewisse  Neigung  zum  Ausgleich  der  Silbenwerte;  nicht  nur  wird 
dann  von  den  an-  und  auslautenden  Artikulationen  keine  auf- 
gegeben, sondern  umgekehrt  gewahren  wir  eine  gewisse  Ver- 
längerungstendenz der  Artikulation. 

Parallel  hierzu  geht  natürlich  auch  die  Behandlung  der  vor- 
und  nachakzentischen  Vokale  in  bezug  auf  Schaliverstärkung 
resp.  Verminderung  (oder  Erhöhung)  der  Muskelspannung. 
Je  lebhafter  der  nichtakzentuierte  Vokal  in  der  Vorstellung  des 
Sprechenden  ist  (also  je  ausgeglichener  der  Silbendruck),  desto 
mehr  wächst  die  Möglichkeit,  seinen  Schall  zu  verstärken.  Den 
Sprachen  mit  starkem  Silbendruck  liegt  demnach  Schallverstärkung 
fern;  so  ist  sie  dem  Habitus  des  Französischen  vollständig  entgegen- 
gesetzt. Das  Französische  hat  die  Tendenz,  den  nichtakzentuierten 
Laut  zu  schwächen,  nicht,  ihn  zu  stärken. 

Das  Provenzalische  kennt  diese  Schallverstärkung,  vgl.  davas, 
marce,  dalgai,  das  Katalanische  liebt  sie;  hier  finden  wir  auch 
7^  ]>  ö  in  ponir,  orina,  foyr  usw. 

Im  Spanischen  wird  vielmehr  vorakzentisches  o  ~^  u,  e  '^  i 
(lugar  u.  ä.;  es  soll  hier  nicht  vom  Umlaut  die  Rede  sein!),  es  findet 
also  eine  Erhöhung  der  Muskelspannung  statt;  nach  dem  Akzent 
hingegen  entwickelt  sich  i  >>  e.  Historisch  betrachtet  ist  die  erste 
dieser  Erscheinungen  die  Gegenströmung  zur  zweiten;  diese  letztere 
datiert  nämlich  tatsächlich  aus  einer  früheren  Zeit  und  zeigt  uns 
noch  das  Wirken  des  Silbendruckes  in  der  im  Spanischen  ursprüng- 
lichen Kraft.  Sie  bekundet  ein  nachlassendes  Interesse  an  der 
Endartikulation,  dem  das  gänzliche  Aufgeben  der  Endartikulation 
in  den  besprochenen  Fällen  entspricht.  Aus  der  späteren  Zeit,  in 
der  der  Silbendruck  wieder  nachläfst,  stammt  dann  die  Entwicklung 
der  vorakzentischen  Laute,  die  wir  jetzt  sehen. 

Im  Portugiesischen:  Schallschwächung  in  den  Ausgängen 
-ote  -ate  «<  -o  usw.,  Erhöhung  der  Muskelspannung  im  Vorakzent: 
0  >  «,  (?  ^  ?'. 

Im  Rumänischen  erfolgt  ebenfalls  Erhöhung  der  Muskel- 
spannung vor  dem  Akzent:  o  >•  w,  a  >  5  ?  {bärhäl,  tirziu),  e  "^  i 
(besonders  in  den  Dialekten),  Schallabschwächung  im  Auslaut: 
a  >  ä. 

Im  Romagnolischen  desgleichen  e  '^  i,  o  '^  u,  im  Nachakzent 
hingegen,  wie  es  scheint,  Schallverbreiterung;  m  (en)  ^  an:  ho- 
MINKS  >>  Oman,  asinu  >>  esa^f,  Wandel  von  er  >  ö/-— :  farmezza. 

Im  Mittel-  und  Süditalienischen  ist  Schallverstärkung  weit  ver- 
breitet; z.  B.  cronaca,  in  Sizilien  nicht  nur  calacu  «<  Calice  sondern 
auch  asistere  (existere)  aternu  usw.;  altabruzz.  accasiotie,  altumbr. 
astlnato  <C  {phst-). 

C.    Wechselwirkung  der  Silben. 
Ein  Hauptmesser  der  Druckstärke  ist  das  gegenseitige  Ver- 
halten der  Silben,  die  Wechselwirkung  zwischen  akzentuierten 


133 

und  nicht  akzentuierten  Silben.  Diese  Wechselwirkung  besteht 
entweder  im  Umlaut  d.  i.  vollständige  oder  teilweise  Assimi- 
lation des  Druckvokals  an  den  folgenden  drucklosen;  oder  in 
voller  Assimilation  des  drucklosen  an  den  vorhergehenden  oder 
folgenden  Druckvokal  (Vokalharmonie).  Eine  Zwischenstufe  stellt 
der  Veränderungstypus  dar,  der  gemeiniglich  als  „Attraktion" 
bezeichnet  wird.  Ein  Teil  der  beabsichtigten  Artikulation  wird  in 
die  eben  in  der  Bildung  begriffene  hereinbezogen,  z.  B.  südfranz. 
SAPUl  saup  usw.;  Pral:  -okiu  >>  -ujro  z.  B.  sejrujro,  t^rejuol  =■  terra- 
juolo  (AG  XI,  335),  ebenso  in  Val  Soana  (AG  III,  7)  pariu  >  pajr^ 
ptg.  -ARiu  >  eiro  etc. 

Wenn  dann  aus  dieser  verfrüht  eingetretenen  Artikulation  im 
Verein  mit  dem  altvorhandenen  Vokal  ein  Diphthong  entsteht,  und 
dieser  sich  abermals  monophthongiert,  z.  B.  span.  vorhistorisch  *madeira 
(wie  portugiesisch  madeira)  zu  madera,  so  ist  das  ein  sekundärer 
Vorgang. 

Endlich  gehört  unter  die  Wechselwirkungen  auch  das  Kapitel 
von  der  bedingten  Diphthongierung.  Sobald  die  Diphthongierung 
abhängig  ist  von  folgenden  akzentlosen  Lauten,  ist  es  klar,  dafs 
zwischen  akzentuierter  und  akzentloser  Silbe  dasselbe  Druckverhältnis 
herrscht  wie  beim  Umlaut  und  bei  der  Vokalharmonie. 

Das  Typische  dieser  Erscheinungen  läfst  sich  so  zusammen- 
fassen: Die  Artikulation  der  folgenden  Silbe  ist  so  sehr  im  Bewufst- 
sein,  dafs  sie  schon  in  einem  etwas  früheren  Zeitabschnitt  des 
Sprechens  vorweggenommen  wird;  und  das  geschieht  nicht  nur, 
wenn  es  sich  um  die  Artikulation  der  Drucksilbe  handelt,  die  im 
Blickpunkt  des  Bewufstseins  stark  akzentuierender  Rede  ist;  in 
Sprachen  (oder  zu  Zeiten),  in  denen  sich  das  Interesse  an  der 
Artikulation  nicht  auf  die  Drucksilbe  in  so  ausschliefslicher  Weise 
konzentriert,  kann  die  folgende  drucklose  Silbe  auf  die  Artikulation 
der  Drucksilbe  wirken. 

Es  ist  für  die  sprachliche  Entwicklung  zur  Zeit  eines  bestimmten 
exspiratorischen  Druckes  charakteristisch,  in  welchem  Grade  die 
drucklose  Silbe  neben  der  Drucksilbe  im  Bewufstsein  ist.  Je  gröfser 
der  Silbendruck  desto  geringer  sind  die  Wechselwirkungen 
zwischen  Druck-  und  drucklosen  Silben;  bedingte  Diphthongierung, 
Umlaut,  Attraktion  und  Vokalharmonie  sind  charakteristisch  für  eine 
Sprechweise  mit  geringem  exspiratorischen  Akzent.  Sie  ent- 
stehen nicht  in  den  Sprachperioden,  in  denen  ein  exspiratorischer 
Druck  von  bestimmter  absoluter  Kraft  herrscht,  1  sondern  sofern  sie 
sich  in  stark  akzentuierenden  finden,  sind  sie  Sedimente  aus  früheren 
oder  späteren  Entwicklungsperioden;  aber  aus  der  Zeit  des  starken 
exspiratorischen  Druckes  können  sie  nicht  stammen. 


*  Im  Lateiaischen  z.  B.  begegnen  uns  einzelne  Fälle  von  Vokalharmonie 
aus  der  Zeit,  in  der  der  exspiratorische  Druck  von  der  Initialsilbe  auf  die 
folgende  Silbe  geschoben,  also  in  beiden  wohl  annähernd  gleichwertig  war,  wie 
lacatio  <^  locatio,  rutundus,  vixillum  usw. 


134 

Je  stärker  der  Umlaut  und  die  Herübernahme  des  nicht 
akzentuierten  Vokals  in  die  Akzentsilbe  vertreten  sind,  desto 
weniger  ist  die  nichtakzentuierte  Silbe  vernachlässigt. 

Die  Umlautwirkung  erfordert,  dafs  die  nichtakzentuierte 
Silbe  stark  im  Bewufstsein  ist,  während  die  akzentuierte  artiku- 
liert wird.  Sie  ist  also  nicht  möglich  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Hervor- 
hebung eines  Wortteiles  besonders  angestrebt  wird.  Da  nun  die 
lateinische  Entwicklung  von  der  vorchristlichen  Zeit  her  die  Tendenz 
hat,  den  exspiratorischen  Druck  vorherrschen  zu  lassen  und  die  Druck- 
silbe auf  Kosten  der  andern  hervorzuheben,  so  widerstrebt  ihr 
während  dieser  ganzen  Epoche  sowohl  die  satzphonetische  als  die 
Umlautwirkung.  Alle  Belege  für  Umlaut  aus  der  ersten  Kaiserzeit 
sind  also  schon  aus  inneren  Gründen  nicht  stichhaltig,  selbst 
wenn  nicht  die  völlige  Vereinzelung  sie  verdächtig  machte.  Die  bei 
Schuchardt,  Vokalismus  I,  S.  309  zahlreich  gesammelten  Fälle  vom 
Typus  accipi  u.  ä.  können  —  was  wiederholt  geschehen  —  i  nicht  als 
Belege  für  „umlautendes  Perfekt"  herangezogen  werden,  da  ja  Be- 
lege wie  fielt,  accipit,  tiitno  usw.  S.  260  IT.  in  ebenso  grofser  wo  nicht 
gröfserer  Anzahl  daneben  stehen.  An  eine  bereits  so  weitgehende 
analogische  Ausbreitung  des  Umlautes  im  i.  oder  2.  Jahrhundert 
unserer  Zeitrechnung  wird  doch  aber  schwerlich  jemand  glauben 
wollen.  Alle  diese  Belege  können  also  nur  den  Artikulations- 
wechsel von  i  und  e  illustrieren. 

Da  der  einheitliche  Silbendruck  nicht  mehr  in  die  Zeit  des 
einheitlichen  römischen  Reiches  fällt,  so  kann  die  Umlautwirkung 
noch  um  so  viel  weniger  in  die  vorromanische  Zeit  gesetzt  werden. 
Vielmehr  ist  die  Umlautwirkung  einzelsprachlich  und  das  erklärt 
auch,  dafs  die  Erscheinungen  auf  den  verschiedenen  Gebieten  nichts 
weniger  als  gleichartig  sind. 

Die  Umlautwirkung  ist  also  aufzufassen  als  eine  Erscheinung, 
die  der  Silbenhervorhebung  geradezu  entgegengesetzt  ist.  Sie  entsteht, 
wie  es  scheint,  als  eine  Art  Gegenströmung  in  Zeiten  nach  einer 
Druckbewegung.  Sie  ist  der  Ausdruck  einer  Nivellierung  des  Akzentes 
und  diese  Nivellierung  kann  erst  eintreten,  wenn  die  Hervorhebungs- 
tendenz ihr  Ende  erreicht  hat.  Es  mufs  dabei  nicht  an  ein  gänz- 
liches Abbrechen  der  Bewegung  gedacht  werden,  es  wäre  auch  eine 

Zickzacklinie   denkbar:       /^  3  /    i.  Hervorhebungstendenz,  2.  min- 


destens zeitweiliges  Abflauen,  Nivellierung  des  Akzentes,  3.  Umlaut- 
wirkung, 4.  Neuerliches  Anschwellen  der  Hervorhebungstendenz. 
Wo  die  Umlautwirkung  zu  konstatieren  ist,  mufs,  mindestens  zeit- 
weilig, eine  Nivellierungstendenz  des  Akzentes  vorhanden  gewesen 
sein.  Dadurch  ist  die  Chronologie  des  Umlautes  einigermafsen 
erschwert. 

Treten  die  Assimilationserscheinungen  (um  sie  mit  einem  Worte 


^  Vgl.  Cainoy,  Le  Latin  d'Espagne^  S.  28. 


^35 

zu  bezeichnen)  später  auf,  als  z.  B.  die  Erweichung  der  Tonlosen 
—  und  das  ist  meistens  der  Fall  —  so  zeigt  sich  darin  ein  Nach- 
lassen der  exspiratorischen  Druckwirkung,  eine  Richtungsänderung 
der  artikulatorischen  Tendenz.  Tatsächlich  sind  Veränderungen  der 
konsonantischen  Artikulation  und  Umlaut  alternierende  Er- 
scheinungen; z.  B.  im  Althochdeutschen  tritt  die  Konsonanten- 
verschiebung  im  6.  Jahrhundert,  der  Umlaut  im  8./q.  Jahrhundert 
auf.  In  Frankreich  ist  die  durch  den  exspiratorischen  Druck  hervor- 
gerufene Bewegung  ziemlich  intensiv,  der  Umlaut  ganz  gering: 
eist,  il  etc.,  pris,  fis,  vin,  fui,  mui,  coimi  2.  Pers.  Perf.  sing,  -is,  dui, 
vingt.  Der  französische  Umlaut  hat  sicher  ein  sehr  hohes  Alter,  da 
später  die  nicht  akzentuierte  Auslautsilbe  gar  nicht  mehr  beachtet 
und  schliefslich  ganz  gekürzt  wurde. 

'  ImProvenzalischen  ist  die  Druckwirkung  geringer,  die  Um- 
lautwirkung nicht  bedeutend  gröfser,  wohl  aber  die  Attraktion.  Im 
Altkatalanischen  haben  wir  keinen  Umlaut  sondern  nur  Attraktion 
{inuyra  usw.).  Im  Spanischen  ist  ist  es  noch  auffallender.  Im 
Spanischen  wie  im  Portugiesischen  findet  Metathese  statt,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dafs  das  Spanische  bis  zur  zeitlichen  Vereinigung 
der  zwei  nunmehr  aneinanderstofsenden  Artikulationen  schreitet, 
das  Portugiesische  aber  nicht  (span.  -airo  >  et-o,  ptg.  eiro  usw.).  In 
beiden  Sprachen  konstatieren  wir  den  Umlaut  in  ausgedehntem  Mafse, 
im  Portugiesischen  nicht  nur  durch  i  und  tt  sondern  auch  durch  o. 
Im  Kastilianischen  haben  wir  noch  aufserdem  die  eingeschränkte 
Diphthongierung,  da  jeder  auf  den  offenen  Vokal  folgende  palatale 
Laut  sie  verhindert,  vgl.  hoja,  ojo,  hoy  usw.,  sogar  die  ganz  frühen 
Veränderungstypen  wie  pretiu,  grege  nur  zu  prez,  grey  führen. 
Der  Wandlungsprozefs  des  //  und  -g-  ist  schon  in  der  Wende  des 
2./3.  Jahrhunderts  nachweisbar,  die  Einwirkung  des  /-Elementes  im 
ti  auf  den  vorhergehenden  Vokal  mufs  sich  über  eine  lange  Zeit 
erstreckt  haben.  Das  Eintreten  des  s- Lautes  ist  dadurch  als  ver- 
hältnismäfsig  spät,  die  ganze  Entwicklung  als  eine  sehr  langsame 
gekennzeichnet. 

Im  Rumänischen  finden  wir  Attraktion:  äibä,  roib  usw.,  und  weit- 
gehende Beschränkung  der  Diphthongierung,  die  ganz  von  der 
folgenden  Silbe  abhängt.  Es  ist  also  wieder  klar,  dafs  die  folgenden 
Laute  sehr  kräftig  stark  im  Bewufstsein  waren  und  daher  auch 
gegen  die  akzentuierte  Silbe  nicht  stark  zurücktreten  konnten.  Die 
Diphthongierung  unterbleibt  vor  ti  (also  Schliefsung  der  Artikulation), 
sie  kann  sich  nicht  entwickeln  vor  i,  u  und  wohl  auch  vor  o.  Die 
Frage  ist  nun:  seit  wann  ist  die  Wirkung  der  nachfolgenden  Laute 
anzusetzen?  Ist  die  Diphthongierung  bis  zu  <?'  gediehen  und  dann 
rückgängig  gemacht  oder  ist  sie  überhaupt  nicht  gebildet  worden? 
Nach  dem  ganzen  Habitus  des  Rumänischen  mufs  die  Wirkung  der 
nachfolgenden  Laute  immer  grofs  gewesen  sein:  alle  charakte- 
ristischen Züge  der  Akzentverstärkung  fehlen;  alle  tonlosen  bleiben 
unverändert;  die  Synkopierung  macht  keine  Fortschritte;  nur  die 
akzentlosen  Auslaute  werden  vernachlässigt.     Es   zeigt   sich  also  in 


136 

diesem  Zusammenhang,  entgegen  Ihrer  ersten  Aufstellung,  ^  dafs  die 
Entwicklung  zu  e^  mit  Rückbildung  weniger  wahrscheinlich  ist  als  die 
Erhaltung  durch  /,  u  und  Weiterentwicklung  vor  a,  e. 

Ein  Hauptgebiet  des  Umlautes  ist  Sizilien  und  Unteritalien;  im 
Altabruzzesischen  [dibio,  qtiisto,  miniri,  iiirni,  curio,  priso  usw.,  D'Ancona, 
Origini  I,  158  ff.),  im  Altumbrischen,  bei  Rinaldo  d'Aquino  (zw, 
Ant.  Rime  Volg.  I)  und  Guido  Guinizelli  (ebd.  II)  usw.  usw.,  im  Neapoli- 
tanischen und  Calabresischen  (vgl.  Mussafia,  Regimen  Sanitatis).  Es 
sei  gestattet,  an  diesen  letzteren  Mundarten  die  Sache  ausführlicher 
zu  betrachten.  Wir  haben  bedingte  Diphthongierung  und  Umlaut: 
im  Norden  nur  vor  -u  -i,  im  Süden  (Lecce,  Calabrien,  Noto)  vor 
-u  -i  -o.  Es  wird  also  e  0  —  i,  u  ]>  {  u\  in  den  meisten  italienischen 
Idiomen  (ebd.  S.  5)  haben  wir  Umlaut  bei  /',  im  Süden  auch  bei  tu 
Nordit.  quisti,  -usi,  qtiesto,  -oso,  südit.  cA/s/^  chisto  -us^  -us§.  Im 
Neapolitanischen  diphthongiert  f  ~^  ie  p  >  uo  [i  u:  bona  hone,  buon^ 
biioti^,  in  Südneapel,  Calabrien  usw.  aber  auch  vor  0. 

Also  Diphthongierung  und  Umlaut  sind  im  Nordneapolitanischen 
nur  vor  i  u  möglich,  im  Süden  ungleich;  die  Diphthongierung  ist 
weiter  entwickelt  als  der  Umlaut. 2 

Dort  wird  lat.  I  >  f,  aber  ii  nicht  >  0.  Das  Neapolitanische 
steht  demnach  fast  auf  der  Entwicklungsstufe  des  Lateinischen, 
aus  dem  das  Sardische  abzweigt. 

Im  Calabr.  usw.  ist  0  (wohl  sekundär)  zu  u  geworden.  Für 
das  dortige  Spätlateinisch  ist  also  der  Status  e  u  anzusetzen,  worauf 
das  g  sich  dem  u  angleicht.  Das  u  war  wohl  auf  der  Grenze  von 
u  und  ö,  die  letzte  Angleichung  ist  jedenfalls  erst  spät  erfolgt.  Die 
Diphthongierung  ist  überall  ein  so  später  Vorgang,  dafs  sie  erst 
nach  der  Ausgleichung  des  Auslautes  erfolgt  sein  kann.  Sonst 
müfste  man  die  Diphthongierung  vor  «  <  0  als  sekundär,  aus  ana- 
logischer Wirkung  erklären.  Für  das  ursprüngliche  Phänomen  bleibt 
es  sich  ziemlich  gleich. 

Für  das  neapolitanische  Latein  ist  also  eine  so  geringe  Akzent- 
verstärkung anzusetzen,  dafs  sie  das  u  nicht  öffnete.  Dem  entspricht 
die  starke  Satzphonetik,  die  gleichmäfsige  Behandlung  aller  Wort- 
teile, das  Verhältnis  von  Umlaut  und  Diphthongierung:  der  Umlaut 
ist  in  unendlich  gröfserem  Ausmafs  vorhanden  als  bei  den  stark 
akzentuierenden  Sprachen,  die  Diphthongierung  in  viel  beschränkterem. 
Die  Synkopierung  fehlt. 

In  Norditaiien  spielt  der  Umlaut  eine  grofse  Rolle,  z.  B.  in  den 
Mundarten  nördlich  vom  Lago  Maggiore,  im  Mailändischen  usw. 
Er  ist  in  selten  vollständiger  Weise  analogisch  ausgebreitet,  so  dafs 
er  zum  Numeruszeichen  wird,  z.  B.  nördlich  vom  Lag.  M.  tavul-tevul 


*  Romanische  Grammatik  I,  §  83. 

2  Es  sei  nur  im  Vorbeigehen  auf  die  komplizierten  Umlautverhältnisse 
der  einzelnen  Dialekte  hingewiesen:  Arpino  (AG  XIII,  301),  Campobasso  (ebd. 
IV,  147  ff),  Cerignola  (ebd.  XV,  87)  usw. 


137 

usw.;  hier  fällt  in  einer  für  den  ganzen  Prozefs  typischen  Weise 
mit  den  Assimilationserscheinungen  die  Kürzung  der  Vorakzentsilbe 
bei  Bewahrung  der  Nachakzentsilbe  zusammen.  Nach  dem  Haupt- 
druck bleiben  die  Silben  besser  bewahrt;  der  Druck  steigt  bis  zur 
Akzentsilbe,  fällt  aber  nicht  mit  derselben  Intensität  ab.  Es  ist  die 
Empfindung  für  Worteinheiten  vorhanden  (also  geringe  Satzphonetik) ; 

1         2 

die  Akzentwellen  sind  offenbar  von  der  Form  /  :  i  aufsteigend 
zum  Hauptdruck,  2  abfallend  vom  Hauptdruck.  Die  Silben  nach 
dem  Akzent  sind  fast  gleichwertig;  der  Silbenabfall  ist,  wo  er  er- 
folgt, eine  sekundäre  Erscheinung,  denn  die  Umlautwirkung  raufs 
doch  erst  vor  sich  gehen,  ehe  die  umlautende  Silbe  abfällt. 

Die  Umlautwirkung  erfordert  gewissermafsen  als  nächste  Parallel- 
erscheinung die  Erhaltung  der  Pänultima  im  Proparoxytonon, 
dies  ist  auch  tatsächlich  im  Rumänischen,  Sizilianischen,  Spanisch- 
Portugiesischen  und  in  den  Mundarten  nördlich  vom  Lago  Maggiore 
der  Fall. 

Es  ist  klar,  dafs  die  Umlautwirkung,  auch  wo  nur  geringe 
Synkopierungserscheinungen  zu  konstatieren  sind,  doch  nicht  ein- 
treten mufs,  so  im  Sardischen. 

Volle  Assimilation  des  Vokals  (Vokalangleichung)  ist  in  den 
stark  akzentuierenden  Sprachen  undenkbar;  sie  kommt  dort  nur 
vereinzelt  vor,  und  zwar  gar  nicht  nach  dem  Akzent.  Auf  die 
nachakzentische  Silbe  wirkt  nichts.  Hingegen  kann  die  vorakzentische 
Artikulation  auch  dissimilatorisch  beeinflufst  werden.  Diese  Wirkung 
ist  z.  B.  im  Französischen  sehr  alt,  sie  geht  ins  Vorfranzösische  zurück 
bei  retonda  undtm«?/;i  im  übrigen  sind  diese  Dissimilationen  zugleich 
Artikulationsschwächung  und  daher  gleicher  Richtung  mit  der  all- 
gemeinen sprachlichen  Veränderungstendenz. 

Dissimilation  ist  sehr  häufig  im  Spanischen,  das  hier  wieder 
eine  mittlere  Stellung  einnimmt  {i—i  >  e—i,  o—t  >•  ti  —  i,  auch  mit 
analogisierender  Kraft).  Im  Portugiesischen  überwiegt  Assimi- 
lation (vgl.  Cornu  Gr.  Gr.2  947  ff.)  und  so  in  den  andern  in  betracht 
kommenden  Sprachen,  in  Sizilien  und  Neapel  (alte  Beispiele  z.  B. 
maladiztone,  sormonare  in  der  Rosa  fresca,  sanza  bei  Giacopo  da 
Lentino ;  dovavate,  dilizie,  Ogosto,  malaficom'a,  Racanato  in  Lucca,  AG  XVI), 
im  Romagnolischen  [taramott,  nutumeja-^x'SA'lOMiA,  barzaletta),  endlich 
im  Sardischen  {tanäzi  <  tenace,  lactammi  usw.).  Hier  ist  das  Be- 
streben nach  Vokalangleichung  überwiegend,  es  befördert  nicht  nur 
Schallverstärkung,  sondern  fällt  unter  Umständen  auch  mit  Schall- 
schwächung zusammen.  Auf  alle  Fälle  gilt  der  Satz:  Die  nicht- 
akzentuierte  Silbe  wird  um  so  eher  verändert,  je  geringer 
die  Vorherrschaft  der  akzentuierten  ist. 

In  Sprachen,  die  die  vorakzentischen  Silben  stärker  beachten, 
überwiegt  Assimilation. 

Selbstverständlich    kann   nur    in    einer  Periode    geringeren  ex- 


1  Franz.  Grammatik  §  228,  Rom.  Gram.  I,  358  fF. 


138 

spiratorischen  Druckes  eine  Analogiewirkung  von  der  akzentuierten 
auf  die  akzentlose  Silbe  stattfinden.  In  Zeiten  starken  Druckes 
würden  diese  beiden  Wortbestandteile  nicht  als  ähnlich  genug 
empfunden  werden,  als  dafs  man  eine  formale  Angleichung  aus- 
zuführen geneigt  wäre.  Unter  solchen  Ausgleichungen  ist  die 
bemerkenswerteste  die  Artikulierung  des  Diphthongs  in  nicht- 
akzentuierter  Silbe.  Wir  finden  sie,  abgesehen  von  den  analogischen 
Futurforraen  des  Französischen  {tiendrai  etc.),  im  Spanischen  und  im 
Engadinischen:  misericoargiäivel  {AG.  I,  S.  236),  wo  ein  solcher 
Zustand  besonders  bemerkenswert  ist.  Viel  weniger  fallt  Zwei- 
gipfligkeit der  Nichtakzentuierten  im  Sizilianischen  auf,  wo  die 
Silbenhervorhebung  überhaupt  schwach  ist.  Girg.  auliva  <  oliva 
kann  nicht  analogisch  sein;  es  ist  offenbar  organisch  erwachsen. 

D.  Veränderung  der  Konsonanten  im  Wortinnern. 
Schliefslich  sind  noch  die  charakteristischen  Unterschiede  in 
der  Entwicklung  der  im  Wortinneren  befindlichen  Konsonanten 
festzustellen.  Es  ist  nun  schon  von  vornherein  klar,  dafs  die  Ver- 
änderung der  konsonantischen  Artikulation  im  Wort- 
innern um  so  gröfser  sein  wird,  je  gröfser  der  exspira- 
torische  Druck  ist,  je  mehr  also  die  Zentralisation  des  Akzentes 
fortschreitet.  Und  je  gröfser  diese  Zentralisation  der  Hervorhebung, 
desto  gleichgültiger  wird  die  Stellung  vor  oder  nach  dem  Akzent. 
In  den  meisten  Sprachen  sind  die  Veränderungen  vor  dem  Druck 
gröfser  als  nach  dem  Druck;  dies  beweist  wieder,  dafs  die  artikula- 
torische  Energie  mit  gröfserer  Intensität  zum  Hauptdruck  drängt, 
als  sie  von  ihm  abfällt:  Intensives  Steigen  bis  zum  Hauptakzent, 
langsameres  Abfallen  vom  Hauptakzent  zur  Ruhe.  Die  verschiedensten 
Variationen  finden  sich  in  diesem  Punkte  der  Entwicklung;  eine 
vollständige  Durchführung  der  Untersuchung  mufs  einer  späteren 
Zeit  aufbewahrt  bleiben.  Es  ist  klar,  dafs  jede  geringfügige  Änderung 
in  der  Stärke  des  Atemdruckes,  in  der  Art  der  exspiratorischen 
Sprachgepflogenheit  eine  andere  Gruppierung  der  Neugestaltungen 
hervorruft.  Nach  dem  oben  (S.  109  ff.)  Angeführten  wird  im  Ro- 
manischen der  gespannte  Verschlufs  um  so  mehr  gelockert,  je  inten- 
siver der  Druck  ist;  er  wird  schliefslich  ganz  aufgehoben;  (Ton- 
lose >  Tönenden,  Tönende  >  0).  Je  intensiver  der  Druck,  desto 
deutlicher  wird  das  Bestreben,  den  ersten  Konsonanten  einer 
Gruppe  dem  vorhergehenden  Vokal  zu  assimilieren,  also  den 
Konsonanten  zu  vokalisieren,  während  Sprachen  mit  geringem 
exspiratorischen  Druck  die  Konsonanten  einer  Gruppe  einander 
angleichen,  eventuell  die  Halbvokale  konsouantisieren.i  Wir 
finden  daher  im  Französischen  Schwächung  bis  Schwund  der  Ver- 
schlufslaute;  Assimilation  des  palatalen  resp.  velaren  Konsonanten 
einer    Gruppe    an    den    vorhergehenden    Vokal    {c  cons  y>  i  cöns^ 


^  Vgl.  hierzu  G.  Gröber's  aus  einem  ganz  anderen  Gesichtspunkte  unter- 
nommenen Untersuchungen  in  Commentationes  Woelfflinianae,  S.  l8off. 


139 

/  cons  ;;>  u  cons  etc.) ;  Vereinfachung  der  gedehnten  Konsonanten, 
die  Dehnung  sei  primär  oder  sekundär.  Das  Provenzalische  zeigt  ge- 
ringeren Druck  als  das  Französische,  hier  wird  -c  e  i.  nicht  mehr 
bis  zu  s  gelöst,  sondern  nur  bis  z,  -G  ^  »'  nur  bis  i",  P  >  Ä,  T  >  <f 
entwickelt;  die  Tönenden  fallen  nicht  ganz  aus  etc.  Die  Kon- 
sonanten in  Gruppen  werden  einander  assimiliert  {/ach  etc.).  Ebenso 
ist  es  im  grofsen  ganzen  im  Rätischen:  tonlose  werden  tönend, 
tönende  bleiben;  es  erfolgt  Assimilation  der  Konsonanten  an  ein- 
ander (z.  B.  frucc,  AG.  I,  S.  267  etc.);  gedehnte  Konsonanten 
bleiben.  In  kleineren  oder  gröfseren  Abweichungen  zeigen  diesen 
Entwicklungstypus  die  Mundarten  nördlich  vom  Lago  Maggiore, 
das  Altmailändische  (während  Neumailändisch  zum  französischen 
Entwicklungstypus  neigt)  und  die  anderen  norditalienischen 
Mundarten,  herab  nach  Mittelitalien  (z.  B.  Guittone  d'Arezzo  hat 
piagenza,  richeza,  tute  etc.,  Ant.  Rime  Volg.  II). 

Lucca  steht  in  der  Mitte  zwischen  der  nördlichen  Sprachen- 
gruppe, der  italienischen  Schriftsprache  und  dem  Süden  durch  die 
Tönendmachung  des  c  {pogo,  miga,  Palavigino  etc.,  vgl.  AG,  XVI) 
aber  Beibehaltung  des  /.  Die  Assimilation  ist  vollständig.  Die 
gedehnten  Konsonanten  bleiben  erhalten. 

Im  Katalanischen  werden  Tonlose  >  Tönenden,  Tönende  bleiben. 
Assimilation  erfolgt  teilweise.  Gedehnte  Konsonanten  werden  er- 
halten. Das  Spanische  zeigt  zunächst  eine  ziemlich  starke  Wirkung 
des  exspiratorischen  Druckes,  insofern  es  sämtliche  inlautende  Kon- 
sonanten tönend  macht,  auch  s,  und  die  Tönenden  abfallen  läfst; 
dies  allerdings  nur  vor  dem  Akzent.  Nach  dem  Akzent  ist  der 
exspiratorische  Druck  hierzu  nicht  grofs  genug.  Alle  Dehnungen 
werden  vereinfacht. 

Sehr  charakteristisch  für  die  mittlere  Stellung  des  Spanischen 
in  Bezug  auf  seinen  exspiratorischen  Druck  ist  der  Assimilations- 
prozefs  der  Konsonanten.  Während  das  Französische  ihn  möglichst 
durchführt,  hat  das  Spanische  an  vollständiger  Assimilation  aufser 
den  vorromanischen  Typen  raptu  >  rato,  ipse  >  esse,  URSU  >>  osso, 
DOMNU  >>  duenno,  nur  MB  >>  wzra  (>  m)  zu  verzeichnen,  allerdings 
die  einfachste  Assimilation,  da  es  sich  nur  um  Vernachlässigung 
einer  artikulatorischen  Bewegung  handelt.  In  allen  anderen  Fällen 
wird  eine  teilweise  Assimilation  zustande  gebracht,  in  der  aber  beide 
Laute  zu  einem  neuen  Produkte  verschmelzen:  ex  ]>  k't  >>  h-f  ]>  ch, 
gegen  it.  ex  >  //  oder  PL,  vl ';^  II  =  IJ,  LX  >  ///'  >  ch  u.  a. 
Nachdem  die  Assimilation  des  ersten  Konsonanten  an  den  vorher- 
gehenden Vokal  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  gediehen  und  die 
Verschlufsbildung  zu  einer  (spirantischen)  Engenbildung  geworden 
ist,  erfolgt  eine  Richtungsänderung  der  artikulatorischen  Tendenz 
und  nunmehr  eine  Assimilation  der  beiden  Konsonanten,  oder 
besser  gesagt,  eine  Durchdringung  der  beiden  Laute,  die  nunmehr 
an  Stelle  der  ehemaligen  Konsonantengruppe  vorhanden  sind. 
Diese  temporäre  Durchdringung  von  zwei  Artikulationen  besteht 
darin,   dafs  die  eine  Artikulation  in  der  anderen  aufgeht,   wie  das 


140 

auch  primär  stattfindet,  z.B.  bei  GN  d.  i.  /«  >  ;7,  gl  = // >  y, 
CS  >  h's  >>  L  >>  S.  Es  wird  also  nicht  eine  Artikulation  auf 
Kosten  der  andern  gebildet,  nicht  eine  mit  wesentlich  gröfserer 
Aufmerksamkeit  als  die  andere;  vielmehr  ist  das  artikulatorische 
Interesse  für  die  verschiedenen  Teile  der  Rede  annähernd  gleich 
verteilt.  Daher  ist  die  Entwicklung  auch  wenig  abhängig  von  der 
Stellung  zum  Akzent. 

Im  Portugiesischen  kommt  teilweise  Assimilation  mit  gegen- 
seitiger Beeinflussung  und  Schaffung  eines  neuen  Produktes  zu- 
stande. In  den  meisten  Fällen  bringt  es  das  Portugiesische  nur 
bis  zu  einer  Vokalisierung  des  ersten  Konsonanten:  CT  >>  it,  pt 
>  tit  etc.  Die  Energie  der  Artikulation  nimmt  im  ersten  Kon- 
sonanten ab,  und  zwar  konstant,  ohne  den  zweiten  zu  beeinflussen. 

Jedoch  kennt  das  Portugiesische  auch  vollständige  Assimilation: 
abgesehen  von  RS  >>  ss,  das  ja  allerdings  aus  der  frühesten  Zeit 
vulgärlateinischer  Veränderungen  stammt,  die  späteren  Vorgänge: 
adega  <<  abdega,  cidade  neben  agal.  ciddade,  bei  welch  letzterem 
sichtbar  wird,  dafs  vollständige  Assimilation  zur  Dehnung  führte,  die 
dann  vereinfacht  wurde. 

Das  Rumänische  bietet  teilweise  Assimilation:  // ]>  /  etc., 
temporales  Ineinandergreifen  der  Artikulation.  Die  tonlosen  Ver- 
schlufslaute  werden  nicht  tönend;  sie  verharren  auf  dem  älteren 
Standpunkt.  Die  Konsonantengruppen  bleiben  unverändert  (aufser 
den  schon  vulgärlateinischen  ns  >>  j,  rs  wohl  über  *jj  >  s).  Alle 
langen  Konsonanten  werden  gekürzt. 

Das  Sardische,  Süditalienische  und  Sizilianische  zeigen  auch 
darin  geringe  Spuren  exspiratorischen  Druckes,  dafs  sie  alle  Kon- 
sonantengruppen assimilieren,  alle  Dehnungen  und  alle  Verschlüsse 
beibehalten.  Der  ganze  oben  (S.  109)  geschilderte  Vorgang  findet 
auf  diese  Sprachen  keine  Anwendung.  Der  tönende  Verschlufs 
kann  tonlos  werden,  z.  B.  vite  >>  VIDIT  (Teramo).  Die  Erweichungen 
der  Tonlosen,  die  auf  einzelnen  Gebieten  eintreten,  (Campidan. 
pagu,  sassar.  paggu)  sind,  wie  man  eben  sieht,  langsamere  und 
spätere  Vorgänge.  Der  (satzphonetische)  Ausfall  gehört  ebenfalls 
einem  späteren  Sprachstadium  an.  Die  Konsonantenassimilation  ist 
z.T.  vollständig,  der  lange  Konsonant  bleibt  dann  erhalten;  z.T. 
ist  die  Assimilation  nicht  ganz  durchgeführt,  z.  B.  //  >  rt  (südsard., 
kors.);  selten  geben  beide  Konsonanten  zusammen  ein  neues  Pro- 
dukt, wie  Is  >  zz  (nordsard.):  btizzu,  hahha  <  barca,  baJiHone  <C 
BALCONK  oder  ihHohhulu  <  scopa  etc. 

Es  ist  natürlich,  dafs  der  Charakter  der  Veränderungstendenz 
in  den  einzelnen  Sprachen  nicht  allemal  und  nicht  in  jedem  Augen- 
blicke klar  zu  erkennen  ist.  Verschiedene  Phasen,  die  in  vor- 
historischer Zeit  aufeinanderfolgten,  erschweren  die  Erkenntnis  der 
ursprünglichen  Bildungen.  Am  verwickeltsten  vielleicht  ist  das  Bild 
des  Vegliotischen.  Die  erste  Schicht  der  Veränderungen  läfst 
auf  kräftiges  Steigen  des  exspiratorischen  Druckes  schliefsen,    dem 


141 

alsbald  ein  Nachlassen  gefolgt  sein  mufs.  Denn  die  Tieferlegung  der 
vokalischen  Artikulation  ist  durchgehend  —  auch  i  und  ü  nehmen 
daran  teil  —  und  es  kommt  zur  Diphthongierung  bei  offenen  und 
geschlossenen  Vokalen,  a  wird  >  o,  also  wie  im  Französischen  in 
die  Mittellage  der  Artikulation  gehoben,  nur  dafs  die  Artiku- 
lationsstelle eine  andere  ist.  Ferner  konstatieren  wir  frühe  Syn- 
kopierung (vgl.  Bartoli,  das  Dalmatische  II,  S,  346  ff.);  in  aus- 
gedehntem Mafse  treten  alle  Typen  vulgärlateinischer  Synkopierung 
ein:  respondro,  kukro  <C  COQUEre,  sahglu,  januia  «<  anima,  vetrun  <C 
VETEKANU  etc.,  und  zwar  so  früh,  dafs  der  Vokal  noch  die  Be- 
handlung des  primär  gedeckten  Vokales  mitmacht.  Andrerseits  ist 
eine  Reihe  der  für  geringen  exspiratorischen  Druck  typischen  Er- 
scheinungen vorhanden:  die  Konsonanten  bleiben  sowohl  inter- 
vokalisch  als  in  Gruppen  unverändert  (vgl.  a.a.O.  S.  366flf.):  an- 
lautendes wie  inlautendes  /,  />,_/,  d  etc.,  />/,  mn,  k/,  />/,  ß  etc.;  es 
gibt  einzelne  Fälle  von  Attraktion  (S.  3Ö0),  von  Dissimilation  (S.  356), 
und  von  Assimilation  (S.  354);  es  gibt  wohl  entwickelten  Umlaut 
(S.  352  ff.),  der  allerdings  nur  bei  a  nachweisbar  ist  und  dessen 
Wirkung  in  die  Zeit  gesetzt  werden  mufs,  als  bereits  statt  a  eine 
mittlere  Artikulationsstellung  für  den  Vokal  eingenommen,  aber 
ehe  diese  Artikulationsstellung  nach  rückwärts  verlegt  wurde,  denn 
sonst  wäre  ja  das  Umlautsprodukt  nicht  2  sondern  ü?  oder  dgl. 
Ferner  finden  wir  Wirkung  der  Akzentartikulation  auf  die  ihr  nach- 
folgende im  Veränderungstypus  viNU  >»  *vem  >  ven:  das  palatale 
Element  verbreitet  sich  aus  dem  Diphthong  über  den  folgenden 
Konsonanten  u.  ä.     Hingegen  fehlen  die  Sandhierscheinungen. 

In  manchen  Mundarten  ist  der  Zwischengliedcharakter  be- 
sonders deutlich  ausgeprägt,  so  etwa  in  der  Mundart  von  Silano 
am  Nordabhang  des  Appenin  (AG.  XIII,  333);  sie  bildet  den  Über- 
gang vom  mittelitalienischen  zum  emilianischen  Sprachhabitus:  es 
gibt  keine  Synkopierung,  aber  Vokalschwächung,  keine  Diphthon- 
gierung, keinen  Umlaut,  wohl  aber  Sandhierscheinungen  usw. 


So  skizzenhaft  die  obigen  Auseinandersetzungen  sein  mögen, 
so  ergibt  sich  doch  auch  schon  aus  ihnen  objektiv,  dafs  die 
Wirkungen  des  exspiratorischen  Druckes  in  Sardinien  am  geringsten, 
in  der  Emilia,  Rätien,  Nordfrankreich  am  gröfsten  sind.  In  Frank- 
reich ist  die  romanische  Wortstellung  und  der  steigende  Satz- 
rhythmus am  festesten  geworden,  in  Sardinien  wurden  die  meisten 
Reste  der  archaischen  Stellungen  konstatiert.  Das  Sardische  ist 
die  konservativste  Sprache,  das  Französische  —  trotz  der  doch  so 
hinderlichen  starken  Schrifttradition  —  die  am  weitesten  entwickelte. 
Alle  anderen  Sprachen  stellen  Zwischenstufen  dar.  Das  Französische 
ist  in  der  Behandlung  der  Suffixe  bis  zu  dem  Punkte  gediehen, 
dafs  es  sie  vielfach  nicht  mehr  als  solche  empfindet;  die  neuen 
Bildungen,  womit  es  sie  ersetzt,  sind  Präfixe;  also  wieder  An- 
sätze   zur  Vorausstellung   des    Determinierenden    vor    das 


142 

Determinierte,  zum  semantisch  fallenden  Akzent  und  ein 
fallender  Wortrhythmus  wird  seit  etwa  30  Jahren  in  seinen  ersten 
Anfängen  konstatiert.^  Auch  dieser  ist  zum  gröfseren  Teil  se- 
mantisch bedingt.  Die  Sprache  strebt  nach  Heraushebung  der 
„syllabes  psychologiquement  radicales  ou  caracleristiques"  (Bourdon 
137).  Bemerkenswert  ist  auch  Bourdon's  Ausspruch  (133):  „.  •  .  l'ac- 
cent  oratoire  lend  geueralement,  au  moins  dans  les  raots  relative- 
ment  peu  complexes,  ä  se  placer  sur  ce  que,  conforraement  ä  la 
termiiiologie  des  grammairiens,  on  peut  appeler  la  partie  radicale 
du  mot;  en  d'autres  termes,  ces  langues,  sous  l'influence  de  l'accent 
oratoire,  doivent  tendre  ä  s'accentuer  comme  l'allemand".  Da  nun 
die  deutsche  Akzentuation  einen  archaischen  Charakter  hat  im  Ver- 
gleich zur  lateinisch-romanischen,  ist  es  offenbar,  dafs  sich  hier  eine 
der  grofsen  Spirallinien  sprachlicher  Entwicklung  vollendet.  Das 
Französische  strebt  einem  Zustande  entgegen,  den  wir  im  vor- 
historischen Latein  anzunehmen  haben  und  die  innere  Ursache  der 
Veränderung  erweist  sich  als  dieselbe  hier  wie  dort:  das  Bedürfnis 
nach  okkasioneller  Heraushebung.  In  Jahrtausendamplitüden  schwingt 
so  das  Pendel  sprachlicher  Gepflogenheit  zwischen  den  zwei  Aus- 
drucksmöglichkeiten hin  und  her.  Sobald  der  Anstofs  zur  Bewegung 
gegeben  ist,  mufs  der  Gesamtkörper  der  Sprache  bis  in  seine  letzten 
Fasern  von  ihr  ergriffen  werden.  Die  Wirkung  einer  einzigen 
solchen  Pendelschwingung  können  wir  historisch  betrachten.  Mit 
innerer  Notwendigkeit  mufs  die  Rückschwingung  angetreten  werden, 
nachdem  die  einstmals  okkasionelle  Redeweise  in  der  Hauptsache 
traditionell  geworden  ist.  Auch  die  festeste  Kulturüberlieferung 
kann  diese  Bewegung  nur  hemmen,  nicht  dauernd  aufheben.  Denn 
der  Gegensatz  der  beiden  Redeweisen  ist  psychisch  bedingt;  die 
physiologischen  Wirkungen  auf  die  Sprache  können  nicht  aus- 
bleiben. 

Dürfen  wir  die  romanische  Sprachperiode  als  diejenige  be- 
zeichnen, in  der  durch  die  Stellung  des  Determinierenden  nach 
dem  Determinierten  eine  Veränderung  des  ganzen  Sprachhabitus 
hervorgerufen  wurde,  so  werden  wir  ihre  Dauer  billig  von  dem 
Zeitpunkt  an  rechnen,  wo  diese  Tendenz  zuerst  auftritt  —  also  nicht 
bestimmbare  Jahrhunderte  vor  der  historischen  lateinischen  Über- 
lieferung zurück  —  bis  in  die  Zeit,  in  der  die  umgekehrte  Aus- 
drucksmethode wieder  zur  Herrschaft  drängt.  Das  wäre  also  die 
Gegenwart.  Was  sehen  wir  aber?  Eine  gänzlich  ungleiche  Grund- 
lage für  eine  neue  Entwicklung:  In  einem  Teile  der  Romania  ist  die 
archaische  Sprechweise  kaum  verklungen;  es  ist  nicht  abzusehen, 
wann  und  ob  dieser  Teil  in  das  Entwicklungsstadium  kommt,  in 
dem  andere  Gebiete  sich  heutzutage  befinden.  Infolgedessen  wird 
der  Unterschied  zwischen  den  einzelnen  Sprachen  im  Verlaufe  der 
Jahrhunderte  notwendigerweise  viel  gröfser  werden,   als  er  jetzt  ist. 


*  Vgl.  Bourdon  a.  a.  O.   120  ff.,    und    die    zusammenfassende  Betrachtung 
in  Ihrer  Französ.  Grammatik  S.  116  ff. 


143 

Wer  sagt  uns,  dafs  wir  nicht  die  Vergangenheit  im  Spiegel 
der  Gegenwart  beurteilen  müssen?  Hat  es  sich  früher  anders  zu- 
getragen? Hat  die  Menschheit  schon  viele  solche  Evolutionen 
hinter  sich  ? 

Aber  ich  glaube  Sie  zu  sehen,  mein  lieber  hochverehrter 
Meister,  wie  Sie  mit  einem  Lächeln  ablehnen,  mir  in  dieser  Be- 
trachtung weiter  zu  folgen  und  so  lege  ich  lieber  die  Feder  aus 
der  Hand. 

Wien,  März   1910. 

Elise  Richter. 


Vom  Abdruck   der   überaus    umfangreichen  Bibliographie    sehe   ich   aus  Platz- 
mangel ab. 


Zur  Bildung  romanischer  Kindernamen. 


Für  die  Erklärung  romanischer  Kindernamen  kommt  eine  Er- 
scheinung in  Betracht,  die  bisher  wenig  beachtet  wurde  und  die 
doch  für  unser  Problem  von  Wichtigkeit  sein  dürfte.  Täglich  können 
wir  hören,  wie  die  Kleinen  bei  den  verschiedensten  Gelegenheiten 
bald  in  zärtlichem,  bald  in  ironischem  oder  vorwurfsvollem  Ton 
mit  Tiernamen  bezeichnet  werden  und  auch  für  die  Erwachsenen 
trifft  dies  zu,  wobei  allerdings  der  pejorative  Charakter  solcher  Be- 
nennungen zu  überwiegen  scheint.  Henderl,  Katzerl  und  Mauserl 
sind  Ausdrücke,  die  ich  in  Österreich  auf  Kinder  anwenden  hörte, 
und  was  die  Erwachsenen  betrifft,  so  gibt  es  kaum  ein  Haustier 
mit  dem  sie  nicht  mitunter  in  mehr  oder  weniger  schmeichelhafter 
Weise  verglichen  werden.  Es  handelt  sich  jedenfalls  um  eine  höchst 
verbreitete,  vielleicht  sogar  allgemein  sprachliche  Erscheinung  und 
ich  glaube,  dafs  hier  der  Schlüssel  für  eine  Anzahl  etymologisch 
dunkler  romanischer  Kindernamen  zu  finden  ist,  was  ich  im  folgenden 
erörtern  möchte.  Eine  zusammenfassende  Statistik  über  die  An- 
wendung von  Tiernamen  auf  Personen  steht  mir  nicht  zur  Verfügung 
und  ist  auch  nicht  unbedingt  nötig.  Den  gröfsten  Teil  des  von 
mir  benützten  Materiales  verdanke  ich  der  bewunderungswürdigen 
Sammlung  Roll  an  ds:  La  Faune  populaire  de  la  France  und  dem  Werke 
Richard  Rieglers:  Das  Tier  im  Spiegel  der  Sprache,  1907.  Im 
übrigen  dürfte  sich  fast  jeder  an  Beispiele  aus  Sprachen  verschiedener 
Nationen  erinnern,  die  geeignet  sind,  die  hier  vorgebrachte  Ansicht 
zu  stützen.  Die  Anwendung  auf  die  Praxis  möge  beweisen,  inwie- 
fern sie  zur  Lösung  unseres  Problems  beitragen  kann. 

Wenn  man  nun  auch  den  Eindruck  hat,  dafs  die  Tiernamen 
bei  der  etymologischen  Erklärung  der  romanischen  Kindernamen 
einen  ziemlich  breiten  Raum  einnehmen  dürften,  so  ist  es  doch 
nicht  möglich,  das  ganze  Thema  von  diesem  einen  Gesichtspunkte 
aus  zu  behandeln.  Aus  der  Fülle  von  Erscheinungen,  die  aufserdem 
in  unseren  Rahmen  gehören  und  der  Untersuchung  noch  bedürfen, 
habe  ich  herausgegriffen,  was  mir  der  Zufall  nahegelegt  hat  und 
mich  bemüht,  Ausdrücke  wie  iosa,  touse,  ioso,  tos,  cartisu  durch  eine 
Haaropfer  Zeremonie  zu  erklären,  über  deren  internationale  Ver- 
breitung nach  den  jüngsten  Forschungen  der  Ethnologen  kein  Zweifel 
sein  kann. 


H5 

Es  bedarf  kaum  noch  der  Erwähnung,  dafs  ich  in  keiner  Weise 
Anspruch  auf  Vollständigkeit  erhebe  und  wenn  ich  mich  trotzdem 
entschliefse,  den  Beginn  einer  Arbeit  zu  publizieren  zu  deren 
Vollendung  Jahre  nötig  wären,  so  geschieht  es,  weil  Sie  hoch- 
verehrter Lehrer  oft  den  Wunsch  geäufsert  haben,  es  mögen  die 
romanischen  Kindernamen   einer  Untersuchung  unterzogen  werden. 

3Iuchacho. 

Sainean  verzeichnet  in  seiner  Criation  mithaphoriqrte  en  frangais 
ei  en  vornan  [Le  Chat  i.  Beiheft  der  ZtRPh.)  p.  i8  die  italienischen 
Formen  mucio  und  mucia  für  Katze  und  hält  muchacho  für  eine  Be- 
zeichnung dieses  Tieres,  die  erst  später  auf  Kinder  angewendet 
wurde.  In  Anbetracht  der  vielen  Parallelen,  die  Sainean  für  diesen 
Bedeutungswandel  bringt  (p.  65),  mufs  zugegeben  werden,  dafs 
diese  Ansicht  richtig  sein  könnte.  Es  wäre  nur  noch  nötig  *mucho 
oder  mtichacho  auch  auf  spanischem  Gebiet  in  der  Bedeutung  Katze 
nachzuweisen,  was  Sainean  bis  jetzt  nicht  gelungen  ist,  denn  er 
führt  nur  sp.  midio,  micha,  michino  Katze  an,  und  aufserdem  würde 
das  Wort  noch  immer  einer  etymologischen  Deutung  bedürfen. 
Man  wird  ja  gerne  zugeben,  dafs  der  Anlaut,  der  sich  bei  unzähligen 
Worten  für  Katze  wiederholt,  auf  Schallnachahmung  beruhen  kann, 
aber  dafs  das  ganze  Wort  auf  diese  Art  entstanden  sein  sollte,  wie 
Sainean  annimmt,  ist  jedenfalls  bis  jetzt  nicht  bewiesen.  Ich 
möchte  nun  eine  andere  Deutung  vorbringen,  die  vielleicht  auch 
einige  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  Musculus  hätte  im  Spanischen 
*mucho  ergeben  müssen  (cf.  masculu  =  macho).  Als  Kosewort  ist 
Mäuschen  im  Deutschen  allgemein  bekannt.  Mehrere  Beispiele  für 
Maus  in  der  Bedeutung  Mädchen  führt  Riegler  an  z.  B.  elsäfs. 
Misel,  nach  R.  ein  Diminutiv  von  Maus.  Bei  Shakespeare  findet 
sich  mousehunt  in  der  Bedeutung  Mädchenjäger. 

In  einigen  Gegenden  Deutschlands  ist  Maus  ein  Ausdruck  für 
cunnus.   Dasselbe  gilt  von  toscan.  topa  (weibliche  Maus)  Riegler  p. Ö3. 

Goujat,  gouge. 

Die  Diez'sche  Ableitung  dieser  Worte  von  hebr.  goi,  goje,  wo- 
mit die  Juden  die  Christen  bezeichnen,  ist  sehr  unwahrscheinlich, 
denn  man  sieht  nicht  ein,  aus  welchem  Grunde  eine  mächtige 
Nation  eine  Bezeichnung  für  ihre  eigenen  Kinder  von  einem  zer- 
streuten, wenig  zahlreichen  und  verfolgten  Stamm  entlehnen  sollte. 
Auch  der  von  Diez  angenommene  Bedeutungswandel  ^ö;>  =  christ- 
liche Dienerin,  Magd  ist  nicht  einwandfrei,  denn  goi  bedeutet  nichts 
anderes  als  NichtJude  und  man  darf  sich  nicht  darauf  berufen,  dafs 
die  Juden  selbstverständhch  auch  eine  christliche  Dienerin  goje 
nennen  können.  Für  die  Erklärung  eines  Wortes,  das  in  neu- 
französischen Dialekten  eine  gewisse  Rolle  spielt,  würde  man  jeden- 
falls eine  breitere  Basis  wünschen.  Der  Typus  goujat,  gouyat,  gouge, 
goujdto,  gouyäto    und  Ableitungen  wie  gouyatot,  gouy atote  sind,  wie 

Beiheft  zur  Zeilschr.  f.  rom.  Phil.  XXVII.    (Festschrift.)  10 


146 

der  Atlas  linguistique  lehrt,  im  südwestlichen  Frankreich  beliebte 
Bezeichnungen  für  Knabe,  Kind,  Sohn  resp.  Mädchen  und  Tochter 
(cf.  die  Karten  eiifant  461,  gar^Oft  622,  les  garfotts  624,  moii  petit 
gari'on  623,  mon  fils  ^'J2,  quand  mon  fih  573>  via  fille  570,  votre 
fillitte  156g  und  Tappolet,  Romanische  Vtrwandtschaftsnamen  p.  48). 
Pti  gouya(t),  petit  gouydto  bedeuten  in  der  Dordogne  und  der  Gironde 
Enkel,  Enkelin  (Tappolet  p.  90).  Ferner  findet  sich  gotige  und 
gouye,  gougeo  gotiyo  auf  der  Karte  servante  1226  bei  Gillieron  und 
zwar  in  den  Departements  Gironde,  Dordogne,  Lot,  Lot  et  G., 
Landes,  Gers,  Tarn  et  G.,  B.  Pyr.  und  H.  Pyr.  Mistral  verzeichnet 
goujoun,  gouioun  (g)  *  goiijou  (1)  =  petit  gar^on  enfant;  goujard  goujat 
=  gar(^on  en  Languedoc,  Gase,  et  Bearn,  fiancö  en  Guienne,  petit 
serviteur,  aide-berger,  valet,  manoeuvre,  goujat  vilain,  saligaud, 
vaurien  en  Provence;  goujardas,  goujaias  (1)  =  vilain  goujat,  grand 
gar90n,  mauvais  gars,  go?ijadet,  goujatet  (1)  gouiatet  (g)  goujaiou  (1. 
lim)  gouiatot  (b)  =  petit  gar(;on,  petit  goujat;  ferner  die  Feminina 
goujardo,  goujato  (I.  g.),  goiiiato  (b)  =  jeune  fille,  fille,  fille  qui  hante  les 
garyons,  fiancee  en  Guienne;  goujeto,  gouieto  (b),  goujoto  (g)  =  petite 
fille,  petite  servante,  bonne;  goiijo  goutjo  (quere)  gouio  (g)  gouie  (b) 
fille,  servante;  goujardeto ,  goujateto  (1),  gouiatet 0  (g)  goniatoto,  gonia- 
tino  (b)  goujardotino  (ra)  goiijatouno  (lim)  =  fillette,  petite  bonne,  petite 
polissonne;  goujardasso  goujatasso  (quere)  =  grosse  fille,  maritorne. 

Bei  Littr6  finden  wir  lothr.  goiijart  in  der  Bedeutung  jeune 
homme,  bei  Godefroy  ebenfalls  goiija)-d=  gamin  (Haute  Normandie, 
Vallee  d'Yeres). 

Die  sehr  häufige  Form  goujat,  die  auch  der  Schriftsprache  bis 
zu  einem  gewissen  Grad  angehört,  deutet  durch  das  Suffix  attu 
auf  einen  Tiernamen  und  der  Gedanke  liegt  nahe,  das  Wort  mit 
goujon  (gohione)  in  Zusammenhang  zu  bringen,  besonders  da  ja 
nach  Mistral  goujoun,  gouiowi  (g)  und  goujou  (1)  Knabe  bedeutet. 
Andrerseits  verzeichnet  Rolland  III,  p.  146  die  neuprovenzalische 
Form  goujoim  als  Fischnamen.  Begriß"lich  liefse  sich  die  Etymologie 
rechtfertigen.  Nach  Sachs  hat  nämlich  goujon  =  Gründling  auch 
die  Bedeutung  Dummkopf  (cf.  ital.  ghiozzo  =^  Gründling,  Dummkopf, 
einfältiger,  ungehobelter  Geselle),  und  man  weifs,  wie  leicht  ver- 
ächtliche Bezeichnungen  ihren  pejorativen  Charakter  verlieren.  Bei 
goujat,  dessen  Bedeutung  schon  durch  das  Diminutivsulfix  etwas 
gemildert  wurde,  konnte  dies  besonders  leicht  der  Fall  sein  (cf. 
z.  B.  Canaille  und  crapaud,  die  mundartlich  zum  Kinderwort  geworden 
sind  oder  das  sächsische  Luderchen,  das  geradezu  als  Kosewort  ver- 
wendet wird).  Es  ist  nicht  selten,  dafs  Fischnamen  zu  Personal- 
bezeichnungen werden.  Ich  erinnere  nur  an  Pomuchelskopf  =  Dumm- 
kopf (preufs.  Pomuchel  =  Dorsch),  Stockjisch,  vieille  morue  nach 
Rolland  in  jure  grossiere  adress^e  a  une  vieille  femme;  hoUänd. 
schelvis  (=  morue)  wird  sogar  auf  Kinder  angewendet.  Jou 
schelvisje,    kleine    schelvis,  jou   quitje,   platjt    entspricht,    wie  Rolland 


*  Die  Abkürzungen  entsprechen  jenen  bei  Mistral. 


147 

bemerkt,  einem  petit  fripon,  petit  espiegle,  sp.  bacalao^  =  individu 
sec  et  efflanque  (Rolland  III,  p.  ii4')^>,  117).  Die  Bewohner 
von  Audierne  nennt  man  spöttisch  penn  tnarltis  (tete  de  merlu),  weil 
dieser  Fisch  in  der  betreffenden  Gegend  sehr  häufig  ist  (Rolland 
p.  iio^^).  In  Gard  nennt  man  jemanden,  der  wenig  ifst,  venire  de 
vernieiro  (veron)  III,  p.  140.  In  der  Cote  d'Or  gilt  mcchant  abiot 
(ablette)  als  Schimpfwort  (p.  141).  Walion.  epinoque  (epinoche)  be- 
zeichnet ein  mageres,  schwächliches  Kind,  p.  173'^.  Tete  de  hovou 
{chahoi)  bedeutet  grosse  tete,  bete  (Montbeliard)  p.  175.  In  Marseille 
sagt  man  „c'est  un  gournaou  (grondin)"  imbecile,  etourdi,  homme 
grossier  p.  176.  Aigrefin  bezeichnet  einen  listigen  Menschen  p.  114. 
Dasselbe  bedeutet y>/«^r  Hecht,  während  du  Karp/'im  Wiener  Dialekt 
ein  bekanntes  Schimpfwort  ist  und  ungefähr  einem  „Dummkopf" 
entspricht,  cf.  auch  Backfisch.  Wie  oft  der  Begriff  Fisch  als  solcher 
auf  Personen  übertragen  wird,  hat  Riegler  p.  215  und  223  ff.  nach- 
gewiesen, cf.  z.  B.  ib.  nuovo  pesce,  port.  peixote  =:  Dummkopf,  span. 
pez  =  schlechter  Schüler. 

In  formeller  Hinsicht  ist  zu  unserer  Etymologie  noch  einiges 
zu  bemerken.  Wichtig  ist  eine  Form  gonge  m.  =  messager,  serviteur, 
die  Godefroy  zweimal  aus  einem  Texte  des  Jahres  1337  belegt 
und  die  wohl  auf  gohium  zurückgeht.  In  lautlicher  Beziehung  ist 
zur  Stütze  der  Etymologie  noch  zu  sagen,  dafs  Godefroy  auch 
coujat  und  couja?-d  zitiert,  was  sich  aus  der  im  lat.  ebenfalls  vor- 
handenen Form  cohium  erklärt.2  —  Das  Wort  dürfte  aus  der  Volks- 
sprache in  die  mittelfranzösische  Schriftsprache  eingedrungen  sein 
und  da  goujat  in  letzterer  gewöhnlich  valet  d'armee  bedeutet,  so 
ist  anzunehmen,  dafs  die  Vermittler  Soldaten  gewesen  sind,  Belege 
aus  der  alten  Sprache  wurden  bis  jetzt  nicht  gefunden.  Littre 
meint,  dafs  das  Wort  aus  dem  Süden  stamme,  offenbar  weil  es 
heute  dort  am  lebensfähigsten  ist.  Die  Annahme  ist  möglicherweise 
zutreffend,  unbedingt  zwingende  Gründe  sind  dafür  aber  nicht  vor- 
handen, da  sich  goiijard  ]z.  auch  in  der  Normandie  und  in  Lothringen 
nachweisen  läfst.  Die  Lautentwicklung  bietet  keine  Anhaltspunkte. 
Auch  die  Belege  aus  der  Schriftsprache  lassen  auf  nichts  Sicheres 
schUefsen.  Sowohl  Godefroy  als  auch  Levy  belegen  das  Mas- 
kulinum seit  dem  14.  Jahrhundert.  Das  Femininum  findet  sich  erst  im 
15.  Jahrhundert  ein.  Wenn  die  hier  vorgebrachte  Theorie  richtig  ist,  so 
müfste  das  Femininum  auch  wirklich  jünger  sein  als  das  Maskulinum. 
Gonge  (f)  wäre  dann  zu  goujat  gebildet  worden  nach  Vorbildern 
wie  louve — louvat.  Bei  Marguerite  de  Navarre  und  bei  d'Aubigne 
findet  sich  auch  gonjatte.    Ich  möchte  mich  aber  nicht  auf  den  Um- 


^  Sollte  franz.  bachelier  nicht  damit  im  Zusammenhang  sein  (cf.  ital. 
haccalä,  baccalaro  =  Stockfisch)?  Die  häufige  Anwendung  dieses  Fischnameas 
auf  Personen  würde  darauf  hindeuten. 

"  Die  Form  goujue  die  Godefroy  alleniings  nur  einmal  belegt,  ist 
mir  nicht  klar:  Que  ceste  |,'arcc  ne  pouvoit  avoir  iin  chancre  estant  ainsi  grasse, 
potel6e  et  goitjtie  (Par6  Oeuv.,  XIX,  XXII  Malgaigne).  Vielleicht  i!.t  statt 
goujue  goulne  zu  lesen. 

10* 


148 

stand  berufen,  dafs  das  Femininum  erst  aus  späterer  Zeit  belegt 
ist  als  das  Maskulinum,  da  ja  die  alte  Überlieferung  des  Wortes 
überhaupt  nicht  bekannt  ist  und  der  Zufall  hier  eine  grofse  Rolle 
spielen  kann. 

Was  die  Bedeutung  des  Wortes  im  Mittelfranzösischen  und 
Mittelprovenzalischen  anbelangt,  so  sind  gonge  und  goujat  ziemlich 
indifferent,  goujard  hingegen  zeigt  pejorativen  Charakter.  In  neuerer 
Zeit  bekommen  goujat  und  gouge  vielfach  eine  verächtliche  Nuance. 
Im  Süden  bedeutet  goujat  häufig  Schmutzfink  und  Sachs  ver- 
zeichnet das  Wort  im  Sinne  unsauberer  ungehobelter 
Mensch,  schlechter  Arbeiter,  Pfuscher.  Daneben  wird  es 
auch  im  Neufranz,  oft  indifferent  gebraucht.  Die  pejorative 
Verwendung  würde  gut  zu  unserer  Etymologie  passen,  der  Gründ- 
ling zeigt  nämlich  eine  grofse  Vorliebe  für  Würmer  und  Aas;  er 
zieht  zwar  reines  Wasser  vor,  verschmäht  aber  auch  den  Aufent- 
halt in  Sümpfen  nicht  (Brehm  VIII,  p.  2 56 ff.),  so  dafs  er  für 
schmutzig  gelten  kann.  Auf  die  Bedeutung  Dummkopf  haben 
wir  schon  hingewiesen.  Es  ist  möglich,  dafs  die  pejorativen  Be- 
deutungen von  goujat  aus  Dialekten  stammen,  die  hier  etwas  Ur- 
sprüngliches gewahrt  haben,  aber  es  kann  ebenso  wohl  sein,  dafs 
es  sich  um  einen  sekundären  Prozefs  handelt,  da  ja  die  Aus- 
drücke für  Knabe,  Mädchen,  Mann  und  Frau  aufserordentlichen 
Schwankungen  unterworfen  sind  und  wegwerfenden  Charakter  ebenso 
leicht  annehmen  als  ablegen  (cf.  z.  B.  goujard,  an  dessen  ursprüng- 
lich pejorat.  Bedeutung  man  wohl  nicht  zweifeln  dürfte  und  das 
heute  in  manchen  Gebieten  indifferent  geworden  ist  oder  Kerl, 
das  ursprünglich  Mann  bedeutete). 

Ragazza  (ragazzo). 

Bei  Rolland  II,  p.  132  finden  wir  die  Form  ragasse,  die 
nach  den  Angaben  des  Gelehrten  in  der  Normandie  und  in  der 
Savoie  die  Bedeutung  Elster  hat.  1  Das  Gleiche  gilt  von  ragazza, 
das  nach  Tommaseo  bei  den  Toskanern  und  Venetern  ebenfalls 
eine  Bezeichnung  dieses  Vogels  ist.  Ferner  zitiert  Rolland  II, 
p.  146  ein  lombardisches  ragazzola,  das  einem  ornithologischen 
Werket  aus  dem  17.  Jh.  entstammt  und  pie  grihhe — Würger  be- 
deutet. Rolland  bemerkt  dazu,  dafs  dieser  kleine  Raubvogel 
Ähnlichkeit  mit  der  Elster  habe,  weshalb  fast  alle  Namen  derselben 
auf  ihn  übergegangen  sind.  Ein  racasse  für  rousserole  =  Sumpf- 
nachtigall   oder  Rohrsänger   finden    wir   ebenfalls    bei    Rolland  II, 


^  Die  Karte  pie  loio  bei  Gillieron  zeigt  keinen  Beleg  für  ragasse, 
was  sich  daraus  erklären  dürlte,  dafs  die  Belege  Rollands  älteren,  natur- 
historischen Werken  entstammen  als  die  von  Gillieron  aufgezeichnete  münd- 
liche Überlieferung;  ragasse  findet  sich  im  Essai  sur  Vhistoire  tiattirelle 
de  la  Normandie  par  Chesnon,  Bayeux   1844. 

*  Olina,  Uccelliera  ovvero  discorso  della  natura  di  diver si  ticcelli, 
Roma  16S4. 


149 

p.  284  und  zwar  aus  der  Savoie  und  dem  Departement  Maine-et- 
Loire.  Wenn  wir  uns  über  die  Bedeutung  des  Stammes  rac  oder 
rag  in  Tiernamen  klar  werden  wollen,  so  genügt  es  einige  ähnliche 
Bildungen  neben  racasse,  ragasse  zu  stellen,  um  die  Erklärung  zu 
finden.  Racanelte  (R.  II,  p.  399)  bedeutet  Krikente  im  Dep.  Aube; 
ital.  raganclla,  mail.  ragagella,  frz.  raquette  (Vienne)  heifst  Laub- 
frosch und  zwar  sagt  Rolland  von  letzterem  „parce  qu'il  fait 
entendre  son  cri  rac  rac  rac"  III,  p.  74.  Fügt  man  noch  hinzu, 
dafs  raganella  auch  die  Bedeutung  Schnarre,  Klapper  oder  Knarre 
besitzt,  so  wird  man  wohl  nicht  daran  zweifeln  können,  dafs  es 
sich  um  schallnachahmende  Bildungen  handelt.  Von  dem  Stamme 
rac  werden  Namen  von  Tieren  gebildet,  die  durch  ihr  unan- 
genehmes Geschrei  auffallen  und  für  die  daher  in  vielen  Sprachen 
und  Mundarten  onomatopoetische  Bezeichnungen  üblich  sind,  aus 
deren  Fülle  ich  nur  einige  herausgreife.  Für  Elster  gebraucht  man 
z.  B.  im  Sizil.  carcarazza  (cf.  cracasser  =  crier  comme  la  pie  Poitou 
Rolland  II,  p.  132),  für  Rousseroh  räcaca  (Aube),  khikara  (Doubs, 
Cote-d'Or),  cracra  (Orleanais,*  Gard),  cric-crac,  craccrac,  caricara, 
carakin  (Orleanais),  gros  cracra  (Toulouse),  karekiet  (Holland)  Rolland 
II,  p.  284,  für  Krikente  cric  cric  (Jura),  crac,  criqiiet,  sarcelle  cri- 
quart  (Savoie)  Rolland  II,  p.  399,  Kricke,  Krick-  Krück-  Krugel-Ente 
(Winteler,  JVaturlaut  uud  Sprache,  Aarau  1892,  p.  16),  für  pie 
grüche  Kruck-,  Kriek,  Krieg-  Kriegelelster  und  Krickelelster  (  W.  p.  16). 

Der  Umstand,  dafs  bei  den  Tiernamen  auf  rac,  rag  schall- 
nachahmende Bildungen  vorliegen,  erklärt  auch  das  Schwanken 
zwischen  dem  stimmlosen  und  dem  stimmhaften  Velarlaute,  denn 
wann  wir  Laute  wiedergeben  wollen,  die  der  menschliche  Kehlkopf 
nicht  besitzt,  können  natürlicher  Weise  nur  Annäherungswerte  ein- 
gesetzt werden,  die  bald  nach  der  einen,  bald  nach  der  andern 
Richtung  ungenau  sind. 

Ich  möchte  nun  auf  die  besondem  Umstände  eingehen,  die 
den  Bedeutungsübergang  der  Begriffe  pie,  pie  grihhe  zu  den  Be- 
griffen Knabe,  Mädchen  veranlassen  konnten.  Ein  schallnach- 
ahmendes rac  oder  rag  mit  dem  Pejorativsuffix,  asse,  azzo  bedeutet 
ungefähr  „Schreihals"  und  mochte  auf  Kinder  ebensowohl  als  auf 
Tiere  Anwendung  finden.  Redensarten  nach  dem  Muster  von 
schwatzhaft  wie  eine  Elster,  holl.  klappen  als  een  exster  (Rolland  II, 
p.  135),  bavarde  comme  une  pie,  babiha  coumo  uno  pigo  borgno^ 
(Mistral)  trugen  jedenfalls  dazu  bei  den  Bedeutungsübergang  zu 
vermitteln  und  da  die  Schwatzhaftigkeit  mit  Vorliebe  dem  weib- 
lichen Geschlecht  zugeschrieben  wird,  darf  es  uns  nicht  wundern, 
wenn  manche  Ausdrücke  für  Elster  auch  Frau  bedeuten,  z.  B.  hec 


1  Alle  Namen  aus  dem  Orleanais  stammen  aus  einer  Arbeit  von  Salerne, 
Hist.  nat.  eclaircie  dans  une  de  ses  parties,  l' Ornithologie  (1767J.  —  Es  werden 
hier  nur  jene  Quellen  Rollands  im  einzelnen  angegeben,  die  vor  dem  19.  Jh. 
aufgezeiclanet  wurden. 

2  Nach  Rolland  II,  p.  135  sticht  man  den  Elstern  die  Augen  aus,  um 
sie  leichter  zum  Sprechen  zu  veranlassen. 


150 

de  pie  (Rolland  II,  p.  135)  und  das  aus  ahd.  agaza^  umge- 
bildete agasso  =  babillarde  {M.).  Diese  Ausdrücke  haben  durch- 
wegs tadelnden  Sinn  und  zwar  besonders  jene,  die  sich  auf  die 
pie  grihhe  oder  criarde  beziehen,  aus  deren  Geschrei  man,  wie  es 
scheint,  eine  gewisse  Zanksucht  zu  entnehmen  glaubt.  On  apelle 
une  personne  aigre  et  querelleuse:  amargasso  (Tarn),  acrele  (Centre), 
krignöle  (Montbeliard),  gribiche  (Canton  de  Vaud),  pie  grikhe  en 
fran9ais  (Rolland  II,  p.  149).  Alle  diese  Worte  sind  auch  für 
die  pie  criarde  in  Gebrauch  mit  Ausnahme  von  gribiche,  das 
Rolland  nicht  als  Vogelname  nachweist,  aber  doch  als  solchen 
auffafst.  —  Die  diebische  Vorliebe  der  Elster  für  alles  Glänzende 
wurde  mit  dem  Schmuckbedürfnis  der  Frauen  verglichen,  daher 
bedeutet  nach  Mistral  pigo  auch  ferame  cupide  voleuse;  utw  orro 
agasso  —  vilaine  femme,  vgl.  übrigens  auch  vilai7i  male  d'agache 
(Rolland  II,  p.  136)  und  agassat  (Languedoc)  =  enfant  qui 
happe   ce  qu'on  lui  offre  (Mistral)."^ 

Ein  weiteres  Moment,  das  besonders  Kindern  gegenüber  zum 
Tertium  comparationis  werden  konnte,  ist  die  Hilflosigkeit  der  jungen 
der  pie  grieche,  worüber  bei  Rolland  11,  p.  149  ff.  folgendes  zu  finden 
ist:  Je  crois  avoir  lu  quelque  part  (\n&  \qs  ioMnes  pies  grikhes  mem& 
sorties  du  nid  etaient  tout  ä  fait  stupides  et  se  laissaient  prendre 
facilement.  C'est  pour  cela  sans  doute  qu'on  a  appel6  un  niais 
un  imbecile:  taniaga  (Gard),  dat-naga  (Toulon). 

Es  erübrigt  noch,  einige  Worte  über  die  geographische  Ver- 
breitung von  ragazza  in  der  abgeleiteten  Bedeutung  zu  sagen,  deren 
Ursprung  dem  Sprechenden  völlig  dunkel  geworden  ist.  Das  Gebiet 
von  ragazzo  und  ragazza  ist  in  erster  Linie  Italien  und  Südfrank- 
reich. Im  Mailänder  Dialekt  bedeutet  ragazz  Häscher  und  Spür- 
hund (Cherubini,  Vocabolario  Milanese  italiand).  Mistral  vermerkt 
ragas,  ragach,  regach  (lang),  ragacho  (Rhone)  =  goujat  d'arm^e, 
valet  de  meunier,  gardeur  de  dindons,  aide  —  berger,  petit  berger, 
homme  bourru,  grognon;  ferner  r agasso  =  servante,  dindonniere, 
ragassoun,  ragasson  (lang),  regachon,  recouchon  (lang)  =  petit  goujat, 
valet  de  cavalier,  apprenti  monnayer,  apprenti.  Die  letztgenannte 
Form  scheint  volksetymologische  Anlehnung  an  couchoun  zu  zeigen, 
das  Mistral  auch  verzeichnet.  Ragassaire  bedeutet  pederaste 
paillard  (cf.  vilain  male  d'agache).  Godefroy  zitiert  ragasse  bald  als 
Maskulinum    bald    als    Femininum    und    zwar    meist    in    ganz    ab- 


^  Cf.  Suolahti:  Die  Deutschen  Vogelnamen,  Strafsburg  1909,  p.  193. 

^  Mitunter  treten  Eigennamen  in  der  Bedeutung  Elster  auf,  z.  B.  Jaque, 
jfaquette,  Margot,  Cateati  etc.,  Rolland  II,  p.  I32ff.,  jedenfalls  weil  die 
Elster  manchmal  als  Hausvogel  gehalten  wird.  Riegler  meint,  dafs  putta  = 
Elster,  das  er  für  putida  hält,  ursprünglich  die  Bedeutung  Mädchen  hatte  und 
beruft  sich  auf  die  Redensart  „fare  come  le  putte  al  lavatoio",  p.  159.  Diese 
Älöglichkeit  ist  natürlich  vorhanden,  aber  man  könnte  auch  an  ein  anderes 
Etymon  denken.  Der  Vogelname  putta  ist  vielleicht  verwandt  mit  Ausdrücken 
wie  Puthenne  und  Putchen.  Die  von  Riegler  angeführte  Redensart  wäre 
dann  erst  entstanden,  als  putta,  puttella  schon  sekundär  für  Frauen  an- 
gewendet wurde. 


151 

geschwächter  Bedeutung.  Alle  seine  Belege  gehören  dem  Mittel- 
französischen an,  sodals  man  versucht  ist,  das  Wort  für  einen 
Italianismus  zu  halten.  Eine  einzige  Stelle  scheint  der  Grund- 
bedeutung näher  zu  stehen.  Sie  stammt  aus  der  Moralit^:  Ernye, 
Es  tat  et  Simpksse  [Leroux  de  Lincy  et  Michel,  Farces,  Morales  ei 
Sermofts  joyeiix  1).  Die  Situation  ist  folgende:  Estat  soll  von 
Eftzye  ins  Unglück  gestürzt  werden  und  wird  von  Sitnplesse  gewarnt, 
deren  gute  Absichten  er  aber  anfangs  verkennt.  Auf  ihre  Worte: 
,,Mon  Dieu  de  grace  Tous  estas  sont  bien  abuses",  erwidert  Estat 
ironisch:  „Savons  qu'il  est  faulse  ragace  N'en  parles  plus  et  vous 
taises".  Man  könnte  versucht  sein,  faulse  ragasse  mit  Redensarten 
wie  „mentir  comme  une  pie"  (Rolland  I  p.  137),  plus  fausse  que 
pie  zusammenzubringen  und  faulse  ragasse  mit  ., falsche  Elster" 
übersetzen,  doch  läfst  sich  dies  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  da 
ja  ragasse  auch  die  sekundäre  Bedeutung  INIädchen  haben  kann, 
wozu  sich  dann  infolge  der  Situation  zufälligerweise  das  Beiwort 
faulse  gesellt  haben  mag.  Nach  Godefroy  hat  ragache  ferner  im 
Val  de  Saire  (Manche)  den  Sinn  von  querelleur,  eine  Bedeutungs- 
nuance, die  wir  bei  dem  Begriff  Elster  schon  kennen  gelernt  haben. 
Im  Poitou  soll  racasse  eine  Bezeichnung  sein,  welche  die  Landleute 
für  die  Stadtarbeiter  gebrauchen  (Godefroy),  was  offenbar  mit 
lokalen  Überlieferungen  zusammenhängt,  die  mir  nicht  bekannt  sind. 
Ich  erwähne  schliefslich  den  Ortsnamen  Ragaz  im  Kanton 
St.  Gallen,  der  vielleicht  auch  hierher  gehört.  Der  Fall,  dafs  der 
Name  der  Elster  für  die  Bildung  von  Ortsnamen  verwendet  wurde, 
ist  nicht  vereinzelt,  cf.  z.  B.  bei  Mistral:  Agassac  (Haute  Garonne), 
Aguessac  (Aveyron),  Agassas  (Lot-et-Garonne).  Ferner  verzeichnet 
Mistral  Agasse  und  Ayasse  als  nom  de  famille  meridionale. 

Monella  (monello)» 

Eine  Etymologie  von  monflla,  die  in  diesem  Zusammenhang 
erwähnt  werden  mufs,  findet  sich  im  Wörterbuch  von  Tommaseo, 
der  das  Wort  von  ynonedula  ableitet  und  auch  bei  Rigutini,  wo 
diese  Etymologie  allerdings  als  unsicher  hingestellt  wird.  Es  besteht 
aber  kein  Grund  sie  abzulehnen.  Lautlich  ist  nichts  dagegen  ein- 
zuwenden, denn  monedula  mufste  zu  mo7iella  werden  (cf.  spalla  = 
spaiula,  crollare  =  corrofulare,  strillare  =  stridulare  Grob  er  s 
Grundrifs  2.  Aufl.  I  p.  678).  Aus  momdula  sollte  man  allerdings 
*monella  erwarten,  doch  mag  sich  frühzeitig  §llus  eingemischt  haben. 
Begrifflich  ist  die  Etymologie  wahrscheinlich,  denn  das  Wort  wird 
fast  immer  in  vorwurfsvollem  Sinne  gebraucht.  Moufllo  bedeutet 
Schelm,  Wildfang,  Strafsenjunge,  Schalk,  nach  Tommaseo  auch 
fanciullo  tristo  et  discolo,  aufserdem  furbacchiolo,  astuto,  accorto. 
Die  letzteren  Nuancen  deuten  auf  das  diebische  Wesen  der  Elster, 
cf.  ebenfalls  bei  Tommaseo,  Se  il  tnonello  ha  le  man  fatte  a  on- 
cino  per  gire  sgraffignar  pel  vicinato.  —  Ein  anderer  Beleg  scheint 
noch    auf   das   unangenehme  Geschrei  der  Elster  hinzuweisen.     La 


bile  allor  lampeggia,  i  piedi  hatte  il  monello,  nel  gridar  si  rotto  che 
le  bestie  ragliar  d'Arkadia  credi  (Monti).  Interessant  ist  auch  die 
Stelle:  Se  bene  io  fo  il  rnerlotlo  son  di  molto  monello,  wo  die  Namen 
zweier  Vögel  von  verschiedenen  Fähigkeiten  für  die  Begriffe  dumm 
und  klug  eintreten.  Jedenfalls  beweist  aber  die  männliche  Form, 
dafs  sich  der  Autor  über  die  Herkunft  des  Wortes  nicht  klar  war. 
Mitunter  wird  tnotiflla  auch  in  gutem  Sinne  gebraucht  und  bezeichnet 
dann  ein  graziöses  liebenswürdiges  Kind  von  lebhaftem  Wesen. 

Piccöla  (piccolo). 

Piccola  dürfte  von  pica  abzuleiten  sein.  Die  Verdoppelung 
des  Konsonanten  nach  dem  betonten  Vokal  eines  proparoxytonen 
Wortes  ist  wahrscheinlich  lautgesetzlich  (cf.  fcmmhia,  dbbaco,  cdltedra, 
bdhlola  Gröbers  Grundrifs  2.  Aufl.  I  p.  682).  Vielleicht  ist  cc  auch 
auf  den  Einflufs  von  taccola — Elster  zurückzuführen.  Die  Bildung 
kann  nicht  besonders  alt  sein,  da  ja  sonst  picola  ein  *picchia  er- 
geben hätte  ^  (cf.  piculu  =  picchio).  Ein  onomatopoetisches  Moment 
könnte  auch  hier  in  Betracht  kommen,  da  nach  Winkler  p.  33 
die  Elster  hier  und  da  ein  eigentümlich  hämisches  pi  ertönen  läfst, 
dem  sie  vielleicht  ihren  lateinischen  Namen  verdankt.  Allen  ono- 
matopoetischen Bildungen  ist  es  aber  eigen,  dafs  sie  zu  jeder  Zeit 
und  an  jedem  Ort  entstehen  können,  da  ja  ihre  natürliche  Ursache 
fortwährend  vorhanden  ist.  Für  die  begriffliche  Seite  unserer  Ety- 
mologie sei  eine  Stelle  aus  K.  F.  Meyers  Angela  Borgia  hier  ange- 
führt: „Es  steht  dort  eine  Pica,  die  Tochter  des  neuen  Gärtners, 
der  er  jetzt  Pfirsiche  pflücken  hilft  mit  den  üblichen  Griffen  und 
Rissen  und  Wortspielen,  welche  seit  Adams  Zeiten  das  Ergötzen 
unserer  edlen  Menschheit  sind"   (p.  90,  Haessel,  Leipzig   1907). 

Ital.  FiccinOt  südfranz.  FicJioim. 

Wir  wenden  uns  nun  einem  Kindernamen  zu,  der  einer  lieb- 
kosenden Benennung  seinen  Ursprung  verdankt.  It.  piccino,  piccina, 
südfranz.  pichoiin,  pichouno  scheint  mit  piccione  dem  Reflex  von  pipione 
verwandt  zu  sein.  Für  die  Entwicklung  zum  Kindernamen  gab 
es  zwei  Möglichkeiten.  Selbstverständlich  konnte  man  neben 
piccione  (Taube)  ein  Diminutivum  piccino  bilden  und  die  Koseform 
„Täubchen"  2  für  kleine  Kinder  anwenden,  sodafs  sich  dann  die 
Bedeutung  klein  daraus  ergab.    Nach  Porru  wird  piccioni^  im  Sard. 


^  Ich  wage  es  nicht  auf  sp.  pega  Elster  und  pequeho  einzugehen,  da 
die  folkloristischen  Belege  aus  diesem  Gebiet  vorläufig  nicht  in  genügendem 
Umfang  vorliegen.  Das  gemeinsame  e  könnte  eventuell  für  einen  Zusammen- 
hang  sprechen,    die   andern  lautlichen  Kriterien  stimmen  aber  durchaus  nicht. 

*  Picciuni  bedeutet  im  Sizil.  (Traina)  ganz  allgemein  das  Junge  eines 
Vogels. 

*  Die  dialektische  Form  picctottö  -a  =  ragazzo  -a  (cf.  Pianigiani) 
könnte  direkt  auf  *^/^zö//ö  zurückgehen,  /'/cc/ö/o  beruht  auf  einer  Vermischung 
von  piccolo  +  piccino  oder  picciotto. 


153 

für  ein  anmutiges  Kind  gebraucht.  Man  mufs  allerdings  erwähnen, 
dafs  auch  eine  vorwurfsvolle  Nuance  für  diese  Bedeutungsentwicklung 
in  Betracht  kommen  könnte,  denn  sowohl  piccione,  pippione  als  auch 
pigeon  dienen  zur  Bezeichnung  eines  Menschen  von  geringen  Geistes- 
kräften, vgl.  eloiri  (^tourdi)  comme  un  jeune  pigeon  Cote-d'Or, 
colomha  da  pelare  (Rolland  VI  p.  130,  131)  und //)(3?^7/(fw  =  jeune 
homme  naif. 

Auch  ein  anderer  Weg  wäre  aber  möglich.  Nach  Rolland 
VI  p.  26  dient  der  Ruf  y^picci!  picci!^'-  im  Dialekt  von  Parma  zum 
Anlocken  von  Küchlein  und  natürlich  kann  auf  dieser  Grundlage 
ein  piccino  gebildet  worden  sein.  —  In  begrifflicher  Hinsicht  ist 
es  wichtig,  dafs  .,bMi  hilli'''-  sowohl  Lockruf  für  Küchlein  als  auch 
Kosewort  ist. 

Auf  ganz  ähnliche  Weise  scheinen  die  sard.  Kindernamen 
pippm  (pipiu),  pippia  (pipia),  pippieddu,  pippiedda  entstanden  zu  sein, 
denen  der  verbreitete  Lockruf  pipi'^  zugrunde  liegt.  Im  Bergamask. 
bedeutet  piperin  die  Kinderschar,  pipcra  die  Kinderfrau  und  auch 
pipi"^  finden  wir  in  demselben  Dialekt  als  Lockruf  für  Hühner. 
.,Mein  Pipihenderl"    hört  man  in  Wien  mitunter  ein  Kind  nennen. 

Für   das  südfranz. /»/c/^ö?/«,  pichouno  war  der  Vergleich  mit  der 


1  Ich  führe  einige  Ausdrücke  an,  die  damit  verwandt  sind. 

Isii. pipiare, pipare\  ixzwz. piper \  Mistral:  /;jf>i]^«rt  (sich  beklagen), /^/»a, 
repepia  =  radoter  geindre,  deutsch  ptepeyi,  piepsen. 

\z\..  pipulitm,  pipiilus;  Godefroy:  pipeis,  pipis,  pippis,  pepiement,  pipie- 
nient  (gazouillement),  pipi's  (cri  de  la  souris);  Mistral:  pepiage,  pepiatge, 
pipiatge  und  repepiage  ■=  radotage. 

Vogelnamen:  Izi.  pipto  -onis;  pipho  -onis  (das  Junge  des  Kranichs); 
Rolland  II,  222 — 224:  franz.  pipi  des  buissons,  des  arhres,  Baumpieper 
(anthus  arborcus);  pioulin  (Nice),  pichota,  pioula  (Herauld),  span.  alondra  pipi, 
pipi  des  pres  oder  pipi^  Wiesenpieper  (anthus  pratensis);  Uznz.  pipi  spipolette, 
pikard.  pipeite,  pioulin  (Nice),  deutsch  Pipperling,  Sumpf pip,  hoUänd.  Gras- 
pieper t,  Piepleeuwerick ,  engl.  meaJow  pipif ,  ital.  pispola  (anthus  aquaticus); 
Sachs:  pipile  (piependes  Baumhuhn),  pipiri  (gescheckter  Vogelschnäpper), 
pipicule  (Baumpicker),  pi(t)pip  (Name  tropischer  grasmückenartiger  Vögel). 

^  Ein  Wort,  das  ebenfalls  von  einem  Lockruf  herstammen  könnte,  ist 
das  vielumstrittene  petit.  Rolland  verzeichnete  im  VI.  Band,  p.  26  folgende 
Lockrufe  für  Hühner: 

peti!  peti  1  i  i!  (Pays  messin) 

pitia,  pitia  (Pays  messin) 

pii!  pti!  (pour  appeler  les  poussins)  (Lot) 

ptito,  ptito  (pour  appeler  les  poules)  (Lot) 

tito^  tito  (Castres,  Tarn) 

ptites,  piou,  pioii  (AUier) 

fit,  pit  (breton) 

ptites,  ptites  (fran^ais,  Deux-S^vres). 

Dafs  das  t  bei  Lockrufen  und  Benennungen  für  Hühner  eine  Rolle 
spielt,  geht  auch  aus  den  Aufzeichnungen  von  Suolahti  hervor,  cf.  Die 
deutschen  Vog-elnamen ,  p.  236  PUjn^  Pittkn ,  Pit  =  e\ne  junge,  noch  nicht 
ausgewachsene  Henne  (plattdeutsch),  in  Göttingen  und  Grahenhagen  gebraucht 
man  tuck,  tuck  und  tut,  tut  zum  Anlocken  der  Hühner,  ostfriesisch  Tut,  Tütje 
bedeutet  Küchlein. 


»54 

Karte  pigeon  {Atlas  lingtiistique  iOl6)  interessant.  Pigeon,  das  im 
Altfranzösischen  ganz  allgemein  das  Junge  eines  Vogels  bezeichnete,^ 
hat  sich  in  der  speziellen  Bedeutung  Taube  siegreich  über  den 
weitaus  gröfsten  Teil  Frankreichs  verbreitet  und  cohm,  das  im  Alt- 
französischen und  Altprovenzalischen  durchaus  üblich  war,  lebt  nur 
noch  in  spärlichen  Resten  im  äufsersten  Norden,  Osten  und  Süden. 
Das  Kinderwort  erweist  sich  nur  in  Südfrankreich  als  lebensfähig  und 
zwar  sowohl  in  substantivischer  als  auch   in  adjektivischer  Funktion. 

Doch    findet   sich    auch  im  Norden  (Dep.  Somme)  me  iyo  fyü  279 

und  vä  pfyo  fyü  278  (Karte  mon  petit  gargon  623).  Beide  Formen 
könnten  auf  pipiotiu  zurückgehen  und  später  gekürzt  worden  sein, 
wie  dies  bei  Kose-  und  Anredeworten  oft  vorkommt.  Da  aber 
keine  altfranz.  Beispiele  des  Kinderwortes  bekannt  sind,  wäre  es 
gewagt  mit  Rücksicht  auf  die  isolierten  Erscheinungen  im  Norden 
die  Behauptung  aufzustellen,  dafs  das  Wort  in  Frankreich  ehedem 
verbreiteter  war  als  jetzt. 

Es  wurde  die  Karte  pigeon  mit  den  Karten  enfant  A,t\,  gargon 
bzz,  les  gargons  624,  7non  petit  gargon  623  Aß,  mon  fils  572  AB, 
quand  mon  fils  573,  ma  fiUe  570  und  votre  fiUette  1569  verglichen, 
um  das  durch  den  Atlas  dargebotene  Vergleichsmaterial  möglichst 
auszunützen.  Im  allgemeinen  stehen  dem  Kinderwort  mit  tonlosem 
Mittelkonsonant  Formen  des  Tierwortes  mit  tönendem  Mittel- 
konsonant gegenüber,  da  ersteres  gewöhnlich  auf  pipione,  letzteres 
meist  auf  pibione  zurückgeht.  Es  ist  nicht  nötig  auf  diese  Fälle 
einzugehen,  da  sie  für  unsere  Etymologie  gleichgültig  sind  und 
nicht  als  Beweismaterial  dafür  oder  dagegen  in  Betracht  kommen. 
Bei  mehreren  Nummern  liefs  sich  aber  konstatieren,  dafs  der 
Stamm  des  Kinderwortes  fast  oder  vollständig  genau  mit  dem  des 
Tierwortes  übereinstimmt.  Ich  publiziere  diese  Fälle  in  der  neben- 
stehenden Tabelle.  Da  dieselben  durchwegs  tonlose  Mittelkonsonanten 
zeigen,  könnte  man  auf  den  ersten  Blick  glauben,  dafs  die  gemein- 
same Basis  pipione  lauten  müfste.  Die  Vermutung  wäre  aber  nicht 
unbedingt  zutreffend,  da  in  den  für  uns  in  Betracht  kommenden 
Gegenden  ts  oder  s  häufig  einem  zentralfranz.  ^  entsprechen.  Leider 
war  es  unmöglich  die  Basis  genau  festzustellen,  da  die  Worte 
goujon  (gobione)  und  prochain  (propianu),  die  zum  Vergleich  un- 
bedingt nötig  wären,  bis  jetzt  nicht  im  Atlas  erschienen  sind. 
Einen  Vergleich  mit  roiige,  hache  und  crhhe  veröffentliche  ich 
nicht,  da  er  wegen  der  ungleichen  Tonverhältnisse  keine  genügende 
Beweiskraft  hat.2 


1  II  ne  vieut  mie  que  li  enfant  soient  pareil  as  faons  des  bestes  ne  as 
pyjons  des  oysiaus  (Ph.  de  Navarre,  Les  quatre  tens  d'aage  d' komme). 

*  In  mehreren  Fällen  zeigen  sowohl  das  Tierwort  als  auch  das  Kinder- 
wort tonlosen   Mittelkonsonanten,    trotzdem  ist  der  Stamm  nicht  kongruent  cf. 

z.  B.  713  pttiü  (Taube),  pitsü  (enfant).  Da  das  Vergleichsmaterial  nicht  aus- 
reicht, läfsl  sich  nicht  sagen,  ob  sich  solche  Differenzen  durch  eine  ver- 
schiedene Grundlage  erklären  oder  ob  vielleicht  eines  der  beiden  Worte  nicht 
bodenständig  ist. 


155 


pigeon 

mon  petit  garyon 

mon  fils 

ma  fille 

votre  fillete 

1016 

623  AB 

572  AB 

570 

1569 

Lot  712 

ppSUn 

höhtrd  pfls'yno 

722 

ptisun 

mu  pits'-'ü  gor  SU 

Tarn-et-G.  731     p itsiin 

1      ' 

?nu  ptisun  droili 

bostro  pilsyno 

741 

pilsiin 

mu  pitsü  droiU 

lä  pttsynö 

Herault  759 

pfisyun 

mii  ptlsyo 

p  ilsotä 

768 

ppsyu 

müpttsyöt 

ptlsyotä 

778 

pitsyu 

viü  pityo  gärsü 

•       S    ^ 

pUyot 

pityoto 

779 

p  itsyü 

mn  pttsyo 

pityunä 

Lozere  810 

p  iis'Jü 

mu  xntyu 

piisyü 

pttsyünö 

830 

p  tisyu 

mü  intlJU  gärsü 

Avcyron   716 

ppSUn 

ynün  pitsü 

727 

pttsün 

mu  pt'tSyü  gorsü 

735 

pfisu^ 

p  ttsü 

pilsy.no 

Id  bwdströ  pitsynö 

746 

pjtSUn 

ppsü 

Cantal  715  i    pilsu 

\ 

bdhtrö  pits^yno 

Puy-de-D  807 

p  iisü 

md  plso  gärsu 

ptsbtd 

vöslrd  pisQtd 

156 

Man  wird  vielleicht  geneigt  sein,  auf  Grund  der  immerhin 
ziemlich  häufigen  Stammesgleichheit  der  beiden  Worte  die  Theorie 
Gillierons  und  Juds  zu  bestreiten,  nach  der  gleichklingende  Worte 
mit  verschiedener  Bedeutung  nicht  ungestört  nebeneinander  bestehen 
könnten.  Der  Einwand  wäre  aber  nicht  berechtigt;  der  Stamm  ist 
zwar  bei  den  beiden  Worten  nicht  selten  der  gleiche,  aber  trotz 
eingehender  Untersuchungen  alles  verfügbaren  Materials  konnte 
ich  nicht  ein  einziges  Mal  bei  ein  und  derselben  Nummer  zwei 
vollständig  gleichklingende  Formen  nachweisen.  Ich  habe  geradezu 
den  Eindruck,  dafs  die  Sprache  diesem  Zusammentreffen  ausweicht 
und  zwar  bedient  sie  sich  verschiedener  Mittel.  Oft  unterscheiden 
sich  die  Formen  durch  das  Suffix  und  zwar  erscheint  dann  bei 
den  Tierwort  -one,  bei  dem  Kinderwort  ottu.  Auch  Accentdififerenzen 
sind  häufig.  Während  bei  dem  Tierwort  der  Accent  gewöhnlich 
auf  die  erste  Silbe  zurückgezogen  wurde,  wie  es  in  diesen  Gegenden 
üblich  ist,  ruht  der  Ton  bei  dem  männlichen  Kinderwort  in  einigen 
Fällen  auf  der  Endung,  was  wohl  auf  den  Einflufs  des  Femininums 
zurückgeht.  Auch  im  Auslaut  zeigen  sich  Unterschiede.  Das  Tier- 
wort wahrt  in  der  Regel  das  auslautende  n  und  zeigt  Nasalierung 
des  vorhergehenden  Vokals,  doch  fehlen  diese  Charakteristika  meist 
bei  dem  Kindervvort.  Einige  Differenzen  gehen  auf  den  Einfluls 
der  Kindersprache  zurück  und  bestehen  hauptsächlich  in  einer 
sehr  schwachen  Artikulation  des  s,  das  den  Kindern  wohl  Schwierig- 
keiten macht.  Diese  Fälle  sind  mit  fetter  Kursiv  bezeichnet.  Bei 
Nummer  807  (Puy-de-D6me)  stehen  einem  pitsü  (Taube),  piso  (m.), 
klein  und  ptsHtb  Mädchen  gegenüber.  Der  Verlust  des  Stamm- 
vokals dürfte  sich  durch  den  Gebrauch  des  Wortes  als  Anrede- 
form erklären  und  erfolgte  wohl  durch  die  häufige  adjektivische 
tonlose  Anwendung  desselben. 

Obwohl  es  sich  durchwegs  nur  um  ganz  minimale  Unterschiede 
handelt,  mufs  man  ihnen  doch  Beachtung  schenken,  weil  sie  sich 
mit  ausnahmsloser  Konsequenz  einstellen,  ein  seltener  Fall  im 
Leben  der  Sprache.  Ich  mufs  daher  Gillieron  in  dem  Sinne 
Recht  geben,  dafs  gleichklingende  Worte  mit  verschiedener  Be- 
deutung einer  Differenzierung  zustreben.  Ob  dann  einer  der  beiden 
Ausdrücke  dem  Untergang  geweiht  ist,  läfst  sich  in  diesem  speziellen 
Fall  vorläufig  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  ich  habe  aber  den 
Eindruck,  dafs  das  Kinderwort  durch  das  ungleich  lebenskräftigere 
Tierwort  in  seiner  Existenz  bedroht  ist. 

Ich  bemerke  schliefslich,  dafs  ich  mich  darauf  beschränke,  die 
Tatsache  zu  konstatieren,  ohne  mich  der  Erklärung  anzuschliefsen, 
die  Gillieron  und  seine  Schule  dafür  gegeben  haben  und  füge 
noch  hinzu,  dafs  die  Dialekte  hier  andere  Verhältnisse  aufzuweisen 
scheinen  als  die  Schriftsprache.  Hoffentlich  läfst  sich  durch  spätere 
Untersuchungen  festeilen,  ob  es  sich  um  vereinzelte  Erscheinungen 
handelt,  oder  um  ein  Gesetz  von  allgemeiner  Gültigkeit. 


157 

Ital.  tosOf    tosa,   altfranz.  toitset,    toiisel,   touse,    tose, 

teusCf  toiisettef  norm,  tousellef  altprov.  tos,  toset,  to^et, 

tozciVf  to%a<t  Südfranz,  toiisei,  touso,  sizil.  canisii. 

Im  13.  Bande  des  Jahrbuches  für  german.  und  rovian.  Philologie 
bemerkt  Liebrecht  zu  ital.  toso  (tonsus)  und  sizil.  cartisu  =  Knabe 
(zu  cariisari  =  scheren),  dafs  den  Knaben  im  alten  Rom  das  Haar 
zum  ersten  Male  im  7.  Jahre  geschnitten  wurde.  Tosa  =  Mädchen, 
dessen  Haar  nach  Liebrechts  Ansicht  ungeschoren  blieb,  wäre 
demnach  eine  Analogiebildung  zum  Maskulinum.  Wir  erfahren 
aber  nichts  Näheres  über  die  Zeremonie,  für  die  auch  kein  Beleg 
angegeben  wird. 

Wenn  man  sich  über  die  ungemein  bedeutende  Rolle  klar 
wird,  welche  das  Haar  in  Sitte  und  Aberglauben  der  Menschheit 
spielt,  kann  man  nicht  daran  zweifeln,  dafs  die  oben  erwähnten 
romanischen  Ausdrücke  für  Knabe  und  Mädchen  auf  die  feierliche 
Darbringung  eines  Haaropfers  zurückgehen,  das  zu  allen  Zeiten  ein 
beliebtes  Mittel  war,  um  die  überirdischen  Mächte  günstig  zu 
stimmen.  Es  kann  hier  nicht  meine  Aufgabe  sein,  alles  zusammen- 
zustellen, was  über  dieses  Thema  geschrieben  wurde,  nur  das  was 
für  unser  Problem  besonders  charakteristisch  ist,  möchte  ich  er- 
wähnen. Näheres  findet  sich  bei  Höfler:  Düs  Haaropfer  in  Teig- 
form, Archiv  für  Anthropologie,  igo6,  p.  130 ff.  und  bei  Ploss, 
Das  Kind   in  Brauch    und  Sitte    der    Völker,    Berlin    1882,    p.  288  ff. 

Das  vornehmste  Opfer  ist  in  Zeiten  primitiver  Lebensführung 
das  blutige  Menschen-  und  Tieropfer.  Weil  es  aber  der  Gesamtheit 
zu  grofse  Lasten  auferlegte  und  weil  bei  fortschreitender  Entwicklung 
eine  mildere  Gesinnung  einen  milderen  Gottesdienst  vorzog,  ent- 
schlofs  man  sich  dazu,  das  blutige  Opfer  durch  ein  unblutiges 
abzulösen.  Man  opferte  nicht  mehr  den  Menschen,  sondern  sein 
Haar;  1  ein  Teil  mufste  für  das  Ganze  eintreten.  Dieser  Brauch, 
der  in  den  verschiedensten  Teilen  der  Erde  nachgewiesen  wurde, 
wird  besonders  von  unzivilisierten  Völkern  noch  jetzt  eifrig  geübt. 
In  Not  und  Gefahr  aller  Art  suchte  man  auf  diese  Weise  Hilfe 
zu  schaffen.  Die  klassischen  Völker  betrachteten  das  Haaropfer 
z.  B.  als  das  letzte  Mittel,  um  drohendem  Schiffbruch  zu  entgehen. 
Cf.  E.  Schedius,  De  Düs  germanis,  1728,  p.  694 fF.:  Capillos  autem 
in  navi  detondere  nemini  licebat,  nisi  cum  ventus  mari  irrasceretur, 
naufragorum  enim  ultimum  hoc  votum. 

Ungemein  beliebt  ist  diese  Art  der  Gottesverehrung,  wenn  es 
gilt,  das  kindliche  Leben  zu  schützen  und  zwar  ist  dabei  von  der 
Vorstellung  auszugehen,  dals  man  die  Götter,  die  eigentlich  auf 
das   Kind    selbst    Anspruch   hätten,    durch    eine    Abschlagszahlung 


^  Auch  das  Haar  der  Tiere  wurde  geopfert.  Der  römische  Opferpriester 
rifs  das  oberste  Haar  zwischen  den  Plörnern  der  Opferliere  aus  und  legte  es 
als  erstes  Opfer  (pars  pro  toto)  auf  das  heilige  Feuer:  et  summas  carpens 
media  iater  cornua  saetas  iguibus  imponit  sacris  libamina  prima  (Vergil, 
Aeneis  VI,  245). 


158 

versöhnen  könne.  Dazu  gesellt  sich  dann  der  Gedanke,  dafs  die 
Gottheit,  die  das  Haar  empfing,  den  Opfernden  besonderen  Schutz 
gewähren  werde. 

Die  griechischen  Mütter  glaubten  für  das  Wohl  ihrer  Kinder 
zu  sorgen,  indem  sie  vor  der  Niederkunft  ihr  Haar  der  Hygieia 
opferten,  und  so  eifrig  war  nach  dem  Bericht  des  Pausanias  die 
mütterliche  Liebe,  dafs  manche  Bildsäulen  dieser  Göttin  durch  die 
Fülle  der  geweihten  Haare  fast  unkenntlich  waren  (cf.  Höfler, 
p.  142).  Auch  die  Kinder  und  die  heranwachsende  Jugend  wurden 
zu  solchen  Sitten  angehalten,  cf.  Daremberg,  Diclionnaire  des 
antiquitis  grecques  et  romaines  (coma).  „On  coupe  les  cheveux  aux 
enfants  arriv6s  ä  Tage  d'ephebe.  Cette  ceremonie  avait  lieu  le 
troisieme  jour  de  la  fete  des  Apaturia  nommee  ä  cause  de  cela 
xovQtojTig  7jf/£Qa;  l'op^ration  6tait  precedee  d'une  libation 
appel6e  oiviGTtiQca.  Les  cheveux  coup6s  etaient  consacres  a 
Artemis  ou  ä  ApoUon.  —  On  les  consacrait  souvent  aussi  ä  un 
fieuve.  Pareille  oftVande  6tait  faite  quelquefois  meme  par  de 
jeunes  enfants.  —  —  A  Irezene  les  jeunes  gens  et  les  jeunes  filles 
offraient  leur  chevelure  ä  Hyppolite  avant  de  se  marier,  A  Delos 
les  jeunes  fiancees  consacraient  aussi  une  boucle  de  leurs  cheveux 
aux  vierges  hyperboreennes." 

Plutarch  berichtet  in  seinem  Theseus,  dafs  die  18jährigen 
Jünglinge  und  14  jährigen  Mädchen,  die  zum  Apollotempel  in 
Delphi  kamen,  diesem  Gotte  ihr  Stirnhaar  opferten  (Höfler,  p.  141). 
Auch  die  Neugriechen  lassen  ihren  Kindern  bei  der  Namengebung 
das  Haar  scheren  (Bloss,  p,  290).  Ähnliche  Gebräuche  finden 
sich  bei  den  verschiedensten  Völkern  der  alten  und  neuen  Welt 
(cf.  Bloss  und  Höfler).  Sehr  verbreitet  ist  das  Haaropfer  der 
Kinder  bei  den  Südslaven  (Kraus.  Die  Haar  sehn?- godschaft  der 
Südslaven,  Internat.  Archiv  für  Ethnographie,  1894),  auch  bei  den 
Zigeunern  der  Balkanländer  sind  nach  Höflers  Bericht  solche 
Zeremonien  üblich. 

Auf  romanischem  Gebiet  ist  der  Opferbrauch  durch  mehrere 
Belege  nachweisbar.  Bei  den  Römern  war  das  Haar-  und  Bart- 
opfer der  männlichen  Jugend  Sitte.  Du  Gange  zitiert  in  der 
22.  Dissertation  sur  VHistoire  de  St.  Louys,  X.  Bd.,  p.  73  folgende 
Stelle  aus  Statins'.  Accipe  laudatos,  juvenis  Phoebeis  crines  Quos 
tibi  Caesareus  donat  puer  accipe  laetus    Intonsoque    ostende  Patri. 

Die  Bartweihe  erwähnt  Suetonius:  Inter  Kuthysiae  apparatum 
barbam  primam  posuit,  conditamque  in  auream  pyxidem  et  pre- 
ciosissimis  margaritis  exornatum  Capitolio  consecravit. 

Auch  Anhänger  der  christlichen  Kirche  ehrten  auf  diese  Weise 
ihre  Heiligen.  Der  Bischof  Paulinus  von  Nola  brachte  dem 
heiligen  Felix,  dem  Lokalheiligen  dieser  Stadt,  seinen  Jünglingsbart 
als  Weihgeschenk  dar  und  besang  diesen  Akt  mit  folgenden  Worten 
,.Tunc  etiam  primae  puerus  libamina  barbae,  Ante  tuum  solium, 
quasi  te  carpente,  totondil"  (Höfler  p.  175).  „Als  Jüngling  schor 
ich    vor   deinem  Thron  den  ersten  Bart  als  Weihegabe,    gleich  als 


159 

ob  du  ihn  geschoren  hättest."  Quasi  te  carpente  bedarf  der  Er- 
klärung. Der  Verlust  des  Haares  bedeutet  bekanntlich  die  Knecht- 
schaft. Damit  hängt  eine  eigentümliche  Form  der  Adoption  zu- 
sammen, die  im  Mittelalter  häufig  geübt  wurde.  Wer  sich  nämlich 
Haar  und  Bart  abschneiden  liefs,  unterwarf  sich  dadurch  gleichsam 
der  väterlichen  Gewalt  des  Abschneidenden,  cf.  J.  Grimm,  Deutsche 
Rechlsalteriüme?-  p.  146  ff.  Dafs  diese  Zeremonie  wirklich  ein  Rechts- 
symboi  der  Adoption  war,  beweist  z.  B.  eine  Stelle  bei  Paul  Diac. 
6,  53:  Carolus  princeps  Francorum  Pipinum  suum  filium  ad  Liut- 
prandum  direxit,  ut  ejus  juxta  morem  capillum  susciperet;  qui  ejus 
caesariem  incidens  ei  pater  effectus  est,  multisque  eum  ditatum 
regiis  muneribus  genitori  remisit.  Mit  quasi  ie  carpente  wollte 
Paulinus  also  wohl  ausdrücken,  dafs  er  den  heiligen  Felix  zu  seinem 
Paten  und  geistlichen  Vater  erwählt  hatte. 

Über  die  Christianisierung  der  ursprünglich  heidnischen  Haar- 
opferzeremonien berichtet  Du  Dange  ausführlich  a.  a.  O.  Dans  les 
commencements  de  l'Eglise  naissante  on  continua  de  couper  les 
cheveux  aux  jeunes  enfants.  Mais  dans  la  suite  cette  cerlmonie 
fut  purifi^e  et  se  fit  dans  les  6glises.  La  livre  des  Sacrements  de 
St.  Gregoire  nous  represente  la  priere  que  le  pretre  faisait  dans 
l'eglise  lorsqu'on  coupait  les  cheveux  pour  la  premiere  fois  aux 
jeunes  enfants,  dont  le  titre  est  „Oratio  ad  capillaturam".  II  y  en 
a  d'autres  dans  V Euchologiujii  des  Grecs  qui  appellent  ces  premiers 
cheveux  coupes  les  premices.  Elles  fönt  encore  voir  que  dans  ces 
occasions  on  se  choisissait  des  parrains  —  Mathieu  ßlastares 
ajoute  que  le  pretre  mettait  ces  flocons  de  cheveux  coupes  entre 
les  mains  du  parrain,  qui  selon  quelques  uns  les  enveloppait  dans 
de  la  cire  oü  il  imprimait  une  image  de  Notre  Seigneur  et  les 
conservait  comme  un  gage  d'une  chose  qui  avait  ete  consaciee  a 
Dieu.  Sim^on  metropolitain  de  Thessalonique  semble  dire  que 
le  pretre  gardait  ces  cheveux  dans  un  lieu  sacre,  et  Nicetas 
6crit  ä  ce  sujet  que  ceux  qui  s'etaient  ainsi  fait  couper  les  cheveux 
en  conservaient  la  memoire  par  une  solennite  annuelle  qu'ils  appellent 
xovQOövva.  Cette  coupe  des  cheveux  se  faisait,  lorsqu'apr^s  avoir 
passe  Tage  d'adolescence  on  entrait  en  celle  de  la  jeunesse.  L'an- 
cienne  loi  salique,  c'est  ä  dire  celle  qui  fut  redigee  par  nos  rois 
encore  payens  ainsi  qu'on  pretend,  nous  apprend  que  la  cer6- 
monie  de  couper  les  cheveux  aux  enfants  etait  en  usage 
parmi  les  Fran^ais  et  qu'elle  se  faisait  au-dessus  de  douze  ans: 
Si  quis  puerum  infra  duodecim  annorum  non  tonsuratum  occiserit.  — 
Si  quis  puerum  crinitum  sine  consilio  aut  voluntate  parentum  toton- 
derit  etc.  termes  qui  fönt  voir  encore  que  les  enfants  etaient  pre- 
sentes  par  leurs  pere  qui  avec  le  temps  choisirent  dans  ces  occasions 
des  parrains  qui  est  appele  pere  spirituel  dans  la  Chroiiique  de 
Novalese. 

Aus  den  angeführten  Belegen  ersehen  wir  deutlich,  dafs  die 
Haaropferfeier,  die  der  Gottheit  galt,  häufig  mit  der  Adoption 
durch  einen  Paten  kontaminiert  wurde.    Für  das  romanische  Gebiet 


i6o 

finden  wir  bei  Du  Gange  noch  einen  Beleg  aus  Pavia  (14.  Jh.), 
der  aber  leider  weniger  ausführlich  ist  als  die  vorhin  angeführten 
II,  p.  128:  Rectoribus  (parochiarum)  seraper  offerunt  aliquid  non 
soluiu  in  raissis  festivorum  dierum,  verum  quoque  in  benedictione 
capillorum  masculorum  infantiutn  certis  festis  quam  habent  ex  con- 
suetudine  et  pro  qua  offerunt  pullum  album,  videlicet  gallum. 
Lauiks  Papille  apud  Miiratoii  Scriptores  iial.  tom.  11,  col.  31.  Die 
Sitte,  den  Dienern  der  Kirche  am  Tage  der  Haarweihe  einen  weifsen 
Hahn  zu  spenden,  könnte  auf  ein  heidnisches  Tieropfer  zurück- 
gehen, das  mitunter  mit  dem  Haaropfer  verbunden  war.  Diese 
Kontamination  findet  sich  z.  B.  bei  den  alten  Ägyptern  (cf.  Höfler 
p.  144).  Jedenfalls  deutet  die  Farbe  darauf  hin,  denn  weifse  Tiere 
waren  als  Kultobjekte  besonders  beliebt  (cf.  Lippert,  Ktdtiir- 
geschichte  der  Menschheit  II,  p.  408).  Mit  der  Zeit  wandte  sich  aber 
die  Kirche  von  der  ursprünglich  heidnischen  Feier  ab,  vielleicht 
weil  sie  das  Haaropfer  als  eine  Art  Privilegium  der  Priester  und 
Nonnen  betrachtete.  In  Kroatien  wurde  die  Haarschur  im  Jahre 
1702  ausdrücklich  durch  einen  kirchlichen  Erlafs  verboten:  ne  ritum 
primos  tondendi  capillos  pueris  puellisque  exerceant.  Über  die 
Haarschur  der  Mädchen  bei  den  Romanen  haben  wir  in  den 
zitierten  Stellen  nichts  vorgefunden,  die  Verbreitung  von  tonsa  legt 
aber  doch  die  Annahme  nahe,  dafs  auch  die  weibliche  romanische 
Jugend  diesen  Brauch  übte,  so  wie  wir  dies  bei  den  Griechen  und 
Südslaven  gesehen  haben.  Es  wäre  jedenfalls  begreiflich,  wenn 
man  frühzeitig  auf  das  Haaropfer  der  Mädchen  verzichtet  hätte. 
Da  die  Kaufehe  noch  im  Mittelalter  sehr  häufig  war  (Lippert  II, 
p.  113  If.),  wollte  man  wahrscheinlich  den  Haarschmuck  der  Jungfrau 
schonen,  deren  Schönheit  ein  Kapital  repräsentierte.  War  sie  aber 
einmal  Braut,  so  wurden  ihr  vor  der  Hochzeit  die  Haare  geschnitten, 
wie  dies  bei  vielen  Völkern  nachgewiesen  ist  und  in  fromm-gläubigen 
jüdischen  Familien  noch  heute  geschieht.  Durch  dieses  Opfer  soll 
sie  den  Segen  des  Himmels  für  den  Ehestand  verdienen,  und 
aufserdem  wird  symbolisch  dadurch  ausgedrückt,  dafs  sie  sich  als 
Unfreie  in  die  Gewalt  ihres  Mannes  begibt.  Jüdische  Frauen  be- 
haupten auch,  dafs  nur  das  Mädchen  nicht  aber  die  Ehefrau  durch 
Schönheit  die  Blicke  auf  sich  ziehen  solle.  Reraanere  aut  esse  in 
capillo  bedeutet  in  Urkunden  aus  Italien  unverheiratet  sein,  woraus 
deutlich  hervorgeht,  durch  welche  Art  der  Haartracht  sich  die  un- 
verheiratete Frau  von  der  verheirateten  unterscheidet^  (cf.  Du  Gange). 
Allerdings  haben  sich  die  Frauen  oft  bemüht  auch  diese  Form  des 
Haaropfers  zu  umgehen.  Ein  ital.  Sprichwort  sagt:  Bella  quella 
sposa  Ghe  fa  prima  la  tosa^  und  das  Lob,  das  den  Frauen  gespendet 


'  Herr   Professor   Puscariu    macht    mich    freundlicht    darauf  aufmerksam, 
dafs  rumänisch  fatä  in  p3r  (Mädchen  im  Haar)  alte  Jungfer  bedeutet. 
^  Nach  Tommaseo  bedeutet  das  Sprichwort: 

„Chi  vuol  far  la  bella  famiglia 
Incominci  dalla  figlia" 


i6i 

wird,  die  sich  der  frommen  Sitte  unterwerfen,  läfst  wohl  darauf 
schliefsen,  dafs  sie  zur  Zeit,  in  der  das  Sprichwort  aufkam,  schon 
zu  den  rühmlichen  Ausnahmen  zählten.  Das  Haar,  das  die  Braut 
nicht  opfern  wollte,  mufste  sie  aber  als  Ehefrau  verhüllt  tragen. 
Das  Haupt  der  Römerin  wurde  am  Hochzeitstage  mit  dem  Flam- 
meum  bedeckt.  Nach  germanischer  Sitte  wurde  die  Jungfrau  , unter 
die  Haube  gebracht'  (Lippert  II,  pp.  125,  155).  Begreiflicher- 
weise bezeichnet  tosa  nun  auch  die  Ehefrau  cf.  Raynouard  {V.  de 
S.  Ho7ioi'at)  Apellet  lo  patre  e'l  marit  de  la  toza.  Cf.  auch  S. 
Honrat  Ö7,  6  (ed.  Sardou)  Uns  bacheliers  Pres  moyller  Mas  uns 
escudiers  mostrava  semblant  d'amor  A  la  toza,i  ferner  Appels 
Chrestomathie^  65,  33.  Manche  könnten  geneigt  sein,  die  letztere 
Bedeutung  für  die  ursprüngliche  zu  halten,  dies  wäre  aber  verfehlt, 
denn  tosa  bedeutet  im  allgemeinen  nicht  die  Braut  oder  die  Ehe- 
frau, sondern  fast  durchwegs  das  junge  Mädchen.  Man  wird  daher 
noch  Analogien  bei  andern  Völkern  auch  auf  romanischem  Gebiet 
das  Haaropfer  der  Mädchen  voraussetzen,  umsomehr  als  es  sich 
ja  für  die  Knaben  in  den  salischen  Gesetzen  nachweisen  läfst. 
Hoffentlich  gelingt  es  noch  in  dieser  Hinsicht  Gewifsheit  zu 
schaffen. 

Für  sizil.  cariisii  habe  ich  keinen  speziell  sizilianischen  Beleg 
gefunden,  doch  wird  man  wohl  nicht  daran  zweifeln,  dafs  eine 
Sitte,  die  in  so  weitem  Umfange  nachgewiesen  ist,  auch  für  Sizilien 
vorausgesetzt  werden  darf 


was  der  ursprünglichen  Bedeutung  nicht  vollständig  entspricht.  Die  sinn- 
gemäfse  Auslegung  wäre:  „Schön  ist  die  Braut,  die  der  frommen  Sitte  getreu 
vor  der  Hochzeit  das  Haar  opfert." 

^  Die   beiden   letztgenannten   Stellen    verdanke    ich    der   Güte    von  Herrn 
Professor  Levy. 

Wien,  im  Dezember   19 10. 

Alice  Sperber. 


Beiheft  zur  Zeitsclir.  f.  rom.  Phil.  XXVII.     (KesUchrift  )  1 1 


über  Lautsubstitution. 


Unter  Lautsubstitution  verstehen  wir  nach  Groeber  die  Wieder- 
gabe eines  fremden  Lautes  durch  den  Laut  unseres  eigenen  Sprach- 
systems, der  dem  fremden  am  nächsten  steht.  Sprachmischung  und 
Lautsubstitution  stehen  daher  im  engsten  Zusammenhang.  Wer  in 
der  Sprachmischung  nur  einen  untergeordneten  Faktor  im  Leben 
der  Sprache  sieht,  wird  auch  der  Lautsubstitution  nur  eine  unter- 
geordnete Bedeutung  beilegen.  Allein  seit  Ascoli  und  Schuchardti 
hat  sich  die  Erkenntnis  von  der  grundlegenden  Bedeutung  der 
Sprachmischung  immer  mehr  Bahn  gebrochen;  und  neuerlich  sieht 
eine  ganze  Schule  in  ihr  den  grundlegenden  Faktor  jeder  Sprach- 
entwicklung, 2  Der  wissenschaftlichen  Untersuchung  des  Wirkens 
der  Sprachmischung  mufs  aber  die  der  Laut-  und  Formensubstitution 
vorangehen.  Erst  dann  wird  man  erkennen  können,  welchen  Ein- 
flufs  das  Eindringen  neuer  Wörter,  neuer  Formen  auf  die  Ent- 
wicklung einer  Sprachgemeinschaft  auszuüben  imstande  ist;  ob  und 
wie  untergegangene  Sprachen  noch  nach  ihrem  Erlöschen  in  ihren 
Keimen  weiter  wirken  können. 

Noch  unter  einem  anderen  Gesichtspunkte  verdient  das  Wesen 
der  Lautsubstitution  eine  nähere  Untersuchung.  Die  Frage,  ob  in 
der  Entwicklung  der  Sprache  ein  bewufstes  Element  mitspiele, 
ist  bald  bejaht,  bald  verneint  worden.  Diese  Frage  ist  von  umso 
gröfserer  Bedeutung,  als  von  ihrer  Beantwortung  die  Stellungnahme 
zu  Gesetzmäfsigkeit  oder  Willkür  des  Lautwandels  abhängt.  Wer 
in  der  Sprache  nur  passive  Tätigkeit  sieht,  für  den  sind  Laut- 
gesetze nicht  nur  ausnahmslos,  sondern  gleichbedeutend  mit  Natur- 


*  Vgl.  Slawo-Deutsches  und  Slawo- Italienische s ,  S.  3  (Graz  1885)  „Ich 
habe  behauptet,  dafs  unter  allen  Fragen,  mit  welchen  die  heutioe  Sprachwissen- 
schaft zu  tun  hat,  keine  von  gröfserer  Wichtigkeit  ist  als  die  der  Sprach- 
mischung". 

^  jM.  G.  Bartoli ,  Alle  fonti  del  Neolatino,  in  Miscellanea  di  stiidi  in 
07iore  di  Attilio  Hortis,  Triest  1910  (S.  389)  „Ogni  innovazione  nel  linguaggio 
e  creazione  e  nasce  dall'  imitazione  d'  un  allro  linguaggio,  cio^  del  linguaggio 
d'  un  altro  individuo  o  d'  un  altro  momento;  11  linguaggio  h  creato,  o  meglio 
procreato  con  germi  eteroglossi". 


i63 

gesetzen.  1  Wenn  aber  der  Faktor  des  Aktiven  im  Sprachleben 
anerkannt  wird,  wird  das  Wort  Lautgesetz  nur  ein  wissenschaft- 
licher Behelf  zur  Bezeichnung  konstatierter  Gleichmäfsigkeit.  Laut- 
gesetze im  Sinne  der  Naturgesetze  aber  gibt  es  nicht,  weil  ihnen 
die  Basis  des  gesetzmäfsigen  Geschehens,  der  innere  Zwang,  ab- 
geht. ^  Namentlich  die  wissenschaftliche  Sprachgeographie  und 
Sprachgeologie  hat  aus  dem  Tatsachenmaterial  heraus  einen  solchen 
bewufsten  Faktor  im  Leben  der  Sprache  erkennen  lassen;  bewufst 
natürlich  nur  in  seinen  Anfängen,  nicht  in  seiner  Entwicklung,  wie 
ja  auch  im  menschlichen  Organismus  vieles  heute  bewufst,  d.  h. 
mit  Willen  geschieht,  was  morgen  zu  rein  automatischem,  un- 
bewufstem  Geschehen  sich  entwickelt.  Wenn  irgendwo,  so  ist  es 
nun  aber  bei  der  Lautsubstitution,  dafs  die  Faktoren  des  Bewufsten 
und  Unbewufsten  in  ihrem  Wirken  beobachtet  werden  können. 
Wer  sie  hier,  in  diesem  Teilgebiete  sprachHcher  Tätigkeit  an- 
erkennt, wird  ihnen  auch  sonst  einen  Wirkungskreis  nicht  gern  ab- 
sprechen. 

Die  Untersuchung,  die  ich  Ihnen,  Verehrter  Meister,  hier  vor- 
lege, verdiente  daher  wohl  von  reiferer  Hand  als  der  meinen  unter- 
nommen zu  werden.  Weiin  ich  trotz  besserer  Einsicht  den  folgen- 
den Versuch  der  Öffentlichkeit  übergebe,  dann  möge  die  Liebe 
zur  Wissenschaft,  die  Sie  in  unvergleichlicher  Weise  in  die  Herzen 
Ihrer  Hörer  zu  legen  verstehen,  den  Mangel  an  Erfahrung  be- 
mänteln. Mein  Untersuchungsgebiet  ist  kein  grofses.  Ich  habe 
mich  darauf  beschränken  müssen,  das  Geschick  der  Reibelaute  bei 
ihrem  Wandern  vom  Romanischen  ins  Germanische  und  um- 
gekehrt zu  verfolgen;  und  selbst  hier  habe  ich  nur  jenen  Teil 
genauer  verfolgt,  der  durch  die  Berührung  der  Romania  mit  dem 
südbairischen  Sprachgebiete  bedingt  war.  Wenn  ich  bisweilen 
über  die  selbst  gesteckten  Grenzen  hinausgegriffen  habe,  so  ge- 
schah es  hauptsächlich,  um  für  die  allgemeine  Gültigkeit  der  auf 
dem  gewählten  Gebiete  gefundenen  Sätze  einen  Prüfstein  zu  haben. 

Mein  Untersuchungsgebiet  beginnt  daher  am  Arlberg.  Die 
Nordgrenze  bewegt  sich  entlang  der  Höhenzüge  zwischen  Inn 
einerseits,  Lech,  Loisach,  Isar  andrerseits.  Bei  Schwaz  im  Inntale 
biegt  die  Grenze  jäh  nach  Süden  ab,  führt  rechts  vom  Zillertal  bis 


^  Vgl.  Herzog,  Streitf rasten  der  romanischen  Philologie,  S.  l8.  „So 
sagt  Schuchaidt:  'Wenn  ein  Naturforscher  zum  erstenmal  von  der  Ausnahms- 
losigkeit  der  Lautgesetze  hört,  so  wird  er  wahtscheinlich  an  immer  und  iibeiall 
gellende  Lautgesetze  denken.  Solche  sind  ja  bei  den  gleichen  Grundbedingungen 
aller  Sprachtätigkeit  nicht  nur  möglich,  man  sollte  sie  geradezu  erwarten.' 
Dem  entgegen  ist  zu  antworten,  dafs  im  Gegenteil  gleiche  Grundbedingungen, 
d.  h.  also  völlig  gleiche  Artikulation  jener  Laute,  aus  denen  sich  andere  ent- 
wickelt haben,  sich  nie  und  nirgends  hat  nachweisen  lassen," 

2  Vgl.  Bartoli,  1.  c.  S.  905.  „In  conclusione,  anche  la  storia  di  questi 
riflessi,  come  tutta  la  storia  del  linguaggio,  e  di  ogni  altro  essere  procrealo  e 
storia  d'  amore  e  di  morle". 

S.  918  „non  esiste  n6  questa  nh  altra  legge  fonetica,  ne  grammaticale  nk 
lessicale". 

II* 


164 

gegen  Maierhofen,  zieht  den  Zillergrund  hinauf  und  über  die  Berge 
ins  Defereggertal.  Vor  Lienz  führt  sie  über  die  Drau  und  das 
Lesach-  und  Gailtal  entlang  bis  an  die  windisch-deutsche  Grenze.  ^ 
Im  Westen  zieht  die  (jrenze  vom  Arlberg  südwärts  und  fällt,  wie 
im  Süden,  mit  der  Grenze  zwischen  Deutsch  und  Romanisch  zu- 
sammen. Im  Osten  endet  mein  Untersuchungsgebiet  mit  der 
Grenze  zwischen  Romanisch  und  Slavisch. 

Aus  dem  Indogermanischen  hat  das  Germanische  nur  einen 
stimmlosen  Reibelaut  übernommen,  das  s,  das  innerhalb  des 
Germanischen  durch  den  gerra.  Wechsel  noch  eine  Einbufse  er- 
fahren hat  (Kluge,  P.  Gr.  I^,  S.  378).  Ob  dieses  ^  fortis  oder  lenis 
ist,  läfst  sich  heute  kaum  entscheiden.  Für  lateinisches  stimmloses 
s  wurde  nun  in  Lehnwörtern  germ.  s  eingesetzt,  vgl.  lat.  sadanum 
ein  grobes  Tuch,  got.  ahd.  suban;  lat.  saccus,  got.  sakkus,  ahd.  sac, 
ae.  scBC]  lat.  sagina,  ahd.,  andd.  segina,  fries.  seine ^  ae.  segne  usw. 
(Kluge,  ebd.  S.  344).  Doch  sprechen  Anzeichen  dafür,  dafs  nach 
Sonanten  die  ursprünglich  stimmlose  Spirans  stimmhaft  geworden 
ist.  So  im  Langobardischen  der  postdentale  Reibelaut  ])  nach  /,  n 
und  intervokalisch,2  ebenso  im  Westgotischen  (Romanische  Namens- 
studien S.  loi)  und  im  Ahd.  scheint,  zumindest  nach  /,  die 
Artikulation  eines  stimmlosen  Spiranten  Schwierigkeit  bereitet  zu 
haben.  Denn  als  rom.  ppls  (lat.  puls)  Brei  ins  Althochdeutsche 
übernommen  wurde,  wurde  rom.  Is  durch  Its  wiedergegeben,  vgl. 
ahd.  polz,"^  d.  h.  Als  Substitutionslaut  des  romanischen 
stimmlosen  j-Lautes  trat  nicht  stimmhaftes  s,  sondern 
der  Explosivlaut  ts  ein.  InXdit.  pulsare  {mhd.  pfiilsen,  ndl.  polsen- 
,^pulsando  pisces  in  rete  adigere  et  anguillas  captare^'- ,  Kluge,  P.  Gr.  P, 
S.  343)  wird  dagegen  das  s  beibehalten,  da  es  hier  im  Deutschen 
wie  im  Romanischen  im  Silbenanlaut,  d.  h.  also  am  Beginne  einer 
artikulatorischen  Bewegung  stand. 

Später  wurde  auf  dem  südbairischen  Sprachgebiete  jedes 
silbenanlautende  s  stimmhaft;  dieser  Lautwandel  erstreckte  sich 
ehemals  über  das  ganze  Gebiet,  ist  aber  heute  nurmehr  in  den 
Sprachinseln  zu  konstatieren.    So  in  Lusern,  ^  einer  Tochtergründung 


^  Vgl.  Schneller,  Die  Romanischen  Volkstnundarten  in  Südtirol  I 
(Gera  1873),  S.  10  und  H.  J.  Bidermann ,  Die  Romanen  und  ihre  Ver- 
breitung in   Oesterreich  (Graz   1877),  S.  76. 

*  Vgl.  W.  Brückner,  Die  Sprache  der  Langobarden,  in  Quellen  und 
Forschungen  zur  Sprach-  und  Kulturgeschichte  des  germanischen  Volkes, 
75.  Heft,  S.  170—175. 

3  Allerdings  ist  zu  erwähnen,  dafs  im  Bairischen  seit  dem  13.  Jhdt.  s 
nach  Liquiden  lokal  zu  z  geworden  ist,  vgl.  bei  Weinhold,  Bairische  Gram- 
matik, S.  155  f.  alz  1353  in  den  Klosterneuburger  Arch.;  ebd.  Ehpet.  Nach 
Schmeller,  Ma.  Baierns,  S.  656  ist  heute  noch  gebräuchlich  Fetzen,  Halz,  fallz. 
Doch  dürfte  dieser  Wandel  sich  viel  später  vollzogen  haben  als  puls  ins  Ahdt. 
drang.  Aufserdem  hat  er  jedes  Is,  nicht  nur  zur  selben  Silbe  gehöriges  Is 
ergriffen. 

*  Vgl.  Josef  Bacher,  Die  deutsche  Sprachinsel  Lusern.  In  Quellen 
und  Forschungen  zur  Geschichte,  Litter atur  und  Sprache  Oesterreichs  und 
seiner  Kronländer  X,  Innsbruck   1905. 


i65 

der  7  Gemeinden,  dann  in  diesen  und  den  13  vizentinischen  Ge- 
meinden, ebenso  in  Gottschee  und  Zarz  (vgl.  Lessiak,  Perneggi 
S.  139),  vgl.  lus.  singen,  Sakh,  sumar  usw.  Denselben  Zustand  hat 
Lessiak  aus  dem  Verhalten  der  deutschen  Lehnwörter  im  Win- 
dischen für  den  östlichen  Teil  des  südbairischen  Sprachgebietes 
nachgewiesen. 

Auf  dem  gesamten  südbairischen  Sprachgebiete  ist 
nun  fremdes  stimmloses  fortis  s  nicht  durch  den  ent- 
sprechenden stimmhaften  Laut  wiedergegeben  worden, 
sondern  durch  ts.     Zunächst  die  Beispiele. 

Im  Jahre  993  schenkt  Kaiser  Otto  IlL  einem  gewissen  Zebegoi 
(slav.  sobigoj,  zu  sobü  Unterstützung)  zwei  Höfe  in  Toblach  (Miklo- 
sich,  Lex.  pal.  967).  Auch  in  den  slavischen  Namen  der  Salzburger 
Urkunden  wird  slav.  s  durch  z  wiedergegeben,  vgl.  Zuentipolch, 
zu  slav.  stienti  heilig;  Puti-zlao,  zu  slau  (Schatz,  Altbairische 
Grammatik  S.  82).  Ebenso  zeigen  die  windischen  Lehnwörter  des 
Kärntner  Deutschen  z  für  slav.  s,  vgl.  Zauche,  ein  im  Sommer  ver- 
trocknender Bach,  slov.  sttha;  zlgk  Ackerwinde,  slov.  slak\  isenitsn, 
Grundstück  in  schattiger  Lage,  slov.  senca  <<  semca  (nach  Lessiak, 
Alpendeutsche  und  Alpenslawen  in  ihren  sprachlichen  Beziehungen, 
G.  R.  M.  II,  S.  274 — 28S);  zurre  grober  Sack,  slov.  sura  (Schuchardt, 
Sl.  D.  S.  6g).  Die  beiden  Sprachinseln  Zarz  und  Zahre  gehen  auf 
frl.  Saun's  bezw.  slav.  soura  zurück  (Lessiak,  Pernegg  S.  187)  u.a.m. 

So  zeigen  die  Ortsnamen  des  ganzen  in  Frage  stehenden 
Gebietes,  soweit  ihre  Übernahme  ins  Deutsche  nicht  in  voralthoch- 
deutscher Zeit  erfolgte,  z  für  fremdes  s  (G.  R.  M.  S.  237  A.),  vgl. 
Tsauhn  zu  obigem  su/iä,  Tswatndorf  zu  sue/  heilig,  Tswainets 
-*sutmtsa  usw.  (Lessiak,  Pernegg  S.  136).  Ebenso  auf  dem  Gebiete, 
auf  dem  Deutsche,  Slaven  und  Romanen  zusammentrafen,  im  Puster- 
tal (vgl.  Unterforcher,  Slavische  Namensreste  aus  dem  Osten  des 
Pustertales,  J.  B.  Leitmeritz  1888  u.  1889;  Beiträge  und  Berich- 
tigungen zur  slawischen  Namenkunde  etc.,  J.  B.  Eger  1890),  vgl. 
Zaiach  Flurnamen  in  Ainet  und  Schlaiten  zu  osoje,  locus  opacus, 
Zajach  in  Kärnten  (vgl.  änetsn  Gabeldeichsel,  aus  slov.  *ojnue, 
Lessiak,  Pernegg  S.  77);  Zauche  Flurname  im  obern  Gaimberg, 
s.  o.;  Zenitze  Wiese  in  Grafendorf  zu  obigem  sentca,  zu  seno  Heu; 
Zereden  in  Pregraten,  altslav.  sreda,  sredina  Mitte;  Zoiginitz 
Wald  in  Oberdrumra  zu  osojenica  Dickicht;  Zunig  Tal,  Alpe,  Berg, 
Kogel  usw.  zu  osojen  schattig;  Zedlach  Rotte  im  Dorf  Virgen,  ein 
Heinrich  von  Zetlitz  wird  1548  erwähnt,  Zötlas  Alpe  in  Ober- 
drumm,  Zettalunitzbach  (dazu  bei  Lessiak,  Pernegg  S.  13Ö/7 
Zedelnig,  Zedlitzdorf,  Zedl,  Zelsach  u.  ä.)  zu  sedio  Ansiedlung. 
1329  ein  Pozelnick  belegt,  zu  poselnik  Ansiedler. 

Interessant  ist  der  Vergleich  mit  dem  Schicksal  des  slavischen 
s  aufserhalb    unseres    Gebietes.     Erwähnt    wurde    bereits,    dafs    in 


*  Die   Mundart   von  Pernegg  in  Kärnten,   in  P.  B.  B.  XXVIII,    SS.  I 
—227. 


i66 

vorahd.  Zeit  die  Substitution  durch  z  nicht  erfolgte.  Ebenso  wird 
tschechisches  stimmloses  s  (fortis)  im  Nordbairischen  durch  s 
(stimmlose  lenis)  wiedergegeben,  vgl.  im  Böhmerwald  Prassalken, 
tschech.  prasdiko;  im  Deutschen  des  15.  Jahrhunderts,  aber  heute 
nicht  mehr  gebräuchlich  Siickel,  ein  Kleidungsstück,  tschech.  sukne 
(slov.  suknja)  (Schuchardt,  Sl.  D.  S.  66).  Es  ist  ferner  selbst- 
verständlich, dafs  slav.  s  ohne  weiteres  in  Lehnwörtern  des  Roma- 
nischen beibehalten  wurde,  da  es  in  beiden  Sprachen  fortis  ist, 
vgl.  friaul.  setimine  s.  f.  convHo  fiinebre,  e  luito  che  si  osserva  entro  la 
setiimana  del  decesso,  in  derselben  Bedeutung  nslov.  sedmi'na,  das 
seinerseits  Lehnwort  aus  dem  Romanischen  ist  (Arch.  f.  slav.  Phil.  XII, 
S.  484,  und  XIII,  S.  15g);  istr.  siiokena,  sorta  di  gonna,  kroat.  sukna 
„Weiberrock"  s.  o.  (Gärtner,  Lit.  Bl.  1900,  Sp.  341);  istr.  stnola, 
„colla  da  calzolai",  slov.  stnola  u.  a.  m.  1 

Daraus  ergibt  sich,  dafs  z  als  Substitutionslaut  für 
fortis  i'  nur  dort  eintritt,  wo  kein  stimmloses  lenis  s  vor- 
handen ist.  Oder  mit  anderen  Worten:  Die  Notwendigkeit 
einer  Substitution  wird  im  allgemeinen  nur  dort  fühlbar, 
wo  der  aufzunehmende  Laut  von  dem  zunächst  stehenden 
einheimischen  Laute  durch  zwei  Intensitätseinheiten  ge- 
trennt ist. 

Die  Erscheinungen,  die  wir  auf  Kärntner  Boden  beobachtet 
haben,  finden  nun  auf  dem  Teile  des  südbairischen  Sprachgebietes, 
der  ehemals  romanisch  war,  ihren  genauen  Parallelismus.  Im 
dtschtirol.  finden  wir  zikl,  „Ziehbrunnen",  aber  lus.  noch  „Wasser- 
eimer", lat.  situla,  das  auf  der  Stufe  selda  übernommen  wurde,  (so 
heute  noch  nonsbergisch  und  sulzbergisch,  ehemals  aber  auch  der 
Typus  von  Judikarien  und,  was  für  Entlehnungen  ins  Deutsch-Tirolische 
von  Wichtigkeit  ist,  des  südlichen  Etschlandes  und  des  anschliefsenden 
venez.  Festlandes,  vgl.  lus.  zikelär  s.  S.  168,  in  den  sieben  Gemeinden 
^ör«?or^/ Nagelgeschwür,  \\„hernocchio,  MrÄv/a  Jäthaue,  '\\..sarchio})  Das- 
selbe Wort  ist  vielleicht  noch  ein  zweitesmal  ins  Deutsche  gedrungen 
als  zegger,  zögger  Tragkorb,  Armkorb  (Schöpf,  Tirolisches  Idiotikon). 
Dafs  die  Belege  für  die  Substitution  z  für  j-  hier  nicht  zahlreicher 
sind,  erklärt  sich  daraus,  dafs  im  gröfsten  Teil  Südtirols  stimmloses 
fortis  s  im  Anlaut  durch  palatales  s  (bezw.  s)  ersetzt  wurde,  vgl. 
S.  180 f.  Damit  fehlt  die  Möglichkeit  einer  entsprechenden  Substitution. 
Doch  bieten  die  Belege  aus  der  Toponomastik  einigen  Ersatz.  Vgl. 
PrutZ7iai,  Ortfgegend  bei  Tramin,  it,^"]  Prassnay,  1350,  i ;^6o Prasgnat, 
Prassegnai,  nach  Schneller  (Beitr.  III,  S,  54)  pra/us  signahis. 


'  Über  die  slavischen  Elemente  des  Romanischen  vgl.  Strekelj,  Zur 
Kenntnis  der  slawischen  Elemente  im  friaulischen  Wortschatze,  Arch.  f.  slaw. 
Phil.  XII,  SS.  474flF.  Daselbst  weitere  Literatur;  Schuchardt,  Sl.  D.  S.  76, 
und  Arch.  f.  slav.  Phil.  XIII,  S.  159;  Strekelj,  Zur  Kenntnis  der  slawischen 
Elemente  im  italienischen  Wortschatze  (d.  h.  des  österreichischen  Küsten- 
landes), Arch.  f.  slav.  Phil.  XXVI  und  S/avisches  im  friaulischen  Wortschatte. 
Nachtrag.     Arch.  f.  slav.  Phil.  XXXI. 


i67 

Pranzag  Hof,  in  St.  Georg  bei  Rentsch  über  dem  Rivellaunbach, 

1 3 1 4  Maier  zu  Prumsag  am  Rivellaunbach  hei  Bozen ,  c.  1 4 1 2  die 
smide  von  Prantzage  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  zt^). 

ain  ho/  ze  Russikke  1288,  Herrschaft  Gufidaun,  1280  Ruzikc, 
1394  Razzik,  1400  Russick,  Ruzzik,  1420  Rassik,  1550  Rassick  Hof, 
wohl  der  heutige  Zickhof  in  Villnöss,  dazu  in  Wälschtirol  Rio  secco, 
Rioseck  usw.  (Schneller,  Beitr.  II,  S.  26). 

Rysol  alias  Vortzöl  1460  in  Wälschenoven,  heute  dort  ein  Hof 
mit  Mühle,  Ratzöl  (Schneller.  Beitr.  II,  S.  24). 

Zaggier- Hof,  O.G.  Ritten  bei  Oberbozen.  Dazu  Zagl,  einzelne 
Häuser  in  Gries  am  Brenner,  Zagl  Hof  in  St.  Leonhard  im  Passeier, 
ein  Sedlhof  bei  Brixen,  Zeggerbrücke  in  Neustift  im  Stubei,  ebenso 
ein  Wirtshaus  in  Mieders,  Ziggl  Wirtshaus  in  Feldturns  (Klausen), 
Ziggler  Hof  in  Brixen  [Topographisches  Posilexikon  der  gefürsieten 
Grafschaft  Tirol  7nit  dem  Lande  Vorarlberg  und  des  Fürstenthiimes 
Liechtenstein.,  Wien  1883),  zu  lat.  silula  (s.  S.  166),  bezw.  lad.  sedla, 
buch,  sagla.  Das  a  der  obigen  Formen  kann  schon  romanisch  sein. 
Wahrscheinlich  ist  aber  der  Wandel  mit  dem  von  mhd.  §  (r=r:  ahd. 
a  -j-  «■)  zu  a  (vgl.  S.  iQo)  gleichzeitig  erfolgt.) 

Z alter  Hof  in  Völs  (Kastelruth),  ebenso  in  Latzfons  (Klausen) 
dazu  Salt  in  Schlanders,  Salier,  Saltner,  it.  Salti  zu  sa/to  (Postlexikon). 

Zatz,  Hof  in  Kastelruth,  dazu  Zass,  Hof  in  Waidring  bei 
Kitzbichl,  ebd.  eine  Zassmühle,  zu  Sass,  Sassi,  Sasso,  lat.  saxum 
(Postlexikon).  So  schreibt  ein  Urbar  des  16.  Jahrhunderts  Zäss  de 
glätza  {ä  das  helle  a  im  Gegensatz  zu  a  =  tirol.  ä)  in  Enneberg, 
wohl  Sass  de  dlacia,  wie  die  Tofana  in  KoUfuschg  heifst.  Ebenso 
nennt  das  Sonnenburger  Urbar  (1296)  Höfe  in  Abtei  Sazick,  Zazzick, 
Zazik,  Sazzick,  Sazikk  und  Zasik,  d.  h.  lad.  sas  sek  (Schneller,  Beitr.  I, 
S.  93,  vgl.  den  Namen  Ulrichs  von  Zazzikhofen). 

Die  Zeron-Höfe  in  Layen  gehören  vielleicht  zu  lat.  serra, 
Siron  in  St.  Ulrich  u.  ä.  (Postlexikon). 

Zelfen,  O.  G.  Tschagguns,  zu  Selva  ü.  a. 

Die  urkundlichen  Formen  mit  z  sind  z.  T.  nicht  beweiskräftig. 
Westgerm.  /  =  mhd.  zz  ist  bekanntlich  inlautend  zu  stimmlosem  s 
geworden  und  so  wird  namentlich  dort,  wo  germ.  .y  palatalen  Klang 
angenommen  hatte,  zz  zur  Bezeichnung  des  stimmlosen,  rein  dentalen 
j  verwendet.  Auch  sind  zum  Teil  dort,  wo  Deutsche  neben  Romanen 
wohnten,  die  «-Formen  wieder  durch  j-I""ormen  ersetzt  worden.  Dies 
war  um  so  leichter  möglich,  als  auch  in  der  deutschen  Mundart 
mit  dem  ausgehenden  Mittelalter  das  stimmhafte  s  zur  stimmlosen 
Lenis  rückgebildet  wurde.  Auf  dieses  Schwanken  infolge  der 
Korrekturen  der  romanisch  sprechenden  Nachbarn  bezw.  auf  die 
Rückbildung  zu  s  weisen  nun  auch  (unter  dem  obigen  Vorbehalte) 
die  folgenden  Schreibungen  hin: 

Serfaus,  Dorf  in  O.  J.,  seit  1549,  Sarfaus  1493,  Zerfausz  1466, 
Serfaws   1423   und  früher  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  82). 

Plansöhl,  Hof  in  Lüsen,  c.  1400  Platizols,  Plansol,  Flansel, 
1 3  1 4  Plauts el. 


i68 

Talson,  Höfe  in  Terenten,  in  der  Dalzan  1589,  an  Talssan  1520. 

in  Miisna  (Glurns,  Burgeis,  Latsch  usw.)  aber  in  loco  diclo  ijtier 
Moznas  1394  (Taufers  V.  G.,  Schneller,  Beitr,  11,  S.  87)  zu  mittel- 
und  westrr.  mnsna  Steinhauf. 

Acker  in  Salgär  (älteres  Urbar  von  Schluderns)  ob  Zalgair  1326, 
1416,  aber  1416  auch  Wisen  genannt,  Salgayer,  in  Latsch,  zu 
lat.  Salix  (Schneller,  Beitr.  III,  S.  72), 

Andrerseits  ist  in  Ortsnamen,  die  vor  dem  Stimmhaftwerden 
des  s  im  Deutschen  übernommen  wurden,  rom.  s  durch  deutsches  j 
ersetzt  worden,  so  wahrscheinlich  im  Inntal  bis  Telfs,  dessen  Germani- 
sierung eine  sehr  alte  ist  (vgl.  Steub,  Rhät.  Ethn.  S.  105),  vgl.  im 
Oberinntal  Sax  u.  a. 

Am  genauesten  läfst  sich  jedoch  die  obige  Substitution  in  der 
deutschen  Mundart  von  Lusern  verfolgen.  Bevor  das  reine  dentale  s 
der  romanischen  Umgebung  durch  das  venezianische  s  ersetzt  worden 
war,  erfolgte  die  Übernahme  des  Ortsnamens  Selva  als  Zilf  und 
des  Wortes  zikelär,  Ausgufsröhre  für  Spülwasser  (trient.  seciar-acquaio, 
nonsb.  seklar,  Col  di  Sta.  Lucia  sicer,  bellun.  sec^r,  bei  Mussafia,  Beitr. 
zur  Kenntnis  der  nordital.  Ma.  sechiaro- ^^eymerstein^^ ,  bei  Lorck,  Altbgm, 
Sprachd.  S.  125  mergorarium-ol  segier,  lat.  *sitidarium).  Diese  beiden 
Beispiele  sind  deshalb  wichtig,  weil  sie  uns  einen  Terminus  a  quo 
für  die  Palatalisierung  der  ^--Laute  in  Südtirol  angeben.  Der  Lusern 
zunächst  liegende  Ort,  an  dem  heute  noch  dentales  s  gesprochen 
wird,  Tesero  im  Fleimstale,  ist  fast  50  km  Luftlinie  von  unserem 
Gebiete  entfernt  (vgl.  die  Grenzlinie  bei  Battisti,  Lingua  e  dialetti 
nel  Trentino,  in  Pro  cultura,  Rivista  bimestrale  di  Studi  Trentini  I, 
SS.  178 — 205,  Trient  19 10). 

In  der  Sprache  der  romanischen  Umgebung  Luserns  ist  nun 
ein  neuer  stimmloser  j-Laut  entstanden.  Alteinheimisches  //  ist 
unter  venezianischem  Einflufs  an  nordit.  is  angeglichen  worden  und 
dabei  über  ^  (postdentale  Spirans)  zu  s  geworden,  vgl.  S.  i82f). 
Auch  dieses  stimmlose  s  wird,  selbst  in  den  jüngsten 
Lehnwörtern,  nicht  durch  das  einheimische  stimmhafte  s 
sondern  durch  ts  wiedergegeben.  So  also  entsprechend  lat. 
tosk.  ce,  venez.  lomb.  ze  vgl.  zedern  weichen,  nachlassen,  trient.  g'eder', 
zedrii  Auerhahn,  trient.  gedron-gallo  cedrone;  Zfltro  hölzerner  Stützbogen 
beim  Gewölbebau,  trient.  (eltro  -ceyitina',  zenso  Steueramt;  zetitiniftro; 
zentro;  zeriola  Lichtmefs;  zerto\  zertarn',  Zfrvo',  zega  Augenbraue, 
cllia;  iigal  Cicade;  zigaro',  a  zimenio  zum  Aufsersten,  trient.  cimienta- 
cima  estrema\  zornirn;  zizma  Zwietracht,  zu  dem  Bacher  1  it.  dial. 
siSma  verzeichnet,  oxiOf/a. 

Ebenso  entsprechend  venez.  it.  z  unsicheren  Ursprungs.  Vgl. 
zamp  Pferdefufs,  zatnparn  stolpern,  it.  zampa,  bei  Bacher  ensamparse. 


*  Bacher  fügt  in  seinem  Wörterbuche  den  romanischen  Lehnwörtern  des 
Lusernischen  vielfach  die  romanische  Form  bei,  die  er  in  der  Valsugana  und 
dem  Astachtal  aufgenommen  hat.  Dadurch  wird  die  richtige  Beurteilung  der 
Wörter  wesentlich  erleichtert. 


zapägo  Schlappschuh,  venez.  zapeia\  zarlatä,  venez.  zaraian,  bei 
Bacher  sarlatan;  zavariarn,  verrückt  reden  (vgl.  Schneller,  Ma,  S.  214). 

Während,  wie  erwähnt,  das  Lusernische  im  Anlaut  nur  stimm- 
haftes s  kennt,  besitzt  es  im  Inlaut  stimmloses  fortis  j-,  entsprechend 
germ.  /.  1  Umso  auffälliger  ist  es  daher  auf  den  ersten  Blick,  dafs 
das  stimmlose  s  des  Italienischen  nicht  mit  dem  heimischen  j-Laute 
wiedergegeben  wird,  sondern  dafs  auch  hier  der  Substitutionslaut  ts 
eintrat  Der  Grund  dieser  Substitution  liegt  in  der  Ver- 
schiedenheit zwischen  deutscher  und  romanischer  Silben- 
trennung. 

Im  Deutschen  (nicht  nur  in  Lusern  sondern  allgemein  süd- 
bairisch)  wird  stimmlose  Fortis-Konsonanz  nur  nach  kurzem  Vokal 
gesprochen  und  zur  selben  Silbe  gezogen,  vgl.  in  Pernegg  (Lessiak. 
S.  40)  nop-pel,  tsip-pfl,  Schipm-ma,  smit-in  u.  a. ;  in  Imst  sit-tse, 
lüint-tsig.  Sind  dagegen  die  Sonanten  zweier  Silben  durch  eine  Lenis 
getrennt,  so  wird  diese  zur  folgenden  Silbe  gezogen  (Schatz,  Ma. 
V.  Imst  S.  25),  dabei  wird  der  Vokal  auf  jeden  Fall  lang  gesprochen 
in  Imst  ho-fe,  löi-se,  tsö-le,  in  Pernegg  pi-ra,  s^-fn,  sö-dti  usw. 
Im  Romanischen  Südtirols  dagegen  wird  einfacher  Konsonant,  ob 
stimmlos  oder  stimmhaft,  bei  vokalischem  Auslaut  zur  zweiten  Silbe 
gezogen  (vgl.  darüber  Arch.  St.n,  Spr.  L.  CXXIII,  S.  447).  Die  Luserner 
besitzen  daher  wohl  ein  stimmloses  .y  als  fortis,  aber  nicht  am  Be- 
ginn,  sondern  am  Ende  einer  artikulatorischen  Bewegung. 

Neben  einem  einheimischen  khes-l,  mes-an,  hörten  die  Luserner 
rä-sa,  bekä-sa.  Dieses  silbenanlautende  stimmlose  s  wurde 
daher  wiedergegeben  wie  jedes  s  im  Wortanlaut,  d.  h.  es 
wurde  durch  ts  ersetzt.  Durch  diese  Substitution  wurde  nun  die 
Bewahrung  der  fremden  Silbentrennung  ermöglicht  [rat-tsa,  bekat-tsa, 
wie  sit-tsen  usw.)  und  doch  dem  heimischen  Sprachgebrauch  Rechnung 
getragen,  \^.  hekaz  Schnepfe,  i\\&x\\..  hecaza\  karaz  Rebstange,  ^aqa- 
xiov;"^  gtizan  hetzen,  trient.  guzzar^-aguzzare;  kaviz  Pferdezaura, 
trient,  caveza,  lat.  capUium;  maz  Büschel,  Straufs,  *matea\  skavezarn 
entzwei  brechen,  venez.  scavezzar - accorciare;  balz  Brett  vor  den 
Augen  böser  Stiere,  cimbr,  balz  Fufsstrick,  zu  venez.  balza-fune  che 
si  meite  ai  piedi  delle  hestie,  lat.  balteiis  (interessant  ist  der  Bedeutungs- 
wandel innerhalb  des  Lusernischen) ;   bgza  Flasche,  *bottea\  enziana; 


*  Westgerm./,  t,  k  erscheinen  im  ahcl.  inlautend  als  ^,  tt,  bh.  Diese 
lange  Konsonanz  (nicht  zu  verwechseln  mit  mehrfacher  Konsonanz,  vor 
welcher  lange  Vokale  gekürzt  werden)  wird  nach  langen  Vokalen  vereinfacht. 
Aus  der  langen  Kons,  wird  dann  einfache  fortis  (nicht  im  Alemannischen),  die 
dann  vielfach  in  lenis  übergeht,  sodafs,  wo  dies  der  Fall  ist,  kein  Unterschied 
mehr  zwischen  ursprgl.  einfachem  und  ursprgl.  langem  I,aute  besteht  (Behaghel, 
P.  Gr.  I^,  S.  716),  also  altsächs.  etan,  ahd.  cizait,  mhd.  ez-zen,  lus.  es-an;  aber 
altsächs.  Äf/a«,  2L\\d.  bizzan,  mhd.  bt-zen,  lus.  paz-san,  vgl.  dazu  den  Anhang. 

*  Das  Wort  ist  über  Frankreich  und  Norditalien  verbreitet,  frz.  echalas^ 
raaild,  tarai'c,  scarasc ,  monf.  carassa,  carassot,  ■pltm..  scaras  usw.  (Salvioni, 
Nuove  postille,  S.  6). 

^  Ich  habe  im  allgemeinen  die  Orthographie  meiner  Quellen  beibehalten. 
Trient.  2  (so  nach  Ricci)  ist  als  stimmloses  s  zu  lesen. 


lyo 

kanzß;  kasa;  nfza;  npze;  rohalz  Falltür,  bei  Bacher  rehalsa  *rebaltea, 
Siraz  Hader,  Fetzen,  bei  Bacher  s/rasa,  spisa  Jucken,  Prickeln,  trient. 
spiza  u.  a. 

Sobald  aber  das  rom.  stimmlose  j  nicht  silbenanlautcnd  ist, 
wird    es    durch    lus.  j  wiedergegeben,    vgl.  späsakamin  neben  spazA 

Aber  auch  dort,  wo  das  rom.  s  in  den  Wortanslaut  zu  stehen 
kam,  ist  es  im  Lusernischen  durch  ts  ersetzt  worden.  Das  Lusernische 
besitzt  zwar  im  absoluten  Wortauslaut  ein  stimmloses  s,  aber  nur 
nach  langen  Vokalen  und  stimmhafter  Konsonanz,  vgl.  aus,  nas, 
gruas  grpas  und  als.  Dieses  i-  ist  aber  offenbar  lenis,  nicht  fortis, 
und  ist  nur  im  Endteile  seiner  Artikulation  stimmlos,  während  der 
Einsatz,  dem  vorhergehenden  Vokal  entsprechend,  stimmhaft  ge- 
schieht. Dafür  spricht  auch  der  Umstand,  dafs  rom.  stimmhaftes  s, 
wo  es  im  Lusernischen  sekundär  in  den  Auslaut  tritt,  zu  diesem  s~ 
Laute  wird,  vgl.  lös  Gesellschaftslager  auf  Stroh,  trient.  Ipäa — loggia; 
sckzvcs  t,  männliche  Brust,  bei  Bacher  schwosa,  bellun.  sbblda,  trient. 
shoza.,  nonsb.  zhoga  usw.  {Arch.  St.  n.  Sp.  u.  Lit.  CXXXIII,  S.  149) 
„Raum  zwischen  Hemd  und  Brust". 

Es  ist  daher  ohne  weiteres  verständlich,  wenn  das  stimmlos 
einsetzende  rom.  i'  auch  in  dieser  Stellung  durch  is  ersetzt  wird. 
Denn  die  Substitution  ts  für  s  geschieht  ja  nur  infolge  der  Unmöglich- 
keit eines  stimmlosen  Einsatzes  seitens  der  lusernischen  Bevölkerung, 
vgl,  moslaz  Gesicht,  *inustaceu,  pantaz  Gassenjunge,  trient.  panlaz  — 
stomaco  di  besiie  grosse,  un  dappoco,  minchione;  riz  Kropf  der  Tannen- 
äste, venez.  ri'zzo — la  scorza  spinosa  delle  castagne;  sfojaz  Deckblatt 
des  Maiskolbens,  *foliaceu\  stiz  angebranntes  Holzstück,  trient.  stiz  — 
tizzo  u.  a. 

Die  Substitution  von  is  für  stimmloses  fortis  j  tritt  demnach 
überall  dort  ein,  wo  kein  stimmloses  ^  im  Sprachsystem  vorhanden 
ist.  Dieses  Gesetz  ist  ausnahmslos,  es  ist  weder  an  Zeit  noch  an 
Ort  gebunden,  es  wirkt  im  10.  Jahrhundert  ebenso  wie  im  20.,  im 
Osten  wie  im  Westen.     Es  ist  also  ein  wirkliches  Naturgesetz. 

Anläfslich  der  südbairischen  Lautverschiebung,  durch  die  ahd.  s 
stimmhaft  wurde,  bekam  auch  ahd.  y"  den  Stimmton.  Dieser  Zustand 
ist  auch  heute  in  den  südbairischen  Sprachinseln  überall  erhalten, 
so  in  Lusern  {vädar,  vail,  vairft,  varbe  usw.),  den  7  und  den  13  Ge- 
meinden, 2  in  Gottschee,  Zarz  -  Deutschrut  und  den  Sprachinseln  in 


^  Erst  ia  allerletzter  Zeit  haben  die  Luserner  stimmloses  s  auch  im 
Silbenanlaut  erlernt.  So  in  dem  ursprgl.  Fluchwort  kaso.  trient.  cäzo  und 
spisa  neben  spiza,  vgl.  damit  S.  175. 

^  J.  A.  Schmellers  sogenanntes  Cimhrisches  Wörterbuch,  das  ist 
deutsches  Idiotikon  der  VII  und-  XIII  Comiini  in  den  venetianischen  Alpen, 
hrgb.  von  Josef  Bergmann,  Wien  1855,  „Tn  den  VII  Communen  gilt  /  für 
/  in  it.  Wörtern,  im  Deutschen  aber  nur  für  das  deutsche  pf  und  für  jenes  /, 
das  im  Niederdeutschen  ein  p  ist.  Statt  des  deutschen  f  haben  die  Sette- 
Comuni  durchaus  das  auf  it.  Weise  ausgesprochene  v.  Die  XIII  Communen 
haben  meist  das  deutsche  y."     (S.  118.) 

F.  e  C.  CipoUa,  Dei  coloni  tedeschi  nei  XIII  Com.  veronesi ,  Archivio 
glottologico  Italiano  VIIT,  v^\.  faige,  ■waige=fico;  falj'e,  walj'e  ■=  trappola, 
fangen,  wangen  =  prendere  usw. 


171 

Friaul.  Schon  die  geographische  Verteilung  der  heutigen  i;-Resle 
spricht  für  ehemaligen  Zusammenhang  derselben.  Dazu  kommt,  dafs 
fremdes  stimmhaftes  v  in  Lehnwörtern  und  Ortsnamen  die  Rück- 
bildung des  deutschen  v  zu  f  auf  dem  gesamten  südbairischen 
Sprachgebiete  mitgemacht  hat.  So  erscheint  windisches  b  (bilabialer, 
stimmhafter  Verschlufslaut)  im  Deutschen  heute  als  f,  vgl.  Feislrilz 
—  slov.  Bisirica ;  Flatlnitz  —  Blatinca,  Fürniiz  —  Brnca.  Ebenso  in- 
lautend Treffen  —  wind,  trebine,  Reifnüz  —  Ribnica  u.  a.  Ebenso  ist 
das  V  älterer  romanischer  Lehnwörter  zu  f  geworden,  vgl.  föspr, 
fendra  schachern,  vendere,  saJfn  kurieren,  taufa  Daube,  rom.  dgva. 
Die  jüngeren  Lehnwörter  des  Kärntner  Deutschen  dagegen  haben  für 
fremdes  b  als  Substitutionslaut  iv  eintreten  lassen.  Andererseits  er- 
scheint als  Substitutionslaut  des  deutschen /"in  älteren  Lehnwörtern 
im  Windischen  b,  in  jüngeren  /,  deutsches  w  erscheint  in  älteren 
Lehnwörtern  als  «,  in  jüngeren  als  b  (Lessiak,  Pernegg  S.  119  ff.). 
Diese  Tatsachen  stellen  den  Wandel  von  /  >  y  für  Kärnten  aufser 
Zweifel. 

Damit  stimmt  der  Umstand  überein,  dafs  aufserhalb  des  Ge- 
bietes, in  dem  f  zn  v  wurde,  slawisches  b  nicht  durch  f,  sondern 
durch  b  ersetzt  wurde  (Lessiak,  G.  R.  M.  II,  S.  288  und  A.  f.  d.  At.  32, 
S.  130),  \g\.PieIach  —  B}lc7,  aber  kämt.  Vellach',  Grobfning  <C.Grebmicha 
usw.  Eine  direkte  Substitution  des  windischen  b  durch  /  ist  des- 
halb unwahrscheinlich,  weil  aufser  der  Differenz  von  zwei  Intensitäts- 
einheiten (windisches  b  ist  stimmhafte  lenis)  zwischen  b  und  /  auch 
ein  qualitativer  Unterschied  besteht.  Da  lag  als  Substitutionslaut 
selbst  unsilbiges  k  näher;  aufserdem  besafs  das  Südbairische  seit 
Ende  des  1 1 .  Jhdts.  inlautend,  etwas  später  anlautend  einen  $-  bezw. 
z£i-Laut.  1 

Zur  Zeit  der  Gründung  der  7  Gemeinden  nun  war  der  Wandel 
von  deutschem  f  zu.  v  bereits  vollzogen;  denn  es  werden  einerseits 
selbst  die  ältesten  romanischen  Lehnwörter  mit  anlautendem  v  mit 
dem  hd.y"  entsprechenden  v  wiedergegeben  (vgl.  7ntsch  Wicke,  trient. 
'lizza,  venzern  übrig  lassen,  dafür  nordit.  (a)vansar,  übrig  lassen  und 
übrig    bleiben),    andrerseits    machen    selbst  die  ältesten  Lehnwörter 


*  Für  eine  direkte  Substitution  lenis  v  zu  lenis  f  spricht  auch  nicht  die 
Tatsache,  dsfs  die  romanischen  Lehnwörter  des  Germanischen  z.  T.  _/",  z.T.w 
zeigen,  vgl.  z.  B.  agls.  fan7t  =  lat.  vanniis,  ßasc  =  vasculum,  firnis  =  lat. 
vernisium,  fipele:=vitella;  aber  Venia  :^  Wintanccaster,  vespa  =  waeps,  viiixitn 
=  unn  (Pogatscher  1.  c).  Analog  in  den  übrigen  gerni.  Sprachen,  vgl.  Rom. 
Gram.  I,  S.  37.  Wir  können  dabei  drei  Schichten  unterscheiden.  Eine  gemein- 
germanische, in  der  lat.  v  (d.  h.  unsilbiges  u)  mit  dem  gleichartikulierten 
germ.  u  wiedergegeben  wurde.  Eine  zweite,  ebenfalls  noch  gemein-germanische 
Schicht,  in  der  das  lat.  z/,  das  seit  dem  dritten  Jahrhundert  bilabial,  aber 
zunächst,  seinem  Ursprung  entsprechend,  stimmhafie  fortis  geworden  war,  durch 
das  ebenfalls  bilabiale  germ.  /  (stimmlose  lenis)  substituiert  wurde.  Endlich 
eine  dritte,  einzelsprachliche  Schicht,  in  der  das  labiodental  gewordene  v  zu- 
nächst durch  das  germ.  unsilbige  71,  dann  durch  labiodentales  w  ersetzt  wurde. 
Eine  Substitution,  durch  die  zwei  Intensitätsstufen  überschritten  worden  wären, 
liegt  also  7,11  keiner  Epoche  vor,  vgl.  wegen  des  lat.  i/  Seelmsnn,  Aussprache 
des   Latein  usw.,  S.  295. 


172 

den  Wandel  y  >  v  nicht  mehr  mit,  vgl.  Folgarait,  it.  Folgaria, 
filicarelu/n,  Ins.  faschi  Reisig,  Holzbündel,  ein  sehr  altes,  aus  der 
Zeit  der  lombardischen  Beeinflussung  stammendes  Lehnwort  (vgl. 
seh,  den  stimmmlosen  fortis-Laut,  die  Entnasalierung,  das  Geschlecht 
[bei  Tiraboschi  fassi,  aber  trient.  venez.  usw.  fassina]). 

Wie  hier  im  äufsersten  Süden,  so  hat  aber  auch  auf  dem 
ganzen  übrigen  Gebiete  Deutsch -Tirols  /  den  Wandel  zu  v  ehe- 
mals mitgemacht.  Dies  zeigen  uns  die  Ortsnamen,  in  denen  rem.  v 
heute  als  /  erscheint,  vgl.  im  Pustertal  Volar uzz,  Fallatschn ,  Fall- 
scheney, Falschgur ,  Falimanige ,  Q65  Vallmuni'ge,  d.  i.  vallis  dominica, 
Figal  Flur  in  Kais,  Figali,  Wiese  zu  St.  Justina,  lat.  vicale  u.  a. 
(Unterforcher  1885).  Dann  die  verschiedenen  Vill,  lat.  villa,  so  ein 
Pfarrdorf  von  Rodeneck  bei  Brixen,  in  der  Vill,  Weiler  zu  Ober- 
lana,  die  Vill,  W^eiler  bei  Neumarkt  im  Etschtal,  Vill,  Hof  in  Unter- 
fennberg nächst  Tramin,  Vill,  ein  Ortsteil  von  Thuins  bei  Sterzing, 
Vill,  ein  Dorf  nächst  Innsbruck  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  58);  Castel- 
feder,  Schlofs  bei  Auer  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  37),  Falle,  Höfe  in 
Villnöss,  Layen,  drei  Höfe  in  Kastelruth,  zwei  in  Lüsen;  Vals  bei 
Mühlbach  ober  Brixen,  Falls,  Weiler  in  Thuins  bei  Sterzing,  Fals 
bei  Bludenz,  Brixen,  Falschmair  bei  Innsbruck,  Falierschein  bei 
Landeck  usw.  usw.  Die  y- Formen  zeigen  sich  demnach  auf  dem 
ganzen  deutschtirolischen  Gebiete. 

Auf  zwei  voneinander  getrennten  Gebieten  jedoch  treten 
neben  den  y- Formen  solche  auf,  in  denen  das  rom.  v  erhalten 
blieb.  Zunächst  im  Kreise  des  Pustertales,  vgl.  Waideria,  d.  i. 
vallis  de  rivo  im  Lesachtal,  Wallone,  Wiese  bei  Leifling  u.  a. 
(Unterforcher  1885).  In  derselben  Gegend  ist  aber  auch  slav.  b 
und  «  nicht  zu  deutschem  f  (s.  o.)  sondern  zu  iv  geworden,  vgl. 
Waldnigg  <1  *vahiik  (St.  Leonhart  am  Isslberg),  Waratschnigg  ■< 
haracnik  Händler  (Cristan  in  Nufsdorf),  Wasejiig  H.  N.  bei  Lienz, 
zu  vas  Dorf,  Wischritz  Wiesen  bei  W.  Matrei,  bystrica  (Unterforcher 
1888).  Hier  ist  also  die  Übernahme  der  windischen  Namen  ins 
Deutsche  erst  erfolgt,  als  die  Rückbildung  des  deutschen  v  zw  f 
bereits  vollzogen  war.  Die  erwähnten  romanischen  Namen  sind  aber 
zunächst  von  einer  windischen  Bevölkerungsschicht  übernommen 
worden  und  sind  mit  den  obigen  Namen  ins  Deutsche  gekommen. 

Das  zweite  Gebiet  ist  der  obere  Vintschgau.  Namentlich  in 
der  Umgebung  von  Taufers,  vgl.  Wälläralä  (lies  vallarola)  1568; 
Walldalussey  (vallis  de  alauseto)  17 13;  Wall  San/  Jan  1568;  Wäll 
Plauna  1568,  heute  Val  Plauna.  Die  genannten  Örtlichkeiten  liegen 
hart  an  der  romanisch  -  deutschen  Grenze;  die  Wiedergabe  durch 
w  ist  also  ohne  weiteres  verständlich.  Aber  auch  weiter  abwärts 
zeigen  sich  noch  zü-Formen,  Walldaküem  1546  bei  Laatsch,  Walda- 
fag  1360  bei  Kortsch.  Aber  bei  Tartsch  schon  im  14.  Jahrhundert 
Fallälscha,  Falung  1794  bei  Reschen,  Fabnajur  1794,  heute  Falmür, 
Bergtal  bei  Reschen,  Fallmair  Hof  in  Latsch  u.  v.  a.  (Schneller, 
Beitr.  II,  S.  51 — 62).  Charakteristischerweise  zeigen  sich  auch  sonst 
zü- Spuren,    entweder  hart  an  der  Sprachgrenze,   oder  in  Verkehrs- 


173 

abgeschiedenen  Tälern,  in  denen  sich  die  romanische  Bevölkerung 
am  längsten  gehalten  hat,  vgl.  Rubein,  Schlofs  in  Obermais,  1285 
im  Urbar  des  Schlosses  Tirol  Ruuin,  in  Brixener  Urkunden  von 
1270 — 1305  Ruma,  Rufina  {/ =  v),  Ruuina,  Ruvina,  Rufin,  Ritiuin 
[ei  =  t).  Zur  Zeit  der  Germanisierung  war  hier  die  Rückbildung 
des  V  ^  /  bereits  vollzogen,  als  Substitutionslaut  trat  deutsches  b 
ein  (mit  dem  am  linken  Etschufer  dtsch.  zv  zusammengefallen  war, 
Schneller,  ßeitr.  II,  S.  lOl),  vgl.  ferner  Walsurtall  1394  bei  Mathon 
im  Paznaun  u.  a. 

Zur  Zeit  also,  in  der  die  Germanisierung  Tirols  (mit  den  obigen 
Einschränkungen)  erfolgte,  besafs  die  deutsche  Mundart  im  Anlaut 
wohl  ein  stimmhaftes  v,  aber  keinen  entsprechenden  stimmlosen 
Laut.  Wie  nun  zu  jener  Zeit  romanisches  stimmloses 
fortis  y  übernommen  wurde,  trat  dafür  nicht  stimmhaftes 
V,  sondern  pf  ein. 

Der  Parallelismus  mit  den  windischen  Lehnwörtern  des 
Deutschen  versagt  deshalb,  weil  das  Windische  kein  /  in  ein- 
heimischen Wörtern  besitzt.  Um  so  zahlreicher  sind  die  Belege  in 
Deutsch -Tirol,  vgl.  bei  Schöpf  (Tir.  Idiotikon),  pf  rillen  Fischchen, 
Ellritzen,  in  Poschiavo  frilla  —  Forelle,  pfroshi  (Vinstgau,  Lechtal) 
Hagebutten,  churw.  frausla,  frosla  usw.,  in  Puschlaw  und  Bormio 
frosola  (Schneller,  Wa.),  pfiem  (Ober-Inntal)  Südwind,  Föhn,  lat. 
favonius  (Schöpf),  pfoll  (Ulten)  Strumpf  ohne  Socken,  lat.  follis, 
Säckchen  usw. 

Überaus  zahlreich  sind  die  Belege  aus  der  Toponomastik,  vgl. 
Pfefferleiie  in  Zwölf  Malgreien  (Bozen)  und  im  oberen  Wipptale, 
Pfeffersberg  bei  Brixen,  wie  Pfeffers  in  der  Schweiz  (970  Favarias, 
II.  Jahrh.  Fauares),  Pfebers  bei  Fliesz  im  Ober-Inntal,  Pfaffrial  auf 
Asters  im  O.-I.  zu  it.  Favale,  Favalello,  Faver  (Cembra),  Favarello 
(Flechia,  Nomi  locali  der.  d.  nomi  p.  S.  12)  z\x  faba  Bohne  (Unter- 
forcher  i8gi). 

Zu  lateinisch  fundus  gehören  die  folgenden  Namen  Pfunds  im 
O.-I.  (1346  und  später  Pfundes),  Pfons  bei  Matrei  im  Wipptal,  in 
Pfundes  bei  Bozen,  1406,  Hof  in  Pfund  bei  Villanders,  Pfunders 
Dorf  im  Weitental  (1065 — 75  in  loco  Fundres,  bereits  1270,  1310 
Phunders),  Pfiinders  Berg  bei  Klausen,  Pfundere  Hof  ebenda  (Unter- 
forcher 1891),  Pf  uns  Hof  in  Tulfes  bei  Hall,  Pfund  Hof  in  Inner- 
berg in  Weerberg,  U.-L,  Pfuns  Alpe  im  Zillertal,  Pfundritsch  Acker 
1369  bei  Sterzing;  Fondo  im  Nonstal  lautet  im  Etschtaler  Deutschen 
Pfund  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  63). 

Zu  lat.  fossa  vgl.  Pfuss  (1490  und  heute)  zu  Kaltem  ge- 
höriges Dorf  lein,  1350  Walter  von  Fuss,  1360  acher  ze  Fuss\  zue 
der  langen  Pfossen  (161 1   bei  Tschengels,  V.  G.)   (Schneller,  Beitr.  II, 

S.  34). 

Lat.  fascia,  in  der  Toponomastik  „langer  schmaler  Wiesen- 
streifen", dazu  bei  Schlanders:  Ager  Fassa,  12.  Jahrh.;  zu  Vesche 
13Q7;  die  lang  wis  bei  Pf  ätsch  (und  Pfäsch)  14 17.  In  Goldrain: 
Stükhel    haizzet    di   Vasche   1360;    die  Pfäschivisen    1583.    In   Vezzan 


174 

V.  G.  Pfesch,  141 6  pergwiesen  auf  Nafawn  genannt  Veischa;  die 
Homer -Pfcsse,  Acker  1390  bei  Naturns;  in  Tarrenz,  O.-I.  Acker 
auf  der  Pfässen    1582   (Schneller,  Beitr.  III,  S.  1 7  f.). 

Zu  lad.  fana  „Pfanre",  in  der  Toponomastik  „kesseiförmige 
Vertiefung"  (bei  Alton,  Ethn.  von  Ostladinien  Val  de  Fanes,  in 
Ennebt-rg  Gran  Fanes  auf  deutsch  Grojs  Pfanes,  eine  Fauna  Alpe 
in  Vals  bei  IMülbacli)  P/ann  Alpe  im  (ischnitzlal,  P/ans  bei  Wüten, 
P/anä/spitz  in  Passeier. 

Zu  lat.  fönte  :  Pfanell  im  Vintschgau,  1376  Niderpfondejiel 
(Unterforcher   1891). 

Zu  it.  frana  (lat.  voragine)  Absturz,  Erdfall,  Pf  rein  Alm  bei 
Latzfons,  Pfrdnshach  bei  Mais  (aber  Fr  eins,  Weiler  bei  Lajen, 
praiuni  Fragine  aus  Säustralhen  1299),  (Unterforcher  1891)  Pfrans 
Gehöfte  in  Ried  (Landeck)  (it.  Fi-aina  in  Ampezzo,  Frai7ia  da  mez 
in  Abtei,  Fraine  Häuser  in  Sover,  Cembra),  (Postlexikon). 

Zu  lat.  furca  :  Pfurgl  in  Lüsen;  Pf ur tschell  Hof  in  Stubei 
(aber  Furgl  im  Pustertal,  Furka  und  Furgl  O.-I.  usw). 

Zu  lat.  furnus  Pforn  in  Kais,  1307  Forn;  Pfurnsee  im  Rid- 
nauntal;  Pf  ums   1328  im  Weitental,  dazu  lad.  Für,  Fornella  u.  a. 

Zu  lat.  forma  (bei  Ducange  arcus,  fornix,  PI.  canales  structiles 
et  arcuati)  Pfarmbeit,  nach  Schneller,  Btr.  I,  S.  44  forma  hella. 

Zu  Igb.  falda,  mlat.  Viehhag,  besonders  Schafhag,  Pfelders, 
Hochtal  und  aus  zerstreuten  Berghöfen  bestehende  Gemeinde  in 
Passeier,    1288  Felders  und  Pfelders  (Schneller,  Btr.  I,  S.  62). 

Zu  tirol.  fizza  Spalte  (Alton  S.  212,  Schneller,  Ma.  S.  141), 
Pfitz,  O.  G.  Göfis  bei  Feldkirch;  Pfitsch  im  Pfitschtal  bei  Sterzing; 
Pfitsch  Höfe  in  Montan  (Bozen);  verschiedene /^/jcA^r  bei  Sterzing, 
Riduaun,  Stilfes  (2)  Telfes,  (aber  Fiisch  Hof  in  Sarntal,  Fitscher 
Hof  in  Prags)  (Postlexikon). 

Zu  filictum  Fahrenwiese  vielleicht  Pflait-TaX  (und  Flatt-TsX 
bei  Landeck),  dazu  die  Flalh  Alpe  O.  G.  See  bei  Landeck  (Post- 
lexikon).    Über  e  zw  a  vgl.  Anhang,  Anmerkung. 

Zu  lat.  fracta,  tirol.  frata — campetto  di  monte,  Pfrader\\o{  in 
Villanders  (aber  Frad  Obbach  und  Frad  Unterbach  bei  Gries  a.  B.) 
(Postlexikon). 

Zu  fronte  die  Pfrontner  Alpe  in  Zöblen,  C.  G.  Reutte  (vgl. 
Monte  Fronte,  O.  G.  Levico)   (Postlexikon). 

Zu  fraga  (trient.  fraga — fragola)  Oberpfragl  Hof  in  Mariol- 
berg,  Unterpfragl  Häuser  in  Ulten  (aber  Frag,  Parzelle  von  St.  Va- 
lentin in  Villanders,  Fragari  in  Monte  Bondone,  Sennhütte)  (Post- 
lexikon). 

Zu  it.  fr  öl  lo,  vielleicht  der  Pf  roll  Hof  in  Ulten  (aber  Fröll 
Hof  in  St.  Andrae  bei  Brixen)  (Postlexikon). 

Zu  tirol.  frösola  (s.  S.  173)  Ober-  und  Unter-Pfrusl  Höfe  in 
Wiesen  bei  Sterzing  (Postlexikon). 

Zu  lat.  officina  (bzw.  xoux.focitia)  vgl.  Pfötsching  Einzelhof  in 
Soll  bei  Kufstein  (Postlexikon). 


175 

Zu  lat.  flssus  die  Tfeis  Alpe  hinter  der  Arzler  Scharte  bei 
Innsbruck,  vgl.  dazu  den  Piz  Fess  bei  Parmentier,  Voc.  Rhet.  u.  a.  m. 

Die  Ortsnamen  mit  pf  im  Anlaut,  das  xova..  f  entspricht,  sind 
also  in  ganz  Deutsch-Tirol  vertreten.  Besonders  zahlreich  sind  sie, 
wie  die  2 -Formen,  im  Vintschgau  und  dem  Etschiande.  Um  so  auf- 
fälüger  ist  es  daher,  dafs  in  den  sieben  und  den  dreizehn  Gemeinden 
in  nicht  einem  einzigen  Falle  die  erwähnte  Substitution  eingetreten 
ist.  Hier  ist  aber  nicht  das  einheimische  stimmhafte  v  für  das 
romanische  f  eingetreten,  sondern  dieses  ist  infolge  der  engen, 
durch  Generationen  aufrechterhaltenen  Berührung  zwischen  Deutschen 
und  Romanen  von  ersteren  erlernt  worden. * 

Dafs  es  sich  aber  hier  um  einen  durchaus  undeutschen  Laut 
handelt,  zeigt  folgende  Gegenüberstellung: 

Lusernisch     p,     5,  w,     v,     bf,    f    im  Anlaut 

Gemeintirol,  p,        w,      /,    pf,     0 
Westgerm,      b,         u,      f,     p,       0 

Oder  bei  der  (allerdings  ungenauen)  Annahme,  dafs  die  Intensität 
des  Artikulationsstromes  bei  der  Lösung  des  Verschlusses  von 
stimmhafter  lenis  zu  stimmhafter  fortis,  dann  von  dieser  zur  stimm- 
losen lenis  und  stimmlosen  fortis  konstant  und  gleichmäfsig  zu- 
nehme, 2  sodafs  also  die  stimmhafte  lenis  den  Intensitätswert  l, 
die  entsprechende  fortis  den  Wert  2  usw.  besitzt,  ergibt  sich  das 
folgende  Verhältnis  zwischen  den  Lauten  des  Lusernischen  und 
Tiroler-Deutschen : 

lus.  V  /3\       lus.y  (stimmlose  fortis,  daher  =  4) 
tir.y    ~    '        tir.  x 


*  Ganz  dieselbe  Erscheinung  zeigt  sich  darin,  dafs  germ.  u  im  Romanischen 
nur  dort  nicht  durch  gu  ersetzt  wurde,  wo  der  Prozentsatz  der  angesiedelten 
Germanen  unter  den  Romanen  ein  besonders  hoher  war.  So  nameiiilich  an 
der  Sprachgrenze,  vgl.  Rom.  Gr;.m.  I,  S.  37.  Man  vgl.  ferner  Schatz,  Die 
tirolische  Mundart,  S.  17.  „Zu  beachten  ist,  dafs  in  Nordtirol  überhaupt 
nur  ein  Laut  {g)  im  Anlaut  gesprochen  wird,  während  im  Pusterial  und  im 
südlichen  Tirol  neben  dem  g  (lenis)  auch  die  fortis  k  vorkommt  und  zwar  in 
romanischen  Lehnwörtern  entsprechend  dem  romanischen  c,  dann  auch  in 
einigen  anscheinend  deutschen  Wörtern.  Es  ist  hier  also  der  Mundart 
möglich,  tenuis  k  und  media  ^  im  Anlaut  zu  trennen,  in  Nord- 
tirol ist  dies  Vermögen  nicht  vorhanden." 

*  Ich  spreche  nicht  von  der  absoluten  Stromstärke,  die  beispielsweise 
bei  der  Artikulation  einer  stimmhaften  fortis  ebenso  grofs  bzw.  grötser  sein 
kann  als  bei  der  Artikulation  einer  stimmlosen  lenis,  sondern  von  der  Stärke 
des  bei  der  Artikulation  stimmhafter  Laute  nach  dem  Vibrieren  der  Stimm- 
bänder geschwächten  Stromes;  also  beispielsweise  von  der  Stärke  des  Stromes 
beim  Lösen  des  Verschlusses  bei  der  Artikulation  von  b^,  bf,  p^,  pf.  Die 
absolute  Stromstärke  ist  bei  der  Artikulation  von  p^  und  bf  wühl  gltich,  nicht 
aber  die  Stärke  des  Stromes  bei  der  Explosion,  vgl.  dazu  Sievers,  Phonetik 5, 
S.  69/  70, 


176 

d.  h.  dem  lus.y  sollte  im  Tiroler-Deutschen  ein  Laut  entsprechen, 
dessen  Intensitätswert  8  beträgt,  das  ist  das  tir. ^,  d.  h.  der  Sub- 
stitutionsiaut  für  romanisches  y. 

Dieses  pf  fehlt  sowohl  dem  Slavischen  wie  dem  Romanischen. 
In  beiden  Sprachen  wird  es  nun  durch  den  Laut  su!;stituiert,  den 
wir  soeben  im  Lusernischen  festgestellt  haben,  durch  stimmloses  f 
(vgl.  ■i\o\\  fUra  Vi-c\.xxv,  fhit — Pfund,  Lessiak,  Pernegg  S.  I20,  süd- 
tirol.  futera  Bäckerei,  dlschtirol.  Pfisterei,  lus.  b/islära,  fifolare,  zu 
mhd. pfifen  {Schneller,  Ma.  S.  97)  finferli  PfifterUng  ebd.  usw.)  d.  h. 
/  ist  der  dem  hdt.  pf  entsprechende  Laut  des  Italienischen  und 
Slavischen,  nicht  des  Lusernischen;  hier  ist  er  Lehngut  und  sollte, 
wie  sonstiges  hdt.  pf  in  der  Form  hf  erscheinen. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  haben  die  sieben  und  die  dreizehn 
Gemeinden  (Lusern  ausgenommen)  auch  ursprünglich  bf  für  fremdes 
/  eintreten  lassen.  Infolge  der  steten  Berührung  mit  ihren  roma- 
nischen Nachbarn  wurde  aber  der  artikulatorische  Unterschied 
zwischen  den  Substitutionslaut  hf  und  dem  gehörten  stimmlosen  f 
so  stark  bewufst,  dafs  eine  Erlernung  des  fremden  und  eine  Rück- 
bildung des  substituierten  Lautes  eintrat.  Bei  dieser  Rückbildung 
wurde  nun  aber  auch  das  einheimische  bf,  das  hdt.  pf 
entsprach,  mitgenommen,  vgl.  bei  Schmeller-Bergraann  fafe 
PfafT,  foat  zu  pfdd-hr,  funt — Pfund,  kof — Kopf,  öffel — Apfel  u.  a. 
Dieses  f  ist  durchaus  undeutsch.  In  ganz  Tirol  erscheinen  die 
germanischen  tenues  sonst  auf  der  hochdtsch.  Lautverschiebungs- 
stufe, also  \.\ro\.  Pf Qat,  gipfl,  tornpf  (Schatz,  Tirol-Ma.  S.  11). 

Der  Sprachzustand  in  Lusern  einerseits,  den  sieben  und  den 
dreizehn  Gemeinden  andrerseits  ändert  nichts  an  dem  zugrunde 
liegenden  Lautsubstitutionsgesetz.  Die  Substitution  wird  inhaltslos, 
sobald  der  zu  substituierende  Laut  von  der  aufnehmenden  Sprach- 
genossenschaft erlernt  worden  ist.  Die  oben  erwähnte  Rückbildung, 
die  sich  an  den  Fällen  der  Überentäufserung  verrät,  zeigt  uns 
gerade,  dafs  das  Gesetz  auch  hier  ehemals  wirksam  war. 

Der  Substitutionslaut  für  y"  (stimmlose  fortis)  in  einer 
Sprachgemeinschaft,  die  kein  stimmloses  f,  weder  fortis 
noch  lenis  besitzt,  ist  also  nicht  das  vorhandene  stimm- 
hafte  V,   sondern  pf. 

Überall  dort  aber,  wo  die  deutsche  Mundart  ein  stimmloses  f 
auf  der  Intensitätsstufe  der  lenis  besessen  hat,  ist  dagegen  fremdes 
f  in  der  Form  der  lenis  übernommen  worden.  Beispiele  dafür  zu 
geben  ist  wohl  überflüssig. 

Die  Entwicklung  der  labialen  und  der  dentalen  Reibelaute 
stehen  daher  im  genauesten  Parallelismus.  Fafst  man  die  ent- 
sprechenden Erscheinungen  zusammen,  so  ergibt  sich  das  folgende 
Gesetz: 

Soll  in  einer  Sprachgenossenschaft,  die  keine  stimm- 
losen Spiranten  (weder  fortes  noch  lenes)  wohl  aber 
stimmhafte  Spiranten  besitzt,  ein  Spirant  auf  der  In- 
tensitätsstufe   der    fortis    aufgenommen    werden,    so    tritt 


177 

als  Substitutionslaut  nicht  der  entsprechende  stimmhafte 
Laut  ein,  sondern  es  geht  der  Artikulation  des  stimm- 
losen  Spiranten    Verschlufsbildung  voran. 

Soll  das  obige  Gesetz  richtig  formuliert  und  als  Naturgesetz 
(denn  ein  solches  ist  es  ja,  da  es  auf  physiologischen,  vom 
Willen  des  Menschen  unabhängigen  Gesetzen  aufgebaut  zu  sein 
scheint)  überall  wirksam  sein,  so  müssen  sich  ihm  auch  die  übrigen 
Spiranten  einfügen. 

In  erster  Linie  kommt  also  der  breite  palatale  Zischlaut  (stimm- 
haft als  z,  stimmlose  lenis  als  s,  stimmlose  fortis  als  sc/i  geschrieben)  in 
Betracht.  Hochdeutsches  sck  geht  bekanntlich  auf  ahd.  sk  zurück,  das 
über  sk  durch  Aufgabe  des  palatalen  Verschlusses  den  nhdt.  /-Laut 
ergab.  Dieses  /  war  zunächst,  seiner  Entstehung  entsprechend, 
auch  dort  stimmlos,  wo  s  und  /  den  Stimmton  besafsen.  In  jener 
Zeit  wurde  z.  B.  dtsch.  s  in  den  Lehnwörtern  des  Windischen  durch 
das  windische  fortis  seh  ersetzt  {s}pa  —  Scheibe,  sribate — schreiben 
Lessiak,  Pernegg  S.  142)  und  umgekehrt  wurde  windisches  fortis 
seh  im  Deutschen  als  s  übernommen,  vgl.  säumen  das  Rauschen 
des  herannahenden  Windes,  slov.  Siimeli;  Prasig  —  slov.  prasike 
(Lessiak,  ebd.).  Heute  ist  das  s  des  Kärntner-Deutschen  ebenfalls 
stimmlos.  Wenn  aber  den  folgenden  zwei  Lehnwörtern  des 
Windischen  zu  trauen  ist,  ist  eine  Zeit  hindurch  auch  der  j-Laut 
mit  Stimmton  gesprochen  worden,  vgl.  slov.  zarnogel,  d.  i.  dtsch. 
Scharnagel,  Sampanjevee — Champagner  (Schuchardt,  Sl.  D.  S.  5g). 
Damit  steht  in  Übereinstimmung,  dafs  eine  Zeit  hindurch 
auch  windisches  stimmloses  fortis  s  im  Deutschen  durch 
iseh  wiedergegeben  wurde,  vgl.  Isoia  Häher,  slov.  soia,  iskröda 
Ginster,  slov.  skrada,  tskrippets  Taubenkropf,  slov.  skripcc  (Lessiak, 
G.  R.  M.  S.  280).  Diese  Wörter  könnten  nun  allerdings  auch  zu 
einer  Zeit  aufgenommen  worden  sein,  zu  der  das  Deutsche  im 
direkten  Anlaut  noch  kein  s  besafs  (d.  h.  als  skari — Schere,  skoff — 
Bischof,  skäf — Schaff,  skopa — Schaub  u.  a.  ins  Windische  drangen, 
Lessiak,  Pernegg  S.  142).  Aber  gerade  zu  jener  Zeit  wurde  der  Einsatz 
des  s  bzw.  s  vor  k  stimmlos  gebildet  und  die  Substitution  ts  für  seh 
setzt  voraus,  dafs  die  aufnehmende  Mundart  nur  stimmhaften  Ein- 
satz kennt.  1  Zur  Zeit  aber,  als  j  in  der  Verbindung  sk  noch  nicht 
palatalisiert  war,  das  Deutsche  also  überhaupt  keinen  j-Laut  besafs, 
wäre  als  Substitutionslaut  für  fremdes  seh  nicht  //  eingetreten, 
s.  S.  182.  Wie  dem  auch  in  Kärnten  sei,  im  deutschen  Teil  Süd- 
tirols war  es  der  deutschen  Bevölkerung  eine  Zeit  hindurch  un- 
möglich, ein  seh  mit  stimmlosen  Einsatz  zu  arlikulieren.  seh  hat 
also  hier  sekundär  den  Stimmton  bekommen,  wie  h,  d,  g,  s,  die 
ihn  heute  noch  im  Lusernischcn  besitzen,  und  hat  ihn  zugleich  mit 
diesen  wieder  verloren,  als  die  bereits  zweimal  erwähnte  Rück- 
bildung   der    stimmhaften  Konsonanten    zu    stimmlosen    eingetreten 


^  Stimmhaft   kann    natürlich  auch  der  Einsatz  des  /  vor  dem  stimmlosen 
k  sein. 

Beiheft  zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV]I.     (Festschrift.)  12 


178 

ist.  Dies  ergibt  sich  nämlich  aus  dem  Umstände,  dafs  roma- 
nisches stimmloses  seh  nicht  durch  den  heimischen  /-Laut, 
sondern   durch   is   ersetzt  wurde. 

Die  Fälle,  in  denen  ein  rom.  seh  im  Anlaut  übernommen 
werden  konnte,  sind  nicht  zahlreich.  Zu  lat.  scena,  gehören  eier 
Mair  in  Tsehen  1589  und  heute;  in  Riffian  bei  IMeran;  Tschein  Hof 
148g  und  heute,  Höfe  in  Karneid  bei  Bozen,  aber  ze  Sehen  1288, 
in  Lüsen.  Yerntx  Scenanian  1149,  Schena  1180,  aber  Tschennan  1285, 
1 3 1 4  und  später  wird  es  Sehennano,  die  Berggemeinde  Schcnnen  bei 
Meran  (Schneller,  Ber.  I,  S.  72). 

Unklar  sind  mir  die  zugrundeliegende  Formen  zu  Hecilo  von 
Scenglis  1192,  Sehengels  II 86,  heute  Dorf  Schengeli  oder  Tsehengels 
in  V.  G.  Dazu  gehört  wahrscheinlich  Tsehengels,  Tschingels  Hof  und 
Wald  bei  Pfunds  im  O.  J.  1303  Schengels,  wenn  hier  nicht  lat.  cin- 
gulum  zugrunde  liegt  (Schneller,  Beitr.  II,  S.  83).  Man  vgl.  ferner 
Scotiues  1140,  Schtmes  1238,  Scheuiz  1273,  der  Weiler  Tschöfes  in 
Lajen  a.  Schiern  (Schneller,  Beitr.  I,  S.  81);  de  Tschivinan  1288, 
hof  ze  Schifnan  1331,  jetzt  Tschiffnon,  Ortsteil  von  Velturns  bei 
Brixen;  decima  in  Purschal  1292,  Pursehil  131 2,  1460  in  Völs  E.  Th., 
wo  es  heute  zwei  verschiedene  Partschiller  Höfe  gibt. 

Das  Fehlen  eines  stimmlos  einsetzenden  /-Lautes  im  Etsch-  und 
Eisackgebiet  hat  nun  zur  Folge  gehabt,  dafs  der  Substitutions- 
laut tsch  für  rom.  stimmloses  fortis  seh  auch  in  die 
deutsche  Mundart  eingedrungen  ist. 

Im  südHchen  Etschlande  haben  Deutsche  und  Romanen  Jahr- 
hunderte hindurch  untereinander  gelebt.  Es  bestanden  bezw.  be- 
stehen nicht  nur  deutsche  Oasen  im  romanischen  Gebiete  und 
umgekehrt,  sondern  nebeneinander,  im  selben  Dorf,  hielten  sich  die 
beiden  Nationalitäten  lange  Zeit  hindurch  ungefähr  das  Gleichgewicht. 
Die  Folge  dieses  Zusammenlebens  war  notwendigerweise  die  Zwei- 
sprachigkeit, die  die  Vorbedingung  jedes  Verkehrs  sein  mufste. 
Heute  wo  sich  eine  Sprachgrenze  mit  Schwanken  hierhin  und  dort- 
hin herausgebildet  hat,  ist  diese  Zweisprachigkeit  naturgemäfs  wieder 
etwas  zurückgetreten  (vgl.  Battisti,  Lingua  e  dialetti  nel  Trentino 
S.  180  — 192  und  besonders  Kartell). 

Zunächst  haben  nun  die  deutschen  Etschländer  wohl  beim 
Italienischsprechen  bei  dem  Versuche,  das  ihnen  fremde  seh  wieder- 
zugeben, dafür  als  Substitutionslaut  tsch  eintreten  lassen.  Dann 
aber  wurde  dieses  tsch  auch  in  die  heimische  Mundart  übertragen. 
Eine  solche  Übertragung  hat  durchaus  nichts  Ungewöhnliches  an 
sich.  Lessiak  berichtet  uns  (R.  G.  M.  II,  S.  278),  dafs  windische 
Dialekte  Kärntens  den  deutschen  Wandel  a  zu  g/b  zu  bilabialem  w, 
ch  zu  h  mitgemacht  haben;  die  Luserner  haben  ferner  das  Schwanken 
zwischen  j  und  g,  das  sich  durch  die  dreimalige  Verschiebung  der 
j  —  ^-Grenze  in  ihrer  romanischen  Umgebung  erklärt,  in  die  ein- 
heimische Mundart  übernommen. 

Das  Hauptgebiet,  auf  dem  sich  der  Übergang  von  deutschem 


179 

seh  zu  tsch  vollzogen  hat,  ist  das  Etschland.  i  Weinhold  (S.  163) 
verzeichnet  für  Bozen  selbst  ischleim,  ischiih,  ischuld,  tscJnvanz,  während 
sonst  gröfstenteils  unter  dem  Einflüsse  der  Sprache  des  Nordens 
isch  wieder  durch  seh  ersetzt  wurde.  Nur  die  Wörter,  für  die  in 
der  Schriftsprache  ein  Vorbild  fehlte,  haben  den  Anlaut  tsch  bei- 
behalten (vgl.  allgemein  im  Etschlande  tschallen,  tsehapfen,  tschappet 
usw.,  Weinhold  S.  163),  und  sind  selbst  weiter  nach  Norden  ge- 
wandert, vgl.  in  Imst,  ts'twl,  tsippl,  isopf,  tsätipl,  usw.  (vgl.  allerdings 
die  abweichende  Erklärung  von  Schatz,  S.  98)  oder  im  Silltal  von 
Matrei  bis  Sistrans  tsopf,  tsippele,  tsaipele,  iseppeni,  tserbi.^  Es  sind 
also  gerade  die  volkstümlichsten  Wörter,  die  den  un- 
organischen Lautwandel  aufweisen. 

Die  romanische  Umgebung  Luserns  besafs  vor  der  Zeit  der 
Venezianisierung  nur  einen  /-Laut  (diesen  als  stimmlose  Fortis)  ent- 
sprechend lat.  sce,  sei.  Lat.  ee,  cl  hatte  ts  ergeben,  ge,  gl  und  j 
waren  zu  /  oder  dj  geworden.  Die  Luserner  suchten  nun  zunächst, 
wie  ihre  Nachbarn  im  Etschlande,  das  romanische  stimmlose  seh 
nachzuahmen.  Sie  sind  aber  nicht  bei  dem  Substitutionslaute  ts 
stehen  geblieben,  sondern  haben  den  romanischen  Laut  erlernt, 
wie  sie  stimmloses  f  erlernt  hatten.  Dieser  neu  erlernte  Laut  wurde 
nun  aber,  wie  von  den  Etschländern  der  Substitutionslaut  tsch,  in 
das  eigene  Sprachsystera  übertragen  und  für  den  dem  ahd.  sk 
sowie  ahd.  j  vor  r,  /,  m,  n,  w  entsprechenden  /-Laut  eingesetzt. 
Mit  diesem  neu  erlernten  Laute  s  wurden  nun  die  ältesten  Lehnwörter 
aus  dem  Romanischen  der  Umgebung  übernommen,  vgl.  schll  Räder- 
achse, lat.  axlle,  trient.  stl,  venez.  assll;  schlal  „Holzstück,  welches 
durch  Längsspaltung  eines  Baumstammes  entstanden  ist",  dazu 
schlaln  „der  Länge  nach  in  schmale  Teile  spalten",  zu  lat.  scediila, 
im  Fassatal  sidola  (Schneller,  Ma.  S.  250). 

Die  benachbarten  7  und  13  Gemeinden  haben  denselben 
Weg  eingeschlagen.  Aber  statt,  wie  die  Luserner,  den  fremden 
Laut  zu  erlernen,  haben  sie  zunächst  beim  Italienischsprechen  den- 
selben Substitutionslaut  erwählt  wie  die  deutschen  Etschländer.  Der 
akustische  Unterschied  zwischen  dem  //,  das  sie  sprachen,  und  dem 
seh,  das  sie  hörten,  war  aber  grofs  genug,  um  eine  Rückbildung  des 
//  zu  seh  eintreten  zu  lassen.  Bei  dieser  Rückbildung  wurde 
aber  auch  das  ts  ergriffen,   das  in  der  Sprache  selbst  be- 


1  Schöpf,  Tirolisches  Idiotikon  S.  763:  „Dieser  Anlaut  [tsch)  gehört 
vorzugsweise  dem  tirolischen  Etschlande  an  .  .  .  Wie  tsch  hier  unstreitig 
dem  welschen  Einflufs  zuzuschreiben  ist,  so  rührt  es  in  den  mittel- 
deutschen Dialekten  vielfach  vom  Slavischen  her. 

"  Die  Trinser  aber,  die  besser  sprechen  wollen,  sprechen  nun  auch  den 
Namen  ihres  Lehrers,  Herrn  Tschager,  Schager  aus  (Alois  Egger,  Silltaler 
Ma.  S.  69). 

•  Bacher  beschreibt  seh  folgendermafsen :  ,.sch  ist  der  harte  Zischlaut. 
Die  Zungenspitze  biegt  si"h  gegen  das  Zahnfleisch  der  oberen  Schneidezähne, 
die  Ränder  der  übrigen  Vorderzunge  pressen  sich  an  den  Rand  der  Backen- 
zähne" (S.  163).  Im  Deutsch -Tirolischen  ist  der  entsprechende  Laut  stimm- 
lose lenis. 


i8o 

rechtigt  war.  Der  Parallelismus  mit  der  Entwicklung  des  f  ist 
demnach  ein  durchgehender.  Vgl.  in  den  Xlll.  Comuni  schoktlj, 
piu  com.  cokilj  —  tagliuzzare,  lus,  tschikln  und  deutsches  ank-ga7nba, 
neben  schiuk,  mhd.  schinke.  Zahlreicher  sind  die  Beispiele  bei 
Schmeller-Bergmann,  vgl.  schaine  neben  tschaine  Abendmahlzeit,  lus. 
ischäi;  schatta  neben  ischatta  Klaue,  Kralle,  lus.  ischat;  schank  (neben 
tschenk)  links,  \\is.  ischenk;  schdvera  Bahre,  Trage,  lus. /.f<:Äöra>  Trage- 
brett; schavila  Kauz,  Eule,  lus.  tschuvit,  schavöllo  Zwiebel,  lus.  ischovöl; 
dorschoiteii  lahm  werden,  lus.  tschoi  hinkend,  schücka  Kürbis,  lus. 
tschüka.     (Zur  Deutung  der  angeführten  Formen  vgl.  S.  183). 

Die  Übertragung  des  fremden  Lautes  in  die  deutsche  Mund- 
art ist  natürlich  nicht  gleich  zur  Zeit  der  ersten  Berührung  der 
Deutschen  mit  den  Romanen  erfolgt.  Das  Verhalten  der  romanischen 
Lehnwörter  des  Lusernischen  ermöglicht  uns  eine  relative  Chrono- 
logie der  in  Betracht  kommenden  Erscheinungen. 

Wir  haben  oben  (S.  i66f.)  gesehen,  dafs  die  romanische  Um- 
gebung Luserns  ursprünglich  ein  reines  stimmloses  s  besafs.  Später 
wurde  dieses  s  unter  venezianischem  Einflüsse  palatalisiert.  Ursprüng- 
lich stimmlose  fortis,  wurde  dieses  palatale  /,  das  sich  heute  über 
Sulzberg,  Nonsberg,  das  venetische  Festland  und  die  friaulische 
Ebene  erstreckt,  zur  stimmlosen  lenis.  1  So  trat  in  der  romanischen 
Umgebung  Luserns  neben  die  stimmlose  fortis  seh  (=  lat.  sce,  sd,  i's) 
ein  palataler  i-Laut,  der  in  den  ersten  Lehnwörtern  des  Lusernischen 
mit  dem  einheimischen  j^-Laut  wiedergegeben  wuide.  Erst  nach  der 
Übernahme  dieser  ersten  mit  palatalem  s  anlautenden  Wörter  er- 
folgte die  Übertragung  der  Artikulation  des  stimmlosen  fortis  seh 
auf  die  heimische  Mundart;  dabei  wurde  aber  auch  der  An- 
laut der  eingedeutschten  Lehnwörter  ergriffen,  vgl.  schakä 
„ein  aus  Ruten,  Fichtenzweigen  und  dgl.  geflochtener  Ring  bei 
Zaungittern",  zu  bellun.  saca-vimine,  stroppa;  jiT/^^it'/  Schweinsborste, 
trient.  seJoIa,  lat.  saeta;  schür  Maiskolben,  trient.  sur  —  sughero, 
lat.  Silber. 

Wie  hier  im  Wortanlaut,  wurde  ferner  im  Silbenanlaut  der 
fremde  Laut  seh  eingeführt  in  hischdus'^  Grofsvater,  lat.  hisavns.  Das 
Wort  wurde  auf  der  Stufe  *bi-saus  übernommen  und  hat,  seiner 
romanischen  Silbentrennung  entsprechend,  sich  weiter  entwickelt 
(vgl.  S.  169). 

Das  palatale  s  der  romanischen  Umgebung  Luserns  wurde 
später  zu  breitem  lenis  s,  das  die  Luserner  als  eigenen  Laut  er- 
lernten und  ebenfalls  in  die  heimische  Mundart  in  Lehnwörtern 
übernahmen,  vgl.  saeta^  seleiio,  sikuro,  soldado,  suplika,  Slavago,  smal' 
tarn    u.  a.     Daneben    wurde   aber   auch    in    späteren    Lehnwörtern 


^  Schneller,  Ma.  S.  83  beschreibt  es  folgendermafsen :  „sehr  weiches  J, 
ungefähr  wie  weiches  deutsches  j^ä";  vgl.  auch  Battisti,  Nonsberger  Ma.  S.  139. 

'  Das  lusernische  Wort  ist  ein  interessanter  Rest  eines  ehemaligen 
Nominativs,  der  sonst,  wie  ich  glaube,  nirgends  mehr  belegt  ist  (vgl.  Ital.  Gr. 
§§  314/5.  Gärtner,  Rr.  Gr.  §§  96—99). 


löl 

das  fortis  seh  (=  tosk.  sce)  beibehalten,  vgl.  schopärn,  schekrato, 
scheleragitie  u.  a. 

Dieses  zweite  s  steht  natürlich  mit  dem  s  des  Etschlandes,  das, 
wenn  meine  Vermutung  (S.  178)  richtig  war,  sich  aus  ^  rückgebildet 
hat,  in  keinem  Zusammenhang,  ebenso  wie  das  f  des  Lusernischen 
ganz  unabhängig  von  der  entsprechenden  Rückbildung  im  Deutschen 
des  Etschlandes  sich  eingebürgert  hat.  Das  Luse mische  hat 
beide  silbenanlautenden  i^-Laute  aus  dem  Romanischen 
übernommen. 

Aus  dem  Vergleiche  mit  der  Entwicklung  der  entsprechenden 
Labialen  ergeben  sich  nun  zwei  Fragen.  Zunächst  ist  zu  beant- 
worten, warum  das  stimmlose  fortis  seh  in  der  deutschen  Mundart 
für  den  einheimischen  /-Laut  eingetreten  ist,  während  das  stimm- 
lose fortisy"auf  die  romanischen  Lehnwörter  beschränkt  blieb.  Die 
Erklärung  ergibt  sich  aus  den  Verhältnissen  des  Romanischen  selbst. 
Hier  gab  es  wohl  zwei  labiale  Reibelaute,  aber  nur  einen  palatalen 
Zischlaut.  Das  romanische  v  wurde,  wie  die  Lehnwörter  zeigen, 
mit    dem    lusernischen   v  =  hdt.  /  identifiziert,    ein    Ersatz    dieses 

V  durch  den  stimmlosen  Laut  f  war  demnach  grundlos.  Andrer- 
seits besafs  das  Lusernische  wie  das  Romanische  nur  je  einen  s- 
Laut,  die  zwar  als  akustisch  verschieden,  aber  doch  als  verwandt 
gehört  wurden.  Da  der  Luserner  beim  Italienischsprechen  den  ein- 
heimischen Laut  zugunsten  des  fremden  aufgeben  mufste,  tat  er  es 
auch  unbewufst  beim  Sprechen  in  der  eigenen  Mundart.  Erst  später, 
als  diese  Übertragung  bereits  stattgefunden  hatte,  kam  in  das. 
Romanische  ein  neuer  palataler  Zischlaut.  Jetzt  aber  hatte  das 
Lusernische  den  dem  neuen  Laute  ursprünglich  näher  stehenden 
einheimischen  Laut  bereits  aufgegeben,  merkte  aber  den  akustischen 
Unterschied  der  beiden  fremden  Laute  und  übernahm  auch  den 
zweiten  fremden  /-Laut. 

Damit  ergibt  sich  auch  von  selbst  die  Antwort  auf  die  zweite 
Frage,  warum  die  deutschen  Etschländer  zwar  den  Substitutions- 
laut is  für  romanisches  seh  in  die  deutsche  IMundart  übertragen 
haben,  nicht  aber  ;>/ für  rom.y.     Romanisches  v  entsprach  deutschem 

V  =  hdt.  /;  Pf  für  rom.  /  dem  deutschen  pf  =  westgerm.  p.  Als 
dann  später  die  Rückbildung  der  anlautenden  Konsonanten  erfolgte, 
ergaben  sich  die  folgenden  Beziehungen :  rom.  /  (Intensitätswert  4) 
=  dtsch.  /  (Int.-W.  3);  rom.  v  (Int.-W.  i)  =  dtsch.  w  (Int.-W.  |). 
Ein  Grund  zu  einer  Artikulationsübertragung  lag  also  auch  zu  dieser 
Zeit  nicht  vor. 

Ein  Unterschied  in  der  Behandlung  der  .f-Laute  einerseits,  der 
/-  und  _/- Laute  andrerseits  ist  noch  zu  konstatieren.  Während  in 
den  beiden  letzteren  Reihen  das  Lusernische  den  stimmlosen  fortis 
Spiranten  erlernt  hat,  hat  es  für  fortis  s  im  Anlaut  zu  allen  Zeiten 
den  Substitutionslaut  ts  eintreten  lassen.  Der  Grund  der  leichteren 
bezw,  schwereren  Erlernbarkeit  der  entsprechenden  Spiranten  liegt 
wohl  darin,  dafs  die  Reibungskante  bezw.  -fläche  bei  der  Artikulation 
des  f  und  seh  eine  breitere  ist  als  bei  der  des  s. 


1Ö2 

Das  oben  erwähnte  Substitutionsgesetz  tritt  bei  der  Behandlung 
des  windischen  stimmlosen  Spiranten  h  in  Lehnwörtern  des  Kärntner 
Deutschen  wiederum  zutage.  Es  tritt  nämlich  für  windisches 
Vi  nicht  deutsches  h  sondern  ky^  ein,  vgl.  kämt,  hfohn  Kuppe, 
Bergkogel,  slow.  holm\  khr§an  Korn,  wind,  hrän  <  '^hreiiü;  Khglisech 
—  wind.  houtSe,  Khoeitsech  —  \v\x\.d..'' hödesach  (Lessiak,  Pernegg,  S.  148). 
Nach  Lessiaks  Vermutung  geht  kämt,  kh  auf  älteres  kj_,  das  heute 
noch  in  Tirol  herrscht,  zurück. 

Aus  dem  Angeführten  ergibt  sich  also: 

1.  dafs  der  akustische  Unterschied  zwischen  stimmhaftem  Laut 
und  stimmloser  fortis  so  stark  ist,  dafs  letztere  als  Sonderlaut  be- 
wufst  wird.  Dieses  bewufste  Element  führt  dann  zu  der  ebenfalls 
bewufsten  Substitution. 

2.  Als  Substitutionslaut  der  einer  Sprachgenossenschaft  un- 
bekannten stimmlosen  fortis  tritt  aber  der  Explosivlaut  ein,  wo 
nicht  durch  wiederholte  Korrektur  seitens  der  Aufnehmenden  der 
zu  substituierende  Laut  erlernt  wird.  Diese  sekundäre  Erlernung 
zeigt  nun  an,  dafs  der  akustische  Unterschied  zwischen  Explosivlaut 
und  der  entsprechenden  einfachen  stimmlosen  fortis  ebenfalls  so 
grofs  ist,  dafs  er  bewufst  wird.  Es  tritt  also  der  Explosivlaut  nicht 
ein,  weil  er  der  zu  substituierenden  fortis  näher  steht  als  der  ent- 
sprechende stimmhafte  Laut,  sondern  weil  einem  physio- 
logischen Gesetze  zufolge  bei  der  Nachahmung  eines  un- 
gewohnten Spiranten  Verschlufs  gebildet  wird.  Bewufst 
ist  also  der  akustische  Unterschied  zwischen  dem  aufzunehmenden 
und  dem  zunächststehenden  eigenen  Laute  (vorausgesetzt,  dafs  der 
Intensitätsunterschied  mindestens  zwei  Einheiten  beträgt).  Bewufst 
und  mit  Willen  vollzieht  sich  ferner  die  Nachahmung  des  fremden 
Lautes;  aber  erst  unbewufst,  dann  vielleicht  wider  Willen  er- 
folgt der  letzte  Teil  des  Substitutionsprozesses,  die  Verschlufsbildung. 

Ich  habe  oben  von  einem  physiologischen  Gesetze  gesprochen, 
dem  zufolge  bei  der  Artikulation  eines  einer  Sprachgenossenschaft 
unbekannten  Reibelautes  Verschlufs  gebildet  wird.  Dieses  Gesetz 
von  dem  die  oben  formulierten  Spirantengesetze  nur  Sonderfälle 
darstellen,  hat  allgemeine  Gültigkeit,  es  ist  unabhängig  von  Qualität 
und  Intensität  des  Spiranten. 

Das  ladinisch- norditalienische  Grenzgebiet  kennt  aufser  den 
erwähnten  einen  weiteren  Spiranten,  die  postdentale  Spirans  stimm- 
los J},  stimmhaft  (f,  die  sich  als  Kreuzungsprodukte  des  einheimischen 
//  bezw.  dz  mit  dem  nordital.  ts,  ds  entwickelt  haben  (Einführung 
S.  65/6).  Dieses  J)  ist  dem  heutigen  j'  der  romanischen  Umgebung 
Luserns  vorangegangen,  ebenso  ff  dem  heutigen  s. 

Dem  obigen  Gesetze  entsprechend  ist  nun  dieses  (f  von  den 
Lusernen  als  d  wiedergegeben  worden,  vgl.  borondt  Altarglocke, 
trient.  broiizin  —  viarviiltino ,  campanaccio\  und  bei  der  versuchten 
Artikulation  des  stimmlosen  ])  entstand  der  Laut,  von  dem  die 
romanische    Umgebung    ausgegangen   war,   nämlich   iL     D.  h.    die 


i83 

Aufgabe  des  postdentalen  Verschlusses  wurde  von  der  romanischen 
Bevölkerung  vollzogen,  um  der  venezianisierenden  Strömung  gerecht 
zu  werden.  Die  Luserner  dagegen  ahmten  nicht  den  tatsächlichen 
venezianischen  Laut  nach,  den  sie  in  ihrem  Lautsystem  besafsen, 
sondern  den  Substitutionslaut  ihrer  romanischen  Umgebung.  Dabei 
bildeten  sie  Verschlufs  und  artikulierten  is,  d.  h.  den  Laut,  den  ihre 
Umgebung  aufgeben  wollte.  Wie  in  den  7  und  13  Gemeinden 
dieses  ts  sekundär  zu  seh  wurde,  ist  S.  180  gezeigt.  Die  Belege 
für  diese  Substitution  sind  verhältnismäfsig  zahlreich,  vgl.  tschat 
Tatze,  inewi.  zata  (Schneller,  Ma.  S.  213);  tschenk  links,  zu  nordital. 
za?ico  (Mussafia,  Beitr.  S.  123);  tschpt  hinkend,  trient.  zot — zoppo', 
fschö'/sch/  Graupe,  heifser  Fettbissen,  venez.  sozzoli,  zozzoli — sucidume\ 
sporcizia,  altital.  sbzzo  (Ital.  Gr.  §  53),  ischüka  Kürbis,  trient.  s//fcz.  In  den 
angeführten  Fällen  entspricht  der  zugrundeliegende  romanische  ^- 
Laut  einem  z  unsicherer  bezw.  sekundärer  Herkunft.  Er  tritt  ferner 
für  lat.  ce,  ci,  ciii  ein,  das  im  Romanischen  unserer  Gegend  ursprüng- 
lich is  ergeben  hatte  (in  dieser  Zeit  sind  wohl  übernommen  worden 
tschdi  —  ce7ia,  Tschint  —  Cenia,  Kalneisch  —  Caldonazzo,  Manetsch  — 
Manazzo),  später  aber  über  ]>  zu.  s  wurde.  In  der  zweiten  Periode 
dürften  übernommen  worden  sein:  tschikln,  klein  zerstückeln,  tschiklar 
Holzschuhmeifsler  usw.  zu  trient.  pW«  —  ritaglio,  (icular  —  tagh'uzzare, 
lat.  *ciccula\  tschovär  Tragebrett,  trient.  fivera  —  barella,  lat.  ciban'a', 
fsch o7'ö'I  Zwiehe]^  lat.  *C(7ep!i//a;  /sch/n'/t  Käuzeheu,  tnent.  five/a;  ferner 
karilsch  Riedgras,  7  Gemeinden  karrischa,  trient.  careza,  lat.  *caricea 
zu  carex',^  vitsch  Wicke,  trient.  veza,  lat.  vicia;  ritsch  Haarlocke,  dazu 
Ableitungen,  lat.  ericeus\  magrotsch  Kropf  der  Hühner  und  Vögel 
zum  Aufweichen  der  Nahrung,  trient.  magofi  —  stomago  dei  volatili, 
bergara.  tnagos  —  gozzo,  zu  ahd.  mago. 

Das  Schicksal  des  aus  dem  rom.  ])  hervorgegangenen  stimm- 
losen s  wurde  bereits  ersvähnt  (S.  168). 

Die  bisher  angeführten  Substitutionen  (ts  für  s,  ts  für  seh,  pf 
für  y,  tseh  für  p,  A/  für  V;)  fallen  zwar  unter  das  S.  182  zitierte 
allgemeine  Spiranlengesetz,  da  bei  ihrer  Artikulation  zunächst  Ver- 
schlufs gebildet  wird,  sie  bilden  aber  insofern  eine  Variante  des- 
selben, als  nach  der  Bildung  des  Verschlusses  der  nachzuahmende 
stimmlose  Spirant  (bezw.  bei  p  der  zunächst  stehende)  artikuliert 
wird.  Die  Vorbedingung  dieser  Substitution  ist  also  zunächst  natür- 
lich das  Vorhandensein  von  Verschlufslauten  in  der  aufnehmenden 
Sprachgenossenschaft,  dann  aber  das  Vorhandensein  eines  ver- 
wandten Spiranten  wenn  auch  auf  einer  anderen  Intensitätsstufe. 
Also  ts  für  s  ist  bedingt  durch  das  Vorhandensein  eines  stimm- 
haften s,  ts  für  seh  durch  das  Vorhandensein  eines  stimmhaften  z 
usw.    Dafs  die  Gruppe  Verschlufslaut  +  Reibelaut  bereits  im  Sprach- 


•  Bei  Körting'  ist  offenbar  mit  falscher  Beziehung  einer  Randnote  vener. 
caresina,  vig.  carese  statt  zu  1937  carex,  zu  1938  caries  gestellt  worden.  Da- 
gegen steht  das  Zitat  Salvionis,  dem  die  Dialektformen  entnommen  sind,  an 
der  lichtigen  Stelle. 


i84 

System  existiert,  ist  keineswegs  vorausgesetzt.  So  kannten  z.  B.  die 
deutschen  Etschländer  kein  is,  als  sie  diesen  Laut  für  romanisches 
seh  einsetzten. 

Ist  aber  einer  Sprachgenossenschaft  ein  Reibelaut  auf  keiner 
lutensitätsstufe  bekannt,  so  tritt  als  Substitutionslaut  nicht  der  ent- 
sprechende Gleitelaut,  sondern  der  einfache  Verschlufslaut  ein. 
Dieses  Gesetz  ist  in  der  Geschichte  der  germanischen  Spiranten  im 
Romanischen  schon  lange  erkannt  worden  (Rom.  Gram.  I,  S.  40, 
jNIackel,  Franz.  Studien  VI,  S.  165).  Es  ist  aber  nicht  auf  die  roma- 
nischen Sprachen  beschränkt,  sondern  scheint  ein  wahres  Natur- 
gesetz zu  sein.     Als  solches  wirkt  es  überall  und  jederzeit. 

Vgl.  urgermanisch  Jieudisk,  it.  tedesco,  span.  tudesco,  af.  tiois. 

Gotisch  ^r/i'A'rt  Dresche,  it. /r^sca  Tanz,  trescare  tanzen,  span. 
ptg.  triscar  mit  den  Füfsen  Lärm  machen;  hauni^a,  frz.  honte  usw.; 
gri7nvii])a  Zorn,  Unmut,  venez.  trient.  grinta  Grimm,  Zorn,  lomb. 
finsteres  Gesicht  (Brückner,  Char.  S.  13). 

Westgotisch  Ataulf us,  Adaulf us  usw.  zu  a])als  edel;  Baltarius, 
Baldotnirus,  Balderedus  zu  bal^s  kühn;  Gutiwtundiis ,  Gudenandus  zu 
gd])s  gut;  Sindofalus,  Setitarius  zu  sin^s,  Heeresziig  (Rom.  Namen- 
studien I  passim).  Möglich  wäre  allerdings,  dafs  hier  der  Übergang 
der  Spirans  zum  Verschlufslaute  bereits  im  Gotischen  vollzogen 
war.  Jedenfalls  war  aber  der  alte  Laut  noch  spirantisch,  als  nach 
/  und  fi  der  stimmhafte  Laut  eintrat.  Denn  der  Übergang  71])  ]>  «(f 
bzw.  /p'^  lä  hat  im  Langobardischen  (und  vielleicht  Althdt.  s.  S.  164) 
seine  Parallelen,  nicht  aber  *«/  >  nd. 

Langobardisch  (Brückner,  Die  Sprache  der  Langobarden)  p 
im  Anlaut  und  Auslaut,  ä  im  Inlaut  und  nach  n,  l,  vgl.  Taodepert, 
Teudelupus,  Teuderiilf,  Agefrii,  Axaiefrit,  Adelfret  usw.;  aidus,  faida, 
snaida  u.  a.  Auch  hier  liegt  natürlich  kein  positiver  Beweis  dafür 
vor,  dafs  der  Übergang  zum  Verschlufslaut  erst  im  Romanischen 
erfolgte. 

YränVisch  presküfi,  zS..  treschier  tanzen;  prastela  —  af.tras/e', 
Peodbald —  af.  Tedbald,  Thibaut;  morpr  —  frz.  meurtre,  Ropoland, 
mlat.  Roiulandus,  prov.  Rotlant,  af.  Rolant;  blauäjan  >•  ^blaudtre  (af. 
esbloir,  prov.  emblauzir)  u.  a.   (Mackel), 

Ebenso  wird  stimmloses  h  zu  k,  stimmhaftes  '^  zu  g  (über  das 
Französische,  das  germanisches  h  erlernt  hat,  vgl.  Rom.  Gram.  I, 
S-  39)>  Igb.  blaihha,  it.  biacca  Bleiweiss;  Igb.  ahd.  rihhi,  it.  ricco;  ahd. 
spahha,  mhd.  spachen  „dürres  Reisig,  Holzstecken",  it.  spaccare  spalten 
usw.  (Brückner,  Char.  S.  20),  vgl.  ferner  Fagüdus  zu  ^ot.  fahs  fröh- 
lich; langob.  *Äar/>/,  mhd.  Ätv-;^,  oh&cit.  gaj-bo;  \^.  hiivo,  it.  gufo. 

Noch  heute  setzt  der  Italiener  für  deutsches  ch  k  ein. 

Damit  komme  ich  zu  dem  prinzipiellen  Teil  meiner  Arbeit 
zurück.  Es  gibt  also  Lautgesetze.  Diese  Lautgesetze  sind 
wahre  Naturgesetze.  Sie  beruhen  auf  physiologischen  Vorgängen  und 
lassen  sich,  wie  alles,  was  sich  unabhängig  vom  Willen  vollzieht,  in 
Formeln  bringen.    Diese  Lautgesetze  schliefsen  den  sprunghaften 


i85 

Lautwandel  nicht  aus,  im  Gegenteil,  jede  Lautsubstitution  beruht 
mehr  oder  weniger  auf  sprunghafter  Veränderung.  So  sind  die 
deutschen  Etschländer  nicht  über  stimmloses  fortis  scfi  zu  is  gelangt, 
sondern  haben  ohne  Zwischenstufe  *z  durch  is  ersetzt.  Eine  Laut- 
substitution kann  ferner,  aber  sie  mufs  nicht  bewufst  vor  sich 
gehen.  Wenn  der  Deutsche  z.  B.  für  französisches  j  unterschiedslos 
sein  stimmloses  lenis  i-  einsetzt,  wird  es  gröfstenteils  unbewufst  ge- 
schehen, und  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  dem  Deutschen 
hinterdrein  zwar  der  artikulatorische  Unterschied  zwischen  dem  von 
ihm  eingesetzten  s  und  dem  frz.  stimmhaften  i^  bewufst  werden, 
nicht  aber  der  Unterschied  zwischen  der  eigenen  lenis  und  der 
fremden  fortis.  Solche  Unterschiede,  die  dem  Sprechenden  bzw. 
Hörenden  unbewufst  bleiben,  gibt  es  aber  nicht  nur  bezüglich  der 
Intensität,  sondern  auch  bezüglich  Qualität  und  Quantität.  Es  wäre 
daher  geradezu  unverständlich,  wenn  die  vorlateinisclien  Sprachen 
nicht  irgend  eine  Einwirkung  auf  die  spätere  Entwicklung  des  Latei- 
nischen gehabt  hätten.  Diese  Einwirkung  hat  sich  ja  gewifs  nicht  in  so 
grober  Weise  vollzogen,  wie  vielfach  behauptet  worden  ist,  als  wäre 
ein  lat.  u  einfach  deshalb  durch  ü  ersetzt  worden,  weil  das  Gallische 
(vielleicht)  kein  u  besessen  hat.  Eine  solche  Substitution  wäre  rasch 
als  unzutreffend  erkannt  und  wieder  aufgegeben  worden.  Aber  aus- 
schlaggebend sind  die  vielen  kleinen  unbewufsten  Substitutionen, 
die  nicht  jede  für  sich,  sondern  vereinigt  den  Charakter  einer 
Sprache  ändern  müssen.  Dafs  eine  Bevölkerung  die  eigene  Artiku- 
lationsbasis zugunsten  einer  fremden  vollständig  aufzugeben  imstande 
ist,  ist  eine  durchaus  unbewiesene  Hypothese.  Wenn  das  Einzel- 
individuum, das  inmitten  einer  fremdsprachigen  Umgebung  auf- 
wächst, die  fremde  Sprache  vollständig  erlernt,  so  folgt  daraus  doch 
nicht,  dafs  ein  Volk,  dessen  Artikulationsbasis  annähernd  dieselbe 
ist,  zu  demselben  Ergebnis  gelangt.  Wenn  man  die  ganze  Jugend 
eines  Volkes  aus  ihrer  Heimat  weg  unter  fremdsprachige  Bevölkerung 
verpflanzen  könnte,  dann  wäre  ein  Aufgeben  der  Eigentümlichkeiten 
der  ererben  Sprache  vielleicht  möglich,  nicht  aber  da,  wo  die 
Jugend  zuerst  zweisprachig  aufwächst,  und  die  nächste  Generation 
einsprachig  geworden,  von  den  noch  zweisprachigen  Eltern  das  neue 
Idiom  mit  den  Keimen  des  alten  erlernt,  i 

Wenn  nun  die  Laute  des  eigenen  Sprachsystems  in  ein  fremdes 
System  übertragen  worden  sind,  dann  mufs  sich  aber  notwendiger- 
weise eine  grofse  Umgestaltung  in  der  neu  angenommenen  Sprache 
vollziehen;  denn  es  können  wohl  die  Laute  der  erlernten  Sprache 
durch  die  entsprechenden  des  ererbten  Idioms  ersetzt  werden,  nicht 


1  Beachtung  verdient  ferner  die  Bemerkung  Schnellers  (Ma.  S.  94),  dafs 
die  ehemals  deutschen  Einwohntr  von  Terragnuol  bei  Roveredo  auch  im 
Italienischen  barJar,  benir,  bohr,  zohem  für  varda7;  vetiir  usw.  sprechen,  da 
in  der  untergegangenen  deutschen  Mundart  nur  b,  kein  w  vorhanden  war. 
Schnellers  Beobachtungen  fallen  vor  das  Jahr  1869.  Unterdessen  ist  bereits 
die  zweite  Generation  herangewachsen,  aber  die  von  den  Grofsvätern  erwähnte 
Eigenheit  hat  sich  bis  heute  erhalten,  trotzdem  die  ganze  Umgebung  v  artikuliert. 


i86 

aber  ganze  Laut-  und  Artikulationsgrnppen.  Nehmen  wir  z.  B.  an, 
dafs  ein  Lautsystem  nur  stimmhafte  Sonanten,  dagegen  stimmhafte 
und  stimmlose  Verschlufslaute  kennt.  Soll  nun  in  dieses  System 
ein  fremdes  -nt  übernommen  werden,  so  wird  die  zunächst  ein- 
tretende Substitution  stimmhaftes  ;/  -|-  stimmloses  t  sein.  Nach  einem 
physiologischen  =  d.  h.  Naturgesetz,  mufs  nun  dieses  ;//  zu  nt  mit 
stimmlosem  «,  oder  was  wahrscheinlicher  ist,  da  im  Lautsystem  wohl 
ein  d,  aber  kein  stimmloses  ;/  besteht,  zu  7id  werden.  Dieses  itd 
kann  solange  immer  wieder  zu  ///  rückgebildet  werden,  als  eine 
Korrektur  seitens  der  Anderssprachigen  eintritt,  sobald  aber  diese 
Korrektur  aufhört,  wird  sich  neuerdings  der  Wandel  zu  fid  vollziehen 
müssen.  Das  führt  zu  der  merkwürdigen  Erscheinung,  dafs  sich 
das  Nachwirken  einer  verdrängten  Sprache  in  einem 
Lautwandel  zu  erkennen  gibt,  der  weder  in  der  ver- 
drängenden noch  der  verdrängten  Sprache  allein  be- 
gründet ist.  Dieses  Auslösen  physiologischer  Gesetze  wird  viel- 
fach auch  durch  Eigenheiten  des  Akzentes  und  namentlich  der 
Silbentrennung  bedingt  sein.  Wir  haben  oben  gesehen,  wie  durch 
die  Beibehaltung  der  romanischen  Silbentrennung  ein  neuer  Laut 
ins  Lusernische  gekommen  ist.  Es  wäre  aber  auch  der  umgekehrte 
Vorgang  denkbar.  Wenn  in  it.  ra-aa  (I  —  4)  der  j-Laut  als  das 
Charakteristische  beibehalten  und,  weil  im  ererbten  Lautsystem 
stimmloses  s  nur  im  Silbenschlufs  stand,  zur  ersten  Silbe  gezogen 
worden  wäre,  dann  hätte  sich  durch  die  lautlich  genaue  Herüber- 
nahme des  fremden  Lautes  der  dynamische  und  musikalische  Akzent 
des  Wortes  geändert  (also  etwa  ras-a  =  IV — l).  Welchen  Ein- 
flufs  diese  Änderung  auf  die  Gestaltung  des  betonten  und  unbetonten 
Vokalismus  gehabt  hätte,  läfst  sich  schwer  erkennen.  Aber  wieder 
hätte  sich  eine  weitgehende  Veränderung  im  Sprachmaterial  voll- 
zogen, die  weder  durch  die  Verhältnisse  der  einen,  noch  die  der 
anderen  Sprachform  allein  erklärlich  wäre,  sondern  die  durch  das 
Ineinandergreifen  beider  Systeme  bedingt  ist. 

Weil  aber  die  abgestorbenen  Sprachen  bei  der  Entwicklung 
der  verdrängenden  Sprachen  ursprünglich  von  Einflufs  waren,  folgt 
noch  nicht,  dafs  sie  für  die  ganze  spätere  Entwicklung  verant- 
MOrtlich  zu  machen  sind.  Wir  haben  gesehen,  wie  die  Etschländer 
unter  dem  Einflüsse  ihrer  Umgebung  eine  Gruppe  von  Lauten 
(stimmlose  Verschlufslaute  als  Lenes)  ihrem  Lautsystem  eingegliedert 
und  einen  Laut  is  für  einen  anderen  einheimischen  Laut  z  ein- 
gesetzt haben.  Wenn  nun  eine  solche  Beeinflussung  seitens  einer 
ganz  anderen  Sprachfamilie  erfolgen  konnte,  um  wieviel  mehr  ist 
eine  solche  Beeinflussung  seitens  einer  eng  verwandten  Sprach- 
gemeinschaft zu  erwarten.  Bartoli  hat  daher  nach  meiner  Ansicht 
durchaus  Recht,  wenn  er  in  seiner  präzisen  Art  behauptet:  Piü 
due  linguaggi  si  assoviigliano  e  piü  facilmente  V  titio  influisce  siill'  altro 
(1.  c.  S.  894).  Es  ist  nur  um  so  schwieriger,  diesen  Einflufs  zu 
kontrollieren,  je  näher  verwandt  diese  beiden  Sprachformen  sind. 
Auf  die  Frage  des  Lautwandels  als  Modesache  einzugehen,  ist  hier 


i87 

nicht  der  Platz.  Das  Verhalten  der  deutschen  Mundart  des  Etsch- 
landes  zeigt  uns  aber  ganz  deutlich,  wie  eine  derartige  Beein- 
flussung innerhalb  einer  Sprachfarailie  sich  vollziehen  kann.  Der 
Süden  des  Etschlandes  hatte  ehemals  anlautendes  z  durch  /seh 
ersetzt  (vgl.  zu  den  oben  angeführten  Belegen  noch  den  Tschutthof 
bei  Schluderns).  Später  hat  die  Berührung  der  Etschländer  mit 
den  nördlichen  Nachbarn  eine  Rückbildung  des  //  eintreten  lassen. 
Nur  die  Wörter  haben  den  alten  Anlaut  bewahrt,  die  an  onomato- 
poetische Bildungen  erinnerten,  oder  denen  die  Schriftsprache  kein 
Korrektiv  entgegenzusetzen  hatte.  So  spalten  sich  die  dem 
Anlaute  nach  zusammengehörigen  Wörter  in  zwei  Gruppen. 
Welche  der  beiden  Gruppen  ist  die  regelmäfsige?  Diejenige,  welche 
den  substituierten  Anlaut  erhalten  hat,  oder  die,  welche  ihn  wieder 
rückgebildet  hat?  Ein  altes  Lautgesetz,  dem  zufolge  silben- 
anlautende Spiranten  stimmhaft  geworden  sind,  ist  also  zweimal 
durchbrochen  worden.  Das  erstemal  bei  der  Ablösung  des  ein- 
heimischen f- Lautes  durch  //,  das  zweitemal  bei  der  nur  teilweise 
erfolgten  Rückbildung  zu  s.  Anderseits  sind  einige  der  mit  is  an- 
lautenden Wörter  weiter  gewandert,  und  haben  nun  auch  im  Norden 
ein  „Lautgesetz"  durchbrochen.  Was  bleibt  also  von  den  ursprüng- 
lich ausnahmslosen  Lautgesetzen  zurück?  Serien  von  W^örtern,  die 
durch  ihre  Form  oder  ihre  Bedeutung  (vgl.  über  diesen  Punkt  be- 
sonders die  ausgezeichnete  Darstellung  bei  Bally,  Traite  de  Slylisli- 
que  1)  im  Bswufstsein  eine  Einheit  bilden.  Dafs  wir  auch  heute 
von  dem  Begriffe  der  Lautgesetze  nicht  Abstand  nehmen  können 
und  immer  wieder  auf  das  Gleichmäfsige  der  Entwicklung  zurück- 
greifen müssen,  hat  seinen  Grund  nur  darin,  dafs  diese  Serien  fest 
im  Bewufstsein  haften.  Ein  Lautwandel  kann  ferner  bewufst  sich 
vollziehen  (vgl.  das  Verhalten  der  Trinser  S.  179  A.).  Da  aber  die 
bewufste  Veränderung  keine  unvernünftige  sein  mufs,  ergreift 
sie  nicht  den  einzelnen  Laut  am  einzelnen  Worte,  sondern  die  zu- 
sammengehörigen Serien.  Wo  aber  ein  Wort  aus  einer  Serie  tritt, 
z.  B.  vereinzelt  im  Wortschatze  steht,  da  entwickelt  es  sich  ganz 
unabhängig  von  allen  sogenannten  Lautgesetzen  und  wird  durch 
ein  in  eine  bestehende  Serie  passendes  Wort  ersetzt,  vgl.  im 
Gillieronschen  Atlas  die  Karten  arantile,  auhepine,  hoiix  u.  a. 

Es  gibt  also  allgemeingültige  Laut -Naturgesetze.  Dann  gibt 
es  eine  an  Serien  von  Wörtern  sich  vollziehende  Veränderung  der 
Sprache,  die  durch  Kreuzung  der  Sprache  verschiedener  Kreise 
erfolgt.  Es  bleibt  nur  noch  die  Frage  zu  beantworten,  ob  neben 
diesen  beiden  Faktoren  ein  dritter  bei  der  Entwicklung  der  Sprache 
in  Betracht  kommt,  der  Faktor  des  sogenannten  „mechanischen" 
oder  „immanenten  Lautwandels".  Wenn  in  den  Sprachlauten  der 
Keim  der  Veränderung  bereits  enthalten  ist,  so  müssen  sich  die 
Sprachlaute  einer  Sprachgemeinschaft  ohne  Rücksicht  auf  eine 
etwaige  Abtrennung  von  verwandten  Sprachgenossenschaften  ver- 
ändern. .  Vergleicht  man  nun  auf  der  beigefügten  Tabelle  die 
Lautsysteme    des   Tiroler   und    Kärntner    Deutschen    mit    dem    des 


i88 

Lusemischcn,  so  ergibt  sich  die  überraschende  Tatsache,  dafs  sich 
das  Lusernische  seit  seiner  Abtrennung  vom  deutschen 
Etschlande  nur  dort  von  der  zugrundeliegenden  spät- 
mittelhochdeutschen Mundart  entfernt  hat,  wo  seitens 
des  umgebenden  Romanischen  eine  Beeinflussung  statt- 
gefunden hat. 

Von  den  tiefgehenden  Veränderungen,  welche  in  nach-mhd. 
Zeit  sich  auf  dem  gesamten  südbairischen  Sprachgebiet  in  Kon- 
sonantismus und  Vokalismus  vollzogen  haben,  hat  keine  einzige 
auch  die  deutsche  Mundart  von  Lusern  ergriffen,  trotzdem  ihre 
Basis  in  allen  Punkten  dieselbe  war.  Diese  Tatsache  ist  aber  mit 
der  Annahme  eines  mechanischen  Lautwandels  als  einzigen  Faktors 
jeder  Sprachveränderung  unvereinbar;  dadurch  wird  aber,  selbst 
wenn  Lusern  ganz  vereinzelt  dastünde,  die  ganze  so- 
genannte Ablösungstheorie  wenig  wahrscheinlich. i    Einen 


1  In  den  Streitfragen  der  Romanischen  Philologie  (Halle  1904)  stellt 
Herzog  zur  Erklärung  des  mechanischen  Lautwandels  folgende  Theorie  auf 
(S.  56  fF.):  Beim  Wachstum  des  sprechenden  Individuums  verschiebt  sich  das 
akustische  Element,  indem  die  Laute  ihre  Klangfarbe  verändern.  Bei  der 
Übertiagung  der  Sprache  auf  die  neue  Generation  bleibt  das  akustische 
Element  (d.  h.  die  Klangfarbe,  die  louhöhe  ist  selbstverständlich  durch  die 
Stimme  des  Kindes  bedingt)  gleich,  das  artikulatorische  Element  aber  ver- 
schiebt sich,  weil  die  jungen  Individuen  mit  ihren  anders  gestalteten  Organen 
verschieden  artikulieren  müssen,  um  die  gleiche  Klangwirkung  hervorzubringen. 
Oder  tabellarisch  dargestellt: 

Artikulation:        Klang: 


1.  Generation  I  ^ ,, 

l   alt 

2.  Generation  {     i^ 

3.  Generation  |     1^ 


Si 

Xi 

§1 

X2 

§2 

Xi 

^> 

Xz 

^3 

Xz 

^3 

/* 

etc. 

etc. 

etc. 

Jedermann  wird  zugeben ,  dafs  die  Theorie  auf  den  ersten  Blick  bestechend 
wirkt.  Da  sie  aber  eine  konstante  Veränderung  der  Laute  bedingt,  und  die 
Tatsachen  damit  nicht  übereinstimmen,  mufs  offenbar  eine  der  Grundannahmen 
unrichtig  sein.  Entweder  ist  es  unrichtig,  dafs  die  Veränderungen  in  den 
Stiramwerkzeugen  bei  Gleichbleiben  der  Artikulation  eine  Veränderung  in  der 
Klangfarbe  hervorrufen  (die  Veränderung  in  der  Tonhöhe  ist  selbstver- 
sländlich  und  soll  nicht  in  Frage  gestellt  werden),  dagegen  spricht  aber  die 
Erfahrung;  oder  es  ist  die  Annahme,  dafs  die  Artikulation  während  des  ganzen 
Lebens  die  gleiche  bleibe,  unrichtig  (d.  h.  in  der  obigen  Tabelle  die  Be- 
wahrung von  li,  ^2  usw.  innerhalb  einer  Generation).  Dies  ist  umso  wahr- 
scheinlicher, als  (nach  Jespersen,  Phonetische  Grundfragen  S.  181)  bei  dem- 
selben Individuum  Schwankungen  in  der  Artikulation  stattfinden,  je  nachdem 
„Eile,  Müdigkeit,  Faulheit,  Tiunkenheit,  Zorn,  Eifer,  Wichiigtuerei,  Dozier- 
lust, Hohn,  verschiedene  andere  Stimmungen,  Zustände  und  andere  Umstände" 
mitspielen.  Dies  vorausgesetzt,  ergibt  sich  aber  folgende  Änderung  in  dem 
obigen  Schema. 

Der  Artikulation  entspricht  der  Klang: 

I.  Generation  |  ■',^^  ►.*  ^' 

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189 

immanenten  oder  mechanischen  Lau twandel  gibt  es  nicht. 
Sonst  wäre  es  undenkbar,  dafs  ein  und  derselbe  Laut  dort  sieben 
Jahrhunderte  hindurch  unverändert  bleibt,  wo  eine  Sprachgenossen- 
schaft isoliert  dasteht,  während  er  hier,  wo  er  fremden  Einflüssen 
ausgesetzt  ist,  eine  reichliche  Entwicklung  mitmacht.  Erst  das  Ein- 
wirken von  aufsen  bringt  Veränderung  in  die  Sprache.  Inzucht  führt 
wie  überall  zur  Degeneration,  Mischung  zur  Entwicklung. 


Dieser  Klang  Xt  wird  nun  auf  die  2.  Generation  übertragen. 

Dem  Klange  entspriclit  die  Artikulation: 

2.  Generation  1      ,^               ^*  ?* 

l  alt              xi  I2 

3.  Generation  |  K^^           ^*  t' 

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Sachregister. 


ä  ]>  e  92. 

ä>i  91. 

Ablösungstheorie   188  Anm. 

ai  ^  i  92. 

Akzent:  Akutus  86,  Il3f.  —  Gravis 
86,  98.  —  Hauptakz.  89  f.  —  Neben- 
akz.  89  f.,  117  f.  — scharfgeschnittener 
Akz.  98,  113.  —  circumflexus  (ge- 
wundener A.)  86,  113  f.  —  musi- 
kalischer 72,  82  f. 

Akzentuierende  Dichtung  106,  117. 

Altitudo  (vocis)  85  f. 

Ancipites  97  f. 

Antiphras tische  Bestrebungen    75. 

Archaische  Redeweise  67  fF.,  80. 

Artikel  bei  Ortsnamen  8. 

Artikulationsbasis  62. 

Assimilation  von  Lauten  I33f.  — 
von  Vokalen  95  f.  —  teilweise  140  f. 

Attraktion  135. 

au  ^  u  92. 

Auslaut,  nachakzentisch  Schwund 
130. 

Aussichtspunkte  als  Faktoren  bei 
der  Ortsbenennung  5,  25,  32  f.  — 
s.  geographische  Lage. 

Bach-  und  Flufsnamen  in  Orts- 
benennungen 4,  9  ff.,  14,  15,  20, 
21,  28,  30,  34  f.,  38,  39,  44>  52,  54- 

Bergnamen  in  Ortsbenennungen  4, 
9,  14,  15.  19,  20,  22,  30,  33f.,  47, 
51. 

Betonung  s.  Tonfall. 

Blählaut  HO. 

Chronologie  sprachlicher  Erschei- 
nungen 60  ff.,  62,  80. 


crassitudo  (vocis)  85  f. 

Dauer  der  Artikulation  69 ff.  — 
für  Vokale  72  ff.  —  für  Konsonanten 
73  ff.  —  einzelner  sprachlicher  Evo- 
lutionen 62  ff.,  66. 

Dehnung  114,  116,  I20f.  —  der 
Konsonanten  123  f. 

Diphthongierung  120  f.  —  bedingte 

I33f- 
Dissimilation  vgl.  Assimilation. 
Dreisilbengesetz  87,   103. 
Ö,  romanisches,  im  Lusern.  d  182. 

e  ]>  i  76.  —  Zusammenfall  von  e  und 
e   112. 

Endbetonung  89 f.,  96.  —  s.  a. 
Suffixbetonung. 

Ersatz  von  Ausdrucksformen  64. 

Exspirationsstrom  69  ff. 

Exspiratorischer  Druck  69 ff., 75 ff. 
83  f.,  lOlf.,  107  f.,  116  f.  —  als 
Grundlage  der  wichtigsten  pho- 
netischen Eigentümlichkeiten  einer 
Sprache  119  ff.  —  bei  der  Syn- 
kopierung 126  f.  —  bei  der  "Wechsel- 
wirkung der  Silben  132  f.  —  bei 
der  Veränderung  der  Konsonanten 
135,   138  f. 

f,  ahd.  f  als  w  im  Südbair.  170  ff.  — 
südbair.  f  für  roman.  und  slav.  v 
172.  —  roman.  f  im  Tirolerdtsch. 
als  pf  173  ff. 

Flurnamen  in  Ortsbenennungen  4, 
12  ff.,  23,  43,  49,  55. 

Flüsterton  76. 


193 


Form  65;  —  innere  s.  Funktion. 
Funktion  64,  65. 

Gefühlsäufserungen  als  Faktor 
bei  der  Ortsbenennung  6,  9,  19,  2t, 
27,    29  ff.,    38,    39,    42,    46,  47,  49, 

51.  54.  55.  56. 

Geographische  Lage  als  Faktor 
bei  der  Ortsbenennung  5  f.,  13,  16, 
19,  21,  35f.,  38,  40,  41,  46,  48, 
49.  —  s.  a.  Terrainverhältnisse. 

Gesetz mäfs ig keit  sprachlicher  Er- 
scheinungen 59  ff. 

Gtsprochene  Sprache  77. 

Gleitelaut  121. 

Haaropferzeremonie   144,  157  ff. 
Habituelle   Redeweise    67ff.,   73ff., 

88  f.,  142. 
Hiatus  99,   105. 
Historische  Ereignisse  als  Faktoren 

bei    der  Ortsbenenuung   30,  48,  50. 

i  ;>  e  75.  —  1  >  e  108.  —  T  und  e 
zusammengefallen  107. 

lambenkürzungsgesetz  95. 

Imperativ,  doppelter,  in  Ortsnamen 
8,  21,  22,  54 f.,  55.  —  Imperativ- 
komposita s.  Verbalkomposita. 

Infinitiv,  Ausgleichung  der  Inf.e  im 
Spanischen  129, 

Initialakzent  87,  88f.,   100. 

Intenlio  (spiritus)  86. 

Kasus  Suffixe  64. 

Kehlkopf  69ff.,  igof. 

Klassisches  Latein  77ff. 

Konsonanten:  Anschlufs  109,  115. 
—  Bildung  70  ff.,  109  f,  —  Portes 
109.  —  Lenes  109.  —  Veränderung 
im  Worlinnern  139.  —  Verschhils- 
laute  71,  73. 

Kulturtradilion,  Widerstand  der 
68  ff. 

Kürzung      des     langen     Vokals     in 

nichtakzentuierter    Silbe   92  f.  —  in 

akzentuierter  Silbe   112  f.,    115  f.  — 

der  Flexions-  und  Kasussuffixe   97, 

Beiheft  zur  Zcitschr.  f.  rom.  Pliil.  XXVII. 


Ulf.  —  der  Positionslängen  99. — 
der  gedeckten  Vokale  116  f.  —  der 
Wörter  I24f.  —  der  vorakzentischen 
Silben  126  f.  —  des  An-  und  Aus- 
lautes 131  f. 

Lautgesetze,  Ausnahmslosigkeit 
oder  Willkür  der  —  162  f.,  187. — 
als  Naturgesetze  184;  —  s.  Gcsetz- 
mäfsigkeit. 

Lautpsychologie  58. 

Lautsubstitution,   Definition  162. 

—  bewufste  182.  —  unbewufste  182. 
Lautwandel:    sprunghafter    185.  — 

physiologischen  86.  —  mechanischer 
187  f.  —  immanenter  187  f. 

Lockruf  153. 

longitudo  (vocis)  85 f. 

Luft  Strom  69  ff.  —  Intensität  des  — 
70  ff.  —  Luftveibrauch  72  ff. 

Mechanisierung  sprachlicher  Vor- 
gänge 58,  74. 

Media  s.  Tenuis. 

Menschenopfer  157. 

Metapher  als  Faktor  bei  der  Orts- 
benennung 6,  9,  II,  14,  15  f.,  18,  19, 
21,    23,  27,  28,  29,  45,  47,  49,  50, 

52,  SS- 
Metathese  135. 
Mundkanal,  Enge  70.  —  Länge  71. 

—  Form  71.  —  Vertiefung  und 
Verbreiterung  107  f. 

Muskelenergie  ögff.,  I07f, 

o  ;>  u  76,  98.   —   Zusammenfall   von 

ö  und  5   112. 
Objektive  Redeweise  67  ff. 
oi  >•  i  62. 
Okkasionelle  Redeweise  67ff.,  69, 

73  ff.,  88  f.,  100,  142. 
Organspannungen  69 ff.,  74ff.,  107 f. 

Paenultima  Akzent  87, 
Perfektum  in  Ortsnamen  4. 
Periphrastische  Ausdrucksweise 64. 
Personennamen    in    Ortsnamen    4, 
II,    13,    14,   18,   19,  21,  23,  24,  25, 

(Festschrift.)  i  o 


194 


27.  29,  31.  40,  42,  44.  46.  47.  50. 
5'.  52.  53,  54.  56.  —  als  zweiter 
Bestandteil  in  der  Verbalkomposition 

8.   17.  25,  37.  43.  50. 
Pflanzennamen   in    Ortsnamen    13, 

30,  37,  55- 
Praesens  in  Ortsnamen:  Indik.  7.  — 

Konj.  4. 
Pragmatische        Geschichte        der 

Sprache  57  ff. 
Psychophysische  Vorgänge  58,  59, 

61,  62,  74. 

Quantität  69,  84 f.,  91  f.,  lOl  f.,  Illf., 
114  f. 

Rhythmische  Analogie  91. 
Rhythmus    82,    90.  —   sem.-inlischer 

90,    100,   107,   142.  —  fallender  83, 

88  f.,  90.  —  steigender  lOi  ff.,   107, 

119. 
Romanisch   80.    —   Beginn   des   — 

77  ff.,  80.  —  Dauer  142. 

S:  lat.  s  in  Lehnwörtern  des  Germa- 
nischen 164.  —  slav.  s  im  Südbair. 
165  f.  —  im  Nordbair.  166.  —  rom.  s 
im  Tirolerdeutschen   166  ff. 

S:  deutsches  s  im  Windischen  177.  — 
wind.  8  im  Deutschen  177  f.  — 
roman.  s  im  Tirolerdtsch.  als  ts  178. 
—  S  >  tä  im  Etschländer  Dtschen. 
179.  —  s  aus  tä  in  den  7  und 
den  13  Gemeinden   179. 

Sandhierscheinungen  125  f.,  131. 

Satz  81. 

Sätze  als  Ortsnamen  4. 

Satzrhythmus  8if.,  88f.,  100,  118, 
119. 

Saturnier. 

Schallgipfel  I22f.  —  Verstärkung 
und  Verminderung  132. 

Schallnachahmung   145,   149,  152. 

Schriftsprache  77 ff.  —  s.  a.  Kultur- 
tradition. 

Schutzvorkehrungen  als  Faktor 
bei  Ortsbenennungen  5,  23,  25, 
39. 


Semantische  Vorgänge  59,  65,  82f., 
88  f.,  90,  142. 

Siedlungen  in  armen  Gegenden  5, 
6,  12,  27,  29,  44.  —  auf  starken 
Winden  ausgesetztem  Terrain  5,  lo, 
13.  23,  27,  42,  44,  59,  54,  55.  — 
auf  Rodungen  5,  9,  18,  49,  51,  54. 
—  auf  Durchgangspässen  6,  25,  41, 
46.  —  s.  Terrainverhältnisse  und 
Geographische  Lage. 

Silbengrenze,  Verlegung  der  —  116, 
169. 

Silbentrennung:     Unterschied 
zwischen  deutscher  und  rom.   169. 

Sonanten  im  Wortinnern  138. 

Spiranten,  die  german.,  im  Rom. 
184. 

Spitznamen  als  Faktor  bei  der  Orts- 
benennung 6,  9,  10,  II,  14,  18,  19, 
21  ff.,  27  ff.,  39,  41  ff.,  47,  50,  53, 
55. 

Sprachgrenze,  altroman.- deutsche 
163  f. 

Sprachmischung  162. 

Sprechton  63. 

Stimmritzenver schlufs  logf. 

Subjektive  Redeweise  67 ff.,  83. 

Suffixbetonung  88 f. 

Synkopierung  I25f. 

Syntaktische  Gebilde  63ff. 

Systemzwang  äufserer  65.  —  innerer 
63. 

Tenuis  im  Anlaut  von  Media  getrennt 
in  Südtirol  175  Anm. 

Terrainverhältnisse  als  Faktor 
bei  Ortsbenennung  6,  12  ff.,  25,  28f., 
32,  38,  44,  47,  50,  52,  55.  —  s.  a. 
Geographische  Lage. 

Thoraxbewegungen  6gS.,  73. 

Tiernamen  als  Bezeichnung  von  Per- 
sonen 144  ff.,  150  ff.  —  als  Eigen- 
namen 150.  —  in  Ortsnamen  5,  9  ff., 
i3ff.,  i8f.,  2iff.,  27ff.,  37ff.,  46ff. 
52f.  55f.  151. 

Tieropfer  157,  160. 

Tonfall  76,  82,  85,  90. 


195 


Tonhöhe  69 ff.  74. 
Trachealdruck  69  ff. 

f>:  rom.  Jj  im  Lusernischen  als  ts  153. 

ü  ^  o  108.  —  Zusammenfall  von  li 
und  o  108.  —  ü  und  ü   112. 

Übergangslaute  121. 

Umlaut  133. 

Unbewufste  Sprachvorgänge 58,  182. 

Ursachen  sprachlicher  Verände- 
rungen: psychologische  66  ff.,  88  ff., 
107.  —  physiologische  69  ff.,    lO/f. 

Verbalkomposition  in  der  Topo- 
nomastik I  ff.  —  Form  des  ersten 
Bestandteiles  3.  —  geograph.  Ver- 
wendung 4.  —  Inhalt  4  f.  —  äufsere 
Gestalt  7.  —  grammatische  Be- 
schaffenheit 7  f.  — •  Material  9  ff. 

Verlängerung   des   Auslautes  142  f. 

Vokale,  gespannte  72  ff.  —  uu- 
gespannte  73  ff. 


Vokalbildung:  7off.  —  Einsatz  108 f. 

Dehnung  115. 
Volksaberglaube    als    Faktor    bei 

Ortsbenennung  9,   14,   17. 
Volksetymologie  150. 
Volkshumor     als    Faktor    bei    der 

Ortsbenennung  7,    9,    13,    14,    20, 

22  ff.,    29,   41,  43  f.,  48,    53,  56.   — 

s.  a.  Spitznamen. 
Volkstümlich  78. 
Vulgärlatein  77  ff. 

Wechselwirkung  der  Silben  132  f. 

Wortbedeutung  62. 

Wortbildung  63ff.,  91. 

Wortsch  atz  62. 

Wortstellung  65  ff.,  81  f.  141.  — 
Ursachen  ihrer  Veränderung  66. 

Worttrennung  I25ff.,   I3lf. 

Wirtschaftliche  Verhältnisse  als 
Faktor  bei  der  Ortsbenennung  9, 
16 f.,   i8f.,  21  ff.,  25,  40,  51,  53. 

Zirkumflex  s.  Akzent. 


Wortverzeichnis , 


Diakritische  Zeichen  sind  nicht  berücksichtigt;  es  ist  also  c  c  unter  c,  §  unter 

s  eingereiht:  ö  folgt  auf  d,  ;f  auf  h,  |j  auf  t.     Ein  Verzeichnis  der  Verba,  die 

zur  Bildung  von  Ortsnamen  verwendet  werden,  s.  S.  9  ff. 


abbaco  (ital.)  152. 
abiot,  mechant  (Cöte  d'or 

147- 
acrele  (frz.  dial.)  150. 
agass-  (prov.)  150. 
agaza  (ahd.)  140. 
aidus  (langobard.)  184. 
aigrefin  (frz.)  147. 
amargasso  (Tarn)  150. 
alondra  pipi  (span.)  153. 
a]7dls  (got.)  184. 

babbola  (ital.)  152. 
bacalao  (span.)  147. 
baccalä  (ital.)  147. 
baccalaro  (ital.)  147. 
bachelier  (frz.)   147. 
balteus  (lat.)   169. 
bal)?3  (got.)  184. 
balz  (iusern.)   169. 
bardar  (südtirol.)  185  A. 
Baumpieper  (dtsch.)  153. 
bekaz  (Iusern.)  169. 
benir  (südtirol.)  185  Anm. 
bfistära  (Iusern.)  176. 
biacca  (ital.)  184. 
billi  billi  (ital.)  153. 
bischaus  (iusern.)  180. 
blaihha  (langobard.)   184. 
blauSjan  (fränk.)  184. 
boler(südtirol.)  185  Anm. 
bornigel  (zimbr.)  i6ö. 


borondi  (Iusern.)   166. 
bovou,    töte    de    (Mont- 

beliard)  147. 
boza  (Iusern.)  169. 

Canaille  (frz.)  146. 
capitium  (lat.)  169. 
carakin  (orldan.)  149. 
carcarazza  (siz.)  149. 
carex  (lat.)  183. 
caricara  (orlean.)   149. 
carusu    (siz.)    144,     157, 

161. 
cattedra  (ital.)  152. 
cilia  (lat.)  166. 
cink  (zimbr.)   180. 
cobium  (lat.)  147. 
cognitus  (lat.)  94. 
cokilj  (zimbr.)  180. 
colomba  (ital.)  153. 
Colon  (afrz.,  aprov.)  154. 
conrotulare  (lat.)  131. 
couchoun  (prov.)  150. 
coujard  (frz.  dial.)  147. 
coujat  (frz.  dial.)  147. 
crac  (savoy.)   149. 
cracasser  (poitev.)   149. 
cracra  (orlean.,  Guard, 

Toulouse)  149. 
crapaud  (frz.)  146. 
ergehe  (frz.)  154. 
cric-crac  (orlean.)  149. 


ciic  cric  (Jura)  149. 
criquet  (savoy.)  149. 
crollare  (ital.)   151. 

darnaga  (Toulon)  150. 
dorschotten  (zimbr.)  180. 

ecrignole     (Montbeliard) 

50. 
emblauzir  (prov.)   184. 
enziana  (Iusern.)  169. 
dpinoque  (wallon.)  147. 
esbloir  (afrz.)   184. 

faba  (lat.)   173. 
fafe  (zimbr.)   176. 
fahs  (got.)  184. 
faida  (langobard.)   184. 
falda  (langobard.)  174. 
fära  (sloven.)   176. 
faschi  (Iusern.)  172. 
fascia  (lat.)  173. 
favonius  (lat.)  173. 
femmina  (ital.)   152. 
fendra  (kämt.)  171. 
fent  (sloven.)   176. 
fifolare  (ital.  tirol.)    176. 
filicaretum  (lat.)   172. 
filictum  (lat.)  174. 
finferli  (südtirol.)  176. 
fissus  (lat.)  174. 
fistera  (südtirol.)  176. 


197 


foat  (zimbr.)  176. 
follis  (lat.)  173. 
fönte  (lat.)  174. 
forma  (lat.)  174. 
föspr  (Icärnt.)  171. 
fossa  (lat.)   173. 
fracta  (lat.)  174. 
fraga  (lat.)  174. 
frilla  (südtirol.)  173. 
fronte  (iat.)  174. 
fundus  (lat.)  173. 
funt  (zimbr.)  176. 
furca  (lat.)  174. 
lurnus  (lat.)  174. 

garbo  (nordital.)   1S4. 
gbiozzo  (ital.)  146. 
gnotus  (lat.)  94. 
gobione  (lat.)  146,    154. 
gobium  (lat.)  147. 
goi,  goje  (hebr.)  145. 
go]7s  (got.)  184. 
gouge  Mask.  (afrz.)   147. 
gouge    Fem.    (frz.)    145, 

147  f. 
goui-  (frz.  dial.)   146. 
gouj-    (frz.  dial.)    145  ff., 

154. 
goulue  (frz.)  147. 
gournaou  (Marseille)  147. 
goutjo   (piov.  dial.)   i46. 
gouy-  (prov.  dial.)    145  f. 
Graspiepert      (holländ.) 

153- 
gribiche  (waatl.)  150. 
grimmi|7a  (got.)   184. 
grinta  (nordital.)  184. 
gufo  (ital.)   184. 
guzan  (lusern.)   169. 

hache  (frz.)   154. 
harbi  (langobard.)  184. 
haunif'a  (got.)  184. 
Hecht,  feiner  (wien.)  147. 
Hcnderl  (wien.)   144. 
herb  (mhd.)   1S4. 
honte  (frz.)  184. 
hüvo  (langobard.)  184. 


%aQaxiov  (griech.)  169. 

illius  (lat.)  93. 

kanzü  (lusern.)   170. 
karaz  (lusern.)   169. 
karekiet  (holländ.)  149. 
karitsch  (lusern.)  183. 
Karpf  (wien.)  147, 
karrischa  (zimbr.)   183. 
Katzerl  (wien.)  144. 
kaviz  (lusern.)   169. 
Kerl  (dtsch.)  148. 
k;(olm  (kämt.)   182. 
k;(rean  (kämt.)  182. 
kinkara     (Doubs,     Cote 

d'or)  149. 
köpf  (zimbr.)  176. 
Kricke  (dtsch.   149. 
Klick-,  Krieg-,  Kriegel-, 

Kriek  - ,       Kruck  - , 

Krück-,    Krugel-Ente 

(dlsch.)  149. 

Iö5  (lusern.)  170. 
louvat  (frz.)  147. 
louve  (frz.)  147. 
Luderchen   (sächs.)    146. 

macho  (span.)  145. 
magrotsch   (lusern.)   183. 
masculus  (lat.)  145. 
Mäuschen  (dtsch.)  145. 
Mauserl  (wien.)  144. 
maz  (lusern.)   169. 
merlotto  (ital.)  152. 
meurtre  (frz.)  184. 
micha  (span.)  145. 
michino  (span.)  145. 
micho  (span.)  145. 
Misel  (elsäfs.)  145. 
monedula  (lat.)   151. 
monella  (ital.)  151,    152. 
monello  (ital.)  151,   152. 
mor|7r  (fiänk.)   184. 
morue,  vieille  (frz.)   146. 
moslaz  (lusern.)   170. 
mousc-hunt   (engl.)    145. 


muchacho  (span.)  145. 
mucia  -o  (ital.)  145. 
musculus  (lat.)  145. 
musna  (rät.)  168. 

neza  (lusern.)  170. 
noze  (lusern.)  170. 

öffel  (zimbr.)  176. 
officina  (iat.)  174. 
osoje  (slav.)   165. 

pantaz  (lusern.)  170. 

pega  (span.)   152. 

peixote  (port.)  147. 

penn  marlus  (Audierne) 
147. 

pepia  (südfrz.)  153. 

pepiage,  pepiatge  (süd- 
frz.)  153. 

pepi^ment  (frz.)  153. 

pequeiio  (span.)  152. 

pesce  nuovo    (ital.)    147. 

peti  (Metz)  153. 

petit  (frz.)   153. 

pez  (span.)  147. 

pfiem  (lirol.)  173. 

pfoll  (tirol.)  173. 

pfrillen  (tirol.)  173. 

pfrosln  (tirol.)  173. 

pfulsen  (mhd.)   164. 

pibione  (Iat.)  154. 

picci  picci  (parm.)  153. 

picci-  (ital.)  152  f. 

piccolo  (ital.)  152. 

pich-  (prov.)   153. 

pie  (Irz.)  148  ff. 

pie    gvi^che    (frz.)   148(1. 

piepen  (dtsch.)   153. 

Piepleeuwerick  (holländ.) 

153- 
piepsen  (dtsch.)  153. 
pigeon  (frz.)  153  ff. 
pigo  (prov.)  150. 
pigo  borgno  (prov.)  150. 
pijouneu  (prov.)  153. 
pioüla  (ir^rault)   153. 
pioulin  (Nizza)   153. 


198 


pipare  (lat.)  153. 
pipeis  (afrz.)  153. 
piper  (frz.)  153. 
pipiria  (bergam.)  153. 
pipette  (pikard.)  153. 
pipi     und     Ableitungen 

(frz.  ital.)   153. 
pipiare  (lat.)  153. 
Pipihenderl   (wien.)   153. 
pipione  (lat.)  153. 
pipit  (engl.)  153. 
pipizo  (lat.)  153. 
Pipperling  (dtsch.)  153. 
pippi-  (ital.  sard.)   153. 
pipulus  (lat.)  153. 
pispola  (ital.)   153. 
Pit  (plattdtsch.)   153. 
pitia  piiia  (Metz)  153. 
Pitju  (plattdtsch.)  153. 
pi(t),  pip  (frz.)  153. 
pit  pit  (breton.)  153. 
pits-,    pits-    (frz.    prov.) 

155- 
Pittkn   (plattdtsch.)    153. 

piiy-  (frz.  prov.)  155. 
polz  (ahd.)  164. 
Pomuckelskopf  (platt- 
dtsch.) 146. 
prasätko  (tschech.)   166. 
prochain  (frz.)  154. 
pti  pti  (Lot)  153. 
ptit^-  (frz.)  153. 
ptso  (frz.)   155  f. 
ptsötö  (frz.)   155  f. 
plyö  Adj.  (nordfrz.)  154. 
puls  (lat.)   164. 
pulsare  (lat.)  164. 
Putschen  (dtsch.)  150. 
Puthenne  (dtsch.)   150. 
putida  (lat.)  150. 
putta,  -ella  (ilal.)  150. 

racaca  (Aube)  149. 
racanette  (Aube)  149. 
racasse   (frz.  dial.)  148  f., 

ragach-  (frz.  prov.)  150. 


ragagella  (mail.)  149. 
raganella  (ital.)  149. 
ragass-  (frz.  prov.)  148  IF. 
ragazz-  (ilal.)  I48. 
raquette  (Vienne)  149. 
recuchoun     (languedoc.) 

ISO. 
regach,     regachon 

(languedoc.)  150. 
repepia,  repepiage  (prov.) 

153. 
ricco  (ital.)  184. 
rihhi    (langobard.,    ahd.) 

184. 
ritsch  (lusern.)   183. 
riz  (lusern.)  170. 
robalz  (lusern.)  170. 
rouge  (frz.)  154. 
rousserole  (frz.)  148  f. 

Saban  (got.)  164. 
sabanum  (lat.)  164. 
Saccus  (lat.)  164. 
saetta  (lusern.)  180. 
sakkus  (got.)   164. 
salfn  (kämt.)  171. 
Salix  (lat.)   168. 
sarcelle  criquart  (savoy.) 

149. 
sarkela  (zimbr.)  166. 
Daumen  (kämt.)  177. 
saxum  (lat.)  167. 
schaine  (zimbr.)  180. 
schakä  (lusern.)   iSo. 
schank  (limbr.)  180. 
schatta  (zimbr.)  180. 
schävera  (zinabr.)  180. 
schavita  (zimbr.)  180. 
schavöUo  (zimbr.)   180. 
schedl  (lusern.)   180. 
scheleragine  (lusern.)  181. 
schelerato  (lusern.)  l8l. 
schelvis  (holländ,)  146. 
schial  (lusern.)   179. 
s  chil  (lusern.)   179. 
s  chink  (zimbr.)   180, 
^chokilj  (zimbr.)   180. 
schopärn  (lusern.)  181. 


schücka  (zimbr.)  180. 
schür  (lusern.)   180. 
schwiTs  (lusern.)  170. 
sedlo  (sloven.)   165. 
sedmina  (nsloven.)  166. 
äeleno  (lusern.)  180. 
sen(i)ca  (sloven.)  165. 
serra  (lat.)  167. 
setimine  (friaul.)  166. 
sfojaz  (lusern.)  170. 
äikuro  (lusern.)   180. 
Silva  (lat.)  167. 
sinj>s  (got.)  184. 
sipa  (sloven.)  177. 
situla  (lat.)  166  f, 
*sitularium  (lat.)  168. 
äkaf  (sloven.)  177. 
skari  (sloven.)   177. 
skavezarn  (lusern.)  169. 
skoff  (sloven.)  177. 
skopa  (sloven.)   177. 
slak  (sloven.)  165. 
slavago  (lusern.)  180. 
Smaltarn  (lusern.)  180. 
smola  (istr.,  sloven.)  166. 
snaida   (langobard.)   184. 
sobigoj  (slav.)  165. 
äoldado  (lusern.)  180, 
spaccare  (ital.)  184. 
spachen  (mhd.)  184. 
spahha  (ahd.)   184. 
spalla  (ilal.)  151. 
spatula  (lat.)  151. 
spiza  (lusern.)  170. 
sreda ,    sredina    (allslav.) 

165. 
Sribate  (sloven.)  177. 
Stiz  (lusern.)  170. 
Stockfisch  (dtsch.)  146. 
älraz  (lusern.)  170. 
strase  (südlirol.)   170. 
stridulare  (lat.)  155. 
strillare  (ital.)   151. 
Suckel  (nordbair.)  166. 
suet  (sloven.)  165. 
suha  (sloven.)   165. 
suknja  (kroat.)  166. 
Sumpfpieper  (dtsch.)  153. 


igg 


suokena  (istr.)  i66. 
äupliko  (lusein.)  i8o. 
sura  (sloven.)  165. 

tarnaga  (Gard)  150. 
taufa  (kämt.)   171. 
tedesco  (ital.)  184. 
teuse  (afrz.)  157, 
tiois  (afrz.)  184. 
tito  tito  (Tarn)  153. 
tonsus,  -a  (lat.)  157,  160. 
tos  (aprov.)  144,   157. 
tose  (afrz.)   157. 
toset  (afrz.  aprov.)  157. 
toso    -a   (ital.)   144,   157, 

160. 
touse,     -el,     -eile,     -et, 

-ette    (frz.  prov.)    144, 

157- 
touso  (nprov.)  157. 
toza,    -ar    (aprov.)    157, 

160, 
trasle  (afrz.)  184. 
tresca  (ital.)  184. 
treschier  (afrz.)  184. 
triscar  (port.)  184. 
tschäi  (lusern.)  180,  183. 
tschaiue  (zimbr.)   180. 
tschat  (lusern.)  180,  183. 
tschalto  (zimbr.)  180. 
tschenk    (zimbr.  lusern.) 

180. 
tschikln      (lusern.)     180, 

183. 


tschÖtschl  (lusern.)  183. 
tschot  (lusern.)  180,  183. 
tschovär     (lusern.)     180, 

183. 
tschuvit     (lusern.)     iSo, 

183. 
tschovöl     (lusern.)     iSo, 

1S3. 
tschüka     (lusern.)      180, 

183. 
tsenitsn  (kämt.)  165. 
tskrippetä  (kämt.)  177. 
tskröda  (kämt.)  177. 
laoia  (kämt.)  177. 
tuck  tuck  (dtsch.)   153. 
tudesco  (span.)  184. 
Tiit  (oslfries.)  153. 
tut  tut  (dtsch.)  153. 
Tütje  (ostfries.)  153. 
tyo  (Adj.,  nordfrz.)  154. 

]7eudisk  (germ.)  184. 
frastela  (fränk.)  184. 
)?reskan  (fränk.)  184. 
Jjriska  (got.)   184. 

Venzern  (lusern.)  171. 
vernieiro,    ventre   de   — 

(Gard)  147, 
vicale  (lat.)  178. 
vicia  (lat.)  183. 
vitsch  (lusern.)  171,  183. 


Wiesenpieper    (dtsch.) 
153- 

zamp,    zamparn  (lusern.) 

168. 
zampanjevec    (sloven.) 

177. 
zapägo  (lusern.)   168. 
zarlalä  (lusern.)  169. 
zamogel  (sloven.)  177. 
zavariam  (lusem.)  169. 
Zedern  (lusern.)  168, 
zedrü  (lusern.)  168. 
zega  (lusern.)  168. 
zegger  (tirol.)   166. 
zeltro  (lusern.)   168. 
zentimeiro  (lusem.)  168. 
zenso  (lusern.)   168. 
zentro  (lusern.)  168. 
zeriola  (lusern.)  168. 
zertam  (lusern.)  168. 
zerto  (lusern.)   168. 
zervo  (lusem.)   168. 
zigal  (lusern.)  168. 
zigaro  (lusern.)  168. 
zikelär  (lusern.)  168. 
zikl  (lusern.)  166. 
zimento  (lusern.)  168. 
zizma  (lusem.)  168. 
zlok  (kämt.)  165. 
zobem      (südtirol.)      185 

Anm. 
zornirn  (lusem.)  168. 
zurre  (kämt.)  165. 


Verzeichnis  der  Orts-  und  Personennamen. 


Die    mit    Verben    zusammengesetzten    Ortsnamen   s.    S.  9  ff.    an    ihrer    alpha- 
betischen Stelle. 


Adaulfus  184. 
Adelfret  184. 
Agassac  151. 
Agassas  151. 
Agasse  151. 
Agefrit   184. 
Aguessac  151. 
Ataulfus  184. 
Aunefrit  184. 
Ayasse  151. 

Balderedus  184. 
Baldomirus  184. 
Baltarius   184. 

Caldonazzo  183. 
Castelfeder  172. 
Cateau  150. 
Genta  183. 

Dalzan  168. 

Fagildus  184. 
Fallätscha  172. 
Fallatschn  172. 
Falle  172. 
Fallmair  172. 
Fallmajur  172. 
Fallmür  172. 
Falls  172. 
Fallscheney  172. 
Falschgur  172. 
Falschmair  172. 
Faltmanige   172. 
Falterschein  172. 
Falung  172. 


Favarias  173. 
Feistritz  171. 
Felders  174. 
Figali  172. 
Flath  174. 
Flattnilz   171. 
Folgarait  172. 
Forn  174. 
Frad  Obbach  174. 
Fraina  174. 
Frains   174. 
Fufs  173. 

Gudenandus  184. 
Gutumundus  184. 

Jaque   150. 

Kalnetsch  183. 
Khoeit^ech  182. 
Kholtsech  182. 

Manazzo  183. 
Manetsch  183. 
Margot  150. 
Moznas  168. 

Niderpfondenell   174. 

Oberpfragl  147. 

Partschiller  178. 
Pfäsch  173. 
Pfäschwisen   173. 
Pfässen   174. 
Pfätsch  173. 
Pfaffrial  173. 


Pfandlspitz  174. 
Pfanell  174. 
Pfanes   174. 
Pfannalpe   174. 
Pfans  174. 
Pfarmbeil   174. 
Pfebers   173. 
Pfefferleite   173. 
Pfeffers   173. 
Pfeffersberg  173. 
Pfeis   174. 
Pfelders   174. 
Pfesch  174. 
Pfitsch  174. 
Pfitscher  174. 
Pfitz  174.' 
Pflatt  174. 
Pfötsching  174. 
Pfons  173. 
Pforn  174. 
Pfossen  173. 
Pfraderhof  174. 
Pfrans  174. 
Pfrein  174. 
Pfreinsbach  174. 
Pfroll  174. 
Pfrontner  174. 
Pfrusl  174. 
Pfund  173. 
Pfundes  173. 
Pfunders  173. 
Pfundraitsch  173. 
Pfunds  173. 
Pfuns  173. 


201 


Pfurgl   174. 
Pfurns   174. 
Pfurnsee  171. 
Pfurtschell  174. 
Pfufs  173. 
Pielach   171. 
Plansel   167. 
Plansöhl   167. 
Plansol  167. 
Plantsel   167. 
Planzols  167. 
Pozelnik   165. 
Prantzage   167. 
Pranzäg  167. 
Pras^(e)gnai   166. 
Prassnay   166. 
Prumsag  167. 
Prutznai   166. 
Putizlao   164. 

Ragaz    151. 
Ratzöl  167. 
Reifnit:6   171. 
Ro(t)lant   184. 
Rotulandus   184. 
Ro]?oland  184. 
Rubein   172. 

Salgär   168. 
Sax   168. 
Sehen   178. 
Schengels  178. 
Schennen   178. 
Sentarius  184. 
Serfaus  167. 
Sindofalus  184, 


Talsoii   168. 
Taodepert  184. 
Tedbald   184. 
Teudelupus  184. 
Teuderulf  184. 
Thibaut  184. 
Tsanhn   165. 
Tscbeinhof  178. 
Tschen   178. 
Tschengels   178. 
Tschiffnon  178. 
Tschingels   178. 
Tschint  183. 
Tschöfes  178. 
Tschutthof  187. 
Tswatndorf  165. 
Treffen   171. 
Tswainets  165. 

peodbald   184. 

Unterpfragl   174, 

Valaruz   172. 
VaU    172. 
Vellach  171. 
Vesche   173. 
Vill   172. 

Waideria  172. 
Waldnigg  172. 
Wälläralä  172. 
Waldafag  172. 
Walldaküern  172. 
Walldalussey  172. 
Wallone  172. 


Wäll  Plauna   172. 
Wall  Sant  Jan   172. 
Walsurtall   172. 
Waratschnigg  172, 
Wasenig   172. 
Wischritz  171. 

Zaggierhof  167. 
Zagl   167. 
Zahre   165. 
Zaiach   165. 
Zaiterhof  167. 
Zalgair   168. 
Zarz  165. 
Zass  167. 
Zassmühle    167. 
Zatz  167. 
Zauche   165. 
Zazzick   167. 
Zazzikhofen   167. 
Zebegoi  165. 
Zedlach  165. 
Zeggerbiücke  167. 
Zelfen  167. 
Zenitze  165. 
Zeredeii    l65- 
Zeron-Höfe   167. 
Zetlitz   165. 
Zettalunitz   [65. 
Zick-Hof  167. 
Ziggler-Hof  167. 
Zilf  168. 
Zütlas   165. 
Zoiginitz  165. 
Zueiitipolch    165. 
Zunig   165. 


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