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JOHANNA WOLFF DICHTUNGEN
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i>i7 SCHÖNES LEBEN
DICHTUNGEN
VON
JOHANNA WOLFF-HAMBtnaO
BERJLIN 1907
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
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ALLE RECHTE VORBEHALTEN
Von Johanna Wolff sind erschienen:
NAMENLOS
Frauenlieder
Zweite Auflage 1901
S. Schottländer Verlag Breslau
DIE MEISTERIN
Schauspiel in vier Akten
Verlegt bei Schuster & LoefFler
Berlin und Leipzig 1906
SUSANNENS ROSENGARTEN
Schauspiel in vier Akten
Verlag von Georg D. W. Callwey
München 1906
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MEINEM MANN
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WENN NACHT LICHT SEIN VSTLL
Das ist Leben:
Wenn es in Abgründen wuchtet imd prallt!
Wenn ein schäumendes Aufwärts=Heben
Tiefen gegen den Himmel stößt
mit ungebändigter Gewalt.
Das ist Leben:
Wenn aus Höhen stül und mild
ein Schimmern quillt
der lieben Sonne;
alles Wühlen und Bersten der Wogen
mit einem Leuchten überwallt,
daß jeder Tropfen zittert vor Wonne.
Vom Felsen neig ich mich über den Rand
und höre, wie die Wasser verklingen.
Und aus den Schlünden kommt ein Singen
wie SEinftes Säuseln heraufgezogen:
Dann spann ich mir selber den Friedensbogen
und fühle noch in der warmen Hand
der Abgründe Beben . . .
"Wenn Nacht Licht sein will,
das ist Leben.
AUS STILLEN ECKEN
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AUS STILLEN ECKEN 13
LASST GLANZ DA SEIN
Ich möchte singen wie die NachtigeJl
nur wenig Tage.
Die wilden Rosen, die verblühn so schnell
am grünen Haage!
O daß so kurz, so erdenflüchtig ist
das Wunderschöne!
Laßt Glanz da sein! Der diesen holden Gast
verstohlen kröne.
Die Rosen gehn. Ein Leuchten kommt — und fern
blühn Ewigkeiten.
Die Schwingen frei! Zum Flug in stiUes Land
will ich sie breiten.
14 AUS STILLEN ECKEN
EINE SEELE VOLL WOHLLAUT
Eine Seele voll Wohllaut
gaben die Götter
dem Kind, dem unscheinbaren.
Auf goldner Leiter sitzt es
imd sieht die Menschen
hinwandeln im Erdenstaub.
Den Himmel offen in der Höhe,
in fernen Tiefen
verbrausendes Leben,
läuft seine Seele hinauf,
hinunter neigt sich
das Ohr, das horchende.
Offen sein, das ist Alles!
Und immer bereit
den schaffenden Gott zu empfangen.
AUS STILLEN ECKEN 15
HIMMELFAHRTSTAG
Rote Rosen in den Händen,
süße Lieder in der Brust,
einen Überschwang der Lust
hab ich lachend zu verschwenden.
Über meinem Lebensgarten
ruht ein Himmel blau und weit
und der Vorhang dieser Zeit
läßt das Köstlichste erwarten.
Süber glänzt mir in den Haaren
und das Lied stockt in der Brust:
diese goldne Lebenslust
soU mit mir gen Himmel fahren!
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16 AUS STILLEN ECKEN
SCHLAF MEINE SEHNSUCHT
Schlaf, meine Sehnsucht, es schläft auch der Wind,
es ruhen die Klippen am Strande.
Schließ zu deine Augen, mein Wunderkind,
träum von bunten Spielen, die in dir sind — ■
Nacht . . .
Nacht wiegt dich im Sternengewande.
Schlaf, meine Sehnsucht, es raunt nur die Flut
Geschichten, die lange vergangen.
Meerkönigin hält in kristallener Hut
viel alte Schätze, goldschimmerndes Gut —
bleich . . .
bleich sind Meerkönigins Wangen.
Schlaf, meine Sehnsucht, in Tiefen stöhn ts schwer,
kühl schauerts in dunkelnden Lüften.
Am zackigen Felsen gespensterts umher,
dumpf orgelt im Traum das rastlose Meer,
die Brandung verrinnt in den Klüften —
Schlaf . . .
schlaf, meine Sehnsucht, schlaf.
AUS STILLEN ECKEN 17
ERFÜLLE DICH
Im letzten Grunde bist du doch allein
in deinem Erdenwinkel.
Eine große Kluft
trennt dich vom Andern,
von dem Liebsten
scheidet dich dein Erleben.
Zerstoße nicht das Herz, die Flügel nicht!
Da gibt es kein Hinüber.
Da führt kein Pfad
ins Unwegsame:
einsam,
du wirst es bleiben.
Erfülle dich als Mensch in dir allein
nach wachsendem Erkennen!
Da ist kein Gesetz,
dich zu vollenden,
als dein eigenes
Wierden.
Streck dich ins Weite! Was zu dir gehört,
das wird freiwillig deine Hütte suchen.
18 AUS STILLEN ECKEN
Verlassenheit
gibt es im Dasein nicht.
Alleinzustehn
ist auch der Sterne Los.
Schwing in dem großen Reigen leuchtend mit
wie sie!
I
AUS STILLEN ECKEN 19
SACHT DU
In voller Brust die Lieder
schliefen verschüchtert ein.
Sacht du,
weck sie nicht wieder!
Im Herzen blutrote Sünden
bleichten schneeweiß und rein.
Sacht du,
noch geisterts in Gründen!
Auf meiner Unrast Grabe
nistet ein scheues Vögelein.
Sacht du,
Ruhe, die köstliche Gabe,
könnte beflügelt sein!
20 AUS STILLEN ECFLEN
IN DER SONNE
Was von Schmerzen
blieb im Herzen,
flog ins große Licht hinein.
Eigner Wille
ward so stille,
und ich selber ward so klein.
Meine ^^onne
ist die Sonne
und der Sonne froh zu sein.
Soll ich leben,
laßt mir eben
nur den kleinen Platz
im Somienschein.
AUS STILLEN ECON 21
GÖTTER NIEDER ZU ZIEHN
Aus blauen
beweglichen Gewölken
Götter nieder zu ziehn,
das vermag niemals der Mensch.
Aber zu heben
über Himmelsränder
den Erdgebomen,
dazu ward uns die Macht.
Daß Dunkles
Licht werde
und Schweres geflügelt
die Sterne anrührt!
Wage Dichter sein
und erlauchter Gebieter
gehorsamer Geist=Kräfte,
So du der Schmerzen genug hast
und genug der lebendigen
heißroten Tropfen Herzblutes,
die Majestät zu bezahlen!
ist AUS STILLEN ECKEN
BAUEN UND SCHAUEN
Ich lasse
tief unter mir die blasse
graue Alltäglichkeit.
Ich raffe
die Seele auf und schaffe
und beuge mir die Zeit!
Und baue
mir eine Himmels=blaue
selige Welt voll Glück.
Und strebe
ins Schöne — und erlebe
im Bauen und im Schauen
mein eigen Meisterstück.
AUS STILLEN ECKEN 23
ÜBER DEN TIEFEN
Ich singe nicht, wenn mir ein zehrend Weh
das Herz zersticht.
Vom Sturme aufgepeitscht grollt dumpf die See,
die Woge schwillt
voU Unrat an das Land.
Ein kleines Wort bringt oft Gefahr!
Ein kleines Wort im wilden Wbgenbrand
schäumt und zerbricht . . .
Es kommt, es kommt der Sonne Licht
und macht
in reinster Pracht
die Tiefen wieder klar.
Dann sitz ich glückversunken an dem Strand
und lese meine Perlen aus dem Sand
und reihe sie mir lächelnd zum Gedicht.
24 AUS STILLEN ECKEN
NICHT ZERBRECHEN
"Wie sind der Schmerzen so viel
und der unerträglichen
Lasten des Daseins!
Binsen gleich
schwanken die Menschen unter der Wucht
des Lebens,
das ihnen zu schwer wird.
Nur nicht zerbrechen!
Ohne Knick und Schaden
bewahren
die Lichtseele,
die unsterbliche!
Daß Same der Überwindung
sich weiter baue
in junggrüne
hoffende Weltgründe.
Und noch glutrote Narben
eines fröhlichen Menschenkampfes
mit köstlichem Balsam
glättend gesalbt seien!
AUS STILLEN ECKEN 25
AUSGEBLÜHT
Nun haben die Rosen ausgeblüht,
die weissen, die gelben und roten;
die heißesten Sonnen sind ausgeglüht,
der Herbst weckt nur Astern auf im Gemüt:
die Astern gehören den Toten.
Reich blühten die Rosen. Mich hat es gefreut.
Voll Duft und voll Glanz war das Leben!
Und stachen die Dornen, ich habs nicht bereut:
verschwenderisch hab ich die Rosen verstreut,
die Astern den Toten gegeben.
S6 AUS STILLEN ECKEN
WIEGENLIEDER
Rauschende Bäume wiegt draußen der Wind
und schüttelt die Vöglein im Nest,
und wenn die Kleinen recht artig sind,
gibt Mutter morgen ein Fest.
Frau Spinne im Walde macht seiden Gewand,
Herr Hase bringt Strümpfe und Schuh,
vom Hügel her kommen die Zwerge gerannt
im Hemdelein, grade wie du.
Die Vögelein schlafen im Lindenbaum,
kein einziges guckt aus dem Nest;
das Kleinste piept nur ganz leise im Traum
und hält sich am Brüderchen fest.
Frau Spinne, Frau Spinne, wo ist das Gewand?
Herr Hase, gebt Strümpfe und Schuh!
Mein Kindelein guckt übem Wiegenrand
und Mütterchen lächelt ihm zu.
AUS STILLEN ECKEN 27
2
Scheint das weiße Mondenlicht
meinem Kindchen ins Gesicht,
Mutter schließt den Vorhang zu:
Liebling, schlaf in Ruh.
Drunten tief im Mühlengrund
geht ein Rad und das ist rund,
dreht sich langsam, dreht sich sacht:
Liebling, gute Nacht.
Hat das kleine Müllerkind
eine Miezekatz, die spinnt;
Kätzchen, laß das Spinnen sein:
Liebling, schlafe ein.
Bübchen wül die Sonne haben
wie ein Schüsselein,
Bübchen will den Mond sich fangen
wie ein Becherlein.
Will mit Sternen Kegel schieben,
daß sein Herzchen lacht:
Im Traum, mein Kind, ist Alles dein,
im süßen Traum der Nacht!
28 AUS STILLEN ECKEN
Wünsche haben lange Beine
auf der Mutter Schoß;
kriegt mein Kandchen lange Beine,
sind sie nicht so groß.
Reite jetzt auf deinem Löwen,
daß die Diele kracht:
Im Traum, mein Kind, ist Alles dein,
im süßen Traum der Nacht!
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL 31
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Da sang eine graue Nachtigall
von Sonne und blauendem Flieder,
sang mit so süßem schwerem Laut
als wie ein Bräutigam der Braut
allerschönste Lieder.
Grabt unter blüliendem Busch ein Grab,
ich misse ihr zärtliches Singen;
wenn sie nicht singt, dann ist sie tot,
sollt eine Krone rosenrot
der kleinen Nachtigall bringen.
32 DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
*4
1
Durch blaue Weltenräume
ging meiner Seele Einsamsein,
spann ihre stillen Träume
in eilende Wolken hinein.
Da schien im Wandern mir ein Strahl,
so voll Sonne,
ich neigte mich zitternd vor Wonne
wie die Blüte im Tal.
Nun geht ein großes Weinen
durch meiner Seele Einsamsein;
ich hatte nur den Einen,
der wollte mir eigen sein.
Wie ist ein Haus auf Erden weit,
so voll Leere,
daß in die dunkelnde Schwere
verrinnt meine Sehgkeit!
i
1
DA SAJ^G EINE GRAUE NACHTIGALL 33
Dir sang ich meine Lieder!
Du und ich, du und ich
wandern zusammen diesen Weg
weltenlang nicht wieder.
Mein Herz hatt sich gegeben
in deine Hand, in deine Hand,
das war wohl wert ein Leben.
Nun steht mein Licht ganz tief gebrannt
und zittert hin und wieder
im kalten \^ ind — den deine Hand
zum Sturm entfacht.
Ich gab dir Lieb und Lieder,
was hast du aus mir gemacht?
34 DA SAISG EINE GRAUE NACHTIGALL
^^ ahnte, ich wäre so reich, aus meiner Herrlichkeit Gründen,
der Oftenbarimgen inehi"
als sieben Himmel zu künden.
^^ ahnte, ich wäre so klug, dir in verworrenen Tagen
der weisen Lösungen mehr
als andre Leute zu sagen.
Wähnte, ich wäre so fromm, derA^under größtes zu schaffen,
deiner Seele selige Ruli — :
Abgründe klaffen
und ich seh hilflos zul
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL 35
Ich träumte: Er müsse zu Füßen mir sinken
und küssen mir Haar und Gewand,
und müsse mit Jauchzen und Singen trinken
Glanztropfen aus meiner Hand.
Er kam: Und ich hab ihn mit Jubel umfangen,
ich küßte ihm Haar und Gewand —
und konnte doch nicht erlangen
seine Seele, die mir entschwand.
36 DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Gebt Rosen her!
Rosensüchtig war mein Herz,
Rosen wollte ich umfangen,
empfing von Dornen nur Schmerz.
Blüten raffte ich an mein Gewand,
füllte mit Knospen die sehnende Hand,
Rosen, purpurne Rosen!
Weiß nicht, was gestern geschehn;
mein Kleid, meine Hände sind leer.
Sah meine Rosen bei Anderen stehn
und mußte lächelnd vorüber gehn,
das Herz zum Sterben schwer.
Gebt Rosen her!
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL 37
Möchte in flutende Schöpfungsgewalten
hinunter mich wühlen
und wie einen Stein
lassen in Splitter zerspalten.
Und bleibe doch ganz
und ganz voll Weh,
daß ich das wunderschöne Leben
vor Tränen nicht mehr seh.
Einen ragenden Gipfel im Morgenlicht
taste ich mühsam hinan.
Die Sonne sieht mein verweintes Gesicht
und der Wind, der Wind
trocknet es dann und wann.
In weite stille Tafeln von Stein
grab ich mein Leid hinein,
viel quälende Stunden.
Bis durch Nacht und Seelenpein,
ein schaffender Gott xmd der Sonnenschein
und ein Lächeln sich zu mir gefunden.
38 DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Zu schwer hat in der Nacht mein Herz gerungen,
das gab so dumpfen Klang,
als ob in einem wundervollen Dome
eine Glocke zersprang.
Mein Liebster schweift doch wieder fern im Weiten,
tot ist mir Sinn und Sein,
da will ich steigen in die Ewigkeiten,
Geist mit Geistern sein.
Du Sonnenschein, ihr meine goldnen Lieder,
husch, husch, so gings vorbei;
das Auge Ijlind, die Seele tönt nicht wieder —
einsam und vogelfrei.
DA SANG EENTE GRAUE NACHTIGALL 39
Mein Brüderchen hab ich erschlagen,
das war wohl schhmmer Dank.
Nun höre ichs wimmern und klagen,
wie Totengesang.
Meine Laute höre ich beben
mit irrem Kling und Klang,
geisternde Lieder umschweben
mich jahrelang.
Die Laute, die mußte sterben,
sie wüßt von uns beiden zu viel.
Mag ich nun selber vei-derben —
kein Weg — kein Ziel !
40 DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Ich dachte zu wissen,
was Schmei'z ist;
ich wußte es nicht!
Erst jetzt steig ich in deine Tiefen,
Menschenleid,
und fühle deinen Jammer,
Kreatur,
mit eigner Seele.
Ich wälze schlummerlos
des Nachts mein Haupt
und trag des Tages
lautlos
meine Bürde;
den Mund versiegelt übergroße Qual.
Aufklafft der Boden
mir unterm Fuß,
des Himmels Schönheit stürzt in sich zusammen,
in Rauch und Flammen
steht alles,
was ich anbete —
und sterben lassen muß.
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL 41
Unstät und flüchtig fall ich dir zu Füßen,
glänzende Göttin sei mir mild!
Dein benedeites Bild
will die gelöste Seele lautlos grüßen.
Verstummt und wissend schau ich auf das Leben,
das Liebste ging mir weltenfern;
so mag auf fremdem Stern
ein Geist sich über alle Dinge heben.
Zum Dienst bereit seh ich den Strahlen=Nachen
an unbekannten Ufern stehn,
in blaue Weiten gehn
wird nun mein Geist — wo andre Sonnen lachen.
42 DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Und rinnt mein Leid durch perlende Lieder
ganz sacht,
es kommt das Leben und lockt sie wieder
und lacht!
Und dunkeln Tränen den Glanz meiner Lieder
zur Nacht,
wie leuchtende Aöijel aufflattern sie wieder
mit Macht!
Und sind mit Singen und Klingen erst wieder
erwacht,
die Tränen geben dem Klang meiner Lieder
die Pracht!
VOM LEBEN
ü
s-r
VOM LEBEN 45
SCHWEBENDEN FUSSES
Nie war der Frühling so schön
und das herrUche Leben
so voll Zauber und Duft.
Meiner singenden Seele
Hebliche Leichtigkeit
wer erlöste dich so?
"Wie ein Vöglein gleitest du
weiß beschwingt
durch ruhendes Atherblau.
Entsank wohl ein Tropfen
überfließender Fülle,
Weltseele, dir?
Entzücken, leuchtendes,
dich senden die Götter
schleifenden LiebHngen lächelnd zu.
Früh, wenn der Schlummer entweicht,
lichtgebadet heben sie das Haupt,
alle Morgensonnen um sich her.
46 VOM LEBEN
Nie war der Frühling so schön
und das herrliche Leben
so voll Zauber und Duft!
Schwebenden Fußes
schreit ich über dunkles Gewölk
als über rotblühende Rosen der Freude.
VOM LEBEN 47
EINEN KRANZ AUF DEIN HAUPT
Einen Kranz auf dein Haupt, einen Kranz, mein Kind,
schon knospen die Rosen im Garten.
Ein Lied noch gesungen, ein Lied geschwind,
Lieder und Rosen verwehen im Wind —
einen Kranz auf das Haupt!
Die Welt ist so schön! Seid Mehrer der Lust,
erhaltet dem Leben die Wonne!
Wie mancher hat grämlich von hinnen gemußt,
der nichts von Schönheit und Sonne gewußt —
ohne Kranz auf dem Haupt.
Einen Kranz, einen duftenden Strauß in der Hand
begrabt mich in Schimmer und Blüten.
Wer Lieder und Rosen auf Erden gekannt,
dem leuchtet und tönt hinter Grüften das Land,
dem setzen die schweigenden Toten
aus Knospen, purpurnen, roten
einen Kranz auf das Haupt!
48 VOM LEBEN
WAGS!
Flügel tragen empor
in lichtdurchzitterte Weiten,
schlagen ans Sonnentor.
Empor,
wage die Schwingen zu breiten!
Flügel tragen hinab,
in der Schöpfung dunkelste Nächte.
Wecke dir schlummernde Mächte
auf aus verschlossenem Grab!
Hinab,
hinab in abgründige Schächte!
Folge dem drängenden Zug,
erzwinge dir külmlich das Heute.
Morgen? Morgen ist Trug!
Im Flug
raubt sich der Adler die Beute!
VOM LEBEN 49
JUNG IST DAS LEBEN
Jung ist das Leben,
ein spielend Kind noch,
ungezogen,
unerzogen.
Unbewußt, lächelnd,
begeht es täglich
Jugendstreiche
und schämt sich seiner Taten nicht.
Warum grämst du dich?
Heute schlägt es dich,
morgen trägt es dich,
und streichelt dir die Wangen lind;
frißt dir am Herzen,
lacht deiner Schmerzen:
Leben ist grausam — wie Kinder sind.
Weis da geworden
durch die Jahrtausende,
Alter ward es und Gnade in dir.
Lock das gefährliche,
töricht=begehrliche
Leben, verlock es zu dir!
50 VOM LEBEN
GOTT
Ich weiß nicht, wer du bist, geheimnisvoller Gott,
ich weiß nicht, wie du bist und wo du wohnest,
ob du im Licht, ob du im Dunkel thronest,
und ob du strafen kannst, ob du mir lohnest —
ich weiß es nicht.
Ich bete mit in deiner Kinder Schar
und hebe meine Hände ganz im Stillen.
Hart stößt mein Wille gegen deinen Willen,
geheimnisvoller Gott, der ist und war.
Ich selbst, ich bin ein Göttliches aus dir.
Aus deiner Fülle rann mein Tröpflein Leben
in diese Endhchkeit;
Du wirst mir geben
Unendlichkeit:
Erfüllung — Lösung — Ruh.
O du!
Schheß vor mir deine Herrlichkeit nicht zu.
Aus tausend Gräbern stieg ich auf zu dir.
Nun gib du mir,
was mein und dein:
VOM LEBEN 5i
Gib mir
in dem was ist und wird,
geheimnisvoller Gott,
dir gleich zu sein!
52 VOM LEBEN
ÜBERLISTET
Ich habe Lust Kämpfer zu sein.
Tagtäglich springt mir
aus verborgenen
Schlupfwinkeln
Das Leben in den Weg.
Auf Tod=schmalem Steg
überfällt es mich,
rauft mit mir,
und zieht sich in
sein Schneckenhaus zurück.
Soll man es packen,
biegen, brechen?
Da ist nichts zu brechen,
Da ist nur
Schleim.
So ward ich
Lauscher.
Läßt das Leben nicht sein Schneckenhaus?
Da kommt es!
VOM LEBEN Ö3
Es späht, horcht,
horcht — nach mir,
und vergißt seine Schale!
Ich schlüpfe,
ah — tief hinein.
Da bin ich, da bleib ich.
Im Schneckenhaus
ist . gut . sein .
Mut!
Man muß das Leben
in der Schneckenschale tragen,
dann trägt sichs gut.
VOM LEBEN
RUHE EIN WENIG
Warum hastest du,
dei' Ameise gleich,
allzu emsig
für den rimienden Augenblick?
Mancher wähnte,
er ti'üge Lasten zum Gipfel hinauf
staunenden Auges stand er da,
stolz der eigenen Kraft.
Em V^^indstoß —
und den leuchtenden Blick
löschte der Tod
und nahm das Staunen mit sich hinab.
Ein Körnchen trägst du,
ein winzig Körnchen
Lebens hinzu
zum VS'eltenbau!
Ruhe ein wenig!
Beiseite leg das Bündlein, das dich drückt.
Atme tief
und öffne das Auge . . weit . .
für die HerrHchkeit Gottes in dir.
VOM LEBEN 55
AVE MARIA I
Noch immer ist das Weib die Benedeite,
noch immer triägt sie unter ihrem Herzen
das Heiligtum der Schöpfung:
Kraft der Liebe!
Noch hebt sich aus den Tiefen alles Werdens
der Geist empor, der herrliche Erzeuger,
und weckt aus dumpfem ErdstofF
den Erlöser.
Wo Sehnsucht Nacht berührt und Unerforschtes,
begehrend den geheimsten Grund der Dinge,
da wachen Götter auf! So schafft das Leben
sich Befreier.
56 VOM LEBEN
GELOST
Das Schwere werf ich ab
und steige
in azurne Höhen
hinein,
hinauf.
Ich schwebe
fessellos
durch dunkelblauen,
unbegrenzten Raum.
Da liegt der Erdenklos,
aus dem ein alter Gott mich weckte.
Ich ward ihn los,
seitdem mit tausend Armen
in mir
der Mensch sich reckte.
Wohin?
Zu dir, zu dir,
Werde^Gott!
Verängstet, verflogen
war meine Seele.
Auf schwarzen brausenden Wogen
VOM LEBEN 57
der Sündflut
gab es kein Rasten.
Tod
dampfte die weite versinkende Schöpfung,
Tod
dämpfte der Menschen ruhloses Hasten . ,
Da glitt eine Hand
aus nächtigen Wolken:
deine Hand!
Nahm meine kleine
sterbende Seele
hinein ins Lebendige.
Du bist —
ich bete dich an!
Eine Hand nur seh ich;
ein einer Hand
gelassen
geh ich durch alles Gewordene.
Ob in den Tiefen die Sündflut grollt,
ich seh eine Hand
und fasse das Leben
und Hebe die Erde,
weil
du und ich
Leben auf Erden gewoUt!
58 VOM LEBEN
LUST
Vergeßt mir, Brüder, nicht der Lust
und laßt sie nicht aussterben;
seid Kinder, hängt an ihrer Brust,
sonst muß die Welt mit ihrem Wust
verrotten und verderben!
Die Lust der Welt ist göttlich rot,
läßt nimmer sich aufzehren;
sie ist mir nie mein täglich Brot,
so über Maßen lieb und not,
Lust kann ich nicht entbehren!
Lust reckt die goldnen Züngelein
nach allem Wunderschönen;
steigt in die hohen Himmel ein,
und kann noch jeden stummen Stein
mit seinem Los versöhnen.
Vom LEBEJi Ö9
KINDER DER SONNE
ii
Kündet der Freude blühenden Segen!
Müde Geschlechter der Tage, herbei,
Berge des Jammers sollt ihr bewegen,
Ketten zerbrechen, und Freude macht frei!
Herzblut und Tränen, die ihr vergossen,
tränkten die Erde bis in den Grund.
Die großen Freuden, niemals genossen,
blieben Gespenster und hetzten euch wund.
Kündet dem Leben neue Gewalten,
steigt auf die Berge, jauchzt in das Licht!
Was da gewesen muß Alles veralten:
Kinder der Sonne, empor das Gesicht!
ii
60 VOM LEBEN
BORN DES LEBENS
Aus brachen
nächligen Urtiefen
windest du dich.
Durch werdende
junge Lichlschönheiten
wülilst du
silbern dein Strombett.
An deinen Rändern ruhn
Erd und Himmel,
ihrer Erfüllung Überschwang
schöpfend aus dir.
Aber an schwankem
schwindendem Halme
zittert der Tropfen
Menschsein im W^ind.
An geringem Dasein
schonend vorüber
braust deine Fülle:
Ich will nicht geschont sein!
VOM LEBEN 61
Wo du rinnst
über nackte
lichthungemde Werdewurzeln,
will ich rinnen mit dir.
Aus deinen Gründen
herauf tragen
das Dunkelste,
Schwerste,
und zur Höhe steigen,
durch Sonnentore
Born des Lebens, mit dir!
Also
drängen Götter zum Spiel.
Die Unendlichen tragen Gelüsten
auszukosten
den irdischen Tropfen Unsicherheit.
Menschsein,
an gewaltiger Mutterbrust Dir
hangen die Ewigen!
62 VOM LEBEN
AN DEN SCHLAF
Goldner Schlaf!
Seit den Tagen der Kindheit
Schöneres weiß ich
und Lieberes mir nicht.
Immer gleich
in Leid und Entzücken
brachtest du freundlich
das Herz mir zur Ruh.
Tränenlos
vom Bewußtsein des Jammers
wund und zerrissen,
verzagte ich oft.
Aber du,
wie mit Händen der Mutter
strich mir dein Segen
die fiebernde Stirn.
Über Nacht
dann im friedlichen Schlummer,
freundlichen Träumen
erstarkte der Mut.
VOM LEBEN 63
I!'
Ohne dich, f!
wie gab ich das Leben
zürnend den Göttern
gerne zurück!
Bleibe mir
in gesunden und kranken
Tagen des Daseins
immerdar hold.
Will der Tod
mir vom Erden^Gewande
lösen den leuchtenden
Gürtel der Kraft:
Wieg mich dann,
o du ^vundervoller
schmerzloser Schlummer,
wiege mich ein!
miNDERGJNGE
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WANDERGÄNGE 67
FRÜHLINGSFREUDE
Du schöne Welt, ich kanns nicht lassen,
dich muß ich preisen immerdar!
Mein Herze kanns nicht in sich fassen:
der Frühling kommt in jedem Jahr
so wunderbar! So wunderbar!
Am Wiesenrain, auf Weg imd Stegen,
mit bunten Blumen angetan,
kommt mir der junge Lenz entgegen,
daß ich beglückt nur singen kann
trefF ich ihn an! Treff ich ihn an!
Ich fühle neu die Säfte steigen,
im Blute brausts wie junger Wein;
so tret ich lächelnd in den Reigen
des holden Wonnemondes ein,
um froh zu sein! Um froh zu sein!
5*
68 WANDERGÄNGE
FEINSLIEBCHEN
Blüliende Wiesen in weißem Klee
und rote Rosen im Garten,
am Wege flimmerndes Lindengold.
FeinsHebchen hold,
Feinsliebchen weiß und rosenrot:
Warten,
Wai-ten macht Liebesnot!
Ich weiß vor lauterer Zärtlichkeit
nicht wo ich mich soll hinwenden;
Könnt ich nur fassen dein Schürzelein,
Feinsliebchen mein.
FeinsÜebchen weiß und rosenrot:
^^'arten,
A^lirten macht Liebesnot!
Doch wenn am V^^ege die Linde verblüht,
der Klee tmd die Rosen im Garten,
haben wir beide ein Nestchen gebaut,
FeinsHebchen wird Braut.
Feinsliebchen weiß und rosenrot:
Warten,
Warten macht Liebesnot!
WANDERGÄNGE 69
HANS UND GRETE
Die Vöglein sangen im grünen yVald
ohne Rast und Ruh — fallera!
Der Hans und die Grete im Buchenschlag
hörten nicht zu — fallera!
Sie herzten sich ohne Rast und Ruh.
O Hans, o Grete, was machst denn du!
Fallera, fallerallera!
Und drüben im saftigen Wiesengrund
stand Gretens Kuh — fallera!
Die sah dem Spielen im Buchenschlag
ein Weilchen zu — fallera!
Dann brummte sie ungemütlich: „Muh!
Man kommt auf der Weide um seine Ruh."
Fallera, fallerallera!
Sie sprangen auf im Buchenschlag:
Was hat die Kuh? faUera!
Und stolperten hin nach dem Wiesengrund
und sahen zu — fallera!
O Hans, o Grete, wie tumb bist du:
Verstand für Zweie hat eine Kuh.
Fallera, fallerallera!
70 WANDERGÄNGE
t
t 4'
I
IM HAIDEBUSCH
Ein Vöglein sang im Haidebusch,
ich saß am grünen Rain.
;,'if Da stieg der süße Birkenduft
' I zu Kopfe mir, trala!
( Ich guckte in die blaue Lufl,
1 sang auch — doch was geschah?
Das Vöglein flog davon, husch, husch!
Ich saß allein im Haidebusch,
trala, husch, husch, trala!
Im Haidebusch im Sonnenschein
ist man nicht gern für sich.
V^en lockte wohl mein kleines Lied
mir in den Schoß, trala?
Es stieg behende durch das Ried,
sang auch für sich: trala!
(, Und saß bei mir am grünen Rain
';: und stieg mir in das Herz liinein,
trala, husch, husch, trala!
WANDERGÄNGE 71
SOMMERNACHT
Klee und Nachtviolen duften
süß bedrängend durch das Dunkel.
O wie lieb ich diese Düfte
und wie heb ich diese Nacht!
Und mein Ruder gleitet leise
durch die Wellen mondumflinamert.
O wie lieb ich diese "Wellen
und wie lieb ich diesen Glanz!
Wenn aus dunkelblauen Tiefen
mit den Lüften, mit den Düften
ein Vergessen und Verlieren
mich umdämmert weich und sacht
und mein Nachen lautlos gleitet
durch die Nacht.
72 WANDERGÄNGE
SOMMERFREÜDE
Komm!
laß dich führen durch die trauten Wälder,
versenk die Unrast in die grüne Nacht,
laß froh uns schweifen durch die goldnen Felder,
wo still die Lerche überm Nestchen wacht.
Dort wo am bunten AMesenrain
sich zitternd \%-iegt der Sonnenschein,
wo lauer ^Vind des Kornes Duft
sanft hinträgt durch die Sommerluft,
da spielt in stillen Ecken
das Glück mit uns Verstecken
und läuft den Sommervöglein nach.
Kaum daß am Busch ein Blättchen sich bewegt,
und nur der Vogel, der sich müde regt,
zirpt leise seine Weise.
Die Flur so sonnenkeusch und still,
als ob Schönes reifen will —
Komm!
WANDERGÄNGE 73
TRAUTER WALD
In deine grüne Nacht, trauter Wald,
senkt sich mein Auge,
beruhigt haftet es an deinem Gezweig,
herrlicher Eichbaum!
Ein harzig Duften löst von beklemmter Brust
Lasten ab;
langsamer klopft mir das Herz r
und gibt dem Gemüte glückvolles Gleichmaß.
Fernher ein Surren,
ein dumpfes, gräulich=grollendes
Getöse :
das Werktags*Rad, das Menschen keuchend drehn
ich dreh es nicht mehr mit.
In deine grüne Nacht, trauter Wald,
senkt sich mein Auge, '
beruhigt haftet es an deinem Gezweig,
herrlicher Eichbaum!
74 WANDERGÄNGE
IM RIED
Die Soiine versinkt und der Wind geht zur Ruh,
im Röhricht nur raschelt es leise.
Ln schilfigten Moor eine Zugvogelschar
rüstet beweghch zur Reise.
Binsen und Ried
Mispern ein Lied —
eine Herbstsverlorne \Aeise
über die Haide zieht.
Die Sonne versinkt und der Himmel verblaßt,
grau wills schon das Moor überschleichen.
Nur noch ein letzter blutfarbener Glast
rötet die knorrigten Eichen.
Binsen und Ried
vtispern ein Lied —
der Nachtwind mit müdem Schleichen
über die Haide zieht.
Die Sonne versank . . . Die Nacht kriecht heran,
im Röhricht schläft alles Bewegen.
Aus schiliigtem Moor der Zugvögel Schar
hob sich dem Ziele entgegen.
'if
WANDERGÄNGE 75
Binsen und Ried
wispern ein Lied —
vom Sommer ein letztes Regen
über die Haide zieht.
76 WANDERGÄNGE
IN DER WALDKLUFT
Der weiße Mond steigt sacht herauf
über herbstlichem "VS'aldessaunie;
das Abendrot schwindet am Buchenstand,
Kleinbirken dort an zerrissener ^Vand
stehen in goldgelbem Traume.
Darüber Orange und purpurnes Rot
die uralten Rüstern feurig umloht —
dann dunkelts im nachtenden Räume.
Der weii3e Mond steigt sacht herauf
und spielt in den Erlen Verstecken;
er tastet mit beineren Fingern im Laub
und sterbend gleitet es hin in den Staub —
ist das ein gespenstisches Necken!
Da rieselt im falbigten Mondenschein
über "Wald und Moor und zerklüfteten Rain
ein totenbleiches Erschrecken.
Der weiße Mond geht stiU hinab,
grau dämmerts im frostenden Räume.
Im Rauhreif funkelt der Buchenstand,
Kleinbirken dort an zerrissener Wand
WANDERGÄNGE 77
erwachen zitternd vom Traume.
Ringsum nur blasse kristallne Ruh,
schauernde Föhren schweigen dazu,
und die Raben krächzen vom Baume.
78 WANDERGÄNGE
DAS IST DIE ZEIT
^'^enn der A^ald im Nebel steht,
wenn der \A ind mit müdem Streichen
durch verschlafne Föhren weht,
ringsum will der Tag verbleichen:
das ist die Stunde, das ist die Zeit,
wann die Einsamkeit
aufs \^andern geht.
Wenn der ^^ald im Bluste bebt,
Maienwind mit scheuem Schweigen
um die jungen Knospen webt
und die Säfte drängend steigen:
das ist die Stunde, das ist die Zeit,
wann die Sehnsucht schreit
und Liebe zur Liebe strebt.
\'N enn der \^ald im Reife blinkt,
Sonnenhcht mit hartem Scheinen
durch kristallne Zweige klingt,
dir im Auge friert das Weinen:
das ist die Stunde, das ist die Zeit,
die das Herzeleid
zur Ruhe bringt.
VON DER REISE
VON DER REISE 81
GRAN ADA
Lange lichte Mondesstrahlen
flechten sich um schlanke Pinien,
wie ein Haschen bleicher Finger
nach der schwärzlichen Geliebten,
sehnsuchtzitternd jeder Strahl.
Schimmernde Orangen blühen
aus der Myrten dunklem Kranze,
und die Knospen der Granaten
brechen auf mit rotem Glühen,
schwere Düfte trinkt die Nacht.
Eine Pergola von Rosen
dicht gekränzt! Und tausend Blüten!
Gelblich, gleich dem Alabaster,
ruhn sie, die gelösten Kelche
offen für den Mondenglanz.
82 VOIN DER REISE
BISKRA
Abend wards, das Licht ward süller,
stiller ward der Ton der \^üste,
es erlosch der Farbentraum.
Fem am Horizont die Bei'ge
ganz in Dunkel eingeschattet,
nui- die Gipfel lichtumflammt !
Rote, blaue, dunkelgelbe
Tinten flössen ineinander,
flockten sich zu goldnen Zacken,
flohen sich und kamen ^\■ieder
und zerrannen in die Nacht.
Und in grenzenloser Rulie
schien die \^üste sich zu weiten,
schien die Sülle sich zu dehnen —
Biskra, die Oase schlief. —
Doch Aima fand nicht Ruhe,
Ainia liebte nicht die Stille,
ihren Bauchtanz übte sie;
übte ihn im kleinen Hofe,
VON DER REISE 83
und die braunen Mädchen schlugen
monotonen Takt dazu.
Und zwei schmucke Söhne Albions,
einer blond, der andre dunkel,
fühlten gleichfalls sich bewogen,
tanzten mit auf hohem Dache
Bauchtanz —
und sie tanzten gut! . . .
Deine Sonnenuntergänge
kann ich nicht vergessen, Biskra^
meine farbenfreudge Seele,
immer wird sie dein gedenken:
Perle von Algier!
6*
84 VON DER REISE
GIZE
Im Schatten ruhte ich der Pyramiden,
gelagert in den gelben Wüstensand;
rings um mich her aus alten Tempelgräbem
Geröll und Schutt,
als wären hier Jahrtausende zersplittert,
ein Spott auf Menschenarbeit und Kultur.
Fernab lag einsam eine kleine Farm;
die Sonne flimmerte.
In breiten ^^ eilen, gläsern
umwogte es den alten Bretterzaun,
stieg auf und ab, ein zitternd strahlend Meer.
Und über mir stand eine Himmels Bläue
hart und bewegungslos,
stand wie erstarrt.
Ich schloß die Augen,
sank — fiel — und war in Theben.
Geschmolzne Sonne, hatte Wolkenbläue
rann aus den hundert Toren um mich her.
Und aus dem Blauen stieg der zweite Ramses
und setzte sich auf den Granit,
VON DER REISE 86
der wuchtig,
halb versandet
zu meinen Füßen lag.
Er kannte den gewaltgen Block;
mit braunem Finger wies er
mir seitwärts eine dunkle Stelle:
Blut!
Die Pharaonen hatten es vergossen
in Strömen
unbewegt. —
Was trieb Geschlechter
Block auf Block zu häufen?
Was
ganze Djnaastien
iibermächtge tote
Steine
zu bezwingen,
empor zu zwingen? — —
Zermalmte Hände, wunde Menschenfüße,
geschundne Leiber: Leben waren
Nichts !
Stein — Alles!
Kömlein Sandes kamen
und deckten
den Traum der Pharaonen zu . . .
86 VON DER REISE
Sand — Sand.
Ein Reich der Grüfte, eine ungeheure
verwehte Totenstadt!
Und ich erzählte meinem stillen Gaste,
daß ich in Kairo
als Mumie im Museum ihn gesehn;
Gezerrt aus dem gewaltgen Grabe,
dem heiigen Mal, das er sich selbst errichtet,
Schauobjekt der Menge!
Ramses lächelte —
weit — seltsam — ^v■issend,
als hätte er der Dinge Grund erkannt.
Den Eingang eines Tempels neben ihm,
geborsten, ohne Tatzen, deckt ein Sphinx;
verloren streichelt seine Hand
darüber hin.
Sie lächeln
Beide
wesenlos — — —
Der Block ist leer.
Und auf dem Schutte saß ein spielend Kind,
das trug ein Rosenkränzlein auf dem Kopf
und hob mit seinem feinen Fingerlein
die Trümmer von Granit.
VON DER REISE 87
Es spielte Fangball mit den Gräberresten;
die blassen Schädel, bleichen Knochen flogen
und tanzten mit im gläsernen Geflimmer
am alten Bretterzaun
und setzten sich als blinkende Gestirne
ins starre Himmelsblau.
Das Kind im Rosenkränzlein aber küßte
das tatzenlose Ungetüm und lachte —
lachte !
Wir lachten mit, der Sphinx und ich,
bis ich — erwachte.
88 VON DER REISE
HASSAN
Hassan hockt vor mir im Sande;
jeden Morgen, jeden Abend
hockt er auf derselben Stelle,
seine weißen Zähne zeigend,
seine bunte Ware preisend . . .
„Hassan, Freund — ich kaufe nicht!"
Doch ein Kästchen nach dem andern
holt er aus dem weiten Burnus;
Mutter Isis und Osiris,
Horus, grüne Scarabäen
stellt er auf und lockt geduldig . . .
„Hassan, Freund — ich kaufe nicht!"
Doch er lächelt: „Du wirst kaufen;
Altes aus den alten Gräbern,
heimlich barg ichs — willst du sehn?
Manche mögen lieber Neues —
Du bist wissend, kennst das Echte" . . .
„Hassan, Freund — ich kaufe nicht!"
Doch aus seinem Burnus zieht er
eine Hand voll blanken Goldes:
/
VON DER REISE 89
„Ehrlich hab ich das verdient!
In dem Winkel meiner Hütte,
in der Ecke ganz nach Osten
grub ich mehr als dieses ein!"
„Tu es in die Bank, mein Söhnchen,
tu es in die Bank of Egj^t!"
Doch der braune Bursche murmelt:
„Hassan kennt nur seine Mutter,
Mutter ist ihm diese Wüste —
stummer Sand ist seine Bank."
Hassan hockt vor mir im Sande;
gelb im gelben "WÜstenlichte
nickt sein Turban in der Sonne
jeden Morgen, jeden Abend.
Isis und Osiris nahm ich,
Horus und die Scarabäen
Hassan, Freund — wie warst du klug!
90 VON DER REISE
DER CHAMSIN
Fahl wird der Himmel;
schwärzlich — schwefelfarbeii
stößt eine ^'^olkenbank
den Horizont.
Rostbraune Schleier flattern von der Sonne,
steigen tiefer
und hängen undurchdringlich
in fernen Sykomoren fest.
Undurchsichtig dickt sich die Luft;
die Haut wird feucht;
Schweiß dringt aus allen Poren;
der Odem stockt.
Ruhlose Falken kreisen um die Palmen;
die wilden Tauben
ducken gurrend sich
in stachhchte Mimosen;
Kamele brüllen auf.
Verängstigt
äugt alle Kreatur nach Schutz und Unterschlupf.
VON DER REISE 91
Und heulend setzt er ein!
Die Zelte schwanken.
Wie Schatten huschen unsere Beduinen
und rammen schnell die Keüe fester
ziehn die Seile noch strammer an
und bergen sich mit Eseln und Kamelen
zum Knaul geballt an unsres Zeltes Wand.
Und pfeifend f ährts daher
imd schlittert am Gepflöck!
Gleich Hagel prasselts auf das feste Linnen,
im Munde knirscht der Sand.
Man . atmet . kaum. —
Vorüber ... die Zelte stehn!
Hinaus!
Den Hügel dort erklommen
imd umgeschaut.
Ah — die Pyramiden!
Unirdisch, aschgrau, fem.
Übergroße Gespenster des Vergangenen
sind ihre stumpfen Spitzen
mit Lüften und Gewölken eins.
Das Angesicht des Sphinx scheint wie von gelben
Grabtüchem eingerahmt.
Wie Leichen=Schimmem liegts auf seinen Zügen,
gebrochen
92 VON DER REISE
sein Lächeln
im gebrochenen Lichl . . .
Und wieder fegts daher;
rasch werten wir uns nieder, das Gesicht zur Erde,
das Haupt verhüllt. — —
So stürzt er über alles Leben hin,
der Herr der V\ üste — furchtbar —
der Chamsin!
VON DER REISE 93
INDISCHER MORGEN
In dem Dschungel eine Dägoba,
marmorweiß.
Ringsumher
aus dem regungslosen Blättermeer
quillt ein Duften süß und schwer
und die Sonnenstrahlen rinnen heiß.
Aus dem Dickicht gleitet ohne Laut
eine Frau,
naht gebückt;
vor den Buddha kniet sie hin entzückt,
zeigt ihr Kindlein ihm beglückt,
Blüten opfernd noch beglänzt vom Tau.
Grau verwittert sitzt der Weise da
unterm Baum.
Ging ein Schein,
wie ein Sehnen wieder Mensch zu sein
über dieses Angesicht von Stein?
Buddha hatte einen Jugendtraum.
94 VON DER REISE
INDISCHE NACHT
In dem Dschungel eine Dagoba,
rot umglutet
von dem purpursatten Abendschein,
der um irr=verschlungene Stämme blutet.
In dem weiten märchenstillen Sein
ich und du,
ich und du allein.
Und die Sonne geht, die Nacht ist nah.
^^'elch Gefunkel
schlingt sich um den tausendjährigen Baum!
Leuchtend wiegen sich im weichen Dunkel
Myriaden Käfer durch den Raum,
mir und dir,
mir und dir wie Traum.
Eine rätselvolle Tropennacht
kam gegangen,
bannte uns in ihre samtne Macht.
Und wir ließen uns berauscht umfangen,
haben ihre schwärzlich=blaue Pracht,
ich und du,
ich und du durchwacht.
VON DER REISE 95
SEBASTOPOL
Da war die Steppe von Sebastopol,
das blutgetränkte Schlachtfeld in der Krim!
In weißlich-ödem Glänzen,
unabsehbar
lag das Gelände vor uns ausgespannt.
Die Gräser klirrten mit metallnem Laut
im Abendwinde rastlos aneinander
wie kleine Schwerter.
Sacht und voU und weiß
stieg an dem klaren Himmel
von Balaklava her der Mond herauf.
Hie^ hatten sie gerungen!
Drei Nationen hatten
die gräßlichsten der Schlachten hier geschlagen,
und dreier Völker Blüte
ward hingeraftt.
Ich schauerte, als röche es nach Leichen . . .
Süßes, schweres Duften trägt
der Wind durch laue Lüfte:
Ein Gottesacker!
Mitten in der Steppe, ^
96 VON DER REISE
der wilden, steinigten,
ein Totenfeld!
Hohe, weiße Mauern wehren
das Leben ab;
wir treten ein.
Wie lichte Seide spinnt sich das Geflimmer
des Mondes über stille Gi'äber hin:
„Hier rulm die Tapfern Frankreichs."
Farbige Rosen, bleiche Lilien decken
die Massengrüfte zu.
Denkmäler ragen auf;
Toni schwarzlichen Granit der Sarkophage
blinken Namen,
bekannte Namen Frankreichs.
Und weiter zogs uns, tiefer in die Steppe,
dorthin wo England seine blonden Söhne
so fern der Heimat eingebettet hat.
Und auch Britanniens tapfre Kinder hegen
in dichten Reihn,
von Blüten zugedeckt. —
Des andern Tags in lichter Morgenfrühe
zum dritten Totenacker,
zu Rußlands Bruder^Kirchhof trieb es uns.
Hüghg Gelände wars, gesenkt ans Meer.
Auf Schiften und auf Flößen wurden sie,
die Fieber, Brand und A^unden hingerafft,
VON DER REISE 97
in Eil und Ängsten ruhmlos ausgestoßen.
Man barg sie ohne Namen, ohne Zeichen
In dieses Hügels Bauch wie stinkend Aas.
So ungeheuer schreit die dunkle Ziffer,
Daß von Entsetzen bleich, wir fliehn . . .
Daß sich die Erde nicht der Menschen ekelt,
daß sie den Schoß nicht auftut,
Leben zu verschhngen,
das soviel Leben mordet!
Sebastopol!
Aus deiner Saat, die man verschwendete,
wuchs auch ein Hahn.
Nur langsam sproßt die Frucht der Menschlichkeit
im Völkerschoß
und reift zur Tat.
98 VON DER REISE
REISE-NACHKLANG
Viel goldene Steige rings umher,
das Leben reich und schön,
Sonnenleuchten auf Höhn,
fern das gUtzernde Meer!
Unendlichkeit in der eigenen Brust,
und Glück am eigenen Herd:
AUersehgste Lebenslust
ward mir daheim beschert.
ISIACH ZEHN JAHREN
1 '
II'
i
iii
NACH ZEHN JAHREN 101
DU BIST DER KLANG
Sing ich ein Lied, du bist der Klang,
auf den gestimmt mein ganzes Leben.
Frag nicht was dein in dem Gesang,
wo alles dein,
mein ganzes Sein, das mühsam rang,
um Wohllaut dir zu geben.
Und bin ich reich, du bist mein Gut,
und bin ich stiU, bist du mein Frieden.
Du bist der Schrein, darinnen ruht
die Seele mein.
Die Seele mein ist gut und ruht
ün Himmel schon hienieden.
102 NACH ZEHN JAHREN
WIR BEIDE
"Wir haben manche Fahrt gewagt,
Geliebter, du und ich.
Ins Blaue, "Weite unverzagt,
wir Beide!
Wenn wir uns stießen
ungesagt im Leide:
wir gingen du und ich
doch im Feierkleide.
Gott schenk noch manchen guten Tag,
Gehebter, dir und mir!
Und daß uns Blitz und Donnerschlag
nicht scheide!
Es geht vorüber Blitz und Schlag:
wir Beide,
was auch kommen mag, i
gehn im Feierkleide!
NACH ZEHN JAHREN
103
DU
Du!
Wenn ich dein gedenke,
schon sübert sich mein braunes Haar,
dann klopft das Herz im Busen mir
hochauf,
als war ich siebzehn Jahr:
Mein Mann!
Du!
Wenn ich dein gedenke,
dann drängt herauf ein Überschwang
der Liebe, die das Wort verzehrt.
Hab Dank!
Und Dank und Liebe wird Gesang:
Mein Mann!
in
104 NACH ZEHN JAHREN
MEIN LIEBSTER MENSCH
Ich bin dir nie ans Herz gesunken
in eines A\aldes trauter Nacht,
ich habe nie, vor Wonne trunken,
die Augen zugemacht.
Am Boden hab ich oft gelegen,
mit kranker Seele müd und wund.
Du salist es, ohne dich zu regen —
einsam ward ich gesund.
Du hältst dich selber eingefangen
in eines Grames Gruft und Nacht
möcht sehnsuchtzitternd hingelangen,
mir wird nicht aufgemacht.
Nur tastend noch um deine Türen,
die Seele wie ein brennend Licht
will ich nur deinen Odem spüren —
mehr will ich nicht!
NACH ZEHN JAHREN 105
DIE BRAUT
Du führtest mich heim, hinein in dein Haus,
wie man den Freund geleitet
und ihm die Stätte bereitet
am Tische mit blühendem Strauß.
Und Alles lag ganz still und traut,
da war kein fremder, störender Laut
für deine Braut.
Ich wanderte mit dir von Raum zu Raum,
trug in der Hand die Schuhe.
Es folgte mir keine Truhe,
mein Köfferchen sah man kaum.
Die Braut war arm, die Braut war schlicht
an Hab und Gut und Angesicht —
du sahst es nicht.
Du schautest vergrämt — du warst so bleich
und lächeltest trotz der Schmerzen.
Ich löschte schweigend die Kerzen
und bettete dich weich.
Und schwätzte ganz leise dich zur Ruh.
Sacht schlössen sich deine Augen zu —
— Du! —
106 NACH ZEHN JAHREN
SCHMERZEN UND LIEDER
Du fragst warum mein Herz so schwer?
Das sind die Schmerzen und Lieder.
Als wie in einem blauen Meer
die silbernen Fischlein hin und her,
spielen auf imd nieder.
Und wenn im hellen Sonnenschein
die Wellen raunen und klagen,
möcht ich so gerne fröhHch sein,
ganz leise dir ins Herz hinein
Schmerzen und Lieder sagen.
I
NACH ZEHN JAHREN 107
SPRICH
Sprich wie mit deinem Freund mit mir,
weil draußen noch die Sonne scheint;
auf deiner Schwelle sitzt und weint
meine Seele nach dir.
Sprich wie mit deinem Gott mit mir,
ich habe ein blaues Himmelreich,
das fällt zusammen grau und bleich
vor Sehnen nach dir.
Wie mit dir selber sprich mit mir
und sag mir dein geheimstes Wort —
ich gebe den blauen Himmel fort
um einen Laut von dir!
108 NACH ZEHN JAHREN
NICHT BEENGEN
Nicht beengen,
nicht bedrängen
den Freund, den du liebst.
Wenn er aus deinen Himmeln steigt,
sich seine eigne Weise geigt:
nicht löschen seiner Freude Kerzen . .
Aber Anders sein macht Schmerzen!
Auf Pfaden,
auf geraden
gewinnen das Ziel.
Es gibt ein Glück in aller Pein,
das ist: sich selber wert zu sein.
Mir leuchten meine eignen Kerzen!
Aber Anders sein macht Schmerzen.
NACH ZEHN JAHREN 109
WO WEILT DER SOMMER
Nur einmal möchte ich in deinen Armen
solch eine schöne Sommernacht verträumen,
ich sehne mich!
Zur Zeit der Lindenblüte,
zur Zeit der Rosenblüte
ists wunderschön!
Wenn heimlich aus den kaum erschlossnen Kelchen
der laue Nachtwind duftendes Geständnis
der Wonne trinkt,
dann müßtest du in einem großen Kusse
mir das Geheimnis unsres Daseins künden,
und meine Seele würde dich umfassen
verständnisvoll.
Glühwürmchen würden lautlos um uns funkeln,
wie Lichtgedanken unsrer stillen Seelen
in weitem Raum . . .
Wo weilt der Soromer, sage an, Geliebter?
Die jungen Rosen knospen schon im Garten,
110 NACH ZEHN JAHREN
'ii es reift das Gold der neuen Lindenblüte,
der Gliihwurm blinkt
Ich sehne mich!
NACH ZEHN JAHREN 111
MARIA-LAACH
So leuchtete der Himmel nie!
Hell aus der unermessnen Feme
hernieder funkelten die Sterne,
als jauchzten sie!
Und du und ich so ganz allein
in nächtig=stiUem Waldeskreise,
die Klosterglocken stimmten leise
anbetend ein.
AVir wagten kaum ein Wort zu tauschen,
es schien wie nahes Geisterrauschen
um uns und über uns zu sein;
wir Beide fern hinausgehoben
und alle Grenzen fortgeschoben —
so ward ich dein.
112 NACH ZEHN JAHREN
MEERESVSTEITEN
In Moeresweitcn
kristallenes Wogen,
mit weißen Brüsten
konimts hergezogen.
Und dann ein Stürmen
nnd \^ ogentürmen,
jiriin^zackigt Bäumen
und Überschäumen.
Am Riffe kreischender Möwen^Schrei
Meerkönigs Rosse, herbei, herbei!
In Schöpfungsschauem,
in SchafFenssclimerzen
hält deine Hand mich fest
nah deinem Herzen.
Im Auf und Nieder
werdender Lieder
singt meine Seele
voll Leid und Lachen
sich in die deine,
du Lieber, Liebe^Reichster
und ganz der Meine!
NACH ZEHN JAHREN 113
LACHENDE SELIGKEIT
Ich trug in der Seele großes AVeh
und hätte verdrossen geschwiegen,
da brach mich deine Zärtlichkeit,
ich laß mich wieder wie befreit
an deinem Herzen wiegen.
Du meine Heimat, mein Paradies,
das ich voll Rosen pflanze:
Heut stichst du mir die Seele wund
und morgen brichst du einen Bund
von Blüten mir zum Kranze.
O du gesegnete Unrast du,
willst Glück wie Blumen pflücken!
Und war deine Bosheit abgrundweit,
es soll meine lachende Seügkeit
mit Rosen sie Überdrücken!
114 NACH ZEHN JAHREN
IN FERNEN LÜFTEN
4
Die Liebe will noch immer Ketten schlingen —
das ist vorbei!
Ein Neues kommt und wird das Alte zwingen,
ich hör es schon in fernen Lüften singen:
Wer liebt, macht frei!
Und legtest du den Freund in seidne Schlingen,
die Seide drückt!
Willst du mit Rosenschnüren ihn umringen,
auch Rosen können Wundenmale bringen,
nur Eins entzückt:
Das wird so einfach dir, so schlicht gehngen,
wenn Ketten=frei,
erlöst von dir, des Freundes Kräfte springen!
Das Alte ist vorbei,
ich hör es schon in fernen Lüften klingen:
Wer liebt — macht frei!
NACH ZEHN JAHREN 115
DU WEISST
Meine Seele, mein Liebling, wie soll ich dich fragen?
Deine quälenden Schmerzen wülst du nicht sagen.
Binde in dir all dein Elend los
und wirf es ganz ruhig mir in den Schoß.
Meine Seele, mein LiebUng,
du weißt, ich kanns tragen.
Meine Seele, mein Liebling, dein Wimdsein zu heben,
Spezereien und Ncirden wollt ich dir geben.
Doch lockte ich auch in dein einsames Zelt
alle morgenjungen Freuden der Welt,
sie könnten deiner Lasten nicht eine heben,
dein Leben mußt du doch selber leben.
Meine Seele, mein LiebUng,
wie wenig kann Eins dem Andern geben!
116 NACH ZEHN JAHREN
UND DENNOCH
Und dennoch bin ich dir die Schwesterseele,
die dich ergänzt,
die jeden Wert, der dir im Innern ruht,
ausglänzt
und dir die bleiche Stirn
mit Blut=Rubinen kränzt.
Und dennoch bin ich deiner Seele Freund
und bin das AVeib, das wissend du erkoren,
und bin der Sohn, den ich dir nie geboren,
der dein bedürftig, strauchelnd zu dir strebt
und hilflos kleine Kinderhände hebt.
Und dennoch bin ich Kraft aus deinen Kräften
gelöst ein Stück!
Aus allem was dein Sommer zugereift,
ein Glanz, ein Glück.
Das Leben band uns ein
und nimmt uns nicht zurück.
PARADIESE
PARADIESE
119
Und es geschah in Edens Gefild,
da der Tag stille ward,
unter dem Feigenbaum:
Zwei Menschen wurden gewahr,
daß ihr Paradies Erde sei,
und jauchzten der Lust.
Sie legten ihre Hände ineinander
und gingen aus dem Garten,
der ihre Heimat war.
Hinter ihnen, zerrißnen Träumen gleich,
flockten die Wolken
zusammen, ein Tor.
Mit bloßem hauendem Schwert
harrte der Cherubim,
zu scheuchen die Flüchtigen.
Adam aber reckte sich —
gewaltig packte seine Faust
und rang des Engels Schwert an sich:
'■ 7?fBTöi^!7''i^" " r"*7
120 PARADIESE
„Gott,
deine eigne Waffe trag ich,
damit schlag ich
dich!"
Feuer blutend klafft der Horizont,
rote Schlangen züngeln nieder,
flechten sich um Adams Fuß,
um Haupt ihm und Glieder.
Da reißt Eva das Gezücht
rückwärts in die Gluten wieder!
Blitze flammen blaue Lichter,
bleiche Engels-Angesichter
neigen
wie ein blasser Rosen=Reigen
den Gespielen sich in Schweigen.
Adam lacht:
„Seine Maße wurden
mählig uns zu klein,
Weib, noch viele Paradiese
sollen überwunden sein.
Nicht mit Engeln sollst du scherzen,
Leben! Leben schaff ich dir.
Eva, Mutter wirst du heißen,
und wirst Mensch sein — Mensch mit mir!"
PARADIESE
Und mit harten Menschentritten
lassen Beide
hinter sich die fromme Pracht.
Schreiten, Hand in Hand gegraben,
schreiten
in die wetterschwangre Nacht.
121
122 PARADIESE
Komm £in!
Ich bin es,
ich,
ein ^^'eib,
das \A'eib!
Ich sitze im All
und lächle nieder auf dich:
Mann!
Ich bin wie du:
Mensch.
Laß mich an deiner Seite sitzen,
mich verlangt
Mensch zu sein mit dir.
Ah —
Thomas bist du!
Ungläubiger,
Nägelmale der Liebe trag ich:
Meine Füße liefen für dich,
meine Hände
- .- ^^y-^^'ss
PARADIESE 123
schafften "Wohlsein dir.
Man öffnete die Seite
dem bleichen Christ:
Ich aber öffnete
den ganzen Leib
dir,
das ganze Herz
dir.
Und du sprichst:
Ich hätte nicht genug geliebt
dich!
Starb ich?
Ward ich begraben?
Wer wälzte
den Stein von meiner Gruft? —
Meine Kinder sind gekommen!
Die ich gebar und säugte,
sind gewachsen,
empor gewachsen,
„Mutter — ich!"
Komm an!
Ich sitze im All,
ein Weib,
das "Weib,
124 PARADIESE
und lächle nieder auf dich
Mann.
Meine Kinder kamen zu mir.
Du führtest mich,
schlepptest mich.
Ich . will . gehn.
Aber meine Füße
passen nicht in deine Spur:
Ich muß
meinen Weg finden
in unbetretnes Land.
Steine brechen
an deinem Weg,
für deinen Weg,
nein!
Ich will meine eignen Gassen bauen
und darauf wandeln.
Ah —
Spötter bist du!
Warum verachten, wo sich Achtung geziemt?
Ich will
nur Mensch sein.
Will
mich bessern.
WiU
dich besser heben,
PARADIESE
125
Herr der Erde, aber nicht
mein Herr!
Freund! ich bin dir gut.
Stark bist du,
schütze mich
vor dir und mir.
Ich log, und du merktest es nicht.
Nun ich aber wahr sein lernte,
zeihst du mich der Lüge?
Mit Listen zwang ich deine Kraft zu mir:
Ich will
nicht mehr zwingen,
von selber wirst du kommen,
Herr der Erde,
zu dir und mir.
Komm an!
Ich sitze im All,
ein Weib,
das Weib,
und lächle nieder auf dich
Mann.
Meine Kinder kamen zu mir!
126 PARADIESE
An der \^'urzel aller Dinge
scliweigend hockt sie, die Sibylle;
ihre liefen Augen schauen, ohne Grauen,
durch das irre, durch das wirre
wunderliche Weltgewächse —
lauscht.
Ungezählte winzige Gnomen
graben, schaben,
und ihr kleinliclies Gewühle
will durchdringen
und bezwingen
tausendjähriges Geäst
^^'ie ein kleines, wie ein feines
Vogelnest.
O wie schinden sich die Wichte,
Schweiß im Runzelangesichte,
und ein Würzelchen, es kracht!
Die Sibylle leise lacht:
„Fort ihr Wichte
laßt das Pfuschen!"
und sie huschen
in die kühlen
PARADffiSE 127
finstem Höhlen,
um zu wühlen —
Fem ein Sausen;
Melodien klingen, brausen
und in Wohllaut schrei tets her.
„Wer da?" fragt die Alte bleich.
,JVlensch!"
„Seltsam" murmelt sie beklommen,
ich sah keinen —
keinen, der dir gleich —
bleib!
Dein Geschlecht: Mann oder Weib?"
„Mensch!"
Die Sibylle starrt und schaut,
stürzt, dann auf mit wildem Laut
,J)u! Erster der Art.
„Kamst du endhch, Sehnsucht der Erde?
Hab dein gewartet, wie eine Braut!
Mensch !
Mann und Weib:
Ein Leib
und eine bloße
ungeheure große
Weltseele, die ward!"
128 PARADIESE
Sie reicht ihm die Krone, sie bringt ihm den Ba
alle Dinge zu werfen im glänzenden AU.
Da macht er die Probe, er faßt das Geäst,
die Wurzel der Dinge: Und siehe sie läßt
sich heben!
Lächelnd hält er das Leben
und läßt es in seiner Menschenhand
tanzen und schweben
Das ist der Erde Sieg und Fest!
LEBEN UND TOD
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LEBEN UND TOD
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Mein Glück ward reif und Dankes=Überschwang
drängt meine Seele jetzt dein Lob zu singen,
du schönes Leben! Hell wie Glockenklang
soll dir mein Lied ein Jubelopfer bringen.
Erfaß ich dich, du Wunderkelch der Zeit,
blinkt mir auf goldnem Grunde Freud und Leid!
So trink ich auf dein Wachsen und dein Werden,
du großes heiiges Menschentum auf Erden!
Auf Erden! Dieses wundervolle Sein
bricht auf vor mir in seiner Schönheit Tiefen.
Mein Herz ward still, mein Auge wach und rein
für tausend Wimder, die nach Namen riefen.
Dir hat noch Niemand Grenzen abgesteckt,
noch ward dein HeimUchstes nicht aufgedeckt;
kein Frevler stieg, kein Heiliger zu den Gründen,
die Wurzel aller Dinge uns zu künden.
Du schönes Leben bist ein köstHch Gut!
Die Müden unterschätzen deinen Segen,
die Kleinen messen dich nach Ebb und Flut
und nach den Bergen, die sie selbst bewegen.
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|!jl i 132 LEBEN UND TOD
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Du aber baust ein lichtes Paradies
für Jeden, den sein alter Gott verstieß.
Gesegnet sei, mit Jauchzen benedeit,
du schönes Leben! Menschen^Ewigkeit!
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LEBEN UND TOD
133
Unendliche Stufen voll leuchtenden Lebens
bauen sich vor mir zum ewigen Dom.
Und der Jahrtausende rollende Wogen
einen sich alle zum schimmernden Strom.
Und was aus Höhen und Tiefen gestiegen
in Irren und Kämpfen, Sünden und Siegen,
das ganze gewaltige drängende Sein,
das baute hinauf sich und fügte sich ein:
Und ward lebendig und ward Ein Leib
in Mann und Weib!
Liebe und Kraft
haben Wunder geschafft . . .
Krönet die Stirne dem Menschenkind:
Wir sind! Wir sind!
W^ir leben uns selber
und sterben uns selber.
Wir nehmen die Krone vom Himmelszelt
und krönen die Welt!
134 LEBEN UND TOD
Nun ist der Tod uns ein Fest!
Der Sieg ward der Menschheit gegeben:
Ewig entringt sich dem Grab
deine Schönheit — o Leben!
LEBEN UND TOD
135
Singt, singt das Lied vom Leben und vom Sterben!
Daß jene große Stille widertönt.
Die Lust, die Tod und Erdensein verschönt,
die sollen imsre Kinder jauchzend erben.
Die Furcht hinweg! Wir selber sind Gewähr
und Samenkorn für dämmernde Gelände:
Die Ewigkeit baun heiße Menschenhände,
kein Beistand kommt von fremdem Ungefähr.
Diesseits und Jenseits scheidet keine Wand,
das Leben rollt gewaltig zwischen beiden:
Tod bricht die Fähigkeit zum Erdenleiden
und wirft uns weiter, höher an den Strand.
Singt, singt deis Lied vom Leben und vom Sterben!
Daß jene große Stille widertönt.
Die Lust, die Tod und Erdensein verschönt,
die sollen unsre Kinder jauchzend erben!
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136 LEBEN UND TOD
Das ist der Tod?
Hier ruht das stille Kleid,
das eine große Seele hielt gefangen;
den lautren Tropfen hat die Ewigkeit
des ewgen Lebens wert zurück empfangen.
Es gibt kein Sterben! Dieses Erden=Haus
baut weit ins Unerforschte sich hinaus.
Was hier gewesen, wird sich selbst erwecken,
den goldnen Grund der Dinge aufzudecken,
und Kräfte, die sich schaffend hier gefunden,
im Kranz des Werdens bleiben sie verbunden.
Geheimnisvolle Fernen werden Licht:
Tod entschleiert nur des Lebens Angesicht.
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LEBEN UND TOD
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137
Und du, den ich geliebt auf Erden
in schauernder Unendlichkeit,
du willst mit deinem großen Leid
dich in den ewgen Schlummer bergen?
Ich weck dich auf aus tausend Särgen,
bis dich mein Lebensdrang befreit.
O du.
Sterben ist nicht die ewige Ruh!
Tod ist nur Form, die Allmacht hat das Leben:
und „Leben"
muß Ruhen geben!
Leg deinen Dornenkranz in meiae Hand,
ich trag dir Rosen in das stille Land.
Und spanne meine Himmel blau und weit
und locke dich in die Unsterblichkeit!
138 LEBEN UND TOD
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Ij, Ich warte atif die Nacht die kühle;
'! mit ihrer wundervollen Ruh
i , deckt sie das irrende Bewegen
y\: [ der müd gewordnen Seele zu.
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1'; Ich warte auf das große Schweigen;
11 sacht rauscht dein Mantel, stiller Tod;
;j' gesäumt um deine nächtgen Flügel
.;i! trägst du das junge Morgenrot.
; Du große Nacht, da ist kein Grauen;
!! Tod ist das unverstandne Spiel,
j ij ; das ewige Leben aufzubauen;
I ;i , Das Gleichnis stirbt, es lebt das Ziel.
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ii:
ÜBERSICHT
141
ÜBERSICHT
Wenn Nacht Licht sein will Seite 9
AUS STILLEN ECKEN
Laßt Glanz da sein ^^
Eine Seele voU Wohllaut 1*
Himmelfahrtstag ^^
Schlaf meine Sehnsucht ^"
Erfülle dich ^'^
Sacht du ^^
In der Sonne ^^
Götter nieder zu ziehn ^^
Bauen und Schauen "^^
Über den Tiefen ^^
Nicht zerbrechen
25
Ausgeblüht
26
Wiegenlieder
1. Rauschende Bäume wiegt draußen der Wind . 26
2. Scheint das weiße Mondenlicht 27
3. Bübchen will die Sonne haben 27
DA SANG EINE GRAUE NACHTIGALL
Da sang eine graue Nachtigall
Durch blaue Weltenräume
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142 ÜBERSICHT
Dir sang ich meine Lieder Seite
Wähnte, ich wäre so reich
Ich träumte: Er müsse zu Füßen mir sinken .
!li|p Gebt Rosen her!
j|!"|ji Möchte in flutende Schöpfungsgewalten . . .
Zu schwer hat in der Nacht mein Herz gerungen
Mein Brüderchen hab ich erschlagen ....
liji! Ich dachte zu wissen
jj!,!i!;!ii Unstät xmd flüchtig fall ich dir zu Füßen
Und i-innt mein Leid durch perlende Lieder
VOM LEBEN
ÜJIJ;; Schwebenden Fußes
'■■il,l:;
Einen Kranz auf dein Haupt
Wags
Jung ist das Leben . .
Gott
Überlistet
Ruhe ein wenig ....
'''<M!. Ave Maria . . .
;[li;i Gelöst . . . .
Lust
Kinder der Sonne
Born des Lebens .
An den Schlaf
WANDERGÄNGE
Frühlingsfreude
Feinsliebchen .
ÜBERSICHT 143
Hans und Grete Seite 69
Im Haidebusch 70
Sommernacht 71
Sommerfreude . 72
Trauter Wald 73
Im Ried 74
In der WaldUuft 76
Das ist die Zeit 78
VON DER REISE
Granada - . 81
Biskra 82
Gize 84
Hassan 88
Der Chamsin 90
Indischer Morgen 93
Indische Nacht 94
Sebastopol 95
Reise-Nachklang 98
NACH ZEHN JAHREN
Du bist der Klang 101
Wir Beide 102
Du 103
Mein liebster Mensch 104
Die Braut , 105
Schmerzen und Lieder 106
Sprich .107
Nicht beengen 108
'■ I«!
!
■
144 ÜBERSICHT
Wo weilt der Sommer Seite
Maria-Laach
Meeresweiten
Lachende Seligkeit
In fernen Lüften
Du weißt ' . .
Und dennoch
PARADIESE
Und es geschah in Edens Gefild
Komm an
An der Wurzel aller Dinge
LEBEN UND TOD
Mein Glück ward reif und Dankes-Überschwang . .
Unendliche Stufen voU leuchtenden Lebens ....
Singt, singt das Lied vom Leben und vom Sterben
Das ist der Tod
Und du, den ich geliebt auf Erden
Ich warte auf die Nacht die kühle
DRÜCK VON W. DRUGÜLIN IN LEIPZIG