pm'i
^^■ft^^fSs?
CARL STERNHEIM
NAPOLEON
DER JÜNGSTE TAG
KURT WOLFF VERLAG
19 15
LEIPZIG
!^£-J\9n!
;..irr-' it!^-»
.ij!dj&.vji^^l^iL.
^•■"■i^^^^'-
Mit drei Lithographien von Ottomar Starke.
Gedruckt bei Poesdiel ® Trepte in Leipzig
Juli 1915 als neunzehnter Band der Büdierei
»Der jüngste Tag«
COPYRIGHT 1915 By KURT WOLFF VERLAG • LEIPZIG
REMOTE STORAGE
FÜR THEA, MEINE LIEBE FRAU
I
N
NAPOLEON
'APOLEON wurde 1820 zu Waterloo im
Eckhaus, vor dem sidi die Steinwege nadi
Nivelles und Genappes trennen, geboren. Sein
Kinderleben verließ historisdien Boden nidit.
Ober die durdi Hohlwege gekreuzten Flädien, auf
denen des Kaisers Kürassiere in Knäueln zu Tode ge*
stürzt waren, gingen seine Soldatenspiele mit Gleidi*
alterigen. Sie lehrten ihn ewige Gefahr, Wunden und Sieg,
Zwölf Jahre alt, nahm er von Kameraden beherrsditen
Absdiied, sprang zum Vater in die Kalesdie und fuhr
nadi Brüssel hinüber, wo er vor ein Gasthaus abgesetzt
wurde. In der Küdie des Lion d'or lernte er Sdiaum
sdilagen, Fett spritzen, sdineiden und sdiälen. Gewohnter
Überwinder der K^ei:aden auf weltberühmter Walstatt,"^
ließ er audi hier ganz natürlidi die Mitlernenden hinter
sidi und war der erste, der die Geflügelpastete nidit nur
zur Zufriedenheit des Chefs zubereitete, sondern audi
nadi den Gesetzen zerlegte.
Er selbst blieb von allen Speisenden der einzige, den
der VoUau-vent nidit befriedigte, dodi nahm er Lob und
ehrenvolles Zeugnis hin, madite sidi, siebenzehnjährig,
auf den Weg und betrat an einem Maimorgen des Jahres
1837 durdi das Sankt Martinstor Paris.
Als er von einer Bank am Flußufer die strahlende
Stadt und ihre Bewegung übersah, wurde ihm zur Ge-
wißheit, was er in Brüssel geahnt: Nie würde er aus den
allem Verkehr fernliegenden Küdienräumen jene enge
Berührung mit Mensdien finden, die sein Trieb verlangte.
Tage hindurdi, solange die ersparte Summe in der Tasdie
das Niditstun htt, folgte er den Kellnern in den Wirt-
sdiaften gespannten Blidts mit inniger Anteilnahme/ ver-
sdilang ihre und der Essenden Reden, Ladien, Gesten.
An einem hellen Mittag, da eine Dame Trauben vom
Teller hob, den ihr der Kellner bot, trat er stradcs in die
Taverne auf den Wirt zu und empfahl sidi ihm durdi
Gebärden und flinken Blidc als Speisenträger.
Nun bradite er Mittag- und Abendmahl für alle Welt
herbei. Es kam von beiden Gesdileditem jedes Alter und
jeder Beruf zu seinen Sdiüsseln und sättigte sidi. Un-
ermüdlidi sdileppte er auf die Tisdie, fing hungrige Blidie
auf und satte, räumte er ab. Nadits träumte er von
malmenden Kiefern, sdilürfenden Zungen und ging
anderes Morgens von neuem ans Tagwerk im Bewußt-
sein seiner Notwendigkeit
Erst allmählidi sah er Untersdiiede des Essens von
sdimatzenden Lippen ab. Er kannte den gierigen> weit-
geöffiieten Radien des Studenten, durdi den unsortierte
Bissen in ein niegestopftes Lodi fielen, untersdiied den
Vertilger eines nidit heißhungrig ersehnten, dodi regel-
mäßig gewohnten Mahles von jenem Qberemährtcn,
der ungern zum Tisdi sidi niederließ und gclangweilt
Lederbissen kostete und zurüdtsdiob. Er prägte sidi
6
die kauende, trinkende Mensdiheit in allen Abstufungen
fest und bildhaft ein.
Durdi Kennersdiaft wurde er ihr Berater und Führer/
wies dön Hungrigen feste Nahrung, bediente die ewig
Satten mit Sdiaum und Gekröse/ von ihm zu allen
Tisdien lief ein Band des Verständnisses. Hob der Gast
nur die Karte, fiel von Napoleons Lippen erlösend
der gewünsditen Speise Name.
Jahrelang blieben die seine Lieblinge, deren leiMidie
Not die Kost stillen sollte. Ein saftiges Stüd Fleisdi,
von kräftigen Zähnen gebissen, sdiien ihm die ge*
lungenste Vorstellung. Dodi madite er Untersdiiede
zwisdien den Sorten. Ließ er Kalb und Lamm im Hin*
blidf auf ihre festere Zusammensetzung gelten, war ihm
Wild und Geflügel wenig sympathisdi. Von Fisdien,
Austern und Verwandtem hielt er der lodteren Struktur
wegen nidit das Geringste. InbegrifiP- guter Nahrung
war ihm das Rind. Unwillkürlidi sah er beim Hin* und
Heimweg die Begegneten auf die BesdiafiPenheit ihrer
Muskulatur hin an. Die ersdiienen ihm wohl bereitet,
die über straffem Knodienbau gedrängte Materie trugen.
Die Mageren veraditcte er, und die mit losem Fett Ge-
polsterten waren ihm verhaßt. Einem gut aufgesetzten
Körper folgten seine Blidte zärtlidi und zerlegten ihn
augenbliddidi in gigots, seile, cotes und Kotelettes. In
der Einbildung streute er Pfeffer und Salz hinzu, gar*
nierte, sdinitt und servierte das Ganze mit passendem
Salat/ dann lädielte das junge Gesidit, und hingerissen,
ahnte er nidit, in weldier Zeit er lebte/ untersdiied
Sommer und Winter, Trockenheit und Regen, Überfluß
und Notdurft nidit und wußte nur : dies freut den Gast.
Immer hitziger wurde sein Trieb, dem zu Bedienenden
sättigende Kost zu bieten. Gewürz und Zutat sah er
nur in dem Sinn, wie sie- die bestellte Speise fest und
ausdauernd madien möditen. Es bildete sidi in seine
Vorstellung der Raum des leeren Magens, in den er
wie aus Betonklötzen die Nahrung baute.
Ging der Gesättigte, der sdilappenSdirittes gekommen,
wuditig zur Tür hinaus, hing Napoleons Blids an dem
Sdireitenden, als sei dessen Lebendigkeit sein Werk.
Er braudite das Bewußtsein sdiöpferisAer Tat, um vor
sidi bestehen zu können und steigerte es allmählidi
zur Überzeugung, ohne ihn und seine Pflege sei die
Lebensarbeit der Betroffenen nidit möglidi. Diese fest-
zustellen, merkte er die Namen der Gäste/ nahm an ihrem
Vorwärtskommen teil.
•
Es gesdiah, als er am freien Tage durdi die Wege der
Versailier Parks sdiritt, in der Einbildung, er habe gerade
eine riesige Wurst mit den Hödistwerten mensdilicher
Nährstoffe gestopft und sdinitte den Wartenden Sdieiben
herunter, daß aufsdiauend sein Auge zu einem jungen
Weibe fiel, das am entblößten Busen ein Kind hängen
hatte. Gebannt wurzelte Napoleon am Boden und prägte
sidi in aufgetane Sinne das Bild rosiger, geblähter Rund«
heiten an der Frau und dem Säugling ein. War das eine
Apotheose seiner Träume von kraftvoller Nahrung und
ihrem besten Verbraudi! Er hätte an die Nährende nieder*
8
fallen und durdi Umsdhlingung ihres und des Kindes
Leibes an dem erhabenen Vorgang teilnehmen mögen.
Das gesdiaute Bild verließ ihn nidit und veranlaßte
ihn, flüssigen Stoffen gesteigerte Aufmerksamkeit zu
sdienken/ dann aber hob es den Wert der Frau, der
bis heute ihrer geringen Lust zum Essen wegen für
seine Welt nidit groß gewesen war, sidi jetzt aber unter
einem anderen Gesiditspunkt auf das beste ins große
Tableau tafehider Mensdiheit einordnete. Zum ersten
Mal ^sah er das Mäddien an der Anridite, dem er
bisher nur den kräftigen Gliederbau hatte bestätigen
müssen, und immer eindringlidier, als prüfe er es auf
gewisse ihm nun einleuditende Möglidikeiten. Er fand,
sie nähme als Nahrung zu viel leidites Zeug, belade
sidi mit Geblasenem und Aufgerolltem, das im Magen
zu einem Nidits zusammenfiele, warnte sie vor Klebrig*
keit und Süßem und forderte sie eines Tages geradezu
auf, mit ihm irgendwo ein Mahl zu nehmen, das bis ins
kleinste von ihm zusammengestellt, in seinem Wert für
sie eröi^tert werden solle. Das Mäddien nahm des Mannes
Kauderwelsdi für einen Umsdiweif, willigte ein, und
sie gingen an einem der nädisten Tage gemeinsam ein
Stüdc über Land und traten in einen Gasthof ab.
Dort versdiwand Napoleon und erklärte zurüA*
kommend der sdimollenden Suzanne, er habe in der
Küdie selbst bis ins Kleinste vorgesorgt. Mit einem
Ragout vom Hammel in einer Burgunderweinsauce be-
ginne man und gehe, alle falsdien Vorspiegelungen
versdimähend, geradezu auf ein wundervolles, halb*
9
blutiges Rindslendenstück zu, an das er cnglisdie Gurken
und Zwiebeln habe braten lassen.
Als das Essen aufgetragen war, wies er sie, die
Bissen langsam zu kauen und ohne Zukost von Brot
zu sdilud^en. Er ruhte nidit, bis das letzte Teildien
auf der Sdiüssel vertilgt war und befahl ihr und sidi
selbst ein Gläsdien Sdinaps zu besserem Bekommen an.
Da nadi Tisdi sie draußen im Gras lagen, breitete
er Arme und Beine von sidi und riet ihr, ein Gleidies
zu tun. Er sei ein sdimäditiger Bursdi gewesen und
nur durdi vernünftige Nahrung und angemessene Ver-
dauung sein Gewebe fest und kräftig geworden. Dabei
ließ er durdi Beugung die Muskeln der Arme und
Waden zu kleinen Bällen sdiwellen, worauf sie, in der
Eitelkeit verletzt, audi ihre Glieder spielen ließ und
ihn zur Prüfung der festen Besdiaffenheit einlud, Dodi
bestritt er alles von vornherein, meinte, es sei bei ihrer
bisherigen Ernährung gar nidit möglidi und forderte
sie auf, in Zukunft nadi seinen Vorsdiriften zu leben.
Dann werde, was nidit da sei, kommen.
Er gefiel ihr. Dieser nüditerne Sinn madite Eindruck
auf sie, und sie bemühte sich, seine Erwartung zu. er*
füllen. Bei den nächsten Ausflügen blieb sie plötzlich
stehen, bäumte den Arm auf und ließ seine Hände die
Anschwellung fühlen. Doch kam durch Wochen nichts
als ein Schnalzen von ihm, das ihr immerhin bedeutete,
sie sei auf reditem Weg. Bis eines Tags beim Versudi,
sich ein gelöstes Schuhband zu knüpfen, sie ihm ein so
mächtiges Rückenstück entgegenhob, daß eine runde An»
10
erkennung seinen Lippen entfuhr. Gleidi lag sie an
seiner Brust/ bot ihm den Mund zum Kuß.
Der Besitzer der Taverne starb, und Napoleon wurde
Inhaber des Speisehauses. Er konnte nun sdialten, wie
er wollte, und entfernte vollends alle Spielereien von
der Karte. Die gleidibleibende Kundsdiaft, er selbst
und Suzanne waren gcwiditig auftretende Personen ge*
worden, die eine Rede deutlidi in den Mund nahmen.
Es gab in seinen Räumen kein Getusdiel, sondern zu
sdiallenden Worten dröhnendes Ladien. Ein forsdies
Zugreifen und Fortstellen. Überzeugte Meinungen und
Entsdilüsse für kühne Taten.
Napoleons Vaterunser und Einmaleins hieß: in allen
Molekülen drängende Kraft. Von Suzannes Kind, das
sie von ihm unter dem Herzen trug, redinete er, es
müsse nadi Mensdienermessen ein Herkules werden.
*
Der Ruf des Hauses hatte sidi verbreitet. Einer rühmte
es dem andern und bradite ihn zu einem Versudi mit.
Sdiließlidi reidite der Raum nidit, die Gäste zu fassen.
Einen freiwerdenden Stuhl besetzte sofort ein anderer
Hungriger. Große Tagesumsätze wurden erzielt und
immer bedeutendere. Verglidi aber zum Jahresabsdiluß
der Wirt Einnahme und Ausgabe, kam kaum ein Gut*
haben zu seinen Gunsten heraus. Anfangs, bevor er
das Ziel seines großen Rufe erreidit, ließ er es gehen,-
als aber dieser über ganz Paris feststand, begann die
sdiledite Abredinung ihn zu wurmen. Er war nun dreißig
Jahr alt, hatte große Pläne, und sdiien Reiditum audi
11
nidit seine letzte AbsiAt, mußte er doch mit dem üb-
rigen kommen. Nodimals nahm er die Büdicr gründliA
vor und stellte fest, der geforderte Preis war in An-
betradit der hervorragenden BesdiafFenheit und Menge
der gereiditen Speisen zu niedrig. Da ihm aber ein-
leuditete, der Konkurrenz wegen könne er einen Preis-
aufsdilag nidit eintreten lassen, stand er vor der Ent-
sdieidung, alles beim alten zu lassen oder die Qualität
des Gebotenen zu versdileditern. Treu seinen bisherigen
Grundsätzen entsdiloß er sidi zu ersterem, stand aber
den Essenden jetzt nidit mehr mit alter Unbefangenheit
gegenüber. Bei jedem Filet, das der Kellner mit sdiönem
Sdiwung zum Gast niedersetzte, stellte er den Vergleidi
zwisdien Ware und erzieltem Preis an und kam bald
dazu, daß ihn eine Platte, je besser sie gelungen und
je reidilidier sie serviert wurde umsomehr in qualvolle
Erregung versetzte. Besonders konnte er den Blidc von
einem Gast nidit wenden, der mit dem Gebotenen an-
fangs nidit zufriedep, die Bedienung und die Küdien-
brigade durdi anfeuernde Reden zur hödisten Leistung
für ihn angespornt hatte und nun wahre Fleisditrümmer
vorgesetzt bekam, die er mit Mengen alles Erreidibaren
würzte. Dazu warf er Napoleon triumphierende und
anerkennende Blidie zu, die diesen anfangs erbitterten,
sdiließlidi zu heller Empörung braditen. Der Vielfraß
war ein Kanzleibeamter, von dem nie ein besonderes
Verdienst verlautet hatte, und der Herr des Gasthauses
fragte sidi ergrimmt, mit weldiem Rcdit, für weldies
bedeutende Vorhaben der Betreffende eigendidi soldie
12
^
t
Anforderungen für seinen Magen steifte. Man wisse
schließlidi zu welchem Ende, sdilänge ein Thiers, ein
Balzac soldie Mengen^ seine Därme. Dieser Durdi-
schnittsbürger aber sAweife in geradezu widerlidier
Weise aus, garniere er den faulen Baudi täglidi mit
soldien Praditfleisdistüdcen. Überhaupt begann der Wirt
des Veau ä la mode seine Stammgäste auf ihre Ver*
dienste hin anzusehen und stellte vor seinem Gewissen
fest, keiner habe durdi Erfolge die Sorge vergolten,
die man jahrelang an seiner Ernährung genommen.
Infolgedessen folgte er ihrem Sdilingen von nun an mit
nodi sdieeleren Blidten, und als das Maß seines Grolls
aufs Hödiste gestiegen war, brüllte er eines Tages dem
Hauptkodi zu, der über ein Toumedos ein volles aditel
Pfund Butter goß, ob er von Gott verlassen sei und
ihn durdiaus ruinieren wolle.
Über all das hatte er sdilaflose Nädite, bis er zu
fester Ansdiauung sidi durdigerungen hatte, die lautete:
Es hat die Mahlzeit das Äquivalent zu sein der durdi
die täglidie Arbeit verausgabten Kräfte. Und so steifte
er den Bf idi seiner Kundsdiaft gegenüber neu auf Fest-
stellung dieser Tatsadie ein und fand, er könne ruhigen
Gewissens mit der Besdiaffenheit und dem Maß der
Portionen herunter gehen und leiste nodi immer ein
Mehr in den Magen der Speisenden. Audi Suzanne
gegenüber, die ihm ein Mäddien geboren hatte und nodi
in derselben Stellung bei ihm war, nahm er jetzt diesen
Standpunkt ein. Auf Grund seiner Erziehung war sie
gewöhnt, ihren und ihres Kindes Körper gehörig mit
13
-^
ausgesuchter Eßware zu stopfen. Jetzt wies er sie hin,
es sei Schande, den ungeheueren Nahrungsmengen, die
sie genösse, ein so winziges Maß an Leistung gegen*
überzustellen. Sie möge Leib und Geist mehr tummeln
oder ihren Eßverbrauch einschränken.
Damit aber hatte der Prozeß in ihm kein Ende.
War gegen Mitternacht das Geschäft vorbei, das Haus
leer, blieb er am Herd zurück und begann, schmorend
und bratend. Versuche mit Surrogaten zu machen, die
er den Speisen beimischte, von der innigen Überzeugung
geführt, er habe das Recht und die Pflicht, es den
Verbrauchern gleichzutun, die auch an Stelle wirklichen
persönlichen Wertes für das Menschengeschlecht falsches
Vorgeben, hohle Gesten und Phrasen gesetzt hatten.
Langsam begann er danach, seine theoretischen Er«
kenntnisse in die Praxis umzusetzen. Äußerlich blieb
alles, Name und Anrichtung der Speisen, beim alten.
Bedachte er aber, wie ein Stück Fleisch durch Klopfen
und Lockern der Atome angeschwollen, durch Bei*
mischung scharfer Gewürze Kiefer und Gaumen jetzt
weniger durch Kauen als durch Beize beschäftigte,
schmunzelte er und trieb die entdeckte Kunst zu immer
größerer Vollendung. Nun hatte er zwar am Schluß
des Jahres die Genugtuung eines außerordentlichen
Überschusses, fühlte aber, ihn befriedigten die Grund-
sätze, nadi denen er heute Wirt sei, weder in Bezug
auf die Beschaffenheit der Gäste mehr, noch hinsichtlich
der Mittel, die er anwandte, ihre Erwartungen zu erfüllen.
14
An einem Sonntagabend lief didit vor seinen Augen
die Wendeltreppe zu den Räumen im ersten Stods des
Restaurants ein Persöndien empor, das mit RoArüsdien
und Volants wie ein Quirl über seiner Stirn hüpfte.
Die Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen zwei, drei
Stufen auf einmal, und bei jedem Satz federte der Körper
hodi auf in den Gelenken, Dazu flogen Haare, Federn,
Pelzwerk um den Kopf, und ein empörtes HundekläfFen
kam von ihrem vermummten Busen her. Mit einem
Sprung sdiwang sie sidi oben zu zwei Herren an den
Tisdi und rief klingenden Stimmdiens: »Hunger!« Na*
poleon, der auf Zehen vor sie getreten war, durdi*
fuhr's, hier sei seine ganze Speisekarte fehl am Ort,
und während Röte sein Antlitz malte, sdilug das Herz
Generalmarsdi in hastiger, aussiditsloser Erregung, was
er diesem Püppdien bieten könne.
Als Madame Valentine Forain stellte sie einer der
Herren vor, und Napoleons Unruhe wudis zur Ver«
zweif lung, als er hörte, er habe die berühmte Tänzerin
vor sidi, die seit Wodien Paris bezaubere. »Stillen Sie
meinen Hunger mit Luft,« sagte sie, »die den Leib
nidit besdiwert. Sie sehen aus, als verstehen Sie Ihre
Kunst. Diesem süßen Ungeheuer,« sie wies auf das
safranrote Hundesdinäuzdien, das aus einer Spalte ihrer
Taille sdinüffelte, »reidien Sie ein Sdiäldien zerkleinerter
Kalbsmildi.«
Einen AugenbiiA blieb Napoleon auf dem Gang
zur Küdie im Dunkeln an einen Pfeiler gelehnt, als
habe er einen Sdilag gegen die Stirn bekommen und
15
müsse sidi erst zu neuem Leben sammeln. Gleidi aber
schoß die Stiebflamme der Erkenntnis in ihm hoA, hier
gelte es die Zukunft, und sdion spürte er den aus den
Kämpfen der letzten Wodien gesammelten Willen zu
etwas gänzlidi Neuem als ein Liditmeer über sidi fluten.
An den Herd er glitt, sdinitt, misdite, quirlte/ hob es
in kleinster Kasserole nur eben ans Feuer, nahm's
fort, als der erste Wrasen stieg, und mit vier Sprüngen
die ganze Treppe nehmend, servierte er das SdiüsseU
dien in seiner frühesten Hitze: Taubenpüree mit frisdien
Champignons.
Sie kostete, murmelte, sdiludite und sdilug ein Paar
kornblumenblaue Augen lädielnd zu ihm auf. Er stürzte
in die Küdie zurüdi, setzte den Herd in größere Glut
und ließ über eine Handvoll Spargelspitzen, die er den
jüngsten Sprossen abgesdinitten, heißen Dampf sdilagen,
in dem er sie gar kodite. Im letzten Augenblidc gab
er eine Sdiwitze von Sahne und Sellerie über das Ganze.
Als drittes und letztes Geridit bot er frisdie, gesdiälte
Wallnüsse mit Himbeeren ä la creme. Dem Hünddien
aber hatte er Trüfieln an die Kalbsmildi getan.
Nun stand er unauffällig in der Nähe, sah, wie
nadi wenigen Bissen von jeder Platte sdion die ganz
sanfte Röte auf ihrer Haut lag, der Körper sidi tiefer
in die Kissen des Sofas drückte und aus ihrem Munde
ein Fauchen, winzige Tropfen Feuchtigkeit aus den
Augen kamen, ansagend, das zarte Leibchen ziehe hin*
gegeben jetzt Kraft aus dem Genossenen. Keiner der
Herren sprach in diesen Augenblicken, da auf dem
16
Antlitz der Frau ein andächtiges Läcfieln lag, mit ihr,
als sei es ausgemacht. Zitternden Zwerchfells lachte Na-
poleon, schüttemden Leibes in heller Seligkeit für sich
dazu, bis ihm die Augäpfel in Tränen schwammen. Er
war mit ihm eins und lobte Gott in der Höhe.
Die Begegnung wurde geänderten Lebens und neuer
Ziele Anfang. Als er am gleichen Abend heimkehrend
den kräftigen Leib Suzannes in den Bettkissen fand,
sdinitt er der Schlafenden eine angewiderte Grimasse.
Wütend deckte er ein freiliegendes Rundteil von ihr
zu, schloß die Augen und träumte in Wolken duftiger
Seide und Band die behende Gestalt der Tänzerin.
Vor seinem geistigen Auge prüfte er die schlanken
Arme, eine schmale Hand, ihre ^anze zierliche Er*
sdieinung und stellte fest, wie wenig fleischliche Person
die Begnadete sei, und wie geringer Kost sie bedürfe
zu künstlerischer Leistung, durch die sie eine Nation
zum Entzücken hinriß. Für welche Tat aber sei der
Leib neben ihm derart aufgemästet, zu welchen Fort*
sdiritten brauche er seine täglichen mächtigen Rationen?
Mit was für Gesindel habe er, Napoleon, sich eigent*
lidi bis über sein cfreißigstes Jahr hin abgegeben, und
welch steilen Weg müsse er bis zu lohnendem Ziel
noch ersteigen! Er fühlte, keine Minute sei zu ver-
lieren, und alles Heil ruhe im Anschluß an die ver-
ehrte Gastin. So widmete er ihr vom zweiten Erscheinen
an sein Trachten und Vermögen. Dachte die Stunden
bis zu ihrem Kommen nichts, als was er ihr vorsetzen,
wie er ihre Erwartungen übertreffen müsse. Lief mor-
17
gens vom Markt in Hallen und Kramereien/ suchte,
tüftelte das Frisdieste, Zarteste und Rarste heraus.
Zur Vorstellung ihres winzigen Kems in einer* Hülle
von Tüll und Tand diditete er aus Sdiaum, Krusten,
Farce und Saucen das assoziierende Speisengebild y
sdiabte^ preßte in Tüdier, seihte und übcrquirlte wohl
ein dutzendmal, bis das Gekodite sAwebend gleidi
einer Wolke zum Teller niedersank. Dann sah er es
entzüdit zwisdien zwei leuditenden Zahnreihen auf einer
sdimalen Zunge zergehen.
Einst gönnte sie ihm ein Wort der Anerkennung,
Ihm sdiien's ein Rausdien und hallte ihm lange im
Ohr. Zum Sdiluß riet sie, das Stadtviertel des soliden
Bürgers eiligst zu verlassen und jenseits des Flusses,
mitten im Herzen des vornehmen Paris, ein Restaurant
zu sdiafien, das trotzdem bis heute jeder entbehrte, der
hödiste Anforderungen an Küdie und Keller zu stellen
gewillt sei. Sie würde mit Freunden kommen/ wolle
seiner außerordentlidien Kunst Verkünderin sein.
*
So gesdiah's. Nadidem er in einer Seitenstraße bei
der Oper das passende Lokal gefunden, verkaufte er
mit Nutzen die alte Wirtsdiaft, ließ die Wände der
gemieteten Räume mit weiß silbernen Malereien zieren,
die zu dem reidien Silber, der Wäsdie der TisAreihen
stimmten. Ein roter Teppidi deckte den Boden. Kraft
eines Sdilägwortes, das irgendwo auf und über die
Boulevards flog, wußte Paris plötzlidi von der Existenz
des Chapon fin, und daß der Kenner eines gewählten
18
Bissens dort auf seine Rechnung käme. . Vier Wodien
nadi Eröflhung ging die beste Welt regelmäßig bei Na*»
poleon ein und aus, als habe sie nie einen anderen Ort
des Stelldidieins gekannt. Der Ruhm seiner Küdie beruhte
auf der Vorzüglidikeit der leiditen Platten. Man konnte
wohl ein Chäteaubriant, ein Seile de dievreuil so gut wie
anderswo bekommen, dodi wies der maitre d'hotel den
Gast mit Augenzwinkern auf die Spezialität des Hauses :
Musdielgeridite, Ragouts und Pürees inPfänndien/Über*
rasdiungein in winzigen Sdiäldien und Kasserolen. Der
Gast folgte und war regelmäßig zufriedengestellt.
Denn was der Herr des Hauses für die Tänzerin
erdadit, vervollkommnete, vermehrte er von Tag zu
Tag. Sdialentiere ließ er aus den Krusten, Geflügel vom
Knodien bredien, nahm vom Tier das Gekröse, von
den Gemüsen die Spitzen. Frikassierte und misdite die
verblüflizndsten Gegensätze, verband das Widerstrebende
in Saucen von Sahne, kostbaren Eiersorten, Pilzen und
duftenden Essenzen. Das letzte Geheimnis seines Er*
feiges aber war die »kurze Hitze«, in der die Speisen
garwerden mußten. Der oberste Grundsatz hieß: was
zu lange Feuer gerodien, ist für den Rudi verdorben.
Nadi-wie vor blieb Valentine die erste, die jede neue
Sdiöpfung kosten mußte. Zwisdien ihr und dem Patron
webte nun eine sdiöne Vertraulidikeit, geboren aus den
Blidien dankbarer Anerkennung, mit denen die Essende
nadi jeder von ihm selbst angeriditeten Platte Napoleon
besdienkt hatte. Allmählidi lernten die Augen sidi audi
sonst sudien, nadi dem lauten Sdierzwort eines Gastes
19
etwa, einer unzarten Bemerkung von irgendwoher, bei
ledern Vorkommnis, Und fühlten, wie es in der Blid^
tiefe des anderen ein Geheimnisvolles gai, durdi das
das eigene Sdiauen wie an feinen Häkdien sdimerz*
voll süß haranguiert wurde. Dazu fuhr die Frau mit
freundsdiaftlidier Würde fort, ihm Beobaditungen und
Anregungen mitzuteilen, die sie aus sidi selbst und
von anderen zur Vervollkommnung des Betriebes nahm,
Audi fragte sie ihn, legte er ihr die kostbare PelzhüIIe
um die Sdiultern, letzthin nadi dem praktisdien Erfolg,
und er war glüddidi, ihr von Mal zu Mal eine höhere
Summe als erzielten Gewinn zuflüstern zu können.
Die Gefährtin seiner Lehrjahre und ihr Kind hatte
er mit einer Summe abgefunden und aus seiner Nähe
verbannt. Anfangs sah er sie nodi hin und wieder,
dann aber stand sie plötzlidi im Sdirank seiner Er*
innerungen als Gleidinis der Hausmannskost und klein*
bürgerlidier Umstände.
Auf den Rat seiner Gönnerin widmete er der Zu*
friedenheit jener Frauen besondere Aufmerksamkeit,
die in kostbaren Toiletten nadi dem Theater in Be* .
gleitung von Lebemännern aßen. Er merkte sidi irgend
ein Besonderes, eine Laune der Betreffenden und spielte
das nädiste Mal vertraut freundsdiaftlidi darauf an.
Das Luxusgesdiöpf sieht sidi vom ernsten Mann ernst
genommen, errötet vor Vergnügen und wird seine treue
Kundin. Neben dieser Kategorie und ihrem Anhang
stellte er sidi vor allem den Diplomaten und Staats*
20
männcm zur Verfugung, indem er ihnen, kamen sie
mit widitigen Gesiditern von einer Sitzung, um zu einer
Sitzung zu gehen, ein stilles Bckdien anwies, wo sie
ungestört blieben, nidit duldete, daß ein Kellner sidi
näherte und sie durdi ausgesudite Led^ereien der Bürde
ihrer Verantwortlidikeit für Äugenblidte enthob. Da er
aber fühlte, es ging ihm im Umgang mit den Spitzen der
politisdien Abteilungen aus Unkenntnis ihres Wirkens
und Wollens die nötige Sidierheit nodi ab, lud er ^ie
in ein abgelegenes Zimmer, durdi dessen Wand er
von seinem Kontor ihre Gesprädie hören, ihre Mienen
beobaditen konnte. Da lernte er alsbald, durdi weldie
Spitzfindigkeiten und Umsdiweife aus Eifersudit und
Ehrgeiz der Handelnden strittige Fragen zwisdien po*
litisdien Parteien des Vaterlandes oder den versdiiedenen
Nationen, aus ihrem logisdien Gelenk gerissen, zu Ent»
sdieidungen wurden, die Zwisdienfälle, Krisen und ein
KMißtrauensvotum für das Ministerium hervorriefen. Er
sah den Führern Frankreidis ihrStimrunzeln, das ironisdi
überlegene Lädieln und die knadtende Handbewegung
ab, die ein Ultimatum bedeutet, und hörte sidi voll«
kommen in die inner- und außerpolitisdien Strömungen
hinein. Bald konnte er es wagen, dem eintretenden
Minister, Attadie oder Abgeordneten eine so treffende
Anmerkung zur gerade widitigen Afiaire zuzuraunen,
daß der einen bedeutenden Eindrudi von ihm bekam
und weitergab. Aber audi die vollkommene Kenntnis
des galanten und des Gesdiäftslebens versdiaffte sidi
Napoleon durdi seine Hordispalte, sah er verliebten
21
Paaren, feilschenden Geldleuten mit angespannter Auf»
merksamkeit zu, bis die in der Erregun|^ aufgesperrten
Kiefern sidi krampften. Am erregendsten blieb es stets
für ihn, verHeß ein Teil des Paares für Augenblidce
das Zimmer, und der Zurüdcbleibende, sidi allein glau«
bend, verlor alle Haltung, wurde Mensdi mit seinen
Hoffnungen und Sorgen, zählte in der Brieftasche die
Barschaft oder suchte durch Prüfung der zurückgebliebenen
Kleidungsstücke des anderen auf dessen wirkliche Lebens*
umstände zu schließen. Kurz, der Wirt des Chapon
fin wurde ein Kenner, der ins Unterbewußtsein der
Menschheit hinabsah.
Binnen Jahresfrist lag Paris zu seinen Füßen. Er
beherrschte es durch die vollkommenste Kenntnis seines
Magens als ein gütiger Fürst und lächelte, als man
ihrt\ erst zaghaft und vereinzelt, dann ganz allgemein
König Napoleon im Gegensatz zum Kaiser nannte.
Rührung und Glück aber ergriff ihn, als Valentine das
erstemal seine Hand suchte und drückte. Das war Be*
weis nicht nur geschäftlichen Erfolges, sondern auch des
erreichten gesellschaftlichen Ansehens, da die Gefeierte
einen sozial unter ihr Stehenden nicht vor aller Welt
so ausgezeichnet hätte. Nun wuchs er von Tag zu
Tag mehr in eine überlegen menschliche Haltung hinein,
die veranlaßte, daß selbst der höchstgestellte Gast ihm
die Hand gab, ihm gutgelaunt auf die Schulter klopfte.
Für den Mann der Provinz vollends ward es bei
der Rückkehr in die Heimat Glanzstücit des Berichts
der in der Hauptstadt erlebten Abenteuer, konnte er
22 .
nidit nur bemerken: Ich habe beim »König« gespeist,
sondern hinzusetzen: der midi auf die Sdiulter sdilug
und fragte: »Nun, Baron, wie wär's mit einer Boule
au jus tutti?«
Als er von einenvfremdländisdien Herrsdier das erste
Ritterkreuz erhalten, dessen violette Rosette er am
gleidien Abend im Knopflodi trug, forderte Valentine
ihn auf, sie am nädisten Tag um fünf Uhr nadimittags
aufzusudien. Er ersdiien nadi sdilafloser Nadit, dem
ruhelosesten Morgen, und fand sie im Raum auf der
Erde, wo sie mit dem Hund balgte. Sie sprang hodi, '
stedite das entfesselte Haar auf und saß gleidi in
einem niedrigen Sessel so nah ihm gegenüber, daß er
das vergötterte Antlitz didit vor sidi hatte, es zum
erstenmal andäditig sidi einprägen konnte. Sie madite
keine Be^c^gung und ließ ihn sidi vollends sattsehen.
Dann gab sie die Hand, die er inbrünstig küßte. Sie
war selbst einfadier Herkunft und ehrte die Tüditig*
keit, die ihm seinen außerordendidien Platz versdiafft.
Umgehend nur mit Männern vornehmster Geburt,
fesseke sie an ihn das Band etwa gleidier Vergangenheit,-
bei ihm durfte sie Gefühle voraussetzen, die ihren
Freunden fremd waren. In die Erzählung der Mühsale
auf dem steilen Weg zum Erfolg vertieften sie sidi, I
spradien mit kräftig eindeutigen Worten und genossen
in vollen Zügen mit kidierndem Sidilustigmadien die
Sdiadenfreude, die sie irgendwie für eine Welt emp^
fanden, über die sie heute jeder auf seine Art herrsditen.
23
V
Napoleon kramte vor ihr seine kleinen Geheimnisse,
alle Mittel aus, mit denen er sidi in das Vertrauen
der oberen Tausend gesdilidien^ erzählte von seiner
durdisiditigen Kontorwand. Sein Vertrauen erwidernd,
gab sie ihm die Hauptdaten ihres Aufstiegs, nannte
drei, vier Männer, denen sie als Frau und Künstlerin
verpfliditet war, und zeigte, alsbald vor ihm tanzend,
durdi weldie dioreographisdien Binfälle sie nadieinander
die Menge bezwungen hatte, Sie sdiwebte und bog
sidi ohne Ziererei vor ihm, und da sie im leiditen Haus*
rode war, wurde er durdi Zufälle von Rode« und
Kleiderfall entzüdet. Zum Sdiluß einen Csardas von
hinreißendem Rhythmus stampfend, kam sie aus der
entfernten Edee des Zimmers auf den Zehen g^en
ihn, bei jeder Taktsenkung das Bein wie einen bohrenden
Pfeil gegen sein Antlitz stredtend.
Bei seinem zweiten Besudi ward sie mit reizender
Natürlidikeit seine Geliebte. Diese Frau, die den
Männern bisher das Bild eines buntsdiimmemden Vogels
von phantastisdier Seltenheit hatte geben müssen, bla*«
sierter Ungeduld zu genügen, war an seinem Hals das
sdilidite, sdilanke Mäddien aus dem Volk voll naiver
Hingabe. Es bedurfte nidits Außerordendidien von
seiner Seite, die Sehnsudit der Umarmten zu stillen.
Dodi blieb bei dem mannigfadien Glüdt, das sie
einander gaben, die gassenbübisdie Art, mit der sie alle
offizielle Welt verhöhnten, hödister Genuß. Napoleon
besonders war darin unersdiöpflidi. Größen der Geld*
weit, Sterne der Wissensdiaft und Kunst stellte er
24
blitzschnell in gedrängter Plastik hin und knidite dann
mit witzigem Binfall das Pathos ihrer Geste. Berühmte
politisdie Personen ahmte er nidit nur in Tonfall und
Haltung nadi, sondern audi, wie er in der Betroffenen
Art mit riesigem Wortsdiwall durdisiditige Tatsadien
in ein Chaos verwirrte. Während sie vorgebeugt aus
den Kissen ihm zusaht führte er dramatisdie Szenen
auf zwisdien den Botsdiaftern zweier Staaten etwa,
in deren Verlauf die beiden, sidi über eine unsagbare
Niditigkeit unsagbar albern und aufgeblasen unter-
haltend, allmählidi anstelle der verbindlidisten Um-
gangsformen eine immer steifere Haltung, sdirofFere
Bewegungen setzten> biö sie sdiließlidi wie zwei sdimol-
lende Godtel hodimütig auseinanderstekten. Er erzählte,
mit weldien Torheiten und Zufällen sidi das Sdiid^sal
der Gesetzesvorlagen in den versdiiedenen Kommis-
sionen, die nadi den offiziellen Sitzungen bei ihm fort-
getagt, meist entsdiieden hatte/ sie gab ihm Einsidit
in abertausend Spitzfindigkeiten, die die auf die Liebe
gestellte Frau derGesellsdiaft anwendet, sidi ihre Launen
und ihre Lust, am öfiFentlidien Leben teilzunehmen, zu
erfüllen. Wie oft habe sie selbst ihre Gönner in hohen
Stellungen aus Eigensinn zu unsinnigen, folgensdiweren
Entsdilüssen bestimmt und den Reportern, die ihr das
Haus einliefen, nodi dazu phantastisdie Lügen aufge-
bunden! So reinigten sie sidi, das Thema unaufhörlidi
variierend, innerlidi von dem Respekt, den proletarisdie .
Herkunft ihrer Jugend auferlegt hatte, und wurden
lädielnde Veräditer der feinen Lebensformen und des
15
guten Tons, den sie wie den Stil in einem Drama von
Corneille oder einer Molieresdien Komödie agierten,
während ihnen aus ihrer Liebe ein herzlidies Wort,
eine mensdilidie Bewegung gleidinishaft dazu immer
gewärtig war.
Im Gesdiäft dehnte Napoleon die Herrsdiaft, die er
über Franzosen besaß, auf die übrige Welt aus. Er
hatte London, Petersburg und Wien gesehen. Verbin*
düngen angeknüpft und befestigt, mandie Anregung mit
heimgenommen. Sein^aus wurde an der Themse und
Donau berühmt, bei Sadier und Claridge fand man
Platten »Au Chapon fin«. Es sdieiterte audi sein Vor*
marsdi an die Newa nidit wie der seines unsterblidien
Namensvetters. Als der fünfzigste Geburtstag vor der
Tür stand, war sein Ruhm über zwei Erdteile ver*
breitet, der größere Teil der zivilisierten Mensdiheit
aß streng nadi seinen Einfällen und VorsAriften. Er
besaß ein fiirstlidies Einkommen und hatte die kluge,
ihn immer anfeuernde Frau an der Seite, zu der die
Beziehungen nidit legitimiert waren, die er aber leiden*
sdiaftlidi und zärtlidi liebte.
Da man vierzehn Tage vor seinem Fest vom Krieg
mit Preußen zu spredien begann, und die Gäste stür*
misdier seine Meinung wollten, blieb er lädielnd ruhig
und verneinte jede Möglidikeit eines Ausbrudis von
Feindseligkeiten. Er wußte aus besten Quellen, kein
ernsthafter Politiker glaube wirklidi an den Krieg/ er
war gewiß, es handle sidi wieder einmal um die Prestige*
frage, das sattsam bekannte Händeknaden und sdimoU
26
lende Gockeltum. Aber audi als die Regierung unter
einem frivolen Vorwand die Sdiiffe hinter sidi ver»
brannt hatte, blieb Napoleon in tiefster Seele ruhig.
Er, der wußte, hohe Politik wird gemadit, um ein paar
Dutzend Ehrgeizigen in jedem Land Vorwand für eine
Karriere zu geben und ihren Heißhunger nadi öffent*
lidiem Bekanntsein und Sensationen, mit denen ihr"
Name verknüpft ist, zu befriedigen, war überzeugt,
man werde unverzüglidi diesen Widitigtuern Genug*
tuung geben, indem man sie mit Titeln, Orden und
sonstigen Auszeidinungen von überallher so reidilidi
fütterte, daß sie satt werden mußten. Was den Frieden
bedeutete. Einen Willen der Völker stellte er nidit
in Redinung. Er hatte gelernt, es wird mit ihnen kurzer;:?
band nadi Gutdünken der Regierung verfahren. Sie
sind es seit ewig gewohnt, wissen und wollen nidits
anders. Sagen heute zu sdiwarz sdiwarz und morgen
zu schwarz weiß. Es genügt, ihnen zuzurufen: Das
Vaterland ist in '^Gefahr! Sie fragen niemals: Durdi
wen im letzten Grund? Lassen sidi bewaflhen, morden
jeden Beliebigen als Erbfeind, erst zögernd, dann, aus
Gewohnheit, mit Überzeugung und Hodirufen, Valen*
tine gab ihm redit, Sie verspottete alles. Regierende
und Regierte, Verbreitete Erzählungen, die die Albern«
heit der Diplomaten in ein fabelhaftes Lidit setzten,
militärisdie Maßnahmen des Generalstabs dem Ge«
läditer preisgaben. Beide griffen mit Wollust nadi jedem
Gerüdit, in dem sidi irgendeine großartige Dummheit
manifestierte, futterten, hätsdielten es und waren vor
^ 11
Freude außer sidi, akzeptierten es selbst diejenigen
mit feierlidiem Ernst, die aus ihrer übergeordneten
Stellung heraus seine Sinnlosigkeit sofort hätten ein-
sehen müssen. Mehr als der Friede gab der Krieg
ihnen unablässig Gelegenheit, die blöde Einfalt der
Welt auf Sdiritt und Tritt zu erkennen und sidi über
sie zu erheben. Die einfadie Tatsadie, daß sie durdi
Einsidit in politisdie Zusammenhänge die Lügenhaftig«
keit aller Vorwände für den Krieg einsahen, gab ihnen
vollkommen innere Unabhängigkeit von ihm.
So konnten sie sidi, während ringsum alle Welt
immer tiefer in das verwirrte Auf und Ab der Ge-
sdiehnisse verstridit wurde, auf Grund einer wirklidien
Überlegenheit entsdiieden von den Mensdien trennen.
In ihre Seele trat das Bewußtsein höherer Bestimmung,
das sidi in den Antlitzen malte. Sie lebten jetzt und webten
auf Wolken hodi über dem gemeinen Volk. Lädiclten
unbetroffen erhaben zu allen Unglüdcsfällen und Ex-
zessen, die die Folgezeit in unauf hörlidiem Aufeinander
bradite. Die vollendete Katastrophe des Vaterlandes
führte sie auf den hödisten Gipfel innerer Erhebung. Es
lagen ringsum nidit nur die Mitbürger ihrer ernannten
Weisheit, Napoleon und Valentine lagen einander und
jeder sidi selbst bewundernd und andäditig zu Füßen.
*
Eines Tages trat auf in Paris, was man die Kom-
mune nannte. Sie zersdilug die Spiegelsdieiben des
Chapon fin, zertrümmerte alles Gerät im Innern und
setzte Valentine und Napoleon, jeden für sidi, ins öe"
28
fängnis. Als es nach Wochen Napoleon durch einen
Zufall gelang, sich zu befreien, erfuhr er, die Gefährtin
seines Lebens sei, an die Wand gestellt, erschossen.
Ihm fielen die Beine unter dem Leib fort, und tagelang
schleppte er sich aus Gassen in Felder an Flußrändern
entlang, ohne Licht und Finsternis scheiden zu können.
Das erste Bewußtsein von sich empfing er durch einen
Stoß vor die Brust, den ihm ein deutscher Landwehr*
mann gab. Doch schwand es wieder, bis eines Nachts,
da er auf einer Pritsche lag, Erinnerung an Valentine
ihn überfiel. Sie war rosa und wie eine tanzende Guir*
lande anzusehen, die sich immer enger um ihn schlang
und ihm endlich die erste Träne, dann Tränenströme
aus den Augen schnürte. Nun sank er hin, aufgelöst
in ein unendlich weiches und warmes Weh, Lange er*
sdiütterte es seine Glieder und hüllte die Welt in feuchte
Schleier. Es trat aber der Vergleich seiner elenden
jetzigen Lage und alles Gewesenen hinzu und erfüllte
ihn mit Haß gegen die Menschheit und den Schöpfer.
Tiefer kroch er in sich hinein und häufte Anklage auf
Anklage gegen die Welt. In einer dunklen Nacht stand
er plötzlich vor den mit Brettern vernagelten Fenstern
seines Lokals^ — noch hafteten einige goldene Buch-
staben des Schildes — und in das Loch plötzlich riesen*
großer Erkenntnis fiel die Summe fünfzigjährigen Lebens :
ein blankes Nichts und Einsamkeit.
Trotz und Empörung stachelten ihn zu neuem Tun.
Gegen die Ungunst der Verhältnisse wollte er sofort
versuchen, Mittel zu neuem Anfang zu schaffen/ des
29
y
gleidien Abends aber legte er sidi irgendwohin nieder,
spürend, es leide seine Natur nidit, daß man sie um
das bestehle, was ihr vor allem notwendig sei: unge«
störte, hingebende Trauer um Valentine. So sudite er
sidi einen Platz, der ihm nur das täglidie Brot gab.
Früh am Nadimittag aber sdion sdiloß er sidi in seine
Kammer ein, stopfte Fenster und Sdilüssellödier, legte
sidi aufs Bett und begann, die Frau von den Toten
heraufzudiditen. Nadidem er sie zuerst bis in die kleinste
Einzelheit körperlidi vor sidi wieder hergestellt, ging
er sein Leben mit ihr vom frühesten Anbeginn an durdi.
Um keinen Augenblidi ließ er sidi betrügen, repetierte
die einzelne Situation so oft, bis sie in lebendiger Wahr-
haftigkeit vor ihm stand. Jene erste, da sie mit Rodi*
rüsdien und Volants wie ein Quirl über seiner Stirn
die Treppe hinaufgehusdit war. Die Beine in weiß-
seidenen Strümpfen nahmen zwei, drei Stufen auf einmal,
er sieht sie im Gelenk flitzen, und da — das aber hat
er damals nidit gesehen — ersdieint blitzend am Knie
die goldene Strumpfbandsdinalle. Wahrhaftig, als Wirk*
lidikeit dauerte, vor lauter Sdiauen und Staunen hatte
sein Bewußtsein sie nidit gefaßt. Und heute erstand
sie das erstemal zum Leben, besdiworen durdi seine
unwiderstehlidie Zärthdikeit. So drang er inständig
weiter i|i Erinnerung ein und entriß ihr, mit Hingebung
und Andadit um ein Nidits und den Bruditeil einer
Sekunde kämpfend, so viel Niditgespürtes und Nidit*
erfahrenes, daß er ein vöIHg neues, reidieres Leben mit
der gestorbenen Freundin führte.
30
Als er bei jener Epodie angekommen war, in der
sie ihr irdisdies Leben beendet hatte, bradite er sie
leidit über die Klippe des leiblidien Todes handelnd
und redend in die jetzige Zeit hinüber und sah sie
Stellung nehmen zu seinem augenbliddidien Dasein. Er
müsse, da die Verhältnisse sidi allmählidi wieder zur
Ordnung fugten, den sinnenden Zustand aufgeben, an
äußeres Fortkommen und eine neue bedeutende Ein-
stellung zu neuen Umständen denken.
Hatte ihm der Krieg nidit tiefere Einblidse in Fragen
der Ernährung, Möglidikeiten der Rohstofiverarbeitung
gegeben, als jede Situation vorher? Weldie außerordent*
lidien Aufedilüsse hatte die zwedcmäßige oder unzwedc«
mäßige Ernährung eines Heereskörpers, der Bevölkerung
einer belagerten Stadt, weldie Klarheit vor allem das
Befinden des eigenen Körpers nadi dieser oder jener
leiblidien Zumutung ihm versdiafit! Das eine mindestens
war zur Evidenz klargeworden: Weit über die Not*
dürft hatte der Mensdi vor dem Krieg gegessen und
getrunken. Es sdiien Napoleon fernerhin ein Unding,
das bisher üblidie Mittagsmahl von sedis oder sieben
Platten, ein Abendessen von fast gleidiem Umfang zu
servieren. Millionen hatten größere Arbeitsleistung,
höheren Sdiwung bei einem Stüds Brot und wenigen
Kartoffeln bewiesen als Generationen vorher bei einer
täglidien Unzahl von Geriditen. Es sdiien ihm hohe
Pflidit, die gewonnenen Erkenntnisse dem Publikum
sofort praktisdi zu demonstrieren.
Er gab Valentine vollkommen redit. Sie habe nidit
31
nur dem eigenen Leib nie mehr als das Notwendige zu»
gemutet, sondern sei audi Anlaß gewesen, daß er den
Gästen dasLeiditeste und Verdaulidiste geboten. Dodi in
viel zu viel Platten auf einmal. Von jetzt ab müsse er
in zwei, drei Geridite zusammendrängen, was der Magen
zur Speisung des Organismus braudie, und ihm zugleidi
die volle Wollust eines reidilidien Mahles vermitteln.
Während er also die am Leben gebliebenen Gönner
aufsudite und zu seiner Unterstützung vermodite,
während die so lange leer gebliebenen Räume seines
alten Heimes allmählidi in strahlenden Stand gesetzt
wurden, unterriditete er sidi methodisdi über die
wissensdiaftlidie Zusammensetzung der versdiiedenen
Nahrungsmittel, über ihren Gehalt an Eiweiß, Kohle^
hydraten und Fett. Er madite Tabellen und Exempel
über Exempel und erredinete an glüdiseligen Tagen
eine neue ideale Sf)eisenkarte, auf der er jeden, audi
den verführerisdisten Namen einer Platte, sofort durdi
l^ arithmetisdie Zahlen ersetzen konnte/ aus der man mittels
zweier Speisen einen ausreidienden Nenner sämtlidier
für die Ernährung widitigen Stoffe erzielen konnte.
Hatte aber anfangs Notwendigkeit, die gewollten Ein«
y heiten in ein Geridit unterzubringen, vielleidit auf dessen
gastronomisdie Vollkommenheit gedrüdit, ging jetzt auf
Spaziergängen Napoleons Phantasie der erklügelten
Platte von allen Seiten zu Leibe, wie ihre Sdimadi*
haftigkeit und Anriditung auf die hödiste Höhe zu
bringen sei. Und da ihm ein über das andere Mal die
Hitze des Entdedterglüdis ins Gesidit stieg, fixierte er
32
endgültig die Gcridite, mit denen er künftige Mcnsdien
aus der Sdiwädiung durdi den Krieg zu frisdiem Leben
führen wollte.
Der Erfolg an der wiedereröfFneten Stelle war nidit
so überrasdiend und bedeutend wie das erstemal. Sdion
nadi wenigen Tagen stellte der Wirt fest, er hatte es
mit lauter Unbekannten zu tun, die nidit Empfehlung,
sondern Zufall und Laune zu ihm gefuhrt. Der riesige
Kreis seiner alten Gäste war vom Erdboden ver*
sdi wunden. Dodi stählte diese Erkenntnis seine Kräfte,
da ihm einleuditete, es braditen di^ Neulinge auf Grund
liebgewordener Gewohnheiten keine Voreingenommen-
heit mit. So verließ er Monate die Küdie nidit, wo er
mit Anspannung aller Kräfte die gewonnenen Grund*
Sätze in die Tat umsetzte. Vor allem mußte er die
KöAe von der Riditigkeit seiner Ansiditen überzeugen,
daß die nötige Herzenslqst zur Arbeit ihnen nidit fehlte.
Erst als unten die Wirtsdiaft geregelten Gang ging,
betrat er die Räume des Restaurants wieder und sudite
Fühlung mit den Gästen.
Vom Ton zwisdien ihnen und den Kellnern ward
er zuerst betroffen. Es gab keine Unterhaltung über
die zu wählenden Speisen, nidit einen Sdierz, kein inter*
essiertes Hin und "Wider. Kurze Kommandos flogen.
Der Bedienende, geneigten Hauptes stumm, madite
kehrt. Man aß sdinell, ließ sidi nidit mit Behaglidikeit
nieder. Kaum, daß man die Kissen drüAte. Zur Ver*
dauung gab sidi niemand Zeit. War der letzte Bissen
33
genossen, fuhr der Gast in die Höhe und versdiwand.
Rote Köpfe, fettgeränderte Lippen, müde Sdieitel, die
sidi in die Sofarüdien lehnten, Hände, mit gesdiwollenen
Adern aufs Gedeck gebreitet, sah Napoleon nidit mehr.
Es wehte nidit der Atem einer allgemeinen glüdiseligen
Sattheit nadi Tisdi und des Dankes gegen Gott und
den Wirt durdi den Raum. Steif und gereizt fast saß
der Kauende und vermied, audi nur von sidi fortzu*
sehen. Das war nidit ein geänderter Kundenkreis, das
war das Gesidit einer anderen Welt, erkannte Napoleon,
Es war klar: andere Ideale herrsditen in neuen
Mensdien. Der Krieg hatte die Madithaber von ehe*
mals verniditet. Es saßen nidit mehr die Glieder alter
Familien an seinen Tisdien, die in oft Jahrhunderte*
langem Ringen Ansehen und Vermögen an sidi gebradit
und es zu braudien wußten/ er bediente nidit mehr
die dreifadie Aristokratie des Adels, ererbten Reidi*
tums und des Geistes. Hier trat eine Rasse auf, die
durdi den Umsturz aller Verhältnisse an die Oberflädie
gespült, behend zugegriffen und in der allgemeinen Ver*
wirrung, bei einer sentimentalen Ersdilaffung der Be«
sitzenden, sidi übermäßig und skrupellos bereidiert hatte.
Den Sadi voll Gold, saßen sie unkundig seines Ver*
braudis, gierig, die Allüren der Wissenden sidi an-
zueignen, elend und leer mit der einzigen Geste
sdiweigender Abwehr. Stumm und in der Bewegung
beherrsdit, konnten sie für unterriditet gelten. Spradien
sie, wurde ein Wirken der Glieder notwendig, klappten
sie zu völliger Ohnmadit zusammen.
34
Nadidem er aber eingesehen^ die Zurüdihaltung
der Gäste sei in einem Zuwenig begründet, ließ er
seine beherrsdite Unterwürfigkeit und ging langsam,
dodi eindringlidi zum AngriflF gegen die maskierte Ge-
seflsdiaft vor. Wie ein Dieb bradi er in gepanzerte
Unnahbarkeit, legte ein harmloses Sätzdien als Köder
vor und amüsierte sidi göttlidi, ließ der gesdimeidielte
Heraufkömmling sidi aufs Eis überkommener Begriffe
locken und legte eine geradezu erbarmungswürdige
Blöße an den Tag. Hatte er hinter undurdidringlidier
Maske jemandes Vertrauen gewonnen, ließ er den Ge*
tä^usditen das eigene Selbstbewußtsein ausbreiten, das
sidi fast immer stützte auf alberne, mit Emphase vor*
getragene Gemeinplätze über den Krieg, Heldentaten,
die der Betreffende irgendwie während des Feldzugs
vollbradit haben wollte/ dann kamen Napoleons Ein*
würfe aus dem Sdiatz des Herkommens, Namen aus*
gezeidineter Mensdien der Vergangenheit, bedeutender
Erfindungen, irgendeiner Geistesgroßtat. Am hödisten
hüpfte sein Herz vor Freude, konnte er durdi einen
einzigen Kulturbegriff, den er wie einen spitzen Pfeil
dem Gegner in die Parade flitzte, diesen bis auf die
Haut entlarven.
Nun fing des Abends im Bett ein Gekidier an, das
grausamer und sdionungsloser war, als jenes einstige
Ladien mit Valentine über Narrheiten einzelner Zeit-
genossen vor dem Krieg, Hier fand Napoleon eine
ganze Welt närrisdi/ ihren einzigen Ehrgeiz, Geld*
gewinn und Beurteilung des Mensdien nadi seiner
35
Eignung dazu, über das Maß abgesdimadit und kahl.
Während seine Gesdiäfte nodi gut gingen, sah er sAon
die Kluft sidi auftun zwisdien einer modernen, rein
merkantilen Weltauffassung und dem eignen Universa-
lismus. Mit Ergriffenheit spürte er, wie zum erstenmal
er hier von Valentine sanft sidi sdiied. Er wußte, audi
für die sdireddidi veränderte Welt hätte sie nur gut*
mutigen Spott- gehabt, in ihm aber kam von Tag zu
Tag stärkere Empörung herauf, die ihn sdiließlidi völlig
beherrsdite.
Ihm sdiien jetzt, die fröhlidie Überlegenheit, "die mit
dem fortsdireitenden Alter Valentines iftimer friedlidier
und harmloser geworden war, hätte ihn sdion in der
letzten Zeit ihres Lebens gereizt. Hatte sie nidit sdiließ*
lidi, hadidem man sidi gehörig ausgeladit, immer eine
Entsdiuldigung, irgendeine Güte für den Verspotteten
gehabt? Er war durdidrungen, sie würde es heute nidit
anders madien, ja sie mödite zur Nadisidit nodi viel
geneigter sein, und zürnte ihr darum. Je mehr seine
Abneigung gegen das Publikum wudis, je hassenswerter
ihm die Ersdieinungen wurden, um so mehr sdiob er
Valentine den unbeugsamen Willen zy^ alles zu be*
greifen und zu vergeben. Es begann ein täglidier Kampf,
unaufhörlidie Auseinandersetzung mit der Welt einer*
seits und dem lebendigen Bild der geliebten Frau auf
der anderen Seite, der ihn zermürbte und elend madite.
Dodi blieb allen Einwendungen gegenüber sein dumpfer
Haß sdiließlidi siegreidi. Jahre hindurdi hatte er nun
nidits mehr von Freuhdlidikeiten und Lieblidikeiten des
36
geselligen Lebens bei sidi gesehen. Es war der Sinn
für Blumen und brillante Qberrasdiungen, Tollheiten
und geistreidi Unvorhergesehenes gesdi wunden/ nidit
mehr gab es die über das Mannesbewußtsein als Spen-
derin alles Glüdis erhöhte und angebetete Frau, Kein
Ladien herrsdite mehr und liein Versdiwenden, nidit
Laune und Überlegenheit. Wohin er hörte: Gesdiäfte.
Ziffern, wohin er sah. Das Dadi des Hauses sdiien auf
ihn zu stürzen, als eines Tages ein Gast, kühl und
korrekt, an dem er mit witziger Bemerkung sidi gerieben,
ihm ein Goldstüdi als Trinkgeld anbot.
Da lief das bis zum Rand gefüllte Gefäß über. Von
jenem Abend bis zum andern Morgen grub sidi eine
Falte zwisdien seine Brauen, die Lippen preßten sidi
aufeinander. Er hatte fortan nidit nur keine Teilnahme
für die gute Bedienung der Gäste, sondern genoß mit
Sdiadenfreude ein Glüdt, sah er in irgendeinem Anditz
Enttäusdiung über die angeriditete Speise. Sdinell ward
sein geänderter Sinn den Kellnern, Ködien oflFenbar.
Sorgfalt und Gewissen floh. Immer häufiger gab es un*
zufriedene Gesiditer der Essenden. Unbewegter Miene
sdilürfte der Wirt jedes Quentdien Wut, dessen Aus-
drudi er erhasdite, und berausdite sidi daran. Ganz
nadi vorn wudis sein Gesidit. Stedienden Blidts, ge*
blähter Nase sdinüflFelte er sidi in das Empfinden der
neuen Welt,- trank, wie bitter es sdimedite, sie völlig
aus und spürte zum anderen Male deudidier und als
Entsdieidung: in dreißig Millionen Narren besaß die
Nation nur nodi einen Sinn: das Geld, und jeder, dem
37
der Erwerb wie immer geglückt war, war im eigenen
und im allgemeinen Urteil Person. In Napoleons Auf=
Fassung aber war er ein Räuber, ein Sdieusaf, das die
Anardiie der Vernunft während des Krieges benutzt
hatte, den durdi Überlegenheiten und Mühsale in Gene*
rationen erworbenen Familienbesitz des Landes an irdi*
sdien und himmlisdien Gütern zu zerstören. Es kamen
die Häuptlinge der neuen Geldaristokratie zu ihm. Fett,
fredi und verlegen stümperten sie mit ihren Weibern
Geselligkeit,
In Napoleons Hirn stieg wie ein Bläsdien zuerst
der Gedanke an Gift, das ihnen zwisdien die Speisen
zu misdien sei. Bald madite er sidi im Denken breiter,
und endlidi beherrsdite er sein Traditen ganz. Von^
irgendwoher hatte er sidi das ansehnlidie Quantum
Arsenik versdiafit, das ihm nun seit Tagen in der Tasdie
brannte: es wie ein harmloses Gewürz in die Teller
zu streuen, abzuwarten, bis die Wirkung, die in den
Eingeweiden wühlte, ins Auge bradi. Glut stieg ihm
ein über das andere Mal in die Haare, bis er fühlte, im
nädisten Augenblidc widerstände er dem ungeheueren
Verlangen nidit mehr.
Da riß er die Tür zur Gasse auf, und barhäuptig
im Galopp, als wälzten sidi Lavaströme auf seinen
Fersen, entlief er der Straße, dem Stadtviertel, der Bann-
meile von Paris,- sank draußen ins Feldgras, sdiludizte,
daß die Knodien bebten, sdiludizte sidi und die Erde naß.
38
Er zog die Landstraßen entlang, durdi Märkte und
Städte. Blieb aus Zufall irgendwo Monate, Jahre als
AufVärter, Hausknedit, Gelegenheitsarbeiter, Sein Welt*
bild wurde auf gleidier Basis runder und mannigfaltiger.
Überall sah er die vom Kampf ums Dasein betäubten
Massen, von rüdtsiditslosen Unternehmern an Kessel
und Masdiinen gesdimiedet, Waren verfertigen, für die
aus sdiließlidiem Mangel an Absatz, so rcdinete Na*
poleon, über kurz oder lang durdi neue Kriege mit neuen
Hekatomben zerfleisditer Mensdien neue Abnehmer in
zu erobernden Provinzen gewonnen werden mußten.
Hellen Bewußtseins trat er aus diesem Lauf der Ge*
sdiidce aus. Den Gedanken an Erwerb riß er mit allen
Wurzeln aus seiner Seele, erlaubte sidi keinen Besitz
über die Notdurft. Das von aller Welt gesonderte
Dasein gab ihm Person und Überlegenheit,- der Mangel
an Eigentum, Unabhängigkeit und freie Bewegung. Von
einem Tag zum andern hatte er durdi einen einzigen
Entsdiluß Verfügung über sidi und die Welt nadi allen
Seiten gewonnen, und ein erlöstes Ladien trat in sein
Gesidit. Jetzt, wo er audi stand und ging, war er bloßer
Zusdiauer der mensdilidien Komödie, an der er, weil
durdi eigene Qual nidit mehr verbunden, gutmütige
Kritik übte. Da war es, daß er sidi dem vergessenen An*
denken Valentines wieder offiziell und innig vermählte,
der er, wie er sidi nun gestand, während seine Vernunft
ihre Einflüsse bekämpfte, ahnend nadigefolgt war.
Eines Tages stand er vor jenem Edihaus, an dem
sidi die Stein wege nadi Nivelles und Genappes trefl^en,-
39
in dem er geboren war, Niemand kannte ihn dort. Alles
Verwandte war tot. Als zwölfjähriger Knabe war er
hier fortgegangen, der Wiedergekehrte zählte funfund^
sediszig Jahre.
Aber im Wirtshaus wußte man seine Gesdiidite,
Erzählte Grandioses, Historie von ihm. Mehr war den
Erfolgen dieses heimisdien Napoleon die allgemeine
Teilnahme und Bewunderung zugetan, als dem Korsen.
Man wies ihm, der sidi nidit zu erkennen gab, ge»
rahmte Zeitungsnadiriditen, in denen es hieß, wie ganz
Außerordentlidies von ihm in versdiiedenen Zeitläuften
ausgeriditet war ^ »und angeriditet,« wie ein Witziger
hinzufügte. Länder samt ihren Fürsten, die zivilisierte
Welt von West nadi Ost habe sdiließlidi ihm, dem
vlämisdien Bauernsohn, einmütig zu Füßen gelegen.
Mit nadidenklidiem, gerührtem Erstaunen hörte Na*
poleon die mannigfadien Erzählungen und entsann sidi
der Kreuze und Sterne an rot und grünen, an ge*
streiften Bändern, die irgendwo in einer Sdiubiade lagen.
*
Am Rand des unvergleidilidien Wälderkranzes, der
Brüssel einsäumt, liegt in einer Talsenkung an der
Straße von Quatre*bras nadi Waterloo das Sdilößdien
Groenendael/ ein weißes, einstödiiges Haus aus dem
Empire. In vergangenen Zeiten eine Abtei, wurde es
im neunzehnten Jahrhundert Wirtshaus, in das die bes«
seren Bürger Brüssels auf Ausflügen einkehren. Dort
ganz nah der Stätte seiner Geburt, nahm Napoleon
einen Platz als Kellner, Seine Jahre, die sdiwadien
40
Füße erlaubten ihm angestrengten Dienst nicht mehr.
Hier war im Winter nichts, im Sommer an Wochen*
tagen wenig zu tun. Nur Sonntags mußte er sich ein
wenig tummeln. Dodh nahmen die Gäste seiner viel
Rücksicht und blickten mit neugieriger Erwartung ihm
entgegen, trug er das hochbeladene Brett auf sie zu.
Jeder hatte ein Wort für ihn, dem er freundliche Em*
pfindung unterlegte/ alle Anrede begann mit Um*
Schreibung und Entschuldigung fast Niciit, was er
brachte, er selbst, wie er's ausführte, blieb Gegenstand
teihiehmender Aufmerksamkeit, gutmütigen Staunens,
und stand das Gewünschte auf dem Tisch, strahlte
ihm alles Verwunderung und Anerkennung zu. Aher
auch Napoleon selbst lachte in heller Befriedigung über
das ganze Gesicht. Der Wirt mit seiner Familie merkte
das Gefallen der Gäste an dem alten Mann, behandelte
ihn mit Rücksicht und ließ ihn ungestört und ungescholten
seine Tage hinbringen.
So kam von außenher alsbald kein Mißlaut mehr
in sein Leben, das im ruhigen Gleichmaß ging. Den
Frühling sah er, Gottes himmlische Wärme in be*
stimmten Abschnitten über die Erde kommen, auf
den Hügeln Buchen grünen, Kühe über die beblumte
Wiese weiden. Mensdien aller Art aber wandelten
,j zu allen Jahreszeiten in einem schönen, landschaftlichen
Panorama vor ihm. Lange sah er sie als deutliche Fi*
guren mit Lärm und eigener Bewegung, dann noch
wie scharfe Schatten. Allmählich aber lösten sie sich
still in umgebende Natur auf.
41
Die sich in seine Seele wie ein vollkommenes Ge^
mäMe spannte, das er mit Andacht schaute. War
die Sonne mild, trat er unter Bäume und blickte das
Warme an, das um ihn summte. Dort strahlte ein Vogel
lang dasselbe Lied/ dann flog er wie Licht zum andern
Baum hinüber. Hier putzte das Eichhorn sich schnurrig
geduldig zum Goldbraun der Stämme, Blindsdileidie
krodi mit dem Schatten ins Helle und züngelte. Dann
faltete Napoleon die Hände, stieß entzückte Seufzer
aus und legte sich lang ins Gras. Den Blick zum ewigen
Himmel aufgesdilagen, hatte er die gesamte Schöpfung,
Ton, Raum und Licht mit eins in der Netzhaut.
An Vergangenheit, viel Madit und Ehre, viel Leid
und Elend, häusliches und bürgerliches Wesen, an
einzelnes erinnerte er sich nidit mehr. Manchmal tätschelte
er die Kuh, den Hund und dadite nidits dabei. Er
wurde gar sehr schwadi. Das war ihm eitel Wollust.
Als die letzte, größte Schwäche kam, war er gut und
fromm.
Von CARL STERNHEIM erschienen:
IM INSEL-VERLAG
DON JUAN
Eine Tragödie. Geh. M5.— , Halbleder M 8,—
ULRICH UND BRIGITTE. Ein drama-
tisdies Gedidit. Geh. M 3.^, Leinen M 4,—
AUS DEM
BÜRGERLICHEN HELDENLEBEN:
1. DIE HOSE. Lustspiel.
2. DIE KASSETTE. Komödie.
3. BÜRGER SCHIPPEL. Komödie.
4. DER SNOB. Komödie.
Jeder Band geheftet M 3.—, Leinen M 4.—
KURT WOLTT PERLAG
5. DER KANDIDAT. Politisdie Komödie.
6. 1913. Sdiauspiel.
Als vierzehnter Band der Büdierei »Der jüngste Tag«
BUSEKOW
Erzählung. Geheftet M 0.80, gebunden M 1.50
SCHAUSPIEL IN DREI AUFZÜGEN
VON
CARL STERNHEIM
ist in einmaliger Ausgabe mit Textzeicfinungen von
Ernst Stern soeben ersdiienen und kostet geheftet M 3,—,
leicbt gebunden M 4,50, in Halbleder gebunden M6, — .
Büdierfreunde wollen bald bestellen, da ein Neudrud^
dieser illustrierten Ausgabe nidit stattfinden wird.
KURT WOLFF VERLAG
LEIPZIG 1915
, s .