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Full text of "Untersuchung des Märchens "Gockel, Hinkel und Gackeleia" und des "Tagebuchs der Ahnfrau" von Clemens Brentano [microform]"

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I 

cTRxersuchung  des  Märchens 

„Gockel,  Hinkel  und  Gackeleia'' 

und  des 

„Tagebuchs  der  Ahnfrau" 


( 


von 


Olemens    Brentano. 


Inaugural-Dissertation 


zur 


Erlangung  der  Doktorwürde 

bei  der 

h(jlieu  pliilosophisclieii  Fakultät 
der 

XJniversität    IVt  ü  n  s  t  e  r 

eingereicht  von 

Wilhelm  Schellberg 

aus  Essen-Ruhr. 


Münster  i.  W. 

Westfälische  Vereinsdruckerei,  vormals  Coppenrath'sche  BucMruckerei. 

1903. 


THE  UNIVERSITY 

OF  ILLINOIS 

LIBRARY 


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Untersuchung  des  Märchens 

„Gockel;  Hinkel  und  Gackeleia" 

und  des 

„Tagebuchs  der  Ahnfrau" 


von 


Cleinens    Brentano. 


Inaugural-Dissertation 


zur 


Erlangung  der  Doktor^würde 

bei  der 

hohen  philosophischen  Fakultät 
der 

XJniversität    ^M.  ü  n  s  t  e  i* 

eingereicht  von 

Wilhelm  Schellberg 

4 

aus  P^ssen-Euhr. 


Münster  i.  W. 

Westfälische  Vereinsdruckerei,  vormals  Coppenrath'sche  Buchdruckerei. 

1903. 


Dekan: 


Referent: 


Prof.  Dr.  Sonnenburg. 


Prof.  Dr.  Jostes. 


Meinen  Eltern. 


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Inhalts-Angabe. 


Vorbemerknug. 

I.  Die  zwei  Fassungen  des  Märchens. 

Entstehungszeit  —  Die  Zeiten,  aus  denen  sie  erwachsen  sind  —  bisherige 
Feststellungen  der  Unterschiede  —  Neue  Motive :  die  Gotik  —  Br.  und 
das  Franzosentum  —  Religiöse  Motive  —  Br.  Stellung  zur  Religion  — 
Neue  Einschiebungen  —  Der  Ring  —  Verdrängung  eines  Motives  durch 
eip  anderes  —  Verbindung  mit  dem  Tagebuch  —  Verkürzungen  — 
Vfiirbesserungen  —  Stil  —  Wortspiele  —  Namenwitze  —  Wortverbin- 
duncen  —  Klang-  und  Reimspiele  —  Sinnspiele  —  Wiederholung  und 
Steig^ung-=Y  Variationen  des  Stammes  —  Häufungen —  Bilder  —  Um- 
deutungen  —  seltene  Wörter  —  Vergröberungen  —  Konventionelles  — 
Anthropomorphismus  —  Folgerungen  für  Br.  Charakterentwicklung. 

II.  Die  Quellen 

1.  Des   Märchens : 

Zuverlässigkeit  der  Angaben  Brentanos  —  Basile  —  Lucian  —  Mäuse- 
reich —  Prätorius  —  Gesner  —  Chr.  Reuter  —  Fr.  Spee  —  Hölderlin  — 
Musäus  —  Goethe  —  eigne  Werke  —  .,Wunderhorn''  —  Volkslied  — 
Sprichwörter  —  Symbolik  —  Alektryo  —  Phönix  —  Kabbalistische  tal- 
mudistische  Ueberlieferungen  —  Leichenrede :  Gesner,  Praetorius,  Coler, 
Lucian,,  Phnius,  Ambrosius,  Prudentius,  Durandus,  hl.  Schrift  (Brentanos 
Sammeleifer)  —  Erläuterungen :  „gedruckt  in  diesem  Jahr"  —  Merian  — 
Bubenschenkel  —  Abulfeda  —  Castrum  doloris  —  Krünitz  —  Incroj'ables 
—  Geleitsreiter  —  Hilfsbüchlein  —  Centaur  —  Montvilla. 

2.  Des  Tagebuches: 

.,Wunderhorn"  —  Volksgebräuche :  Ostertag,  Johannistag,  Johannis- 
lied,  Kräutersammeln,  Johannisabend  —  Sagen :  Rattenfängersage, 
ewige  Jude,  Graf  von  Staufenberg,  Gräfin  von  Holland  —  Suso  — 
Prätorius  —  Chr.  Reuter  —  Wernicke  —  A.  K.  Emmerich. 

III.  Die  Anspielungen. 

1.  persönliche 

Brentanos  Schaffen  —  sein  Werk  keine  objektive  Wiedergabe  seiner 
Erlebnisse  —  Jugendzeit  —  Tante  Mohn  —  Verena  —  Herr  Schwab  — 
Verabschiedung  des  Ministers  —  Der  Hahn  —  Ortsnamen  —  Geln- 
hausen —  Vadutz  —  Reichskleinodien  —  Marianne  Willemer  —  Anton 
Brentano  —  Sophie  Mereau  —  Emilie  Linder  —  Klosterjungfrauen  — 
L.  Hensel  —  Fr.  Böhmer  —  J.  Kerner  —  unparteiische  Engländer  — 
Salm  —  Septemberle  —  Leib-Lebküchler  —  eigen  Persönliches. 

2.  zeitgeschichtliche  und  litterarische: 

Franzosenplünderung  —  Emigranten  —  luden  —  Naturphilosophie  — 
Magnetismus  —  Wiedererweckten  —  politische  Satire  —  Chr.  Brentano 
und  des  Bruders  polit.  Satire  —  Freimaurer- Voss  —  zeitgenössische 
Unarten  —  litt.  Satire  —  Goethe,  Haller,  Schiller  —  Matthison, 
Bürger  —  Zauberflöte. 


rv.  Entstehung  des  Tagebuches  der  Ahnfirau. 

Aeussere  Daten  —  Ansichten  von  Cardauns  und  Steig  —  Limburger 
Chronik  —  Anspielungen  als  inneres  Kriterium  für  Bestimmung  der  Ent- 
stehungszeit des  Tagebuches  —  Ergebnis. 

Anhang. 

1.  Das  Erntelied. 

Fassungen  bei  Brentano  —  Die  verschiedenen  Versionen  des  Kirchen- 
liedes —  lat.  Hymnus  —  Ursprung  des  deutschen  Liedes  —  Abdruck 
der  Fassungen  —  Brentanos  Vorlagen. 

2.  Auszug    aus    einem    Brief   von    Christine    von    Lassaulx    an 
J.  Cl.  V.  Lassaulx. 

Chronologie  des  Jahres  180_'. 


Vorbemerkung. 

Diese  Arbeit  will  einige  Beiträge  geben  zur  Entstehungs- 
und Quellengeschichte  des  Märchens  »Gockel,  Kinkel  und  Gacke- 
leia«  und  des  »Tagebuchs  der  Ahnfrau«,  sowie  zur  Deutung  der 
Anspielungen  in  diesen  beiden  Werken  Cl.  Brentanos.  Dass  mein 
Thema  neben  dem  Märchen  auch  das  »Tagebuch  der  Ahnfrau« 
umfasst,  mag  gerechtfertigt  erscheinen  durch  Brentanos  Ausgabe,^) 
in  der  die  beiden  Werke  aufs  engste  vereinigt  sind,  und  durch  des 
Dichters  eigne  Worte. ') 


^)  Ausgaben  des  Märchens  und  des  Tagebuches  der  Ahnfrau:  Gockel, 
Kinkel,  Gakeleia,  Mährchen,  wieder  erzählt  von  Cl.  Brentano  (S.  i — 232). 
Blätter  aus  dem  Tagebuch  der  Ahnfrau  (S.  233 — 346).  Frankf.  bei  Schmerber  1838. 
(Erste,  vom  Dichter  besorgte  Ausgabe,  mit  14  Kupfern.)  —  Die  Märchen  des 
Cl.  Brentano  herausg.  von  G.  Görres.  Stuttg.  u.  Tübingen  1846 — 4".  2  Pde. 
2.  Auflage,  Stuttg.  1879.  —  Gockel,  Kinkel  und  Gackeleia.  Wiesbaden  1873.  — 
Ges.  Schriften  Cl.  Brentanos,  herausg.  von  Chr.  Brentano ;  Märchen:  V.,  S.  i — 256. 
Tagebuch:  IV.,  S.  51  — 167.  Frankf,  1852 — 55.  —  Cl.  Brentanos  Ausgewählte 
Prosa,  herausg,  von  J.  B,  Diel.  Freiburg  1873.  2  Bde.;  Märchen  und  Tage- 
buch: II.,  S.  327 — 528.  —  Das  Märchen  Gockel,  Kinkel  und  Gackeleia  (und  das 
Tagebuch)  herausg.  u.  eingeleitet  von  Ed.  Grisebach,  Berlin  1872.  —  Brentanos 
"Werke  herausg.  von  Dohmke.  Leipzig  u.  Wien;  Märchen  S.  133  —  235.  Reclam 
Universalbibliothek  Nr.  450.  —  Benzigers  Familienbibliothek.  5.  Serie,  9 — 10, 
Einsiedeln  1890.  —  M.  Koch,  Arnim,  Klemens  und  Bettina  Brentano,  J.  Görres, 
D.  Nat.  Litt,  herausg.  von  J.  Kürschner.  146.  Bd.  II,  Abt.  S.  339  ffg,  — 
Romantische  Märchen  von  Brentano  und  Tieck,  herausg.  von  Br.  Wille.  Leipzig  1902. — 
Neuere  Veröffentlichungen  über  Cl.  Brentano:  Altromantische  Märchen, 
Felix  Poppenberg  in  der  Zeit,  Wien  1903.  161.  Besprechg.  von  Br.  Wille, 
Brentanos  und  Tiecks  Märchen  (Anklänge  an  die  Neuromantik),  vcrgl.  auch 
AV.  Morris,  deutsche  Litt.  Zeitung  (1903),  Nr.  45,  S.  2750.  —  AV.  Morris,  Ro- 
manzen vom  Rosenkranz,  Berlin  1903,  Vergl.  Anzeige  von  A.  Kerr,  Tag  1903/369, 
ferner  M.  K(och),  Litt.  Centralblatt  (1903)  Nr.  46,  S.  1579  fg.  G.  Frhr.  v.  Kertling, 
Aus  meiner  Autographensammlung  im  Hochland.  Monatschrift,  München  (1903),  I^ 
S.   285   ffg. 

^)   Zueignung  S.   XIV, 


Allgemeines. 


I.  Die  beiden  Fassungen  des  Märchens. 

Das  Märchen  »Gockel,  Kinkel  und  Gackeleia«,  welches  zur 
Gruppe  der  „italienischen  Märchen"*)  gehört,  liegt  in  zwei  Fassun- 
gen vor.  Die  erste  Fassung,  der  "Urgockel,  wird  nicht  vor  1806 
und  nicht  nach  1810  entstanden  sein.  ^)  Die  zweite  Fassung  rühit 
aus  Brentanos  letzter  SchafFenszeit  (etwa  1835  —  3  7).^) 


^)  Ueber  Einteilung  der  Märchen  vergl.  Cardauns,  die  Mäichen  Cl.  Bren- 
tanos, Köln  1895,  S*  2.  O.  Bleich,  im  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 
XCVI.   (1896)   S.  43. 

2)  Den  Arbeiten  von  Cardauns  und  Bleich  über  die  Entstehung  des 
Märchens  —  für  das  Tagebuch  fehlt  noch  eine  eingehende  Untersuchung  —  können 
vielleicht  noch  einige  Daten  nachgetragen  werden.  Ich  gebe  die  ganze  äussere 
Entstehungsgeschichte  in  chronologischer  Reihenfolge  auf  Grund  der  Briefe  und 
Werke  Brentanos  und  jener,  die  ihm  nahe  standen ;  man  vergl.  Zueignung  S.  V., 
S.  VI  ffg. ;  Märchen  vom  Komanditchen,  Görres'  Ausgabe.  Stuttg.  1879.  Cardauns, 
a.a.  O.  Beilage  I,  S.  96,  Frühlingskranz,  herausg.  von  Bett.  v.  Arnim,  Berlin 
1853.  S.  22.  Diel-Kreiten,  Cl.  Br.  I.  S.  126,  Bett.  v.  Arnim,  die  Günderode  I, 
S.  378.  R.  Steig,  Ach.  v.  Arnim  und  die  ihm  nahe  standen  I,  S.  156,  S.  360, 
S.  188.  Briefwechsel  zwischen  Jakob  und  "Wilh.  Grimm  aus  der  Jugendzeit, 
Weimar  1881,  S.  150,  S.  153.  Br.  Ges.  AVerke.  VIII.  S.  143,  S.  161;  Zimmer, 
J.  G.  Zimmer  und  die  Romantiker.  Frankf.  1888,  S.  169.  Diel-Kreiten  II,  S.  12  fg. 
Koch,  Nat.  Litt.  (146)  I,  S.  CXLVIII.  Zimmer  a.a.  O,  8,194.  B.  Ges.  W.  VIII, 
S.  193  fg.,  IX,  S.  360.  Janssen,  Böhmers  Leben.  II,  S.  156  ffg.  Anfänglich 
scheint  der  Titel  des  l.  Rheinmärchens  „.  .  .  Müller  Radlof"  gelautet  zu  haben, 
vielleicht  in  Anspielung  auf  J.  G.  Radlof;  vergl.  Steig  I,  S.  154.  Janssen  'a.a.  O. 
II,  S.  158.  II,  S.  159.  Anm.  2;  Br.  G.  W.  IX,  S.  140  ffg.;  S.  174; 
S.  175  ffg-;  S.  182;  Janssen  a.a.  O.  I,  S.  145;  Br.  Ges.  Werke  IX,  S.  183; 
Janssen  a.a.  O.  IL  S.  166;  I,  S.  143;  IL  S.  169;  S.  233.  B.  G.  W.  IX, 
S.  349.  Janssen  a.a.  O.  II,  S.  241.  G.  W.  IX,  S.  352,  S.  356  fg.  Jans.sen 
a.a.  O.  II,  S.  343.  G.  W.  IX,  S.  358  fg.  Janssen  II,  245.  G.  W«.  IX, 
S.  360.  Janssen  11,  S.  247.  Cardauns,  Märchen,  S.  14.  G.  W.  IX,  S.  365  ffg. 
^-  370-  Janssen  a.a.  O.  II,  S.  387;  II,  S.  486,  472.  Cardauns  a.a.  O.  S-  17. 
G.  Görres  hat  die  i.  Fassung  des  Märchens  zuerst  herausgeg.,  er  hat  auch,  was 
bisher  unbeachtet  geblieben  ist,  in  deutlicher  Anlehnung  an  Brentano  ein  ähnliches 
Märchen  geschrieben,  in  dessen  Mittelpunkt  Gockel  als  Don  Gockelino  steht.  Vergl. 
G.  Görres  deutsches  Hausbuch,  München  1846.  S.  47.  „Don  Gockelinos  Er- 
mordung.     Ein   Gespenster-Mährlein   für  kleine  und  grosse  Kinder." 

'')  Ueber  Datierung  vergl.  Diel,  Kreiten,  a.a.  O.  II,  S.  12.  —  Bleich, 
a.a.  O.,  S.  78.  Cardauns,  a.a.O.,  S.  7.  Steig  im  Euphorion  (1896)  III,  S.  792. 
Dohmke,  Br.   Werke.  S.    10. 


Die  beiden  Fassungen  des  Märchens.  9 

Ein  Abstand  von  mehr  als  25  Jahren  liegt  somit  zwischen 
den  beiden  Bearbeitungen  des  Stoffes.  Wie  die  Zeiten,  aus  denen 
sie  erwachsen  sind,  wie  die  umgebende  Welt,  ihre  Ereignisse.  Strö- 
mungen und  Ideen  ganz  verschieden  sind,  so  wird  das  Antlitz  des 
Brentano  von  1840  denen  fremd  erscheinen,  die  nur  die  Züge  des 
Jünglings  und  heranreifenden  Mannes  kennen  und  lieben.  Seine 
Kindheit  hatte  noch  den  Glanz  des  kurtrierischen  Hofes  und  die 
Herrlichkeit  der  freien  Reichsstadt  Frankfurt,  die  Kaiserkrönung 
Leopolds  II,  und  Franz  II,  gesehen.  In  seinen  Jünglingsjahren 
hatte  er  Deutschlands  Kriegsjahre  mit  durchlebt.  Die  Welt  um 
ihn  kam  zur  Ruhe,  der  Kriegslärm  verstummte.  Ihm  aber  ward 
kein  Friede  zu  teil.  Stürme  erwachten  und  erhoben  sich  von 
neuem,  Stürme,  die  nicht  so  leicht  zu  beschwichtigen  waren. 
Der  phantasievolle,  unruhige  Knabe  hatte  nicht  die  richtige  Er- 
ziehung erhalten  —  er  selbst  vermochte  sie  sich  nicht  zu  geben, 
das  ist  vielleicht  das  Missgeschick  seines  Lebens,  Dieser  Jüngling 
tritt  hinein  in  den  Sturm  und  Drang  der  neuen  Romantik,  er  lebt 
sie  selbst  mit,  früh  lernt  er  die  Liebe  kennen  —  aber  er  bleibt 
unstät,  ruhelos,  schwankend,  er  sucht  nach  stärkeren  Charakteren: 
Savigny,  Arnim,  Görres,  er  findet  ein  kurzes  Eheglück — immer  höher 
steigt  die  innere  Not,  Heidelberg,  Landshut,  Berlin  sind  ihre  Etappen, 
bis  er  endlich  die  Autorität,  die  seinem  Leben  gefehlt,  im  Glauben 
der  Kinderjahre  wiederfindet,  im  Katholizismus,  den  er  nie  ganz 
verlassen,  dessen  poetischen  Stimmungsgehalt  er  stets  verwertet. 
Aus  solchen  Strömungen  und  Zeiten  heraus  erwachsen  seine 
Bücher:  »Godwi«  aus  der  gährenden  Jugend  inmitten  der  Romantik, 
die  Chronika  aus  dem  Liebesleben  des  Mannes,  unser  Märchen 
aus  dem  Freundesverkehr,  die  zweite  Fassung  und  das  Tagebuch 
quillt  ganz  aus  der  neuerworbenen  Weltanschauung,  die  in  ihnen 
jedoch  nicht  allseitig  zum  Ausdruck  gelangt,  sondern  mit  nicht 
geringen  Uebertreibungen  in  mancher  Hinsicht,  Die  verschieden- 
sten Eindrücke  haben  diese  inneren  Erfahrungen  in  seinem  Werke 
zurückgelassen,  Eindrücke,  in  die  wir  durch  einen  Vergleich  der 
zwei  P'assungen,  die  so  gänzlich  verschiedenen  Zeiten  entflossen, 
zu  blicken  vermögen.  Eine  solche  Untersuchung  wird  uns  nicht 
nur  Brentanos  Charakterentwickelung  näher  bringen,  sie  wird  uns 
auch  in  des  Dichters  Werkstätte  führen  und  seine  Arbeitsart 
zeigen,  sie  wird  durch  Beobachtung  der  Einschaltungen,  Fort- 
lassungen und  Veränderungen  aufweisen,  nach  welcher  Richtung 
seine  Gefühls-  und  Gedankenwelt  sich  verschoben  haben.  — 


1  0  Die  beiden   Fassungen  des  Märchens. 

1.  Vergleichung  der  beiden  Fassungen. 

Die  Unterschiede  der  beiden  Fassungen  sind  keineswegs  so 
geringfügig,  wie  Bleich  glaubt, ')  wohl  gestützt  auf  die  Zusammen- 
stellung der  Abweichungen  durch  Koch.  ^)  Mit  Cardauns  kann 
ich  feststellen,  dass  die  erste  Fassung  fast  wortgetreu,  von  kleinen 
A^'eränderungen  abgesehen,  in  der  späteren  Gestalt  enthalten  ist.^) 

Zahlreiche  neue  Motive  sind  in  die  Urform  eingeführt,  alte 
erweite?rt  oder  umgestaltet.  Die  ganze  „herzliche  Zueignung"  fehlt 
in  der  1.  Fassung.  Die  Einleitungen^)  sind  bis  auf  einige 
charakteristische  Varianten  fast  identisch.  Schon  gleich  eingangs 
fällt  eine  interessante  Einschaltung  auf,  die  des  Wörtchens 
„gotisch".^)  Treten  in  der  2.  Fassung  architektonische  Elemente 
überhaupt  stärker  hervor,  so  ist  unter  ihnen  vor  allem  die  Gotik 
betont.")  Deutlich  ist  hier  eine  Seite  in  Brentanos  geistiger  Ent- 
wicklung erkennbar:  seine  Stellung  zur  Kunst.  Wüssten  wir 
nicht  aus  biographischen  Notizen,  dass  er  sich  der  Architektur  in 
Berlin  (bei  Schinkel)  einige  Zeit  widmete')  (1809  — 10),  dass  er 
später  mit  seinem  Freunde  Görres,  mit  Böhmer  und  den  Münche- 
nern ^)  das  fröhliche  Wiederaufleben  der  Gotik  verfolgte,  so  könnte 
man  fast  aus  einem  Vergleich  der  zwei  Fassungen  auf  eine  innigere 
Vertrautheit  mit  der  Architektur  und  der  Gotik  schliessen.  Wie 
gern  verweilt  der  Dichter  bei  architektonischen  Schilderungen; 
wo  es  nur  angängig  ist,  versieht  er  einen  Gegenstand  mit  dem 
Beiwort  „gotisch".  Eine  verspottende  Ironie'')  ist  hier  wohl  aus- 
geschlossen.    In    der   Schaffenszeit,   welcher   die   zweite  Fassung 


1)  O.   Bleich  in   Herrigs   Archiv   XCII.   (189 6)  S.    78. 

-)  Dohnike,  Brentanos  Werke  S.  130.  Koch  Nat.  Litt.  (146)  I  stellt  in 
seiner  Ausgabe  die  wichtigeren  Abweichungen  zusammen.  Vergl.  vor  allem  Cardauns, 
Märchen  S.   38   ffg. 

^)  Ich  bezeichne  die  erweiterte,  von  Br.  besorgte  Ausgabe  (1838)  mit  Gr., 
die  ältere  Version   (Ausg.   v.   Diel)   mit   Kl. 

4)  Gr.  S.    1—4.      Kl.   S.    327  —  329. 

5)  Gr.  S.   85.      Kl.  S.   330. 

«)  Vergl.  Gr.  S.  i  (Titelbild).  Gr.  S.  64/8.  Kl.  S.  362/2.  Gr.  S.  75  u.  a. 
Vcrgl.   die  Kupfer  der  Originalausg. 

")   Diel-Kreilen   a.a.   O.  I.      S.   301    fg. 

*j  In  München  besuchte  er  die  Kunstgesellschaft  ,,zu  den  drei  Schilden'", 
welche  besonders  mittelalterliche  Kunst  pflegte;  (G.  W.  IX,  S.  85.)  Verkehr 
mit  Veit,  Steinle,  Overbeck  (Briefwechsel  Doroth.  v.  Schlegels,  herausg.  von  Raich  1, 
S.   386). 

^)  Eine  leise  Ironie  klingt  im  ^Märchen  -Hüplenstichs  durch.  Ausg.  von 
G.   Görres  11,    19O. 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  }  \ 

ihre  Entstehung  verdankt,  ist  also  Brentanos  Interesse  für  die 
Architektur  nicht  nur  reger,  sondern  bezieht  sich  vor  allem  auf 
die  Gotik J) 

Die  erste  Fassung  scheint  seine  Stellung  gegen  das  Fran- 
zosentum  stärker  zu  betonen ;  im  Ton  gemildert  ist  die  hübsch  aus- 
geführte Erzählung  von  den  Franzosenplünderungen  in  der  Bear- 
beitung. ^)  Höchst  langweilig  und  überflüssig  ist  die  erweiterte 
Geschichte  vom  König  Eifrasius  und  der  Verabschiedung  Gockels, 
wie  auch  die  Abreise  des  Hühnerministers  ^)  und  der  Bericht  von 
der  Ankunft.'^)  —  Eingeschoben  sind  zahlreiche  Liedchen  des 
»Wunderhorn«,  das  seltsamerweise  zum  Urgockel  nichts  beige- 
steuert hat.-'") 

Von  ähnlichem  Interesse  und  Werte  wie  die  Betonung  der 
Gotik  ist  auch  die  Einführung  ausgesprochen  religiöser  Ideen  und 
Tendenzen,  die  Bereicherung  mit  Gebeten  und  moralisierenden 
Reden,  Hierzu  ist  auch  die  häufige  Erwähnung  der  Kloster- 
schwestern zu  rechnen,  die  im  Urgockel  uns  nur  selten  begegnen.'') 
Seine  fromme  Richtung  tritt  uns  überall  in  der  2.  Fassung 
entgegen:  wie  sorgsam  ist  die  Kapelle  gezeichnet,  mit  welch 
unverkennbarer  Vorliebe  der  Trauergottesdienst  ausgemalt. 
Nur  selten  ist  in  der  1 ,  Fassung  vom  Gebet  die  Rede. ''}  In 
der  Neubearbeitung  dagegen  vergessen  Gockel  und  die  Seinen 
es  nie,  Morgen-  und  Abendgebete  zu  verrichten,  während 
sie  es  früher  meist  unterliessen.  ^)  Fromme  Bedenken  werden 
den  Dichter  auch  abgehalten  haben,  in  der  2.  Fassung  den 
Apostel  zu  nennen,  „der  seinen  Herrn  verläugnet  hat." ")  vSehr 
sonderbar  ist  das  Verhalten  Gockels  während  der  Trauer- 
nacht:    im    älteren    Märchen    legt    sich    „der    Raugraf"    ruhig 


^)  Schon  1 8oo  ist  er  mit  gotischen  Studien  ziemlich  vertraut.  Vergl.  Briet 
an  Runge  (G.  W.  VIII,  S.  146).  1808  während  der  Beschäftigung  mit  dem 
2.  Bande  des  »Wunderhorn«  schreibt  er  über  die  Gotik:  ,,Der  gotische  Stil  um- 
fasst  auch  eine  Welt."      Brief  an  Arnim,   Steig  I,   S.    241. 

2)  Gr.   S.   4/10— 4/31,   Kl.   S.    329/33    ffg. 

3)  Gr.  S.  5/9-14/4.  Kl.  S.   ?3o/7-332/25- 

^)  Gr.  S.    15/34  —  17/11   und  Kl.  S.   335/12-15. 

5)   Gr.  S.  5  fg..   Kl.  S.  330/12,   Gr.  S.  47  fg.,    Kl.   S.  357 'iQ,   Gr.   S.  78  fg., 
Kl.  S.   370/25,  Gr.  S.    145/13   ffg.,    21    ffg.,   Kl.   S.   404  fg. 
'')   Gr.  S.  40,   Kl.  S.   357. 
')  Kl.  S.   367/34,  S.   37323   fg. 

«)   Gr.  S.    13/32   fg..   Kl.  S.    333/22,   Gr.  S.    19/7,   Kl.   S.   33618. 
3)  Gr.  S.   14/23   fg..   Kl.  S.  362/11   fg. 


1  2  Die  beiden  Fassungen  des  Märchens. 

auf  die  Stufen  des  Altars  zum  Schlaf  nieder,  die  2.  Fassung  da- 
gegen enthält  diese  Stelle  nicht  mehr.  ^)  Ganz  neu  ist  der  Zug 
der  Marienverehrung  (besonders  S.  47).  Brentano  spricht  von 
Marienkindern,  pflegte  er  sich  doch  selbst  ein  Marienkind  zu 
nennen.-)  —  Wie  erklärt  sich  dieses  stärkere  Hervortreten  religi- 
öser Motive?  Jugend  und  Alter  Brentanos  erhalten  ihr  charak- 
teristisches Gepräge  durch  seine  Stellung  zur  Religion  oder  anders 
ausgedrückt :  durch  das  Verhältnis  des  Antikatholisch-Dämonischen 
in  ihm  zu  dem  nie  verstummten  mächtigen  religiösen  Grund- 
gefühl, ^)  Nimmt  auch  die  1 ,  Fassung  keine  ablehnende  Haltung 
gegen  eine  positive  Religion  ein,  wie  es  schliesslich  die  Tendenz 
des  »Godwi«  ist,  so  geht  doch  kaum  des  Dichters  religiöser  Stand- 
punkt aus  dem  Urgockel  hervor,  weder  ausgesprochene  Sympathie, 
noch  besondere  Abneigung.  Das  ist  nun  in  der  2.  Fassung  ganz 
anders  geworden:  die  Frömmigkeit  des  Dichters  hat  bisweilen 
solche  seltsame  Formen  angenommen,  dass  es  dem  Leser  kaum 
verargt  w^erden  kann,  wenn  er  sich  nur  ungern  durch  die  fröm- 
melnden süss-sentimentalen  Lieder,  die  religiöse  Pflanzensymbolik, 
die  langen  Predigten  hindurchwindet. 

Wenn  Brentano  auch  einmal  gelegentlich  einer  freundschaft- 
lichen Mahnung  Böhmers  sagt:  „  . . .  ich  selbst  vermag  dergleichen 
nicht  mehr  zu  überarbeiten,  denn  ich  müsste  mich  auf  eine  uner- 
laubte, ja  sündhafte  Weise  zurückschrauben,"  so  hat  er  doch  die 
Bearbeitung  gewagt,  sich  aber  nicht  „zurückgeschraubt"^)  —  das 
konnte  er  gar  nicht  ■ —  sondern  aus  seiner  damaligen  wesentlich 
anderen  Gemütsverfassung  und  Geistesstimmung  heraus  das  Märchen 
bearbeitet.  Wie  dieser  Schwärm geist  ein  frommer  Katholik  wurde, 
das  glaubt  man  aus  der  Bearbeitung  durchschimmern  zu  sehen. 

Nur  stilistische  und  logische  Verbesserungen  weist  der 
Empfang  der  Mäuse  ""^  und  deren  Errettung  auf,  eingeschoben  ist 


^)  Gr.  S.  59/32,  Kl.  S.  358.20.  Aehnliche  Veränderungen  linden  sich 
auch  in  der  Bühnenbearbeitung  des  »Ponce  de  Leon«:  ,,Einfluss  eines  geschärften 
religiösen  Gefühls"  bezeichnet  Steig  als  Ursache  (deutsche  Litt.  Denkmale  des  i8. 
u.  19.  Jahrh.  (55  —  57.)  S.  IX.)  Man  vergl.  auch  den  i.  Entwurf  der  Chronika 
(wohl  1803)  mit  der  2.  Bearbeitung  (1818),  wo  sichz  ahlreiche  bemerkenswerte 
Zusätze  finden;   Kreiten  in  den   Stimmen  aus  M.  Laach   (1880)  XIX,   S.   473. 

2)  An  einem  Feste  der  Jungfrau  ^laria  war  er  getauft  und  ihren  Namen 
hatte  er  in   der  Taufe  empfangen. 

^)  Eichendorff,   Zur  Gesch.   der  Dramas,   Paderborn    1866.      III,   S.    153. 

^)  Janssen,   Böhmer  II,  S.    142. 

5)   Gr.  S.    19/19  — 28;  10,  Kl.   S.    336/23—345/9- 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  \  "13 

die  Schilderung  des  Tagewerks  der  Familie  Gockel ')  und  die  lang 
ausgesponnene  Episode  mit  dem  Postillon.  2)  Ausführlicher  erzählt 
er  von  den  drei  Petschierstechern,  sowie  von  der  Leichenfeier  für 
Gallina  und  die  Küchlein,  welche  die  Katze  und  ihre  Jungen  er- 
mordet haben. ^)  Erst  in  der  jüngeren  Bearbeitung  finden  sich  für 
die  Katzen  die  Namen  Mack,  Benack,  Gog,  Demagog  und  die 
sonderbare  auf  die  Freimaurer  hinzielende  Bezeichnung  „Frei- 
laurer,"*)  Bedeutsam  für  seine  Stellung  zum  Freimaurertum  ist 
auch  in  diesem  Zusammenhang  die  Erzählung  der  Katzenver- 
schwörung (Gr.  S.  167). 

Die  2.  Fassung  ist  von  einem  Rankenwerk  überwuchert,  in 
dem  sich  der  Kern  der  Erzählung  seltsam  genug  ausnimmt.  In 
der  älteren  Version  vermag  Brentano  die  Leichenfeier  und  die  sich 
daran  anschliessende  Enthüllung  der  Familienchronik  auf  wenigen 
Seiten  abzutun.  ■'*) 

In  der  jüngeren  Ausgabe  lernen  w-ir  erst  eine  lange  Kräuter- 
symbolik kennen, ")  dann  einen  „adligen  Fräuleinverein  aus  lauter 
Pflanzen  und  Kräutern," ')  wunderbare  Erscheinungen  treten  auf.  ^) 
Deutlich  ist  hier  und  auch  schon  vorher  der  Versuch  einer  Ver- 
bindung des  Tagebuchs  mit  dem  Märchen  wahrnehmbar.  Motive 
sind  eingeschmolzen,  die  mehr  darstellen  als  blosse  Anklänge  an 
verwandte  Gestalten  und  Bilder  des  Tagebuchs,  sondern  die  un- 
mittelbar eine  Vereinigung  der  beiden  so  unendlich  fernstehenden 
Werke  anbahnen  sollen.  —  Weder  das  Wiegenlied  Gackeleias,  ^) 
noch  die  form-  und  inhaltlosen  Reimereien  Alektryos,  die  Ant- 
worten Gockels  ^*^)  und  die  der  Ahnfrau  finden  sich  in  der  1 .  Fassung. 
Am  seltsamsten  ist  die  Einführung  des  Urgockel,  der  nichts 
Besseres  zu  tun  weiss,  als  sofort  eine  lange  gereimte  Lebens-  und 
Stammeserzählung  vom  Stapel  zu  lassen :  diese  1  7  5  Verse  können 
wnr  in  ihrer   Langw'eile   und   Zwecklosigkeit    nur    den    längeren 


1)  Gr.   S.    29/1— 31,   Kl.   S.    345/24—33- 

2)  Gr.  S.   30/13-3817,   Kl.   S.    345/34. 

^)  Gr.  S.  38122,  Kl.  S.  351/8  — ri.  Das  Motiv  der  drei  Petschierstecher 
als  Juden  scheint  in  der  2.  Fassung,  wenn  auch  nicht  ganz  zurückgezogen,  so  doch 
sehr  geschwächt.  Hier  ist  das  Wort  Juden  im  Zusammenhang  mit  Petschierstechern 
wohl  mit  Rücksicht  auf  die  Verbreitung  des  Buches  ängstlich  vermieden:  an  vielen 
Stellen  ist  für  jüdisch  morgenländisch  eingeführt,  so  dass  seltsam  klingende  Ver- 
bindungen zustande  kommen  (z.  B.  S.  174),  jüdisch  kommt  nur  selten  vor 
(3.  B.  S.   40). 

^}  Gr.  S.  20/r,.  Kl.  S.  337/24.  —  5)  Kl.  S.  357/ «8  — 367/34,  dagegen 
Gr.  S.  46/1— 71/12.  —  t^)  Gr.  S.  46/18—48/24.  —  ^)  Gr.  S.  49/3  —  15.  — 
8)  Gr.  S.   49/15—30.  —  9)  Gr.  S.   47   fg.  —  W)  Gr.  S.   51—59/10. 


1  4  Di^  beiden  Fassungen   des  Märchens. 

Puppenreden  i)  zur  Seite  stellen.  Man  sollte  in  der  Tat  annehmen, 
dass  es  dem  Dichter  vor  allem  darauf  ankam,  eine  möglichst  grosse 
Bogenzahl  zusammenzuschreiben,^)  damit  die  Armen,  für  die 
wenigstens  anfänglich  der  Reinertrag  bestimmt  war,  umsomehr 
erhielten.^)  Die  ganze  Einschiebung  bis  zum  Gericht  erstreckt 
sich  über  S.S.  46  —  59/10.  Die  Gerichtssitzung  weist  eine  Anzahl 
bezeichnender  Varianten  auf.  ^)  Bis  zur  Leichenrede  sind  nur 
wenige  Veränderungen.  ^) 

Umgestaltet  oder  doch  wenigstens  verschoben  ist  das  Motiv 
vom  Ringe  Salomonis  und  vom  Hahnenstein.  In  der  1 .  Fassung 
ist  sowohl  im  Anfang  als  zumeist  später  vom  Zauberstein  die  Rede 
(im  Anschluss  daran  von  Kabbalisten  und  Petschierstechern), 
während  die  jüngere  Bearbeitung  stets  von  Salomonis  Siegelring 
spricht.  •')  Der  Zauberstein,  der  Hahnenstein  wird  wohl  aus  der 
italienischen  Vorlage  stammen,  die  bei  der  Ummodelung  ihm  nicht 
mehr  so  lebendig  im  Gedächtnisse  lebte,  der  Ring  Salomonis 
rührt  vielleicht  von  seinen  kabbalistischen  talmudistischen  Studien. 
.Später  (Kl.  S.  369/19,21)  ist  in  sehr  inkonsequenter  Weise  von 
einem  Ringlein  die  Rede,  wahrend  kurz  vorher  (S.  368  4  fg.) 
der  Zauberstein  genannt  wird,  „den  Gockel  aus  der  Tasche  nahm 
und  an  den  Finger  steckte."  Schon  in  der  1 .  Fassung  tritt  also 
ein  allmählicher  Uebergang  des  Steines  zum  Ringe  ein. "') 


^)  Gr.   S.   97 — 107. 

2)  Das  Honorar  wird  nach  Buchstabenzahl  berechnet,  vergl.  Brief  an  Böhmer 
13.  Nov.  1839.  Ges.  Werke  IX,  S.  395  fg.,  vergleiche  auch  Janssen,  Böhmer 
II,   S.    285,   Brief  an  Brentano    28.   Oktober    1839. 

^)  Später  für  eine  arme  Kirche  in  Gelnhausen  (darauf  geht  eine  Anspielung 
Zueign.  S.  V).  Vergl.  Diel-Kreiten  II,  S.  489  fg.  Oft  hatte  er  seine  Muse  zum 
Betteln  ausgesandt:  sein  »Moseleisgang-*,  »Donaueisganglied«,  sein  Festspiel  »am 
Rhein,  am  Rhein«,  vergl.  Ges.  W.  I,  S.  418,  IX,  S.  81,  I,  S.  400.  „Ihre  Geln- 
häuser  kriegen  das  Ihrige",  schreibt  Böhmer  14.  April  1839.  Janssen  a.a.  O.  II, 
S.   247. 

4)  Gr.  S.  61/8,  Kl.  S.  360,  Gr.  S.  62/6  fg.,  Kl.  S.  360/23,  Gr.  S.  62/7—36 
hat  B.  die  ursprüngliche  Idee  verlassen.  Kl.  S.  360/2 — 31,  Gr.  S.  65/24  fg., 
KI.  S.  363/13,  64/18,  362/7,  Gr.  S.  64/8,  Kl.  S.  362,  Gr.  S.  62/17—30,  Kl. 
S.   360/2  —  7. 

.      5)  Gr.  S.   68/28,   Kl.  S.   365/33   fg. 

«)  Gr.  S.  43/1,6,  Kl.  S.  354/29,34,  Gr.  S.  71/24,  Kl.  S.  368/3  ffg., 
Gr.   S.   67/17,   Kl.   S.   364/34   u.   a. 

^)  Aehnlich  steht  es  mit  dem  Motiv  der  Kunstfigur:  in  der  l.  Fassung 
herrscht  noch  „Puppe"  vor,  gegen  Schluss  wird  ,, Kunstfigur"  eingeführt;  K.  über- 
wiegt in  der   2.  Fassung  durchaus. 


VergleichuDg  der  beiden  Fassungen.  15 

Einmal  ist  ein  Motiv  durch  ein  gänzlich  anderes  vollständig- 
verdrängt: eine  kaufmännische  Reminiscenz  dient  ihm  zur  Moti- 
vierung an  Stelle  einer  in  der  1 .  Fassung  stattfindenden  Jagd. ') 
Die  Erklärung  dieser  Tatsache,  sowie  jener,  dass  er  in  der  jüngeren 
Bearbeitung  so  oft  von  kaufmännischen  Geschäften  spricht  —  ein- 
mal schiebt  er  eine  lange  Erinnerung  ein  -)  —  mag  wohl  in  dem 
Umstände  liegen,  dass  der  alternde  Mann  sich  gern  in  die  Jugend, 
ihre  Ereignisse  und  Beschäftigungen  zurückträumt,  was  der  Jüng- 
ling, mitten  im  brausenden  Leben  stehend,  selten  tut.  ^) 

Die  Wunder  des  Ringes,  die  Verjüngung  des  Ehepaares,  die 
Erstehung  des  prächtigen  Schlosses:  alles  wird  aufs  liebevollste 
und  eingehendste  weiter  ausgemalt*)  —  bis  zu  den  Toiletten- 
necessaires auf  dem  Waschtisch.'^)  Neu  ist  auch  die  Scene  der 
Geld  Verteilung,  wo  der  Dichter  seinem  Mutwillen  freien  Lauf  lässt 
(S.  89  fg.,  S.  374/14).  In  der  2.  Fassung  nehmen  diese  Schilder- 
ungen fast  den  doppelten  Raum  ein.  ^)  Bis  zum  Erscheinen  des 
Zauberers^)  finden  sich  nur  kleinere  Veränderungen,  einmal  eine 
längere  Einschachtelung.  *)  Doch  diese  ist  nur  geringfügig  gegen 
eine  andere  bei  Gelegenheit  des  Auftretens  des  Zauberers.  In 
langen  und  öden  Reimereien  -  sie  umfassen  1 0  Seiten  —  sucht 
der  Petschierstecher  und  Naturphilosoph  durch  der  Puppen  Schön- 
heit Gackeleia  zum  Diebstahl  des  Ringes  zu  verleiten.  Sieben 
Seiten»)  nur  verwendet  er  auf  den  Beweis:  die  Puppe  sei  keine 
Puppe,  sondern  „nur  eine  schöne  Kunstfigur",  auf  die  Schilderung 
ihres  Baues  und  ihre  Pflege.  Diese  Erweiterungen,  sowie  die  Be- 
schreibung des  Eierfestes  mit  den  zahllosen  Anspielungen,  die  oft 
durch  eine  scharfe  Ironie  gewürzt  sind,  nehmen  einen  Raum  von 
35  Seiten  ein.  ^^) 


1)   Gr.   S.   34,   Kl.   S.   346. 

2j  Gr.  S.  32,  Kl,  S.  284,  vergl.  auch  die  Märchen  vom  »Schulmeister 
Klopfstock«  und   vom   »Komanditchen«,   Gedichte,   Ges.   W.   I,   S.    532   ffg. 

'^)  Aehnlich  verhält  es  sich  vielleicht  auch  mit  der  Einfügung  der  Lieder 
aus  dem  ;>\Vunderhorn«. 

*)  Die  Verwandlungen,  Schilderungen  des  Palastes  scheinen  durch  Märchen 
aus  »Tausend  und  eine  Nacht«,  die  damals  (1826)  durch  von  der  Hagen  und 
andere  herausgegeben  wurden,  beeinflusst  zu  sein  oder  durch  Oehlenschlägers 
-Aladdin  oder  die  Zauberlampe«  (1808) 

5)  Gr.  S.  76/15  —  77/20,  Kl.  S.  370/8,  S.  83  —  86.-'=)  Gr.  S.  74—79. 
Kl.  S.  369—371.  -  ')  Gr.  S.  95'»o,  Kl.  S.  381/8.  —  ^)  Gr.  S.  89/31—90/27, 
Kl.  S.  376  24.  —  ^)  Gr.  S.  108—114.  —  ^^)  Gr.  S.  95  —  128,  dagegen  Kl. 
S.   381—388. 


1  6  l^ie  beiden  Fassungen  des  Märchens. 

Nur  wenige  stilistische  Veränderungen  und  ergänzende  Ein- 
schiebungen  weisen  die  Bestrafung  Gackeleias,  die  Flucht  der 
P'amilie  Gockel,  ihre  Rückkehr  in  das  neue  Schloss,  die  Wieder- 
gewinnung des  Zauberringes  auf.  ^)  Eingeschoben  sind  die  präch- 
tigen Verse  des  Abendliedes:  „Guten  Abend,  gute  Nacht."  Da- 
neben nehmen  sich  die  Verse  der  Kinderliedchen  (S.  1  45)  nicht  all- 
zu harmonisch  aus. 

Eingehender^)  ist  das  Mäusereich  geschildert:  wir  werden 
gequält  mit  langen  Mäusereden,  •^)  mit  einer  Mäuseprozession,  *) 
mit  der  Schilderung  einer  Katzenverschwörung  und  einer  Mäuse- 
predigt. ^)  Hübsch  ist  das  Motiv  der  Glühwürmchen.*^)  Weit, 
sehr  weit  ausgesponnen  ist  die  Wiedergewinnung  des  Ringes, 
alles  ausgeschmückt  mit  zahllosen  dunklen  persönlichen  und 
litterarischen  Anspielungen,  die  bisweilen  schlechterdings  unver- 
ständlich sind.  "*)     Das  Schlimmste  vollführt  Brentano  am  Schluss. 

Anstatt  sich  wie  im  Urgockel  mit  der  Erzählung  Ciackeleias 
zu  begnügen,  die  naturgemäss  den  Abschluss  darstellt,  fügt  er 
noch  ungefähr  50  Seiten  langatmiger  Gespräche,  neuer  Ent- 
hüllungen, Verknüpfungen,  Anspielungen  aller  Art  hinzu,  haupt- 
sächlich um  die  Verbindung  mit  dem  sich  anschliessenden  »Tage- 
buch der  Ahnfrau«  zu  bewirken.^)  Die  schon  in  der  1.  Fassung 
auferstandenen  Alektryo  und  Urgockel  halten  jetzt  noch  längere, 
unsinnigere  Reden,  die  getötete  Gallina  und  ihre  Jungen  werden 
wieder  lebendig,  eine  Primadonna  erscheint,  die  Frau  Urhinkel 
von  Hennegau  wird  in  einem  Sarge  von  acht  Jungfrauen  getragen, 
eine  Prozession  folgt  ihnen.     Gackeleia  hält  eine  endlose  Blumen- 


^)   Gr.   S.    129  — 142,   Kl.   S.   389 — 402. 

2)  Gr.  S.    148  — 151,  Kl.  S.   407 — 408/6. 

a)  Gr.  S.    153   fg.,   Kl.  S.   410. 

*j  Gr.  S.  154/28  —  159,  Kl.  S.  410/24  —  412/26.  Das  Motiv  der  Mäuse, 
die  pfeifen,  und  der  Kirchenmäuse,  „die  gar  auferbaulich  singen",  findet  sich  auch 
im   »Ponce   de  Leon«   (1802).      Ges.   W.    VII,   S.    lio. 

5]   Gr.   S.    159— 172/2,   S.    166  ffg,    Kl.  fehlt  völlig,   S.   412. 

*'}   Gr.  S.    149/10,18,   Kl.  S.   460/(2. 

■'j   Gr.  S.    171  —  182/14,   Kl.  S.   412/27—417/24. 

^)  Gr.  S.  185  —  233,  Kl.  S.  417/25—419.  Diel-Kreiten  sucht  die  Ver- 
bindung zu  rechtfertigen,  indem  er  das  Märchen  als  eine  notwendige  Einleitung 
zum  Tagebuch  bezeichnet  (II,  S.  478).  Eine  sonderbare  Einleitung,  die  vom 
Geiste  und  Inhalte  des  Hauptteils  denkbar  weit  entfernt,  die  um  die  Hälfte  länger 
ist,  die,  anstatt  zu  orientieren  und  vorzubereiten,  nur  verwirrt.  Br.  selbst  wird 
sich  über  das  Verhältnis  der  beiden  Werke  nicht  klar  geworden  sein  —  er  wollte 
irgend   eine   Verbindung  herstellen.  ; 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  17 

rede,i)  alles  steht  in  Rührung  da  und  schaut  die  Ahnfrau  an.  Jetzt 
erfahren  wir  schon  fast  die  ganze  Geschichte  der  Ahnfrau,  die  wir 
später  noch  einmal  und  dann  noch  ausführlicher  im  Tagebuch 
durchzukosten  haben.  Brentano  hält  es  für  nötig,  uns  mit  den 
„gräflich  hennegauischen  Hühnern-  und  Menschensatzungen",  mit 
den  „Pflichten  der  Klosterfrauen  von  Lilienthal",  mit  dem  Kaiser 
Curio  und  seiner  Frau  Docka  bekannt  zu  machen.  Wir  folgen 
•dem  Leichenzug  der  Ahnfrau  und  endhch  wird  uns  noch  „die 
grossmächtige  breite  Schottländerin  Countess  Miss  Gothol"  vor- 
gestellt. Das  alles  erhebt  sich  deutlicher  aus  einem  Wust  schier 
unverständlicher  Andeutungen  und  Reden.  Am  Schlüsse  erst 
kehrt  Brentano  zur  alten  rührenden  Kindlichkeit  zurück:  das 
schöne  Wunschlied,  in  dem  die  Phantasie  den  Dichter  bisweilen  zu 
weit  fortreisst,  zumal  die  tief  ergreifenden  Verse  gegen  Ende 
atmen  schon  ganz  die  weiche,  rührende  Stimmung  des  Tagebuchs 
wieder  und  scheinen  zu  diesem  überzuleiten.  — 

Gegenüber  den  vielen  und  zum  Teil  beträchtlichen  Erweiter- 
ungen, die  der  Dichter  an  seiner  Arbeit  vorgenommen,  verschwinden 
die  Verkürzungen  fast  ganz.  Sie  sind  Ausnahmen  und  von  gerin- 
gem Umfange  ^)  und  beziehen  sich  mehr  auf  den  Stil  als  auf  den 
Inhalt.  Eine  bedeutende  Verkürzung  kommt  nur  einmal  vor, 
bei    der    Schilderung    des    Traumes.'"') 

Sollen  wir  nun  der  2.  Fassung  jeden  Wert  und  jede  \"er- 
besserung  absprechen?  Das  Märchen  hat  durch  überflüssige 
Einschiebung  kindischer  und  alberner  Erweiterungen  unzweifelhaft 
an  Gehalt  und  Kunstwert  verloren,  aber  anderseits  bedeuten  die 
stilistischen  Verfeinerungen  und  die  grössere  Konsequenz  der  Dar- 
stellung auch  einen  Fortschritt,  der  freilich  die  schlimme  ^''ersün- 
digung  Brentanos  an  dem  eigenen  Werke  nicht  wieder  gut  zu 
machen  vermag.  Die  erweiterte  Fassung  ist  sorgfältiger  gefeilt, 
das  beweist  jede  Seite.     Wortwiederholungen    werden    gewissen- 


^)  Die  2.  Fassung  bekundet  eine  ausgesprochene  Vorliebe  nicht  nur  für 
Blumen-,  auch  für  Tiernamen.  (Der  Katalog  seiner  Bibliothek  (1853),  Königl. 
Bibliothek,  Berlin,  S.  194  ffg.,  enthält  zahlreiche  Tier-  und  Kräuterbücher.  Vor- 
liebe für  Blumen  auch  hn  »Müller  Radlauf«  und  in  der  »Gründung  Prags;.  Ueber 
Blumensymbolik  vergl.  Ges.  W.  I,  S.  422,  11,  S.  433,35,36,  S.  443,  VI,  S.  343, 
S.  47,  VIII,  S.  321,  139.  Tagebuch  S.  331.  Zum  Epheu  und  Immergrün 
vergl.   G.  W.   I,   S.    79,   S.    108   ffg. 

2j  Gr.  S.  36/28,  Kl.  S.  349/14  fg.,  Gr.  S.  37/12  fg.,  Kl.  S.  349/33  ffg., 
Gr.  S.   45/11   fg..  Kl.  S.   356/23   ffg. 

3)  Gr.  S.   26/16  ffg..   Kl.  S.   343/16   ffg. 


"I  g  Die  beiden   Fassungen  des   Märchens. 

haft  vermieden,  der  Ausdruck  ist  schärfer,  präziser,  häufig  auch 
hübscher,  die  Redaktion  ist  sorgfältiger  und  konsequenter J) 
Widersprüche  der  1 ,  Fassung  werden  gewissenhaft  beseitigt.  ^)  Die 
Verse  vor  allem  scheinen  einer  neuen  Durchsicht  unterworfen 
worden  zu  sein,  oft  sind  sie  verkürzt.  ■^) 

Eine  Verfeinerung  ist  auch  die  Einführung  charakteristischer 
Archaismen.  ^) 

Es  sei  mir  gestattet,  auf  die  stilistischen  und  lautlichen  Fein- 
heiten'hier  im  allgemeinen  hinzuweisen,  auf  die  Sucht  Brentanos^ 
mit  Form  und  Inhalt  zu  spielen,  mit  Ton  und  Wort  und  Sinn 
gleichsam  Gauklerkunststücke  zu  treiben  und  so  den  Leser  mit 
Worten  und  Witzen  und  Bildern  zu  ergötzen.-') 

Nicht  immer  anmutig  sind  die  Spielereien  mit  dem  „goldenen 
Kopf",  dem  Zeichen  des  Brentanoschen  Hauses:  ,.Das  goldene 
Zeichen  über  unserem  Hausthor  selbst  schien  mir  aus  diesem  ge- 
lobten Ländchen,  als  es  in  wirrer  Zeit  den  Kopf  verloren,  zu  uns 
emigriert."")  Dagegen  wollen  wir  das  „sei  er  nicht  so  naseweis" 
gelten  lassen,  auf  das  hin  er  fortfährt:  „Darüber  erschrak  der  Alohr 
so  sehr,  dass  er  ganz  weiss  um  den  Schnabel  ward."'')  Echt  Bren- 
tanosche  Weisheit  ist  es,  die  Fledermäuse  zu  den  Mäusen  zu 
rechnen  (S.  104).  Auch  das  Wortspiel:  „Die  Einweihung  des  Mo- 
numentes wird  monumental  werden"  (Gr.  S.  181)  kann  des  Clemens 
Vaterschaft  nicht  verleugnen,  eben  so  wenig  die  Trotzköpfigkeit: 
„Verbietet  uns  der  Doktor  das  Bier,  so  trinken  wir  Gerstensaft." 
(Gr.  S.  108.)  Namenwitze  begegnen  uns  sehr  oft  in  Zusammen- 
setzungen der  Wörter:  Hahn,  Huhn,  Henne,  Gockel,  Hinkel,  Maus 
mit  Suffixen  oder  Substantiven.  Wir  finden  ein  langes  Register: 
König  Hahnri  (Henry),  Hanebach,  Hüningen,  Hünefeld,  Hunheun, 
Hühnerbein,  Henneberg,  Gockelsruh,  Hinkeis,  Gockel  und  Gackeleia 


1)  Gr.  S.  27/13,  Kl.  S.  344/16,  Gr.  S.  1/15,  Kl.  S.  327/ 14,  Gr.  S.  20/19  ffg., 
Kl.   S.   337/25. 

•■i)  Z.  B.:  Gr.  S.  28/25  %.  Gr.  S.  37/25  ffg.,  Kl.  S.  345/22,  Kl. 
S.   354/14  %.   Gr.  S.   40/24  ffg..   Kl.   S.   352/23   ffg.  u.   a.   m. 

^j  Gr.  S.  65/11,  Kl.  S.  363,  Gr.  S.  87/4,  Kl.  S.  373/30,  Gr.  S.  59./18, 
Kl.  S.   358/6,   Gr.  S.   63/7,   Kl.   S.    361/7. 

•i)  Gr.  S.  59/28,  Kl.  S.  358,16,  Gr.  S.  61/8,  Kl.  S.  360,  Gr.  S.  62/2, 
Kl.   S.    360,26,   Gr.  S.    142/3,   Kl.   S.   420  20. 

^)  Sehr  fördernd  sind  die  feinsinnigen  Untersuchungen  Roethes  über  den 
.Stil  Brentanos  in  »Ponce  de  Leon«,  vergl.  G.  Roethe,  Brentanos  Ponce  de  Leon,. 
Berlin    1901,   S.    22   ffg. 

*5)   Zueignung  S.   VI,   S.   IX. 

7)   Gr.  S.    103,   Kl.   S.    378. 


f»r 


VV^f^T-rfpr^-. 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  19 

d'ors,  Hennenthaler  u.  a.  m.  Ganz  Brentanos  Art  sind  Verbin- 
dungen wie:  „Königl.  Hühnerministerial- Zapfen brett", ')  Bildungen: 
Eifrasius,  2)  Ihre  Eiesstät  Eifrasius,  '^)  Eilegia.  *)  Aus  dem  Hohelied 
Salomons  macht  er  „das  höchste  Lied";'^)  er  bildet  die  schönen 
Wortverbindungen:  „Miniatur  von  einer  Kleinigkeit  einer  Baga- 
telle" oder  „Komma  cum  Pünktlichkeit  duo  Pünktlichkeit." '')  Wir 
sind  hier  schon  bei  der  lustigen  Umbildung  des  Fremdwortes  an- 
gelangt. Wir  lesen:  Maus  —  Mausoleum,^)  Gackeleioeum ; '') 
Maus  —  Mausolus;  daneben  jMausheit,  Mäuslichkeit  u.  a.  Cata- 
lani  -  Cata,  Katz  —  Lani,  Wolle ;  Mauselani  —  i")  Demagogokolie, ' ') 
Kibitz  —  Kiwi  —  qui  vit,  ^^)  Kibitzen,  Kibitken.  ^^) 

Aus  den  oft  vorkommenden  Klang-  und  Reimspielen  zitiere 
ich  nur  wenige:  ripps  rapps,  gripps  grapps;  schicklich  erquicklich; 
witzig  spitzig,  vor  allen  lese  man  die  Rede  der  Schwalbe;  ^^)  weiter: 
wischi  waschi;  wa;  wa;  „der  ungeheure  grosse  gotische  Säulen- 
wald mit  unzähligen  Schnitz-,  vSpitz-,  Glitz-,  Blitz-,  Ritz-,  Kritz- 
und  Spritzwerk  in  vorgothischen  und  hintergelnhausischen  Spitz- 
bubenschenkel-*■'')  Katzenellenbogenstyl;"  ^'')  pratsch,  pratsch;  bra- 
vissimo da  capissimo,  cito  citissimo  ^^)  u.  a.  ^^)  Alliterationen 
sind  auch  nicht  selten :  Busch  und  Baum, '  -')  Gut  und  Gold 
und  Geld.  ^  ) 

Zahlreichen  Sinnspielen  begegnen  wir  vor  allem  in  den  Dia- 
logen. Zum  Beispiel:  „ein  Schloss,  w^oran  nichts  auszusetzen  war, 
denn  es  war  nichts  darin,  aber  viel  einzusetzen."^')  „Armut  ihr 
leerer  und  doch  so  schwerer  [Betteljsack."  ^-)  „Als  sie  nun  zu 
Hause  mit  den  Hühnern  fertig  waren,  machten  sie  nicht  viel  Feder- 
lesens und  hatten  bald  mit  diesem,  bald  mit  jenem  Nachbarn  ein 
Hühnchen  zu  pflücken."  ^"^)    „Vater  Gockel  war  bei  ihnen  und  so 


1)  Aelinliche    Zusammenstellungen:    Gr.    S.   7,    S.    119,    S.    30,    S.    32. 

2)  Gr.  S.  5/18.  -  3)  Gr.  s.  5/29.  —  ^)  Wortspiele  mit  „Ei":  Gr.  S, 
120,  199,  Kl.  S.  385.  —  5)  Gr.  S.  85.  —  6)  Gr.  S.  115.  —  7j  Gr.  S.  207. 
—  8)  Gr.  S.  151.  —  !>)  Gr.  S.  167.  —  W)  Gr.  S.  25,  Kl.  S.  352.  —  H)  Gr. 
S.  105.  —  12j  irn  Älärcben  »vom  Dilldapp«  kehrt  das  Wortspiel  Qui  vit  — 
Kibitzen  wieder.  Görres  Ausg.  11,  S.  365.  —  ^^)  Gr.  S.  92,  Kl.  S.  378.  — 
1*)  Gr.  S.  63  fg.,  Kl.  S.  361  fg.  —  15j  Zu  »Bubenschenkel«  gebildet.  —  16)  Qr. 
S.  172.  Einfluss  von  Fischart,  vergl.  auch  oben  S.  21.  —  ^^j  Gr.  S.  i?o.  — 
18)   Gr.   S.   44,   51    fg.,  S.   121,   bs.   Gr.  S.    173/19,   Kl  S.  386  fg.  —  W)  Gr.  S.  i. 

20)  Gr.  S.  71,  Kl  S  368;  ferner:  Gr.  S.  2/9,  Kl.  S.  368  6,  Gr.  S.  2/17, 
Kl.  S.   328/15.  Gr.   S.    1 16/10,   Gr.  S.    122/9,   Kl.   S.   387/9   (teilweise). 

21)  Gr.  S.    I,   Kl.  S.   327.  —  22j  Gr.  S.   3,    Kl.   S.   328.  —  23)   Gr.  S.   4. 


20  I^'*^  beiden   Fassun^^cii  des   Märchens. 

einerlei,  dass  er  nicht  so  allerlei  empfinden  konnte;"')  „wollte  Gott 
ein  Wunder  zur  Erbauung  der  Kirche  thun,  an  eurem  Umschauen 
fehlt  es  nicht,  so  hätten  wir  einen  Wald  von  Säulen,  ehe  man  sich 
umsieht  .  ,  .  Da  schauten  sich  um  alle  Fräulein  und  dienten  ver- 
wandelt in  Säulen  zur  allgemeinen  Erbauung  der  Kirche.  So 
wurde  die  Kirche  zwar  sehr  schnell,  aber  doch  nicht,  ehe  man  sich 
umsah,  erbaut;"^)  oder:  „kein  Hühnerauge  ohne  Mitgefühl."-') 

Wenig  gelungen  erscheint  der  Doppelsinn  in  dem  Wortspiel: 
„Als  sie  abgespeist  hatten,  ging  Gockels  Grossvater,  um  das  Desert 
zu  besehen,  es  war  eine  Wüste."  ^)  Selten  treffen  wir  eine  Ver- 
bindung, der  ein  W^iderspruch  zu  Grunde  liegt,  wie:  „immer  nur 
dich,  nimmer  aber  mich.'"')  Die  etymologische  Figur  findet  sich 
auch  nicht  häufig:  zu  Altvordern  bildet  er  Junghinteren,*')  (dazu 
urälterliche,  altvorderliche  Studien '')  zu  Akertümern  Neuertümer.^'*) 

Ein  Klangwitz  ist  zu  erblicken  in  den  „Salzkukummern,  die 
kümmerlich  schmecken."  '•') 

Ein  charakteristisches,  oft  wiederkehrendes  Mittel,  den  Dialog 
oder  die  Schilderung  lebendig  zu  gestalten,  ist  die  Wiederholung 
und  Steigerung:  „ach  der  Klapperstorch,  der  Klapperstorch ;"  ^o) 
„ach  der  Vater,  ach  der  Vater,  ach  was  wird  der  Vater  sagen;  ach 
er  wird  mich  umbringen ;"'')  „die  verzwiefelte,  verzweifelte  Misse- 
Misse-Missetat." ' ^)  „Das  ist  die  Eule,  die  grosse  alte  Eule."  '") 

Seltener  ist  die  Variation  desselben  Stammes,'*)  wie  in:  „ein 
gewisses  Gewissen,"  '='')„ihre  Lebzelten-Vorältern  leben  neben  ihr."  i^) 
Fast  jede  Seite  dagegen  weist  Häufungen  auf.  Man  lese  nur  jene, 
wo  ohne  Zweifel  Fischarts'^)  Einfluss  mitgewirkt  haben  wird:  „Potz 
Stachel-,  Kreusel-,  Preissei-,  Kloster-,  Hollunder-,  Wachholder-, 
Berberitzen-,  Johannes-,  Brom-,  Himbeeren!  Potz  Quendel,  La- 
vendel, Bux,    Taxus,  Mispel.  Quitten  und  Hassel!     Potz  Tymian 


1)  Gr.  S  159.  —  '^}  Gr.  S.  172  fg.;  ferner:  Gr.  S.  4/25  fg ,  5/26  fg.; 
Gr.  S.  124,  Gr.  S.  125,  Gr.  S.  184.  —  •')  Gr.  S.  210.  —  ^)  Gr.  S.  4  fg.  — 
5j  Zueignung  S.  III;  ferner:  S.  4  10,  S.  11  flfg.,  Kl.  S.  331  fg  —  "j  Kl.  S. 
329.     —  '')   Gr.   S.    216.     —   ^)   Zueignung  S.   IV.    —     '•')   Gr.   S.    173,   Kl.  S.   413. 

—  10)   Gr,    S.    15.     -     11)   Gr.   S.    36,   Kl.   S.    349.  —    l-'j   Qr.  S.   63,   Kl.   S.  361. 

—  1-^j  Gr.  S.  6b,  Kl.  S.  364;  ferner:  Gr  S.  2/32,  Kl.  S.  328  29,  Gr.  S.  74, 
S.  8i'23,  Kl.  S.  372/26,  Gr.  S.  96,  S  97,  .S.  107,  108,  S.  128/15,  Kl.  S.  389/1 1. 
Gr.  S.  129,  S.  220  fg.  -  1^)  cf.  Roethe,  a  a.  O.  S.  35.  —  l^j  Gr  S.  213.  — 
1")  Gr.  S.  218.  —  l'j  Vergl.  Fr.  Schultz,  J.  Görres  als  Herausgeber,  Litterar- 
liistoriker,  Kritiker  im  Zusammenhang  mit  der  jüngeren  Romantik.  Berlin  1902. 
Palaestra  VII.  l'ischart  und  sein  Einfluss  auf  die  Philister  von  Brentano.  S.  89, 
Anm.   4. 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  21 

Majoran,  Baldrian,  Rosmarin,  Hisop  und  Salbei."  ')  Weniger 
maniriert  ist  die  Häufung  bei  der  lustigen  Prügelscene.  ^)  Beach- 
tenswert ist,  dass  die  2.  Fassung,  auch  was  die  Häufungen  angeht, 
eine  Bereicherung  aufzuweisen  hat. 

Während  das  Märchen  selbst  an  Bildern  verhältnismässig 
arm  ist,  reiht  sich  in  der  Zueignung  ein  Bild  an  das  andere. 
Man  müsste  die  ganze  Einleitung  ausschreiben,  um  eine  er- 
schöpfende Vorstellung  von  diesem  Reichtum  zu  geben.  Da 
hören  wir  von  dem  Nürnberger  Bilderbogen  der  verkehrten  Welt,') 
von  „Träumen,  welche  die  Pillen  der  sogenannten  Wirklichkeit  ver- 
golden."-*) „Die  Märchenwelt,  die  über  der  Wirklichkeit  wie  ein 
Sternhimmel  über  einer  Froschpfütze  lag-,"^)  oder  von  „Herrn 
Schwab,  an  dessen  Originalitätsstaketen  alte  Reben,  Geisblatt-  und 
Bohnenlauben  unserer  Phantasie  hineingerankt  waren."  •')  Wunder- 
bare Bilder  ergeben  sich  aus  den  Titeln  zeitgenössischer  Werke."') 
Bemerkenswert  sind  noch  jene,  welche  mit  den  Wörtern  Hahn, 
Huhn  in  Zusammenhang  stehen :  eine  Rede  unterkrähen,  ""■)  Rech- 
nungen ausbrüten  ")  und  ähnliche.  Wir  lernen  „die  Verschönerungs- 
kommission der  vier  Jahreszeiten  kennen"  ^'^)  und  „vernehmen  einen 
Dank-Triller,  der  bis  zum  Pfarrturm  hinaufstieg",^')  das  Echo  ist 
ihm  „eine  unverbesserliche  Wiederbellerin"  ^-)  u.  a. 

Bibelstellen,  Sprichwörter  und  feststehende  Redensarten 
werden  verändert.  So  sagt  er:  „Mir  war  als  einem,  dem  das 
Paradies  und  das  Butterbrot  mit  der  fetten  Seite  auf  die  Erde  ge- 
fallen sind."^-')  Oder:  „so  gern  wie  alle  Mäuse  Salz  lecken,  brauchen 
wir  doch  keinen  Scheffel  Salz  mit  diesen  kuriosen  Grafen  zu  essen, 
bis  wir  sie  kennen  lernen."  i^)  „Ich  will  mein  Geld  für  die  Katze."  *•) 
Bibelstellen  und  Sprichwörter  werden,  wenn  auch  gerade  nicht 
parodiert,  so  doch  umgedeutet  oder  auf  vorliegende  Verhältnisse 
angewandt:  „Gott,  der  die  Raben  füttert,  welche  nicht  säen,  wird 
auch  Gockel  nicht  verderben  lassen,  der  nicht  säen  kann,"  i'')  „Man 
kauft  keine  Katze  im  Sack,  viel  weniger  einen  Hahn."  ^'')  „Man 
muss  dem  Beil  seinen  Stiel  kaufen  und  dem  Kind  sein  Püpp- 
chen."^^)       „An   der   Klaue    erkennt    man    den    Eöwen    und    an 


1)  Gr.  S.  i6,  Gr.  S.  i;2.  —  2j  Gr.  S.  90;  ferner  S.  IV,  S.  VI  ffg , 
S.  IX,  S.  3  28  flg.,  S.  3(),  S.  70,22  fg.,  S.  74,  88,  Kl.  S.  375,  Gr.  S.  90, 
S.  115,  KI.  S.  383.  —  3j  Gr.  S.  IV.  —  -•)  Gr.  S.  V.  —  '^)  Gr.  S.  VII.  - 
*>)  S.  IX.  -  ')  S.  IX  fg.  —  ^)  Gr.  S.  32,  Kl.  S.  329,18  —  9)  Gr.  S.  7.  — 
i«)  Gr.  S.  54.  —  u,  Gr.  S.  120.  —  12)  Gr.  S.  173.  —  13)  Gr.  S.  XI.  — 
1^)  Gr.  S.  172.  —  löj  Gr.  S.  44.  -  "5)  Gr.  S.  1 2,  Kl.  8.332.  —  l^)  Gr. 
S.   40.    KI.   S.    352.    -    1«)   Gr.  S.    108. 


22  ^^^  beiden   Fassungen   des  Märchens. 

der  Hand  die  Gräfin  von  Hennegau."  ^)  „Zwei  Mäuschen  und 
sieben  Sächelchen."  -) 

Von  selten  vorkommenden  Wörtern  und  Verbindungen 
sind  vor  allem  zu  erwähnen:  Federgeviehzel, •')  fresslieb  haben, 
gewinnen;^)  pumpsattessen ; ^)  verschäferter Prinz ; ^)  Menschenwohl 
bezwecker. '') 

Dass  bei  der  erweiternden  Bearbeitung  auch  m.anche  Ver- 
gröberungen eingedrungen  sind,  ist  nicht  zu  verwundern.^)  Motive, 
die  früher  durch  ihre  Kürze,  ihre  naive  Kindlichkeit  angezogen 
haben,  werden  jetzt  durch  Einfügung  persönlicher  Züge  ins  Mass- 
lose erweitert,  dass  sie  fast  unleidlich  werden.  Namentlich  gilt  das 
von  den  Einschiebungen  religiöser  Natur. 

Vor  allem  fällt  der  Zug-  ins  Formelle,  Konventionelle  auf. 
Wie  fern  steht  der  Dichter  der  ersten  Fassung  dieser  Neigung  des 
bedächtig  klügelnden  Alters.  Anfänglich  äussert  sich  das  Be- 
streben, formelle  und  zeremonielle  Züge  einzuführen  nur  schwach 
in  der  Hinzufügung  von  Titeln  und  Namen.  „Eifrasius"  und 
„Eilegia'"  treten  in  der  1 .  Fassung  nur  selten,  in  der  zweiten  jedoch 
stets  auf.  Vorhandene  Züge  werden  noch  stärker  betont  bis  ins 
.\lberne  und  Unerträgliche,  man  lese  nur  die  Begegnung  des 
Petschierstechers  mit  Gackeleia. ") 

Interessant  ist  die  verschiedene  Behandlung  des  Alektryo. 
In  der  2.  Fassung  tritt  der  Hahn  entschieden  deutlicher  aus  dem 
Märchen  hervor,  wie  Brentano  überhaupt  auf  alle  Gestalten  stärkere 
Accente  legt.  Einerseits  ist  im  Hahn  das  Gockelhafte,  das  Tierische 
mit  grösserem  Nachdrucke  betont,  anderseits  ist  eine  Neigung  zur 
Anthropomorphisierung  sichtbar.  In  der  2.  Bearbeitung  sind  die 
Namen  „Alektryo"  und  auch  „Gallina"  —  sie  erscheinen  als  Eigen- 
namen —  gleich  von  Anfang  an  und  immer  eingefügt,  während 
dies  in  der  1 .  Version  später  und  seltener  geschieht.  In  der 
2.  Fassung- ^*^)  wird  Alektryo  sogar  tiefsinnig,  er  meditiert. 

Den  grössten  Gewinn  aus  unserer  Vergleichung  werden  wir 
für    die    persönliche    Charakteristik     des    Dichters    ziehen.       Bei 


1)   Gr.   S.    209.   —   -)   Gr.   S.    171.    —    '■'}   Gr.   S.    142,    Kl.  S.   402:     Tiere, 

—  *)   Gr.   S.    166,    218,    vergl.   Roethe,   a.   a.   O.    S.   92   Anm.  —  "J   Gr.   S.    170. 

—  >')   Gr.   S.   VII.   —    ')   Gr.   S.    169. 

«)  Z.  B.;  Gr.  S.  28/25  %,  Cir  S.  37/25  %.  Kl.  S.  345/22,  Kl.  S. 
350/14   ffg.,    Gr.   S.    40/24    ffg.,    Kl.   S.    352/23    ftg.   u.   a.    m. 

^)   Gr.   S.    97,   Kl.   S.    382,   Gr.  S.    115/4,14,   Kl.   S.   383/1,12   u.   a.  m. 

1^)  Besonders  (ir.  S.  83.  A'ielleicht  hat  hier  Rcineke  Fuchs«  als  Muster  vor- 
'cschwebt. 


j 


Vergleichung  der  beiden  Fassungen.  2ö 

keinem  Romantiker  vielleicht  spiegelt  das  Werk  in  jeder  Hinsicht, 
im  Guten  und  Schlechten,  so  ganz  die  Seele  des  Dichters  wieder, 
wie  bei  Brentano.  Was  er  in  einem  anderen  Zusammenhang  sagt: 
„Die  Seele  muss  Held  sein,"  ^)  gilt  auch  von  seinem  Märchen  und 
jenes  andere  rührend  bescheidene  Wort:  „so  war  leider  ihr 
Gegenstand  kein  besseres  Kunstwerk,  als  meine  eigene  arme 
Person."  ^) 

Grisebach  hat   das   spätere   Märchen  „einen  Abglanz   seiner 
neuen  Geistesrichtung"  •^)  genannt,  und  dem  stimmen  wir  zu.  wenn 
wir  es  auch  mit  Cardauns  nicht  „als  den  völlig  adäquaten  Ausdruck 
dieser  Richtung"  ^)  betrachten   können.      Brentano  hat  nicht,  wie 
man  schon  behauptet  hat,  in  den  letzten  Lebensjahren,  überhaupt 
nach    seiner   Rückkehr    zur    Kirche,    jegliches    Kunstgefühl,   jede 
dichterische  Kraft  verloren ;  ^)  das  aber  geht  aus  einer  ästhetischen 
Würdigung  der  zwei  Bearbeitungen  herv'or:    seine  Zeichnung  ist 
weniger  frisch   und   klar,    sie   streift   hart   an  Verworrenheit  und 
Schwülstigkeit,  seine  Selbstzucht  ist  noch  geringer  als  früher,  seine 
Phantasie  überspringt  alle  Schranken,  ^')  seine  Gefühle  sind  nicht 
einfach  vuid  natürlich,  sondern  all  zu  oft  kindisch,  fast  sentimental,') 
jugendlicher  Uebermut  und  frohe  Laune  sind   noch  immer  vor- 
handen, aber  langsam  rückt  doch  schon  greisenhaftes  Empfinden 
und  Denken  heran.    Zwar  hat  das  Märchen  durch  die  Umarbeitung 
an  manchen  Stellen  Vertiefung  und  Verfeinerung  erfahren,   Be- 
reicherung an  glücklichen  Einfällen,  hübschen  Motiven,  aber  die 
Einheit,   die   kindliche  Unbefangenheit,    die  Einfachheit  und  Ur- 
sprünglichkeit und  Abrundung  sind  verloren  gegangen.     Meles 
erscheint  gekünstelt,  die  schöne  Harmonie,   die  den    »Urgockel« 
auszeichnete,    ist  verbannt  und  zerstört,    alles,   auch  das  Edelste, 


h  von  Holtei,   Briefe  an  Tieck,   Breslau    1864,   I,   S.   95     g. 

2j   Ges    ^,^'    YUI,   S.    143   fg. 

^)  Grisebach,  Das  Goethesche  Zeitalter  der  deutschen  Dichtiuig,  1891.  S. 
138,   Anm. 

^)   Cardauns,   a.   a    O.   S     143. 

"j  Einige  Jahre  später,  Ende  der  30er  Jahre  (vergl.  Kreiten  II,  509,  Ges. 
W.  IX,  88)  schrieb  er  eine  seiner  vollendetsten  Dichtungen,  die  tief  poetische 
Legende   der  hl.   Marina. 

"j  Dorothea  Schlegel  bemerkt  einmal  (1801):  ,, Seine  Charaktere  eignen  sich 
sehr  gut  zu  Masken.  Nur  müsste  er  sich  aufopfern  lernen  und  wohl  um  die 
Hälfte  kürzen."      (Briefwechsel,   herausg.   v.   Raich,   Mainz    i88t,   I,   S.    76.) 

)  ,,Er  schämt    sich   seiner  sentimentalen  Ader,    die    er    doch    garnicht    ver- 
leugnen  kann."  (Doroth.   Schlegel,   a.   a.   O.  I,   41.) 


24  Die  beiden  Fassungen  des  Märchens. 

Wahrste  und  Reinste  glaubt  der  Dichter,  wenn  auch  nicht  ver- 
werfen, so  doch  noch  erheben  und  verbessern  zu  müssen,  ^)  und 
wie  vieles  aus  der  ersten  Fassung  will  ihm  nun  als  falsch  oder  gar 
sündhaft  erscheinen!  Sein  Genius  ist  gehemmt  durch  die  Furcht, 
„etwas  zu  schreiben,  was  meine  innere  Ueberzeugung  nicht  billigen 
kann".  Es  ist  das  Verhängnis  seiner  inneren  Ruhelosigkeit,  ^)  eine 
tief  wurzelnde  seelische  Krankheit,  die  seine  dichterischen  Aeusser- 
ungen  so  gestalten,  nicht  so  sehr  sein  neuer  religiöser  Standpunkt. 
Brentano  schwankt  immer  zwischen  den  zwei  Polen  seines  dämo- 
nischen Xaturgefühls,  der  daraus  sich  entwickelnden  Autonomie, 
die  ihn  unaufhaltsam  durch  alle  Fernen  treibt,  ihn  heisst,  allen 
Zwang,  alle  Autorität  abzuweisen,  und  des  Glaubens,  den  er  mit 
Hingebung  und  Demut  umfassen  möchte,  unter  Verzichtleistung 
auf  andere  Neigungen  und  Triebe,^)  Mit  aller  Kraft  richtet  er 
sich  auf  und  sucht  diesen  Zwiespalt  zu  beseitigen,  indem  er  sich 
ganz  dem  religiösen  Grundgefühl  hingibt,  indem  er  Witz  und 
Ironie  freien  Lauf  lässt,  aber  nicht  ihrer  selbst  wegen  (wie  er  früher 
selbst  und  wie  später  Heine),  sondern  um  das  Niedere  und  Schlechte 
zu  vernichten,  sie  zeugen  von  einer  hohen  moralischen  Kraft.  Das 
ist  eben  das  Rätsel  seiner  Doppelnatur,  der  Widersprüche  in  seinen 
Schöpfungen. 

Aus  diesen  Stimmungen  seiner  Seele  erklärt  sich  die  zweite 
Fassung.  Aus  persönlichen  Momenten  und  Erinnerungen  ist  sie 
hervorgequollen,**)  gleichgültig  ist  es  ihm,  ob  sie  einem  weiteren 
Leserkreise  als  Unsinn  und  Rätsel  erscheint;-'*)  alles  ist  zusammen- 
gesucht aus  den  entlegensten  Winkeln,  bunt  zusammengeflickt,  so- 
dass EichendorfF  wohl  mit  gelindem  Spotte  von  einem  „poetischen 
Schneider"  sprechen  durfte.  - 


^)  Dazu  kommt  noch  eins  :  Das  Tagebuch  war  fast  ganz  unter  der  Herr- 
schaft des  neuerwachten  reh"giüsen  Gefühls  geschrieben  Avorden,  und  da  die  i.  Fas- 
sung des  Märchens  nicht  so  sehr  unter  dem  Einflüsse  religiöser  Stimmungen  stand, 
musste,  schon  um  einen  Gleichklang  herbeizuführen,  das  religiöse  Motiv  im  Märchen 
noch   gesteigert  werden.      Vcrgl.   auch  Bleich,  a.  a.   O.   S.    84. 

2)   Steig,  a.   a.   O.   I,   S.    iio,   Koch,   Nat.   Litt.  a.   a.   O.   S.   CXXXVIII  fg. 

•')  Vergl.  die  treftende  Charakteristik  von  Eichendorif,  Zur  Geschichte  des 
Dramas,   Ges.   W.   III,    153.      Paderborn    1866. 

■*)  ,,Vicl  tief  Gefühltes  und  Erlebtes  ist  darin  und  selbst  der  Mutwille  war 
ein  Kind  des  Schmerzes."  G.  W.  IX,  370.  Die  Märchen  waren  ihm  ein  müh- 
seliges Potpourri  aller  seiner  Zustände.  G.  W.  IX,  491,  vergl.  auch  Janssen,. 
Böhmer  I,   S.    143,   G.   W.   VIII,    135. 

^)  Cardauns,   a.  a.   O.    S.    44. 


Die  Quellen.  •  25 

II.  Die  Quellen. 

1.  Des  Märchens. 

Die  Tatsache,  dass  sowohl  Cardauns, ')  wie  Bleich  -)  einzelne 
Quellen  noch  nicht  aufgefunden,  •^)  dass  vor  allem  in  der  Leichen- 
rede noch  manche  dunkle  Stelle  aufzuhellen  war,  veranlasste  mich, 
noch  einmal  die  Quellen  des  Märchens  (und  auch  des  Tagebuches) 
zu  untersuchen.*) 

Brentano  selbst  gibt  in  seiner  »herzlichen  Zueignung«  Auf- 
schluss  über  seine  angeblichen  Quellen.  „Die  Grundlage  von  dem 
Ring  und  dem  Hahn"  soll  nach  seinem  Geständnis  ■'')  von  einem 
wälschen  Chokoladenmacher  stammen;  die  Namen  Gelnhausen  und 
Vadutz  beruhen  auf  Jugenderinnerungen  und  -Spielen,  in  das  Land 
Hennegau  ist  er  durch  Gockel  und  Hinkel  geraten.  So  erzählt 
er  dem  „Grossmütterchen",  Marianne  Willemer,  in  einem  Gemisch 
von  Wahrheit,  Uebermut  und  Laune.  Ich  vermag  nicht  wie  Koch, ") 
Dohmke'')  und  Diel-Kreiten**)  es  tun,  diesen  xVngaben  grossen  Wert 
beizumessen  und  gar  biographische  P'olgerungen  aus  ihnen  zu 
ziehen ;  wie  Cardauns  halte  ich  diese  Angaben  für  lustige  Spielerei^ 
für  ein  Erzeugnis  seiner  gewaltig  schaffenden  Phantasie.  Es  mag 
dem  Dichter  ergangen  sein  wie  Gockel:  „Alles  Gehörte  erweckte 
dunkle  Erinnerungen  wie  von  Märchen  aus  seiner  frühesten  Jugend 
in  ihm."  •')  Gewiss  mögen  Jugenderinnerungen  ihm  Anregung 
gegeben  haben,  aber  er  besass  doch  mehr,  eine  bestimmte  Quelle, 
die   ihm    Kern    und    wesentliche  Züge  des  Märchens   bot:!*^)    das- 


^)   Cardauns,   a.  a.   O.   S.    32    ffg. 

-)  Bleich,   a.    a.   O.   S.    80. 

^)  Die  Quellen  zum   Tagebuch   sind  überhaupt  noch   nicht  untersucht. 

■'j  Zwar  wissen  wir  heule  mehr  von  ihnen  als  der  Herausgeber  G.  Görres : 
„Der  Grund  seiner  Dichtung  ruht  auf  älteren  Quellen  "  Doch  muss  ich  wie  Car- 
dauns gestehen,  ,,dass  auch  mein  Nachweis  durchaus  nicht  beanspruchen  kann,  voll- 
ständig zu  sein ;  .  .  im  Gegenteil  bin  ich  überzeugt,  dass  Br.  noch  manches  kuriose 
Buch   benutzt  und   ausgeschriel)en   hat,    das   mir  entgangen   ist.    (Cardauns   S.    18.) 

'">)  Zueignung  S.  V— VIII  fg.  Gr.  S.  225.  —  '^)  Koch,  a.  a.  O.  S.  CXLIX. 
—  'j  Dohmke,  Brentanos  Werke,  S.  129.  —  *j  Diel-Kreiten  II,  S.  100,  vergl. 
die  auch  hier  zutreffende  Bemerkung  von  G.  von  Hertling,  Hochland  (1903)  S. 
296   fg.   —   !')   Gr.   S.    52. 

^^)  Cardauns  stellt  die  Daten  für  die  Auffindung  der  Quellen  zusammen  (a. 
a.   O.   S.    16  —  20).      Nachzutragen    ist:    schon    im  »Godwi.<   (Bremen    1801,     1802, 


26  '  Die   Quellen. 

Märchen  »Der  Hahnenstein«  aus  der  italienischen  Märchensamm- 
lung II  Pentamerone  del  Cavalier  G.  B.  Basile  Quero  lo  cunto  di 
cunti,  Romae-l  749(1  679)  (S.  402—409),  wie  Cardauns  und  Bleich 
nachgewiesen  und  ausführlich  erörtert  haben.  ^) 

Das  von  Basile  erzählte  Märchen  hat  nur  wenige  äussere 
Linien  geliefert,  Brentano  hat  ein  fast  völlig  neues  Werk  geschaffen, 
ein  Kunstwerk  wenigstens  in  der  1 .  Fassung.  ^)  Gerade  die  Art, 
wie  er  die  Quellen  benutzt,  dort  einen  Zug  verwertet,  hier  verwirft, 
die  Konturen  einmal  verstärkt,  das  andere  Mal  mildert,  lässt  den 
Wert  seiner  Schöpfung  deutlich  erkennen.  Was  Haym  von 
Schillers  Bearbeitung  des  Gozzischen  Märchens  sagt,  gilt  auch  von 
Brentano:  „Das  Skizzenhafte,  das  Holzschnittartige  der  Gozzischen 
Behandlung  musste  weichen  ,  .  .  sein  ganzes  Bestreben  richtete 
sich  darauf,  mehr  Fülle  und  poetisches  Leben,  Buntheit  und  Sinn- 
lichkeit hineinzubringen."  Wo  Basile  einfach  erzählt,  Ungehöriges 
zusammenmengend,  da  schildert  Brentano  mit  aller  Kraft,  wo  der 
Italiener  den  blossen  äusseren  Erscheinungen  nachgeht,  sie  dar- 
bietet ohne  Motivierung  und  Tiefe,  da  stellt  der  deutsche  Dichter 
Verbindungen  her,  gestaltet  er,  oft  aus  dem  eigenen  Leben  und 
Wesen  schöpfend;  Basiles  Erzählung  ist  schmucklos  unpoetisch, 
Brentano  führt  neue  Verwicklungen  ein,  umgibt  alles  mit  reichem 
poetischen  Schmuck,  überall  weht  uns  ein  echter  Stimmungsgehalt 
entgegen.  Die  italienische  Erzählung  ist  mit  der  deutschen 
Märcheneinfalt  verschmolzen.  —  Das  war  nur  einem  Dichter  mög- 
lich, dem  diese  Mischung  italienischen  und  deutschen  Wesens  schon 
im  Blute  lag.  ^)    Das  Märchen  ist  Brentanos  eigenstes  Phantasie- 


I,  S.  9)  ist  von  ital.  Kindermärchen  die  Rede:  „oder  gar  wie  der  Popanz  in  den 
italienischen  Kindermärclien  eine  solche  Königstochter  aufessen."  An  einer  anderen 
Stelle  sagte  er,  dass  man  ital.  Komödien  spielt  (II,  S.  204).  Die  Ansicht  Böh- 
mers (Janssen,  a.  a.  O.  II,  S.  472),  dass  damals  Brentano  allein  in  Deutschland 
Basile  kannte  und  schätzte,  ist  nicht  ganz  zutreffend;  auch  Wieland  hat  ein  Mär- 
chen benutzt  zu  seiner  Dithtimg  »Pcrvonte<>  vergl.  Nat.  I.itt.  (52)  II,  S.  35  Anm. 
Br.  besass  nicht  nur  die  Ausgabe  von  1/49,  wie  Liebrecht  mitteilt,  (Basiles  Pen-' 
tamerone,  Breslau  1846,  2  Bde ,  II,  S.  316),  sondern  auch  jene  aus  dem  Jahre 
1679,   vergl.   Katalog  seiner  Bibliothek   Nr.    2582,   S.    147. 

^j   Ueber  Basile  und  seine  Märchen    vergl.   Grimm,     Märchen  II,   S.    200   fg. 
Liebrecht,   a.   a.   O.   II. 

^)  Bleich     vergleicht    eingehend    Quelle    und  Märchen  Brentanos  a.   a.   O.   S, 
78   fi'g. :   ebenso   Cardauns  a.   a.    O.   S.   33   fg ,   S.    36. 

•^j   Steig,    in    der    Rezension    von    Cardauns,    Märchen  Cl.   Br's.     Euphoriou 
(1896)   III,   S.    792. 


Des  Märchens.  27 

gebilde,  i)  wenn  er  auch  in  vielen  Einzelheiten  Quellen  folgt,  die  er 
frei  und  froh  ausnutzt. 

Einzelne  Motive  hat  Brentano  auch  aus  anderen  Märchen 
Basiles  geschöpft.  So  vielleicht  die  Geschichte  von  den  Katzen, 
welche  Huhn^)  und  Hähnchen  töten.  Im  4.  Märchen  »Vardiello«  ^) 
erzählt  Basile  von  einer  Frau:  „sie  hatte  eine  Gluckhenne,  welche 
Küchlein  ausbrütete,  aus  denen,  wie  sie  grosse  Hoffnung  hegte, 
ihr  ein  grosser  Gewinn  erwachsen  und  ihr  Glück  hervorspriessen 
sollte."  Vardiello  soll  auf  sie  acht  geben,  durch  Ungeschick  tötet 
er  die  Henne,  eine  Katze  stiehlt  sie  ihm. 

Das  Motiv  der  Vertauschung  kostbarer  Gegenstände,  be- 
sonders von  Zaubermitteln,  findet  sich  gleichfalls  in  den  italieni- 
schen Märchen,  die  Verwechselung,  ohne  dass  der  rechtmässige  Be- 
sitzer davon  weiss,  im  Märchen  vom  »wilden  Mann«.*)  Die  Scene 
der  Maus,  welche  tanzen  kann,  entstammt  dem  fünften  italienischen 
Märchen:  „»der  Mistkäfer,  die  Maus  und  das  Heimchen.«")  Im 
Märchen  »die  sieben  Schwestern«")  kommt  eine  genäschige  Tochter 
vor  (Gr.  S.  1  1  fg.)  in  den  »sieben  Tauben« '')  ein  Wappen  mit  einer 
Schlange,  die  sich  in  den  Schwanz  beisst  (Gr.  S.  5  7),  in  demselben 
Märchen  rettet  die  Maus  ein  Mädchen,  das  ihr  einen  Dienst  ge- 
leistet hat.  ^)  Aus  Basile '')  kann  auch  die  \^ersammlung  der  Vögel 
stammen;  in  den  »drei  Tierbrüdern«  heisst  es:  „Der  älteste  der- 
selben (der  Söhne),  der  die  Gestalt  eines  schönen  Falken  hatte,  rief 
alle  Vögel  zu  einer  Versammlung  zusammen,  Finken,  Zaunkönige, 
Auerhähne,  Baumhacker,  Fliegenschnapper,  Heher,  Spechte, 
Gimpel,  Kuckucke,  Amseln  .  .  ."  **') 

Was  die  litterarischen  Quellen  angeht,  so  entstammen  ein- 
zelne Züge  einem  Dialoge  Lucians,'')  dem  »Hahn  oder  Traum  des 


^)    Steig,    a.   a.    O.   S.    792,    vergl.  auch    Bleich,    a.   a.    O.   S.    69    fg. 

^)  Von  einer  Ghicke  erfahren  wir  im  Frühlingskranz  (S.  125):  ,,Da  fütterte 
Peter  allerlei  Geiieder,  Tauben  und  eine  Glucke  mit  jungen  Hühnern,  da  sass  das 
Kind   und   dichtete   ihm    (einem   anderen    Kinde)    Märchen    vor." 

■')  Liebrecht,  a.  a.  O.  I,  S.  5^'  —  \)  a.  a.  O.  I,  S  15  ftg  —  **)  Lieb- 
recht,  a.  a,  O.  1,  S.  324,  326.  —  •<)  a.  a.  O.  H,  S.  41  flg.  -  ')  a.  a.  O.  II, 
S.    108.     -     «)    a.    u    <>     II,    S.    113      —   ■•')    a.    a.    O.    IT,    S.    30. 

^^)   Auch   (loethes    Reineke   Fuchs   wird   hier  angeregt   haben. 

^^)  Brentano  kannte  die  lateinische  Uebcrsetzung  der  Werke  Lucians  (Luciani 
opera,  Bibliothek  Nr.  2501,  S.  143);  auch  wird  ihm  Wielands  L^^ebertragung  nicht 
unbekannt  gewesen  sein,  jedenfalls  waren  ihm  Wieiands  Göttergespräche  vertraut  — 
ob  es  die  Lucians  oder  Nachahmungen  sind,  weiss  ich  nicht  —  das  geht  aus 
Oodwi  hervor  (I,  S.  34):  „sie  guckten  sich  an  und  gcbcrdeten  sich  wie  Phöbe, 
Diana  und   Proserpina   in  Wielands   Göttergesprächen." 


28  I^ie  Quellen. 

Micyll.«  In  diesem  Gespräche  ist  Micyll  ähnlich  wie  Frau  Hinkel 
zornig  über  das  frühe  Krähen^)  des  Hahnen.  Bei  Lucian  heisst 
es:^)  »Vermaledeiter  Hahn,  dass  dich  und  die  verdammte  Trom- 
pete in  deinem  Halse  der  grosse  Jupiter  zerschmettere,  du 
neidischer  vSchrcihals!«  Bei  Brentano:-')  »Alektryo  krähte  ihr 
so  schneidend  dicht  in  die  Ohren,  dass  sie  vor  Schrecken  er- 
wachte und  an  die  harte  Erde  fiel.  Darum  hatte  sie  noch  einen 
viel  grösseren  Mutwillen  gegen  den  ehrlichen  Stammhahn  Alek- 
tryo.« Sowohl  Micyll  als  Gockel  sind  höchlichst  erschrocken, 
den  Hahn  sprechen  zu  hören.  Lucian:'*)  »O  wundertätiger  Jupiter 
und  hilfreicher  Herkules,  steht  mir  bei !  Was  für  ein  Unglück  be- 
deutet das!  Mein  Hahn  spricht  zu  mir  wie  ein  Mensch!«-'')  Brentano: 
> Gockel  blieb  vor  Schreck  und  Rührung  [Kl  .  .  starr]  stehen,  als 
er  den   Alektryo  reden  hörte.«  '') 

^\ls  \"orlage  für  die  Schilderung  des  Mäusereiches  und  die 
Mäusereden  diente  Brentano  das  wunderliche  Buch:^)  »Meuss- 
thurn.  \on  wunderlicher  Natur,  .Vrt  und  Eygenschafft :  Auch 
häuffigem  uffkommen  und  endlichem  abnemmen  dess  schäd- 
lichen l.andverderblichen  Meussungeziffers.  Sampt  Historischer 
Erzählung  wie  wyland  der  Geistliche  Herrn  und  neben  anderen 
dry  weltlichen  Potentaten  \'on  ]Mäusen  gefressen  worden. 
Gedruckt  im  Jahre  1  ()  I  8.«  Manche  Anregungen  hat  Brentano  hier- 
aus geschöpft,  z.  B.  für  die  Gradunterschiede  im  Mäusereich,  '*)  für 
die  Rede  des  Muskulus.'')  Auf  Prätorius  seltsame  Alektrvomantia'"') 


')  Ueber  XathstLlliiii;,'(.i)  des  Hahnen  wes^'en  zu  frühen  Kräheus  vergl.  auch 
üellerts  (Teilicht  Die  schlauen  Mädchen  (Bremer  Beiträf^e  Nat.  LiU.  (43)  I, 
S.  140.  Geliert  gtht  (nach  Munl<cr)  auf  Burkhard  AValdis  Aesopsche  Fabeln  zu- 
rück,   die    auch    Breiilano    kaiinle  und    besass. 

-)  f.ucians  ausjjewahUc  Schriften,  übers,  von  C.  M.  Wieiand  (Reclam  1133) 
II,   s.    ;;.   —   •■')   Gr.   S.    34.   Kl.   S.    34G.   —    ')   Lucian,   a.   a.   O.   S.    78. 

•'•)   Ein   ähnliches  Motiv  vom   Pferd,     das    redet,   findet  sich   im   Märchen  vom 
Komanditchcn«,   Gürres-Ausg.   11,   S.   379.    —    ")   Gr.   S.    42,   Kl.   S.   354. 

')  Die  Kenntnis  dieser  Ouelle  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  des  Herrn 
Dr.  K.  Storck.  —  '')  Die  Mäuse  sind  ,,mit  einem  besondern  HolTzeichen  gebren- 
net,"  mit    Ringen,   Korallen   und   seideneu   Schnüren   geschmückt. 

•')    Vielleicht   Anspielung   auf  den   Theologen   und    Piedigcr   Muskuhis. 

1")   Alcctryomantia   seu   DIvinatio    magica    cum     gallis   galliraceis   peracta   .    . 
per  J.   Praetorium,    Francof.    et    Lipsiae    1680,    S.    6     Praetorius'   »Wündschel  Ruthe-; 
entstammt   das   Motiv   der   Haselrute   im    »Hause  Starenberg;<,    ebenso   das  des  Kindes 
mit   den   goldenen   Zähnen    (Praetorius   S.    400),     welches    übrigens    auch     bei     Basile 
voi  kommt  (Liebrecht  I,   S.    267). 


Des  Märchens.  29 

^eht  der  Zauberspiegel  und  das  Zaubersieb  zurück.*)  In  einer  An- 
merkungzur  »Gründung Prags«  heisst  es  über  das  Zaubersieb:  »Eine 
zauberische  Methode,-  Diebe  durch  das  Drehen  eines  aufgehängten 
Siebes  zu  erkennen,  ist  hie  und  da  noch  gebräuchlich.«  -) 

Die  Reise  des  Urgockel  mit  dem  Hahnen  scheint  wohl  unter 
dem  Einflüsse  Gesners  zu  stehen,  der  in  seinem  » Vogelbuch  x  v^on 
der  Heimat  des  Hahnen  erzählt  und  dann  eine  Anzahl  von  Ländern 
und  Städten  nennt,  wohin  er  gebracht  worden  ist.  »Die  Medischen 
sindinitaliam  gebrachtworden.«'^)  Vom  »Hahnenstein«,  den  Brentano 
auch  erwähnt,  heisst  es:  »Mit  diesem  Stein  soll  man  alle  Ding 
mögen  erwerben  und  überkommen.  Er  machet  auch  den  Men- 
schen angenem.«  ^) 

In  der  später  eingeschobenen  Erzählung''}  des  armen  Kindes 
von  Hennegau  ist  eine  stark  veränderte  Stelle  aus  Schelmuffsky  '^) 
enthalten,  wie  R.  M.  Meyer  festgestellt  hat. ')  Eine  andere  Stelle 
ist  ihm  entgangen.  Sowohl  im  Urgockel  als  in  dessen  Bearbeitung 
ist  von  der  Katze  Schuri  Muri  die  Rede.  ^)  Dieser  Name  ist  auch 
eine  Erinnerung  an  die  Schelmuffsky  Lektüre.")  Der  Präceptor 
will  den  bösen  Geist  aus  dem  Knaben  treiben,  er  ruft: 

»Hocus,  pocus  schwarz  und  weiss 

Fahre  stracks  auf  mein  Geheiss 

Schuri-muri  aus  dem  Knaben 

Weils  Herr  Gerge  so  will  haben.«  *^) 


1)  G.  W.  VI,  S.  194.  Anm.  34,  S.  433.  —  ^)  Ein  ähnlicher  Brauch  kam 
bei  den  Hexenprozessen  vor  und  ist  heute  noch  auf  westfälischen  Bauernhoch- 
zeiten zu  finden.  —  •"')  Vogelbuch  oder  ausführliche  Beschreibung  und  lebendige 
ja  auch  eygentliche  Contrafactur  und  Abmahlung  aller  und  jeder  Vögel  .  .  .  Erst- 
lich durch  .  .  .  C.  Gessncrn  in  Latein  beschrieben.  Frankf.  am  Mayn,  1500  S. 
161  ffg.  Br.  Bibliothek  Nr.  3446,  S.  194.  —  *)  S.  163.  —  ^^  Gr.  S.  207.  — 
'•)  Schelmuffsky,  Reisebe.schrcibung  von  Chr.  Reuter,  Neudr.  (Halle)  57/58,  S.  69. 
—    ')   Euphorion    (1896)    III,    S.    110  fg    —    «)  z.    B.    Gr.    S.    35,    Kl.   S.    348. 

")  Arnim  und  Brentano  hatten  eine  grosse  Begeisterung  für  das  Buch  (vergl. 
G.  "W.  IX,  S.  106),  sie  erwähnen  es  oft,  lesep.  es  gemeinsam  (Steig  I,  S.  120, 
128,  152,  238)  ahmen  den  Stil  nach  {Steig  I,  S.  284)  Arnim  will  die  Lügen- 
dichtung herausgeben  und  Brentano  soll  Bilder  dazu  zeichnen  (Steig  I,  S.  257, 
S.  260  fg.,  S.  273).  Auch  Görres  scheint  von  der  Begeisterung  angesteckt:  vergl. 
Brief  (1817)  an  Br.  Schultz  a.  a.  O.  S.  234  fg.  Motive  aus  Schelmuffsky  ent- 
halten auch  »der  Bärenhäuter«,  »Bogs«  und  »die  Philister«  vergl.  R.  M.  Meyer 
Euphorion   a.    a.   O.    S.    m. 

^^)  Schelmuffsky,  a.  a  O.  S.  9.  Wenn  vom  Gesänge  der  Gaddi  die  Rede 
ist  (Gr.  S.  119),  so  dürfte  auch  diese  Stelle  unter  Schelmuffskys  Einfluss  stehen 
(a.  a.   O.   S.   67,   48). 


30  Die   Quellen. 

Eine  direkte  Entlehnung  aus  Spees  » Trutznachtigall  s<  ^)  ist 
zwar  nicht  nachweisbar,  doch  scheint  mir  eine  Beeinflussung  Bren- 
tanos durch  manche  Gedichte  jener  Sammlung  unverkennbar. 
Die  Verse  im  »Konterfei  des  menschlichen  Lebens«,'')  in  denen 
von  Salomons  Herrlichkeiten  die  Rede  ist,  brauchen  Brentanos 
Worte  (Gr.  S.  212)  nicht  beeinflusst  zu  haben:  ^) beide  Dichterfolgen 
hier  wohl  derselben  Quelle:  Matth.  6,  29,  aber  »das  Lob  Gottes 
aus  Beschreibung  der  fröhlichen  Sommerzeit«,")  in  welchem  eine 
bunte  Aneinandereihung  von  Blumennamen  vorkommt,  kann  sehr 
wolil  auf  das  >Erntelied<:  gewirkt  haben,  wie  die  Gedichte 
»Lob  des  Schöpfers,«")  »die  Geschöpfe  werden  ausführlich  ihn  zu 
loben  ermahnt«  "')  ihn  zu  dem  schönen  Liede:  „»Kein  Tierlein  ist 
auf  Erden«  angeregt  haben  mögen.  ^) 

Brentano  nimmt  auch  ganze  Stellen  aus  Gedichten  anderer 
auf,  so  begegnet  uns,  wie  Grisebach  •')  nachgewiesen  hat,  ein  Teil 
der  Elegie  an  die  Nacht  von  Hölderlin  ^")  im  Märchen  (Gr.  S.  1  59). 
Es  ist  nicht  verwunderlich,  dass  Brentano  sich  gerade  zu  dieser 
Elegie  Hölderlins  so  hingezogen  fühlte ;  ")  niemand  konnte  mehr 
den  Zauber  der  Mondscheinnächte  lieben  als  er ;  an  zahllosen 
Stellen  seiner  Werke,  seiner  Briefe  an  Bettina  im  »Godwi«,  in  Ge- 
dichten finden  wir  tief  poetische  Bilder  stimmungsreicher  Mond- 
scheinnächte.'-)  Er  begegnet  sich  in  dieser  Vorliebe  mit  seiner 
fantastisch  genialen  Schwester  Bettina.«  ^'■^) 


-)  P.  Fr.  Spee,  Trutznachtigall  ein  geistlich  poetisch  Lustgärtlein,  Beilin 
1817.  Diese  Ausgabe  ist  von  Brentano  gemeinsam  mit  L.  Hensel  veröffentlicht 
worden   (vergl.    Koch   »at.   Litt.   (146)   I,   CXL). 

•")   Spee,    a    a.    O.    77. 

^)  Angelus  Silesius  verwertet  diesen  Gedanken  in  ähnlicher  Weise  im  Che- 
rubinischen  Wandersmann   (Xeudr.   (Halle)    135/138,   S.    146). 

^j  a.  a.  O.  S.  122  ffg.  —  ")  Spee,  a.  a.  O.  S.  133  fig.  —  '')  a.  a.  O.  S. 
'65  ftg-  —  '^)  Spees  Güldenes  Tugendbuch  (Collen  1649),  dessen  Bearbeitung 
Brentano  L.  Hensel  vorgeschlagen  hatte,  (vergl.  Binder,  L.  Hensel  S.  2IO  fg.) 
scheint  in  den  Kapiteln  von  der  Liebe  das  Tagebuch  beeinflusst  zu  haben,  (Tu- 
gendbuch S.  523 — 568.)  —  "j  Grisebach,  d.  d.  Litteratur  seit  1770,  Berlin  1884. 
S.  246.  Vielleicht  hat  auch  H<)ltys  Einfluss  hier  noch  mitgewirkt:  Gott.  Dichter- 
bund Nat.  Litt.  S.  93.  —  1^)  Hölderlin  und  der  Heidelberger  Kreis,  vergl. 
Schultz,  a.  a.  O.  S  40.  —  ^^)  Aehnlich  benutzt  er  eine  Lieblingsstelle  aus  Dan- 
tes Purgatorio  CVIII,  vergl.  Diel  II,  611  fg.  Cl.  besass  die  Comödia  Katalog 
Nr.    2576,   S.    146.      Eine    freie    Bearbeitung    der   Stelle  findet  sich  G.  W.  II,    S, 

257    ffg. 

12)  Vergl.  Frühlingskranz  S.  30,  185  fg.,  G.  W.  II,  S.  93  fg.,  S.  95  fg., 
S.  364  ffg.,  VIII,  S.  138,  S.  121  Godwi  I,  S.  238,  254,  ähnliche  Stimmung  wie 
im    Märchen.    —      1^)    Herrn.    Grimm    im    Goethe    Jahrbuch  I,    S.    11     (1886). 


Des  Märchens.  31 

Musäus' Einwirkung  auf  Brentano  scheint  nur  gering  zu  sein, 
wenn  er  auch  wie  unser  Dichter  von  einem  Basiliskenei,  ^)  einem 
Zauberring,''')  von  Inkognito  verweilen  =^)  erzählt,  von  einem  Kinde, 
das  leidenschaftlich  gern  mit  einer  Puppe  spielt.  •*)  Sehr  oft  treffen 
wir  bei  ihm  auf  Blumensymbolik:'')  „Das  Kräutlein  Augentrost, 
das  allein  der  Liebe  Sehnsucht  lindert." ") 

Mehrere  Reminiscenzen  an  Goethes  »Reineke  Fuchs«  glaube 
ich  wahrzunehmen.  (I.Druck  1794,  2.  Druck  1  808).  Henning,  der 
Hahn,  erscheint  mit  einer  Bahre,  auf  welcher  die  ermordete  Henne 
liegt:  „Sie  riefen  über  den  Mörder  ach  und  weh."^)  (vergl.  damit 
Gr.  S.  62  ffg.).  Das  Massenaufgebot  von  Tieren,  worauf  schon 
Bleich  hingewiesen  hat,  findet  sich  auch  in  R.  Fuchs.  ^)  Man 
beachte  ferner  jene  Verse,  wo  Reineke  von  einem  Zauberringe  er- 
zählt,-') auf  dem  hebräische  Worte  stehen,  die  nur  Meister  Abryon 
entziffern  kann ;  grosse  Wohltaten  bringt  dieser  Ring  seinem  Be- 
sitzer.'°) 

Aber  auch  Entlehnungen  aus  eigenen  Werken  finden  sich. 
Merkwürdig  ist  der  Anklang  der  patriotischen  Lieder  der  Nacht- 
wächter an  Verse  des  Singspiels  »die  Musikanten:«  Dort  heisst  es: 
"hochlöbliche  Patrouille",' ')  hier  „hochlöbliche  Metzgerschaft,"  hier 
wie  dort  ist  von  Schweinsblasen  ^-)  die  Rede,  die  lustigen  Zwecken 
dienen  sollen.'") 

Eine  W^endung  aus  der  »Gründung  Prags«  scheint  in  den 
Versen : 

„Nun  folg  mir  zur  Kapelle, 
dass  diese  teure  Last  ..."'*) 

umgebildet  zu  sein.    Dort  lautet  sie: 

,, Erhebt  die  teure  Last,  ihr  Leidgefährten, 

Und  folgt  mit  stummer  Klage  meinem  Schritte."'-'') 


1)  Musäus,  d.  d.  Volksmärchen,  II.  Tl.,  Gotha  1 823,  III,  S.  164.  —  •-)  IV,  S 
304  ffg.  —  '-i)  IV,  S  308.  -  4)  iii_  s  3,^  >^  242,  vergl  auch  Arnims  No. 
velle  , Isabella  von  Aegypten'.  Bella  liebt  ihre  Puppe  und  ihr  Zauberbuch  so  sehr, 
dass  sie  sich  nicht  von  ihnen  trennen  mag,  ähnlich  auch  ,Liebseelchen',  Görres 
Ausg.  1I,^S.  17  ffg.  —  5j  III,  s.  186,  V,  S.  76,  S.  160.  -  ^j  II,  S.  8,  S. 
2  79-  —  ")  Goethes  Werke,  Jubiläumsausg  Stuttg.  1903,  VI,  S.  9.  —  ^)  a.  a. 
O.  V,  S.  39  ffg,  S.  73  fg  —  »j  S.  109  fg.  —  ^^j  Einflüsse  von  Reineke. 
Fuchs  auch  im  , Witzenspitzel',  a.  a.  O.  S.  80.  -  llj  Ges.  W.  VII,  S.  2  5r.  — 
12)  a.  a.  O.  VII,  S.  252.  —  I5}j  Nachtwächter  treten  auch  auf  G.  W.  VIT,  S. 
224.  Die  Worte  des  Nachtwächters  sind  auch  im  .Schulmeister  Klopfstock'  ver- 
wertet. —   14)   Märchen   Gr.  S.   46.   —   l^)  G.   W.   VI,   S.   359. 


32  Die   Quellen.    . 

Die  Entlehnungen  ^)  aus  dem  »Wunderhorn«  '^)  sind  sehr  zahl- 
reich. Die  Gestalt  des  Bettelvogtcs  •^)  tritt  uns  im  Wunder- 
horn^) entgegen,  wir  begegnen  ihr  aber  auch  in  Sagen  und  Ge- 
schichten, woher  Brentano  sie  kennen  mag.  Zahlreiche  Lieder 
jedoch  entstammen  dem  >Wunderhorn«.  Mit  nur  geringen  Ver- 
änderungen ist  das  hübsche  Volkslied  von  der  Frau  Nachtigall  in 
den  grossen  Gockel  aufgenommen  (Gr.  S.  7  8  fg.)  •').  Besonders 
starke  Anleihen  hat  er  bei  den  ihm  so  lieb  gewordenen  Kinder- 
liedef  n  gemacht.  Er  hat  teils  ganze  Liedchen  ausgeschrieben,  teils 
sie  mit  anderen  vereinigt  oder  umgearbeitet.  So  wiederholt  er  die 
Kinderverschen:")  „Ha  heia,  popeia')  Schlags  Kickelchen  tot", 
ebenso  mit  einigen  Umänderungen  das  Lied:  „ein  Huhn  und  ein 
Hahn."  Das  hübsche  Marienliedchen  entstammte  mit  geringen 
Veränderungen  ebenfalls  dem  Wunderhorn,  und  zwar  ist  benutzt 
das  »Wiegenlied  im  Freien«^)  und  -das  Wiegenlied  einer  alten 
frommen  Magd«,'-*)  das  »Federspiel«  ^")  enthält  manche  Beziehungen 
zu  den  Reden  des  Alektryo,  der  Schwalbe  und  des  Rotkehlchens 
(Gr.  S.  62  fFg.).  Die  Kinderliedchen:  „zu  Bett,  zu  Bett",  ^^)  Eia. 
popeia  popolen,"^^)  findet  sich,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Gestalt, 
in    der    Sammlung.     Das    wunderschöne    Abendliedchen    ,Guten 


1)  vergl.  Bleich,  a.  a.  O.  S.  44.  Cardauns  a.  a.  O.  S.  40.  —  ")  Sowohl  der 
erste  (1806J  als  auch  der  zweite  Teil  (1808)  ist  unter  wesentlicher  Beihilfe 
Brentanos  entstanden  und  veröffentlicht  worden,  vor  allem  hat  er  die  Kiuderlieder 
besorgt  (Steig,   a.  a.   O.   I,   S.    244),   sogar  Zeichnungen  zu    ihnen   angefertigt   (Steig, 

I,  S.  249).  —  "')  Gr.  S.  124.  S.  171.  —  ^)  Wunderhorn  (Reclam)  S.  69  fg. 
—  ^)  a.  a.  O.  S.  64  fg.  ])as  ganze  Lied  teilt  mit  Erk,  deutscher  Liederhort, 
Berlin  1854,  S.  357.  —  '')  Wunderhorn,  S.  816.  —  'j  Ein  ähnliches  Lied 
kehrt  in  , Gustav  Wasa'  in  der  Parodie  auf  Kotzebue  wieder:  „Heia  popeia  Gustav 
sei  froh,  Verkaufe  ilcin  Bettchen  und  leg  dich  aufs  Stroh,  Da  sticht  dich  keine 
Feder,   Da  beisst  dich   kein   Floh    Heia  popeia".    (Deutsche     Litt.    Denkm.    d.     18. 

II.  19.  Jahrh.  Hallo  1883,  XV,  S.  175).  Br.  gebraucht  oft  im  Scherz  das 
Heia  popeia,  vergl.  Brief  an  Bellina,  Frühlingskranz  S.  421,  (1803)  an  S.  Mereau, 
a.   a.   O.,   I,   S.    90.   —   ''^j    Wunderiiorn  812.  " 

'')  Wunderhorn  813.  Der  Fundort  dieses  Liedes  scheint  wohl  zu  sein:  J. 
Praetorius  Saturnalia,  das  ist  eine  Compagnie  Weihnachtsfratzen  oder  Centner  Lügen, 
Leipzig    1663.  Brentanos  Kitalog  Nr.    3288,   S.    186: 

Ich   wolle  mich   zur   lieben   Maria  vermieten. 

Ich   solle  ihr  Kindelein  helfTen  wiegen : 

Sie   führt   mich   in   ihr   Kämmerlein, 

Da  wohnen   die    lieben    Engelein ; 

Die  singen  alle   (iloria,   Gloria,   Gloria, 

Gelobet  sey  Maria. 
10)   a.   a.   O.   S.    776,    S.    778.  —11)   a.   a.   O.   S.  817.  — l'j   a.a.O.  S.  813. 


Des  Märchens.  33 

Abend,  gute  Nacht'  (Gr.S.  1  44)  stellt  sich  als  Verschmelzung  zweier 
Liedchen  dar:  eines  im  Wunderhorn  fehlenden  Kindergebetleins 
und   des   dort   vorhandenen:')    „Guten   Abend,   gute    Nacht,    mit 
Rosen  bedacht".    In  dem  Lied :  „Kein  Tierlein  ist  auf  Erden"  (Gr. 
S.  1  5  5  ffg.)  findet   sich  ein  Anklang   an  einige  Verse  im   Feder- 
spiel :  ^)  „Kein  Sperling  von  dem  Dache  fällt, 
Von  meinem  Haupt  kein  Haar."^) 
Aus  dem  Volks!  iede  und  Volksgedanken  herausgeschöpft  ist 
das  von  Brentano  oft  gebrauchte  Motiv  der  drei  Lilien,^)  das  sich  im 
Wunderhorn  findet  —  der  Dichter  wird  es  auch  wohl  aus  anderen 
Quellen  kennen.   Im  Wunderhorn^)  finden  wir  es  z.  B.  in  dieser 
Gestalt:       „Es  wuchsen  drei  Lilien  auf  ihrem  Grab, 
Die  wollte  ein  Reiter  wohl  brechen  ab."  *') 

Der  Reim  vom  „Bäumchen  rüttel  dich"  ■*)  rührt  natürlich  aus 
dem  bekannten  Märchen,^)  wie  die  Verse  „Knupper,  Knupper, 
Kneischen",")ausdem  Märchen  ,Hänsel  und  Gretel'^^)  stammen.  Ein 
noch  heute  gesungenes  Liedchen  ist  jenes:  „Fahr,  fahr,  fahr  auf 
der  Post."")    Simrock  bringt  es  in  seinem  Kinderbuch. ^ 2) 

Von  den  Liederanfängen  und  Refrainen,  die  Brentano  er- 
wähnt: „Schönstes  Hirschlein  über  die  Massen  . ."  (Gr.  S.  1  85);  „ach 
Schwester,  die  du  sicher  .  ."  (Gr.  S.  184);  Laurentia,  schönste  Lau- 
rentia  mein  .  ."  (Gr.  S.  1  89)  konnte  ich  letzteren  belegen.'^) 

Brentano  und  seine  Geschwister  haben  die  Volksweisheit  der 


1)  a.  a.  O.  S.  817  fg.  —  2j  a.  a_  q  g.  780. —  ^)  vergl.  Gr.S.  156/16  fg. 
cf.  ,Das  Finkenlied'  Ges.  W.  I,  S.  483.  —  *)  Gr.  S.  29,  48,  190,  193,  209, 
ferner  G.  W.  II,  S.  236.  —  ^)  S.  353.  —  ö)  Wunderhorn,  S.  27,  äbnlich  ein 
Lied  vom  , Grafen  Friedrich',  a.  a.  O.  S.  497,  vergl.  auch  a.  a.  O.  S.  39  und  J. 
Lewalter,  Die  Volkslieder  in  Niedersachsen,  Hamburg  1890,  I.  Heft,  S.  27  fg. 
Das  Motiv  geht  zurück  auf  den  Volksglauben,  dass  die  Seelen  der  Verstorbenen 
in  Blumen  —  Sinnbilder  der  Unschuld  —  übergehen,  die  niemand  anrühren  darf, 
vergl.  O.  Schwebel,  Tod  und  ewiges  Leben  im  deutschen  Volksglauben,  Minden 
1887.  S.  258  ffg.  —  ')  Gr.  S.  75,  loi.  —  Sj  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen, 
6.  Aufl.  1850,  I,  S.  104:  „Bäumchen  rüttel  dich  und  schüttel  dich  Wirf  Gold  und 
.Silber  über  mich."  —  -')  Gr.  S.  114.  —  ^'^)  Grimm,  a.  a.  O.  I,  S.  95:  „Knup- 
per, knupper,  kneischcn,  wer  knuppert  an  meinem  Häuschen."  —  ^^j  Gr.  S.  119. 
—  ^^)  K.  Simrock,  Das  deutsche  Kinderbuch,  2.  Aufl.  Frankf.  1857:  Fahr,  fahr, 
fahr  mit  der  Post,  Frag,  frag,  frag  nit  was  kost,  Spann,  spann,  spann  vier  Schimmel 
an  .  .  ."  Dieselben  Verse  sind  zitiert  im  Mäichen  vom  , Baron  Hüpfenstich'.  III, 
S.  202.  —  l-*)  Er  gehört  dem  Liede  an:  „Laurentia,  liebe  Laurentia  mein!  Wann 
werden  wir  wieder  beisammen  sein?  ,,Am  Sonntag!"  Drum  wollt  ich,  dass  alle 
Tag'  Sonntag  war',  und  ich  bei  meiner  Laurentia  war."  Allg.  deutsches  Lieder- 
lexikon,  Leipzig    1847,   II,   S.    283. 


34  I^iß  Quellen. 

Sprichwörter  sehr  geschätzt.  ^)  Fast  in  jedem  seiner  Werke  finden 
wir  die  Anwendung  von  Sprichwörtern  und  sprichwörtlichen 
Redensarten,  so  auch  im  Märchen.  Die  Redensart:  „ein  goldenes 
Wart  ein  Weilchen  und  ein  silbernes  Nichtschen  in  einem  ein- 
maligen Büchschen" ")  wird  in  Schwaben  und  Franken  gebraucht.  ^) 
„Klapperdürr  wie  ein  Zaunpfahl"  lautet  auch  bisweilen  „Klapper- 
dürr wie  ein  Zaunstecken."  4)  „Wenn  die  Maus  fett  ist,  schmeck- 
ihr  das  Mehl  bitter,"  ist  ein  oft  gebrauchtes  Wort;  schon  in  der 
Sprrchwörtersammlung  des  Agricola,'')  die  Brentano  besass,  heisst 
es  ähnlich :  „Wenn  die  Maus  fett  ist,  so  ist  das  Mehl  bitter."  ^)  Auf 
bekannte  Sprichwörter  geht  die  Stelle'^)  in  der  Rede  des  Muskulus 
zurück.  ^)  „Wer  die  Hand  an  den  Pflug  legt,  soll  sich  nicht  um- 
schauen," '•')  ist  wohl  durch  ein  in  den  Sprichwörterschatz  überge- 
gangenes Bibelwort  angeregt.^^')  Der  Ausdruck:  ^^)  „der  kann  mehr 
als  Brot  essen"  ist  gleichfalls  volkstümlichen  Ursprungs.  Nicht  be- 
legen konnte  ich  die  Wendungen :  „Der  goldene  Hahn  kräht  nicht 
mehr  .  .  .",  ^^^  „Heimlichkeit,  Verborgenheit  .  .  .";^'')  „jed  Ding  will 
sein  Sach  haben,  man  muss  dem  Beil  seinen  Stil  suchen  (und 
dem  Kind  sein  Püppchen)"  findet  sich  in  ähnlicher  Form  bei 
Wanden'^) 

Eine  bedeutsame  Rolle  spielt  im  Märchen  der  Hahn,  Alek- 
tryo.  ^•^)  In  seiner  Darstellung  folgt  Brentano  zumeist  den  Anschau- 
ungen, wie  sie  in  der  christlichen  Symbolik  Ausdruck  gefunden 
haben.  ^'^)  Der  Hahn  ist  das  Sinnbild  der  Wachsamkeit,  des  Lichtes, 
der  Stärke  und  Weisheit,  des  Predigers  und  Mahners.  ^')   Er  ist  ein 


1)  Man  vergl.  den  Briet  von  Sophie  Br.  an  den  Bruder :  Steig  I,  S.  1 2  fg.  und 
den  Catalog  seiner  Bibliothek,  cf.  auch  Märchen  vom  ,Dilldapp'  II,  S.  362.  — 
)  Gr.  S.  IX,  vergl.  Wunderhorn,  S.  823.  —  ^j  AVander,  Sprichwürterlexikon,  IIP, 
102 1.  —  '^)  AVander,  a.  a.  O.  I,  S.  713.  —  ^)  Agricola,  Sybenhundert 
Teütscher  Sprichwörter,  Hagenau  1534.  —  **)  Wander,  a.  a.  O.  III,  S.  514/195  fg. 
—  7j  Gr.  S.  165/16-19,  23  ffg.  —  S)  Wander,  II,  S.  190  fg.  III,  S.  550, 
II,  S.  165,  III,  S.  534/19,  ni,  S.  538/114-  —  "j  Gr.  S.  172.  —  10)  Luc.  9, 
26;  ähnlich  verwertet  er  die  bekannte  Stelle  Luc.  14,  34,  vergl.  auch  G.  W.  II, 
S.  344,  Brief  an  Arnim  Steig  l,  S.  50.  —  ^^)  Gr.  S.  146,  217.  —  ^^)  Gr.  S. 
83.  1^)  Gr.  S.    108.     —     14)   a.  a.   O.    I,    S.   639   fg.,    IV,    S.    855   fg.    I,   S. 

298  fg.  Anm.  Ueber  die  volkstümliche  Umdeutung  des  , Fitze,  fitze,  domine',  Gr. 
S.  134,  vergl.  Cardauns,  Märchen  S.  36,  Anm.  Steig,  Euphorion  (1896)  XIII, 
S.  793.  —  1^)  Der  Name  Alektryo  und  Gallina  wird  wohl  durch  Bs.  Beschäftigung 
mit  Lucian  und  Praetorius  eingedrungen  sein;  Koch  citiert  Alektryo  aus  Homer, 
Ilias  XVII,  602  als  Eigennamen  eines  hochgemuten  Helden.  —  1**]  Auch  das 
, Biblisch  Thierbuch'  von  H.  H.  Frey,  Leipzig  1545,  das  Br.  besass  (Bibliothek 
Nr.  121,  S.  9),  ist  auf  die  Gestaltung  des  Hahnen  von  Einfluss  gewesen.  — 
l^j   Gr.  S,    28,    38,    58,   59   besonders  in   der  Leichenrede. 


Des  Märchens.  35 

Streitbares  tapferes  Tier.  Diese  Züge  besitzt  auch  der  Hahn  der 
Symbolik.')  Der  Hahn  ist  auch  das  Zeichen  der  Auferstehung;  in 
der  Wiederauferstehung  des  Alektryo  und  der  Gallina  ^)  liegt 
ohne  Zweifel  ein  Anklang  an  die  Phönixsage. ■'^)  Hahn  und  Phönix 
sind  beide  das  Sinnbild  der  Auferstehung,  auch  sonst  haben  sie 
manche  Aehnlichkeiten.^) 

Alte  Traditionen,  aus  kabbalistischen,  talmudistischen  Büchern, 
Geheimschriften  und  Zauberbüchern'')  geschöpft,  schweben  Bren- 
tano in  seinen  Erzählungen  vom  Ringe  Salomonis  vor.  Unmöglich  ist 
es,  alle  Quellen,  die  er  vielleicht  benutzt  hat.  zu  verfolgen.  Eine  Vor- 
lage hat  er  sicherlich  verwertet:  „Rosenöl,  Erstes  und  Zweites 
Fläschchen  der  Sagen  und  Kunden  des  jMorgenlandes,"  Stuttg.  u. 
Tübingen,  1813.")  Nachdem  Salomon  seinem  Vater  die  letzte  Ehre  er- 
Aviesen  hat,  erscheinen  Engel  und  überreichen  vier  Edelsteine,  welche 
ihm  die  Herrschaft  über  die  Schöpfung,  die  Erfüllung  all  er  Wünsche 
verleihen.  Aus  den  vier  Steinen  lässt  er  einen  Siegelring  machen. 
Tier-  und  Geisterreich  sind  ihm  Untertan ;  Hahn  und  Wiedehopf 
sind  seine  steten  Begleiter.'^)  Nach  einer  anderen  Fassung,  die 
sich  im  »Testament  des  Salomon«  findet,  überreicht  Michael  einen 
aus  kostbaren  Edelsteinen  bestehenden  Zauberring,  der  Gewalt 
über  alle  Dämonen  verleiht.  ^)  Dieser  Ring  ist  ein  „graviertes 
Petschaft  von  kostbarem  Gestein",  fünf  seltsame  Namen  sind  dar- 
auf eingegraben.    In  der  Sammlung  »Rosenöl<  wird  dann  erzählt, 


■*■)  verfjl.  Kraus,  Realencyklopädie  Artikel  Hahn  von  de  Waa],  I,  S.  642, 
jMenzel,  christl.  Symbolik  I,  S.  366,  Grünbaum  in  Zeitschrift  d.  deutschen  morgen- 
ländischen Gesellschaft  XXI  (rSg?)  S.  183%,  S.  209  f-j  —  2j  Gr.  S.  68:  Alek- 
tryo ist  verbrannt;  Gr.  S.  183:  seine  Auferstehung  (nur  in  der  2.  Fassung).  — 
^j  Das  Phönixmotiv  fand  Br.  auch  im  Wunderhorn  S.  176;  er  verwertet  es:  im 
jMärchen  vom  , Hause  Starenberg'  (Diel  S.  289,  293),  Ges.  AV.  VIH,  S.  141,  Brief  an 
Runge,  S.  318,  VI,  S.  14;  vergl.  auch  Gesner,  Vogelbuch,  S.  403.  Vergl.  Fr.  Creuzer, 
Symbolik  I,  S.  438  ffg.,  Kraus,  Realencyklopädie,  II,  624.  —  ^)  Plinius  bist.  nat. 
X,  2,1.  —  '^j  Gern  imd  oft  hat  er  sich  (ähnlich  wie  Bettina,  Frühlingskranz,  S.  41)  mit 
derartiger  Litteratur  beschäftigt;  vergl.  Bibliothek  Nr.  3292,  3297,  S.  187, 
Nr.  1714,  1957,  1959,  1970,  1972,  1989,  S.  100  flfg. —  ^)  Für  Einzelheiten  kom- 
men noch  in  Betracht:  "Weil,  biblische  Legenden  der  Muselmänner,  Frankf.  1845. 
Oft  ist  von  Salamonis  Ring  die  Rede  in:  'le  Cabinet  des  fees'  (41  Bde.)  Genf, 
Paris  1735,  Forlunius  Licetus  Genuensis,  de  annulis  antiquis,  Utini  1645,  S.  104 
fg.  Dominic  Ring,  die  Ringe,  eine  Abhandlung,  Erlang,  und  Leipzig  1757  (Beide 
Bücher  sind  in  Br.  Bibliothek.)  Zu  der  Stelle  (im  Tagebuche  S.  305):  „aus  den 
sieben  Schichten  der  jungfräulichen  Erde  .  ."  vergl.  Romanzen  vom  Rosenkranz, 
lierausg.  von  M.  Morris,  Berlin  1803,  10,9,  Aum.  S.  388.  —  "j  Weil,  a.  a.  O. 
S.  225  fTg.  —  Sj  vergl.  H.  Bornemann  in  Illgens  Zeitschrift  für  histor.  Theolo- 
gie (1844)   XIV,   S.    10. 


36  Die   Quellen. 

wie  Salomon  in  den  Besitz  des  Ringes  kam.  ^)  ■ —  Es  scheint  wohl 
ein  Zusammenhang  zu  walten  zwischen  diesem  Steine  und  jenem, 
den  Gabriel  bringt:  Gabriel  gibt  Adam  einen  funkelnden  Stein, 
der  später  durch  die  Berührung  sündiger  Menschen  schwarz  wird.  2) 
Der  Edelstein  war  ursprünglich  ein  Engel,  welcher  Adam  im  Para- 
diese bewachen  sollte,  dass  er  nicht  von  der  verbotenen  Frucht 
geniesse;  wegen  seiner  Nachlässigkeit  ward  er  in  einen  Stein  ver- 
wandelt. •^)  Diesen  Zusammenhang  hat  Brentano  in  ausgedehntem 
Masse  verwertet.  —  Die  Geister  sind  Salomon  Untertan :  -•) 

„Herr  und  Meister  Der  Menschen  und  der  Geister,  Wir  ge- 
horchen deinem  Siegel;  Du  hältst  uns  mit  Gewalt  im  Zügel."-'') 

Kraft  seines  Siegelringes  beherrscht  er  die  Dämonen,  die 
sich  alle  Mühe  geben  des  Ringes  habhaft  zu  werden.  Es  gelingt 
schliesslich:  Salomon  wird  seiner  Herrschaft  entsetzt,  ein  Geist 
regiert  in  seiner  Gestalt.  '■)  —  Im  vierten  Himmel,  heisst  es, '')  gibt 
es  einen  Berg  aus  Goldsand,  auf  dem  sich  ein  funkelnder  Palast 
erhebt.  Er  besteht  aus  Siegelringen  aller  Salomone  oder  Welt- 
beherrscher, die  vor  Adam  die  Welt  regiert  haben.  Diese  Steine 
wölben  sich  zu  einem  Dome,  nur  ein  einziger  Ring  fehlt,  den  Salo- 
mon am  Finger  hat;  »das  Tagebuch  der  Ahnfrau«  scheint  Anklänge 
hieran  zu  enthalten. 

Die  Gestalten  des  Gog  und  Magog  sind  gleichfalls  dieser 
Literaturgattung  nicht  fremd.  Der  Verfasser  des  »Rosenöl«,  das 
auch  hier  vielleicht  —  neben  biblischen  Reminiscenzen  **)  —  zu 
Grunde  liegt,  sagt  von  ihnen :  ^)  sie  sind  die  Nachkommen  zweier 
Söhne  Jafets,  des  Sohnes  Noes.  Ihre  Horden  sind  Barbaren  von 
„abscheulicher  Gestalt".  Alexander  der  Grosse,  der  sie  bezwingt, 
dämmt  sie  in  einen  Felsenkessel  ein.  Am  Ende  der  Welt 
brechen  sie,  die  Vorboten  des  jüngsten  Gerichts,  den  Damm 
durch. '") 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Quellen  zur  Leichenrede.^') 
Betrachtet  man  die  ganze  Rede  ^^)  oberflächlich,  so  wird  man  geneigt 


1)  a.  a.  O.  I,  S.  16.  —  2j  a.  a.  O.  I,  S.  28.  —  »)  a.  a.  O.  S.  84.  — 
4)  S.  150  ffg.  —  ^)  a.  a.  O.  S.  205.  —  6)  a.  a.  O.  S.  170  ffg.  —  ''}  a.  a. 
O.  S.  200.  —  S)  Oflenbar.  Job.  20,8,  Hesek.  38,2  ffg.,  39,1.  —  •*)  a.  a.  O.  S. 
294.  —  ^'^)  Mit  diesen  Gestalten  stehen  in  engster  Verbindung  die  mittelalterlichen 
Sagen  von  Gog  und  Magog  als  einem  wilden  und  gottlosen  Volke,  welches  vor 
dem  jüngsten  Gericht  einen  letzten  Widerstand  gegen  die  göttliche  Macht  versucht 
(mittelalterliche  Sagenlitt,  von  den  letzten  Dingen,  vom  Antichrist  und  von  der 
Ale.xandersage)  vergl.  Bieling,  Zu  den  Sagen  von  Gog  und  Magog,   Progr.  Berlin  1882. 

—  ^^)   Quellen   zur  Leichenrede  vergl.  Cardauns,   S.    34   fg.,   Bleich,   a.   a.   O.   S.    80. 

—  '2j   Gr.   S.    68-70. 


Des  Märchens.  57 

sein  anzunehmen,  dass  hier  ganz  und  gar  ein  Produkt  der  Dichter- 
phantasie vorliegt,  von  einigen  Bibelzitaten  abgesehen,  ein  freies 
Weben  Brentanos,  Aber  gerade  hier  sehen  wir  es  deutlich,  dass 
—  Cardauns  bemerkt  es  schon  in  anderem  Zusammenhange  — 
Brentano  an  den  Stellen,  wo  er  scheinbar  seiner  Phantasie  den 
weitesten  Spielraum  lässt,  fremden  Quellen  folgt. 

Als  Hauptvorlagen  für  die  Leichenrede  stellen  sich  dar: 
Praetorius'  Blockesberg  Verrichtung  und  Alektryomantia,  Colers 
Hausbuch,  Gesners  Vogelbuch,  Hymnen  des  Prudentius  und 
solche,  die  unter  des  Ambrosius  Namen  überliefert  sind,  die  Bibel, 
Durandus,  endlich  Lucians  »Hahn  oder  Traum  der  Micyll,<  Plinius, 
Hist.  nat.  und  die  >;  Zauberflöte«. 

Praetorius' Bücher,  überhaupt  jene  Richtung  der  Literatur  des 
1  6.,  1  7.  und  1  8.  Jahrhunderts,  beherrschte  er  in  hohem  Masse. ')  Im 
»Wunderhorn«  nennt  er  die  Titel  mehrerer  Werke  dieses  aber- 
gläubischen Schriftstellers.-)  Gesner^)  und  Coler^)  waren  ihm 
bekannt,  wie  auch  Lucian  •"')  und  Plinius  '^).  Woher  die  Kenntnis 
der  Hymnen  des  Ambrosius  und  Prudentius  rührt,  ist  schwer  fest- 
zustellen :  jedenfalls  hat  er  mehrere  Breviere ')  besessen,  die  jene 
Hymnen  enthalten.  Die  heilige  Schrift  war  ihm  vertraut,  nicht 
nur  im  späteren  Leben,  auch  in  jüngeren  Jahren.^'*)  Natürlich 
hatte  er  auch  »die  Zauberflöte«  gesehen,  gern  schloss  er  sich 
Tieck  und  anderen  an,  die  ihren  Spott  an  Text  und  Szenen  der- 
selben übten. 

Wir  lassen  nunmehr  die  Leichenrede  folgen,  stellen  links 
den  Text  des  Märchens  und  in  die  nebenstehenden  Kolonnen  die 
Vorlagen,  die  von  Einfluss  auf  die  betreffenden  Stellen  gewesen 
sein  können.  Nicht  immer  ist  es  deutlich,  welcher  Quelle  Bren- 
tano  folgt,  oft  gehen  zwei,  ja  drei  nebeneinander. 


^j  Ueber  Brentanos  Sammeleifer  und  die  daraus  hervorgehende  Litteratur- 
kenntnis  vergl. :  Steig  I,  130,  G.  W.  Biogr.  IX,  S.  42,  Steig  I,  S.  109,  116, 
130  fg.,  Ges.  W.  I,  S.  483,  VIII,  S.  160  fg.  162,  »Trösteinsamkeit«  herausg. 
von  F.  Pfaff,  Freiburg  1883,  S.  VII,  S.  XXVII.  Holtei,  Briefe  an  Tieck,  I, 
S.  100  fg.,  S.  106  fg.,  G.  Görres,  histor.-pol.  Blätter  (1844)  XIV,  XV.  Diel- 
Kreiten  I,  S.  166,  II,  S.  215  fg.  —  ^)  Wunderhorn  S.  60,  74,  Tagebuch  S.  234, 
Br.  Bibliothek  S.  186  fg.  Pr.  hat  ihm  auch  Material  zur  »Gründung  Prags«  gelie- 
fert. —  «*]  vergl,  »Trösteinsamkeit«  25.  Juny  1808:  Citat  aus  Gesner.  Gesner  ist 
oft  ausgeschrieben  worden,  auch  von  Fischart  (vergl.  Nat.  Litt.  (18)  99  ffg.,  154 
ffg-)  —  ■^j  Gr.  S.  70  ist  das  Hausbuch  genannt,  Katalog  Nr.  3498,  S.  197.  — 
^)  vergl.  oben  S.  55.  —  '')  Katalog  2513,  S.  143,  »Trösteinsamkeit«  -S.  237 
»Gesch.  d.  Bärenhäuters«.  —  ^)  Im  Katalog  viele  lat.  Ausg.  S.  63  fg.  —  ^)  G. 
AV.   VIII,    S.    177,     218,     220,     299,    367. 


38 


Die  Quellen. 


Märchen : ') 
„Wer  gibt  die  Weisheit  ins 
verborgene  Herz  des  Menschen, 
wer  gibt  dem  Hahnen  den  Ver- 
stand ?  ^) 

(xleichwie  der  Hahn  den  Tag 
verkündet  und  den  Menschen 
vom  Schlafe  erweckt,  so  ver- 
künden fromme  Lehrer  das  Licht 
der  Wahrheit  in  die  Nacht  der 
Welt  und  sprechen : 

Die  Nacht  ist  vergangen,  der 
Tag  ist  gekommen,  lasset  uns 
ablegen  die  Werke  der  Finster- 
nis und  uns  anlegen  die  Waffen 
des  Lichts.  Wie  lieblich  und 
nützlich  ist  das  Krähen  des  Hah- 
nes. Dieser  treue  Hausgenosse 
erweckt  den  Schlafenden,  ( 1  4  ffg.) 
ermahnt  den  Sorgenden,  (Prud.  6) 
tröstet  den  Wanderer,  (1) 
meldet  die  Stunde  der  Nacht  (2) 
und  verscheucht  den  Dieb 

(7  fg.,  1  9) 
und  erfreut  den  Schiffer  auf  ein- 
samen Meer  (9), 
denn  er  verkündet  den  Morgen, 
da  die  Stürme  sich  legen.  (1  0) 
Die  Frommen'')  weckt  er   zum 

Gebet  (Prud.  4  ffg.) 
Den    Sünder   ermahnet    er   zur 
Reue,  wiePetrum(1  1  fg.,  1  6). 
Sein   Geschrei    ermuthiget     das 
Herz  des  Kranken  (1  7  fg.) 


1)  (Gr.  S  68  15  —  70/21;  Kl.  S. 
365  23  — 367/24). —  -}  vergl.  auch  die 
Reime  S.  54,    Gesner,  V^of^elbuch,  S.  164. 

•*)    [Andächtigen    Kl.   S.    365. 


„Qui  posuit  in  visceribus  ho- 
minis sapientiam?  Qui  dedit  gallo 
intelligentiam?"  *) 
1 .  „Ales  diei  nuntius 

lucem  propinquam  praecinit: 
nos  excitator  mentium 
iam  Christus  ad  vitam  vocat. 
5.  Auferte,  clamat,  lectulos, 
aegro  sopore  desides: 
castique,  recti  ac  sobrii 
vigilate,  iam  sumproximus."-) 
„Nox  praecessit,  dies    autem 
appropinquavit.  Abiiciamus  ergo 
opera  tenebrarum,  et  induamur 
arma  lucis."^) 
1 .  „Nocturna  lux  viantibus 
a  nocte  noctem  segregans, 
praeco  diei  iam  sonat, 
iubarque  solis  evocat. 
5.  Hoc  excitatus  lucifer 
solvit  polum  caligine: 
hoc  omnis  erronum  cohors 
viam  nocendi  deserit. 
Hoc  nauta  vires  colligit, 
10,  pontique  mitescunt  freta: 
hoc,  ipsa  petra  Ecclesiae, 
canente,  culpam  diluit. 
Surgamus  ergo  strenue: 
Gallus  iacentes  excitat, 
1  5.  et  somnolentes  increpat, 
gallus  negantes  arguit. 
Gallo  canente  spes  redit 
aegris  salus  refunditur, 
mucro  latronis  conditur, 
20.  lapsis  fides  revertitur  . .  ."^) 


1)  Job  38,36.  —  -J  Caüicmerinon  I, 
1/8,  vergl.  den  ins  römische  Brevier 
(Feria  III  ad  laudes)  aufgenommenen 
Hymnus  des  Prudentius.  —  •^)  Römer- 
brief 13,  12.  —  *)  Rom.  Brevier  (Do- 
minica  ad  Laudes). 


Der  Leichenrede. 


39 


Praetorius 

1)  Von  solchem  Nutz  des  Hah- 
nenschreys  redet  und  schreibt 
der  alte  Lehrer  und  Bischoff  Am- 
brosius  sehr  fein  und  spricht: 
Est  galli  cantus  suavis  in  noc- 
tibus,  nee  solum  suavis,  sedetiam 
utilis  , .  Das  ist  auff  unser  Deutsch 
soviel  gesaget :  Des  Hahnen  Ge- 
schrey  ist  lieblich  dess  Nachts, 
und  nicht  allein  lieblich,  sondern 
auch  nützlich.  Denn  der  Hahn 
als  guter  Beywohner  wecket  die 
Schlaffenden  auff,  ermahnet  den 
Sorgfältigen  „und  Bekümmerten 
und  tröstet  den,  der  da  wandert, 
derweil  er  mit  seiner  hellen  Stim- 
me den'  Fortgang  und  die  Stunde 
der  Nacht  anzeiget.  Wenn  er  krä- 
het, so  höret  der  Mörder  und  Stras- 
senräuber  auf,  den  Wandersleu- 
ten  nachzustellen.  Von  seinem  Ge- 
schrey  erwachet  gleich  der  Mor- 
genstern, und  er  gehet  auf,  dass 
er  den  Himmel  erleuchte,  der 
Schiffmann  freut  sich  seines  Ge- 
sanges, weil  sich  die  Winde  ge- 
gen Morgen,  da  er  krähet,  etwas 
niderlegen  und  es  stille  wird. 
So  er  schreyet  werden  die  An- 
dächtigen ermahnet  aufzustehen 
zum  Gebät.  Da  der  Hahn 
das  letzte  mal  krehete,  er- 
kannte und  beweynete  Petrus 
seine  Sünde,  die  er  vorhin  unbe- 
dächtig mit  Verläugnung  seines 
Herrn  begangen  hatte.  Gegen 
den  Hahnengeschrey  fassen  die 
Kranken  wieder  ein  Herz."^) 


Coler 

„Und  das  ist  das  Thier,  dar- 
um die  Juden  alle  Tage  in  ihrem 
Tempel  Gott  danken,  dass  ihm 
Gott  der  Allmächtige  in  der  er- 
sten Schöpfung  den  Verstand 
gegeben."'  ■') 

Drum  sagt  Gregor  in  mo- 
ralibus : 

„Gallus  diei  nuncius  horas 
noctis  discutit  et  demum  vocem 
ex  hortationis  emittit,  der  Hahn, 
der  uns  den  Tag  pflegt  anzu- 
kündigen, der  treibet  die  Stun- 
den der  Nacht  auseinander  mit 
einem  starken  Geschrey  und 
gegen  Morgen  vermahnet  er  die 
Leuth  mit  einer  ge(l)inden  Stim- 
me, dass  sie  aufstehen  sollen."*) 


^)  Blockes  Berg  VerrichtuDg,  oder 
Ausführlicher  geographischer  Bericht  von 
den  hohen  trefflich  alt-  und  berühmten 
Blockes-Berge  ingleichen  von  der  Hexen - 
fahrt  und  dem  Zauber  Sabbathe,  so  auff 
solchen  Berge  die  Unholden  aus  gantz 
Teuschland  .  .  anstellen  v.  J.  Praetorio 
P.  L.  C.  Leipzig  1669,  Bibliothek  Nr. 
3290,  S.  186,    2.  Tl.  Cap.  8,   S.  570  ffg. 

2)   a.   a.   O.   S.   570   fg. 

^)  Oeconomia  Ruralis  et  Domestica, 
darinn  das  gantze  Ampt  Aller  treuen 
Haus-Vätter  und  Haus-Mütter  bestän- 
diges und  allgemeines  H.ius-Buch  etc. 
begriffen.  Hiebevor  von  M.  J.  Colero 
beschrieben.  Frankf.  am  Mayn  1592. 
13.     LXXV,     S.   318. 

4)   a.  a.  O.    13.   LXXVI,   S.   319. 


40 


Die  Quellen. 


Märchen 

Zwar  spricht  der  weise  Mann : 
„Dreierlei  haben  einen  feinen 
Gang  und  das  Vierte  geht  wohl, 
der  Löwe,  mächtig  unter  den 
Thieren,  er  fürchtet  Niemand  — 
ein  Hahn  mit  kraftgegürteten 
Lenden,  ein  Widder  und  ein 
König,  gegen  den  sich  Keiner 
erheben  darf." 

--  aber  dennoch  fürchtet  der 
Löwe,  der  Niemandem  fürchtet, 
den  Hahn  und  fliehet  ^)  vor  sei- 
nem Anblick  und  Geschrei;''^) 
Denn  der  Feind,  der  umher- 
geht'^) wie  ein  brüllender  Löwe 
und  suchet  wie  er  uns  verschlin- 
ge, fliehet  vor  dem  Rufe  des 
Wächters,  der  das  Gewissen  er- 
weckt, auf  dass  wir  uns  rüsten 
zum  Kampf. 

Darum  auch  war  kein  Thier 
so  erhöhet ;  die  weisesten  Männer 
setzen  sein  goldenes  Bild  hoch 
auf  die  Spitzen  der  Thürme  über 
das  Kreuz,  dass  bei  den  Wäch- 
tern wohne  der  Werner  und 
Wächter. 

So  auch  steht  des  Hahnen 
Bild  *)  auf  dem  Deckel  des  Abc 
Buches,^)  die  Schüler  zu  mah- 
nen, dass  sie  früh  aufstehen  sol- 
len, zu  lernen. 

O  wie  löblich  ist  das  Beispiel 
des  Hahnen!  Ehe  er  kräht,  die 
Menschen  vom  Schlafe  zu 
wecken,  schlägt  er  sich  selbst 
ermunternd  mit  den  Flügeln  in 


1)  cf.   Tagebuch   S.    315. 

^)   Gesner,   Vogelbuch  S.    165. 


„Tria   sunt   quae  bene   gra- 

diuntur    et    quartum    quod 

incedit  feliciter:  leo  fortissi- 

mus    bestiarium    ad     nulios 

pavebit     occursum ,     gallus 

succintos  lumbos  et  aries,  nee 

est  rex  qui  resistat  ei." ") 

„Adversius    vester    diabolus 

tamquam    leo     rugiens    circuit 

quaerens  quem  devoret.  Qui  rc- 

sistet  et  fortas  in  fide."') 

„Ferunt  vagantes  daemones 
Laetros  tenebris  noctium 
Gallo  canentes  ex  territos 
sparsim  timue  et  cedere."'*) 
Durandus:  „(jallus  supra  Ec- 
clesiam     positus,     praedicatores 
designat."'"*) 


^)  vergl.  auch  ^Geschichte  vom  bra- 
ven   Kasperl«  G.   W.   IV,   S.    174. 

^)  vergl.  Grimm,  Märchen  Doktor 
Allwissend  II,  S.  70,  wo  der  Bauer  den 
>Gockelhahn<;  im  Abc  Buch  sucht.  — 
^)  Vogel- Abc:  im  ^Schulmeister  Klopf- 
stock« (Diel  II,  S.  308)  Müller  Rad- 
lauf (II,  S.  III)  vergl.  auch  Gr.  S.  99; 
Kinderlieder  im  Wunderhorn,  Steig  I, 
S.  234.  —  '>)  Prov.  Salom.  30,  29-31, 
vergl.  Luthers  Uebersetzung,  der  Br.  zu 
folgen   scheint.    —    '')   I.  Petr.   5,8. 

^)  Prudentius,    Cath.    I,    37    fg. 

'*;  Prochiron,  Vulgo  Rationale  Divi- 
norum  officinorum  Gul.  Durandus, 
Lugduni  1551,  Lib.  i,  Cap.  I,  §  22. 
Wenn  auch  Brentano  dieses  Buch  nicht 
besessen  hat,  so  kann  er  es  sehr  wohl 
gekannt  haben:  es  findet  sich  in  Görres' 
Bibliothek  (vergl.  Katalog  Südd.  Anti- 
quariat München  1902,  I,  Nr.  145, 
S.  21),  und  Brentano  hat  nicht  nur 
in  Heidelberg,  sondern  auch  später  des 
Freundes  Bibliothek  benutzt  (G.  W.  IX, 
S.    81,    84;     Görres  Freundesbriefe    III, 


s.  340). 


Der  Leichenrede. 


41 


Praetorius 

Praetorius  citiert  eine  Anzahl 
Schriftsteller,  die  über  das  Hah- 
nengeschrei geschrieben  haben 
und  über  die  Furcht  des  Löwen 
vor  dem  Hahnen.') 


Coler 

„Der  Low,  wie  beherzter  auch 
sonst  ist,  so  fürchtet  er  sich  doch 
vor  dem  Hahnengeschrey."  *■) 
,Man  schreibt  v^om  Löwen, 
w'elches  ein  stark,  muthig  und  be- 
herzt Thier  ist,  dass  sich  dersel- 
bige,  ob  er  sich  gleich  sonsten 
vor  nichts  entsetzet,  doch  für 
das  Hahnen  Geschrey  oder 
Krehn  fürchten  soll."^) 


Den  haben  uns  auch  die  from- 
men Alten  mit  einem  eysernen 
Creutz  auf  alle  Kirchen  gesetzt, 
dass,  so  offt  die  Leuthe  den  an- 
sehn, sie  sich  der  Historien  Pe- 
tri,  seiner  Sünden  und  Buss  er- 
innern sollen.-') 


„Warum  die  Alten  den  Hahn 
aufsCollegium  undin's  Abc  Buch 
gesetzt  ? 

Nehmlich 
Gleich  wie  die  Hanen  in  der  Nacht 
auff  Morgenstunden  haben  acht 
So  sollen  Studenten  diese  Zeit 
Fleissig  anfangen  ihre  Arbeit 
Surgamus  ergo  strenue  etc.'"^) 


^)  Alektryomantia  .S.  1 1,    37    (Biblio- 
thek Nr.   3295,   S.    187). 

^)   Alektrj-omantia  S.   35    fg. 


„Wenn  er  krehen  will,  so 
schlägt  er  sich  zuvor  selber  mit 
den  Flügeln  und  reitzet  oder  ver- 
mahnet hiermit  seinen  gantzen 
Leib,  dass  er  getrost  und  stark 
genug  schreyen  soU."^) 


^)  a.    a.    O.   S.    318. 

2;  a.    a.   O.   S.    319. 

3)  Coler,   a.   a.   O.   S.    318. 

*)  Coler,   a.  a.   O.   S.    3:9. 


42 


Die  Quellen. 


Märchen: 

die  Seite,  anzeigend,  wie  ein  Leh- 
rer der  Wahrheit  sich  selbst  der 
Tugend  bestreben  soll,  ehe  er 
sie  anderen  lehret. 


Stolz  ist  der  Hahn,  der  Ster- 
ne kundig,  und  richtet  oft  seine 
Blicke  zum  Himmel ;  sein  Schrei 
ist  prophetisch,  er  kündet  das 
Wetter  ^)  und  die  Zeit.-)  Ein 
Vogel  der  Wachsamkeit,  ein 
Kämpfer,  ein  Sieger  wird  er  von 
den  Kriegsleuten  auf  den  Rüst- 
wagen gesetzt,  dass  sie  sich  zu- 
rufen und  ablösen  zu  gemessener 
Zeit.  So  es  dämmert  und  der 
Hahn  mit  den  Hühnern  zu  ruhen 
sich  auf  die  Stange  setzt,-')  stellen 
sie  die  Nachtwache  aus. 


Durandus: 

Gallus  enim  profundae  noctis 
pervigil  horas  suo  cantu  dividit: 
dormientes  excitat:  sed  prius  se 
ipsum  alarum  verbere  cantan- 
dum  excitat.  Haec  singula  my- 
sterio  non  carent.  Nox  enim  est 
hoc  seculum:  dormientes,  sunt 
filii  huius  noctis  in  peccatis  iacen- 
tes.  Gallus  praedicatores  qui 
discincte  praedicant  et  dormien- 
tes excitant,  ut  abiiciant  opera 
tenebrarum  clamantes:  vae  dor- 
mientibus.  Ex  urgi  qui  dormis: 
lucem  venturam  praenuntiant, 
dum  diem  iudicii  et  futuram  glo- 
riam  praedicant:  et  prudenter 
ante  quam  aliis  virtutes  praedi- 
cent  se  a  somno  peccati  exci- 
tantes.') 


1)  Durandus,    a.   a.   O.   Lib.    i,    Cap. 

I,     §     22. 


Drei  Stunden  vor  Mitternacht 
regt  sich  der  Hahn,  und  die 
Wache  wird  gewechselt;  um  die 
Mitternacht  beginnt  er  zu  krähen, 
sie  stellen  die  dritte  Wache  aus, 
und  drei  Stunden  gen  Morgen 
rufet  sein  tagverkündender 
Schrei  die  vierte  Wache  auf 
ihre  Stelle. 


^)  vergl.  Gesner,   S.    165. 

')  de  AVaai  in  Kraus'  Realencyklo- 
pädie  I,  S.  642.  —  -^j  Gr.  S.  ^21  fg , 
Gr.   S.    19. 


Der  Leichenrede. 


43 


Coler : 


Coler : 


„Darum  führen  ihn  die  Kriegs- 
leuthe  auch  mit  sich  auff  ihren 
Rüstwägen,  dass  sie  dess  Nachts 
auch  helifen  als  wachen  und  dass 
gleichsam  der  Kriegsleuthe  Sei- 
ger seyn,  wann  die  Nacht  schier 
ein  Ende  nehmen  will."») 

Pra.etorius: 

„Die  alten  Deutschen  haben 
in  ihren  Heerzügen  Hauen  mit 
zu  führen  pflegen;  vielleicht 
sich  der  Wachsamkeit  und 
Tapferkeit  zu  befleissigen."^) 


1)   a.   a.   O.   S.    319. 
2j  a.   a.   O.   S.   37. 


„Es  haben  ihn  auch  die 
Kriegsleuthe  sehr  lieb,  dann 
nach  seinem  Geschrey  legen  sie 
ihre  Nachtwach  an  sub  crepus- 
culum  vespertinum,  wanns  schier 
aufF  den  Abend  finster  werden 
will  und  sich  der  Han  auf  den 
Balcken  mit  seinen  Hünern  pfle- 
get zu  setzen,  da  führen  sie  die 
Wachte  aufF,  drey  Stunden  vor 
Mitternacht."  1) 


„Mitternacht,  führet  man  die 
wieder  ab  und  andere  aufF:  dar- 
nach zu  Mitternacht,  wenn  die 
Hauen  beginnen  zu  krähen  füh- 
ret man  die  dritte,  aufF  den  Mor- 
gen um  Seigers  drey  nach  Mit- 
ternacht die  vierdte,  und  das 
pfleget  man  das  Gallicinium  zu 
nennen.  .  .'M 


4   a.    a.   O.    S.    318. 
-)  a.   a.   O.   S.    31 8. 


44 


Die  Quellen. 


]\Iärchen: 

Ein  Ritter  ist  der  Hahn,  sein 
Haupt  ist  geziert  mit  Busch  und 
roter  Helmdecke  und  ein  pur- 
purnes Ordensband  schimmert 
an  seinem  Halse;  stark  ist  seine 
Brust  wie  ein  Harnisch  im  Streit, 
und  sein  Fuss  ist  bespornt.  Kei- 
ne Kränkung  seiner  Damen  dul- 
det er,  kämpft  gegen  den  ein- 
dringenden Fremdling  auf  Tod 
und  Leben  und  selbst  blutend 
verkündet  er  seinen  Sieg  stolz 
emporgerichtet  gleich  einem  He- 
rold mit  lautem  Trompetenstoss.  *) 
Wunderbar  ist  der  Hahn ;  schrei- 
tet er  durch  ein  Thor,  wo  ein  Rei- 
ter hindurch  könnte,  bücket  er 
doch  das  Haupt,  seinen  Kamm 
nicht  anzustossen,  denn  er  fühlt 
seine  innere  Hoheit.^)  Wie  lie- 
bet der  Hahn  seine  Familie! 
Dem  legenden  Huhn  singt  er 
liebliche  Arien:  „bei  Hühnern, 
welche  J^iebe  fühlen,  fehlt  auch 
ein  gutes  Herze  nicht,  die  süssen 
Triebe  mitzufühlen,  ist  auch  der 
Hahnen  erste  Pflicht;  "■') 

—  stirbt  ihm  die  brütende 
F"reundin,  so  vollendet  er  die 
Brut  und  führet  die  Hühnlein, 
doch  ohne  zu  krähen,  um  allein 
Mütterliches  zu  thun. 

O  welch  erhabenes  Geschöpf 
ist  der  Hahn!  Phidias  setzte 
sein  Bild  auf  den  Helm  der 
Minerva,  Idomeneus  auf  sein 
Schild.  Er  war  der  Sonne,  dem 
Mars,  dem  Merkur,  dem  Aesku- 
lap  geweiht. 


„Sie  herrschen  über  ihr  Ge- 
schlecht und  sind  Herrn  in  jedem 
Hause,  wo  sie  wohnen.  Aber 
nur  durch  Kämpfe  .  .  .  erhalten 
sie  das  Regiment.  Wer  den  Lor- 
beer davon  trägt,  singt  im  Au- 
genblicke des  wSieges  und  ruft 
sich  selbst  zum  Oberherrn  aus. 
Das  Volk  ist  ebenso  stolz, 
tritt  mit  erhobenem  Halse  und 
hohem  Federbusche  einher,  blickt 
unter  allen  Vögeln  allein  öfters 
zum  Himmel.  Sie  sind  daher 
dem  tapfersten  der  Tiere  dem 
Löwen  ein  Schreck."^) 

Gesner: 

„Aristoteles  sagt,  dass  man 
etwan  Hauen  gesehen  habe,  so 
die  Hennen  verlohren,  selbst  die 
jungen  führen,  ernehren  und 
aufFerziehen,  dass  sie  dazwischen 
nicht  krähen  .  .  .  wollte.  Und 
wie  Aelianus  sagt,  so  die  Henn 
umkommen,  so  brütet  er  selbst, 
schlieffe  die  Jungen  aus  und  er- 
ziehe sie:  er  schweigt  aber  zu 
derselbigen  Zeit  still,  darum  dass 
er  wol  wisse,  dass  er  Weibisch 
und  nicht  fast  Männlich  stück  da 
begehe."-"') 


^j  Ueber  Hahnenkämpfe  vergl.  Ges- 
ner, a.  a.  O.  S.  167.  —  '^)  vergl.  auch 
Gr.  S.  18.  —  '^}  Anspielungen  aul  die 
Zauberflöte«  auch  im  »Tagebuch«  S.  233. 

*j  Caiuä  Plinius  Secundus  Naturge- 
schichte, übers,  von  Gottfr.  Grosse, 
Frankf.  i;8i— 88,  III,  10  (§  24)  S. 
HO   fg. 

i^i   a.   a.   O.  S.    16;. 


Des  Märchens. 


45 


Gesner: 

,Ueber  den  Stolz  des  Hahnen 
und  der  Hühner'  ^)  „Die  mutigen 
und  künen  Hauen  haben  eine 
grosse  Stimme  und  sind  stoltz 
als  die  Pfauen:  Denn  sie  herr- 
schen über  ihr  Geschlecht  und 
haben  ihr  Reich  in  einem  jeden 
Hauss,  darinn  sie  wohnen.  .  .  . 
Wo  sie  aber  gesiget,  singen  sie 
gleich  im  Sieg  und  bezeugen 
damit,  dass  sie  überwunden  ha- 
ben. Ihre  Herde  gehet  auch  dann 
zumal  stoltz  mit  atrfFweissen  (?) 
KöpfFen  daher,  siehet  stäts  an  den 
Himmel  und  richtet  auf  ihren 
vSchwantz  sagt  Plinius,  das  ist 
auch  zu  verwundern  am  Hanen, 
dass  wo  er  über  einen  Thür- 
schwellen  gehet,  ob  dieselben 
gleich  ganz  hoch,  beugt  er  doch 
seinen  Kamp,  welches  er  (als 
Aelianus  sagt)  auss  Hoffart  thut, 
damit  er  nemlich  seinen  Kamb 
nit  anstosse  ..." 

Praetorius: 

„Der  Sinnreiche  Bildhauer 
Phidias  hat  auf  der  Minerva,  der 
Bild  der  Kriegsgöttinn  Helm 
(sie  Idomeneus  qui  a  sole  habe- 
bat principium,  in  Clypeo  Gallum 
Gallinaceum  ferre  solitus;  quia 
haec  avis  soli  fuit  sacra  Pausan. 
I,  5)  einen  Haan  gemachet  .  .  . 
Der  Haan  ist  dem  Kriges  Gott  .  . 
Mars  geopflfert  worden.  Gleicher 
Gestalt  ist  der  Haan  dem  Aes- 
kulapio,  IVIerkurio,  der  Sonnen 
und  dem  Monde  zugeeignet."-) 


Coler: 

„Der  beste  Hausshahn  ist, 
der  fein  hoch  und  gross  ist,  den 
Kopf  fein  emporträgt  und  fein 
muthig  und  trotzig  hineintritt 
und  einen  feinen  roten  Kamp 
hat  ...  er  sollte  auch  eine  feine 
starke  Brust  haben."^) 

„Seinen  Kopf  und  Schwantz 
hat  ihm  Gott  gegeben  als  einen 
König  der  Hüner,  dann  hat  er 
oben  seinen  Strauss  oder  Krone 
als  nemlich  den  Kamp."^) 


Zauberflöte: 

„Bei  ^Männern,  welche  Liebe  füh- 
len, fehlt  auch    ein    gutes 
Herze  nicht. 
Die    süssen  Triebe  mitzufühlen, 
ist  dann  der  Weiber   erste 
Pflicht."^') 


1)   a.   a.    O.   S.    165. 

^)  Alektryomantia  S.  13,  S.  37, 
vergl.  auch  Harstörft'er,  Gesprächspiele 
8.  und  letzter  Teil,  Nürnberg  1649, 
Anhang  II,  S.  485  fg.  (Bibliothek  Xr. 
2; 34.    S.    155.) 

^)   a.  a.   O.   S.   3 19. 

4)   S.    319. 

''j  Die  Zauberflöte,  Text  von  E.  Schi- 
kaneder  (1751  — 1812)  Elberleld  (Ausg. 
Lucas)   S.   9. 


46 


Die  Ouellen. 


jMärchen: 

O  wie  geistreich  ist  der  Hahn ! 
Wer  kann  es  den  morgenlän- 
dischen KabbaHsten  verdenken, 
dass  sie  sich  des  Alektryo's  be- 
mächtigen wollten,  da  sie  an  die 
Seelenwanderung') glaubten  und 
der  Hahn  des  Mycillus  sich  sei- 
nem Herrn  selbst  als  die  Seele 
desPythagoies  vorstellte,  die  in- 
kognito krähte.-) 


Ja,  wie  mehr  als  ein  Hahn 
ist  ein  Hahn,  da  sogar  ein  ge- 
rupfter Hahn  noch  den  Menschen 
des     Plato    vorstellen     konnte! 


r«' 


u.  s.  w 


1)  In  lustiger  Weise  verbindet  hier 
Br.  den  bei  Lucian  vorgefundenen  Ge- 
danken von  der  Wanderung  der  Seelen 
im  Alektryo  mit  den  im  Märchen  aul- 
tretenden Petschirstechern,  die  er  jetzt 
passend   KabbaHsten    nennt. 

2)  von  »inkognito:<  etwas  tun  ist  in 
"Werken,  die  auf  Br.  eingewirkt  haben, 
oft  die  Rede:  Schelmuffsky  (Neudr.  S. 
51)  Musüus;  Klinger,  flaust  Nat.  Litt. 
(79)  I,  S.  173.  Br.  macht  Gebrauch 
davon  in  den  »Musikanten«  (1803)  VII, 
226  ffg.,  »Fanferlieschen-  II,  215,  >  Ko- 
manditchen«  S.    371. 


Lvician : 

Der  Hahn:  „Dieser  besagte 
Pythagoras  —  bin  ich  selbst . . ." 

Mycill:  „Ein  Haushahn,  der 
nie  Philosoph  ist,  das  ist  doch 
das  Allertollste."!) 

Der  Hahn :  .  .  „wenn  du  Lust 
hast,  will  ich  dir  erzählen,  wie 
ich  aus  dem  Pythagoras,  das 
was  ich  jetzt  vorstelle  geworden, 
wie  vielerlei  Arten  von  Körpern 
ich  durchlaufen  habe,"^) 

Der  Hahn:  .  .  „es  wäre  doch 
am  besten,  wenn  du  mich 
heissest,  was  ich  jetzt  in  deinen 
Augen  bin,  wäre  es  auch  nur 
um  zu  zeigen,  dass  du  einen 
A'ogel  nicht  verachtest,  der  so 
mannhafte  Seelen  im  Leibe 
hat".=') 

Praetorius :  *) 

„Plato  ubi  definiverat  homi- 
nem  hunc  in  modum :  Homo  est 
animal  bipes  sine  plumis,  Dio- 
genes Cynicus  gallum  nudatum 
pennis  in  eins  scholam  invexit 
hace  voce:  hie  est  Piatonis 
homo.^) 


^)   Lucian,   a.   a.   O.   S.   81. 

2j   a.   a.  O.   S.    81    fg. 

=*)  a.   a.    O.   S.    97. 

•1)  Alektryomantia  S.  16  fg.  im  folg. 
erwähnt  Frätorius  als  Uebersetzuiig  des 
lat.  Alectrandum  das  Wort  „H  ahne- 
mann". —  ^)  Gr.  S.  51/23  scheint  wohl 
eine  Anspielung  auf  diese  Stelle  zu 
sein. 


Des  Märchens.  47 

Kurz  sei  noch  die  Deutung  verschiedener  Stellen  gegeben. 
Die  Erwähnung:  „einige  schöne  neue  Lieder,  gedruckt  in  diesem 
Jahre"  (Gr.  S.  99)  ist  ohne  Zweifel  veranlasst  durch  die  zu  einer 
stehenden  Redensart  gewordene  Wendung:  „Reutlinger  Volks- 
lieder, gedruckt  in  diesem  Jahre".-  ^) 

Einmal  ist  die  Merianische  Bilderchronik  genannt. ')  Viel- 
leicht sind  hiermit  des  Künstlers  damals  viel  gebrauchte  Topogra- 
phien gemeint  (1640  —  88)  oder  das  Theatrum  europaeum;  histo- 
rische Bilder  Merians  hat  Brentano  gekannt  und  besessen.-') 

Die  Bubenschenkel  und  die  Bretzel  sind  bekanntes  süd- 
deutsches Gebäck.  Ein  neues  Motiv  hat  Brentano  in  der  2.  Fas- 
sung mit  den  Bretzeln  verknüpft:  Kronovus  teilt  einen  Bretzel*) 
und  reicht  Gackeleia  eine  Hälfte.  Später  finden  sich,  als  Beweis 
der  Treue  der  beiden  Kinder,  die  Hälften  wieder  zusammen. 
Vielleicht  darf  man  hierin  eine  Anspielung  auf  den  griechischen 
Brauch  erblicken,  einen  Ring  zu  zerbrechen,  dessen  Hälften  man 
sich  als  Zeichen  der  Gastfreundschaft  und  Treue  reichte.-'') 

Den  Namen  „Abulfeda"  (Gr.  S.  113)  mag  Brentano  aus 
seinen  kabbalistischen  Büchern  erfahren  haben  oder  er  ist  iden- 
tisch mit  dem  Namen  des  muhamedanischen  Historikers  und  Geo-^ 
graphen  Abulfeda  (127  3  — 1331),  den  Görres  in  seiner  »Mythen- 
geschichte der  asiatischen  Welt«  in  Zusammenhang  mit  sabäischen 
uralten  Magiern  erwähnt")  und  später  noch  einmal  in  einem 
Briefe.  ') 


^)  vergl.  Brief  Brentanos  an  Amin".  (15.  März  1808),  welcher  von  einer 
Sendung  Reutlinger  Volkslieder  berichtet  (Steig  I,  S.  248).  Achim  schreibt  am 
9.  Juli  1802:  jjicTi  sehe  schon  manche  schöne  Lieder,  gedruckt  in  diesem  Jahraus 
unserer  Druckerei  kommen  (Steig  I,  S.  39)  vergl.  auch  Katalog  2762,  S.  157: 
,,26    Heftchen,    in  jedem   einige   Lieder,    zumeist   gedruckt   in   diesem  Jahr". 

2)  Aus  Tagebuch  S.  235.  —  ^)  Katalog  2208,  S.  216,  S.  129.  »Tröstein- 
samkeit«  a.  a.  O.  S.  LXIV.  Ges.  W.  11,  S.  285,  VIII,  147.  Foliobibel  Merians 
erwähnt  Goethe,  Dichtung  und  Wahrheit,  Jubiläumsausg.  1903,  XXII,  S.  37  fg. 
Merian,  eine  schweizerische  Künstlerfamilie;  Matthäus  d.  Aeltere  starb  1650,  seine 
Söhne  Hessen  sich  in  Fiankfurt  nieder,  vergl.  Reichensperger,  M.  Meriau  und  seine 
Topographie,   Leipzig    1856. 

^j  Ueber  den  Gebrauch  der  Bretzel  vergl.  Brief  Arnims  Steig  I,  S.  244, 
Wunderhorn  S.  775,  S.  798,  Grisebach,  Ges.  Studien,  Leipzig  1884,  S.  228  ffg. 
Prätorius,   Blockesberg,    2.   T.   S,   411    fg. 

^)  In  einer  Novelle  Arnims  teilt  ähnlich  der  Bärenhäuter  einen  Ring  mit 
seiner  Braut.  (Achim  v.  A.,  Isabella  von  Aegypten,  Kaiser  Karls  VI.  erste  Jugend- 
liebe,  sämtl.    W.,    Berlin   1857,    I,    S.    62. 

**}  Görres,  a.  a.  O.  S.  265.  —  ''')  Görres,  Ges.  Briefe  III,  Freundesbriefe 
S.   392   fg. 


48  I>ie  Quellen. 

Mehrere  Male  begegnet  uns  der  Ausdruck  Castrum  doloris;^) 
er  ist  der  Terminus  für  das  Parade-Totenbett  des  Papstes. 

Die  inkomplete  Encyklopädie  ^)  von  Krünitz  ist  ein  damals 
viel  gebrauchtes  Handbuch,  das  von  1782 — 1858  erschien.  — 
Erklärungen  der  geschichtlichen  und  literarischen  Anspielungen 
der  Zueignung  bietet  Dohmke  in  seiner  Ausgabe.^)  Einiges  ist 
noch  nachzutragen:  die  Incroyables  waren  nicht  nur  besondere 
Arten  von  Frisuren,  sondern  eine  ganze  Mode.^)  (Gr.  S.  IX.)  Sie 
wurde  abgelöst  durch  die  Frisur  a  la  Titus:  „die  Titusköpfe  form- 
ten sich  auf  den  Scheiteln  zu  einer  Art  Hahnenkamm".  ^)  Mit  der 
Stelle  der  Zueignung  vergleiche  man  die  folgende  im  »Godwi«: 
„Die  ganze  Gesellschaft  war  beschäftigt  sich  über  einige  Char- 
mants  riens,  die  Titus,  Karakallas,  Charles  douze,  Gustaphe 
Adolph,  Iglon,  Vergettes,  Terroristes,  Incroyables  und  Merveilleux 
Köpfe  zu  zermartern.  —  Das  sind  lauter  Arten  von  Verstand, 
Denkungsarten,  die  in  verschiedenen  Gattungen  von  unordent- 
lichen Frisuren  bestehen."  '•) 

Geleitsreiter  (S.  XI)  wurde  in  Frankfurt  die  Bürger  -  Kaval- 
lerie genannt ; ')  das  Xothilfsbüchlein,  sowie  der  Centaur  (S.  X) 
tauchen  übrigens  auch  in  der  satirischen  Komödie  »G.  Wasa«  auf. 

Das  im  .Gockel'  erwähnte  „Reisbuch"  des  Montvilla  (Gr.  S. 
S5}  hat  Brentano  tatsächlich  besessen.**)  Es  ist  ein  bekanntes,  im 
1  6.  Jahrhundert  viel  gelesenes  Reisebuch,  das  zuerst  englisch  er- 
schien, und  dann  in  verschiedene  europäischen  Sprachen  über- 
setzt wurde."')  Die  deutsche  Ausgabe  lautet:  Reysen  und  Wan- 
derschaften des  Hocherfarnen  und  Weitberumpten  Herrn  Doktores 


^)  Auch  im  :;Godwic<  I,  S.  92.  Der  Ausdruck  scheint  wohl  im  Schlegelschen 
Kreise  häutiger  gebraucht  -worden  zu  sein:  vergl.  A.  W.  Schlegel,  Ehrenpforte, 
samt).   Werke  II,   S.    266,    „Castra  doloris  waren   die   Theater." 

^)  J.  G.  Krünitz,  Oekonomische  Encyklop.  oder  Allgemeines  System  der 
Staats-,  Stadt-,  Haus-  und  Landwirtschaft,  Berlin,  242  Bde.  Schiller  hat  Krünitz 
benutzt  für  das  Technische  in  der  »Glocke»,  vergl.  H.  Düntzer,  Erläuterungen, 
H.    45,  S.   54  fg. 

^)  Dohmke,  Br.  Werke.  S.  133  Üg.  —  *)  K.  Jügel,  das  Puppenhaus, 
Frankfurt    1857,   S.   40.   —  ^)  Jügel,   a.   a.  O.   S.    44.   —   ")   Godwi  I,   S.    381. 

')  Jügel,   a.   a.   O.   S.    107. 

'^l  Br.  Biblioth.  2080,  S.  121.  Ausg.  Frankfurt  1580  vergl.  auch  Görres, 
die  toutschen  Volksbücher,  Heidelberg  1807,  S.  53  fTg.  Durch  Görres,  a.  a.  O. 
S.  71  fVg.  kann  auch  die  Erwähnung  der  Fortunatsage  (Gr.  S.  loi)  angeregt  sein, 
vielleicht  beruht  sie  auch  auf  Jugenderinnerungen  wie  bei  Goethe,  Dichtung  und 
Wahrheit  1903,  XXlI,  S.  38.  —  '*)  vergl.  Kiirting,  Grundriss  der  Gesch.  d.  engl. 
Litt.      Münster    1899,   S.    154,   §    142,   S.    401. 


Des  Märchens.  49 

und  Gehörnen  Ritters  Johannis  de  Montev^ille  auss  Engelland,  so 
■er  ins  gelobte  Land  Indien  und  Persien  vor  200  Jahren  getan  .  .  . 
Cöln  M.  D.  C. 


2.   Die  Quellen  zu  den  «Blättern  aus  dem  Tagebuch  der  Ahnirau'. 

In  höherem  Masse  als  das  Märchen  stellt  sich  das  Tagebuch 
als  Erzeugnis  der  Phantasie,  als  Gestaltung  der  Lebenserfahrungen 
und  Lebensanschauungen  Brentanos  dar.  Aber  auch  für  dieses 
Werk  liegen  mehrere  volkstümliche  und  litterarische  Quellen  vor.  i) 

Die  Verse  „Kling,  kling  Glöckchen"  ^)  finden  sich  in  kür- 
zerer Fassung  im  ,Wunderhorn',  ^)  ebenso  einige  Verse  des  Liedes 
vom  Klapperstorch  ^)  (Gr.  S.  254);  ein  thüringisches  Volkslied 
lautet : 

„Storch,  Storch,  Langbein, 

Bring  mir  doch  ein  Schwesterchen". 

Kinderweisen  sind  die  Liedchen:  „Grase,  grase,  grüne  .  .  .  ." 
(S.  249)  und  „Es  hat  einmal  geregnet"  (S.  253).  Das  schöne 
Lied  „die  Rose"  (S.  257),  findet  sich  in  wesentlich  anderer  Gestalt 
im  Wunderhorn;  ob  Brentano  es  aus  Christian  Weises  ,drei  klüg- 
sten Leute',  Leipzig  1684,  oder  aus  dem  ,Wunderhorn' ^)  kennen 
gelernt  hat,  soll  uns  hier  nicht  beschäftigen. 

Die  Deutung  der  roten  und  weissen  Rosen  ist  schon  im 
,Wunderhorn'  zu  finden,^)  ebenso  kehren  hier  die  Ausdrücke  »Ge- 
spann* und  , Ahnfrau'  wieder.'^) 

Das  ,Wunderhorn'  enthält  auch  das  Brautlied ;  **)  woher  es 
stammt,  ist  noch  nicht  festgestellt.  Seine  Quelle  gibt  Brentano 
an.  „Bei  manchen  slavischen  Stämmen  versammeln  sich  die  Dir- 
nen am  Abend  an  dem  Hochzeitstage  an  der  Türe  der  Braut  und 

singen  ein  altes  Lied "  ^)  —  Die  im  Tone  von  dem  Liede  der 

Gespielinnen  so  sehr  abweichenden  Antworten  der  „Lilienfräulein" 
fehlen  natürlich  im  ,Wunderhorn'. 


M  Ob  die  Gestalten  der  Gräfin  von  Hennegau  und  des  Jakob  von  Guise 
historischen  Erscheinungen  entsprechen,   konnte  ich  nicht  feststellen. 

2)   Gr.   S.    250.  —  3)   Wunderhorn  S.   819.  —  4)  a_  ^    q    s_   825. 

^)  Wunderhorn  S.  1Ö9,  vergl.  Steig  I,  S.  129,  S.  355,  Anni.  129,  Ges. 
W.  II,  S.    180  ffg.,  »Gründung  Prags«  IV,   S.   75,   359. 

6)   a.   a.   O.    S.    741.    —     7)  a.   a.   O.  S.    741,    739,   Ges.  W.   I,   S.   450  fg. 

^)  Gr.  S.   339  ffg.   Wunderhorn  S.    198   mit  Anmerkung  ,niündlich-. 

9)   Ges.  W.  IV,   S.   445    fg. 


50  Die   Quellen. 

Wir  Stellen  das  Brautlied  hierher,  geben  in  den  Fussnoten  die 
Abweichungen  vom  Texte  des  ,Wunderhorn'  und  fügen  das  in 
der  .Gründung  Prags'  (1812—15)  mitgeteilte  Lied^)  bei,  das  in 
manchen  Punkten,  wo  die  P'assungen  des  Tagebuches  und 
,Wunderhorn'  abweichen,  mit  jener  übereinstimmt.  Das  Lied  im 
Tagebuch  stellt  sich  wohl  als  zweite  Bearbeitung  dieser  Fassung 
dar.  — 

„Komm  heraus,  komm  heraus,  o  '^)  du  schöne,  schöne  Braut, 

Deine  guten  Tage  sind  nun  alle,  ^)  alle  aus. 

Dein  Schleierlein  weht  so  feucht  und  tränenschwer,  4) 

O  wie-*^)  weinet  die  schöne  Braut  so  sehr, 

Musst  die  Mägdlein  ^)  lassen  stehen, '') 

Musst  nun  zu  den  Frauen  gehn.^) 

Lege  an,  lege  an  heut  auf  kurze,  kurze  Zeit, 

Dein  Seidenröslein,  dein  reiches  Brustgeschmeid. '•') 

Dein  Schleierlein  weht  so  feucht  und  thränenschwer,*'*) 

O  wie")  weinet  die  schöne  Braut  so  sehr! 

Muss  die  Zöpflein  ^")  schliessen  ein 

Unterm  goldnen^^)  Häubelein. 

Lache  nicht,  lache  nicht,  deine  Gold,  Schuh  und  Perlen  i*) 

Werden  dich  schon  '•'')  drücken,  sind  eng  genug  dazu. 

Wenn  die  anderen  tanzen  gehn, 

Musst  i-*)  du  bei  der  Wiege  stehn, 

Winke  nur,  winke  nur,  sind  gar  leichte,  leichte  Winke 

Bis  den  Finger  drückt  der  goldne  Trauring.  ^•') 

Ringlein  sehn  heut  lieblich  aus, 


^)  a.  a.  O.  S.  289  fg.  —  2)  [heraus,  du:  Wunderhorn,  ^  ^)  2:  [sind 
alle.  —  '')  3  :  [o  Weiele  weh,  o  weiele  weh!  —  ^)  4  •  [was.  —  '^)  5  :  [Jung- 
fern. —  ')  6  :  [stehn.  —  '^)  "  :  |zu  den  Weibern  musst  du  gehn.  —  '"')  8  :  [darfst, 
du  ja  wohl  tragen   das  schöne  Hochzeitskleid. 

^*^)  II  :  [musst  dein  Härlcin.  —  ^l)  12  :  [in  dem  weissen  Häubelein.  — 
1-)    1 3  :  [rote,   rote  Schuh.   —   ^^j    j  ^  .  [^vohl.    —    l-*)    19:  [wirst. 

1^)    20  :    [bis   du  an    dem   Finger   einen   goldnen   Hochzeitring. 

Anm.  »Gründung  Prags« :  „Komm  heraus,  komm  heraus,  o  du  schöne,  schöne 
Braut.  „Deine  guten  Tage  sind  nun  alle  alle  aus,  Deine  Jungfrau'n  lässt  du  stehn. 
Willst  nun  zu  den  Weibern  gehn.  Chor:  ,,Dein  Schleierlein  weht,  dein  Schleier- 
lein weht.  Die  Thränen  des  Taues,  die  weinst  du  zu  spät.  Lege  ab,  lege  ab, 
auf  ew'ge,  ew'ge  Zeit,  Schild  und  Schwert  und  Panzer,  deine  Waffen,  dein  Gold- 
gcschmeid.  Aus  dem  Helm  ins  Häubelein  Schliessest  du  die  Locken  ein!  Chor: 
„Lache  nur,  lache  nur,  die  roten,  roten  Schuh'  Werden  dich  einst  drücken, 
sie  sind  eng  genug  dazu,  W^enn  wir  zu  dem  Tanze  gehn,  Wirst  du  bei  der 
Wiege  stehn !    Winke  nur,   winke  nur,   sind  nur  leichte,  leichte  Winke." 


Des  Tagebuches.  51 

Morgen  werden  Fesseln  draus.  ^) 

Springe  heut,  springe  heut  deinen  letzten,  letzten  Tanz,  ^) 

Welken  erst  die  Rosen,  stehen  Dornen  in  dem  Kranz,  *) 

Musst  die  Blümlein  3)  lassen  stehn, 

Musst  nun  auf  den  Acker  gehn."  ^) 
Einen  Niederschlag  der  Studien  Brentanos  über  Volkssagen, 
Volksgebräuche  und  Legenden  haben  wir  im  ,Tagebuch  der 
Ahnfrau'  zu  erblicken.  Es  sollte  gleichsam  ein  Gegenstück  zum 
,Wunderhorn',  gute  alte  Familienpoesie,  sein,  nicht  bloss  die  Be- 
schreibung der  Gebräuche  bringen,  sondern  auch  innige  Bezieh- 
ungen auf  das  religiöse  und  gesellige  Leben  der  Vorzeit.  •^)  Oster- 
und  Pfingstsitten,  die  Gebräuche  des  Maitages  und  Johannistages 
treten  vor  uns  hin,  alles  durchflochten  mit  alten  Sagen  und  uralten 
Ueberlieferungen.  Eine  altertümliche  legendenhaft  klingende 
Sprache  verleiht  deni  Ganzen  Körper  und  Gestalt. 

Für  die  Beschreibung  der  Gebräuche ")  am  Ostertage  scheint 
Brentano  die  Darstellung  des  Praetorius  über  die  Gebräuche  am 
Maitage  aus  seiner  ,Blockes-Berg  Verrichtung'  benutzt  zu  haben. 
Man  vergleiche  den  Brauch  am  Osterdienstag  (Wiegenzug  zu  den 
jungen  Eheleuten,  Gr.  S.  249)  mit  folgendem  Berichte  bei  Präto- 
rius.  Er  sagt  „an  etlichen  Orten  sei  es  üblich,  dass  auff  den  ersten 
Majustage  den  jungen  Eheleuten  und  kurz  vorher  Verheyratheten 
die  Mägdlein  zu  sonderlichen  Freuden  eine  May  bringen  und 
neben  einem  hübschen  Liedlein  übergeben.  Solche  Maye  aber 
pflegen  sie  hübsch  ausszuschmücken  und  mit  allerhand  Klapper- 
Werk  (als  kleine  Wiegen,  Bildern,  Kindergen,  Klapperstörchen, 
Vögelein,  Zutschkannen,  Kinderklappern,  Flidder  Golde)  behangen. 
Doch  ist  zu  gedenken,  dass  diese  Ceremonie  anderswo  üblich  sey 
auff  Laetare  .  .  .  ." '') 


^)  23  :  [goldne  Ketten  legst  du  an,  musst  in  ein  Gefängnis  gehn.  —  ")  24 :  [morgen 
kannst  du  weinen  auf  den  schönen  Hochzeitkranz. — •  '')  29:  [Blumen.  —  ■*)  30:  [auf  den 
Acker  musst  du  gehn.  Anm. :  „Bis  du  an  dem  Finger  trägst  den  goldnen  Skla- 
venring, Goldne  Ketten  legst  du  an  Und  beschwerlich  wird  die  Bahn.  Tanze  nur, 
tanze  nur  deinen  letzten  letzten  Tanz,  In  der  Sonne  welket  bald  dein  schöner 
Hochzeitskranz.    Lasse  nur  die  Blumen  stehn,     Auf  den  Acker  musst  du  gehn!" 

'')  vergl.  Diel-Kreiten,  II,  S.  480.  —  *^)  Bei  der  Grösse  der  Litteratur  und 
ihrer  Entlegenheit  ist  es  in  den  meisten  Fällen  nicht  mögHch  eine  bestimmte  Vor- 
lage anzugeben.  —  ')  Blockes-Berg  Verrichtung,  2.  Tl.  Cap.  6,  S.  491,  Ueber 
Pfingstgebräuche  (Gr.  S.  257  fg.)  vergl.  J.  Grimm,  deutsche  Mythologie,  4.  Ausg. 
von  E.  H.  Meyer,  3  Bd.  Berlin  1875,  II,  S.  656  fg.  Jedenfalls  war  Brentano 
dieses  Buch  (i.  Aufl.  1835)  <^es  Freundes  bekannt,  wenn  auch  sein  Bibliotheks- 
verzeichnis keinen  Anhalt  bietet. 


^2  Die   Quellen. 

Eine  der  prächtigsten  Schilderungon  des  Tagebuciies  ist  die 
des  Johannistages.  Ein  eigener  Hauch,  eine  Kraft  der  Empfin- 
dung und  Anschaulichkeit  geht  von  diesen  Bildern  aus,  in  denen 
Brentano  das  dämonisch  heidnische  und  das  christliche  Element 
so  packend  dargestellt  hat;  der  Gedanke  liegt  nicht  fern,  dass  der 
Dichter  hier  auf  Grund  eigener  Beobachtung  schreibt.  —  „Scharen 
^•on  armen  Kindern",  erzählt  er,  „zogen  mit  Körben  zu  uns  heran 
und  betteln  um  Geschenke,  den  Johannisengel  morgen  zum  Feste 
zu  schmücken  und  Johannisfeuer  anzuzünden.  Ich  liess  ihnen 
reichlich  Speise  und  Holz  austeilen.    Sie  sangen  aber  einen  Reim: 

Feuerrote  Röselein, 
Aus  dem  Blute  springt  der  Schein, 
Aus  der  Erde  springt  der  Wein 
Rot  schwing  ich  mein  Fähnelein."  ^) 

Die  Vorlage  für  diesen  geheimnisvollen,  bisher  noch  nicht 
erklärten  Vers  liegt  nicht  allzufern.  Brentano  scheint  mit  einiger 
Freiheit  eine  Sitte  aus  dem  Fuldischen  wiederzugeben.  Wie 
Grimm  angibt,  geht  es  dort  folgendermassen  zu :  „Am  Johannis- 
tag betteln  ....  die  Knaben  Holz  und  Geschenke,  das  Holz  ver- 
brennen sie  Abends,  beim  Einsammeln  wird  gesungen: 

Da  kommen  wir  hergegangen, 
Mit  Spiessen  und  mit  Stangen  -) 
Und  wollen  die  Eier  langen. 
Feuerrote  Blümelein, 
An  der  Erde  springt  der  Wein, 
Gebt  ihr  nur  die  Eier  ein 
Zum  Johannisfeuer, 
Der  Haber  ist  ja  teuer." 

Auch  jene  Sitte,  am  Johannistage  Kräuter  zu  sammeln,  denen 
man  heilkräftige  Wirkung  zutraut,  verwertet  er.  „Johanniskraut 
vertreibt  Hexen  und  Teufel",  lieisst  es  in  der  Chemnitzer  Rocken- 
philosophie,   die   Grimm   heranzieht.  ■*)     So    ist   das   „Johannisblut 


^)   Tagebuch  S.    268,   S.    270  zitiert   Brentano    2   Verse  allein. 

-)  In  Franken  und  Schwaben  wurden  ähnliche  Reime  gesungen.  Aehnliche 
Wendungen  gebrauchen  auch  Immermann,  ^Trauerspiel  in  Tirol«,  Grillparzer,  »Die 
Muse  beklagt  sich« :  „was  kommt  ihr  mit  Spiessen  und  mit  Stangen  mich  zu  fan- 
gen."  II,   S.    21.   —   "')   Grimm,   a.   a.  O.   S.  513. 

^)  Grimm  III,  S.  440,  aus  der  Chemnitzer  Rockenphilosophic  [3.  Hundert 
S.    12,   Nr.   1890]. 


Des  Tagebuches.  5  3 

(Gr.  S.  296)  auf  Johannis  zur  Mittagsstunde  gesammelt,  zu  vielen 
Dingen  gut." ')  In  der  ,gestriegelten  Rockenphilosophie'  wird 
gesagt:^)  „Es  gehen  am  Johannistage  einige  Leute  in  der  Mittags- 
stunde auf  das  Feld  und  suchen  ein  gewisses  Kraut  ....  welches 
klein  Wegetritt  genannt  wird;  dieses  raufFen  sie  mit  der  Wurzel 
aus,  und  finden  zuweilen  an  deren  Wurtzeln  einige  rötliche  runde 

Körnlein  hangen,  in  der  Grösse  eines  Tröpflein  Bluts Und 

dieses  soll  ihr  Vorgeben  nach  das  Blut  seyn  des  enthaupteten  hei- 
ligen Märtyrers  St.  Johannis  ...  sie  meynen,  wenn  sie  diese  Rari- 
tät gefunden  haben  und  solches  anhängen  .  .  .  dass  sie  alsdann  vor 
vielem  Unglück  und  Krankheit  sicher  seyn."  —  Brentanos  Erzäh- 
lung vom  Johannisgürtlein  liegen  wohl  ähnliche  Quellen  zu  Grunde 
wie  dem  Berichte  Grimms.  „Johannistag  gürtet  man  sich  mit  Bei- 
fuss  und  wirft  ihn  unter  Sprüchen  und  Reimen  ins  Feuer,  daher 
die  Namen  Johannisgürtel  etc.  Die  Wurzel  wird  feierlich  ge- 
graben, in  Kränze  gewunden,  umgehangen  und  von  jedem  mit 
dem  Unfall,  der  er  an  sich  hat,  in  die  Flammen  geworfen.  Wer 
Beifuss  an  sich  hat,  ermüdet  nicht.  Dies  letzte  ist  nach  Plinius 
Artemisiam."  •') 

Der  Johannisabend  und  seine  Vorgänge,  wie  Brentano  sie 
schildert,  entsprechen  im  allgemeinen  dem  Bilde,  das  die  Gebräuche 
der  Sommersonnenwende^)  erstehen  lassen.  Manches  hat  er 
freilich  umgestaltet.  Kränze  werden  gewunden  (S.  308  fg.),")  fröh- 
liche Burschen  jagen  in  dunkler  Nacht  flammende  Räder  durch 
die  Hohlwege  in  die  Feuer.")  Eine  alte  Sitte,  deren  Ursprung') 
noch  nicht  feststeht,  ist  der  Brauch  des  Johannisfeuers  (S.  3 1  0  ffg.). 
Auch  hier  dichtet  Brentano  zur  Herstellung  eines  Zusammen- 
hanges manche  Züge  des  Volksbrauches  um.     G.  Strigenitius  be- 


1)  a.  a.  O.  III,  S.  439.  —  2j  Djg  gestriegelte  Rockenphilosophie,  Chem- 
nitz 1709.   2.  Hundert,  S.   303   fg.     Katalog  3314,   S.    188. 

•^)  Grimm,  a.  a.  O.  II,  S.  1013,  Tagebuch  S.  296  über  Sammeln  des  Farn- 
samens cf.  Grimm,  a.  a.  O.  II,  S.  10 12  fg.  Von  den  segensreichen  Wirkungen 
des  Johannistaues  (Tagebuch  S.  268,  316,  319)  spricht  auch  Annette  von  Droste- 
Hülshoff:   »Johannistau«  Ges.   Schriften,   Stuttg.,   I,   S.   330. 

^)  vergl.   Grimm,   a.   a.   O.  I,  S.    513,    515   fg  ;   II,   S.    601;   III,   S.    176. 

'^j   Grimm,   a.  a.   O.   III,   S.   171,   III,   S.    464,    475. 

")  Grimm,  a.  a.  O.  I,  S.  515,  Beschreibung  der  Sitte  zu  Konz  (1823), 
Seb.  Franck,  Weltbuch  S.  50  fg.,  erzählt  von  den  Fastnachtsfeuern  der  Franken, 
die   ein  grosses,   brennendes,     mit    Stroh   umwickeltes   Rad   bergabwärts  rollen  lassen. 

')   Den  heidnischen  Ursprung  deutet  Br.  an:   Zueign.  S.  VII. 


54  Die   Quellen. 

merkt  in  einer  Predigt,  die  sich  bei  Eccard  ^)  findet:  „Das  Volk 
tanzt  und  singt  um  die  Joharmisfeuer",  jeder  hat  ein  Kraut  in  der 
Hand,  er  wirft  es  in  das  Feuer,  all  sein  Unglück  wird  verbrannt. 
Die  jungen  I.eute  springen  über  die  Feuer.  ^)  Diesen  Zug  hat 
Brentano  in  sehr  ausgedehntem  Masse  verwandt.  -  Jakob  von 
Guise  spricht  in  seiner  Predigt  über  den  christlichen  Gedanken 
der  Sitte  an  jenem  Tage  Fackeln  anzuzünden ;  der  Dichter  erzählt 
vielleicht  in  Anlehnung  an  eine  Stelle  bei  Durandus:^)  „Feruntur 
quoque  (in  festo  Johannis  bapt.)  brandae  seu  faces  ardentes,  et  fiunt 
ignes  qui  significant  sanctum  Johannem  qui  fuit  lumen  et  lucerna 
ardens  praecedens  et  praecursor  verae  lucis  .  .  rota  in  quibusdam 
locis  volvitur,  ad  significandum,  quod  sicut  sol  ad  altiora  sui  cir- 
culi  pervenit  nee  altius  potest  progredi,  ut  tunc  sol  descendit, 
secundum  quod  ipse  testimonium  perhibet  dicens:  me  oportet 
minui,  illum  autem  crescere."  *) 

Vier  Sagen  sind  es  hauptsächlich,  die  Brentano  eingeflochten 
hat.  Zunächst  die  Sage  vom  Rattenfänger  von  Hameln.  Das 
Lied  im  »Wunderhorn«  •'')  mag  ihm  wohl  einige  Anregung  gegeben 
haben;  ich  vermute,  dass  ihm  ferner  das  mir  nicht  erreichbare 
Buch  von  Kirchmeyer,  »kuriose  Historie  vom  Ausgang  der  Hamel- 
schen  Kinder«,  welches  sich  in  seiner  Bibliothek  fand,  als  Vorlage 
gedient  hat.  Massgebend  dürfte  für  ihn  auch  die  Hamelsche 
Reimchronik  gewesen  sein,  deren  Irrtümer  er  aufnimmt.  *")  Am 
wahrscheinlichsten  scheint  mir  die  Benutzung  der  Erzählung  in 
Gebr.  Grimms  ,deutschen  Sagen.' '^)  Wir  finden  —  von  einigen 
Kürzungen  abgesehen  —  fast  wörtliche  Uebereinstimmung. 

Als  Vorlage  für  die  Sage  vom  ewigen  Juden  kann  angeführt 
werden    das  Volksbuch    vom   ewigen  Juden,    welches    Görres   in 


1)  Ueber  die  Schreibweise  des  Namens :  ckh  oder  cc  herrscht  keine  Sicher- 
heit: vergl.  Grundriss  der  germ.  Philologie  11,  I,  S.  i6o  fg.,  I,  S.  32.  Auf  dem 
Titel  steht  der  Name  Eckhard :  Comentarii  de  rebus  Franciae  orientalis.  Wirceburgi 
1729,   I,   S.   424,   lib.  XXIV.   Grimm,   a.  a.   O.   I,   S.    514. 

2)  Grimm,   a.  a.   O.   S.   51".   —   "*)  Durandus,   Rationale  div.    7.  cap.    14. 

^)  Zu  den  sonstigen  Sitten  des  Johannistages  vergl.  Birlinger,  Volkstümliches 
aus  Schwaben,  Freiburg  1861,  S.  104  ffg.  S.  iio  fg.  Grimm,  a.a.O.  III,  S.  179. 
Die  Wetterherren  (S.  31 7)  sind  Paulus  und  Johannes,  ihr  Tag  ist  am  26.  Juni, 
die  Hagelfeier.  —  ^)  Wunderhorn  S.  33  fg.  —  i")  Ueber  den  Stand  der  Forschung 
vergl.  Fr.  Jostes,  der  Rattenfänger  von  Hameln,  Bonn  1895,  vergl.  Zeitschrift  für 
vergl.  Litter.  Gesch.   (1896)   IX,   S.   423   fg. 

^)  Deutsche  Sagen,  herausgegeben  von  den  Brüdern  Grimm,  Berlin  18 16,  I, 
S-  SSf'  %•;  ^uch  die  Naubert,  deren  »Märchen«  Brentano  besessen,  hat  die  Sage 
bearbeitet:   Volksmährchen  der  Deutschen,    i.  Aufl.    1789  —  93. 


Des  Tagebuches.  .55 

seinen  »teutschen  Volksbüchern«  nennt  und  behandelt.^)  Es 
stammt  wohl  wie  die  meisten  dort  aufgezählten  Bücher  aus  der 
Bibliothek  Brentanos.  ^)  Simrock  gibt  eine  ausführliche  Inhalts- 
angabe. ^)  Doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  Brentano  noch  eine 
andere  Fassung  der  Sage  gekannt  hat  (vergl.  Tagebuch  S.  251). 
Fast  identisch  sind  bei  Brentano  und  im  Volksbuch  die  Worte, 
•die  Christus  zu  Ahasver  spricht.  ■*)  Zu  dieser  Vorlage  kommt  noch 
«ine  andere  Ueberlieferung,  von  der  Kirchmann  in  seinem  Werke 
»de  annulis«  berichtet,  wo  Carthophylax,  der  ewige  Jude,  mit  dem 
Ringe  der  Patriarchen  und  dem  Steine  ihres  Brustschildes  in  Zu- 
sammenhang gebracht  wird.'')  „Ita  etiam"  —  sagt  Kirchmann, 
^.Charthophylax  erat  custos  annuli  Patriarchalis,  quem  ille  a  Patri- 
archa  solemniter  acceptum  in  pectore  gestabat.  Etiam  ei  porrigit 
in  manum  annulum  aureum,  sicut  Dominus  ad  Moisen  dixit;  et 
impones  Rationale  super  Aaronis  pectus  annulum  facies  aureum 
accomodabis  eum  labris  ipsius  Rationalis,  ut  per  eum  nomina 
filiorum  Israelis  discribantur.  Et  quinam  is  est?  Patriarchale 
buUoterium  priore  more  suspensum  ad  Chartophylax  pectus,  recep- 
taculum  studii  doctrinarum  omnis  generis."*") 

Aus  Grimms  Sagen  —  oder  sollte  Brentano  auf  Erkenbolds 
Gedicht "')  zurückgegangen  sein,  was  auch  wohl  möglich  ist ?  — 
stammt  in  bisweilen  wörtlicher  Uebereinstimmung  die  in  der  Ein- 
leitung zum  Tagebuch  erwähnte  und  in  recht  alberner  Weise  mit 
Personen  verknüpfte  Geschichte  vom  Herrn  Peter  Dimringer  von 
Staufenberg  und  der  Meerfey.  ^) 

Die  sonderbare  Erzählung  gleich  zu  Beginn  des  Tagebuches 
(S.  236)  von  der  Gräfin  von  Holland,  die  Gott  strafte,  „indem  er 
ihr  eine  grosse  Zahl  kleiner  Kinder  bescherte,  welche  vom  Bischof 
Guido  (d.  hl.  Vitus?)  in  zwei  Becken  getauft,  nebst  der  Mutter 
schnell  gestorben  und  begraben  sind",  mag  nicht  so  sehr  auf  Colers 


^)  Gories,  die  t.  Volksbücher,  Heidelberg  1807,  S,  200  ffg.  —  ^j  Qörres,  a.  a. 
0.  S.  308,  vergl.  auch  Schultz,  a.  a  O.  S.  96  ffg.  —  ^)  Simrock,  d.  deutschen 
Volksbücher,  Frankf.  1847,  VI,  S.  423  ffg.  —  ^)  Görres,  a.  a.  O.  S.  201,  Sim- 
rock, a.  a.  O.  VI,  S.  425,  Tagebuch  S.  303,  —  ^)  Katalog  der  Bibliothek  S. 
171.   —    '')  Joh.   Kirchmanni  Lubecensis,     de  annulis,     Francf.    1672.   S.   43   fg. 

^)  vergl.  Simiock,   a.   a.   O.  III,   S.   3    ffg.    Wunderhorn  S.  281  ffg. 

^)  Grimm,  a.  a.  O.  II,  S.  249.  Wer  der  Pfalzgraf  Hanns  Diemringer  von 
Staufenberg  ist,  weiss  ich  nicht,  vielleicht  liegt  hier  irgend  eine  persönliche  An- 
spielung vor. 


56  Die  Quellen. 

Erzählung  in  dem  medizinischen  Teile  seines  Hausbuches  ^)  zurück- 
gehen, als  auf  die  von  den  Gebrüdern  Grimm  berichtete  Saget 
„So  viel  Kinder  als  Tag  im  Jahr."  ^) 

Ohne  Zweifel  ist  ein  grosser  Teil  vom  Inhalte  des  Tagebuches 
durch  Suso  beeinflusst  worden,  dessen  Werke  ein  Freund  Bren- 
tanos, der  junge  Diepenbrock,  nicht  ohne  des  Dichters  Beihilfe 
herausgegeben  hat.'*)  Dass  Brentano  sich  gern  dem  Geiste  Susos 
hingegeben,  beweist]  ein  Zueignungsgedicht,  ^)  in  dem  er  sich 
bedankt  „für  Herberge,  Müsse  und  Trost",  die  Diepenbrock  ihm 
gegeben  durch  die  Schriften  Susos,  „des  lieblichsten  deutschen 
Asketen."")  Auch  in  Susos  Gedichten  hören  wir  von  kirchlichen 
Tagen :  St.  Agnestag,  St.  Katharinentag ;  wir  erfahren,  dass  „die 
edlen  Kräuter  die  Wurzeln  aller  Tugenden" '')  sind,  im  Tagebuche 
„war  der  Himmelsgarten  der  Garten  ihres  liebevoll  barmherzigen 
Wirkens  und  alle  die  Blumen  und  Kräuter  waren  ihre  Liebes- 
werke." ")  In  einem  Gesichte  Susos  heisst  es :  „Dieselbe  hl.  Tochter 
sagte  ihm  auch,  dass  sie  einstmals  im  Geiste  einen  schönen  Rosen- 
baum gesehen  hätte,  wohl  geziert  mit  roten  Rosen,  und  auf  dem 
Rosen  bäum  erschien  das  Kindlein  Jesus  mit  einem  roten  Kränz- 
lein, unter  den  Rosenbaum  sah  sie  sitzen  den  Diener.  Da  sie  das 
Kindlein  fragte,  was  die  Rosen  bezeichneten,  da  sprach  es:  „Die 
Menge  der  Rosen  sind  die  mannigfaltigen  Leiden,  die  ihm  Gott 
zusenden  will,  die  er  freundlich  von  Gott  empfahen  und  sie  gedul- 
diglich  soll:"*^)  Man  vergleiche  damit  die  Stellen  S.  259  fg.  und 
andere.  Auch  bei  Suso  ist  von  einem  seltsamen  Tuch  und  Mantel 
die  Rede;  das  Tuch  „war  gar  rot  und  purpurfarb,  mit  heidnischen 
(damastenen)   seltsamen  Werk,   das  einen    wonniglichen  Anblick 


ij  „Mijald  zeigt  an,  dass  Anno  13  lo  als  Kayser  Heinrich  von  Lützel- 
burg  in  Teiischland  regiret,  Margaretha,  eine  Gräfin  zu  Holland,  360  leben- 
dige Kinder  auff'  einmal  geboren  habe,  welche  alle  getauft  worden  seyn."  Coler,^ 
Hausbuch,  von  der  Hauss  Artceney,  CXV,  S.  201.  "Vielleicht  kannte  er  durch 
Görres  diese  Erzählung,  der  in  seinem  Sagenbuch  Missgeburten  und  dergl.  behan- 
deln wollte.  Die  Sage  geht  wohl  auf  das  zur  Schwanensage  gehörende  altfr.  Epos 
»Beatrix«  zurück  oder  hat  mit  diesem  gleiche  Quelle,  vergl.  Junker,  Grundriss  der 
Gesch.  d.   frz.   Litt.    1902,  S.   77   fg.   —  ^)  Gebr.  Grimm,   a.  a.  O,  H,  S.   374    fg. 

3)  H.  Susos  genannt  Amandus  Leben  und  Schriften  von  M.  Diepenbrock 
mit  Einleitung  von  J.  Görres,  Regensburg   1829.  —  ^)  G.  W.  I,   S.    170. 

^)  Görres,  Freundesbriefe  IH,  S.   286,   Br.  an  Görres,  Anfang   1827. 

'')  Suso,  a.  a.  O.  II,  S.  378.  —  '')  vergl.  die  entsprechende  in  das  Mär- 
chen übergegangene  Stelle:  Gr.  S.  197.  —  ^)  Suso,  a.  a.  O.  Cap.  XXXVI,  S. 
121    fg. 


Des  Tagebuches.  5  7 

gab,  und  das  Feld  war  weiss  als  Schnee."  ^)  Aehnliches  erzählt 
Brentano.  2)  Die  Stelle  bei  Brentano,  wo  von  Pilatus  und  der 
Wahrheit  die  Rede  ist,  ^)  scheint  gleichfalls  durch  Suso  beeinflusst 
zu  sein:  „So  kommen  sie  (die  Leute)  dann  (sprechend):  Herr  sagt 
uns  von  der  nächsten  Wahrheit !  -  -  Waffen,  dem  Wort  bin  ich  so 
recht  unhold.  Pilatus  fragte  unsern  Herrn  Jesum  Christum,  welches 
die  Wahrheit  wäre  und  Christus  schwieg;  also  wenig  kann  man 
sagen,  was  die  Wahrheit  sey.  Gott  ist  die  Wahrheit;  Wahrheit, 
Lauterkeit  und  Einfalt,  das  ist  ein  und  ein  Wesen."  ^) 

Für  die  Erzählung  vom  Ringe  des  Königs  Eduard  von  Eng- 
land kann  zunächst  als  Quelle  ein  Zitat  vorgelegen  haben,  das 
Prätorius  anführt  in  seiner  ,Wündschelruthe' ;  ■'')  es  lautet:  „Chron 
erzehlet,  dass  anno  1 065  der  König  Edovardus  gestorben 
sei,  nachdem  er  kurtz  vorher  eine  göttliche  Vorbedeutung 
seines  Todes  wunderlicher  Weise  an  einem  Ring  bekommen,, 
welchen  er  zwar  kurtz  vorher  einem  armen  Menschen  geschenket 
hatte,  der  in  dem  Namen  des  hl.  Evangelisten  Johannes,  von  ihm 
Almosen  begehrt  gehabt,  aber  bald  darauff  von  einem  Pilgrim  aus 
Jerusalem  hat  zugestellt  bekommen.  Sonsten  ist  der  König  her- 
nach im  Westmünster'schen  Tempel  beerdigt,  und  nicht  lange  her- 
nach canonifiret  worden.  Der  Ring  aber  wird  ja  höher  unterm 
andern  Kirchenschmucke  auffgehoben,  und,  wie  man  spricht,  soll 
er  für  die  schwere  Noth  trefflich  gut  sein."*')  Dieselbe  Stelle 
findet  sich  in  lateinischer  Uebersetzung  bei  Kirchmann. ") 

Schelmuffsky  berichtet  von  der  Westminster  Abtei:  „sie 
führte  mich  in  eine  alte  Kapelle  (Westminster)  allwo  der  Stein  zu 
sehen  war,  auf  welchem  der  Partriarcha  Jakob  gesessen,  wie  er 
im  Traum  die  Himmelsleiter  gesehen  hätte."  ■'')  Auch  diese  Erzäh- 
lung scheint  Brentano  verwertet  zu  haben. 

Eine  Stelle  in  dem  bunten  Durcheinander  der  Einlei- 
tung zum  Tagebache  dürfte  der  Anmerkung  Wernickes  zu 
einem  seiner  Epigramme  entnommen  sein :     („Wo  snatternd  alle 


^)  a.  a.   O.    2.  Buch  III,   390,    433   fg.   —  -)   Tagebuch  S.   322. 

^)  Tagebuch  S.  303.  —  i)  Suso,  a.  a.  O.  Predigten  S.  611.  Auch  im  Ton 
und  in  der  Sprache  glaube  ich  manche  Anklänge"^herauszufühlen ;  durch  die  Be- 
schäftigung mit  Legenden  (besonders  1827)  war  ihm  diese  Art  des  Tones  wohl 
vertraut  geworden.  —  ^)  Ein  Ausbund  von  Wündschel  Ruthen  Oder  sehr  lustiche 
und  ergetzliche  Historien  von  wunderseltzsamen  Erfindungen  der  Schatze.  Zusam- 
mengebunden von  J.   Praetorio,   Leipzig   1667,  vergl.  Br.  Bibliothek. 

•^j  a.  a.  O.  S.  447  fg.  —  ')  a.  a.  O.  S.  156  fg.  —  «)  Neudruck  (Halle) 
S.   57-  Tagebuch  S.   307,   308. 


5  8  ^i^  Anspielungen. 

Gäns'  in  Schwanen  sich  verkehren"):  „durch  HülflFe  eines  Latei- 
nischen Pfaltz  Grafen,  welcher,  wie  er  die  unechten  Kinder 
Echt,  also  auch  einen  DudentopfF  zu  einem  gekrönten  Poeten 
machen  kann,  so  das  folgende  einige  dieser  Pfalzgrafen  ihre 
Macht  so  weit  missgebraucht,  dass  sie  gantze  Gesellschaften 
gestifftet,  welche  den  schönen  Pegnitz-Strand  verunehret,  und 
den  Ruhm  einiger  geschickter  Leute,  die  sich  darunter  befun- 
den, durch  die  Anzahl  und  den  Schwärm  der  Andern  verdunkelt 
haben." ') 

Bisweilen  zeigen  Schilderungen  des  Tagebuchs  grosse  Aehn- 
lichkeit  mit  Gesichten  und  Worten  der  A.  K.  Emmerich,  von 
denen  Brentano  oft  erzählt.  In  einer  Vision  heisst  es:  „indem  sie 
so  zweifelte,  verliess  sie  schon  den  Ort  und  begann  eine  ungeheure 
Reise  über  ein  grünes  Feld,  einen  schwarzen  furchtbaren  Wald, 
der  wie  Wolken  auseinanderging,  und  endlich  über  viele  öde 
Hügel  und  wieder  Wald  und  Feld,  und  dann  in  eine  schwarze 
Tiefe."  ^)  Man  vergleiche  hiermit  das  Traumbild  der  Amey  im 
,Tagebuche  der  Ahnfrau'.  '^)  Vieles  im  Tagebuch  ist  auf  die  fromme 
Nonne  zurückzuführen:  die  Gebete  für  Freunde,  ■*)  die  Pflanzen- 
geheimnisse  und  die  Segnungen."'') 


Die   Anspielungen. 

1.   Persönliche  Anspielungen. 

Die  Märchen  und  das  Tagebuch  Brentanos  sind  wie  viele 
seiner  anderen  Schöpfungen,  besonders  ,der  Romanzen  vom  Rosen- 
kranz', tiefempfundene  Selbstbekenntnisse  und  Gelegenheitsdich- 
tungen, denn  sie  entquillen  eben  einem  Erlebnis  oder  gestalten  Er- 


^)  Poetischer  Versuch,  In  einem  Helden  Gedicht  und  etlichen  Schäffer 
Gedichten.  Mehrentheilshalben  in  Ueberschrifften  bestehend,  Hamburg  1704.  5. 
Buch  S.  143;  vergl.  auch  Chr.  Weise,  Bäurischer  Machiavellus  (Nat.  Litt.  (39) 
S.  359)  „sie  sind  gewiss  ein  Comes  palatinus  aus  dem  Teiche  entwischt,  der  sie 
legitimiert  hat."  —  ^)  Ges.  \V.  VHI,  S.  315:  Brief  an  L.  Hensel  23.  Nov. 
18 18,     VHI,   S.    320,   S.   328   fg. 

3)  G.  W.  IX,  S.  30:  Brief  Chr.  Brentanos  (1823).  —  *)  G.  W.  IV,  S. 
337:  Lebensumriss  der  A.  K.  Emmerich.  Im  Märchen  (Gr.  S.  90)  ist  die  Er- 
wähnung der  Nüsse  vielleicht  entstanden  in  Erinnerung  an  das  von  Br.  niederge- 
schriebene  Gespräch  mit  A.   K.   Emmerich  über  die  Nüsse  und  ihre   Bedeutung. 

5j   G.   W.  IV,   336. 


Persönliche.  59 

lebnisse  und  persönliche  Motive.  Der  Verlauf  seines  Schaffens 
scheint  stets  der  zu  sein:  eine  Quelle,  ein  interessanter  Stoff  regen 
ihn  zur  Bearbeitung  an,  das  eine  oder  andere  persönliche  Erlebnis 
wirkt  mit,  die  dichterische  Gestaltung  tritt  ein,  und  mit  ihr  fliessen 
all  die  Anspielungen  auf  Vorgänge  der  inneren  und  äusseren  Welt 
zusammen.  An  Frau  von  Ahlefeld  konnte  er  schreiben:  „Wie 
würden  sie  die  Hände  überm  Kopf  zusammenschlagen,  wenn  ich 
Ihnen  so  ein  Märchen  bis  in  die  kleinsten  Wendungen  erklären 
könnte."  ^)  — 

Eine  objektive  Wiedergabe  seines  Innenlebens  stellen  Mär- 
chen und  Tagebuch  nicht  dar,  nicht  einmal  das  Aussenleben  wird 
richtig  wiedergegeben  sein.  Der  Dichter  schafft  mit  dem  Gedächt- 
nisse, er  versetzte  sich,  —  in  der  Zueignung  zum  Beispiele  —  in 
die  Jugendjahre  zurück,  er  arbeitet  mit  alten  Eindrücken,  die  er 
noch  einmal  nachempfindet,  mit  Erinnerungen  mannigfaltigster 
Art,  er  liebt  es  Verwirrung  hervorzurufen,  Verstecken  zu  spielen, 
Personen  etwas  beizulegen,  was  andere  besitzen  und  sich  über 
scharfsinnige  Deutungen  lustig  zu  machen.  ^) 

Zahlreiche  Anspielungen  auf  Erlebnisse  und  Gestalten  der 
Jugendzeit  enthalten  die  beiden  Werke.  An  den  Koblenzer  Aufent- 
halt im  Hause  der  strengen  Tante  Mohn  erinnern  die  Reime  über 
das  Benehmen  bei  Tisch  (S.  289)3)  und  mehrere  Wendungen  in  der 
langen  Rede,  die  Gackeleia  den  Petschierstechern  hält.  (Gr. 
S.  111  ffg.)^) 

Die  Gestalt  der  frommen  Verena  verdanken  wir  auch  einer 
Jugenderinnerung.  ^)  Sie  ist  „die  altväterliche  Kindermagd",  an  die 
er  in  späteren  Jahren  oft  dachte,  und  deren  fromme  Kindergebet- 
chen  er  sich  gern  ins  Gedächtnis  zurückrief. ")  —  Den  Herrn 
Schwab  durfte  er  nicht  vergessen,  den  Buchhalter  des  väterlichen 
Hauses,  den  Vermittler  zwischen  der  Wirklichkeit  und  der  Phanta- 
siewelt, in  welcher  der  junge  Kaufmannslehrling  lebte.   In  lustiger 


1)  Diel-Kreiten  II,  491.  —  ^j  G.  W.  VIII,  S.  373.  —  ^)  Diel-Kreiten  I. 
S.  19,  S.  180;  oft  erinnert  er  sich  des  Aufenthaltes  Godwi  II,  S.  109  fg.,  Früh- 
lingskranz S.  13  fg.  Märchen  vom  »Schnürlieschen«;  Brief  an  Math,  von  Guaita 
(1836)  vergl.   Roethe,  a.  a.   O.   S.   71. 

*)  Ueber  ceremonielle  Erziehung  vergl.  auch  Gedicht  »Mamselle  la  Regle« 
von  Bürger,  Ges.  "\V.  Wien  1812,  I,  S.  117.  —  ^)  Tagebuch  S.  243.  —  **)  G. 
W.  IX,   S.   348   fg. 


50  I^i<^  Auspielungeii. 

Manier  sind  Reminiscenzen  an  ihn  in  die  litterarischen  Anspie- 
lungen ')  der  Zueignung  (S.  IX  fFg.)  verwebt.  '^) 

Erinnerungen  aus  der  Kinderzeit  entstammt  vielleicht  das 
Motiv  von  der  Verabschiedung  des  „Hühnerministers".  Ob  Bren- 
tano hier  nicht  an  den  Grossvater  la  Roche  gedacht  hat,  der, 
Kanzler  des  Erzbischofs  Maria  Wenceslaus  von  Trier,  Ende  der 
achtziger  Jahre  in  Ungnade  fiel  und  entlassen  wurde  P'^) 

Durch  Jugenderinnerungen  mag  ihm  wohl  eine  Gestalt  vor 
allem  vertraut  gewesen  sein,  die  des  Hahnen.  Brentano  wird  den 
Hahn  auf  der  Frankfurter  Mainbrücke  oft  angestaunt  haben. 
Kriegk  erzählt  von  ihm :  ■*)  „In  der  iVIitte  der  Mainbrücke  steht  ein 
eisernes  Kruzifix  mit  einem  vergoldeten  Hahn  auf  seiner  Spitze, 
Der  Hahn  hat  symbolische  Bedeutung.  Das  Bild  des  Hahnen  soll 
die  Verbrecher,  die  auf  der  Brücke  hingerichtet  wurden,  durch  die 
Erinnerung  an  Petrus  zur  Reue  mahnen;  oder  wie  auf  den  Kirch- 
türmen ein  Bild  der  Wachsamkeit  sein.  Auf  dieser  Brücke  ward 
oft  gekämpft,  Hahn  und  Kreuz  nicht  selten  zerstört.  Der  Hahn,, 
an  den  sich  manche  Sagen  anknüpfen,  hatte  in  den  Augen  der 
Frankfurter  eine  gewisse  Bedeutung.'') 

Ob  die  Namen  Hahnebach, '"')  Hahnenkreuz  etc.  wirkliche  Orts- 
namen sind,  ist  kaum  festzustellen. '')  Durch  Gockel  und  Hinkel 
wird  er  in  das  Land  Hennegau  geraten  sein.  ^)  Im  Frühlingskranz 
erzählt  er  einmal :  „Mit  verbrannten  Nasen  kamen  wir  vom  Hahnen- 
kamm (bei  Träges)  zurück."-')  Ob  sich  der  Witz  Brentanos,  der 
sich  so  gern  an  Worte  klammert,  nicht  schon  früher  dieses  Aus- 
drucks bemächtigt  und  Kombinationen  daran  geknüpft  hat? 

Gelnhausens  will  sich  Brentano  durch  eine  Bude  erinnern, 
an  die  der  Zettel    geklebt  war:    „Wahrhafte   Abbildung   der  Ge- 


1)  Für  die  Deutung  des  Centaur  (vergl.  auch  »G.  AVasa«)  dürfte  wohl  die 
Stelle  in  dem  Brief  Arnims  an  Br.  (22.  Jan.  1802)  Steig  I,  S.  28  von  Wichtigkeit 
sein.  —  ■^)  vergl.  Diel-Kreiten  I,  S.  28  fg ,  Chr.  Brentano,  Nachgelass.  religiöse 
Schriften,   Biographie  S.   VI  fg.   Frühlingskranz  S.    372,   G.   W.    VIII,   S.    124. 

^'j  Diel-Kreiten  I,  S.  13  fg.  Auf  Koblenzer  Erinnerungen  beruhen  vielleicht 
die  Schilderungen  der  Prozessionen.  Oft  hat  Brentano  an  den  Prozessionen  der 
Karmeliter  teilgenommen,  vergl.  Diel-Kreiten  I.  S.  37.  —  ^j  Kriegk,  Gesch.  von 
Frankfurt  am  Main,  Frankf.  187 1,  S.  442  —  448.  —  ^)  vergl.  auch  Gebr.  Grimm, 
deutsche  Sagen,  Berlin  18 16,  I,  S.  67.  Goethe,  Dichtung  und  Wahrheit  1903, 
XXII,  S.  15  fg.  —  ")  Fischart  bringt  in  seiner  Geschichtsklitterung,  die  Br.  ge- 
kannt hat,  die  Namen  Hahn,  Henne  mit  Hennegau,  Henneberg  zusammen  (>Jeudr. 
Halle  65  —  67,  S.  307).  —  ')  Wir  werden  uns  wohl  damit  begnügen  müssen, 
was  Br.  in  der  Zueignung  sagt :   S.   V. 

8)  Bleich,  a.   a.   O.  S.    83.    —    '^)   Frühlingskranz   S.    298. 


Persönliche.  61 

brüder  Vatermörder  aus  Gelnhausen."  Das  ist  wohl  ein  Scherz  des 
Dichters,  oder  wir  müssten  annehmen,  das  er  den  Gebrüdern 
Grimm  -  die  damit  gemeint  sind  —  diese  Namen  in  Erinnerung 
an  die  Gelnhausener  Wachsfigurenbude  gegeben  habe:  „Sie  (die 
Gebr.  Grimm)  wollen  unter  der  Firma  Gebr.  Vatermörder  von 
Gelnhausen  arbeiten,"  schreibt  Clemens  an  Achim.  ^) 

So  recht  Erfindung  und  Spiel  der  Phantasie  Brentanos  ist  das 
Ländchen  Vadutz ;  „seines kuriosen  Namens"  wegen  hat  er  „es  stets  lieb 
gehabt,"  es  ist  ihm  „das  Land  aller  Schäzte,  Geheimnisse  und  Klein- 
odien." ^)  —  Aus  den  prosaischen  kaufmännischen  Geschäften  rettete 
sich  der  junge  Brentano,  wenn  es  um  ihn  und  in  ihm  gar  zu  enge 
wurde,  in  das  Paradies  seiner  Träume,  die  Schachtelkammer  des 
Hauses,  um  dort,  inmitten  bunten  alten  Gerumpels  über  die  Blindheit 
der  Menschen  zu  weinen,  die  für  Poesie  und  Phantasie  kein  Verständ- 
nis fühlen.  All  die  Herrlichkeiten  des  Reiches  von  Vadutz  werden 
in  des  Dichters  Erinnerung  wieder  lebendig:  phantastisch  genug 
malt  er  sein  und  seiner  Schwester  Reich  aus,  schwer  ist  es,  das 
Erlebte  und  Geschaute  von  den  bewussten  und  unbewussten  sub- 
jetiven  Zutaten  zu  scheiden,  ■^)  Man  vergleiche  mit.  dieser  Schilde- 
rung jene,  die  Bettina  von  dem  Jugendparadies  gibt.  *) 

In  diesem  Märchenstaate,  wo  er  König  war,  musste  es  auch 
Reichskleinodien  geben.  Alle  Welt  sprach  damals  von  der  Kaiser- 
krönung'') Leopolds  IL  (1  790)  und  Franz  IL  (1  792)  und  von  den 
Kleinodien,  die  dem  Kaiser  überreicht  wurden.  In  kindlichem 
Spiel  verfertigte  er  sich  goldigschimmemde  Achselbänder  und  Hess 
diese  Reichskleinodien  oder  Lehnskleinode  von  Vadutz  die  Schulter- 
bänder der  Rebecka  sein. ' )  Im  Tagebuch  ist  die  Geschichte  der 
Lehnskleinode  vertieft  und  symbolisch  gedeutet,  ihre  Beziehungen 


1)  Steig  I,  S.  241.  Oft  kehrt  der  Name  wieder:  Steig  I,  S.  235,  251,  298. 
361  Anm.  Gewirkt  hat  auch  die  Erinnerung  an  die  vielen  Bäcker-  und  Fleischer- 
läden: Gr.  S.  10,  Kl.  S.  330;  Gr.  S.  79,  Kl.  S.  370  u.  a.  ni.  —  2j  Zueignung 
S.   V.   —   ^)  Zueignung  S.  V— VII. 

■*)  ,,Tch  erinnere  mich  sehr  an  unsere  Kindheit,  wo  wir  uns  in  die  Gallerie 
versteckten,  um  dort  das  kleine  Seeschiff  zu  betrachten  und  die  unzähligen  kleinen 
Wachspüppchen  von  allen  Ordensgeistlichen,  vom  Papste  an  bis  zu  den  Bettel- 
mönchen und  Nönnchen  .  .  auch  fand  ich  dort  in  einem  Schrank  den  schönen 
Kastorhut  der  Mutter,  mit  einem  blitzenden  Band  von  Stahl  und  Goldperlen,  auf 
den  der  Papa  als  die  Johanniswürmchen  setzte,  wenn  er  mit  uns  am  Abend  im 
hohen  Sommer  spazieren   fuhr."      (a.  a.   O.   S.    294.) 

•'')  Ueber  die  Kaiserkrönung  vergl.  Goethe,  Dichtung  und  Wahrheit,  XXII, 
21    ffg.   —   *^)  Zueign.  S.  VIII  fg.,   S.   280. 


52  I^ie  Anspielungen, 

ZU  Jugfendträumen  Brentanos  sind  unverkennbar.  Bald  vernichtete 
die  Tatsache  der  Wirklichkeit  die  Träume  der  Phantasie;  Vadutz 
schwand  dahin,  es  hatte  schon  einen  Besitzer.  Da  tröstete  die  kluge 
Frau  Rat  den  betrübten  Knaben.  Aber  es  sollten  noch  andere 
Enttäuschungen  kommen,  die  ihn  tiefer  erfassten.  Seine  Träume,, 
die  ihm  eine  Vereinigung  mit  der  schönen  Marianne  Jung,  der 
späteren  Gattin  Willemers  und  Freundin  Goethes,  vorspiegelten,, 
fanden  ein  jähes  Ende.  Wiederum  soll  Frau  Rat  die  Trösterin  ge- 
spielt haben.  ^)  Als  sie  seinen  Kummer  sah,  sprach  sie  ihm  Mut 
ein  und  erzählte  ihm  die  Anekdote  vom  alten  General,  der  einen 
kummervollen  Menschen  sieht.  2)  Später  wiederholte  Brentano 
diese  Geschichte,  er  sagte  zu  Frau  Willemer:  „Busse,  auch  öffent- 
liche Busse  für  meine  Sünden  in  öffentlicher  Gesellschaft  täte  mir 
allerdings  Not,  und  es  ist  mir  nur  leid,  dass  ich,  wenn  ich  über 
meine  Grobheiten  zerknirscht  gleichsam  bettelnd  um  Almosen  da- 
stehe, keinen  Freund  habe,  der  es  mir  machen  würde  wie  jener 
alte  General"^)  (folgt  das  fast  wörtliche  Zitat).  Da  Frau  Willemer 
sich  so  herzlich  über  diese  Anekdote  ergötzte,  brachte  Brentano  sie 
in  das  Gockelmärchen.  ^) 

Mir  scheint  es  als  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Worte,  die  Bren- 
trano  der  Frau  Rat  in  den  ^Mund  legt,  tatsächlich  von  ihr  kommen,^ 
ob  sie  nicht  Eigentum  des  Dichters  sind.  Keinesfalls  können  wir 
sie  in   der  Weise  verwerten,   wie  der  Biograph   es    tut. '') 

Wie  der  „Herzbruder",  Achim  von  Arnim,  so  liebt  es  auch 
Brentano  zur  Ausgestaltung  seiner  Charaktere  Eigenschaften  von 
Personen  seines  Kreises  zu  verwerten. '')  „Brentano  versicherte 
uns,"  so  erzählt  E.  von  Niendorf,  „dass  er  ins  ,Tagebuch  der  Ahn- 
frau', womit  er  das  Gockelmärchen  schliesst,  aus  dem  Leben  von 
Bekannten  manche  Züge  einwebte,  die  eben  durch  ihre  Wahrheit 
rührend  sind."^)  Einmal  gesteht  Brentano  ganz  naiv  einer  Be- 
kannten, wie  gern  er  noch  eine  Gestalt,  nämlich  die  Kerners,  in 
das  Märchen  gebracht  hätte :  Clemens  nannte  Kerner  den  „Herein- 


^)  Ueber  den  Theaterbesuch,  wo  er  M.  Jung  zuerst  gesehen  haben  soll,, 
vergl.  Bleich,  a.  a.  O.  S.  83,  Cardauns  S.  45.  Diel-Kreiten  I,  S.  100.  AVichtig 
ist  Janssen,   Böhmer  I,    144. 

2)  Zueignung  S.  XII  fg.  —  -^j  Janssen,  Böhmer  I,  S.  107.  —  ^)  Diel- 
Kreiten  II,  S.  302  Anm.  —  ^)  Diel-Kreiten  I,  S.  99  fg.  —  ^)  vergl.  »Godwi<v 
Bärenhäuter«,  »Die  Rheinmärchen«.      Bleich,   a.  a.   O.   S.    50,    58. 

^)   Emma  von  Niendorf,   Aus   der  Gegenwart,  Berlin    1844,  S.   i6. 


» 


Persönliche.  63 

rager";  „unter  diesem  Namen,"  sagt  er,  „habe  er  ihn  in  ,Gockel, 
Kinkel  und  Gackeleia'  einführen  wollen."  i) 

Ein  bescheidenes  Denkmal  hat  er  im  Tagebuch  seinem 
Bruder  Anton  gesetzt.  Wenn  er  die  seltsame  Erscheinung  des 
kranken  Webers  zeichnet,  denkt  er  an  seinen  einfältig  frommen 
Bruder,  der  durch  sein  Gebet,  durch  seine  Mahnungen  und 
Warnungen  seinen  Geschwistern  ein  Segen  gewesen  war.  ^)  „Wir 
hatten  uns  lieb"  —  •  schreibt  er  1828  —  „er  war  den  Menscher» 
blödsinnig,  mir  war  er  ein  Geist-  und  Herzensrichter,  mehr  als  alle."  '^) 
„O  selig,  wem  Gott  die  Hände  bindet,  die  gefaltenen  Hände  zum 
Gebet  und  die  Augen  verhüllt  mit  Demut  und  Einfalt."  ■*) 

Aehnlich  wie  die  prächtige  Gestalt  der  Biondetta  in  ,den 
Romanzen  vom  Rosenkranz'  als  ein  ziemlich  treues  Spiegelbild 
Mariannens  erscheint  oder  wie  sie  die  Liebste  ist  in  dem  wunder- 
schönen Gedichte:  „Es  steht  im  Abendglanze  .  ."•'')  so  tritt  sie  im 
Märchen  als  das  Grossmütterchen  auf.*^)  (Zueign.)  Nicht  alle  Züge, 
die  ihr  Brentano  beilegt,  kommen  ihr  in  Wirklichkeit  zu.  Die 
Garderobe  der  Puppe,  die  Reichskleinodien  sollen  aus  ihrem  Glas- 
schränkchen  stammen,  die  Blumen  und  Kräuter  aus  ihren  Samm- 
lungen {Zueignung  IV  fg.) ;  beim  Leichenzuge  der  Ahnfrau  soll  sie 
zugegen  gewesen  sein.  (Gr.  S.  193  fg.)  ^)  Einzelne  Anspielungen 
mögen  wohl  auf  sie  passen,  aber  manche  können  sowohl  auf 
L.  Hensel,  *^)  als  auf  Johanna  Dietz")  oder  A.  K.  Emmerich^*')  zurück- 
gehen ;  Scherz  und  Ernst,  Wahrheit  und  Phantasiearbeit  haben  ein 
Bild  Mariannens  gestaltet,  das  zwar  manche  Züge  von  ihr  aufweist, 
jedoch  der  Anschaulichkeit  und  Klarheit  entbehrt. 

Deutlicher  tritt  schon  die  Gestalt  von  Sophie  Mereau,  i')  der 
Gattin  des  Dichters,  aus  dem   Gesamtwerke  hervor.     Im  ,Godwi' 


^)  Emma  von  Niendorf,  a.  a.  O.  S.  27.  —  ^J  Diel-Kreiteu  I,  S.  482  fg. — 
^)  Ges.  W.  IX,  S.  211,  vergl.  IX,  S.  277  ftg  IX,  S.  398,  Frühlingskranz  S. 
121.  —  4j  G.  w.  IX,  S,  401.  —  5)  Steig  I,  S.  74.  —  ti)  Frühlingskranz  S. 
364,  S.  368,  1803  nennt  Br.  sie  in  einem  Briefe  an  Arnim  Steig  I,  S.  73,  Ges. 
AV.  IX,  S.  413.  II,  S.  333  ftg.  vergl.  auch  v.  Hertling,  aus  meiner  Autographen- 
sammlung in   »Hochland«,    Monatsschrift,    herausg.   von   K.   Muth   (1903)  I,   S.    29g. 

")   Auf  die  Anspielungen    passt    sehr    wohl   Br.'s    Wort :     Zueign.   S.  IV  fg. 

S)  z.  B.  ihre  Geschicklichkeit  Bilder  auszuschneiden,  F.  Binder,  L.  Hensel, 
Freiburg  1885,   S.   43    fg.,   S.    138,   S.    250,   Ges.   W.   VIII,   S.    267. 

'•*)  Ihre  Wohltätigkeit,  Cardauns,  Märchen  S.  45,  Zur  Schilderung  des  Lei- 
chenzuges im  Nachruf  an  Johanna  Dietz,  G.  W.  II,  S.  537  ffg.  vergl.  Görres, 
Freundesbriefe  III,  S.  223.  —  ^^)  A.  K.  Emmerich  pflegte  für  die  Armen  Klei- 
dungsstücke zu  flicken,  G.  W.  VIII,  S.  380  ffg.,  S.  439.  —  ll)  1798  wahr- 
scheinlich  hat  er    sie    kennen    gelernt,    nicht  1799    wie    Kreiten  annimmt,    a.  a.   O.. 


54  Die  Anspielungeu. 

hat  er  die  Geliebte  gezeichnet  und  verherriicht  als  ,.die  schöne 
Quelle  seines  Enthusiasmus,"  in  zahlreichen  Gedichten  i)  hat  er  sie 
gefeiert,  in  der  Chronika  und  im  Tagebuche  erinnert  er  sich  ihrer, 
als  seiner  treuen  Gattin.  Vielleicht  erscheint  nirgendwo  ihr  Bild  ab- 
geklärter und  ergreifender  als  hier,  wo  der  Dichter  von  dem  „Herz- 
gespann Sophie"  spricht.  Gerade  dieser  Abschnitt  des  Tagebuches  ist 
unzweifelhaft  eines  jener  Fragmente,  ^•on  denen  Brentano  schreibt, 
die  er  in  Zusammenhang  mit  den  Blättern  des  Tagebuchs  bringen 
will.  Dieser  Teil  wird  in  den  Tagen  des  Glückes  mit  Sophie  ent- 
standen sein.  ^)  Eine  tiefe  Innigkeit  des  Tones,  stilles  und  doch 
so  grosses  Glücksgefühl  weht  aus  diesen  schmucklos,  kindlich 
klingenden  Zeilen  entgegen.  In  den  Versen,  mit  denen  das  Stim- 
mungsbild schliesst,  sagt  er: 

Steht  sonnig  es  in  offner  Au, 
Steht  schattig  es  verhüllet, 
Heisst  immer  es  doch  Sonnentau, 
Weil  milder  Tau  es  füllet. 

Wer  Sonnentau  im  Herzen  trägt. 
Hat  Schutz  vor  Zaubereien, 
Und  muss,  eh  er  sich  schlafen  legt. 
Wie  du  dem  Feind  verzeihen  .  .  ."  •'') 

Der  Erinnerung  an  die  geliebte  Frau  Sophie  entspringt  das 
wunderbare  Bild  der  geheimnisvollen  St.  Silveriusnacht  (S.  2  5  9  ffg.). 
Mitten  in  dunkler  stiller  Nacht  hört  er  ein  Kindlein  wimmern.   Ein 


I,  S.  131;  1803  führt  er  sie  als  Gattin  heim,  Steig  I,  S.  76 — 92;  1806  starb 
sie,  tietbetrauert  von  Br.  Unendlich  viel  hat  sie  für  ihn  bedeutet,  vergl.  Görres, 
Freundesbriefe  I,  S.  480,  „Sophie  und  Görres,  die  herrlichsten  Güter  seines 
Lebens" :   Brief  an   Rahel :   Varnhagen,   litt.   Porträts  S.    1 1  o. 

1)  Steig  I,  S.  79  —  91.  —  ^)  1802  beginnt  Br.  »der  alte  Ritter  und  die 
Seinigen<-  aus  dem  er  das  Lied  :  „Es  sang  vor  langen  Jahren  .  ."  mitteilt  (Steig  I, 
S.  43);  1803  I.  Entwurf  der  Chronika,  deren  Lied  [im  2.  Entwurf  18 17]:  „O 
Mutter  halt  dein  Kindlein  warm"  sich  zum  Teil  auf  Sophie  bezieht  (Steig  I,  S. 
353);    1804  enthält  die   Chronika  erst  wenige   Bogen   (a.  a.   O.  S.   117). 

'')  Tagebuch  S.  252  fg.  Anregend  auf  diese  Verse  war  wohl  Bürgers  Ge- 
dicht »Blümchen   "\Vunderhold<;  Sämtl.   Sehr.   I,   S.    213: 

Wer  Wunderhold  im   Busen   trägt,  In   seinem   Zauber  schwimmt 


Wird  wie  ein  Engel  schön  —  —  —    —    —   —   —   —  — ■  - 

—  —  —  —  —  —  —  —   —  —  "Wie  um  das  Lager,   wo  man  ruht, 

O  wie  dann   Wunderhold  das   Herz  Der  Schlaf  so  segnend  schwebt ! 

So  mild  imd  lieblich  stimmt.  Denn   Wunderhold  hält  alles  fern, 

Wie  allgefällig  Ernst  und  Scherz  Was  giftig  beisst  und   sticht. 


Persönliche.  65 

schimmernder  Jüngling  giesst  flutendes  Licht  aus  dem  Kelch  der 
Lilie  auf  ein  zartes  unaufgegangenes  Röslein.  Hier  haben  wir 
wohl  an  die  Taufe  der  Kinder  Sophiens  zu  denken,  die  so  tief 
poetischen  stimmungsreichen  Ausdruck  findet.  ^) 

Auch  Luise  Hensel,  die  auf  Brentano  den  tiefsten  und  nach- 
haltigsten Einfluss  ausgeübt  hat,  findet  sich  im  Märchen  wieder 
und  zwar  gegen  Ende  der  zweiten  Fassung.  Die  Kunstfigur  ist 
in  „eine  wohl  aprobierte  Gouvernante"  verwandelt  (S.  225),  die 
unter  dem  Jubel  der  Kinder  Kuchen  verteilt.  Es  ist  klar,  dass 
Brentano  auf  ihre  langjährige  Tätigkeit  als  Erzieherin*)  anspielt. 
Noch  einmal  tritt  sie  im  Schlussgedicht  auf:  sie  hat  die  Kinder 
heimgeführt,  gewaschen,  ausgekleidet,  zu  Bett  gelegt  und  dann 
mit  ihnen  gebetet:  „Müde  bin  ich,  geh  zur  Ruh."  ^)  Vielleicht  denkt 
er  an  die  Koblenzer  Tage  und  die  charitative  Tätigkeit  L.  Hensels. 

Eine  weitere  Gruppe  von  Anspielungen  bezieht  sich  auf 
Emilie  Linder,  ■*)  jene  fromme  Künstlerin  und  edle  Frauengestalt, 
die  Brentano  wohl  1835  kennen  gelernt  hatte.  Er  Verkehrte  häufig 
in  ihrem  gastlichen  Hause  und  gewann  einen  nicht  geringen  Ein- 
fluss auf  ihre  Geistesrichtung.  Viele  der  schönsten  Züge  der 
goldnen  Amey  rühren  von  Emilie  Linder  her  oder  sind  wenigstens 
unter  dem  Einfluss  ihrer  Persönlichkeit  weitergebildet  worden :  so 
ihre  Mildtätigkeit,  ihre  hilfreiche  Nächstenliebe.  Eine  Reihe  von 
Einzelzügen  verdanken  der  Bekanntschaft  mit  ihr  die  Einführung 
in  die  Fragmente.  Die  mehrmals  erwähnte  Stiftung  des  Klosters 
Lilienthal  geht  auf  ihre  Bemühungen  um  die  Erhaltung  eines 
armen  deutschen  Frauenklösterchens  in  Assisi  zurück.-^)  Die 
Worte  Klaretas  (G.  S.  27  2)  sollen  Aehnlichkeit  mit  Mahnungen 
Emiliens  haben,  die  sich  in  ungedruckten  Briefen  an  Brentano 
finden !®)  —  Eng  verknüpft  mit  Em.  Linders  innerem  Leben  ist  das 
Gedicht:  ,.Das  Seelchen  ^)  auf  der  Heide."  Die  Freundin  beschäftigte 


^)  Diel-Kreiten,   a.  a.  O.   II,  S.   482,   485. 

^)  1819  in  der  Familie  des  Fürsten  Salm  (Binder,  a.  a.  O.  S.  107  ffg.), 
1 8  2  [  bei  den  Stolbergs  (a.  a.  O.  S.  154  ffg.),  1827:  Leitung  eines  Instituts  in 
Boppard;  1827  — 1832  in  Aachen  (a.  a.  O.  S.  211,  217  flg.).  Auch  in  >Fanfer- 
lieschen«,  in  zahlreichen  ihr  gewidmeten  Gedichten  finden  wir  Anspielungen  auf 
„Lieb-Linum".  —  •")  G.  W.  VIII,  S.  257;  ein  Brief  (1817)  enthält  das  schöne 
Abendgebetlein.  —  ^)  vergl.  AV.  H.  Riehl,  Kulturgeschichtliche  Charakterköpfe, 
Stuttg.    i8gi.  Fr.   Binder,  Erinnerungen  an  E.   Binder,   München    1897. 

5)  Binder,  a.  a.  O.  S.  8  ffg.;  Ges.  W.  IX,  S.  371.  —  '')  Diel,  Br.  Prosa 
II,  S.  611. —  '^j  Zum  Ausdruck  , Seelchen'  vergl.  Bürger,  sämtl.  W.  Wien  181  2  II, 
S.  23;  Gedicht  .Untreue  über  alles'.    Fr.  Schlegel,  AVerke,  Wien  1846,  IX,  S.  157: 


66  Die  Anspielungen. 

sich  viel  und  eingehend  mit  religiösen  Untersuchungen,  ihr  Inter- 
esse für  mystische  Schriften  (Jak.  Böhme)  wurde  durch  Baaders 
Bekanntschaft  noch  gesteigert. ')  das  geheimnisvolle  Gedicht  (Gr. 
S.  275  fg.)  ist  nur  aus  Linders  religiösen  Kämpfen,  von  denen 
Brentano  wusste,  zu  erklären.  Einen  ähnlichen  Gemütszustand 
gibt  ein  anderes  Gedicht  wieder:  der  falsche  Schein  ist  von  der 
Seele  gesunken,  arm  und  verschämt  verlangt  das  arme  Kind  nach 
dem  Rock  ohne  Naht.    Und  dann  heissts: 

„Rot  meine  Lust,  o  Rot,  tief  Rot 
Reisset  mich  hin,  und  tut  mir  Not, 
Rot  lacht  mich  an  mit  Liebesglut 
Weil  mich  geheilet  Jesu  Blut."  ^) 
Die  geheimnisvolle  Deutung  der  roten  Farbe  s)  —  die  Em, 
Linder  wie  auch  die  goldne  Amey  so  liebt  —  scheint  von  hier 
aus  wohl  in  das  obengenannte  Gedicht  übergegangen  zu  sein. 
Brentano  möchte  dem  Seelchen  helfen,  —  aber:  „Da  war  mein 
Tuch  zu  klein,  das  Seelchen  zu  bedecken."  Während  drüben  die 
Gesellen  das  rote  Zeug  in  die  Nacht  schleudern,  müht  er  sich  ver- 
gebens, das  Tuch  zu  vollenden.  "*)  Und  die  Nacht  bricht  herein, 
Not  und  bitteres  Darben.^) —  In  enger  Beziehung  zum  Leben  Em. 
Linders  steht  auch  die  Linde:  vielleicht  hat  Brentano  mit  Rück- 
sicht auf  ein  Ereignis,  das  sich  vor  seiner  Ankunft  in  München 
vollzogen  hatte,  dieses  Motiv  eingefügt.  Binder  erzählt,*')  dass  ein 
Freund  von  Ringseis,  K.  Hofmann,  Neigung  zur  Linder  gefasst 
habe,  die  von  Emilie  erwidert  wurde.  In  Erwartung  einer  Ver- 
einigung der  beiden  und  mit  einer  Anspielung  auf  ihre  Namen 
pflanzten  die  Freunde  die  Hofmanns-Linde.  Hofmann  starb  plötz- 
lich, tief  erschüttert  zog  sich  Emilie  nach  Basel  zurück.  Zu  ver- 
wundern wäre  es  nicht,  wenn  Brentano  auf  diese  Vorgänge  hin- 
zielte:   unter  der  dunkellaubigen  Linde  befreit  Gockel  die  goldene 


I.  Frülilingsgedicht  (rSoo — oi)  J.  Görres,  ,die  Sonettenschlacht  bei  Eichstädt'  in- 
,Trüsteinsamkeit'  S.  255,  Arnim  an  demselben  Ort  S.  390.  Brentano,  G.  W.  V, 
S.    217,   I,   S.   273.   —    1)  Binder,  a.   a.   O.   S.    20,   S.    36   fg.   —  2)  G.  W.  I,  S.  60. 

•')  1818  bezeichnet  Br.  die  sinnliche  Liebe  als  eine  rote  Flamme:  G.  W. 
VIII,  S.  3 ;  in  einem  Gedicht  heissts  (I,  S.  475)  „Nach  der  Liebe  Liebesnot 
Ohne. Duft  und   ohne  Rot" 

•*)  1822  schreibt  Br.  an  einen  Maler:  (IX,  S.  22)  ,,Was  Ihre  Sehnsucht 
jetzt  heilen  kann,  ist  dem  Herrn  gestohlen.  Es  sind  immer  Lappen,  die  der 
Schneider  in  die  Hölle  fallen  lilsst,  wären  sie  auch  beschnitten  unsere  Blosse  zu 
decken.      Der  Herr  aber  will  einen  ungenähten  Rock  ohne  Naht. 

5)   Gr.  S.    273/4.    —    ")   a-   a    O.    S-    12   fg. 


Persönliche.  67 

Amey  und  gibt  ihr  den  Ring,  ^)  aber  auch  die  Angst  Ameys  ist 
hier  am  grössten.  ^)  Dass  ein  Verweben  des  Lindenmotivs  mit 
dem  Fragmente  des  Tagebuchs  Brentanos  eigenem  Gefühle  ent- 
gegenkam, sehen  wir  aus  dem  freigebigen  Gebrauch  dieses  Zuges.  •'') 
—  Aber  auch  heitere  Züge  sind  Em.  Linder  entlehnt.  Sie  ist  die 
breite  Schottländerin,  welche  am  Schlüsse  einen  so  derben  vSchat- 
ten  über  alle  die  Artigkeiten  auswirft."  (Zueign.  S.  VIII.)  Launig 
spielt  Brentano  auf  die  gelehrten  Untersuchungen  und  Speku- 
lationen der  Freundin  an :  „Diese  hohe  Dame  ist  mir  von  der  Aka- 
demie der  old  druidical  Superstitutions"*)  dringend  empfohlen,  sie 
hat  sich  eine  schwarze  Melancholie  durch  zu  urälterliche  und  alt- 
vorderliche  Studien  zugezogen."  So  geht  es  noch  lustig  einige 
Seiten  weiter.") 

Koblenzer  Erinnerungen  aus  den  zwanziger  Jahren  knüpfen 
sich  an  die  drei  Klosterjungfrauen.  *^)  Es  sind  die  drei  Jungfrauen, 
die  1825  nach  Koblenz  kamen,  um  sich  der  Krankenpflege  zu 
widmen'^):  Apollonia  Diepenbrock,  Pauline  Felgenhauer  und 
L.  Hensel.  Die  drei  schneeweiss  gekleideten  Klosterjungfrauen 
erinnern  sicher  an  diese.  Daneben  scheint  noch  die  Bekanntschaft 
mit  drei  Schwestern,  adeligen  Fräulein  und  Waisen  (1833  in 
Regensburg)  eine  Rolle  zu  spielen:  „sie  sind  fromm  und  unschul- 
dig heiter  .  .  .  und  bei  allen  Andachten  und  Prozessionen  demütig 
zugegen.  Diese  guten  Kinder  sind  im  höchsten  Grade  voh  Natur 
und  Uebung  musikalisch.  Sie  spielen  und  singen  vortrefflich. 
Ihre  Melodien  sind  von  einer  heiligen  Schönheit,  man  kann  sie 
ohne  Thränen  nicht  anhören.  Die  Schwestern  sind  dabei  anspruchs- 
los ohne  die  geringste  Einbildung."^)  Im  Tagebuch  spricht  er 
von  frommen  armen  Fräulein  (S.  268),  die  aus  Hennegau  gewall- 
fahrtet sind  (S.  269).  Grosse  Lieblichkeit  und  Demut  besitzt  die 
jüngste,  sie  kann  wie  auch  die  anderen  schöne  Weisen  singen 
und   dichten    (S.  292).     Zwar    hat   Brentano    den    drei   Gestalten 


1)  s.  328.  —  2)  s.  275.  — =^)  z.  B.  g.  w.  I.,  S.   162  fg. 

■*)  vielleicht  bezieht  sich  dies,  wie  auch  der  Name  Schottländerin  auf  eine 
Stelle  bei:  K.  Eckertshausen,  Aufschlüsse  zur  Älagie,  München  1791,  2  Bde.,  mo 
(II,  S.  213  ffg.)  von  englischen  geheimen  Gesellschaften  und  einem  weisen  Schott- 
länder gesprochen  wird. 

^)  Gr.  S.  215  ffg.,  S.  236,  S.  237;  einige  der  stereotypen  Wendungen  der 
Märchenrede  sollen,  wie  Diel-Kreiten  mitteilt,  (II,  S.  482),  auch  von  E.  Linder 
Stammen,  wohl  227/6,  229  23,30.  —  6)  Gr.  S.  191,  S.  268.  —  ')  G.  W.  IX, 
s.  96,  130,  Görres,  Freundesbriefe  III,  S.  223  ffg.  —  8)  Diel-Kreiten  II,  S.  449, 
Brief  vom   2.  Febr.    1833. 

5* 


5y  Die  Anspielungen. 

noch  manche  andere  Züge  \erliehen,  doch  ihr  \'orbild  ist  wohl 
erkennbar.  ' 

Die  zahlreichen  Anspiehingen  auf  Klosterfrauen  sind  eben- 
falls auf  Koblenzer  Erinnerungen  zurückzuführen.  In  der  Rhein- 
stadt lernte  Brentano  die  barmherzigen  Schwestern  aus  Nancy 
kennen  und  verehren ;  *)  noch  tiefere  Kenntnis  der  religiösen 
Genossenschaften  erwarb  er  sich  durch  eine  Reise  nach  Paris 
(18  2  7).  2) 

Der  oft  wiederkehrende  Ausdruck  „Urkundius  Regestus" 
bezieht  sich  auf  Fr.  Böhmer,  der  die  meisten  Manuskripte  des 
Dichters  verwahrte, "')  vor  allen  die  der  Märchen. 

Im  Tagebuch  finden  sich  mehrere  Anspielungen  auf  J.  Kern  er, 
den  er  anfänglich  im  Märchen  unterbringen  wollte.  Wenn  Bren- 
tano in  der  Einleitung  vom  Stadtphysikus  spricht,  dem  der  Handel 
über  seinen  Horizont  geht  und  erklärt,  das  gehöre  ins  „Nachtgebiet 
der  Natur",-*)  und  beweise  ,,das  Hereinragen  einer  Geisterwelt  in 
die  unsere",-'')  so  deutet  er  damit  ohne  Zweifel  auf  Kerner:  man 
erinnere  sich  nur  des  Namens  „Hereinrager",  den  Brentano  dem 
„Geisterseher"  gegeben.  So  erklärt  sich  auch  die  sonst  unver- 
ständliche Ideen  Verbindung  mit  der  Stadt  Weinsberg. 

Es  ist  schwer  festzustellen,  wer  mit  dem  „unparteiischen  Eng- 
länder" gemeint  ist  (Gr.  S.  71).  Sollte  die  Bezeichnung  eine  An- 
spielung auf  Arnim,  Savigny ")  oder  den  Bruder  Georg  "•)  sein,  die 
sich  längere  Zeit  in  England  aufgehalten  haben,  oder  was  mir  als 
am  wahrscheinlichsten  erscheint,  auf  den  Engländer  Robinson,  der 
in  der  Familie  Brentanos  \'erkehrte,  jenen  „Welthannswurst",  wie 
er  im  ,Frühlingskranz'  genannt  wird  ?"  ^) 

Erstaunlich  wäre  es  nicht,  wenn  Brentano  die  Namen  Salm, 
Salmo  eingeführt  hätte   in  Erinnerung   an   das  gräfliche  Ehepaar 


1)    Diel-Kreiten   II,     S.    397    »"-.    (i.    AV.    IX,    S.    183    fg. 

^)  ])iel-Kreiten  II,  S.  400  fg.;  für  die  barmherzigen  Schwestern  verfasste 
er  sogar  ein   Traklätiein,  da.s   zu  einer  gWisseren   Arbeit  anschwoll. 

•*)  1823  hatte  Br.  ihn  kennen  gelernt,  vergl.  Diel-Kreiten  I,  S.  324,  II, 
S'  385  %•  ^'-  ^^'-  ^^^  (Widmung)  Cr.  W.  IX,  142,  222,  Janssen,  Böhmer  I, 
S.  143  jFanferlieschen'  G.  Görres  II,  S.  234.  Lustig  schreibt  Brentano  einmal; 
„Gott  erhalt  dich  lieber  Vetter  In  den  neuen  Lebenslauf,  Passt  dir's  nicht  in  deine 
Blätter,   Gieb's  dem   Böhmer,   der  hebt's  auf."   G.   W.  I,   S.    538. 

*)   Anspielung  auf  Görres  oder  Schubert.   —  ^)   vergl.   auch   S.    235,   S.  236. 

'')  Diel-Kreiten  I,  S.  151.  —  'j  G.  W.  VII,  S.  192.  —  '^)  a.  a.  O.  S. 
379   fg. 


Persönliche.  ÖQ 

Salm,  in  dessen  Haus  er  v/ährend  seiner  Anwesenheit  in  Dülmen 
(1818)  verkehrte.!) 

Mit  dem  München  er  Aufenthalte  steht  das  Septemberle  in 
Zusammenhang  (S.  103).  Die  kuriose  Bezeichnung  „Leib-Leb- 
küchler"  ^)  findet  eine  Erklärung  durch  Brentano  selbst :  „Der 
Lebküchler,  welcher  auf  allerhand  Religionskriege  deuten  soll,  ist 
nichts,  als  ein  hier  durchreisender  Bildhauer,  der  alle  Leute  par 
force  in  Suppentellern  mit  Wachs  en  relief  porträtieren  wollte." "') 
Ob  der  Dichter  nicht  auch  hier  Verstecken  spielt?  Schon  Görres 
gebraucht  den  Ausdruck  „Lebküchler":  —  „ein  Duckmäuser, 
Lebküchler  von  Profession"  — ,  um  literarische  Gegner  in  seiner 
»Dichter  Krönung'  zu  verspotten.  ■*) 

Sich  selbst  hat  der  Dichter  unter  der  Gestalt  des  Bübleins') 
eingeführt,  nach  welchem  Amey  immer  fragt:  „Verena,  was 
macht  das  Büblein  ?"  worauf  sie  jedesmal  ernst  und  bedenklich  er- 
widert: „es  macht  sein  Sach."''')  Mit  unermüdlichem  Fleisse  sam- 
melt es  die  Weizenkörnchen  ein,  um  für  den  entwendeten  heiligen 
Weizen  Ersatz  zu  leisten. '')  Jene  gestohlenen  Körner  sind  „die  ver- 
geudeten Jahre  seines  Lebens,  die  er  bis  zu  seinem  Tode  durch 
Wirken  und  Arbeiten  für  Gott  einzubringen  suchte."*^)  Schon  am 
Schlüsse  des  Märchens  tritt  mit  einem  grossen  Buche  das  Büblein 
auf,  sorgsam  geleitet  von  zwei  Jungfrauen ;  Amey  und  Verena. 
Die  Zeilen,  in  die  das  Märchen  ausklingt,  und  die  von  stiller  Weh- 
mut durchzogenen  Blätter  des  Tagebuches  hat  Brentano  am  Abend 
seines  Lebens  verfasst.  Der  greise  Dichter  betrachtet  seine  vergange- 
nen Lebenstage ;  traurigen  Blickes  glaubt  er  auf  die  Tage  der  Jugend, 
der  schaffenden  Mannesjahre  schauen  zu  müssen,'^)  mit  friedensvoller 
Ergebenheit  auf  seinen  Lebensabend,  den  er  Gott  und  dem  Näch- 
sten geweiht;  „ich  habe  bis  jetzt  auf  der  Welt  nichts  genützt,  ich 
will  nützlich  werden,*'!'^)  schrieb  er  im  Jahre  1816.  —  Tiefer  Friede 
umgibt  den  Dichter.     Die  Gestalten,  die  sein  Leben  behütet,  .die 


1)  G.  W.  VIII,  S.   2;6,  S.  334.  —  2)  Gr.  S.  215,  216  fg,   217  % 
3)  G.  W.    IX,   S.    373.  —  •*)  vergl.  Pfaff,    Trösteinsamkeit,    S.    398,    Einleitung 
S.  LXIX.   —  ^)   Die    Hinneigung    zur    Kindheit  und   Kindlichkeit  lindet   sich  auch 
bei  den  übrigen   Romantikern,     vergl.   Schultz,     a.  a.   O.    S.   39   fg.,   S.   41,     Görres, 
Christi  Kinderbuch,   Volksbücher  Nr.   47. 

^')  Gr.  S.  245.  Auf  die  Frage  spielt  Br.  kurz  nach  Erscheinen  des  Mär- 
chens an  in  einem  Brief  an  L.  Hensel  (21.  Jan.  1838)  IX,  S.  371.  —  ")  Tage- 
buch S.  263,  S.  265,  266,  —  *)  Diel,  Prosa  II,  S.  610.  —  •')  vergl.  auch  G. 
W.  II,  S.  380  ffg. ;  IX,  S.  65,  68,  73,  260  fg ,  174  ffg ,  141,  Janssen,  Böhmer 
I,  S.    104   fg.,    143.    —    W)   VIII,   S.    201. 


7  0  Die  Anspielungen. 

zwei  Jungfrauen,"  die  alte,  gute  Kindermagd  der  frohen  Jugend 
und  die  goldne  Amey,  die  ihm  das  Idealbild  all  der  Qdlen  weib- 
lichen Wesen  darstellt,  die  seinen  Weg  gekreuzt  und  ihn  geleitet 
haben:  die  Mutter,  Sophie,  1)  Maria, »)  die  Gattin  seines  Bruders 
Georg,  Luise  Hensel,^)  Emilie  Linder,  A.  K.  Emmerich  —  sie 
stehen  neben  ihm,  hüten  und  stützen  ihn:  „Büblein  ruh' in  Frieden.* 
LTnd  wenn  die  trübe  dunkle  Nacht  vorüber  ist,  dann  zieht  das 
Siegeslicht  des  neuen  Tages  auf,  bestrahlt  und  durchdringt  alles, 
dass  selbst  das  Märchen  zur  Wahrheit  wird.  Jubelnd  klingt  es  in 
die  Nacht  hinaus: 

„O  Stern  und  Blume,  Geist  und  Kleid, 
Lieb,  Leid  und  Zeit  und  Ewigkeit."*) 


2.  Zeitgeschichtliche  und  litterarische  Anspielungen. 

Geschichtliche  Vorgänge  liegen  wohl  der  in  der  2.  Fassung 
weit  ausgesponnenen  Episode  der  Franzosenplünderung  zu  Grunde. 
Mehrfach  vernehmen  wir  in  Brentanos  Briefwechsel  von  Plün- 
derungen durch  die  Franzose  i.  1  805  schreibt  er,  dass  die  Fran- 
zosen die  eroberten  Schlösser  um  ein  Lausegeld  verkaufen."')  Vor 
allem  werden  wohl  Erinnerungen  an  die  Einnahme  Frankfurts 
(1806)  massgebend  gewesen  sein  oder  Berichte  über  dieselbe,  denn 
der  Dichter  war  damals  fern  von  Frankfurt.") 

Mehrere  Male  hören  wir  in  der  Schilderung  des  Mäuse- 
reiches  von  Mäusen ,  die  ihr  Vaterland  verlassen  haben,  die, 
der  Gefangenschaft  entflohen,  in  der  Mäusestadt  weilen,  um  Bünd- 


1)  G.  W.  VIII,  S.  215.  —  2)  G.  W.  VIII,  S.  189.  —  ■')  G.  W.  VIII, 
S.  199   ffg.,   218   ffg.,   233. 

■*)  Einen  Versuch  der  Deutung  dieser  geheimnisvollen  Verse  macht  Diel- 
Kreiten  II,  S.  487  fg.  G.  v.  Hertling  (Hochland  1903,  S.  290)  teilt  eine  wichtige 
Briefstelle  mit,  die  eine  bessere  Erklärung  der  dunklen  Verse  zu  bringen  scheint. 
Sophie  de  la  Roche  schreibt  ihrer  Enkelin  Meline  1806  unter  anderem  folgendes: 
,,.  .  .  ich  muss  jemand  für  das  schöne  Bild  danken,  so  in  Tusch  erhielt,  wo  vier 
Kinder  den  Ring  der  Ewigkeit  mit  Stern  Blumen  umwinden.  Es  ist  ganz  vor- 
trefflich ausgeführt  —  der  grosse  Ring  über  den  Wolken  erhoben  und  über  ihm 
strahlt  göttliches  Licht  —  die  Stellung  der  Kinder  ist  voll  Geist  und  Grazie  — 
es   freut  mich   sehr."      Man   vergleiche  den  Kupferstich  im  Märchen  S.    330. 

^j  Steig  I.  S.  132,  vergl.  auch  a.a.O.  I,  S.  273  fg.,  Janssen,  Böhmer  III, 
S  388,  Jügel,  das  Puppenhaus,  S.  loi,  Janssen,  Böhmer  I,  S.  20.  —  *')  Janssen, 
a.   a.   O.  I,   S.    14   fg. 


Zeitgeschichtliche  und  litterarische.  7  1 

nisse  abzuschliessen,  sich  Erfahrungen  mitzuteilen.  Wir  gehen 
wohl  nicht  fehl,  wenn  wir  diesen  Zug  auf  die  Erinnerung  an  die 
Emigranten  und  Emigrantinnen  beziehen,  denen  Brentano  oft  be- 
gegnet ist.  In  der  Biographie  Christian  Brentanos  heissts:  „das 
Haus  des  Vaters  war  Sammelplatz  der  edlen  und  geistreichen 
"Welt,  besonders  sprachen  die  Emigranten  aus  den  höchsten  Stän- 
den viel  ein,  und  selbst  der  Graf  von  Artois,  nachmals  Karl  IL, 
der  mit  dem  Hause  in  Geschäftsverbindung  stand,  war  ein  nicht 
seltener  Gast.  ^)"  Im  Frühlingskranz  ist  oft  von  Emigranten  die 
Rede:^)  Clemens  spricht  von  Bettinas  Emigranten  -  Verhängnis, 
die  vielgenannte  Madame  de  Gachet  ist  eine  Emigrantin,  wahr- 
scheinlich ist  sie  die  im  Märchen  erwähnte  Marquise  Marmotte. 
Die  Emigranten  spielten  damals  -  1812  kommt  Brentano  noch 
einmal  mit  ihnen  in  Berührung  —  eine  bedeutende  Rolle  in 
Frankfurt.  ■ 

Die  zeitgeschichtliche  Anspielung  wächst  zur  Satire  aus  und 
zwar  in  besonderer  Weise,  im  Urgockel  wenigstens,  gegen  die 
Juden.  Das  Märchen  ,Siebentot',  ,der  Philister,  vor,  in  und  nach 
der  Geschichte'  enthalten  heftige  Angriffe  auf  die  Juden.  ^)  Im 
Urgockel  richtet  sich  Brentanos  Satire  gegen  das  Gebahren  der 
Juden  bei  Hof,^)  gegen  ihre  Bemühungen  ein  edles  Geschlecht  in 
Armut  zu  stürzen.  -') 

Mit  den  jüdischen  Petschierstechern  werden  in  einem  Atem 
die  Naturphilosophen  genannt.  Im  »Gustav  Wasa'  beginnt  sein 
Spott  auf  die  zeitgenössische  Naturphilosophie,  gegen  die  sich  da- 
mals die  heftige  Reaktion  der  Romantiker  erhoben  hatte.  ^)  Zu- 
gleich wird  der  Magnetismus  spöttisch  erwähnt,'^)  der  in  den 
Jahren  1810  — 14  viele  Anhänger  zählte^)  und  bald  in  einen  mi- 
sinnigen  Wahn  und  Aberglauben  ausartete. 


^)  Chr.  Brentano,  Nachgelassene  relig.  SchriftenJ  S.  V. 

-)  a.  a.  O.  S.  70,  72,  73  etc.,  vergl.  Bettina  von  Arnim,  die  Günderode, 
I,  S.  367;  a.  a.  O.  S.  16,  79,  38,  S.  75  %..  S.  79  fg.,  S.  85  ffg.  Diel-Kreiten 
I,  S.  140.  —  ^)  Br.  und  Achim  verkehrten  in  einer  »deutschen  Tischgesellschaft«, 
zu  der  Franzosen,  Juden  und  Philister  keinen  Zutritt  hatten,  vergl.  Bleich,  a.  a.  O. 
S.  65.  —  4)  Gr.  S.  122,  Kl.  S.  387.  —  5j  Diel,  Prosall,  S.  608.  DieFreunde 
beschäftigten  sich  oft  mit  Judengeschichten,  vergl.  Steig  I,  S.    246,    290,   301,    305. 

ö)  G.  W.  VIII,  S.    149:   auch  Br.  beschäftigt  sich  mit  der  Naturphilosophie. 

—  7)   Gr.  S.    176,   G.  W.  IV,    S.   398   fg.,    Diel-Kreiten,  a.  a.  O.  II,   S.  114%. 

—  ^)  G.  W.  VIII,  S.  340,  352,  Janssen,  a.  a.  O.  II,  159,  Schultz,  a.  a.  O. 
S.  32,  G.  W.  IX,  S.  120,  169  etc.  Chr.  Brentano,  a.  a.  O.  S.  XXI  %.,  vergl. 
Görres  in  Diepenbrocks  Ausg.    von   Susos  Werken,  S.  LXXXVIII,  Jugenderinne- 


7  2  I^ie  Anspielungen. 

Nicht  so  sehr  Satire  als  Anklage  gegen  eine  falsche  Rich- 
lung  des  Zeitgeistes  liegt  in  einem  Gedanken  des  Tagebuchs:  der 
Verdrängung  „der  traurigen  tiefsinnigen  Andachtsweise"  durch 
„freudiges  frommes  Wirken".  Ich  weiss  nicht,  aus  welchen 
Gründen  Diel-Kreiten  diesen  Zug  mit  Erfahrungen  im  Koblenzer 
Frauenverein  in  Zusammenhang  bringt ;  i)  von  solchen  Erfahr- 
ungen ist  in  seinen  Briefen  jedenfalls  nichts  zu  lesen,  destomehr 
aber  von  dem  krankhaften  religiösen  Gemütszustand  der  Erweck- 
ten, ^)  einer  mystischen  phantastischen  Sekte,  die  gegen  1816  in 
Bayern  auftrat  und  ähnlichen  Richtungen,  die  für  Brentanos  eige- 
nes Innenleben  von  hoher  Bedeutung  waren.  ^)  Hier  sehen  wir 
jene  tatlose,  krankhaft  mystische  Gefühlswelt;"*)  im  Gegensatz  zu 
ihr  schwebt  Brentano  das  wahrhaft  tätige  religiöse  Opferlebeii 
christlicher  Charitas  vor,  wie  das  Tagebuch  es  schön  zum  Aus- 
druck bringt.  Sollten  in  Koblenz  ähnliche  Erscheinungen  auf- 
getreten sein,  so  können  sie  den  Eindruck,  den  Brentano  von  den 
Erweckten  empfing,  nur  verstärkt  haben. 

Während  Tieck  in  seinen  Märchendichtungen  sich  durchweg 
auf  die  litterarische  Satire  beschränkt,  führt  Brentano  noch  die  politi- 
sche an.'')    Wir  können  eine  scharfe  Satire  gegen  das  Ordensun- 


ruugen     von    J.     X.    von     Ringseis,     bist. -pol.     Blätter    (1875)    S.     429,     514.     — 
1)  Diel-Kreiten,   a.   a.   O.   II,   S.   482. 

-)  G.  W.  IX,  iiü  ffg.,  S.  125,  S.  191  flg.,  196  etc.  Charakteristisch  ist 
der  Brief  Chr.  Br.  (1826)  IX,  S.  85  ffg.  —  '^}  a.  a.  O.  S.  4;  ffg.  vergl.  Brief 
an   Gerlach   (18 16)   VIII,   S.    196. 

■*)  Es  war  damals  auch  schon  die  Gesundbeterei  im  Schwange,  und  ihr 
Hauplvertreter  war  Alexander  von  Hoheulohe  (1794  —  1849),  dessen  Tätigkeit  vor 
allem  iu  den  zwanziger  Jahren  grosses  Aufsehen  erregte,  vergl.  Stamminger  in 
Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,   VI,   S.    163    ffg. 

^)  AVenn  Br.  auch  seiner  Nichte  Mathilde  schreibt :  ,,du  hast  ganz  recht, 
wenn  du  schreibst,  es  sei  nichts  Persönliches  noch  Politisches  in  meinen  Märchen ; 
wenn  man  Strümpfe  gestrickt  hat,  können  zwar  einzelne  aber  nicht  jedermanns 
Beine  hinein",  G.  W.  IX,  349  —  so  wird  ihm  das  nicht  ganz  ernst  sein,  Persön- 
liches enthält  das  Märchen  ja  soviel  und  Politisches  liegt  deutlich  vor  Augen.  Fast 
in  jeder  Arbeit  über  Brentano  findet  man  die  Notiz,  dass  durch  ein  Versehen  Chr. 
Br.,  des  Dichters  Bruder,  wegen  angeblicher  Satire  von  Clemens  auf  Preussen  sei 
ausgewiesen  worden.  Ich  weiss  nicht,  wie  diese  Meinung  entstanden  ist.  In  Chn 
Brs.  Biographie,  die  unter  dessen  Mitwirkung  verfasst  worden  ist,  findet  sich  nicht» 
davon ;  ein  anderer  Grund  ist  angegeben :  „als  die  Kölner  Wirren  ausbrachen,  schien 
die  lebhafte  begeisterte  Teilnahme  des  nüchternen  Mannes  der  engherzigen  preussi- 
schen  Regierung  Besorgnisse  einzuflössen  und  man  wusste  ihm  den  Aufenthalt  zu 
verleiden."  Chr.  Brentano,  Nachgelass.  rel.  Schriften,  S.  XLII.  Keine  Zeile  da- 
von, dass  er  wegen  angeblicher  Preussensatire  des  Bruders  ausgewiesen  worden  ist.. 


Zeitgeschichtliche  und  litterarische.  73 

wesen  i)  feststellen ;  unmöglich  ist  es  nicht,  dass  Brentano  bei  der  Er- 
zählung vom  König  Eifrasius  und  der  Königin  an  irgend  ein  gekrön- 
tes Haupt  gedacht  hat.  *)  Sein  Spott  erhebt  sich  gegen  verrottete 
Reichszustände  ^)  (Gr.  S.  3 1  ffg.),  gegen  das  schlecht  organisierte 
Postwesen,  wohl  auch  gegen  die  Kleinstaaterei,  ■*)  gegen  den  Parti- 
kulär- und  Lokalpatriotismus  des  deutschen  Spiessbürgers,  der 
schon  im  Märchen  ,Dilldapp*  verspottet  worden  war.  •'')  Gog, 
Demagog  und  das  daraus  abgeleitete  Wort:  Demagogokeleia  (S. 
105)  sind  wohl  eine  Spitze  gegen  die  Demagogenriecherei  der 
Regierung.")  Unter  Mack,  Benack,  die  schon  im  Märchen 
,Fanferlieschen*  vorkommen,  ist  Voss  und  sein  Sohn  zu  verstehen. 
Während  dort  die  beiden  als  Aufklärer  gezeichnet  sind,  wendet 
sich  Brentano  im  ,Gockel'  gegen  sie  als  Freimaurer.  Eine  Stelle 
—  ich  muss  sie  ganz  hierher  setzen  —  scheint  vorzüglich  dafür  zu 
sprechen.  Die  fünf  Katzen  sind  der  Eule  '^)  entwischt,  nur  Schuri- 
Muri  hat  ihre  Strafe  gelitten.  Die  Katzen  sind  aus  dem  Mäuse- 
reich geflohen  und  beratschlagen  zum  grössten  Entsetzen  Gacke- 
leias  eine  Verschwörung  gegen  die  armen  Mäuse.  „Mack  schien 
eine  heftige  Rede  zu  halten,  aber  nur  leise,  leise,  alle  machten 
grosse  Buckel,  spreizten  die  Haare  und  schlugen  den  Pelz  anein- 
ander mit  ihren  Schweifen,  dass  Feuerfunken  umherflogen;  manch- 
mal  konnten  sie  ihren  Grimm  nicht  ganz  unterdrücken  und  Hessen 
ein  dumpfes  Murren  und  Wimmern  hören  .  .  .,  wobei  sie  ihre  weit 
vorgestreckten  Krallen  auf  dem  Totenkopfe  wie  Dolche  wetzten. 
Das  Ganze  hatte  vom  Monde  im  Fass  beleuchtet  etwas  höchst 
Gräuliches,  Tückisches;  mir  war  als  sähe  ich  in  die  Hölle  und  un- 
willkürlich  kam  mir  in  die  Seele,  das  ist  eine  Verschwörung,  eine 
Meuterei,  rette  deine  Freunde,  die  frommen  Mäuse"  (S.  161  fg.), 
„Sieh  dort  die  kleine  Pulvertonne  aufgerichtet  und  mit  Steinen 
belegt:  Mack,  Benack,  Gog,  Magog  und  Demagog,  die  fünf 
Rädelsführer  des  jungen  Katzenellenbogens,  welche  darin  in  einer 


*)  Ueber  Orden  vergl.  G.  W.  IX,  S.  49.  —  2j  Satire  gegen  die  hl.  Allianz 
im  »Baron  Hüpfenstich«  vergl.  Bleich,  a.  a.  O.  S.  87.  —  •')  vielleicht  steht  Br. 
hier  unter  Görres'  Einfluss. 

■*)  Die  Namen  Hühnerbein  und  Katzenellenbogen  zielen  wohl  darauf  hin. 
Die  lustige  Entstehungsgeschichte  von  Katzenellenbogen  wird  in  »Müller  Radlauf« 
erzählt.  —  ^)  Auch  im  Godwi :  Illumination  zu  Ehren  des  Königs  I,  S.  202  ffg. 
—  '')  Br.  und  Patriotismus,  Steig  I,  S.  186,  S.  148,  S.  191,  S.  197,  Janssen, 
Böhmer  I,   S.    108. 

')  Das  Motiv  der  Eule,  welche  Katzen  t<")tet,  auch  im  »Baron  Hüpfenstich;; 
G.   Görres  II,  S.   198. 


74  I^i^  Anspielungen. 

AUonge-Perrücke  ihre  Krallen  auf  einem  Totenkopf  zu  eurem 
Unter  gange  gewetzt  haben,  wurden  von  mir  darunter  gefangen; 
ich  habe  ihre  Loge  gedeckt  und  die  Pulververschwörung,  das  Spund- 
loch der  Hölle  verstopft"  (S.  167),  Hier  spricht  Brentano  deutlich 
von  der  Loge;  nehmen  wir  noch  die  ganze  seltsame  Staffage  dazu, 
die  lebhaft  an  freimaurerische  Gebräuche  ^)  erinnert,  die  Erwähnung 
der  frommen  Mäuse,  die  Gebete,  den  gewaltigen  Schrecken  Gacke- 
leias,  so  sehen  wir  klar,  dass  Brentano  das  Freimaurertum  der 
beiden  treffen  wollte. 

Eine  leise  Ironie  auf  zeitgenössische  Unarten  enthält  wohl 
das  Liedchen  der  Schwalbe,  die  ihren  Kindern  aus  der  Bibel 
„exegisierend  explicierend"  liest,  ^) 

Der  Romantiker^)  spricht  aus  den  Worten:  „er  machte  ein 
Kreuz  vor  den  Mund,  welches  ein  schönes  Zeugnis  für  die  fromme 
Sitte  des  finstern  Mittelalters  war"  (S,  5  3  fg.)  oder  aus  der  deut- 
lichen Ironie:  „Mir  ist  so  dumm,  als  ob  ich  sei  ein  in  der  Stiche- 
dunklichkeit  der  finstern  Mittelalterlichkeit  gelegtes  ausgeblase- 
nes Ei'"*)  (S.  53). 

Die  litterarische  Satire'')  nimmt  im  Gockelmärchen 
keinen  so  grossen  Raum  ein,  wie  in  anderen  Werken'*)  Brentanos. 
Unser  Märchen  hält  sich  von  einer  ausgedehnten  litterarischen  Satire 
auf  eine  einzelne  Person  völlig  frei,  hier  schaltet  die  ungebundene 
Dichterphantasie  mit  Namen  und  Zitaten,  wie  es  ihr  beliebt. 
Und  wenn  Brentano  schon  einmal  ein  Lied  parodiert  oder  Verse 
von  Goethe,  ■")  Schiller  ^)  und  Haller,  so  geschieht  es  nicht  so  sehr, 
um  den  Inhalt   zu  treffen,   sondern  vor  allem  der  Klangwirkung 


^j  Anklänge  an  Freimaurerlieder  enthält  wohl  der  Vers:  ,,Vivat  bei  dem 
höchsten  Schwüre"  S.    156. 

^)  Man  vergl.  damit  die  Stelle  in  einem  Briefe  Br.,  wo  er  über  eine  „theo- 
logisch-poetisch-philosophisch-ästhetische Frisur"  spottet.  G.  W.  IX,  S.  109.  — 
^)  G.  Görres,  dayt^ches  Hausbuch,  München  (1847)  II,  S.  5.  —  ^)  Auch  im 
]Vlärchen    von   »Fanferlieschen«  II,   S.    215,233,    276. 

^)  Wieland,  Musäus,  Tieck  pflegten  die  litter.  Satire.  Musäus  geht  in  seinem 
s^Iärchen«  wohl  am  wenigsten  künstlerisch  vor,  er  nennt  seine  Opfer  deutlich  mit 
Namen  und  raubt  dem  Leser  die  letzte  Illusion,  vergl.  Musäus,  Märchen  z.  B.  II. 
Tl.,  S.    12,   28,   36,   46,   97,  119,   218,  III.  Tl.  ri5,    191   etc. 

**)  litt.  Satire  in  den  , Rheinmärchen'  gegen  von  der  Hagen,  Docen,  Gebr. 
Grimm;  im  , Murmeltier'  gegen  Voss;  im  »Schulmeister  Klopfstock'  gegen  Campe 
und  Voss,  auch  in  manchen  Gedichten  (G.  W.  II,  S.  345,  S.  444  ffg.)  glaubt 
man  Angriffe  gegen  Voss  herauszufühlen. 

"*)  Cardauns,  a.  a.   O,  S.   40.   —   ^)  Märchen    S.    178. 


Zeitgeschichtliche  und  litterarische.  75 

Tind  des  Rhythmus ')  wegen.  Eine  eigentliche  litterarische  Satire 
vermag  ich  nur  im  Oberhof  -  Osterhas,  ^)  womit  ein  adeliger  Ge- 
legenheitsdichter gemeint  sein  soll,  zu  erblicken.  Litterarische 
Anspielungen  sind  viele  zu  nennen.  Dohmke  hat  sie  in  seiner 
Ausgabe  zusammengestellt.  „Götter  und  Helden"  geht  wohl  auf 
Goethe- Wieland  zurück. 

Merkwürdig  ist  jene  Stelle  der  Zueignung,  wo  Brentano  den 
jungen  Wolfgang  ein  Märchen  vom  Weltei  erzählen  lässt.  Viel- 
leicht hat  Brentano  an  Goethes  Bearbeitung  ,der  Vögel'  des  Ari- 
stophanes  (1780,  gedruckt  1797)  gedacht.  Dort  spricht  der  Dich- 
ter einmal  vom  Weltei,  im  Anschluss  an  Aristophanes,  der  die 
Anschauung  der  griechischen  Theogonie  verspottet.^)  Die  Reime, 
die  sich  auf  die  Psyche  beziehen,  , Psyche  rühr'!  und  nicht  verge- 
bens!" (Gr.  S,  177)  scheinen  wohl  Verse  von  Matthison  ein  wenig 
zu  parodieren: 

„Psyche  trinkt  und  nicht  vergebens, 

Plötzlich  in  der  Fluten  Grab 

Sinkt  das  Nachtstück  ihres  Lebens 

Wie  ein  Traum  gesiebt  hinab."  ^) 
Ein  wenig  Spott  liegt  auch  in  der  Verwendung  eine»  Zitates 
aus  der  Zauberflöte.") 


.IV.  Entstehung  des  Tagebuchs  der  Ahnfrau. 

Während  der  letzten  Beschäftigung  mit  dem  »Gockel«  wandte 
sich  der  Dichter  den  „flüchtigen  Skizzen  aus  dem  Umfange  der 
Chronika  zu, "  führte  sie  weiter  aus,  um  sie  dann  mit  dem  Märchen 
zu  verbinden.  Diese  Verbindung  erfolgte  wohl  in  den  Jahren 
1836—1837. 


1)  vergl.  Roethe,  a.  a.  O.  S.  42  Anm.  —  '^)  Gr.  S.  3,  IK),  125,  213, 
215    fg.,    21;    fg.,    233,    235    etc. 

^)  Goethe,  Werke  (Hempel)  VIII,  S.  389.  Auf  Goethe  geht  vielleicht  die 
Verwendung    des    Glühwürmchenmotives    zurück    (vergl.   oben   S.    i6j,    Faust  I,     A'. 

3903    % 

"^j  Matthison,  Gedichte  (Reclam)  S.  34.  Bei  einem  Besuche  Matthisons 
zitierte  der  totkranke  Bürger  dem  Dichter  dieses  Gedicht,    Bürger,  Werke  VIII,  259. 

^)  Vergl.  dazu  A.  W.  Schlegels  Parodie  auf  Schillers  Würde  der  Frauenc, 
welche  mit  denselben  Versen  der  Oper  schliesst  (Sämtl.  W.,  3.  Ausg.,  Leipzig 
1846,  II,  172  fg.  Satire  auf  Schikaneder  auch  in  Schlegels  , Ehrenpforte'  II, 
:S.    266. 


76  Entstehung  des  Tagebuchs  der  Ahnfrau. 

Dürfen  wir  Brentanos  Worten  Glauben  schenken,  so  lagen 
ihm  Teile  eines  Entwurfs  vor,  der  vielleicht  gleichzeitig  mit  der 
„Chronika  eines  fahrenden  Schülers"  (wohl  1803  — 1804)  ausgear- 
beitet worden  war.  1817  nahm  er  den  1 .  Entwurf  der  Chronika  noch 
einmal  auf  (für  Försters  „Sängerfahrt")  und  fasste  den  Plan,  eine 
Sammlung  von  Sagen,  Gebräuchen,  Legenden  und  Volkssitten  in 
dieses  Fragment  einzuordnen.^)  Diese  Sammlung  ist  wohl  iden- 
tisch mit  jener,  die  uns  im  Tagebuch  begegnet.  Seine  nunmehr 
vorliegende  Gestalt  empfing  das  Tagebuch  I836  —  3  7. 

Cardauns^)  glaubt  aus  inneren  künstlerischen  Gründen  an- 
nehmen zu  müssen,  dass  das  Tagebuch  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
der  Entstehungszeit  des  Märchens  angehört,  er  glaubt,  dass  sich 
im  Tagebuch  keine  Blätter  finden,  die  zum  Umfange  und  Geiste 
der  Chronika  passen,  die,  mit  anderen  Worten,  in  den  Jahren  1803 
bis  1818  geschrieben  worden  sein  können.  Cardauns  hält  es  für 
unmöglich,  dass  der  Verfasser  der  Chronika  in  dem  gleichen 
Rahmen  ein  solch  sentimentales  Produkt  wie  das  Tagebuch  habe 
liefern  können. ") 

Die  entgegengesetzte  Ansicht  vertritt  Steig.*)  Er  glaubt, 
dass  die  Hauptmasse  des  Tagebuches  Jugendarbeit  sei.  Das  ist 
nun  ganz  und  gar  unmöglich.  Gewiss  ist  die  Verschiedenheit  des 
Tones  nicht  immer  so  gross  wie  Cardauns  annimmt,  gewiss  finden 
wir  Stellen,  z.  B.  „St.  Sophientag"  — ,^)  die,  wie  Steig  betont, 
sehr  wohl  früheren  Zeiten  entsprungen  sein  können,  aber  darum 
braucht  das  Werk  „der  Hauptmasse  nach"  noch  keine  Jugendarbeit 
zu  sein.  Der  grösste  Teil  des  Tagebuches  entstammt  dem  späteren 
Leben  des  Dichters;  denn  das  Werk  besteht  doch  zumeist  aus 
Stimmungen,  die  Brentano  erst  später  durchlebt,  aus  Anspielungen 
auf  Personen,  die  er  nachweisbar  erst  in  den  zwanziger  und 
dreissiger  Jahren  kennen  gelernt  haben  kann;  es  deutet  auf  Ereig- 
nisse und  Vorgänge  hin,  die  sich  in  den  Jahren  1  803  —  1  81  5  nicht 
ereignet  haben  können.     All  dieses  stellt  sicher  „die  Hauptmasse" 


^)  Bleich,   a.   a.   O.  S.   84.    —    -)   Cardauns,   a.  a.   O.   S.   46. 

^)  Das  Umgekehrte  geschieht  zu  derselben  Zeit,  indem  Br.  uns  damals  seine 
Legende  von  der  hl.   Marina  schenkte.      Cardauns,  a.  a.   O.   S.   38. 

"*)  Steig,   im   Euphorion   (1896)  S.  794.   Besprechung  von  Cardauns,   Märchen. 

^)  Sehr  wohl  ist  es  möglich,  dass  "Weises  Lied  ,Die  Rosi'  schon  1804  um- 
gearbeitet worden  ist:  1804  teilt  nämlich  Arnim  dieses  Lied  dem  Freunde  mit 
(Steig  I,  S.  129).  Br.  wird  das  Lied  kurz  nach  dem  Empfang  umgedichtet  luid 
damals  schon  in  seine  Skizzen  aufgenommen  haben. 


Entstellung  des   Tagebuchs   der   Ahnfrau.  -77 

dar.  Ja,  wir  vermögen  fast  die  Anspielungen,  die  auf  die  Ereig- 
nisse und  Bekanntschaften  seiner  letzten  Lebensperiode  zurück- 
gehen, herauszuschälen  und  einen  gewissen  Kern  zu  gewinnen, 
auch  ohne  eine  von  Steig  geforderte  eingehende  Untersuchung  der 
Limburger  Chronik, ')  die  uns  nicht  einmal  weit  bringen  würde. 
Wir  besitzen  ein  anderes  Kriterium,  das  uns  tiefer  in  die  Ent- 
stehungsgeschichte des  Tagebuchs  schauen  lässt  —  die  Anspie- 
lungen. Sie  lassen  zum  mindesten  den  Zeitpunkt  erkennen, 
vor  welchem  die  betreffende  Stelle  nicht  entstanden  sein  kann. 

Nehmen  wir  an,  dass  ein  Teil  des  Tagebuches  niederge- 
schrieben ist  auf  Grund  der  Erfahrungen,  die  Brentano  im  Frauen- 
verein zu  Koblenz  gemacht  hat,  dann  muss  die  grösste  Masse, 
wie  Cardauns  sagt,  in  den  dreissiger  Jahren  entstanden  sein. 
Räumen  wir  dagegen  der  Sekte  der  Wiedererweckten  —  wie  oben 
ausgeführt  —  einen  Einfluss  ein,  so  ist  wenigstens  die  Möglichkeit 
einer  früheren  Entstehung  gegeben,  und  der  Gedanke  liegt  sehr 
nahe,  dass  die  aus  den  Jahren  1803  — 1805  stammenden  Blätter, 
1817  einer  Bearbeitung  nach  dieser  Richtung  unterworfen  wor- 
den sind. 

Die  goldne  Amey  wird  dem  Dichter  auch  in  den  ersten  Ent- 
würfen vorgeschwebt  haben,  sie  hat  unverkennbare  Aehnlichkeit 
mit  den  vier  Frauengestalten  des  ersten  Entwurfes  der  Chronika. 
Analog  diesen  Gestalten  sehen  wir  im  Tagebuch  die  Gespielinnen, 
in  deren  Mittelpunkt  Amey  steht ;  sie  alle  weihen  sich  den  Kindern. 
Auch  im  ersten  Entwurf  werden  diese  Gestalten  schon  zu -finden 
gewesen  sein;  gewiss  aber  ohne  jede  Verbindung  mit  dem  G-ockel- 
märchen. 


^)  Xicht  allzu  gross  ist  die  Abhängigkeit  Br.  von  der  Limburger  Chronik. 
Hauptsächlich  \var  der  Ton  der  Chronika  von  Einfluss.  Einige  äusserliche  Ueber- 
einstimmungen  finden  sich  auch :  der  Schreiber  der  Limb.  Chronik  (Monum.  Germ, 
deutsche  Chron.  IV,  i,  Limb.  Chron.  des  Johames.  Nach  J.  Fr.  Fausti  Fasti 
Limpurgensis  Wiesbaden  1860)  heisst  Johannes.  Folgende  Stelle  stimmt  fast  wört- 
lich mit  einer  andern  bei  Brentano  überein :  ,,In  disser  Zeit  war  ein  Maler  zu 
Köln,  der  hiess  Wilhelm.  Der  war  der  beste  Maler  in  allen  Teutschen  Landen, 
als  er  ward  geachtet  von  den  Meistern.  Er  mahlte  einen  jglichen  menschen  von 
aller  Gestalt  als  hätte  er  gelebt.  S.  70,  S.  10.  Eigentümlich  ist  es,  dass  diese 
Stelle  in  der  [.  Bearbeitung  der  Chronika  (vergl.  Kreiten,  Stimmen  aus  M.  Laach 
(1880)  XIX,  S.  328/15)  fehlt;  auch  spielt  die  Handlung  dort  nicht  im  Lahn- 
sondern im  Maintal  (S.  414).  Fast  scheint  es,  als  ob  Brentano  bei  der  2.  Bear- 
beitung die  Chronika  noch  einmal  hervorgeholt  habe,  die  er  schon  1803  benutzt 
haben  muss,  wie  die  Erwähnung  des  Schreibers  Johannes  und  der  ganze  Ton  der 
Chronika  dartiin. 


7  8  Entstehung  des   Tagebuchs  der  Ahnfrau. 

Die  ganze  Einleitung  (S.  233 — 3  7)  ist  später  entstanden,  viel- 
leicht zu  derselben  Zeit  wie  die  Zueignung  des  Märchens;  für  die 
spätere  Datierung  sprechen  Anspielungen  auf  Luise  Hensel ')  (S. 
233),  auf  Emilie  Linder 2)  (S.  237)  und  Böhmer^)  (S.  237).  Die 
S.  238 — 239  könnten  sehr  wohl  der  ersten  Periode  entstammen, 
wenigstens  werden  sie  nicht  allzusehr  vom  ersten  Entwurf  ab- 
weichen ;  natürlich  müssen  wir  sie,  als  auf  „die  Wiedererweckten" 
bezogen,  ansehen;  die  Erzählung  von  der  Gräfin  von  Holland  und 
die  Rattenfängersage  rühren  wohl  aus  der  1817  entstandenen 
Sammlung.  Von  einigen  Einschiebungen  abgesehen,  dürften  die 
Seiten  240  —  241/12  früher  ans  Licht  gekommen  sein.  Dagegen 
machen  die  folgenden  Seiten  (241  — 248)  bedenkUch:  es  begegnen 
uns  Züge  des  Märchens,  das  fromme  Hühnlein  Gallina  wird  ein- 
geführt und  das  Büblein  —  es  ist  der  Dichter  selbst.  Anspie- 
lungen an  L.  Hensel  tauchen  auf  S.  245/30  auf.  Vielleicht  hat 
sich  die  alte  Verena  schon  im  ersten  Entwurf  befunden,  enthält 
doch  die  ursprüngliche  Fassung  der  Chronika  zahlreiche  katho- 
lische Jugenderinnerungen. 

Diese  Partien  lassen  sich  auf  folgenden  Kern  reduzieren : 
S.  244/22  —  24,  244/26  —  245/3.  Deutlich  ist  hier  z.  B.  eine  lange 
Einschachtelung  erkennbar:  Amey  ist  in  der  Küche  und  beginnt 
die  Beschreibung  des  Gallinariums  und  die  Erzählung  vom  Büb- 
lein —  246/29,  wo  der  Faden  wieder  aufgenommen  wird  — 
247/1  ;  247/6 — ^26  ist  wieder  ein  Zusammenhang  hergestellt.  Dass 
Z,  27—30  später  entstanden  ist,  sehen  wir  schon  aus  dem  sonder- 
baren Widerspruch:  „wir  trennten  uns",  „sie  geleitete  mich". 
Z.  31- -248/3  sind  auszuscheiden.  248/3  —  248/11  dürften  wieder- 
um der  älteren  Fassung  angehören.  Sehr  zweifelhaft  ist  es,  ob 
der  ursprüngliche  Entwurf  schon  die  Hühnernamen  gekannt  hat, 
sie  verdanken  auch  wohl  nur  einer  Laune  des  alten  Dichters  ihre 
Entstehung.  Vielleicht  standen  auch  hier  ursprünglich  die  Namen 
der  Gespielinnen,  aber  ohne  die  Hühnerbeinamen.  —  Wir  würden 
so  die  Reihenfolge  erhalten:  248/12  — 14.  Ameys  Rede  (S. 
248/15-  27)  ist  entweder  Einschiebung  oder  Umarbeitung;  S. 
248/27  —  251/15  können  sehr  wohl  ältere  Bestandteile  darstellen. 
Die  Kinderverse   sind  ähnlich   wie  bei   dem  Märchen  wohl   erst 


^)  L.  Hensel  tritt  1819  ihre  Gouvernantentätigkeit  an,  vergl.  oben  S.  65 
Anm.  —  2j  Eni.  Linder  lernt  er  1835  kennen,  vergl.  oben  S.  65.  —  ^)  1823 
wurde  er  mit  ihm  bekannt,   oben  S.   68  Anm. 


Entstehung  des   Tagebuchs  der  Ahnfrau.  79 

später  eingeschoben  worden.  Da  S.  251/15  —  252/2  autobiogra- 
phischen Charakters  sind  —  und  zwar  geben  sie  Erfahrungen  des 
späteren  Lebens  wieder  —  so  können  sie  dem  älteren  Entwurf 
nicht  angehört  haben.  Der  früheren  Periode  entstammen  allem 
Anschein  nach  das  tiefempfundene  Stimmungsbild  ,St.  Sophien- 
tag' (S.  252/9—253/8),  S.  253  fg.  und  die  Verse.  Einer  ganz 
anderen  Zeit  gehört  aber  das  Gedicht  vom  Seelchen  an  (255/22 
bis  256/1  1),  das  mit  seinen  Anspielungen  auf  Emilie  Linder  völlig 
aus  dem  Zusammenhange  fällt.  Als  ein  Gegenstück  zum  ,Sophien- 
tag*  gehört  ,St.  Marcellinustag'  mit  der  wehmütigen  Erinnerung 
an  sein  Kind  derselben  Zeit  an,  ebenso  wie  S.  256/30 — 259/7  mit 
dem  ,Rosenlied'  und  den  Reminiscenzen  aus  dem  Schatz  volks- 
tümlicher Gebräuche.  S.  259/8  —  261/25  entstammen  einem 
Traume  Emilie  Linders:  also  können  diese  Teile  nur  aus  den 
dreissiger  Jahren  rühren.*) 

Nun  folgt  ein  langer  Abschnitt,  welcher  ohne  weiteres  der 
letzten  SchafFenszeit  des  Dichters  zuzuschreiben  ist  (S.  261/26  bis 
308/28):  ästhetische  Gründe,  Anspielungen  auf  eigenes  und 
fremdes  Leben  fordern  das,  Gestalten  lernen  wir  kennen,  die  dem 
Dichter  erst  in  den  letzten  Lebensjahren  begegnet  sind.  Und 
noch  eins:  an  manchen  Stellen  sehen  wir,  wie  Anspielungen  an 
das  Märchen  nicht  zufällig  hineingeschneit,  sondern  organisch 
mit  dem  Zusammenhang  verwebt  sind  —  Ring  Salomonis,  Achsel- 
spange, Gockel  u.  a.  m.  Anderswo  schauen  wir  deutlich  den 
Gegensatz  zwischen  Altem  und  Neuem. 

Was  von  den  Seiten  261— 316  12  bereits  vorlag,  sind  viel- 
leicht die  Notizen,  die  sich  auf  die  Volksgebräuche  beziehen.  2) 
Um  diese  ranken  sich  wiederum  Erzählungen,  die  nur  aus  den 
letzten  Jahren  Brentanos  erklärbar  sind  (S.  309/21 — 34;  S. 
311  fg.;  S.  314;  S.  315),  ebenso  wie  S.  31  6/1  3— 31  7/26,  S.  317 
bis  323/25.  Das  zeigen  schon  die  Verknüpfung  mit  Vadutz  und 
dem  Märchen,  die  Anspielungen  auf  die  Mutter,  die  ganz  anders 
gestimmt  sind  als  im  ersten  Entwurf  der  Chronika.  Zu  Anfang 
der  Schlusskapitel  (S.  323  26)  sagt  Brentano:  „Sechs  Wochen 
später"  und  eine  Zeile  weiter  in  unverständlicher  Inkonsequenz, 
die  sich  nur  auf  ein  allzuschnelles  Niederschreiben  zurückführen 
lässt:    „ich  war  sechs  Monate  von  diesen  Blättern  getrennt."    Und 


1)  Diel-Kreiten  II,   S.  485. 

2)  S.     268/12  —  268/21;    S.   271/16 — 24;     290,'3i — 290/34;     291/14   bis 
291/28;    295/32   fg.    296   (ohne  die  Reime). 


gO  Eutstehung  des  Tagebuchs  der  Ahnfraii. 

weiter  führt  er  aus  --  ich  muss  die  folgende  charakteristische 
Stelle  wörtlich  anführen:  „ich  habe  sie  (diese  Blätter)  unter  man- 
cherlei harten  Prüfungen  niedergeschrieben,  sonst  wären  sie  klarer, 
kindlicher  und  alles,  was  das  Herz  des  armen  Kindes  von  Henne- 
gau bewegt,  würde  denn  auch  die  Herzen  all  der  anderen  Kinder 
bewegen,  welche  sie  in  Zukunft  lesen".  So  konnte  doch  wohl 
nur  der  alte  Dichter  schreiben.  Von  hier  bis  zum  Schlüsse  des 
Tagebuches  ist  auch  kaum  eine  Stelle,  von  einigen  eingestreuten 
Gedichten  abgesehen,  früher  entstanden.  Jene  Seiten  enthalten 
Anspielungen  und  Verknüpfungen  mit  dem  Märchen,  die  durch- 
aus nicht  den  Eindruck  einer  nachträglichen  Interpolation  machen. 
So  können  wir  zunächst  S.  323 — 334/11  ausscheiden.  Das  Ernte- 
lied, sowie  die  Reime  der  Gespielinnen  —  nicht  der  Lilienfräulein 
—  sind  als  ältere  Produkte  zu  betrachten.  Dohmke  datiert  das 
Erntelied  auf  das  Jahr  1  801,  ')  einen  Grund  gibt  er  nicht  dafür  an. 
Damals  hat  Brentano  wohl  die  Vorlage  aufgefunden  und  in  sei- 
nem »Godwi«  teilweise  veröffentlicht;  aus  inneren  Gründen  nehme 
ich  eine  spätere  Entstehungszeit  der  Umdichtung  an,  etwa  nach 
1810.  Dieses  wie  auch  die  Lieder  der  Gespielinnen  sind  wäh- 
rend oder  kurz  nach  der  Beschäftigung  mit  dem  ,Wunderhorn'  ge- 
dichtet bezw.  umgearbeitet  worden;  die  Antworten  der  Lilienfräu- 
lein sind  erst  bei  der  Umarbeitung  der  Fragmente  hinzugekommen. 
S.  342  —  346  haben  ohne  Zweifel  nicht  zu  den  „Fragmenten  aus 
•dem   Umfange   der  Chronika"  gehört. 

Unsere  Untersuchung  dürfte  gezeigt  haben,  dass  Steigs  An- 
sicht, die  Hauptmasse  des  Tagebuchs  wäre  c.  1  805  oder  noch 
früher  entstanden,  unmöglich  zutreffend  sein  kann,  ebenso  wenig 
aber  auch  Cardauns'  Angabe  beizupflichten  ist,  der  die  Entstehung 
auf  jene  spätere  Periode  datieren  will.  Der  Kern  des  Tagebuchs 
ist  schon  1803  — 17  entstanden,  um  diesen  Kern  haben  sich 
zahllose  Motive,  die  dort  kaum  angedeutet,  gelagert,  neue  Per- 
sonen und  Tendenzen  wurden  dann  hineingebracht  und  zuletzt 
verband  der  Dichter  all  dieses  noch  obendrein  mit  dem  Märchen. 
Wir  sehen  aber  scljon,  dass  eine  scharfe  Scheidung  der  zwei  oder 
drei  ^Schichten  kaum  möglich  ist. 


1)  Dohmke,   AVerke  von   Cl.   Br.   S.    15. 


Anhang. 

\     I.  Das  Erntelied. 

Das  ins  .Tagebuch  der  Ahnfrau'  eingelegte  Lied :  „Es  ist  ein 
Schnitter,  der  heisst  Tod",  erscheint  in  anderer  Fassung  im  ,Wun- 
derhorn'  unter  der  Ueberschrift  .Erntelied'  (katholisches  Kirchen- 
lied) [Strophen  1,  2,  3,  (4),  (5),  (6)].  Schon  im  ,God\vi'  finden  sich 
fünf  Strophen  dieses  Liedes  citiert,  es  war  Brentano  also  schon 
mehrere  Jahre  vor  der  Herausgabe  des  ,Wunderhorn'  bekannt. 

Von  dem  Schnitter-  oder  Erntelied  finden  sich  zwei  Einzel- 
drucke : 

1 .  „Ein  schönes  Mayenlied,  Wie  der  Menschenschnitter  der 
Todt  die  Blumen  ohne  vnderschid  gehling  abmehet.  Jeder- 
mann Jung  vnd  Alt  sehr  nutzHch  zu  singen  vnd  zu  be- 
trachten. Gedruckt  im  Jahre  1638.-'  Am  Schlüsse 
heissts:  „Schnitterlied,  gesungen  zu  Regenspurg  da  eine 
hochadelige  iunge  Blumen  ohnvorsehen  abgebrochen  im 
Jenner  163  7.  Gedichtet  im  Jahre  163  7.  Diese  nach- 
weisbar älteste  Fassung  (M)  teilt  Biriinger  mit.  ^)  [16  Stro- 
phen.] 

2.  „Schnitter  Lied:  das  ist  Kurtze  reymen,  wie  alle  Blumen, 
desj^gleichen  alle  Menschen  dem  zeitlichen  Tode  under- 
worffen.  Sampt  einem  schönen  Lateinischen  zu  Lob  Got- 
tes und  Maria.  Beyde  in  einer  wohlbekandten  Melodey 
zu  singen.  Freyburg  im  Uechtland,  Verlegt  durch  Johann 
Häderlin  zu  Lucern  1639.''')      [16  Strophen.] 

Da  das  Lied  in  dieser  Fassung  (Seh)  meines  Wissens  noch 
nicht  zum  Abdruck  gelangt  ist,  füge  ich  es  bei  mit  den  Varianten, 
die  ,das  Mayenlied'  (M)  aufweist.  Ausserdem  begegnet  es  uns  in 
zahlreichen  kath,  Gesangbüchern  —  vom  Ende  des  1  7.  bis  zum 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts;  —  folgende  kann  ich  nachweisen: 


1)  Den  Herren  Dr.  Bäumker  und  P.  Dreves  schulde  ich  für  ihr  freundliches 
Interesse  grossen  Dank. 

2)  A.  Birlinger  und  W.  Crecelius,  Des  Knaben  Wunderhorn,  Wiesbaden  r874, 
I,  S.  517  ffg.,  zwei  Liederdrucke  des  Jahres  1638  und  eine  Melodie  wird  Bäum- 
ker im  4.  Bd.  seines  ,kath.  d.  Kirchenliedes'  mitteilen.  Neuere  Kompositionen 
stammen  von  Luise  Reichardt,  Mendelssohn-Bartholdy,  Th.  Streicher,  Rheinlande 
IV,   (1903)  November  Nr.   Beilage. 

3)  Bäumker,  Das  kath.  d.  Kirchenlied,  Freiburg  1886,  I,  S.  101,  Nr.  353. 
Königl.   Bibliothek,  Berlin  Y-e  r554,   r2   Seiten. 

6    . 


82  Allhang. 

1 .  „Allgemeines  Gesangbuch,  In  welchem  die  ausserlesenste 
so  wol  alte  als  neue  T.ieder,  so  in  den  Mayntzischen,  Cöll- 
nischen,  Trierischen,  Würtzburgischen  und  Speyrischen 
Gesang-Büchern  Verfasset  und  begriffen,  in  dieses  allge- 
meine Gesang-Buch  zusammen  gesetzt,  und  mit  Noten  ge- 
zieret seynd.  Diejenigen  Lieder  so  keine  Noten  haben, 
seynd  auss  dem  Mayntzer  Gesang  Buch  genommen  allwo 
sie  mit  Noten  zu  finden  seynd.  Auss  sonderbahrer  Ver- 
willigung  eines  hochvvürd.  Vicariats  zu  Mayntz  im  gantzen 
Ertz  Stifft  in  den  Kirchen  und  Schulen  zu  gebrauchen. 
Der  vierdte  Druck  merklich  verbessert.  Mayntz,  gedruckt 
und  verlegt  durch  Johann  Mayr  1697.^)  (G)  [Strophe  1,2, 
3,  (4)  5,  6:  neu,  7  (M:  1  4)  8  (M:  1  5)  9  (M:.16).]  Das  Lied 
begegnet  uns  in  allen  Auflagen  dieses  Gesangbuches  bis 
zum  Ausgang  des  1 8.  Jahrhunderts.  Ausgaben  1705 
bis  1712  sind  von  P.  M.  v.  Cochem  redigiert.^)  Die  Aus- 
gabe V.  J.  1712  ist  neugedruckt:  Mainz  1737,  Mainz  und 
Frankfurt  1774,  in  der  Käffnerischen  Buchhandlung.-*) 
Die  Ausgaben  1810  und  1840  enthalten  das  Lied  nicht 
mehr.4) 

2.  Geistliches  Psälterlein  P.P.  Soc.Jesu,  In  welchem  die  auss- 
erlesenste alte  und  newe  Kirchen  und  Hauss  Gesang  lieb- 
reichste Psalmen  Davids  .  .  .  verfasset.  Colin,  bey  Franz 
Metternich  1718-'^)  (P)17  25,  1734,  1741,  174  7  (Pg)  1807, 

*■  mit  der  Ueberschrift  .Figur  des  Todts'.      1  1  Strophen :   1 , 

2,  3,  4,  5,  6,  7,  8  (9)  9  (10)  10:  neu.  1  1  (16). 
Jedenfalls  steht  das  Lied  in  allen  Ausgaben  bis  ins  1  9.  Jahr- 
hundert hinein. 

3.  Katholisches  Kantual,  allgemeines  Gesangbuch,  Hadamar 
1813,  18  21^^  (G.)  unter  dem  Titel:  ,Tods  Gwalt  und 
Macht*  9  Strophen:  1,  2,  3,  (4)  4  (5)  5  (6)  6:  neu  7  (14) 
8  (15)  9  (16). 

Dieses  Gesangbuch  ist  eine  \'ermehrte  Auflage  des  Cochem- 
schen  Gsgb.  v.  J.  17  74  (408  Seiten).  1813:  422  Seiten.  1821:  670 
Seiten. 


^)  BäuniJver,  a.  n.  O.  III,  S.  37.  In  der  Fürstlich  Stolbergischen  Bibliothek 
zu  Wernigerode  H  63227.  Herr  Bibliothekar  Jacobs  teilte  mir  freundlichst  eine 
Abschrift  des  Liedes  mit.    —  -)  Bäumker,  III,  Nr.   77   und 

^)   Im   Besitze  des   Herrn  Dr.  Bäumker. 

*)  i)ie  anderen  in  Mainz  gedruckten  Gesangbücher  z.\  B.  Cath.  Cantuale 
(17 15,    1724   etc.)  haben  dÄ  Lied   nicht.   —  ■')  Im   Besitze  des  Herrn  Prof.  Jostes. 


Das  Erntelied.  ö3 

Es  dürfte  sich  immerhin  lohnen,   dieses  Lied  einmal  einge- 
hend zu  untersuchen,  umsomehr  als  die  Beantwortung  der  Quellen- 
frage nicht  so  leicht  ist.     Wir  besitzen  ein  lateinisches  Lied,  wel- 
ches den  deutschen  Fassungen  so  nahe  steht,  dass  wohl  an  irgend 
welche  Beziehungen  der  Lieder  zueinander  gedacht  werden  kann. 
Dieser  lateinische  Hymnus,  der  mit  Worten  beginnt:    .Est  messor 
cognomento  mors"    findet  sich  anscheinend  zuerst  bei  Kajoni  im: 
Cantionale  catholicum  1676;  leider  war  mir  die  Sammlung 
nicht  zugänglich.    Der  Hymnus  ist  wiederabgedruckt  zu 
finden  bei: 

Danko,  Vetus  Hymnarium  Ecclesiasticum  Hungariae,  Bu- 
dapest 18931)  (S.  415  ffg.) 
Bäumker  und  Dreves,  die  mir  ihre  Ansicht  mitgeteilt  haben, 
halten  das  lat.  Lied  —  abgesehen  von  Strophen  1,  17,  18  —  für 
eine  freie  Uebersetzung  des  deutschen  Kirchenliedes.  Das  lat. 
Lied  findet  sich  nämlich  später  als  M  oder  Seh  und  in  einer 
Sammlung,  die  noch  andere  aus  dem  Deutschen  ins  Lateini- 
sche übersetzte  Lieder  enthält.  Der  1.  Vers  erscheint  Dreves 
als  durchaus  deutsch  gedacht;  er  glaubt  den  Anfang  eines  Volks- 
liedes herauszufühlen.  Das  dürfte  wohl  kaum  stichhaltig  sein,  denn 
Vergil  und  andere  lat.  Dichter  weisen  ähnliche  Wendungen  auf.  -) 
Weiter  unten  werde  ich  das  lateinische  Lied  zum  Abdruck  bringen 
und  dem  deutschen  Schnitterlied  gegenüberstellen. 

Für  die  Herkunft  des  deutschen  Liedes  ist  die  Tatsache  von 
Bedeutung,  dass  es  schon  im  Jahre  1639  in  Freiburg  in  der 
Schweiz  gedruckt  worden  ist.  Die  dortige  Niederlassung  der  Ge- 
sellschaft Jesu  hatte  die  Censur  vollständig  in  Händen "')  und  übte 
•damit  natürlich  auf  die  Druckereien  einen  grossen  Einfluss  aus. 
Seit  1586  bestand  auch  in  Regensburg  ein  Jesuitenkolleg.  *)  Es 
ist  sehr  wohl  möglich,  dass  durch  den  Orden  das  Lied  so  schnell 
verbreitet  worden  ist  und  dass  der  Dichter  oder  Bearbeiter  dem- 
selben nicht  ferne  gestanden  hat,  zumal  angesichts  der  Tatsache, 
dass  es  von  Anfang  an  in  dem  offiziellen  deutschen  Gesangbuche 
des  Ordens  erscheint. 


1)  Nach  Abschluss  vorliegender  Arbeit  erfahre  ich,  dass  selion  im  Litt. 
Handweiser  (1893)  ^p.    168   auf  das   lat.   Lied  hingewiesen   worden   ist. 

2)  Vergl.  Aen.  i,  530  (=  3,  163)  i,  159;  2,  21;  712;  5,  124;  7,  563; 
8,    697;    II,  31G;   522   u.   a.   Georges   3.  146,   425;   4,  271,  387. 

^)  Vergl.  F.  1  leinemann,  Gesch.  des  Schul-  und  Bildungswesens  im  alten 
Freiburg  bis  7.uni  17.  Jahrhundert,  Freiburg  1895,  S.  146  fg.  —  ^)  Hugo  Grat 
von  Walderdorff,  Regensburg  in  seiner  Vergangenheit  und  Gegenwart,  Regens- 
burg  1896.   2  Jesuiten  werden  vor  allem  genannt:   Cardaneus  und  Castalus  Agricola. 

6* 


84 


Anhang. 


Messis  mortualis. 

1  .Est  messor  cognomento  Mors, 

hie  omnium  suprema  sors, 

Hern  falcem  acuit, 

in  pratum  irruit 

et  quasi  vindicem 

stringit  acinacem. 

Heu  cave  """"V 

pulcher  floscule.  / 

2.  Est  messor  implacabilte, 

est  falx  irretractabilis;  \ 

nil  hac  acutius, 

nil  illo  crudius, 

absque  discrimine 

ludit  in  gramine.  ^) 
5.  Non  flejCtitur  a  tempore, 

nee  immäturo  foenore, 

metit,  licet  sit  ver, 

messor,  hie  impeger, 

manu  praecipitans  '^ 

canerum  anticipans. 

^)   Strophen    2—16  haben  denselben 
Refrain  -wie  Strophe    i. 


Sehnitter  Lied.  ^) 

1 .  Es  ist  ein   Sehnitter,  heisst^) 

der  Tod.  ^) 
Hat  gwalt  von'*)  grossen  •'')Gott, 
Heut  wetzt  er  dass  ^)  Messer, ''} 
Es  geht  schon  viel  ^)  besser, 
Bald  wirdt")  er  drein  sehney- 

den,i") 
Wir  müssen's  nur'^)  leyden, 
Hut  dich  schöns  Blümelein. 

2.  Was  jetzt  ^^)  noch^rün  und 

frisch/dasteht. 
Wird    morgens  '3)     weg    ge- 

meht, '*) 
Roth  Rosen,  weiss  Gilgen,  '^) 
Beyd  pflegt  er  ausstilgen,  ^f') 
Ihr  Kaysers  ^')  Kronen 
Man  wird  euch  ^^)  nit  schonen. 

3.  Viel  tausendf*)    ist   noch  ^'^) 

ohnegezehlt,  ^') 
Dass2:ä)   unter    der"^^)    Sichel 

hJÄfällt,  24) 
Die  edle  Narsissel,^^) 
Die  englische!  SchlüsseP") 
Die  schön  Hyacinth  ^^) 
Die  Türkisehe  Bindt.  ^^) 


Sichel  fält  Pg  :  [sichel  fällt  —  25)  p.  [die 
Violen,  Narcissen  —  ^oj  ;^j  .  [Schlüssel  — 
2<)  P  :  [schön  Hyacinthen  —  28j  p  ;  [Brü- 
den. —  Wo  nicht  anders  bemerkt,  sind 
P  und  Pg  gleich. 


1)  Seh 

2)  P :  I  [heischt  —  ^j  M :  i  [Tod  — 
^)  P :  2  [von    —     ^)  M :    2   [grossen    — 

P2 :  2  [messer  —  ^y 


'■>)  P,  M :  5  [wird  —  10)  p . 
11)  P :  [Menschen  es  Pg 


'^)  P:  3  [das 
M :  4  [vil 
[schneiden 

[menschen  —  12)  P:  [jetz  —  13)  P  :  [Mor- 
gen Pg  :  [morgen  —  l'*)  P  :  [abgemehet 
Po  :  [abgemeht  —  l^)  P  :  [Lilgen  —  lö) 
P  :  [Bald  wirst  ausstilgen  Pg :  [wird  — 
1 '^)  M :  [Und  ihr  Kaiserkronen  P  :  [Kay- 
serliche  —  1«)  M  :  [nur  —  l'^)  M  :  [Tau- 
send —  20j  M  :  [des  P  :  [ja  —  21j  p  ; 
[ungezehlt  —  22)  j^j  .  [j^  —  23)  j^j  .  [^ie 
—    24)    -^i  .  [hinfält    P  :   [das    unter    die 


Das  Erntelied. 


85 


Erndtelied  ^)  (Wunderhorn). 

1 .  Es  ist  ein  Schnitter,  der  heisst  -) 

Tod, 
Hat  Gewalt-'^)  vom  höchsten 

Gott, 
Heut  wetzt  er  das  Messer, 
Es  schneidt*)  schön  viel-'') 

besser. 
Bald  wird  er  drein  schneiden, 
Wir  müssen's  nur  leiden. 
Hüte  dich,   schöns")   Blüme- 

lein! 

2.  Was   heut   noch')   grün    und 

frisch  dasteht. 
Wird  morgen  schon  ^)  hinweg- 
gemäht: 
Die  edlen-')  Narcissen,  i") 
Die  Zierden  der  Wiesen, 
Die  schön  Hyacinthen,  ^') 
Die  türkischen  Bindet.  ^^)     : 

3.  Viel   hundert   tausertd    unge- 

zähh,  ^3) 
Was   nur  unter  die  **)  Sichel 

fällt: 
Ihr'")  Rosen,  ihr  Lilien, i") 
Euch'')  wird  er^^'*)  austilgen, 
Auch  die  Kaiserkronen  '") 
Wird  ^0)  er  nicht  verschonen. 


^)   Wunderhorn  S.   40  fg. 

2j  G  :  [Schnitter,  heisst  der  Todt 
G2  :  [Schnitter,  heisst  —  ^)  G :  [Gwalt  — 
4)  GGg  :  [schneid  —  ^)  Gg ;  [vel  —  6)  G^  : 
[schönes  —  "j  GGg ;  [nur  —  *)  GGg  . 
[schon]  —  •')  G :  [edle  —  W)  GGg  :  4  [die 
himmlische  Schlüssel  —  H)  Godwi :  5  : 
[Hiazinthen  —  I2j  qq^  .  [türkische  Ein- 
ten —  13)  G  :  [ungezellt  —  1*)  G  :  [da- 
runder  die  Sichel  63  :  [darunter  der  — 
15)  GG2  :  [roth  —  I6j  GGg  :  [weiss  Lil- 
gen  —  1')  G  :  [Beyd  —  IS)  Q^  :  [er]  — 
^^)  G :  [ihr  Kaysern  Cronen  Gg :  [Ihr 
Kaiser-Kronen  —  20)   GQg  :  [Man   wird 


Erntelied  (Tagebuch).-*) 

1 .  Es  ist  ein  Schnitter,  der  heisst 

Tod, 
Er   mäht   das   Korn,   wenns 

Gott  gebot. 
Schon  wetzt  er  die  Sense, 
Dass  schneidend  sie  glänze. 
Bald  wird  er  dich  schneiden, 
Du  musst  es  nur  leiden; 
Musst  in  den  Erntekranz  hin- 
ein, 
Hüte  dich  schöns  Blümelein. 

2.  Was    heut    noch    frisch    und 

blühend  steht, 
Wird  morgen  schon  hinweg- 
gemäht. 
^2)  Ihr  edlen  Xarcissen, 
Ihr  süssen  Melissen, 
Ihr  sehnenden  Winden, 
Ihr  Leid-Hyacinthen 
Müsst  in  den  ... 

3.  Viel  hunderttausend  ohne  Zahl, 
Ihr   sinket  durch    der   Sense 

Stahl. 
23)  Weh  Rosen,  weh  Lilien. 
Weh  krause  Basilien! 
Selbst  euch  Kaiserkronen 
Wird  er  nicht  verschonen ; 
Ihr  müsst  zum  ... 

euch;  ,man'  auch  im  , Godwi'  im  Gegensatz 
zur  Fassung  des  ,"Wunderhorn'  und  Tage- 
buchs. 

-1)  Im  .Tagebuch  der  Ahnfrau'  (S. 
334 — 337)  ohne  UeberschriU  ;  vergl. 
auch  Ges.  W.  I,  519  —  524,  wo  es  nur 
wenige  orthographische  Veränderungen 
aufweist.  Die  2.  3.  4.  5.  Strophe  (nach 
der  Anordnung  im  AVunderhorn)  findet 
sich  auch  im  Godwi  (II,  S.  350  ffg., 
S.  442),  ebenso  wird  dort  der  l.  Vers 
der  I.  Strophe  zitiert  II,  S.  35;.  Die 
Form  im   Godwi  ist  die  ältere. 

*2)  vergl.   Schnitterlied  Str.   3  ^'3. 

-3)   a.  a.  O.  Str.    2/3. 


86 


Anhang. 


4.  Non  stat  coloriim  facies, 
Xon  pulchra  florum  acies: 
qiioquo  falx  incidit 
omnc  mox  concidit, 
triste  sit,  laetum  sit 
forma,  non  forma  sit. 

5.  Et  en  tot  celsa  lilia, 
argentea  tot  folia 
ultra  non  candicant, 
nam  terram  morsicant.  ^) 
Viror  et  roseus 

iam  cadit  ocyeus. 

6.  Heu  ubi  tot  formosulae 
reginae  florum  rosulae, 
plus  iam  de  macie 
monstrant  in  facie, 
quam  nuper  tenerae 
monstrarint  purpurae. 

7.  At  nonne  rosas  inclytas 
tutatur  Spinae  feritas? 


^)  Die  Wendung  braucht  nicht  deutsch 
gedacht  zu  sein,  wie  Dreves  meint;  vergl. 
Aen.  II,  418,  10,  489.  Auch  Homer 
kennt  das  Bild:  Od.  22,  269,  II.  11, 
749,  19,    61,    24,    738,    22,    17. 

2)  M  :  [aus  P  :  [auff  _  3)  p  .  |^ein- 
gehut  P,  :  [Eingehut  —  •*)  P  :  [aufF  Sam- 
melt —  ^)  P  :  [Wohlgemuth  P2  :  [du 
wohl  gemuth  —  *^)  F  :  [doch  —  ■^)  P  : 
[erbUndct  —  '^)  P2  :  [Nimmt  —  »)  P  : 
jiindet  —  l")  P  :  [Sammet  —  l^)  P :  [noch 
Seiden  —  ^^)  T :  [ihnen  vertreiben  — 
13)  P  :  I  dass  Himmels  Farbe  Pg  :  [des  — 
1-1)  P  :  [Ehren-Preyss  —  l^)  Pg  .  [Tulpen, 
M:  [Dulipan  —  ' ^^)  P  :  [Klokken  M  : 
iGloggen  —  1^)  M:  [guldinen  P:  [gol- 
dene P2  :  [güldene  —  ^^)  Godwi  [sin  kt 
Wunderhorn  dagegen  [senkt  —  l^)P: 
[wird  drauss  —  20j  P;  |So  —  21)  God- 
wi :  [Rossmarin  —  ^2)  p  .  j^fält  unter 
die  Sichel  Pg :  [Sich'l  P  :  3  ffg.  [Und 
wenn  du  schon  feiner,  Wan  schon  (P2 : 
[man   schont)   doch  nicht   (P2  :   [nit)  dei- 


4.  WiQ^)  Seyden  ist  der  Finger- 

hut, 3) 
Wie  *)    Samet    das    Wohlge- 
muth,^) 
Noch ")  ist  er  so  blind,') 
Nimbt  ^)  was  er  nur  findt,  ^) 
Kein  Samet,  i")  kein  *')  Seyden 
Mag  ihne  vermeydeni^^ 

5.  Das    Himmelfarbe  '3)    Ehren- 

preiss,  ^*) 
Die  Tulipan  ^•')  gelb  und  weiss^ 
Die  silberne  Glocken'^) 
Die  guldine  ^~')  Flocken, 
Sinkt  1^)  alles  zur  Erden 
Was  wirdt  nur  drauss  ^^)  wer- 
den, 

6.  Wieviel  =^")  Masslieb  und  Ross- 

marin '-^1) 
Schwelckt--)under  der  Sichel 

dahin, 
^■')Vergiss  mein  nit*-») 
Du  must  auch  mit. 
Und  du  tausendt  Schön,  ^•') 
Man  lasst  dich  nicht  stehn, 

7.  Ihr    gespreggite  2«!)    Morgen- 

röselein, 
Ihr  Papplen  -')  gross  und  klein^ 


ner.  Ihr  Aussbünd  der  schönen  Man 
lässt  euch  nit  stehen  —  24j  Brentano 
Str.  7/1 1.  —  25)  a.  a.  O.  5/2,  — 
2*»)  M  :  [gesprenggite  P  :  [gesprängte  — 
2')  [Pappelen. 


Das  Erntelied. 


87 


(4)  3.  Aus  Seiden  ist  der  Finger- 

hut, 
Aus  Sammet   ist    das  Wohl- 
gemut, 
Noch  ist  er  so  blind, 
Nimmt,  was  er  nur  findt, 
Kein  Sammet,  kein  Seiden 
Mag  ihn  vermeiden.]') 

(5)  4.  Das  himmelfarbe  ^)  Ehren- 

preis, •') 
Die Tu]ipanen^)g-elb  und  weiss. 
Die  silbernen '')  Glocken, 
Die  goldenen  '>)  Flocken, 
Senkt  ^)  alles  zur  Erden, 
Was  wird^)  daraus  werden? 

(6)  5.  Ihr  hübsch  =')  Eavendel,io) 

Rossmarein^') 
Ihr  vielfarbige  Röselein  '^) 
Ihr  solze  Sehwertlilien  '•') 
Ihr  krause  Basilien  '^) 
Ihr  zarte  Violen 
Man  wird  euch  bald  holen,''"') 


^)  Diese  Strophe  fehlt  im  Wunder- 
horn,  sie  rindet  sich  in  der  von  Dohmke 
(Werke  Br.  S.  322)  mitgeteilten  Fas- 
sung. —  -)  Godwi  (S.  351):  ihimmel- 
farbene  G :  [himnielfarbig  —  ■*)  GGg : 
i  Ehrenpreiss  —  ^)  G  :  [Tiilpan  G.2  :  [Tu- 
lipan  —  äj  QQ^  .  [silberne  —  '>)  GGg 
[güldene  —  "j  G  :  [schenkt  —  «)  GG^ 
[wird  noch  —  "-')  G  :  [hupsch  —  ^0)  GGg 
[und  —  1')  Godwi,  G  :  [Rossmarin  — 
12)  Godwi:  [Röselin  G  :  [Rösselin  — 
1=^)  Godwi  GGg  :  [ :  [(Schwerd) -lügen  — 
i-l)  God.  GG2 :  [ilgen  —  15)  i„  qq^ 
fehlen  Strophen:  8,  q,  10,  11,  12,  13. 
Strophe  6  lautet  in  G  :  .,0  König,  o 
Kayser,  l'^)  o  Fürst  und  Herr,l^j  förcht 
euch  IS)  auch  lurm  1=')  Schnitter  sehr, 
der  Hertzen^'J)  Betrüber,  je  21)  länger 
je  lieber,   macht  22)  alles  herunter,  thut  23] 


4.  Du  himmelfarben  Ehren- 

preis, 2*) 
Du  Träumer,  Mohn,  rot,  gelb 

und  weiss, 
Aurikeln,  Ranunkeln, 
Und  Nelken,  die  funkeln, 
Braucht  nicht  lange  zu  warten, 
Müsst  in  den  Erndtekranz  hin- 
ein 

5.  Du     farbentrunkner    Tulpen- 

flor, 
Du  tausendschöner  Floramor, 
Ihr  Bluts  Verwandten, 
Ihr  Glut-Amaranthen, 
Ihr  Veilchen,  ihr  stillen, 
Ihr  frommen  Camillen, 

6.  Du    stolzer    blauer    Ritter- 

sporn, 2'>) 
Ihr  Klappe'rrosen  in  demKorn, 
Ihr  Röslein  Adonis, 
Ihr  Siegel  Salomonis, 
Ihr  blaue  Cyanen 
Braucht  ihn  nicht  zu  mahnen. 


keinem   besonder 
lied   8/3. 


ver"l.     Schnitter- 


1(!\ 


"j  G2  :  [Kaiser    —     i')    G2  :  [! 
1«)   G2  :  [furcht  ihr  —    l^')   G2  :  [den 


2ö)   Gg:  [Herzen  —  21)   G2  :  [J 
G2  :  [macht   —   23)  q^  .  j^xhut. 

2-1)   Seh    5,   fg.      ' 

25)   Seh    143    fg. 


c   — 


22i 


88 


Anhang. 


Ferrum  sed  ligneam 
frangit  custodiam, 
nee  est  praesidium 
fato    non  *)   pervium. 

8.  Quid  calthae, 
quid  nunc  violae, 

quid  humiles  miraculae, 
quid  sperent  myrtuli, 
vel  quid  acanthuli, 
florum  cum  regia 
cadcmt  insignia? 

9.  Xarcisso  quid  nobilius, 
quid  hyacintho  pulchrius? 
At  tot  narcissuli, 

tot  hyacinthuli, 

sensere  ferreum 

falcis  impereum 
1  0.  Incassum  superfici.) 

messorum  ludis  serico, 

falcis  adibis  os. 

heu  digitalis  flos, 

dicesque,  serica 

quam  sint  umbrifica 
1  1 .  Nee  tu,  frontalis  byssinc, 

molli  triumpha  tegmine: 

tua  nil  gratia 

mortis  ad  otia, 

rigentem  ossibus 

flectent  ut  moUius. 


^)    Konjektur   für   ncc   der  Vorlage. 

2)  Pg  :  [Schwertlylgen  —  ^)  P  :  [krauss 
Batilgen    —    -1)  P  :    |wird    —    5)    Pg 
[Blut-roth   —    ")   M  :  [türckisch  —  ')  P 
[Wasser-Rooss  —   «)  P  :  |du   —   "')   P 
[Augen-    —     ^0)   P  :  [du  Hertzcn-Betrü- 
ber    —    ^^)  M  :  [Jelänger-jelieber  —   ^'-^j 
P  :  [Nun    —    1^)    P  :  [hinunter  —  ^^)  P  : 
[macht    nichts    besonder     —     ^^)  Str.   9 
fehlt  in  P.     —     ^''')    M  :  [auserlesen    — 
1^)   M  :  [Mayerzan  —  ^^}  M  :  [Lasst  euch 
nit  verführoii   —   T')  M  :  [nit  —  -")  M  : 


Ihr  stolze  Schwertlilgen ') 

Ihr  krause  Basilen,  •^) 

Ihr  zarte  Violen 

Man  wirdt  *)  euch  bald  holen, 

8.  Der    blutroth-^)     Türkisch'') 

Wassertost  '^) 
Der  ^)    schneeweiss   Augen- 
trost, '•') 
Der  Hertzenbetrüber  ^*^) 
Je  länger  je  Lieber,^') 
Nur  12)  auch  mit  hinunder  i^) 
Man  machts   da  keim  bson- 

der.  '') 

9.  i^)Derausserlessne  "')  Mayer- 

zahn, 1') 
Das  Zornige  rühr  mich   nit 

an, 
Nicht  lasst  euch  verführen,  ^^) 
Ja  woll  nicht  ^ ")  anrühren, 
Es  gilt  da  kein  bochen, 
Heüt  -")  werd  jhr  abbrochen 

I  0.  Du  Nagelein '^i)  mein    edler 

Schatz,  2=i) 
Findtst  ^•"')auch  beym  Schnit- 
ter kein  blatz,  ^*) 
^'')  Ich  gniess  dein  nit  mehr, 
Jetzt  kompt  er  daher 
Bald  wirstu  verbleichen,  2") 
All  Schöne  muss  weichen,  -") 

I I  ■'*^)  Du  himmelblawes    Bitter- 

sütz,2'-') 
Und  ihr  toll  Hanenfüss,  ^") 
Ihr  hübsche  Lavändel  (vergl. 

W.  Str.  5.) 
Ihr  auff  •'■')  gerechte  Händel 
Es  hilflft-'^)  da  kein  bitten  ='•') 
Heüt  werd  jhr  abgeschnitten, 


Das  Erntelied. 


89 


Im  Psälterlein  fehlen  Strophe : 
11,  12,  13,  14,  15;  Strophe  10 
lautet: 

1 0.  Er    herrschet  ^)    durch     die 
gantze  Welt 
Und  reisset  was  ihm  gefält. 
Die  Blühe  der  Jugend, 
Die  Stärke  ^)  der  Tugend, 
Die  Armen  und  Reichen 
Thut  alle  erbleichen. 


^)  P2  :  [herrschet 
^)  Pg  :  [stärclce 


[heut  ~  21)  M  :  [Nägelein  —  22j  p  . 
[edler  Pg  :  [edeler  schätz  —  ~^)  F  : 
[Finds  —  24)  ^i  .  [Blatz  ;  P  :  [platz  ;  P2  : 
[Platz  —  25-j  p  3fg  .  [Bald  wirst  du  er- 
sterben, Da  kombt  das  Verderben. 

2'')  P  :  [du  \\-irst  gleich  erbleichen  — 
2'j  P  :  [Schöne  entweichen  —  28)  fehlt 
in  P.  —  2i»)  M  :  [Bittersüss  —  »Oj  yi  . 
[ToUhanenfuss  —  ^1)  M:  [aulgerechte  — 
32)  M  :  [hilft  —  33)   m"\  [Bitten 


7.  Lieb  Denkeli,  Vergiss  mein 

nicht, 
Er    weiss    schon,    was  dein 

Nähme  spricht, 
Dich  Seufzer  umschwirrte, 
Brautkränzende  Myrthe, 
Selbst  euch  Immortellen 
Wird  er  alle  fällen ! 

8.  Des   Frühlings   Schatz   und 

WafFensaal 
Ihr    Kronen,    Zepter    ohne 

Zahl, 
Ihr  Schwerter  und  Pfeile 
Ihr  Speere  und  Keile, 
Ihr  Helme  und  Fahnen 
Unzähliger  Ahnen, 

9.  Des     iMaies    Brautschmuck 

auf  der  Au, 
Ihr  Kränzlein  reich  \on  Per- 

lenthau, 
Ihr  Herzen  umschlungen, 
Ihr  Flammen  und  Zungen 
Ihr  Händlein  in  Schlingen 
Von  schimmernden  Ringen. 

10.  IhrsammtnenRosen-Mieder- 

lein, 
Ihr  seidne  Lilien-Schleierlein, 
Ihr  lockende  Glocken, 
Ihr  Schräubchen  und  Flocken 
Ihr  Träubchen,  ihr  Becher, 
Ihr  Häubchen,  ihr  Fächer, 

1 1 .  Herz,     tröste     dich,     schon 

kömmt  die  Zeit, 
Die  \'on  der  JMarter  dich  be- 
freit. 
Ihr  Schlangen,  ihr  Drachen, 
Ihr  Zähne,  ihr  Rachen, 
Ihr  Nägel,  ihr  Kerzen, 
Sinnbilder  der  Schmerzen 


90 


Anhang. 


1  2.  Tuum,  o  iimaranthule, 

deciis  immarcescibile; ') 

mortis  in  naribus 

nil  est  de  sensibu, 

metuntur  ömnia, 

nee  puta  somnia 
1  3,  Amaraci  praenunciae 

lucrantur  nil  divitiac, 

falcis  ad  impias 

marcescunt  naenias. 

Xaturae  misera 

sie  ridet  munera. 
1  4,  Caryophilli  nimium 

non  invenit  Kec  -)  pretiiim. 

Nee  tu,  n^arine  ros, 

unquam  amicus  flos 

mortis  fictitia 

subsistes  gratiae 
1  5.  Adusque  Semiramias'*) 

falx  evibratur  areas, 

ut  nex  pensilia  *) 

florum  cubilia 

plus  prae  minutulis 

triumphent  herbulis 
1  6.  Quicquid  ^)  ubique  meruit 

hic*^)  denique  falx  viguit. '') 

Hie  sie  modieuli 

cadetis  flosculi, 

mortis  nam  omnia 

vadunt  ad  horrea. 
1  7.  Cadetis  ergo  gramina 

messoris  ad  certamina. 

At  vos,  o  aurea, 

vos  a  solsequia, 

virete,  vivite 

casum  praenoscite. 

Cavete,  pulchri  floscule. 


^)  Vorlage:  inimarcessibile ;  der  Sinn 
.■scheint  gerade  das  Gegenteil  zu  fordern : 
non   immarcescibile 


1  2.  Und  du  o  schnödes  Tag  un  ') 

Nacht 
Der  Namen   nit   woll  ^)   ist 

erdacht 
Man  lasst  dich  nicht  •')  stehn^ 
Biss  d  Sternen  auffgehen-i) 
Ehe  der  Tag  verschlissen-'') 
'VVVirstu  aussgerissen, '') 
1  3.  Man  schätzt  dich  nit  o  Son- 

nentaw, 
Man  förcht  dich  nit  o  Beeren- 

klaw 
Ihr  frembde  Gichtrosen, 
Ihr  gfüllte'')  Zeitlosen 
Ihr  Stern  agleyen  *^) 
Muss  alles  an  Rayen,  •') 
1  4. '")  Er  macht  so  gar  kein  Un- 
terschid,  ^') 
Geht    alles  her  in  i^)    einem 

Schnitt, 
Der  stoltz  Ritter  Sporenv^-') 
UndBlumen")  vonKoren,^-^) 
Da  ligens  beysammen  ^'') 
Man  weisst  ^'^)  kaum    den  i'*) 
Namen. 
i5.  Und   wanste  ^•')   nun     seind 
gschnitt  2")  ab 
So  heissen^')  sie  alle  '^^)  schab 

ab,  «3) 
Ach,  2'')  wie  sie  da  ligen,  '^^) 
Als  wärens  ^")  in  Zügen  *'') 
Sie  müssen  ^^)   verschmach- 

.  ten  2«) 
Man  thut  jhr  nit  achten,  ■'"') 


^)    Vorlage :   bic. 

•')  Vorlage  semiramias.  —  ^)  Vers 
^  und  4  sind  in  der  Vorlage  zusam- 
mengezogen. —  ^)  Vorlage  quiquid.  — 
'')    —   huc.    —    ')    —    viruit. 


Das  Erntelied. 


91 


1)  M  :  [und  —  2j  M  :  [wol  —  ^'j  M  :  i  nit 

—  ■*)  M :  Uufgeben  —  ^)  M :  |  ver- 
schlussen —  '')  M  :  I ausgerissen  — 
')  M  :  [gefüllte  —  »)  M  :  iSternoig- 
leien  —  '■']  M  :  jReien. 

i'J)  in  GG2  als  Strophe  ;._ii)G: 
|so  gar  kein  Unterschied  G2 :  [sogar  kei- 
nen Unterschied  —  ^^)  G :  [nimbt  alles 
in   G2  :    [Nimmt  —   ^^)  'Sl  :  |  Rittersporen 

—  l-i)  M  :  [Blumen  —  löj  [Päbst,  Kö- 
nigen und  Kayser :  Fürst,  Pallast  und 
Häuser  G2  :  [Papst,  König  und  Kaiser, 
Paläste  .  .  —  i*'")  G  :  [beysammen,  G2  : 
[beisammen —   ^^j  M:  [weisst  G:  j weiss 

—  ■^®)  G  :  [ein  Nahmen  G2  :  [ein'n  — 
1^)  M  :  [wenn  sie  G2  :  [wenn  (G  :  [wann) 
sie  nun  geschnitten  —  ^Oj  M  :  Igschnit- 
ten  —  2^)  M  :  [heissen  G2  :  [heissen  — 
22)  GG2  :  [all  —  23)  j,i  ;  [Schabab  — 
2-t)  G  :  [noch  —  25)  (}^  ;  [Hegen  —  2öj 
M  :  [wären  sie  —  27j  q  .  [thut  man  für 
ihn  fliehen  G2  :  |  vor  ihn'  —  28j  ^f  . 
[möchten  —  2ttj  q  .  [bescharrt  sie  mit 
Erden,  und  last  (Gg  :  [lässt)  sie  faul  wer- 
den  -^  30}  G:  Strophe   8. 


1  2.  O   heimlich  Weh  halt   dich 

bereit! 
Bald    nimmt  man   dir    dein 

Tr  ostgeschm  ei  d, 
Das  duftende  Sehnen 
Der  Kelche  voll  Thränen, 
Das  hoifende  Ranken 
Der  kranken  Gedanken 
1  3.  Ihr  Bienlein  ziehet  aus  dem 

Feld, 
Man    bricht    euch    ab     das 

Honigzelt, 
Die  Bronnen  der  Wonnen, 
Die  Augen,  die  Sonnen, 
Der  Erdsterne  Wunder, 
Sie  sinken  jetzt  unter 
All  in  den  Erndtekranz  hin- 
ein. 
Hüte  dich,  schöns  Blüm  el  ein  l 


92 


Anhang. 


1  8.  Coeleste  viridarium 

sutfm  expendit  gremium 
hie  efflorebitis, 
nee  plus  timebitis 
fatalis  ferreum 
mortis  imperium. 
Gaudete  ^)  pulchre  floscule. 
Amen! 


fehler.. 


Vorlage:  glaiidete,  ofl'onbar  Driick- 


1  6.   Trutz  ^)   Todt  komm  ^)  her, 
ich  förcht  dich  nit, 
Trutz  >)  kom,  ^)  und  thu  ein  ^) 

Schnitt,  4) 
Wenn  er  mich  weg  fretzet. 
So  wirdt  ^)  ich  versetzet, ") 
Ich  will  es  erwarten, 
In  Himmlischen  Garten,') 
Frew  dich^)  schöns  Blüme- 

lein. 


1)  P :    [Trotz   —    2)   j\i  ;    [komb   — 

3)  M  :  [thue   ain ;    P  :  [einen   Schnit ;   — 

4)  P.^:  [schnitt,  —  '^}  M:  [werd —  "^j  P 
ßfg :  [Mejnst  woUst  n'iich  absetzen,  du 
thust  mich  versetzen  —  ^)  P  5fg  :  [In 
himUschen  garten  ich  wil  es  erwarten  — 
8)   P  :  [Wohiauff. 


In  welcher  Beziehung  steht  nun  Brentanos  Umdichtung  und 
mit  demselben  auch  die  im  .Wunderhorn'  wiedergegebene  Fassung^) 
zu  den  angeführten  Vorlagen  ?  M  oder  Seh  kann  Brentano,  dessen 
grosse  Vertrautheit  mit  der  Litteratur  wir  oft  bewundern  müssen, 
gekannt  haben,  ja,  er  )vird  von  ihnen  gewusst  haben,  da  sein 
längeres  1 4strophi3ches  Lied  (E)  der  ausführlichen  1  östrophigen 
Fassung  nähersteht  als  dem  kürzeren,  8,  9  (1  1)  Strophen  zählenden 
Liede.  Auch  G  hat  Brentano  gekannt;  das  Gesangbuch,  in  dem 
es  sich  findet,  war  länger  als  1  00  Jahre  im  Erzbistum  Mainz  im 
Gebrauch,  die  Auflage  von  17  74  sogar  in  Frankfurt  und  Mainz 
erschienen,  die  Lieder  und  mit  ihnen  das  Erntelied  wurden  wohl 
auch  in  Frankfurt  gesungen,  P,  die  schlechteste  Ueberlieferung, 
hat  Brentano  besessen.  ^ 

Eine  eingehende  vergleichende  Untersuchung  der  verschie- 
denen Vorlagen  selbst  -  die  Belege  habe  ich  in  den  Fussnoten  ^) 
zusammengestellt  — ergibt,  dass  Brentano  sowohl  für  die  Wunder- 
hornfassung,  als  auch  für  E  hauptsächlich  G  benutzt  hat,  dass  er 
sich  in.  zahlreichen  Fällen.  \'or  allern  für  E,  auch  der  Fassung  M 

(Seh)  bedient  hat;  nur  ausnahmsweise  hat  er  P  \'erwertet. 
r 

^)  Goethes  kurze  Bemerkung  lautet:  ,, katholisches  Kirchenlied,  verdiente  prote- 
stantisch  zu  sein"     (Rezension    des    ,AVunderhorn'  Werke    XXXIII,    186).      Bren- 


Das  Erntelied. 


93- 


6.  Trotz!  Tod,  komm  her,  ich 
furcht ')  dich  nit,-) 
Trotz,  eil  daher  ^)   in  einem 

Schnitt. 
Werd  ich  nur  verletzet,'*) 
So  werd  ich  versetzet 
In  den  himmlischen  Garten, 
Auf  den  alle  wir")  warten 
P>eu  •')    dich,    du ')    schönes 
Blümelein ! 


1)  G  :  [furcht  —    '^}    Gg 


1  nicht 


^}  G  :  [komm  thu  einen ;  G2  :  [komm  in 
—  ■*1GG2  :  [wann  (G2  :  [wenn)  SicBel  mich 
letzet  —   ^),GG2:   [darauff  (G2  :  [darauf) 


will  ich    —    *^')   G  :  [freue 


GGo 


1  4.  O    Stern  und   Blume,    Geist 
und  Kleid, 
Lieb,  Leid  und  Zeit  und  Ewig- 
keit! 
Den  Kranz  helft  mir  winden, 
Die  Garbe  helft  binden, 
Kein  Blümlein  darf  fehlen, 
Jed  Körnlein  wird  zählen 
Der  Herr  auf  seiner  Tenne 

rein 
Hüte  dich  schöns  Blümelein. 


2.  Christine  von  Lassaulx  über  Cl.  Brentano. 

Nicht  nur  des  Inhaltes  wegen  —  einer  Charakterisierung  des 
jungen  Brentano    —    als    auch    um  der  chronologischen  Angabe 


tano  nennt  das  Lied  im  ,Godwi'  (II,  S.  350)  ,,ein  katholisches  Lied"',  damals  war 
es  ihm  „ein  kindisches  Todtenlied"  (II,  S.  351).  Görres  bezeichnet  es:  ,, Der  Tod 
Blumist  ein  Erntelied"  (Heidelberger  Jahrbücher  (1809)  5.  Abt.  I,  S.  222). 
s»  Schultz,  Charakteristiken  imd  Kritiken  von  J.  Görres,  2.  Folge,  S.  54,  Köln  1902. 
Seit  Mitte^  de^  17.  Jahrhunderts  ist  das  Lied  oft  auf  fliegenden  Blättern  gedruckt 
worden ;  auch  in  weltlichen  Liederbüchern  ist  es  zu  linden,  vergl.  Böhmer,  Altd. 
Liederbuch,  Leipzig  1877,  S.  759  Anm.  H.  Thoma  hat  das  Motiv  in  einem 
Holzschnitt  zur  Darstellung  gebracht.  (Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig,  Flugblätter 
Nr.  33.)  Henry  W.  Longfellow  hat  das  Lied  bearbeitet:  (There  is  a  reaper. 
,Poetic.  Works'  Leipzig  1856,  I,  7  fg.  vergl.  Schwebe!,  Tod  und  ewiges  Leben, 
S.    212. 

2)   Br.   BibHothek  Nr.    758,   S.   43. 

^)  Seh:   32   —  AV  32;    2^  (P)  —dagegen  GGg  —  AV    2^;    5^   —  W  4^    _ 


55  sinkt  auch  im   Godwi,   anders   W^  GG2.   63  —  E/^ 


E81    i3i 


E52 


IG, 


'ÖÜ 


E  I3g    vor    allem     1423   —  E 


W  2i    2., 


W   2o 


E134   —    135  —  E  134 
6^,2,  wo   GG2   vollständig  abweichen. 

G:  I2  —  W  I2,  dagegen  GGg  —  I4  AV  I4  2^ 
-3  >  33  dieselbe  Anordnung  wie  in  W  u.  E,  dagegen  ganz  verschiedene  in  M  (Seh), 
P-  3i  —  W  3j  —  3g  :  ,,man"  (auch  in  Seh,  P)  wohl  im , Godwi'  aber  nicht  in  W. 
Str.  5.  Die  Str.  6  fehlt  in  W  und  E  (vergl.  Seh  83)  ähnlich  wie  P  10  fehlt,  es 
sind  Strophen,  die  auch  Seh,   M  wenigstens  teilweise  nicht  haben. 

P :   vor  allem    5^.    —  W   5,;,   ferner   22   W   23,   Strophe   5    ganz    verschieden. 


f)4  Anbany. 

willen,  scheint  mir  die  bisher  noch  nicht  \eröfFentlichte vStelle  eines 
Briefes')  von  Interesse,  den  Christine  von  Lassaulx  (1761 — 1814), 
die  Schwiegermutter    \on  J.  Görres,    an  Joh.  Cl.  von  Lassaulx  in 
,  Würzburg  am  2.  August  1802   geschrieben  hat: 

,,Wir  haben  seitdem  eine  interessante  bekanntschaft  gemacht. 
Clem.  Brentano  war  5  Wochen  hier,  anfangs  fiel  uns  sein  sonder- 
bares Wesen  sehr  auf,  nach  und  nach  gewöhnten  wir  uns  aber 
entweder  daran,  oder  er  legte  manches  davon  ab,  da  er  merkte, 
dass  es  uns  nicht  mehr  neu  war,  ich  weiss  das  eigentlich  selbst 
nicht  — ,  genug  ich  konnte  ihn  recht  gut  leiden,  und  kann  ihn  un- 
möglich für  böse  und  schlecht  halten,  ■<ich  halte  ihn  nur  für  leicht- 
sinnig und  glaube,  dass  er  unter  anderen  Verhältnissen  sehr  gut 
geworden  war,  und  vielleicht  noch  werden  kann.'' 

Durch  diesen  Brief  wird  die  Chronologie  für  den  Herbst  des  Jah- 
res 1  802  sicher  gestellt.  Die  angeführte  Stelle  kann  sich  nur  auf  Bren- 
tanos Aufenthalt  in  Koblenz  1802  beziehen.  Nach  Kreiten,^)  — 
ihm  folgt  auch  Koch  •')  —  befindet  sich  der  Dichter  von  Januar  bis 
zum  Herbst  in  Jena,  Michaelis  geht  er  nach  Frankfurt,  von  dort  nach 
Koblenz,  wo  er  bei  Lassaulx  ein  kurzes  A.bsteigequartier  nimmt, 
im  November  begibt  er  sich  nach  Düsseldorf.  Bei  Steig  finden 
wir  einen  Brief  Brentanos  vom  August  1  802,*)  vorher  soll  er  mit 
Arnim  anfangs  Juni  in  Frankfurt  zusammengetroffen  und  nach 
Coblenz  gereist  sein,  wo  er  das  Abenteuer  mit  Benediktchen  Kor- 
bach hatte,'')  welche  Begebenheit  Diel-Kreiten  in  das  Jahr  1801 
verlegt.")  Im  Oktober  soll  Brentano  Frankfurt  verlassen  und 
sich  nach  Düsseldorf  begeben,  nicht  ohne  Coblenz  einen  Besuch 
abgestattet  zu  haben.*^)  Zu  der  Briefstelle  passt  also  auf  keinen 
Fall  Diel-Kreitens  Angabe,  Steigs  Bemerkungen  dagegen  scheinen 
eine  Bestäti-gung  ;ju  empfangen. 


^j  Die  EiDsicht  in  den  Brief  verdanke  ich  der  Freiindlichkeil^  des  Herrn  von 
Lassaulx   (Bonn)  in   dessen   Besitz   er.  sich  befindet. 

^)  Diel-Kreiten  I,  S.  169.  —  '^)  Koch,  Nat.  Litt.  a..  a.  O.  (146)  I,  XLIX. 
—  **)  a.  a.  O.  I,  S.  39.  —  5)  Steig  l,  S.  34.  —  ''}  a.  a.  O.  I.  S.  153  ffg.  — 
')  Steig  r.  S^  56. 


Literatur. 


Ges.  Werke  Cl.  Brentanos,  herausgeg.  von  Christian  Brentano,  Frankfurt  1852— oo, 

9  Bde.  (mit  Briefen). 
Godwi  oder  das  steinerne  Bild  der  Mutter,    ein  verwilderter  Roman,  Bremen  1801 

bis  1802,  2  Bde. 
Cl.  Brentanos  Frühlingskranz,    aus  Jugendbriefen  von  ihm  geflochten,    herausgeg. 

von  Bettina  von  Arnim,  Sämtl.  Schriften  I,  2.  Ausg.  Berlin   1853. 
Cl.  Brentano,  Katalog  seiner  Bibliothek,  herausg.  von   Heberle,    königl.    Bibliothek 

Berlin,  dp.   2702. 
Fr.  Binder,  L.  Hensel.  Freiburg  1885. 

Fr.  Binder,  Erinnerungen  an  Emilie  Linder,  München  1897. 
A.  Birlinger  u.  W.  Crecelius,  Des  Knaben  Wuriderhorn  (mit  Quellen).    Wiesbaden 

1874.    2  Bde. 
O.  Bleich,  Entstehung  und  Quellen  der  Märchen  Cl.  Brentanos  im  Arch.  f.  d.  Stud. 

d.  neueren  Sprachen,  XCVf  (1896),  S.  43—96.  "^ 

Chr.  Brentano,  Nachgelassene  religiöse  Schriften,  2  Bde..  München   1854. 
H.  Cardauns,   Die    Märchen    Cl.    Brentanos,    Köln  1895,    vergl.  Rezension  von  R. 

Steig  im  Euphorion  III  (1896),  791—797. 
Diel-Kreiten,  Cl.  Brentano,  ein  Lebensbild,  Freiburg  1877 — 78.  2  Bde. 
J.  B.  Diel,  Cl.  Brentanos  Ausgewählte  ^'rosa,  2.  Bd.  Freiburg  1873. 
Eichendorff,  Zur  Geschichte  des  Dramas,  Paderborn  1866. 
Eichendorff,    Ueber    die    ethische    und    religiöse  Bedeutung    der    neuen  Romantik, 

Leipzig  1847. 
•,  G.  Görres,  Erinnerungen    an   Cl.  Brentano  in  den  histor.  polit.  Blättern  XIV.  X\'. 

(1844),  (1855).  ^ 

G.  Görres,  Deutsches  Hausbuch.  München   1844,  II,  S.   1 — 23, 
J.  v.  Görres,  Freundesbriefe,  herausg.  von  F.  Binder,  München  1874. 
\    J.  V.  Görres,    Einleitung    zu    Diepenbrock.    Heinrich    Susos    Leben    und  Schriften, 

Regensburg  1829. 
Jak.  und  Wilh.  Grimm,  Briefwechsel  aus  der  Jugendzeit,   Weimar  1881. 
Ed.  Grisebach,  Ges.  .Studien.  Leipzig  1885. 

Ed.  Grisebach,  Das  Goethesche  Zeitalter  deutscher  Dichtung,   1891. 
K.  von  Holtei,  Briefe  an  Ludw.  Tieck,  BerHn   1864,  1.  Bd. 

1J.  Janssen,  Fr.  Joh.  Böhmers  Leben,    Briefe  und  kleinere  Schriften,    3  Bde.,    Frei- 
burg 1868. 
M.  Koch,  Arnim,  Cl.   und  Bettina  Brentano,  J.  Görres  Nat.  Litt.  (146)  I. 
F.  Liebrecht,    Pentamerone    von    J.  Basile,  aus    dem   Neapolitanischen  übertragen. 

2  Bde.,  Breslau  1846.  • 

..    I 


R.  M.  Meyer,  in  Euphorion  III  (1896)  110  ffg.  ^ 

Emma  von  Niendorf,  Aus  der  Gegenwart,    Frühlingstage  mit  Cl.  Brentano,  Berlin 
1844. 

F.  Pfaff,  Trösteinsamkeit,   Freibupg  1883, 

Baich,  Briefwechsel  Dorotheas  v.  Schlegel.  Mainz  1881,  2  Bde. 

B.  Ringseis,    Lebenserinnerungen    von  N.  von  R.  in  histor.  pol.  Blätter  (1875/76). 

G.  Roethe,  Brentanos  Ponce  de  Leon,  Berlin  1901. 

Fr.  Schultz,  J.  Görres  als  Herausgeber,    Literarhistoriker,    Kritiker    im  Zusammen- 
hang mit  der  jüngeren  Romantik,  Palaestra  XII,  Berlin  1902. 
R.  Steig,  Achim  von  Arnim   und  die  ihm  nahe  standen.    2.  Bd.    Stuttgart  1894. 
H.  Zimmer,  J.  G.  Zimmer  und  die  Romantiker.   Frankfurt  1888. 


Anni.     Weitere  Literatur  ist  im  Verlaufe    der  Arbeit  an  einschlägigem  Orte 
namhaft  gemacht. 


Berichtigungen. 

/'S.  30  Anm.  11  Divina  Commedia 
S.  38  Z.  30  rechts  somnolentos 
S.  40  Z.  4  bestiarum  ad  nullius,    Z.  6  succinctus  lumbos,    Z.  7  rex,    Z.  8 

adversarius,  Z.  10  Cui  resistite  fortes,  Z.  12  daemonas,  Z.   13  laetos, 

Z.   14  canente  exterritos,  Z.   15  timerc 
S.  42  Z.   13  rechts  exurge 
S.  46  Z.  4  rechts  ein 
S.  46  Z.  27  rechts  hac. 
S.  55  Z.   17  describantur. 


L 


§■: