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Full text of "Die Geschichte der Lehre von der Ansteckung"

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YALE 
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HISTORICAL 
LIBRARY 



COLLECTION OF 




Die Geschichte 



der 




Lehre von der Ansteckung. 



Von 

Prof. Dr. Puschmann 

in Wien. 




-®^ 






WIEN 1895. 

Verlag von Moritz P e r 1 e 8, Seilergasse 4 (Graben). 



Separatabdruck aus der „Wiener Medizinischen Wochenschritt". 




^ 



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I. Uebernatürliche Ursachen. 

So lange das Volk eine niedere Kulturstufe einnimmt, 
betrachtet es die Krankheiten als Schickungen der Götter, 
denen der Mensch ohnmächtig und hilflos gegenüber steht. 
Gelingt es im Verlaufe der Zeit, zu erkennen, dass ein 
grosser Theil derselben durch natürliche Ursachen hervor- 
gerufen wird, welche vielleicht vermieden werden können, 
so bleibt doch das Auftreten und die Verbreitung von 
Seuchen, die plötzlich und ohne jede äussere Veranlassung 
über ein Volk hereinbrechen und zahlreiche Opfer fordern, 
räthselvoll und unbegreiflich. Man findet dafür nur die Er- 
klärung, dass mächtige Gottheiten, im Zorn über die Sünden 
und Fehler der Menschen, die Seuchen als Strafen ver- 
hängen. Entstehung und Wesen derselben entzieht sich der 
menschlichen Erkenntniss und wird in den Bereich trans- 
cendenter Vorstellungen verwiesen. 

Diese Anschauung tritt uns in den historischen*) Ueber- 
lieferungen aller alten Kulturvölker entgegen. In den 
Heldengesängen Home r's J ) erscheint Apollon als Derjenige, 
welcher Menschen und Thiere durch Seuchen tödtet; aber er 
war auch der Heilgott, der die Krankheit besiegte und den 
Hilfeflehenden Rettung brachte. 

Auf diese Thätigkeit bezieht es sich vielleicht, wenn 
erzählt wird, dass Apollon den Python, ein aus der Fäulniss 
und Verderbniss der Luft entstandenes Ungeheuer, welches 
die Personifikation der Seuche darstellt , vernichtet habe. 
Eine ähnliche Deutung gestattet die Sage vom Kampfe des 
Herakles mit der Lernäischen Schlange. 



*) D:e ältere Literatur darüber findet sich zum Theile bei C. F. H. 
Marx: C rigines contagii. Karlsruhe und Baden 1824. 
») Ilias I, V. 50—52. 

1* 



— 4 — 

Die Griechen schrieben die Entstehung der Krankheiten 
dem Zorne der Götter zu, wie C e 1 s u s 2 ) berichtet. Bei den 
Kömern galt Mars vorzugsweise als der Erzeuger von 
heueben : eine Ansicht, der wohl die Beobachtung zu Grunde 
liegen mochte, dass bösartige Krankheiten häufig im Gefolge 
des Krieges einherziehen. Auch die Israeliten huldigten der 
theurgischen Erklärung des Auftretens von Seuchen, wie 
aus dem Buche Samuel II c. 24 und aus dem Berichte über 
die ägyptischen Landplagen hervorgeht. Den gleichen Stand- 
punkt vertreten heute noch die meisten Naturvölker 3 ). 

Bemerkenswerth ist, wie aus den mystischen Vorstel- 
lungen manchmal der Wunsch nach einer natürlichen Deu- 
tung der Dinge hervorleuchtet. Wenn die Hydra der 
Herakleslegende die Tochter des Typhon, der aus der Erde 
strömenden bösen Ausdünstungen, genannt wird, so spricht 
sich darin eine Ahnung aus, dass die letzteren die Ursache 
der vielköpfigen Seuche sind. Die Römer schufen tür die 
schädlichen Dünste eine Gottheit, der sie den Namen Mephitis 
gaben 4 ). Die alten Aegypter leiteten die Entstehung der 
Seuchen von der Sonne ab u ). 

Aber es vergingen Jahrhunderte, bis die Annahme 
natürlicher Krankheitsursachen eine allgemeine Verbreitung 
erlangte. Neben ihr erhielt sich die alte Anschauung des 
übei irdischen Ursprungs derselben, von einer geklärteren 
Naturbeobachtung zeitweise zurückgedrängt, von den glaubens- 
starken Theologen dann wieder gestützt und vertheidigt, bis 
in die Gegenwart und findet noch jetzt in einzelnen pieti- 
stischen Sekten überzeugte Anhänger. 

Allerdings behauptete schon Hippokrates 6 ), dass 
jede Krankheit ihre natürliche Ursache haben. Er be- 
kämpfte die Lehre, dass die Krankheiten von Gott gesendet 
werden, mit den Worten : „Ich glaube nicht, dass der 
Körper des Menschen von Gott, das Niedrigste von dem Er- 
habensten besudelt werden kann. Sollte ihm von Jemandem 
ein Schmutz oder ein Leid zugefügt werden, so wird ihn 
die Gottheit gewiss lieber reinigen und erheben als ernie- 
drigen ; denn Gott ist es, der uns von den schwersten 
Freveln reinigt und den Schmutz von uns fortnimmt." Da- 
gegen klagte P 1 i n i u s, als er von den neuen Krankheiten 

2 ) Prooem. ad üb. I. 

s ) Bartels: Die Medizin der Naturvölker. Berlin 1893. 

4 ) T a c i t u s : Hiat. III c 33. P 1 i n i u s : Hist. nat. II c. 95. 

b ) Clemens Alexandr. Oper. Ed. D i n d o r f . T. III p. 34, 

6 ) Ed. L i 1 1 r e T. II p. 78, VI 362. 



- 5 - 

sprach, welche in Rom auftraten, wiederum den Zorn der 
Götter an, und ebenso äusserste sich L i v i u s 7 ). 

Bei der Pest des C y p r i a n machte sich dieselbe 
Ansicht geltend 8 j ; denn das Cbristenthum schloss sich dieser 
Ansicht an, weil es die Gemüther der Menschen zur Gottes- 
furcht erziehen wollte. Wenn das Ideal der selbstlosen 
Menschenliebe, welches der Stifter der christlichen Religion 
vom Wesen der Gottheit gezeichnet hat, der Rachsucht und 
Grausamkeit nicht entsprach, mit der es die Uebertretung 
seiner Gebote bestrafte oder auch Schuldlose traf, so half 
man sich mit der Annahme, dass die Krankheiten und Leiden 
nicht von Gott, sondern vom Teufel und seinem Anhange 
hervorgerufen werden. 

Der Glaube an Dämonen und deren Einfluss auf die 
Menseben wurde systematisch entwickelt und führte zu der 
Lehre, dass es eine grosse Anzahl von Krankheiten gebe, 
welche lediglich auf diese Weise entstehen. Sie über- 
dauerte das Mittelalter und wurde von Paracelsus und 
den okkultistischen Aerzten der Renaissanceperiode aufrecht 
gehalten; selbst ein so hervorragender Forscher wie Anton 
de H a e n, welcher im Jahrhunderte der Aufklärung an der 
Spitze der Wiener Klinik stand, bekannte sich zu dem 
Glauben an dämonische Krankheiten. 

Von dieser Theorie bis zu der Annahme, dass einzelnen 
Menseben die Macht verliehen sei, durch übernatürliche 
Kräfte Leiden und Schmerzen zu erzeugen, war nur ein 
Schritt. Ausser dem Teufel, welcher von Seele und Körper 
Besitz nahm, wurden Zauberer und Hexen beschuldigt, dass 
sie Krankheiten und Tod herbeizuführen vermögen. Zahl- 
reiche Unglückliche, denen man übernatürliche Kenntuisse 
und Kräfte zuschrieb, wurden gefoltert und getödtet, weil 
sie dieselben angeblich zum Schaden ihrer Mitmenschen 
gebraucht hatten. 

Schon bei der Pest von Athen war der Glaube ver- 
breitet, dass sie durch Gifte erzeugt worden sei, welche die 
Feinde in die Cisternen geworfen haben sollten. In der 
Periode der römischen Kaiser tauchte die Meinung auf, dass 
böse Menschen den Krankheitsstoff durch Nadeln weiter 
trugen, die sie unbemerkt in die Haut von Personen ein- 
stachen, denen sie übelwollten 9 ). Später wurden die 



^ Plinius: H. n. XXVI c. 6. Livius VI c. 20, X c. 47. 

*) Baronius: Ann. eccl. ad ann. 256. Ed. T h e i n e r. 

•) Dio C a s s i u a L. LXXI1 c. 18. 



— 6 — 

Christen beschuldigt, dass sie die Brunnen vergifteten und 
dadurch Krankheiten hervorriefen. 

Im Mittelalter, namentlich während der grossen Pest- 
epidemie des 14. Jahrhunderts, klagte man die Juden dieses 
Verbrechens an. Noch beute huldigt in manchen Ländern 
das ungebildete Volk der Meinung, dass Seuchen durch Gifte 
entstehen, welche von schlechten Menschen umhergestreut und 
in das Trinkwasser geworfen werden. Bei den Choleraepidemien 
in Russland und in Neapel, die in den letzten Jahren 
beobachtet wurden, wandte sich die Wuth des Pöbels gegen 
die Aerzte, weil man ihnen die Schuld an der Seuche 
zuschrieb. 

In den Vorstellungen der niederen Naturvölker sowohl 
wie in der Volksmedizin der civilisirten Nationen hat der 
Glaube an den mystischen Ursprung der Krankheiten noch 
heute Geltung. Diesen Standpunkte entspricht es, wenn die 
Beseitigung der Seuchen durch Opfer von Menschen und 
Thieren, durch Gebete, Bussübungen und Kasteiungen ange- 
strebt wird. Auch die Prozessionen und Wallfahrten, 
welche in unserer Zeit zur Abwendung von Missernten und 
Krankheiten unternommen werden, können in dem gleichen 
Sinne gedeutet werden. 



IL Natürliche Ursachen. Im Alterthum. 

Hat sich der Gedanke Bahn gebrochen, dass die Krank- 
heiten natürliche Ursachen haben, so werden auffallende Natur- 
erscheinungen, der stärkere oder schwächere Glanz der Sonne, 
Kometen, grosse Hitze, ungewöhnliche Dichtigkeit der Luft, 
vulkanische Ausbrüche, Erdbeben, Ueberschwemmungen u.a. m. 
als solche betrachtet. Einer der hervorragendsten Natur- 
philosophen des griechischen Alterthums, Demokrit von 
Abdera, lehrte, dass die Krankheiten und Seuchen durch 
die in der Luft suspendirten Ueberreste zu Grunde gegange- 
ner Weltkörper hervorgeruten werden 10 ). Eine ähnliche 
Meinung hatten die alten Aegypter und Perser, wie 
Agathias berichtet 1 J ). 

P 1 u t a r c h, der gegen diese Theorie auftrat, sagte, dass 
die Krankheiten durch die Luft, die Nahrung und den per- 
sönlichen Verkehr vermittelt werden ; doch bestritt er die 
Existenz besonderer Krankheitskeime. Dagegen wurden die 



") PUtarch: Sympos VXU 9, 22 
") Hist. V c. 5. 



— 7 — 

letzteren von Lucrez 12 ) als der Ausgangspunkt der 
Seuchen betrachtet, indem er annahm, dass sie entweder in 
der Luft oder im Erdboden gebildet werden. 

Galen leitete die Entstehung der Seuchen haupt- 
sächlich von der schädlichen Beschaffenheit der Luft oder 
von verdorbener und giftiger Nahrung ab 13 ). Als die Wege, 
auf denen der Krankheitsstoff in den Körper gelangt , be- 
zeichnete er die eingeathmete Luft, Speisen und Getränke, 
den Speichel, z. B bei der Hundswuth, und die blosse 
Berührung ; im letzteren Falle dachte er sich die Ueber- 
tragung ähnlich wie beim elek frischen Schlage des Zitter- 
rochens I4 ). 

Die Lehre, dass die Krankheitsstoffe in der Luft er- 
zeugt oder vermittelst derselben von den Kranken auf die 
Gesunden übertragen werden, wurde überall angenommen. 
Ueber die Ursachen, welche diesem Vorgange zu Grunde 
liegen, war man verschiedener Ansicht. 

Bei Hippokrates 1 ' 1 ) heisst es, dass Krankheiten 
und Seuchen entstehen, wenn die Luft mit Miasmen erfüllt 
ist. An einer anderen Stelle 16 ) wird ausdrücklich hervor- 
gehoben, dass es die schädlichen Bestandteile der Luft 
sind und nicht Diätfehler oder Verdauungsstörungen, welche 
die epidemischen Krankheiten hervorrufen. 

Die Angaben der Autoren des Alterthums sind zu- 
weilen undeutlich, so dass es nicht immer möglich ist, zu 
erkennen, ob die Luft nicht blos als Träger und Vermittler 
des Krankheitsstoffes, sondern zugleich als seine Bildungs- 
stätte angesehen wurde. Für den letzteren Fall wurden 
Einflüsse der Sonne oder anderer Weltkörper oder die Mit- 
wirkung von klimatischen Veränderungen oder Gasen an- 
genommen, welche aus der Erde hervorströmen oder durch 
die Zersetzung organischer Körper entstehen. Dass sich 
giftige Dünste in manchen Höhlen und Brunnen entwickeln, 
welche eine tödtliche Wirkung ausüben, war den Alten wohl 
bekannt 17 ). Wahrscheinlich wurden sie durch diese Be- 
obachtung zu der Theorie geführt, dass die Ausströmung 

12 ) De rer. nat. VI v. 1088—1100. 

'») Ed. Kühn T. VII p. 279. *85 

'*) T. VII 289, 421 ; VIII 423 ; XIV 281. 

n ) T. VI p. 98. Das Wort Miasma bedeutet hier Schädlichkeit im 
Allgemeinen. 

16 ) T. VI p. 54. 

") Aretaeus: de acut. I c. 7 Plinius: h. n. II c. 95. Ammian, 
Marcell. XXIII c, 6. 



von Gasen aus der Erde eine grosse Rolle bei der Ver- 
schlechterung der uns umgebenden Luft spielt 18 ). 

Daneben trugen sie den Gefahren Rechnung, welche 
die stehenden Wasser und Sümpfe für die Gesundheit 
haben 19 ). Vitruv sagte, dass der aus den Sümpfen auf- 
steigende Nebel Seuchen erzeugt 20 ). Dio Cassius machte 
darauf aufmerksam, dass die Ueberschwemmungen des Tibers 
oft in das gleiche Jahr fielen wie das Auftreten von Epi- 
demien al ), und auch Ammianus Marcellinus sah 
darin die Ursache der Verbreitung epidemischer Krank- 
heiten 22 ). 

A e t i u s wies auf die Verwesungsdünste bin, welche 
die unbestattet auf den Feldern liegenden Leichen von 
Menschen und Thieren entwickeln, und erklärte, dass da- 
durch Seuchen hervorgerufen und verbreitet werden 23 ). 

Neben der Theorie, welche in der Verschlechterung 
der Luft, die wir athmen, die Ursache der Entstehung und 
Ausbreitung der Epidemien sah, trat auch die Ansicht her- 
vor, dass sie dem persönlichen Verkehr zwischen Kranken 
und Gesunden zuzuschreiben sei. Zur Unterscheidung dieser 
beiden ätiologischen Faktoren wurden die Ausdrücke 
Miasma und Contagium gebraucht, welche später eine andere 
Bedeutung erhielten. 

Die Beobachtung, dass Diejenigen, welche mit den 
Kranken umgehen, der Gefahr, von der Seuche ergriffen zu 
werdtn, am meisten ausgesetzt sind, musste sich Jedem auf- 
drängen 24 ). Aristoteles fragte nach dem Grunde dieser 
Thatsache und bemerkte dabei, dass Leute, welche schon 
etwas leidend sind , bald ein Opfer der Krankheit 
werden ai '). 

In den Mittheilungen über die sog. Attische Seuche, welche 
während des peloponesischen Krieges in Athen ausbrach, 
wird hervorgehoben, welchen schädlichen Einfluss das Zusam- 
menpferchen grosser Menschenmassen auf einem beschränkten 
Räume ausübte 26 ). Von ähnlichen Verhältnissen spricht 

le ) S e n e c c a : Nat. quaest. VI c. 28. 

") P 1 q t a r c h : Vita Anton, c. 3. Antyllus bei Oribasius T II 
p. 299. ' ' 

") De archit. I c. 4. 
al ) Ad ann. ü3 a Chr. LIII 33, LIV 1. 

") A m m i a n. M a r c e 1 1. XIX c. 4. Ovid: Metam VII v. 578 n. ff 
«) A e t i n s : Tetrabibl. I c. 94. Ensebing: Hist. ecclea. VII c. 21. 
") Isokrates: Aeginet. c. 14. 
") Pmblem I 7. 
««) T li n k y d i d e s m c. 8. 



— 9 — 

L i v i u s an mehreren Stellen 27 ). Dionys von Hali- 
carnass schreibt in seinem Berichte über die Seuche, 
welche i. J. 301 v. Chr. in Rom wüthete, dass Diejenigen, 
welche die Kranken pflegten, ihre Körper berührten oder 
mit ihnen zusammenlebten, ebenfalls erkrankten a8 ). 

Bei Diodorus S i c u 1 u s heisst es, dass die Epidemie, 
welcher die Karthager in Sizilien erlagen, ihren Ursprung in 
einer sumpfigen Niederung hatte, wo viele Menschen zusam- 
mengeströmt waren, während starke Sommerhitze herrschte a9 ). 
Wer den Kranken Dienste leistete, fiel der Seuche an- 
heim, so dass sich zuletzt Niemand mehr ihnen nähern 
wollte. 

Auch Galen warnte vor dem häufigen und längeren 
Verkehr mit Kranken und bemerkte, dass sich Gesunde in 
deren Wohnungen leicht deren Leiden holen 30 ). Dabei be- 
tonte er namentlich die Gefährlichkeit der Hautleiden, der 
Augenentzündungen und der Schwindsucht und sprach die 
Ansicht aus, dass es die mit üblen Gerüchen erfüllte Luft 
sei, welche die Uebertragung der Krankheit vermittle. 

Dieselben Leiden nannte Aristoteles 31 ) als die 
eigentlichen Vertreter der ansteckenden Krankheiten. Von 
anderen Autoren wurden, wie es scheint, dazu noch die 
Hundswuth, Geschlechtskrankheiten, Hautleiden verschiedener 
Art, der Aussatz, die Pocken, manche Geschwüre , die 
Diphtherie, typhöse Erkrankungen u. a. m. gerechnet. 

Im Allgemeinen galten allerdings die Ausdünstungen 
des Kranken als die Vermittler der Ansteckung, doch nahm 
man an, dass sie auch durch die Gebrauchsgegenstände des- 
selben, durch seine Berührung oder seinen Anblick erfolge. 
Plutarch schrieb, dass manche Leiden von kranken 
Körpern direkt auf gesunde übergehen 32 ). Auf diese Weise 
verbreiteten sich die Hautkrankheiten im Heere Alexanders 
des Grossen 33 ). 

Die Ansteckung durch den persönlichen Verkehr wurde, 
wie gesagt, Contagium genannt. Eusebiu s berichtet, dass 
die Christen sich durch ihre Nächstenliebe Krankheiten und 
den Tod holten, indem sie die Kranken pflegten und die 



2 ') L. in c. 6, IV 30. 

2 <) Antiq. rom. X c. 53. 

M ) L. XIV c. 70, 71. 

30 ) T. VII p 279. 

31 ) Problem VII c. 8. 
82 ) De adulat. c 9. 

sa ) Curtius IX c. 10, 



— 10 — 

Todten wuschen S4 ). Cedrenus erzählt, dass die Seuche, 
welche zu seiner Zeit herrschte, durch die Kleider der 
Kranken oder durch ihren Anblick verbreitet wurde 36 ). 

Als bei den Antariern, einem illyrischen Stamme, eine 
Seuche ausbrach, verliessen sie ihre Wohnsitze, wurden aber 
nirgends aufgenommen, weil man befürchtete, dass sie die 
Krankheit mit sich schleppten. Sie flüchteten sich endlich 
in die sumpfigen Einöden der Geten. Die Kelten, die zu 
derselben Zeit dorthin kamen, wurden ebenfalls von der 
Seuche ergriffen S6 ). 

Von der Pest unter An ton in, welche als eine 
Blatternepidemie gedeutet wird, ging das Gerücht, dass sie 
dadurch entstanden sei, dass römische Soldaten ein verschlos- 
senes Gemach im Tempel des Apollon erbrachen , in welches 
chaldäische Priester den Giftstofl der Krankheit verbannt 
hatten "). 

Die Alten wussten, dass die grossen Städte Seuchen- 
herde sind. Ammianus Marcellinus schreibt 3B ), dass 
die Krankheiten an keinem Orte heftiger auftraten als in 
Rom und dass die Kunst der Aerzte dagegen ohnmächtig 
war, und H e r o d i a n berichtet se ), dass die Seuche, welche 
unter Commodus ausbrach, die meisten Opfer in Rom 
forderte. 

Dieser Erkenntniss waren die Vorkehrungen zu ver- 
danken, welche zur Assanirung der Grossstädte unternommen 
wurden. Die Reinigung und Instandhaltung der Strassen 
wurde von besonderen Behörden überwacht und geschah unter 
zwangsweiser Heranziehung der angrenzenden Hausbesitzer. 
Man achtete darauf, dass keine Wasserpfützen entstanden 
und die organischen Abfälle und der Schmutz hin weggeschafft 
wurden. Rom hatte ein vortreffliches Strassenpflaster, 
welches zur Verhütung der Malaria beitrug t0 ). 

Die Abfuhrstoffe wurden durch Wassermassen, die 
unter starkem Gefälle die Kanäle durchspülten, hin weg- 
geschwemmt u ). Ein Netz systematisch angelegter Kanäle 

ai ) Hist. eccles. VII c. 22. 
Sä ) eist. comp. c. 452. 
36 ) A p p i a n : De reb. IUyr. X c. 4. 

") Aramian. Marc eil in. XXIII c. 6 Jul. C'apitolin. 
Verus c. 8. 

38 ) L. XIV c. 6. 

39 ) L. I. c. 12. 

40 ) K. P ö h 1 m a n n ' Die Uebervölkerung der antiken Groasstädte. Ge- 
krönte Preisschr. der fürstl. Jablonovs ky'schen Ges. in Leipzig 1884 

41 ) P 1 i n i n s : H. n. XXXVI c. 24. S t r a b o V c. 3. 



- 11 — 

und Kloaken durchzog den Boden Roms und seiner Um- 
gebung und diente zur Strassenreinigung, zur Fortleitung 
des Regenwassers und zur Abfuhr von Unrath. Ausserdem 
wurde dadurch die Drainage des Bodens herbeigeführt, welche 
für die Verbesserung der hygienischen Zustände von grosser 
Tragweite war *"). Nach diesem Muster wurden auch in 
Byzanz und anderen grossen Städten ähnliche Einrichtungen 
getroffen. 

Neben der Strassenpilasterung und dem Kloakenwesen 
war es die Wasserversorgung Roms, welche allgemeine Be- 
wunderung erregte , wie Dionya von Halicarnass schreibt 43 ). 
Das "Wasser wurde durch die Aquädukte aus dem Gebirge 
in solcher Menge in die Stadt geführt, dass davon nicht 
nur der zum Trinken und für die Haushaltungen und 
gewerblichen Anlagen erforderliche Bedarf bestritten, sondern 
auch die zahlreichen öffentlichen Bäder und Springbrunnen 
gespeist und das Kanalschwemmsystem durchgeführt werden 
konnte. Die meisten Privathäuser wurden mit fliessendem 
Wasser versorgt und hatten Reservoirs und Röhrenleitungen. 
Pöhlmann berechnet, dass nach F r o n t i n's Angaben im 
alten Rom bei einer Bevölkerung von zwei Millionen 
540 Liter Wasser täglich auf jede Persou kamen. 

Durch die in der Stadt vertheilten Springbrunnen 
wurde die Luft gereinigt und verbessert. Denselben Zweck 
strebte man durch die Anlage von Pflanzungen und Parks 
auf freien Plätzen, sowie durch die den herrschenden Winden 
entsprechende Führung der Strassen an, wie sie Vitruv 
empfiehlt '*). 

Was in Rom geschah, diente als Vorbild für andere 
Städte. Die grossartigen Ueberreste der Wasserleitungen, 
welche die Römer in den von ihnen unterworfenen Ländern 
angelegt haben, erregten das Staunen der folgenden Jahr- 
hunderte, und ihre Bemühungen um die Verbesserung der 
öffentlichen Gesundheitspflege wurden schon von Strabo 
rühmend anerkannt. 

Die epidemischen Krankheiten wurden mit verschiedenen 
Mitteln bekämpft, je nachdem man ihren Ursprung und die 
Ursachen ihrer Verbreitung in der Luft, im Wasser, im 
Erdboden oder im Körper des Kranken suchte. Man machte 
Räucherungen und verbrannte Holz in den Wohnungen und 



42 ) Livius I c. 56. G a 1 e n T. XVI p 360. 

i3 ) L. III c. 68. 

44 ) De archit. I c. 6. 



— 12 — 

im Freien, um die Luft zu reinigen. P li n i u 3 meinte **), 
dass dem Feuer eine besondere Kraft zur Beseitigung von 
Seuchen zukomme, und berief sich dabei auf E mp edokles 
und Hippokrates. 

Bei einer Epidemie auf Corcyra wurden die Fenster 
der Häuser anders gelegt, um einer reineren Luftströmung 
die Wege zu öffnen 46 ). Ferner wurden Schwefelräucherungen 
empfohlen. Zu dem gleichen Zwecke fanden wohlriechende 
Substanzen Verwendung, wie es im Orient jetzt noch üblich 
ist 47 ). Hippokrates empfahl, angenehm duftende 
Blumen und Salben zu verbrennen 48 ). Der Skythe 
Zamolzis gab den Athenern den Rath, die Strassen und 
Wohnungen mit Wein zu begiessen 49 ). 

Sumpfige Gegenden und stehende Wasser versuchte man 
trocken zu legen oder durch Einleitung von Flüssen und 
Bächen unschädlich zu machen. Empedokles veranlasste 
die Selinuctier, als unter ihnen eine Seuche wüthete, den 
übelriechenden Fluss in der Nähe ihrer Stadt durch einen 
Kanal mit zwei anderen Flüssen zu verbinden, welche frisches, 
klares Wasser enthielten 50 ). 

Wenn der Körper des Kranken selbst für die Bildungs- 
stätte des Krankheitsstoffes gehalten wurde, so musste man 
verhindern, dass er seine schädlichen Wirkungen auf die 
Gesunden ausübte. Deshalb wurden die Aussätzigen ge- 
mieden und vertrieben, wie dies schon von den alten Persern 
berichtet wird M ). Paulus Aegineta schreibt, man möge 
sie in einsame Gegenden schicken, die von den Wohnungen 
der übrigen Menschen möglichst weit entfernt sind r ' 2 ). 

Der Grundsatz, die Kranken von den Gesunden abzu- 
sondern, wurde auch bei den Viehseuchen durchgeführt. Des- 
gleichen Hess man die Thiere die Weideplätze und überhaupt 
die Gegend wechseln 53 ). Da3s manche Leiden von Thieren 
auf Menschen übertragen werden, wird bereits von Virgil 
erwähnt 54 ). 

Ebenso wusste man, dass einzelne Krankheiten nicht 



45 ) H. n. XXXVI c. 69. 

46 ) Terentius V a r r o : Der arust. I c. 4. 
4 ') Herodian. Hist. I c. 12. 

48 ) Galen XIV p. 281. 

49 ) L u c i a n : S c y t h a c. 2. 

so ) Diogenes Laert: Vita philos. VIII c. 2, 11. 

H ) Herodot: Hist. I c. 138. Ktesias: Fragm. c. 41. 

M ) L. IV c. 1. 

M ) C o 1 u m e 1 Ire : De a rust. VII c. 5. 

84 ) Georg. HI v. 479, 561—66. 



- 13 - 

blos ansteckend, sondern auch erblich sind, wie z. B. die 
Schwindsucht 66 ). 

Das Alterthum besass also eine beachtenswerthe Summe 
von Kenntnissen in Bezug auf die Aetiologie und Therapie 
der Seuchen. 

III. Im Mittelalter. 

Als die römische Weltmonarchie zerfiel und eine Menge 
von Völkerstämmen, deren Namen man bis dahin kaum ge- 
kannt hatte, mit der politischen Macht, die sie durch ihre 
physische Kraft errangen, auch die Vortheile der höheren 
geistigen Kultur anstrebten, durften sie zunächst wohl 
nur daran denken, das von den vorangegangenen Zeiten über- 
lieferte Wissen zu erhalten, nicht aber zu vermehren. Neue 
Erfindungen und Entdeckungen, welche auf die Entwicklung 
der medizinischen Wissenschaft einen bestimmenden Einfluss 
ausübten, wurden in der Periode des Mittelalters nicht 
gemacht. Kaum wagte sich irgendwo ein origineller Gedanke, 
eine andere Auffassung der bekannten Thatsachen schüchtern 
hervor. Man beschränkte sich darauf, die ärztliche Literatur 
des Alterthums zu sammeln und zu studiren, und nahm 
deren Lehren an, ohne sie einer kritischen Prüfung zu unter- 
werten. Es war das Zeitalter des Glaubens, der selbstlosen 
Unterwerlung unter die herrschenden Autoritäten. 

Selbst in der öffentlichen Gesundheitspflege herrschte 
dieses Prinzip, obwohl gerade hier durch das Auftreten und 
die seuchenhafte Verbreitung von Volkskrankheiten mancher 
Anlass zu eigenen Beobachtungen und Untersuchungen ge- 
geben wurde. Die byzantinischen Kompilatoren bewegten 
sich vollständig in dem Ideenkreise ihrer griechischen Vor- 
gänger, und die lateinisch schreibenden Gelehrten des Abend- 
landes schöpften ihre Weisheit hauptsächlich aus der römi- 
schen Literatur. 

Aetius leitete die Entstehung der Epidemien von 
der Verunreigung der Luft durch schädliche und faulige 
Substanzen ab, die sich bei der Verwesung todter Körper 
entwickeln oder aus Sümpfen, stehenden Wassern, Kloaken 
und unterirdischen Höhlen aufsteigen. Isidorus H i s p a- 
n e n s i s schrieb, dass die Seuchen entweder im Boden oder 
im Wasser oder in der Luft ihren Ursprung haben 56 ). Er 

") Plntarch: De sera namin. viad. c. 3. Corradi in Gaz. lom- 
bard. IV 51. 

ä6 ) De diff. verb. (Pestilentiae autem tres modi sunt aut ex terra aut 
ex aqua aut ex aere.) 



— 14 — 

definirte die Pestilenz als ein Kontagium, welches, nachdem 
es eine Person ergriffen hat, rasch aut viele Andere über- 
geht "). 

In der gleichen Weise äusserten sich die arabischen 
Aerzte über die Entstehung und Verbreitung der Volks- 
krankheiten. Am eingehendsten hat sich Avicenna mit 
diesen Fragen beschäftigt. Er suchte die Entstehungs- 
ursuchen der Seuchen entweder in der Luft und im Trink- 
wasser, welche durch schädliche Stoffe verdorben worden 
sind, die wahrscheinlich aus dem Boden stammen, oder im 
kranken Köiper selbst, in dem sich die Krankheitskeirae 
bilden, welche dann auf Gesunde übertragen werden 08 ). Er 
unterschied also sehr deutlich den Krankheitsherd innerhalb 
und ausserhalb des Körpers und erkannte, welche massgebende 
Rolle im letzteren Falle der Boden spielt. 

Rbazes glaubte, dass die krankmachende Ursache in 
den Ausdünstungen, in dem Gerüche liegt, den manche 
Kranken verbreiten. Ferner wies er darauf hin, dass sich 
Gesunde der Ansteckung aussetzen, wenn sie mit Kranken 
in engen Behausungen zu-ammen wohnen oder sich in der 
von ihnen herkommenden Luftströmung aufhalten. Als direkt 
übertragbare Krankheiten bezeichnet er die Lepra, Scabies, 
Phthisis und Febris pestilentialis, sowie Augenentzündnngen 
und Pustulae malae et multae, welche vielleicht aut die 
Syphilis zu beziehen sind 69 ). Avicenna fügte dazu noch 
die Apostemata putrida und Vitiligo und bemerkte, dass 
einige Krankheiten sich auch auf die Nachkommen forterben 
und gleichsam mit dem Samen übertragen werden 60 ). 

Die Verordnungen, welche die arabischen Aerzte bei 
Seuchen trafen, waren die gleichen wie im Alterthum. 
R h a z e s gab den Rath, die Gegend, in der sie ausge- 
brochen sind, zu fliehen. Ausserdem liess er die Wohnungen 
der Kranken täglich mit Essig besprengen und Räuche- 
rungen mit Sandelholz und Kampher vornehmen. 

Unter den Volkskrankheiten, die im Mittelalter eine 
pandemische Ausbreitung erlangten, traten namentlich die 

äI ) Etymol. IV c. 6. 

") Canon IV P. 1, Tr. 2 c. 1 nnd Tr. 4 c. 1. (Quandoque accidunt 
putredines in interioribus terrae propter causas quae ignorantur, cum suis 
particularitatibus quare perveniunt ad aquam et aerem) — (et communicat 
multitudini hominum qni Herum habent in se ipsis proprietatem praepara- 
tionis.) 

ä ») De re med, lit. IV c. 24. Edit. Basil. 1544, p. 105. 

eo ) Sunt aegritudinum quaedam quae ia semine haereditantur sicut 
vitiligo et tinea naturalis et podagra et phthisis et lepra. 



— 15 — 

Pest und der Aussatz hervor. Als Pest wurden neben der 
eigentlichen Bubonenpest hauptsächlich die verschiedenen 
typhösen Formen bezeichnet, während der Aussatz den all- 
gemeinen Ausdruck für Hautleiden aller Art bildete. 

Bei der grossen Pestepidemie, welche unter der Regie- 
rung des Kaisers Justinian ausbrach, machte man die 
Beobachtung, dass Personen, welche sich aus verseuchten 
Gegenden in Orte begaben, die von der Krankheit bis dahin 
verschont geblieben waren, dieselbe dorthin verschleppten. 
Manchmal waren sie die Einzigen, die davon ergriffen wurden ; 
in anderen Fällen blieben sie selbst gesund, theilten die 
Krankheit aber ihrer Umgebung mit el ). 

Als im 14. Jahrhunderte die unter dem Namen des 
schwarzen Todes bekannte Seuche die Welt überzog, da 
suchten Aerzte wie Nichtärzte die Entstehungsursachen 
dieses allgemeinen Sterbens zu ergründen. Während die 
theologisch Gesinnten sich mit der Erklärung abfanden, dass 
es der Wille Gottes sei, der damit Pläne verwirkliche, 
welche den Menschen unerforschlieh sind, glaubten Andere, 
dass die Seuche durch kosmische Erscheinungen, den Einfluss 
der Gestirne, der Sonne und des Mondes, durch nebelige 
Massen, übergrosse Wärme und Feuchtigkeit der Luft, gif- 
tige Dünste, die bei den Erdbeben aus der Erde hervor- 
kommen 62 ), u. ä. m. hervorgerufen worden sei.^ 

Dass sich die Krankheit durch Ansteckung verbreitet, 
darüber waren Alle einig. ChalindeVinario sah in der 
unmittelbaren Uebertragung des Leidens von Kranken auf Ge- 
sunde die einzige Ursache seiner Verbreitung 63 ). Ebenso äusserte 
sich Simon von C o r i n o, welcher erzählt, dass die Priester, 
wenn sie den Sterbenden die Tröstungen der Religion brachten, 
von der Seuche ergtiffen und zuweilen noch früher hin weg- 
gerafft wurden als jene 64 ). Die Nähe des Kranken, sein 
Athem, eine flüchtige Berührung seines Körpers genügte, um 
die Krankheiten zu übertragen. Dies geschah auch durch 
Kleider und andere Gebrauchsgegenstände des Kranken. In 
manchen Fällen wurde die Krankheit durch gesunde Personen 
verschleppt 6& ). Marsilius F i c i n u s meinte, dass der An- 
steckungsstoff eine hauchartige unsichtbare Luft sei 66 ). 

61 ) Evagrius: Hist. eccles. IV c. 29. 

62 ) C h a 1 i n de Vinario: De peste III. Kunrat v. Megenberg : 
Buch der Natur, hrsg. v. Pfeiffer. S. 103. 

63 ) Ex neutra causa uec aliunde quam coutagione mali transeunte. 

M ) v. 1063 u. ff. bei Haeser: Geschichte der Medizin. III, S. 173. 

64 ) G. de Mussis bei Haeser III, S. 157. Boccaccio: Decam. 
I, Introd. 

66 ) De epidem. morbo c. 3. 



- 16 - 

i 

Der kontagiöse Charakter der Epidemie unterlag keinem 
Zweifel. Alle Thatsachen sprachen dafür, dass der Krank- 
heitsstoff im kranken Körper erzeugt und von dort direkt 
oder indirekt der gesunden Umgebung mitgetheilt werde. 
Einige Beobachter wagten dagegen die Einwendung, ob es 
neben dieser Art der Entstehung und Verbreitung der Krank- 
heit noch eine andere gebe, welche unabhängig vom mensch- 
lichen Körper erfolge, auf dem Zusammentreffen ungewöhn- 
licher Naturereignisse beruhe und durch die den Erdball 
umgebende Lutt vermittelt werde. Sie beriefen sich dabei 
darauf, dass sich beim Auftreten einer Epidemie auch bei 
Leuten, die keine Gelegenheit zur Ansteckung hatten, 
einzelne Krankheitserscheinungen zeigten, welche an die 
herrschende Seuche erinnerten, ferner stützten sie sich auf 
die Thatsache, dass eine Menge von Erkrankungen gleich- 
zeitig erfolgte, da99 die Epidemien nicht stetig von Person 
zu Person, sondern in Sprüngen wie auf dem Schachbrett 
fortschritten und zu ihrem Schauplatz mit Vorliebe feuchte 
und niedrige Gegenden wählten ; dadurch suchten sie die 
Hypothese einer epidemischen Konstitution zu begründen; aber 
es wurde nur bewiesen, dass die Lehre vom Kontagium nicht 
alle Fragen zu beantworten vermochte. 

Sie erlangte gleichwohl immer mehr Geltung, und es 
wurden auf Grund derselben Absperrungsmassregeln einge- 
führt. Die ersten Versuche dieser Art wurden schon zur 
Zeit de9 schwarzen Todes unternommen, und zwar in einigen 
Städten Oberitaliens, wo man unzweideutige Erfahrungen 
über die Einschleppung der Pest aus dem Orient gemacht 
hatte. Im 15. Jahrhunderte wurden in Venedig (1422), 
Genua, Marseille, auf der Insel Mallorca (1477) und anderen 
Seehäfen Quarantaineanstalten eingerichtet, um die aus ver- 
seuchten Gegenden ankommenden Schiffe erst einige Zeit 
hindurch zu überwachen und so der Gefahr vorzubeugen, 
dass durch die Reisenden oder durch Waaren Krankheits- 
keime eingeschleppt werden. 

Unter dem Aussatze, der schon im alten Testamente er- 
wähnt wird, fasste man eine Menge verschiedenartiger Haut- 
leiden zusammen. Moses ertheilte genaue Vorschriften, um 
die Uebertragung zu verhüten 67 ). Wie Justinus er- 
zählt, sollen die Aegypter die Israeliten hauptsächlich 
deshalb aus ihrem Lande vertrieben haben, weil sie befürch- 

e ') L. m, c. 13. IV 12. Buch der Könige II c. 15. Ueber die Bedeu- 
tung des biblischen Aussatzes vgl. auch Zaraath der hebräischen Bibel in 
dermatolog. Studien. H. 16. Hamburg 1893. 



- 17 — 

teten, dass die Hautkrankheiten, an welchen diese litten, von 
ihnen verbreitet würden 63 ). 

Der eigentliche Aussatz (Lepra) wurde von C e 1 s u s, 
Rntus und Aretaeus beschrieben ü9 ), welche die An- 
steckungsfähigkeit desselben betonten. Nach Italien soll die 
Krankheit erst unter Pompejus eingeschleppt worden sein, 
wie P 1 i n i u s berichtet, während Plutarch, indem er 
sich dabei auf Athenodor beruft, dieses Ereigniss in 
die Zeit des Asklepiades verlegt 70 ). 

Als Heimat des Aussatzes wurde Aegypten betrach- 
tet 71 ). Galen, welcher ebenfalls darauf hinwies, dass das 
Leiden in Alexandria sehr verbreitet sei, während es in 
anderen Ländern, wie in Deutschland und bei den Skythen 
nur selten vorkomme, glaubte, dass es im heissen Klima und 
in der Nahrung, z. B. dem übertriebenen Genus? gesalzener 
Speisen, seinen Grund habe "'"). An einer anderen Stelle 
erwähnte er die Kontagiosität desselben, die übrigens von 
keinem Arzte des Alterthums bestritten wurde. Die Ueber- 
tragung geschah, wie man annahm, durch die Luft, welche 
die vom Kranken ausgehenden KrankheitsstotTe enthält. 

Als wirksamer Schutz dagegen wurde die Absonderung 
der Aussätzigen erklärt. Wie bei den alten Hebräern, so 
wurde ihnen auch bei anderen Völkern der Verkehr mit 
Gesunden untersagt und abgeschiedene Orte oder einsame 
Gegenden als Wohnsitz angewiesen. Der jüdische König 
A s a r j a musste die Regierung seinem Sohne übergeben und 
bis zu seinem Tode in einem abgesonderten Hause wohnen, 
weil er am Aussatz erkrankt war. Die Perser flohen die 
Aussätzigen oder vertrieben sie. Auch die Griechen und 
Körner empfahlen diese Massregel 73 ). Das vom heil. B a s i- 
1 i u s im 4. Jahrhunderte zu Caesarea errichtete Hospital 
enthielt eine besondere Abtheilung für Aussätzige. In Kon- 
stantinopel wurde ihnen ein eigenes Hospital eingeräumt, 
und ebenso entstanden später in Italien und Frankreich 
zahlreiche Leproserien 74 ). 

Als Entstehungsursachen der Krankheit erklärten die 



68 ) Hist. Philipp. XXXVI c. 2. Tacitua. Hist. V c. 3. 

69 ) Aretaeus: de chron. II c. 13. r i b a s i u s T. IV, pag. 63. 
C e 1 s u s III c. 25. 

,0 ) Plinius: h n. XXVI c. 4, 5. Plutarch: Sympos. IX 
") Lucrez: de rer. nat. VI v. 114. 
»J T. XI, pag. 142, XII p. 312. 
") Cael. A u r e 1 i a n. : de chron. IV c. 1. 

,4 ) Gregor von Nazianz : Orat. VIII. Muratori: Antiq. it. med 
aev. I 16. 



— 18 — 

Aerzte des Mittelalters neben der schlechten Beschaffenheit 
der Lult und der Nahrung die Erblichkeit und die An- 
steckung. In der gleichen Weise urtheilten die Araber, wie 
aus den Mitteilungen A v i c e n n a's ") hervorgeht ; ausser- 
dem spielte bei ihnen die Theorie vom zurückgehaltenen 
Menstrualblut, vom Zurücktreten des Blatterngiftes u. ä. m. 
eine Rolle. 

Wenn die Berichte, welche aus jener Zeit stammen, 
verlässlich sind, so hat der Aussatz im Mittelalter eine 
ausserordentliche Verbreitung besessen. Wohl mögen 
ungünstige hygienische Verhältnisse, mangelhafte und 
ungesunde Ernährung, Unreinlichkeit und Liederlichkeit 
wesentlich dazu beigetragen haben ; aber sie genügen nicht, 
um die räthseivolle Thatsache zu erklären, dass dieselbe 
Krankheit, welche mit dem Beginne der Neuzeit aus Europa 
nalnzu gänzlich verschwand, im Mittelalter alle Länder der 
damals bekannten Erde heimgesucht und Jahrhunderte hin- 
durch zu den furchtbarsten Geissein der Menschheit ge- 
hört hat. 

An ihrer Stelle trat gleichzeitig ein anderes Leiden 
auf, das man bis dahin nicht beobachtet zu haben glaubte 
und seinem Wesen nach jedenfalls nicht erkannt hatte : die 
Syphilis. Da die Annahme ihres amerikanischen Ursprungs 
aus mehreren Gründen unhaltbar ist, das Vorkommen pri- 
märer Lokalaffektionen im Alterthum und Mittelalter durch 
zahlreiche literarische Angaben festgestellt wurde und die 
Schilderung einzelner Krankheitsfälle auf Lues hinweist "■) 
so scheint es, dass nicht die Syphilis an sich, sondern nur 
ihre seuchenhafte Ausbreitung am Schlüsse des 15. und im 
Beginne des 16. Jahrhunderts neu war. Ihre Folgeerschei- 
nungen, deren genetischer Zusammenhang mit der primären 
Ansteckung den früheren Aerzten entgangen war, wurden 
von ihnen als selbstständige Krankheiten angesehen oder als 
Formen des Aussatzes betrachtet, wenn es sich um Ablage- 
rungen auf der Haut und Zerstörungen von Weichtheilen 
und Knochen handelte. 

Diese Hypothese erfährt eine werthvolle Bestätigung 
durch die Darstellung, welche die Malerei dem Aussatz 
gegeben hat. Wenn man das durch photographische Ver- 
vielfältigung allgemein bekannte Bild des älteren H o 1 b e i n : 

7ä ) Canon IV F. 3, Tr. 3, c. 1. 

K ) PI in. : h. n. XXVI c. 1—3. Sueton: Vita Tiber, c. 34. 
J. Proksch: Geschichte der venerischen Krankheiten, Bonn 1895, S. 149, 
166, 168, 169, 176 u. a. m. 



— 19 — 

„Die heil. Elisabeth, den Aussätzigen Speise und Trank 
reichend" in der Münchener Pinakothek betrachtet, so wird 
man zweifeln, ob der Künstler wirklich Lepröse vor sich hatte, 
wie V i r c h o w ") überzeugt ist, oder Kranke, die an bul- 
lösen Hautausschlägen und Rupia der Stirne litten, als 
Modelle benutzte. Auf einige andere derartige Darstellungen 
des Aussatzes hat C h a r c o t aufmerksam gemacht 7B ). 

Die Aerzte des Mittelalters wandten Quecksilbersalben 
bei verschiedenen Hautleiden, auch beim Aussatze 79 ), mit 
glücklichem Erfolge an, und gegen die Syphilis gewann 
dieses Mittel später ein nahezu souveränes Ansehen. Viel- 
leicht deutet auch diese Thatsache darauf hin, dass unter 
den ersteren manche Formen der Syphilis verborgen 
waren. 

Die Fortschritte der Diagnostik, die Erkenntniss der 
spezifischen Natur der Syphilis und anderer Krankheiten und 
ihre Unterscheidung vom Aussatze erklären die allmälige 
Abnahme desselben und sein fast vollständiges Verschwinden 
aus den der Kultur erschlossenen Ländern sicherlich zum 
grossen Theile. Der Begriff des Aussatzes wurde fortan auf 
jenes Leiden beschränkt, welches heute darunter verstanden 
wird und nur noch in bestimmten Gegenden die für seine 
Entwicklung geeigneten Verhältnisse findet. 

IV. In der Neuzeit. 

Wie auf anderen Gebieten des geistigen Lebens, so 
machte sich auch in der Geschichte der Volkskrankheiten die 
Neuzeit durch eine Reihe ungewöhnlicher Ereignisse äusser- 
lich bemerkbar, während sich ihr innerer Charakter in der 
kritischen Beurtheilung der überlieferten Thatsachen und 
dem Beginne einer selbstständigen Forscherthätigkeit aus- 
drückte. Krankheiten, welche durch ihre Verbreitung und 
Bösartigkeit die Gemüther der Menschen mit Schrecken er- 
füllt hatten, hörten entweder auf oder verloren ihre soziale 
Bedeutung, wie der Aussatz, die Pest und das heil. Feuer. 
Dafür wurden neue Leiden beobachtet, für welche man 
erst Namen ersinnen musste, wie die Syphilis, die pesti- 
lentiellen Fieber, die Kriebelkrankheit u. a. m. 



") Archiv Bd. 22, S. 190, Bd. 23, S. 194. 
'") Les difformes et les malades. Paris 1889, p. 82 u. ff. 
'*) F. A. Simon: Geschichte und Schicksale der Inunktionskur. 
Hamburg 1860, S. 6. 

2* 



— 20 - 

Bis zum 16. Jahrhuiiderte wurde jede Epidemie Pest 
genannt nach dem Vorgange von Galen 8n ), welcher die 
Pest als eine Krankheit definirt hatte, die binnen kurzer 
Zeit eine grosse Zahl Menschen ergreift und hinwegrafft. 
Als man eine bessere Einsicht in das verschiedenartige 
Wesen der einzelnen Leiden gewann, wurde der Pestbegriff 
in die Theile zerlegt, ans denen er sich zusammensetzte. 
Man erkannte, dass die Seuchen in ihren Ursachen, Er 
scheinungen und ihrem Verlaufe von einander abweichen 
und suchte dies auch in der medizinischen Terminologie 
auszudrücken. 

So bildete sich neben der Pest, unter der man von nun 
an nur die schwersten Formen verstand, welche sich durch 
Bubonen und hohe Sterblichkeit kennzeichneten, der noso- 
logische Ausdruck des pestilentiellen oder malignen Fiebers, 
das von der Pest eigentlich nur graduell verschieden war. 
Die systemisirenden Aerzte bemühten sich, diagnostische 
Unterschiede zwischen den beiden Krankheiten aufzufinden, 
und K e p s e r schrieb 81 ), dass bei der Pest mehr Menschen 
ergriffen werden und zu Grunde gehen und die Ansteckungs- 
fähigkeit eine höhere ist, als beim pestilentiellen Fieber, und 
dass die Diüsen in den Weichen und unter den Achseln 
fast immer und diejenigen hinter den Ohren bisweilen an- 
schwellen und eitern, während beim Pestilenzfieber Flecken, 
die Mückenstichen gleichen, auftreten, und zwar vorzugsweise 
am Rücken, maLchmal am ganzen Körper. 

In Bezug auf die Aetiologie stellte man die Hypothese 
auf, dass die Pest durch die Luft, das Pestilenzfieber durch 
die Nahrung und das Trinkwasser verbreitet werde. Aus 
allen ärztlichen Schriften jener Zeit leuchtet indessen die 
Ueberzeugung hindurch, dass Pest und Pestilenzfieber 
Krankheiten derselben Art sind, neben einander vorkommen 
und in einander übergehen. Vielleicht erklärt sich dies 
daraus, dass viele der Pestseuchen, welche in den folgenden 
Jahrhunderten Europa durchzogen, nicht der orientalischen 
Pest angehörten, sondern Typhusepidemien waren, wie aus 
den überlieferten Nachrichten hervorgeht. In Europa wurde 
die Beulenpest immer seltener und zeigte sich in unserem 
Jahrhunderte fast nur noch in Bussland und den Ländern der 
unteren Donau, also nahe den Grenzen von Asien. 



civitat. 1544. 



») T. XV, p. 429. 
81 ) De causis et remediis epidemiae sive pestif. morb. Bamberg 



— 21 — 

Die Kontagiosität derselben wurde von den hervor- 
ragendsten Aerzten des 16. Jahrhunderts vertheidigt. Wenn 
sich einzelne Stimmen für die Verbreitung der Krankheit 
auf miasmatischem Wege erhoben, so wurde dagegen einge- 
wendet, dass damit die Thatsache unvereinbar sei, dass 
einzelne Orte oder Personen von der Seuche verschont bleiben, 
obwohl sie denselben schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind 
wie die übrigen, und dass sich bei sorgfältigem Nachforschen 
?tet? die Quelle der Infektion nachweisen lasse 82 ). 

Einzelne Aerzte nahmen eine vermittelnde Stellung ein 
zwischen den Kontagionisten und den Antikontagionisten, 
indem sie neben der Ansteckung auch der epidemischen Kon- 
stitution einen grossen Einfluss auf die Entstehung der Pest- 
seuchen zugestanden. 

Im Jahre 1835 sprach Seidlitz, welcher die Pest 
in der Wallachei beobachtete, die Ansicht aus, dass sie auf 
Malaria beruhe. Ihm schlössen sich andere Autoren an, und 
noch vor wenigen Jahren wurde sie wieder verkündet 83 ). 

In dem Berichte, welchen die französische Kommission 
1837 über die Ursachen der Pest erstattete, wurde gesagt, 
dass sie durch die Fäulnissprodukte von Leichen erzeugt 
werde, welche in die Luft gelangen und eingeathmet werden. 
Neuerdings wurde diese Hypothese zur Erklärung der That- 
sache, dass die Pest in gewissen Theilen Mesopotamiens 
beständig herrscht, verwerthet und mit der Sitte einer 
persischen Sekte, die Leichname ihrer Angehörigen in 
offenen Särgen weite Strecken zu transportiren, in Ver- 
bindung gebracht ö4 ). 

Ueber die Natur des Krankheitsgiftes konnte man nur 
Vermuthungen hegen. Als seine Bildungsstätte wurde von 
der Mehrzahl der Aerzte der menschliche Körper betrachtet, 
von Anderen aber die Möglichkeit seiner Entstehung ausser- 
halb desselben zugelassen. Seine Uebertragung auf Gesunde 
geschah nach den gemachten Beobachtungen ebenso häufig 
durch die Gebrauchsgegenstände der Kranken als durch deren 
persönlichen Verkehr. 

Das Verhältniss der Pest zum Typhus blieb eine offene 
Frage. Der letztere hatte längst Epidemien hervorgerufen, 
bevor er durch besondere Namen von der Pest unterschieden 

62 ) AI. Massaria: Oper, omnia L. VIII. Tr. 1. Eine Zusammen- 
stellung der Krankheitsursachen gibt Dienerbroeck: De peste. Amstel. 
1665. I c. 8, 10. 

"3) Wien. Med. Presse 1876, Nr. 23, 24. 

84 )' Wiener Med. Blätter 1879, Nr. 11, 12. 



— 22 — 

wurde. So war die von Thukydides beschriebene Pest 
in Athen wahrscheinlich nichts Anderes als eine Typhus- 
epidemie. Auch mehrere andere Seuchen können in dieser 
Weise gedeutet werden 8f '). 

Eine wissenschaftliche Darstellung erfuhr die Krank- 
heit zum ersten Male durch Hieronymus F r a c a s t o r i u s, 
den bedeutendsten Epidemiographen des lfc>. Jahrhunderts, 
welcher bei dieser Gelegenheit das Wesen der Kontagiosität 
zu erläutern versuchte, indem er sie mit der Fäulniss ver- 
glich, die von einer Frucht auf die daneben liegende über- 
geht B,; ). Seine Krankheitsschilderungen beziehen sich nicht 
blos auf den Typhus, sondern auch auf das Typhoid ö7 ) ; den 
ersteren leitete er von der Verderbniss der Luft, das letztere 
von individuellen Verhältnissen ab. 

Die beiden Formen wurden als Febres pestilentes, pu- 
tridae, malignae, petechiales, puncticulares oder lenticulares 
zusammengefasst, wobei die Intensität und das Aussehen der 
Krankheitserscheinungen als Unterscheidungsmerkmale dienten. 
Auf Recurrens weist i die Schilderung einer Epidemie hin, 
die Trevisius beschrieben hat 8Ö ). 

Bei Fracastorius findet sich auch schon eine Andeu- 
tung der Eintheilung der typhösen Leiden nach den Organen , 
welche vorzugsweise ergriffen werden, und den hervor- 
stechenden Krankheitssymptomen. Sie wurden demgemäss 
später als Nervenfieber, Fleckfieber, gastrische Schleim- oder 
Gallenfieber bezeichnet. Desgleichen trug man der Aetio- 
logie Rechnung, wenn man unter Hinweis auf die Art ihrer 
Entstehung von Kriegs- oder Lagerseuchen, Gefängniss- oder 
Hungertyphus sprach. 

Alle diese Krankheitsformen wurden für ansteckend 
erklärt, aber in verschiedenem Grade. Den Fleckfiebern 
wurde die höchste, den übrigen, namentlich den sporadisch 
auftretenden Formen eine geringere Kontagiosität zuge- 
schrieben. Für die Entstehung und Verbreitung der Seuchen 
machte man Witterungseinflüsse, soziale Missstände, Unrein- 
lichkeit, Noth, die Anhäufung dichtgedrängter Menschen- 
massen in engen Räumen, in Gefängnissen und Hospitälern, 



•*) Haes er a. a. 0. in, S. 357. A. Hirsch: Histor. - geograph. 
Pathologie Bd. I, S. 385. 

8C ) De contagionibus et contagiosis mortis I c. 3. II 6 — 8. 

8T ) Ausführlicher beschrieben von Th. Willis: De febribus c. 10. 

8e ) De causis, natura, moribus ac curatione etc. p. 15, 37. 



- 23 - 

die Verunreinigung des Trinkwassers durch Fäulnissprodukte 
u. a. m. verantwortlich 89 ). 

Schon im 18. Jahrhunderte wurden die Aerzte, nament- 
lich in England, auf die klinischen Verschiedenheiten der 
typhösen Krankheiten aufmerksam 90 ). J. V. v. H i 1 d e n- 
b r a n d, welcher den kontagiösen Typhus von dem nicht- 
kontagiösen Nervenfieber schied, brachte die Frage der 
Lösung näher 9 ') und die pathologisch-anatomische Forschung 
lieferte einiges Material dazu. Die Anhänger und die 
Gegner der Identität der verschiedenen Formen suchten ihre 
Ansichten durch Beobachtungen und Erfahrungen zu stützen ; 
aber erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts kam 
die Sache zum Abschlüsse, indem man fortan neben dem 
exantkematischen Typhus den Ileotyphus und den Rückfalls- 
typhus unterschied. 

Die Ursachen ihrer Entstehung entzogen sich zunächst 
der wissenschaftlichen Erkenntniss. Festgestellt wurde, dass 
der Flecktyphus durch den Aufenthalt in schlecht gelüfteten, 
mit den Ausdünstungen vieler Menschen erfüllten Wohn- 
räumen, der Rückfallstyphus durch Nahrungsmangel begün- 
stigt wird, während das Typhoid, wie der Ileotyphus später 
genannt wurde, von diesen Verhältnissen nicht abhängig 
erscheint. Ferner wurde beobachtet, dass die Krankheits- 
stofle des Typhus und Recurrens im kranken Körper erzeugt 
und durch den persönlichen Verkehr oder durch Gebrauchs- 
gegenstände auf Gesunde übertragen werden, diejenigen des 
Typhoids zwar auch im kranken Körper entstehen, wahr- 
scheinlich mit den Fäcalmassen ausgeschieden werden, aber 
erst ausserhalb des Körpers ausreifen und puthogene Eigen- 
schaften annehmen, welche zur Wirkung kommen, wenn sie 
mit der eingeathmeten Luft, der Nahrung, vielleicht auch 
dem Trinkwasser in einen gesunden Körper gelangen. 

Als im 19. Jahrhunderte die asiatische Cholera die 
Grenzen Europas überschritt und zu einer die ganze Erde 
überfluth enden Pandemie anschwoll, da bildete diese Krank- 
heit den Gegenstand zahlreicher Spekulationen und Unter- 



m ) Sims: Epid. Krankheiten. Deutsche Uebers. Hamburg 1775. 
P. Forest: Observat. et curationes med. Francof. 1600. VI p. 159. 
Th. Sydenham: Op. omnia. Obs. med. sect. 2, c. 1. Grainger: 
Hist. febr. anom. Edinb. 1753 p. 60. Huxham: De aere et morbis epid. 
ad. ann. 1742. T ringle: Obs. on the diseases of the anny III 
c. 7. Th. 1. 

90 ) A. de H a e n : Thes. sist. febr. divis. Vindob. 1760. 

81 ) üeber den ansteckenden Typhus. Wien 1810. 



— 24 — 

suchungen, welche sich mit den Ursachen und dem Wesen 
derselben beschäftigten. Die ersten ärztlichen Beobachter 
dachten an eine durch die Nahrung erzeugte Intoxikation; 
doch wurde dieser Irrthum durch das Fortschreiten der 
Seuche bald widerlegt. 

Da sie sich hauptsächlich in Flussthälern und feuchten 
Tiefebenen verbreitete, so tauchte die Hypothese auf, dass 
sie in einer Art von Sumpfmiasma ihren Grund habe, also 
an bestimmte Bodenverhältnisse gebunden sei. Dagegen 
wurde eingewendet, dass in einer grossen Anzahl von Fällen 
die Verschleppung der Krankheit durch kranke Personen in 
Gegenden, die von Malaria frei waren, beobachtet wurde. 

Ferner zeigte sich, dass sich die Krankheit an manchen 
Orten niemals zu einer Epidemie entwickelte, auch wenn 
zwischen Kranken und Gesunden ein reger Verkehr stattfand, 
und dass Personen, welche mit der Pflege und Behandlung 
der Kranken betraut waren, keineswegs so häufig von der 
Cholera ergriffen wurden, als dies unter der Voraussetzung 
ihrer Kontagiosität erwartet werden durfte. 

Einige Aerzte suchten sich durch die Annahme einer 
spezifischen epidemischen Konstitution, welche die Entstehung 
und Verbreitung der Cholera begünstige, zu helfen, ohne dass 
sie im Stande waren, diesen unklaren Begriff zu begründen 
und in seine einzelnen Theile zu zerlegen. Sie wiesen darauf 
hin, dass vor den Choleraepidemien oder gleichzeitig mit 
ihnen auch Seuchen unter den Thieren und Pflanzen auf- 
traten, und sprachen die Vermuthung aus, dass das vermeint- 
lich häufigere Vorkommen des Abdominaltyphus, der Cholera 
nostras und der Influenza damit in Verbindung stehe. Aber 
es wurde nachgewiesen, dass dies theils falsch gedeutet wurde, 
theils den Thatsachen widersprach. 

Die Aussicht auf eine befriedigende Lösung dieser 
Fragen eröffnete sich erst, als man anfing, die Beziehungen 
des Bodens zur Cholera in Betracht zu ziehen. Diese, nament- 
lich von Pettenkofer angeregten und durchgeführten 
Untersuchungen waren nicht blos für die Aetiologie dieser, 
sondern auch anderer Krankheiten von weittragender Be- 
deutung. 

Es wurde festgestellt, dass die asiatische Cholera eine 
epidemische Ausbreitung nur dort erlangte, wo der Boden 
locker und für Wasser und Luft durchgängig ist, einen 
mittleren Feuchtigkeitsgehalt besitzt und eine Menge orga- 
nischer, zersetzungsfähiger Substanz enthält. P e 1 1 e n- 



— 25 - 

kofer 92 ) beobachtete, dass zwischen dem Grundwasser, 
also dem auf der ersten undurchlässigen Erdschicht ange- 
sammelten Sickerwasser, und der Krankheit merkwürdige 
Wechselbeziehungen bestehen, indem die epidemische Aus- 
breitung derselben zunimmt, wenn das Grundwasser fällt, 
und abnimmt, wenn es steigt. Am meisten auffallend war 
diese Erscheinung, wenn die Schwankungen des Grundwassers 
plötzlich erfolgten. Bald darauf ermittelte Buhl 93 ), dass 
das gleiche Verhältniss auch z wischen dem Abdominaltyphus 
und dem Grundwasser herrscht. 

Diese Thatsachen fanden eine Erklärung durch die An- 
nahme, dass die über dem Grundwasser liegende poröse 
Bodenschicht die Stätte bildet, in welcher sich die Krank- 
heitskeime entwickeln. Dieselbe wird vergrössert, wenn das 
Grundwasser sinkt, und verkleinert, wenn es steigt. Je tiefer 
und umfangreicher diese Schicht ist, desto mehr Raum zur 
Zersetzung organischer Substanzen und Entwicklung patho- 
gener Stoffe wird geboten, und dementsprechend wird die 
Seuche zunehmen, während unter den entgegengesetzten Be- 
dingungen die Abnahme derselben begreiflich wird. Die 
Höhe des Grundwassers steht also keineswegs in einem 
ursächlichen Zusammenhange mit dem epidemischen Auftreten 
von Cholera asiatica und Typhoid, sondern ist nur ein zu- 
fällig entdeckter Gradmesser dafür. 

Da Feuchtigkeit und Wärme aut die chemischen Um- 
wandlungen und somit auch auf die Bildung und Vermehrung 
der Krankheitserreger einen grossen Einfluss ausüben, so er- 
gibt sich, welche Bedeutung die Menge der Niederschläge, 
die Temperatur und die darauf beruhenden klimatischen Ver- 
hältnisse tür die Entstehung der Seuchen haben. 

Die Einwände, welche gegen die Grundwassertheorie, 
erhoben wurden, wurden theils widerlegt, indem der Nach- 
weis geliefert wurde, dass die Gegner von unrichtigen Beob- 
achtungen ausgingen, wie z. B. wenn sie behaupteten, dass 
das undurchlässige Felsgestein den Schauplatz von Cholera- 
epidemien bilde 94 ), theils anders gedeutet, indem der Begriff 
des Bodens, welcher als Herd der Krankheitserreger betrach- 



92 ) Ueber die Verbreitungsart der Choleraepidemie von 1854 in Bayern. 
Manchen 1857. Die Bewegung des Grundwassers in München von 1856 — 1862. 
Sitzber. d. k. b. Akad. d. Wiss. 1862, I. Boden und Grundwasser in ihren 
Beziehungen zu Cholera und Typhus. Zeitschr. f Biol. 1868. IV u. a. m. 

ss ) Aetiologie des Typhus. Sitzber. d. k. b. Akad. d. Wiss, 1864 
I, S. 247. 

8 «) Zeitschr. f. Bio], 1870, VI. 



- 26 - 

tet wird, auch auf die Wohnräume der Häuser und der 
Schiffe ausgedehnt wurde 9ö ). 

Man stellte sich vor, dass die supponirten Krankheits- 
keime durch den menschlichen Verkehr verschleppt werden, 
zu ihrer Entwicklung oder Ausreifung eines geeigneten 
Bodens bedürfen und dann durch die eingeathmete Luft, die 
Nahrung und das Trinkwasser, wie die meisten Aerzte an- 
nehmen, Pettenkofer aber bestreitet, in einen Körper 
gelangen, den sie krank machen. Pettenkofer hat 
später auch bezweifelt, ob die Krankheitsstoffe durch die 
Fäkalmassen ausgeschieden werden, wie allgemein geglaubt 
wird, und der Vermuthung Ausdruck gegeben, dass bei diesen 
Krankheiten der Boden eine ähnliche Rolle spielt, wie bei 
Malaria 90 ). 

Wie die Cholera, so fand auch das Gelbfieber in unserem 
Jahrhunderte zum ersten Male eine wissenschaftliche Bear- 
beitung. Man erkannte, dass es von klimatischen Verhält- 
nissen, der Wärme und Feuchtigkeit und den physikalischen 
Eigenschaften des Bodens abhängig ist, sich unter Mitwir- 
kung von animalischen oder vegetabilischen Stoffen, die in 
Zersetzung übergegangen sind, rasch ausbreitet, die Ange- 
hörigen einzelner Rassen mit Vorliebe ergreift, seinen Ent- 
stehungsherd nicht im Menschen selbst hat, aber von ihm, 
ebenso wie durch Gegenstände verschiedener Art vertragen 
wird und daher den Malarialeiden näher steht als den kon- 
tagiösen Krankheiten. 

Ueber die Entstehung der Sumpffieber äusseite sich der 
römische Autor V i t r u v dahin, dass sie durch die giftigen 
Ausdünstungen der Thiere, welche in den Sümpfen sterben 
und verwesen, erzeugt werden 97 ). Sein Zeitgenosse M. Te- 
rentius V a r r o deutete, wie erwähnt, auf kleine Lebewesen 
hin, welche sie erzeugen. Es wurden also bereits im Alterthum 
die beiden Theorien angeführt, die bis in die neueste Zeit 
die Aetiologie dieser Krankheiten beherrscht haben. 

Je nach der Tendenz, welcher die Medizin folgte, trat 
bald die zymotische, bald die parasitäre Hypothese in den 
Vordergrund 98 ). Einige glaubten, die krankmachende Wir- 
kung der über stehendem Wasser sich bildenden Nebel auf 



9 ») Ebend. 1872, Vffl. 

<"•') Archiv f. Hygiene Bd. V, S. 339. 

9 ') De architectura I c. 4. 

w ) L a n c i s i : De noxiis pallidum effluviis. Roma 1716. Mit- 
schell: On the cryptogamous origin of malarious fevers. Phila- 
delphia 1849. 



- 27 — 

deren Gehalt an schädlichen Gasen, z. B. von Schwefel- und 
Kohlenwasserstoffverbindungen, zurückführen zu können "), 
Andere schrieben sie den Ausscheidungsprodukten bestimmter 
Pflanzen und Thiere zu. Die Meinung, dass sie auf der An- 
wesenheit niederer belebter Organismen beruhe, kam immer 
mehr in Aufnahme, blieb aber zunächst doch nur eine, wenn 
auch wohlbegründete Hypothese. 

Gleichzeitig wurden die Bedingungen untersucht, unter 
welchen sich diese Krankheiten verbreiten, der Einfluss 
hervorgehoben, welchen die Feuchtigkeit, Temperatur und 
physikalische Beschaffenheit des Bodens darauf ausüben, und 
festgestellt, dass sie ausserhalb des menschlichen Körpers 
entstehen, durch die Luft vermittelt weiden und nicht kon- 
tagiös, sondern entschieden miasmatisch sind. 

Räthselhaft erschien die Entstehung der Influenza, 
deren epidemischer Charakter schon zur Zeit des Hippo k rates 
beobachtet wurde. Man beschuldigte die Richtung der Winde, 
die Witterungsverhältnisse u. a. m., ohne dass es gelang, 
diese Anklagen durch Thatsachen zu belegen. Allgemein 
anerkannt wurde, dass die Luft der Träger des Krankheits- 
stoffes ist ; aber ob es ausserdem noch andere Medien dafür 
gibt und wo der Ort seiner Entstehung ist, darüber gingen 
die Ansichten auseinander. 

Die ersten Versuche zur Unterscheidung der akuten 
exanthematischen Infektionskrankheiten wurden im Mittelalter 
unternommen. Die Araber sonderten sie nach den Krankheits- 
erscheinungen und der Schwere ihres Verlaufes und nannten 
die Pocken Eldschedri, während sie unter der Bezeichnung 
Hasbak die Masein und wahrscheinlich auch den Scharlach 
verstanden. Bei Avicenna findet sich ausserdem der 
Ausdruck Hunoak für leichtere Leiden, die als Varicellen, 
Röthein oder dgl. gedeutet werden können. Die klinischen 
Verschiedenheiten der Masern und des Scharlachs wurden in 
jener Zeit ebenfalls schon beobachtet, ihre Spezifität aber 
erst im 18. Jahrhunderte allgemein anerkannt. 

Da diese Krankheiten vorzugsweise die Kinder in den 
ersten Lebensjahren befallen, so glaubten die arabischen 
Aerzte, dass sie durch das während der Schwangerschaft 
zurückgehaltene Menstruationsblut verursacht werden, hielten 
sie also für physiologische Reinigungsprozesse, durch welche 
der kindliche Körper von den durch die Mutter übertragenen 
Schädlichkeiten befreit wird. 



o») Schwalbe im Archiv f. Heilkunde 1867, S. 567. 



— 28 - 

Später musste auch hier die Hypothese einer besonderen 
epidemischen Konstitution zur Erklärung der Entstehung und 
Verbreitung dieser Krankheiten herhalten. Aber allmälig 
drang überall die Ueberzeugung durch, dass sie kontagiös 
sind, wie dies übrigens schon von R h a z e s angedeutet 
wird 10 "). Man erkannte, dass die pathogenen Stoffe lediglich 
im menschlichen Körper erzeugt und durch ihn und seine 
Umgebung weiterverschleppt werden. 

Das Gleiche konnte von der Diphtherie nachgewiesen 
werden, deren Geschichte bis in's Alterthum zurück- 
reicht 1 0l ), deren Wesen aber erst seit Bretonnau loa ) und 
R. Virchow klargestellt wurde. 

Von der Syphilis wussten schon die Aerzte des 16. Jahr- 
hunderts, dass sie sich durch Vererbung und Ansteckung 
fortpflanzt. 

Die Lungenschwindsucht betrachtete man im Alterthum 
als eine Folgekrankheit von Entzündungen der Lungen und 
des Brustfells 103 ). Vereinzelte Bemerkungen lassen darauf 
schliessen, dass man auch der Ansteckung und der Erblich- 
keit einigen Einfluss einräumte. Jedenfalls wurde an- 
genommen, dass eine körperliche Disposition eine noth wendige 
Voraussetzung der Krankheit sei. 

Die folgenden Jahrhunderte hielten an diesen An- 
schauungen fest, und hervorragende Aerzte wie F r a c a- 
storius, Despar s, Giamb. da Monte, Valleriola, 
Heurn, Fernel, Zacchias, Morgagni und Laen nee 
vertheidigten die Kontagiosität der Krankheit, obwohl ein 
grosser Theil der Aerzte sie ablehnte. Die Untersuchungen 
über die Beziehungen der Schwindsucht zur Tuberkulose, 
namentlich aber die experimentellen Arbeiten V i 1 1 e m i n's 
drängten die Frage ihrer Uebertragbarkeit wieder in den 
Vordergrund und gaben ihr den Charakter einer hohen Wahr- 
scheinlichkeit 104 ). 

Auf die Ansteckungsfähigkeit des eitrigen Ausflusses 
aus der Harnröhre bezieht sich schon Moses in den Rein- 
lichk eitsvorschriften, die er den Israeliten ertheilte 106 ). 

Ebenso war dem Alterthum die Kontagiosität mancher 
Formen von Blennorrhoe der Augen bekannt 106 ), wie aus ver- 

l0 °) De variol. et morbill. c. 1 und 5. 

101 ) Aretaeus: De morbis acut. I c. 9. 

102 ) Des inflammaticras speciales du tissu muqueux. Paris 1826. 

103 ) Th. Puschmann: Alexander von Tralles. T. I, S. 196. 

1M ) Predöhl: Geschichte der Tuberkulose. Leipzig 1888 S. 171 u ff 

»»*) L. m c. 15. 

'»«) Plutarch: Sympos. V. 7. Pia ton: Phaedr. c. 36. 



- 29 - 

scbiedenen Angaben hervorgeht. Sie erhielten eine über- 
zeugende Bestätigung durch die Nacbricbten über die soge- 
nannte egyptische Augenentzündung, welche in unserem Jahr- 
hunderte nach Europa gelangten, sowie durch die Erfahrungen, 
die man hier in Kasernen und Schulen darüber sammelte. 

Die Entstehung und Verbreitung des Wunderysipels, 
des Puerperalfiebers und des Hospitalbrandes erhielt durch 
den Nachweis, dass ihnen eine gemeinsame Ursache zu Grunde 
liegt, nämlich septische Stoße, wie sie sich vorzugsweise 
bei langwierigen Eiterungen nach Verletzungen, bei der 
Verwesung u. s. w. entwickeln, und durch die sich daran 
anschliessenden Beobachtungen über ihre gegenseitigen Be- 
ziehungen eine autklärende Beleuchtung. 

Wenn man früher ihrem epidemischen Auftreten einen 
miasmatischen Ursprung zugeschrieben hatte, so musste man 
jetzt ihre Kontagiosität zugestehen. 

Dass Milzbrand und Hundswuth von Thieren auf 
Menschen übertragen werden, wussten bereits die Alten 107 ). 
Einen "seltsamen Fall von Infektion mit Lyssa erzählt Caelius 
Aur elianus 10S ). Er betraf einen Schneiderin, welche beim 
Ausbessern eines von den Zähnen eines tollen Hundes zer- 
fetzten Mantels die Nähte mit den Lippen benetzt hatte. 

Einer Seuche, die auf Milzbrand bezogen werden kann, 
gedenkt D i o n y s von HaKcarnass. Wie er berichtet, wurden 
davon zuerst die Schafe und andere Vierfüssler ergriffen ; 
später erkrankten aber auch Menschen, namentlich Landleute. 
Aus den folgenden Zeiten werden noch mehrere Milzbrand - 
seuchen angeführt. Heusinger 1 " 9 ) bat sie in übersichtlicher 
Weise zusammengestellt. Er erklärte dabei, dass sich im 
kranken Thiere ein Kontagium entwickelt, für welches der 
menschliche Körper empfänglich ist. 

In unserem Jahrhunderte wurde beobachtet, dass der 
Rotz der Pferde und die Maul- und Klauenseuche der Rinder 
beim Menschen ebenfalls Krankheiten hervorrufen. 

Daran schlos3 sich die Entdeckung der parasitären 
Natur verschiedener Leiden, die man bis dahin als Allgemein- 
erkranknngen aufget asst und auf pathologische Veränderungen 
des Blutes zurückgeführt hatte. 

So war es allmälig gelungen, werth volle Aufschlüsse 
zu erlangen über die Art, wie sich manche Krankheiten 
fortpflanzen und ausbreiten, und über den Einfluss, welchen 

m ) Aretaeus: De acut I, c. 7. Horapollo: Hieroglyph. I, c. 39. 

"">) De morb. acut. III c. 9. 

109 ) Die Milzkrankheiten der Thiere und des Menschen. Erlangen 1850. 



- 30 - 

bestimmte allgemeine und individuelle Verhältnisse darauf 
ausüben ; aber über die eigentlichen Krankheitsursachen, über 
das Wesen der die Krankheit erzeugenden Substanzen war 
man zu keiner Klarheit gelangt und musste sich immer noch 
auf Vermuthungen beschränken wie in früheren Zeiten. 

V. Das Contagium animatum. 

Verschiedene Thatsachen drängten zu der Annahme, 
dass die Erreger der Infektionskrankheiten fixe Stoffe, belebte 
niedere Organismen pflanzlicher oder thierischer Natur sind. 
Dafür sprach die Beobachtung, dass diese Krankheiten nicht 
spontan entstehen, sondern nur nach der Ankunft von 
Personen oder Sachen aus Gegenden, wo sie bereits ver- 
breitet sind, dass sie also auf der Einschleppung von Krank- 
heitskeimen beruhen. Die Ausbreitung dieser Leiden, ihr 
Anschwellen zu einer Epidemie fand dadurch die einfache 
Erklärung, dass ihr die rasche Vermehrung der Krankheits- 
erreger zu Grunde liege, welche gleich anderen belebten Wesen 
Nachkommen erzeugen. Ebenso wurde es verständlich, dass 
durch die Uebertragung einer dieser Krankheiten stets das 
gleiche Leiden hervorgerufen wurde. Eine werth volle 
Stütze erhielt die Hypothese durch den Nachweis, dass 
Krankheiten durch Pilze und niedere Thiere verursacht 
werden. 

Gleichwohl vergingen Jahrhunderte, bevor sie durch 
unwiderlegbare Beweise zu einer wissenschaftlichen That- 
sache erhoben wurde. Der Gedanke, dass kleine, mit den 
Augen nicht wahrnehmbare Thierchen die Ursachen mancher 
Krankheiten bilden, wurde schon im Alterthum ausgesprochen; 
doch bedeutete er damals kaum mehr als eine glückliche 
Ahnung. 

M. Terentius Varro 11 ") schrieb: Si qua erunt loca 
palustria . . crescunt animalia quaedam minuta quae non 
possunt oculi consequi et per aera intus in corpus per 
os ac nares perveniunt atque efficiunt difficiles morbos. 
Columella 111 ) glaubte, dass die Nebelmassen, welche 
über den Sümpfen und feuchten Ebenen lagern, aus kleinen, 
Mücken ähnlichen Thieren bestehen, welche einen schädlichen 
Einfluss auf den menschlichen Körper ausüben. 

Als nach der Erfindung des Mikroskops im 17. Jahr- 
hunderte die Aufmerksamkeit sich auf die kleinen Lebewesen 



,10 ) De re rust. I c. 12. 
'") De le rnst. I c. 5. 



- 31 — 

richtete, die sich bis dahin der Beobachtung entzogen hatten, 
da lebte auch die Theorie von Contagium aniraatum wieder 
auf. Der Jesuitenpater Athanasius Kirch er 112 ) erklärte, 
dass die Lüfte, das Wasser und die Erde von unzählbaren 
Insekten wimmeln, dass in faulenden Stoffen zahllose Mengen 
von Würmern vorkommen, wie er sich durch mikroskopische 
Untersuchungen überzeugt habe, und dass er auch im Blute, 
sowie auch im Buboneneiter der Pestkranken solche kleine 
Thiere gesehen habe. Wesentlich gefördert wurde die 
Sache durch Leeuwenhoek, welcher 9ich der durch ihn 
verbesserten Mikroskope bediente. Er fand im Wasser, im 
Darmkanale verschiedener Thiere, in den Stuhlgängen und 
zwischen den Zähnen der menschlichen Mundhöhle kleine 
Lebewesen, welche sich bewegten, der Grösse und Gestalt 
nach verschieden waren und bald rund, bald fadenartig oder 
schraubenförmig aussahen U3 ). Einige Autoren, welche sich 
weniger von der Beobachtung als von der Phantasie leiten 
Hessen, wurden dadurch zu dem Glauben veranlasst, dass in 
allen Theilen des menschlichen Körpers, im Blute, Harne, 
verschiedenen Sekreten, sowie im Eiter kleine Würmer 
leben 114 ), und die Entdeckung der Samenthierchen, welche 
1677 geschah, gab dieser Ansicht einige Berechtigung. 

Mehrere Aerzte, wie Vallisneri, Goiffon und 
L e b e g n e, behaupteten, dass die Pestepidemie, welche 
1720 — 1722 in der Provence wüthete, durch kleine giftige 
Organismen verursacht worden sei 115 ); doch waren sie nicht 
im Stande, dafür irgend welche Beweise beizubringen, ebenso 
wenig als Linne lllj ), als er die Entstehung der pesti- 
lentiellen Fieber, exanthematischen Krankheiten, Geschlechts- 
leiden u. a. m. von belebten Krankheitskeimen ableitete. 

Mit überzeugender Klarheit entwickelte der Wiener 
Arzt M. A. PI en cicz n7 ), ein Schüler Morgagni's, die 
Wahrscheinlichkeitsgründe, welche sich damals für das Con- 
tagium animatum anführen Hessen. Da er die faulenden 
Substanzen mit kleinen lebenden Thierchen durchsetzt sab, 



112 ) Scrutinium pestis, Sect. 1. c. 3. 8. 

11S ) Op. omnia. T. I p. 1—32 u. a 0. Lugd. 1722. 

114 ) Nie. Ardory: De la generation des vers dans le eorps de 
l'liomme. Amsterdam 1701. Systeme d'un medecin anglais sur les causes de 
toutes les especes de maladies avec les surprenantes configurations de 
differentes especes de petits insectes nach H a e s e r a. a. 0. II, S. 627. 

llä ) F. Lbtfler: Geschichtliche Entwicklung der Lehre von den 
Bakterien. Leipzig 1887. S. 8. 

> 16 ) Vollständiges Natursystem. Bd. VI, Th. 2, S. 928. 

1U ) Tract. de contagio. Vindoh. 1762, p. 72 u. ff. 



— 32 - 

so gelangte er zu dem Schlüsse, dass in deren Vorhanden- 
sein das Wesen der Fäulniss überhaupt zu suchen sei. Be- 
merkenswerth ist, dass er dabei ihren Ausfuhrstoffen, 
nämlich ihren Exkrementen und Eiern, die wirksame Rolle 
zuschrieb. 

Leider waren die optischen Hilfsmittel, die man zur 
Untersuchung der kleinen Organismen gebrauchte, sehr un- 
vollkommen, die Chemie zu wenig entwickelt, als dass sie 
zu diesem Zwecke verwerthet werden konnte, und die ex- 
perimentelle Forschungsmethode zur Lösung von Fragen der 
Pathologie nahezu unbekannt. So erklärt es sich, dass die 
Theorie von den belebten Krankheitserregern keine Fort- 
schritte machte. Dazu kam, dass über deren Natur und die 
Art ihrer Thätigkeit ziemlich rohe Vorstellungen verbreitet 
waren, welche denkende Aerzte zurückschrecken mussten. 
Die Hypothese verlor daher immer mehr Bodeu und gerieth 
allmälig in Vergessenheit. z a n a m nannte sie in seiner 
Histoire des maladies epidemiques n8 ) abgeschmackt und 
erklärte, dass er mit deren Widerlegung keine Zeit ver- 
lieren wolle. 

Die Naturphilosophie, welche um jene Zeit in Deutsch- 
land zur Herrschaft gelangte, neigte mehr zur spekulativen 
Betrachtung der Dinge als zum Studium ihrer Einzelheiten, 
während die pathologisch-anatomische Richtung , die in 
Frankreich damals ihre ersten Erfolge errang, neue Auf- 
schlüsse über das Wesen der Krankheiten und ihre Ent- 
stehung versprach. Die Ergebnisse, welche dadurch später 
namentlich unter dem Einflüsse von Rokitansky und der 
Wiener Schule erzielt wurden, übertrafen die Erwartungen 
und drängten die Lehre von den belebten Krankheitskeimen 
zurück. 

Als das Mikroskop durch die Einführung der achro- 
matischen Objektivlinsen eine wesentliche Vervollkommnung 
erhielt, wurden die Untersuchungen des anatomischen Baues 
der niederen Thiere wieder aufgenommen. Gleichzeitig 
lieferten F. Schulze und Th. Schwann den Nachweis, 
dass die Erreger der Zersetzung und Fäulniss in der Luft 
enthalten sind, während Latour und Schwann unab- 
hängig von einander die Thatsache feststellten, dass die 
Gährung des Bieres und Weines durch kleine lebende 
Organismen, deren Wachsthum sie beobachtet hatten, bewirkt 
wird. P a s t e n r erweiterte diesen Satz später dahin, dass 



B j T. I p. 66. Paiis 1817 - 1823. 



- 33 — 

überhaupt jede Gährung auf diese Weise zu Stande komme. 
Diese Entdeckungen waren für die Pathologie insofern von 
Bedeutung, als die Krankheit als ein der Gährung analoger 
Vorgang betrachtet wurde. 

Eine Bestätigung erhielt diese Auffassung durch die 
Angaben mehrerer Forscher, welche bei einzelnen Krank- 
heiten, z. B. bei Syphilis, Krebs u. a., im Eiter und anderen 
Sekreten Mikroorganismen beobachtet zu haben glaubten. 
D as epidemische Auftreten der asiatischen Cholera gab Ver- 
anlassung, dass man auch hier nach kleinen Lebewesen 
suchte und auch solche Gebilde fand ; aber deren Bedeutung 
für den Krankheitsprozess blieb ebenso wie bei anderen 
Leiden unklar. 

Henle 119 ) fasste die bis dahin erreichten Wissens- 
resultate zusammen und zeichnete die Wege vor, welche 
die Forschung auf diesem Gebiete einschlagen sollte. Er 
verlangte, dass die betreffenden Organismen in jedem Falle 
von Erkrankung nachgewiesen, von anderen Gebilden dieser 
Art gesondert und in Bezug auf ihre Eigenschaften und 
Wirkungen geprüft werden : Forderungen, deren Erfüllung 
erst mehrere Jahrzehnte später möglich war. 

Inzwischen wurde die Aufmerksamkeit auf die durch 
Parasiten hervorgerufenen Krankheiten hingelenkt, bei denen 
das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung leicht zu 
überschauen wai. Bassi zeigte (1837), dass die Muscardine, 
eine Krankheit der Seidenraupen, durch einen Pilz erzeugt 
wird. Durch die Untersuchungen von Stannius u. A. 
wurde nachgewiesen, dass die Krätzmilbe, die schon von Aven- 
z o a r und anderen Aerzten des Mittelalters beobachtet, aber 
für ein Produkt der Krankheit gehalten wurde, die Ursache 
der Scabies ist. Bald darauf stellte sich heraus, dass auch 
Favus, Soor, Herpes tonsurans und Pityriasis versicolor auf 
Pilzbildungen beruhen. Dadurch verlor die alte Krasen- 
lehre, welche in diesen Leiden Aeusserungen einer All- 
gemeinerkrankung gesehen hatte, mehr und mehr an Glaub- 
würdigkeit, und man wandte sich wieder der Theorie von 
den organisirten Krankheitserregern zu. 

Pollender und B r a u e 1 1 fanden im Blute von 
Thieren und Menschen, die an Milzbrand litten, stäbchen- 
förmige Körper, und D a v a i n e gelang es, mit diesem 
Blute die Krankheit auf gesunde Thiere zu impfen. Daran 
schlössen sich zahlreiche Entdeckungen von Pilzen und 



119 ) Pathol. Untersuchungen. Berlin 1840. 8. 15, 43 u. ff. 



— 34 — 

Vibrionen, welche in physiologischen und pathologischen 
Ausscheidungen bemerkt wurden. Ueber ihre Beziehungen 
zur Entstehung mancher Krankheiten konnte jedoch nichts 
Sicheres ermittelt werden, und die Experimente, welche zu 
diesem Zweck angestellt wurden, litten an so vielen Fehlern, 
dass ihre Ergebnisse zu keinen verlässlichen Schlussfolgerungen 
berechtigten. 

Auch die Untersuchungen, welche sich mit der Ent- 
wicklung und dem Leben der Mikroorganismen beschäftigten, 
hatten keinen befriedigenden Abschluss. Während Pasteur 
zu der Annahme verschiedener Arten derselben neigte, 
glaubte Hallier sie sämmtlick auf einfache Formen zu- 
rückführen zu können. Klebs. der die Methoden der 
Forschung nach verschiedenen Richtungen verbesserte und 
erweiterte, land bei allen Eiterungen, sowie bei der Pyämie 
und Septicämie das Mikrosporon und kam dadurch zu der 
Ansicht, dass es die gemeinsame Ursache dieser Prozesse sei. 

C. H neter 180 ) s-prach die Meinung aus, dass allen 
pathologischen Vorgängen niedere Lebewesen, die er Monaden 
nannte, zu Grunde liegen, und dass die Form der Krankheit 
lediglich von dem Organe oder Gewebe abhänge, in welches 
sie einwandern. Aehnlichen Anschauungen huldigten Anfangs 
auch Josef L i s t er und Theodor B i 1 1 r o t h ; aber diese 
Theorien wurden durch die Arbeiten J. S c h r o e t e r's 
widerlegt, welcher auf demselben Nährboden Gebilde von 
verschiedenem Aussehen züchtete und auf mehrere Unter- 
scheidungsmerkmale derselben hinwies. 

F. C o h n lieferte dann eine systematisch geordnete 
Uebersicht der niederen Lebewesen und gab über deren Er- 
nährung und Lebensäus9erungen einige Aufschlüsse. Er machte 
bei dieser Gelegenheit auf die Widerstandsfähigkeit gegen 
hohe Temperatur, welche die Dauersporen, die Früchte der 
Bacillen, besitzen, sowie auf die Fähigkeit der Bakterien, 
sich ausserordentlich rasch zu vermehren, aufmerksam. 

Die Entdeckung der Recurrensspirillen durch Ober- 
meier i. J. 1873 und der von R Koch nach einer neuen 
Methode erbrachte und durch P a s t e u r's Untersuchungen 
bestätigte Beweis, dass der Milzbrandbacillus die Ursache 
dieser Krankheit ist, bildeten feste Grundlagen für die Lehre 
von der Spezifität der pathogenen Mikroben. 

Grosse Schwierigkeiten bereitete die Aetiologie der 
Wundinfektionskrankheiten. Man fand zwar Bakterien bei 



12 °) Allgemeine Chirurgie. Leipzig 1873, S. 20 u. ff. 



— 35 — 

der Septicämie, Pyämie, beim Puerperalfieber, Erysipel, bei 
Osteomyelitis u. a. m. ; aber ihr genetischer Zusammenhang 
mit diesen Krankheitsprozessen konnte nicht nachgewiesen 
werden. Wenn man von der Voraussetzung ausging, dass die 
Fäulniss dabei eine massgebende Rolle spielt, so war die 
Annahme pathogener Lebewesen hier allerdings berechtigt ; 
aber es Hessen sich dagegen manche Einwendungen erheben, 
welche sich aus der klinischen Beobachtung sowohl, wie aus 
dem Thierexperimente und aus der mikroskopischen Unter- 
suchung ergaben. Es machten sich daher Zweifel geltend, ob 
die krankmachende Wirkung in diesen Fällen überhaupt von 
den Bakterien ausgeht oder von giftigen Stoffen, die neben 
den letzteren im Körper vorhanden sind. In dieser Weise 
deutete Billroth die Verhältnisse, und H i 1 1 e r, welcher 
diese Hypothese zu begründen bemüht war, erklärte, dass 
die septische Infektion keine Pilzkrankheit, sondern eine 
Intoxikation sei. Er Hess es dahingestellt, ob die Giftstoffe 
den Bakterien nur anhaften oder von ihnen erzeugt werden. 
Jedenfalls wurden sie stets in Gesellschaft der letzteren an- 
getroffen, schienen also von ihnen abhängig zu sein. 
B r i e g e r zeigte, dass die Stoffwechselprodukte der Fäul- 
nissbakterien giftig sind ; es gelang ihm, sie zu isoliren und 
auf experimentellem Wege nachzuweisen, dass durch Ptomaine 
Eiterung erzeugt werden kann. Grawitz gab dieser That- 
sache, welche durch die Versuche von Scheuerlen be- 
stätigt wurde, einen klaren Ausdruck. 

Andererseits konnte aber durch Experimente festgestellt 
werden, dass Eiterungen auch blos durch Chemikalien ohne 
irgendwelche Betheiligung von Bakterien zu Stande kommen. 
Als A r 1 o i n g bald nachher zeigte, dass auch die Lungen- 
seuche der Rinder nicht durch die Mikroorganismen selbst, 
sondern durch die von ihnen entwickelten Toxine hervor- 
gerufen wird, musste sich die Frage aufdrängen, ob dieses 
Ergebniss lür alle Infektionskrankheiten Geltung habe, und 
die dahin gehörigen pathologischen Prozesse überhaupt als 
Vergiftungserscheinungen zu betrachten sind. 

Mehreie Forscher beschäftigten sich damit, die Gift- 
stoffe der pathogenen Mikroben darzustellen und auf ihre 
Eigenschaften zu prüfen. Die Mittheilungen, die sie darüber 
in Bezug auf Diphtherie, Milzbrand und Tetanus machten, 
lieferten den Beweis, dass die krankmachende Wirkung 
nicht von den Bakterien, sondern von deren Toxinen ausgeht. 

Die bakteriologische Forschung hat in den letzten 
Jahren bewundernswerthe Erfolge errungen. Den genial aus- 

3* 



— 36 - 

gedachten Untersuchungsmethoden von Rob. Koch war es 
hauptsächlich zu verdanken, dass die im thierischen Körper 
vorkommenden Mikroorganismen von einander unterschieden 
und ihre morphologischen Eigenthümlichkeiten, ihre Ent- 
wicklung, Vermehrung und Lebensbedingungen der Kenntniss 
erschlossen wurden. Infolge dessen wurde es möglich, dass 
Koch bei der Tuberkulose (1882) und der Cholera asiatica 
(1883), Löffler bei der Diphtherie (1884), Schütz und 
Löffler bei der Rotzkrankheit (1882), Ponfick und 
Israel bei der Actinomykose (1882), Neisser bei der 
virulenten Blennorrhoe (1879), Armaue r, Hansen bei 
der Lepra (1880), Laver an bei der Malaria (1880), 
Frank el bei der infektiösen Pneumonie (1886), Kosen- 
b a c h beim Tetanus, Fehleisen beim Erysipel, E b e r t h 
beim Typhoid, Pfeiffer bei der Influenza (1892), Jäger 
bei der W e i l'schen Krankheit pathogene Lebewesen aut- 
finden und beschreiben konnten. 

Desgleichen wurden derartige Gebilde beim exanthema- 
tischen Typhus, Scharlach, bei Masern, Variola, Vaccine, 
Lupus, Syphilid, Lyssa u. a. m. beobachtet ; aber es konnte 
hier nicht der überzeugende Beweis geführt werden, dass 
sie in genetischen Beziehungen zu den erwähnten Krank- 
heitsprozessen stehen. Es zeigte sich, dass Bakterien ver- 
schiedener Art bei den einzelnen Leiden vorhanden sind, von 
denen ein Theil offenbar eine unschädliche Rolle spielt. 
Vielleicht üben auch diejenigen, denen pathogene Eigen- 
schaften zugeschrieben werden, nur unter bestimmten Be- 
dingungen, welche noch nicht erforscht sind, eine schädliche 
Wirkung aus ? 

Bei der Prüfung der kleinen Lebewesen ergaben sich 
manche Schwierigkeiten. Dieselben zeigten bisweilen, wie es 
schien, ein anderes Verhalten, wenn sie sich auf einem Nähr- 
boden ausserhalb des Körpers befanden, als innerhalb des- 
selben. Vor allen Dingen aber musste berücksichtigt werden, 
dass die Empfänglichkeit der einzelnen Thierarten für die 
verschiedenen Krankheiten keineswegs die gleiche ist, wie 
beim Menschen, und daher die durch die Uebertragung der 
Krankheitskeime bei den Thieren hervorgerufenen Er- 
scheinungen und anatomischen Veränderungen von den- 
jenigen abweichen, welche die Krankheitsbilder beim Men- 
schen darbieten. 

Diese Untersuchungen warfen nicht blos auf die Aetio- 
logie ein klärendes Licht ; sie gaben auch über das Wesen 
und die gegenseitigen Beziehungen einzelner Krankheiten 



— 37 — 

werthvolle Aufschlüsse. Man erkannte, dass Erysipel, Puer- 
peralfieber, Pyämie, Osteomyelitis aus derselben Krankheits- 
ursache entspringen, also nach dem ätiologischen Prinzip 
nicht Krankheiten verschiedener Alt, sondern nur verschiedene 
Aeusserungen des gleichen Leidens sind. Dasselbe Verhält- 
niss besteht zwischen der infektiösen Pneumonie und der 
epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Dagegen stellte sich 
heraus, dass der bisherige Begriff der Septicämie unhaltbar 
ist, da er keiner eint eitlichen Krankheit entspricht, sondern 
sich auflöst in mehrere ätiologisch und vielleicht aucb klinisch 
abgegrenzte Formen. 

Die Aetiologie der Krankheiten weist noch zahlreiche 
Lücken auf. Vom Bakteriologen erwartet sie die Antwort 
auf viele Fragen, die sie stellt. Seine Aufgaben sind nicht 
erschöpft, wenn er die pathogenen Mikroben und ihre Toxine 
für sämmtliche Infektionskrankheiten ermittelt ; er muss 
auch die örtlichen und klimatischen Verhältnisse, unter denen 
die Krankheitskeime gedeihen, die Ursachen der Widerstands- 
fähigkeit, welche einzelne Individuen dagegen besitzen, 
u. a. m. ergründen. Durch die Erfahrungen, welche man bei 
Epidemien sammelte, wie durch das pathologische Experiment 
ist festgestellt worden, dass die pathogenen Mikroben oder 
ihre Ausscheidungsprodukte nicht bei jeder Uebertragung 
Krankheiten hervorrufen. Sie sind also nicht im Stande, für 
sich allein die Entstehung und Verbreitung der ansteckenden 
Krankheiten zu erklären. 

Wenn Grawitz 121 ) darauf aufmerksam macht, dass 
Eiterkokken nicht ohne Weiteres Eiterungen erzeugen, son- 
dern dass in den thierischen Geweben bestimmte Bedingungen 
dazu vorhanden sein müssen, — wenn Pettenkofer und 
Emmerich sich zu dem Versuche entschliessen konnten, 
Kommabacillen der asiatischen Cholera in grösserer Menge 
zu geniessen und ausser einem leichten Magenkatarrh keine 
üblen Folgen davontrugen, so liegen darin beachtenswerthe 
Hinweise, dass mit der Entdeckung der pathogenen Mikro- 
organismen die Ursaenen der Infektionskrankheiten nicht er- 
schöpft sind. 

Die Arbeiten Pettenkofer's und seiner Schule 
haben gezeigt, welche Bedeutung die physikalische Be- 
schaffenheit des Bodens für die Entwicklung und Ausbreitung 
der Krankheitskeime besitzt. Die ärztlichen Erfahrungen 
lehren, dass durch Hunger und Leiden geschwächte Personen 



'") Charite-Annalen 1886, S. 777 u. ff. 



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den krankmachenden Einflüssen geringeren Widerstand zu 
leisten vermögen, als kräftige, gut genährte Leute, dass eine 
vernunftgemässe Lebensweise, die Vermeidun g von Exzessen, 
der Gebrauch eines gesunden Trinkwassers, der Aufenthalt 
an Orten mit reiner Luft u. a. m. einigen Schutz gegen Er- 
krankungen gewähren , dass also bei der Verbreitung 
der Krankheiten manche Dinge mitwirken, deren Beziehungen 
zu den pathogenen Mikroben noch unbekannt sind. 

Alle diese Fragen bedürfen gründlicher Unter- 
suchungen. Viel Zeit und Arbeit ist nothwendig, bis es mög- 
lich sein wird, die Frage der Entstehung und Verbreitung 
der Krankheiten nach allen Richtungen hin erschöpfend zu 
beantworten. 



Verlag von Moritz Perles. — Druck der k. Wiener Zeitung. — 95. Nr. 281. 



[*'«.» Collect: A. G KLEBS 



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Accession no.A q ts 
AuthorP" 301111131111 ' T 

Die Geschichte der 
Lehre von der 
Ansteckung. 1895. {J J. 

Call no.iiJc.f 



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