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MEDICAL LIBRARY
HISTORICAL
LIBRARY
COLLECTION OF
«U*. ^rwvvi uwvw,' Ulf J^,' V tuv JLi^ vuaA ^ e^JU^
St - 0. , c^,
Untersuchungen
über die
Wirkungsweise der Vaccination.
Von
Dr. med. J. Pohl - Pincns
in Berlin. _ ' "P\
Mit 4 lithographirteu Tafeln.
Berlin 1882.
Verlag von August Hirschwald.
NW. Unter den Linden
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort.
JJie hier folgende Arbeit behandelt innerhalb des Bereiches der
Vaccinationslehre die beiden Fragen:
Wie verläuft die locale Infection, bevor und nachdem der Or-
ganismus die Immunität gegen das Pockengift erlangt hat? und
In wie weit ist es möglich, aus der Verschiedenheit des Ver-
laufes der beiden localen Processe einen Einblick in die Wirkungsart
des inficirenden Giftes und in die Entstehungsweise der Immunität
zu erhalten?
Da die Veränderungen an den inficirten Geweben der Versuchs-
thiere die Basis für alle Erörterungen bilden, ergab sich für die
Darstellung die Noth wendigkeit, die einzelnen Schlussfolgerungen
vielfach Schritt für Schritt an die anatomischen Befunde anzu-
knüpfen.
Inhalt.
Seite.
Vorwort jjj
Methode und Technik \
Erster Abschnitt.
Die erste Impfung 13
Die ersten Veränderungen der Impfstelle. Mikroskopi-
scher Befund 40 Stunden nach der ersten Impfung. Drei Zo-
nen: speeifische Impfzone. Zone der trüben Schwellung, Zone
der Reizung. ■ — Die Wunde: ausnahmsweise daselbst unver-
sehrte Kerne von Rundzellen oder circumscripte Necrose.
Die speeifische Impfzone 9
Die unregelmässigen Figuren in derselben rühren sichor zum
grössten Theil von Retekernen her. Zuweilen erfolgt ein Durch-
bruch aus der Impfzone durch die Reizungszone in den Papillar-
theil der Cutis. S. 13. Eigenthümlich verdichtete Stellen im
Impfherd. S. 14.
Der untere Abschnitt des speeifischen Impfherdes 15
Vermehrung der säulenartigen Kernreste; Mikrokokkenhaufen und
Mikrokokkenballen; violette Färbung um die Mikrokokkenanhäu-
fungen ; Verhalten der normalen Cutis gegen Methylviolett.
Die Verhornung' des Impfherdes 18
Verhalten der normalen Cutis und des Impfherdes bei Doppel-
färbung mit Methylviolett und Pikrinsäure. Das Protoplasma des
Impfherdes zeigt sehr früh ein mittleres Stadium der Verhor-
nung und verharrt in demselben. S. 21.
Die primäre Necrose im Impfbezirk 22
Geringe Ausdehnung derselben ; in ihrer Nähe stets Mikrokokken
in Ballenform.
Die untere Grenze des Impfbezirks 26
Lockerung des Zusammenhanges zwischen dem centralen Theil
des Impfbezirks und dem darunter gelegenen bindegewebigen
Theil der Cutis.
Die Zone der trüben Schwellung , . . . 28
,Das Protoplasma der Zellen und der Kerne ist verdichtet. Locale
VI Inhalt.
Ischämie als mitwirkende Ursache. Allgemeine Bemerkungen zur
Coagulationsnecrose. S. 33.
Die Zone der Reizung . . 38
Anatomischer Befund bei einfacher, nicht-infectiöser Reizung ;
bei infectiöser Reizung 24 Stunden nach derselben; Unter-
schiede des Befundes im inneren und äusseren Abschnitt der
Reizungszone. Lückenbildung um den Kern. Die Skala Lei oir's.
Der fünfte Tag nach der Impfung . . . . . ... 44
Die verschiedenen Schichten der Impfzone. In der Reizungszone
Spaltbildungen im Protoplasma als Erweiterungen prä-
formirter Räume, vermuthlich Anfänge der Lymphräume.
S. 46. Auffrischung der Zone der trüben Schwellung. S. 49.
Zellen der Reizungszone von Variola ovina. S. 50 u. 56. Skala
der Reizungserscheinungen des Rete. S. 54.
Der achte Tag nach der Impfung . . . . ... 57
Mikrokokken in dichter Lagerung. Fortführung necrotischer
Massen durch die Lymphräume. Eigenthümliche Gebilde. An-
sammlung von Rundzellen. Die tieferen Schichten der Cutis bei
Variola ovina.
Kurze Darstellung des Gesammtverlaufs der ersten Impfung ... 61
Herabsetzung des Saftstroms als directe Wirkung der
Infection.
Die Mikrokokken . . . . . 66
Die Vermehrung derselben an bestimmte Localitäten gebunden.
S. 68. Diese Localitäten wechseln mit dem Vorschrei-
ten des Processes. Ein präformirter Gang unter der
innersten Auskleidung des Haarbalges. S. 70. Die Mikrokokken
bei der zweiten Impfung. S. 73.
Die Färbung der Mikrokokken . .73
Die Mikrokokken der Variola vaccina nehmen Protoplasma-
färbung an. Die Zooglöa bleibt höchst wahrscheinlich unge-
färbt; runde, violett gefärbte Figuren am achten Tage der
Impfung. S. 76. Die Mikrokokken der Variola ovina nehmen
Kernfärbung an. S. 78.
Das Verschwinden der Mikrokokken 78
Die bisher als Anfang der localen Erkrankung beschriebene
Knötchenbildung ist bereits ein vorgerücktes Stadium
des Processes. Warum bei Variola humana und ovina so oft
Mikrokokken nicht gefunden werden. Die absterbenden Mikro-
kokken scheinen aufzuquellen.
Die Bedeutung der Mikrokokken ... 84
In jeder Pockenlymphe finden sich ächte Mikrokokken. Die vor-
handenen Methoden genügen nicht zur vollständigen Feststellung
der Art und des Grades ihrer Einwirkung. Die Anschauungen
Beale's.
Inhalt. VII
Seite
Theorie der Infectiou .... 93
Schwierigkeit, die Anfangswirkung eines inficirenden Agens
festzustellen; Feststellung an einem frischen, durch Selbstinfec-
tion entstandenen Herde: die Zellen werden zerstört; hier-
bei sind die Mikrokokken wenigstens nicht unmittelbar be-
theiligt. — Zweite Wirkung des Impfgiftes: Herabsetzung
des Saftstromes. S. 97. Ungewissheit, auf welchem Wege
dieselbe zu Stande kommt. — Die Vermehrung des Giftes. S. 99.
Specifisches und septisches Gift. Contagions-Hypothese. S. 102.
— Variola vaccina und Variola ovina. S. 103. — Die Incu-
bation. S. 105. An den Mikrokokken lässt sich eine Entwick-
lung des Giftes zu einer „wirksamen Form' - nicht consiatiren.
Eine stufenartige Entwicklung des specifischen Impfgiftes ist we-
niger wahrscheinlich als eine allmälige Lösung der
Abspaltungsproducte des Rete oder eine Weiterent-
wicklung derselben.
Zweiter Abschnitt.
Die zweite Impfung ... ...110
Fünfzehn Stunden nach der zweiten Impfung . . . 110
In der Impfzone fehlen die Reactionen der Verhornung. Ort der
Mikrokokkenbildung. Die Zone der trüben Schwellung sehr schmal,
oft fehlend. Die Reizungszone mehr ausgedehnt und durch ihre
Gleichmässigkeit von der der ersten Impfung verschieden. Rund-
zellen bis in die tiefen Schichten der Cutis.
Vierzig Stunden nach der zweiten Impfung 114
Die verdichteten Stellen sind vermuthlich Einbruchsstellen des
Giftes in die Lymphgänge. In der Reizungszone Zellgruppen
mit feinen Kernfasern. S. 116. Verhalten von Kern und
Protoplasma gegen Farbstoffe bei den verschiedenen
Stadien der Entzündung. S. 119.
Ausgang des dritten Tages nach der zweiten Impfung 120
Der Impfbezirk enthält viele verhältnissmässig unversehrte Kerne.
In dem neugebildeten Rete zeigen die gefärbten Körnchen öfter
eine radiäre Anordnung. Besonderheiten der Reizungszone.
Aeusserst selten sind noch Mikrokokken vorhanden.
Kurze Darstellung des Gesammtverlaufs der zweiten Impfung . . . 123
Unterschiede zwischen den Erscheinungen der ersten u. zweiten Impfung 126
Die nothwendige Zwischenfrist zwischen beiden Impfungen. S.
128.
Dritter Abschnitt.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise einer Immunität . . 131
Die Anschauungen v. Nägeli's 132
Sie enthalten eine petitio principii : sie treffen nicht zu, weil die
VIII Inhalt.
Seite.
Hülfsmittel des normalen Körpers (Hyperämie und Entzündung),
welche gegen die nicht-infectiösen Eingriffe ausreichen, durch
die Infection ausser Wirksamkeit gesetzt werden; sie beweisen
zu viel, weil nach ihnen jede Infection von Immunität gefolgt
sein müsste..
Die Hypothese vom Verbrauch des Nährstoffs (Erschöpfungs-Hypothese) 130
Bedenken gegen den Pas teur'schen Grundversuch. Die Ver-
suchsergebnisse am lebenden Körper widersprechen der Hypo-
these ganz direct: die Immunität tritt ein, während die meisten
bezüglichen Zellen gar nicht „erschöpft" werden.
Die Hypothese vorn zurückbleibenden Stoff (Gegengift-Hypothese) . . 143
Sie führt zu unwahrscheinlichen Schlussfolgerungen. Stoffwechsel-
Producle der Mikrokokken. Der Körper exportirt diese Stoffe
leicht. An den Orten der primären und seeundären Necrose ge-
lingt es nicht, ein Absterben der Mikrokokken zu erkennen.
Die Hypothese von der Gewöhnung 146
Die Untersuchungen Rossbach 's. Unterschied der Anwen-
dungsweise der Versuchsgifte und der Einwirkung desContagiums.
Folgerung aus den Ergebnissen dieser Untersuchung 149
Die Herabsetzung des Saftstromes und die Verhornung (beide
kurz nach der ersten Impfung zu constatiren und beide bei der
zweiten Impfung fehlend) können als Ausgangspunkt einer Theo-
rie über die Entstehung der Immunität dienen. Es ist sicher,
dass bei der ersten Impfung an den für das Contagium
empfänglichen Körpertheilen alle diejenigen Organe
umgeprägt werden, welche Hyperämie und Entzün-
dung dieser Körpertheile vermitteln. Es ist ferner
wahrscheinlich, aber noch nicht sicher, dass diese
Körpertheile ausserdem noch eine andere ganz un-
mittelbare Umprägung erfahren, welche sie für die
erste chemische (zerstörende) Einwirkung des be-
treffenden Contagiums wenig empfänglich macht.
Bemerkung über die Gegner der Vaccination ] 54
Schlussbetrachtung 159
Erklärung der Figuren 1G1
Errata ... 164
lethode und Technik.
Die Versuche sind in folgender Weise angestellt worden:
Kälber wurden an der einen Brust- und Bauchseite mittelst
20 bis 25 Schnitten oder Stichen mit Vaccina geimpft; in den fol-
genden 10 Tagen wurden alle 12 Stunden je 1 oder 2 Impfstellen
herausgeschnitten, auf Kork ausgespannt und in absoluten Alkohol
gelegt. Der Alkohol ist unvortheilhaft für die spätere Untersuchung
der Structur einzelner Gewebstheile, aber er giebt die verhältniss-
mässig grösste Sicherheit für die Beurtheilung der Mikrokokken-
Verhältnisse in vivo und er fixirt doch zugleich für die nachfol-
gende Färbung manche Feinheiten der Kern -Structur, welche sich
diagnostisch verwerthbar erweisen.
Einige Tage, nachdem die Immunität gegen das Vaccinagift
eingetreten (am 12. bis 14. Tage nach der ersten Impfung) wurden
die Thiere in gleicher Weise an der anderen Brust- und Bauch-
seite mit Vaccina geimpft; die einzelnen Impfstellen wurden wie-
derum nach je 12 Stunden herausgeschnitten und in absoluten
Alkohol gelegt.
Ob die erste Impfung erfolgreich gewesen, lässt sich allein aus
ihrem Verlauf (auch bei einer gewissen Erfahrung auf diesem Ge-
biete) nicht mit Sicherheit schliessen; erst der Verlauf der zweiten
Impfung entscheidet hierüber.
Hat die erste Impfung Immunität erzeugt, so ist der Verlauf
der zweiten Impfung folgender: es entwickelt sich sehr rasch eine
Papel, aus dieser am Ende des ersten Tages oder am Anfang des
zweiten ein Bläschen, dessen Basis sich hart anfühlt; im Lauf des
dritten Tages schwindet diese Härte; am vierten bezeichnet nur ein
kleiner bräunlicher Schorf die Impfstellen: das Thier ist mit der
zweiten Infection fertig.
Auch diejenigen Thiere, bei welchen nach der ersten Impfung
Fiucus, Vaccinatiou. 1
2 Methode und Technik.
nicht deutliehe Bläschen entstanden, sondern früh Verschorfungen
eingetreten waren, zeigten nach der zweiten Impfung deutliche
Bläschenbildung; so dass selbst sehr erfahrene Impf- und Thier-
ärzte bei Betrachtung dieser Bläschen der zweiten Vaccination ver-
mutheten: die vorausgegangene erste Impfung sei erfolglos gewesen;
die Thiere erwiesen sich jedoch als (durch die erste Impfung) er-
folgreich vaccinirt*).
Die ausgeschnittenen Hautpartien wurden (in der Regel senk-
recht zur Oberfläche) mit dem Mikrotom in lückenlose Schnitte
zerlegt. Ich habe nach einigen Versuchen mit anderen Mikrotomen
zuletzt das von Fritsch construirte angewendet; dasselbe erfordert
die Einbettung der Objecte (in AVallrath etc.); hat man sich ein-
mal an diese kleine Unbequemlichkeit (im Verhältniss zum Gebrauch
der Amyloid-Leber) gewöhnt, so empfindet man dankbar die grossen
Vorzüge des von Fritsch construirten Instrumentes.
Ich suchte Anfangs nach markanten, auch makroskopisch er-
kennbaren chemischen Unterschieden zwischen den Hautstücken
der ersten und zweiten Impfung, indem icli kleine Hautstücke in
chemisch verschieden zusammengesetzte Flüssigkeiten legte. Diese
Versuche lieferten mir keine nennenswerthen Ergebnisse.
Ich suchte alsdann nach Färbungs- Methoden, welche bei der
einmal als nöthig angesehenen Härtung in Alkohol, einen näheren
Einblick in den jedesmaligen Zustand der Zellkerne und des Zell-
protoplasmas gewähren mochten. Die gebräuchlichsten Methoden:
starke wässrige Lösungen von Anilinfarben oder von Hämatoxylin,
das Picrocarmin, die Carminlösung nach Grenadier geben mehr
eine rasch orientirende Uebersicht über die Existenz und verschie-
dene Vertheilung der einzelnen Substanzen; hingegen kommen De-
*) Bei der Vaccination des Menschen genügen die „charakteristischen
Erscheinungen" des Jenner'schen Bläschens wohl zur Entscheidung der prac-
tischen Frage, ob man eine Impfung wiederholen solle oder nicht — hingegen
geben sie nicht die für die wissenschaftliche Verwerthung des Falles not-
wendige Sicherheit, dass die Immunität wirklich erreicht sei.
Dass bei vielen (im Uebrigen mit Umsicht und grosser Sorgfalt aus-
geführten) Versuchsreihen über Vaccination die Controlle der Nachimpfung
unterlassen wurde, macht eine sichere Schlussfolge aus diesen Versuchsreihen
unmöglich.
Methode und Technik. 3
tails, wie meines Wissens zuerst Ehrlich angegeben hat, klarer
heraus durch sehr schwache alkoholische Lösungen.
Unter den verschiedenen Färbungsmitteln wandte ich schliess-
lich nur Methyl violett und Picrinsäure an; ausnahmsweise Picro-
carmin. Die Stärke der Lösung muss sich richten nach der Thier-
gattung und dem Alter der Thiere. Für die Haut des Kalbes
ergab sich von Methyl violett am meisten geeignet: 40 bis 80 Tropfen
einer gesättigten alkoholischen Lösung auf 100 Grm. Aquae dest.
In der Lösung kann man die Schnitte wenige Minuten bis 24 Stun-
den liegen lassen; es erfolgt im letzten Fall keine Ueberfärbung,
im ersten keine ungenügende (nur müssen alsdann die folgenden
Manipulationen schnell beendet werden). Die nachfolgende Essig-
säure-Mischung nehme man schwach (1 bis 3 Tropfen auf 30,0 Aq.
dest.) und lasse die Schnitte nur kurze Zeit in ihr liegen; dass
man sie überhaupt nöthig hat, ist wegen der doch unausbleiblichen
Lösungen und Quellungen bedauerlich; insofern ist das von Wei-
gert*) empfohlene Bismarckbraun fehlerfreier: es gelang mir jedoch
nicht, mit dem Bismarckbraun verschiedene Nüancirungen heraus-
zufinden. Die von Neumann**) empfohlene Modifikation des
Picrocarmin habe ich erst nach Beendigung meiner Arbeit kennen
gelernt: sie verspricht bei dem hier erörterten Process Aufklärung
über die Zustände im Bindegewebe, welche ich mit anderen Fär-
bungsmitteln vielfach vergebens gesucht hatte.
Für das Methylviolett gestaltet sich das Färben und Einbetten
allerdings so complicirt, wie es vielfach angegeben ist: Auswässern,
Färben, Essigsäure, Aqua destiilata, Einschlagen in Fliesspapier,
zwei Schalen mit absolutem Alkohol, Nelkenöl, Balsam. Das meines
Wissens von Rindfleisch eingeführte kleine Hülfsmittel, die Prä-
parate in Fliesspapier einzufangen, um das nachfolgende Werfen
und Umschlagen im Alkohol zu verhüten, habe ich als ein sehr
dankenswerthes empfunden; wo ich, um Zeit zu sparen, dasselbe
unterliess, habe ich es hinterher vielfach bereut: gerade die feinsten
Präparate warfen sich und rissen bei den nachfolgenden Versuchen,
sie glatt zu bringen. Nur selten haben anhaftende Papierfasern
die Beurtheilung gestört. Eine Bemerkung gestatte ich mir noch:
*) Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 15.
**) Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 18.
4 Methode und Technik.
die Alkohol-Schälchen, in welchen die Präparate entwässert werden,
müssen sehr häufig frisch gefüllt werden; wo ich dies unterlassen
hatte, bekamen die Präparate eine diffuse Färbung, welche sie ganz
werthlos machte.
Es gelang mir nicht, Mikrokokken nach der von Weigert
und Koch*) angegebenen Methode (Ueberfärben und nachträg-
liches Auswaschen in Kali) allein gefärbt zu erhalten; Koch
bezeichnet das Verfahren als schwierig und zeitraubend; vermuth-
lich bedarf es noch einzelner technischer Kunstgriffe, auf welche
ich nicht kam. Häufig glückte es mir, die Mikrokokken allein zu
färben durch sehr kurzen Aufenthalt (1 — 2 Minuten) der Schnitte
in der Farbstofflösung und schnelle Absolvirung der nachfolgenden
Manipulationen.
Das günstige Urtheil von Koch über den Abbe'schen Beleuch-
tungs-Apparat für Bacterien-Präparate hat nunmehr wohl allgemeine
Zustimmung gefunden; der Apparat gestattet schon durch die rasch
erreichbare Modificirung der Lichtstärke eine Erkenntniss von De-
tails mittelst guter Trocken-Systeme (Zeiss D — F), die ohne ihn
nur mittelst Immersions-Systemen möglich ist; es tritt aber bei
solchen Arbeiten sehr oft die Notwendigkeit ein. ganze Reihen
von Präparaten mehrfach wieder durchzumustern.
Mikrokokken lassen sich bei einfacher Färbung, in Ballen-
und Alleeform mit den angegebenen Trockenlinsen ganz gut er-
kennen, bei Doppelfärbung (mit Methylviolett und Picrin) erfolgt
jedoch an den betreffenden Stellen oft eine starke Bräunung und
dann geben auch sehr gute Wasser- Immersions- Systeme nicht die
überzeugende Deutlichkeit des Bildes, welche die homogene Immer-
sion (Zeiss) liefert.
Für die Erkenntniss der Kerngerüst-Structur erwies sich Im-
mersion als nöthig, und hierfür erschien Wasser und Oel gleich
geeignet. Nur für die Zellen der „trüben Schwellung' - ergab die Oel-
Immersion wieder eine überzeugende Klarheit und Schärfe des Bildes.
Zur Auflösung feiner Farbennüancirungen, besondersjwo Vio-
lett und Blau über einander lagen (Mikrokokken über Kernen und
Kernresten), war diefOel-Immersion nur schwer zu entbehren.
*) Wund-Inl'ectionsliranliheiten. p. 39.
Methode und Technik. 5
Ein Thcil der hier mitgetheilten Versuche ist in der König-
lichen Thierarzneisehule zu Berlin angestellt worden , welche mir
durch die freundliche Bemühung des Herrn Professor Schütz zu-
gänglich geworden war. Der Director dieser Anstalt, Herr Geheim-
rath Roloff, hat mich hierbei auf das Zuvorkommendste geför-
dert. In einem Abschnitt der Versuche, als es mir nicht gelang,
hier in Berlin frische Präparate von Variola humana oder ovina
zu erhalten, hat Herr Professor Klein in London durch liebens-
würdige Uebersendung einer Serie seiner vorzüglichen Präparate
über Variola ovina mich aus grosser Verlegenheit befreit. Ich
spreche den verehrten Männern auch an dieser Stelle meinen
Dank aus.
Erster Abschnitt.
Die erste Impfung.
Die ersten Veränderungen der Impfstelle.
Die Impfverletzung zerstört eine kleine Anzahl Retezellen;
sie zerschneidet zugleich einige Saftbahnen: die Lymphe (zuweilen
etwas Blut) ergiesst sich über die durchstochenen aber auch in die
diesen zunächst benachbarten Zellen; der mit der Impfnadel im-
portirte Impfstoff dringt in die durchstochenen Saftbahnen und
Zellen, wird durch den Saftstrom zum Theil aus der Wunde wie-
der herausgespült, zum anderen Theil in die eröffneten Saftbahnen
und in die Retezellen hineingepresst.
Die kleinen Wundränder schwellen an, die weichen Zellen des
Rete erheblich mehr als die verhornten des Stratum corneum : das
Stratum corneum muss daher auf die unterliegenden Theile indirekt
eine stärkere Pressung ausüben, welche den importirten Impfstoff
weiter in die Nachbarzellen drückt. Ist die Impfverletzung sehr
flach oder folgt auf dieselbe unmittelbar eine etwas reichlichere
Blutung, so kann der ganze Impfstoff wieder herausgespült werden.
In den nächsten 6 — 12 Stunden nimmt die Schwellung der
Impfstelle zu und man kann dann in der Cutis eine kleine Härte
fühlen; diese gewinnt jedoch im Laufe der dann folgenden
24 Stunden keine grössere Ausdehnung, obwohl um diese
Zeit die mikroskopische Untersuchung bereits alle wesentlichen
Einzelheiten des Processes deutlich entwickelt zeigt; bei den
Darstellung derselben werde ich zugleich aus der vorhergehenden
Entwicklungsepoche diejenigen Daten angeben, welche beraerkens-
werth erscheinen.
Die erste Impfung. 7
Mikroskopischer Befund 40 Stunden nach der ersten
Impfung.
Die ganze veränderte Hautpartie hat, wenn die Impfung mit
einem einzigen Stich gemacht worden ist, die Ausdehnung von etwa
2 Mm.
Ungefähr im Centrum derselben, zuweilen jedoch mehr excen-
trisch (wie ich glaube: wenn kraftvoll entwickelte Haarbälge die
gleichmässige Ausbreitung des Giftes verhindern) befindet sich die
Impfverletzung (Fig. la.).
Die Verletzungsstelle wird von drei concentrisch gelegenen,
ungleich ausgedehnten Zonen umgeben:
1. zu innerst die Zone, in welcher die Zellen des Rete mehr
oder weniger zerstört sind und in welcher (wie Beobachtung und
Versuch ergeben) die Vermehrung des Giftes erfolgt: die speci-
fische Impfzone (Fig. 1, b. bis c, abwärts bis d.). Schon die
Betrachtung der (in so kleiner Vergrösserung gehaltenen) Fig. 1
zeigt, dass diese Zone aus zwei verschiedenen Abtheilungen besteht:
der inneren, sich unmittelbar an die Verletzung (a) anschliessen-
den, und den äusseren Flügeln (b. und c). Mit der vorschreiten-
den Entwicklung der Impfpustcln nehmen diese Flügel allmälig
eine dem Centrum immer mehr ähnliche Beschaffenheit an. Dies
veranlasst, die ganze Region zusammenzufassen, obwohl gewisse
Differenzen bis späterhin (nämlich bis zum Eintritt der seeundären
Necrose) bestehen bleiben;
2. die Zone der trüben Schwellung (Fig. 1, ee. und ff.);
3. die Zone der activen Reizung (Fig. 1, g. und h.).
Die Wunde.
An den Wundflächen und ihrer allernächsten Nachbarschaft
sind die Retezellcn stets zerstört: es gelingt nicht, unversehrte Zell-
kerne aufzufinden; es zeigen sich nur Kernreste; das Protoplasma
ist chemisch verändert: bei Anwendung von Methylviolett bekommt
man nicht eine schwachblaue oder violette Farbe, sondern eine
dunkelblaue oder blaugraue Färbung (nach meiner Meinung: Ver-
hornung).
Dieses Bild der Wundstelle gleicht in vielen Fällen dem der
8 Erster Abschnitt.
ganzen Impfzone; — in einem Theil der Fälle jedoch finden sich
folgende Differenzen:
1. Die Wundränder sind 12—24 Stunden nach der Impfung
angefüllt mit Rundzellen, welche in ihren Formen fast alle unver-
sehrt erscheinen (während in den übrigen Theilen der Impfzone
unversehrte Rundzellen nur in dem untersten Abschnitt (Fig. 1, d.)
vorhanden sind).
Eine solche Anfüllung der Wundränder mit unveränderten
Rundzellen scheint dann zu Stande zu kommen, wenn der Saft-
strom (von den unversehrten Theilen nach der Wunde hin) in mas-
siger Stärke längere Zeit nach der Verwundung anhält; in mas-
siger Stärke: bei der zweiten Impfung, bei welcher (wie später
ausführlich angegeben werden wird) der Saftstrom von vornherein
erhöht ist und bis zum Ablauf des Processes ununterbrochen er-
höht bleibt, habe ich diese Unversehrtheit nicht gefunden.
2. Es findet sich ausnahmsweise an den Wundrändern eine
circumscripte Necrose, etwa 24 Stunden nach der Impfung als
schmaler gelblicher Saum zu constatiren, alsdann ohne erkennbare
resp. färbbare Kernreste.
Bei einfachen, unvergifteten kleinen Wunden ist mir ein sol-
cher gelblicher Saum nicht begegnet; auch bei der zweiten Impfung
habe ich ihn nicht gefunden.
Wo er bei der ersten Impfung vorhanden war, zeigte das Ge-
webe neben und unter dem Impfherd den (später ausführlicher zu
beschreibenden) besonders niedrigen Grad der Hyperämie.
A 7 ielleicht ist diese Herabsetzung des Saftstromes Ursache der
Necrose.
Andererseits scheint jedoch auch die Impftechnik von Einfluss
zu sein: ob ältere Lymphe in dieser Weise wirkt, weiss ich nicht,
da ich stets frische Lymphe (vom fünften oder sechsten Tage)
verwendet habe; hingegen scheint die Richtung des Impfstiches im
Verhältniss zur Richtung der Haarbälge berücksichtigt werden zu
müssen; parallel den Haarbälgen verlaufen die Gefässe; ein Stich
schräg gegen die Haarbälge wird die Gefässe leichter treffen als
ein solcher parallel denselben; in den Haarbälgen verlaufen auch
Lymphräume (ich komme später hierauf zurück). Es war nun in
den angegebenen Fällen von Randnecrose der Impfstich schräg
gegen die Haarbälge gelegen; wenn der angedeutete Zusammen-
Die erste Impfung.
hang zutreffen sollte, würde die letzte Ursache wiederum die Herab-
setzung des Saftstromes sein.
Bekanntlich verhindert eine grössere Ausdehnung dieser
Necrose das Entstehen des spccifischen Processes (ebenso wie bei
anderen Infectionen).
Die specifische Impfzone.
Die Darstellung gewinnt an Kürze und Uebersichtlichkeit, wenn
ich von einem in der angegebenen Weise mit Methylviolett gefärbten
Präparat ausgehe:
In einem solchen Präparat hebt sich die ganze Zone (Fig. 1,
b. a. c. d.) scharf von ihrer Nachbarschaft ab: sie erscheint himmel-
blau; diese Gesammtfärbung entsteht dadurch, dcss der schwach
blaugrau gefärbte Grund dicht erfüllt ist von hellblau gefärbten,
unregelmässig gestalteten Figuren von 2 bis 4 //., ausnahmsweise
bis 6 fi>. Grösse.
Nach der äusseren Oberfläche zu wird die Zone begrenzt von
einem dunkelblauen Streifen (vollständige Verhornung des Strat.
corneum), dessen Breite verschieden ist: bei der ersten Impfung
(Fig. 12a) erheblicher, bei der zweiten Impfung geringer, zuweilen
bis zum Verschwinden (Fig. 13 a.). Nach dem Bindegewebe zu
zeigt die Zone in ihrem mittleren Theil eine blau-violette Verdun-
kelung (Fig 11.), welche durch einen Complex von Vorgängen be-
dingt ist (Mikrokokken -Vermehrung; Entstehung der primären
Necrose).
In der Uebersichts- Figur 1 zeigt die obere Grenzlinie den
obersten Rand des Stratum corneum,
b. a. c. d. die spezifische Impfzone,
d. die Stelle, an welcher das Bindegewebe an die Zone
heranreicht.
ee., ff. Zone der trüben Schwellung, von den Flügeln der
Impfzone überdeckt,
g. und h. Zone der activen Reizung.
10 Erster Abschnitt.
Die unregelmässigen Figuren der Impfzone.
Was bedeuten die anregelmässigen Figuren, welche den grössten
Theil dieser Zone erfüllen (Fig. 2 a., 5 a., 7 und 8 a. und c, 10a.,
14 und 15 a.).
Sie sind von sehr vielen Autoren gelegentlich erwähnt, zuletzt
von Unna*) ausführlich behandelt.
Es herrscht Uebereinstimmung darüber, dass sie Kernreste
darstellen; die älteren Autoren deuten sie als Zerfallsprodukte der
Zellkerne in loco; die neueren leiten sie nur von eingewanderten
Rundzellen ab; E. Klein**) vermuthet ihre Entstehung aus beiden
Quellen; Unna kehrte zu der Anschauung der älteren Autoren
zurück.
Bei Anwendung der angegebenen Färbung und einer Oel-
Immersionslinse kann man Folgendes feststellen:
1. Ein Theil dieser Körper hat eine säulenartige Gestalt
(Fig. 2c); die seitliche Begrenzung der Säule ist unregelmässig;
die Säule ist durch ihre ganze Dicke gleichmässig gefärbt;
auch bei stärkster Vergrösserung gelingt es nicht, im
Innern derselben auf eine weniger gefärbte, lichte Stelle
zu kommen. In einzelnen Fällen findet man diese Säulen in
einer gewissen Entfernung von einer Hülle umgrenzt, die nach
ihrem Umfang die Grösse eines Kernes der Retezellen hat; hat
man einen solchen Schnitt erst mit Methylviolett dann mit Picrin-
säurc gefärbt, so behält die Hülle ihre blaue Farbe (Fig. 2d.):
solche Bilder finden sich nur au der Grenze zwischen dem spezi-
fischen Herd und der Reizungszone.
Die gleichmässige Färbung durch die ganze Dicke des Gewebes
spricht für die Gleichmässigkeit der chemischen Beschaffenheit des-
selben; eine solche Gleichmässigkeit darf man eher an den fädigen
Theilen der einzelnen Kernfiguren voraussetzen; bei den Rundzellen
kommt eine solche Gleichmässigkeit nur ausnahmsweise vor: diese
Ausnahmsfälle werden gleich erwähnt werden.
*) Unna, Anatomie der Blasenbildung. V.-Schr. für Dermatol. u. S.
1878. p. 1.
**) E. Klein, Phil. Transact. 1874. Die ausgezeichneten Untersuchun-
gen dieses Autors sind auf dem Continent fast nur in dem Auszuge bekannt
geworden, welchen das Mikrosk. Journ. enthalt, nicht in der ausführlichen
Darlegung der Philos. Transact.
Die erste Impfung. 11
Nach diesen Befunden halte ich den Schluss für gestattet,
dass die säulenartigen Körper von den Kernen der Rete-
zellen abstammen.
(Ich will gleich hier erwähnen: unter anderen Verhältnissen
als denen der Impfzone, zerfällt der Kern der Retezellen in an-
dere Formen (Fig. 9, b. und c).
2. Es finden sich ferner rundliche Körper, theilweise mit ganz
kreisrunden Contouren, theilweise halbrund abgestumpft, einzeln
oder zu zweien oder dreien zusammenhängend ; bei sorgfältiger Ein-
stellung gelingt es, in dem Innern eines jeden eine lichte
Stelle aufzufinden; sie sind also nicht in ihrer ganzen Dicke
gefärbt; sie haben, wo sie kreisrund oder annähernd kreisrund sind,
genau die Grösse der Kerne der Rundzellen im benachbarten Bin-
degewebe.
Es liegt hiernach die Annahme nahe, dass diese Körper
Kerne von Rundzellen sind oder von solchen herstammen.
3. Es finden sich endlich gemischte Formen: Säulen mit -da-
ran haftenden Rundzellbruchstücken.
Ueber die Entstehung dieser verschiedenen Körper darf dies
vermuthet werden: die giftige Verletzung ist ein starker Reiz für
die Zellen; diejenigen, in welchen das Leben nicht sofort erlischt,
gerathen in Wucherung, welche jedoch (wegen der Vergiftung) nicht
auf dem physiologisch vorgezeichneten Wege sich vollzieht; Proto-
plasma und Kerne verlieren ihre Integrität und der auf die Ver-
letzung unmittelbar folgende und eine kurze Zeit hindurch an-
dauernde Saftstrom zerstückelt die Kerne. In den Kernen wuchern-
der, lebenskräftiger Retezellen findet sich in den Fadenfiguren
die Säulenform bereits erkennbar angedeutet (Fig. IIa.). Je stär-
ker der Saftstrom, desto intensiver die Zerstückelung der Kerne,
desto seltener deutliche Säulen; daher finden sich, wie ich hier
vorgreifend erwähnen will, bei der zweiten Impfung lauter kleine
Bruchstücke (Fig. 13.).
Die grösseren Formen bei der ersten Impfung werden bedingt
durch die verhältnissmässige Geringfügigkeit des Saftstromes und
durch die (später ausführlicher zu erörternde) schnell eintretende
Verhör nung des Protoplasmas, welche der Circulation grössere
Hindernisse entgegenstellt.
Die Kerne der in den Impfbezirk eintretenden weissen Blut-
12 Erster Abschnitt.
körperchen, zur Theilung angelegt oder schon in Theilung begriffen,
werden in ihren Contouren (die im dicht benachbarten Bindege-
webe scharf umrissen sind) durch das Andrücken gegen einander
oder gegen die Kernreste der Retezellen beeinträchtigt und so ent-
stehen die Bruchstücke. Oft genug mögen die Reste beider Kern-
arten an einander gepresst werden und so für die Bildung der ge-
mischten Formen Grundlage geben.
Ich halte übrigens für möglich, dass die Formen dieser Körper
(unter gleichen Eingriffsbedingungen) auch durch die Thiergattung
mit bestimmt werden. Unna fand beim Menschen hauptsächlich
„wurstförmige" Bildungen; er schildert ausserdem eine Figur, die
er als , Kernband" bezeichnet; ich |habe eine solche Figur beim
Kalbe und beim Schafe nicht gefunden; es kann auch dies sehr
wohl mit der Thiergattung zusammenhängen.
Wie angeführt haben bei ein und demselben Thier und dem-
selben Organ (Cutis) die jedesmaligen Lebens- und Circulations-
Verhältnisse auf die Zerfallsformen wuchernder Kerne Einfiuss;
Fig. 9. zeigt bei b. eine starke Aufblähung des Kernes und bei c.
die weiteren, dem Anschein nach aus einem solchen geblähten Kern
entstandenen Bruchstücke.
Ausnahmsweise fehlt jene Gleichmässigkeit der physikalisch-
chemischen Beschaffenheit in den fädigen Figuren; wie es scheint:
im ersten Anfang der Reizung, oder bei Reizung unter abnorm
starkem Säftezufluss (z. B. bei den Anfangsstadien der zweiten
Impfung); hier scheint innerhalb der Fäden -noch eine besondere
Differenzirung des Gewebes erfolgt zu sein: man kann wenigstens
bei vorsichtiger Färbung in einzelnen Fäden deutliche Differenzen
der Färbungsintensität erkennen. Andererseits zeigen die Kerne
von Rundzellen innerhalb der Zone der Gerinnungsnecrose oder in
Regionen, welche bereits in mittleren Stadien des Verhornens sich
befinden, eine völlig gleichmässige Färbung durch ihre ganze Dicke.
Ich komme auf diese Frage noch einmal kurz zurück (p. 20).
Die Impfzone^grenzt, wie angegeben, nach aussen an die Zonen
der trüben Schwellung und der Reizung, Mie Zellen dieser beiden
Die erste Impfung. 13
Zonen bilden in der Regel gegen die Impfzone einen nicht unter-
brochenen Wall.
Zuweilen jedoch zeigt sich in diesem Wall eine Lücke: diese
findet sich dann stets jenseits der Zone der trüben Schwellung, in
der Zone der Reizung (Fig. li.).
Die Lücke entsteht dem Anschein nach dadurch, dass der
Saftstrom (aus irgend einem Grunde, über welchen ich Nichts zu
sagen weiss) eine grössere Intensität hat, und an der Stelle des
geringsten Widerstandes aus dem Impfbezirk bis in das Binde-
gewebe hinein durchbricht. Man kann auch umgekehrt den Durch-
bruch von dem bindegewebigen Theil der Cutis ausgehend sich
vorstellen: es finden sich nämlich dicht unter dem Durchbruch
sehr viele Rundzellen, welcher Befund nicht eindeutig ist.
Ich habe einen solchen Durchbruch stets nur auf einer Seite
des Präparates gesehen.
Ich habe ferner bei meinen Versuchen solche Durchbruchs-
lücken nur dann gefunden, wenn mit einem einzigen Stich geimpft
worden war; nicht wenn mit Schnitt oder Kreuzschnitt.
Bezüglich der Wirkung eines solchen Durchbruchs auf die
weitere Entwicklung der Pocken kann ich Folgendes anführen:
1. Auf der Seite des Durch bruchs entwickeln sich die Mikro-
kokken (über welche weiterhin im Zusammenhange berichtet wer-
den wird) gar nicht oder nur sehr spärlich; auf der entgegenge-
setzten Seite reichlich, zuweilen in solcher Dichtigkeit, dass sie
40 — 48 Stunden nach der Impfung in den centralen Schnitten den
dritten Theil der betreffenden unteren Impfzone erfüllen.
2. Unterhalb des Durchbruchs im Bindegewebe sammelt sich,
wie angegeben, etwa 48 Stunden nach der Impfung eine grosse
Anzahl Rundzellen an, während sie an allen übrigen Stellen des
Schnittes (um diese Zeit) nur in sehr geringer Zahl vorhanden
sind. Der bindegewebige Theil der Cutis macht an dieser Stelle
bezüglich des Fluxionsgrades denselben Eindruck wie die zweite
Impfung.
Der Durch bruch erfolgt innerhalb der ersten 24 Stunden nach
der Impfung; eine genauere Zeitbestimmung kann ich nicht an-
geben.
14 Erster Abschnitt.
In jedem Impfherd findet sich in den Seitenflügeln der Impfzone,
an der unteren Grenze derselben, eine besonders oharakteri-
sirte Stelle (Fig. 1, k.), sie hat stets eine länglich ovale Form (die
Längsrichtung: der Oberfläche der Haut entsprechend) und liegt
unmittelbar über den Zellen der trüben Schwellung oder auch,
etwas nach aussen von diesen, auf den ersten Zellen der Reizungszone.
Zuweilen finden sich mehrere solcher Stellen in jedem Flügel
der Zone.
Diese Stellen liegen immer unmittelbar auf dem oberen Rande
eines Haarbalges; sie werden an der einen Seite vom Haar selbst
begrenzt (umfassen also diejenigen Zellen des Haarbalges, welche
ursprünglich in die Zone hinein reichten), auf der anderen Seite
reichen sie gewöhnlich bis in die Nähe des benachbarten Haarbalges.
Bei der angegebenen Färbungsmethode erscheinen sie stets
dunkelblau; diese tiefe Färbung hat eine doppelte Ursache: das
ganze Grundgewebe hat eine gleichmässig dunkel-blau-graue Farbe
angenommen und in ihm finden sich, ziemlich dicht gedrängt, inten-
siv dunkelblau gefärbte Formen, theils nach Umriss, Grösse und
lichten Stellen in ihrem Innern Kerne (oder getheilte Kerne) von
Rundzellen — theils grössere runde Formen, in ihrer Ausdehnung
zwischen Kernen von Retezellen und solchen von Rundzellen stehend,
an ihrer Oberfläche so intensiv gefärbt, dass ich bei bester Beleuch-
tung nicht entscheiden konnte, ob sie durch ihre ganze Dicke gleich-
massig gefärbt seien oder nicht — endlich ausnahmsweise und
dann zugleich spärlich : Säulenreste, gleichmässig durch ihre ganze
Tiefe gefärbt.
Bezüglich der Bedeutung dieser Figuren hat sich mir allmälig
die Vermuthung gebildet: sie stellen den Anfang der Lymph-
gefässe dar, in welchen das Impfgift hineingerathen ist; — die
säulenartigen Reste der Kerne sind an diesen Stellen sehr selten,
d. h. die Kerne sind fast ganz zerstört — ferner ist, wie die tief
blau-graue Färbung beweist, die Verhornung der benachbarten Zellen
des Haarbalges und des Rete weit vorgeschritten. Beides zeigt,
dass hier eine grosse Intensität der Giftwirkung vorliegt; diese
würde sich an den Wurzeln der Lymphräume durch den steten Im-
port kleiner neuer Giftmengen aus dem Impfherde erklären. Es
ist ferner erwiesen (Fig. 7 und 8 f.), dass in den Haarbälgen das
flüssige Impfgift und die Mikrokokken nach der Tiefe fortgeleitet
Die erste Impfung. 15
werden. Eine weitere Veränderung dieser Stellen, welche für meine
Vermuthung spricht, habe ich bei der Darstellung der zweiten
Impfung erwähnt.
Der untere Abschnitt des specifischen Impfherdes.
(Fig. 1 1.)
In dem unteren Theile des centralen Abschnittes der Impf-
zone (Fig. 1, 1.) vollzieht sich die charakteristische Entwicklung des
specifischen Processes.
Die Concentrirung desselben an dieser Stelle drückt sich ana-
tomisch durch folgende Befunde aus:
1. Man findet eine sehr grosse Anzahl von Säulen; wo man
bei einer Schnittserie auf verhältnissmässig dicht gedrängte, durch
die ganze Dicke gleichmässig gefärbte Körper trifft, da darf man
in der Regel darauf rechnen, dicht am Sitz der specifischen In-
fection zu sein. In Einzelfällen finden sich statt der Säulen fast
gleichmässig dreikantige Formen, die ebenso tief gefärbt sind,
in ihrem Inneren aber noch eine hellere Partie zeigen. Ich weiss
nicht, ob sie von Rundzellen oder anderen Gebilden abstammen.
Wodurch die Dreikantung bedingt wird, weiss ich nicht: die
Formen liegen bequem neben einander; es ist möglich, dass sie in
den ersten Stunden nach der Impfung in eigenthümlicher Weise
aneinander gepresst waren und durch die dann folgende Quellung
des ganzen Raumes wieder von einander entfernt wurden. Aehn-
liche dreikantige Körper sind in epithelialen Organen bei verschie-
denen acuten und chronischen Processen beschrieben worden, ohne
dass indess die Autoren sich über die Entstehung dieser eigenthüm-
lichen Formen geäussert haben.
Die Färbung dieser dreikantigen Körper im Impf-
raum ist blau.
2. Es finden sich daselbst stets Mikrokokken, theils vereinzelt,
theils in grossen nicht scharf umschriebenen Haufen (in einer
Ausdehnung von 20 (i. und darüber), theils in ganz scharf um-
schriebenen Ballen von runder oder ovaler Form und der Grösse
der Kerne des Rete.
Ihre Färbung ist violett.
16 Erster Abschnitt.
3. Zwischen den Mikrokokkenhaufen finden sich ganz scharf
umrandete Säulen von 5 j*. Länge und 2 (i. Breite, in der Regel
an dem einen Längsende zugespitzt; sie liegen oft in Reihen von
3 bis 8 Stück hinter einander; das Zwischengewebe zwischen ihnen
ist vollständig ungefärbt und etwa ebenso breit und lang wie sie
selbst. Sie entsprechen nach Grösse und Form den Kernen der
Huxley'schen Schicht der inneren Wurzelscheide des Haarbalges;
in vielen Fällen ist es mir allerdings nicht gelungen, Haarbälge
neben ihnen zu finden; allein bei den vielfach sehr dünnen Schnitten
ist es immerhin denkbar, dass die anderen Theile des Haarbalges
nicht mitgefasst waren.
Andererseits verlangt unsere Unbekanntschaft mit den genaue-
ren Verhältnissen der Mikrokokken, dass jede im Impfherd ge-
fundene auffällige Form angeführt werde.
Nun ist die Färbung dieser Formen violett; allein es
gelingt nicht, bei Oel-Immersion und vortrefflicher Beleuchtung eine
Spur von Körnung oder sonstiger Structur an diesen Figuren zu
finden, während die dicht daneben liegenden Mikrokokkenballen
ihre Körnung schon bei einer guten Trockenlinse erkennen lassen.
4. Wo die Mikrokokkenhaufen oder -Ballen in grösserer An-
zahl nahe bei einander liegen, sind sie von einem Hofe umgeben,
welcher, gleich ihnen selbst, violette Farbe zeigt. Die
äussere Umgrenzung dieses Hofes ist ganz unregelmässig; sein
Uebergang in die benachbarte blaue (vorgeschrittenere Verhornungs-)
Region in der Regel nicht scharf; bei grösserer Dichtigkeit der
Mikrokokkenballen ist die ganze Grundsubstanz, welche zwischen
ihnen liegt, violett gefärbt, die Intensität der Färbung ist jedoch
in diesem Falle in der Nähe eines grossen Ballens stets noch ver-
mehrt. Auch in einem solchen Präparat finden sich einzelne Ballen
oder Haufen, die von einem vollständig ungefärbten Hofe
umgeben sind. Handelt es sich um eine Pocke, bei welcher von
der Impfzone ein Durchbruch durch die Retezellen der Reizungs-
zone erfolgt ist, so kann die ganze eine Hälfte des Schnittes blau
(frei von Mikrokokken) erscheinen, die andere Hälfte violett. Ist
die Farbengrenze beider Hälften scharf ausgesprochen, was zuweilen
vorkommt, so wird sie stets durch ein Haar gebildet.
Was bedeutet diese diffuse violette Färbung?
Es ist längst bekannt, dass bei Färbung von Hautschnitten
Die erste Impfung. 1?
mit stärkerer wässeriger Lösung von Methylviolett die Huxley-
sche Schicht der inneren Wurzelscheide des Haarbalges eine violett-
röthliche Färbung zeigt; einzelne Autoren berichten auch von einer
ähnlichen ab und zu auftretenden Färbung an den obersten Schichten
des Rete Malpighii.
Bei Anwendung der schwachen alkoholisch-wässerigen Lösung
(bei welcher das Violett der Huxley'schen Schicht in der Regel
prägnant hervortritt) erscheint nur selten auch unter dem Stratum
corneum der Cutis ein violetter Streifen; man kann zuweilen eine
grosse Anzahl Präparate (von normaler Cutis) durchsuchen,
ohne je einmal den violetten Streifen zu finden; derselbe bezeichnet
also entweder einen krankhaften oder einen zwar normalen, aber
sehr schnell vorübergehenden Zustand des Gewebes. Wo er sich
findet, liegt er an der unteren Grenze des Stratum corneum. In
manchen Fällen gelingt es, in diesem Streifen Details so genau zu
erkennen, dass eine Deutung gestattet erscheint; man sieht dann
Folgendes:
Die obersten, der Haut parallel gehenden langgestreckten
schmalen Kerne sind an einzelnen Stellen (ausnahmsweise in ihrer
ganzen Länge) violett und zugleich dunkler gefärbt; von diesen
dunklen Centralpunkten erstreckt sich die Färbung, schwächer wer-
dend und allmälig sich verlierend, in die (blaue) Nachbarschaft.
Es liegt die Vermuthung nahe, dass dies mit dem Verhornungs-
process zusammenhängt; die Figuren wären dann so zu deuten,
dass eine letzte, innige, mechanische und chemische Verschmelzung
zwischen Kern und Protoplasma erfolgt und dass die chemische Um-
wandlung (bei welcher beide Materien von ihrer specifischen Eigen-
thümlichkeit ablassen und zu einer dritten werden) vom Proto-
plasma aus activ eingeleitet wird: das bereits verhornte Proto-
plasma zieht den Kern in seine chemische Qualität hinein, denn die
violette Färbung des Kerns bedeutet ein Zwischenstadium vor der
vollendeten Verhornung. (Ich gestatte mir hier nochmals die
Bemerkung, dass für diese Objecte die Anwendung der besten opti-
schen Hülfsmittel sich empfiehlt, weil sonst die blaugraue Farbe
des Stratum corneum die feinen und auch schwächer gefärbten
violetten Ausläufer der Kerne überdeckt.)
Diese Beobachtungen an der normalen Cutis des Kalbes darf
man für die Deutung der vorher angeführten Befunde der lmpf-
Fincus, Vaccination. o
i8 Erster Abschnitt.
zone verwenden: es werden nach meiner Meinung (durch die Ent-
wicklung der Mikrokokken, oder durch den mit ihnen und neben
ihnen importirten flüssigen Impfstoff, oder durch eine weitere Ent-
wicklung dieses Impfstoffs) die Zellreste der Impfzone zu einer
schneller sich vollziehenden Verhornung übergeführt.
Der Grad dieser Verhornung ist in den verschiedenen Ab-
schnitten der Pocke verschieden.
Die Veihoi nun g des Impfherdes.
Färbt man Schnitte normaler Cutis (in der angegebenen
Weise) mit Methylviolett, wäscht sie dann aus, legt sie in eine
annähernd gesättigte Lösung von Pikrinsäure (etwa 30 Minuten lang),
wäscht dann so lange aus, bis die Präparate im Ganzen für
das blosse Auge blaugrau erscheinen und schliesst dann in gewohnter
Weise ein (absoluter Alkohol, Nelkenöl, Balsam) so hat man eine
bestimmte, in den verschiedenen Präparaten annähernd
gleichmässige Färbung, welche jahrelang vollständig unverändert
sich erhält.
Bei dieser Doppelfärbung bekommen nun diejenigen Theile
eine gelbbraune Färbung, welche durch das Methylviolett zuerst
blau oder graublau tingirt waren und dann eine verhältniss-
mässig grössere Menge Pikrin aufnahmen — hingegen diejenigen eine
pensee-violette Färbung, welche durch das Methyl zuerst violett
tingirt waren und dann eine verhältnissmässig nur geringe Menge
Pikrin aufnahmen.
Wäscht man nicht hinreichend aus oder hat man die Präpa-
rate viele Stunden im Pikrin gelassen, so nehmen auch die Stellen
der zweiten . Kategorie eine gelbbraune Farbe an.
Da nun aber die Intensität des Auswaschens sich nicht gleich-
massig regeln lässt, die einzelnen Schnitte doch auch eine ver-
schiedene Dicke und verschiedene mechanische Zusammensetzung
haben, kann man streng genommen immer nur die verschiedenen
Stellen ein und desselben Schnittes unter sich vergleichen,
nicht die verschiedenen ganzen Schnitte gegen einander. Dies nöthigt
zu einer grösseren Reserve des Urtheils.
Bei überfärbten oder nicht genügend ausgewaschenen Schnitten
Die erste Impfung. 19
erscheint gelbbraun das ganze Stratum corneura der Cutis, ein-
schliesslich desjenigen Theiles desselben, welcher sich in den ober-
sten Abschnitt des Haarbalges hineinsenkt. Bei länger fortgesetz-
tem Auswaschen geht alles Pikrin aus den obersten und alles
Methylviolett aus den untersten Schichten des Stratum corneum
fort, es bleiben beide Farbstoffe nur noch in der mittleren
Schicht, wo ein schmaler gelbbrauner Streifen zwischen (nach
oben) schwach blau und (nach unten) gelb gefärbten Partien verläuft.
Es erscheint nun ferner nach dieser Doppelfärbung (an solchen
Präparaten, welche zur Deutung geeignet sind):
gelb der Haarschaft und das Stratum lucidum —
pensee-violett die innere Wurzelscheide des Haarbalges und
zwar die äussere Schicht derselben heller, mehr blau-violett; die
innere dunkler, mehr roth-violett —
blau (mit einer Zumischung von grau) die Kernfigur und
die Kernmembran der Zellen des Rete, der Haarbalgmuskeln, des
ganzen Haarbalges (mit Ausnahme der inneren Wurzelscheide), der
Talgdrüsen, der Bindegewebs- und Gefässzellen.
Es verdient erwähnt zu werden, dass die Schärfe der fädigen
Kernfiguren durch die doppelte Manipulation nicht beeinträchtigt ist.
Das Protoplasma der Zellen des Rete ist sehr schwach
blaugrau gefärbt.
Wendet man diese Doppelfärbung auf Pockenschnitte, 24 Stun-
den nach der Impfung, an, so erscheint die ganze Impfzone gelb-
braun; es ist mithin das ganze Gewebe (die Kerntrümmer, die we-
nigen fast unversehrten Kerne, das Protoplasma) in einen mittleren
Verhornungsgrad übergeführt worden.
Die genaue Prüfung mit starker Immersionslinse ergiebt fol-
gende Details:
Die ganz zu oberst liegende Schicht des Stratum cor-
neum hat kein Pikrin behalten: sie ist rein blaugrau. Die in ihr
oft vorhandenen Mikrokokken und Mikrokokkenhaufen sind intensiv
dunkel blaugrau gefärbt.
Der nun folgende Theil der Zone ist etwa bis zur Hälfte
oder mehr bei Ueberfärbung tief dunkelbraun, bei gelungenen Prä-
paraten pensee-violett gefärbt; der darunter liegende Rest
2*
20 Erster Abschnitt.
der Zone: strohgelb (wie ein benachbartes Haar oder etwas
dunkler als dieses): dann folgt gleich das Bindegewebe.
Es gelingt nicht, an den Kernresten der Zone eine Spur von
blauer Farbe zu finden (das Blau ist völlig verdeckt): sie erschei-
nen als dunklere Figuren in der verhältnissmässig heller gefärbten
Grundsubstanz (dunkelbraun, beziehentlich pensee-violett).
Die früher (p. 14) in dem unteren Theil dieser Zone beschrie-
benen eigentümlichen Stellen (Fig. 1, k.) sind stets ebenso inten-
siv und in gleicher Nuance gefärbt wie die oberen Abschnitte der Zone.
Die in den mittleren und unteren Abschnitten der Zone be-
findlichen Mikrokokken erscheinen in gelbbraunen Präparaten
tiefblaugrau, in pensee-violetten blau-violett.
Die Rundzellen des benachbarten Bindegewebes sind blaugrau
und lassen in ihrem Inneren sehr deutlich eine lichte Stelle erken-
nen. An der Grenze zwischen dem Gelb des unteren Abschnittes
der Zone und dem Blau des Bindegewebes lässt sich im verhält-
nissmässig schwachblauen Bindegewebe das Tiefblau des Rund-
zellenkernes deutlich abgrenzen; in dem dicht daranstossenden Gelb
der Zone ist am Kern der dort befindlichen Rundzellen keine Spur
von Blau mehr zu erkennen, während allerdings die lichte Stelle
in seinem Inneren auch dann noch sehr deutlich erscheint.
Dies Detail bezüglich der Rundzellen gestatte ich mir u. A.
auch darum anzuführen, weil ich mich überzeugt habe, dass die
Rundzellen ihr physikalisches Verhalten und ihre chemischen Reac-
tionen ziemlich schnell verändern können, je nach der Natur des
Gewebes, in welchem sie sich befinden; von E. Neumann ist aus
dem Befund normal grosser Eiterkörperchen an der eiternden Wunde
eines Mannes, dessen Blut abnorm kleine weisse Blutkörperchen
zeigte, diese Grössendifferenz als Argument gegen die Auswande-
rungstheorie hergeleitet worden; es spricht jedoch von vornherein
Nichts gegen die Möglichkeit, dass die im Blut kleinen Körper
nach kurzem Verweilen an der eiternden Fläche quellen.
Bezüglich der Zellen der Gerinnungsnecrose (ich will dies schon
hier erwähnen) hat Weigert bei der Entdeckung dieses Zustandes
bereits die gelbe Färbung derselben durch Pikrin festgestellt; bei
dem oben angegebenen Verfahren gelingt es in der Regel, durch
die verschiedene Intensität des Tons (trotz der Verhornung im Be-
reich der Impfzone) die beiden Zonen (des Impfherdes und der
Die erste Impfung. '2 1
trüben Schwellung) von einander abzugrenzen, welche beide (wie
bald erwähnt werden wird) als zur Coagulationsnecrose gehörig
betrachtet werden können.
Ausdrücklich muss ich hier am Schluss doch sagen, dass die
Anwendung der Pikrinsäure mehr über die groben Umrisse Aus-
kunft giebt als über feine Details; man wird daher das Pikrin
immer nur zur Controlle gebrauchen; schon bei massiger Uebung
wird man bei Anwendung von Methylviolett allein die Uebergänge
von Blaugrau, Blau und Violett zur Deutung des Stadiums der
Verhornung verwenden können. Das Pikrin übertüncht mit grobem
Pinsel; Methylviolett giebt feine Nuancen.
'Es besteht mithin nach den hier angeführten Befunden kein
Zweifel, dass der Impfprocess die Zellen des getroffenen
Rete sehr schnell zur Verhornung führt.
Die Detailbeobachtung' zeigt nun, dass dasjenige Zwischen-
stadium der Verhornung, welches bei normaler Haut nur aus-
nahmsweise gefunden wird und welches man daher jedenfalls für ein in
der Norm sehr schnell vorübergehendes halten darf, im Impfbezirk
stets in grosser räumlicher Ausdehnung und in grosser
zeitlicher Andauer vorhanden ist. Es schreitet «also im
Impfherd die an sich sehr schnell eintretende Verhor-
nung nicht bis zu den letzten Graden vor, sondern ver-
harrt auf einer Uebergangsstufe; und es bleibt, wie ich gleich
hier erwähnen will . diese Uebergangsstufe unverändert bestehen
bis zur späteren (secundären) Necrose.
Möglicherweise hängt diese Andauer des Zwischenstadiums der
Verhornung mit der Menge der Flüssigkeit zusammen, welche an
den Zellresten haftet und welche diese, mitten im Gewebe, nicht
abgeben können. Es ist schon wiederholt hier angeführt worden,
dass der Saftstrom innerhalb des Impfraumes in den ersten Tagen
des Processes herabgesetzt ist; indess ist er immerhin doch noch
sehr reichlich im Verhältniss zu demjenigen Saftstrom, welchen
wir uns (im normalen Cutisgewebe) in der Mitte des Stratum cor-
neum denken können: hier kann das Gewebe auch eine grosse
Menge Wasserdunst an die Atmosphäre abgeben. Ueberdies wird die
herabgesetzte Fluxion im Impfbezirk nach wenigen Tagen von einer
22 Erster Abschnitt.
sehr vermehrten Saftströmung abgelöst (deren Ausdruck ja eben
die Entstehung des Bläschens ist). Möglicherweise ist jedoch das
Stehenbleiben auf der Mittelstufe der Verhornung wesentlich
Folge derselben Ursache (unmittelbare Giftwirkung), welche die
Beschleunigung des Eintretens der Verhornung herbeigeführt hat ;
wenigstens fehlt jede Erfahrung darüber, wie eine pathisch so be-
einflusste Zelle sich verhält.
Dieses Stehenbleiben der Verhornung hat mich früher zu der
Vermuthung geführt: es möchten diejenigen contagiösen Processe,
deren Contagium fix oder, wenn flüchtig, so doch nur auf kurze
Entfernungen hin wirksam ist, durch abgelöste überlebende Zell-
reste auf andere Individuen übertragen werden. Ich komme auf
diese Hypothese p. 102 noch einmal zurück.
Die primäre Necrose im Impfbezirk.
In jeder Impfpocke findet man 36 bis 48 Stunden nach der
Impfung in dem unteren Theil der Impfzone eine sehr eng um-
grenzte Stellen, welche keine Kernreste zeigt, vom Methylviolett
Nichts annimmt, dafür aber an sich eine ausgesprochen gelbe Fär-
bung hat (Fig. 5.).
Die gelbe Stelle hat ungefähr den Umfang von 1 — 2
Retezellen und sie findet sich meist in nur einem Schnitt
oder in zweien der Serie. Sie geht unter Abnahme ihrer Fär-
bungsintensität allmälig in die gewöhnliche Färbung der Zone über,:
die gefärbten Kernreste reichen zum Theil bis dicht 'an die gelbe
Stelle, einzelne gehen auch noch ein Stück in dieselbe hinein; zum
Theil ist die Stelle von einem, keinen Farbstoff aufnehmenden,
weissen Rande umgeben.
Wird diese gelbe (necrotische) Stelle an einer Seite von einem
Haar begrenzt, so sind die Zellen der äusseren Wurzelscheide und
die Kerne der Balghäute in verschiedenem Grade zerstört; es kriecht
dann die Necrose in der Längenausdehnung von etwa je 2 Rete-
zellen das Haar entlang hinauf und herab und es hat die ganze
necrotische Partie annähernd die Form einer Halbkugel, deren Basis
das Haar bildet.
Die Ausdehnung der Necrose wächst im Verlauf des dritten
Die erste Impfung. 23
Tages: man findet dann entweder eine annähernd kugelförmige
Brandstelle (von bis 70 (i. Durchmesser), oder die Necrose zieht
als schmale Strasse nach der mittleren Schicht der Cutis hin; Zu-
sammenhang 'einer solchen Strasse mit Gefässen habe ich nicht
aufgefunden.
Dort wo am Ende des zweiten Tages das Gelb am intensivsten
ist, wo also der Ausgangspunkt der Necrose angenommen werden
darf, findet man ausnahmslos 1, '2 oder 3 scharf umschrie-
bene Mikrokokken-Ballen, zuweilen ausserdem (Fig. 5c.) einen
5 p. breiten, bei verschiedenen Einstellungen als etwas gewunden
erkennbaren Kanal, der gleichfalls mit Mikrokokken erfüllt ist.
Nie habe ich in Schnitten des zweiten Tages die
Necrose von einem unregelmässig umschriebenen Haufen
ausgehen sehen, stets nur von scharf umschriebenen
Ballen; diese Ballen hatten stets eine Länge von 10 bis 11 fi.
und eine Breite von 7 bis 8 p. ; man findet in dem ganzen Schnitt
(ausser diesen scharf umschriebenen Ballen) 4 bis 8 unregelmässig
umgrenzte Mikrokokken- Haufen, theils etwa ebenso gross wie die
Ballen, theils doppelt oder dreifach so gross; aber in ihrer Nähe
resp. zwischen ihnen findet sich keine Necrose.
Nach diesen regelmässig wiederkehrenden Befunden darf ge-
sagt werden: die Necrose entsteht am ehesten dort, wo
das importirte Impfgift in einem (mehr oder minder un-
versehrten) Kern des Rete zur Entwicklung oder zur
Wirksamkeit gekommen ist.
Ueber das Verhalten der einzelnen Gebilde der Cutis gegen-
über den Mikrokokken der Vaccina kann ich im Ganzen Folgendes
aussagen:
Wo die Mikrokokken in kleiner Zahl oder in Alleeform als
schmale Strasse auftreten, lässt sich in der Regel an den benach-
barten Zellen eine Abweichung von der Norm nicht nachweisen;
zuweilen sieht man beim Gebrauch sehr dünner Farbstofflösungen,
dass die betreffenden Zellen und Kerne weniger Farbstoff auf-
nehmen.
Wo die Mikrokokken als Haufen oder Ballen vorhanden sind,
zeigt die nächste Umgebung stets eine Veränderung; diese ist
in aufsteigender Stärke: Abnahme der Tingirungs-Fähigkeit durch
die sonst färbenden Stoffe — , Zerfall der Kerne (in immerhin noch
24 Erster Abschnitt.
erkennbare Kernreste) — , Schwinden der besonderen Färbungsfähig-
keit der Kernreste (das Gewebe erscheint gleichmässig und weiss-
lich grau) — , Necrose (das Gewebe erscheint gelblieh).
Aus der örtlichen Lage der Mikrokokken im Verhältniss zur
Impfverletzung kann man zuweilen die Entstehungszeit der einzel-
nen Haufen und Ballen erschliessen ; ein solcher Befund zeigt, dass
keineswegs die vor längerer Zeit entstandenen Haufen auch schon
die grössere Zerstörung ihrer Umgebung herbeigeführt haben.
Andererseits gestatte ich mir denjenigen Autoren gegenüber,
welche „vollständig normale" Umgebung bei Mikrokokken-Anhäu-
fungen als auffällige Befunde bezeichnen, die Bemerkung: wo das
Gift in sehr kleiner Menge auftritt, und erst im Herde selbst
nennenswerth zunimmt, vergehen viele Stunden, ehe die Anfangs-
Wirkung' (Abnahme der Tingirungsfähigkeit) zum folgenden Stadium
führt. Viele Autoren sehen als erste Wirkung die „Coagulations-
Necrose" an und suchen dann nach dem Kernschwund. Es ist
dem Entdecker der Coagulationsnecrose selbst vergönnt gewesen,
seine ursprüngliche Annahme zu modificiren; die Coagulationsnecrose
ist nicht eine „specifische Wirkung" der Mikrokokken.
Es darf also ausgesagt werden: wo die Mikrokokken in ge-
schlossener Gruppe vorhanden sind, findet sich stets eine Störung
(und nach einer gewissen Frist eine Zerstörung) der benachbarten
Zellen.
Die Zerstörung ist dort am meisten vorgeschritten, wo die
Mikrokokken in rundlich ovaler, scharf umschriebener Form von
bestimmter Ausdehnung (d. h. nach meiner Auffassung: in verhält-
nissmässig unversehrten Kernhüllen) sich entwickelt haben.
Sieht man die Mikrokokken als die Erzeuger des Giftes an,
oder betrachtet man die an ihnen haftende Flüssigkeit als das
specifische Gift und schreibt diesem die Fähigkeit zu, sich zu ver-
mehren, so kann die intensivere Wirksamkeit des im Kern erzeugten
Giftes in doppelter Weise zu Stande kommen:
1. Bei Vermehrung des Giftes im nicht abgeschlossenen Raum
(zwischen dem zerstörten Protoplasma und den Kernresten) wird
ein Theil des Giftes durch den (fortbestehenden, wenn auch
schwachen) Saftstrom abgeführt: die benachbarten Gebilde werden
nur von einem Bruchtheil desselben getroffen; durch den Saftstrom
Die erste Impfung. 25
wird das Gift ferner vielleicht nicht allein verdünnt, sondern auch
chemisch verändert.
Hingegen dasjenige Gift, welches in einer annähernd abge-
schlossenen Kernhülle entsteht, bildet sich in seiner bestimmten,
durch den Saftstrom wenig, vielleicht gar nicht beeinträchtigten
Qualität: es vermehrt sich so lange, bis es die Hülle sprengt oder
auflöst und nun wirkt es in seiner ganzen Conccntration
und Menge auf Einmal auf die Umgebung ein. Hierbei ist die
Möglichkeit zu erwähnen, dass der gewundene Canal (welcher in
der Nähe der primären Necrose zuweilen erkennbar ist, Fig. 5c.)
ein vom Gift getroffener Lymphraum ist; bei Beginn der Vergif-
tung der benachbarten Zelle kann ein Theil des Giftes hierher
geführt worden sein, zur Verödung des Oanals geführt und durch
Verstopfung des Zufluss- oder Abfiussrohres die Zelle allmälig
ausser Connex mit dem Saftstrom gebracht haben. (Es wird später,
p. 46, Fig. 9a., von der möglichen Existenz solcher Saftcanälc an
den einzelnen Retezcllen noch Einiges erwähnt werden).
2. Es ist möglich: das Gift an sich hat nicht eine so hoch
deletäre Wirkung; es hat aber die Fähigkeit, aus dem thierischen
Gewebe einen Stoff abzuspalten, welcher seinerseits die deletäre
Wirkung ausübt; ein annähernd unversehrter Retekern, in einem
ganz bestimmten Stadium seiner Entwicklung (daher stets in dem
unteren Theil der mittleren Schicht des Rete) kann für diese
Abspaltung besonders geeignet sein. Es ist unumgänglich, anzu-
nehmen, dass das Impfgift (wie jedes infectiöse) eine ganz bestimmte
chemische Beschaffenheit seines Nährbodens verlangt; das Rete ist
dieser Nährboden; ein zerfallenes Rete mag immerhin noch eine
Pflanzstätte sein, aber eine dürre; ein nicht zerfallener Kern hin-
gegen eine fruchtbare.
Es ist mir nicht möglich gewesen, diese sich hier aufdrängende
Frage zu Ende zu führen; in dem Abschnitt über die Theorie der
Infection (p. 107) werde ich einige Gründe anführen, welche mich
bestimmt haben , die zweite Möglichkeit für wahrscheinlicher zu
halten.
Die hier beschriebene Necrose schlage ich vor als die pri-
märe zu bezeichnen. Es entwickelt sich vom siebenten Tage nach
•2G Erster Abschnitt.
der Impfung an eine verhältnissmässig mehr ausgedehnte und zu-
gleich bis tief in das Bindegewebe eindringende Necrose: diese
kann passend als secundäre bezeichnet werden; sie entsteht im
Gefolge einer äusserst intensiven Entzündung und unter massen-
hafter Entwicklung von Mikrokokken (Fig. 6a.); beide Momente
wirken gemeinsam, es ist nicht möglich, den Grad der Einzelwir-
kung derselben abzugrenzen.
Bei der zweiten Impfung (also nach erlangter Immunität
des Thieres) findet sich diese primäre Necrose nicht. Man
sieht bei der zweiten Impfung innerhalb der ersten 24 Stunden an
der Impfstelle selbst oder an ihrer nächsten Nachbarschaft zwischen
den Kernresten zuweilen eine '2 — 4 p. ausgedehnte weiss-gelbliche
Färbung und es haben die dicht daran liegenden Kernreste auch
weniger Farbstoff aufgenommen; jedoch (abgesehen von Anderem)
der in der zweiten Impfung intensive Saftstrom löst und spült alle
abgestorbenen Theile schnell fort, so dass sie nun ihrerseits nicht
wiederum local weiter zerstörend einwirken können.
Die untere Grenze des Impfbezirks.
Die Impfärzte haben seit lange erkannt, dass die Impfpustel
am sichersten sich entwickelt, wenn die Impfverletzung möglichst
flach angelegt war; weil andernfalls die hervorcpellenden Bluts-
tröpfchen das Gift fortspülen, weil (wie ich gleich hier erwähnen
will: bei tieferer Verletzung) das dicht neben die Wunde einge-
drungene Gift zu schnell in die Tiefe entführt wird und weil die als-
dann schneller und ausgedehnter nachfolgende Entzündung die Ver-
mehrung des Impfgiftes erschwert.
Ich habe mir ein Urtheil darüber zu bilden versucht, ob der
specifische Process über das Bereich des Rete in das Bindegewebe
übergreift; letzteres leidet bekanntlich sehr erheblich in Folge des
vom 5. Tage an entstehenden starken Entzündungsprocesses, aber es
hat sich kein Anhalt dafür ergeben, dass etwa eine Vermehrung
oder progressive Entwickelung des Impfgiftes in ähnlicher
Weise wie im Rete so auch im Bindegewebe erfolge.
Die erste Impfung. 27
Die im Bindegewebe gelegenen Blutgefässe sind aller-
dings in sehr hohem Grade bei der Entwicklung des Processes
betheiligt: es ist nämlich, wie sich ergeben hat, für das
Gedeihen des Impfgiftes durchaus erforderlich, dass der
in den Impfbezirk eintretende Saftstrom für einen oder
zwei Tage erheblich herabgesetzt werde.
Dies ist nur möglich, wenn unter Anderem an den zuführen-
den Blutgefässen selbst eine Alteration eintritt. Das Wenige, was
ich hierüber zu sagen weiss, habe ich p. 99 angegeben.
Wichtig wäre auch an den Fusszellen des Rete dicht
neben dem Impfbezirk nach irgend welchen Veränderungen zu
suchen; hierzu ist jedoch die von mir gewählte Härtung der Aus-
schnitte in Alkohol (welcher gerade an den weichsten Zellen die
stärkste Schrumpfung herbeiführt) nicht geeignet.
Es verdient bemerkt zu werden, dass in jeder Impfpocke
zwischen dem Impfcentrum einerseits und den seitlichen Flügeln
und dem Untergrund andererseits schon sehr früh eine Ten-
denz zur mechanischen Trennung besteht. Fig. 1. zeigt
beiderseits von d. nach oben und aussen den Grad dieser Trennung
gegen Ende des zweiten Tages; es ist um diese Zeit der Zusam-
menhang zwischen Impfcentrum und Umgebung ein so lockerer,
dass beim Microtomiren oder, nach Vollendung des Präparates, ein
massiger Druck auf das Deckgläschen vor vollständigem Erstarren
des Balsams genügt, um das ganze Mittelstück vollständig aus
seinem Zusammenhange auszulösen.
Nach meiner Meinung ist diese Lockerung durch die Coinci-
denz folgender Momente bedingt:
1. Die Impfverletzung leitet sie ein: beim Schnitt entwickelt
sie sich viel später als beim Stich; letzterer wirkt auf die nächste
Nachbarschaft der kleinen Verletzung viel mehr zerrend ein.
2. Die Reizungszone (Fig. 1. g. h.) zeigt eine Proliferation
ihres Rete, welches sehr früh die Tendenz hat, sich unter die
Impfzone zu schieben und durch den Druck ihrer Wachsthums-
Richtung den ganzen Impfherd abzuheben.
3. In der Herabsetzung der Hyperämie (welche Herabsetzung
einige Stunden nach der Impfung beginnt und 24 bis 36 Stunden
dauert) müssen Bedingungen liegen, welche die Lockerung erleichtern:
denn bei der zweiten Impfung, bei welcher die proliferirende Thä-
28 Erster Abschnitt.
tigkeit des Rete in der Reizungszone sehr früh beginnt und viel
intensiver ist als bei der ersten Impfung, erweist sich der Zu-
sammenhang viel inniger (wenngleich die Tendenz zur Lockerung
auch hier angedeutet ist): — vielleicht erschwert allein die grössere
Durchfeuchtung des Impfherdes in der zweiten Impfung die Locke-
rung; vielleicht wirkt aber auch hierbei die der Immunität vor-
ausgehende Umprägung des Rete mit.
Die Zone der trüben Schwellung.
Nach aussen, resp. nach aussen und unten von der Impfzone
liegt die Zone der trüben Schwellung. Ihre Breite beträgt
40 Stunden nach der Impfung 200 bis 400 (i. Sie besteht aus
eigenthümlich veränderten Retezellen.
Bei der angegebenen Färbung mit Methylviolett erscheint die
ganze Zone blaugrau, ähnlich den oberen Schichten des Stratum
corneum, doch immerhin durch die Nuance der Färbung sehr deut-
lich von ihr zu unterscheiden.
Betrachtet man die so gefärbten Zellen mit guten Trocken-
linsen und massiger Vergrösserung (Zeiss D, Hartnack 7, Seibert
und Kraft 5), so erscheint die Zeichnung der Zellen und Kerne in
der Regel verwischt.
Bei Anwendung einer guten Immersionslinse findet sich Fol-
gendes:
1. Die Kerne sind überall erhalten und erscheinen (Fig. 4.):
a. entweder als deutlich ovaloide Figuren, die keine Fär-
bung aufgenommen haben mit Ausnahme eines in einer
Ecke stets vorhandenen blau gefärbten Körperchens von
der Grösse eines sehr grossen Kernkörperchens. (Schein-
bare Lücken).
(Diese Formen finden sich fast nur in den tiefsten
Schichten des Rete — also bei den jüngsten, weichsten
Zellen.);
b. oder als etwas unregelmässige ovaloide Formen, zugleich
etwas geschrumpft und in toto blaugrau gefärbt;
c. oder als regelmässige Ovaloide von der Grösse der
normalen Retekerne und nur in toto blaugrau gefärbt;
Die erste Impfung. 29
d. oder als zwei vollständig gesonderte, blaugrau gefärbte,
rundliche Figuren, in einer etwas vergrößerten Zelle
gelegen.
2. Das Protoplasma zeigt entweder eine der des Kernes gleich-
artige, aber weniger intensive, blaugraue Farbe — oder
eine grauviolette.
3. Die Zellgrenze ist meist deutlich zu erkennen.
Nach diesen Befunden muss geschlossen werden: die Zone
der trüben Schwellung besteht aus Zellen, welche eine
Zeit lang in einem Zustande der Reizung sich befunden
haben, dann aber einer schnell eintretenden und eigen-
thümlichen Veränderung verfielen.
Die Reizung darf gefolgert werden:
1. aus der deutlichen Sichtbarkeit der Zellgrenze,
welche bei der angeführten Behandlung der Cutis (Aus-
schneiden ex vivo und sofortiges Versenken in absoluten
Alkohol) nie an normaler Haut erscheint, hingegen
regelmässig bei Retezellen im Zustande beginnen
der Entzündung;
2. aus der Doppelkernigkeit einzelner Zellen;
3. aus der zuweilen vorhandenen violetten Farbe des Proto-
plasmas (diese ist ganz charakteristisch für die active
entzündliche Reizung der Retezellen)*);
4. aus dem Zustande des oberen Randes der Zone; es hat
nämlich dieser Rand, welcher stets an die untere Grenze
eines Seitenflügels der Impfzone anstösst (Fig. le. f.) ein
breites Stratum corneum, welches bei polarisirtem Licht
eine stark ausgesprochene Doppelbrechung zeigt; es ist
mithin das Stratum corneum bereits zu einem hohen Grade
der Verdichtung vorgeschritten.
Die Plötzlichkeit der späteren Veränderung darf aus dem
Befund von Doppelkernen innerhalb einer Zelle gefolgert werden;
in nicht gereizter Cutis ist er mir nie begegnet, in gereizter äusserst
selten und dann nur dort, wo auf die Reizung plötzlich der lokale
oder allgemeine Tod eintrat.
*) cfr. Pincus: Ein Beitrag zur Contagionstheorie. Viren. Arch. Bd. 83.
p. 143.
30 Erster Abschnitt.
Weigert*) hat eingehende Erörterungen über die Ursachen
mitgetheilt, welche das Verschwinden der Kerne aus den Zellen
im Zustand der Gerinnungsnecrose herbeiführen können. Ich
komme gleich hierauf zurück, will jedoch schon hier auch daran
erinnern, dass die weiteren pathologischen Aenderungen einer Zelle
(gleichviel welches die Ursache der Veränderung ist, wenn wir von
den allerschwersten , sogleich vollständig zerstörenden, absehen) in
erster Linie durch die specifische Qualität der Zelle selbs't
bedingt werden; die Zellen des Rete sind auf schliessliche Ver-
hornung angelegt: auch eine schwere Schädigung derselben kann
hieran nur bis zu einem gewissen Grade ändern; es ist daher un-
ausbleiblich, dass der chemische Zustand der Gerinnungsnecrose
dieser Zellen mit dem verhornter Zellen grosse Aehnlichkeit hat
und ich gestatte mir schon aus diesem Grunde nicht, von den
Befunden an der Cutis Schlüsse auf die Nieren etc. zu machen.
Vom klinischen Standpunkte aus betrachtet scheint die trübe
Schwellung ein Schutzmittel zu sein: die Zone derselben scheint
kein oder doch nur wenig Material zur Vermehrung der Mikro-
kokken oder der specifisch giftigen Flüssigkeit zu liefern. Bei der
weiteren Entwicklung des Processes wird sie in den Erweichungs-
process (Eiterung) hineingezogen; hierbei spielen Momente mit,
welche bezüglich der weiteren Verhornung gleichzeitig in entgegen-
gesetztem Sinne einwirken: die starke Dehnung der unnachgiebiger
gewordenen Zellen wirkt ähnlich wie die Raumverengung in
den obersten Schichten des normalen Rete (daher die Balken
Weigert's**) — andererseits bedingt die erheblich gesteigerte
Fluxion eine starke Durchfeuchtung, welche, wie bald ange-
führt werden wird, selbst auf ein fast ganz fertig gebilde-
tes Stratum corneum in intensiver Weise einzuwirken
vermag.
Bezüglich der Technik gestatte ich mir die Bemerkung: wo es
für eine schnelle Uebersichtsgewinnung wichtig ist, in den einzelnen
*) Weigert, Ueber Croup und Diphtheritis. V. A. Bd. 70. u. 72. und
über die pathologische Gerinnung. V. A. Bd. 79. p. 95.
**) Pocken. Fig. 1 a.
Die erste Impfung. 31
Präparaten die Existenz oder Nichtexistenz der Zone festzustellen,
kann man die von Weigert für die Coagulationsnecrose der Haut
empfohlene Färbung mit Pikrin auch hier gebrauchen; verwendet
man jedoch das Pikrin neben einer Kernfärbung, so verwischt
jenes leicht die feineren Details; schon bei einer massigen
Uebung mit Methylviolett erweist sich das Pikrin als entbehrlich
und ich habe bei meinen späteren Untersuchungen hierbei von
demselben ganz Abstand genommen.
Ich führe hier nochmals an: Die Zone der trüben Schwellung
liegt nach aussen und unterhalb der flügelartigen Ausläufer der
Impfzone (Fig. 1, e, f.), sie ist also ringsum von anderem Gewebe
eingeschlossen. Der Vorgang ihrer Entstehung kann daher nur
folgender gewesen sein: das Impfgift wirkt vom Centrum der Impf-
zone nach aussen hin in immer abnehmender Intensität; am äus-
serten Rande der Zone ist die Giftwirkung erschöpft; demgemäss
ist der äussere Rand der Impfzone auch von etwas anderer
Beschaffenheit als die übrigen Theile derselben: man findet zwar
auch die eigentümlichen Kernreste, aber daneben auch Zellen
im ungestörten Zusammenhange, deren Kerne in ihren Contou-
ren unverändert und schwachkörnig gefärbt sind und deren Proto-
plasma Farbstoff nicht annimmt; besonders häufig finden sich solche
annähernd normale Stellen an den Ausmündungen des Haarbalges,
welche wegen der anderen Richtung ihrer Zellen und wegen
des Zusammenhanges ihrer Saftkanäle mit den Blutgefässen des
Haarbalges dem von den Seiten anströmenden Gift viel weniger
ausgesetzt sind.
Nun ist ferner der obere Rand der Zone der trüben Schwel-
lung (welche also unter der Impfzone liegt) von einem fast voll-
ständig fertig gebildeten Stratum corneum begrenzt: an der
Erschöpfungsgrenze der Giftvvirkung müssen die Retezellen in Pro-
liferation gerathen gewesen sein und müssen unter die Impfzone
(die grenzbildenden Vorgänge nehmen stets diesen Weg)
neue Zellen geschickt haben, denen genügende Zeit blieb, um ein
normales Stratum corneum zu bilden.
Erst nachdem dies geschehen war können diejenigen Ver-
hältnisse eingetreten sein, welche die charakteristischen Verände-
32 Erster Abschnitt.
rungen erzeugten. Es würde mit Rücksicht hierauf von Interesse
gewesen sein, etwa vom Ende des ersten Tages nach der Impfung
an, jede Stunde eine Impfstelle herauszuschneiden; ich war nicht
in der Lage dies zu thun und kann daher Detail über diesen Vor-
gang nicht angeben. Soweit meine, hierin lückenhaften, Versuche
eine Meinung gestatten, bin ich geneigt an die Thatsache anzu-
knüpfen, welche Litten*) in seinen ausgezeichneten Untersuchun-
gen festgestellt hat, dass, in der Niere von Kaninchen, eine zwei-
stündige Abklemmung der Art. renalis mit nachfolgender Entfer-
nung der Ligatur zur Coagulationsnecrose der Nierenepithelien führt:
Betrachtet man nämlich 40 Stunden nach der Impfung
einen durch das Centrum des Impfherdes gehenden Schnitt, an
welchem der mittlere Abschnitt sich durch Druck auf das Deck-
gläschen gelöst hat (p. 27), so findet man die obere Grenze des
an diese Lücke anstossenden Bindegewebes ziemlich dicht, theil-
weise gedrängt, mit Rundzellen besetzt. Die Untersuchung früherer
Ausschnitte zeigt, dass gegen Ende des ersten Tages die Rund-
zellen bereits an diesem Platze sind. Für die Einsicht in den
Process wäre auch hierbei die Feststellung der Veränderungen von
Stunde zu Stunde nöthig; allein auch diese war ich nicht in der
Lage, zu machen.
Es ist nun bereits mehrfach erwähnt, dass, vom Ende des
ersten Tages nach der Impfung an, eine Unterbrechung der
vorher bestehenden Hyperämie erfolgt; der bindegewebige
Theil der Cutis unter dem Impfbezirk zeigt — abgesehen von dem
eben erwähnten obersten Randstück — nur wenig Rundzellen; und
am spärlichsten findet man diese stets unter dem Abschnitt
der trüben Schwellung.
Es ist mir auch aufgefallen, dass man an den Blutcapil-
laren dieses kleinen Hautabschnittes viele Kerne im Zustande der
Schrumpfung findet.
Der Vorgang kann daher folgender sein: Der erste Impetus
der Hyperämie hat zahlreiche Rundzellen in das Gewebsstück ge-
führt; der (sonst bei einfacher, nicht infectiöser Entzündung,
stets folgende) Nachstrom wird durch die Einwirkung des
Impfgiftes (p. 63) unterbrochen; die Rundzellen des obersten
*) Hämorrhag. Infarct. Zeilschr. f. klin. Med. I.
Die erste Impfung. 33
Randes wirken nunmehr nur als Obturatoren in den Saftkanälen.
Allein in welcher Weise die Ischämie zu der nun erfolgenden
Veränderung führt, weiss ich nicht.
Allgemeine Bemerkungen zur Coagulationsnecrose.
Weigert hat diesen Zustand der Zellen aufgefunden und ein-
gehend die Entstehung desselben untersucht.
Cohnheim bemerkt*) bei der Wahl dieser Bezeichnung: in
den älteren Infarkten, in den croupösen und diphtherischen Pseudo-
membranen und in den Herden um die Mikrokokkencolouien ge-
lingt es nicht, durch Essigsäure, Carmin, Hämatoxylin oder andere
kernfärbende Reagentien die alten Zellkerne zum Vorschein zu
bringen; bezüglich der ätiologischen Erörterungen über den Kern-
schwund verweist er auf Weigert. Neben dem Kernschwund lässt
Cohnheim auch Verkleinerung und Schrumpfung der Kerne zu
und am Protoplasma der abgestorbenen Zellen Quellung und all-
mäliges Verschwinden der Contourirung. Eine Nebenbemerkung
Cohnheim 's lautet: „möglich auch, dass ein Zerfall der Kerne
in kleinere Fragmente der Necrose zugerechnet werden muss, wie-
wohl wir demselben auch anderswo begegnen werden."
Die Schwierigkeiten, welche Weigert in der Deutung seines
ersten Untersuchungsobjectes bezüglich der Abgrenzung der Zonen
sich entgegenstellten, müssen als geradezu unüberwindlich bezeich-
net werden, wenn man das Charakteristische der einzelnen Zonen
nicht bereits kennt: in der Variola humana sind die direkte Gift-
wirkung, die weiteren regressiven und die progressiven Processe
in schmälsten Schichten durch einander gemischt; man erkennt
dies besonders deutlich bei einer Vergleichung einer durch einfachen
Stich erzeugten Schafpocke mit einer solchen, welche Klein bei
Impfung und gleichzeitiger Injection von Schafpockenlymphe in die
Vene (als secundäre Pocke) bei der Allgemeineruption erzeugte:
man sieht bei letzterer im Beginn des Processes die primären
Veränderungen der Zellen in schmalen vom Papillartheil nach der
Hornschicht zu aufsteigenden Strassen; an den dazwischen übrig
bleibenden, oft eben so schmalen Partien vollziehen sich nun die
*) Allgem, Pathologie. I. p. 458.
Pineas, Vaccinatiou.
34 Erster Abschnitt.
weiteren Veränderungen der trüben Schwellung. Gleiche Wahrneh-
mungen am Menschen haben Weigert veranlasst, au der Pocke
Hauptherde und Nebenherde zu unterscheiden.
Nach meiner Auffassung enthält jeder dieser kleinen Herde
drei verschiedene "Dinge, welche bei der Vaccination sich in sehr
bequemer Weise sondern lassen:
Zellen im Zustande vorgeschrittener trüber Schwellung (noch
etwas weiter gediehen als Fig. 4 zeigt),
Zellen mit deutlich nachweisbaren, doch meist zerstückel-
ten Kernen (Fig. 2, c),
Zellen, an welchen Protoplasma und Kern zu einer ein-
heitlichen nicht weiter zu differenzirenden Masse ver-
schmolzen sind (Fig. 5, d.).
Die üblichen, verhältnissmässig starken Lösungen der Farb-
stoffe erzeugen bei den beiden ohnedies wenig durchsichtigen Zonen
des Impfherdes und der trüben Schwellung eine Schwierigkeit: die
Lösungen dringen entweder gar nicht durch die hartgewordene
Aussen Schicht des Zellprotoplasmas (und dann unterbleibt jede
Färbung — ein sehr häufiger Fall), oder sie dringen durch diese
Randschicht und färben alsdann die ganze Zelle so diffus,
dass auch mit den besten Hülfsmitteln Intensitätsdifferenzen von
Licht und Farbe an den einzelnen Abschnitten der Zelle sich nicht
erkennen lassen. Sehr schwache Lösungen umgehen diese Schwie-
rigkeit.
Ich will hier nochmals daran erinnern, dass die Zellen des
Rete von Hause aus chemisch dazu angelegt sind, in ei neu
Zustand überzugehen, in welchem es nicht mehr möglich
ist, den Kern als besonderes Gebilde nachzuweisen.
Andererseits erfolgen an der Mucosa, an der Niere, an der Leber
die Veränderungen der Zellen (nach Aetzung, Absperrung des Blut-
stromes etc.) so schnell, dass die bisherigen Angaben nicht zu entschei-
den gestatten, ob die Kerne aufgelöst und fortgespült werden, oder ob
sie (wie ich nach den Beobachtungen an der Haut anzu-
nehmen geneigt bin) eine innigere mechanische Verbindung
mit dem Protoplasma eingehen, nachdem sich vorher eine innigere
chemische Annäherung zwischen beiden herausgebildet hat.
Bezüglich dieses Punktes erinnere ich an eine Mittheilung
Die erste Impfung. 35
Weigert's*): „In manchen Fällen gelingt es, diese Schollen durch
Behandlung mit starker Essigsäure oder verdünnter Salzsäure in
eine ganz andere Form überzuführen, die vollkommen mit der von
normalen Trachealepithelien übereinstimmt. Sie quellen förmlich
auf, wie die Blätter getrockneten Thees, wenn man dieselben in
heisses Wasser wirft, und sie verändern dabei ihre unregelmässige
Form in die der Epithelzellen. Gleichzeitig treten, wenn die
Ueberführung in diese Zellform gelingt, die Epithelkerne
wieder hervor, von denen man früher nichts wahrzunehmen ver-
mochte." Ich bin entfernt davon, in diesen Worten Weigert's einen
Widerspruch gegen seine Grundanschauung zu finden, weil die ge-
sperrt gedruckten Worte den Gedanken Weigert's bezeichnen, dass
diese Zellen sich erst im Anfangsstadium der Gerinnungs-
necrose**) befunden haben mögen. Allein diese Beobachtung zeigt
doch schon, wie abhängig wir in unserem Urtheil über Existenz
oder Nichtexistenz des Kernes von der mikroskopischen Technik
sind und ich will daher gleich hier bemerken : bei der von mir an-
gewendeten Färbungsmethode überzeugt man sich, dass die Kern-
reste nicht verschwinden, sondern nur allmälig ihre besondere
Tingirungsfähigkeit, d. h. ihre frühere chemische Beschaffenheit ein-
gebüsst haben; ganz ebenso wie das Protoplasma, an welchem
man bei Behandlung mit schwachen Lösungen gleichfalls eine stetig
abnehmende und schliesslich schwindende Tingirungsfähigkeit erkennt.
Weigert selbst ist vergönnt gewesen, seine frühere Vermuthung
über die Bedeutung der kernlosen Herde zu erweitern.
Diese Erweiterung hat aber dahin geführt, den ursprüngli chen
Inhalt des Begriffs „Gerinnungsnecrose" zu verändern. Die oben
angeführten Worte Cohnheim's enthalten die drei Zustände, welche
thatsächlich jetzt von verschiedenen Beobachtern unter
Coagulationsnecrose verstanden werden:
1. Zellen, deren Kerne sich mittelst der gewöhnlichen Metho-
den nicht mehr nachweisen lassen (in älteren Infarkten
— dem entsprechend in einem sehr beschränkten Theil
des Impfherdes) —
*) Croup. V. A. Bd. 70.
**) In einem späteren Aufsatze, Virch. Aren. Bd. 79. p. 94, spricht
Weigert dies auch mit klaren Worten aus.
3*
36 Erster Abschnitt.
2. (von Cohnheim nur hypothetisch angeführt:) Zerfall der
Kerne in kleine Fragmente (in diesem Zustande befinden
sich fast alle Kerne des Impfherdes, bis die secun-
däre Necrose die Kernreste und das Protoplasma
gleichmässig zerstört) —
3. Verkleinerung und Schrumpfung der Kerne (diese findet
sich nur in der Zone der trüben Schwellung und
ausnahmsweise in dem dicht daranstossenden
Theil der Zone der Reizung).
Es würde die allgemeine Verständigung erschweren,
wenn diese drei Dinge weiterhin unter dem einen Namen
zusammengefasst blieben.
Soweit ich Weigert verstehe, thut er dies in seinen letzten
Aufsätzen auch nicht; vielmehr fasst er in diesen die Coagulations-
necrose als einen Zustand auf, der aus sehr verschiedenen Vor-
gängen sich herausbilden kann, als eine Veränderung von Zellen,
die nach ihrem (localen) Tode noch den Einflüssen der Circulation
ausgesetzt geblieben sind. Es Hesse sich mithin aus der Existenz
dieses Zustandes kein weiterer Schluss auf die Art des Zelltodes
selbst machen und es würde alsdann der Begriff nur die sub 1.
angeführte Categorie enthalten.
Als Bezeichnung für einen ganzen Herd oder auch nur für
eine Zone könnte das Wort in diesem Sinne nicht verwendet werden,
denn der bei weitem grösste Theil der Impfzone und der Zone der
trüben Schwellung behält seine Kerne oder seine Kernreste bis zum
gleichzeitigen krümligen Zerfall von Kern und Protoplasma.
Charakterisirende Namen für die beiden Zonen wären erwünscht.
Bezüglich der trüben Schwellung erinnere ich an eine Bemerkung
von Rindfleisch*): „die pathologische Bedeutung der trüben
Schwellung in ihren verschiedenen Abstufungen (von einer leichten
Trübung ohne Volumszunahme und Deformität der Zellen bis zu
einer dunklen, die Kerngebilde gänzlich verdeckenden Körnung und
plumpen Abrundung der Elemente) fasst man als eine nutritive
Reizung; man weiss, dass insbesondere die directe Einwirkung ver-
schiedener mineralischer, pflanzlicher und thierischer Gifte eine
trübe Schwellung der Drüsenepithelien zu erzeugen im Stande ist.
*) Pathologische Gewebelehre. 1875. p. IG.
Die erste Impfung. 37
Die Frage, ob es sich um einen activen oder passiven Vorgang
handle, scheint sich immer mehr im letzteren Sinne zu beant-
worten, so dass ich nicht abgeneigt wäre, eine Art von Anätzung
zu supponiren, in Folge deren die gelösten Eiweisskörper des Pro-
toplasmas gerinnen und wie bei der Todtenstarre in kleinen Körn-
chen sichtbar werden."
In dieser charakteristischen und erschöpfenden Schilderung
ist selbst die Bezeichnung enthalten, welche Cohnheim später
für den Zustand gewählt hat.
NacJi den hier mitgetheilten Befunden kann ich nunmehr den
Worten von Rindfleisch die Bemerkung hinzufügen: dass ätiolo-
gisch in den Vorgängen der specifischen Vergiftungszone und der
in Rede stehenden Nachbarzone theils ein gradueller, theils ein
qualitativer Unterschied besteht: in der Impfzone wirkt das Gift
unverdünnt auf unvorbereitete Zellen; in der Nachbarzone verdünnt
auf vorbereitete (gereizte) Zellen; dort fast vollständige Passivität;
hier ein Versuch zur Abwehr. Bei der Nachbarzone wirkt auch
die Herabsetzung des Blutstroms in höherem Grade mit als bei
der specifischen Vergiftungszone.
Sollte demgemäss fortan der Begriff der „Coagulationsnecrose"
nur in einem engeren Sinne angewendet werden, so würde diese
Bezeichnung, wie schon aus der von Rindfleisch gegebenen Cha-
rakterisirung hervorgeht, sich recht gut für die Nachbar-
zone des Vergiftungsherdes, die Zone der trüben Schwel-
lung, eignen. Ob man Vaccina impft oder eine septische Substanz:
der Vorgang ist ein constanter; stets wirken die drei Momente
zusammen, welche diese Unterart oder diesen Grad der
zur Necrose führenden trüben Schwellung erzeugen, näm-
lich: ein Anfangsgrad der Reizung, der anätzende Einfluss des
benachbarten aber verdünnten Giftes und die Herabsetzung des
Blutstromes; und demgemäss ist auch hier der Endeffect der gleiche.
Wir scheinen daher auch bei unseren heutigen Kenntnissen berech-
tigt, für diese Veränderung einen definitiven Namen zu wählen.
Hingegen für die specifische Vergiftungszone fehlt vorläufig
noch diese Berechtigung: so wenig ein Namen bedeutet, er prä-
judicirt doch. Wir müssen annehmen, dass Pockengift, Scharlach-
gift, die septischen und mineralischen Gifte, jedes in besonderer
38 Erster Abschnitt.
Weise auf die Cutis wirken*); was wir heute von dieser Wirkung
wissen, ist ein äusserst kümmerliches Stück. Die Herde müssen
thatsächlich sehr verschieden sein: für unsere heutigen mikrosko-
pischen Untersuchungsmittel erscheinen viele von ihnen gleichartig.
Es würde sich alsdann empfehlen:
Die Bezeichnung „Coagulationsnecrose" (welche gegenwär-
tig von den Autoren für drei, wie die hier mitgetheilten
Untersuchungen gezeigt haben, verschiedene Processe oder
Stadien gebraucht wird) fortan nur anzuwenden auf den vor-
gerückten, oben (p. 28) genau geschilderten Grad der „trüben
Schwellung" (Fig. 4.), welchen wir ätiologisch näher be-
begreifen und mikroskopisch als einen leicht erkennbaren,
verhältnissmässig stetigen, nur langsam sich verändernden
constatiren können;
hingegen die specifischen Herde nur ätiologisch (Pocken-
herd, septischer Herd etc.) zu benennen und lieber in ihrem
so ungleichen und so schnell wechselnden Detail zu
schildern, bis wir einmal einen Einblick in ihre Entstehung
gewonnen haben werden**).
Die Zone der Reizung.
Die Zone der Reizung (Entzündung) grenzt nach innen an
die der trüben Schwellung und geht nach aussen allmälig in nor-
males Gewebe über.
Erzeugt man in der Cutis des Kalbes durch irgend einen Ein-
griff eine nicht infectiöse Entzündung, so zeigen die Zellen
des Rete in der Reizungszone folgende Erscheinungen:
*) Cfr. Schlussbetrachtung.
**) Ich habe jedoch in dieser Arbeit, um nicht Missverständnisse zu pro-
vociren, die jetzt üblichen Bezeichnungen (also spezifischer Impfherd = Coa-
gulationsnecrose) auch weiterhin beibehalten.
Die erste Impfung. 39
6
1. Die Zellen selbst sind grösser; an der Vcrgrösserun
sind Kern und Protoplasma betheiligt.
2. Das Protoplasma nimmt (bei der angegebenen Färbung)
eine rosige Färbung an; die Färbung nimmt an Tiefe zu,
je mehr der Process der Reizung (nach Zeitdauer und In-
tensität) fortschreitet.
3. Die Zellgrenzen werden deutlicher, weil die äussere
Schale jeder Zelle, theils wegen ihrer abweichenden phy-
sicalisch-chemischen Constitution, theils wegen der festen
Verkittung mit den Nachbarzellen, das vermehrte Nähr-
material entweder nicht so reichlich, oder nicht so schnell
aufnehmen kann, wie das eigentliche Protoplasma.
4. Die Kerne zeigen (bei der angegebenen Härtungs- und
Färbungsmethode) öfter fädige Kernfiguren (Fig. IIa.)
nicht allein eine Vermehrung der farbigen Punkte (Fig.
IIb, Fig. 2, 3, 10.).
5. Die Zahl der übereinander liegenden, das Rete bildenden
Zellen ist (oft um das Doppelte) vermehrt.
Alle diese Eigenschaften finden sich in ausgesprochenem Grade
bei der zweiten Impfung, etwa 40 Stunden nach derselben.
Für den Vorgang bei der ersten Impfung ist es noth wendig,
den Zustand der Reizungszone bereits am Ende des ersten Tages
anzugeben: es zeigen alsdann die betreffenden Zellen
a. Dicht an der Impfzone (Fig. 2.):
1. eine Vermehrung der gefärbten Punkte im Innern des
Kernes; man kann dieselben nicht für Knotenpunkte oder
Umbiegungsstellen ron Kernfäden halten, denn es gelingt
nicht, bei vorsichtigem Gebrauch der Schraube eine Fort-
setzung der Punkte in die Tiefe zu erkennen. Eine solche
Vermehrung der tingirbaren Punkte findet sich im An-
fangsstadium der Reizung aller in der Cutis gelegenen
Organzellen und zwar bei einer jeden (also auch nicht
infectiösen) Reizung; sie werden, wie angegeben, in der
Regel als Vermehrung der Kernkörperchen gedeutet.
2. Eine Vergrösserung der Kerne und eine sehr bedeutende
Massenabnahme des Protoplasmas; die Kerne liegen
verhältnissmässig dicht nebeneinander, so dass das Proto-
40 Erster Abschnitt.
plasma oft nur als ein ganz schmaler Streifen zu erkennen
ist (Fig. 2e.).
Die anderen, der Reizung unter gewöhnlichen Verhältnissen
zukommenden Erscheinungen (Kernfiguren, rosige Färbung des
Protoplasmas, deutliche Sichtbarkeit der Zellgrenze) fehlen hier
vollständig.
b. In einer gewissen Entfernung vom Impfherd, nahe
der Aussengrenze der Reizungszone (Fig. 3.):
1. das Protoplasma ist von normalem Umfang, von äusserst
feiner, gleichmässiger Granulirung. Die Zellgrenzen sind
nicht markirt.
2. Die Kerne haben ihre gewöhnliche rundlich -ovale Form,
die gefärbten Punkte sind vermehrt; oft findet sich an
einem grösseren Theil des äusseren Contours des Kernes
eine schmale Lücke; zuweilen hängt der (normal geformte)
Kern nur noch an seinen zwei Polen mit dem Protoplasma
zusammen (Fig. 3 a.) und es bildet dann die Lücke ein
Ovaloid, dessen Längsachse ungefähr rechtwinklig zu der
des Kernes liegt; an einzelnen Stellen fehlt der Kern voll-
ständig (Fig. 3 b.)
Nach diesen Befunden liegen also am Ende des ersten Tages
nach der Impfung am inneren Rande der Reizungszone Bedin-
gungen vor, welche eine rasche Vermehrung der Kerne ohne gleich-
zeitige genügende Neubildung von Protoplasma hervorrufen —
am äusseren Rande Bedingungen, welche die Verbindung zwischen
Kern und Protoplasma lockern.
Eine solche Lockerung resp. Lückenbildung um den Kern ist
von verschiedenen Autoren bei verschiedenen Processen beschrieben
worden. Weigert*) hat sie Anfangs für Kunstproducte gehalten,
zunächst bedingt durch Einwirkung der Müüer'schen Flüssigkeit
(er fand sie bei Tuberculose und desquamativer Pneumonie, wenn
die Lungenstücke in Müller'scher Flüssigkeit gelegen hatten, aber
nicht an frischen Stücken benachbarter, in gleicher Weise erkrankter
Stellen). Später**) nahm er diese Meinung zurück: „im Eiter
*) Pocken-Process. p. 40.
**) Ueber Croup und Diphtheritis. V. A. Bd. 72. p. 251.
Die erste Impfung. 41
aus meinen Leichenpusteln fand ich grosse Zellen, die offenbar aus
dem Rete stammten, in denen zwischen Kern und Protoplasma
ein Hohlraum war."
Leloir*) betrachtet diese Lückenbildung als eine ganz be-
sondere Degeneration und giebt als verschiedene Stadien dieses
Processes in aufsteigender Intensität an:
Lücke zwischen Kern und Protoplasma — Schrumpfung des
Kernes — Zerspaltung des Kernes — vollständiger Schwund
des Kernes (Lückenbildung).
Meine Anschauungen weichen in folgenden Punkten von denen
Leloir's ab: ich betrachte Anfang und Ende seiner Intensitäts-
Skala (seine Figuren 2A. und 2E.) als Anfangs- und Endstadium
des von mir hier kurz geschilderten Processes, also als Verände-
rung des dem Kern zugewendeten Protoplasmasaums. Hin-
gegen sind die „Schrumpfung und Compression des Kernes" (seine
Figuren 2B. und 20.) unzweifelhaft Veränderungen des Kernes,
aber nach meiner Annahme nicht solche, die (in weiterer
Entwicklung) zum Schwunde desselben führen; sie bezeichnen
vielmehr nur eine Veränderung der tingirbaren Substanz desselben.
Das Wort Kernschrumpfung ist in dem von Leloir gemeinten
Sinn vielfach angewendet und auch ich brauche es in diesem Auf-
satz mehrfach, da ein anderes, der Wirklichkeit mehr entsprechendes
noch nicht üblich ist, aber über die hier vorliegenden thatsäch-
lichen Verhältnisse kann nach meiner Meinung kein Zweifel
bestehen:
Im gereizten Rete ist die Kernsubstanz so differenzirt, dass
dichtere und weniger dichte Massen vielfach abwechselnd nahe bei
einander liegen (daher die „fädigen Figuren"); bei dem hier in
Rede stehenden Zustande ist nun eine Abweichung von diesem
gewöhnlichen Bilde der Reizung eingetreten: es haben nämlich
(aus unbekanntem Grunde) einzelne Stellen des Kernes diese grössere
Dichtigkeit nicht erlangt, oder sie haben dieselbe wieder eingcbüsst
und es finden sich daher im Kern mehr zusammenhängende
Partien nicht verdichteter Substanz neben ebenso zusammen-
*) Alteration speciale des cellules epitheliales. Aroh. de physiol. 1878.
Bd. 15. p. 470.
42 Erster Abschnitt.
hängenden, die gleichmässig verdichtet sind*). Wendet man nun
wie es meist geschehen ist, die Kernfärbung in (verhältnissmässig)
concentrirter Lösung an oder gebraucht man (wie es Leloir ge-
than) Picrocarmin, so erscheinen die Uebergänge von den gefärbten
Kerntheilen zu den (anscheinend) nicht gefärbten sehr schroff und
man geräth in Gefahr, zu schliessen, dass an den nicht gefärbten
Theilen wirklich keine Substanz vorhanden sei. Diesen JSchluss
hat Leloir in .der That gemacht; irrthiimlicherweise : bei vorsich-
tiger Kernfärbung überzeugt man sich, dass die ganze Kernmasse
gefärbt ist, nur in sehr ungleicher Intensität. Der Kern ist that-
sächlich nicht geschrumpft.
Desgleichen geht meine Ansicht über das dritte Stadium Le-
loir's, die Zerspaltung des Kerns, die Kernzerstäubung (seine Fig.
2D.) dahin, dass dasselbe ein ganz normales Entwicklungs-
stadium der zur Theilung führenden Kernreizung ist; man findet
diese Figuren sehr häufig gerade in solchen Partien, welche in
lebenskräftigem Vorschreiten begriffen sind; und in er-
krankten: nur an der Grenze des Gesunden.
Ueber die vorher (p. 40 sub 2.) besprochene Lückenbildung
um den normal contourirten Kern resp. an der Stelle des
(ausgefallenen) Kernes lässt sich Folgendes aussagen:
Nichts deutet darauf hin, als sei die Lücke etwa durch einen
Druck entstanden, der von einer in vivo zwischen Kern und Pro-
toplasma eingedrungenen Flüssigkeit ausgeübt worden sei; die sehr
geringe Fluxion an der äusseren Grenze der Reizungszone, vollends
am Ende des ersten Tages, spricht schon von vornherein gegen
die Annahme eines stärkeren Druckes seitens der Nährflüssigkeit;
dann wird weiterhin (p. 45) erwähnt werden, dass, wo ein solcher
*) Diese leicht zu cpnstatirende Thatsache ist vielfältig angegeben und
dann in den letzten Jahren stets so gedeutet worden, als habe sich die ganze
(früher an verschiedenen Stellen des Kerns vertheilt gewesene) dichtere Sub-
stanz auf eine einzige Stelle zusammengezogen — indess manche Präparate
legen die (ältere) Anschauung näher-, dass in Folge der Reizung an den
kleinen Einzelterrilorien des Kerns selbst eine chemische Umwandlung der
Substanz und damit eine zunehmende oder abnehmende Verdichtung ein und
derselben Stelle erfolgt, ohne dass eine Wanderung einzutreten braucht.
Ich komme auf diesen Punkt bei Besprechung einzelner Zellen in dein
Pocken des Schafes noch einmal kurz zurück (p. 54).
Die erste Impfung. 43
Druck zu präsumiren, zwar eine Lückenbildung eintritt, aber nicht
zwischen Kern und Protoplasma, sondern an der äusseren Um-
grenzung des Protoplasmas (Fig. 9a.); endlich findet man an
Stellen, an welchen intra vitam eine, Ectasie erzeugende, Flüssig-
keit vorhanden war, oft Kerne oder Kernreste (Fig. 9c), die hier
aber fehlen.
Die Lücken sind vielmehr durch Schrumpfung entstan-
den. Die Schrumpfung erfolgt, weil das Protoplasma an seiner dem
Kern zugewendeten Fläche nicht den durchschnittlichen Grad der
Widerstandsfähigkeit hat; sie ist eine postmortale durch die
Härtungs- oder Zusatzflüssigkeiten bedingte; in vorgerückten Stadien
des Processes hat der Pockeneiter (resp. die sonst am Herd vor-
handene Flüssigkeit) selbst die auflösende oder Schrumpfung herbei-
führende Wirkung auf die absterbenden oder abgestorbenen Zellen.
Indess wenn auch der Vorgang selbst ein postmortaler ist,
so erfolgt er doch nur auf Grund einer ganz bestimmten Be-
schaffenheit des Protoplasma intra vitam, denn er findet
sich an einem Präparate doch stets nur an beschränkten Stellen.
Und es entsteht die Frage: entspricht diese bestimmte Beschaffen-
heit einem Zustand des Protoplasma, der normaler Weise bei jeder
Zellreizung unter gewöhnlichen Verhältnissen eintritt, also auch bei
der physiologischen Zellvermehrung? oder spielt die Infection mit?
Ich bin geneigt, dies Letztere anzunehmen und deute speciell den
hier (in diesem Stadium des Processes) angegebenen Befund in
der Weise, dass die eingeleitete Reizung durch den nachfolgenden
ungenügenden Zufluss des Saftstromes den Bedingungen für
ihren sonstigen, normalen Ablauf entzogen ist.
Der fünfte Tag nach der Impfung.
Vergleichende Versuche haben ergeben, dass beim Kalbe der
fünfte Tag nach der Impfung das zum Abimpfen am meisten ge-
eignete Material liefert; es entspricht auch ungefähr das Entwick-
lungsstadium des Impfbläschens um diese Zeit dem vom siebenten
Tage beim Menschen.
Der ganze Impfherd ist am Ende des fünften Tages etwa drei
mal so ausgedehnt wie am Ende des zweiten; die Impfzone misst
(bei der Impfung mittelst Stich) nunmehr 1,5 bis 2 Mm.; hiervon
kommt etwa ein Drittel auf den eigentlichen centralen Theil, zwei
Drittel auf die Flügel.
Im centralen Theil markiren sich drei über einander gelegene
Schichten. Die oberste, etwa 250 /*. hoch, zeigt bei Anwendung
von Methylviolett und Pikrin die gelbbraune resp. bei richtiger
Färbungsintensität pensee-violette Farbe, welche nach meiner Mei-
nung (p. 19 und 21) einer besonderen Uebergangsstufe des Stra-
tum corneum eigenthiimlich ist. Die Breite dieser Schicht nimmt
nach den Seiten hin schnell ab.
Die zweite Schicht, etwa 150 f/.. hoch, zeigt bei der angege-
benen Doppelfärbung eine rein gelbe Farbe, wie das Stratum luci-
dum ; sie geht seitlich in das Stratum lucidum der gesunden Haut-
partien über.
Die dritte Schicht enthält das in den Process hineingezogene
Bindegewebsstroma; die Cutis ist bis in das Unterhautzellgewebe
hinein erkrankt.
Die zwei oberen Schichten sind ebenso, wie in den ersten zwei
Tagen nach der Impfung (Fig. 2, a.) dicht durchsetzt von Kernresten;
diese erscheinen bezüglich ihrer Grösse in der obersten Schicht
nicht kleiner als an Präparaten vom zweiten Tage: ein Beweis,
dass nach Beginn der stärkeren Saftströmung eine weitere all-
mälige Auflösung derselben nicht erfolgt ist. Die bedeutende Höhen-
ausdehnung dieser Schichten (das gesunde Rete der nahen Nach-
Die erste Impfung. 45
barschaft ist im Ganzen 36 — 54 (i. hoch) beweist, dass eine starke
Aufquellung derselben erfolgt ist (was die Betrachtung mit blossem
Auge und der ganze Process der Entstehung eines Bläschens ja
schon erkennen lässt); es handelt sich, im Gegensatz zu der be-
nachbarten Reizungszone, selbstverständlich nicht um einen activen
Vorgang (denn die Zellrestc sind keine activen Individuen mehr),
sondern um eine passive Quellung: ein Theil des zugeführten Saft-
stromes wird von den Protoplasmaresten festgehalten.
Der chemisch-physiologische Zustand des Gewebes dieser ober-
sten Schicht ist durch die angegebene Färbung als ein Mittelstadium
des Verhornungsgrades zwischen Stratum lucidum und Stratum cor-
neum charakterisirt. Im mikroskopischen Schnitt erscheint die
oberste Schicht als eine Spindel, deren verhältnissmässig dicke Mitte
dem Centrum des Impfherdes entspricht und deren rasch sich ver-
jüngende Seitentheile sich nach rechts und links bis zum normalen
Stratum corneum der Reizungszone erstrecken. Unter ihr erscheint
schmaler, aber sonst in gleicher Form die zweite Schicht, welche
nach rechts und links in das Stratum lucidum ausläuft; die Kern-
reste, welche sie enthält, sind etwas kleiner als die der obersten
Schicht, nach meiner Meinung eine Folge der starken, auflösenden
Saftströmung.
Erhalten sind in beiden Schichten die Contouren der Haar-
bälge: die Zellen der äusseren Wurzelscheide sind nicht mehr zu
erkennen, eine nach innen von der äusseren Wurzelscheide gelegene
Schicht ist jedoch noch unversehrt; diese Schicht besteht aus
zwei sehr dünnen Blättern, die zwischen sich einen Canal
enthalten: in diesem Canal erfolgt die Abfuhr von Zerfallspro-
dueten und Mikrokokken aus dem Impfherd nach den tiefer gele-
genen Lymphbahnen der Cutis (Fig. 8, f., Fig. 13, d.).
Die Menge und Vertheilung der Mikrokokken in diesem Ent-
wicklungsstadium des Processes wird weiterhin (p. 66) im Zusam-
menhange besprochen werden.
Bezüglich der Entstehung des Bläschens übergehe ich die
Veränderungen innerhalb der Impfzone: diese sind an der Va-
riola des Menschen und des Schafes von anderen Autoren aus-
reichend geschildert.
46 Erster Abschnitt.
Hingegen gestatte ich mir eine Bemerkung bezüglich derjenigen
Zellen der Reizungszone, welche dicht am Rande des Bläs-
chens sich befinden.
Sobald im Verlauf der (exsudativen) Entzündung zwischen der
Zufuhr des Saftstromes und der Ableitung desselben ein solches
Missverhältniss eintritt, dass dieses durch weitere vermehrte Auf-
nahme seitens der Zelle nicht mehr ausgeglichen werden kann, muss in
den ableitenden Canälen, unmittelbar über dem Hinderniss die erste
passive Erweiterung eintreten. Diese erste Erweiterung erscheint
innerhalb des Rete als ein Spalt zwischen den aneinander gren-
zenden Aussenflächen der Zellen (Fig. 9, a.).
Es fragt sich zunächst, ob diese Spalten in der That auf
Stauung zurückgeführt werden dürfen:
Die vergleichende Beobachtung verschiedener Stadien des Pro-
cesses zeigt, dass bei Beginn der Reizung der Durchmesser der
Retezellen wächst; Kern und Protoplasma, beide vergrössern sich;
allein innerhalb der einzelnen Regionen des Protoplasma ist die
entstandene Schwellung keine gleichmässige: der äussere Umfang
der Zelle nimmt wegen seiner härteren Consistenz und der Stachel-
bildung weniger Theil daran, er wird durch die stärkere Schwel-
lung in seiner nächsten Nähe vielleicht passiv ausgedehnt; diese
Quellungsdifferenz drückt sich im mikroskopischen Bilde dadurch
aus, dass man die Zellgrenzen, selbst die Stacheln, deutlich sieht
(bei einer normalen Cutis, die, ex vivo ausgeschnitten, in ab-
soluten Alkohol gelegt wird, erkennt man hiervon Nichts). Ge-
setzt: die active Quellung des centraler gelegenen Theiles nähme
weiter zu, so wäre a priori denkbar, dass an der Grenze zwischen
quellenden und nicht quellenden Schichten ein Riss erfolgt, dass
Flüssigkeit in diesen (vom Protoplasma aus) eintritt und ihn er-
weitert.
Allein diese ganze Annahme scheint nicht zulässig: Schwel-
lungen von solcher Intensität, dass dadurch eine Laesio continui
innerhalb einer Zelle einträte, sind nicht bekannt und aus fol-
geaden Gründen nicht wahrscheinlich: — die geschwellten Zellen
stehen ihrerseits unter dem immer noch starken Druck des ge-
dehnten, elastischen Stratum corneum, sie üben daher gegen
einander eine Pression, welche in dem beengten Räume das Klaffen
Die erste Impfung. 47
eines Risses (falls ein solcher entstanden sein sollte) verhindert —
ferner sind die Contouren der Spalträume glatt und scharf.
Es bleibt sonach die zweite Annahme allein übrig: die Spalten
sind durch Stauung entstanden; ich vermuthe: sie sind Erwei-
terungen präformirter Räume, welche mit den ersten
Anfängen der Lymphgefässe zusammenhängen. Die ge-
nauere Beobachtung zeigt nämlich, dass der Spalt als ein Canal
um einen grossen Theil der Zelle herumläuft, aber in seinen Win-
dungen nicht an alle Nachbarzellen anstreift; die 5 bis 8 Zellen,
welche man in der Regel um eine einzige Zelle des Rete herumlie-
gend findet, sind also in der Weise mit einander verbunden, dass
jeder einzelnen an dem grösseren Theile ihrer Peripherie
ein dicht anliegendes Drainrohr zur Verfügung steht. Es
erscheint demgemäss das Bild in der Regel so (Fig. 9.), dass das
Protoplasma an einer Seite mit dem Protoplasma der
Nachbarzelle unverändert verbunden ist, an den drei
anderen Seiten hingegen von den Nachbarzellen durch
den Canal geschieden. Es verdient bemerkt zu werden, dass
es mir nicht gelang, an dieser Stelle des restirenden Zusammen-
hanges zwischen zwei Zellen eine Stachelzeichnung zu finden. Ich
habe jedoch keine Erfahrung darüber, ob man an den Stachel-
zellen regelmässig oder häufig eine Region findet, die
stachel fr ei ist; oder ob im vorligenden Falle der starke Druck
die (vorhandene) Stachelbildung verwischt hat.
An den Begrenzungswänden dieser Oanäle gelang es mir nicht,
irgend eine besondere Zeichnung aufzufinden.
In diesen Canälen findet man nun regelmässig rundlich-kan-
tige Körper von 3 — 5 p. Durchmesser, welche Kernfärbung an-
nehmen; oft sind sie so zahlreich (Fig. 9 c), dass sie wie ein
Kranz die Zellen umgeben*). Bezüglich der Herkunft dieser Kör-
per bin ich geneigt, sie für Abkömmlinge der Kerne der Retezellen
zu halten. Fig. 9b. zeigt einen Kern, wie man ihn in solchen
Präparaten vielfach findet: die Kernfigur deutet eine Sonderung der
*) Die Körper liegen sämmtlich in dem gewundenen Hohlraum, nicht
zum Theil (wie es nach der Zeichnung scheinen könnte) im Protoplasma; die
Zeichnung ist absichtlich so gehalten, der Canal würde sonst in einer Ebene
zu liegen scheinen.
48 Erster Abschnitt.
Kernsubstanz in mehrere (hier sechs) Theile an, als wäre die ganze
Kernmasse durch drei Schnitte in sechs fast gleiche Theile zer-
legt. Innerhalb eines jeden (durch die gefärbten Punkte, Striche
und Schattirungen als gesondert zu erkennenden) Theiles findet
man wieder deutliche Einzel Zeichnungen, welche nach Grösse und
Form, sowie nach der eigenthümlichen Färbung völlig den Körpern
gleichen, die sich in den Spalten finden.
Ausdrücklich will ich erwähnen, dass an allen die-
sen Zellen eine Lockerung der Verbindung zwischen
Kern und Protoplasma nicht besteht.
Ich muss den Fachgenossen anheimstellen , ob sie meine An-
schauung theilen werden, dass die hier geschilderten Spalten Er-
weiterungen präformirt'er Spalträume sind, welche mit den
Lymphgefässen zusammenhängen oder vielleicht die Anfänge der-
selben darstellen; desgleichen der an der innersten Begren-
zung des Haarbalges liegende Gang (Fig. 8 f., 13d.). Die letzten
Autoren, welche über die Lymphgefässe der Haut geschrieben haben,
bestreiten, ebenso wie früher Langer und Young, die Existenz
derselben an diesen. Orten*): „Pour nous resumer, ni les glandes,
ni les conduits sudoripares, ni les follicules pileux, ni le muscles,
ni les nerfs de la peau ne possedent des lymphatiques speciaux;
c'est ä dire qu'il n'existe point ä leur interieur 'de fins lympha-
tiques qui leur soient propres et qui les mettent en relation
avec les lymphatiques plus volumineux." **)
Ich bemerke nochmals : die von mir geschilderten Zeilen
liegen nicht im Bereiche des Bläschens, sondern dicht
nach aussen von demselben. Im Bereiche des Bläschens sind
die Veränderungen intensiver, doch scheint der Vorgang der ersten
Entstehung völlig derselbe zu sein; wenigstens findet man einzelne
Zellen mit geblähten Kernen, die Rindfleisch***) sehr bezeich-
*) G. et F. E. Hoggan, Etüde sur les lymphatiques de la peau. Journ.
de l'anat. et de la phys. 1879. p. 63.
**) Die hierher gehörigen eingehenden Untersuchungen von Arnold und
Thoma haben bisher die Berücksichtigung nicht gefunden, welche sie in so
hohem Maasse verdienen..
"**; „Der Kern zerfällt durch wiederholte Querfurchung in eine Gruppe
von kleinen rundlichen Körpern, welche vorläufig noch zusammenhaltend ein
Klümpchen bilden, welches frei in der immer reichlicher werdenden lympha-
tischen Ansammlung schwimmt". (Pathol. Gewebelehre. 1875. p. 249).
Die erste Impfung. 49
nend schildert, doch sind die Spalträume so sehr erweitert, dass
sich über das ursprüngliche Verhältniss derselben zu dem nor-
malen Bau der Zelle Nichts aussagen lässt.
Sticht man ein Bläschen in diesem Zustande an, so tröpfelt
zunächst diejenige Flüssigkeit aus, welche im speciellen Impfraum
vorhanden ist (Fig. la.); nach Kurzem folgt beigemischt Flüssig-
keit, welche in der Reizungszone (Fig lg., h.) enthalten ist. Im
Impfraum selbst finden sich um diese Zeit stets freie Mikrokokken,
welche von den vorhandenen grossen Haufen (cfr. den Abschnitt
„die Mikrokokken") abgelöst werden; der nachfolgende Strom
aus der Reizungs-Zone bröckelt von diesen Ansammlungen immer
neue Einzelindividuen ab.
Versuche, durch periphere Stiche aus der Reizungszone mikro-
kokkenfreies Impfmaterial zu gewinnen (und damit zu experimen-
tiren) habe ich bald aufgegeben; ob sie bei Ausdauer und Sorg-
falt aussichtslos wären, gestatte ich mir nicht zu entscheiden.
Es ist eine höchst interessante Thatsache, dass die Zone
der trüben Schwellung um diese Zeit ihr vorher so cha-
rakteristisches Gepräge verloren hat. Dort, wo man sie
suchen darf, nach aussen von der (unverändert erscheinenden) Impf-
zone, findet man vollständige Retezellen und verstümmelte Reste
derselben, Rundzellen und Stücke derselben, regellos durch ein-
ander gemischt, wie dies Stadium des Processes es erwarten lässt —
aber die früher so markirten Verhornungserscheinungen
fehlen; entgegen unseren jetzigen Anschauungen ist die Mög-
lichkeit nicht abzuweisen, dass die bis zu einem gewissen
Grade vorgeschrittene Verhornung rückgängig gemacht
oder verwischt werden kann: die Zellen können bei dem
gesteigerten Saftstrom einen Theil ihres der Verhornung nahe
stehenden Inhalts abgeben und dafür andere, sie frischer gestaltende
Substanzen aus dem Saftstrom in ihr Protoplasma aufnehmen.
Allein höchst wahrscheinlich verhalten sich die Zellen hierbei ganz
passiv: denn ich habe die „Anfrischung" nicht einen solchen Grad
Piucua, Vaccination. A
50 Erster Abschnitt.
erreichen sehen, dass etwa am nächsten Tage eine noch weiter
gehende Restitution in dieser Region zu constatiren wäre; allein die-
selbe ist auch nicht zu erwarten, weil um diese Zeit sich daselbst
schon die ersten Anfänge der (secundären) Necrose bemerkbar
machen (welche ich geneigt bin , hauptsächlich aus der Intensität
der Entzündung zu erklären; andere Autoren bringen sie auf di-
recte Rechnung der Infection).
Bis zu welchem Grade aber um diese Zeit die physi-
kalische Auflockerung der Zone der trüben Schwellung
gediehen ist, erhellt daraus, dass man daselbst das
Stratum corneum, bei Untersuchung im polarisirten Licht,
nicht wie am zweiten oder dritten Tage als breites hell-
glänzendes Band, sondern nur als schmalen Streifen
oder als zarte Linie erkennt oder dass man oft selbst
nach einer solchen vergebens sucht.
Dicht nach aussen von dieser Zone beginnen die vorhin ge-
schilderten Zellen mit den Spalten resp. erweiterten Lymphräumen.
Es scheint geeignet, an dieser Stelle eines Zustandes der
Retezellen zu erwähnen, der sich bei Impfung der Schafe mit
Variola ovina am sechsten Tage einstellt. (Der sechste Tag der
Schafimpfung entspricht etwa dem Ende des vierten Tages bei
Impfung des Kalbes mit Vaccina; und soweit der äussere Verlauf
ein Urtheil gestattet: dem fünften Tage der Vaccination beim
Menschen).
Es handelt sich um den inneren Abschnitt der Reizungszone;
das Rete zeigt eine sehr bedeutende Schwellung: man findet Zapfen
von 450 fi. Tiefe in die Cutis vorgetrieben (das benachbarte normale
Rete ist 80 bis 100 fi. hoch).
In den seitlichen Partien dieses Zapfens sind die Zellen theils
annähernd normal, theils so verändert wie es p. 40 von dem
Kalbe am Ende des ersten Tages angegeben ist (Kerne sehr dicht
bei einander liegend — Kerne geschrumpft — Lückenbildung
zwischen Kern und Protoplasma). Ungefähr der ganze mittlere
Streifen des Zapfens erscheint ohne die deutliche Zeichnung der
Kerne und der Zellgrenzen, die man in diesem Stadium der Pocke
sonst regelmässig sieht; dafür findet sich eine grosse Anzahl
Die erste Impfung. 51
Körner scheinbar unregelmässig durch das Gewebe zerstreut; an
den am meisten veränderten Zellen gelingt es nicht, die Bedeutung
dieser Körner festzustellen ; von den übrigen kann man dies leicht
(Fig. 16.*) zeigt den ersten Anfang der Veränderung, bei welchem
über die Deutung kein Zweifel entstehen kann):
Um den normal contourirten, normal grossen Kern (der auch
normale Färbung zeigt) finden sich Punkte von 1 bis 3 (i. Grösse,
welche Kernfärbung angenommen haben, bei mittlerer Vergrösserung
(Hartnack 7 oder 8, Zeiss D oder F) gleichmässig rund und un-
gefähr von gleicher Grösse erscheinen und in der Regel in Form
eines Halbkreises den Kern umgeben, etwa in der Mitte zwischen
äusserer Begrenzung des Kernes und äusserer Begrenzung der Zelle
(die Zellabgrenzung ist deutlich zu erkennen); wo die Halbkreis-
zeichnung aufhört, fehlen in dem einen Fall weitere Punkte, in
dem anderen fehlen sie nicht, sondern scheinen zu einer besonderen,
neuen kreisförmigen Figur angeordnet. Neben diesen Punkten finden
sich fast immer andere (2, 3) gefärbte Elemente von doppelter oder
dreifacher Grösse, theils gleichmässig kuglig, theils unregelmässig
gestaltet; zuweilen liegt das eine derselben an einem Pol des
Kernes und noch ganz von ihm eingeschlossen, während die anderen
in seiner Nähe, aber im Protoplasma sich befinden. Die Zahl der
kleinen Punkte innerhalb einer Zelle beträgt 4 bis 20.
An anderen Zellen, an welchen der Kern nicht mehr scharf
umschrieben ist, habe ich auch eine Anordnung der Punkte zu
einer bestimmten, kreisähnlichen Form nicht erkennen können; sie
liegen anscheinend regellos; ihre Anzahl ist vermehrt, man zählt
40 und mehr.
Man kann diese Punkte in dreifacher Weise deuten:
1. Sie sind Zerfallsproducte von Kernen eingewanderter Rund-
zellen. Die Zahl der Rundzellen, welche um diese Zeit im binde-
gewebigen Theil der Cutis sich vorfinden, ist sehr bedeutend. Die-
jenigen Zertheilungsproducte der Rundzellenkerne, welche man im
bindegewebigen Theile der Cutis trifft, sind die bekannten halb-
ovalen, in Hufeisen- oder Scheibenform angeordneten Figuren.
Einen Zerfall in punktförmige Bruchstücke habe ich im bindege-
*) Fig. 16. u. 17. rühren von einem Präparat her, welches Herr Prof.
Klein in London mir freundlichst überscliickt hat.
4
*
52 Erster Abschnitt.
webigen Theile der Cutis nicht gesehen; man müsste deshalb an-
nehmen, dass im Rete ein weiterer Zerfall eintritt; eine solche
Annahme ist gestattet: der Stoffwechsel mit seinen, den Zerfall
anregenden Producten ist im Rete ungleich grösser als im Binde-
gewebe und vollends hier in einem Rete, welches in so hohem
Grade der Reizung sich befindet.
2. Die Zellen sind, wie das colossale Wachsen des Zapfens
beweist, in sehr rascher Vermehrung begriffen: die fraglichen Punkte
können Zerfallsproducte eines Kernes unmittelbar nach seiner Thei-
lung sein.
Hiergegen spricht die Unversehrtheit des in der Zelle vor-
handenen Kernes. Stellen wir uns einen Kern (nach den am meisten
verbreiteten Anschauungen) in Theilung begriffen vor, so ist schwer
zu denken, dass unter dem Einfluss irgend einer Schädlichkeit inner-
halb einer Zelle die eine Hälfte zu vollständig normaler Form sich
bildet, während die andere zerstiebt.
3. Die Punkte sind neu gebildete Kernsubstanz, welche im
Protoplasma entstanden ist.
Die Vermuthung, welche vor 20 Jahren von so vielen Beob-
achtern gehegt wurde: über die Entstehung von kernähnlicher Sub-
stanz im Protoplasma, ist mir nicht bei diesen Präparaten zuerst
wieder gekommen, sondern bei Betrachtung der Zerfallsproducte
der Impfzone (p. 10, Fig. 2a. etc.). Diese bilden sich früh, sie
erfüllen einen grossen Theil des Raumes; dem Anschein nach neh-
men sie weit mehr Raum ein, als die Summe aller normalen Kerne
daselbst betragen würde; es ist schwer, anzunehmen, dass die Kerne
bei dem Einfluss der Infection die Fähigkeit behalten sollten, neue
Substanz zu bilden. Es schien möglich, dass vielmehr das Pro-
toplasma unter dem Einfluss der Infection eine chemische
Umgestaltung erfuhr, die dasselbe der Kernsubstanz nahe
brachte. Die pflanzen-physiologischen Untersuchungen der letzten
Jahre über das Verhältniss zwischen Kern und Protoplasma lassen
eine solche Anschauung wenigstens möglich erscheinen.
In letzter Zeit ist von Arndt*) eine viel weiter gehende
Anschauung bezüglich der rothen Blutkörperchen ausgesprochen
worden.
*) Vircbow's Archiv Bd. 78. u. 83.
Die erste Impfung. 53
Allein wenn auch das Protoplasma so geartet ist, dass es
sich theilweise zu kernbildender Substanz differenziren kann, so
lehrt doch die alltägliche Erfahrung, dass man in den allermeisten
Fällen solche Bilder von punktförmiger Kernsubstanz im Proto-
plasma nicht findet (wie man ja auch in den Blutkörperchen des
Menschen in den allermeisten Fällen keine Kerne findet).
Es fragt sich mithin, was unter der angenommenen Voraus-
setzung jene Bilder bedeuten:
Bezüglich der Cutis der Warmblüter darf an der geläufigen
Annahme festgehalten werden: die Bildung neuer Retezellen erfolgt
durch Theilung der alten; die Theilung selbst vollzieht sich nach
dem Schema, welches die Untersuchungen an Kaltblütern in den
letzten Jahren genauer ergeben haben; in diesem Sinne deute ich
auch die fädigen Kernfiguren (Fig. IIa) p. 39. (Arndt hält Fä-
den in den Kernen von Blutzellen für thatsächlich nicht vorhanden,
sondern nur für optische Täuschung; bezüglich der Retezellen
halte ich an der wirklichen Existenz der Fäden fest.)
So lange die Retezellen unter normalen Verhältnissen stehen,
weichen sie von diesem (gewohnten) Schema ihrer Theilung
nicht ab.
Allein unter pathologischen Verhältnissen scheinen sie es zu
thun; und die Kernbildung im Protoplasma resp. aus
demselben scheint einem intensiveren Grade patholo-
gischer Reizung zu entsprechen:
Deductionen a priori und manche gelungene Uebertragungen
haben den Gedanken nahe gelegt, dass das Pockengift für Schaf,
Menschen und Rind ein und dasselbe gewesen ist; die jetzt vor-
handenen Verschiedenheiten innerhalb der drei Thiergruppen sind
grossentheils oder ausschliesslich durch die anatomisch - physiolo-
gischen Verschiedenheiten der Träger bedingt. Die starkes Haar
erzeugende Cutis des Rindes, die grösstentheils Wollhaar bil-
den de Cutis des Menschen, dieWolle erzeugende Cutis des Schafes
bedingen eine aufsteigende Scala der Gefährlichkeit der gan-
zen Krankheit. Zunächst lokal: die Retewucherungen nach der Vario-
lation des Schafes haben eine sehr grosse Ausdehnung im Verhältniss
zu denen des Kalbes nach der Vaccination ; nach meiner ungefähren
Berechnung sind in einer einzelnen Pocke die Retewucherungen des
Schafes in ihrem kubischen Inhalt über 50 Mal so gross, als die
54 Erster Abschnitt.
des Kalbes. Diesem Verhältniss entsprechen auch die krankhaften
Veränderungen der Einzelzellen: und die Scala, welche ich mir
in dieser Beziehung abstrahirt habe, lautet in aufsteigender In-
tensität :
Nahes Aneinanderliegen der Kerne mit schmalem Proto-
plasmasaum (hierzu rechne ich auch die postmortale Lücken-
bildung zwischen Kern und Protoplasma) Fig. 2. und 3. —
Schrumpfung der Kerne und Kernbildung im Protoplasma,
Fig. 16. —
Zerfall der Kerne, Fig. 2 a., 8 c. —
Faserstoff bildung in den Zellen und „Diphtheritis" in
denselben.
Diese Scala wird Vielen irrthümlich und überdiess als eine
Zusammenstellung von gar nicht zusammen gehörenden Zuständen
erscheinen: ich glaube indess, sie aufrecht erhalten zu können.
Man findet nun beim Kalbe im Verlaufe des Processes zwar die
ganze Scala vertreten, aber die Kernbildung im Protoplasma und
die „Diphtheritis" der Zellen immer nur selten und in kleiner
Ausdehnung, beim Schafe hingegen während verhältnissmässig
länger dauernder Perioden und in grösserer Ausdehnung.
Hier, wo es sich zunächst um die Erscheinungen innerhalb
der Zone der Reizung handelt, ist es von Interesse an die ver-
schiedenartige Auffassung der „Reizung" zu erinnern:, vor einem
Menschenalter unterschied man in dieser Beziehung (wie auch in
der Materia medica) zwischen Action des schädlichen Einflusses
(resp. des, Medikamentes) und Reaction des getroffenen Organismus;
allmälig fiel diese Scheidung fort; nach der Entwicklung der Na-
turwissenschaften innerhalb der letzten 20 Jahre scheint es, wenig-
stens nach meiner Meinung, gestattet, an die frühere Anschauung
wieder anzuknüpfen. Nach meiner Meinung liegt jener
Scheidung die ganz richtige Beobachtung von der ver-
schiedenartigen Intensität der Action der Organe zu
Grunde, die Gefahr des Irrthums entsteht nur durch die Schwie-
rigkeit: die Grenze, also den Anfangspunkt der Action
zu bestimmen; denn die Action beginnt früher als wir sie
wahrnehmen. Ein zweiter Gesichtspunkt, der hierbei von uns
immer mit berücksichtigt wird und der sich nicht vollständig mit
jenem deckt, ist der Hinblick auf die Endwirkung der Reaction:
Die erste Impfung. 55
ob sie ein Schutz ist oder nicht; nach dieser Richtung be-
sonders macht sich der Einfluss der Darwin 'sehen Arbeiten gel-
tend. Man hilft sich in der Regel mit den Worten (die auch ich
wiederholt in dieser Arbeit brauche): „vom klinischen Standpunkte
aus"; diese Worte sollen die thatsächlich bestehende Zwiespältig-
keit unserer Anschauungen nicht verhüllen, sie sollen uns nur
entschuldigen, wenn wir nicht bei jeder einschlagenden Detailfrage
auf diese Zwiespältigkeit des Weiteren eingehen.
Also vom „klinischen Standpunkte" aus habe ich allerdings
die Ansicht', dass die Reizung in der Reizungszone eine wirkliche
Reaction im alten Sinn, d. h. ein Schutz ist; die Ausdehnung und
die Qualität dieser Reizung steht nach meiner Meinung im geraden
Verhältniss zu der Gefährlichkeit der Krankheitsursache (selbstver-
ständlich stets: für dieses specielle Individuum, resp. dieses spe-
ciale Organ). Und es spricht natürlich auch nicht gegen diese
Anschauung, dass die „Schutz Veränderung" der Zelle sehr häufig
zu ihrer eigenen Vernichtung führt; denn während derselben ge-
winnen die Nachbarzellen günstige Bedingungen für eine Regenera-
tion. Der Organismus trägt natürlich nicht einen selbstbewussten
Spiritus rector in sich, aber seine Actionen verlaufen doch meist
so, als ob er einen solchen enthielte.
Demgemäss ist die grosse Anzahl der Zellen mit den,
Kernfärbung annehmenden, Punkten im Protoplasma an
dem inneren Abschnitt der Reizungszone des Schafes
nach meiner Ansicht ein Ausdruck der Intensität des
gefährlichen Nachbarprocesses: das Kalb kann sich mit dem
ersten Stadium der Scala begnügen (rasche Theilung der Zellen,
bei welcher für die einzelne Zelle nicht viel Protoplasma übrig
bleibt); das Schaf desgleichen im äusseren, weniger gefährdeten
Abschnitt der Reizungszone; hingegen im inneren kommt es zu
diesem, immer noch regelmässigen, Modus nicht mehr, sondern zur
Bildung von Kernsubstanz, wo immer dies möglich ist, also
auch im Protoplasma.
Bei der Variola humana zeichnet Weigert (Beitr. zur Lehre
von den Pocken, Heft 1, Taf. 2, Fig. 8 c.) eine Zelle, in welcher
neben einem normalen Kern ein Kernpunkt an der inneren Hälfte
des Protoplasmas sich befindet; Weigert war damals geneigt, ihn
als eine Sprossung des Kernes aufzufassen (es handelte sich um
56 Erster Abschnitt.
Zellen, deren innere Protoplasmatheile wegen ihrer gleich massigen
Quellung im mikroskopischen Bilde als scheinbare Lücken er-
schienen); ich deute diesen Kernpunkt als frei aus dem Proto-
plasma entstanden.
An derselben Stelle der Schafpocke und auch um dieselbe
Zeit findet sich eine zweite Art von Zellen, über welche ich kurz
Folgendes anführen will (Fig. 17.):
Die Zelle ist rund, hat 35 bis 40 fi. Durchmesser, ihre äussere
Abgrenzung ist ziemlich deutlich, ohne Zähnelung. Sie enthält
gewöhnlich zwei ovale Kerne*), ausserdem im Protoplasma einzelne
wenige (2, 3) Kernpunkte. Der innere, dem Kern zugewendete
Theil des Protoplasmas zeigt eine annähernd concentrische Streifung,
als hätten sieh dort schalenartige concentrische Schiebten ge-
bildet, welche jedoch meist nicht den ganzen Kern umgeben, sondern
immer nur einen grösseren Abschnitt desselben.
Es interessirt bei diesen Zellen das Verhalten des Rete: bei
einfacher Entzündung, infectiöser Entzündung und bösartiger Tu-
morenbildung. Bei der Schilderung dieser letzteren berichten ver-
schiedene Autoren über ähnliche Erscheinungen; bei der Variola
giebt Klein**) diese Formen an; er bildet sie in seinen vortreff-
lichen Zeichnungen fast sämmtlich nahe der Verhornungsgrenze ab,
an der Stelle, welche er als mittleres Stratum lucidum bezeichnet
(nach der Auffassung, die ich aus meinen Präparaten erhalten
habe: das von dem normalen gesunden Rande her, unter das
abgestorbene geschobene neue Rete, dessen obere Grenze in dem
einen Fall verhornt, in dem andern Fall von einer neuen Infection
ergriffen wird). An diesen Stellen habe ich sie nur selten gesehen***)
und ich halte für möglich, dass die Differenz mit der Art der In-
fectionsmethode zusammenhängt: Klein kam es darauf an, bei der
Inficirung möglichst den Typus der ächten Variola nachzuahmen,
*) Die Zelle Fig. 17. enthielt 2 Kerne von gleicher Grösse; sie lagen
in verschiedenen Ebenen, deckten sich aber zum Theil im Bilde; der zweite
Kern ist daher nicht mitgezeichnet worden.
**) Philosoph. Transactions 1875. Plate 29, 30 und 32. Fig. 4,
6, 15, 16.
***) Unter den von Klein mir überschneiden Präparaten befanden sich
Die erste Impfung. 57
er injicirte deshalb das Gift mil einer Pravaz-Spritze in die tie-
feren Schichten der Cutis; ich wollte den Modus der Vaccination
festhalten. Nach einigen Worten des Textes scheint Klein ge-
neigt, diese Zellen mit dem Verhornungsprocess in Beziehung zu
setzen. Es kann dies sein; es kann aber auch wie angegeben die
Neuinfection, welche von oben in die jungen Zellen eindringt, mit-
wirken.
Der achte Tag nach der Impfung.
Der achte Tag nach der Impfung des Kalbes entspricht un-
gefähr dem zwölften beim Schaf und soweit der äussere Befund
und Verlauf zu urtheilen gestattet: dem zehnten beim Menschen.
Es ist um diese Zeit in der Regel eine Verschorfung der Impf-
pustel eingetreten (secundäre Necrose). Ein mikroskopischer
Schnitt durch das Centrum der Pocke zeigt Folgendes:
Die obersten 150 bis 300 (»-. sind so vollständig zerstört, dass
sie keine Spur von Kernfarbstoff annehmen und keine anderen
Contouren zeigen als die innere Begrenzungslinie der Haarbälge.
Das Gewebe hat an vielen oder den meisten Stellen die gelbe
Farbe necrotischer Theile.
Die nach abwärts dann folgenden 300 bis 700 fj>. lassen von
den ursprünglich daselbst gelegenen Zellcontouren (der äusseren
Wurzelscheide der Haare, der Capillargefässe, der Bindegewebs-
körper, der Rundzellen) in der oberen Hälfte nur vereinzelte Bruch-
stücke erkennen; diese, Kernfärbung annehmenden Bruchstücke neh-
men an Zahl nach unten hin immer mehr zu und in dem untersten
Theil dieses Abschnitts sieht man die Zellen der Talgdrüsen und
viele Rundzellen in ihren Contouren unverändert.
Die gelbe necrotische Färbung zeigt sich stellenweise auch in
zwei aus dieser Epoche; bei ihnen liegen diese Zellen in denen des Zapfens.
Bei der ausserordentlich grossen Sorgfalt Klein 's ist anzunehmen, dass er
seinen Zeichnungen dasjenige Bild zu Grunde legte, welches ihm am häu-
figsten begegnet war.
58 Erster Abschnitt.
dieser Region und dann stets rings um die Haare, nicht dicht neben
denselben, sondern in einer Entfernung, die nach den Maassen der
gesunden Theile etwa der Peripherie des Balges entsprechen würde.
Nimmt man an, dass aus den necrotischen Herden der oberen
Schichten sich die, Necrose erzeugenden Flüssigkeiten, zunächst durch
die Lymphgefässe in die tiefen Schichten hinziehen, so gehen, wie
angegeben (p. 70), die Lymphgefässe im Rete (und dicht unter
demselben) sehr nahe am Haar hin; nach dem Bau des tieferen
Abschnittes des Haarbalges müssen die Lymphgefässe sich nach
aussen wenden, da sie am Grunde des Balges wegen der Einstül-
pung der Papille nicht durch passiren können; an welcher Stelle
dieses Umbiegen von Innen nach Aussen erfolgt, habe ich nicht
feststellen können.
Necrotische Färbung findet man um diese Zeit bis 400 //.
unter der oberen Grenze der Cutis; in den nächsten Tagen geht
sie noch tiefer hinab.
Der obere Rand der necrotischen Partie ist mit Mikrokokken
erfüllt (Fig. 6.). Sie liegen in der Regel als scharf umschriebene
länglich-ovale Ballen, 3 bis 4 Ballen über einander, längs der
ganzen oberen Grenze des Schnittes; die Serienschnitte zeigen, dass
diese Mikrokokkenanhäufung ungefähr so weit sich ausdehnt, wie
die Borke des eingetrockneten Bläschens reicht. Zuweilen wird
die Reihenfolge der Ballen durch eine Allee oder eine schwarm-
artige Ausbreitung der Mikrokokken unterbrochen.
Nach meiner Meinung entwickeln sich die Mikrokokken dort,
wo der Saftstrom in Folge der Necrose vollständig aufgehört
hat, in der scharf umschriebenen Balienform innerhalb der
Kernräume der (verhornten) Retezellen (cfr. p. 15); dafür
spricht auch die Grösse dieser Ballen und ihre Ueber-
einander-Lagerung zu je 3 oder 4; wo die Saftströmung,
wenn auch noch so schwach, fortbesteht (z. B. in der Nähe des
Gesunden) werden die einzelnen Körnchen von einander getrennt,
denn die Zooglöa haftet nur sehr locker.
Die Färbung der Mikrokokken (bei der angewendeten Methode,
p. 3) ist violett.
Sehr häufig findet man neben den Mikrokokkenballen scharf
umschriebene runde oder ovale, gleichfalls violett gefärbte,
Die erste Impfung. 59
Figuren, bei denen es nicht gelingt, eine Körnung aufzufinden.
Die Zweifel über die Deutung dieses Befundes erwähne ich p. 76.
Die Mikrokokken werden etwa vom dritten Tage an (wie schon
wiederholt angegeben) in die Lymphgefässe geführt; am vierten
und fünften Tage ist es nicht schwer, sie daselbst zu finden (Fig.
8f„ 13 d.). So wie beim Vorschreiten des Processes durch die
Necrose der Lyrophstrom zum Stehen kommt, entwickeln sich die
Kokken daselbst zu grösseren Mengen, jedoch niemals in solchen
Anhäufungen wie an der oberen Grenze des Schorfes. Die tiefste
Stelle, an der ich sie um diese Zeit gefunden, lag 300 p. unter
der Oberfläche: es war ein etwas gewundener Canal von 14 fi.
Breite und 52 fi. Länge, der vollständig mit violetten Mikro-
kokken erfüllt war; ich bin ausser Stande, zu sagen, . ob es ein
Lymphgefäss oder eine Blutcapillarschlinge war.
In den Präparaten dieses Entwicklungsabschnittes der Pocke
findet man ab und zu Gebilde, die ich nicht zu deuten weiss, die
ich aber wenigstens kurz erwähnen will. Es sind kugelförmige
Formen von 8 bis 9 fi. Durchmesser, welche in ihrem Innern 6
bis 10 lichte Punkte zeigen: bei andauernder Untersuchung ge-
winnt man den Eindruck, dass der Körper innen von lauter kleinen
Kugeln erfüllt ist, deren central gelegener Theil wegen der ab-
weichenden Brechungsverhältnisse seines Inhaltes hell erscheint.
Die Hülle des ganzen Gebildes und die Hüllen der ein-
geschlossenen kleinen Kugeln sind blau gefärbt (Kern-
färbung.
Diese Formen habe ich nur innerhalb der necrotischen Partien
gefunden; zuweilen in der Mitte eines Haardurchschnittes. Fig. 8c.
zeigt ein solches Gebilde an einer solchen Stelle. Dieser Fundort
legt die Vermuthung nahe, dass das Gebilde erst nach Anfertigung
des Schnittes an diese Stelle gelangt ist. Erfahrene Botaniker
und pathologische Anatomen hatten auf meine Bitte die Freund-
lichkeit, die Präparate zu betrachten: sie konnten jedoch keine
Vermuthung darüber gewinnen, ob diese Gebilde vom thierischen
Körper abstammten, ob sie mit den Mikrokokokken zusammen-
hingen, ob sie Verunreinigungen wären und wenn dies Letztere:
welcher Herkunft?
Nach aussen von dem necrotischen Schorf findet sich ein ring-
60 Erster Abschnitt.
förmiger Streifen der Cutis im Zustande der trüben Schwellung.
Die Breite dieser Schicht beträgt 500 bis 1000 (i.\ die einzelnen
Zellen derselben sind vergrössert, ihre äussere Umgrenzung ist
scharf abgesetzt, ihre Kerne sind (bei Betrachtung mit Immersions-
linsen) deutlich erkennbar.
Es ist (p. 48) angegeben worden, dass am fünften Tage nach
der Impfung die früher (am 2. und 3. Tage) deutlich als trübe
Schwellung charakterisirte Zone durch die starke Fluxion dieses Cha-
rakters entkleidet worden ist. Diese Zone ist am 8. Tage in das
Bereich des necrotischen Gebietes gezogen: die hier angeführte trübe
Schwellung ist neueren Datums; sie findet sich (erheblich weiter
nach aussen gerückt) an der äusseren Grenze des Bläschens, ent-
sprechend dem inneren Rande des rothen Entzündungshofes. Die
Zellen entsprechen dem Bilde der Fig. 4.
Bezüglich des Modus ihrer Entstehung ist es nicht angängig
(wie am zweiten Tage) auf eine Unterbrechung des Blutstromes
zu recurriren: die Fluxion ist vielmehr eine sehr intensive. Man
müsste dann annehmen. |dass entweder Säfte aus der necrotischen
Impfzone, dem Saftstrom von der Reizungszone entgegen, per con-
tiguum die Zellen der Nachbarschaft direct tödten oder die Lymph-
gefässe dieser benachbarten Zellen zur Verödung bringen. Aber
gesehen habe ich diese Gefässverödungen nicht.
Nach aussen von der Zone der trüben Schwellung findet sich
die Zone der Reizung; sie hat um diese Zeit eine Breite von 1000
bis 1300 (U., und nimmt in den nächsten Tagen noch etwas zu.
Die Zellen derselben haben die p. 39 und 40, Fig. 2. und 3.
angegebene Beschaffenheit.
Unter der ganzen Breite der drei Zonen liegen Rundzellen in
dichten Zügen; nach aussen hin schwinden sie schnell. Im Gegen-
satz zu Variola ovina, bei welchen man Rundzellenanhäufungen in
viel beträchtlicherer Ausdehnung findet.
In der dieser Epoche entsprechenden Entwicklung der Va-
Die erste Impfung. 61
riola ovina (am 12. Tage) findet man im Unterhautbindegewebe
der Schafe unter den Pocken (wie ich vermuthe) Lymphräume mit
gelben necrotischen Massen (von feinkörnigem oder gleichmässigem
Aussehen) erfüllt; streckenweise werden die gelben Streifen von
dicht gedrängt liegenden, blau gefärbten Mikrokokken unter-
brochen; zuweilen findet man dicht über einander zwei verschie-
dene Streifen: den einen aus lauter Mikrokokken bestehend, den
anderen gelb necrotisch ohne eine Spur von Mikrokokken.
Mit Rücksicht darauf, dass von anderen Beobachtern vielfach
vergebens nach Mikrokokken bei Variola ovina gesucht worden ist,
gestatte ich mir nochmals zu bemerken: sie befinden sich in
diesem Stadium in der tiefsten Schicht des Unterhaut-
bindegewebes und man thut gut daran, sich dessen beim
Ausschneiden zu erinnern. Warum man im oberen Theil der
Impfpocke oder natürlichen Pocke des Schafes so häufig vergebens
nach Mikrokokken sucht ist p. 64 und 79 kurz erwähnt.
Bei der Vaccina des Kalbes habe ich im Unterhautbindege-
webe keine Mikrokokkenanhäufung gefunden.
Kurze Darstellung des Gesammtverlaufs der ersten Impfung.
Die kleine Impfverletzung erzeugt eine vergiftete Wunde,
welche dem äusseren Anschein nach innerhalb der ersten 48 Stunden
verheilt.
Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigen sich nach Ab-
lauf der ersten 24 Stunden drei Zonen, die durch ein verschiedenes
Aussehen der Kerne und durch eine verschiedene Empfänglichkeit
des Protoplasmas für Farbstoffe deutlich sich sondern lassen. In
der innersten Zone, dem eigentlichen Impfherd, sind fast alle
Zellen in solchem Grade zerstört, dass von der Form derselben
Nichts mehr zu erkennen ist, und dass die Kerne in schmale und
kurze Bruchstücke zerfallen sind.
Diese Zerstörnng der Zellen und speciell der Kerne
kommt zum kleinsten Theil auf Rechnung der Verletzung,
zum grössten Theil auf Rechnung der Infection.
62 Erster Abschnitt.
Der importirte Impfstoff enthält Substanzen, deren Zusammen-
setzung nicht bekannt ist, ferner Blutkörperchen, Rundzellen und
Mikrokokken. Was im Impfbezirk aus den importirten Substanzen
wird, ist durch die Untersuchung nicht ermittelt; es entsteht die
Vermuthung, dass die Resorption derselben langsam erfolgt. Von den
Mikrokokken ist festgestellt, dass sie innerhalb der ersten 48 Stun-
den sich ausserordentlich vermehren; die Vermehrung erfolgt be-
sonders reichlich in denjenigen kleinen Abschnitten des Impfherdes,
welche gegen den Saftstrom am meisten geschützt sind (unversehrte
Kernhüllen). In der nächsten Nähe solcher an Mikrokokken reichen
Stellen werden die vorhandenen Kernreste, die sonst (bei Anwen-
dung von Kernfarbstoffen) sehr deutlich sich erkennen lassen, so
vollständig zerstört oder umgewandelt, dass das Gewebe daselbst
ganz gleichmässig structurlos erscheint und eine gelbliche Farbe
zeigt (primäre Necrose).
Die dicht an die Impfzone angrenzende Zone der trüben
Schwellung zeigt das Protoplasma der Zelle verdichtet (an-
nähernd dem Verhalten der Zellen im bereits verhornten Zustande);
die Kerne gleichfalls so verdichtet, dass einzelne Fasern einer Kern-
figur oder einzelne Kernpunkte in der Regel nicht mehr zu er-
kennen sind; das Gewebe des Kerns erscheint gleichmässig oder
fast gleichmässig. Kern und Protoplasma zeigen in diesem ver-
änderten Zustand ein fast gleichartiges Verhalten gegen
Farbstoffe, so dass der Anschein entsteht, als ob die Kerne
fehlten.
Die nach aussen an die Zone der trüben Schwellung an-
stossende Reizungszone zeigt (in der Reihenfolge von Innen
nach Aussen) die Kerne nahe bei einander liegend, also nur mit
einem sehr schmalen Protoplasmasaum umkleidet (dem Anschein
nach: überhastete Zelltheilung bei ungenügend zufliessendem Nähr-
material) — die Kerne theilweise geschrumpft — der Zusammen-
hang zwischen Kern und Protoplasma gelockert — und schliess-
lich: schwache und nicht infectiöse Reizung (nämlich: Zahl der
über einander liegenden Zellen etwas vermehrt, Aufnahmefähigkeit
des Protoplasmas der Zellen für gewisse Farbstoffe etwas erhöht,
die Verbindungsstellen der Zellen unter einander, wegen des ge-
ringeren Quellungsvermögens der „Zellwände" schärfer hervortretend
und die ganze Einzelzelle etwas vergrössert; an dieser Vergrös-
Die erste Impfung. 63
serung nimmt auch der Kern Antheil; im Kern erkennt man bei
vorsichtiger Färbung mit sehr schwachen Lösungen einzelne zarte
Fasern).
In den ersten Stunden nach der Impfung erfolgt ebenso
wie bei einer einfachen, nicht vergifteten Verletzung eine Vermeh-
rung des Blut- resp. Saftstromes nach der Impfstelle hin. Eine
Schicht von Rundzellen umgiebt den Untergrund der kleinen Ver-
letzung. Zuweilen ist diese Anfangshyperämie so kräftig, dass
sie durch den Impfherd hindurch das gesunde Rete durchbricht.
Im Verlauf des ersten Tages (in der Regel gegen Ende des-
selben) hört diese Hyperämie auf; es folgt alsdann eine starke
Herabsetzung des Saftstromes.
Diese Herabsetzung ist Folge der Infeetion. Es ist unbekannt,
welche Stoffe aus dem inficirenden Gemisch diese Herabsetzung
bewirken und durch Vermittlung welcher Organe sie erfolgt. Es
liegt nahe, dieselben unbekannten Wege und Organe hierfür in An-
spruch zu nehmen, welche bei einem nicht infectiösen Eingriff von
dem Orte desselben zu einer ihn umgebenden Entzündung führen.
Diese Herabsetzung dauert 1 bis 2 Tage; während dieser Zeit
dehnt sich der Impfherd nicht weiter aus: es entwickelt sich jedoch
in ihm eine grössere Anzahl von Mikrokokken.
Am Ende des dritten oder Anfang des vierten Tages tritt
plötzlich ein Umschlag ein: auf die Herabsetzung des Saft-
stroms folgt eine Steigerung desselben. Die Ursachen
dieses Umschlages sind unbekannt. Von jetzt an beginnt die Pocke
räumlich zu wachsen: die Zonen des Impfbezirks und der trüben
Schwellung werden grösstentheils passiv durch Saftaufnahme aus-
gedehnt, in der Reizungszone erweitern sich und vermehren sich
die Zellen, der bindegewebige Theil der Cutis füllt sich allmälig
mit Rundzellen (es entsteht eine Papel).
Ist erst einmal (durch den unbekannten Vorgang) die erste
Umstimmung (bezüglich der Activität der dem Imfbezirk benach-
barten Zellen und bezüglich der Intensität des Saftstroms) einge-
leitet, so erscheint der weitere Vorgang verständlich: der lebhaft
gewordene Saftstrom eutführt aus dem Impfbezirk die giftigen Stoffe
(Mikrokokken und Flüssigkeiten, Fig. 8 f.) und verdünnt die zurück-
bleibenden in solchem Grade oder ändert sie auch qualitativ so
um, dass sie nicht mehr im Stande sind, die nächste Nachbarschaft
64 Erster Abschnitt.
weiter zu inficiren (genau wie bei einem einfachen, nicht conta-
giösen Mückenstich).
Ob die nunmehr in dieser Nachbarschaft eintretende Verän-
derung (die „Entzündung") Folge der Einwirkung des verdünnten
Giftes ist oder Folge der dem Thier immanenten Organisation, ob
Folge beider und wo dann die Grenze zwischen „Action" und „Re-
action" zu ziehen ist, bleibt unbekannt.
Der Grad dieser Entzündung ist stets ein erheblicher; erführt
zur Insufficienz der Lymphgefässe (Entstehung von Bläschen und
Pustel), später zur (secundären) Necrose des getroffenen Rete und
Papillarkörpers und somit weiterhin zur Entstehung einer Narbe.
Schon von der Mitte des zweiten Tages an oder vom Anfang
des dritten zeigt sich das ganze ergriffene Rete verhornt: die Ver-
hornung schreitet weder bis zur Bildung eines dicht geschichteten
Stratum corneum (was bei der erloschenen Activität der Zellen auch
nicht zu erwarten) noch bis zur Bildung derjenigen chemischen
Substanz, welche sich in den oberen Schichten des normalen Stra-
tum corneum vorfindet; sie bleibt vielmehr auf derjenigen Stufe
stehen, welche die Schollen der inneren Wurzelscheiden des Haar-
balges zeigen, und welche man in der Norm zuweilen in einem
schmalen Streifen zwischen Stratum lucidum und Stratum corneum
findet. Es gelang nicht festzustellen, wie viel von dieser überhas-
teten Verhornung auf directe Einwirkung des Giftes zu rechnen
ist und wie viel auf die Herabsetzung des Saftstromes; da im
Impfbezirk des zweiten Tages in der nächsten Nähe der Mikro-
kokkenanhäufungen die Verhornung stets am meisten ausgesprochen
war, nach aussen von den Mikrokokken rasch abnahm und sich
noch innerhalb des Impfbezirkes selbst verlor, während jedoch die
Abnahme des Saftstromes für den ganzen Impfbezirk gilt — ist
eine directe Einwirkung des Giftes auf die Entstehung der über-
hasteten Verhornung zu vermuthen.
Der Moment, wo der vorher herabgesetzte Saftstrom von
einer erhöhten Strömung abgelöst wird, macht sich mikroskopisch
kenntlich durch Veränderung an Kern und Protoplasma der Rei-
zungszone (Vergrösserung und erhöhte Aufnahmefähigkeit für ge-
wisse Farbstoffe) durch Zunahme der Rundzellen im Papillartheil
der Cutis, durch Veränderungen der Zone der trüben Schwellung
und durch sehr erhebliche Verringerung der Anzahl der Mikro-
Die erste Impfung. 65
kokken in der specifischen Impfzone; man findet deshalb von diesem
Zeitpunkt an grössere Mikrokokkenansammlungen nur an denjenigen
Lokalitäten, welche dem Saftstrom wenig zugänglich sind (oberer
Theil des Stratum corneum, erhaltene Kernhüllen).
Etwa einen Tag nach Beginn der Vermehrung des Saftstroms
fängt die Allgemeinwirkung an (Temperatursteigerung).
Es ist unentschieden, ob die Temperaturerhöhung bedingt wird
durch das Impfgift selbst (d. h. Mikrokokken und begleitende
Flüssigkeit) — oder durch die Zerfallssubstanzen, welche unter
dem Einfluss des Giftes aus den Retezellen abgespalten werden.
Der Umstand, dass, bei vorsichtigem Import von Vaccinalymphe
in etwas grösserer Menge in das subcutane Zellgewebe, Entwick-
lung von Vaccinapusteln und Temperaturerhöhung ausbleiben,
macht es wahrscheinlich, dass das Fieber durch die Abspaltungs-
producte der Retezellen erzeugt wird; doch muss zugestanden wer-
den , dass die bisher nach dieser Richtung hin gemachten Ver-
suche nach meiner Meinung immer noch mit zu kleinen Quantitäten
des Impfstoffs unternommen worden sind, um diese Frage defi-
nitiv zu entscheiden.
Pin eut*, Vaccination.
Die Mikrokokken.
Keber*) hat die Mikrokokken in der Poekenlymphe aufge-
funden: über die Bedeutung derselben versuchte er sich gleich
Rechenschaft zu geben, indem er die Pockenlymphe durch Fil-
trirpapier hindurchsickern liess und mit Filtrat und Rückstand
experimentirte; der mikrokokkenreiche Rückstand erzeugte beim
Weiterimpfen Pusteln, das mikrokokkenfreie Filtrat nicht. Das Filter
hält jedoch nicht allein die Mikrokokken, sondern auch flüssige
Bestandteile und Zellreste zurück; diese, in den letzten Jahren
vielfach und mit verschiedenen Modificirungen angewendete, Methode
bringt daher bezüglich der angeregten Frage keine Entscheidung,
wie namentlich durch die vorsichtigen und umfassenden Unter-
suchungen von Max Wolff festgestellt worden ist.
Das Wenige, was wir von der Entwicklung dieser Spaltpilze
wissen, hat F. Cohn**) mitgetheilt. Als eine Eigentümlichkeit
des Mikrokokkus Vaccinae und Variolae hebt Klebs***) die fast
regelmässige, viertheilige Anordnung desselben hervor.
Die grosse chemische Widerstandsfähigkeit der Mikrokokken
(gegen Alkalien und Säuren) ist zuerst nicht für die Mikrokokken-
gruppe der Variola, sondern für eine andere Gruppe durch von
Recklinghausen festgestellt worden, gilt aber auch für jene
Gruppe.
Weigertf) hat die Mikrokokken im Gewebe (der Cutis und
anderer Organe) der Variolaleichen aufgefunden und zugleich fest-
gestellt, dass sie Kernfärbung annehmen.
E. Kleinff) hat dasselbe für die Variola ovina nachgewiesen.
*) Virchow's Archiv Bd. 42. p. 112.
**) Virchow's Archiv Bd. 55. und Beiträge zur Biologie der Pflanzen.
***) Archiv für experimentelle Pathologie Bd. 10.
f) Poclien-Process. p. 72.
ff) Philosophie. Transact. 1875. p. 220.
Die erste Impfung. 67
Untersucht man frisch entnommene Lymphe aus der Pocke
eines Kalbes (vom fünften oder sechsten Tage nach der Impfung)
so findet man von geformten Gebilden: Epithelien (die von der
Wunde herrühren), weisse, zuweilen auch rothe Blutkörperchen und
Mikrokokken. Andere, von zuverlässiger Seite (Bohn, Gruen-
hagen) angegebene Formen habe ich nicht gefunden, neige daher
zu der Annahme, dass sie keine wesentlichen Bestandtheile sind.
Die Zahl der weissen Blutkörperchen ist vor dem fünften Tage
gering; dass sie in den folgenden Tagen zunimmt, ist bekannt.
Man sieht die Mikrokokken in der Lymphe fast immer ver-
einzelt; schon F. Cohn hat den Grund hierfür in dem Saftstrom
des thierischen Körpers gefunden. Nie habe ich in frischer Lymphe
einen Mikrokokkusballen gesehen.
Nie habe ich wirksame Lymphe frei von Mikrokokken ge-
funden.
Der Durchmesser des einzelnen Mikrokokkus betragt unge-
fähr 1 fi.
Die Mikrokokken werden mithin mit der Lymphe importirt
und ihre Anzahl wächst im Gewebe des Geimpften.
Die Vermehrung der Mikrokokken.
Die Vermehrungsgeschwindigkeit der Mikrokokken der Vaccina
bleibt hinter derjenigen zurück, welche zuverlässige Beobachter bei
anderen Arten von Mikrokokken an anderen Orten (Cornea)*) con-
statirt haben; die Verbreitungsart unterscheidet sich noch mehr
durch den Mangel an Continuität, was sich durch die grosse In-
tensität des Saftstromes in der Cutis im Verhältniss zur Cornea
erklärt.
Die Mikrokokken der Vaccina finden sich innerhalb der Cutis
stets nur im eigentlichen Rete, in den Lymphgefässen und wahr-
scheinlich auch in den Blutgefässen. Es gelingt nicht, innerhalb
der beiden letzteren grosse Massenansammlungen der Vaccina-
pilze aufzufinden, wie solche bei Variola humana und ovina von
Weigert, Klein und mir angegeben worden sind. (Die Wucherungen
der Mikrokokken innerhalb der gewundenen Canäle, p. 59, deute ich
*) Frisch, Fäulnissorgauismen. 1875. p. 25, Fig. 5, 16.
5'
68 Erster Abschnitt.
als entstanden, nachdem das Gewebe daselbst, necrotisirt war; übri-
gens sind auch diese Ansammlungen gering im Verhältniss zu denen,
welche ich bei Variola ovina gefunden habe.) Von den Geweben
des Menschen und des Schafes ist nur ein Theil für die Mikro-
kokken der Variola impressionabel und von den Geweben des Kalbes
ein noch viel kleinerer Theil für die Mikrokokken der Vaccina,
resp. (um nicht zu präjudiziren) für die Stoffe, welche sich mit
den Mikrokokken vergesellschaftet finden.
Eine genauere Beobachtung der speciellen Orte, an welchen
die Mikrokokken innerhalb der Cutis in grösserer Ansammlung
vorkommen (als scharf umschriebene runde Ballen oder als un-
regelmässig umschriebene Haufen) hat mich zu dem Schluss ge-
führt, dass ihre Ansammlung in dichter Menge (in welcher allein
sie eine Gefährdung, zunächst für das betreffende Organ, bedingen
können) wie bereits angeführt, nur an solchen Stellen möglich ist,
an welchen sie verhältnissmässig Ruhe vor dem Saftstrom haben.
Von einem ausgezeichneten Beobachter*) ist angenommen worden,
dass die Vermehrung der Spaltpilze im bewegten Saftstrom der
Warmblüter erfolgen könne; es lässt sich dies nicht bestreiten,
aber, wie ich glaube, auch nicht beweisen: bei den reichlichsten
Befunden von Mikrokokken im Blute wie in der Lymphe lässt
sich darüber Nichts aussagen, ob sie daselbst entstanden oder dort-
hin importirt worden sind. Es ist sicher, dass der Saftstrom des
Warmblüters schon bei sehr massiger Intensität die zarten Ver-
bindungen zwischen den einzelnen Mikrokokken der Vaccina löst:
in den ersten Anfängen der Lymphgefässe der Cutis, in welchen
man sich die Stärke des Saftstroms nicht sehr erheblich vorstellen
kann, habe ich nie einen Ballen oder einen Haufen gefunden,
stets nur einzelne Kokken (Fig. 8 f., 13 d.). Bei der Variola ovina
fand ich massenhafte Ansammlungen von Kokken in den Saftcanälen
erst zu einer Zeit als die Circulation in denselben aufgehört
hatte. Anders gestaltet sich die Auffassung dann, wenn gemeint
ist, dass die Spaltpilze, die in ein rothes oder weisses Blutkörper-
chen des strömenden Blutes eingedrungen sind, hier innerhalb
dieses Körperchens durch die Bewegung im Blute nicht be-
*) v. Nägeli.
Die erste Impfung. 69
hindert werden: die Hülle eines Blutkörperchens isolirt ebenso wie
die eines Retekernes.
Von gleicher Seite ist behauptet worden: die erste Ansiedlung
der Spaltpilze erfolge in den Capillargefässen des Blutes; ich habe
für diese Behauptung bei Variola vaccina einen Anhalt nicht ge-
funden.
Ich erwähne des Zusammenhanges wegen hier nochmals, dass sich
bei Variola ovina im subcutanen Bindegewebe weithin gestreckt
parallel der Oberfläche der Cutis verlaufende Räume finden, gleich-
massig gelb (necrotisch), ohne Spur erkennbarer Gewebsformen,
aber zum Theil auf grössere Strecken hin dicht mit (Kernfarbstoff
aufnehmenden) Mikrokokken erfüllt; ich habe diese für Lymphräume
gehalten, deren Inhalt durch die Beimischung aus den darüber lie-
genden Pocken, also secundär, zur Gerinnung und zum Stillstand
gekommen; und es ist für das Verständniss des ganzen Vorganges
nach meiner Meinung interessant, dass man bei ein und demselben
Thier an der einen Pocke die Räume nur mit necrotischem Inhalt
erfüllt findet, an der anderen Pocke theils mit necrotischem Inhalt
theils mit Mikrokokken; zuweilen sieht man auch unter ein und
derselben P'ocke zwei Streifen über einander liegend, den einen gelb
(necrotisch), ohne jede Körnung, den anderen nur von Mikrokokken
gebildet, ohne jede Spur von erkennbarem necrotischen Gewebe.
Es darf wohl auch daran erinnert werden, dass Billrotli*)
frische Lymphe und frisches Blut als ein wenig-geeignetes Nähr-
material für Coccobacteria septica festgestellt hat. Entwickeln sich
aber in Lymphräumen oder Capillaren die Mikrokokken zu dich-
teren Massen erst, nachdem die Circulation zum Stillstand gekom-
men ist, so spricht dies dafür, dass neben einer bestimmten che-
mischen Constitution der Umgebung auch Ruhe derselben für die
Entwicklung der Pilze von Bedeutung ist.
Dem entsprechend wechseln die Anhäufungsstellen
der Mikrokokken der Vaccina mit der vorschreitenden
Entwicklung der Pustel:
Am ersten Tage der Impfung findet man eine Wucherung
derselben nur in einer gewissen Entfernung von der Verletzung, fast
nie in der allernächsten Nähe derselben: die Keime, welche durch die
*) Coccobacteria septica. p. 70.
70 Erster Abschnitt.
Impfung etwa auf die Wundränder selbst deponirt waren, sind durch
den Saftstrom, der gerade über die Wundfläche am meisten un-
gehindert sich ergiesst, fortgespült worden. (Ich bemerke gleich
hier: im Verlauf des zweiten Tages findet man die Mikrokokken
oft dicht neben der Wunde (Fig. 12 b.); nach meiner Meinung sind
sie alsdann, aus den seitlichen und tieferen Regionen durch den Saft-
strom dorthin geführt, zur Ansiedelung gekommen und entwickeln
sich nunmehr reichlich auf dem abgestorbenen Gewebe, während
der Saftstrom wie angegeben zur Zeit an Intensität erheblich verliert).
Es findet sich im Verlaufe des zweiten Tages eine reich-
lichere Entwicklung von Mikrokokken an folgenden Orten:
1. Innerhalb der zerstörten Retezellen (der Impfzone) zu
Haufen; besonders reichlich sind dieselben an einer Stelle, an
welcher zwei benachbarte Haarbälge vom Impfstich schräg getroffen
sind; es liegt die Vermuthung nahe, dass die zuführenden Gefässe
derselben durch den Stich oder seine Folgen zur Verödung gekommen
sind und dass daher der zwischen ihnen befindliche Raum fast
ganz circulationslos geworden ist.
2. Innerhalb annähernd unversehrter Zellkerne (der Impfzone)
zu Ballen.
3. In einem Canal des Haarbalges, an der inneren Begrenzung
desselben dicht unter der dem Haare zugewendeten Schicht; hier
findet sich eine continuirliche, sehr dünne (1 bis 4) Mikrokokken-
schicht; es gelang nicht, sie weiter als bis in die Gegend der Talg-
drüsen zu verfolgen. Dass ich diesen Canal für einen Lymphgang
halte, ist bereits erwähnt.
Innerhalb des Rete Malpighii und eine Strecke weiter im binde-
gewebigen Theile der Cutis ist die Begrenzungsschicht zwischen
dem Canal und dem (nach Innen von demselben gelegenen) Haar
so dünn, dass ich ausser Stande war, ihre Dicke zu messen. Es
gelang mir nicht, bei normaler Cutis an dieser Stelle einen Canal
zu finden; die Mikrokokken vertreten die Farbstoff körnchen bei der
Stichmethode (Fig. 8f., 13d.). Die Erscheinung findet sich
so regelmässig, dass kein Zweifel entstehen kann: es
handelt sich um einen praeformirten Weg.
Es ist dies derselbe Weg, auf welchem die verhält nissmässig
grossen Pilze des Favus und Herpes tonsurans von der Oberfläche
der Cutis aus in den Haarbalg vordringen; man weist ihnen ge-
Die erste Impfung. 7 1
wohnlich den Weg unmittelbar auf dem Haare an; allein hier,
.zwischen Haar und „Oberhäutchen" des Balges, herrscht stete, der
Richtung der Eindringlinge entgegengesetzte Bewegung, theils da-
durch, dass das Haar sich vom Grunde aus aufwärts schiebt, theils
dadurch, dass die Talgdrüsen ihr Secret auf diesem Wege ergiessen.
Die angegebene grosse Dünnheit der Begrenzungs wand des Canals
macht es begreiflich, dass derselbe leicht durchbrochen wird.*)
Vom Ende des dritten und Anfang des vierten Tages
an , wo von der Reizungszone aus eine grössere Intensität des Saft-
stromes durch die Impfzone eingeleitet ist, erfolgt die weitere
Ausbreitung der Mikrokokken innerhalb der Impfzone nur in sehr
beschränktem Grade; vielfach bekommt man sogar den Eindruck der
Abnahme ihrer Menge: der Saftstrom reisst von ihnen ab, was
ihm irgend erreichbar und führt es nach den Lymphbahnen fort.
Macht man am vierten oder fünften Tage in der Nähe
der Impfstelle einzelne seichte Einschnitte in die normale Haut, so
*) Ich erlaube mir hierbei daran zu erinnern, in welcher Weise die
Thierversuche über die Aufnahme gewisser Stoffe durch die Cutis in der Regel
angestellt werden: die Haare werden durch Schwefelarsen, Schwefelcalcium
und Natriumhydrat fortgeätzt und wenn nicht sichtbare Entzündung einge-
treten ist, gilt die Haut für eine normale.
Bei den oben angegebenen anatomischen Verhältnissen ist es begreiflich,
dass die Aetzung. welche erfahrungsgemäss das Haar unterhalb der
Oberfläche der Cutis trennt, in der Regel eine namhafte Anzahl von
Lymphkanälen eröffnet. Von der Schnelligkeit, mit welcher die der Aetzung
folgende und dann obturirend wirkende Schwellung eintritt, wird es abhän-
gen, ob die in Oel, Wasser, Alkohol, Glycerin gelösten Medikamente dieLymph-
räume noch offen finden oder nicht; im ersten Fall müssen diese Spal-
ten geradezu wie Trichter wirken, die man in das Gewebe ein-
gesenkt hat.
Nach meiner Meinung erklären sich hieraus die Widersprüche der ver-
schiedenen Versuchsergebnisse. Ich halte selbst einfaches Rasiren bei sol-
chen Versuchen für bedenklich. Kommt man mit der Scheere nicht aus, so
gestattet der Versuch keine reine Deutung.
Ich gestatte mir ferner auf die chirurgische Bedeutung dieses Lymph-
ganges hinzuweisen: den Chirurgen ist bekannt, dass ein Finger, an welchem
vor Kurzem ein Haar ausgerissen worden ist, beim Operiren leicht infectiöse
Stoffe aufnimmt. Diese finden in dem Gang eine klaffende Eintrittspforte.
72 Erster Abschnitt.
zeigt das hervorquellende Blutströpfchen eine so ausserordentliche
Menge „tanzender Körperchen" (bei Färbung eingetrockneter Tröpf-
chen erscheinen eben so viele Pünktchen, welche die Methylfarbe
angenommen haben), dass die Annahme: es seien dies Mikrokokken
aus dem Impfherd, sehr nahe gelegt ist, wenn auch diese An-
nahme (wegen der grossen Anzahl von Kernraolekülen aus zerfal-
lenden weissen Blutkörperchen etc., die sich sehr oft im Blute
finden) nicht exact zu erweisen ist.
Ich habe bedauerlicherweise versäumt, Blut aus benachbarten
und entfernteren Venen zur Untersuchung zu entnehmen.
Am fünften Tage (dem der gewöhnlichen Abimpfung) findet
man zunächst grosse Haufen dicht unter dem Stratum corneum,
wo oft die einzelnen Lagen dieses Stratum, anscheinend durch die
Entwicklung dieser Mikrokokken auseinander gedrängt sind, theil-
weise bis zur Entstehung eines weithin klaffenden Spaltes; man findet
dann die beiden Ränder dieses Spaltes oft von einer zusammen-
hängenden Reihe von Mikrokokken umsäumt, an einzelnen Punkten
dieser Mikrokokken-Allee finden sich Pilzhaufen von 30 [i. Durch-
messer. Es finden sich ferner grössere Ansammlungen (bis 70 (i.
unterhalb der oberen Grenze der Cutis) in einer Länge von 50 fi. und
einer Höhe von 7 bis 18 (i., die Längsrichtung der Ansamm-
lung parallel der Oberfläche der Haut. In den tieferen Re-
gionen der Cutis gelingt es nicht mehr um diese Zeit (im Gegensatz zu
den Befunden des zweiten Tages) grössere Ansammlungen zu fin-
den: was sich daselbst bildet, wird fortgeführt oder ist in der
Flüssigkeit des Impfbläschens vertheilt enthalten.
Am achten Tage, an welchem das Gewebe des Impfbezirks
zum grössten Theil bereits der (secundären) Necrose anheim ge-
fallen ist, ist die ganze obere Begrenzung dieses Bezirks mit
Mikrokokken erfüllt, meist in Ballenform, aber auch in einzelnen
Alleen oder in weiter ausgebreiteten Schwärmen. Die Mikrokokken-
Ansammlungen finden sich auch in einer gewissen Tiefe (bis 300 ft.
unter der Oberfläche) meist in der Umgebung der Haardurchschnitte;
die necrotischen Färbungen reichen noch weiter in die Tiefe; die
Mikrokokken und die, Necrose erzeugende, Materie scheinen beide
auf demselben Wege (Lymphkanäle der Haarbälge) in die tieferen
Schichten der Cutis geführt zu werden.
Die erste Impfung. 73
Da ich bei der zweiten Impfung die Mikrokokken nicht
mehr in einem besonderen Abschnitt bespreche, will ich gleich hier
hinzufügen, dass man bei dieser zweiten Impfung (bei welcher die
Steigerung der Intensität des Saftstroms kurz nach der Verwundung
beginnt und stetig, also ohne Unterbrechung, ansteigt oder an-
dauert) grössere Ansammlungen von Mikrokokken nur an der
bezeichneten Stelle der Haarbälge (Fig. 13 d.) und an den, auch
bereits erwähnten nach dem Stratum corneum hin gerichteten Ein-
buchtungen des Stratum lucidum (Fig. 13c.) findet. Hier trifft
man Haufen von 18//. Durchmesser im Verlauf des ersten Tages.
Während des zweiten Tages werden jene Einbuchtungen durch die
Vermehrung des Saftstromes und die rasch erfolgende Ausdehnung
der oberen Schichten der Epidermis (Bläschenbildung) ausgespannt,
und zeigen sich alsdann ganz ausgeglichen oder nur angedeutet
(Fig. 13c): die Mikrokokken sind aus diesen früheren Höh-
lungen fortgespült; man findet sie nur an den jetzt noch vorhan-
denen todten Punkten des Saftstroms: den angegebenen Stellen der
Haarbälge und einzelnen, von ihnen eroberten Zellkernen (Fig. 13 e.).
Die Färbung der Mikrokokken.
Bei der angegebenen Färbungsmethode (p. 3) nehmen die Mi-
krokokken der Vaccina stets diejenige violette Färbung an,
welche man im Rete Malpighii am Protoplasma der Zellen im
ersten Stadium der Reizung (Entzündung) findet (während die
Kerne eine blaue Farbe zeigen); ich werde mir daher gestatten,
der Kürze halber diese Farbe als Protoplasmafarbe zu bezeichnen.
Färbt man einen Schnitt aus normaler Cutis mit Hämatoxylin,
so färbt sich in der Regel das Protoplasma gar nicht, der Kern
an seinem Rande und an einem Theil seiner Substanz; wählt man
einen Schnitt aus dem Anfangsstadium der Entzündung, so färben
sich Protoplasma und Kern: letzterer nur erheblich intensiver;
wählt man eine etwas starke Lösung von Methylviolett, so sind
die Färbungsresultate die gleichen wie beim Hämatoxylin: man
74 Erster Abschnitt.
bekommt ein Blauviolett, bei welchem der Kern nur wiederum er-
heblich intensiver gefärbt ist.
Dem gegenüber hat der Gebrauch schwacher Lösungen den
Vortheil einer qualitativen Differenzirung, wenn wir auch über
diese Qualität selbst weiter Nichts auszusagen wissen. Vom An-
fangsbeginn bis znm Endverlauf des Processes zeigen
die Mikrokokken die violette Färbung: innerhalb der
Schichten der vorgeschrittenen Verhornung, im Stratum
lucidum, im eigentlichen Rete, in den Lymphgefässen
des Haarbalges, in den gewundenen Ausführungsgängen
der Drüsen, im necrotischen Gewebe der secundären
Neurose. Ich gestatte mir diese Details hier anzuführen, weil
ich in Folge der allgemeinen Angabe, „dass die Mikrokokken
Kernfärbung annehmen" Anfangs selbst gegen meinen anders lau-
tenden Befund misstrauisch war und für sehr möglich hielt, dass
die rasch eintretende Verhornung des Impfbezirks (p. 21) mit der,
einer Uebergangsstufe derselben gleich falls eigenthümlichen,
violetten Färbung mich (bei der Kleinheit der Mikrokokken) in die Irre
führte; allein die Möglichkeit eines Irrthums ist völlig ausgeschlossen
bei denjenigen Fundorten, welche über jenen Verhornungsgrad be-
reits hinaus sind, (wie der oberste Theil des Stratum corneum und
die secundäre Necrose) oder welche ihn niemals zeigen, wie die
Lymphgefässe.
Bezüglich der Färbung der Mikrokokken gestatte ich mir noch-
mals anzuführen,, dass die Hautstücke unmittelbar nach der Exci-
sion in Alkohol gelegt wurden und dass es sich als nöthig heraus-
stellte, bei hellem Tageslicht (doch nicht directem Sonnenlicht)
und mit starken Immersionslinsen zu arbeiten; beim Gebrauch des
Abbe'schen Condensors und der Oelimmersion gelang es in der
Regel, selbst an einem einzelnen Mikrokokkus die violette Farbe
zu erkennen und das Körnchen von einem Kernmolekül zu unter-
scheiden. Zuweilen zieht sich innerhalb der Impfzone am zweiten
oder dritten Tage eine schmale Strasse von Mikrokokken nach den
tieferen Schichten hin: man kann alsdann die violetten Körnchen
scharf trennen von den blauen Kernresten der Zerfallsfiguren,
von welchen jene auf allen Seiten umgeben sind.
Es ist nöthig, das Verhältniss zwischen Mikrokokkus und seiner
Die erste Impfung. 75
Gliahülle hier kurz zu berühren. Billroth*) scheint geneigt, die
grosse Widerstandsfähigkeit der Spaltpilze gegen Alkalien und
Säuren auf Rechnung der schleimigen Natur dieser Hülle (welche
die angreifenden Agentien von dem eigentlichen Pilzkörper abhalte)
zu setzen; das Ausscheiden der Glia an und für sich betrachtet er
als ein Zeichen sehr energischen Wachsthums der Pilze. R. Koch**)
sieht in der Glia die eigentlich entwicklungsfähige Zellsubstanz,
welche die Vermehrung der Pilze einleitet. Billroth***) bemerkt:
ob diese Glia ein Secret ist, ob schleimig gewordenes Plasma, ob
eine schleimig gequollene Zellhaut, diese Frage, welche sich bei
jedem entstehenden Gewebe wiederholt und welche bei der Ent-
wicklung der thierischen Gewebe je nach der Zeitströmung bald
so bald so beantwortet wird, bleibe den Pflanzenphysiologen über-
lassen. Neucki und F. Schafferf), welche mit verschiedenen
Bacterien in Culturgläsern experimentirten, fanden, dass Zusatz von
2 bis 3 pCt. Schwefelsäure oder Salzsäure und kurzes Aufkochen
die Glia und die Zellmembran zum Schrumpfen bringt; sie suchten
auf diesem Wege die Bacterien von der. Glia zu scheiden und
fanden an den so behandelten Bacterien einen Eiweissstoff, der in
Wasser löslich war („Mikroprotein").
Mir war von practischer Bedeutung, festzustellen, ob im thie-
rischen Körper die Glia sich von einem Mikrokokkenhaufen los-
lösen könne und es entstand hierbei die weitere Frage, ob man
im Stande sei, sie im thierischen Körper überhaupt zu erkennen.
Im mikroskopischen (ungefärbten) Bilde sieht man sie bekanntlich
nicht; man erschliesst nur ihr Dasein unter anderem aus der
Thatsache, dass die Kettenbacterien vermittelst eines schmalen,
nicht wahrnehmbaren Streifens verbunden sind, das$ die einzelnen
Bacterien von einem hellen Ring umgeben erscheinen etc. Biil-
roth und Koch fanden bei ihren Färbungsversuchen die Glia stets
ungefärbt; Weigertff) sagt bezüglich der Färbung mit Hämatoxylin:
das Bliu desselben finde sich nur an der Zwischensubstanz der
Körnchen (d. i. der Mikrokokken der Variola humana); die Körn-
*) Coccobacteria septica. p. 7 und 19.
**)-Cohn, Beitr.
***) 1. c. p. 5.
f) Kolbe und Meyer, Journ. f. pract. Chem. Bd. 20. p. 443.
ff) Pockenprocess. p. 74.
76 Erster Abschnitt.
chen selbst seien so klein, dass man eine Färbung an ihnen nicht
sehen könnte, selbst wenn sie vorhanden wäre; bei grösseren Mikro-
kokken überzeugte sich Weigert*), „dass gerade auch die Körn-
chen selbst eine dunkelblaue (Hämatoxylin-) Färbnng annehmen;"
er nimmt jedoch hiernach die frühere Anschauung (dass auch die
Glia gefärbt sei) nicht zurück.
Für die Mikrokokken lässt sich die Frage natürlich nur an
einem dicht gedrängten Haufen untersuchen: hier findet man stets
deutlich violett gefärbte Einzelpunkte auf schwach gefärbtem Grunde;
hiernach müsste man annehmen: die Hauptfärbung haftet an den
Körnchen und dabei bleibt es noch fraglich, ob die gefundene
schwache Färbung der Zwischensubstanz nicht blos eine scheinbare
ist (Zerstreuungskreise derjenigen gefärbten Punkte, welche über
oder unter der Einstellungsebene liegen — ich weiss diese nicht
auszuschalten). Niemals hatte ich den Eindruck, dass, etwa um-
gekehrt, schwach gefärbte Punkte in einer tief gefärbten Grund-
substanz lägen, wie ihn Weigert offenbar gehabt haben muss.
Denselben Eindruck wie bei der Variola vaccina hatte ich bei der
Variola ovina (nur dass hier die Pünktchen blau gefärbt sind).
Andererseits macht die Sicherheit der Angaben Weigert's mich
doch bedenklich.
Sicherheit in diesem Punkte wäre mir für die Deutung eines
bestimmten Befundes von grossem Werth gewesen:
Vom achten Tage der Impfung an finden sich (wie bereits
p. 58 erwähnt) in den obersten Schichten des Impfbezirks dicht
neben den scharf umrandeten Mikrokokkenballen ebenso scharf
umrandete, völlig gleich violett gefärbten Stellen, an
denen es bei Anwendung der besten gegenwärtigen Hülfs-
mittel nicht gelingt, eine Spur von Körnung nachzu-
weisen. Diese Figuren finden sich von der Grösse eines sehr
kleinen Mikrokokkenballens an bis zu der eines Retekernes , fast
immer kreisrund oder oval.
Was bedeuten diese Figuren?
Es ist früher angegeben worden, dass um die Mikrokokken-
Anhäufung herum sich vielfach eine violette Färbung findet (p. 16).
Bei der Stetigkeit des Befundes ist kein Zweifel, dass zwischen
*) Pocken. II. p. 21.
Die erste Impfung. 77
den Pilzansammlungen und dem breiten, allmälig an Intensität ab-
nehmenden violetten Streifen ein Causalnexus besteht; es ist mög-
lich, dass diese Färbung die oft erwähnte Zwischenstufe der Ver-
hornung anzeigt; aber auch möglich, dass es Zooglöa ist, die von
den Mikrokokkenansammlungen sich dorthin gezogen (wenn es
die Zooglöa ist, welche die Farbe annimmt).
Ganz ebenso könnten die angegebenen runden Stellen vom
achten Tage der Impfung Verhornungsübergänge sein (doch habe
ich in der secundären Necrose des Kalbes sonst niemals solche
feststellen können);
oder Zooglöamassen, die sich in die praeformirten Höhlungen
(Kerne der obersten Retezellen , Lücken zwischen den Begrenzungs-
flächen der Zellen [Fig. 9a.]) hineingezogen haben;
oder Dauersporen, deren Details jenseits der Auflösungs-
fähigkeit unserer Mikroskope liegen: ich erinnere an manche Fi-
guren bei Billroth und Frisch; ausserdem an die Mittheilung
von Stricker, der bei Untersuchung der Lostorfer'schen Körper-
chen unter seinen Augen, bei Hartnack Immersion 15, Formen auf-
tauchen sah, die sich vermehrten; Pilze, die aus vorher unsichtbaren
Keimen sich entwickelt haben mussten — (bei einem Mikroskopiker
wie Stricker ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass er etwa ein
Auftauchen der Körper aus einer anderen Einstellungsebene unbe-
rücksichtigt gelassen hat);
oder endlich Gewebsveränderungen durch Einwirkung des
Alkohol (es kommen dieselben vor, wenn auch nicht so häufig wie
nach Einlegen in Chromsalze; überraschend wäre dann die regel-
mässige Umgrenzung, man findet solche Alkoholwirkungsfiguren
sonst nur in ganz unregelmässiger Form.
Färbt man die Schnitte erst mit Methylviolett, dann mit Pi-
krinsäure, so erscheint, wie früher angegeben (p. 19) bei über-
schüssiger Pikrinsäure der ganze Impfbezirk gelbbraun; bei guter
Beleuchtung lassen sich hierbei die Mikrokokken stets als grau-
blaue oder violette Punkte unterscheiden, auch wenn die Kernreste
der Zerfallsfiguren gleichmässig gelb aussehen; die verwaschenen
Ränder um die Mikrokokkenansammlungen haben jedoch alsdann
nicht die Färbung der Mikrokokken, sondern die der
Zerfallsfiguren der Kerne; diese Beobachtung unterstützt jeden-
falls nicht die Vermuthung, dass jene Ränder der ersten Impfzone
78 Erster Abschnitt.
von einer zu den Mikrokokken gehörenden Masse durchtränkt seien;
bei den Schnitten vom achten Tage (mit den fraglichen runden
violettgefärbten Formen) gelang die Doppelfärbung der oberen Par-
tien (wegen der Necrose) nicht, oder nicht so constant, dass ich
einen Schluss zu ziehen wage. — Die Frage bleibt unentschieden;
doch sprechen, wenigstens nach meinen Beobachtungen, die meisten
Bilder für die Ansicht von Billroth, F. Cohn und R. Koch,
dass die Zooglöa, in dem uns bisher bekannten Zustande,
die gebräuchlichen Farbstoffe nicht aufnimmt.
Es ist eine interessante Thatsache, dass die Mikrokokken
bei Variola ovina (wie bereits kurz erwähnt), wenn die
Schnitte in gleicher Weise behandelt werden wie die
von Variola vaccina, im Gegensatz zu den Mikrokokken
der Variola vaccina stets eine blaue Farbe zeigen, wäh-
rend das Protoplasma der gereizten Zellen des Schafes
ebenso violett erscheint, wie das des Kalbes.
Hat man ein ausgeschnittenes Stück Ovinapuscel am feuchten
Ort 12 bis 24 Sfunden liegen lassen, so dass sich Fäulnisspilze
ansetzen, so zeigen diese (theils Bacterien, theils Mikrokokken)
stets dieselbe blaue (Kern-) Farbe wie die Mikrokokken der Variola
ovina selbst.
Ich habe versäumt, den gleichen Versuch mit ausgeschnittenen
Vaccinapusteln zu machen.
Das Verschwinden der Mikrokokken.
Ausgezeichnete Beobachter haben bei Variola humana und
ovina vergebens nach Mikrokokken gesucht; die oben angeführten
Entwicklungsverhältnisse der Mikrokokken einerseits und der Pocke
selbst andererseits geben den Schlüssel für ihre negativen Befunde:
1. Der Zusammenhang der Mikrokokken untereinander ist ein
sehr geringer: schon ein recht schwacher Saftstrom reisst sie von
Die erste Impfung. 79
einander. Bei Menschen- und Schafpocken (die nicht durch
absichtliche Impfung angelegt sind) kommen die Anfangs-
stadien gar nicht zur Untersuchung; was die Autoren
Anfang des Processes nennen: die Knötchenbildung,
ist, wie meine Untersuchungen mich gelehrt haben,
schon ein vorgeschrittenes Stadium desselben; es entspricht
dem vierten Tage der Impfung des Kalbes, d. h. einem
Stadium der Reizung, bei welchem durch die starke Fluxion die
vorher massenhafte Ansammlung der Mikrokokken bereits zum
grossen Theil aus dem specifischen Vergiftungsherd ent-
führt ist; es ist dies die (zweite) Knötchenbildung, welche unmittel-
bar zur Bläschenbildung führt. Mit jedem folgenden Tage vermindert
sich die Zahl der Mikrokokken, welche man antrifft; die in der Flüs-
sigkeit des Bläschens enthaltenen gehen theils bei der Vorbereitung
des mikroskopischen Präparats durch die verschiedenen Manipu-
lationen verloren, theils sind sie als einzelne Pünktchen in ihrer
Qualität nicht weiter festzustellen ; auf der Höhe des Processes
der Vaccination, am fünften Tage, trifft man bei manchen Pocken
unter 100 bis 200 Schnitten, welche die einzelne Pocke liefert,
zuweilen nur 5 bis 10, in welchen sich Mikrokokken finden; aus
den anderen sind sie fortgespült; untersucht man nicht die ganze
Serie, so ist man bezüglich der Befunde dem Zufall anheim-
gegeben.
In den späteren Stadien (der Necrose und der Eintrocknung)
finden sich die Mikrokokken (bei Variola ovina) nur in der obersten
Schicht, die wegen ihres bröckligen Charakters sehr leicht schon
beim Ausschneiden des Hautstücks und vollends beim Eindringen
des Rasirmessers loskrümelt — oder in den tiefsten Schichten des
Unterhautbindegewebes, welche beim Herausschneiden leicht
im Körper zurückbleiben: auch hier findet man übrigens bei
einer Schnittserie die Mikrokokken nur in einem Theil derselben.
2. Die einzelnen Mikrokokken müssen, nach der für alle or-
ganischen Wesen geltenden Norm, absterben und zerfallen.
Die Botaniker und Pathologen haben sich über diese Seite
der Frage nicht eingehender geäuseert. Manche eigenen Beobach-
tungen lassen es mir als möglich erscheinen, dass die Mikrokokken
bei ihrem Absterben erheblich an Grösse zunehmen (um die Hälfte
oder fast um das Doppelte) und bei dieser Quellung für die
80 Erster Abschnitt.
umgebenden Flüssigkeiten impressionabel werden; möglicherweise ist
aber auch diese Quellung schon eine postmortale. Billroth*) be-
merkt, er habe nie gesehen, dass ein kleiner, blasser, isolirter,
freier Kokkus grösser würde und als grosser Kokkus weiter vege-
tire; er vergrössere sich nur, um sich zu theilen und dann wieder
auf die frühere Grösse zurückzusinken oder selbst darunter zu ge-
rathen; das Kleinerwerden des Kokkus sei die Regel; es könne
also sehr wohl Mikrokokkus aus Megakokkus entstehen, aber nie
umgekehrt. Die voii mir im Gewebe beobachteten grösseren For-
men fanden sich gewöhnlich als kleine Häufchen in den Lymph-
räumen des Rete, die einzelnen Körner unter sich gewöhnlich von
annähernd gleicher Grösse und violett gefärbt; ich kenne kein thie-
risches Zerfallsproduct, welches diese Eigenschaften hätte und war
und bin nicht im Zweifel, dass es sich bei diesen Befunden um Spalt-
pilze handelte; hingegen ist es blosse Deutung meinerseits, wenn ich
annahm, dass die Grösse eine Folge des Absterbens sei; zu dieser
Deutung wurde ich durch den Umstand veranlasst, dass ich diese
Formen nur in der zweiten Hälfte der zweiten Impfung fand,
wenn der Organismus die zweite Infection bereits sicher überwunden
hat. Ich nahm an : diese Mesoformen seien sämmtlich aus Mikro-
formen durch Quellung entstanden, weil ich ab und zu Uebergänge
von immer zunehmender Grösse zu erkennen glaubte; allein
solche Befunde waren selten und eine sichere Deutung ist bei der
so grossen Kleinheit der Objecte schwer; wie grosse Gewöhnung
der Beobachter auch haben mag, subjective Vormeinungen auszu-
schliessen: bei solchen Objecten drängen sie sich doch leicht ein.
Weigert spricht in dem zweiten Heft seiner Untersuchungen
über die pockenähnlichen Gebilde der parenchymatösen Organe**)
von „etwas grösseren Kokkosformen."
In jüngster Zeit berichtet Schwimmer***) von Formen, die
nach seiner Schilderung und Abbildung mich an meine Befunde
erinnerten; nur lässt er aus ihnen die Mikrokokken erst hervor-
gehen; sein Bericht bezieht sich auf Beobachtungen an der Lymphe,
von welchen ich sehr früh Abstand genommen habe; er giebt auch
*) Coccobacteria septica. p. 9.
**) p. 21.
***) Therapie der Variola. Ärch. f. kl. Med. Bd. 25. p. 188 (Fig. Ib.).
Die erste Impfung. 81
eine so bedeutende Grösse für die normalen Mikrokokken an, dass
(falls diese Angabe nicht einen Druckfehler enthält) eine Verständigung
schwer ist; vielleicht hat er Formen analog dem Billroth'schen
Askokokkus gefunden; ich habe mit Rücksicht auf die Incubation
vielfach nach solchen Formen gesuchi, habe sie jedoch nicht gesehen.
Billroth erwähnt eine Aufblähung des Kokkus (nach seiner
Abbildung theils dicht an einander gelagerte Kügelchen verschie-
dener Grösse, theils eine von ungleich grossen Halbkreisen um-
grenzte Figur); er fand sie theils nach unbekannten Einflüssen,
theils beobachtete er sie bei Sauerstoffmangel (z. B. in Blutstropfen,
die unter Deckgläsern conservirt worden waren), theils erzeugte
er sie experimentell durch Zusatz von Chlornatrium und Kali ni-
tricum. Ich habe solche Formen im Rete nicht gefunden. Pa-
steur*) berichtet: bringt man die Bacterien in einen luftleeren
Raum, so neigen sie dazu „ä se resorber en granulations tres
tenues"; er fügt hinzu „mortes et inoffensives" und leitet das
Absterben nur daher, dass die Bacterien der atmosphärischen Luft
beraubt sind. Koch**) schildert und zeichnet bei dem progressiven
käsigen Abscess Massen, welche er als abgestorbene Zooglöa be-
trachtet (wenn ich richtig verstehe, deute ich hier Zooglöa als:
Zooglöa plus Spaltpilze); wie dieselbe sich gegen die Farbstoffe
verhalten, ist nicht angegeben; das Absterben der Zooglöa hatte
hier nach der Natur der Krankheit für den Process selbst keine
Bedeutung: dicht neben ihr fand sich eine neue Generation von
gleicher Wirkung wie die vorige.
Es ist mir nicht gelungen gegen Ende der ersten Impfung
aufgequollene oder sonst irgendwie veränderte Mikrokokken zu finden:
die Pilzhypothese würde dies erwarten lassen wegen der stetigen
Abnahme der Inficirungskraft der Pocke nach dem achten Tage.
Viele allgemeine Erfahrungen und unter den hier angegebenen
die Beobachtung, dass der immun gewordene Körper die meisten
Mikrokokken nicht in loco primae affectionis überwindet , sondern
durch den Saftstrom fortleitet, führen zu der Frage, an welchen
Orten die im Blutstrom kreisenden Mikrokokken zum
Absterben kommen.
*) Etiologie du charbon. Compt. rend. 1880. Jul. p. 87.
**) Wundkrankheiten (Fig. 7 d., 8 g.).
Pincua, Vaccination. g
82 Erster Abschnitt.
Nach den Untersuchungen von ßillroth und vieler anderer
Beobachter, neuerdings nach den Beobachtungen von Gravitz*)
(wenngleich dieselben nicht Spaltpilze betreffen) liegt es nahe,
theils an die ausgesprochene saure oder alkalische Beschaffenheit
der Gewebssäfte zu denken, theils einzelnen Gewebssäften , ab-
gesehen von dieser Reaction, direct den Spaltpilzen verderbliche
Einwirkungen zuzuschreiben. Es rauss im Körper Fürsorge getroffen
sein, dass diejenigen Spaltpilze, welche aus alkalischem, saurem oder
neutralem Boden herstammen und die Eingangspforten des Orga-
nismus unbehelligt passiren, unschädlich gemacht werden. Für die
Mikrokokken der Variola, welche aus der alkalisch reagirenden
Cutis stammen und in der alkalischen Lymph- und Blutflüssigkeit
ihre Ansiedlungsfähigkeit behalten, hielt ich für möglich, dass der
immun gewordene Körper am Ort der ersten Infection durch
Bildung einer Säure die Spaltpilze überwinde; unter den zur Prüfung
von mir vorgenommenen Versuchen verdient nur folgender eine
Erwähnung: frisch ausgeschnittene Pockenstückchen vom 9. Tage
der ersten Impfung, in Goldchloridlüsung gelegt, führten zur er-
giebigen Ausfällung des Goldes ■ — ; die mikroskopische Unter-
suchung zeigt jedoch um diese Zeit schon so weit vorgeschrittene
Eiterbildung in den Pocken, dass, bei der bekannten reducirenden
Wirkung des Eiters, eine Verwerthung dieses Befundes nicht an-
gängig war. Neucki und Schaffer**) fanden, dass je schlei-
miger und bacterienreicher die Flüssigkeit war, desto weniger
Säure zugesetzt zu werden brauchte, um die Bacterien zu tödten;
„die Säure bringt theils die Zellmembran der Bacterien zum
Schrumpfen, theils entzieht sie ihnen unorganische Salze"; es fehlt
uns ein ausreichend sicherer Anhalt dafür, ob wir berechtigt sind,
in einem Organ des Warmblüters eine hierzu genügende Säurecon-
centration anzunehmen. Andererseits könnte man denken: der
Organismus begnügt sich damit, die Mikrokokken unter Bedingungen
zu bringen, welche ihre weitere Vermehrung verhindern; allein
die Spaltpilze sind blossem Aushungern gegenüber von grosser
Zähigkeit.
Mir lag nahe, bezüglich der Variola an Leber und Niere zu
*) Virch. Arch. Bd. 81.
**) Journ. f. pract. Chemie. 1879. p. 443.
Die erste Impfung. 83
denken ; die Niere scheint von vielen Beobachtern hierfür in erster
Linie in Anspruch genommen zu werden. Untersuchungen über
den Urin geimpfter Kälber habe ich gar nicht; und Untersuchun-
gen über die Nieren derselben nicht in genügender Zahl, um mir
ein Urtheil zu gestatten. Eine nachträgliche Untersuchung von
Leber und Niere ist hier noch erforderlich.
Bekanntlich neigen mehrere Beobachter zu der Annahme, dass
die Mikrokokken, während sie im Blute kreisen, auch daselbst zer-
stört werden.
Die Ansicht vieler Pathologen geht dahin, dass das Gift (bei
Pocken, Seharlach, Masern), welches im Beginn des Fiebers im Blute
kreist, an die Haut („auf die Oberfläche") behufs Elimination ge-
worfen werde und es sind therapeutische Vorschläge gemacht worden,
durch mechanische Einwirkungen diese Ablagerung in die Haut zu
beschleunigen. Leider muss man nach meiner Meinung annehmen,
dass umgekehrt das Gift in der Cutis sich ansiedelt, weil es hier
den geeigneten Boden zur Vermehrung findet. Vom Standpunkt
der Mikrokokkentheorie aus beweist dies das Mikroskop: denn die
Pilze vermehren sich dort; von den anderen Standpunkten aus:
die Möglichkeit, aus einer mit wenig Impfstoff künstlich erzeugten
Pocke eine erheblich grössere Menge Impfstoff zu gewinnen. Beale*)
bestreitet, dass das Gift durch die Haut (oder durch die Nieren)
entfernt werde, weil „lebende Materie überhaupt durch die Organe
des Thierkörpers nicht eliminirt werden könne" ; abgesehen von
dieser Begründung, weist er mehrfach darauf hin, dass für die
Elimination auf diesem Wege zwar sehr zahlreiche Behauptungen,
aber kein einziger thatsächlicher Beweis beigebracht sei.
*) Disease Germs, p. 206.
84 Erster Abschnitt.
Die Bedeutung der Mikrokokken.
Sind die Mikrokokken die Erzeuger des Pockengiftes?
Tragen sie nur zur Verbreitung des Giftes bei?
Sind sie zufällige und unwesentliche Begleiter desselben?
Kommen sie erst nachträglich (aus der Luft, Umgebung) hinein,
wenn die Oberhaut (bei der Vaccination durch den Stich, bei der
Variola humana und ovina durch die secundäre Necrose) eröffnet ist?
Sind sie überhaupt besondere Wesen und nicht bloss Zer-
fallsproducte der thierischen Materie?
Diese vier Fragen enthalten die vier möglichen Standpunkte;
ein jeder dieser Standpunkte hat angesehene Vertreter (und zwar
nach vieljähriger, eindringender Arbeit, nicht a priori) gefunden.
Bei der Kleinheit eines Mikrokokkus Vaccinae oder Variolae
(ungefähr der tausendste Theil eines Millimeters) gelingt es nicht,
au demselben eine weitere Differenzirung, eine Andeutung von Or-
gauen zu erkennen.
Es ist daher an sich nicht auffällig, dass von guten Beob-
achtern die Existenz derselben als gesonderter Wesen überhaupt
bestritten wird, und dass andererseits diese gesonderte Existenz
angenommen wird, wo die sonstigen Anhänger von Mikrokokken
überhaupt sie gerade an diesem Ort entschieden negiren. Bekannt-
lich deutet Bechamp*) die sonst allgemein als Protoplasma-
Körnchen bezeichneten Pünktchen im Leib aller thierischen Zellen
als ächte Pilz-Keime. Arndt**) nimmt zwar an: es giebt Bacterien
und Mikrokokken, allein er negirt die Existenz derjenigen Art von
Spaltpilzen, die von geübten und besonnenen Beobachtern als „be-
sonders gut charakterisirt" bezeichnet worden sind (der Spirillen
der Febris recurrens — über welche ich kein selbstständiges Urtheil
habe) und was für die Frage der Variola von besonderer Bedeu-
tung ist: er negirt thatsächlich, wenn auch die wörtlichen Angaben
*) Des Miorozymas et de leurs fonctions aux diffe'rents ages d'un menie
etre. 1875. Fig. 1 a. und t>.
**) Viroh. Arch. Bd. 83. p. 40.
Die erste Impfung. 85
nicht so lauten, die Möglichkeit, Mikrokokken von den Zerfalls-
Producten des Protoplasma zu unterscheiden*).
Es bestand für mich die Notwendigkeit, die Frage, welche
in dieser Arbeit bebandelt wird (über die Wirkungsweise der Vacci-
nation) von jedem der angegebenen vier Standpunkte aus durchzu-
denken, und es ergab sich das Resultat: von jedem dieser Stand-
punkte aus führen die von mir aufgefundenen Thatsachen bezüg-
lich der in Rede stehenden Frage zu völlig ein und denselben
Schlüssen. Ich darf daher wenigstens das Eine für mich bean-
spruchen, dass nicht eine Interessen-Voreingenommenheit die Deu-
tung meiner Befunde bezüglich der Mikrokokken mit beeinflusst
hat. Die Heftigkeit des Kampfes zwischen den Vertretern der ver-
schiedenen Parteigruppen mag es rechtfertigen, dass ich mir eine
solche Bemerkung überhaupt gestatte. Und ich werde, schon mit
Rücksicht auf die Fülle der bezüglichen Literatur, nur in so weit
mich äussern, als es zum Verständniss absolut geboten erscheint
oder in so weit ich glaube, dass meine Befunde zur weiteren Klä-
rung dunkler Punkte beitragen können.
Ich kann demnach sagen:
Es befinden sich in jeder wirksamen Vaccinations-
pustel des Kalbes ächte Mikrokokken, d. h. fremde
Wesen, die nicht aus den Zerfalls-Producten des
Kalbes entstanden sind.
Ich berufe mich hierfür nicht auf die wahrnehmbare
Bewegung der Mikrokokken in frisch entnommener Lymphe
(denn die Deutung dieser Bewegung ist nicht einwurfsfrei; ich
glaube mich von der activen Bewegungsfähigkeit der Körnchen über-
zeugt zu haben, es ist jedoch thatsächlich unmöglich, die durch
Gerinnung, Verdunstung, Erschütterung, Wärme -Differenz entste-
henden kleinen Strömungen ganz auszuschliessen — und es scheint
mir andererseits nach den Untersuchungen von Arndt doch
ganz unzweifelhaft, dass die Bewegungsfähigkeit abge-
löster Protoplasma - Theilchen eine sehr langdauernde
s-ein kann).
Ich berufe mich auch nicht auf die Vermehrung der
Mikrokokken**).
*) Viren. Arch. Bd. 82. p. 138.
*) Das überlebende Protoplasraastück kann durch Aufnahme von fliissi-
86 Erster Abschnitt.
Die Hauptschwierigkeit, welche sich manchen Beobachtern
(Beale, Arndt) bei der Deutung ihrer Befunde entgegenstellt, ist
nach meiner Meinung durch die Wahl ihrer Beobachtungsobjecte be-
dingt: allmälig absterbende oder vor längerer Zeit abgestorbene
Zellen mit ihren vielgestaltigen Zerfallsproducten. Dies hat mich mit
bestimmt, die Ausschnitte der Haut sofort in absoluten
Alkohol zu legen, trotz der Schrumpfungen, welche darin (im
Verhältniss zu Müller'scher Flüssigkeit, Pikrin etc.) entstehen; und
die Ergebnisse der Untersuchungen von Billroth und Tiegel*)
haben mich veranlasst, für die schliessliche Deutung der Mikro-
kokken- Verhältnisse nur die Befunde an der Cutis und nicht die-
jenigen an inneren Organen zu berücksichtigen. Bei der Masse der
Spaltpilze, welche sich im Munde eines jeden Gesunden befinden,
war es a priori doch wenigstens möglich , dass dieselben durch die
Spalträume verschiedener Stellen des Tractus intestinalis ganz
regelmässig in den Blutkreislauf kommen und mit einer minimalen
Lebensenergie eine unbekannte Zeit lang in denjenigen Organen
verweilen, in welchen sich gewisse Umsetzungen vollziehen. Die
Untersuchungen von Nencki und Giacosa**) beantworten die
Frage: „Giebt es Bacterien oder deren Keime in den Organen ge-
sunder lebender Thiere" mit ja; die Versuchsanordnung erscheint
einwurfsfrei; soweit die Kürze des Aufsatzes ein Urtheil gestattet,
scheinen die Beobachter jedoch auch anzunehmen, dass „die kleinen
Kügelchen von 0,5 bis 2 fi, Durchmesser, welche man in den Zellen
von Leber und Pancreas soeben getödteter Thiere findet" (Bechamp's
Mykrozymen), Mikrokokken seien; diese Annahme theile ich nicht;
allein der Hauptschluss: in den Geweben finden sich Mikrokokken,
ist schwer abzulehnen.
gern und körnigem Material aus der Umgebung quellen, nach der Quellung
sich abschnüren, zerfallen; die zerfallenen Theile können denselben Process
— wenn auch mit allmälig abnehmender Intensität — noch einmal durch-
machen. Die „Vermehrung" selbst können wir in vivo nicht beob-
achten und die blossen Befunde schliessen, wenigstens nach meiner
Meinung, die hier angegebene Auffassung nicht aus. In dieser Weise
glaube ich, manche auffällige Bilder verschiedener Autoren und einzelne mei-
ner Befunde bei der zweiten Impfung nur als Aufquellung und Zerfall,
nicht als Vermehrung deuten zu müssen.
*) Virch. Arch. Bd. 60.
**) Journ. f. pract. Chem. 1879. Bd. 20. p. 34.
Die erste Impfung. 87
Die nach meiner Meinung ausreichenden beiden Gründe, welche
bei der Vaccinapustel die Existenz wirklicher Mikrokokken beweisen,
sind folgende:
1. Es ist kein Reizungszustand des Rete Malpighii
bekannt, bei welchem intra vitam Gebilde wie die
Mikrokokken aus dem Protoplasma*) entstünden.
Ich meine hier zunächst nicht die chemische Resistenz der Mi-
krokokken, auf welche Resistenz ich an diesem Fundort wegen
der Verhornung desselben (p. 18) kein so grosses Gewicht legen
darf, sondern: die Gleichmässigkeit der Form. Die im Pro-
toplasma gelegenen Punkte, welche Fig. 16. darstellt, sind die ver-
hältnissmässig regelmässigsten und den Mikrokokken am ähnlich-
sten, welche ich gesehen habe, und doch wie sehr unterscheiden
sie sich bei stärkerer Vergrösserung (Fig. 16b.)**) von den Mikro-
kokken; diese sind rund und von fast gleicher oder ganz gleicher
Grösse, jene sind nicht rund und von verhältnissmässig recht ver-
schiedener Grösse.
Die feinsten und noch am meisten gleichmässigen Punktirungen
des erkrankten Rete finden sich an den fädigen Degenerationen der
Zellen bei Diphtheritis; es schlagen sich an diesen Punkten zu-
gleich diejenigen Farbstoffe nieder, welche die Mikrokokken färben.
Es sind diese Punktirungen früher, als man sich mit mittleren
Vergrösserungen begnügte (Hartnack 8 oder 9), mehrfach von sehr
geübten Mikroskopikern als Mikrokokken gedeutet worden. Bei
starken Vergrösserungen sieht man sehr ungleiche Formen neben
einander: gleichmässig runde, ovale, unregelmässig begrenzte.
Bei einem ächten Mikrokokkenherd findet man stets einzelne
Ansammlungen als Haufen oder Ballen in dicht gedrängter An-
*) Ich nenne hier zunächst das Protoplasma wegen der Protoplasma-
färbung der Mikrokokken der Vaccina.
**) Fig. 16 a. ist nach einer vorzüglichen Linse (Zeiss ü) gezeichnet
und doch gelang es nicht, mittelst derselben das Verhältniss der beiden stär-
keren Punkte an den Endgegenden des Kerns richtig festzustellen: sie schie-
nen innerhalb des Kernes selbst zu liegen; bei 16 b. (homogene Im-
mersion) konnte man durch die Lichtdifferenz deutlich erkennen, dass sie im
Protoplasma sich befinden. Der linke konnte dem entsprechend gezeichnet
werden, der rechte darum nicht, weil er lothrecht über dem Rande des
Kernes stand.
88 Erster Abschnitt.
lagerung. Vergleicht man damit unter den Figuren, welche Arndt
von den Protoplasma- oder Kernveränderungen der Blutkörperchen
giebt, diejenigen, welche mit (nach meiner Meinung) ächten Mikro-
kokken die meiste Ähnlichkeit haben*), so bleibt ein Unterschied
bestehen, welcher eine Verwechselung ausschliesst: die Pünktchen
in den Blutkörpern liegen sehr locker aggregirt und sind von
ungleicher Grösse.
Es giebt keine Vaccinationspustel, bei welcher man nicht in
jedem Stadium wenigstens in einigen Präparaten der Schnittserie
einige dicht gedrängte Mikrokokken- Anhäufungen fände: in den
späteren Stadien der ersten und oft auch der zweiten Impfung
findet man zuweilen in ein und demselben Präparat neben Mikro-
kokken-Ballen einzelne Zellen fädig entartet; die Durchschnilts-
punkte der Fäden und vielfache klein-knotige Anschwellungen der-
selben geben Bilder, welche den von Arndt gezeichneten gleichen,
doch niemals habe ich an ihnen die dichtgedrängte Anordnung und
die gleiche Grösse gefunden**).
2. Die in den späteren Stadien der Vaccination stets eintre-
tende (secundäre) Necrose zerstört alle Formelemente des Rete mit
Ausnahme der innersten Umgrenzung des Haarbalges (welche man
als feine kreisförmige Linie im Bilde vorfindet). Das ganze Ge-
webe zeigt eine gelbe (necrotische) Farbe: nicht eine Spur von
Kern, Kernkörperchen oder Kernfigur; nicht eine Andeutung von
Protoplasmakörnchen oder Zellbegrenzung und hier findet man
nun in jedem Schnitt viele Tausende gleichmässig grosse,
scharf umrandete,' eine bestimmte Färbung annehmende
Körner, theils in dicht gedrängten Ballen, theils in wei-
ten Schwärmen. (Fig. 6.) Welche Beobachtung aus dem Gebiete
der Physiologie oder Pathologie Hesse sich als Anhalt für die
Annahme anführen, dass Bildungen von solcher Regelmässigkeit
aus dem blossen necrotischen Zerfall einer abgestorbenen Materie
entstehen sollten? Wenn man solche Präparate in einer gewissen
Anzahl gesehen hat, ist es schwer, an der selbstständigen Natur
dieser Formen zu zweifeln.
*) Viren. Aren. Bd. 83. Taf. II. Fig. 20 a., o. ; 24 a., c., f.
**) Cfr. Max Wolff, Viren. Aren. Bd. 81.
Die erste Impfung. 89
Die Existenz der Mikrokokken als selbstständiger
Wesen im Impfbezirk halte ich nach diesen Befunden für
erwiesen.
Bezüglich der drei anderen, am Anfang dieses Abschnitts
aufgestellten Fragen weiss ich nichts Entscheidendes zu sagen. Ich
gestatte mir daher nur folgende Bemerkungen:
1. Jede wirksame Vaccina-Lymphe enthält Mikrokokken; diese
werden durch den Impfact in den Impf bezirk importirt; die stetige
Vermehrung ihrer Anzahl im Impf bezirk ist von Stunde zu Stunde
nachzuweisen. Es ist allerdings möglich, dass diese Mikrokokken
des Impfbezirks auch herstammen können aus der Luft, die in
Folge der Verletzung freieren Eintritt hat, oder aus den Keimen,
die in kleiner Menge im Blute des gesunden Individuums kreisen —
allerdings findet man in einfachen (nicht vergifteten) Verletzungen
solche Mikrokokken nicht, hier ist jedoch der Einwand gestattet:
in den Zersetzungsproducten der nicht vergifteten Wunden finden
die Mikrokokken (der Luft und des Blutes) nicht das für sie noth-
wendige Nährmaterial. Man sieht: ein stringenter Beweis ist nicht
möglich; mir erschien es zunächst liegend, die Mikrokokken
der übertragenen Lymphe für die wirklichen Stammväter
zu halten.
2. In der Nähe der Mikrokokken finden sich, im Impf bezirk,
die Kernreste stets in höherem Grade geschwunden, als fern von
ihnen — und die primäre Necrose zeigt sich immer in unmittelbarer
Nähe grösserer Mikrokokkenballen. Aus diesen beiden Thatsachen,
welche sich regelmässig wiederholt finden, glaube ich
schliessen zu dürfen, dass zwischen der necrotischen Zerstörung des
Gewebes und den Mikrokokken ein Zusammenhang besteht. Ueber
die Art dieses Zusammenhanges sind die drei verschiedenen, oben
angeführten Vorstellungen möglich; jede wird von bedeutenden
Autoren nach Versuchen, die mit grossem Fleiss und mit grossem
Scharfsinn angestellt sind, vertreten; zur stringenten Entscheidung
zwischen denselben erscheinen die bisherigen Methoden noch
nicht einwurfsfrei. Es ist dies von Billroth*), Hill er**) und
Max Wolff***) so erschöpfend dargelegt worden, dass ich auf
*) Kokkobact. sept. und v. Lange nbeck's Arch. Bd. XX.
**) Lehre von der Fäulniss. 1879.
***) Viren. Arch, Bd. 81.
90 Erster Abschnitt.
diese Autoren verweise und jede eigene Erörterung unterlasse.
Dass der erste Angriff auf die Zellen nicht von den Mi-
krokokken selbst gemacht wird, halte ich nach den p. 95.
(Fig. 7. u. 8.) geschilderten Präparaten für unzeifelhaft.
3. Das Impfgift greift das Rete an; es gelingt nieht, festzu-
stellen, dass es eine gleiche Wirkung auf das Bindegewebe auszu-
üben vermag; so lange das Bindegewece nicht necrotisirt ist, be-
grenzt sich auch die Mikrokokkenbildung stets am unteren Rande
des Rete. Sobald sich jedoch aus dem Impfherd ein brandiger
Streifen bis ins eigentliche Gewebe der Cutis hinzieht, findet man
daselbst auch Mikrokokken; es bleibt ungewiss, ob diese daselbst
entstanden oder nur durch den Saftstrom dorthin geleitet worden
sind; ebenso bleibt ungewiss, ob resp. wie weit die weiteren Ver-
änderungen des Bindegewebes bedingt werden durch die Einwirkung
dieser aus dem Rete hingeleiteten brandigen Stoffe oder aus den
Einwirkungen der „reactiven Entzündung."
Es scheint angemessen, an dieser Stelle der Anschauungen
von Beale*) besonders zu erwähnen:
Beale nimmt die Existenz von Mikrokokken und Bacterien
im thierischen Körper als erwiesen an; seine Abbildungen Taf. I.
Fig. 2., Taf. 27. Fig. 112., bei 1800facher Vergrösserung gezeichnet,
entsprechen genau dem , was man allgemein als Spaltpilze deutet.
Deductionen a. priori**) bestimmen ihn, den Spaltpilzen jede
Bedeutung als inficirende Agentien abzusprechen: der thierische
Körper könnte gegenüber den ausserordentlich zahlreichen Arten
und Massen von Bacterien gar nicht bestehen, wenn diese überhaupt
eine krankmachende Potenz besässen; und was würde die Zerstö-
rung aller Keime in ganz England nützen — ein einziger Wind
führte die Feinde in unaussprechlicher Zahl wieder herbei.
Dem gegenüber darf nach meiner Meinung bemerkt werden:
wenn die Spaltpilze giftig sind, so ist der Organismus gegen
sie theils durch diejenigen Immunitäten geschützt, welche er von
Geburt an hat (thatsächlich hat ja jede Thiergattung ihre beson-
*) Disease germs; their nature and origin. 1872.
*) L. c. p. 78.
Die erste Impfung. 91
deren Infectionskrankheiten, d. h. doch: die anderen Thiergattungen
sind gegen diese besonderen Gifte immun), theils durch seine sieg-
reichen Kämpfe, welche seine Organe (auf der Respirations-, der
Mundschleimhaut u. s. w.) beständig gegen die Pilze liefern.
Nach meiner Meinung widerspricht Nichts der Annahme, dass ein
solcher Kriegszustand thatsächlich intra vitam bestän-
dig vorhanden ist und es erklärten sich alsdann die oben (p. 86)
mitgetheilten (früheren Versuchen anderer Beobachter entsprechen-
den) Befunde von Nencki und Giacosa, sowie die siegreiche
Action, welche die Pilze unmittelbar nach dem Absterben
des Organismus ausführen können.
Beale leitet vielmehr alle bezüglichen Erkrankungen von der-
selben organisirten Masse ab, von welcher er (so lange sie normal
ist) die Lebensaction ausgehen lässt: von dem Bioplasma.
Es ist die Tendenz vieler Forscher der Gegenwart, bei Zer-
gliederung der vitalen Action über die Zelle als Einheit hinaus-
zugehen und nach einem Zwischengliede zu suchen zwischen der
Zelle in ihrer Totalität und den chemischen Molekülen derselben,
mit welchen biologisch sich nicht viel anfangen lässt*). So bilden
Zoologen und Pathologen „Elementarkörperchen" (Corpuscula primi-
genia protoplasmatis). In diesem Sinne verstehe ich die „Bioplas-
men" Beale's. Von anderer Seite**) wird er so aufgefasst, als handle
es sich bei seinen Bioplasmapartikeln thatsächlich stets um Spalt-
pilze, die er nur anders benenne. Es ist schwer, einen selbst-
ständigen Geist, der in einem einzigen Werk viele hierher gehörige
Punkte ja nur streifen kann, überall seiner eigenen Intention ent-
sprechend zu verstehen; und so mag sich erklären, dass verschie-
dene Leser auch ungleiche Eindrücke erhalten. Für mich geben
seine Darstellung und seine Abbildungen der entscheidenden pa-
thologischen Fälle thatsächlich Nichts, was an Mikrokokken oder
Bacterien erinnert, sondern Kerne, Kerntheilung oder Kern-
zerfall und vielleicht Kernbildung aus dem Protoplasma. Für
mich sind alle seine Bilder aus dem Gebiet der Infectionskrank-
heiten (mit Ausnahme der auf den Darm bezüglichen) allein von
*) Seitdem haben J. Bernstein und F. Rindfleisch auch hierfür
eine Basis zu schaffen gesucht.
**) Birch-Hirschfeld. Schmidt's Jahrb. 1875. Bd. 166. p. 177.
92 Erster Abschnitt.
diesem Standpunkte aus verständlich und entsprechen alsdann
völlig dem, was ich beobachtet habe. Aber: was er als Ursache
der Krankheit ansieht, erscheint mir nur als Erscheinungs-
form derselben. Er bildet z. B. Cutiszellen von Rinderpest ab
(Taf. 27. Fig. 113), die nach meiner Meinung in klarer
Weise nur die oben (p. 10 u. fl.) beschriebenen Kernzerfalls-
figuren zeigen; nach Beale lassen diese Figuren erkennen: how
the cells are invaded by the growth and multiplication of the
minute particles of contagious bioplasm. Nach meiner Meinung ist
dieser Kernzerfall die Folge der Erkrankung und jedes Zerfalls-
stück ist ein Stück der ursprünglichen Zelle, Beale hingegen
sieht in diesen Zerfallsstücken den Krankheitsstoff selbst, der
von aussen in die Zelle eingedrungen ist.
Theorie der Infection.
Der mächtige Impuls, durch möglichst rasch zu gewinnende
Einsicht in die Entstehung der Infectionskrankheiten Heilung zu
bringen und prophylactisch zu wirken, hat uns Aerzte daran ge-
wöhnt, von unseren sonstigen Anforderungen an die charakteristi-
schen Merkmale des „Thatsächlichen" hier auf dem Gebiete der
Aetiologie Etwas abzulassen und ein freieres Walten der blossen
Vermuthung zu gestatten. Es ist wenigstens mein Wunsch, dieses
Privilegium nicht zu missbrauchen.
1. Die Basis jeder Vorstellung über die weitere Wir-
kungsweise der Infection ist die Kenntniss der Anfangs-
wirkung des Giftes.
Bei der Anfangswirkung der Vaccination (wie aller anderen
so zahlreichen Infectionsversuche mittelst Stichübertragung) concur-
rirt die Verletzung mit der Vergiftung; der nahe liegende Versuch,
durch Vergleichung der Ausschnitte einfacher und vergifteter Ver-
letzungen an ein und demselben Thier und entsprechenden Haut-
stellen den Einfluss der Vergiftung festzustellen , führt nicht zum
Ziel: weil nach wenigen Stunden die nicht vergiftete kleine Ver-
letzung heilt. (Aus verschiedenen Angaben von Frisch*) schliesse
ich, dass er bei der Cornea die gleichen Schwierigkeiten antraf,
obgleich hier die Verhältnisse wegen des Mangels an Blutcapillaren
für die Vergleichung günstiger erscheinen). Der andere , von sehr
vielen Beobachtern eingeschlagene Weg, die äusseren Grenz-
partien des Infectionsherdes für diesen Zweck zu verwenden, hat
nicht zum Ziele führen können, weil an dieser Stelle necrotische
*) L c
94 Erster Abschnitt.
und entzündliche Processe gemischt sind: der Beobachter kann
eine subjective Entscheidung nicht ausschliessen.
Bei den Pocken konnte der zweite Weg schon darum nicht zu
dem gewünschten Resultat führen, weil hier (wenigstens nach meinen
Befunden) ein Weiterkriechen des speci fischen Processes in der
Contiguität schon früh aufhört (nämlich beim Beginn der Ent-
zündung); was später sich abspielt, kann nach meiner Meinung
nicht anders gedeutet werden denn als Stadien einer zur Necrose
führenden Entzündung, bei welcher der specifische Process als
solcher nicht mehr oder sicherlich nicht allein mitwirkt. Hieraus
ist es zu erklären, dass die ersten Wirkungen des Pockengiftes von
vorzüglichen Beobachtern in solchen anatomischen Befunden vermuthet
wurden, die nach einigen Jahren von denselben Beobachtern als
nicht mehr charakteristisch bezeichnet werden mussten.
Es fehlt an einer thatsächlichen Feststellung der ersten
Wirkungsweise des Giftes.
Man findet nun zuweilen am vierten Tage der Impfung (vor
dem Eintritt des stärkeren Grades der Hyperämie) Präparate,
welche diese erste Frage eindeutig beantworten:
Beim Kalbe ist am vierten Tage nach der Impfung die Rei-
zungszone so weit gediehen, dass die Zellen derselben (Fig. 1. g. h.)
unter der specifischen Impfzone (resp. der Zone der Gerinnungs-
necrose) sich einander genähert haben bis auf die mittlere Region
(Fig. l.d.); nur diese Mittelstelle steht in organischem Zusammen-
hange mit dem darunter liegenden Bindegewebe; die dicht daran
stossenden Enden der Reizungszone, welche also, wie angegeben,
unter den Impfherd sich geschoben haben, zeigen ein kräftig
entwickeltes Rete, dessen oberste, dem Impfherde zugewendete
Schicht bereits ein vollständiges Stratum corneum gebildet hat.
Der Grad der Verdichtung dieses Stratum corneum hat sich am
leichtesten durch das poralisirte Licht feststellen lassen: wo die
Schichten bereits dicht an einander gerückt sind, zeigen sie starke
Doppelbrechung in breitem Streifen, wie an normalem Stratum
corneum; wo nicht: mattere und schmalere Streifen. Dies neue
Stratum corneum bildet nach der Mittelstelle des Impfherdes in
der Regel einen convexen Bogen: die Flüssigkeiten, welche durch
jene Mittelstelle aus dem Impfherd nach der Tiefe der Cutis zu
geleitet werden, erfahren durch die convexen Bogen des Stratum
Die erste Impfung. 95
corneum eine Absperrung gegen das neu gebildete Rete, so dass
dieses möglichst gegen einen Einbruch der Säfte des Impfherdes
geschützt ist.
Ausnahmsweise indess erfolgt dennoch ein solcher Einbruch;
Fig. 7. u. 8. zeigen denselben bei c. ; der ganze Schnitt rührt von
einer Pocke her, die 96 Stunden nach der Impfung excidirt worden
war; aa. bezeichnet den ursprünglichen Impfherd; der Pfeil giebt
die Richtung des Impfstiches an; f. ist ein Haarbalg, der vom
Impfherd nach der Tiefe der Cutis geht; durch diesen Haarbalg,
und zwar durch einen unter der innersten Auskleidung desselben
gelegenen (wie ich anzunehmen mich für berechtigt halte: normal
vorhandenen) Canal (Fig. 8. f.; cfr. Fig. 15. d.) sind aus dem Impf-
herd Mikrokokken und flüssige Bestandteile nach abwärts geleitet
worden.
Bei Fig. 7. u. 8. b. ist ein neu gebildetes, breites, vollständig
verhorntes Stratum corneum mit starker Doppelbrechung im pola-
risirten Lichte. Dieses neue Stratum corneum ist an dem unteren
Rande des ursprünglichen Impfherdes a. von den Zellen des ge-
reizten Rete und der äusseren Wurzelscheide des Haares als untere
Abgrenzung des Impfherdes gebildet worden. Vergleichende Beob-
achtungen an anderen Ausschnitten dieses Kalbes ergaben, dass
dieser Grad von Fertigstellung eines neuen Stratum corneum unter
dem Impfherd ungefähr nach Ablauf von drei Tagen erfolgt.
Unter diesem neuen Stratum corneum waren am Ende des 3.
oder am Anfang des 4. Tages normale Zellen im Zustande massiger
activer Reizung, wie ihn das Rete nahe der Impfstelle um diese
Zeit zeigt.
Nun sind, wie angegeben und wie die Mikrokokken zeigen
(Fig. 8. f.), Producte des Impfherdes, auf ihrem Wege in die Tiefe,
nach c. eingebrochen; der vermuthliche Einbruchsort Hess sich im
Präparat an der oberen, dem Haar zugewendeten Ecke als eine
kleine necrotisch-gelblich gefärbte Stelle erkennen.
Es hat hier eine Selbstinfection stattgefunden und der
neue Impfherd c. hat eben angefangen, sich nach unten hin abzu-
grenzen: die obersten Zellen des Rete d. unter diesem neuen Impf-
herd haben in Kern und Protoplasma erheblich weniger Farbstoff
aufgenommen (als die tiefer liegenden Zellen) und zeigen zugleich
einen etwas gelblichen Schein, wie er den ersten Anfang der
96 Erster Abschnitt.
Veränderungen bezeichnet, welche die Verhornung einleiten; allein
die Form der Kerne ist noch unverändert rundlich-oval, während
weiterhin die zur Bildung eines Stratum corneum sich anschicken-
den Zellen bekanntlich schmale (parallel der Oberfläche längs-
gestreifte) Kerne zeigen.
Bei diesem Präparat halte ich eine andere Deutung
(über die Entstehung des neuen Herdes c.) als die hier
gegebene für ausgeschlossen; es wäre nur wichtig, die Zeit-
dauer des Bestehens dieses neuen Herdes noch genauer festzu-
stellen. Der geschilderte Zustand des unteren Randes dieses neuen
Impfherdes würde nach meinen sonstigen Beobachtungen den Schluss
gestatten, dass der Herd erst vor wenigen Stunden entstanden
sei; es ist jedoch aus doppelten Gründen Vorsicht in der Deutung
nöthig:
Man weiss nicht, wie Zellen im Zustande beginnender activer
Reizung (Ende des 4. Tages der Impfung) gegenüber einem solchen
Eingriff sich verhalten; möglich, dass die bestehende stärkere Saft-
füllung einen schnelleren Abschluss des Gesunden gegen das Kranke
hin (also eine schnellere Bildung eines neuen, dritten, Stratum cor-
neum) gestattet; möglich aber auch, dass umgekehrt die grössere
Saftfülle das Eintreten der Verhornung erschwert.
Ferner ist es wahrscheinlich, dass der neue Impfherd nur
nach und nach sich zu seiner in der Figur vorhandenen Grösse
ausgedehnt hat: das Gift wurde eine gewisse Zeit hindurch stetig
importirt, aber stets in einer minimalen Menge, welche den ein-
zelnen Zellen nach und nach zuging; der Herd setzt sich also aus
einer Reihe kleiner, nach einander entstehender Herde zusammen,
und wie dies auf die Bildung des neuen Stratum corneum ein-
wirkt, ist a priori nicht zu sagen.
Nimmt man deshalb den möglichst längsten Zeitraum seit der
Entstellung des neuen Impfherdes an, so kommt man auf 24 Stunden.
Hier findet man nun sämmtliche Zellen zerstört: keine einzige
Zelle, kein einziger Kern haben ihre Integrität bewahrt. Die ein-
zelnen Kernreste zeigen einen erheblich grösseren Umfang, als in
dem primären Herde a. , was, wie angegeben, dafür spricht, dass
der Saftstrom die weitere Zerstückelung der Formen herbeiführt.
Nach diesem Befunde halte icli mich zu dem Schluss berechtigt,
dass die im Impfherd der ersten^und zweiten Impfung gefundenen
Die erste Impfung. 97
Kern- und Zellzerstörungen wesentlich auf Rechnung der Infection,
nicht der Verwundung zu setzen sind.
Es wird mithin durch die Infection zunächst das eigene
selbstständige Leben der Zellen unmittelbar zerstört.
Hierbei verdient bemerkt zu werden: es gelang nicht, in dem
neuen Impfherd (c.) Mikrokokken zu finden; ich habe auf-
merksam nach ihnen gesucht, es wäre nicht schwer gewesen, auf
den blau gefärbten Kernresten, oder zwischen denselben, selbst
einzelne (violette) Mikrokokken zu unterscheiden. Ich habe keine
gefunden. Ich glaube sagen zu dürfen: es waren keine vorhanden.
Das neue Rete unter dem primären Impfherd war gegenüber den
vorbeipassirenden Flüssigkeiten nicht dicht genug gewesen; aber es
war wohl ein völlig ausreichendes Filter gegenüber den Mikrokokken.
Es darf mithin gefolgert werden: bei der ersten Einwirkung
des Impfgiftes, der Zerstörung der Zellen, sind die Mikro-
kokken nicht unmittelbar betheiligt.
2. Die nächste Wirkung des Impfgiftes besteht darin,
dass der Impfbezirk bis zu einem gewissen Grade aus
der Berührung mit dem allgemeinen Saftstrom ausge-
schaltet wird. (Fig. 14.)
Es ist sicher, dass unmittelbar nach der Impfung eine nicht
unerhebliche Hyperämie gleichmässig rings um die Impfstelle ein-
tritt (man findet stets, auch bei oberflächlicher Impfung, einen
Wall von Rundzellen dicht unter dem Rete); allein schon nach
kurzer Frist ändert sich die Scene (im Gegensatz zu dem Vor-
gang bei einer nicht vergifteten Verletzung): Die Hyper-
ämie hört auf, die Rundzellen und der darüber liegende
Impfherd stehen nicht in demselben Grad in Connex mit
dem Blutstrom wie bei einer einfachen Wunde.
Es erstreckt sich der, den Saftstrom hemmende, Einfluss des
Giftes über den unmittelbaren Impf bezirk hinaus: in dem uns
geläufigen, regelmässigen Ablauf der Entzündung tritt bei
infectiösen Einwirkungen eine Abweichung ein (während, unge-
fähr gleichzeitig, innerhalb des Impfbezirkes selbst, ein beschränktes
Gebiet, das der primären Necrose, von dem Saftstom vollstän-
dig abgesperrt wird).
Wir wissen nichts Sicheres über die Wege, auf welchen den
einzelnen Reteschichten der von den Capillaren der Papillen aus-
Pincus, Vaccination. 7
98 Erster Abschnitt.
tretende Saftstrom zugeführt wird (es liegt nahe, hierbei an die
p. 46, Fig. 9 a, erwähnten Spalträume zu denken) und ich weiss
nicht zu sagen, wie die angegebene Verminderung des Saftstroms
unmittelbar unter dem Impf bezirk entsteht:
Man könnte sich vorstellen, dass das Gift im Impfbezirk zu-
gleich mit der Zerstörung der Selbstständigkeit der Zellen die
feinsten zuführenden Saftwege zur Verödung bringt — hiergegen
spricht, dass eine vollständige Absperrung thatsächlich doch nur
in einem sehr beschränkten Gebiete (dem angeführten der primären
Necrose) eintritt.
Es muss mithin sicher ein Ue bergreifen der Wirkung über
den unmittelbaren Impfbezirk hinaus erfolgen. Die Art dieses
Uebergreifens kann man sich (entsprechend den geläufigsten An-
schauungen über die Entzündung — nur mit einem Erfolge, welcher
dem bei der Entzündung eintretenden entgegengesetzt ist) so vor-
stellen:
dass das Gift durch die Saftkanäle unverändert zu den Pa-
pillen gelangt und hier die Blutgefässe direct in dem Sinne ver-
minderter Durchlässigkeit beeinflusst; —
oder dass das Gift vom Impfherd aus durch Vermittlung von
Nerven diese Wirkung herbeiführt.
Wenn Letzteres, dann könnte es sich handeln:
um directe pathologische Reizung der Nerven; —
oder um Unterbrechung eines physiologischen Zustandes: man
darf annehmen, dass in der Norm äusserst fein arbeitende Verbin-
dungen zwischen den letzten Zellen -Territorien und den nächsten
Blutgefässen bestehen; der annähernd vollständige Ausfall einer
Reihe solcher Territorien (und das ist ja das erste Ergebniss der
Vaccination) könnte dann von den nächsten Blutgefässen empfun-
den und mit verringerter Zuleitung beantwortet werden.
Die letzte Annahme scheint, abgesehen von Anderem, schon
dadurch ausgeschlossen, dass bei der zweiten Impfung diese Unter-
brechung des Saftstromes ausbleibt, trotzdem durch den zweiten Im-
port der Lymphe ein gleich grosses Zellen-Territorium zerstört ist.
Ich gestatte mir nicht, noch andere vorhandene Möglichkeiten
anzuführen.
Unter diesen Umständen wäre eine anatomisch nachweisbare Al-
teration an den Gefässen von Werth ; wiederholt habe ich 24 Stun-
Die erste Impfung. 99
den nach der Impfung an den Capillaren unter dem Impfbezirk
Folgendes gesehen: eine Anzahl Kerne erschien geschweift, zuge-
spitzt, tief dunkel gefärbt (während die anderen eine gleichmässig
ovale Gestalt hatten und helle Färbung zeigten); am Rande des
Gefässes, anscheinend aber noch innerhalb desselben, fanden sich
in einer graden Linie gelagert runde Kerne, von denen ich nicht
zu entscheiden wagte, ob sie Rundzellen seien oder Bestandtheile
der Wandung. Eine Vergleichung mit Schnitten der zweiten Im-
pfung war nicht angängig: hier sind die Capillaren von Rund-
zellen so vollständig überdeckt, dass eine Detail -Beobachtung des
Gefässrohres selbst nicht gelingt.
Eine Herabsetzung des Saftstromes, wie die hier angegebene,
wird von verschiedenen Autoren als mitwirkendes Moment für die
Entstehung der Infection (gewissermassen als selbstverständlich)
angenommen; ich habe nicht gefunden, dass sie anderweitig that-
sächlich beobachtet worden wäre.
3. Die Vermehrung des specifischen Giftes.
Das Pockengift tödtet die Zellen des Rete in einer uns un-
verständlichen Weise; die Resultate der Abimpfungen beweisen,
dass die Menge des in deh Impfbezirk importirten Giftes sich da-
selbst erheblich vermehrt.
Wenn es keine unerhebliche Nebenwirkung, sondern der wirk-
liche Anfang der Infection ist, dass die Zellen des Impfheerdes
zerstört werden (worüber wir nur eine Vermuthung haben können),
so würde sich hieran die weitere Vermuthung knüpfen, dass dort,
wo die Vermehrung des Giftes am ausgedehntesten oder intensivsten
erfolgt, zugleich auch die Zerstörung der ursprünglichen Zellen
am stärksten erscheinen muss: das wäre mithin am Ort der pri-
mären Necrose.
Diese zweite Vermuthung kann eine irrige sein: sehr viele Ver-
suche haben ergeben, dass specifisch-infectiöse und zu rascher
Necrose führende septische Processe oft feindlich auf einander
wirken. Jedes Impfgift stammt aus einem Heerde, in welchem
specifische und necrotische Processe neben einander sich vollziehen;
es giebt keine Methode, um festzustellen, ob beide durch ein und
denselben Stoff oder durch zwei verschiedene, eng mit einander
7*
100 Erster Abschnitt.
verbundene Stoffe übertragen werden. Die letzte Annahme wird
von bedeutenden Autoren als die wahrscheinlichere angesehen,
welche auf diese Weise z. B. die Thatsache erklären, dass inner-
halb ein und derselben Epidemie bald die septischen, bald die
specifi sehen Processe in den Vordergrund treten. Wenn eine sub-
jeetive Bemerkung gestattet ist ohne weitere weitläufige Begrün-
dung: mir ist. die erstere, ältere Annahme bei der Betrachtung des
Pockenprocesses die wahrscheinlichere geworden. Ich glaube, dass
ein und dasselbe Gift speeifische und septische Processe hervorruft,
und ich glaube, dass im Impfheerd die speeifische Wirkung dort
am intensivsten auftrat, wo sich nach Kurzem die Necrose findet.
Der Ort dieser Necrose zeigt nun stets folgende Bedingungen
vereinigt: er liegt in der unteren Hälfte des Rete, in einer ge-
wissen Entfernung von der Impfverletzung, um einen (oder einige)
scharf umrandete Mikrokokkenballen und ist umgeben von einem
Gewebe, welches einen Verhornungsgrad zwischen Stratum lucidum
und Stratum corneum zeigt.
Mit der stetigen Coincidenz dieser vier Befunde verträgt sich
(leider) jede der drei Hauptanschauungen über die Contagion:
Die Mikrokokken erzeugen das Gift (Henle, Pasteur,
Hallier, Klebs, Hüter, Cohnheim, v. Nägeli) —
oder eine organische Flüssigkeit, welche an irgend einem le-
benden oder unbelebten Krümchen heftet, ist das Gift, welches in
den Säften des inficirten Körpers sich „spontan" vermehrt (die
Contact-Hypothese) —
oder dieses Gift wird in den umgestimmten Säften des Orga-
nismus durch Pilze vermehrt, welche ihrerseits erst durch das Gift
selbst modificirt worden sind (Billroth, M. Wolff).
Es ist nicht erwiesen und durch keine der bisherigen Methoden
erweislich, dass die Mikrokokken der Vaccina die Erzeuger des
Giftes sind; es wird die Annahme, dass sie es wirklich sind, unter
Anderem sehr nahe gelegt durch die Constanz der oben ange-
gebenen Befunde und durch die von Chauveau unternommenen
Versuche (welche in ihrer Beweiskraft allerdings dadurch beein-
trächtigt werden, dass die Controlc durch Nachimpfung mit un-
verdünnter Vaccina unterblieben ist); es wird diese Annahme ferne
gerückt durch die Wahrnehmung, dass Impfversuche aus älteren
Pusteln fast stets misslingen, trotzdem sich in ihnen eine so grosse
Die erslo Impfung. 101
Anzahl Mikrokokken finden (Fig. 6a.) wie nur am Ende des zweiten
und Anfang des dritten Tages — hier wird also dann die weitere
Hypothese nöthig, dass entweder die Mikrokokken allein es doch
nicht sind, oder dass sie als Organismen eine sehr labile Zu-
sammensetzung haben. Es ist keine zufällige Combination, son-
dern Ausfluss der noch vorhandenen Schwäche der Pilzhypothese,
dass Billroth und v. Nägeli, von so verschiedenen Ausgangs-
punkten aus, dennoch zu der gleichen Anschauung wie früher
Hallier von der grossen Wandlungsfähigkeit der Pilze ge-
kommen sind; mit dieser Wandlungsfähigkeit ist doch thatsäch-
lich das Hauptgewicht auf die (nicht organisirten) Sub-
stanzen gelegt, welche die Wandlung hervorrufen und die
„humores" treten wieder in den Vordergrund, welchen sie
so lange dem solidis hatten einräumen müssen. Ich glaube, den
Aerzten liegt der Schluss nahe: wenn die Pilze so wandlungs-
fähig sind, dürften sie nur einen losen Zusammenhang
mit den Infectionen haben, denn die Infcctionserscheinungen
im thierischen Körper zeigen eine grosse Constanz der Qualität,
wenn auch eine grosse Verschiedenheit in der Intensität.*)
Meine Untersuchungen haben nach dieser Richtung hin nur
ein einziges sicheres Factum ergeben: Die Anfangswirkung des
Giftes ist eine Zerstörung der Zellen, und hiermit vertragen sich
sehr verschiedene Möglichkeiten.
Ich gestatte mir, eine derselben hier kurz anzuführen, welche
von Versuchen**) datirt, zu denen ich durch experimentelle Ergeb-
nisse Senator 's***) angeregt worden war, und welche mit dem
*) Diese Constanz der Krankheitserscheinungen hebt auch Klebs (Arch.
f. exp. Pathol. Bd. 13. p. 172) gegenüber H. Buchner (Milzbrand -Conta-
giura und Heubacillen) hervor. Er erinnert zugleich an die Gefahr der Ver-
unreinigung bei den Unizüchtungen. Soweit diese Gefahr durch Vorsicht der
Technik umgangen werden kann, darf sie bei Buchner als gemieden vor-
ausgesetzt werden; indess der Methode selbst stehen ebenso grosse Bedenken
entgegen wie der fractionirten Cultur oder dem Filtriren.
**) Virch. Arch. Bd. 83. p. 139.
***) Fieberhafter Process. 1873. p. 6.
102 Erster Abschnitt.
(p.21.) angeführten Stehenbleiben des Impfherdes in einem Zwischen-
stadium der Verhornung zusammenhängt:
Das specifische Gift hat im thierischen Körper nur eine be-
stimmte Anzahl von Oertlichkeiten, in welchen es sich vermehrt.
Alle Krankheiten mit fixem entogenem Contagium und die meisten
Krankheiten mit flüchtigem entogenem Contagium (ich abstrahire
der Kürze halber von den wenigen Ausnahmen, wie Febris recurrens
und vielleicht Meningitis cerebrospinalis, für welche noch ein
Zwischenglied, nämlich ein Locus primae affectionis, z. B. in der
Respirationsschleimhaut eingeschoben werden müsste) haben Locali-
sationen an der Cutis oder an Schleimhäuten, die mit der Aussen-
welt in Verbindung stehen.
Bei der Localisation wird die getroffene Zelle zerstört; sie
zerfällt, wie die Untersuchung an den Pocken zeigt, in feine Bruch-
stücke, von denen viele noch eine organisirte Structur erkennen
lassen. Diese letzteren zeigen alsdann nicht das Endstadium
der Entwicklung der Retezellen (die vollständige Verhornung),
sondern eine Vorstufe desselben.
In dieser Vorstufe werden sie festgehalten und gelangen in
die Luft, an die Wäsche, in das Trinkwasser etc.
Hiernach scheint folgende Möglichkeit vorhanden:
Das (entogene) Contagium ist als etwas vom thierischen Kör-
per Ablösbares überhaupt nicht vorzustellen; die Uebertragung er-
folgt vielmehr stets durch (grössere oder minimale) Bruchstücke
einer erkrankten Zelle, deren Atome in der durch die Erkrankung
bedingten Anordnung eine gewisse Zeit hindurch fixirt, also über-
lebend, erhalten werden, mit der (am „Lebenden" uns geläufigen)
Fähigkeit, ähnliche Zellen eines anderen Körpers in gleichen Zu-
stand zu versetzen.
Diese Hypothese verstösst, soweit meine physiologische und
pathologische Kenntniss reicht, gegen keine Thatsache; sie ist
überall durch Analogien gestützt (die Ueberlebensdauer der Epi-
thelien ist uns längst geläufig), und sie erklärt alle Erscheinungen
des Einzelverlaufes wie der Gesammtepidemie.
Ich brauche wohl nicht erst ausdrücklich anzuführen, dass ich
derselben nicht die geringste thatsächliche Bedeutung beilege, denn
sie ist in keinem Stücke erwiesen, und wenn sie erwiesen wäre,
würden wir nicht viel klüger sein, denn es wäre ja Alles nur auf
Die erste Impfung. 103
das „Leben" zurückgeschoben. Aber sie ist der Untersuchung an
fast allen Punkten zugänglich, und bewahrt denjenigen, der von
der Richtigkeit der Pilzhypothese nicht oder noch nicht überzeugt
ist, vor der Nothwendigkeit, diese nur darum anzunehmen, weil
kein anderer Weg offensteht.
Es soll sich jedoch in den folgenden Blättern von dieser
Hypothese weiter keine Notiz genommen, sondern der Begriff Con-
tagium stets in dem üblichen Sinne gebraucht werden.
4. Variola vaccina und Variola ovina (resp. humana).
Das vermuthlich sehr kleine Körnchen, welches bei Variola
ovina und Variola humana in der Regel die Ansteckung vermittelt,
gelangt auf unbekannte Weise an den unbekannten Ort, an welchem
seine erste Vermehrung erfolgen kann.
Vielleicht liesse sich dieser Ort seitens derjenigen Collegen,
welche häufiger Gelegenheit zur Beobachtung der Ovina haben, in
folgender Weise ausfindig machen: man bindet einigen Lämmern
einen Tag lang einen kleinen Sack vor, in welchem ein Stück Fell
eines an Ovina leidenden eben getödteten Thieres sich befindet,
oder man befestigt in einem Nasenloch jedes Thieres ein Stück
einer frisch ausgeschnittenen Schafpocke für einige Tage (die Be-
festigung muss ohne Verwundung erfolgen); wenn man dann alle
6 oder alle 12 Stunden ein solches Thier tödtet, liesse sich viel-
leicht der Locus primae affectionis im Respirationskanal oder in
einer Lymphdrüse ermitteln; er muss in seiner gesammten anato-
mischen Anordnung einem direct an der Cutis erzeugten Impfherd
ähnlich sein.
In gleicher Weise liesse sich die oben unentschieden gebliebene
Frage (p. 98) über die Herabsetzung der Fluxion entscheiden, ent-
weder am Locus primae affectionis oder an den ersten Stadien
der Allgemein-Eruption.
Man bezeichnete früher allgemein das Contagium der Vaccina
als fix, das der Variola humana als flüchtig; diese Unterscheidung
dürfte sich heut nicht mehr aufrecht halten lassen.
Chauveau, der bei allen Pockenarten einen corpusculären
Character des Giftes annimmt, ist geneigt, die „flüchtige Natur"
104 Erster Abschnitt.
desselben bei V. humana und ovina (d. h. die intensivere Wirksam-
keit) von der grösseren Menge des in den ächten Pocken enthalte-
nen Giftes abzuleiten; er hatte gefunden, dass die Lymphe der
Schafpocke eine 30 mal so starke Verdünnung ertrage als die Kuh-
pocke, ehe beide an der Grenze ihrer Wirksamkeit ankämen*).
Und darüber scheint allgemeine Uebereinstimmung zu herrschen,
dass, wenn der corpusculären Character des Giftes angenommen
wird, dies doch immerhin nicht unter ein gewisses Quantum sinken
darf, wenn es bei seinem Angriff eine wirkliche Infection hervor-
rufen soll**).
Allein der Umstand, dass die Vaccina in den tieferen Schichten
der Cutis speeifische Veränderungen nicht hervorruft, die Variola
humana und ovina solche aber allerdings an diesem Orte und in
anderen Organen erzeugt, ist nach meiner Meinung nicht durch
quantitative Verhältnisse zu erklären, sondern nur durch eine qua-
litativ verschiedene Ansiedelungsfähigkeit, welches dem einen Gift
einen sehr verschiedenartigen Boden gestattet, das andere nur auf
eine einzige Scholle anweist. In einem Impfzimmer, in welchem
innerhalb 1 — 2 Stunden 100 — 200 Kinder geimpft werden, findet
sich voraussichtlich von dem Contagium der Vaccina in der Luft
eine ebenso grosse Menge, wie sie von einem Variolakranken aus-
geht, in dessen Zimmer sich ein Individuum durch kurzen Auf-
enthalt ansteckt. Dieses fasst Boden im Respirationstractus , in
einer Lymphdrüse oder anderswo; jenes nicht; ferner: das auf
diese Weise eventuell aufgenommene corpusculäre Gift der Vaccina
vermag sich, während es im Blute kreist, auch nicht in der
Cutis des noch ungeimpften Kindes anzusiedeln (hierbei mag
jedoch die Quantität entscheidend sein).
Es hat sich ergeben (p. 78), dass die Mikrokokken der
Vaccina: Protoplasmafärbung annehmen, die Mikrokokken
der Ovina: Kernfärbung. Bei unserer Unkenntniss über die
Bedeutung der Mikrokokken für die Infection und über die, der
verschiedenen Färbung zu Grunde liegenden, chemischen Qualitäten
fehlt jede Einsicht, ob die verschiedenen Qualitäten der beiden
Gifte irgendwie durch diese Färbungsdifferenzen angedeutet werden;
*) Stricker, Allgem, Pathol. I. p. 113.
**) Rindfleisch, Verhandl. d. Ges. zu Würzburg. Bd. 13. Anh. p. V.
Die erste Impfung. 105
will man sie in Zusammenhang bringen, so kann man sich vor-
stellen, dass die, Kernfärbung zeigende, Variola ovina (entsprechend
der grösseren Resistenz des Kerns gegen verschiedene Chemiealien
— grösser im Verhältniss zu der des Protoplasma) auch resistenter
ist gegen den Einfluss verschiedener Organsäfte und hierdurch be-
fähigt, eine Allgemein-Eruption hervorzurufen; die weniger Resistenz
zeigende Vaccina hingegen nur eine beschränkte Ansiedlungsfähig-
keit hat. Es liegt dann nahe (wie bereits p. 82 erwähnt) anzu-
nehmen, dass z. B. die im'Organismus vorhandenen seh wachen
Säuren wohl im Stande sind, die Mikrokokken der Vaccina zu
zerstören, wie schwache Säuren das Protoplasma der Zellen sehr
erheblich auflockern, während sie die Kerne (und dem entsprechend
auch die Mikrokokken der Ovina) viel weniger angreifen.
5. Die Incubation.
Die verschiedenen Vorstellungen über den Vorgang der Incu-
bation lassen sich folgendermaassen zusammenfassen:
1. Das Gift kommt in wirksamer Form, aber ungenügender
Menge in den Körper; während der Incubation vermehrt es sich.
Hiergegen scheint zu sprechen: wenn man einen feinen Stich mit
der armirten Nadel macht und an einer anderen Stelle vielfache
Kreuzschnitte mit möglichst reicher Imprägnirung, so kürzt man
im zweiten Fall die Incubation nicht ab. Und ferner: ob man
einem Kalbe 2 Pusteln anlegt oder 40, hat auf die Zeit des Ein-
tritts der Allgemeinerscheinungen (wo diese überhaupt sich als
Fieber oder Verdauungsstörungen constatiren lassen) keinen Ein-
fluss.
Andererseits kann man sich vorstellen: die Menge des Giftes,
welche in einer Impfpustel gebildet wird, sei so ausserordentlich
gross, dass das Quantum Gift, welches durch 40 Impfstiche impor-
tirt wird, hiergegen verschwinde.
2. Das Gift kommt in genügender (oder ungenügender) Menge
aber in unwirksamer Form in den Organismus: es muss erst weitere
Entwicklungsstufen durchmachen. Die Parasitentheorie beruft sich
hierbei auf die Erfahrungen der Invasionskrankheiten (Darmtrichinen
und Muskeltrichinen, Finne und Bandwurm).
Gebietet die Vorsicht, sich nur an das zu halten, was die
106 Erster Abschnitt.
Beobachtung thatsächlich zeigt, so finden wir für die Mikrokokken
keine weiteren Entwicklungsstufen (von den runden Flecken, welche
p. 76 erwähnt sind und den Figuren: Fig. 6. c, p. 59. als viel-
deutigen oder schwer zu deutenden Befunden muss Abstand ge-
nommen werden). Wir finden allerdings Verdichtungen der Zu-
sammenlagerung; in der inficirenden Lymphe: nur einzelne Kokken
— in der Pustel: Haufen und Ballen; und es ist, wie angeführt
(p. 104) allgemeine Annahme, dass hier die Conglomerirung eine
qualitative Bedingung der Wirksamkeit überhaupt darstellt. Allein
die Conglomerirung erfolgt schon nach wenigen Stunden und die
Incubation dauert mehrere Tage.
Ich gestatte mir, hier diejenigen Anschauungen auszusprechen,
welche sich mir aus der Beobachtung des Verlaufs und nach den
mikroskopischen Präparaten allmälig gebildet haben; in dem Be-
wusstsein, dass der Leser sie an mehreren Stellen als willkürliche
bezeichnen darf (selbstverständlich bedeutet Incubation ja nicht
Unwirksamkeit überhaupt, sondern nur die Wirksamkeit bis zum
Eintritt gröberer Veränderungen):
Das Gift zerstört die getroffenen Zellen; die specifische Art
und Weise, in welcher diese Zerstörung erfolgt, kennen wir nicht;
das Resultat des Zerstörtseins hat nichts Specifisches; vermuthlich
hat das Scharlachgift und Maserngift und sicherlich haben Tartarus
stibiatus, Oleum Sinapis und Oleum Crotonis die gleiche End-
wirkung. Das Characteristische des Processes liegt entweder
darin, dass der importirte Stoff sich in unveränderter Qualität
innerhalb des zerstörten Gewebes vermehrt und nun auf Gefässe
und Temperatur einwirkt; oder dass er den Zellen einen Stoff ent-
zieht, den er für sich verbraucht, und dass die nun übrig
bleibenden Zellreste durch ihre in sich erfolgende Um-
setzung die weiteren schädlichen Stoffe erzeugen.
Wenn die weiteren Wirkungen nur von der gesteigerten Menge
des unveränderten Giftes abhingen, so liesse sich eine Verkürzung
der „Incubation" erwarten bezüglich des localen Verlaufs durch
Deponirung einer etwa 100 — 200 mal so grossen Masse und be-
züglich des allgemeinen Verlaufs durch Anlegen einer viel grösseren
Anzahl von Infectionsherden. Diese Verkürzung tritt wie oben
angegeben aber nicht ein.
Wenn die erste dieser weiteren Wirkungen, nämlich die Herab-
Die erste Impfung. 107
Setzung des Saftstromes, von der Einwirkung des unveränderten
Giftes abhinge, so würde sie voraussichtlich früher eintreten, wenn
man den Impfstich etwas tiefer bis unmittelbar an die Gefässe
anlegte. Die allgemeine Erfahrung der Impfärzte hat das Gegen-
theil gelehrt: legt man den Schnitt tiefer, so bleibt der specifische
Process vielfach aus, und zwar nicht blos dann, wenn eine etwas
stärkere Blutung das Gift wieder herausspült, sondern auch wenn
die Blutung sich auf das gewöhnliche kleine Tröpfchen beschränkt
oder ganz ausbleibt.
Die herabsetzende Wirkung auf den Blutstrom zeigt sich, wie
man auch die Impfverletzung anlegt, erst am Ende des ersten Tages
und dauert 1 — 2 Tage an; daraus muss geschlossen werden: das
Impfgift selbst verändert sich zu einem Stoff, welcher diese Wir-
kung auf die Gefässe hat — oder aus den zerstörten Zellen ent-
wickelt sich ein Stoff von dieser Wirksamkeit.
Das Schlangengift scheint (soweit die Berichte ein Urtheil ge-
stattet) direct ebenso die Blutgefässe zur Functionsunfähigkeit wie
die getroffenen Zellen zum Tode zu bringen.
Der Umstand, dass im thierischen Körper normaler Weise
Stoffe gebildet werden, welche auf die Blutgefässe einwirken (Men-
truation) — dass ferner die Analogie gestattet scheint : die vielfach
vermuthete Herabsetzung des Saftstroms bei den so verschieden-
artigen Infectionen finde wirklich statt — macht mir die Annahme
wahrscheinlicher: die Wirkung auf die Gefässe entsteht bei der
Vaccination durch die Abspaltungsproducte des Rete, nicht durch
eine weitere Umwandlung des Impfgiftes in sich.
(Die Frage, ob der betreffende Stoff zunächst die Nerven oder
sogleich direct die Gefässe beeinflusst, kehrt ja bei jeder Annahme
in gleicher Weise wieder, kann also im vorliegenden Fall über-
gangen werden; zumal wir sie nur aufwerfen, nicht entscheiden
können.)
Das Impfgift, welches wir bei der Vaccination übertragen, ist
ein Gemisch des specifischen Giftes, der Zerfallsproducte des Rete
und anderer aus dem Kreislauf gelieferter Stoffe; ich habe keine
Versuche darüber gemacht, wie die Temperatur sich verhält, wenn
man einem Schaf ein gewisses Quantum Ovinabläscheninhalt in die
Venen injicirt, weil ein eindeutiger Erfolg einer solchen Versuchs-
108 Erster Abschnitt.
anordnung nicht zu erreichen ist (es ist bekannt: Injection indiffe-
renter Stoffe in die Venen macht zuweilen Fieber; Injection von
einfach „zymotischen" Stoffen macht Fieber). Die Deutung der
sonstigen Beobachtungen bezüglich des Fiebers ist ebenfalls zweifel-
haft; jedoch halte ich für sicher: das Impfgift im unveränderten Zu-
stande wirkt bezüglich der Temperatur nicht anders als bezüglich
der Gefässe; die Temperaturerhöhung beginnt bei der Vaccination
etwa um dieselbe Zeit, da die Herabsetzung des Blutstroms in eine
erhöhte Fluxion umschlägt; aus dem Impfbezirk werden um diese
Zeit in die allgemeine Circulation sowohl die speeifischen Stoffe
als die Zerfallsproducte der Retezellen eingeführt; auf Rechnung
welcher von beiden Stoffen die Temperaturerhöhung zu setzen ist,
lässt sich nicht entscheiden. Einigen Anhalt scheint der Verlauf
der Variola ovina und humana bei der gewöhnlichen Art der An-
steckung zu geben: hier brechen aus dem unbekannten Ort der
ersten Infection die speeifischen Stoffe und die Fieber erzeugenden
vermuthlich zu gleicher Zeit in den allgemeinen Kreislauf ein; aus
den hier mitgetheilten Befunden und aus denen von Klein darf
gefolgert werden, dass hierbei die Ansiedelung der die allgemeine
Eruption erzeugenden Keime und die Erhöhung der Temperatur
auch thatsächlich zu gleicher Zeit erfolgt. Nun befinden sich aber,
wie die Vergleichung zwischen Vaccina und Ovina ergiebt, die spe-
eifischen Stoffe (bei dem gewöhnlichen Verlauf der Ovina) zur Zeit
der Ansiedelung in der Cutis etwa in demselben Stadium wie die
speeifischen Stoffe der Vaccina zur Zeit der geeigneten Uebertragung
für die Abimpfung — um diese Zeit haben sie aber wie angeführt
keinen Einfluss auf die Blutgefässe oder auf die Temperatur; —
es liegt daher näher, anzunehmen, dass die Wirkung auf die Tem-
peratur (ebenso wie die auf die Blutgefässe) von den Zersetzungs-
produeten des locus primae affectionis resp. der Retezellen des
Impfheerdes ausgeht.
Gegen eine stufenartige Entwicklung des speeifischen Impf-
giftes scheint auch die Thatsache zu sprechen, dass beim Abimpfen
aus Pocken von verschiedenem Alter die Entwicklung der neu
angelegten Pocke am anderen Individuum doch stets ungefähr die
gleiche Zeit braucht, falls sie überhaupt zu Stande kommt;
dass hingegen eine stufenartige Veränderung an den zerstörten
Die erste Impfung. 109
Retezellen eintritt, wird durch die eintretende Necrose und durch
die verschiedenen Stadien der Verhornung erwiesen.
Mir ist die Annahme wahrscheinlich geworden, dass sowohl
die specifischen Stoffe, als auch die auf die Gefässe und auf die
Temperatur einwirkenden am ungestörtesten sich entwickeln, wo
diese Entwicklung in einer verhältnissmässig weniger zerstörten
Zelle vor sich gehen kann; so erkläre ich mir die Entstehung der
primären Necrose. Indess, dies ist schon weiteres Detail; ich ge-
statte mir nicht, dasselbe auszuführen.
Ich muss anheimstellen, in wie weit die vorstehenden Angaben
den Leser geneigt machen, mit mir die Wirkung auf die Gefässe
und auf die Temperatur nicht direct von dem specifischen Gift
sondern von den Abspaltungs- und Zerfallsproducten des Rcte ab-
zuleiten.
Zweiter Abschnitt.
Die zweite Impfung.
Ich gestatte mir nochmals die Vorbemerkung: es sind hier
nur die Befunde von solchen Thieren berücksichtigt, bei welchen
durch den Gesammtverlauf der ersten und der zweiten Impfung und
die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung beider festgestellt
worden war, dass die erste Impfung Immunität erzeugt
hatte.
Fünfzehn Stunden nach der zweiten Impfung.
In einem mikroskopischen Schnitt einer Impfstelle 15 Stunden
nach der zweiten Imgfung findet man (analog dem Befunde bei der
ersten Impfung) im grossen Ganzen gleichfalls 3 Zonen: nach
Innen die specifische Impfzone mit den Kernresten und den Mikro-
kokken, nach Aussen die Zonen der trüben Schwellung und der
Reizung.
Allein es zeigen sich hierbei folgende Unterschiede:
1. Die Zone der trüben Schwellung ist sehr schmal und fehlt
oft ganz.
2. Die Reizungszone ist sehr ausgedehnt; Zellen in dem früher
(p. 39, Fig. 2) geschilderten Zustande fehlen gänzlich oder sind
nur vereinzelt vorhanden. Das Protoplasma der Zellen der Reizungs-
zone (Fig. 10) nimmt bei der angegebenen Methylbehandlung eine
schwach rosige Färbung an. Die äusseren Begrenzungsconturen der
Üie zweite Impfung. 111
Zellen sind als solche auch hier (bei Härtung in Alkohol) nicht
zu erkennen.
3. Der untere Rand der Impfzone ist wie bei der ersten
Impfung von einem dichten Kranz von Rundzellen umgeben; aber
während bei der ersten Impfung unterhalb dieses Kranzes die
Rundzellen nur sehr spärlich sich finden (Fig. 14), ziehen sie hier
tief ins Gewebe der Cutis hinein (Fig. 15).
4. Der Impfbezirk ist nicht verhornt mit Ausnahme einiger
Stellen, die vom Stratum corneum aus als kürzere oder längere
Zapfen in den Impfbezirk sich hinein erstrecken oder als Streifen
parallel dem Stratum corneum verlaufen.
Von den Details soll liier nur das Notwendigste angegeben
werden :
1. Die Impfzone.
Sie ist erfüllt von den Kernrestfiguren (Fig. 10 a), von
welchen bezüglich ihrer Gestalt und ihres Verhaltens gegen Farb-
stoffe Unterschiede gegen die erste Impfung nicht aufzufinden sind ;
nur sind die Formen im centralen Theil des Impfbezirks im Ganzen
etwas kleiner als im peripheren Theil.
Die Grundsubstanz, in welche diese Kernreste eingebettet
sind, zeigt bei der ersten Impfung um diese Zeit bereits einen
solchen Grad von Verhornung, das bei Anwendung von Methyl-
Violett allein oder in Verbindung mit Pikrinsäure (p. 19) die ganze
Zone die Reaction der Huxley' sehen Schicht der inneren Wurzel -
scheide zeigt: eine violette, beziehentlich pensee oder (bei Ueber-
färben mit Pikrin) gelbbraune Farbe. Bei der zweiten Impfung
haftet das Pikrin in dieser Grundsubstanz so wenig fest,
dass es nach kurzem Auswaschen daraus schwindet, wäh-
rend in den tiefer gelegenen Haarbälgen desselben Präpa-
rates die Huxley'sche Schicht der inneren Wurzelscheide
noch tief gelbbraun gefärbt ist; bei blosser Anwendung von
Methylviolett zeigen einzelne Partien die tief violette (Verhornungs-)
Farbe (nahe am Stratum corneum) theils als eine schmale Schicht
parallel demselben, theils kurze, unregelmässig begrenzte Streifen,
welche von der Hornschicht der Cutis eine kurze Strecke in den
Impfbezirk hineingehen. Es gelang nicht, zu erkennen, dass diese
112 Zweiter Abschnitt.
letzteren Zapfen mit den Ausmündungen von Haarbälgen oder
Drüsen irgend eine locale Beziehung hätten, und es ist übrigens
bekannt*), dass solche streifigen Figuren im Stratum corneum bei
Anwendung von Methylviolett keine sichere Deutung zulassen.
Der bei Weitem grösste Theil des Impfbezirks zeigt keine
Verhornungs-Reaction.
Mikrokokken finden sich in grösseren Ansammlungen haupt-
sächlich an der oberen Decke des Impfbezirks: an den beschrie-
benen Ausbuchtungen des Stratum lucidum nach dem Stratum cor-
neum hin; sehr ausnahmsweise in der tieferen Region des Impf-
bezirkes als scharf umschriebene Ballen (nach meiner Meinuug als-
dann in einem annähernd unversehrt erhaltenen Kern (Fig. 13 e);
häufiger in den Lymphräumen des Haarbalges (Fig. 13 d). — Die
Mikrokokken zeigen auch hier die violette (Protoplasma-) Farbe
(nach Anwendung von Methylviolett).
Bei der ersten Impfung wird nach Anwendung von Methyl-
violett das Auffinden der Mikrokokken dadurch sehr erschwert,
dass die (halb) verhornten Partien die gleiche, nur etwas weniger
intensive Färbungsnüance zeigen wie die Mikrokokken; es bedarf
zu ihrem Auffinden der besten Hülfsmittel; bei der zweiten Impfung
hingegen heben sich die violetten Mikrokokken von den blau ge-
färbtenKernrestfiguren und dem gar nicht oder schwach blaugrau
gefärbten Grunde gut ab, so dass man sie ohne Immersion auf-
finden kann; nur diejenigen Haufen, welche am oberen Rande
liegen, lassen sich in dieser Weise (wegen der vorhandenen Ver-
hornung) nicht auflösen.
2. Die Zone der trüben Schwellung.
Wie angegeben, fehlt sie zuweilen. Wo sie vorhanden, ist sie
stets erheblich schmaler als bei der ersten Impfung; es ist in der
Regel ohne Immersion zu erkennen, dass die Kerne in den Zellen
nicht fehlen, und dass nur die, sonst zwischen Kern und Proto-
plasma vorhandene, Differenz der Aufnahmefähigkeit für Farbstoffe
hier fast ganz geschwunden ist.
Auf der Grenze zwischen Impf bezirk und Zone der trüben
Schwellung oder vollständig innerhalb der Impfzone finden sich,
ebenso wie bei der ersten Impfung (Fig. 1 k., p. 14), 1 oder 2
*) Unna: Arcli. f. mikrosk. Anat. Bd. 12. p. 734.
Die zweite Impfung. 113
ovale Stellen, die in ihrem der Oberfläche ungefähr parallelen Längs-
durchmesser 40 bis 80 (i. , in ihrem Höhendurchmesser 16 bis
40 (i. gross sind, bei der Färbung mit Methylviolett eine dunkel-
violette Farbe zeigen und oft von einer hellen gelblichen Zone
umgeben sind; in dieser Zone finden sich mehrfach runde unver-
sehrte Kerne, die 3 bis 4 (i. Durchmesser haben und in ihrer
ganzen Ausdehnung und Tiefe gleichmässig dunkelblau gefärbt sind.
3. Die Reizungszone.
Characteristisch für diese Zone ist die verhältnissmässig grosse
Gleichmässigkeit des Zustandes, in welchem sich die Zellen be-
finden: die einzelnen Zellen sind vergrössert, an der Vergrösserung
nehmen Kern und Protoplasma in gleicher Weise Theil (nirgends
dicht an einander gelagerte Kerne mit schmalem Proto-
plasmasaum wie bei der ersten Impfung); das Protoplasma
nimmt bei Färbung mit Methylvioiett eine rosige Färbung an (Fig.
10. b.).
Sehr selten sind die Kerne geschrumpft; fast nirgends eine
Lückenbildung zwischen Kern und Protoplasma.
Die Form der Kerne ist meist gleichmässig oval; in jedem
Kern zeigt sich eine grössere Anzahl gefärbter Punkte.
In einzelnen Pocken findet man in dieser Zone einen oder
zwei grössere, oval umgrenzte Hohlräume (Fig. 10. c), 30 bis
40 i». lang und etwa halb so breit. Solche Hohlräume sind mehr-
fach beschrieben (z. B. Weigert, Pocken, Taf. II, Fig. 8. b.):
die Autoren deuten sie als vielkernige Zellen; meine Befunde legen
mir die Annahme näher, dass es sich um Lücken handelt, welche
durch die Intensität des Saftstromes der Reizungszone in das Pro-
toplasma gerissen sind; ich habe z. B. an der Pocke, von welcher
die Abbildung Fig. 10. herrührt, diese Lücke an mehreren Schnitten
verfolgen können: an einem ging die Lücke unmittelbar in die Impf-
zone über. — In der Lücke findet man Gebilde, bei welchen nach
ihrem optischen Verhalten und ihrer Färbungsfähigkeit die Willkür
des Beobachters sich nicht ausschliessen lässt, ob es Retezellkerne
oder Rundzellkerne sein sollen; da das Pro et Contra für den Pro-
cess unwesentlich erscheint, unterlasse ich Angabe der Details.
4. Der bindegewebige Theil der Cutis.
Ein grosser Unterschied zwischen der ersten und zweiten Im-
pfung zeigt sich darin, dass bei der zweiten Impfung eine sehr
PincuB, Vaccination. Q
114 Zweiter Abschnitt.
grosse Anzahl von Rundzellen im Gewebe vorhanden ist: es gleicht
hier das Bild 15 Stunden nach der zweiten Impfung demjenigen,
welches man von der ersten Impfung gegen Ablauf des vierten
Tages bekommt.
Die p. 27 angegebene Tendenz zur Loslösung des ganzen mitt-
leren Theils des Impfherdes (Fig. 1, seitlich von d.) findet sich
auch bei der zweiten Impfung.
Vierzig Stunden nach der zweiten Impfung.
Die Imfzone ist im Verhältniss zum ersten Tage vergrössert;
nicht durch Uebergreifen des Processes auf eine vorher intacte Re-
gion, sondern passiv durch Aufquellung des gleich in den ersten
Stunden gebildeten Herdes. Die Aufquellung erstreckt sich bis
auf das Stratum corneum: die mehrfach erwähnten Einbuchtungen
des Stratum lucidum nach dem Stratum corneum hin (Fig. 13. c.)
sind verstrichen und es finden sich daselbst keine Mikrokokken mehr.
Die Kernreste, welche den Impf bezirk erfüllen, sind kleiner
als 24 Stunden vorher (Fig. 13).
Mikrokokken finden sieh im Impf bezirk jetzt nur in an-
nähernd unversehrten Kernhüllen und in den Lymphgängen der
Haarbälge (Fig. 13. e. u. d.),
Die mehrfach erwähnten, eigentümlich gestalteten Stellen
der Impfzone (Fig. 1. k.) haben um diese Zeit eine Veränderung
erfahren: sie zeigten bei der ersten Impfung etwa bis zum vierten
Tage, bei der zweiten Impfung etwa bis zum Ende des ersten Tages
bei Anwendung von Methylviolett eine roth violette Farbe, ähnlich
derjenigen des mehrfach erwähnten schmalen Streifens zwischen
Stratum lucidum und Stratum corneum; — 40 Stunden nach der
zweiten Impfung nimmt die Stelle keinen Farbstoff mehr an: sie
erscheint weisslich-gelblich, eine Farbe zwischen der eines frisch
gebildeten Stratum corneum (bevor dasselbe genügend verdichtet
ist, um eine nennenswerthe Doppelbrechung zu zeigen) und der
Farbe von necrotisch gewordenem Gewebe; — von diesem gelb-
lichen Fleck aus zieht nach abwärts und schräg zur Oberfläche der
Cutis ein kanalartiges Gebilde, das mit feinen faserstoffgerinnsel-
Die zweite Impfung.. 115
artigen Fäden erfüllt ist und unmittelbar über dem neu "gebildeten
Rete der Reizungszone endigt; die Breite dieses Canals beträgt
30 bis 45 (Jb., seine Länge kann 400 f*. und darüber betragen, ist
jedoch in der Regel kürzer.
Ich neige zu der Annahme: diese eigenthümlich gefärbte ovale
Stelle in jedem Impfbezirk bezeichnet den Ort, an welchem die
giftige Flüssigkeit zunächst in die Lymphgänge eingebrochen ist.
Die Anfangs Wirkung auf die Lymphgänge selbst gestaltet sich
in beiden Impfungen gleich; aber sehr bald tritt bei der zweiten
Impfung eine Gerinnung ein, welche ich bei der ersten Impfung
nicht wahrnehmen konnte. Ich habe keinen Anhalt zur Beantwor-
tung der Frage finden können, ob diese Gerinnung bei der zweiten
Impfung davon abhängt, dass im zweiten Impfherd sich qualitativ
andere Stoffe bilden als im ersten oder ob eine Umstimmung der
Lymphgefässe selbst stattgefunden hat; die letzte Annahme klingt
abenteuerlich, ist jedoch thatsächlich nicht ganz abzuweisen; für
die erste Annahme spricht, dass eine solche qualitative Verschie-
denheit der beiden Impfherde besteht.
Von der Zone der trüben Schwellung findet man in der
Regel keine Andeutung mehr. An der Stelle, an welcher man die
Zone erwarten dürfte, zeigt sich ein ovaler Herd 80 bis 100 j*.
lang und etwa halb so hoch, der von dem über ihm liegenden Impf-
herd durch einen 1 bis 4 [i. breiten Saum geschieden ist; dieser
Saum zeigt im polarisirten Licht eine sehr schwache Doppelbrechung;
in diesem ovalen Herd findet sich eine grössere Anzahl annähernd
unversehrter Kerne (während der benachbarte Impfherd nur Kern-
detritus zeigt); von dem Protoplasma lassen sich nur Spuren
nachweisen. Der untere Rand des -Herdes hängt unmittelbar zu-
sammen mit dem Stratum corneum des unter dem Herde neu ge-
bildeten Rete.
Mir ist nicht zweifelhaft, dass dieser ovale Herd eine
zweite Selbstinfection darstellt, analog der p. 95, Fig. 7. und
8. c. geschilderten. Es würde für die Theorie des Processes von
Werth gewesen sein, festzustellen, ob die hier vorgefundene ver-
hältnissmässig grosse Unversehrtheit der Kerne abhängt von einer
zunehmenden Unempfindlichkeit des Rete gegen das Impfgift —
oder von der starken Verdünnung des Impfgiftes in dem stark
fluxionirten Impfherd — oder davon, dass das Impfgift auf Zellen
116 Zweiter Abschnitt.
traf, die vorher im Zustand der trüben Schwellung sich befunden
haben. In einzelnen Präparaten findet man um diese Zeit Andeu-
tungen einer Zone im Zustand der trüben Schwellung (in den
meisten Präparaten fehlt eine solche Zone) — ob diese, selten
auftretenden Herde gerade auf den Rest einer solchen Zone ge-
pfropft worden sind, lässt sich nicht feststellen. Auch der Um-
stand gewährt hierfür keinen Anhalt, dass ein solcher neuer In-
fectionsherd sich nur auf einer Seite des Präparates findet; denn
es finden sich oft auch die Andeutungen von trüber Schwellung
nur auf einer Seite.
Die Zone der Reizung ist erheblich ausgedehnter als fünfzehn
Stunden nach der Impfung; sie kann 3 bis 4 Mm. betragen; wo sie
diese grössere Breite hat, findet dieselbe sich gewöhnlich nur auf einer
Seite des Präparates, auf der anderen ist sie beträchtlich schmaler;
es findet sich dann auch meist auf der schmaleren Seite ein Streifen
des Gewebes im Zustand der trüben Schwellung, was, wie früher
angegeben, dafür zu sprechen scheint, dass dieser Zustand bis zu
einem gewissen Grade ein Schutzmittel für das jenseits liegende
Gewebe ist; allerdings ist die andere Deutung auch möglich (doch
mir weniger wahrscheinlich), dass dort, wo eine breitere Zone sich
im Zustand der Reizung zeigt, zugleich diese Reizung eine grössere
Intensität besessen und die Zellen der trüben Schwellung ihres
eigenthümlichen Zustandes, wenigstens für unsere bisherigen Er-
kennungsmethoden, entkleidet haben mag (cfr. p. 49).
Eine Dickenzunahme des Rete dieser Zone durch Vermehrung
der Zahl der über einander liegenden Zellen ist nicht zu consta-
tiren; die einzelnen Zellen sind vergrössert: Zelle und Proto-
plasma in gleichem Grade; es unterscheidet sich mithin diese Zone
der des vorhergehenden Tages im Ganzen nur durch ihre grössere von
Ausdehnung.
Ein Punkt verdient jedoch hier angegeben zu werden: das um
diese Zeit häufigere Auftreten von kurzen „Kernfasern" in einzelnen
Kerngruppen (Fig. 11). Wie schon mehrfach angedeutet worden
ist und p. 127 und weiterhin noch im Zusammenhange besprochen
werden wird, ergiebt sich aus dem Gesammtbefunde der ersten und
zweiten Impfung, dass das Impfgift bei der ersten Impfung auf
die benachbarten Zellen, Gefässe und Nerven einen „lähmenden"
Einfluss ausübt, bei der zweiten Impfung einen „reizenden". Nach-
Die zweite Impfung. 117
dem dies erkannt war, lag der Versuch nahe, die an den Reizungs-
Zellen beider Impfungen beobachteten Erscheinungen von diesem
Gesichtspunkt der „Lähmung" und „Reizung" aus zu betrachten.
Am Ende des zweiten Tages der zweiten Impfung zeigen nun die
Kerne der Reizungszone eine grosse Anzahl feiner Körner, neben
diesen öfter: breitere Anhäufungen tingirbarer Substanz (Fig. 11.
b., Fig. 16. b.), von welchen sich alsdann zugleich nachweisen
lässt, dass sie etwa ein Drittel der Gesammt tiefe des Kernes
haben; endlich kurze feine Fäden (Fig. 11. a.).
Die Arbeiten von Eberth, Schleicher, Flemming, Mayzl,
Peremeschko, Klein und Arnold innerhalb der letzten sechs
Jahre über die Structur des Kerns stimmen darin überein, dass
die breiteren Flecke als „Kernkörperchen" gedeutet werden; Kör-
ner von der Breite der Fasern deutet Flemming*) stets als opti-
sche Durchschnitte der Fasern; die Existenz der Fasern wird von
den genannten Autoren als ganz unzweifelhaft behauptet. Arndt**)
bestreitet entschieden die Existenz von Fasern, hält dieselben für
Scheinbilder der Körner, aus denen nach seinen Annahmen alle
thierischen Gewebe conglomerirt sind. Bei der zuversichtlichen
Selbstständigkeit dieses letzten Beobachters und bei der Wich-
tigkeit, welche diese Befunde für die Deutung der Intensität der
Reizung haben konnten, versuchte ich, mir eine eigene Ansicht
zu bilden. Es gelang mir nicht, über die Vorfrage hinauszukommen,
in wie weit die schwachen Erhärtungsmittel bei den Warmblütern
einen Rückschluss auf die Erscheinungen intra vitam gestatten:
die Veränderung an den Zellen der Warmblüter erfolgt so schnell,
dass ich verhältnissmässig noch das grössere Vertrauen zu den
Bildern nach rascher Abtödtung (durch absoluten Alkohl) habe.
Nach einer solchen Abtödtung habe ich nun Retezellen, in
welchen die Kernfasern länger und schärfer ausgeprägt gewesen
wären, als Fig. 11. a. zeigt, nicht gesehen; hingegen die hier ge-
zeichneten sah ich in der Regel innerhalb »kleiner Zellenterritorien,
während die dicht daneben liegenden Zellenterritorien nur Körner
enthielten: hier glaube ich sagen zu dürfen, dass die von Arndt vor-
ausgesetzte „falsche optische Deutung" ausgeschlossen werden kann;
*) W. Flemming, Arch. f. mikrosc. Anat. Bd. 18. Taf. VIII. Fig. 18.
*) Virchow's Arch. Bd. 83.
118 Zweiter Abschnitt.
wenn das Vorhandensein der Körner allein die Ursache einer
solchen Täuschung gewesen wäre, dann Hesse sich schwer ver-
stehen, warum diese Täuschung nur in der einen Zellgruppe sich
hätte geltend machen sollen. Ich halte daher die Existenz wirk-
licher Fäden (wenigstens an den Präparaten) für erwiesen; (von
Arnold*) finde ich eine ähnliche Zeichnung bei der Untersuchung
frischer Zellen aus Tumoren angegeben; nach Anwendung von
Safranin fand Arnold sogleich viel zahlreichere Fasern, was denn
freilich die Deutung der Verhältnisse intra vitam erschwert und zu
Gunsten Arndt's spricht.)
Ohne dass ich mir den Schluss erlaube: es seien die eben
bezeichneten Fasern wirklich schon intra vitam als solche vor-
handen gewesen, halte ich mich doch zu der Folgerung berechtigt,
dass die Zellen der Reizungszone gegen Ende des zweiten Tages
sich in einem besonderen (zur Erzeugung von Fasern post mortem
disponirenden) Zustande befinden, welchen ich in der ersten Im-
pfung nicht gefunden habe; ich meine nicht einen „specifischen"
Zustand, sondern einen mit einem gewissen Stadium und einer ge-
wissen Art der „Entzündung" zusammenhängenden. Nach den
Untersuchungen von Klein**) lag es nahe, am fünften oder
sechsten Tage der ersten Impfung (zu welcher Zeit eine sehr
massenhafte Vermehrung der Retezellen erfolgt) gleichfalls nach
Fasern in den Kernen zu suchen: ich habe keine gefunden, habe
jedoch auch hier nur die Härtung der Ausschnitte in Alkohol
vorgenommen.
Für die Rückdeutung aus den gefärbten Bildern auf den
ursprünglichen Zustand beziehe ich mich auf eine Bemerkung
von Flemming***): „Aus meiner Darstellung folgt, dass das Chro-
matin (d. i. diejenige Substanz im Zellkern, welche bei den als
Kerntinctionen bekannten Behandlungen mit Farbstoffen die Farbe
aufnimmt) durch den ganzen ruhenden Kern vertheilt ist, zwar
vorwiegend in den Nu^leolen, dem Netzwerk und der Membran,
aber auch in der Zwischensubstanz; während es bei der Kern-
th eilung sich lediglich in den Faden figuren ansammelt." Bei
*) Virchow's Arch. 1879. Bd. 78. p. 279. Taf. V. Fig. 1, 2.
**) Quart. Journ. ef microsc. science. 1879. July.
**) Arch. f. mikrosc. Anat. Bd. 18. p. 158.
Die zweite Impfung. 1 11)
den Zielpunkten meiner Arbeit kam es mir darauf an, ob die ver-
schiedene „Anordnung" der färbbaren Substanz in den Kernen
(nicht sowohl mit den verschiedenen Entwickelungsepochen der
Theilung als vielmehr) mit den einzelnen Stadien resp. Arten der
Entzündung in so festem Verhältniss stehe, dass sie für die Dia-
gnostik sich verwerthen lasse? Ich glaube diese Frage bejahen
zu können, doch ist meine Detailausbeute sehr gering. Sie lautet:
je lebenskräftiger der Kern den Entzündungsursachen
gegenüber sich verhält, desto feiner sind die Punkte
oder Linien, welche Farbstoff aufnehmen; mit abneh-
mender Lebenskräftigkeit erscheinen (nach allen Dimensio-
nen:) breitere Flecke und in der trüben Schwellung und
den Anfängen der Coagulationsnecrose, in welchen die
Lebensfähigkeit der Kerne erloschen ist, färben sie sich in toto
(doch mit veränderter Nuance).
Viel feiner und doch zugleich sicherer sind die Differenzen im
Protoplasma: das gesunde erscheint schwach blau, das massig
gereizte rosa violett, bei stärkerer Reizung schwindet das Rosa
und das Violett wird zugleich tiefer (schon bei geringer Uebung
kann man aus der Intensität des Violett erkennen, ob es sich um
Zellen handelt, welche die Entzündung würden überstanden haben,
oder um solche, welche ihr bereits zu erliegen anfingen) und die
in der Entzündung absterbende oder eben abgestorbene Zelle be-
kommt eine blaugraue Farbe.
Solche Bestimmungen haben natürlich stets einen subjeetiven
Character und ich erlaube mir dieselben nur darum anzugeben,
weil ich selbst ein dringendes Bedürfniss nach einem solchen
Orientirungsmittel hatte und in der Literatnr keines angegeben
fand. Ich habe aber die Vormeinung, dass viele Beobachter einen
objeetiv viel brauchbareren Massstab als den angegebenen besitzen,
dass sich vielleicht in den pathologischen Instituten gute Methoden
bereits traditionell fixirt haben, ohne dass Notizen darüber zur
Veröffentlichung gekommen wären. Vielleicht giebt meine Mitthei-
lung hierzu Veranlassung.
120 Zweiter Abschnitt.
Ausgang des dritten Tages nach der zweiten Impfung.
Im Impfbezirk ist die auffälligste Erscheinung, dass die
unregelmässigen Kernrestfiguren fast ganz geschwunden
sind und dass sich dafür eine grosse Anzahl ganz (oder
annähernd) unversehrter Kerne finden; diese sind theils
kugelförmig (Durchmesser 2 bis 3,5, ausnahmsweise bis 4 fi.),
theils Bruchstücke von Kugeln und dann liegen die Bruchstücke
dicht neben einander und meist kreisförmig gruppirt: der cen-
trale Theil des Kreises ist nach Farbstoffanwendung ungefärbt;
man erhält Bilder, als läge im Gewebe ein Kranz von Rundzellen,
deren Kerne in Zertheilung verfallen waren oder als hätten sich
aus dem Protoplasma der einzelnen Zellen um den Kern (der seine
Tingirungsfähigkeit eingebüsst) neue Kernmassen gebildet. Dieser
schon mehrfach in diesem Aufsatz gestreiften Frage lässt sich in
diesem Stadium des Processes am allerwenigsten irgend wie näher
treten, weil sich jetzt alle möglichen Stadien der Zell Veränderung
hier im engen Räume neben einander finden.
Auffällig ist ferner, dass erheblich deutlicher als einen oder
zwei Tage vorher sich dicht unter dem Statum corneum (des Impf-
bezirks) mehrfach 3, 4, 5 neben einander liegende Retezellen in
ihrer Configuration und ihrem Kern erhalten zeigen. Die An-
schauung wird auf geringe Empfänglichkeit stossen, aber sie hat
sich mir allmälig aufgedrängt: unter dem Einfluss eines gesteiger-
ten Saftzuflusses ist eine Restituirung einzelner Zellen aus einem
angebröckelten Zustande möglich. Die Contouren- der Zellen selbst
sind nicht zu erkennen: es finden sich nur ovale 14 (i. lange,
7 — 8 (j. breite, nahe bei einander liegende Kerne, die an vielen
einzelnen Punkten etwas Farbstoff aufgenommen haben; die Längs-
richtung der Kerne ist schief gegen die Oberfläche der Cutis ge-
stellt. Die Restituirung würde alsdann gerade nahe dem Stratum
corneum darum erfolgt sein, weil hier die Intensität des Saftstromes
nicht über ein mittleres Maass hinausgeht. — Andererseits ist
natürlich auch die andere Annahme nicht ganz abzuweisen, dass
die betreffenden Zellen von der Zerstörung gar nicht betroffen
waren: die Nähe des Stratum corneum liefert auch in dieser Be-
ziehung einen gewissen Schutz; und es müsste dann ein Spiel des
Zufalls sein, dass in den Ausschnitten der ersten Tage sich solche
Die zweite Impfung. 121
Zellgruppen nie fanden; oder es konnten auch in diesen Aus-
schnitten die Kerne die Tingirungsfähigkeit eingebüsst haben und
diese Tingirungsfähigkeit konnte im Verlauf des folgenden Tages
sich wieder finden. Der letzte Fall wäre eine Restituirung, welche
an die p. 49 erwähnte der vorgerückteren Stadien der trüben
Schwellung sich anschlösse.
Die Vorsicht gebietet bezüglich dieser Frage auf die Oertlich-
keit Gewicht zu legen: an der oberen Grenze des Impfbezirks,
am Ausläufer der Seitenflügel und am unteren Rande kommen
auch bei der ersten Impfung vereinzelt unversehrte Kerne vor.
Hält man sich, entsprechend der durch jene Befunde gebotenen
Vorsicht an den mittleren Theil des Impfbezirks, so findet man,
dass sich in demselben unversehrte Retekerne auch um diese Zeit
nicht finden. Hingegen sieht man um die angegebenen gefärbten
Rundzellenkerne Contouren, die nach meiner Meinung nicht anders
gedeutet werden können denn als die äussere Begrenzung der Rund-
zellen selbst; dass man diese Begrenzung in dem jetzigen Stadium
des Processes unterscheiden kann, in den früheren nicht, beweist,
dass entweder die Grundsubstanz des Herdes oder (resp. und) das
Protoplasma der Rundzellen weitere Umwandlungen erfahren haben.
Es lag nahe, hier nach bestimmten chemischen Details zu suchen;
ich habe sie nicht gefunden. Erwähnenswerth scheint in dieser
Beziehung nur: dass die Verhornung innerhalb des Impfbezirks
eine ungleiche ist: einzelne Strecken zeigen (bei Methylviolett oder
bei Ueberfärbung mit Pikrin) vorgeschrittene Stadien der Verhor-
nnng, die meisten Stellen zeigen nur Anfangsstadien; nennens-
werthe Doppelbrechung im polarisirten Licht zeigt sich
nirgends.
Die angeführten gefärbten Rundzellkerne liegen in den oberen
drei Vierteln des Impfbezirks (im Präparat innerhalb einer 140
bis 170 (Ji. hohen Schicht) dicht gedrängt, darauf folgt eine
50 bis 80 [i. hohe Schicht, in welcher die Kerne entweder wirk-
lich seltener sind oder ihre Aufnahmefähigkeit für Farbstoff ein-
gebüsst haben; man muss an diese letztere Möglichkeit denken
(trotz der grösseren Nähe der Blutgefässe), weil dieser Streifen
auffälliger Weise das Pikrin stets länger festhält als der über ihm
liegende grössere Theil des Impfherdes und weil unter demselben
122 Zweiter Abschnitt.
sich die Bildung eines neuen Stratum corneum vorbereitet, die nach
12 bis höchstens 24 Stunden vollendet ist.
Im jetzigen Stadium des Processes ist dieses (künftige) Stra-
tum corneum noch weich; seine Zellen sind zwar bereits platter,
doch nehmen sie noch Farbstoff auf. Das ganze neue Rete zeigt
2 bis 5 über einander liegende Zellen; in den Kernen dieser Zellen
findet sich verhältnissmässig häufiger eine radiäre Anordnung
ihrer gefärbten Körner; ausnahmsweise trifft man auch Kern-
fasern.
Dicht unter diesem jungen Rete sieht man Capiilar-
ge fasse mit sehr langgestreckten Kernen und von einer massigen
Anzahl von Rundzellen umgeben; zuweilen finden sich 2 bis 4 Ca-
pillargefässe dicht neben einander steil aufsteigend als ein Zeichen
der Intensität des Saftstromes nach dem Impfbezirk hin.
Derjenige Theil der Reizungszone, welcher dicht an den
Impf bezirk stösst, zeigt zahlreiche, aber nicht gerade dicht ge-
drängt liegende Rundzellenkerne; Retezellenkerne kann man auch
hier nur in den obersten Schichten, dicht unter dem Stratum cor-
neum, auffinden. — Weiter nach aussen folgt ein 180 bis 250 (i.
breiter Streifen, in welchem die Kerne sehr wenig Farbstoff an-
nehmen und das Protoplasma gar keinen: Kerne von Rundzellen
finden sich in diesem Streifen sehr spärlich. Diese Coincidenz ist
gewiss auffallend: ich gestatte mir jedoch nicht, die verschiedenen
Möglichkeiten des Zusammenhanges hier weiter auszuführen. Nur
dies erlaube ich mir zu bemerken: der Zustand dieses Gewebs-
streifens lässt eine irgend nähere Aehnlichkeit mit Coagulations-
necrose nicht erkennen.
Der dann folgende Theil der Reizungszone zeigt alle die-
jenigen Eigenschaften, welche bei der ersten Impfung angegeben
worden sind: die Zahl der über einander liegenden Zellen ist ver-
mehrt (die Höhe des Rete im Schnitt zeigt 150 bis 180 fi., die
des normalen Rete: 36 bis 54 (i.) — die einzelnen Zellen sind
vergrössert — jede Zelle hat einen breiteren Protoplasmamantel
um den ausgedehnteren Kern — bei Färbung bleiben die Ränder
der Zellen ungefärbt als schmale weisse Streifen und werden so-
mit leicht kenntlich; an den meisten dieser Streifen erscheint
Stachelzeichnung, die man sonst beim Erhärten, ex vivo ausge-
schnittener, Cutisstücke in Alkohol nicht findet; das Protoplasma
Die zweite Impfung. 123
der Zellen ist schwach rosa gefärbt, die Kerne sind blau (bei der
angeführten Anwendung von Methylviolett); — an der oberen
Grenze des Stratum lucidum erscheint der öfter erwähnte, in seiner
Continuität vielfach unterbrochene violette Streifen.
Die Intensität dieser Reizungserscheinungen nimmt nur allmälig
ab; die Reizungszone hat im Ganzen die Ausdehnung von 2,5 bis
4 Ctm.
Mikrokokken finden sich um diese Zeit im Tmpfbezirk nicht
mehr. Einmal habe ich violett gefärbte Mikrokokken von 1,5 (i.
Durchmesser in der Reizungszone gefunden, 1500 ,«■. vom Impf-
bezirk entfernt, dicht unter dem Rete Malpighii, in dem oben als
Lymphgang gedeuteten Raum eines Haarbalges; die Zellen des Rete
und des Balges daselbst zeigten keine Abweichung. Die anatomi-
schen Befunde gaben keinen Anhalt für die Annahme, dass diese
Mikrokokken etwa durch Saftströmung aus dem Impfbezirk dorthin
gerathen waren; vielmehr war nur an äussere mechanische Mani-
pulationen durch die Hand des Operateurs, welcher die Mikrokokken
in den Haarbalg hineingepresst haben musste, zu denken (cf. p. 71).
Kurze Darstellung des Gesammtverlaufes der zweiten Impfung.
Die kleine Verletzung und der Giftimport zerstören eine An-
zahl von Retezellen; die Trümmer derselben bilden den specifi-
schen Impfherd, welcher nach aussen von einer sehr schmalen Zone
im Zustand der trüben Schwellung und einer sehr breiten Zone im
Zustand der Reizung umgeben wird.
Im Impfherd entwickeln sich Mikrokokken in massiger Anzahl;
im Verlaufe des ersten halben Tages hauptsächlich in Theilen, welche
nahe dem Stratum corneum liegen, 36 Stunden später mehr in den
tieferen Schichten des Herdes.
Es lässt sich bereits 15 bis 20 Stunden nach der Impfung
ein kleines hartes Knötchen fühlen.
Schon früher findet man eine erhebliche Anzahl Rundzellen
im Impfherd und in den Nachbarzonen, nach abwärts bis zum
124 Zweiter Abschnitt.
ersten Viertel des bindegewebigen Theiles der Cutis; die Menge
dieser Rundzellen nimmt stetig zu; Hand in Hand damit geht eine
Auflockerung und Schwellung des Impfherdes und seiner Umgebung,
so dass gegen Ende des zweiten Tages ein kleines Bläschen vor-
handen ist, welches 12 bis 24 Stunden besteht, falls nicht, wie oft
geschieht, schon nach wenigen Stunden eine Verschorfung eintritt.
Die Härte hat am Ende des zweiten Tages bereits abzunehmen
angefangen.
Am Ende des dritten Tages ist diese Härte ganz geschwunden;
man findet jetzt nur noch im Impfherd und seiner allernächsten
Nachbarschaft Rundzellen in nennenswerther Menge; im Impfherd
selbst ist jedoch die Anzahl derselben im Verhältniss zum vorher-
gehenden Tage sehr erheblich gesteigert.
Gegen die Mitte des vierten Tages bezeichnet nur ein sehr
kleiner, oberflächlicher Schorf die Impfstelle: der Körper ist mit
dem Infectionsprocess fertig.
Es hat mithin bei der zweiten Impfung das Gift die Fähigkeit,
eine locale Störung hervorzurufen, und wie ich aus verschiedeneu
Wahrnehmungen, hauptsächlich aus der auch hier vorkommenden
Selbstinfection (p. 115) schliessen zu dürfen glaube, auch die Fähig-
keit, sich bis zu einem gewissen Grade zu vermehren. Dürfte man
die Mikrokokken als die Erzeuger des Giftes ansehen, so wäre diese
Vermehrungsfähigkeit auch im immun gewordenen Körper erwiesen.
Eine starke Vermehrung des Giftes wird durch zwei Momente
verhindert:
1. durch die kräftig einsetzende und stetig bis zur Mitte des
zweiten Tages sich steigernde Hyperämie. Ob diese starke Saft-
strömung die Vermehrung des Giftes nur durch stete Verdünnung
oder durch directe chemische Umwandlung hindert, oder ob sie
das Gift nur aus dem Ort der ersten Ablagerung nach solchen
Orten entführt, welche dem Gift chemisch überlegen sind, lässt
sich nicht mit Gewissheit entscheiden. Die angegebenen Details
in dem Zustand der Zellen der zweiten Impfung legen wenigstens
mir die Annahme erheblich näher, dass eine directe chemische Zer-
störung des Giftes am Impforte selbst nicht erfolgt.
2. Das ganze Rete des (durch die erste Impfung immun ge-
Die zweite Impfung. 125
wordenen) Thieres ist in so fern widerstandsfähiger gegen das Gift
geworden, als bei der ersten Infection schon im Verlaufe des ersten
Tages der Impfherd durch seine ganze Dicke einen vorgeschrittenen
Grad der Verhornung zeigt, bei der zweiten Impfung erst, wenn
der ganze Process abgelaufen ist.
Diese Thatsache darf ich als feststehend bezeichnen; aber
es ist eine doppelte Deutung derselben möglich:
Das Gift kann aus dem chemischen Bau der Retezellen Stoffe
herausnehmen, nach deren Verlust die Zellen einer raschen Ver-
hornung (auf welche sie ja von Hause aus angelegt sind) von
selbst verfallen. Oder das Gift bedingt zunächst eine schnell ein-
tretende Verhornung und spaltet aus dem veränderten Gewebe
Stoffe ab, welche es für seine Vermehrung verwendet. Wie an-
gegeben darf ich als sicher bezeichnen, dass die erste Wirkung des
Giftes eine Zerstörung der Selbstständigkeit der Zellen ist: in
dieser Beziehung hat die Immunität Nichts geändert;
dieselbe Zerstörung der Selbstständigkeit der Zellen
findet sich auch bei der zweiten Impfung — allein die
weitere Umwandlung des seiner vitalen Action bis zu einem ge-
wissen Grade oder gänzlich beraubten Gewebes ist bei beiden Im-
pfungen die angegebene ungleiche.
Auch der Weg, auf welchem das Gift bei der ersten Impfung
die schnell eintretende Verhornuug hervorruft, ist unklar: wirkt es
direct in einer der beiden vorhin angegebenen Weisen auf die
Zellen? oder nur durch die Herabsetzung des Saftstromes? Und
unterbleibt die Verhornung bei der zweiten Impfung nur deshalb,
weil eine Bedingung desselben (die Verminderung des Wasser-
gehaltes) in Folge der starken Hyperämie nicht eintreten kann?
Ist also vielleicht das ganze hier angeführte zweite Moment
nur eine Folge des ersten? und vielleicht an sich irrelevant für
den Process?
Ich habe keine Versuchsanordnung aufgefunden, welche diese
Frage voraussichtlich hätte entscheiden lassen.
Unterschiede zwischen dem Verlauf der ersten und
der zweiten Impfung.
1. Der Process der ersten Impfung dauert 10 — 14 Tage,
der der zweiten 3 — 4 Tage.
2. Beide IrnpfVerletzungen sind (gleich jeder einfachen Ver-
letzung) von einer Erhöhung des Saftstromes gefolgt.
Allein diese Fluxion wird bei der ersten Impfung auf eine
uns unbekannte Weise im Verlauf des ersten Tages für 1 — 2 Tage
unterbrochen; sie beginnt dann von Neuem, wächst weiterhin zu
einer Intensität, welche im Verlauf der zweiten Impfung nicht er-
reicht wird, erzeugt am 3. Tage eine Papel, am 4. oder 5. Tage
ein Bläschen, in den folgenden Tagen eine Pustel, welche nach ne-
crotischer Zerstörung des Untergrundes (secundäre Necrose) mit
einer tiefgehenden Narbe verheilt.
Bei der zweiten Impfung schreitet die Steigerung des Saft-
stromes ununterbrochen stetig vor, erzeugt am ersten Tage
eine Papel, am zweiten ein kleines Bläschen, welches im Verlauf
des 4. Tages mit einer sehr flachen Narbe heilt.
3. Bei der ersten Impfung zeigt die Impfzone schon am
Ende des ersten Tages die chemischen Reactionen vorgeschrittener
Verhornung durch ihre ganze Dicke — bei der zweiten Im-
pfung findet sich diese Verhornung nur in dem obersten Theil
der Zone.
4. Bei der ersten Impfung entwickelt sich am Ende des
zweiten Tages im Impfherd eine circumscripte (primäre) Necrose,
die am folgenden Tage sich etwas ausdehnt und deren Producte
erst fortgespült werden, wenn die (Anfangs herabgesetzte) Intensität
Die zweite Impfung. 127
des Saftstromes wieder zunimmt. — Bei der zweiten Impfung ist
eine solche Necrose nicht bemerkbar.
5. Bei der ersten Impfung entwickeln sich die Mikrokokken
in sehr bedeutender Anzahl, höchst wahrscheinlich unter dem
Schutze der Herabsetzung des Blutstromes; sie werden be
der dann eintretenden Steigerung desselben aus dem Impfherd zumi
grossen (oft grössten) Theil entfernt; — bei der zweiten Impfung
ist die Menge der Mikrokokken viel geringer; sie entwickeln sich
aber auch hier an Orten, welche durch ihre Abgeschlossenheit der
Einwirkung des starken Saftstromes in hohem Grade entzogen sind.
Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit, welche der sub 2. angege-
bene Unterschied für das Verständniss der Contagion und die Ent-
stehung der Immunität nach meiner Meinung hat, gestatte ich mir
die beiden Figuren 14 und 15 beizugeben:
Für die Stärke des Saftstromes und der Entzündung haben
wir im rnicroscopischen Präparat als Maassstab nur die An-
zahl der Rundzellen. Will man diese Anzahl bei zwei Präparaten
vergleichen, so soll die Dicke der beiden Schnitte gleich gross und
die technische Behandlung derselben die gleiche sein und es soll
beim Zeichnen die Schraube nicht gebraucht werden. Es ist meiner-
seits versucht worden, diese Anforderungen zu erfüllen.
Zur vollständigen Ueberzeugung des Lesers hätten von den
ersten 3 Tagen beider Impfungen je 6 Zeichnungen der Rundzellen-
menge gegeben werden müssen; da dies nicht angängig war, musste
eine Auswahl getroffen werden. Es konnten nicht dieselben
Zeiten bei beiden Impfungen dargestellt werden, weil
diese (abgesehen von den ersten Stunden) bei beiden Pro-
cessen sehr verschiedene Stadien repräsentiren, die in
Bezug auf die Rundzellenmenge gar nicht unter sich ver-
glichen werden dürfen.
Gewählt ist von der ersten Impfung (48 Stunden nach der-
selben, Fig. 14) die Zeit der grössten Herabsetzung des Saft-
stromes resp. die Zeit des Beginns der neuen Hyperämie, welche
sich auf einige Stunden nicht von einander abgrenzen lassen; von
der zweiten Impfung (15 Stunden nach derselben, Fig. 15) die Zeit,
128 Zweiter Abschnitt.
wo bei einem nicht vergifteten kleinen Stich die durch die Ver-
letzung selbst hervorgerufene Hyperämie und Entzündung sich bis
auf ein Minimum zurückgebildet zu haben pflegen. Dies sind die
einander genau entsprechenden Stadien beider Infectionen und (wie
ich beiläufig erwähnen will) zugleich diejenigen, in welchen die be-
zügliche Differenz, abgesehen von den ersten Stunden, die geringste
Intensität zeigt.
a bezeichnet den speeifischen Impfherd, b ist die Gegend der
kleinsten Kerntrümmer unmittelbar unter dem Impfherd, im Pa-
pillartheil der Cutis. Die Zahl dieser Trümmer ist 15 Stunden
nach der ersten Impfung erheblich grösser als hier (Fig. 14)
48 Stunden nach derselben, aber nie so gross wie 15 Stunden
nach der zweiten Impfung (Fig. 15). An diese Kerntrümmer
schliesst sich bei der zweiten Impfung (Fig. 15) eine
dicht gedrängte, tief in die Cutis hinabreichende An-
häufung von Rundzellen, welche etwa bis Ende des zweiten
Tages gleich stark bleibt und dann im Lauf der nächsten 24
bis 36 Stunden schwindet. Bei der ersten Impfung ist 15 Stun-
den nach derselben die Menge der Rundzellen etwas grösser als
Fig. 14 zeigt (vielleicht um die Hälfte mehr), in den folgenden
12 — 24 Stunden geht sie dann auf die Menge zurück.
welche-Fig. 14 angiebt und bei dieser Anzahl verbleibt
es etwa 24 Stunden lang, zuweilen noch einen halben bis
einen ganzen Tag länger; gegen Anfang des vierten Tages beginnt
alsdann eine intensive und am folgenden Tage noch weiter an-
steigende Vermehrung der Rundzellen (entzündliche Bläschenbildung,).
Nachdem die grosse Wichtigkeit der verschiedenen Intensität
der Blutströmung für das Zustandekommen oder Ausbleiben der
Contagion festgestellt worden war, ergab sich die Noth wendigkeit,
die Versuchsanordnung so zu treffen, dass durch dieselbe
nicht eine Täuschung in dieser Beziehung hervorgerufen
werden konnte.
Eine verhältnissmässig grosse Anzahl von Impfpusteln
bei der ersten Vaccination oder die erste Infection an sich
konnte eine erhöhte Vulnerabilität der Cutis hervorrufen, und wenn
Die zweite Impfung. 129
die zweite Impfung verhältnissmässig zu schnell auf die erste folgte,
so konnte die bei dieser zweiten Impfung wahrgenommene grössere
Stärke der Fluxion vielleicht nur auf Rechnung der erzeugten
grösseren allgemeinen Reizbarkeit der Haut kommen.
Vollständig einwurfsfrei blieb zwar die Versuchsanordnung
bezüglich der Wirkung des Contagiums bei der ersten Impfung
(die Herabsetzung des Saftstromes) allein nicht: bezüglich der
Entstehung der Immunität.
Der ersten Anforderung zur Modificirung des Versuches (An-
lage einer kleinen Anzahl von Impfstichen bei der ersten Impfung)
war leicht zu genügen. Allein viel schwerer wäre es gewesen, die
(behufs Ausschlusses einer Täuschung) nothwendige Zwischenzeit
zwischen beiden Vaccinationen festzustellen: hier gaben nun die
tausendfach bei der Vaccination und Revaccination des Menschen
gemachten Erfahrungen den sicheren Maassstab. Es verlaufen
nämlich die beiden Infectionen beim Kalbe völlig in der-
selben Weise, wie sie macroscopisch in allen Details beim
Menschen festgestellt sind: die erste Impfung des Kindes erzeugt
im Verlauf der ersten 24 Stunden eine kleine Papel (Wirkung der
Verletzung und des zum Theil schwer resorbirbaren Fremdkörpers);
im Laufe der nächsten zwei Tage büsst diese Papel an Umfang
ein (Herabsetzung der Fluxion); in den folgenden Tagen wächst
die Papel wieder (Steigerung der Fluxion), wird zum Bläschen,
zur Pustel. Bei der Revaccination entwickelt sich die kleine
Papel (so lange die Immunität andauert und falls über-
haupt eine Entwicklung erfolgt) in stetigem Verlauf, ohne
Unterbrechung zu einer kleinen Pustel, die sich schnell zurück-
bildet und mit einer flachen Narbe heilt.
Dieser Verlauf der Revaccination entspricht in allen
Stücken den hier m itgetheilten microscopischen Befun-
den bei der zweiten Impfung des Kalbes; und was für die
aufgeworfene .Frage über die Versuchsanordnung entscheidend ist:
dieser Verlauf ist (insofern die Immunität erreicht ist und fort-
besteht) völlig derselbe, gleichviel ob die Revaccination vorge-
nommen wurde einen Tag nach Ablauf einer ersten (vom
Arzt irrtliümlicherweise für erfolglos gehaltenen) Impfung oder
20 Jahre nach derselben. Auf den immunen Organismus wirkt
das Contagium wesentlich nur als Fremdkörper und der Orga-
P 1 n c u s , Vaccination, n
130 Zweiter Abschnitt.
nismus wehrt sich (gegen diesen Fremdkörper) mit den ihm ge-
läufigen Hülfsmitteln: der Hyperämie und der Entzündung.
Es wäre deshalb ganz unbedenklich, beim Kalbe die zweite
Impfung unmittelbar auf den Ablauf der ersten folgen zu lassen;
da indess in der Regel zugleich eine grössere Anzahl von Impf-
stichen bei der ersten Impfung erwünscht ist, habe ich ein freies
Intervall von 12 — 14 Tagen (p. 1) für sicherer gehalten.
Es besteht kein Zweifel, dass diese Zwischenzeit für das Kalb
völlig ausreicht, hingegen ist es nöthig, für das Schaf ein grösse-
res Intervall zu nehmen, gleichviel ob auf die erste Ovination eine
Allgemein-Eruption (nach Injection der Ovinalymphe in eine Vene)
eingetreten war oder nicht; das Schaf ist an sich ein viel weiche-
res Thier als das Kalb und das (beim Schaf) hohe Fieber wirkt
auf die Circulationsverhältnisse der Cutis tiefer und nachhaltiger ein.
Die feineren Einzelheiten des Vorganges werden am Schaf
studirt werden müssen, weil hier der Process langsamer und doch
zugleich intensiver sich gestaltet.
Meine bisherigen Untersuchungen enthalten noch eine andere
Lücke: es fehlt eine eingehende Prüfung derjenigen Impfstellen,
welche bei der ersten Impfung nicht zur Entwicklung kamen; es
ist sehr wohl möglich, dass hierbei ein weiterer Einblick in die
Ueberwindung des Contagiums erlangt werden kann.
Dritter Abschnitt.
Unsere Vorstellungen über die Entsteh ungsweise
einer Immunität.
Ueber die Frage, in welcher Weise das Ueberstehen mancher
*o^)
Infectionskrankheiten gegen die Wiederkehr derselben innerhalb
einer gewissen Frist schützt, finden sich bei den Autoren drei
Hypothesen:
1. Der Krankheitsstoff, in geringer Menge in den Körper ge-
langt, muss, um zu wirken, innerhalb des Körpers sich vermehren;
durch diese Vermehrung zehre er einen gewissen Stoff auf,
sein Nährmaterial; erfolgt nun nach einiger Zeit eine neue
Infection, so finde das neu importirte Gift kein Nährmaterial mehr
vor und bleibe darum nnwirksam.
Bei der geläufigen Beziehung zur Gährung wird hierbei gewöhn-
lich auf die Zuckerlösung verwiesen, die nach dem Import von
Hefe nur so lange gähre, als sie Zucker enthält (was bekanntlich
nicht ganz zutreffend ist: die Gährung hört vielmehr wegen der Rück-
wirkung der entstehenden Nebenproducte früher auf; indess dies
Detail soll hier nicht berücksichtigt werden); ist der gesammte
Zucker verbraucht, so erfolge keine Gährung mehr, auch wenn
man neue Hefe hinzubringe.
v. Nägeli*) bemerkt dem gegenüber: es widerspreche den
physiologischen Erfahrungen, dass ein verbrauchter Stoff nicht
wieder ersetzt werden solle.
2. Es bleibe von der ersten Infection ein Stoff zurück,
*) E. v. Nägeli, Die niederer Pilze, p. 99.
9*
132 Dritter Abschnitt.
welcher bei einem Neuimport desselben Giftes dem Gedeihen
desselben hinderlich sei.
3. Der Körper gewöhne sich an das Gift.
Die Anschauungen v. Nägel i's.
v. Nägeli, welchem wir Aerzte mit grosser, schon vom Dank
eingegebener, Aufmerksamkeit auch dort zuhören, wo er nur Ver-
muthungen, keine Untersuchungen giebt, bemerkt*) über die Ent-
stehung der Immunität:
„Die Lebensthätigkeit der Pilze in Verbindung mit den durch
sie gebildeten Zersetzungsproducten wirkt als Reiz, gegen welchen
der Organismus reagirt, und die einzige Reaction, welche ihn von
der Krankheit befreit, ist die, dass die abnormalen chemischen
Functionen, welche eine, den Infectionspilzen günstige, Beschaffen-
heit der Flüssigkeit erzeugten, zu normaler Thätigkeit zurückkehren.
Vermag die Reaction diese chemische Umstimmung, welche die
Infectionspilze concurrenzunfähig macht, nicht zu vollziehen, so
führt sie auch nicht zur Genesung. Es ist daher begreiflich, dass
die inficirte Person, wenn Genesung eintritt, für einige Zeit vor
abermaliger Ansteckung gesichert bleibt, und zwar für um so
länger, je gründlicher die Umstimmung erfolgt war. Sie ist nur
dann fähig, wieder zu erkranken, wenn von Neuem die bestimmte
abnormale Veränderung in den Flüssigkeiten sich einstellt."
Die Anschauung v. Nägeli 's knüpft nicht an eine der drei
genannten Hypothesen an; sie ist allgemeiner gehalten und macht
die Voraussetzung: dass der normale Körper allen Infections-
stoffen gegenüber siegreich sei. Diese Voraussetzung enthält ja bis
zu einem gewissen Grade eine petitio principii: sie nimmt alle
Immunitäten als von Geburt an gegeben, ohne ihre Entstehung
begreiflich machen zu wollen.
Für diese Anschauung scheint zunächst die Thatsache zu
sprechen, dass auch bei der grössten Intensität einer Epidemie doch
immer nur ein Bruchtheil der Individuen erkrankt; dies gilt von
*) 1. c. p. 99.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 133
Mensch und Thier in gleicher Weise. Unter den Krankheiten der
Menschen haben die acuten Exantheme die ausgedehnteste Infici-
rungskraft: erfahrene Beobachter über die Variolation im vorigen
Jahrhundert und über die Vaccination in diesem Jahrhundert fanden
einen Theil der Geimpften für das Gift unempfänglich.
Allein dieser Theil berechnet sich doch nur auf 2 pCt. ; auch
die Beobachtungen von Panum über die Masern-Epidemie auf den
Farör-Inseln ergeben einen ähnlichen Procentsatz. Man wird daher
doch wohl von dem, ärztlicherseits allgemein angenommenen, Stand-
punkte ausgehen müssen, dass die bei weitem meisten Menschen
(die wir denn doch nicht als in ihren Säften abnorm zusammen-
gesetzt annehmen können) Immunitäten erwerben. Dieser Stand-
punkt schliesst die Annahme v. Nägeli's von vorn herein aus:
allein es ist selbstverständlich einem so bedeutenden und tiefen
Forscher gegenüber, wie v. Nägeli, nicht gestattet, mit einer
solchen allgemeinen Bemerkung (welche v. Nägeli bei seinem
Kalkül doch jedenfalls in Rechnung gezogen hat) eine Widerlegung
gegeben haben zu wollen.
Ich will mir jedoch aus dem Detail nur zwei Bemerkungen
gestatten :
1. Die Infection beginnt in jedem Falle mit der Abtödtung
eines sehr kleinen Zellenterritoriums. Sie wird überwunden durch
eine stark erhöhte Activität sehr vieler Nachbarzellen und eine
starke Fluxion des Saftstromes. Genau wie die Infection wirkt
(bezüglich des hier in Frage kommenden Theils der Symptome)
der Stich einer Mücke: Beeinträchtigung oder Zerstörung einer Zelle
— dann erhöhte Activität sehr vieler Nachbarzellen und erhöhte
Fluxion („zur Ueberwindung des Giftes"). Bezüglich des importirten
Mückengiftes können wir nur schliessen, dass dasselbe allmälig
fortgespült werde, indess das Detail des Processes ist uns un-
bekannt; wir müssen annehmen, die Reihenfolge der Einzelerschei-
nungen der „Entzündung", dieses häufigsten pathologischen Vor-
ganges, ist durch Bedingungen festgestellt, welche der Organisation
jedes Wirbelthieres immanent sind. Gegen Kalilösung, Pockengift
und Mückengift hat der Körper nur ein und denselben Vorgang
der Abwehr.*)
*) Es könnte in dieser Beziehung gegen die Nägeli'sche Anschauung
134 Dritter Abschnitt.
In so weit verlaufen Infection und Mückenstich gleichartig;
mithin zu Gunsten der NägelTschen Hypothese.
Allein die Analogie mit der gewöhnlichen Entzündung hört
schon wenige Stunden nach der Infection auf: das Schutzmittel des
Körpers, Hyperämie und Entzündung, wird in einer uns unverständ-
lichen Weise ausser Wirksamkeit gesetzt.
Wenn ferner an den primären und secundären Pocken des
Schafes oder des Menschen die Infection nicht unbegrenzt per con-
tiguum fortschreitet, sondern erfahrungsgemäss innerhalb einer ganz
bestimmten Grenze verharrt, so besteht allerdings eine Analogie
mit der nicht contagiösen Entzündung: allein ein Fortspülen
des Giftes bis zu einer unwirksamen Verdünnung (wie
beim Mückenstich) erfolgt nicht; das wissen wir sicher, denn
selbst mit der eingetrockneten Borke können wir ein anderes In-
dividuum inficiren; es müssen vielmehr an der Entzündungsschicht
des Gewebes die Resorptionsverhältnisse geändert sein etc.
Endlich: ehe es an den secundären Pocken zu dieser Ver-
änderung der Grenzschicht kommt, gelangt aus ihnen eine erheb-
liche Menge Gift in den Kreislauf und bleibt eine gewisse Zeit
hindurch in wirksamem Zastande, wie wir aus den um diese Zeit
erfolgreichen Impfungen mit Blut wissen. — Warum siedelt sich
nun dieses kreisende Gift nicht weiterhin zu einer dritten Affection
(wie bei Syphilis oder Tuberculose) an den zahlreichen, noch
frei gebliebenen Orten des Rete an? Das Gift im Blute ist,
wie angeführt, für das Rete eines anderen Individuums wirksam
— es muss mithin an den Retezellen des ersten Trägers innerhalb
dieser wenigen Tage eine Umstimmung erfolgt sein; aber nicht
(besonders von den Gegnern der Pilzhypothese) eingewendet werden: der
locale Impfstich sei keine Infection, sondern ebenso wie der Mückenstich
eine locale Vergiftung; der Begriff der Infection setze vor Allem voraus, dass
das Gift im Körper reproducirt werde, dass der ganze Körper inficirt sei
u. s. w r . — Der Einwand wäre nicht stichhaltig: die Vaccinationspocke ist un-
zweifelhaft eine ächte Infection. Ueberdies: das Verhältniss ist das gleiche bei
der ächten Variola: bei einem Schaf, welches mit Ovina geimpft ist, zeigen
sich bei den Pusteln der Allgemein-Eruption völlig die gleichen macroscopi-
schen und microscopischen Befunde wie bei der ersten Impfpocke ; dem repro-
ducirten Gift wird an den secundären Orten nicht anders begegnet, als dem
importirten an den primären.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 135
eine Umstimmung zur Norm, sondern zu einer neuen
Qualität.
Diese neue Qualität ist selbstverständlich undenkbar ohne eine
„Umstimmung der Säfte" und es ist (dies muss ich mir gestatten,
hier ausdrücklich auszusprechen) a priori gar Nichts darüber aus-
zusagen, ob diese neue Qualität auf die übrigen (für das
sonstige Bestehen des Organismus nothwendigen) Quali-
täten der Zelle einen fördernden oder hemmenden oder
gar keinen Einfluss haben mag.
2. Aus der Anschauung von Nägeli's, wenn sie richtig
sein soll, folgt mit Notwendigkeit, dass die Immunität nach
allen Infectiouskrankheiten für eine gewisse Zeit vorhanden sein
müsste.
v. Nägel i macht auch diesen Schluss: „Der Schutz, den die
Durchseuchung gewährt, ist übrigens bei den verschiedenen Infections-
krankheiten sehr ungleich. Dem Principe nach mangelt er wohl
bei keiner gänzlich, aber er kann von sehr kurzer Dauer sein".
Ich weiss nicht, wie viel Aerzte diesem Schluss v. Nägeli's
zustimmen werden: ich will nur an die Diphtheritis und an den
acuten Gelenkrheumatismus erinnern, bei welchen Krankheiten das
Ueberstehen eines Affectes eine geradezu erhöhte Disposition zu
einer neuen Erkrankung zurücklässt.
Einem Theil der Infectionskrankheiten gegenüber verhält sich
der Körper ganz ebenso wie dem Mückengift gegenüber: die voll-
ständige Ueberwindung des einen giftigen Stiches giebt ihm keine
Immunität gegen einen folgenden Stich. Dass bei einem anderen
Theil der Infectionskrankheiten in dieser Beziehung eine Aenderung
eintritt, kann, nach der vorstehenden Erörterung, nicht bedingt
sein durch die, dem normalen Körper immanenten, Ver-
hältnisse.
Vielleicht ist die Nägeli'sche Vorstellung für tief stehende
Thierklassen richtig; für die Wirbelthiere hingegen, mit ihrer energi-
schen Circulation und ihrer, auf sehr weit gehende Theilung der
Arbeit eingerichteten, Organisation trifft sie nicht zu. Vielleicht ist
v. Nägeli zu seiner Vorstellung nicht allein durch seine chemisch-
botanischen Beobachtungen gekommen, sondern auch dadurch, dass
die vorhandenen ärztlichen Hypothesen ihn nicht befriedigten (wo-
136 Dritter Abschnitt.
rin ich mit ihm übereinstimmen würde); eine derselben erklärt er
ja, wie oben angegeben, a priori für nicht annehmbar.
Ich wende mich jetzt zu diesen Hypothesen*).
Die Hypothese vom Verbrauch des Nährstoffs (Erschöpfungs-
Hypothese).
Diese Hypothese datirt wie angegeben aus der Zeit, da man
in der Gährung die passendste Analogie für die Infectionsprocesse
sah; sie ist, so weit die Literatur ein Urtheil gestattet, noch heute
am meisten verbreitet. Von ihr aus lässt sich verstehen, dass der
Infectionskeim nicht alle Individuen ergreift; — dass eine Infection
in einem Organismus überhaupt einmal aufhört, die Krankheit also
heilt; und unter gewissen weiteren Voraussetzungen: dass ein und
dasselbe Individuum von verschiedenen Infectionskeimen unmittelbar
nach einander getroffen werden kann.
Ein sehr entschiedener Vertreter dieser Hypothese ist Pasteur,
und ich wähle daher das zuletzt von ihm gebrauchte Beispiel**):
„Sät man den Cholerapilz (der Hühner) in eine Nährflüssigkeit,
filtrirt dann nach 3 oder 4 Tagen in der Kälte bis zur vollständi-
gen Klarheit, beobachtet die Klarheit des Filtrats durch mehrere
Tage bei 30° und sät dann in dasselbe den Cholerapilz wieder aus,
so wächst er nicht; aber sehr wohl kommt Milzbrand darin fort."
Man darf wohl voraussetzen, dass Pasteur eine grosse Anzahl
solcher Controlversuche gemacht und immer das gleiche Resultat
erhalten hat: und ferner (was aus dem Wortlant nicht deutlich
hervorgeht) dass nicht (schliesslich) in ein und dasslbe Gefäss erst
*) Nachdem diese kleine Schrift dem Verleger übergeben war, erschien
die Arbeit von Grawitz: Die Theorie der Schutzimpfung. (Virch. Arch.
Bd. 84. p. 87.) Meine Bemerkungen über die Versuchsanordnung von Gra-
witz und über die aus diesen Versuchen abgeleitete Theorie beabsichtige ich
in Virchow's Archiv auszusprechen.
**) Pasteur: Cholera der Hühner. Arch. f. exp. Path. 1880. Bd. 12.
p. 340.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 137
Cholerapilz und dann nach einigen Tagen Milzbrandpilz gesät wurde,
sondern dass die Versuche gleichzeitig neben einander an zwei ge-
sonderten Proben des Filtrats vorgenommen worden sind.
Gegen den Schluss, welchen Pasteur aus diesem Versuch
macht: dass der Nährstoff für die Cholerapilze durch die erste
Cultur erschöpft worden sei, stossen mir, dem Laien in der Chemie,
Bedenken auf: der Zusammenhang kann auch ein anderer" sein; es
werden z. B. die Anhänger der zweiten Hypothese nicht zögern,
dieses Experiment für ihre Anschauung zu verwerthen. Der Ver-
such ist nicht eindeutig. Indess gesetzt, es wäre möglich, diese
Vorfrage nur im Sinne Pasteur 's zu entscheiden — wie gestalteu
sich die Dinge, wenn wir den Versuch auf das lebende Thier über-
tragen? Der Pilz greift die lebende Zelle des Thieres an und
tödtet sie. Es fragt sich zunächt, wie er das zu Wege bringt?
Von anderen als möglich angenommenen Wegen (für welche wenig-
stens meine Beobachtung mir keinen Anhalt gab) abgesehen: nicht
dadurch, dass er ihr die nothwendige Nahrung entzieht (wie sollte
er dies anfangen, sobald er, wie so häufig, als einzelnes Körnchen
seine Action beginnt?). Er tödtet sie vielmehr, indem er (wie die
Beobachtung bei den Pocken lehrt) einen Stoff mit sich führt oder
entwickelt, welcher beim Eindringen in die Zelle dieser verderb-
lich wird.
Nun sei der Körper immun geworden: der Pilz trete durch
eine zweite Infection von Neuem an die Zellen heran — da lehrt
die directe Beobachtung, dass der Pilz zunächst die Zellen in
gleicher Weise wie das erste Mal tödtet und sich dann annähernd
in gleicher Weise wie das erste Mal (Fig. 13, p. 140) noch ganz
erheblich vermehrt. Schon diese einzige Thatsache beweist, dass
zwischen der angeführten Beobachtung Pasteur's im Culturglase
und den Erscheinungen am inficirten Körper jede Analogie fehlt.
Die Differenz zwischen beiden Infectionen zeigt sich erst an den
Nachbarzellen: bei der ersten Infection haben diese eine Zeit lang
sich ganz still verhalten, als ginge sie die Sache gar Nichts an
und bei dieser ihrer Passivität kommen sie nach kurzer Frist
selbst an die Reihe: sie werden getödtet; auch in ihnen vermehrt
sich das Gift und erst wenn ein verhältnissmässig grösserer Gift-
herd entstanden ist, gerathen aus noch unbekannten Gründen die
benachbarten Zellen in erhöhte Activität und versuchen durch eine
138 Dritter Abschnitt.
möglichst intensive „Entzündung" das feindliche Element zu be-
kämpfen. Hingegen bei dem zweiten Import des Giftes (nach er-
langter Immunität) vermag dasselbe die benachbarten Zellen nicht
mehr zu „lähmen": dieselben sind vielmehr gerade diesem Gifte
gegenüber auf ihrer Hut und rings um den Eindringling zeigt sich
vom ersten Momente an eine intensive Reizung.
Denken wir uns nun auf den, gegen Cholera immun geworde-
nen, Organismus einen neuen Angriff seitens des Milzbrandgiftes,
so wird dies genau wie der erste Angriff des Cholerapilzes eine
Zelle zerstören, die benachbarten „lähmen" u. s. w. , nicht weil
der Cholerapilz ihm Nährmaterial übrig gelassen hat, sondern
weil die erlangte erste Immunität zwar die „Lähmung" gegenüber
dem einen Feind verhindert, aber nicht gegenüber dem anderen.
Wenn Pasteur seine eigenen Befunde (die ausgedehnten ne-
urotischen Herde auch bei den späteren Impfungen) einmal nicht
von seinem Standpunkt, sondern von dem hier angedeuteten be-
trachten wollte, so hielte ich für möglich: es würden ihm selbst
Zweifel über die Zulässigkeit seiner Hypothese aufstossen.
Aber abstrahiren wir einmal von den Hülfsmitteln, welche
dem thierischen Organismus aus der gesellschaftlichen Anordnung
seiner einzelnen Theile erwachsen: eine Zelle sei vom Cholerapilz
ergriffen, dann wird der Pilz (gleichviel auf welchem Wege) aus
dem Atomcomple\ der getödteten Zelle ein bestimmtes .Stück,
welches er für sich verwenden kann, abspalten; er wird im Be-
reiche der Zelle so lange wachsen, als er aus ihr einen solchen
Atomcomplex abzulösen vermag, dann wird sein Wachsthum auf-
hören, bis er sich an eine neue Zelle wendet.
Nun ist es chemisch denkbar, dass der übrig gebliebene Zell-
rest noch sehr wohl im Stande ist, einem anderen Pilz einen für
dessen Ernährung geeigneten Atomcomplex zu bieten. In soweit
wäre die Erschöpfungstheorie chemisch möglich.
Ich übergehe die hier eintretende physiologische Schwierigkeit,
dass nämlich allen nachwachsenden Zellen derselbe Stoff fehlen
soll, welcher den Zellen der gegenwärtigen Generationen geraubt
worden war.
Aber vom rein chemischen Standpunkt aus muss doch
wenigstens diese Forderung gestellt werden, dass bei der ersten
Jnfection alle diejenigen Zellen ihres Nährstoffs beraubt werden,
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 139
welche ein passendes Nährmaterial für den bestimmten Pilz ent-
halten. Wenn ein Schaf mit Ovina, ein Huhn mit Cholerapilz
geimpft ist, so kann doch das Material für eine zweite Impfung
nur dann als erschöpft betrachtet werden, wenn dort alle Rete-
zellen, hier alle Muskelnbrillen (und vielleicht noch andere Zellen)
von dem Erkrankungsprocess ganz direct getroffen sind. Dies
ist bekanntlich bei keiner Infection der Fall: ein Mensch,
ein Schaf, welche mit Pockenpustel dicht bedeckt sind, behalten
noch eine unzählbare Menge Retezellen übrig, die vom Krankheits-
process verschont bleiben und in denen sich keine Spur von Mi-
krokokken findet; — und wie denkt sich Pasteur den Gang der
Dinge bei ein oder zwei Vaccinapusteln, die ja vollständigen Schutz
gewähren? Sollen die in den zwei Pusteln gebildeten Mikrokokken,
während sie im Blute kreisen, allen Retezellen den in ihnen
aufgesammelten Nährstoff entziehen, ohne dass an diesen
Zellen auch nur die geringste Veränderung wahrgenommen
wird? Dies widerspricht allen physiologischen und pathologischen
Erfahrungen.
Hier wäre dann also eine weitere Hypothese zur Aushülfe
nöthig, für welche jede Analogie fehlt.
Pasteur sagt: „Der Muskel (des mit dem mitigirten Cholera-
gift geimpften Huhnes), welcher erkrankt gewesen war, ist nach
seiner Genesung und Wiederherstellung bis zu einem gewissen
Grade unfähig geworden, dem Pilz als Pflanzstätte zu dienen;
gleich als wenn dieser letztere durch sein vorhergegangenes Wachs-
thum in den Muskeln irgend einen Stoff, welchen das Leben nicht
mehr in demselben reproducirt, zum Verschwinden gebracht hätte,
dessen Fehlen jetzt die Entwicklung des kleinen Organismus ver-
hindert. Meiner Meinung nach wird diese Erklärungsweise, zu
weleher uns die handgreiflichsten Thatsachen in diesem Augenblicke
führen, wahrscheinlich eine allgemein gültige auf alle Infections-
krankheiten anwendbare werden."
Die Worte: „bis zu einem gewissen Grade unfähig" enthalten
eine Einschränkung, welche von Pasteur selbst bei der Schluss-
folgerung ausser Acht gelassen und schon durch die folgende Be-
merkung von den „handgreiflichsten Thatsachen" aufgehoben wird.
Die Erschöpfungstheorie abstrahirt von einer wirk-
lichen Erschöpfung des vorhandenen Stoffes. Pasteur ist
140 Dritter Abschnitt.
in der Lage, eine entscheidende Probe zu machen, um welche ich
ihn hiermit zu bitten mir erlaube: nach seiner Angabe ist Hühner-
brühe eine geeignete Nährflüssigkeit für den Cholerapilz; ich bitte
Herrn Pasteur zu dieser Brühe den Muskel eines Huhnes zu ver-
wenden, welches durch eine einmalige, zweimalige oder selbst drei-
malige Impfung immun geworden ist (nur bitte ich aus verschie-
denen Gründen nicht diejenigen Muskeln zu wählen, welche als
Impforte benutzt wurden — die Immunität muss sich ja natürlich
auf alle Muskeln erstrecken), es wird sich dann zeigen, ob diese
Brühe als Nährlösung für den Cholerapilz (wie die Hypothese
Pasteur's verlangt) ungeeignet ist, während der Milzbrandpilz
in ihr gedeiht.
Im Anschluss an meine oben (p. 137) ausgesprochene Be-
hauptung über die Entwicklung der Mikrokokken gebe ich hier die
microscopische Abbildung zweier Schnitte (Fig. 12 und 13).
Beide rühren von ein und demselben Kalbe her; Fig. 12 von
der Impfpocke 40 Stunden nach der ersten Impfung; Fig. 13
40 Stunden nach der zweiten Impfung. (Der Verlauf beider Im-
pfungen hatte ergeben, dass das Thier durch die erste Impfung
immun geworden war.)
Die Hautstücke wurden nach dem Ausschneiden ex vivo so-
gleich in Alkohol gelegt; die Schnitte sind aus dem Centraltheil
beider Pocken genommen und mit schwacher alkoholischer Methyl-
violett-lösung gefärbt.
Der Pfeil bezeichnet die Richtung der Impfwunde.
Fig. 12 zeigt in weiterer Ausdehnung (a) die Verhornung der
Epidermis: in Fig. 13 ist die Verhornung aut die oberste Schicht
beschränkt.
Beide Figuren zeigen als Hauptmasse ihres Inhalts kleine, un-
regelmässig gestaltete Körper von zart blauer Färbung (Kernreste).
Die Durchschnittsgrösse derselben ist in Fig. 13 erheblich kleiner.
Die Mikrokokken finden sich in Fig. 12 theils vereinzelt, theils
in scharf umgrenzten Ballen oder unregelmässigen Haufen. Ihre
Menge in Fig. 12 ist viel grösser als in Fig. 13; dazu kommt,
dass bei den zu Fig. 12 gehörenden Parallelschnitten die Mikro-
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 141
kokken sich gleichfalls sehr zahlreich vorfanden; hingegen in den
Parallelschnitten der Fig. 13 sehr spärlich.
Die (nicht mitgezeichneten) tieferen Cutisschichten bei Fig. 12
enthalten sehr wenige Rundzellen (cfr. Fig. 14) und das seitlich an-
grenzende Rete zeigt nur schwache Andeutungen einer activen Rei-
zung; bei Fig. 13 dichte Anhäufung von Rundzellen (cfr. Fig. 15)
und sehr erhebliche Reizung der benachbarten Retezellen.
Stellt man sich bei der Deutung auf den Standpunkt Pas teur 's,
sieht man in den Mikrokokken die Erzeuger der specifischen Er-
krankung, so ist die immerhin (wie Fig. 13 lehrt) nennens-
werthe Vermehrung der Mikrokokken bei der zweiten
Impfung mit der Erschöpfungtheorie Pasteur's nicht ver-
einbar.
Es muss jedoch hier vom Standpunkte Pasteur's aus ein
Einwand erhoben werden: es wäre denkbar, dass die Vermehrung
der Mikrokokken bei der zweiten Impfung allein auf Kosten
desjenigen Materials erfolge, welches bei Gelegenheit
dieser zweiten Impfung (mit dem Impfstoff selbst) im-
portirt worden ist.
Im Interesse meines Standpunktes könnte man den Gegen-
einwand erheben: es müsste alsdann bei der zweiten Impfung die
Entwicklung der Mikrokokken zunächst an den Wundrändern und
in ihrer unmittelbarsten Nachbarschaft erfolgen, nicht wie Fig. 13
zeigt, in einer gewissen Entfernung.
Allein dieser Gegeneinwand zu meinen Gunsten wäre nicht
richtig. Es entwickeln sich nämlich auch bei der ersten Impfung
die Mikrokokken zunächst nicht unmittelbar an den Wundrändern
und es ist auch klar, warum nicht: der Blut- oder Saftstrom er-
giesst sich über die Wundränder am meisten unbehindert und kann
Mikrokokken und Nährmaterial bequem fortspülen. In den ersten
12, selbst 24 Stunden nach der ersten Impfung findet man die
Mikrokokken ungefähr an denselben Stellen (im Verhältniss zur
Stichstelle), wie Fig. 13 zeigt, und erst am folgenden Tage wuchern
die Mikrokokken aus der Tiefe bis an den Wundkanal heran, wie
Fig. 12 b zeigt.
Indess eine Prüfung der Schnitte, 12 Stunden nach der zweiten
Impfung, beweist, dass der angeführte Principaleinwand nicht er-
hoben werden kann: die Schnitte zeigen nämlich, dass, wie hier
142 Dritter Abschnitt.
vielfach erwähnt, von Beginn der (zweiten) Impfung an ein starker
Saftstrom in den Impfbezirk hinein erfolgt; derselbe zerreibt die
Kernreste des Impfbezirks zu kleinen Molekülen (Fig. 13 lässt dies
im Gegensatz zu Fig. 12 erkennen), reisst die Mikrokokken aus
einander und spült das ihnen etwa anhaftende Nährmaterial fort.
Gelangt hingegen ein Mikrokokkus an einen Ort verhältnissmässiger
Ruhe, so vermehrt er sich rasch zu einem grossen Haufen: ein solcher
Ort ist die in gewissen Zwischenräumen regelmässig wiederkehrende
Ausbuchtung des Stratum lucidum nach dem Stratum corneum zu
(Fig. 13 cc); hier findet der Saftstrom einen todten Winkel und
hier zeigen sich 12 Stunden nach der zweiten Impfung sehr aus-
gedehnte Mikrokokkenanhäufungen. In den folgenden Stunden wird
jedoch durch die Fortdauer des Saftstromes der Impfherd weiter
ausgedehnt, der bis dahin geschützte Ort wird von der Strömung
erreicht und die Mikrokokkenanhäufung wird fortgespült.
Wo indess die Mikrokokken einen geschützten Ort finden, da
entwickeln sie sich auch alsdann noch; als solche geschützte
Orte hebe ich in Fig. 13 hervor: die innerste Auskleidung des
Haarbalges (d) (hier finden die Mikrokokken sich unter der als
Oberhäutchen des Haarbalges bezeichneten Schicht) und eine un-
zerstört gebliebene Kernhülle (e). Es ist nicht angängig, anzu-
nehmen, dass bei der Intensität des Saftstromes an den nach
diesen Orten angespülten Mikrokokken (von dem ihrerseits mitge-
brachten Nährmaterial) ein genügendes Quantum habe haften bleiben
können, um eine solche Vermehrung nur aus diesem Material
heraus zu ermöglichen.
Bezüglich der Mikrokokken im Haarbalg (Fig. 13 d) bemerke
ich, wie bereits früher erwähnt: es lässt sich nicht sicher feststellen,
ob sie daselbst entstanden oder aus dem Impfbezirk nur dorthin
geführt sind.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 143
Die Hypothese vom zurückbleibenden Stoff (Gegengift-Hypothese).
Seit dem Auftreten der Pilzhypothese ist an die Möglichkeit
gedacht worden: die Pilze könnten bei ihrem ersten Angriff im
Organismus einen Stoff zurücklassen, der ihrem Wiedererscheinen
hinderlich wäre.
Meines Wissens hat zuerst Billroth*) bezüglich der localen
Begrenzung des Processes an die Auswurfsstoffe des Pilzstoff-
wechsels gedacht: „die Mikrokokken als organisirte Geschöpfe
müssen, wo sie abgeschlossen sind, in ihren Excreten ersticken."
Baumann, Nencki, Salkowski haben dann gefunden, dass
als Stoffwechselproducte der Spaltpilze Stoffe entstehen (Phenol,
Kresol, Indol, Skatol etc.), welche zum Theil in Mischungen seit
langer Zeit als Antiseptica angewendet werden. Dass diese Stoffe
in einer gewissen Concentration die Vermehrung der Spaltpilze ver-
hüten und dort, wo letztere vorhanden sind, dieselben tödten, ist
durch eine grosse Zahl von Beobachtern festgestellt worden. Wer-
nich hat die Einwirkung einiger neuer Stoffe dieser Reihe unter-
sucht**) und die Hypothese vertreten, dass diese Stoffe es seien,
welche die Immunität hervorrufen. Zu einer gleichen oder ähn-
lichen Schlussfolgerung kamen in letzter Zeit Toussaint***) und
Chauveauf) bei ihren Versuchen über die Präventivimpfungen
gegen Milzbrand.
Dieser Hypothese stehen chemische und physiologische Be-
denken entgegen.
Chemisch war es schon schwer, bei der Erschöpfungstheorie
anzunehmen, dass verschiedene Pilzarten so sehr verschieden wähle-
risch in ihrem Nährmaterial sein sollten; noch viel schwerer aber
ist die Annahme, dass ihre Auswurfsstoffe so verschieden seien,
um immer nur der einen Species verderblich zu werden. Die
bisher gefundenen Stoffe gehören zu einer Reihe. Die Versuche
von Wernich und allen seinen Vorgängern würden es von dieser
Hypothese aus begreiflich erscheinen lassen, wenn die durch irgend
*) v. Langenbeck's Archiv. Bd. 20.
**) Viren. Arch. Bd.
***) Compt. rend. Juli u. August 1880.
f) Ibid. October 1880.
144 Dritter Abschnitt.
eine Pilzinfection entstandenen und im Körper zurückgehaltenen
Stoffe gegen alle oder fast alle anderen Pilzinfectionen schützten .
wie ja Lister mit der Carbolsäure nicht eine einzige Species
der Pilze treffen will, sondern alle.
Noch ernster sind die physiologischen- Bedenken, wie ja die
Anhänger der Hypothese offenbar selbst nicht verkennen. Aus
dem Culturglase werden die Auswurfsstoffe nicht exportirt: man
begreift, dass sie, dort angehäuft, die weitere Entwicklung der
Pilze verhüten; hingegen der thierische Körper exportirt die (bisher
gefundenen in Frage kommenden) Stoffe leicht. Und wie gross
ist denn die Menge dieser Stoffe, die z. B. ein oder zwei Impf-
pusteln von Vaccina liefern, dass die Excretionsorgane sie nicht in
kürzester Zeit entfernen sollten — und doch entwickeln sich lokal
die Mikrokokken nicht über die Entzündungsgrenze der beiden
Pusteln hinaus; und doch schützt die normal verlaufende Entwick-
lung dieser beiden Pusteln für viele Jahre.
Die Hypothese setzt voraus, dass jede Pilzart ihr besonde-
res Excret im Körper zurücklasse, dass die verschiedenen Excrete
gesondert neben einander aufbewahrt werden, und dass wenn irgend
wo eine neue Infection droht, dann das Excret aus seiner Clausur
sofort zur gefährdeten Stelle transportirt werde, um hier (wie im
Culturglase) die Weiterentwicklung der Pilze zu verhüten.
Ich glaube, man braucht nur einfach diese Schlussfolgerungen
zu ziehen, um eine Hypothese, welche lauter Hypothesen ad hoc
(und solche Hypothesen) im Gefolge hat, ausreichend zu charac-
terisiren.
Indess die Unbegreiflichkeit oder Unwahrscheinlichkeit a priori
überhebt in einem solchen Falle nicht der Pflicht der sachlichen
Prüfung und der erste Befund spricht zu Gunsten der Hypothese:
viele Beobachter verlangen für die ausgedehnte Entwicklung der
Pilze nur gewisse chemische Bedingungen; andere zugleich: einen
gewissen Abschluss des Herdes, Ruhe. Meine Untersnchung hat für
die Pocken einen solchen Abschluss des Impfherdes von dem Saft-
strom bei ausgedehnter Entwicklung der Mikrokokken als regel-
mässig vorhanden ergeben. Mit einer solchen Absperrung des
Herdes sind aber Verhältnisse gesetzt, ähnlich wie im Culturglase.
A priori war es also möglich, dass die Dinge ebenso verliefen und
es würde dann wenigstens die allererste Frage beantwortet sein,
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 145
wie es komme, dass am Ort der ersten Infection die Entwicklung
der Mikrokokken nicht beständig fortschreitet, sondern nach ver-
hältnissmässig kurzer Zeit aufhört.
Allein die weitere Beobachtung ergiebt andere Befunde:
Der Abschluss vom Saftstrom dauert 1—2 Tage, dann erfolgt
der Durchbruch in das benachbarte Gewebe. Vor dem Durchbruch
wie nach demselben zeigen die Mikrokokken das gleiche optische
Verhalten, die gleiche Empfänglichkeit für gewisse Farbstoffe und
die gleiche chemische Resistenz. Die nach meinen Befunden wirk-
samste Vergiftungsstelle in einem Mikrokokkenherde ist diejenige,
an welcher der Abschluss vom Saftstrom ein möglichst vollständi-
ger geworden war: wo nämlich, ausser einer eigenthümlichen (in
ihrem Detail noch unklaren) Einwirkung auf die Gefässe, die Ent-
wicklung der Mikrokokken in annähernd unversehrten Zellkernen
vor sich gegangen ist; hier findet voraussichtlich keine nennens-
werthe Abfuhr der Zersetzungsproducte statt (ausser durch die an
sich unerhebliche Diffusion). An dieser Stelle entwickelt sich eine
sehr eng begrenzte Necrose, und dennoch lässt sich innerhalb dieses
kleinen, verhältnissmässig am meisten dem Culturglase gleichenden
Raumes wenigstens mit unseren heutigen Hülfsmitteln eine Ver-
änderung oder gar ein Absterben der Mikrokokken (cfr. p. 82)
nicht nachweisen.
Die p. 80 und 123 angegebenen vergrösserten Mikrokokken
fand ich bei der zweiten Impfung, vom zweiten Tage an, während
der Impfherd von einem intensiven Saftstrom durchflössen war; also
unter Bedingungen, die denen im Culturglase entgegengesetzt sind.
In dem Endstadium der ersten Impfung, wenn die secundäre
Necrose in der oberen Hälfte des Impfherdes die Oirculation ganz
unterbrochen und somit wieder Bedingungen ähnlich denen im
Culturglase hergestellt hat, entwickeln sich die Mikrokokken in
ununterbrochener Reihefolge, dicht gedrängte Haufenconvolute, durch
eine Mikrokokkenstrasse mit einander verbunden (Fig. 6); hier ver-
halten sich die Mikrokokken gegen Farbstoffe und nach ihrer
Grösse genau wie in den früheren Stadien, und dass sie unter der
Ansammlung ihrer Excrete (deren Abfuhr hier höchstens eine mi-
nimale sein kann) ihre Wirksamkeit nicht eingebüsst haben, muss
(vorausgesetzt, dass sie überhaupt die Erzeuger der Infection sind)
Pinto«, Vaccination. \Q
146 Dritter Abschnitt.
ja schon daraus geschlossen werden, dass die Borke oft ein gutes
Impfmittel abgiebt.
Physiologische Verhältnisse sind es, welche dem Fort-
wuchern der Mikrokokokken in erster Linie entgegenwirken; für
die „Gegengifthypothese" in dem Sinn: dass ein, der künftigen Ent-
wicklung der Mikrokokken feindlicher, Stoff von der ersten In-
fection zurückbleibe, giebt die Beobachtung am lebenden Thier
keinen Anhalt.
Die Hypothese von der Gewöhnung.
Die physiologischen Vorgänge bei der „Gewöhnung" sind uns
grösstenteils unbekannt: practisch nehmen wir sie als „Abstum-
pfung gewisser Nerven- oder Parenchyrnzellen". Wir machen solche
practische Erfahrungen hauptsächlich bei häufig wiederkehrenden,
zumal in ihrer Intensität allmälig ansteigenden Einwirkungen. In
dieser Beziehung bietet ja natürlich das einmalige Ueberstehen einer
Infection keine Analogie. Die Hypothese ist mithin eine ganz will-
kürliche.
Es wird deshalb wohl genügen, wenn ich hier nur erwähne,
dass bei der ersten Impfung die Zellen nahe der Impfstelle sich
passiv verhalten; bei der zweiten Impfung hingegen in hohem Grade
activ; bei denjenigen Processen, welche zur Gewöhnung führen,
sehen wir ein dem genannten geradezu entgegengesetztes
Verhalten.
Es lässt sich jedoch eher eine Analogie mit der „Gewöhnung"
finden, wenn wir letztere nicht ausschliesslich in dem angegebenen
älteren Sinne nehmen, sondern in dem neueren, entsprechend den
Untersuchungen über erregende und hemmende Nerven, welche ein
und dasselbe Organ in entgegengesetztem Sinne beeinflussen. Indess
auch die daher genommene Analogie ist eine sehr mangelhafte.
Der letzte Autor über die Gewöhnung an Gifte*) bemerkt: Manche
*) Rossbach, Pflüger's Arch. Bd. 21.
Unsere Vorstellungen über die Entstellungweise etc. 147
Organe gewöhnen sich so, dass man nach längere Zeit fortgesetzter
Vergiftung (mit Tabak, Morphium, Alkohol) gar keine Functions-
anomalie an ihnen bemerkt — aber dieser Satz hat eine durch die
Gabengrösse beschränkte Geltung: „auch wenn man noch so langsam
und vorsichtig mit der Grösse der Giftgabe steigt, endlich kommt
eine Gabe, die wieder giftig wirkt" und der Effect ist dann der
gleiche wie bei der ersten Gabe vor Eintritt der Gewöhnung. —
Bei längerer Anwendung „zeigen einige Organe gar keine Beein-
flussung mehr; dies könnte daher rühren, dass dieselben ihre
Affinität zu den Giften eingebüsst haben, indem diejenigen Organ-
substrate, welche in Folge ihrer Verwandtschaft früher mit dem
Gifte Verbindungen eingingen, in Folge dieser neuen Molecular-
zustände zu Grunde gegangen sind*). (Es liegt hier ungemein nahe,
auf ein ähnliches Verhalten des Körpers gegen Gifte hinzuweisen,
die man gegenwärtig als organisirte betrachtet, insofern der Körper
nach Durchseuchung mit einem Infectionsgift später nicht mehr von
demselben afficirt wird.) — Dagegen spricht aber die weitere
Beobachtung, dass bei schon eingetretener Gewöhnung doch grössere
Giftgaben an diesen scheinbar unempfindlichen Organen wieder die
alten Functionsstörungen hervorrufen." Rossbach führt noch zwei
weitere Gründe an; er weist jene Annahme (welche einer Analogie
für die Entstehung einer Immunität als Basis dienen könnte) ab.
Ich gestatte mir hierzu nur folgende Bemerkung: bei den Ex-
perimenten über Gewöhnung an Gifte wird mit einer kleinen
Dosis begonnen, diese wird aus dem Körper ausgeschieden; dann
folgt eine Reihe von sehr allmälig ansteigenden Dosen mit da-
zwischen liegenden mehr oder weniger vollständigen Intermissionen.
Bei der Contagion hingegen entsteht die Immunität durch ein
Gift, welches Anfangs in minimaler Dosis einwirkt, nach kurzer
Frist aber in starker und immer ansteigender, ohne dass dem
Körper eine Intermission gestattet wird**). Diebetreffenden
Zellgruppen werden von einer ununterbrochenen Folge frischer
Giftmengen immer wieder von Neuem angegriffen, ehe sie Zeit
gehabt haben, die eben vorausgegangene Attaque erfolgreich abzu-
*) cfr. p. 150.
**) Vielleicht besteht die Möglichkeit, bei unseren GewöhnungsTersuchen
diesen von der Natur bezeichneten Weg nachzuahmen.
10*
148 Dritter Abschnitt.
weisen. Es sind hiernach auch tiefer greifende End Wirkungen zu
erwarten.
Es ist kein Gift bekannt, welches gleich dem Infectionsgift
das erste Mal in einer ganz bestimmten Weise wirkt und dann bei
einem zweiten Import nach vielen Jahren in einer geradezu ent-
gegengesetzten Weise. Es muss bis auf weitere Untersuchungen
dahingestellt bleiben, wie viel von diesem Unterschied der beider-
seitigen Wirkung auf Rechnung der eben erwähnten Applications-
weise kommt, wie viel auf Rechnung der verschiedenen Qualität
der beiden Giftarten.
Bezüglich des durch das Mikroscop grob wahrnehmbaren Effec-
tes hat sich ergeben (p. 126): der Körper hat sich an das Impf-
gift nicht „gewöhnt" (d. h. er ist nicht gegen das Gift „abgehärtet"),
sondern er wird das erste Mal durch das Gift in seiner reactiven
Thätigkeit gehemmt, das zweite Mal zu einer sehr energischen Ab-
wehr gegen dasselbe gereizt.
Folgerung aus den Ergebnissen dieser Untersuchung.
Unter den Differenzen zwischen den Erscheinungen der ersten
und zweiten Impfung (p. 126) können zwei als Ausgangspunkt
einer Hypothese über die Entstehung der Immunität dienen:
die Unterbrechung der Hyperämie und Entzündung —
und die rasch eintretende Verhornung —
beide kurz nach der ersten Impfung zu constatiren und
beide bei der zweiten Impfung fehlend.
Die in der Organisation des Wirbelthiers, speciell des Warm-
blüters fest begründete, geschlossene Kette der Hyperämie und
Entzündung bildet, wie auch aus den hier mitgetheilten Beobach-
tungen wieder gefolgert werden muss, die Schutzwehr des Thieres
gegen jeden Eindringling. Das Contagium hat, beim ersten Im-
port, die Fähigkeit, aus dieser Kette, in einer uns unverständlichen
Weise, ein Glied für eine Zeit lang auszuschalten; — beim zweiten
Import hingegen, nach erlangter Immunität, sehen wir Hyperämie
und Entzündung sofort stark einsetzen und stark bleiben; es
müssen mithin einzelne Glieder der Kette bezüglich der
Art, wie sie den Eindruck des Contagiums beantworten?
umgestimmt worden sein.
Von der (durch seine sonstigen allgemeinen pathologischen
Anschauungen bedingten) Meinung des einzelnen Beobachters, ob
er Hyperämie und Entzündung durch die Nerven, Gefässe oder
andere Gewebe, gemeinsam oder gesondert, bedingt sein lässt, wird
abhängen, ob er auch diese Umstimmung sich vollzogen denken
wird an Nerven, Gefässen oder anderen Geweben, gemeinsam oder
gesondert.
Solche Wirkungen kennen wir mit Sicherheit (cfr. p. 147)
nur an einzelnen psychischen Eindrücken: ein grauenvoller Anblick
kann das erste Mal (Willen und Muskeln) „lähmen", das zweite
150 Dritter Abschnitt.
Mal „zur höchsten Abwehr reizen"; dies ist nur möglich, wenn im
Gefolge der „Lähmung" eine Umstimmung eingetreten ist.
Wir können in einem solchen Fall an uns diese, durch den ersten
psychischen Eindruck bedingte, Umstimmung wenigstens durch eine
Reihefolge von Empfindungen und Gedanken verfolgen und
wir nehmen an, dass die Umstimmung durch diese Stufenfolge er-
zeugt wird, wenn wir auch keinen Einblick in die Processe haben,
die sich hierbei an der Nervensubstanz vollziehen.
Das Impfgift kann selbst diese Umstimmung hervorrufen
(also in viel unmittelbarerer und directerer Weise einwirken als der
psychische Affect), es kreist 6 bis 10 Tage im Blute und
greift mit immer frisch importirten Mengen die b etreffen-
den Zellgruppen an: es hat Zeit und Gelegenheit, ihren
Autbau umzuändern. Es kann aber auch das Impfgift erst
einen Stoff erzeugen (an der Umgrenzung der Infection, in
der Region des Impferysipels, oder in einer Drüse u. s. w.), welcher
alle Zellen der in Frage kommenden Organe umprägt.
Die hier angedeutete Hypothese verlangt also eine Umprägung
einzelner Theile des Organismus. Es braucht hierbei (dies
gestatte ich mir noch hinzuzufügen) dem Organismus kein Molekül
fortgenommen und kein Molekül zugefügt worden zu sein*).
Wird die Frage aufgeworfen, ob die Entstehung der Im-
munität schon allein durch die Umstimmung der Hyper-
ämie und Entzündungsverhältnisse begreiflich erscheint,
so darf diese Frage, soweit meine Kenntniss des Infections-
processes reicht, bestimmt bejaht werden. Man dürfte (ohne
irgendwie seiner sonstigen Anschauung über die Entzündung zu
präjudiciren, „da hier nicht das chemische Element im Vordergrund
steht", sondern nur die Intensität des Saftstromes) in Üebereinstim-
mung mit allen bisher bekannten Thatsachen noch weiter speciali-
*) loh weiss sehr wohl, dass Rossbach zu seinen anders lautenden An-
schauungen („Zugrundegelien einzelner Organsubstrate", cf. p. 147) nicht
durch bequeme Deductionen a priori, sondern durch sehr eingehende Unter-
suchungen gekommen ist. Ich bin zu längerer Erörterung gegen Rossbach
nicht berechtigt, da ich hierauf gerichtete Untersuchungen, die ich den seini-
gen gegenüberstellen könnte, nicht gemacht habe ; doch glaube ich meine oben
ausgesprochene Ansicht aufrecht halten zu dürfen.
Unsere Vorstellungen über die Enlstebungsweise etc. 151
siren, und es würde sich dann das Detail des Vorganges der beiden
Impfungen folgendermaassen gestalten (wobei ich der Uebersicht
halber auch die unmittelbare Gefässalteration, ohne Vermittelung
der Nerven, anführe):
Erste Impfung: Das Gift zerstört ein kleines Zellenterrito-
rium und vermehrt sich innerhalb desselben (p. 67, 93, 99); die
Vermehrung wird dadurch begünstigt, dass das Gift den
Saftstrom (seitens der benachbarten Gefässe) herabsetzt.
Letzteres auf eine unbekannte Weise: —
Man kann sich vorstellen: das Gift verdichtet die Gefässe ganz
unmittelbar — ■ oder es reizt die gefässverengenden Nerven — oder
es lähmt die gefässerweiternden Nerven.
Nach einer kurzen Frist wird diese Herabsetzung
des Saftstromes von einer starken Erhöhung desselben
abgelöst.
Auf eine unbekannte Weise: —
Man kann sich vorstellen: die Gefässe, welche 24 — 48 Stunden
lang durch das Gift verdichtet worden waren, sind nun diesem
Reiz gegenüber „ermüdet" — oder die gefässverengenden Nerven
sind ermüdet — oder die gelähmten gefässerweiternden Nerven
haben diese Lähmung überwunden — oder es entsteht am Locus
primae affectionis in Folge der weiteren Entwicklung der
Zerfallsproducte ein neuer Stoff, welcher nunmehr die Ge-
fässe in diesem Sinne stimmt.
Der starke Saftstrom entführt nun die giftigen Stoffe aus dem
ihm zugänglich gewordenen Heerd ins Blut; in diesem selbst oder
in gewissen Organen (p. 81) wird das Gift unschädlich gemacht
oder es wird im noch wirksamen Zustande ausgeschieden.
Während das Gift (oder ein durch seine Mitwirkung er-
zeugter anderer Stoff) im Blute kreist, wirkt es nun auf alle
T heile (der Blutgefässe oder der gefässverengenden oder der gefäss-
erweiternden Nerven — eventuell auf das Rete der ganzen
Cutis, cfr. p. 153) in demselben Sinne, in welchem es beim Be-
ginn der Erhöhung des Saftstroms am Ort derlnfection ge-
wirkt hat, so dass nun diese Theile von demselben Gift nicht
mehr in dem früheren Sinne beeinflusst werden können.
Zweite Impfung: Das Gift zerstört ein kleines Zellenterri-
torium und vermehrt sich in demselben; allein die (umgepräg-
152 Dritter Abschnitt.
ten) Blutgefässe oder Nerven der Nachbarschaft lassen sich nun
nicht mehr im Sinne der Herabsetzung des Saftstromes
stimmen; vielmehr antworten sie nach den, dem Organismus
sonst immanenten, Gesetzen sofort mit einer intensiven Verstärkung
des Saftstromes, welcher das Gift in die allgemeine Circulation
entführt (p. 123).
Es liegt nahe, anzunehmen, dass ursprünglich eine grosse
Anzahl solcher Reize, die heute einfache Entzündungsreize sind,
ebenso auf den Körper eingewirkt haben wie jetzt noch (bei der
ersten Impfung) das Impfgift (und vermuthlich alle anderen In-
fectionsgifte), dass die bei jedem (oder fast jedem) Entzündungsreiz
Anfangs zu constatirende, kurz dauernde Herabsetzung des Saft-
stromes die Marke dieser früheren Wirkungsweise ist und
dass der Organismus die „Immunität-' gegen jene Entzündungsreize
sich erst (im Laufe der früheren Generationen) hat erwerben müssen.
Wir neigen zu der Annahme, dass es für die Nervenzellen
eine grössere Anzahl qualitativ verschiedener Reize giebt als für
die meisten anderen Zellen; — denkt man sich die Umprägung
an den Nerven vollzogen, so würde es am leichtesten verständlich
bleiben, dass der für das Variolagift immun gewordene Körper für
das Scharlachgift u. s. w. noch empfänglich ist.
Indess dies bleibt Vermuthung; das Protoplasma z. B. des
Capillarrohres kann in gleicher Weise empfindlich sein, und dann
könnten an ihm sich alle die Processe, welche wir heute gern mit
den Nerven in Verbindung bringen, (und in gleicher Weise), abspielen.
Von diesem ungewissen Detail möge abgesehen werden.
Ich halte es für feststehend, dass die Umstinimung bezüglich
der Hyperämie und Entzündung, wenn nicht der einzige, so doch
ein wesentlicher Factor für die Entstehung der Immunität ist.
Es kann jedoch noch ein zweiter mitwirken:
Es hat sich ergeben, dass bei der ersten Impfung der
Impfherd sehr schnell in ein vorgerücktes Stadium der
Verhornung eintritt, bei der zweiten Impfung nicht. Es
hat nicht festgestellt werden können, ob das zweite Mal die Ver-
hornung nur darum unterbleibt, weil der Impfherd von einer
grösseren Menge Flüssigkeit durchtränkt wird, welche das Ein-
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 153
trocknen verhindert, welche ferner vielleicht eine Restituirung
einleitet ■ — oder ob sie auch darum unterbleibt, weil das, viel-
leicht selbst uingeprägte, Rete von dem Gift nicht mehr in
derselben Weise beeinflusst werden kann wie das erste Mal.
Wenn auch am Rete selbst eine Umprägung vollzogen sein
sollte, so ist diese bestimmt nicht so weit gegangen, dass das
Rete aufgehört hätte, für das Gift überhaupt empfänglich zu sein
(Fig. 10 a, Fig. 13, Fig. 15 a). Die Zellen des Rete sind bei der
zweiten Impfung in gleichem oder annähernd gleichem Grade zer-
stört wie bei der ersten Impfung.
Aber es ist sehr wohl möglich, dass bei dieser zweiten Zer-
störung (welche ja doch nur der erste Act der Giftwirkung ist)
aus dem umgeprägten Rete völlig andere Stoffe sich ent-
wickeln oder abgespalten werden als bei der ersten. Das
Gift hätte wohl noch die Fähigkeit, am locus primae affectionis zu
zerstören, aber es fände nicht mehr die Bedingungen, um sich
in unveränderter Beschaffenheit zu vermehren.
Hält man nun noch für möglich oder wahrscheinlich, wie ich es
thue (p. 106), dass nicht das Gift direct die Wirkung auf die Gefässe
ausübt, sondern ein Product, welches das Gift aus dem Rete ab-
spaltet, so würde eine erfolgte Umstimmung des Rete ja auch be-
züglich der Hyperämie und Entzündung das Primäre und Entschei-
dende sein: aus dem nicht immunen Rete spaltet das Gift ein Pro-
duct ab, welches die Entzündung aufhält; aus dem umgeprägten: ein
Product, welches die Entzündung beschleunigt. Man müsste als-
dann (wegen der sehr verschiedenen Immunitäten) dem Rete die-
selben vielfältigen Reactionsfähigkeiten zutheilen, welche wir jetzt
nur den Nerven zuzuschreiben gewöhnt sind.
Dies muss dahin gestellt bleiben, bis bessere Methoden als
die heutigen zur Verfügung stehen.
Nach den bisher gewonnenen Präparaten liegt es noch im Be-
reich des subjectiven Ermessens, ob man annehmen will, dass das
Rete durch die erste Impfung eine unmittelbar grössere (von der
Intensität des Saftstromes unabhängige) Widerstandsfähigkeit gegen
das Impfgift erlangt hat oder nicht.
Hingegen die Umprägung derjenigen Organe, welche
Hyperämie und Entzündung vermitteln, halte ich für ob-
jectiv erwiesen.
Bemerkung über die Gegner der Vaccination,
Manche Beobachter haben nach vieljährigen Erfahrungen und
Studien die Vaccination verworfen.
Ich habe einen (und wie ich glaube: den wesentlichsten) Theil
ihrer Schriften gelesen: — ich kann ihrer Schlussfolgerung nicht
beistimmen.
Die Gründe der Gegner will ich kurz (mit Anführungszeichen)
angeben :
1. „Die Vaccination nütze Nichts; die Variola sei im Lauf der
drei letzten Menschenalter spontan zurückgegangen, wie andere epi-
demische Krankheiten im Verlauf der Entwicklung der Menschheit. 1 '
Ich erinnere an einige bekannte Thatsachen: in Paris*) sind
in den 10 Jahren von 1860 bis 1869 durchschnittlich in jedem
Jahre an Variola gestorben: 517 Personen; in den ersten 10 Mo-
naten des Jahres 1870: 6880 Personen (1700 mehr als innerhalb
der ganzen vorausgegangenen 10 Jahre). In Berlin waren 1863
1270 Erkrankungsfälle von Variola (220 Todesfälle); 1864: 3319
Erkrankungsfälle (617 Todesfälle); dagegen 1870 und die erste
Hälfte von 1871: 20476 Erkrankungsfälle (6478 Todesfälle). In
Wien starben vom November 1871 bis Juni 1873: 4415 Personen
an Pocken. Diese Zahlen widerlegen die Annahme, dass die Va-
riola im spontanen Schwinden sei.
Die Vaccination nützt. Ich habe keine eigenen statisti-
schen Untersuchungen und kann daher zunächst nur die schon oft
citirten Zahlen erwähnen: in Berlin sind von 1758 bis 1809 durch-
schnittlich unter 100 Todten in jedem Jahre an Pocken gestorben:
*) Bonn, Handbuch der Vaccination. p. 34.
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 155
8,16 Personen; — nach Einführung der Impfung von 1810
bis 1870: 0,77 Personen. Die Epidemien von 1871 und 1872
(unter 100 Todten 15,70 und 3,82 an Pocken gestorben*)) haben
nicht die Nutzlosigkeit der Vaccination, sondern nur die Noth-
wendigkeit der Revaccination (welche man die letzten 20 bis
30 Jahre vielseitig leicht genommen hatte) erwiesen. Die Militair-
Behörden haben an der Revaccination immer festgehalten, zum Heil
der Armee: innerhalb 1853 und 1854 starb**) in der unvollkom-
men revaccinirten Civilbevölkerung unter 2400 Köpfen derselben
Einer an Pocken; in der gut revaccinirten Militairbevölkerung Einer
unter 84500. Roth berechnet die Anzahl der Pockentodesfälle in
der ganzen deutschen Armee im Kriege 1870 — 71 auf nur 261;
die der französischen Armee wird nach einer französischen Quelle
auf 23469 angegeben (Pfeiffer).
Wen diese Zahlen darum nicht überzeugen, weil sie bei ihrer
Grösse aus zu vielen unter sich verschiedenen und darum be-
züglich ihrer Zugehörigkeit nicht controllirbaren Einzelgruppen
zusammenfliessen , der sei erinnert an zahlreiche 1870 und 1871
innerhalb enger Bevölkerungskreise***) gemachte Beobach-
tungen:
Die damals in Deutschland herrschende Pocken-Epidemie wurde
vielfach nach kleinen Städten von 1000 — 2000 Einwohnern ver-
schleppt, unter Welchen je ein und derselbe Arzt seit 20—30 Jahren
lebte; in einem solchen Ort kennt der Arzt Jedermann: nach über-
einstimmenden Angaben dieser Collegen wurden von der Krankheit
fast nur solche Personen befallen, die schon vor länger als 8 bis
10 Jahren revaccinirt worden waren, oder Kinder, bei denen man
die Impfung überhaupt noch nicht vorgenommen hatte. Wenn
*) Guttstadt.
**) Kussmaul.
***) Als eine schlagende Statistik, welche allen berechtigten Anforderungen
entspreche, hebt Pfeiffer (Gerhardt: Kinderkrankheiten, Th. 1, Abschnitt:
Impfung, p. 638) die Zusammenstellungen von Flinzer über Chemnitz in
Sachsen hervor. Von den 64255 Einwohnern dieser Stadt waren geimpft
53891 — ungeimpft 5712 — früher von den Blattern befallen 4652. Wäh-
rend der Epidemie von 1870 — 71 wurden nunmehr 3596 Personen befallen
(5,6 pCt. der Bevölkerung) und zwar 953 Geimpfte (1,65 pCt. der geimpften
Einwohner), 2643 Ungeimpfte (57,2 pCt. der nicht geimpften).
156 Dritter Abschnitt.
diese Collegen bei der Mühseligkeit ihrer Praxis nur selten dazu
gekommen sind, eine sorgfältige Statistik aufzustellen, so darf
d ennoch auf ihr summarisches Urtheil um so mehr Gewicht gelegt
werden, als die Einsassen des kleinen Bevölkerungskreises, bei
gleichen wirthschaftlichen Verhältnissen und Lebensgewohnheiten,
in beständigem innigen Verkehr mit einander leben. Am kleinen
Ort überspringen die intimen Beziehungen der einzelnen Familien
erfahrungsgemäss alle Abspemmgsmaassregeln : das Contagium wird
ungehindert verschleppt, und wenn dennoch fast Alle, die vor nicht
zu langer Zeit geimpft waren, verschont bleiben, so ist eine an-
dere Möglichkeit als die des Schutzes durch die voraufgegangene
Vaccination ausgeschlossen. Die Ausnahmefälle, in denen auch
Geimpfte befallen wurden, zeigten fast sämmtlich einen besonders
milden Verlauf der Krankheit*).
Endlich darf ich auf die Ergebnisse dieser Arbeit hinweisen:
die Thiere wurden ein und derselben Infection bei andauernd
gleichen Aussenverhältnissen und gleicher Nahrung zweimal nach
einander unterworfen; die erste Infection vermochte die natür-
lichen Schutzwehren des Organismus (Hyperämie und Entzündung)
auszuschalten, und so erzeugte sie eine 10 — 12 Tage andauernde,
mit Fieber einhergehende Krankheit — bei der zweiten Infection
fanden sich die angegebenen Schutzwehren des Organismus in
promptester Wirksamkeit, so dass die Krankheit fieberlos in 3 bis
4 Tagen verlief.
2. »Mit der Vaccination seien oft Syphilis und Scrophulose
übertragen worden." — Uebertragung der Scrophulose ist nicht zu
erweisen, nicht zu bestreiten: diese Behauptung ist daher eine ganz
willkürliche. Uebertragung von Syphilis ist erfolgt.
*) Uebrigens muss bezüglich dieser Ausnahmefälle auch daran erinnert
werden, dass der Arzt (bei der Frage, ob eine Imp.ung zu wiederholen sei
oder nicht) genöthigt ist, sich auf die „characteristischen Erscheinungen"
des Jenner'schen Bläschens zu verlassen, obwohl er weiss, dass dieselben zu-
weilen trügen (cf. p. 2). Und ich will bei dieser Gelegenheit noch ausdrück-
lich sagen, was wohl selbstverständlich ist: dass nach übereinstimmendem
Urtheil dieser Collegen und vieler besonnener Laien (Verwaltungsbeamte,
Gutsbesitzer, Geistliche, Lehrer), welche ich gefragt habe, eine sehr grosse
Anzahl Bewohner der kleinen Städte und des flachen Landes der Vaccination
dauernd entzogen bleiben würde, sobald dieselbe nur facultativ, nicht obliga-
torisch angeordnet wäre.
1
Unsere Vorstellungen über die Entstehungsweise etc. 157
Bleibt der Impfarzt sich dieser Gefahr stetig bewusst, so wird
dies seinen Blick bei der gewissenhaften Prüfung des Stammimpflings
schärfen; es scheint, dass das specifisch syphilitische Virus nicht
so leicht in den Inhalt des Impfbläschens hineingespült wird, wie
das specifische Vaccinagift: es ist daher die Vorschrift rationell,
nur klare Lymphe zu verpflanzen, nicht blutige (nicht wegen der
Ansteckung der Syphilis durch das Blut, sondern wegen der durch
das Bluttröpfchen erwiesenen tieferen Verletzung, welche Producte
aus der eigentlichen Cutis herausfördert). Auch ein höheres Alter
des Stammimpflings (5 — 12 Monate) mag verlangt werden. Ich
gestatte mir den Impfärzten zwei von mir gemachte*) Vorschläge
zur freundlichen Erwägung mitzutheilen : das Vaccinationsgift ist
resistenter resp. im Impfbläschen concentrirter als das syphilitische
— abgesehen von dem üblichen Glycerin verdienen Zusätze von
schwacher Kalilösung u. s. w. (trotz der bekannten Experimente
über die Resistenz des syphilitischen Virus gegen solche Bei-
mischungen) versucht zu werden. Und ferner: die bisherigen ne-
gativen Versuche zur Erzeugung künstlicher Lymphe dürfen von
neuen Versuchen nicht abschrecken; ich glaube: die vortrefflich
geleiteten Impf-Institute von Hamburg, Petersburg und vieler
anderen Orte sind in der Lage, solche Versuche vorzunehmen.
3. »Abgesehen von dieser Uebertragung von Dyscrasien wird
durch die ganz normale Vaccination zuweilen eine länger andauernde
Kränklichkeit, speciell eine andauernd erhöhte Reizbarkeit der Cutis,
zuweilen der Respirations-Schleimhaut erzeugt. « — Dieser Einwand
ist richtig. Ich halte für möglich, dass die von mir gemachten
Vorschläge auch in dieser Beziehung günstig einwirken werdeu.
Sollte sich herausstellen (was vorläufig noch unentschieden ist),
dass die Immunität zu ihrer Entstehung des Impfer ysipels nicht
bedarf, so liesse sich die auf die Impfung folgende locale Entzün-
dung prophylactisch durch örtliche Behandlung ermässigen; nach
meinen Beobachtungen treten die hier sub 3. genannten Folgen
fast nur in denjenigen Fällen auf, in welchen das Impferysipel
eine grössere Ausdehnung erreicht hat und es ist die Möglichkeit
vorhanden, dass in den Producten der erysipelatös entzündeten
Stelle auch die einzige Ursache jener Nebenfolgen zu suchen ist.
*) Berliner klin. Wochenschr. 1874 und 1880. No. 41.
158 Dritter Abschnitt.
Aber auch wenn die sub 2. und 3. angegebenen Polgen sich
nie ganz beseitigen liessen, ist doch die Erwägung entscheidend:
der Nutzen, welcher der Gesammtheit aus der Vaccination erwächst,
ist ausserordentlich gross im Verhältniss zu dem Schaden, welcher
beim Zusammenfassen aller unerfreulich verlaufenden Fälle ge-
stiftet wird — so tief beklagenswerth auch die kleinste Schädi-
gung ist, welche wir bona fide anrichten. Dies ist die schmerz-
liche Unvollkommenheit aller menschlicher Maassnahmen.
Schluss - Betrachtung.
Es besteht bei den Beobachtern im Bereich der Pathologie die
an sich gerechtfertigte Neigung, nach specifischen Verände-
rungen der Gewebe zu suchen. Man ging nicht so weit, vor-
auszusetzen, dass jedem der verschiedenen Entzündungsreize eine
besondere (anatomisch oder physiologisch nachweisbare) Veränderung
entspreche; aber man erwartete eine derartige Veränderung als die
Wirkung solcher Reize, welche cyklisch ablaufende Processe in
ihrem Gefolge hatten.
Auf dem Gebiete der Infectionskrankheiten, speciell der Pocken,
sind im Laufe der Zeit sehr verschiedene in mortuo aufgefundene
Zustände einzelner Zellgruppen als solche specifische Wir-
kungen des Giftes gedeutend worden — schon nach wenigen
Jahren wurden sie als nicht specifisch erkannt.
Unzweifelhaft wirkt das Pockengift auf den Atomencomplex
einer Zelle in anderer Weise als z. B. das Scharlachgift, und die
Todes art der Pockenzellen ist gewiss verschieden von derjenigen
der Scharlachzelle — wir kennen jedoch keine Methode,
durch welche die Differenzen in dem Ablauf dieser Todes-
arten festgestellt werden könnten.
Dürfen wir hoffen, dass diese Methode gefunden werde?
Die physiologischen Actionen gesunder Zellen erscheinen
einförmig gegenüber der (für unser heutiges Wissen anscheinend)
sehr grossen Verschiedenartigkeit der Reize, welche die Actionen
auslösen — das mikroscopische Bild der Zelle zeigt Nichts, wo-
durch ihre Leistung verständlich würde. Dem entsprechend sind auch
die pathologischen Befunde einförmig gegenüber der anscheinend
sehr grossen Verschiedenheit der Krankheitsreize. Das Specifische
1 60 Schlussbetrachtung.
liegt in der Art des chemischen Angriffs, welche wir noch
nicht begreifen; Entzündung, trübe Schwellung, fettige Entartung,
Necrose, Alles, was wir sehen, sind Folgen, Ausgänge. Aus der
Anordnung und Vertheilung der Krankheitsheerde sind Schlüsse für
die „Diagnose" der Krankheit häufig berechtigt: aber unsere Ein-
sicht in die zu Grunde liegenden Vorgänge wird dadurch nicht
gefördert.
Virchow, der berufen ist, der Pathologie eine Prognose zu
stellen, sagt*): »Von principieller Bedeutung würde es sein, wenn
sich ergäbe, dass das Pockencontagium eine ganz besondere Ver-
änderung an gewissen Zellen oder Zellgruppen hervorbrächte, die-
sonst gar nicht bekannt ist." Aus dieser Aeusserung darf
wohl geschlossen werden, dass Virchow das Erkennen specifischer
Veränderungen in absehbarer Zeit für erreichbar halte.
*) Arch. Bd. 79. p. 213.
Erklärung der Figuren.
Figur 1. 40 Stunden nach der ersten Impf an g. (y) (p. 7.)
a Impfverletzung.
bacd Specifische Impfzone, a centraler Theil derselben, b und c
flügelartige Ausläufer, d Uebergang der Impfzone in den Papillar-
theil der Cntis.
e, f Zone der trüben Schwellung,
g, h Zone der Reizung,
i Durchbruchstelle von der specifischen Impfzone durch die Zone
der Reizung in den bindegewebigen Theil der Cutis.
k, k verdichtete Stelle (p. 14 u. 114).
1 Unterer Abschnitt des epithelialen centralen Theils der Impfzone
mit dichtgelagerten Mikrokokkenballen und der primären Necrose.
Fisur2. 24 Stunden nach der ersten Impfung. Innerer Theil der
Reizungszone (homogene Immersion — ). Methylviolett,
Pikrinsäure (p. 39).
a Ausläufer des Flügels der Impfzone (Fig. 1. b.).
b Zone der Reizung.
c Säulenartige Gestalt der Zerfalls-Figuren der Impfzone.
d Säulenbildung innerhalb einer unversehrten Kernhülle der Rei-
zungszone.
e Dichte Lagerung der Kerne.
Fi"iir 3. 24 Stunden nach der ersten Impfung. Acusserer Theil der
520
Reizungszone (homogene Immersion; — ). Methylviolett.
Pikrinsäure (p. 40).
a Lückenbildung um den Kern (p. 41).
b Vollständige Lücke.
IVur 4. 40 Stunden nach der ersten Impfung*). Zone der trüben
Schwellung (homogene Immersion; — ). Methylviolett.
a, c, d Verschiedenes Verhalten des Kerns (p. 28).
*) Der Färbungsunterschied zwischen Kern und Protoplasma ist im Druck
viel grösser ausgefallen, als er im Präparat war.
162 Erklärung der Figuren.
Figur 5. 40 Stunden nach der ersten Impfung. Primäre Necrose in
der Impfzone (homogene Immersion; — — ). Methylviolett (p.
22).
a Kernzerfalls-Figuren.
b Mikrokokken in Ballenform.
c Mikrokokken in Schlauchform,
d Primäre Necrose.
Figur 6. 8 Tage nach der ersten Impfung. Secundäre Necrose (ho-
mogene Immersion, — — ). Methylviolett (p. 57).
a Mikrokokken in Ballenform.
b Vereinzelte Mikrokokken.
c Eigenthümliche Figur (p. 59).
Figur 7 und 8. (Taf. II.) 96 Stunden nach der ersten Impfung. Erste
175
Wirkung des Impfgiftes. (Fig. 7 — ; Fig. 8 homogene
Immersion, — ) (p. 95).
a Impfherd. 4 Tage alt; Pfeil: Richtung der Impfverletzung.
b Neugebildetes Stratum corueum unter diesem Impfherd.
c Neuer Impfherd, durch Selbst-Infection von a aus, und zwar von
dem linken Theile desselben, entstanden, wenige Stunden alt.
d Neues Rete Malpighii unter dem zweiten Impfherd,
e Erster Beginn der Verhornung an der oberen Grenze desselben,
f Haar , durch dessen Lymphgang Stoffe aus a in die Tiefe geleitet
worden und nach c eingebrochen waren.
Figur 9. (Taf. III.) 5 Tage nach der ersten Impfung. Spalträume
im Protoplasma der Retezellen. (Homogene Immersion.
^). Methylviolett (p. 46).
a Erweiterung präformirter Spalträume.
b Starke Aufblähung des Kerns*).
c Kernbröckel in den Spalträumen (p. 51).
Figur 10. (Taf. III.) Zweite Impfung; 15 Stunden nach derselben. (Ho-
520
mogene Immersion, — ). Methylvi oleti.
a Ausläufer des Flügels der Impfzone mit den Kernzerfallsflguren.
b Zone der Reizung.
c Höhlenbildung in derselben (p. 113).
*) Im Präparat und in der Zeichnung war die bevorstehende Zertheilung
des geschwellten Kernes b durch scharf hervortretende Grenzlinien der sich
bildenden Theilstücke ausgedrückt; im Druck sind in der Mitte des Kernes
diese Grenzlinien verwischt.
Erklärung der Figuren. 163
Figur 11. (Taf. III.) 40 Stunden nach der zweiten Impfung; Reizungs-
520
zone. (Homogene Immersion, — ). (Methylviolett, Pikrin-
säure.) (p. 117.)
a Faserige Zeichnung der Kernfiguren*),
b Sehr dichte Lagerung der färbbaren Kernpunkte,
c Scharfes Hervortreten der Zellgrenzen.
Figur 12 und 13. (Taf. IV.) Sitz und Menge der Mikrokokken bei
450
beiden Impfungen. (Immersion. — — ). Methylviolett (p. 140).
Figur 12. 40 Stunden nach der ersten Impfung,
a Verhornung sehr ausgedehnt.
b Mikrokokken dicht am Wundkanal.
Figur 13. 40 Stunden nach der zweiten Impfung,
a Verhornung nur an der Oberfläche,
c c Andeutung der Ausbuchtungen des Stratum lucidum nach
dem Stratum corneum.
d Mikrokokken unter der innersten Begrenzung des Haarbalges
(cfr. Fig. 8. f.).
e Mikrokokken in Ballenform (Kernhiille).
Figur 14 und 15. (Taf. III.) Anzahl der Rundzellen bei beiden Im-
pfungen (-r-; p- 97 u. 127).
Figur 14. 48 Stunden nach der ersten Impfung.
Figur 15. 15 Stunden nach der zweiten Impfung,
a Impfherd.
b Gegend der kleinsten Kerntrümmer dicht unterhalb desselben,
c Rundzellen im bindegewebigen Theil der Cutis dicht unter dem
Impfherd.
d Neugebildetes Rete der Reizungszone,
e Haar.
f Haarbalgzellen.
Figur 16. (Taf. IV.) Erste Impfung eines Schafes; 6 Tage nach der-
selben; Zelle aus der Reizungszone. Bildung von Kern-
punkten im Protoplasma (p. 51 und p. 87).
1C 300
16. a. —
16. b. homogene Immersion. — —
Figur 17. (Taf. IV.) Aus gleichem Ursprung wie Fig. 16. (Homogene Immer-
sion; — — ). Schichtenartige Anordnung des Proto-
plasmas (p. 56).
*) Im Präparat und in der Zeichnung waren die einzelnen Kernfasern
ganz scharf umgrenzt; im Druck erscheinen sie verwischt.
Errata.
Seite 6. Zeile 4 von unten anstatt den lies: der.
Seite 59, Zeile 11 von unten anstatt 8.c. lies: 6.c.
Gedruckt bei L. Schumnghei in Berlin.
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