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Full text of "Zum 22. Januar 1894 ihrem hochverehrten meister Eduard Zeller [microform] : die mitherausgeber des Archivs für geschichte der philosophie"

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Zum  22.  Januar  1894  ^^'*™«^^  •f  auNoig 


UBRARf 

OF  THE 


ihrem  hochverehrten  Meister 


Eduard  Zeller 


die  Mitherausgeber       y 
des 
Archivs  für  Geschichte  der  Philosophie. 


D  iel  s,  Aus  dem  Leben  des  Cynikers  Diogenes. 
Dilthey,   Aus  der  Zeit  der  Spinoza- Studien 

Goethe's. 

Erdmann,  Zur  Methode  der  Geschichte  der 

Philosophie  mit  specieller  Rücksicht  auf 

die  Metaphysik  des  Cartesius. 

Stein,  Das  erste  Auftreten  der  griechischen 

Philosophie  unter  den  Arabern. 


Berlin 

Druck   von  Georg  Reimer 

1894. 


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Aus  dem  Leben  des  Cynikers  Diogenes. 

Von 
Hermann  Diels  in  Berlin. 

„Aus  der  Jugendzeit  des  Diogenes  wissen  wir  nichts  weiter 
als  dass  er  aus  Sinope  gebürtig  war,  dass  sein  Vater  Hikesias 
Wechselgeschäfte  trieb  und  den  Sohn  früh  zu  demselben  Geschäfte 
anhielt.  Der  Vater  scheute  sich  nicht  neben  dem  Geschäfte  des 
Wechslers  auch  das  eines  Falschmünzers  zu  betreiben  und  den 
Sohn  in  dasselbe  bei  Zeiten  einzuweihen.  Diesem  scheint  nun 
freilich  gleich  anfangs  nicht  ganz  wohl  zu  Mute  gewesen  zu  sein 
bei  dieser  geheimen  HausmÜDze,  aber  er  beruhigte  sich  darüber 
und  hatte  später  sogar  die  Schwäche,  sein  Gewissen  auf  eine  wahr- 
haft perfide  Weise  durch  jesuitische  Auslegung  eines  Götteraus- 
spruchs zum  Schweigen  zu  bringen.  Als  fertiger  Falschmünzer 
kam  er  nämlich  auch  nach  Delphi  in  den  Tempel  des  Apollon. 
Dort  hätte  er  sich  nun,  als  er  in  den  Vortempel  trat  und  die 
Sprüche  überlas,  die  dort  standen,  an  den  klaren  Spruch:  „Erkenne 
Dich  selbst"  halten  sollen;  aber  sein  Leichtsinn  mit  dem  Humor 
gepaart,  der  ihm  von  jeher  eigen  war,  haftete  mit  Vergnügen  auf 
dem  doppelsinnigen  Spruche  „Auf  die  Münze  präg'  den  eignen 
Stempel".  Er  überredete  sich  der  Spruch  enthalte  eine  offenbare 
Billigung  seines  Falschmünzergeschäftes  und  so  durch  seine  falsch- 
münzerische Interpretation  des  Götterspruches  scheinbar  beruhigt, 
kam  er  wieder  nach  Sinope  und  münzte  mit  seinem  Vater  fort, 
bis  die  Strafe  über  beide  hereinbrach.  Der  Vater  starb  im  Ge- 
fängnis, der  Sohn  suchte  das  Weite;  die  Acht  ward  über  dem  Flie- 
henden ausgesprochen,  der  sich  nach  Athen  wendete." 

1* 


4  Hermann  Diels, 

Also  lautet  ungefähr  der  Roman,  den  Göttling,  der  Biograph 
des  Cynikers '),  von  dessen  Jugendleben  zu  berichten  weiss.  Aehn- 
lich,  nur  etwas  confuser  erzählt  Laertios  Diogenes,  und  ähnliches 
müssen  auch  bereits  die  alexandrinischen  Litteraten  gefabelt  haben. 

Nun  ist  es  ja  heutzutage  unzweifelhaft,  dass  weder  im  Tempel 
zu  Delphi  noch  zu  Delos  der  Spruch  Trapa/apa^ov  xh  vojxkjjjlcx  ge- 
standen haben  kann,  da  er  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  sinn- 
los und  in  übertragener  jedenfalls  für  die  heiligen  Stätten,  die 
Schützer  und  Bewahrer  des  vojio?,  ungeeignet  ist,  ganz  abgesehen 
davon,  dass  eine  solche  Sentenz  vor  dem  fünften  Jahrhunderte 
überhaupt  undenkbar  wäre  und  ganz  abgesehen  von  den  metrischen 
Spielereien,  die  Göttling*),  nicht  zu  seinem  Ruhme,  mit  den  an- 
geblich Pythischen  Sprüchen  getrieben  hat.  Aber  der  Kern  der 
Erzählung,  dass  der  Cyniker  in  seiner  Jugend  Falschmünzer  ge- 
wesen sei,  wird  trotz  der  scharfsinnigen  Bedenken,  die  bereits 
Steinhart ')  dagegen  vorgebracht  hatte,  noch  immer  aufrecht  erhal- 
ten; wie  ich  glaube,  mit  Unrecht. 

Zunächst  ist  es  lediglich  eine  Vermutung  Göttlings,  dass  jener 
Falschmünzerspruch  zu  den  altberühmten,  in  der  Vorhalle  zu  Del- 
phi angeschriebenen,  gehöre.  Vielmehr  behauptet  die  alexandri- 
nische  Biographie,  von  der  Diokles  (Laertios),  Julian  und  Suidas 
abhängig  sind,  ausdrücklich,  der  Orakelspruch  sei  dem  Diogenes 
persönlich  auf  seine  Anfrage  erteilt  worden.  Diokles  bringt  nun 
in  dem  Wirrwar  streitiger  Nachrichten  über  die  angebliche  Falsch- 
münzerei des  Diogenes  oder  seines  Vaters,  die  wertvolle  Notiz,  dass 
Diogenes  sich  selbst  in  seinem  Dialoge  Pordalis*)  zur  Falschmün- 


'^  Diogenes  der  Cyniker  oder  die  Philosophie  des  griechischen  Proletariats  in 
Abhandlungen  aus  dem  dass.  Altertum  I  (Halle  1851)  251  flf. 

2)  a.  0.  S.  221  ff. 

3)  Ersch  u.  Gruber  Encyclop.     S.  I,  B.  XXV  (1834)  S.  302. 

*)  Laert.  VI  20  h  Tcf  üopSaXei.  Die  Hdss.  hier  TtopSciXq).  Das  richtige 
Wort  gibt  der  Katalog  der  Diogenischen  Schriften  zweimal  §  80  als  üdpSaXic, 
was  neben  der  Form  irc^pSaXt?  (altdialectische ,  vermutlich  äolische  Nebenform) 
stehen  bleiben  kann.  Welche  Symbolik  Diogenes  an  den  Namen  der  ge- 
fleckten Bestie  geknüpft  hat,  weiss  ich  nicht,  aber  dass  der  Titel  wirklich  diese 
meint,  beweist  die  Reihenfolge  der  Dialoge  'I)(ft6o;,  KoXot(5;,  OapSaXtc  im  Ka- 
taloge. 


Aus  dem  Leben  des  Cynikers  Diogenes.  5 

zerei  bekannt  habe  («>?  icapa^^apaSai  xh  v6fj.ui|xa).  Dies  Bekenntnis 
scheint  mir  eine  andere  als  die  wörtliche  Erklärung  nicht  nur  zu 
gestatten,  sondern  zu  fordern. 

Verstehen  wir  nemlich  dies  Sündenbekenntnis  wörtlich,  so 
mag  ja  das  Prahlen  mit  Dingen,  die  nach  der  gewöhnlichen  Moral 
infam,  nach  der  cynischen  Adiaphora  sind,  der  Persönlichkeit  des 
.  Diogenes  zugetraut  werden,  aber  unverständlich  wäre  dann  die 
Verbindung  mit  dem  delphischen  Gotte,  zu  der  ja  doch  diese  in 
Sinope  begangenen  Jugendsünde  gar  keine  Veranlassung  gab,  in 
der  antiken  Biographik.  Wir  werden  daher  jene  Selbstbezichtigung 
etwas  anders  verstehen  müssen. 

Wie  Sokrates  sich  als  Sohn  einer  Hebamme  der  Maieutik 
rühmte  und  zur  Bestätigung  seines  Berufes  sich  auf  den  delphi- 
schen Gott  berief,  der  ihn  durch  das  Orakel  des  Chairephon  wie 
durch  den  alten  Spruch  Fvcuöi  ofeauiov,  zur  Selbstprüfung  und  Men- 
schenprüfung autorisirt  habe,  so  wird  Diogenes,  die  Caricatur  des 
Sokrates,  sich  mit  Beziehung  auf  den  Beruf  seines  Vaters,  des  Tra- 
peziten  Hikesias  mit  seiner  Falschmünzerei  aufgespielt  haben,  die  er 
im  Auftrage  des  Pythischen  Gottes  treiben  müsse.  Er  wird  es  als  seine 
heilige  Aufgabe  hingestellt  haben,  das  Naturgesetz  an  die  Stelle  der 
Menschensatzung,  das  Wissen  an  die  Stelle  des  Glaubens,  die  Phi- 
losophie an  die  Stelle  der  traditionellen  Bildung  zu  setzen,  mit 
einem  Worte:  die  gültige  Moral  umzuwerten,  -oLpayapdzai  to  v6ut(5|xa. 
Das  ist  das  Schlagwort  des  Cynismus,  ja  man  kann  sagen  der 
ganzen  Sokratik.  So  hat  das  Wort  schon  Julian  verstanden  und 
mit  Sokrates  in  Beziehung  gesetzt'),  und  offenbar  schwebte  es  auch 


^)  Or.  VII  p.  211B  Ti  8e  elTrev  6  &£d;  ap'  tafAev;  oti  t^s  tü>v  TroXXöiv  airij; 
SoSt];  ^tt^tk^ev  uTiepopäv  xal  irapajfapotTTEiv  ob  ttjv  dX^^öeiav  äXXd  x6  vdfxtafAa 
(=  T(x  vofxiCV^'i'a  p.  211c)  und  VI  p.  ]88Dff.  vergleicht  er  in  dieser  Beziehung 
die  Anschauung  des  Sokrates  (Kriton  p.  44  c).  Auch  die  alten  Biographen 
hatten  teilweise  noch  die  Ahnung  des  wirklichen  Sachverhaltes  Laert.  VI  20 
Toü  5^  Guy/wpi^aavxo;  t6  ttoXitixöv  votxta(xa,  o\)  suvef;,  to  xepfxa  ixtßS^Xeuoe,  wo 
das  Misverständnis  dem  Cyniker  selbst  in  die  Schuhe  geschoben  wird,  einfäl- 
tiger Weise.  Verständig  dagegen  Diokles  (denn  seine  Art  spricht  sich  hier  aus) 
VI  7 1 :  Totaüra  SteX^yeto  (StaXeydiAEvo;  Reiske)  xal  ttokLv,  itfahtzo  ovtü);  vd(j.t(j(xa 
7tapa)(apaTT(i)V  (xkjS^v  o5t(u  toic  xa-zä  vdpiov  tbs  toT;  xatd  cpüaiv  Stooüc  Was  das 
Wort  Tiapaj^apdTTEiv  betrifft,  so  heisst  es  allerdings  gewöhnlich  die  Münze  föl- 


6  Hermann  Diels,   Aus  dem  Leben  des  Cynikers  Diogenes. 

Friedrich  Nietzsche  noch  von  seinen  Laertiosstudien  her  vor  der 
Seele,  als  er  die  grosse  moralische  Revolution,  die  nach  seiner 
Meinung  durch  Sokrates  und  die  Juden  hervorgerufen  worden  ist, 
als  „Umwertung  der  Moral"  bezeichnete,  die  nun  seinerseits  wieder 
auf  die  richtige  Währung  „jenseits  von  Gut  und  Böse"  zurückge- 
prägt werden  müsse. 


sehen,  xtßoirjXeÜEtv,  kann  aber  wie  TrapaTOtelv  u.  dgl.  zunächst  nur  die  neutrale 
Bedeutung,  die  Münze  durch  Anwendung  eines  andern  Stempels  (yapaxt^p) 
verändern,  haben  (vgl.  Percy  Gardner  Classical  Review  VII,  1893,  S.  437  ff.). 


Aus  der  Zeit  der  Spinoza-Studien  Goethe's. 

Von 
Wilhelm  Dilthey  in  Berlin. 

Im  Goethe -Archiv  fanden  sich  neuerdings  drei  zusammenge- 
hörige Bogen  von  der  Hand  der  Frau  von  Stein.  Sie  enthalten 
einen  kleinen  Aufsatz,  dictirt  und  mit  augenscheinlicher  Beziehung 
auf  Spinoza.  Suphan  hat  diesen  Aufsatz  im  Goethe-Jahrbuch  (1891) 
unter  dem  obenstehenden  Titel  herausgegeben  und  mit  einer  ge- 
schichtlichen Erläuterung  begleitet.  Nun  ist  er  auch  in  die  Wei- 
marer Goethe -Ausgabe  aufgenommen. 

lieber  den  Verfasser  und  die  Zeit  dieses  Aufsatzes  konnte 
unter  Goethe-Kundigen  kein  Zweifel  sein.  Wir  wissen,  dass  Goethe 
im  Winter  1784/85  zuerst  den  Spinoza  gelesen  hat  ^).  Er  las 
ihn  gemeinsam  mit  Frau  von  Stein.  Er  suchte  zur  selben  Zeit 
in  Gesprächen  mit  Herder  sich  philosophisch  mit  Spinoza  ausein- 
anderzusetzen. Hierzu  hatte  ihn  die  vertrauliche  Mittheilung  des 
Lessing'schen  Gesprächs  durch  Fr.  H.  Jacobi  und  dann  dessen  Be- 
such im  September  1784  angeregt.  Dass  diese  Anregung  ein  an- 
haltendes metaphysisches  Interesse  für  Spinoza  zur  Folge  hatte, 
war  tiefer  durch  das  voraufgegangene  und  auch  damals  fortdauernde 
Symphilosophieren  mit  Herder  bedingt.  Auf  den  so  vorbereiteten 
Boden  fiel  der  Eindruck  aus  der  Lektüre  Spinoza's.  Diese  Lek- 
türe war  schon  Mitte  November  in  vollem  Gang.  Am  11.  No- 
vember 1784  schreibt  Goethe  an  Knebel,  dass  er  mit  der  Frau 
von  Stein  Spinoza's  Ethik  lese,  und  er  fügt  hinzu:    „Ich  fühle  mich 


')  Vgl,  u.  a.  den  folgenden  Brief  Herders  an  Jacobi  20.  Dez.  84. 


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