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Ostern 1888.
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Inhalt: l.ygritische Analyse ^on Buch I und II der platonischen ^W^.
Gesetze mit besonderer Berücksichtigung der Fragen, W%!\>
welche Bruns hinsichtlich der Abfassung derselben an-^ f
geregt hat/ vom Cand. Johannes Tiemann "-'^
2. Schulnachpchten vom Direktor R
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Drock von J. G. Kisling,
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1888. Profirr. Nr. 301.
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Kritische Analyse
von Buch I und II der platonischen Gesetze
mit besonderer Berücksichtigung der Fragen,
welche Bruns hinsichtlich der Abfassung derselben angeregt hat
JJurch eine mir von Herrn Professor von Wilamowitz gestellte Prüfangsaufgabe auf eine eingehen-
dere Beschäftigung mit den platonischen Gesetzen geführt, bin ich, je länger, desto mehr, zu der Über-
zeugung gekommen, dasz die Vorstellung von der Arbeit des Redaktors an den Gesetzen, zu welcher
Bruns gelangt ist ^), nicht die richtige ist. Dasz wir in den Gesetzen, wie sie vorliegen, nicht ein
fertiges Werk Piatos vor uns haben, ist auch meine Ansicht. Das vollständige Fehlen des Zusammen-
hanges zwischen Buch n und m, mehrere Partien in den letzten Büchern, welche auf jeden Unbe-
fangenen den Eindruck von lose an einander gereihten Fragmenten machen, scheinen mir Beweis genug
dafür. Aber eben dieser lückenhafte Zustand des Werkes läszt mir von vornherein eine so durch-
greifende Bearbeitung, wie Bruns sie namentlich für die beiden ersten Bücher annimmt, als unwahr-
scheinlich erscheinen. Nach Bruns haben wir näAlich in den von ihm als original anerkannten Par-
tien des ersten Buches die Einleitung zu einem ursprünglichen, später aber aufgegebenen Entwürfe des
Schriftstellers vor uns, während das zweite Buch ein Stück der erst mit dem vierten Buche beginnenden
Gesetzgebung für die kretische Kolonie sei, welches seinem Zusammenhange nach in das jetzige siebente
Buch gehöre. Diese heterogenen Elemente seien vom Redaktor mit Hilfe mannigfacher Einschiebungen,
in denen man teils aus ihrem eigentlichen Zusammenbange gerissene originale Fragmente, teils vom
Redaktor selbst verfaszte Stücke zu erkennen habe, zu einem Ganzen vereinigt und in dieser Form vor
das übrigens ganz andere, verloren gegangene Untersuchungen voraussetzende dritte Buch gestellt. Man
wird mir zugeben, dasz die Annahme eines so gewaltsamen Eingreifens von seiten des Redaktors bei
dem übrigens vielfach lückenhaften Zustande der Gesetze zu den ernstlichsten Bedenken Anlasz geben
musz, und dasz deshalb eine genaue Prüfung der von Bruns für seine Behauptungen beigebrachten
Gründe wohl gerechtfertigt erscheint. Als ein Versuch, diese Prüfung an der Hand einer kritischen
Analyse der ersten beiden Bücher im einzelnen vorzunehmen, möge folgender Aufsatz angesehen werden.
Die Personen des Dialoges sind : ein Athener {^svog ^A^rjvatog) ; Klinias, ein Kreter ; Megillos,
ein Spartaner. Sie befinden sich auf dem Wege von Knossos nach einem Heiligtume des Zeus. Der
Athener eröffnet den Dialog mit der Frage: Hat ein Gott oder ein Mensch eure Gesetze geschaffen?
Die Antwort lautet: Ein Gott; bei den Kretern Zeus, bei den Lacedämoniem Apollo. Es ist wohl zu
beachten, dasz der göttliche Uraprung der kretischen und spartanischen Gesetze hiermit als Voraus-
setzung des weiteren Gespräches aufgestellt wird, da dieser Punkt von Wichtigkeit ist für das richtige
^) „Piatos Gesetze vor und nach ihrer Herausgabe dnrch Philipp von Opus." Weimar 1880.
1
Verständnis mehrerer von Brons bemängelter Stellen, von denen im weiteren Verlaufe der Untersuchung
die Bede sein wird (p. 3 u.5). Zunächst knüpft der Athener an diese Voraussetzung des göttlichen Ursprungs
die Vermutung, dasz es den Mitunterrednem — iizetör] kv roiovroiq i)dtai, ridQa(p^t — wohl
angenehm sein würde, sich den Weg durch ein Gespräch über Gesetze und Verfassung zu verkürzen.
Nachdem diese ihre Zustimmung zu erkennen gegeben haben, beginnt er sogleich mit der mitten in
den Gegenstand führenden Frage : Wozu hat das Gesetz bei euch die Syssitien, die Gymnasien und die
Handhabung der Waffen vorgeschrieben? einer Frage, welche ja den dorischen Mitunterrednern gegen-
über nahe genug lag. Elinias antwortet, der kretische Gesetzgeber habe in der richtigen Erwägung,
dasz der Friede ein bloszer Name sei, und dasz in Wahrheit alle Staaten fortwährend mit einander
auf Eriegsfusz lebten, nicht nur jene von dem Athener genannten Einrichtungen, sondern überhaupt
nahezu alle Einrichtungen des Staates mit Bflcksicht auf den Krieg getroffen. Um aus dieser Antwort
die Grundlage für die weitere Untersuchung zu gewinnen, faszt der Athener ihren Inhalt zusammen
in dem Satze: „Also ein wohl geordneter Staat musz so eingerichtet sein, dasz er die anderen Staaten
im Kriege besiegt."
Nachdem auch Megillos diesem Satze beigepflichtet hat, überträgt der Athener das demnach
für den Staat Geltende auf das Dorf, die Familie und schlieszlich auf den einzelnen in Beziehung auf
sich selbst. Klinias giebt zu dieser Erweiterung des Satzes seine lebhafte Zustimmung zu erkennen
und findet in ihr die wahre Begründung für den bekannten Gedanken: Über sich selbst zu siegen ist
der erste und schönste Sieg, und sich selbst zu unterliegen, die schimpflichste Niederlage. Der Athener
benutzt den ihm hierdurch gebotenen Begriff des xqeLxxwv iavtov und ijmav iavtov, indem er
nun umgekehrt das zunächst für den einzelnen Geltende, dasz nämlich jeder, je nach dem, bald xqbit-
xwv iavTOV, bald iJTTcov iavrov ist, auf Familie, Dorf und Staat, als Einzelwesen betrachtet, über-
trägt. Auch dem stimmt Klinias zu und erklärt eine nöXig für xgeitru) iavTrjg, wenn die besseren
Elemente (oi dfieivoveg), für »/rrw iavrijg, wenn die schlechteren Elemente (ot XEtQOvg) die Ober-
hand gewinnen. Auf die durch die Ausdrucksform dieses Gedankens nahe gelegte Frage, wie das
Xitgov überhaupt dem äuEivov gegenüber xQelrtov sem könnte, erklärt der Athener jetzt nicht ein-
gehen zu wollen — wir werden an einer anderen Stelle eine Beantwortung dieser Frage finden — ;
auch daran will er keinen Anstosz nehmen, dasz, wenn die x^iQOvg in der Ueberzahl sind und die
Minderheit der dfisivovsg überwältigen, doch der ganze Staat x^igcav iavtijg und umgekehrt, wenn
die Minderheit der diAeivovsg siegt, doch der ganze Staat xQtittwv ^aüT^g genannt wird ; denn, meint
er, es handelt sich nicht um Worte, sondern um die Sache. Hinsichtlich dieser wird nun zunächst an
dem Beispiele eines Richters, welcher die Feindschaft zwischen Brüdern schlichten soll, von denen ein
Teil wohl, ein anderer übel geraten ist, festgestellt, dasz ein solcher Richter seine Aufgabe am besten
lösen würde, wenn er die übel Geratenen weder tötete noch unterdrückte, sondern mit ihren Brüdern
aussöhnte, obwohl er damit nicht den Krieg, sondern den Frieden zum Zwecke seiner Gesetzgebung
machen würde. Darauf wird der auswärtige Krieg (6 I|w5«v iröks^iog), welchen Klinias ursprünglich
allein im Auge gehabt hatte, unterscliieden von dem inneren Zwiste (ordoig), zu welchem die Unter-
suchung durch den Begriff des nöXefiog avrov ngbg iavröv unvermerkt übergeleitet war, und die
letztere Art des Krieges, der innere Zwist, wird als die für den Gesetzgeber wichtigere anerkannt.
Der Zweck des Gesetzgebers aber musz dabei nach dem aus dem eben angeführten Beispiele gewonneneu
Ergebnisse nicht der Krieg, sondern der Friede sein. Das sich so ergebende Resultat ist demnach:
1) Der Gesetzgeber musz nicht in erster Linie auf den äuszeren Krieg, sondern vielmehr auf den inneren
Zwist sein Augenmerk richten. 2) Das dabei zu erstrebende Ziel ist nicht der Krieg, sondern der
Friede. Noch besser würde es sein, wenn dieser Friede überhaupt von Anfang an, ungestört durch
jeden Krieg, vorhanden wäre.
Dies Resultat musz Klinias freilich anerkennen, aber trotzdem scheinen ihm die dorischen Ver-
fassungen allein auf den auswärtigen Krieg berechnet zu sein. Der Athener giebt die Möglichkeit zu
irax' äv lawg 629 A), warnt aber vor vorschnellen Urteilen und schlägt vor die Untersuchung in der
Weise noch einmal aufzunehmen, dasz Tyrtäus als Vertreter der Dorier sein Urteil über den fraglichen
Gegenstand abgeben soll. Zu Grunde gelegt werden die Verse, in welchen er die Tüchtigkeit im Kriege
als erste und wesentlichste Tugend preist (Bergk II fr. Tyrt. 401. oüt äv pivijaaiiiTjv ovx iv Xöyqt
dvdga ri^eiftTjv etc). Es ergiebt sich, dasz diese Verse nur auf den auswärtigen Krieg gerichtet
sein können. Die Tüchtigkeit in dieser Art des Krieges kann aber nach der bisherigen üntersuchang
nicht als erste Tagend gelten, nnd es wird dem Tyrtäns die Autorität des Theognis entg^engesetzt ^),
welcher den im schweren Bürgerkriege zuverlässigen Mann als den Torzüglichsten verherrlicht. (Bergk
U Theogn. v. 77.) Denn dazu, so fährt der Athener aus, gehört die gesamte dgerr/, während der von
Tyrtäus Grepriesene nur die dvögüa nötig hat. Nun musz aber ein Gesetzgeber, und zumal ein gött-
licher Gesetzgeber wie in Kreta, sich die höchste dgerrj, nnd mithin die von Theognis gepriesene
niar&trjg, nicht die dvögeia des Tyrtäus, zum Endziel setzen.
Nachdem so der Versuch gescheitert ist, mit Hilfe des Tyrtäus ein dem Ergebnisse der Unter-
suchung entsprechendes Princip in den dorischen Verfassungen nachzuweisen, liegt die von Klinias
daraufhin gestellte Frage: „Wollen wir unseren kretischen Gesetzgeber als schlecht verwerfen?" aller-
dings nahe genug, und man könnte erwarten, dasz der Gedanke, die kretische nnd spartanische Ver-
fassung seien Musterverfassungen, jetzt in der That endgiltig aufgegeben würde. Nun beachte man aber,
dasz gleich zu Anfang diese Verfassungen als göttliche hingestellt wurden, und dasz an unserer Stelle
630 C. 6 t^ÖE JtaQcc Jibg vofxo&irrjg auf den göttlichen Charakter derselben ausdrücklich Bezug
genommen wird. Göttliche Verfassungen lassen sich jedoch schlechterdings nicht verwerfen, und es ist
daher wohl begründet, wenn der Athener, so lange er an dem göttlichen Ursprünge derselben noch
festhält, keinen Tadel gegen sie aufkommen lassen will. Der Athener sucht vielmehr eine nochmalige,
endgültige Prüfung der dorischen Verfassungen herbeizuführen, und er fahrt deshalb folgendermaszen
fort: Dasz Klinias die aQttr] als Zweck der Verfassung hinstellte, ist dem göttlichen Charakter der-
selben durchaus gemäsz, dasz er aber nur einen Teil der ägerri, und zwar den unbedeutendsten, dazu
wählte, entspricht diesem Charakter durchaus nicht. Die richtige Art über die kretische Verfassung
zu sprechen — ihren göttlichen Ursprung natürlich vorausgesetzt — wäre vielmehr folgende gewesen,
die auch jetzt noch angewandt werden kann: Die kretischen Gesetze sind mit Secht berühmt, denn sie
machen diejenigen, welche sich ihrer zu erfreuen haben, glücklich, indem sie ihnen die göttlichen und
menschlichen Güter verschaffen, wobei erklärt wird, dasz die göttlichen Güter die menschlichen not-
wendig im Gefolge haben. Dann folgt nach einer Aufeählung dieser Güter, in welcher die göttlichen
als die bekannten vier Kardinaltugenden erklärt werden, eine nach Gruppen geordnete Übersicht über
das, worauf sich die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen zu beziehen haben, mit, der ausdrücklichen
Erklärung, dasz jede dieser Bestimmungen die vorher erwähnten Güter und im letzten Grunde das
höchste derselben, die (pgövrjatq, im Auge haben müsse. Endlich wird der Gesetzgeber Wächter für
seine Gesetze ernennen als lebendige Vertreter der q)Q6vijaig, in welcher alles gipfeln soll. Der wesent-
liche Funkt ist also, kurz gefaszt: Die kretischen Gesetze sind vorzüglich, weil sie alle Güter ver-
schaffen. Alle Güter zu vei'schaffen ist aber nur möglich bei richtiger Schätzung derselben, die darauf
hinausläuft, dasz die (pQÖvijaig in ihrem wahren Werte erkannt und als oberstes Princip bei allen
gesetzlichen Bestimmungen geltend gemacht wird.
Bruns (S. 10 ff) findet hierin auf Grund der sich anschlieszenden Worte: oilrtog, cJ ^ivot,
symye ^d^slov äv vfzdg xal hi vvv ßovXofiac öu^el&siv, Jtcog iv rotg tov Jiög Isyofuvoig
vöfioig Totg T£ tov Uv^iov 'AitöXXwvog . . . ivEOrip te ndvra tavra . . . eine Disposition für
den weiteren Dialog. Aber eine eigentliche Disposition will der betreffende Abschnitt noch nicht geben,
er will nur den richtigen Gesichtspunkt feststellen, unter welchem alle, und so hier speciell die dorischen
Verfassungen betrachtet werden müssen. Vorher waren dieselben ja von dem einseitig falschen Gesichts-
punkte betrachtet, als ob die dvögeia das oberste Princip sei, jetzt sollen sie ven dem erweiterten,
richtigen Gesichtspunkte betrachtet werden, welcher — mit einem Worte gesagt — an Stelle der
dvÖQÜu die g)Q6vijaig mit der daraus sich ergebenden weiteren Stufenfolge der Güter setzt. In welcher
Art der Nachweis geführt werden soll, dasz die dorischen Verfassungen wirklich dieser Forderung ent-
sprechen, bleibt dabei zunächst noch eine offene Frage. Begründet wird diese Auffassung dadurch,
') Merkwürdiger Weise schlieszt Bruns (S. 9) aus den Worten 630 A JtOir]ti]V de xai ^^ig fidQtVQ''
MxOlUV, ßioyviv . ., dasz Theognis hier fast als Vertreter des Jonismns erscheint Die ^fUig sind doch der
Athener und seine Mitanterredner, dem Tyrtans gegenüber! und Theognis wird also gar nicht als Vertreter
eines bestimmten Stammes, sondern nur als Vertreter des durch die bisherige Untersuchung gewonnenen Ergeb-
nisses benutzt.
1*
dasz vou den Worten öiTva 6e äya^d laziv (631 B) an die Erörterungen einen durchaus allgemeinen
Charakter tragen. Es heiszt von hier ab nicht etwa mehr: „Der kretische Gesetzgeber ist so und so
yerfahren," sondern es werden ganz theoretisch die an den wahren Gesetzgeber überhaupt (cf. T(p
vofio&irf] raxtiov oi/rwg 631 D) zu stellenden Forderungen definiert. Noch verkehrter ist es, um
das gleich hier zu erwähnen, nach der Ansicht der meisten Erklärer in dem betreifenden Abschnitte
die Disposition für den gesamten Dialog, d. h. also für den von Plato gegebenen Verfassungsentwurf
mit Einschlusz der vorbereitenden Erörterungen, zu suchen. Denn abgesehen von allem anderen will
der fragliche Abschnitt überhaupt nicht den genauen Gang eines wirklichen Verfassungsentwurfes geben.
Das zeigen schon die Worte: 632 C xatcöibv ö ^eig zovg vöfiovs anaot toixoiq (pvkaxaq ini-
üTTjOei etc. Denn bei einem wirklichen Verfassungsentwurfe kann mit der Einsetzung der Beamten
— und etwas anderes kann doch mit den Worten, da vorher von irgend welchen Beamten noch nicht
die Bede war, nicht gemeint sein — schlechterdings nicht bis zur Vollendung der ganzen Gesetzgebung
gewartet werden, und auch Plato thut dies ja in seinem eigenen Entwürfe nicht.
Also es soll nur der Gesichtspunkt angegeben werden, nach welchem sich der Gesetzgeber bei
Aufstellung einer wirklichen Verfassung zu richten hat. Dem entsprechen auch die angeführten Worte:
owTCög, cJ ^ivoi, ^ytoye rj&eXov av VfAäg xal ht vvv ßovXofiat öie^eX^elv, ncag h xolg rot
dibg keyofASvuig vö^oig . . . kveari te ndvra ravta . . . „So — d. h. auf Grund der eben vor-
getragenen Gesichtspunkte — möchte ich, dasz ihr auseinandersetztet, wie alles dieses in den dem
Zeus zugeschriebenen Gesetzen enthalten ist." Es ist deshalb ungerechtfertigt, wenn Bruns (S. 178)
es tadelt, dasz, nachdem eben eine Disposition gegeben ist, die ratlose Frage des Klinias 632 D jtcog
ovv, (3 ^ivEy XiysLv XQV ^« ii£td ravta ; zu einer neuen Disposition Anlasz giebt. Vielmehr, was
folgt, ist überhaupt die erste für unseren Dialog aufgestellte Disposition. Um nämlich festzustellen,
dasz die dorischen Gesetze in der Tbat nach jenen eben angegebenen Gesichtspunkten aufgest-ellt sind,
sollen zuerst für die einzelnen Teile der dgerrj die InLtqÖEviJiata aufgesucht, und dann erst soll
nachgewiesen werden, dasz auch wirklich in allen einzelneu Bestimmungen die oQExr] als letztes masz-
gebendes Ziel zum Ausdruck kommt. Dieser vorgeschlagene Gang der Untersuchung ist ein wohl er-
wogener. Denn, wenn wirklich die fraglichen Verfassungen nach jenen Gesichtspunkten abgefaszt sind,
so müssen sich leicht für jede einzelne ä^err} gerade auf sie gerichtete Bestimmungen finden lassen.
Finden sich diese, so ist damit überhaupt erst die Möglichkeit — von einer Wahrscheinlichkeit noch
gar nicht zu reden — gegeben, dasz auch wirklich jede einzelne Bestimmung diesem Zwecke des
Gesetzgebers entspricht. Finden sie sich aber nicht, so ist damit diese Möglichkeit vollständig ausge-
schlossen, und die mühselige Untersuchung hinsichtlich der einzelnen Bestimmungen kann den Unter-
rednern billiger Weise erspart bleiben.
Bruns (S. 179) meint freilich, dasz in dem Satze 632 E voteqov öe d^Erijg itdarjg äys
vvvör} dtrjk&0[XEv ixEtOE ßkinovra dito(pavov[j,Ev. die Worte ayE vwöf] öirjX^oiuv logischer Weise
sich nur auf die ganze vorhergehende Auseinandersetzung 631 B — 632 D beziehen können; und er hat
recht, wenn er sie dann für sinnlos erklärt und deshalb die Korrektur Boeckh's, welcher für das sinn-
lose Tcr der Handschrift aus dem apogr. Marcian. ein ä in den Text gesetzt hat, verwirft. Nun musz
zugestanden werden, dasz die Worte: a vvvör] öirjk^o^ev für sich genommen, an Unklarheit leiden
und sich nicht ohne Zwang auf die Einzelbestimmungen, von denen vorher die Bede war, beziehen
lassen. Aber weshalb soll nicht das IxeIoe ßkinovra mit in den Relativsatz er vvvör] öirjkdo^Ev
hineingezogen werden? Für das dnocpavovuEv in der Bedeutung „aufweisen" kann die participiale
Bestimmung füglich entbehrt werden. Dagegen giebt sie den Worten a vwörj 6cr]k&ofiev erst einen
bestimmten Bezug : „Was wir als darauf (seil, auf die dgerr]) bezüglich im einzelnen besprochen haben,
wollen wir aufweisen (nämlich als in den dorischen Verfassungen vorhanden)."
Die Untersuchung beginnt mit der Sammlung der auf dvögeia bezüglichen lnitr]ÖEvixara, und
zwar soll diese in der Weise vorgenommen werden, dasz sie zugleich als Muster für die gleiche Behand-
lung der übrigen Teile der dgErrj dienen kann. Zunächst werden nun im Anschlusz an die schon
früher besprochenen Gymnasien und Syssitien ähnliche auf den Krieg gerichtete Einrichtungen aufge-
zählt, an welchen es ja in den dorischen Verfassungen nicht fehlen konnte. Darauf wird, um zu unter-
suchen, inwiefern diese Einrichtungen die dvögsia erschöpfend zum Ausdruck bringen, eine Definition
der dvöpEia gegeben, dahin gehend, dasz sie sich ebensowohl gegen fjöovai und nö&oi richten müsse,
wie gegen li5nai und cpößoi; ja es stellt sich heraus, dasz es noch viel schimpflicher sei, sieh durch
tjdovai besiegen zu lassen als durch lijjtai. Die Schluszfolgerung ist, dasz also der wichtigste Teil
der dhfÖQßia der gegen die rjSovai gerichtete sei. Wie nun der Gesetzgeber den gegen die kvnui,
gerichteten Teil der dvögeia dadurch übt, dasz er die Betre£Fenden absichtlich in Xiüjrai f&hrt, so ist
zu erwarten, dasz er den gegen die ^dovai gerichteten Teil in analoger Weise dadurch übt, dasz er
absichtlich in ^öovai führt. Beide jedoch, Elinias und Megillos, erklären, dasz sie grosze, deutlich
hervortretende Masznahmen für diesen Teil der avögüa nicht aufzuweisen haben, kleine vielleicht. Der
Athener hatte dies natürlich vorausgesehen, wie er denn auch durch die Worte: xal ovdivye ^av-
[iaatöv 634 C deutlich genug verrät. Schon hier also, gleich bei Untersuchung des ersten Teiles der
dgETT] und noch dazu desjenigen Teiles, welcher noch am meisten in den dorischen Verfassungen zum
Ausdruck kommt, tritt die berechtigte Befürchtung ein, dasz die dorischen Verfassungen, von dem für
eine richtige Gesetzgebung maszgebenden Gesichtspunkte aus betrachtet, doch wohl nicht bestehen
möchten. Dem gegenüber erscheint es als das Nächstliegende, dasz die bisher stillschweigend ange-
nommene Voraussetzung, welche zur bestimmten Erwartung berechtigte, dasz jene Verfassungen be-
stehen würden, ich meine die Voraussetzung von dem göttlichen Ursprünge derselben, einmal näher
geprüft wird. Und das geschieht in der That. Der Athener erklärt: Ob die dorischen Verfassungen
wirklich ein Tadel trifft, ist eine andere Frage — bis jetzt liegt ja nur die Befürchtung vor, dasz
dies eintreten könnte — ; aber über das von der groszen Menge daran Ausgesetzte bin ich jedenfalls
besser unterrichtet als ihr, denn ihr habt in der Jugend über die Gesetze nicht frei nachdenken dürfen,
weil eure Verfassung, als göttlichen Ursprungs, unangetastet bleiben muszte. Doch ist diese Erklärung
von der Göttlichkeit der Verfassung nur eine, allerdings sehr weise, gegen die Neuerungssucht gerichtete
Masznahme des Gesetzgebers, welche aber Greise, wenn sie, wie wir jetzt, unter sich sind, nicht hindern
soll. Elinias stimmt lebhaft zu und erklärt, der Athener habe die Absicht des Gresetzgebers vorzüglich
erraten ; ja er fordert den Athener mit den Worten 635 B elg ü nrjSiv ye dv^g tnt.ri,\uav tolq
vöftocg fifjuDv geradezu zum freimütigen Tadel auf.
Merkwürdiger Weise hat Bruns (S. 14) die Bedeutung dieser Stelle ganz verkannt. Er wundert
sich, dasz diese erste „Aporie" nicht zur Modification der sogenannten groszen Disposition benutzt wird,
und findet die Weise, wie der Athener die Zulässigkeit eines etwaigen Tadels für sich in Anspruch
nimmt, übertrieben vorsichtig. Die Bedeutung der Stelle, wenn sie eine solche überhaupt haben soll,
kann nach ihm nur die sein, dasz der Eindruck, als ob der Dorismus denn doch kein genügendes
Material sei für die Aufstellung einer Musterverfassung, abgeschwächt werde. Natürlich kommt ihm
dann der gleich darauf den dorischen Verfassungen gegenüber angeschlagene völlig veränderte Ton sehr
seltsam vor. Nach der oben gegebenen Darstellung kann uns die Behutsamkeit des Atheners an dieser
Stelle selbstverständlich nicht als übertrieben erscheinen; das Zulassen eines Tadels war ja bei dem
vorausgesetzten göttlichen Ursprünge derselben in der That eine eigene Sache. Und wenn Bruns sich
darüber wundert, dasz selbst, nachdem ein Tadel für zulässig erklärt ist, der Athener doch noch aus-
drücklich von einem wirklichen Tadel deraelben absteht cf. 635 B ov (Jii]v ^.JtiztficSv ye igw roig
vöfiotg nwgy ngiv ßsßaiwg dg övvayiv diaaxsipaa&ai, fxdXXov de ditogav, so ist zu erwidern,
dasz ein Fehler in jenen Verfassungen bis jetzt ja noch nicht wirklich nachgewiesen war, sondern dasz
nur die Wahrscheinlichkeit, es möchte sich ein solcher finden, in Aussicht stand.
Diese Wahrscheinlichkeit war bedingt durch die von dem Athener ohne direkte Zustimmung der
Derer gemachte Voraussetzung, dasz gegen die fjöovai in vollständig analoger Weise anzukämpfen sei
wie gegen die Xvnai. Wir müssen deshalb erwarten, dasz, bevor ein Tadel wirklich erhoben wird,
eben diese Voraussetzung noch einmal klar gestellt und ein Urteil der Mitunterredner über sie verlangt
wird. Und diese Erwartung wird erfüllt. Der Athener sagt: Eure Gesetzgeber haben euch den Genusz
der gröszten fjöovai verboten; und doch hätten sie, um eine vollkommene dvögsla zu erzielen, im
Kampfe gegen YjSovai, ähnlich wie in demjenigen gegen kvTtai, dadurch üben müssen, dasz sie die
Bürger absichtlich in i)<ioval geführt hätten. Die Derer wissen gegen dieses Verlangen freilich nichts
zu sagen, aber sie scheuen sich als Greise über so wichtige Dinge ein schnelles Urteil zu ßiUen. So
bleibt dem Athener nichts übrig als, scheinbar zu etwas anderem übergehend, dieselbe Schwierigkeit
noch einmal vor Augen zu fahren. Er schlägt also vor — der Disposition gemäsz — die Betrachtung
des zweiten Teiles der dgerrj zu beginnen, und zwar wählt er als solchen — eine Reihenfolge war ja
crv- V. -? iT-; :'^'
nicht festgesetzt — die auxpQoaivrj. Der Spartaner, welcher jetzt das Wort ergreift, föhrt gleich
etwas schüchtern (636 A oxidbv oi ^qötov) dieselben Gymnasien und Syssitien als auch anf die
awcpQoaiüvrj gerichtete ininjdevfxara an. Der Athener antwortet, es scheine schwierig för den Gesetz-
geber, Einrichtungen zu treffen, welche in jeder Beziehung gleich vorzöglich wären; so brächten die
Gymnasien offenbar in mancher Hinsicht groszen Nutzen, betreffs der araaeig nnd ^öovai aber —
wobei er zugleich an den verderblichen Ganymedes- Mythos der Kreter erinnert — seien sie
gefahrlich.
An dieser Stelle nimmt nun schon Zeller (Piaton. Stud. S. 50) und im Anschlüsse an ihn
Brnns (S. 18) Anstosz daran, dasz wieder zur cwcpQoavvr} gerechnet werde, was vorher unter dem
Titel der dvögeia behandelt sei. Und es ist richtig, dasz in beiden Fällen vom Kampfe gegen die
fjöovai die Rede ist; aber darum sind avögeia und acacpQOOiüvrj noch nicht als identisch hingestellt.
Die rechte dvögeia musz sich freilich im Kampfe gegen fjöovai ebenso beweisen wie im Kampfe gegen
Xvrtaiy und die acotpQoavvij ist andererseits ohne die Unterdrückung der ijöovai — aber auch der
kvjiat — nicht möglich. Trotzdem ist jedoch die awcpQoavvrj, wie sie 631 C definiert wird, als
HEttt vov aibq)Q(ov ipvx^S ^?'? psychologisch etwas ganz anderes als die ävÖQBla. Die dvÖQsla ist
der Mut im Kampfe gegen wirklich schon vorhandene fiöovaL und Xinai. Die awcpQooivr} ist der
ruhige, besonnene Gemütszustand, der sich erst allmählich mit Hilfe des vovq ausbildet, und der als
solcher überhaupt das Aufkommen von leidenschaftlichen fjdovai und XvTrai ausschlieszt. Die aaxpQO-
avvT) ist somit die höhere, aber für den Menschen doch nur mit Hilfe der dvögsia zu gewinnende
und zu behauptende Tugend. Übrigens scheint Plato selbst mit den Worten 633 A nsgi t(3v rijg
aXkfjg ägetTJg eIte ^eq^ov elxe arr* avra xuXelv XQ^f^v lart, örjXovvra fiövov a XiyEi (cf. 632 E,
wo st-att fZEQog der Ausdruck Etdog gebraucht wird) anzudeuten, dasz er die einzelnen dgetcci als
koordinierte, scharf von einander gesonderte Teile eines Ganzen nicht aufgefaszt haben will.
Gegen das vom Athener Gesagte weisz Megillos nun freilich nichts einzuwenden, aber trotzdem
will es ihm hinsichtlich der fjöovai scheinen, als ob es das Richtige sei, sie möglichst zu meiden, und
80 rühmt er das strenge Verbot der Trunkenheit in Sparta im Gegensatze zu Athen und Tarent. Die
Antwort des Atheners lautet: Alles derartige ist schädlich, wenn das richtige Masz fehlt, und in
gleicher Weise könnte man Sparta die Ungebundenheit der Frauen zum Vorwurfe machen. Für ge-
wöhnlich genügt nun allen solchen gegen die heimischen Einrichtungen gerichteten Angriffen gegen-
über der Hinweis auf den vöfiog, nach welchem man sich eben zn richten habe, nicht so im gegen-
wärtigen Falle, wo es sich gerade um die Tüchtigkeit und Untüchtigkeit der Gesetzgeber selbst handelt.
Sprechen wir also noch eingehender über die Trunkenheit, da sie ein nicht unwichtiges inirrjöevua
zu sein scheint.
In diesem Abschnitte nimmt Bruns (S. 16) zunächst Anstosz an den Worten: 637 CD ^(aiv
ö'iati vvvy (ü (piXoi. ävögsg, ov ueql rcöv dv^Q(bJt(ov rcov aXXcav 6 Xöyog, dXXä itEQi tcSv
vofxo^Etcov dvTwv xaxiag te xai d^Eri/g. Da vorher gesagt ist, es solle von der kretischen und
spartanischen Verfassung ausschlieszlich die Rede sein, so musz, meint Bruns, gerade an dieser Stelle,
welche vor Abschweifungen warnen will, auch allein an Minos und Lykurg gedacht werden, und dann,
schlieszt Bruns weiter, ist es eine unbegreifliche Impietät, von diesen in einem solchen Tone zu reden.
Ich glaube aber, dasz Bruns hierbei die Stelle zu sehr auszerhalb ihres natürlichen Zusammenhanges
betrachtet. Der Spartaner hatte bei der Verteidigung eines spartanischen Gesetzes den Brauch in
Athen und Tarent zur Vergleichung herangezogen. Darauf antwortet der Athener, es könnte sich in
solchen Fällen ja jeder einzelne Bürger rechtfertigen durch Berufung auf sein heimisches Gesetz, aber
sie hätten es jetzt mit der dgEtrj der Gesetzgeber selbst, nicht mit derjenigen der gewöhnlichen Bürger
zu thun. Diesem Zusammenhange gegenüber ist einmal offenbar nicht an jene dorischen Gesetzgeber
(von Sparta und Kreta) zu denken, sondern das t(av vofio&Etwv aitwv stellt zunächst die Gesetzgeber
überhaupt den äXXoL av^gcanoi gegenüber und ist weiter speziell auf die an dieser Stelle in Frage
kommenden Gesetzgeber von Sparta, Athen und Tarent zu beziehen. Sodann ist und bleibt an unserer
Stelle, durchaus der Disposition geroäsz, eine spartanische Einrichtung Grundlage der Untersuchung,
und lediglich zur Erläuterung derselben werden die bezüglichen Einrichtungen anderer Staaten heran-
gezogen, worin doch gewisz kein Verstosz gegen die Disposition gefunden werden kann. Übrigens
bleiben ja trotzdem die Ausdrücke dgExi) und xaxia auch für die dorischen, und hier speziell für den
spartaniBchen Gesetzgeber in Geltung. Aber eine Impietät kann ich darin nicht finden. Nachdem
einmal der göttliche Ursprung der Gresetze im eigentlichen Sinne abgewiesen ist, nehmen die dorischen
Gesetzgeber keine Sonderstellung mehr ein.
Mit den Worten : 637 D hi yag ovv etinofisv itküv) itsQi aizaarjg i^ti^tjg kommen wir nun
freilich, das musz man Bruns (S. 20) zugeben, auf ein ganz neues Thema, welches den Best des
ersten und beinahe das ganze zweite Buch föllt. Aber dasz diese Untersuchung so umfangreich sein
wird, ist ja vorläufig nicht yorauszusehen, und den Anlasz zu ihr giebt gerade die Frage nach der
fiichtigkeit einer dorischen Einrichtung. Es soll untersucht werden, ob die Spartaner Recht haben mit
Verwerfung der {jti&rj, oder die anderen Völker mit ihrer Pflege. Bald stellt sich freilich heraus, dasz
eine richtige Anwendung derselben nirgends zu finden ist, und der Athener tritt dann in eine aus-
führliche Erörterung dieser richtigen Anwendung auf ausdrücklichen Wunsch seiner Mitunterredner ein,
trotzdem er ihnen die Weitläufigkeit dieser Untersuchung voraussagt. Es wird so unvermerkt der bis-
herige Gesichtspunkt der Unterredung — ob die dorischen Verfassungen allen an sie zu stellenden
Anforderungen genügen — verschoben, und man könnte erwarten, dasz ausdrücklich hierauf hinge-
wiesen würde, aber nötig ist das nicht. Der Grund, weshalb uns die Sache jetzt so wunderbar vor-
kommt, ist eben der, dasz am Ende des zweiten Buches der Zusammenhang vollständig unterbrochen
ist. Hier, am Ende der Besprechung über die /i£.^/;, muszte der frühere Faden wieder aufgenommen
werden und in irgend einer Weise die Unzulänglichkeit der dorischen Verfassungen festgestellt werden,
um so zu dem Versuche eines eigenen Verfassungsentwurfes überzuleiten. Bis zu diesem Punkte jedoch
ist nach meiner Meinung der Zusammenhang durchaus korrekt und lückenlos. So viel muszte zur
Orientierung schon hier gesagt werden, jetzt haben wir den Gang des Dialoges im einzelnen weiter zu
verfolgen, um dadurch zugleich die Bichtigkeit der zuletzt aufgestellten Behauptung nachzuweisen.
Megillos glaubt die Bichtigkeit der spartanischen Einrichtung schon dadurch entschieden, dasz
die Lacedämonier alle jene Völker im Kriege besiegen. Der Athener läszt jedoch diesen Entscheid ungs-
grund nicht gelten. Denn die gröszeren Staaten, sagt er, schlagen immer die kleineren, auch wenn
letztere bessere Gesetze haben, und Niederlage und Sieg hängen überhaupt zu sehr von Zufälligkeiten
ab, als dasz sie irgendwie einen sicheren Masz3tab für die Güte der Verfassungen abgeben könnten.
Vielmehr müsse jedes kuLtfiÖEVua für sich beurteilt werden, und zwar auf Grundlage seiner möglichst
richtigen Anwendung, fremde und dazu noch dem Zufalle unterworfene Beweisgründe — wie eben in
betreff der yi^rj die einen den Sieg in der Schlacht, die anderen etwa die Zahl der auf ihrer Seite
stehenden Staaten für sich anführten — seien von vornherein auszuschlieszen. Er schlägt deshalb vor, hin-
sichtlich der nidrj ein für alle ähnlichen Fälle maszgebendes Beispiel der richtigen Art der Unter-
suchung zu geben. Nachdem die Mitunterredner eingewilligt haben, wird nun der entscheidende Punkt
zunächst an Beispielen klar gemacht. Über die Nützlichheit der Ziege kann nur dann richtig gcurteilt
werden, wenn mau sie unter Leitung eines Hirten gesehen hat; der Tadel desjenigen dagegen, welcher
sie ohne eine solche Leitung mannigfachen Schaden hat anrichten sehen, kann nicht gelten. Ebenso
ist bei der Schiffahrt und im Kriegslager ein ;fp?/aTÖg uqxojv notwendige Bedingung. Zu dieser
Eigenschaft — nämlich ein XQV^"^^? cc(^Xf^v zu sein — ist aber erforderlich die bezügliche iniatrji^irj
und die d^ogvßia des Geistes. Dies auf die fu^ij angewandt, entsteht also zunächst die Frage: Hat
schon jemand ein in richtiger Weise eingerichtetes avfinöaiov gesehen? Die Dorer haben ein solches
natürlich noch nicht gesehen, aber auch der Athener erklärt, trotzdem er so viele ovfiitöaca beob-
achtet habe, ein vollständig richtiges niemals gefunden zu haben. Für ein in richtiger Weise einge-
richtetes avfiTiöatov ist aber ein ccQxoiv nötig, und zwar nach den angeführten Beispielen ein aQxfoVf
der einmal die erforderliche ijtiOTrjf^ir) hat, um den Zweck des ovfiTtöoiov — Förderung der g)iUa
unter den Teilnehmern — zu erreichen, und der zweitens möglichst d^ögvßog ist, wie im Lager vom
q)6ßog, so hier von der f^i^lJ, d. h. er musz vriqxov sein. Mag nun ein solches avfiitöaiov auch
noch niemals verwirklicht sein, jedenfalls darf nur dieses zur Grundlage für ein Urteil über die (uOt]
gemacht werden. Darauf folgt die naturgemäsz sich ergebende Frage des Klinias: Welchen Nutzen
bringt denn ein in dieser Weise geleitetes ovfiTTÖaiov, wie etwa ein richtig geleitetes OTQUTÖnsöov
den Sieg im Kriege zur Folge hat? Die Antwort des Atheners lautet: Ein richtig erzogener Knabe
oder ein richtig geleiteter Chor nützen dem Staate nicht viel; wohl aber wird man, wenn man nach
der Eraiehung überhaupt gefragt wird, behaupten, dasz auf ihr die ägsr^ und jedes Gut beruht und
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unter anderdm auch der Sieg im Kriege. Er will damit offenbar andeuten, dasz das richtig geleitete
avfxnöatov ein wesentliches Moment in der Erziehung ist, und dasz sein Nutzen also von demselben
Gesichtspunkte aus betrachtet werden musz, wie der Nutzen jedes anderen Erziehungsmittels, d. h. in
der Vereinzelung ist von einem groszen Nutzen des av^nöacov nichts zu merken, — wie etwa
auch nur ein richtig geleitetes argaxönEÖov gleich einen in die Augen fallenden Erfolg hat — wohl
aber, wenn es im Zusammenhange mit der ganzen Erziehung als integrierender Teil derselben betrachtet
wird. So hat auch Klinias die Worte des Atheners verstanden, wenn er sagt: ,,Du scheinst die richtige
Anwendung des Trinkgelages als ein nicht unwichtiges Erziehungsmittel anzusehen," woran er die er-
neute Aufforderung knüpft nachzuweisen, in wiefern das der Fall sei. Der Athener ist dazu bereit,
nur fürchtet er den auch sonst den Athenern gemachten Vorwurf der (piXokoyia und nokvkoyto. Denn
über die jusv^iy, sagt er, ist nicht erschöpfend und deutlich zu reden, ohne die wahre musikalische
Bildung, und über diese nicht, ohne die ganze Erziehung überhaupt heranzuziehen; und diese Unter-
suchung könnte für einen scheinbar so geringfügigen Gegenstand wie die ^i^rj etwas weitläufig er-
scheinen. Er überläszt es deshalb der Entscheidung der Mitunterredner, ob sie nicht lieber abbrechen
und zu etwas anderem übergehen wollten. Beide jedoch erklären, dasz der Athener von ihrer Seite
keinen Vorwurf zu fürchten habe, Megillos mit Berufung auf die Gastfreundschaft der Staaten und auf
die auch von ihm gebilligte Ansicht, dasz die Athener, wenn sie gut sind, dies auch in hervorragender
Weise sind, Elinias mit Berufung auf Epimenides und die seit jener Zeit ebenfalls geschlossene Gast-
freundschaft. Demnach wird also die Untersuchung betreffs der ixi^rj begonnen und zwar, dem Obigen
gemäsz, in der Weise, dasz eine Definition der natdeia gegeben wird. Als Tiaiöda ergiebt sich aber
zunächst die Kunst, schon in der Jugend Liebe zu dem einzuflöszen, was man als Mann treiben soll.
Dieser an und für sich für die Erlernung jedes Gegenstandes geltende Satz wird sodann beschränkt
auf die Kunst, jemanden zu einem guten Bürger zu machen. Die izaidsia im engeren Sinne besteht
also darin, schon in der Jugend Liebe zu dem zu erwecken, was später die Eigenschaften des dvfjQ
dya^ög ausmacht, äya&ög ist aber nach früherer Übereinkunft derjenige, welcher über sich selbst
zu herrschen vermag, und dieser Begriff wird im Bilde folgendermaszen erläutert. Jeder ist einer, er
hat aber in sich zwei unverständige, einander entgegengesetzte Ratgeber, fjöovr] und kvitr}, mit der
jedem entsprechenden Erwartung für die Zukunft, ^oQQog und <pößog. Über diesen Ratgebern steht
als entscheidendes Element der loytafudg, welcher, zur gemeinsamen Satzung des Staates geworden,
unter der Form des vö^og erscheint. Wenn nun die Menschen als Drahtpuppen in der Hand der
Götter und die genannten Willensmotive (unter den tavra ra nä^rj 644 E ist der XoyiOfiög mit
zu verstehen) als die leitenden Drähte betrachtet werden, so ist die Behauptung des Atheners, dasz
immer dem goldenen Zuge des Xoyia^ög gefolgt werden müsse, dasz aber dieser Zug, weil er im Ver-
hältnis zu den übrigen zu sanft sei, der Unterstützung von Dienern {öitijQeTai) bedürfe. So ist also,
heiszt es weiter, der Begriff des xgeirrojv und iJTtiov iavrov deutlich geworden und damit auch der
Begriff der rfper^, welche sich ja eben in dieser Eigenschaft zeigte. Sind diese Begriffe aber deutlich
geworden, so ist auch zu hoffen, dasz man in betreff der naiöeia und ihrer kni,rr]6Bi)ixatü, also auch
der xowT] Iv olvcp öiütQtßr], jetzt klarer sehen wird. Zugleich wird dabei die Erwartung ausge-
sprochen, dasz diese xoivj] h ol'vtp dcazQißrj sich doch vielleicht als der Länge der Reden nicht un-
würdig erweisen möchte. Klinias tritt dieser Erwartung bei und fordert zu einer der gegenwärtigen
Untersuchung würdigen Fortsetzung auf. ^)
Bevor wir in der Analyse fortfahren, müssen wir die mannigfachen Einwendungen von Bruns
gegen diesen Abschnitt besprechen.
Zunächst macht Bruns (S. 22) darauf aufmerksam, dasz die ursprüngliche Fragestellung 637 D:
„Ist es mit der ixi&ij so zu halten, wie bei den weinliebenden Völkern, oder wie bei (den Kretern)
und Spartanern?" eigentlich ohne zwingenden Grund verlassen wird, nachdem die Berufung des Spar-
taners auf ihre g^Öszere Kriegstüchtigkeit zurückgewiesen ist. Diese Zurückweisung, meint er, konnte
erfolgen, ohne dasz die Fragestellung selbst aufgehoben wäre. Aber in Wirklichkeit ist die ursprüng-
liche Fragestellung auch noch gar nicht aufgehoben. Die Worte 638 D: o^ /««v, ort noXlobg nag-
') Hierbei ist 645 C diejenige Verteilung der Worte unter die einzelnen Personen zu Grunde gelegt,
welche Stephanus zuerst gegeben und nach ihm Hermann und Schanz aufgenommen haben.
tXÖin^a (sc. (laQTVQag xai kitaivirag) d^tov^iBv ri kiyttv xvqlov, oi dt, ort tovq xC«>/^*'OV(
avT(^ ÖQtapiev viMavxaq fiaxof^ivovg, auf welche sich Brans deshalb beruft, wollen nur sagen, dasz
die Frage nach der Bichtigkeit einer Einrichtung zunächst unabhängig Ton der PersonenArage zu be-
trachten sei. Wenn der Spartaner eben der gröszeren Zahl der Vertreter der einen Partei die mit
der fraglichen Einrichtung in keiner Beziehung stehende gröszere Eriegstfichtigkeit der anderen ent-
gegengestellt hätte, so könne in Wirklichkeit das eine so wenig wie das andere entscheiden. Vielmehr,
führt der Athener im folgenden aus, musz jede Einrichtung aus sich selbst heraus beurteilt werden.
Die ganze folgende Untersuchung ist mithin nur eine vorbereitende, auf Grund welcher erst entschieden
werden kann, welche Partei recht hat. Nun musz man Brnns freilich zugeben, dasz jene ursprüngliche
Fragestellung niemals wiederkehrt, aber das liegt daran, dasz sich sehr bald (639 D) herausstellt, dasz
eine richtige Handhabung der ^lidr] überhaupt bei keinem Volke zu finden sei, woran sich dann bis
zum Ende des zweiten Buches der Nachweis schlieszt, welcher Art diese richtige Anwendung sein müsse.
Ob die daraus sich notwendig ergebende Schluszfolgerung, dasz überhaupt keiner recht hat, in der ver-
loren g^gpangenen Partie am Schlüsse dieses zweiten Buches noch ausdrücklich gezogen ist, musz vor-
läufig dahin gestellt bleiben; das Wahrscheinlichere ist mir freilich, dasz der Schriftsteller nach einer
so umfangreichen Untersuchung auf diese für den Gang des Dialoges doch nur nebensächliche Frage
nicht wieder zurückgekommen ist, sondern es dem Leser überlassen hat den Schlusz selbst zu ziehen.
Weiter findet Bruns (S. 22) es befremdlich, dasz nach 638 D zQÖTtov de aXXov, ov iiAoi
(paiverai delv, i&iXo} Xiytiv neQi avrov rovror, rijg yti^rjg^ av dga övvwfiai ttjv nsQi
anavTüiv twv tocovtcdv ÖQ^rjv [xi&oöov v(itv ötjlovv nun wiederum — und zwar bezüglich der
fii&rj — ein Musterstück methodischer Fassung aufgestellt werden soll, nachdem kurz vorher die Be-
sprechung der inirrjöevuata dvögsiag ein solches hat sein sollen. Dasz vrir es hier nicht mehr mit
dem Ausdruck desselben Gedankens zu thun haben, weil wir uns bereits bei Besprechung der iitcnj'
öeißfAttTa amfpQoavvrjg befinden, darin hat Bruns allerdings recht. Aber wenn er meint, dasz hier die
Besprechung der kitirrjöeviiaxa auxpQOQvvrjg in derselben Weise als Muster aufgestellt werden soll
wie vorher diejenige der inittjöe^iiaTa dvÖQBiag, so ist das nicht richtig. An der ersten Stelle han-
delte es sich darum, bei Auffindung und Zusammenstellung der auf dvdgsia bezüglichen ininjÖEv-
iiara gleich die richtige Methode für dasselbe Verfahren hinsichtlich der anderen dgerai zu finden.
Und ein Ansatz zur Methodik ist allerdings in dem die dvÖQeia behandelnden Abschnitte zu finden,
und zwar nicht nur in der dürftigen Aufzählung der betreffenden kntxrjöevpiata, sondern noch viel
mehr in der sich daran schlieszenden Untersuchung, in wiefern diese knittidtviiaxa das Wesen der
dvÖQeia vollständig zum Ausdrucke bringen. Nun stellte sich aber gleich hierbei heraus, dasz die auf
dv6()£ia bezüglichen Einrichtungen in den dorischen Staaten unzulänglich wären, und da die Mitunter-
redner trotzdem noch nicht gern auf die angeerbte Überzeugung von der Güte ihrer Staatsver&ssungen
verzichten wollten, so sah sich der Athener genötigt die Besprechung der dvÖQEia abzubrechen und
zu einem anderen Teile der dgexf} überzugehen. Durchgeführt ist somit die methodische Behandlung
der ijiixT]6evfiaxa dvögeiag freilich nicht, aber sie konnte es auch nicht, weil die Voraussetzung,
unter welcher sie überhaupt vom Athener vorgeschlagen war — ich meine die Voraussetzung von der
Güte der dorischen Verfassungen — aufgegeben werden muszte oder wenigstens so stark ins Wanken
kam, dasz ein anderer Weg der Untersuchung nötig wurde, welcher nicht vorgesehen war. Unter solchen
Umständen kann es doch nicht befremden, wenn nun beim Einschlagen dieses Weges wieder das Muster
einer richtigen Methode aufgestellt wird, und zwar gewissermaszen als Fortsetzung jenes ersten An-
satzes, bei Beurteilung eines inixr]6ev[Äa zur Bekämpfung der f)6oval, wie es schon gelegentlich der
dvögsia für die dorischen Staaten verlangt war, aber nicht gefunden werden konnte.
Wenn Bruns (S. 25) ferner behauptet, die 643 B — 644 B gegebene Definition der natöeia
werde im folgenden nicht benutzt, und auszerdem sei sie unvollständig und müsse als ein Fragment
angesehen werden, welches seine richtige Stelle am Anfang des zweiten Buches habe, so kann hierüber
erst nach beendigter Analyse der betreffenden Abschnitte gesprochen werden. Genug, dasz der Schrift-
steller hier erklärt, die [iSxfrj könne nicht ohne Zusammenhang mit der jtaiöeia behandelt werden,
und dasz dem entsprechend eine Definition der nniöda folgt, und zwar dahin lautend: die naideia
sei die Kunst, schon in der Jugend Liebe zu dem einznflöszeu, was später die Eigenschaften des dvijg
dyci^ög ausmache; wie sich zu dieser Definition das im zweiten Buche über naideia Gesagte stellt,
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werden wir später sehen. Nur auf eine Stelle 644 A: ^ftsTg cU firjöiv dvöfiaTi iUag)£Q(b(4£^* «y-
roTg, dXl' 6 vwdrj Xöyog rjuTv öfiokoyrjxteig fievito), t&g ol'ys ÖQ^cSg irenaidtvftivoi ax^bv
aya^oi yLyvovrai, xal ösl orj rrjv itaidslav ^rjöafiov driiAa^eiv, tbg itgcorov xm> xalUaxatv
xotg dgiaroig dvÖQiiaiv nagayiyvöfievov. müssen wir gleich hier eingehen. Bruns (S. 61) sagt:
„Es kommt hinzu, dasz der zweite der beiden Gedanken, von denen es heiszt, man sei darüber über-
eingekommen, der nämlich, dasz man die naideia nicht verunebren dürfe, gar nicht ausgesprochen
ist, und auch der erste <bg oi ÖQ^cSg neitaidevfisvoL axB^bv äyadoi sich in dieser Form nicht
findet." Hinsichtlich des letzten Punktes ist nun freilich zuzugeben, dasz im vorhergehenden nicht
steht 6 ÖQ^tog nsTtatÖEVfiivog äya^ög, sondern rfjv öe ftgög ÖQerijv ix nai<5iov naiöeicev (seil,
sivai Ttaiösiav) 643 E; aber beide Ausdrücke decken sich sachlich so vollkommen, dasz wohl niemand
an der verschiedenen Form einen ernstlichen Anstosz wird nehmen können. Was den ersten Punkt
anbetrifft, so ist zunächst zu bemerken, dasz es grammatisch durchaus nicht notwendig ist, das xai
det dfj xj]v naiöüav (4Tjdaf40v dxi^ia^eiv von dem vorhergehenden t&g abhängig zu machen, es kann
auch recht wohl als Hauptsatz gefaszt werden, dem dXk' 6 . . Xöyog . . fievixto koordiniert. Übrigens
ist der Gedanke, man dürfe die natöeia nicht verunebren, die freilich nicht ausgesprochene, aber not-
wendige Voraussetzung für das vorhergehende xrjv ök elg XQVf^ccxa xüvovaav . . . ßdvavaov x" elvai
xal dveXe^&BQOv xni ovx d^iav xb naganav nauhiav xakelo^ai^ so dasz man es deshalb vielleicht
vorziehen möchte, ihn als von c&g abhängige und nicht als selbständig hinzugefügte Schluszfolgemng
zu fassen. Endlich enthalten die letzten Worte der angeführten Stelle cbg iZQißxov xwv xaXkiaxwv
ToTg dQiaxoig dvögäoiv TtaQayiyvöfievov nach Bruns (S. 62) einen „reinen ungeschminkten Unsinn".
Ich vermag das nicht einzusehen. Unter tot xdXXiara ist alles zu verstehen, was dem Menschen zur
dQexrjy dem höchsten Gute, förderlich ist, und die naiöda ist das ngcaxov xdv xaXXiaxwv, insofern
sie von Jugend auf zu dieser dgsxTj erzieht, und sie ist dies endlich für die ägiaxoc ävögegy weil
dieselben ihre dgexi] eben der Ttaiöeia zu verdanken haben. Dasz die fraglichen Worte durch Misz-
verständnis und Übertreibung aus dem Ausdrucke 653 B xr)v nrgcoxov jtagayiyvofAivTjv naiaiv dgexrjv
entstanden seien, will mir nicht einleuchten.
Ebensowenig kann ich Bruns' Bedenken (S. 62) gegen den folgenden Abschnitt als berechtigt
anerkennen. Mit den Worten 644 B xai iifjv itakai ye avvexojgrjaafzev (hg dya&wv jueV ovxwv xcSv
6vPü^iv(ov ägxuv avx(Zv, xaxtav öe xwv (.tt) soll ganz von neuem eingesetzt werden ohne direkten
Bezug auf das Vorhergehende. Aber die eben gegebene Definition gipfelte ja gerade in dem Satze:
ol'ye dgd^wg irsjTaiösvfiivoi oxs^bv dyax^oi, und eben dieser Begriff des dya^^öv wird im folgenden
näher erläutert, dya&ög ist, wie sich bereits früher gezeigt hatte (626 D cf. 633 DE 635 BCD),
wer über sich zu herrschen vermag, und diese Herrschaft über sich selbst wird auf Grand des nach-
folgenden Bildes gefunden in der Herrschaft des Aoycaixög. Auch die Folgerungen, welche aus der
Vergleichung des Menschen mit einem ^avfia gezogen werden, scheinen mir durchaus korrekt; denn
der Begriff des xgdxxwv und ijxxcov iavxov, und damit auch die der dgsxfj und naiöda, sind
allerdings durch jene Vergleichung wesentlich gefördert. Man erinnere sich, dasz der Athener 627 C
erklärte auf die Frage, wie überhaupt das x^^Q^v xgüxxov sein könnte als das dfJBivov, nicht ein-
gehen zu wollen, weil die Beantwortung derselben einer längeren Auseinandersetzung bedürfe. Jetzt
aber ist die Antwort darauf gegeben. Wenn der koycof^ög nämlich den fjdovai und XvTtaL unterliegt,
so ist in diesem Falle das x^^Qo^ xgttxxov gewesen als das aftBivov.
Wenn Bruns (S. 64) hinzufügt: „Es ist seltsam, wie fremd dieser Exkurs auch sachlich den
originalen Resten über die Tratöeca gegenübersteht. Gerade den Hauptgedanken des Philosophen schlieszt
er aus: es war der, dasz der Mensch zu Lust und Unlust richtig gewöhnt werden müsse, also der
Schwerpunkt der Erziehung vor den Xoytafxög falle. Hier wird dieser durchweg vorausgesetzt. Dieses
Bild kennt keine andere Bethätigung der Tugend, als die bewuszte Hingabe an den XoyiOfiög" — , so
ist zu erwidern, dasz wir hier nicht eine Definition der natöeia, sondern der dgexr] vor uns haben.
Übrigens ist ja auch an unserer Stelle ausdrücklich hervorgehoben, dasz die Herrschaft des Xoyia^iög
zu ihrer Verwirklichung der Hilfe von vnrjgixui bedürfe.
Endlich musz ich noch auf ein Bedenken von Bruns (S. 95 ff.) mit einigen Worten eingehen.
Er meint, dasz es dem Ernste, mit welchem sonst die menschlichen Einrichtungen besprochen würden,
und der im zehnten Buche entwickelten religiösen Anschauung des Philosophen widerspräche, wenn hier
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die Menschen als ^avfxara ^ecov erschienen. Ich lasse es dahiu gestellt, inwieweit dieses Bedenken
gerechtfertigt ist, und wie fiber die anderen aus demselben Grunde von Bmns angefochtenen Stellen
zu urteilen ist; jedenfalls erscheint an unserer Stelle der Gedanke von dem Menschen als einem ^avyia
^mv nur im Bilde, das keine Schlösse auf die wirkliche Ansicht des Schriftstellers zuläszt. Die Yer-
gleichung des Menschen mit einem &av(Aü ist eben sehr geeignet, die verschiedenen Willensmotive an-
schaulich zu machen, und lediglich deshalb ist sie an unserer Stelle gebraucht. Auszerdem wird ja
die Frage, ob der Mensch nur als ein jtaiyviov der Götter zu betrachten sei, absichtlich offen gelassen
(cf. 644D). Wenn sich der Abschnitt des siebenten Buches 803 B— 804 B wirklich als philippisch er-
weist, so würden wir in der Kückweisung 803 C äv&Qwnov de, OTteg stnofAev ipuiQoaOev, ^ecSv t*
Tiaiyviov etvai ixsftrjxavrj^ivov vielmehr ein Miszverständnis Philipps zu constatieren haben, welcher
diese Stelle für sich zu benutzen suchte, ohne zu bedenken, dasz sich in ihr die Behauptung, der Mensch
sei ein naiyviov ^ttav, in Wahrheit gar nicht findet.
Was Bruns (S. 23 f.) über die siebenmalige Aufforderung sagt, welche der Athener an sich
stellen läszt, ehe er seinen Mitunterrednern den Nutzen der ptidr] auseinandersetzt, das gehört in das
Gebiet des subjektiven Geschmacks, und die diesbezügliche Prüfung der Analyse mnsz für jeden die
Antwort darauf geben. Wenn man den Gang der Untersuchung als zusammenhängend und logisch
richtig anerkennt, so kann nach meiner Meinung in der wiederkehrenden, aber jedesmal durch einen
gewissen Wendepunkt begründeten Aufforderung ein Anstosz nicht gefunden werden, und Bruns findet
einen solchen auch wohl nur, weil er von dem Gefühle beherrscht ist, dasz dieser Zusammenhang fehle.
Übrigens werde ich auf den Charakter der letzten jener Aufforderungen bei der fortschreitenden Analyse
noch näher zu sprechen kommen.
Nur in dem, was Elinias über Epimenides sagt (642 DE), musz eine sachliche Schwierigkeit,
für welche noch keine genügende Lösung gefunden ist, zugestanden werden. Wenigstens kann der
erzählte Vorgang nicht mit den bekannten Sühnungsopfern des Epimenides zu Solons Zeit identisch
sein, da auch eine etwaige Änderung der Zahlenbestimmung öixa heai ngö tcöv IIsQacxiov cf. ort
dexa fiep ttwv oix ij^ovacv durch die Prophezeiung auf die Perserkriege, von welcher ja zu Solons
Zeit nicht bie Bede sein konnte, schlechterdings ausgeschlossen ist.
Fahren wir jetzt in der Analyse fortl An die zuletzt gegebene Vergleichung des Menschen
mit einem ^ort;//« wird in natürlicher Weise die Frage geknüpft : „Was wird aus diesem ^av^a durch
die (44'9j]?" Und diese Anknüpfung ist nicht nur äuszerlich, sondern mit unzweifelhafter Bücksicht
auf das eben Vorhergehende wird die Wirkung der (xidi^ darin gefunden, dasz sie die ^dovai und
Xvnac und die Leidenschaften überhaupt stärker erregt, die aia&rjasiQy itvijftai, öö^ai und (pQOvr}-
aeig, also alles, wozu der Xoyiofiög nötig ist, schlieszlich ganz aufhebt, und dasz somit die ^xQ&teia
eavTOV durch sie am denkbar geringsten wird. Die fted^t] führt zurück auf den Standpunkt des kleineu
Kindes. Je geringer die iyxgaxeta aber ist, desto schlechter ist der Mensch. Unter solchen Umständen
musz eine Überredung zu freiwilliger ne^trj natürlich höchst wunderbar erscheinen, und dies bringt
der Athener seinen Mitunterrednern mit den Worten: 646 A ro^tov 6r] tov eTturjöeöfiorog ^o&'
oartg ^öj'og inix^ig^aet. nei&eiv ^fiäg Sg XQV yeieof^at xai ixrj q)£vy£iv navrl aO^ivei xara tö
övvaTÖv; recht eindringlich zum Bewusztsein. Doch diese lassen sich nicht abschrecken ; Elinias ant-
wortet: „Es scheint ja (einen solchen Xöyog) zu geben. Wenigstens behauptest du es, und gerade
jetzt wärest du auf dem Punkte ihn auszusprechen." „Bichtig erinnert", antwortet der Athener, „und
ich bin jetzt bereit, da ihr ja erklärtet, ihn gerne hören zu wollen." Darauf Klinias : „Weshalb sollen
wir ihn nicht hören? Wenn auch nur des Wunderbaren und Ungereimten wegen, ob ein Mensch sich
freiwillig in einen vollkommen schlechten Zustand stürzen soll."
Hier findet Bruns (S. 24) die ersten Worte des Elinias etwas kleinmütig, da ihm allmählich
gerechtfertigte Zweifel aufstiegen, ob er die Sache überhaupt noch hören würde. Aber ich kann in
den betreffenden Worten nichts von Kleinmut entdecken, sondern nur das Bestreben, den Athener trotz
des Ungereimten, welches die Metheinstitution nach der letzten Fragestellung haben muszte, bei dem
versprochenen Beweise ihrer Vorzüglichkeit festzuhalten. Ebenso liegt in den letzten Worten jttSg
d'oöx äxovaöfii&a etc. nicht etwa Ungeduld, sondern höchstens ein etwas ironisches Misztrauen g^en
die zu beweisende Vorzüglichkeit der Metheinstitution. Bruns hat sich offenbar von dem Gedanken
leiten lassen, dasz wir hier die sechste und siebente Aufforderung vor uns haben, und er hat dabe
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übersehen, dasz dieselben durch den Zusammenhang sehr wohl motiviert waren. Auffallend könnte nur
erscheinen, dasz, nachdem vorher erklärt war, die {Aidr) liesze sich nicht ohne Zusammenhang mit der
fxovatxr} behandeln, nun doch gleich nach einer, noch dazu ziemlich allgemein gehaltenen, Definition
der naiöeia, zur Besprechung der fii&t] übergegangen wird. Doch wird dieser Punkt, wie ich hoffe,
weiterhin seine Erklärung finden.
Der versprochene Beweis wird nun in folgender Weise vom Athener erbracht. Wie man die
vorübergehende novrjQia des Körpers durch Arznei und Gymnastik und Anstrengungen jeder Art gern
auf sich nimmt wegen des nachherigen Nutzens, so ist zu untersuchen, ob die [ii&rj vielleicht auch
die augenblickliche Schädigung der \pvxf) durch einen ähnlichen Nutzen aufwiegt. Läszt sich dieser
Nutzen nachweisen, so hat die fjidi] jedenfalls vor jener Behandlung des Körpers voraus, dasz sie
nicht mit Unlust verbunden ist. Um den Nutzen der fU&i] nachzuweisen, werden zwei Arten von
Furcht unterschieden. Die eine ist die Furcht vor drohenden Übeln, <p6ßog im gewöhnlichen Sinne,
die zweite die Furcht vor schlechtem Rufe, uioxvvri genannt. Wie jene Art der Furcht zu bekämpfen
ist, so ist diese, die aiaxvvr}, vom Gesetzgeber sehr hoch zu schätzen und in jeder Weise zu stärken;
denn sie ist ein bedeutsames Mittel im Kampfe gegen kvnai sowohl wie gegen fj^ovaL Die Befreiung
von jener Furcht wird erreicht, indem man den Menschen gerade in Furcht versetzt und gegen dieselbe
anzukämpfen zwingt. Dementsprechend musz die aiaxvvr) umgekehrt dadurch erreicht werden, dasz
man in oyaiaxvvtLa versetzt und gegen diese anzukämpfen zwingt. Wenn es nun ein (p6ßov (pag-
fzaxov gäbe, welches, je mehr man davon trinkt, desto mehr in Furcht versetzt, so würde dasselbe
zu einer Prüfung der avÖQsia für den Gesetzgeber jedenfalls von groszem Nutzen sein und sich auch
zur Übung in derselben vorzüglich eignen, weil es ein viel einfacheres Mittel wäre, als die jetzt zu
gleichem Zwecke angewendeten. Ein solches (p6ßov cpaQfiaxov jedoch giebt es freilich nicht, aber wohl
haben die Menschen in dem Weine ein (paQfiaxov a<poßiüg, welches, je mehr man davon trinkt, desto
mehr in vollständige uq>oßi^ versetzt. Nach dem Vorhergehenden war nun, wie auf der einen Seite
möglichst grosze acpoßLa, so auf der anderen Seite ein möglichst groszer <p6ßog erstrebenswert, und
es hatte sich gezeigt, dasz, wie die dcpoßia durch cpößoij so der (pößog durch d(poßia zu erreichen
wäre. ä(poßoL werden aber die Menschen durch Zorn, Liebe, Übermut, Reichtum, Schönheit, Kraft-
fuUe und überhaupt durch alles, was durch Vergnügen berauscht. Daraufhin wird nun die Frage
gestellt, ob es hierfür ein ungeföhrlicheres PrOfungs- und dann auch Übungs-Mittel gäbe als den
Wein. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, und der Athener glaubt sich zu der Annahme be-
rechtigt, dasz darin wenigstens auch die Kreter und überhaupt alle Menschen übereinstimmen würden,
dasz der Wein als vorzügliches Prüfungsmittel anzusehen wäre.
Hier bei dem Übergange vom ersten zum zweiten Buche müssen wir sogleich Stellung nehmen
zu der Frage: Bilden die Bücher ein zusammenhängendes Ganzes, oder nicht? Bruns beantwortet sie
in verneinendem Sinne. Wir brauchen nun freilich nicht schon an dieser Stelle alle Gründe zu be-
sprechen, welche ihn zu dieser Ansicht führen. Die meisten werden zweckmäsziger erst im weiteren
Verlaufe der Untersuchung zur Sprache gebracht werden. Aber einer, welcher den Übergang der
Bücher selbst betrifft, musz gleich hier seine Erledigung finden. Bruns (S. 52 ff.) behauptet nämlich,
dasz, während im vorhergehenden die Übung in der aiax^vtj vermittelst der ni^r] die Hauptsache
gewesen und die Prüfung durch fAE^rj nur nebenbei als nützlich erwähnt sei, in der letzten Rede des
Atheners von 649 E an diese Prüfung als einziger Gegenstand der bisherigen Besprechung hingestellt
und die Übung vollständig ignoriert würde. Nun geht allerdings die ganze Untersuchung davon aus,
den Nutzen der {.lif^rj als eines Erziehungsmittels nachzuweisen, und es wird auch bei dem der fti^Yj
analogen (pößov ^dp/uaxov, nachdem sich 648 BC als nächstliegender Nutzen desselben derjenige
gezeigt hat, welchen es als Prüfungsmittel hat, doch von dem Prüfungsmittel 648 CD sogleich auf das
Erziehungsmittel weiter geschlossen. Doch scheint mir das am Ende des ersten Buches ausgesprochene
Resultat mit diesem Sachverhalte wohl vereinbar. Wir erinnern uns, dasz es uns bereits vorher auf-
fiel, wenn trotz der Behauptung 642 A, die ^ii^r] könne nur im Zusammenhange mit der fAOvaixrj
richtig und erschöpfend behandelt werden, schon 645 D nach einer allgemeinen Definition der Ttaidsia
die Besprechung der fu^rj selbst in Angriff genommen wurde. Bruns (S. 48, 49) schlieszt daraus,
dasz jene Behauptung Eigentum des Redaktors sei, welcher Buch I und 11 habe verbinden wollen, und
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dasz die Definition der naideia von demselben Bedaktor wenigstens an eine nngehörige Stelle gesetzt
sei. Er fögt hinzu, dasz es f3r den gesunden Menschenverstand überhaupt nicht einzusehen sei, wes-
halb über die [ü&rj nur im Zusammenhange mit der piovaixr} und der gesamten itaidüa gesprochen
werden könne. Nach meiner Meinung ist jener Schlusz ungerechtfertigt. Wenn schleich nach der
Definition der Ttatöeia zur (^s^rj selbst übergegangen wird, so liegt das daran, weil das Ergebnis
dieser Definition: das Ziel der itaiöfia, die dgeri^, besteht in der Herrschaft des Xoytofiög, scheinbar
einen erzieherischen Zweck der i^i&ij, welche ja gerade Schwächung des Xoyiaix6g zur Folge hat, über-
haupt ausschlosz. Dieser scheinbare Widerspruch, welcher ja, wie wir bereits gesehen haben, 646 A
so deutlich zum Ausdruck kommt, veranlaszte den Schriftsteller sogleich der Frage näher zu treten, ob
überhaupt und in wiefern dann von einem erzieherischen Zwecke der fti^rj die Rede sein könnte. Die
Beantwortung dieser Frage lautet dahin, dasz die (Aexh) gerade wegen der Schwächung des XoyLOfxös
sich zunächst zum Prüfungs- und dann weiter zum Übungs-Mittel in Aufrechterhaltung des Xoytaptög
auch unter schwierigen Umständen vorzüglich eignen wird. Aber hiermit ist nur bewiesen, dasz die
{ii^r} überhaupt als Erziehungsmittel dienen kann; in welchem Umfange sie als solches zu verwenden
ist, und welche Stellung sie somit in der gesamten Erziehung einnimmt, ist noch nicht entschieden.
Um dies zu entscheiden, musz sie eben, wie vorher verlangt wurde, im Zusammenhange mit der fiov-
aixf} betrachtet werden. Denn dies Verlangen hat seinen guten Grund. Die fii&ij ist nicht das
einzige Mittel zur richtigen Erziehung der fjdovai und Ivitat. Vielmehr setzt sie, um angewendet
werden zu können, schon einen verhältnismäszig hohen Grad des XoytOfiög voraus. So lange dieser
noch nicht vorhanden ist, musz also zu einem anderen Mittel gegriffen werden, und dieses bietet sich
eben, wie im zweiten Buche nachgewiesen wird, in der ftovacxfj. Ich meine, auf Grund dieser Erwä-
gung musz die Forderung, die fud^rj könne erschöpfend nur im Zusammenhange mit der fiovaixr] be-
handelt werden, als eine vohlberechtigte angesehen werden. Nun scheint mir aber das Schluszergebnis
des ersten Buches mit dieser Forderung in logischem Zusammenhange zu stehen. Dasz die fii&r] er-
zieherisch zu verwenden ist, ist ja freilich schon im ersten Buche nachgewiesen, aber doch nur, inso-
fern ein jedes Prüfungsmittel — denn dieses wird auch 648 B bei Besprechung des der fu&r} ana-
logen cpoßov g)dp[4axov, wie bereits erwähnt, zur Grundlage gemacht — und besonders ein solches,
welches mannigfache Gradunterschiede der Erschwerung und Erleichterung zuläszt, immer zugleich er-
zieherisch wirkt. In welchem Umfange sie aber erzieherisch anzuwenden ist, und welche Stellung sie
demnach zu der auf einen gleichen Zweck gerichteten fiovatxrj einnimmt, davon ist noch nichts gesagt
und konnte auch, wie wir eben gesehen haben, noch nichts gesagt werden. Deshalb wird als end-
gültiges Ergebnis des ersten Buches nur hingestellt: dasz die ^i^rj als Prüfungsmittel sehr geeignet
ist, daran wird wohl keiner mehr zweifeln. Dasz sie dagegen auch Erziehungsmittel ist, wird nicht
in gleicher Weise abschlieszend ausgesprochen, weil die Untersuchung darüber noch nicht zu Ende
geführt ist ; wohl aber wird beim Übergange zu der weiteren Untersuchung mit den Worten 652 A
^vead-* ä)g 6 löyog ioixsv ßo^Xeo^ai aijfiaivstv (seil, noch ein anderer groszer Nutzen in der
richtigen Handhabung des Weines) deutlich genug darauf hingewiesen, dasz auf Grund des Vorher-
gehenden auch ein erzieherischer Nutzen der ^iOr] zu erwarten ist.
Endlich kommen in diesem Zusammenhange noch zwei einzelne Stellen in Betracht. Erstens
behauptet Bruns (S. 56), 650 B xai ötj xal tovto fiiv ccvrb negi yt toiütojv ovt' av KQijrag
ovte aXXovg dv&ganovg ovSivag oi6[AE^a dficpiaßrjTfiOai (atj ov nelgdv r« dXXrjXcav iituix^
rainrjv ehai sei das xal 6f] xai unlogisch gebraucht; denn mit dieser Partikelverbindung werde immer
ein neuer Gedanke eingeführt, während an dieser Stelle nur ein Gedanke, von dem unaufhörlich die
Rede gewesen wäre, ohne die geringste neue Färbung wiederholt würde. Dasz nun xai dfj xai „und
so auch" oder an unserer Stelle, der ursprünglichen Bedeutung des 6r} noch näher stehend, „und auch
schon" immer den Übergang zu einem neuen Gedanken bilden musz, ist nicht zu bezweifeln. Aber
wenn nach dem Nachweise, dasz die pii^r} sich als Prüfungsmittel vorzüglich eignen würde, fortge-
fahren wird: „Und daran selbst, dasz die pii^rj als Prüfungsmittel geeignet ist, werden auch schon
die Kreter, glauben wir, oder irgend ein anderer nicht zweifeln", so ist dieser Gedanke offenbar in
der That neu.
Ferner findet Bruns (S. 56) es unlogisch, dasz auf die Worte 653 A 'AvaiAvrja^r^vai toivw
':r.i^-
14
ly(ö/£ ndkiv Ijii^vfuo, xi tiote ki/Oftev^) ^[ilv elvai rr/v ö^&riv nacdeiav. tovtov ydQ, wg ye
iyw Tona^ü) vä vvv, k'ariv h r(p iititr]6ev[iart rovtqt xaXcog xaTogOoviMvqf aayvTjQia, nicht
uur eine neae Definition folgt, sondern auch äuszerlich ohne Zusammenhang mit einem kiy^ rolvw
fortgefahren wird. Dem gegenüber ist freilich zuzugeben, dasz man nach jenem Eingange eine Wieder-
holung der früheren Definition erwarten könnte. Aber der Scliriftsteller konnte doch auch, da dieselbe
noch nicht so sehr lange vorhergegangen war, die Bekanntschaft mit ihr noch voraussetzen — worauf
auch das XdyofAev statt iXiyoftev hinzuweisen scheint — und, ohne sie selbst von neuem anzuführen,
sogleich auf ihrem Grunde weiter bauen. Wenn sich daher uur nachweisen läszt, dasz sich das Fol-
gende auf jeno frühere Definition gründet, so kann nach meiner Meinung etwas Unlogisches in der
Sache nicht gefunden werden. Beide Hauptpunkte jener Definition aber, dasz die naideia es mit der
dgeti] zu thun habe und weiter speziell mit dem Einflöszen der Liebe zu ihr von frühester Jugend
an, bilden im folgenden die notwendige Grundlage, wenn es heiszt: naiSiiav öi] Xiyto ttjv jcaQa-
ytyvofUvTjv hqwtov izaiaiv agezrjVf während die die nähere Ausführung enthaltenden Worte: fjdovi)
öf] xai (fiXia xai Xvm] xai fAioog av ÖQy^wg iv ipvxctii iyyiyvojvtai firjjtct) <Jvva(iiv(av Xöyov
kaf^ßdvecvy ein neues, erst jetzt gefundenes Resultat hinzufügen.
Die Analyse des folgenden Abschnittes kann, weil der ihm zu Grunde liegende Gedankengang
von keiner Seite angefochten wird, etwas kürzer behandelt werden.
Die erste Empfindung der Kinder, heiszt es, ist ^öovr] und Xvn7]', sonach ergiebt sich als
Wesen der naideia (mit Kücksicht auf das früher aufgestellte Ziel derselben): die fjöovai und Ivnai
von vornherein mit dem später zu gewinnenden Xoyioi.i6g in Obereinstimmung zu setzen. Zur ünter-
stätzang dieser naiötia haben die Götter den Menschen, die Feste und die Musen und Apollo, ihren
Führer, und Dionysos als Festteilnehmer gewährt.
Jedes junge Geschöpf strebt nämlich nach Bewegung sowohl des Körpers wie der Stimme, doch
haben die Menschen vor allen übrigen das Gefühl für ßythmus voraus, ein Geschenk eben jener Götter.
Die erste Erziehung findet also statt durch die Musen und Apollo. Demnach ist die x^Q^^^t zerfallend
in OQXijOig und (pörj, zunächst gleich der naiöeia zu setzen, und das xaXwg Tiaiöeveo^ai ist
identisch mit xaAtog qöuv und xakwg dgxelo&dt. Das xaX(ag qöeiv und dgxela&ai setzt aber das
xaXä qöeiv und ÖQx^^odat, voraus, und dazu musz ferner kommen, dasz das xaXa qöeiv und dgxst-
a^ai dem Betreffenden auch ^öovi^f und das Gegenteil Xvrtij bereitet. Dann wird das xaXöv definiert
als das dgerf/g ix^t^^ov. Nun herrscht aber hinsichtlich der ijöovrjy welche die xoQeia gewährt,
keineswegs Übereinstimmung, und dies liegt daran, dasz nicht das eigentliche xaXöv die ^dovrj hervor-
ruft, sondern dasz, da die xoQsiü es mit der Darstellung von rgörtoi zu thun hat, jeder notwendig
die mit seinen rgönot übereinstimmenden Darstellungen lobt und demgemäsz für schön erklärt, die
nicht übereinstimmenden aber tadelt.
Die Freude über Darstellung schlechter rgÖTtoi ist aber ebenso gefährlich wie der freundschaft-
liche Verkehr mit schlechten Menschen. Wo deshalb die Gesetze richtig gegeben sind, wird es nicht
erlaubt sein dürfen, dasz die Dichter nach Maszgabe ihrer eigenen i^dov») angefertigte Gedichte ohne
weiteres die Jugend lehren. Nun ist dies aber überall erlaubt auszer in Ägypten; denn hier ist hin-
sichtlich der lAovuixrj wie jeder anderen Darstellung schon vor langer Zeit das richtig Befundene aus-
gesucht und als Norm für die Zukunft festgestellt, indem es den Göttern geweiht wurde, so dasz man
dort jetzt noch genau dieselbe Kunst findet wie in ältester Zeit. Wenn also jemand das Bichtige hin-
sichtlich der fiovaixrj finden kann, so mag er das getrost gesetzmäszig feststellen ; denn möglich ist
so etwas, wie die ägyptische Einrichtung zeigt.
Diese Untersuchung hinsichtlich der ÖQ^örrjg der Musik wird nun folgendermaszen geführt.
Wir freuen uns, wenn wir meinen, dasz es uns gut geht. Die Jugend ist in solchen Fällen selbst zum
xogevecv geneigt, das Alter dagegen, selbst dazu unfähig, bestimmt denjenigen den Preis, welche es
am besten verstehen, das Andenken an die früliere Jugend wachzurufen. Falls wir nun nicht die ge-
wöhnliche Ansicht, dasz die Festaufführungen nach dem Vergnügen der Zuschauer zu beurteilen seien.
0 nors Xiyoiisv ist die Lesart des Parisin. A, und diese scheint mir dem Zusammenhange sogar mehr
l^emäsz als die von Madwig vorgeschlagene not' iXiyoftev.
15
für ganz verfehlt halten, müssen wir, davon ausgehend, zunächst demjenigen den Preis zuerkennen,
welcher die meisten am meisten erfreut. Setzte man nun allein auf Grund dieses Satzes einen Wett-
kampf ins Werk, ohne die Art desselben irgend näher zu bestimmen, so würde je nach Alter und
Bildung der Zuschauer der Preis einem anderen zuerkannt werden müssen. Die kleinen Kinder würden
dem Zauberkünstler, die gröszeren der Komödie, die Jünglinge und Frauen, wie die grosze Mehrzahl
überhaupt der Tragödie, das Alter den Rhapsoden den Preis zuerkennen. Wir würden natürlich auf
der Seite des Alters stehen, da dieses nach Charakter und Bildung als das beste erscheint. Auf Grund
hiervon wird zu dem Satze, dasz die fiovaixr} nach der fjdovi) zu beurteilen sei, der Zusatz gemacht:
aber nach der fjöovr] der am besten Erzogenen oder noch lieber des einen durch Tugend und Erziehung
vor allen Hervorragenden. Denn der xQirrjg musz Lehrer, nicht Schüler der Zuschauer sein.
So führt die Untersuchung also wieder, erinnert der Athener, zu dem schon öfters aufgestellten
Grundsätze : die naiöpca ist das Leiten der Jugend zu dem vom G^etze als richtig anerkannten löyog ;
und es zeigt sich, dasz die Gesänge dazu dienen, die '^öovr] und kvitr} der Jugend mit diesem köyog
in Übereinstimmung zu bringen. Wie der Arzt die heilsame Nahrung den Kranken in angenehmen
Speisen darreicht, so müssen auch die Dichter in ihren Gesängen Ermahnungen zur ägerrj in ange-
nehmer Form bringen, und das thun sie, indem sie die axtiptccta äya^cav dvÖQcSv im Gedichte
darstellen.
Dem hält Klinias entgegen, dasz so etwas nur in Kreta und Lacedämon zu finden sei, in allen
anderen Staaten werde hinsichtlich der (lovaixi'] nach Maszgabe von ätaxroL f}6ovat immer Nenes
erstrebt.^) Der Athener antwortet, er habe nicht den jetzigen Zustand beschreiben, sondern vielmehr
den idealen, wie er sein sollte, auseinandersetzen wollen. Angenehm sei es ja nicht, unheilbar schlechte
Einrichtungen zu tadeln, aber zuweilen sei es doch nötig. So mOszten sie jetzt sehen, ob die kretischen
und spartanischen Einrichtungen dem von ihm geschilderten und auch von den Mitnnterrednem als
richtig anerkannten Zustande etwa mehr entsprächen als diejenigen der übrigen Hellenen. Er stellt
deshalb die Frage: „Zwingt ihr die Dichter in ihren Gedichten zu erklären, dasz der dya&bg ßiog
der allein glückliche ist, und dasz Reichtum, Gesundheit, Kraft, Tapferkeit im Kriege und überhaupt
alle sogenannten dya^a, wenn sie mit Ungerechtigkeit verbunden sind, den Menschen nur desto un-
glücklicher machen?" Klinias kann weder behaupten, dasz die heimischen Gedichte dieser Anforderung
entsprächen, Boch kann er selbst die Berechtigung derselben zugeben. Dasz ein reicher, gesunder und
tapferer Mann, der aber ungerecht ist, aloxQfog lebt, gesteht er noch zu, dasz er auch xax(og lebt,
schon weniger, dasz er aber gar drjöcog leben sollte, durchaus nicht mehr. Für den Athener ist es
so sicher wie nur irgend etwas, dasz nur der ölxaiog ßiog eidai^tav ist, und er sucht durch fol-
gende Erwägung auch seinen Mitunterredner von der Richtigkeit seiner Ansicht zu überzeugen. Wenn
ein Gesetzgeber den ijiSiarog ßiog für verschieden erklärt vom dixaiöraxog^ so kommt er notwendig
in die gröszte Verlegenheit. Denn wenn er den rjötaxog ßiog für evöatfioveozatog erklären würde,
so müszte er zugeben, dasz er die svöaiftovia den Bürgern nicht zuteil werden lassen will; wenn er
aber den dixatöraTog für svöamoviatarog erklären würde, so müszte er für diesen ein dcya^öv
angeben können, welches, von der fjdovr) verschieden, dieselbe noch überträfe. Aber in Wirklichkeit
sind doch die speziellen Güter des öixatog ßiog: Ruhm und Lob bei Göttern und Menschen, sowie
das [irjte tiva döixsTv firjte vnö tivog döixeia&ai, nicht etwa schön, aber dabei unangenehm; und
ihr Gegenteil nicht etwa angenehm, aber dabei schimpflich und schlecht? Mag nun diese Frage, ob
dyad^öv und j^rfy dasselbe ist, auch sonst keinen groszen Wert haben, der Gresetzgeber musz jedenfalls
1) Bruns .(S. 125) findet es wunderbar, dasz der Kreter hier plötzlich den Ruhm des ägyptischen Insti-
tuts betreffs der Überwachung der Musik von selten des Staates auch für Sparta und Kreta in Anspruch nimmt,
während er sich 656 CD den ägyptischen Brauch als etwas ganz Nenes habe erzählen^ lassen. Doch in Wirk-
lichkeit behauptet der Kreter gar nicht, dasz der ägyptische Brauch sich auch in Sparta und Kreta vorfinde,
wie dies ja auch gewisz nicht der Fall war, sondern nur, dasz die kretische und spartanische Musik im Gegen-
satze zu derjenigen der übrigen griechischen Staaten einen konservativen, auf die uqbt^ gerichteten Charakter
trage. Den Anlasz zu dieser Behauptung gerade an dieser Stelle dürfen wir vielleicht in der Ausführung des
Atheners 659 BC mit der Gegenüberstellung des itakaibg '^Eklrjvixbg vöfiog und des neuen SixeXixög re
xai 'Itahxbg voftog suchen.
r^'
16
behaupten, dasz der öixaiog ßiog zugleich der rj^iatog ist. Da aber alles aus der Ferne Oesehene
undeutlich und unklar erscheint, so wird der Gesetzgeber dieses Dunkel beseitigen, indem er die Bürger
irgendwie überzeugt, dasz der ölxatog ßiog, vom Standpunkte des äöixov aus gesehen, unangenehm,
von dem des öixaiov aus aber angenehm erscheint; und daez ebenso der äSixog ßiog vom Stand-
punkte des öixaiov aus unangenehm, von dem des äöixov selbst aber angenehm erscheint. Nun ist
aber das Urteil der \Vvxt) ä^uiviov das maszgebende, mithin ist in Wahrheit der ßiog dfiEivcav auch
der fiöimv. Übrigens dürfte der Gesetzgeber, selbst wenn dem nicht so wäre, wohl eine Erfindung
ersinnen, welche geeignet wäre, alle zu veranlassen, freiwillig dem öixaiog ßiog zu folgen. Mythen
werden sehr leicht geglaubt, so dasz es nur darauf ankäme, eine für diesen Zweck geeignete zu
erfinden.
Um nun alles sonst als schön Erkannte und besonders diesen Grundsatz, dasz der öixai&tarog
ßiog auch der rjöiaxog ist, der Jugend einzuprägen, sollen drei Chöre dienen. Der erste ist der
Chor der Musen, aus Knaben bestehend, der zweite der Chor des Apollo aus Männern bis zu dreiszig
Jahren, der dritte der Chor des Dionysos aus Männern bis zu sechzig Jahren. Diejenigen, welche das
sechzigste Jahr überschritten haben, sollen zum selben Zwecke mitwirken als ^iv^oXöyoi. Die beiden
ersten Chöre erscheinen den Dorern durchaus natürlich, weshalb die Besprechung über sie hiermit für
abgeschlossen erklärt wird; um so wunderbarer erscheint ihnen dagegen der dritte, der des Dionysos.
Diesem, auf welchen die ganze Untersuchung von Anfang an gerichtet war, wird deshalb im folgenden
noch eine eingehendere Begründnng zuteil. Es wird davon ausgegangen, dasz man doch den am
besten gebildeten Teil des Staates, die über 30 Jahre alten Männer, für die (pörj keinenfalls ent-
behren könnte. Da man aber, je älter man wird, um so weniger noch zum öffentlichen Auftreten
geneigt ist, zumal wenn man nach der jetzt bei Wettkämpfern üblichen Weise nüchtern in den Wett-
kampf eintreten sollte, so wird folgender Gesetzvorschlag gemacht: Den Knaben bis zum achtzehnten
Jahre ist der Weingenusz überhaupt zu verbieten in der Erwägung, dasz man nicht Feuer zu Feuer
thun darf, und aus Scheu vor der kf.ifiavr]g i'^ig der veoi; die Männer bis zum dreiszigsten Jahre
dürfen Wein trinken, aber mit Masz; diejenigen dagegen, welche das dreiszigste Jahr überschritten
haben, sollen auszer den anderen Göttern auch den Dionysos anrufen, um durch das Geschenk dieses
Gottes die avarrjQÖTTjg des Alters zu überwinden und so geschmeidiger und bildsamer zu werden.
Hierdurch, meint der Athener, würde zunächst der Vorteil erreicht, dasz die Betrefl'enden sich zum
Singen im Freundeskreise bereit finden lieszen.
Endlich wird die Frage behandelt, welches wohl die für solche Männer passende Gesangsweise
sein dürfte. Die Derer kennen nur den Chorgesang, aber dieser ist für Männer von solchem Alter
von vornherein ausgeschlossen. Ebenso ist klar, dasz sie nur die schönste [iovaixq ausüben werden.
Welche Anforderungen sind nun für die Ausübung derselben zu stellen? Dies zu beantworten, soll
folgende Erörterung dienen. Bei allem, welches mit xciQ'-S verbunden ist, ist entweder die xo^*S selbst
die Hauptsache, oder sie kommt blosz nebenbei zu dem eigentlichen Hauptzwecke, der ÖQ^örrjg und
d}(ptXiay hinzu. Demgemäsz ist die erstere Gattung, die der eigentlichen naiöid, folgerichtig nur
nach der riöovfj zu beurteilen, alles andere dagegen, als zur letzteren Gattung gehörig, in erster Linie
nach der OQ^ötTjg und uicptUa. Nun liegt das Wesen der (iovaixrj in der Nachahmung. Bei jeder
nachahmenden Kunst ist aber immer die ÖQ&ötrjg das Maszgebende. Folglich ist die fzovaixrj nicht
nach TJöovrj, sondern nach dg^örrjg zu beurteilen. Um diese ÖQ^ÖTijg zu erkennen, ist aber dreierlei
nötig: man musz wissen,
1) was dargestellt wird,
2) ob es richtig dargestellt ist,
3) ob das Dargestellte schön ist.
Bei der Bedeutung der Musik für die Erziehung und bei der Schwierigkeit sie zu beurteilen,
ist dies von ganz besonderer -Wichtigkeit. Daraus folgt für die Mitglieder des dionysischen Chores,
dasz sie hinsichtlich der f^ovaixr) jedenfalls besser gebildet sein müssen als die Teilnehmer gewöhn-
licher Chöre; denn um an diesen teilzunehmen, ist das Verständnis von Rythmus und Harmonie nicht
nötig. Aber sie müssen auch besser gebildet sein als die Dichter; denn diese brauchen wenigstens
nicht zu erkennen, ob das Dargestellte schön ist oder nicht, jenen Sängern dagegen kann das nicht
erlassen bleiben.
17
Somit wäre also, wird geschlossen, der anfangs behauptete erzieherische Nutzen des dionysischen
Chores nachgewiesen. An diesen Schluszsatz wird dann noch 671 A — 672 A eine kurze Beschreibung
der Art und Weise geknüpft, wie dieser Nutzen erreicht sei. Die Mitglieder des dionysischen Chores
sollen durch v6[joi av(iJtorutoi, welche sich stützen auf Erweckung der alddtg, zum Einhalten der
nötigen Ordnung im Trinken und Singen gezwungen werden. Für diese vöfioc sollen, einer früheren
Forderung entsprechend, nüchterne Wächter da sein, und zwar werden als solche die über 60 Jahre
alten Greise ausersehen.
Ehe wir auf die Hauptfrage näher eingehen, ob und wie der eben analysierte Abschnitt, welcher
gipfelt in der Einsetzung des dionysischen Chores, sich mit den Erörterungen über Trunkenheit im
ersten Buche vereinigen läszt, bedarf noch eine Stelle dieses Abschnittes selbst der Erläuterung. Es
handelt sich um den Beweis, dasz der agiarog ßiog auch der rjötarog sei 662 B — 664 B. Nach dem
Vorgange von Zeller (Piaton. Stud. S. 102) erklärt Bruns (S. 117 ff.) diesen Beweis für unvollständig.
Zu der Frage, sagt Bruns, ob glücklich und gerecht sein dasselbe sei, komme nur die Behauptung
hinzu: , »Berühmt sein wegen Gerechtigkeit ist angenehm" (663 A). Aber nach dem ganzen Zusammen-
' hange liegt mehr in dei- fraglichen Stelle. Ausgehend davon, dasz ein Gesetzgeber, welcher den öixaiog
ßiog vorschriebe, unsinnig wäre, wenn er den aöixog für den glücklichsten erklärte, hatte der Athener
gefolgert, dasz er notwendig den öixaiog für den glücklichsten erklären müszte. Wenn er dann aber
trotzdem dem aöixog ßiog ein höheres Masz von fjöovri zuschriebe, so müszte er für den öixaiog
ßiog ein höheres Gut nachweisen als die fjöovi]. Ein solches aber wäre nicht vorhanden. Denn die
speziellen Vorzüge des öixaiog ßiog, Kuhm und Lob bei Göttern und Menschen und das yi,f}tE tivä
döixEiv (.irjTS V7TÖ Tivog döixela&ai, wären doch nicht etwa gut, aber dabei unangenehm (drjöig),
und ihr Gegenteil nicht etwa angenehm (tjöv), aber dabei schimpflich und schlecht. Hiermit ist nicht
etwa blosz, wie Bruns meint, eine für die Sache nicht weiter benutzte neue Behauptung hinzugekommen,
sondern die eben analysierte Erörterung enthält die notwendige Grundlage für die gleich folgende
Schluszfolgerung, dasz die Rede, welche das ijöv von dem öixaiov und dya&6v nicht als etwas von
demselben Verschiedenes trennt, jedenfalls geeignet ist, jemanden zu der freiwilligen Wahl des öixüiog
ßiog zu bestimmen, und mithin von dem Gesetzgeber unter allen Umständen behauptet werden musz.
Daran schlieszt sich sodann der Nachweis, wie der Gesetzgeber die Bürger von der gröszeren fjöovi)
des öixaiov im Vergleich mit dem äöixov zu überzeugen habe. Das aus der Feme Gesehene, heiszt
es, ist immer undeutlich. Der Gesetzgeber aber wird die Unklarheit beseitigen, indem er zur Über-
zeugung führt, dasz nach Art von Schattenumrissen, vom Gerechten aus gesehen, das Gerechte als an-
genehm, das Ungerechte als unangenehm erscheint, vom Ungerechten aus dagegen gerade umgekehrt.
Da die Wahrheit der Entscheidung aber bei der d(XEiv(av xpvx'f] liegt, so ist also auch in Wahrheit
der aöixog ßiog der unangenehmere, der öixaiog aber der angenehmere. Durch diese Analyse scheint
mir der Einwand von Bruns, dasz 663 B ovxovv ö fuv /i/y ;c<»(>^wv löyog fjöv te xai öixaiov . . .
nid^avdg ye, el ^t]Öev kregov, rcgög rö riva i&iksiv ^?)v rbv öoiov xai öixaiov ßiov die Schwäche
der gegebenen Argumentation deutlich durchbräche, von selbst erledigt; denn der Beweis war ja an
dieser Stelle überhaupt noch nicht zu Ende geführt. Wohl aber müssen wir guf einen anderen Ein-
wand noch kurz eingehen. Mit Rücksicht auf 663 C ^^. Trjv ö'dkrj&eiav i>^g xgiaewg Ttorigav
xvQUorigav etvai cpcouev; Ttörega ttjv rr^g x^^QOvog ipvxyg »/ t)]v rrjg ßekriovog; KX. 'Avayxalöv
itov TTjv tilg d^isivovog, behauptet Bruns, dasz es doch nicht als Beweis angesehen werden könnte,
wenn einfach das Urteil der diteivcov ipvxrj dem der ;f6t{)cöv gegenüber als maszgebend bezeichnet
würde. Dieser Einwand wäre richtig, wenn es sich um Dinge handelte, worin beide Teile gleich
urteilsfähig wären. Das ist hier aber nicht der Fall. Der aöixog erkennt eben von seinem Stand-
punkte aus das aiaxQÖv nicht als aiaxQdv; denn sonst könnte er, weil dasselbe drjöig ist (cf. 663A)
überhaupt nicht aöixog sein. Der öixaiog dagegen erkennt von seinem Standpunkte aus das aioxQÖv
als aiaxQÖv und meidet es gerade deshalb. Somit ist in unserem Falle allerdings das Urteil des
öixaiog maszgebender als dasjenige des aöixog. Diese Erwägung ist freilich nicht ausgesprochen, weil
die Derer sich dabei beruhigten, dasz das Urteil der d^sivcov ipvxf] jedenfalls maszgebender wäre,
aber deshalb dürfen wir sie doch im Sinne des Schriftstellers als stillschweigende jener Behauptung
zu Grunde liegende Voraussetzung ansehen.
Wenn Bruns endlich behauptet, der hier mangelhaft gebliebene Beweis werde im fünften Buche
3
18
732 E ff. wirklich geführt, wo es heiszt, der äyax^ög ßiog sei nicht nur der evöo^ia wegen zu
wählen, sondern auch, weil er mehr ^öovrj gewähre, und wo dann ausgeführt wird, beim aiaq>Q{ov
ßiog und bei dem dya^bg ßiog überhaupt überwiege die f)6ovrj, beim dxöXaatog und dem xaxög
überhaupt die Ivnrj, so ist da von der ^Sovrj im gewöhnlichen Sinne die Rede, welche unabhängig
ist von dem xaköv, und es soll nachgewiesen werden, dasz auch diese ^öovf] dem dya^ög ßiog im
höheren Masze zukommt als dem xaxög ßiog; an unserer Stelle soll aber gerade die dgerrj selbst
als im letzten Grunde auf tjöovrj beruhend und als wegen dieser ^dovrj erstrebenswert erwiesen werden.
Wir müssen jetzt zu der wichtigsten Frage hinsichtlich des zweiten Buches übergehen: Ist die
Einrichtung des dionysischen Chores Fortsetzung der Besprechung über fii&r) im ersten Buche, oder
nicht? Bruns (S. 37 ff.) behauptet, wie wir schon wissen, das letztere. Die Metheinstitution des ersten
Buches, sagt er, will ihre jugendlichen Teilnehmer erziehen durch den Kampf gegen fjdovai. Der
dionysische Chor besteht aus erwachsenen, durch das Alter schon ernst gewordenen Männern; er hat
keinen auf die Mitglieder gerichteten erzieherischen Zweck, sondern er soll auf die jüngere Generation
erzieherisch einwirken. Der Wein soll hier dazu dienen, Anregung zum Singen zu geben, was eine
/4£^, wie sie im ersten Buche geschildert ist, ausschlieszt. Diese Auseinandersetzung hat etwas sehr
Bestechendes, man glaubt in der That, die Sache sei damit entschieden; trotzdem kann ich ihr bei
eingehender Erwägung nicht zustimmen.
Bruns leugnet, wie das eben Angeführte zeigt, dasz bei dem dionysischen Chore ein auf die
Mitglieder selbst gerichteter erzieherischer Zweck vorhanden sei. Er thut dies, weil er (S. 41) den
Schlusz des zuletzt analysierten Abschnittes, wo der im ersten Buche angedeutete erzieherische Nutzen
der pU^rj auf den dionysischen Chor übertragen wird, für unächt hält. Auf ein formelles Bedenken,
welches er gegen diesen Abschnitt, und zwar mit Recht, erhebt, werden wir noch später zu sprechen
kommen. Vorläufig haben wir es nur mit der Frage zu thun: Ist der auf die Mitglieder des diony-
sischen Chores selbst gerichtete enieherische Zweck der ^B&q sachlich vereinbar mit der Stellung, welche
derselbe als ein auf die Jugend durch Mustergesänge wirkendes Institut einnimmt? Nach meiner
Meinung steht jener Zweck mit dieser Stellung im besten Einklang, ja er kann sogar als notwendige
Voraussetzung für diese angesehen werden. Denn ein uneingeschränkter Genusz des Weines, wie er dem
dionysischen Chore 666 AB gestattet wird, wird nur dann als Anregungsmittel zum Singen zu erziehe-
rischen Zwecken von Erfolg sein, wenn der Weingenusz von den Sängern selbst als eigenes Erziehungs-
mittel betrachtet und angewendet wird. Im anderen Falle würde die notwendig eintretende Ausartung
der ^i^T) auch eine Ausartung des Gesanges zur Folge haben. Übrigens mag man zugeben, dasz, je
gröszer der Weingenusz wird, um so mehr die Bedeutung der ^i^rj als eines auf die Sänger selbst
gerichteten Erziehungsmittels zunimmt, während ihre Bedeutung als eines Anregungsmittels zum Singen
mehr zurücktritt.
Die zweite Frage, welche wir nunmehr zu beantworten haben, lautet: Ist die so auf zwei Zwecke
gerichtete Einrichtung des dionysischen Chores zu vereinigen mit dem im ersten Buche über das er-
zieherische Element der yUdt} Gesagten?
Zeller (Piaton. Stud. S. 33) und Bruns behaupten, dasz die liidt} im ersten Buche als Übungs-
mittel für die Jugend dienen solle, während sie im zweiten Buche auf die über 30 Jahre alten Männer
beschränkt werde. Zeller beruft sich dafür auf 643 C ff. Doch handelt es sich dort um jene ganz
allgemein gehaltene Definition der naiöeia. Dasz die naiöeia von Jugend auf anfangen musz, ist
selbstverständlich, aber man wird doch nicht behaupten wollen, dasz die Übung durch ^£^17 die einzige
jiaidsia sei; folglich kann man von jener Definition auf diese keinen Schlusz ziehen. Bruns (S. 38),
welcher diese Stelle, als wenigstens in ihrem jetzigen Zusammenhange redaktorischen Ursprungs, nicht
heranziehen kann, beruft sich auf 635 C. rauröv dr] tovt' olfiai xai TTQÖg rag ^öoväg iöei 6ia-
voela&ac rbv avtöv vofio&ertjv^ Xiyovxa avrbv iigog iccvzbv, dtg rjfilv ix viwv et aneiQoi xväv
fuyiariov rjdovcöv ol noXXtai yevi^aovtac xai dutXirrjxot, yiyvöfjievoi h taZg ^öovaZg xagTsgeTv
xai liTjdkv Tcov alaxQcov dvayxd^ead^ai jtoulv, ^sxa rrjg yXvxv9vfuag rjjg ngbg rag ^(Jovag vav-
xbv nüaovxac xolg fjxxwutvoig xcov <p6ßwv. Es ist richtig, dasz an dieser Stelle zum ersten
Male die Notwendigkeit einer Übung in der owtpQoavvr] formuliert wird. Die dorische Gesetzgebung
wird getadelt, weil sie darauf ausgeht, die fjdovai von Jugend auf möglichst auszuschlieszen. Denn
es zeigt sich, dasz eine Übung in den ^öovai behufs Erlangung der aonpQoavvf] noch wichtiger sei
19 ^
als eine Übung in den (p6ßoL behufs Erlangung der dröpsia. Als dasjenige, was die fjdovai am
stärksten erregt, und was in Sparta principiell ausgeschlossen ist, wird nun 637 A die A«*^ genannt,
und diese wird dann im weiteren Verlaufe des Buches als Mittel zur Prüfung und Übung in der
a(0<pQoaiv7} besprochen. Wenn man demnach auf die Zusammenstellung der Worte ex viwv x<av
fiBYtortov fjöovbiv groszen Nachdruck legen will, so kann man ja in Verbindung mit dem Folgenden
den Gredanken darin angedeutet finden, dasz die piii^ri von Anfang an als Erziehungsmittel g^en
fjdovai angewendet werden solle. Aber die Worte lassen sich doch auch ohne diesen speziellen Bezug
allgemeiner so erklären, dasz es falsch sei, die gröszten fjdovai von Anfang an auszuschlieszen, anstatt
sie vielmehr zu erziehen und analog den (pößoc als Mittel zur Erlangung der acacpgoavvi] zu be-
nutzen. Und diese Erklärung wird gestützt durch den naheliegenden Gedanken, dasz doch nicht jeder
Grad und jede Art der ^dovrj für jedes Alter passend sei. Mit einem Worte die lUyiatai, fjöovai
sind relativ zu verstehen : für die Jugend sind die zulässigen piiyiatui fjdovai nicht dieselben wie für
das gereifte Alter. Bruns (S. 38) sagt freilich: „Übrigens versteht es sich von selbst, dasz man g^en
die Verführungen der Lust nicht erst dann pädagogisch wirkt, wenn sie aufhören — nämlich im
Greisenalter." Nun, ich glaube, die Übertreibung wird Bruns selbst eingestehen. Mit 30 Jahren fangt
doch nicht das Greisenalter an, und es kann doch auch nicht als sinnlos bezeichnet werden, auf die
über 30 Jahre alten Männer bezüglich der fjöovai noch pädagogisch zu wirken. Ich sage, noch päda-
gogisch zu wirken ; denn dasz die pädagogische Wirkung dann erst anfangen sollte, wäre freilich sonder-
bar, und eben diese Voraussetzung hat Bruns auch zu jener Übertreibung verleitet. Es bliebe also,
um die von mir aufgestellte Behauptung, der im ersten Buche geschilderte erzieherische Zweck der
Hi^rj sei nicht auf die vioi zu beziehen, annehmbar zu machen, noch der Nachweis übrig, dasz der
Schriftsteller einmal die iiid^r] erst für das spätere Alter als zweckmäsziges Bildungsmittel hinstellt,
und dasz er zweitens eine pädagogische Einwirkung anderer Art ihr schon vorausgehen läszt.^) Wir er-
innern uns, dasz uns diese Voraussetzung schon beim Übergange vom ersten zum zweiten Buche selbst
notwendig erschien, und dasz wir schon damals andeuteten, das erste Mittel zur Erziehung der fjSovai
und Xvnai sei in der ^ovoixrj zu suchen. Die fortschreitende Analyse hat uns jetzt den Grund er-
kennen lassen, weshalb dies der Fall ist. Die [iovautr] ist wegen des ihr zu Grunde liegenden Ge-
fühles für Harmonie und Bythmus geeignet von vornherein^ die fjdovai und Xvnai mit dem erst später
zu gewinnenden Ao/ta/iög in Übereinstimmung zu bringen. Nun zeigt sich aber, dasz die Neigung
zur selbstthätigen Ausübung der piovaixr} bei den über 30 Jahre alten Männern, und zwar je älter
sie werden, desto mehr, abnimmt. Hier setzt demnach die Anwendung der fii^ ein, zunächst um
als ein Anregungsmittel zum Singen, dann aber auch, in engster Verbindung damit, um als ein auf
die Sänger selbst gerichtetes Erziehungsmittel zu dienen. Bemerkenswei-t ist die Art, wie diese Ein-
schränkung der fii&7] begründet wird. Den vioi bis zum achtzehnten Jahre, heiszt es, müssen wir
überhaupt jeden Weingenusz, den vioi bis zum dreiszigsten Jahre wenigstens die itoXvoivia verbieten
didaaxovreQ, &g ov XQ^ ^Q ^^^ ^^Q ^X^^^^^ «^S ^« ^o o(aiia xai trjv tpvx^v, jtgiv eni tovg
növovg iyx^i^v nogevea^at, vtjv iiifiavi] sdXaßovfuvoc k'^tv ruivvetav. Die vioc sind eben
schon von selbst in einer kfifiavrjg i'^ig t(ov ipvxcor, welche bei den Älteren erst durch die fii&rj
hervorgerufen wird, und die fjdovai sind bei ihnen schon von Natur stark genug, der Xoyiofiög da-
gegen noch zu schwach entwickelt, als dasz eine künstliche Beizung der ^dovai auf £osten des koyta-
(lög thunlich wäre. Erst wenn die vioi gelernt haben, vermittelst der xoQeia ihre fjdovai in Über-
einstimmung zu setzen mit dem Xoyionög und so zu mäszigen, und wenn ihre fjdovai durch das ge-
reiftere Alter von selbst mehr herabgestimmt sind, wird eine Erziehung durch ni&rj annehmbar. Zu
vergleichen ist hierzu noch die Stelle 672 C, wo die ipifiavfjg e^ig der jcaTdeg, als Grundlage für die
Bildung durch xoQBia, in Parallele gesetzt wird zu der durch (udrj erzeugten ftavia, als der Gmndlage
für die Bildung durch diese.
Nach dieser allgemeinen Rechtfertigung des logischen Zusammenhanges der beiden Bücher
müssen noch einige einzelne Fragen behandelt werden, welche Bruns angeregt hat.
Im zweiten Buche befinden sich nach ihm (S. 43 ff.) zweierlei Arten von Zurückweisungen.
Beide werden mit xar' dgxceg oder iv dgxoZg eingeleitet. Bei den einen, den nach Bruns als original
anzuerkennenden, wird hiermit der Anfang des zweiten Buches bezeichnet, bei den anderen, nach Brun»
dem Redaktor angehörigen, die Ausfühi-ungen des ersten Buches.
0 S. 13. 3*
/
20
Eine BOckweisung auf den Anfang des zweiten Buches haben wir zunächst 664 E. stnofiev
sl uBi-tvrjue&tx xar' aQxog rwv Xöywv, (bg f] q)i)aiq x(av viwv öianvQog ovaa fjavxLav ovx ol'a re
äyeiv ovTS xord rö adapia ovze xorrd trjv (pwvrjv. Die Worte beziehen sich auf 653 D (prjaiv 6i
(seil. 6 Xöyog) rö viov ciitav fbg ^itog dnEiv tolg r« atbiiaai xal ralg gxovaig fjavxiov ayuv
od övvaoitai. Hier ist daran zu erinnern, dasz das im ersten Buche über ue.'9r] Gresagte mehr yor-
bereitender Natur ist. Über den eigentlichen erzieherischen Zweck der fiid^i] und ober die Art ihrer
Einrichtung wird erst im zweiten Buche gehandelt, und zwar auf Grund der liovatxr], auf deren ersten
Anfang eben jene Worte hinweisen. Wenn es also unmittelbar vorher 664 D heiszt: xai [xrjv elalv ys
ovroiy (ov x^^Qf-v ol nXeloroi xwv ifingoad^ev kQQtidrjaav Xöycov^ so ist mit dem oi kfingoa&ev
Xöyoi nicht die ganze vorhergehende Erörterung gemeint, sondern nur der Teil derselben, welcher in
direkter Beziehung zum dionysischen Chore steht, und welcher beginnt mit dem zweiten Buche. Mithin
bezieht sich das xar' dgx^g '^^^ Xöyiov auch nach vorhergehendem ersten Buche doch vollständig
logisch auf den Anfang des zweiten Buches.
Die zweite von Bruns (S. 46) als original anerkannte Stelle ist 671 A y.at oitsQ 6 löyog h
ccQXalg ißovXrj^r], tt]v tqi tov Jiovvaov x<^QV ßorj^etav iiriÖEt^ai xakwg Xeyofiivrjv, eig dv-
va^iv eiQTjxEv. Bruns sagt nur, dasz sie sich auf den Anfang des zweiten Buches beziehe, ohne die
Stelle anzuführen. Dabei hat er nicht beachtet, dasz die Worte 653 A 'Ava[4vr}a&Tjvai roivvv iyayye
naXtv imdvuw, xL itoxf Xsyoi-iev fiiilv eivai xrjv ÖQ&fjv Jtaiöeiav. xovxov yag, mg ye iyo) xo-
ita^ü) xä vvv, iaxiv h xcp iittxrjdevfiaxi xovxco xaXcjg xaxoQ^ovfiivcp ocaxrjQidy auf welche sich
jene Stelle nach meiner Meinung allein beziehen kann, von ihm als redaktorische Zuthat erklärt werden,
weil sie auf das erste Buch zurückweisen, worauf schon Praetorius*) mit Recht aufmerksam macht.
Denn dasz sie sich vielleicht auch auf 653 D beziehen könnte, wie Praetorius anführt, ist, soweit ich
sehe, ausgeschlossen, weil hier die Musen, Apollo und Dionysos vollständig gleichgestellt werden und
auf letzterem nicht ein besonderer Nachdruck ruht, was doch jene Stelle 671 A jedenfalls voraussetzt.
Also im zweiten Buche kann sich die angeführte Stelle nur auf die auf das erste Buch zurückweisenden
Worte 653 A beziehen. Nun findet sich aber auch im ersten Buche derselbe Gedanke 641 D Joxelg
rj^ilv (3 (piXs xr]v kv xoig oivoig xoivijv öiargißrjv tug slg Jtaiöeiag ^eyaXrjv {lolgav xeivovaav
Xiyetv, av dg&wg yiyvrjxai. vergl. 643 A 6ia yag xavtrjg (seil, xfjg naiöeiag) (pafiEv Ixiov sivai
xöv figoxexet'giOfiivov iv xcp vvv Xoyov vcp' f]uwv^ ^ixgtJteg äv ngög xöv ifeöv aq)ix7]xaL, so
dasz es also zweifelhaft sein kann, ob der Schriftsteller 671 A speziell die Stelle des zweiten Buches,
oder vielmehr die des ersten Buches im Auge gehabt hat. Übrigens ist es sachlich gleichgültig, was
wir annehmen wollen; denn das xovxov yag, äg ye iyo) xoTta^o) xa vvv, iaxtv sv tqJ ijtixrjösv-
liaxL xovx(p . . awxTjgia findet nur unter Voraussetzung der betreffenden Stellen des ersten Buches
seine Erklärung. Endlich ist zu bemerken, dasz auch die bei Gelegenheit des zuerst besprochenen
Citates angeführten Worte 664 D xai fifjv etaiv ye ovxoi (seil, ot xgixvt xogoi) wv ;fdptv ol
nXeZaxoc xtov eixngoa^ev iggfj&rjoav Xöywv denselben Gedanken, dasz nämlich der dionysische Chor
als Gipfelpunkt der Untersuchung anzusehen ist, voraussetzen. Wenn Bruns demnach diese beiden
Citate 664 DE und 671 A als originale gelten lassen will, so rausz er entweder den Zusammenhang
von Buch I und II anerkennen, oder er musz annehmen, dasz in der ursprünglichen Fassung des
zweiten Buches ein ähnlicher Gedanke vorausgegangen und vom Redaktor durch den jetzt vorliegenden
ersetzt wäre. Wie bedenklich aber die Annahme ist, eine Stelle, auf die sich ein späteres Citat sehr
wohl beziehen kann, als redaktorisch zu erklären und durch eine andere Stelle ähnlichen Inhalts zu
ersetzen, die vom Redaktor gestrichen sei, ist von selbst klar. Oder aber Bruns musz auf die Origi-
nalität jener Citate und damit auf den von ihm aufgestellten Unterschied zwischen originalen und
redaktorischen Citaten überhaupt verzichten.
Nun noch eine sachliche Bemerkung zu der Stelle 671 A. Es könnte auffallend erscheinen,
wenn mit den Worten xai onsg 6 Xöyog iv dgxaZg ißovXrj^rj, xfjv xcp xov Jtov6oov xog<p ßorj-
deiav eniöei^aL xaXdg Xeyopievrjv, elg övvanLv etgrjxev ,,Und was die Untersuchung von Anfang
an bezweckte, nachzuweisen, dasz die durch den dionysischen Chor (betreffs der nai^eia) erreichte
Hilfe mit Recht behauptet sei, hat sie nach Vermögen nachgewiesen" — der Vorteil, welchen der
') Praetorius: De legibus Platonicis a Philippe Opuntie retractatis. Bonn 1884, p. 33.
21
Wein als Anregungsmittel zum Vortragen von Mustergesängen gewährt, als das einzige von Anfang an
beabsichtigte Resultat der Untersuchung hingestellt wird. Doch sahen wir schon vorher, dasz der
Wein diese Wirkung nur haben könnte, wenn er von den Sängern selbst als ein auch auf sie gerichtetes
Erziehungsmittel zur aaxpQoaivr) gehandhabt würde. ^) Genau dem entsprechend wird dann auch an
unserer Stelle fortgefahren: axe(p(b(i£&a df} et xov^* ovna yiyovev. „Sehen wir also, ob dies (d. h.
der eben angegebene Erfolg des Weingenusses) so erreicht worden ist." Das „so" wird sodann dahin
erklärt, dasz die vöfiot aviiiKmxoi im Stande sein müszten, röv tvekniv xal &aQQakf.ov ixeivov
yiyvöfxevov xai dvaioxvvreQov tov öiovzog, xul oix i&iXovra rä^tv xal tö xaxa iiiQog oiy^g
xai Xoyov xal Ttöaecas xal fto6aijg irtOftiveiVy kdikEiv Jtoietv n&vta TOtJrots ravavtia. Also
der Vortrag von Mustergesangen ist in der That der Endzweck des dionysischen Chores, durch welchen
nicht nur der erzieherische Einflusz auf die Jugend, sondern auch die Erziehung der Mitglieder selbst
gewährleistet wird; denn eben in dem Vortrage dieser Gesänge bethätigt sich die auf die Probe ge-
stellte ou)q)Qoavi'T] der Mitglieder. Was endlich die von Bruns (S. 45) im Gegensatz zu den eben
behandelten als redaktorisch bezeichnete Stelle betriift 671 A &ogvßd)6i]g [liv Ttov 6 ^vlloyog 6
TOtovTog is äv&yxrjg itgoiovarjg Tr,g Jtöaecog enl (lakkov del ^v^ßaivei yiyvöitevov, öneQ vjts-
^ifieita xar aQxäg dvayxalov elvac yiyvea&ai nsQi tiav vvv ^yofiivatv*), so weist sie zurück
auf64dC eativ öe ye fj roiavtr] avvovaia, eI'tceq EOtai [iEtä fJ-Extrjg, ovx d^ögvßo^. Hier bezieht
sich das xar dgxdg also nicht auf den Anfang der Untersuchung, welche speciell vom dionysischen
Chore handelt, sondern auf die vorbereitenden Untersuchungen des ersten Buches. Um zu verstehen,
wie der Ausdruck xar dgxo^S ^^ Sinne des Schriftstellers eine so weite Beziehung zuläszt, dasz er
auf die räumlich ziemlich weit getrennten Stellen 640 C und 654 A hinweisen kann, musz man be-
denken, dasz, nachdem 643 A bis 645 D der Zweck der jiaiÖEca festgestellt ist, der ganze Rest des
ersten Buches der vorläufigen Erörterung gewidmet wird, welcher Nutzen angesichts dieses Zweckes in
der (lEx^rj überhaupt liegen könnte, dasz aber die Darstellung, wie dieser Nutzen im Zusammenhange
mit der fwvaixr] zu verwirklichen sei, erst mit dem Anfange des zweiten Buches beginnt.
Weiter meint Bruns, die unumwundene Art, auf welche im zweiten Buche Gesetze gegeben
würden, zeigte, dasz wir hier einen Teil der Gesetzgebung für die magnesische Kolonie vor uns hätten;
ja er findet sogar einen Beamten, welcher nachher für die magnesische Kolonie eingesetzt wird, im
zweiten Buche bereits vorausgesetzt.
Gehen wir zunächst auf den letzteren Punkt ein, so behauptet Bruns (S. 70), dasz an der
Stelle 658 E dkXa axEÖbv ixEivrjv eivai Movaav xalXiarrjv, rjrcg rovg ßilriaTOvg xal ixavtog
jtEitaid'EVfiivovg xeqiiei, fiahava 6i TJrig ^va tbv dQEtfj xe xal TtaiÖEtq 6iag>EQ0VTa — dieser
Eig dQExfj XE xal Ttaideiq 6iaq)EQ(ov gar nicht verstanden werden könne; es sei kein anderer als
der 765 D eingesetzte oberste Erziehungsaufsehev, von dem es heisze og av dgiarog Eig ndvxn ?].
Nun ist es ja richtig, dasz dieser 765 D eingesetzte Beamte in der magnesischen Kolonie auch hin-
sichtlich der fiovaixrj als oberster Aufseher fungiert. Aber weshalb jene Worte des zweiten Buches
direkt auf ihn bezogen werden und ohne seine Einsetzung unverständlich sein sollen, vermag ich nicht
einzusehen. Jene Worte besagen doch nur, dasz die fiovaixr] nicht nach der ^öovt) jedes beliebigen,
sondern nach der ^dorrj der Besten oder vielmehr eines durch Tugend und Erziehung besonders
Hervorragenden beurteilt werden müsse; und gerade der unbestimmte Ausdruck Sva xöv dgEx/j xs xal
naiÖEiq öiacpigovxa statt der Nennung des betreffenden Beamten scheint mir zu beweisen, dasz wir
hier nicht eine gesetzliche Bestimmung für die magnesische Kolonie vor uns haben.
Um sodann über die angeblich unumwundene Art, wie im zweiten Buche Gesetze gegeben
werden, zur Klarheit zu kommen, beachte mau zunächst, dasz es an der Stelle, wo zum ersten Male
eine gesetzliche Bestimmung hinsichtlich der [wvaixrj in Frage kommt (656 C), ganz allgemein heiszt:
OTtov öt) vöfiot xaXcog eloi xei^Evoi y xal Etg xöv EKELxa xQ<^vov ^aovtai, negl^) xrjv jieqI xa,
Movaag naiöeiav xe xal itatöiav olöf^E&a e^iaea^ai xolg noirjTixolg . . . o xi äv xvxrj dnegya-
^EO^ai Jigög dgexrjv rj (.lox^figtav ; Mit dieser Allgemeinheit lieszfe sich nun freilich die Gesetz-
1) S. 18.
*) XEyofiEvwv Eusebius. yiyfOfiivwv A.
^) Ttegl hat Schanz hinzugefügt. Jedenfalls musz eine sinnverwandte Präposition ausgefallen sein.
22
gebung für die kretische Kolonie noch sehr wohl vereinigen, wenn, nachdem die Möglichkeit einer der-
artigen gesetzlichen Bestimmung durch den ägyptischen Brauch nachgewiesen, und die Richtigkeit der
Itovaixf} dahin bestimmt ist, dasz sie nach der fjöovr] der Besten oder vielmehr des Besten beurteilt
werden müsse, nun eine entsprechende Bestimmung für die kretische Kolonie folgte. Eine solche Be-
stimmung folgt aber nicht, sondern der Satz, die fiovaix^ sei nach der ^öov^ des Besten za beur-
teilen, wird 659 D nur benutzt, um daran zu erinnern, dasz die Untersuchung somit wieder auf das
schon vorher anerkannte Ziel der naiöeia — Übereinstimmung der ijöovai und Xvnai mit dem Xo-
yujfÄÖg — führe. Und auch nachdem weiter gefunden ist, dasz im letzten Orunde die dgexi^ von
der fj6ovf], wie umgekehrt die xaxia von der Xvnt], unzertrennlich wäre, und dasz der Gesetzgeber
den Dichtem unter keinen Umständen erlauben dürfte davon abweichende Behauptungen in ihren Ge-
dichten aufzustellen, folgt keine diesbezügliche Bestimmung für die kretische Kolonie, sondern es ist
ganz allgemein von dem vofiOx^irrjgy ov xi xai afAixgbv 6g)£Xog die Bede (663 D). Ebenso allge-
mein heiszt es 664 A, wo es sich darum handelt, dasz der Gesetzgeber zu diesem Zwecke auch wohl
ein \pev(iog ersinnen dürfe: xai tot, liiya. yiati vo/io^cV// iragaöetyi^a toü neiaeiv, ort äv
iittxstvfj xig nel&eip rag riov viwv yjvxäg. Säte ovökv äXXo avxbv öst axonovvra dvevQtaxeiVf
il xi nüaag [Aiyiaxov aya&ijv igyöaatro äv nöXiv, xo^tov 6e itigi ndaav (iijxavjjv eögiaxttv^
omi/v' äv noTE tQ&rtov ^ xoiaöxr] avvoixia ndaa itSQi tovxutv iV xai xadxöv oti fi&Xiaxa
cp&iyyoit' du .... Hier behauptet Bruns (S. 70) freilich betreffs des Ausdrucks fj roiavtrj ovvoixia :
„Um von einer ,,solchen'' Gründung sprechen zu können, muszte die bestimmte Nennung dieser Gründung
vorausgehen, zum mindesten ein Gedanke wie dieser: „Nehmen wir an, wir hätten eine Musterkolunie zu
gründen." Da nichts derartiges vorausgeht, wäre näaa avvoixia oder avvoixia rtg richtiger gewesen.
r) ToiavT/j avvoixia ist unlogisch und verrät die unnatürliche Stellung des ganzen Abschnittes." Aber
der Ausdruck f) toiavrrj avvoixia ist mit Bezug auf das erste Satzglied: rj xi neiaag ftiyioxov
äyadbv Igyäoaito äv itöXiv^ zu verstehen; eine „solche Wohnungsgemeinschaft" oder „Stadt" (nicht,
wie Bruns übersetzt, „Gründung") soll heiszen: eine Wohnungsgemeinschaft, hinsichtlich welcher der
Gesetzgeber sich klar geworden ist, was für sie das ftiyiaxov dya&6v sei. Dies kann gar nicht
zweifelhaft sein, sofern das roiavrrj sich doch auf das unmittelbar Vorhergehende beziehen musz.
Selbst wenn dieser Abschnitt der Gesetzgebung für die kretische Kolonie angehörte, wäre doch das
Toiavrr) in der eben angegebenen Weise zu verstehen und könnte unmöglich auf die kretische Kolonie
als solche bezogen werden. Dies ginge nur an, wenn au die Stelle des jetzt da stehenden Vorder-
satzes die direkte Nennung der kretischen Kolonie träte.
Um noch deutlicher zu erkennen, wie wenig das zweite Buch bis zu dieser Stelle (664 B) den
Charakter einer wirklichen, für eine bestimmte Stadt berechneten Gesetzgebung trägt, möge man den
betreffenden Abschnitt des siebenten Buches 790 A ff. vergleichen, wo derselbe ägyptische Brauch in
der That als Muster für die Gesetzgebung der kretischen Kolonie benutzt wird. Der nun folgende
Abschnitt könnte freilich — das musz man zugeben (cf. Bruns S. 69) — nach seiner Fassung wohl
ein Stück der Gesetzgebung für die kretische Kolonie sein. Es wird in ihm erörtert, wie sich auf
Grund der als richtig erkannten fiovaix^ die Darstellung derselben durch Chöre zu gestalten habe,
und da heiszt es 664 C — es ist das diejenige Stelle, welche am ersten den Gedanken, dasz wir es
hier mit einer wirklichen Gesetzgebung zu thun hätten, aufkommen lassen könnte — : Jtiog ovv
aöxovg nagafiv&ijaöiu&a ngo&vfAovg elvai itgog tag (pdäg ; äg^ oö vofiod^exrjaofisv u. s. w.
Hier wird also wirklich eine gesetzliche Bestimmung gegeben. Aber wir haben durchaus keinen Grund
dieselbe auf die kretische Kolonie oder überhaupt nur auf eine bestimmte Stadt zu beziehen. Vielmehr
wenn wir bedenken, dasz die Grundlage, auf welcher diese ganze Besprechung der Chöre ruht, — die
Darstellung von der richtigen Beschaffenheit der Musik — in keiner Weise zu einer bestimmten Stadt
in Beziehung gesetzt ist, so müssen wir schlieszen, dasz auch an dieser Stelle von keiner bestimmten
Stadt die £ede ist, sondern dasz der Ausdruck fj jtöXig, welcher verschiedentlich gebraucht wird (664 D
oüi? trj nöXsi ; 665 D tö ägiarov Tfjg nöXEwg), und welcher also auch für die hier in Frage kom-
mende gesetzliche Bestimmung maszgebend ist, ganz allgemein verstanden werden soll. Dasz aber bei
der ins einzelne gehenden, fortlaufenden Darstellung, welche hier nötig wird, das fmeCg an die Stelle
des auch möglichen vono^itrjg tig tritt, kann doch nicht auffallig erscheinen!
23
Ein wesentliches Bedenken formeller Natnr bleibt freilich bei der von mir gegebenen Ansicht
bestehen. Die Worte 671 BC. otxovv S<pafi£ry otcxv yiyvrjtat, rwrct, xa^airsg ttva aiöijgov ras
ipvxccg ttSv irivövTiov öian^Qovg yiyvoftivag fiaX&axcoTtQag yiyvea^ai xai vsansQag, co'orc
edaydtyovg IvixßaivBiv r<p dvva(Aiv(p re xai ittiaTafj£v<p naiöeiEiv re xai nXarreiVy xad&nig
öt' TjOav veai — können sich, wie Bruns (S. 43) richtig sagt, nnr beziehen anf 666 BC coar« dvrj-
ßdv ij^tag xai tSvaOvfJiag krj&rjv yiyvsa&tu, ixak^axunegöv r'ix axXrjQOTSQOv t6 rfjg ifrvjc^g
^/^og^ xa^änto «^S ^«P aidrjQov ivre&evTa, yiyvöfievov xai ovtco evnkaoT&reQOv elvai. Nur
hier findet sich der Vergleich des seelischen Zustandes mit glühend gemachtem Metalle, und nur hier
wird mit den Worten evjtXaarÖTEQov dvai der Begriff des nlavTeiv angedeutet. Das einzige, was
gegen diese Beziehung sprechen könnte, sind die Worte ovav yiyvTjiai xavta-, denn mit dem xavta
kann nur der unmittelbar vorhergehende Gedanke gemeint sein, dasz das Gelage in seinem Fortgange
notwendig einen lärmenden Charakter annehme, ein Gedanke, welcher aber 666 C nicht ansgesprochen
ist. Jedoch wird man hieran, glaube ich, kaum einen ernstlichen Anstosz nehmen, wenn mau bedenkt,
dasz jener lärmende Charakter als eine von vornherein anerkannte notwendige Folge des uneinge-
schränkten Weingenusses hingest-ellt wird, und dasz mithin, was von jenem Weing«nusse überhaupt
gesagt ist, auch bei dem Eintritt dieser Folge seine Gültigkeit haben musz. Übrigens ist diese Folge
gerade hier offenbar absichtlich hervorgehoben wegen des scheinbaren Widerspruches, in welchem sie
mit der gleich folgenden Schilderung des erziehlichen Elementes der lUd^q steht. Also bis xa&äiceg
ÖT* ijaav viai haben wir eine Bückweisung auf 666 C anzuerkennen. Wenn aber fortgefahren wird:
rovrov öUlvai xbv nldavijv töv aötbv äaneg rdrc, vbi' dya^öv vofio&irrjVy so li^ hier kein
Bezug mehr auf jene Stelle des zweiten Buches vor, sondern dies könnte sich nur auf das im ersten
Buche Gesagte beziehen, wo es 647 A heiszt : ^Ag^ ovv xai voiiodirrjg, xai nag ov xai apuxgöv
6(p£Xog, rovTOv tbv wößov kv tififj (isyiaTjj oißei, und 648 E italiv örj ngbg xbv voftos^ixTjv
Xiyioftsv xaöe' eis:- cJ i>ofio9ixa etc. Aber, selbst wenn man diese wunderbare Art des Citierens,
dasz zuerst eine Stelle des zweiten Buches citiert und dann, scheinbar dieselbe fortcitierend, ein Ge-
danke des ersten Buches herangezogen wird, gelten lassen wollte, so kommen wir mit den Worten ov
vöf40vg tlvat öel ovfiTtorixovg auf einen Gedanken, welcher freilich aus dem ersten Bnche wohl ge-
schlossen werden kann, aber in dieser Form doch nicht dasteht. Geschlossen werden kann er ans 647 D.
a(bg)g(ji)v öi äga xeXmg Saxat [jf] nollalg fjöovaXg xai inidvfüaig TcgoTgsnovaaig ävaiaxw'
xelv xai äöixtiv diafie^axi]ftivog xai vevixtjxibg fiszä Xöyov xai igyov xai xix^rjg Sv rt naiöi-
aig xai iv OTtovöalg — und noch mehr aus 648 C, wo von dem dem Weine analogen q>ößov <pdg-
liaxov die Bede ist, XQV^ ^'^v etg rot>s <p6ßovg aytav xai iXiyxoiv iv toig iza&ri^aaiv, coore
ävayxa^eiv äq)oßov yiyvta&üt nagaxeXevöfievog xai vov&excov xai t«/möv, töv öe dxifxaCfov
u. s. w. Freilich liesze sich einwenden, dasz die Form des Satzes ov vö^ovg elvai du av^itoxixovc
nicht notwendig die Fortsetzung eines Citates voraussetzt. Indessen, wenn es später heiszt: xbv av
liil övvdfiBvov idiXeiv itei^ea&ai xoiuxoig (seil, xotg vöiioig) xai tolg ^ysfxöai xotg xov Jio-
vvaoVy xolg vnig i^xovxa irrj yeyovöoiv, larjv xai fxei^bn xi]v atax^vrjv <pig£iVy ij xbv xotg
xov "Agsatg djtBidovvra dgxovOLv, so kann der Infinitiv hier nnr von jenem ersten Sq}afuv ab-
hängen, und wir haben mithin die Form eines Citates bei einem ganz neuen Gedanken, welcher sich
weder im ersten noch im zweiten Buche findet; denn es ist nirgends gesagt, dasz die über sechzig
Jahre alten Greise die fjyE^iövBg xov Jiovüoov sein sollen.
Also dasz an unserer Stelle ein logischer Fehler vorliegt, ist jeden&lls zuzugeben. Bruns erklärt
sich denselben, indem er die Stelle dem Redaktor zuschreibt. Doch ist damit keine eigentliche Er-
klärung gegeben. Denn weshalb sollte der Bedaktor, wenn er diesen Gedanken einfügen wollte, um
den dionysischen Chor mit der Metheeinrichtnng des ersten Buches zu vereinigen, das in dieser unlo-
gischen Form thun? Wenn es sich um das Miszverständnis eines von dem Schriftsteller ausgesprochenen
Gedankens handelte, so könnte man das bei einem Bedaktor natürlich finden; aber dasz «r einen durch-
aus neuen Gedanken als früher ausgesprochen citiert, dasz er, an eine Stelle des zweiten Buches an-
knüpfend, ruhig fortcitierend Gedanken des ersten Buches anführt, bleibt doch auch für einen Redaktor
höchst sonderbar. Vielleicht wäre es dann noch wahrscheinlicher, dasz wir hier eine unvollendete Stelle
des Schriftstellers vor uns haben. Denn dasz in Form eines Citates Gedanken angeführt werden, welche
sich freilich aus der früheren Darstellung leicht ergeben, welche in ihr aber doch nicht direkt ausge-
t ..•■• ■■■
i .. .
24
sprechen sind und sich noch weniger an einer Stelle vereinigt finden, läszt sich nach meiner Meinung
bei einem vorläufigen Entwürfe des Schriftstellers, welcher den Gedanken ohne Rücksicht auf die ein-
zelnen vorhergehenden Stellen aus dem ihn beschäftigenden Plane nimmt, viel leichter erklären als bei
einer Einschiebung des Redaktors, welcher vielmehr auf Grund der einzelnen ihm vorliegenden Stellen
die Ergänzung aufbauen musz. Übrigens kann man dem logischen Fehler an unserer Stelle leicht
durch eine kleine Änderung abhelfen, wenn man annimmt, dasz in den Worten toütov de eivai röv
nkdOTTjv röv avrbv ojartEQ r6re zwischen avrov und löoneg ein ronra^w ausgefallen sei, von
welchem dann die weitere indirekte Rede abhängen würde. Das tona^o) wäre bei Anführung von
Gedanken, die sich aus dem Vorhergehenden leicht schlieszen lassen, eine ganz passende Wendung.
Was den Rest des Buches anlangt, so wird anknüpfend dai*an, dasz ein in der eben beschrie-
benen Weise eingerichteter Gebrauch der ^li^j] vorzügliche Dienste leisten würde, erklärt, man müsse
also nicht die Gabe des Dionysos so ohne weiteres bei Seite schieben, als unwürdig in die Staatsver-
fassung aufgenommen zu werden; denn es könnte wohl noch jemand mehr Nützliches von ihr anführen,
da man auch das gröszte in ihr liegende Gut wegen des Miszverständnisses der Menge nicht ohne
Scheu namhaft machen könnte. Auf die Frage des Kreters, was der Athener damit meine, antwortet
dieser, es gehe eine Sage, dasz Dionysos, von Hera des Verstandes beraubt, den Wein den Menschen
aus Rache verliehen habe. Wie sich nun aber das Streben jedes jungen Geschöpfes, bevor es seinen
natürlichen Verstand erlangt habe, sich in ungeordneter Weise zu bewegen und zn schreien, als Grund-
lage der Musik gezeigt habe, so habe sich auch der Wein, welchen die Menge als Mittel zum Wahn-
sinn betrachte, als ein qjdQpianov ircl ow(pQoavvr]v erwiesen.
Sonderbarer Weise finden Zeller (Piaton. Stud. S. 60) und Bruns (S. 50) hier einen logischen
Fehler; mit den Worten 672 A Inel xai xö (leyiarov dyit&öv, o ötogeTtoc, Xeyeiv ^tiv oxvog
werde nämlich etwas Neues angekündigt, während in Wirklichkeit doch nur derselbe Gedanke folge,
von welchem unaufliörlich die Rede gewesen sei. Aber es soll mit jenen Worten durchaus nichts
Neues eingeführt werden. Der Athener sagt: xai yag k'ri irleio) nq äv Ifts^i/.&oi Xiywv iitü xoi
TÖ fiiyiOTOv dyad^öv^ 6 öcogntai, kiyuv fiiv öxvog elg rovg TiolXovg 6cd tö xaxtog rovg dv-
^Q(b7rovg avTÖ vTzoXaßelv xai yvtavai Xsxi^sv. Um diese Worte zu verstehen, haben wir uns ein-
mal vor dem knei etwa einen Gedanken wie: „und doch sind jene Vorteile unausgesprochen geblieben",
und dann als Gegensatz zu dem Xeyetv [lev: „und doch ist jenes Gut wirklich vorbanden", zu er-
gänzen. Die Übersetzung würde demnach etwa lauten: „Denn es möchte jemand wohl noch mehr Vor-
teile (nämlich: des Weingenusses) aufführen. (Aber diese sind unausgesprochen geblieben); denn auch
das gröszte Gut, welches er (nämlich: der Gott) verleiht, scheut man sich vor der groszen Menge aus-
zusprechen, (obwohl es vorhanden ist), weil die Menschen es falsch verstehen und es verkennen, wenn
man es ihnen nennt." Ich wüszte nicht, weshalb wir bei dieser Erklärung einen ganz neuen, bisher
unerörtert gebliebenen Nutzen des Weines unter jenem fiiycarcv dyaMv vermuten sollten; es scheint
mir im Gegenteil viel näher liegend, das ftfyiarov dycc&öv im Gegensatze zu dem xa) ydg in
TtXeiw rig äv ene^il^oi Uyoiv gerade auf die vorhergehende Erörterung zu beziehen. Ebenso wenig
beweist die Frage des Kreters: Tö notov 6q ; — dasz von etwas Neuem die Rede ist, sondern sie
beweist nur, dasz der Kreter noch nicht versteht, von welchem dyadöv der Athener eigentlich redet.
Endlich findet Bruns in den Worten 672 C ndv ^aiverai ts xai ßoq drdxrtog eine lächerliche
Übertreibung. Aber die etwas starke Schilderung von dem Zustande des viov hat, soviel ich sehe,
seinen guten Grund, und der Ausdruck piaLviadoL ist offenbar absichtlich gebraucht, um den hier be-
schriebenen Zustand zu der durch den olvog hervorgerufenen ^lavia in Parallele zu setzen.
Es folgt eine Eintheilung der xogeia in einen auf die Stimme bezüglichen Teil: die fiovatxrjy
und einen auf den Körper bezüglichen: die yvfivaotixrj. Der erstere Teil, sagt der Athener, sei er-
schöpfend besprochen; betreffs des letzteren stellt er den Mitunterrednern frei, ob sie ihn auch be-
handeln oder lieber bei Seite lassen wollten. Natürlich wünschen die Derer auch eine Behandlung der
ihnen viel näher liegenden yv^vaarixr]. In die Untersuchung hierüber wird dann auch wirklich ein-
getreten. Ähnlich der ^lovacxrj, heiszt es, entspringe auch die oQXV^tgt die Gnindlage der yu//-
vaoTixr], einerseits aus dem allen jungen Geschöpfen gemeinsamen Streben nach Bewegung, anderer-
seits aus dem den Menschen allein verliehenen Gefühle für Rhythmus. Vermöge der Verwandtschaft
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mit dem Liede sei dann aus der Vereinigung mit diesem die gesamte xoqeIcc entstanden, deren einer
Teil also besprochen sei, während der andere jetzt besprochen werden solle.
Dieser Gedankengang kann uns auflfällig erscheinen. Denn nachdem die Besprechung über die
fiiärj beendigt war, muszten wir eine Bückkehr zu ihrem Ausgangspunkte und eine Stellungnahme zu
der damals ausgesprochenen Voraussetzung von der Mustergültigkeit der dorischen Verfassungen er-
warten. Es muszte jetzt gesagt werden, dasz diese Verfassungen jener Voraussetzung augenscheinlich
nicht entsprächen, da sie für die avÖQeia nur einseitige und für die aco^goavvrj überhaupt keine er-
zieherischen Institute aufzuweisen hätten. Jedoch hängt einmal die hier von ^ovaixrj und yvuvaatixij
gegebene Definition so eng mit den zu Anfang des zweiten Buches aufgestellten Begriffen zusammen,
dasz an der Zugehörigkeit dieses Abschnittes zum zweiten Buche nicht gezweifelt werden kann. Auf
der anderen Seite kann der Abschnitt auch nicht zur Unterstützung der Ansicht von Bruns dienen,
dasz wir im zweiten Buche ein Stück der Gesetzgebung für die kretische Kolonie vor uns haben. Denn
obwohl die eingeleitete Besprechung der yvfivaarix^ im Anschlusz an die fiovaixr] für diese Ansicht
sprechen könnte, so wären doch in einer fortlaufenden Gesetzgebung die Wort« 672 E rd d'fipUaea,
ojt(og av irt öoxij, jT£Qavov(j,ev ij xai kaaoiiev und 673 B rö 'Vij^av Hycopiev, y ncog xai Jtij
itoir]tiov sinnlos, weil bei einer wirklichen Gesetzgebung die yvfivaarixfj selbstverständlich besprochen
werden muszte, und dies nicht, wenn auch nur scheinbar, in das Belieben der Mitunterredner gestellt
werden konnte. Und selbst wenn wir diese Fragestellung an und für sich als möglich zugäben, so
hätte die wirkliche Besprechung der yvfivaatcxfj jedenfalls nicht allein mit Rücksicht auf die Natio-
nalität der Mitunterredner motiviert werden können, sondern es hätte mindestens ein Hinweis darauf
hinzukommen müssen, dasz bei Fortlassang der yvfivaatixfj die Gesetzgebung in einem wesentlichen
Punkte unvollständig bliebe.
Also wir müssen den Übergang zur Gymnastik als einen Teil des zweiten Buches, und zwar
des zweiten Buches in seiner jetzigen Stellung, anerkennen. Um nun zu verstehen, wie sich derselbe
zu den Anfangserörterungen des ersten Buches stellt, ist zunächst festzuhalten, dasz nicht wirklich
eine Besprechung der Gymnastik folgt, sondern dasz am Ende des zuletzt analysierten Abschnittes ganz
abgebrochen mit den Worten: „Fügen wir nun zunächst zu der Metheuntersuchung denSchlusz hinzu!"
eine übrigens allgemein gehaltene, für jede beliebige Stadt gültige Bestimmung eingeleitet wird, dahin
gehend, dasz der Weingenusz nur zu dem angegebenen erzieherischen Zwecke dienen dürfe, sonst aber
strengstens zu verbieten sei. Diese Bestimmung bildet den Schlusz des zweiten Buches. Darauf wird
eben so zusammenhangslos mit dem Anfange des dritten Buches fortgefahren: Tavra (Uv odv öi]
Tavrrj' nokuEiag 6e dgxrjv rlva nore qxo^ev yeyovEvai ; Hiernach ist klar, dasz einmal jenes nach
beiden Seiten des Zusammenhangs entbehrende Schlnszgesetz betreffs der ns^rj, wenn nicht seine Ent-
stehung, so doch gewisz seine jetzige Stellung — eine Frage, welche übrigens für unseren Zweck un-
erörtert bleiben kann — dem Redaktor verdankt, und dasz zweitens auch nach Streichung dieses Ab-
schnittes der Anfang des dritten Buches 676 A jedenfalls nicht die unmittelbare Fortsetzung von
673 C sein kann. Welche Fortsetzung haben wir nun mit Rücksicht auf die vorhergehende Untersuchung
von Buch I und Buch 11 zu erwarten? Die nächstliegende Annahme wäre ja, dasz die zuletzt eingeleitete
Besprechung über Gymnastik nun wirklich zu Ende geführt wäre. Trotzdem müssen wir diese Annahme
nach meiner Meinung zurückweisen. Es fiel uns ja schon sehr auf, dasz der Schriftsteller überhaupt,
anstatt den Faden des ersten Buches wieder aufzunehmen, eine Besprechung über Gymnastik einleitete.
Die vorhergehende Besprechung über Musik war gleich zu Anfang als notwendig erklärt, für die Be-
sprechung über Gymnastik dagegen läszt sich aus dem Vorhergehenden durchaus kein Grund nach-
weisen. Wenn dieselbe nun doch scheinbar eingeleitet wird, so denke ich mir den zu Grunde liegenden
Gedankenzusammenhang folgendermaszen. An den Hinweis, dasz die Gymnastik denselben Ursprung
habe wie die Musik und mit ihr zusammen die ganze xoQEia bilde, wurde die Erwägung geknüpft,
dasz es, nachdem die Einrichtung der Musik sich überall — also auch in den dorischen Staaten —
als verfehlt erwiesen habe, mit der Gymnastik wohl ebenso stehen muszte ; wie sich ja auch schon vor-
her gezeigt hatte, dasz dieselbe sich einseitig auf eine einseitig gefaszte ävögsia richtete. Auf Grund
davon muszte dann die vorausgesetzte Mustergültigkeit der dorischen Verfassungen überhaupt aufge-
geben werden. Jedenfalls haben wir so eine Fortsetzung, wie der bisherige Gang des Dialoges sie
26
fordert ; and anch die Heranziehung der Gymnastik zum Schlusz gewinnt so ihre gute Bedeutung, so-
fern die dorischen Staaten gerade für die Gymnastik als die vorzüglichsten Pflegestätten galten.
Wir müssen jetzt noch, um uns über Buch II vollständig zu orientieren : zwei Fragen erledigen :
1) Können wir das dritte Buch, welches den Übergang zu der in den folgenden Büchern ent-
haltenen Gesetzgebung für die kretische Kolonie vermittelt, überhaupt als Fortsetzung der
ersten beiden Bücher betrachten?
2) Wenn dies der Fall ist, wie stellt sich dann die Besprechung der Musik im zweiten Buche
zu dem betreffenden Abschnitte der Gesetzgebung für die kretische Kolonie im siebenten
Buche ?
Behufs Erledigung der ersten Frage ist es nötig, uns zuerst den Inhalt des dritten Buches kurz
zu vergegenwärtigen.
Buch ni beginnt mit einem historischen Überblicke über die Staatenentwickelung von den ersten
An^ngen menschlicher Bildung an. Diese Betrachtung führt auf Troja und schlieszlich auf die Grün-
dung der drei dorischen Staaten im Peloponnes. An dieser Stelle heiszt es, dasz also die Untersuchung
durch einen günstigen Zufall wieder auf den ersten Ausgangspunkt — den dorischen Staat von Sparta —
zurückgekommen sei, und es wird vorgeschlagen, nun von neuem mit der Betrachtung der Gesetzgebung
zu beginnen. Als die Ursache für den Verfall jenes dorischen Dreistaatenbundes wird dann die gröszte
Unwissenheit (/} fisyiarr] äfia^ia) gefunden. Diese bestehe aber darin, dasz das als xaXöv Erkannte
trotzdem gehaszt und gemieden werde, und sie entspringe aus einer im Verhältnis zur menschlichen
Natur übermäszig groszen Machtfülle der Staatslenker. Nicht eine möglichst grosze und uneinge-
schränkte Macht müsse das Ziel des Staatslenkers sein, sondern iXevdeQca, cpQÖvijaig und (piXia als
das einigende Band des ganzen Staatswesens. Nachdem dieser Grundsatz durch die Betrachtung der
persischen Monarchie und der athenischen Demokratie seine Bestätigung gefunden hat, stellt der Athener
die Frage, wie sich etwa die bisherigen Untersuchungen betreffs einer richtigen Gesetzgebung verwerten
lieszen. Die Antwort darauf giebt die Erklärung des Klinias von der beabsichtigten Gründung einer
kretischen Kolonie, mit deren Gesetzgebung sich sodann die folgenden Bücher befassen.
Bruns (S. 154 flf.) spricht nun dem dritten Buche die Zugehörigkeit zum ersten Buche — in
unserem Sinne also za den zwei ersten Büchern — ab, weil das dritte Buch von dem im ersten auf-
gestellten Plane hinsichtlich der Prüfung der beiden dorischen Staaten von Sparta und Kreta nichts
wisse. Weder könnte das dritte Buch als unmittelbare Fortführung dieses Planes angesehen werden;
denn die in demselben angestellten Betrachtungen über Staatsverfassungen gründeten sich auf die
Heranziehung der verschiedensten Staaten, unter denen Kreta noch dazu überhaupt nicht vorkäme:
noch fände sich im dritten Buche insofern eine Stellungnahme zu jenem Plane, dasz dieser etwa als
verfehlt abgewiesen würde. Die Annahme aber, dasz eine solche Stellungnahme in der vorauszu-
setzenden Lücke stattgefunden habe, erklärt Bruns für sehr miszlich. Nun wäre diese Annahme in
der That miszlich, wenn uns die Auseinandersetzungen des ersten und zweiten Buches keinen Anhalt
dazu böten, eine Abänderung jenes Planes vorauszusetzen. Wie wir aber gesehen haben, zeigte sich
sehr bald, dasz Sparta und Kreta dem Maszstabe einer Musterverfassung keineswegs entsprächen, und
wir muszten deshalb^) auf Grund von Buch I und II eine Aenderung des ursprünglichen Planes als
notwendig folgend annehmen. Durch diesen Umstand gewinnt doch jene Annahme sehr an Wahrschein-
lichkeit! Die ersten beiden Bücher fordern denselben Gedanken als Fortsetzung, welchen das dritte
Buch als notwendig vorhergehend voraussetzt. Ich wüszte nicht, wie in dieser Beziehung zwei durch
eine Lücke getrennte Abschnitte desselben Werkes besser zu einander stimmen sollten!
Ferner meint Bruns (S. 157 ff.), die NichtZusammengehörigkeit der Bücher gehe auch aus der
Parallelausführung über die richtige Wertschätzung der Güter C31 C und 696 B — 697 A hervor. Wenn
die Bücher wirklich ein Ganzes bildeten, behauptet er, so hätte derselbe fundamentale Gedanke nicht
zum zweiten Male ganz unabhängig von der ersten Besprechung ausgeführt werden können. Dagegen
ist zu sagen, dasz die im dritten Buche aufgestellte Wertfolge der Güter auf einen ganz anderen Zweck
hinausläuft als die im ersten Buche aufgestellte, und dasz beide deshalb wesentlich von einander ab-
weichen. Im ersten Buche handelt es sich um die Güter, welche als das Endziel einer richtigen Staats-
verfassung zu betrachten sind, und diese werden eingeteilt in göttliche und menschliche mit der Be-
1) S. 25.
^7
merkuDg, dasz bei Erreichung der ersteren die letzteren von selbst nachfolgten. Im dritten Buche da-
gegen handelt es sich, indem ausgegangen wird von der falschen Erziehung der Eönigskiuder in Per-
sien, darum, wonach sich in einem Staate die Verteilung der riftai zu richten habe, und da wird ge-
funden, dasz für jeden Anspruch auf Tifti^ das Vorhandensein der auxpQoavvr] notwendige Vorbe-
dingung sei, und dasz nach Erfüllung dieser Vorbedingung die gröszte riixi} den Vorzügen der Seele,
die zweit-gröszte den Vorzügen des Körpers und die dritt-gröszte endlich den Vorzügen des Vermögens
gebühre. Der wesentliche Unterschied in der Schätzung der Güter au beiden Stellen liegt nicht etwa
darin, dasz im dritten Buche an Stelle der dela äya&ä die dya&a ilfvxrjg treten. Dies scheint mir
nur eine Vei'schiedenheit des Ausdruckes zu sein, denn die ipvxv ^^^ ®^^^ ^^ &u&tarov am Menschen.
Auch das scheint mir nicht von wesentlicher Bedeutung, dasz wir statt der Zweiteilung im ersten Buche :
in göttliche Güter einerseits und menschliche andererseits, wobei die letzteren die Vorzüge des Körpers
und des Vermögens in sich vereinigen, im dritten Buche die Dreiteilung: in Güter der Seele, des
Körpers und des Vermögens haben. Der wesentliche Unterschied liegt vielmehr in der Stellung der
ouxpQoaivt) als einer notwendigen Voraussetzung für alle Güter überhaupt. Es hatte sich gezeigt,
dasz die menschliche Natur durch jedes Übermasz der rt/i^j verdorben würde, weil dadurch die oa>-
fpQOoivT} und mit ihr das Vermögen nach richtiger Einsicht zu handeln verloren ginge. Und eben
wegen dieser besonderen Stellung der ococpgoavvrj war es wenig passend, gerade hier auf jene Ein-
teilung des ersten Buches zurückzugreifen. Die eben erwähnten formellen Unterschiede bei sachlicher
Übereinstimmung in der Wertfolge der Güter zeigen nur, dasz diese Wertfolge, nachdem die Ansicht
des Kreters, die Staatsverfassung müsse die dviSgeia zum Zwecke haben, einmal zurückgewiesen war,
als sich von selbst ergebend angenommen wird, wie ihr ja auch an unserer Stelle keine besondere
Begründung mehr zuteil wird.
Nach dieser allgemeinen Erörterung haben wir zunächst die einzelnen Stellen des dritten Buches
zu prüfen, welche Zurückweisungen auf die ersten beiden Bücher enthalten, und welche Bruns von
seinem Standpunkte aus natürlich für redaktorisch erklären musz.
Die erste Stelle ist 682 E "O^fv dt] xax' agxccg i^sx^anö^ada ntgl vöfitov 6 caley öfitvot
nsQiTteaövteg ixovaixfj xe xal xaXq f^i&aig, vvv IttI xä avxä itaXiv ä(piypit&a äoneg xaxa
^£Öv, xal t l6yoc; fjf^lv olov Xaßfjv änoöiöioaiV tJxei yag im xr]v slg AaxEÖaifiova xaxoixtaiv
avxrjv, ^v vf^isig ÖQ^wg sgxxxE xax(pxia&ai xai KQrjxrjv dtg dÖEXcpolg vöfioig. Hier hat Bruns
(S. 164) gewisz recht, wenn er behauptet, dasz in den gleich folgenden Worten: vvv ovv öij xoaövöe
TtleovexTOViAsv x^ nkävtj xov köyov ötä nokixEuav xivwv xal xaxoixtafuiv öte^sX&övxEg, mit
der nXdvr) xov köyov nur die Auseinandersetzungen des dritten Buches gemeint sind. Aber es ist
nicht richtig, wenn er daraus schlieszt, dasz deshalb jene ersten Worte in der Luft ständen, und dasz
die dort angekündigte laßi} nicht ergriffen würde. Diese laßri wird mit dem Satze i'jxEi yag inl
xrjv slg AaxEÖaifiova xaxoixcotv avxrjv in der That ergriffen, indem die Untersuchung damit auf
Sparta — freilich in Verbindung mit den gleichzeitig gegründeten anderen dorischen Staaten — wieder
zurückgeführt wird. Nur darf man den Ausdruck TtkavTj xov Xöyov nicht, wie Bruns anzunehmen
scheint, auf die Ablenkung von dem ursprünglichen Thema beziehen, in welchem Falle die nk6vr)
allerdings auch den Schlusz des ersten und das zweite Buch mitumfassen würde; sondern man musz
jenen Ausdruck, wie die erklärenden Worte öta noXtxEHOv xivwv xal xaxoixiOfißv du^Ek&övxEg
ja auch zeigen, mit Bücksicht auf den Charakter der Untersuchungen des dritten Buches verstehen,
insofern diese die verschiedenen Stufen der Staatenbildung von ihren ersten Anfangen an vorführen.
Es kommt hinzu, dasz die Worte 683 B: xavxa ör] naXiv olov k^ aQxfjg ^f^tv Xexxeov^ eI fir] xc
xoig ElQTjfxivoig iyxaXovfiEv Xöyoig in Verbindung mit der Antwort des Megillos: El yovv, S Icvc,
xig fj^lv inöoxoixo ^sög, wg, kav ijtix€t^(ir)oa)uEv xö öevxeqov xfj xi)g vofiod^eatag axeipUy
x(ov vvv elQi](iEV(ov Xöywv ov ;(£tpot;g ovo' iXaxxovg dxovoönida, puxxQäv av iX&oniL
iymyE xai piot, ßQoxet av öö^ecev rj vvv naqovaa fnAiga yiyvEO^at, — zweifellos die beiden ersten
Bücher voraussetzen, wie ja auch die letzten Worte [laxgav av ^X^ol^l syioys etc. deutlich die im
ersten Buche geschilderte äuszere Scenerie des Dialoges erkennen lassen. Bruns hat deshalb von seinem
Standpunkte aus gewisz recht, weun er auch die Worte 683 C el yovv — xQETtofiivov für redaktorisch
erklärt; wir dagegen erblicken in den angeführten ganz unverdächtigen Hinweisen auf die beiden ersten
Bücher nur eine Bestätigung unserer Ansicht von der Zusammengehörigkeit derselben mit dem dritten Buche.
4*
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Die zweite Stelle ist 688 A Nai, xai örj xal tzoIitiköv ye ävdQcc etc. Die Untersuchung
hatte zu dem Resultate geführt, dasz es für den Menschen verkehrt wäre, in der gewöhnlichen Weise
zu bitten, dasz alles nach seinem Willen geschähe; er müszte vielmehr bitten, dasz sein Wille der
Vernunft folgte. Hier erinnert der Athener an die früher von ihm aufgestellte Behauptung, dasz auch
der Gesetzgeber den vovg als oberstes Princip anzusehen habe, während die Mitunterredner die av-
ÖQtia als solches erklärt hätten. Mit dem jetzt gefundenen Satze, es sei gefahrlich für jemand, der
keine Einsicht habe, sich etwas zu erbitten, es sei denn, dasz er sich das Gegenteil von seinen Wünschen
erbitte, meint er, komme die Untersuchung wieder auf denselben Gedanken ; denn es werde sich zeigen,
dasz der dorische Bund nicht etwa durch Mangel an dvögtia, sondern vielmehr durch die gröszte
UMwissenheit, also durch Mangel an (pQÖvrjaig, zu Grunde gegangen sei, indem das Bestreben der
d(}xovreg gewesen wäre, möglichst alles zu thun, was ihnen beliebte.
Bruns (S. 167) hält diesen Bückweis auf das erste Buch für ganz äuszerlich. Ich kann ihm
darin nicht beistimmen, sondern es scheint mir sehr passend, dasz an der Stelle, wo der aus der vor-
hergehenden Untersuchung gefundene allgemeine Satz, der vovg müsse bei den evxol des Menschen
das oberste Princip sein und nicht seine jedesmaligen ßovkrjOEig, auf die dorischen Staaten angewendet
wird — dasz an dieser Stelle, sage ich, der Athener daran erinnert, dasz derselbe Grundsatz für den
vonoditrjg ja schon im ersten Buche von ihm aufgestellt sei. Und dasz der voiJg hier bei Anführung
der entsprechenden Stelle aus dem ersten Buche in Gegensatz gebracht wird zu dem von den Mitunter-
rednern aufgestellten Principe der dvögsia, findet im folgenden eine durchaus sachgemäsze Verwendung,
wenn es heiszt: nicht Mangel an dvöfjsia, sondern Mangel an (pQÖvijacg habe den dorischen Bund
zu Grunde gerichtet. Ja die Heranziehung der dvögeia an der letzteren Stelle wäre ohue die voran-
gegangene Gegenüberstellung von votJg und dvögeia überhaupt unverständlich.
Ferner meint Bruns aus den Worten 688 B rjxei örj Jtdktv ö Xöyog stg ravröv, xai 6 Xiyutv
iyio vvv Xiyfji naXiv (xtieq töts, eI [jev ßovkeade, c5g nai^wv, eI d*, ötg anoviÜd^iüVy ort dt]
(prjfii Evxfj XQV^^^*- 0(paXEQbv Eivai vovv fiij xexttjijevov dXX rj xdvavTia ratg ßovXrjöEUiv ol
yiyveox^üi, schlieszen zu müssen, der Gedanke: ,,Für einen Thoren ist es schlimm, wenn ihm seine
Wünsche in Erfüllung gehen'*, sei auch an der betreffenden Stelle des ersten Buches ausgesprochen,
wo er sich in Wirklichkeit aber nicht finde. Das xal ö Xiyoiv iyta vvv Xiya naXiv üueq töte be-
sagt jedoch offenbar nur, dasz an beideu Stellen derselbe logische Inhalt — nämlich der, dasz der
vovg als oberstes Princip gelten müsse — zu Grunde liege, ohne dasz damit eine verschiedene Färbung
des Gedankens durch die besondere Beziehung, welche er an jeder der beiden Stellen hat, ausgeschlossen
wäre. Und wenn, wie Bruns ferner hervorhebt, im dritten Buche Megillos derjenige ist, welcher den
in Frage stehenden Gedanken zuerst ausspricht, so berechtigt doch die Form, in welcher er ihn aus-
spricht {XiyELv ydg [aoc öoxEig 687 E), den Athener vollkommen den Gedanken als sein Eigentum in
Anspruch zu nehmen.
Der entscheidende Punkt für Bruns liegt aber erst darin, dasz sich in den Worten: el [liv
ßovXEod^E d}g Ttai^wvj eI d' c&g oitovöäl^iov .... onovdal^ovra 6' eX ^e ri^ivat ßovXsa&E, ti-
9exe — genau jenes merkwürdige Spielen mit dem Gegensatze des Ernstes und Scherzes bei wichtigen
und keineswegs spaszhaften Dingen finde, wie es sich aus der Lehre ergebe, welche den Menschen zum
Spielzeuge in der Hand der Götter mache. Dem gegenüber erscheint mir an dieser Stelle die Ver-
wendung der Begriffe aiiov6dC,Ei,v und nai^Eiv nicht nur verständlich, sondern sogar sehr nahe liegend
und passend, ohne dasz wir zu ihrer Erklärung jene von Bruns erwähnte Lehre heranzuziehen hätteu;
denn der Gedanke : ort örj g)7}^i Evxfj ;f()r)ö^at ocpaXEQov Eivat vovv jAf] xexttjuevov, dXX' ij *)
Tdvavria xaig ßovXrjOEaiv ot yiyvEa&ai: ,, Sofern ich behaupte, dasz es für den der Einsicht Ent-
behrenden gefährlich sei, sich etwas zu erbitten auszer, dasz ihm das Gegenteil von seinen Wünschen
zuteil werden möge," fordert doch den Scherz geradezu heraus, wie er andrerseits im Sinne des Philo-
sophen durchaus ernst gemeint ist.
1) dXX' ij ist eine Konjektur Badhams statt des dXXä in cod. A. Die Richtigkeit derselben scheint
mir durch den Sinn uud durch den fast ausnahmslos reflexiven Gebrauch des pron. ov gesichert. Der Infinitiv
yiyvEO&ai ist dann dem EVXf] ;tp^öi?at subordiniert.
29
Ferner findet Bruus die Definition der höchsten dfjerrj 688 B (pQövrjacg ö'eTr] tovto xai vovg
xai do^a fiez' IJpcörög rs xai kni\h)pUag rovroig inofxivtjg schlecht und konfus. „Dasz die rfö|a
das Gegenteil der cpQövrjaig wäre", fügt er hinzu, „hätte der Referent aus 632 C xovg ^kv 6iä fpQO-
vrja€(og Tovg de dC dlrjSovg i^ö^ijg iövrag lernen können." Nun ist q>Qöv/]aig und öo^a ja
freilich nicht dasselbe. Bei der yollkommenen g}QÖvijaig hören die öö^ai als solche auf. Aber in der
Praxis ist die dö^a, die ihrerseits auch schon schwer genug zu erlangen ist, die Stellvertreterin der
eigentlichen (pQÖvrjaig, und so finden wir beide Begriffe ähnlich wie an unserer Stelle verbunden :
653 A fpgdvrjaiv 6e xai dlij&si-g Sö^ag ßsßaiovv evrvxsg otcjJ xai rrQÖg rö yiJQog itaQsyivero.
Der Zusatz endlich pier' ^Qcorög t€ xai im&vixixxg tovroig inofiivrjg ist an unserer Stelle speziell
begründet durch den zu vergleichenden Gedanken 687 E rf/v ßovXrjaiv 6e noXi) fiälXov rfj iavrov
(pQovrjaBL seil, hnsox^aif und auszerdem besteht gerade in dem ^Tieo^ai der int&vfiiai jene masz-
gebende Stellung, welche auch im ersten Buche für die q)Qövr)atg verlangt wird. Über die beiden
folgenden Stellen (cf. Bruns S. 170) kann ich schneller hinweggehen. 693 BC heiszt es: piij ^av^iä-
awiiev öe el nolkaxig yöij jtQod^ifievoi arta etgrjxafisVf ort Tigbg xavxa dtt vof40&£relv ßki-
novxa TÖv vofto&irijv^ rä öi Ttgotedivra ov xavxa rjfitv g>atvexai ixäaxoxE' dlXa avakoyi"
^ea^at xQVi oVctv itgög xö aaxpQoveiv wwfxsv öelv ßXsiteiv y *) Jtgbg (pQövqaiv rj wiUav, wg
iad^ o^xog ö oxonbg ovx' Sxegog dXX' o avxög, xai äXXa 6rj jioXXa ^/icrg xoiavxa av yiyvrjxai
^rjfiaxa fiij ötaxaQaxxixo). Es kann hiermit nur hingedeutet werden auf 631 D im ersten Buche
und 688 AB im dritten Buche, wo beide Male der vovg als oberstes Princip der Staatsverfassung auf-
gestellt wird. Etwas Naives haben die Worte xai äXXa 6f] noXXa etc. nun freilich, aber sie sind
deshalb den dialektisch nicht gebildeten Mitunterrednern gegenüber vielleicht nicht so ganz unpassend.
Hingegen ist auffallend, dasz bei Erwähnung der <pQÖvT]aig und <piXia die eXBv&SQia fehlt, während
hinzugefügt wird: ngög xö octxpgovsTVf obwohl die acjcpgoavvTj für sich niemals als das oberste
Princip der Staatsverfassung aufgestellt ist. Ich halte deshalb die Worte für verderbt und glaube,
dasz ein endgültiges Urteil über sie vorläufig noch nicht gefallt werden kann.
Ähnlich steht es mit dem Zusätze 699 C i^v aiöio noXXäxig h xolg avto Xoyoig slitofMtv.
Dieser Zusatz hat an sich nichts Anstösziges, und für das noXXaxig bietet sich in verschiedenen Stellen
des ersten und zweiten Buches eine genügende Grundlage. Trotzdem musz auch über ihn das ab-
schlieszende Urteil aufgeschoben werden, bis es gelungen ist, den unmittelbar folgenden offenbar ver-
derbten Worten durch eine glückliche Konjektur zur Hilfe zu kommen.
Wenn es endlich 702 A heiszt: xai (ätjv avxcav y' ^vexa (d. h. um des Zieles willen, welches
dem Gesetzgeber vorschweben musz) xai xö Jwgixbv i&eaaafte^a xaxoixi^6(A£vov axgaxöitB/dov xai
xäg xov dagöavov vTtatgeiag xs xai xrjv kni &aXaxxt] xaxoixiaiv xai xovg ngwxovg 6f] xovg
nEgtXiTteZg yevoixivovg x^g <p^ogäg, ixi de xovg i[^ngoa&ev xovxcov yevofiivovg ^^Tv Xöyovg
Ttsgi xs [iovatxTJg xai fti^rjg xai xä xoixiov k'xi ngöxegff, so ist zu den letzten Worten: ixi öe
xobg SfiTigoa&ev xovxwv yevof^evovg fjiiTv Xöyovg, grammatisch freilich nur das k^eaaafi£9a zu
ergänzen möglich, und man musz eine Art Zeugma also zugestehen. Trotzdem lassen sich die Worte
nicht wohl, wie Bruns (S. 170) will, aus dem Zusammenhange streichen; denn in dem gleich folgenden
Satze: xavxa yag ndvxa eXgrjxat xov xaxtösTv ^exa, nag nox' av n6Xig agioxa oixoir}, xai
idiq nwg äv xtg ßiXxiaxa xbv avxov ßiov dcaydyoi bezieht sich die letzte Wendung xai Miq etc.
offenbar auf das im ersten und zweiten Buche über die naideia Gesagte. Wenigstens ist im dritten
Buche davon, wie jemand persönlich sein Leben am besten führen würde, abgesehen etwa von der ge-
legentlichen Bemerkung, dasz ein nicht mit Einsicht Begabter nur zu seinem Schaden etwas von den
Göttern erbitten könnte (cf. 687 E, 688 B), nicht die Eede.
Es ist zweckmäszig, in diesem Zusammenhange auch gleich die von Bruns angefochteneu Citate
im vierten Buche mit zu behandeln.
705 C. teilt der Kreter auf eine diesbezügliche Fi-age des Atheners mit, dasz in der Nähe der
zu gründenden kretischen Kolonie Schiffsbauholz nicht vorhanden sei. Der Athener erklärt dies für
einen günstigen Umstand. Der Kreter, welcher den Grund hiervon nicht einsieht, fragt: Ti örj ; Die
^) 7] ist in cod. A von zweiter Hand hinzugefügt und läszt sich bei der jetzigen Überlieferung schlecht
entbehren.
30
Antwort des Atheners lautet: MiiAfjaeig KOvrjQä^ ^ipitla^at Tovg JtokE^iovg ptr} ^qöiatg övvaa&ai
Tiva TtöXiv dyadöv. Da auch diese Antwort dem Kreter nicht genfigt, so stellt er die neue Frage:
Eig 6rj xi rcov etQrj^tevtov ßXeipag tlnsg o Xsyeig ; d. h. „Welcher Punkt des Vorhergehenden giebt
dir Anlasz, von schlechten Nachahmungen zu reden?" Ehe der Athener hierauf Antwort giebt, er-
innert er daran, dasz Klinias und Megillos zu Anfang (d. h. im ersten Buche) den Krieg als oberstes
Princip für die kretische Gesetzgebung aufgestellt hätten, und dasz er, der Athener, dies zwar insofern
gebilligt hätte, als sich die von diesem Gesichtspunkte aus gegebenen Gesetze auf die o()er^ richteten,
insofern sie sich aber auf die dvögsia allein, und nicht auf die gesamte dgetr}, richteten, sei er mit
jenem Principe durchaus nicht einverstanden gewesen. Nun fordert er die Mitunterredner auf, jetzt
ihrerseits darauf zu achten, wenn er etwa ein nicht auf die dgerrj oder wenigstens einen Teil der
o()£T)7 gerichtetes Gesetz vorschlfige; denn nur das auf diese allein gerichtete Gesetz, welches sich um
Reichtum und andere Vorteile derart (auf Kosten der dgerr}) nicht kümmere, sei als richtig anzuer-
kennen. Erst dann giebt der Athener die vom Kreter gewünschte Auskunft, dasz die fiifirjatg xax-q
vom Seekampfe zu verstehen sei; dieser sei nämlich verwerflich, weil er die wahre dvÖQsia schädige
und eine richtige Verteilung der tifiai nicht zulasse.
Bruns (S. 171) sagt von dieser Stelle: ,,Der Redaktor citiert die These des ersten Buches von
der jtäaa dQEXf} und behauptet, in ihrem Sinne sei die folgende Bestimmung gehalten. Wenig passend !
Denn gerade zur Hebung der wahren dvÖQ&ia und ausschlieszlich der dvÖQÜa dient das Verbot des
Seekampfes." Hier hat Bruns nicht beachtet, dasz das Hauptgewicht an unserer Stelle nicht auf dem
Gegensatze von näaa aQF.rrj und dvögeia ruht, sondern daranf, ob die dgeti} oberstes Princip sei,
oder irgend etwas anderes. Klinias und Megillos hatten im ersten Buche behauptet, der Krieg sei
oberstes Princip; der Athener hatte dies insofern gebilligt, als die betreffenden Gesetze dann auf die
dgetr] hinzielen würden, insofern sie aber nur auf einen Teil derselben, die dvdgüa^ und nicht auf
die gesarote dgerr] hinzielen würden, hatte er das Princip getadelt. Hiermit werden nicht die auf
einen bestimmten Teil der dgexr} gerichteten Einrichtungen Kretas als solche getadelt, getadelt wird
nur, dasz sich der Gesetzgeber auf Einrichtungen für diesen Teil der dgixi} allein beschränkt hat,
weil er die dgexfj eben nicht als Selbstzweck betrachtete, sondern weil ihm diese bestimmte dgexr]
für seinen eigentlichen Zweck, die Kriegstüchtigkeit, wertvoll erschien. Es liegt deshalb nichts Wider-
sprechendes darin, wenn es im folgenden heiszt: „Habt Acht, ob ich vielleicht etwas nicht auf die
dgexr] oder einen Teil der dgexi] Bezügliches ^) vorschlage", und wenn das weiter sich anschlieszende
Verbot des Seekampfes ausschlieszlich mit Rücksicht auf einen Teil der ägerrj, die dvögeia, verfügt
wird. Denn es ist doch etwas ganz anderes, ob eine einzelne Bestimmung sich ausschlieszlich auf einen
Teil der dgexr] richtet, oder ob in einer Verfassung ein bestimmter Teil der dgexi] um eines auszer-
halb der dgexi] liegenden Zweckes willen alleinige Berücksichtigung findet, wie dies bezüglich der
kretischen Verfassung getadelt war. Endlich ist die betreffende Stelle des ersten Buches hier insofern
sehr passend herangezogen, als es sich hier wie dort darum handelt, ob Kriegstüchtigkeit oder dgexi]
bei der Gesetzgebung das Maszgebende sei, nur dasz im ersten Buche die Anerkennung der Kriegs-
tüchtigkeit als des obersten Maszstabes die einseitige Bevorzugung der dvögeia zur Folge hatte, während
sie hier, beim Seekampfe, gerade eine Schwächung der dvögeia zur Folge haben würde. In beiden
Fällen wird der Kriegstüchtigkeit gegenüber vom Athener die dgexi] als der oberste Maszstab geltend
gemacht.
Schlieszlich meint Bruns (S. 171), die Stelle 707 D dXka yäg dnoßkenovxeg vvv jigög no-
Xixeiag dgexi]v xai x^^Q^S <pwJtv axorcovi^eSa xal vöfxwv xa^iVy ov xb o(a^ea&ai xe xai elvai,
ftövov dvdgcoTTOig xifti(bxaxov ^yovftfvoi, xa^dneg ol nokkoi, xb d'c&g ßekxiaxovg yiyvea&ai
xe xal elvac xooovxov XQOvov, oaov äv (oatv etgrjxai ö' fiyXv oliiai xai xovxo iv xoig
ngöa&ev, dürfe nicht herangezogen werden, um den Zusammenhang des dritten Buches mit den ersten
beiden Büchern zu erweisen; denn der angeführte Gedanke finde sich in diesen beiden Büchern nicht.
») In den Worten : lav äga xi ^ir] ngbg dgexi]v xelvov i] ngbg dgexfjg ftögiov voiÄO^etcS,
ist f*r] xelvov auch zu Tcgbg dgexfjg fiögtov zu ziehen, wie übrigens auch im folgenden das ox(fi av
avvex<og x(av dei xaXwv xc ^vvenrjxac ftövov beweist; denn das x(av dei xaXcov xi ist offenbar mit
Bezug auf das [xögcov dgexrjg gesagt.
Nun hat er freilich recht, dasz die Stelle 638 AB, an welche Susemihl erinnert, den hier aasge-
sprochenen Gedanken nicht enthält. Dort heiszt es nar, äuszere Siege nnd Niederlagen seien nicht
ein Beweis für die Güte der Verfassungen in den betreffenden Staaten ; und dieser Satz hätte aller-
dings wohl als Grundlage für eine unserer Stelle entsprechende Folgerung dienen können, doch ist
diese Folgerung an jener Stelle eben nicht gezogen. Wohl aber kann man sich, wie mir scheint, auf
eine Stelle des zweiten Baches berufen. 661 A, 6, C wird ausgeführt, dasz es nach der Ansicht der
oi JtolXoi das denkbar höchste Glück für den Menschen sei, wenn ihm zu Reichtum, Gesundheit und
unbeschränkter Machtstellung etwa noch die Unsterblichkeit zuteil würde, dasz dagegen nach ihrer
(des Atheners und der Mitunterredner) Ansicht alles dieses nur für die ayadoi als gut betrachtet
werden könne, während für die xaxoi sogar das Leben selbst ein Übel und ein möglichst schneller
Tod das gröszte Glück sei. Nach meiner Meinung wenigstens ist hier der in Frage stehende Satz:
nicht die Existenz für sich sei für den Menschen das Erstrebenswerteste, sondern vielmehr, so lange er
lebe, möglichst gut zu leben, deutlich genug ausgesprochen.
Hiermit wären die von Bruns behandelten Stellen erschöpft. Wir haben sie alle bis auf zwei
vorläufig noch nicht völlig klar gestellte als durchaus unverdächtige Bäckweisungen auf die ersten
beiden Bücher erkannt. Es mag hinzugefügt werden, dasz die Zahl dieser Bückweisungen sich noch
um eine von Bruns übersehene veimehren läszt — ich denke an die Worte 685 B ^AkXa f4r]v del ye
fj^iä^ tovTO h T(p vvv oxojrovvrag xal i^ETa^ovtag negi vöfiwv, naü^ovxag natöiav ngeaßvTi-
xfjv aaxpgövcog, öiek^Biv rrjv öööv dXvTtcog, <ag ^(papiev, ijvixa ^Qx6(i£&a TtOQSÖeaOai, welche
zu beziehen sind auf 625 AB.
Dasz also die beiden ersten Bücher mit den folgenden ein zusammenhängendes Ganzes bilden,
kann uns jetzt nicht mehr zweifelhaft sein. Es bleibt nur noch die Frage übrig: „Wie haben wir
uns etwa den fehlenden Übergang vom zweiten zum dritten Buche zu ergänzen?" Dasz beide Bücher
den Gedanken, die dorischen Verfassungen entsprächen nicht, den an eine Musterv«rfassung zu stellenden
Ansprüchen, als ihre notwendige Ergänzung verlangen, haben wir bereits gesehen. Auch das sahen
wir bereits, wie dieser Gedanke sich etwa an das Ende des zweiten Buches anschlosz.*) Wir hätten also
nur noch zu untersuchen, auf welche Weise von diesem Gedanken zam dritten Buche übergeleitet wurde.
Für diese Untersuchung giebt uns nun eine Stelle des dritten Buches einen Anhalt. Da nämlich für
die Worte 683 E Baailela öe xaxaKvtxai,, w TtQög Jtög, rj xai tig dgxv nütnoTS xaxtXvdr]
[Äcov vjtö TivcDv äkk(ov rj agxov avrwv ; rj vwdrj ftev 6kiyov ^[xngoa^sv rovtotg iteQirvxdvreg
toTg Xöyoig ovrco ravt* kxix^EpiEv^ vvv d' kitiXeXtiapiB&a ; in dem uns vorliegenden Texte keine
Beziehungsstelle zu finden ist, so liegt der übrigens schon von Bruns (S. 172) ausgesprochene Gedanke
nahe, dasz wir diese Stelle eben in der verloren gegangenen Partie vor dem dritten Buche zu suchen
haben. Auf Grund hiervon darf man vielleicht eine Vermutung wagen — etwas Sicheres läszt sich
natürlich nicht ermitteln — , wie wir uns etwa die Lücke vor dem dritten Buche ausgefüllt zu denken
haben. Nachdem erklärt war, dasz die dorischen Staaten dem an eine Mast«rverfassang zu legenden
Maszstabe nicht entsprächen, wurde folgendermaszen fortgefahren: „Welcher Art die Tratd«'« der Bürger
in einem richtig geordneten Staatswesen sein müsse, das haben wir der Hauptsache nach auseinander-
gesetzt. Nun sagten wir vorher (632 C), dasz der Gesetzgeber um die Erreichung seines Zieles, der
dg^r] der Bürger, zu sichern, Wäehter einsetzen müszte, die als dQxcci des Staates fungierten. Zur
Erfüllung ihrer Aufgabe ist es natürlich notwendig, dasz diese dgxcti keiner Veränderung unterliegen.
Trotzdem sehen wir jetzt in fast allen Staaten eine Verfassungsform nach der anderen verfallen. Glauben
wir nun etwa, dasz die Ursache dieses Verfalls in den äuszeren Verhältnissen liegt? Oder müssen wir
nicht vielmehr annehmen, dasz die eigene Verkehrtheit der dgxcti hieran Schuld trägt, indem sie für
sich selbst dem zu erstrebenden Ziele des Staates, der dgexr]^ nicht entsprechen?" Hieran wurde dann
der Vorschlag geknüpft, auf Grund eines historischen Überblickes über die verschiedenen Staatsbildungen
von ihren Anfängen an die Vorzüge und Fehler derselben im einzelnen nachzuweisen.
Wie die Lücke entstanden ist, läszt sich natürlich nicht mehr nachweisen, nur soviel ist gewisz,
dasz Plato selbst die betreffende Stelle, mehr oder weniger genau, ausgearbeitet haben musz, da sonst
die Zurückweisung auf sie, welche 683 E vorliegt, undenkbar wäre.
Was endlich die Frage betrifft: „Wie stellen sich die im zweiten Bache betreffs der [lovaixf]
gegebenen Bestimmungen zu dem entsprechenden Abschnitte der Gesetzgebung für die kretische Kolonie
1) S. 25 und 26.
1
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im siebenten Buche?", so setzt eine erschöpfende Erörterung dieser Frage die genaue Analyse des sehr
verworren überlieferten siebenten Buches voraus. Da eine solche aber Aber den Bahmen der vorlie-
genden Abhandlang weit hinausführen würde, so werde ich mich auf eine kurze Behandlung der
wichtigsten Stellen>beschränken, indem ich es übrigens ganz dahingestellt sein lasse, ob und wie weit
dieselbe durch eime eingehende Analyse etwa bestätigt wird.
Die erste in Betracht kommende Stelle ist 796 D : '^Hv slitov yvfivaarixrjv h> tolg nQ(btotg
köyotg ort öioc öte^eX^eiv^ o;c«rföv öi] öisk^Xvd^a ta vov xal ia&^ avtr) navxBXrjq' tl 6b riva
xa^TTjq vfisig ^x^re ßelriw, ^ivrsg etg xoivbv kiytre. Ob die vorhergehende allerdings etwas
dürftige Auseinandersetzung über Gymnastik vollständig ist, oder ob sie nicht vielmehr durch die ans-
führliche Behandlung der oQX'rjOLg 814 DE ff. irgendwie ergänzt werden mnsz, mag hier unentschieden
bleiben: jedenfalls stimmt der eben angeführte Schluszsatz über Gymnastik mit dem Resultate unserer
Untersuchung überein, insofern ja auch wir zu der Annahme gelangten, dasz die im zweiten Buche
begonnene Untersuchung über Gymnastik nicht wirklich zu Ende geführt sei. Wenn dann fortgefahren
wird: Tb xoivvv tovroig i^rjg negl tot twv Movoiov re xai 'AitökXcavog 6(üQa^ x6xe ftiv, wg
ixTcavxa slQtjxöxsgy tßö^e&a xataXeiTteiv fiöva xa negi yvfivaaxixijg' vvv 6^ ^axi dfjXciy a r' iaxl
xai oxi JtQwxa ndai i^rjxia. XiywfAsv xoivvv i^i^g atxä, so geben die letzten Worte vvv 6' Maxi etc.
nur dann einen Sinn, wenn wir uns als Subjekt zu dem a x*kaxi mit Bruns (S. 90) aus dem vor-
hergehenden xaxaXeiiteiv ein xa xöxe x(xxaXu(p^ivxa ergänzen. Die Obersetzung der Worte würde
dann etwa lauten: „Nun aber ist klar, was das von uns Ausgelassene ist, und dasz es allen zuerst zu
sagen ist." Es folgt der eingehend behandelte Gedanke, dasz jede Änderung der sogenannten naiöiai
sehr gefahrlich sei; denn eine Änderung der naiöiai habe notwendig eine Änderung der U'vz^* ^^^'
Bürger, und diese_ wiederum eine Änderung der vöfioi zur Folge. Besonders gefährlich in dieser Be-
ziehung sei eine Änderung derjenigen naiöialy bei denen es sich um Darstellung von Charakteren
handele, wie dies früher von der [lovaixJi festgestellt sei. Zur Aufrechterhaltung einer unveränderten
fiovatxrj erfolgt deshalb eine dem ägyptischen Brauche entsprechende Weihung der Gesänge. Bruns
(S. 90) vermiszt hier nun freilich den mit vvv d' l'art örjXa etc. angekündigten neuen Gedanken. „Die
folgenden Untersuchungen (womit eben der zuletzt analysierte Abschnitt gemeint ist)," sagt er, „be-
handeln nur die Notwendigkeit einer staatlichen Überwachung der dichterischen Produktion und eine
Weihe der einmal acceptierten Lieder nach Art der ägyptischen Sitte: das ist aber alles bereits im
zweiten Buche 656 C behandelt worden." Und es ist richtig, dasz diese Forderungen im zweiten Buche
schon aufgestellt waren — aber nur als an den Gesetzgeber überhaupt zu richtende Forderungen. Von
einer Weihung der Lieder dagegen für einen bestimmten Staat oder gar für die kretische Kolonie
selbst war, wie wir uns erinnern, im zweiten Buche nicht die Rede und konnte ja auch nicht die
Rede sein. Eben diese nun wirklich zum Gesetz erhobene Weihung scheint mir aber das Neue zu
sein, auf welches die Worte vvv d' ioxi drjka etc. hinweisen ; denn in ihr liegt ein Punkt vor,
welcher, wie er im zweiten Buche selbstverständlich fehlte, so jetzt bei einer wirklichen Gesetzgebung
notwendig hinzugefügt werden muszte. Allerdings von „einem wichtigen neuen Gedanken" über Musik
kann sonach keine Rede sein, aber einen solchen durfte man überhaupt nach den Worten vvv 6' iaxc
dijXa etc. nicht erwarten, da seit dem zweiten Buche nicht mehr über Musik gesprochen und der
Standpunkt zu derselben also durchaus unverändert geblieben ist. Dasz femer das Wunderbare und
Ungewöhnliche der Sache 797 A cf. 799 C — 800 B so stark betont wird, kann nicht auffallen ; denn
hei einer wirklichen gesetzlichen Bestimmung muszte dies ja viel mehr hervortreten als bei der blosz
theoretisch behaupteten Notwendigkeit einer solchen. Endlich enthält der in Frage stehende Abschnitt
798 D: Ti ovv ; xoig iftTtQoa^ev köyoig ncaxevoftev, oig iXeyouev, cog xa negl xovg ^v■^f^ovg
xal näoav ^ovoixrjv iaxt xqötkdv ^imrj^iaxa ßekriövcov xal ajetpörcöv dvxfgwniov, rj Trtög,- noch
einen zweiten — und, soviel ich sehe, durchaus unverdächtigen — ROckweis auf das zweite Buch;
und wenn Bruns (S. 127) sagt, 799 A werde der ägyptische Brauch als etwas ganz Neues eingeführt,
so scheint mir die Art der Einführung vielmehr eine solche, dasz eine Bekanntschaft mit dem ägyp-
tischen Brauche bereits vorausgesetzt wird. Denn auf die Frage des Kreters Tloiag öfj XiyBtg; folgt
nicht etwa eine Schilderung desselben, wie das bei seiner ei-sten Einführung doch nötig sein würde,
sondern es folgt sogleich eine ihm entsprechende Bestimmung für die kretische Kolonie.
Die zweite Stelle, welche für das Verhältnis des zweiten Buches zum siebenten in Betracht
33
kommt, ist 812 B. Tolg xii^agiataTg ^ev roivvv fjfiäg öoxw tcöv iftJiQOoO^ev köycav ävafivrj-
ad-ivtag zb rtQoa^xov v€l(tai r^g re öiöaaxuliag afii xac rtäaijg rifg ntgi xa toiavta nai-
öevasiog. KL Iloicjv örj tteqI kiystg ; 'Ad. "Etpcmev, olfiai, tovg tov Jcovvaov Tcvg i^rjxov-
Tovrag ^) cJöovg öiacpeQÖvxwg evaio^rjTovg deiv yeyovivai negi re rovg ^v^ijovg xai rag
rcSv dgiiovicov ovataaeig etc. Es handelt sich hier um die dem xiK^agcarrjg vorzuschreibende Art
des Unterrichtes, und als Ziel dieses Unterrichtes wird aufgestellt, dasz die Jünglinge befähigt sein
müszten, die von den dionysischen Sängern vorgetragenen Musterstücke auf der Lyra zu begleiten
(cf. 812 D Tovttov roivvv dst xoQcv, wo das tovt(ov auf das unmittelbar vorhergehende rcSv fufifj-
aecDv zu beziehen ist). Die im zweiten Buche getroffenen Bestimmungen über Musik werden hiermit
also stillschweigend als auch für die kretische Kolonie gültig angenommen, wie dies ja übrigens nach
796 E bei der von uns gegebenen Erklärung zu erwarten stand.
Auffällig musz es freilich erscheinen, dasz bei dem angegebenen Sachverhalte von den im
zweiten Buche eingesetzten musischen Chören bis auf die eben besprochene Stelle 812 D in der Gesetz-
gebung der kretischen Kolonie nirgends die Rede ist. Doch hat dies vielleicht — wenigstens teil-
weise — darin seinen Grund, dasz 834 E, 835 A nach Besprechung der gymnastischen Wettkämpfe
von einer gleichen Besprechung der musikalischen Wettkämpfe ausdrücklich Abstand genommen wird.
1) Mit dem i^rjXOVTOVTCg ist vielleicht absichtlich zur höchsten Altersgrenze für die dionysischen
Sänger gegriffen, weil gerade die Ältesten derselben es zur höchsten Vollkommenheit im Verständnis der Masik
gebracht haben muszten.
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