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Full text of "Kritische Analyse von Buch I und II der platonischen Gesetze mit besonderer Berücksichtigung der Fragen, welche bruns hinsichtlich der Abfassung derselben angeregt hat [microform]"

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Ostern  1888. 


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Inhalt:  l.ygritische  Analyse  ^on  Buch  I  und  II  der  platonischen       ^W^. 
Gesetze  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Fragen,  W%!\> 


welche  Bruns  hinsichtlich  der  Abfassung  derselben  an-^   f 
geregt  hat/ vom  Cand.  Johannes  Tiemann  "-'^ 

2.  Schulnachpchten  vom  Direktor  R 


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Osnabrück. 

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Drock  von  J.  G.  Kisling, 

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1888. 

1888.  Profirr.  Nr.  301. 

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Kritische  Analyse 
von  Buch  I  und  II  der  platonischen  Gesetze 

mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Fragen, 
welche  Bruns  hinsichtlich  der  Abfassung  derselben   angeregt   hat 


JJurch  eine  mir  von  Herrn  Professor  von  Wilamowitz  gestellte  Prüfangsaufgabe  auf  eine  eingehen- 
dere Beschäftigung  mit  den  platonischen  Gesetzen  geführt,  bin  ich,  je  länger,  desto  mehr,  zu  der  Über- 
zeugung gekommen,  dasz  die  Vorstellung  von  der  Arbeit  des  Redaktors  an  den  Gesetzen,  zu  welcher 
Bruns  gelangt  ist  ^),  nicht  die  richtige  ist.  Dasz  wir  in  den  Gesetzen,  wie  sie  vorliegen,  nicht  ein 
fertiges  Werk  Piatos  vor  uns  haben,  ist  auch  meine  Ansicht.  Das  vollständige  Fehlen  des  Zusammen- 
hanges zwischen  Buch  n  und  m,  mehrere  Partien  in  den  letzten  Büchern,  welche  auf  jeden  Unbe- 
fangenen den  Eindruck  von  lose  an  einander  gereihten  Fragmenten  machen,  scheinen  mir  Beweis  genug 
dafür.  Aber  eben  dieser  lückenhafte  Zustand  des  Werkes  läszt  mir  von  vornherein  eine  so  durch- 
greifende Bearbeitung,  wie  Bruns  sie  namentlich  für  die  beiden  ersten  Bücher  annimmt,  als  unwahr- 
scheinlich erscheinen.  Nach  Bruns  haben  wir  näAlich  in  den  von  ihm  als  original  anerkannten  Par- 
tien des  ersten  Buches  die  Einleitung  zu  einem  ursprünglichen,  später  aber  aufgegebenen  Entwürfe  des 
Schriftstellers  vor  uns,  während  das  zweite  Buch  ein  Stück  der  erst  mit  dem  vierten  Buche  beginnenden 
Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  sei,  welches  seinem  Zusammenhange  nach  in  das  jetzige  siebente 
Buch  gehöre.  Diese  heterogenen  Elemente  seien  vom  Redaktor  mit  Hilfe  mannigfacher  Einschiebungen, 
in  denen  man  teils  aus  ihrem  eigentlichen  Zusammenbange  gerissene  originale  Fragmente,  teils  vom 
Redaktor  selbst  verfaszte  Stücke  zu  erkennen  habe,  zu  einem  Ganzen  vereinigt  und  in  dieser  Form  vor 
das  übrigens  ganz  andere,  verloren  gegangene  Untersuchungen  voraussetzende  dritte  Buch  gestellt.  Man 
wird  mir  zugeben,  dasz  die  Annahme  eines  so  gewaltsamen  Eingreifens  von  seiten  des  Redaktors  bei 
dem  übrigens  vielfach  lückenhaften  Zustande  der  Gesetze  zu  den  ernstlichsten  Bedenken  Anlasz  geben 
musz,  und  dasz  deshalb  eine  genaue  Prüfung  der  von  Bruns  für  seine  Behauptungen  beigebrachten 
Gründe  wohl  gerechtfertigt  erscheint.  Als  ein  Versuch,  diese  Prüfung  an  der  Hand  einer  kritischen 
Analyse  der  ersten  beiden  Bücher  im  einzelnen  vorzunehmen,  möge  folgender  Aufsatz  angesehen  werden. 
Die  Personen  des  Dialoges  sind :  ein  Athener  {^svog  ^A^rjvatog) ;  Klinias,  ein  Kreter ;  Megillos, 
ein  Spartaner.  Sie  befinden  sich  auf  dem  Wege  von  Knossos  nach  einem  Heiligtume  des  Zeus.  Der 
Athener  eröffnet  den  Dialog  mit  der  Frage:  Hat  ein  Gott  oder  ein  Mensch  eure  Gesetze  geschaffen? 
Die  Antwort  lautet:  Ein  Gott;  bei  den  Kretern  Zeus,  bei  den  Lacedämoniem  Apollo.  Es  ist  wohl  zu 
beachten,  dasz  der  göttliche  Uraprung  der  kretischen  und  spartanischen  Gesetze  hiermit  als  Voraus- 
setzung des  weiteren  Gespräches  aufgestellt  wird,  da  dieser  Punkt  von  Wichtigkeit  ist  für  das  richtige 


^)  „Piatos  Gesetze  vor  und  nach  ihrer  Herausgabe  dnrch  Philipp  von  Opus."    Weimar  1880. 

1 


Verständnis  mehrerer  von  Brons  bemängelter  Stellen,  von  denen  im  weiteren  Verlaufe  der  Untersuchung 
die  Bede  sein  wird  (p.  3  u.5).  Zunächst  knüpft  der  Athener  an  diese  Voraussetzung  des  göttlichen  Ursprungs 
die  Vermutung,  dasz  es  den  Mitunterrednem  —  iizetör]  kv  roiovroiq  i)dtai,  ridQa(p^t  —  wohl 
angenehm  sein  würde,  sich  den  Weg  durch  ein  Gespräch  über  Gesetze  und  Verfassung  zu  verkürzen. 
Nachdem  diese  ihre  Zustimmung  zu  erkennen  gegeben  haben,  beginnt  er  sogleich  mit  der  mitten  in 
den  Gegenstand  führenden  Frage :  Wozu  hat  das  Gesetz  bei  euch  die  Syssitien,  die  Gymnasien  und  die 
Handhabung  der  Waffen  vorgeschrieben?  einer  Frage,  welche  ja  den  dorischen  Mitunterrednern  gegen- 
über nahe  genug  lag.  Elinias  antwortet,  der  kretische  Gesetzgeber  habe  in  der  richtigen  Erwägung, 
dasz  der  Friede  ein  bloszer  Name  sei,  und  dasz  in  Wahrheit  alle  Staaten  fortwährend  mit  einander 
auf  Eriegsfusz  lebten,  nicht  nur  jene  von  dem  Athener  genannten  Einrichtungen,  sondern  überhaupt 
nahezu  alle  Einrichtungen  des  Staates  mit  Bflcksicht  auf  den  Krieg  getroffen.  Um  aus  dieser  Antwort 
die  Grundlage  für  die  weitere  Untersuchung  zu  gewinnen,  faszt  der  Athener  ihren  Inhalt  zusammen 
in  dem  Satze:  „Also  ein  wohl  geordneter  Staat  musz  so  eingerichtet  sein,  dasz  er  die  anderen  Staaten 
im  Kriege  besiegt." 

Nachdem  auch  Megillos  diesem  Satze  beigepflichtet  hat,  überträgt  der  Athener  das  demnach 
für  den  Staat  Geltende  auf  das  Dorf,  die  Familie  und  schlieszlich  auf  den  einzelnen  in  Beziehung  auf 
sich  selbst.  Klinias  giebt  zu  dieser  Erweiterung  des  Satzes  seine  lebhafte  Zustimmung  zu  erkennen 
und  findet  in  ihr  die  wahre  Begründung  für  den  bekannten  Gedanken:  Über  sich  selbst  zu  siegen  ist 
der  erste  und  schönste  Sieg,  und  sich  selbst  zu  unterliegen,  die  schimpflichste  Niederlage.  Der  Athener 
benutzt  den  ihm  hierdurch  gebotenen  Begriff  des  xqeLxxwv  iavtov  und  ijmav  iavtov,  indem  er 
nun  umgekehrt  das  zunächst  für  den  einzelnen  Geltende,  dasz  nämlich  jeder,  je  nach  dem,  bald  xqbit- 
xwv  iavTOV,  bald  iJTTcov  iavrov  ist,  auf  Familie,  Dorf  und  Staat,  als  Einzelwesen  betrachtet,  über- 
trägt. Auch  dem  stimmt  Klinias  zu  und  erklärt  eine  nöXig  für  xgeitru)  iavTrjg,  wenn  die  besseren 
Elemente  (oi  dfieivoveg),  für  »/rrw  iavrijg,  wenn  die  schlechteren  Elemente  (ot  XEtQOvg)  die  Ober- 
hand gewinnen.  Auf  die  durch  die  Ausdrucksform  dieses  Gedankens  nahe  gelegte  Frage,  wie  das 
Xitgov  überhaupt  dem  äuEivov  gegenüber  xQelrtov  sem  könnte,  erklärt  der  Athener  jetzt  nicht  ein- 
gehen zu  wollen  —  wir  werden  an  einer  anderen  Stelle  eine  Beantwortung  dieser  Frage  finden  — ; 
auch  daran  will  er  keinen  Anstosz  nehmen,  dasz,  wenn  die  x^iQOvg  in  der  Ueberzahl  sind  und  die 
Minderheit  der  dfisivovsg  überwältigen,  doch  der  ganze  Staat  x^igcav  iavtijg  und  umgekehrt,  wenn 
die  Minderheit  der  diAeivovsg  siegt,  doch  der  ganze  Staat  xQtittwv  ^aüT^g  genannt  wird ;  denn,  meint 
er,  es  handelt  sich  nicht  um  Worte,  sondern  um  die  Sache.  Hinsichtlich  dieser  wird  nun  zunächst  an 
dem  Beispiele  eines  Richters,  welcher  die  Feindschaft  zwischen  Brüdern  schlichten  soll,  von  denen  ein 
Teil  wohl,  ein  anderer  übel  geraten  ist,  festgestellt,  dasz  ein  solcher  Richter  seine  Aufgabe  am  besten 
lösen  würde,  wenn  er  die  übel  Geratenen  weder  tötete  noch  unterdrückte,  sondern  mit  ihren  Brüdern 
aussöhnte,  obwohl  er  damit  nicht  den  Krieg,  sondern  den  Frieden  zum  Zwecke  seiner  Gesetzgebung 
machen  würde.  Darauf  wird  der  auswärtige  Krieg  (6  I|w5«v  iröks^iog),  welchen  Klinias  ursprünglich 
allein  im  Auge  gehabt  hatte,  unterscliieden  von  dem  inneren  Zwiste  (ordoig),  zu  welchem  die  Unter- 
suchung durch  den  Begriff  des  nöXefiog  avrov  ngbg  iavröv  unvermerkt  übergeleitet  war,  und  die 
letztere  Art  des  Krieges,  der  innere  Zwist,  wird  als  die  für  den  Gesetzgeber  wichtigere  anerkannt. 
Der  Zweck  des  Gesetzgebers  aber  musz  dabei  nach  dem  aus  dem  eben  angeführten  Beispiele  gewonneneu 
Ergebnisse  nicht  der  Krieg,  sondern  der  Friede  sein.  Das  sich  so  ergebende  Resultat  ist  demnach: 
1)  Der  Gesetzgeber  musz  nicht  in  erster  Linie  auf  den  äuszeren  Krieg,  sondern  vielmehr  auf  den  inneren 
Zwist  sein  Augenmerk  richten.  2)  Das  dabei  zu  erstrebende  Ziel  ist  nicht  der  Krieg,  sondern  der 
Friede.  Noch  besser  würde  es  sein,  wenn  dieser  Friede  überhaupt  von  Anfang  an,  ungestört  durch 
jeden  Krieg,  vorhanden  wäre. 

Dies  Resultat  musz  Klinias  freilich  anerkennen,  aber  trotzdem  scheinen  ihm  die  dorischen  Ver- 
fassungen allein  auf  den  auswärtigen  Krieg  berechnet  zu  sein.  Der  Athener  giebt  die  Möglichkeit  zu 
irax'  äv  lawg  629  A),  warnt  aber  vor  vorschnellen  Urteilen  und  schlägt  vor  die  Untersuchung  in  der 
Weise  noch  einmal  aufzunehmen,  dasz  Tyrtäus  als  Vertreter  der  Dorier  sein  Urteil  über  den  fraglichen 
Gegenstand  abgeben  soll.  Zu  Grunde  gelegt  werden  die  Verse,  in  welchen  er  die  Tüchtigkeit  im  Kriege 
als  erste  und  wesentlichste  Tugend  preist  (Bergk  II  fr.  Tyrt.  401.  oüt  äv  pivijaaiiiTjv  ovx  iv  Xöyqt 
dvdga  ri^eiftTjv  etc).     Es  ergiebt  sich,   dasz    diese  Verse    nur   auf  den   auswärtigen  Krieg   gerichtet 


sein  können.  Die  Tüchtigkeit  in  dieser  Art  des  Krieges  kann  aber  nach  der  bisherigen  üntersuchang 
nicht  als  erste  Tagend  gelten,  nnd  es  wird  dem  Tyrtäns  die  Autorität  des  Theognis  entg^engesetzt  ^), 
welcher  den  im  schweren  Bürgerkriege  zuverlässigen  Mann  als  den  Torzüglichsten  verherrlicht.  (Bergk 
U  Theogn.  v.  77.)  Denn  dazu,  so  fährt  der  Athener  aus,  gehört  die  gesamte  dgerr/,  während  der  von 
Tyrtäus  Grepriesene  nur  die  dvögüa  nötig  hat.  Nun  musz  aber  ein  Gesetzgeber,  und  zumal  ein  gött- 
licher Gesetzgeber  wie  in  Kreta,  sich  die  höchste  dgerrj,  nnd  mithin  die  von  Theognis  gepriesene 
niar&trjg,  nicht  die  dvögeia  des  Tyrtäus,  zum  Endziel  setzen. 

Nachdem  so  der  Versuch  gescheitert  ist,  mit  Hilfe  des  Tyrtäus  ein  dem  Ergebnisse  der  Unter- 
suchung entsprechendes  Princip  in  den  dorischen  Verfassungen  nachzuweisen,  liegt  die  von  Klinias 
daraufhin  gestellte  Frage:  „Wollen  wir  unseren  kretischen  Gesetzgeber  als  schlecht  verwerfen?"  aller- 
dings nahe  genug,  und  man  könnte  erwarten,  dasz  der  Gedanke,  die  kretische  nnd  spartanische  Ver- 
fassung seien  Musterverfassungen,  jetzt  in  der  That  endgiltig  aufgegeben  würde.  Nun  beachte  man  aber, 
dasz  gleich  zu  Anfang  diese  Verfassungen  als  göttliche  hingestellt  wurden,  und  dasz  an  unserer  Stelle 
630  C.  6  t^ÖE  JtaQcc  Jibg  vofxo&irrjg  auf  den  göttlichen  Charakter  derselben  ausdrücklich  Bezug 
genommen  wird.  Göttliche  Verfassungen  lassen  sich  jedoch  schlechterdings  nicht  verwerfen,  und  es  ist 
daher  wohl  begründet,  wenn  der  Athener,  so  lange  er  an  dem  göttlichen  Ursprünge  derselben  noch 
festhält,  keinen  Tadel  gegen  sie  aufkommen  lassen  will.  Der  Athener  sucht  vielmehr  eine  nochmalige, 
endgültige  Prüfung  der  dorischen  Verfassungen  herbeizuführen,  und  er  fahrt  deshalb  folgendermaszen 
fort:  Dasz  Klinias  die  aQttr]  als  Zweck  der  Verfassung  hinstellte,  ist  dem  göttlichen  Charakter  der- 
selben durchaus  gemäsz,  dasz  er  aber  nur  einen  Teil  der  ägerri,  und  zwar  den  unbedeutendsten,  dazu 
wählte,  entspricht  diesem  Charakter  durchaus  nicht.  Die  richtige  Art  über  die  kretische  Verfassung 
zu  sprechen  —  ihren  göttlichen  Ursprung  natürlich  vorausgesetzt  —  wäre  vielmehr  folgende  gewesen, 
die  auch  jetzt  noch  angewandt  werden  kann:  Die  kretischen  Gesetze  sind  mit  Secht  berühmt,  denn  sie 
machen  diejenigen,  welche  sich  ihrer  zu  erfreuen  haben,  glücklich,  indem  sie  ihnen  die  göttlichen  und 
menschlichen  Güter  verschaffen,  wobei  erklärt  wird,  dasz  die  göttlichen  Güter  die  menschlichen  not- 
wendig im  Gefolge  haben.  Dann  folgt  nach  einer  Aufeählung  dieser  Güter,  in  welcher  die  göttlichen 
als  die  bekannten  vier  Kardinaltugenden  erklärt  werden,  eine  nach  Gruppen  geordnete  Übersicht  über 
das,  worauf  sich  die  einzelnen  gesetzlichen  Bestimmungen  zu  beziehen  haben,  mit,  der  ausdrücklichen 
Erklärung,  dasz  jede  dieser  Bestimmungen  die  vorher  erwähnten  Güter  und  im  letzten  Grunde  das 
höchste  derselben,  die  (pgövrjatq,  im  Auge  haben  müsse.  Endlich  wird  der  Gesetzgeber  Wächter  für 
seine  Gesetze  ernennen  als  lebendige  Vertreter  der  q)Q6vijaig,  in  welcher  alles  gipfeln  soll.  Der  wesent- 
liche Funkt  ist  also,  kurz  gefaszt:  Die  kretischen  Gesetze  sind  vorzüglich,  weil  sie  alle  Güter  ver- 
schaffen. Alle  Güter  zu  vei'schaffen  ist  aber  nur  möglich  bei  richtiger  Schätzung  derselben,  die  darauf 
hinausläuft,  dasz  die  (pQÖvijaig  in  ihrem  wahren  Werte  erkannt  und  als  oberstes  Princip  bei  allen 
gesetzlichen  Bestimmungen  geltend  gemacht  wird. 

Bruns  (S.  10  ff)  findet  hierin  auf  Grund  der  sich  anschlieszenden  Worte:  oilrtog,  cJ  ^ivot, 
symye  ^d^slov  äv  vfzdg  xal  hi  vvv  ßovXofiac  öu^el&siv,  Jtcog  iv  rotg  tov  Jiög  Isyofuvoig 
vöfioig  Totg  T£  tov  Uv^iov  'AitöXXwvog  .  .  .  ivEOrip  te  ndvra  tavra  .  .  .  eine  Disposition  für 
den  weiteren  Dialog.  Aber  eine  eigentliche  Disposition  will  der  betreffende  Abschnitt  noch  nicht  geben, 
er  will  nur  den  richtigen  Gesichtspunkt  feststellen,  unter  welchem  alle,  und  so  hier  speciell  die  dorischen 
Verfassungen  betrachtet  werden  müssen.  Vorher  waren  dieselben  ja  von  dem  einseitig  falschen  Gesichts- 
punkte betrachtet,  als  ob  die  dvögeia  das  oberste  Princip  sei,  jetzt  sollen  sie  ven  dem  erweiterten, 
richtigen  Gesichtspunkte  betrachtet  werden,  welcher  —  mit  einem  Worte  gesagt  —  an  Stelle  der 
dvÖQÜu  die  g)Q6vijaig  mit  der  daraus  sich  ergebenden  weiteren  Stufenfolge  der  Güter  setzt.  In  welcher 
Art  der  Nachweis  geführt  werden  soll,  dasz  die  dorischen  Verfassungen  wirklich  dieser  Forderung  ent- 
sprechen,   bleibt  dabei  zunächst  noch  eine   offene  Frage.    Begründet   wird   diese   Auffassung   dadurch, 


')  Merkwürdiger  Weise  schlieszt  Bruns  (S.  9)  aus  den  Worten  630  A  JtOir]ti]V  de  xai  ^^ig  fidQtVQ'' 
MxOlUV,  ßioyviv . .,  dasz  Theognis  hier  fast  als  Vertreter  des  Jonismns  erscheint  Die  ^fUig  sind  doch  der 
Athener  und  seine  Mitanterredner,  dem  Tyrtans  gegenüber!  und  Theognis  wird  also  gar  nicht  als  Vertreter 
eines  bestimmten  Stammes,  sondern  nur  als  Vertreter  des  durch  die  bisherige  Untersuchung  gewonnenen  Ergeb- 
nisses benutzt. 

1* 


dasz  vou  den  Worten  öiTva  6e  äya^d  laziv  (631  B)  an  die  Erörterungen  einen  durchaus  allgemeinen 
Charakter  tragen.  Es  heiszt  von  hier  ab  nicht  etwa  mehr:  „Der  kretische  Gesetzgeber  ist  so  und  so 
yerfahren,"  sondern  es  werden  ganz  theoretisch  die  an  den  wahren  Gesetzgeber  überhaupt  (cf.  T(p 
vofio&irf]  raxtiov  oi/rwg  631  D)  zu  stellenden  Forderungen  definiert.  Noch  verkehrter  ist  es,  um 
das  gleich  hier  zu  erwähnen,  nach  der  Ansicht  der  meisten  Erklärer  in  dem  betreifenden  Abschnitte 
die  Disposition  für  den  gesamten  Dialog,  d.  h.  also  für  den  von  Plato  gegebenen  Verfassungsentwurf 
mit  Einschlusz  der  vorbereitenden  Erörterungen,  zu  suchen.  Denn  abgesehen  von  allem  anderen  will 
der  fragliche  Abschnitt  überhaupt  nicht  den  genauen  Gang  eines  wirklichen  Verfassungsentwurfes  geben. 
Das  zeigen  schon  die  Worte:  632  C  xatcöibv  ö  ^eig  zovg  vöfiovs  anaot  toixoiq  (pvkaxaq  ini- 
üTTjOei  etc.  Denn  bei  einem  wirklichen  Verfassungsentwurfe  kann  mit  der  Einsetzung  der  Beamten 
—  und  etwas  anderes  kann  doch  mit  den  Worten,  da  vorher  von  irgend  welchen  Beamten  noch  nicht 
die  Bede  war,  nicht  gemeint  sein  —  schlechterdings  nicht  bis  zur  Vollendung  der  ganzen  Gesetzgebung 
gewartet  werden,  und  auch  Plato  thut  dies  ja  in  seinem  eigenen  Entwürfe  nicht. 

Also  es  soll  nur  der  Gesichtspunkt  angegeben  werden,  nach  welchem  sich  der  Gesetzgeber  bei 
Aufstellung  einer  wirklichen  Verfassung  zu  richten  hat.  Dem  entsprechen  auch  die  angeführten  Worte: 
owTCög,  cJ  ^ivoi,  ^ytoye  rj&eXov  av  VfAäg  xal  ht  vvv  ßovXofiat  öie^eX^elv,  ncag  h  xolg  rot 
dibg  keyofASvuig  vö^oig  . . .  kveari  te  ndvra  ravta  .  . .  „So  —  d.  h.  auf  Grund  der  eben  vor- 
getragenen Gesichtspunkte  —  möchte  ich,  dasz  ihr  auseinandersetztet,  wie  alles  dieses  in  den  dem 
Zeus  zugeschriebenen  Gesetzen  enthalten  ist."  Es  ist  deshalb  ungerechtfertigt,  wenn  Bruns  (S.  178) 
es  tadelt,  dasz,  nachdem  eben  eine  Disposition  gegeben  ist,  die  ratlose  Frage  des  Klinias  632  D  jtcog 
ovv,  (3  ^ivEy  XiysLv  XQV  ^«  ii£td  ravta ;  zu  einer  neuen  Disposition  Anlasz  giebt.  Vielmehr,  was 
folgt,  ist  überhaupt  die  erste  für  unseren  Dialog  aufgestellte  Disposition.  Um  nämlich  festzustellen, 
dasz  die  dorischen  Gesetze  in  der  Tbat  nach  jenen  eben  angegebenen  Gesichtspunkten  aufgest-ellt  sind, 
sollen  zuerst  für  die  einzelnen  Teile  der  dgerrj  die  InLtqÖEviJiata  aufgesucht,  und  dann  erst  soll 
nachgewiesen  werden,  dasz  auch  wirklich  in  allen  einzelneu  Bestimmungen  die  oQExr]  als  letztes  masz- 
gebendes  Ziel  zum  Ausdruck  kommt.  Dieser  vorgeschlagene  Gang  der  Untersuchung  ist  ein  wohl  er- 
wogener. Denn,  wenn  wirklich  die  fraglichen  Verfassungen  nach  jenen  Gesichtspunkten  abgefaszt  sind, 
so  müssen  sich  leicht  für  jede  einzelne  ä^err}  gerade  auf  sie  gerichtete  Bestimmungen  finden  lassen. 
Finden  sich  diese,  so  ist  damit  überhaupt  erst  die  Möglichkeit  —  von  einer  Wahrscheinlichkeit  noch 
gar  nicht  zu  reden  —  gegeben,  dasz  auch  wirklich  jede  einzelne  Bestimmung  diesem  Zwecke  des 
Gesetzgebers  entspricht.  Finden  sie  sich  aber  nicht,  so  ist  damit  diese  Möglichkeit  vollständig  ausge- 
schlossen, und  die  mühselige  Untersuchung  hinsichtlich  der  einzelnen  Bestimmungen  kann  den  Unter- 
rednern billiger  Weise  erspart  bleiben. 

Bruns  (S.  179)  meint  freilich,  dasz  in  dem  Satze  632  E  voteqov  öe  d^Erijg  itdarjg  äys 
vvvör}  dtrjk&0[XEv  ixEtOE  ßkinovra  dito(pavov[j,Ev.  die  Worte  ayE  vwöf]  öirjX^oiuv  logischer  Weise 
sich  nur  auf  die  ganze  vorhergehende  Auseinandersetzung  631  B — 632  D  beziehen  können;  und  er  hat 
recht,  wenn  er  sie  dann  für  sinnlos  erklärt  und  deshalb  die  Korrektur  Boeckh's,  welcher  für  das  sinn- 
lose Tcr  der  Handschrift  aus  dem  apogr.  Marcian.  ein  ä  in  den  Text  gesetzt  hat,  verwirft.  Nun  musz 
zugestanden  werden,  dasz  die  Worte:  a  vvvör]  öirjk^o^ev  für  sich  genommen,  an  Unklarheit  leiden 
und  sich  nicht  ohne  Zwang  auf  die  Einzelbestimmungen,  von  denen  vorher  die  Bede  war,  beziehen 
lassen.  Aber  weshalb  soll  nicht  das  IxeIoe  ßkinovra  mit  in  den  Relativsatz  er  vvvör]  öirjkdo^Ev 
hineingezogen  werden?  Für  das  dnocpavovuEv  in  der  Bedeutung  „aufweisen"  kann  die  participiale 
Bestimmung  füglich  entbehrt  werden.  Dagegen  giebt  sie  den  Worten  a  vwörj  6cr]k&ofiev  erst  einen 
bestimmten  Bezug :  „Was  wir  als  darauf  (seil,  auf  die  dgerr])  bezüglich  im  einzelnen  besprochen  haben, 
wollen  wir  aufweisen  (nämlich  als  in  den  dorischen  Verfassungen  vorhanden)." 

Die  Untersuchung  beginnt  mit  der  Sammlung  der  auf  dvögeia  bezüglichen  lnitr]ÖEvixara,  und 
zwar  soll  diese  in  der  Weise  vorgenommen  werden,  dasz  sie  zugleich  als  Muster  für  die  gleiche  Behand- 
lung der  übrigen  Teile  der  dgErrj  dienen  kann.  Zunächst  werden  nun  im  Anschlusz  an  die  schon 
früher  besprochenen  Gymnasien  und  Syssitien  ähnliche  auf  den  Krieg  gerichtete  Einrichtungen  aufge- 
zählt, an  welchen  es  ja  in  den  dorischen  Verfassungen  nicht  fehlen  konnte.  Darauf  wird,  um  zu  unter- 
suchen, inwiefern  diese  Einrichtungen  die  dvögsia  erschöpfend  zum  Ausdruck  bringen,  eine  Definition 
der  dvöpEia  gegeben,  dahin  gehend,  dasz  sie  sich  ebensowohl  gegen  fjöovai  und  nö&oi  richten  müsse, 


wie  gegen  li5nai  und  cpößoi;  ja  es  stellt  sich  heraus,  dasz  es  noch  viel  schimpflicher  sei,  sieh  durch 
tjdovai  besiegen  zu  lassen  als  durch  lijjtai.  Die  Schluszfolgerung  ist,  dasz  also  der  wichtigste  Teil 
der  dhfÖQßia  der  gegen  die  rjSovai  gerichtete  sei.  Wie  nun  der  Gesetzgeber  den  gegen  die  kvnui, 
gerichteten  Teil  der  dvögeia  dadurch  übt,  dasz  er  die  Betre£Fenden  absichtlich  in  Xiüjrai  f&hrt,  so  ist 
zu  erwarten,  dasz  er  den  gegen  die  ^dovai  gerichteten  Teil  in  analoger  Weise  dadurch  übt,  dasz  er 
absichtlich  in  ^öovai  führt.  Beide  jedoch,  Elinias  und  Megillos,  erklären,  dasz  sie  grosze,  deutlich 
hervortretende  Masznahmen  für  diesen  Teil  der  avögüa  nicht  aufzuweisen  haben,  kleine  vielleicht.  Der 
Athener  hatte  dies  natürlich  vorausgesehen,  wie  er  denn  auch  durch  die  Worte:  xal  ovdivye  ^av- 
[iaatöv  634  C  deutlich  genug  verrät.  Schon  hier  also,  gleich  bei  Untersuchung  des  ersten  Teiles  der 
dgETT]  und  noch  dazu  desjenigen  Teiles,  welcher  noch  am  meisten  in  den  dorischen  Verfassungen  zum 
Ausdruck  kommt,  tritt  die  berechtigte  Befürchtung  ein,  dasz  die  dorischen  Verfassungen,  von  dem  für 
eine  richtige  Gesetzgebung  maszgebenden  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  doch  wohl  nicht  bestehen 
möchten.  Dem  gegenüber  erscheint  es  als  das  Nächstliegende,  dasz  die  bisher  stillschweigend  ange- 
nommene Voraussetzung,  welche  zur  bestimmten  Erwartung  berechtigte,  dasz  jene  Verfassungen  be- 
stehen würden,  ich  meine  die  Voraussetzung  von  dem  göttlichen  Ursprünge  derselben,  einmal  näher 
geprüft  wird.  Und  das  geschieht  in  der  That.  Der  Athener  erklärt:  Ob  die  dorischen  Verfassungen 
wirklich  ein  Tadel  trifft,  ist  eine  andere  Frage  —  bis  jetzt  liegt  ja  nur  die  Befürchtung  vor,  dasz 
dies  eintreten  könnte  — ;  aber  über  das  von  der  groszen  Menge  daran  Ausgesetzte  bin  ich  jedenfalls 
besser  unterrichtet  als  ihr,  denn  ihr  habt  in  der  Jugend  über  die  Gesetze  nicht  frei  nachdenken  dürfen, 
weil  eure  Verfassung,  als  göttlichen  Ursprungs,  unangetastet  bleiben  muszte.  Doch  ist  diese  Erklärung 
von  der  Göttlichkeit  der  Verfassung  nur  eine,  allerdings  sehr  weise,  gegen  die  Neuerungssucht  gerichtete 
Masznahme  des  Gesetzgebers,  welche  aber  Greise,  wenn  sie,  wie  wir  jetzt,  unter  sich  sind,  nicht  hindern 
soll.  Elinias  stimmt  lebhaft  zu  und  erklärt,  der  Athener  habe  die  Absicht  des  Gresetzgebers  vorzüglich 
erraten ;  ja  er  fordert  den  Athener  mit  den  Worten  635  B  elg  ü  nrjSiv  ye  dv^g  tnt.ri,\uav  tolq 
vöftocg  fifjuDv  geradezu  zum  freimütigen  Tadel  auf. 

Merkwürdiger  Weise  hat  Bruns  (S.  14)  die  Bedeutung  dieser  Stelle  ganz  verkannt.  Er  wundert 
sich,  dasz  diese  erste  „Aporie"  nicht  zur  Modification  der  sogenannten  groszen  Disposition  benutzt  wird, 
und  findet  die  Weise,  wie  der  Athener  die  Zulässigkeit  eines  etwaigen  Tadels  für  sich  in  Anspruch 
nimmt,  übertrieben  vorsichtig.  Die  Bedeutung  der  Stelle,  wenn  sie  eine  solche  überhaupt  haben  soll, 
kann  nach  ihm  nur  die  sein,  dasz  der  Eindruck,  als  ob  der  Dorismus  denn  doch  kein  genügendes 
Material  sei  für  die  Aufstellung  einer  Musterverfassung,  abgeschwächt  werde.  Natürlich  kommt  ihm 
dann  der  gleich  darauf  den  dorischen  Verfassungen  gegenüber  angeschlagene  völlig  veränderte  Ton  sehr 
seltsam  vor.  Nach  der  oben  gegebenen  Darstellung  kann  uns  die  Behutsamkeit  des  Atheners  an  dieser 
Stelle  selbstverständlich  nicht  als  übertrieben  erscheinen;  das  Zulassen  eines  Tadels  war  ja  bei  dem 
vorausgesetzten  göttlichen  Ursprünge  derselben  in  der  That  eine  eigene  Sache.  Und  wenn  Bruns  sich 
darüber  wundert,  dasz  selbst,  nachdem  ein  Tadel  für  zulässig  erklärt  ist,  der  Athener  doch  noch  aus- 
drücklich von  einem  wirklichen  Tadel  deraelben  absteht  cf.  635  B  ov  (Jii]v  ^.JtiztficSv  ye  igw  roig 
vöfiotg  nwgy  ngiv  ßsßaiwg  dg  övvayiv  diaaxsipaa&ai,  fxdXXov  de  ditogav,  so  ist  zu  erwidern, 
dasz  ein  Fehler  in  jenen  Verfassungen  bis  jetzt  ja  noch  nicht  wirklich  nachgewiesen  war,  sondern  dasz 
nur  die  Wahrscheinlichkeit,  es  möchte  sich  ein  solcher  finden,  in  Aussicht  stand. 

Diese  Wahrscheinlichkeit  war  bedingt  durch  die  von  dem  Athener  ohne  direkte  Zustimmung  der 
Derer  gemachte  Voraussetzung,  dasz  gegen  die  fjöovai  in  vollständig  analoger  Weise  anzukämpfen  sei 
wie  gegen  die  Xvnai.  Wir  müssen  deshalb  erwarten,  dasz,  bevor  ein  Tadel  wirklich  erhoben  wird, 
eben  diese  Voraussetzung  noch  einmal  klar  gestellt  und  ein  Urteil  der  Mitunterredner  über  sie  verlangt 
wird.  Und  diese  Erwartung  wird  erfüllt.  Der  Athener  sagt:  Eure  Gesetzgeber  haben  euch  den  Genusz 
der  gröszten  fjöovai  verboten;  und  doch  hätten  sie,  um  eine  vollkommene  dvögsla  zu  erzielen,  im 
Kampfe  gegen  YjSovai,  ähnlich  wie  in  demjenigen  gegen  kvTtai,  dadurch  üben  müssen,  dasz  sie  die 
Bürger  absichtlich  in  i)<ioval  geführt  hätten.  Die  Derer  wissen  gegen  dieses  Verlangen  freilich  nichts 
zu  sagen,  aber  sie  scheuen  sich  als  Greise  über  so  wichtige  Dinge  ein  schnelles  Urteil  zu  ßiUen.  So 
bleibt  dem  Athener  nichts  übrig  als,  scheinbar  zu  etwas  anderem  übergehend,  dieselbe  Schwierigkeit 
noch  einmal  vor  Augen  zu  fahren.  Er  schlägt  also  vor  —  der  Disposition  gemäsz  —  die  Betrachtung 
des  zweiten  Teiles  der  dgerrj  zu  beginnen,  und  zwar  wählt  er  als  solchen  —  eine  Reihenfolge  war  ja 


crv-  V.  -?    iT-;  :'^' 


nicht  festgesetzt  —  die  auxpQoaivrj.  Der  Spartaner,  welcher  jetzt  das  Wort  ergreift,  föhrt  gleich 
etwas  schüchtern  (636  A  oxidbv  oi  ^qötov)  dieselben  Gymnasien  und  Syssitien  als  auch  anf  die 
awcpQoaiüvrj  gerichtete  ininjdevfxara  an.  Der  Athener  antwortet,  es  scheine  schwierig  för  den  Gesetz- 
geber, Einrichtungen  zu  treffen,  welche  in  jeder  Beziehung  gleich  vorzöglich  wären;  so  brächten  die 
Gymnasien  offenbar  in  mancher  Hinsicht  groszen  Nutzen,  betreffs  der  araaeig  nnd  ^öovai  aber  — 
wobei  er  zugleich  an  den  verderblichen  Ganymedes- Mythos  der  Kreter  erinnert  —  seien  sie 
gefahrlich. 

An  dieser  Stelle  nimmt  nun  schon  Zeller  (Piaton.  Stud.  S.  50)  und  im  Anschlüsse  an  ihn 
Brnns  (S.  18)  Anstosz  daran,  dasz  wieder  zur  cwcpQoavvr}  gerechnet  werde,  was  vorher  unter  dem 
Titel  der  dvögeia  behandelt  sei.  Und  es  ist  richtig,  dasz  in  beiden  Fällen  vom  Kampfe  gegen  die 
fjöovai  die  Rede  ist;  aber  darum  sind  avögeia  und  acacpQOOiüvrj  noch  nicht  als  identisch  hingestellt. 
Die  rechte  dvögeia  musz  sich  freilich  im  Kampfe  gegen  fjöovai  ebenso  beweisen  wie  im  Kampfe  gegen 
Xvrtaiy  und  die  acotpQoavvij  ist  andererseits  ohne  die  Unterdrückung  der  ijöovai  —  aber  auch  der 
kvjiat  —  nicht  möglich.  Trotzdem  ist  jedoch  die  awcpQoavvrj,  wie  sie  631  C  definiert  wird,  als 
HEttt  vov  aibq)Q(ov  ipvx^S  ^?'?  psychologisch  etwas  ganz  anderes  als  die  ävÖQBla.  Die  dvÖQsla  ist 
der  Mut  im  Kampfe  gegen  wirklich  schon  vorhandene  fiöovaL  und  Xinai.  Die  awcpQooivr}  ist  der 
ruhige,  besonnene  Gemütszustand,  der  sich  erst  allmählich  mit  Hilfe  des  vovq  ausbildet,  und  der  als 
solcher  überhaupt  das  Aufkommen  von  leidenschaftlichen  fjdovai  und  XvTrai  ausschlieszt.  Die  aaxpQO- 
avvT)  ist  somit  die  höhere,  aber  für  den  Menschen  doch  nur  mit  Hilfe  der  dvögsia  zu  gewinnende 
und  zu  behauptende  Tugend.  Übrigens  scheint  Plato  selbst  mit  den  Worten  633  A  nsgi  t(3v  rijg 
aXkfjg  ägetTJg  eIte  ^eq^ov  elxe  arr*  avra  xuXelv  XQ^f^v  lart,  örjXovvra  fiövov  a  XiyEi  (cf.  632  E, 
wo  st-att  fZEQog  der  Ausdruck  Etdog  gebraucht  wird)  anzudeuten,  dasz  er  die  einzelnen  dgetcci  als 
koordinierte,  scharf  von  einander  gesonderte  Teile  eines  Ganzen  nicht  aufgefaszt  haben  will. 

Gegen  das  vom  Athener  Gesagte  weisz  Megillos  nun  freilich  nichts  einzuwenden,  aber  trotzdem 
will  es  ihm  hinsichtlich  der  fjöovai  scheinen,  als  ob  es  das  Richtige  sei,  sie  möglichst  zu  meiden,  und 
80  rühmt  er  das  strenge  Verbot  der  Trunkenheit  in  Sparta  im  Gegensatze  zu  Athen  und  Tarent.  Die 
Antwort  des  Atheners  lautet:  Alles  derartige  ist  schädlich,  wenn  das  richtige  Masz  fehlt,  und  in 
gleicher  Weise  könnte  man  Sparta  die  Ungebundenheit  der  Frauen  zum  Vorwurfe  machen.  Für  ge- 
wöhnlich genügt  nun  allen  solchen  gegen  die  heimischen  Einrichtungen  gerichteten  Angriffen  gegen- 
über der  Hinweis  auf  den  vöfiog,  nach  welchem  man  sich  eben  zn  richten  habe,  nicht  so  im  gegen- 
wärtigen Falle,  wo  es  sich  gerade  um  die  Tüchtigkeit  und  Untüchtigkeit  der  Gesetzgeber  selbst  handelt. 
Sprechen  wir  also  noch  eingehender  über  die  Trunkenheit,  da  sie  ein  nicht  unwichtiges  inirrjöevua 
zu  sein  scheint. 

In  diesem  Abschnitte  nimmt  Bruns  (S.  16)  zunächst  Anstosz  an  den  Worten:  637  CD  ^(aiv 
ö'iati  vvvy  (ü  (piXoi.  ävögsg,  ov  ueql  rcöv  dv^Q(bJt(ov  rcov  aXXcav  6  Xöyog,  dXXä  itEQi  tcSv 
vofxo^Etcov  dvTwv  xaxiag  te  xai  d^Eri/g.  Da  vorher  gesagt  ist,  es  solle  von  der  kretischen  und 
spartanischen  Verfassung  ausschlieszlich  die  Rede  sein,  so  musz,  meint  Bruns,  gerade  an  dieser  Stelle, 
welche  vor  Abschweifungen  warnen  will,  auch  allein  an  Minos  und  Lykurg  gedacht  werden,  und  dann, 
schlieszt  Bruns  weiter,  ist  es  eine  unbegreifliche  Impietät,  von  diesen  in  einem  solchen  Tone  zu  reden. 
Ich  glaube  aber,  dasz  Bruns  hierbei  die  Stelle  zu  sehr  auszerhalb  ihres  natürlichen  Zusammenhanges 
betrachtet.  Der  Spartaner  hatte  bei  der  Verteidigung  eines  spartanischen  Gesetzes  den  Brauch  in 
Athen  und  Tarent  zur  Vergleichung  herangezogen.  Darauf  antwortet  der  Athener,  es  könnte  sich  in 
solchen  Fällen  ja  jeder  einzelne  Bürger  rechtfertigen  durch  Berufung  auf  sein  heimisches  Gesetz,  aber 
sie  hätten  es  jetzt  mit  der  dgEtrj  der  Gesetzgeber  selbst,  nicht  mit  derjenigen  der  gewöhnlichen  Bürger 
zu  thun.  Diesem  Zusammenhange  gegenüber  ist  einmal  offenbar  nicht  an  jene  dorischen  Gesetzgeber 
(von  Sparta  und  Kreta)  zu  denken,  sondern  das  t(av  vofio&Etwv  aitwv  stellt  zunächst  die  Gesetzgeber 
überhaupt  den  äXXoL  av^gcanoi  gegenüber  und  ist  weiter  speziell  auf  die  an  dieser  Stelle  in  Frage 
kommenden  Gesetzgeber  von  Sparta,  Athen  und  Tarent  zu  beziehen.  Sodann  ist  und  bleibt  an  unserer 
Stelle,  durchaus  der  Disposition  geroäsz,  eine  spartanische  Einrichtung  Grundlage  der  Untersuchung, 
und  lediglich  zur  Erläuterung  derselben  werden  die  bezüglichen  Einrichtungen  anderer  Staaten  heran- 
gezogen, worin  doch  gewisz  kein  Verstosz  gegen  die  Disposition  gefunden  werden  kann.  Übrigens 
bleiben  ja  trotzdem  die  Ausdrücke  dgExi)  und  xaxia  auch  für  die  dorischen,  und  hier  speziell  für  den 


spartaniBchen  Gesetzgeber  in  Geltung.  Aber  eine  Impietät  kann  ich  darin  nicht  finden.  Nachdem 
einmal  der  göttliche  Ursprung  der  Gresetze  im  eigentlichen  Sinne  abgewiesen  ist,  nehmen  die  dorischen 
Gesetzgeber  keine  Sonderstellung  mehr  ein. 

Mit  den  Worten :  637  D  hi  yag  ovv  etinofisv  itküv)  itsQi  aizaarjg  i^ti^tjg  kommen  wir  nun 
freilich,  das  musz  man  Bruns  (S.  20)  zugeben,  auf  ein  ganz  neues  Thema,  welches  den  Best  des 
ersten  und  beinahe  das  ganze  zweite  Buch  föllt.  Aber  dasz  diese  Untersuchung  so  umfangreich  sein 
wird,  ist  ja  vorläufig  nicht  yorauszusehen,  und  den  Anlasz  zu  ihr  giebt  gerade  die  Frage  nach  der 
fiichtigkeit  einer  dorischen  Einrichtung.  Es  soll  untersucht  werden,  ob  die  Spartaner  Recht  haben  mit 
Verwerfung  der  {jti&rj,  oder  die  anderen  Völker  mit  ihrer  Pflege.  Bald  stellt  sich  freilich  heraus,  dasz 
eine  richtige  Anwendung  derselben  nirgends  zu  finden  ist,  und  der  Athener  tritt  dann  in  eine  aus- 
führliche Erörterung  dieser  richtigen  Anwendung  auf  ausdrücklichen  Wunsch  seiner  Mitunterredner  ein, 
trotzdem  er  ihnen  die  Weitläufigkeit  dieser  Untersuchung  voraussagt.  Es  wird  so  unvermerkt  der  bis- 
herige Gesichtspunkt  der  Unterredung  —  ob  die  dorischen  Verfassungen  allen  an  sie  zu  stellenden 
Anforderungen  genügen  —  verschoben,  und  man  könnte  erwarten,  dasz  ausdrücklich  hierauf  hinge- 
wiesen würde,  aber  nötig  ist  das  nicht.  Der  Grund,  weshalb  uns  die  Sache  jetzt  so  wunderbar  vor- 
kommt, ist  eben  der,  dasz  am  Ende  des  zweiten  Buches  der  Zusammenhang  vollständig  unterbrochen 
ist.  Hier,  am  Ende  der  Besprechung  über  die  /i£.^/;,  muszte  der  frühere  Faden  wieder  aufgenommen 
werden  und  in  irgend  einer  Weise  die  Unzulänglichkeit  der  dorischen  Verfassungen  festgestellt  werden, 
um  so  zu  dem  Versuche  eines  eigenen  Verfassungsentwurfes  überzuleiten.  Bis  zu  diesem  Punkte  jedoch 
ist  nach  meiner  Meinung  der  Zusammenhang  durchaus  korrekt  und  lückenlos.  So  viel  muszte  zur 
Orientierung  schon  hier  gesagt  werden,  jetzt  haben  wir  den  Gang  des  Dialoges  im  einzelnen  weiter  zu 
verfolgen,  um  dadurch  zugleich  die  Bichtigkeit  der  zuletzt  aufgestellten  Behauptung  nachzuweisen. 

Megillos  glaubt  die  Bichtigkeit  der  spartanischen  Einrichtung  schon  dadurch  entschieden,  dasz 
die  Lacedämonier  alle  jene  Völker  im  Kriege  besiegen.  Der  Athener  läszt  jedoch  diesen  Entscheid ungs- 
grund  nicht  gelten.  Denn  die  gröszeren  Staaten,  sagt  er,  schlagen  immer  die  kleineren,  auch  wenn 
letztere  bessere  Gesetze  haben,  und  Niederlage  und  Sieg  hängen  überhaupt  zu  sehr  von  Zufälligkeiten 
ab,  als  dasz  sie  irgendwie  einen  sicheren  Masz3tab  für  die  Güte  der  Verfassungen  abgeben  könnten. 
Vielmehr  müsse  jedes  kuLtfiÖEVua  für  sich  beurteilt  werden,  und  zwar  auf  Grundlage  seiner  möglichst 
richtigen  Anwendung,  fremde  und  dazu  noch  dem  Zufalle  unterworfene  Beweisgründe  —  wie  eben  in 
betreff  der  yi^rj  die  einen  den  Sieg  in  der  Schlacht,  die  anderen  etwa  die  Zahl  der  auf  ihrer  Seite 
stehenden  Staaten  für  sich  anführten  —  seien  von  vornherein  auszuschlieszen.  Er  schlägt  deshalb  vor,  hin- 
sichtlich der  nidrj  ein  für  alle  ähnlichen  Fälle  maszgebendes  Beispiel  der  richtigen  Art  der  Unter- 
suchung zu  geben.  Nachdem  die  Mitunterredner  eingewilligt  haben,  wird  nun  der  entscheidende  Punkt 
zunächst  an  Beispielen  klar  gemacht.  Über  die  Nützlichheit  der  Ziege  kann  nur  dann  richtig  gcurteilt 
werden,  wenn  mau  sie  unter  Leitung  eines  Hirten  gesehen  hat;  der  Tadel  desjenigen  dagegen,  welcher 
sie  ohne  eine  solche  Leitung  mannigfachen  Schaden  hat  anrichten  sehen,  kann  nicht  gelten.  Ebenso 
ist  bei  der  Schiffahrt  und  im  Kriegslager  ein  ;fp?/aTÖg  uqxojv  notwendige  Bedingung.  Zu  dieser 
Eigenschaft  —  nämlich  ein  XQV^"^^?  cc(^Xf^v  zu  sein  —  ist  aber  erforderlich  die  bezügliche  iniatrji^irj 
und  die  d^ogvßia  des  Geistes.  Dies  auf  die  fu^ij  angewandt,  entsteht  also  zunächst  die  Frage:  Hat 
schon  jemand  ein  in  richtiger  Weise  eingerichtetes  avfinöaiov  gesehen?  Die  Dorer  haben  ein  solches 
natürlich  noch  nicht  gesehen,  aber  auch  der  Athener  erklärt,  trotzdem  er  so  viele  ovfiitöaca  beob- 
achtet habe,  ein  vollständig  richtiges  niemals  gefunden  zu  haben.  Für  ein  in  richtiger  Weise  einge- 
richtetes avfiTiöatov  ist  aber  ein  ccQxoiv  nötig,  und  zwar  nach  den  angeführten  Beispielen  ein  aQxfoVf 
der  einmal  die  erforderliche  ijtiOTrjf^ir)  hat,  um  den  Zweck  des  ovfiTtöoiov  —  Förderung  der  g)iUa 
unter  den  Teilnehmern  —  zu  erreichen,  und  der  zweitens  möglichst  d^ögvßog  ist,  wie  im  Lager  vom 
q)6ßog,  so  hier  von  der  f^i^lJ,  d.  h.  er  musz  vriqxov  sein.  Mag  nun  ein  solches  avfiitöaiov  auch 
noch  niemals  verwirklicht  sein,  jedenfalls  darf  nur  dieses  zur  Grundlage  für  ein  Urteil  über  die  (uOt] 
gemacht  werden.  Darauf  folgt  die  naturgemäsz  sich  ergebende  Frage  des  Klinias:  Welchen  Nutzen 
bringt  denn  ein  in  dieser  Weise  geleitetes  ovfiTTÖaiov,  wie  etwa  ein  richtig  geleitetes  OTQUTÖnsöov 
den  Sieg  im  Kriege  zur  Folge  hat?  Die  Antwort  des  Atheners  lautet:  Ein  richtig  erzogener  Knabe 
oder  ein  richtig  geleiteter  Chor  nützen  dem  Staate  nicht  viel;  wohl  aber  wird  man,  wenn  man  nach 
der  Eraiehung  überhaupt  gefragt  wird,  behaupten,   dasz  auf  ihr  die  ägsr^  und  jedes  Gut  beruht  und 


'       t 


8  ■ 

unter  anderdm  auch  der  Sieg  im  Kriege.  Er  will  damit  offenbar  andeuten,  dasz  das  richtig  geleitete 
avfxnöatov  ein  wesentliches  Moment  in  der  Erziehung  ist,  und  dasz  sein  Nutzen  also  von  demselben 
Gesichtspunkte  aus  betrachtet  werden  musz,  wie  der  Nutzen  jedes  anderen  Erziehungsmittels,  d.  h.  in 
der  Vereinzelung  ist  von  einem  groszen  Nutzen  des  av^nöacov  nichts  zu  merken,  —  wie  etwa 
auch  nur  ein  richtig  geleitetes  argaxönEÖov  gleich  einen  in  die  Augen  fallenden  Erfolg  hat  —  wohl 
aber,  wenn  es  im  Zusammenhange  mit  der  ganzen  Erziehung  als  integrierender  Teil  derselben  betrachtet 
wird.  So  hat  auch  Klinias  die  Worte  des  Atheners  verstanden,  wenn  er  sagt:  ,,Du  scheinst  die  richtige 
Anwendung  des  Trinkgelages  als  ein  nicht  unwichtiges  Erziehungsmittel  anzusehen,"  woran  er  die  er- 
neute Aufforderung  knüpft  nachzuweisen,  in  wiefern  das  der  Fall  sei.  Der  Athener  ist  dazu  bereit, 
nur  fürchtet  er  den  auch  sonst  den  Athenern  gemachten  Vorwurf  der  (piXokoyia  und  nokvkoyto.  Denn 
über  die  jusv^iy,  sagt  er,  ist  nicht  erschöpfend  und  deutlich  zu  reden,  ohne  die  wahre  musikalische 
Bildung,  und  über  diese  nicht,  ohne  die  ganze  Erziehung  überhaupt  heranzuziehen;  und  diese  Unter- 
suchung könnte  für  einen  scheinbar  so  geringfügigen  Gegenstand  wie  die  ^i^rj  etwas  weitläufig  er- 
scheinen. Er  überläszt  es  deshalb  der  Entscheidung  der  Mitunterredner,  ob  sie  nicht  lieber  abbrechen 
und  zu  etwas  anderem  übergehen  wollten.  Beide  jedoch  erklären,  dasz  der  Athener  von  ihrer  Seite 
keinen  Vorwurf  zu  fürchten  habe,  Megillos  mit  Berufung  auf  die  Gastfreundschaft  der  Staaten  und  auf 
die  auch  von  ihm  gebilligte  Ansicht,  dasz  die  Athener,  wenn  sie  gut  sind,  dies  auch  in  hervorragender 
Weise  sind,  Elinias  mit  Berufung  auf  Epimenides  und  die  seit  jener  Zeit  ebenfalls  geschlossene  Gast- 
freundschaft. Demnach  wird  also  die  Untersuchung  betreffs  der  ixi^rj  begonnen  und  zwar,  dem  Obigen 
gemäsz,  in  der  Weise,  dasz  eine  Definition  der  natdeia  gegeben  wird.  Als  Tiaiöda  ergiebt  sich  aber 
zunächst  die  Kunst,  schon  in  der  Jugend  Liebe  zu  dem  einzuflöszen,  was  man  als  Mann  treiben  soll. 
Dieser  an  und  für  sich  für  die  Erlernung  jedes  Gegenstandes  geltende  Satz  wird  sodann  beschränkt 
auf  die  Kunst,  jemanden  zu  einem  guten  Bürger  zu  machen.  Die  izaidsia  im  engeren  Sinne  besteht 
also  darin,  schon  in  der  Jugend  Liebe  zu  dem  zu  erwecken,  was  später  die  Eigenschaften  des  dvfjQ 
dya^ög  ausmacht,  äya&ög  ist  aber  nach  früherer  Übereinkunft  derjenige,  welcher  über  sich  selbst 
zu  herrschen  vermag,  und  dieser  Begriff  wird  im  Bilde  folgendermaszen  erläutert.  Jeder  ist  einer,  er 
hat  aber  in  sich  zwei  unverständige,  einander  entgegengesetzte  Ratgeber,  fjöovr]  und  kvitr},  mit  der 
jedem  entsprechenden  Erwartung  für  die  Zukunft,  ^oQQog  und  <pößog.  Über  diesen  Ratgebern  steht 
als  entscheidendes  Element  der  loytafudg,  welcher,  zur  gemeinsamen  Satzung  des  Staates  geworden, 
unter  der  Form  des  vö^og  erscheint.  Wenn  nun  die  Menschen  als  Drahtpuppen  in  der  Hand  der 
Götter  und  die  genannten  Willensmotive  (unter  den  tavra  ra  nä^rj  644  E  ist  der  XoyiOfiög  mit 
zu  verstehen)  als  die  leitenden  Drähte  betrachtet  werden,  so  ist  die  Behauptung  des  Atheners,  dasz 
immer  dem  goldenen  Zuge  des  Xoyia^ög  gefolgt  werden  müsse,  dasz  aber  dieser  Zug,  weil  er  im  Ver- 
hältnis zu  den  übrigen  zu  sanft  sei,  der  Unterstützung  von  Dienern  {öitijQeTai)  bedürfe.  So  ist  also, 
heiszt  es  weiter,  der  Begriff  des  xgeirrojv  und  iJTtiov  iavrov  deutlich  geworden  und  damit  auch  der 
Begriff  der  rfper^,  welche  sich  ja  eben  in  dieser  Eigenschaft  zeigte.  Sind  diese  Begriffe  aber  deutlich 
geworden,  so  ist  auch  zu  hoffen,  dasz  man  in  betreff  der  naiöeia  und  ihrer  kni,rr]6Bi)ixatü,  also  auch 
der  xowT]  Iv  olvcp  öiütQtßr],  jetzt  klarer  sehen  wird.  Zugleich  wird  dabei  die  Erwartung  ausge- 
sprochen, dasz  diese  xoivj]  h  ol'vtp  dcazQißrj  sich  doch  vielleicht  als  der  Länge  der  Reden  nicht  un- 
würdig erweisen  möchte.  Klinias  tritt  dieser  Erwartung  bei  und  fordert  zu  einer  der  gegenwärtigen 
Untersuchung  würdigen  Fortsetzung  auf.  ^) 

Bevor  wir  in  der  Analyse  fortfahren,  müssen  wir  die  mannigfachen  Einwendungen  von  Bruns 
gegen  diesen  Abschnitt  besprechen. 

Zunächst  macht  Bruns  (S.  22)  darauf  aufmerksam,  dasz  die  ursprüngliche  Fragestellung  637  D: 
„Ist  es  mit  der  ixi&ij  so  zu  halten,  wie  bei  den  weinliebenden  Völkern,  oder  wie  bei  (den  Kretern) 
und  Spartanern?"  eigentlich  ohne  zwingenden  Grund  verlassen  wird,  nachdem  die  Berufung  des  Spar- 
taners auf  ihre  g^Öszere  Kriegstüchtigkeit  zurückgewiesen  ist.  Diese  Zurückweisung,  meint  er,  konnte 
erfolgen,  ohne  dasz  die  Fragestellung  selbst  aufgehoben  wäre.  Aber  in  Wirklichkeit  ist  die  ursprüng- 
liche Fragestellung  auch  noch  gar  nicht  aufgehoben.     Die  Worte  638  D:  o^  /««v,  ort  noXlobg  nag- 


')  Hierbei  ist  645  C  diejenige  Verteilung  der  Worte  unter  die   einzelnen  Personen   zu  Grunde  gelegt, 
welche  Stephanus  zuerst  gegeben  und  nach  ihm  Hermann  und  Schanz  aufgenommen  haben. 


tXÖin^a  (sc.  (laQTVQag  xai  kitaivirag)  d^tov^iBv  ri  kiyttv  xvqlov,  oi  dt,  ort  tovq  xC«>/^*'OV( 
avT(^  ÖQtapiev  viMavxaq  fiaxof^ivovg,  auf  welche  sich  Brans  deshalb  beruft,  wollen  nur  sagen,  dasz 
die  Frage  nach  der  Bichtigkeit  einer  Einrichtung  zunächst  unabhängig  Ton  der  PersonenArage  zu  be- 
trachten sei.  Wenn  der  Spartaner  eben  der  gröszeren  Zahl  der  Vertreter  der  einen  Partei  die  mit 
der  fraglichen  Einrichtung  in  keiner  Beziehung  stehende  gröszere  Eriegstfichtigkeit  der  anderen  ent- 
gegengestellt hätte,  so  könne  in  Wirklichkeit  das  eine  so  wenig  wie  das  andere  entscheiden.  Vielmehr, 
führt  der  Athener  im  folgenden  aus,  musz  jede  Einrichtung  aus  sich  selbst  heraus  beurteilt  werden. 
Die  ganze  folgende  Untersuchung  ist  mithin  nur  eine  vorbereitende,  auf  Grund  welcher  erst  entschieden 
werden  kann,  welche  Partei  recht  hat.  Nun  musz  man  Brnns  freilich  zugeben,  dasz  jene  ursprüngliche 
Fragestellung  niemals  wiederkehrt,  aber  das  liegt  daran,  dasz  sich  sehr  bald  (639  D)  herausstellt,  dasz 
eine  richtige  Handhabung  der  ^lidr]  überhaupt  bei  keinem  Volke  zu  finden  sei,  woran  sich  dann  bis 
zum  Ende  des  zweiten  Buches  der  Nachweis  schlieszt,  welcher  Art  diese  richtige  Anwendung  sein  müsse. 
Ob  die  daraus  sich  notwendig  ergebende  Schluszfolgerung,  dasz  überhaupt  keiner  recht  hat,  in  der  ver- 
loren g^gpangenen  Partie  am  Schlüsse  dieses  zweiten  Buches  noch  ausdrücklich  gezogen  ist,  musz  vor- 
läufig dahin  gestellt  bleiben;  das  Wahrscheinlichere  ist  mir  freilich,  dasz  der  Schriftsteller  nach  einer 
so  umfangreichen  Untersuchung  auf  diese  für  den  Gang  des  Dialoges  doch  nur  nebensächliche  Frage 
nicht  wieder  zurückgekommen  ist,  sondern  es  dem  Leser  überlassen  hat  den  Schlusz  selbst   zu    ziehen. 

Weiter  findet  Bruns  (S.  22)  es  befremdlich,  dasz  nach  638  D  zQÖTtov  de  aXXov,  ov  iiAoi 
(paiverai  delv,  i&iXo}  Xiytiv  neQi  avrov  rovror,  rijg  yti^rjg^  av  dga  övvwfiai  ttjv  nsQi 
anavTüiv  twv  tocovtcdv  ÖQ^rjv  [xi&oöov  v(itv  ötjlovv  nun  wiederum  —  und  zwar  bezüglich  der 
fii&rj  —  ein  Musterstück  methodischer  Fassung  aufgestellt  werden  soll,  nachdem  kurz  vorher  die  Be- 
sprechung der  inirrjöevuata  dvögsiag  ein  solches  hat  sein  sollen.  Dasz  vrir  es  hier  nicht  mehr  mit 
dem  Ausdruck  desselben  Gedankens  zu  thun  haben,  weil  wir  uns  bereits  bei  Besprechung  der  iitcnj' 
öeißfAttTa  amfpQoavvrjg  befinden,  darin  hat  Bruns  allerdings  recht.  Aber  wenn  er  meint,  dasz  hier  die 
Besprechung  der  kitirrjöeviiaxa  auxpQOQvvrjg  in  derselben  Weise  als  Muster  aufgestellt  werden  soll 
wie  vorher  diejenige  der  inittjöe^iiaTa  dvÖQBiag,  so  ist  das  nicht  richtig.  An  der  ersten  Stelle  han- 
delte es  sich  darum,  bei  Auffindung  und  Zusammenstellung  der  auf  dvdgsia  bezüglichen  ininjÖEv- 
iiara  gleich  die  richtige  Methode  für  dasselbe  Verfahren  hinsichtlich  der  anderen  dgerai  zu  finden. 
Und  ein  Ansatz  zur  Methodik  ist  allerdings  in  dem  die  dvÖQeia  behandelnden  Abschnitte  zu  finden, 
und  zwar  nicht  nur  in  der  dürftigen  Aufzählung  der  betreffenden  kntxrjöevpiata,  sondern  noch  viel 
mehr  in  der  sich  daran  schlieszenden  Untersuchung,  in  wiefern  diese  knittidtviiaxa  das  Wesen  der 
dvÖQeia  vollständig  zum  Ausdrucke  bringen.  Nun  stellte  sich  aber  gleich  hierbei  heraus,  dasz  die  auf 
dv6()£ia  bezüglichen  Einrichtungen  in  den  dorischen  Staaten  unzulänglich  wären,  und  da  die  Mitunter- 
redner trotzdem  noch  nicht  gern  auf  die  angeerbte  Überzeugung  von  der  Güte  ihrer  Staatsver&ssungen 
verzichten  wollten,  so  sah  sich  der  Athener  genötigt  die  Besprechung  der  dvÖQEia  abzubrechen  und 
zu  einem  anderen  Teile  der  dgexf}  überzugehen.  Durchgeführt  ist  somit  die  methodische  Behandlung 
der  ijiixT]6evfiaxa  dvögeiag  freilich  nicht,  aber  sie  konnte  es  auch  nicht,  weil  die  Voraussetzung, 
unter  welcher  sie  überhaupt  vom  Athener  vorgeschlagen  war  —  ich  meine  die  Voraussetzung  von  der 
Güte  der  dorischen  Verfassungen  —  aufgegeben  werden  muszte  oder  wenigstens  so  stark  ins  Wanken 
kam,  dasz  ein  anderer  Weg  der  Untersuchung  nötig  wurde,  welcher  nicht  vorgesehen  war.  Unter  solchen 
Umständen  kann  es  doch  nicht  befremden,  wenn  nun  beim  Einschlagen  dieses  Weges  wieder  das  Muster 
einer  richtigen  Methode  aufgestellt  wird,  und  zwar  gewissermaszen  als  Fortsetzung  jenes  ersten  An- 
satzes, bei  Beurteilung  eines  inixr]6ev[Äa  zur  Bekämpfung  der  f)6oval,  wie  es  schon  gelegentlich  der 
dvögsia  für  die  dorischen  Staaten  verlangt  war,  aber  nicht  gefunden  werden  konnte. 

Wenn  Bruns  (S.  25)  ferner  behauptet,  die  643  B — 644  B  gegebene  Definition  der  natöeia 
werde  im  folgenden  nicht  benutzt,  und  auszerdem  sei  sie  unvollständig  und  müsse  als  ein  Fragment 
angesehen  werden,  welches  seine  richtige  Stelle  am  Anfang  des  zweiten  Buches  habe,  so  kann  hierüber 
erst  nach  beendigter  Analyse  der  betreffenden  Abschnitte  gesprochen  werden.  Genug,  dasz  der  Schrift- 
steller hier  erklärt,  die  [iSxfrj  könne  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  der  jtaiöeia  behandelt  werden, 
und  dasz  dem  entsprechend  eine  Definition  der  nniöda  folgt,  und  zwar  dahin  lautend:  die  naideia 
sei  die  Kunst,  schon  in  der  Jugend  Liebe  zu  dem  einznflöszeu,  was  später  die  Eigenschaften  des  dvijg 
dyci^ög  ausmache;   wie  sich  zu  dieser  Definition  das  im  zweiten  Buche  über   naideia   Gesagte   stellt, 

2 


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10 

werden  wir  später  sehen.  Nur  auf  eine  Stelle  644  A:  ^ftsTg  cU  firjöiv  dvöfiaTi  iUag)£Q(b(4£^*  «y- 
roTg,  dXl'  6  vwdrj  Xöyog  rjuTv  öfiokoyrjxteig  fievito),  t&g  ol'ys  ÖQ^cSg  irenaidtvftivoi  ax^bv 
aya^oi  yLyvovrai,  xal  ösl  orj  rrjv  itaidslav  ^rjöafiov  driiAa^eiv,  tbg  itgcorov  xm>  xalUaxatv 
xotg  dgiaroig  dvÖQiiaiv  nagayiyvöfievov.  müssen  wir  gleich  hier  eingehen.  Bruns  (S.  61)  sagt: 
„Es  kommt  hinzu,  dasz  der  zweite  der  beiden  Gedanken,  von  denen  es  heiszt,  man  sei  darüber  über- 
eingekommen, der  nämlich,  dasz  man  die  naideia  nicht  verunebren  dürfe,  gar  nicht  ausgesprochen 
ist,  und  auch  der  erste  <bg  oi  ÖQ^cSg  neitaidevfisvoL  axB^bv  äyadoi  sich  in  dieser  Form  nicht 
findet."  Hinsichtlich  des  letzten  Punktes  ist  nun  freilich  zuzugeben,  dasz  im  vorhergehenden  nicht 
steht  6  ÖQ^tog  nsTtatÖEVfiivog  äya^ög,  sondern  rfjv  öe  ftgög  ÖQerijv  ix  nai<5iov  naiöeicev  (seil, 
sivai  Ttaiösiav)  643  E;  aber  beide  Ausdrücke  decken  sich  sachlich  so  vollkommen,  dasz  wohl  niemand 
an  der  verschiedenen  Form  einen  ernstlichen  Anstosz  wird  nehmen  können.  Was  den  ersten  Punkt 
anbetrifft,  so  ist  zunächst  zu  bemerken,  dasz  es  grammatisch  durchaus  nicht  notwendig  ist,  das  xai 
det  dfj  xj]v  naiöüav  (4Tjdaf40v  dxi^ia^eiv  von  dem  vorhergehenden  t&g  abhängig  zu  machen,  es  kann 
auch  recht  wohl  als  Hauptsatz  gefaszt  werden,  dem  dXk'  6  . .  Xöyog  . .  fievixto  koordiniert.  Übrigens 
ist  der  Gedanke,  man  dürfe  die  natöeia  nicht  verunebren,  die  freilich  nicht  ausgesprochene,  aber  not- 
wendige Voraussetzung  für  das  vorhergehende  xrjv  ök  elg  XQVf^ccxa  xüvovaav . . .  ßdvavaov  x"  elvai 
xal  dveXe^&BQOv  xni  ovx  d^iav  xb  naganav  nauhiav  xakelo^ai^  so  dasz  man  es  deshalb  vielleicht 
vorziehen  möchte,  ihn  als  von  c&g  abhängige  und  nicht  als  selbständig  hinzugefügte  Schluszfolgemng 
zu  fassen.  Endlich  enthalten  die  letzten  Worte  der  angeführten  Stelle  cbg  iZQißxov  xwv  xaXkiaxwv 
ToTg  dQiaxoig  dvögäoiv  TtaQayiyvöfievov  nach  Bruns  (S.  62)  einen  „reinen  ungeschminkten  Unsinn". 
Ich  vermag  das  nicht  einzusehen.  Unter  tot  xdXXiara  ist  alles  zu  verstehen,  was  dem  Menschen  zur 
dQexrjy  dem  höchsten  Gute,  förderlich  ist,  und  die  naiöda  ist  das  ngcaxov  xdv  xaXXiaxwv,  insofern 
sie  von  Jugend  auf  zu  dieser  dgsxTj  erzieht,  und  sie  ist  dies  endlich  für  die  ägiaxoc  ävögegy  weil 
dieselben  ihre  dgexi]  eben  der  Ttaiöeia  zu  verdanken  haben.  Dasz  die  fraglichen  Worte  durch  Misz- 
verständnis  und  Übertreibung  aus  dem  Ausdrucke  653  B  xr)v  nrgcoxov  jtagayiyvofAivTjv  naiaiv  dgexrjv 
entstanden  seien,  will  mir  nicht  einleuchten. 

Ebensowenig  kann  ich  Bruns'  Bedenken  (S.  62)  gegen  den  folgenden  Abschnitt  als  berechtigt 
anerkennen.  Mit  den  Worten  644  B  xai  iifjv  itakai  ye  avvexojgrjaafzev  (hg  dya&wv  jueV  ovxwv  xcSv 
6vPü^iv(ov  ägxuv  avx(Zv,  xaxtav  öe  xwv  (.tt)  soll  ganz  von  neuem  eingesetzt  werden  ohne  direkten 
Bezug  auf  das  Vorhergehende.  Aber  die  eben  gegebene  Definition  gipfelte  ja  gerade  in  dem  Satze: 
ol'ye  dgd^wg  irsjTaiösvfiivoi  oxs^bv  dyax^oi,  und  eben  dieser  Begriff  des  dya^^öv  wird  im  folgenden 
näher  erläutert,  dya&ög  ist,  wie  sich  bereits  früher  gezeigt  hatte  (626  D  cf.  633  DE  635  BCD), 
wer  über  sich  zu  herrschen  vermag,  und  diese  Herrschaft  über  sich  selbst  wird  auf  Grand  des  nach- 
folgenden Bildes  gefunden  in  der  Herrschaft  des  Aoycaixög.  Auch  die  Folgerungen,  welche  aus  der 
Vergleichung  des  Menschen  mit  einem  ^avfia  gezogen  werden,  scheinen  mir  durchaus  korrekt;  denn 
der  Begriff  des  xgdxxwv  und  ijxxcov  iavxov,  und  damit  auch  die  der  dgsxfj  und  naiöda,  sind 
allerdings  durch  jene  Vergleichung  wesentlich  gefördert.  Man  erinnere  sich,  dasz  der  Athener  627  C 
erklärte  auf  die  Frage,  wie  überhaupt  das  x^^Q^v  xgüxxov  sein  könnte  als  das  dfJBivov,  nicht  ein- 
gehen zu  wollen,  weil  die  Beantwortung  derselben  einer  längeren  Auseinandersetzung  bedürfe.  Jetzt 
aber  ist  die  Antwort  darauf  gegeben.  Wenn  der  koycof^ög  nämlich  den  fjdovai  und  XvTtaL  unterliegt, 
so  ist  in  diesem  Falle  das  x^^Qo^  xgttxxov  gewesen  als  das  aftBivov. 

Wenn  Bruns  (S.  64)  hinzufügt:  „Es  ist  seltsam,  wie  fremd  dieser  Exkurs  auch  sachlich  den 
originalen  Resten  über  die  Tratöeca  gegenübersteht.  Gerade  den  Hauptgedanken  des  Philosophen  schlieszt 
er  aus:  es  war  der,  dasz  der  Mensch  zu  Lust  und  Unlust  richtig  gewöhnt  werden  müsse,  also  der 
Schwerpunkt  der  Erziehung  vor  den  Xoytafxög  falle.  Hier  wird  dieser  durchweg  vorausgesetzt.  Dieses 
Bild  kennt  keine  andere  Bethätigung  der  Tugend,  als  die  bewuszte  Hingabe  an  den  XoyiOfiög" — ,  so 
ist  zu  erwidern,  dasz  wir  hier  nicht  eine  Definition  der  natöeia,  sondern  der  dgexr]  vor  uns  haben. 
Übrigens  ist  ja  auch  an  unserer  Stelle  ausdrücklich  hervorgehoben,  dasz  die  Herrschaft  des  Xoyia^iög 
zu  ihrer  Verwirklichung  der  Hilfe  von  vnrjgixui  bedürfe. 

Endlich  musz  ich  noch  auf  ein  Bedenken  von  Bruns  (S.  95  ff.)  mit  einigen  Worten  eingehen. 
Er  meint,  dasz  es  dem  Ernste,  mit  welchem  sonst  die  menschlichen  Einrichtungen  besprochen  würden, 
und  der  im  zehnten  Buche  entwickelten  religiösen  Anschauung  des  Philosophen  widerspräche,  wenn  hier 


11 

die  Menschen  als  ^avfxara  ^ecov  erschienen.  Ich  lasse  es  dahiu  gestellt,  inwieweit  dieses  Bedenken 
gerechtfertigt  ist,  und  wie  fiber  die  anderen  aus  demselben  Grunde  von  Bmns  angefochtenen  Stellen 
zu  urteilen  ist;  jedenfalls  erscheint  an  unserer  Stelle  der  Gedanke  von  dem  Menschen  als  einem  ^avyia 
^mv  nur  im  Bilde,  das  keine  Schlösse  auf  die  wirkliche  Ansicht  des  Schriftstellers  zuläszt.  Die  Yer- 
gleichung  des  Menschen  mit  einem  &av(Aü  ist  eben  sehr  geeignet,  die  verschiedenen  Willensmotive  an- 
schaulich zu  machen,  und  lediglich  deshalb  ist  sie  an  unserer  Stelle  gebraucht.  Auszerdem  wird  ja 
die  Frage,  ob  der  Mensch  nur  als  ein  jtaiyviov  der  Götter  zu  betrachten  sei,  absichtlich  offen  gelassen 
(cf.  644D).  Wenn  sich  der  Abschnitt  des  siebenten  Buches  803  B— 804  B  wirklich  als  philippisch  er- 
weist, so  würden  wir  in  der  Kückweisung  803  C  äv&Qwnov  de,  OTteg  stnofAev  ipuiQoaOev,  ^ecSv  t* 
Tiaiyviov  etvai  ixsftrjxavrj^ivov  vielmehr  ein  Miszverständnis  Philipps  zu  constatieren  haben,  welcher 
diese  Stelle  für  sich  zu  benutzen  suchte,  ohne  zu  bedenken,  dasz  sich  in  ihr  die  Behauptung,  der  Mensch 
sei  ein  naiyviov  ^ttav,  in  Wahrheit  gar  nicht  findet. 

Was  Bruns  (S.  23  f.)  über  die  siebenmalige  Aufforderung  sagt,  welche  der  Athener  an  sich 
stellen  läszt,  ehe  er  seinen  Mitunterrednern  den  Nutzen  der  ptidr]  auseinandersetzt,  das  gehört  in  das 
Gebiet  des  subjektiven  Geschmacks,  und  die  diesbezügliche  Prüfung  der  Analyse  mnsz  für  jeden  die 
Antwort  darauf  geben.  Wenn  man  den  Gang  der  Untersuchung  als  zusammenhängend  und  logisch 
richtig  anerkennt,  so  kann  nach  meiner  Meinung  in  der  wiederkehrenden,  aber  jedesmal  durch  einen 
gewissen  Wendepunkt  begründeten  Aufforderung  ein  Anstosz  nicht  gefunden  werden,  und  Bruns  findet 
einen  solchen  auch  wohl  nur,  weil  er  von  dem  Gefühle  beherrscht  ist,  dasz  dieser  Zusammenhang  fehle. 
Übrigens  werde  ich  auf  den  Charakter  der  letzten  jener  Aufforderungen  bei  der  fortschreitenden  Analyse 
noch  näher  zu  sprechen  kommen. 

Nur  in  dem,  was  Elinias  über  Epimenides  sagt  (642  DE),  musz  eine  sachliche  Schwierigkeit, 
für  welche  noch  keine  genügende  Lösung  gefunden  ist,  zugestanden  werden.  Wenigstens  kann  der 
erzählte  Vorgang  nicht  mit  den  bekannten  Sühnungsopfern  des  Epimenides  zu  Solons  Zeit  identisch 
sein,  da  auch  eine  etwaige  Änderung  der  Zahlenbestimmung  öixa  heai  ngö  tcöv  IIsQacxiov  cf.  ort 
dexa  fiep  ttwv  oix  ij^ovacv  durch  die  Prophezeiung  auf  die  Perserkriege,  von  welcher  ja  zu  Solons 
Zeit  nicht  bie  Bede  sein  konnte,  schlechterdings  ausgeschlossen  ist. 

Fahren  wir  jetzt  in  der  Analyse  fortl  An  die  zuletzt  gegebene  Vergleichung  des  Menschen 
mit  einem  ^ort;//«  wird  in  natürlicher  Weise  die  Frage  geknüpft :  „Was  wird  aus  diesem  ^av^a  durch 
die  (44'9j]?"  Und  diese  Anknüpfung  ist  nicht  nur  äuszerlich,  sondern  mit  unzweifelhafter  Bücksicht 
auf  das  eben  Vorhergehende  wird  die  Wirkung  der  (xidi^  darin  gefunden,  dasz  sie  die  ^dovai  und 
Xvnac  und  die  Leidenschaften  überhaupt  stärker  erregt,  die  aia&rjasiQy  itvijftai,  öö^ai  und  (pQOvr}- 
aeig,  also  alles,  wozu  der  Xoyiofiög  nötig  ist,  schlieszlich  ganz  aufhebt,  und  dasz  somit  die  ^xQ&teia 
eavTOV  durch  sie  am  denkbar  geringsten  wird.  Die  fted^t]  führt  zurück  auf  den  Standpunkt  des  kleineu 
Kindes.  Je  geringer  die  iyxgaxeta  aber  ist,  desto  schlechter  ist  der  Mensch.  Unter  solchen  Umständen 
musz  eine  Überredung  zu  freiwilliger  ne^trj  natürlich  höchst  wunderbar  erscheinen,  und  dies  bringt 
der  Athener  seinen  Mitunterrednern  mit  den  Worten:  646  A  ro^tov  6r]  tov  eTturjöeöfiorog  ^o&' 
oartg  ^öj'og  inix^ig^aet.  nei&eiv  ^fiäg  Sg  XQV  yeieof^at  xai  ixrj  q)£vy£iv  navrl  aO^ivei  xara  tö 
övvaTÖv;  recht  eindringlich  zum  Bewusztsein.  Doch  diese  lassen  sich  nicht  abschrecken ;  Elinias  ant- 
wortet: „Es  scheint  ja  (einen  solchen  Xöyog)  zu  geben.  Wenigstens  behauptest  du  es,  und  gerade 
jetzt  wärest  du  auf  dem  Punkte  ihn  auszusprechen."  „Bichtig  erinnert",  antwortet  der  Athener,  „und 
ich  bin  jetzt  bereit,  da  ihr  ja  erklärtet,  ihn  gerne  hören  zu  wollen."  Darauf  Klinias :  „Weshalb  sollen 
wir  ihn  nicht  hören?  Wenn  auch  nur  des  Wunderbaren  und  Ungereimten  wegen,  ob  ein  Mensch  sich 
freiwillig  in  einen  vollkommen  schlechten  Zustand  stürzen  soll." 

Hier  findet  Bruns  (S.  24)  die  ersten  Worte  des  Elinias  etwas  kleinmütig,  da  ihm  allmählich 
gerechtfertigte  Zweifel  aufstiegen,  ob  er  die  Sache  überhaupt  noch  hören  würde.  Aber  ich  kann  in 
den  betreffenden  Worten  nichts  von  Kleinmut  entdecken,  sondern  nur  das  Bestreben,  den  Athener  trotz 
des  Ungereimten,  welches  die  Metheinstitution  nach  der  letzten  Fragestellung  haben  muszte,  bei  dem 
versprochenen  Beweise  ihrer  Vorzüglichkeit  festzuhalten.  Ebenso  liegt  in  den  letzten  Worten  jttSg 
d'oöx  äxovaöfii&a  etc.  nicht  etwa  Ungeduld,  sondern  höchstens  ein  etwas  ironisches  Misztrauen  g^en 
die  zu  beweisende  Vorzüglichkeit  der  Metheinstitution.  Bruns  hat  sich  offenbar  von  dem  Gedanken 
leiten  lassen,   dasz  wir  hier  die  sechste  und  siebente  Aufforderung  vor  uns  haben,   und   er  hat   dabe 

2* 


12 

übersehen,  dasz  dieselben  durch  den  Zusammenhang  sehr  wohl  motiviert  waren.  Auffallend  könnte  nur 
erscheinen,  dasz,  nachdem  vorher  erklärt  war,  die  {Aidr)  liesze  sich  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  der 
fxovatxr}  behandeln,  nun  doch  gleich  nach  einer,  noch  dazu  ziemlich  allgemein  gehaltenen,  Definition 
der  naiöeia,  zur  Besprechung  der  fii&t]  übergegangen  wird.  Doch  wird  dieser  Punkt,  wie  ich  hoffe, 
weiterhin  seine  Erklärung  finden. 

Der  versprochene  Beweis  wird  nun  in  folgender  Weise  vom  Athener  erbracht.  Wie  man  die 
vorübergehende  novrjQia  des  Körpers  durch  Arznei  und  Gymnastik  und  Anstrengungen  jeder  Art  gern 
auf  sich  nimmt  wegen  des  nachherigen  Nutzens,  so  ist  zu  untersuchen,  ob  die  [ii&rj  vielleicht  auch 
die  augenblickliche  Schädigung  der  \pvxf)  durch  einen  ähnlichen  Nutzen  aufwiegt.  Läszt  sich  dieser 
Nutzen  nachweisen,  so  hat  die  fjidi]  jedenfalls  vor  jener  Behandlung  des  Körpers  voraus,  dasz  sie 
nicht  mit  Unlust  verbunden  ist.  Um  den  Nutzen  der  fU&i]  nachzuweisen,  werden  zwei  Arten  von 
Furcht  unterschieden.  Die  eine  ist  die  Furcht  vor  drohenden  Übeln,  <p6ßog  im  gewöhnlichen  Sinne, 
die  zweite  die  Furcht  vor  schlechtem  Rufe,  uioxvvri  genannt.  Wie  jene  Art  der  Furcht  zu  bekämpfen 
ist,  so  ist  diese,  die  aiaxvvr},  vom  Gesetzgeber  sehr  hoch  zu  schätzen  und  in  jeder  Weise  zu  stärken; 
denn  sie  ist  ein  bedeutsames  Mittel  im  Kampfe  gegen  kvnai  sowohl  wie  gegen  fj^ovaL  Die  Befreiung 
von  jener  Furcht  wird  erreicht,  indem  man  den  Menschen  gerade  in  Furcht  versetzt  und  gegen  dieselbe 
anzukämpfen  zwingt.  Dementsprechend  musz  die  aiaxvvr)  umgekehrt  dadurch  erreicht  werden,  dasz 
man  in  oyaiaxvvtLa  versetzt  und  gegen  diese  anzukämpfen  zwingt.  Wenn  es  nun  ein  (p6ßov  (pag- 
fzaxov  gäbe,  welches,  je  mehr  man  davon  trinkt,  desto  mehr  in  Furcht  versetzt,  so  würde  dasselbe 
zu  einer  Prüfung  der  avÖQsia  für  den  Gesetzgeber  jedenfalls  von  groszem  Nutzen  sein  und  sich  auch 
zur  Übung  in  derselben  vorzüglich  eignen,  weil  es  ein  viel  einfacheres  Mittel  wäre,  als  die  jetzt  zu 
gleichem  Zwecke  angewendeten.  Ein  solches  (p6ßov  cpaQfiaxov  jedoch  giebt  es  freilich  nicht,  aber  wohl 
haben  die  Menschen  in  dem  Weine  ein  (paQfiaxov  a<poßiüg,  welches,  je  mehr  man  davon  trinkt,  desto 
mehr  in  vollständige  uq>oßi^  versetzt.  Nach  dem  Vorhergehenden  war  nun,  wie  auf  der  einen  Seite 
möglichst  grosze  acpoßLa,  so  auf  der  anderen  Seite  ein  möglichst  groszer  <p6ßog  erstrebenswert,  und 
es  hatte  sich  gezeigt,  dasz,  wie  die  dcpoßia  durch  cpößoij  so  der  (pößog  durch  d(poßia  zu  erreichen 
wäre.  ä(poßoL  werden  aber  die  Menschen  durch  Zorn,  Liebe,  Übermut,  Reichtum,  Schönheit,  Kraft- 
fuUe  und  überhaupt  durch  alles,  was  durch  Vergnügen  berauscht.  Daraufhin  wird  nun  die  Frage 
gestellt,  ob  es  hierfür  ein  ungeföhrlicheres  PrOfungs-  und  dann  auch  Übungs-Mittel  gäbe  als  den 
Wein.  Die  Antwort  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  und  der  Athener  glaubt  sich  zu  der  Annahme  be- 
rechtigt, dasz  darin  wenigstens  auch  die  Kreter  und  überhaupt  alle  Menschen  übereinstimmen  würden, 
dasz  der  Wein  als  vorzügliches  Prüfungsmittel  anzusehen  wäre. 

Hier  bei  dem  Übergange  vom  ersten  zum  zweiten  Buche  müssen  wir  sogleich  Stellung  nehmen 
zu  der  Frage:  Bilden  die  Bücher  ein  zusammenhängendes  Ganzes,  oder  nicht?  Bruns  beantwortet  sie 
in  verneinendem  Sinne.  Wir  brauchen  nun  freilich  nicht  schon  an  dieser  Stelle  alle  Gründe  zu  be- 
sprechen, welche  ihn  zu  dieser  Ansicht  führen.  Die  meisten  werden  zweckmäsziger  erst  im  weiteren 
Verlaufe  der  Untersuchung  zur  Sprache  gebracht  werden.  Aber  einer,  welcher  den  Übergang  der 
Bücher  selbst  betrifft,  musz  gleich  hier  seine  Erledigung  finden.  Bruns  (S.  52  ff.)  behauptet  nämlich, 
dasz,  während  im  vorhergehenden  die  Übung  in  der  aiax^vtj  vermittelst  der  ni^r]  die  Hauptsache 
gewesen  und  die  Prüfung  durch  fAE^rj  nur  nebenbei  als  nützlich  erwähnt  sei,  in  der  letzten  Rede  des 
Atheners  von  649  E  an  diese  Prüfung  als  einziger  Gegenstand  der  bisherigen  Besprechung  hingestellt 
und  die  Übung  vollständig  ignoriert  würde.  Nun  geht  allerdings  die  ganze  Untersuchung  davon  aus, 
den  Nutzen  der  {.lif^rj  als  eines  Erziehungsmittels  nachzuweisen,  und  es  wird  auch  bei  dem  der  fti^Yj 
analogen  (pößov  ^dp/uaxov,  nachdem  sich  648  BC  als  nächstliegender  Nutzen  desselben  derjenige 
gezeigt  hat,  welchen  es  als  Prüfungsmittel  hat,  doch  von  dem  Prüfungsmittel  648  CD  sogleich  auf  das 
Erziehungsmittel  weiter  geschlossen.  Doch  scheint  mir  das  am  Ende  des  ersten  Buches  ausgesprochene 
Resultat  mit  diesem  Sachverhalte  wohl  vereinbar.  Wir  erinnern  uns,  dasz  es  uns  bereits  vorher  auf- 
fiel, wenn  trotz  der  Behauptung  642  A,  die  ^ii^r]  könne  nur  im  Zusammenhange  mit  der  fAOvaixrj 
richtig  und  erschöpfend  behandelt  werden,  schon  645  D  nach  einer  allgemeinen  Definition  der  Ttaidsia 
die  Besprechung  der  fu^rj  selbst  in  Angriff  genommen  wurde.  Bruns  (S.  48,  49)  schlieszt  daraus, 
dasz  jene  Behauptung  Eigentum  des  Redaktors  sei,  welcher  Buch  I  und  11  habe  verbinden  wollen,  und 


13 

dasz  die  Definition  der  naideia  von  demselben  Bedaktor  wenigstens  an  eine  nngehörige  Stelle  gesetzt 
sei.  Er  fögt  hinzu,  dasz  es  f3r  den  gesunden  Menschenverstand  überhaupt  nicht  einzusehen  sei,  wes- 
halb über  die  [ü&rj  nur  im  Zusammenhange  mit  der  piovaixr}  und  der  gesamten  itaidüa  gesprochen 
werden  könne.  Nach  meiner  Meinung  ist  jener  Schlusz  ungerechtfertigt.  Wenn  schleich  nach  der 
Definition  der  Ttatöeia  zur  (^s^rj  selbst  übergegangen  wird,  so  liegt  das  daran,  weil  das  Ergebnis 
dieser  Definition:  das  Ziel  der  itaiöfia,  die  dgeri^,  besteht  in  der  Herrschaft  des  Xoytofiög,  scheinbar 
einen  erzieherischen  Zweck  der  i^i&ij,  welche  ja  gerade  Schwächung  des  Xoyiaix6g  zur  Folge  hat,  über- 
haupt ausschlosz.  Dieser  scheinbare  Widerspruch,  welcher  ja,  wie  wir  bereits  gesehen  haben,  646  A 
so  deutlich  zum  Ausdruck  kommt,  veranlaszte  den  Schriftsteller  sogleich  der  Frage  näher  zu  treten,  ob 
überhaupt  und  in  wiefern  dann  von  einem  erzieherischen  Zwecke  der  fti^rj  die  Rede  sein  könnte.  Die 
Beantwortung  dieser  Frage  lautet  dahin,  dasz  die  (Aexh)  gerade  wegen  der  Schwächung  des  XoyLOfxös 
sich  zunächst  zum  Prüfungs-  und  dann  weiter  zum  Übungs-Mittel  in  Aufrechterhaltung  des  Xoytaptög 
auch  unter  schwierigen  Umständen  vorzüglich  eignen  wird.  Aber  hiermit  ist  nur  bewiesen,  dasz  die 
{ii^r}  überhaupt  als  Erziehungsmittel  dienen  kann;  in  welchem  Umfange  sie  als  solches  zu  verwenden 
ist,  und  welche  Stellung  sie  somit  in  der  gesamten  Erziehung  einnimmt,  ist  noch  nicht  entschieden. 
Um  dies  zu  entscheiden,  musz  sie  eben,  wie  vorher  verlangt  wurde,  im  Zusammenhange  mit  der  fiov- 
aixf}  betrachtet  werden.  Denn  dies  Verlangen  hat  seinen  guten  Grund.  Die  fii&ij  ist  nicht  das 
einzige  Mittel  zur  richtigen  Erziehung  der  fjdovai  und  Ivitat.  Vielmehr  setzt  sie,  um  angewendet 
werden  zu  können,  schon  einen  verhältnismäszig  hohen  Grad  des  XoytOfiög  voraus.  So  lange  dieser 
noch  nicht  vorhanden  ist,  musz  also  zu  einem  anderen  Mittel  gegriffen  werden,  und  dieses  bietet  sich 
eben,  wie  im  zweiten  Buche  nachgewiesen  wird,  in  der  ftovacxfj.  Ich  meine,  auf  Grund  dieser  Erwä- 
gung musz  die  Forderung,  die  fud^rj  könne  erschöpfend  nur  im  Zusammenhange  mit  der  fiovaixr]  be- 
handelt werden,  als  eine  vohlberechtigte  angesehen  werden.  Nun  scheint  mir  aber  das  Schluszergebnis 
des  ersten  Buches  mit  dieser  Forderung  in  logischem  Zusammenhange  zu  stehen.  Dasz  die  fii&r]  er- 
zieherisch zu  verwenden  ist,  ist  ja  freilich  schon  im  ersten  Buche  nachgewiesen,  aber  doch  nur,  inso- 
fern ein  jedes  Prüfungsmittel  —  denn  dieses  wird  auch  648  B  bei  Besprechung  des  der  fu&r}  ana- 
logen cpoßov  g)dp[4axov,  wie  bereits  erwähnt,  zur  Grundlage  gemacht  —  und  besonders  ein  solches, 
welches  mannigfache  Gradunterschiede  der  Erschwerung  und  Erleichterung  zuläszt,  immer  zugleich  er- 
zieherisch wirkt.  In  welchem  Umfange  sie  aber  erzieherisch  anzuwenden  ist,  und  welche  Stellung  sie 
demnach  zu  der  auf  einen  gleichen  Zweck  gerichteten  fiovatxrj  einnimmt,  davon  ist  noch  nichts  gesagt 
und  konnte  auch,  wie  wir  eben  gesehen  haben,  noch  nichts  gesagt  werden.  Deshalb  wird  als  end- 
gültiges Ergebnis  des  ersten  Buches  nur  hingestellt:  dasz  die  ^i^rj  als  Prüfungsmittel  sehr  geeignet 
ist,  daran  wird  wohl  keiner  mehr  zweifeln.  Dasz  sie  dagegen  auch  Erziehungsmittel  ist,  wird  nicht 
in  gleicher  Weise  abschlieszend  ausgesprochen,  weil  die  Untersuchung  darüber  noch  nicht  zu  Ende 
geführt  ist ;  wohl  aber  wird  beim  Übergange  zu  der  weiteren  Untersuchung  mit  den  Worten  652  A 
^vead-*  ä)g  6  löyog  ioixsv  ßo^Xeo^ai  aijfiaivstv  (seil,  noch  ein  anderer  groszer  Nutzen  in  der 
richtigen  Handhabung  des  Weines)  deutlich  genug  darauf  hingewiesen,  dasz  auf  Grund  des  Vorher- 
gehenden auch  ein  erzieherischer  Nutzen  der  ^iOr]  zu  erwarten  ist. 

Endlich  kommen  in  diesem  Zusammenhange  noch  zwei  einzelne  Stellen  in  Betracht.  Erstens 
behauptet  Bruns  (S.  56),  650  B  xai  ötj  xal  tovto  fiiv  ccvrb  negi  yt  toiütojv  ovt'  av  KQijrag 
ovte  aXXovg  dv&ganovg  ovSivag  oi6[AE^a  dficpiaßrjTfiOai  (atj  ov  nelgdv  r«  dXXrjXcav  iituix^ 
rainrjv  ehai  sei  das  xal  6f]  xai  unlogisch  gebraucht;  denn  mit  dieser  Partikelverbindung  werde  immer 
ein  neuer  Gedanke  eingeführt,  während  an  dieser  Stelle  nur  ein  Gedanke,  von  dem  unaufhörlich  die 
Rede  gewesen  wäre,  ohne  die  geringste  neue  Färbung  wiederholt  würde.  Dasz  nun  xai  dfj  xai  „und 
so  auch"  oder  an  unserer  Stelle,  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  6r}  noch  näher  stehend,  „und  auch 
schon"  immer  den  Übergang  zu  einem  neuen  Gedanken  bilden  musz,  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Aber 
wenn  nach  dem  Nachweise,  dasz  die  pii^r}  sich  als  Prüfungsmittel  vorzüglich  eignen  würde,  fortge- 
fahren wird:  „Und  daran  selbst,  dasz  die  pii^rj  als  Prüfungsmittel  geeignet  ist,  werden  auch  schon 
die  Kreter,  glauben  wir,  oder  irgend  ein  anderer  nicht  zweifeln",  so  ist  dieser  Gedanke  offenbar  in 
der  That  neu. 

Ferner  findet  Bruns  (S.  56)  es  unlogisch,   dasz  auf  die  Worte  653  A   'AvaiAvrja^r^vai   toivw 


':r.i^- 


14 


ly(ö/£  ndkiv  Ijii^vfuo,  xi  tiote  ki/Oftev^)  ^[ilv  elvai  rr/v  ö^&riv  nacdeiav.  tovtov  ydQ,  wg  ye 
iyw  Tona^ü)  vä  vvv,  k'ariv  h  r(p  iititr]6ev[iart  rovtqt  xaXcog  xaTogOoviMvqf  aayvTjQia,  nicht 
uur  eine  neae  Definition  folgt,  sondern  auch  äuszerlich  ohne  Zusammenhang  mit  einem  kiy^  rolvw 
fortgefahren  wird.  Dem  gegenüber  ist  freilich  zuzugeben,  dasz  man  nach  jenem  Eingange  eine  Wieder- 
holung der  früheren  Definition  erwarten  könnte.  Aber  der  Scliriftsteller  konnte  doch  auch,  da  dieselbe 
noch  nicht  so  sehr  lange  vorhergegangen  war,  die  Bekanntschaft  mit  ihr  noch  voraussetzen  —  worauf 
auch  das  XdyofAev  statt  iXiyoftev  hinzuweisen  scheint  —  und,  ohne  sie  selbst  von  neuem  anzuführen, 
sogleich  auf  ihrem  Grunde  weiter  bauen.  Wenn  sich  daher  uur  nachweisen  läszt,  dasz  sich  das  Fol- 
gende auf  jeno  frühere  Definition  gründet,  so  kann  nach  meiner  Meinung  etwas  Unlogisches  in  der 
Sache  nicht  gefunden  werden.  Beide  Hauptpunkte  jener  Definition  aber,  dasz  die  naideia  es  mit  der 
dgeti]  zu  thun  habe  und  weiter  speziell  mit  dem  Einflöszen  der  Liebe  zu  ihr  von  frühester  Jugend 
an,  bilden  im  folgenden  die  notwendige  Grundlage,  wenn  es  heiszt:  naiSiiav  öi]  Xiyto  ttjv  jcaQa- 
ytyvofUvTjv  hqwtov  izaiaiv  agezrjVf  während  die  die  nähere  Ausführung  enthaltenden  Worte:  fjdovi) 
öf]  xai  (fiXia  xai  Xvm]  xai  fAioog  av  ÖQy^wg  iv  ipvxctii  iyyiyvojvtai  firjjtct)  <Jvva(iiv(av  Xöyov 
kaf^ßdvecvy  ein  neues,  erst  jetzt  gefundenes  Resultat  hinzufügen. 

Die  Analyse  des  folgenden  Abschnittes  kann,  weil  der  ihm  zu  Grunde  liegende  Gedankengang 
von  keiner  Seite  angefochten  wird,  etwas  kürzer  behandelt  werden. 

Die  erste  Empfindung  der  Kinder,  heiszt  es,  ist  ^öovr]  und  Xvn7]',  sonach  ergiebt  sich  als 
Wesen  der  naideia  (mit  Kücksicht  auf  das  früher  aufgestellte  Ziel  derselben):  die  fjöovai  und  Ivnai 
von  vornherein  mit  dem  später  zu  gewinnenden  Xoyioi.i6g  in  Obereinstimmung  zu  setzen.  Zur  ünter- 
stätzang  dieser  naiötia  haben  die  Götter  den  Menschen,  die  Feste  und  die  Musen  und  Apollo,  ihren 
Führer,  und  Dionysos  als  Festteilnehmer  gewährt. 

Jedes  junge  Geschöpf  strebt  nämlich  nach  Bewegung  sowohl  des  Körpers  wie  der  Stimme,  doch 
haben  die  Menschen  vor  allen  übrigen  das  Gefühl  für  ßythmus  voraus,  ein  Geschenk  eben  jener  Götter. 
Die  erste  Erziehung  findet  also  statt  durch  die  Musen  und  Apollo.  Demnach  ist  die  x^Q^^^t  zerfallend 
in  OQXijOig  und  (pörj,  zunächst  gleich  der  naiöeia  zu  setzen,  und  das  xaXwg  Tiaiöeveo^ai  ist 
identisch  mit  xaAtog  qöuv  und  xakwg  dgxelo&dt.  Das  xaX(ag  qöeiv  und  dgxela&ai  setzt  aber  das 
xaXä  qöeiv  und  ÖQx^^odat,  voraus,  und  dazu  musz  ferner  kommen,  dasz  das  xaXa  qöeiv  und  dgxst- 
a^ai  dem  Betreffenden  auch  ^öovi^f  und  das  Gegenteil  Xvrtij  bereitet.  Dann  wird  das  xaXöv  definiert 
als  das  dgerf/g  ix^t^^ov.  Nun  herrscht  aber  hinsichtlich  der  ijöovrjy  welche  die  xoQeia  gewährt, 
keineswegs  Übereinstimmung,  und  dies  liegt  daran,  dasz  nicht  das  eigentliche  xaXöv  die  ^dovrj  hervor- 
ruft, sondern  dasz,  da  die  xoQsiü  es  mit  der  Darstellung  von  rgörtoi  zu  thun  hat,  jeder  notwendig 
die  mit  seinen  rgönot  übereinstimmenden  Darstellungen  lobt  und  demgemäsz  für  schön  erklärt,  die 
nicht  übereinstimmenden  aber  tadelt. 

Die  Freude  über  Darstellung  schlechter  rgÖTtoi  ist  aber  ebenso  gefährlich  wie  der  freundschaft- 
liche Verkehr  mit  schlechten  Menschen.  Wo  deshalb  die  Gesetze  richtig  gegeben  sind,  wird  es  nicht 
erlaubt  sein  dürfen,  dasz  die  Dichter  nach  Maszgabe  ihrer  eigenen  i^dov»)  angefertigte  Gedichte  ohne 
weiteres  die  Jugend  lehren.  Nun  ist  dies  aber  überall  erlaubt  auszer  in  Ägypten;  denn  hier  ist  hin- 
sichtlich der  lAovuixrj  wie  jeder  anderen  Darstellung  schon  vor  langer  Zeit  das  richtig  Befundene  aus- 
gesucht und  als  Norm  für  die  Zukunft  festgestellt,  indem  es  den  Göttern  geweiht  wurde,  so  dasz  man 
dort  jetzt  noch  genau  dieselbe  Kunst  findet  wie  in  ältester  Zeit.  Wenn  also  jemand  das  Bichtige  hin- 
sichtlich der  fiovaixrj  finden  kann,  so  mag  er  das  getrost  gesetzmäszig  feststellen ;  denn  möglich  ist 
so  etwas,  wie  die  ägyptische  Einrichtung  zeigt. 

Diese  Untersuchung  hinsichtlich  der  ÖQ^örrjg  der  Musik  wird  nun  folgendermaszen  geführt. 
Wir  freuen  uns,  wenn  wir  meinen,  dasz  es  uns  gut  geht.  Die  Jugend  ist  in  solchen  Fällen  selbst  zum 
xogevecv  geneigt,  das  Alter  dagegen,  selbst  dazu  unfähig,  bestimmt  denjenigen  den  Preis,  welche  es 
am  besten  verstehen,  das  Andenken  an  die  früliere  Jugend  wachzurufen.  Falls  wir  nun  nicht  die  ge- 
wöhnliche Ansicht,  dasz  die  Festaufführungen  nach  dem  Vergnügen  der  Zuschauer  zu  beurteilen    seien. 


0  nors  Xiyoiisv  ist  die  Lesart  des  Parisin.  A,  und  diese  scheint  mir  dem  Zusammenhange  sogar  mehr 
l^emäsz  als  die  von  Madwig  vorgeschlagene  not'  iXiyoftev. 


15 

für  ganz  verfehlt  halten,  müssen  wir,  davon  ausgehend,  zunächst  demjenigen  den  Preis  zuerkennen, 
welcher  die  meisten  am  meisten  erfreut.  Setzte  man  nun  allein  auf  Grund  dieses  Satzes  einen  Wett- 
kampf ins  Werk,  ohne  die  Art  desselben  irgend  näher  zu  bestimmen,  so  würde  je  nach  Alter  und 
Bildung  der  Zuschauer  der  Preis  einem  anderen  zuerkannt  werden  müssen.  Die  kleinen  Kinder  würden 
dem  Zauberkünstler,  die  gröszeren  der  Komödie,  die  Jünglinge  und  Frauen,  wie  die  grosze  Mehrzahl 
überhaupt  der  Tragödie,  das  Alter  den  Rhapsoden  den  Preis  zuerkennen.  Wir  würden  natürlich  auf 
der  Seite  des  Alters  stehen,  da  dieses  nach  Charakter  und  Bildung  als  das  beste  erscheint.  Auf  Grund 
hiervon  wird  zu  dem  Satze,  dasz  die  fiovaixr}  nach  der  fjdovi)  zu  beurteilen  sei,  der  Zusatz  gemacht: 
aber  nach  der  fjöovr]  der  am  besten  Erzogenen  oder  noch  lieber  des  einen  durch  Tugend  und  Erziehung 
vor  allen  Hervorragenden.     Denn  der  xQirrjg  musz  Lehrer,  nicht  Schüler  der  Zuschauer  sein. 

So  führt  die  Untersuchung  also  wieder,  erinnert  der  Athener,  zu  dem  schon  öfters  aufgestellten 
Grundsätze :  die  naiöpca  ist  das  Leiten  der  Jugend  zu  dem  vom  G^etze  als  richtig  anerkannten  löyog ; 
und  es  zeigt  sich,  dasz  die  Gesänge  dazu  dienen,  die  '^öovr]  und  kvitr}  der  Jugend  mit  diesem  köyog 
in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Wie  der  Arzt  die  heilsame  Nahrung  den  Kranken  in  angenehmen 
Speisen  darreicht,  so  müssen  auch  die  Dichter  in  ihren  Gesängen  Ermahnungen  zur  ägerrj  in  ange- 
nehmer Form  bringen,  und  das  thun  sie,  indem  sie  die  axtiptccta  äya^cav  dvÖQcSv  im  Gedichte 
darstellen. 

Dem  hält  Klinias  entgegen,  dasz  so  etwas  nur  in  Kreta  und  Lacedämon  zu  finden  sei,  in  allen 
anderen  Staaten  werde  hinsichtlich  der  (lovaixi']  nach  Maszgabe  von  ätaxroL  f}6ovat  immer  Nenes 
erstrebt.^)  Der  Athener  antwortet,  er  habe  nicht  den  jetzigen  Zustand  beschreiben,  sondern  vielmehr 
den  idealen,  wie  er  sein  sollte,  auseinandersetzen  wollen.  Angenehm  sei  es  ja  nicht,  unheilbar  schlechte 
Einrichtungen  zu  tadeln,  aber  zuweilen  sei  es  doch  nötig.  So  mOszten  sie  jetzt  sehen,  ob  die  kretischen 
und  spartanischen  Einrichtungen  dem  von  ihm  geschilderten  und  auch  von  den  Mitnnterrednem  als 
richtig  anerkannten  Zustande  etwa  mehr  entsprächen  als  diejenigen  der  übrigen  Hellenen.  Er  stellt 
deshalb  die  Frage:  „Zwingt  ihr  die  Dichter  in  ihren  Gedichten  zu  erklären,  dasz  der  dya&bg  ßiog 
der  allein  glückliche  ist,  und  dasz  Reichtum,  Gesundheit,  Kraft,  Tapferkeit  im  Kriege  und  überhaupt 
alle  sogenannten  dya^a,  wenn  sie  mit  Ungerechtigkeit  verbunden  sind,  den  Menschen  nur  desto  un- 
glücklicher machen?"  Klinias  kann  weder  behaupten,  dasz  die  heimischen  Gedichte  dieser  Anforderung 
entsprächen,  Boch  kann  er  selbst  die  Berechtigung  derselben  zugeben.  Dasz  ein  reicher,  gesunder  und 
tapferer  Mann,  der  aber  ungerecht  ist,  aloxQfog  lebt,  gesteht  er  noch  zu,  dasz  er  auch  xax(og  lebt, 
schon  weniger,  dasz  er  aber  gar  drjöcog  leben  sollte,  durchaus  nicht  mehr.  Für  den  Athener  ist  es 
so  sicher  wie  nur  irgend  etwas,  dasz  nur  der  ölxaiog  ßiog  eidai^tav  ist,  und  er  sucht  durch  fol- 
gende Erwägung  auch  seinen  Mitunterredner  von  der  Richtigkeit  seiner  Ansicht  zu  überzeugen.  Wenn 
ein  Gesetzgeber  den  ijiSiarog  ßiog  für  verschieden  erklärt  vom  dixaiöraxog^  so  kommt  er  notwendig 
in  die  gröszte  Verlegenheit.  Denn  wenn  er  den  rjötaxog  ßiog  für  evöatfioveozatog  erklären  würde, 
so  müszte  er  zugeben,  dasz  er  die  svöaiftovia  den  Bürgern  nicht  zuteil  werden  lassen  will;  wenn  er 
aber  den  dixatöraTog  für  svöamoviatarog  erklären  würde,  so  müszte  er  für  diesen  ein  dcya^öv 
angeben  können,  welches,  von  der  fjdovr)  verschieden,  dieselbe  noch  überträfe.  Aber  in  Wirklichkeit 
sind  doch  die  speziellen  Güter  des  öixatog  ßiog:  Ruhm  und  Lob  bei  Göttern  und  Menschen,  sowie 
das  [irjte  tiva  döixsTv  firjte  vnö  tivog  döixeia&ai,  nicht  etwa  schön,  aber  dabei  unangenehm;  und 
ihr  Gegenteil  nicht  etwa  angenehm,  aber  dabei  schimpflich  und  schlecht?  Mag  nun  diese  Frage,  ob 
dyad^öv  und  j^rfy  dasselbe  ist,  auch  sonst  keinen  groszen  Wert  haben,  der  Gresetzgeber  musz  jedenfalls 


1)  Bruns  .(S.  125)  findet  es  wunderbar,  dasz  der  Kreter  hier  plötzlich  den  Ruhm  des  ägyptischen  Insti- 
tuts betreffs  der  Überwachung  der  Musik  von  selten  des  Staates  auch  für  Sparta  und  Kreta  in  Anspruch  nimmt, 
während  er  sich  656  CD  den  ägyptischen  Brauch  als  etwas  ganz  Nenes  habe  erzählen^ lassen.  Doch  in  Wirk- 
lichkeit behauptet  der  Kreter  gar  nicht,  dasz  der  ägyptische  Brauch  sich  auch  in  Sparta  und  Kreta  vorfinde, 
wie  dies  ja  auch  gewisz  nicht  der  Fall  war,  sondern  nur,  dasz  die  kretische  und  spartanische  Musik  im  Gegen- 
satze zu  derjenigen  der  übrigen  griechischen  Staaten  einen  konservativen,  auf  die  uqbt^  gerichteten  Charakter 
trage.    Den  Anlasz  zu  dieser  Behauptung  gerade  an  dieser  Stelle  dürfen  wir  vielleicht  in  der  Ausführung  des 

Atheners  659  BC  mit  der  Gegenüberstellung  des  itakaibg  '^Eklrjvixbg  vöfiog  und  des  neuen  SixeXixög  re 
xai  'Itahxbg  voftog  suchen. 


r^' 


16 

behaupten,  dasz  der  öixaiog  ßiog  zugleich  der  rj^iatog  ist.  Da  aber  alles  aus  der  Ferne  Oesehene 
undeutlich  und  unklar  erscheint,  so  wird  der  Gesetzgeber  dieses  Dunkel  beseitigen,  indem  er  die  Bürger 
irgendwie  überzeugt,  dasz  der  ölxatog  ßiog,  vom  Standpunkte  des  äöixov  aus  gesehen,  unangenehm, 
von  dem  des  öixaiov  aus  aber  angenehm  erscheint;  und  daez  ebenso  der  äSixog  ßiog  vom  Stand- 
punkte des  öixaiov  aus  unangenehm,  von  dem  des  äöixov  selbst  aber  angenehm  erscheint.  Nun  ist 
aber  das  Urteil  der  \Vvxt)  ä^uiviov  das  maszgebende,  mithin  ist  in  Wahrheit  der  ßiog  dfiEivcav  auch 
der  fiöimv.  Übrigens  dürfte  der  Gesetzgeber,  selbst  wenn  dem  nicht  so  wäre,  wohl  eine  Erfindung 
ersinnen,  welche  geeignet  wäre,  alle  zu  veranlassen,  freiwillig  dem  öixaiog  ßiog  zu  folgen.  Mythen 
werden  sehr  leicht  geglaubt,  so  dasz  es  nur  darauf  ankäme,  eine  für  diesen  Zweck  geeignete  zu 
erfinden. 

Um  nun  alles  sonst  als  schön  Erkannte  und  besonders  diesen  Grundsatz,  dasz  der  öixai&tarog 
ßiog  auch  der  rjöiaxog  ist,  der  Jugend  einzuprägen,  sollen  drei  Chöre  dienen.  Der  erste  ist  der 
Chor  der  Musen,  aus  Knaben  bestehend,  der  zweite  der  Chor  des  Apollo  aus  Männern  bis  zu  dreiszig 
Jahren,  der  dritte  der  Chor  des  Dionysos  aus  Männern  bis  zu  sechzig  Jahren.  Diejenigen,  welche  das 
sechzigste  Jahr  überschritten  haben,  sollen  zum  selben  Zwecke  mitwirken  als  ^iv^oXöyoi.  Die  beiden 
ersten  Chöre  erscheinen  den  Dorern  durchaus  natürlich,  weshalb  die  Besprechung  über  sie  hiermit  für 
abgeschlossen  erklärt  wird;  um  so  wunderbarer  erscheint  ihnen  dagegen  der  dritte,  der  des  Dionysos. 
Diesem,  auf  welchen  die  ganze  Untersuchung  von  Anfang  an  gerichtet  war,  wird  deshalb  im  folgenden 
noch  eine  eingehendere  Begründnng  zuteil.  Es  wird  davon  ausgegangen,  dasz  man  doch  den  am 
besten  gebildeten  Teil  des  Staates,  die  über  30  Jahre  alten  Männer,  für  die  (pörj  keinenfalls  ent- 
behren könnte.  Da  man  aber,  je  älter  man  wird,  um  so  weniger  noch  zum  öffentlichen  Auftreten 
geneigt  ist,  zumal  wenn  man  nach  der  jetzt  bei  Wettkämpfern  üblichen  Weise  nüchtern  in  den  Wett- 
kampf eintreten  sollte,  so  wird  folgender  Gesetzvorschlag  gemacht:  Den  Knaben  bis  zum  achtzehnten 
Jahre  ist  der  Weingenusz  überhaupt  zu  verbieten  in  der  Erwägung,  dasz  man  nicht  Feuer  zu  Feuer 
thun  darf,  und  aus  Scheu  vor  der  kf.ifiavr]g  i'^ig  der  veoi;  die  Männer  bis  zum  dreiszigsten  Jahre 
dürfen  Wein  trinken,  aber  mit  Masz;  diejenigen  dagegen,  welche  das  dreiszigste  Jahr  überschritten 
haben,  sollen  auszer  den  anderen  Göttern  auch  den  Dionysos  anrufen,  um  durch  das  Geschenk  dieses 
Gottes  die  avarrjQÖTTjg  des  Alters  zu  überwinden  und  so  geschmeidiger  und  bildsamer  zu  werden. 
Hierdurch,  meint  der  Athener,  würde  zunächst  der  Vorteil  erreicht,  dasz  die  Betrefl'enden  sich  zum 
Singen  im  Freundeskreise  bereit  finden  lieszen. 

Endlich  wird  die  Frage  behandelt,  welches  wohl  die  für  solche  Männer  passende  Gesangsweise 
sein  dürfte.  Die  Derer  kennen  nur  den  Chorgesang,  aber  dieser  ist  für  Männer  von  solchem  Alter 
von  vornherein  ausgeschlossen.  Ebenso  ist  klar,  dasz  sie  nur  die  schönste  [iovaixq  ausüben  werden. 
Welche  Anforderungen  sind  nun  für  die  Ausübung  derselben  zu  stellen?  Dies  zu  beantworten,  soll 
folgende  Erörterung  dienen.  Bei  allem,  welches  mit  xciQ'-S  verbunden  ist,  ist  entweder  die  xo^*S  selbst 
die  Hauptsache,  oder  sie  kommt  blosz  nebenbei  zu  dem  eigentlichen  Hauptzwecke,  der  ÖQ^örrjg  und 
d}(ptXiay  hinzu.  Demgemäsz  ist  die  erstere  Gattung,  die  der  eigentlichen  naiöid,  folgerichtig  nur 
nach  der  riöovfj  zu  beurteilen,  alles  andere  dagegen,  als  zur  letzteren  Gattung  gehörig,  in  erster  Linie 
nach  der  OQ^ötTjg  und  uicptUa.  Nun  liegt  das  Wesen  der  (iovaixrj  in  der  Nachahmung.  Bei  jeder 
nachahmenden  Kunst  ist  aber  immer  die  ÖQ&ötrjg  das  Maszgebende.  Folglich  ist  die  fzovaixrj  nicht 
nach  TJöovrj,  sondern  nach  dg^örrjg  zu  beurteilen.  Um  diese  ÖQ^ÖTijg  zu  erkennen,  ist  aber  dreierlei 
nötig:  man  musz  wissen, 

1)  was  dargestellt  wird, 

2)  ob  es  richtig  dargestellt  ist, 

3)  ob  das  Dargestellte  schön  ist. 

Bei  der  Bedeutung  der  Musik  für  die  Erziehung  und  bei  der  Schwierigkeit  sie  zu  beurteilen, 
ist  dies  von  ganz  besonderer  -Wichtigkeit.  Daraus  folgt  für  die  Mitglieder  des  dionysischen  Chores, 
dasz  sie  hinsichtlich  der  f^ovaixr)  jedenfalls  besser  gebildet  sein  müssen  als  die  Teilnehmer  gewöhn- 
licher Chöre;  denn  um  an  diesen  teilzunehmen,  ist  das  Verständnis  von  Rythmus  und  Harmonie  nicht 
nötig.  Aber  sie  müssen  auch  besser  gebildet  sein  als  die  Dichter;  denn  diese  brauchen  wenigstens 
nicht  zu  erkennen,  ob  das  Dargestellte  schön  ist  oder  nicht,  jenen  Sängern  dagegen  kann  das  nicht 
erlassen  bleiben. 


17 

Somit  wäre  also,  wird  geschlossen,  der  anfangs  behauptete  erzieherische  Nutzen  des  dionysischen 
Chores  nachgewiesen.  An  diesen  Schluszsatz  wird  dann  noch  671  A  — 672  A  eine  kurze  Beschreibung 
der  Art  und  Weise  geknüpft,  wie  dieser  Nutzen  erreicht  sei.  Die  Mitglieder  des  dionysischen  Chores 
sollen  durch  v6[joi  av(iJtorutoi,  welche  sich  stützen  auf  Erweckung  der  alddtg,  zum  Einhalten  der 
nötigen  Ordnung  im  Trinken  und  Singen  gezwungen  werden.  Für  diese  vöfioc  sollen,  einer  früheren 
Forderung  entsprechend,  nüchterne  Wächter  da  sein,  und  zwar  werden  als  solche  die  über  60  Jahre 
alten  Greise  ausersehen. 

Ehe  wir  auf  die  Hauptfrage  näher  eingehen,  ob  und  wie  der  eben  analysierte  Abschnitt,  welcher 
gipfelt  in  der  Einsetzung  des  dionysischen  Chores,   sich  mit   den   Erörterungen   über  Trunkenheit   im 
ersten  Buche  vereinigen  läszt,  bedarf  noch  eine  Stelle  dieses  Abschnittes  selbst   der   Erläuterung.     Es 
handelt  sich  um  den  Beweis,  dasz  der  agiarog  ßiog  auch  der  rjötarog  sei  662  B — 664  B.  Nach  dem 
Vorgange  von  Zeller  (Piaton.  Stud.  S.  102)  erklärt  Bruns  (S.  117  ff.)  diesen  Beweis  für  unvollständig. 
Zu  der  Frage,   sagt  Bruns,    ob  glücklich  und  gerecht  sein  dasselbe   sei,   komme   nur  die   Behauptung 
hinzu:  , »Berühmt  sein  wegen  Gerechtigkeit  ist  angenehm"  (663  A).  Aber  nach  dem  ganzen  Zusammen- 
'  hange  liegt  mehr  in  dei-  fraglichen  Stelle.  Ausgehend  davon,  dasz  ein  Gesetzgeber,  welcher  den  öixaiog 
ßiog  vorschriebe,  unsinnig  wäre,  wenn  er  den  aöixog  für  den  glücklichsten  erklärte,  hatte  der  Athener 
gefolgert,  dasz  er  notwendig  den  öixaiog  für  den  glücklichsten  erklären  müszte.     Wenn  er  dann  aber 
trotzdem  dem  aöixog  ßiog  ein  höheres  Masz  von  fjöovri   zuschriebe,   so  müszte  er  für   den   öixaiog 
ßiog  ein  höheres  Gut  nachweisen  als  die  fjöovi].     Ein  solches  aber  wäre   nicht  vorhanden.     Denn  die 
speziellen  Vorzüge  des  öixaiog  ßiog,  Kuhm  und  Lob  bei  Göttern  und  Menschen  und  das   yi,f}tE   tivä 
döixEiv  (.irjTS  V7TÖ  Tivog  döixela&ai,  wären  doch  nicht  etwa  gut,   aber  dabei  unangenehm   (drjöig), 
und  ihr  Gegenteil  nicht  etwa  angenehm  (tjöv),  aber  dabei  schimpflich  und  schlecht.    Hiermit  ist  nicht 
etwa  blosz,  wie  Bruns  meint,  eine  für  die  Sache  nicht  weiter  benutzte  neue  Behauptung  hinzugekommen, 
sondern  die  eben  analysierte  Erörterung   enthält   die    notwendige    Grundlage    für    die   gleich    folgende 
Schluszfolgerung,  dasz  die  Rede,  welche  das  ijöv  von  dem  öixaiov  und  dya&6v  nicht   als  etwas  von 
demselben  Verschiedenes  trennt,  jedenfalls  geeignet  ist,  jemanden  zu  der  freiwilligen  Wahl  des  öixüiog 
ßiog  zu  bestimmen,    und  mithin  von  dem  Gesetzgeber  unter  allen  Umständen  behauptet  werden  musz. 
Daran  schlieszt  sich  sodann  der  Nachweis,    wie  der  Gesetzgeber   die  Bürger  von   der  gröszeren  fjöovi) 
des  öixaiov  im  Vergleich  mit  dem  äöixov  zu  überzeugen  habe.     Das  aus  der  Feme  Gesehene,  heiszt 
es,  ist  immer  undeutlich.     Der  Gesetzgeber  aber  wird  die  Unklarheit  beseitigen,   indem  er   zur   Über- 
zeugung führt,  dasz  nach  Art  von  Schattenumrissen,  vom  Gerechten  aus  gesehen,  das  Gerechte  als  an- 
genehm,  das  Ungerechte  als  unangenehm  erscheint,    vom  Ungerechten  aus  dagegen  gerade   umgekehrt. 
Da  die  Wahrheit  der  Entscheidung  aber  bei  der  d(XEiv(av  xpvx'f]  liegt,  so  ist   also  auch    in  Wahrheit 
der  aöixog  ßiog  der  unangenehmere,  der  öixaiog  aber  der  angenehmere.  Durch  diese  Analyse  scheint 
mir  der  Einwand  von  Bruns,  dasz  663  B  ovxovv  ö  fuv  /i/y  ;c<»(>^wv  löyog  fjöv  te  xai  öixaiov . . . 
nid^avdg  ye,  el  ^t]Öev  kregov,  rcgög  rö  riva  i&iksiv  ^?)v  rbv  öoiov  xai  öixaiov  ßiov  die  Schwäche 
der  gegebenen  Argumentation  deutlich  durchbräche,  von  selbst  erledigt;   denn   der  Beweis   war  ja   an 
dieser  Stelle  überhaupt  noch  nicht  zu  Ende  geführt.     Wohl  aber  müssen   wir  guf  einen    anderen  Ein- 
wand noch  kurz  eingehen.     Mit  Rücksicht  auf  663  C   ^^.  Trjv  ö'dkrj&eiav   i>^g    xgiaewg   Ttorigav 
xvQUorigav  etvai  cpcouev;  Ttörega  ttjv  rr^g  x^^QOvog  ipvxyg  »/  t)]v  rrjg  ßekriovog;  KX. 'Avayxalöv 
itov  TTjv  tilg  d^isivovog,  behauptet  Bruns,    dasz  es  doch  nicht  als  Beweis   angesehen  werden    könnte, 
wenn  einfach  das  Urteil  der  diteivcov  ipvxrj   dem    der  ;f6t{)cöv  gegenüber   als    maszgebend   bezeichnet 
würde.    Dieser  Einwand  wäre  richtig,   wenn  es   sich   um   Dinge  handelte,   worin  beide  Teile   gleich 
urteilsfähig  wären.     Das  ist  hier  aber  nicht  der  Fall.     Der  aöixog   erkennt  eben  von  seinem   Stand- 
punkte aus  das  aiaxQÖv  nicht  als  aiaxQdv;  denn  sonst  könnte  er,  weil  dasselbe  drjöig  ist  (cf.  663A) 
überhaupt  nicht  aöixog  sein.  Der  öixaiog  dagegen  erkennt  von  seinem  Standpunkte  aus  das  aioxQÖv 
als  aiaxQÖv  und  meidet  es  gerade  deshalb.     Somit  ist   in  unserem   Falle  allerdings  das  Urteil   des 
öixaiog  maszgebender  als  dasjenige  des  aöixog.  Diese  Erwägung  ist  freilich  nicht  ausgesprochen,  weil 
die  Derer  sich  dabei  beruhigten,   dasz  das  Urteil  der  d^sivcov  ipvxf]  jedenfalls  maszgebender   wäre, 
aber  deshalb  dürfen  wir  sie   doch  im  Sinne  des  Schriftstellers  als   stillschweigende  jener  Behauptung 
zu  Grunde  liegende  Voraussetzung  ansehen. 

Wenn  Bruns  endlich  behauptet,  der  hier  mangelhaft  gebliebene  Beweis  werde  im  fünften  Buche 

3 


18 

732  E  ff.  wirklich  geführt,  wo  es  heiszt,  der  äyax^ög  ßiog  sei  nicht  nur  der  evöo^ia  wegen  zu 
wählen,  sondern  auch,  weil  er  mehr  ^öovrj  gewähre,  und  wo  dann  ausgeführt  wird,  beim  aiaq>Q{ov 
ßiog  und  bei  dem  dya^bg  ßiog  überhaupt  überwiege  die  f)6ovrj,  beim  dxöXaatog  und  dem  xaxög 
überhaupt  die  Ivnrj,  so  ist  da  von  der  ^Sovrj  im  gewöhnlichen  Sinne  die  Rede,  welche  unabhängig 
ist  von  dem  xaköv,  und  es  soll  nachgewiesen  werden,  dasz  auch  diese  ^öovf]  dem  dya^ög  ßiog  im 
höheren  Masze  zukommt  als  dem  xaxög  ßiog;  an  unserer  Stelle  soll  aber  gerade  die  dgerrj  selbst 
als  im  letzten  Grunde  auf  tjöovrj  beruhend  und  als  wegen  dieser  ^dovrj  erstrebenswert  erwiesen  werden. 

Wir  müssen  jetzt  zu  der  wichtigsten  Frage  hinsichtlich  des  zweiten  Buches  übergehen:  Ist  die 
Einrichtung  des  dionysischen  Chores  Fortsetzung  der  Besprechung  über  fii&r)  im  ersten  Buche,  oder 
nicht?  Bruns  (S.  37  ff.)  behauptet,  wie  wir  schon  wissen,  das  letztere.  Die  Metheinstitution  des  ersten 
Buches,  sagt  er,  will  ihre  jugendlichen  Teilnehmer  erziehen  durch  den  Kampf  gegen  fjdovai.  Der 
dionysische  Chor  besteht  aus  erwachsenen,  durch  das  Alter  schon  ernst  gewordenen  Männern;  er  hat 
keinen  auf  die  Mitglieder  gerichteten  erzieherischen  Zweck,  sondern  er  soll  auf  die  jüngere  Generation 
erzieherisch  einwirken.  Der  Wein  soll  hier  dazu  dienen,  Anregung  zum  Singen  zu  geben,  was  eine 
/4£^,  wie  sie  im  ersten  Buche  geschildert  ist,  ausschlieszt.  Diese  Auseinandersetzung  hat  etwas  sehr 
Bestechendes,  man  glaubt  in  der  That,  die  Sache  sei  damit  entschieden;  trotzdem  kann  ich  ihr  bei 
eingehender  Erwägung  nicht  zustimmen. 

Bruns  leugnet,  wie  das  eben  Angeführte  zeigt,  dasz  bei  dem  dionysischen  Chore  ein  auf  die 
Mitglieder  selbst  gerichteter  erzieherischer  Zweck  vorhanden  sei.  Er  thut  dies,  weil  er  (S.  41)  den 
Schlusz  des  zuletzt  analysierten  Abschnittes,  wo  der  im  ersten  Buche  angedeutete  erzieherische  Nutzen 
der  pU^rj  auf  den  dionysischen  Chor  übertragen  wird,  für  unächt  hält.  Auf  ein  formelles  Bedenken, 
welches  er  gegen  diesen  Abschnitt,  und  zwar  mit  Recht,  erhebt,  werden  wir  noch  später  zu  sprechen 
kommen.  Vorläufig  haben  wir  es  nur  mit  der  Frage  zu  thun:  Ist  der  auf  die  Mitglieder  des  diony- 
sischen Chores  selbst  gerichtete  enieherische  Zweck  der  ^B&q  sachlich  vereinbar  mit  der  Stellung,  welche 
derselbe  als  ein  auf  die  Jugend  durch  Mustergesänge  wirkendes  Institut  einnimmt?  Nach  meiner 
Meinung  steht  jener  Zweck  mit  dieser  Stellung  im  besten  Einklang,  ja  er  kann  sogar  als  notwendige 
Voraussetzung  für  diese  angesehen  werden.  Denn  ein  uneingeschränkter  Genusz  des  Weines,  wie  er  dem 
dionysischen  Chore  666  AB  gestattet  wird,  wird  nur  dann  als  Anregungsmittel  zum  Singen  zu  erziehe- 
rischen Zwecken  von  Erfolg  sein,  wenn  der  Weingenusz  von  den  Sängern  selbst  als  eigenes  Erziehungs- 
mittel betrachtet  und  angewendet  wird.  Im  anderen  Falle  würde  die  notwendig  eintretende  Ausartung 
der  ^i^T)  auch  eine  Ausartung  des  Gesanges  zur  Folge  haben.  Übrigens  mag  man  zugeben,  dasz,  je 
gröszer  der  Weingenusz  wird,  um  so  mehr  die  Bedeutung  der  ^i^rj  als  eines  auf  die  Sänger  selbst 
gerichteten  Erziehungsmittels  zunimmt,  während  ihre  Bedeutung  als  eines  Anregungsmittels  zum  Singen 
mehr  zurücktritt. 

Die  zweite  Frage,  welche  wir  nunmehr  zu  beantworten  haben,  lautet:  Ist  die  so  auf  zwei  Zwecke 
gerichtete  Einrichtung  des  dionysischen  Chores  zu  vereinigen  mit  dem  im  ersten  Buche  über  das  er- 
zieherische Element  der  yUdt}  Gesagten? 

Zeller  (Piaton.  Stud.  S.  33)  und  Bruns  behaupten,  dasz  die  liidt}  im  ersten  Buche  als  Übungs- 
mittel für  die  Jugend  dienen  solle,  während  sie  im  zweiten  Buche  auf  die  über  30  Jahre  alten  Männer 
beschränkt  werde.  Zeller  beruft  sich  dafür  auf  643  C  ff.  Doch  handelt  es  sich  dort  um  jene  ganz 
allgemein  gehaltene  Definition  der  naiöeia.  Dasz  die  naiöeia  von  Jugend  auf  anfangen  musz,  ist 
selbstverständlich,  aber  man  wird  doch  nicht  behaupten  wollen,  dasz  die  Übung  durch  ^£^17  die  einzige 
jiaidsia  sei;  folglich  kann  man  von  jener  Definition  auf  diese  keinen  Schlusz  ziehen.  Bruns  (S.  38), 
welcher  diese  Stelle,  als  wenigstens  in  ihrem  jetzigen  Zusammenhange  redaktorischen  Ursprungs,  nicht 
heranziehen  kann,  beruft  sich  auf  635  C.  rauröv  dr]  tovt'  olfiai  xai  TTQÖg  rag  ^öoväg  iöei  6ia- 
voela&ac  rbv  avtöv  vofio&ertjv^  Xiyovxa  avrbv  iigog  iccvzbv,  dtg  rjfilv  ix  viwv  et  aneiQoi  xväv 
fuyiariov  rjdovcöv  ol  noXXtai  yevi^aovtac  xai  dutXirrjxot,  yiyvöfjievoi  h  taZg  ^öovaZg  xagTsgeTv 
xai  liTjdkv  Tcov  alaxQcov  dvayxd^ead^ai  jtoulv,  ^sxa  rrjg  yXvxv9vfuag  rjjg  ngbg  rag  ^(Jovag  vav- 
xbv  nüaovxac  xolg  fjxxwutvoig  xcov  <p6ßwv.  Es  ist  richtig,  dasz  an  dieser  Stelle  zum  ersten 
Male  die  Notwendigkeit  einer  Übung  in  der  owtpQoavvr]  formuliert  wird.  Die  dorische  Gesetzgebung 
wird  getadelt,  weil  sie  darauf  ausgeht,  die  fjdovai  von  Jugend  auf  möglichst  auszuschlieszen.  Denn 
es  zeigt  sich,  dasz  eine  Übung  in  den  ^öovai  behufs  Erlangung  der  aonpQoavvf]  noch  wichtiger  sei 


19  ^ 

als  eine  Übung  in  den  (p6ßoL  behufs  Erlangung  der  dröpsia.  Als  dasjenige,  was  die  fjdovai  am 
stärksten  erregt,  und  was  in  Sparta  principiell  ausgeschlossen  ist,  wird  nun  637  A  die  A«*^  genannt, 
und  diese  wird  dann  im  weiteren  Verlaufe  des  Buches  als  Mittel  zur  Prüfung  und  Übung  in  der 
a(0<pQoaiv7}  besprochen.  Wenn  man  demnach  auf  die  Zusammenstellung  der  Worte  ex  viwv  x<av 
fiBYtortov  fjöovbiv  groszen  Nachdruck  legen  will,  so  kann  man  ja  in  Verbindung  mit  dem  Folgenden 
den  Gredanken  darin  angedeutet  finden,  dasz  die  piii^ri  von  Anfang  an  als  Erziehungsmittel  g^en 
fjdovai  angewendet  werden  solle.  Aber  die  Worte  lassen  sich  doch  auch  ohne  diesen  speziellen  Bezug 
allgemeiner  so  erklären,  dasz  es  falsch  sei,  die  gröszten  fjdovai  von  Anfang  an  auszuschlieszen,  anstatt 
sie  vielmehr  zu  erziehen  und  analog  den  (pößoc  als  Mittel  zur  Erlangung  der  acacpgoavvi]  zu  be- 
nutzen. Und  diese  Erklärung  wird  gestützt  durch  den  naheliegenden  Gedanken,  dasz  doch  nicht  jeder 
Grad  und  jede  Art  der  ^dovrj  für  jedes  Alter  passend  sei.  Mit  einem  Worte  die  lUyiatai,  fjöovai 
sind  relativ  zu  verstehen :  für  die  Jugend  sind  die  zulässigen  piiyiatui  fjdovai  nicht  dieselben  wie  für 
das  gereifte  Alter.  Bruns  (S.  38)  sagt  freilich:  „Übrigens  versteht  es  sich  von  selbst,  dasz  man  g^en 
die  Verführungen  der  Lust  nicht  erst  dann  pädagogisch  wirkt,  wenn  sie  aufhören  —  nämlich  im 
Greisenalter."  Nun,  ich  glaube,  die  Übertreibung  wird  Bruns  selbst  eingestehen.  Mit  30  Jahren  fangt 
doch  nicht  das  Greisenalter  an,  und  es  kann  doch  auch  nicht  als  sinnlos  bezeichnet  werden,  auf  die 
über  30  Jahre  alten  Männer  bezüglich  der  fjöovai  noch  pädagogisch  zu  wirken.  Ich  sage,  noch  päda- 
gogisch zu  wirken ;  denn  dasz  die  pädagogische  Wirkung  dann  erst  anfangen  sollte,  wäre  freilich  sonder- 
bar, und  eben  diese  Voraussetzung  hat  Bruns  auch  zu  jener  Übertreibung  verleitet.  Es  bliebe  also, 
um  die  von  mir  aufgestellte  Behauptung,  der  im  ersten  Buche  geschilderte  erzieherische  Zweck  der 
Hi^rj  sei  nicht  auf  die  vioi  zu  beziehen,  annehmbar  zu  machen,  noch  der  Nachweis  übrig,  dasz  der 
Schriftsteller  einmal  die  iiid^r]  erst  für  das  spätere  Alter  als  zweckmäsziges  Bildungsmittel  hinstellt, 
und  dasz  er  zweitens  eine  pädagogische  Einwirkung  anderer  Art  ihr  schon  vorausgehen  läszt.^)  Wir  er- 
innern uns,  dasz  uns  diese  Voraussetzung  schon  beim  Übergange  vom  ersten  zum  zweiten  Buche  selbst 
notwendig  erschien,  und  dasz  wir  schon  damals  andeuteten,  das  erste  Mittel  zur  Erziehung  der  fjSovai 
und  Xvnai  sei  in  der  ^ovoixrj  zu  suchen.  Die  fortschreitende  Analyse  hat  uns  jetzt  den  Grund  er- 
kennen lassen,  weshalb  dies  der  Fall  ist.  Die  [iovautr]  ist  wegen  des  ihr  zu  Grunde  liegenden  Ge- 
fühles für  Harmonie  und  Bythmus  geeignet  von  vornherein^  die  fjdovai  und  Xvnai  mit  dem  erst  später 
zu  gewinnenden  Ao/ta/iög  in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Nun  zeigt  sich  aber,  dasz  die  Neigung 
zur  selbstthätigen  Ausübung  der  piovaixr}  bei  den  über  30  Jahre  alten  Männern,  und  zwar  je  älter 
sie  werden,  desto  mehr,  abnimmt.  Hier  setzt  demnach  die  Anwendung  der  fii^  ein,  zunächst  um 
als  ein  Anregungsmittel  zum  Singen,  dann  aber  auch,  in  engster  Verbindung  damit,  um  als  ein  auf 
die  Sänger  selbst  gerichtetes  Erziehungsmittel  zu  dienen.  Bemerkenswei-t  ist  die  Art,  wie  diese  Ein- 
schränkung der  fii&7]  begründet  wird.  Den  vioi  bis  zum  achtzehnten  Jahre,  heiszt  es,  müssen  wir 
überhaupt  jeden  Weingenusz,  den  vioi  bis  zum  dreiszigsten  Jahre  wenigstens  die  itoXvoivia  verbieten 
didaaxovreQ,  &g  ov  XQ^  ^Q  ^^^  ^^Q  ^X^^^^^  «^S  ^«  ^o  o(aiia  xai  trjv  tpvx^v,  jtgiv  eni  tovg 
növovg  iyx^i^v  nogevea^at,  vtjv  iiifiavi]  sdXaßovfuvoc  k'^tv  ruivvetav.  Die  vioc  sind  eben 
schon  von  selbst  in  einer  kfifiavrjg  i'^ig  t(ov  ipvxcor,  welche  bei  den  Älteren  erst  durch  die  fii&rj 
hervorgerufen  wird,  und  die  fjdovai  sind  bei  ihnen  schon  von  Natur  stark  genug,  der  Xoyiofiög  da- 
gegen noch  zu  schwach  entwickelt,  als  dasz  eine  künstliche  Beizung  der  ^dovai  auf  £osten  des  koyta- 
(lög  thunlich  wäre.  Erst  wenn  die  vioi  gelernt  haben,  vermittelst  der  xoQeia  ihre  fjdovai  in  Über- 
einstimmung zu  setzen  mit  dem  Xoyionög  und  so  zu  mäszigen,  und  wenn  ihre  fjdovai  durch  das  ge- 
reiftere  Alter  von  selbst  mehr  herabgestimmt  sind,  wird  eine  Erziehung  durch  ni&rj  annehmbar.  Zu 
vergleichen  ist  hierzu  noch  die  Stelle  672  C,  wo  die  ipifiavfjg  e^ig  der  jcaTdeg,  als  Grundlage  für  die 
Bildung  durch  xoQBia,  in  Parallele  gesetzt  wird  zu  der  durch  (udrj  erzeugten  ftavia,  als  der  Gmndlage 
für  die  Bildung  durch  diese. 

Nach  dieser  allgemeinen  Rechtfertigung  des  logischen  Zusammenhanges  der  beiden  Bücher 
müssen  noch  einige  einzelne  Fragen  behandelt  werden,  welche  Bruns  angeregt  hat. 

Im  zweiten  Buche  befinden  sich  nach  ihm  (S.  43  ff.)  zweierlei  Arten  von  Zurückweisungen. 
Beide  werden  mit  xar'  dgxceg  oder  iv  dgxoZg  eingeleitet.  Bei  den  einen,  den  nach  Bruns  als  original 
anzuerkennenden,  wird  hiermit  der  Anfang  des  zweiten  Buches  bezeichnet,  bei  den  anderen,  nach  Brun» 
dem  Redaktor  angehörigen,  die  Ausfühi-ungen  des  ersten  Buches. 

0  S.  13.  3* 

/ 


20 

Eine  BOckweisung  auf  den  Anfang  des  zweiten  Buches  haben  wir  zunächst  664  E.  stnofiev 
sl  uBi-tvrjue&tx  xar'  aQxog  rwv  Xöywv,  (bg  f]  q)i)aiq  x(av  viwv  öianvQog  ovaa  fjavxLav  ovx  ol'a  re 
äyeiv  ovTS  xord  rö  adapia  ovze  xorrd  trjv  (pwvrjv.  Die  Worte  beziehen  sich  auf  653  D  (prjaiv  6i 
(seil.  6  Xöyog)  rö  viov  ciitav  fbg  ^itog  dnEiv  tolg  r«  atbiiaai  xal  ralg  gxovaig  fjavxiov  ayuv 
od  övvaoitai.  Hier  ist  daran  zu  erinnern,  dasz  das  im  ersten  Buche  über  ue.'9r]  Gresagte  mehr  yor- 
bereitender  Natur  ist.  Über  den  eigentlichen  erzieherischen  Zweck  der  fiid^i]  und  ober  die  Art  ihrer 
Einrichtung  wird  erst  im  zweiten  Buche  gehandelt,  und  zwar  auf  Grund  der  liovatxr],  auf  deren  ersten 
Anfang  eben  jene  Worte  hinweisen.  Wenn  es  also  unmittelbar  vorher  664  D  heiszt:  xai  [xrjv  elalv  ys 
ovroiy  (ov  x^^Qf-v  ol  nXeloroi  xwv  ifingoad^ev  kQQtidrjaav  Xöycov^  so  ist  mit  dem  oi  kfingoa&ev 
Xöyoi  nicht  die  ganze  vorhergehende  Erörterung  gemeint,  sondern  nur  der  Teil  derselben,  welcher  in 
direkter  Beziehung  zum  dionysischen  Chore  steht,  und  welcher  beginnt  mit  dem  zweiten  Buche.  Mithin 
bezieht  sich  das  xar'  dgx^g  '^^^  Xöyiov  auch  nach  vorhergehendem  ersten  Buche  doch  vollständig 
logisch  auf  den  Anfang  des  zweiten  Buches. 

Die  zweite  von  Bruns  (S.  46)  als  original  anerkannte  Stelle  ist  671  A  y.at  oitsQ  6  löyog  h 
ccQXalg  ißovXrj^r],  tt]v  tqi  tov  Jiovvaov  x<^QV  ßorj^etav  iiriÖEt^ai  xakwg  Xeyofiivrjv,  eig  dv- 
va^iv  eiQTjxEv.  Bruns  sagt  nur,  dasz  sie  sich  auf  den  Anfang  des  zweiten  Buches  beziehe,  ohne  die 
Stelle  anzuführen.  Dabei  hat  er  nicht  beachtet,  dasz  die  Worte  653  A  'Ava[4vr}a&Tjvai  roivvv  iyayye 
naXtv  imdvuw,  xL  itoxf  Xsyoi-iev  fiiilv  eivai  xrjv  ÖQ&fjv  Jtaiöeiav.  xovxov  yag,  mg  ye  iyo)  xo- 
ita^ü)  xä  vvv,  iaxiv  h  xcp  iittxrjdevfiaxi  xovxco  xaXcjg  xaxoQ^ovfiivcp  ocaxrjQidy  auf  welche  sich 
jene  Stelle  nach  meiner  Meinung  allein  beziehen  kann,  von  ihm  als  redaktorische  Zuthat  erklärt  werden, 
weil  sie  auf  das  erste  Buch  zurückweisen,  worauf  schon  Praetorius*)  mit  Recht  aufmerksam  macht. 
Denn  dasz  sie  sich  vielleicht  auch  auf  653  D  beziehen  könnte,  wie  Praetorius  anführt,  ist,  soweit  ich 
sehe,  ausgeschlossen,  weil  hier  die  Musen,  Apollo  und  Dionysos  vollständig  gleichgestellt  werden  und 
auf  letzterem  nicht  ein  besonderer  Nachdruck  ruht,  was  doch  jene  Stelle  671  A  jedenfalls  voraussetzt. 
Also  im  zweiten  Buche  kann  sich  die  angeführte  Stelle  nur  auf  die  auf  das  erste  Buch  zurückweisenden 
Worte  653  A  beziehen.  Nun  findet  sich  aber  auch  im  ersten  Buche  derselbe  Gedanke  641  D  Joxelg 
rj^ilv  (3  (piXs  xr]v  kv  xoig  oivoig  xoivijv  öiargißrjv  tug  slg  Jtaiöeiag  ^eyaXrjv  {lolgav  xeivovaav 
Xiyetv,  av  dg&wg  yiyvrjxai.  vergl.  643  A  6ia  yag  xavtrjg  (seil,  xfjg  naiöeiag)  (pafiEv  Ixiov  sivai 
xöv  figoxexet'giOfiivov  iv  xcp  vvv  Xoyov  vcp'  f]uwv^  ^ixgtJteg  äv  ngög  xöv  ifeöv  aq)ix7]xaL,  so 
dasz  es  also  zweifelhaft  sein  kann,  ob  der  Schriftsteller  671  A  speziell  die  Stelle  des  zweiten  Buches, 
oder  vielmehr  die  des  ersten  Buches  im  Auge  gehabt  hat.  Übrigens  ist  es  sachlich  gleichgültig,  was 
wir  annehmen  wollen;  denn  das  xovxov  yag,  äg  ye  iyo)  xoTta^o)  xa  vvv,  iaxtv  sv  tqJ  ijtixrjösv- 
liaxL  xovx(p . .  awxTjgia  findet  nur  unter  Voraussetzung  der  betreffenden  Stellen  des  ersten  Buches 
seine  Erklärung.  Endlich  ist  zu  bemerken,  dasz  auch  die  bei  Gelegenheit  des  zuerst  besprochenen 
Citates  angeführten  Worte  664  D  xai  fifjv  etaiv  ye  ovxoi  (seil,  ot  xgixvt  xogoi)  wv  ;fdptv  ol 
nXeZaxoc  xtov  eixngoa^ev  iggfj&rjoav  Xöywv  denselben  Gedanken,  dasz  nämlich  der  dionysische  Chor 
als  Gipfelpunkt  der  Untersuchung  anzusehen  ist,  voraussetzen.  Wenn  Bruns  demnach  diese  beiden 
Citate  664  DE  und  671  A  als  originale  gelten  lassen  will,  so  rausz  er  entweder  den  Zusammenhang 
von  Buch  I  und  II  anerkennen,  oder  er  musz  annehmen,  dasz  in  der  ursprünglichen  Fassung  des 
zweiten  Buches  ein  ähnlicher  Gedanke  vorausgegangen  und  vom  Redaktor  durch  den  jetzt  vorliegenden 
ersetzt  wäre.  Wie  bedenklich  aber  die  Annahme  ist,  eine  Stelle,  auf  die  sich  ein  späteres  Citat  sehr 
wohl  beziehen  kann,  als  redaktorisch  zu  erklären  und  durch  eine  andere  Stelle  ähnlichen  Inhalts  zu 
ersetzen,  die  vom  Redaktor  gestrichen  sei,  ist  von  selbst  klar.  Oder  aber  Bruns  musz  auf  die  Origi- 
nalität jener  Citate  und  damit  auf  den  von  ihm  aufgestellten  Unterschied  zwischen  originalen  und 
redaktorischen  Citaten  überhaupt  verzichten. 

Nun  noch  eine  sachliche  Bemerkung  zu  der  Stelle  671  A.  Es  könnte  auffallend  erscheinen, 
wenn  mit  den  Worten  xai  onsg  6  Xöyog  iv  dgxaZg  ißovXrj^rj,  xfjv  xcp  xov  Jtov6oov  xog<p  ßorj- 
deiav  eniöei^aL  xaXdg  Xeyopievrjv,  elg  övvanLv  etgrjxev  ,,Und  was  die  Untersuchung  von  Anfang 
an  bezweckte,  nachzuweisen,  dasz  die  durch  den  dionysischen  Chor  (betreffs  der  nai^eia)  erreichte 
Hilfe  mit  Recht  behauptet    sei,   hat  sie    nach  Vermögen   nachgewiesen"  —  der   Vorteil,   welchen   der 


')  Praetorius:  De  legibus  Platonicis  a  Philippe  Opuntie  retractatis.   Bonn  1884,  p.  33. 


21 

Wein  als  Anregungsmittel  zum  Vortragen  von  Mustergesängen  gewährt,  als  das  einzige  von  Anfang  an 
beabsichtigte  Resultat  der  Untersuchung  hingestellt  wird.  Doch  sahen  wir  schon  vorher,  dasz  der 
Wein  diese  Wirkung  nur  haben  könnte,  wenn  er  von  den  Sängern  selbst  als  ein  auch  auf  sie  gerichtetes 
Erziehungsmittel  zur  aaxpQoaivr)  gehandhabt  würde.  ^)  Genau  dem  entsprechend  wird  dann  auch  an 
unserer  Stelle  fortgefahren:  axe(p(b(i£&a  df}  et  xov^*  ovna  yiyovev.  „Sehen  wir  also,  ob  dies  (d.  h. 
der  eben  angegebene  Erfolg  des  Weingenusses)  so  erreicht  worden  ist."  Das  „so"  wird  sodann  dahin 
erklärt,  dasz  die  vöfiot  aviiiKmxoi  im  Stande  sein  müszten,  röv  tvekniv  xal  &aQQakf.ov  ixeivov 
yiyvöfxevov  xai  dvaioxvvreQov  tov  öiovzog,  xul  oix  i&iXovra  rä^tv  xal  tö  xaxa  iiiQog  oiy^g 
xai  Xoyov  xal  Ttöaecas  xal  fto6aijg  irtOftiveiVy  kdikEiv  Jtoietv  n&vta  TOtJrots  ravavtia.  Also 
der  Vortrag  von  Mustergesangen  ist  in  der  That  der  Endzweck  des  dionysischen  Chores,  durch  welchen 
nicht  nur  der  erzieherische  Einflusz  auf  die  Jugend,  sondern  auch  die  Erziehung  der  Mitglieder  selbst 
gewährleistet  wird;  denn  eben  in  dem  Vortrage  dieser  Gesänge  bethätigt  sich  die  auf  die  Probe  ge- 
stellte ou)q)Qoavi'T]  der  Mitglieder.  Was  endlich  die  von  Bruns  (S.  45)  im  Gegensatz  zu  den  eben 
behandelten  als  redaktorisch  bezeichnete  Stelle  betriift  671  A  &ogvßd)6i]g  [liv  Ttov  6  ^vlloyog  6 
TOtovTog  is  äv&yxrjg  itgoiovarjg  Tr,g  Jtöaecog  enl  (lakkov  del  ^v^ßaivei  yiyvöitevov,  öneQ  vjts- 
^ifieita  xar  aQxäg  dvayxalov  elvac  yiyvea&ai  nsQi  tiav  vvv  ^yofiivatv*),  so  weist  sie  zurück 
auf64dC  eativ  öe  ye  fj  roiavtr]  avvovaia,  eI'tceq  EOtai  [iEtä  fJ-Extrjg,  ovx  d^ögvßo^.  Hier  bezieht 
sich  das  xar  dgxdg  also  nicht  auf  den  Anfang  der  Untersuchung,  welche  speciell  vom  dionysischen 
Chore  handelt,  sondern  auf  die  vorbereitenden  Untersuchungen  des  ersten  Buches.  Um  zu  verstehen, 
wie  der  Ausdruck  xar  dgxo^S  ^^  Sinne  des  Schriftstellers  eine  so  weite  Beziehung  zuläszt,  dasz  er 
auf  die  räumlich  ziemlich  weit  getrennten  Stellen  640  C  und  654  A  hinweisen  kann,  musz  man  be- 
denken, dasz,  nachdem  643  A  bis  645  D  der  Zweck  der  jiaiÖEca  festgestellt  ist,  der  ganze  Rest  des 
ersten  Buches  der  vorläufigen  Erörterung  gewidmet  wird,  welcher  Nutzen  angesichts  dieses  Zweckes  in 
der  (lEx^rj  überhaupt  liegen  könnte,  dasz  aber  die  Darstellung,  wie  dieser  Nutzen  im  Zusammenhange 
mit  der  fwvaixr]  zu  verwirklichen  sei,  erst  mit  dem  Anfange  des  zweiten  Buches  beginnt. 

Weiter  meint  Bruns,  die  unumwundene  Art,  auf  welche  im  zweiten  Buche  Gesetze  gegeben 
würden,  zeigte,  dasz  wir  hier  einen  Teil  der  Gesetzgebung  für  die  magnesische  Kolonie  vor  uns  hätten; 
ja  er  findet  sogar  einen  Beamten,  welcher  nachher  für  die  magnesische  Kolonie  eingesetzt  wird,  im 
zweiten  Buche  bereits  vorausgesetzt. 

Gehen  wir  zunächst  auf  den  letzteren  Punkt  ein,  so  behauptet  Bruns  (S.  70),  dasz  an  der 
Stelle  658  E  dkXa  axEÖbv  ixEivrjv  eivai  Movaav  xalXiarrjv,  rjrcg  rovg  ßilriaTOvg  xal  ixavtog 
jtEitaid'EVfiivovg  xeqiiei,  fiahava  6i  TJrig  ^va  tbv  dQEtfj  xe  xal  TtaiÖEtq  6iag>EQ0VTa  —  dieser 
Eig  dQExfj  XE  xal  Ttaideiq  6iaq)EQ(ov  gar  nicht  verstanden  werden  könne;  es  sei  kein  anderer  als 
der  765  D  eingesetzte  oberste  Erziehungsaufsehev,  von  dem  es  heisze  og  av  dgiarog  Eig  ndvxn  ?]. 
Nun  ist  es  ja  richtig,  dasz  dieser  765  D  eingesetzte  Beamte  in  der  magnesischen  Kolonie  auch  hin- 
sichtlich der  fiovaixrj  als  oberster  Aufseher  fungiert.  Aber  weshalb  jene  Worte  des  zweiten  Buches 
direkt  auf  ihn  bezogen  werden  und  ohne  seine  Einsetzung  unverständlich  sein  sollen,  vermag  ich  nicht 
einzusehen.  Jene  Worte  besagen  doch  nur,  dasz  die  fiovaixr]  nicht  nach  der  ^öovt)  jedes  beliebigen, 
sondern  nach  der  ^dorrj  der  Besten  oder  vielmehr  eines  durch  Tugend  und  Erziehung  besonders 
Hervorragenden  beurteilt  werden  müsse;  und  gerade  der  unbestimmte  Ausdruck  Sva  xöv  dgEx/j  xs  xal 
naiÖEiq  öiacpigovxa  statt  der  Nennung  des  betreffenden  Beamten  scheint  mir  zu  beweisen,  dasz  wir 
hier  nicht  eine  gesetzliche  Bestimmung  für  die  magnesische  Kolonie  vor  uns  haben. 

Um  sodann  über  die  angeblich  unumwundene  Art,  wie  im  zweiten  Buche  Gesetze  gegeben 
werden,  zur  Klarheit  zu  kommen,  beachte  mau  zunächst,  dasz  es  an  der  Stelle,  wo  zum  ersten  Male 
eine  gesetzliche  Bestimmung  hinsichtlich  der  [wvaixrj  in  Frage  kommt  (656  C),  ganz  allgemein  heiszt: 
OTtov  öt)  vöfiot  xaXcog  eloi  xei^Evoi  y  xal  Etg  xöv  EKELxa  xQ<^vov  ^aovtai,  negl^)  xrjv  jieqI  xa, 
Movaag  naiöeiav  xe  xal  itatöiav  olöf^E&a  e^iaea^ai  xolg  noirjTixolg .  . .  o  xi  äv  xvxrj  dnegya- 
^EO^ai   Jigög   dgexrjv   rj  (.lox^figtav ;    Mit  dieser  Allgemeinheit  lieszfe  sich  nun   freilich   die  Gesetz- 

1)  S.  18. 

*)  XEyofiEvwv  Eusebius.    yiyfOfiivwv  A. 

^)  Ttegl  hat  Schanz  hinzugefügt.    Jedenfalls  musz  eine  sinnverwandte  Präposition  ausgefallen  sein. 


22 

gebung  für  die  kretische  Kolonie  noch  sehr  wohl  vereinigen,  wenn,  nachdem  die  Möglichkeit  einer  der- 
artigen gesetzlichen  Bestimmung  durch  den  ägyptischen  Brauch  nachgewiesen,  und  die  Richtigkeit  der 
Itovaixf}  dahin  bestimmt  ist,  dasz  sie  nach  der  fjöovr]  der  Besten  oder  vielmehr  des  Besten  beurteilt 
werden  müsse,  nun  eine  entsprechende  Bestimmung  für  die  kretische  Kolonie  folgte.  Eine  solche  Be- 
stimmung folgt  aber  nicht,  sondern  der  Satz,  die  fiovaix^  sei  nach  der  ^öov^  des  Besten  za  beur- 
teilen, wird  659  D  nur  benutzt,  um  daran  zu  erinnern,  dasz  die  Untersuchung  somit  wieder  auf  das 
schon  vorher  anerkannte  Ziel  der  naiöeia  —  Übereinstimmung  der  ijöovai  und  Xvnai  mit  dem  Xo- 
yujfÄÖg  —  führe.  Und  auch  nachdem  weiter  gefunden  ist,  dasz  im  letzten  Orunde  die  dgexi^  von 
der  fj6ovf],  wie  umgekehrt  die  xaxia  von  der  Xvnt],  unzertrennlich  wäre,  und  dasz  der  Gesetzgeber 
den  Dichtem  unter  keinen  Umständen  erlauben  dürfte  davon  abweichende  Behauptungen  in  ihren  Ge- 
dichten aufzustellen,  folgt  keine  diesbezügliche  Bestimmung  für  die  kretische  Kolonie,  sondern  es  ist 
ganz  allgemein  von  dem  vofiOx^irrjgy  ov  xi  xai  afAixgbv  6g)£Xog  die  Bede  (663  D).  Ebenso  allge- 
mein heiszt  es  664  A,  wo  es  sich  darum  handelt,  dasz  der  Gesetzgeber  zu  diesem  Zwecke  auch  wohl 
ein  \pev(iog  ersinnen  dürfe:  xai  tot,  liiya.  yiati  vo/io^cV//  iragaöetyi^a  toü  neiaeiv,  ort  äv 
iittxstvfj  xig  nel&eip  rag  riov  viwv  yjvxäg.  Säte  ovökv  äXXo  avxbv  öst  axonovvra  dvevQtaxeiVf 
il  xi  nüaag  [Aiyiaxov  aya&ijv  igyöaatro  äv  nöXiv,  xo^tov  6e  itigi  ndaav  (iijxavjjv  eögiaxttv^ 
omi/v'  äv  noTE  tQ&rtov  ^  xoiaöxr]  avvoixia  ndaa  itSQi  tovxutv  iV  xai  xadxöv  oti  fi&Xiaxa 
cp&iyyoit'  du  ....  Hier  behauptet  Bruns  (S.  70)  freilich  betreffs  des  Ausdrucks  fj  roiavtrj  ovvoixia : 
„Um  von  einer  ,,solchen''  Gründung  sprechen  zu  können,  muszte  die  bestimmte  Nennung  dieser  Gründung 
vorausgehen,  zum  mindesten  ein  Gedanke  wie  dieser:  „Nehmen  wir  an,  wir  hätten  eine  Musterkolunie  zu 
gründen."  Da  nichts  derartiges  vorausgeht,  wäre  näaa  avvoixia  oder  avvoixia  rtg  richtiger  gewesen. 
r)  ToiavT/j  avvoixia  ist  unlogisch  und  verrät  die  unnatürliche  Stellung  des  ganzen  Abschnittes."  Aber 
der  Ausdruck  f)  toiavrrj  avvoixia  ist  mit  Bezug  auf  das  erste  Satzglied:  rj  xi  neiaag  ftiyioxov 
äyadbv  Igyäoaito  äv  itöXiv^  zu  verstehen;  eine  „solche  Wohnungsgemeinschaft"  oder  „Stadt"  (nicht, 
wie  Bruns  übersetzt,  „Gründung")  soll  heiszen:  eine  Wohnungsgemeinschaft,  hinsichtlich  welcher  der 
Gesetzgeber  sich  klar  geworden  ist,  was  für  sie  das  ftiyiaxov  dya&6v  sei.  Dies  kann  gar  nicht 
zweifelhaft  sein,  sofern  das  roiavrrj  sich  doch  auf  das  unmittelbar  Vorhergehende  beziehen  musz. 
Selbst  wenn  dieser  Abschnitt  der  Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  angehörte,  wäre  doch  das 
Toiavrr)  in  der  eben  angegebenen  Weise  zu  verstehen  und  könnte  unmöglich  auf  die  kretische  Kolonie 
als  solche  bezogen  werden.  Dies  ginge  nur  an,  wenn  au  die  Stelle  des  jetzt  da  stehenden  Vorder- 
satzes die  direkte  Nennung  der  kretischen  Kolonie  träte. 

Um  noch  deutlicher  zu  erkennen,  wie  wenig  das  zweite  Buch  bis  zu  dieser  Stelle  (664  B)  den 
Charakter  einer  wirklichen,  für  eine  bestimmte  Stadt  berechneten  Gesetzgebung  trägt,  möge  man  den 
betreffenden  Abschnitt  des  siebenten  Buches  790  A  ff.  vergleichen,  wo  derselbe  ägyptische  Brauch  in 
der  That  als  Muster  für  die  Gesetzgebung  der  kretischen  Kolonie  benutzt  wird.  Der  nun  folgende 
Abschnitt  könnte  freilich  —  das  musz  man  zugeben  (cf.  Bruns  S.  69)  —  nach  seiner  Fassung  wohl 
ein  Stück  der  Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  sein.  Es  wird  in  ihm  erörtert,  wie  sich  auf 
Grund  der  als  richtig  erkannten  fiovaix^  die  Darstellung  derselben  durch  Chöre  zu  gestalten  habe, 
und  da  heiszt  es  664  C  —  es  ist  das  diejenige  Stelle,  welche  am  ersten  den  Gedanken,  dasz  wir  es 
hier  mit  einer  wirklichen  Gesetzgebung  zu  thun  hätten,  aufkommen  lassen  könnte  — :  Jtiog  ovv 
aöxovg  nagafiv&ijaöiu&a  ngo&vfAovg  elvai  itgog  tag  (pdäg ;  äg^  oö  vofiod^exrjaofisv  u.  s.  w. 
Hier  wird  also  wirklich  eine  gesetzliche  Bestimmung  gegeben.  Aber  wir  haben  durchaus  keinen  Grund 
dieselbe  auf  die  kretische  Kolonie  oder  überhaupt  nur  auf  eine  bestimmte  Stadt  zu  beziehen.  Vielmehr 
wenn  wir  bedenken,  dasz  die  Grundlage,  auf  welcher  diese  ganze  Besprechung  der  Chöre  ruht,  —  die 
Darstellung  von  der  richtigen  Beschaffenheit  der  Musik  —  in  keiner  Weise  zu  einer  bestimmten  Stadt 
in  Beziehung  gesetzt  ist,  so  müssen  wir  schlieszen,  dasz  auch  an  dieser  Stelle  von  keiner  bestimmten 
Stadt  die  £ede  ist,  sondern  dasz  der  Ausdruck  fj  jtöXig,  welcher  verschiedentlich  gebraucht  wird  (664  D 
oüi?  trj  nöXsi ;  665  D  tö  ägiarov  Tfjg  nöXEwg),  und  welcher  also  auch  für  die  hier  in  Frage  kom- 
mende gesetzliche  Bestimmung  maszgebend  ist,  ganz  allgemein  verstanden  werden  soll.  Dasz  aber  bei 
der  ins  einzelne  gehenden,  fortlaufenden  Darstellung,  welche  hier  nötig  wird,  das  fmeCg  an  die  Stelle 
des  auch  möglichen  vono^itrjg  tig  tritt,  kann  doch  nicht  auffallig  erscheinen! 


23 

Ein  wesentliches  Bedenken  formeller  Natnr  bleibt  freilich  bei  der  von  mir  gegebenen  Ansicht 
bestehen.  Die  Worte  671  BC.  otxovv  S<pafi£ry  otcxv  yiyvrjtat,  rwrct,  xa^airsg  ttva  aiöijgov  ras 
ipvxccg  ttSv  irivövTiov  öian^Qovg  yiyvoftivag  fiaX&axcoTtQag  yiyvea^ai  xai  vsansQag,  co'orc 
edaydtyovg  IvixßaivBiv  r<p  dvva(Aiv(p  re  xai  ittiaTafj£v<p  naiöeiEiv  re  xai  nXarreiVy  xad&nig 
öt'  TjOav  veai  —  können  sich,  wie  Bruns  (S.  43)  richtig  sagt,  nnr  beziehen  anf  666  BC  coar«  dvrj- 
ßdv  ij^tag  xai  tSvaOvfJiag  krj&rjv  yiyvsa&tu,  ixak^axunegöv  r'ix  axXrjQOTSQOv  t6  rfjg  ifrvjc^g 
^/^og^  xa^änto  «^S  ^«P  aidrjQov  ivre&evTa,  yiyvöfievov  xai  ovtco  evnkaoT&reQOv  elvai.  Nur 
hier  findet  sich  der  Vergleich  des  seelischen  Zustandes  mit  glühend  gemachtem  Metalle,  und  nur  hier 
wird  mit  den  Worten  evjtXaarÖTEQov  dvai  der  Begriff  des  nlavTeiv  angedeutet.  Das  einzige,  was 
gegen  diese  Beziehung  sprechen  könnte,  sind  die  Worte  ovav  yiyvTjiai  xavta-,  denn  mit  dem  xavta 
kann  nur  der  unmittelbar  vorhergehende  Gedanke  gemeint  sein,  dasz  das  Gelage  in  seinem  Fortgange 
notwendig  einen  lärmenden  Charakter  annehme,  ein  Gedanke,  welcher  aber  666  C  nicht  ansgesprochen 
ist.  Jedoch  wird  man  hieran,  glaube  ich,  kaum  einen  ernstlichen  Anstosz  nehmen,  wenn  mau  bedenkt, 
dasz  jener  lärmende  Charakter  als  eine  von  vornherein  anerkannte  notwendige  Folge  des  uneinge- 
schränkten Weingenusses  hingest-ellt  wird,  und  dasz  mithin,  was  von  jenem  Weing«nusse  überhaupt 
gesagt  ist,  auch  bei  dem  Eintritt  dieser  Folge  seine  Gültigkeit  haben  musz.  Übrigens  ist  diese  Folge 
gerade  hier  offenbar  absichtlich  hervorgehoben  wegen  des  scheinbaren  Widerspruches,  in  welchem  sie 
mit  der  gleich  folgenden  Schilderung  des  erziehlichen  Elementes  der  lUd^q  steht.  Also  bis  xa&äiceg 
ÖT*  ijaav  viai  haben  wir  eine  Bückweisung  auf  666 C  anzuerkennen.  Wenn  aber  fortgefahren  wird: 
rovrov  öUlvai  xbv  nldavijv  töv  aötbv  äaneg  rdrc,  vbi'  dya^öv  vofio&irrjVy  so  li^  hier  kein 
Bezug  mehr  auf  jene  Stelle  des  zweiten  Buches  vor,  sondern  dies  könnte  sich  nur  auf  das  im  ersten 
Buche  Gesagte  beziehen,  wo  es  647  A  heiszt :  ^Ag^  ovv  xai  voiiodirrjg,  xai  nag  ov  xai  apuxgöv 
6(p£Xog,  rovTOv  tbv  wößov  kv  tififj  (isyiaTjj  oißei,  und  648  E  italiv  örj  ngbg  xbv  voftos^ixTjv 
Xiyioftsv  xaöe'  eis:-  cJ  i>ofio9ixa  etc.  Aber,  selbst  wenn  man  diese  wunderbare  Art  des  Citierens, 
dasz  zuerst  eine  Stelle  des  zweiten  Buches  citiert  und  dann,  scheinbar  dieselbe  fortcitierend,  ein  Ge- 
danke des  ersten  Buches  herangezogen  wird,  gelten  lassen  wollte,  so  kommen  wir  mit  den  Worten  ov 
vöf40vg  tlvat  öel  ovfiTtorixovg  auf  einen  Gedanken,  welcher  freilich  aus  dem  ersten  Bnche  wohl  ge- 
schlossen werden  kann,  aber  in  dieser  Form  doch  nicht  dasteht.  Geschlossen  werden  kann  er  ans  647  D. 
a(bg)g(ji)v  öi  äga  xeXmg  Saxat  [jf]  nollalg  fjöovaXg  xai  inidvfüaig  TcgoTgsnovaaig  ävaiaxw' 
xelv  xai  äöixtiv  diafie^axi]ftivog  xai  vevixtjxibg  fiszä  Xöyov  xai  igyov  xai  xix^rjg  Sv  rt  naiöi- 
aig  xai  iv  OTtovöalg  —  und  noch  mehr  aus  648  C,  wo  von  dem  dem  Weine  analogen  q>ößov  <pdg- 
liaxov  die  Bede  ist,  XQV^  ^'^v  etg  rot>s  <p6ßovg  aytav  xai  iXiyxoiv  iv  toig  iza&ri^aaiv,  coore 
ävayxa^eiv  äq)oßov  yiyvta&üt  nagaxeXevöfievog  xai  vov&excov  xai  t«/möv,  töv  öe  dxifxaCfov 
u.  s.  w.  Freilich  liesze  sich  einwenden,  dasz  die  Form  des  Satzes  ov  vö^ovg  elvai  du  av^itoxixovc 
nicht  notwendig  die  Fortsetzung  eines  Citates  voraussetzt.  Indessen,  wenn  es  später  heiszt:  xbv  av 
liil  övvdfiBvov  idiXeiv  itei^ea&ai  xoiuxoig  (seil,  xotg  vöiioig)  xai  tolg  ^ysfxöai  xotg  xov  Jio- 
vvaoVy  xolg  vnig  i^xovxa  irrj  yeyovöoiv,  larjv  xai  fxei^bn  xi]v  atax^vrjv  <pig£iVy  ij  xbv  xotg 
xov  "Agsatg  djtBidovvra  dgxovOLv,  so  kann  der  Infinitiv  hier  nnr  von  jenem  ersten  Sq}afuv  ab- 
hängen, und  wir  haben  mithin  die  Form  eines  Citates  bei  einem  ganz  neuen  Gedanken,  welcher  sich 
weder  im  ersten  noch  im  zweiten  Buche  findet;  denn  es  ist  nirgends  gesagt,  dasz  die  über  sechzig 
Jahre  alten  Greise  die  fjyE^iövBg  xov  Jiovüoov  sein  sollen. 

Also  dasz  an  unserer  Stelle  ein  logischer  Fehler  vorliegt,  ist  jeden&lls  zuzugeben.  Bruns  erklärt 
sich  denselben,  indem  er  die  Stelle  dem  Redaktor  zuschreibt.  Doch  ist  damit  keine  eigentliche  Er- 
klärung gegeben.  Denn  weshalb  sollte  der  Bedaktor,  wenn  er  diesen  Gedanken  einfügen  wollte,  um 
den  dionysischen  Chor  mit  der  Metheeinrichtnng  des  ersten  Buches  zu  vereinigen,  das  in  dieser  unlo- 
gischen Form  thun?  Wenn  es  sich  um  das  Miszverständnis  eines  von  dem  Schriftsteller  ausgesprochenen 
Gedankens  handelte,  so  könnte  man  das  bei  einem  Bedaktor  natürlich  finden;  aber  dasz  «r  einen  durch- 
aus neuen  Gedanken  als  früher  ausgesprochen  citiert,  dasz  er,  an  eine  Stelle  des  zweiten  Buches  an- 
knüpfend, ruhig  fortcitierend  Gedanken  des  ersten  Buches  anführt,  bleibt  doch  auch  für  einen  Redaktor 
höchst  sonderbar.  Vielleicht  wäre  es  dann  noch  wahrscheinlicher,  dasz  wir  hier  eine  unvollendete  Stelle 
des  Schriftstellers  vor  uns  haben.  Denn  dasz  in  Form  eines  Citates  Gedanken  angeführt  werden,  welche 
sich  freilich  aus  der  früheren  Darstellung  leicht  ergeben,   welche  in  ihr  aber  doch  nicht  direkt  ausge- 


t     ..•■•  ■■■ 

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24 

sprechen  sind  und  sich  noch  weniger  an  einer  Stelle  vereinigt  finden,  läszt  sich  nach  meiner  Meinung 
bei  einem  vorläufigen  Entwürfe  des  Schriftstellers,  welcher  den  Gedanken  ohne  Rücksicht  auf  die  ein- 
zelnen vorhergehenden  Stellen  aus  dem  ihn  beschäftigenden  Plane  nimmt,  viel  leichter  erklären  als  bei 
einer  Einschiebung  des  Redaktors,  welcher  vielmehr  auf  Grund  der  einzelnen  ihm  vorliegenden  Stellen 
die  Ergänzung  aufbauen  musz.  Übrigens  kann  man  dem  logischen  Fehler  an  unserer  Stelle  leicht 
durch  eine  kleine  Änderung  abhelfen,  wenn  man  annimmt,  dasz  in  den  Worten  toütov  de  eivai  röv 
nkdOTTjv  röv  avrbv  ojartEQ  r6re  zwischen  avrov  und  löoneg  ein  ronra^w  ausgefallen  sei,  von 
welchem  dann  die  weitere  indirekte  Rede  abhängen  würde.  Das  tona^o)  wäre  bei  Anführung  von 
Gedanken,  die  sich  aus  dem  Vorhergehenden  leicht  schlieszen  lassen,  eine  ganz  passende  Wendung. 

Was  den  Rest  des  Buches  anlangt,  so  wird  anknüpfend  dai*an,  dasz  ein  in  der  eben  beschrie- 
benen Weise  eingerichteter  Gebrauch  der  ^li^j]  vorzügliche  Dienste  leisten  würde,  erklärt,  man  müsse 
also  nicht  die  Gabe  des  Dionysos  so  ohne  weiteres  bei  Seite  schieben,  als  unwürdig  in  die  Staatsver- 
fassung aufgenommen  zu  werden;  denn  es  könnte  wohl  noch  jemand  mehr  Nützliches  von  ihr  anführen, 
da  man  auch  das  gröszte  in  ihr  liegende  Gut  wegen  des  Miszverständnisses  der  Menge  nicht  ohne 
Scheu  namhaft  machen  könnte.  Auf  die  Frage  des  Kreters,  was  der  Athener  damit  meine,  antwortet 
dieser,  es  gehe  eine  Sage,  dasz  Dionysos,  von  Hera  des  Verstandes  beraubt,  den  Wein  den  Menschen 
aus  Rache  verliehen  habe.  Wie  sich  nun  aber  das  Streben  jedes  jungen  Geschöpfes,  bevor  es  seinen 
natürlichen  Verstand  erlangt  habe,  sich  in  ungeordneter  Weise  zu  bewegen  und  zn  schreien,  als  Grund- 
lage der  Musik  gezeigt  habe,  so  habe  sich  auch  der  Wein,  welchen  die  Menge  als  Mittel  zum  Wahn- 
sinn betrachte,  als  ein  qjdQpianov  ircl  ow(pQoavvr]v  erwiesen. 

Sonderbarer  Weise  finden  Zeller  (Piaton.  Stud.  S.  60)  und  Bruns  (S.  50)  hier  einen  logischen 
Fehler;  mit  den  Worten  672  A  Inel  xai  xö  (leyiarov  dyit&öv,  o  ötogeTtoc,  Xeyeiv  ^tiv  oxvog 
werde  nämlich  etwas  Neues  angekündigt,  während  in  Wirklichkeit  doch  nur  derselbe  Gedanke  folge, 
von  welchem  unaufliörlich  die  Rede  gewesen  sei.  Aber  es  soll  mit  jenen  Worten  durchaus  nichts 
Neues  eingeführt  werden.  Der  Athener  sagt:  xai  yag  k'ri  irleio)  nq  äv  Ifts^i/.&oi  Xiywv  iitü  xoi 
TÖ  fiiyiOTOv  dyad^öv^  6  öcogntai,  kiyuv  fiiv  öxvog  elg  rovg  TiolXovg  6cd  tö  xaxtog  rovg  dv- 
^Q(b7rovg  avTÖ  vTzoXaßelv  xai  yvtavai  Xsxi^sv.  Um  diese  Worte  zu  verstehen,  haben  wir  uns  ein- 
mal vor  dem  knei  etwa  einen  Gedanken  wie:  „und  doch  sind  jene  Vorteile  unausgesprochen  geblieben", 
und  dann  als  Gegensatz  zu  dem  Xeyetv  [lev:  „und  doch  ist  jenes  Gut  wirklich  vorbanden",  zu  er- 
gänzen. Die  Übersetzung  würde  demnach  etwa  lauten:  „Denn  es  möchte  jemand  wohl  noch  mehr  Vor- 
teile (nämlich:  des  Weingenusses)  aufführen.  (Aber  diese  sind  unausgesprochen  geblieben);  denn  auch 
das  gröszte  Gut,  welches  er  (nämlich:  der  Gott)  verleiht,  scheut  man  sich  vor  der  groszen  Menge  aus- 
zusprechen, (obwohl  es  vorhanden  ist),  weil  die  Menschen  es  falsch  verstehen  und  es  verkennen,  wenn 
man  es  ihnen  nennt."  Ich  wüszte  nicht,  weshalb  wir  bei  dieser  Erklärung  einen  ganz  neuen,  bisher 
unerörtert  gebliebenen  Nutzen  des  Weines  unter  jenem  fiiycarcv  dyaMv  vermuten  sollten;  es  scheint 
mir  im  Gegenteil  viel  näher  liegend,  das  ftfyiarov  dycc&öv  im  Gegensatze  zu  dem  xa)  ydg  in 
TtXeiw  rig  äv  ene^il^oi  Uyoiv  gerade  auf  die  vorhergehende  Erörterung  zu  beziehen.  Ebenso  wenig 
beweist  die  Frage  des  Kreters:  Tö  notov  6q  ;  —  dasz  von  etwas  Neuem  die  Rede  ist,  sondern  sie 
beweist  nur,  dasz  der  Kreter  noch  nicht  versteht,  von  welchem  dyadöv  der  Athener  eigentlich  redet. 
Endlich  findet  Bruns  in  den  Worten  672  C  ndv  ^aiverai  ts  xai  ßoq  drdxrtog  eine  lächerliche 
Übertreibung.  Aber  die  etwas  starke  Schilderung  von  dem  Zustande  des  viov  hat,  soviel  ich  sehe, 
seinen  guten  Grund,  und  der  Ausdruck  piaLviadoL  ist  offenbar  absichtlich  gebraucht,  um  den  hier  be- 
schriebenen Zustand  zu  der  durch  den  olvog  hervorgerufenen  ^lavia  in  Parallele  zu  setzen. 

Es  folgt  eine  Eintheilung  der  xogeia  in  einen  auf  die  Stimme  bezüglichen  Teil:  die  fiovatxrjy 
und  einen  auf  den  Körper  bezüglichen:  die  yvfivaotixrj.  Der  erstere  Teil,  sagt  der  Athener,  sei  er- 
schöpfend besprochen;  betreffs  des  letzteren  stellt  er  den  Mitunterrednern  frei,  ob  sie  ihn  auch  be- 
handeln oder  lieber  bei  Seite  lassen  wollten.  Natürlich  wünschen  die  Derer  auch  eine  Behandlung  der 
ihnen  viel  näher  liegenden  yv^vaarixr].  In  die  Untersuchung  hierüber  wird  dann  auch  wirklich  ein- 
getreten. Ähnlich  der  ^lovacxrj,  heiszt  es,  entspringe  auch  die  oQXV^tgt  die  Gnindlage  der  yu//- 
vaoTixr],  einerseits  aus  dem  allen  jungen  Geschöpfen  gemeinsamen  Streben  nach  Bewegung,  anderer- 
seits aus  dem  den  Menschen   allein  verliehenen  Gefühle   für  Rhythmus.     Vermöge   der  Verwandtschaft 


25 

mit  dem  Liede  sei  dann  aus  der  Vereinigung  mit  diesem  die  gesamte  xoqeIcc  entstanden,   deren  einer 
Teil  also  besprochen  sei,  während  der  andere  jetzt  besprochen  werden  solle. 

Dieser  Gedankengang  kann  uns  auflfällig  erscheinen.  Denn  nachdem  die  Besprechung  über  die 
fiiärj  beendigt  war,  muszten  wir  eine  Bückkehr  zu  ihrem  Ausgangspunkte  und  eine  Stellungnahme  zu 
der  damals  ausgesprochenen  Voraussetzung  von  der  Mustergültigkeit  der  dorischen  Verfassungen  er- 
warten. Es  muszte  jetzt  gesagt  werden,  dasz  diese  Verfassungen  jener  Voraussetzung  augenscheinlich 
nicht  entsprächen,  da  sie  für  die  avÖQeia  nur  einseitige  und  für  die  aco^goavvrj  überhaupt  keine  er- 
zieherischen Institute  aufzuweisen  hätten.  Jedoch  hängt  einmal  die  hier  von  ^ovaixrj  und  yvuvaatixij 
gegebene  Definition  so  eng  mit  den  zu  Anfang  des  zweiten  Buches  aufgestellten  Begriffen  zusammen, 
dasz  an  der  Zugehörigkeit  dieses  Abschnittes  zum  zweiten  Buche  nicht  gezweifelt  werden  kann.  Auf 
der  anderen  Seite  kann  der  Abschnitt  auch  nicht  zur  Unterstützung  der  Ansicht  von  Bruns  dienen, 
dasz  wir  im  zweiten  Buche  ein  Stück  der  Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  vor  uns  haben.  Denn 
obwohl  die  eingeleitete  Besprechung  der  yvfivaarix^  im  Anschlusz  an  die  fiovaixr]  für  diese  Ansicht 
sprechen  könnte,  so  wären  doch  in  einer  fortlaufenden  Gesetzgebung  die  Wort«  672  E  rd  d'fipUaea, 
ojt(og  av  irt  öoxij,  jT£Qavov(j,ev  ij  xai  kaaoiiev  und  673  B  rö  'Vij^av  Hycopiev,  y  ncog  xai  Jtij 
itoir]tiov  sinnlos,  weil  bei  einer  wirklichen  Gesetzgebung  die  yvfivaarixfj  selbstverständlich  besprochen 
werden  muszte,  und  dies  nicht,  wenn  auch  nur  scheinbar,  in  das  Belieben  der  Mitunterredner  gestellt 
werden  konnte.  Und  selbst  wenn  wir  diese  Fragestellung  an  und  für  sich  als  möglich  zugäben,  so 
hätte  die  wirkliche  Besprechung  der  yvfivaatcxfj  jedenfalls  nicht  allein  mit  Rücksicht  auf  die  Natio- 
nalität der  Mitunterredner  motiviert  werden  können,  sondern  es  hätte  mindestens  ein  Hinweis  darauf 
hinzukommen  müssen,  dasz  bei  Fortlassang  der  yvfivaatixfj  die  Gesetzgebung  in  einem  wesentlichen 
Punkte  unvollständig  bliebe. 

Also  wir  müssen  den  Übergang  zur  Gymnastik  als  einen  Teil  des  zweiten  Buches,  und  zwar 
des  zweiten  Buches  in  seiner  jetzigen  Stellung,  anerkennen.  Um  nun  zu  verstehen,  wie  sich  derselbe 
zu  den  Anfangserörterungen  des  ersten  Buches  stellt,  ist  zunächst  festzuhalten,  dasz  nicht  wirklich 
eine  Besprechung  der  Gymnastik  folgt,  sondern  dasz  am  Ende  des  zuletzt  analysierten  Abschnittes  ganz 
abgebrochen  mit  den  Worten:  „Fügen  wir  nun  zunächst  zu  der  Metheuntersuchung  denSchlusz  hinzu!" 
eine  übrigens  allgemein  gehaltene,  für  jede  beliebige  Stadt  gültige  Bestimmung  eingeleitet  wird,  dahin 
gehend,  dasz  der  Weingenusz  nur  zu  dem  angegebenen  erzieherischen  Zwecke  dienen  dürfe,  sonst  aber 
strengstens  zu  verbieten  sei.  Diese  Bestimmung  bildet  den  Schlusz  des  zweiten  Buches.  Darauf  wird 
eben  so  zusammenhangslos  mit  dem  Anfange  des  dritten  Buches  fortgefahren:  Tavra  (Uv  odv  öi] 
Tavrrj'  nokuEiag  6e  dgxrjv  rlva  nore  qxo^ev  yeyovEvai ;  Hiernach  ist  klar,  dasz  einmal  jenes  nach 
beiden  Seiten  des  Zusammenhangs  entbehrende  Schlnszgesetz  betreffs  der  ns^rj,  wenn  nicht  seine  Ent- 
stehung, so  doch  gewisz  seine  jetzige  Stellung  —  eine  Frage,  welche  übrigens  für  unseren  Zweck  un- 
erörtert  bleiben  kann  —  dem  Redaktor  verdankt,  und  dasz  zweitens  auch  nach  Streichung  dieses  Ab- 
schnittes der  Anfang  des  dritten  Buches  676  A  jedenfalls  nicht  die  unmittelbare  Fortsetzung  von 
673  C  sein  kann.  Welche  Fortsetzung  haben  wir  nun  mit  Rücksicht  auf  die  vorhergehende  Untersuchung 
von  Buch  I  und  Buch  11  zu  erwarten?  Die  nächstliegende  Annahme  wäre  ja,  dasz  die  zuletzt  eingeleitete 
Besprechung  über  Gymnastik  nun  wirklich  zu  Ende  geführt  wäre.  Trotzdem  müssen  wir  diese  Annahme 
nach  meiner  Meinung  zurückweisen.  Es  fiel  uns  ja  schon  sehr  auf,  dasz  der  Schriftsteller  überhaupt, 
anstatt  den  Faden  des  ersten  Buches  wieder  aufzunehmen,  eine  Besprechung  über  Gymnastik  einleitete. 
Die  vorhergehende  Besprechung  über  Musik  war  gleich  zu  Anfang  als  notwendig  erklärt,  für  die  Be- 
sprechung über  Gymnastik  dagegen  läszt  sich  aus  dem  Vorhergehenden  durchaus  kein  Grund  nach- 
weisen. Wenn  dieselbe  nun  doch  scheinbar  eingeleitet  wird,  so  denke  ich  mir  den  zu  Grunde  liegenden 
Gedankenzusammenhang  folgendermaszen.  An  den  Hinweis,  dasz  die  Gymnastik  denselben  Ursprung 
habe  wie  die  Musik  und  mit  ihr  zusammen  die  ganze  xoQEia  bilde,  wurde  die  Erwägung  geknüpft, 
dasz  es,  nachdem  die  Einrichtung  der  Musik  sich  überall  —  also  auch  in  den  dorischen  Staaten  — 
als  verfehlt  erwiesen  habe,  mit  der  Gymnastik  wohl  ebenso  stehen  muszte ;  wie  sich  ja  auch  schon  vor- 
her gezeigt  hatte,  dasz  dieselbe  sich  einseitig  auf  eine  einseitig  gefaszte  ävögsia  richtete.  Auf  Grund 
davon  muszte  dann  die  vorausgesetzte  Mustergültigkeit  der  dorischen  Verfassungen  überhaupt  aufge- 
geben werden.    Jedenfalls  haben  wir  so  eine  Fortsetzung,    wie    der    bisherige  Gang   des   Dialoges   sie 


26 

fordert ;  and  anch  die  Heranziehung  der  Gymnastik  zum  Schlusz  gewinnt  so  ihre  gute  Bedeutung,   so- 
fern die  dorischen  Staaten  gerade  für  die  Gymnastik  als  die  vorzüglichsten  Pflegestätten  galten. 

Wir  müssen  jetzt  noch,  um  uns  über  Buch  II  vollständig  zu  orientieren :  zwei  Fragen  erledigen : 

1)  Können  wir  das  dritte  Buch,  welches  den  Übergang  zu  der  in  den  folgenden  Büchern  ent- 
haltenen Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  vermittelt,  überhaupt  als  Fortsetzung  der 
ersten  beiden  Bücher  betrachten? 

2)  Wenn  dies  der  Fall  ist,  wie  stellt  sich  dann  die  Besprechung  der  Musik  im  zweiten  Buche 
zu  dem  betreffenden  Abschnitte  der  Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie  im  siebenten 
Buche  ? 

Behufs  Erledigung  der  ersten  Frage  ist  es  nötig,  uns  zuerst  den  Inhalt  des  dritten  Buches  kurz 
zu  vergegenwärtigen. 

Buch  ni  beginnt  mit  einem  historischen  Überblicke  über  die  Staatenentwickelung  von  den  ersten 
An^ngen  menschlicher  Bildung  an.  Diese  Betrachtung  führt  auf  Troja  und  schlieszlich  auf  die  Grün- 
dung der  drei  dorischen  Staaten  im  Peloponnes.  An  dieser  Stelle  heiszt  es,  dasz  also  die  Untersuchung 
durch  einen  günstigen  Zufall  wieder  auf  den  ersten  Ausgangspunkt  —  den  dorischen  Staat  von  Sparta  — 
zurückgekommen  sei,  und  es  wird  vorgeschlagen,  nun  von  neuem  mit  der  Betrachtung  der  Gesetzgebung 
zu  beginnen.  Als  die  Ursache  für  den  Verfall  jenes  dorischen  Dreistaatenbundes  wird  dann  die  gröszte 
Unwissenheit  (/}  fisyiarr]  äfia^ia)  gefunden.  Diese  bestehe  aber  darin,  dasz  das  als  xaXöv  Erkannte 
trotzdem  gehaszt  und  gemieden  werde,  und  sie  entspringe  aus  einer  im  Verhältnis  zur  menschlichen 
Natur  übermäszig  groszen  Machtfülle  der  Staatslenker.  Nicht  eine  möglichst  grosze  und  uneinge- 
schränkte Macht  müsse  das  Ziel  des  Staatslenkers  sein,  sondern  iXevdeQca,  cpQÖvijaig  und  (piXia  als 
das  einigende  Band  des  ganzen  Staatswesens.  Nachdem  dieser  Grundsatz  durch  die  Betrachtung  der 
persischen  Monarchie  und  der  athenischen  Demokratie  seine  Bestätigung  gefunden  hat,  stellt  der  Athener 
die  Frage,  wie  sich  etwa  die  bisherigen  Untersuchungen  betreffs  einer  richtigen  Gesetzgebung  verwerten 
lieszen.  Die  Antwort  darauf  giebt  die  Erklärung  des  Klinias  von  der  beabsichtigten  Gründung  einer 
kretischen  Kolonie,  mit  deren  Gesetzgebung  sich  sodann  die  folgenden  Bücher  befassen. 

Bruns  (S.  154  flf.)  spricht  nun  dem  dritten  Buche  die  Zugehörigkeit  zum  ersten  Buche  —  in 
unserem  Sinne  also  za  den  zwei  ersten  Büchern  —  ab,  weil  das  dritte  Buch  von  dem  im  ersten  auf- 
gestellten Plane  hinsichtlich  der  Prüfung  der  beiden  dorischen  Staaten  von  Sparta  und  Kreta  nichts 
wisse.  Weder  könnte  das  dritte  Buch  als  unmittelbare  Fortführung  dieses  Planes  angesehen  werden; 
denn  die  in  demselben  angestellten  Betrachtungen  über  Staatsverfassungen  gründeten  sich  auf  die 
Heranziehung  der  verschiedensten  Staaten,  unter  denen  Kreta  noch  dazu  überhaupt  nicht  vorkäme: 
noch  fände  sich  im  dritten  Buche  insofern  eine  Stellungnahme  zu  jenem  Plane,  dasz  dieser  etwa  als 
verfehlt  abgewiesen  würde.  Die  Annahme  aber,  dasz  eine  solche  Stellungnahme  in  der  vorauszu- 
setzenden Lücke  stattgefunden  habe,  erklärt  Bruns  für  sehr  miszlich.  Nun  wäre  diese  Annahme  in 
der  That  miszlich,  wenn  uns  die  Auseinandersetzungen  des  ersten  und  zweiten  Buches  keinen  Anhalt 
dazu  böten,  eine  Abänderung  jenes  Planes  vorauszusetzen.  Wie  wir  aber  gesehen  haben,  zeigte  sich 
sehr  bald,  dasz  Sparta  und  Kreta  dem  Maszstabe  einer  Musterverfassung  keineswegs  entsprächen,  und 
wir  muszten  deshalb^)  auf  Grund  von  Buch  I  und  II  eine  Aenderung  des  ursprünglichen  Planes  als 
notwendig  folgend  annehmen.  Durch  diesen  Umstand  gewinnt  doch  jene  Annahme  sehr  an  Wahrschein- 
lichkeit! Die  ersten  beiden  Bücher  fordern  denselben  Gedanken  als  Fortsetzung,  welchen  das  dritte 
Buch  als  notwendig  vorhergehend  voraussetzt.  Ich  wüszte  nicht,  wie  in  dieser  Beziehung  zwei  durch 
eine  Lücke  getrennte  Abschnitte  desselben  Werkes  besser  zu  einander  stimmen  sollten! 

Ferner  meint  Bruns  (S.  157  ff.),  die  NichtZusammengehörigkeit  der  Bücher  gehe  auch  aus  der 
Parallelausführung  über  die  richtige  Wertschätzung  der  Güter  C31  C  und  696  B — 697  A  hervor.  Wenn 
die  Bücher  wirklich  ein  Ganzes  bildeten,  behauptet  er,  so  hätte  derselbe  fundamentale  Gedanke  nicht 
zum  zweiten  Male  ganz  unabhängig  von  der  ersten  Besprechung  ausgeführt  werden  können.  Dagegen 
ist  zu  sagen,  dasz  die  im  dritten  Buche  aufgestellte  Wertfolge  der  Güter  auf  einen  ganz  anderen  Zweck 
hinausläuft  als  die  im  ersten  Buche  aufgestellte,  und  dasz  beide  deshalb  wesentlich  von  einander  ab- 
weichen. Im  ersten  Buche  handelt  es  sich  um  die  Güter,  welche  als  das  Endziel  einer  richtigen  Staats- 
verfassung zu  betrachten  sind,    und  diese  werden  eingeteilt  in  göttliche  und   menschliche   mit   der  Be- 

1)  S.  25. 


^7 

merkuDg,  dasz  bei  Erreichung  der  ersteren  die  letzteren  von  selbst  nachfolgten.  Im  dritten  Buche  da- 
gegen handelt  es  sich,  indem  ausgegangen  wird  von  der  falschen  Erziehung  der  Eönigskiuder  in  Per- 
sien, darum,  wonach  sich  in  einem  Staate  die  Verteilung  der  riftai  zu  richten  habe,  und  da  wird  ge- 
funden, dasz  für  jeden  Anspruch  auf  Tifti^  das  Vorhandensein  der  auxpQoavvr]  notwendige  Vorbe- 
dingung sei,  und  dasz  nach  Erfüllung  dieser  Vorbedingung  die  gröszte  riixi}  den  Vorzügen  der  Seele, 
die  zweit-gröszte  den  Vorzügen  des  Körpers  und  die  dritt-gröszte  endlich  den  Vorzügen  des  Vermögens 
gebühre.  Der  wesentliche  Unterschied  in  der  Schätzung  der  Güter  au  beiden  Stellen  liegt  nicht  etwa 
darin,  dasz  im  dritten  Buche  an  Stelle  der  dela  äya&ä  die  dya&a  ilfvxrjg  treten.  Dies  scheint  mir 
nur  eine  Vei'schiedenheit  des  Ausdruckes  zu  sein,  denn  die  ipvxv  ^^^  ®^^^  ^^  &u&tarov  am  Menschen. 
Auch  das  scheint  mir  nicht  von  wesentlicher  Bedeutung,  dasz  wir  statt  der  Zweiteilung  im  ersten  Buche : 
in  göttliche  Güter  einerseits  und  menschliche  andererseits,  wobei  die  letzteren  die  Vorzüge  des  Körpers 
und  des  Vermögens  in  sich  vereinigen,  im  dritten  Buche  die  Dreiteilung:  in  Güter  der  Seele,  des 
Körpers  und  des  Vermögens  haben.  Der  wesentliche  Unterschied  liegt  vielmehr  in  der  Stellung  der 
ouxpQoaivt)  als  einer  notwendigen  Voraussetzung  für  alle  Güter  überhaupt.  Es  hatte  sich  gezeigt, 
dasz  die  menschliche  Natur  durch  jedes  Übermasz  der  rt/i^j  verdorben  würde,  weil  dadurch  die  oa>- 
fpQOoivT}  und  mit  ihr  das  Vermögen  nach  richtiger  Einsicht  zu  handeln  verloren  ginge.  Und  eben 
wegen  dieser  besonderen  Stellung  der  ococpgoavvrj  war  es  wenig  passend,  gerade  hier  auf  jene  Ein- 
teilung des  ersten  Buches  zurückzugreifen.  Die  eben  erwähnten  formellen  Unterschiede  bei  sachlicher 
Übereinstimmung  in  der  Wertfolge  der  Güter  zeigen  nur,  dasz  diese  Wertfolge,  nachdem  die  Ansicht 
des  Kreters,  die  Staatsverfassung  müsse  die  dviSgeia  zum  Zwecke  haben,  einmal  zurückgewiesen  war, 
als  sich  von  selbst  ergebend  angenommen  wird,  wie  ihr  ja  auch  an  unserer  Stelle  keine  besondere 
Begründung  mehr  zuteil  wird. 

Nach  dieser  allgemeinen  Erörterung  haben  wir  zunächst  die  einzelnen  Stellen  des  dritten  Buches 
zu  prüfen,  welche  Zurückweisungen  auf  die  ersten  beiden  Bücher  enthalten,  und  welche  Bruns  von 
seinem  Standpunkte  aus  natürlich  für  redaktorisch  erklären  musz. 

Die  erste  Stelle  ist  682  E  "O^fv  dt]  xax'  agxccg  i^sx^anö^ada  ntgl  vöfitov  6 caley öfitvot 
nsQiTteaövteg  ixovaixfj  xe  xal  xaXq  f^i&aig,  vvv  IttI  xä  avxä  itaXiv  ä(piypit&a  äoneg  xaxa 
^£Öv,  xal  t  l6yoc;  fjf^lv  olov  Xaßfjv  änoöiöioaiV  tJxei  yag  im  xr]v  slg  AaxEÖaifiova  xaxoixtaiv 
avxrjv,  ^v  vf^isig  ÖQ^wg  sgxxxE  xax(pxia&ai  xai  KQrjxrjv  dtg  dÖEXcpolg  vöfioig.  Hier  hat  Bruns 
(S.  164)  gewisz  recht,  wenn  er  behauptet,  dasz  in  den  gleich  folgenden  Worten:  vvv  ovv  öij  xoaövöe 
TtleovexTOViAsv  x^  nkävtj  xov  köyov  ötä  nokixEuav  xivwv  xal  xaxoixtafuiv  öte^sX&övxEg,  mit 
der  nXdvr)  xov  köyov  nur  die  Auseinandersetzungen  des  dritten  Buches  gemeint  sind.  Aber  es  ist 
nicht  richtig,  wenn  er  daraus  schlieszt,  dasz  deshalb  jene  ersten  Worte  in  der  Luft  ständen,  und  dasz 
die  dort  angekündigte  laßi}  nicht  ergriffen  würde.  Diese  laßri  wird  mit  dem  Satze  i'jxEi  yag  inl 
xrjv  slg  AaxEÖaifiova  xaxoixcotv  avxrjv  in  der  That  ergriffen,  indem  die  Untersuchung  damit  auf 
Sparta  —  freilich  in  Verbindung  mit  den  gleichzeitig  gegründeten  anderen  dorischen  Staaten  —  wieder 
zurückgeführt  wird.  Nur  darf  man  den  Ausdruck  TtkavTj  xov  Xöyov  nicht,  wie  Bruns  anzunehmen 
scheint,  auf  die  Ablenkung  von  dem  ursprünglichen  Thema  beziehen,  in  welchem  Falle  die  nk6vr) 
allerdings  auch  den  Schlusz  des  ersten  und  das  zweite  Buch  mitumfassen  würde;  sondern  man  musz 
jenen  Ausdruck,  wie  die  erklärenden  Worte  öta  noXtxEHOv  xivwv  xal  xaxoixiOfißv  du^Ek&övxEg 
ja  auch  zeigen,  mit  Bücksicht  auf  den  Charakter  der  Untersuchungen  des  dritten  Buches  verstehen, 
insofern  diese  die  verschiedenen  Stufen  der  Staatenbildung  von  ihren  ersten  Anfangen  an  vorführen. 
Es  kommt  hinzu,  dasz  die  Worte  683  B:  xavxa  ör]  naXiv  olov  k^  aQxfjg  ^f^tv  Xexxeov^  eI  fir]  xc 
xoig  ElQTjfxivoig  iyxaXovfiEv  Xöyoig  in  Verbindung  mit  der  Antwort  des  Megillos:  El  yovv,  S  Icvc, 
xig  fj^lv  inöoxoixo  ^sög,  wg,  kav  ijtix€t^(ir)oa)uEv  xö  öevxeqov  xfj  xi)g  vofiod^eatag  axeipUy 
x(ov  vvv  elQi](iEV(ov  Xöywv  ov  ;(£tpot;g  ovo'  iXaxxovg  dxovoönida,  puxxQäv  av  iX&oniL 
iymyE  xai  piot,  ßQoxet  av  öö^ecev  rj  vvv  naqovaa  fnAiga  yiyvEO^at,  —  zweifellos  die  beiden  ersten 
Bücher  voraussetzen,  wie  ja  auch  die  letzten  Worte  [laxgav  av  ^X^ol^l  syioys  etc.  deutlich  die  im 
ersten  Buche  geschilderte  äuszere  Scenerie  des  Dialoges  erkennen  lassen.  Bruns  hat  deshalb  von  seinem 
Standpunkte  aus  gewisz  recht,  weun  er  auch  die  Worte  683  C  el  yovv  —  xQETtofiivov  für  redaktorisch 
erklärt;  wir  dagegen  erblicken  in  den  angeführten  ganz  unverdächtigen  Hinweisen  auf  die  beiden  ersten 
Bücher  nur  eine  Bestätigung  unserer  Ansicht  von  der  Zusammengehörigkeit  derselben  mit  dem  dritten  Buche. 

4* 


28 

Die  zweite  Stelle  ist  688  A  Nai,  xai  örj  xal  tzoIitiköv  ye  ävdQcc  etc.  Die  Untersuchung 
hatte  zu  dem  Resultate  geführt,  dasz  es  für  den  Menschen  verkehrt  wäre,  in  der  gewöhnlichen  Weise 
zu  bitten,  dasz  alles  nach  seinem  Willen  geschähe;  er  müszte  vielmehr  bitten,  dasz  sein  Wille  der 
Vernunft  folgte.  Hier  erinnert  der  Athener  an  die  früher  von  ihm  aufgestellte  Behauptung,  dasz  auch 
der  Gesetzgeber  den  vovg  als  oberstes  Princip  anzusehen  habe,  während  die  Mitunterredner  die  av- 
ÖQtia  als  solches  erklärt  hätten.  Mit  dem  jetzt  gefundenen  Satze,  es  sei  gefahrlich  für  jemand,  der 
keine  Einsicht  habe,  sich  etwas  zu  erbitten,  es  sei  denn,  dasz  er  sich  das  Gegenteil  von  seinen  Wünschen 
erbitte,  meint  er,  komme  die  Untersuchung  wieder  auf  denselben  Gedanken ;  denn  es  werde  sich  zeigen, 
dasz  der  dorische  Bund  nicht  etwa  durch  Mangel  an  dvögtia,  sondern  vielmehr  durch  die  gröszte 
UMwissenheit,  also  durch  Mangel  an  (pQÖvrjaig,  zu  Grunde  gegangen  sei,  indem  das  Bestreben  der 
d(}xovreg  gewesen  wäre,  möglichst  alles  zu  thun,  was  ihnen  beliebte. 

Bruns  (S.  167)  hält  diesen  Bückweis  auf  das  erste  Buch  für  ganz  äuszerlich.  Ich  kann  ihm 
darin  nicht  beistimmen,  sondern  es  scheint  mir  sehr  passend,  dasz  an  der  Stelle,  wo  der  aus  der  vor- 
hergehenden Untersuchung  gefundene  allgemeine  Satz,  der  vovg  müsse  bei  den  evxol  des  Menschen 
das  oberste  Princip  sein  und  nicht  seine  jedesmaligen  ßovkrjOEig,  auf  die  dorischen  Staaten  angewendet 
wird  —  dasz  an  dieser  Stelle,  sage  ich,  der  Athener  daran  erinnert,  dasz  derselbe  Grundsatz  für  den 
vonoditrjg  ja  schon  im  ersten  Buche  von  ihm  aufgestellt  sei.  Und  dasz  der  voiJg  hier  bei  Anführung 
der  entsprechenden  Stelle  aus  dem  ersten  Buche  in  Gegensatz  gebracht  wird  zu  dem  von  den  Mitunter- 
rednern aufgestellten  Principe  der  dvögsia,  findet  im  folgenden  eine  durchaus  sachgemäsze  Verwendung, 
wenn  es  heiszt:  nicht  Mangel  an  dvöfjsia,  sondern  Mangel  an  (pQÖvijacg  habe  den  dorischen  Bund 
zu  Grunde  gerichtet.  Ja  die  Heranziehung  der  dvögeia  an  der  letzteren  Stelle  wäre  ohue  die  voran- 
gegangene Gegenüberstellung  von  votJg  und  dvögeia  überhaupt  unverständlich. 

Ferner  meint  Bruns  aus  den  Worten  688  B  rjxei  örj  Jtdktv  ö  Xöyog  stg  ravröv,  xai  6  Xiyutv 
iyio  vvv  Xiyfji  naXiv  (xtieq  töts,  eI  [jev  ßovkeade,  c5g  nai^wv,  eI  d*,  ötg  anoviÜd^iüVy  ort  dt] 
(prjfii  Evxfj  XQV^^^*-  0(paXEQbv  Eivai  vovv  fiij  xexttjijevov  dXX  rj  xdvavTia  ratg  ßovXrjöEUiv  ol 
yiyveox^üi,  schlieszen  zu  müssen,  der  Gedanke:  ,,Für  einen  Thoren  ist  es  schlimm,  wenn  ihm  seine 
Wünsche  in  Erfüllung  gehen'*,  sei  auch  an  der  betreffenden  Stelle  des  ersten  Buches  ausgesprochen, 
wo  er  sich  in  Wirklichkeit  aber  nicht  finde.  Das  xal  ö  Xiyoiv  iyta  vvv  Xiya  naXiv  üueq  töte  be- 
sagt jedoch  offenbar  nur,  dasz  an  beideu  Stellen  derselbe  logische  Inhalt  —  nämlich  der,  dasz  der 
vovg  als  oberstes  Princip  gelten  müsse  —  zu  Grunde  liege,  ohne  dasz  damit  eine  verschiedene  Färbung 
des  Gedankens  durch  die  besondere  Beziehung,  welche  er  an  jeder  der  beiden  Stellen  hat,  ausgeschlossen 
wäre.  Und  wenn,  wie  Bruns  ferner  hervorhebt,  im  dritten  Buche  Megillos  derjenige  ist,  welcher  den 
in  Frage  stehenden  Gedanken  zuerst  ausspricht,  so  berechtigt  doch  die  Form,  in  welcher  er  ihn  aus- 
spricht {XiyELv  ydg  [aoc  öoxEig  687  E),  den  Athener  vollkommen  den  Gedanken  als  sein  Eigentum  in 
Anspruch  zu  nehmen. 

Der  entscheidende  Punkt  für  Bruns  liegt  aber  erst  darin,  dasz  sich  in  den  Worten:  el  [liv 
ßovXEod^E  d}g  Ttai^wvj  eI  d'  c&g  oitovöäl^iov  ....  onovdal^ovra  6'  eX  ^e  ri^ivat  ßovXsa&E,  ti- 
9exe  —  genau  jenes  merkwürdige  Spielen  mit  dem  Gegensatze  des  Ernstes  und  Scherzes  bei  wichtigen 
und  keineswegs  spaszhaften  Dingen  finde,  wie  es  sich  aus  der  Lehre  ergebe,  welche  den  Menschen  zum 
Spielzeuge  in  der  Hand  der  Götter  mache.  Dem  gegenüber  erscheint  mir  an  dieser  Stelle  die  Ver- 
wendung der  Begriffe  aiiov6dC,Ei,v  und  nai^Eiv  nicht  nur  verständlich,  sondern  sogar  sehr  nahe  liegend 
und  passend,  ohne  dasz  wir  zu  ihrer  Erklärung  jene  von  Bruns  erwähnte  Lehre  heranzuziehen  hätteu; 
denn  der  Gedanke :  ort  örj  g)7}^i  Evxfj  ;f()r)ö^at  ocpaXEQov  Eivat  vovv  jAf]  xexttjuevov,  dXX'  ij  *) 
Tdvavria  xaig  ßovXrjOEaiv  ot  yiyvEa&ai:  ,, Sofern  ich  behaupte,  dasz  es  für  den  der  Einsicht  Ent- 
behrenden gefährlich  sei,  sich  etwas  zu  erbitten  auszer,  dasz  ihm  das  Gegenteil  von  seinen  Wünschen 
zuteil  werden  möge,"  fordert  doch  den  Scherz  geradezu  heraus,  wie  er  andrerseits  im  Sinne  des  Philo- 
sophen durchaus  ernst  gemeint  ist. 


1)  dXX'  ij  ist  eine  Konjektur  Badhams  statt  des  dXXä  in  cod.  A.  Die  Richtigkeit  derselben  scheint 
mir  durch  den  Sinn  uud  durch  den  fast  ausnahmslos  reflexiven  Gebrauch  des  pron.  ov  gesichert.  Der  Infinitiv 
yiyvEO&ai  ist  dann  dem  EVXf]  ;tp^öi?at  subordiniert. 


29 

Ferner  findet  Bruus  die  Definition  der  höchsten  dfjerrj  688  B  (pQövrjacg  ö'eTr]  tovto  xai  vovg 
xai  do^a  fiez'  IJpcörög  rs  xai  kni\h)pUag  rovroig  inofxivtjg  schlecht  und  konfus.  „Dasz  die  rfö|a 
das  Gegenteil  der  cpQövrjaig  wäre",  fügt  er  hinzu,  „hätte  der  Referent  aus  632  C  xovg  ^kv  6iä  fpQO- 
vrja€(og  Tovg  de  dC  dlrjSovg  i^ö^ijg  iövrag  lernen  können."  Nun  ist  q>Qöv/]aig  und  öo^a  ja 
freilich  nicht  dasselbe.  Bei  der  yollkommenen  g}QÖvijaig  hören  die  öö^ai  als  solche  auf.  Aber  in  der 
Praxis  ist  die  dö^a,  die  ihrerseits  auch  schon  schwer  genug  zu  erlangen  ist,  die  Stellvertreterin  der 
eigentlichen  (pQÖvrjaig,  und  so  finden  wir  beide  Begriffe  ähnlich  wie  an  unserer  Stelle  verbunden : 
653  A  fpgdvrjaiv  6e  xai  dlij&si-g  Sö^ag  ßsßaiovv  evrvxsg  otcjJ  xai  rrQÖg  rö  yiJQog  itaQsyivero. 
Der  Zusatz  endlich  pier'  ^Qcorög  t€  xai  im&vixixxg  tovroig  inofiivrjg  ist  an  unserer  Stelle  speziell 
begründet  durch  den  zu  vergleichenden  Gedanken  687  E  rf/v  ßovXrjaiv  6e  noXi)  fiälXov  rfj  iavrov 
(pQovrjaBL  seil,  hnsox^aif  und  auszerdem  besteht  gerade  in  dem  ^Tieo^ai  der  int&vfiiai  jene  masz- 
gebende  Stellung,  welche  auch  im  ersten  Buche  für  die  q)Qövr)atg  verlangt  wird.  Über  die  beiden 
folgenden  Stellen  (cf.  Bruns  S.  170)  kann  ich  schneller  hinweggehen.  693  BC  heiszt  es:  piij  ^av^iä- 
awiiev  öe  el  nolkaxig  yöij  jtQod^ifievoi  arta  etgrjxafisVf  ort  Tigbg  xavxa  dtt  vof40&£relv  ßki- 
novxa  TÖv  vofto&irijv^  rä  öi  Ttgotedivra  ov  xavxa  rjfitv  g>atvexai  ixäaxoxE'  dlXa  avakoyi" 
^ea^at  xQVi  oVctv  itgög  xö  aaxpQoveiv  wwfxsv  öelv  ßXsiteiv  y  *)  Jtgbg  (pQövqaiv  rj  wiUav,  wg 
iad^  o^xog  ö  oxonbg  ovx'  Sxegog  dXX'  o  avxög,  xai  äXXa  6rj  jioXXa  ^/icrg  xoiavxa  av  yiyvrjxai 
^rjfiaxa  fiij  ötaxaQaxxixo).  Es  kann  hiermit  nur  hingedeutet  werden  auf  631  D  im  ersten  Buche 
und  688  AB  im  dritten  Buche,  wo  beide  Male  der  vovg  als  oberstes  Princip  der  Staatsverfassung  auf- 
gestellt wird.  Etwas  Naives  haben  die  Worte  xai  äXXa  6f]  noXXa  etc.  nun  freilich,  aber  sie  sind 
deshalb  den  dialektisch  nicht  gebildeten  Mitunterrednern  gegenüber  vielleicht  nicht  so  ganz  unpassend. 
Hingegen  ist  auffallend,  dasz  bei  Erwähnung  der  <pQÖvT]aig  und  <piXia  die  eXBv&SQia  fehlt,  während 
hinzugefügt  wird:  ngög  xö  octxpgovsTVf  obwohl  die  acjcpgoavvTj  für  sich  niemals  als  das  oberste 
Princip  der  Staatsverfassung  aufgestellt  ist.  Ich  halte  deshalb  die  Worte  für  verderbt  und  glaube, 
dasz  ein  endgültiges  Urteil  über  sie  vorläufig  noch  nicht  gefallt  werden  kann. 

Ähnlich  steht  es  mit  dem  Zusätze  699  C  i^v  aiöio  noXXäxig  h  xolg  avto  Xoyoig  slitofMtv. 
Dieser  Zusatz  hat  an  sich  nichts  Anstösziges,  und  für  das  noXXaxig  bietet  sich  in  verschiedenen  Stellen 
des  ersten  und  zweiten  Buches  eine  genügende  Grundlage.  Trotzdem  musz  auch  über  ihn  das  ab- 
schlieszende  Urteil  aufgeschoben  werden,  bis  es  gelungen  ist,  den  unmittelbar  folgenden  offenbar  ver- 
derbten Worten  durch  eine  glückliche  Konjektur  zur  Hilfe  zu  kommen. 

Wenn  es  endlich  702  A  heiszt:  xai  (ätjv  avxcav  y'  ^vexa  (d.  h.  um  des  Zieles  willen,  welches 
dem  Gesetzgeber  vorschweben  musz)  xai  xö  Jwgixbv  i&eaaafte^a  xaxoixi^6(A£vov  axgaxöitB/dov  xai 
xäg  xov  dagöavov  vTtatgeiag  xs  xai  xrjv  kni  &aXaxxt]  xaxoixiaiv  xai  xovg  ngwxovg  6f]  xovg 
nEgtXiTteZg  yevoixivovg  x^g  <p^ogäg,  ixi  de  xovg  i[^ngoa&ev  xovxcov  yevofiivovg  ^^Tv  Xöyovg 
Ttsgi  xs  [iovatxTJg  xai  fti^rjg  xai  xä  xoixiov  k'xi  ngöxegff,  so  ist  zu  den  letzten  Worten:  ixi  öe 
xobg  SfiTigoa&ev  xovxwv  yevof^evovg  fjiiTv  Xöyovg,  grammatisch  freilich  nur  das  k^eaaafi£9a  zu 
ergänzen  möglich,  und  man  musz  eine  Art  Zeugma  also  zugestehen.  Trotzdem  lassen  sich  die  Worte 
nicht  wohl,  wie  Bruns  (S.  170)  will,  aus  dem  Zusammenhange  streichen;  denn  in  dem  gleich  folgenden 
Satze:  xavxa  yag  ndvxa  eXgrjxat  xov  xaxtösTv  ^exa,  nag  nox'  av  n6Xig  agioxa  oixoir},  xai 
idiq  nwg  äv  xtg  ßiXxiaxa  xbv  avxov  ßiov  dcaydyoi  bezieht  sich  die  letzte  Wendung  xai  Miq  etc. 
offenbar  auf  das  im  ersten  und  zweiten  Buche  über  die  naideia  Gesagte.  Wenigstens  ist  im  dritten 
Buche  davon,  wie  jemand  persönlich  sein  Leben  am  besten  führen  würde,  abgesehen  etwa  von  der  ge- 
legentlichen Bemerkung,  dasz  ein  nicht  mit  Einsicht  Begabter  nur  zu  seinem  Schaden  etwas  von  den 
Göttern  erbitten  könnte  (cf.  687  E,  688  B),  nicht  die  Eede. 

Es  ist  zweckmäszig,  in  diesem  Zusammenhange  auch  gleich  die  von  Bruns  angefochteneu  Citate 
im  vierten  Buche  mit  zu  behandeln. 

705  C.  teilt  der  Kreter  auf  eine  diesbezügliche  Fi-age  des  Atheners  mit,  dasz  in  der  Nähe  der 
zu  gründenden  kretischen  Kolonie  Schiffsbauholz  nicht  vorhanden  sei.  Der  Athener  erklärt  dies  für 
einen  günstigen  Umstand.    Der  Kreter,  welcher  den  Grund  hiervon  nicht  einsieht,  fragt:  Ti  örj ;    Die 


^)  7]  ist  in  cod.  A  von  zweiter  Hand  hinzugefügt  und  läszt  sich  bei  der  jetzigen  Überlieferung  schlecht 
entbehren. 


30 

Antwort  des  Atheners  lautet:  MiiAfjaeig  KOvrjQä^  ^ipitla^at  Tovg  JtokE^iovg  ptr}  ^qöiatg  övvaa&ai 
Tiva  TtöXiv  dyadöv.  Da  auch  diese  Antwort  dem  Kreter  nicht  genfigt,  so  stellt  er  die  neue  Frage: 
Eig  6rj  xi  rcov  etQrj^tevtov  ßXeipag  tlnsg  o  Xsyeig ;  d.  h.  „Welcher  Punkt  des  Vorhergehenden  giebt 
dir  Anlasz,  von  schlechten  Nachahmungen  zu  reden?"  Ehe  der  Athener  hierauf  Antwort  giebt,  er- 
innert er  daran,  dasz  Klinias  und  Megillos  zu  Anfang  (d.  h.  im  ersten  Buche)  den  Krieg  als  oberstes 
Princip  für  die  kretische  Gesetzgebung  aufgestellt  hätten,  und  dasz  er,  der  Athener,  dies  zwar  insofern 
gebilligt  hätte,  als  sich  die  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  gegebenen  Gesetze  auf  die  o()er^  richteten, 
insofern  sie  sich  aber  auf  die  dvögsia  allein,  und  nicht  auf  die  gesamte  dgetr},  richteten,  sei  er  mit 
jenem  Principe  durchaus  nicht  einverstanden  gewesen.  Nun  fordert  er  die  Mitunterredner  auf,  jetzt 
ihrerseits  darauf  zu  achten,  wenn  er  etwa  ein  nicht  auf  die  dgerrj  oder  wenigstens  einen  Teil  der 
o()£T)7  gerichtetes  Gesetz  vorschlfige;  denn  nur  das  auf  diese  allein  gerichtete  Gesetz,  welches  sich  um 
Reichtum  und  andere  Vorteile  derart  (auf  Kosten  der  dgerr})  nicht  kümmere,  sei  als  richtig  anzuer- 
kennen. Erst  dann  giebt  der  Athener  die  vom  Kreter  gewünschte  Auskunft,  dasz  die  fiifirjatg  xax-q 
vom  Seekampfe  zu  verstehen  sei;  dieser  sei  nämlich  verwerflich,  weil  er  die  wahre  dvÖQsia  schädige 
und  eine  richtige  Verteilung  der  tifiai  nicht  zulasse. 

Bruns  (S.  171)  sagt  von  dieser  Stelle:  ,,Der  Redaktor  citiert  die  These  des  ersten  Buches  von 
der  jtäaa  dQEXf}  und  behauptet,  in  ihrem  Sinne  sei  die  folgende  Bestimmung  gehalten.  Wenig  passend ! 
Denn  gerade  zur  Hebung  der  wahren  dvÖQ&ia  und  ausschlieszlich  der  dvÖQÜa  dient  das  Verbot  des 
Seekampfes."  Hier  hat  Bruns  nicht  beachtet,  dasz  das  Hauptgewicht  an  unserer  Stelle  nicht  auf  dem 
Gegensatze  von  näaa  aQF.rrj  und  dvögeia  ruht,  sondern  daranf,  ob  die  dgeti}  oberstes  Princip  sei, 
oder  irgend  etwas  anderes.  Klinias  und  Megillos  hatten  im  ersten  Buche  behauptet,  der  Krieg  sei 
oberstes  Princip;  der  Athener  hatte  dies  insofern  gebilligt,  als  die  betreffenden  Gesetze  dann  auf  die 
dgetr]  hinzielen  würden,  insofern  sie  aber  nur  auf  einen  Teil  derselben,  die  dvdgüa^  und  nicht  auf 
die  gesarote  dgerr]  hinzielen  würden,  hatte  er  das  Princip  getadelt.  Hiermit  werden  nicht  die  auf 
einen  bestimmten  Teil  der  dgexr}  gerichteten  Einrichtungen  Kretas  als  solche  getadelt,  getadelt  wird 
nur,  dasz  sich  der  Gesetzgeber  auf  Einrichtungen  für  diesen  Teil  der  dgixi}  allein  beschränkt  hat, 
weil  er  die  dgexfj  eben  nicht  als  Selbstzweck  betrachtete,  sondern  weil  ihm  diese  bestimmte  dgexr] 
für  seinen  eigentlichen  Zweck,  die  Kriegstüchtigkeit,  wertvoll  erschien.  Es  liegt  deshalb  nichts  Wider- 
sprechendes darin,  wenn  es  im  folgenden  heiszt:  „Habt  Acht,  ob  ich  vielleicht  etwas  nicht  auf  die 
dgexr]  oder  einen  Teil  der  dgexi]  Bezügliches  ^)  vorschlage",  und  wenn  das  weiter  sich  anschlieszende 
Verbot  des  Seekampfes  ausschlieszlich  mit  Rücksicht  auf  einen  Teil  der  ägerrj,  die  dvögeia,  verfügt 
wird.  Denn  es  ist  doch  etwas  ganz  anderes,  ob  eine  einzelne  Bestimmung  sich  ausschlieszlich  auf  einen 
Teil  der  dgexr]  richtet,  oder  ob  in  einer  Verfassung  ein  bestimmter  Teil  der  dgexi]  um  eines  auszer- 
halb  der  dgexi]  liegenden  Zweckes  willen  alleinige  Berücksichtigung  findet,  wie  dies  bezüglich  der 
kretischen  Verfassung  getadelt  war.  Endlich  ist  die  betreffende  Stelle  des  ersten  Buches  hier  insofern 
sehr  passend  herangezogen,  als  es  sich  hier  wie  dort  darum  handelt,  ob  Kriegstüchtigkeit  oder  dgexi] 
bei  der  Gesetzgebung  das  Maszgebende  sei,  nur  dasz  im  ersten  Buche  die  Anerkennung  der  Kriegs- 
tüchtigkeit als  des  obersten  Maszstabes  die  einseitige  Bevorzugung  der  dvögeia  zur  Folge  hatte,  während 
sie  hier,  beim  Seekampfe,  gerade  eine  Schwächung  der  dvögeia  zur  Folge  haben  würde.  In  beiden 
Fällen  wird  der  Kriegstüchtigkeit  gegenüber  vom  Athener  die  dgexi]  als  der  oberste  Maszstab  geltend 
gemacht. 

Schlieszlich  meint  Bruns  (S.  171),  die  Stelle  707  D  dXka  yäg  dnoßkenovxeg  vvv  jigög  no- 
Xixeiag  dgexi]v  xai  x^^Q^S  <pwJtv  axorcovi^eSa  xal  vöfxwv  xa^iVy  ov  xb  o(a^ea&ai  xe  xai  elvai, 
ftövov  dvdgcoTTOig  xifti(bxaxov  ^yovftfvoi,  xa^dneg  ol  nokkoi,  xb  d'c&g  ßekxiaxovg  yiyvea&ai 
xe  xal  elvac  xooovxov  XQOvov,  oaov  äv  (oatv  etgrjxai  ö'  fiyXv  oliiai  xai  xovxo  iv  xoig 
ngöa&ev,  dürfe  nicht  herangezogen  werden,  um  den  Zusammenhang  des  dritten  Buches  mit  den  ersten 
beiden  Büchern  zu  erweisen;   denn  der  angeführte  Gedanke  finde  sich  in  diesen  beiden  Büchern  nicht. 


»)  In  den  Worten :  lav  äga  xi  ^ir]  ngbg  dgexi]v  xelvov  i]  ngbg  dgexfjg  ftögiov  voiÄO^etcS, 
ist  f*r]  xelvov  auch  zu  Tcgbg  dgexfjg  fiögtov  zu  ziehen,  wie  übrigens  auch  im  folgenden  das  ox(fi  av 
avvex<og  x(av  dei  xaXwv  xc  ^vvenrjxac  ftövov  beweist;  denn  das  x(av  dei  xaXcov  xi  ist  offenbar  mit 
Bezug  auf  das  [xögcov  dgexrjg  gesagt. 


Nun  hat  er  freilich  recht,  dasz  die  Stelle  638  AB,  an  welche  Susemihl  erinnert,  den  hier  aasge- 
sprochenen Gedanken  nicht  enthält.  Dort  heiszt  es  nar,  äuszere  Siege  nnd  Niederlagen  seien  nicht 
ein  Beweis  für  die  Güte  der  Verfassungen  in  den  betreffenden  Staaten ;  und  dieser  Satz  hätte  aller- 
dings wohl  als  Grundlage  für  eine  unserer  Stelle  entsprechende  Folgerung  dienen  können,  doch  ist 
diese  Folgerung  an  jener  Stelle  eben  nicht  gezogen.  Wohl  aber  kann  man  sich,  wie  mir  scheint,  auf 
eine  Stelle  des  zweiten  Baches  berufen.  661  A,  6,  C  wird  ausgeführt,  dasz  es  nach  der  Ansicht  der 
oi  JtolXoi  das  denkbar  höchste  Glück  für  den  Menschen  sei,  wenn  ihm  zu  Reichtum,  Gesundheit  und 
unbeschränkter  Machtstellung  etwa  noch  die  Unsterblichkeit  zuteil  würde,  dasz  dagegen  nach  ihrer 
(des  Atheners  und  der  Mitunterredner)  Ansicht  alles  dieses  nur  für  die  ayadoi  als  gut  betrachtet 
werden  könne,  während  für  die  xaxoi  sogar  das  Leben  selbst  ein  Übel  und  ein  möglichst  schneller 
Tod  das  gröszte  Glück  sei.  Nach  meiner  Meinung  wenigstens  ist  hier  der  in  Frage  stehende  Satz: 
nicht  die  Existenz  für  sich  sei  für  den  Menschen  das  Erstrebenswerteste,  sondern  vielmehr,  so  lange  er 
lebe,  möglichst  gut  zu  leben,  deutlich  genug  ausgesprochen. 

Hiermit  wären  die  von  Bruns  behandelten  Stellen  erschöpft.  Wir  haben  sie  alle  bis  auf  zwei 
vorläufig  noch  nicht  völlig  klar  gestellte  als  durchaus  unverdächtige  Bäckweisungen  auf  die  ersten 
beiden  Bücher  erkannt.  Es  mag  hinzugefügt  werden,  dasz  die  Zahl  dieser  Bückweisungen  sich  noch 
um  eine  von  Bruns  übersehene  veimehren  läszt  —  ich  denke  an  die  Worte  685  B  ^AkXa  f4r]v  del  ye 
fj^iä^  tovTO  h  T(p  vvv  oxojrovvrag  xal  i^ETa^ovtag  negi  vöfiwv,  naü^ovxag  natöiav  ngeaßvTi- 
xfjv  aaxpgövcog,  öiek^Biv  rrjv  öööv  dXvTtcog,  <ag  ^(papiev,  ijvixa  ^Qx6(i£&a  TtOQSÖeaOai,  welche 
zu  beziehen  sind  auf  625  AB. 

Dasz  also  die  beiden  ersten  Bücher  mit  den  folgenden  ein  zusammenhängendes  Ganzes  bilden, 
kann  uns  jetzt  nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Es  bleibt  nur  noch  die  Frage  übrig:  „Wie  haben  wir 
uns  etwa  den  fehlenden  Übergang  vom  zweiten  zum  dritten  Buche  zu  ergänzen?"  Dasz  beide  Bücher 
den  Gedanken,  die  dorischen  Verfassungen  entsprächen  nicht,  den  an  eine  Musterv«rfassung  zu  stellenden 
Ansprüchen,  als  ihre  notwendige  Ergänzung  verlangen,  haben  wir  bereits  gesehen.  Auch  das  sahen 
wir  bereits,  wie  dieser  Gedanke  sich  etwa  an  das  Ende  des  zweiten  Buches  anschlosz.*)  Wir  hätten  also 
nur  noch  zu  untersuchen,  auf  welche  Weise  von  diesem  Gedanken  zam  dritten  Buche  übergeleitet  wurde. 
Für  diese  Untersuchung  giebt  uns  nun  eine  Stelle  des  dritten  Buches  einen  Anhalt.  Da  nämlich  für 
die  Worte  683  E  Baailela  öe  xaxaKvtxai,,  w  TtQög  Jtög,  rj  xai  tig  dgxv  nütnoTS  xaxtXvdr] 
[Äcov  vjtö  TivcDv  äkk(ov  rj  agxov  avrwv ;  rj  vwdrj  ftev  6kiyov  ^[xngoa^sv  rovtotg  iteQirvxdvreg 
toTg  Xöyoig  ovrco  ravt*  kxix^EpiEv^  vvv  d'  kitiXeXtiapiB&a ;  in  dem  uns  vorliegenden  Texte  keine 
Beziehungsstelle  zu  finden  ist,  so  liegt  der  übrigens  schon  von  Bruns  (S.  172)  ausgesprochene  Gedanke 
nahe,  dasz  wir  diese  Stelle  eben  in  der  verloren  gegangenen  Partie  vor  dem  dritten  Buche  zu  suchen 
haben.  Auf  Grund  hiervon  darf  man  vielleicht  eine  Vermutung  wagen  —  etwas  Sicheres  läszt  sich 
natürlich  nicht  ermitteln  — ,  wie  wir  uns  etwa  die  Lücke  vor  dem  dritten  Buche  ausgefüllt  zu  denken 
haben.  Nachdem  erklärt  war,  dasz  die  dorischen  Staaten  dem  an  eine  Mast«rverfassang  zu  legenden 
Maszstabe  nicht  entsprächen,  wurde  folgendermaszen  fortgefahren:  „Welcher  Art  die  Tratd«'«  der  Bürger 
in  einem  richtig  geordneten  Staatswesen  sein  müsse,  das  haben  wir  der  Hauptsache  nach  auseinander- 
gesetzt. Nun  sagten  wir  vorher  (632  C),  dasz  der  Gesetzgeber  um  die  Erreichung  seines  Zieles,  der 
dg^r]  der  Bürger,  zu  sichern,  Wäehter  einsetzen  müszte,  die  als  dQxcci  des  Staates  fungierten.  Zur 
Erfüllung  ihrer  Aufgabe  ist  es  natürlich  notwendig,  dasz  diese  dgxcti  keiner  Veränderung  unterliegen. 
Trotzdem  sehen  wir  jetzt  in  fast  allen  Staaten  eine  Verfassungsform  nach  der  anderen  verfallen.  Glauben 
wir  nun  etwa,  dasz  die  Ursache  dieses  Verfalls  in  den  äuszeren  Verhältnissen  liegt?  Oder  müssen  wir 
nicht  vielmehr  annehmen,  dasz  die  eigene  Verkehrtheit  der  dgxcti  hieran  Schuld  trägt,  indem  sie  für 
sich  selbst  dem  zu  erstrebenden  Ziele  des  Staates,  der  dgexr]^  nicht  entsprechen?"  Hieran  wurde  dann 
der  Vorschlag  geknüpft,  auf  Grund  eines  historischen  Überblickes  über  die  verschiedenen  Staatsbildungen 
von  ihren  Anfängen  an  die  Vorzüge  und  Fehler  derselben  im  einzelnen  nachzuweisen. 

Wie  die  Lücke  entstanden  ist,  läszt  sich  natürlich  nicht  mehr  nachweisen,  nur  soviel  ist  gewisz, 
dasz  Plato  selbst  die  betreffende  Stelle,  mehr  oder  weniger  genau,  ausgearbeitet  haben  musz,  da  sonst 
die  Zurückweisung  auf  sie,  welche  683  E  vorliegt,  undenkbar  wäre. 

Was  endlich  die  Frage  betrifft:  „Wie  stellen  sich  die  im  zweiten  Bache  betreffs  der  [lovaixf] 
gegebenen  Bestimmungen  zu  dem  entsprechenden  Abschnitte  der  Gesetzgebung  für  die  kretische  Kolonie 


1)  S.  25  und  26. 


1 


32 

im  siebenten  Buche?",  so  setzt  eine  erschöpfende  Erörterung  dieser  Frage  die  genaue  Analyse  des  sehr 
verworren  überlieferten  siebenten  Buches  voraus.  Da  eine  solche  aber  Aber  den  Bahmen  der  vorlie- 
genden Abhandlang  weit  hinausführen  würde,  so  werde  ich  mich  auf  eine  kurze  Behandlung  der 
wichtigsten  Stellen>beschränken,  indem  ich  es  übrigens  ganz  dahingestellt  sein  lasse,  ob  und  wie  weit 
dieselbe  durch  eime  eingehende  Analyse  etwa  bestätigt  wird. 

Die  erste  in  Betracht  kommende  Stelle  ist  796  D :  '^Hv  slitov  yvfivaarixrjv  h>  tolg  nQ(btotg 
köyotg  ort  öioc  öte^eX^eiv^  o;c«rföv  öi]  öisk^Xvd^a  ta  vov  xal  ia&^  avtr)  navxBXrjq'  tl  6b  riva 
xa^TTjq  vfisig  ^x^re  ßelriw,  ^ivrsg  etg  xoivbv  kiytre.  Ob  die  vorhergehende  allerdings  etwas 
dürftige  Auseinandersetzung  über  Gymnastik  vollständig  ist,  oder  ob  sie  nicht  vielmehr  durch  die  ans- 
führliche  Behandlung  der  oQX'rjOLg  814  DE  ff.  irgendwie  ergänzt  werden  mnsz,  mag  hier  unentschieden 
bleiben:  jedenfalls  stimmt  der  eben  angeführte  Schluszsatz  über  Gymnastik  mit  dem  Resultate  unserer 
Untersuchung  überein,  insofern  ja  auch  wir  zu  der  Annahme  gelangten,  dasz  die  im  zweiten  Buche 
begonnene  Untersuchung  über  Gymnastik  nicht  wirklich  zu  Ende  geführt  sei.  Wenn  dann  fortgefahren 
wird:  Tb  xoivvv  tovroig  i^rjg  negl  tot  twv  Movoiov  re  xai  'AitökXcavog  6(üQa^  x6xe  ftiv,  wg 
ixTcavxa  slQtjxöxsgy  tßö^e&a  xataXeiTteiv  fiöva  xa  negi  yvfivaaxixijg'  vvv  6^  ^axi  dfjXciy  a  r'  iaxl 
xai  oxi  JtQwxa  ndai  i^rjxia.  XiywfAsv  xoivvv  i^i^g  atxä,  so  geben  die  letzten  Worte  vvv  6'  Maxi  etc. 
nur  dann  einen  Sinn,  wenn  wir  uns  als  Subjekt  zu  dem  a  x*kaxi  mit  Bruns  (S.  90)  aus  dem  vor- 
hergehenden xaxaXeiiteiv  ein  xa  xöxe  x(xxaXu(p^ivxa  ergänzen.  Die  Obersetzung  der  Worte  würde 
dann  etwa  lauten:  „Nun  aber  ist  klar,  was  das  von  uns  Ausgelassene  ist,  und  dasz  es  allen  zuerst  zu 
sagen  ist."  Es  folgt  der  eingehend  behandelte  Gedanke,  dasz  jede  Änderung  der  sogenannten  naiöiai 
sehr  gefahrlich  sei;  denn  eine  Änderung  der  naiöiai  habe  notwendig  eine  Änderung  der  U'vz^*  ^^^' 
Bürger,  und  diese_  wiederum  eine  Änderung  der  vöfioi  zur  Folge.  Besonders  gefährlich  in  dieser  Be- 
ziehung sei  eine  Änderung  derjenigen  naiöialy  bei  denen  es  sich  um  Darstellung  von  Charakteren 
handele,  wie  dies  früher  von  der  [lovaixJi  festgestellt  sei.  Zur  Aufrechterhaltung  einer  unveränderten 
fiovatxrj  erfolgt  deshalb  eine  dem  ägyptischen  Brauche  entsprechende  Weihung  der  Gesänge.  Bruns 
(S.  90)  vermiszt  hier  nun  freilich  den  mit  vvv  d'  l'art  örjXa  etc.  angekündigten  neuen  Gedanken.  „Die 
folgenden  Untersuchungen  (womit  eben  der  zuletzt  analysierte  Abschnitt  gemeint  ist),"  sagt  er,  „be- 
handeln nur  die  Notwendigkeit  einer  staatlichen  Überwachung  der  dichterischen  Produktion  und  eine 
Weihe  der  einmal  acceptierten  Lieder  nach  Art  der  ägyptischen  Sitte:  das  ist  aber  alles  bereits  im 
zweiten  Buche  656  C  behandelt  worden."  Und  es  ist  richtig,  dasz  diese  Forderungen  im  zweiten  Buche 
schon  aufgestellt  waren  —  aber  nur  als  an  den  Gesetzgeber  überhaupt  zu  richtende  Forderungen.  Von 
einer  Weihung  der  Lieder  dagegen  für  einen  bestimmten  Staat  oder  gar  für  die  kretische  Kolonie 
selbst  war,  wie  wir  uns  erinnern,  im  zweiten  Buche  nicht  die  Rede  und  konnte  ja  auch  nicht  die 
Rede  sein.  Eben  diese  nun  wirklich  zum  Gesetz  erhobene  Weihung  scheint  mir  aber  das  Neue  zu 
sein,  auf  welches  die  Worte  vvv  d'  ioxi  drjka  etc.  hinweisen ;  denn  in  ihr  liegt  ein  Punkt  vor, 
welcher,  wie  er  im  zweiten  Buche  selbstverständlich  fehlte,  so  jetzt  bei  einer  wirklichen  Gesetzgebung 
notwendig  hinzugefügt  werden  muszte.  Allerdings  von  „einem  wichtigen  neuen  Gedanken"  über  Musik 
kann  sonach  keine  Rede  sein,  aber  einen  solchen  durfte  man  überhaupt  nach  den  Worten  vvv  6'  iaxc 
dijXa  etc.  nicht  erwarten,  da  seit  dem  zweiten  Buche  nicht  mehr  über  Musik  gesprochen  und  der 
Standpunkt  zu  derselben  also  durchaus  unverändert  geblieben  ist.  Dasz  femer  das  Wunderbare  und 
Ungewöhnliche  der  Sache  797  A  cf.  799  C — 800  B  so  stark  betont  wird,  kann  nicht  auffallen ;  denn 
hei  einer  wirklichen  gesetzlichen  Bestimmung  muszte  dies  ja  viel  mehr  hervortreten  als  bei  der  blosz 
theoretisch  behaupteten  Notwendigkeit  einer  solchen.  Endlich  enthält  der  in  Frage  stehende  Abschnitt 
798  D:  Ti  ovv ;  xoig  iftTtQoa^ev  köyoig  ncaxevoftev,  oig  iXeyouev,  cog  xa  negl  xovg  ^v■^f^ovg 
xal  näoav  ^ovoixrjv  iaxt  xqötkdv  ^imrj^iaxa  ßekriövcov  xal  ajetpörcöv  dvxfgwniov,  rj  Trtög,-  noch 
einen  zweiten  —  und,  soviel  ich  sehe,  durchaus  unverdächtigen  —  ROckweis  auf  das  zweite  Buch; 
und  wenn  Bruns  (S.  127)  sagt,  799  A  werde  der  ägyptische  Brauch  als  etwas  ganz  Neues  eingeführt, 
so  scheint  mir  die  Art  der  Einführung  vielmehr  eine  solche,  dasz  eine  Bekanntschaft  mit  dem  ägyp- 
tischen Brauche  bereits  vorausgesetzt  wird.  Denn  auf  die  Frage  des  Kreters  Tloiag  öfj  XiyBtg;  folgt 
nicht  etwa  eine  Schilderung  desselben,  wie  das  bei  seiner  ei-sten  Einführung  doch  nötig  sein  würde, 
sondern  es  folgt  sogleich  eine  ihm  entsprechende  Bestimmung  für  die  kretische  Kolonie. 

Die  zweite  Stelle,  welche   für  das  Verhältnis  des  zweiten  Buches  zum  siebenten  in  Betracht 


33 

kommt,  ist  812  B.  Tolg  xii^agiataTg  ^ev  roivvv  fjfiäg  öoxw  tcöv  iftJiQOoO^ev  köycav  ävafivrj- 
ad-ivtag  zb  rtQoa^xov  v€l(tai  r^g  re  öiöaaxuliag  afii  xac  rtäaijg  rifg  ntgi  xa  toiavta  nai- 
öevasiog.  KL  Iloicjv  örj  tteqI  kiystg ;  'Ad.  "Etpcmev,  olfiai,  tovg  tov  Jcovvaov  Tcvg  i^rjxov- 
Tovrag  ^)  cJöovg  öiacpeQÖvxwg  evaio^rjTovg  deiv  yeyovivai  negi  re  rovg  ^v^ijovg  xai  rag 
rcSv  dgiiovicov  ovataaeig  etc.  Es  handelt  sich  hier  um  die  dem  xiK^agcarrjg  vorzuschreibende  Art 
des  Unterrichtes,  und  als  Ziel  dieses  Unterrichtes  wird  aufgestellt,  dasz  die  Jünglinge  befähigt  sein 
müszten,  die  von  den  dionysischen  Sängern  vorgetragenen  Musterstücke  auf  der  Lyra  zu  begleiten 
(cf.  812  D  Tovttov  roivvv  dst  xoQcv,  wo  das  tovt(ov  auf  das  unmittelbar  vorhergehende  rcSv  fufifj- 
aecDv  zu  beziehen  ist).  Die  im  zweiten  Buche  getroffenen  Bestimmungen  über  Musik  werden  hiermit 
also  stillschweigend  als  auch  für  die  kretische  Kolonie  gültig  angenommen,  wie  dies  ja  übrigens  nach 
796  E  bei  der  von  uns  gegebenen  Erklärung  zu  erwarten  stand. 

Auffällig  musz  es  freilich  erscheinen,  dasz  bei  dem  angegebenen  Sachverhalte  von  den  im 
zweiten  Buche  eingesetzten  musischen  Chören  bis  auf  die  eben  besprochene  Stelle  812  D  in  der  Gesetz- 
gebung der  kretischen  Kolonie  nirgends  die  Rede  ist.  Doch  hat  dies  vielleicht  —  wenigstens  teil- 
weise —  darin  seinen  Grund,  dasz  834  E,  835  A  nach  Besprechung  der  gymnastischen  Wettkämpfe 
von  einer  gleichen  Besprechung  der  musikalischen  Wettkämpfe  ausdrücklich  Abstand  genommen  wird. 


1)  Mit  dem  i^rjXOVTOVTCg  ist  vielleicht  absichtlich  zur  höchsten  Altersgrenze  für  die  dionysischen 
Sänger  gegriffen,  weil  gerade  die  Ältesten  derselben  es  zur  höchsten  Vollkommenheit  im  Verständnis  der  Masik 
gebracht  haben  muszten. 


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