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Full text of "Altpreussische Monatsschrift Volume 42"

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dtpreussische  Monatsschrift 

Deutsche  Gesellschaft,  Königsberg 


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4 


Altpreussische 

Monatsschrift 


neue  Folge. 


Der 


Neuen  Prsussischen  ProvinziaUBIätter 

ranne  Foiere. 

Herausgegeben 

von 

Rudolf  Reicke. 

Der  Monatsschrift  XLll.  Band.    Der  Provinzialblät'ter  CY111.  Band. 

Erstes  und  zweites  Heft. 

Januar  —  März  1905. 
Mit  1  Karte. 


Königsberg  in  Pr. 
Verlag  von  Thomas  &  Upper  mann. 

(Ferd.  Boyer's  Buchhandlung.) 

1905. 


Abonnetnentspreis  für  den  Jahrgang  Mh\  12,00. 


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Altpreussische 

Monatsschrift 

neue  Folge,  n,  / 

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Der  \fr 

Neuen  Preußischen  Previnaial-Blätter 

fterte  Folge. 

Herausgegeben 

?on 

Rudolf  Reicke. 

Zwelundyierzigster  Band. 
Der  Preußischen  Provinzial-  Blätter  CVIII.  Band. 

Mit  Beiträgen 

TOD 

H.  Bonk,     M.  Brunns,     Q.  Oonrad,     A.  Dfthring,     W.  Feydt,    E.  Joachim, 

Q.  Kraute,   St.  Kujot,    E.  Machholz,   8.  Mendthal,     M.  Perlbach, 
O.  8chftndftrffer,    J.  Sembritzki,    G.   Sommtrfeldt,    A.  Warda,    Wotschke, 

Mit  1  Heliogravüre  und  1  Karte.     / 


Königsberg  in  Pr. 

Verlag  von  Thomas  &  Opperuiaiin. 

(Feld.  B»*yer's  Buchhandlung.) 
1ÜU5. 


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Alle  Rechte  bleiben  vorbehalten.  mW& 

Herausgeber  und  Mitarbeiter. 


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Inhalt. 


I.  Abhandlungen. 

Der   Einfluß   der  ostpreußischen   Eisenbahnen    auf   die  städtischen    und    einige 

andere  Siedelungen.    Von  W.  Feydt.     S.  1—81.    455—520. 
Das  LocTT  iftlfil^JTief  in  historischer  Zeit.     Von  Oberlehrer  Dr.  Eduard  Loch. 

(Mit  1   Plan  cfo*  frischen  Nehrung.  —  Beilage   zum  Programm   des  Alt- 
stadtischen  Gymnasiums xn  Königsberg  i.  Pr.     Ostern  1903.    Programm 

Nr.  10.)    Von  Dr.  Hugo  B*»k.    82-96. 
Insula  inferior.    Von  Max  Brunns.    97— 1Q7. 
Kants   gesammelte   Schriften.    Akademieausgab*     Band    III.     Die   Kritik   der 

reinen  Vernunft.  (1787.^    Band  II.    Von  Otto  Sshöndörf  fer.    108—144. 

558—564. 
Abraham    Culvensis.     Urkunden    zur    Reformationsgeschichte  Lithauens.     Von 

Liz.  Dr.  Wotschke.     153—252. 
Aus    dem   Leben    des    Pfarrers   Christian    Friedrich    Puttlich.     Von    Arthur 

Warda.    253—304. 
Das  Kant-Bildnis  Elisabeths  von  Stägemann.    Von  Arthur  Warda.   305—310. 
Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  und  ihrer  Schule. 

Ein    Beitrag    zur    Geschichte    der    Reformierten    in    Altpreußen.     Von 

Ernst  Machholz.    317—382. 
Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  im  Dezember  1627. 

Von  Dr.  Gustav  Sommerfeldt.    383—396. 
Carl    Ludwig  Bernhard   Gottlieb   v.   Plehwe.      Zu    seinem    Dienstjubiläum    am 

13.  Oktober  1905.     Von  Georg  Conrad.    397—402. 
Rückblick   auf   die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  der  Freunde  Kants. 

Rede    zum    Geburtstage    Kants    gehalten    bei    dem    Bohnenmahle    des 

Jahres  1905  von  Prof.  Alfred  Döhring.    403—432 
Trescho  als  „Deutscher  Yorick".    Von  Johs.  Sembritzki.    433—436. 
Rudolf  Reicke,  ein  Bild  seines  Lebens  und  Schaffens.    Von  Gottlieb  Krause. 

I-XXVIII. 
Emil  Arnoldt.     Von  Otto  Schöndörffer.     521—537. 
Adel   und  Bürgerstand  in  und  um  Memel.    II.    Genealogische  Nachrichten  auf 

Grund  der  Kirchenbücher-Forschung.   Von  Joh.  Sembritzki.    538—557. 

II.  Kritiken  und  Referate. 

Josef  Kolberg,  Ermland  im  Kriege  des  Jahres  1520.  Braunsberg  1905.  Von 
Joachim.     145—146. 

Sebastian  Friedrich  Trescho,  Diakonus  zu  Mohrungen  in  Preußen.  Sein  Leben 
und  seine  Schriften,  dargestellt  von  Johannes  Sembritzki-Memel.  Sonder- 
druck aus  den  Oberländischen  Geschichtsblättern.  Heft  VII.  170  S.  in  s". 
Von  Go/Otieb  Krause.    311—313. 


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Inhalt. 

Bonk,  Hugo,  Dr.,  Geschichte  der  Stadt  Drengfiirt.  Zur  Feier  des  500jährigen 
Stadt -Jubiläums  am  4.  Juli  1905  im  Auftrage  der  Stadt  geschrieben. 
Rastenburg,  Eduard  Ahl,  G.  m.  b.  H.,  1905  (1  Bl.  100  pg.t  8°.  Mit 
4  Abbildungen.     Von  Johs.  Sembrit'.ki.     437—438. 

Dr.  phil.  P.  Westphal.  Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  in  Pommerellen.  Mit 
zwei  Karten  und  einem  Plan.  (Oktav,  S.  7  —  138.)  Danzig  1905.  Daraus 
besonders  die  Kapitel  1—9  (Seite  7—55)  als  Breslauer  Inaugural- 
Dissertation  unter  dem  Titel:  „Die  Frühzeit  des  Klosterterritoriums  in 
Pelplin".     Von  St.  Kujot,  Pfarrer.     438—450. 

General vikar,  Domkapitular,  Dr.  Lüdtke.  Schematismus  des  Bistums  Culm 
mit  dem  Bischofssitz  in  Pelplin.  1904.  Amtliche  Ausgabe.  Dritte  Folge. 
Im  Selbstverlage  des  Bischöflichen  General -Vikariat-Amts  von  Culm 
1904.  «Fortgesetzt  bis  zum  21.  Mai  1905.)  XXVIII.  und  728  S.  Von 
St.  Kujot,  Pfarrer.     450—452. 

Dr.  Romuald  Frydrychowicz.  Die  Culmer  Weihbischöfe.  Ein  Beitrag  zur 
Diözesangeschichte.    Danzig  1905.  (51  S.)    Von  St.  Kujot,  Pfarrer.    452. 


III.   M itteilanfiren  und  Anhang 

Hat    Bütow    ursprünglich    zur    Diözese    Kammin    gehört?      Von    St.   Kujot. 

147—148. 
Die    Memeler    Edelschmiedekunst    und    ihre    Vertreter.     Ergänzungen    zu    dem 

Aufsatze   über  obiges  Thema  in  der  „Altpreuß.  Monatsschrift**  XXXX. 

pg.  522—543.     Von  Johannes  Sembritzki.     148—150. 
Ueber   die    religiöse    Frage.     Von    Amtsgerichts  rat  a.   D.    Mendthal-Memel. 

314—315. 
Nachträge  und  Berichtigungen.     Von  M.  Perlbach.    316. 
Universitäts- Chronik  1905.     150—152.     453—454.     565—567. 
Lyceum  Hosianum  in  Braunsberg  1905.     152.     567. 
A  utoren  -  Register.     568. 
Sach  -  Register.     569—570. 


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Der  Einfluss  der  ostpreussischen  Eisenbahnen 
auf  die  städtischen  und  einige  andere  Siedelungen. 

Von 
W.  Feydt. 

[Fortsetzung.] 
Als  Proben: 

Insterburg. 

Die  Verkehrslage  dieser  Stadt  ist  eine  überaus  günstige. 
Ihr  verdankt  sie  ihre  Bedeutung  von  jeher  und  auch  noch  heute. 
In  Insterburg  beginnt  nicht  nur  die  Pregelschiffahrt,  hier  ist 
auch,  nachdem  sich  alle  fächerartig  zusammenlaufenden  Quell- 
flüsse des  Pregels  vereinigt  haben,  der  letzte  natürliche  Über- 
gang über  den  Fluß.  Hier  mußten  daher  die  Straßen  von 
Nord  und  Süd,  ebenso  wie  die  die  Flußufer  begleitenden,  zu- 
sammenlaufen. Das  haben  die  Landstraßen  getan  und  ihnen 
sind  die  Eisenbahnen  erst  recht  gefolgt.  Insterburg  hatte  also 
von  jeher  regen  Verkehr  und  reges  gewerbliches  Leben  zu  er- 
warten. Aber  die  Richtung  desselben  hat  sich  unter  den  mit 
der  Zeit  veränderten  Verkehrswegen  verändert,  die  Bedeutung 
mit  ihrer  Vermehrung  und  ungleich  höheren  Leistungsfähigkeit 
gewaltig  gehoben.  Insterburg  war  vor  der  ersten  Eisenbahn 
Handelsstadt  mit  industriellem  Anfluge,  heute  ist  es  Industrie- 
stadt mit  einigen  blühenden  Handelszweigen.  Der  ehemalige 
Handel  war  in  erster  Linie  Getreidehandel  (1860  gab  es  34  Ge- 
treidegeschäfte in  der  Stadt);  außerdem  Zwischenhandel  mit 
Material-  und  Kolonialwaren  aller  Art  von  Königsberg  nach  den 
südlich  und  östlich  gelegenen  Städten  der  Provinz.  Beide 
Handelszweige  büßten  ihre  Bedeutung  seit  Eröffnung  der  Eisen- 
bahnen ein,  indem  die  Städte  und  Kreise  ihre  Waren  mit  Eisen - 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    flft.  1  u.  2.  1 


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2  Der  Eiufluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

bahn  von  Königsberg  bezogen  und  ihr  Getreide  direkt  dorthin 
schickten,  (cf.  Weiß,  Pr.  Litt.  u.  Mas.  II,  257.)  Jede  neue 
Eisenbahn  verringerte  zunächst  die  frühere  Handelsbedeutung, 
setzte  aber  regelmäßig  an  deren  Stelle  einen  um  so  größeren 
Aufschwung  der  Industrie.  Aber  allmählich  regte  sich  auch 
wieder  der  Handel.  Seitdem  die  Thorn-Insterburger-Bahn  die 
Ausfuhr  nach  dem  weit  entfernten  Westen  erschlossen  hatte, 
bekam  Insterburg  einen  Teil  der  Bedeutung  als  Stapelplatz  auch 
für  Landesprodukte  zurück,  da  für  so  weit  gehende  Geschäfte 
eine  Zwischenstation  zwischen  Produzenten  und  Verzehrer  not- 
wendig wurde.  Ferner  wurde  die  Auf  Schließung  der  immer  von 
der  Stadt  abhängigen  nächsten  Umgebung,  die  man  unter  dem 
gewaltigen  Zustrom  aus  weiter  entfernten  Gegenden  arg  ver- 
nachlässigt hatte,  jetzt  wo  man  diese  Gebiete  verlor,  energisch 
vorgenommen:  Erst  durch  Chausseen,  dann  durch  Kleinbahnen. 
Wenn  auch  der  Getreidehandel  heute  mit  zehn  Getreidegeschäften 
entschieden  gegen  die  Vergangenheit  zurücksteht,  so  ist  doch 
der  Produktenhandel  ein  recht  lebhafter  geworden.  Ganz  neu 
hinzugekommen  ist  ein  äußerst  gewinnreicher  Handelszweig, 
der  seine  Existenz  lediglich  der  Bahn  verdankt,  und  das  Gesamt- 
bild des  Insterburger  Handels  wegen  seiner  hohen  Blüte  auch 
gegen  frühere  Zeiten  sehr  günstig  erscheinen  läßt:  Der  Vieh- 
handel. 15  Viehhändler  exportieren  heute  aus  Insterburg  nach 
dem  Westen  per  Bahn.  In  den  letzten  20  Jahren  sind  jährlich 
ca.  60000  Stück  Vieh  abgesetzt;  im  Jahre  1902  gingen  sogar 
93  253  Stück  mit  der  Bahn  ab! 

Trotz  alledem  ist  die  Industrie  für  die  Stadt  wichtiger  als 
der  Handel;  sie  umfaßt  heute  23  Arten  von  Unternehmungen 
und  die  Zahl  derselben  einzeln  gerechnet  beträgt  67. 

Insterburg  wird  Station  im  Jahre  1860  mit  der  Eröffnung 
der  Eydtkuhner  Bahn.  Allein  zunächst  erleidet  die  Handels- 
richtung der  Stadt  keine  Veränderung.  Der  Grund  hierfür  ist 
darin  zu  suchen,  daß  die  Bahn  denselben  Weg  einschlägt  wie 
die  Wasserstraße,  auf  der  er  sich  bisher  als  der  einzig  möglichen 
bewegte.     Andere  Ausfuhrwege  aus  der  Provinz  zur  Küste  fehlen 


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Von  W.  Feydt.  3 

auch  nach  1860;  der  neu  geschaffene  bewirkt  daher  keine  Ab- 
lenkung, sondern  zunächst  im  Gegenteil  eine  Vermehrung  der 
Zufuhren,  so  daß  selbst  die  Schiffahrt  von  der  Bahn  anfangs 
Nutzen  hat,  die  die  gewaltigen  Massen  von  Produkten  bei  dem 
vorläufigen  Mangel  an  Betriebsmaterial  so  kurz  nach  ihrer  Er- 
öffnung allein  gar  nicht  bewältigen  kann. 


Es  kommen  an: 

Es  gehen  ab 

1861 

10397  to 

10165  to 

1862 

13  310  -. 

10114  -. 

1863 

15  831  * 

12  848  - 

1864 

:  18  334  -- 

12080  - 

1865 

19  895  * 

11573  * 

1865  folgt  die  Zweigbahn  von  Tilsit  nach  Insterburg.  Was 
an  Getreide  durch  sie  als  Durchgangsgut  für  direkte  Nutzung 
der  Stadt  verloren  geht,  steht  in  keinem  Verhältnis  zu  dem 
Gewinn,  den  die  Verbindung  mit  dem  im  Winter  auf  diesen 
Weg  angewiesenen  reichen  Tilsit  bringt.  Die  Zahl  der  an- 
kommenden Güter  geht  etwas  zurück,  mit  Ausnahme  des  Not- 
standsjahres 1868,  wo  sie  die  außergewöhnliche  Ziffer  995  758  Ztr. 
erreicht  und  die  Eisenbahn  als  Retter  auftritt,  die  Lebensmittel 
aus  anderen  Gegenden  herbeischafft. 

Dagegen  wächst  die  Ausfuhr. 

Es  gehen  ab: 


1865 
1866 
1867 


11573  to 
13  022 

19  718    * 


Gleichzeitig  beginnt  der  Bau  der  ostpreußischen  Südbahn, 
die  in  dem  folgenden  Jahre  bis  Lyck  verlängert  wird.  Sie  ist 
die  erste,  die  ohne  irgend  welchen  Nutzen  den  Handel  durch 
Verlust  der  Lycker  Zufuhren  schädigt.  Die  Zahlen  der  abgehen- 
den Güter  gehen  1868  und  1869  bedeutend  zurück.  Allein  zu 
einem  länger  dauernden  Bückgang  oder  auch  einem  Stillstand 
kann  es  nicht  kommen,  da  schon  einige  Jahre  später  die  Thorn- 


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4  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Insterburger  Hauptstrecke  vollendet  ist.  Sie  wird  für  die  Stadt 
mindestens  eine  ebenso  bedeutende  Strecke  wie  die  Eydtkuhner. 
Denn  sie  erschließt  dem  Handel  einen  neuen  und  äußerst  wich- 
tigen Ausfuhrweg  für  die  ostpreußischen  Landesprodukte  nach 
Mitteldeutschland,  zugleich  aber  bringt  sie  die  Industrie  zur 
vollen  Entfaltung,  die  aus  dieser  Verbindung  mit  dem  eigent- 
lichen Zentrum  der  deutschen  Industrie  andauernd  den  größten 
Vorteil  zieht. 


Es  kommen  an: 

Es  gehen  ab: 

1870:  15580  to 

1870 

23  714  to 

1871:  20968  * 

1871 

24  297  . 

1872:  35445  * 

1872 

22393  . 

1873:  37  284  = 

1873 

28  655  -- 

1874:  57  166  . 

1874 

31353  . 

Auch  die  Verlängerung  der  Tilsiter  Strecke  bis  nach  Memel 
lenkt  immer  größere  Gütermassen  über  Insterburg  und  setzt  es 
mit  einem  neuen  Ausfuhrhafen  in  direkte  Verbindung.  Wichtiger 
noch  ist  die  Bahn  von  Insterburg  über  GoJdap  nach  Lyck,  die 
die  schädliche  Wirkung  der  Südbahn,  was  aus  deren  Klagen  in 
diesen  Jahren  ersichtlich,  aufhebt,  da  sie  den  ganzen  Grenz- 
streifen bis  Lyck  in  zeitgemäße  Verbindung  mit  der  Insterburger 
Industrie  setzt. 


Es  kommen  an: 

Es  gehen  ab: 

1887:  43  623  to 

1877:  20996  to 

1878:  51  144  . 

1878:  22  617  . 

1879:  53  335  . 

1879:  26710  * 

1880:  59  859  . 

1H80:  32179  = 

Unter  dem  Zusammenwirken  aller  dieser  Bahnen  entwickelt 
sich  Insterburg  seit  dem  Jahre  1880  zu  einer  bald  die  20000 
überschreitenden  Mittel-,  für  Ostpreußen  großen  Stadt,  in  der 
die  Industrie  und  der  Handel  obenan  stehen,  die  aber  in  dieser 
Zeit  auch  als  Garnisonstadt  infolge  der  sich  kreuzenden  Eisen- 
bahnen eine  erhöhte  Bedeutung  gegen  die  früheren  Zeiten  be- 
kommt. 


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Von  W. 

Fcydt. 

Es  kommen  an: 

Es 

gehen  ab: 

1883 

61911  to 

1884 

27  059  to 

1884 

64  777  • 

1887 

34259  * 

1886 

74882  * 

1897 

40271  * 

1895 

80615  . 

1898 

47  515  * 

1900 

95601  . 

1901 

44207  » 

Schließlich  kommen  in  neuester  Zeit  noch  die  Kleinbahnen 
hinzu.  Ihre  Eröffnung  hatte  lange  auf  sich  warten  lassen. 
Denn  gleich  nach  Erlaß  des  Gesetzes  vom  Jahre  1892  hatte  die 
Handelskammer  den  Plan,  von  Insterburg  Kleinbahnen  zu  bauen, 
gefaßt,  um  die  Produkte  der  Landwirte  auch  aus  der  über  die 
Kreisgrenzen  hinausgehenden  Umgegend  der  Stadt  hierher  zu 
lenken  und  dieselben  zu  veranlassen,  fortan  ihre  Futter-  und 
Dangemittel  auf  diesem  Wege  zu  beziehen.  Vier  Linien:  nach 
Mehlauken,  Skaisgirren,  Kraupischken  und  Angerburg  schienen 
am  notwendigsten  und  in  der  Rentabilität  durchaus  sicher,  han- 
delte es  sich  doch  überall  um  die  denkbar  fruchtbarsten  Land- 
striebe! Im  nächsten  Jahre  wurde  auch  ein  Komitee  gewählt, 
das  die  Kleinbahnfrage  weiter  fördern  sollte,  allein  bis  zum 
Jahre  1896  war  von  den  Arbeiten  desselben  nichts  zu  spüren. 
Erst  in  diesem  Jahre  erwachte  die  Kleinbahnangelegenheit  durch 
eine  Versammlung  der  Interessenten  in  Insterburg  aus  mehr- 
jährigem Schlummer,  im  Jahre  1897  petitionierten  die  Inster- 
burger  Kaufleute,  die  also  doch  ein  reges  Interesse  daran  haben 
mußten,  um  den  Ausbau  der  projektierten  Strecken,  der  denn 
auch  am  20.  Mai  1898  von  dem  Kreistage  beschlossen  wurde. 
Am  25.  Juni  1900  konstituierte  sich  zu  Königsberg  die 
Insterburger  Kleinbahnaktien-Gesellschaft,  die  den  Bau  und  Be- 
trieb von  Insterburg  nach  Trempen-Lindenhof,  nach  Skaisgirren- 
Mehlauken-Piplin  und  Kraupischken-Ragnit  bezweckte.  Der 
Bau  wurde  auch  alsbald  begonnen.  In  Insterburg  wurde  zwischen 
Stadtpark  und  Staatsbahngeleise  ein  geeigneter  Ort  für  den 
Kleinbahnhof  gefunden,  dessen  Bau  1901  mit  dem  größten  Teile 
der  genannten  Strecken  beendet  war.  Im  Jahre  1902  erfolgte 
Jie  Eröffnung  des  Betriebes  auf  allen  dreien.     Was    man    aber 


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g  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

auch  noch  im  20.  Jahrhundert  in  bezug  auf  die  Beurteilung  von 
Eisenbahnen  erleben  kann,  beweist  der  Kleinbahnbericht  nach 
der  ersten  Betriebszeit:  „Nach  Überwindung  der  ersten  Kinder- 
krankheiten des  Betriebes  und  eines  anfänglich  vorhandenen 
passiven  Widerstandes  eines  Teiles  der  ländlichen  Be- 
völkerung gegen  das  neue  Verkehrsmittel  hat  die  Be- 
nutzung der  Kleinbahnen  sich  in  erfreulicher  Weise  gehoben  und 
wird  der  Wert  der  durch  sie  geschaffenen  Verkehrserleichterung 
allmählich  in  immer  weiteren  Kreisen  erkannt  und  gewürdigt.41 
Die  Kleinbahn  benutzt  in  der  Stadt  den  Zug  der  Gumbinner  Straße, 
wo  sie  die  Bahnhofstraße  schneidet,  am  Hotel  de  Russie  ist  eine 
Haltestelle;  dann  geht  sie  auf  der  Gumbinner  Chaussee  weiter. 
Mehrere  Brückenbauten  über  Angerapp  und  Inster  erwiesen  sich 
als  notwendig  und  haben  wohl  die  Eröffnung  etwas  verzögert. 
Diese  selbst  wurde  am  1.  August  1902  festlich  begangen.  All- 
mählich stellte  sich  jedoch  besonders  für  den  Güterverkehr  die 
Notwendigkeit  der  Anlage  einer  Haltestelle  am  Pregeltor  heraus, 
da  hier  eine  große  Anzahl  industriell  wichtiger  Anlagen  sich  be- 
finden; sie  wird  ohne  Frage  erfolgen,  wiederum  ein  Beweis  dafür, 
in  wie  engem  Zusammenhang  Bahn  und  Industrie  stehen.  Be- 
rechnet doch  die  Spinnereifabrik  ihre  Ersparnis  an  Frachten 
durch  diese  Anlage  auf  2250  Mk.  im  Jahre. 

Im  Zeitalter  der  Eisenbahnen  hat  sich  die  Bedeutung  der 
Schiffahrtsstraße  gewaltig  verändert.  Ehemals  die  einzige  Aus- 
fuhrstraße und  darum  die  Lebensader  des  Insterburger  Handels 
hat  sie  durch  die  Konkurrenz  der  Eisenbahnen  ebenso  wie  durch 
ihre  Versandung  an  Bedeutung  sehr  verloren.  In  den  Jahren 
1867 — 1871  hält  sie  noch  ungefähr  der  Bahn  das  Gleichgewicht, 
dann  aber  verliert  sie  fast  alle  Bedeutung  für  den  Export. 
Zwischen  Staatsverwaltung  und  Stadtverwaltung  entbrennt  des- 
wegen ein  heftiger  Streit.  Der  Staat  geht  zu  weit,  wenn  er 
zeitweise  meint,  Aufwendungen  für  die  Pregelstraße  lohnten 
nicht,  da  sie  lediglich  durch  die  Eisenbahnen  ihre  Bedeutung 
verloren  habe,  dieselben  Schiffahrtsschwierigkeiten  immer  schon 
bestanden  hätten    und  sie    deshalb  konkurrenzunfähig  sei.     Die 


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Von  W.  Feydt.  1 

Handelskammer  geht  zu  weit,  wenn  sie  allen  Rückgang,  den 
einzelne  Handelszweige,  namentlich  der  vor  1860  den  Grund  zu 
Insterburgs  Handelsblüte  legende  Getreidehandel,  seitdem  erlitten 
habe,  lediglich  dem  schlechten  Zustand  der  Wasserstraße  zu- 
schiebt. Jener  berücksichtigt  anfangs  zu  wenig,  daß  einer 
leistungsfähigen  Wasserstraße  noch  immer  Produkte  genug  übrig 
bleiben,  die  sie  ihrer  Natur  nach  trotz  aller  Eisenbahnen  auf- 
suchen müssen;  diese  bedenkt  nicht,  daß  mit  der  allmählichen 
Auf  Schließung  der  Provinz  durch  Eisenbahnen,  selbst  durch  die 
in  Insterburg  kreuzenden,  ein  direkter  Stations Versand  besonders 
des  Getreides  nach  den  Ausfuhrhäfen  oder  nach  dem  Westen 
möglich  geworden  ist,  ohne  Insterburg  als  Zwischenhandelsort 
mehr  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Man  kann  daher  die  Bedeutung  der  Wasserstraße  für 
Insterburg  heutzutage  etwa  folgendermaßen  bezeichnen:  Früher 
der  einzige  Ausfuhrweg,  ist  sie  jetzt  nur  eine  von  vier  möglichen 
für  ein  kleineres,  dafür  aber  viel  intensiver  ausgenutztes  Hinter- 
land; bei  der  Natur  eines  Teiles  der  aus  demselben  zum  Versand 
kommenden  Güter:  Ziegel,  Heu,  Steine,  Getreide,  muß  ihr  im 
guten  Zustande  eine  selbständige  Bedeutung  zugesprochen  werden, 
obwohl  dieselbe  der  der  Eisenbahnen  infolge  der  von  der  Natur 
gesetzten  Schranken  und  bei  dem  dreifachen  Übergewicht  der- 
selben nie  auch  nur  annähernd  gleichkommen  kann. 

Die  Regierung  hat  daher  den  richtigen  Weg  eingeschlagen, 
wenn  sie  es  sich  zum  Ziele  gesetzt  hat,  durch  dauernde  Strom- 
arbeiten den  früheren  Wasserstand  zu  erhalten,  wenn  sie  dagegen 
auf  die  Forderung  der  Insterburger  einen  Kanal  von  Wehlau 
bis  Insterburg  anzulegen  nicht  eingegangen  ist.  In  dem  Werke 
Memel-Pregelstraße  II  p.  516  ff.  finden  wir  folgendes,  aus  einer 
genauen  Kenntnis  und  Erwägung  aller  Umstände  gewonnenes, 
fachmännisches  Urteil:  „Die  Aufwendung  sehr  bedeutender  Geld- 
summen für  die  Förderung  des  Wasserverkehrs  etwa  durch 
Kanalisierung  des  Oberpregels  von  Wehlau  bis  Insterburg  oder 
durch  Anlage  eines  Schiffahrtkanales  auf  derselben  Strecke  wäre 
nach  den  Vorermittelungen  wirtschaftlich  nicht  zu  rechtfertigen.44 


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H  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Betrachten  wir  nun  den  Gang,  den  Handel  und  Industrie 
genommen  haben,  im  einzelnen,  um  an  vielen  Beispielen  den  ganz 
besonders  deutlich  wahrnehmbaren  Einfluß  der  Eisenbahnen 
kennen  zu  lernen! 

Wie  aller  Orten  regte  sich  neues  Leben  in  Insterburg  auch 
schon  vor  dem  Eröftnungstage  der  Bahn.  Schon  der  Bau  brachte 
manchen  Vorteil.  Die  Ziegeleien  erzielten  durch  Lieferung  für 
denselben  schon  1859  ein  sehr  günstiges  Resultat,  wichtiger  war 
es  für  den  Ort,  daß  sofort  Chausseeprojekte  erörtert  wurden,  um 
die  Lage  an  der  großen  Verkehrsader  genügend  auszunützen. 
Die  Chaussee  nach  Tilsit  wurde  fertig  gestellt;  namentlich  nach 
Süden  hin,  nach  dem  reichen  Angerburger  Kreise  strebte  man 
in  den  nächsten  Jahren  Chaussee  zu  bekommen 1).  Die  Zufuhren 
von  Landesprodukten  hoben  sich  mit  der  Bahneröffnung. 
Namentlich  Sämereien  kamen  in  Massen  aus  der  Provinz  und 
wurden  sofort  auf  der  Eisenbahn  fortgeführt.  Das  Angebot 
genügte  nicht  einmal  der  Nachfrage.  Die  vorhandene  Eisen- 
gießerei vermehrte  mit  der  Bahneröffnung  ihre  Arbeitskräfte 
ganz  erheblich,  unausgesetzt  trafen  bei  ihr  Bestellungen  für  land- 
wirtschaftliche Maschinen  ein;  eine  neue  Stärkefabrik  wurde 
schon  1860  gegründet.  Auch  im  folgenden  Jahre  strömten  die 
landwirtschaftlichen  Produkte  in  immer  steigender  Menge  nach 
den  Bahnhöfen  der  Ostbahn,  vornehmlich  nach  dem  Insterburger; 
selbst  die  masurischen  Kreise  verkauften  lieber  nach  Insterburg 
als  direkt  nach  Königsberg.  Die  Eisengießerei  gewinnt  ein 
immer  größeres  Absatzgebiet  in  der  Provinz;  das  Lumpengeschäft 
für  den  Regierungsbezirk  Gumbinnen  konzentriert  sich  immer 
mehr  auf  Insterburg,    wohin  die  Kleinhändler  des  Hinterlandes 


1)  Die  Behauptung  Schmidt«.  Angerburger  Kreis  p.  212:  „Insterburg 
kann  nur  durch  die  projektierte  Tilsit-Insterburg-Angcrburger-Zweigcisenbahn  ein 
wichtiger  Handelsort  für  die  hiesige  (i.  e.  Angerburger)  Gegend  werden,  niemals 
aber,  so  lang  der  Verkehr  der  letzten  nur  durch  Chaussee  vermittelt  wird", 
sollte  sich  bald  nach  Ausbau  derselben  als  trügerisch  erweisen.  Nach  Her- 
stellung der  Südbahn  teilte  Insterburg  freilich  die  Stellung  als  Ausfuhrort  für 
die  Produkte  dieser  (legend  mit  Lötzen,  weniger  mit  Gerdauen. 


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Von  W.  Feydt.  9 

gegen  gute  Zahlung  liefern.  Der  Versand  findet  direkt  nach 
den  Papierfabriken  des  Zollvereins  statt.  Die  Bahn  ermöglicht 
die  fabrikartige  Herstelluug  von  Schuhwaren,  die  nun  in  der 
ganzen  Provinz  abgesetzt  werden.  Die  Tischlerei  sucht  sich 
durch  Aneignung  besserer,  ihr  erst  jetzt  bequem  zugänglicher 
Muster  zu  vergrößern.  Schon  im  Jahre  1862  beschließt  man 
eine  städtische  Gasanstalt  zu  bauen.  Die  Maschinenflachsgarn- 
spinnerei  geht  jetzt  erst  einer  bedeutenden  Zukunft  entgegen, 
wo  sie  das  Rohmaterial  per  Bahn  aus  dem  Oberlande  und  dem 
benachbarten  russischen  Reiche  beziehen  kann.  Aber  auch  die 
Verbindung  mit  Litauen  und  Masuren  wird  besser.  Man  er- 
kennt schon  die  Notwendigkeit  der  Bahnen  dorthin;  vorläufig 
aber  ist  man  zufrieden,  daß  seit  der  Bahneröffnung  in  allen 
Kreisen  der  Chausseebau  eifrig  gefördert  wird.  Die  Kohlen 
für  den  erweiterten  Industriebetrieb  bezieht  Insterburg  schon 
damals  durch  die  Bahn,  allein  man  klagt  über  die  hohen  Frachten. 
Kohlen  werden  von  Insterburg  aus  bis  nach  den  masurischen 
Städten  versandt.  Die  Knochenmühle  verarbeitete  1863  8000  Ztr. 
Knochen ;  die  Flachsspinnerei  wird  erweitert  und  als  sie  abbrennt, 
in  noch  größerem  Maßstabe  aufgebaut.  Da  in  der  Provinz  der 
Flachsbau  nachläßt,  wird  sie  ganz  von  der  Eydtkuhner  Bahn 
abhängig,  die  ihr  aus  Rußland  das  beste  Material  liefert.  Bei  der 
bedeutenden  Bautätigkeit  sieht  sich  das  Baugewerbe  gezwungen, 
den  Kalk  von  weiterher  zu  beziehen.  Die  Bahn  ermöglicht  es, 
in  Schlesien  und  Rüdersdorf  Bestellungen  zu  machen,  während 
die  Schätze  Masurens  wegen  des  schwierigen  Transports  un- 
genutzt bleiben. 

Fünf  Kreis-Chausseen  sind  1863  in  Angriff  genommen,  die 
Nordenburger  ist  fertig,  die  eine  besonders  produktenreiche 
Gegend  aufschließt.  Das  Jahr  1864  bringt  wieder  neue  Industrie: 
Eine  Dachpappenfabrik,  eine  Fabrik  für  Seilerei  und  Hanf- 
gewebe und  eine  Holzschneidemühle,  die  sich  als  äußerst  not- 
wendig erweist.  Der  infolgedessen  steigende  Kohlenbedarf  kann 
nur  durch  die  Bahn  gedeckt  werden,  da  der  Wasserstand  des 
Pregels  zu  niedrig  ist.     Die  Tilsiter  Bahn  erweist  sich  in  dieser 


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10  Der  Einfluß  der  ostpreußiftchen  Eisenbahnen  etc. 

Beziehung  gleich  nach  ihrer  Eröffnung  sehr  nützlich,  nachdem 
schon  ihr  Bau  Nutzen  und  Verdienst  mancherlei  Art  gebracht 
hat.  Im  Jahre  1866  werden  die  folgenden  Bahnen  schon  als 
Verpflichtungen  des  Staates  hingestellt.  Im  Vordergrund  des 
Interesses  steht  natürlich  die  große  Bahn  nach  dem  Westen. 
Man  weiß  den  genialen  Gedanken  der  großen  deutschen  Quer- 
bahn bis  nach  Kassel  vollauf  zu  würdigen,  denn  man  will  eine 
gute  Verbindung  mit  Mitteldeutschland  haben,  die  man  bei 
schlechten  Ernten  dort  und  guten  hier  zu  brillanten  Absatz- 
geschäften, im  umgekehrten  Falle  wie  z.  B.  bei  einer  schlechten 
Kartoffelernte  in  Ostpreußen  zur  Deckung  des  Notbedarfs  be- 
nutzen kann.  Überhaupt  ist  man  der  Ansicht,  daß  die  neuen 
Schienenwege,  namentlich  auch  die  Tilsiter  Bahn  wesentlich 
dazu  beigetragen  haben,  den  Handel  mit  Produkten  des  Acker- 
baues zu  bessern,  indem  sie  den  Vertrieb  des  Getreides  in  die 
ferneren  Gegenden  Deutschlands  zu  weit  besseren  Preisen  er- 
möglichten, als  früher  durch  die  Ausfuhr  zur  See  zu  erreichen 
gewesen.  Außerdem  hat  sich  ein  ganz  neuer  Handelszweig  in 
dem  Absatz  von  Schlachtvieh  nach  dem  Westen,  besonders  nach 
Berlin  eröffnet,  der  in  der  reichen  Umgegend  der  Stadt  in 
kurzer  Zeit  hohe  Bedeutung  gewinnt.  Wenn  nun  eine  Bahn  in 
gerader  Linie  von  Insterburg  nach  Thorn  mit  Anschluß  durch  ganz 
Deutschland  eröffnet  und  der  große  Umweg  der  Ostbahn  ver- 
mieden wird,  wie  andere  Handelsbeziehungen  lassen  sich  da  er- 
möglichen, wie  viel  vorteilhafter  muß  der  Absatz,  wie  viel 
günstiger  die  Lage  der  Industrie  schon  allein  durch  leichteren 
Kohlenbezug  aus  Schlesien  werden?  Soll  diese  Bahn  ein  neues 
Absatzgebiet  erschließen,  so  scheint  doch  die  Aussicht  auf  eine 
Bahn  nach  Lyck  ebenso  verlockend,  da  sie  das  durch  die  Süd- 
bahn zum  Teil  verloren  gegangene  Hinterland  wieder  gibt;  sie 
durchschneidet,  worauf  man  schon  1865  aufmerksam  macht,  vier 
stark  produzierende  Kreise  und  verbindet  vier  Grenzstädte 
direkt  mit  Insterburg. 

In    den    folgenden    Jahren    entwickelte    sich  u.  a.    ein    be- 
deutender Papierhandel.      Vermöge    der    günstigen  Lage  Inster- 


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Von  W.  Feydt.  H 

burgs  als  Eisenbahnknotenpunkt  gelang  es,  in  Papier  und 
Papierwaren  einen  guten  Absatz  nach  auswärts  zu  erzielen  und 
viele  Orte  der  Provinz  von  hier  aus  zu  versorgen.  (Handels- 
kammer 1885.)  Zustände  längst  verklungener  Zeiten  schienen 
wiederkehren  zu  wollen.  Das  Brauereigewerbe,  im  16.  und 
17.  Jahrhundert  der  Hauptnahrungszweig  der  Einwohner,  ge- 
wann nach  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes  eine  immer  höhere  Be- 
deutung nicht  nur  für  die  Stadt,  sondern  auch  für  die  Umgegend. 
In  fünf  Brauereien  werden  um  die  Mitte  der  80er  Jahre 
40000  Hektoliter  Bier  gebraut  und  meist  nach  auswärts  abge- 
setzt! (Jahrbuch  der  Gewerbekammer  1886/87).  Die  Maschinen- 
spinnerei beschäftigte  schon  im  Jahre  1888  300  Arbeiter,  sie 
bezog  ihren  Bedarf,  über  900  000  Kilogramm  jährlich,  bereits 
vollständig  aus  Rußland  über  Eydtkuhnen.  Für  die  Umwand- 
lung des  Geschäftslebens  war  das  folgende  Jahr  ein  deutliches 
Beispiel.  Früher  hing  aller  Gewinn,  aller  Wohlstand  vom  Ge- 
treidehandel ab.  In  diesem  Jahre  liegt  derselbe  infolge  schlechter 
Ernten  und  geringer  Zufuhren  ganz  darnieder.  Aber  die  In- 
dustrie bleibt  trotzdem  nicht  ohne  lohnende  Beschäftigung  und 
der  gute  Absatz  von  Vieh  und  anderen  Produkten  deckt  die 
dringendsten  Bedürfnisse  der  Landwirte,  die  Insterburgs  Haupt- 
käufer sind.  Also  nur  mittelst  der  Eisenbahn  hält  man  sich 
auch  bei  Notlagen  über  "Wasser.  (Handelskammer  1889.)  Das 
Jahr  1890  brachte  eine  neue  Erweiterung  der  Aktienspinnerei; 
es  wurden  neue  Maschinen  angeschafft,  für  725  000  Mk. 
Flachs-  und  Werggarn  versponnen,  97  000  Mk.  Arbeitslöhne 
gezahlt  So  große  Massen  finden  infolge  der  nach  allen 
Seiten  günstigen  Verbindung  dennoch  glatten  Absatz  im  Inlande. 
Die  Ausfuhrhäfen  über  See  nach  dem  Auslande  werden  also 
direkt  gemieden.  Wir  übergehen  weitere  Einzelheiten  und 
geben,  um  nicht  zu  ausführlich  zu  werden,  nur  noch  einen 
Oberblick  über  den  Stand  von  Handel,  Industrie  und  Gewerbe 
im  Jahre  1902,  wo  wiederum  der  Zusammenhang  mit  der  Eisen- 
bahn besonders  berücksichtigt  werden  soll. 

Das  Getreidegesohäft  wird   seine  alte  Blüte  aus  den  schon 


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12  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

angeführten  Gründen  nicht  mehr  erlangen,  es  wird  sich  jedoch 
durch  den  Kleinbahnbau  vergrößern  lassen.  Ein  lohnender 
Export  nach  dem  Westen  auf  der  Thorner  Bahn  wird  immer 
von  den  Frachtsätzen  abhängen;  in  Jahren  mittelmäßiger  Ernten 
dort,  guter  hier  wird  er  eine   hohe  Bedeutung  erlangen  können. 

Die  ganze  Industrie  ist  von  den  Bahnen  schon  um  des 
Kohlengeschäftes  willen  abhängig.  Dieses  hat  durch  die  Aus- 
breitung jener  mit  der  Zeit  eine  selbständige  Bedeutung  erlaugt, 
wenn  auch  die  Versorgung  der  masurischen  Städte  mit  den 
Bahnen  dorthin  aufgehört  hat.  Die  Handelskammerberichte  be- 
tonen ganz  besonders,  daß  fast  aller  Kohlenbedarf  aus  Schlesien 
und  auch  von  Memel,  Tilsit  und  Königsberg  größtenteils  per 
Bahn  kommt. 

Ebenso  sind  die  Bauunternehmer  von  den  Bahnen  ab- 
hängig, die  das  Holz  aus  den  großen  Schneidemühlen,  aus  Tilsit, 
Wehlau  und  Ragnit,  verarbeitet  nach  Insterburg  transportieren. 
Wenns  nach  Passarge  (Aus  balt.  Landen  305,  306)  gegangen 
wäre,  hätte  Insterburg  allerdings  für  den  Holzhandel  noch  eine 
ganz  andere  Rolle  spielen  müssen.  Er  schlägt  eine  Regulierung 
der  Inster,  Kanalverbindung  derselben  mit  der  Memel  und  Re- 
gulierung der  Angerapp  vor.  Wenn  so  das  Rohmaterial  bequem 
aus  Rußland  und  Masuren  nach  Insterburg  kommen  könnte, 
würden  allerdings  die  Bedingungen  zu  einer  mächtigen  Holz- 
industrie und  Handel  gegeben  sein,  da  kein  Ort  so  gut  geeignet 
sein  würde,  die  verarbeiteten  Hölzer  nach  allen  Richtungen  zu 
entsenden  wie  dieser  östliche  Eisenbahnknotenpunkt.  Insterburg 
hat  den  Vorteil  günstiger  Wasserverbindung  nun  einmal  nicht, 
allein  das  Projekt  beweist,  wie  segensreich  ein  richtiges  Inein- 
andergreifen von  Land-  und  Wasserstraße  auch  für  die  gewerb- 
lichen Verhältnisse  dieses  Ortes  werden  könnte,  dem  die  vor- 
handene Wasserstraße  heute  fast  gar  keinen  Nutzen  bringt. 
Die  Maschinenfabriken  erfreuen  sich  in  Insterburg  ebenfalls  in- 
folge des  Eisenbahnknotenpunktes  eines  blühenden  Geschäftes. 
Vom  Viehhandel  ist  schon  oben  berichtet  worden,  wie  er  erst 
durch  die  Eisenbahn   hier    wie    aller  Orten    zur  Blüte   gelangte, 


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Von  W.  Feydt.  13 

aber  auch  der  Pferdehandel  ist  in  dieser  Zentrale  des  rosse-er- 
nährenden  Litauens  natürlich  bedeutend;  befindet  sich  doch 
auch  in  unmittelbarer  Nähe  der  Stadt  ein  Landgestüt.  Im  Jahre 
1896  war  die  Aktiengesellschaft  „Insterburger  Tattersaal"  als  ein 
Verein  für  Abrichtung  und  Verkauf  ostpreußischer  Pferde  ge- 
gründet. Sie  hat  Verbindungen  sehr  weit,  sie  schließt  z.  B. 
1901  und  1902  Lieferungen  für  die  Armeeverwaltung  der  pferde- 
armen Schweiz  ab  und  versieht  auch  das  Königreich  Sachsen 
mit  ßemonten. 

Von  einem  der  ältesten  industriellen  Etablissements,  der 
Aktienspinnerei,  ist  schon  des  öfteren  die  Bede  gewesen,  auch 
von  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Bahn  infolge  des  Bezuges  alles 
Rohmaterials  aus  Rußland.  Diese  kommt  oft  in  Klagen  über 
ungünstige  Frachttarife  zum  Ausdruck.  Eines  ihrer  wichtigsten 
Absatzgebiete  scheint  Schlesien  zu  sein.  Nur  die  günstige  Ver- 
mittlung der  Thorn-Insterburger  Bahn  ermöglicht  überhaupt 
das  Bestehen  des  Unternehmens,  das  der  im  Herzen  der  Webe- 
industrie liegenden  Spinnerei  gegenüber  immer  einen  schweren 
Stand  hat. 

Selbst  die  Brauereien  beziehen  mittelst  der  Bahn  aus  West- 
preußen ihren  Bedarf,  wenn  die  ostpreußische  Ernte  weniger  gut 
ausfällt.  Daß  sie  viel  nach  auswärts  absetzen,  ist  schon  er- 
wähnt. 

In  der  Kognakfabrik  werden  französische  Weine  verarbeitet; 
sie  kommen  wohl  zur  See  nach  Königsberg,  dann  mit  der  Eydt- 
kuhner  Bahn  nach  Insterburg.  Die  Kunststeinfabriken  dringen 
durch  die  vielfach  verzweigten  Provinzbahnen  immer  weiter  vor ; 
eben  dasselbe  läßt  sich  von  der  Dampföfen-,  Dachpappen-  und 
Papierwarenfabrik  sagen.  Eine  Graupen-  und  Grützenfabrik 
benutzt  als  Rohmaterial  Zufuhren  aus  Bußland  und  aus  allen 
Provinzgegenden.  Die  Korbwarenfabrik  bezieht  alles  Material 
aus  andern  Provinzen.  Die  Dampf meiereien  stehen  im  engsten 
Zusammenhang  mit  der  erst  seit  der  Eisenbahnzeit  blühenden 
Viehzucht.  Sie  beteiligen  sich,  so  weit  sie  nicht  am  Orte  selbst 
absetzen,  am  en  gros -Butter  Versand  nach  Berlin. 


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14  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Interessant  ist  es  zn  sehen,  wie  die  Schuhwarenfabrik  die 
Stellung  Insterburgs  als  Knotenpunkt  ausnutzt,  indem  sie  hier 
das  Hauptlager  etabliert  und  in  Tilsit,  Memel,  Osterode,  Lyck, 
Rastenburg  und  Allenstein  Verkaufsstellen  einrichtet. 

Nach  dem  Vorstehenden  erübrigt  sich  wohl  ein  Einzelauf- 
zählen aller  Industriezweige,  auch  die  wichtigsten  größeren 
Handelsgeschäfte  sind  schon  erwähnt.    Der  Zahl  nach  rangieren: 

Viehhändler:  15 
Getreidehändler:  10 
Holzhändler:  8 

Mehlhändler:  5 

Aber  auch  abgesehen  davon,  zeigt  Insterburg  durch  die 
große  Anzahl  von  Agenturen,  von  Kommissions-,  Bank-  und 
Wechselgeschäften  das  starke  Hervortreten  des  gewerblichen 
Lebens.  Den /Verkehr  vom  Geschäft  zur  Bahn  vermitteln  drei 
Speditionsgeschäfte  und  elf  Fuhrhaltereien.  Und  bei  dem 
starken  Fremden-  und  Reiseverkehr  gibt  es  zwei  Handlungen,  die 
lediglich  vom  Absatz  von  Koffern  und  Reiseeffekten  bestehen. 
Man  kann  im  ganzen,  abgesehen  von  den  Geschäften,  die  die 
tägliche  Notdurft  bedingt,  über  80  größere  Geschäfte  in  Inster- 
burg aufzählen. 

Weil  aber  in  Insterburg  die  Industrie  eine  so  große  Rolle 
spielt,  wie  verhältnismäß  in  keiner  anderen  Stadt  Ostpreußens, 
ist  es  von  Interesse,  auch  auf  die  Verhältnisse  des  Kleingewerbes 
einen  besonderen  Blick  zu  werfen.  Im  allgemeinen  ist  seine 
Lage  nicht  günstig.  Mehrere  Gewerbeklassen  gehen  durch  die 
Industrie  dem  Untergang  entgegen;  einzelne  halten  sich  jedoch 
und  zwar  die,  in  deren  Natur  es  liegt,  den  Einzelbedarf  zu  be- 
friedigen; hier  sind  die  Fabriken  nicht  nur  nicht  konkurrenz- 
unfähig, weil  sie  nur  in  Massen  und  für  Massen  arbeiten,  sondern 
bei  erhöhtem  Wohlstand  und  durch  das  Anwachsen  der  Be- 
völkerung wirken  sie  sogar  nutzbringend  auch  auf  das  Klein- 
gewerbe zurück. 

Die  Gewerbekammer  rechnet  nach  dem  Jahresberichte  von 
1903  hierzu:  Die  Barbiere,  Buchdrucker,  Konditoren,  Dachdecker, 


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Von  W.  Feydt.  15 

Fleischer,  Glaser,  Installeure,  Klempner,  Maurer  und  Zimmer- 
leute, Maler  und  Lackierer,  Sattler,  Schmiede,  Tischler,  Töpfer 
als  Kunsthandwerk,  Uhr-  und  Goldmacher;  während  Böttcher, 
Buchbinder,  Drechsler,  Färber,  Gerber,  Korbmacher,  Kürschner 
und  Hutmacher,  Müller,  Seiler,  Segelmacher,  Schmiede,  Schuh- 
macher, Stellmacher  keine  Aussicht  auf  erfolgreiche  Konkurrenz 
haben. 

Wir  haben  dieBahnen  bisher  nur  im  anmittelbaren  Zusammen- 
hang mit  dem  gewerblichen  Leben  betrachtet ;  bei  der  hohen  Be- 
deutung, die  sie  für  Insterburg  haben,  ist  es  wohl  nicht  unangebracht, 
wenigstens  einige  Notizen  über  ihre  Entstehungsgeschichte  und 
ihren  Zentralpunkt,  den  Insterburger  Bahnhof,  zu  geben,  zumal 
sich  auch  hier  noch  manche  Beziehungen  sowohl  zur  Verkehrs- 
lage als  auch  zu  den  Bedürfnissen  und  Wünschen  der  Gewerbe- 
treibenden ergeben  werden. 

Am  6.  Juni  1860  war  in  Gegenwart  des  damaligen  Prinz- 
regenten, späteren  Kaisers  Wilhelm  die  Eydtkuhner  Strecke 
festlich  eröffnet  und  frohe  Hoffnungen  für  die  Zukunft  knüpften 
sich  an  diesen  Tag. 

Einen  Augenblick  freilich  konnte  man  denken,  die  Ostbahn 
sollte  Insterburg  nicht  weitere  Bahnverbindungen  bringen,  wird 
doch  an  verschiedenen  Stellen  geäußert,  daß  man  die  Station 
Norkitten  zum  eventuellen  Ausgangspunkt  der  dereinstigen  Fort- 
führung der  Bahn  nach  Tilsit  auserlesen  habe.  (Sattler,  die 
Kgb.-Eydt.  Eisenb.  p.  54;  A.  Ferne  1.  c.  p.  34,  35.)  Allein  hier 
spukte  wohl  die  Idee  einer  Staatsbahn  über  Tilsit-Tauroggen 
nach,  an  der  man  festhielt,  auch  nachdem  die  Ostbahn  über 
Insterburg  und  Eydtkuhnen  gebaut  worden  war.  Daß  der  Staat 
die  Bahn  nach  Tilsit  zunächst  nicht  bauen  würde,  war  dort  am 
frühesten  Gewißheit,  und  vom  ersten  Augenblicke  an  hatten  die 
Tilsiter  für  eine  Privatbahn  Propaganda  gemacht.  Sie  ging 
natürlich  nicht  nach  der  bedeutungslosen  Station  Norkitten, 
sondern  nach  der  Stadt  Insterburg.  Im  Februar  1862  glaubte  man 
dort  freilich  noch,  der  Handelsminister  hätte  beschlossen,  den 
Bau   der    Bahn    aus  Privatmitteln  nicht  zu    gestatten,    sondern 


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16  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

diese  aus  Staatsmitteln  auszuführen.  Allein  nicht  lange  darauf 
war  der  Bau  der  Bahn  von  Tilsit  nach  Insterburg  durch  eine 
Privatgesellschaft  gesichert.  (Zeit.  d.  Ver.  deutscher  Eisenbahn- 
verwaltungen 1862  p.  132).  Ihre  Bauzeit  fiel  noch  zusammen  mit 
der  letzten  Vervollständigung  des  Insterburger  Staatsbahnhofs, 
dessen  Empfangsgebäude  erst  1864  definitiv  vollendet  wurde,  auf 
dem  schon  damals  ein  Zwischenperron  eingerichtet  werden  mußte 
und  der  Hauptperron  zum  Anschluß  an  die  Bahn  von  Tilsit  her 
nach  Osten  verlängert  wurde.  Damit  war  die  Führung  der  Strecke 
um  die  Ostseite  der  Stadt  herum  gegeben.  Die  Terrainverhält- 
nisse können  hierfür  nicht  ausschlaggebend  gewesen  sein.  Die 
so  angelegte  Privatbahn  mußte  erst  die  Angerapp,  dann  die 
Inster  und  deren  niedriges  Tal  überschreiten,  ehe  sie  den  nörd- 
lichen Höhenrand  erreichte.  Zwischen  Althof  und  Georgenburg- 
kehlen  hätte  man  nur  einen  Flußlauf  zu  überschreiten  brauchen. 
Vielleicht  wurde  aber  die  Eisenbahnbrücke  als  Schiffahrtshindernis 
gefürchtet,  vielleicht  wollte  auch  die  Privatbahn  die  dann  not- 
wendige Mitbenutzung  der  Staatsbahngeleise  vermeiden.  Kei- 
bungen  schienen  zu  bestehen.  Der  Kronprinz,  den  man  zur 
Eröffnungsfeier  eingeladen  hatte,  erschien  nicht;  wohl  aber  nahm 
der  Oberpräsident  an  ihr  teil,  während  Herr  v.  Simpson-Ge- 
orgenburg als  Präsident  des  Verwaltungsrates  die  festliche  An- 
sprache hielt. 

Die  siebziger  Jahre  brachten  sodann  die  beiden  Staatsbahnen 
nach  Süden  und  Südwesten.  Infolge  dieser  Richtungen  machte 
ihre  Heranführung  an  die  Stadt  keine  erheblichen  Schwierig- 
keiten. Die  Tilsiter  Bahn  hatte  sich  in  der  Zwischenzeit  nicht 
gerade  glänzend  rentiert,  und  man  hörte  jetzt,  wo  inzwischen 
der  Staat  auch  die  Strecke  nach  Memel  gebaut  hatte,  lebhaft 
die  Frage  erörtern,  ob  nicht  der  Staat  sie  ankaufen  würde. 
(Insterb.  Zeit.  1875).  Diese  Verstaatlichung  erfolgte  im  Jahre  1884 
und  wurde  auch  von  den  Insterburgern  als  ein  Vorteil  begrüßt, 
da  sich  manche  Verteuerungen  und  Schwierigkeiten  aus  dem 
uneinheitlichen  Betriebe  auf  der  Memeler  Strecke  ergeben  hatten. 
Besonders  hoffte  man  eine  Abstellung  lokaler  Übelstände  schneller 


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Von  W.  Feydt.  17 

zu  erreichen,  nachdem  nun  alle  im  Bahnhof  Inster  bürg  einlaufenden 
Linien  Staatseigentum  waren.  Der  Hauptübelstand  war  die  Lage 
des  Güterbahnhofes  auf  der  Südseite  des  Bahngeleises,  die  einen 
weiten  Umweg  notwendig  machte.  Man  petitionierte  schon  1883 
um  eine  Fußgängerüberführung  zur  Beseitigung  dieser  Un- 
bequemlichkeit und  forderte  die  Verlegung  der  Güterexpedition 
auf  die  Nordseite.  Allein  die  Erfüllung  dieser  Wünsche  ließ  sehr 
auf  sich  warten.  In  der  nächsten  Zeit  setzte  ein  neues  Bahn- 
projekt die  Handelswelt  in  Aufregung.  Eine  Bahn  sollte  von 
Angerburg  nach  Korschen  gehen.  Die  Handelskammer  pro- 
testierte dagegen ;  man  war  zwar  für  eine  Bahn,  aber  nicht  nach 
Korschen,  sondern  von  Nordenburg  nach  Kl.  Gnie,  besser  noch 
nach  Bokellen,  natürlich  um  eine  Ablenkung  des  Verkehrs  von 
Insterburg  zu  verhüten.  Diese  in  der  natürlichen  Lage  Inster- 
burgs  nicht  begründete,  eigennützige  Eisenbahnpolitik  hat  denn 
auch  keinen  Erfolg  gehabt,  und  die  Linie  ist  später  doch  von 
Gerdauen  nach  Angerburg  um  Insterburg  herum  gebaut  worden. 
In  einer  anderen  Angelegenheit  setzten  die  Insterburger  aber 
ihren  Willen  durch.  Der  Tagesschnellzug  von  Berlin  ging  in 
den  Wintermonaten  nur  bis  Königsberg.  Man  forderte  seine 
Weiterführung  bis  Insterburg.  Die  Eisenbahndirektion  meinte, 
der  Zug  würde  dabei  nicht  auf  seine  Kosten  kommen.  Aber  die 
Handelskammer  setzte  es  durch,  daß  er  in  den  Winterfabrplan 
18X8/89  wenigstens  probeweise  eingestellt  wurde.  Er  bewährte 
sich  und  bewies,  wie  sehr  die  Verkehrsverhältnisse  in  der  Stadt 
sich  gehoben  hatten.  Namentlich  waren  auch  die  Geschäfts- 
beziehungen zu  Schlesien  so  lebhaft  geworden,  daß  ein  direkter 
Anschluß  nach  Breslau  in  den  achtziger  Jahren  Notwendigkeit 
wurde.  Als  er  hergestellt  war,  äußerte  sich  die  Handelskammer 
sehr  befriedigt  darüber.  Vor  allem  aber  wurden  auch  durch 
die  1890  erfolgende  Herabsetzung  der  Frachten  für  weite  Güter- 
transporte die  Bedingungen  für  Ausfuhr  auf  der  Thorn-Inster- 
burger  Bahn  viel  günstiger.  Die  Bahnhofsverhältnisse,  in  denen 
trotz  aller  Vorstellungen  und  Klagen  keine  Änderungen  ein- 
traten,   wurden    denn    doch    mit  der  Zeit    so    unerträglich,    daß 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Uft.  1  u.  2.  2 


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18  Der  Einfluß  der  oet preußischen  Eisenbahnen  etc. 

schließlich  1899  die  Fußgängerüberführung  vom  Empfangsgebäude 
nach  dem  Gütersohuppen  fertiggestellt  und  dem  Verkehr  über- 
geben wurde.  Damals  aber  waren  die  Übelstände  über  diesen 
einen  schon  bedeutend  herausgewachsen  und  wurden  von  der 
Fachbehörde  selbst  anerkannt.  Ein  Umbau  des  ganzen  Bahnhofes 
erwies  sich  nämlich  von  Jahr  zu  Jahr  al9  eine  dringendere  Not- 
wendigkeit. Die  ganzen  Anlagen  hatten  sich  als  in  jeder  Be- 
ziehung unzureichend  herausgestellt.  Der  Verkehr  war  ihnen 
über  den  Kopf  gewachsen.  Welche  Dimensionen  hatte  er 
aber  auch  angenommen!  Täglich  drängten  sich  hier  58  Per- 
sonenzüge auf  bestimmte  Tagesstunden  zusammen;  wollte  man 
nach  einem  Personenzuge  auf  dem  dritten  Geleise,  so  mußte 
man  über  das  erste,  auf  dem  der  D-Zug  heranbrausen  sollte. 
Es  gab  keine  Überführung,  auch  keine  Unterführung;  die  Gefahr 
war  groß  und  Verspätungen  bei  der  Umständlichkeit  der  Post- 
paket- und  Gepäckverladung  fast  unvermeidlich.  Jede  /  noch  so 
geringe  Betriebsstörung  mußte  sich  hier  aber  doppelt  und  drei- 
fach bemerkbar  machen.  Unzulänglich  war  auch  das  Empfangs- 
gebäude, in  dem  die  Schalterhalle  und  namentlich  die  Eingänge 
nach  dem  Bahnsteig  und  der  Stadt  zu  enge  waren. 


Es  gingen  ab: 

1860 

:   26496  Personen 

1870 

.   65462 

1880 

138745 

1890 

215722 

1902 

.  217786 

Am  empfindlichsten  wurden  jedoch  die  Verkehrsinteressen 
durch  die  Unzulänglichkeit  des  Güterbahnhofs  getroffen.  Ein 
Verkehr  von  täglich  20  einlaufenden  und  ebenso  viel  abgehenden 
Güterzügen  sollte  auf  einem  Baume  bewältigt  werden,  wo  die 
Rangierfläche  zu  klein,  die  Zahl  der  Rangiergeleise  zu  gering 
war.  Natürlich  waren  sie  überfüllt,  die  Züge  festgefahren,  so 
daß  das  Ausrangieren  sich  erheblich  verzögerte.  Empfänger  von 
Ladungen,  denen  Waggons  morgens  avisiert  waren,  erhielten  sie 


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Von  W.  Feydt.  19 

erst  am  späten  Nachmittag  laderecht  gestellt,  wenn  es  zum  Entladen 
zu  spät  war.  Auch  im  rechtzeitigen  Abgange  der  beladenen  Wagen 
entstanden  Verzögerungen  wegen  Raummangel,  in  beiden  Fällen 
der  Handelswelt  Schaden  und  Nachteil.  Ein  Wunder  war  es  frei- 
lich nicht,  hatte  man  doch  den  Verkehr  von  Jahr  zu  Jahr  an- 
schwellen sehen,  ohne  Veränderungen  zu  treffen.  Eine  letzte  Ver- 
größerung des  Rangierbahnhofes  fand  freilich  1879  unter  Ein- 
wirkung der  masurischen  Zu-  und  Durchfuhren  statt,  allein  während 
es  sich  1879  um  einen  Versand  von  128/4  Millionen  Kilogramm  und 
einen  Empfang  von  ca.  33  Millionen  Kilogramm  handelte,  waren 
1899  358/ö  und  108  V?  Millionen  Kilogramm  daraus  geworden. 
Und  dabei  war  der  sehr  starke  Viehverkehr  nicht  mitgerechnet. 
Der  Frachtverkehr  hatte  sich  also  mehr  als  verdreifacht!  ! 
Ein  Sturm  von  Petitionen,  den  alle  diese  Übelstände  hervor- 
riefen, führte  schließlich  zu  dem  Resultate,  daß  die  Regierung 
sich  zu  einer  Erweiterung  des  Bahnhofs  entschloß.  Die  Gesamt- 
kosten sind  nach  dem  letzten  Eisenbahnetat  auf  1175  000  Mk. 
veranschlagt.  Die  Zeit  wird  also  bald  herankommen,  wo  auch 
die  unhaltbaren  Zustände  hier  ein  Ende  finden  und  Insterburg 
einen  seinem  Verkehr,  namentlich  aber  den  glänzenden  Ein- 
nahmen aus  demselben,  entsprechenden  Bahnhof  erhält.  Seitdem 
am  1.  Mai  1900  ein  neues  D-Zugpaar  auf  der  Strecke  Insterburg- 
Thorn-Berlin  eingelegt  war,  um  die  einst  beanstandeten,  jetzt 
aber  äußerst  überlasteten  D-Züge  über  Königsberg  etwas  zu 
entlasten,  steigerte  sich  der  Personenverkehr  recht  auffallend  in 

den  letzten  Jahren: 

1900:  254  709  ab 

1901:  270  639    * 

1902:  271786    * 

Auf  der  Lycker  Strecke  hatte  sich  der  Verkehr  so  ent- 
wickelt, daß  die  Handelskammer  am  Umwandlung  in  eine  Voll- 
bahn petitionierte  und  sich  mit  den  interessierten  Kreisvertretungen 
und  Magistraten  dieserhalb  in  Verbindung  setzte. 

Man  glaubt  es  kaum,  aber  es  ist  eine  Tatsache,  daß  Inster- 
burg heute  aas  dem  Personen-,  Gepäck-  und  Viehverkehr  höhere 


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20  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Einnahmen  zieht  als  aus  dem  Güterverkehr.     Die  vergleichenden 
Summen  für  1883  und  1902  geben  folgende  Tabelle. 

Bruttoeinnahme  1883  1902 

a)  Pers.-,   Gepäck-,  Viehverkehr:     658  406  Mk.        1122  761  Mk. 

b)  Güterverkehr: 783  944     * 945  751     * 

Sa.  1442  350  Mk.        2068  512  Mk. 

Daß  hierbei  die  Einnahmen  aus  dem  Güterverkehr  nur  so 
gering  gestiegen  sind,  obwohl  er  sich  verdreifacht  hat,  ist  nur 
ein  Beweis  für  das  Gesetz,  daß,  je  stärker  der  Güterverkehr 
wird,  je  billiger  die  Frachten  und  relativ  geringer  damit  die 
Einnahmen  der  Eisenbahn  werden. 

Mit  der  Besprechung  der  Bahnhofsverhältnisse  ist  bereits 
das  äußere  Stadtbild  berührt.  „Insterburg  ist  eine  verhältnis- 
mäßig nicht  alte  Stadt  und  begann  erst  seit  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts aus  den  Grenzen  einer  Landstadt  herauszuwachsen " 
(Woerl,  Führer  p.  3  ff.),  allein  wie  bei  Allenstein  begann  erst 
mit  der  Eisenbahnzeit  die  schnelle  Entwickelung;  und  ebenso 
wie  dort,  wenn  auch  allmählicher,  ist  die  Stadt  auf  den  Bahn- 
hof und  die  Strecke  nach  Süden  heraufgewachsen;  hat  sie  die 
bisherige  Entwickelung  um  den  Fluß  herum,  an  dem  sie  lag, 
aufgegeben  oder  wenigstens  in  ihr  bedeutend  nachgelassen.  In 
der  „Pr.  Lit.  Zeitungu  finden  wir  aus  dem  Jahr  1865  (Nr.  104 
Beilage,  d.  4.  5.)  folgende  Notiz:  „Es  ist  interessant  zu  be- 
obachten, wie  unsere  Stadt  seit  der  Eröffnung  der  Eisenbahn 
sich  mehr  und  mehr  nach  dem  Bahnhofe  hin  erweitert,  und  die 
dorthin  führenden  Straßen,  Bahnhofs-  und  Gartenstraße,  mit 
Häusern  sich  bedecken,  während  in  früheren  Zeiten  die  Stadt 
sich  hinab  nach  dem  Flußhafen  ausgedehnt  hat."  Tilsit  wird 
an  anderer  Stelle  dagegen  stabil  genannt.  „Wo  gestern  noch 
Kohlköpfe  standen,  erheben  sich  heute  bereits  mehrstöckige 
Gebäude  mit  grünen  Gärtchen  und  den  schönsten  Blumen44. 
Eine  Schilderung  vom  Jahre  1885  sagt:  „Die  Vorstadt  nach 
dem  weit  entlegenen  Bahnhof  zu  ist  zwar  noch  recht  lückenhaft, 
bietet  aber  eine  Reihe  sehr  schöner,   stattlicher  Straßen  dar,  die 


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Von  W.  Feydt.  21 

zum  Teil  als  Villenstraßen  bezeichnet  werden  können.  Inster- 
burg  hat  nach  Königsberg  entschieden  am  meisten  großstädischen 
Charakter."  (Ostpr.  Skizzen.  Grenzboten  1885).  Die  folgenden 
Jahrzehnte  haben  dafür  gesorgt,  daß  diese  Lücken  sich  fast  aus- 
nahmslos gefüllt  haben.  Die  Schilderung  aber  entspricht  auch 
heute  noch  den  Verhältnissen.  So  schöne  Straßen  wie  die 
Wilhelmstraße  in  Insterburg  finden  wir  tatsächlich  kaum  in  den 
neuesten  und  vornehmsten  Teilen  Königsbergs,  von  den  anderen 
Städten  ganz  zu  schweigen.  Auch  von  der  Eisenbahn  aus  macht 
die  Stadt,  die  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  um  ihrer  Industrie 
willen  als  häßlich  verschrieen  war,  einen  sehr  freundlichen  Ein- 
druck. Man  schaut  auf  die  neuen,  schönen  Straßen  herab,  aus 
denen  sich  eine  Anzahl  stattlicher  öffentlicher  Gebäude  höher 
erheben,  und  über  den  zierlichen  Kleinbahnhof  hinweg  auf  das 
Grün  des  Stadtparkes,  um  den  z.  B.  Gumbinnen  die  Nachbar- 
stadt beneiden  könnte. 

Diese  setzt  sich  als  Siedelung  aus  vier  deutlich  von  ein- 
ander durch  Lage,  Erscheinung  und  Bewohner  zu  unterscheiden- 
den Teilen  zusammen;  Aus  dem  alten  Kerne  zwischen  Angerapp, 
Schloßteich  und  auf  dessen  Westseite  bis  zum  Gawehnschen 
Teiche  bis  zur  Linie  der  reformierten  Kirohenstraße  reichend. 
Es  ist  das  Handels-  und  Industriegebiet  Insterburgs.  Namentlich 
am  alten  Markt  liegt  ein  Geschäft  neben  dem  andern.  Man 
merkt  dem  Stadtteil  sein  höheres  Alter  an,  ohne  daß  er  darum 
ohne  zeitgemäße  Veränderung  geblieben  wäre.  Noch  aus  neuester 
Zeit  meldet  ein  Insterburger  Blatt:  „Unser  alter  Markt  hat  in 
den  letzten  Wochen  ein  völlig  verändertes  Aussehen  angenommen. 
Er  ist  nämlich  um-  und  neugepflastert  und  fast  sämtliche  am 
alten  Markt  liegenden  Geschäftshäuser  haben  Erneuerungsbauten 
vorgenommen.  Besonders  viel  Schaufensterbauten  (großstädtische 
Auslagefenster  statt  der  früheren  kleinen  bescheidenen)  sind 
vorgenommen."     (Ostpr.  Tagebl.  1902,  Ende  August). 

Die  Eeitbahnstraße  bezeichnet  die  Ansatzstelle  des  neuen 
Teiles.  Das  Gebäude,  nach  dem  sie  heißt,  wurde  1794  vom 
Fiskus    erbaut   und  lag  am  Ende  des  Goldaper  Tores,    wo  die 


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22  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Stadt  einst  aufhörte.  Dieser  neue  Teil  reicht  bis  zum  Bahnhof 
und  ist  ein  ausschließliches  Produkt  •der  Eisenbahnen,  er  ist  der 
schönste  und  für  die  Stadt  der  nächst  wichtigste.  Die  Bahn- 
hofstraße dient  in  erster  Linie  dem  Durchgangsverkehr,  hat  aber, 
da  auch  mannigfache  Läden,  öffentliche  Gebäude  und  industrielle 
Anlagen  in  ihr  liegen,  keinen  einheitlichen  Charakter.  Daher 
ist  sie  auch  lange  nicht  so  schön,  wie  die  Wilhelmstraße  mit 
ihren  Zugängen  und  Seitenstraßen.  Hier  reiht  sich  Wohnhaus 
an  Wohnhaus,  sie  ist  auch  breiter  und  zeigt  kein  Geschäfts- 
leben. Es  ist  das  vornehme  Viertel  der  Stadt;  hier  wohnen  die 
Zivil-  und  Militärbeamten.  Den  dritten  Stadtteil  macht  die 
Vorstadt  aus:  An  der  Königsberger  Chaussee  und  nach  dem 
Stadtpark  und  der  Bahn  zu:  Viel  neue  Häuser,  aber  mehr  Miets- 
kasernen, der  Stadtteil  für  kleine  Leute.  Schließlich  kommen 
die  um  die  Stadt  herumliegenden  Gebäudekomplexe:  Die 
Kasernements,  die  Strafanstalt  und  das  Landgestüt  als  ein  eigener 
Stadtteil  hinzu,  der  freilich  nicht  in  sich  geschlossen  ist,  ebenso- 
wenig sich  aber  der  eigentlichen  Stadt  irgendwie  fest  an- 
gliedern ließe. 

Das  ist  vielleicht  der  auffallendste  Gegensatz  zwischen 
Insterburg  und  Alienstein.  Dort  das  Militär  überall  hervor- 
tretend, hier  abseits  liegend.  In  Alienstein  imponieren  am 
meisten  diese  mächtigen  Kasernements,  auf  die  man  von  der 
Bahn  herabsieht;  in  Insterburg  kann  man  sich  Stunden  lang 
bewegen,  ohne  auch  nur  eine  Kaserne  zu  sehen  zu  bekommen. 
Dort  trifft  man  allenthalben  Soldaten,  hier  nur  ausnahmsweise 
und  dabei  hat  die  Stadt  doch  1900  2667  Mann  Garnison.  Im 
Gegensatz  zu  Allenstein  sind  auch  die  öffentlichen  Gebäude 
recht  gleichmäßig  in  der  Stadt  verteilt.     Es  liegen: 

1.  im  alten  Kern  12 

2.  im  neuen  Stadtteil  13 

3.  in  der  Vorstadt  3 

4.  abseits  der  Stadt       6 

Das  entspricht  den  Größenverhältnissen  der  einzelnen  Teile. 
Auch  ließe  sich  hier  eine  Klassifikation  der  Gebäude  nach  ihrer 


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Von  W.  Feydt.  23 

Lage  in  den  verschiedenen  Teilen  nicht  durchführen.  Die  Alt- 
stadt hat  im  allgemeinen  ihre  volle  Bedeutung  behalten,  in 
Alienstein  ist  sie  zwar  auch  der  vorzugsweise  Sitz  des  Geschäfts- 
lebens, aber  sie  ist  hinter  dem  Bahnhofsstadtteile  entschieden 
an  Gesamtbedeutung  zurückgeblieben.  Der  Unterschied  liegt 
darin,  daß  Allenstein  mehr  Beamten-,  Insterburg  mehr  Handel- 
und  Industriestadt  ist.  Auf  die  Verteilung  der  Bevölkerung  ist 
bei  den  verschiedenen  Stadtteilen  schon  hingewiesen,  aber  wenn 
sich  auch  natürliche  Sonderungen  durch  den  Beruf  ergeben,  so 
sind  sie  doch  hier  lange  nicht  so  schroff  wie  bei  Allenstein. 
Namentlich  verteilen  sich  die  Wohnungen  der  Gewerbetreibenden 
auf  die  ganze  Stadt  und  auch  die  Hotels,  die .  in  ihrer  Lage  so 
deutlich  das  Verkehrsleben  wiederspiegeln,  sind  gleichmäßig 
durch  die  ganze  Siedelung  verteilt. 

Königsberg. 

Königsberg  ist  mit  vollem  Recht  die  Hauptstadt  der  Provinz. 
Keine  andere  Stadt  kann  sich  einer  so  günstigen  Verkehrslage 
rühmen.  Königsberg  ist  darum  auch  ganz  abgesehen  von  den 
Einflüssen  der  Hauptstadt  der  wichtigste  Eisenbahnknotenpunkt 
der  Provinz  geworden.  Wir  können  die  Elemente,  die  Königs- 
berg zu  der  wichtigsten  Stadt  Ostpreußens  machen  mußten,  hier 
nur  andeutungsweise  erwähnen.  (Des  Näheren  cf.  die  Aus- 
führungen bei  Hahn  und  Bonk.)  Königsberg  gehört  durch  die 
Lage  nicht  weit  vom  Ufer  des  durch  das  Pillauer  Tief  mit  der 
offenen  See  verbundenen  Haffes  zu  den  wichtigsten  Ostseehäfen, 
es  ist  durch  die  Lage  nicht  weit  von  der  Mündung  eines  schiff- 
baren Flusses  —  zumal  an  der  verkehrbefördernden  Übergangs- 
stelle von  See-  zu  Flußschiffahrt!  —  Endpunkt  nicht  nur  für  die 
Wasserstraße  des  Pregels,  sondern  auch  für  die  mit  ihr  ver- 
bundene der  Memel,  somit  aber  für  den  ganzen  Wasserverkehr 
der  Provinz.  Es  liegt  an  der  Küstenstraße  der  norddeutschen 
Ebene,  die  von  Ostpreußen  weiter  nach  den  russischen  Ostsee- 
provinzen und  Petersburg  führt.  Es  ist  von  allen  Seiten  durch 
Landstraßen    bequem    zugänglich    und  von    allen    Grenzpunkten 


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24  Der  Einfluß  der  oetpreußißcheii  Eisenbahnen  etc." 

der  Provinz  ziemlich  gleich  weit  entfernt  und  gleich  bequem 
zu  erreichen.  Dadurch  ist  es  aber  nicht  nur  der  natürliche 
Zentralpunkt  für  alle  Landstraßen  der  Provinz,  sondern  auch 
für  einen  großen  Teil  des  dahinter  liegenden  russischen  Hinter- 
landes, das  Königsberg  als  seinen  natürlichen  Ausfuhrhafen  zu 
betrachten  hat.  Diese  russischen  Beziehungen  erstrecken  sich 
bis  Petersburg  und  Moskau  einer-,  bis  zu  den  Häfen  des 
Schwarzen  Meeres  andererseits. 

Bei  einer  solchen  Verkehrslage  mußte  sich  die  Stadt  mit 
der  fortschreitenden  Entwickelung  natürlich  auch  das  ent- 
sprechende Verkehrsmittel  aneignen.  Die  ältesten  Verkehrswege, 
die  Wasserstraßen,  sind  bedeutend  verbessert,  und  werden  immer 
mehr  den  Anforderungen  des  Dampfschiffverkehrs  angepaßt 
(Stromregulierungen,  Kanäle),  die  schlechten  Landstraßen  alter 
Zeiten  durch  ein  Chausseenetz  ersetzt.  Als  aber  auch  diese 
nicht  mehr  ausreichten,  trat  an  ihre  Stelle  das  Netz  der  Eisen- 
bahnen, das  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  noch  weiter  ergänzt 
worden  ist.  Das  vielfache  Zusammenfallen  von  Chaussee  und 
Eisenbahn  in  Lauf  und  Richtung  beweist  auch  hier  einen  über 
die  Kräfte  des  bisher  vorhandenen  Mittels  hinaus  gesteigerten 
Verkehr.  Daß  Königsberg  die  natürliche  Hauptstadt  ist,  be- 
weisen die  Eisenbahnen  am  schlagendsten.  Denn  das  ihrer  Ent- 
wickelung immer  zugrunde  liegende  Gesetz,  daß  die  wichtigsten 
und  bequemsten  Strecken  die  ersten  sind,  findet  gerade  auf 
Königsberg  die  vollste  Anwendung.  In  den  ersten  20  Jahren 
der  ostpreußischen  Eisenbahnära  ist  keine  selbständige  Linie 
gebaut,  die  nicht  Königsberg  zum  Ausgangs-  oder  Endpunkte 
nahm.  Königsberg  ist  also  der  erste  ostpreußische  Knotenpunkt. 
Ferner  wird  die  Hauptstadtberechtigung  als  natürlicher  Verkehrs- 
mittelpunkt durch  die  Tatsache  beleuchtet,  daß  die  Entwickelungs- 
geschichte  der  Königsberger  Bahnen  zugleich  den  Entwickelungs- 
gang  der  Bahnen  Ostpreußens  überhaupt,  wie  wir  ihn  in  der 
Einleitung  skizziert  haben,  wiedergibt.  Zuerst  bekam  Königs- 
berg die  internationale  Verkehrsstraße  der  Ostbahn,  dann  die 
Transversalbahnen,     an     die    die    Grenzbahnen    den     Anschluß 


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Von  W.  Feydt.  25 

suchten,    und    in    den    neueren    Zeiten    folgten    Ausflugs-    und 
Kleinbahnen. 

Aber  auch  bei  der  Reihenfolge  der  Transversalbahnen 
kommt  das  Gesetz  der  Wichtigkeit  mit  der  größten  Strenge  zur 
Durchführung.     Es  folgten  nacheinander: 

1866—1868/71  die  Südbahn. 

1885/88  die  Allenstein-  Soldauer. 

1889/91  die  Labiau- Tilsiter. 

1899  die  Strecke  Zinten-  Rotfließ  -Rudcziany. 

1901  die  Strecke  Löwenhagen- Gerdauen -Goldap. 

Man  würde  gewaltig  irren,  hierin  einen  Zufall  zu  sehen. 
Bei  dem  allen  gemeinsamen  Zweck  der  Provinzaufschließung 
mußten  diejenigen,  die  den  weiteren  der  Verbindung  mit  Ruß- 
land hatten,  natürlich  voranstehen.  Die  Südbabn  mit  den  An- 
schlüssen bis  Odessa,  die  Aliensteiner  mit  dem  Anschluß  an  die 
Linie  Mlawka- Warschau.  Dann  erst  konnten  jene  folgen,  die 
für  Königsberg  von  untergeordneter  Bedeutung  sind  und  nicht 
viel  mehr  als  jede  Bahn  durch  Auf  Schließung  der  Provinz 
der  Hauptstadt  zu  Gute  gekommen  sind.  Diese  gebührten  in 
erster  Linie  der  Hauptstadt,  jene  der  Haupt-  und  Handelsstadt 
Königsberg. 

Wir  sagten  aber:  Königsberg  mußte  sich  bei  seiner  Ver- 
kehrslage auch  die  zeitgemäßen  Verkehrsmittel  aneignen.  Als 
das  geschah,  war  es  bereits  die  höchste  Zeit.  Für  die  von 
Westen  nach  Osten  schreitende  Kultur  lag  Königsberg  am 
meisten  abseits  von  allen  preußischen  Großstädten.  Darum 
mußte  es  hinter  jenen  zurückbleiben.  In  der  Provinz  konnte 
ihm  der  Vorrang  nicht  genommen  werden,  aber  außerhalb  der- 
selben gingen  von  1816 — 1864  fast  alle  anderen  großen  Städte 
mit  doppelt,  ja  mit  dreifach  schnelleren  Schritten  vorwärts  als 
Königsberg.  Wiederholt  kam  es  noch  zu  direkt  rückläufigen 
Bewegungen  der  Bevölkerungszahl,  das  Wachstum  war  äußerst 
schwach  und  betrug  für  die  ganze  Zeit  von  1825 — 1849  nur  10°/o 
der  Zivilbewohnerschaft,    d.  h.    jährlich  im  Durchschnitt  0,4  %? 


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26  *  l^er  Einfluß  der  o*tpreu(lischen  Eisenbahnen  etc. 

(Die  Prov.  Pr.  und  ihre  Berücks.  durch  den  Staat,  p.  6.  7)  erst 
von  jetzt  an,  im  Zeitalter  der  Eisenbahnen,  wurde  das  anders. 
Die  Waohstumstabelle  Königsbergs  von  1864 — 1000  gibt  folgendes 
Bild:  (nach  Dullo,  D.  Wachst,  d.  Bevölker.  Königsbergs  etc. 
Kgb.  1903). 

Wachstum: 
überhaupt :  jährlich : 


18*51 

1864 

(5  928 

2,3*  % 

1867 

4  798 

1,53% 

1871 

5  796 

1,34  7o 

10544 

2,27  "/o 

1875 

18  273 

2,81  % 

1880 

10242 

1,41  '»/« 

1885 

10515 

1,35% 

18DO 

18!)5 

1 1  130 

1,34% 

1(5  658 

1,86% 

1900 

Der  niedrigste  jährliche  Prozentsatz  ist  hier  also  1,3  gegen 
0,4  dort;  der  höchste  mit  2,8,  also  siebenmal  so  groß! 
Die  absolute  Zahl  ist  von 

1852:      79  887   Ew. 

1861:     94  579  Ew. 

auf  1900:    189  483      . 

auf 

1900:  189  483      . 

also  um       109  596  Ew.  94  904  Ew. 

gestiegen.     Königsberg    ist    demnach   im  Jahre  1900  doppelt  so 
groß  als  1861. 


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Von  W.  Feydt.  27 

Durch  die  Richtung  der  Ostbahn  von  Westen  nach 
Osten  bekamen  die  Königsberger  Eisenbahn  und  Lokomotiven 
früher  an  andern  Orten  zu  sehen  als  in  der  eigenen  Stadt. 
Allein  erst  kurz  vor  der  Eröffnung  bis  Königsberg  trat  die  Stadt 
wirklich  in  das  Eisenbahnzeitalter  ein.  Die  Lokomotiven  hatten 
noch  Namen,  und  viele  Menschen  betrachteten  damals  das  Wunder- 
werk der  „Ostsee",  die  schon  damals  den  Weg  von  Braunsberg 
nach  Königsberg  in  nicht  ganz  eineinhalb  Stunden  zurücklegte 
(heute  Schnellzug:  60;  Personenzug  79  Minuten^  Die  „alte, 
gute  Zeit"  kam  auch  darin  zum  Ausdruck,  daß  man  davon  sprach, 
wegen  des  zur  Eröffnung  zu  erwartenden  Königlichen  Besuches 
der  „Klapperwiese"  und  „Knoohenstraße"  passendere  Namen  zu 
geben.  Eine  eigenartige  Szene  spielte  sich  am  29.  Juli  1853 
auf  dem  Bahnhof  ab:  „Ein  Dschimke  hatte  sich  auf  dem  Bahnhofe 
vor  Abgang  eines  Eisenbahnzuges  eingefunden.  Bewunderungs- 
voll sah  er  den  ganzen  Wagenzug  an,  doch  als  er  abfuhr  und 
in  schnellem  Laufe  davoneilte,  erfaßte  ihn  sichtlich  eine  Bangigkeit, 
die  sich  dadurch  kund  gab,  daß  er  erst  mit  den  Händen  um 
sich  schlug,  diese  dann  gefaltet  mit  inbrünstigem  Blick  zum 
Himmel  hob  und  Worte  ausstieß."  (cf.  Härtung.  Zeit.  1853.) 
Friedrich  Wilhelm  IV.,  dessen  Lebenswerk  die  Ostbahn  war, 
hatte  seine  persönliche  Beteiligung  an  der  Feier  zugesagt.  Am 
1.  und  2.  August  1853  wurde  sie  festlich  in  Königsberg  begangen. 
Die  Stadt  war  prächtig  ausgeschmückt;  am  Eingang  der  Klapper- 
wiese eine  große  Ehrenpforte  errichtet,  an  ihrem  Ende  an  der 
altstädtischen  Hinterwage  stand  eine  riesige  „Pregolla"  auf 
hohem  Postamente  mit  der  Inschrift:  „Friedrich  Wilhelm  IV., 
dem  erhabenen  Gründer  und  Schirmer  der  Ostbahn,  Gruß  und 
Heil  seine  treue  Stadt  Königsberg."  Gegen  5  Uhr  nachmittags 
langte  der  Festzug  an,  auf  dem  Perron  erfolgte  eine  Ansprache 
des  Bürgermeisters  an  den  König,  der  durch  die  neuen  König- 
lichen Zimmer  im  Bahnhofsgebäude  schritt  und  durch  die  ge- 
schmückte Stadt  zum  Schlosse  fuhr.  Die  ganzen  Festlichkeiten 
galten  aber  fast  mehr  der  Person  des  Königs  als  der  Ostbahn. 
Von  ihrer  Wirkung  hatte  man  vor  der  Eröffnung  in  den  Handels- 


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2#  Der  Einfluß  der  ost preußischen  Eisenbahnen  etc. 

kreisen  gar  keine  zu  hohe  Meinung;  im  Jahre  1851  bezeichnete 
man  ihre  Bedeutung  mit  den  Worten :  „Jedenfalls  eine  Aushilfe 
zum  Verkehre  mit  dem  Westen. "  Im  kleinen  Maßstabe  wurde 
auf  dieser  Bahn  von  Weltbedeutung  der  Betrieb  in  den  fünfziger 
Jahren  eröffnet.  Gering  war  auch  das  Betriebsmaterial.  Man 
war  von  der  Rentabilität  eben  auch  in  Fachkreisen  durchaus 
nicht  überzeugt.  Anfangs  ging  zum  Beispiel  nur  ein  Güterzug 
täglich!  Doch  wie  schnell  traten  schon  die  Anzeichen  der  großen 
Veränderung,  die  die  Stadt  mit  den  Bahnen  erwartete,  ein!  Am 
Schlüsse  des  ersten  Betriebsjahres  urteilte  der  Königsberger 
Handelsbericht  schon:  „Seit  dem  1.  August  1853  ist  dieser  Platz 
in  ein  neues  Stadium  seines  Verkehrs  durch  die  Eröffnung  der 
Ostbahn  getreten.  Die  Erwartungen,  welche  man  von  dieser 
Bahn  hegte,  dürften  nicht  allein  erfüllt  sein,  es  hat  sich  vielmehr 
schon  in  den  wenigen  Monaten  seit  der  Eröffnung  dieser  Bahn 
ein  viel  größerer  Verkehr  herausgestellt,  als  man  anfangs  an- 
zunehmen berechtigt  war." 

Waggonmangel  machte  sich  sofort  bemerkbar,  als  durch 
den  Krimkrieg  der  Andrang  der  Warentransporte  wuchs;  1858 
mußte  ein  zweiter  Güterzug  eingerichtet  werden.  Personen-  und 
Güterzahlen  der  Station  stiegen. 

Personen  ab:  Güter:  » 

1854:  48  465    an:  1854:  23  767  to    ab:    8  701  to 
1855:53  531  1855:32(527    *  17  561    * 

1856:  58  030  1856:  24  717    *  15  761   * 

1857:  66  061  1857:  31495    *  10390  * 

1858:  63  506  185«:  29  502    *  14  995  * 

1859:  71171  1859:  30  726    *  13  489  * 

Allein  was  bedeutete  das  gegen  die  Entwicklung  des  Ver- 
kehrs als  am  3.  Juni  1860  die  für  Königsberg  unendlich  wichtigere 
Eydtkuhner  Bahn  unter  Anwesenheit  des  Prinzregenten  in  der 
festlich  und  schön  geschmückten  blauen  Vorhalle  des  Königs- 
berger Bahnhofes  eröffnet  wurde!  Im  Jahre  1852  wird  Königsberg 
Bahnstation,  aber  erst  von  1860  beginnt  das  eigentliche  Auf- 
blühen   der  Stadt    unter    dem  Einflüsse    der  Eisenbahnen.      Die 


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Von  W.  Feydt.  29 

Eydtkuhner  Bahn  setzte  den  Hafen  Königsberg  mit  dem  russischen 
Reiche  in  direkte  und  damals  noch  konkurrenzlose  Verbindung. 
Ein  Strom  von  Gütern  ergoß  sich  aus  dem  Zarenreich  über  die 
Grenzstation  Eydtkuhnen,  die  unter  diesen  Verbältnissen  aus 
einem  elenden  Grenzort  ein  bedeutender  Marktflecken  wurde. 
Dillenburger  sagt  von  der  Wirkung  dieser  Bahn  zutreffend:  „Vor 
der  Eydtkuhner  Bahn  war  der  Verkehr  mit  dem  Hinteriande 
auf  die  keineswegs  tadelfreien  Wasserverbindungen,  auf  ein  lücken- 
haftes und  überaus  unvollständiges  Chausseenetz,  sonst  aber  auf 
Landwege  angewiesen,  deren  traurige  Beschaffenheit  allseitig  ist 
und  deren  besserer  Herstellung  klimatische  und  Bodenverhältnisse 
teilweise  wenigstens  unüberwindbare  Schwierigkeiten  entgegen- 
setzten. 

Die  Eröffnung  dieser  Bahnstrecke,  sowie  die  durch  die 
Weiterführung  derselben  auf  russischer  Seite  hergestellte  direkte 
Verbindung  mit  Kowno  (1861)  und  Petersburg  (1862)  gaben  dem 
Verkehr  mit  Rußland  eine  ganz  neue  Gestaltung.  Während  früher 
von  Seiten  des  russischen  Handelsstandes  Beziehungen  und  Ver- 
sendungen auf  den  weiten  Umwegen  von  Hamburg  resp.  Bremen 
über  Berlin,  Breslau,  Warschau  nach  Petersburg  und  Moskau 
gemacht  wurden,  um  zeitraubende  und  schon  deshalb  kost- 
spieligere Landtransporte  zu  vermeiden,  trat  Königsberg  sofort 
nach  der  Herstellung  der  direkten  Verbindung  aus  Petersburg 
und  Moskau  in  seine  natürliche  Stellung  zum  Nachbarreiche, 
und  mit  Vorliebe  fingen  die  russischen  Handelshäuser  an,  sich 
der  Vermittelung  dieses  Platzes  zu  bedienen."  (Dillenburger, 
Beiträge  z.  Gesch.  des  Handels  von  Egb.  in  Zeitschr.  d.  Egl. 
Pr.  Stat.  Bur.  1869). 

Die  Zahlen  der  Güter  verdoppeln  sich  mit  einem  Schlage: 
Es  kommen  an:  Es  gehen  ab: 

1860:     56  261  to  1860:  23  688  to 

1861:     66  550   *  1861:  32  247    * 

1862:     76147   *  1862:  39  317    . 

1863:     92  195   ^  1863:  49  907    * 

1864:  100  997    *  1864:  51483    * 


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30  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Die  Ostbahn  hat  auch  in  der  folgenden  Zeit  ihre  hohe 
Bedeutung  für  die  Stadt  gehabt.  Ihr  Fahrplan  hat  mit  den 
Jahren  eine  immer  reichere  Ausgestaltung  erfahren ;  ihre  Fahrt- 
geschwindigkeit hat  sich  vergrößert.  Der  wichtigste  Zug  für 
Königsberg  ist  heute  entschieden  der  Berlin-Eydtkuhner  Schnell- 
zug auch  für  die  Geschäftswelt  wegen  der  mitbeförderten  Kor- 
respondenzen. Betrachtet  man  freilich  Königsberg  lediglich  unter 
dem  Gesichtspunkte  des  Handels,  so  hat  die  Ostbahn  durch  die 
russischen  Konkurrenzbahnen  viel  verloren,  was  auch  die  Süd- 
bahn, von  der  weiter  unten  die  Bede  sein  wird,  nur  teilweise 
ersetzen  konnte.  Für  die  Stadt  im  allgemeinen  aber  ist  sie 
entschieden  die  wichtigste  Linie  geblieben.  Sie  ist  nicht  nur 
ein  Zufahrtsweg  für  die  russischen  Güter,  sondern  sie  ist  es,  die 
Königsberg  vor  allem  in  so  schmerzlich  vermißte  Verbindung 
mit  der  Reichshauptstadt  und  dem  ganzen  Westen  setzt.  Diese 
letztere  Bedeutung  trat  anfangs,  als  sie  konkurrenzlos  dastand, 
bei  der  beispiellosen  Schnelligkeit,  mit  der  der  Güterverkehr 
eine  ungeahnte  Höhe  erreichte,  etwas  zurück.  Sie  hat  sich  aber 
mit  der  Zeit  immer  mehr  Geltung  geschafft,  so  daß  heute  ent- 
schieden die  Berliner  Strecke  für  Königsberg  im  allgemeinen 
wichtiger  ist  als  die  Eydtkuhner  Linie.1) 

Die  ungemeinen  Wirkungen  derselben  auf  den  Handel 
haben  aber  den  großen  Segen  gehabt,  daß  man  die  Notwendigkeit 
neuer  Zufuhrwege  früher  erkannte  und  früher  an  ihre  Ausführung 
schritt,  als  es  sonst  der  Fall  gewesen  wäre.  Am  notwendigsten 
erwies  sich  die  Bahn  nach  Pillau.  Sie  war  für  den  Handelsplatz 
Königsberg  nichts  weiter  als  die  natürliche  Fortsetzung  der 
Eydtkuhner-Bahn.  Ihr  Fehlen  hatte  aber  auch  bereits  vor  jener 
beträchtliche  Übelstände  gezeitigt.  Da  das  Haff  im  Winter 
zufror,  mußten  alle  Güter  nach  Pillau  geschafft  und  dort  in  dem 
eisfreien  Hafen  in  die  Schiffe  verladen  werden.     Dieser  Trans- 

1)  Das  kommt  auch  in  dem  Umstände  zum  Ausdruck,  daß  mit  dem 
1.  Mai  1904  auf  die  Strecke  Berlin— Königsberg  ein  drittes  Schnellzugpaar  not- 
wendig geworden  und  eingelegt  ist.  das  namentlich  auch  für  die  Geschäftswelt 
von  Vorteil  sein  wird. 


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Von  W.  Feydt.  31 

port  nach  Pillau  war  natürlich,  da  er  auf  einem  Landwege,  lange 
Zeit  hindurch  nicht  einmal  chaussiert,  vor  sich  ging,  außer- 
ordentlich zeitraubend,  kostspielig  und  obendrein  bedenklich. 
Es  fanden  nämlich  so  große  Veruntreuungen  dabei  statt,  daß 
die  Kaufleute  sich  auf  einen  solchen  Transport,  der  sich  jeder 
genaueren  Kontrolle  entzog,  nicht  mehr  einlassen  mochten.  Durch 
allerlei  Auswege  suchte  man  sich  zu  helfen,  um  doch  nur  neue 
Übalstände  hervorzurufen.  Man  nahm  Eisbrecher  zu  Hilfe.  Allein 
bei  einer  verunglückten  Durcheisung  gingen  Hunderttausende 
verloren.  Bei  strengem  Frost  hatte  man  schließlich  den  Schlitten- 
transport von  Pillau  nach  Wolittnick  (Bahnstation  am  südlichen 
Haffufer)  als  Ausweg  gewählt ;  von  dort  beförderte  die  Bahn  die 
Güter  weiter.  Allein  die  vierfache  Umladung  aus  dem  Speicher 
in  Wagen,  aus  diesen  in  die  Bahn,  aus  der  Bahn  in  den  Schlitten, 
aus  diesem  in  das  Schiff  machten  auch  diese  Aushülfe  wegen 
der  Unkosten  „illusorisch"  (cf.  Passarge  1.  c.  58.  59.  Pillauer 
Bahn.    Mitt.  d.  Comit.  p.  11). 

Alle  diese  Übelstände  konnten  nur  durch  eine  Bahn  nach 
Pillau  beseitigt  werden.  Allein  wie  sollte  diese  zustande  kommen? 
Konnte  eine  Aktiengesellschaft  die  Garantie  für  dieses  an  sich 
unselbständige  kurze  Bahnglied  übernehmen,  das  als  Privatbahn 
mit  der  Königlichen  Ostbahn  in  ein  Verhältnis  trat,  bei  welchem 
diese  durch  vermehrte  Frequenz,  wenn  es  gut  ging,  sehr  gewinnen, 
wenn  aber  Ausfälle  eintreten  sollten,  der  Gesellschaft  keinen 
Ersatz  leisten  konnte?  So  schien  eine  Staatsbahn  das  Einzige. 
Allein  man  konnte  andererseits  vom  Staate  nicht  verlangen,  daß 
er  lediglich  um  der  Lokalinteressen  einer  Stadt  willen  eine  Bahn- 
strecke baute.  Die  Not,  in  der  man  sich  so  befand,  machte 
schöpferisch.  Man  erkannte,  daß  die  Pillauer  Bahn  sich  aus  dem 
Zwange  der  Eydtkuhner  mit  einem  Schlage  löste  und  rentabel 
wurde,  wenn  man  ihr  eine  eigene  Fortsetzung  durch  die  Provinz 
nach  Bußland  gab:  Aus  dem  Pillauer  wurde  das  Südbahnprojekt. 
Damit  ergaben  sich  aber  dem  Königsberger  Handelsstande  zu- 
gleich die  immensen  Folgen,  die  eine  solche  direkte  Bahn  nach 
der  „schwarzen  Erde4*,  der  Kornkammer  Rußlands,  für  den  Handel 


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32  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

der  Stadt  haben  mußte,  und  verliehen  ihren  Bemühungen  nach- 
haltige Kraft.  Für  dieses  Unternehmen  mußte  sich  sofort  eine 
Aktiengesellschaft  finden;  und  in  der  Tat  war  der  Bau  der 
Pillauer-  und  Südbahn  schon  1863  gesichert.  Der  Anschluß  an 
die  russischen  Bahnen  stand  von  Anfang  an  im  Vordergrund, 
konnte  auch  garnicht  bezweifelt  werden.  Nebenbei  mußte  auch 
die  Verbindung  mit  einem  großen  Gebiete  der  Provinz  von 
großem  Vorteil  sein.  Als  Anschlußpunkt  in  Bußland  wurde 
zuerst  Grodno  in  Aussicht  genommen,  weil  man  hier  die  russische 
Bahn  und  die  Niemenwasserstraße  zugleich  kreuzte.  Inzwischen 
war  aber  Brest-Litewsk  zu  einem  wichtigeren  Punkte  für  die 
Königsberger  Handelsinteressen  geworden.  Denn  von  hier  aus 
führte  einmal  die  Bahn  nach  Warschau,  ließ  sich  ferner  die 
Pripet-  und  Dneprschiffahrt  beherrschen,  würden  später  die 
Bahnen  bis  Kiew  und  Odessa  gehen.  Für  Brest-Litewsk  lag 
aber  Bialystock  ungleich  günstiger.  Die  Bahn  mußte  also  in 
möglichst  gerader  Linie  dorthin,  das  heißt  über  Rastenburg  und 
Lyok  geführt  werden.1) 

Anfangs  1870  gelang  es  den  unausgesetzten  Bemühungen 
der  Abgeordneten  der  „Ostpreußischen  Südbahn",  wie  sie  sich 
nunmehr  offiziell  nannte,  die  Kaiserlich  russische  Regierung  zur 
Konzessionierung  von  Eisenbahnen  zu  bewegen,  welche  eine 
russisohe  Aktiengesellschaft  von  Brest-Litewsk  über  Bialystock 
nach  den  Flecken  Grajewo  an  der  preußischen  Grenze  führen 
würde.  Die  ostpreußische  Strecke  war  damals  schon  seit  zwei 
Jahren  vollendet.  Ihr  Bau  hatte  lange  gedauert  und  namentlich 
durch  ungünstige  klimatische  Verhältnisse  und  durch  die  Terrain- 
beschaffenheit des  masurischen  Seengebietes  mit  großen  Schwierig- 
keiten zu  kämpfen  gehabt.  Die  ostpreußische  Südbahn  hat  im 
weitern  Verlaufe  für  die  Provinz  namentlich  im  Anschluß  an  die 
Thorn-Insterburger  und  die  Allenstein-Lycker  Strecke  erhöhte 
Bedeutung  bekommen.    Was  sie  aber  speziell  auch  für  die  Stadt 


1)  Man  sieht,  wie  wenig  informiert  die  Johannisburger  Stadtväter  waren, 
als  sie  die  Führung  der  SB.  über  J.  nach  Ijoniwsa  forderten. 


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Von  W.  Feydt.  33 

Königsberg  bedeutet,  hat  deren  kaufmännische  Vertretung   schon 
im  Jahre  1870  klar  und  deutlich  ausgesprochen: 

„Seit  Vollendung  der  Königlichen  Ostbahn  ist  für  die  wirt- 
schaftliche Entwickelung  Ostpreußens  kein  gleich  wichtiges  Er- 
eignis eingetreten.  Seit  der  ersteren  hat  sich  der  Handel  Königs- 
bergs seinem  Umfange  nach  verdoppelt.  Trotzdem  ist  die  König- 
liche Ostbahn  für  uns  als  Verbindung  mit  dem  Zentrum  des 
Staates  doch  noch  mehr  von  politischer  als  von  kommerzieller 
Bedeutung.  In  wirtschaftlicher  Beziehung  steht  die  Verbindung 
der  ostpreußischen  Südbahn  mit  Rußland  bis  zum  schwarzen 
Meere  hin  für  uns  unbedingt  höher.  Bisher  lieferte  .Rußland 
kaum  halb  so  viel  als  die  Provinz  für  Königsberg  Export,  das 
muß  sich  umdrehen.  Rußland  muß  über  noch  mal  soviel  liefern !" 
(Handelsbericht  1870).  Diese  letzte  Erwartung  hat  sich  nun 
nicht  so  ganz  erfüllt;  1873  noch  verhielt  sich  in  der  Getreide- 
lieferung Rußland  zu  Ostpreußen  wie  3  : 4.  Die  Gründe  hierfür 
werden  weiter  unten  noch  erörtert  werden.  Hier  mag  nur  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  man  mit  Recht  die  Geschichte  der 
Südbahn  eine  Leidensgeschichte  genannt  hat.  Das  lag  nur  zum 
Teil  daran,  daß  ihre  Stellung  als  Privatbahn  in  dem.  mit  den 
Jahren  sich  immer  noch  erweiterndem  Staatsbahnnetze  eine  immer 
schwierigere  wurde.  Viel  angefeindet,  ist  sie  dann  auch  in  der 
neuesten  Zeit  zugrunde  gegangen;  die  ostpreußische  Landwirt- 
schaft hat  in  sehr  großer  Kurzsichtigkeit  vergessen,  was  auch 
sie  ihr  verdankte  und  ihr  die  Überschwemmung  des  ostpreußischen 
Marktes  mit  russischem  Getreide  zum  schweren,  aber  zugleich 
unberechtigten  Vorwurf  gemacht.  Die  Stadt  Königsberg  hat  die 
Verstaatlichung  anfangs  nicht  gewünscht,  ob  mit  Berechtigung, 
mag  dahingestellt  bleiben;  jedenfalls  war  eine  Privatgesellschaft 
abhängiger  und  mußte  gefügiger  auf  die  Forderungen  der  Han- 
delsstadt eingehen  als  die  die  Interessen  aller  gleichmäßig  um- 
fassende Staatsverwaltung.  Allein  schon  die  Einrichtung  eines 
Schnellzuges  nach  Lyck,  die  seit  der  Verstaatlichung  erfolgt  ist 
und  weitere  Fahrplanverbesserungen,  die  mit  dem  1.  Mai  1904 
erfolgt    sind,    beweisen,  daß    auch    Königsberg    nicht    schlechter 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  llft.  1  u.  2.  ',\ 


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34  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

gefahren  ist,  seit  die  Privatbahn  zu  existieren  aufgehört  hat. 
Die  Güterzahlen  haben  in  den  besten  Jahren  auf  der  Südbahn 
eine  erstaunliche,  die  der  Staatsbahnstation  bald  übersteigende 
Höhe  erreicht. 


Auf  der  Südbahn 

In  denselben  Jahren 

kamen  an: 

auf  der  Staatsbahn: 

1870:  105  G57  to 

175  838  to 

1874:  233  476  . 

347  168  . 

1877:  376  438  -■ 

403  058  ■- 

1878:  398  554  * 

333  209  . 

1885:  414  421  » 

186  190  . 

1894:  407  505  . 

277  763  . 

1900:  418  640  * 

415  605  . 

1902:  544  756  - 

399  215  t 

(cf.  zu  dem  über  die  Pillauer  und  Südbahn  Gesagten  die  Königs- 
berger Handelsberichte  von  1859 — 1902). 

Bei  den  übrigen  Bahnen  Königsbergs  können  wir  uns 
kürzer  fassen.  Das  nächste  wichtige  Projekt  war  die  Warschauer 
Bahn.  Die  Frage  wurde  akut,  als  Danzig  sich  eine  Bahn  von 
Marienburg  nach  Mlawa- Warschau  sicherte.  Wollte  man  nicht 
alle  Konkurrenz  aufgeben,  und  den  Warschauer  Handel,  der 
freilich  schon  seit  langer  Zeit  nicht  mehr  für  Königsberg  aus- 
schlaggebend war,  ganz  verlieren,  so  mußte  man  auf  eine  eigene 
Zweigbahn  nach  Königsberg  bedacht  sein.  Aus  dem  anfänglich 
geforderten  Projekte  einer  Staatsbahnlinie  Mlawa-Allenstein,  die 
die  Lücke  ausfüllen  sollte,  wurde  bald  das  Projekt  Kobbelbude- 
Allenstein-Soldau.  Als  Bahn  untergeordneter  Bedeutung,  unter 
Rücksichtnahme  nicht  nur  auf  Königsberg,  sondern  ebenso  auf 
die  aufzuschließende  Provinz  kam  es  1885  und  1888  zur  Aus- 
führung. Allein  die  weitgehenden  Hoffnungen  der  Königsberger 
erfüllten  sich  nicht. 

Man  hatte  an  eine  Nutzbarmachung  nicht  nur  der  War- 
schauer Umgegend,  sondern  der  Produkte  Ungarns  und  Galiziens 
für  den  Königsberger  Handel  gedacht,  sich  Wirkungen  ähnlich 
der    Südbahn    versprochen.       Allein    man    sah    sich    in    seinen 


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Von  W.  Feydt  35 

Hoffnungen  betrogen.  Wasserstraßen  und  Eisenbahnen  wiesen 
den  Warschauer  Handel  in  erster  Linie  auf  Danzig.  Die  Be- 
rechnung der  Eisenbahnlängen  ergiebt,  daß  die  Strecke  Danzig- 
Soldau  25  km  kürzer  ist  als  die  Königsberg-Soldau.  Die  Bahn 
wurde  für  Königsberg  dadurch  eine  solche  untergeordneter  Be- 
deutung, wenn  sie  auch  unter  diesen  entschieden  die  erste  Stelle 
einnahm.  Unter  Umständen  konnte  ihr  freilich  eine  ganz  andere 
Bedeutung  zuteil  werden,  nämlich  als  Reservelinie  für  Notlagen, 
die  die  Ostbahnlinie  sperrten. 

Ein  solcher  Zustand  trat  1868  ein,  als  die  Überschwemmung 
im  Weichselgebiet  jene  unbenutzbar  machte.  Er  hatte  zur 
Folge,  daß  man  die  anfangs  recht  dürftig  ausgestattete  Linie 
besser  ausbaute.  Die  Geleiseanlagen  der  Stationen  wurden  er- 
gänzt; die  Steigungs-  und  Krümmungs Verhältnisse  verbessert. 

Heute  steht  es  so,  daß  sie  auch  für  den  Güterverkehr 
Königsbergs  eine  erhebliche  Bedeutung  erlangt  hat,  trotz  der 
ablenkenden  Mehlsack -Braunsberger  Bahn,  und  trotzdem  ihre 
Umwandlung  in  eine  Vollbahn  ein  allerdings  bisher  nicht  er- 
füllter Wunsch  der  Königsberger  ist. 

Weit  kühler  standen  die  Königsberger  dem  bald  darauf 
auftauchenden  Projekt  einer  Bahn  über  Labiau  nach  Tilsit 
gegenüber  und  ersparten  sich  dadurch  unliebsame  Enttäuschungen. 
Anfangs  erwärmte  man  sich  dafür,  doch  nur  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte, daß  etwa  jetzt  noch  eine  neue  Vollbahn  auf  dem 
1860  verlassenen,  jetzt  wieder  aufgesuchten  Wege  über  Tilsit- 
Tauroggen  nach  Petersburg  entstehen  könnte.  Allein  als  sich 
das  als  ganz  aussichtslos  erwies,  weil  an  eine  Fortführung  über 
Tilsit  hinaus  und  gar  in  Rußland  nicht  zu  denken  war,  lehnten  die 
Königsberger  entschieden  jeden  Kostenbeitrag  ab,  indem  sie  die 
rein  lokale  Bedeutung  der  Bahn  und  die  volle  Zulänglichkeit 
der  Wasserstraße  für  ihre  Zwecke  betonten.  Ja,  als  man  an- 
fangs daran  dachte,  diese  Bahn  vom  Königsberger  Ostbahnhofe 
aus  oberhalb  der  Stadt  über  den  Pregel  zu  führen,  protestierten 
sie  im  Interesse  der  Schiffahrt  und  Flößerei,  der  durch  diese 
neue  Brücke  Schwierigkeiten  entstehen  würden 

3* 


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36  &er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Daß  sie  wie  jede  neue  Bahn  der  Entwickelung  des  Lokal- 
verkehrs günstig  sein  würde,  wurde  nicht  bestritten.  Solche 
Bahnen  neuester  Zeit  aber,  die  nicht  eine  schon  vorhandene 
Wasserstraße  wiederholten,  wie  die  Linie  Rothfließ-Rudczanny 
und  Löwenhagen-Gerdauen  sind  daher  auch  von  den  Königs- 
bergern mit  Freuden  begrüßt  worden    und    richtig   eingeschätzt. 

Inzwischen  hatte  sich  die  nur  Handelsinteressen  ihr  Dasein 
verdankende  Pillauer  Bahn  zu  einer  Touristen-  und  Ausflugs- 
bahn entwickelt  und  mit  der  staatlichen  Anschlußbahn  nach  dem 
Seebade  und  Bernsteinwerk  Palmnicken  war  noch  ein  in- 
dustrieller Nebenzweck  hinzugekommen.  Die  immer  größer  und 
umfangreicher  werdende  Hauptstadt  konnte  die  günstige  Nähe 
des  reizvollen  Samlandstrandes  und  der  See  nicht  länger  un- 
genützt lassen  und  mußte  den  von  Jahr  zu  Jahr  zahlreicher 
herbeiströmenden  Badegästen  eine  zeitgemäße  Verbindung  nach 
dem  Strande  gewähren.  So  entstand  die  Cranzer,  so  die  Sam- 
landbahn.  Wie  sich  alle  Touristenbahnen  rentiert  haben,  beweist 
der  Umstand,  daß  die  Cranzer  für  die  Sommermonate  bereits  in 
eine  Vollbahn  verwandelt  ist,  für  die  Samlandbahn  trotz  ihres 
erst  kurzen  Bestehens  dasselbe  wenigstens  angeregt  wurde, 
ferner  ein  Blick  auf  die  Entwickelung  der  Orte,  die  durch  sie  an- 
und  zum  Teil  erst  recht  dem  großen  Verkehr  aufgeschlossen  sind. 

Cranz :  Neuh  äuser : 

1855:  ca.     557  Einw. 

18(57:  993       * 

1871:  991       *  1871:     10  Einw. 

1885:         1321       *  1885:     49       - 

1895:         1843       *  1895:  188       * 

In  der  reichen  Umgegend  der  Stadt  entwickelten  sich  an 
Zwischenstationen  dieser  Bahnen  und  auch  an  den  ersten  Stationen 
der  Hauptbahnen  Ausflugsorte  für  das  jetzt  wirklich  großstädtisch 
gewordene  Publikum.  Extrazüge  gingen  nach  Löwenhagen  und 
Ludwigsort;  Juditten,  das  anfangs  gar  keine  Haltestelle  besaß, 
und  Metgethen    wurden    zu  Einnahmequellen    für    die  Pillauer-, 


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Von  W.  Foydt.  37 

Gr.  Baum  für  die  Cranzer  Bahn.  Auch  an  der  Samlandbahn 
bildete  sich  eine  ganze  Reihe  solcher  Plätze  heraus,  wie  z.  B. 
Drugehnen  am  Fuße  des  Galtgarbens. 

Schließlich  hat  Königsberg  auch  seine  Kleinbahn  erhalten. 
Sie  hatte  die  besondere  Aufgabe,  das  Kreisgebiet  am  Südufer 
des  Kurischen  Haffes  und  die  Gegenden  am  Nordufer  des  Pregels 
besser  an  die  Haupt-  und  Kreisstadt  anzuschließen.  Es  ist  kein 
Zufall,  daß  der  direkte  Postenbetrieb  von  Königsberg  aus  sich 
am  längsten  auf  der  Chausseestrecke  über  Arnau  nach  Waldau 
erhalten  hatte. 

Prüfen  wir  nunmehr,  nachdem  wir  die  Verkehrslage 
Königsbergs  und  die  Entwickelung  seines  Eisenbahnnetzes  be- 
trechtet haben,  die  Wirkungen  des  letzteren  auf  den  Handel, 
auf  die  Industrie  und  das  Äußere  des  Stadtbildes. 

Bei  der  Fülle  des  Stoffes  kann  nur  das  Wichtigste  hervor- 
gehoben werden. 

Handel  und  Industrie  stehen  in  Königsberg  in  dem  eigen- 
artigen Verhältnis,  daß  an  Zahl  der  Berufsangehörigen  die  In- 
dustrie, an  Bedeutung  für  die  Stadt  im  allgemeinen  der  Handel 
obenan  steht.  Dieses  Verhältnis  hat  von  1882 — 1895  keine 
Änderung  erfahren. 

1882:  Von  64040  Beruf  sang.  1895:  Von  78528  Berufsang. 

Industrie:  21535  26241 

Handel  und  Gewerbe:  11 970 16043 

Unterschied  rund:         10000  rund:  10000 

Auch  der  Handel  im  ganzen  hat  seinen  Vorrang  gewahrt, 
noch  1897  wird  die  Lage  der  Industrie  „nur  in  mäßigem  Grade 
entscheidend"  für  die  allgemeine  Geschäftslage  Königsbergs  ge- 
nannt. Allein  schon  1899  mußte  zugegeben  werden,  daß  bei 
der  zwar  langsame,  aber  stetige  Fortschritte  aufweisenden  In- 
dustrie „das  wirtschaftliche  Gedeihen  der  Bevölkerung  nicht  mehr 
so  ausschließlich  wie  früher  von  der  Lage  des  Handels  mit  Roh- 
produkten abhängt." 

Die  Frage,  ob  und  wie  sich  dieses  Verhältnis  gestaltet  hätte, 


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38  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

wenn  Königsberg  nur  auf  den  Eisenbahnverkehr  angewiesen  wäre 
und  keinen  Binnenschiffahrtverkehr  hätte,  ist  äußerst  schwierig 
und  soll  hier  nicht  erörtert  werden;  zunächst  wäre  man  freilich  bei 
der  Beobachtung,  daß  die  Bahnen,  die  eine  Wasserstraße  so  gut 
wie  völlig  ausgeschaltet  haben,  sehr  geneigt  zu  urteilen,  daß  das 
Verhältnis  auch  ohne  die  Verbindung  mit  der  Memelstraße  das- 
selbe, mindestens  ein  ähnliches  geblieben  wäre.  Außerdem  ist 
es  nicht  zweifelhaft,  daß  die  für  den  Handelsplatz  Königsberg 
entschieden  wichtigere  Ausfuhr  viel  mehr  von  den  Bahnen  als 
von  den  Binnenwasserstraßen  abhängt,  während  der  Seeverkehr 
für  die  Einfuhr  auch  heute  noch  gleichwertige  Bedeutung  mit 
den  Bahnen  hat.  Man  wird  daher  heute  richtiger  Königsbergs 
Handelsbedeutung  aus  dem  Aggregat  Seeverkehr  und  Eisenbahnen 
als  Seeverkehr  und  Binnenschiffahrt  erklären. 

Jeder  Hafen  handelt  mit  den  Produkten  seines  Hinterlandes, 
dem  er  wiederum  Dinge,  die  ihm  fehlen,  durch  seine  Verbindung 
mit  anderen  Ländern  zuführt.  Danach  sind  die  wichtigsten 
Exportartikel  Königsbergs:  Getreide,  Flachs,  Hede,  Lumpen, 
Borsten,  Dachpappe,  Asche  und  Holz;  Spiritus,  Fische  und  Bern- 
stein. Importartikel:  Eisen,  Kohle,  Bausteine,  Fliesen,  Kolonial- 
waren, Heringe,  Petroleum  und  Tee. 

Schon  aus  dieser  Übersicht  erkennt  man  die  große  Abhängig- 
keit des  Königsberger  Handels  vom  russischen  Hinterlande. 
Königsberg  braucht  Rußlands  Produkte  und  braucht  Rußland 
zum  Absatz  für  die  Waren,  die  es  aus  dem  Westen,  sei  es  aus 
Deutschland  oder  England  und  Schweden-Norwegen  per  Bahn 
oder  Schiff  empfängt.  An  den  meisten  Artikeln  hat  die  Provinz 
einen  großen  Anteil,  aber  gerade  an  manchen  ausschlaggebenden, 
hier  Flachs  und  Hede,  dort  Heringe  und  Tee  nicht.  Daher  die 
überwiegende  Bedeutung  gerade  der  beiden  russischen  Bahnen 
für  Königsbergs  Handel! 

Der  wichtigste  Handelszweig  Königsbergs  ist  der  Getreide- 
handel. Kein  einziger  anderer  Handels-  oder  Industriezweig 
kann  für  sich  allein  an  Umfang  und  Bedeutung  sich  mit  ihm 
messen    (Hand.-Ber.   1898).     Er    ist    infolge    der    Wasserstraßen 


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Von  W.  Feydt.  39 

viel  älter  als  die  Eisenbahnen,  ebenso  alt  wie  die  Handelsstadt; 
er  hat  auch  in  früheren  Jahren  einen  großen  Umfang  gehabt, 
aber  doch  nicht  im  Entferntesten  die  heutige  Blüte  erreicht. 
Die  Eisenbahnen  haben  für  ihn  eine  doppelte  Bedeutung  gehabt: 
Sie  haben'  die  Produktionsfähigkeit  des  ihm  schon  erschlossenen 
Land  es  ungemein  gesteigert  und  haben  ihm  außerdem  Gebiete 
erschlossen,  die  bisher  durch  ihre  weite  Entfernung  für  ihn  gar 
nicht  oder  fast  gar  nicht  in  Betracht  kamen.  Das  erste  bezieht 
sich  hauptsächlich  auf  die  Provinz,  das  letzte  auf  Bußland.  Aber 
ebenso  wie  der  Königsberger  Getreidehandel  unter  den  Wirkungen 
der  russischen  Bahnen  emporblühte,  hat  er  auch  gegen  die  An- 
griffe, die  mittelst  derselben  auf  ihn  gemacht  wurden,  dauernd 
zu  kämpfen  gehabt.  Wirtschaftlich  zusammenhängendes  Gebiet 
war  politisch  getrennt.  Der  ausführende  Hafen  in  anderer  Hand 
als  das  produzierende  Hinterland.  Die  Geschichte  des  Handels 
und  der  Verkehrsmittel  wird  zur  Geschichte  der  Politik.  Ruß- 
land hatte,  in  der  Kulturentwickelung  rückständig,  zunächst  die 
von  den  Interessen  seiner  Bewohner  geforderten  Bahnen  nach 
den  preußischen  Häfen  gestatten  müssen.  Sie  wurden  zum  Teil 
von  französischem  Kapital  und  französischen  Gesellschaften  ge- 
baut. Später  baute  man  auch  hier  ein  eigenes  Eisenbahnnetz 
aus  und  suchte  nun  den  bisherigen  preußischen  Verkehr  nach 
den  eigenen  Ostseehäfen  zu  lenken.  Da  man  jene  natürlichen 
Eisenbahnwege  nicht  mehr  aus  der  Welt  schaffen  konnte,  mußte 
man  zu  künstlichen  Mitteln  greifen  und  den  Verkehr  künstlich 
von  dem  ihm  in  natürlicher  Weise  dienenden  Hafen  Königsberg 
abzulenken  suchen.  Man  fand  ein  solches  Mittel  in  den  Eisen- 
bahntarifen. Sie  begünstigten  die  russischen,  viel  weiter  von  der 
„Kornkammer  Rußlands"  gelegenen  Häfen  Libau,  Riga  und 
Reval,  die  zum  Teil  nicht  einmal  eisfrei  waren,  derart,  daß  die 
Königsberger  Bahnen,  vor  allem  das  Privatunternehmen  der  Süd- 
bahn dauernd  mit  den  größten  Schwierigkeiten  zu  kämpfen 
hatten.  Hauptsächlich  darum  ist  ihre  Geschichte  eine  Leidens- 
geschichte. So  lange  die  Konkurrenz  dieser  russischen  Häfen 
eine  natürliche    blieb,  war    sie    wirtschaftlich   durchaus  gerecht- 


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40  fter  Einfluß  der  oetpreußischeu  Eisenbahnen  etc. 

fertigt.  Einzelne  Gebiete  namentlich  in  den  Gegenden  der 
Wilnaer  Strecke  mußten  wegen  ihrer  jenen  Häfen  näheren  Lage 
für  immer  verloren  gehen.  Schlimmer  wurde  es  erst,  als  namentlich 
Libau  unnatürliche  Konkurrenz  zu  machen  anfing.  Das  geschah 
durch  enorm  billige  Tarifsätze  der  Bommy-Libauer  Bahn.  So 
ging  ein  beträchtliches  Gebiet  des  inneren  und  gerade  des  süd- 
lichen Rußland  ganz  oder  teilweise  Königsberg  verloren,  obwohl 
Libau  weiter  entfernt  war.  Die  Produzenten  konnten  wegen  der 
billigeren  Tarifsätze  dorthin  vorteilhafter  absetzen.  Die  Folgen 
blieben  nicht  aus.  Mehrere  kleine  Firmen  in  Königsberg  mußten 
liquidieren,  eine  Menge  russischer  Getreidekommissionäre  verließ 
die  Stadt  und  hunderte  von  Arbeitern  und  kleinen  Gewerbe- 
treibenden verloren  ihr  tägliches  Brot.  Es  hatten  Getreide  see- 
wärts ausgeführt: 

1874  1884 

Libau:       74  823  to  558  687  to 

Königsberg:     356  985    *  337  000    * 

Dem  Beispiele  Libaus  folgte  wenige  Jahre  später  Odessa. 
Die  Verwaltung  der  russischen  Südwestbahnen  publizierte  einen 
Tarif,  welcher  derartig  konstruiert  war,  daß  die  an  der  deutschen 
Grenze  gelegenen  Stationen  eine  niedrigere  Fracht  nach  Odessa 
zu  zahlen  hatten  als  die  dem  letzteren  Platze  näher  gelegenen 
Stationen.  Ganz  unbegreifliche  Mißverhältnisse  der  Frachten 
zum  Nachteil  von  Königsberg  bildeten  sich  infolgedessen  heraus. 
Das  Bestreben,  den  Getreideverkehr  nach  Odessa  zu  lenken,  war 
leider  erfolgreich.  Der  Bückgang  von  Zufuhren  von  russischem 
Getreide  erreichte  einen  Umfang,  der  tiefste  Besorgnis  erregen 
mußte: 

Es  kamen  aus  Bußland: 

1885:     385028  to  Getreide 
1886:     123314     * 

Der  Bückgang  betrug  also  68 Prozent!  Er  übertraf  in  diesem 
Jahr  weit  den  aller  andern  Ostseehäfen,  die  zwar  auch  unter  der 
schlechten  Ernte,  aber    nicht    unter  so  unerquicklichen  Verhält- 


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Von  W.  Feydt.  41 

nissen  zu  leiden  hatten.  (Hand.-Ber.  1886).  Erst  mit  dem  deutsch- 
russischen Handelsvertrage  beginnt  eine  bessere  Zeit  für  den 
Königsberger  Getreidehandel,  der  wohl  schon  genug  zu  leiden 
hatte,  aber  wegen  der  Natürlichkeit  seiner  Bedingungen  trotz 
aller  russischen  Kunstgriffe  nicht  tot  zu  machen  war.  Die  für 
Königsberg  wichtigste  Bestimmung  des  Vertrages  betrifft  die 
Eisenbahntarife.  Die  Frachtsätze  von  den  russischen  Aufgabe- 
stellen bis  nach  Königsberg  sollen  fortan  nach  den  Bestimmungen 
gebildet  werden  und  unter  die  am  Transport  beteiligten  deutschen 
und  russischen  Bahnen  verteilt  werden,  welche  für  die  nach  den 
Häfen  Libau-Riga  führenden  russischen  Eisenbahnen  gelten. 
Unter  den  segensreichen  Wirkungen  dieses  Vertrages  haben  die 
Königsberger  Eisenbahnen  wieder  dem  Handel  den  Nutzen  bringen 
können,  der  ihm  nicht  durch  sie,  sondern  durch  künstliche  Ein- 
wirkungen entzogen  worden  war.  Zwar  tauchten  auch  später 
noch  neue  Sorgen  auf.  Man  sucht  in  Rußland  die  Bestimmungen 
des  Handelsvertrages  durch  die  Einrichtungen  im  Verkehr  des 
sogenannten  Elevatorengetreides  zu  umgehen,  doch  sind  so 
traurige  Verhältnisse  wie  in  den  80  er  Jahren  nicht  mehr  wieder- 
gekehrt. 

Im  Innern  der  Provinz  konnte  natürlich  jede  neue  Bahn- 
eröffnung, sofern  sie  nicht  die  Nachbarhäfen  Memel,  Elbing  und 
Danzig  unmittelbar  anging,  dem  Getreidehandel  nur  förderlich 
sein,  und  es  ist  gewiß,  daß  wir  hier  noch  nicht  an  der  Grenze 
des  Erreichbaren  angelangt  sind. 

Ähnlich  wie  beim  Getreidehandel  liegen  die  Verhältnisse 
beim  Handel  mit  Flachs,  Hanf  und  Hede.  Auch  hierfür  ist 
Rußland  der  Lieferant  Königsbergs.  Dieses  hat  jedoch  anfangs 
umgekehrt  wie  später  beim  Getreidehandel  in  diesem  Zweige 
Riga  mittelst,  der  Eydtkuhner  Bahn  erfolgreich  Konkurrenz 
gemacht. 

Mertens  schreibt  darüber  in  seinem  Aufsatze  über  den  Flachs 
in  Rußland  (cf.  Archiv  für  Eisenbahnwesen  1808  p.  700  ff.): 

,,Es  war  ganz  selbstverständlich,  daß  Riga  den  Flachshandel 
so  lange  beherrschte,  als    es    ausschließlich    durch  Zufuhren  auf 


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42  Der  Einfluß  der  OKtpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

den  Wasserwegen  und  auf  den  Landwegen  mit  Fuhrwerk  ver- 
sorgt wurde.  Trat  hierin  eine  Änderung  ein,  so  konnte  der 
Handelsplatz  von  der  beherrschenden  Stellung  zurückgedrängt 
werden. 

Diese  Änderung  in  den  Zufuhrverhältnissen  ist  durch  die 
Inbetriebnahme  der  Eisenbahnen  eingetreten  und  wenn  Riga 
auch  heute  noch  immer  der  erste  Platz  für  Flachs  und  den 
Flachshandel  ist,  so  ist  doch  der  Verkehr  über  Wirballen  und  den 
Handelsplatz  Königsberg  in  sehr  scharfen  Wettbewerb  getreten. 

Wenn  nun  die  russischen  Ostseehäfen  in  ihrer  Gesamtheit 
die  erste  Stelle  in  bezug  auf  die  ausgeführte  Menge  (in  Flachs) 
einnehmen,  so  treten  doch  bei  Gegenüberstellung  der  einzelnen 
Grenzpunkte  die  baltischen  Häfen  für  einige  Jahre  hinter  Wir- 
ballen zurück.  In  den  Jahren  1884,  1886,  1888,  1889  hat 
Wirballen  sogar  Riga  überflügelt.  Es  bedeutet  das,  daß  der 
Königsberger  Flachshandel  Riga  mit  Erfolg  einen  sehr  lebhaften 
Wettbewerb  gemacht  hat. 

Aber  seit  dem  Jahre  1889  ist  die  über  Wirballen  ausgeführte 
Menge  Flachs  und  Flachshede  regelmäßig  gesunken  und  ist  im 
Jahre  1894  sogar  nur  eine  ganz  besonders  geringe  gewesen, 
allerdings  bringt  schon  das  folgende  Jahr  wiederum  eine  Zahl, 
die  sich  der  des  vorhergehenden  Jahres  sehr  nähert." 

Den  Grund  für  diesen  Rückgang  haben  wir  natürlich  wiederum 
in  den  russischen  Tarifen  zu  suchen.  Jedenfalls  steht  das  eine 
fest,  daß  was  nach  Königsberg  heute  in  diesen  Artikeln  kommt, 
die  Eisenbahnen  benutzt;  und  auch  für  die  Ausfuhr  derselben 
die  Eisenbahnen  ausschlaggebend  sind. 


in  to. 

bahnwärts 

nuüwärts 

seewärts 

Summa 

Zufuhr 

54  262 

55 

133 

54  450 

Ausfuhr 

35  IUI 

56 

16  476 

51  651 

Unter  den  Kolonialwaren  möge  nur  der  Kaffee  besonders 
erwähnt  werden.  Für  sie  alle  zusammen  ist  natürlich  der  Ver- 
brauch ein  viel  stärkerer  geworden  als  in  früheren  Zeiten  denkbar, 
und  das  ist  nur  der  Eisenbahn  zu  verdanken.    Die  Kaffeeeinfuhr 


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Von  W.  Feydt.  43 

stieg  in  Königsberg  von  35  547  Zentner  im  Jahre  1890  auf  58  314 
im  Jahre  1902.  Im  Kohlenhandel  spielt  die  Verbindung  von 
Seeweg  und  Eisenbahn  eine  wichtige  Bolle.  Erst  seit  den  Eisen- 
bahnen ist  in  der  ganzen  Provinz,  in  allen  Städten  der  Kohlen- 
verbrauch, auch  abgesehen  von  dem  Zwecke  der  Industrie  be- 
deutend geworden.  Bietet  doch  auch  der  Landtransport  auf 
diesem  Wege  bei  dem  großen  Gewicht  noch  bedeutende  Schwierig- 
keiten! Für  sich  selbst  haben  die  Eisenbahnen  freilich  in  viel 
höherm  Maß  die  schlesische  Kohle  in  Anspruch  genommen,  die 
auch  in  der  Industrie  Ostpreußens  eine  bedeutende  Holle  spielt, 
während  an  eine  Benutzung  derselben  vor  1850  natürlich  nicht 
zu  denken  war.  Glas,  Porzellan  und  Steingut  werden  vorzugs- 
weise mit  der  Eisenbahn  nach  Königsberg  gebracht,  obwohl  viel- 
fach Klagen  über  Bruch  während  des  Transportes  einlaufen. 
Der  in  neuer  Zeit  immer  umfangreicher  werdende  Verbrauch  von 
Zement  in  der  Provinz  ruht  beim  Mangel  der  Wasserstraßen  für 
große  Teile  derselben  ebenfalls  in  den  Händen  der  Bahn.  Auch 
Eisen  wird  im  Verhältnis  zum  Gewicht  in  recht  bedeutenden 
Massen  per  Bahn  (1902  ca.  10  000  to.)  eingeführt,  wenn  auch 
hier  die  Einfuhr  seewärts  (ca.  17  000to.)  beträchtlich  größer  ist. 
Der  ebenfalls  neue  Handelszweig  mit  Düngemitteln  bedient  sich 
der  Bahnen  zum  Absatz  an  die  Landwirte.  Vom  Petroleum  gilt 
der  Satz,  daß  der  Handel  damit  vom  Bedarf  des  Hinterlandes 
abhängt,  das  heißt  von  den  Eisenbahnen,  wie  überhaupt  erst  mit 
den  neuzeitlichen  Verkehrserrungenschaften  das  Petroleum  seine 
weiteste  Verbreitung  gefunden  hat,  um  in  unserer  schnellebigen 
Zeit  bereits  durch  Gas  und  Elektrizität,  die  beide  total  von 
Maschinen  und  Kohlen,  also  von  der  Bahn,  abhängig  sind,  vom 
Gebrauch  im  großen  Stil  verdrängt  zu  sein.  Konsumartikel  wie 
Wein  und  Heringe,  die  zur  See  nach  Königsberg  kommen,  gehen 
mit  der  Bahn  nach  Rußland,  mit  der  Bahn  in  alle  Winkel  der 
Provinz.  Vom  Tabak  kommt  ebensoviel  mit  der  Bahn  nach 
Königsberg  als  über  See.  Der  Leinwandhandel  kehrt  sich  unter 
den  Wirkungen  der  Bahn  geradezu  um.  Die  Provinz  arbeitet 
nicht  mehr    für    die  Hauptstadt,  sondern  die  Hauptstadt  schafft 


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44  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

auf  den  Eisenbahnen  die  schlesischen  und  westfälischen  Fabrikate 
zum  Absatz  in  der  Provinz  heran.  Mit  Lumpen  und  Butter 
gehts  umgekehrt  wie  mit  Wein  und  Heringen.  Sie  kommen 
mit  der  Bahn  und  gehen  mit  dem  Schiff  weiter.  Vollständiges 
Produkt  der  Eisenbahnen  ist  hier  wie  allenthalben  der  Vieh- 
handel. 

Nicht  gerade  zu  Grunde  gegangen,  aber  in  seiner  Ent- 
wickelung  gehemmt  und  geschädigt  ist  von  allen  Zweigen  nur 
der  Speditionshandel.  Die  ersten  Bahnen  freilich  belebten  ihn. 
Die  Ostbahn  bis  Königsberg  machte  diesen  Ort  zum  Speditions- 
platz für  die  aus  Deutschland,  der  Schweiz,  Frankreich  und 
Italien  kommenden  Speditionen.  Sobald  aber  im  Jahre  1864  der 
direkte  Eisenbahnverkehr  mit  Rußland  ins  Leben  trat,  hörte 
diese  Bedeutung  auf,  und  der  Speditionshandel  wurde  auf  die 
Beförderung  der  überseeischen  Importen  beschränkt.  Aber  auch 
hier  traten  weitere  Bückschläge  ein.  Die  Speditionen  nach  der 
Provinz  gingen  mit  jeder  neuen  Transversale  weiter  zurück;  die 
nach  Bußland  verloren,  sobald  die  russischen  Konkurrenzhäfen 
mit  der  Kownoer  Linie  verbunden  waren,  ihr  Absatzgebiet.  Der 
wichtigste  Artikel  war  der  aus  China  auf  dem  Seewege  über 
London  nach  Königsberg  transportierte  sogenannte  „russische 
Tee."  Er  blieb  vorläufig  erhalten,  da  für  die  Wege  nach  der 
Tee-Metropole  Moskau  Königsberg  noch  immer  vorteilhafter  lag  — 
und,  um  der  Konkurrenz  zu  steuern  —  die  Eisenbahn  die  Tarife 
ermäßigte.  Dazu  kamen  noch  andere  Gründe,  die  von  der  Eisen- 
bahn unabhängig  sind  —  bessere  Verpackung  in  Königsberg  als 
in  russischen  Häfen,  billigeres  Emballierungsmaterial  —  aber 
auch  der  Umstand  wirkte  mit,  daß  die  Südbahn  Tee  ausnahms- 
weise ebenso  schnell  wie  Eilgut  beförderte,  so  daß  er  in  sieben 
Tagen  nach  Moskau  gelangte.  Alle  anderen  Artikel  zogen  sich 
jedoch  im  Lauf  der  Jahre  ausnahmslos  nach  russischen  Häfen 
und  von  1887  an  fängt  Odessa  auch  im  Teehandel  an  zu 
konkurrieren.  Heute. liegen  die  Verhältnisse  so,  daß  nur  noch 
ostindischer  Tee  in  nennenswerten  Massen  nach  Bußland  geht, 
während  das  Gros  der  russischen  Teeeinfuhr  entweder  auf  dem 


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Von  W.  Feydt.  45 

Landwege  über  Sibirien  (sibirische  Bahn)  oder  seewärts  über 
Odessa  nach  Moskau  geht.  Als  1902  der  Weg  von  den  russischen 
Ostseehäfen  nach  Moskau  eine  neue  Abkürzung  erfahr,  fiel  auch 
dieser  Ort  für  die  Innenspedition  fort  und  es  blieben  nur  noch 
die  russischen  Speditionen,  die  für  in  der  Nähe  der  Grenze 
liegende  Orte  bestimmt  sind. 

Wir  werden  im  Interesse  des  Königsberger  Handels  den 
Bückgang  dieses  Zweigs  bedauern  können,  aber  ihn  im  Gegen- 
satz zu  den  künstlichen  Schädigungen  des  Getreidehandels  ver- 
ständlich und  natürlich  finden. 

Neben  dem  Handel  Königsbergs  hat  die  Industrie  lange 
eine  sehr  bescheidene  Bolle  gespielt.  Zwar  werden  schon  im 
Berichte  von  1853  eine  ganze  Anzahl  Fabriken  erwähnt,  aber 
größere  Etablissements,  die  50  und  mehr  Arbeiter  beschäftigten, 
gab  es  1855  erst  fünf  am  Orte,  von  denen  drei  Eisengießereien 
und  Maschinenfabriken  waren.  Es  würde  ermüdend  sein,  im 
einzelnen  aufzuzählen,  wann  jede  Industrie  entstanden  und  welche 
Bahnen  den  Anlaß  dazu  gaben  und  Absatzgebiete  schufen.  Auch 
wird  sich  hier  viel  weniger  als  beim  Handel  eine  Abhängigkeit 
von  bestimmten  Linien  feststellen  lassen.  Nur  das  eine  kann 
gesagt  werden,  daß  die  Verbindung  mit  dem  Westen,  die  Ost- 
bahn, der  Anstoß,  alle  Bahnen  der  Provinz  zusammen  die  Stützen 
für  eine  weitere  Entwickelung  geworden  sind.  Es  lassen  sich 
heute,  wenn  man  bis  ins  Kleinste  detailliert  ca.  100  Industrie- 
spielarten unterscheiden,  wobei  freilich  das  moderne  Streben  jeden 
Betrieb  „Fabrik"  zu  nennen,  einschränkend  zu  berücksichtigen 
ist.  Den  engen  Zusammenhang,  in  dem  die  ganze  Industrie 
Ostpreußens  mit  der  Landwirtschaft,  dem  Haupterwerbzweig  der 
Provinz  steht,  kann  auch  die  der  Hauptstadt  nicht  verleugnen. 
Eisengießereien  und  Maschinenfabriken  und  Brauereien  sind  auch 
heute  noch  die  größten  Industriezweige  Königsbergs.  Jene  setzen 
an  die  Landwirtschaft  ihre  mannigfaltigen  Erzeugnisse  ab,  diese 
empfangen  von  ihr  das  notwendige  Bohmaterial.  Aber  interessant 
ist  es  zu  sehen,  wie  in  Königsberg  die  Eisenbahn,  die  jene  erste 
Industrie    großzog,  ihr   auch    in  Notlagen  ihre  hülfreiche  Hand 


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46  Der  Einfluß  der  oatpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

entgegenstreckte.  Lokomotiven  und  Eisenbahnwagen  sind  in 
großer  Zahl  seit  1850  aus  der  „Union"  hervorgegangen.  Heute 
hat  diese  Werkstatt  einen  Umsatz  von  4  100  000  Mark,  58  Beamte 
und  842  Arbeiter.  Ganz  gewaltig  hat  sich  die  Bedeutung  der 
beiden  Königsberger  Brauereien  in  Schönbusch  und  Ponarth 
gehoben.  Unter  ihrem  Schutze  gleichsam  ist  in  beiden  Orten 
eine  bedeutende  Siedelung  entstanden,  die  zusammengewachsen 
ist  und  durch  Extrazüge  der  Königlichen  Ostbahn  und  elektrische 
Bahn  mit  der  Stadt  verbunden  ist.  Zu  beiden  Brauereien  führen 
Schienengeleise  direkt  von  der  Strecke. 

Die  Gemeinde  Ponarth,  zu  der  neuerdings  Schönbusch  ge- 
hört, zählte: 

1867:      233  Einwohner 
1871:      441 

1885:    1884 
1895:    4425 

Beide  Brauereien  zusammen  produzieren  heute  im  Jahre 
über  300  000  Hektoliter  Bier.  Auch  die  Brauerei  Wickbold  hat 
sich  durch  ihre  Lage  an  der  Südbahn,  11  km  von  der  Stadt 
entfernt,  entwickelt.  Ein  Unikum  in  Ostpreußens  Industrie  ist 
die  Bernsteinindustrie.  Ihren  Zwecken  dient  die  schon  erwähnte 
Palmnicker  Bahn.  Die  Bernstein  werke  befinden  sich  in  Königs- 
berg in  der  Bahnhofstraße,  also  nicht  weit  vom  Bahnhofe  entfernt. 

Bei  der  großen  Zahl  von  Arbeitern,  die  heute  in  ihren 
Betrieben  beschäftigt  sind,  hat  die  Industrie  für  die  Stadt  eine 
recht  erhebliche  Bedeutung  gegen  frühere  Zeiten  gewonnen.  Das 
Verhältnis  zum  Handel  ist  oben  bereits  angegeben. 

Überblicken  wir  zum  Schlüsse  noch  einmal  Bändel  und 
Industrie  in  Königsberg,  so  können  wir  mit  dem  Handelsberichte 
von  1899  sagen:  Beim  Überblicke  von  1800 — 1900  ergeben  sich 
anfänglich  langsame,  dann  aber  bedeutende  Fortschritte  des 
Handels.  Bis  1850  bewegte  er  sich  in  engen  Grenzen;  1829 
betrug  die  Ausfuhr  70  000  to;  in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren 
findet  zum  ersten  Male  eine  beträchtliche  Steigerung  statt. 


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Von  W.  Fevdt. 


47 


Königsberg  ist  in  das  Zeitalter  der  Eisenbahnen  ein- 
getreten. Gesamt -Einfuhr  und  -Ausfuhr  haben  sieh  seitdem  in 
stark  aufsteigender  Linie  bewegt. 


Einfuhr: 

Ausfuhr: 

1868:  418119  to 

1868:  314603  to 

1880:  688  045  -- 

1880:  425  954  -- 

1890:  924  G65  -- 

1890:  628  527  -- 

1900:  1858  064  = 

1900:  987  598  ■■ 

Umfang  in  to 

ä  20  Zentner. 

Einfuhr: 

Ausfuhr: 

1868 

162  483570  Mk. 

1868:  140699  919  Mk 

1880 

184355007  * 

1880:  141826666  * 

1890 

.  191812  899  -- 

1890:  153  588  232  ; 

1900 

.    320750455  -- 

1900:  227 181 541  ■- 

Wert  in 

Mark. 

Seeschiffahrt  und  Binnenschiffahrt  (Memelstrom  -  Deime- 
Pregel)  haben  mit  den  Eisenbahnen  einen  Bund  geschlossen,  an 
dessen  Befestigung  und  Verbesserung  fortzuarbeiten  auch  heute 
noch  das  vornehmste  Interesse  der  Königsberger  Handelsherren 
ist.  Mag  es  sich  auch  für  die  Eisenbahnen  nicht  mehr  um 
neue  Linien  handeln,  auf  die  sich  alles  Interesse  konzentriert, 
so  werden  die  Fragen  des  Eisenbahnverkehrs  mit  Rußland 
immer  eine  ebenso  große  Aufmerksamkeit  beanspruchen  wie  die 
der  Schiffahrt,  die  augenblicklich  durch  Seekanal  und  Hafen- 
ausbau im  Vordergrunde  stehen. 

Nur  einmal  noch  kann  es  dahin  kommen,  daß  eine  Eisen- 
bahnfrage auch  unsere  Handels  weit  voll  und  ganz  in  Anspruch 
nehmen  wird.  Es  ist  die  des  Zentralbahnhofes,  der  jetzt  schon 
eine  Notwendigkeit,  kurz  über  lang  Königsberg  doch  beschieden 
sein  wird.  Damit  werden  wir  auf  das  Gebiet  der  äußeren  Ver- 
änderungen des  Stadtbildes  unter  dem  Einflüsse  der  Eisenbahnen 
geführt,  mit  dessen  Betrachtung  wir  dieses  Hauptkapitel  unserer 
Arbeit  abschließen  wollen. 


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48  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Allein  auch  hier  müssen  wir  uns  auf  weniges  beschränken. 
Eine  Stadt,  die  sich  in  40  Jahren  verdoppelt  hat,  muß  natür- 
liche außerordentliche  Veränderungen  in  ihrem  Gesamtbilde 
durchgemacht  haben,  in  vielen  Teilen  geradezu  unkenntlich  ge- 
worden sein  und  sich  durch  viel  neue  vergrößert  haben.  Noch 
besser  als  für  das  Jahr  188G  paßt  für  das  Jahr  1904  der  in  seiner 
Naivität  und  Frische  so  köstliche  Ausruf  Hennenbergers  vom 
Jahre  1595:  „So  man  nur  Königsberg  ansiehet,  lieber  Gott,  welch 
eine  Veränderung  ist  nun  in  den  40  Jahren  da  geworden,  und 
währet  noch  von  Tag  zu  Tag,  wie  gewaltige  Gebäud'  sind  da 
aufgerichtet,  wie  sind  alle  Winkel  ausgebauet!" 

So  verlockend  es  wäre,  wir  können  dem  guten  Hennenberger 
nicht  in  alle  diese  „Winkel"  folgen  und  betrachten,  wie  sie  aus- 
gebaut werden,  wir  wollen  vom  Stadtbilde  nur  den  Teil  betrachten, 
der  unter  dem  unmittelbaren  Einfluß  der  Eisenbahn  gestanden 
hat  und  noch  steht,  das  heißt  den  Stadtteil,  wo  die  Bahnhöfe 
liegeu.    Dabei  müssen  wir  natürlich  von  ihnen  selbst  ausgehen1). 

Im  Südwesten  unserer  Stadt  erstreckte  sich  vor  dem  Jahre  1850 
vom  Fort  Friedrichsburg  bis  zum  Brandenburger  Tor  ein  gänz- 
lich unbebautes  Terrain.  Die  dort  liegenden  Wiesen  hatte  man 
schon  frühzeitig  eingedeicht,  und  die  Dämme  mit  Bäumen  und 
Hecken  bepflanzt.  Sie  bildeten  einen  beliebten  Spaziergang  der 
Königsberger  Gelehrtenwelt.  Ob  nun  vor  Kant  schon  oder 
durch  ihn  erst  erhielt  diese  Promenade  den  Namen  „Philosophen- 
damma. 

Er  begann  an  der  Stelle,  wo  heute  Schleusenstraße  und 
Borchertstraße  zusammenstoßen  und  zog  in  der  Richtung  der 
letzteren  geradeaus  weiter,  um  sich  als  „Poetensteig"  hinter  dem 
Nassen  Garten  fortzusetzen.  Diese  Bezeichnung  begann  an  der 
Stelle,  wo  ein  Graben  nordwärts  von  Fort  Friedrichsburg  herkam, 
um  am  Damme  zu  enden.  Ging  man  also  an  dieser  Stelle 
westwärts  weiter,    so  betrat    man   den   „Poetensteig",    bog    man 


1)  Zum  Verständnis   des    Folgenden    ist   der   neueste   Plan    der    Königl. 
Haupt-  und  Residenzstadt  Königsberg  erforderlich. 


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Von  W.  Feydt.  «  49 

dagegen  nach  Norden  ab,  so  blieb  man  auf  dem  Philosophen- 
damm, der  in  dieser  Partie,  wo  man  bei  Sonnenuntergang  weit 
über  Pregel  wiesen  und  Tal  herabsehen  konnte,  landschaftlich 
die  schönste  Aussicht  bot.  Der  Damm  ging  vom  Graben  ent- 
lang bis  zum  Fort  nordwärts,  folgte  dessen  Südgrenzen  in  Lauf 
und  Richtung  und  bog  schließlich  nach  Osten  von  demselben 
ab,  gerade  bis  zum  Knie  des  damals  noch  von  Kähnen  hin  und 
her  benutzten  Zug-  oder  in  diesem  Teil  auch  Kielgrabens  ge- 
nannten Pregelabflusses  gehend.  Hier  teilte  er  sich  in  zwei 
Arme,  der  eine  verlief  als  Sackgasse  genau  nördlich  am  Zug- 
graben entlang  bis  zum  Pregel  (heute :  Zwischenraum  vom 
Pillauer  Bahngeleise  und  Aschhof),  der  andere  ging  in  östlicher 
Richtung  ebenfalls  dem  Wasserlaufe  folgend  bis  zu  der  durch 
einen  Holzwolm  abgeschlossenen  und  nur  durch  eine  zwei  Meter 
breite  Laufbrücke  mit  dem  Wiesenterrain  verbundenen  Klapper- 
wiese. Sie  wurde  in  gerader  Linie  von  dem  sogenannten 
„Kastaniengang"  fortgesetzt  (heutige  Schleusenstraße),  einer 
Allee,  die  genau  an  der  Stelle  endete,  wo  der  Philosophendamm 
anfing. 

Dieses  so  eingeschlossene  Viereck,  daß  sich  nach  heutigen 
Straßen  nur  im  Osten  und  Westen  begrenzen  läßt  und  zwar  im 
Osten  Schleusenstraße,  im  Norden  und  Süden  dagegen  von  den 
zusammenhängenden  Bahnanlagen  überschritten  wird  und  nur 
im  Anfang  der  Philosophendammgasse  dem  alten  Spazierwege 
entspricht,  wurde  mitten  durchschnitten  von  dem  sogenannten 
Tränendamm,  der  aus  dem  1811  verbrannten  Getreide  auf- 
geschüttet war  (nach  andern  Quellen  vom  1770er  Speicherbrand). 
Er  zog  sich  etwa  von  der  heutigen  Pumpstation  nördlich  vom 
Ostbahnhofe,  parallel  mit  der  heutigen  Schleusenstraße  bis  zum 
Schnittpunkte  mit  dem  Philosophendamm  hin1). 

1)  Es  ist  also  darauf  zu  achteu,  daß  nur  der  erste  Teil  der  heutigen 
Philosophcndammgasse  dem  alten  Damme  entspricht;  der  heutige  Durchgang 
zwischen  Ostbahngebäude  und  Südbahngelcisen,  der  nach  der  Wallstraße  führt, 
kann  nicht  dafür  angesprochen  werden,  da  der  alte  Damm  quer  über  das  Ost- 
bahnplanum  und  durch  die  heutigen  Festungsanlagen  zum  noch  als  Damm  be- 
stehenden Poetensteig  zwischen  Nassen  Garten  und  Kaibahnhof  lief. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XIJI.     Hft.  1  u.  2.  1 


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50  Der  Einfluß  der  oetpreußisohen  Eisenbahnen  etc. 

Dieses  Terrain  wurde  von  der  Königlichen  Ostbahn  zum 
Bau  der  Bahnhofsanlagen  bestimmt.  Unzählige  Sandfuhren  wurden 
notwendig  und  ein  System  von  Pfählen  mußte  in  den  Boden 
geschlagen  werden,  um  einen  festen  Grund  zu  erhalten.  An- 
gesichts dieser  Mühseligkeiten  scheint  es  fast  undenkbar,  wenn 
in  späterer  Zeit  die  Auswahl  dieser  Stelle  zum  Bahnhof  getadelt 
worden  ist.  Anfangs  war  das  Gegenteil  der  Fall.  Der  Handels- 
stand begrüßte  die  Anlage  des  Bahnhofes  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Hauptverkehrs  als  eine  große  Errungenschaft,  und  das  muß 
man  auch  heute  nicht  vergessen,  wo  innerhalb  der  Festungs- 
werke der  Baum  für  Wohngebäude  so  knapp  geworden  ist,  daß 
man  den  Verlust  von  41  ha,  das  heißt  7 — 8  %  der  Gesamtfläche 
des  Weichbildes  durch  Bahnhofsanlagen  als  Übelstand  empfindet. 
Kaum  glaublich  scheint  aber,  daß  die  Verwaltung  1850  noch 
garnicht  an  eine  Fortführung  der  Ostbahn  gedacht  haben  soll. 
Gewiß  wurde  Königsberg,  so  wie  man  den  Bahnhof  einmal  an- 
gelegt hatte,  Kopfstation  und  dieser  Umstand  Veranlassung  zu 
vielen  Schwierigkeiten,  aber  man  war  eben  1860  noch  nicht  so 
weit  wie  1900  und  für  den  Verkehr,  auf  den  man  auch  1860 
noch  rechnete,  hätte  auch  eine  Kopfstation  von  der  Ausdehnung 
unseres  Bahnhofes  genügt.  Der  Ostbahnhof  ist  erst  späteren 
Zeiten  in  ungünstigem  Lichte  erschienen.  Wir  wissen  heute, 
daß  wir  mit  bald  200000  Einwohnern  keinen  den  anderen  Bahn- 
höfen größerer  Städte  entsprechenden  haben;  er  erscheint  uns 
unfreundlich,  eng  und  durchaus  veraltet.  Und  doch  ist  er  seiner 
Zeit  als  ein  Wunder  der  Baukunst  gepriesen  worden.  Rosen- 
kranz sagt  darüber:  (Königsberg  und  der  moderne  Stadtbau 
pg.  27):  „Das  hiesige  Bahnhofsgebäude  ist  unstreitig  eines  der 
großartigsten,  die  es  irgend  gibt.  Die  Eisenpfeiler,  die  mit 
kühnem  Schwung  seine  hohen  Räume  stützen,  sind  von  außer- 
ordentlicher Schönheit  und  ein  Werk  der  hiesigen  Uniongießerei. 
Wohin  das  Auge  hier  blickt,  zeigen  sich  die  Anfänge  eines 
neuen  und  schöneren  Lebens.  Reizende  Gärten  dehnen  sich  um 
das  Bahnhofsgebäude  und  da,  wo  sonst  ein  kleines  Haus  mit 
einer  schlichten  Kegelbahn  stand,  sehen  wir  jetzt  das  geräumige 


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Von  W.  Feydt.  51 

und  geschmackvolle  Restaurationslokal  von  Sanssouci,  mit  allem 
modernen  Komfort  ausgestattet,  sich  immer  heiterer  entwickeln 
und  nur  der  dem  schwarzen  Cocytus  ähnliche,  übelriechende 
Graben  längs  der  Zuckerraffinerie  bleibt  ein  Mißstand  für  diese 
anmutige  Promenade." 

Diese  Umgebung  hat  sich  nun  freilich  nicht  so  reizvoll 
erhalten.  Der  eigentliche  Bahnhofsplatz  ist  zwar  noch  heute  mit 
schönen  Anlagen  umgeben,  aber  das  Gebiet  hinter  dem  Empfangs- 
gebäude hat  dem  wachsenden  Verkehr  seine  schöne  Gestalt 
opfern  müssen.  Dieses  selbst  hat  im  Laufe  der  Jahre  auch 
bedeutende  Veränderungen  erlitten,  ohne  seine  ganze  Gestalt  zu 
ändern.  Der  Eingang  befand  sich  nämlich  früher  auf  der  Schmal- 
seite, in  ihm  lagen  die  Billett-  und  Gepäckräume,  während  die 
Wartesäle  rechter  Hand  im  Gebäude  lagen  und  dahinter  Garten 
und  Anlagen  bis  nach  dem  Fort  Friedrichsburg  hin.  Teils 
Festungs-,  teils  immer  erweiterte  Bahnanlagen,  namentlich  seit- 
dem hier  die  Verbindung  mit  der  Eisenbahnbrücke  hergestellt 
wurde  und  der  Güterverkehr  immer  mehr  Raum  in  Anspruch 
nahm,  haben  sie  bis  auf  den  wenig  schönen  schmalen  Streifen 
des  von  Kohlendunst  umgebenen  sogenannten  „Wilhelms-Park" 
eingehen  lassen,  and  dieser  hat  heute  als  Anlage  keinen  Wert 
mehr.  Der  ganze  Schwerpunkt  des  Bahnhofes  hat  sich  nach  der 
anderen  Längsseite  gekehrt.  Allmählich  wurde  sie  ausgebaut  und 
Veränderungen  in  der  Konstruktion  verschiedener  Teile,  wie  Vor- 
halle und  Billettschalter  sind  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  vor- 
gekommen, um  dem  stets  riesiger  anschwellenden  Verkehre  ge- 
recht zu  werden.  Auf  dieser  Seite  liegen  heute  Gepäckabfertigung, 
Stückgutablieferung  und  Wartesäle,  hier  der  Haupteingang  zu 
den  Perrons.  Der  innere  Bahnhofsraum  ließ  sich  nicht  vergrößern. 
Aber  mit  den  beiden  Perrons  an  den  Seiten  kam  man  bald  nicht 
mehr  durch.  Bei  Eröffnung  der  Labiauer  Strecke,  die  ja  nicht 
durch  das  Eisenbahntor  geht,  sondern  in  umgekehrter  Richtung 
nach  der  Eisenbahnbrücke  den  Bahnhof  verlassen  sollte,  mußte 
bereits  ein  neuer  Nebenperron  außerhalb  der  Halle  eingerichtet 
werden  und  die  letzten  Transversalbahnen  nach  Rudczanny  und 


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52  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Gerdauen  veranlaßten  die  Anlage  eines  Zwischenperrons  an 
Stelle  eines  Geleises.  Dadurch  hat  der  Bahnhof  die  Gestalt 
angenommen,  die  in  großem  Maßstabe  auch  der  berühmte  Frank- 
furter hat,  allein  es  fehlt  hier  an  dem  notwendigen  Kaum.  Die 
Halle  müßte  drei  Mal  so  breit  sein,  um  den  Anforderungen  des 
heutigen  Verkehrs  zu  entsprechen.  Der  Hauptübelstand  liegt 
also  gar  nicht  mal  in  der  „Kopfstation4*,  die  ja  nur  das  Vor- 
spannen einer  neuen  Maschine  verlangt,  die  vielleicht  doch  ge- 
wechselt werden  würde,  sondern  in  der  Enge,  obwohl  man  wohl 
nicht  fehl  geht,  wenn  man  für  den  künftigen  Zentralbahnhof 
den  Typus  der  Durchgangsbahnhöfe  annimmt  mit  Unterführungen 
zu  den  hintereinander  liegenden  Geleisen.  Der  übelriechende 
Graben,  den  Rosenkranz  erwähnt,  ist  heute  natürlich  längst 
verschwunden.  An  seiner  Stelle  steht  eine  Anzahl  prächtiger 
Häuser  in  der  Schleusen straße.  Im  Verhältnis  zu  den  alten  Zu- 
ständen steht  das  heutige  Empfangsgebäude  schräg  über  dem 
Tränendamme.  Straße  und  Anlagen  an  der  Schmalseite  nehmen 
ein  Stück  des  Philosophendammes  ein. 

Vollendet  wurde  das  Bahnhofsbild  aber  erst  mit  den  An- 
lagen der  Pillauer  und  Südbahn.  Daß  der  Bahnhof,  obwohl 
eine  Privatgesellschaft  jene  Strecken  baute,  in  Zusammenhang 
mit  dem  der  Staatsbahn  stehen  müßte,  war  um  der  Forderungen 
des  bequemen  Verkehrs  willen  selbstverständlich.  Allein  die 
Führung  der  Linien,  von  denen  die  eine  entschieden  nördlich 
vom  Ufer  der  unteren  Pregelstrecke  und  am  Haffrande  entlang 
nach  Pillau  geht,  die  andere  dagegen  das  Provinzland  südlich 
von  der  Pregellinie  zu  durchqueren  hatte,  im  Verhältnis  zur 
Lage  der  Stadt  machten  die  Überbrückung  des  Flusses  not- 
wendig. 

Dazu  aber  wurde  wegen  der  bedeutenden  Kosten  staatliche 
Hilfe  verlangt  und  bewilligt.  Es  handelte  sich  also  um  eine 
dreifache  Anlage:  Bahnhof  für  die  Pillauer  Strecke,  Pregelbrücke 
mit  Verbindungsgeleisen  und  Bahnhof  für  die  Südbahn. 

Für  die  Lage  des  Pillauer  Bahnhofes  wurde  es  ausschlag- 
gebend, daß    die  Stadt  Königsberg   nördlich  vom  Pregel  in  der 


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Von  W.  Fcyclt.  53 

quadratischen  Lizentwiese  einen  geeigneten  Baum  besaß.  Die 
Kommune  nahm  bei  dem  großen  Interesse,  daß  sie  an  einer 
schnellen  Herstellung  der  Pillauer  Bahn  hatte,  keinen  Anstand, 
diese  Wiese  unentgeltlich  der  Gesellschaft  zu  Bahnanlagen  herzu- 
geben. Andererseits  hatte  die  Ostbahn  für  ihre  Anlagen  nicht 
das  ganze,  unbebaute  Terrain  zwischen  Klapperwiese  und  Branden- 
burger Tor  gebraucht,  so  daß  sich  der  neue  Südbahnhof  neben 
die  Anlagen  der  Ostbahn  legen  konnte.  Eine  weitere  Bequemlich- 
keit veranlaßte  der  Umstand,  daß  man  das  Empfangsgebäude 
der  Südbahn  im  rechten  Winkel  neben  das  der  Staatsbahn  legen 
konnte,  wodurch  ein  einheitlicher  Bahnhofsplatz  für  beide  Bahnen 
geschaffen  wurde,  während  der  Güterbahnhof  den  westlichen  Teil 
eines  aus  Gemüseacker  bestehenden  Terrains  einnahm,  das  im 
Norden  von  Borchertstraße  und  Philosophendamm,  im  Osten  von 
der  Hinteren  Vorstadt,  im  Süden  vom  alten  Garten,  im  Westen 
von  der  Ostbahnanlage  begrenzt  wurde.  Damit  ging  ein  weiteres 
Stückchen  vom  alten  Philosophendamm  verloren  durch  das  Ge- 
leise, auf  dem  die  Südbahnzüge  durch  das  für  sie  neben  dem 
schon  bestehenden  Eisenbahntore  neu  errichteten  in  den  Per- 
sonenbahnhof einfuhren;  der  Bequemlichkeit  halber  wurde  aber 
zwischen  den  Anlagen  beider  Bahnen  eine  Straße  gelassen,  die 
noch  heute  zum  Walle  an  den  Maschinenhäusern  erst  links  der 
Süd-,  dann  rechts  der  Ostbahn  vorüber  zum  Walle  führt  und 
fälschlich  für  den  „alten  Philosophendamm" gehalten  wird.  Größere 
Schwierigkeiten  machten  die  Verbindungsgeleise  dieser  Bahn- 
anlagen. Zunächst  waren  Stadt  und  Staat  sich  nicht  über  die 
Stelle  einig,  an  der  die  Eisenbahnbrücke  liegen  sollte.  Die  Stadt 
verlangte,  die  Brücke  möge  so  weit  wie  möglich  unterhalb  des 
Bahnhofes  zu  liegen  kommen,  damit  der  Binnenhafen,  der  durch 
sie  entstände,  nicht  zu  sehr  beengt  würde  (Hand.-Ber.  1861).  Dar- 
nach hätte  die  Brücke  nach  der  Uferstelle  zwischen  Salzmagazin 
und  Packhof  geführt  werden  und  der  Lizentbahnhof  eine  ver- 
änderte Lage  im  Südwestwinkel  der  Wiese  bekommen  müssen. 
Der  Staat  kümmerte  sich  darum  nicht.  Er  benutzte  das  älteste 
zum  Piegel  führende  Ostbahngeleise,  das  ziemlich  dicht  am  alten 


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54  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Philosophendamm  entang  (Nordarm),  zwischen  Zuggraben  and 
Güterschuppen  ging  und  legte  von  dieser  Pregelstelle  die  Brücke 
über  den  Fluß,  so  daß  das  Geleise  erst  am  Packhofe  vorbei- 
laufend die  Lizentwiese  berührte  und  dem  Bahnhof  dort  die 
heutige  Lage  an  der  Nordostäcke  gab.  Ein  Hauptgrund  hierfür 
lag  wohl  darin,  daß  vom  Südbahnhofe  ein  eigenes  Geleise  der 
Privatbahn  nach  der  Brücke  gelegt  werden  sollte,  während  bei 
Ausführung  des  Stadtprojektes  eine  dauernde  und  nur  zu  Ver- 
wickelungen führende  Mitbenutzung  der  Ostbahngeleise  not- 
wendig geworden  wäre.  Dieses  Verbindungsgeleise  war  der 
Stadt  ein  zweiter  Stein  des  Anstoßes.  Es  ließ  sich,  wie  die 
Verhältnisse  lagen,  ohne  die  Staatsbahn  zu  berühren,  nur  an  der 
Ostseite  beider  Empfangsgebäude  vorbei  über  den  Bahnhofsplatz 
führen,  und  damit  wollte  man  sich  gar  nicht  zufrieden  geben. 
Die  Störungen,  die  durch  die  die  Straße  im  Niveau  über- 
schreitenden Züge  für  den  Verkehr  entstehen  würden,  wurden 
in  übertriebener  Weise  als  außerordentlich  große  bezeichnet, 
auch  Sicherheitsgründe  mögen  mitgesprochen  haben.  Geändert 
wurde  durch  die  Einsprachen  freilich  nichts,  weil  sich  auch 
nichts  ändern  ließ,  und  so  führt  auch  heute  noch  der  Schienen- 
strang quer  über  den  Zugang  zu  den  Bahnhöfen  und  alle  Güter- 
züge der  Südbahn,  die  von  Bußland  nach  Pillau  gehen,  passieren 
diesen  Weg.  Man  denkt  heute  ruhiger  darüber  und  auch  be- 
deutende Verkehrsstockungen  haben  sich  bisher  nicht  ergeben. 
Der  Bau  der  Eisenbahnbrücke  erregte  in  hohem  Grade  das 
Interesse  der  Stadt.  Man  bewunderte  den  Bau  des  Strompfeilers 
in  einem  an  starken  Ketten  hängenden  eisernen  Fundamentierungs- 
kasten.  Am  1.  Januar  1865  war  er  fertig,  nachdem  er  57000  Taler 
gekostet  hatte,  und  der  weitere  Brückenbau  nahm  nun  nicht 
mehr  viel  Zeit  in  Anspruch.  (Ausführliche  Schilderung  des 
Baues  der  Brücke  in  Zeitschrift  für  Bauwesen,  Jahrgang  XVI. 
Berlin  1866  pag.  518  ff.)  Allein  auch  als  sie  fertig  war,  ergaben 
sich  bald  neue  Übelstände.  Der  Durchlaß  für  die  Schiffe  lag 
den  Ansichten  der  Handelsleute  nach  an  ungünstiger  Stelle  und 
beengte  den  Baum  am  Kai,  ein  weit  größerer  Übelstand   stellte 


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Von  W.  Feydt.  55 

sich  erst  in  neuerer  Zeit  durch  seine  im  Verhältnis  zu  den 
großen,  neuzeitlichen  Dampfern  zu  geringe  Breite  heraus;  die 
Kaufmannschaft  wandte  sich  dieserhalb  1901  an  den  Minister. 
Über  den  weiteren  Verlauf  dieser  Angelegenheit  liegen  dem 
Verfasser  Nachrichten  nicht  vor. 

Allein  das  alles  war  doch  nur  cura  posterior  gegenüber 
anderen  Übelständen,  die  sich  trotz  der  Lage  der  Bahnhöfe  in 
der  verkehrsreichsten  Gegend  erhoben.  Sie  rührten  von  dem 
ungeheuren  Umfange  her,  den  der  Güterverkehr  nahm  und  der 
ungenügenden  Ausdehnung  der  Bahnhofsanlage,  die  nicht  im- 
stande war,  ihn  zu  bewältigen.  Zwei  Punkte  waren  es  vor 
allem,  die  die  Übelstände  vermehrten.  Für  den  Transport  der 
Waren,  hauptsächlich  des  Getreides  etc.  nach  den  Speiohern 
fehlte  ein  bequemer  Weg.  Alles  mußte  auf  Wagen  vom  Bahn- 
hof nach  dem  Speicher  und  vom  Speicher  zum  Bahnhof  ge- 
schafft werden.  Das  verursachte  großen  Zeit-  und  Geldverlust, 
war  außerdem  dem  Stadtverkehr  in  den  engen  Straßen  außer- 
ordentlich hinderlich. 

Ferner  existierte  keine  auch  nur  annähernd  ausreichende 
Vorrichtung  für  den  direkten  Transport  aus  den  Bahn- Waggons 
in  die  Schiffe.  Daraus  ergaben  sich  zwei  Aufgaben:  Einmal 
Geleisverbindung  des  Speicherviertels  mit  dem  Lizentbahnhof, 
dann  Anlage  eines  besonderen  Güterbahnhofes  am  Pregelufer 
im  Anschluß  an  beide  schon  bestehende  Güterbahnhöfe  der  Ost- 
und  Südbahn. 

Die  erste  Frage  wurde  bereits  nach  den  ersten  Massen- 
lieferungen der  Eydtkuhner  Bahn  brennend,  aber  man  behalf 
sich  mit  Lastfuhrwerken,  da  man  wegen  technischer  Schwierig- 
keiten und  Kostendifferenzen  zwischen  Stadt  und  Handelsstand 
zu  keiner  Einigung  kam.  Schließlich  ging  es  aber  nach  der 
Südbahneröffnung  nicht  mehr  so  weiter,  und  die  Gesellschaft 
teilte  1873  mit,  daß  sie  vom  Lizent  gerade  durch  bis  zum  Pregel 
(Hundegatt)  Geleise  legen  wollte.  Man  hatte  schon  an  eine 
Pferdeeisenbahn  gedacht.  Allein  die  Streitigkeiten  zwischen 
den  verschiedensten  Behörden,    die  dabei  mitzusprechen   hatten, 


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5tf  Der  Einfluß  der  otpnni  Bischen  Ki.-cnbahnen  etc. 

auch  die  unbegreiflichen  Einsprüche  der  Adjazenten  ließen  es 
erst  1880  dahin  kommen,  daß  die  Geleislegung  in  Angriff  ge- 
nommen wurde,  um  bald  darauf  im  lebhaften  Gebrauch  zu  sein, 
ohne  daß  sich  die  von  den  Behörden  mit  so  viel  Nachdruck 
hin  und  her  erörterten  Schwierigkeiten  einstellten.  Langsam, 
aber  schließlich  doch  war  die  Eisenbahn  zu  ihrem  guten  Recht 
gekommen,  eine  Förderung  der  Verkehrsbedingungen  zu  sein. 
Ungleich  wichtiger  war  das  andere  Projekt:  Die  Anlage  eines 
besonderen  Güterbahnhofes  am  Pregel.  Schon  1873  herrschten 
unhaltbare  Zustände.  Achteinhalb  Millionen  Zentner  Güter 
wurden  vom  Schiff  zur  Bahn  oder  umgekehrt  transportiert;  alle 
machten  den  eine  viertel  bis  eine  halbe  Meile  langen  Weg  durch 
enge  Straßen  auf  Lastwagen.  Der  Bahnhof  in  der  Stadt  erwies 
sich  trotz  dauernder  Erweiterung  bei  Ost-  und  Südbahn  als 
ganz  ungenügend;  weit  draußen  vor  den  Festungswerken  ent- 
stand 1867  aus  den  Rangiersträngen  ein  zweiter  Güterbahnhof, 
aber  auch  hier  stopften  sich  die  Güterwagenmassen,  und  der 
Weg  für  die  Frachtfuhren  war  dadurch  nur  noch  um  ein  gutes 
Stück  länger  geworden.  Eng  war  es  aber  auch  innerhalb  der 
eigentlichen  Stadt  auf  dem  Flusse.  In  dem  Gewühle  von 
Dampfern  und  Kähnen  trat  auch  hier  bald  Stopfung  hinder- 
lichster Art  ein.  (Hand.-Ber.  1873.)  Man  berechnete  durch  diese 
Übelstände  eine  Verteuerung  des  Getreides  von  eineinhalb  bis 
drei  Silbergroschen  pro  Zentner.  Zu  ihrer  Beseitigung  wurde 
die  Anlage  eines  ganz  neuen  Kaibahnhofes  gefordert,  der  außerhalb 
der  Stadt  am  Südufer  des  Pregels  liegen  und  aus  Bahnaulagen, 
Güterschuppen  und  Ladevorrichtungen  für  Schiffe  bestehen  sollte. 
Deputationen  gingen  an  den  Minister  ab,  Stadt  und  Korporation 
der  Kaufmannschaft  bewilligten  ansehnliche  Summen.  Die  Staats- 
verwaltung erkannte  die  bestehenden  Übelstände  an  und  erbot 
sich  in  der  entgegenkommendsten  Weise,  auch  die  Lagerschuppen 
zu  bauen.  Am  1.  November  1877  konnte  der  Kaibahnhof  für 
Verladung  von  Getreide,  Hülsenfrüchten  und  Ölsaaten  dem  Ver- 
kehr übergeben  werden.  Die  Königsberger  sandten  ein  Dank- 
schreiben an   den  Minister.     Gleichzeitig  wurde  an  der  Berliner 


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Von  W.  Feydt.  57 

Strecke  vor  dem  Brandenburger  Tor  ein  Produktenbahnhof  an- 
gelegt und  die  alte  Berliner  Chaussee  mittelst  eines  Viaduktes 
über  die  gesamten  Geleise  hinüber  geführt,  der  1879  dem  Ver- 
kehr übergeben  werden  konnte.  Der  Schienenübergang  an  dieser 
Stelle,  wo  ein  ewiges  Hin  und  Her  von  Zügen  und  Maschinen 
aller  Art  erfolgte,  mußte  tatsächlich  mit  den  Jahren  immer 
lästiger  und  gefährlicher  werden.  Die  Anlage  des  Kaibahnhofes 
erwies  sich  als  ein  unendlicher  Segen  für  den  ganzen  Königsberger 
Handel.  Bald  gesellte  sich  ein  Schuppen  zum  andern,  für  den 
Getreidehandel  hat  der  Kaibahnhof  heute  eine  so  große  Bedeutung 
(zusammen  mit  der  später  entstehenden  Walzmühle  und  dem 
großen  Lagerhause  in  Cosse)  bekommen,  daß  das  berühmte 
Speicherviertel  auf  der  Laak  einen  Teil  seiner  Bedeutung 
verlor  und  ein  sehr  bemerkenswertes  Vordringen  von  Wohn- 
häusern hier  in  neuester  Zeit  konstatiert  worden  ist.  (cf.  Dullo. 
1.  c.)  In  gewaltig  langer  Ausdehnung  ziehen  sich  heute  die 
Lagerschuppen  am  Pregel  hin,  teilweise  in  doppelten  Reihen. 
Millionen  von  Mark  liegen  in  ihnen  geborgen,  die  von  einer 
eigenen  Feuerwehrstation  bewacht  werden. 

Wir  können  diese  Betrachtung  nicht  abschließen,  ohne  des 
Zentralbahnhofes  noch  einmal  zu  gedenken.  Unbewußt  hat 
A.  Ferne  in  seiner  Broschüre  schon  seine  beste  Lage  gekenn- 
zeichnet. Bei  Erörterung  der  Linienführung  der  Ostbahn  sagt 
er  p.  35:  „Dann  aber  kann  die  Bahn  dem  Talrande  des  Pregels 
entlang  am  Brandenburger  Tor  und  dem  Stadtwalle  vorbei  nach 
dem  Friedländer  Tor  gehen,  wo  der  Bahnhof  anzulegen  wäre." 
Die  Handelskreise  hätten  bei  Ausführung  dieses  Projektes  wahr- 
scheinlich viele  Klagen  über  die  weite  Entfernung  und  Abgelegen- 
heit  des  Bahnhofes  vorgebracht.  Heute  ist  man  der  Ansicht, 
daß  in  der  Tat  in  dieser  Gegend  der  einstige  Zentralbahnhof 
am  natürlichsten  und  besten  anzulegen  sei.  Die  Frage  kam  am 
27.  Februar  1903  im  Abgeordnetenhause  zur  Sprache.  Der 
Minister  erkannte  die  Schwierigkeiten  namentlich  des  Personen- 
verkehrs an  und  versicherte,  daß  nach  der  Verstaatlichung  der 
Südbahn  auch    diese  Vorlage    kommen    werde.     Man  kann  nach 


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58  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

diesen  Worten  nicht  mehr  von  einem  vagen  Projekte  reden, 
wenn  auch  noch  manches  Jahr  bis  zu  seiner  Ausführung 
vergehen  wird.  Es  wird  jedenfalls  größere  Veränderungen  im 
äußern  Stadtbilde  mit  sich  bringen  als  die  bisherigen  Bahnhöfe. 
Von  ihnen  noch  einige  Worte!  Wir  beschränken  uns  dabei  aber 
auf  che  Stadtgegend  in  der  nächsten  Nähe  des  Empfangsgebäudes. 
So  lange  die  Gräben  vom  Pregel  her  noch  bestanden, 
namentlich  der  Zuggraben  die  Klapperwiese  abtrennte,  hatte  das 
heutige  Bahnhofsterrain  keinen  ordentlichen  Zugang  zur  Stadt. 
Da  war  es  denn  ein  Ding  der  Notwendigkeit,  daß  hier  zunächst 
eine  Fahrbrücke  angelegt  wurde.  Damit  war  der  Weg  für  den 
Bahnhofs  verkehr  gegeben.  Wir  haben  also  zunächst  die  Klapper- 
wiese zu  betrachten.  Vor  1840  standen  in  ihr  zwei  Reihen  von 
Pyramidenpappeln  zu  beiden  Seiten  des  in  der  Mitte  der  Straße 
befindlichen  faulen  Grabens.  1856,  als  der  Bahn  verkehr  anfing, 
waren  schon  mehrere  Häuser  zu  beiden  Seiten  gebaut.  1860  war 
die  Straße  bereits  vollständig  geschlossen  und  1875  vollendet. 
Einzelne  Gebäude  sind  neuen  Ursprungs,  im  allgemeinen  macht 
sie  jedoch  auch  heute  keinen  modernen  Eindruck  und  hat  keinen 
einheitlichen  Charakter.  Von  jeher  wohnten  fast  ausschließlich 
Kaufleute  und  Mäkler  in  ihr  und  den  kaufmännischen  Charakter 
hat  sie  auch  heute  noch  bewahrt!1)  Aus  der  Klapperwiese  kommen 
wir  in  die  ehemalige  „Sattlergasse",  sie  bestand  schon,  war  aber 
1850  auf  der  Südseite  fast  ganz  unbebaut,  auf  der  Nordseite 
zeigte  sie  große  Lücken.  1853  stand  nur  ein  einziges  Wohnhaus 
in  ihr.  Das  Adreßbuch  nennt  dagegen  fünf  Speicher  und  ver- 
zeichnet im  übrigen:  „Wüste  Stellen  des  Magistrats,  wüste  Stellen 
zur  vorderen  Vorstadt  gehörig."  Sie  gehörte  offenbar  vor  der 
Bahnzeit  zu  den  totesten  Straßen. 

1)  Der  Name  „Klapperwiese"  stammt  von  dem  Holze,  da*  einst  hier  auf- 
gestapelt wurde  und  einen  Handelsartikel  der  Königsberger  bildet«.  Das  Werk 
Pufendorfs,  De  rebus  a  Carolo  Gustavo  gestis.  Norimb.  1096  enthält  einen  Plan, 
in  dem  daa  ganze  Landstück  westlich  der  Vorstadtlinie  mit  dem  Namen  „Klapp- 
holzwicseu  bezeichnet  wird.  J.  Grimm,  Wörterbuch  p.  979  erklärt  „Klappholz'* 
kleine  Stäbe  gespaltenen  Eichenholzes,  wie  si°  vom  Küfer  zu  Faßdauben  ge- 
braucht werden  im  Gegensatz  zu  größeren  Pipenstäben. 


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Von  W.  Feydt.  5<) 

Gordack  (Königsbergs  Aussehen  etc.  p.  35)  sagt:  „Im  Sommer 
war  die  rechte  Seite  durch  große  aus  den  Speichern  zum  Durch- 
arbeiten herausgeschaffte  Getreidehaufen  belegt,  da  der  Verkehr 
dort  ganz  gering  war  und  sich  auf  einige  Fracht-  und  Getreide- 
wagen beschränkte.  Auf  dem  langen  grünen  Platze  am  Spritzen- 
haus (?)  besserten  Dschimken  auf  dem  Käsen  ihre  Segel  aus.*4 
Mit  den  Bahnen  wurde  das  natürlich  anders.  Nach  zehn  Jahren 
wohnten  hier  eine  ganze  Anzahl  Kaufleute  und  Spediteure. 
1873  war  die  Straße  ganz  ausgebaut,  fast  ausschließlich  von  Kauf- 
leuten bewohnt.  Auch  heute  noch  reiht  sich  hier  ein  Kontor 
an  das  andere.  Nur  die  Speicher  sind  geblieben.  Sie  schauen 
düster  drein  und  machen  den  ankommenden  Fremden  stutzig,  der 
sich  vergeblich  nach  den  modernen   Großstadtpalästen  umsieht. 

Die  Südbahnanlagen  innerhalb  der  Stadt  hatten  nicht  das 
ganze,  noch  unbebaute  Gebiet  bis  zur  Vorstadtlinie  in  Anspruch  ge- 
nommen. Als  durch  die  Bahnhöfe  für  die  Geschäftswelt  der 
Wert  dieser  Gegenden  gegen  früher  bedeutend  stieg,  wurde  der 
übrig  gebliebene  Baum  bald  zu  einer  Straßenanlage  benutzt, 
indem  man  die  Knochenstraße  bis  zum  alten  Garten  verlängerte. 
Die  Bewohnerschaft  war  stark  kaufmännisch,  aber  auch  kleine 
Leute,  Handwerker,  die  für  jene  arbeiteten,  wohnten  in  den 
unschönen  Mietskasernen.  Für  den  Verkehr  hatte  diese  Ver- 
längerung der  Knochenstraße  insofern  Bedeutung,  als  sie  die 
vor  Anlage  des  Kaibahnhofes  zu  stark  benutzte  Vorstadt  etwas 
entlastete;  das  konnte  sie  umsomehr,  seitdem  durch  die  Festungs- 
anlagen das  Brandenburger  Tor,  das  zu  den  Außenbahnhöfen 
führte,  vom  Ende  der  Brandenburger  Torstraße  nach  dem  des 
alten  Garten  verrükt  worden  war. 

Die  wichtigere  Straße,  schon  durch  ihre  wohltuende  Breite, 
blieb  natürlich  die  uralte  Vorstadt.  Vordere  und  hintere  Vor- 
stadt, Kronenstraße  und  alter  Garten  haben  sich  unverändert 
erhalten;  wohl  sind  zahlreiche  neue  Häuser  an  Stelle  der  alten 
getreten,  die  wir  auf  dem  „alten  Garten"  noch  hin  und  her 
finden.  Verschwunden  ist  der  früher  viel  schroffer  bemerkbare 
Übergang    von    vorderer     zu    hinterer    Vorstadt.      Rosenkranz 


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ßO  Der  Einfluß  der  o.stpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

unterscheidet  noch  ganz  abweichende  Häusergruppen;  in  der 
vorderen  machen  sich  am  frühesten  moderne  Häuser  im  neuen 
Stile  geltend,  fast  ausschließlich  von  jüdischen  Kaufleuten  be- 
wohnt; in  der  hinteren  ist  der  geschäftsmännische  Charakter 
nicht  mehr  so  gewahrt.  Ihre  abgelegene  Stille  ist  zum  Teil  zu 
milden  Stiftungen  und  Artillerieställen  benutzt.  Der  Bahnhof 
hat  sehr  ausgleichend  gewirkt.  Neue  Häuser  entstanden  nach 
seiner  Eröffnung  hier  und  da  in  großer  Menge  und  veränderten 
den  Charakter  der  Quartiere  (Rosenheyn  II,  17).  Allein  das 
Absteigequartier  der  polnischen  und  russischen  Juden  ist  die 
Vorstadt  geblieben,  auch  nach  der  Bahnzeit.  Wers  nicht  sieht, 
der  kann  es  aus  den  Adreßbüchern  entnehmen.  Hier  sieht  man 
sie  aber  noch  mit  Käppchen,  Locken  und  Kaftan  auf  den  Trottoirs 
herumspazieren,  meist  feilschend  und  handelnd.  Bedeutend  ge- 
wonnen hat  dieses  Viertel  durch  das  prächtige  Gebäude  der 
Königlichen  Eisenbahndirektion.  Wohl  unter  seinem  Einflüsse 
sind  auch  stattliche  Wohnhäuser  gerade  in  und  an  der  hinteren 
Vorstadt  noch  in  neuester  Zeit  entstanden. 

Vollständig  verändert  hat  sich  in  seinem  äußeren  Gewände 
der  Haberberg,  das  alte  Dorf.  Die  Straßenzüge  des  unteren 
und  oberen  Haberbergs  bestanden  freilich  schon  vor  der  Eisen- 
bahnzeit, aber  es  gab  dort  fast  nur  einstöckige  Häuser  und 
das  weidende  Vieh,  das  man  hier  antreffen  konnte,  gab  dem 
Haberberg  noch  immer  einen  ländlichen  Anstrich.  Allein  das 
wurde  bald  anders.  Gerade  hier  war  für  die  immer  zahl- 
reicheren Arbeiter  an  der  Eisenbahn  der  geeignetste  Wohnplatz, 
nun  aber  engten  die  Festungswerke  das  vorhandene  Terrain  ein 
und  militärische  Gebäude  und  Plätze  nahmen  noch  mehr  in 
Anspruch.  Die  Einengung  hat  zu  der  intensivsten  Raum- 
ausnutzung geführt.  Immer  massenhafter  schwoll  die  Anzahl 
der  wohnungsuchenden  Menschen  an,  während  der  Raum  der- 
selbe blieb.  Der  Haberberg  wuchs  zuerst  in  die  Höhe;  aus  den 
halbländlichen  Wohnhäusern  wurden  hohe  Mietskasernen:  der 
schroffe  und  häßliche  Übergang  zum  echten  Großstadt-Arbeiter- 
viertel vollzog  sich.    Allein  die  Ausdehnung  in  die  Höhe  genügte 


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Von  W.  Feydt.  61 

nicht;  die  Raumausnutzung  vollzog  sich  nun  in  der  Weise,  daß 
planmäßig  zwischen  Unter-  und  Oberhaberberg  eine  Querstraße 
nach  der  anderen  angelegt  wurde.  1856  gab  es  nur  Kronen- 
straße, Neue  Gasse  und  die  Sandgassen ;  heute  zählen  wir  eine 
Reihe  durch  ihre  Namen  die  neue  Zeit  verratenden  Querstraßen: 
Hippel-,  Moltkestraße;  Haberberger  Schulstraße,  Blücher-,  Bis- 
marckstraße.  Immer  höher  steigen  die  Mietskasernen  empor  und 
immer  beängstigender  wird  die  Übervölkerung,  die  in  diesen 
Gegenden  herrscht.  Allein  auch  dieser  Raum  genügte  noch 
nicht.  Als  dritte  Längsparallele  ist  zu  dem  Haberberg  die 
Artilleriestraße  gekommen.  Bötticher  sagt  von  ihr  noch  1897: 
„Die  noch  wenig  bebaute";  heute  (1904)  stehen  auf  ihr  60  Gebäude, 
alles  Mietskasernen,  die  man  infolge  der  hohen  Lage  von  der 
Eydtkuhner  Strecke  aus  über  die  Befestigungen  hinausragen 
sieht.  Diese  Straße  gehört  mit  den  Verbindungen  zum  Haber- 
berg zu  den  am  stärksten  bevölkerten  Gegenden  der  Stadt. 
Unter  den  Arbeitern,  die  vorwiegend  hier  in  den  engen  Familien- 
wohnungen wohnen,  befindet  sich  wohl  sicherlich  auch  eine  große 
Zahl,  die  direkt  bei  der  Eisenbahn  beschäftigt  ist  oder  aus  dem 
Güterverkehr  der  Bahnen  ihr  tägliches  Brot  verdient. 

Nur  eine  erfreuliche  Straße  hat  der  Bahnhof  in  Königsberg 
geschaffen;  das  ist  die  Kaiserstraße.  Sie  ist  durchaus  nicht  eine 
neuangelegte  Straße  —  dadurch  unterscheidet  sich  eben  der 
Bahnhofseinfluß  Königsbergs  von  dem  aller  Provinzstädte,  daß 
er  nicht  neue  Straßenzüge  erzeugt  hat.  Ein  Straßenzug  bestand 
in  ihrer  Richtung  von  jeher.  Er  ging  an  der  Südseite  des  alten 
Zuggrabens,  dessen  Teil  bis  zur  Klapperwiese  wir  schon  kennen 
gelernt  haben,  entlang  und  hieß  in  seinem  ersten  Teile  bis  zur 
Kreuzung  mit  der  Knochenstraße  „Zuckersiedereigasse",  von  da 
ab  bis  zur  Vorstadt  „Freigasseu,  im  weiteren  Verlaufe  bildete 
er  die  Nordseite  des  alten  Jahrmarktplatzes  und  führte  bis  zum 
Ende  am  Pregel  den  Namen:  „Zuggrabenstraße."  Der  zunehmende 
Bahnhofsverkehr  forderte  gebieterisch  die  Herstellung  einer 
zweiten  bequemen  Zufahrtstraße  zum  Bahnhofsplatz  außer  der 
Klapperwiese.     Ein  Stück  Zuggraben   nach  dem  anderen  wurde 


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62  Der  Einfluß  der  oetpreußi  sehen  Eisenbahnen  etc. 

zugeschüttet,  als  auch  das  letzte  verschwunden  war,  erhielt  der 
Straßenzug  1896  den  Namen  „Kaiserstraße",  dem  er  in  seinem 
Äußeren  namentlich  in  den  Teilen  nach  dem  Pregel  zu  durch  statt- 
liche Gebäude  Ehre  macht.  Die  Verkehrsbedeutung  der  Kaiserstraße 
soll  in  nicht  zu  ferner  Zeit  noch  beträchtlich  gehoben  werden, 
dadurch,  daß  die  Stadt  eine  neue  Pregelbrücke  in  ihrer  Fort- 
setzung nach  dem  Weidendamm  bauen  läßt,  die  gerade  an  der 
Steinfurtsohen  Eisengießerei  mündet:  Ob  freilich  außer  diesem, 
neuerdings  an  Ausdehnung  gewaltig  zunehmenden  Viertel 
zwischen  neuem  und  altem  Pregel  auch  Stadtteile  wie  der  Sack- 
heim und  die  Königstraße  in  dieser  Verbindung  einen  vorteil- 
hafteren Bahnhofsweg  erhalten  werden,  scheint  bei  der  Bemessung 
der  Entfernungen  ziemlich  fraglich.  Eine  gewisse  Entlastung 
aber  wird  die  Kneiphöfische  Langgasse  in  jedem  Falle  haben. 
Um  ihre  durch  den  Bahnverkehr  veranlaßte  Umgestaltung  trauern 
heute  noch  alle  Freunde  von  Alt-Königsberg.  Alle  die  Beischläge, 
die  Vorbauten,  die  der  Straße  mit  ihren  alten  Giebelhäusern  ein 
so  altertümliches  Gepräge  gaben,  fielen  den  Bedürfnissen  des 
Verkehrs  zum  Opfer.  Als  absolut  notwendig  erwies  sich  leider 
auch  der  Abbruch  des  „grünen  Tors",  das  am  Anfang  der  grünen 
Brücke  den  Eingang  in  die  Stadt  „Kneiphof**  so  viele,  viele 
Jahre  gedeckt  hatte.  Mit  ihm  fiel  auch  die  alte  Börse,  sie  lag 
an  der  Brücke  selbst  seitlich  über  dem  Wasser,  im  holländischen 
Geschmack  war  sie  gebaut.  Die  engen  Bäume  in  ihr  genügten 
schon  bald  nicht  mehr.  Zu  dem  Fluß-  und  Seehandel  Königsbergs, 
den  das  von  ihrer  Decke  in  altertümlicher  Weise  herabhängende 
dreimastige  Schiff  gleichsam  verkörperte,  war  der  Eisenbahn- 
handel gekommen.  Die  neue  Börse  blieb  freilich  am  Flusse 
liegen,  allein  sie  rückte  in  die  Vorstadt  hinein  —  nach  dem 
Bahnhofe  zu.    (cf.  Die  Bilder  bei  Boetticher,  VII.  p.  357.  359.) 

Die  Gegend  am  Lizentbahnhofe  hat  sich  wenig  verändert. 
Die  Straßen  haben  ein  modernes  Gewand  angenommen,  aber 
nicht  nur  für  die  Lizentwiese,  sondern  auch  für  sie,  namentlich 
für  die  neue  Reiferbahn,  die  sich  hier  befand,  ist  eine  Prophe- 
zeiung   buchstäblich    in    Erfüllung    gegangen,     die    wir    einem 


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Von  W.  Feydt.  63 

Artikel  der  Hartungschen  Zeitung  aus  dem  Jahre  1865  entnehmen: 
„Aber  auch  die  Tage  dieser  Weiden  (auf  der  Neuen  Reiferbahn) 
sind  gezählt;  bald  wird  man  die  Axt  an  ihre  Wurzel  legen  und 
eine  Reihe  von  Palästen  (!)  wird  sich  hier  erheben,  mindestens 
von  Mietskasernen,  und  die  ganze  Lizentwiese  mit  ihrem  er- 
frischenden Grün  wird  dann  ein  wüster  Bahnhof  sein,  bedeckt 
mit  Schuppen  und  Werkstätten,  aus  denen  qualmender  Rauch 
aufsteigt."  Das  ist  abgesehen  von  den  fehlenden  „Palästen"  ge- 
nau der  Eindruck,  den  man  hat,  wenn  man,  auf  der  Fußgänger- 
überführung über  die  Straße:  ,, Alter  Graben"  stehend,  die 
Lizentwiese  überschaut. 

Wir  werfen  zum  Schlüsse  noch  einen  Blick  auf  die  Gegend 
unmittelbar  vor  den  Wällen  der  Festung,  insofern  sie  von  der 
Bahnlinie  beeinflußt  ist. 

Im  Süden  der  Stadt  ist  wohl  der  Nasse  Garten  seit  der 
Bahnzeit  ganz  bedeutend  vergrößert  worden  durch  die  Nähe  des 
Kaibahnhofes.  Ein  interessantes  Stückchen  Königsberger  Siede- 
lungsgeschichte  bildet  aber  vor  allem  die  Gegend  von  Ponarth. 
Von  diesem  Dörfchen  sagt  Gordack  (1.  c.  p.  29).  „Ein  Lieblingsort 
war  Ponarth,  wohin  man  zu  Fuß  oder  mittelst  der  sogenannten 
Düttchenpost  gelangen  konnte.  Dort  war  noch  keine  Brauerei, 
sondern  ein  stilles  ländliches  Dörfchen  gegen  Karschau  von 
Heide  und  Wald  umgeben.  Man  trank  dort  seinen  Kaffee  und 
wanderte  an  den  noch  stehenden  alten  hohen  Linden  im  Roß- 
garten vorüber  auf  dem  Wege  nach  Schönbusch."  Von  alledem 
ist  heute  nichts  mehr  zu  spüren.  Die  heutige  Siedelung  hat 
den  ländlichen  Charakter  fast  ganz  verloren  und  gleicht  weit 
mehr  einem  Stadt- Ausbau.  Eisenbahn  und  Industrie  haben  dem 
landwirtschaftlichen  Betriebe  ein  Ende  gemacht. 

Uns  interessiert  es  vor  allem  zu  beobachten,  wie  die  Aus- 
dehnung der  Siedelung  nach  den  Schienen  hin  erfolgt  ist:  die 
von  Ponarth  nach  zwei  Seiten,  die  von  Schönbusch  nach  der 
Berliner  Strecke  zu;  1863  stand  auf  dieser  Wegstrecke  noch 
kein  Haus.  Heute  ist  die  Siedelung  fast  zusammengewachsen, 
und  man  kann  es  sogar  den  Häusern  ansehen,  daß  die  an  den  Enden 


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(54  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

die  ältesten  sind.  Dort  haben  sich  auch  bei  Schönbusch  noch 
Spuren  der  Landwirtschaft  erhalten.  Den  Hauptstempel  drücken 
der  Siedelung  die  beiden  Brauereien  auf.  Besonders  die  Ponarther, 
die  schon  vor  den  Eisenbahnen  bestand,  hat  sich  unter  ihrem 
Einflüsse  zu  dem  imponierenden  Gebäudekomplex  erweitere,  der 
sie  heute  zur  ersten  in  der  ganzen  Provinz  macht. 

Hochbedeutungsvoll  für  die  Entwickelung  der  Ortschaft 
wurde  auch  die  Anlage  der  Eisenbahnwerkstätte  im  Osten  der 
Siedelung,  unmittelbar  an  der  Strecke  selbst.  Heute  hat  Ponarth 
bereits  8074  Einwohner;  1896  bekam  es  eine  neue  stattliche 
Kirche.  Ponarth  ist  also  größer  wie  Bartenstein  und  würde  als 
Stadt  unter  den  (57  an  zwölfter  Stelle  rangieren. 

Seitdem  in  dem  weiter  westlich  gelegenen  Rosenau  in  den 
neunziger  Jahren  der  neue  Schlachthof,  natürlich  auch  mit 
Rücksicht  auf  die  Bahn  dicht  an  der  Eydtkuhner  Strecke  gebaut 
wurde,  hat  sich  auch  hier  ein  Wachstum  städtischer  Siedelung 
geltend  gemacht.  Wer  von  der  Strecke  während  der  Fahrt 
nach  der  Stadt  blickt,  wird  bis  zur  Kreuzung  mit  der  Friedländer 
Chaussee  schon  heute  eine  stattliche  Anzahl  Wohnhäuser  finden. 
Es  ist  kein  Zweifel,  daß  in  nicht  allzulangen  Zeiten  von  Rosenau 
bis  Schönbusch  eine  ununterbrochene  Häusermasse  zu  finden 
sein  wird.  Wie  lebhaft  der  Verkehr  dieser  Orte  schon  heute  ist, 
beweist  am  besten  die  Herausführung  zweier  elektrischer 
Straßenbahnlinien  nach  Schlachthof  Rosenau  und  Schön busch; 
vor  allem  die  Anlage  eines  Haltepunktes  Ponarth  auf  der 
Dirschauer  Strecke  in  neuester  Zeit. 

Die  bei  weitem  großartigste  Erweiterung  Königsbergs,  die 
in  den  letzten  Jahren  geradezu  rapide  gewachsen  ist,  sind  die 
Hufen.  Ein  direkter  Einfluß  der  Eisenbahnen  läßt  sich  zwar 
nicht  konstatieren.  Allein  es  kann  wohl  nicht  bezweifelt  werden, 
daß  man  erst  durch  die  Pillauer  Bahn  der  Hufengegend  größere 
Aufmerksamkeit  zuwandte.  Jetzt  erst  belebten  sich  die  Wege 
nach  Juditten,  Hammer  und  Metgethen. 

Ferner  ist  es  beachtenswert,  wie  die  Labiauer  Bahn,  die 
auf  drei  Seiten  das  Hufenterrain  umgibt,   für    die  Ausdehnung 


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Von  W.  Feydt.  <5f> 

gewissermaßen  eine  Grenze  geworden  ist,  die  nach  Westen  zu 
wohl  noch  lange  nicht  überschritten  werden  wird,  während  nach 
Norden  ein  Überschreiten  bereits  erfolgt  ist.  Denkt  man  sich 
die  Wälle  gefallen  und  Königsberg  etwa  nach  100  Jahren  wieder- 
um an  Einwohnern  verdoppelt,  so  würde  die  Labiauer  Bahn- 
strecke das  erste  schon  vorhandene  Glied  einer  anzulegenden 
Ringbahn  sein.  Schon  heute  ist  es  mindestens  zweifelhaft,  ob 
es  nicht  für  einen  Bewohner  der  Bahnstraße  und  Luisenallee 
bequemer  ist  eine  Heise  —  sagen  wir  mal  nach  Berlin  —  vom 
Bahnhofe  Mittelhufen  anzutreten,  als  den  umständlichen,  mit 
zweimaligem  Umsteigen  verbundenen  Weg  durch  die  Stadt  nach 
dem  weit  entfernten  Ostbahnhofe  zu  machen. 

Unbedeutend  sind  die  lokalen  Veränderungen,  die  vor  dem 
Steindammer  Tor  durch  die  Anlagen  des  Cranzer  und  Samland- 
bahnhofes  hervorgerufen  sind,  obwohl  auch  sie  mit  für  manchen, 
nur  den  Winter  in  der  Zentrale  zubringenden  Einwohner  die 
Veranlassung  gewesen  sein  mögen  hier  in  der  bequemen  Nähe 
der  Straudbahnhöfe  sein  Heim  zu  gründen.  Die  Kleinbahn- 
anlagen vor  dem  Königstor  haben  an  dem  Charakter  der  dortigen 
Gegend  gar  nichts  geändert,  eher  noch  die  Anlage  des  Kleinbahn- 
güterbahnhofes in  der  Nähe  des  Ausfalltores,  durch  die  ein  Teil 
des  Volksgartens  eingegangen  ist. 

Die  Vergrößerung  der  Hufen  mögen  folgende  Zahlen  be- 
zeichnen : 


Mittelbufen: 

Vorderhuf en: 

1867 

522  Ew. 

1867:  139  Ew 

1871 

564  . 

1871:  174  * 

1885 

1250  * 

1885:  630  . 

1895 

1981  ■- 

1895:  900  * 

b)  Relativ  geförderte. 

Wir  verstanden  oben  hierunter  Städte,  die  nur  in  bezug 
auf  die  anderen  gefördert  worden  sind,  während  sie  für  sich 
auch  Schädigungen  durch  Bahnen  erlitten  haben  können.  Es 
sind  dies: 

Aitpr.  Monatsschrift  Bd.  XLU.  Hft.  1  u.  2.  5 


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(5(5  Der  Einfluß  der  o*t preußischen  Eisenbahnen  eU\ 

51.  Liebemühl     2400  Einw. 
36.  Ortelsburg     3542 
2.  Tilsit  34539  (32645)  Ew. 

Auch  hier  hat  die  absolute  Bevölkerungsziffer  ausnahmslos 
zugenommen,  im  allgemeinen  auch  um  so  stärker,  je  größer  die 
Stadt,  obwohl  Liebemühl  1852  um  eine  Kleinigkeit  größer  als 
Ortelsburg  in  der  Entwickelung  hinter  diesem  zurückgeblieben 
ist.  Bei  diesen  Städten  sind  die  Gradunterschiede  das  Aus- 
schlaggebende. Liebemühl  ist  bedeutend  mehr  geschädigt  als 
Ortelsburg,  so  daß  die  später  folgende  Förderung  nur  sehr  lang- 
same Fortschritte  machen  konnte.  Die  Rangziffern  divergieren 
beträchtlich  zwischen  O  und  21  (Tilsit  und  Ortelsburg). 

In  der  Übersicht  ist  Bartenstein  zu  dieser  Abteilung  gezählt. 
Zu  diesen  Städten  gehört  es  insofern,  als  es  auch  im  Laufe  der 
Jabre  geschädigt  wurde,  ohne  darum  seinen  Rang  einzubüßen. 
Es  verlor  nämlich  mit  der  Zeit  seine  militärische  Wichtigkeit, 
die  die  Städte  an  den  Grenzbahnen  an  sich  rissen.  So  hatten 
die  Bahnen  insgemein  erst  fördernd,  dann  schädigend  gewirkt, 
da  auch  dieZivilbevölkerung  anfangs  unter  dem  Verluste  des  Militärs 
zurückging.  Da  jedoch  in  letzter  Zeit  auch  ohne  Militär  dieZivil- 
bevölkerung eine  früher  nicht  erreichte  Höhe  erklommen  hat,  und 
auch  in  der  Rangnummer  kein  Rückgang  erfolgt  ist,  konnte 
Bartenstein  zu  den  positiv  geförderten  Städten  gerechnet  werden. 

Die  anderen  Städte  dieser  Abteilung  sind  auch,  wie  aus 
den  Rangziffern  ersichtlich,  mehr  gefördert  als  geschädigt,  nur 
daß  bei  ihnen  das  zeitliche  Verhältnis  ein  umgekehrtes  ist.  Erst 
erfolgte  die  Schädigung,  dann  die  Förderung;  das  Resultat  war 
in  jedem  Falle  eine  Rangerhöhung,  selbst  Tilsit  erobert  die  für 
1855 — 1864  verlorene  zweite  Stelle  nach  Herstellung  der  Tilsit- 
Insterburger  Bahn  wieder. 

Al8  Probe:  Tilsit. 

„Wäre  nicht  der  Grenzsaum,  der  Tilsit  von  Rußland  scheidet, 
gar  so  schmal,  so  könnte  es  eine  Großstadt  werden;  auch  so  hat 
es  jedenfalls  eine  Zukunft",  sagt  ein  Urteil   über  die  Stadt  vom 


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Von  W.  Feydt.  67 

Jahre  1885  (Ostpreußische  Skizzen.  Grenzboten  1885)  und  die 
Gründe  für  diese  Zukunft  hat  Bonk  richtig  erkannt,  wenn  er 
die  Verkehrslage  Tilsits  folgendermaßen  kennzeichnet  (1.  c  pag.65): 
„Die  Memel  allein  tuts  freilich  nicht,  wie  wir  an  Ragnit  sehen. 
Vielmehr  kommt  bei  Tilsit  vor  allem  seine  Lage  an  der  "Wurzel 
des  Deltas  in  Betracht,  wodurch  es  gewissermaßen  zum  Ausfuhr- 
hafen desselben  bestimmt  ist.  Es  kommt  ferner  in  Betracht,  daß 
es  nach  allen  Seiten  bequeme  Verbindungen  hat,  nach  Osten  die 
Memel,  die  große  Verkehrsader  mit  Rußland,  nach  Süden  und 
Westen  die  Memelmündungen  und  die  Kanäle,  welche  den  Ver- 
kehr mit  Königsberg  und  zugleich  nach  Norden  mit  Memel  ver- 
mitteln. Alle  diese  Verkehrsstraßen  sind  aber  doppelt,  indem 
neben  der  Wasserstraße  auch  Eisenbahnen  herlaufen.  Wir  haben 
also  hier  einen  Ort,  der  am  Rande  einer  der  fruchtbarsten 
Gegenden  Ostpreußens  gelegen,  nach  allen  Richtungen  bequeme 
Verbindungen  zu  Wasser  und  zu  Lande  hat,  und  brauchen  uns 
daher  nicht  verwundern,  daß  dieser  Ort  nächst  Königsberg  die 
erste  Stelle  unter  den  ostpreußischen  Städten  einnimmt." 

Wir  können  uns  im  allgemeinen  diesem  Urteile  Bonks  an- 
schließen, und  werden  nur  die  Aufgabe  haben  zu  prüfen,  wie 
weit  die  Eisenbahnen  die  Wasserstraße  verdoppeln  und  welchen 
Einfluß  sie  unabhängig  von  jener  auf  das  Gedeihen  der  Stadt 
gehabt  haben.  Wir  können  Tilsit  nicht  wie  die  geförderten 
Städte  des  Binnenlandes  unter  dem  einheitlichen  Gesichtspunkte 
von  Handel  und  Industrie  betrachten,  weil  die  Wasserstraßen 
den  Einfluß  der  Bahnen  auf  jene,  auf  den  es  hier  allein  ankommt, 
dauernd  stören.  Wir  können  daher  nur  einen  Abriß  der  Eisen- 
bahngeschichte Tilsits  geben,  wobei  selbstverständlich  Handels- 
fragen immer  im  Vordergrunde  stehen  werden. 

Tilsit  tritt  gleichzeitig  mit  Königsberg  in  das  Eisenbahn- 
zeitalter ein.  Denn  von  dem  Augenblicke  an,  wo  die  Ostbahn 
jenes  berührt,  wird  hier  nur  die  eine  Frage  erörtert:  Wie  wird 
sie  fortgesetzt  werden?  Wird  sie  der  alten  Poststraße  über  Tap- 
lacken,  Tilsit,  Tauroggen  folgen  oder  nicht?  Stimmen  erhoben 
sich  für    und    wider.     Ferne    in  seiner  Broschüre  über   die  Ost- 

5* 


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(3#  Der  Einfluß  der  cwtpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

bahn  (1.  c.  p.  33)  ist  nicht  dafür,  daß  die  Ostbahn  über  Tilsit 
geführt  wird.  Er  weist  auf  die  schon  bestehenden  günstigen 
Verbindungen  mit  Königsberg  hin,  die  durch  den  Dampfboot- 
verkehr den  Zeitbedürfnissen  vollständig  entsprechen,  er  weist 
auf  die  enormen  Kosten  und  Schwierigkeiten  des  Memelttber- 
ganges  bei  einer  Fortsetzung  nach  Bußland  hin,  er  glaubt 
schließlich  nicht  an  eine  Beförderung  der  Niederungsprodukte 
durch  die  Bahn.  Die  Tilsiter  selbst  widersprachen  lebhaft;  schon 
1854  fordern  sie  unbedingt  die  Führung  über  ihre  Stadt;  vier 
Jahre  später  herrschte  große  Angst  in  Tilsit,  als  der  Bahnbau 
über  Eydtkuhnen  schon  beschlossene  Sache  war;  man  hatte  Angst, 
daß  der  Ort  „gleichsam  aus  allem  merkantilen  Verkehr"  gesetzt 
würde,  wenn  er  nicht  schnell  eine  Zweigbahn  erhielte.  1860  wirkte 
eine  Kommission  für  dieses  Unternehmen  in  England,  1862  er- 
reichte man  die  Konzession  der  Regierung  zu  einer  Bahn  nach 
Insterburg,  am  16.  Juni  1865  wurde  diese  Strecke  eröffnet,  und 
man  atmete  erleichtert  auf.  War  doch  der  vermeintliche  Ruin 
wenigstens  abgewendet.  Allein  die  Klagen  dauerten  fort.  Daß 
die  neue  Anschlußbahn  den  verlorenen  russischen  Durchgangs- 
verkehr nicht,  oder  nur  zu  ganz  geringem  Teile  wiedergeben 
konnte,  wurde  den  Tilsitern  bald  klar  und  in  dem  Schlagwort 
von  der  „Verlegung  der  Berlin-Petersburger  Straße  über  Eydt- 
kuhnen" entlud  sich  immer  wieder  der  Groll.  Die  Tilsiter 
konnten  ihr  Elend  nicht  grau  genug  malen.  1864  hatte  man 
den  ausfallenden  Speditionshandel  schon  als  „überwundenen  Stand- 
punkt" bezeichnet,  um  1869  nichtsdestoweniger  ganz  ungerecht- 
fertigte Vorwürfe  und  übertriebene  Klagen  zu  wiederholen.  Man 
verstieg  sich  zu  der  Behauptung,  der  Staat  baue  nur  Bahnen,  um 
den  Transport  der  Armeen  zu  erleichtern,  nur  der  „Militarismus" 
sei  für  den  Nichtausbau  der  Tilsiter  Strecke  verantwortlich  zu 
machen.  Es  war  kläglich,  das  kulturelle  Riesenwerk  der  Ost- 
bahn in  dieser  Weise  herabzusetzen!  Sie  wurde  für  alles  ver- 
antwortlich gemacht:  „Seit  Gründung  der  Ostbahn,  in  deren 
Folge  der  Hauptverkehr  von  und  nach  Rußland  sich  von  hier 
fort  und  jenem  Wege  zuwandte,  ist  Tilsit  in  geschäftlicher  und 


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Von  W.  Feydt.  (59 

gewerblicher  Beziehung  zurückgegangen.  Ganze  Geschäftszweige 
und  zwar  gerade  solche,  die  für  den  Ort  von  großer  Bedeutung 
waren,  wie  das  Speditionsgeschäft,  der  Engroshandel  nach  Ruß- 
land, sind  fast  vollständig  von  hier  verschwunden,  wodurch  der 
allgemeine  Wohlstand  empfindlich  geschädigt  wurde." 

Der  Fehler,  den  die  Tilsiter  begangen  haben,  beruht  in 
erster  Linie  in  der  ungeheueren  Übertreibung  der  Mißstände. 
Es  war  ja  nicht  zu  leugnen,  daß  die  Petersburger  Straße  durch 
die  Ostbahn  verlegt  war  und  dadurch  tatsächlich  die  Spedition 
von  und  nach  Rußland,  der  Handel  mit  den  Rohprodukten 
dorther,  Kolonialwaren,  Materialwaren  dorthin,  aufhörte.  Allein 
war  damit  Tilsit  ruiniert  und  hatte  Tilsit  ein  natürliches  Recht, 
die  Beibehaltung  der  alten  Straße  zu  fordern?  "Weder  das  Eine, 
noch  das  Andere. 

Das  doppelt  begünstigte  Tilsit  hatte  durch  die  Bahn  nur 
den  Vorteil  der  Landstraße  eingebüßt.  Daß  aber  die  Wasser- 
straße geblieben  war,  daß  ihr  Wert  von  der  Bahn  nicht  nur 
nicht  berührt,  sondern  durch  die  Kreuzung  der  russischen  Fort- 
setzung in  Kowno  gestiegen  war,  und  durch  die  Verkehrsver- 
besserungen der  Neuzeit  nach  unendlich  zu  steigern  war,  daß 
gerade  in  diesem  Rohprodukte  ausführenden  Lande  der  Wasser- 
verkehr sich  immer  behaupten  mußte,  Tilsit  niemals  ruiniert 
werden  konnte,  daß  man  in  einseitiger  Überschätzung  des  groß- 
artigen Transitverkehrs  den  mit  der  nächsten  Umgebung  voll- 
ständig vernachlässigt  hatte,  obwohl  sie  an  Fruchtbarkeit  in  der 
Provinz  ihres  Gleichen  suchte,  daß  hier  Millionen  auch  für  den 
Tilsiter  Kaufmann  zu  heben  waren,  wenn  man  nur  Fleiß  und 
Energie  darauf  verwandte,  anstatt  des  bequemen  Durchgangs- 
verkehrs, das  alles  schien  man  in  Tilsit  nicht  zu  wissen,  nicht 
wissen  zu  wollen. 

Und  ferner  hätte  die  Regierung  die  Fühlung  der  Ostbahn- 
linie über  Tilsit  in  der  Provinz  verantworten  können?  War  sie 
wirklich  überhaupt  vorteilhafter? 

Wirtschaftlich  hätte  sich  eine  Führung  der  Hauptlinie  über 
Tilsit    nicht    rechtfertigen  lassen.     Sollte   man   die  Klagen,   die 


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7()  Der  Einfluß  der  ostproußischen  Eisenbahnen  etc. 

sich  ohnehin  schon  über  die  „Küstenführungu  der  Ostbahnstrecke 
bis  Königsberg  erhoben,  dadurch  zu  berechtigten  machen,  daß 
man  die  Fortsetzung  von  Königsberg  ebenfalls  an  der  Küste 
entlang  führte?  Die  Ostbahn  sollte  bei  allen  internationalen 
Interessen  doch  auch  der  Provinz  nützen,  und  das  große  Gebiet 
südlich  am  Pregel  im  Gegensatz  zu  dem  kleinen  nördlich  er- 
heischte notwendige  Rücksichtnahme.  Eine  Bahn  Königsberg- 
Tilsit  verlor  für  Masuren  und  die  Landstriche  zwischen  Angerapp 
und  Alle  jede  Bedeutung.  Sie  förderte  ganz  einseitig  Tilsit 
und  die  litauische  Niederung.  Sollte  man  aber  hier  die  Haupt- 
linien ziehen,  wo  eine  durchaus  leistungsfähige  Wasserstraße 
den  Verkehr  schon  vermittelte,  und  nicht  da,  wo  sie  ungleich 
unbedeutender  ihn  lange  nicht  so  anziehen  konnte,  als  die  Stationen 
einer  südlichen  Pregelbahn? 

Trotzdem  wird  der  Geograph  leicht  geneigt  sein,  die  Linie 
über  Tilsit  für  die  natürliche  Verbindung  zu  halten.  Allein  auch 
hier  lassen  sich  schwerwiegende  Einwände  erheben.  Gewiß  wird 
die  Linie  Königsberg-Tilsit-Tauroggen  der  Luftlinie  nach  Peters- 
burg bedeutend  näher  kommen  als  die  Bahn  über  Wilna.  Allein 
das  ist  eben  die  Luftlinie.  Die  Eisenbahnen  sind  aber  vom 
Boden  abhängig;  und  viel  abhängiger  als  jede  andere  Verkehrs- 
straße. Da  wird  man  aber  zugeben  müssen,  daß  das  ganze  Gebiet 
der  russischen  Ostseeprovinzen  von  der  heutigen  Linie  Wilna- 
Petersburg  westwärts  bis  zu  den  Küsten  für  den  Eisenbahnbau 
in  der  Richtung  von  Südwesten  nach  Nordosten  durch  seine 
natürliche  Beschaffenheit  direkt  ungünstig  genannt  werden  muß. 
Wir  finden  hier  ausgedehnte  Sumpflandschaften,  unterbrochen 
von  beträchtlichen  Höhen  von  über  300  Meter  und  als  bedeutendes 
Verkehrshindernis  den  Peipussee.  Die  Petersburger  Bahn  ist 
eine  richtige  Randbahn;  auch  die  ganze  Richtung  der  Gewässer 
weist  die  Bahnen  dieses  Landstriches  gerade  umgekehrt  von 
Südosten  nach  Nordwesten.  Fiel  aber  eine  Bahn  Tilsit-Riga- 
Petersburg  fort,  falls  man  sie  nicht,  wie  später  vorgeschlagen, 
doch  bei  Pskow  in  die  Dünaburger  Linie  einleitete  (12  Meilen 
kürzer),  so    konnte  die  geringe  Abkürzung  einer  Strecke  Tilsit- 


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Von  W.  Feydt.  71 

Dünaburg,  statt  Kowno-Wilna-Dünaburg  angesichts  der  erörterten 
wirtschaftlichen  Nachteile  nicht  mehr  in  Betracht  kommen. 

Aber  auch  in  der  Provinz  selbst  verdiente  die  Führung  der 
internationalen  Hauptbahn  dem  bequemen  Südrande  des  Pregel- 
tals  entlang  den  Vorzug.  Die  Eisenbahnen,  besonders  die  Haupt- 
bahnen, sind  nun  einmal  Verkehrswege,  die  sich  die  bequemsten 
Richtungslinien  zuerst  suchen,  ihnen  zuerst  folgen.  Eine  Tilsiter 
Bahn  hätte  zu  den  Weichselbrücken  eine  solche  über  den  Pregel 
und  über  die  Memel  gefügt.  Sollte  man  da  nicht  die  bequeme 
Führung  südlich  des  Pregels,  bei  der  man  nur  Flüsse  wie  die 
Alle,  die  Angerapp  etc.  zu  überwinden  hatte,  vorziehen?  Gewiß 
sind  später  vom  Staate  jene  Brücken  gebaut,  gewiß  wäre  ihr 
Bau  auch  damals  nicht  unmöglich  gewesen.  Aber  er  war  angesichts 
der  Eigenart  des  neuen  Verkehrsmittels  damals  noch  nicht  das 
natürlichste  Mittel,  um  zu  dem  Ziele  zu  gelangen,  eine  inter- 
nationale Verkehrsstraße  von  Berlin  nach  Petersburg  herzustellen. 

Wie  hinfällig  alle  Klagen  waren,  stellte  sich  erst  recht 
heraus,  als  auch  Königsberg  infolge  von  russischen  Konkurrenz- 
häfen seinen  Speditionshandel  verlor.  Hatte  Tilsit  keinen  andern 
Bückhalt  für  seine  gewerbliche  Bedeutung,  dann  verdiente  es 
tatsächlich  den  schon  als  unabänderlich  betrachteten  Ruin.  Aber 
noch  immer  gingen  den  Bürgern  über  das,  was  ihrer  Stadt  vor 
allem  frommte,  nicht  völlig  die  Augen  auf.  Die  Bahn  von  Libau 
nach  Kowno  konnte  sichtlich  den  Tilsiter  Handel  viel  mehr 
schädigen  als  die  Ostbahn,  von  der  man  schon  das  Schlimmste 
erwartete.  Und  doch  verkannte  man  wieder  die  Bedeutung  der 
Stromlage  und  erwartete  wieder  alle  Rettung  von  einer  Bahn. 
Diesmal  eine  Bahn  von  Tilsit,  über  Tauroggen  nach  Schaulen. 
Jetzt  war  es  keine  internationale  Verkehrsstraße  mehr,  um  die 
man  warb,  jetzt  war  es  der  nackte  Egoismus,  der  dieses  Projekt 
als  auch  für  Rußland  notwendig  und  am  vorteilhaftesten  hin- 
stellte: „Für  den  Norden,  Nordosten  und  beziehungsweise  das 
tiefe  Rußland  ist  die  wesentlichste  und  zweckmäßigste 
Bahn  Tilsit- Tauroggen  mit  Verlängerung  nach  Schaulen."  Nicht 
nur  die  Russen  mußten  als  Russen  anderer  Meinung  sein,  sondern 


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72  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

auch  bei  unparteiischer  Betrachtung  erweist  sich  diese  Behauptung 
als  falsch.  Für  diese  Teile  des  Zarenreiches  mußten  selbstver- 
ständlich die  Bahnen  nach  Reval,  Riga  und  Libau  die  natürliche 
Ausfuhrstraße  sein.  Das  haben  zum  Beispiel  die  Königsberger 
bereitwilligst  anerkannt;  sie  konnten  sich  wohl  mit  Recht  be- 
klagen, daß  diese  nördlicher  gelegenen  Häfen  ihnen  Südrußlands 
Produkte  entziehen  wollten;  Tilsit  aber  hatte  nicht  das  geringste 
Recht  zu  verlangen,  daß  die  Russen  ihre  natürlichen  Verkehrs- 
wege nicht  ausnutzen  und  lieber  ihre  Eisenbahnen  in  unnatür- 
licher Weise  nach  der  preußischen  Memelstadt  anstatt  den 
russischen  Ostseehäfen  lenken  sollten. 

Auf  diesem  Wege  war  nichts  zu  erreichen,  konnte  nichts 
erreicht  werden.  Erst  im  Jahre  1872  hatte  man  den  richtigen 
Standpunkt  für  die  Beurteilung  einer  Tilsiter-russischen  Bahn 
gewonnen  mit  den  Worten:  „Eine  Abkürzung  des  Weges  von 
Petersburg  nach  Berlin  um  46  Meilen  muß  mit  der  Zeit  berück- 
sichtigt werden."  Diese  Zeit  ist  bisher  trotz  der  Labiauer  Bahn 
nicht  gekommen;  und  wenn  sie  kommen  wird,  wird  Tilsit  diese 
Bahn  nicht  um  seiner  Handelsinteressen  willen  oder  gar  weil 
man  in  Rußland  sich  von  der  Notwendigkeit  überzeugt  hätte, 
über  Tilsit  aus  Nordrußland  auszuführen,  sondern  um  der  großen 
gesteigerten  internationalen  Beziehungen  willen  erhalten,  die 
eine  immer  fortschreitende  Abkürzung  der  Weltbahnen  erzeugen. 
1860  galt  es  zwar  auch,  durch  die  Ostbahn  einen  Teil  derselben 
herzustellen,  aber  es  hing  noch  nichts  davon  ab,  ob  man  der 
Luftlinie  um  eine  Anzahl  Meilen  näher  kam  oder  nicht.  Man 
suchte  sich  zuerst  den  bequemeren  und  wirtschaftlich  zu  bevor- 
zugenden Weg.  Das  war  durchaus  verständlich  und  natürlich; 
und  daß  man  es  in  Tilsit  anfangs  nicht  zugeben  wollte,  war  der 
Fehler,  den  man  beging. 

Der  Sinn  der  Tilsiter  Kaufleute  hatte  sich  in  den  Zeiten 
des  Speditionshandels  und  der  Posten,  wo  Ost-  und  Westpreußen 
über  Tilsit  verkehrten,  zu  sehr  daran  gewöhnt,  in  die  Weite  zu 
schweifen.  Daher  ertrug  man  den  Zusammenbruch  dieser  Be- 
ziehungen so  schwer.     Erst  als  man  seine  Blicke  auf  die  näheren 


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Von  W.  Feydt.  73 

Hilfsquellen  des  Handels  und  Verkehrs  richtete,  und  in  dieser 
Richtung  seine  Bestrebungen  konzentrierte,  wurde  man  gerechter 
und  lernte  schätzen,  was  man  sicher  haben  konnte,  ohne  zu  beklagen, 
was  an  unsicheren  Glücksgütern  verloren  gegangen  war. 

Ausnutzung  des  natürlichen  Hinterlandes  wurde  die  Parole 
für  den  Tilsiter  Handelsstand ;  da  dieses  Hinterland  einerseits  in 
den  russischen  Distrikten  am  Niemen,  andererseits  in  dem  Dreieck 
nördlich  von  der  Memel  bis  nach  Nimmersatt  und  in  der  Memel- 
niederung  beruhte,  ergaben  sich  hieraus  die  Aufgaben,  die  der 
Stadt  zur  Verbesserung  der  Verkehrswege  in  diesen  Richtungen 
gestellt  waren. 

Die  Verbesserungen  der  Wasserstraßen  interessieren  uns  an 
sich  nicht.  Allein  im  Verhältnis  zu  den  Eisenbahnen  lernte 
man  den  Wert  der  letzteren  endlich  richtig  schätzen.  „Ganze 
Handelszweige"  waren  ausgestorben,  aber  auch  ganze  Handels- 
zweige durch  die  Wasserstraße  zu  ungeahnter  Blüte  gelangt. 
Holzhandel  und  Holzindustrie  werden  in  Tilsit  groß  und  bald 
zum  bedeutendsten  Zweige  alles  gewerblichen  Lebens. 

Außerordentlich  verbessern  ließen  sich  jedoch  die  Verkehrs- 
straßen zu  Lande.  Für  die  Verbindung  mit  Memel  und  dem 
Lande  zwischen  dieser  Stadt  und  dem  gleichnamigen  Fluß  mußten 
daher  geschaffen  werden:  Bessere  Landstraße,  feste  Brücke  und 
Eisenbahn  nach  Memel;  für  den  Verkehr  nach  der  Niederung 
Chausseen  und  Bahnen;  für  den  Verkehr  nach  Rußland  Grenz- 
bahnen und  ein  kurzer  Weg  nach  der  russischen  Grenzstation 
Eydtkuhnen,  der  zugleich  das  Land  südöstlich  der  Stadt  in  bessere 
Verbindung  mit  ihr  brachte. 

Sehen  wir  im  einzelnen  zu,  wie  Tilsit  dieser  Aufgabe 
gerecht  geworden  ist. 

Am  frühesten  war  die  Chaussee  nach  Memel  fertig.  Zwar 
hatte  Memel  selbst  größeren  Vorteil  von  ihr;  allein  man  hatte 
doch  Anteil  daran,  weil  nun  die  Produkte,  die  man  für  den 
Export  aufspeicherte,  auch  im  Winter,  wenn  die  Schiffahrt  ge- 
schlossen war,  nach  dem  eisfreien  Hafen  transportiert  werden 
konnten.     Genau  diese  Bedeutung  hat  denn  auch  die  Eisenbahn 


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74  l)er  Einfluß  tler  ostpreuttiHchen  Kinenbahnen  etc. 

nach  Memel  für  Tilsit  behalten,  als  dieses  neue  Verkehrsmittel 
die  Konkurrenz  der  Landstraßen  allenthalben  aus  dem  Felde 
schlug.  Ihr  Vorteil  war  jedoch  noch  viel  größer,  als  der  der 
Chaussee,  denn  sie  schuf  durch  die  Eisenbahnbrücke  eine  feste 
Verbindung  mit  dem  nördlichen  Memelufer,  das  fortan  durch  den 
Eisgang  des  Stromes  nicht  mehr  wochen-,  ja  monatelang  von 
aller  Kommunikation  mit  der  Stadt  abgeschnitten  war.  Den 
Eröffnungstag  der  Memelbrücke  für  den  Eisenbahnverkehr 
wenigstens  im  kleinsten  Stile,  wenn  auch  nicht  offiziell,  zu 
feiern,  war  daher  Recht,  aber  auch  Pflicht  der  Tilsiter.  Daß  die 
Königsberger  Eisenbahndirektion  von  einer  Feier  Abstand  nahm, 
hatten  die  Tilsiter  durch  die  ungerechten  Vorwürfe,  die  sie  selbst 
der  Staatsverwaltung  gemacht  hatten,  nur  sich  selbst  zuzuschreiben. 
Am  1.  Oktober  1875  war  die  ganze  Strecke  von  Tilsit  bis  Pogegen 
dem  Verkehre  übergeben. 

Die  Schwierigkeiten,  die  sich  aus  dem  Zusammentreffen 
der  verschiedenen  Bahnverwaltungen  in  Tilsit  ergaben,  be- 
schleunigten die  Verstaatlichung  der  Privatbahn  nach  Insterburg, 
was  auch  den  Tilsitern  Vorteil  brachte.  Der  Verkehr  mit  den 
Teilen  nördlich  der  Memel  hob  sich  durch  die  Memeler  Strecke 
entschieden.    Namentlich  kam  sie  dem  Personenverkehr  zu  gute. 

Es  gingen  ab: 

1876:     28  182  Personen 

1877:  28  798 

1878:  34  157 

1879:  34  507 

1880:  34  468 

1881:  35  332 

1882:  35  791 

1883:  43  460 

Die  Zahl  der  ankommenden  Güter  hat  infolge  des  Rück- 
ganges, den  Memel  nahm,  da  gerade  dieser  Ort  die  Kolonial- 
und  Materialwaren  importiert  hatte,  die  das  Tilsiter  Speditions- 
gut bildeten,  durch  die  Bahn  im  ganzen  keine  Zunahme  erfahren. 
Gehoben  hat  sich  jedoch  im  allgemeinen  der  Export. 


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Von  W.  Feydt.  75 

Es  gingen  ab: 

1878:     3290  to. 

1879:     3580    * 

1880:     3305    * 

1881:     3622    * 

1882:     5687    * 

1883:  5134  * 
Als  es  sich  immer  mehr  herausstellte,  daß  an  eine  Bahn 
von  Tauroggen  nach  Schaulen  nicht  zu  denken  war  und  die 
Tilsit-Insterburger,  die  man  nur  als  erstes  Glied  dazu  aufgefaßt 
hatte,  den  in  sie  gesetzten  Hoffnungen  nicht  entsprechen  konnte, 
sachten  die  Tilsiter  wenigstens  nach  der  russischen  Grenze  hin 
eine  bessere  Verbindung  zu  erhalten.  War  es  nichts  mit  der 
großen  Weltbahn  Berlin-Petersburg,  dann  wollte  man  wenigstens 
ebenso  wie  Königsberg  am  Ende  einer  direkten  russischen  Binnen- 
und  Ausfuhrstrecke  liegen.  Eine  Linie  Kowno-Schirwindt- 
Ragnit-Tilsit  wird  gefordert.  Das  war  preußisch  und  sehr 
tilsitisch,  aber  sehr  wenig  russisch  gedacht  und  erst  als  die 
Tilsiter  1882  ihr  Projekt  in  eine  Sekundärbahnlinie  über  Ragnit 
und  Pillkallen  nach  Stallupönen  oder  Eydtkuhnen  umwandelten, 
erhielt  es  Aussicht  auf  Verwirklichung.  Als  die  Linie  schließlich 
gebaut  wurde,  wurde  der  Anschluß  an  die  Ostbahn  bei  Stallu- 
pönen, der  für  Tilsit  nicht  so  günstig  war  als  der  bei  Eydt- 
kuhnen, hauptsächlich  um  Meraels  willen  festgesetzt,  dem  man 
von  Süden  her  aus  der  Provinz  Zufuhren  zum  Seeexport  schaffen 
wollte.  Aber  auch  die  Tilsiter  verschafften  sich  von  ihr  namentlich 
für  ihre  Mühlenindustrie  bedeutende  Zufuhren  und  eine  bessere 
Verwertung  der  landwirtschaftlichen  Kreiserzeugnisse.  Namentlich 
dem  Viehhandel  kam  diese  Bahn  bedeutend  zu  gute.  Die  Bahnen 
hatten  ihn  in  dieser  fetten,  fruchtbaren  Gegend  schon  längst  zu 
einer  hohen  Blüte  gebracht.  Die  Strecke  nach  Ragnit  war  schon 
1892,  die  bis  Stallupönen  1894  vollendet. 

Allein  es  ließ  sich  noch  mehr  für  eine  bessere  Verbindung 
mit  der  Grenze  und  Ausnutzung  des  Geländes  zu  ihren  beiden 
Seiten    tun,  '  Da    der  Staat  keine  Bahn   baute,    kam    das  Klein- 


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7(>  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

bahngesetz,  das  ein  billiges  Privatunternehmen  möglich  machte, 
der  Stadt  recht  zu  paß.  Zunächst  wurde  eine  Bahn  nach 
Schmalleningken  gebaut,  die  am  Nordufer  der  Memel  entlang 
geführt  wurde  zwischen  Strom  und  Juraforst  und  außer  der 
Verbindung  mit  der  Grenze  und  eines  Ersatzes  für  die  schiffahrt- 
lose Zeit  die  Bestände  der  Juraforst  in  günstigerer  Weise  dem 
Tilsiter  Holzhandel  nutzbar  machen  mußte,  als  es  bisher  ge- 
schehen war.  Der  Bericht  der  Kaufmannschaft  vom  Jahre  1890 
erwähnt  sodann  zum  ersten  Male  eine  Bahn  von  Pogegen  nach 
Laugszargen,  also  auf  dem  Wege  nach  Tauroggen.  Sie  ist  in- 
zwischen als  staatliche  Nebenbahn  eröffnet  worden  und  wird 
von  Tilsit  her  über  Pogegen  mit  durchgehenden  Zügen  befahren. 
Ob  sie  eine  Fortsetzung  in  Rußlaud  beschleunigen  wird?  Das 
fetteste  und  fruchtbarste  Gebiet  um  Tilsit  herum  war  jedoch  die 
Niederung.  Ihr  hatte  der  Tilsiter  Kaufmann  bis  zum  Jahre  1860 
zu  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Die  Wasser  Verbindung 
war  vor  Herstellung  der  Kanäle,  namentlich  des  Seckenburger, 
nicht  immer  tadellos  gewesen  und  auch  die  vorhandenen  Land- 
wege genügten  noch  lange  nicht  zu  einer  gründlichen  Auf- 
schließung. Die  erste  Verbesserung  trat  durch  die  Labiauer 
Bahn  ein.  In  Tilsit  kam  man  ihr,  nachdem  die  neu  auftauchende 
Hoffnung,  einer  Fortsetzung  nach  Rußland  benommen  war, 
mit  wenig  Zutrauen  entgegen.  Für  den  Handel  der  Stadt  ver- 
sprach man  sich  1884  „kaum  eine  günstige  Wirkung4'.  Allein 
schon  1888  urteilten  die  Tilsiter  gerechter  und  nannten  ihre 
bevorstehende  Eröffnung  „erfreulich*4.  In  der  Tat  hat  diese  Bahn 
den  Tilsitern  Nutzen  gebracht.  Namentlich  war  die  Führung 
der  ersten  Strecke  in  genau  westlicher  Richtung  ein  gut  Stück 
in  die  Niederung  hinein  dem  Tilsiter  Handel  förderlich.  Der 
Hauptwert  der  Bahn  blieb  freilich  die  Abkürzung  des  Bahn- 
weges nach  Königsberg  für  den  Güterverkehr,  wenn  die  Schiff- 
fahrt geschlossen  war.  Die  Fracht  kam  auf  dieser  Strecke  auf 
jeden  Wagen  um  ca.  4  Mk.  billiger  zu  stehen.  Wie  daher  an- 
zunehmen, entwickelte  sich  der  Güterverkehr  bald  so  kräftig, 
daß  ein  zweiter  Güterzug  eingelegt  werden  mußte.    Als  Verkehrs- 


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Von  W.  Feydt.  77 

mittel  nach  der  Niederung  gewann  diese  Bahn  aber  in  neuerer 
Zeit  erhöhte  Bedeutung,  als  von  ihrer  Station  Gr.  Brittainen 
aus  Kleinbahnen  nach  Kaukehmen  und  Seckenburg  quer  durch 
und  tief  in  das  fruchtbare  Niederungsgebiet  gebaut  wurden. 

Unter  dem  Einflüsse  aller  dieser  Verkehrsmittel  war  die 
Periode  der  Stagnation,  die  nach  1860  eingetreten  war,  bald 
überwunden.  Auf  die  Zeit  der  fieberhaften  Aufregung  bis  1865 
folgte  die  der  mühsamen  Mauserung.  Tilsits  Handes  stützt  sich 
mehr  auf  die  natürlichen  Hilfsmittel,  hauptsächlich  auf  die 
Memel.  Der  Handel  mit  geschnittenen  Hölzern  beginnt  sich 
aufzuschwingen.  Mit  dem  Jahre  1887  ist  die  Umwandlung  im 
vollen  Gange.  Die  Eisenbahnen  haben  bedeutenden  Anteil  an 
ihr.  Sie  haben  es  den  Kaufleuten  erleichtert  im  Kreise  Tilsit 
und  in  den  benachbarten  Ersatz  für  das  russische  unsichere 
Geschäft  in  Eisen-,  Stahl-  und  Kurzwaren,  so  wie  die  Kolonial- 
Materialwaren  zu  finden,  sie  haben  das  Flachs-  und  Hede- 
geschäft durch  direkte  Tarife  erleichtert,  sie  haben  den  Holz- 
händlern ermöglicht,  ihre  "Waren  infolge  der  billigen  Tarife  bis 
nach  dem  fernen  Westen  versenden  zu  können.  Der  Umfang 
des  Holzhandels  auf  der  Bahn  ist  so  groß,  daß  wiederholt  Wagen- 
mangel eintritt.  Bessere  Zugverbindung  mit  Insterburg,  wohin 
in  dieser  Zeit  ein  dritter  Zug  eingelegt  wird,  kommen  dem 
Gesamtverkehr  zu  gute. 

In  den  neunziger  Jahren,  nach  Vollendung  der  Bahnen 
nach  Labiau,  Königsberg  und  Stallupönen,  sowie  einiger  Kreis- 
chausseen nach  anfänglichem  Widerstreben  des  Kreises,  in  dem 
man  die  Bedeutung  der  Wasserstraße  wohl  umgekehrt  wie  in 
der  Stadt  überschätzte,  ist  diese  Umwandlung  nicht  nur  ab- 
geschlossen, sondern  die  Grundlage  zu  einem  gewaltigen  Auf- 
schwung aus  den  Grenzen  der  Kreisstadt  heraus  zur  Mittelstadt 
gegeben. 

Der  Konsum  steigert  sich  gewaltig,  seitdem  Chausseen 
und  Eisenbahnen  Litauens  in  Tilsit  zusammenlaufen.  Sie  er- 
schließen ganz  neue  Handelszweige,  die  nicht  minder  gewinn- 
reich   sind    als    die  verlorenen  alten,    und  weil    am    Boden    des 


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78  T)er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

eigenen  zugehörigen  Staatsteils  hangend  sicherer  und  dauernd 
sind.  Butter,  Käse  und  Geflügel,  Vieh  und  Pferde  kommen 
von  Tilsit  zum  Absatz  nach  ganz  Deutschland,  zum  Teil  in  ganz 
enormen  Massen.  Dazu  kommt  die  Industrie.  Sie  schließt 
einen  Bund  mit  Wasserstraße  und  Eisenbahn.  Jene  schafft  ihr 
das  Rohmaterial,  diese  erschließt  die  Gebiete  für  den  Export 
ihrer  Waren. 

So  haben  die  Eisenbahnen  erst  geschädigt  (Eydtkuhner 
und  Kowno-Libauer),  dann  ein  bedeutendes  Zurückgehen  ver- 
hindert (Tilsit-Insterburger),  dann  mit  zu  dem  Aufschwünge  der 
neuen  Zeit  beigetragen,  jede  ihr  Teil.  Freilich  sind  nicht  alle 
Verkehrsstraßen,  wie  Bonk  etwas  ungenau  sagt,  verdoppelt.  Die 
russische  Bahn  als  Seitenstück  zum  Memelstrom  fehlt  noch 
immer,  denn  auch  die  neuere  Linie  nach  Stallupönen  kann  man 
nur  als  einen  Notbehelf  ansehen.  Mit  ihr,  der  ersehnten  Welt- 
bahn, als  russische  Stadt  hätte  Tilsit  leicht,  vielleicht  schneller 
noch  als  Riga  zur  Großstadt  werden  können;  allein  alles  in 
allem  kann  die  Stadt  mit  ihren  84539  Einwohnern  im  Jahre  1900 
wohl  zufrieden  sein. 

Dieser  Blüte  entspricht  auch  das  äußere  Gewand.  Die  ein- 
engenden Tore  der  alten  Landstadt,  das  deutsche  und  das  hohe, 
fielen  schon  Anfang  der  sechziger  Jahre  dem  zunehmenden 
Straßenverkehr  zum  Opfer.  Als  1865  die  Insterburger  Privatbahn 
Tilsit  zur  Eisenbahnstation  machte,  war  die  ganze  alte  Stadt 
bereits  abgeschlossen,  ebenso  die  Freiheit,  auch  Tilsit-Preußen 
bestand  schon,  hat  sich  aber  durch  mehrere  Fabrikanlagen,  von 
denen  indessen  ein  großer  Teil  schon  vor  der  Bahn  hier  bestand, 
vergrößert. 

Der  sogenannte  Stadtteil  „zwischen  den  Gärten41,  d.  h.  süd- 
lich von  der  Hohenstraße  bis  zum  Mühlenteiche  war  damals  erst 
unregelmäßig  und  unzusammenhängend  bebaut,  das  Straßennetz 
stand  aber  schon  fest.  Auch  die  Vorstadt  „Meerwischu  mit 
Jakobsruh  bestand  schon,  hatte  jedoch  nicht  im  geringsten  den 
Charakter  eines  Stadtteiles.  Sie  stand  noch  in  gar  keinem  Zu- 
sammenhang mit  der  eigentlichen  Stadt,  da  die  dorthin  führende 


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Von  W.  Feydt.  79 

Königsberger  Straße  erst  Ende  der  achtziger  Jahre  dichter  be- 
baut wurde. 

Den  Anger  gab  es  schon,  auch  die  Angerpromenade.  Aber 
er  diente  zuerst  zum  Dungabladeplatz,  dann  wurden  die  Vieh- 
märkte auf  ihm  abgehalten.  Die  Besiedelung  mit  Wohngebäuden 
fand  erst  nach  1865  statt. 

Somit  ist  durch  die  Bahn,  die  im  Westen  der  Stadt  vorbei- 
führt, alles  was  vom  Nordende  der  Kasernen straße  und  der 
Königsberger  Straße,  sie  selbst  eingeschlossen,  westlich  liegt, 
neu  entstanden;  und  von  den  bestehenden  Stadtteilen  haben  sich 
ganz  und  gar  verändert,  sind  als  feste  Glieder  mit  dem  Ganzen 
zusammengewachsen  der  Stadtteil  zwischen  den  Gärten,  die 
Vorstadt  Meerwisch  bis  zur  Bahn  im  Westen  und  der  Anger. 

Für  Tilsit  blieb  freilich  kaum  eine  andere  Möglichkeit,  als 
sich  nach  dem  Bahnhofe  hin  zu  entwickeln.  Nord-  und  Süd- 
seite waren  durch  Memel  und  Mühlenteich  so  gut  wie  aus- 
geschlossen. Nach  Osten  war  Platz  da  und  eine  bedeutende 
Siedelung  schon  entstanden.  Allein  der  Zugang  zu  ihr  war 
durch  den  Mühlenteich  beengt  und  das  Terrain  außerdem  nicht 
überall  eben.  Nach  Westen  dagegen  dehnte  es  sich  flach  und 
eben  am  Ufer  des  Stromes  weit  hin.  Hatte  dieser  Unterschied 
in  der  Beschaffenheit  der  Memelufer  unter-  und  oberhalb  schon 
die  Veranlassung  für  die  Anlage  der  Brücke  und  des  Bahnhofes 
im  Westen  der  Stadt  gegeben,  so  mußte  sie  sich  nur  um  so 
mehr  mit  ihrer  breiten  Siedelung  in  dieser  Richtung  ausdehnen. 
Die  Entfernung  des  Bahnhofes  war  etwas  reichlich  bemessen, 
und  es  dauerte,  da  die  Stadt,  wie  wir  gesehen  haben,  gerade  in 
der  ersten  Zeit  nach  den  Bahnen  nicht  vorwärts  schritt,  recht 
lange,  bis  der  Weg  zu  ihm  durch  Häuser  hindurch  führte.  Die 
Bahnhofstraße  war  noch  fast  unbebaut,  als  1873  der  Reichstag 
die  Mittel  zum  Bau  der  Kavalleriekaserne  bewilligte.  Dieses 
Gebäude  nahm  aber  bei  seiner  kolossalen  Ausdehnung  gleich  die 
Hälfte  vom  sogenannten  „Westend"  Tilsits  ein.  Aber  auch  nach 
ihrer  Herstellung  richtete  sich  die  Bautätigkeit  weniger  nach 
dem  Bahnhofe  selbst,  als  nach  Jakobsruh  und  der  alten  Königs- 


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#0  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

berger  Landstraße.  Sie  wurde  mit  der  nach  dem  schönsten  Ver- 
gnügungsort der  Stadt  führenden  Lindenstraße  die  Hauptzierde 
der  Stadt.  In  den  letzten  Jahren  ist  aber  der  Baum  zwischen 
Linden-  und  Bahnhofstraße  vollständig  ausgefüllt.  Der  Stadtteil, 
der  hier  entstanden  ist,  reicht  bis  dicht  an  die  Strecke  heran 
und  ist  entschieden  als  Ganzes  betrachtet,  der  schönste  und  vor- 
nehmste der  Stadt;  dem  Geschäftstreiben  liegt  er  ganz  fern. 
Wir  haben  es  mit  derselben  Erscheinung  wie  in  Insterburg  zu 
tun.  Tilsit  ist  aber  bereits  darauf  bedacht,  sich  weitere  Bau- 
plätze zu  sichern.  Und  zwar  nicht  im  Süden  des  Mühlenteiches, 
aus  dem  man  sich  mit  der  Zeit  eine  Art  Analogon  des  Königs- 
berger Schloßteichs  hätte  schaffen  können,  sondern  weiter  im 
Westen  jenseits  der  Bahnstrecke.  Im  Norden  ist  sie  durch  den 
Zusammenhang  mit  dem  am  Flusse  sich  ausdehnenden  Stolbeck 
ja  schon  lange  überschritten.  Im  Süden  ist  der  alte  Heinrichs- 
walder  Weg  über  die  Bahngeleise  als  Viadukt  hinweggeführt, 
die  Längsstraße  am  Bahnterrain  entlang  ist  „Yorkstraße"  um- 
getauft; sie  ist  lückenhaft  besiedelt,  dahinter  aber  auf  dem  freien 
Felde  ist  eine  Anzahl  Querstraßen  mit  lauter  sehr  modernen  und 
patriotischen  Namen  angenommen.  Hier  wird  also  das  Tilsit 
der  Zukunft,  das  zweite  „Westend"  zu  suchen  sein. 

Die  Verteilung  der  Bewohner  der  Stadt  zeigt  nur  wenig 
den  Einfluß  der  Bahn.  Handel  und  Industrie  wenden  sich  noch 
immer  der  Wasserstraße  mehr  zu  als  der  Eisenbahn.  Nur  die 
Beamtenwelt,  namentlich  die  Offiziere,  wohnen  vorzugsweise  in 
dem  neuen  Stadtteile  am  Bahnterrain.  An  der  Memel  von  Stol- 
beck bis  Tilsit-Preußen  die  Industrie,  in  der  deutschen  Straße 
die  meisten  Geschäfte,  das  ist  Tilsits  Physiognomie.  Die  Bahn- 
hof sstraße  kann  man  auch  heute  noch  fast  still  nennen. 

Dagegen  verdankt  Tilsit  alle  Komforteinrichtungen,  die  das 
Leben  am  Orte  bequem  machen  und  deshalb  in  neuester  Zeit 
auch  manchen  pensionierten  Beamten  und  Rentner  veranlaßt 
haben,  sich  in  der  Memelstadt  niederzulassen,  erst  der  Eisen- 
bahnzeit. Das  Urteil  Thimms:  „Solange  die  Verbindung  Tilsits 
mit  dem  Eisenbahnnetz  Deutschlands    nicht    erreicht    war,  blieb 


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Von  W.  Feydt.  8] 

Tilsit  ausgeschlossen  von  all  den  Errungenschaften  der  modernen 
Kultur,  blieb  es  das  unbedeutende  Landstädtchen",  scheint  zwar 
etwas  hart  und  übertrieben,  allein  hierfür  trifft  es  zu.  Jetzt  erst 
entstanden  in  Tilsit  Wasserleitung  und  Kanalisation,  Schlacht- 
haus und  Fleisch verkaufshallen,  die  selbst  Königsberg  noch 
fehlen,  ein  neues  Theatergebäude,  Denkmäler  und  last  not  least 
die  elektrische  Straßenbahn. 

Nimmt  man  zu  alledem  die  reizvolle  Umgegend:  Den  Strom 
mit  seinen  Ufern  und  Armen  bis  zum  Miekiter  Walde,  dem 
imposanten  Bilde  der  Überschwemmung  und  des  Eisganges  im 
Frühling,  seinen  reizenden  Partien  am  Schloßberg  im  Sommer, 
die  prächtigen  Anlagen  von  Jakobsruh,  die  Putschine,  von  der 
aus  man  leicht  in  größere  Waldbestände  gelangt,  allen  An- 
forderungen der  Neuzeit  entsprechende  Wohnhäuser,  gute  Schulen, 
eine  große  Anzahl  hoher  Behörden,  eine  starke  Garnison,  so  wird 
man  es  verstehen,  daß  die  alteTilse  wohl  im  stände  ist,  Leute, 
die  vom  Lande  in  die  Stadt  ziehen  wollen,  anzulocken.  Dieses 
Aufsaugen  der  Landbevölkerung  ist  aber  bereits  ein  deutliches 
Kennzeichen  für  die  Entwickelung  zur  Großstadt,  und  dieses 
Streben  nach  größeren  Verhältnissen  zeigt  sich  auch  darin,  daß 
in  Tilsit  kein  Berufsstand  überwiegenden  Einfluß  hat.  Wir 
können  in  dieser  Beziehung  nur  Königsberg  der  Memelstadt  zur 
Seite  stellen. 

[Fortsetzung  folgt.] 


Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  1  u.  2. 


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Das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Von  Oberlehrer  Dr.  Eduard  Loch. 
(Mit   einem  Plan    der   frischen  Nehrung.    —    Beilage   zum  Programm  des  Alt- 
städtischen  Gymnasiums  zu  Königsberg  i.  Pr.    Ostern  1903.     Programm  Nr.  10.) 

Von 

Dr.  Hugo  Bonk. 


Unter  den  zehn  von  Hahn  aufgestellten  Küstentypen1)  ist 
der  sogenannte  ostpreußische  sicher  einer  der  interessantesten. 
Deshalb  hat  die  Forschung  seit  der  geographischen  Entdeckung 
Ostpreußens,  das  heißt  seit  einem  halben  Jahrhundert,  sich  ein- 
gehend mit  der  —  Kurischen  Nehrung  beschäftigt,  die  wegen 
ihrer  einzigartigen  Naturschönheiten  schon  lange  das  Ziel  der 
Touristen  geworden  ist.  Virohow  verglich  die  Kurische  Nehrung 
mit  den  Ufern  des  obern  Nil:  „in  Nidden  aber,  wo  ich  unmittelbar 
auf  die  Sandwüste  gestellt  war,  welche  der  Südwestwind  gegen 
die  "Wohnungen  und  Gärten  der  Menschen  aufgetürmt  hatte,  er- 
reichte die  Illusion  die  größte  Höhe."2)  Dagegen  war  die  Frische 
Nehrung  seit  Schumann  (1859)  fast  verschollen,  bis  30  Jahre 
später  Panzer  sie  zum  Gegenstand  einer  historischen  Unter- 
suchung machte8),  um  die  Nichtexistenz  des  Lochs tedter  Tiefs 
in  historischer  Zeit  zu  beweisen.  Seitdem  ist  —  abgesehen  von 
dem  spezial-wissenschaftlichen  Handbuch  des  Dünenbaus  von 
Gerhard  —  Dr.  Ed.  Loch  der  erste  gewesen,  der  sich  ein- 
gehender mit  der  Frischen  Nehrung  beschäftigt  hat.     Im  Herbst 


1)  Hahn,  Bemerkungen  über  einige  Aufgaben  der  Verkehrsgeographie  in 
der  Zeitechr.  f.  wiss.  Geogr.  V  (1885)  S.  245. 

2)  Zeitschr.  f.  Ethnol.  XXIII  (189D,  790. 

3)  Die  Verbindung   des    Frischen  Haffe    mit   der  Ostsee   in    histor.  Zeit. 
Altpr.  Mon.  XXVI  (1889)  S.  259-93. 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  83 

1899  machte  er  eine  Wanderung  über  dieselbe  von  Pillau  bis 
Vogelsang,  die  er  gemeinschaftlich  mit  seinem  Reisegefährten 
Nicolau 8  in  zwei  populär- wissenschaftlichen  Zeitungsartikeln 
beschrieben  hat,  von  denen  es  nur  zu  bedauern  ist,  daß  sie  dem 
Publikum  nicht  mehr  zugänglich  sind1).  Hier  wird  der  für  die 
große  Mehrzahl  der  Leser  trotz  Schumann  und  Passarge  sicher 
sehr  überraschende  Nachweis  geliefert,  daß  die  Frische  Nehrung 
keineswegs  eine  Einöde,  sondern  landschaftlich  hervorragend 
interessant  ist.  Schon  in  dieser  Abhandlung  finden  wir  im  ersten 
Teil  mit  Bestimmtheit  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  es  noch 
in  historischer  Zeit  —  trotz  Panzer  —  ein  Tief  bei  Lochs tedt, 
und  später  bei  Großbruch  —  nicht,  wie  Panzer  will,  zwischen 
Alttief  und  Möwenhaken  —  gegeben  habe.  Nach  weiteren  mehr- 
jährigen archivalisohen  Studien  über  diesen  Gegenstand  machte 
Loch  behufs  nochmaliger  genauer  Durchforschung  der  ganzen 
Nehrung  eine  zweite  Wanderung,  von  Pillau  bis  Dan  zig  (im 
Sommer  1902),  auf  welcher  ihn  Mendthal  —  wie  schon  14  Jahre 
vorher  seinen  Gegner  Panzer  —  und  der  Schreiber  dieser  Zeilen 
begleiteten.  Auf  dieser  Wanderung  wurden  alle  für  die  Unter- 
suchung in  Frage  kommenden  Stellen  einer  genauen  Besichtigung 
und  Besprechung  unterzogen2). 

Das  Resultat  dieser  Studien  ist  die  vorliegende  Arbeit  und 
die  beigegebene  Karte,  die    an  Exaktheit  für  den  vorliegenden 


1)  Eine  Herbstwanderung  auf  der  Frischen  Nehrung  von  L.  N.  Königsb. 
Hrtg.  Ztg.  1899.  Nr.  284  M.  und  290  M.,  d.  3.  und  10.  Dezbr. 

2)  Auch  diese  Wanderung  hat  Loch  neuerdings  beschrieben:  „Von  Pillau 
bis  Dan  zig.  Eine  Wanderung  auf  der  Frischen  Nehrung"  —  im  „Wanderer 
durch  West-  und  Ostpr.'*  Juli  1904.  Genauere  Angabe  von  Zitaten  ist  leider 
nicht  möglich,  da  diese  Zeitschrift  merkwürdiger  Weise  nicht  paginiert 
ist,  Auch  die  Weglassung  der  Namen  der  Verfasser  in  der  Inhaltsangabe  ver- 
stößt gegen  den  guten  Brauch  und  erschwert  außerdem  die  Benutzung.  Viel- 
leicht trägt  diese  Bemerkung  dazu  bei,  durch  Abstellung  dieser  Ü beistände  den 
Wert  des  sehr  lobenswerten  Unternehmens  zu  erhöhen.  —  Auch  diese  Arbeit, 
von  Loch,  die  gegenüber  der  früheren  von  1899  durchaus  selbständig:  ist  und 
wieder  neue  Beobachtungen  bringt,  zeichnet  sich  durch  scharfe  Beobachtung  von 
Land  und  Leuten  und  interessante  und  durch  Wiedergabe  von  Einzelheiten 
belebte  Darstellung  aus. 

6* 


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84  &r-  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Zweck  nichts  zu  wünschen  übrig  läßt  —  abgesehen  allerdings 
davon,  daß  eine  Übersichtskarte  in  kleinerem  Maßstabe  mit  dem 
gegenüberliegenden  Haffufer  zur  leichteren  Orientierung, 
stellenweise  sogar  überhaupt  zur  Ermöglichung  der  letzteren, 
leider  —  fehlt. 

Sehen  wir  uns  nun  zunächst  die  oben  zitierte  Arbeit  von 
Panzer  etwas  näher  an. 

Panzer  geht  davon  aus,  daß  nach  einer  früheren  Annahme 
der  Camstigaller  Haken  durch  das  Haff  bis  nach  Balga  sich 
erstreckt  habe.  Wenn  diese  Ansicht  richtig  wäre,  dann  wäre 
damit  auch  die  Möglichkeit  eines  Tiefs  bei  Lochs tedt  gegeben: 
denn  nur  so  konnte  die  Strömung  des  Pregels  genügen,  um  die 
enge  Rinne  vor  Versandung  zu  schützen.  Dann  mußte  aber  in 
historischer  Zeit  durch  eine  Katastrophe  jene  Landverbindung 
untergegangen  und  davon  uns  irgend  welche  Kunde  erhalten 
sein.  Das  sei  aber  nicht  der  Fall,  und  somit  fehle  dem  Tief  die 
notwendige  physische  Voraussetzung. 

Aber  auch  historisch  sei  es  nicht  zu  begründen.  Denn 
die  Nachricht  von  einem  Loohstedter  Tief  in  historischer  Zeit 
sei  lediglich  ein  Phantasiebild  Simon  Grünaus.  Nun  werden 
die  beiden  bezüglichen  Stellen  Tract.  XI  c.  2,  4  und  XIV,  2,1 
angeführt,  wonach  Grünau  die  Versandung  des  Lochstedter  Tiefs 
erst  in  die  Zeit  Siegfrieds  von  Feuchtwangen  (1303 — 1311),  und 
zwar  —  das  ist  wichtig  —  auf  den  7.  August  setze,  dann  aber 
ins  Jahr  1399.  Schon  dieser  Umstand  mache  die  Nachricht 
unglaubwürdig,  wenn  sie  es  nicht  schon  an  und  für  sich  dadurch 
wäre,  daß  sie  eben  von  Simon  Grünau  stamme. 

Also  seien  alle  historischen  Nachrichten,  die  man  bisher 
auf  das  Lochstedter  Tief  bezogen  habe,  umzudeuten.  In  erster 
Linie  handle  es  sich  um  die  Teilungsurkunde  von  1258.  Aus 
dieser  gehe  hervor,  daß  das  Tief,  die  Balge,  zwischen  der 
Nehrung  und  Witlandsort  gelegen  habe.  Für  die  Bestimmung 
dieser  Stelle  sei  wesentlich  der  in  der  Urkunde  erwähnte  Wald 
Wogrim.  Dieser  müsse  aber,  wie  aus  dieser  Urkunde  und  einer 
zweiten  von  1322  —  wo  der  Bischof  dem  Orden  seinen  Anteil 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  85 

am  Walde  für  Fischhausen  zurückgibt  —  hervorgehe,  nördlich 
vom  Tief  gelegen  haben,  also  auf  Witlandsort.  Das  sei  der  Name 
für  die  ganze  südwestliche  Landzunge  von  Witland,  das  heißt 
dem  Samlande,  bis  an  das  Tief. 

Da  nun  aber  im  Jahre  1264  ausdrücklich  erklärt  wird,  daß 
der  Orden  bei  Witlandsort  eine  Befestigung  (quandam  munitionem) 
anzulegen  beabsichtige,  und  daß  der  Bischof  zu  diesem  Zweck 
seinen  Anteil  an  Witlandsort  bis  zum  Walde  Wogrim  abgetreten 
habe,  so  folge  daraus,  daß  zwischen  dem  Walde  und  dem  Tief 
noch  eine  freie  Stelle  gelegen  habe.  Wenn  man  also  geltend 
gemacht  habe,  daß  Lochstedt  zueist  Witlandsort  hieß,  also  mit 
jener  Befestigung  von  1264  identisch  sei,  so  sei  das  schon  des- 
halb falsch,  weil  ja  Lochstedt  nördlich  vom  Walde  Wogrim 
liege,  während  doch  eben  nachgewiesen  sei,  daß  der  Wald  nicht 
auf  der  Nehrung,  sondern  nördlich  vom  Tief,  also  auch  nördlich 
von  der  daran  liegenden  Befestigung  gelegen  habe.  Zudem  sei 
Lochstedt  ein  castrum  und  keine  munitio  gewesen  und  auch 
nicht  1264,  sondern  erst  1270  gegründet  worden1).  Lochstedt  sei 
nur  gegründet  worden,  um  ein  Gegengewicht  gegen  das  bischöfliche 
Schloß  Schonewik  (Fischhausen)  zu  bilden:  zu  dem  Tiefe  habe 
es  keine  nachweisbaren  Beziehungen :  schon  in  der  ersten  Hälfte 
des  XIV.  Jahrhunderts  habe  den  Elbingern  die  Sorge  für  das- 
selbe obgelegen1). 


1)  Es  sei  mir  gestattet,  hier  einmal  von  der  Einhaltung  des  Instanzen- 
weges abzusehen  und  mich  mit  Panzer  direkt  ansei nanderzusctzen.  In  der 
altern  Chronik  von  Oliva  Scr.  rer.  Pr.  I,  684  steht:  ,,et  frater  Henricus 
Stange,  commendator  de  Kireberg,  assumptis  secum  fratribus  et  exercitu  copioso 
processit  ante  castrum,  quod  erat  aedificatum,  ubi  nunc  Lochstete 
situni  est.u  Vgl.  dazu  Dusburg  1.  c.  S.  89;  hier  steht  nur:  „et  intravit 
circa  locum,  ubi  nunc  situm  est  castrum  Lochstete."  Daß  die  ältere  Chronik 
von  Oliva  von  Dusburg  benutzt  ist,  und  nicht  umgekehrt,  hat  Hirsch  nach- 
gewiesen Scr.  r.  Pr.  I,  8.  656  ff. ;  für  unsere  Stelle  vgl.  663  Nr.  29.  Heinrich  Stange 
war  Comtur  von  Christburg  1250—1252;  jener  Zug  wurde  1252  unternommen 
(Voigt,  G.  Pr.  III,  43  A.  1.).  Es  muß  demnach  schon  im  Jahre  1252  an 
der  Stelle  von  Lochstedt  eine  Burg  gestanden  haben,  also  eine 
Preußenburg  und  wir  haben  hier  die  nicht  etwa  ausnahmsweise,  sondern  die 
Regel  bildende  (vgl.  Bonk,  Städte  und  Burgen  Altpr.  S.  7)  Erscheinung, 


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#ß  Dr.  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Auch  die  Bezeichnung  „Balga"  für  das  Tief  passe  nicht 
zu  Lochstedt.  Denn  die  Burg  Balga,  die  davon  offenbar  ihren 
Namen  habe,  liege  doch  nicht  Lochstedt  gegenüber,  sondern  einer 
Stelle  nördlich  von  Alt  tief,  so  daß  den  das  Tief  passierenden 
Schiffern  gleich  die  Burg  Balga  ins  Auge  fiel.  Hier  habe  „nach- 
weislich" im  XVI.  Jahrhundert  das  alte  Tief  gelegen,  nicht,  wie 
man  behaupte,  bei  Großbruch.  Diese  Behauptung  sucht  Panzer 
durch  einen  Bericht  über  eine  Besichtigung  der  Nehrung  von 
1582/1583  zu  beweisen. 

Dieses  „alte  Tief"  sei  nun  dasjenige,  welches  man  bisher 
irrtümlich  das  Lochstedter  genannt  habe.  Daneben  tauche  seit 
1376  ein  „neues  Tief"  auf,  das  immer  wieder  zugeschüttet  werden 
muß,  aber  schließlich  1497  durchbrach:  das  jetzige  Pillauer.  Ein 
drittes  Tief,  das  allerälteste,  sei  aber  nach  der  Teilungsurkunde 
von  1258  bei  Boden winkel  gewesen.  Hier  habe  auf  der  Haff- 
seite der  Ort  Kampenkin  bei  Vogelsang  „versus  Lipam 
unum  miliare  in  longitudine"  (Pommerell.  Urkundenbuch  293), 
das  heißt  eine  Meile  „westlich"  von  Liep  gelegen.  Nach  Mauer- 
resten, Dachpfannenstücken,  Tonscherben,  scharfkantigen  Feuer- 
steinen, die  Schumann  bei  Vogelsang  gefunden,  lasse  sich  die 
Lage  von  Kampenkin  feststellen1).  Nach  der  Teilungsurkunde 
von  1258  war  von  hier  bis  zur  Balga  eine  Entfernung  von 
21  Seilen2)  +  5Va  Meilen  =  43,898  km.  Mißt  man  diese  Ent- 
fernung ab,  so  endet  man  am  Danziger  Haken,  2,4  km  nördlich 
von  Alttief,  wo  Panzer  das  alte  Tief  angesetzt  hat.     Also  eine 


daß  der  Orden  seine  Burg  an  der  Stelle  einer  Preußenburg  angelegt 
hat.  Weshalb  aber  haben  denn  die  Preußen  ihre  Burg  gerade  an  dieser 
Stelle  angelegt?  Etwa  auch  als  „Gegengewicht  gegen  Schonewik"?  Für  sie 
konnte  diese  Burg  doch  nur  einen  Zweck  haben,  wenn  sie  zur  Verteidigung 
der  Grenze  diente,  also  am  Tief  lag. 

1)  Loch  hat  1902  auf  seiner  Wanderung  an  dieser  Stelle  nur  „ein  paar 
Ziegelstücke"  gefunden,  während  ihm  von  ein  paar  alten  Männern  gesagt  sei, 
„daß  noch  das  von  Schumann  hier  auf  der  Seeseite  der  Düne  gesehene  alte 
Mauerwerk  vorhanden  sei".  Wand.  d.  W.  u.  Ostpr.  —  in  der  uncitierbaren 
Zeitschrift. 

2)  Ein  Seil  =  43,3  m;*  eine  Meile  =  7799  m. 


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Von  Dr.  Hugo  Book.  87 

glänzende  Bestätigung  seiner  Rechnung.  Von  Kampenkin 
104  Seile  westlich  (4500  m),  also  bei  Boden winkel,  wurde  ein 
Seil  quer  gemessen:  das  lasse  auf  ein  Tief  schließen.  Und  in 
der  Tat  sei  dieses  allerälteste  Tief  schon  durch  Wulfstans 
Reisebericht  aus  dem  neunten  Jahrhundert  belegt,  nach  welchem 
Elbing  und  Nogat  vereint  durch  das  Haff  in  die  Ostsee  mündeten. 
So  weit  Panzer.  Die  überaus  sorgfältige  und  auf  einer 
erdrückenden  Fülle  archivalischen  Materials  beruhende,  dazu 
höchst  geschickt  gruppierte  Untersuchung  wirkt  auf  den  un- 
befangenen Leser  nicht  nur  überzeugend,  sondern,  besonders  Dank 
der  beiden  effektvollen  Schlager  am  Schluß,  geradezu  verblüffend. 
Und  so  ist  denn  auch  seit  jener  Zeit  das  Lochstedter  Tief  aus  der 
historischen  Forschung  verschwunden  und  durch  das  „Panzersohe" 
am  Danziger  Haken  ersetzt  worden  —  so  auch  auf  der  Höhen- 
schichtenkarte von  Jentzsch  und  Vogel1). 

Dem  gegenüber  erschien  es  ein  gewagtes  Unternehmen,  die 
alte  Tradition  wiederherstellen  zu  wollen.  Aber  einen  Vorteil 
hat  dies  Unternehmen:  nämlich  den  des  Verteidigers  gegenüber 
dem  Ankläger.  Und  diesen  Vorteil  hat  Loch  ausgezeichnet  zu 
benutzen  verstanden:  er  hat  alle  Angriffe  auf  die  Tradition  pariert 
und  die  schwachen  Punkte,  oder  sagen  wir  richtiger  den  schwachen 
Punkt  seiner  eigenen  Stellung  geschickt  teils  zu  decken,  teils 
zu  —  verdecken  gewußt.  Ja,  er  hat  sogar  gelungene  Angriffe 
des  Gegners  auf  die  Tradition  in  den  Dienst  der  Verteidigung 
zu  stellen  gewußt,  so  den  Nachweis  Panzers,  daß  der  "Wald 
Wogrim  nicht,  wie  die  Tradition  will,  auf  der  Nehrung,  sondern 
auf  Witlandsort  gelegen  haben  muß. 

Nach  einem  kurzen  Referat  über  Panzers  Ausführungen 
legt  der  Verfasser  sogleich  die  Axt  an  die  Wurzel: 

1.  Simon  Grünau  ist  nicht  der  erste,  der  das  Loch- 
stedter  Tief   erwähnt.     In    dem    Cod.    Oliviensis    saeo.    XV 


1)  Auf  meinen  eigenen,  schon  1895  ausgesprochenen,  Zweifel  (Burgen  und 
Städte  in  Altpr.  8.  120)  kann  Ich  wegen  der  fehlenden  Begründung  kein 
Gewicht  legen. 


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88  Dr.  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Fol.  71  (A  99)  im  Königsberger  Staatsarchiv  findet  sich  ein 
Regest  des  Abschreibers  der  oben  erwähnten  Abtretungsurkunde 
von  1264,  wo  es  heißt,  die  Kirche  habe  dem  Orden  ihr  Drittel 
zu  Witlandsort  geschenkt  zum  Bau  eines  Hauses,  „das  der  ordin 
eyn  hus  aldar  möge  buwin  off  das  dy  schiffe  deste  sicbir  yn  das 
land  zcu  prusin  mogin  komen,  das  nu  louchstete  heyset."  Also 
eine  Identifikation  jener  von  Panzer  erwähnten  munitio  am  Tief 
mit  Lochstedt  aus  dem  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts.  Dadurch 
gewinnt  aber  die  Bemerkung  Dusburg s  in  seiner  Chronik 
(beendet  1326)  HI,  107  (Scr.  rer.  Pr.  I,  109)  für  uns  erhöhte 
Bedeutung:  „Castrum  Widlandsort,  quod  dicitur  nunc  Locstete 
a  nomine  cuiusdam  Sambitae  dicti  Laucstiete,  qui  ibidem  mora- 
batur."  Das  „Tief  zu  Lochstedt"  hat  Loch  auch  auf  dem  losen 
Pergamentdeckel  des  Ostpr.  Folianten  3A  (ursprünglich  Re- 
gistrand von  1500)  in  der  Handschrift  des  beginnenden  XVI.  Jahr- 
hunderts gefunden:  „Melchior  von  Halldeck,  itzt  uffm  Tieff  zu 
Lochstedt".  Simon  Grünau  aber  hat  seine  Chronik  doch  erst 
1521  geschrieben.  Auch  die  Aufforderung  des  Ambrosius  Thoms 
„an  die  Stadthalter  zu  Heilsberg  item  mut.  mutandis  an  die 
Stedte  Elbing  und  Braunsberg  zu  Lieferungen  für  einen  Bau 
bei  Lochstedt  am  Tieffen"  vom  Jahre  1561  dürfte  nicht  auf 
einer  Information  aus  Simon  Grünau  beruhen.  Und  schließlich 
wird  in  der  Chronik  von  Milfelt  nach  dem  Citat  Hennen- 
bergers  die  Versandung  des  Lochstedter  Tiefs  in  den  August  1311 
unter  Karl  Bef fart  von  Trier  gesetzt.  Daraus  schließt  Loch 
daß  auch  Milfelt  von  Simon  Grünau  unabhängig  ist.  Wenn 
die  Zuverlässigkeit  dieser  lange  verschollenen1)  Chronik  sicher 
wäre,  dann  wäre  damit  die  Frage  endgültig  gelöst. 

Aber    das    eine    ist   nunmehr   sicher:    „Schon    mindestens 
100  Jahre   vor  Simon  Grünau   und    ganz   unabhängig   von  ihm 


1)  Nach  der  Abfassung  dieser  Arbeit  ist  bekanntlich  Milfelts  Chronik 
wieder  aufgefunden  worden  von  Karl  Boysen  in  einer  Handschrift  der  Berliner 
Königlichen  Bibliothek  (vgl.  Altpr.  Monatsschr.  XLI  (1904)  S.  357—67).  Diese 
Auffindung  brachte  uns  insofern  eine  Enttäuschung,  als  sie  über  die  Wertlosig- 
keit jener  Chronik  kaum  noch  Zweifel  übrig  läßt. 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  89 

hat  ein  —  mit  dem  Aktenmaterial  wohl  vertrauter  —  Schreiber 
eines  amtlichen  ürkundenbuchs  die  Existenz  eines  Tiefes  bei 
Lochstedt  in  der  Zeit  des  XIII.  Jahrhunderts  als  bekannt  hin- 
gestellt"1). Und  schärfer  als  Loch  möchte  ich  hier  den  Um- 
stand betonen,  daß  es  keinem  Zweifel  mehr  unterliegt,  daß  im 
XV.  und  XVI.  Jahrhundert  die  Ortsbezeichnung  „Tief  bei 
Lochstedt"  noch  existierte.  Damit  können  wir  eigentlich 
schon  jetzt  die  Frage  als  gelöst  betrachten.  Denn  wenn 
wir  aufhören,  eine  so  sicher  beglaubigte  Tradition  als  Geschichts- 
quelle anzusehen,  wozu  noch  das  von  mir  oben  nachgewiesene 
Vorhandensein  einer  Preußenburg  an  dieser  Stelle  kommt,  dann 
kommen  wir  schließlich  dahin,  die  Vergangenheit  nicht  mehr 
nach  überlieferten  Tatsachen,  sondern  durch  allerlei  Denkprozesse 
künstlich  zu  konstruieren. 

2.  Die  Anlage  der  Burg  Lochstedt  an  dieser  Stelle 
ist  ohne  Vorhandensein  eines  Tiefs  nicht  zu  erklären. 
Sehr  treffend  fragt  Loch,  was  wohl  die  Ritter  habe  bewegen 
können,  am  Tief  eine  munitio,  hier  aber,  in  der  Fischhausener 
Wiek,  eine  Burg  anzulegen?  Wenn  Lochstedt,  wie  Panzer  zu- 
gibt, eine  leichte  und  sichere  Verbindung  mit  Balga,  Branden- 
burg, Königsberg,  Elbing  gehabt  hat,  so  sei  eine  derartige  Ver- 
bindung ohne  Tief  undenkbar.  Denn  heute  könnten  sich  selbst 
leichte  Segelboote  der  Küste  nicht  einmal  bis  auf  100  m  nähern. 
Wie  sollte  denn  damals  die  Möglichkeit  vorhanden  gewesen  sein, 
„mit  schweren  Lastschiffen,  die  Ritter,  Bosse  und  Waffen  trugen, 
in  der  Nähe  des  Schlosses  Lochstedt  zu  landen"  —  wenn  kein 
Tief  da  war?  (S.  127.) 

Nun  behauptet  Panzer  aber,  jene  „munitio"  am  Tief  habe 
zur  Komturei  Balga  gehört,  wenn  aber  das  Tief  bei  Lochstedt 
gewesen  wäre,  dann  hätte  es  doch  samt  der  Befestigung  zur 
Komturei  Lochstedt  gehören  müssen.  Also  könne  das  Tief 
nicht  bei  Lochstedt  gewesen  sein.  Der  Beweis  der  Zugehörig- 
keit zur  Komturei  Balga  wird  dadurch  geführt,    daß    die  Hand- 


1)  Loch  S.  iL. 


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90  ^r-  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

feste  eines  Kruges  „off  m  Szande  nensth  dem  tiffen"  vom  Jahre  1411 
vom  Komtur  zu  Balga,  Friedrich  von  Zollern,  ausgefertigt 
sei.  Alle  andern  Ortschaften  südlich  von  Lochstedt  (Camstigal, 
Wogram,  Neudorf,  Scheute)  haben  ihre  Handfesten  vom  Obersten 
Marschall  und  Hauskomtur  zu  Königsberg  oder  vom  Pfleger  zu 
Lochstedt.  Also  müsse  der  Krug  auf  dem  Sande  an  der  Stelle 
jener  alten  munitio  gelegen  haben,  auf  dem  Terrain,  das  der 
Bischof  von  Samland  1264  dem  Orden  zur  Anlage  jenes  „Block- 
hauses" abgetreten  habe.  Diese  ganze  Gegend  am  Tief  habe 
demnach  zur  Komturei  Balga  gehört. 

Demgegenüber  kommt  Loch  scheinbar  ein  wenig  in  Ver- 
legenheit. Er  muß  zugeben,  daß  der  Schluß  nahe  liege,  daß  der 
die  Handfeste  ausstellende  Komtur  von  Balga  auch  Hoheitsrechte 
über  den  Krug  auf  dem  Sande  gehabt  habe.  Aber  ohne  große 
Schwierigkeit  nimmt  Loch  auch  dieses  Hindernis:  Bei  der 
politischen  Konstellation  von  1410/1411  —  der  letzte  oberste 
Marschall  Friedrich  von  Wallenrod  war  bei  Tannenberg  gefallen, 
sein  1410  erwählter  Nachfolger  aber  in  polnischer  Gefangen- 
schaft —  konnte  der  oberste  Marschall  jene  Handfeste  gar  nicht 
ausstellen,  ein  Pfleger  von  Lochstedt  war  wahrscheinlich  auch 
nicht  vorhanden1),  also  sei  der  Komtur  von  Balga  für  beide 
eingetreten.  Diese  Vermutung  Lochs  ist  in  der  Tat  richtig: 
der  Komtur  von  Balga,  Friedrich  von  Zollern,  war  tatsächlich 
nach  der  Schlacht  bei  Tannenberg  zum  stellvertretenden  Marschall 
ernannt  worden.  In  einer  Urkunde  vom  11.  Oktober  1410,  die 
abgedruckt  ist  bei  Voigt  und  Schubert,  Johann  Lindenblatt 
(Joh.  von  Posilge)  S.  231,  zeichnet  der  Komtur  von  Balga  „an 
des  Obristen  marschalls  statt."  Ebenso  ist  ein  Schreiben  eines 
Peter  von  der  Slawke  von  Soldau  vom  24.  September  adressiert 
an  den  Komtur  von  Balga  „an  des  Marschalks-stad" 2).    Dadurch 


1)  Loch  S.  16,  A.  1. 

2)  Vgl.  Thunert,  Die  Schlacht  bei  Tannenberg,  S.  40?  A.  5  u.  S.  42,  A.  5. 
Auf  diese  Stellen  hat  mich  Herr  Professor  Dr.  Schnippel  aufmerksam  ge- 
macht, der  beste  Kenner  jenes  Zollern-Komturs  und  —  trotz.  Thunert  —  auch 
der  Schlacht  bei  Tannenberg. 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  91 

wird  Loch 8  Vermutung  zur  Gewißheit  erhoben.  —  Also  hat  der 
Krug  auf  dem  Sande  ebensowenig  wie  die  andern  genannten 
Orte  zu  Balga  gehört,  und  Loch  hat  Seite  16  ff.  überzeugend 
nachgewiesen,  daß  der  Krug  auf  dem  Sande  wahrscheinlich  nicht 
am  alten,  sondern  „uff  dem  Sande  bie  dem  Newen  tyfe4i  gelegen 
habe,  also  nicht  an  der  Stelle  jener  „munitio*'  nördlich  des  alten 
Tiefs.  —  Damit  wäre  die  Tradition  auch  gegen  diesen  Angriff 
Panzers  gerettet. 

Jetzt  kommt  aber  die  Probe  auf  das  Exempel.  Im  Jahre  1258 
schloß  der  Orden  mit  dem  Bischof  von  Samland  einen  Teilver- 
trag; der  das  Samland  und  die  Frische  Nehrung  umfaßte:  zwei 
Drittel  bekam  der  Orden,  ein  Drittel  der  Bischof.  Die  Teilung 
von  Witlandsort  wurde  nun  in  der  Weise  vorgenommen,  daß 
das  Land  längs  der  Küste  nach  Seilen  (43,3  m  nach  Panzer 
Seite  284)  vermessen  wurde.  Nun  wurde  aber  nicht  etwa  die 
Gesamtsumme  durch  drei  geteilt,  sondern  lauter  einzelne  Parzellen 
gebildet,  von  deren  jeder  der  Orden  zwei,  der  Bischof  einen  Teil 
erhielt.  Dabei  wird  von  der  Balge  aus  nach  beiden  Seiten  immer 
die  Reihenfolge  II  (Orden),  HI  (Orden),  I  (Bischof)  eingehalten. 
Folglich  ließe  sich  die  Lage  der  Balge  ganz  genau  bestimmen, 
wenn  wir  irgend  einen  bekannten  Ausgangspunkt  auftreiben 
könnten.  Wir  haben  oben  gesehen,  daß  Panzer  als  solchen 
Kompenkin,  angeblich  bei  Vogelsang,  ausfindig  gemacht  hatte, 
das  laut  jener  Vermessung  21  Seile  +  5Vt  Meilen  =  43,898  km 
westlich  vom  Tief  gelegen  hat.  Und  hier  spielte  Panzer  seinen 
letzten  Trumpf  aus:  Diese  Entfernung  reichte  von  seinem 
Kompenkin  aus  ungefähr  bis  zu  seiner  Balge  am  Danziger 
Haken.     Damit  war  das  Lochstedter  Tief  beseitigt. 

Aber  die  Vermessung  ging  ja  auch  über  die  Balge  hinaus 
ins  Samland  hinein.  Da  sind  zunächst  in  Witlandsort  16  Seile 
„a  Balga  in  longitudinem  versus  salsum  mare"  —  das  kann 
doch  nur  bedeuten  vom  Haff  längs  der  Balge  bis  zur  See.  Die 
Balge  war  also  16-43,3  =  ca  700  m  lang.  Von  hier  gehen 
90  Seile  nordwärts  nach  Witlandsort  hinein  und  weitere  90  in 
den    Wald  Wogrim.     Dieser  Wald    spielt   für   alle  Beteiligten 


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92  D*«  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

eine  unangenehme  Rolle.  Denn  zwischen  Pillau  und  Neuhäuser 
lag  das  Dorf  Wogram  (jetzt  bei  Alt-Pillau),  das  offenbar  von 
dem  Wald  seinen  Namen  bat,  also  wohl  an  diesem  Wald  gelegen 
haben  wird.  Dieser  letztere  aber  hat  nach  Urkunden  von  1506 
und  1513  (Loch  S.  24)  auch  bei  Lochsted t  gelegen.  Panzer, 
der  bei  seiner  Balge  anfängt,  kommt  aber  mit  den  zweimal 
90  Seilen  nur  bis  in  die  Gegend  von  Pillau,  erreicht  also  nicht 
Wogram  und  noch  weniger  Lochstedt.  Infolge  dessen  hält 
Panzer  es  für  wahrscheinlich,  daß  der  Wald,  in  dem  die  90  Seile 
gemessen  wurden,  noch  weit  darüber  hinaus  gereicht  hat  in  das 
Gebiet  des  Preußen  Snutene  hinein.  Aber  selbst  wenn  es  ihm 
gelingt,  den  Wald  bis  Wogram  auszurecken,  dann  sind  bis  Loch- 
stedt noch  immer  reichlich  vier  Kilometer! 

Aber  auch  für  Lochs  Ansatz  ist  der  Wald  sehr  unbequem. 
Denn  wenn  er  90  Seile  von  Witlandsort,  also  Lochstedt,  und 
dann  noch  weitere  90  Seile  in  den  Wald  hineingeht,  dann  hat 
er  die  Fühlung  mit  Lochstedt  und  Wogram  gänzlich  verloren. 
Aber  wo  steht  denn  geschrieben,  daß  der  Wald  Wogrim  nörd- 
lich von  den  90  Seilen  auf  Witlandsort  gelegen  hat?  Er  kann 
ja  ebensogut  längs  jener  90  Seile,  also  von  Lochstedt  an- 
fangend längs  des  Haffs  etwa  bis  Eosenthai  gereicht  haben, 
so  daß  wir  hier  ausnahmsweise  eine  doppelte  Messung  haben, 
nämlich  längs  des  Strandes  etwa  vier  Kilometer  von  der  Balge 
nordwärts,  und  auf  der  Höhe  über  Tenkitten  hinaus. 

Dabei  entstehen  aber  zwei  Schwierigkeiten:  1.  Die  in  der 
Urkunde  von  1321  *)  erwähnten  Bernsteinfunde  (cum  lapide 
marino,  qui  ibidem  reperitur).  Loch  meint,  „bei  dem  Abbrechen 
des  Ufers  infolge  von  starken  Stürmen,  wie  es  ja  an  der  ganzen 
Samlandküste  noch  heute  geschieht,  kann  sehr  wohl  am  Fuße 
des  Waldufers  auf  dem  Strande  Bernstein  zu  Tage  getreten 
sein  und  dies  mit  dem  Wort  „ibidem"  bezeichnet  sein*4  (S.  25). 
Und  dann  sucht  er  nachzuweisen,   daß  dieser  Bernstein  nur  in 


1)  1297  trat  der  Bisehof  seinen  Anteil    am  Walde  ab  und    erhielt    dafür 
Fischhausen.    Hier  beschwert  er  sich,  daß  er  benachteiligt  sei. 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  93 

dieser  Urkunde,  und  dazu  noch  ganz  tendenziös,  auftrete. 
Denn  in  dem  Tausch  vertrage  von  1297,  der  sehr  eingehend  von 
den  Produkten  spreche,  stehe  von  Bernstein  kein  Wort1),  was 
doch  auffallend  wäre,  wenn  welcher  dagewesen  wäre.  Aber  die 
Darstellung  der  Urkunde  von  1321  von  Seiten  des  Bischofs  ver- 
folge ja  einen  tendenziösen  Zweck:  der  Bischof  will  beweisen, 
daß  er  betrogen  sei,  da  der  Wald  mehr  enthalte,  als  dort  an- 
gegeben sei.  Dabei  habe  er  vielleicht  auch  den  an  der  Küste 
liegenden  Bernstein  mit  dem  im  Walde  verwechselt. 

Daß  diese  Folgerungen  etwas  gewaltsam  und  auch  ihrer- 
seits nicht  tendenzfrei  sind,  ist  nicht  zu  verkennen.  Es  kommt 
aber  noch  eine  zweite  Schwierigkeit,  die  Loch  übersehen  zu 
haben  scheint. 

2.  In  der  mehrfach  erwähnten  Abtretungsurkunde  von  1264 
heißt  es  ausdrücklich,  daß  der  Bischof  seinen  Anteil  an  Wit- 
landsort  „usque  ad  nemus  adiacens"  bis  zu  dem  anliegenden 
Walde,  dem  Orden  abtrete.  Den  Wald  selbst,  d.  h.  das  dem 
Bischof  gehörende  Drittel  wird  dann  1297  abgetreten.  Danach 
scheint  Panzer  recht  zu  haben,  wenn  er  den  Wald  nördlich  von 
den  90  Seilen  ansetzt;  „jene  Abtretung  vom  Jahre  1264  bezog 
sich  also  auf  die  Strecke  südlich  dieses  Waldes  bis  zum  Tief." 

Und  doch  glaube  ich,  daß  gerade  diese  Urkunde  den  besten 
Beweispunkt  für  die  Tradition  enthält.  Nehmen  wir  einmal 
mit  Panzer  an,  daß  die  Teilungslinien  der  90  Seile  in  der 
[Reihenfolge  II,  III,  I— II,  HI,  I— II,  HI,  I  von  der  See  bis 
zum  Haff  durchgezogen  waren.  Dann  entstanden  neun  Streifen 
quer  durch  die  Nehrung.  Nehmen  wir  nun  ferner  mit  Loch 
an,  daß  der  Wald  am  Tief  anfing,  dann  bestand  jeder  dieser  neun 
Streifen  aus  zwei  natürlichen  Teilen,  einem  Stück  Küste  und 
einem  Stück  Wald.  Diese  beiden  Teile  ergaben  sich  ganz  von 
selbst,  da  die  Küste  unten,  der  Wald  oben  lag,  wie  noch  jetzt 
in  der  Gegend  von  Loohstedt.     Dann  brauchte  gar  keine  doppelte 


1)  Das  stimmt  allerdings;  aber  er  kann  sehr  wohl  in  den  ,.omnibus 
utilitatibus  aliis  in  terra  vel  supra  terram"  „virtuell",  wie  die  hebräischen 
Grammatiker  sagen,  enthalten  sein. 


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94  Dr-  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Vermessung  stattzufinden,  und  doch  ergab  sich  ganz  von  selbst 
eine  doppelte  Rechnung.  Wenn  nun  also  vor  jedem  Wald- 
streifen des  Bischofs  noch  eito  Küstenstreifen  lag,  der  eben- 
falls dem  Bischof  gehörte  oder  dooh  bis  1264  gehört  hatte, 
dann  hat  die  Erwähnung  des  Bernsteins,  der  am  Walde  auf 
dem  Strande  gefunden  wurde,  in  einer  Beschwerdeschrift  nichts 
Auffallendes.  Aber  auch  die  Abtretung  des  bischöflichen  Anteils 
bis  an  den  Wald  ist  etwas  ganz  Natürliches,  wenn  jeder 
Streifen  aus  Küste  und  Wald  bestand:  der  Teil f bis  zum  Wald 
wurde  1264,  der  Teil  im  Walde  1297  abgetreten.  Und  wenn 
jemand  einwenden  wollte,  daß  ja  die  Burg  auf  der  Haffseite 
liegt  und  die  Abtretung  von  1264,  die  doch  zu  Gunsten  des 
Burgterrains  geschah,  gerade  die  Seeseite  betraf,  so  erinnere 
ich  an  die  16  quer  längs  der  Tiefs  gemessenen  Seile,  die  doch 
keine  mathematische  Linie,  sondern  eine  Fläche  bildeten,  auf 
der  wohl  eine  Burg  stehen  konnte.  Da  diese  Burg  aber  in 
erster  Linie  dazu  da  war,  das  Tief  zu  beherrschen,  „off  das  dy 
schiffe  deste  siohir  yn  das  land  zcu  prusin  mogin  kommi,"  so 
hatte  ihre  Gründung  nur  den  einen  Zweck,  wenn  das  Tief  auch 
wirklich  dem  Orden  gehörte  mit  samt  der  angrenzenden 
Küste.      Denn    bei    der   Reihenfolge    II    (Orden),    III    (Orden), 

1  (Bischof),  vom  Tief  aus  besaß  der  Orden  nunmehr  beide  Ufer 
des    Tiefs    ganz.      Für    die    Burg    aber    war    ein    Baum    von 

2  X  10  Seilen  =  866,6  m  und  der  Baum  der  quergemessenen 
16  Seile. 

Aber  nun  die  schwierigste  Frage:  „Wo  steht  das  ge- 
schrieben?" Nun,  in  der  Tauschurkunde  von  1264!  Da  heißt 
es  nämlich:  „Idem  episcopus  ut  dicta  munitio  a  nobis  et  nostris 
fratribus  in  Cristianitatis  subsidium  construenda  felicem  ac 
prosperum  assequeretur  effectum,  iam  dicti  loci1)  partem,  qui 
ipsum    in    longitudinem    et   latitudinem  usque  ad  nemus 

adiacens    contingit    nobis in    veram    proprietatem 

contulit."8)     Was    heißt    das:    „qui    ipsum    in    longitudinem    et 

1)  Witlandsort. 

2)  Acta  Bor.  III.  146. 


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Von  Dr.  Hugo  Bonk.  95 

latitudinem  usque  ad  nemus  adiacens  contingit",  wenn  damit 
nur  ein  Stüok  vom  Tief  bis  zum  Walde  gemeint  war?  Vor 
allem,  was  heißt:  „ipsum?"  Ich  fasse  die  Stelle  so  auf:  „Der 
Bischof  tritt  das  Stüok,  welches  in  der  Längs-  und  Querrichtung 
bis  an  den  angrenzenden  Wald  an  sein  Gebiet  (ipsum)  reicht, 
ab"  —  das  sind  die  16  Seile  quer  am  Tief  und  die  dreimal 
zehn  Seile,  welche  der  Länge  nach  an  sein  Gebiet  (im  Walde) 
heranreichen,  d.  h.  die  drei  Seestreifen  bis  zum  Walde,  während 
er  die  drei  Waldstreifen  selbst  noch  behält. 

So  scheinen  mir  auch  diese  Schwierigkeiten  bezüglich  des 
Waldes  Wogrim  gelöst.  Ob  derselbe  noch  über  das  Tief  hinaus 
bis  Wogram  gereicht  hat,  wie  Loch  will  (um  den  Namen  zu 
rechtfertigen),  oder  nicht,  ist  ziemlich  gleichgültig:  ich  kann 
wenigstens  keinen  zwingenden  Grund  dafür  sehen,  daß  das  Dorf 
Wogram  durchaus  dicht  am  Walde  Wogrim  gelegen  haben  muß, 
ebensowenig  wie  der  Name  Balga  für  die  Lage  der  Balge  be- 
stimmend sein  mußte1). 

Mit  Lochs  Bestimmung  der  alten  Balge,  die  Panzer 
gegen  alle  Tradition  sich  am  Danziger  Haken  konstruiert  hat, 
bin  ich  umsomehr  einverstanden,  als  die  Gründe,  die  er  mir 
auf  der  gemeinsamen  Wanderung  über  die  Nehrung  1902  an 
Ort  und  Stelle  vortrug,  mich  damals  schon  überzeugt  haben. 
—  Zum  Schluß  setzt  Loch  dem  Treffer  Panzers  noch  einen  ähn- 
lichen eigenen  entgegen,  der  nicht  weniger  verblüffend  ist,  nur 
daß  wir  es  hier  nicht  mit  einem  Rechenkunststück,  sondern  mit 
einer  auf  Tradition  gestützten  Tatsache  zu  tun  haben:  die 
21  Seile  +  51/*  Meilen  zwischen  dem  Tief  und  Kampen kin 
reichen  von  Lochstedt  gerade  bis  Schmergrube  —  das  sei 
das  wahre  Kompenkin  —  und  104  Seile  westlich  davon  liege 
auch  die  Stelle  des  von  der  Teilungsurkunde  hier  voraus- 
gesetzten Tief 8,  das  sogenannte  Kalenberger  Tief,  west- 
lich vom  Kamelsrücken,    und    von    hier   52  Seile    weiter    auch 


1)  Loch  S.  19.  —  Vgl.  übrigens  meine  Ausführungen  Altpr.  Mon.  XXX 
(1893)  S.  342. 


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96  Dr.  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit. 

Liep    —    ganz    wie    es    in    dem    Teilvertrage    vorausgesetzt 
wird. 

Also  auch  hier  steht  Loob  auf  dem  Boden  der  Tradition. 
Und  gerade  dieser  Umstand  ist  es,  der  seiner  überaus  exakten, 
bis  ins  kleinste  genau  durcbdacbten  und  fein  pointierten  Arbeit 
ein  großes  Übergewicht  über  die  nicht  minder  sorgfältige  und 
scharfsinnige  Untersuchung  Panzers  verschafft.  Das  Lochstedter 
Tief,  an  dem  schon  die  alten  Preußen  1252  eine  Burg 
hatten,  scheint  mir  nunmehr  historisch  gesichert  zu  sein,  und 
ich  kann  nicht  umhin,  zum  Schluß  meiner  Freude  darüber 
Ausdruck  zu  geben,  daß  dieser  „Zersetzungsprozeß44  der  Tradition 
mißlungen  ist,  ein  Schicksal,  das  allen  Zersetzungsversuchen  der 
destruktiven  Geschichtsforschung  zu  wünschen  wäre. 


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Insula  inferior. 

Von 

Max  Urahns, 

Branddirektor  in  Königsberg  i.  Pr. 

Mit  einer  Karte. 


Im  Hauptprivilegium  der  Stadt  Königsberg  von  1286  wird 
derselben  auch  die  „insula  inferior  proxima  civitati"  verliehen. 
Wo  diese  Insel  gelegen  hat,  ist  nicht  bekannt.  Faber1)  sagt: 
„es  müssen  seit  der  Zeit  dieser  Verschreibung  Veränderungen 
eingetreten  sein,  die  es  unmöglich  machen,  über  die  Lage  dieser 
„untersten  Insel"  eine  Erklärung  zu  geben";  Armstedt2)  meint,  es 
sei  „vielleicht  die  Insel,  auf  der  jetzt  die  Friedrichsburg  steht". 
Nach  meiner  Meinung  birgt  des  Eätsels  Lösung  die  sogenannte 
Teilungsurkunde  des  Bistums  Samland  vom  Jahre  1258" 8).  Dort 
wird  auch  eine  „insula  ex  transverso  civitatis"  gedrittelt.  Toppen4) 
und  mit  ihm  "Woelky  und  Mendthal  glauben,  diese  Insel  sei  die 
in  Hennenbergers  Preußischer  Landtafel  gezeichnete  „Ankerinsel", 
welche  einst  ein  Pregeldelta  an  der  Haffmündung  bildete  und 
heute  die  Halbinsel  am  südlichen  Mündungsufer  des  Pregels  ist. 
Diese  Anschauung  ist  indessen  mit  guten  Gründen  bestritten 
worden,  und  nur  darüber  sind  die  Gegner  einig,  daß  die  in  der 
Urkunde  erwähnte  „civitas"  die  damalige  Stadt  Königsberg  ist. 
Letztere  Annahme  darf  daher  als  unbedingt  richtig  gelten  und 
ist  Ausgangspunkt  der  nachstehenden  Betrachtungen. 


1)  Die  Haupt-  und  Residenzstadt  Königsberg  S.  177. 

2)  Geschichte  der  Stadt  Königsberg  8.  22. 

3)  Gedruckt:    Urkundenbuch    des    Bistums    Samland    von    Woelky    und 
Mendthal.    I.  n.  58. 

4)  Neue  preuß.  Provinz.-Bl.  X.  1880.  S.  17G. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  1  u.  2.  7 


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9g  Insula  inferior. 

1.  Jene  civitas  lag  im  Jahre  1258  nach  Dusburg1)  „in 
monte  juxta  castrum  Kunigsbergk",  die  „Ankerinsel"  begann 
unterhalb  Contienen  (vergl.  Hennenbergers  Landtafel),  civitas 
und  insula  waren  also  mindestens  5000  Meter  von  einander  ent- 
fernt, und  ganz  undenkbar  ist  es,  daß  man  diesen  großen  Ab- 
stand noch  unter  den  Begriff  „ex  transverso  civitatis,  schräg 
gegenüber  der  Stadt"  gebraoht  hat.  Es  kann  daher  die  „Anker- 
insel" nicht  die  „insula  ex   transverso  civitatis"    gewesen   sein. 

2.  Von  der  Insula  „ex  transverso"  erhielten:  Der  Bischof 
als  sein  Drittel  (una  tercia  pars,  pars  illa  que  pertinet  ad  Eryno) 
„decem  et  novem  funiculi  in  inferiori  parte  ejusdem  insule" ;  der 
Orden  als  sein'  erstes  Drittel  (una  tercia  pars,  pars  quae  pertinet 
ad  Lowke)  „decem  et  ooto  funiculi  in  superiori  parte";  und 
wiederum  der  Orden  als  sein  zweites  Drittel  (una  tercia  pars, 
pars  quae  pertinet  ad  Welowe)  „decem  et  octo  funiculi  proximi 
post  decem  et  octo  f  uniculos  ejusdem  insule  pertinentes  ad  Lowke". 
Die  Insel  war  also  19  +  2  •  18  =  55  Seile  oder  55  •  43,33  Meter2) 
=  rund  2400  Meter  lang  und  kann  daher  auch  nicht  die  „Insel 
Friedrichsburg" ,   welche  nur  300  Meter  lang  ist,    gewesen  sein. 

3.  "Wenn  die  beiden  Pregelinseln,  auf  welchen  heute 

a)  der  Kneiphof, 

b)  das  Lomsen viertel  (Lindenmarkt,  Weidendamm  etc.) 
erbaut  sind,  schon  im  Jahre  1258  bestanden,  so  haben  sie  damals 
dieselbe  Ausdehnung  wie  heute  gehabt,  denn  von  Veränderungen 
an  ihnen  ist  niemals  etwas  verlautbart.  Und  da  sie  500  Meter 
bezw.  9000  Meter  lang  sind,  so  kann  auch  keine  von  ihnen  die 
2400  Meter  lange  „insula  ex  transverso"  gewesen  sein. 

4.  Im  Jahre  1286  hat  es  drei  Pregelinseln  gegeben.  Sie 
werden  im  Hauptprivileg  der  Altstadt-Königsberg8)  benannt: 


1)  Gedruckt:    Scriptoris  rerum  prussicarum  I.  S.  107. 

2)  Loch,  das  Lochstädter  Tief  in  historischer  Zeit  Seite  22  rechnet 
90  Seile  =  3,9  Kilometer;  Panzer,  Altpreuß.  Monatsschr.  1889  S.  284  rechnet 
715Va  Se&e  =  31  Kilometer;  also  ist  1  Seil  =  43,33  bezw.  43,32  Meter. 

3)  Rathausliches  Archiv  Nr.  2;  Gedruckt:  Erläutertes  Preußen  Tom.  II. 
cap.  XXII.  §  2. 


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Von  Max  Bruhnt*.  99 

a)  insula  superior  que  major  dicitur, 

b)  insula  inferior  proxima  civitati, 

c)  insula,  in  medio  sita,  que  advocati  insula  dicitur, 
und    es    wird    festgesetzt    „quod    tempore    guerre    omnes  insule 
predicte  communes  esse  debent,  tarn  fratribus  et  eorum  hominibus, 
quam  incolis  civitatis." 

Diese  Bestimmung,  die  gemeinsame  Benutzung  durch  Kitter 
und  Bürger  in  Kriegszeiten,  bat  nur  dann  einen  Sinn,  wenn  alle 
drei  Inseln  dicht  nebeneinander  und  in  größter  Nähe  von  Burg 
und  Stadt  gelegen  haben.  Da  nun  feststehende  Tatsache  ist, 
daß  die  „insula  superior"  und  die  „insula  in  medio"  die  heutigen 
Lomseninsel  bezw.  die  Kneiphöfsche  Insel  (vergl.  3)  sind,  so  ist 
es  ganz  ausgeschlossen,  daß  die  insula  inferior  etwa  die  „Anker- 
insel4* oder  die  „Insel  Friedrichsburg"  gewesen  ist,  denn  zwischen 
ihnen  und  Stadt  oder  Burg  bezw.  der  insula  in  medio  liegen 
Landstrecken  von  5000  bezw.  1000  Meter. 

5.  Im  Jahre  1263  ist  beurkundet:1)  Sabiensis  episcopus 
insuper  terciam  partem  „minoris  insule"  magistro  hospitalis 
sancte  Marie  confert  in  perpetuum  libere  possidenda.  Als  un- 
zweifelhaft gilt  allgemein,  daß  diese  „insula  minor"  dieselbe 
Insel  ist,  welche  im  Jahre  1258  geteilt  worden  ist,  daß  der 
Bischof  das  im  Jahre  1258  erhaltene  Drittel  der  insula  ex  trans- 
verso  im  Jahre  1263  dem  Orden  wieder  zurückgegeben  hat. 
„Insula  ex  transverso"  und  „insula  minor"  sind  also  nur  verschiedene 
Bezeichnungen  für  eine  und  dieselbe  Pregelinsel. 

6.  Die  insula  superior  entspricht  der  insula  inferior  und 
ist  vor  1286  insula  major  genannt  worden  (vergl.  4).  Es  ist 
daher  mindestens  sehr  wahrscheinlich,  daß  man  die  „insula  in- 
ferior" vor  1286  insula  minor  genannt  hat.  "Wenn  das  der  Fall 
gewesen  ist,  dann  ist  die  „insula  inferior"  =  „insula  minor"  = 
„insula  ex  transverso",  2400  Meter  lang  und  unmittelbar  unterhalb 
der  insula  in  medio,  der  heutigen  Kneiphof insel ,  gelegen  ge- 
wesen,   denn    die    insula   in   medio  kann  doch  nur    unmittelbar 


1)  Urkunden  buch  Woelkv  und  Mendthal  n.  77. 


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100  Insula  inferior. 

zwischen  der   insula   superior   und    der   insula  inferior  sich  be- 
funden haben. 

7.  Die  insula  inferior  ist  heute  ebensowenig  vorhanden  wie 
die  insula  ex  transversa  Wenn  daher  beide  Bezeichnungen 
nicht  einer  und  derselben  Insel  gegolten  haben,  so  müssen  im 
Laufe  von  höchstens  drei  Jahrhunderten  zwei  bedeutende  Pregel- 
inseln  aus  der  Nähe  Königsbergs  verschwunden  sein.  Das  ist 
aber  höchst  unwahrscheinlich  und  daher  wird  die  hohe  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  es  für  eine  Insel  zwei  bezw.  drei  verschiedene 
Bezeichnungen  gegeben  hat,  daß  diese  Insel  zuletzt  insula  inferior 
genannt  worden  und  2400  Meter  lang  gewesen  ist  (vergl.  6), 
zur  Gewißheit. 

8.  Eine  Flußinsel  kann  nur  verschwinden,  wenn  sie  fort- 
geschwemmt bezw.  gebaggert  wird,  oder  wenn  sie  mit  einem 
gegenüber  liegenden  Ufer  verwächst,  versandet,  verschlammt, 
sich  vereinigt.  Ersteres  ist  im  vorliegenden  Fall  unmöglich,  da 
es  sich  um  den  langsam  fliessenden  aber  tiefen  Pregel  und  eine 
Insel  von  2400  Meter  Länge  handelt.  Es  bleibt  also  nur  übrig, 
daß  die  insula  inferior  im  Ufergelände  aufgegangen  ist,  und  da 
sie  dicht  unterhalb  der  Kneiphofinsel  begonnen  hat  (vergl.  4), 
so  kann  sie  heute,  das  zeigt  ein  Blick  auf  die  Karte,  nicht  im 
südlichen,  sondern  nur  im  nördlichen  Pregelufer  enthalten  sein 
und  muß  im  Osten  mit  der  heutigen  Lastadie  begonnen  haben. 

9.  Ihr  westliches  Ende  war  rund  2400  Meter  vom  Hunde- 
gatt entfernt,  und  genau  in  dieser  Entfernung  mündet  dort  heute 
das  „Hufenfreiwasser",  welches,  in  die  Pregelniederung  von 
Norden  nach  Süden  hereinfliessend,  etwa  600  Meter  vor  seiner 
Mündung  eine  scharfe,  durch  örtliche  Verhältnisse  nicht  be- 
dingte Biegung  nach  Südwesten  macht.  Es  liegt  nahe,  in  diesem 
letzten  Teile  des  heutigen  Hufenbachs  den  Best  des  nicht  mehr 
vorhandenen  Pregelarms  zu  erblicken,  welcher  die  verschwundene 
insula  inferior  im  Norden  begrenzte,  zumal  diese  Annahme  die 
oben  erwähnte  merkwürdige  scharfe  Biegung  erklärt.  Ursprünglich 
wird  der  Hufenbach  rechtwinklich  in  den  von  Osten  nach  Westen 
ziehenden  Pregel  geflossen  sein,  dann  ist  der  östlich  von  diesem 


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Von  Max  Bruhns.  101 

Vereinigungspunkt  liegende  Pregelarm  allmählich  eingegangen 
und  nur  sein  westlicher  600  Meter  langer  Teil  vor  der  Mündung 
übrig  geblieben.  Dieser  ist  damit  zur  heutigen  Fortsetzung  des 
Hufenbachs  geworden. 

10.  Die  Anfangsstrecke  des  verschwundenen  Pregelarms 
war  wahrscheinlich  die  gerade  Fortsetzung  des  altstädtischen 
Pregelarms  zwischen  Krämer-  und  Schmiedebrücke,  sie  muß  im 
Hundegatt  und  kann  daher  nur  dort  begonnen  haben,  wo  auf  dem 
Braunschen  Plan  von  1544  das  Lastadientor  ähnlich  dem  be- 
festigten Kopf  einer  Brücke  dargestellt  ist.  Zwar  führt  diese 
Brücke  nicht  über  einen  Pregelarm,  sondern  über  einen  breiten 
Stadtgraben,  allein  es  ist  durch  nichts  erwiesen,  daß  dieser  älter 
ist  als  die  Brücke,  deren  erste  Anlage  ganz  anders  ausgesehen 
haben  kann. 

11.  Wenn  die  Brücke  älter  war  als  der  Stadtgraben,  dann 
muß  sie  über  einen  Pregelarm  geführt  haben,  denn  wie  in  anderen 
Ordensstädten,  so  legte  man  auch  bei  der  Gründung  der  drei 
Städte  Königsberg  die  Plätze  für  die  großen  Handelsanstalten, 
die  sogenannten  Lastadien,  nicht  in  der  Stadt  selbst  an,  sondern 
außerhalb  der  Stadtmauern  und  zwar  so,  daß  zwischen  Lastadie 
und  Stadt  sich  der  Pregel  befand.  Das  geschah  nicht  etwa 
wegen  Mangel  an  Baum  innerhalb  der  Stadtmauern,  sondern  aus 
Furcht  vor  Feuersgefahr,  vor  der  starken  Glut  und  dem  mächtigen 
Flugfeuer,  die  den  vollen  Speichern,  den  Kornhäusern,  Heu- 
scheunen, Holzplätzen  u.  d.  m.  entsteigen  konnten.  Das  primitive 
Feuerlöschwesen  der  damaligen  Zeit  war  jedem  größeren  Brande 
gegenüber  machtlos  und  bestand  fast  nur  darin,  daß  man  die 
Nachbarschaft  des  Brandobjekts  niederriß,  um  Lücken  zu  schaffen, 
welche  das  Feuer  nicht  überspringen  konnte.  "Wo  es  anging 
sorgte  man  für  solche  freien  Landstrecken  schon  vor  der  Be- 
bauung, und  gegenüber  dem  gewaltigen  Brennstoff  der  Lastadien 
schützte  man  sich  sogar  durch  breite  "Wasserflächen,  die  wegen 
des  Verkehrs  mit  der  Mutterstadt  überbrückt  wurden.  So  sieht 
man  auf  dem  Braunschen  bezw.  Behringschen  Plan  von  1544 
bezw.  1613  zwischen  der  Stadt  Löbenicht   und    deren  Lastadie, 


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102  Insula  inferior. 

den  heutigen  Löbenichtscben  Speichern,  einen  breiten  Wasser- 
graben mit  Brücke,  so  erhielt  die  auf  der  insula  advocati  erbaute 
Stadt  Pregelmünde  im  Jahre  1339  „pro  Lastadia  unum  spatium 
continens  longitudinem  quatuor  funiculorum  et  duarum  virgarum 
mensuralium  latitudinem  vero  continens  trium  funiculorum 
perpetuo  possidendum.  Idem  vero  spatium  seu  Lastadia  sita 
est  inmediate  circa  pontem  constructum  sicut  itur  ad  Sanctum 
Georgium  a  dextris 1).  Diese  Lastadie  war  also  etwa  neun  Morgen 
groß  und  durch  die  heutige  grüne  Brücke  mit  ihrer  Stadt  ver- 
bunden. 

12.  Auch  die  Altstadt  erhielt  bei  ihrer  Gründung  eine 
Lastadie.  Im  Hauptprivileg  von  Altstadt -Königsberg  im  Jahre 
1286 2)  behält  der  Orden  sich  zwar  „eam  insulam,  in  medio 
sitam,  que  advocati  insula  dicitar"  vor,  erlaubt  indessen  „fenum, 
ligna  in  ea  reponi  et  granaria  in  litore  locati  a  civibus  seu 
incolis  civitatis".  Die  Brücke  von  der  Stadt  nach  der  Lastadie, 
die  heutige  Krämerbrücke,  bestand  schon,  denn  man  begann 
Landmessungen  „a  ponte  Kunigesberch".  Diese  unsichere  Ver- 
leihung einer  Lastadie  auf  fremdem  Terrain  ist  zunächst  un- 
verständlich, denn  Inselgestade,  welche  nahe  der  Stadt  lagen, 
hatten  die  Altstädter  ja  durch  das  Hauptprivileg  von  1286  als 
freies  Eigentum  erhalten,  nämlich  die  insula  superior  im  unteren 
Teile  und  die  insula  inferior  ganz.  Verständlich  wird  die  Be- 
stimmung aber,  wenn  man  erwägt,  daß  damals  die  Altstadt  sich 
nur  von  der  Krämerbrücke  bis  zur  Holzbrücke  erstreckte8).  Bei 
dieser  Lage  waren  jene  beiden  Inseln  als  Lastadie  zu  unbequem, 
denn  um  nach  der  insula  superior  zu  gelangen,  mußten  die 
Schiffe  erst  die  Krämerbrücke  passieren,  und  zwischen  der  insula 
inferior  und  der  Stadt  lag  das  breite  noch  dem  Orden  gehörige 
Stück  Land  zwischen  Krämerbrücke  und  der  heutigen  Bauhofs- 
gasse. Mit  der,  wenn  auch  nur  auf  Widerruf  erfolgenden  Über- 
weisung  des    östlichen    Hundegattufers    (der    heutige  Kai)    zur 


1)  Stadtarchiv  in  Königsberg  Nr.  19. 

2)  Erl.  Preußen  Tom.  II.  cap.  XXII.  §  2. 

3)  Vergl.  Beckherrn,    Über  die  Danzker  Altpr.  Monatsschr.  XXV. 


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Von  Max  ßruhns.  103 

Lastadie,  machten  daher  die  Altstädter  zunächst  ein  sehr  gutes 
Geschäft.  Als  aber  im  Jahre  1327  auf  der  insula  in  medio  die 
dritte  Stadt  gegründet  wurde,  mußten  sie  weichen,  mußten  das 
Land,  welches  sie  41  Jahre  lang  wie  ein  beneidetes  Eigentum 
benutzt  hatten,  ihren  Handelsrivalen  abtreten,  und  es  ist  wohl 
begreiflich,  wenn  die  darauf  erbaute  Stadt  von  deren  Bürgern 
„abusive  Knipabe  appellabatur"1),  in  höhnischem  Jubel,  das 
überaus  wertvolle  Terrain  den  Gegnern  abgekniffen,  abgeknöpft 
zu  haben. 

13.  Von  der  insula  in  medio  vertrieben,  mußten  die  Alt- 
städter notgedrungen  ihre  Lastadie  auf  der  insula  inferior  ein- 
richten, denn  die  insula  superior  war  für  den  Schiffsverkehr 
noch  ungünstiger  als  früher  geworden,  weil  1322  eine  zweite 
Brücke,  die  „Thumbrücke"  wenn  auch  mit  der  Bedingung  „ut 
sub  illo  ponte  quaelibet  naves  et,  quaelibet  lignorum  oongeries 
sine  impedimento  valeant  pertransire"  *)  erbaut  worden  war. 

Daß  übrigens  in  jener  Zeit  die  Lastadie  der  Altstadt  sich 
an  ihrer  heutigen  Stelle,  also  auf  der  insula  inferior  befunden 
und  mit  dem  südlichen  Teil  der  Stadt  nicht  in  unmittelbarer 
Verbindung  gestanden  hat,  bestätigt  eine  Altstädtische  Urkunde 
von  1339,  wonach  „reliqua  vero  pars  civitatis  extendentis  se 
versus  Prigorum,  seu  puerorum,  simul  cum  aliis  clericulis  hominum 
in  Lastadia  residencium  scolas  majoris  ecolesie  frequentabunt"  •). 
Denn  wenn  die  Lastadie  von  der  Altstadt  nicht  durch  ein 
Wasser  getrennt  gewesen  wäre,  dann  hätte  man  sie  gewiß  nicht 
besonders  durch  „simul"  hervorgehoben,  und  da  bis  an  jene 
Stelle  damals  die  Stadt  noch  nicht  gereicht  hat  (vergl.  12  und  15), 
es  dort  also  auch  einen  Stadtgraben  noch  nicht  gegeben  haben 
kann,  so  muß  dort  ein  Pregelarm  vorhanden  gewesen  sein. 

14.  Mit  der  Verlegung  der  Altstädter  Lastadie  nach  der 
insula  inferior  muß  daher  der  Bau  einer  Pregelbrücke  nach  dem 
Festlande  Hand  in  Hand  gegangen  sein,  und  diese  Brücke  kann 


1)  Urkunde  von  1333.   Gebser  S.  89. 

2)  Urkunde  von  1322.    Gebser  S.  76. 

3)  Urkunde  von  1339.   Gebser  S.  93. 


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1Q4  Insuia  inferior. 

nur  an  der  erwähnten,  im  Braunsehen  Plan  angegebenen  Stelle 
(vergl.  11)  gestanden  haben,  denn  dort  war  die  nächste  Ver- 
bindung zwischen  Stadt  und  Lastadie. 

Natürlich  sperrte  bezw.  beschränkte  aber  die  Brücke  die 
Durchfahrt  von  Schiffen,  also  überhaupt  die  Schiffahrt  im  Norden 
der  insuia  inferior,  und  so  ging  fortan  der  Haupt-Schiffsverkehr 
im  Süden  derselben  bis  zum  Hundegatt,  wo  er  sich  in  den 
beiden    Lastadien  der  Altstädter  und  Kneiphöfer  konzentrierte. 

15.  Es  liegt  nach  Vorstehendem  auf  der  Hand,  daß  für 
die  Altstädter  ein  unmittelbarer  Zusammenhang  zwischen  ihrer 
Lastadie  und  ihrer  Stadt  stetig  Wunsch  und  Ziel  gewesen  sein 
muß;  und  daß,  als  endlich  in  den  Jahren  1370  bis  13741)  den 
Altstädtern  ein  Stück  Land  unmittelbar  vor  ihrer  Stadtbefestigung 
als  Eigentum  verliehen  wurde,  es  sich  dabei  nur  um  das  zwischen 
Stadt  und  Lastadie  gelegene  Terrain  gehandelt  haben  kann2). 
Wie  ungemein  wichtig  diese  Angelegenheit  für  die  Altstädter 
war,  erhellt  übrigens  daraus,  daß  sie  gleich  nach  der  Schenkung 
vor  diesen  „ruym  busin  den  planckin  die  muyr  unde  toyr 
legin"8),  also  ihre  Stadtbefestigungen  vorschieben. 

Den  dazu  gehörigen  nassen  Graben  stellte  man  her,  indem 
man  vor  der  neuen  Stadtmauer  im  Norden  den  alten,  nunmehr 
entbehrlich  gewordenen  Spülgraben  des  Danzkers  vorbeiführte, 
und  daran  anschließend  im  Westen  ein  breites,  vom  Pregel  ab- 
zweigendes bis  an  den  Bergabhang  reichendes  Wasserbassin  in 
das  Land  hineingrub,  wie  es  die  Stadt  Löbenicht  schon  besaß. 
(Vergl.  den  Braunschen  Plan.) 

16.  Vor  dem  Westtor  der  so  erweiterten  Altstadt  erstreckt 
sich  heute  in  einem  langen  schmalen  Streifen  die  „Laak".  Dieser 
Ausdruck  ist  uralt  und  bedeutet  ein  „Feld"4),  aber  die  aller- 
nächste Nachbarschaft  der  Laak  trägt  schon  in  ältester  Zeit,  als 
sie  noch  garnicht  bebaut  war,  andere  Namen:  im  Norden  finden 


1)  Perlbach -Quellen  n.  9.  Anmerkung. 

2)  Vergl.  Beckherrn,    Über  die  Danzker  Altpr.  Monatsschr.  XXV.  S.  256. 

3)  Urkunde  von  1375.    Stadtarchiv  Königsberg  n.  28. 

4;  Preuß.  Ortsnamen  von  R.  T.  Altpr.  Monatsschr.  XVIII.  S.  44. 


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Von  Max  Bruhiw.  105 

sich  der  Oberrollberg  und  Butterberg,  im  Süden  die  Lastadie, 
die  Reiferbahnen  und  die  Lizentwiesen.  Eine  Erklärung  für 
diese  auffallend  enge  seitliche  Begrenzung  der  Laak  durch 
andere  Namen  bringt  nur  die  Annahme,  daß  einst  die  Laak  so 
nahe  wie  im  Norden  durch  den  steilen  Bergabhang,  so  nahe 
auch  im  Süden  durch  einen  Pregelarm  begrenzt  gewesen  ist. 
Als  sie  dann  durch  die  Stadtbefestigung  auch  noch  im  Osten 
vom  Verkehr  abgeschnitten  wurde,  da  war  sie  wirtschaftlich  so 
schwer  nutzbar,  daß  man  ihr  Luft  machte,  indem  man  den 
trennenden,  überflüssig  gewordenen  Pregelarm  künstlich  ver- 
füllte bezw.  auf  natürlichem  Wege  verschlammen  und  verwachsen 
ließ.  Nach  Verlauf  von  150  Jahren  war  er  und  mit  ihm  die 
insula  inferior  verschwunden. 

17.  "Wenn  ein  breiter  Wasserlauf  verfüllt  wird,  so  werden 
in  der  Regel  wohl  die  festen  Ufer  zu  neuen  Straßen.  Hiernach 
kann  man  annehmen,  daß  der  Anfang  des  verschwundenen 
Pregelarms  das  heutige  bebaute  Terrain  zwischen  Vogel-  und 
Reifschlägerstraße  gewesen  ist,  zumal  dessen  Verlängerung  die 
alten  Reif  schlägerbahnen  sind,  und  gerade  solche  leichten  An- 
lagen sich  zur  wirtschaftlichen  Ausnutzung  verfüllter  Wasser- 
läufe ganz  besonders  eignen. 

Die  im  Braunschen  Plan  gezeichneten,  die  südliche  Grenze 
iener  Reiferbahnen  bildenden  breiten  Gräben  dürften  Reste  des 
einstigen,  von  der  Laak  aus  zugeschütteten  Pregels  sein;  denn 
es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  in  diesen  unbebauten  aber  wirt- 
schaftlich benutzten  Wiesen  sich  die  Hauptgräben  Jahrhunderte 
hindurch  nicht  geändert  haben.  Ihre  Fortsetzungen  nach  Westen 
zeigt  der  Müllersche  Stadtplan  von  1815,  und  die  dort  be- 
zeichneten Gräben  führen  auf  den  bereits  erwähnten  untersten 
Lauf  des  Hufenfreiwassers.  Damit  ist  ohne  jeden  Zwang 
eine  Linie  gefunden,  welche  wohl  der  Richtung  des 
verschwundenen  Pregelarms  entsprechen  kann. 

18.  Daß  diese  Linie  in  gewissem  Maße  richtig  ist,  scheinen 
die  Tiefbohrungen,   welche  im  fraglichen  Terrain  vorgenommen 


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106  Insula  inferior. 

worden    sind,    zu  bestätigen.     Es  fand  sich1)    der  gewachsene 
Boden: 

a)  Lizentstraße,  Ecke  Lizentgrabenstraße  —  wo  einst  ein 
tiefer  Graben  bestimmt  vorhanden  gewesen  ist  — 
nach  einer  vier  Meter  mächtigen  Schicht  von  auf- 
gefülltem Boden  und  braunem  Schluff; 

b)  Bauhofsstraße  —  wo  einst  der  Stadtgraben  bestimmt 
vorhanden  gewesen  ist  —  nach  einer  drei  Meter 
mächtigen  Schicht  von  Ziegelschutt; 

c)  Vogelstraße  —  also  im  supponierten  Pregelbett  — 
nach  einer  fünf  Meter  mächtigen  Schicht  von  auf- 
gefülltem Boden; 

d)  Neuer  Graben,  Ecke  Vogelstraße  —  also  im  sup- 
ponierten Pregelbett  —  nach  einer  fünf  Meter  mäch- 
tigen Schicht  von  aufgefülltem  Boden  und  braunem 
Schluff; 

e)  Neue  Reiferbahn,  Ecke  Lizentgrabenstraße  —  also  in 
Ufernähe  des  supponierten  Pregelbetts  —  nach  einer 
zwei  Meter  mächtigen  Schicht  von  aufgefülltem  Boden ; 

f)  Alter  Graben  am  Übergang  der  Bahn  und  Neue  Gas- 
anstalt —  wo  bis  dahin  immer  nur  Wiesenterrain  ge- 
wesen ist  und  daher  das  supponierte  Pregelbett  auf 
natürlichem  Wege  zugewachsen  sein  dürfte  —  schon 
an  der  Oberfläche. 

19.  Auf  der  anliegenden  Höhenkarte,  welche  nach  dem 
Müllerschen  Plan  und  heutigen  Aufmessungen  der  städtischen 
Bauverwaltung  gezeichnet  wurde,  ist  die  nach  Vorstehendem 
ermittelte  insula  inferior  eingetragen,  und  in  dieser  Form,  aus 
welcher  der  unnatürliche  Knick  unterhalb  der  Krämerbrücke 
verschwunden  ist,  entspricht  der  ganze  Lauf  des  Samländischen 
Pregels  auch  durchaus  der  natürlichen  Gestaltung  seines  Nordufers. 


1)  Journal  für  Tiefbohrungen  der  Pumpenfabrik  von  E.  Bieske,  hier, 
die  klassische,  große  und  fast  alleinige  Quelle  für  alle  solche  geologischen 
Ermittelungen  amtlicher  und  wissenschaftlicher  Art. 


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Von  Max  Bruhns.  107 

Störend  ist  nur,  daß  die  bei  Kosse  supponierte  Pregel- 
mändung  ein  Ufer  gegenüber  hat,  während  dort,  an  der  Ver- 
einigung der  beiden  Pregelarme,  sich  freies  tiefes  Wasser  be- 
finden müßte.  Allein  dafür  giebt  es  eine  einfache  Erklärung. 
Ursprünglich  wird  nämlich  bei  Kosse  solch  ein  Flußbett  vor- 
handen gewesen  sein.  Als  aber  nach  der  Coupierung  des  nörd- 
lichen Pregelarms  am  Hundegatt  der  südliche  Arm  die  doppelte 
Wassermenge  abführen  mußte  und  an  der  früheren  Spitze  der 
insnla  inferior  durch  keine  Gegenströmung  mehr  aufgehalten 
wurde;  da  hemmte  ihn  das  rechte  Pregelufer,  und  nun  spülte 
er  aus  demselben  die  heutige  Bucht  bei  der  Walzmühle  und 
dem  Petroleumlager  in  Jahrhundert-Arbeit  aus.  Zugleich  aber 
lagerte  er  auf  dem  linken  Ufer  seine  Sinkstoffe  ab  und  schuf 
so  die  dort  vorspringende  Bank.  Um  das  zum  Ausdruck  zu 
bringen,  sind  auf  der  anliegenden  Karte  die  einstigen  Uferlinien 
der  fraglichen  Stelle  punktiert. 

Sonstige  Tatsachen,  die  den  vorstehenden  Ausführungen 
über  die  Lage  der  ^insula  inferior"  mit  Erfolg  entgegengestellt 
werden  könnten,  sind  mir  nicht  bekannt  und  ich  hoffe  daher, 
recht  zu  haben.  Das  zu  behaupten  unterfange  ich  mich  aber 
nicht. 


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Kants  gesammelte  Schriften. 

Akademieausgabe. 

Band  in. 

Die  Kritik  der  reinen  Vernunft.    (1787.) 

Von 

Otto  SchondSrlTer. 

Der  dritte  Band  der  von  der  Königl.  Preußischen  Akademie 
der  Wissenschaften  herausgegebenen  Werke  Kants  legt  seinem 
Rezensenten  keine  angenehme  Aufgabe  auf.  Mußte  schon  bei 
den  früher  erschienenen  Bänden  mehrfach  auf  die  wenig  an- 
gemessene äußere  Ausstattung  dieser  monumental  angelegten 
Ausgabe  hingewiesen  werden,  so  konnte  doch  alles  übrige  im 
wesentlichen  gebilligt  und  anerkannt  werden.  Ja,  die  zuerst 
veröffentlichten  Bände,  die  den  Briefwechsel  enthielten,  brachten 
jedem  Freunde  Kants  so  viel  Neues  und  Schönes,  daß  das  ganze 
Unternehmen,  allein  dieser  Bände  wegen,  für  immer  seinen 
Wert  behalten  wird.  Der  vorliegende  dritte  Band  aber,  der  die 
Kritik  der  reinen  Vernunft  in  der  Fassung  der  zweiten  Ausgabe 
enthält,  bietet  Bemerkungen  und  Textänderungeh,  die  m.  E.  grund- 
legenden und  elementaren  Ansichten  der  Kantischen  Philosophie 
widersprechen,  so  daß  man  sich  verwundert  fragt,  wie  wohl  der 
Herausgeber,  es  ist  Benno  Erdmann,  dazu  gekommen  sein  mag, 
und  wie  es  möglich  war,  daß  die  Kantkommission  der  Königl. 
Preußischen  Akademie  der  Wissenschaften  dergleichen  hat  auf- 
nehmen und  zulassen  können.  Und  das  erstere  ist  um  so  merk- 
würdiger, als  im  Gegensatz  dazu  andere  Bemerkungen  und  Text- 
veränderungen von  des  Herausgebers  Scharfsinn  zeugen. 

Dazu  kommt  noch  ein  anderer,  allerdings  lange  nicht  so 
schwerwiegender  Mangel  und  ein  nur  scheinbarer  Widerspruch: 


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Von  Otto  Schöndörffer.  109 

einerseits  beweist  die  neue  Ausgabe  der  Kritik  einen  enormen 
Fleiß,  große  Arbeitskraft  und  in  gewisser  Beziehung  peinliche 
Sorgfalt.  Sind  doch  z.  B.  nicht  nur  die  verschiedenen  Lesarten 
der  einzelnen  Ausgaben  zusammengestellt,  sondern  es  ist  auch 
jede  Abweichung  im  Druck,  ob  ein  Wort  gesperrt  gesetzt  ist 
oder  nicht,  angegeben.  Es  muß  das  eine  sehr  große  und  sehr 
mühsame  Arbeit  gewesen  sein,  die  sicherlich  nicht  wertlos  ist. 
Daneben  aber  ist  die  Zahl  der  Druckfehler  und  Versehen,  die 
diese  Ausgabe  enthält,  nicht  gering;  wobei  noch  zu  bemerken 
ist,  daß  ich  nur  selten  die  Texte  der  verschiedenen  Ausgaben 
mit  einander  verglichen  habe,  mir  also  sicher  vieles  derartiges 
entgangen  ist. 

Ich  bin  mir  der  Schwere  der  eben  erhobenen  Vorwürfe 
wohl  bewußt,  glaube  sie  aber  im  folgenden  rechtfertigen  zu 
können. 

Ich  bespreche  zunächst  solche  Bemerkungen  und  Text- 
veränderungen, die  meines  Erachtens  ein  Mißverstehen  grund- 
legender Gedanken  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  beweisen. 


Einige  Bemerkungen  zu  Kants  Begriff  des  Apriori. 

S.  28  f.  heißt  es  in  der  Kritik:  „Erfahrung  lehrt  uns  zwar, 
daß  etwas  so  oder  so  beschaffen  sei,  aber  nicht,  daß  es  nicht 
anders  sein  könne.  Findet  sich  also  erstlich  ein  Satz,  der  zu- 
gleich mit  seiner  Notwendigkeit  gedacht  wird,  so  ist  er  ein 
Urteil  a  priori;  ist  er  überdem  auch  von  keinem  abgeleitet,  als 
der  selbst  wiederum  als  ein  notwendiger  Satz  gültig  ist,  so  ist 
er  schlechterdings  a  priori". 

Dazu  bemerkt  der  Herausgeber  in  den  sachlichen  Er- 
läuterungen S.  585:  „Der  überlieferte  deduktive  Sinn  des  a  priori 
bleibt  bei  Kant,  trotz  der  einleitenden  Erklärung  über  die  neue, 
kritische  Bedeutung  der  Erkenntnis  a  priori  bestehen,  und  nicht 
nur  in  der  durchgängigen  Apriorität  der  analytischen  Urteile, 
also    auch    derer   mit  empirischem  Subjekt,    sondern    auch  sonst 


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HO  Kants  gesammelte  Schriften. 

vielfach,  z.  B.  in  den  Erörterungen  „Von  dem  reinen  Gebrauche 
der  Vernunft"  (S.  241  f.)  und  in  der  Darlegung  über  den 
„scientifisohen  Vernunftbegriff"  und  dessen  Schema  (Archi- 
tektonik S.  538  f.).  Der  Satz:  „findet  sich  —  Urteil  a  priori" 
muß  also  auf  das  deduktive  oder  analytische  Apriori  mitbezogen 
werden.  Die  Worte  29,  i  („ist  er  überdem  —  schlechterdings 
a  priori il)  gehen,  wie  auch  das  „schlechterdings"  hier  wie  Z.  9 
bezeugt,  auf  das  kritische  Apriori.  Die  Ungenauigkeit,  daß 
damit  die  Grundsätze  ausgeschlossen  werden,  läßt  sich  nicht 
heben". 

Diese  Behauptungen  halte  ich  für  verworren  und  falsch. 
Wären  sie  richtig,  so  würden  sie  das  ganze  Fundament  der 
Kritik  zerstören  oder  —  was  im  Grunde  dasselbe  bedeutet  — 
mindestens  unsicher  machen. 

Nachdem  Kant  mit  Nachdruck  erklärt  hat,  er  werde,  im 
Gegensatz  zu  allen  früheren  Philosophen,  „unter  Erkenntnissen 
a  priori  nicht  solche  verstehen,  die  von  dieser  oder  jener,  sondern 
die  schlechterdings  von  aller  Erfahrung  unabhängig  stattfinden", 
kann  er  unmöglich  ein  paar  Zeilen  später  bei  der  Angabe  der 
Merkmale  eines  apriorischen  Urteils  wieder  das  überlieferte 
deduktive  Apriori  mit  einschließen.  Allerdings  unterscheidet  er 
in  den  zitierten  Worten  zwei  Arten  des  Apriori.  Der  Unter- 
schied aber,  den  er  hier  im  Sinne  hat  und  durch  „schlechter- 
dings" andeutet,  kann  m.  E.  nur  derselbe  sein,  den  er  kurz 
vorher  durch  den  Zusatz  des  Wortes  „rein"  bezeichnet  hat 
(28,  23 ff.): *)  „Von  den  Erfahrungen  a  priori  heißen  aber  die- 
jenigen rein,  denen  garnichts  empirisches  beigemischt  ist.  So 
ist  z.  B.  der  Satz:  eine  jede  Veränderung  hat  ihre  Ursache,  ein 
Satz  a  priori,  allein  nicht  rein,  weil  Veränderung  ein  Begriff 
ist,  der  nur  aus  der  Erfahrung  gezogen  werden  kann."2) 


1)  Die  Zitate  beziehen  eich,  wenn  weiter  nichts  bemerkt  ist,  auf  die 
Akademieausgabe,  und  zwar  zunächst  auf  den  besprochenen  dritten  Band. 

2)  Auf  der  nächsten  Seite  sagt  Kant  (29,  23  ff.) :  „daß  es  nun  dergleichen 
notwendige  und  im  strengsten  Sinne  allgemeine,  mithin  reine  Urteile  a  priori 
im   menschlichen   Erkenntnis   wirklich   gebe,    ist   leicht  zu  zeigen ;    will 


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Von  Otto  Schöndörffer.  \\\ 

Jedenfalls  aber  gehören  die  Beispiele,  die  B.  Erdmann  in 
der  von  mir  vorher  angeführten  Erläuterung  für  das  überlieferte 
deduktive  Apriori  gibt,  m.  E.  dem  kritischen  Apriori  an.  Diese 
Frage  ist  jedoch  so  wichtig  und  so  grundlegend  für  Kants 
theoretische  Philosophie,  daß  ich  sie  nicht  mit  ein  paar  Worten 
abtun  kann. 

Apriori  heißt  bei  Kant  alles  das,  was  das  denkende  Be- 
wußtsein als  notwendige  und  allgemeingültige  Erkenntnis- 
prinzipien aus  sich  erzeugt;  oder,  wie  Kant  selbst]sich  (HI,  27,  i8f.) 
ausdrückt:  „das,  was  unser  eigenes  Erkenntnisvermögen  (durch 
sinnliche  Eindrücke  bloß  veranlaßt)  aus  sich  selbst  hergibt". 
Man  könnte  auch  sagen:  a  priori  ist  alles  das,  was  zu  der 
Konstitution  des  entwickelten  mensohlichen  Geistes  wesentlich 
gehört,  was  sie  ausmacht  und  lediglich  aus  ihr  stammt.  Nur 
muß  man  sich  dann  unter  „Konstitution  des  Geistes',  nicht 
„subjektive,  uns  mit  unserer  Existenz  zugleich  eingepflanzte 
Anlagen  zum  Denken"  vorstellen,  „die  von  unserm  Urheber  so 
eingerichtet  worden,  daß  ihr  Gebrauch  mit  den  Gesetzen  der 
Natur,  an  welchen  die  Erfahrung  fortläuft,  genau  stimmte  (eine 
Art  von  Präformationssystem  der  reinen  Vernunft)".  Davor 
warnt  Kant  ausdrücklich  (S.  128  f.),  weil  „in  solchem  Falle  den 
Kategorien  die  Notwendigkeit  mangeln  würde,  die  ihrem  Be- 
griffe wesentlich  angehört".  Sondern  man  muß  sich  dessen  be- 
wußt bleiben,  daß  Subjekt  und  Objekt  bei  Kant  Wechselbegriffe 
sind,  „daß  innere  Erfahrung  überhaupt  nur  durch  äußere  Er- 
fahrung überhaupt  möglich  sei"  (S.  193, 20  f.),  daß  „die  Realität 
des  äußeren  Sinnes  mit  der  des  inneren  zur  Möglichkeit  einer 
Erfahrung  überhaupt  notwendig  verbunden"  sein  müsse  (S.  24, 
25  ff.)  oder  daß  die  Konstitution  des  menschlichen  Geistes  hier 
nicht  in  individuellem  Sinne  zu  verstehen  ist,  sondern  als  Be- 
wußtsein überhaupt,    das  nur  zustande  kommt  —  wie  nicht  auf 


man    ein  Beispiel    aus   dem  gemeinsten  Verstandegebrauche,    so   kann    der  Satz 

daß    alle  Veränderung   eine  Ursache  haben  müsse,    dazu    dienen Ob 

hier   ein  Widerspruch  vorliegt   oder   nicht,    kann    ich  dahingestellt   sein    lassen; 
B.  Erdmann  bemerkt  nichts  dazu. 


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112  Kante  gesammelte  Schriften. 

dem  Wege  der  Psychologie,  sondern  a  priori  aus  dem  Begriff 
der  Möglichkeit  der  Erfahrung  dargetan  wird  —  als  andere 
Seite,  so  zu  sagen,  der  Außenwelt. 

Doch  dies  kann  und  darf  hier  nur  angedeutet  werden. 
Hier  genügt  es  zu  definieren:  a  priori  heifit  bei  Kant  auf 
theoretischem  Gebiet  alles  das,  was  unser  eigenes  Erkenntnis- 
vermögen aus  sich  selbst  hergibt.  Es  gibt  aber  aus  sich  her  die 
bloße  Form  unserer  Erkenntnis,  d.  h.:  1.  die  Formen  der  reinen 
Anschauung,  Kaum  und  Zeit,  2.  die  reinen  Verstandesbegriffe 
oder  Kategorien  und  3.  die  Ideen,  die  aber  nur  regulative  Be- 
deutung haben. 

Alles,  was  aus  dieser  Form  des  Erkenntnisvermögens 
stammt,  heißt  a  priori  deshalb,  weil  es  unabhängig  von  aller 
Erfahrung  ist  —  mag  es  immerhin  vor  der  Erfahrung  nur  latent, 
virtuell,  dvvdpei,  nur  als  „Keim  und  Anlage"  (84,  9)  vorhanden 
sein  —  und  weil  bei  schon  entwickeltem  Erkenntnisvermögen 
alles  das  in  dem  Erkenntnis,  was  an  ihm  bloße  Form  ist  (aber 
auch  nur  dieses)  a  priori,  d.  h.  vor  aller  Erfahrung  kann  er- 
kannt werden. 

Wie  grundverschieden  ist  dieses  Apriori  von  dem  über- 
lieferten deduktiven  Apriori!  Kant  macht  auf  diesen  grund- 
legenden Unterschied  selbst  nachdrücklich  aufmerksam.  „Man 
muß  gestehen",  sagt  er  III,  545,  „daß  die  Unterscheidung  der 
zwei  Elemente  unserer  Erkenntnis,  deren  die  einen  völlig 
a  priori  in  unserer  Gewalt  sind,  die  arideren  nur  a  posteriori 
aus  der  Erfahrung  genommen  werden  können,  selbst  bei  Denkern 
von  Gewerbe  nur  sehr  undeutlich  blieb".  Bei  den  früheren 
Philosophen  handelt  es  sich  bei  der  Unterscheidung  vou  a  priori 
und  a  posteriori  um  den  bloßen  Grad  der  Unterordnung  (ibid.) 
bei  Kant  dagegen  „um  die  gänzliche  Ungleichartigkeit  und 
Verschiedenheit  des  Ursprungs0. 

Apriorische  Urteile  im  Kantischen  Sinne  sind  demnach 
erstens  diejenigen,  in  denen  nur  apriorische  Begriffe  vorkommen, 
mögen    diese  Sätze    nun    analytisch    sein    oder   synthetisch,  wie 


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Von  Otto  Schöndörffer.  U3 

in  der  Mathematik.  Die  letzteren  sind  entweder  unmittelbar 
gewiß,  wie  die  Axiome,  oder  sie  sind  wenigstens  von  keinem 
andern  abgeleitet,  als  einem  solchen,  „der  selbst  wiederum 
als  ein  notwendiger  Satz  gültig  isttf.  (III,  29,  if.).  —  Dies 
also  sind  die  „rein"  oder  „schlechterdings"  apriorischen 
Sätze. 

Zweitens  aber  sind  auch  diejenigen  Urteile  apriorisch  im 
Kantischen  Sinne,  bei  denen  die  Verbindung  zwischen  Subjekt 
und  Prädikat,  mögen  diese  selbst  auch  empirische  Begriffe  sein, 
durch  einen  apriorischen  Satz  oder  apriorischen  Begriff  hergestellt 
wird.  Denn  auch  diese  Urteile  sind  durchweg  notwendig  und 
allgemeingültig  und  in  ihrer  Gültigkeit,  wenn  auch  nicht 
ihrem  Inhalt  nach,  von  aller  Erfahrung  schlechterdings  unab- 
hängig. 

Hierher  gehören  in  erster  Linie  die  analytischen  Sätze 
mit  empirischem  Subjekt,  die  E.  als  Beispiel  für  die  nur  deduktiv 
a  priori  gültigen  Sätze  anführt.  Sie  haben  deshalb  apriorische 
Gültigkeit,  weil  bei  ihnen  die  Berechtigung  der  Verknüpfung 
von  Subjekt  und  Prädikat  auf  den  rein  logischen,  also  a  priori 
gegebenen,  Satz  vom  Widerspruch  begründet  ist.  Habe  ich  z.  B. 
erst  einmal  den  Begriff  Gold  als  eines  gelben  Metalls  festgestellt, 
so  kann  ich  nachher  a  priori  d.  h.  notwendig  und  allgemein- 
gültig, lediglich  nach  dem  Satze  des  Widerspruchs  das  Urteil 
aussprechen:  Gold  ist  gelb.  Seinem  Inhalt  nach  muß  ich  den 
Satz  aus  der  Erfahrung  ableiten,  dann  aber  ist  er,  falls  ich  ihn 
als  analytischen  Satz  aufstelle,  a  priori  gültig.  Er  hat,  als 
analytischer  Satz,  genau  dieselbe  apriorische  Gültigkeit  wie  etwa 
der  folgende:  Substanz  ist  dasjenige,  was  nie  Prädikat  werden 
kann .  Nur  ist  dieser  ein  r e i n  oder  schlechterdings  apriorisches 
Urteil,  da  in  ihm  kein  einziger  Begriff,  der  irgend  etwas  Empi- 
risches enthielte,  vorkommt.  Man  sieht  auch  sofort,  daß  der 
erste  Satz  (Gold  ist  gelb),  als  analytischer  Satz  einen  ganz 
andern  Gültigkeitswert  hat  als  jener,  den  Kant  als  Beispiel  für 
das  überlieferte  deduktive  Apriori  anführt:  Wenn  man  die 
Fundamente    eines    Hauses    untergräbt,    so    stürzt    es    ein.     Bei 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    Hft.  1  u.  2.  8 


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114  Kant»  gesammelte  Schriften. 

/ 
diesem   ist  es  die  Erfahrung,  die  Subjekt  und  Präidkat  zu  ver- 
knüpfen berechtigt,  und  diese  ist  etwas  Zufälliges.     Dort  aber 
ist  es  der  denknotwendige  Satz  des  Widerspruchs. 

Zu  dieser  zweiten  Art  apriorischer  Sätze,  die  wohl  empi- 
rische Begriffe  enthalten,  bei  denen  aber  die  Verbindung  zwischen 
Subjekt  und  Prädikat  durch  einen  apriorischen  Begriff  hergestellt 
wird,  gehören  ferner  die  Grundsätze  der  Erfahrung.  E.  teilt 
sie  ebenfalls  dem  überlieferten  deduktiven  Apriori  zu.  Er  nennt 
das  nur  eine  „Ungenauigkeit"  von  seiten  Kants.  Aber  man 
bedenke,  was  daraus  folgte!  Das  ganze  Gebäude  der  Kritik 
fiele  in  sich  zusammen,  wenn  diese  „Ungenauigkeit"  wirklich 
vorhanden  wäre.  Die  Grundsätze,  die  nach  Kant  die  Erfahrung 
erst  möglich  machen,  sollen  nach  B.  Erdmann  „zwar  nicht  un- 
mittelbar aus  der  Erfahrung",  aber  doch  „aus  einer  allgemeinen 
Regel,  die  wir  aus  der  Erfahrung  entlehnt  haben"  (28,  9ff.)  — 
denn  das  ist  der  Sinn  des  überlieferten  deduktiven  Apriori  — 
abgeleitet  sein! 

Der  apriorische  Begriff  aber,  der  nach  Kant  in  den  Grund- 
sätzen Subjekt  und  Prädikat  verbindet,  ist  (S.  144,5  f.):  „Der 
innere  Sinn  und  die  Form  desselben  a  priori,  die  Zeit".  (Vgl. 
auch  480,  27  ff.)  —  Weshalb,  das  der  Fall  ist,  das  auszuführen, 
gehört  nicht  hierher.  Da  aber  die  Gültigkeit  dieser  Sätze  nicht 
so  klar  und  einfach  einzusehen  ist,  wie  die  der  analytischen 
Sätze  —  denn  „ein  synthetischer  Grundsatz  bloß  aus  Begriffen 
kann  niemals  unmittelbar  gewiß  sein"  —  so  erfordern  sie  noch 
eine  Deduktion.  (Vgl.  480,  27 «.).  Und  diese  hat  Kant  gegeben, 
indem  er  beweist,  daß  das  Subjekt  und  Prädikat  verbindende 
Dritte  die  apriorische  Vorstellung  der  Zeit  ist,  daß  jene  Sätze 
also  apriorische  Gültigkeit  haben. 

Doch  nach  Erdmanns  Behauptung  soll  „der  überlieferte 
deduktive  Sinn  des  Apriori"  bei  Kant  „auch  sonst  noch  vielfach 
z.  B.  in  den  Erörterungen  ,,Von  dem  reinen  Gebrauche  der  Ver- 
nunft" (S.  241  f.)  und  in  der  Darlegung  über  den  „szientifischen 
Vernunftbegriff'*  und  dessen  Schema  (Architektonik  S.  538  f.)" 
bestehen  bleiben.     Die  Worte  „auch  sonst  noch  vielfach"  lasse 


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Von  Otto  Schöndörffer.  115 

ich   unberücksichtigt  und  wende   mich   zu  den  beiden  von  ihm 
namhaft  gemachten  Fällen. 

In  dem  ersteren,  dem  Abschnitt  „Von  dem  reinen  Gebrauche 
der  Vernunft",  wirft  Kant  zunächst  die  Frage  auf,  ob  die  isolierte 
Vernunft,  ebenso  wie  der  Verstand,  ein  eigener  Quell  von  Begriffen 
und  Urteilen  ist,  die  lediglich  aus  ihr  entspringen  und  durch 
die  sie  sich  auf  Gegenstände  bezieht.  Eine  Frage,  die  er,  wie 
bekannt,  später  dahin  beantwortet,  daß  sie  allerdings  ein  solcher 
Quell  ist,  da  aus  ihr  die  Ideen  entspringen,  die  aber  für  die 
Gegenstände  nicht  konstitutive,  sondern  nur  regulative  Bedeutung 
haben.  Diese  Ideen  sind  also  selbstverständlich  rein  apriorische 
Begriffe.  Der  eigentümliche  Grundsatz  aber  der  Vernunft  über- 
haupt, von  dem  außerdem  noch  an  der  zitierten  Stelle  die  Rede 
ist,  der  Grundsatz:  „wenn  das  Bedingte  gegeben  ist,  so  ist  auch 
die  ganze  Reihe  einander  untergeordneter  Bedingungen,  die 
mithin  unbedingt  ist,  gegeben",  kann  schon  deshalb  kein  Satz 
a  posteriori  oder  ein  deduktiv  apriorischer  Satz  sein,  weil  der 
Begriff  des  „Unbedingten"  ein  völlig  reiner  ist.  —  Ich  brauche 
mich  also  damit  nicht  weiter  aufzuhalten  und  gehe  gleich  zu 
dem  letzten  von  E.  angeführten  Beispiel  über. 

Auch  hier  kann  ich  von  dem  „überlieferten  deduktiven 
Apriori"  nichts  finden.  Es  handelt  sich  hier  (538 f.)  um  folgendes: 
Nur  unter  der  Regierung  der  Vernunft  kann  aus  einer  Rhapsodie 
von  Erkeniitnissen  ein  System  werden.  Ein  System  aber  ist  die 
Einheit  der  mannigfaltigen  Erkenntnisse  unter  einer  Idee.  Durch 
diese  wird  sowohl  der  Umfang  des  Mannigfaltigen  als  die  Stelle 
der  Teile  unter  einander  a  priori  bestimmt.  So  folgt,  wie  Kant 
bald  darauf  (S.  547  f.)  auseinandersetzt,  aus  der  ursprünglichen 
Idee  einer  Philosophie  der  reinen  Vernunft  eine  ganz  bestimmte 
Einteilung  dieser  Wissenschaft.  Aus  der  Erfahrung  wird  bei 
ihr  nur  das  genommen,  was  nötig  ist,  uns  ein  Objekt  teils  des 
äußeren,  teils  des  inneren  Sinnes  zu  geben;  nämlich  der  Begriff 
der  Materie  (undurchdringliche  leblose  Ausdehnung)  und  der 
Begriff  eines  denkenden  Wesens  (in  der  empirischen  inneren 
Vorstellung:  ich  denke).     Die  Einteilung  selbst  aber,   um  die 


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116  Kants  gesammelte  Schriften. 

es  sich  hier  allein  handelt,  folgt  aus  der  Idee  der  Philosophie, 
„die  nirgend  in  concreto  gegeben  ist",  und  also  ein  apriorischer 
Begriff  ist.  —  Ebenso  nimmt  Kant,  um  noch  ein  Beispiel  anzu- 
führen, in  den  metaphysischen  Anfangsgründen  der  Naturw. 
die  Materie,  das  Bewegliche  im  Baume,  als  empirisch  gegeben 
an  und  betrachtet  sie  nach  dem  Schema  der  Kategorien,  also 
wiederum  völlig  nach  Prinzipien  a  priori.  Alle  diejenigen  Wissen- 
schaften, bei  denen  ein  apriorisches  Einteilungsprinzip  nicht 
vorhanden  ist,  z.  B.  Geschichte  und  Naturbeschreibung,  sind  nach 
Kants  Auffassung  keine  Wissenschaften  im  strengen  Sinne. 

Um  also  zum  Schluß  kurz  zusammenzufassen:  Bei  Kant 
gewinnt  das  Apriori  eine  ganz  neue,  vorher  nicht  geahnte  (nach 
0.  Liebmann  „metakosmische")  Bedeutung,  und  das  überlieferte 
deduktive  Apriori  bleibt  bei  ihm  nicht  bestehen,  jedenfalls 
nicht  in  den  von  Erdmann  angegebenen  Fällen. 

n. 

Die  Termini    „transscendental"   und   „Dinge   überhaupt". 

Zu  ebenso  wichtigen  Problemen  und  schwerwiegenden 
Einwendungen  führt  uns  die  genauere  Auseinandersetzung  mit 
einer  von  B.  Erdmann  bald  darauf  gegebenen  sachlichen  Er- 
läuterung. 

Zu  den  Worten  des  Textes  43,  iß  ff.:  „Ich  nenne  alle 
Erkenntnis  transscendental,  die  sich  nicht  sowohl  mit  Gegen- 
ständen, sondern  mit  unserer  Erkenntnisart  von  Gegenständen, 
sofern  diese  a  priori  möglich  sein  soll,  überhaupt  beschäftigt", 
bemerkt  nämlich  Erdmann  S.  586  folgendes:  „sondern  mit  unserer 
Erkenntnisart  von  Gegenständen,  sofern  diese  a  priori  möglich 
sein  soll,  überhaupt  beschäftigt  ]  A2-6  sondern  mit  unsern  Begriffen 
a  priori  von  Gegenständen  überhaupt  A1.  —  Es  ist  möglich,  daß 
das  „überhaupt"  im  Text  von  A2  nur  aus  Versehen  stehen  ge- 
blieben ist,  obgleich  es  in  dem  uns  erhaltenen  Handexemplar 
Kants  von  A1  nicht  durchgestrichen  ist.  (Nachträge  zu  Kants 
Kritik  der  reinen  Vernunft  S.  11).  Es  ist  in  A2  als  nähere 
Bestimmung  zu  „beschäftigt"   so  überflüssig,  wie  in  A1  als  Er- 


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Von  Otto  Schöndörffer.  117 

gänzung  zu  Gegenstandes  (sie)  notwendig.  Die  Nominaldefinition 
der  transscendentalen  Erkenntnis  in  A1  an  dieser  Stelle  ist  sehr 
viel  enger  als  die  Fassung  von  A2,  die  mit  der  weiteren,  die 
Erkenntnis  von  Baum  und  Zeit  einschließenden  Bestimmung 
78  10,  kongruiert.  Die  Definition  in  A1  schließt  die  Formen  der 
Anschauung  aus,  da  die  Gegenstände  überhaupt  lediglich  die 
Dinge  an  sich  als  Gegenstände  der  reinen  Kategorieen  bezeichnen. 
Sie  entspricht  nicht  dem  Gedankenzusammenhang  des  ausge- 
stalteten Werks,  sondern  dessen  Vorstadium  seit  etwa  1772,  das 
in  der  Einleitung  zu  A1  kurz  zu  charakterisieren  war." 

So  B.  Erdmann.  Zunächst  fällt  in  diesen  Worten  der  Um- 
stand auf,  daß  Erdmann  auch  hier  wieder,  genau  so  wie  bei 
seinen  Bemerkungen  über  das  Apriori,  Widersprüche  bei  Kant 
findet.  Er  soll  von  dem  so  wichtigen  Terminus  transscendental 
auf  S.  23  in  der  ersten  Ausgabe  eine  Definition  gegeben  haben, 
die  dem  Gedankenzusammenhang  des  ausgestalteten  Werkes" 
nicht  entspricht  und  die  auch  mit  der  Definition  auf  S.  51 
in  A1  (S.  78  in  A2)  nicht  übereinstimmt!  Eine  solche  Interpretation 
aber  irgend  eines  Werkes,  irgend  eines  großen  Philosophen  muß 
man,  meine  ich,  von  vorneherein  als  verwerflich  zurückweisen. 
Freilich  ist  sie  heutzutage  Eant  gegenüber  nur  allzu  beliebt. 
Aber  desto  schärfer  muß  man  gegen  sie  protestieren.  Was  mögen 
sich  nur  alle  diejenigen  für  eine  Vorstellung  von  einem  großen 
Philosophen  machen,  die  ihn  auf  diese  Weise  „erklären4*  wollen? 
Selbst  bei  einem  Dichtwerke,  wie  dem  Faust,  dessen  Entstehung 
und  Gestaltung  sich  beinahe  durch  das  ganze  lange  Leben  Goethes 
hindurchzieht,  verlangt  man  mit  Recht  eine  einheitliche  Er- 
klärung, denn  der  Dichter  muß  doch  bei  der  Schlußredaktion 
einen  einheitlichen  Zusammenhang  gesehen  haben.  Und .  nun 
sollte  sich  Kant  in  einem  philosophischen  Werke,  bei  dem 
die  genaue  und  völlig  geschlossene  logische  Durchführung  ein 
selbstverständliches  und  wichtiges  Erfordernis  ist,  und  dessen 
Entstehungszeit  sich  auf  ca.  zehn  Jahre  beschränkt,  bei  so  grund- 
legenden Begriffen  wie  apriori  und  transscendental  in  einem 
Baume  von  nicht  einmal  30  Seiten  widersprochen  haben? 


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118  Kants  gesammelte  Schriften. 

Ja,  wäre  die  Deutung,  die  B.  Erdmann  der  Definition  von 
transscendental  (auf  S.  23  in  A1)  unterlegt,  richtig,  so  stießen 
wir  schon  zwei  Seiten  weiter  in  der  Kritik  auf  diesen  Wider- 
spruch! Denn  da  lesen  wir(IV,25):  „Nur  soviel  scheint  zur  Ein- 
leitung oder  Vorerinnerung  nötig  zu  sein,  daß  es  zwei  Stämme 
der  menschlichen  Erkenntnis  gebe,  die  vielleicht  aus  einer  gemein- 
schaftlichen, aber  uns  unbekannten  Wurzel  entspringen,  nämlich 
Sinnlichkeit  und  Verstand,  durch  deren  ersteren  uns  Gegenstände 
gegeben,  durch  den  zweiten  aber  gedacht  werden.  Sofern  nun 
die  Sinnlichkeit  Vorstellungen  a  priori  enthalten  sollte, 
welche  die  Bedingung  ausmachen,  unter  der  uns  Gegen- 
stände gegeben  werden,  so  würde  sie  zur  Transscen- 
dental-Philosophie  gehören".  Und  da  nun  gleich  darauf 
in  der  transscendentalen  Ästhetik  gezeigt  wird,  daß  die  Sinnlich- 
keit in  der  Tat  solche  Vorstellungen  a  priori  enthält,  so  kann 
unmöglich  die  kurz  vorher  aufgestellte  Definition  von  transscen- 
dental diese  Vorstellungen  ausschließen  sollen.  Man  muß  eben 
unter  Begriffen  a  priori  die  Formen  der  Anschauung  mitver- 
stehen. Kant  nennt  Baum  und  Zeit  ja  oft  genug  Begriffe,  und 
zwar  mit  Recht.  Aber  nach  B.  Erdmanns  Interpretation  schließt 
der  dort  gegebene  Wortlaut  die  Formen  der  Anschauungen  nun 
doch  tatsächlich  aus.  Denn  B.  Erdmann  behauptet:  „Die  Dinge 
überhaupt  bezeichnen  lediglich  die  Dinge  an  sich  als  Gegen- 
stände der  reinen  Kategorien4*;  und  Kant  definiert:  „transscen- 
dental ist  diejenige  Erkenntnis,  die  sich  nicht  mit  Gegenständen, 
sondern  mit  unsern  Begriffen  von  Gegenständen  überhaupt  be- 
schäftigt*'. Also  sind  in  dieser  Definition  die  Formen  der  An- 
schauung ausgeschlossen,  und  wenn  Kant  zwei  Seiten  darauf  das 
Gegenteil  behauptet,  so  hat  er  sich  eben  geirrt.  Quandoque 
bonus  dormitat  Homerus. 

Ja,  wenn  dieses  Mal  nur  nicht  B.  Erdmann  —  falsch  inter- 
pretiert hätte!  —  Doch  da  muß  ich  wieder  weiter  ausholen. 

Alle  apriorischen  Vorstellungen  gibt  unser  eignes  Erkenntnis- 
vermögen lediglich  aus  sich  selbst  her,  sie  entspringen  der 
Konstitution  unseres  Geistes,  sie  sind  zunächst  nur  Hirngespinste. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  119 

Wie  kommt  es  nun,  so  fragt  Kant,  daß  iob  mit  diesen  Denk- 
und  Anschauungsformen  irgend  etwas,  das  gänzlich  außer  ihnen 
liegt,  erkennen  kann?  Daß  ich  die  apriorischen  Vorstellungen 
analysieren  kann,  das  bedarf,  hier  wenigstens,  keiner  weiteren 
Erklärung.  Die  analytischen  apriorischen  Sätze  beruhen  alle 
auf  dem  Satz  des  Widerspruches.  Aber  wie  kommt  es,  daß  ich 
auch  synthetische  Sätze  a  priori  habe?  Dazu  müssen,  so  scheint 
es,  die  apriorischen  Vorstellungen  aus  der  Sphäre  des  Denkens 
heraus  und  übergreifen  in  die  Sphäre  des  Seins.  So  kann  ich, 
so  lange  ich  die  Kantische  Lösung  —  die,  kurz  gesagt,  darin 
besteht,  daß  ich  ein  anderes  Sein  als  das,  welches  mit  dem  Vor- 
gestelltwerden identisch  ist,  nicht  erkennen  kann,  —  nicht  vor- 
wegnehme, das  Problem  formulieren.  Daher  sagt  Ernst  Marcus 
(Kants  Revolutionsprinzip.  Herford,  Verlag  von  W.  Menok- 
hoff  1902)  S.  121:  „Transscendental  drückt  das  Übergreifen  der 
apriorischen  Vorstellung  in  die  nichtapriorische  fremde,  externe 
Sphäre  aus  (sei  nun  diese  Sphäre  a  posteriori  erreichbar  oder 
intelligibel,  daher  empirisch  unerreichbar)".  (Vgl.  auch  Kr.  d. 
r.  V.  HI,  54,3ff.,  78,  off.,  207,3.)  Und  daher  faßt  Kant  das  Haupt- 
problem der  Kritik  in  den  Worten  zusammen:  wie  sind  synthetische 
Urteile  apriori  möglich?  oder:  Wie  ist  Erkenntnis  aus  reiner  Ver- 
nunft möglich?  (Proleg.  IV,  275).  Und  daher  endlich  nennt  er 
alle  diejenige  Erkenntnis  transscendental,  die  sich  mit  (unsern  Be- 
griffen a  priori  von  Gegenständen  überhaupt  beschäftigt  IV,  23)  oder, 
die  sich  mit  unserer  Erkenntnisart  von  Gegenständen,  so  fern 
diese  a  priori  möglich  sein  soll,  überhaupt  beschäftigt.  (III,  43.) 
Gegenstände  überhaupt  bedeutet  also  hier:  Gegenstände 
aller  Art,  seien  es  solche  der  reinen,  der  empirischen,  oder  auch 
einer  uns  unbekannten  übersinnlichen  Anschauung.  Daher  sagt 
Kant  selbst  in  den  Prologomenen:  „Und  so  wird  die  trans- 
scendentale  Hauptfrage   in    vier   andere  Fragen    zerteilt  .  .  .  .: 

1.  Wie  ist  reine  Mathematik  möglich? 

2.  Wie  ist  reine  Naturwissenschaft  möglich? 

3.  Wie  ist  Metaphysik  überhaupt  möglich? 

4.  Wie  ist  Metaphysik  als  Wissenschaft  möglich  ?" 


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120  Kants  gesammelte  Schriften. 

(IV,  280).  Die  Transscendentalphilosophie  fragt  nicht,  wie 
die  apriorischen  Vorstellungen  Erkenntnis  von  einer  bestimmten, 
besonderen  Art  von  Gegenständen  geben,  sondern  sie  abstrahiert 
von  der  speziellen  Art  der  Anschauung,  in  der  uns  die  Gegen- 
stände gegeben  werden  können  oder  könnten,  und  fragt  ganz 
allgemein,  wie  können  die  apriorischen  Vorstellungen  irgend 
welche  Bedeutung  haben  für  Dinge,  für  Dinge  überhaupt  Erst 
in  dem  metaphysischen  Teil  der  Einzel  Wissenschaften,  wird 
gezeigt,  welche  Bedeutung  die  apriorischen  Vorstellungen  für 
besondere,  empirisch  gegebene  Dinge  haben.  Daher  sagt  Kant 
z.  B.  in  der  Vorrede  zu  den  Metaphysischen  Anfangsgründen 
der  Naturwissenschaft  (IV,  469,  aiff.):  ,,Die  Metaphysik  der 
Natur  muß  nun  zwar  jederzeit  lauter  Prinzipien,  die  nicht 
empirisch  sind,  enthalten  (denn  darum  führt  sie  eben  den  Namen 
einer  Metaphysik),  aber  sie  kann  doch  entweder  sogar  ohne  Beziehung 
auf  irgend  ein  bestimmtes  Erfahrungsobjekt,  mithin  unbestimmt 
in  Ansehung  der  Natur  dieses  oder  jenes  Dinges  der  Sinnenwelt 
von  den  Gesetzen,  die  den  Begriff  einer  Natur  überhaupt  möglich 
machen,  handeln,  und  alsdann  ist  es  der  transscendentale 
Teil  der  Metaphysik  der  Natur:  oder  sie  beschäftigt  sich 
mit  einer  besonderen  Natur  dieser  oder  jener  Art  Dinge.  .  .  ." 

Kant  zeigt  nun  in  der  Kritik,  daß  die  apriorischen  Vor- 
stellungen nur  für  die  Gegenstände  Erkenntnis  verschaffen,  die 
überhaupt  erst  mit  ihrer  Hilfe  zustande  kommen,  d.  h.  erstens 
für  die  Gegenstände  der  reinen  und  zweitens  für  die  der 
empirischen  Anschauung.  Bei  den  ersteren  ist  das  nach  Kants 
Lehre  von  vorneherein  einleuchtend:  sie  existieren  eben  nur  in 
unserm  Intellekt  und  in  unserer  Einbildungskraft.  Die  em- 
pirischen Dinge  aber  sind  Erscheinungen,  d.  h.  „Vorstellungen 
von  Dingen,  die  nach  dem,  was  sie  an  sich  sein  mögen,  un- 
erkannt da  sind".  (HI,  127,  e  ff.  vergl.  168,  35;  338,  23  ff.)  Sie 
sind  also  auch  Vorstellungen,  und  zwar  Vorstellungen  unseres 
transscendentalen  Selbstbewußtseins,  das  die  ihm  auf  unerkenn- 
bare Weise  gegebenen  Empfindungen  mit  Hilfe  der  apriorischen 
Vorstellungen    zu    Erfahrungsgegenständen    macht.     Und  da   ist 


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Von  Otto  Schöndörffer.  121 

es  denn  eben  auch  erklärlich,  wie  die  apriorischen  Vorstellungen 
die  Erkenntnis  der  empirischen  Dinge  ermöglichen  und  kon- 
stituieren. 

Wie  aber  unsere  apriorischen  Vorstellungen  irgend  welche 
Beziehung  zu  Dingen  haben  sollten,  die  ganz  unabhängig  von 
unserm  Vorstellen  sind,  ist  absolut  unausdenkbar.  Zwar  kann 
ich  mir  solche  Dinge  denken,  ja  ich  muß  sie  mir  als  den  un- 
bekannten Grund  der  Erscheinungen  denken,  „denn  sonst  würde 
der  ungereimte  Satz  daraus  folgen,  daß  Erscheinung  ohne  etwas 
wäre,  was  da  erscheint"  (III,  17,  ir>  ft  vergl.  auch  IV,  314,  33  ff. 
Prolegom.).  Aber  ich  kann  sie  nie  erkennen,  ja  nicht  einmal 
ihre  Möglichkeit  einsehen,  insofern  möglich  dasjenige  ist,  „was 
mit  den  formalen  Bedingungen  der  Erfahrung  (der  Anschauung 
und  den  Begriffen  nach)  übereinkommt"  (185, 22  f.).  Sie  sind 
eben  völlig  unabhängig  von  meinem  Vorstellen.  Dieses  kann 
zu  ihnen  nicht  herüber.  Denn  in  Wahrheit  findet  ein  Über- 
greifen unserer  Vorstellungen  in  ein  fremdes  Gebiet,  so  daß  es 
zu  dessen  Erkenntnis  führt,  nach  Kant  überhaupt  nie  statt.  Denn 
da  die  empirischen  Dinge  nur  unsere  Vorstellungen  sind,  bleiben 
die  apriorischen  Vorstellungen,  die  uns  apriorische  Erkenntnis 
von  ihnen  verschaffen,  auch  dann  nur  in  ihrem  eigenen  Gebiet. 
Über  unsern  Bewußtseinsinhalt  kommen  wir,  das  lehrt  uns  eben 
die  kritische  Philosophie,  niemals  hinaus.  (Vgl.  0.  Liebmann, 
Gedanken  und  Tatsachen.  1904.  Bd.  II,  95.)  Die  apriorischen  Vor- 
stellungen, sowohl  die  Anschauungsformen  wie  auch  die  Kategorien, 
sind  also  nur  von  empirischem  Gebrauch.  Will  ich  die  An- 
schauungsformen auf  die  Dinge  überhaupt,  auf  alle  Dinge  ohne 
Unterschied  anwenden,  so  ist  das  unmöglich,  so  sind  sie  nichts. 
Sie  haben  empirische  Realität,  aber  transscendentale  Idealität. 
Und  was  die  Kategorien  betrifft,  so  reichen  sie  in  sofern  weiter, 
als  ich  mit  ihnen  die  Dinge  überhaupt  denken  kann,  ja  muß, 
aber  erkennen  kann  ich  mit  ihnen  auch  nur  die  Dinge  der 
Erfahrung,  denn  „Verstand  und  Sinnlichkeit  können  bei  uns  nur 
in  Verbindung  Gegenstände  bestimmen.  Wenn  wir  sie  trennen, 
so  haben  wir  Anschauungen   ohne  Begriffe,    oder  Begriffe    ohne 


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122  Kants  gesammelte  Schriften. 

Anschauungen,  in  beiden  Fällen  aber  Vorstellungen,  die  wir  auf 
keinen  bestimmten  Gegenstand  beziehen  können"  (213,  32  ff.). 
Das  können  wir  eben  nur  bei  den  Dingen,  die  mit  Hilfe  unserer 
apriorischen  Vorstellungen  erst  zustande  kommen.  So  sind  auch 
die  Katogorien  nur  von  empirischem  Gebrauch,  sie  haben  zwar 
transscendentale  Bedeutung1),  sind  aber  von  keinem  transscenden- 
talen  Gebrauch.  (IV,  208, 17  f.) 

Durch  dieses  Resultat  ist  nun  allerdings,  wie  man  sieht,  die 
Bedeutung  der  Termini  „Dinge  überhaupt44  und  „transscendental" 
nicht  unerheblich  modifiziert  oder,  wenn  man  lieber  will,  geklärt 
und  näher  bestimmt.  Der  Ausdruck  „Dinge  überhaupt",  ist  da- 
durch, daß  er  so  oft  in  Gegensatz  tritt  zu  den  empirischen 
Dingen,  oft  ziemlich  oder  ganz  gleichbedeutend  mit  Dingen  an 
sich  geworden.  Ganz  fern  liegt  ihm  diese  Bedeutung  im  Grunde 
überhaupt  nicht.  Denn  wenn  ich  von  Dingen  überhaupt  rede, 
muß  ich  von  der  Art  der  Anschauung,  in  der  die  verschiedenen 
Dinge  gegeben  werden  oder  vielleicht  gegeben  werden  könnten, 
abstrahieren.  (Vgl.  60,  34  f.  61,6.  211,8.  279,  16  f.)  Tue  ich  das 
aber,  so  bleibt  mir  der  bloße  Begriff  eines  Dinges;  und  mehr 
bietet  der  Begriff  der  Dinge  an  sich,  die  ich  als  unbekannten 
Grund  der  Erscheinungen  hinzudenken  muß,  auch  nicht.  Trotz- 
dem dürfen  wir,  wie  wir  gesehen  haben,  Dinge  überhaupt  nicht 
schlechtweg  mit  den  Dingen  an  sich  identifizieren.  Daß  man  das 
nicht  tun  darf,  ergibt  der  bloße  Wortlaut  einzelner  Stellen  mit 
Evidenz.  Man  nehme  z.  B.  die  Worte  S.  225,  32  ff.:  „Wende  ich 
aber  diese  Begriffe  (die  Reflexionsbegriffe)  auf  einen  Gegenstand 
überhaupt  (im  transscen dentalen  Verstände)  an,  ohne  diesen 
weiter   zu    bestimmen,    ob  er  ein  Gegenstand  der   sinn- 


1)  Bemerken  will  ich,  daß  Kaut  in  der  Regel  das  Wort  „Bedeutung"  in 
anderm  Sinne  gebraucht,  als  an  der  zitierten  Stelle.  (IV,  208, 17.)  Gewöhnlich 
bezeichnet  der  Ausdruck  „ein  Begriff  hat  Bedeutung1'  soviel  wie:  er  hat  Beziehung 
auf  ein  Objekt,  er  verschafft  Erkenntnis  eines  Objekts.  (Vgl.  135,  11.  138,  hg  f. 
205,  3.  210,  10  ff.  280,  31.  446, 36.  484,  1.)  In  diesem  Sinne  also  haben  die  Kate- 
gorien auch  nicht  einmal  transscendentale  Bedeutung.  Kant  hätte  sagen  sollen: 
Die  Kategorien  haben  in  Bezug  auf  die  Dinge  überhaupt  nur  logische  Bedeutung. 
(Vgl.  139,20.)     Was  er  meint,  scheint  mir  aber  auch  so  deutlich. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  123 

liehen    oder    intellektualen    Anschauung    sei,    so    zeigen 

sich "      Man    vgl.    auch    noch    etwa:    104,  27  ff.    104, 35  ff. 

117,  8  ff.  207,  9  ff.  227,  6  ff.  Weil  sich  aber  die  Bedeutung  von 
„Dinge  überhaupt*'  der  Bedeutung  von  „Dinge  an  sich"  nähert, 
so  wird  auch  die  Bedeutung  von  „transscendental**  der  Bedeutung 
von  „tibersinnlich4*  oft  verwandt;  so  z.  B.  wenn  der  transscenden- 
tale  Gebrauch  der  Kategorien  als  unmöglich  behauptet  wird. 
Andererseits  durfte  Kant  mit  vollem  Recht  in  den  Prolegomenen 

(IV,  373,  :u  ff.)   sagen:    „Transscendental bedeutet   nicht 

etwas,  das  über  alle  Erfahrung  hinausgeht,  sondern,  was  vor  ihr 
(a  priori)  zwar  vorhergeht,  aber  doch  zu  nichts  mehrerem  be- 
stimmt ist,  als  lediglich  Erfahrungserkenntnis  möglich  zu  machen.** 
Auf  alle  diese  Ausführungen  gestützt,  kann  ich  nun  folgende 
Behauptungen  gegen  Erdmanns  sachliche  Erläuterung  in  aller 
Kürze  aufstellen: 

1.  Das    „überhaupt"    ist    in  A*  genau    eben    so    notwendig 
wie  in  A1;  es  gehört  zu  Gegenständen, 

2.  Die  Definition  von  transscendental    ist  in    beiden  Aus- 
gaben im  wesentlichen  ganz  dieselbe. 

3.  Man  darf  den  Terminus  „Dinge  überhaupt**  nicht  mit 
dem  Terminus  „Dinge  an  sich**  identifizieren. 

Zum  Schluß  lasse  ich  hier  gleich  die  Besprechung  zweier 
Bemerkungen  Erdmanns  folgen,  die  sich  auf  die  eben  erörterten 
Dinge  beziehen. 

208,  ff.  „Der  bloß  transscendentale  Gebrauch  also  der 
Kategorien  ist  in  der  Tat  gar  kein  Gebrauch  und  hat  keinen 
bestimmten  oder  auch  nur  der  Form  nach  bestimmbaren 
Gegenstand4*.  —  Hierzu  bemerkt  Erdmann  (S.  589):  „Der 
Wortlaut  der  Wendung  steht  mit  der  grundlegenden  Lehre 
von  den  Dingen  überhaupt  nicht  in  Einklang.  Kants  Eintrag 
in  sein  Handexemplar:  „gar  kein  Gebrauch,  um  etwas  zu  er- 
kennen, und**  (Nachträge  No.  CXXVII)  hebt  diesen  Widerspruch**. 
—  Aber  Erdmann  übersieht,  daß  der  Gebrauch  einer  Kategorie 
nach  Kants  Terminologie  nur  dann  möglich  ist,  wenn  sie  mit 
einer  Anschauung  verbunden  worden,   wie    Kant   unter   anderm 


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124  Kante  gesammelte  Schriften. 

kurz  vor  der  zitierten  Stelle  auseinandersetzt.  (Vgl.  208,  6  ff., 
208, 17,  229, 33.)  Demnach  ist  der  Zusatz  „um  etwas  zu  er- 
kennen" nicht  notwendig. 

229,  30  n.  „Wenn  wir  unter  bloß  intelligiblen  Gegenständen 
diejenigen  Dinge  verstehen,  die  durch  reine  Kategorien  ohne 
alles  Schema  der  Sinnlichkeit  gedacht  werden,  so  sind  dergleichen 
unmöglich". 

Dazu  bemerkt  Erdmann  (S.  590):  „gedacht  ]  A.  —  Kant 
hat  in  seinem  Handexemplar  verbessert:  „von  uns  erkannt" 
(Nachträge  No.  CL).  Diese  Verbesserung  gibt  die  einzig  mögliche 
Lesart,  denn  der  uns  jetzt  vorliegende  Text  enthält  einen  augen- 
fälligen Widerspruch  gegen  die  Lehre  von  den  Dingen  über- 
haupt und  an  sich  als  den  Gegenständen  des  reinen  Verstandes 
und  kontrastiert  mit  der  Weiterführung  des  Gedankens  230,  s  f. 
Ich  habe  trotzdem  nicht  zu  ändern  gewagt;  einmal  weil  der 
Herausgeber  nicht  Kantischer  sein  darf  als  Kant  selbst,  sodann, 
weil  es  notwendig  ist,  die  Differenzen  zu  erhalten,  die  diesen 
Abschnitt  von  dem  in  unserm  Text  unmittelbar  vorhergehenden 
über  die  Phänomena  und  Noumena  trennen". 

Die  im  Text  vorliegende  Lesart  kann  allerdings  leicht  zu 
Mißverständnissen  führen.  Doch  muß  man  auch  hier  durch  die 
Interpretation  nicht  Differenzen  herstellen,  sondern  im  Gegenteil 
sie  zu  beseitigen  suchen.  „An  einzelnen  Stollen  läßt  sich  jeder 
philosophische  Vortrag  zwacken  (denn  er  kann  nicht  so  gepanzert 
auftreten,  als  der  mathematische)  ....  Scheinbare  Wider- 
sprüche lassen  sich,  wenn  man  einzelne  Stellen,  aus  ihrem  Zu- 
sammenhange gerissen,  gegen  einander  vergleicht,  in  jeder  .  .  . 
Schrift  ausklauben".  (S.  26,  e  ff.)  Und  hier  ergibt  der  Zu- 
sammenhang, daß  nicht  von  der  logischen  Möglichkeit  und  Un- 
möglichkeit, sondern  von  der  transscendentalen  die  Rede  ist. 
Kant  sagt  also:  „Wenn  wir  unter  bloß  intelligiblen  Gegen- 
ständen diejenigen  Dinge  verstehen,  die  durch  reine  Kategorien 
ohne  alles  Schema  der  Sinnlichkeit  gedacht  werden,  so  läßt  sich 
ein  solcher  Begriff  durch  nichts  belegen  und  dadurch  seine 
reale  Möglichkeit   dartun".    (Vgl.  S.  207, 29  ff.)     Es  kontrastieren 


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Von  Otto  Schöndörffer.  125 

also  diese  Worte  weder  mit  den  230, 2  f.  folgenden,  noch  finde 
ich  Differenzen  zwischen  diesem  Abschnitt  und  dem  vorher- 
gehenden. 

m. 

Wodurch  wird  die  Ordnung  der  Wahrnehmungen  im  Objekt 

bestimmt? 

S.  174,  28  ff.  lesen  wir  in  der  Kritik:  „Zu  aller  empirischen 
Erkenntnis  gehört  die  Synthesis  des  Mannigfaltigen  durch  die 
Einbildungskraft,  die  jederzeit  successiv  ist;  d.  i.  die  Vorstellungen 
folgen  in  ihr  jederzeit  auf  einander.  Die  Folge  aber  ist  in  der 
Einbildungskraft  der  Ordnung  nach  (was  vorgehen  und  was 
folgen  müsse)  gar  nicht  bestimmt,  und  die  Reihe  der  einander 
folgenden  Vorstellungen  kann  ebensowohl  rückwärts  als  vorwärts 
genommen  werden.  Ist  aber  diese  Synthesis  eine  Synthesis  der 
Apprehension  (des  Mannigfaltigen  einer  gegebenen  Escheinung), 
so  ist  die  Ordnung  im  Objekt  bestimmt,  oder,  genauer  zu  reden, 
es  ist  darin  eine  Ordnung  der  successiven  Synthesis,  die  ein 
Objekt  bestimmt,  nach  welcher  etwas  notwendig  vorausgehen, 
und  wenn  dieses  gesetzt  ist,  das  andere  notwendig  folgen  müsse." 

Zu  dem  letzten  Satz  dieser  Stelle  macht  Erdmann  folgende 
Anmerkung  (S.  589):  „Die  Ordnung  im  Objekt  vollzieht  sich 
durch  die  Synthesis  der  Apprehension,  welche  die  Succession  der 
Synthesis  bestimmt.  Der  Verstand  wird  hier  nicht,  wie  z.  B. 
121,4  für  sich  allein  betrachtet,  sondern  wie  z.  B.  125,7.8.,  so, 
daß  die  Verbindung  schon  mit  diesen  Anschauungen  zugleich 
gegeben  ist  .  .  ." 

Ich  kann  nur  sagen,  diese  Erläuterung  B.  Erdmanns  ver- 
stehe ich  nicht.  Was  soll  das  heißen:  Die  Ordnung  im  Objekt 
vollzieht  sich  durch  die  Synthesis  der  Apprehension,  welche  die 
Succession  der  Synthesis  bestimmt?  Darnach  bestimmt  die  Syn- 
thesis die  Succession  der  Synthesis,  dann  bestimmte  also  die 
Synthesis  sich  selbst  in  ihrer  Succession!  Oder  sollte  „welche" 
sich  auf  Apprehension   beziehen?  Das  gibt  doch  aber  ebenfalls 


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126  Kante  gesammelte  Schriften. 

gar  keinen  Sinn.  Mir  scheint  der  Sinn  der  wichtigen  Stelle  — 
es  ist  der  Kern  des  Beweises  der  zweiten  Analogie  —  folgender 
zu  sein: 

Alle  Vorstellungen  ohne  Ausnahme  folgen  in  uns  einander 
in  der  Zeit,  doch  ist  diese  Folge  zunächst  ganz  subjektiv.  Sie 
sind  „nichts  als  ein  blindes  Spiel  der  Vorstellungen,  d.  i.  weniger 
als  ein  Traum".  (IV,  84, 30  f.)  Es  sind  bloße  Modifikationen 
unseres  Gemüts.  Bliebe  es  dabei,  so  hätten  wir  gar  keine  Ver- 
anlassung auf  etwas  außer  uns  zu  reflektieren,  ja  so  käme  es  in 
uns  zu  gar  keinem  Selbstbewußtsein,  da  dessen  Möglichkeit  nach 
Kant  „die  Existenz  äußerer  Gegenstände  erfordert44.  (III,  139,  13  ff.) 
„Ich  bin  mir  nur  bewußt,  daß  meine  Imagination  eines  vorher, 
das  andere  nachher  setze,  nicht  daß  im  Objekte  der  eine  Zustand 
vor  dem  andern  vorhergehe,  oder,  mit  andern  Worten,  es  bleibt 
durch  die  bloße  Wahrnehmung  das  objektive  Verhältnis  der 
einander  folgenden  Erscheinungen  unbestimmt/4  (167,  24  ff.)  Erst 
dadurch,  daß  ich  denke,  daß  die  eine  Erscheinung  die  Ursache 
einer  anderen  ist,  wird  die  Zeitordnung  der  Erscheinungen 
objektiv  bestimmt.  Denn  wenn  auch  Ursache  und  Wirkung  der 
Zeit  nach  zugleich  sein  mögen,  so  wird  doch  durch  den  von  mir 
in  die  Erscheinungen  hineingebrachten  Gedanken  der  Ursache  und 
Wirkung  das  Zeitverhältnis  der  Erscheinungen  bestimmt. 
Jede  Verbindung  von  Vorstellungen  ist  lediglich  ein  Akt  der 
Spontaneität,  der  nur  vom  Subjekte  selbst  verrichtet  werden 
kann.  (S.  107.)  Ich  brauche  also  schon  zur  Konstatierung  irgend 
eines  Geschehens  das  Gesetz  der  Kausalität.  Ohne  dieses  bleibt 
die  Folge  der  einzelnen  Wahrnehmungen  immer  subjektiv. 
Behaupte  ich  als  objektive,  für  jeden  gültige  Tatsache,  irgend 
ein  Geschehen,  z.  B.  das  Schiff  fährt  den  Strom  herab,  so  gilt 
diese  Behauptung  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  Kau- 
salitätsgesetz für  jeden  menschlichen  Intellekt  bindend  ist.  Gibt 
man  dies  zu,  so  sind  alle  diejenigen  widerlegt,  die  es  nur  für 
eine  Hypothese  halten,  für  eine  Hypothese,  die  für  die  Erfahrungs- 
wissenschaft nötig  ist,  die  aber  für  die  gemeine  Erfahrung 
durchaus  nicht  notwendig  ist. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  127 

Was  ich  miteinander  zu  verknüpfen  habe,  das  lehrt  mich 
erst  die  Erfahrung.  „Daß  das  Sonnenlicht,  welches  das  Wachs 
beleuchtet,  es  zugleich  schmelze,  indessen  es  den  Ton  härtet, 
kann  kein  Verstand  aus  Begriffen,  die  wir  vorher  von  diesen 
Dingen  hatten,  erraten,  viel  weniger  gesetzmäßig  schließen,  und 
nur  Erfahrung  kann  uns  ein  solches  Gesetz  lehren".  (500, 2^ ff.) 
„Wenn  aber  vorher  festgewesenes  Wachs  schmilzt,  so  kann  ich 
a  priori  erkennen,  daß  etwas  vorausgegangen  sein  müsse 
(z.  B.  Sonnen  wärme),  worauf  dieses  nach  einem  bestimmten  Ge- 
setze gefolgt  ist". 

Schon  daraus  aber,  daß  wir  uns  in  dieser  Verbindung  oft 
irren,  wie  die  gewöhnliche  Erfahrung  eben  sowohl  wie  die 
Wissenschaft  lehrt,  folgt,  daß  ich  selbst  diese  Verbindung  her- 
stelle. Wäre  sie  mit  den  einzelnen  Wahrnehmungen  schon 
mitgegeben,  so  würde  ein  Irrtum  ausgeschlossen  sein;  denn  die 
Sinne  irren  nicht.  (III,  234, 17.) 

Andererseits  freilich:  daß  ich  bei  einzelnen  Wahrnehmungen 
die  Ordnung  beliebig  vorwärts  und  rückwärts  vornehmen  kann, 
bei  andern  aber  nicht,  hiervon  liegt  der  Grund  im  Ding  an  sich. 
„Denn  zu  den  gegebenen  räumlichen  (und  zeitlichen)  Be- 
stimmungen innerhalb  unserer  Erfahrungserkenntnis  muß  im 
Objekte,  das  an  sich  unbekannt  ist,  ein  Grund  sein".  (Vgl.  Emil 
Ärnoldt  Kritische  Exkurse.  Königsberg  1894.  S.  489  und  Kant 
(Rosenkranz)  V  356  f.)  „Wären  die  Erscheinungen  so  beschaffen, 
daß  wir  bei  Apprehension  derselben  keine  Regel  gleichförmiger 
Folge  an  ihnen  bilden  könnten  —  wäre  z.  B.  der  Zinnober  bald 
rot,  bald  schwarz,  bald  leicht,  bald  schwer,  ein  Mensch  bald  in 
diese,  bald  in  jene  tierische  Gestalt  verändert,  am  längsten  Tage 
das  Land  bald  mit  Früchten,  bald  mit  Eis  oder  Schnee  bedeckt, 
—  oder  wäre  gar  jede  Erscheinung,  jede  Empfindung  bei  jedem 
Menschen  in  jedem  Augenblick  seines  Daseins  absolut  different, 
so  würden  wir  allerdings  weder  den  Grundsatz  der  Beharrlichkeit, 
noch  den  Grundsatz  der  Kausalität,  noch  den  Grundsatz  der 
Wechselwirkung  ausbilden  und  anwenden  können,  mithin  gar 
keine  Erfahrung  —  weder  von  äußeren  Gegenständen  noch  von 


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128  Kant«  gesammelte  Schriften. 

uns  selbst  —  besitzen,  also  auch  keine  Welt  haben,  zu  der  wir 
gehörten"  (E.  Arnoldt  a.  a.  0.  S.  32). 

Da  ich  dies  vorausgeschickt  habe,  hoffe  ich  nun  ganz  ver- 
ständlich zu  sein,  wenn  ich  jene  zu  Anfang  zitierte  Stelle  aus 
der  Kritik  wie  folgt  interpretiere: 

Während  es  bei  der  Synthesis  des  Mannigfaltigen  durch 
die  Einbildungskraft,  sei  dieses  Mannigfaltige  in  bloßen  Begriffen 
oder  in  der  reinen  Anschauung  vorhanden,  ganz  in  meinem  Be- 
lieben steht,  in  welcher  Ordnung  ich  es  zusammenfasse,  ist  in 
dem  Mannigfaltigen  einer  gegebenen  Erscheinung  oder  in  dem 
Mannigfaltigen  „des  von  einem  rezeptiven  Subjekt  in  seinem 
Verhältnis  zu  Dingen  an  sich  Empfundenen"  (E.  Arnoldt  1.  c.  S.  25) 
etwas,  das  meine  apriorischen  Denkformen  so  zur  Anwendung 
kommen  läßt,  daß  eine  bestimmte  Ordnung  nötig  wird,  nach 
welcher  etwas  notwendig  vorausgehen,  und  wenn  dieses  gesetzt 
ist,  das  andere  notwendig  folgen  müsse.  Erst  dadurch  aber 
komme  ich  zu  der  Vorstellung  eines  Objektes  außer  mir. 

IV. 

War  die  Ansicht,  „daß  alles  Leben  eigentlich  nur  intelligibel  sei, 

den  Zeitveränderungen  gar  nicht  unterworfen,  und  weder  durch 

Geburt  angefangen  habe,  noch  durch  den  Tod  geendigt  werde", 

nur  eine  „reine  Privatmeinung"  Kants? 

Diese  Frage  müßte  B.  Erdmann,  der  nach  Hartensteins 
Vorgang  (in  dessen  2.  Auflage)  S.  509,  u  gegen  die  Über- 
lieferung „keine"  in  „reine"  verwandelt  hat,  mit ,  ja"  beantworten. 

Ich  aber  meine,  schon  die  so  gestellte  Frage  würde  ihn 
vielleicht  von  seiner  Änderung  zurückgehalten  haben,  und  bin 
fest  überzeugt,  daß  der  Gedankengang  des  ganzen  Kapitels  auf 
die  Beibehaltung  der  überlieferten  Lesart  „keine"  führt.  Denn 
dieser  ist  folgender: 

Transscendentale  Hypothesen,  d.  h.  solche,  „bei  denen  eine 
bloße  Idee  der  Vernunft  zur  Erklärung  der  Naturdinge  gebraucht 
würde"  (503,  36  f.),  sind  im    spekulativen  Gebrauch  der  Vernunft 


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Von  Otto  8ehönilörffer.  129 

durchaus  nicht  zulässig.  Denn  „es  ist  unserer  Vernunft  nur  mög- 
lich, die  Bedingungen  möglicher  Erfahrung  als  Bedingungen  der 
Möglichkeit  der  Sachen  zu  brauchen,  keineswegs  aber,  ganz 
unabhängig  von  diesen  sich  selbst  welche  gleichsam  zu  schaffen, 
weil  dergleichen  Begriffe,  obzwar  ohne  Widerspruch,  dennoch 
auch  ohne  Gegenstand  sein  würden."  (S.  503,  stf.) 

Dazu  kommt  noch,  daß  zur  Annehmungswürdigkeit  einer 
Hypothese  ihre  Zulänglichkeit  erfordert  wird,  um  daraus  a  priori 
die  Polgen,  welche  gegeben  sind,  zu  bestimmen.  (S.  504,  32  ff.) 
Und  das  dürfte  bei  einer  transscendentalen  Hypothese  schwerlich 
gelingen. 

Wenn  nun  aber  auch  demgemäß  ,,bei  bloß  spekulativen 
Fragen  der  reinen  Vernunft  keine  Hypothesen  stattfinden,  um 
Sätze  darauf  zu  gründen,  so  sind  sie  dennoch  ganz  zulässig,  um 
sie  allenfalls  nur  zu  verteidigen,  d.  i.  zwar  nicht  im  dogmatischen, 
aber  doch  im  polemischen  Gebrauche/4  (505, 36  ff.)  Denn  alle 
synthetischen  Sätze  aus  reiner  Vernunft  —  und  um  diese  handelt 
es  sich  lediglich  bei  transscendentalen  Hyphothesen  —  „haben 
das  Eigentümliche  an  sich:  daß,  wenn  der,  welcher  die  Realität 
gewisser  Ideen  behauptet,  gleich  niemals  so  viel  weiß,  um  diesen 
seinen  Satz  gewiß  zu  machen,  auf  der  andern  Seite  der  Gegner 
eben  so  wenig  wissen  kann,  um  das  Widerspiel  zu  behaupten." 
Macht  mir  also  z.B.  jemand,  da  ich  durch  die  praktische  Philosophie 
zu  dem  Glauben  an  die  Unsterblichkeit  gekommen  bin,  den  Ein- 
wand :  „Die  Zufälligkeit  der  Zeugungen,  die  bei  Menschen  sowie 
beim  vernunftlosen  Geschöpfe  von  der  Gelegenheit,  überdem  aber 
auch  oft  vom  Unterhalte,  von  der  Regierung,  deren  Launen  und 
Einfällen,  oft  sogar  vom  Laster  abhängt,  mache  eine  große 
Schwierigkeit  wider  die  Meinung  unserer  auf  Ewigkeiten  sich  er- 
streckenden Fortdauer"  (507, 34  ff.),  so  kann  ich  dagegen  mit 
Fug  und  Recht  die  Hypothese  aufbieten:  „daß  alles  Leben  eigent- 
lich nur  intelligibel  sei,  den  Zeitveränderungen  gar  nicht  unter- 
worfen, und  weder  durch  Geburt  angefangen  habe,  noch  durch 
den  Tod  geendigt  werde;  daß  dieses  Leben  nichts  als  eine  bloße 
Erscheinung,    d.  i.  eine    sinnliche  Vorstellung    von    dem    reinen 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLH.    Hft.  1  u.  2.  9 


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130  Kante  gesammelte  Schriften. 

geistigen  Leben,  und  die  ganze  Sinnenwelt  ein  bloßes  Bild  sei, 
welches  unserer  jetzigen  Erkenntnisart  vorschwebt  und  wie  ein 
Traum  an  sich  keine  objektive  Realität  habe;  daß,  wenn  wir  die 
Sachen  und  uns  selbst  anschauen  sollen,  wie  sie  sind,  wir  uns 
in  einer  Welt  geistiger  Naturen  sehen  würden,  mit  welcher 
unsere  einzig  wahre  Gemeinschaft  weder  durch  Geburt  angefangen 
habe,  noch  durch  den  Leibestod  (als  bloße  Erscheinungen)  auf- 
hören werde,  usw."  (508, 9«.) 

Dabei  muß  ich  mir  aber  wohl  bewußt  bleiben,  daß  ich  von 
alle  dem.  was  ich  da  meinem  Gegner  gegenüber  behauptet  habe, 
nicht  das  Mindeste  weiß,  sondern  daß  das  alles  nur  zur  Gegen- 
wehr von  mir  ausgedacht  ist.  Tue  ich  das  aber,  so  „verfahre 
ich  hiebei  gang  vernunftmäßig"  (S.  508, 23 f.)  d.h.  meine  Ent- 
gegnungen haben  als  solche,  nur  polemisch  gebrauchte,  Gedanken 
objektive  und  allgemeine  Gültigkeit,  ich  habe  zu  ihnen 
kraft  unserer  Vernunft  genau  dasselbe  Recht,  wie  der  Gegner 
zu  den  seinigen;  denn  meine  Behauptungen  lassen  sich  genau 
so  wenig  oder  so  viel  wie  die  meines  Gegners  weder  beweisen 
noch  widerlegen.  Solche  und  ähnliche  Hypothesen  sind  also  „nur 
problematische  Urteile,  die  wenigstens  nicht  widerlegt,  obgleich 
freilich  durch  nichts  bewiesen  werden  können,  und  sind  also 
(auch)  keine  (bloßen)  Privatmeinungeg,  (sondern  solche  von  ob- 
jektiver, wenn  auch  beschränkter,  nämlich  nur  im  polemischen 
Gebrauche  zulässiger  Gültigkeit),  können  aber  doch  (trotzdem 
daß  sie  nur  problematische  Urteile  sind)  nicht  füglich  (selbst 
zur  inneren  Beruhigung)  gegen  sich  regende  Skrupel  entbehrt 
werden.  In  dieser  Qualität  (als  problematische  Urteile)  aber  muß 
man  sie  erhalten  und  ja  sorgfältig  verhüten,  daß  sie  nicht  als 
an  sich  selbst  beglaubigt  (also  dogmatisch)  und  von  einiger  ab- 
soluten Gültigkeit  (also  nicht  bloß  von  relativer)  auftreten  und 
die  Vernunft   unter  Erdichtungen   und  Blendwerken    ersäufen". 

So  also  interpretiere  ich  die  fragliche  Stelle  und  finde  eine 
Bestätigung  meiner  Interpretation  zudem  noch  in  dem  Anfang 
des  Kapitels  „Vom  Meinen,  Wissen  und  Glauben". 

Hier    bestimmt   Kant   nämlich    den    Unterschied   zwischen 


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Von  Otto  Schöndörffer.  131 

Überzeugung  und  Überredung.  Wenn  ein  Fürwahrhalten  „für 
jedermann  gültig  ist,  sofern  er  nur  Vernunft  hat,  so  ist  der 
Grund  desselben  objektiv  hinreichend,  und  das  Fürwahrhalten 
heißt  alsdann  Überzeugung".  (S.  531, 29  ff.)  In  unserem  Falle 
aber  sind  beide  Behauptungen  sowohl  die  meinigen  als  die  des 
Gegners  für  jedermann,  sofern  er  nur  Vernunft  hat,  in  gleichem 
Maße  gültig,  in  gleichem  Maße  objektiv  und  nicht  nur  privatim 
oder  subjektiv  hinreichend. 

Hat  aber  das  Fürwahrhalten,  so  fährt  er  fort,  „nur  in  der 
besonderen  Beschaffenheit  des  Subjektes  seinen  Grund,  so  wird 
es  Überredung  genannt.  Überredung  ist  ein  bloßer  Schein,  weil 
der  Grund  des  Urteils,  welcher  lediglich  im  Subjekte  liegt,  für 
objektiv  gehalten  wird.  Daher  hat  ein  solches  Urteil  auch  nur 
Privatgültigkeit,  und  das  Fürwahrhalten  läßt  sich  nicht  mit- 
teilen." 

Bei  den  transscen dentalen  Hypothesen  dagegen  hat  das 
Fürwahrhalten  keineswegs  seinen  Grund  in  der  besonderen 
Beschaffenheit  des  Subjekts,  sondern  ist  genau  ebenso  objektiv, 
wenn  auch  unzureichend,  begründet  wie  bei  den  Behauptungen 
des  Gegners  und  läßt  sich  daher  nicht  nur  mitteilen,  sondern 
soll  sogar  im  polemischen  Gebrauche,  mitgeteilt  werden.  „Über- 
redung", so  sagt  Kant  daher  (S.  532,  33  ff.)  „kann  ich  für  mich 
behalten,  wenn  ich  mich  dabei  wohl  befinde,  kann  sie  aber  und 
soll  sie  außer  mir  nicht  geltend  machen  wollen",  während  er 
doch  von  jenen  Hypothesen  das  Gegenteil  verlangt.  Sie  können 
also  unmöglich  nur  auf  Überredung  beruhen,  können  unmöglich 
reine  Privatmeinungen  sein,  sondern  sind  zwar  nur  problematische 
Urteile,  aber  im  polemischen  Gebrauche  von  objektiver  Gültigkeit, 
und  können  und  sollen,  —  das  ist  sicherlich  bei  dem  angeführten 
Beispiel  Kants  Meinung  —  wenn  die  praktische  Philosophie 
ihnen  ein  Recht  gegeben  hat,  das  die  theoretische  ihnen  nie  geben 
kann,  allgemeine  Glaubenssätze  werden:  „Lasset  euren  Gegner 
nur  Vernunft  zeigen  und  bekämpfet  ihn  bloß  mit  Waffen  der 
Vernunft  (aber  nicht  mit  Privatmeinungen.  Übrigens  seid  wegen 
der  guten  Sache  (des  praktischen  Interesses)  außer  Sorgen    .  .  . 


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132  Kants  gesammelte  Schriften. 

denn  es  bleibt  euch  noch  genug  übrig,  um  die  vor  der  schärfsten 
Vernunft  gerechtfertigte  Sprache  eines  festen  Glaubens  zu 
sprechen,  wenn  ihr  gleich  die  des  "Wissens  habt  aufgeben  müssen.'4 
(487,  24ö.)  — 

Dies  sind  die  Themata  von  allgemeiner  und  weiter  tragender 
Bedeutung,  bei  denen  ich  mich  im  Gegensatz  zu  dem  Heraus- 
geber befinde.  Gibt  man  mir  in  ihnen  recht,  so  wird  man  schon 
jetzt  die  von  mir  gegen  diese  Ausgabe  erhobenen  Vorwürfe 
gerechtfertigt  finden.  Dazu  kommt  nun  noch  eine  große  Zahl 
von  Änderungen,  denen  ich  nicht  zustimmen  kann,  und  eine  Reihe 
von  Druckfehlern  und  Versehen. 

A.  Änderungen. 

7, 8.  Wie  die  gemeinschaftliche  Absicht  erfolgt  werden 
soll]  A2"4.  —  Ich  halte  Grillos  Änderung  „verfolgt",  die  auch 
Rosenkranz,  Hartensein  (1838),  Kehrbach,  Vorländer  und  Erd- 
mann selbst  (Kr.  d.  r.  V.,  Berlin,  1900,  5.  Aufl.)  aufgenommen 
haben,  für  notwendig. 

9, 28  ff.  „Dem  ersten,  der  den  gleichschenkligen  Triangel 
demonstrierte,  .  .  .  dem  ging  ein  Licht  auf;  denn  er  fand,  daß 
er  nicht  dem,  was  er  in  der  Figur  sah,  oder  auch  dem  bloßen 
Begriffe  derselben  nachspüren  und  gleichsam  davon  ihre  Eigen- 
schaften ablernen,  sondern  durch  das,  was  er  nach  Begriffen 
selbst  a  priori  hineindachte  und  darstellte,  (durch  Konstruktion) 
hervorbringen  müsse."  —  Erdmann  ergänzt  hier  (Sachl.  Erläuter., 
S.  584 f.)  als  Objekt  zu  „hervorbringen":  „den  dem  Begriff  ent- 
sprechenden Gegenstand,  also  die  Figur  eines  gleichschenkligen 
Dreiecks."  Viel  näher  aber  liegt  es  das  Wort  „Eigenschaften" 
als  Objekt  aus  dem  Vorhergehenden  zu  ergänzen;  was  sachlich 
auf  dasselbe  hinauskommt.  Vorländer  schiebt  daher  vor  „hervor- 
bringen" „sie"  ein. 

29, 15  ff.  „Notwendigkeit  und  strenge  Allgemeinheit  sind 
also  sichere  Kennzeichen  einer  Erkenntnis  a  priori  und  gehören 
auch  unzertrennlich  zu  einander.  Weil  es  aber  im  Gebrauche 
derselben  leichter  ist,    die    empirische  Beschränktheit  derselben, 


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Von  Otto  Schöndörffer.  133 

als  die  Zufälligkeit  in  den  Urteilen,  oder  es  auch  mannigmal 
einleuchtender  ist,  die  unbeschränkte  Allgemeinheit,  die  wir  einem 
Urteile  beilegen,  als  die  Notwendigkeit  desselben  zu  zeigen,  so 
ist  es  ratsam,  sich  gedachter  beider  Kriterien,  deren  jedes  für 
sich  unfehlbar  ist,  abgesondert  zu  bedienen." 

Da  Erdmann  in  dem  letzten  Satz  einen  „offenbaren 
Gedankensprung"  und  eine  „Tautologie"  findet  (Sachl.  Erl. 
S.  585),  so  sehe  ich  mich  veranlaßt,  ihn  zu  erklären,  wiewohl  er 
m.  E.  keiner  Erklärung  bedarf.  Das  erste  „derselben"  geht  auf 
„Kennzeichen"  (nicht,  wie  Erdmann  meint,  auf  „Erkenntnis 
a  priori").  Das  folgt  auch  aus  den  Schlußworten  des  Satzes:  „so 
ist  es  ratsam,  sich  .  .  .  beider  Kriterien  (d.  i.:  Kennzeichen)  .  .  . 
abgesondert  zu  bedienen".  Das  zweite  „derselben"  bezieht  man 
am  besten  auf  das  nicht  weit  vorhergehende  und  gleich  darauf 
folgende  „Urteile*4.  —  Die  Kennzeichen  für  die  Urteile  a  priori 
sind:  Notwendigkeit  und  strenge  Allgemeinheit,  die  für  die 
Urteile  a  posteriori:  Zufälligkeit  und  empirische  Beschränktheit. 
Jedes  Paar  dieser  Kennzeichen  gehört  unzertrennlich  zueinander: 
wo  das  eine  Kennzeichen  statt  hat,  findet  sich  auch  das  andere. 
Oft  aber  ist  es  leichter,  das  eine  als  das  andere  aufzuweisen,  so 
findet  man  bei  den  Urteilen  a  posteriori  oft  leichter  die  Beschränkt- 
heit als  die  Zufälligkeit  heraus,  oder  bei  den  Urteilen  a  priori 
die  Allgemeinheit  als  die  Notwendigkeit.  Daher  ist  es  ratsam, 
sich  der  beiden  Kriterien  abgesondert  zu  bedienen. 

34,  22  ff.  „Ob  ich  schon  in  dem  Begriff  eines  Körpers  über- 
haupt das  Prädikat  der  Schwere  gar  nicht  einschließe,  so  bezeichnet 
jener  doch  einen  Gegenstand  der  Erfahrung  durch  einen  Teil 
derselben,  zu  welchem  ich  also  noch  andere  Teile  eben  derselben 
Erfahrung,  als  zu  dem  ersteren  gehörten,  hinzufügen  kann."  — 
An  dieser  Stelle  hat  A1  statt  „gehörten"  „gehörig"  und  Erdmann 
meint  nun  (Sachl.  Erl.  S.  585),  daß  „nur  der  Text  von  A1  dem 
vorliegenden  Zusammenhang  und  den  sonstigen  Ausführungen 
Kants  über  das  synthetische  Urteil:  alle  Körper  sind  schwer, 
entspricht."  Dies  sucht  er  dadurch  zu  belegen,  daß  er  mehrere 
Stellen  anführt,  in  denen  gesagt  wird,  daß  Subjekt  und  Prädikat 


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134  Kants  gesammelte  Schriften. 

zu  einander  gehören  oder  zu  einander  gehörig  sind.  Ich  sehe 
aber  nicht  ein,  weshalb  Kant  nicht  auch  von  den  Teilen  der 
Erfahrung  sagen  sollte,  daß  sie  zu  einem  Gegenstand  gehören. 
Und  was  den  Zusammenhang  betrifft,  so  ist  dieser  im  wesentlichen 
in  beiden  Ausgaben  derselbe.  In  der  ersten  wird  gesagt:  Der 
Begriff  eines  ausgedehnten,  undurchdringlichen  Körpers  bezeichnet 
einen  Gegenstand  der  Erfahrung,  zu  dem  ich  aus  derselben 
Erfahrung  noch  andere  Merkmale,  als  zu  ihm  gehörig,  hinzufügen 
kann;  und  in  der  zweiten:  der  Begriff  eines  ausgedehnten, 
undurchdringlichen  Körpers  bezeichnet  einen  Gegenstand  der 
Erfahrung,  zu  dem  ich  noch  andre  Merkmale  als  die,  so  bisher 
zu  ihm  gehörten,  aus  derselben  Erfahrung  hinzufügen  kann.  — 
Ich  enthalte  mich,  wie  überall,  so  auch  an  dieser  Stelle  jeder 
Äußerung  meines  Erstaunens  über  die  mir  unerklärlichen  Bemer- 
kungen des  Herausgebers,  und  überlasse  alles  derartige  dem  Urteil 
des  Lesers. 

37,25.  „Daß  7  zu  5  hinzugetan  werden  sollten,  habe  ich 
zwar  in  dem  Begriff  einer  Summe  =  7  +  5  gedacht."  —  Wes- 
halb mag  Erdmann  statt  dessen  geschrieben  haben  „daß  5  zu  7 
hinzugetan  werden  sollten"?  Die  Reihenfolge  der  Glieder  einer 
Summe  ist  doch  völlig  gleichgültig1). 

39, 7ff.  „In  der  Metaphysik  ....  wollen  wir  unsere  Er- 
kenntnis a  priori  erweiteren,  wozu  wir  uns  solcher  Grundsätze 
bedienen  müssen,  die  über  den  gegebenen  Begriff  etwas  hinzu- 
tun, was  in  ihm  nicht  enthalten  war,  und  durch  synthetische 
Urteile  a  priori  wohl  gar  so  weit  hinausgehen,  daß  uns  die  Er- 
fahrung selbst  nicht  so  weit  folgen  kann  .  .  ."  —  Hier  erklärt 
Erdmann:  „weit  hinausgehen  d.  i.  weit  über  ihn  hinausgehen, 
wie  der  Zusammenhang  hier  fordert  und  wie  dies  zahlreichen 
Wendungen  bei  Kant  entspricht".    —  Aber  Erdmann  hat  m.  E. 


1)  Nachträglich  finde  ich,  daß  Ludwig  Goldschmidt  schon  in  Bd.  39  dieser 
Zeitschrift  in  seinem  Aufsatz  „Zum  Ende  der  Kantphilologie"  S.  273  diese 
Änderung  verwirft.  G.  bespricht  in  seiner  Arbeit  zum  Teil  dieselben  Stellen 
wie  ich.  Ich  kann  bei  diesem  jetzt  leider  nur  noch  gelegentlich  kurz  auf  ihn 
hinweisen. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  135 

den  Satz  falsch  konstruiert.  „Hinausgehen"  hängt  noch  von 
„wir  wollen"  ab:  „Wir  wollen  unsere  Erkenntnis  a  priori  er- 
weitern   und  durch  synthetische  Urteile  a  priori  wohl 

gar  so  weit  hinausgehen,  daß  uns  die  Erfahrung  selbst  nicht  so 
weit  folgen  kann".  Es  ist  also  gar  nichts  bei  „hinausgehen" 
zu  ergänzen. 

70, 11  ff.  „Nun  ist  das,  was  als  Vorstellung  vor  aller 
Handlung  irgend  etwas  zu  denken  vorhergehen  kann,  die  An- 
schauung und,  wenn  sie  nichts  als  Verhältnisse  enthält,  die  Form 
der  Anschauung,  welche,  da  sie  nichts  vorstellt,  außer  sofern 
etwas  im  Gemtite  gesetzt  wird,  nichts  anders  sein  kann,  als  die 
Art,  wie  das  Gemüt  durch  eigene  Tätigkeit,  nämlich  dieses 
Setzen  ihrer  Vorstellung,  mithin  durch  sich  selbst  affiziert 
wird  .  .  .  ." 

An  dieser  schwierigen  Stelle  hat  Erdmann,  dem  Vorgange 
Kehrbachs  folgend,  „seiner  Vorstellung"  statt  „ihrer  Vorstellung" 
geschrieben. 

Ich  glaube  mit  Unrecht.  Die  Form  der  Anschauung  ent- 
hält als  bloße  Form  nur  Verhältnisse,  und  zwar,  da  hier  von 
der  Zeit  die  Rede  ist,  die  Verhältnisse  des  Nacheinander-, 
des  Zugleichseins  und  dessen,  was  mit  dem  Nacheinandersein 
zugleich  ist  (Vgl.  S.  70,  9  f.).  Doch  diese  Verhältnisse  muß  die 
Form  der  Anschauung  eben  vorstellen,  sonst  bleibt  sie  leer, 
sonst  ist  sie  latent.  Wie  kann  sie  diese  Verhältnisse  aber 
anders  vorstellen,  als  dadurch,  daß  das  Gemüt  sich  selbst  affiziert, 
nämlich  die  Vorstellung  jener  Verhältnisse  (d.  h.  also  ihre 
Vorstellung,  nicht  seine  Vorstellung)  selbst  setzt.  Nach  dieser 
Interpretation  ist  also  die  Form  der  Anschauung  die  Art,  wie 
das  Gemüt  durch  das  Setzen  der  Vorstellung  jener  Verhältnisse 
affiziert  wird.  —  Daß  das  Gemüt  seine  Vorstellung  setzt,  gibt 
m.  E.  keinen  rechten  Sinn,  das  wäre  eine  Tautologie.  Durch 
dieses  Setzen  des  Gemüts  entsteht  ja  erst  die  Vorstellung  im 
Gemüt,  also  muß  sie  doch  seine  Vorstellung  sein.  Das  wäre 
also  gerade  so,  als  wenn  ich  z.  B.  sagte :  Der  Baum  treibt  seine 
Blätter. 


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136  Kants  gesammelte  Schriften. 

71, 3i  f.  „Was  gar  nicht  am  Objekte  an  sich  selbst,  jeder- 
zeit aber  im  Verhältnisse  desselben  zum  Subjekt  anzutreffen  und 
von  der  Vorstellung  des  ersteren  unzertrennlich  ist,  ist  Er- 
scheinung .  .  .  ."  Erdmann  setzt  hier  statt  „ersteren"  „letzteren" 
ein.  —  Nach  meiner  Ansicht  hat  Kant  des  „ersteren"  geschrieben. 
Auf  eine  nähere  Begründung  kann  ich  mich  deshalb  nicht  ein- 
lassen, weil  diese  eine  längere  Auseinandersetzung  über  Kants 
Lehre  von  den  Dingen  an  sich  erfordern  würde. 

79,7.  Hat  die  2.  Ausgabe  „Dialexe"  statt  „Diallele";  es  fehlt 
ein  Vermerk  hierüber. 

99,  8.  Hier  und  an  mehreren  andern  Stellen  (141, 12  f.  281,  9  u. 
294,i.  296,8.  304/5.  310/1.  316/7)  sind  die  Überschriften  so 
geändert,  daß  sie  mit  den  entsprechenden  übereinstimmen.  Es 
ist  das  ja  natürlich  unwesentlich,  aber  andrerseits  sehe  ich  auch 
keinen  Grund  von  der  ursprünglichen  Fassung  abzuweichen.  Ob 
an  unserer  Stelle  z.  B.  steht,  „der  Transsoendentalen  Analytik 
zweites  Hauptstück",  wie  A.  hat,  oder  der  vorigen  Überschrift 
auf  S.  84  entsprechend:  „Der  Analytik  der  Begriffe  zweites  Haupt- 
stück", wie  E.  geschrieben  hat,  ist  sachlich  ganz  gleichgültig. 
Dasselbe  gilt  für  alle  die  andern  zitierten  Stellen. 

99, 29  ist  „seines"  von  E.  richtig  in   „ihres"  geändert. 

108, 28  ff.  „Ich  nenne  sie  die  reine  Apperception,  um  sie 
von  der  empirischen  zu  unterscheiden,  oder  auch  die  ursprüng- 
liche Apperception,  weil  sie  dasjenige  Selbstbewußtsein  ist,  was, 
indem  es  die  Vorstellung:  Ich  denke,  hervorbringt,  die  alle  andern 
muß  begleiten  können  und  in  allem  Bewußtsein  ein  und  dasselbe 
ist,  von  keiner  weiter  begleitet  werden  kann." 

Hier  scheint  es  mir  notwendig  „abgeleitet"  statt  „begleitet" 
zu  lesen :  Wenn  die  Vorstellung  „Ich  denke"  alle  andern  begleitet, 
so  wird  sie  doch  auch  von  allen  andern  begleitet.  Außerdem  ist 
dasjenige  ursprünglich,  was  nicht  weiter  abgeleitet  werden  kann; 

Vgl.    S.    72,34l). 

120, 14  f.    „Sie    (die    transscendentale    Synthesis    der    Ein- 


1)  Dieselbe  Verbesserung  gibt  Gold^chmidt  1.  c.  S.  270, 


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Von  Otto  Schöndörffer.  137 

bildungskraft)  ist  als  figürlich  von  der  intellektuellen  Synthesis 
ohne  alle  Einbildungskraft,  bloß  duroh  den  Verstand,  unter- 
schieden.4' Hier  ist  die  Interpunktion  von  E.  richtig  hinzugetan. 
Doch  die  von  Goldsohmidt  (Mellin,  Marginalien  und  Register  etc., 
Gotha  1900,  S.  160)  schon  früher  gegebene  Schreibweise:  „Sie 
ist  als  figürlich  von  der  intellektuellen  Synthesis  (ohne  alle  Ein- 
bildungskraft, bloß  durch  den  Verstand)  unterschieden"  ist  wohl 
noch  leichter  verständlich. 

132,  m.  Ist  „an  jener",  (sc.  der  Urteilskraft),  statt  „an 
jenem'*,  zu  lesen;  vergl.  meine  Besprechung  von  Band  IV.  Altpr. 
Monatssohr.  XLI,  S.  193f.) 

133. 32  f.  „In  allen  Subsumtionen  eines  Gegenstandes  unter 
einen  Begriff  muß  die  Vorstellung  des  ersteren  mit  der  letzteren 
gleichartig  sein."  —  Rosenkranz,  Kehrbach  und  Vorländer  ver- 
ändern: „mit  dem  letzteren",  wie  es  m.  E.  der  Sinn  erfordert. 
Erdmann  behält  die  überlieferte  Lesart  bei  und  fügt  in  der 
Bemerkung  zu  dieser  Stelle  hinzu:  „nämlich  Vorstellung."  Das 
ist  mir  völlig  unverständlich,  zumal  es  im  Texte  gleich  weiter 
heißt:  „d.  i.  der  Begriff  muß  dasjenige  enthalten,  was  in  dem 
darunter  zu  subsumierenden  Gegenstande  vorgestellt  wird." 

134,io  ist  „die  erste"  hinten  als  nom.  plur.  angegeben;  es 
ist  acc.  plur. 

136. 33  ist  „ihrer"  nach  Kants  eigener  Verbesserung  (Nach- 
träge LIX)  richtig  in  „seiner"  verändert. 

140,22  diese  Stelle  habe  ich  schon  in  meinem  Referat  über 
Bd.  IV  (Altpr.  Mon.  XLI  S.  194)  besprochen. 

154, 3i  f.  sind  die  Worte  „und  nicht  eigentlich  Erscheinung 
als  ein  Quantum"  richtig  von  Erdmann  in  Klammern  ein- 
geschlossen.    Doch  fehlt  hinten  das  Sigel  A. 

158,28ff.  „  .  .  .  weil  Apprehension  nur  eine  Zusammenstellung 
des  Mannigfaltigen  der  empirischen  Erscheinung,  aber  keine 
Vorstellung  von  der  Notwendigkeit  der  verbundenen  Existenz 
der  Erscheinungen,  die  sie  zusammenstellt  im  Baum  und  Zeit, 
in  derselben  angetroffen  wird." 


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138  Kants  gesammelte  Schriften. 

An  dieser  Stelle  würde  ich  hinter  Erscheinung  „ist"  ein- 
schieben, oder  wenigstens  als  von  Meilin  hinzugefügt  im  Lesarten- 
verzeichnis angeben;  denn  sonst  ist  der  Sinn  schwer  heraus- 
zubekommen. Die  hinten  als  möglich  verzeichnete  Umstellung 
der  letzten  Worte  zu  der  Ordnung:  „die  sie  im  Baum  und  Zeit 
zusammenstellt"  gibt  schon  Goldschmidt  (Meilin.  Marginalien  u. 
Register  zu  Kants  Kr.  d.  r.  V.  Gotha  1900  S.  160). 

161, 3i  ff.  „Wir  werden  .  .  .  uns  in  dem  Grundsatze  selbst 
zwar  der  Kategorie  bedienen,  in  der  Ausführung  aber  (der  An- 
wendung auf  Erscheinungen)  das  Schema  derselben  als  den 
Schlüssel  ihres  Gebrauchs  an  dessen  Stelle,  oder  jener  vielmehr 
als  restringierende  Bedingung  unter  dem  Namen  einer  Formel 
des  ersteren  zur  Seite  setzen."  Bei  dieser  von  Erdmann  gram- 
matisch richtig  interpretierten  Stelle  (Sachl.  Erl.)  sind  von  ihm 
die  sachlichen  Schwierigkeiten  übergangen.  Denn  Kant  bedient 
sich  in  den  gleich  darauf  folgenden  Grundsätzen,  dieser  Erklärung 
zuwider,  doch  der  Schemata  und  nicht  der  Kategorien.  Denn 
wenn  er  von  Beharren  (oder  Beharrlich)  in  der  ersten  Analogie, 
von  Veränderung  (oder  Geschehen)  in  der  zweiten  und  endlich 
vom  zugleich  Wahrgenommenwerden  in  der  dritten  spricht,  so 
steckt  doch  in  allen  diesen  Begriffen  die  schematisierte  Kategorie. 
Ich  finde  hier  also  einen,  allerdings  unwesentlichen  Widerspruch. 
Wenn  E.  ferner  zur  Erklärung  des  Ausdruckes  „Formel"  auf 
S.  205, 10  verweist,  so  ist  diese  Stelle  insofern  in  Bezug  hierauf 
völlig  nichtssagend,  als  an  ihr  lediglich  von  mathematischen 
Formeln  die  Rede  ist.  — 

172,23.  „Objektive  Bedeutung  kann  nicht  in  der  Beziehung 
auf  eine  andere  Vorstellung  (von  dem,  was  man  vom  Gegenstande 
nennen  wollte)  bestehen."  Erdmann  bemerkt  zu  dieser  Stelle: 
„vom  Gegenstande  ]  A  =  Objektive  Bedeutung  kann  nicht  in  der 
Beziehung  dessen,  was  man  von  einem  Gegenstande  aussagen 
wollte  .  .  .  ."  Diese  Interpretation  ist  mir  unverständlicher  als 
der  Text,  den  ich,  wenn  auch  mit  Bedenken,  folgendermaßen 
erkläre:  Objektive  Bedeutung  kann  eine  Vorstellung  nicht 
durch    die  Beziehung    auf  eine    andere  Vorstellung  von    irgend 


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Von  Otto  Schöndörffer.  139 

einer  Eigenschaft  eines  Gegenstandes  (=  von  dem,  was  ich  von 
dem  Gegenstande  nennen  wollte)  bekommen. 

181,28ff.  „Dinge  sind  zugleich,  sofern  sie  in  einer  und  der- 
selben Zeit  existieren.  Woran  erkennt  man  aber,  daß  sie  in  einer 
und  derselben  Zeit  sind?  "Wenn  die  Ordnung  in  der  Synthesis 
der  Apprehension  dieses  Mannigfaltigen  gleichgültig  ist,  d.  i. 
von  A  durch  B,  C,  D  auf  E  oder  auch  umgekehrt  von  E  zu  A 
gehen  kann.  Denn  wäre  sie  in  der  Zeit  nacheinander  (in  der 
Ordnung,  die  von  A  anhebt  und  in  E  endigt),  so  ist  es  unmög- 
lich die  Apprehension  in  der  Wahrnehmung  von  E  anzuheben 
und  rückwärts  zu  A  fortzugehen,  weil  A  zur  vergangenen  Zeit 
gehört  und  also  kein  Gegenstand  der  Apprehension  mehr  sein 
kann."  Zu  dem  „wäre  sie"  am  Anfang  des  letzten  Satzes  be- 
merkt Erdmann:  „d.  i.  die  Synthesis  der  Apprehension  oder  die 
Synthesis  oder  die  Apprehension."  Das  scheint  mir  keinen  Sinn 
zu  geben,  denn  1.  „die  Apprehension  des  Mannigfaltigen  der 
Erscheinungen  ist  jederzeit  successiv"  (S.  168,  8f.),  und  2.  warum 
sollte  es  deshalb  unmöglich  sein,  die  Ordnung  umzukehren,  weil 
die  Apprehension  nacheinander  ist?  Bei  den  Dingen  die  zugleich 
sind,  kann  ich  das  ja  immer  tun.  Ich  glaube,  man  muß  lesen: 
denn  wären  sie  d.  i.  die  Dinge,  oder  auch:  dann  wäre  es  d.  i. 
das  Mannigfaltige.  Allenfalls  könnte  man  dem  Sinne  nach  auch 
„wäre  sie"  beibehalten  und  „sie"  auf  Ordnung  beziehen.  Dann 
wäre  aber  der  Zusatz:  in  der  Ordnung,  die  von  A  anhebt  und 
in  E  endigt"  unmöglich.  Nach  dem  ganzen  Zusammenhang 
scheint  mir  „denn  wären  sie"  die  beste  Lesart. 

195,28.  Hinter  „als"  vor  „ob"  fehlt  ein  Komma,  das  die 
Originalausgabe  hat;  Vorländer  setzt  ein  Kolon. 

209,  in.  „Dieselbe"  ist  hinten  als  nom.  plur.  angegeben; 
es  ist  acc  plur. 

215,  23  ff.  „Das  Verhältnis  aber  etc."  vgl.  über  diese  Stelle 
mein  Referat  über  Band  IV.  (Altpreußische  Monatsschrift  XLI 
S.  195). 

259,  2  gibt  Erdmann  als  Lesart  von  A1  an:  „in  hypo- 
thetischen   die  Ideen  vom"    und  das   hat    er    auch  in    den  Text 


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140  Kants  gesammelte  Schriften. 

aufgenommen.  A1  hat  aber  „die  Idee",  und  so  muß  es  auch  an 
der  Stelle  heißen. 

267,  20 ff.  „Daß  aber  Ich,  der  ich  denke,  im  Denken  immer 
als  Subjekt  und  als  etwas,  was  nicht  bloß  wie  Prädikat  dem 
Denken  anhängend  betrachtet  werden  kann,  gelten  müsse,  ist 
ein  apodiktischer  .  .  Satz".  Diese  Stelle  enthält  eine  sehr  ge- 
schickte Verbesserung  Erdmanns:  das  Orginal  hat  „anhänge" 
statt  „anhängend"  und  dahinter  ein  Komma.  Bei  dieser  Lesart 
aber  ist  der  Satz  nicht  zu  konstruieren.  —  Ebenso  ist  die 
Änderung  275,  o  „welcher,  wenn  er"  (auf  „Gebrauch"  bezogen) 
statt  „welches,  wenn  es"  offenbar  richtig.  Unnütz  dagegen  er- 
scheint mir  die  Änderung: 

279,22.  Hier  heißt  es:  „Wenn  ich  mich  hier  als  Subjekt 
der  Gedanken  oder  auch  als  Grund  des  Denkens  vorstelle,  so 
bedeuten  diese  Vorstellungsarten  nicht  die  Kategorien  der  Sub- 
stanz oder  der  Ursache,  denn  diese  sind  jene  Funktionen  des 
Denkens  (Urteilens),  schon  auf  unsere  sinnliche  Anschauung  an- 
gewandt, welche  freilich  erfordert  werden  würden,  wenn  ich 
mich  erkennen  wollte".  Erdmann  schreibt  nun  „würde"  statt 
„würden".  Aber  ich  kann  mit  demselben  Recht  sagen:  die 
schematisierten  Kategorien  werden  zum  Erkennen  erfordert,  als: 
zum  Erkennen  wird  die  sinnliche  Anschauung  erfordert. 

336, 4  verbessert  Erdmann  richtig  „welcher"  statt  „welche". 

Wenn  dagegen  Erdmann  zu  der  Stelle  370, 12  ff.  („denn  auf 
diese  Art  würde  das  handelnde  Subjekt  als  causa  phaenomenon 
mit  der  Natur  in  unzertrennter  Abhängigkeit  aller  ihrer  Hand- 
lungen verkettet  sein,  und  nur  das  phaenomenon  dieses  Sub- 
jekts (mit  aller  Kausalität  desselben  in  der  Erscheinung)  würde 
gewisse  Bedingungen  enthalten,  die,  wenn  man  von  dem  empiri- 
schen Gegenstande  zu  dem  transscendentalen  aufsteigen  will,  als 
bloß  intelligibel  müssen  angesehen  werden.")  die  überlieferte 
Lesart  „phaenomenon",  die  schon  Hartenstein  in  „noumenon" 
verändert  hat,  beibehält,  so  halte  ich  das  für  offenbar  falsch. 
Der  ganze  Zusammenhang  der  Stelle  sowohl  wie  der  Zusatz  des 
Wortes  „nur"  ergeben  meines  Erachtens  mit  Evidenz,  daß  man 


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Von  Otto  Schöndörffer.  141 

„noumenon"  schreiben  muß.  Erdmann  bemerkt  (S.  590) :  „Schon 
der  Znsatz  in  der  Klammer  „mit  aller  Cansalität  desselben  in 
der  Erscheinung",  sowie  die  nachfolgende  Restriktion  „wenn  man 
von  dem  empirischen  Gegenstande  zu  dem  transscendentalen 
aufsteigen  will"  zeigen,  daß  interpretiert  werden  muß:  das 
phaenomenon  dieses  Subjekts  würde  „nur".  Aber  der  erste 
Zusatz  führt  umgekehrt  gerade  auf  die  Lesart  „noumenon". 
Denn  in  den  Zeilen  vorher  (S.  369  29  f.)  setzt  Kant  auseinander, 
daß  die  empirische  Causalität  sehr  wohl  die  „Wirkung  einer 
nichtempirischen,  sondern  intellegibelen  Causalität  sein  kann." 
Und  was  die  nachfolgende  Restriktion  betrifft,  so  widerspricht 
sie  ebenfalls  keineswegs  meiner  Interpretation,  sondern  weist 
wieder  umgekehrt  gerade  nur  meiner  Interpretation  auf  das 
folgende  in  logischem  Zusammenhange  hin.  Kant  fährt  nämlich 
unmittelbar  darauf  fort:  „denn  wenn  wir  nur  in  dem,  was  unter 
den  Erscheinungen  die  Ursache  sein  mag,  der  Naturregel  folgen: 
so  können  wir  darüber  unbekümmert  sein,  was  in  dem  trans- 
scendentalen Subjekt,  welches  uns  empirisch  unbekannt  ist,  für 
ein  Grund  von  diesen  Erscheinungen  und  deren  Zusammen- 
hange gedacht  werde."  Aber  wenn  wir  von  dem  empirischen 
Gegenstände  zu  dem  transscendentalen  aufsteigen  wollen, 
was  wir,  wie  gesagt,  zur  empirischen  Erkenntnis  gar  nicht  zu 
tun  nötig  haben,  so  werden  wir  auf  gewisse  Bedingungen 
stoßen,  die  als  bloß  intelligibel  müßten  angesehen  werden1). 

353,28  hat  A2  „Subjekten"  statt  „subjektiven".  Es  fehlt 
ein  Vermerk  darüber. 

396,  9  schreibt  Erdmann  richtig  ,  jeder"  statt  „der".  Doch 
finde  ich  diese  Verbesserung  schon  in  der  Kehrbachsohen  Aus- 
gabe von  1877. 

407, 28.  unnütz,  aber  im  übrigen  gleichgültig  erscheinen  mir 
die  Veränderungen  von  „Schluß"  in  „Grundsatz",  (in  dem  Zitate 
hinten  muß  es  „408, 20"  statt  „408, 21"  heißen.)  415, 1  von  „er"  in  „es" 
418, 21,  von  „welches"  in  „welche"  und  438, 11  von  „Ideen"  in  „Idee." 


1)  Aach  Goldschmidt  1.  c.  S.  297  hält  Hartensteins  Korrektur  für  zweifel- 
los berechtigt. 


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142  Kants  gesammelte  Schriften« 

Richtig  dagegen  verbessert  Erdmann  437, 16  (,, dieses  logische 
Gesetz  des  continui  specierum  (formarum  logicarum)  setzt  aber 
ein  transsoendentales  voraus  (lex  continui  in  natura),  ohne  welches 
der  Gebrauch  des  Verstandes  durch  jene  Vorschrift  nur  irre 
geleitet  werden  würde,  indem  sie  vielleicht  einen  der  Natur 
gerade  entgegengesetzten  Weg  nehmen  würde")  „sie*  in  „er." 
und  444,  5  „welcher"  in  „welchen".  („Wir  wollen  den  genannten 
Ideen  als  Prinzipien  zu  Folge  erstlich  (in  der  Psychologie)  alle 
Erscheinungen  .  .  .  unseres  Gemüts  an  dem  Leitfaden  der  inneren 
Erfahrung  so  verknüpfen,  als  ob  dasselbe  eine  einfache  Substanz 
wäre,  die  mit  persönlicher  Identität  beharrlich  (wenigstens  im 
Leben)  existiert,  indessen  daß  ihre  Zustände,  zu  welcher  die 
des  Körpers  nur  als  äußere  Bedingungen  gehören,  continuierlich 
weohseln").  Auch  die  Emendation  487,24  („Lasset  demnach  euren 
Gegner  nur  Vernunft  sagen"),  von  „sagen"  in  „zeigen"  halte 
ich  für  richtig.  Dasselbe  gilt  von  514, 15.  („Nun  wäre  der  modus 
ponens,  auf  die  Wahrheit  einer  Erkenntnis  aus  der  Wahrheit 
ihrer  Folgen  zu  sohließen,  nur  alsdann  erlaubt,  wenn  alle  mögliche 
Polgen  daraus  wahr  sind;  denn  alsdann  ist  zu  diesem  nur  ein 
einziger  Grund  möglich,  der  also  auch  der  wahre  ist"),  wo  Erd- 
mann „diesen"  statt  „diesem"  eingesetzt  hat. 

Wunderbar  aber  mutet  wieder  die  Bemerkung  Erdmanns 
zu  442, 6 f.  an.  Die  Stelle  lautet:  „Dagegen  ist  die  Methode,  nach 
einem  solchen  Prinzip  Ordnung  in  der  Natur  aufzusuchen,  und 
die  Maxime,  eine  solche  ...  in  einer  Natur  überhaupt  als  ge- 
gründet anzusehen,  allerdings  ein  rechtmäßiges  und  treffliches 
regulatives  Prinzip  der  Vernunft,  welches  aber  als  ein  solches 
viel  weiter  geht,  als  daß  Erfahrung  oder  Beobachtung  ihr  gleich- 
kommen könnte,  doch  ohne  etwas  zu  bestimmen,  sondern  ihr 
nur  zur  systematischen  Einheit  den  Weg  vorzuzeichnen."  Hier 
will  nun  Erdmann  statt  des  ersten  „ihr"  „ihm"  schreiben,  mit 
Beziehung  auf  Prinzip.  Das  halte  ich  nicht  für  nötig:  man  kann 
„ihr"  auch  auf  Vernunft  beziehen.  Das  zweite  „ihr"  aber  läßt 
er  auf  „Vernunft"  zurückgehen.  Das  gibt  gar  keinen  Sinn;  es 
bezieht  sich  natürlich  auf  „Erfahrung"  oder  „Beobachtung." 


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Von  Otto  tfchömlörffer.  143 

Sehr  eigentümlich  ist  auch  die  Interpretation  von  485,34. 
(„Es  würde  also  hier  freilich  ein  wahrer  Widerstreit  anzutreffen 
sein,  wenn  nur  die  reine  Vernunft  auf  der  verneinenden  Seite 
etwas  zu  sagen  hätte,  was  dem  Grunde  einer  Behauptung  nahe 
käme;  denn  was  die  Kritik  der  Beweisgründe  des  dogmatisch 
Bejahenden  betrifft,  die  kann  man  ihm  sehr  wohl  einräumen, 
ohne  darum  diese  Sätze  aufzugeben.")  Hierzu  bemerkt  Erdmann: 
„Ich  interpretiere:  die  (diese  Beweisgründe)  kann  man  ihm  (dem 
Kritiker  des  Dogmatismus)  sehr  wohl  (als  unzulänglich)  (!)  ein- 
räumen." Mir  scheint  es  selbstverständlich,  daß  der  Satz  folgender- 
maßen zu  erklären  ist:  die  (d.  h.  die  Kritik)  kann  man  ihm 
(dem  Kritiker  des  Dogmatismus,  dem  Philosophen  auf  der  ver- 
neinenden Seite)  sehr  wohl  einräumen. 

B.    Druckfehler  und  Versehen. 

Es  ist  zu  schreiben: 
29,  i   „wiederum"  statt  „wiedernm". 
29,24  „wirklich"  statt  „wirklch". 

36,  r,  (Lesartenverzeichnis)  „hinzufügt  A1"  statt  „hinzugefügt  A1 ". 
173,  21.  22  (Lesartenverzeichnis)    „Correlatum"   statt  „Gorrelatum". 

195.5  „auch  nur  als  einen"  statt  „auch  nur  einen". 

226,8.9  (Lesartenverzeichnis)  „sondere  A1"  statt  „sondern  A1". 
238, 17. 18  „mathematischen"  statt  „matemathischen". 
262,30  „allgemeinen"  statt  „allgemeine". 

270.6  „gar"  statt  „ga". 

267, 15  (Lesartenverzeichnis)  „die  A2-5"  statt  „des  A2  5U. 
280,32.33  (Lesartenverzeichnis)  „mich  —  heben  A45"  statt  „mich  — 

haben  A4"5"  (?). 
288,  si  (Lesartenverzeichnis)  „Das  A"  statt  „Des  A". 
346, 18  „entweder"  statt  „endweder". 
349,20.27  „Nichtigkeit"  statt  „Dichtigkeit". 
490,25  „auch"  statt  „auch  auch". 
492,2o  „Beistimmung"  statt  „Bestimmung". 
508,  ii-io  (Lesartenverzeichnis)  „werde.  Daß  —  habe:  daß  A"  statt 

„werde.  Daß  —  habe:  da  A". 


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144 


Kants  gesammelte  Schriften. 


531,22  „wie  der  der"  statt  „wie  der". 

531,27  „Fürwahrhalten"  statt  „Führwahrhalten". 

532,3i  „anhängt"  statt  „abhängt". 

543, 13  „Vernunftbewerbung"  statt  „Vernunftbewegung". 

551,6  „sagten"  statt  „sagen". 

Zum  Schluß  will  ich  noch  bemerken,  daß  eine  Eeihe  von 
Verbesserungen  die  A2  gegenüber  Al  hat,  von  Erdmann  merk- 
würdigerweise im  Lesartenverzeichnis  nicht  angegeben  sind.  Ich 
habe  die  beiden  Texte  durchaus  nicht  Wort  für  Wort  verglichen, 
und  doch  sind  mir  15  solche  Verbesserungen  in  A2  begegnet. 
Es  sind  folgende: 


A1  hat  103,3»): 

stnd, 

dafür 

richtig 

A2 

:  und 

5               » 

105,u    : 

sur, 

s 

s 

* 

:  nur 

*               5 

145, 37    : 

meinem, 

s 

s 

c 

:  in  einem 

* 

149,  i     : 

zuziehen, 

s 

5 

c 

:  zu  ziehen 

S 

198, 4     : 

enshält, 

5 

* 

~ 

:  enthält 

* 

265,16    : 

wird, 

* 

* 

c 

:  wir 

5               £ 

369,3i    : 

einer. 

s 

S 

c 

:  eine 

* 

396,7     : 

sie 

s 

* 

* 

:  sich 

*               * 

399, o     : 

indetisch, 

s 

* 

5. 

:  identisch 

i           « 

402,30    : 

in, 

5 

* 

s 

:  ist 

5 

417,36    : 

beobachtenden, 

< 

* 

; 

:  zu  beob- 

AfVh  tan  d  An 

*           r 

425,28    : 

Antropomorphim 

>           * 

5 

5 

Oi\JlX  UvUUvli 

:  Anthro- 

pomorphisn 

5               5 

431,  r>     : 

raticalen, 

S 

* 

* 

:  radicalen 

9              * 

443,12    : 

in  dem, 

s 

s. 

5 

:  indem 

* 

522,  i     : 

Subjekt, 

s 

* 

~ 

:  Subjekts. 

Danach  sind  die  Worte  der  Einleitung  S.561:  „Der  Text- 
bestand von  A2  macht  nicht  wahrscheinlich,  daß  Kant  den  Druck 
dieser  Auflage  mehr  überwacht  hätte,  als  den  von  A1"  doch 
vielleicht  ein  wenig  einzuschränken,  wenngleich  es  auch  mir  nicht 
wahrscheinlich  ist,  daß  Kant  sich  um  die  Drucklegung  auch  der 
zweiten  Auflage  sonderlich  sollte  gekümmert  haben. 

1)  Die  Seitenangaben  sind  aus  der  Akademieausgabe  Bd.  III  entnommen. 


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Kritiken  omi  Referate. 


Josef  Kolberg,   Ermland   im   Kriege  de«   Jahre«  1520.     Braunsberg  1905. 
Druck  der  Ermländ.  Zeitungs-  und  Verlags-Druckerei  (C.  Skowronski). 

Dieses  Buch  (auch  als  Abhandlung  erschienen  in  Band  15  der  Zeitschrift 
für  die  Geschichte  und  Altertumskunde  Ermlands)  füllt  eine  bisher  entschieden 
empfundene  Lücke  aus,  da  die  Darstellung  des  sogenannten  Reiterkrieges  von 
1 520  bei  Joh.  Voigt  (Preuß.  Geschichte)  sich  nur  in  großen  Zügen  bewegt  und 
auch  des  Referenten  „Politik  des  letzten  Hochmeisters4,  ihren  Zwecken  gemäß 
„nicht  so  sehr  Einzelheiten  wiedergeben  konnte  und  wollte".  Die  von  Kolberg 
geschilderte  Zeit  gehört  mit  zu  den  jammervollsten,  die  das  Preußenland,  speziell 
das  ermländische  Bistum  jemals  hat  erleben  müssen.  Wir  sind  durch  das 
Ergebnis  der  Kolbergscheu  Forschungen  in  der  Kenntnis  unserer  heimischen 
Geschichte  ein  gut  Stück  vorwärts  gekommen. 

Im  Mittelpunkte  der  Ereignisse  steht  die  Gestalt  des  Bischofs  Fabian 
von  Losainen,  aber  mehr  als  leidende,  denn  als  handelnde  Person.  Von  weicher, 
dem  Denken  und  Fühlen  der  harten  Zeit  nicht  gewachsenen  Sinnesart,  schwankend 
in  seiner  politischen  Haltung  zwischen  den  feindseligen  Elementen  Polen  und 
Deutschorden,  hat  dieser  späterhin  vielfach  angefeindete  Kirchenfürst  mit  seinem 
Ländchen  die  Geißel  der  Kriegsfurie  in  schrecklichster  Weise  erfahren  müssen. 
Referent  verbleibt  auch  nach  den  Ausführungen  des  Verfassers  (S.  53  Anm.  1) 
bei  seiner  Ansicht,  daß  Bischof  Fabian  durch  seine  polenfreundliche  Haltung, 
trotz  seiner,  der  Furcht  vor  den  Schrecken  des  Krieges  entsprungenen  Ver- 
mittelungsversuche,  den  Angriff  des  Hochmeisters  verschuldet  hat.  Dieser  An- 
griff war  fraglos  ein  eminenter  Friedbruch.  Wenn  man  aber  erwägt,  daß  die 
Ennländer  an  ihrem  Teile  reichlich  dabei  geholfen  haben,  die  Macht  des  Deutsch- 
ordens in  dessen  Kämpfen  mit  Polen  zu  brechen,  so  wird  man  sich  nicht 
wundern  dürfen,  daß  im  Lager  des  Hochmeisters  ein  wilder  Haß  gegen  diese 
stillen  Bundgenossen  des  Erbfeindes  herrschte,  der  bei  ereter  Gelegenheit  zum 
Ausbruch  kommen  mußte.  Das  durch  den  Frieden  von  1466  geschaffene  staats- 
rechtliche Verhältnis  des  Bischofs  zu  Polen  war  es  ja  eben,  was  der  Orden 
nicht  anerkennen  mochte;  gerade  dieses  Verhältnis  bildete  für  den  Orden  die 
größte  Gefahr  und  war  stets  ein  schwerer  Stein  des  Anstoßes.  Und  zudem 
Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  1  u.  2.  10 


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146  Kritiken  und  Referate. 

war  es  für  Hochmeister  Albrecht,  dessen  Politik  unter  der  Ägide  des  Aben- 
teurers Dietrich  v.  Schönberg  freilich  auf  krummen  Wegen  zum  Verderben 
führte,  wenn  er  nun  mal  losschlagen  wollte  und  mußte,  eine  absolute  Not- 
wendigkeit, das  wie  ein  Pfahl  ins  Fleisch  des  Ordenslandes  gepreßte  Ermland 
polnischer  Obedienz  schnell  zu  besetzen:  —  jus  belli,  nicht  mehr  und  nicht 
weniger.  So  ist  das  kleine,  bedauernswerte  Bistum  aus  innerer  Notwendigkeit 
bei  dem  längst  zu  erwartenden  letzten  Zusammenstoß  der  Ordensmacht  mit 
Polen  zum  Puffer  geworden.  Entsetzlich  waren  dabei  seine  Schicksale:  aber 
nicht  minder  fürchterlich  gestalteten  sich  die  des  Ordenslandes  selbst,  das  nun 
die  Früchte  der  unehrlichen  und  leichtsinnigen  Politik  eines  Schönberg  zu  kosten 
bekam.  Mit  Interesse  verfolgen  wir  in  der  gewandten  Darstellung  Kolbergs  diese 
traurigen  Kriegsereignisse.  Preußen  und  Ermland  sind  darüber  von  neuem 
wieder  an  des  Verderbens  Rand  gelangt.  Zu  wünschen  wäre  es,  daß  die  Feder 
Kolbergs  den  ganzen  Krieg  in  allen  seinen  Phasen  mit  gleicher  Vollständigkeit 
geschildert  hätte.  Die  nicht  weniger  grauenhaften  Leiden  des  Bistums  Pomesanien, 
die  Ereignisse  in  Masuren,  die  Taten  der  Danziger,  der  Zug  der  Polen  vor 
Königsberg  und  die  Haltung  der  drei  Städte,  Albrechts  Zug  nach  Neumark, 
die  Episode  von  Konitz  und  die  armselige  Affaire  „des  großen  Haufens44  vor 
Danzig  werden  nur  gestreift;  denn  der  Verfasser  hat  (freilich  seinem  Thema 
gemäß)  mit  hauptsächlicher  Gründlichkeit  den  Krieg  im  Ermland  geschildert. 
Ausführlicher  werden  allerdings  nebenher  auch  die  Geschicke  der  dem  Bistum 
nahe  benachbarten  ordenischen  Landstriche  (Bartenstein,  Ei  lau,  Rastenburg)  in 
den  Kreis  der  Betrachtungen  gezogen. 

Wort  für  Wort  unterschreibe  ich  das  unbefangene,  milde  Urteil  des  Ver- 
fassers über  Bischof  Fabian,  der  von  den  ermländischen  Historikern  (namentlich 
Treter)  übel  genug  behandelt  worden  ist.  Wie  denn  überhaupt  eine  schöne 
Objektivität  und  Gerechtigkeitssinn  aus  der  Darstellung  hervorleuchten.  Das 
Buch  gibt  ferner  mehr,  als  sein  Titel  erwarten  läßt,  da  es  auch  die  im  Bistum 
Ermland  (namentlich  aber  in  dem  noch  lange  nach  dem  Kriege  vom  Orden 
okkupierten  Braunsbergl  mit  ziemlicher  Lebhaftigkeit  einsetzenden  reformatorischen 
Bewegungen  und  deren  kluge  und  energische  Beseitigung  durch  Bischof 
Mauritius  Ferber,  den  Nachfolger  Fabians,  schildert  und  dabei  eine  Menge 
neuer  (von  Tschackert  nicht  veröffentlichten)  Dokumente  aus  den  Archiven 
von  Königsberg,  Frauenburg  und  Lauck  beibringt. 

Joachim. 


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Mitteilungen  und  Anhang. 


Hat  Bütow  ursprünglich  zur  Diözese  Kammin  gehört? 

Von 
S.  Knjot,  Pfarrer. 

In  dem  lesenswerten  Aufsatze  von  Li  c.  H.  Frey  tag:  Das  Archidiakonat 
Pommerellen  der  Diözese  Wloclawek  im  Mittelalter  (April -Juni -Heft 
dieser  Zeitschrift,  S.  204  ff)  ist  die  Behauptung  ausgesprochen,  Bütow  habe 
während  des  ganzen  Mittelalters  nicht  zum  Archidiakonat  Pommerellen  gehört 
(S.  218).  Der  Verfasser  folgert  dies  daraus,  daß  „die  älteren  Dekanatsverzeichnisse 
ein  Dekanat  Bütow  nicht  kennen".  „Zum  ersten  Male  erscheint  es  bei  Dama- 
lewicz  46."  Daraus  schließt  Freytag,  daß  Bütow  im  Jahre  1637,  bei  dem  Heim- 
falle an  Polen  nach  dem  Aussterben  der  Herzöge  von  Pommern,  auch  in 
kirchlicher  Hinsicht  einem  polnischen  Bistume,  und  zwar  dem  von  Wloclawek 
als  dem  nächsten,  zugefallen  sei  (S.  218,  Anra.  2). 

Die  logische  Folge  davon  wäre  die,  daß  Bütow  ursprünglich  dem  Bistum 
Kammin  einverleibt  war  und  zu  demselben  auch  mit  einer  Unterbrechung  im 
XIII.  und  XIV.  Jahrhundert  gehörte.  Damals,  im  XIII.  und  XIV.  Jahr- 
hundert (bis  1371)  hätte  er  als  Bestandteil  des  Archidiakonates  Stolp  zur  Erz- 
diözese Gnesen  gehören  müssen. 

Dem  ist  jedoch  nicht  so,  im  Gegenteil,  Bütow  ist  immer  ein  Bestandteil 
des  Archidiakonates  Pommerellen,  und  mit  diesem  ein  solcher  der  Diözese 
Wloclawek  gewesen.  Den  Beweis  hierfür  gibt  die  Lehnsurkunde  über  Lauenburg 
und  Bütow  von  1526.  Es  heißt  darin  ausdrücklich,  daß  die  pommerschen 
Herzöge  bis  zu  ihrem  Aussterben  die  Regierung  in  beiden  Lehen  führen  sollten, 
salva  tarnen  iurisdictione  interim  perpetuo,  proventibus,  decimis  seu  Episcopa- 
libus  cum  villis,  bonis,  piscaturis  ac  libertatibus  ad  Reverendum  Joannem  Epi- 
scopum  et  ecclesiam  Vladislaviensem  ex  antiquopertinentibus  (Volumina 
Legum  I  471;  Petersburger  Ausg.  234).  Es  ist  demnach  unzweifelhaft,  daß 
auch  Bütow  schon  im  Jahre  1466  und  zur  Deutschordenszeit  zur  Diözese  Wlo- 
clawek gehört  hat.  Wäre  es  im  Jahre  1371,  als  der  Prozeß  zwischen  Kammin 
und  Gnesen  um  dem  Besitz  des  Archidiakonates  Stolp  zugunsten  des  ersteren 
entschieden  wurde,   ein  Bestandteil   des  genannten  Archidiakonates  gewesen,   so 


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148  Mitteilungen  und  Anhang. 

hätte  es  zugleich  mit  diesem  zu  Kammin  zurückkehren  müssen  und  es  wäre 
unmöglich  gewesen,  daß  Bütow  in  der  Folgezeit,  vor  1526,  von  Wloclawek 
hätte  annektirt  werden  können.  Und  doch  gehörte  es  damals  schon  von 
altersher  —  antiquitus  —  zu  dieser  Diözese! 

Lic.  Freytag  vermutet,  daß  die  zwei  Kirchen  und  37  Dörfer,  um  deren  Rück- 
gabe Bischof  Matthias  von  Wloclawek  den  Kamrainer  Bischof  Friedrich  im 
Jahre  1335  in  Rom  verklagt  hatte,  im  Lande  Bütow  lagen  (S.  215  u.  217).  Nach 
dem  Gesagten  ist  diese  Hypothese  nicht  zutreffend.  Wahrscheinlich  hatte 
Bischof  Matthias  die  Gegend  von  Groß  Nossin  und  Budow  im  Sinne,  wo  sich 
der  Kreis  Stolp  auffallend  zwischen  die  Lande  Lauenburg  und  Bütow  hineindrängt. 


Die  Memeler  Edelschmiedekunst  und  ihre  Vertreter. 

Ergänzungen  zu  dem  Aufsatze  über  obiges  Thema  in  der  „Altpreußischen 

Monatsschrift"  XXXX,  pg.  522—543 

von 

Johannes  Sembritzltl. 

Auch  die  Memeler  Kaufmannszunft  besaß  einst  schönes  Silbergerät, 
das  erst  nach  Umwandlung  der  Zunft  in  eine  Korporation  der  Kaufmannschaft 
(1822)  veräußert  zu  sein  scheint.  Am  18.  Februar  1661  beschloß  die  Zunft,  einen 
silbernen  Willkomm-Pokal  zu  stiften  „aldieweilen  kein  ander  trinkgeschir,  wo- 
rinnen  man  denen  anwehßenden  Herren  bey  vnsern  gewönlichenn  Convivis,  einen 
Ehrentrunck  zu  praesentiren,  vohrhandenn  gewesen".  Jedes  Mitglied  gab  einen 
freiwilligen  Geldbetrag,  14  stifteten  ein  silbernes  Schildchen  zum  Anhängen,  3  je 
ein  Schaustück;  auch  Rat  und  Gericht  steuerten  bei.  Die  Anfertigung  wurde 
dem  Memeler  Goldschmied  Christian  Wyprecht  übertragen,  der  ebenfalls  „ein 
schönes  Schildt  verehret".  Der  Wert  des  Willkomms  wurde  ,,bey  400  Fl."  an- 
gegeben. —  Am  18.  Februar  1694  wurde  dann  ein  zweiter  Willkomm  gestiftet, 
zu  dem  die  30  schlechtesten  Schilde  des  alten  Pokals  verschmolzen  wurden;  die 
Namen  der  Stifter  dieser  Schilde  wurden  auf  dem  neuen  Pokal  eingraviert.  Er 
wog  152l/2  Schott. 
„Dazu 

an  Silber  gekaufft  64  l/j  schott  gew.  c  26  gl   -     55  f.  27 

selben  Pocal  zu  vergulden,   dem   Goltschmidt 

Peter  Fritzen  6  ducat.  c  71/2  f 45  f. 

d  Hl  Peter  Fritzen  Arbeitslohn 30  f. 

Dem  Gesellen,   vor  die  Nahmen  und  sonsten 

alles  zu  stechen 5  f. 

'  135  f.  27  gl." 


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Die  Memeler  Edelschmiedekunst  und  ihre  Vertreter.  149 

Im  Jahre  1696  gehörten  zu  den  2  Pokalen  17  alte  und  23  neue  silberne, 
vergoldete  oder  flamm ierte  Schilder  und  Schaustücke,  zusammen  also  40;  1700 
waren  es  schon  50,  1702  aber  56.  —  Sonst  erfahren  wir  noch,  daß  der  alte  Pokal 
1672—1676  eines  viel  Geld  kostenden  Prozesses  gegen  den  Rat  der  Stadt  halber 
versetzt  war;- ebenso  wurde  er  1728,  nachdem  er  6*/a  Jahre  versetzt  gewesen  war, 
wieder  eingelöst,  allein  der  Darleiher  Wilh.  Sennert  erhielt  nur  sein  Kapital  mit 
116  Fl.  zurück,  nicht  aber  die  von  ihm  beanspruchten  Zinsen  für  genannte  Zeit 
(er  prätendierte  45  Fl.)  —  „laut  Justification  E.  K.  Hl.  [Eines  Königl  Hochlöbl.J 
Hoffgerichts". 

Nachträge  zum  Verzeichnis  der  Memeler  Goldschmiede. 

1623  Hans  Reinmann,  Goldschmiedgesell  und  Soldat,  heiratet  11.  postTrin. 
Die  Witwe  Catharina  des  Goldschmieds  Hans  Reimann  heiratet  1638 
wieder.  Ich  vermute  in  ihm  den  Verfertiger  der  Brabenderschen  Kanne 
(XXXX,  pg.  524). 

1627,  25.  post  Trin.  heiratet  Goldschmied  Georg  Dehmer  aus  Stockholm  die 
Elisabeth  Reimann  aus  Kiejdany  (in  Szamaiten). 

1642,  11.  Dezember  ist  Taufzeuge  „Tobias  der  Goltschmidt". 

Zu  Nr.  5  des  ersten  Aufsatzes.  Der  „Johann  Goldschmiedt"  war  in  der  Tat  ein 
Kürschner;  Taufzeuge  15.  März  1662. 

Zu  5a.  Christian  Wyprecht.  Das  Kirchenbuch  erwähnt  1662,  25.  Oktober 
als  Taufzeugin  „die  Christian  Wybrechtsche,  Goldschmiedsche"  und 
1665  kommt  „Wyprecht"  selbst  vor.  Er  ist  wohl  identisch  mit  dem 
bei  v.  Czihak  pg.  56  nr.  177  erwähnten  Christian  Wipprecht  in  Königs- 
berg, mithin  von  Memel  nach  dort  verzogen. 

Zu  6.  Peter  Fritz  ließ  bereits  1674,  14.  Oktober  in  Memel  einen  Sohn 
Johannes  taufen,  dessen  Taufzeugen  waren:  Friedrich  Wilke,  Andreas 
Morray,  Wilh.  Morray.  Des  Peter  Fritz  Ehefrau  war  ihm  kurz  zuvor 
im  Tode  vorangegangen;  sie  starib  22.  Dezember  1713. 

Zu  7.  Es  handelt  sich  um  zwei  Büchel  oder  Bichel.  Der  ältere  hieß  Gott- 
fried B.t  ließ  noch  12.  September  1706  einen  Sohn  Johann  Gottfried 
taufen,  starb  dann  aber,  wie  erwähnt,  1707  „in  grosser  Dürftigkeit". 
Auch  dem  jüngeren,  Johann  Gerhard  (nicht  Erhard),  der  1708, 
10.  Januar  einen  Sohn  Joh.  Gerhard,  1700,  15.  Februar  einen  Sohn 
Christoph  taufen  ließ,  erging  es  schlecht;  er  kommt  1720  im  Hand- 
werkerverzeichnis nicht  mehr  vor  und  starb  1741,  24.  August  im  Elend; 
das  Kirchenbuch  sagt:  „ein  lang  blind  gewesener  Mann  in  der  still 
beerdigt".    Seine  Witwe  starb  1747. 

Zu  8.  Joh.  Loren tz  heiratete  1708,  30.  Januar,  die  Tochter  Elisabeth  des 
Peter  Fritz.  Er  hielt  den  1720  erwähnten  Lehrling;  derselbe  hieß 
Lorenz  Lecru  (Lacry),  reform.  Konf. 


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150  Mitteilungen  und  Anhang. 

Zu  9.  Phil.  Thimmann  oder  Timmann  heiratete  seine  Frau  am  0.  Mai  1715 
und  hatte  mit  ihr  H  Söhne  und  1  Tochter.  1722  verzog  er,  so  daß 
Lorcntz  als  alleiniger  Goldschmied  in  Memel  übrig  blieb,  und  es  muß 
ihm  nicht  gut  gegangen  sein;  denn  1736,  25.  März  wird  sein  Tod  mit 
dem  Bemerken  gemeldet  „im  Königl.  Hospital  verstorben". 

Nach  dem  Vorhergehenden  scheint  es,  als  wenn  etwa  in  der  Zeit 
von  1670  bis  1770  immer  nur  ein  einziger  Goldschmied  seine  Existenz 
in  Memel  habe  finden  können. 

Zu  28.  Evers  ist  am  11.  Juli  1789  zu  Bremen  geboren  und  ein  Sohn  des 
Weinschenkers  Albrecht  Joachim  Evers  und  der  Clara  Gerderuth,  geb. 
Liemanns.  Am  1.  Juni  1845  verkaufte  er  sein  Geschäft  seinem  bis- 
herigen Gehilfen  M.  Kalcher. 

Zu  30  und  31.  Ihr  Vater  war  Gottlieb  Benjamin  Koppcke  aus  Königsberg, 
Perruquier,  in  Memel  Bürger  geworden  34  Jahre  alt  am  2.  Mai  1793. 

Zum  Pokal  des  Fleischergewerks. 
Die  eiue  der  als  Anhängestücke  dienenden  Mcdailleu  ist  die  Sterbe-Medaille 
von  Luise  Charlotte,  Schwester  des  Großen  Kurfürsten,  welche  1645  den  Herzog 
Jacob  von  Kurland  heiratete.  Die  Medaille  trägt  die  Inschrift  „Herr  Jesu  Nimm 
Meine  Seele  in  Deine  Haende  vnd  las  sie  dir  befohlen  seyn.  Amen.  MDCLXX  VP\ 
Sie  ist  selten  und  von  hohem  Werte;  das  Königliche  Münz-Kabinet  in  Berlin 
besitzt  sie  nicht. 


Universitäts-Chronik  1904  und  1905. 

1904. 

19.  Dez.  Med.  l.-D.  von  Simon  Hurwltz  (aus  Holschan,  Gouv.  Wilna):  Aus  dem 
Königl.  pathol.  Institut  in  Königsberg  i.  Pr.  Beitrag  zur  Lehre  von  den 
hämorrhagischen  Erosionen    des  Magens.     Kgsbg.     Leupold.    (42  S.  8°.) 

22.  Dez.  Phil.  I.-D.  von  Hans  Friedrich  (aus Königsberg):  Assistent  am  chemischen 
Universitäts-Laboratrium :  Zur  Kenntnis  der  Mandelsäure.  Kgsbg.  Ebd. 
(1  ßl.  64  S.  8°.) 

—  —  Phil.  I«-D.  von  Arno  Kadglen  (aus  Goldap):    Untersuchungen  über  den 

Kalkgehalt  ostpreußischer  Bodenarten  und  seine  Beziehungen  zu  einigen 
wichtigen  Kulturpflanzen  (unter  spezieller  Berücksichtigung  litauischer  und 
einiger  masurischen  Kreise).     Kgsbg.     Ebd.     (2  Bl.  80  S.  8°.) 

—  —  Phil.  I.-D.   von   Paul  Salecker   (aus  Königsberg),    Assistent   am    landw. 

Versuchsfelde  Waldgarten  Abt.  IV  der  Kgl.  Albert- Univ.:  Ueber  die  Ein- 
wirkung einiger  chemischer  Einflüsse  auf  die  Verdaulichkeit  des  Proteins. 
Kgsbg.    Jaeger.     (47  S.  8°.^ 

1905. 

16.  Jan.  Med.  I.-D.  von  Nach  im  Segal  (aus  Gluboko  in  Rußland):  Aus  der 
Kgl.  Universitäts- Augenklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.:  Ueber  Cataracta 
perinuclearis  congenita.     Kgsbg.     Ebd.    (36  S.  8°.) 


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Universität-Chronik  1904  und  1905.  151 

Zu  der  am  18.  Jan.  .  .  .  ,  statsfind.  Feier  des  Krönungstagos  laden  ....  ein 
Rektor  u.  Senat.  Kgsbg.  Härtung.  (2  Bl.  4°.)  [Preisaufg.  f.  d.  Stu- 
dierenden i.  J.  1905.] 

Zu  der  am  27.  Jan.  .  .  .  stattfind.  Feier  d.  Geburtstages  .  .  .  d.  Kaisers  u.  Königs 
laden  .  .  .  ein  Kektor  u.  Senat  .  .  .  Kgsbg.  Ebd.  (2  Bl.  \o.)  [Preis- 
verteil.  v.  18.  Jan.] 

30.  Jan.  Phil.  I.-D.  von  Artur  Kl  bat  (aus  Lyck):  Die  Behandlung  des  Lang- 
diphthongs äu  im  Nom.  Acc.  Voc.  Dualis  einerseits  und  im  Locativ  Singular 
andrerseits  im  Rigveda.     Kgsbg.  Leupold.     (2.  Bl.  64  S.  8°.) 

—  —  Metl.   I.-D.    von   Cnrt  Winter,    appr.  Arzt   (aus  Marienwerder,  Westpr.): 

Aus  der  Königl.  chirurgischen  Klinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Ein  Beitrag 
zur  Kenntnis  der  sacrococcygealen  Tumoren.     Kgsbg.     Kümmel.    (27  S.  8°.) 

18.  Febr.  Med.  I.-D.  von  Herbert  Assmann  (ausDanzig):  Aus  der  hygienischen 
Untersuchungsanstalt  zu  Danzig.  Direktor:  Prof.  Dr.  Petruschky.  Ver- 
suche über  den  Wert  des  Aethylalkohols,  inbesondere  des  alkalischen 
Alkohols  als  eines  Desinfektionsmittels  bei  bakteriologischen  Sektionen. 
Kgsbg.     Kümmel.     (55  S.  8°.) 

22.  Febr.  Med.  I.-D.  von  Otto  Grüner  (aus  Proskau,  Schlesien),  Oberarzt  im 
Ostpreuß.  Train-Bataillon  Nr.  1 :  Beitrag  zur  Kenntnis  der  myasthenischen 
Paralvse.  Vier  Fälle  (mit  einem  Sektionsbefunde).  Kgsbg.  (L.  Schumacher, 
Berlin.)    (40  S.  m.  1  Taf.  8<>.) 

25.  Febr.  Phil.  I.-D.  von  Carl  Lohauss  (aus  Königsberg):  Aus  d.  botanischen 
Institut  zu  Königsberg  i.  Pr.  Beiträge  zur  Anatomie  der  Laubblätter 
einiger  Fes tucaceen -Gruppen.  Kgsbg.  (2  Bl.  40  S.  4°.)  [Aus  Bibliotheca 
Botanica  (Verlag  Nägele,  Stuttgart)]. 

—  -     Phil.  I.-D.  von  Konrad  Nitz  (aus  Pr.  Friedland,  Westpr.):  Anwendungen 

der  Theorie  der  Fehler  in  der  Ebene  auf  Konstruktionen  mit  Zirkel  und 
Lineal.  Kgsbg.  Jaeger.  (2  Bl.  36  S.  m.  1  Taf.  80.) 
Verzeichnis  der  auf  d.  Kgl.  Albertus- Univers.  .  .  ,  im  Sommerhalbjahre  v.  15.  April 
1905  an  zu  haltenden  Vorlesungen  u.  d.  offen tl.  akad.  Anstalten.  [Rektor 
Dr.  F.  Rühl  o.  ö.  Pr.]  Kgsbg.  Härtung.  (1  Bl.  73  S.  8°.)  Revision 
meiner  Ausgabe  des  Homerischen  Hermes-Hymnus.  Kritische  Miscellen 
(XXV-XXV1II).  Von  Arthur  Ludwich.  S.  1-24.  Ebd. 
6.  März.  Mit  Genehmigung  der  mediz.  Fak.  .  .  .  wird  ....  Dr.  med.  Ernst 
Rautenberg,  Arzt  .  .  .  seine  offen  tl.  Antrittsvorlesung  üb.  ,, Serumbehand- 
lung" halten.  .  .  .     Kgsbg.     Kümmel.     (2  Bl.  4°.) 

—  —  Mit  Genehmig,  der  mediz.  Fak.  .  .  .  wird    .  .  .    Dr.  med.  Walter  Rind- 

fleisch, Arzt  .  .  .  seine  öffentl.  Antrittsvorlesung  über  „Die  Bildung  von 
Gallensteinen"  halten.     Kgsbg.     EM.     2  Bl.  4°.) 

8.  März.  Med.  I.-D.  von  Ernst  Schubert  (aus  Cranz):  Aus  d.  Königl.  Univers.- 

Frauenklinik  in  Königsberg  i.  Pr.  Ein  Beitrag  zur  Symptomatologie  der 
Uterusmyome.     Kgsbg.     Ebd.     (67  S.  8°.) 

9.  März.  Phil.  I.-D.    von    Kurt    Scheffler   (aus    Marienwerder) :    Beiträge   zur 

Kenntnis  der  Alkylarsousäuren.  Kgsbg.  Gruel.  (2  Bl.  63  S.  8°.) 
11.  März.  Med.  I.-D.  von  Georg1  Dorner  (aus  Wittenberg):  Aus  d.  hygien. 
Inst.  d.  Univ.  Königsberg  i.  Pr.  Experimentelle  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Hämolysine.  (In  Sonderheit:  Ueber  Erzeugung  hämolytischer  Sera  mittels 
kleiner  Dosen  Erythrocyten  und  die  Wirkungen  von  Aderlässen  auf  derart 
vorbehandelte  Kaninchen.)  Kgsbg.  Kümmel.  (54  S.  8°.) 
15.  März.  Phil.  I.-D.  von  Walter  Frost  (aus  Bartenstein,  Ostpr.),  Regierungs- 
bauiührer  a.  D.:  Die  Grundlagen  des  Begriffs  der  Urteilskraft  bei  Kant. 
Kgsbg.  Ebd.     (43  S.  8°.) 

—  —  Phil.  I.-D.  von    Bruno   Holzky    (aus    Wormditt):    Die    Entwicklung   der 

Landwirtschaft  in  dem  ermländischen  Bauerndorfe  Kleinenfeld.  Kgsbg. 
Ostpreuß.  Druck,  u.  Verlagsanstalt.     (2  Bl.  163  S.  8°.) 


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152  Mitteilungen  und  Anhang. 

15.  März.  Phil.  I.-D.  von  Berka  Schimschelewltz  (aus  Lubza,  Rußland):  Ueber 
die  Einwirkung  von  Jod  auf  Kaliumchlorat  Natriumchlorat  und  Barrum- 
chlorat.     Kgsbg.    Jaeger.     (6  Bl.  32  S.  8°.) 

—  —  Phil.    I.-D.   von    Kort   Schwonder    (aus    Pr.  Holland,   Ostpr.),     Land- 

wirtschaftslehrer: Die  landwirtschaftlichen  Betriebssysteme.  Eine  Kritik 
der  verschiedenen  Einteilungen  und  Vorschläge  zu  einer  Neueinteilung, 
begründet  durch  die  Wirtschaftsweise  auf  dem  Gute  Wermten  und  der 
Herrschaft  Friedrichstein.  Kgsbg.  Leupold.  (2  Bl.  143  S.  m.  2  Tab.  8°.) 
20.  März.  Med.  I.-D.  von  Ernst  Schals  (aus  Mühlhausen,  Ostpr.):  Aus  dem 
Königl.  patholog.  Institut  in  Königsberg  i.  Pr.  Ein  neuer  Fall  von 
Akromegalie  mit  Sektionsbefund.    Kgsbg.    Karg  &  Manneck.     (71  8.  8**.) 

—  —  Med.  I.-D.  von  Cort  Hoffmann  (aus   Carlsberg   bei  Straßburg,  Westpr.): 

Aus  dem  Königl.  patholog.  Institut  in  Königsberg  i.  Pr.  Ein  Fall  von 
totaler  angeborener  und  bleibender  Atrichie.  Kgsbg.  Ebd.  (26  S.  S°.) 
25.  März.  Phil.  I.-D.  von  Hans  Renter  (aus  Worms  a.  Rhein):  Beiträge  zur 
Praxis  der  Molekulargewichtsbestimniungen.  Kgsbg.  Leupold.  (2  Bl. 
55  S.  m.  2  Taf.  8°.) 

—  —  Phil.  I.-D.  von  Gerhard  Gtlage  (aus  Dorpat,  preußischer  Staatsangehöriger): 

F.  E.  Neumanns  Methode  zur  Bestimmung  der  Wärmeleitungsfähigkeit 
gut  leitender  Körper  in  Stab-  und  Ringform  und  ihre  Durchführung  an 
Eisen,  Stahl,  Kupfer,  Silber,  Blei,  Zinn,  Zink,  Messing,  Neusilber.  Kgsbg. 
Krause  &  Ewerlin.     (93  S.  m.  2  Taf.  8°.) 

—  —  Phil.  I.-D.  von  Hans  Chusean  (aus  Eydtkuhncn),   Kandidat  des  höheren 

Schulamt8  zu  Rastenburg:   Eduard  von  Hartmanns  Stellung  zum  psycho- 
physischen  Parallelismus.     Kgsbg.     Kümmel.     (VIII,  77  S.  8°.) 
30.  März.    Med.  I.-D.  von  Richard  Puppel  (aus  Königsberg):    Aus  dem  Königl. 
pathologischen  Institut  in  Königsberg  i.  Pr.     Die  Tuberkulose  der  Parotis. 
Kgsbg.     Karg  &  Man  neck.     (35  S.  S°.) 

—  —  Med.  I.-D.  von  Kurt  Fromm  (aus  Heilsberg):    Aus   der  Königl.  chirurg'. 

Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Verkrümmung  der  Tibia  durch 
Narbenzug.     Kgsbg.     Leupold.     (27  S.  8°.) 

—  —  Med.  I.-D.    von    lsidor   Öoldbergr  (aus    Aweyden,   Kr.   Sensburg):    Aus 

dem  Königl.  pathologischen  Institut  in  Königsberg  i.  Pr.  Ein  Fall  von 
Balkenmangel  im  menschlichen  Großhirn.  Kgsbg.  Karg  &  Manneck. 
(32  S.  m.  1  Taf.  8°.) 
3.  April.  Med.  I.-D.  von  Bruno  Kob  (aus  Wischwill),  prakt.  Arzt.  Wehlau: 
Ueber  die  Behandlung  der  ischämischen  Lähmungen  des  Vorderarms  durch 
Resektion  der  Vorderarmknochen.     Kgsbg.     Kümmel.     [29  S.  8°.) 

—  —  Med.  I.-D.  von  Paul  Wobbe  (aus  Friedrichshof,  Kr.  Heiligenbeil),  prakt. 

Arzt,  Neufahrwasser:  Die  Behandlung  des  Brustkrebses  mit  besonderer 
Berücksichtigung  ihrer  geschichtlichen  Ent Wickelung.  Kgsbg.  Kümmel. 
(38  S.  m.  1  Taf.  8.) 

Lyceum  Hosianum  in  Braunsberg  1905. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  am  Königl.  Lyceum  Hosianum  zu  Braunsberg  im 
Sommer-Semester  1905.  (Rektor:  Dr.  Franz  Niedenzu.)  Inhalt:  Die 
erkenntnistheoretische  Bedeutung  des  Citats.  —  I.  Ein  Beitrag  zur  Theorie 
des  Autoritätsbeweises  von  Prof.  Dr.  W.  Switalski.  (S.  3—22.)  II.  Ver- 
zeichnis der  Vorlesungen.  (S.  23—24.)  III.  Preisaufgaben.  (S.  25.) 
IV.  Institute.    (S.  2(3.)     Braunsberg.     Heyne's  Druckerei  (&.  Riebensahm). 


(26  S.  40.) 


— ~&~- 


Buchdruckerei   R.   Leupold,    Königsberg  i.  Pr. 


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Beiblatt  zur  Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII,  Heft  1  und  2. 


Erklärung. 

Schon  nach  der  Drucklegung  meiner  Notiz  über  die  Zugehörigkeit  von 
Bütow  zum  Archidiakonat  Pommerellen  auch  während  des  Mittelalters  (S.  147,  148 
dieses  Heftes)  habe  ich  mich  aus  den  Berichten  des  Pflegers  zu  Bütow  von  1451 
und  1452  (Cramer,  Geschichte  der  Lande  Lauenburg  und  Bütow  II,  51—58) 
von  dem  Gegenteil  überzeugt.  Dieselben  waren  mir  bisher  unbekannt  geblieben, 
weil  mein  Handexemplar  des  genannten  Werkes  unvollständig  war.  —  Die  von 
mir  angezogene  Urkunde  ist  demnach  für  Bütow  belanglos. 

Grieben  au.  den  22.  April  1905. 

Kujot,  Pfarrer. 


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Altpreuss.  Monatsschr  Bd.XLtt 


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proxima  civitah  ti 


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ferior 

psbergk  änno  1286. 


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Die  Schüler  des  Rösseler  Gymnasiums 

nach  dem  Album  der  mariairischen  Kongregation. 

Bin  Beitrag  zur  Geschichte  Inen  Familien 

Bildung  im  Erratene]  wie  in  dvu  angrenzende] 
Während  des    17.  jind    18.  Jahrhunderts, 
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Kants  Kritik  9er  reinen  Vernunft 

abgekürzt  auf  Grund  ihrer  Entstehungsgeschichte. 

Eine  Vorübung:  für  kritische  Pftilosophie 

von  Dr.  Heinrich  Bomundt. 

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Schiller  als  Philosoph  •st- 
und seine  Beziehungen  ZU  Rant. 

Eine  Festgabe  der  „Kantstudien", 

herausgegeben   von  Prof.  Dr.   H.  Vaihioger  und  Privatdozent  Dr.  B.  Bauch. 

Mit  einem  Bilde  Schillers  nach  <».  von  Kügelgen 

im  Dreifarbendruck  und  einer  Autotypie:   Schiller  auf  dem  Totenbette. 

Gr.  8°.    Preis  ca.  2  Mk. 

Heft  3  und  4  erscheinen  als  Doppelheft  Ende  Juni.        Der  Herausgeber. 


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Altpreussische 

Monatsschrift 


neue  Folgte. 


Der 


Neuen  Preussischen  Pro vinzial -Blätter 


riiiifle  Folgre. 


Rudolf  Reicke. 


chrift  XLII.  Band.    Der  Provinzialblätter  CVIll.  Band. 


Drittes  und  viertes  Heft. 

April   -    Jun 


Königsberg  in   Pr. 


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n  h  a  1 1. 


Abhandlungen. 

Abraham    Culvensis,      Urkunden    zur    Reformai 

Lithaueni.     Von  Li«,  Dr.  RTbtscbke 

Aus    clcm    Leben    d                        bristiau    Friedrich    Puttlich« 
Von   Arthur  War'da 

Das   Kant -Bildnis   Elisabeths  \                 aann,     Von   Arthur 
Warda 


ll.  Kritiken  und  Referate. 

in     Friedlich    Trescho,    Digkonus    zu    Mnhningt*u     iu 
Preußen.     Sein  Leben    and    Beine  (Schriften,   diu 

inderdruck 

VII.     17- 
in  8\     Von  Gottlieb   Krause 


111.  Ulitteilunsren  nnd  Anhang:. 

Frage,  Von  Amtegerichtnrat  a.  D.  Mendtbal- 
Memel   . 

Von  M    Perlbach 


Alle  Rechte  bleiben  vorbehalten,  ~W| 

Herausgeber  und  Mitarbeiter. 


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Abraham  Culvensis. 

Urkunden  zur  Reformationsgeschichte  Lithauens. 

Von 
Liz.  Dr.  Wolschke. 

In  seinem  Urkundenbuche  zur  Beformationsgeschichte  des 
Herzogtums  Preußen  hat  Tschackert1)  einige  Nachrichten  über 
diesen  lithauischen  Gelehrten  gegeben  und  damit  das  tiefe  Dunkel, 
in  das  dessen  Leben  bis  dahin  gehüllt  war,  gelichtet.  Aber  als 
eine  abschließende  Arbeit  können  diese  wenigen  Angaben  schon 
deshalb  nicht  gelten,  weil  Tschackert  von  den  Beziehungen  dieses 
treuen  Schülers  der  Wittenberger  zii  seinem  Vaterlande,  von 
seinen  eifrigen  Bemühungen,  in  ihm  die  Erneuerung  der  Kirche 
zu  fördern,  fast  nichts  zu  berichten  weiß.  Die  polnisch-lithauische 
Reformationsgeschichte  heischt  eine  eingehendere,  gründlichere 
Darstellung  der  wenigen  Jahre  seines  öffentlichen  Wirkens,  zählt 
er  doch  zu  den  ersten,  die  evangelische  Erkenntnis  dem  fernen 
Lithauen  zu  bringen  suchten. 

Abraham  Culvensis  ist  der  Sproß  des  alten  in  Lithauen 
einst  reichbegüterten  Adelsgeschlechtes  der  Hadath.  Sein  Vater, 
der  das  Erbgut  Culva  unweit  Kauen  (Kowno)  besaß,  wie  seine 
Mutter  Elisabeth  erzogen  ihn,  ihren  einzigen  Sohn,  streng  und 
ließen  ihm  den  besten  Jugendunterricht  zuteil  werden.  Den 
Jüngling  sandten  sie  nach  Krakau2),  um  ihn  auf  Polens  Hochschule, 


1)  R.  Tschackert:  Urkundenbuch  zur  Reformationsgeschichte  des  Herzog- 
tums Preußen.    Leipzig  1890.  I  S.  249 ff. 

2)  So  Hoppe  in  der  oratio  funebris  in  obitum  Abrahami  Culvensis. 
Königsberg  1547.  In  der  Krakauer  Universitätsmatrikel  habe  ich  Abrahams 
Namen  jedoch  nicht  gefunden. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u    4.  11 


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154  Abraham  Culvensis. 

die  damals  der  namhaftesten  und  besuchtesten  Universitäten  eine 
war,  studieren  zu  lassen.  Hier  hörte  Culvensis  von  des  Erasmus 
Ruhm  und  seiner  Pflege  der  klassischen  Sprachen,  und  sein 
Wissensdrang  trieb  ihn  nach  Löwen,  wo  er  unter  dem  Humanisten- 
fürsten die  begonnenen  Studien  fortsetzte.  Mit  besonderem  Eifer 
widmete  er  sich  der  griechischen  und  hebräischen  Sprache,  die 
er  bald  gründlich  beherrschte.  Neben  Erasmus  fesselte  den  hoch- 
strebenden, für  das  klassische  Altertum  begeisterten  Jüngling 
Goclenius,  der  Professor  der  lateinischen  Sprache.  Als  er  von 
Löwen  nach  seiner  Heimat  Lithauen  zurückkehrte,  ward  er  durch 
seine  gelehrte  Bildung  der  Stolz  seines  Volkes,  aller  Augen 
richteten  sich  auf  ihn,  und  der  Palatin  von  Wilna,  Albert  Gastold, 
ermöglichte  es  ihm,  den  sehnlichsten  Wunsch  seines  Herzens 
auszuführen  und  zum  Abschluß  seiner  Studien  nach  Italien  zu 
gehen.  Als  Culvensis  Frühjahr  1536  durch  Preußen  reiste,  über- 
reichte er  in  Königsberg  dem  Herzog  Albrecht  einen  Empfehlungs- 
brief seines  Mäcenas  und  erhielt  von  dem  frommen  Fürsten  den 
Rat,  nicht  an  Wittenberg  vorüberzuziehen.  Rein  humanistischen 
Studien  hingegeben,  hatte  Abraham  bis  dahin  sich  wenig  um 
den  weltbewegenden  religiösen  Streit  gekümmert,  im  Banne  des 
Erasmus  stehend  durch  die  reformatorischen  Bestrebungen  auch 
die  schönen  Wissenschaften  beeinträchtigt  geglaubt,  jetzt  beschloß 
er,  jene  Männer  aufzusuchen,  deren  Namen  in  aller  Munde  waren, 
und  in  ihren  Hörsälen  sich  von  dem  Charakter  ihrer  Lehre  zu 
unterrichten.  Nach  einer  gefahrvollen  Reise,  er  ward  unterwegs 
überfallen  und  ausgeplündert,  traf  er  in  der  Eibstadt  ein  und 
ward  hier  am  14.  Mai  als  der  erste  Lithauer  an  der  Witten- 
berger Hochschule  immatrikuliert1).  Bald  fühlte  er  sich  von  dem 
warmen  religiösen  Geiste,  der  von  den  Reformatoren  ausging, 
innig  angezogen,  sein  Leben  und  Streben  ward  verinnerlicht  und 
vertieft,  den  humanistischen  Interessen  trat  zur  Seite  ein  neu 
erwachter  religiöser  Glaube.  Unter  Luthers  Einfluß  mußten  die 
klassischen  Schriftsteller  hinter  der  heiligen  Schrift  zurückstehen. 


1)  Vergl.  Förstemann:  Album  Academicura  Vitebergense. 


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Von  Dr.  Wotechke.  155 

Doch  ist  es  bei  seinem  Bildungsgange  erklärlich,  daß  noch  mehr 
als  Luther  der  Humanist  unter  den  Reformatoren,  Philipp 
Melanchthon,  Einfluß  auf  ihn  gewann.  Theologische  wie  klassische 
Vorlesungen  hörte  er  bei  ihm,  Hoppe  erwähnt  in  seiner  Gedächtnis- 
rede, daß  er  besonders  den  Aristoteles  unter  Melanchthons 
Leitung  gelesen  habe. 

Unter  dem  4.  Februar  1534  hatte  der  streng  altgläubige 
polnische  König  Sigismund  von  Wilna  aus  das  Studium  in  der 
„Ketzerstadt*'  verboten  und  die  meisten  Polen,  die  in  die  Hörsäle 
der  Reformatoren  in  jener  Zeit  sich  drängten,  unterließen  deshalb, 
sich  in  das  Wittenberger  Universitätsalbum  eintragen  zu  lassen. 
Aach  Oulvensis  suchte  gegen  eine  etwaige  spätere  Anklage  sich 
zu  decken  und  ging  gegen  Schluß  des  Sommersemesters  auf  einige 
Wochen  nach  Leipzig,  wo  er  sich  gleichfalls  immatrikulieren 
ließ1).  Die  kurze  Zeit  seines  Aufenthaltes  reichte  hin,  ihn  hier 
einem  Mann  näher  zu  bringen,  dem  er  später  in  Königsberg 
wieder  begegnen  sollte,  Johann  Seklucyan  aus  Posen.  War 
unter  dem  anregenden,  fesselnden,  geistig  lebendigen  Studium  in 
Wittenberg  sein  Sehnen  nach  dem  Heimatlande  der  klassischen 
Wissenschaften  zurückgetreten,  so  brach  es  in  Leipzig  wieder 
mit  neuer  Kraft  hervor.  Im  Herbst  verließ  er  deshalb  Deutsch- 
land und  ging  nach  Italien.  In  Siena  wurde  er  Doktor  der 
Rechte,  wahrscheinlich  auch  Doktor  der  Theologie2).  Als  er  im 
Winter  1537/38  zurückkehrte  und  in  Wittenberg  die  1536  unter- 
brochenen biblischen  Studien  fortsetzen  wollte,  ward  ihm  die 
Nachricht,  seine  Eltern  seien  in  den  Kerker  geworfen,  weil  sie 
ihren  Sohn  nach  der  ketzerischen  Universität  hatten  ziehen 
lassen.     Sofort  ließ  kindliche  Liebe  ihn  heimkehren.     Er  hatte 


1)  Vcrgl.  Erler:  Die  Matrikel  der  Universität  Leipzig.  Leipzig  1895. 
Wie  der  Brief  des  Culmer  Bischofs  Samuel  Karyewoski  vom  5.  Dezember  1539 
an  den  päpstlichen  Legaten  in  Deutschland  bei  Theiner:  Vetera  Documenta 
Poloniae,  Rom  1563  II,  527  zeigt,  pflegten  die  polnischen  Studenten  häufig 
unter  dem  Vorwande  eines  Studiums  in  Leipzig  nach  Wittenberg  zu  ziehen. 

2)  In  seiner  1543  verfaßten  und  der  polnischen  Königin  übersandten 
Konfession  schreibt  Culvensis  „quando  insignia  doctoratus  accepi,  commissa  est 
mihi  potestas  interpretanda  disputandi,  docendi  scripturas". 

11* 


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156  Abraham  Culvensis. 

es  nicht  mehr  nötig,  ihre  Entlassung  aus  der  Haft  dem  über- 
mächtigen Bischöfe  abzuringen,  freundliche  Gönner  hatten  ihnen 
bereits  die  Freiheit  erwirkt.  Seinen  Beschützer  und  Mäcenas 
Qastold  hatte  der  Tod  ihm  entrissen,  während  er  in  Italien 
weilte,  aber  eine  noch  höhere  und  mächtigere  Hand  sollte  ihn 
hinfort  unterstützen.  In  der  Hauptstadt  Wilna  stellte  er  sich 
der  Königin  Bona  vor,  und  seine  feine  Bildung  und  reichen 
Kenntnisse  gewannen  ihm  die  volle  Gunst  der  Fürstin.  Oft  zog 
sie  ihn  an  ihren  Hof,  ermöglichte  ihm  durch  ihre  Fürsprache, 
Unterstützung  und  Empfehlung  auch  die  Gründung  einer  höheren 
Schule  in  Wilna1).  Die  ersten  Familien  Lithauens  und  Klein- 
polens vertrauten  ihm  ihre  Kinder  zur  Erziehung  an,  bald  waren 
es  mehr  denn  60  Jünglinge  aus  den  vornehmsten  Geschlechtern, 
die  er  die  klassischen  Sprachen  lehrte,  die  er  auch  zu  einem 
besseren  Verständnis  der  christlichen  Wahrheit,  wie  es  ihm  selbst 
in  Wittenberg  aufgegangen  war,  zu  führen  suchte.  Frei  von 
jeder  Menschenfurcht  trat  er  für  seine  evangelische  Erkenntnis 
ein,  offen  sprach  er  gegen  die  Mißbrauche  der  Kirche,  besonders 
scharf  wandte  er  sich  gegen  das  sittenlose  Leben  der  Mönche 
und  Priester.  Vergebens  mahnte  die  Königin2),  die  trotz  ihres 
strengen  Festhaltens  an  der  alten  Kirche  unseren  Humanisten 
ob  seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  seinem  Vaterlande  erhalten 
zu  müssen  glaubte,  zu  einer  milderen  Sprache,  im  Bunde  mit 
einigen  Freunden  fuhr  Culvensis  unbeirrt  fort,  auf  die  Mißbräuche 


1)  Nach  Lasicki  in  seiner  Schrift  „pro  Volano  adversus  Antonium  Posse- 
vinum"  S.  15  berichtet  Wengierski:  „Syßtema  ecclesiarum  Slavoniae  1652  S.  74 
„apud  Lituanos  ab  anno  1539  Lutheri  sectatores  ex  Germania  vestigium  posuere, 
autore  quodam  Abrahamo  Culva,  theologiae  doctore,  qui  in  urbe  Wilnensi 
scholae  aperuerat,  in  qua  60  discipulos  erudiit". 

2)  Über  ihre  Stellung  zur  Keformation  vgl.  den  Brief  Chr.  Entf eiders  an 
Johann  Laski  Königsberg,  den  3.  März  1544  „procederet  fortasse  quorundam 
Studium  auspicatius,  nisi  Bona  illa  Jesabelis,  malarum  persuasionum  sagacissima 
austrix,  una  cum  suis  prophetis  summis  viribus  contra  niteretur  assidueque 
praecaveret,  ne  veritatis  lux  alicunde  elucesceret.  Cuius  si  vel  scintillant  aliquam 
micare  conspiciat,  non  conquiescit,  donec  illam,  quoad  potest,  extinguat", 
Gabbema  illustrium  virorum  epistolae.     Harlingae  1669  S.  52. 


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Von  Dr.  Wotschke.  157 

hinzuweisen  und  den  Gegensatz  der  römischen  Lehre  zur  heiligen 
Schrift  zu  zeigen. 

Die  Geistlichkeit  erkannte  die  Gefahr,  die  ihr  und  der 
alten  Kirche  drohte,  und  suchte  den  schriftkundigen  Humanisten 
aus  Wilna  zu  verdrängen,  aber  schützend  hielt  die  Königin 
ihre  Hand  über  ihm.  Da  verließ  sie  Mai  1542  die  Hauptstadt 
Lithauens,  um  am  1.  Juli1)  an  der  Vermählungsfeier  ihres  Sohnes 
mit  Elisabeth  von  Österreich  in  Krakau  teilzunehmen,  und  so- 
fort beschlossen  die  Gegner  Abrahams  diese  Gelegenheit  wahr- 
zunehmen. Der  Wilnaer  Bischof  Paul  Algimunt  wandte  sich 
an  den  streng  katholischen  Sigismund  I.  und  erwirkte  ein  Edikt, 
in  dem  der  König  Abraham  gebot,  sich  dem  geistlichen  Gerichte 
zu  stellen,  vor  diesem  sich  zu  rechtfertigen  und  den  etwa  auf- 
erlegten kanonischen  Strafen  sich  zu  unterziehen.  Würde  er  sich 
nicht  freiwillig  stellen,  so  sollte  die  weltliche  Obrigkeit  ihn  dem 
Bischöfe  ausliefern,  würde  er  fliehen,  sollte  er  geächtet  sein, 
sein  Vermögen  zu  Gunsten  des  Staates  und  der  Kirche  ein- 
gezogen werden.  Die  Königin  sah  die  dunkle  Wolke  über 
ihrem  Schützling  sich  zusammenziehen,  und  da  sie  für  ihn  das 
Schlimmste  befürchten  mußte,  riet  sie  ihm,  sich  und  seinen 
Glauben  nach  Preußen  hintiberzuretten.  Mit  schwerem  Herzen 
schied  Culvensis  Sommer  1542  begleitet  von  seinem  treuen 
Diener  Stanislaus  aus  Wilkomir2),  auch  von  einigen  Studien- 
freunden und  Glaubensgenossen  wie  Georg  Zablocki8),  der  in  der 


1)  Am  12.  Juli  berichtet  der  Bischof  Samuel  Maciejowski  aus  Krakau 
nach  Königsberg,  daß  die  Hochzeit  aufgeschoben  worden  sei.  Sie  wurde  darauf 
erst  im  Mai  des  folgenden  Jahres  gefeiert. 

2)  Wilkomir  liegt  nördlich  von  Wilna. 

3)  Da  Zablocki  in  der  lithauisch-poliiischen  Reformationsgeschichte  ganz 
unbekannt  ist,  selbst  Lukaszewicz  und  Bukowski  nicht  einmal  seinen  Namen 
erwähnen,  bemerke  ich,  daß  er  in  Krakau  und  Wittenberg  studiert  hat,  dort 
als  Georgius  Luce  de  Zablocz  dioc.  Vilnensis  unter  dem  3.  August  1528,  hier 
als  Georgius  Sablocius  Lituanus  nobilis  unter  dem  23.  November  1540  im- 
matrikuliert worden  ist.  Weitere  Nachrichten  über  sein  Leben  geben  die  im 
Anhange  abgedruckten  Urkunden.  Vgl.  Beilage  3,  4,  14  und  15.  Nach  Cul- 
vensis Tode  kehrte  er  nach  Königsberg  zurück,  1546  ließ  er  sich  hier  an  der 
Universität    immatrikulieren.     In    den    fünfziger   Jahren    war  Zablocki    Erzieher 


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158  Abraham  Culvensis. 

letzten  Zeit  neben  ihm  an  seiner  Schule  unterrichtet  hatte,  aus 
seinem  Heimatlande.  Seine  reichhaltige  Bibliothek  wie  sein  ge- 
ringes Hausgerät  vermochte  er  noch  mit  sich  zu  nehmen. 

Er  war  nicht  der  erste  Lithauer,  der  um  des  Glaubens 
willen  vertrieben  in  Preußen  eine  Freistätte  und  einen  neuen 
Wirkungskreis  suchte.  Schon  1536  hatte  ein  Johann  Thor- 
thylowitz  aus  Samogitien  zu  dem  Schutzherrn  aller  Evangelischen 
des  Ostens  sich  geflüchtet1),  aber  noch  hatte  kein  Pole  oder 
Lithauer  von  so  gründlicher  Bildung  und  reichen  Kenntnissen 
seine  Dienste  dem  Herzog  Albrecht  angeboten.  Bei  der  väter- 
lichen Fürsorge,  mit  der  dieser  Hohenzoller  seinen  polnischen 
und  lithauischen  Landeskindern  das  Evangelium  in  ihrer  Mutter- 
sprache nahe  bringen  wollte,  nahm  er  Abraham  Culvensis  mit 
Freuden  in  seinem  Herzogtume  auf  und  machte  ihn  Johann  i 
1542 2)  zu  einem  seiner  Bäte.  Aber  das  Glück,  unter  einem 
edlen  Fürsten  seines  Glaubens  leben  zu  dürfen,  ward  Culvensis 
durch  traurige  Nachrichten  aus  der  Heimat  getrübt.  Seinem 
Vater  hatte  das  Unglück  des  Sohnes,  seine  Verfolgung  und 
Flucht  das  Herz  gebrochen,  er  starb  bald  darauf,  seine  Mutter 
stand  hilflos  und  verlassen  da,  von  allen  Seiten  bedrängt  und 
angefochten.  Ihr  Besitz  ward  als  herrenloses  Gut  betrachtet, 
das  ein  jeder  an  sich  reißen  zu  können  meinte.  In  dieser 
Not    wandte    sich    Culvensis    an    seine    Patronin,    die    Königin, 


im  Hause  des  lithauischen  Marschalls  Eustachius  Wolowicz  und  begleitete 
dessen  Neffen  und  die  Söhne  anderer  lithauischer  Geschlechter,  die  15*50  auf 
Vergerios  Rat  zum  Studium  nach  Tübingen  zogen.  Unter  dem  4.  März  empfahl 
Wolowicz  ihn  und  die  Studenten  dem  Herzoge  Christoph,  und  am  14.  August 
1560  ward  er  mit  seinem  Schüler  laut  Universitätsmatrikel  an  der  Württem- 
berger Hochschule  inskribiert.  In  Tübingen  scheint  er  gestorben  zu  sein. 
Schriftstellerisch  hat  er  sich  weiter  nicht  betätigt,  wenigstens  besitzen  wir  von 
ihm  nur  ein  sechs  Verse  umfassendes  Epitaph  auf  Katharina  Wolowicz,  das  er 
in  Tübingen  schrieb.  Vergi.  Melchior  Gedrotius :  In  mortem  Catharinae  Wolowicz 
coniugis  generosi  ac  magnifici  domini  Petri  Wcsolovii,  baronis  a  Bialostok  in 
magno  ducatu  Lithuaniae.  Regiomonti  Borussiae  excudebat  Joannes  Daub- 
mann us  S.  B  4. 

1)  Vergl.  Beilage  1  und  2. 

2)  Vergl.  Tschackert  II,  Nr.  1 1H4. 


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Von  Dr.  Wotschke.  159 

die  ihre  Beamten  in  Kauen  auch  anwies,  seine  und  seiner  Mutter 
Angelegenheiten  wahrzunehmen.  Als  er  Ende  September  aber 
die  Nachricht  erhielt,  daß  seine  Mutter  und  seine  Freunde  un- 
geachtet des  Schutzbriefes  der  Königin  vom  Wilnaer  Bischof 
eingekerkert  seien,  litt  es  ihn  nicht  länger  in  Königsberg.  Da 
der  Herzog  augenblicklich  auf  seiner  Sommerresidenz  Neuhaus 
weilte,  erbat  er  sich  von  dem  Burggrafen  Martin  Kannacher 
und  dem  Kanzler  Johann  von  Kreitzen  Urlaub  und  eilte  mit 
seinem  Diener  Stanislaus  Wilkomiriensis  der  Heimat  zu.  Noch 
hatte  er  nicht  die  Hälfte  des  Weges  zurückgelegt,  als  ein 
dringendes  Schreiben  des  Herzogs  vom  8.  Oktober  ihm  sofortige 
Rückkehr  gebot;  seiner  Mutter  würde  in  anderer  "Weise  geholfen 
werden1).  Mit  schwerem  Herzen  leistete  er  Folge.  Nur  sein 
treuer  Diener,  dem  Herzog  Albrecht  unter  dem  27.  Oktober 
einen  Empfehlungsbrief  an  den  Palatin  von  Troki  Stanislaus 
Gastold,  den  Schwager  des  Nikolaus  Badziwill,  mitgab2),  ging 
in  den  nächsten  Wochen  nach  Lithauen. 

In  Königsberg  erwartete  Abraham  Culvensis  ein  ehrenvoller 
Auftrag.  Seit  einigen  Jahren  dachte  der  Herzog  daran,  seinem 
Lande  in  der  Hauptstadt  eine  gelehrte  Schule  zu  geben,  welche 
die  fehlende  Universität  vorläufig  ersetzen  und  später  zur 
Akademie  ausgebaut  werden  könnte,  das  sogenannte  Partikular. 
In  jenen  Herbsttagen  war  das  neuerbaute  Gebäude  für  die  Schule 
fertig  gestellt,  aber  noch  fehlte  ein  Leiter  und  erster  Lehrer, 
da  alle  Verhandlungen,  die  bisher  über  die  Besetzung  des 
Rektorats  gepflogen  waren,  zu  keinem  Ergebnis  geführt  hatten. 

Der  Herzog  wollte  den  Unterricht  alsbald  anheben  lassen 
und  deshalb  vorläufig  bis  zur  Gewinnung  eines  namhaften  Lehrers 
aus  Deutschland  einen  Vicerektor  einsetzen;  als  solchen  hatte  er 
aber  in  Übereinstimmung  mit  seinen  ersten  Räten  Culvensis  in 
Aussicht  genommen.  Verschiedene  Umstände  verzögerten  den 
Beginn  des  Unterrichts  um  einige  Wochen,  erst  am  11.  Dezember 


1)  Beilage  5. 

2)  Beilage  H. 


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160  Abraham  Culvensis. 

erfolgte  die  Eröffnung  desselben,  wobei  in  Gegenwart  des  Burg- 
grafen, des  Kanzlers  und  des  herzoglichen  Rates  Kasper  Nostwitz 
vor  dem  Vicerektor  und  den  Schülern  die  Statuten  der  Schule 
verlesen  wurden1).  Mit  aller  Treue  und  Gewissenhaftigkeit 
widmete  sich  Culvensis  seinem  Amte.  Der  Schwerpunkt  seiner 
Lehrtätigheit  lag  natürlich  in  der  Pflege  der  humanistischen 
Wissenschaften,  vor  allem  ließ  er  es  sich  angelegen  sein,  die 
Schüler  im  mündlichen  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache  zu 
fördern  und  richtete  zu  diesem  Zwecke  viele  Disputationen  ein, 
die  ersten  an  der  Anstalt,  die  Herzog  Albrecht  als  ein  Zeichen 
des  Aufblühens  der  jungen  Bildungsstätte  freudig  begrüßte.  Von 
seinen  Kollegen  hatte  Culvensis  in  dem  Magister  Johann  Hoppe 
aus  Bautzen  einen  treuen,  lieben  Freund  und  Mitarbeiter,  während 
er  mit  dem  anderen  Lehrer,  dem  Magister  Melchior  Isinder  aus 
Schweidnitz,  mancherlei  Kämpfe  durchzufechten  hatte2).  Isinder, 
der  auch  mit  anderen  Lehrern  in  Unfrieden  lebte,  scheint  wenig 
verträglich  gewesen  zu  sein,  vor  allem  durch  unberechtigte 
Eingriffe  in  das  Amt  und  die  Machtbefugnis  des  Rektors  Culvensis 
zur  Klage  und  zu  Maßnahmen  wider  ihn  Anlaß  gegeben  zu 
haben. 

Nach  seiner  unterbrochenen  Reise  nach  der  Heimat  hatte 
Culvensis  dem  Herzog  über  die  Lage  seiner  Mutter  und  den 
von  neuem  drohenden  Verlust  seines  väterlichen  Erbteils  genauen 
Bericht  erstattet,  ihm  auch  die  Briefe  der  Königin  vorgelegt, 
deren  letzter,  der  ihm  bei  seiner  Rückkehr  in  Königsberg 
eingehändigt  ward,  bereits  die  Befreiung  seiner  Mutter  meldete. 
Am  18.  November  ließ  der  Herzog  an  den  Verwalter  der  könig- 
lichen Münze  und  Ratsherrn  in  Krakau,  Jost  Ludwig  Dietz, 
seinen  treuen  Berichterstatter  und  Geschäftsträger,  schreiben  und 
ihn  bitten,  für  den  vertriebenen  Glaubensbruder  einzutreten,  die 
Königin  an  ihr  Versprechen,  die  Einkünfte  seiner  Güter  durch 
ihre  Beamten  einziehen    zu  lassen,  zu  erinnern    und    die  Über- 


1)  Beilage  8. 

2)  Toppen:  Die  Gründung  der  Universität  zu  Königsberg.  1844.  S.  92. 


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Von  Dr.  Wotschke.  161 

weisang  des  Geldes  nach  Königsberg  zu  veranlassen1).  Infolge 
eines  rheumatischen  Anfalls  lag  Dietz  krank  danieder  und  konnte 
deshalb  sich  nicht  persönlich  zu  Hofe  begeben.  Am  18.  Dezember 
sandte  er  aber  seinen  ältesten  Sohn2)  zur  Königin,  die  ihr  gnädiges 
Wohlwollen  für  Culvensis  von  neuem  betätigte  und  alle  Unter- 
stützung versprach,  jedoch  strenge  Verschwiegenheit  forderte, 
damit  sich  der  Haß  der  Bischöfe  nicht  gegen  sie  wende.  Dringend 
riet  sie  von  einer  Rückkehr  Culvensis  nach  Lithauen  ab, 
der  Wilnaer  Bischof  würde  zweifellos  ihn  sofort,  ehe  noch  die 
königliche  Fürsprache  eintreffen  könnte,  hinrichten  lassen.  Am 
27.  Dezember  berichtete  Dietz  das  Ergebnis  der  Audienz  nach 
Königsberg,  und  da  der  Herzog  ihn  unter  dem  14.  Januar  anwies, 
auch  fernerhin  das  Interesse  Culvensis  wahrzunehmen,  war  er 
auch  in    den    folgenden  Monaten    für   ihn   am  Hofe  tätig.     Am 

1)  Vergl.  Beilage  Nr.  9.  Über  Dietz,  der  eine  der  interessantesten  Bürger- 
gestalten der  polnischen  Städte  ist,  besitzen  wir  leider  nur  die  kurze,  nicht 
immer  richtig  unterrichtete  und  urteilende  Dissertation  von  Casimir  Römer 
„de  Jodoci  Ludovici  Decii  vita  scriptisque"  Breslau  1874.  D.  stammte  aus 
Weißen  bürg  im  Elsaß  und  hat  1507  in  Krakau  sich  niedergelassen.  Anfänglieh 
stand  er  in  Diensten  des  reichen  aus  l^andau  eingewanderten  Handelsherrn 
Joh.  Boner,  später  gründete  er  ein  eigenes  Geschäft,  das  schnell  aufblühte, 
*ard  königlicher  Münzmeister  und  Sekretär  uud  einflußreiches  Mitglied  des 
Krakauer  Rates.  Schon  152S  kaufte  er  die  große  Herrschaft  Wola  bei  Krakau. 
(Über  ihn  s.  Bartolomäus  in  der  A.  M.  1898.     S.  19  ff.) 

2)  Er  hieß  wie  sein  Vater  Jost  Ludwig.  Mit  seinem  jüngeren  Bruder 
Hans  ward  er  am  26.  Mai  1528  und  gegen  Ende  des  Jahres  1534  bei  der 
Krakauer  Universität  immatrikuliert.  Während  Hans  im  Herbst  1540  in 
diplomatischen  Geschäften  an  den  Hof  König  Ferdinands  ging  und  von  dort 
Studien  halber  nach  Italien,  am  28.  Mai  1541  schreibt  er  aus  Padua:  „cum 
indignum  videretur  amplius  in  aula  serenissimi  Rom  an  i  regis  cum  tempore  (quod 
irrecuperabile  est)  tantam  peeuniarum  iacturam  facere,  aeeepto  tandem  a  parente 
meo  paterno  consilio  ac  impetrata  ab  eadem  regia  maiestate  ad  tres  annos  ab 
aula  discedendi  benigna  licentia  Venetias  et  Paduam  sum  profectus  ea  ratione, 
ut  visis  etiam  Ulis  partibus  cum  linguae  latinae  exercitatione  et  italicam 
addiscam"  unterstützte  Jost  Ludwig  den  kränkelnden  Vater.  In  der  polnischen 
Reformationsgeschichte  ist  er  bekannt  als  ein  Förderer  der  evangelischen  Lehre 
im  Krakauer  Distrikte.  Auf  seinem  Gute  Wola  war  der  bekannte  Gregorius 
Pauli  Pfarrer.  Als  dieser  Sommer  1562  zu  den  Antitrinitariern  überging,  trat 
Dietz  wider  ihn  auf  und  hielt  zu  seinen  Gegnern  Sarnicki  und  Sylvius.  Vergl. 
Opera  Calvini  XIX  Nr.  3938.  Er  starb  auf  dem  Reichstage  zu  Thorn  am 
24.  November  1576. 


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162  Abraham  Culvensis. 

22.  Februar  1543  antwortet  er  nach  Preußen:  „Doctor  Abrahams 
sachenn  will  ich  in  acht  haben,  gern  darin  was  mugiichenn  thun, 
dieweyll  ich  sehe,  das  meine  gnedigste  fraw1)  die  saohen  auch 
nyt  ungewogen." 

Tief  schmerzte  es  Culvensis,  in  seiner  Heimat  infolge  der 
Verfolgung  durch  den  Bischof  Paul  Algimunt  vogelfrei  zu  sein, 
und  gern  hätte  er  es  gesehen,  wenn  unbefangene  gerechte  Richter 
zwischen  ihm  und  dem  Bischöfe  auf  Grund  der  heiligen  Schrift 
entschieden  hätten.  Er  schrieb  in  diesem  Sinne  an  die  Königin, 
stellte  zu  seiner  Rechtfertigung  und  Verteidigung  auch  ein  kurzes 
Glaubensbekenntnis  auf,  das  er  durch  den  Druck  jedermann 
zugänglich  machte8).  Aber  alle  seine  Bemühungen  nach  einem 
gerechten  Gerichtsverfahren  waren  vergeblich,  selbst  die  Königin 
konnte  ihm  dazu  nicht  verhelfen.  Aber  wenigstens  sollte  ihm 
die  Erlaubnis  werden,  zeitweise  in  Lithauen  weilen  zu  dürfen. 
Am  6.  Mai  wurde  die  schon  für  das  vergangene  Jahr  in  Aus- 
sicht genommene  Hochzeit  des  jungen  Königs  mit  Elisabeth  von 
Österreich  in  Krakau  endlich  gefeiert,  und  zu  den  Festlichkeiten 
war  neben  vielen  anderen  Fürsten  auch  Herzog  Albreoht  er- 
schienen8). Mit  Dietz,  den  wir  in  jenen  Tagen  viel  um  ihn 
sehen4),  hatte    er    eine    Besprechung    über   weitere    Schritte    zu 


1)  Die  Königin. 

2)  Neudruck  bei  Tschackert  III,  Nr.  1543. 

3)  Nach  Bock:  Leben  und  Thaten  Albrechts  des  Altern,  Königsberg  1750 
S.  238  ist  Albrecht  am  29.  April  in  Krakau  eingetroffen.  Da  Tschakkert  für 
diese  Reise  des  Herzogs  kein  Itinerarium  bietet,  bemerke  ich,  daß  die  Rückreise 
Ende  Mai  erfolgte  über  Seeymin  (29.  Mai),  Quirnewitz  (Skierniewice)  Sochaczew 
(4.  Juni),  Wyszogrod  an  der  Weichsel  (6.-8.  Juni). 

4)  Dietz  überreichte  ihm  unter  anderem  ein  Straßburg,  den  4.  März  1543 
datiertes  Schreiben  Kaspar  Hedios  und  ein  Exemplar  seiner  Ausgabe  der 
Chronik  des  Abtes  von  Ursperg,  die  der  Straßburger  Theologe  dem  Herzog 
Albrecht  gewidmet  hatte.  Im  Hause  des  Dietz  schrieb  er  am  23.  Mai  seinen 
Dank  nach  Straßburg.  Zu  dem  Briefe  Hedios  an  Herzog  Albrecht  vom 
10.  April  1546  schreibt  Voigt  (Briefwechsel  der  berühmtesten  Gelehrten  mit 
Herzog  Albrecht.  1841  S.  3351  und  Tschackert  III  S.  121  „aus  unbekannten 
Gründen  hört  mit  diesem  Schreiben  die  Korrespondenz  Hedios  mit  Albrecht 
auf/'  Ich  bemerke  hierzu,  daß  sämtliche  Briefe  über  Krakau  durch  Dietz 
Hände  gingen  und  durch  dessen  Tod  am  26.  Dezember  1545  die  Korrespondenz 


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Von  Dr.  Wotechke.  163 

Gunsten  Culvensia  und  bat  darauf  persönlich  für  ihn  den  alten 
König  um  einen  Geleitsbrief  zum  Besuche  seiner  Heimat.  Die 
Königin  schloß  sich  der  Bitte  des  Herzogs  an  und  ihrem  ver- 
einten Drängen  vermochte  Sigismund  I  nicht  zu  widerstehen.  Als 
ferner  im  August  der  junge  König  Sigismund  August  mit  seiner 
Gattin  nach  "Wilna  übergesiedelt  war  und  von  seinem  Vater  das 
Großfürstentum  Lithauen  zur  Verwaltung  überwiesen  erhalten 
hatte,  vergaßen  die  preußischen  Gesandten,  die  im  September 
nach  Wilna  gingen,  der  Hauptmann  von  Caimen  im  Samlande 
Andreas  Rippe  und  der  herzogliche  Bat  Johannes  Lohmttller 
nicht,  auch  von  Sigismund  August  für  Culvensis  einen  freien 
Geleitebrief  zu  erwirken1). 

Ohne  für  sein  Leben  fürchten  zu  müssen,  durfte  Culvensis 
an  eine  Reise  nach  seiner  Heimat  denken,  auch  seine  heißgeliebte 
Mutter  wiederzusehen  hoffen.  Auch  der  Herzog  konnte  ihm 
Urlaub  gewähren,  da  der  gelehrte  Mediziner  Johann  Brett- 
schneider aus  Wittenberg,  unter  dem  14.  August  von  Luther 
empfohlen,  Mitte  September  nach  Königsberg  gekommen  war 
und  sich  bereit  erklärt  hatte,  Culvensis  in  seinem  Amte  zu 
vertreten2). 

abgebrochen  wurde.  Hedio  scheint  die  Nachricht  vom  Tode  Dietz  erst  spät 
erhalten  zu  haben,  da  er  noch  am  10.  April  des  folgenden  Jahre6  den  oben 
erwähnten  Brief  ihm  sendet  mit  der  Bitte,  ihn  nach  Königsberg  weiter  zu  be- 
fördern. Wiewohl  seine  Söhne  Jost  Ludwig  und  Hans  Dietz  am  29.  April  dem 
Wunsche  des  Straßburger  Freundes  ihres  Vaters  nachkamen,  sich  somit  zu 
weiterer  Übermittelung  der  Korrespondenz  erboten,  war  ihr  doch  der  Lebensnerv 
unterbunden. 

1)  Vergleiche  Beilage  Nr.  11.  Anfang  August  war  Sigismund  August 
nach  Lithauen  aufgebrochen,  unter  dem  27.  dieses  Monats  beglückwünscht  ihn 
Herzog  Albrecht  zu  seiner  glücklichen  Ankunft. 

2)  Wenn  Tschackert  I,  250  schreibt,  „Culvensis  war  nicht  im  Stande, 
das  Partikular  in  eine  ruhige  gedeihliche  Entwicklung  hineinzuleiten  und 
Streitigkeiten,  welche  unter  den  Lehrern  ausbrachen,  zu  schlichten,  1543  über- 
nahm daher  der  Mediziner  Brettschneider  die  Leitung  der  Anstalt",  so  ist  dies 
nur  zum  Teil  richtig.  Nur  die  Vertretung  des  in  die  Heimat  reisenden  Cul- 
vensis hat  Brettschneider  übertragen  erhalten,  nur  „auf  eine  kurze  Zeit  ver- 
ordnete ihn  der  Herzog  zum  Aufseher  der  Schule".  Die  Schuld  an  den 
Streitigkeiten    unter   den  I^ehrern    am  Partikular   weist  auch  Tschackert  Isinder 


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Ig4  Abraham  Culvensis. 

Am  6.  Oktober  beantwortete  der  Fürst  Luthers  Empfehlungs- 
schreiben für  Brettschneider  und  am  folgenden  Tage  schreibt 
er  für  Culvensis  an  den  Statthalter  von  Samogitien  und  Starosten 
von  Duzmiany  Johannes  Bielewicz  und  bittet  ihn,  sich  seines 
treuen  Dieners  annehmen,  mit  Rat  und  Tat  seine  Angelegen- 
heiten fördern  und  ihn  vor  allen  Anfeindungen  schützen  zu 
wollen.  Über  Culvensis  Reise  und  seinen  Aufenthalt  in  Lithauen 
habe  ich  leider  nichts  ermitteln  können,  auch  vermag  ich  nicht 
sicher  zu  sagen,  wann  er  nach  Königsberg  zurückgekehrt  sein 
mag.  Erst  im  April  des  nächsten  Jahres,  da  er  für  den  Pfarrer 
von  Lyck  Stanislaus  aus  Krakau  eine  Fürbitte  an  den  Burg- 
grafen Martin  Cannacher  richtet1),  taucht  sein  Name  in  den 
preußischen  Urkunden  wieder  auf.  Ich  vermute  deshalb,  daß  er 
ein  halbes  Jahr  in  seiner  Heimat  geblieben  ist  und  bei  seiner 
Rückkehr  das  Rektorat  am  Partikular  durch  den  bisherigen 
Professor  der  Beredsamkeit  in  Frankfurt  a.  d.  Oder,  den  preis- 
gekrönten lateinischen  Dichter  Georg  Sabinus,  Melanchthons 
Schwiegersohn,  besetzt  fand.  Es  bedeutete  für  ihn  kein  Opfer, 
die  provisorische  Leitung  der  Anstalt  aufzugeben  und  nur  als 
Lehrer  neben  anderen  am  Partikular  zu  wirken,  konnte  er  doch 
jetzt  seine  ganze  Kraft  der  Lehrtätigkeit  widmen,  auch  der 
lithauischen  Schüler,  die  der  Klang  seines  Namens  nach  Königs- 
berg gelockt  hatte2),  sich  besser  annehmen!     Mit  Seklucyan  aus 


zu.  Daß  der  Herzog  Culvensis  nur  Vicerektor  sein  ließ,  am  6.  und  7.  Ok- 
tober 1543  Kamerarius  aus  Leipzig  bezw.  Joh.  Spangenberg  aus  Nordhausen 
oder  Joh.  Gigas  aus  Züllichau  zu  Leitern  der  Schule  gewinnen  wollte  und  am 
16  März  1544  dem  Sabinus  das  Rektorat  übertrug,  zeugt  von  keiner  Un- 
zufriedenheit Albrechts  mit  der  Tätigkeit  des  lithauischen  Humanisten.  Es  war 
für  den  Herzog  selbstverständlich,  an  die  Spitze  der  jungen  Schule  und 
Universität  einen  Gelehrten  zu  stellen,  dessen  Name  in  Deutschland  weithin 
berühmt  war,  und  der  den  Ruf  der  jungen  Pflanzstätte  wissenschaftlichen  Lebens 
neben  den  älteren  deutschen  Hochschulen  begründen  konnte. 

1)  Vergl.  den  Brief  bei  Tschackert  III,  S.  67. 

2)  Die  Königsberger  Universitätsmatrikel  weist  unter  dem  Jahre  1544 
allerdings  nur  vier  Studenten  auf,  die  als  Lithauer  bezeichnet  sind,  Joannes 
Zaphisska,  Joannes  Adamus,  Joannes  Schuka  Wilnensis  und  Mathiaeus  Paulus. 
Es  scheint,  als  ob  die  Söhne  der  lithauischen  Magnaten,  welche  den  Edelknaben 


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Von  Dr.  Wotechke.  165 

Posen,  der  während  seiner  Lithauer  Reise  in  Königsberg  eine 
neue  Heimat  gefunden  hatte,  erneuerte  er  den  vor  acht  Jahren 
in  Leipzig  geschlossenen  Freundschaftsbund. 

Als  im  Sommer  das  Partikular  zur  Universität  umgewandelt 
wurde  und  am  17.  August  die  feierliche  Eröffnung  der  Akademie 
erfolgte,  trat  Culvensis  als  Lehrer  in  die  Artistenfakultät  ein 
und  erhielt  die  erste  Professur  der  griechischen  Sprache,  außer- 
dem las  er  hebräische  Grammatik  und  interpretierte  die 
Psalmen1).  Mit  einem  Kolleg  über  griechische  und  hebräische 
Grammatik  und  seinen  Lieblingsdichter  Hesiod  eröffnete  er 
seine  Vorlesungen.  Da  kam  gegen  Ende  des  Jahres  1544  sein 
Freund  Georg  Zablocki,  der  Herbst  1542  in  Polen  ein  Lehramt 
gefunden,  jetzt  aber  wegen  seines  Bekenntnisses  zum  Evangelium 
von  neuem  hatte  flüchten  müssen,  nach  Königsberg  und  drang 
in  Culvensis,  ihn  nach  Lithauen  zu  begleiten  und  dort  gemein- 
sam mit  ihm  unter  dem  Schutze  einiger  reformatorisch  gesinnter 
Großen  mit  den  Vertretern  des  alten  Dogmas  zu  disputieren  und 
durch  Predigten  den  Samen  der  reinen  Gotteserkenntnis  weithin 
in  Lithauen  auszustreuen.  Um  so  lieber  ging  Culvensis  auf 
seine  Bitten  ein,  als  er  gern  seine  hochbetagte  Mutter  wieder- 
sehen wollte.  Der  Magister  Jakob  Mittag  übernahm  seine  Vor- 
lesungen an  der  Universität8),  der  Herzog  gewährte  ihm  Urlaub, 
ließ  auch  für  ihn  am  2.  Januar  1845  einen  Empfehlungsbrief  an 
Nikolaus  Eadziwill  schreiben.  Am  10.  Januar  empfahl  er  Cul- 
vensis Freund  Zablocki  demselben  Magnaten,  am  14.  auch  dem 
polnischen  Großen  Fabian  von  Zemen. 


des  Herzogs  eingereiht  wurden  und  an  der  Universität  studierten ;  sich  nicht 
inskribieren  ließen.  Am  18.  August  1543  dankt  der  Statthalter  Samogitiens 
Johannes  ßielewicz  dem  Herzoge,  daß  er  seinen  Sohn  Nikolaus  in  Königsberg 
aufgenommen  habe  und  studieren  lasse,  aber  seinen  Namen  habe  ich  in  der 
Universitätsmatrikel  nicht  gefunden. 

1)  Vergl.  den  Brief,  den  Wilhelm  Gnapheus  Königsberg  den  14.  Juli  1544 
an  Laski  richtete:  Theologus  quidam  Lithuanus  auspicatus  est  Psalterii  inter- 
pretationem.    Gabbema:  Epistolae.    Harlingae  1609  S.  29. 

2)  Vergl.  Mittags  Anschlag  an  das  schwarze  Brett  der  Universität  unter 
dem  30.  Juni  1545:  „Passus  sum  mihi  etiam  lectionem  grammatices  et  Hesiodi 
imponi  partim  preeibus  d.  Abrahami  motus,  partim  publicae  utilitatis  causa". 


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166  Abraham  Culvensis. 

Einige  Tage  weilte  Culvensis  in  seinem  Elternhause  und 
freute  sich  des  "Wiedersehens  mit  seiner  Mutter,  dann  führte  ihn 
sein  Glaubenseifer  nach  "Wilna.  Hier  predigte  er  viele  Wochen 
unter  großem  Zulauf,  Tausende  zog  der  Ruf  seines  Namens  und 
das  Sehnen  nach  dem  lauteren  Gotteswort  zu  ihm,  auch  disputierte 
er  wie  Zablocki  mit  den  Vertretern  der  alten  Kirche  über  die 
strittigen  Glaubensartikel.  Ende  April  befiel  ihn  ein  leichtes 
Unwohlsein.  Oder  war  es  das  erste  Zeichen  einer  schwereren 
Erkrankung?  Der  Arzt,  den  er  zu  Rate  zog,  gab  nach  Ansicht 
der  Mutter  unseres  Lithauers,  bestochen  von  seinen  Gegnern, 
den  Anhängern  der  skrupellosen  römischen  Hierarchie,  ihm  statt 
der  kräftigenden  Arznei  ein  schleichendes  Gift1),  das  seine  Kräfte 
schell  verzehrte.  Noch  konnte  er  sich  aus  "Wilna  in  sein  Eltern- 
haus schleppen.  Unerachtet  der  aufopfernden  Pflege  seiner  un- 
glücklichen Mutter  und  Verwandten,  trat  keine  Besserung  ein, 
bald  ahnte  Culvensis,  daß  seine  irdischen  Tage  gezählt  seien. 
Der  Glaube,  der  seit  seinem  Studium  in  Wittenberg  sein  Leben 
durchstrahlte,  verklärte  auch  seine  Sterbestunde.  Als  er  seinen 
Tod  nahe  fühlte,  bat  er  alle  seine  Verwandten  und  Freunde  zu 
sich  und  tröstete  sie  über  seinen  Heimgang.  Auf  sein  Grabmal 
wünschte  er  sich  als  Inschrift  die  "Worte  seines  evangelischen 
Bekenntnisses:  „Ich  glaube  eine  Vergebung  der  Sünden,  Auf- 
erstehung des  Fleisches  und  ein  ewiges  Leben.'*  Da  er  voraus- 
sah, daß  der  Haß  der  Römischen  ihn,  den  evangelischen  Glaubens- 
zeugen, bis  über  den  Tod  hinaus  verfolgen  und  seine  Beisetzung 
in  der  Gruft  seiner  Väter  in  der  Kirche  nicht  gestatten  würde, 
bekannte  er,  für  die  Seele  sei  es  gleichgültig,  wo  der  Leib  ver- 
wese. Ließe  sich  eine  Bestattung  in  der  Kirche  nicht  ermöglichen, 
so  möchte  man  ihn  auf  einem  Hügel,  nahe  bei  dem  Hause  be- 
graben. Hier  werde  er  ruhen  bis  zur  Ankunft  des  Weltenrichters, 
der  zwischen    ihm    und    seinen  Feinden  richten  und  ihn  recht- 


1)  Auch  Wigand  berichtet  in  seiner  kurzen  Biographie  Culvensis,  „cum 
in  patriam  negotiorum  causa  excurreret,  veueno  clam  e  meciio  sublatus  dicitur". 
Vergl.  Tschackert  III,  S.  281. 


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Von  Dr.  Wotechke.  167 

fertigen  werde.  Darauf  ließ  er  die  Seinen  die  Psalmen  singen, 
die  er  selbst  in  das  Lithauische  übersetzt  und  sie  gelehrt  hatte. 
Unter  ihren  Gesängen  ist  er  in  der  Frühe  des  6.  Juni  1545 
sanft  entschlafen1). 

Am  15.  Juni  sandten  seine  Mutter  und  die  Stadthalter 
Samogitiens  Johann  Bielewicz  und  Johann  Kmita  den  treuen 
Diener  Stanislaus  nach  Königsberg,  meldeten  den  Tod  seines 
Herrn  und  baten  den  Herzog  um  Ordnung  und  Regelung  des 
Nachlasses2).  Bereitwilligst  gewährte  der  edle  Fürst  ihnen  diese 
Bitte.  Seiner  Fürsorge  für  die  arme  schwergeprüfte  Mutter  ver- 
danken wir  ein  Verzeichnis  des  Nachlasses,  das  durch  die  genaue 
Beschreibung  der  Bibliothek  Culvensis  von  besonderem  Werte 
für  uns  ist*).  Am  29.  Juni  beantwortet  der  Herzog  die  Todes- 
anzeige4), der  Mutter  spricht  er  sein  herzliches  Beileid  aus  und 
mahnt  sie,  die  Prüfung  ergeben  und  demütig  zu  tragen6). 

Der  treffenden  Charakteristik,  die  Tschackert  von  Culvensis 
giebt:  „Frömmigkeit  ist  der  Grund  ton  seines  Lebens  gewesen, 
Reinheit  des  Wandels  und  Unbescholtenheit  des  Charakters 
zeichneten  ihn  aus  und  ein  reger  wissenschaftlicher  Sinn  und 
zäher  Fleiß  machten  ihn  auf  vielen  Gebieten  zum  Meister"  habe 
ich  wenig  hinzuzufügen6).  Ein  warmes  Glaubensleben  und  ein 
heiliger  Drang,  dem  Vaterlande  die  Beformation  zu  bringen, 
innige  vor  keiner  Gefahr,  keinem  Opfer  zurückschreckende  Liebe 
zu  den  Eltern,  ein  unermüdlicher  wissenschaftlicher  Eifer  und 
nie    rastender  Fleiß,    ein  vielseitiges  Interesse,    das   alle  Fächer 


1)  Ob  der  Brief,  den  Bischof  Speratus  Marien  werder,  den  1.  Mai  an  ihn 
richtete  und  in  dem  er  ihn  um  einen  tüchtigen  evangelischen  Prediger  für  die 
lithauischen  Ansiedler  in  Preußen  bat,  ihm  noch  auf  seinem  Sterbelager  über- 
geben   worden  ist,    vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

2)  Vergl.  Beilage  16. 

3)  Vergl.  Beilage  20. 

4)  Vergl.  Beilage  18. 

5)  Vergl.  Beilage  19. 

6)  Wigand  nennt  ihn  „homo  sane  pietate  constans,  gravis  excitati  ingenii, 
in  quo  singularis  candor  atque  integritas  fuit;  superbiae,  arrogantiae  impietati 
host ie  adversissimus". 


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X68  Abraham  Culvensis. 

des  Wissens  umfaßte,  vereinigten  sich  in  ihm  und  machten  ihn 
zu  einem  liebenswerten  Menschen,  frommen  Theologen  und 
gründlichen  Humanisten,  zu  einer  der  edelsten  Gestalten  der 
polnischen  Litteratur-  und  Kirchengesohichte.  Welchen  Segen 
hätte  er  seinem  Vaterlande  bringen  müssen,  wäre  ihm  ein  längeres 
Leben  beschieden  gewesen!  Um  so  schwerer  war  der  Verlust, 
der  durch  seinen  Tod  die  polnische  und  lithauische  Reformation 
traf,  als  vier  Wochen  vor  ihm  am  13.  Mai,  schon  der  erste 
Professor  der  Theologie  in  Königsberg,  der  Lithauer  Stanislaus 
Rapagelan  (Rapailowitz)  l)  gestorben  war  und  niemand  die 
doppelte  Lücke,  die  der  Tod  binnen  eines  Monats  gerissen,  aus- 
füllen konnte.  Allgemein  war  die  Empfindung,  wie  viel  man 
in  ihm  verloren  habe,  und  wenn  wir  über  die  Trauer  unter  den 
Evangelischen  in  seinem  Vaterlande  auch  keine  nähere  Nach- 
richt haben2),  so  sind  wir  über  den  Schmerz,  der  in  Königsberg 
herrschte,  und  die  warme  liebevolle  Erinnerung,  die  man  hier 
ihm  bewahrte,  um  so  besser  nnterrichtet.  Seine  beiden  Freunde 
und  Kollegen  an  der  Universität,  der  Magister  Johann  Hoppe 
und  der  Jurist  Christoph  Jonas  ließen  ihm  im  Dom  einen  Grab- 
stein setzen,  der  nach  dem  Wunsche  des  Sterbenden  die  Inschrift 
trug:  „Credo  remissionem  peocatorum,  carnis  resurrectionem  et 
vitam  aeternam.     Amen.44     Es  folgten  dann  noch  die  Verse: 

Praematura  tulit  Culvensis  fata  Abraharaus, 

Qui  coluit  pura  religione  deum. 
Hie  in  gymnasio  doctoris  munere  funetus 

Stemmate  et  ingenio  clarus  et  arte  fuit. 
Ossa  tegit  tristis,  genuit  quae  Littava  tellus, 

At  mens  cum  Christo  non  moritura  inanet8). 


1)  Siehe  Beilage  21. 

2)  Doch  wird  auch  von  seinem  Tode  gelten,  was  der  Krakauer  Buch- 
drucker und  Gelehrte  Bernhard  Wojewodka  unter  dem  10.  Juni  von  dem  des 
Rapagelan  schreibt:  „Stanislaum  Eapagelanum  meum  amicissimum  fatis  cou- 
cessisse  vitamque  cum  morte  commutasse  cum  mihi  Scclucianus  scripsisset,  adeo 
sum  consternatns,  ut  vix  potuerim  hiscere  dolens,  quod  nostra  expeetatio  tarn  cito 
evanuit'". 

3^  Vergl.  Lilieuthal,  Beschreibung  des  Thums,  1716  S.  57  f.  und  Gebser 
und  Hagen,  der  Dom  zu  Königsberg,  II,  8.  203. 


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Von  Dr.  Wotschke.  169 

Am  ersten  Jahrestage  seines  Todes  hielt  Hoppe  seinem 
Freunde  eine  glänzende  Gedächtnisrede,  in  der  er  seines 
Bildungsganges  und  seiner  Gelehrsamkeit,  seiner  tiefen  Frömmig- 
keit und  seines  lauteren  Charakters  und  seligen  Sterbens  ge- 
denkt. 1547  ließ  er  sie  im  Druck  ausgehen  und  widmete  sie 
unter  dem  26.  Juni  dem  Oheim  seines  Freundes,  Michael  Juß- 
kewitz  Culvensis1).  Am  Schlüsse  des  Büchleins  bringt  Hoppe 
zwei  weitere  ähnliche  Epitaphinschriften: 

Culvensis  iacet  hie  Abrahamus  morte  peremptus, 

Qui  pura  coluit  religione  deum, 
Et  qui  gymnasio  doctorum  raunere  funetus 

Ingenio  clarus,  clarus  et  arte  fuit. 
Quae  genuit  tellus  fovet  hunc  Lithuana  sepultum 

Condita  sunt  patrio  frigida  membra  solo. 
Dulcibus  ast  Abrahae  reeubans  Abrahamus  in  ulnis 

Gaudet  et  aeterna  pace  quietus  agit. 

Und  wiederum: 

Hie,  Abrahame,  iaces,  tua  conditur  inclita  tecum 

Virtus,  nobilitas,  ars  et  ab  arte  decus. 
Hie  tua  summa  fides,  hie  sedula  cura  docendi 

Hie  iacet  et  parva  contumulatur  humo. 
Terra  fovet  gelidos  exhausti  corporis  artus, 

At  mens  cum  Christo  non  moritura  manet. 

Beilagen. 

I. 

Herzog  Albrecht  an  Paul  Speratus. 

Wir  geben  euch  gnediger  meynung  zu  erkennen,  das  wir 
Johan  Thorthylouwitz  etwan  pfarrer  Schylelycensis  in  Samaiten, 
welcher  vmb  des  gotlichen  worts  willen  sich  von  dannen  gehn 
der  Tilsit  begeben  vnnd  ein  zeitlangk  sich  aldo  bey  dem  pfarrer 
enthalten,  welcher   jnen    vor   from    redlich  vnd    tüchtig    achtet, 


1)  Joannes  Hoppius  Budissensis:  Oratio  funebris  in  obitum  nobilis  ac 
clarißßimi  viri  doctoris  Abraham i  Culvensis  Lithuani,  professoris  in  academia 
Regimontana  Prussiae.     Anno  1547.    Mense  Junio. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  1  u.  2.  12 


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170  Abraham  Calvensis. 

auch  der  polnischen,  lateinischen  vnd  lithauisohen  sprach  kundig, 
ein  zeitlangk  zu  Insterburgk  zu  pleiben  vnd  zu  predigen  zu- 
gelassen haben,  wiewol  wir  jnen  villieber  zur  Lick,  do  wir  dan 
dasselb  kirchspiel  vnd  die  arme  leut  mit  einem  dergleichen  ge- 
schickten mahn  auch  gern  vorsehn  wissen  wolten.  Doch  mit 
diesem  bescheidt,  wan  wir  jnen  daselbst  hin  haben  wollen, 
welchs  er  bewilligt  sich  dahin  gen  der  Lick  begeben  williglich 
geprauchen  will  lassen.  Derohalben  ist  vnser  gnedigs  begeren 
an  euch,  jr  wollet  ob  ihr  irgends  einen  geschickten,  der  der  pol- 
nischen vnd  littauischen  sprach  erfaren,  bey  euch  zuwegen  zu- 
pringen  wist,  vns  demselben  vfs  fürderlichst  herabschioken, 
damit  wir  jnen  gehn  der  Lick  zuordnen,  auch  vleis  anwenden, 
ob  einer  zu  bekomen  wer  vnnd  was  ir  in  diesem  vhal  thun 
kundt,  auch  auszurichtenn  vermeint  oder  wist,  vns  vffs  fürder- 
lichst wie  oben  vermelt  darnach  haben  zu  richten,  verständigen. 

IL 

Herzog  Albrecht  an  Adam  Hanuszewitz. 

Generose  nobilis  dilecte.  Tametsi  communi  christianae 
pietatis  commiseratione  desolatis  omnibus  et  iniuria  oppressis, 
quantum  in  nobis  est,  gratiose  subvenire  cupimus,  attamen  privato 
quodam  et  singulari  affectu  ducimur  ac  iudicio  nostro  ex  officio 
principis  christiani  tenemur  his  prae  caeteris  subvenire,  qui 
religionis  praecipue  nomine  citraque  aliam  culpam  lacessiti 
fuerint  minus  iuste.  Cumque  huius  modi  molestatis  ex  homi- 
nibus  sacerdos  quidam  Joannes  nomine  Thorthylovitz,  pastor 
quondam  ecclesiae  Szylelycensis,  conscientiae  et  fidei  sub  gratia, 
quo  liberiori  deo  spiritu  servitutem  impenderet,  ecolesiam  suam 
resignando  ad  nos  concessit  locumque  nostro  in  principatu 
consistendi  haud  difficile  impetravit,  inspecta  eius  übertäte,  quam 
habere  praetendit  nemini  vobiscum  Servitute  esse  obstrictum.  Is 
nobis  tandem  conquestus  est,  se  cuidam  nobili  Stephano  Vithkovitz 
pecuniam  certam  nempe  duodecim  marcas  bona  fide  mutuo  de- 
disse,  quas  ei  ut  fidum  debitorem  deceret,  rependere  negligit  et 


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Von  Dr.  Wotschke.  17] 

prorsus  recusat,  nullam  aliam  assignans  causam  nisi  quod  praefati 
Joannis  in  ecclesia  successorem  huius  modi  pecuniam  arrestasse 
dicit.  Ad  quam  tarnen  pecuniam  nee  ipse  nee  quisquam  alius 
ins  se  habere  probabit.  Sed  quia  praedictus  nobilis  V1"^  Dnis 
sub  dicione  et  potestate  existit,  gratiosa  et  amica  erga  Vram 
Dnem  peticio  est,  quatenus  Vra  Dtio  cum  eo  agere  imo  praec;pere 
et  mandare  velit,  quo  praedicto  Joanni  debitam  pecuniam  absque 
damno  rependat  ....  Dat.  e  Regiomonte  29.  Maii  1536. 

in. 

Herzog    Albrecht   an    den   jüngeren    König   Sigisraund  August. 

Honestus  atque  doctus  Georgius  Lithuanus  Zablocius, 
praesentium  exhibitor  literarum,  mihi  aliunde,  ut  eum  dementia 
amplecti  omnibusque  in  rebus  honestis  et  licitis  ad  ipsius  instan- 
tiam  promovere  dignarer,  diligentur  commendatus  est.  Porro 
cum  propter  multas  sane  egregias  causas  tum  etiam  propter 
liuguae  Polonicae  Cognition em  sub  nullius  regis  quam  Smae  Mtis 
Vrae  Riae  imperio  libentius  versari  servireque  ipsi  animus  sit, 
humiliter  me  oravit,  vellem  illum  Smae  Mti  Vrfte  Riae  commendare, 
quo  Cracoviae  vel  alias  aliquo  muneri  praeeipue  scholastico 
adhiberetur.  Ego  vero  quandoquidem  literis  omnibusque  literatis 
tanquam  ornamento  et  subsidio  rerum  publicarum  unice  faverem, 
eins  petitioni  libeuter  acquievi  atque  eo  libentius  cum  eius 
eruditatem  maxima  ex  parte  ante  perspexerim,  quapropter  Smae 
Mti  Vrae  Riae  praedictum  öeorgium  ut  hominem  doctum  et  probum 
humiliter  commendo  dediteque  oro,  ut  eum  scholastico  aliquo 
officio  adhiberi  curet,  pluribus  eum  commendarem,  ni  superacaneum 
iudicarem.  Scio  enim  S^Am  Mtem  Y™™  Riam  omnium  studiosorum 
fautorem  et  patronum  esse  singularem.  Quidcunque  sie  regii 
beneficii  aeeeperit,  erga  Smam  Mtem  R^am  Vram  omnibus  sine  dubio 
et  corporis  et  animi  dotibus  sedulo  et  humiliter  demereri  conabitur. 
Christus  Smam  Mtem  Vram  R^m  in  Nestoreos  usque  annos  pros- 
perrimam  omnique  ex  parte  foelicissimam  conservare  dignetur. 
Datae  e  Regio  Monte  16.  Augusti  1542. 

12* 


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172  Abraham  Culvensis. 

IV 

Herzog  Albreckt  an  Thomas  Sobocki1). 

Vnnsern  grus  zuuorn.  Edler  vnd  erentvhester  besunder 
lieber.  Wir  wollen  euch  jhnn  gnaden  nicht  bergenn,  das  vns 
gegenwertiger  zeiger  zuerkennen  gegeben,  welcher  gestalt  ehr 
aus  seinem  vaterlandt  Lithawenn  des  waren  allein  seligmachenden 
worthes  halbenn  vertrieben  vnnd  ein  weyl  zeit  im  elende  gewesen, 
nun  aber  vnangesehen  des  obgemelten  sich  gegen  Krackaw 
daselbst  vmb  dienst  sonderlich  einenn  schulenn  dienst  vmzusehenn 
zu  begebenn  bedacht,  vns  darauff  embsigs  vleiß  angelanget  vnd 
gebethenn,  wir  woltenn  jnen  an  könig,  die  junge  koe  Mftjt 
zu  Polenn  zu  vnserem  gnedigen  herrnn  vnd  lieben  Ohaym  ver- 
schreybenn.  Dieweyl  wir  dann  denn  loblichen  freyen  kunsten 
mit  allenn  gnadenn  vnd  diejenigen,  welche  denselben  anhengig 
genediglichenn  zufurderen  gewogenn,  haben  wir  jnenn  nicht 
allein  an  die  Köe  MaJfc  hochgemelt  verschreibenn  wollenn, 
sondernn  ist  auch  an  euch  als  denn  wir  solchenn  leuthenn 
geneigt  wissenn,  vnnser  ganntz  genedigs  synnen,  jr  wollet 
vnbeschwert  sein  vnd  bey  Kör  Mftjt  vmb  vnseretwillen  ge- 
dachtem Georgio  Zablocio  gutwillige  furderung  beweysenn,  damit 
ehr  ethwann  zu  eynem  ehrlichenn  dinst  gebraucht  werden  vnd 
eynenn  zimlichen  nottdurfftigenn  vnderhalt  habenn  möge.  Das 
sein  wir  mit  genediger  wolthath  widerumb  zubeschulden  vnnd 
abzunemen  gewogen.     Dat.  Königbergk,  denn  23.  Augusti  1542. 

Ein  ähnliches  Schreiben  sandte  der  Herzog  an  demselben 
Tage  an  Gabriel  Therla. 

V. 

Herzog  Albrecht  an  Abraham  Culvensis. 

Redeuntibus  nobis    de  nova  domo    arce  nostra  burggravius 

et   cancellarius    te    propter    certas    et   urgentes    causas    veniam 

petiisse    atque    hinc    abiisse    nobis  retulerunt.      Omnibus  autem 

conditionibus  et  qua  ratione  tibi  venia  abeundi  concessa  sit,   te 

1)  Über  Thomas  Sabocki  vergl.  Beilage  IX. 


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Von  Dr.  Wotechke.  173 

minime  latere  putamus.  Porro  cum  nobis  subito  negocia  quaedam 
acciderint,  in  quibus  tua  opera  opus  habeamus,  postulamus,  ut 
lectis  his  nostris  literis  amplius  nusquam  procedas,  sed  oonfestim 
ad  nos  revertaris  neque  te  moveat,  quod  fortasse  dimidium  iam 
iter  confeceris  vel  etiam  mater  tua,  cui  propter  periculum,  in  quo 
esse  dicitur,  ut  aequum  est,  subvenire  conaris.  Cogitavimus  enim 
et  deliberavimus  de  aiio  sine  dubio  convenientiori  eam  liberandi 
illique  subveniendi  modo  speramusque  consilium  nostrum  pros- 
perrime  successurum.  Quod  faxit  deus  opt.  max.,  quapropter 
sine  ulla  mora  et  exceptione  redeas  postulamus.  Dat.  8.  Octo- 
bris  1542. 

VI. 

Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Gastold. 

Honestus  Stanislaus  Viicomeriensis  praesentium  literarum 
exhibitor  propter  negotia  quaedam  haud  levia  in  Lithuaniam 
missus  est.  Cum  autem  fieri  posset,  ut  in  experiendis  iis  opera 
et  auxilio  Magüae  Y™,  in  quam  post  deum  multum  spei  collo- 
cat,  opus  haberet,  summis  atque  humillimis  nos  oravit  precibus, 
vellemus  illumMagüae  Vrae  commendare.  Cui  petitioni  uti  iustaepro 
officio  nostro  libenter  acquievimus,  amice  diligenterque  petentes 
Magtia  Va  si  quando  opus  fuerit  vel  nostro  nomine  dicto 
Stanislao  Viloomeriensi  plenam  in  omnibus  hoc  tempore  fidem 
adhibere  ac  ad  ipsius  peticionem  auxilio  consilioque  adesse  et 
quaere  dignetur.  Factura  in  hoc  pro  officio  suo  rem  sese 
dignam  nobis  gratam  omni  amica  dementia  agnoscendam. 
Christus  Magüam  yram  quam  diutissime  prosperrimam  ac  feli- 
cissimam  conservare  assumat.  Dat.  e  Monteregio  27.  Octo- 
bris  1542. 

vn. 

Herzog  Albrecht  an  Jobst  Ludwig  Dietz. 

Edler,  lieber  getrewer.  Wir  wollenn  euch  jhnn  gnadenn 
nicht  pergenn,  das  der  achtbare  vnnd  hochgelert  Abrahamus  der 
freyen    kunst    doctor,    welcher    ein    gebornner    Lithaw     vnnd 


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174  Abraham  Culvensis. 

warlichenn  ein  fromer  gelerter  man  ist,  vonn  denn  bischoffen n 
vnnd  prelathenn  des  großfurstenthumbs  Litthawenn  darumb  das 
ehr  dem  allein  seligmaohendenn  wortt  gotts  anhengig  vnd  durch 
seyne  allmechtigkeit  desselbenn  warheitt  erkanndt  dermassenn 
verfolgt,  das  er  bemelt  sein  vatterlandt  ein  weylzeitt  gemiden 
vnd  sich  bey  vns  vnderhaltenn,  daneben  das  die  bemelten 
bischoffe  dahin  getracht,  wie  jme  seyne  gutther  genommen 
werden  mechtenn.  So  hatt  jme  doch  die  konigin  vonn  polen, 
vnnsere  gnedigiste  frawhe,  mittlerzeit  geschriebenn  vnnd  sich 
königlich  erbethenn,  die  gutther  jhn  jrer  kor  Maj*  genedigenn 
schütz  zunemen  vnd  jm  die  nutzung  vonn  denselbenn  genedig- 
lichenn  zu  vberantwurtten  zu  lassen.  Weyl  wir  aber  ewer 
person  dem  gotlichenn  wortt,  auch  den  liebhabernn  desselbenn 
gantz  geneigt  wissenn,  haben  wir  auf?  sein  embsigs  anlangenn 
nicht  vnderlassenn  wollen  derhalbenn  an  euch  zu  schreyben,  be- 
geren  vnd  synnen  demnach  an  euch  gantz  genediglichenn,  jr 
wollet  den  armen  bedruckten  frommen  bidermann  jn  anmerkung 
seyner  itzigen  Verfolgung  zutrost  bei  kor  Maj*  hochgemelt 
vorfurdern,  damit  er  solche  nutzung  bekhomme  vnnd  auch  das- 
selbe, das  ire  könige  Maj*  ime  schicken  wirt  entpfahenn,  vnnd 
alsdann  solchs  alhere  verfertigen,  nichts  mynder  sonstenn  seyner 
sachenn  ihm  besten  bey  koniger  Majfc  gedenken  vnd  vorstellenn. 
Das  seint  wir  nebenn  dem  das  es  ein  werck,  damit  die  christ- 
liche brüderliche  liebe  bewiesenn,  in  gnadenn  anzunemenn  vnnd 
zu  erkhennen  gewogen.  Dat.  Königspergk,  den  18.  Novem- 
bris  1542. 

VIII. 
Protokoll  über  Eröffnung  des  Particulars. 

Anno  1542  den  11.  tag  deß  monats  Decembris  ist  obgemelte 
fundation  des  partikulars  aus  F.  D.  beuelch  im  beiwesenn  irer  F.  D. 
dartzu  verordneten  rethe  als  nemlich  deß  Burggrafen,  Kanzlers, 
Kaspar  Nostwitz  vnnd  Hansenn  Harthemus  dem  doctor 
Abraham  magistro  vnnd  pacalaurien,  als  deme  so  die  schulen 
befohlen,  nicht   minder  den  Schülern  sampt  andern   communen, 


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Von  Dr.  Wotechke.  175 

wes  sich  ein  jedes  teil  vermog  der  fundation  halten  solle, 
öffentlich  abgelesenn  vnnd  publiciert  worden. 

IX. 

Jobst  Ludwig  Dietz  an  Herzog  Albrecht. 

Belangend  den    handel    mit   dem    hern  Abraham 

Culvensi  habe  ich  auff  18.  mein  son  [zur  d.  Königlichen  Majt 
gesandt,  Euer  F.  D.  schreiben  derhalben  an  mich  gethan  ins 
Latein  interpretiert  vberantwurtet  vnnd  dabey,  was  mich  zu  der 
sachen  dienstlich  gedeucht,  handeln  lassen.  Was  ich  darauff  zur 
antwurt  erhalten,  ist  mit  vleis,  wie  es  ire  Majt  mundlich  geredt, 
auff  ingelegten  zedl  geschriben,  allein  dises  mit  willen  vnnder- 
lassen,  was  ihre  Majt  für  vrsaoh  habe,  solchs  der  nutzung 
halben  nit  baldt  geschehen  muge,  Nemlich  das  ire  Majt  begert, 
die  ding  in  geheim  gehalten  würden,  damit  seine  Widersacher 
nit  crucifige  vber  ire  Majt  3ohrein.  Dieweil  ich  aber  merkh 
ire  Majt  dem  man  nit  vngenedig,  bin  ich  gueter  hoffnung,  so 
ich  mit  irer  Majt  selbst  zue  reden  kam,  den  sachen  ein  leidtliche 
moß  zue  erhalten.  Es  ist  auch  nicht  fürtreglich  von  dem  wort 
des  hern  zue  hanndeln  durch  die,  so  von  der  oberkheit  nit  er- 
fordert vnnd  die  gegen  sich  zue  bewegen,  die  einer  weder 
lernen  soll  noch  straffen  kan,  wer  wan  zue  vil  scharff  für  dem 
gemeinen  mann  die  oberkheit  on  beuelch  anzugreiffenn,  gibt 
den  zuehorenden  grosse  ergernus,  denen  so  damit  gemeint  kein 
be8serung,  denn  sie  horendts  nit  vnnd  wirt  alweg  mit  mereren 
zuegelegten  hinfür  gebracht,  das  hab  ich  aus  teglicher  erfarung. 
E.  F.  D.  ist  wol  bewußt,  das  meine  genedigste  fraw,  die 
konigin  ein  sinreiohe  kluge  kunigin  ist,  die  vnnder  andern 
genotigen  dingen  dises,  so  nit  das  wenig  ist,  auch  verstet,  das 
etliche  ding  in  sollchem  volckh  mit  weniger  beleidung  ein  zeit 
noch  geduldet  wann  on  recht  gesetzten  grundt  schnell  zue  vber- 
stossen  sein.  Es  mag  mir  Eur  F.  D.  glauben,  das  man  das 
wort  gottes  also  gewaltig  bey  vnns  prediget  als  es  in  einer 
kirchen  der  Christenheit  geprediget  mag  werden,  man  verschonet 


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176  Abraham  Culvensis. 

niemandt  vnnd  hatt  ein  christliche  weis  niemandt  zu  schelten, 
sonnder  jedermann  vnnder  dem  süssen  joch  des  hern  zue  er- 
halten ,  niemandt  auszuetilgen,  alle  menschen  zu  bessern,  es 
hören  allein  einen  man  teglich  vil  tausent  menschen,  vnnder 
den  auch  beider  standts  die  großen  prelaten  vnnd  hern  begriffen, 
allein  mein  gn.  her  ertzbischoff  ausgenommen,  welcher  auch 
jmmer  nit  fast  frisch  ist  vnnd  lest  aber  sein  hochwirdigst  genadt 
der  warheit,  die  also  on  lesterung  gepredigt,  jren  freyen  gang, 
wie  vil  es  die  auch  anfechten,  so  in  irem  sinn  die  geiertesten 
beim  Aristotele,  der  Logica  vnnd  Vesori  super  Donatum  jmmer 
fort  anhangen,  aber  dises  kunfthige  gesprech  wirdt  in  dem  vnnd 
andern  grosse  verenderung  geben. 

Es  hat  Euer  F.  G.  guet  wissen,  das  negst  vergangen  zue 
Peterkhaw  ein  sinodt  gehalten  worden  ist,  so  schickh  ich  Euer 
F.  D.  hiebei  ein  oracion  daselbst  gehalten,  daraus  auch  was  ab- 
zuenemen  ist.  Hiebey  hatt  Euer  F.  D.  die  andtwurt  ann  die 
konig«  Majt  zu  Dennemarkh,  die  hab  ich  durch  mein  son  auf- 
gericht,  denn  ich  selbst  gen  hoff  nit  kann 

Auff  19.  hatt  die  Konig6  Majt  die  woyewodschafften  deren 
siben  gewariert  haben,  vergeben.  Die  hechst  vnd  best  zand- 
nerische  woyewodschafft  hatt  man  geben  herrn  Jan  grafen  zue 
Thentzin,  dessen  son  bey  Euer  F.  D.  gewesen  ist,  sein  castellanat 
Woynicen.,  das  er  vor  gehabt,  hatt  man  geben  dem  hern  Schatz- 
meister, der  ist  vor  castellanns  Radomien.  gewesen,  palatinatum 
Syradien.,  das  er  vor  gehabt,  hatt  man  hern  Andrea  graffen 
zu  Gorkha  geben,  sein  castellaney  zu  Posen  hatt  man  hern 
Opalinski,  der  jungen  Kunig.  Majfc  hoffmeister  geben,  der  ist 
vor  castellanus  Gnesnen.  gewesen,  palatinatum  Russiae  hatt  man 
hern  Odrowasch  geben,  der  was  vorhin  palatinus  Podoliae,  den- 
selben palatinatum  Podoliae  hatt  man  dem  hern  Tworowski 
geben,  einem  veinen  haubtmann,  palatinatum  Beizensem  hatt 
man  dem  hern  haubtman  von  der  Colomey,  dem  weidlichen 
ritter,  so  man  nennet  choraczicz  Jazlowyeczky,  palatinatum 
Mazoviae  hatt  man  hern  ertzbischoffs  bruder  geben,  palatinatum 
Lancicien.    hatt  man  geben  dem  hern  Kosczyelyetzky,    der  vor 


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Von  Dr.  Wotechke.  177 

Brzesoensis  war,  denselben  palatinatum  hatt  man  geben  dem 
bern  Chodzyesky,  palatinatum  Ravensem  batt  man  geben 
castellano  Plocensi,  palatinatum  Iunivladislaviensem  batt  man 
geben  eim  jungen  hern  Koschyelyetzky,  ist  vorhin  gewesen 
succamerarius  des  reichs,  ist  ein  weiter  sprung  vber  alle  castellan 
ein  woywodt  zue  werden,  aber  das  cammermeister  ambt  hatt järlich 
500  gülden  einzuekhommen  vnnd  dise  woyewodschafft  0. 

Das  bißtumb  von  der  Koya  ist  noch  nit  vergeben,  hatt 
vil  competitores,  man  versieht  sich,  es  werdt  es  der  herr  So- 
botzky,  der  kon  Majfc  schenkh  bekhommen,  ein  fein  jung 
gelert  man,  wol  deutsch  vnnd  welsch  zue  sambt  fein  polnisch 
beredt,  ist  Melanchtonischer  zucht  vnd  auch  gemut1).  Der 
almechtige  will  Euer  F.  D.  in  langwiriger  gesundtheit  vnnd 
gluckhlichem  regiment  vnnd  mich  in  Euer  F.  D.  genaden  er- 
halten. Datum  zur  Krakha  den  27tcn  Decembris  1542.  Euer 
F.  D.  gantz  dienstlicher  Jost  Ludwig  Dyetz  zu  Wolya  etc. 

Der  eingelegte  Zettel  enthält  folgende  Niederschrift.  Sacrae 
Beginalis  Mtis  Poloniae  etc.  dominae  et  dominae  nostrae  clemen- 
tissimae  perlectis  literis  illustrissimi  prineipis  et  domini  domini 
in  Prussia  ducis  etc.  domini  mei  graoiosissimi  in  causa  eximii 
viri  d.  Abrahami  Culvensis  scriptis  et  ad  ea,  quae  Jostus  L. 
Decius  per  filium  eius  Maiestati  ea  in  re  signifieavit,  benigna 
responsio. 

Dicas  patri  tuo,  rem  istius  viri  boni  sie  habere.  Quando 
venit  ex  Italia,  quoniam  meae  est  dicionis  in  dominio  Kawnensi, 
ad  me  venit  et  certe,  quia  eruditus  iuvenis  fuit,  fui  et  ego  Uli 
graciosa,  et  frequenter  me  adiit  ineepitque  multos  filios  nobilium 
apud  se  fovere,  interea  temporis  quaedam  dixit  et  loquebatur, 
quae  non  erant  dicenda.  Ego  illum  saepius  admonui,  ne  illa 
faceret,  solebat  namque  de  sacerdotibus  et  clericis  nonnulla  dicere, 
multorum  postea  in  se  odium  attraxit  et  praesertim  d.  episcopus 
Vilnensis  maximo  illum  odio  prosequebatur.     Ego  tandem  videns 


1)  Thomas  Sobocki    hat    1525    in   Wittenberg,    wo   er   am    10.  Juni    im- 
matrikuliert ist.  studiert. 


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178  Abraham  Culvensis. 

haec  iussi  illum  abire  in  locum  aliquem,  ubi  tutus  vivere  posset, 
propterea  quod,  cum  ego  debueram  ex  Lithuania  abire,  non  po- 
tuissem  illum  tueri.  Ille  iussu  meo  discessit  et  ivit  in  Prussiam 
scripsitque  ad  me  ex  Prussia  res  suas  in  districtu  Kawnensi 
sibi  acceptas  esse.  Ego  statim  his  auditis  ad  officiales  meos 
Kownenses,  quoniam  districtus  ille  in  mea  potestate  est,  scripsi 
cupiens  ex  eis  scire,  quare  illius  bona  accepissent;  illi  mihi 
iterum  significaverunt,  nulla  illius  bona  esse  aocepta,  sed  dominus 
episcopus  Vilnensis  ineareeravit  matrem  suam  et  amicos  illius 
adegitque  matrem  praefatam  ad  iuramentum,  ne  ullas  unquam 
a  filio  sua  acoiperet  vel  aliquas  ad  eum  ipsa  mulier  paupercula 
daret  literas.  Ego  ad  dominum  episeopum  Vilnensem  scripsi, 
cur  ipse  subditos  meos  ita  molestaret,  ad  quos  nullam  haberet 
iurisdictionem,  non  condemnatos  neque  iure  convictos  incarceraret 

De  proventibus  autem  hoc  cito  fieri  non  potest  propter 
oausas  etc. 

Et  ita  dicas  patri  tuo,  ut  scribat  domino  duci  Prussiae, 
quod  illum  apud  se  teneat,  nam  ille  voluit  in  Lithuaniam  domum 
suam  ire  et  metuendum  est,  ne  illum  comburant  vel  suspen- 
dant,  nee  dimittat,  etiam  si  debeat  nolentem  in  cathena 
retinere.  Nam  certe  illum  comburerent  vel  suspenderent,  antequam 
ego  rescirem. 

X. 

Herzog  Albrecht  an  Jobst  Ludwig  Dietz. 

Wir  haben  gantz  gerne  vernommen,  das  ir  des  d.  Abrahams 
sache  so  ganz  vleissig  vnd  nicht  onhe  frucht  bei  der  konen  Maj* 
ausgericht.  Weill  es  dan  auf  deme  stehet,  das  noch  ferner  trosts 
zur  Sachen,  begeren  wir  mit  allen  gnaden,  ir  wollet  nach  ewerm 
hohen  von  gott  verlihenen  vorstand  in  diesem  handell  noch 
hinfort  das  beste  thuen,  als  der  die  bequemste  weis,  zeit  vnnd 
maß  zutreffen  weis,  damit  dem  guten  man  möchte  gerathen 
werden.  Das  wirt  er  alles  seines  Vermögens  vmb  euch  vnd  die 
eweren  vordienen,  so  beschicht  vns  daran  zu  sondernn  gefallenn. 
Er   wirt  auch   nach  kon^r  Maj*  willen   diese  ding  in  gebürender 


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Von  Dr.  Wotechke.  179 

geheimb  halten,  damit  disfals  nicht  nachteil  zu  befürchten.  Wir 
sind  auch  mit  euch  einig  vnd  befinden,  das  nicht  an  allen  orten 
mit  ausbreitung  gütliches  worts  vnnd  der  straff  inn  geistlichen 
vnd  weltlichen  dingen  recht  maß  gehalten,  welchs  wir  nicht 
loben  können.  Wollen  aber  den  waren  gott  bitten,  er  wolle 
allen  predigern  seines  heiligen  evangelii  benedeiung  vnd  solchen 
geist  geben,  damit  sie  das  alleinseligmachende  wort  dermaßen 
füren  vnd  dem  volck  furtragen,  das  es  zur  besserung  gereiche, 
frucht  bringe  vnd  in  allen  menschen  christliche  vnd  rechte 
erkentnus  becrefftige.  Daneben  ist  vns  in  rechter  warheit  eine 
hertzliche  frolockung  davon  in  haus  kommen,  das  wir  vermerkt, 
der  wäre  gott  also  vill  vleissiger  zuhörer  bei  euch  verleyhet 
vnd  das  liebe  wort  zu  predigen  auch  die  hohen  heupter  mit 
angezeigter  maß  gestatten,  zudeme  das  wir  vormerkt,  die 
könig6  Ma  ire  hohe  weißheit  als  woll  inn  heiligen  gotlichen,  als 
anderen  heilsamen  dingen  mit  sonderer  beschedenheit  vernemen 
lest  .  .  .  Dat.  13.  Januarii  1543. 


XL 

Andreas  Rippe  und  Johannes  Lohmuller  an  König 
Sigismund  August. 

Post  humillimam  ac  debitam  nostrorum  servitiorum  commen- 
dationem  oupimus  S.  ß.  M.  V.  nomine  et  commissione  illustrissimi 
principis  ducatus  Prussiae  non  latere.  Postquam  dootor  Abrahamus, 
IJiae  Müs  Vrae  natus  subditus  inclyti  magni  ducatus  Lituaniae, 
modo  vero  dicti  ill.  principis  servitio  obstrictus,  vir  eruditione 
haud  vulgari  aliisque  praeclaris  virtutibus  praeditus,  intellexerat, 
eundem  illustris.  principem  nos  ad  S.  M.  U.V.  destinare  constituisse, 
eidem  ill.  principi  humiliter  supplioavit,  ut  sua  ill.  d.  vellet  certa 
quadam  et  percreta  intercessione  per  nos  destinatos  nuntios  illum 
apud  S.  E.  M.  V.  commendare  ao  significare,  quod  ille  idem 
Abrahamus  absque  ullo  suo  demerito  hactenus  per  aliquod  tempus 
se  extra    dictum  magnum   ducatum,   dulcissimam    suam    patriam 


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180  Abraham  Culvensüs. 

paternosque  et  haereditarios  lares,  continere  coactus  sit,  quam 
humillime  suo  nomine  supplicando,  et  S.  R.  M.  V.  pro  sua  regia 
virtute  ae  pietate  in  innooentes  et  fideles  subditos  suos  dignaretur 
eum  una  cum  matre  sua  extremo  senio  consecta  ac  bonis  suis 
paternis  et  haereditariis  in  regiam  suam  protectionem  suscipere 
et  susceptum  retinere,  prout  hoc  latius  in  eadem  sua  supplicatione 
continebatur.  Quandoquidem  ill.  princeps  noster  haud  immerito 
suis  fidelibus  servitoribus  semper  cupiat  clementer  consultum  suaque 
ilJma  dio  ante  haec  ad  dicti  doctoris  Abrahami  instantiam  apud 
S.  seniorem  R.  M.  ad  faustissimas  celeberrimasque  R.  M.  V. 
nuptias  pro  eodem  similiter  intercesserit,  ac  desuper  votivum 
clementissimumque  a  seniore  R.  M.  obtinuerit  responsum,  ut 
R.  S.  M.  promitteret  ad  amplissimos  ordines  huius  inclyti  magni 
ducatus  soribi  demandare,  ut  eundem  doctorem  Abrahamum  in 
eodem  magno  ducatu  libere  morari,  ire  ac  redire  permitterent, 
non  potuit  sua  illma  d.  dicti  Abrahami  precibus  non  clementer 
annuere.  Quare  nos  immeriti  oratores  et  nuntii  praefati  ill. 
principis  oommissione  eiusdem  ill.  d.  suae  ac  praefati  doctoris 
Abrahami  nominibus  S.  R.  M.  V.  suppjicamus  quam  humillime 
et  instantissime,  ut  S.  quoque  R.  V.  M.  ex  singulari  sua  regia 
dementia  dignetur  benignissime  concedere,  ut  saepe  dicto  doctori 
Abrahamo  liceat,  sub  R.  M.  V.  sacris  diplomatibus  seu  litteris 
autenticis  et  sigillatis  ac  regia  sua  protectione  libere  absque  ullo 
discrimine  et  impedimento  corporis  et  rerum  suarum  dictam 
oarissimam  suam  patriam,  parentem  paternosque  lares,  quando  et 
quotiescunque  sibi  opus  et  oportunum  fuerit,  invisere  illicque 
morari,  ire  redireque  fructusque  paternae  suae  haereditatis  absens, 
praesens  percipere  possit,  et  valeat  nobisque  easdem  literas  liberi 
commeatus  seu  passus  tradi,  facere  eidem  perferendas,  quando- 
quidem supradiotus  ill.  princeps  summo  studio,  nos  vero  una  cum 
dicto  Abrahamo  subditissimis  servitiis  .nostris  erga  eandem 
R.  M.  V.  promereri  recompensareque  studebimus.  S.  R.  M.  V. 
humillime  subditi  et  servitores  Andreas  Rippe,  capitaneus  Cay- 
mensis.  Johannes  Lohmuller. 


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Von  Dr.  Wotechke.  181 

XII. 

Herzog  Albrecht  an  Johann  Bielewicz. 

Magnifice  ei  generöse.  Cum  honestus  atque  doctus  fidelis 
nobis  dilectus  Abrahamus  utriusque  iuris  doctor  propter  certa 
quaedam  tarn  publica  quam  privata  negotia  in  patriam  suam 
proficisci  in  animo  haberet,  petiit  a  nobis,  ut  eum  Magiae  V1"^ 
commendaremus.  Cum  auiem  praedictum  doctorem  Abrahamum 
propter  fidelia  eius  servitia  ac  diligens  in  rebus  nostris  procu- 
randis  Studium  plurimum  diligamus,  petimus  a  V*a  Mtia  etiam 
atque  etiam,  velit  eundem  nostro  nomine  commendatum  habere 
eique  in  negotiis  nostris  ac  suis  consilio  atque  re  adesse  ab 
omnique  iniuria  protegere  atque  defendere.  Si  qua  simili  in  re 
aut  maiore  etiam  V**"5  Mag1'*«  gratificari  poterimus,  dabimus 
operam,  ne  Studium  et  diligentiam  nostram  desideretis.  Haeo 
certo  sibi  Magia  Vra  persuadeat  nobis  hoc  officium  tarn  gratum 
fore  quam  gratissimum,  ipse  quoque  Abrahamus  omni  debita 
submissione  erga  Magiam  Vram  promereri  studebit.  Datum  Regio- 
monti   7.  Octobris  1543. 

XIH. 
Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Badziwill. 

Venerabilis  ac  doctissimus  fidelis  nobis  dilectus  Abrahamus 
Culvensis  doctor  saepe  apud  nos  non  modo  virtutes  Magiae  Vrae 
eximias  et  heroicas,  sed  etiam  de  propensa  in  nos  voluntate  ac 
mirifico  studio  praedicare  solet,  quantaque  Magiae  Vrae  apud 
omnes  sit  auctoritas.  Quibus  rebus  fretus  sperat  se  Magiae  Vrae 
opera,  quod  vult  quodque  aequum  iustum  est,  facile  obtinere 
posse.  Cum  itaque  is  negocia  sua  in  Lithuania  habeat  nosque 
illi  clementer  consultum  cupiamus,  Magiam  Vram  vehementer 
petimus,  ut  dicti  Abrahami  matrem  desertam  et  desolatam  viduam 
negociaque  sua  omnia  commendata  sibi  habere  sicque  dare  operam 
velit,  ut  res  negotiaque  sua  integra  conservet  neque  detrimenti 
quid  inde  capiat.  Hoc  officium  deus  abunde  Magiae  V1^  renume- 
raturus  est,  tum  dictus  Abraham  in  perpetuum  propterea  eidem 


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182  x  Abraham  Culvensis. 

erit   devinctior    et  dos  amicis  studiis  promerebimur.     Bene  feli- 
citerque  Magia  Vra  valeat.    Dat.  Begiomonti.    2.  Januarii  1545. 

XIV. 
Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Etsi  nobis  minime  dubium  est  Magiam  Vrara  etiam  sine 
nostra  commendatione  bonis  ac  honestis  hominibus  sua  ope, 
auxilio  et  autoritate  adesse  solere,  attamen  ut  intelleximus  nobilem 
ac  eruditum  sincere  nobis  dileotum  magistrum  Georgium  Sablo- 
cium  a  quibusdam  suis  adversariis  sine  causa  male  acoipi  ac 
indigne  tractari,  facere  non  potuimus,  quin  ad  Yram  Mag*""11 
eius  nomine  scriberemus  eumque  V1^6  Magifte  protectioni  ac 
patrocinio  committeremus.  Qui  cum  literarum  bonarum  studio 
suum  animum  exoultum  reddiderit  atque  praeter  singularem 
morum  modestiam  pietatis  syncerae  sit  amantissimus,  dignum 
eum  profecto  existimamus,  cuius  patrocinium  a  principibus  viris 
suscipiatur  atque  contra  vim  iniustam  et  violentiam  malevolorum 
defendatur.  Proinde  Vram  Magiam  tanto  studio,  ut  maiore  non 
possumus,  amice  ao  obnixe  rogamus,  ea  cum  ipsius  magistri 
Georgii  indigna  fortuna  commota  tum  nostra  commendacione, 
quam  non  parum  ponderis  apud  eandem  Magiam  Vram  habituram 
confidimus,  adducta  eundem  magistrum  Georgium  nostro  nomine 
commendatum  habere  inque  suorum  clientum  numerum  recipere 
ac  contra  violentiam  malevolorum  ac  inimicorum  sua  autoritate 
defendere,  breviter  talem  se  erga  eum  ostendere  velit,  ut  is 
intelligat  hanc  nostram  commendationem  non  vulgarem  exstitisse 
/eamque  illi  apud  Magiam  V""11  magno  adiumento  fuisse.  Quae 
spes  eum  ne  fallat,  magnopere  rogamus  idque  nos  erga  Vram 
Magiam  vel  maiori  officiorum  genere  amice  promerebimur  .  .  • 
Dat.  Eegiomonti.  10.  Januarii  1545. 

XV. 

Herzog  Albrecht  an  Fabian  Zemen. 
Edler  vnd  ernvhester  besonder  lieber. 
Wir  wissen    euch  genediger  meynung    nit  zubergenn,     das 
vns    gegenwertiger    zaiger,    der    achtbar   vnd    wolgelarte    vnser 


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Von  Dr.  Wotechke.  183 

lieber  besonder  magister  Georgius  Sablot  jnen  ahn  euch  zu 
uorsehreybenn  jns  demütigiste  anlangenn  lassenn,  verhoffend 
solchs  jme  zutreglioh  vnd  nutzlich  sein  solle.  Weyl  wir  dan 
vermerkt,  das  gemelter  magister  Georgius  ein  wolgeschickter 
man,  der  sich  vff  guthe  kunste  sehr  bevliessen  vnd  daran  keyn 
mühe  noch  gelt  gespart,  aber  durch  etliche  als  der  der  reynen 
lere  anhengig  sein  soll,  verfolget  wirt,  so  haben  wir  jme  solche 
furschrifft  ahn  euch  nicht  abzuschlahen  gewust,  sonder  die  mit 
gnaden  gern  geben  lassenn.  Ist  demnach  ahn  euch  vnser 
genediges  synnen  vnd  begeren,  jr  wollet  vmb  vnserret  willen 
berurten  magistrum  Georgium  ihn  zimblichenn  vnnd  billichen 
also  vill  thulich  bey  kon6*  Ma*  vnnserm  gn.  herren  vnd  andern 
hohen  stenden,  do  ir  es  für  ersprießlich  achten  thut,  furderlich 
vnnd  sunst  rethlich  auff  sein  ansuchen  vnd  bitten  erscheinen, 
damit  er  für  seinen  abgarstigen  desto  sicher  sein  möge,  auch 
hirin  vnserm  genedigen  vertrauen  nach,  daran  wir  dan  mit 
nichts  zweifeln,  wilferig  ertzeigen,  das  sein  wir  umb  ewer 
personn  ihn  allenn  gnaden  anzunemen  gewogen.  Data  Königf- 
pergk.  15.  Januarii  1545. 

XVI. 
Johannes  Bielewicz  und  Johannes  Kmita  an  Herzog  Albreoht. 
Dignetur  V™  Celsdo  ecire,  quod  nobilis  regiae  maiestatis 
eximius  vir  d.  doctor  Abrahamus,  qui  Vr»e  Cels1"8  munificentia 
aliquot  annis  utebatur,  ipse  his  temporibus  reversus  in  patriam 
ac  aliquot  hebdomadas  morbo  gravi  detentus,  tandem  die  sexta 
mensis  Junii  ante  solis  ortum  extremum  diem  vitae  suae  certe 
cum  ingenti  dolore  omnium  nostrum  suorum  amicorum  christi- 
anice  olausit.  Quia  autem  is  praedictus  piae  memoriae  nobilis 
ac  eximius  vir  contulerat  se  ad  V1*111  Celsnem  ao  proficiscens 
detulerat  secum  non  parvam  supellectilem  librorum,  vestium  et 
caeterarum  rerum,  quam  postea  nihil  dubitamus  non  modice  ex 
munificentia  Vrae  Celsnis  eum  adauxisse,  dum  vero  modo  isthinc 
a  Vra  Celsne  in  patriam  rediret,  eam  omnem  supellectilem  ibi 
reliquit,    mater    itaque    suae    nobilitatis  videlicet    eximii  viri    ac 


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184  Abraham  Culveneis. 

famuli  haud  infidelis  Vrae  Cds11*8  modo  defuncti,  cum  sit  sub 
patrocinio  nostro,  qui  modo  sumus  ex  mandato  regiae  maiestatis 
vicem  tenentes  capitanei  Samogitiensis,  venit  ad  nos  obsecrans, 
ut  Vram  Celsnem  super  hac  re  rogaremus,  quo  Vra  Cels<*°  eius 
viduitatis  commiserescens  ao  filii  ipsius  servitia  humillima  in 
recenti  memoria  servans  misereri  dignaretur  eamque  omnem  supel- 
lectilem  ei  ut  integre  redderetur.  Mandare  Vra  Celsdo  dignetur, 
ne  misera  vidua  iam  orbata  unico  filio  etiam  illius  rebus  in 
maiorem  cordis  sui  dolorem  privetur.  Quare  et  rogatu  ipsius- 
misimus  in  hoc  negotio  cum  literis  nostris  ad  V*am  Celsnem  hunc 
adolescentem  Stanislaum  Vilcomiriensem  famulum  nostrum,  qui 
olim  fuit  illi  egregio  viro  famulus  et  hac  ratione  V1^  Celni  non 
ignotus,  ut  ita  Vro  Celsdo  eam  supellectilem  facilius  restituere 
viduae  lachrymanti  dignaretur.  Quapropter  rogamus  Vra™  Celsnem 
pro  ista  et  cum  ista  vidua,  ut  Vro  Celsdo  dominus  piissimus  atque 
iustissimus  eius  misereri  dignetur  per  eundemque  famulum 
nostrum  ei  omnem  supellectilem  relictam  a  filio  restituere  non 
dedignetur.  In  quo  nihil  dubitamus  Vram  Celsnem  n0n  aliter 
facturam.  Tandem  nos  ipsos  clementissimae  gratiae  Vrae  Celsnis 
commendamus.  Datum  Wydukli1)  13  mensis  Junii  1545  Vrae 
Celsnis  regiae  maiestatis  subditi  Joannes  Bilewicz  et  Joannes 
Kmytha  gubernatores  terra  Samogitienses  obsequentissimi. 

xvn. 

Elisabeth  Hadathowna  an  Herzog  Albrecht. 
Ille  haud  infidelis  Vrae  Cels™s  famulus  et,  quem  Vra  Celsdo 
loco  filii  semper  adamavit,  meus  infoelix  natus  doctor  Abrahamus, 
postquam  reversus  est  ad  me  a  Vra  Celsne  mox,  ut  opinor  die 
quarto,  ah  infortunium,  Vilnam  proficiscebatur  futurus  adiutomen- 
to  cuidam  magistro  tunc  pro  veritate  evangelica  cum  magistris 
spiritualibus  illic  decertanti.     Postea  illic  agenti,  dum  ei  nescio 


1)  Widuklew  oder  Widuckle  in  Samegitien  unweit  von  Rosienie  hatte 
noch  1704  eine  evangelische  Kirche.  Vergl.  Lukaszewicz,  Geschichte  der  re- 
formierten Kirche  in  Lithauen  II  S.  73. 


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Von  Dr.  Wotechke.  185 

quid  levis  morbi  suboriretur,  et  volenti  mederi  physicus,  quem 
consuluit,  pharmacum  ei  porrexit.  Hie  itaque  metuo,  illustrissime 
dox,  ne  pro  pharmaco  venenum,  ut  est  audacia  nostrorum  epis- 
coporum,  infelicissimo  iusserint  porrigi.  Nam  reversus  domum 
statim  graviter  decumbebat  et  paulo  post  mors  subsecuta  est,  et 
nihil  dubito,  illustrissime  prineeps,  quin  ad  incrementum  meorum 
dolorum  illi  ipsi  non  siverint  defunetum  in  templo  sepiliri,  sed 
eiecerunt  in  campum,  ut  hoc  pacto  et  mihi  dolores  augerent  et  ei 
dedocens  pararent  et  amatoribns  veritatis  territamentum  exhiberent. 
Ah  deus  omnipotens,  vide  meos  labores,  dolores  considera  et 
festina  ad  vindicandam  me  miserrimam  mulierculam.  En  carnifices 
atrocissimi  non  sunt  contenti,  quod  vivente  meo  amato  filio 
furiam  suam  indicendis  modis  efflamaverant,  sed  etiam  in  mortuo 
atque  ipso  funere  voluerunt  se  satiari.  Agite,  sanetissimi,  cum 
iam  habetis  eum  vobis  expositum,  convertite  eum  in  vestrum, 
qui  vobis  videtur,  commodi3simum  usum.  Saltem  me  sinite 
dolorosissimam  eius  matrem  meis  satiari  lachrymis!  Ah  fili  mi, 
praestitisset,  si  nunquam  reversus  esses  ad  matrem,  praestitisset, 
nunquam  venisses  in  patriam,  praestitisse,  nunquam  reliquisses 
tuum  herum  clementissimum  vel  verius  tuum  patrem  aut  plus 
quam  patrem !  Adhuc  superstes  esses,  adhuc  de  te  bona  laetaque 
audirem,  non  tarn  cito  adhuc  f actus  esses  eibus  semper  desideratu? 
istis  vocacissimis  lupis  veritatis,  qui  te  propter  veritatem  odio 
habuerunt,  non  tarn  cito  contristasses  meam  defessam  aetatem 
tuo  tarn  lachrymabili  fato.  Sed  sit  modus  lachrymarum  et  tantum 
est,  illustrissime  prineeps,  de  immaturo  obitu  filii  mei.  Nunc 
autem  restant  gratiae  V1^  CelsDi  pro  donis  et  benefieiis,  quae 
in  meum  natum  ac  pariter  in  me  eius  matrem  a  Vra  Celsne 
cumulatissime  collocata  sunt,  haec  autem  ipsa  si  enumerare 
deberem,  et  sermo  et  tempus  me  deficeret.  Ex  quibus  tarnen 
hoc  unum  et  ex  animo  praefabor  V™111  Celsnem  meum  natum 
loco  filii  amavisse  et  ideo  minus  mihi  sufficere  ad  agendas 
debitas  Vrfte  Celsni  gratias,  verum  deus,  qui  est  renumerator 
talibus  benefactoribus,  ipse  rependet  Vrae  Celsni.  Praeterea  dig- 
netur  Vra  Celsdo  scire,  quod   domini   gubernatores   terrae  Samo- 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    Hft.  3  u.  4.  13 


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^ 


t? 


186  Abraham  Culvensis. 

gitiensis  d.  Joannes  Bielewicz  et  d.  Joannes  Kmytha  causa  precum 
mearum  miserunt  isthum  adolescentem  Stanislaum  Vilcomiriensem, 
olim  famulum  filii  mei,  ad  Vra™  Cels11«11  cum  literis  suis  inter- 
pellantes  pro  me,  ut  supellex  reliota  filii  mei  apud  Wram  Celsnem 
mihi  restitueretur.  Quare  rogo  Ynm  Celsnem  dominum  clemen- 
tissimum  atque  ducem  iustissimum,  dignetur  Vra  Celsdo  supel- 
lectilem  mei  nati  per  hunc  adolescentem  mittere.  Ego  autem 
pro  omnibus  beneficiis  V""5  Celsniß  partim  in  filium  meum  partim 
in  me  ipsam  collatis  sedulas  preces  ad  deum  omnipotentem 
fundendas  polliceor,  ut  Vram  Celsnem  diu  foeliciterque  in  imperio 
sedentem  clementer  et  conservare  et  gubernare  et  provebere 
dignetur.  Tandem  me  commendo  clementiae  Vrae  Celsniß.  Datum 
Culvae  15.  mensis  Junii  anno  domini  1545.  Vrae  Cels1"8  Elizabeth 
Hadathowna  mater  doctoris  Abraham  fidelis  et  assidua  ad  deum 
exoratrix. 

xvm. 

Herzog  Albrecht  an  Joh.  Bielewitz  und  Joh.  Kmita. 

Literas  vestras  13.  mensis  Junii  Widukli  datas  accepimus, 
quae  nobis  non  mediocrem  maerorem  attulerunt,  quippe  ex  quibus 
cognovimus  eximium  ac  eruditum  nobis  fideliter  dilectum  doctorem 
Abrahamum  sexta  die  huius  mensis  extremum  suum  clausisse  diem, 
quod  nobis  quidem  tristissimum  accidit.  Erat  enim  ea  doctrina, 
eruditione,  iis  etiam  moribus  praeditus,  ut  ipsum  nostrae  recens 
instauratae  academiae  magnopere  profuturum  speraremus.  Cum 
autem  deo  opt.  max.  sie  visum  sit,  ut  ipsum  ex  hac  terrena 
momentanea  plena  tristitiae  et  aerumnarum  vita  ad  perpetuam 
felicitatem  et  gaudia  nunquam  interitura  evocaret,  nos  quoque 
omnipotentiae  dei,  qui  dixit  omnes  capillos  capitis  nostri  numeratos 
esse  et  eorum  sine  voluntate  patris  coelestis  nullum  deeidere, 
hoc  totum  committimus  certi,  quod  ipsum  propter  propagationem 
et  confessionem  verae  religionis  cum  omnibus  sanetis  in  die 
iudieii  maxima  cum  laetitia  visuri  simus.  Quod  ad  supellectilem 
illius  attinet,  etsi  citra  vestram  intercessionem  matri  cognatisque 


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Von  Dr.  Wotechke.  187 

proximis  dicti  doctoris  Abrahami  facile  libenterque  concessuri 
essemus,  vestris  tarnen  moti  precibus  diligentius  exsequendum  id 
curavimus  dedimusque  operam,  ut  per  praesentium  ostensorem 
Stanislaum  Vilcomiriensem  universam  supellectilem,  quae  reliqua 
fuerit  post  solutum  aes  alienum,  quodquod  ab  ipso  d.  Abrahamo, 
dum  hie  ageret,  contractum  est,  aeeiperet.  Dat.  Regiomonti 
29  Junii  1545. 

XIX. 

Herzog  Albrecht  an  Elisabeth  Hadathowna. 

Honesta  et  sincere  nobis  dileeta.  Literas  vestras  tristitiae 
et  doloris  plenas  non  sine  magna  animi  affectione  aeeepimus,  ex 
quibus  non  modo  eximii  sincere  nobis  dilecti  d.  Abrahami  iuris 
utriusque  doctoris  lamentabile  fatum  cognovimus,  verum  etiam 
quod  vos  ex  immatura  eiusdem  morte  tanquam  mater  de  salute 
filii  merito  sollicita  acerbum  vulnus  aeeeperitis.  Quae  res  aetati 
vestrae,  quae  per  se  satis  aerumnarum  secum  adfert,  gravissima 
est.  Utinam  autem  diutius  hoc  vitae  curriculum  nobiscum  vivere 
potuisset.  Sperabamus  enim  mediante  dei  gratia  eruditionem  et 
doctrinam  eius,  qua  certe  non  vulgari  erat  praeditus,  non  tarn  rei 
publicae  quam  scholasticae  nostrae  iuventuti  ac  recens  instauratae 
academiae  maxime  profuturam.  Cum  vero  summi  parentis,  in 
quo  vivimus,  movemur  et  sumus,  ea  voluntas  sit,  ut  communem 
mortalium  legem  nemini  evitare  liceat,  sed  quandocumque  nos 
voeavit  deus,  hinc  continuo  emigrandum  sit,  non  est,  cur  ob  eam 
universi  mortalium  generis  conditionem  inter  tarn  densa  iuvenum 
ac  senum  funera  tantopere  animo  discruciemur.  Ferendum  enim 
eat,  quod  mutari  non  potest.  Consolemur  nos  eo,  quod  de  Davide 
scriptum  legimus.  Cui  simulatque  pueri,  quem  unice  diligebat, 
mors  renunciata  est,  confestim  solo  se  erexit,  pulverem  abstergens 
lotus  et  mutato  vultu  alacris  ad  epulas  accessit.  Id  factum 
mirantibus  amicis  inquit,  spes  erat  fore,  ut  meo  luctu  flexus  deus 
puerum  meum  servaret,  nunc  nullis  lachrimis  ille  ad  nos  revocari 
potest,  nos  ad  illum  brevi  properabimus.     Itaque  quo  inevitabilius 

13* 


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Igg  Abraham  Culvensis. 

fatum  est,  eo  magis  orandus  est  deus,  ut  adversam  hano  sortem 
et  tristem  casum  patienti  et  moderato  animo  tolerare  possimus, 
praesertim  cum  illud  solaminis  habeamus  certaque  nobis  spes 
supersit  nos  ex  hac  vita  omnium  periculorum,  morborum  et 
miserarum  plena  ad  aeterna  gaudia  emigrare.  Quod  vero  tantopere 
animum  vestrum  excruoiat,  filio  unico  pietatis  et  doctrinae 
christianae  studiosissimo  sepulturam  in  coemeterio,  quem  locum 
papistae  et  alii  verae  doctrinae  adversarii  conservatum  habent, 
negatam  esse  atque  cadaver  in  campum  pro  explenda  sua  libidine 
odio  veritatis  eiectum,  non  est,  cur  ob  id  tantum  tristemini,  cum 
constet  eum  propter  cognitionem,  propagationem  et  confessionem 
verae  et  sacrosanotae  religionis  etiam  inter  vivos  existentem 
a  persecutione  non  fuisse  liberum,  ut  non  mirum,  si  etiam  in 
demortui  cadaver  saeviant  nonnulli,  quibus  nihil  aeque  ac  piis 
hominibus  insultare  cordi  esse  solet.  Et  quamvis  in  loco  prophano 
sepeliri  opinione  hominum  corpori  molestum  sit,  animae  tarnen, 
quae  iamdudum  beata  quiete  fruitur,  aeque  est  salutare.  Neque 
enim  dubitamus  a  deo  summo  pontifice  nostro  conservata  esse 
omnia,  et  certum  est  eundem  vestrum  filium,  etsi  hoc  loco 
putrescat,  cum  omnibus  sanctis  aeterno  piorum  consortio  in  sinu 
Abrahae  laetitia  ineffabili  perfrui.  Cuius  ut  vita  sanota  et 
irreprehensibilis  fuit,  ita  procul  dubio  ex  his  miseriis  et  aerumnis 
evocatus  veris  apud  deum  patrem  nunc  affluit  gaudiis.  Porro 
quod  tantas  nobis  habetis  gratias  pro  beneficiis  filio  vestro  collatis, 
iis  certe  opus  ad  nos  non  erat.  Quidquid  enim  factum  a  nobis 
©st,  totum  id  laborum,  officiorum  ac  studiorum  suorum  prae- 
mium  fuit,  daturique  fuissemus  operam,  si  diutius  superstes 
fuisset,  ne  quid  de  dementia  nostra  desiderasset.  Supellec- 
tilem  apud  nos  relictam,  quam  a  nobis  remitti  petivistis, 
praesentium  exhibitori  Stanislao  Vilcomiriensi  una  cum  eius- 
dem  iuventario,  quod  legitimum  et  iustum  esse  duceremus, 
ad  vos  transvehendam  dedimus.  Si  quid  porro  clementiae 
vobis  exhibere  possumus,  dabimus  operam,  ne  quid  in  nobis 
desideretis.     Ex  Regiomonte  29.  Junii  1545. 


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Von  Dr.  Wotechke. 


189 


XX. 

Inventarium  omnium  librorum  et  supelleotilis  d.  dootoris  Abrahami. 


Textus  iuris  civilis  in  4  partes. 
Plinius.    Livius. 
Piatonis  opera  graece. 
Aristoteles     in     duas     partes 

graece. 
Homerus  cum  commentario. 
Dioscorides  graece  et  latine. 
Lanrentii  Vallae  opera. 
Apaleins     cum     commentario 

Beroaldi. 
Prutenicus  libellus. 
Aristoteles  de  historia  anima- 

lium. 
Paraphrasis   in  duas  epistolas 

Petri. 
Urbani  grammatica  graeca. 
Aristophanes  graece. 
Lactantius. 

Hesiodus  cum  commentario. 
Ptolomaei  geographici  libri. 
Gommentarius  in  Hesiodum. 
Joannes  Huß. 
Xenophontis    opera    in     duas 

partes. 
Luciani  una  pars. 
Epitome  historica  Vadiani. 
Cicero  de  senectute  et  somnio 

Scipionis. 
Hesiodus. 

SyntaxisPhilippiMelanchthonis 
Quaestiones  musicae. 
Tragoediae  Euripidis. 


Euripidis  Rhesus. 
Aesopus  graece  et  latine. 
Psalterium  Pomerani. 
Theocritus. 

Dictionarius  hebraious. 
Sophoclis  tragoediae. 
Ptolomaeus  cum  tabulis. 
Isocrates.     Varro. 
Grammatica  hebraica. 
Cato  de  re  rustica.    Columella. 
Ph.Melanohthonus  in  Danielem. 
Aristotelis  ethioa  latine. 
Dionysius. 

Quaestiones  dialecticae. 
Erasmus  de  servo  arbitrio. 
Theocritus   cum  commentario. 
Grammatica    graeca   Ph.  Me- 

lanchthonis. 
Grammatica  graeca  Munsteri. 
Grammatica   graeca   Ph.    Me- 

lanohthonis. 
Plutarohus  de  educatione  libe- 

rorum. 
Ph.  Melanchthon  in  orationem 

pro  Milone. 
Polonicus  libellus. 
Oratio   de   vita  Aristotelis  et 

de  interdicto  esu  carnum. 
Epistolae  Hieronymi. 
Tabula  hebraica  coniugationum. 
Valla  in  Novum  Testamen  tum. 
Valerius  Maximus. 


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190 


Abraham  Culvensis. 


Paradigmata  Cioeronis. 
Polybius  graece. 
Statuta  regni  Poloniae. 
Physica  Aristotelis. 
Quaestiones  de  anima. 
Postillae  latinae.  Virgilius. 
Tabula    in    grammaticam    he- 

braioam. 
Grammatica  Cingularii. 
Horatii   epistolarum  libri  duo. 
Dialectica  Ph.  Melanchthonis. 
Psalterium     graecum     et    he- 

braicum. 
Cato.     Olarianus. 
Physica  Alberti  Magni. 
Acta  Ratisbonensia. 
Nicander  graece. 
Ph.   Melanchthonis   dialectica. 
Francisci  Philadelphi  epistolae. 
Avicenna.     Priscianus. 
Anatomia.     Arcula. 
Mappa  magna. 


Hesiodus. 
Grammaticorum  graecorum 

über. 
Grammatica  Diomedis. 
Ph.  Melanchthon  de  anima. 
Annotationes    in   institutiones 

Justiniani. 


Supellex. 

4  cantari. 
1  sponda. 

1  pelvis  cum  mantile. 

2  orbi  (?) 

1  candelabrium. 

1  mensa. 

1  cista. 

1  lectus. 

1  scutella. 

3  pulvinaria. 

2  sediles. 

1  tapetum. 


Herzog  Albrecht  an  den  Marschall  von  Lithauen  Nikolaus  Radziwill. 

Magtiam  Vram  celare  non  possumus,  quod  rev.  ac  doctis- 
simus  fidelis  nobis  dilectus  Stanislaus  Rapagelanus  in  academia 
nostra  Regiomontana  theologiae  professor  subiectissime  nobis 
retulit  ac  non  sine  quaerimonia  significavit  de  iniuriis  et  grava- 
minibus  parenti  suo  Georgio  Swiatzko  Rapailowitz  a  Magtia 
Vra  illatis  vehementer  etiam  atque  etiam  suppliciter  petens,  ut 
Magtiae  Vrae  ea  de  re  scriberemus,  ne  illi  porro  intollerabilia 
onera  praeter  ius  et  fas  imponeret  imponive  permitteret.  Cum 
igitur  praedicto  doctori  Stanislao  multis  magnis  et  iustis  de 
causis    clementer    faveamus,    praetermittere    non  potuimus,    quin 


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Von  Dr.  Wotschke.  191 

ipsum  sui  voti  compotem  redderemus,  clementer  postulantes  ac 
potentes,  Magtia  V1*  non  modo  ab  iniuriis  hactenus  illatis  et 
porro  inferendis  desistere  velit,  verum  etiam  nostro  sibi  nomine 
Georgium  Swiatzko  commendatum  habere  eoque  favore,  quem 
quilibet  dominus  suis  subditis  debet,  prosequi  causisque  suis 
iustis  ac  aequis  tueri  ac  manu  tenere  dignetur.  Dat.  Begiomonti 
26.  Januarii  1545. 

xxn. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Praesentium  literarum  exhibitor  Nicolaus  de  nova  natione, 
Stanislai  Bapagellani  theologiae  olim  in  academia  nostra  Re- 
giomontana  professoris  consobrinus,  ad  nos  venit  conquerens 
se  a  ditionis  Magtiae  Y™*  subditis  magnam  iniuriam  pati  idque 
humiliter  etiam  atque  etiam  a  nobis  petiit,  ut  illi  ad  Magtiam 
Vram  üteras  commendatitias  daremus,  ut  eo  facilius  Magtiae  V1^ 
auxilio,  ope  et  auctoritate  interposita  ius  suum  obtinere  posset. 
Cum  itaque  laudabilis  memoriae  d.  doctor  Stanislaus  nostrae 
universitati  feliciter  instauratae  multum  sua  opera  in  studio  pro- 
fuerit,  non  potuimus  praedicto  Nioolao  commendationem  nostram 
denegare,  praesertim  cum  tantopere  eam  a  nobis  peteret  et 
causae  suae  illam  multum  profuturam  speraret.  Clementer  igitur 
postulamus,  Magtia  Vra  velit  huic  inopi  suo  auxilio  subvenire 
eiusque  causam  suscipere  et  defendere,  nihil  enim  magis  pium, 
nihil  generoso  viro  magis  dignum,  quam  miseris  succurrere,  illos 
consilio  et  re  iuvare  ....     Dat.  4.  Junii  1545. 

xxni. 

Herzog  Albreoht  an  Nikolaus  Radziwil. 

Literas  Magtiae  Vrae  Vilnae  21  mensis  Junii  datas,  quibus 
nobis  fratrem  eximii  fidelis  nobis  dilecti  Stanislai  Bapagellani 
theologiae  doctoris  pie  defuncti  commendat,  utque  illi  relicta  eins 
bona  tradi  iubeamus  petit,  accepimus.  Etsi  autem  nos  non 
tantum  V**6  Magtiae  commendatione,  quae  quidem  apud  nos  merito 


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192  Abraham  Culvensis. 

plurimum  valet,  verum  etiam  ipsa  rei  aequitate  adducti  libenter 
ac  benigne  id  faceremus,  attamen  tantum  aeris  alieni,  quod  doctor 
Stanislaus  in  instruenda  re  domestica  ac  comparanda  supellectile 
nee  non  coemendis  libris  contraxerat,  atque  ipse  multis  praesen- 
tibus  in  extremo  tempore  vitae  se  debere  testatus  est,  relictum 
est,  ut  etiam  illius  magnitudo  relitorum  bonorum  pretium  longe 
supersit,  ut  taeeamus  relictae  illius  viduae  nullo  dotalicio,  ut 
moris  est,  esse  prospectum.  Qua  de  causa  qui  a  fratre  eins  huc 
missus  fuerat  animadvertens  in  haereditate  plus  incommodi  propter 
aes  alienum  quam  commodi  inesse,  eam  adire  noluit.  Dat.  Regio- 
monti  4.  Septembris  1545. 

XXIV. 

Nos  Albertus  dei  gratia  Marchio-Brandenburgensis  in  Prussia 
dux  etc  omnibus  et  singulis,  cuiuscumque  dignitatis,  gradus, 
status  aut  conditionis  fuerint,  ad  quos  hae  nostrae  literae  perve- 
nerint,  primis  vero  iis,  quorum  interest,  notum  esse  cupimus, 
quod  discretus  Joannes  Badzwilowitz  in  plenipotentia  nobilis 
Pauli  Rapagelani  nos  adierit  petens,  ut  relicta  eximii  fidelis 
nobis  dilecti  d.  Stanislai  Rapagellani  theologiae  dootoris  non 
ita  dudum  vita  funeti  bona  ad  praenominatum  fratrem  Paulum 
iure  haereditario  devoluta  sibi  tradi  mandaremus.  Quod  quidem 
cum  ipsa  rei  aequitate  tum  singulari  dementia,  qua  in  dictum 
Stanislaum  fuimus,  adducti  fieri  iussimus.  Cum  autem  non  tan- 
tum harum  terrarum  consuetudine,  verum  etiam  omnium  gentium 
iure  constitutum  sit,  ut  qui  commodum  cupit,  idem  et  onus  ferat, 
atque  praedictus  Joannes  Badzwilowitz  intellexisset  aes  alienum, 
quod  doctor  Stanislaus  et  instruenda  re  familiari  ac  comparanda 
supellectile  nee  non  coemendis  libris  contraxerat,  bona  ipsa 
haereditaria  superare,  quin  etiam  viduae  eius  dotalicio  non  esse 
prospectum,  eandem  doctoris  Stanislai  praedefuneti  nomine  fratris 
haereditatem  adire  recusavit  et  renuit  animadvertens  eam  sibi 
maiori  incommodo  quam  commodo  futuram.  Atque  ut  huius  rei 
sibi  testimonium  daremus,  quoquomodo  res  se  haberet,  saepedictus 


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Von  Dr.  Wotschke.  193 

Joannes  obnixe  petiit.  Quod  quidem  ei  ut  non  iniquum  petenti 
non  gravatim  dedimus,  quemadmodum  etiam  hisce  literis  nostris 
patentibus  Uli  id  datam  volumus.  In  onius  rei  evidens  Signum 
ac  testimonium  secretum  nostrum  hisce  est  subimpressum.  Dat. 
Regiomonti. 

XXV. 

Herzog  Albrecht  an  Johann  Bielewicz. 

Magnifice  ac  generöse  singulariter  nobis  dilecte.  Cum  in 
ducatu  nostro  Prussiae  propter  obitum  quorundam  praedicatorum 
et  verbi  divini  ministrorum  aliquot  parochiarum  officia  hoc  tempore 
vacent  et  pastoribus  careant,  nobis  autem,  quod  sine  ostentatione 
dictum  volumus,  non  minimae  curae  sit,  ut  subditi  nostri  noticia 
Christi  servatoris  nostri  imbuantur,  quapropter  Magtiae  Vrae  filium 
praesentium  exhibitorem,  ut  quantum  fieri  posset,  nobis  aliquot 
doctos  et  linguae  Lithuanicae  peritia  instructos  viros  adduceret, 
isthuc  ablegavimus  clementer  etiam  atque  etiam  petentes,  Magtia 
Vra  filium  suum  in  hoc  delegato  sibi  negotio  diligenter  iuvare 
idque  studio,  cura  et  industria  sua  efficere  velit,  ut  aliquot  eru- 
ditos  ad  praedicandum  dei  verbum  et  reliquum  ecclesiae  munus 
idoneos  homines  istinc  consequamur.  Id  nos  clementer  et  amice 
erga  Magtia™  Vram,  quam  Christo  observandam  committimus, 
promerebimur.     Dat.  Viinae.  8.  Maii  1546. 

XXVI. 

Herzog  Albrecht  an  Martin  Mosvidius1). 

Hftneste  et  erudite  sincere  nobis  dilecte.  Commisimus  eximio 
ac'  doctissimo  nostro  physico  Johanni  Bretschneydero  medicinae 
doctori,  ut  nostro  tibi  nomine,  quae  et  nostra  et  tua  non  parum 

1)  Mosvid  ist  laut  Matrikel  erst  nach  diesem  herzoglichen  Schreiben  an 
der  Königaberger  Universität  inskribiert  worden,  am  5.  April  1548  ward  er  zum 
Baccalar  promoviert.  Schon  1547  gab  er  einen  Katechismus  und  ein  Gesangbuch 
in  lithauischer  Sprache  heraus.  Vergl.  Tschackert  III.  S.  176.  Einen  Neudruck 
dieses  Katechismus  und  Gesangbuches  bietet  Hezzenberger,  Littauische  und 
lettische    Drucke   des    1(>.  Jahrhunderts    Göttingen    1874.      Seinen    lithauischen 


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194  Abraham  Culvensis. 

interessent,  referret.  Quapropter  dementer  a  te  postulamus,  ut 
primo  quoque  tempore  huc  ad  urbem  nostram  Regiomontanam 
accedas  diotumque  doetorem  Bretschneiderum  adeas,  auditurus  ex 
eo  quae  de  animi  nostri  sententia  et  voluntate  ispae  tibi  exponet. 
Ea  in  re  nobis  tarn  gratum  feceris,  quam  quod  gratissimum  dabi- 
musque  operam,  ut  olementer  a  nobis  compensetur.  Bene  vale. 
Ex  Regiomonte  8.  Junii  1546. 

xxvn. 

Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Kieyzgalo. 

Accepimus  Magtiae  Y1**  literas  per  eonoionatorem  eiusdem  d. 
Laurentium1)  nobis  redditas,  quibus  ille  de  meliore  nota  com- 
mendatur  nobis.  Quod  quidem  supervacaneum  reputavimus,  illud 
enim  persuasum  sibi  Magtia  Vra  habeat,  nos  non  modo  verbi  dei 
ministros  et  praecones  singulari  voluntate  et  dementia  complecti, 
verum  etiam  omnes  bonarum  literarum  studiosos  nobis  esse  com- 
mendatissimos.  Essemus  igitur  ipsum  Laurentium,  si  oommodum 
ei  fuisset  ac  integrum,  diutius  hie  retenturi,  nisi  Magtia  V1*,  ut 
ipsum  istuc  remitteremus,  petiisset.  Et  quoniam  intelligimus, 
eum  in  magno  ducatu  Lithuaniae  hoc  praesertim  nataliciorum 
Christi  tempore  non  medioeriter  nee  a  paueis  desiderari,  noluimus 
ei,  quonimus  ad  suam  vocationem  redire  tempore  possit,  impedi- 
mento'esse,  praesertim  cum  postboo  saepius  ad  nos  sit  commeaturus. 
Dat.  Begiomonti  20.  Decembris  1546. 

XXVHI. 

Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Kieyzgalo. 

Signifioavit  nobis  speetabilis  ac  eruditus  magister  Friderious 
Staphilus,  academiae  nostrae  Begiomontanae  professor  theologicus 


Ambrosiaui sehen  Lobgesang,  der  1540  bei  Weinreich  erschienen  war,  hat 
Celichowski  aus  den  Schätzen  der  Kurniker  Bibliothek  herausgegeben.  Vergl. 
M.  Mosswida  Waitkuna  przeklad  litewski  piesni  te  deum  laudaraus.  Posen  1897. 
Am  18.  März  1549  ward  M.  zum  Pfarrer  in  Ragnit  verordnet. 

1)  Der   bekannte  Laurentius  Discordia  hat  laut  Universitätsmatrikel  1538 
in  Krakau  studiert. 


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Von  Dr.  Wotechke.  195 

et  fidelis  nobis  dilectus  servitor,  se  negooiorum  suorum  causa 
iter  in  Lithuaniam  moliri,  quae  quo  eo  faoilius  expedire  posset, 
petiit,  ut  eum  literis  nostris  commendaticiis  ad  Magtiam  Vram 
prosequeremur.  Quas  illi  tanquam  viro  docto  et  de  academia 
nostra  bene  merito  denegare  noluimus.  Qaare  a  Magtia  Vra 
clementer  et  gratiose  petimus,  velit  dictum  servitorem  nostrum 
gratia  fovere  ac  benevolentia  sua  prosequi  ipsumque,  si  Magtiae 
Vrae  autoritate,  consilio  et  auxilio  in  expediendis  suis  negociis 
opus  habuerit,  nostro  nomine  sibi  commendatissimum  habere. 
Dat.  ßegiomonti  12.  Januarii  1547. 

XXVIV. 
Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Kieyzgalo. 

Redditae  sunt  nobis  binae  Magüae  Y™  literae  priores  duos 
nobis  commendantes  adolescentes,  alterae  respicientes  spectabilis 
et  eruditi  Friderici  Staphili  exsecuta  in  Lithuania  negotia,  quibus 
promovendis  illi  Magtiam  Vram  auxilio  fuisse  cognovimus.  Quod 
priores  attinet,  quoniam  bonarum  literarum  studiosos  ea,  qua 
debemus,  dementia  et  favore  prosequimur,  erunt  duo  illi  adolescentes 
cum  tertio  Georgio1)  Magtia  V**0  servitore  nobis  commendatissimi. 
Porro  quod  Magtia  V1*  se  erga  praefatum  magistrum  Fridericum 
Staphilum  adeo  benigne  in  exsequendis  nostris  negotiis  exhibuit, 
magnas  Magtiae  Vrae  agimus  gratias  daturi  operam,  ut  clementer 
et  amice  id  promereamur  enixe  petentes,  ne  quid  porro  quem- 
admodum  Magtia  Vra  coepit,  in  propaganda  evangelica  veritate 
intermittat  ac  verbi  divini  ministros  citra  metum  ullum  ad  id 
depraedicandum  iuvet  et  exsuscitet.  Factura  in  hoc  Magtia  Vra 
rem  deo  pergratam  nobis  autem  amicis  studiis  compensandam. 
Dat.  22.  Martii  1547. 

XXX. 
Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Kieyzgalo. 

Cum  ingenuus  adolescens  Johannes  Melanops  Lithuanus2) 
visendi  patriam  desiderio  tenetur,  petiit,  ut  se  YTBe  Magtifte  com- 

1)  Wahrscheinlich  Georg  Zablocki  vergl.  oben  Nr.  3,  4,  14  und  15. 

2)  Vergl.  Staphylus  au  Herzog  Albrecht  bei  Tschackert  III,  S.  207  „Est 
in  schola  nostra  adolescens  Johannes  Melanops  Lituanus,  qui  opuscula  quaedam 


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196  Abraham  Culvensis. 

mendaremus.  Quamvis  enim  de  V1"*6  Magtia«  erga  omnes  Christianos 
et  verbi  dei  amatores  animo  nequaquam  illi  dubium  esset,  quin 
sine  ullis  etiam  literis  dilectione  tantum  christiana  adducta  ipsum 
contra  adversarios  quosounque  Vra  Magtia  defenderet,  tarnen  nos- 
tram  autoritatem  et  intercessionem  sibi  non  infrugiferam  fore 
put&vit.  Quam  ob  rem  honesta  petenti,  cuius  mores  et  in  studiis 
diligentia  singularis  nobis  perspecta  essent,  deesse  noluimus  ac 
petimus  a  Vra  Magüa,  ut  adolescentem  illum  promovere,  iuvare 
et  defendere  velit,  ne  aliquid  mali  et  adversi  ab  evangelii  hostibus 
patiatur  .  .  .  Dat.  ßegiomonti  19.  Junii  1548. 

XXXI. 

Johannes  Graf  von  Thentzin  an  Herzog  Albrecht. 

....  Magnificus  dominus  Paulus  Zophia  magni  ducatus 
in  Lithuania  marschalcus  affinis  meus  induxit  animum  filios 
suos1)  ad  ßegium  Montem  mittere,  ut  istic  bonis  literis  operam 
navent  aninumque  dootrina,  virtute  ac  bonis  moribus  excolant, 
qui  postulavit  a  me  diligenter,  quo  illos  Vrae  IUtati  meis  litte- 
ris  commendatos  efficerem.  Ego  vero  nolim  amico  apud  illam 
hoc  officio  deesse,  itaque  Illtati  V™*  diligenti  studio  commendo  .  .  . 
Dat.  5.  Juli  1548. 

XXXTT. 

Herzog  Albrecht  an  Albert  Kunzewitz  Kmita. 

Exposuit  nobis  supplicissime  Martinus  Albertides  Mossuidius 
artium  baccalarius  se  ratione  debiti  pro  Valentino  Buinid  spo- 
pondisse,  sibi  hactenus  nihil  muneratum  esse.  Quam  ob  rem 
petiit,  ut  se  suaque  negocia  V*»6  Magtiae  commendaremus.  Quod 
ei  cum  officii  nostri  sit  promovere  et  iuvare  omnes  in  rebus  iustis 


latina  in  polonicam  linguam  vertit  atque  hie  edidit.  Is  cum  vellet  quaedam 
exemplaria  devehere  in  Lituaniam,  petit  itaque  literas  passuum  a  Cels"«  V1* 
et  comraendationem  ad  d.  KiHgalem". 

1)  NicolauB  und  Johannes  Sophia  .sind  laut  Matrikel  1548  im  Sommer  in 
Königsberg  immatriculiert. 


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Von  Dr.  Wotschke.  197 

et  honestis  denegare  nequaquam  voluimus.  Petimus  itaque 
a  Magtia  Vra,  ut  velit  dictum  Valentinum  Bainid  et  parentes 
eins  ad  solutionem  compellere,  quo  creditori  satis  fiat  et  ipse 
Martinus  Albertides  Mossuidius  onere  suo  ciira  rerum  suarum 
detrimentum  levetur.     Dat.  Begiomonti  21.  Octobris  1548. 

xxxin. 

Herzog  Albrecht  an  Hieronymus  Chodkiewicz '). 

Quod  Magtia  Vra  tarn  per  literas  quam  ore  eximii  magistri 
Friderici  Staphili  tanta  erga  nos  utitur  gratiarum  actione  minime 
opns  fuisset.  Nam  quicquid  hactenus  Magtiae  Vrae  filio  favoris 
et  benevolentiae  praestitimus,  id  omne  ex  ea,  qua  erga  Magtiam 
Vram  ferimur,  propensione  animi  emanavit.  Quod  vero  Magtia 
V1^  eundem  filinm  suum  huc  remittere  statuit,  non  videtur  nobia 
consultum;  etsi  pestis  tantopere  hie  non  saeviat,  tarnen  nee 
omnino  desiisse  audimus.  Quam  primum  autem  disponente  deo 
mitior  et  salubrior  aura  spiraverit,  dabimus  operam,  ut  id  Magtia 
Vra  cognoscat.     Dat.  9  Maii  1549. 

XXXIV. 

Herzog  Albrecht  an  Gabriel  Therla. 

Sintemal  der  achtpar  vnd  hochgelerte  vnser  vnd  lieber 
getreuer  Fridericus  Staphilus  seiner  gelegenheit  vnd  notturfft 
nach  sich  inn  kor  Majfc  landenn  zu  begeben  bedacht,  damit  ehr 
aber  souiell  eher  vnd  vnuorhinderlicher  seine  gescheffte  voll- 
bringen mochte,  seinth  wir  vntertenigst  angelangth,  wir  wolten 
ime  von  irer  Maj*  einen  offenen  paßbrieff,  den  ehr  zu  seiner  not- 
turft  gebrauchen  muchte,  befürdern  vnd  weil  wir  dan  nicht 
zweiffein  euer  person  vonn  kor  Maj#t  solchs   leiohtlich   erhalten 


1)  Chodkicwicz,  in  den  preußischen  Urkunden  Kotkowitz  geschrieben,  war 
Generalstarost  von  Samogitien.  Sein  Sohn,  als  Joannes  a  Cotkawitz  dominus 
et  castellanus  Trocensis  immatrikuliert,  hat  seit  1547  in  Königsberg  studiert, 
als  Joannes  Chodkowicz  com  es  Asklaw  castalinides  Trozensis  capitaneides  generalis 
Samaitiensis  begegnet  uns  sein  Name  Wintersemester  1550  in  der  Leipziger 
Universitätsmatrikel. 


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198  Abraham  Culvensis. 

vnd  zu  wege  bringen  mugen,  so  ist  vnser  gantz  gnädigst  be- 
geren;  ir  wolleth  ire  Maj  vonn  vnserrnt  wegen  disfals  ersuchen 
vnnd  bitten,  dieselb  geruhe  vns  zu  kor  wilfarung  vnd  genanthem 
vnsern  diener  zu  gnaden  eine  offene  freie  paßbort,  vff  das  ehr 
inn  irer  Maj*  landen  vnd  ahnn  denen  orthen,  dohin  ehr  sich 
begeben  thet,  heineswegs  gehinderth  oder  vff  geh  alten,  sonder 
vill  mehr,  do  es  ime  von  nötten  vmb  kor  Majt  willen  gefordert 
werden  mochte,  angesehen  das  ehr  nicht  allein  vnser  diener, 
sonder  auch  irer  Maj*  vndersas  mith  ist,  vnd  da  solch  offener 
briff  oder  paßbort  als  wir  vns  vorsehen  erhalten,  wollet  vns 
inen  mith  dem  ersten  bei  zeigern  zuschicken,  denselben  ferner 
vnsern  diener  behendigen  lassen.     Den  12.  Mai  1549. 

XXXV. 

Herzog  Albrecht  an  Stanislaus  Kieyzgalo  und  Nikolaus  Radziwill 1). 

Illustritatis  Vrae  literas,  quibus  nobis  Laurentium  a  Prasz- 
nisch  verbi  divini  praedicatorem  diligenter  commendare  dignata 
est,  accepimus  easque  legendo  probe  cognovimus.  Esti  autem 
is  homo  non  tantuni  propter  eruditionem  suam  haud  vulgarem 
et  vitae  modestiam  singularem,  verum  etiam  propter  confessionem 
puriorisdootrinae  evangelii  constantem  et  laudabilem,  quam  cum  dis- 
crimine  vitae  fortunarumque  suarum  hactenus  professus  est,  satis  per 
se  nobis  commendatus  sit,  cui  etiam  de  conditione  parochiali  non  con- 
temnenda,  quam  is  ipse  desideravit,  prospeximus,  tarnen  accedente 
Ultis  yrae  tarn  accurata  commendatione  erit  nobis  Laurentius  multo 
quam  antea  commendatior.     Dat  Regiomonte  14  Augusti  1552. 


1)  Auch  an  zwei  klein  polnische  Magnaten,  an  die  Grafen  Johann  von 
Tamow  und  Stanislaus  von  Thentzin  gingen  gleichlautende  Schreiben.  Letzterer 
hatte  Danzig,  den  9.  August,  dem  Herzoge  geschrieben:  Post  discessum  hinc 
Celsnis  V™*  manserat  hie  venerabilis  d.  Laurencius  verbi  dei  minister  cum  ob 
alias  plures  causas  tum  ob  eam  potissimum,  quod  eo  tempore  Stipendium  pro 
servitiis  suis  a  S.  R.  M*e  ea  conditione  obtinuit,  ut  extra  regnum  Suae  Mtis 
maneret.  Quam  ob  rem  Vram  111""«"  Cels»em  obsecro,  ne  haec  ipsius  mora  V1**» 
Illmam  Celgn.*m  offendat,  tum  ut  eo  sncerdotio,  quod  illi  iam  per  Gels"«™  Vram 
designatum  est,  provideri  queat.  ubi  quietem  studii«  operam  dare  et  vocationi 
suae  respondere  possit.  Est  enim  homo  emditione  non  contemnenda,  vitae  inte- 
gritate  et  probitate  conspieuus. 


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Von  Dr.  Wotschke.  199 

XXX  VI. 
Stanislaus  Kieyzgalo  an  Herzog  Albrecht. 

Intellexi  ex  litteris  Ulmae  Dom11»8  V1^  ad  me  scriptis,  qua 
munificentia  et  dementia  Laarentium  a  Prasznisch 1)  verbi  divini 
concionatorem  cum  propter  professionem  doctrinae  evangelicae 
et  eruditionem  ipsius  vitaeque  integritatem  tum  propter  commen- 
dationem  quoque  meam  prosecuta  sit.  Pro  qua  summa  gratia  et 
dementia  Illmae  Domni  Y1^  maximas  ago  gratias,  quod  et  literas 
suas  tantae  gratiae  et  clementiae  plenas  ad  me  dare  et  petitionis 
ac  commendationis  meae  rationem  habere  non  dedignata  sit. 
Promitto  itaque  me  vicissim  omni  obsequiorum  meorum  ac 
studiorum  genere  ad  quaevis  iusta  et  imperata  Illmae  Domnis  Vrae 
paratissimum  fore.     Datae  Gedani  18.  Augusti  1552. 

XXXVII. 
Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 

Die  koe  Majt  werden  diessen  konffbigen  freytag  von  hynnen 
nach    Grodno.      Der    her   Radzywill    hat   allenthalben    tzymlich 

1)  Wie  1546  war  Laurentius  auch  1550  in  Königsberg  gewesen.  Unter 
dem  19.  November  gab  ihm  damals  der  Herzog  einen  Empfehlungsbrief  an  den 
Bischof  von  Pomesanien  Paul  Speratus:  „Gegenwertiger  zeiger  Laurentius  Discordia, 
welcher  eine  weil  zeit  Konr  Maj1  zu  Polen  prediger  gewesen,  hat  vns  bericht, 
wie  ehr  willens  euch  zu  besuchen.  Demnach  haben  wir  nicht  vnderlassen  mugen 
mit  disem  vnsern  schreiben  inen  als  ein  diener  goüichs  worts  euch  zubeuehlen 
gnedigst  begerend,  ihr  wollet  im  möglich  vnd  furderlich  erscheinen".  Jetzt  erhielt 
Laurentius  die  Pfarre  Biala  in  Masuren.  Aber  bald  liefen  aus  diesem  Städtchen 
und  den  unweit  der  Grenze  gelegenen  masovischen  Flecken  Rollen  und  Wagen- 
schloß schwere  Klagen  über  sittliche  Vergehen  wider  ihn  in  Königsberg  ein. 
Vergebens  suchte  er  sich  im  Oktober  in  zwei  längeren  Schreiben  zu  rechtfertigen, 
am  9.  Dezember  hält  ihm  der  Herzog  sein  großes  Sündenregister  vor.  Sechs 
Tage  später  bestimmt  er,  daß  eine  Kommission,  bestehend  aus  dem  Rate  Baltasar 
von  Quingenberg,  dem  Neidenburger  Erzpriester  Johann  Chirek  und  dem  zu- 
ständigen Johann isburger  Superintendenten  Martin  Glossa  am  4.  Januar  in  Biala 
Laurentius  und  die  Zeugen  wider  ihn  vernehmen  sollten.  Die  Untersuchung  fiel 
so  zu  Ungunsten  des  ehemaligen  polnischen  Hofpredigers  aus,  daß  er  im  Februar 
seines  Amtes  entsetzt  wurde.  Noch  richtete  er  im  Vertrauen  auf  die  Empfehlungs- 
briefe der  polnischen  Magnaten  im  vergangenen  Jahre  ein  Bittgesuch  um  Auf- 
hebung des  Urteils  an  den  Herzog,  aber  unter  dem  28.  Mai  1553  bestätigte 
dieser  die  Amtsentsetzung. 


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200  Abraham  Culvensis. 

ausrichtunge  gethann,  jdoch  nichts  vbrigs,  helt  eynen  s tatlichen 
hof,  wie  fürstlich  all  seyn  frauenzimmer,  das  meyste  auff  wellyscb, 
seyn  gesindt  dergleichen  zum  teill,  lest  die  ceremonien  jn  der 
kirchen  vff  polnisch  haltenn,  das  ein  jeder  verstehen  kan,  auch 
sub  utraque  reychen.  Wiewol  jtzo  ethwas  styll,  dennoch  weyl 
der  hoff  hiegewesen  alzo  gesohrei,  wird  vonn  jdermenniglich. 
(ausgenommen  von  den  geystlichen  nicht)  gelobt,  das  man  die 
kyrchen  alzo  reformyrt.  Der  bischoff  von  Lützki  ist  vbel  zufrieden, 
das  solchs  alzo  gehalten,  worauff  er  auch  geschribenn,  aber  zur 
antwortt  hat  jm  Badzywil  mit  ryem  vf  polnisch  gedreuet  zu 
schlagenn,  mag  mit  der  zeit  was  seltzam  weiter  erfolgen.  Helt 
etzliche  vnther  seynem  gesindt,  die  sich  mit  vnsern  pfaffen  nit 
vil  reden  eynlassenn.  Martinum  Luther  hat  er  jm  Niderlande 
gantz  werklich  jn  seyden  vf  eynem  großen  tepicht  samt  dem 
verstorbenen  hochlöblichen  gedechtnis  alten  churfürsten,  darbey 
die  tauffe  Christi  durch  Johannem  jm  Jordan  geschenn,  schön 
abkonterfeyen  lassen  vnd  alhier  im  großen  sal,  do  jre  Majfc  teglich  zu 
erscheinen  pflegen  angeschlagen.     Breszke,  den  4.  Mai  1554. 

xxxvm. 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 
Was  die  prädicanten  anbetrifft,  so  inn  des  hern  wilnischen 
woywoden  dinst  gewesen  vnd  noch  sindt,  hab  ich  mich  so  viel 
möglich  dem  handel  nach  erkundet  vnd  vrsach  jres  abzihens 
nicht  änderst  erfaren  mögen,  allein  das  sie  sich  jn  dem  be- 
schwer enn,  das  jnen  öffentlich  jnn  kyrrchen  zu  predigen  nicht 
wirdt  durch  die  geistlichenn  zugelassenn,  sonder  müssen,  gleich 
als  were  es  nicht  gottes  wort,  andere  stell  vnd  orther,  die  vnge- 
wönlich,  hyn  vnd  her  besuchen.  Zudem  ist  an  dem  der  grose 
mangel,  das  der  bäpstliche  legat1)  dieser  zeydt  hier  jm  lande  ist, 
welcher  fast  mancherley  jn  seyner  legation  fürgegeben,  hoff 
aber,  der  liebe  got  wirt  ane  allen  zweyfel  jre  anschlege  vnd 
praktiken    zu    nichte    machenn    vnd    das    angefangene    gothlich 


1)  Aloysius  Lipom  an  i,  Bischof  von  Verona. 


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Von  Dr.  Wotechke.  201 

wort  gnediglich  vollenden.  Denn  jrer  viel  sind,  die  des  legats 
list  vnnd  tücke  durch  erkannte  warheit  got  lob  wol  merken. 
Zu  dem  hat  vorgangen  mitwoch  könr  Majt  prädicant  Lucas1) 
solchen  statlich  sermon  gethan  jn  beysein  des  gantzen  hofes, 
hoch  vnd  nyder  Standes,  das  solchs  jedermann  wunder  gehabt. 
Im  selben  sermon  nymandts  verschoneth,  der  könn  Majt  voraus 
ernstlichen  jrer  Majfc  auffgelegten  von  got  boffelichen  nach  zu- 
ger edt,  darnach  den  geistlichen,  prälaten  jrer  grosen  nachlesigkeit 
halben  nichts  vndern  stull  gesteckt,  sonder  frey  vnd  öffentlich 
herausser  gerufen  vnd  den  zorn  gots  vber  sie  der  grosen  vor- 
blendung  nach  genugsamlich  angezeigt,  welches  ich  itzo  E.  F.  D. 
nicht  alles  erzelen  kann.  Solchs  hat  gemelter  Lucas  zum  newen 
jar  den  pfaffen  ausgeteylth.  Dapey  zu  spüren,  das  got  der  al- 
mechtige  ferner  wie  alwegen  seine  arme  kirch  wohl  erhalten 
wirdt.  Es  sind  auoh  die  prädicanten  des  herren  woywoden  nicht 
gevrlaubt,  sonder  haben  sich  nach  Breszken,  doselbst  etzlich 
bücher  aus  dem  latein  jns  polnisch  zutransferiren  aus  befel  des 
hern  woywoden  begeben2).  Was  sich  ferner  zutregt,  sol  E.  F.  G. 
kurtzlich  vnvorhalten  pleiben.  Wie  ich  negst  E.  F.  G.  auch  ge- 
meldt, das  mich  meyn  her8)  jn  otzlichen  vertrauten  hendeln  gern, 
so  palt  der  weg  ein  wenig  pesser,  hynab  an  E.  F.  G.  abfertigen 
will,  welchs  nooh  also  bey  meinem  hernn  entschlossenn,  weyl 
alles  der  feder  nicht  zugetrauenn.  .  .  .  Eylent  Wilde  am  abent 
trium  regum  1556. 

XXXIX. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Literas  Illtis  V1"^,   quibus   a  nobis  Johannem  Maletium  ad 
opus   typographicum   in  triennium  sibi   concedi  petit,  accepimus 


1)  Unter  dem  13.  November  1552  schreibt  derselbe  Pohibel  über  diesen 
Hof pradi kanten:  „Das  weis  ich  vnd  höre  von  glanbwirdigen,  das  der  jtzige 
predicaut  her  Lucas  stracks  bei  soviler  (nämlich  des  Osiander)  leren  vnd  was  er 
hat  lassenn  ausgehen,  ist  vnd  pleibt'*. 

2)  Vergl.  Hosii  epistola  II,  Nr.  102. 

3)  Gabriel  Therla. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u    4.  ^ 


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202  Abraham  Culvensis. 

Nos  cum  111*»  Vrae  non  in  his  tantum,  verum  rebus  multo  etiam 
excellentioribu8  pro  facultatum  nostrarum  posse  perlibenter  grati- 
ficemur,  denegandum  hoc  Illti  yrae  non  putavimus.  Itaque  facul- 
tatem  eidem  Maletio  fecimus,  ut  per  triennii  decursum  suam 
Ulti  Vrae  operam  navet.  Ac  nihilominus  parochiam  suam,  in  qua 
pastorem  nunc  agit,  relicto  in  ea  aliquo  vices  eius  tenente  in- 
terim  obtineat,  in  cuius  testificationem  diploma  ei  quoque,  sicut 
Hl tas  ym  volebat,  dedimus1)  .  .  .  Regiomonte  25.  Junii  1556. 

XL. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Quandoquidem  Illtem  Vram  doctis  et  eruditis  viris  praecipue 
vero  iis,  qui  puram  evangelii  doctrinam  profitentur,  favere  scimus, 
ut  non  tantum  notitia  eos  sua  dignetur,  sed  benevolentia  quoque 
singulari  complectatur,  praetermittere  non  potuimus,  quin  reve- 
rendo  et  clarissimo  viro  Petro  Paulo  Vergerio  episcopo  sub  ponti- 
fice  exuli  apud  nos  nunc  agenti  de  Hlte  V™  verba  faceremus. 
Qui  inde  arrepta  occassione  et  quod  intellexerat  Illtem  V*1"11  ad 
legatum  pontificium  quendam  scripsisse2)  has  ad  Illtem  V  ram 
literas  dare  constituit  illasque  per  nos  mitti  petiit.  Itaque  et 
litteras  eas  mittimus  et  virum  clarissimum  Illtis  V1"*6  notitiae  ac 
benevolentiae  maiorem  quo  possumus  in  modum  commendamus. 
Est  enim  talis,  ut  magnorum  hominum  favore  dignum  ac  non 
in  postremo  amoris  loco  habendum  esse  existimemus.  Dat.  Regio- 
monte 26.  Julii  1556. 

XLI. 
Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Literae  Hltis  V*»6  per  nobilem  et  egregium  Andream  Trice- 
sium  ad  nos  missae  non  potuerunt  nobis  non  esse  iucundissimae. 
Nuntiabant  enim,  quod  Ill^s  Vra  rev.  virum  d.  Vergerium  non  tan- 

1^  Vergl.  Fr  Koch,  Der  letzte  Druck  de»  Lycker  Erzpriesters  Johann 
Maletius.     Königsberg  1903.     S.  18. 

2)  Vergl.  Duae  epistolae,  altera  Lipomaui,  altera  vero  d.  Radivili.  Regio- 
monti  1556. 


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Von  Dr.  Wotechke.  203 

tarn  propter  illius  doctrinam  et  praestantiam,  verum  etiam  nos- 
tris  adducta  precibus  amore  suo  complexa  esset.  Quo  argumenta 
ut  Ulk*8  Vra  non  obscura  pietatis  suae  testimonia  in  ipsa  iam 
pridem  conspiouae  edere  videtur,  ita  rem  nobis  adeo  gratam  prae- 
stitit  ut  quam  gratissimam.  Faxit  deus,  ut  quae  inter  Ultem 
Vram  et  egregium  hunc  atque  pietate  insignem  virum  licet  facie  ei 
adhuc  ignotum  coepta  est  amicitia,  nunc  illus  praesentia  stabiliatur 

ac  in  perpetuum  duratura  confirmetur1) Caetera  ex  eo- 

dem  Tricesio  intelleximus,  quo  in  nos  111***  Vra  affectu  feratur 
ac  quantopere  sua  nobis  studia  comprobata  cupiat,  quae  omnia 
ex  Illtis  yrae  fraterni  in  nos  amoris  abundantia  porficisci  facile 
colligere  possumus.     Dat.  Eegiomonti  3.  Oktober  1556. 

XLII. 
Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 
....  Rev.  virum  d.  Vergerium  et  expectationi  Ultis  Vrae 
et  nostrae  quoque  commendationi  per  omnia  respondisse,  vel  po- 
tius  eam  sua  praestantia  superasse  ex  literis  Illtis  Vrae  cognitum 
nobis  fuit  iucundissimum.  Is  reversus  iam  ad  nos  de  Illtis  in  nos 
Vrae  studio  et  amore  singulari  et,  quod  honorifice  exceptus  ab 
illa  esset,  multa  praeclara  retulit.  Tametsi  quam  plurimis  antea 
argumentis  nobis  non  ignota,  eo  tarnen  ipso  referente  gratiora, 
quo  maiore  fraterni  amoris  affectu  Ultem  Vram  prosequimur. 
Intellexi  praeterea  tarn  ex  eo  ipso  quam  literis  quoque  Illtis  Vrae? 
quo  consilio  adducta  cupiat  a  nobis  eundem  Vergerium  in  cas- 
tellum  quoddam  ditionis  nostrae  ducatui  Mazoviae  finitimum 
mitti,  quod  nos  pro  honore  divino  et  ecclesiae  Christi  salute  non 
gravatim  facturi  sumus.  Constituimus  itaque  eum  Soldavium 
mittere  *)  atque  ipsi  volente  deo  nos  eo  conf erre.     Is  autem  locus 

1)  Vergerio  muß  nach  diesem  Schreiben  Anfang  Oktober  noch  in  Wilna 
gewesen  sein.  Den  Druck  der  beiden  Schriften  „Duae  epistolae"  und  „De  Gre- 
gorio  papae",  welcher  Königsberg,  den  I.Oktober  1550  datiert  ist, mag  er  durch 
seinen  polnischen  Freund  Trzecieski  haben  besorgen  lassen. 

2)  Von  Mitte  Dezember  bis  um  den  20.  Januar  1557  weilte  Vergerio  in 
diesem  masurischen  Städtchen.  Vergl.  Th.  Wotschke,  Francesco  Lismanio,  in  der 
Zeitschrift  der  histor.  Gesellschaft  der  Prov.  Posen.     Bd.  18,  254  ff. 

14* 


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204  Abraham  Culvensis. 

a  Varsovia  itinere  tridui  saltem  distat Pro  literarum  ex- 

emplis  nobis  communicatis  gratias  111**  Vrae  agimus,  quod  vero 
nobis  suasor  est,  ut  nostros  quoque  consiliarios  ad  conventum 
Varsoviensem  mittamus,  de  eo  adhuc  ambigimus.  Inconveniens 
enim  esse  existimamus  aliquem  ad  consilium  accedere  non  voca- 
tum.  Itaque  de  ea  missione  nihil  nisi  mente  S.  ß.  Mtis  prias 
nobis  indicata  statuendum  esse  videtur.  Dat.  Regiomonti 
20.  Novembris  1556 '). 

XLni. 
Herzog  Albrecht  an  den  Kastellan  von  Troci   H.  Chodkiewicz. 

Mathias  Virowitta,  aliquamdiu  in  academia  nostra  Regio- 
montana  nostro  stipendio  literis  operam  dedit  et  conditionem 
ecclesiasticam,  quae  hactenus  Uli  commoda  contingere  non  potuit, 
expectavit.  Is  hinc  ad  Magtiam  Vram  rediturus  literas  nostras 
intercessorias  et  dementem  dimissionem  vehementer  expetivit. 
Quare  cum  incommodum  illi  esset,  diutius  hie  haerendo  con- 
ditionem praestolari,  noluimus  illi  et  missionem  denegare  et  com- 
moda illius  impedire  diutius.  Itaque  illi  et  discedendi  veniam 
libenter  concessimus  et  viatico  clementer  prospeximuseumque  Magtiae 
Vrae  etiam  atque  etiam  commendamus  non  dubitantes  ipsum 
studia  sua,  quibus  graviter  hie  ineubuit,  eo  directurum,  ut 
ecclesiis  istic  usui  esse  possit.     Ex  Monte  Regio. 

XLIV. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Hie  typographus  noster2)  Vilnam  profecturus  atque  ibidem 
libros    aliquot  divenditurus  a  nobis    petiit,    ut   nostra   ad   Illtem 

1)  Am  27.  November  schreibt  Andreas  Aurifaber  dem  Herzog:  ,.Vergerius, 
wie  mir  der  her  selbst  gestern  angezeigt,  wil  hie  drucken  lassen  konfessionem 
Wirtembergensem,  das  erst  teil  der  schütz  schrifft  Brentii  wider  den  Asotum, 
syntagma  oder  wie  es  den  Wirtembergischen  gesamten  zu  Trient  ergangen  vnd 
seine  beid  actiones,  die  zuuor  hat  lassen  drucken.  Das  gewiß  alles  sicher  ins 
papir,  also  auch  ins  geld  wil  lauffen. 

2)  Der  Königsberger  Buchdrucker  Daubmann,  der  Wilna  als  einen  guten 
Markt  für  die  verschiedenen  in  seiner  Offizin  gedruckten  Schrifteu  Vergerios 
kannte. 


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Von  Dr.  Wotschke.  205 

Vram  commendatione  facultatem  ei  impetraremus,  ut  tuto  et  sine 
alicuins  periculi  metu  eosdem  istic  libros  venales  habere  ei 
concedatur,  quod  denegandum  illi  esse  non  putavimus.  Itaque 
Illtem  Vram  amanter  rogatam  habemus,  ut  sub  umbra  et  protectione 
IUtis  Vrae  is  ipse  typographus  libros  istic  venum  exponere  et 
divendere  ne  prohibeatur.     Regiomonti  14.  Januarii  1557. 

XLV. 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albreoht. 

Es  ist  E.  F.  D.  voriger  wirdt  alhie  Anders  Marstein  jn 
kortzen  tagen  jn  godt  vorstorbenn,  weyl  er  aber  das  sacrament 
vnter  beder  gestalt  jn  letzten  zugen  begerdt  vnd  genommen, 
haben  unsere  geistlichen  prälaten  jn  die  kyrchen  zu  begraben 
keynes  wegs  gestaten  wollen  vnd  ist  alzo  vor  die  stadt  jns  feldt 
gelegt  worden.  Do  den  bey  vnd  an  gewesen  ist  der  her  wilnisch 
woywod  sambt  vilen  hern  vnd  hoffgesyndt,  welche  hynaus  jns 
feldt  gefaren,  gedachten  Marsteinum  erlich  in  erden  bostetiget, 
haben  den  pfaffen  kirchen  vnd  kirchoff  gelassen.  Dem  herrn 
woywoden  ist  auch  solcher  fall  mit  seinem  hofgesind  eim  edel- 
man  begegnet,  der  auch  jn  das  feldt  gelegt  wordenn,  wirt 
hernacher    ein  sonderlich    begrebnis    doselbst   aufgericht  werden 

vnd    lassen    den  pfaffen   jre  kirchen    alzo  in  rue  pleiben 

Wilde,  den  7.  Februarii  1557. 

XLVI. 

Erhard  von  Kunheim1)   an  Herzog  Albrecht. 

Es  hat  mir  des  hern  Radziwils  diener  einer  in  vortrauen 
vermeldet,  das  er,  der  her  ßadziwil,  einen  nach  Polen  schicke, 
der  den  hern  Lasken,  so  die  zeit  heer  sich  an  frembden  ortten 
auffenthalten,  hieher  gen  der  Wilde  holen  vnd  bringen  solle  vnd 
wenn  er  ankumpt,    stracks    in  seinen  des   hern  Radziwills  hoff 


1)  Erhard  v.  K.  war  Herzog  Albrechts  Geschäfteträger.  Er  entstammte  dem 
bekannten  preußischen  Geschlechte  gleichen  Namens,  1549  begegnet  er  nns  unter 
den  Frankfurter  Studenten.  Vergl.  auch  Illgen,  Symbolarum  ad  vitam  Socini 
particula  II  S.  23. 


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206  Abraham  Culvensis. 

einziehen,    lest   jn    vndterwegens    allenthalben    frey    halten    mit 
12  pferdenn.    Wilde,  den  26.  Februarii  1557  *). 

XLVIL 

Erhard  von  Kunheim  an  Herzog  Albrecht. 

Den  17.  tagk  Martii  ist  alhie  ankummen  der  her  Johannes 
Lasky  vndt  denselben  abendt  noch  bey  dem  hern  vnterkantzler2) 
gewesenn  vnd  ein  ebene  zeit  heimliche  vnterredung  mit  jmo 
gehalten.  Volgenden  tagk  ist  er  bey  der  kon  Majfc  gewesen  vnd 
daselbst  öffentlich  jm  beysein  der  fürnemsten  hern  und  hofleut 
ein  stattliche  rede  getbann,  irer  Majt  erstlichenn  glück  vnd  heil 
gewünscht  zu  jrem  regiment  vnd  darnach  vrsach  angezeigt, 
warumbt  er  wider  jnn  sein  vaterlandt  kummen.  Auf  dem  abendt 
ist  er  auch  bei  der  konigin  gewesen8).  Was  aber  sein  fürnemen, 
kann  man  eigentlich  noch  nicht  wissen,  soll  aber  zu  seiner  zeit 
E.  F.  D.  vnuorhalten  bleybenn.    Zur  Wilde,  den  21.  Marcii  1557. 

XLVIII. 

Herzog  Albrecht  an  Erhard  von  Kunheim. 

Nachdem  gegenwertiger  zeiger  der  erenueste  Claudius 
Dorothius  wegen  bekentnuß  der  reinen  lehre  von  vnserm  hern 
vndt  heilandt  Christo  aus  Frankreich  gewichen,  viler  könige  vnd 
fürsten    hofe    besucht    vnd    disser  tage   bey    vns    in  willens    an 


1)  Am  23.  Februar  war  Laski  von  Krakau  aufgebrochen.  Am  5.  März 
schreibt  Kunheim  dem  Herzoge:  „Wie  ich  auch  E.  F.  D.  geschrieben,  so  kumtne 
ich  noch  heutt  in  erfarung,  daa  der  her  Lasky  bereits  zur  Breschkc  an  der 
polnischen  grenzen  bey  Lublin  ankummen  sey  vnd  hott  jm  der  herr  Badziwill 
entgegen  geschickt  vnd  lest  jnn  vollendts  hieher  holenn".  Pohibel  berichtet 
gleichfalls  aus  Wilna  unter  dem  17.  März:  ,.Der  her  Lasky,  welcher  lange  in 
Englandt  auch  Friesland  gewesen,  sol  alhier  zur  Wilde  seyn.  Doch  sich  gar 
eyngezogen  heldt,  das  nit  viel  leuthe  merken,  also  hab  ich  gehördt". 

2)  Johannes  Przerembski. 

3)  Vcrgl.  Opera  Calvini  XVI  Nr.  2052.  Nach  dem  Briefe  Laskis  vom 
13.  April  1557  an  Herzog  Albrecht  hätte  auch  der  Hofmeister  der  Königin  Gabriel 
Therla  Näheres  über  I&skis  Aufenthalt  in  Wilna  nach  Königsberg  berichtet, 
doch  habe  ich  dessen  Schreiben  nicht  auffinden  können. 


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Von  Dr.  Wotschke.  207 

kone  Majfc  zu  Poln  sich  zu  begeben  abgetreten,  haben  wir  aus 
allerley  vnderredung,  so  wir  mit  jme  gehabt,  vermerckt,  das  er 
vieler  Dinge  erfarenheit  habe,  fürnemlich  aber  weß  zu  kriegs- 
h  endein  gehörigk,  also  das  wir  auoh  zuuorn  seines  gleichen  nie 
gehört.  Weil  wir  dann  durch  vnsere  vorschrifte  jn  an  die 
kone  Majfc  jn  gleichnuß  dem  hern  wilnischen  woywoden  ins  best 
commandirt,  ist  an  dich  vnser  beuelich,  du  wollest  ime,  worin 
du  kanst,  förderlich  sein,  in  Sonderheit  das  er  möge  mit  der 
konn  Maj*  zu  reden,  desgleichen  bey  anderen  hern  in  kundschafte 
kommen.     Den  11.  Dezembris  1557 !). 

IL. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Binas  Hltiß  V™45  literas  eodem  tempore  datas  simul  accepimus, 
ex  quibus  alteris  IUtiß  Vrae  verum  et  pium  affectum  erga  christianam 
religionem  et  maximum  Studium  propagandae  veritatis  divinae 
liquido  cognovimus.  Quae  res  maxima  sane  et  mirifica  nos  laetitia 
perf  udit  precamurque  deum,  ut  suum  opus,  quod  in  Hlte  Vra  operari 
coepit,  magno  cum  fructu  et  emolumento  totius  orbis  christiani 
perficiat  et  confirmet.  Et  quamquam  eam  laudem,  quam  Illtas 
Vra  propter  propagationem  verae  religionis  nobis  tribuit,  haud 
quaque  agnoscamus,  tarnen  gratissimum  nobis  est  Illtis  V**6 
praeconium  atque  utinam  ex  animo  et  tota  mente  veram  religionem 
omni  promotam  oupimus,  sie  ad  eam  amplificandam  et  propa- 
gandam  deus  omnipotens  nobis  successus  foelices  et  fortunatos 
largiatur,  nos  certe  Studium  et  conatum  nostrum  numquam 
desiderari  patiemur.  Quod  alteris  suis  literis  Hit«8  V™  petit,  ut 
scripta  eiusdem  ad  electores  et  prineipes  Germaniae    destinata2) 


1)  Am  5.  Januar  1558  spricht  Andreas  Trzecieski  dem  Herzoge  sein 
Bedauern  aus,  daß  der  König  den  Dorothius  nicht  in  seinen  Dienst  ge- 
nommen habe. 

2)  Durch  Vergerio  war  Radziwill  in  Verbindung  mit  deutschen  Fürsten, 
besonders  mit  Herzog  Christoph  von  Württemberg  getreten  und  hatte  sie  ersucht, 
eine  Gesandtschaft  an  den  polnischen  König  zu  senden,  damit  er  den  Anhängern 
der  Augsburgischen  Konfeesion  freie  Religionsübung  gewähre. 


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208  Abraham  Culvensis. 

sine  mora  transmittere  ao  istam  IUtis  Vrae  respondendi  cessationem 
propter  castrensia  negocia  factam  nostris  literis  apud  illmas  celsnes 
suas  excusare  velimus,  hoc  sane  primo  quoque  tempore  facturi 
sumus.     Eegiomonti  8.  Januarii  1558. 

L. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Eadziwill. 
Cum  histe  diebus  nobis  ab  illmo  d.  duce  Wirtembergensi 
fasciculus  literarum  allatus  esset  funulis  compactus,  inscidendo 
laesimus  alteram  ligaturam  eius  fasciculi,  quem  Illti  y*ae  cum 
hisce  mittimus,  propterea  quod  inscriptio  illius  pone  nostris  aUi- 
gata  literis  non  apparebat.  Hoc  cum  per  errorem  omnia  scilicet 
ad  nos  pertinere  arbitrantes  factum  sit,  amice  Illtem  Vram  roga- 
tam  habemus,  ut  hanc  nobis  improvidentiam  ignoscat.  Latere 
autem  Illtem  Vram  nolumus  dictum  illmum  d.  ducem  Wirtemb. 
nee  non  d.  Vergerium  in  hanc  fere  sententiam  literas  ad  nos 
dedisse,  quod  diuturna  adeo  mora  responsi  Illtis  Vrae  varias  Ulis 
cogitationes  pariat,  ac  si  ea  res,  de  qua  agitur,  non  usque  adeo 
cordi  esse  quibusdam  minusque  serio  agi  videatur.  Nos  sane 
singulis  literis  Illtem  V1™11,  ut  se  res  habet,  excusavimus  causasque 
morae  exposuimus.  Verum  ne  in  animis  illorum  virorum  su- 
spicio  maior  crescat  atque  ita  in  mittendis,  prout  necessitas  ne- 
gocii  postulat,  nuneiis  suis  sententiam  mutent,  Illtem  V"1111  peti- 
mus,  ut  primo  quoque  tempore  animos  aneipites  de  certitudine 
confirmare  pergat  illisque  cogitationes  ab  re  alieniores  eximat, 
ut  quod  Illtem  Vram  non  modo  pie  coepisse,  sed  constanter  quo- 
que promovere  omnibus  constat,  in  amplificanda  gloria  divina  ac 
Propaganda  animarum  salute  magis  magisque  adniti  omnes  ho- 
mines  cum  immortali  IUtis  V""5  nominis  celebritate  depraedicent. 
Eegiomonti  10.  Februarii  1558. 

LI. 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 

Der  wylnische    woywod    hertzog  Radzywil    hört    man,  das 
seine  fürstliche  gnaden  jnn   Polen  mit  kon*  Majt    zihn  werden. 


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Von  Dr.  Wotschke.  209 

Die  pfaffen  schreyen  auff  den  canzeln  sein  itzt  new  angefangene 
ceremonien,  nemlich  das  man  die  sacrament  änderst  dan  vorhin 
gibt1),  welchs  den  grosse  jrrunge  macht,  das  man  von  eynem 
zum  andern  greifft.  Man  hat  alhier  auch  gesagt,  wie  der  her 
Lasko  bey  E.  F.  6.  jn  guter  gnediger  vorhaltunge  sey,  auch 
alzo  das  er  von  E.  F.  D.  mit  eynem  eigenen  hausse  vnd  der- 
nach  mit  gutter  notdorfft  vorsehen  wer,  wie  dem  in  allem  weis 
ich  nicht.  Man  gesorgt,  das  er  villeicht  in  Preussen  auch  was 
anrichten  wirt,  weyl  er  sich  jnn  den  orth  begeben.  Die  leuth 
reden  vnd  schreiben  viel,  was  aus  dem  aber  zu  glauben,  gibt 
die  zeith.  Wilde,  den  26.  April  1558. 

LIL 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 

Der  her  Radziwil  ist  den  12.  Juli  von  der  Wilde  am  abent 
späte  sampt  seyner  hertzogin  vnd  allem  hoffgesindt  abgeschieden 
vnd  nach  Polen  erstlich  nach  Breszken  vorruckt.  Man  redt  vbel 
von  seyner  jtzigen  angefangenen  neuen  religion,  sonderlich  mit 
dem  sacrament  macht  eynn  grosse  Zwiespalt  vnd  ergernus  auch 
alzo,  das  man  E.  F.  D.  bey  vielen  jm  besten  gedenkt,  das  die- 
selbe pey  voriger  ordnunge,  wie  es  allenthalben  gehalten,  ein- 
trechtiglich  pleibenn  vnd  nicht  vorendern  vnd  wirt  mit  diesem 
des  hern  woywoden  vnbillichen  vornhemen  vyel  geschreyes  wie 
vorgeseen  von  vornhemen  leuten  eingehalten.  Ich  vbersende 
hyneben  E.  F.  D.  eynen  druck,  welcher  meynem  hern  kortzlich 
von  eynem  guten  freunde  aus  Deutzschland  zugeschickt,  so 
E.  F.  D.  derogleichen  nit  bykommen  hetten,  werden  E.  F.  D.  zur 
müssigen  zeit  mancherlei  darynnen  vornhemen.  Wilde,  den 
12.  Juli  1558. 


1)  Jetzt  nach  schweizerischem  Ritus.  In  Wilna  war  auch  erzählt  worden, 
Laski  hätte  den  Herzog  in  den  Apriltagen,  da  er  in  Königsberg  weilte,  für 
seine  Abendmahislehre  gewonnen.  Vergl.  Wotschke,  E.  Trepka.  Posen  1903 
S.  122.  Am  10.  Mai  schreibt  der  Herzog  seinem  Agenten  Pohibel  zurück: 
„Das  her  Laski  vnd  seinen  beyhabenden  nach  vnserm  geringen  mugen  guter 
wille  widerfaren,  achten  wir  nicht  vnpillich,  müssen  aber  geschehen  lassen,  was 
die  leuthe  jeweilen  reden". 


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210  Abraham  Culvensis. 

LH1. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 
Binas  111*"»  Y™*  literas,  quibus  quaternos  nobis  pueros  ex 
laudatis  familiis  nobilitatis  Litbuaniae  oriundos  et  ad  studia 
literarum  capescenda  huc  in  academiam  nostram  Regiomontanam 
misssos  commendare  dignata  est,  accepimus.  Et  quia  omnes 
bonarum  artium  morumque  studiosos  singulari  hactenus  dementia 
prosecuti  sumus,  itaque  et  illos  ipsos  pueros  non  modo  propter 
literarum  virtutisque  amorem,  sed  multo  etiam  magis  propter 
Ultis  yrae  accuratam  commendationem  peculiariter  nobis  commen- 
datos  habebimus.     Regiomonti  23.  Novembris  1558  *). 

LIV. 
Herzog  Albrecht  an  den  König  Sigismund  August. 

Johannes  Worobiowski2)  S.  R.  M.  V.  subditus  ex  magno 
ducatu  Lituaniae,  qui  ad  triennium  in  academia  Regiomontana 
bonis  literis  operam  navavit  et  non  poenitendum  studiorum 
suorum  fruotum  cepit,  honesti  et  überaus  hominis  officio  functus 
est  seque  hactenus  omnium  collegatorum  aliorumque  testimonio 
hominum  modeste  et  decenter  gessit,  is  cum  in  patriam  negocii 
cuiusdam  sui  causa  profecturus  esset,  petiit  se  literis  meis  ad 
S.  R.  M.  V.  commendari,  quod  ei  quidem  petenti  tum  propter 
honestarum  artium  studia  tum  etiam  propter  claram  et  nobilem 
suam  familiam  libenter  et  quidem  mea  sponte  praestiti.  20.  Ja- 
nuarii  1560. 

LV. 
Eustacbius  Wolowicz  an  Herzog  Christoph  von  Württemberg. 

Tametsi  non  sum  cognitus  Illmae  Celsni  V1*^,  tametsi  etiam 
nulla  fidei,  nulla  observantiae  meae  in  illam  exstent  testimonia, 

1)  Unter  dem  28.  November  1558  schreibt  der  Herzog  an  Ostaphius 
Wolowicz,  der  seine  Neffen  zum  Studium  nach  Königsberg  geschickt  hatte, 
fteselbe  Wolowicz  empfiehlt  einen  anderen  in  Königsberg  studierenden  Neffen, 
Johann  Wiesiolowski,  dem  Herzog  Albrecht  unter  dem  5.  April  1559  von 
Krakau  aus. 

2)  Ist  laut  Matrikel  am  3.  Juni  1556  an  der  Universität  inskribiert  worden. 


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Von  Dr.  Wotechke.  211 

quae  tarnen  est  nominis  illius  celebritas,  quod  animi  non  minus 
excelsi  quam  humani  temperamentum,  minime  dubitabam  Illmam 
Celsnem  V^m  literis  meis  compellare.  Ignotus  quidem,  uti  dico, 
homo  ignotum  principem  sed  toto  pectore  totaque  voluntate  in 
observantiam  et  venerationem  clarissimi  et  nobilissimi  prinoipis 
propendens,  cuius  laudea  heroicaeque  virtutes  principe  vere  dignae 
prudentia,  sapientia  et  eximia  erga  synceriorem  regionem  pietas, 
tametsi  saepe  ante  clare  satis  et  vocaliter  aures  nostras  a  lon- 
ginquo  personarent,  tarnen  cum  hie  apud  nos  adesset  rev.  et  clariss. 
vir  d.  Petrus  Paulus  Vergerius,  proximius  propinquiusque  et  vo- 
calius  personare  visae  sunt.  Cuius  sermone  adduotus  mitto  in 
Illmae  Celsn»8  V^e  scholam  Tubingensem  nepotes  et  consanguineos 
meos  Joannem1)  et  Josephum  Wolowicz,  Joannem  et  Petrum 
Wiesielowsky8),  Corsacum  Poloczanin  et  Fridericum  Skumin,  qui- 
bus  in  praeeeptorem  et  inspectorem  adiunxi  pium  et  eruditum 
virum  Georgium  Zaboloczki,  ut  in  illo  nobilissimo  rei  literariae 
emporio,  quod  magnopere  ab  omnibus  praedicatum,  consistant, 
virtutem  et  studia  literarum  capescant,  linguam  utramque  latinam 
et  germanicam  apprime  apud  nos  propter  communem  cum  Ger- 
manis consuetudinem  necessariam  ediscant,  imprimis  vero  ut  cum 
honestis  diseiplinis  et  politiori  literatura  synceram  pietatem  con- 
iungant  nullaque  paparum  idolomania  et  superiorum  temporum 
superstitionibus  contaminatam  a  primis  ineunabulis,  ut  dicitur,  una 
quasi  cum  lacte  ex  purissimis  verbi  dei  scaturiginibus  bauriant, 
quo  in  posterum  salutares  huius  rei  publicae  cives  esse  possint. 
Hie  enim  scopus  est  et  haec  meta,  in  quam  isti  oollinere  hoc 
Studium,  in  quo  currere  debent,  ut  autem  isthio  in  hoc  suo  curri- 
culo  commodius  faciliusque  absque  quovis  impedimento  currant 
et  versentur,  commendandos  eos  Illmae  Celsni  V«*  esse  duxi  idque 
cum  maiori  et  aecuratiori  diligentia,  quam  mihi  illorum  reeta  in- 


1)  Von  ihm  besitzen  wir  ein  in  Tübingen  niedergeschriebenes  Epitaph 
auf  Katharina  Wolowicz.  Vergl.  Melchior  Gedrotius,  In  mortem  Catharinae 
Wolovicz  S.  B  3. 

2)  Als  Petrus  Vessolowski  am  29.  Dezember  1558  an  der  Königsberger 
Hochschule  inskribiert. 


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212  Abraham  Culvensis. 

stitutio  maiori  curae  et  sollicitudini  est.  Quicquid  autem  Ulma 
Celsdo  Vra  pro  innata  sua  bonitate  proque  semel  suscepta  verae 
pietatis  et  religionis  promotione,  patrocinio  propagationeque  in 
illos  tanquam  futurae  rei  publicae  plantaria  seminariaque  cle- 
mentiae,  favoris  et  benignitatis  suae  contulerit,  habebit  eo  no- 
mine in  coelo  hilarem  liberalemque  renumeratorem  meque  cum 
multis  mei  similibus  ad  nominis  sui  immortalem  venerationem 
perpetuo  coniunxerit.  Ac  si  in  qua  re  vicissim  hie  Illmae  Celsni 
Vrae  inservire  potero,  nihil  erit  tarn  arduum  tamque  difficile, 
quod  mihi  pro  nomine  Illmae  Celsms  Vrae  ad  mandatum 
illius  suseeptum  non  sit  quam  iueundissimum  futurum.  Vilnae 
4.  Maroii  1560. 

LVI. 

König  Sigismund  August  an  Herzog  Christoph. 

Magnificus  Eustachius  Wolowicz  marschalcus,  notarius  et 
consiliarius  noster  in  Mohilow  et  in  Miedniki  capitaneus  adduetus 
celebritate  nominis  Ultisyrae  et  vel  inprimis  literarum  pietatisque 
studiis,  quae  in  schola  Tubingensi  florere  dieuntur,  mittit  quos- 
dam  pueros  nepotes  et  consanguineos  suos  Joannem  et  Josephum 
Wolowicz,  Joannem  et  Petrum  Wiesiolowski  et  Corsacum  Po- 
loczanin  in  eandem  scholam  Tubingensem,  ut  ibi  literarum  studiis 
vacent  et  honestas  diseiplinas  una  cum  virtute  capescant  et  quod 
caput  est,  sinceriorem  religionem  et  pietatem  a  teneris  imbibant. 
Cum  autem  in  honesto  loco  in  laudatis  familiis  nobilitatis  nostrae- 
Lituanicae  nati  sint  et  aliqui  inter  pubem  oubiculi  nostri  versati, 
commendandos  eos  Illü  V1*1"5  tanquam  futurae  rei  publicae  semi- 
naria  esse  duximus.  His  se  quoque  adiunxerunt  alii  duo  Fre- 
dericus  Skumin  et  Stanislaus  Kmitha,  itidem  marschaloorum  et 
cousiliariorum  nostrorum  filii1).    Hos  itaque  si  gratia,  si  propenso 

1)  Die  Tübinger  Universitätsmatrikel  bringt  unter  dem  14.  August  fol- 
gende Namen  mit  dem  Zusatz  „hi  omnes  ex  magno  ducatu  Lituaniae" :  Melchior 
Gedrotius  (in  Königsberg  am  12.  Februar  1551,  in  Wittenberg  am  14.  Februar 
1560  als  M.  Goderitz  inskribiert),  Fridericus  Skumin,  Stanislaus  Kmitha, 
Joannes  et  Joseph us  Wolafitsch,  Petrus  et  Joannes  Wesolovius,  Petrus  Rorsag, 


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Von  Dr.  Wotschke.  213 

suo  favore  et  benignitate  Illtas  Vra  amplecti  dignabitur,  erit  nobis 
id  tarn  gratum,  nt  quid  gratissimum  nostris  vicissim  amicis 
officiis  referendum.     Wilnae  4.  Maroii  1560. 


LVII. 
Joh.  Kmita1)  an  Herzog  Christoph. 
Ea  est  nominis  Illmae  Celsniß  Vrae  celebritas,  id  promoven- 
dae  gloriae  dei,  honestarum  dissiplinaram  ac  imprimis  verae 
pietatis  et  religionis  Studium,  ut  eae  laudes  ad  nos  homines 
ignotos  longe  lateque  dissitos  quoque  penetrarent  et  personarent 
semper  in  auribus  nostris.  Quibus  adductus  mitto  filium  meum 
Stanislaum  Kmitham  in  scholam  Tubing.  virtutis,  rei  literariae, 
sincerae  religionis  et  pietatis  capessendae  ergo  idque  eo  potissi- 
mum  consilio,  ut  non  modo  scholam,  sed  etiam  aulam  Ulmae 
Celsniö  V1"*«  videat,  inspiciat  et  politioribus  moribus  assuescat, 
quo  in  posterum  salutaris  civis  huius  rei  publicae  esse  possit. 
Commendo  itaque  eum  Illmae  Celsni  Vrae  summa  cum  humilitate, 
oro  et  obtestor  Illmam  Celsnem  V«un,  ut  pro  innata  sua  bonitate, 
heroicis  et  principibus  viris  propria  et  peculiari  dignetur  eum 
isthic  dementia  sua  prosequi.  Inprimis  vero  si  forte  remissior 
in  studiis  fuerit,  coeperitque  eum  literarum,  quod  omnino  nolim, 
sacietas,  ne  dedignetur  eum  in  album  servitorem  suorum  ad 
aulam  suam  referre,  ut  Illmae  Celsni  V1^  inserviat,  linguam  Ger- 
manicam, in  qua  non  mediocriter  iam  exercitatus  est,  usu  et 
habitu  confirmet  ....  Vilnae  4.  Martii  15602). 


Martin us  Heyn,  Georgius  Zablotius  praeceptor  praecedentium ,  Stanislaus 
dementia  et  Thomas  Reschi.  M.  Heyn  war  der  Sohn  des  Vogts  von  Kauen. 
Von  Gedrotius  haben  wir  das  schon  erwähnte  Epicedion  auf  den  Tod  der 
Katharina  Wolowicz,  das  an  Petrus  Wesolovius  gerichtete  Vorwort  ist  Tübingen, 
Nonis  Januarii  1561  datiert. 

1)  Marachalcus  in  magno  ducatu  Lithuaniae  in  Wilkomiria  et  Onisch 
capitaneus. 

2)  Unter  dem  4.  März  1560  schrieb  auch  N.  Radziwill  an  Herzog 
Christoph.  Vergl.  Kausler  und  Schott,  Briefwechsel  Herzog  Christophs  mit  Verger. 
1875  S.  225  ff. 


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214  Abraham  Culvensis. 

LVIII. 
Johann  Maczinski1)  an  Vergerio. 

Literas  Dniß  Vrae  Rmae  ad  me  ex  propinquo  pago  scriptae 
legendas  principi  meo  exhibui  efc  de  singulis  materiis  responsum 
et  declarationen  petii  et  in  primis,  quod  ad  d.  Mumerum  attinet, 
respondit  se  Uli  velle  24  aureos  ungaricos  mittere.  Robertos 
Mtis  Rtis  medicus  libellum  apologorum  inter  libros  invenire  non 
potuit,  mitto  illius  credulam,  quam  ea  de  re  ad  me  rescripsit. 
Thorunensium  negotium2)  principi  meo  est  curae  et  ego,  quantum 
in  me  est,  instare  et  urgere  non  desinam.  Similiter  et  negotium 
Elbingensium*),  quibus  me  mea  sponte  aliquid  officii  debere 
intelligo  propter  illorum  benevolentiam  et  humanitatem,  quam 
aliquando  in  me  declararunt.  Literas  passus  d.  Lehwalt  mitto, 
nepoti4)  Rmae  Dni  V™  respondit  princips  se  velle  in  singulos 
annos  60  taleros  studiorum  gratia  numerare  et  fortassis  iam  nunc 
ad  annum  currentem  pecuniam  mittere.  Exemplum  literarum  de 
novo  papa  accepi  quidem  a  d.  Nicoiao  Wedrogosky6)  pastore 
Wilnensi,  verum  illud  mihi  reliqui,  nihil  enim  refert,  quod  ad 
mundum  descriptum  non  sit.  ego  mihi    describi  ipse    curabo,    ut 


1)  Maczinski  war  der  Sekretär  des  N.  Radziwill.  Vergl.  Th.  Wotschke, 
Francesco  Lismanino,  in  der  Zeitschrift  der  hist.  Ges.  der  Prov.  Posen  XVIII 
S.  306. 

2)  Am  9.  Januar  1560  hatte  Herzog  Albrecht  wie  schon  am  5.  Sept.  1555 
und  am  18.  Februar  1558  für  die  Stadt  Thorn,  die  ob  ihres  ev.  Bekenntnisses 
vom  Kulmer  Bischof  exkommuniziert  war,  sich  beim  Könige  verwandt.  Die 
Nachrichten,  die  ihm  Vergerio  bei  seiner  Rückkehr  aus  Wilna  überbrachte, 
ließen  ihn  am  1 4.  März  eine  erneute  Bitte  für  die  Thorner  und  ihre  ev.  Prediger 
an  den  König  richten. 

3)  Für  die  Elbinger  hatte  der  Herzog  schon  unter  dem  8.  April  und 
7.  Nov.  1556,  unter  dem  9.  März  und  22.  Aug.  1557  usw.  usw.  bei  dem  Könige 
Religionsfreiheit  zu  erwirken  gesucht. 

4)  Aurelio  Vergerio,  der  durch  die  Inquisition  aus  Italien  vertrieben  nach 
Deutschland  flüchtete  und  sich  am  3.  Dez.  1560  in  Heidelberg  immatrikulieren 
ließ.  Im  Auftrage  seines  Oheims  reiste  er  in  den  folgenden  Jahren  verschiedent- 
lich nach  Preußen  und  Polen. 

5)  Über  Wedrogowski  vergl.  Lukaszewicz,  Geschichte  der  reform.  Kirche 
in  Lithauen  II,  S.  96  ff. 


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Von  Dr.  Wotechke.  215 

interim  ad  alios  et  alios  spargam  tarn  hie  in  Lithuania  quam  in 
Polonia.  Mitto  Dm#  V^6  exemplum  literarum  Roma  per  distortum 
illum  et  blaesum  Caligulam  Hosium,  itidem  de  novo  papa  scri- 
ptarum,  quia  egregie  quadrare  et  correspondere  videntur  epistolae 
Dnis  yrae  Rmae  sc.  ex  diametro  plane  et  ex  opposito.  Scriptae 
autem  sunt  eae  literae  ad  d.  Stanislaum  Karnkowsky,  MM*  Ria© 
referendarium  illum  apostatam,  de  quo  me  in  itinere  ex  arce 
veniendo  interrogabat,  quis  esset  Mitto  etiam  exemplum  ad 
ill.  ducem  Wirtemb.  et  aliud  exemplum  ad  reliquos  prineipes, 
nam  fere  uno  et  eodem  exemplo  ad  illos  scriptae  sunt  excepto 
d.  Joanne  Ungnate,  ad  quem  paulo  diversius,  quod  cum  hoc 
prineipi  meo  notitia  et  familiaritatis  usus  aliquis  intercedit. 

Ex  literis  prineipis  nostri  Dtio  V**  Rma  intelliget,  quomodo 
sathan  per  Organa  sua  et  pseudoprophetas  zizania  sua  interspar- 
gere  sataget  et  a  recto  fidei  tramite  ser.  regem  Maximilianum  *) 
abducere,  quod  eo  magis  dolendum  et  timendum  nobis  est,  quod 
hie  non  admodum  magnae,  sed  parvae  et  modicae  fidei  adhuc 
est.  Video  prineipem  meum  esse  ex  hac  novitate  contentum,  sed 
multo  minus  ex  altera  illa  nuptiali  sc.  et  successionis.  Ego  vero 
ne  tantillum  ea  re  moveor,  altera  enim  istarum  non  nostra,  sed 
dei  causa  est.  Deus  non  deerit  causae  suae,  etiamsi  omnes  reges 
et  prineipes  desint.  De  hac  vero  altera  itidem  in  utramque 
aurem  dormio,  Polonus  sum,  videor  mihi  multorum  in  Polonia 
sensus  nosse,  quam  aversas  quamque  alienatas  voluntates  Poloni 
erga  hanc  domum  habent,  ex  qua  nobis  successor  regni  obtruditur. 
Dicant  et  cooperentur  et  satagant,  quantum  volunt  isti,  videntur 
mihi    aerem    prorsus  verberaturi    esse.      Video  mihi  Polonos   in 


1)  Die  Nachrichten,  die  Vergerio  über  Maximilian  nach  Königsberg 
brachte,  veranlagten  Herzog  Albrecht  ein  Trostschreiben  an  dessen  ev.  Hof- 
prediger Sebastian  Phauser  unter  dem  27.  März  zu  richten.  „Cum  d.  Vergerins 
ex  Lituania  ad  nos  rediisset,  secreto  nobis  communieavit  literas  Rdae  D*"s  Vrae, 
ex  quibus  cum  afflietam  Dnis  Vrae  sortem  intelligeremus,  non  potuimus  illi  non 
toto  pectore  condolescere.  Cum  d.  Vergerio  egissemus,  ut  R.  Dtio  V.,  si  ita 
casus  ferret,  hospitio  ab  illo  exciperetur,  eum  autem  ultro  ad  id  paraturum 
esse  animadvertimus". 


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216  Abraham  Culvensis. 

comitii8  centuriatis  magna  voce  inclamaturos,  nolumus  hunc 
super  nos  regnare,  nolumus,  qui  fratres  nostros  Bohemos,  cum 
quibus  una  gentis  propago  et  unus  populus  sumus,  misere  vexa- 
vit,  exturbavit,  eiecit,  proscripsit,  multorum  bonorum  virorum 
et  innocentium  in  bona  causa  sanguinem  effudit,  vicinos  vero 
nostros  Silesios  miris  et  inauditis  expilationibus  ad  sanguinem 
usque  emunxit  emungitque  et  exugit  quotidie.  Haeo  Polonis 
nostris  digitis  et  unguibus  notiora  sunt  et  saepe  commemorare 
audivi  et  multo  magis  commemoraturos  esse  video,  cum  primum 
illud  in  auribus  eorum  persona verit,  quod  sc.  per  belli  rationes 
(id  enim  a  Dne  Vra  ßma  audivi)  hoc  sibi  regnum  quaerere 
satageret;  nondum  hoc  sciunt,  at  scient  ex  me.  Interim  mihi 
summae  curae  hoc  erit,  quod  Rm*  Vra  Jjtio  de  ill.  et  sanctissimi 
senis  huius  Brandeburgii  filiolo,  summae  spei  puero,  commu- 
nicavit.  Et  si  quid  fidei,  si  quid  studii,  diligentiae  et  sedulitatis 
in  me  est,  totum  hoc  excellentissimo  et  integerrimo  seni  huic 
reverenter  recipio,  Rmae  Vero  Dm*  Vrae  est  me  accurate  ill.  celsn* 
suae  commendare  et  vicissim  a  me  omnia  addictissimi  hominis 
officia  exspectare.    Dat.    Vilnae  7.  Martii  1560. 


LIX. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Accepimus  Illtis  Vrae  Hteras  cum  rev.  d.  Vergerio  nobis 
missas,  quae  cum  in  exordio  singularem  quandam  gratiarum 
actionem  pro  qualicunquue  nostro  in  S.  ß.  M.tem  offioiolo  con- 
tinerent,  non  potuere  nobis  non  esse  gratissimae,  licet  gratiarum 
actione  tanta  ad  nos  opus  non  fuisset.  Inter  cetera  nobis  iu- 
cundissimum  fuit  tarn  ex  literis  Illtis  Vrae  quam  ex  ipsius  d. 
Vergerii  relatione  cognoscere,  quod  non  exigua  fundamenta 
constituendae  necessitudinis  arctae  inter  S.  R.  Mtera  et  quosdam 
Germaniae  principes  iacta  sint.  Dominus  deus  haec  ipsa  exordia 
ad  nominis  sui  gloriam  et  aedificationem  ecclesiae  fausta  et  ex 
omni  parte  foelicissima  esse  velit.     Dat.  16.  Martii  1560. 


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Von  Dr.  Wotschke.  217 

LX. 
Herzog  Albrecht  an  Erhard  von  Kunheim. 

Weß  du  in  dem  eingelegten  zetel  deines  eigenen  hand- 
schreibens1)  vom  hern  Vergerio  anzeigest  vnd  bittest,  ist  vnnß 
zu  uernehmen  vnlieb  gewesen,  tragen  von  solchen  schriffiben 
kein  wissen,  weil  wir  aber  vermerken,  das  der  konn  Maj#t,  do 
solche  sachen  alhir  getruckt  werden,  zuwider,  vnß  auch  irer 
Blajt  erachtens  schedlich  sein  möchte,  wollen  wir  vnß,  do  wir 
disfals  von  hern  Vergerio  angelanget,  also  zuerzeigen  wissen, 
damit  irer  Mag*  bedenken  in  acht  gehabt,  dan  wir  auch  ohne 
das  irer  Majt  weß  zu  wider  keinswegs  gefunden  wolten.  Das  sich 
aber  der  h.  Vergerius  sonsten  wol  gehalten  vnd  vnsere  handel 
zum  treulichsten  gefordert,  hören  wir  gerne,  wir  wollen  auch 
deinen  bitten  nach,  das  du  diesen  seinen  gehabten  fleiß  durch 
dein  schreiben  bei  vnß  gerühmet  nach  gelegenheit  gegen  ihme 
ingedenk  sein.     16.  Martii  1560. 

Nachtrag.  Vnd  so  wir  auf  der  konn  Maj*  embsiges  begeren 
das  bekentnuß  des  berwulfs  beyliegend  mitschicken,  als  gut  es  an 
ime  ist,  so  wollest  ire  Maj*  vonn  vnserntwegen  vnderthenigst2), 
das  es  nicht  in  weitleufftige  wissenschafft  komme  auß  denen 
vrsachen,  weil  vnsers  erachtens  wol  souil  lügen  als  warheit 
daran  sein  magk,  zu  deme  das  etzliche  Baiern  darinne  nam- 
hafftig  gemacht.  Wolten  demnach  ungern  den  nahmen  haben,  als 
kerne  ein  solchs  von  vnß,  möchte  vnß  auch  allerley  nachrede, 
Verkleinerung  vnd  vnglimpf  bey  verstendigen  geberen,  zweifeln 
aber  nicht,  du  werdest  dem  allen  gute  vnd  gebürende  maß  zu- 
geben wissen. 

LXI. 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 
Ich  kan  E.  F.  D.  vnderthenigst  nit  pergen,   das  E.  F.  D. 
hoffpredicant    Epplinus    alhir    vor  wenig  tagenn  ankommen  vnd 

1)  Dieser  Brief  des  herzoglichen  Geschäftsträgers  in  Wilna  ist  leider  nicht 
mehr  vorhanden. 

2)  Das  Prädikat  fehlt. 

Altpr.  Monatiichriit  Bd.  XLII.  Hft.  3  u.  4.  15 


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218  Abraham  Culvenais. 

durch  meynen  hernn *)  vor  die  kone  Majfc  zur  audienz  am  abendt 
vorgebracht.  Dieweyl  dan  etzliche  geistliche  personen  mit  irer 
Majt  jn  pallast  kommen,  haben  ire  Maj*  dasselbe  puch  vnvor- 
merkt  meynem  herren  zubehalten  gebenn  vnd  des  andern  tages 
widderumb  holen  lassen  vnnd  mit  fleis  zuvbersehen  eyner  sonder- 
lichen personen  jnn  boffelich  geben.  Dem  hern  wilnischeu 
woywoden  dergleichen  ist  der  herr  predicant  auf  gudtdünken 
meynes  hern  zu  seiner  gnaden  gen  Lawryschken  jnn  hoff  ge- 
faren  vnd  doselbst  das  ander  puch  sampt  E.  F.  D.  briff  jnn 
aigener  handt  zugestelth,  welches  seyne  gnaden  mit  gnaden  ganz 
gern  von  jhm  angenommen  vnd  vnvermerkt  vorschaffunge  ge- 
than,  das  gedachter  her  Epplin  durch  des  hern  woywoden  doc- 
tores  ist  zum  morgenmall  vm  etzlicher  vntherredungen  willen 
geladen  wordenn,  jn  welchen  vorsammlungen  sich  allerley  zu 
reden  sonderlich  vom  sacrament  zugetragen.  Wiewol  sich  her 
Epplinus  nicht  fast  hadt  vm  vordachts  willen  mit  viel  worten 
eyngelassenn,  doch  letzlich  nach  vieler  gehabter  collocution  ire 
meynunge  stückweis  in  schrifften  vberzugebenn  begert,  welchs 
sie  zugesagt,  hoff  dem  auch  also  nachkommen  sein.  Dan  der 
her  woywod  hat  den  her  Epplinum  anreden  lassen  vnd  bogerdt, 
das  er  als  morgen  am  tage  Jacobi  eyn  sermon  jn  des  hern  Ga- 
stolts  houe,  welcher  itzo  dem  hern  woywoden  zukompt,  thun 
soll,  welches  auch  alzo  bewilliget  ....  Datum  Wilde  am  tage 
Jacobi  1560. 

1)  Gabriel  Therla  (Tarlo).  Am  14.  Juli  hatte  der  Herzog  an  Kunheiin 
schreiben  lassen:  „Weil  sich  vnser  hoffprediger  an  Kon«  Maj1  vnd  den  hern 
woywoden  begebt,  darumb  das  er  ire  Majt  vnd  Liebden  mit  seiner  arbeit,  die 
irer  Maj1  er  zugeschrieben,  beehreu  will,  ist  vnser  begeren,  du  wollest  von 
vnserntwegen  ime  fürderlich  sein'4.  Ottomar  Epplin  hatte  sein  umfangreiches 
Werk  „Selectiora  vetustissimorum  ac  probatissimorum  patrum  iudicia  de  prae- 
cipuis  evangelistarum  narrationibus"  unter  dem  Himmelfahrtstage  1560  dem 
polnischen  Könige  gewidmet.  Von  der  ihm  in  Wilna  vom  Könige  bewilligten 
Audienz  lesen  wir  auch  in  seiner  gegen  den  ermlandischen  Bischof  Hosius  ge- 
richteten Schrift  „Manifestissima  et  irrefragabilis  a^sertio,  quod  sacranientum 
corporis  et  sanguinis  d.  nostri  Jesu  Christi  etiam  laicis  non  nisi  sub  utraque 
si>eeic  administrari  possit",  die  unter  dem  20.  Oktober  15C0  gleichfalls  dem 
polnischen  Könige  zugeeignet  ist. 


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Von  Dr.  Wotschke.  219 

LXH. 
Gabriel  Therla  an  Herzog  Albrecht. 

Ich  kann  E.  F.  D.  nicht  vorhalten,  das  mir  E.  F.  D.  gne- 
digst  schreiben  das  durch  den  würdigen  vnd  achtbarenn  h.  mgro 
Epplino,  E.  F.  D.  hoffpredicanten,  alhier  ist  zukommen,  inhalts 
allenthalbenn  wol  eingenommen  vnnd  habe  E.  F.  D.  begerenn 
nach  gemelten  h.  Epplinum,  weil  er  dieße  14  tage  alhier  hat 
vertziehen  müssen,  dann  viel  vnnd  mancherley  geschefft  mitler- 
zeit  fürgefallen,  2  mal  vor  die  königliche  Maj*  jn  bequemer 
stellen  gebracht,  wie  vnd  welcherlei  gestalt  jre  köne  Majt  mit 
jme  allenthalben  geredt  vnnd  geschlossenn  vnnd  was  der  hendel 
meher  sindt,  werdenn  E.  F.  D.  jn  seyner  ankonfft  bas  dann 
durch  meyn  viel  schreyben  durch  müntlichen  bericht  genugsam 
jnn  gnaden  eynnehmen.  Dieweyl  gemelter  h.  Epplyn  sich  sonder- 
lich kegen  ire  Maj*  hodt  vornheinen  lassenn,  das  jnn  E.  F.  D. 
furstentumb  Preusen  nichts  änderst  dan  dy  Augspurgische  con- 
fession  gelehert  vnnd  gepredigt  wirt,  haben  sich  solchs  ire  kone 
Majt  sonderlich  vnnd  gnediglich  gefallen  lassenn  wie  gemelter 
h.  Epplyn  sich  alhir  öffentlich  jn  der  deutzschenn  predigt,  ßo  inns 
herrn  Woywodenn  hoff  gethan,  vnther  anderenn  hat  vor  jder- 
menniglich  jn  seiner  lehren  hören  lassenn.  Zw  dem  sindt  auch 
etzliche  des  hern  woywoden  schriflft  erfarnenn  prädicanten  pey 
jme  gewesen  vnnd  vom  sacrament  vnd  anderm  mit  jme  sonder- 
lich durch  bequeme  worthe  geredt,  wie  sie  in  der  Sachen  ayns 
vnd  was  E.  F.  D.  hoffprädicant  jn  kortz  mit  jnen  geschlossenn, 
zweiffeit  gar  nicht,  wirt  E.  F.  D.  vnvorhaltenn  pleibenn.  Hab 
auch,  so  viel  mir  jmer  müglich  gewesenn  vm  abfertigunge,  damit 
er  desto  eher  an  E.  F.  D.  gelangen  mochte,  pey  der  konen  Maj* 
treulichen  angehalten.  Weyl  dann  sonderlich  hier  am  hofe 
jmerzu  gescheffte  fürfallen,  hot  man  zur  abfertigunge  nicht  eher 
komen  mögen,  sonder  hot  14  tage  alhier  verzihenn  müssenn.  Wie 
vnnd  welcherley  gestalt  er  seine  abfertigunge  bykommen,  werdenn 
E.  F.  D.  durch  jnen  fernem  eynnehmenn,  weis  got,  ich  hab  an 
meinem  fleis  nichts  abgehen  lassen.     Es  hodt  mich  auch  der  her 

15* 


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220  Abraham  Culvensis. 

von  Trokken  jtziger,  welcher  woywod  zu  Kyoff  gewesenn,  her 
Gregorii  Kothkowitz,  meyn  jnsonder  gudt  freundt,  angelangt  vnd 
gepethenn,  ich  seyne  2  ßone  E.  F.  D.,  domit  die  pey  seyner 
F.  G.  dem  jungen  hern  Fridrich  Albrechtenn  jnn  der  kammer 
vnd  allenthalben  vff  den  dynst  aufwarthen  oder  sonst,  wie  es 
E.  F.  D.  jn  gnaden  vor  gudt  ansehen,  kegen  E.  F.  D.  mit  fleiße 
kommandiren  wolthe,  welche  seyne  pidt  ich  seiner  gnaden  nicht 
habe  wissenn  abzuschlagenn,  hofi  E.  F.  D.,  nach  dem  dieselbenn 
mit  dem  hern  Kothkowitzenn  jtzo  lengist  jnn  kentschafft  seyn, 
werdenn  mir  hyrauff,  wornach  man  sich  ferner  zu  richten,  mit 
gnediger  andtwort  begegnen.  Im  fall  es  dies  mal  nicht  gescheen 
kende,  mus  man  weyter  myttel  vnnd  wege  suchenn,  domit  dy 
jnn  E.  F.  D.  fürstentumb  zur  zucht  und  aller  tugent  mögen  er- 
halten vnd  vntergepracht  werdenn.  Denn  ich  hertzlich  gern 
sehe,  das  der  junge  hertzogk  mit  der  zeit,  geb  got,  ichs  mit 
freudenn  erleben  möge,  der  polnischen  sprachen  mit  der  hülffe 
des  almechtigenn  auch  kündigk  werde,  bidt  derwegen  E.  F.  D. 
vm  gnedige  vnd  schriftliche  antword.  Ich  zweyffel  nicht,  E.  F.  D. 
sich  zu  erynnern,  das  dy  hern  Kothkowitzen  sampt  der  gantzen 
freuntschafft  E.  F.  D.  mit  sonderm  fleyß  gern  dynen,  auch  hot 
her  Gregorii  Kothkowitz,  der  knaben  vatter,  E.  F.  D.  jn  seyner 
jugendt  gedynth,  welchs  er  sich  sampt  den  seynen  noch  zu  thun 
ganz  willig  erpeuth.  Der  eyne  knabe,  der  eidist  vonn  11  jaren, 
heist  Andreas,  der  ander  Alexander  ist  vonn  10  jaren  vngeferlich. 
Wie  ich  diesen  bryff  hab  schließenn  wollen,  haben  gleich  jre 
kone  Maj*  nach  mir  gesant  vnd  fordern  lassen  vnnd  jnn  boffelich 
gebenn,  ich  E.  F.  D.  schreybenn  solthe,  das  jre  kone  Maj*  den 
zugefertigten  jren  hofipredicanten  jn  königlichen  gnaden  sambt 
vbersendunge  des  buchs  gern  gesehen  vnnd  angenomen,  mit  ge- 
dachtem prädicanten  etzlich  vntherredunge  aigner  königlicher 
person  gehabt.  Ire  kone  Maj*  findt  solchs  kegen  E.  F.  G.  gne- 
diglich  vnd  freuntlich  dankpar.  Das  aber  jre  kone  Maj*  E.  F.  D. 
das  mol  mit  jrem  schreiben  nit  ersucht,  pitten  jre  kone 
Maj*  ganz  genediglich,  E.  F.  D.  wollen  solchs  nicht  zu 
vngudt  verstehen  vnd    annehmen.      Denn  ire  Majfc  mit   sonder- 


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Von  Dr.  Wotschke.  221 

liehen  geschefftenn  ethwan  beladenn Dat  Wilda, 

den  3.  Augusti  1560. 

LXIH. 

Erhard  von  Kunheim  an  Herzog  Albrecht. 

Nach  erbitung  meiner  gantz  vnterbhenigendienste  kannE.F.D. 
ich  jn  höchstem  vnterthenigstem  vertrauen  nit  bergenn,  das  des 
Radziuils  diener,  so  mit  Vergerio  gezogen  wider  komen,  bringt 
böse  zeitung,  nemlich  das  aus  dem  handel  so  er  wegen  der 
freulein1)  alhier  so  ernstlich  trieb,  nichts  werde,  entschuldigt 
sich  in  seinem  schreiben  hoch  vnd  beschuldigt  den  jungen  hern 
von  Sachsen,  der  jme  nit  glauben  gehalten.  Ich  merke,  es  thut 
dem  Radziuil  hertzlich  wehe,  dann  er  die  Sachen  getrieben  vnd 
Vergerium  für  sein  abgott  alhier  gehalten.  Dis  ist  noch  gantz 
heimlich,  es  wissen  auch  nit  viel,  das  gemelter  diener  wider- 
komen,  mir  aber  hats  ein  person  vertrawet,  so  darumb  weis. 
Eadziuil  gibt  für,  Vergerius  hab  ein  schrift  hierein  geschickt, 
darin  jme  der  mitler  her  von  Sachsen  zeugnus  giebt,  das  er 
vorhin  dem  Vergerio  solch  handel  zutreiben  aufferlegt.  Weil  aber 
sich  indes  ein  andere  freyheit  zugetragen,  war  er  erbütigk,  etz- 
liche  fürsten  zwsamen  zwbringen  vnd  sich  zu  erkundigen,  ob 
jmandt  von  jnen  lust  hierein  hett.  Ob  deme  jm  grundt  also  sey 
oder  ob  sich  damit  Vergerius  beschönen  will,  laß  ich  jn  seinen 
würden  beruhen,  es  sthenn  die  Sachen  seer  weit.  Mann  hat 
Vergerium  jn  grossem  verdacht,  er  hab  mer  ausgericht,  als  jme 
beuolen  vnd  hab  nur  geschenk  gesucht.  Es  sey  aber  wie  jm 
wolle,  hab  ich  als  viel  jeh  erfahren  mueg,  E.  P.  D.  im  vertrauen 
wie  gemelt  nit  wollen  vnangezeigt  lassen.    Von  meiner  gnedigen 

1)  Sigismund  August  hätte  durch  Radziwills  Vermittlung  seine  Schwester 
Katharina  oder  Anna  gern  an  einen  deutschen  Fürsten  vermählt  und  Vergerio 
erbot  sich  zum  Unterhändler.  Schon  gelegentlich  seines  ersten  Wilnaer  Aufent- 
haltes hatte  er  auf  Johann  Wilhelm  von  Sachsen,  Sohn  des  Confessor-Chur- 
fürsten  Johann  Friedrich,  hingewiesen.  Allein  dieser  verlobte  sich  —  zuerst 
heimlich  —  mit  Dorothea  Susanna,  Tochter  Friedrichs  III  von  der  Pfalz  und 
führte  sie  10.  Dezember  1560  heim. 


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222  Abraham  Culvensis. 

frawen  vnd  khunigin  thue  E.  F.  D.  jch  hiemit  ein  brieflein 
vberschicken,  jre  kone  Maj#t  ist  got  lob  zimlich  woll  wider  zw 
paß.  Heut  ziehen  wir  alle  3  meilen  von  hier  gen  Lauarischky 
zum  Radziuil  auf  3  tage.  Acht  tag  nach  der  widerkunft  gen 
Wolkiniky  auf  die  jagdt  auf  8  tage  ....  Dat  in  grosser  eil 
Vilnae  den  11.  Augusti  1560 l). 

LXIV. 

Erhard  von  Kunheim  an  Herzog  Albrecht. 

....  Vbersende  E.  F.  D.  einen  brieff,  so  mir  vonn  den 
deutschen  allhier  vberreichett  worden,  die  mich  daneben  gebeten, 
ich  auch  für  meine  person  ihrenthalben  bei  E.  F.  G.  jnntercedieren 
wollte,  damit  sie  vmb  so  viel  eher  vnd  leichter  einen  geschickten 
mann  erhalten  vnd  vberkommen  möchten.  Weil  ich  aber  E.  F.  D. 
ohne  das  zur  beforderungk  der  ehre  gottes  vnd  außbreithungk 
seines  gottlichen  worts  geneigt  weiß,  hab  ich  für  vnnöttigk  ge- 
achtet, solchs  mit  ferneren  wortten  auszuführen.  Was  sie  sich 
aber  jnn  deme  zuuorsehen,  weil  ich  ohne  zweiffei  viel  vberlauffs 
derhalben  von  jhnen  haben  werde,  also  bitt  ich  vnderthenig, 
E.  F.  D.  mich  des  gnedigst  woltten  verstendigen  lassen  .... 
Zur  Wilde,  den  1.  Oktober  1560. 

1)  Am  13.  September  antwortet  der  Herzog:  „Die  ausrichtung  des  hern 
Vergerii  ist  etwas  vordrieslich  vnd  ist  leicht  zucrmessen,  daß  solcher  handel 
obgedachtem  hern  Vergerio  allerley  bedenkliche  kummernuß  verursacht  wirt 
haben,  den  er  warlichem  dieser  tage  gar  beschwerlich  derhalben  an  vnß  ge- 
schrieben. So  wissen  wir  auch  gewisse,  das  er  ohne  genügsamen  beuelich  in 
diesem  hochwichtigen  handel  nichts  angefangen,  darum b  er  warlich  zur  vnbillig- 
keit  in  verdacht  vnd  thut  für  vnsere  person  nicht  vnbillich  zum  höchsten  be- 
schweren, daß  der  hochgeborene  fürst  vnser  lieber  oheim,  seh  wager  vnd  söhn 
dergestalt  mit  dem  handel  vmbgangen.  Erachten  bey  vns,  das  vielleicht  die 
kone  Majt  hin  vnd  wider  argwöhn  schöpfen  mögen,  das  wir  in  seinen  orth 
stellen  müssen,  übersenden  dir  aber  im  vertrauen  eine  copie,  dies  vns  im  ver- 
trauen zugeschickt,  darumb  du  alle  gelegenhcit  zubefinden  vnd  do  es  nötig 
verdechtige  leuthe  zu  entschuldigen  wissest".  Am  18.  Oktober  berichtet  Kunheim 
zurück:  „Die  copia  den  Vergerium  belangende  habe  ich  empfangen,  sol  weiter 
nit,  als  da  es  vielleicht  dermal  eins  von  nöten,  doch  nichts  weniger  auff  ver- 
trauen außgebreitet  werden." 


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Von  Dr.  Wotechke.  223 

LXV. 

Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albrecht. 

Das  puch,  so  der  h.  Volmer  Epplinus  hier  der  konn  Majfc 
gebracht,  haben  jre  Majt  dem  hoffpräcicanten  hern  Pekorisky 
vberandtworten  lassen,  welcher  gefragt,  wie  es  jm  gefallen,  ge- 
sagt, wüste  an  dem  keynen  mangel  sonderlich  nicht,  were  mit 
grosen  fleis  zusammen  getragen Wilde,  den  4.  Ok- 
tober 1560. 

Herzog  Albrecht  an  die  deutsche  Gemeinde  und  Einwohner 

zur  Wilde. 

Wir  haben  eur  schreiben  den  25.  Septemb.  datirt  emp- 
fangen, jnhalts,  welchen  wir  zuerwidern  vnnotig  achten,  lesendt 
eingenohmen  vund  welcher  massen  jr  wegen  eins  christlichen 
gelarten  vnd  treuen  selsorgers,  welcher  mit  der  Augspurgischen 
confession  vnd  reiner  götlicher  lehre  einstimmig  bey  vns  an- 
suchung thut,  daraus  verstanden.  Wissen  vnß  auch,  weß  durch 
vnsern  hoffprediger  magistrum  Othmarum  Eplinum  verschiener 
zeit  disfals  bey  vnß  gesucht,  jn  gnaden  wol  zuerinnern.  Nun 
sollet  jr  vnß  gewiß  glauben,  daß  wir  euch  nicht  allein  zu  trost 
eurer  gewissen  vnd  derselben  heil  und  Seligkeit  dergleichen  nhun 
zu  zuhandeln  geneigt,  sonder  erkennen  vnß  auch  solchs  zuthun 
vund  alles  daß,  so  zur  forderung  gottes  ehre  vnd  seynes  allein 
seligmachenden  worts  gereichen  magk,  zubefurdern  schuldig, 
wie  wir  denn  auch  auf  gedachts  vnsers  hofpredigers  des  Eplini 
erstes  disfals  gethanes  anregen  nachforschung  nach  dergleichen 
personen  pflegen  lassen.  Es  seint  aber  solche  leuthe,  wie  vnß 
jn  eurem  schreyben  describiert  vnd  die  derer  geschickligkeit 
sein,  nicht  wol  zu  bekommen.  So  bedenken  wir  auch,  das  nicht 
ein  schlechter  prediger  dahin  dienet,  sonder  ein  solch  man,  der 
mit  stadtlichen  vnnd  wolgegrundten  der  heiligen  götliehen 
schrifft  spruchen  der  papisten  meinung  jederzeit  zuwiderlegen 
geschickt  sey.  Sollten  wir  euch  nun  einen,  ob  er  gleich  rein, 
clar  vnd  der  Augspurgischen  confession  gemäß  das  wort  gottes 
lehrete,    zuschicken,  welcher  jn    zuf eilen  den  papisten  nicht  zu- 


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224  Abraham  Culvensis. 

begegnen  wüßte,  wissen  wir  nicht,  was  für  gefallen  euch  daran 
geschehe.  Doch  wollen  wir,  nachdem  es  gottes  ehr  vnd  ohne 
zweifei  frommer  leuthe  gewissen,  heil  vnd  Seligkeit  betrifft,  dis- 
falls  an  vnß  nichts  erwinden  lassen,  damit  wir  auch  eine  solche 
person,  so  guth  wir  die  jtziger  zeit  vnd  mit  gelegenheit  vf  vnd 
zuwege  bringen  kennen,  ins  sonderlichste  als  muglich  zuschicken 
mugen.     Den  16.  Oktob.  1560. 

LXVI. 

Herzog  Albrecht  an  die  deutsche  Gemeinde  zu  Wilda. 

Ersame  vnd  weise,  liebe  besondere.  Welcher  massen  jr 
wegen  eines  cristlichen  gelerten  vnd  treuen  sehlsorgers,  welcher 
mit  der  Augspurgischen  confession  vnd  reiner  gotlicher  lehre 
einstimmig  durch  Schriften  auch  sonsten  müntlich  bey  vnß  an- 
suchung thun  lassen,  weß  wir  euch  auch  darauff  geantwortet, 
wissen  wir  vnß  jn  gnaden  zu  erinnern.  Ob  wir  nun  wol  zu  trost 
eurer  gewissen  vnd  beforderung  gotlicher  ehre  vnd  seines  heiligen 
nahmens  vnd  allein  selig  machenden  worts,  euch  eine  solche 
person  zuzuhandeln  an  vnserem  fleiß  nichts  erwinden  lassen,  haben 
wir  doch  biß  dahero  vnd  in  eil  (nachdem  dergleichen  leuthe  vbel 
vnd  noch  schwerer,  die  der  geschickligkeit  vnd  reiner  gotlicher 
lehre  dermassen  gegründet  sein,  durch  welche  jeder  zeit  der 
verfurischen  meinung  mit  gutem  gründe  vnd  spruchen  christ- 
licher lehre  widerleget  könne  werden,  aufzubringen)  dazu  nicht 
kommen  können.  Weil  wir  aber  bedenken,  weß  euch,  nemlichen 
euer  heil  vnd  Seligkeit,  daran  gelegen  vnd  das  es  ja  zu  gottes 
ehre  gereicht,  haben  wir  vnß  souil  mehr  zu  disem  handel  bemühet 
vnd  entlichen  keinen  geschickteren,  der  euch  dienstlich  sein  vnd 
wir  entrathen  konten,  den  briefs  zeigern  den  würdigen  vnsern 
lieben  getreuen  Simonem  Wohnraben,  welcher  der  Augspurgischen 
confession  vnd  cristlicher  wahrhafftiger  gotlicher  lehre  anhengig 
vnd  verwanth,  seines  wandeis,  wie  wir  jn  erkanth  auch  von 
andern  berichtet  worden,  vnsträfflich  aufbringen  können,  schicken 
euch  denselben  auch  hiemit  zu.  Und  ist  vnser  gnediges  begeren, 
jr  wollet  euch  denselben  gonstiglichen  vnd  mit  dem  besten  lassen 


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Von  Dr.  Wotschke.  225 

beuolhen  sein,  jnen  auch,  do  er  etwann  der  heiligen  cristliohen 
lehre  halben  oder  sonsten  von  jemands  (das  gott  gnedig  verhütten 
wolle)  solte  angefochten  werden,  wie  denn  das  göttliche  wort  in 
der  argen  weit  ohne  Verfolgung  nicht  sein  kan,  nicht  trostlos 
lassen  vngezweifelter  hoffmmg,  wann  solchs  geschieht  vnd  das  er 
ehrlich  versorgt,  jr  werdet  an  jme  nicht  allein  ein  genügen  vnd 
ein  gonstiges  gefallen  haben,  sonder  es  werden  auch  dadurch 
eure  vnd  vieler  gewissen  gesterkt  vnd  auff  den  rechten  wegk 
geleitet  vnd  entlich  zum  ewgen  leben  gebracht  werden.  Im  fall 
jr  inen  aber  bey  der  reinen  cristliohen  lehre  nicht  werdet  schützen 
können  oder  auch  an  jme  nicht  ein  gefallen  oder  genüge  hättet, 
begeren  wir  mit  gnaden,  jr  wollet  demnach  hiedurch  vnsern 
gnedigen  wolmeinenden  willen  vnd  des  guten  frommen  manns 
geneigte  gutwilligkeit  betrachten  vnd  jnen  hinwider  an  vnß 
sicher  vnd  ehrlich  ane  alle  gefahr  bringen  vnd  beleiten  lassen. 
Den  7.  Novembris  1560. 

LXVIL 

Herzog  Albrecht  an  die  deutsche  Gemeinde  zur  Wilda. 

Wir  haben  euer  schreiben  empfangen,  jnhalts  lesendt  ein- 
genohmen  vnd  welchermassen  jr  nochmals  vmb  einen  prädicanten 
bey  vnß  vnderthenigs  ansuchung  thut,  daraus  verstanden.  Mögen 
euch  darauff  gnediger  meinung  nicht  bergen,  das  wir  jn  arbeit 
sein,  euch  förderlichst  einen  hinauf  zu  verordnen,  wie  jr  dann 
auß  dem  schreiben,  so  dieselbige  person  mitbringen  wirt,  zu 
uernennen  haben  werdet.  Das  wir  aber  dieselbige  person  konr 
Maj1  zu  Polen,  jn  gleichen  dem  herrn  wilnischen  woywoden 
also  auch  dem  wilnischen  bischoff  commendieren  solten,  derwegen 
tragen  wir  noch  zur  zeit  pilliche  nachdenken  jn  erwegung,  das 
wir  von  hoch  gedachten  personen  in  diesem  handel  nicht  ersucht 
worden.  Do  es  aber  fernerher  vnd  mit  der  zeit  die  gelegenheit 
geben  würde,  das  dadurch  etwas  fruchtbar  konte  geschafft 
werden,  wollen  wir  vns  in  dem,  so  zu  gottes  ehr  vnd  forderung 
seines  heiligen  nah  mens  gereichen  mag,  auch  in  allem    anderen 


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226  Abraham  Culvensis. 

aller    christlichen    fürstlichen    gebür    zuuerhalten    wissen.     Den 
10.  Novemb.  1560 *). 

Lxvm. 

Nikolaus  Radziwill  an  Herzog  Albrecht. 

Hie  adolescens  nobilis  Marcus  Hellium  Paulus  ante  sex  annos 
cum  generoso  d.  Georgio  Kurinieczky,  olim  capitanei  Pinscensis 
filio,  in  hac  regiones  venerat  integroque  illo  sexennio  apud  eundem 
d.  Georgium  versatus  est,  a  quo  virtutis  honestaeque  et  fidelis 
conversationis  testimonia  refert.  Cum  autem  aliqua  ex  parte 
pietatis  et  syncerioris  religionis  studia  degustarit  linguamque 
germanicam  supremis  labris  attigerit,  non  prius  in  patriam  redire 
statuit,  quam  et  in  vera  pietate  et  in  lingua  germanica  maiores 
progressus  fecisset,  proinde  supplieavit  mihi  et  cum  eo  multi 
Mtis  ßiae  aulici,  nt  eum  Illmae  Celsni  V^e  commendarem  .... 
Dat.  Vilnae  20.  Novembris  1560. 

LXIX. 

Herzog  Albrecht  an  Gabriel  Therla. 

In  eurem  schreiben  befinden  wir,  welcher  massen  ir  vnsern 
hofprediger  befördert,  für  solchs  seint  wir  dankbar.  Vnd  ob  wir 
wol  mit  ime  zum  grundt  nicht  geredet,  ist  vnnß  doch  nicht  lieb, 
das  wie  wir  gleichwol  sonsten  erfaren,  die  Augspurgische  con- 
fession  (dabei  wir  auch  in  irem  rechten  verstände  bis  an  vnser 
ende  zuuerharren  gedenken)  also  wie  wir  bericht  gedrehet  vnd 
gezogen  solle  werden.  Wen  wir  nun  von  vnserm  hoffprediger 
ferner  vermerken  werden,  wie  er  die  Sachen  disfals  verlassen 
vnd  wir  mit  vnserer  einfalt  zu  cristlicher  vergleichnis  etwas 
dienen  können,  wollen  wir  vnns  dortzu  ganz  treulichen  erboten 
haben,  auch  an  vnkoston,  muhe  vnd  arbeit  nichts  erwinden  lassen, 
vf    das    wirklich  zu  spüren,    wir  der  rechten  reinen  lehre    mit 

1)  Aehnlich  ließ  der  Herzog  auch  an  Kunheim  schreiben,  welcher  die  Briefe 
der  deutschen  Gemeinde  in  Wilna  zuzustellen  hatte. 


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Von  Dr.  Wotechke.  227 

hertzlichem  eifer  anhangen  vnd  solche  zu  befordern  gedenken1). 
Ferner  vermerken  wir,  weß  ir  wegen  des  h.  Gregorii  Kottko- 
witzen  2  söhne  halben  an  vnß  schreibet.  Nun  ist  nicht  ohne, 
das  wir  h.  Kottkowitz  als  vnserm  alten  diener  mit  gnaden  ge- 
wogen, so  wir  dann  seiner  jungen  hern  alter  vermerkt  vnd  wir 
bey  unserm  geliebten  söhne  10  knaben  polnisches  vnd  deutsches 
gezunges  haben,  auch  die  Ordnung  gemacht,  das  irer  vber  solche 
zal  nicht  mer  sein  sollen,  welche  dermassen  gehalten  werden, 
das  sie  ob  sie  wol  etwas  elter  als  vnser  söhn  dennoch  in  forcht 
loben,  auch  alle  Willigkeit  vnd  das  auf  vnd  ablaufen  ganz  ver- 
meiden müssen.  Solchs  seint  auch  nur  einzelne  knaben,  den 
wir  keine  sondere  diener  zuordnen  lassen,  daneben  hat  es  auch 
mit  vnserem  söhne  die  gelegenheit,  das  er  nach  gelegenheit  des 
alters  vnd  irer  •  Constitution,  darinnen  sie  ohne  zweifei  bisher 
erhalten,  nicht  gleich  sein  kann.  Den  er  erst  im  aiphabet  vnd 
catechismum,  auch  das  abc  zumahlen  anfehet.  Sollten  dann  die 
beiden  jungen  hern  derhalben  in  irer  lehre  etwas  verhindert 
werden,  das  wolten  wir  nicht  gern,  so  wolt  auch  vnsern  söhn 
mit  schwerer  lehre  zu  belegen  bedenklich  sein,  damit  er  des- 
selben nicht  gar  vbertrussig  gemacht.  Diß  schreiben  wir  euch 
als  vnserm  vertrauten  vnd  begeren,  ir  wollet  als  für  euch  vnd 
vnserer"  vnuermerkt  bei  hern  Kottkowitz  erkundigen,  wie  er 
einen  oder  bede  seine  söhne  gern  gehalten  sehe  vnd  ob  er  auch 
viel  leuthe,  vf  sie  zuwarten  (welches  wir  bey  unserm  söhne  in 
anmerkung,  das  vil  vnzucht  vnd  anders  bey  solchen  aufwarten- 
den bisweilen  vnterleufft,  zum  höchsten  vermieden)  zuordnen 
bedacht,  vnd  vnß  solchs  mit  erstem  vermelden.  Dan  wir  dem 
ehrlichen  man  alle  gnade  erzeigen  wollen,  hatt  es  aber  auch  die 
meinung,  das  er  bedacht  were,  sein  söhn  dermaßen,  wie  sein 
bruder  der  her  starost  auf  Sameiten  seinen  söhn  alhie  helt,  in 
studiis  zu  vnterhalten,  wollen  wir  vns  dieselben  ganz  gnediglich 
beuolhen    sein    lassen,    auch    die  Verordnung  thun,    das  sie  mit 


1)    Vergl.    den    Bericht    des    Wilnaer    Predigers    Wedrogowski    auf    der 
Synode  zu  Pinczow  am  8.  Mai  1560  bei  Dalton,  Lasciana  S.  502. 


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228  Abraham  Culvensis. 

preceptoren  vnd  guter  disciplin  versorget  werden  sollen.  So 
wolten  wir  sie  auch  als  vnsere  vnd  vnseres  sohnes  diener  achten, 
das  sie  nach  ihrer  gelegenheit  vnd  ohne  verseumnuß  irer  studia 
bey  vnß  ab  vnd  zugehen  mögen.     ...  17.  August  1560. 

LXX. 
Herzog  Albrecht  an  den  König  Sigesmund  August. 

S.  Ä.  Mtem  V.  celare  non  possum,  quod  communitas  homi- 
num  Germanorum,  quae  Vilnae  est,  et  literis  et  internuntiis  suis 
apud  me  diligenter  agendum  curavit  commemorando  et  reoen- 
sendo,  quoniam  sanctum  dei  verbum  et  evangelium  nunc  passim 
per  universam  propemodo  Europam  his  temporibus  ex  immensi 
dei  misericordia  innotuerit,  se  quoque  miro  teneri  desiderio 
audiendi  verbi  dei  pure,  syncere  et  iuxta  Christi  servatoris 
institutionem,  petere  itaque  officiose  et  obnixe,  dignarer  pro 
amplificando  regno,  nomine  et  gloria  Christi  eo  incumbere,  ut 
doctum,  pium  et  fidelem  ecclesiasten,  qui  synceram  Christi 
doctrinam  iuxta  Augustanam  confessionem  profiteretur,  mea  opera 
nancisci  possent.  Mihi  vero  etsi  rem  pressius  consideranti  multa 
occurrebant  obstacula,  quae  me  non  immerito  deterrere  de  hac 
re  poterant,  praesertim  vero  quia  apud  multos  adhuc  baec  Christi 
doctrina  id  loci  exosa  est  et  quod  christiani  concionatores  multis 
et  magnis  periculis  expositi  sunt,  tarnen  amplificatio  nominis  et 
honoris  Christi  et  preces  eorum  hominum,  qui  salutem  animarum 
suarum  sitiunt,  apud  me  praevalnerunt  dedique  operam,  ut  pro 
ipsorum  aeterna  salute  comparanda  pium  doctum  et  Augustanae 
confessioni  adhaerentem  virum  Simonem  Wanraben,  qui  pacis, 
quietis  et  tranquillitatis  studiosissimus  est,  consequerentur.  Quam 
quidem  facti  mei  rationem,  ut  S.  ß.  Mtas  V.  mihi  in  meliorem 
partem  interpretari  nee  aut  temeritati  meae  aut  intempestivae 
curiositati  aut  studio  novandarum  rerum  adscribere,  sed  pro 
honore  et  gloria  nominis  Christi  amplificanda  a  me  faetam  esse 
sibi  persuadere  velit,  oro  et  humillime  peto,  ut  huic  pio  viro  cum 
bona  venia  et  sub  tutela  ac  clementissimo  patrocinio  S.  B.  Mtis  V. 
verbum    dei    pure    iuxta  propheticam    et    apostolicam  doctrinam 


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Von  Dr.  Wotechke.  229 

istic  profiteri  et  homines  de  dei  voluntate  et  aeterna  salute 
instituere  liceat.  Nihil  enim  potest  S.  R  M**8  V.  praeclarius, 
nihil  deo  acceptius  facere,  quam  si  in  hoc  omni  ratione  contendat, 
ut  verbum  dei  sacrosanctum  recte  doceatur  et  large  spargatur. 
Quodsi  S.  R.  M**8  V.  necessarie  etiam  duxerit,  rev.  d.  episcopum 
Vilnensem  hoc  nomine  appellare,  cui  ipsi  quoque  rem  per  literas 
meas  significavi,  vehementer  peto,  ut  id  ea  ratione  et  modo 
faciendi    curet,    quibus    decet  haec  Christi    negotia    magna  cum 

gravitate    fideliter   et   religiöse   tractare Regiomonti. 

4.  Januarii  1561  *) 

LXXI. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Honestus  Hieronymus  Maletius  in  usum  rei  literariae  et  iu- 
ventutis,  quae  materna  alias  quoque  imbibere  linguas  studet, 
editurus  est  dictionarium  Latino  et  Germano-Polonicum,  quemad- 
modum  prima  eius  editionis  iam  coepta  pagina  ostendit,  quam 
hisce  cum  literis  mittimus.  Ut  autem  et  laboris  et  impensae 
fructum  aliquem  perciperet,  petiit2),  ut  nostra  commendatione  Pri- 
vilegium a  s.  r.  maiestate  impetraremus  de  non  recudendo  eo 
opere  intra  regni  et  terrarum  s.  r.  maiestatis  fines  ad  decursum 
usque  octennii.  Qua  in  re  etsi  s.  r.  maiestatem  minime  diffici- 
lem  fore  arbitramur,  duximus  tarnen  operam  quoque  hac  in  re 
IUtis  y™6  requirendam  esse.  Quae  cum  apud  s.  r.  maiestatem 
valeat  plurimum,  amanter  illam  rogatam  habemus,  ut  concessi- 
onem  eam  privilegii  impetrari  iuvet.  12.  Aprilis  1561. 

LXXII. 

König  Sigismund  August  an  Herzog  Christoph. 

Ablegati  erant  ex  magno  ducatu  nostro  Lithuaniae  certi 
nobiles  et  ingenui  adolescentes  in  scholam  Tubingensem  überaus 

1)  Zwei  ähnliche  Schreiben  richtete  der  Herzog  an  demselben  Tage  an 
Nikolaus  Radziwill  und  den  Wilnaer  Bischof. 

2)  Das  Bittgesuch  bietet  Fr.  Koch,  Der  letzte  Druck  des  Lycker  Erz- 
priesters Johann  Maletius.    Königsberg  1903. 


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230  Abraham  Culvensis. 

institutionis  et  literarum  causa  et  a  nobis  Illmae  D»»8  V1*»«  com- 
mendati.  Hi  nunc  inde  revocantur  ad  alias  scholas  et  academias 
Germanicas,  quia  vero  benigne  babiti  sunt  istbic  et  habita  est 
illorum  ab  Illma  Dne  Vra  ob  nostram  commendationem  ratio, 
egerunt  nobis  consiliarii  nostri  eo  nomine  gratias  habentque  et 
agunt  ac  gratitudinis  ergo  petebant,  ut  de  hac  ipsa  gratitudine 
deque  gratiarum  actione  apud  Illmam  Dnem  Vram  Uteris  nostris 
testaremur.     Dat.  Vilnae  2.  mensis  Maii  1561. 


LXXIIL 
Nikolaus  Radziwill  an  Herzog  Albrecht. 

Quia  Illma  Oels^0  Vra  ad  me  et  ad  s.  r.  maiestatem  perscri- 
bere  dignata  est  de  utili  opere  excudendo  Latino-Germanico  et 
Polonico  dictionario,  quod  ven.  vir  d.  Hieronymus  Malecius  verbi 
dei  minister  prae  manibus  babeat  deque  privilegio  apud  maies- 
tatem r.  obtinendo  et  de  non  recudendo  eo  opere,  in  eo  quidem 
quemadmodum  in  reliquis  rebus  omnilibenter  me  iam  gessissem 
Ulmae  Celsni  Vrae,  verum  celare  Illmam  Celnem  Vram  non  debeo 
eiusmodi  Privilegium  et  multo  etiam  in  largiori  forma  pro  se  et 
baeredibus  suis  obtinuisse  gen.  Ioannem  Maczinsky  secretarium 
meum,  qui  tale  dictionarium  ante  quattuordecim  annos  in  studiis 
literarum  adhuc  in  Germania  versando  partim  ex  Latino-Ger- 
manicis  Petri  Dasipodii  et  Ioannis  Frisii  Tigurini,  partim  ex 
Latino-Gallicis  tum  etiam  ex  thesauro  linguae  latinae  compilavit 
et  extremam  manum  operi  iam  dudum  imposuit,  quem  librum 
s.  r.  maiestas  et  fere  tota  aula  hie  vidit  et  qui  exercitatos  sensus 
in  re  literaria  haben t,  affirmant  non  inutilem  eum  navasse  rei 
literariae  operam,  et  recte  factum  est,  quod  et  typographns  Ulmae 
Celsm'8  V™6  Regiomontanus  Taubmann  et  ipse  d.  Hieronymus 
Malecius  hie  adfuerunt,  cum  quibus  de  imprimendo  libro  ipse 
Ioannes  Maczinky  transegit  idque  sub  ratihabitione  approbatio- 
neque  eiusdem  Illmae  Celn»8  Vrfte,  quem  contractum  hie  inclusum 
mitto  et  cum  illum  approbari  tum  et  ipsi  typographo  Taubman 
ex  autoritate  Illmae  Celsniö  Vrae   serio   demandari    postulo,    ut  in 


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Von  Dr.  Wotechke.  231 

excudendo  libro  sedulam  et  diligentem  navet  operam,  non  extrahat 
tegrpus  nee  moras  non  necessarias  neetat.  Ac  mittit  una  et  librum 
ipse  Ioannes  Maczinsky,  quem  d.  Hieronymus  Maletius  Ulmae 
Celsni  Vrae  exhibebit,  opus  iustae  magnitudinis,  cui  etiam  adhuc 
multum  accedet  ex  contrario  dictionario  Polonico  et  Germanioo- 
Latino,  quod  idem  d.  Hieronymus  ex  hoc  ipso  dictionario  intra 
corrigendum  colligere  et  ad  calcem  operis  adicere  debet,  quae  res 
tametsi  satis  per  se  favorabilis  est  et  publicis  scholarum  usibus 
destinata  multum  proderit  nostrae  iuventuti,  tarnen  hoc  im- 
pressionis  negotium  in  gratiam  eiusdem  secretarii  mei  Illmae 
Celsui  V1^  commendandum  esse  duxi  ac  una  petendum,  ut  con- 
tractum  hunc  per  Illmam  Celsnem  Vram  approbandum  eidem  secre- 
tario  meo  ex  cancellaria  sua  in  autentica  forma  extradere  iu- 
beat.     .  .  .  Vilnae  22.  Junii  1561. 


LXXIV. 

Nicolaus   Radzivil  dei  gratia  in  Olyka  et  Nieszwiesch  dux  etc. 

Significamus  praesentibus  literis,  quia  comparantes  coram 
nobis  gen.  Joannes  Mazinsky,  secretarius  noster  et  s.  r.  maiestatis 
in  cancellaria  Lithuanica  expeditionis  latinae  notarius  ex  una  et 
ven.  vir  d.  Hieronymus  Malecius  verbi  dei  minister  nee  non 
famatus  d.  Joannes  Taubman  civis  et  typographus  Regiomontanus 
parte  ex  altera  talem  inter  se  fecisse  et  iniisse  contractum 
recognoverunt  sub  ratihabitione  tarnen  et  approbatione  ill.  prineipis 
d.  d.  Alberti  de  et  super  dictionario  latino  polonico  imprimendo 
per  praefatum  Jo.  Maczinsky  interpretato  et  collecto,  quod  videlicet 
praefatus  typographus  sumptibus  eiusdem  Jo.  Maczinsky  impri- 
mendum  sibi  sumpsit  dictionarium  eius  generis,  dominus  vero 
H.  Malecius  sumpsit  sibi  operam  corrigendi  preli  typographici 
modis  et  conditionibus  infra  scriptis.  Primum  et  ante  omnia  ita 
conventum  est,  quod  500  exemplaria  non  plus  nee  nlinus  imprimi 
debent,  ad  eum  autem  numerum  exemplarium  si  unum  quoque 
exemplar  300  arcus  papiri  reeipiet,  315  resae  pro  toto  opere 
sufficient,    unam    autem   quamlibet   resam    23    grossis    polonicis 


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232  Abraham  Culvensis. 

computando  papirus  constabit  241  florenos  grossos  15,  quam 
summam  imprimis  pro  camparanda  oharta  reponere  debebit  ipse 
J.  Maczinsky  apud  speot.  et  fam.  virum  d.  Jacobum  Brandt, 
civem  et  advocatum  Regiomontanum  in  Kneiphoff  amicum  suum, 
et  quidem  Taubman  typographus  chartam  bonam  eius  qualitatis 
et  quantitatis  subministrabit,  in  quali  non  ita  pridem  catechesim 
vel  confessionem  Augustanam  sermone  polonico  impressit,  nou 
autem  aliam  nee  deteriorem,  tum  semper  aequam  non  dissimilem, 
pro  qua  d.  Jacobus  Brandt  peeuniam  numerabit,  chartam  vero 
apud  se  in  domo  sua  vel  alio  loco  commodo  et,  si  fieri  potest, 
in  ipsa  arce  ßegimontana  impetrato  ad  id  ab  ill.  d.  duce  Prussiae 
certo  concamerato  loco  deponet,  quam  ipsi  typographo  pro  ratione 
operis  erogabit  subministrabitque  et  illud,  quod  impressum  fuerit, 
ad  eundem  locum  a  typographo  reeipiet,  ita  autem  inter  partes 
conventum  est,  quod  ad  summum  intra  24  septimanarum  spatiun? 
opus  hoc  integrum  imprimi  et  absolvi  debet.  De  precio  vero  et 
labore  typographico  ita  inter  partes  conventum  est,  quod  d. 
Taubman  typographo  ab  una  qualibetpapiri  resaimpressa  28  grossos 
polonicos  idem  J.  Maczinsky  numerabit,  quod  si  opus  315  resas 
capiet,  tum  merces  typographi  constituet  244  polonicos,  cuius 
dimidiam  partem  vel  saltem  certam  quotam  ipse  J.  Maczinsky  apud  d. 
Jac.  Brandt  deponet,  ipse  vero  typographo  pro  ratione  operis  in 
singulos  menses  peeuniam  pro  impressis  resis  ad  dimidium  operis 
numerabit,  reliquam  vero  precii  partem  a  dimidio  opere  donec 
integrum  opus  absolverit,  idem  typographus  expeetabit,  correctori 
vero  d.  H.  Maleoio  tarn  pro  victu  quam  pro  correctura  preli  typo- 
graphici  35  grossos  polonicos  in  singulas  septimanas  idem  d.  Jac. 
Brandt  ex  peeunia  Ioannis  Maczinsky  numerabit.  Dabit  autem 
operam  idem  d.  Hieronymus  corrector,  ut  quam  diligentissime 
et  emendatissime  liber  imprimatur  idque  citra  ullius  temporis 
iacturam.  Non  solum  autem  correctoris  munus  d.  Hieronymus 
obibit,  sed  et*  collectoris  ex  eodem  ipso  dictionario  latino-polonico 
contrarium  dictionarium  polonico-latinum,  quod  ad  calcem  huius 
operis  collocabit,  id  etiam  relictum  est  in  arbitrio  eiusdem  d. 
Hieronymi  correctoris  et  collectoris  contrarii  dictionarii  polonico- 


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Von  Dr.  Wotschke.  233 

latini,  si  voluerit  germanicas  appellationes  apponere,  ut  una  et 
eadem  opera  et  polonico-germanicoque  latinum  ad  calcem  operis 
adiciatur  dictionarium  tum  et  nomenclatura  rerum  omnium  lingua 
triplici  latina  germanica  polouica.  Pro  ea  vero  opera  et  labore 
eius  praefatus  J.  Maczinsky  eidem  d.  Hieronymo  40  florenos  po- 
lonicos  a  perfectione  operis  numerabit,  postquam  aliquam  partem 
exemplarium  distraxit.  Verum  hoc  etiam  sedulo,  diligenter  et 
caute  observabit  d.  Hieronymus,  ne  plura  quam  500  exemplaria 
imprimantur,  neve  vel  unicum  exemplar  aut  donetur  aut  distra- 
hatur  alicui.  Hoc  etiam  inter  partes  conventum  est,  quod  idem 
typographus  imprimet  20  vel  plures  Chartas  titulum  tantum  uua 
cum  initio  dictionarii  continentes  idque  ratione  exempli  seu  spe- 
ciminis  operis,  iuxta  quam  Uli  a  Jo.  Maczinsky  praescriptum 
fuerit,  quas  primas  Chartas  primo  quoque  tempore  ad  ipsum  Jo. 
Maczinsky  mittet,  opus  vero  impressionis  et  calcographiae  a  festo 
s.  Bartholomaei  proxime  instanti  inchoabit  et  ad  perfectionem 
elaborationemque  operis  omni  studio  contendet  nee  tempus  frus- 
tra  extrahet,  quo  facto  ibidem  Jo.  Maczinsky  tradidit  librum 
suum  d.  H.  Malecio.  Tenebunt  autem  et  observabunt  partes 
praefatae  contractum  eius  modi  inter  se  solide  integre  sine 
fraude  et  dolo  sub  poena  4000  ungaricorum  in  auro  veri  iusti  et 
boni  ponderis.     Dat.  Vilnae  20.  Junii  1561. 

LXXV. 

Alexander  Suchten1)  an  Herzog  Albrecht. 

Disses  meines  an  E.  F.  D.  Schreibens  ein  vrsach  ist,  E.  F.  G. 
buchdrucker  Johan  Taubman,  von  welchem  ich  vorstanden,  das 
im  E.  F.  G.  offt  befolen,  wen  er  auff  die  mergkt  Leipsig,  Frank- 
fortt  gezogen,  das  er  nach  d.  Teophrasti  von  Hohenhaim  bücher 
fleissig  fragen  vnd  sie  E.  F.  D.  bringen  solt.  Diweill  ich  nun 
desselben  Theoprahsti  bücher  etlich  hie  im  land,  so  er  in  der 
arznei  geschrieben,  in  Baiern  aber  viell  mehr  hab,  die  er  in  der 
theologia    als  ein    doctor  vnd    prediger    derselben,    der  er    auch 

1)  Der  bekannte  evangelische  Arzt  in  Wilna. 
Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u    4.  16 


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234  Abraham  Culvensis. 

gewesen  ist,  geschrieben  mit  solchem  ernst  vnd  grundt,  das 
diejenigen,  so  seine  theologica  lesen,  von  ihm  dorffen  rühmen, 
das  nach  den  aposteln  vnd  dem  hailigen  Hierotheo  vnd  Dionisio 
keiner  von  der  gehaimnuß  der  theologiä  grundtlicher  geschrieben, 
so  hab  ich  von  den  büchern  der  arznei  dem  erbarn  Hanß  Taub- 
man  zwei  traotetlin  geben  (den  itzo  zur  zeit  nit  mehr  bei  mir 
abgeschrieben  ist)  von  der  krankheit  podagra,  dieselben  soll  er 
E.  F.  G.  zeigen  vnd  so  es  E.  F.  G.  nit  zu  widder  drucken.  So 
es  auch  mitt  E.  F.  G.  erlaubnuß  geschehen  möoht,  wolt  ich  die 
andern  arzneischen  büoher,  so  bei  mir  sein  desselben  Theophrasti 
drucken  lassen  nit  von  meinetwegen,  den  ich  sie  onhin  hab, 
sonder  allen  zugefallen,  so  die  Wahrheit  der  arznei  lieben  vnd 
suchen  vnd  den  kranken  zum  trost.  Den  es  sein  ja  ander  prin- 
cipia  medicinae,  ist  auch  viell  ein  ander  arznei  den  die,  in 
welcher  mttnch,  nonnen,  diebhenker,  hundtschlager,  altweiber, 
Juden  vnd  was  sonst  leichtfertigs  volcks  ist,  die  doctores  in  der 
cur  vbertreffen.  Sie  haben,  die  gutten  herren,  inen  so  viell 
mit  der  weil  genommen,  das  se  ketten  mögen  erfaren  ein  ander 
grund  der  arznei,  sonder  sie  glauben  iren  erlogenen,  wie  Theo- 
phrastus  sagt,  preceptoren,  diweill  doch  nit  glauben,  sonder 
sehen  vnd  greiffen  die  arznei  ist.  Aus  solcher  vnwissenheit  vnd 
onmächtigen  begierden  zu  vorleumden  diejenigen,  so  iren  betrug 
zuwidder  sein,  haben  sie  E.  F.  G.  beret,  ich  geb  den  kranken 
mercurium  sublimatum,  praecipitatum  calinatum,  wie  er  den  ein 
namen  haben  mag,  welchs  sie  nit  darumb  reden,  das  sie  es  wissen, 
oder  das  es  war  sei,  sonder  aus  haß  vnd  neidt,  damit  nit 
offenbar  werd  der  betrug,  do  sie  mit  vmbgen.  Ich  aber  frag 
nit  nach  irem  geschrei,  diweil  ich  in  meinem  gewissen  vnd  in 
der  cur  vorwardt  bin.  Sie  sein  in  lugen  doctores  worden,  mit 
lugen  wollen  sie  ire  kunst  vorfechten.  Sie  werden  es  müssen 
erdacht  und  erlogen  haben,  die  solohs  bei  E.  F.  D.  vnd  anderen 
mir  nach  reden.  Den  ich  hab  mein  lebenlang  das  mercurium, 
do  sie  von  reden,  niemands  eingeben,  bin  auch  denen  alzeit  zu 
widder  gewesen,  so  in  brauchen,  wie  offenbar  ist  auß  dem  buch- 
lein,   das    ich   an    königliche    doctores    von    irem    vnd    meinem 


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Von  Dr.  Wotschke.  235 

consilio  geschrieben,  auff  welches  sie  verstummet,  mir  bis  auff 
diesse  stundt  nit  geantwordt,  dieweil  doch  das  büchlein  inen 
von  der  maiestät  selber  vbergeben  ist.  Ich  will,  so  fern  es  gott 
haben  will,  in  kurz  all  meine  cur  mit  namen  ain  jeden  krankhen 
anzeigende,  so  mir  in  diessen  landen  Preussen  vnd  Littauen  ge- 
raten vnd  nit  geraten,  in  druck  lassen  ausgehen,  domit  jder- 
menniglich  wisse,  was  ich  in  einem  jar  vnd  mein  widderteil 
gethan.  Soll  nit  dorumb  geschehen,  das  ich  allen  kranken  helfen 
kan,  den  so  ein  arzt  ist  nie  gewesen,  würdt  auch  nit  kummen, 
aber  das  viel  von  der  vormeinten  arznei  in  die  gruben  fallen, 
die  erhalten  mochten  werden,  wie  ich  von  denselben  hie  vier  in 
Preussen  drei  so  auffs  letzt  kummen  vnd  durch  die  vormeinten 
ärzt  ires  lebens  schon  beraubt,  widder  auffbracht  hab.  Was 
nemen  E.  F.  G.  gutts  darauf!,  das  sie  den  fürsten  E.  F.  G.  onklen 
herzog  von  Meklenburgk  so  schändlich  vorwarloset,  den  doch 
ein  alt  weib  hat  helffen  können?  Ich  het  billich  von  diesen 
Dingen  viell  zu  schreiben,  aber  wil  es  bleiben  lassen,  bis  die 
bücher  so  derhalben  vorhanden  in  drugk  kummen,  darin  ich 
der  lugen  so  obgemelt  vnd  andern  mehr,  so  sie  mir  als  ein 
teufelsbanner  zumessen,  mich  entschuldige.  Bitt  E.  F.  G. 
wollen  diß  mein  schreiben  in  kein  vngnad  aufnemen,  ire  lügen 
machen,  das  ich  mich  bei  E.  F.  G.  entschuldigen  muß,  würd 
mir  nit  woll  anstehen,  so  ich  solchs  mit  stillschweigen  vberginge. 
Wilde,  den  2.  Juli  1561. 

LXXVI. 

Herzog  Albreoht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Lectis  Illfciß  Vrae  literis  de  privilegio  pro  Maletii  dictionario 
impetrando  intelleximus,  quid  obstiterit,  quod  nostrae  intercessioni 
et  Maletii  precibus  satisfieri  non  potuerit,  in  quo,  si  quidem  ita 
accidit,  acquiescendum  nobis  est.  Quod  vero  ad  dictionarium  ab 
Ultia  Vrae  secretario  concinnatum  privilegiumque  de  non  recudendo 
eo  attinet,  in  eo  sane  libenter  postulationibus  Vrae  IUtis  gratifi- 
caremur,  nisi  nobis  in  Illtiß  Vrae  et  ipsius  quoque  Maczinski 
sententiam  per  omnia  non  descendere  religio  esse  videretur.     Etsi 


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236  Abraham  Culvensis. 

enim  editionem  eins  operis  non  improbamus,  tarnen  multorum 
iudioio  Privilegium  tale  in  perpetuum  et  aeviternis  temporibus 
de  non  recudendo  eo  a  dilectione  et  charitate  proximi  alienissimam 
esse  dicere  quis  non  posset?  Prudenter  enim  Illtas  yra  intelligit 
pietatis  esse,  ut  qui  eeclesiis  inservire,  bonas  artes  provehere, 
de  iuventute  optime  mereri,  sibi  vero  nominis  celebritatem  aliquam 
comparare  student,  illud  imprimis  pensi  habeant,  ne  plus  privetur 
paucorum  compendiis,  quam  utilitati  publicae  et  plurimorum 
commodo  tribuatur.  Cum  itaque  communibus  omnium  literatorum 
studiis,  ut  taceamus  alios,  opus  dictionarii  per  se  evulgatione 
dignum  et  utilissimum  sit  futurum,  non  melius  laborem  suum 
secretarius  Illti»  ynie  posuisse  videbitur,  quam  si  longe  lateque 
spargi  illud  et  manibus  multorum  innotescere  patietur.  Quo  enim 
operis  illius  editio  pluribus  orbis  christiani  oris  inolarescet  et  quo 
crebrior  illius  evulgatio  fuerit,  eo  nominis  existimatio  et  laboris 
dignitas  autori  futura  erit  excellentior.  Quam  ob  rem  Illtem  Vnun 
rogatam  habemus,  ut  secretario  suo  suasor  esse  velit,  ne  perpe- 
tuitatis  privilegio  suam  septo  instar  claudi  operam  patiatur,  sed 
orbi  christiano  communicet  ac  Privilegium  de  non  recudendo  in 
certum  aliquem  annorum  decursum  ita  moderetur,  ut  christianae 
dilectioni  et  commodo  publico  inservire  illum  omnes  iudicent,  hoc 
si  fecerit,  ac  plura  etiam  exemplaria  quam  500  excudi  nunc  cura- 
verit,  nos  quoque  de  non  recudendo  eodem  dictionario  suo  sub 
jurisdictione  nostra  ad  certum  annorum  spatium  ei  gratificabimur, 
si  minus,  Illtas  Vra  reputet,  grave  durumque  nobis  esse  contractum 
cum  typographo  nostro  et  Maletio  per  omnia  approbare  atque  ei 
rei  assensum  et  calculum  nostrum  praebere,  quae  iuri  et  libertati 
nostrae  ac  posterorum  nostrorum  derogare  et  quasi  frena  iuris- 
dictioni  nostrae  inioere  videntur,  siquidem  in  eum  finem  prelum 
hie  typographicum  non  parvis  sumptibus  mstauravimus  privilegio 
etiam  peculiari  a  nobis  donatum,  ut  quieunque  libri  ecclesiae,  rei 
publicae  et  bonis  literis  utiles  censerentur,  iussu  et  approbatione 
nostra  accedente  libere  iu  publicum  exeant,  cudantur  reeudanturque, 
quando  et  quoties  nobis  visum  fuerit,  exemplariorum  etiam 
numero    placito    nostro    sive    lege    aliqua   reservato.      Caeterum 


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Von  Dr.  Wotechke.  237 

quandoquidem  intelligimus  dictionarium  subditi  nostri  Maletii 
polonico-latinum  sab  munificentia  nostra  ab  ipso  collectum  ac  iam 
pridem  nobis  dicatum  adici  debere  diotionario  secretarii  Ultis  YTae} 
aequitatis  esse  videtur,  ut  privilegio  regio  de  non  recudendo 
scilicet  perpetuis  temporibus  exemptum  übertäte  sua  peculiari 
gaudeat.     Dat.  Regiomonti  8.  Novembris  1561. 

LXXIL 
Bernt  Pohibel  an  Herzog  Albreccht. 
....  Kan  E.  F.  D.  nicht  pergen,  das  diesenn  vergangnen 
sontag  eyn  neuer  teutzscher  prädicant,  welcher  vorhyn  zu  Konigs- 
perg  jm  Lebenicht  vffen  berge  vor  eyn  kappelan  gedint,  auch 
gepredigt,  auf  der  canzel  gepredigt,  do  dan  eyn  große  menge 
der  teutzschen  auch  andere  nation,  ßo  der  sprachen  kundigk 
kegenwertig  gewesenn.  Man  gibt  jm  eyn  zimlioh  lob,  ist  jn 
vielen  landen  versucht,  jn  der  schrillt  wol  erfarenn.  Weyl  der 
vorige,  welchen  E.  F.  D.  hierauff  geschickt  bisweylen  ethwas 
schwach,  hot  man  disen  vf  ein  versorgen  angenomen,  wie  das 
endt  ferner  ausgehenn  wirdt,  gibt  die  zeit  zuvornhemen.  Der 
her  ertzbischoff  von  Gnyzenn  ist  von  diser  weit  geschieden. 
Man  hat  das  ertzstifft  dem  jtzigen  vntercanzler  widderumb  an- 
geboten, wie  man  sagt,  hat  er  es  nicht  wollen  annhemen  vnnd 
viellyber  pey  dem  Crokyschen  bistumb  vnd  cantzeley  nix  an 
vrsach,  dan  es  tregt  viel,  zu  pleiben  Köne  Maj*  gepethen,  alzo 
das  es  itzo  darauf!  steht,  das  der  bischoff  von  der  koya,  der  her 

Ochansky1),  mochte  eligiert   werden Dat.  Wilde,    den 

27.  Januarii  1562. 

LXXVHI. 

König  Sigismund  August  an  Herzog  Albrecht. 

Hochgeborner  fürst,  freundtlicher  lieber  ohem.  Wyr  fügen 
E.  L.  freundtlicher  meynung  zv  wissenn,  das  wir  derselben  ant- 
wortt  auf  vnser  nechstes  schreyben  der  predicanten  halben  ge- 


1)  Vergl.  Wierzboweki:  Uchansciana,  Warschau  1884. 


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238  Abraham  Culvensis. 

than  empfangen,  verlesenn  vnnd  eingenummen  vnnd  gantz  gerne 
daraus  vermercket,  was  sich  E.  L.  also  weitleuftigk  darin  wegenn 
desselben  handeis  gegenn  vns  erkleren  wollen.  Wiewoll  wir  aber 
an  solchem  E.  L.  gemuett  vnd  willenn  niemals  gezweyfelt,  auch 
leicht  bey  vns  ermessen  können,  als  wenigk  E.  L.  gesinnet, 
solche  leute  jnn  jrem  fürstenthum  zuleydenn,  durch  welche  vn- 
eynigkeit  vnnd  zertrennungen  vndter  dem  volk  angerioht  vnnd 
gestiftet  werden  muegen,  also  wenigk  sie  auch  des  fürhabens 
dieselben  jn  vnsere  lande  zu  befördernn.  Nachdem  vns  doch 
glaubwirdigk  fürkummen,  das  jn  deme  allerley  gesucht  vnnd 
practiciert  wordenn  entweder  durch  die  leutt  selber,  so  frembder 
leere  zuegethan  vnnd  sich  gern  alhier  eindringen  wolten  oder 
aber  durch  jren  anhangk  vnnd  wir  demselbenn  gernn  jnn  zeyttenn 
fürkummen  wollenn,  als  sindt  wyr  vorursacht  worden,  weil  die- 
selben leutt  jnn  E.  L.  fürstenthumb,  nechstes  schreybenn  an  E. 
L.  zuuorfertigen,    welchs    auch   E.  L.    ander     nit    zuuorstehenn 

oder  auszuelegenn Dat.  zur  Wilde,  den  1.  tagk  May  im 

1562.  Jahre. 

LXXIX. 

Erhard  von  Kunheim  an  Herzog  Albrecht. 

E.  F.  D.  schicke  ich  hiemit  jn  aller  vndterthenigkeit  zw, 
das  die  khunigkliche  antwortt  auf  E.  F.  D.  nechstes  schreiben 
der  Predicanten  halben  an  sein  khune  Majt  gethan,  wie  E.  F.  D. 
aus  demselben  zuersehen,  welchs  auch  E.  F.  D.  zw  gelegener 
zeit  hinwiderumb  werden  zwbeantwortten  wissenn.  Dieweil  nun 
E.  F.  D.  jn  demselben  handell  auch  etwas  an  mich  schreiben 
lassen,  daraus  ich  mit  schmertzenn  beynahe  so  viel  vorsehen 
muessen,  als  sey  ich  jn  verdacht,  das  joh  die  khune  Majfc  zw 
dem  ersten  schreiben  durch  mein  angeben  vorursacht,  vieleicht 
von  deswegen  das  jch  denselben  brief  mit  eigner  handt  geschrieben, 
als  hab  jch  keinsweges  vndterlassen  können,  mein  vnschuldt  jn 
dem  fall  E.  F.  D.  zu  entdecken  vnnd  sollen  es  E.  F.  D.  eigent- 
lichen dafür  halten,  als  zum  ersten  mal  die  khune  Majt  mit  mir 
von  demselben  handel  geredt,  das  jch  den  halben  teil  so  viel  nit 


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Von  Dr.  Wotechke.  239 

gewust,  als  mich  seine  Maj*  selbst  berichten  theten.  Welchs  mich 
den  vmb  so  viel  weniger  wunder  genummen,  weil  jch  knrtz 
hernach  erfaren,  das  des  redens  die  gantze  statt  alhier  voll 
gewesen  vnd  man  sich  mit  briefen  vmbher  getragen,  so  von 
E.  F.  D.  hoff  anhero  geschrieben  auoh  von  denen,  so  E.  F.  D. 
nit  wenig  vertrawet,  wie  solchs  mit  jren  eignen  handtsohriften 
vnd  mit  stadtlichem  zeugnaß  zuerweisen,  die  dan  ausdrücklich 
rhümen,weil  derselbe  predicant(nemlioh  Veigelius)  der  Caluinischen 
leer  zugethan  vnd  also  mit  des  woywoden  predicanten  alhier 
vbereinstimmet  vnnd  derohalben  an  denen  ortten  nit  will  gelieden 
werden,  das  sich  etzliche  personen  alhier  sein  annemen  vnd  die 
Sachen  beim  hern  Radziuil  dahin  bearbeiten  wollen,  damit  derselb 
Veigelius1)  hierauff  gefördertt  werden  muchte.  Dissen  grundt 
als  jnen  die  khune  Majt  erfaren  vnd  vngern  wolte,  das  die 
itzige  deutsche  predigt,  so  vermuge  der  Augspurgischen  con- 
fession  alhier  aus  sonderlichen  gnaden  des  allerhöchsten  getrieben 
gehindertt  oder  geschwechet,  ist  sein  Majfc  verursacht  worden, 
gemelte  schreiben  an  E.  F.  D.  zuuorfertigen.  Dann  weil  die- 
selben saohen  haimlich  practioirett,  dauon  E.  F.  D.  vieleioht 
wenigk  wissen  tragen,  haben  sein  Majfc  E.  F.  D  solchs  durch  jr 
schreiben  vermelden  wollenn  vnd  vnangesehen  die  person  jn 
seiner  Maj*  schreiben  aufdrücklioh  nit  gemeldet,  so  verstehen 
doch  sein  Maj*  keinen  andern  als  vielgemelten  Yeigelium.  Mir 
auch  jm  letzten  vndterschreiben  aufdrücklich  beuholen,  die 
sachen  bey  E.  F.  D.  dahin  zw  bearbeiten,  damit  jme  Veigelio  jus 

1)  Georg  Weigel  stammte  aus  Nürnberg  und  studierte  seit  dem  14.  Sept.  1558 
in  Wittenberg.  Hier  ließ  er  1559  erscheinen:  „Explicatio  dilucida  epistolae  Judae" 
und  „Historia  de  quodam  episcopo  a  muribus  consumpta"  ferner  1561  „Epicidion  in 
honorem  et  memoriam  obitus  Phil.  Melanchthonis".  In  demselben  Jahre  berief  ihn 
Herzog  Albrecht  als  Prädikant  nach  Königsberg.  Vergl.  irQonifinTtxa  scripta 
reverendo  viro  d.  Georgio  Weigelio  Noribergensi  liberalium  artium  magistro  vocato 
ad  ministen  um  verbi  divini  ab  illustrissimo  Borussiae  principe  Alberto  Seniore  etc. 
Witeberga  discedente.  Witebergae  excudebant  haeredes  Georgii  Rhaw  1561  in 
Quart,  drei  Bogen.  Dreizehn  Freunde,  unter  ihnen  Justus  Jonas,  widmen  ihm  Verse; 
zum  Schluß  findet  sich  ein  Gedicht  Weigels  „ad  Witenbergensera  academiam". 
Dezember  1562  kam  Weigel  mit  Briefen  Herzog  Albrechts  zu  Vergerio  nach 
Tübingen. 


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240  Abraham  Culvensis. 

erst  vnd  fürderlichste  ernstlich  eingebunden,  er  solehs  auch  bey 
seim  höchsten  zuesage  vnd  vorspreche,  das  er  der  khunn  Majt 
lande  meyden  vnd  sich  mit  leeren  vnd  predigen  darin  nit  finden 
lassen  wolle,  wie  jch  dann  solehs  auch  hiermit  nit  allein  wegen 
des  khuniglichen  beuhelichs,  sondern  vielmer  wegen  der  pflicht 
damit  jch  E.  F.  D.  zuegethan,  ausgericht  vnd  volzogen  haben 
will,  vnderthenigst  bittende  E.  F.  D.  mir  solehs  jn  allen  gnaden 
auflegen  vnd  sich  des  zu  mir  versehen  wollen,  das  jch  bey  der 
khunn  Maj.  in  dissen  handell  das  gedacht  vnnd  vorttgestelt, 
damit  aigentlich  E.  F.  D.  nit  wenigk  gedienet  vnd  jch  für  gott 
vnd  E.  F.  D.,  da  es  von  nöten,  umb  so  viel  leichter  zuuorant- 
wortten.  Begeren  auch  E.  F.  D.  die  personen  zuwissen,  von 
welchen  solehs  auskommen  vnd  die  mit  denen  praktiken  vmb- 
gehen,  trag  ich  kein  scheu,  da  es  vertraulich  vnd  mir  vnnach- 
teiligk  zugehen  soll,  dieselben  zuentdecken.  Lust  hab  ich  nit, 
mich  mit  ainigen  menschen  jn  vnfreuntschaft  einzulegen,  aber 
damit  jch  dennoch  entschuldiget  vnd  man  auf  den  rechten 
grundt  kummen  muge,  will  jch  meinen  pflichten  nach  als  das- 
jenige tun,  so  E.  F.  D.  mir  beuhelen  werdenn Dat.  zur 

Wilde,  den  3.  May  1562. 

LXXX. 

Herzog  Albreoht  an  Erhard  von  Kunheim. 

Wir  haben  den  jnhalt  des  jüngsten  der  Konn  Majt  vndt 
deynes  schreybens  denn  bewosten  predicanten  belangende  not- 
turfftig  verstanden,  nhun  ist  vns  lieb,  das  ire  Majt  mitt  vnnser 
jungest  gegebenen  antwortt  friedlich,  vormerken  auch  daraus, 
woher  erstmals  ire  Majt  derwegen  ahn  vns  zuschreyben  gevrsacht 
vndt  aus  was  gemhutt  vndt  bedenken  solehs  hergeflossenn,  dabey 
wir  es  auch  nhumehr  billich  beruhen  und  ire  Maj.  diesfalls  mit 
fernem  schreyben  vnbemuhet  lassen.  Du  aber  hast  irer  Majt  von 
vnsertt  wegen  zu  vermelden,  das  wir  niemalls  jnn  vnsere  ge- 
danken  genhomen,  bewosten  predicanten  dahin  zubefodern  vnd 
where  vns  auch  nicht  lieb,  das  es  durch  jmands  anders  geschehen 


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Von  Dr.  Wotechke.  241 

sollte,  dafür  wir  auch,  souiel  ahn  vns,  jnn  allewegen  seynn 
wollenn,  vns  auch  nit  zu  ihm  versehen,  daß  er  sich  selbst  ein- 
drangen werde.  Souil  aber  deine  person  belangt,  das  es  erstmals 
von  dir  ahn  die  Kone  Majfc  nicht  gebracht  vnd  das  ire  Majfc  zuuor 
mehr  dan  du  dauon  wissenschafft  gehaptt,  du  dioh  auch  erbietten 
thust,  vns  die  personen,  durch  welche  die  dinge  practicirett 
namhafftig  zu  machen,  auoh  solches  mit  jrer  eygen  handtschrifften 
vndt  sonsten  stattlichen  zeugnus  zuerweyssen,  seint  wir  mit 
solcher  deyner  entschuldigunge,  ob  wir  wol  anfangs  allerley 
nachdenken  gehaptt,  jnn  gnaden  zufrieden,  begeren  aber  gnedig- 
lich,  du  wollest  deynem  erbitten  nach  vns  mit  dem  ersten  alle 
gelegenheytt  des  handeis  entdecken,  die  personen  namhafftig 
machen,  auch  derselbigen  handschrifften,  wo  du  sie  hast  odder 
wo  nicht,  doch  derselbigen  copeyen  vns  zuschicken.  Insterburg, 
den  10.  May  1562. 

LXXXI. 
Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Eadziwill. 
Ultis  Vrae  Hterae  26  Junii  Vilnae  datae  proficiscentibus  nobis 
recreandi  animi  gratia  in  venationem  redditae  sunt.  Intelleximus 
ex  iis  anxium  desiderium  consequendi  et  in  numerum  ministrorum 
suorum  cooptandi  magistrum  Georgium  Weigelium,  quem  ad 
institutionem  et  informationem  filii  sui  maioris  natu  adhibere 
velit.  Eo  itaque  nomine  Ultem  V*»01  celare  non  possumus,  quod 
etsi  dictum  Weigelium  in  numerum  ministrorum  verbi  dei 
acceptaveramus  eiusque  opera  pro  concionatore  aulico  uti  statue- 
ramus,  tarnen  cum  ex  una  atque  altera  eius  contione,  quas  hie 
in  arce  nostra  Regiomontana  habuit,  auditores  varie  afficerentur, 
cum  res  ad  longam  diseeptationem  speetare  videretur,  consultum 
nobis  visum  est,  ipsum  ad  academiam  aliquam  vel  Tubingensem 
vel  aliam  remittere,  ut  studia  illic  sua  continuare  tandemque  et 
nobis  et  ecclesiae  rectius  servire  posset.  Quae  cum  ita  sint 
cumque  praeterea  ipsum  Weygelium  IUtiß  Vrae  filio  ex  primis  fere 
elementis  eluetato,  uti  111***  Vra  scribit,  et  solidiori  iam  eibo  in 


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242  Abraham  Culvensis. 

re  literaria  indigenti  satis  utiliter  et  cum  fructu  in  erudiendo 
praeesse  posse  dubitemus,  petimus,  ne  in  deteriorem  partem  111*** 
Vra  accipiat,  quod  HU»  Vrae  communicando  hoc  viro  hisce  quidem 
temporibus  et  rebus  sie  se  habentibus  gratificari  non  possumus. 
Regiomonti  12.  Augusti  1562. 

LXXXH. 

König  Sigismund  an  Herzog  Christoph  von  Württemberg. 

Hie,  qui  bas  Illti  Vrae  dabit,  Joannes  Kiszka  clara  imprimis 
gente  splendidisque  natalibus  insignis  puer  ex  proceribus  et 
optimatibus  Lithuaniae  prognatus  est,  profeetus  autem  isthuc 
partim  excolendi  bonis  liberalibusque  diseiplinis  ingenii,  partim 
ut  mores  populorum  lustret  et  urbes  ingenuo  et  liberali  homine 
digno  accensus  in  tenera  hac  aetate  sna  desiderio.  Quare  illum 
Ulti  Vrae  diligenter  commendamus  ac  ab  illa  petimus,  ut  adole- 
scentem  hunc  gratia  favoreque  suo  excipere  ac  complecti  velit  .  .  . 
Vilnae  20.  Augusti  15631). 

LXXXHI. 

Eustaohius  Wolowicz  an  Herzog  Christoph. 

Cum  aliquanto  tempore  tenuerim  in  celebri  academia 
Tubingensi  nepotes  meos  Joannem  cum  Josepho  Wolovitios2)  ac 
Petrum  et  Joannem  Wesolovios  uberioris  assequendae  diseiplinae 
gratia  non  minus  in  moribus  ac  virtutibus  quam  honestis 
literarum  studiis,  nunc  dem  um  certis  ac  gravibus  ex  causis  inde 
revocaturu8  eos  offioii  mei  esse  existimavi  eidem  Illmae  Celsni  V1*^ 
quemadmodum    par    est    atque    convenit,    quam  maximas  agere 

1)  In  Tübingen  scheint  Johannes  Kißka  nicht  studiert  zu  haben,  außer 
den  am  14.  August  1560  an  dieser  Hochschule  immatrikulierten  Lithauern  weist 
die  Universitätsmatrikel  bis  1570  nur  noch  einen  Lithauer  auf,  den  am  20.  Oktober 
1564  immatrikulierten  Praecelaus  Irzykonnes  de  Backzyki.  Dagegen  bringt  das 
Schülerverzeichnis  des  Carolinum  in  Zürich  uns  Kißkas  Namen  unter  dem  Jahre 
1564.  Als  er  in  die  Heimat  zurückkehrte,  begleitete  ihn  der  Sohn  des  Baselers 
Professors  Curiane  Leo. 

2)  Unter  dem  11.  Juli  1567  mit  dem  Lithauer  Georg  Sapieha  in  Witten- 
berg immatrikuliert.  Vcrgl.  auch  Schott  und  Kausler,  Briefwechsel  zwischen 
Herzog  Christoph  und  Vergerius. 


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Von  Dr.  Wotschke.  243 

ac  habere  gratias  pro  ea  singulari  benignitate  atque  dementia, 
quibus  hos  nepotes  meos  toto  tempore  ooraplecti  atque  prosequi 
dedignata  non  est Vilnae  26.  Septerabris  15631). 


LXXXIV. 

Georg  Weigel  an  Herzog  Albrecht. 

Nachdem  ich  auß  dem  Würtembergischen  colloquio2),  so 
von  E.  F.  D.  mir  das  nechstuerschinen  jar  auferlegt  worden 
wider  gen  Kunigsperg  ankhomen  vnd  E.  F.  D  selbst  persönlich 
dort  kürtzlich  relation  gethan,  ist  mir  nach  gnediger  vberreichung 
diß  znuor  gemelten  colloquio  weittere  personliche  erclerung  gne- 
digst  zugesagt  worden,  welche  doch  hernachmals  vmb  für- 
fallender hochwichtiger  gescheffle  willen  ist  vermiden  blieben. 
Nichts  destoweniger  hab  ich  mein  notwendiges  bedenkhen  auf 
die  gelesne  acta  gesteh  vnd  E.  F.  D.  vbergeben.  Mittler  zeyt, 
als  ich  mich  meines  guten  gewissens  gegen  gott  vnd  E.  F.  D. 
vertröstet  vnd  entweder  vmb  gnedige  restitution  oder  endtliche 
dimission  vnterthenigst  anhielt,  bin  ich  allzeyt  auf  schrifftliche 
gewisse  beantwortung  E.  F.  D.  vom  hern  Präsidenten  gewisen 
worden.  Letzlich  ist  mir  in  abwesen  E.  F.  D.  kurtz  mündlicher 
abschidt  gegeben  worden,  ich  möge  meiner  gelegenheit  nach 
hinziehen,  wo  ich  wolle,  da  habe  ich  meine  abfertigung  semel 
pro  semper,  darnach  ich  mich  richten  möge.  Bald  darauff  hat 
mir  der  herr  burggraff  im  namen  E.  F.  D.  beide  meine  dienst 
vnd  tisch  ganz  spöttlich  auff  ein  stundt  lassen  absagen  vnd  ver- 
spotten, man  soll  mir  weiter  nichts  darreichen.  Solche  gantz 
frembde  dimission  hab  ich  angenommen,  biß  ich  eines  ge- 
wisseren berichtet  würde.  Bin  derhalben  in  solcher  fürfallenden 
beschwer  vnd  nott  mit  meiner  armutt  stracks  der  Wiln  zuge- 
zogen,   dan   ich   in   solcher  spöttlichen  abweisung  sunst    nirgent 


1)  Am    7.  November    berichtet    Vergerio    dem    Herzoge    Christoph,    die 
Lithauer  wollen  innerhalb  15  Tagen  reisen  und  dem  Herzoge  eich  empfehlen. 

2)  Dezember  1562  kam  Weigel  nach  Tübingen,  vergl.  Schott  S.  369. 


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244  Abraham  Culvensie. 

wüste  mit  meinem  zuuor  lang  vmbgefürten  vnd  scbadenhaffbigen 
haussrethlin  eine  lenglichere  winterherberg  zusuchen.  Darnach 
bin  ich  zuuor  offtermals  aufs  freundlichst  von  jnen  dahin  ge- 
laden vnd  zum  predigampt  erfordert  worden.  Zum  dritten 
wurde  mir  ein  ehrliohe  beiratt  noch  zu  Eonigsperg  bey  inen 
angetragen,  welche  noch  verbleibt.  Zum  vierdten  were  es  mir 
spöttlich  vnd  verdechtlich  gewesen,  wider  hinauß  gen  Heidel- 
berg oder  gen  Zürich  zu  ziehen,  sonderlich  wenn  sie  gesehen, 
daß  ir  vnterthenige  commendation  an  E.  F.  D.1)  mir  wenig  ge- 
nutzet, E.  F.  D.  mir  genedigst  mitgeteilte  öffentliche  commen- 
dation, ir  hoffnung  vnd  mein  zuuor  gethaner  bericht  mit  solcher 
dimission  sich  nit  wol  reimeten.  Darauß  dan  allerley  gedanken 
altenthalben  hätten  folgen  mögen,  welche  also  vermiden  bleiben. 
Bitt  demnach,  E.  F.  D.  wolle  meine  hieher  gethane  reyß  in 
gnaden  verstehn  vnd  dieselbe  nit  vbel  angesehenem  rath  zu- 
schreiben, bin  sonst  jederzeyt  nach  wie  zuuor  gantz  willig  vnd 
bereyt  E.  F.  D.  zu  dienen,  hab  mich  derhalben»  noch  bisher  in 
kheine  gewisse  bestallung  jrgent  eingelassen,  biß  ich  endlich 
vnd  grüntlich  verstehe,  was  ich  aus  E.  F.  D.  gnedigem  beuelch 
mit  guttem  gewissen  weiter  fürnemen  könne.  Datum  Wilna,  den 
17.  Novembris  1563. 

LXXXV. 

Nikolaus  Eadziwill  an  Herzog  Albrecht. 

Prodiit  non  ita  pridem  ex  mea  Brzestensi  typographica 
officina  sacrosanctus  bibliorum  liber  in  polonico  sermone  sumpti- 
bus  quidem  meis  sed  opera  doctissimorum  quorundam  virorum 
Germanorum,  Gallorum  et  Polonorum  ex  ipsis  fontibus  inter- 
pretatus  et  quidem  prodiit  sub  nomine  et  titulo  s.  r.  maiestatis. 
Etsi  autem  probe  intelligebam  sacrum  huno  librum  Hl.  Celsnem  V. 


1)  Vergl.  Bullingers  Schreiben  vom  20.  April  1563  an  Calvin:  „Concionator 
aulicus  dncis  Pru&siae  missus  a  suo  principe  contulit  cum  Brentio  de  coena,  ego 
Weygelium,  ita  enim  concionator  ille  appellatur.  de  omnibus  institui,  ut  iam 
rectiuß  de  te  sentiat".     O.  C.  XIX  N.  3937. 


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Von  Dr.  Wotechke.  245 

hoc  sermone  legere  non  posse  et  in  latina  vel  in  sua  lingua  ha- 
bere et  legere  interpretationes  perquam  luculentas,  non  alienum 
tarnen  me  facturum  esse  existimavi  a  fide  et  observantia  mea  in 
Celsnem  V.  tum  et  nee  alienum  ab  illius  in  veram  pietatem  studio 
atque  affecto  singulari,  si  hunc  librum  Uli  ad  illius  bibliothecam 
mitterem  mnemosymon  sc.  atque  testimonium,  ut  dico,  obsequen- 
tissimi  mei  in  111.  Celsnem  V.  studii,  offioii  et  observantiae.  Non 
enim  dubito,  quod  Studium  Hl.  Celsnifl  V.  magnis  claris  et  illu- 
stribus  monumentis  ad  propagacionem  evangelii  in  his  nostris 
regionibus  attulit,  cum  in  hac  eius  optima  et  ingravescente  aetate 
haec  res  sit  aliquam  consolationem  illi  allatura,  quod  homines 
harum  regionum  sacrosanetum  hunc  librum  suo  sermone  legere 
et  8cutari  scripturam  et  exinde  vera  imbui  religione  poterunt, 
quo  beneficio  Polonia  a  suseepta  et  professa  fide  christiana  hac- 
tenus  caruit.  Hunc  itaque  librum  mitto  111.  Celsni  V.  per  hunc 
notarium  Jo.  Maczinsky  illi  et  notum  et  toto  pectore  addictum 
servitorem.  Ac  una  coniungo  supplices  et  devotas  preces  ad 
viventem  in  omni  aeternitate  deum  patrem  d.  n.  Jesu  Christi 
per  hunc  aeternum  naturalem  et  consubstantialem  filium  eins, 
deum  sc.  verum  de  deo  vero  et  verum  lumen  de  lumine  in 
utriusque  spiritu,  ut  et  colligat,  protegat  et  servet  sibi  ecclesiam 
in  his  regionibus,  quae  illum  in  omni  aeternitate  glorificat  atque 
celebrat,  cum  et  de  hoc  ipse  eidem  perpetuo  viventi  deo  gratias 
ago,  qui  nobis  dedit  voluntatem,  dedit  et  perficiendi  huius  operis 
faetdtatem,  non  enim  mecum  aliter  statuo,  quam  quod  a  praepo- 
tenti  et  liberali  manu  dei  hie  liber  nobis  sit  porrectus  tanquam 
summi  sui  in  nos  harum  regionum  homines,  qui  hac  lingua 
utimur,  favoris  benignitatisque  monumentum.  Atque  hanc  meam 
gratitudinem  erga  tarn  illustre  et  insigne  dei  beneficium  apud 
111.  Celsnem  V.  prineipem  so.  in  his  nostris  regionibus  populi  dei 
testatam  relinquo,  ut  sc.  quemadmodum  ego  de  Celsne  V.  111. 
saepe  mecum  gratulari  solitus  sum,  quod  d.  deus  per  illius 
medium  atque  instrumentum  res  praeclaras  principe  viro  dignissi- 
mas  non  minus  in  civili  politia  quam  in  ecclesia  gessit  et  adhuc 
gerit,  cuius  rei   ipse  sum   locupletissimus  testis,    ita  et  ego  mei 


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246  Abraham  Culvensis. 

affectus  atque  studii  in  salutarem  ecclesiae  dei  institutionem  pro- 
pagationemque  habeam  olim  in  iudicio  dei  111.  Celsnem  V.  testem. 
Ceterum  idem  secretarius  mens  eo  consilio  se  Regiofoontem 
confert,  ut  cum  typographo  Taubmanno  de  impresso  sao  libro 
latino-polonico  lexico,  iuxta  quod  inter  eos  pactum  et  conventnm 
est,  transigat  et  librum  tandem  scholis  necessarium  adiectis  eis, 
quae  adioienda  in  praefatione  sunt,  publicet,  qua  in  parte  si 
gratiam  et  auctoritatem  111.  Celsniß  V.  contra  eundem  typographum 
imploraverit,  non  enim  omnia  ad  rationem  et  praescriptum  inter 
eos  initi  contractus  dicitur  adimplevisse,  quin  et  plura  exem- 
plaria,  ut  quidem  volunt,  quam  conventnm  erat,  impressisse,  rogo, 
ut  clemens  et  benignus  illi  favor  111.  Celsdo  V.  in  hac  parte  adsit. 
Fecit  enim  magnos  ad  eam  rem  sumptus,  quos  non  ita  facile 
recuperabit,  si  typographicus  non  omnia  ei  exemplaria  tradiderit, 
reservaverit  vero  eorum  aliquam  pro  se  in  huius  detrimentum 
partem Warschaviae  23.  Februarii  1564. 


LXXXVL 

Nikolaus  Christoph  Radziwill1)  an  Herzog  Christoph. 

.  .  .  Misit  mihi  dileotissimus  parens  meus  biblia  polonioa 
suis  inpensis  impressa  atque  mandavit,  ut  ea  111.  Dni  V.  suo 
nomine  praesentarem,  ea  Hl.  Dni  V.  per  hunc  servitorem  meum 
transmitto  ac  rogo,  ut  huic  libro  a  bono  amico  et  servitore  sibi 
misso  in  sua  splendida  bibliotheca  aliquem  dignetur  dare  locum, 
quod  si  non  ornet,  saltem  augeat  librorum  seriem  .  .  .  Argenti- 
nae     15.  Martii  1564 2). 


1)  Unter  dem  6.  Mai  1563  hatte  Nikolaus  R.  von  Brzest  aus  seinen  nach 
Straßburg  zur  Schule  reisenden  Sohn  dem  Herzoge  Christoph  empfohlen, 
diesem  wurde  das  Schreiben  am  3.  August  in  Hirsau  präsentiert. 

2)  Von  Nurttingen  aus  sendet  der  Herzog  Christoph  unter  dem  22.  März 
dem  jungen  Radziwill  seinen  Dank  für  die  polnische  Bibel.  Am  15.  August 
1564  schickt  Radziwill  ein  Exemplar  der  polnischen  Bibel  auch  an  König 
Maximilian. 


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Von  Dr.  Wotschke.  247 

LXXXVII. 

Herzog  Albrecht  an  Nikolaus  Radziwill. 

Literae  Illtifl  Vrae  una  cum  exemplo  sacrosanctorum  bibliorum, 
quae  nuper  ex  typographia  Brzestensi  in  lingua  polonica  pro- 
dierunt,  sunt  nobis  ab  eiusdem  secretario  Jo.  Maczinsky  redditae. 
Etsi  autem  verum  quidem  est  nos  istum  vere  sanctum  et  omnibus 
mundi  opibus  anteferendum  librum  legere  in  eo  sermone  non 
posse,  tarnen  nibilo  minus  laetamur  vehementer  his  tandem 
ultimis  temporibus  deum  per  Illtem  V**"11  tantos  suos  thesauros 
Poloniae  aliisque  eius  linguae  peritis  gentibus  exhibuisse,  cuius 
clementiam  ardentibus  votis  precamur,  ut  hos  tarn  pios  111**8  V™ 
labores  ad  divini  nominis  gloriam  ac  quam  plurimorum  salutem 
dirigat.  Quod  nos  in  eo  genere  praestitimus,  quamquam  id  cum 
hoc  Illti8  Y**e  opere  collatum  sit  perexignum,  tarnen  Studium  in 
eo  nostrum  111^  V1^  aliisque  recte  iudicantibus  probari  est  nobis 
gratum,  id  autem  omne  aeterno  deo  et  trino  eiusdem  ecclesiae 
consecramus.  Inprimis  vero  eundem  deum  supplice  oramus,  ut 
isti  quantulicumque  nostri  conatus  ad  reprimendos  evertendosque 
impios  istos  errores  atque  haereses,  quae  ad  oppugnandam  filii 
dei  cum  patre  coaeternitatem  nunc  passim  in  Polnia  pullulare 
dicuntur,  multum  ponderis  habeant.  Nam  profecto  Illtem  Vw® 
omnia  sua  studia  eo,  ut  ne  istae  haereses  latius  spargantur  vires- 
que  acquirant,  directuram  Christique  causam  strenue  adiuturam 
esse,  certo  nobis  pollicemur.  Secretarium  111^8  Y™*  habuimus 
nobis  commendatum,  ac  si  opera  ei  nostra  in  negotio,  quod  cum 
Daubmanno  habuit,  opus  quoquo  modo  fuisset,  non  fuissemus  illi 
defuturi.     Dat.  15.  Aprilis  1564. 


LXXXVI. 

Balthasar  Lewalt  an  Herzog  Christoph. 

Tarn  diu  abest  nuntius  a  seniore  principe  meo  promissus 
et  a  iuniore  tantopere  desideratus,  ut  verear,  ne  haec  diutina 
expectatio   me    et   pecuniis  destituat  fortassis,   principem  meum 


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248  Abraham  Culvensis. 

seniorem  hoo  tardiorem  in  mittendo  nuntio  facit,  quod  filio  suo 
apud  Hl.  Celsnem  y.  minime  male  posse  esse  persuasum  habet. 
Non  tarnen  dubito  brevi  aliqnem  cum  pecuniis  et  aliis  rebus  ad- 
volaturum,  modo  mora  non  esset  molesta.  Tnterea  tarnen  in  tem- 
pore oportuit  me  esse  sollicitum  et  per  praesentes  Hl.  Celsni 
Vrae  supplicare,  ut  per  praesentium  exhibitorem  ad  praefectos 
vel  ad  aliquem  alium  certum  hominem  sebaedulam  dare  dignetur, 
qui  mihi  hie  Tubingae  ex  mandato  Illmae  Celsniß  V"«*  absque 
tarnen  rumore  sexcentis  taleris  in  usum  mei  prineipis  non  desit, 
solvam  ego  brevi  et  fortassis  citius,  quam  ipse  existimaverit,  imo 
Obligo  me  quoque,  quod  pedem  Tubinga  non  sim  relaturus,  ante- 

quam  fidem  liberavero  et  solvero Missa  sunt  ad  me  a 

Tigurinis  et  Genevensibus  theologis *)  scripta  contra  antitrinitarios, 
ea  me  oportet  celerrime  ad  seniorem  prineipem  neuni  ablegare, 
ut  sciat,  quam  suis  theologis  cum  aliis  ecclesiis  conveniat.  Quare 
cum  hie  praesentium  exhibitor  ad  me  redierit,  statim  aliquem 
cum  istis  scriptis  mittam  in  Lituaniam.  Non  possum  ea 
perlegere  eo,  quod  obsignata  mittuntur,  ex  literis  tarnen  Bullin- 
geri  ad  me  datis  colligo  illos  non  probare,  imo  improbare  et 
refutare  sententiam  de  trinitate  ex  Lituania  missam.  Deus  con- 
servet  ecclesiam  in  concordia  et  perdat  spiritus  non  quaerentes 
pacem.  Binas  iam  aeeepi  literas  Noriberga,  quibus  mihi  signi- 
ficatur  mortuum  esse  huius  domini  parentem,  qui  hie  apud  prin- 
eipem meum  est.  Erat  is  summus  in  regno  Poloniae  Senator  et 
reliquit   magnam    vim    paratae    peeuniae  ad  aliquot  tonnas  auri, 


1)  Seit  1563,  da  Lehwalt  mit  dem  jungen  Radziwill  nach  Deutschland 
reiste,  ging  der  Briefwechsel  zwischen  den  Schweizern  und  Lithauern  durch  seine 
Hände,  so  gab  z.  B.  der  Klecker  Pfarrer  Simon  Budny  sein  Schreiben  vom 
18.  April  1563  an  Bullinger  ihm  bezw.  dem  Klecker  Präfekten  Hieronimus  Ma- 
covius  zur  Beförderung  nach  Zürich  mit.  Am  19.  Oktober  1564  schreibt  Leh- 
walt aus  Tübingen  bei  Übersendung  des  Radziwillschen  Briefes  vom  14.  Sep- 
tember 1564  an  die  Züricher  Theologen:  „dum  hie  cum  filiolo  prineipis  d.  Ni- 
colai Radziwili  studiorum  causa  versor,  missae  sunt  ad  me  literae,  quas  Excel.  V. 
per  praesentem  offero  rogoque  vehementer,  cum  de  eecle^iae  emolumento  res 
agatur,  Excel.  \Trae  non  graventur  paucis  praenoininato  prineipi  ad  haec  scripta 
respondere". 


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Von  Dr.  Wotechke.  249 

fortassis  fratres  volent  istum  filium  eius,  qui  hie  est,  ad  divi- 
dendam  haereditatem  vocare,  et  pro  illo  una  cum  nuntio  prin- 
oipis  mei  mittere,  quod  etiam  puto  in  causa  esse,  cur  nuntius 
prineipis  mei  tardius  absolvatur.     Tubingae  23.  Maii  1565 '). 

LXXXVH. 

Herzog  Albrecht  an  Joh.  Maczinski. 

Literas  vestras,  quibus  illustris  prineipis  piae  memoriae  d. 
Radziuili  fratris  nostri  dilecti  mortem  multis  bonis  viris  dolendam 
commemoratis,  simul  et  officia  vestra  offertis  aeeepimus.  Vestram 
itaque  operam  nobis  gratam  esse  sciatis,  et  quanti  faciamus  fidem 
et  diligentiam  vestram  ex  d.  Lismanino  consiliario  nostro  intel- 
ligetis.  11.  Augusti  1565 2). 

LXXXVIII. 

König  Sigismund  August  an  Herzog  Christoph. 

Pergratum  nobis  fuit  iutelligere  de  gratia  et  benevolentia 
Ultfe  Vrae,  qua  magn.  Nicolaum  Eadivillum  clarissimi  olim  viri 
Nicolai  Badivili  palatini  Vilnensis  filium  dicitur  per  id  tempus 
fuisse  prosecuta.  Nunc  quoniam  is  alias  quoque  orbis  christiani 
regiones  visere  constituit  ad  ornandam  aetatem  hanc  suam  variorum 
quoque  morum  et  institutorum  externorum  cognitione,  ab  Hl^ 
Vra  postulamus,  ut  qua  gratia  et  advenientem  illum  et  deinde 
istic  commemorantem  fuit  prosecuta,  eadem  illum  dimittat  .  .  . 
Datum  Lublini  die  23.  Maii  1566. 


1)  Stuttgart,  den  25.  Mai  schreibt  der  Herzog  zurück  ,,an  Balthasar  Le- 
walten Radziwii lyschen  Hofmeister  jetzo  zu  Tübingen":  lassen  dir  bei  gegen- 
wertigem brifs  zeiger  vnsern  landtschreiber  her  Walther  Hans  Ulrich  Neuffern 
(KX)  daler  (dann  es  in  der  enge  vnd  stille  bleiben  thue)  begerter  massen  zu- 
kommen,   die   weiß   also  von  jme  gegen  gebürender  bekantnus  zu  empfangen". 

2)  An  demselben  Tage  schrieb  Paul  Skalich  an  Maczinski:  „Delectaverunt 
me  summopere  literae  tuae,  delectaverunt  et  prineipem.  qui  laus  deo  optime 
valet.  Gaudeo  te  salvum  et  incolumem  rumoresque  de  morte  tua  ad  nos 
perlatos  falsos  esse.  Arno  te  ex  animo.  Quod  autem  verum  est,  ex  literis  Lis- 
manini  patris  nostri  facile  intelliges". 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u.  4.  17 


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250  Abraham  Culvensia. 

LXXXIX. 

Johannes  Chodkiewicz  an  Herzog  Albrecht. 

. . .  Memini  et  grata  mente  saepe  praedico  beneficia  educationis 
pariter  et  institutionis  in  Regio  monte  accepta,  certe  ingratissimus 
sim,  ni  recolere  et  pro  mea  portione  recompensare*  studeam. 
Mitto  autem  in  Regium  montem  rev.  virum  d.  Georgium  Weigelium 
et  de  tota  Lituania  bene  merentem  sua  eruditione  et  mihi  sincere 
dilectum,  ut  ibi  quendam  libellum  orthodoxae  de  trinitate  fidei 
Tuae  Clsnis  auctoritate  et  consensu  publieandum  curet.  Quem 
libellum  hoc  magis  exstare  publice  cupimus,  quo  longius  ab 
ariana  haeresi  in  his  regionibus  grassante  absumus,  eum  et  de 
Weigelii  et  aliorum  theologorum  iudicio  publica  luce  dignissimum 
et  his  regionibus  utilissimum  putamus.  Quapropter  Tuam  Celsuem 
oro,  ut  a  theologis  ibi  inspectum  et  approbatum  publicis  typis 
excudi  permittat  et  solitam  Weigelio  gratiam  oxhibeat,  qui  me 
grata  beneficiorum  tuorum  commemoratione  saepe  oblectavit. 
Ad  Tuae  Celsni8  autem  academiam  potissimum  mitto,  quod  eam 
doctissimis  viris  recte  de  doctrina  Christi  et  universa  literatura 
iudicantibns  affluere  sciam.  Beneficii  loco  ducam,  si  Tuae 
Celsn'8  iussu  über  iste  Weigelio  praesente  quam  primum  editus 
in  lucem  fuerit.     Oaunae  raptim  7.  die  Octobris  1566. 

XC. 

Herzog  Albrecht  an  Joh.  Chodkiewicz. 

Literae  Magtiae  Vrae  a  magis tro  Georgio  Weigelio  nobis 
redditae  sunt.  Librum  contra  arianismum  in  inclito  regno 
Poloniae  et  magno  Lithuaniae  ducatu  nunc  temporis  in  dies 
magis  magisque  proserpentem  scriptum,  cum  in  articulo  trinitatis, 
quem  potissimum  adserit,  ab  Augustana  confessione  non  dissentire 
et  editio  illius  rei  christianae  magno  usui  et  emolumento  futura 
videretur,  non  solum  non  inviti  typis  hie  excudi  passi  sumus, 
sed  ut  id  fieret,  sedulo  curavimus.  Faxit  deus,  ut  is  ad  con- 
futandos  opprimendosque  arianorum  tetros  errores  tantum  con- 
ducat,  quantum  eius  ecclesia  Christi  desiderat.  Cum  autem 
Magtia  Vra  ad  honorem    in    magno  ducatu  Lithuaniae  fere  prae- 


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Von  Dr.  Wotschke.  251 

cipuum  divinitus  evectae  curae  tuendae  conservandaeque  verae 
religionis  non  postrema  incumbat,  hortamur  Magfciam  V1"8111  per- 
quam  diligenter,  ut  non  solum  arianismum  sed  et  ceteros  errores 
omnes  cuiuscunque  nominis  ab  Augustanae  confessionis  veritate 
quoquo  modo  discrepantes  tanquam  venenum  non  corpori,  saltem 
verum  ipsi  quoque  animae  mortem  afferens  summa  perspicuitate 
fugiat  nihilque,  quod  ad  restinguenda  eiusdem  incendia,  si  quando 
alicubi  exoriuntur,  usum  esse  possit,  praetermittat.  Dat.  30.  No- 
vembris   1566. 

XCI. 

Die  Altesten  der  Gemeinde  zu  Wilna  an  Herzog  Albrecht  Friedrich. 

Nach  wun^chung  vonn  gott  dem  allmechtigen  zeitlichen  vnd 
ewigen  segen  endtbitten  wir  prediger  vnd  eldisten  einer  ganzen 
erbaren  deutschen  gemein  alhier  zur  Wilde  Confessionis  Augustanae 
E.  F.  D.  sampt  derselben  vielgeliebten  fürstlichen  gemahell,  vnserer 
gnedigen  fürstin  vnd  frawen,  beuor  vnser  emsiges  gebeth  vnnsern 
freundlichen  grus.  Fügen  demnach  in  aller  demuth  E.  F.  G. 
ganz  vnderthenigk  zu  wissen,  weil  der  treue  gott  vnns  aus  lautter 
gnaden  sampt  anderen  nationen  dieser  örther  auch  vnseres  glaubens 
genossen  so  wol  hohes  als  niedrigen  Standes  ein  fackell  des 
heiligen  gottlichen  worts  nu  allhier  eine  Zeitlang  hat  leuchten 
lassen,  also  daß  wir  vnsere  öffentliche  christliche  zusammenkunffb 
doch  nicht  sonder  merkliche  widerwertigkeitt  aus  einem  orth 
in  dem  andern  gehabt,  spuren  vnnd  merken  wir  noch  täglichen, 
das  vnnsere  gemein  von  tagk  zu  tagk  durch  gottes  gnade  sich 
immer  mehret  vnnd  zunimpt.  Vnnd  ferner  nu  vor  wenig  jharen 
durch  rath  vnnd  furderungk  vnserer  zugethanen  herrschafften 
auch  beystandt  anderer  gutter  leutte  einen  gewissen  eigenen  räum 
vnnd  platz  für  vnnser  gelt  erkaufft1),  auf  welchen  wir  Weiterung 


1)  Die  Gemeinde  hatte  den  Platz  1579  von  Nikolaus  Radziwiil,  Fürst  auf 
Dubinski  und  Birze,  für  achttausend  Schock  Groschen  gekauft.  Das  königliche 
Privilegium  für  diesen  Kauf,  das  Wilna,  den  20.  Oktober  1579  datiert  ist,  findet 
sich  abgedruckt  bei  Friese,  Beitrage  zur  Reformationsgeschichte  in  Polen  und 
Li  t  hauen.  Breslau  1786  II,  2,  124  ff.  und  Lukaszewicz,  Geschichte  der  re- 
formierten Kirchen  in  Lithauen.     Leipzig  1848  II,  S.  74. 

17* 


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252  Abraham  Culvensis. 

halber  zum  gehör  gottliches  wortts  vnnd  austheilung  des  hoch- 
wirdigen  sacraments  notwendigk  eine  grossere  kirche  auffzubawen 
vns  vorgenommen.  Welcher  kauffvns  denn  etwas  mat  gemacht,  auch 
der  krigk  den  vnnsern  hierin  nicht  wenig  geschadet,  befinden  wir, 
das  man  ihre  milde  handt  zur  genzlichen  volnziehungk  dieses 
gebendes  fast  verkürzet,  also  daß  wir  allein  den  angefangenen 
christlichen  baw  langsam  auch  schwerlich  zum  ende  bringen 
werden  können.  Gelanget  derowegen,  weil  es  ein  alther  christ- 
licher brauch,  E.  F.  D.  sampt  Ihrem  fürstlichen  lieben  gemahell, 
vnnser  gnedigen  fürstin  vnnd  frawenn,  vnnsere  fleissige  vnnd 
demüttige  bitte,  sie  wollen  vns  in  diesem  christlichen  vornemen 
auf  diss  mahll  womit  gnedigst  zu  hülffe  kommen,  damith  dieses 
schon  angefangenes  werk  gott  dem  almechtigen  zu  ehr  vnd 
preis  volendt  möge  erhalten  vnnd  gebawet  werden.  Vagens  der 
hoffhungk  derselbige  wirdts  E.  P.  D.  sampt  irem  fürstlichen 
gemahell  allhier  mit  langwiriger  leibes  gesundtheit  vnnd  glug- 
seliger  regierung  der  irigen  demnach  auch  dort  laut  seiner 
vätterlichen  zusage  vnnbelohnet  nicht  lassen.  Wir  aber,  denen 
solche  wolthat  widerfehret,  wollen  es  iederzeit  so  fern  wir  können 
und  mögen,  E.  F.  D.  vnnd  allen  iren  vnnderthanen  in  der 
sachenn  mit  höchster  demut  vnnd  wilfertigkeit  wieder  zuuer- 
schulden  vnns  dienstlichen  befleissigen.  Datum  Wilde,  den 
21.  May  1583.  E.  F.  D.  allzeit  bereitwillige  diener,  prediger 
vnnd  eldisten  der  kirchen  daselbst  Confessionis  Augustanae. 


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Aus  dem  Leben 
des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Von 
Arthur  Warda. 

Charakteristisch  für  das  achtzehnte 
Jahrhundert  ist  der  überreiche  Schatz  an 
Briefwechseln  und  Tagebüchern,  den  es 
uns  überliefert  hat. 

Erich  Schmidt. 
Im  neuen  Reich.  1873.  Nr.  10. 
I. 
1763—1799. 
„Der  alte  Pfarrer  Puttlich  zu  Böttchersdorf  in  Ostpreußen 
ist  zwar  kein  berühmter  Mann  gewesen/4  Mit  diesen  Worten 
beginnt  Fräulein  Olga  Plaschke  ihre  Mitteilungen  „Aus  einem 
alten  Stammbuch"  in  der  Morgenausgabe  der  „Königsberger 
Hartungschen  Zeitung"  vom  20.  Oktober  1901.  Es  ist  wohl 
richtig,  der  Pfarrer  Puttlich  ist  weder  berühmt  gewesen  noch 
geworden.  Indessen  gehört  er  nicht  zu  denjenigen  Männern, 
deren  Namen  des  Andenkens  der  Nachwelt  nur  deshalb  für  wert 
zu  erachten  sind,  weil  sie  das  Glück  hatten,  ein  Stammbuch  mit 
Eintragungen  von  der  Hand  berühmter  Männer  als  eigenes  zu 
besitzen.  Der  Pfarrer  Puttlich  hat  sich  auch  ein  Verdienst  er- 
worben, das  ihm  für  alle  Zeiten  ein  Andenken,  wenigstens  im 
Kreise  der  Gelehrten  sichern  dürfte,  nämlich  um  die  Erforschung 
der  Jugendgesohichte  Joh.  Gottfr.  v.  Herders.  Dieses  Verdienst, 
das  bisher  nur  wenigen  Spezialforschern  auf  dem  Gebiete  der 
deutschen  Literaturgeschichte  bekannt  sein  dürfte,  in  weiteren 
Kreisen,  namentlich  in  der  Heimat  beider  Männer  bekannt 
werden  zu  lassen,  ist  der  Zweck  dieser  Arbeit. 

Es   wäre    aber    ein  Bild  ohne  Rahmen  gewesen,  wenn  ich 
dabei  die  Lebensumstände  Puttliohs   völlig   außer  Acht  gelassen 


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254  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

hätte,  und  man  wird  es  mir  um  so  weniger  verdenken,  daß  ich 
dem  Leben  Puttlichs  einen  besonderen  Teil  gewidmet  habe,  da 
dasselbe,  wie  sich  zeigen  wird,  in  manchen  Verhältnissen  Puttlichs 
und  dessen  Beziehungen  zu  verschiedenen  berühmten  Männern, 
insbesondere  Ostpreußens,    nicht   wenig  Interessantes    darbietet. 

Ermöglicht  ist  mir  diese  Arbeit  durch  das  überaus  gütige 
Entgegenkommen  des  inzwischen  verstorbenen  Herrn  Kitterguts- 
besitzers Oscar  Tischler  zu  Losgehnen  und  seiner  Familie, 
sowie  des  Herrn  Professors  Dr.  E.  Reicke,  welche  mit  größter 
Bereitwilligkeit  mir  das  in  ihren  Händen  befindliche  Material  für 
diesen  Zweck  zur  Benutzung  überlassen  haben.  Es  ist  ja,  wie 
Joh.  Sembritzki  schreibt  (Altpr.  Mon.  Bd.  XXXIX  S.  665),  eine 
„Forschern  auf  dem  Gebiete  der  Provinzialgeschichte  bekannte 
Tatsache,  daß  es  im  Familienbesitz  viel  mehr  handschriftliche 
Tagebücher,  Reisebeschreibungen,  Briefsammlungen  und  Auf- 
zeichnungen giebt,  als  man  glaubt,  indem  sie  als  „Familiensachen" 
meist  sorgsam  vor  profanen  Augen  verborgen  werden,  obwohl 
manches  davon  wohl  wert  wäre,  veröffentlicht  zu  werden."  Um 
so  dankbarer  erkenne  ich  hier  die  Liberalität  an,  mit  welcher 
die  Familie  Tischler  mir  die  Einsicht  der  Tagebücher  und  Briefe 
Puttlichs  gestattet  hat. 

Christian  Friedrich  Puttlich  wurde  am  20.  Februar 
1763  zu  Mohrungen  als  Sohn  des  Glasermeisters  Friedrich  Putt- 
lich und  seiner  Gattin  Sophia  Puttlich  geb.  Walter  geboren. 
Von  seinen  fünf  Geschwistern  starben  vier,  drei  jüngere  Brüder 
und  eine  ältere  Schwester  im  jugendlichen  Alter,  auch  seine 
1766  geborene  Schwester  Anna  Regina,  die  sich  1785  mit  dem 
Kaufmann  und  späteren  Bürgermeister  Wolinski  in  Mohrungen 
verheiratet  hatte,  starb  bereits  1793  mit  Hinterlassung  von  drei 
Kindern.  Nachdem  Puttlich  am  26.  Oktober  1777  von  dem 
Pfarrer  Skubich  eingesegnet  und  dann  vom  6.  Januar  1778  ab 
noch  ein  Vierteljahr  bei  dem  Kantor  Obler  in  Mohrungen  in  die 
„Spielstunde'4  gegangen  war,  reiste  er  am  27.  Mai  1778  nach 
Königsberg  i.  Pr.  und  wurde  am  3.  Juni  1778  in  das  Kollegium 
Fridericianum    aufgenommen.      Hier    als  Schüler  bereits  begann 


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Von  Arthur  Warda.  255 

Puttlich  tagebuchartige  Aufzeichnungen  zu  machen,  die  er  später 
teils  in  Form  eigentlicher  Tagebücher,  teils  als  Eintragungen  in 
Schreibkalendern  fast  ununterbrochen  bis  zu  seinem  Tode  fort- 
gesetzt hat1).  Diese  Aufzeichnungen  geben  uns  ein  beinahe 
vollständiges  Bild  seines  äußeren  Lebensganges  und  auch  durch 
die  eingestreuten  Betrachtungen  ein  Bild  der  Entwickelung 
seines  Geistes-  und  Gefühlslebens,  das  durch  den  zum  größten 
Teil  erhaltenen  Briefwechsel  Puttlichs  mit  seiner  Braut  und 
späteren  Gattin  wesentlich  vervollständigt  wird.  Aber  nicht  nur 
ihn  selbst  lernen  wir  aus  diesen  Aufzeichnungen  kennen,  sondern 
viele  Personen,  mit  denen  er  in  nähere  Berührung  gekommen 
ist2).  So  manche  seiner  charakteristischen  Bemerkungen  über 
verschiedene  literarisch  und  sonst  bedeutende  Männer  würden 
von  Interesse  sein,  aber  die  Mitteilung  derselben  geht  über  den 
Bahmen  dieser  Skizze  hinaus;  nur  einzelnes  über  Personen  und 
Ereignisse  jener  Zeit  habe  ich  aus  dem  Tagebuch  im  Anhang 
zusammengestellt. 

Am  23.  März  1782  wurde  Puttlich  auf  der  Universität  zu 
Königsberg  i.  P.  immatriculiert.  Hier  hörte  er  zunächst  mathe- 
matisch-physikalische, rein  philosophische,  erst  später  theologische 
Vorlesungen,  bei  den  Professoren  Bück,  Kant,  Reccard,  Schulz, 
Pisansky,  Hasse  u.  and.  Am  meisten  scheinen  ihn  die  Vor- 
lesungen von  Bück  und  Reccard  interessiert  zu  haben,  wie  aus 
seinen  vielfachen  Aufzeichnungen  aus  denselben  in  seinem  Tage- 


1)  Schreibt  er  doch  selbst  später  in  einem  Briefe  an  seine  Braut  vom 
6.  November  1792:  „Jede  genossene  und  durch  die  Rückerinnerung  wieder 
vergegenwärtigte  Freude  ist  so  herzlabend,  daß  ich  in  dieser  Rücksicht  schon 
jedem,  der  sich  in  seine  vorige  Lage  gerne  wieder  zurückdenken  mag,  das 
Halten  eines  Tagebuchs  empfehlen  würde." 

2)  So  war  Puttlich  in  seinen  Knabenjahren  und  auch  bei  seinen  späteren 
öfteren  Besuchen  in  Mohrungen  mit  vielen  Personen  bekannt  geworden,  die  uns 
in  Herders  Lebensgeschichte  begegnen.  Der  Sohn  der  Schwester  Herders, 
Christian  Neumann,  war  sein  Mitschüler  in  Mohrungen  gewesen.  Ueber 
S.  F.  Trescho  hat  Puttlich  in  seinem  Tagebuch  gleich  an  erster  Stelle  vermerkt: 
„Anno  1733  d.  9.  Decembr:  ist  Sebastian  Friedrich  Trescho  gebohren,  als 
Diaconus  bey  der  Mohrungschen  Kirche  ist  er  vom  Hr.  Erzpriester  Pisansky 
d.  28.  Septembr  1760  introducirt  worden.'- 


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256  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

buch  hervorgeht1).  Kant  scheint  im  Vergleich  zu  anderen  Pro- 
fessoren weniger  Eindruck  auf  Puttlich  gemacht  zu  haben;  er 
hörte  bei  Kant  namentlich  Anthropologie  und  physische  Geo- 
graphie, erstere  im  Wintersemester  1782/83  und  1784/85,  letztere 
im  Sommersemester  1782  und  1785.  Seine  Kolleghefte  nach 
diesen  Vorlesungen  sind  noch  vorhanden,  dieselben  sind  indessen 
nur  Abschriften  von  den  Kollegheften  anderer  (über  Anthro- 
pologie von  seinem  Freunde  C.  Weber,  über  physische  Geo- 
graphie von  G.  L.  H.  Nicolovius),  aber  mit  Bemerkungen  noch 
aus  viel  späterer  Zeit  versehen,  woraus  zu  schließen  ist,  daß 
Puttlich  dauernd  diesen  Gegenständen  sein  Interesse  dargebracht 
hat2).  Die  meisten  Vorlesungen  hat  Puttlich  wohl  unentgeltlich 
gehört;  seine  Eltern  konnten  ihm  ausreichende  Unterstützung 
nicht  geben,  und  er  war  daher  genötigt,  sich  seinen  Unterhalt 
größtenteils  durch  vielfaches  Unterrichten  und  Anfertigung 
schriftlicher  Arbeiten  zu  erwerben8).  Eine  Zeitlang  wohnte 
Puttlich  bei  dem  Kammersekretär  John,  dessen  Kindern  er 
auch  Stunden  gab,  und  sein  Tagebuch  giebt  interessante  Auf- 
schlüsse über  die  eigenartigen  ungeregelten  Verhältnisse,  in 
denen  dieser  in  der  damaligen  litterarischen  Welt  Königsbergs 
berühmte  Mann  lebte  (vgl.  Goldbeck  Litt.  Nachr.  v.  Preußen 
Bd.    IS.    61  Bd.    II  S.    40).      Hier   lernte    Puttlich    auch    ver- 


1)  Zwischen  G.  C.  Pisanski  und  dem  Diaconus  Trescho,  der  ihn  anj  enen 
empfohlen  hatte,  vermittelte  er  oft  Briefe,  sobald  er  nach  Mohrungen  fuhr  oder 
von  dort  zurückkehrte. 

2)  Das  Heft  über  Anthropologie  ist  im  Besitz  des  Herrn  Prof.  Dr.  R. 
Reicke,  das  Heft  über  physische     Geographie  in  meinem  Besitz. 

3)  So  schrieb  Puttlich  in  der  Zeit  vom  25.  November  bis  7.  Dezember 
1782  für  den  Kandidaten  Friedr.  Sam.  Mohr  (vgl.  Goldbeck  Litter.  Nachr.  I, 
87.  II,  78)  den  Katalog  des  Saturgusschen  Naturalienkabinets  zum  Druck  ab, 
der  von  Mohr  herausgegeben  unter  dem  Titel  erschien:  > Beschreibung  ver- 
schiedener Seltenheiten  der  Natur,  der  Kunst  und  des  Altertums,  welche  in  dem 
Kabinette  des  Commerzienrath  Saturgus  zu  Königsberg  in  Preußen  einige  Aufmerk- 
samkeit und  Betrachtung  verdienen,  in  zweien  Theilen,  verfertiget  im  Jahre  1782* 
(kl.  8°,  111  8.)  und  am  Schluß  vom  23.  Wintermond  1782'-  datiert  ist.  Irgend 
welche  Erwähnung  einer  Tätigkeit  Kants  bei  diesem  Naturalienkabinet  findet 
sich  auch  hier  nicht  (vgl.  Altpr.  Mon.  Bd.  XXXVI  S.  5231 


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Von  Arthur  Warda.  257 

schiedene  andere  litterarisch  tätige  Männer,  wie  den  Referendar 
Herklots  und  den  späteren  Stadtinspektor  Brahl  und  außerdem 
manche  Schauspieler  kennen,  die  häufig  bei  John  verkehrten; 
damit  aber  hatte  er  auch  häufig  Gelegenheit  zum  Besuch  des 
Theaters.  Während  seiner  Universitätszeit  verkehrte  Puttlich 
namentlich  mit  den  ihm  von  der  Schule  her  befreundeten  Ge- 
nossen, so  mit  Carl  Bernhard  Fleischer,  dem  Sohn  des  Kammer- 
Kanzleiverwandten  Fleischer,  C.  Weber,  Loschitzky  u.  and. 
Eine  besonders  innige  Freundschaft  verband  ihn  aber  mit  Georg 
Heinrich  Ludwig  Nicolovius  (vgl.  Nicolovius,  Denkschrift 
auf  G.  H.  L.  Nicolovius.  Bonn  1841),  der  am  28.  September 
1782  aus  dem  Kollegium  Fridericianum  entlassen  wurde.  Diese 
Freundschaft  währte,  wenn  auch  später  infolge  der  dauernden 
Trennung  beider  der  Briefwechsel  zwischen  ihnen  nicht  mehr 
rege  war,  doch  bis  zu  Puttlichs  Tode.  Nicolovius  machte  ihn 
auch  mit  seinen  beiden  Brüdern  Friedrich  Matthias,  dem  späteren 
Buchhändler  (Neue  Preuß.  Prov.-Bl.  IX  S.  284  ff)  und  Theodor 
Balthasar,  dem  späteren  Begierungspräsidenten  (Preuß.  Prov.- 
Bl.  Bd.  VIII  S.  93  ff)  bekannt  und  auch  mit  diesen  blieb  Putt- 
lich noch  viele  Jahre  befreundet. 

Eifrig  war  Puttlich  in  seinen  Universitätsjahren  bemüht, 
sein  Wissen  auch  außerhalb  der  Hörsäle  zu  erweitern.  So  nahm 
er  an  einem  Lesezirkel  des  Schulkollegen  Falk  teil,  wo  er  ver- 
schiedene auswärtige  gelehrte  Zeitungen  las:  mit  Nicolovius 
zusammen  las  er  die  Jenaische  Allgemeine  Litteraturzeitung. 
Frühe  auch  schon  spricht  er  in  seinem  Tagebuch  von  seinem 
Streben,  sich  eingehende  Menschenkenntnis  zu  erwerben,  da  ihm 
dies  für  die  Zukunft,  namentlich  bei  dem  Berufe  eines  Geist- 
lichen von  großem  Nutzen  sein  würde.  Eine  Lieblingsbeschäftigung 
Puttlichs,  besonders  in  seinen  Universitätsjahren,  war  es,  sich 
genaue  Notizen  über  die  Witterung  eines  jeden  Tages  zu  machen ; 
er  schreibt  selbst  hierüber  einmal  an  seine  spätere  Braut: 

„Bald  würden  Hie  mich  für  einen  Wetterpropheten  halten  können,  und 
ich  würde  auch,  ohne  Großsprechung,  nicht  gemeine  Einsichten  in  die  Witterungs- 
kunde besitzen,  da  ich  vor  einigen  Jahren  ein  ho  fleissiger  und  emsiger  Wetter- 


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258  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

beobachter  war,  dasz  selbst  mein  Freund  Nikolovius,  da  er  die  Aufzeichnung 
von  jeder  abwechselnden  Witterung  so  sorgfältig  und  genau  in  meinem  Tage- 
buch aufgezeichnet  fand,  mich  den  preußischen  Meteorologen  nannte  und  eich 
bey  mir  öfters  Raths  erholte,  wenn  es  auf  Vorausbestimmung  des  Wetters 
ankam.  Dies  Studium  habe  ich  aber  schon  seit  einiger  Zeit  aufgegeben  und 
stelle  jetzt  beständig  bey  einem  andern  Barometer  Betrachtungen  über  die 
Witterung  in  der  moralischen  Welt  an,  davon  der  Erfolg  mit  größerm  Nutzen 
für  mich  und  andere  verbunden  ist." 

Über  den  Grund,  weshalb  er  jene  Beschäftigung  bereits  im 
Jahre  1787  freilich  nicht  endgültig  —  denn  Witterungsnotizen 
hat  er  auch  noch  in  viel  späteren  Jahren  gemacht  —  aufgab, 
schreibt  er  unter  dem  10.  Januar  1787  in  seinem  Tagebuch: 

„Ich  zeichnete  mir  jetzt  meine  tag].  Bemerkungen  über  die  Witterung 
nicht  mehr  auf,  weil  ich  alle  Hofnung  aufgab  je  ein  Meteorolog  zu  werden, 
und  ward  hierin  auch  durch  einen  Aufsatz  im  November  der  Berl.  Monats- 
schrift von  1786  Ueber  Wetterprophezeyungen  vom  Pred.  Gronau  der  auch 
hierauf  Verzicht  gethau,  noch  mehr  bewogen." 

Indessen  war  es  Puttlich  nach  Beendigung  seiner  Studien 
auf  die  Dauer  nicht  möglich,  seinen  Unterhalt  in  Königsberg  zu 
bestreiten,  und  er  entschloß  sich  zu  Anfang  des  Jahres  1787 
eine  Erzieherstelle  außerhalb  Königsbergs  anzunehmen.  Durch 
den  Hofprediger  Crichton  wurde  ihm  die  von  seinem  Freunde 
Fleischer  bereits  ausgeschlagene  Stelle  eines  Hofmeisters  im 
Hause  des  Grafen  v.  d.  Groben  zu  Gr.  Klingbeck  angeboten, 
wo  er  vier  Söhne  Louis,  Hans,  Ernst  und  Sigismund  unterrichten 
sollte.  Am  1.  März  1787  trat  er,  von  Crichton  mit  Ratschlägen 
in  betreff  der  Erziehung  der  Junker  und  seines  Benehmens  im 
adlichen  Hause  unterstützt,  diese  Stellung  an  und  hat  dieselbe 
bis  zum  29.  April  1793  inne  gehabt,  da  die  beiden  jüngsten 
Junker  alsdann  in  das  Gräflich  Gröbensche  Stipendienhaus  in 
Königsberg  aufgenommen  wurden.  Der  Aufenthalt  in  Gr.  Kling- 
beck ist  für  Puttlich  in  mehrfacher  Beziehung  von  Bedeutung 
gewesen. 

Wie  es  von  Kant  erzählt  wird,  daß  er  während  seiner 
Hauslehrerzeit  bei  dem  Verkehr  mit  adligen  Familien  „in  der 
feinen  Lebensart  manches"  angenommen  habe,  so  gilt  dies  auch 


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Vou  Arthur  Warda.  259 

von  Puttlich,  und  es  mag  sein,  daß  er  durch  den  jahrelangen 
Umgang  in  diesem  Hause,  wo  so  viele  adlige  Familien  und  hohe 
Standespersonen  verkehrten,  verwöhnt  wurde,  so  daß  es  ihm 
später  in  den  beschränkten  Verhältnissen  als  Dorfpfarrer  nie 
recht  gefallen  mochte,  und  ihn  sein  Verlangen  immer  nach 
Königsberg  zog,  zumal  da  er  auch  für  seine  geistigen  Interessen 
in  der  Abgeschiedenheit  eines  Landgeistlichen  nicht  die  genügende 
Anregung  fand.  Leicht  wurde  es  ihm,  durch  sein  gefälliges 
Wesen,  sein  vielseitiges  Wissen  und  auch  —  seine  Geschicklichkeit 
in  Arrangements  bei  Familienfestlichkeiten  sich  im  Gröbenschen 
Hause  bei  allen  in  Gunst  zu  setzen  und  auch  das  Wohlwollen 
der  dort  Verkehrenden  zu  erwerben.  Nur  mag  Puttlich  auch 
vielleicht  hierauf  zu  große  Hoffnungen  für  die  Gestaltung  seiner 
Zukunft  gesetzt  haben,  denn  als  er  später  so  oft  hier  und  dort 
bat,  aus  mancher  unverschuldeten  traurigen  Lage  befreit  zu 
werden,  mußte  er  die  bittere  Erfahrung  machen,  lediglich  mit 
Worten  getröstet  zu  werden,  wo  er  auf  tatkräftige  Hilfe 
rechnen  zu  können  glaubte.  Da  mag  er  denn  auch  die  Wahr- 
heit jenes  Spruches  erfahren  haben,  den  Kant  1757  in  ein 
Stammbuch  schrieb: 

„Großen  Herren  und  schönen  Frauen 

Soll  man  wohl  dienen,  doch  wenig  trauen.4' 

Der  Aufenthalt  in  Gr.  Klingbeck  wurde  aber  in  einer  andern 
Hinsicht  für  Puttlich  viel  bedeutungsvoller;  er  machte  hier  die 
Bekanntschaft  seiner  späteren  Braut  und  Gattin.  Zu  den  in 
Gr.  Klingbeck  häufig  verkehrenden  Gästen  gehörte  nämlich  die 
Familie  v.  Brederlow  auf  Gr.  Lauth.  Gegen  Ende  des  Jahres  1789 
wurde  der  junge  Sohn  der  Frau  v.  Brederlow  aus  erster  Ehe, 
Eduard  v.  d.  Golz,  zur  gemeinsamen  Erziehung  mit  den  Gröbenschen 
Junkern  nach  Gr.  Klingbeck  gegeben,  während  er  bisher  in 
Gr.  Lauth  unter  Aufsicht  des  als  Gesellschafterin  im  Brederlow- 
schen  Hause  tätigen  Fräuleins  Wilhelmine  Assum  gewesen  war. 

Friderike  Wilhelmine  Luise  Eleonore  von  Assum 
war  als  Tochter  des  Königlich  Preußischen  Kapitäns  Johann 
Wolfgang    von  Assum    und    seiner    Gemahlin   Sophia    Christina 


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260  Aus  dem  I^ben  der  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Franzisca  Sauer  (Tochter  des  Amtmanns  Franz  Jacob  Sauer  aus 
Wertheim)  zu  Berlin  am  21.  Januar  1768  geboren.  Ihre  Eltern 
waren  nach  der  Hochzeit  im  Jahre  1767  aus  ihrer  gemeinsamen 
Vaterstadt,  der  freien  Reichsstadt  Wertheim,  wo  die  Mutter  im 
regierenden  gräflichen  Hause  erzogen  war,  nach  Berlin  gezogen. 
Infolge  bald  eingetretener  trauriger  Familienverhältnisse  wurde 
Wilhelmine  Assum  ( —  sie  selbst  hat  sich  nie  des  Adelsprädikats 
bedient  — )  von  einem  Landrat  von  Zinnow  eine  Zeit  lang  als 
Kind  angenommen,  erhielt  hier  aber  keine  gute  Erziehung. 
Als  ihre  Mutter  später  durch  eine  Verwandte  die  Bekannt- 
schaft der  Geheimen  Eätin  Ballhorn  machte,  erfuhr  sie  von 
dieser,  daß  deren  Bruder,  der  Kriegsrat  Deutsch,  der  an  der 
Verbesserung  der  Erziehungsanstalt  für  Offizierstöchter  im  König- 
lichen Waisenhause  zu  Potsdam  arbeitete,  eine  Erzieherin  bei 
dieser  Anstalt  suchte.  Wilhelmines  Mutter  war  bereit,  diesen 
Posten  zu  übernehmen.  „Es  war  im  Jahr  1776  am  13.  Februar", 
so  schreibt  Wilhelmine  Assum  an  Puttlich  in  einem  Briefe  vom 
7.  Februar  1792,  in  welchem  sie  ihm  die  traurige  Geschichte 
ihrer  Jugend  erzählt,  „als  wir  den  edlen  Mann  und  Menschen- 
freund zuerst  kennen  lernten.  Es  ist  ihm  eigen  sogleich  aller 
Herzen  zu  gewinnen  —  auch  die  unsrigen  wurden  ihm  am  ersten 
Tage  zugethan".  Ostern  1776  trat  Wilhelmines  Mutter  ihre 
Stellung  an,  starb  aber  bereits  am  3.  Oktober  1778.  Wilhelmine 
Assum  blieb  anfangs  bei  Verwandten  und  bei  Kriegsrat  Deutsch 
und  wurde  dann  in  die  Zahl  der  Waisenhauszöglinge  aufgenommen, 
unter  denen  sie  bis  zu  ihrem  14.  Jahre  verblieb.  Als  Kriegsrat 
Deutsch  etwa  1782  sich  auf  das  Gut  Graventin  bei  Pr.  Eylau 
zurückzog,  nahm  er  vermutlich  Wilhelmine  Assum  mit  sich  und 
behielt  sie  wohl  bis  zum  Antritt  ihrer  Stellung  im  Brederlowschen 
Hause  bei  sich.  Ihr  Vater  soll  etwa  1790  unweit  Wertheim 
gestorben,  sein  Tod,  wie  Wilhelmine  Assum  selbst  erzählt,  in 
der  Literatur-  oder  einer  anderen  Zeitung  angezeigt  gewesen  sein, 
ohne  Nennung  des  Namens,  doch  kenntlich  für  die,  welche  ihn 
kannten. 

Im  Sommer    1790    scheint    die    erste  Begegnung  zwischen 


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Von  Arthur  Warda.  261 

Puttlich  und  Wilhelmine  Assum  stattgefunden  zu  haben;  beide 
sahen  sich  dann  öfters  bald  in  Lauth  bald  in  Klingbeck.  Es 
war  nur  natürlich,  daß  beide,  gleichermaßen  erfüllt  von  sittlich 
ernster  Lebensauffassung  und  beseelt  von  einem  jugendlich 
warmen  Gefühl  für  alles  Schöne  und  Edle  sich  zu  einander  hin- 
gezogen fühlten  und  sich  bald  gegenseitig  Vertrauen  darbrachten. 
Wilhelmine  Assum  behagte  es  in  ihrer  Stellung  nicht,  da  die 
Lebensweise  in  jenem  Hause  ihr  nicht  zusagte,  sie  auch  bei  der 
Frau  des  Hauses  kein  Verständnis  und  Entgegenkommen  fand, 
dessen  sie  als  Waise  doch  so  sehr  bedurfte.  Niemand  in  ihrer 
Umgebung  nahm  aufrichtiges  Interesse  an  ihr,  keinem  teil- 
nehmenden Herzen  konnte  sie  sich  dort  anvertrauen,  und  so 
war  es  kein  Wunder,  daß  sie  gerade  Puttlich,  bei  dem  sie  aus 
ihren  gemeinsamen  Gesprächen  ein  warmes  Mitgefühl  erkannt 
hatte,  mit  ihrer  traurigen  Lage  bekannt  machte.  Es  entspann 
sich  zwischen  beiden  ein  reger  Briefwechsel,  der  nicht  nur  durch 
den  Gedankenaustausch  über  ihre  beiderseitigen  Verhältnisse 
und  Zukunftspläne  ein  herrliches  Bild  von  dem  Seelenleben  der 
Beiden  gewährt,  sondern  auch  durch  die  Besprechung  mancher 
Ereignisse  in  der  politischen  Welt  ein  kulturgeschichtliches 
Interesse  darbietet.  Ich  muß  mich  jedoch  auf  einige  wenige 
Auszüge  aus  dem  Briefwechsel  beschränken. 

Am  12.  Januar  1792  schreibt  Puttlich: 

,.Doch  kann  es  ohne  dies  auch  leicht  geschehen,  daß  ich  meinen  Wander- 
stab ergreife  und  mich  aus  den  preußischen  Staaten  entferne,  denn  nach  der 
jetzt  errichteten  Religionskommission  in  Berlin  finde  ich  Anlaß  genug  dazu, 
weil  ich,  wenn  ich  nicht  ein  ganz  steifer  Orthodoxe  sey,  und  das  nicht  glaube 
u  lehre,  was  Hermes,  Woltersdorf,  Hillmer  u  Konsorten  glauben  und  lehren, 
auch  nicht  mit  gutem  Gewissen  ein  Volkslehrer  in  den  preußischen  Ländern 
werden  kann.  Sie  werden  fragen:  woher  ich  das  weiß  und  fürchte?  Aus 
einer  ganz  neuen  Schrift,  liebe  Freundin,  die  ich  nur  vor  einigen  Tagen  von 
Nikolov  zugeschickt  erhielt  und  die  den  Titel  führt:  ,.Freymüthige  Betrachtungen 
und  ehrerbietige  Vorstellungen  über  die  neuen  preußischen  Anordnungen  in 
geistl.  Sachen1)."     O  Freundin!  nicht  leicht  hat  je  eine  Schrift  solche  Sensation 


1)  Freimüthige   Betrachtungen   und   ehrerbietige  Vorstellungen    über   die 
neuen  Preußischen  Anordnungen  in  geistlichen  Sachen.    (Motto)  Germanien  1791. 


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262  Au8  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

bey  mir  erregt  als  diese,  die  es  recht  einleuchtend  zeigt  wie  man  jetzt  gegen 
alle  wahre  Aufklärung  eifert  und  das  Licht  verdunkelt  das  t  so  wohlthatig  die 
preußischen  Lander  erleuchtete,  ja  wie  die  Instruktion  für  die  Examinations- 
kommission  in  geistl.  Bachen  dem  allgemeinen  Gesetzbuch  für  die  preußischen 
Staaten  offenbar  widerspreche,  das  da  sagt:  „Jedem  Einwohner  im  Staate 
muß  eine  vollkommene  Glaubens-  und  Gewissenfreyheit  gestattet  werden." 
Könnte  ich  sie  doch  Ihrem  aufgeklärten  Freunde  Deutsch  zum  Durchlesen 
vor  Augen  legen,  damit  er  mir  seine  Meynung  über  diese  wichtige  Sache 
sagen  möchte." 

Wilhelmine  Assum  antwortet  darauf  am  7.  Februar  1792: 
„Auch  K)ieg8rath  Deutsch  hatte  grade  die  neue  Schrift  mitgetheilt 
erhalten,  von  der  Sie  mir  Freund  sagen  —  daß  sie  bei  Ihnen  soviel  Sensation 
erregt  hat  —  nehmlich  die  den  Titel  führt  —  „Freymüthige  Betrachtung  u 
ehrerbietige  Vorstellungen  über  die  neuen  preußischen  Anordnungen  in  geist- 
lichen Sachen"  auch  er  eifert  sehr  wider  das  ganze  Chor  der  Herrn  Meinungs 
und  Glaubensrichter,  unter  denen  nach  der  Kenntniß  die  er  von  ihnen  hat, 
mancher  ist,  von  dem  ein  andrer  ehrlicher  Mann,  wenn  er  nicht  zu  bescheiden 
dazu  wäre,  mit  Recht  sagen  könne,  sie  sind  nicht  werth  mir  die  Schuhe  zu 
lösen,  und  solche  werfen  sich  jezt  auf,  suchen  sich  gültig  zu  machen  und 
wollen  ganze  Länder  reformieren.  Doch  glaubt  er  auch  daß  von  der  ganzen 
Sache  mehr  Lärmen  und  Geschrei  ist  ab  dabei  wirklich  zu  befürchten  sei  — 
und  daß  von  der  sehr  strengen  Instruktion  für  die  Examinations  Commission 
wohl  wenig  erfüllt  werden  dürfte,  es  dürfte  nur  einer  freimüthig  auftreten  und 
den  HE.  selbst  die  Frage  vorlegen:  was  Sie  eigentlich  Ortodoxie  nennen  — 
und  er  sei  überzeugt  daß  wenn  man  sie  in  den  gewöhnlichen  Sätzen  annähme, 
die  Herrn  —  besonders  vom  Königsbergschen  Konsistorium  —  verstummen 
würden:  indem  sie  sich  nach  ihren  eignen  Meinungen,  gewiß  nicht  als  Ortodoxen 
geltend  machen  können  und  auch  nicht  im  Stande  seyn  würden  einen  guten 
geschickten  Mann  unglücklich  zu  machen.  Freilich  lautet  es  abschreckend, 
wenn  es  heist:  „Alle  Candidaten  die  sich  zum  Kirchen-  und  Schuldienst 
melden,  müssen  vor  dem  Examen  genau  geprüft  werden,  ob  sie  auch  von  der 
sogenannten  Lehre  der  Erleuchteten  angesteckt  sind,  damit  sie  in  diesem  Falle 
von  den  Kanzeln  entfernt  u  Kirchen  u  Schulen  nur  mit  recht  gearteten  Dienern 
Jesu  bestellt  werden."  —  —  Aber  dennoch  lieber  Freund,  dächte  ich  warteten 
Sie  noch  etwas  ab,  ehe  Sie  Ihren  Wanderstab  ergreifen  u  sich  aus  den 
preußischen  Staaten  entfernen,  ich  hoffe  noch  immer,  daß  der  jezt  aufsteigende 
Nebel  sich  nicht  wird  verbreiten  können,  daß  er  gleich  einem  leichten  Rauch 
bald  vertheilt  sein  und    so  dem  Licht    nicht    mehr  hinderlich   sein  wird  seine 


(108  S.)    Dagegen    erschien:    Anmerkungen  zu  der  Schrift:    Freymüthige 
1791.     Berlin,  1792.  (4t>  S.) 


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Von  Arthur  Warda.  263 

wohlthätigen  Strahlen  zu  verbreiten,  ein  jeder  wahrhaft  Aufgeklärte  wird  dann 
auch  sein  Licht  leuchten  lassen  können  frey  vor  den  Leuten,  so  gut  und  so 
hell  er  kann  — ." 

Später,  in  einem  Briefe  vom  24.  April  1792,  kommt  Putt- 
lich noch  einmal  auf  diese  Angelegenheit  und  auch  auf  den 
£eligionsprozeß  des  Predigers  Schulz  zu  Gielsdorf,  eines  der 
ersten  Opfer  der  Examinations-Kommission,1)  dessen  Schicksal 
ihn  sehr  interessierte,  zu  sprechen: 

„Ich  hoffe,  daß  ich  dann  auch  einen  nähern  Aufschluß  von  dem  Erfolg 
der  Religionskommission  haben  werde,  so  wie  von  dem  Schicksal  des  Prediger 
Schulz  zu  Gielsdorf,  dessen  Vertheidigungsschrift  von  Kriminalrath  Amelang 
ich  in  voriger  Woche  aus  der  Nikoloviusschen  Buchhandlung  geheftet  erhalten, 
mit  Erstaunen  durchgelesen  habe  ....  Wären  Sie  mir  doch  näher  damit 
ich  Ihnen  dergleichen  Sachen  zuschicken  könnte,  damit  Sic  daraus  urtheilen, 
wie  meine  geäußerten  Besorgnisse  nicht  ohne  Grund  sind." 

Wilhelmine  Assum  schreibt  ihm  darüber  ihre  Ansicht  am 
13.  Juni  1792: 

„Gestern  da  das  Regenwetter  uns  keinen  Spatziergang  vergönnte,  las 
ich  Nachmittags  die  Amelangsche  Vertheidigung  des  Prediger  Schulz  zu  Gielsdorf 
vor,  von  welcher  Sie  mir  geschrieben,  daß  Sie  sie  mit  Erstaunen  gelesen,  ich 
wünschte  Sie  hätten  sich  näher  über  die  Art  Ihres  Erstaunens  erklärt,  ob  über 
die  Lehren  des  Schulz,  seine  Feinde  oder  seinen  Verteidiger:  um  zu  wissen,  ob 

mein  Staunen  mit  dem  Ihrigen  einerley  Quellen  gehabt Da  ich  weiß,  daß 

Sie  nicht  eifriger  Anhänger  von  Hermes  und  Hilmer  sind,  so  darfs  ich  wohl 
ohne  von  Ihnen  verketzert  zu  werden  hier  frey  gestehen,  daß  mir  das  Schicksal 
des  armen  Prediger  Schulz,  der  jezt  wirklich  sein  Amt  verlohren  haben  soll, 
sehr  nahe  geht.  Höchst  unzufrieden  bin  ich  mit  den  bösen  Inquisitoren,  von 
denen  vielleicht  keiner  einen  so  moralisch  guten  Lebenswandel  aufzuzeigen  hat, 
als  er,  der  bis  zu  seiner  eigenen  gerichtlichen  Aussage  —  wo  er  auch  alle  unsre 
Religionssätze  verwirft  meinen  völligen  Beifall  hatte.  Seinen  Handlungen  nach 
stimmte  er  ganz  mit  dem  Ideal  überein,  welches  ich  mir  von  einem  guten  Land- 
prediger mache.  Ueberhaupt  möchten  nur  alle  Volkslehrer  so  uneigennützig 
Lehrer,  Wohlthäter,  Väter  ihrer  Gemeine  seyn  und  sie  so  zu  ihren  Pflichten 
treuen  Menschen  bilden,  als  Schulz  in  Gielsdorf  that,  wo  alle  durch  sein 
26 jähriges  Beispiel  geleitet,  gut  und  untadelhaft  lebten.  Aber  dessen  werden 
sich   wohl   wenige   rühmen  können;    ich  kann   wenigstens   hier  aus   der  um- 

1)  Vgl.  L.  Volkmar,  Religions-Process  des  Prediger  Schulz  zu  Gielsdorf, 
gen.  Zopfschulz,  ein  Lichtfreund  des  18.  Jahrh.  Leipzig  1846. 


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264  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

liegenden  Gegend  mit  allem  Recht  ihrer  4  zahlen  die  wohl  alle  was  ihre  I^ehre 
anbetrift  Ortodoxen  sind,  die  aber  alle  ihren  Stand  entwürdigen;  die  sich  durch 
ungebührlichen  Stolz,  oder  zu  genaue  Vertraulichkeit  mit  gemeinen  Leuten, 
durch  Eigennuz  und  Habgier  oder  zu  großer  Anhänglichkeit  an  Acker  und 
Gartenbau,  worüber  die  Gemeine  hintenangesetzt  wird,  alles  Vertrauen  ver- 
scherzen, sich  verwerflich  machen.  .  .  .  Mir  fällt  immer  die  Schriftstelle  ein: 
wo  unser  erhabenster  Lehrer  Jesus  selbst  sagt;  „Es  werden  nicht  alle  die  zu 
-  mir  sagen  Herr!  Herr!  ins  Himmelreich  kommen,  sondern  die  den  Willen  thun 
deß  der  mich  gesandt  hat." 

Inzwischen,  wohl  im  April  1792,  hatte  Wilhelmine  Assum 
ihre  Stellung  in  Lauth  aufgegeben,  nachdem  sie  von  ihrem  väter- 
lichen Wohltäter  Deutsch  ein  liebevolles  Ermahnungsschreiben 
(vom  11.  November  1791)  erhalten  hatte,  das  ich  zur  Charakteristik 
des  Schreibers  hier  im  wesentlichen  mitteile: 

„Sie  haben  nicht  dem  Rathe  eines  Freundes,  sondern  Ihrer  eigenen  Er- 
fahrung die  Erkenntniß  zu  danken:  daß  Unbesonnenheit  uns  leicht  elend  und 
unglücklich  machen  kann;  daß  selbst  unsere  Unschuld  uns  nicht  hilft  wenn 
wir  durch  eigne  Schuld  den  Schein  gegen  uns  haben;  und  daß  ein  Madchen 
nicht  vorsichtig  genug  verfahren  kann,  wenn  es  auf  die  Erhaltung  ihrer 
Tugend  und  ihres  guten  Nahmens  ankommt.  Was  helfen  uns  die  herrlichsten 
Erfahrungen,  wenn  wir  sie  nicht  benutzen.  Lassen  Sie  daher  in  Ihren  künf- 
tigen neuen  Verhältnissen  nichts  von  der  strengen  Aufmerksamkeit  auf  sich 
selbst,  nichts  von  der  zuvorkommenden  Gefälligkeit  gegen  Ihre  Dame,  nichts 
von  der  Genauigkeit  in  Erfüllung  Ihrer  Pflichten,  nichts  von  der  aufmerk- 
samsten Beobachtung  Ihrer  selbst  nach.  Sie  sehen,  mein  Kind,  daß  es  von 
unserer  Seite  nur  ernsthafter  Entschließungen  bedarf.  Sie  sehen,  daß  wenn 
uns  auch  einer  oder  der  andere  verkennt  und  falsch  beurtheilt,  sich  immer 
andere  finden  die  uns  Gerechtigkeit  wiederfahren  lassen.  Aber  vergessen  Sie 
nie,  daß  es  besser  ist  Gerechtigkeit  erlangen  zu  können,  als  um  Nachsicht 
und  Mitleid  bitten  zu  müssen  1  Sie  sind  nun  in  einem  Alter,  wo  Sie  die 
Zügel  Ihrer  eigenen  Selbstbeherrschung  führen  müssen;  wie  wenig  wurden  Sie 
im  Stande  sein  andere  da  anzuführen,  wenn  Sie  dies  nicht  wolten  oder  nicht 
könnten!  Handeln  und  denken  Sie  immer,  sich  selbst  bewußt,  daß  der 
Richter  der  Welt  Zeuge  der  verborgensten  Handlung,  Zeuge  des  geheimsten 
Gedankens  ist.  Bringen  Sie  es  dahin,  daß  Sie  sich  selbst  hochschätzen 
können,  und  ich  bin  Ihnen  Bürge  für  die  Achtung  eines  ieden  guten 
Menschen  *),•' 


1)  Unter  den  großen  Männern  Ostpreußens  aus  jener  Zeit,  deren  Charakter 
ein  Vorbild    für   alle  Zeiten    sein    muß,  ist  Kriegsrat  Deutsch  fast  nie  genannt, 


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Von  Arthur  Warda.  265 

Nach  kirffcem  Aufenthalt  im  Deutschen  Hause  trat  Wilhelmine 
Assum  eine  neue  Stellung  als  Gesellschafterin  der  Gemahlin  des 
Rittmeisters  von  Domhardt  iu  Jesau  an1).  Hier  verlebte  sie 
den  Sommer  meist  auf  dem  Lande,  während  sie  zum  Winter 
mit  der  Familie  v.  Domhardt  in  deren  Haus  in  Königsberg, 
später  nach  der  Scheidung  der  Domhardtschen  Eheleute  ganz 
dahin  übersiedelte.  Wie  eine  Mutter  hat  die  Dame  dieses 
Hauses,  die  selbst  in  traurigen  Familienverhältnissen  sich  befand, 
sich  ihrer  angenommen  und  für  sie  gesorgt. 

Puttlich  hatte  im  August  1792  eine  Reise  nach  seiner 
Vaterstadt  zum  Besuch  seiner  Mutter  gemacht  und  teilt  seine 
dortigen  Erlebnisse  in  einem  Briefe  an  Wilhelmine  Assum  vom 
10.  November  1792  mit.  Er  erwähnt  den  im  Hause  seiner 
Mutter  wohnenden  Lieutenant  v.  Krokow,   Sohn  des  Oberst  von 

während  ihm  ein  Platz  zur  Seite  Scheffners  gebührt.  Eie  Biographie  dieses 
würdigen  Mannes,  dessen  Nachkommen  noch  heute  im  Besitze  von  Graventin 
»ind,  wäre  eine  Pflicht  ostpreußischer  Geschichtsforscher.  Es  sei  hier  nur  auf 
die  Charakteristik  Deutschs  von  Hippel  in  seinen  Briefen  an  Scheffner  (Hippels 
Werke  Bd.  XIV  S.  273  und  343)  hingewiesen.  Ich  füge  noch  eine  Stelle  aus 
einem  Briefe  von  Deutsch  an  Wilhelmine  Puttlich  vom  26.  April  1811  hinzu, 
worin  Deutsch  für  ihren  Glückwunsch  zu  seinem  Geburtstage  dankt  und 
schreibt:  „Nur  die  Hofnung  einer  nahen  Ruhe  jenseit  des  Lebens  macht  es 
diesseit  erträglich!  Doch  warum  sollte  ich  klagen?  habe  ich  nicht  mein  Gutes 
reichlieh  genossen?  und  mit  welchem  Rechte  solte  wohl  ich?  eine  Ausnahme 
von  dem  allgemeinen  Elende  fordern,  unter  dem  izt  alles  seufzt,  und  wehmüthig 
auf  den  noch  Elenderen  hinsieht,  ohne  helfen  oder  retten  zu  können?  .... 
In  einer  Zeit  wie  die  gegenwärtige  ist  glaube  ich,  das  beste  gar  keinen  Plan  für 
die  Zukunft  machen  da  ihn  vielleicht  der  nächste  Augenblick,  noch  ehe  er 
fertig  war,  zertrümmert.  Thun  was  man  kann,  und  Gelingen  oder  Mißlingen 
der  Vorsicht  zu  überlaßen.  Wer  ist  izt  wohl  im  Stande  seinen  Kindern  durch 
Erziehung  eine  Richtung  zu  geben,  wie  sie  vielleicht  die  nächste  Generazion 
brauchen  wird.  Aufopferungen,  Entbehrungen,  Entsagung  ihrer  heiligsten  und 
billigsten  Forderungen  —  das  werden  sie  fürchte  ich  nicht  entbehren  können. 
Wie  sollen  wir  sie  das  lehren?  —  Die  Zeit  wird  es  thun  so  wie  sie  endlich, 
freilich  wenn  wir  schon  lange  von  des  Lebens  Mühe  ausruhen,  auch  alle  Wunden 

heilen  wird Wir  wollen  so  sorgfältig  es  sein  kann  die  Blumen  am  Wege 

des  Lebens  pflücken;  sind  es  in  diesem  rauhen  Winter  auch  nur  Schneeblürachen 
—  es  wird  ja  einst  wieder  Sommer  werden  —  Die  Rosen  werden  —  wenigstens 
unsern  Nachkommen  blühen." 

1)  Ueber  die  Familie  von  Domhardt  vergl.  Preuss.  Archiv,  October  1791. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLU.  Hft.  3  u.  4.  18 


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266  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Krokow  „auf  seinen  Gütern  hinter  Danzig  in  Pommern",  nennt 
dessen  Mutter  eine  sehr  geistvolle  Dame  und  Korrespondentin 
des  Grafen  v.  Herzberg  und  erzählt  dann  weiterhin  aus  Moh- 
rungen. 

„Kaplan  Trescho,  durch  seine  Sterbebibel  und  andere  Schriften  in  der 
gelehrten  Welt  bekannt  genug,  ist  in  seinem  Colibat  noch  so  völlig  wie 
sonst,  und  scheint  in  seinem  angehenden  Alter  sich  garnicht  zu  verändern. 
Die  Mohrunger  schreiben  ihm  einen  geistlichen  Stolz  zu,  und  hierin 
mögen  sie  wohl  nach  meinem  Urtheil  auch  nicht  so  unrecht  haben. 
Er  bat  mich  einmal  für  ihn  zu  predigen,  welches  denn  auch  ge- 
schah. Nach  der  Predigt  bat  er  mich  eine  Tasse  Kaffee  mit  ihm 
in  seinem  Gärtchen  zu  trinken,  wo  er  mir  aus  Unvorsichtigkeit  fast 
die  ganze  Kanne  brühenden  Kaffees  auf  die  schwarze  Kleidung  goß.  Es  ist 
aber  nicht  viel  davon  mehr  zu  kennen  und  das  Wenige  ist  mir  Erinnerung  an 
ihn  u  jenen  Sonntag.  Er  deprecirte  mich  deswegen  sehr  und  machte  Abends 
beym  Essen  alles  durch  seine  aufgeweckte  Laune  wieder  gut,  ob  ich  ihm  gleich 
diesen  kleinen  Fehler  auf  der  Stelle  von  Herzen  gern  verzieh.  Sonst  lebt  er 
einen  guten  Tag,  und  ist  doch  dabey  recht  wirtschaftlich.  Wenn  der  liebe 
Mann  sich  nur  nicht  so  sehr  in  alle  Angelegenheiten  der  Morungschen  Ge- 
meine mischen  möchte.  Viele  sind  deswegen  mit  ihm  nicht  so  ganz 
zufrieden." 

„Am  27  August  besuchte  mich  Vormittag  der  Landschaftskanzellist 
Fritsch  und  bat  mich  mit  meinem  Schwager  auf  Nachmittag  zu  sich.  Ich 
nahm  diese  Einladung  um  so  lieber  an,  da  ich  dann  Anlaß  fand  von  dem 
neuen  Institut  der  Mohrungschen  ökonomisch  physikalischen  Gesellschaft  näher 
unterrichtet  zu  weiden.  Es  freute  mich  sehr  nicht  nur  hierin  zu  meinem 
Zweck  zu  kommen,  sondern  auch  das  neu  angelegte  Naturalienkabinet  und 
die  zum  Behuf  der  Experimentalphysik  angeschafte  Instrumente  zu  sehen. 
Mit  der  vorletzten  Post  hatte  die  Mutter  des  genannten  Grafen  v.  Krokow 
einen  sehr  ansehnlichen  Beitrag  von  vielen  zum  Theil  seltnen  Naturalienstücken 
der  Gesellschaft  als  ein  Geschenk  geliefert,  und  es  zugleich  als  ihr  Mitglied 
mit  einem  Schreiben,  das  ich  als  etwas  Interessantes  zum  Durchlesen  erhielt, 
begleitet.  Da  dies  Geschenk  noch  so  wie  es  angekommen  war  in  einem  Be- 
hältniß  eingepackt  sich  befand,  so  bat  mich  der  Kanzellist  Fritsch,  der  zugleich 
Bibliothekar  der  Gesellschaft  ist,  ihm  in  Anordnung  und  Aufstellung  dieser 
Sachen  nach  der  Anweisung  des  dabey  befindlichen  Verzeichnisses  behül flieh 
zu  seyn.  Dies  that  ich  recht  gerne,  und  sähe  da  manches  schöne  Stück  das 
mir  noch  nie  zu  Gesicht  gekommen  war,  Alles  war  für  mich  sehr  interessant, 
sowohl  die  Sammlung  von  Conchylien  als  Mineralien.  Unter  den  erstem  ge- 
fiel   mir  ungemein  die  große  Flügelschnecke  mit  rother  Mündung,  die  Pabst- 


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Von  Arthur  Warda.  267 

kröne  und  Bischofsmütze,  eine  Anzahl  feiner  Perlen,  u  unter  letztern  sah  ich 
verschiedne  Marmorarten,  besonders  ein  Stück  Kararischen  Marmor,  rohe  Erze, 
und  verschiedene  Versteinerungen,  auch  noch  den  Asbest  und  Otaheitische 
Leinewand.  Unter  der  altern  Sammlung,  welche  ein  Geschenk  von  der 
Generalin  von  Schulz  auf  Karmitten  ist,  befinden  sich  unter  andern  Selten- 
heiten verschiedene  Petrefakten,  die  Rose  von  Jericho,  die  in  ein  Glas  Wasser 
gesetzt  die  Nacht  über  aufblühet,  einen  kleinen  künstlichen.  Spinnrocken  aus 
Elfenbein  gedrechselt,  dessen  Ringel  man  nur  durch  ein  Mikroskop  erkennen 
kann.  Die  Generalin  hat  der  Gesellschaft  auch  drey  Alterthumsstücke  ge- 
schenkt, die  ich  in  meinen  Händen  hielt  und  mit  besondern  Empfindungen 
betrachtete.  Eins  ist  eine  Helleparde  aus  der  bekannten  Tannenbergschen 
Schlacht  vom  14ten  Jul.  1410  her;  das  andere  ist  ein  Tatarisches  Messer 
dessen  Stiel  schon  etwas  petrefecirt  ist  und  das  dritte  Stück  ist  ein  alter 
silberner  Sporn,  den  die  deutschen  Ordensritter  getragen,  und  von  den  heurigen 
in  Ansehung  seiner  Form  sehr  abweicht.  Diese  Antiquitäten  sind  beym  Aus- 
pflügen des  Ackers  im  Oberlande  gefunden  worden.  Die  Gesellschaft  hat 
auch  viele  hölzerne  Modelle  von  neuen  Ackergeräthschaften  verfertigen  lassen, 
nach  diesen  werden  größere  gearbeitet  uud  damit  Versuche  gemacht.  Das 
Junkersche  Sonnen mikroskop  mit  allem  Zubehör  besitzt  sie  auch,  und  der 
Graf  v.  Dohna  auf  Schlobitten  hat  für  sie  eine  große  Elektrisirmaschine  mit 
dem  vollständigen  Apparat  angekauft.  Dieser  Graf  läßt  auch  in  dem  Schlosse 
einen  langen  Speisesaal  für  sie,  so  wie  ein  besonderes  Zimmer  für  ihre  Biblio- 
thek bauen,  und  wendet  überhaupt  viel  darauf.  Ehe  wir  noch  fortgingen,  las 
ich  zuerst  die  vom  Könige  u  dem  Grafen  v.  Herzberg  unterzeichnete  Urkunde 
u  Bestätigung  dieser  Gesellschaft  durch,  u  ließ  mir  zugleich  einen  Abdruck 
von  ihrem  großen  Siegel  geben.  Der  große  Graf  v.  Herzberg  nimmt  sich 
dieses  Instituts  sehr  thätig  an,  und  will  vorzüglich  dabey  die  größere  Seiden- 
kultur beabsichtigen.  Er  erwähnt  in  seinen  in  der  öffentlichen  Versammlung 
der  Akad.  d.  Wissensch.  gehaltenen  Vorlesungen  am  26ten  Januar  d.  J.  der 
drey  itzt  gestifteten  patriotischen  Gesellschaften  in  den  preußischen  Ländern, 
nehm  lieh  (wie  die  Berl.  Monatschr.  es  anzeigt)  in  Ökonomischer  Absicht:  1.  zu 
Mob  ran  gen  in  Preußen,  2.  zu  Potsdamm  in  der  Kurmark,  3.  zu  Hamm  in 
der  Grafschaft  Mark;  dann  auch  der  militärischen  Gesellschaft  in  Wesel. 
Die  Akten  der  Mohrungschen  Gesellschaft  sind  neulich  gedruckt,  u.  den 
lsten  Band  davon  hat  Nikolovius  in  Commission"1). 

1)  In  seinem  Tagebuch  hat  Puttlich  unter  dem  27.  August  1792  vermerkt: 
„ .  .  .  .  nachher  das  neuangelegte  Naturaliencabinet  der  vereinigt  physikalisch- 
ökonomisch-patriotischen Gesellschaft  besehen,  wozu  die  Generalin  v.  Schulz  auf 
Karmitten  u.  die  Mutter  des  Grafen  v.  Krokow  manche  seltne  Stücke  der 
Gesellschaft  geschenkt  hatten.  Es  war  auch  eine  Elektrisirmasehine  vom  verst. 
Prof.  Bück  in  Königsb.  wie   auch    das    Junkersche  Sonnen  mikroskop    wie   auch 

18* 


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268  Aus  dem  Leben  des  Pfarrer»  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Wie  Puttlich  in  früheren  Jahren  gelegentlich  von  Klingbeck 
aus,  jedoch  nur  auf  wenige  Tage,  nach  Königsberg  gefahren  war, 
geschah  dies  auch  Ende  Januar  1793.  Hier  schloß  nun  Puttlich 
den  Herzensbund  mit  "Wilhelmine  Assum,  ergreifend  sind  die 
Worte,  die  er  unter  dem  1.  Februar  1793  in  seinem  Kalender 
eingeschrieben  hat. 

„Einer  der  wichtigsten  meiner  Lebenstage,  denn  an  ihm  knüpfte  die 
auf  reine  Freundschaft  gegründete  Liebe  ein  schönes  Band  zwischen  mir  und 
meiner  Assum,  da  sich  unsere  Herzen  wechselseitig  ihre  Zuneigung  zu  erkennen 
gaben  u.  zwar  mehr  durch  redende  Blicke  als  Worte.  Mit  dem  festen  Ver- 
trauen auf  die  allsegnende  Gottheit,  die  uns  nach  so  manchen  Prüfungen  ein- 
ander finden  ließ,  knüpften  wir  unter  der  Aufsicht  unsere  Allvaters  das  Band, 
um  gemeinschaftlich  nach  seinem  gütig  weisen  Willen  mit  vereinten  Kräften 
auch  unser  Scherflein  zum  Besten  der  Menschheit  beyzutragen  u.  bey  diesem 
Streben  das  Gute  dieses  Lebens  zu  genießen"1). 

Bald  sollte  nun  Puttlich  öfter  als  früher  Gelegenheit  zu 
persönlichem  Verkehr  mit  seiner  Braut  haben,  denn  auch  seine 
Stellung  in  Gr.  Klingbeck  erreichte  in  diesem  Jahr  ihr  Ende, 
da  seine  jüngsten  Zöglinge  in  das  Groebensche  Stipendienhaus 
in  Königsberg  i.  P.  aufgenommen  wurden.  Ende  April  1793 
verließ  Puttlich  Klingbeck  und  zog  zunächst  nach  Königsberg2). 
Von  hier  aus  finden  wir  ihn  dann  besuchsweise  abwechselnd  in 


Modelle  verschiedener  Ackergeräthschaften  u.  andrer  ökonomischer  Sachen  befind- 
lich. Das  Schloß  gehört  dem  Grafen  zu  Dohna  auf  Schlobitten  u.  er  ließ  jetzt 
noch  einen  großen  Speisesaal  wie  auch  Bibliothekzimmer  der  Gesellschaft  auf 
den  Flügel  bauen.  Pritsch  gab  mir  einen  Abdruck  von  dem  großen  Siegel  der 
Gesellschaft  u.  zeigte  mir  auch  die  vom  Könige  u.  dem  Grafen  v.  Herzberg 
unterzeichnete  Dokumente  u.  Urkunden  vor.** 

\)  Bei  einem  Besuch  in  Mohruugen  bringt  er  am  23.  Februar  1793  die 
Gesundheit  seiner  Braut  lauter  als  die  „für  unsern  würdigen  Professor  Kant"  aus. 

2)  Von  einem  Besuch  der  Loge  hier  berichtet  er  in  seinem  Tagebuch 
unter  dem  4.  Mai  1793:  „Nachmittag  ....  führte  uns  HE.  v.  Brfuinvisch]  in 
die  3  Kronenloge  am  holländschen  Baum  ....  Wir  spazierten  iin  Logengarten 
umher,  sahen  die  Bibliothek  u.  wurden  auch  unter  dem  Versprechen  zu  schweigen 
oben  in  den  Logensaal  geführt,  wo  wir  verschiedene  sinnbildliche  Statuen  u. 
Gemähide,  die  sich  auf  den  Orden  beziehen,  sahen.  Im  Hintergrunde  war  eine 
Sonne  mit  den  3  Kronen,  dem  Triangel,  Zirkel  usw.  u.  mehr  nach  vorne  der 
Rednerstuhl " 


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Von  Arthur  Warda.  269 

Mohrtrogen1),  Lauth,  Jesau,  auch  Klingbeck.  Im  Juli  1793  machte 
Puttlich  mit  dem  Bittmeister  v.  Domhardt  eine  Reise  ins  Ober- 
land, auf  welcher  sie  in  Mohrungen  die  Sammlungen  der  physi- 
kalisch-ökonomischen Gesellschaft  besuchten  und  sich  als  die 
ersten  in  das  Buch  der  Besucher  des  Kabinets  einzeichneten. 

Da  aber  Puttlich  sah,  daß  er  auf  die  Dauer  seinen  Unter- 
halt in  Königsberg  nicht  würde  bestreiten  können,  und  ohne 
ein  einigermaßen  sicheres  Einkommen  auch  an  eine  Heirat  noch 
nicht  denken  konnte,  entschloß  er  sich  gegen  Ende  des  Jahres 
1793  zunächst  zur  Annahme  einer  Stellung  bei  dem  General 
von  Franken berg  in  Osterode,  dessen  Gemahlin  eine  Schwester 
des  Bittmeisters  von  Domhardt  war,  —  als  Erzieher  des  einzigen 
Sohnes  Moritz  und  Lehrer  von  zwei  Töchtern.  Diese  Stellung 
die  Puttlich  im  Anfang  des  Jahres  1794  antrat2),  sollte  ihm 
durch  das  wenig  fügsame  und  manchmal  lieblose  Verhalten 
seines  namentlich  von  der  Mutter  sehr  verwöhnten  Zöglings  oft- 
mals verleidet  werden,  so  daß  Puttlich  sich  schließlich  genötigt 
sah,  brieflich  die  Autorität  des  meist  von  Hause  dienstlich  ab- 
wesenden Generals  anzurufen,  jedoch  ohne  andauernden  Erfolg. 
Da  trat  ein  Ereignis  ein,  das  Puttlich  aufs  neue  ernstlich  an 
die  Sicherung  seiner  Zukunft  denken  ließ.  Am  1.  Januar  1795  starte 
plötzlich  der  General  von  Frankenberg,  nachdem  er  kurz  vorher 
nach  Hause  zurückgekehrt  war.  Puttlich  lag  es  nun  zunächst 
ob,  im  Auftrage  der  Generalin  an  den  König,  den  Kronprinzen 
an  die  Prinzen  und  verschiedene  hohe  Staatsbeamte  die  Nach- 
richt von  dem  Tode  des  Generals  zu  übermitteln.  Er  benutzte 
diese  Gelegenheit,  um  in  einem  besonderen  Briefe  vom  14.  Ja- 
nuar 1795  an  den  Kronprinzen  sich  mit  Moritz  „seiner  huldreichen 
Fürsorge"  zu  empfehlen.  Er  erzählt  dies  in  einem  Briefe  an 
seine  Braut  vom  7.  Februar  1795: 

„An   die   königliche  Prinzen    ....   schrieb  ich  nun  im  Namen  der 
Generalin  Trauerbriefe,  ja  mit  ihrer  Bewilligung  fügte  ich  dem  Schreiben  an 


1)  Hier   hat  er   am   21.  November  1793   ein  Gespräch   mit   dem  Pfarrer 
Copinu»  über  Kant«   „Religion   innerhalb   der   Grenzen    der   bloßen  Vernunft". 

2)  Er  wohnte  dort  im  Hause  des  Buchbinders  Leppert. 


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270  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

den  Kronprinzen  ein  eignes  von  mir  bey,  worin  ich  Moritzen  und  mich  selbst 
seiner  von  mir  geglaubten  viel  vermögenden  Fürsorge  empfahl.  Doch  wurde 
ich  in  der  Folge  durch  mehrere  Erzählungen  von  seiner  vorsätzlichen  Ent- 
fernung alles  Einflusses  auf  Regierungsgeschäfte  in  seinen  gegenwärtigen 
Verhältnissen  veranlaßt  einen  günstigen  Erfolg  davon  zu  bezweifeln,  wie 
Du  ....  hernach  lesen  wirst." 

Denn  bereits  am  3.  Februar  hatte  Puttlich  in  seinem 
Tagebuch  vermerkt: 

„Alle  meine  auf  einen  günstigen  Erfolg  meines  Schreibens  an  den  Kron- 
prinzen gegründete  Hoffnungen  waren  vergebens,  denn  die  Generalin  erhielt 
heute  folgende  Zuschrift  vom  Kronprinzen: 

Wohlgeborne,  besonders  liebe  Frau  Generalin! 

Sie  können  überzeugt  seyn  daß  das  Ableben  des  Generalmajors  von 
Franken berg,  Ihres  Gemahls  ein  aufrichtiges  Bedauern  bei  mir  gefunden 
hat  und  daß  sein  Andenken  einen  unveränderlichen  Werth  bey  mir  behalten 
wird.  Sollte  ich  im  Stande  seyn  wenigstens  Ihrem  HE.  Sohne  davon  in  der 
Folge  Beweise  zu  geben;  so  wird  solches  mit  Vergnügen  geschehen,  obgleich 
ich  bedauern  muß,  daß  ich  die  Wünsche  seines  Erziehers  wegen  einer  Feld- 
prediger Stelle  in  meinem  Verhältnisse  und  nach  meinen  Grundsätzen  nicht 
befördern  kann.  Indessen  danke  ich  Ihnen  desto  mehr  für  die  in  dem 
Schreiben  von  11.  Januar  mir  geäußerte  Ergebenheit  und  verbleibe  gegen- 
seitig Ihr 

Berlin  wohlaffectionirter  Freund 

den  24ten  Januar  Friedrich  Wilhelm. 

1795. 

Durch  Bitten  der  Generalin  ließ  Puttlich  sich  bewegen, 
noch  weiter  in  seiner  Stellung  zu  verbleiben.1)  Indessen  bereits 
am  31.  März  1795  starb  auch  die  Generalin  v.  Frankenberg, 
und    nun   mußte  Puttlich    auf   sein    weiteres  Schicksal    bedacht 


1)  Gegen  Ende  März  ist  er  während  einiger  Tage  in  Königsberg,  wo  ihm 
der  Buchhändler  Nicolovius  erzählte,  „daß  sein  älterer  Bruder  in  Deutschland  eine 
Tochter  des  Geheimenratlis  Schlosser  (des  berühmten  jetzt  in  Anspach  privati- 
sirenden  Gelehrten)  heyrathen  würde.  Ferner  auch  von  der  Vergiftung  seiner 
Schwester,  der  Feldpredigern  Jedosch,  davon  jedoch  die  Sache  immer  im  Dunkel 
blieb".  Bezüglich  des  erstereu  Vorfalls  vergl.  Nicolovius,  Denkschrift  S.  58, 
bezüglich   des   letzteren    s.    Neue    Preuss.  Prov.   Blätter    Bd.   IX    S.  295. 


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Von  Arthur  Warda.  271 

sein.  Moritz  v.  Frankenberg  sollte  in  Königsberg  in  die  Armee 
eintreten,  und  seine  Schwestern  ebenda  weiter  erzogen  werden. 
Am  17.  Mai  1795  verließ  Puttlich  mit  den  Geschwistern 
v.  Frankenberg  Osterode,  um  dieselben  nach  Königsberg  zu 
begleiten;  am  21.  Mai  wurde  Moritz  v.  F.  dort  als  Soldat  ver- 
eidigt, am  10.  September  bereits  wurde  er  Offizier.  Auf  der 
Fahrt  nach  Königsberg  hielt  Puttlich  sich  mit  den  Geschwistern 
v.  Frankenberg  noch  einige  Tage  auf  dem  Gute  des  Geheimen 
Finanzraths  von  Domhardt,  ebenfalls  eines  Bruders  der  Generalin 
v.  F.,  in  Worienen  auf.  Ich  möchte  es  mir  nicht  versagen,  die 
eingehende  Schilderung,  die  Puttlich  von  dem  dortigen  Park  etc. 
entwirft,  im  Anhang  mitzuteilen. 

In  Königsberg  nahm  Puttlich  zusammen  mit  seinem  Freunde 
C.  B.  Fleischer  Wohnung  in  der  Magistergasse  in  dem  Billard- 
hause bei  Freudenberg  (zwei  Treppen  hoch),  und  nun  wurde  von 
ihnen  beiden  die  Gründung  einer  Erziehungsanstalt  in  ernst- 
hafte Erwägung  gezogen,  deren  Plan  Fleischer  bereits  bei  Putt- 
lichs  Anwesenheit  in  Königsberg  im  März  erörtert  hatte.  Um 
den  Text  der  Darstellung  nicht  zu  sehr  zu  unterbrechen,  verweise 
ich  betreffs  der  Ausgestaltung  und  Ausführung  des  Plans  auf  die 
im  Anhang  abgedruckten  Auszüge  aus  dem  Tagebuch  Puttlichs. 

In  der  gedruckten  „Andündigung  einer  Erziehungsanstalt 
für  zwölf  Zöglinge",  —  —  — *)  heißt  es:  „Eine  Erziehungsan- 
stalt einzurichten,  in  welcher  wir  Knaben  und  Jünglingen  Ge- 
legenheit darbieten  können,  gute  und  wohl  unterrichtete  Menschen 
zu  werden,  dies  ist  der  Gegenstand  unseres  Vorhabens".  An  die 
Darlegung,  wie  die  Zöglinge  zu  „guten  Menschen"  und  wie  sie 
zu  „wohl  unterrichteten"  Menschen  in  der  Anstalt  erzogen  werden 
sollen,  schließt  sich  folgende  Ausführung: 

„Beyde,  moralische  und  wissenschaftliche  Bildung  nun,  zu 
der   wir   unsern  Zöglingen  Gelegenheit   geben    wollen,    können 


1)  .  .  .  .  „welche  am  ersten  November  dieses  Jahres  zu  eröffnen  entschlossen 
sind  Christian  Friedrich  Puttlich  und  Carl  Bernhard  Fleischer,  Privatlehrer 
hierselbst.  Königsberg,  am  lßten  Julius  1795.  Gedruckt  bey  G.  L.  Härtung, 
Koni  gl.  Preuss.  Hof-  und  Universitäte-Buohdrucker." 


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272  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

jedoch  nur  dann  Fortgang  und  Anwendung  haben;  wenn  ihr 
Körper  eines  dauerhaften  Wohlbefindens  genießt.  Dies  also  zu 
erhalten,  zu  fördern,  und  zu  befestigen,  soll  zunächst  uns  ange- 
legentlich und  unausgesetzt  beschäftigen.  Und  zwar  sind  wir 
überzeugt,  hiefür  am  einfachsten  und  unfehlbarsten  durch  die 
natürlichen  Mittel  sorgen  zu  können,  welche  eine  vernünftige 
Lebensordnung  vorschreibt.  Diese  aber  sind  keine  andern  als 
zweckmäßige  Thätigkeit,  verbunden  mit  mancherley  Erholungs- 
belustigungen, (z.  B.  kleinen  Gartenarbeiten,  Spaziergängen  und 
Spazierfahrten,)  ferner,  eine  nach  den  besten  Regeln  der  Diä- 
tetik veranstaltete  Wahl  und  Bereitung  der  Speisen  und  Ge- 
tränke, so  wie  eine  jenen  angemessene  Mäßigkeit  im  Genuß  der- 
selben. Daß  wir  zu  diesem  Behuf  eines  durch  eine  freye  Lage 
und  innere  Bequemlichkeit  begünstigten  Wohngebäudes,  versehen 
mit  einem  geräumigen  Hofplatz  und  Garten,  bedürfen,  ist  eben 
so  ausgemacht,  als  es  uns  daher  willkommen  seyn  muß,  dies 
ganz  unsern  Wünschen  entsprechend,  bereits  erhalten    zu  haben". 

Auch  sollten  nicht  in  die  Anstalt  aufgenommene  Knaben 
an  einzelnen  Unterrichtsstunden  daselbst  mit  geringem  Kosten- 
aufwand teilnehmen  dürfen.  „Für  Wohnung,  Beköstigung, 
Feuerung  und  Bedienung"  wurden  166  Rth.  60  gr.  gefordert,  und 
„außer  der  notwendigen  Kleidung  und  Wäsche"  sollte  jeder  Zögling 
„die  erforderlichen  Betten,  ein  Bettgestell,  ein  Gedeck  Tisch- 
zeug, einen  silbernen  Eßlöffel  und  ein  Paar  Messer  und  Gabeltf 
mitbringen. 

Die  Ankündigung  hatte  einen  guten  Erfolg,  vorzugsweise 
Söhne  von  Adligen  wurden  als  Zöglinge  angemeldet,  und  das 
Unternehmen  war  daher  gesichert,  so  daß  Puttlich  nun  an  die 
Erfüllung  des  lange  von  ihm  und  seiner  Braut  gehegten  Herzens- 
wunsches, ihre  eheliche  Verbindung  denken  konnte.  Nachdem 
am  14.  Oktober  1795  die  Frau  Rittmeister  v.  Domhardt  in  ihrer 
stets  hilfsbereiten  Herzensgüte  erklärt  hatte,  als  Mutter  das 
Hochzeitsmahl  zu  geben,  fand  am  26.  Oktober  1795  die  Trauung 
des  Paares  in  der  Hospitalkirche  durch  den  mit  ihnen  befreundeten 
und  von  ihnen  innig  verehrten  Pfarrer  Fischer  statt. 


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Vod  Arthur  Warda.  273 

Mit  regem  Eifer  und  Interesse  widmeten  die  jungen  Gatten 
sich  alsbald  der  Ausbildung  ihrer  Zöglinge,  und  während  der 
nächsten  Jahre  hatte  die  Anstalt  auch  einen  guten  Fortgang,  wenn- 
gleich Puttlich  sich  zu  einem  öfteren  Wechsel  der  Lehrkräfte 
genötigt  sah,  teils  weil  diese  nicht  immer  sich  als  tüchtig  er- 
wiesen.1) Auch  Fleischer  trat  bereits  Ende  März  1796,  „weil  er 
viele  Schulden  zu  haben  vorgab,4*  aus  der  Anstalt  aus,  wohl  nicht 
zum  Schaden  derselben,  da  Puttlich  schon  vorher  von  mancher 
Seite  vor  der  Mitbeteiligung  Fleischers  wegen  des  Charakters 
desselben  gewarnt  war,  beide  blieben  aber  Freunde.  Das  häus- 
liche Glück  Puttlichs  wurde  noch  erhöht,  als  ihm  am  4  August  1796 
ein  Sohn  Friedrich  Otto  Wilhelm  und  am  10  Juli  1798  eine 
Tochter  Emilie  Friderike  Wilhelmine  geboren  wurde.  Aber  es 
scheint,  als  ob  im  Jahre  1798  die  Erziehungsanstalt  nicht  mehr 
einen  guten  Zuspruch  hatte,  denn  wir  finden  in  Puttlichs  Tage- 
buch die  Notiz,  daß  er  sich  am  24.  September  1798  schriftlich 
und  mündlich,  gestützt  auf  Empfehlungen  des  Kanzlers  v.  Ostau 
und  des  Professors  Schmalz,  dessen  Kinder  seine  Zöglinge  waren, 
an  den  damals  in  Königsberg  anwesenden  Minister  v.  Massow 
mit  der  Bitte  um  „Versetzung  in  eine  andere  Lage"  wandte, 
jedoch  erfolglos. 

Durch  seine  früheren  Königsberger  Bekanntschaften,  die 
Bekannten  seiner  Gattin,  durch  die  Familien  der  Zöglinge  seiner 
Erziehungsanstalt  sah  sich  Puttlich  bald  in  einem  Kreise  von 
Geselligkeit,  der  ihm  manche  seiner  geistigen  Beanlagung  er- 
wünschte Anregung  bot.  Im  Jahre  1799  erneuerte  Puttlioh  auch 
die  Bekanntschaft  mit  einem  damaligen  Lehrer  am  Kollegium 
Fridericianum,  dem  Prediger  Johann  Friedrich  Usko,  den  er 
auch  nach  Verlassen  der  Schule  öfters    im  Jahre  1782  im  Koll. 


1)  Im  October  1797  fand  auch  ein  Wohnungswechsel  statt,  denn  am 
12.  October,  heißt  es  im  Tagebuch,  „zogen  wir  aus  unserer  bisherigen  Wohnung 
in  der  Wilhelmstraße  aus  in  das  große  neue  Konopatzkische  Kaufmannsstift,  nahe 
der  Tragheimschen  Kirche,  in  die  Wohnung,  die  bisher  Oberst  v.  Holleben 
gehabt  u  die  er  nun  verlassen  hatte,  weil  die  verwittwete  Frau  Majorin  v.  Funk 
ihren  Mietkontrakt  an  mich  abgetreten  hatte". 


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274  Auß  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich, 

Frid.  besucht  hatte.1)  Was  Puttlich  über  den  Aufenthalt  Uskos, 
dieses  durch  seine  Schicksale  interessanten  Mannes,2)  in  Königs- 
berg im  Januar  und  Mai  1799  in  seinem  Tagebuch  berichtet, 
lasse  ich  im  Anhang  folgen. 


1)  Unter  dem  20.  November  1782  hatte  Puttlich  in  seinem  Tagebuch 
vermerkt:  „Nachmittag  nahm  ich  von  HE.  Usko  Abschied,  der  als  Prediger  der 
evangelischen  Gemeine  nach  Smirna  reiste.  Er  erhielt  denselben  Tag  von  den 
3  obern  Klassen  im  Kollegio  noch  ein  Abschiedsgedicht"  und  unter  dem 
29.  September  1784:  „Nachmittag  kam  der  mittlere  HE.  Nikolovius  der  Morgen 
mit  seinem  Jüngern  Herrn  Bruder  dimittirt  werden  sollte  zu  mir.  .  .  Ich  ging 
denn  mit  ihm  zusammen  zu  ihm.  .  .  Nikolovius  zeigte  mir  verschiedene 
Schriften  von  Herdern  und  auch  einen  Brief  den  der  HE.  Prediger  Usko  (unser 
vorige  Lehrer  im  Coli.  Fr.)  mit  warmen  Gefühl  u  voll  Feuer,  wie  er  dachte  u 
handelte  aus  Smirna  geschrieben  hatte  u  ohngefähr  nur  einen  Monath  unter- 
wegens  gewesen  war.  Er  schrieb,  daß  es  ihm  da  sehr  gefiele,  daß  er  die  Pest 
glücklich  überlebt  hätte  u  daß  er  nächstens  nach  Arabien  gehen  würde  um 
seine   große  Begierde  Arabische  Handschriften  aufzusuchen  befriedigen   könnet 

2)  Vergl.  über  Usko  Neue  Berlinische  Monatsschrift.  März  1799.  S.  234 ff. 
Altpr.  Monatsschr.  Bd.  XXXIX  S.  227  u.  später. 


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Von  Arthur  Warda.  275 


Anhang. 

Auszüge  aus  den  Tagebüchern  Christ.  Friedr.  Puttlichs. 

1782. 

15.  April   ging   in   das   erste  Kollegium  in  die  Logik  bey  dem   HE.  Professor 

Kant  um  6V3  Uhr  Morgens, 

16.  April.  Vormittag  bat  ich  den  HE.  Professor  Kant  das  Kollegium  der  physischen 

Geographie  gratis  zu  hören  u.  ich  erhielt  es  auch. 

17.  April    sollte   ich   zwar   das   physisch   geographische   Kollegium    schon    von 

8  bis  10  Uhr  hören  .... 

20.  April.    Morgens  wiederholte  noch  nicht  der  HE.  Professor  Kant  die  Logik 

sondern  er  las  nur  von  8  bis  10  die  phys.  Geogr. 

21.  September.     Der  HE.  Professor  Kant  schloß  die  physische  Geographie. 

14.  October.    Der  HE.  Professor  Kant  fing  von  7—8  die  Metaphysik  an. 

15.  October.    Ich  ging  um  9  mit  dem  HE.  Nicolovius  zum  HE.  Prof.  Kant. 

Ich  bat  mir  das  Kollegium  frey  aus  u.  HE.  Nicolovius  pränumirirte  u. 
subskribirte. 

16.  October.     Der  HE.  Professor  Kant  fing  die  Anthropologie  an. 

5.  November.    Ich    war    pro    hospite    in    der    philosophischen    Moral    beim 
HE.  Prof.  Kant. 

18.  November.     Ich  wohnte  den  Feierlichkeiten  der  Schule  in  der  Altstadt  bei, 

die  das  Jubiläum  ihres  Lehrers  Rektor  Daublers,  der  schon  50  Jahr 
Rektor  gewesen  war,  feyerte.  Die  Schule  war  gedrängt  voll  von  Geistl., 
Doktoren,  Professoren,  konditionirten  Leuten  11.  Studenten.  Es  war 
Musik  mit  Pauken  u.  allerlei  Instrumenten.  Eine  jede  Klasse  brachte 
ihm  ein  Karmen.  Er  selbst  wurde  so  sehr  gerührt  daß  er  weinte,  wie  er 
Gott  dankte  auf  der  Katheder  in  Prima.    Dies  geschähe  Vormittag. 

1783. 

5.  Januar schrieb   beym  HE.  Mohr   das  Vorspiel   betitelt   der    Opfer= 

priester  eine  Scene  der  Vorwelt,  wovon  HE.  Mohr  selbst  Verfasser  war 
und  es  mir  diktirte,  um  es  der  Madame  Schlich  zu  geben,  die  es  auf  den 
Krönungstag  auffuhren  wollte. 


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276  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

11.  Januar.  Vormittag  kam  ein  Rigischer  Kaufmann  HE.  Behrends  in  die 
Anthropologie. 

24.  Januar.  [Königs  Geburtstag]  ....  von  11—12  hielt  ein  Junker  vom 
Henkeischen  Regiment  Engel  Ludwich  Stach  a  Golzheim,  der  auch  die 
physische  Geographie  bey  Kant  gehört  hatte,  eine  lateinische  Rede. 

29.  März.     HE.  Prof.  Kant  schloß  die  Anthropologie. 

7.  Mai.  Morgens  um  8  Uhr  ging  ich  zu  HE.  Prof.  Kant  der  die  physische 
Geographie  zu  lesen  anfing.  Entschloß  mich  aber  zugleich  wegen  Kürze 
der  Zeit  nicht  dies  Som  mm  erhalbe  Jahr  zu  wiederholen. 

3.  October.  In  dieser  Nacht  starb  HE.  Lauson  ein  Dichter,  von  dem  seine 
Stegreif verse  bekannt  sind. 

21.  Oktober.  HE.  Konsistorialrath  Rekkard  erwähnte  des  seel.  Probst  Süß- 
milchs  u.  des  Herders  Schrift:  die  Frage  betreffend  ob  das  erste  Menschen- 
paar die  Sprache  mittelbar  oder  unmittelbar  von  Gott  empfangen  hätte. 
Worauf  HE.  Konsist.  Rekk.  jener  das  Lob  u.  den  Vorzug  vor  dieser 
ertheilte  ob  Herders  Antwort  auf  diese  Preisfrage  gleich  gekrönt  worden 
ist.  Ueberhaupt  schien  er  wenig  auf  Herdern  zu  halten.  Süßmilch 
behauptete  in  einer  ganz  planen  deutlichen  doch  dabei  philosophischen 
Styl  sie  hätten  sie  unmittelbar  von  Gott  erhalten.  Letzterer  behauptete 
in  einer  finstern  dunkeln  Schreibart  das  Gegentheil. 

28.  November.     HE.    Doktor    [Rekkard]    rühmte    Kants    Kritik    der    reinen 

Vernunft. 

29.  November,     [bei  John]   Es   wurde  verschiedenes   von   gelehrten  Sachen    ge- 

sprochen. Unter  andern,  daß  sich  der  König  bei  dem  Kanzler  Korf 
erkundigt  hatte,  ob  hier  noch  die  deutsche  Gesellschaft  ezistirte,  die 
jetzt  wieder  errichtet  werden  sollte  u.  Kirchen rath  Hennig  der  Director 
davon  seyn  sollte.  HE.  Kammersekretär  war  auch  Ehrenmitglied  davon 
u.  er  fragte  mich  nun  ob  ich  dazu  auch  in  Vorschlag  gebracht  werden 
sollte?    HE.  Brahl  wollte  sich  dazu  nicht  verstehen. 

1784. 

19.  Mai.  [Bei  John]  Abends  war  die  Stritzeln  u.  Herklots  der  wieder  in 
Königsberg  war,  zum  Essen,  ßrahl  auch  dazu.  Es  wurde  von  ver- 
schiedenen litterärischen  Dingen  gesprochen.  Nikolais  Reisen  wären  von 
keinem  sonderl.  Werth,  sowie  Sanders.  Briefe  eines  reisenden  Franzosen 
über  Deutschland  die  berichtigt  und  verbessert  herauskämen  wären 
schön.  Verfasser  davon  ist  HE.  von  Brenkenhof  in  Speyer  bey  dem 
Madame  de  la  Roche  Herausgeberin  der  Pomona  für  Deutschlands  Töchter 
logirte.  In  Göckings  Journal  kämen  zuweilen  in  Nachrichten  von  Cor- 
respondenten  Unrichtigkeiten  vor  wie  die  unter  dem  Artikel  aus  Königs- 
berg  von  Oberbauinspektor  Dietrich   u.  Hofseiler  Walter   (u.  doch   wohl 


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Von  Arthur  Warda.  277 

wahr.)  Göckings  Correspondent  in  Königsberg  wäre  wohl  HE.  Prof. 
Holzhauer.  Brahl  sagte  die  Recension  von  Metzgers  Medicina  rurali  in 
den  letzten  Dengeischen  Zeitungen  wäre  von  Hofrath  Metzger  selbst,  der 
sich  außerordentlich  sehr  selbst  gelobt  hatte. 
24.  Mai.  [Bei  John]  Bey  Tische  wurde  von  vielen  Dingen  gesprochen  als  daß 
Bahrdts  Briefe  über  die  Bibel  im  Volkston  sehr  schön  wären,  daß  der 
Licentinspektor  Hamann  die  Nachricht  daß  Reimarus  wirkl.  Verfasser 
der  berüchtigten  Fragmente  oder  wie  sonst  ihr  Titel:  Über  den  Zweck 
Jesu  u.  seiner  Jünger  wäre,  aus  einer  sichern  Hand  hätte  (Dies  wider- 
spricht ganz  dem  was  Rekkard  davon  erzählt  wie  auch  dem  daß  Ober- 
konsistorialrat  Silberschlag  ein  Schwärmer  wäre)  ferner  daß  der  Candidat 
Jänisch  alle  Woche  einen  Freytisch  bey  dem  eben  verstorbenen  Minister 
Rhod  gehabt.  Jänisch  wurde  nehml.  dem  Rhod  zum  Vorleser  empfohlen, 
aber  er  gefiel  ihm  hierin  nicht,  doch  aber  gab  er  ihm  jede  Woche  einen 
Tisch.  Es  wurde  gesagt  der  Minister  Rhod  wäre  sehr  geitzig  nun  fiel 
das  Urtheil  verschieden.  Brahl  erzählte,  daß  Prof.  Kant  gesagt  haben 
sollte:  Der  Geiz  bey  Reichen  wäre  von  ganz  andrer  Art  als  der  bey 
Geringeren.  Letztere  nehml.  lebten  ganz  karg  u.  verschließen  sich  ganz 
einsam  um  keinen  Aufwand  zu  machen.  Erstere  aber  haben  oft  große 
Gesellschaft  bey  Tisch  traktiren  herrlich  aber  auf  Kosten  der  Unter- 
gebenen u.  andrer  Leute,  denen  sie  von  ihrem  Verdienst  etwas  abzuziehen 
suchen. 

19.  Juli hörte  ich  alle  halbe  Stunde  auf  dem  Colleg.  Albertin.  klingern 

ich  ging  hin  u.  fand  ganz  unerwartet,  daß  Prof.  Mangelsdorf  disputirte, 
er  war  Praeses.  Ein  gewisser  Student  Wiehert,  der  aber  nicht  viel  zu 
sagen  wußte,  war  Respondens  u.  die  Studenten  Hahnrieder  u.  Kruse 
waren  Opj>onentes.  Nachmittag  ging  wieder  hin,  traf  da  auch  den  Nico- 
lovius.  Opponenten  waren  der  Prof.  Köhler,  der  mit  dem  Mangelsdorf 
gut  davon  kam  (denn  der  Student  Wiehert  sagte  mir  sehr  wenig  u. 
schlecht,  aber  der  Prof.  Reusch,  eben  nicht  ein  guter  Freund  von  Mangels- 
dorf, zankte  sich  mit  ihm  brav  herum,  kam  aber  endlich  auf  lächerliche 
Dinge,  um  5  Uhr  wurde  alles  geendet. 

22.  Juli ging   ich   ins  Audit.   max.    wo   der  Prof.  Graf  disputirte.     Es 

war  zieml.  voll.  Der  Oberhofprediger  [Schulz]  war  Präses,  Prof.  Graf 
Respondens  u.  Opponenten  erstl.  der  Student  Keber,  den  ich  wenig  hörte, 
aber  seine  Sache  gut  machte,  hernach  der  Student  Jenisch,  der  lange  u. 
mit  vieler  Heftigkeit  opponirte,  so  daß  ihm  selbst  der  Oberhofpr.  sagte, 
er  möchte  seine  Lunge  nicht  so  stark  angreifen.  Er  sagte  darauf,  laut 
sprechen  wäre  gut,  auf  die  Art  könnte  ihn  jeder  verstehen.  Er  wurde 
sehr  hitzig  u.  gestikulirte  sich  schwitzig,  redete  fertig  latein  u.  ließ  den 
Präses   u.  Respondens   selten  zum  Wort   kommen.     Der  Student  Brandt, 


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278  Aus  dem  Leben  des  Pfarrere  Christian  Friedrich  Puttlich. 

des  Kaplan  Brandt  Sohn,  war  der  Dritte.  Der  machte  es  weniger  gut, 
u.  konnte  auch  nicht  im  Latein  fortkommen.  Beym  Herausgehen  dankte 
der  Kaplan  Brandt  dem  Oberhof prediger  u.  dem  Doktorandus  für  die  ge- 
neigte Belehrung,  die  sie  seinem  Sohne  gegeben  hätten.  Nachmittag 
ging  ich  wieder  hin  u.  nach  drey  Uhr  erst  wurde  wieder  disputirt.  Nun 
opponirte  erst  der  fertige  Lateiner  HE.  Dokt.  Pisansky  mit  vielem  Feuer 
recht  lange  u.  hernach  der  Dokt.  Bcecard  nicht  viel  kürzer.  Der  Ober- 
hofprediger trug  seine  Sachen  zwar  nicht  in  solchem  schönen  Latein  als 
Pisansky  doch  aus  dem  rechten  Punkte  vor.  Graf  konnte  nicht  viel  La- 
tein sprechen  u.  also  nicht  so  viel  auf  die  Sachen  als  die  Sprache  merken. 
29.  Juli.  Ich  ging  ....  ins  Auditorium  Maximum,  wo  der  Prof.  Graf  zum 
Dokt.  erwählt  wurde.  Musik  u.  Pauken  waren  da.  Ein  zahlreiches  Audi- 
torium. HE.  Oberhofprediger  Schulz  hielt  erst  eine  lange  Rede  u.  ver- 
glich den4  Sokrates  mit  Christus.  Nachbar  trat  der  Akademische  Sekretär 
Wattmann  auf,  las  dem  Doktorand  Graf  den  Schwur  vor.  Graf  legte 
den  Finger  auf  den  Zepter  u.  sagte  iuro.  Am  Ende  stieg  der  Doktorand 
Graf  auf  die  höhere  Katheder  zum  Oberhofprediger.  Letzterer  setzte  ihm 
den  Doktorhut,  einen  runden  Purpurhut,  auf,  steckte  den  Doktorring  auf 
Grafs  Finger,  gab  ihm  einen  Kuß  als  Mitbruder  u.  machte  ihm  eine 
große  Bibel  auf,  sagte,  er  sollte  auch  über  die  Sache  selbst  nachdenken 
u.  andeie  dergleichen  Ceremonien.    Um  12  war  der  Aktus  zu  Ende. 

1785. 

10.  Januar.    Nachmittag  hörte  ich  wieder  den  HE.  Doktor  Pisansky,  der  seine 

Vorlesungen  in  der  christlichen  Moral  fortsetzte.  Der  gute  Mann  denkt 
wirklich  ziemlich  steif  in  Ansehung  der  Meynungen  einiger  Religionssätze, 
so  wie  überhaupt  sein  ganzer  Anstand,  sein  äusseres  Betragen  ausser- 
ordentlich steif  und  peinlich  ist. 

11.  Januar.      Herr   Buchhändler   Dengel   kam   zum   Berdau  ....    Der  Mann 

nahm  mich  sehr  für  sich  ein.  Er  zeigte  sich  so  zuvorkommend,  freundlich 
u.  zuthätig,  daß  er  uns  allen  sehr  gefiel  Ich  fragte  ihn.  ob  er  noch 
den  Buchhandel   hätte,    weil    ich  erfahren,   daß   er   ihn   an  einen  andern 

verkauft Er  sagte,  dem  Menschen,  der  von  ihm  den  Buchhandel 

kaufen  wollte,  hätte  die  Sünde  leid  gethan  u.  wäre  zurückgetreten,  er 
müßte  ihn  also  noch  länger  behalten.  Berdau  sagte,  der  Härtung  thäte 
ihm  großen  Abbruch.  Er  erwiderte,  er  wolle  so  lange  alles  aus  seinem 
Beutel  zusetzen,  bis  sich  sein  Geschick  ändert,  vielleicht  würde  Härtung 
nachgebender  und  durch  seine  Geduld  ermüdet  werden.  Er  wolle  ihn 
nicht  beleidigen,  sondern  ihm  alles  Glück  gönnen.  Wie  schön  dachte 
hier  dieser  vortreffliche  Mann. 
18.  Januar.  Heute  feyerte  unsre  Akademie  das  Preußische  Krönungsfest.  Ich 
ging  .  .  .  .  ins  Auditorium  Maximum.     Der  Aktus  war  schon  längst  an- 


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Von  Arthur  Warda.  279 

gegangen  und  ein  Junker  v.  Wegner  vom  Anhaltschen  Regiment  hielt 
unter  dem  Vorsitze  des  Professor  Mangelsdorfs  eine  lateinische  Rede. 
Er  hatte  viele  Zuhörer.  Selbst  der  Generallieutenant  u.  Gouverneur 
von  Anhalt  mit  vielen  Officieren  wareu  dabey  gegenwärtig. 

24.  Januar.     Des   Mittags   ging   ich  ....  ins  Auditorium  Maximum,    wo   ein 

Actus  zur  74jährigen  königlichen  Geburtsfeyer  war.  Wir  kamen  eben 
dahin,  wie  er  anging.  Generallieutenant  von  Anhalt,  der  Kanzler  Korf, 
der  General  Rothkirch,  viele  Officiere,  der  Senat  u.  das  ganze  Auditorium 
war  voll  Zuhörer.  Professor  Mangelsdorf  hielt  eine  lateinische  Rede  u. 
zog  eine  Parallele  zwischen  Ludwig  dem  14ten  u.  unserm  Friedrich  u. 
zeigte  die  Vorzuge  des  letztern  vor  dem  Gallier. 
8.  März.  [Nicoloviii8]  erzählte  mir  im  Vertrauen,  daß  sein  mittlerer  Bruder 
Buchhändler  einst  werden  wollte  u.  in  dieser  Absicht  nach  Berlin 
gehen  würde. 

25.  März.     [Charfreitag.]    Ich  ging  mit  [Nicolovius]  gleich   nach  der  Predigt  in 

die  königlich  deutsche  Gesellschaft,  musten  aber  warten,  bis  wir  endlich 
hineingedrängt  wurden.  Lange  hernach,  wie  der  Canzler  Korf  kam, 
stürzte  der  ganze  Haufe  herein  u.  es  wurde  sehr  voll.  Der  Kandidat 
Wutschky  hielt  eine  schöne  Rede  über  die  wohlthätige  Folgen  u. 
Wirkungen  des  Todes  Jesu.  Der  Tod  Jesu  war  wohltätig  in  Ansehung 
der  Ausbreitung  reinerer  Gotteserkenntnis  in  Judäa  u.  auf  der  ganzen 
Erde;  2.  der  Ausbreitung  ächter  Tugend,  Menschenliebe  u.  Religions- 
duldung u.  3.  der  Auebrei tuug  der  Privatglückseligkeit.  Es  war  auch 
hübsche  Musik. 

13.  April ging  um  TVaUhrzu  Herrn  Prof.  Kant,  um  die  Vorlesungen  in 

der  Physischen  Geographie  zum  erstenmahl  zu  wiederholen.  Ich  sprach 
da  auch  den  Nikolovius  u.  den  Fleischer.  Der  Hörsaal  war  sehr  voll 
Zuhörer. 

18.  April.  Ich  versuchte  nach  dem  philosophischen  Gange  zu  gehen  u.  glaubte 
es  würde  noch  Eis,  Schnee  oder  viel  Wasser  u.  also  schlecht  zu  gehen 
seyu,  allein  wie  sehr  verwunderte  ich  mich  mit  innrer  Freude,  als  ich 
den  Gang  so  trocken  wie  auf  der  Diele  fand.  Ich  begegnete  viele  Leute 
u.  auch  den  Herrn  Prof.  Kant,  der  einsam  in  Gedanken  vertieft,  auch  hier 
wandelte  ....     Um  6  Uhr  kam  ich  nach  Hause. 

21.  April ging   ich   mit  dem  größten  Theil  der  Rekkardschen  Zuhörer 

zum  Oberhofprediger  Schulz  u.  eilte  voran.  Der  Hörsaal  aler  ward  so 
voll,  daß  die  Herren  zur  Treppe  gedrängt  standen.  Und  wie  der  Ober- 
hof prediger  kam,  konnte  er  nicht  hinein.  Er  sagte  also:  meine  Herren, 
wollen  Sie  mir  heute  Veniam  geben,  so  werde  ich  morgen  im  großen 
Auditorio  lesen?  Welch  ein  herablassendes  edles  u.  feines  Betragen  von 
dem  würdigen  in  der  That  geschickten  Manne?  Gewiß  muß  ihn  jeder, 
der  ihn  kennt,  verehren.     Wir  gingen  also  wieder  auseinander. 


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280  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

22.  April.  Wie  ich  von  Rekkard  kam,  ging  ich  ins  Auditorium  maximum. 
Es  kamen  gewiß  an  300  Zuhörer  dahin,  die  christliche  Moral  zu  hören, 
die  der  Oberhofprediger  Schulz  heute  auf  eine  sehr  vortreffliche  Art  nach 
Töllner  vorzutragen  anfing.  Schulz  hatte  solche  große  Anzahl  Zuhörer, 
da  der  Pisansky  in  den  Moralvorlesungen  nur  10  hatte. 

25.  April.    Mittags  erzahlte daß  ein  Bauer  nahe  bey  der  Stadt   zu   der 

Zeit,  da  der  Oberhof prediger  aus  dem  Waysenhause  an  die  Schloßkirche 
kam,  in  dem  Kneiphofe  nach  dem  Herrn  Schulz  gefragt  hätte.  Die 
Leute  sagten,  es  wären  zwey  Prediger,  die  beyde  Schulz  heißen.  Er 
erwiederte:  I  na  wann  ek  öhn  nor  ward  sehne  so  ward  ök  öhn  wohl 
kenne.  Er  kam  hin  u.  sah  den  Oberhof  prediger.  Ja,  ja  ök  seh  all,  ök 
sy  recht,  sagte  er,  na  min  löver  Herr  ök  sy  enne  ohk  so  recht  god,  se 
motte  mök  ohk  nit  utlacke,  ök  bring  hier  en  bötke  Botter  u.  Aier. 
Der  Oberhofprediger  wunderte  sich  u.  sagte,  lieber  Vater  er  braucht  das 
ja  selbst.  Jener  antwortete:  na  myn  löver  Herr  so  nehm  er  dok  nor,  ök 
sy  öhm  ohk  recht  god,  er  es  dok  en  braver  Mann,  ök  wer  öhm  ok 
Hönerkes  brönge.  Der  Oberhofprediger  sagte:  Lieber  Mann  was  soll  ich 
mit  machen,  ich  habe  noch  keine  Wirtschaft  (damals  war  er  noch  un- 
verheyrathet)  na  bak  er  sök  myn  löver  Herr  Kohkchens,  on  de  Hönerkes 
kahk  on  brad  er  sök.  So  ein  gutes  Zutrauen  zu  dem  theuren  Mann  zeigt 
gewiß  von  der  edleu  Denkart  des  vortrefflichen  Mannes,  des  Ober- 
hofpredigers. 

30.  April.  Bey  Kant  mußten  sich  die  Repetenten  u.  die  Gratuiti  zur  physischen 
Geographie  unterzeichnen,  damit  die  Repetenten  nicht  noch  einmal  wieder- 
holen sollten.  Denen  die  sie  zum  2ten  mahl  nun  wiederholen  wollten, 
wurde  es  versagt.  Es  meldete  sich  auch  keiner  davon.  Ich  wiederholte 
sie  nun  auch  zum  erstenmal,  da  ich  sie  seit  2  Jahren  nicht  gehört 
Kant  machte  diese  Einrichtung  um  der  Zuhörer  willen,  die  die  physische 
Geographie  nun  zum  erstenmal  hörten.  Kant  hatte  seine  Stuben  gar 
nicht  ausmöblirt,  nur  Rousseaus  Bildniß  hing  über  seinem  Schreibpult. 
Das  was  er  heute  von  dem  Gewässer  u.  dem  Kontinent  unsrer  Erde 
sagte,  was  mir  größtenteils  aus  Bergmanns  physikalischer  Weltbeschreibung 
bekannt,  die  er  sehr  benutzte. 

15.  Mai.  Vormittag  ....  holte  ich  mir  ein  Programm  u.  die  Disputation  vom 
Doktorand  dem  Magister  Jos  wich,  der  auf  den  Dienstag  zum  juristischen 
Prof.  in  Jester  Stelle  disputiren  würde,  ab. 

17.  Mai.  Vormittag  ging  ich  ins  Auditorium  Maximum,  wo  ich  nach  10  Uhr 
die  Disputation  des  Johswichs  hörte,  der  als  Doktorand  ziemlich  das 
Latein  sprach.  Die  Opponenten  waren  Stehr  vor  mir  aus  dem  Coli. 
Frid.  dimittirt,  der  es  recht  gut.  machte  u.  hernach  ein  gewisser  Ziegen- 
spek  schwach  an  Körper  u.  Geist,  der  nicht  viel  Einwürfe  machen  konnte. 
Nachmittag  wurde  auch  disputirt. 


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Von  Arthur  Warda.  281 

18.  Mai.  Unterwegens  erzählte  er  [Nicolovius] ,  daß  der  Johswich  so  schlecht 
im  Disputieren  Nachmittag  bestanden  wäre,  daß  Professor  Köhler  ihn 
wenig,  der  Holzhauer  aber  ihn  brav  geprellt  und  die  Studenten  ihn  sehr 
ausgepfiffen  hatten. 

1.  Juni.    Nicolovius  zeigte  mir  heute  bei  Kant,  daß  die  Recension  in  der  allgem. 

Litteraturzeitung  über  Herders  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der 
Menschheit  von  Kant  wäre. 

4.  Juni.     Wir gingen    nach   dem   großen  Auditorio,   wo   der   Magister 

Johswich  zum  Doktor  der  Rechte  gewählt  wnrde.  Das  Auditorium  war 
erstaunend  voll.  Der  Prof.  Köhler  als  Brabeuta  wählte  den  Johswich 
zum  Doktor  mit  den  besondern  Ceremonien,  da  der  Akademische  Sekretär 
ihm  den  Schwur  vorlas  und  er  mit  den  auf  den  Zepter  gelegten  Fingern 
sagte,  iuro,  drauf  ward  ihm  das  Gesetzbuch  vorgelegt,  hernach  setzte  ihm 
Köhler  den  rothen  Doktorhut  auf.  Hier  sah  er  sehr  drollicht  aus  u.  es 
entstand  ein  allgemeines  Gelächter  auch  sogar  von  den  Professoren.  Der 
Köhler  steckte  ihm  den  Doktorring  an  den  Finger  u.  küßte  ihn,  dabey 
schnitte  Johswich  solche  Fratzengesichter  u.  wurde  noch  immer  mehr  ein 
Gegenstand  des  Gelächters.  Köhler  sagte  zu  Mangelsdorf,  wie  er  von  der 
Katheder  kam,  ich  habe  mich  heute  mit  HE.  Johswich  durch  einen  Ring 
u.  Kus8  vermählt.  Wie  Johswich  in  die  Senatsstube  ging,  wurde  ihm 
von  vielen  nachgepfiffen. 

10.  August.    Ich   blieb    bis   nach  9  Uhr   da  [bei  Nicolovius]  u.  er  las  mir  viel 

aus  Herders  Volksliedern  und  seinen  andern  Schriften  bey  Lichte  vor. 
Auch  erinnerte  er  sich  an  unsern  bis  jetzt  verkannten  Prof.  Kreutzfold, 
dessen  Verdienste  man  erst  nach  seinem  Tode  schätzen  lernt.  Nicolovius 
hatte  mit  vielen  würdigen  gelehrten  Leuten  in  der  Stadt  Umgang  u. 
seine  Bibliothek  vermehrte  sich  an  reellen  Büchern  stark. 

2.  September.    [Reccard]  verkleinerte  heute  sehr  den  Lavater   u.  stellte  ihn  als 

einen  Erzschwärmer,  besonders  in  Ansehung  seiner  Physiognomik  dar. 
Was  aber  das  Lächerlichste  war,  das  er  von  einem  Manne,  der  mit 
Lavatern  Umgang  gehabt  hatte,  ganz  für  zuverlässig  hatte,  war,  daß 
Lavater  einst  Predigten  über  den  Wunderglauben  gehalten  hätte  u.  be- 
hauptet, Gott  würde  ihm  Kraft  durch  solchen  Glauben  geben,  den  Toten 
zu  erwecken.  Er  betete  also  zu  Gott,  er  wollte  nun  ein  todtes  Kind  er- 
wecken, das  Kind  blieb  aber  todt.  Nun  verdammte  er  sich  selbst  als 
einen  Sünder,  der  aus  dem  Gnadenstande  gefallen  wäre,  von  der  Kanzel 
u.  wollte  als  ein  solcher  sein  Amt,  dazu  er  sich  nicht  würdig  hielt,  nieder- 
legen, ist  aber  doch  Prediger  geblieben. 

11.  September.     Heute   wurde   die   theologische  Dissertation    des    Doktor  Grafs 

pro  loco  professoris  ausgetheilt,  ich  kam  mit  einigen  andern  Studeuten 
zu  spät,  bekamen  aber  von  Dokt.  Graf  selbst  noch  etwas. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u.  4.  19 


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282  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

16.  September.     Vormittag  hatte  Reccard  wenige  Zuhörer,  der  größte  Theil  war 

im  großen  Auditorio,  wo  ich  auch  hernach  hinging  u.  die  Inaugural 
Disputation  des  Dokt.  u.  Prof.  Grafs  auf  eine  Zeitlang  mit  anhörte.  Der 
Respondent  war  Candidat  Weitenkampf,  der  sich  nicht  viel  zu  vertheidigen 
wußte,  doch  ging  noch  an,  Opponenten  waren  Heydemann,  Wolterstorf, 
Lehrer  auf  Prima  im  Coli.  Fridr.,  u.  Schütz,  die  es  gut  machten.  Graf 
hatte  im  Sprechen  die  lateinische  Sprache  nicht  ganz  in  seiner  Gewalt. 
Nachmittag  ging  ich  ...  .  auch  hierher,  aber  hörte  nichts,  da  die  Dis- 
putation erst  um  4  Uhr  ....  anfing.  Oberhofpr.  Schulz  u.  Reccard  waren 
Opponenten.    Es  soll  bis  6  Uhr  gewährt  haben. 

17.  September.    Kant  schloß  heute  die  Vorlesungen  über  die  physische  Geographie. 

Er  eilte  sehr  am  Ende  u.  schien  mit  großer  Nachlässigkeit  zu  lesen. 

22.  September.  Ich  hörte  heute  erzählen,  daß  der  Johswich  bey  seiner  Inaugural- 
disputation  gestern  wäre  ausgepfiffen  worden  u.  daß  ihm  Nachmittag 
niemand  opponirt  hätte. 

13.  October.  [Fleischer]  erzählte,  daß  wie  er  gehört,  Kant  in  sehr  großem 
Ansehen  in  Jena  stände,  u.  Studirende  hier  aus  Königsberg  es  dort  um 
Kants  willen  gut  hätten. 
8.  December.  Reccard  erzählte,  daß  er  gestern  von  einem  guten  Freunde  einen 
Brief  erhalten  hätte,  worin  ihm  dieser  berichtet,  daß  der  Fürst  von  Dessau 
sein  Philanthropin  oder  Erziehungsinstitut  wieder  auf  altem  Fuß  einrichte, 
weil  er  sähe  aus  den  Neuerungen  nichts  herauskäme,  u.  daß  er  in  dieser 
Rücksicht  einen   alten  Schullehrer  von  Halberstadt  dahin   berufen  habe. 

15.  December.  Reccard  stellte  in  der  Dogmatik  den  Lessing  als  einen  zwar 
witzigen  schönen  Schriftsteller,  aber  als  einen  Mann  von  weniger 
Beurtheilungskraft,  als  einen  Windbeutel  und  als  einen  Menschen  dar, 
der  in  Rücksicht  des  Betragens  gegen  den  seeligen  Reimarus  nicht  den 
Namen  eines  ehrlichen  Mannes  verdiente.  Er  sagte,  er  hätte  ihn  gut  als 
einen  flüchtigen  Menschen  gekannt  u.  erzählte  viel  von  seinen  Schicksalen 
u.  seinem  Leben. 

1786. 

17.  Januar.  Reccard  sagte  heute  in  seinen  dogmatischen  Vorlesungen,  daß  ein 
vornehmer  Herr,  der  bisher  ein  Feind  der  Religion  war  u.  seinen  eignen 
Grundsätzen,  die  nicht  edel  waren,  lebte,  besonders  in  einer  Leidenschaft 
(der  Liebe)  zu  sehr  ausgeschweift  hatte,  krank  geworden  wäre.  Er  hätte 
zu  seinen  Bedienten  gesagt,  sie  möchten  ihm  doch  eine  Bibel  bringen. 
Diese  kommen  zurück  u.  sagten,  es  wäre  keine  zu  finden.  Dieses  fiel 
ihm  sehr  auf  u.  er  ward  über  sich  selbst  unwillig.  Er  ließ  aber  gleich 
eine  sich  kaufen  u.  fing  an  drin  zu  lesen  u.  soll  sie  des  Lesens  so  werth 
gefunden  haben,  daß  er  seinen  Bedienten  gesagt,  sie  möchten  doch  alle 
die  andre  verführerische   böse  Schriften    ins  Feuer   werfen    u.    sich   auch 


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Von  Arthur  Warda.  283 

selbst  das  herrliche  Buch  anschaffen.  HE.  Laudien,  der  neben  mir  saß, 
sagte,  das  wäre  der  Prinz  Heinrich,  unsers  Königs  Bruder,  er  hätte  das 
selbst  von  Reccard  gehört  ....  Mittags  erzählte  HE.  v.  Maltitz,  daß  der 
König  dem  Kriegsrath  Lilien thal,  der  sich  durch  seine  Einsichten  in  das 
Bauwesen  seine  Gnade  erworben,  bey  der  letzten  Revue  bey  Graudenz 
gesagt,  er  solle  sich  eine  Gnade  ausbitten.  Dieser  erwiderte,  Ew.  Königl. 
Majestät,  ich  bin  ein  alter  Mann,  der  mit  dem  Gehalt,  was  er  von 
Ew.  Königl.  Majestät  reichlich  erhält,  sehr  zufrieden  ist,  aber  wenn 
Ew.  Königl.  Majestät  in  Rücksicht  meiner  einzigen  Tochter,  der  ich  keine 
Reichthümer  hinterlassen  werde,  gnädig  zu  sein  geruhen  wollten.  —  Der 
König  sagte,  er  würde  sich  ihrer  erinnern.  Nun  hätte  er  vorigen  Sonn- 
abend eigenhäudig  an  ihn  geschrieben  in  folgenden  Worten:  Mein  lieber 
Lilien  thal.  Ich  erinnere  mich  an  mein  Versprechen  u.  überschicke  Eurer 
Tochter  hier  vor  der  Hand  5000  Thlr.  u.  bin  stets  in  Gnaden  Ew.  affec- 
tionirter  Friedrich. 

20.  Januar.  HE.  v.  Maltitz  sagte,  in  der  Hamburgschen  Zeitung  habe  er  einen 
herrlichen  Gedanken  auf  Moses  Mendelsohns  Tod  gelesen:  Auch  eine 
Blume  auf  Moses  Mendelsohns  Grab  hingeworfen:  Es  ist  ein  Gott,  das 
lehrte  Moses  schon,  doch  den  Beweis  davon  gab  Moses  Mendelsohn. 

24.  Januar.  Ich  bemerkte  heute  in  der  Kustodie,  wo  das  Gedicht  (zu  des  Kgs. 
Geburtstag)  ausgetheilt  wurde,  daß  die  Herren  Studenten,  die  darin  zur  Strafe 
gesessen  hatten,  gewetteifert,  ihre  Namen  am  meisten  in  die  Augen  fallend 
auf  die  Wand  hinzuschreiben  oder  sie  recht  tief  in  den  Kalk  einzugraben. 

14.  April.  [Charfreitag]  .  .  .  ging  ich  .  .  .  aus  der  Schloßkirche  in  die  Königl. 
deutsche  Gesellschaft,  die  nur  aus  sehr  wenigen  Mitgliedern  bestand.  Die 
Musik  war  recht  hübsch.  Die  Rede  auch  gut.  Ein  gewisser  Schroeder 
aber,  der  sie  hielt,  war  ein  steifer  Mensch  u.  dabey  zitterten  ihm  die 
Hände  vom  Anfang  bis  zum  Ende  der  Rede,  er  stieß  auch  öfters  an. 
Er  redete  von  Jesus,  dem  größten  Märtyrer  der  Wahrheit  im  Leben  u. 
im  Tode  I.  im  Leben  u.  II  im  Tode.  Der  Kanzeleyverwandte  Funk  las 
noch  ein  schönes  Gedicht  vor.  Der  Minister  Schlieben  war  nach  Korfs 
Tode  Präsident  der  Deutschen  Gesellschaft. 

19.  Mai.  [in  Mohrungen]  Nachmittag  .  .  .  ließen  wir  [Puttlich  und  Nicolovius] 
uns  l>ey  Herders  Schwester,  der  Madame  Hörn  anmelden.  Wir  gingen 
hin  u.  sprachen  mit  ihr  von  ihrem  berühmten  Bruder.  Sie  zeigte  uns 
2  Bildnisse  von  ihm.  Nikolov  bat,  daß  sie  eineu  Brief  an  ihren  HE.  Bruder 
schreiben  möchte,  er  würde  ihn  mit  nach  Königsberg  nehmen  u.  ihn  an 
HE.  Licentinspektor  Hamann  abgeben,  der  mit  Herdern  korrespondirte  .  .  . 
[21.  Mai.  Nikolovius  nahm  vom  Kaplan  Abschied  u.  ging  zur  Frau 
Hörn,  die  ihm  einen  Brief  an  den  Licentinspektor  Hamann  mitgab.]  .  .  . 
Nikolov  sagte  mir,  wie  wir  schlafen  gingen,  daß  die  Herders  seine  ganze 

19* 


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284  AuB  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Hochschätzung  verdienen,  daß  aber  Trescho  ihm  sehr  mißfiel  Der  wäre 
nicht  sein  Mann,  sagte  er,  der  andre,  die  doch  wirkliche  Verdienste 
besäßen,  geringe  schätzte,  um  sich  dadurch  nur  selbst  mehr  zu  erheben. 
Er  sagte,  daß  ihm  ßorowski  in  Königsberg  erzählt  hätte,  Trescho  würde 
etwas  über  Katechetik  schreiben  u.  nun  wäre  er  begierig  zu  sehen,  ob 
dies  von  vielem  Werth  seyn  würde. 
20.  Mai.  [Nikolovius]  erzählte  mir  viel  von  seinen  Privatumständen  u.  sagte, 
daß  er  u.  jeder  seiner  Brüder  7  bis  8000  Thaler,  jede  seiner  Schwestern 
aber  1000  Thaler  mehr  hätten. 
5.  Juni.  Gleich  nach  7  Uhr  ging  ich  zum  Kaplan  [Trescho].  Er  aß  nur  allein 
mit  mir  und  wir  sprachen  von  vielen  Dingen  besonders  von  theologischen 
Sachen,  wo  er  sich  ganz  als  Orthodoxe  zeigte.  Er  sprach  u.  fragte 
mich  viel  von  Kant  und  Oberhofpr.  Schulz.  Er  fragte  auch  ver- 
schiedenes von  Nikolov,  besonders  fragte  ,  er,  ob  er  auch  auf  der  Seite 
der  Neologen  wäre.  Um  9^2  ging  ich  fort. 
7.  August.  [Nicolovius]  erzählte,  daß  der  Minister  Zedlitz  in  Berlin  gestorben 
wäre,  u.  daß  auf  hiesiger  Akademie  Mangelsdorf  Kabale  zu  machen 
suchte,  indem  er  in  einer  neuen  periodischen  Schrift,  die  gedruckt  werden 
sollte,  verschiedene  Doktoren  u.  Prof.  gar  gröblich  heruntermachte. 

10.  August.  Gegen  Abend  ging  ich,  weil  dem  Dokt.  Bück  eine  Leichenmusik 
sollte  gebracht  werden,  nach  dem  Kolleg.  Albertino.  Ein  gewisser 
Rutzen  war  Entrepreneur  davon.  Dieser  hatte  vom  Protektor  der  Akademie, 
dem  Minister  v.  Knoblauch  Erlaubnis  dazu  erhalten,  nur  Kant  als 
Magnifikus  hatte  seine  Einwilligung  nicht  gegeben,  sondern  es  öffentlich 
am  schwarzen  Brett  mit  dem  Akademischen  Siegel  unterdruckt  verboten 
u.  das  Thor  vom  Albert,  sollte  gesperrt  werden,  allein  er  willigte  doch 
endlich  drein.  Der  Zug  nach  dem  Buckschen  Hause  in  der  Magistergasse 
war  sehr  ansehnlich  mit  3  Chören  Musik  vorne.  Die  Hautboisten  von 
Anhalt  u.  das  hinterste  Chor  vom  Vossischen  Regiment,  beyde  mit 
Pauken.  In  der  Mitte  war  das  Musenchor.  Ein  Generalanführer  mit 
vielen  Adjutanten  hielten  Ordnung  u.  diese  u.  der  Karmenträger  mit 
den  Chapeau  d'honneurs  u.  Redner  waren  nobel  gekleidet  u.  über- 
haupt war  der  Zug  sehr  lang,  ansehnlich,  nur  zuweilen  unordentlich. 
Stocklaternen  waren  nur  fast  bey  den  Musikchören.  Der  Zug  fing  sich 
an  um  nach  9  gegen  10  Uhr.  Der  Anmarsch,  der  gespielt  wurde,  gefiel 
mir  nicht  sehr.  Vor  dem  Trauerhause  hielt  der  Zug  still.  Das  Gedicht, 
das  John  gemacht  und  in  schwarz  Sammet  mit  Silber  brodirt  wurde 
hinaufgetragen,  unterdessen  spielte  das  Musenchor  einige  schöne  Sym- 
phonien. Dann  wurde  der  Rückmarsch,  der  besser  war,  gespielt,  u.  der 
Zug  ging  durch  die  Kneiphöfsche  Langgasse  u.  Fleischbänkengasse  nach 
dem    Koll.    Albert,    zurück.      Hier    rief    Rutzen    aus    vollem    Halse: 


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Von  Arthur  Warda.  285 

es  leben  alle  Beschützer  u.  Beförderer  der  akademischen  Freyheit  3  mal 
hoch,  drauf  3  mal  hoch  der  gange  Haufen,  was  er  nur  konnte.  Ersterer 
rief  wieder:  hingegen  sterben  alle  Unterdrücker  der  akademischen  Freyheit 
3  mal  tief  u.  das  tief  wurde  mit  einem  entsetzl.  Geschrey  3  mal 
wiederholt.  Ich  eilte,  daß  ich  nach  Hause  kam,  denn  es  war  schon  um 
Mitternacht  halb  ein  Uhr  Einen  so  ungeheuren  Volkshaufen  an  Zu- 
schauern hatte  ich  wohl  noch  nie  bey  solcher  Gelegenheit  gesehen,  u. 
der  Vollmond,  der  eben  durch  durchbrochnes  Gewölk  blickte,  verschönerte 
die  Scene  noch  mehr. 

31.    August gingen    wir  um  4  Uhr  ins  Auditor,    max.,  wo  täglich 

so  anch  heute  eine  Versammlung  von  allen  Studenten  wegen  Verabredung 
der  großen  Musik  war.  Der  König  wollte  nicht  gerne,  wie  ich  heute  im 
Speisquartier  die  Abschrift  von  der  Kabinetsordre  las,  daß  bey  seinem 
Empfang  so  viel  Geld  versplittert  würde,  und  er  schien  es  zu  untersagen, 
allein  man  hielt  es  blos  für  ein  Kompliment.  Nach  dem  Vortrage  des 
Entrepreneurs  Bück  im  großen  Audit.  sollte  es  eine  ansehnl.  Musik 
von  5  Chören  mit  Fackeln  u.  aller  möglichen  Pracht  seyn.  Senioren 
der  Landsmannschaften  wurden  zu  Kollekteurs  erwählt,  jeder  Student 
sollte  5  fl.  geben  auch  24  gr.  zur  weißen  Coukarde,  u.  das  übrige 
wurde  auf  künftige  Konferenz  auf  morgen  u.  die  folgenden  Tage 
beschlossen. 
7.  September.  Der  akademische  Senat  hatte  öffentlich  am  schwarzen  Brett 
anschlagen  lassen,  daß  die  Studenten  keine  Musik  bey  schwerer  Ahndung 
veranstalten  und  jedem  sein  Kontingent  gleich  zurückgeben  sollten. 

10.  September.     Viele    Studenten    versammelten    sich    im   Konviktorio.     Hier 

beschloß  Bück,  daß  in  dem  Falle,  wenn  die  Musik  durchaus  nicht  frey 
gegeben  werden  sollte,  sie  doch  ein  Gedicht  dem  Könige  bringen  würden, 
nur  fehlten  noch  600  fl.  u.  die  sollten  noch  frey  willig  gegeben  werden. 
Nun  kam  also  alles  auf  ein  Risiko  an. 

11.  September.    Hier  [Audit.  max.]   führten  Studenten   schwarz   gekleidet  eine 

Trauermusik  auf  u.  Mangelsdorf  hielt  auf  den  verewigten  großen  Friedrich, 
dabey  er  sich  recht  sehr  angriff.  Ein  jeder  war  ganz  Ohr.  Das 
Auditorium  hatte  ich  noch  nie  so  gedrängt  voll  gesehen.  Die  vornehmsten 
der  Stadt  waren  dabey  gegenwärtig.  Oben  an  saßen  zur  einen  Seite  erst 
die  Minister  v.  Groben,  v.  Schlieben,  v.  Finkenstein,  v.  Knoblauch,  dann 
General  Brause,  Graf  Döhnhof,  Vicepräsident  Biedersee  u.  hernach  Edel- 
leute  u.  Officiere,  nach  unten  die  Prediger,  auf  der  andern  Seite  saß  der 
akademische  Senat.  Die  Bänke  waren  fortgenommen  und  es  stand  doch 
alles  gedrängt  voll.  Nachher  war  die  Musik  zum  Schluß  noch  schöner. 
14.  September.  [Nicolovius]  erzählte  mir,  daß  unterdes  jetzigen  Königs  Regierung 
die  Heterodoxie  nicht  überhand  nehmen  würde  u.  daß  Prof.  Kant  schon 
befürchtete  (aus  Hypochondrie)  von  seinem  Brod  zu  kommen. 


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286  Au*  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

16.  September.    Vormittag  ging  ich  auf  Königsgarten,  wo  bey  Kriegsrath  Bfibner 

Billette  zum  Entree  auf  den  Schloßplatz  am  Huldigungstage  konditionirten 
Leuten  ausgetheilt  werden  sollten.  Da  ich  aber  sähe,  daß  der  Pöbel  sich 
nur  hindrängte  u.  Schildwache  hingeholt  werden  mußte,  so  ging  ich  nach 
dem  Koll.  Albert,  wo  500  Billets  für  Studenten  ausgetheilt  werden  sollten. 
Wie  ich  hinkam,  fand  ich  schon  einen  großen  Haufen  Studenten.  Der 
Pedell,  der  sie  austheilen  sollte,  war  ganz  besoffen ;  wollte  garnicht  heraus- 
kommen u.  fing  an  sie  aus  dem  Fenster  zu  vertheilen ;  aber  nun  drängten 
alle  mit  der  größten  Gewalt  theils  ans  Fenster  theils  in  die  Stube,  so  daß 
er  sich  gezwungen  sah,  weil  ihm  schon  Fenster  zerbrochen  wurden,  das 
Packet  ganz  unter  die  Studenten  zu  werfen,  wer  es  nun  bekommen  hatte, 
der  ist  gewiß  mit  davon  gegangen,  hernach  warf  des  Pedells  Frau  noch 
einige  aus.  Mir  fiel  ein  Billet  im  Gedränge  auf  den  Arm,  ich  erhaschte 
es,  steckte  es  zu  mir  und  ging  davon.  Der  größte  Theil  bekam  keins. 
Nachmittag  kamen  noch  immer  mehr  Menschen  nach  der  Stadt,  so  daß 
der  Schloßplatz  von  Einheimischen  u.  auswärtigen  wimmelte.  Es  waren 
nun  viele  Gerüste  gebaut,  die  auch  für  Zuschauer  vermiethet  werden 
sollten.  Es  fuhren  viele  Vornehme  nach  dem  Schloß.  Abends  kamen 
die  beyden  großen  Minister  von  Herzberg  u.  v.  Gaudi  aus  Berlin  hier  an. 
Der  Thron  war  nun  ganz  fertig  u.  weil  es  alle  Tage  regnete,  mit  Segel- 
tuch behangen.    Der  König  sollte  in  Prsz.  Holland  übernachten. 

17.  September.    Vormittag  ging  ich  nach  der  Schloßkirche,  wo  eine  Huldigungs- 

predigt sollte  gehalten  werden.  Die  Thüren  waren  aber  schon  früh  mit 
Wache  besetzt  u.  es  währte  sehr  lange,  bis  ich  durchkam.  Eben  fing 
die  Musik  an  u.  es  wurde  eine  Kantate  aufgeführt.  Auf  Königs  Chor 
war  der  Minister  von  Herzberg,  ein  ehrwürdiger  Mann  von  viel  Ansehen 
mit  dem  schwarzen  Adlerorden,  neben  ihm  der  Minister  Gaudi,  auf  der 
andern  der  Obermarschall  v.  der  Groben,  dann  der  Reichsgraf  von  Finken- 
stein u.  der  Minister  v.  Knoblauch.  Hernach  war  auf  der  einen  Seite 
der  ostpreußische  Adel  und  die  Ritterschaft  u.  auf  der  andern  der  west- 
preußische u.  von  vielen  Orten  Deputirte.  Erst  wurde  gesungen:  Es  woll 
uns  Gott  gnädig  sein  u.  dann  kam  der  Oberhofprediger  auf  die  Kanzel 
u.  hielt  eine  ganz  vortrefliche  Predigt  über  1  Petri  2.  17.  Zu  den  Ein- 
gangsworten nahm  er  Josua  1,  17.  Er  redete  von  den  vorzüglichsten 
Christenpflichten  als  den  notwendigsten  Bedürfnissen  zum  Wohl  der 
Länder  I)  diese  werden  nach  dem  Text  angeführt  1)  die  Furcht  gegen 
Gott,  2)  Die  Ehre  gegen  den  König,  3)  die  Liebe  gegen  die  Brüder  u. 
4)  die  Ehre  gegen  Jedermann.  II)  Diese  Pflichten  sind  wir  zu  erfüllen 
schuldig  1)  weil  wir  Menschen,  2)  weil  wir  Christen,  3)  weil  wir  Unter- 
thanen  sind.  Zuletzt  fügte  er  noch  einen  recht  schönen  Wunsch  hinzu. 
Alles  war  still  u.  sehr  aufmerksam  darauf,  besonders  Minister  von  Herz- 


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Von  Arthur  Warda.  287 

berg.  Drauf  wurde  das  Lied:  Herr  Gott  Dich  loben  wir  gesungen.  Die 
Minister,  die  Adel-  und  Ritterschaft  gingen  heraus  u.  dicht  neben  mir 
vorbey,  erst  auf  den  Moskowitersaal  u.  hernach  unten  in  den  Schranken, 
wo  sie  aber  bald  sich  ins  Schloß  verloreu.  Es  waren  sehr  viele  Wagen. 
Nach  dem  Essen  ging  ich  .  .  .  nach  dem  Schloßberge,  wo  ein  großer 
Haufe  Volks  sich  schon  versammelt  hatte.  Wir  wollten  nach  der  grünen 
Brücke  gehen,  wo  die  Schiffe  schön  ausgeflaggt  u.  viele  Verzierungen  bey 
der  Brücke  angebracht  waren;  allein  wir  wollten  lieber  sehen,  wie  er  von 
der  Ritter-  u.  Adelschaft,  die  die  Treppe  von  der  Kammer  besetzt  hatte, 
empfangen  würde.  Es  waren  da  sehr  viele  in  Ordensbändern,  die  man 
nicht  kannte.  Herzberg,  Gaudi,  Bischof  von  Ermland,  Bischof  von  Kulm, 
Fürst  Radzivil,  General  Platen,  viel  vornehmer  deutscher  u.  polnischer 
Adel,  die  hiesigen  Minister  u.  Vornehmste  der  Kollegien.  Die  Menschen 
häuften  sich  immer  mehr  an.  Die  Wache  trat  ins  Gewehr.  Endlich 
kündigten  blasende  Postillionen  die  Ankunft  des  Königs  an.  Die  Fleischer- 
gilde, die  ihm  mit  den  Schützen brüdern  und  der  rothen  Garde  (Kauf- 
gesellen) bis  zum  hohen  Kruge,  wo  auf  dem  Haffe  viele  Schiffe  bey  der 
Ankunft  des  Königs  manövrirten  u.  feuerten,  entgegengeritten  waren, 
kamen  zuerst  an,  dann  die  Schützenbrüderzunft  u.  endlich  die  rothe 
Garde,  aber  nicht  in  völliger  Ordnung.  Nach  sehnlichem  Erwarten  kam 
Er  dann  nach  2  Uhr  angeritten.  Die  ungeheure  Volksmenge  erhub  ein 
lautes  Vivat.  Drauf  nahm  er  den  Hut  ab,  stieg  erhitzt  durchs  Jagen 
vom  Pferde,  zog  das  Schnupftuch  aus  der  Tasche,  wischte  sich  den 
Schweiß  ab  u.  machte  gegen  sein  Volk  u.  die  Vornehmsten  desselben 
Verbeugungen.  Er  hatte  oben  eine  kahle  Glatze  auf  dem  Haupt.  Drauf 
stieg  er  von  Herzberg  u.  Herzog  von  Holstein-Beck  geführt,  die  Treppe 
hinauf.  Seine  Miene  war  sehr  huldreich  und  menschenfreundlich,  die 
sehr  viel  Liebe  zu  seinem  Volk  vermuthen  ließ.  Nachdem  kam  noch  ein 
Trupp  der  rothen  Garde  u.  viele  Wagen.  Ich  eilte  durch  die  Volks- 
menge nach  dem  Koll.  Albert.,  blickte  in  die  Kneiphöfische  Kirche,  wo 
kaum  30  Zuhörer  waren.  Im  Auditorio  max.  war  wieder  Studenten- 
versammlung ...  Es  wurde  hier  das  nothwendige  wegen  der  Musik 
verabredet  Der  König  ließ  sich  hernach  einigemal  am  Fenster  blicken. 
Es  war  heute  recht  schönes  Wetter.  Abends  wurde  schon  die  Trommel 
geschlagen. 
18.  September.  Ich  ging  .  . .  auf  Königsgarten,  wo  der  König  die  Mousquetiere 
u.  Grenadiere  exerciren  ließ,  hier  konnte  ich  ihn  ohngeachtet  des  großen 
Volkshaufens  doch  sehen.  Im  Audit.  max.  wurde  die  Musik  auf  morgen 
auf  den  Abend  zwischen  7—8  Uhr  angesagt,  wies  der  König  bestimmt 
hatte.  Ich  holte  meine  Koukarde  .  .  .  weil  ohne  diese  niemand  im  Zuge 
gelitten  werden  sollte. 


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288  Aus  dem  Leben  de«  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

19.  September.  Heute  war  der  sehr  wichtige  feyerliche  Huldigungstag  für 
Preußen.  Ich  nahm  Biilet,  drängte  mich  durch  den  Volkshaufen,  zeigte 
es  vor  u.  kam  auch  ohne  Schwierigkeit  auf  den  Schloßplatz,  der  schon 
voll  Menschen  war.  Die  Gallerien  waren  theuer  veriniethet  u.  stark  be- 
besetzt. Im  Schloßthurm  standen  viel  Menschen,  auch  in  der  Kirche,  wo 
sie  sich  die  Bauten  aus  den  Fenstern  loslösten,  um  besser  sehen  zu 
können.  Viele  hatten  sich  die  Nacht  verschließen  lassen,  um  nur  von 
dieser  Begebenheit  Augen-  und  Ohrenzeuge  seyn  zu  können.  Nachdem 
nun  alle  Landstande  u.  Deputirtcn  im  Schranken  waren,  wurde  auf  den 
Thron  der  prächtig  vergoldete  Stuhl  des  Königs  700  fl.  an  Werthe  zu- 
rechtgestellt und  gegen  3/4  auf  10  Uhr  kam  der  huldreiche  König,  blieb 
aber  während  der  ganzen  Handlung  stehen  u.  mit  entblößtem  Haupte. 
Alle  Mannspersonen  standen  auch  im  kahlen  Kopfe  da,  u.  es  herrschte 
eine  bewundernswürdige  Stille,  so  daß  man  alles  hören  konnte.  Der 
Minister  v.  Finkenstein  hielt  eine  deutsche  Anrede  an  die  versammelten 
Stände  im  Schranken ,  die  auch  vom  Landrath  v.  Ostau  von  unten  herauf 
beantwortet  wurde.  Darauf  las  der  Obersekretär  Schinemann  den  Ost- 
preußischen Ständen  den  Huldigungseid  in  deutscher  Sprache  recht  deut- 
lich vor,  welcher  auch  von  diesen  recht  laut  nachgesagt  wurde,  als  wenn 
ein  Echo  zurückhallt.  Der  Begierungsrath  Mayer  las  den  westpreußischen 
geistlichen  Ständen  den  Eid  mit  schwacher  Stimme  vor.  der  auch  eben 
so  undeutl.  u.  schwach  von  den  Kapucinern,  Dominikanern  u.  andern 
Orden  nachgesprochen  wurde.  Dann  las  der  Kabinctsminister  v.  Herz- 
berg das  Avancement  unter  den  Standespersonen  ....  vor  u.  endlich 
rief  der  Obermarschall  von  der  Groben  3  mal  aus:  Es  lebe  der  König, 
welches  vom  ganzen  Menschenhaufen  mit  starker  Stimme  wiederholt  u. 
vom  Schloßthurm  dazu  musiziert  wurde.  Es  war  eine  recht  feyerliche 
Stille,  wofern  nicht  der  Wind  u.  das  Kanonendonnern  während  der 
ganzen  feyerlichen  Handlung  manches  unhörbar  machten.  So  lange  war 
schön  Wetter.  Nur  wie  die  im  Schranken  versammelte  nach  der  Kirche 
gingen  um  das  Herr  Gott  Dich  loben  wir  zu  singen,  fing  es  an  zu 
regnen.  Ich  eilte  zu  unterm  Konvent  nach  dem  Audit.  Max.,  wo  noch 
das  nöthige  zur  Musik  gehörende  vorgetragen  wurde.  Mittags  wurden 
die  Deputirtcn  der  Landstände  auf  dem  Moskowitersaal  bewirthet,  aber 
von  jedem  Orte  nur  einer.  Drum  war  auch  heute  das  Speisquartier  wieder 
voll  von  Deputirtcn  u.  Ordensgeistlichen  von  Katholiken.  Der  Thron  wurde 
nicht  Preis  gegeben  u.  dies  war  alles  Unglück,  was  dabey  zu  geschehen 
pflegte,  zu  verhindern  sehr  gut.  Es  konnte  ihn  nun  ein  jeder  frey  sehen. 
Der  Schranken  unten  aber  wurde  gleich  weggebrochen.  Von  Denk- 
müntzen  wurde  auch  nichts  ausgeworfen,  sondern  es  wurden  einige  unter 
einige  Deputirten  auf  dem  Moskowitersaal   vertheilt    Davon  der  Stadt- 


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Von  Arthur  Warda.  289 

kämmerer   aus  Mohrungen,  der  da  gegessen,    auch  eine  bekommen   hatte, 

die  er  mir  zeigte  u in  den  Zeitungen  beschrieben  ist.    Nachmittag 

ritten  der  Generaladjutant  Böse  in  einer  Jacke,  die  mit  sehr  dicken 
breiten  acht  goldnen  Tressen  besetzt  war,  u.  die  mehr  als  50  Adjutanten 
in  einem  weißen  Reitkoulet  mit  blausamtnem  Koller,  Aufschlägen  u. 
Klappen,  goldnen  Epauletten,  Federhüten,  ungarischen  Hosen,  Stulp- 
stiefeln u.  gelben  Degen  in  der  Stadt  herum  die  Chargen  einzuholen. 
Sie  machten  nach  dem  Ausspruch  aller  Leute  (wie  es  auch  gewiß  war) 
mehr  Parade  als  die  rothe  Garde.  Ich  trug  meine  Kokarde  an  dem  Hut, 
denn  wer  die  nicht  angesteckt  hatte,  sollte  nicht  im  Zuge  gelitten  werden. 
Die  Adjutanten  u.  Chargen  hatten  noch  einen  Knopf  mit  F  W  brodirt. 
Wie  ich  ans  Kollegium  kam,  stand  schon  viel  Wache  da.  Ich  kam  auf 
den  Platz  u.  alles  hatte  sich  schon  rangiert,  ich  mußte  also  ins  letzte 
Chor  treten,  doch  war  ich  im  5.  Chor  noch  unter  den  ersten  Paaren. 
Es  waren  auf  400  Grenadiere  vom  Barschen  Bataillon  zu  Fackelträgern 
bestimmt,  die  ordentlich  ihre  Offiziere  kommandirten.  Um  mehr  Ordnung 
im  Zuge  zu  erhalten,  waren  auf  100  Musquetier  mit  einigen  Offizieren 
vom  Anhaltschen  Regiment  befehligt,  um  das  Zudringen  der  Zuschauer 
in  unsre  Glieder  abzuhalten.  Dies  machte  schon  den  Zug  sehr  ansehnlih. 
Aber  noch  ansehnlicher  wurde  er  durch  den  Pauker  u.  die  5  Trompeter, 
die  als  alte  deutsche  Kitter  gekleidet  vor  dem  Zuge  voranritten  und  in 
jeder  Straße  den  Zug  durch  Pauken-  u.  Trompetenschall  ankündigten, 
durch  den  Generaladjutanten,  durch  den  Generalanführer  HE.  v.  Elditt 
in  einer  ganzen  Kleidung  von  drap  d'argent  glace,  durch  den  schönen 
Anzug  des  Carmen  trägere,  des  jungen  Herrn  von  Groben  u.  durch  den 
Redner  Graf  von  Kayserling,  der  eine  Kleidung  von  Drap  d'or  hatte, 
durch  die  Musik  von  5  Chören,  besonders  das  3te  Chor,  das  Musenchor, 
welches  viel  stärker  als  die  übrigen,  bey  jedem  waren  Pauken,  durch  die 
Kleidung  der  übrigen  Chargen,  durch  die  Himmel  von  Leinwand,  die 
gemacht  waren,  um,  wenn  es  regnen  sollte,  die  Musikchöre  und  Chargen 
damit  zu  decken,  nun  aber  weil  das  Wetter  uns  günstig  und  sehr 
schön  war,  hinten  nachgetragen  wurden.  Vorzüglich  aber  zeichnete 
sich  der  Zug  durch  gute  Ordnung  aus,  so  daß  wohl  nie  ein  Auf- 
zug von  dieser  Art  glänzender  u.  prachtvoller  gewesen  ist,  als  dieser 
wirklich  war.  Die  Fackeln  wurden  angezündet  u.  der  Wind  wehte 
etwas  bis  auf  den  Schloßplatz,  hernach  wurde  es  still.  Um  7  Uhr 
ging  der  Zug  vor  sich,  nach  der  Bärenapotheke,  dann  durch  die  Schuh- 
gasse, Schmiedebrücke,  Schmiedegasse  nach  dem  Schloßplatz.  Das 
letzte  Chor  war  noch  auf  der  Schmiedebrücke,  als  das  erste  schon 
ins  Schloßthor  einrückte.  Ueberall  waren  ungeheure  Volkshaufen,  die 
sich  aber  nicht  in  die  Glieder  zu  drängen  wagen  durften,   sondern   von 


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290  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

den  Soldaten  durch  Schläge  so  zurückgewiesen  wurden,  daß  sie  wie  eine 
Mauer  standen.  In  den  Gliedern  unter  den  Studenten  selbst  hielten  nicht 
nur  die  Adjutanten  Ruhe  und  Ordnung,  sondern  auch  die  Senioren  jeder 
Landsmannschaft,  die  schwarz  gekleidet  mit  Epaulettes  mit  gezogenem 
Schwerdt  zwischen  den  Gliedern,  Fackelträgern  u.  Adjutanten  gingen. 
Nirgends  sah  der  Zug  schöner  aus  als  auf  dem  Schloßplatz,  da  er  erst 
einen  ganzen  Cirkel  u.  hernach,  wie  er  sich  mehr  zusammenzog,  einen 
halben  Mond  bildete,  den  der  König  mit  Wohlgefallen  am  Fenster  über- 
sehen haben  soll.  In  der  Mitte  des  Platzes  war  keiner  u.  die  Offiziere 
gingen  auf  u.  nieder,  um  ihn  leer  und  schön  zu  erhalten.  Der  General- 
adjutant, Generalanführer,  Kar men träger  u.  Redner  mit  ihren  Chapeau 
d'honneurs  gingen  herauf  vor  den  König,  der  sie  sehr  gnädig  empfing  u. 
nach  Kayserlings  Namen  fragte.  Er  ließ  hernach  die  Adjutanten  auch 
heraufkommen  u.  vor  sich  vorbeyspazieren,  die  er  dann  mit  zufriednem 
Lächeln  ansah.  Drauf  fuhr  er  zum  Obermarschall  hin  u.  befahl,  daß 
alle  Studenten  heraufgehen  sollten,  um  mit  Erfrischungen  bewirthet  zu 
werden.  Die  Offiziere  luden  uns  alle  dazu  ein.  Nun  liefen  alle  hinauf. 
Auf  12  Tische  waren  mit  Wein  besetzt,  der  aber  schon  fast  von  den 
Chargen  ausgeleert  war.  Doch  war  noch  Konfekt  vorhanden,  davon  ich 
auch  etwas  bekam.  Wir  eilten  wieder  herunter.  Es  wurde  ein  sehr 
lautes  großes  Yivat  mit  Hutschwenken  u.  Zusammenschlagen  der  Degen- 
klingen dem  Könige  unter  Pauken  u.  Trompetenschall  gerufen.  Nun 
waren  alle  auf  einem  Haufen  in  der  größten  Unordnung.  Doch  währte 
es  nicht  lange,  so  war  alles  wieder  gereihet  und  der  Zug  rückte  wieder 
aus.  Die  Gerüste  auf  dem  Schloß  waren  eben  so  wie  heute  Vormittag 
besetzt  u.  Plätze  wurden  so  gar  vermiethet.  Vor  dem  Schloß  stand  in 
der  Länge  Wache  in  Parade.  Die  Stadt  war  heute  illuminiert  u.  die 
große  Menge  Fackeln  von  unserm  Zuge  machten  alles  noch  mehr  helle. 
Es  waren  auf  allen  Straßen  unbeschreiblich  viel  Zuschauer.  Der  Entre- 
preneur  Ruck,  der  fürs  Ganze  sorgte  u.  bald  hinten  bald  vorne  u.  in  der 
Mitte  war,  ließ  den  Zug  durch  die  französische  Straße,  den  schiefen  Berg, 
den  Roßgarten  hinaufgehen  nach  der  Neuensorge  zu,  wo  dem  Könige, 
der  beym  Obermarschall  war,  wieder  ein  Lebe  zugerufen  wurde.  Ferner 
ging  der  Zug  durch  die  Landhofmeistergasse  die  Sackheimsche  Kirche 
vorbey,  wo  das  Vivat  vom  letzten  Chor  dem  'Könige  beym  Obermarschall 
gerufen  durch  die  Glieder  bis  auf  den  Sackheim  fortging,  dann  die  katho- 
lische Kirche  vorbey  über  den  neuen  Markt,  die  Löbnichtsche  Langgasse, 
krumme  Grube,  altstädtsche  Langgasse,  altstädtsche  Schuhgasse,  die 
Krämerbrücke.  Kneiphöfsche  Langgasse,  die  am  schönsten  illuminiert  war, 
dann  durch  die  Brodbänken gasse,  Köttelgasse,  einen  Theil  der  Magister- 
straße u.  den  andern  Theil  der  Kneiphöfschen   Langgasse,  wieder  durch 


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Von  Arthur  Warda.  291 

die  Brodbänkengasse,  den  großen  Platz  nach  dem  Koll.  Albertino,  wo 
wir  gegen  10  Uhr  hinkamen  u.  die  ganze  Feyerlichkeit  noch  mit  einem 
lauten  Vivat  für  die  akademische  Freyheit  geendigt  wurde.  Ich  eilte 
noch  nach  der  Kneiphöfechen  Langgasse  u.  sah  die  schöne  Illumination 
bey  Conimercienrath  Scherres  u.  andere  sehenswürdige  Erleuchtungen  in 
der  Stadt. 

20.  September.    Nachmittag   besah   ich   in   der  Börse  die  Verzierungen  von  der 

gestrigen  Illumination,  wo  auch  die  Bildnisse  der  Könige  Friedr.  Wilhelm 
des  1  ßten,  des  vorigen  u.  des  jetzigen,  das  aber  wenig  getroffen  war, 
hingen.  Abends  gab  der  König  dem  gesamten  Adel  auf  dem  Moskowiter- 
saal, wo  er  selbst  mitspeiste,  ein  Souper. 

21.  September.     Der  König   ritt   heute  nach  der  Vestung,  wo  er  viele  frey  ließ 

u.  den  Regierungsrath  Glave  von  der  Karre  losmachen  u.  als  Staats- 
gefangnen   auf   Gnade  sitzen   ließ Er    hatte    ein    schönes    ganz 

schwarzes  Reitpferd,  das  Geschirr  stark'  mit  Silber  besetzt Abends 

war  bey  Graf  Kayserlings  der  König.  Die  Straßen,  wo  er  durchfuhr, 
wurden  iUuminirt  u.  waren  voll  Volks  u.  Wagen.  Die  Erleuchtung  bey 
Kayserlings  von  Lampen  im  Namenszuge  ™  mit  einer  Krone  von  Lampen 
drüber  war  recht  hübsch.  Er  fuhr  um  8/4  auf  10  mit  Erleuchtung  von 
Pechfackeln  an  den  Wagen  her  wieder  ab,  weil  er  morgen  wieder  nach 
Berlin  früh  zurückreisen  wollte. 

22.  September.    Heute  um  5  Uhr  Morgens  verließ  uns  unser  vielgeliebte  Monarch 

unter  Lösung  vieler  Kanonen.  Gott  sey  mit  ihm!  Die  Studenten  Adju- 
tanten nehm  lieh  waren  des  Nachts  in  Duboisruh  u.  erwarteten  ihn  da, 
um  ihm  noch  ein  Vivat  zu  rufen,  welches  auch  geschah.  Die  rothe  Garde 
konnte  ihn  kaum  einholen,  u.  die  Schützenbrüderzunft  kam  viel  zu  spät 
u.  umsonst  hin.  Der  König  hatte  gestern  dem  Redner,  dem  Kayserling, 
eine  schöne  goldne  Dose  mit  seinem  Bildniß  u.  Perlen  besetzt  zugeschickt. 
Auch  General lieut.  v.  Anhalt  hatte   eine   solche   mit  Steinen  besetzt  von 

ihm  erhalten Heute  wurden   auch  die  Gerüste  u.  der  Thron  auf 

dem  Schloßplatz  abgebrochen. 

23.  September.    Heute   hörte  ich  sagen,   daß  der  Kannen  träger  HE.  v.  Groben 

auch  eine  goldene  Tabatiere  vom  König  bekommen  hatte. 
25.  September.  Heute  ließ  ich  die  Stunde  ....  ausfallen,  weil  der  Geburtstag 
unsere  jetzigen  Königs  im  Aud.  max.  mit  einer  deutschen  Rede  vom 
Studenten  HE.  v.  Knobloch,  des  Ministers  Sohn  gefeyert  wurde.  Mangels- 
dorf hielt  zuvor  eine  kleine  Rede  von  der  obersten  Katheder.  Der  junge 
v.  Knobloch  machte  es  gut.  Es  war  keine  Musik  dabey.  Alle  Minister 
u.  viele  andre  Standespersonen  nicht  in  Trauer-  sondern  Galakleidern 
auch  der  akademische  Senat  war  dabey  gegenwärtig  u.  überhaupt  war 
ein  zahlreiches  Auditorium. 


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292  Aug  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

27.  September.  Abends  wurde  den  Chargen  Musik  gebracht  mit  40  Stocklaterneu 
und  2  Chören  Musik,  das  Musenchor  ging  hinten.  Ich  ging  im  ersten 
Zuge.  Vorher  ging  ich  nach  der  Börse,  die  erleuchtet  war  und  noch 
heute  erst  des  Königs  Geburtstag  von  ehegestern  feyerte.  Das  Kneip- 
höfische und  altstadtische  Rathhaus  war  auch  ganz  erleuchtet.  Erst  ging 
der  Zug  durch  die  Magistergasse,  wo  dem  Entrepreneur  Bück  Vivat  ge- 
schrieen, dann  über  den  kleinen  Platz,  die  Brodbänkengasse,  die  kneip- 
höfsche  Langgasse,  altstädtsche  Schuh-  u.  Langgasse  den  Schloßberg 
hinauf,  wo  die  Soldaten  auf  der  Hauptwache  in  Gewehr  standen,  durch 
die  französische  Straße  auf  den  schiefen  Berg,  wo  der  Karmenträger  Graf 
v.  Groben  Musik  u.  Vivat  bekam,  dann  auf  den  Boßgarten  zu  Graf 
Kayserling,  wo  dies  ebenfalls  geschah,  hernach  zurück  auf  den  Anger,  wo 
dies  ebenfalls  vor  dem  Logis  des  Generaladjutanten  Böseke  erfolgte.  Von 
hier  ging  ich  nach  Hause,  weil  es  schon  10  war.  Der  Zug  soll  nach  der 
Altstadt  gegangen  seyn,  wo  sich  die  Chargen  ein  Haus  zur  Schmauserey 
gemiethet  hatten.  Der  Generalanführer  v.  Elditt  bekam  nichts,  weil  er 
seine  Charge  nicht  bezahlt  hatte.  Der  Generaladjutant  hatte  für  seine 
Charge  55  Dukaten  u.  überhaupt  zur  kostbaren  Kleidung  u.  allem 
200  Dukaten  ausgegeben.  Welch'  ein  Aufwand!  Ich  verzehre  Abends 
kaum  für  einen  Groschen. 

29.  September,    [ausgestrichen:]     Ich  hörte  sagen,   daß  Prof.  Kant   sehr   krank 
wäre. 
1.  Oktober.    Vormittag   war  die  akademische   Rektor  wähl,   wo  Kant,  es  dem 

Bekkard  abgab.  Ich  war  nicht  da. 
5.  Oktober.  Ich  ging  Vormittag  zum  Herrn  Prof.  Krause  auf  den  Ochsen- 
markt u.  bat  ihn,  da  ich  so  sehr  an  Geld  verlegen  war,  ob  er  nicht 
Opitzens  Gedichte  annehmen  möchte.  Er  hatte  sie  selbst.  Da  ich  ihn 
bat,  ob  er,  da  er  doch  in  großer  Verbindung  stände,  mich  nicht  in  eine 
Kondition  empfehlen  könnte,  so  sagte  er,  vor  der  Hand  wüste  er  nichts, 
ich  möchte  Information  in  der  reformirten  Schule  annehmen  u.  mich 
deswegen  an  Herrn  Prediger  u.  Rektor  Wannowski  wenden.  Dies  wäre 
der  sicherste  Weg.  Ich  möchte  zur  andern  Zeit  zu  ihm  kommen,  da  er 
jetzt  mit  Veränderung  seines  Logis  beschäftigt  wäre. 

25.  October.  Vormittag  kam  Nicolovius  zu  mir  und  brachte  mir  einen  Gruß 
von  seinem  Bruder,  der  schon  vorige  Woche  nach  Biga  abgereist  wäre. 
Er  erzählte  mir  ....  auch  verschied nes  von  Lavatern,  der  jetzt  in  der 
Sache  des  Katholicismus  sehr  viel  Aufsehen  erregte,  und  den  Nicolovius 
sehr  wie  sonst  vertheidigte. 

31.  October.  [Nicolovius]  sagte  mir  heute  das  Geheimnis,  das  er  noch  keinem 
entdeckt  u.  mir  bis  jetzt  verschwiegen,  nehmlich  daß  er  vorher  Hoffnung 
gehabt  auf  künftiges  Jahr  eine  Reise  in  Hamanns  u.   dessen  Sohnes  Ge- 


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Von  Arthur  Warda.  293 

Seilschaft  nach  Deutschland  und  der  Schweiz  zu  machen  (Hamann  hatte 
es  ihm  angeboten,  weil  Prof.  Krause,  der  vorher  mitreisen  wollte,  seinen 
Entschluß  geändert)  da  er  sich  dann  bey  Herdern  u.  einigen  andern 
lieben  Männern  wochenlang  aufhalten  würde,  welche  Nachricht  da  er  von 
Mohrungen  gekommen  ihn  bis  zum  Entzücken  erfreute.  Jetzt  aber  gäbe 
er  fast  alle  Hoffnung  auf,  da  Krause  sieh  wieder  andere  bedacht,  doch 
hätte  letzterer  noch  Bedingungen,  würden  die  nicht  erfüllt,  so  hätte  er 
(Nikolov.)  noch  einige  Aussichten,  seine  Wünsche  erreicht  zu  sehen. 
Mich  interessirte  das  Geheimnis  sehr  u.  ich  gönnte  meinem  lieben  Freunde 
von  ganzem  Herzen  das  große  Glück,  ermunterte  ihn  auch  noch  immer 
guten  Muthes  zu  seyn.  Er  sagte,  er  würde  doch  einmal  zwar  reisen, 
aber  doch  leider  dann  nicht  in  Gesellschaft  eines  Hamanns.  Auch  jetzt 
thäte  es  Hamann,  wenn  er  ihm  nur  ein  Wort  sagte,  da  er  es  ihm  an- 
geboten, aber  wollte  sich  ihm  nicht  aufdringen.  Er  versprach  mir  nähere 
Nachricht,  wenn  Krause  sieh  wozu  entschlossen  hätte,  zu  geben. 
5.  November.  Mittags  erzählte  der  Antiquarius  PilkoWsky,  daß  er  auf  600  fl. 
Bücher  2000  fl.  profitirt  hätte.  Er  war  aber  auch  ein  wahrer  Jude  u. 
wurde  deswegen  im  Speisquartier  von  jedem  verachtet. 
23.  November.  Die  Buden  von  der  Schmiedebrücke  wurden  jetzt  weggebrochen 
weil  sie  so  werden  sollte,  wie  grüne  Brücken  u.  die  andern  mit  Flügeln 
zum  Durchgang  der  Schiffe,  ein  gleiches  sollte  auch  mit  der  Krämer- 
brücke vorgehen. 

26.  November.    Der   neue   Prof.   der   orientalischen    Sprachen  Herr  Hasse   aus 

Jena,  der  in  des  Prof.  Köhlers  Stelle  hergekommen,  [kündigte  an],  daß  er 
jetzt  seine  Vorlesungen  anfangen  würde  nehml.  publice  über  seine 
hebräische  Grammatik  u.  das  Buch  der  Ruth  u.  dann  Dienstag  u.  Frei- 
tag von  1—2  Uhr  über  Salomos  hohes  Lied  u.  privatim  die  syrische  u. 
arabische  Sprache. 

27.  November.    Heute  fing  Hasse  an   zu    lesen,    ich  wollte  morgen  ihn  hören. 

Er  soll  einen  langen  Prolog  gehalten  und  sich  verwundert  haben,  daß  er 
nicht  so  viel  Zuhörer  vor  sich  sähe,  welches  doch  im  Anfange  etwas 
ungewöhnliches  wäre.  Wie  er  in  Jena  zu  lesen  angefangen,  so  sollen  die 
Studenten  so  zahlreich  gewesen  seyn,  daß  sie  Fenster  und  Thüren  aus- 
gehoben haben,  um  ihn  zu  hören. 

28.  November.    Reckard  behielt  heute  in  der  Hermeneutik  wenige  Zuhörer,  weil 

der  größte  Theil  von  ihnen  u.  ich  auch  zum  Prof.  Hasse  ging,  der  in  der 
Tuchmachergasse  logirte.  Er  hatte  heute  ein  starkes  Auditorium  u.  jeder 
von  den  Zuhörern  war  aufmerksam,  weil  er  seinem  Vortrag  so  viel 
Interesse  zu  geben  wußte.  Er  trug  seine  Sachen  in  einem  so  fließenden 
Stile  vor,   als  wenn  er  sich  alles  koncipirt  hätte.    Er   stand   an   einem 


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294  Au8  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

kleinen  Puipet  u.  redete  mit  vielem  Feuer,  war  aber  bestandig  in  Be- 
wegung und  wog  sich  von  einer  Seite  zur  andern.  Er  hatte  die  Prolego- 
menen  der  hebräischen  Sprache  u.  es  war  ihm  recht  gut  zuzuhören  .... 
ging  ich  gleich  nach  dem  Essen  wieder  zu  ihm  hin,  denn  er  las  von 
1—2  Uhr  Salomo's  hohes  Lied.  Er  sieht  es  nicht  für  ein  Buch  an,  was 
die  Orthodoxen  als  die  christliche  Kirche  unter  dem  Bilde  der  Braut  u. 
ihrem  Bräutigam  sich  denken,  sondern  erklärt  es  für  ein  Buch  der  reinsten 
innigsten  Liebe,  das  wohl  wegen  seines  Tones  göttlich  genannt  zu  werden 
verdient,  da  die  Unschuld  eines  süßen  sanften  Mädchens  drin  spricht. 
Möchte  doch,  war  Hasses  Wunsch,  jeder  Jüngling  u.  jedes  Mädchen  so 
sich  lieben,  so  wüßte  man  nichts  von  den  Arten  des  Lasters  der  Wollust. 
Er  erklärte  die  Ueberschrift  als  ein  vorzügliches  Lied  oder  mit  Herdern 
Krone  der  Lieder,  Ausbund  der  Lieder.  Seine  eigne  aber  war  diese  Lied 
der  Lieder  wäre  eine  Sammlung  von  vielen  Liedern,  die  nicht  von  Saloino 
wäre,  denn  dieser  liebte  nicht  ein  Mädchen,  sondern  wie  die  Bibel  sagt 
wohl  eine  Legion.  Feldhusen  hält  es  ebenfalls  für  eine  Idylle,  wie  er  das 
hohe  Lied  in  diesem  Jahre  übersetzt  hat.  Diesen  machte  Reckard  nur 
kürzlich  lächerlich  u.  widersprach  also  auch  hierin  dem  Hasse,  so  wie 
Hasse  auch  Vormittag  sagte  (so  wie  Herder),  daß  der  erste  Mensch  die 
Sprache  nach  den  Tönen  der  Thiere  artikulirt  und  also  nach  u.  nach 
erfunden  habe,  welches  doch  Reckard  geradezu  verneint  u.  es  mit  Süß- 
milch hält,  daß  Gott  dem  Menschen  die  Sprache  gleich  anfangs  ■  ge- 
geben habe. 

2.  December.  Heute  ging  ich  wieder  von  1—2  zum  Prof.  Hasse.  Sein  Audi- 
torium war  ganz  gedrängt  voll  Zuhörer.  Der  Mann  hatte  einen  ungemein 
lebhaften  fließenden  unterhaltenden  u.  blumenreichen  Vortrag  ganz  nach 
Herdern,  den  er  auch  oft  anführte  u.  den  großen  Herder  nannte.  Er 
machte  die  Erklärer  des  hohen  Liedes  die  lauter  Mystik  drin  antreffen, 
recht  lächerlich  u.  hielt  es  für  nichts  anders  als  eine  Sammlung  von  ver- 
schiedenen Liedern,  die  der  Sammler  ohne  Auswahl  an  einander  gereihet 
u.  die  nichts  als  süße  sanfte  Liebe  hauchen.  Er  fing  heute  noch  in  den 
letzten  Minuteu  an  die  6  ersten  Verse  zu  übersetzen,  las  aber  nicht  den 
hebräischen  Text,  sondern  bloß  seine  schöne  deutsche  Uebersetzung. 

9.  December.  Mittags  las  ich  im  Berliner  Blättchen,  daß  Herder  in  Weimar, 
dem  der  Herzog  nicht  günstig  wäre,  dem  Spalding  in  Berlin  adjungirt 
werden  sollte. 

13.  December.  Nach  dem  Essen  ging  ich  gleich  zu  Hasse,  dessen  Auditorium 
noch  immer  erstaunend  voll  von  Zuhörern  war.  Er  übersetzte  das  hohe 
Lied  sehr  schön  u.  erklärte  es,  gab  aber  den  Orthodoxen,  die  er  Kreutz- 
theologen  nannte,  bey  Anzeige  ihrer  Erklärungen  derbe  Hiebe. 


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Von  Arthur  Warda.  295 

1787. 

8.  Januar.  Vormittag  erzählte  Rekhard,  wie  sehr  Basedow  die  Welt  mit  Reinem 
von  ihm  gestifteten  Philanthropin  hintergangen  u.  welche  Reichthümer  er 
sich  dabey  gesammelt,  dahingegen  Franke,  der  das  Hallische  Waysenhaus 
stiftete  u.  Oberkonsistorialrat  Hecker,  -der  sein  väterl.  Erbtheil  von 
20000  Thl.  auf  die  Realschule  zu  Berlin  verwandt  von  der  Welt  des 
Eigennutzes  u.  der  Habsucht  u.  falscher  Absichten  wären  beschuldigt 
worden,  bis  man  endlich  den  Basedow  von  einer  schlechten,  die  beiden 
andern  würdigen  Männer  aber  von  einer  bessern  Seite  nach  ihrem  Tode 
hat  kennen  lernen. 

13.  Januar.  Hasse  zeigte  in  der  vortrefflichen  Uebersetzung  des  hohen  Liedes, 
was  für  Ungereimtheiten  die  Mystiker  in  Erklärung  des  4ten  Kapitels 
gezeigt  hätten,  als  unter  dem  Schleyer  verstehen  sie  den  Glauben,  unter 
den  beiden  Reihen  von  Zähnen  die  2  Symbole  nehml.  das  Nicaenische  u. 
Athanasianische,  unter  den  Purpurlippen  das  Blut  Christi  usw. 

20.  Januar.  Wolterstorf  erzählte  mir  heute  bey  Hasse,  daß  das  Koll.  Fr.  jetzt 
immer  mehr  in  Verfall  käme.  Groß-Sekunda  würde  nächstens  mit  Klein- 
Sekunda  in  eine  Klasse  zusammengezogen  werden.  Es  waren  jetzt  kaum 
20  Kollcgiasten,  u.  der  Inspektor  ziehe  den  Lehrern  für  Licht,  Logis  u. 
Holz  einen  großen  Theil  von  ihrem  Gehalt  ab.  Die  besten  Lehrer  wären 
fort  und  er  wolle  auch  auf  Ostern  ausziehen1). 

31.  Januar.  Heute  disputirte  Prof.  Hasse  im  Aud.  max.  Woltersdorf  war 
Respondent  und  Meyer,  Manitius  u.  Rink,  alle  4  aus  dem  Koll.  Frid. 
dimittirt,  waren  Opponenten  .  .  .  Die  Disputation  soll  bis  halb  2  Uhr 
gewährt  haben.  Rink  konnte,  weil  er  krank  war,  nicht  oppouiren,  für 
ihn  thats  aber  ein  gewisser  Achtsnicht  Lehrer  im  Koll.  Fridr.  Es  soll 
recht  gut  gegangen  seyn  u.  Mangelsdorf  hatte  von  den  Prof.  allein 
opponirt  u.  viel  gescherzt. 
7.  Februar.  [Nicolovius]  erzählte,  daß  er  ohne  Zureden  eines  andern  sich  an 
einem  Morgen  kurz  entschlossen  hätte,  mit  Ostern  zu  Schiffe  nach  Eng- 
land zu  reisen,  so  daß  er  wieder  zum  Michael  hier  zu  seyn  glaubte  u. 
die  Rückreise  entweder  wieder  zu  Schiffe  oder  durch  Deutschland  in  Ge- 
sellschaft des  Hamanns,  den  er  denn  wohl  in  Düsseldorf  finden  möchte, 
machen  würde.  Prof.  Kant  hatte  ihm  schon  seit  einiger  Zeit  zu  solcher 
Reise  angerathen  u.  ihm  versprochen,  Personen  dort  zu  finden,  an  die  er 
sich  adressiren  könnte. 

15.  Februar.  Vormittag  las  Reckard  nicht,  weil  heute  der  Hofprediger  Schulz 
als  Prof.  disputirte Respondent    war    der   ältere   Jachmann    und 

.  1)  Unter  dtm  18.  November  1780  spricht  Puttlich  von  der  „hierarchischen 
Gewalt  des  Domsien". 


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296  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

Opponenten    Zimmermann,     Wolf    und    Gensichen Prof.    Hasse 

opponirte  zuerst  u.  tadelte  besonders  den  Titel  der  Dissertation:  De 
Geometria  acustica,  sonst  aber  zeigte  er  viel  Achtung  und  Freundschaft 
gegen  Schulz,  der  ihn  aufgefordert  hatte,  ihm  in  der  Sache  Einwürfe  zu 
machen,  die  gar  nicht  in  sein  Fach  gehörten.  Prof.  Krause  fand  manches 
in  den  Beweisen  u.  Berechnungen  zu  verbessern. 
1.  März.  Nikolov  kam  noch  zu  mir  u.  sagte,  daß  er  nicht  nach  England 
reisen  könnte,  weil  das  Pupillenkollegium  ihm  die  Reisekosten  ver- 
weigert hätte. 

30.  März.  Ich  plauderte  mit  dem  unglücklichen  lieben  Manne  [Baczko]  auf 
1  Stunde.  Er  erzählte  mir  seine  Lebensgeschichte,  die  ganz  voll  außer- 
ordentlicher Ereignisse  war.  Zuletzt  da  er  sagte,  daß  er  bald  vielleicht, 
da  hier  seine  Bemühung  fürs  allgemeine  Beste  verkannt  würde  u.  auch 
in  denen  wenigen  Tagen,  die  er  zu  durchleben  glaubte,  nützlich  der  Welt 
zu  werden  suchte,  sich  gezwungen  sähe,  Preußen,  das  er  sehr  liebte,  zu 
verlassen.  Seine  Lesebibliothek  kostete  ihm  600  Thaler,  dazu  sollte  noch 
nächstens  ein  Anhang  für  200  Thaler  Bücher  hinzukommen.  Er  sagte, 
er  wäre  arm  u.  hätte  doch  ein  großes  Kapital.  Dies  bestände  darin,  daß 
er  auch  gelernt  hätte,  viele  Bedürfnisse  zu  entbehren.  Er  bat  mich,  ihn, 
wenn  ich  nach  der  Stadt  käme,  wieder  zu  besuchen,  aber  auf  dem  mittleren 
Anger,  denn  morgen  zöge  er  aus  dem  Münchenhofe  schon  dahin. 
9.  April.  Ich  bekam  vom  Prinzipal  auf  heute  Abend  zum  Durchlesen  die 
kleine,  aber  sehr  wichtige  Schrift:  „Was  ist  für  und  was  ist  gegen  die 
General-Tobaksadministration  zu  sagen  ?'•  Die  Schrift  war  von  Finanz- 
rath  von  Bork  geschrieben  in  einem  zieml.  bittern,  aber  sehr  treffenden 
u.  der  Wahrheit  geraäßen  Tone  ohne  Benennung  des  Druckorts  und 
Verf.  Nur  Bork  soll  sich  selbst  beym  Könige,  der  es  zu  wissen  begehrt, 
angegeben  u.  den  König  gebeten  haben,  es  selbst  durchzulesen.  Der 
König  hat  es  sehr  hoch  aufgenommen  u.  den  Ministern  im  Oberdirektorio 
große  Verweise  für  den  Plan,  den  sie  ihm  zur  Unterschrift  vorgelegt 
hatten,  gegeben.  Denn  das  Land  müßte  wirkl.  in  schlechtem  Zustand 
gesetzt  werden,  wenn  zwar  Kaffee  u.  Tabak  wohlfeiler  würden,  dahin- 
gegen aber  aufs  Mehl,  Fleisch,  und  andere  notwendigere  Bedürfnisse 
höhere  Abgaben  gelegt  würden,  welches  den  1.  Juni  seinen  Anfang 
nehmen  sollte. 

24.  Juli.  Ich  besuchte  heute  auch  Herrn  v.  Baczko,  der  schon  vor  einiger 
Zeit  von  Berlin  zurückgekommen  und  mir  sagte,  daß  er  mit  vielen 
wackern  Männern  besonders  mit  Tellern,  von  dem  er  sehr  viel  Gute* 
sagte,  bekannt  geworden  wäre.  Er  sammelte  sich  Vögel  u.  zeigte  mir 
viele  davon,  alles  vaterländische.  Von  der  allg.  Litteraturzeitung  hielt 
er  nichts. 


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Von  Arthur  Warda.  297 

27.  August,  [in  Mohrungen]  Ich  besuchte  Herders  Schwester,  die  Frau  Hörn, 
die  sehr  krank  war. 

15.  September.  Nachmittag  besuchte  ich  noch  ....  Frau  Hörn,  die  sich  noch 
immer  schlecht  befand,  von  ihr  bekam  ich  einen  Brief  an  ihren  Bruder, 
den  Generalsuperintendenten  Herder  in  Weimar  mitnehmen  u.  durch 
Nikolovius  dorthin  schicken  sollen. 
4.  Oktober.  Ich  gab  [Nicolovius]  auch  den  Brief  von  Frau  Hörn  aus  Mohrungen 
damit  er  ihn  mit  dem  andern,  der  noch  bey  HEn  Hamann  lag,  nach 
Weimar  an  den  Generalsuperintendenten  Herder  befördern  möchte. 

1789. 

31.  März,  fuhr  ich  ...  .  nach  Königsberg,  um  von  meinem  lieben  Nikolovius, 
der  nach  England  zu  Schiffe  gehen  wollte,  Abschied  zu  nehmen.  Ich 
fand  ihn  auch  noch  wirklich  in  Königsberg.  Ich  hatte  ein  Abschieds- 
epistel auf  ihn  gemacht  und  gab  sie  ihm  ab. 
7.  April,  ging  Freund  G.  H.  L.  Nikolovius  von  Königsberg  nach  Pillau  ab, 
um  von  da  auf  einem  englischen  Schiffe,  dessen  Kapitän  John  Sharp 
hieß,  nach  England  zu  reisen. 

11.  April,  fuhr  Nikolovius  bey  heiterm  Himmel  und  warmer  Luft  nach  Hüll 
von  Pillau  ab.  Ich  ....  dachte  an  ihn,  wußte  aber  noch  nicht,  ob  er 
schon  abgereiset  wäre,  bis  ich  in  der  Folge  diese  Nachricht  von  seinem 
Bruder  aus  Königsberg  erhielt. 

4.  November.    Ich  schrieb  heute  an  HE.  Nikolovius  nach  Königsberg,  ....  und 

5.  November   bekam    ich    einen  Brief   von    ihm,    worin    er   mir   unter   andern 

sagte,  daß  sein  ältester  Bruder  erst  in  diesen  Tagen  von  London  nach 
Frankreich  übergehen  würde. 

1790. 

19.  Februar.  Ich  ....  ging  auch  zu  Herrn  Nikolowius,  wo  ich  auch  seinen 
Bruder,  den  Buchhändler,  fand,  den  ich  seit  drey  Jahren  nicht  gesehen. 
Sobald  er  das  Privilegium  aus  Berlin  erhalten  würde,  sollte  sein  Etablissement 
auf  Ostern   schon   den  Anfang  in  der  Kneiphöfschen  Langgasse  nehmen. 

1.  Juni,    erhielt  ich  ein  Antwortschreiben  von  Nikolovius,  worin  er  mir  zugleich 

anzeigte,  daß  sein  ältester  Bruder  schon  vor  8  Tagen  von  seinen  Reisen 
zurückgekommen  wäre,  er  schickte  mir  die  zwey  Pfunde  Turnipssamen, 
den  er  für  meine  Principalin  aus  England  gebracht  hatte.  Seine  Ankunft 
machte  mir  große  Freude. 

6.  Juli,    erhielt  ich  über  Post  vom  jungem  Nikolovius  Bücher,  auch  3  Exemplare 

von  dem  Bücherverzeichnisse  aus  dem  nun  schon  eröffneten  Laden 
seines  Bruders. 

2.  August.    Ich   stieg   gleich    vor   der   Nikoloviusschen    Buchhandlung    in  der 

Kneiph.  Langgasse  ....  ab  u.  fand  alle  3  Gebrüder  zu  Hause,  u.  freute 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  3  u.  4.  20 


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298  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

mich  besonders  den  Engländer  zu  sehen  u.  zu  sprechen.    Wir  unterhielten 

uns  auf  3  Stunden  .... 
3.  August.     Nikolovius   ....    gab    mir    bis   zur   nächsten   Gelegenheit   die 

Brabantsche  Patriotenkokarde»   die   er  sich   in  Gent  hatte  kaufen  müssen 

u.  die   aus   rothem,  schwarzem,   weißem   u.  gelbem  Band  bestand,   nach 

Klingbeck    mit,    zeigte    mir    auch    als    Reliquie    ein    Stückchen    von 

Shakespeare  Stuhle. 
29.  Oktober.    Ich    bekam    heute   vom   jüngsten   Nikolovius  ....  nebst   einem 

Briefe   über  Post,   worin  er  mir  Nachricht  gab,   daß  sein  ältester  Bruder 

wieder  auf  eine  Zeitlang  sein  Vaterland  verlassen  würde.    Wohin  er  aber 

ginge,  wollte  er  mir  künftig  sagen. 
9.  November.    Ich   schrieb    an    den   ältesten    Nikolovius   u.  schickte   ihm   die 

Brabantsche  Patriotenkokarde  zurück. 

16.  November.    Ich    erhielt  heute  eine  Antwort   vom   ältesten  Nikolovius   auf 

meinen  letzten  Brief.  Sie  erregte  in  mir  eine  bittersüsse  Empfindung, 
denn  er  schrieb,  daß  er  auf  künftigen  Monat  nach  Berlin  ginge  u.  mit 
dem  dänischen  Gesandten  am  Berl.  Hofe,  dem  Grafen  F.  L.  zu  Stolberg 
eine  Reise  durch  Deutschland,  die  Schweitz  u.  Italien  nach  Neapel 
machen,  2  Jahre  wegbleiben  u.  nachher  eine  Stelle  bey  hiesiger  Akademie 
erhalten  würde. 

1792. 

3.  Juni.  Mittags  aß  ich  bey  Nicolovius,  der  heute  noch  mit  dem  Münzbuch- 
halter [Schiemannl  seinem  Bruder,  dem  Buchhändler,  nach  Dan  zig  mit 
der  Post  entgegenfuhr,  der  ältere  wollte  nach  Briefen  von  ihm  mit  dem 
Grafen  zu  Stolberg  nach  Sicilien  übergehen  und  den  Aetna  besteigen1). 

1795. 

17.  Mai.  [in  Worienen].    Ich  besuchte  nun  vorläufig  den  schönen  Garten,  durch- 

wandelte ihn  aber  bald  in  größerer  Gesellschaft  des  geheimen  Finanzraths, 
seiner  Gemahlin  u.  deren  allerliebsten  zwey  Kinder  Adelheide  von  4  u. 
Alfred  von  3  Jahren,  Bonnchens  u.  der  bey  den  Fräulein.  Zu  jeder  Seite 
der  Hälfte  des  großen  Gartens  ist  zwar  ein  Bogengang,  aber  beyde  führen 
wie  anfänglich  andere  Gänge  zu  dem  schönen  Naturgarten,  auf  dessen 
noch  größere  Verschönerung  der  Präsident  viel  Sorgfalt  verwendet  Es 
giebt  viel  ausländische  Bäume  darin,  als  die  nordamerikanische  Fichte, 
die  virginische  Pappel,  der  Lerchenbaum,  Cypressenbaum,  mehrere  Akazien- 


1)  Unter  dem  5.  Juli  1792  schreibt  Puttlich  in  einem  Briefe  an  seine  Braut: 
„[Theodor  N.J  erzählte  mir,  daß  sein  ältester  Bruder  mit  dem  Grafen  zu  Stoll- 
berg von  Neapel  über  die  Meerenge  nach  Sicilien  gehen  wollte,  um  den  Aetna 
zu  besteigen,  da  er  vorher  schon  auf  dem  Vesuv  gewesen  wäre**. 


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Von  Arthur  Warda.  299 

arten  u.  s.  w.,   die  zum  Theil  aber  bey   dem   letzten   späten  Frost  etwas 

gelitten   haben Außer  dem  ....  größeren   Teiche,   woran   der 

Garten  linker  Seite  grenzt,  enthält  er  in  seinem  Innern  noch  zwey  andere 
kleinere  Teiche  mit  Fischen,  davon  einer  mit  einem  schönen  weißen  Ge- 
länder umgeben  ist,  dann  kommt  man  im  Laubdunkel  zu  einer  von  Feld- 
steinen eingeschlossenen  Samaritäne  oder  zu  einem  Quellbrunnen,  woran 
ein  Sitz  von  Wurzeln  u.  Aesten  ist.  Auf  verschiednen  sich  windenden 
Pfaden  und  über  Knüttelbrücken  kommt  man  in  viele  Gegenden  des 
Naturgartens.  Ein  Hauptgang  führt  in  ein  düstres  Heiligthum  von 
Mauerpfeilern,  3  verschloßnen  eisernen  Thürengegittern  u.  Birken  umgeben. 
Hier  sieht  man  auf  einem  grünen  kleinen  Hügel  eine  große  schönge- 
arbeitete Urne  von  kararischem  Marmor,  welche  der  erhabnen  goldnen 
lateinischen  Inschrift  zufolge  auf  einer  Tafel  von  schwarzem  Marmor  im 
Fußgestell,  das  ebenfalls  von  weißem  Marmor  ist,  der  geheime  Finanzrath 
mit  seinen  Geschwistern  ihren  verewigten  Aeltern  geweiht  haben.  Die 
Aufschrift  ist  folgende: 

D.  M.  S. 
J.  F.  de  Domhardt 
et 
A.  E.  Keudell 
Parent.  O.  B.  M. 
L.  L.  F.  C. 
Filii  Filiaeque.  MDCCLXXXVIII. 
Nun  durchkreutzen    sich   krumme  Pfade   durch   das   wilde  Gebüsch   von 
allerley  einheimischen  Holzarten.  Auf  der  rechten  Seite  im  Garten  neben  dem 
einen  Teiche  findet  man  die  vielen  Mistbeete  u.  einen  Treibkasten,  worin  viele 
Ananaspflanzen  in  Töpfen  stehen.    Achtzehn  davon  trugen  schon  Frucht. 
Hinter  diesem  Platz  kommt  der  Blumenflor,  in  dessen  Mitte  eine  steinerne 
Sonnenuhr  steht.    Nicht   weit  davon  ist   die  gutgebaute  Gärtnerwohnung 
und    nebenbey    das  große  Gewächshaus    von  27    großen  Fenstern,   worin 
man  eine   schöne  Orangerie  u.  seltne  Blumenstauden  u.  Gewächse   findet. 
Auf    der   linken  Seite   des  Gartens   am    großen  Teiche   steht   auf   einem 
grünen    Rasenhügel    ein    Denkmal,   das   die  Präsidentin    in    diesem    Jahr 
zum  Andenken  des  vorjährigen  Besuchs   von    ihren  Geschwistern    hat  er- 
richten lassen.     Es  ist  eine  weiße  abgestumpfte  Säule   mit   der  Inschrift: 
Meinen  Geschwistern 
Ignat.  u.  Cath.  v.  Radolinski 
MDCCXCIV 
Zu    beyden  Seiten    stehen    zwecn    große   geflochtene  Blumenkörbe, 
worin  Blumen  gepflanzt  sind.     Im   Hintergründe  des  Gartens  wird  man 
durch   den    Anblick    einer   Einsiedeley    überrascht,  die   mit   Tannenrinde 

20* 


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300  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

bedeckt  ist.  Vor  ihr  auf  beyden  Seiten  stehen  Birken,  unter  denen  an  einer 
der  Einsiedeley  am  nächsten,  ein  Täf eichen  mit  folgender  Aufschrift  hängt: 
Trage  Deine  Ketten  und  schmücke  sie  mit  Blumen. 
In  der  Einsiedeley  selbst,  deren  Wände  mit  Moos  bekleidet  sind, 
trifft  man  in  der  Mitte  einen  Tisch  von  Baumrinden  an.  lieber  dem 
Kamin  lieset  man  die  Worte: 

Das  Gesetz 

der 

Wiedervergeltung 

ist  eine 

ewige  Naturordnung. 

Ueber  einem  kleinen  Altar  in  der  Ecke  hängt  eine  pyramidenförmige 

weiße  Tafel  mit  der  Inschrift: 

Niemand  sage,  daß  ein  ungünstiger  Gott  das  Schicksal 

des  Menschen  lenke  und  neidend  es  von  seiner  Höhe  zu  stürzen 

trachte;  die  Menschen  sind  einander  selbst  ihre  ungünstige  Dämonen 

Wahrheit  und  Tugend  sind  selbsterworbene  Güter 
und  verbleiben  dem  Eigenthümer  diesseits  und  jenseits  des  Grabes. 

Vor  der  Thür  zu  beyden  Seiten  der  Einsiedeley  stehen  zwey  Bänke 
wie  an  dem  Quellbrunnen.  Den  großen  Garten  zieren  noch  Pfauen,  deren 
20  seyn  sollen  u.  die  hier  ihren  gewöhnlichen  Aufenthalt  haben,  denn 
man  begegnet  sie  fast  auf  allen  Pfaden.  —  Nach  dem  Essen  besahen  wir 
die  schönen  Zimmer  des  Hofes,  besonders  gefiel  mir  die  Büchersammlung 
u.  das  Bilderkabinet.  In  meinem  Zimmer  hängen  die  Farn ilien gern ählde 
u.  ich  habe  eine  hübsche  Aussicht  .  .  .  Nun  führte  mich  auch  der 
Präsident  in  seinen  Pferdestall,  der  wohl  vielleicht  der  einzige  in  seiner 
Art  hier  in  Preußen  ist,  denn  er  gleicht  einem  Hofe,  ist  ein  langes 
massives  Gebäude  mit  Dachziegeln  gedeckt,  hat  einen  hübschen  Thunn 
mit  einer  Uhr,  die  auch  sogar  Viertelstunden  schlägt  und  auf  vier  Seiten 
Uhrscheiben  hat.  Im  sehr  reinlichen  netten  Stall  mit  einer  Gypsdecke 
und  herabhängenden  Laternen  stehen  schöne  Pferde  in  Abtheilungen,  wie 
denn  auch  die  Arbeitspferde  sehr  wohl  aussehen  u.  zum  vorzüglich  guten 
Gestüte  gehören.  Aus  einer  Pumpe  sprudelt  unaufhörlich  klares  frisches 
Wasser  hervor.  Uebrigens  ist  in  dem  Gebäude  alles  bequem  u.  trefflich 
eingerichtet.  Ueberhaupt  gehören  die  Worin enschen  Güter  zu  den 
beträchtlichsten  in  Preußen  und  sind  ein  Fideikomniß. 
19.  Mai.  Nachmittag  lustwandelten  wir  ins  Getreidefeld,  durch  eine  schöne 
Allee  auf  der  Landstraße,  wo  an  einer  Linde  eine  Blechtafel  mit  folgenden 
Worten  angeschlagen  war:  „Suche  nicht  rauscheude  Freuden  in  der  stillen 
Wohnung  des  Landmannes." 


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Von  Arthur  Warda.  301 

20.  Mai.  .  .  .  kam  der  Präsident  zu  mir,  wo  er  sich  mit  mir  über  den  traurigen 
Zustand  seines  altern  Bruders  unterhielt  u.  mir  auch  seine  eigenen 
Schicksale  bey  Verzichtleistung  auf  den  geheimen  Finanzrathsposten  nach 
seiner  Vermählung  mit  seiner  Gemahlin  u.  die  gegen  ihn  gespielten 
Kabalen  erzählte. 

25.  Mai.    Alles   war   reisefertig   u.    wir   empfahlen    uns   dankbar   gerührt   dem 

Worinenschen  Hause.  Der  Präsident  war  bis  zu  Thränen  gerührt  u. 
sagte:  Da  sehen  Sie  wieder  das  alte  Weib  in  mir1). 

26.  Mai.    [in    Königsberg.]    Nun    wurde    von    unsern    allersei tigen    künftigen 

wichtigen  Verhältnissen  gesprochen.  Es  betraf  die  gemeinschaftliche 
Gründung  einer  Erziehungsanstalt,  dazu  Freund  Fleischer  schon  fast 
ganz  den  Plan  entworfen  hatte.  Dem  zufolge  sollte  die  Sache  von 
Michael  d.  J.  den  Anfang  nehmen  u.  wir  dann  vereintes  Doppelpaar 
unsere  Kräfte  gemeinschaftlich  zur  Bildung  junger  Weltbürger  anwenden.  — 
Ob  die  Sache  gleich  schön  war,  so  mußte  ich  dennoch  an  einem  günstigen 
Erfolg  zweifeln,  und  ich  wünschte  lieber  mein  Leben  auf  dem  Lande 
thätig  verleben  zu  können  als  in  einer  großen  Stadt.  Doch  wollte  ich 
den  Wünschen  meiner  Minne  nicht  entgegen  seyn  u.  erst  in  den  folgenden 
Tagen  den  Entwurf  von  Fleischern  lesen. 

23.  Juni.  Vormittag  ging  ich  mit  Fleischern  u.  meiner  Minne  die  Wohnung 
des  Frl.  v.  Bohlschwing  in  der  Wilhelmstraße  in  Augenschein  nehmen, 
die  wir  zu  unserm  Institut  miethen  wollten.  Wir  besahen  die  Gelegen- 
heit u.  fanden  sie  für  90  Thaler  gut  für  unsern  Zweck,  denn  sie  hatte 
6  Stuben.  3  Kammern,  3  Küchen,  einen  Stall,  Boden  u.  Hofraum. 
Dann  zeigte  uns  Frl.  v.  Bohlschwing  auch  ihres  Vaters  Garten,  den  wir 
zu  miethen  auch  willens  waren.  Kriegsrath  Deutsch  ....  warnte  uns 
vor  der  Unbedachtsamkeit  bey  unserm  Vorhaben  u.  rieth  uns  wohl  alles 
gehörig  zu  überlegen. 

28.  Juni ging  ich  mit  [Fleischer]   zum  Kammerherrn  v.  Bohlschwing, 

dessen  Wohnung  wir  für  90  Thaler  u.  den  Garten,  den  wir  vorher  be- 
sahen für  50  Thaler  mietheten.  Der  Contract  wurde  auf  3  Jahre  ge- 
schlossen u.  der  Kammerherr  schrieb  ihn  selbst. 
2.  Juli.  Nachmittag,  nachdem  ich  nochmals  den  von  Fleischer  u.  mir  ent- 
worfnen  Plan  zu  unserm  Erziehungsinstitut  durchgesehen  hatte,  ging  ich 
mit  ihm  zu  Härtung,  um  ihn  abdrucken  zu  lassen.  Dieser  meynte  die 
Censur  würde  uns  viele  Schwierigkeiten  machen,  doch  wolle  er  den  Plan 
zu  diesem  Zweck  gleich  an  den  Prof.  Beusch,  der  jetzt  philos.  Dekan 
war,  schicken,  welches  auch  geschah. 


1)  Am  24.  Mai  hatte  Puttlich  noch  in  eine  Linde  in  Worienen  die  Buch- 
staben J.  S.  F.  P.  und  die  Zahl  1795  eingeschnitten. 


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302  Aus  dem  Leben  de»  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

9.  Juli.  Heute  war  der  Abdruck  von  der  Ankündigung  unserer  Erziehungs- 
anstalt fertig  u.  ich  theilte  ihn  Nachmittag  gleich  der  Frau  v.  Domhardt 
mit.  [am  nächsten  Tage  dem  Rittmeister  und  dem  Präsidenten  v.  Dom- 
hardt]. 

12.  Juli.    Heute   Vormittag    fuhr  ich   mit   Fleischern   im    Wagen   des   jungen 

Bruinvisch  zu  den  angesehensten  Häusern  der  Stadt,  wo  wir  unsere  An- 
kündigung der  Erziehungsanstalt  mittheilten.  Vom  Stadtrath  Salzmann, 
bey  dem  wir  ausstiegen,  machten  wir  den  Anfang  auf  der  Insel  Venedig, 
fuhren  dann  durch  die  kneiphöfische  Langgasse,  wo  wir  in  verschiedenen 
Häusern  Exemplare  einreichen  ließen,  dann  durch  die  Koggengasse,  den 
Steindamm  hinauf,  die  Junkerstraße,  auf  den  Prinzessinplatz,  wo  wir  bey 
Prof.  Kant  ausstiegen.  Der  würdige  große  Mann  empfing  uns  gütig  u. 
freundlich,  und  unterhielt  sich  lange  mit  uns  über  unser  wichtiges  Vor- 
haben, dazu  er  uns  mit  herzlicher  Wärme  viel  Glück  wünschte,  uns  von 
seiner  Empfehlung  versicherte  u.  uns  manchen  guten  Rath  u.  Winke  gab. 
Dann  gings  auf  den  Tragheim  zum  Kanzler  v.  Finkenstein,  der  unserni 
Unternehmen   Glück   wünschte    und   uns   seines   Beystandes    versicherte, 

dann  zum in  die  französische  Straße,  wo  wir  bey  Madame  Louis 

ausstiegen  u.  mehrere  Exemplare  da  ließen.  Am  schiefen  Berge  stiegen 
wir  beym  Assistenzrath  Schmidt  u.  Doktor  Liebeskind  aus.  Dann  auf 
den  Boßgarten  u.  die  neue  Sorge,  wo  wir  beym  Gerichtsassessor  Höpfner 
u.  bey  Frau  v.  Domhardt  ausstiegen  u.  bey  der  letztern  von  der  guten 
Frau  v.  Keudell  mit  Himbeeren,  Erdbeeren  u.  Konfekt  gelabt  wurden; 
dann  zum  Landhofmeister,  der  uns  lange  auf  sich  harren  ließ,  bis  er 
erschien,  da .  ich  ihm  dann  die  Ankündigung  überreichte.  Er  meynte 
zwar,  daß  wir  den  Schulen  dadurch  Abbruch  thun  könnten,  als  wir  ihm 
aber  vorstellten,  daß  in  unserer  Anstalt  die  Zöglinge  für  den  Unterricht 
in  öffentlichen  Schulen  vorbereitet  würden,  wünschte  er  uns  dazu  viel 
Glück.  Nun  fuhren  wir  durch  die  Landhofmeisterstraße  über  den  Sack- 
heim, neuen  Markt,  Löbenichtsche  Langgasse,  über  die  Holzbrücke  auf 
den  Ochsenmarkt,  wo  wir  beym  Mäkler  Watson  ausstiegen,  wo  Fleischer 
täglich  Unterricht  gab.  Dann  noch  zu  Madame  Pohl,  wo  6ich  ihr  Bruder 
der  junge  Bruinvisch  aufhielt,  dem  wir  für  den  Wagen  verbindlichst 
dankten. 

13.  Juli.    Vormittag  ging  ich  mit  Fleischern  zum  Obermarschall  Grafen  v.  Dönhof, 

den  wir  gestern  nicht  zu  Hause  fanden  u.  der  uns  sehr  gütig  empfing. 
Er  freute  sich  über  unser  wichtiges  Unternehmen,  das  er  für  ein  dringendes 
Bedürfniß  für  Königsberg  hielt,  sicherte  uns  seine  Fürsorge  u.  Empfehlung 
als  Präsident  des  Pupillenkollegiums  zu,  ja  versprach  uns  seinen  Besuch 
in  unserer  Anstalt,  um  sich  vom  glücklichen  Gedeihen  der  jungen  Pflanzen 
in    unserer   Schule  u.  vom    günstigen  Erfolg   seiner   guten  Wünsche   für 


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Von  Arthur  Warda.  303 

unsere  Sache  zu  überzeugen.  Dies  rührte  mich  zu  Thränen.  Nicht 
minder  freundlich  empfing  uns  der  Consistorialpräsident  Kirschkopf,  der 
Hofprediger  Kr  ichton,  der  lange  u.  populär  wie  Kaplan  Hermes  mit  uns 
sprach.  Letzterer  rieth  uns,  auch  die  Schullehrer  u.  ihre  Oberen  wie  den 
Prof.  Wald  nicht  mit  unserer  Ankündigung  vorbey  zu  gehen.  Deswegen 
gingen  wir  auch  Nachmittag  zum  Kirchenrath  Hennig,  der  sich  unsers  Vor- 
habens glückwünschend  freute,  dann  zum  Rektor  Conradi  von  der 
Loben  ich  tschen  Schule,  zu  Doctor  Wald,  von  dem  wir  den  meisten  Wider- 
spruch besorgten,  aber  schlau  sehr  höflich  that  u.  uns  gleichfalls  Glück 
wünschte  (die  Zahl  der  Zöglinge  des  Collegiums  soll  von  70  auf  13 
geschmolzen  seyn)  dann  zu  Consistorialrath  Hasse  u.  Graf  u.  Abends 
noch  zum  Feldprediger  Riemain  auf  dem  Haberberge,  mit  den  wir  lange 
über  unsern  Plan  sprachen. 

14.  Juli.  Nachmittag  ging  ich  mit  Fleischern  zu  Prof.  Krause,  der  lange  u. 
freundlich  sich  mit  uns  unterhielt,  mit  dem  ich  viel  über  Osterode  sprach, 
und  der  uns  teilnehmend  Glück  wünschte,  uns  auch  seinen  Besuch  ver- 
sprach, dann  zum  Magister  Weymann,  Rektor  der  altstäd tipchen  Schule, 
zum  Kammersekretär  John,  der  überaus  freundlich  gegen  mich  sich 
zeigte.  (Seine  Frau  hatte  sehr  gealtert  u.  sah  schmutzig  aus.  Seine 
Kinder  waren  ungemein  groß  gewachsen).  Dann  zu  Pfarrer  Fischer,  dem 
lieben  Manne,  der  freundlich  sich  mit  uns  unterhielt,  uns  gleichfalls 
teilnehmend  Glück  wünschte  u.  seinen  Besuch  uns  versprach.  Endlich 
auch  zu  Prof.  Pörschke,  mit  dem  wir  zwo  Stunden  traulich  verplauderten. 

22.  Juli.  Wir  sandten  heute  100  Stück  Exemplare  unserer  Ankündigung  mit 
der  Post  ab. 

1797. 

21.  Januar.    Vorgestern  war   mein   ehemaliger    Lehrer   Usko   aus  Smyrna   hier 

angekommen,  welchen  ich  herzlich  zu  sehen  u.  zu  sprechen  wünschte. 

22.  Januar.    Wurde   ich   zu   Prodiger  Woltersdorff   auf   Nachmittag  u.  Abends 

eingeladen,  wo  wir  in  Gesellschaft  des  Prediger  Göcking  u.  Castell,  des 
Rektors  Nicolai  von  der  Kneiphöfischen  Schule  u.  des  Landschaftssyndikus 
Manitius  den  Prediger  Usko  lange  sehnlich  erwarteten  u.  welcher  zu 
unserer  allgemeinen  Freude  endlich  erschien.  Er  erkannte  mich  auf  den 
ersten  Anblick  wieder  u.  fiel  mir  um  der  Hals.  Das  war  ein  frohes 
Wiedersehen  u.  ein  herrlicher  genußvoller  Abend,  der  uns  während  seinen 
interessanten  Erzählungen  schnell  verfloß.  Wir  schieden  nach  ll1^  Uhr 
von  einander  und  mein  Usko  versprach  mir  morgen  einen  Besuch. 

23.  Januar.    Gegen  Mittag  genoß    ich  die  Freude,   meinen    würdigen  Usko   bey 

mir  zu  sehen.  Er  konnte  nur  eine  Weile  bey  mir  bleiben,  weil  er 
Mittags  zu  Prof. -Kant  eingeladen  war. 


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304  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich. 

24.  Januar.  Gegen  Abend  besuchte  uns  wieder  der  liebe  Usko,  nachdem  er 
von  Graf  Dohna  gekommen  war,  auf  2  Stunden  u.  zeigte  uns  persische 
Gemälde  vor.    Er  war  zum  Abendessen  beym  Oberhofprediger  Schulz. 

26.  Januar.    Besuchte  ich  Vormittag  Pred.  Usko,  der  sich  in  mein  Stammbuch 

geschrieben  u.  mich  morgen  Abend  zu  besuchen  versprach. 

27.  Januar.     Baron  v.  Vietinghofsche  Familie,  Frl.  v.  Wegnern,  Frau  Generalin 

v.  Bahr,  Frau  v.  Funk,  Cpnsistorialrath  Schmalz,  Geheimrath  v.  Gossow, 
v.  Besser  d.  ä.,  Schindler  u.  Campe  waren  Abends  bey  uns  u.  harrten 
mit  uns  der  Erscheinung  unsers  guten  Usko,  der  sich  ziemlich  spät  ein- 
fand, um  den  sich  aber  bald  nach  seinem  Eintritt  alles  hersammelte  u. 
auf  seine  Erzählungen  aufmerksam  horchte.  Bey  Tisch  ließen  wir  ihn 
oben  an  sitzen,  damit  er  besser  über  Tisch  sprechen  konnte.  Er  deklainirte 
auf  unsere  Bitten  persische  u.  arabische  Verse  her,  was  uns  viel  Ver- 
gnügen machte.  Nach  Tisch  blieb  er  noch  bis  11  Uhr  bey  uns,  u.  alles 
schied  froh  u.  befriedigt  mit  Dank  gegen  Usko  u.  uns  auseinander.  Er 
versprach  wo  mögl.  noch  zu  uns  zu  kommen.  Heute  war  er  zu  Mittag 
beym  Gouverneur  gewesen  u.  übrigens  täglich  engagirt. 

28.  Januar,    reiste   unser   gute  Usko   schon  wieder  ab,   zunächst  nach  Lyck  zu 

seiner  alten  würdigen  Mutter,  von  da  er  über  Warschau,  Breslau,  Wien, 
Triest  nach  Smyrna  [wollte]  ....  Er  konnte  aus  Zeitmangel  nicht 
noch  einmal  zu  mir  kommen,  daher  ihm  mein  liebes  Weib  ein  Gemälde 
von  ihrer  Hand  zum  Andenken  nachsandte  u.  wofür  er  ihr  noch 
schriftlich  dankte,  als  er  im  Begriff  war  abzureisen. 

23.  Mai.    Heute  hatte   ich   wieder   die  Freude   meinen   würdigen  Freund,   den 

Prediger  Usko  wieder  zu  sehen  u.  zu  sprechen.  Er  war  vor  ein  paar 
Tagen  mit  dem  General  von  der  Infanterie  Graf  v.  Kaikreuth  aus  Danzig 
gekommen,  wo  er  nun  eine  Professorstelle  am  Gymnasio  erhalten  sollte 
u.  nicht  mehr  nach  Smyrna  zurückgehen  dürfte.  Er  logirte  nun  bey 
Pred.  Wolterstorff  auf  dem  Sackheim  u.  war  heute  Abend  in  Gesellschaft 
bey  C.  R.  Schmalz,  wohin  auch  ich  eingeladen  war  u.  außer  Usko  noch 
den  Major  v.  Hüllesen,  Oberrath  Pranzel,  die  Hofrath  Metzgersche  Familie 
u.  den  Feldpr.  Riemain  fand  u.  in  deren  Gesellschaft  einen  frohen 
Abend  verlebte. 

24.  Mai.    Unser  Usko   besuchte  uns   heute  vor   dem  Essen   auf  eine  Stunde  u. 

erzählte  uns  sehr  viel,  was  besonders  meinen  Zöglingen  viele  Freude  gewährte. 


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Das  Kant-Bildnis  Elisabeths  von  Stägemann. 

Von 

Arthur  Warda. 


Die  folgenden  Mitteilungen  sollen  nichts  neues  bringen, 
nur  Ergebnisse  aus  lange  gedruckt  vorliegenden  Quellen.  Eine 
solche  Zusammenstellung  dürfte  doch  vielleicht  nicht  überflüssig 
sein,  da  die  Behandlung  der  Frage  nach  dem  Kant-Bildnis  von 
der  Hand  Elisabeths  v.  Stägemann  bisher  zu  Resultaten  geführt 
hat,  die,  wenn  sie  länger  ohne  Widerspruch  blieben,  nur  zu 
Irrtümern  Anlaß  geben  können. 

Dr.  Paul  von  Lind  hatte  in  dem  Aufsatz  „Eine  erfüllte 
Prophezeiung  Kants"  in  den  Kantstudien  (Leipzig  1899,  Bd.  III 
S.  170)  im  Anschluß  an  den  Artikel  über  Fr.  Aug.  Stägemann 
aus  der  „Allgemeinen  Biographie"  erwähnt,  daß  Elisabeth  von 
Stägemann  „ein  treffliches  Bild  von  Kant  geliefert  hatte,  wie 
denn  Kant  von  ihren  Bildern  sagte :  Der  Geist  des  Dargestellten 
spricht  uns  daraus  an."  In  den  Mitteilungen  desselben  Heftes 
der  „Kantstudien"  (S.  255)  hat  v.  Lind  unter  dem  Titel:  „Ein 
Stägemannsches  Kantbild"  Nachricht  von  seinen  Nachforschungen 
nach  diesem  Bilde  gegeben  und  faßt  das  Ergebnis  derselben 
dahin  zusammen:  „Dieses  v.  Stägemannche  Kantporträt  zu  ent- 
decken, ist  mir  trotz  eifrigster  Nachforschungen  bisher  noch  nicht 
gelungen.  Auch  über  die  mutmaßliche  Entstehungszeit  des  Bildes 
kann  ich  bis  jetzt  nur  unbestimmte  Mitteilungen  machen.  Fest 
steht,  daß  das  Lob,  das  Kant  den  Bildern  der  Künstlerin  zollte, 
vor  1795  ausgesprochen  wurde;  nimmt  man  hinzu,  daß  Elisabeth 
v.  Stägemann  1761  geboren  ist,  so  ergibt  sich  als  naheliegende 
Vermutung,  daß  das  gesuchte  Bild  den  Meister  in  der  Zeit  seines 


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306  Vau  Kant-Bildni»  Elisabeths  von  Stagemann. 

Lebens  zeigt,  in  der  er  seine  Hauptwerke  schrieb.4*  v.  Linds 
seitdem  angestellte  Nachforschungen  scheinen  resultatlos  geblieben 
zu  sein,  denn  in  seinem  Aufsatz  über  das  Kantbild  des  Fürsten 
v.  Pleß  (Kantstudien  1900,  Bd.  IV  S.  102  ff.)  bedauert  er,  daß 
das  Stägemannsche  Kantbildnis  noch  nicht  wieder  aufgefunden 
sei,  hofft  aber,  indem  er  von  dem  Bilde  große  Erwartungen 
hegt,  daß  die  Auffindung  gelingen  werde,  „wenn  alle  Freunde 
des  großen  Philosophen  ihre  Anstrengungen  dazu  ver- 
einigen." 

Die  Nachforschungen  v.  Linds  waren  es  wohl  gewesen,  die 
inzwischen  zur  Bildung  einer  Annahme  Anlaß  gegeben  hatten, 
die  auch  heute  noch  zu  bestehen  scheint,  nämlich  daß  das  vom 
Magistrat  der  Stadt  Königsberg  1897  aus  Dresden  erworbene 
Kantbildnis  das  Bild  von  der  Hand  Elisabeths  v.  Stagemann  sei. 
Das  Stägemannsche  Bild  schien  verschollen,  was  lag  näher  als 
die  Annahme,  daß  das  vor  nicht  langer  Zeit  erworbene  Bild, 
das  nicht  nur  hinsichtlich  der  Person  des  Dargestellten  berechtigte 
Zweifel  erregte,  sondern  namentlich  in  Rücksicht  der  Person 
seines  Urhebers  nicht  den  geringsten  sichern  Anhalt  bot,  das 
gesuchte  Bild  war,  wenn  nur  die  Malweise  übereinstimmte  und 
sonst  nichts  dagegen  sprach.  So  wurde  denn,  wahrscheinlich 
auf  die  Meinung  des  Herrn  Dr.  v.  Olfers,  des  Enkels  der  Elisabeth 
v.  Stagemann,  hin  von  Professor  Bühl  in  seinen  „Briefe  und  Akten- 
stücke zur  Geschichte  Preußens  unter  Friedrich  Wilhelm  III.,  vor- 
zugsweise aus  dem  Nachlaß  von  F.  A.  v.  Stägemannu  (Leipzig  1899, 
Bd.  I  S.  XXI,  Anm.  2)  die  Ansicht  ausgesprochen:  „  .  .  .  .  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  rührt  von  ihr  (Elisabeth  v.  Stagemann) 
das  Porträt  Immanuel  Kants  her,  das  sich  jetzt  als  Geschenk 
des  Herrn  Oberbürgermeisters  Hoffmann  im  Königsberger  Museum 
befindet."  Diese  Ansicht  wurde  dann  von  Professor  G.  Diestel 
in  den  Kantstudien  (1901,  Bd.  VI  S.  113)  aufgenommen  und 
mit  technischen  Gründen  unterstützt. 

Weder  Dr.  v.  Lind  noch  Professor  Rühl  haben  aber  bei 
ihren  Mitteilungen  die  gedruckten  Quellen  genügend  berücksichtigt. 
Es  wird  nun  an  der  Hand    dieser  Quellen  gezeigt  werden,    daß 


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Von  Arthur  Warda.  307 

erstens  das  Königsberger  (Dzondische)  Kantbildnis  nicht  von 
der  Hand  Elisabeths  v.  Stägemann  herrühren  kann,  zweitens  daß 
das  Stägemannsche  Kantbildnis  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
insofern  nicht  verschollen  ist,  als  es  in  einer  öffentlich  verbreitet 
gewesenen  Nachbildung  bekannt  geworden  ist. 

Die  Quelle,  die  uns  über  das  Kantbild  Elisabeths  v.  Stäge- 
mann Aufschluß  gibt,  ist  der  Briefwechsel  zwischen  dem  Kapell- 
meister Johann  Friedrich  Eeichardt  und  Elisabeth  v.  Stägemann. 
Die  Briefe  des  ersteren  sind  auszugsweise  abgedrückt  in  dem 
Buche:  Erinnerungen  für  edle  Frauen  von  Elisabeth  v.  Stägemann. 
1.  Aufl.  Leipzig  1846,  2.  Aufl.  Leipzig  1858  Der  Herausgeber 
dieses  Buches,  Dr.  Wilhelm  Dorow,  sagt  in  den  vorausgeschickten 
Lebensnachriohten  (S.  X):  „er  (Kant)  fand  große  Freude  an 
Portraits,  welche  sie  flüchtig  in  Sepia  hinwarf,  „denn  —  wie  er 
sagte  —  der  Geist  des  Dargestellten  spricht  uns  daraus  an;" 
so  genügte  dem  großen  Manne  namentlich  sein  eigenes  Bild, 
welches  Elisabeth  von  ihm  für  Reichardt  gemacht;  Kant  fand 
es  sprechend:  „Ja,  ja  das  bin  ich"  schrieb  er  an  Reichardt 
darüber.  Leider  ist  dieser  Brief  Kants,  der  vor  dem  1.  März  1797 
anzusetzen  ist,  bisher  nicht  wieder  aufgefunden.  Es  ist  nicht 
ersichtlich,  woraufhin  v.  Lind  es  als  feststehend  bezeichnet,  daß 
Kant  sein  Lob  den  Bildern  der  Künstlerin  vor  1795  gezollt  hat; 
etwa  deshalb,  weil  Elisabeth  v.  Stägemann  1795  ihrem  ersten 
Gatten  nach  Berlin  folgte  —  dies  wäre  nicht  maßgebend,  da 
Elisabeth  v.  Stägemann  bereits  in  demselben  Jahre  wieder  nach 
Königsberg  zurückkehrte.  Unter  dem  1.  November  1796  schreibt 
Reichardt  von  Giebichenstein  aus:  „Wenn  Sie  mir  doch  die 
Liebe  erzeigen  wollten,  unsern  alten  ehrwürdigen  Kant  zu 
zeichnen  oder  zu  mahlen,  damit  ich  darnach  ein  gutes  Bild  in 
dem  Format  von  Deutschland  stechen  lassen  könnte!  Mir  sind 
alle  Kupfer  die  man  von  ihm  hat  so  zuwider!  Sie  werden  sich 
gewiß  nicht  so  sclavisch  ans  niedergebeugte  Alter  halten,  und 
seine  vortreffliche  Stirn  un4  seine  sehr  feine  Nase  treu  darstellen. 
0  tun  Sie  es  doch  und  bald.  Sie  würden  mich  gewaltig  dadurch 
beschenken."     Vier  von  den  Briefen  Elisabeths  v.  Stägemann  an 


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308  Das  Kant-Bildnis  Elisabeths  von  Stägemann. 

Eeichardt  aus  den  Jahren  1796  und  1797  liegen  gedruckt  vor 
in:  Dreihundert  Briefe  aus  zwei  Jahrhunderten.  Herausgegeben 
von  Karl  von  Holtei,  Hannover  1872.  Bereits  unter  dem 
19.  November  1796  antwortet  Elisabeth  v.  Stägemann:  „Um 
Ihnen  recht  bald  zu  zeigen,  wie  sehr  Ihr  Brief  mich  erfreut, 
mein  werther  Freund,  habe  ich  ohne  Aufschub  den  Versuch  zu 
einer  Zeichnung  von  Kant  gemacht.  Vielleicht  hätte  ich  Ihnen 
etwas  Vollendeteres  liefern  können,  wenn  ich  nicht  geglaubt,  daß 
die  Zeit  zu  kurz  wäre.  —  Alle  Gemälde  die  man  hier  von  ihm 
hat  sind  beinahe  Karrikaturen,  und  doch  habe  ich  mich  einiger- 
maßen daran  halten  müssen,  und  übrigens  bloß  meine  Ein- 
bildungskraft zu  Hilfe  genommen,  um  dem  Kupferstecher  einen 
Fingerzeig  zu  geben,  wo  er  von  den  zu  stark  markierten  und 
verzerrten  Zügen  in  den  gewöhnlichen  Zeichnungen  abweichen 
kann,  ohne  der  Ähnlichkeit  zu  schaden.  —  Man  findet,  daß  der 
Kopf,  den  ich  Ihnen  hierbei  überschicke  nicht  ganz  ohne  Ver- 
dienst in  dieser  Hinsicht  ist,  und  dies  gibt  mir  allein  Mut, 
ihn  wirklich  abgehen  zu  lassen.  Denn  billig  müßte  ich  mich 
schämen,  einem  Freunde  und  Kenner  wie  Sie,  etwas  vorzulegen, 
das  so  nachlässig  hingeworfen  ist."  Hiernach  läßt  sich  die  Zeit, 
in  welcher  Elisabeth  v.  Stägemann  die  „Zeichnung  von  Kant" 
gefertigt  hat,  genau  bestimmen.  Der  Brief  Reiohardts  vom 
1.  November  1796  ist  sicher  länger  als  eine  Woche  unterwegs 
gewesen,  die  Zeichnung  kann  also  nur  in  7  bis  10  Tagen 
ausgeführt  sein.  Daher  ist  eine  Identificierung  des  Königsberger 
Kantbildes  mit  dem  Stägemannsohen  Bilde  ausgeschlossen,  da 
ein  solches  Oelporträt  wie  das  Königsberger  unmöglich  in  der 
Zeit  von  höchstens  10  Tagen  angefertigt  sein  kann,  abgesehen 
davon,  daß  Elisabeth  v.  Stägemann  ebenso  wie  später  Reichardt 
das  Bild  nur  eine  „Zeichnung"  nennt,  Reiohard  hatte  gebeten, 
Kant  zu  zeichnen  oder  zu  malen.  Daß  Kant  die  Zeichnung 
gesehen  hat,  teilt  Elisabeth  v.  Stägemann  nicht  mit;  doch  muß 
dies  nach  der  von  Dorow  mitgeteilten  Stelle  aus  dem  Briefe 
Kants  an  Reichard  der  Fall  gewesen  sein. 

Unter   dem   17.  December  1796    dankt  Reichardt   für    das 


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Von  Arthur  Warda.  309 

übersandte  Bildnis  mit  folgenden  Worten:  „Sie  sind  eine  liebe 
gute  Freundinn,  meine  Bitte  sogleich  zu  erfüllen.  Mir  hat  die 
Zeichnung  von  dem  Bilde  meines  ehrwürdigen  Lehrers  Kant 
viel  Freude  gemacht  und  ich  habe  sie  sogleich  nach  Berlin  an 
Unger  geschickt  um  sich  darüber  mit  einem  dortigen  Kupfer- 
stecher zu  besprechen.  Wenn  die  Zeit  für  dieses  Jahr  nicht 
doch  zu  kurz  wird!"  Diesem  Brief  lag  ein  bisher  nicht  wieder 
aufgefundener  Brief  Reichardts  an  Kant  bei,  um  dessen  baldige 
Abschickung  an  Kant  Beichardt  Elisabeth  v.  St.  bat.  Diese 
meldet  am  20.  Januar  1797  an  Beichardt,  daß  sie  seinen  Brief 
diesem  durch  einen  ihrer  „Hausfreunde"  habe  überbringen  lassen. 
Im  Briefe  vom  1.  März  1797  bedauert  dann  Reichard t,  daß 
Elisabeth  v.  St.  ihm  nicht  den  Namen  des  guten  Hausfreundes 
mitgeteilt  habe  und  bittet  sie,  Kant  „aufs  höchste  für  seine  er- 
freuliche Zuschrift"  zu  danken.  Man  wird  annehmen  können, 
daß  Beichardt  in  seinem  Briefe  von  Mitte  Dezember  1796  zu 
Kant  von  dem  Bildnis  gesprochen,  und  daß  Kant  in  seiner 
Antwort,  der  im  Briefe  vom  1  März  1797  erwähnten  „Zuschrift", 
sich  über  das  Bild  in  der  von  Dorow  erwähnten  Weise  aus- 
gesprochen hat.  Es  ergibt  sich  jedenfalls,  daß  Beichardt  das 
Bildnis  sogleich  nach  Empfang  an  den  Verleger  Unger  in 
Berlin  geschickt  hat,  in  der  Absicht,  dasselbe  in  Kupfer  stechen 
zu  lassen.  Ob  dies  zur  Ausführung  gelangt  ist,  darüber  ergibt 
der  gedruckt  vorliegende  Briefwechsel  zwischen  Beichardt  und 
Elisabeth  v.  St.  nichts.  Leider  habe  ich  auch  die  Originale  dieses 
Briefwechsels  nicht  auffinden  können;  nach  gütiger  Mitteilung 
des  Herrn  Dr.  v.  Olfers  befinden  sie  sich  nicht  im  Besitz  der 
Familie.  Nun  aber  ist  tatsächlich  im  Ungerschen  Verlage  ein 
Kantbildnis  in  Kupferstich  erschienen,  nämlich  als  Beigabe  zu 
dem  zweiten  Bande  (Mai — August)  des  Jahrgangs  1799  der  von 
F.  E.  Bambach  herausgegebenen  „Jahrbücher  der  preußischen 
Monarchie  unter  der  Begierung  Friedrich  Wilhelm  HI.",  ein 
Stich  mit  der  Signatur:  Meno  Haas  S:  Berlin  1799  *).  Ich  glaube, 

1)  Im  Januarheft   desselben    Jahrgangs    ist   auf   S.    94—99    ein  Aufsatz: 
Etwas    über   Immanuel  Kant   (Aus   einem    Briefe)    von  L.  F.    abgedruckt,   des 


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310  Dos  Kant-Bildnis  Elisabeths  von  Stagemann. 

man  wird  nicht  fehlgehen,  wenn  man  annimmt,  daß  hier  eine 
Reproduktion  des  Stägemannschen  Kantbildnisses  vorliegt.  David 
Minden  rechnet  in  seinem  Vortrage:  Über  Porträts  und  Ab- 
bildungen Kants  (Schriften  der  Physik.  Ökonom.  Gesell.  Kbg. 
Neunter  Jahrgang  1868)  den  Stich  von  Haas  unter  die  Bildnisse, 
die  sich  keiner  Hauptgruppe  anschließen  und  als  für  sich  allein- 
stehend anzusehen  sind.  Diesem  Urteil  möchte  aber  nur  zum 
Teil  zugestimmt  werden  können.  Das  nicht  schön  aber  wahr 
erscheinende  Bild  lehnt  sich  offenbar  an  die  Vernetschen  Ori- 
ginalbildnisse an,  dies  zeigt  sich  deutlich  bei  einem  Vergleich 
des  Stiches  mit  der  Wiedergabe  eines  Vernetschen  Originals  in 
Kantstudien  (1901  Bd.  V).  Allerdings  weicht  es  darin  ab,  daß 
der  Kopf  Kants  mehr  als  bei  dem  Vernetschen  Bilde  dem  Be- 
schauer zugewandt  ist,  und  daß  Kant  nicht  einen  Eock,  sondern 
nur  ein  Hemde  trägt.  Diese  letztere  Abweichung  hat  wahr- 
scheinlich Minden  veranlaßt,  den  Stich  als  alleinstehend  zu  be- 
handeln und  spricht  auch  dafür,  daß  dem  Stich  eine  andere 
Zeichnung  als  ein  Vernetsches  Bild  zu  Grunde  lag,  und  eben 
auch  nur  eine  „nachlässig  hingeworfene"  Zeichnung,  nicht  ein 
vollendetes  Bild.  Aus  Elisabeths  v.  St.  Angaben  geht  hervor, 
daß  sie  sich  bei  ihrer  Zeichnung  an  die  vorhandenen  Gemälde 
gehalten  und  nur  ihre  Einbildungskraft  zu  Hülfe  genommen 
hat,  um  die  Züge,  der  Wirklichkeit  entsprechend,  nicht  so 
markirt  und  verzerrt  wie  auf  jenen  erscheinen  zu  lassen.  Dies 
würde  bei  dem  Stiche  von  Haas  durchaus  zutreffen;  er  erscheint 
als  eine  Überarbeitung  des  Vernetschen  Originals.  Freilich,  ein 
zwingender  Beweis,  daß  es  sich  um  eine  Reproduktion  des 
Stägemannschen  Bildes  handelt,  ist  keineswegs  erbracht,  aber 
auch  keine  Umstände  seheinen  mir  vorzuliegen,  die  gegen  eine 
solche  Annnahme  sprechen.  Vielleicht  dienen  diese  Ausführungen 
dazu,  auf  den  rechten  Weg  zur  Wiederauffindung  des  Stäge- 
mannschen Bildes  zu  leiten. 


gleichen  Inhalts    wie  das  Büchlein:    Kants  Leben,    eine  Skizze   in    einem  Briefe 
an  einen  Freund.     Altenburg  1791). 


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Kritiken  und  Referate. 


Sebastian  Friedrich  Trescho,  Diakonus  zu  Mohr un gen  in  Preußen.  Sein 
Leben  und  seine  Schriften,  dargestellt  von  Johannes  Sembritzki- 
Memel.  Sonderdruck  aus  den  Oberländischen  Geschichtsblättem. 
Heft  VII.    176  S.  in  8°. 

Nachdem  Sembritzki  in  seinem  Aufsatze  „Trescho  und  Herder"  (Altpr. 
Monatsschr.  Bd.  XLI,  Heft  7  u.  8)  bereits  eine  Ehrenrettung  des  Mohrunger 
Diakonen  gegenüber  den  zum  Teil  außerordentlich  bitteren  und  scharfen  An- 
griffen unternommen  hat,  die  dieser  in  den  Biographien  Herders,  namentlich 
auch  in  dem  Werke  Hayms,  erfahren  hat,  gibt  der  unermüdliche  Forscher  jetzt 
eine  ausführliche  Darstellung  des  Lebens  Treschos  und  eine  Würdigung  seines 
Charakters  und   seiner  zahlreichen   schriftstellerischen  Werke. 

Danach  erscheint  Trescho  als  ein  Mann,  der  in  dem  literarischen  Leben 
Ostpreußens  während  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  einen  nicht 
unrühmlichen  PJatz  eingenommen  hat  und  durch  seine  Beziehungen  zu  Per- 
sönlichkeiten wie  Hamann,  Borowski,  Willamow,  Krickende,  Lindner, 
Hermes  und  insbesondere  zu  der  frommen  Susanna  Catharina  von  Kletten- 
berg, Goethes  „Schöner  Seele",  Interesse  erweckt. 

Als  Charakter  steht  Trescho  nach  Sembritzkis  Darstellung  achtungswert 
da;  er  war  von  sittlich  reinem  Lebenswandel,  aufrichtig  fromm  und  bei  aller 
Sparsamkeit  wohltätig,  wobei  er  gegen  die  Personen,  die  er  unterstützte,  mit 
weiser  Vorsicht  und  Umsicht  verfuhr. 

Hervorzuheben  ist,  daß  Sembritzkis  Schrift  für  die  heimatliche  Kultur- 
geschichte während  eines  langen  Zeitraumes  (Trescho  wurde  am  9.  Dezember  1733 
geboren  und  starb  erst  fast  ein  Jahr  später  als  sein  ehemaliger  Famulus  Herder  am 
29.  Oktober  1804)  manchen  frischen  und  ursprünglichen  Zug  bietet.  Sie  stellt 
das  Leben  und  Streben  eines  Mannes  dar,  der  trotz  vielfacher  äußerer  Hemmnisse 
unermüdlich  an  seiner  geistigen  Ausbildung  arbeitete,  der  es  als  Geistlicher  in 
dem  abgelegenen  ostpreußischen  Landstädtchen  Mohrungen  erreicht  hat,  mit  der 
Bildung  seiner  Zeit  bis  zuletzt  in  Fühlung  zu  bleiben  und  durch  zahlreiche 
Schriften  auf  weitere  Kreise  auch  über  die  Grenzen  Ostpreußens  hinaus  zu 
wirken. 


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312  Kritiken  und  Referate. 

Unter  den  literarischen  Erzeugnissen  Treschos  lassen  sich  deutlich  zwei 
Gruppen  unterscheiden.  In  denen  aus  früherer  Zeit  sind  die  Stoffe  mannig- 
faltiger, klingt  der  Ton  heiterer  und  weltlicher;  so  heißt  es  am  Schlüsse  eines 
von  Sembritzki  (S.  88)  mitgeteilten  Gedichtes: 

„Die  Gottheit  hat  uns  nicht  erlesen 

Zu  Klosterschwarzer  Traurigkeit, 

Licht  ist  ihr  Kleid,  Lust  ist  ihr  Wesen 

Im  Urquell  der  Zufriedenheit. " 
Aber  mit  dem  Jahre  1762,   in  dem   sein    am    meisten    verbreitetes  Werk, 
die  „Sterbe- Bibel  in  Poesie  und  Prose",  erschien,   wandte  er  sich    völlig   von 
der  weltlichen  Poesie  und  Schriftstellern   zur  geistlichen.    Fortan   tritt   an  ihm 
ein  gewisser  ascetischer  Zug  hervor. 

Und  er  eifert  nicht  nur  gegen  die  Anakreontiker,  sondern  auch  in  sehr 
scharfer  Weise  gegen  die  aufgeklärten  Theologen  seiner  Zeit,  besonders  gegen 
Crugot  und  Sem ler,  deren  Lehren  er  socianisch  nennt.  Da  ihm  die  Gegner 
nichts  schuldig  blieben,  so  wurde  er  in  sehr  erbitterte  Fehden  verwickelt. 

Die  von  Sembritzki  mitgeteilten  zahlreichen  Proben  geben  ein  ungefähres 
Bild  des  Schriftstellers  Trescho;  dazu  hat  der  Referent  selbst  einige  Poesien 
des  Mohrungers  im  Original  gelesen.  Treschos  Jugend  führt  in  die  Zeit,  in  der 
die  Gottschedsche  Sprache  und  der  Gottschedsche  Geschmack  maßgebend  waren, 
und  wenn  man  genauer  zusieht,  so  erkennt  man  die  Nachwirkung  davon  auch 
in  Treschos  Schreibweise.  Daß  er  gegen  Gottsched  polemisiert,  ist  kein  Gegen- 
beweis, das  haben  viele  getan,  die  von  dem  ehemaligen  Diktator  gelernt  haben. 
Im  ganzen  war  sein  Standpunkt  der  der  „Bremer  Beiträge",  jedoch  in  seinen 
Leistungen  hat  er  die  Mitarbeiter  an  dieser  Zeitschrift  nicht  erreicht.  Trescho 
besaß  zwar  ein  nicht  unbedeutendes  Talent,  insbesondere  die  Gabe  der  ge- 
wandten und  witzigen  Darstellung,  aber  diese  ist  nicht  zur  vollen  Entfaltung 
gekommen,  weil  er  sich  so  frühe  von  allen  weltlichen  Stoffen  abwandte.  In 
seinen  besseren  Produktionen  übertrifft  er  die  zeitgenössischen  ostpreußischen 
Dichter  Bock,  Lauson  und  den  wackeren  Scheffner,  dessen  Pegasus  niemals 
einen  hohen  Flug  zu  nehmen  vermochte.  Aber  bisweilen  fällt  er  gar  zu  sehr 
in  die  Fehler  der  vorklassischen  Zeit;  seine  Sprache  ist  dann  zopfig,  seine  Bilder 
sind  wenig  glücklich  gewählt,  die  Gedanken  haben  etwas  Gezwungenes  oder 
entbehren  der  Tiefe.  Im  seinen  religiösen  Schriften  zeigt  er  sich  als  Anhänger 
strenger  Rechtgläubigkeit;  sie  sind  nicht  ohne  erbauliche  Kraft,  aber  auch  nicht 
frei  von  dem  Geiste  der  Unduldsamkeit. 

Treschos  Beziehungen  zu  dem  genialen  Hamann,  auf  die  Sembritzki  an 
verschiedenen  Stellen  zu  sprechen  kommt,  sind  recht  merkwürdig,  aus  ihnen 
geht  aber  hervor,  daß  der  Magus  des  Nordens  sich  zu  jenem  im  Grunde  wenig 
hingezogen  fühlte,  da  das  Naturell  der  beiden  Männer  gar  zu  verschieden  war. 
Was  das  viel  erörterte  Verhältnis  zu  Herder  betrifft,  so  scheint  mir  Sembritzki 


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Sebastian  Friedrich  Trescho,  Diakonus  zu  Molirungen  in  Preußen.     313 

hier  und  besonders  in  dem  Aufsatze  „Trescho  und  Herder"  den  Beweis  erbracht 
zu  haben,  daß  die  gegen  den  Diakonen  erhobenen  Anklagen  im  ganzen  un- 
begründet sind.  Wunderbar  bleibt  nur  eine  Tatsache:  wie  konnte  Trescho,  der 
nach  Sembritzkis  Darstellung  ein  so  lebenskluger  und  zugleich  ein  für  geistige  und 
wissenschaftliche  Tätigkeit  so  empfänglicher  Mann  war,  fast  ein  Jahr  lang  mit 
dem  jungen  Herder  in  täglichem  Verkehr  stehen,  ohne  dessen  Begabung  und 
heißen  Wissensdrang  auch  nur  zu  ahnen?  Das  verschlossene  und  empfindliche 
Wesen  Herders  gibt  dafür  doch  nicht  eine  völlig  genügende  Erklärung. 

Sembritzkis  Arbeit  zerfällt  in  zwei  Teile:  I.  Treschos  Leben  (S.  1—70), 
IL  Treschos  Schriften  (S.  70—173).  Dann  folgen  auf  S.  173—176  noch  einige 
Zusätze  und  ein  kurzes  Register.  In  IL  führt  Sembritzki  69  Titel  an,  gibt  zu 
vielen  erklärende  Bemerkungen  und  teilt  zahlreiche  Proben  aus  den  Schriften 
Treschos  und  eine  Reihe  von  Rezensionen  der  letzteren  mit. 

Der  Verfasser  zeigt  sich  als  sorgsamer  und  sachkundiger  Forscher;  er 
hat  in  dieser  Biographie  einen  schätzenswerten  Beitrag  zur  Kultur-  und  Literär- 
geschichte unserer  Heimat  im  achtzehnten  Jahrhundert  geliefert. 

Gottlieb   Krause. 


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Mitteilungen  und  Anhang. 


Ueber  die  religiöse  Frage. 

Vom 
Amtsgerichtsrat  a.  D.  MeaÄthal  -  Memel. 


Selbst-Anzeige. 

Mendthal,  Siegfried,  Ueber  die  höchste  Persönlichkeit.     Berliu,  Martin  Hilde- 
brandt, 1900  (46  pg.)  8°. 
„  „  Meine   Weltanschauung.     Memel,   F.    W.    Siebert,    1904 

(15  pgO  8°. 
„  „  Schauspielhaus  und  Gerichtshof.    Juristische  Dramaturgie. 

Zweite  vermehrte  und  verbesserte  Auflage  mit  Anmerkungen. 
Memel,  F.  W.  Siebert,  1904  (101  pg.  1  Bl.)  Gr.  8°. 


Die  religiöse  Frage  ist  zur  Zeit  einerseits  durch  orthodoxe  Beharrlichkeit, 
andererseits  durch  wissenschaftliche  Forschung  und  dogmatische  Abweichung  so 
sehr  in  den  Fluß  verschiedenartigster  Auffassung  gekommen,  daß  es  auch  dem 
Juristen  freistehen  muß  in  diese  Bewegung  einzutreten,  zumal  die  Rechts- 
philosophie und  die  Religionsphilosophie  innig  verschmolzen  werden  müssen,  um 
beide  Wissenschaften  zu  vertiefen  in  ihren  materiellen  Beziehungen,  und  zu 
erhöhen  in  ihrem  idealen  Aufschwung. 

Schleicrmacher  hat  auch  betont  die  Analogien  dieser  beiden  Wissen- 
schaften, und  seine  Dogmati k  beruht  auf  Kantischen  Prinzipien. 

Kant  hat  Gott,  Freiheit  und  Unsterblichkeit  als  Erfordernisse  der  reinen 
praktischen  Vernunft  aufgestellt,  sich  aber  verwahrt  gegen  deren  dogmatische 
Grundlagen,  und  in  seiner  Anthropologie  sogar  die  christliche  Dreieinigkeit 
zusammengestellt  mit  dem  perpetuum  mobile  und  der  Quadratur  des  Zirkels. 
Ich  habe  auch  in  einigen  kleinen  noch  sehr  wenig  verbreiteten  und  beurteilten 
Schriften  die  religiöse  Frage  berührt,  namentlich  in  einer  Broschüre  „Ueber  die 
höchste  Persönlichkeit"  d.  b.  den  Gottesbegriff,  dann  in  meiner  juristischen 
Dramaturgie  in  einem  Anhang  zu  dem  Lessing'schen  Stücke  „Die  Juden"  und 
endlich  in  der  Schrift  „Meine  Weltanschauung". 


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Ueber  die  religiöse  Frage.  315 

Wenn  letztere  kleine  Abhandlung  zum  wiederholten  Abdrucke  gelangt, 
will  ich  ihr  zum  bessern  Verständnis  voraussetzen  das  folgende  Vorwort: 

Aphorismen  kann  meine  Weltanschauung  hier  nur  geben. 

Theonomie  möchte  ich  sie  benennen.  Wie  die  Astrologie  erlöst  ist 
durch  Astronomie,  so  soll  die  Theologie  ersetzt  werden  durch  Theonomie,  Gottes- 
kunde durch  Beobachtung  und  Berechnung. 

Pantheismus  halte  ich  für  die  aufgeklärteste  Weltanschauung,  doch 
entbehrt  das  religiöse  Bewußtsein  darin  das  von  ihm  verehrte  höchste  Wesen, 
das  nur  juristische  Gestaltung  haben,  also  die  höchste  moralische  Persön- 
lichkeit sein  kann,  in  der  das  Individuum  sich  wiederfindet  durch  Beobachtung 
seiner  selbst  und  durch  Rechenschaft  für  Alle. 

Der  einzelne  kann  nur  selten  der  Gesamtheit  aller  Menschen  dienlich 
sein  und  niemals  die  volle  Wirksamkeit  seiner  Worte  und  Werke  erleben. 
Selbst  Lessing  und  Schiller  war  es  nicht  vergönnt,  mit  klaren  Worten  der 
Welt  ein  Geheimnis  zu  verkünden  —  in  den  Gesprächen  zwischen  Ernst  und 
Falk,  und  in  dem  Gedicht  „Die  Künstler". 

In  meiner  juristischen  Dramaturgie  habe  ich  den  nach  meiner  Auffassung 
bisher  verschwiegenen  Hauptgedanken  der  Schillerschen  erhabenen  Dichtung  zu 
begründen  versucht. 

Mit  Vorbedacht  ist  in  der  Dichtung  die  Ilias  erwähnt  als  Vorbild  unserer 
menschlichen  und  göttlichen  Illusionen. 

In  der  Ilias  wird  berichtet,  daß  die  Götter  Griechenlands  darüber  in 
Streit  waren,  welches  Volk  im  trojanischen  Kriege  Sieger  bleiben  sollte. 

Und  dabei  war  der  trojanische  Krieg  eigentlich  nur  ein  Liebeskampf 
gegen  die  mörderischen  Kriege  der  Gegenwart,  und  das  hölzerne  Roß,  durch 
welches  die  Trojaner  überlistet  wurden,  ein  reines  Spielzeug  gegen  die  Minen 
und  Bomben,  mit  denen  die  Schlachtschiffe  voll  unglückseliger  Menschen  in  die 
Luft  geschleudert  werden. 

Aphrodite  Urania,  die  Göttin  der  reinen  und  himmlischen  Liebe,  erschauderte 
auf  den  Schlachtgefilden  vor  allem  Jammer  und  Elend.  Sie  wird  zur  barm- 
herzigen Schwester  und  zerpflückt  ihren  Venusgürtel  zu  Scharpie  für  die  Wunden 
der  stöhnenden  Krieger. 


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316  Mitteilungen  und  Anhang. 


Nachträge  und  Berichtigungen1). 

Zu  den  von  mir  in  Band  37  und  38  dieser  Zeitschrift  veröffentlichten 
Arbeiten  sind  mir  von  verschiedenen  Seiten  wertvolle  Bemerknngen  und  Zusätze 
zugegangen,  für  die  ich  am  Besten  danken  zu  können  glaube,  indem  ich  sie  den 
Lesern  der  Altpreußischen  Monatsschrift  zugänglich  mache. 

Herr  Professor  Dr.  Martin  Wehrmann  in  Stettin  macht  zu  dem  Aufsatz 
über  Dietrich  Stange  (39,  S.  87  ff.)  die  Bemerkung,  daß  im  13.  Jahrhundert 
auch  am  Hofe  der  Herzöge  von  (West)  Pommern  ein  Kitter  Stange  erscheine, 
Gerwiu  Stange,  1264  zuerst  als  Zeuge  Wartislaws  III  für  Greifswald  (Ponim. 
Urkdbuch.  II  n.  751),  dann  von  1270  bis  1300  (II  n.  920  —  III  n.  1961)  in 
der  Umgebung  der  Herzöge  Barnims  I.,  Bogislaws  IV.  und  Ottos  I.  Der  Name 
Gerwin  kommt  in  den  von  mir  nachgewiesenen  Stanges  im  Osterlande,  Mähren 
und  Pomesanien  nicht  vor;  auch  um  Mühlhausen  in  Thüringen  saßen  Stange's 
im  14.  Jahrhundert  s.  Regesten  des  Geschlechts  Salza  (1853)  S.  320. 

Von  Herrn  Professor  Karl  Lechner  in  Kremsier,  dem  ich  die  Beschreibung 
des  Stangischen  Siegels  (39,  S.  92)  verdanke,  ist  inzwischen  eine  wichtige 
Publikation  zur  mährischen  Geschichte  erschienen:  Die  ältesten  Belehnungs- 
und Lehensgerichtsbücher  des  Bistums  Olmütz  herausgegeben  von  Karl  Lechner, 
Brunn  1902,  Verlag  des  Deutschen  Vereins  für  die  Geschichte  Mährens  und 
Schlesiens,  Druck  von  Rudolf  M.  Rohrer.  XLIX,  137,  IX,  338  S.  gr.  8°.  In 
der  ersten  Abtheilung  gelangen  vier  „Lehnsquaternen"  von  1320 — 25,  1389 — 96T 
1403—1456,  14G0— 1482  zum  Abdruck,  während  der  zweite  Teil  die  Verhand- 
lungen des  Lehnsgerichtshofes  von  1353—1393  (Buch  1,  S.  1  —  192),  1398—1410 
(2,  192-317),  1437-1462  (4,  317—338)  umfaßt:  die  sehr  ausführliche  Ein- 
leitung verbreitet  sich  eingehend  über  die  Geschichte  des  Lehnsgerichts  und  das 
Verfahren,  daß  dem  Buche  zur  Vermeidung  noch  höherer  Druckkosten  kein 
Register  beigegeben  werden  konnte,  bedauert  Niemand  mehr  als  der  Herausgeber 
selbst.  Soweit  ich  sehe,  erscheinen  die  Stange's  in  den  mitgeteilten  Texten 
nicht;  in  der  Einleitung  erwähnt  L.,  die  aus  dem  Cod.  dipl.  Morav.  bekannten 
Urkunden  derselben  und  erklärt  das  in  der  Urkunde  von  1277  vorkommende 
Dorf  Brunnaz  (39,  S.  112)  durch  Brüany  (Bründlitz)  bei  Wischau  (S.  XVI  oben), 
n.  ö.  von  Brunn. 

M.  Perlbach. 

1)  Durch  ein  Versehen  in  der  Redaktion,  hauptsächlich  aber  durch 
Krankheit  und  Abwesenheit  des  Herausgebers  sind  diese  und  die  demnächst 
folgenden  .,Nachträge  und  Berichtigungen"  bisher  liegen  geblieben.  Wir  bitten 
deshalb  Verfasser  und  Leser  um  gütige  Nachsicht.  Der  Herausgeber. 

K£3 


Buchdruckerei  R.  Leupold,  Königsberg  i.  Pr. 


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Soeben  erschien: 

Geologische  Bilder 
uon  der  samländisehen  Rüste 

von  Dr.  6.  Schellwien 

a.  o.  Professor  an  der  Universität  Bönigsberg, 
mit  54  Abbildungen.  Preis  2,50  Mai 

Uerlag  von  GSilft.  Roch  Königsberg. 

tuen : 

Simon  Dach 

und  der  Königsberger  Dichterkreis. 

ukbüclilein  zur  300,  Wiederkehr  sehn  am  29,  .Juli   r 

Von  Ludwig1  Suderow. 
Mit  Illustrationen.  Preis  15  Pfennig. 

Gustav  Schloessmaun's  Verlagsbuchhandlung. 
i  Fick )  in  Hamburg. 


M 

Im  von  Julius  Springer  in  Berlin  «rschiou  soeben: 

Die  fiolzkirchen  und  fiolztürme 
der  Preussischen  Ostprovinzen. 

Au  nel 

>ii  Ernst  Wiggert  ■<•  tfnd  Dr.  L.  Burgemeister.  Dr.  L.  Burgemeister. 

In   un<l    117    in  Abbildungen. 


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In  unserem  Kommissionsverlage  erschien  soeben: 

„Oberiändische  jeschichtsblattcr" 

Im  indischen   GeachicL 

Georg  Conrad, 

Am  in  MühlL 

tMark3,60.  Heft  VII.  Preis  Mark  3,50. 


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(^  — ===— — ™ ^ 

"  C.  A.  Kaemmerer  &  Co.,  Hofverlagsbuchhandkmg,  Halle  a.  S.  M 


Die  Teleologie  Ftent's. 

Von 

Dr.  William  John  Chapman. 

—  -—    Gr.  8°.    56  Seiten.    Preis  80  Pfennig  ord.    — = 


k 


Kant's  Lehre  ?on  der  Sinnlichkeit 

Gekrönte  Preissehrift  der  Krug-Stiftung  der  Universität  Halle- Wittenberg. 

*  Vou 

Dr.  Felix  Kuberka. 

—    Gr.  89.    155  Seiten.    Preis  2,—  Mark  ord.*  =— 


BaB^aaBBgasBEmo^Bm^as^saasE^^^msaa^s^aB^gES 


Verlag  von  E.  F.  Thienemann,  Gotha. 


Rants  „Priuatmeinungen" 
■»  über  das  Jenseits  ■» 


und 


Die  Kant-Rusgabe 


der  Königl.  Preußischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

Ladenpreis  F\n     Protest    von  Ludwi9  Ladenpreis 

Mark  2,40.  riUlCOI    Qo,dschm|dt  Mark  2,AQ. 

Dieser  „Protest' ;  richtet  sich  gegen  keinen  Geringeren,  als  gegen  die 
Königlich  Preußische  Akademie  der  Wissenschaften  selbst,  die  nach  den 
Ausführungen  Goldschmidts  viele  Ver.schlimmbesserungen,  die  die  ver- 
schiedenen Heransgeber  in  ihre  Kanta«sgal>en  im  Laufe  des  verflossenen  ^ 
Jahrhunderts  hineingebracht  halben,  in  der  neuen  Kant- Ausgabe  nicht 
wieder  ausgemerzt  hat. 

Heft  5  und  6  erscheinen  als  Doppelheft  Ende  September.  Der  Herausgejbl 


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Inhalt. 


Abhandlungen. 

Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland 

und    ihrer    Schule.      Ein    Beitrag    zui  ** 

ürmierten  in  Altprenßen.    Vo  &5r?T?  : 

Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfir  i  heim   un 

Dezember   1027.     Von  Dr.  Gustav  - 
Garl  Ludwig  Beruhard  Gottüeb  v.  Plehwe.     Zu  seinem  Di 

Jubiläum  am  13.  Oktober  -»rad 

Rückblick    auf    die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  der 

Freunde  Kants.     Rede  zum  Geburtstage  ! 

bei    dem    Bohnenmahle    des    Jahres    19<>  *  rot. 


Alfred   Döhring 
ho  als     Deutscher  N< 


Von  Johs.  Sembritzki 


II.  Kritiken  und  Referate. 

Bonk,  Hugo,  Dr.,  Geschichte  der  Stadt  Dreugfurt.    Äur 

des  500jährigen  Stadt  -Jubiläum  im 

Auftrat  geschrieben.    Rastenburj  Ahl, 

G.  m.b.H.,   : 
Von  Jons.  SembriUki    .•••••.•.' 

Dr"  phil.  P.  Westphal.     Ein    ehemaliges  Kloel  um    m 

'       Pommerellen.    Mit.  zwei  Kurten  und  einem  Plan.    (O 
I  )    Danzig  1005.    Daraus  besonder 
als   Breslauer  luaugural 
r  dem  Titel:   „Die  Flühzeit  ^  Öosterterritoriti 
in   Npttn".     Von  St.   Kujot,  Pfarrer 
aeralvikar    Domkapitular,    Dr.  Lüdtke.    Schema 

Culm  mit  dem  Bischofssitz  in  Pelpbn 
Amtliche  Ausgabe.    Dritte  Folge.    Im 

höflichen   General-Vikar 
(Fortgesetzt  bis  zum  21.  Mai  WIM.  uj 

Von   St.   Kujot,   Pfarrer     ....     .     .     . 

Dr.   Uomuald  Frydnehowicz.     Die  Culm; 

Beitrag  zur   1»  jchichte.     Danzig    I 

Kujot,   Pfarrer 


111.  Mitteilunsen  und  Anhang:. 

I  Tni  i  fhronik  1905 


Alle  Rechte  bleiben  vorbehalten. 


Herausgeber  und  Mitarbeiter. 


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Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengcmeinde 
Pr.  Holland  und  ihrer  Schule. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Reformierten 

in  Altpreußen. 

Von 

Ernst  Hf  aehholz  in  Königsberg  i.  Pr. 


Dieser  Arbeit  liegen  folgende  Archivalien  zu  gründe: 
Akten  der  reformierten  Kirchengemeinden  Pr.  Holland, 
Gr.  Samrodt,  Mohrungen  und  Soldau,  der  Burgkirche  zu  Königs- 
berg, der  ehemaligen  reformierten  Superintendentur  zu  Elbing, 
des  Königl.  Staatsarchivs  zu  Königsberg,  des  Königl.  Geheimen 
Staatsarchivs  zu  Berlin,  des  Königl.  Konsistoriums  und  der 
Königl.  Regierung  zu  Königsberg. 

Eine  weitere  Quelle    boten    die  Kirchenbücher    der   refor- 
mierten Kirchengemeinden  zu  Pr.  Holland,  Mohrungen  und  Soldau. 

Es  werden  behandelt: 

1    Die  Vorgeschichte. 

2.  Die  Entwickelung  der  Gemeinde  und  ihre  Schicksale 

vom  Jahre  1697—1807. 

3.  Die  Geschichte  der  Gemeinde  vom   Jahre   1807  bis 

zur  Gegenwart. 

4.  Die  Prediger. 

5.  Der  gottesdienstliche  Raum. 

6.  Das  Predigerhaus. 

7.  Der  Begräbnisplatz. 

8.  Das  Inventarium. 

9.  Das  Kirchensiegel. 
10.  Die  Schule. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  5  u.  6.  21 


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318      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

I.  Die  Vorgeschichte. 

Der  Ursprung  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland 
dürfte  auf  die  Niederlassung  zugewanderter  reformierter  Glaubens- 
angehöriger zurückzuführen  sein.  Die  Stadt  Pr.  Holland  und 
ihre  Umgebung  wurde  von  solchen  Einwandererströmen  im  17. 
und  18.  Jahrhundert  mehr  als  andere  Städte  des  ostpreußischen 
Oberlandes  berührt. 

In  größerer  Anzahl  fanden  sich  besonders  Franzosen  und 
Schweizer  in  der  Stadt  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts vertreten,  aber  auch  Schotten,  Engländer,  Pfälzer  und 
Reformierte   „aus  dem  Reiche"   hatten   sich   hier  niedergelassen. 

Für  die  Befriedigung  ihres  religiösen  Bedürfnisses  sorgten 
die  Eingewanderten  im  Oberlande  während  des  17.  Jahrhunderts 
in  der  Weise,  daß  sie  an  verschiedenen  Orten  in  gewissen  Zeit- 
räumen von  einem  gräflich  Dohnaschen  reformierten  Prediger 
aus  Reichertswalde l)  geleitete  Gottesdienste  abhielten.  Die 
Reformierten  im  Kreise  Pr.  Holland  scheinen  diese  Übung  zu- 
nächst mitgemacht  zu  haben;  dann  aber  trat  hierin  ein  Wandel 
ein.  Einer  der  damals  in  Pr.  Holland  sitzenden  reformierten 
Amtshauptleute  (wer  es  war,  ist  unbekannt)  ließ  nämlich  den 
reformierten  Prediger  Lucas  Blaspiel2)  aus  Königsberg  im 
Jahre  mehreremal  nach  Pr.  Holland  kommen.  Zu  den  durch 
Blaspiel  abgehaltenen  Gottesdiensten,  Taufen  und  Abendmahls- 
feiern war  den  Reformierten  ein  Saal  in  dem  dortigen  Schloß 
eingeräumt  worden,  der  gern  der  „Reformierte  Saal"  bezeichnet 
wurde. 

Die  Besorgung  der  Gemeinde  durch  Königsberger  Prediger 
scheint  indes  nicht  von  langer  Dauer  gewesen  zu  sein;  denn 
als  bei  einem  Stellenwechsel  in  der  Amtshauptmannschaft  ein 
Amtshauptmann  lutherischen  Bekenntnisses  nach  Pr.  Holland 
gesetzt  wurde,  hörte  die  Abholung  der  reformierten  Prediger  aus 

1)  Reichertswalde  liegt  im  Kreise  Mohrungen. 

2)  Blaspiel  hielt  1666  am  5.  12.  in  Königsberg  bei  der  Burgkirche  seine 
Antrittspredigt;  er  starb  1693  am  22.  10.  ebendort. 


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Von  Ernst  Machholz.  319 

Königsberg  auf,  und  die  Gemeinde  wurde  gezwungen,  auf  andere 
Weise  ihr  religiöses  Bedürfnis  zu  befriedigen.  Gelegenheit  bot 
sich  ihr  hierzu  reichlich,  da  der  große  Teil  des  oberländischen 
Adels  reformiert  war  und  in  seinen  „Höfen"  reformierte  Gottes- 
dienste abhalten  ließ.  Hier  war  es  der  gräflich  Dohnasche  Prediger 
Michael  Thomae8),  der,  gleichsam  als  „ Wanderprediger u,  von 
Hof  zu  Hof  gerufen  wurde.  Wir  wissen,  daß  Thomae,  soweit  der 
Kreis  Pr.  Holland  in  betracht  kommt,  außer  in  der  Stadt  Pr.  Holland 
wiederholt  in  Hohendorf,  Karwinden,  Nahmgeist,  Powunden, 
Schlobitten,  Schwoellmen  und  Spittels  Amtshandlungen  vollzog. 

Die  hier  und  da  abgehaltenen  religiösen  Versammlungen 
der  Reformierten  waren  des  öfteren  Gegenstand  der  Beratungen 
der  Landstände,  die,  wie  aus  der  Allgemeingeschichte  der  Re- 
formierten bekannt,  den  letzteren  nichts  weniger  als  günstig 
gesonnen  waren. 

Die  Art  der  geistlichen  Versorgung  der  Reformierten  in 
und  um  Pr.  Holland  nach  Blaspiel  war  naturgemäß  nicht  ge- 
eignet, der  Gemeinde  den  festen  Boden  zu  gewähren,  auf  dem 
sie  sich  hätte  erweitern  können.  Diesem  Zustande  abzuhelfen, 
war  das  Bestreben  des  1693  oder  1695  nach  Pr.  Holland  ge- 
setzten Amtshauptmanns  Heinrich  von  Houwald.4). 

Selbst  reformiert,  sorgte  er  zunächst  für  einen  regel- 
mäßigen Gottesdienst.  Gleich  seinen  reformierten  Amts- 
vorgängern wandte  er  sich  nach  Königsberg  um  Aushilfe. 
Seinem  Bemühen  war  es  zu  danken,  daß  der  reformierte  Prediger 
Sylvester  Lürsenius6)  zu  bestimmten  Zeiten  nach  Pr.  Holland 


3)  Michael  Thomae  war  gegen  30  Jahre  Hofprediger  in  Reichertswalde 
und  starb  1699  oder  1700.  Er  war  in  erster  Ehe  verheiratet  mit  Catharina  Panuowitz; 
am  12.  3.  1090  heiratete  er  in  Mohrungen  (auf  dem  Schlosse)  Eva  Helena 
Heekhuys,  eine  Tochter  des  ,,gewesenen  Predigers  Heckuys  zu  Wersterwort* i  in 
Geldern.    (Nach  dem  reform.  Kirchenbuch  von  Soldau-Mohrungen.) 

4)  Heinrich  von  Houwald  war  geboren  zu  Genf  am  7.  12.  1G64.  1709 
„den  tag  vor  seinem  tod,  nehml :  den  14  December"  reichte  ihm  der  Pr.  Holländer 
reform.  Prediger  zum  letzten  Mal  das  H.  Abendmahl. 

5)  Sylvester  Lürsenius  war  an  der  Burgkitche  zu  Königsberg  seit  1693 
und  bis  1707. 

21  * 


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320      l^e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

kam  und  hier  auf  dem  Schlosse  Gottesdienste  abhielt.  Mancher- 
lei Schwierigkeiten,  die  wahrscheinlich  in  dem  Widerstände  der 
lutherischen  Bevölkerung  und  den  Quertreibereien  der  Stände 
zu  suchen  sein  werden,  machten  aber  auch  dieser  Einrichtung 
bald  ein  Ende. 

Ein  glücklicher  Zufall  wollte  es,  daß  der  Gemeinde  endlich 
dauernd  geholfen  werden  konnte. 

Der  damalig^  Oberpräsident  Sylvester  Jacob  von  Danckel- 
mann  in  Berlin  war  der  Vater  des  Amthauptmanns  von  Houwald 
erster  Gemahlin,  und  dieser  vermochte,  unterstützt  durch  den  da- 
maligen Konsistorial-Präsidenten  in  Berlin,  Geh.  Hat  von  Fuchs, 
auf  Betreiben  von  Houwalds  vom  Kurfürsten  Friedrich  HL  die 
Berufung  eines  ordentlichen  reformierten  Predigers  nach 
Pr.  Holland  zu  erwirken. 

Mit  dem  Erlaß  einer  kurfürstlichen  Order  d.  d.  Königsberg 

8 
-Tg1- August  1697,  die  die  Berufung  eines  reformierten  Predigers 

nach  Pr.  Holland    genehmigte,    setzt  die  eigentliche  Geschichte 

der  heutigen  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  ein. 

2.  Die  Entwicklung  der  Gemeinde  und  ihre  Schicksale 
vom  Jahre  1697  bis  1807. 

Die  Geschichte  von  der  Gründung  der  hiesigen  reformierten 
Gemeinde  hat  nicht  nur  kirchlichen  und  historischen  Wert, 
vielleicht  trägt  sie  mehr  noch  sozialpolitischen  Charakter  sowohl 
für  den  engen  Bezirk  der  Stadt  Pr.  Holland,  als  auch  für  den 
der  weiten  Provinz.  Sie  bringt  einen  neuen  Beitrag  zur  Koloni- 
sationsgeschichte Ostpreußens,  und  nicht  zuletzt  ist  sie  für  den 
Genealogen  von  Interesse. 

In  der  Vorgeschichte  ist  nur  kurz  vorausgeschickt,  wie 
reformierte  Einwanderer  hier  Aufnahme  fanden.  Es  handelte 
sich  bei  diesen  Niederlassungen  in  erster  Linie  um  einen  Bruch- 
teil jener  Refugi£s,  die  in  der  Zeit  von  1672  bis  1700  dem 
preußischen  Staate  gewonnen  wurden,  dann  um  Schweizer, 
Pfälzer,  Schotten,  Engländer  und  Holländer,  die  im  siebzehnten 


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Von  Ernst  Machholz.  321 

und   achtzehnten  Jahrhundert  Preußen    zu    ihrer   neuen   Heimat 
machten. 

Den  besten  Aufschluß  über  die  Zusammensetzung  des 
Personalbestandes  der  Gemeinde  gibt  das  mit  zwei  weiteren 
Kirchenbüchern  beim  reformierten  Pfarramt  in  Elbing  auf- 
bewahrte Kommunikanten- Register  der  reformierten  Kirchen- 
gemeinde Pr.  Holland.  Dieses  beginnt  mit  dem  Jahre  1707, 
während  die  Taufregister  mit  1698,  die  Trauregister  mit  1700 
und  die  Totenregister  mit  1740  anheben.  Aeltere  Verzeichnisse 
sind  leider  nicht  vorhanden,  und  somit  ist  die  Möglichkeit  zu  einem 
Nachweis  über  das  Vorhandensein  fremder  reformierter  Elemente 
in  der  Stadt  Pr.  Holland  während  der  weiter  zurückliegenden 
Jahre  genommen,  daß  solche  aber  schon  vor  1698  hier  ansässig 
gewesen  sind,  beweist  das  Kirchenbuch  der  reformierten 
Gemeinden  Soldau-Mohrungen. 

Die  Geschichte  dieser  Ansiedlungen  kann  an  Gründlichkeit 
durch  Lokalforschungen  nur  bereichert  werden.  Wenn  hierunter 
ein  Verzeichnis  der  in  Pr.  Holland  im  18.  Jahrhundert  Zuge- 
wanderten gegeben  wird,  so  will  dasselbe  nicht  nur  einen  Beitrag 
zur  Entwickelungsgeschichte  der  hiesigen  reformierten  Gemeinde, 
sondern  auch  einen  solchen  zur  Geschichte  der  Kolonisation  des 
Oberlandes  liefern. 

In  dem  Kommunikanten-Register  fehlten  die  namentlichen 
Verzeichnisse  aus  den  Jahren  1758—1762,  1764  und  1782,  in 
dem  älteren  hier  nur  in  betracht  kommenden  Kirchenbuch 
fehlten  die  Beurkundungen  von  1781 — 1783.  Leider  machte  die 
unsaubere  und  flüchtige  Handschrift  des  Predigers  Collins 
(1768 — 1780)  eine  gründliche  Prüfung  der  von  ihm  angefertigten 
Register  unmöglich. 

Die  Militärpersonen  sind  (bis  auf  zwei  Offizierfamilien)  in 
dem  hierunter  folgenden  Verzeichnis  unberücksichtigt  geblieben. 
Bemerkt  sei,  daß  sich  unter  den  Zugewanderten  auch  einige 
lutherische  Familien  befanden,  die  in  dem  folgenden  Nachweis 
als  solche  bezeichnet  sind. 


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322      T>ie  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Die  beigefügteD  Zahlen  nennen  die  Jahre,  in  denen  die 
Namen  vorkommen.  Bei  weitem  die  Mehrzahl  der  Familien 
und  alleinstehenden  Personen  wohnte  in  der  Stadt  Pr.  Holland, 
nur  wenige  in  der  Umgegend  und  den  benachbarten  Städten. 

Ein  Stern  *  vor  dem  Namen  weist  hin  auf  das  von 
Dr.  Beheim-Schwarzbach  in  seinem  Buch  ,, Friedrich  Wilhelms  I. 
Kolonisationswerk  in  Lithauen,  vornehmlich  die  Salzburger 
Kolonie"  (Königsberg,  Hartungsche  Verlagsdruckerei,  1879) 
Seite  329  ff.  gegebene  lexikalische  Kolonisten -Verzeichnis  und 
die  dort  mitgeteilte  Heimatsbestimmung. 

Es  ist  übrigens  sehr  interessant,  an  den  bei  einigen  Namen 
mitgeteilten  verschiedenartigen  Schreibweisen  zu  beobachten,  wie 
an  ihnen  der  Germanisierungsprozeß  herumgearbeitet  hat. 

Verzeichnis. 

Badoel,  Bathuel,  Bodwell[in].  1707—1714.  Frau  Kunigunda  Ba- 
thuel[s]  geb.  Kaleyin  wird  1707  und  1712  als  Patin 
genannt. 

Loise  Baliardin.  1747. 

Bareire,  Barreyre,  Barreire,  Parere.  1738  und  später.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  (noch  1787)  nimmt 
hier  regelmäßig  ein  Kreis-Steuer- Einnehmer  Bareire 
aus  Saalfeld  das  Abendmahl. 

Madem.  Margaretha  Barrosv.  1726. 

Baudauvin,  Baudevin,  Baudouin,  Baudovin,  Baudowin,  Bauduen, 
Baudueng,  Baudvin,  Bodevin,  Bodewin,  Bodovin,  Bodueng, 
Boudouin,  Budovin,  Paudevengfs].  1735 — 1757. 

Wilhelm  Baumeister  ,,ausm  Bergischen  Lande  bei  Düsseldorff". 
1714. 

Johann  Bellet.  1714. 

Salom.  Bertrant.  1745. 

Bestvater,  Bestvatter  (Schönfärber).  1716—1727. 

Abr.  Betau.  1751. 

David  von  Biel,  „ein  Frankfurter  am  Mayn".   1714. 


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Von  Ernst  Machholz.  323 

Bivier.  1726. 

Jac.  Bouillet.  1738. 

Madem.  Bouranton,  Buranton.  1748,   1749. 

Bredelan[in]  (?).  1754. 

Bvenchin  (?).   1765. 

Buckau.  1711—1718. 

*Capiduller.  1772.  (Schweitzer). 

Cavalier,  Cavallier.  1792. 

Dav.  Chabonnie.  1746. 

Challie,   Challier,   Chaly,   Schallie,   Schalin,  Schalir.    1749—1756. 

Chabellier,  Chapelar,  Chapelier,  Chapellie,  Chapellier,  Scapell. 
1733—1757.  Das  1733  genannte  Familienmitglied  war 
Tabackspflanzer.  —  In  Riesenburg  wohnte  in  der  ersten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  eine  Frau  namens  ,,Schapillie11. 

Clapmaier,  ein  Färber.  1710—1714. 

Christian  Conrad  Clasen,  „Laquai  bey  dem  Rittmeister  von 
Brederlow".  1733. 

Cliver,  Clüver,  „Baumanns  gesell."  1718  und  später.  Im  zweiten 
Viertel  des  18.  Jahrhunderts  (noch  1745)  nimmt  hier  des 
öfteren  ein  Mann  namens  Cliver,  Clivert,  Clüver,  Cluvert, 
Klüfert,  Klüvert  aus  Mühlhausen  das  Abendmahl. 

Collet.  1707 — 1735.  Es  ist  nicht  ganz  klar,  ob  diese  Familie  in 
allen  jenen  Jahren  in  Pr.  Holland  gelebt  hat;  1714  heißt 
es,  daß  sie  in  Stobnitten  (Kreis  Mohrungen)  ansäßig  sei. 
1703  und  1705  gibt  es  in  Schlodien  einen  Koch  und 
Kammerdiener  Dionysius  Collet. 

Mademois.  Collein,  Collin.  1743,  1744. 

Peter  Conseng,  ein  Schmiedegesell.  1734. 

Johan  Coster,  ein  „Apothekerjung".  1721  — 1724. 

Madem.  Anne  Margretha  Crepine.  1708. 

Dambonette,  Dombonett,  Tambonet,  Tambonette.  1740—1750. 

"Dandau.  1718.  (lutherisch). 

Doblin,  „des  Advocaten  Frau".  1708. 

Dominic,  ein  Knecht,  Kutscher.   1746 — 1753. 

Dublin,  Acciseeinnehmer.  1700.  1720. 


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324      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Duchel,  Dugel  („Jungfer  Concorde  Dugelin",  Frau  „Dugelsche"). 
1710—1716,  1748.  —  Möglicherweise  wohnte  die  Familie 
in  Marien  bürg  und  kam  nur  zum  Abendmahl  nach 
Pr.  Holland. 

Duglass.  1748,  1752. 

Dziack.  Die  Familie  erscheint  hier  schon  im  ersten  Jahrzehnt 
des  18.  Jahrhunderts  und  noch  zu  Ausgang  desselben. 

Jfr.  Ellins.  1732.  Im  Kirchenbuch  findet  sich  Seite  187  die 
Trauung  einer  „Jungfer  Anna  Ellins,  seel.  Herrn  Ellins 
Englischen  Kauffmanns  in  Eibingen  mittelsten  Jungfer 
Tochter"  mit  dem  Amtmann  Dominicus  Augustinus 
Sponagel  beurkundet.  Die  Trauung  fand  in  der  Kirche 
zu  Finckenstein  am  30.  10.  1731  statt  und  wurde  durch 
den  Pr.  Holländer  reformierten  Prediger  vollzogen. 

Faut.  1798,  1799. 

du  Fay,  du  Feu,  Steuerrat.  1741—1746. 

Francillion,  Stadt-Controlleur.  1792,  1793. 

Fraumandiau,  Fraumantrion  (?),  Fraumentie,  Fromandjou,  „Visi- 
tator". 1744—1746. 

Fresewitt,  Frösewit,  Chirurg.  1744,  1746 ö»). 

Madem.  Fremincourt.  1718. 

Jacob  Gilles.  1719. 

*Margr[etha]  Girard[iu|.  1748.  (Schweizerin). 

Mstr.  Frider.  Gordon.  1740. 

Mademoiselle  Suhsanna  le  Grand.  1739,  1740. 

Carl  Philipp  Gavius  (Grovius?).  1740. 

Joh.  Henrich  Gregoire.  1701.  Er  und  seine  Frau  waren  „Befu- 
gianten  aus  Frankreich". 

Gydey,  ein  Weißgerber,  (lutherisch).  1739. 

Frau  Harret[in],  Harett[in].  1736—1746. 

Harries,  Harius,  Harrius.  1734-1748. 

Herbers.  1750. 


5a)    Ein    Niederländer?     (,rPreuß.    Prov.    Blätter",    18.    Band,    Seite   229 

und  250). 


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Von  Ernst  Machholz.  325 

Madem.  Hognel.  1701. 

„Jgfr.  Holländerin".  (Lutherana).  1739. 

Jungfer  Sara  und  Anna  HubertfinJ.  1713.  In  demselben  Jahre 
treten  in  Pr.  Holland  zum  reformierten  Glauben  über 
die  „Mennisten"  Johann  Arend  Hubert  und  Anna  Maria 
Hubert[in]. 

Hugenai,  Hugene,  Hugenfe,  Hugenett,  Hügne,  Hygne.  1748  bis 
1754,  1785. 

Igane,  Iganet,  Igano,  Iganon,  Iganotte.  1765 — 1781. 

Michael  Igoly  (?)  (lutherisch).  1740. 

Madem.  Janchein,  Janchem.  1722. 

Jannot.  1725.  Der  Namen  wird  nur  zweimal  genannt,  das  andere 
Mal  „Mons.  Jannot  Christi*4. 

Jassoy;  schon  im  ersten  Jahrzehnt  des  IS.  Jahrhunderts. 

Jac.  Jeannet,  Schenet,  Sohoenet,  ein  Schneider.  1763 — 1768. 

„Johannes,  ein  Lieutenant  des  Regiments  Cavallerie  des  Brigadiers 
du  Portal,  ein  Französischer  Refugiant";  seine.  Frau 
war  lutherisch  und  stammte  aus  Westpfalen.  1707. 

Mademois.  Jouni  (?).  1763. 

de  Kanchin  jun.  1729. 

Samuel  Karkettel.  1712—1714. 

Kesler.  Schon  im  ersten  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts. 

Friedrich  Knaust,  „ein  Magdeburger".  1714, 

Laserre,  „Peruquier".  1734. 

Claudine  Lenning.  1734,  1735. 

Leissel,  Lesle,  Lessei.  1712,  1714,  1735. 

Loberi,  Lobery,  Lobry,  Accise-Inspektor.  1732,  1738,  1769—1772. 

Lucco,  Lockau,  Loko,  Praecentor  und  Küster.  1726 — 1732. 

Frau  Amtmann  Lunert[in),  Lunaui  (?).  1763,  1765. 

Maria  la  Maitre'  1738.  —  „Le  16  i  d'Aout  1736,  M£le  Pasteur 
Delombles  a  batis6  dans  le  Temple  de  la  Fridericstadt*), 
Salomon,  ne  le  12  iL  ä  dix  heures  du  soir,  fils  de  Daniel 
Maitre,  Chapelier,  natif  de  Berlin  et  de  Sophie  Cathe- 


6)  Zu  Berlin. 


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326      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

rine  Himberg  sa  femme,  native  de  Halberstadt.  II  a  ete 
presente  par  Salomon  Pernet,  et  par  Magdelaine  Espe- 
raudieu  sa  femme,  ses  Parain  et  Maraine." 

Madem.  Maussee.  1716—1718. 

Merian,  Meryan.  1732—1736.  (Schweizer?) 

Michel,  Mischel.  Die  Familie  erscheint  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten des  18.  Jahrhunderts  und  bis  in  die  zweite 
Hälfte.  Zwei  Brüder  Jacob  und  Samuel  Michel  hatten 
zwei  Schwestern  Elisabeth  und  Esther  geb.  de  Sombre 
(de  Sombres)  zur  Frau;  um  das  Jahr  1730  herum.  — 
Siehe  auch  „de  Sombre"! 

Demois.  Monod.  1789. 

Montagin.  1771. 

Stephan  Morgeon.  1770,  1772. 

Mossinet.  1738. 

Monsr.  la  Motte.  1707—1709. 

du  Moulin,  ein  Tabackspf lanzer,  1721.  —  Eine  Jgfr.  du  Moulin 
lebte  1730  und  1731  in  Biesenburg;  sie  nahm  hier 
das  Abendmahl. 

Elias  Obeditz.  1734. 

Ogilfi,  Ogilvie,  Ogilwy,  ein  Kauf-  und  Handelsmann.  1735 
bis  1741. 

Jfr.  Palleien.  1733.  Sie  scheint  aus  Spittels  (Kreis  Pr.  Holland) 
gewesen  zu  sein. 

Peinert,  aus  Gernrode  im  Anhaltschen  gebürtig.  Die  Familie 
erscheint  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts 
und  wohl  noch  bis  in  die  zweite  Hälfte  hinein.  Um 
dieselbe  Zeit  etwa  kommuniciert  hier  der  Bürgermeister 
aus  Mühlhausen  und  ein  Zimmermann  von  dort,  beide 
namens  Painert,  Pehnert,  Peihnert,  Peinert. 

„Abraham  peter  Neufchatellois.u  1715. 

Petersen,  Peterson.  1733—1779. 

„Frau  pfälzerin."  1711,  1712. 

Picau,  Picaut,  Pico,  Picod,  Picot.  1727—1810. 

George  Piccart,  Calculator.  1724. 


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Von  Ernst  Machholz.  327 

Madem.  Poullon.  1768. 

Madem.  Anne  Margretha  du  Prat,  (Pral?)  1722,  1723. 

Francois  le  Queux.  1715. 

Roland,  Rolland,  „Refugiant".  1711—1715. 

David  Rudolph,  ein  „Zimmergesell  aus  der  Schweiz".   1739. 

Charlotte  Saladin[in|.  1712-1715.  —  Wohl  eine  Pfälzerin. 

Mr.  Johann  Saliniere.   1724. 

Salne  (?).  1750. 

Saro.  1794. 

Saroin.  1777. 

Scetin,    Seiden,    Seideng,    Scider[n],    Scidey,     Seidin,     Skeddin. 

1744—1769.  —  Siehe  „Sequidinu! 
Scheidt,  Scheit,  Scheyd,  Scheydt,  Schulbedienter.   1732  und  noch 

1756.  Aus  der  Pfalz  gebürtig. 
Martin  Schor,  Schur  (lutherisch).    1718,   1719;    seine  Frau  Anna 
Margaretha  Wolff[inJ  stammte  aus  Detmold  in  der  Graf- 
schaft Lippe. 
„Ein  Hutmacher  gesell  ein  schweizer."  1718. 
„Die  Schweizerin  bei  Herrn  la  palme".  1713 — 1716. 
Anna  Louisa  Sequidin,  Squedin.  1765.  —   Ob  ein  Familienglied 

„Scetin"  etc.? 
Josias  Simlerus,  „Tigurinus",  Chirurgus.   1707.  (Schweizer). 
Jac.  de  Sombre.  1753.  —  Siehe  auch  „Michel"!. 
Madem.  Tardis.  1719,  1720. 
Isaao  Thorge.  1726,  1727. 

Toussaint,  Toussent,  Toussin.  1743—1747,  1771. 
Vanie  (?).  1763. 
Venadie,    Venadje,    Venadier,     Vena    Dieu,    Venadieu,    Venatie, 

Venatieu,  Wenadier,  „Perruquemacher".  1738 — 1768. 
Venner,  Hutmacher.  1718—1720. 

„Monsr.  de  Vigneul0*),  Major  im  Regiment  Cavallerie  des  Brigadiers 
du  Portal,  ein  Französischer  Refugiant".  1707. 

6a)  „de  VignolJes"  schreibt   v.  Mülverstedt;  doch   wohl   dieselbe  Familie. 
(„Mitt.  der  Litt.  Gesellsch.  Masovia",    8.  Heft,  8.  31.)    Nachrichten    über  diese 


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328      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Anton  Vilain.  1740. 

Job.  Waslart,  aus  der  Pikardie;  seine  Frau  war  eine  Eng- 
länderin. 1701. 

Caspar  Dieterich  Winderfeld  „von  Eodenburg  an  der  Fulda". 
1714. 

Dieser  Namennachweis,  so  unvollständig  er  sein  kann, 
zeigt  doch,  daß  die  Gemeinde,  besonders  im  2.,  3.  und  4.  Jahr- 
zehnt des  18.  Jahrhunderts,  zu  einem  sehr  erheblichen  Teil  von 
Reformierten  fremden  Blutes  durchsetzt  war.  Die  im  17.  Jahr- 
hundert in  und  um  Pr.  Holland  zugewanderten  Beformierten 
hatten  den  Grund  zur  Stiftung  der  Gemeinde  gelegt,  der  Zu- 
wachs im  18.  Jahrhundert,  namentlich  im  2. — 4.  Jahrzehnt, 
festigte  sie  und  gaben  ihr  die  Kraft  zu  dauerndem  Bestand. 


Die  Kabinetsorder ,  welche  der  Gemeinde  den  ersten  Seel- 
sorger gab,  lautete7): 

„Seine  Churfürstl.  Durchl.  zu  Brandenburg  p.  p. 

Unser  Gnädigster  Herr,  bestellen  Em  Johann  Wilhelm 
Geller  zu  Dero  Evangelischen  Reformirten  Prediger  zu  Preüsch 
Holland  dergestalt  und  also,  dass  Er  alda  auff  dem  Schloss  in 
einem  Zimmer,  welches  Ihm  der  Hauptmann  anweisen  wird, 
Predigen  und  die  Heil.  Saoramenta  administriren,  solches  auch 
bey  denen  in  und  umb  Riesenburg  sich  befindenden  Reformirten 
Glaubens- Genossen  auff  «eibigem  Ampt-Hause  ebenfals  verrichten 
soll.  Wohingegen  Ihme  Se  Churfürstl.  Durchl.  zum  Jährlichen 
Gehalt  zweyhundert  Thaler  und  das  nöhtige  Hart-  und  Rauch- 
Futter  auff  zwey  Pferde  verordnet,  wovon  das  letztere  Ihm  aus 
dem  Ampt,  und  das  Geld  aus  den  hiesigen  Zoll-Gefällen  zu 
reichen.    Uhrkündlich  mit  höchstermeldter  S*  Churfürstl.  Durchl. 


Familie   in    der    „Evgl.-reform.  Kirehenzeitung"    von    Thelemann    und    Stähelin 
(Erlangen)  1863,  Nr.  49,  50. 

7)  Das   Original   (auf  Papier)   befindet   sich   im    reform.  Pfarrarchiv  zu 
Pr.  Holland. 


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Von  Ernst  Machholz.  329 

eigenhändigen  Unterschrifft    und  Insiegel   bekräftiget.     Königs- 
berg   den   jgten  Augusti  1697. 

Friderich. 

(L.  S.) 

v.  Danokel[mann]. 

Kaum  hatte  diese  Order  des  Kurfürsten  Kabinet  verlassen, 
als  ihr  schon  unterm  -^  desselben  Monats  eine  andere  an  den 
„Ref.  Pr.  Hofprediger"  in  Königsberg  gerichtete  Weisung  folgte, 
welche  die  Berufung  Gellers  „der  besorgenden  gravaminis  halber" 
nicht  öffentlich  bekannt  gegeben  wünschte8)!  Die  in  diesem 
Erlaß  ausgesprochene  Vorsicht  wird  verständlich,  wenn  man 
hört,  daß  in  eben  jenem  Jahre  die  Stände  berufen  wurden, 
denen  das  Anwachsen  des  „Calvinismus"  ja  von  jeher  ein  Dorn 
im  Auge  war. 

Nur  sehr  langsam  konnte  es  den  Reformierten  in  Preußen 
gelingen,  ihren  Kirchengemeinden  die  politische  Selbständigkeit 
zu  erringen.  Selbst  der  Beistand  des  Landesherrn  war  oft  ohn- 
mächtig vor  der  Gewalt  der  Stände.  Fünf  reformierte  Ge- 
meinden nur  gab  es  zu  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts  im  heutigen 
Ostpreußen,  die  staatlich  anerkannt  waren:  die  Burgkirche  zu 
Königsberg,  die  Gemeinde  in  Memel,  in  Tilsit,  in  Pillau  und  die 
französisch -reformierte  Gemeinde  zu  Königsberg.  Wäre  den 
Reformierten  in  Preußen  von  Anfang  an  in  religiöser  —  und 
auch  kommerzieller  —  Hinsicht  mehr  Bewegungsfreiheit  gegönnt 
worden,  dann  hätten  wir  nachmals  mehr,  und  vor  allem  lebens- 
kräftigere reformierte  Gemeinden  im  Lande  gehabt. 

Der  reformierten  Gemeinde  zu  Pr.  Holland  war  die  Selbst- 
ständigkeit durch  einen  direkten  Machtspruch  des  Kurfürsten 
gegeben  worden,  aber  in  weiteren  Kreisen  war  ihre  Stiftung 
geheim  geblieben  —  als  fait  accompli  stand  sie  dann  am  Neu- 
jahrstage 1698  da.      Gleichwohl   traute  man  den  Ständen  nicht. 

In  Preußen  war  damals  „die  Gewohnheit,  dass  die  Ambts- 
Eingesessenen  von    Sr:  Churfürstl:   Durchl:    vor  dem  Land-Tag 


8)  Da»  Original  befindet  sich  im  Pfarrarchiv  der  Burgkirche  zu  Königsberg. 


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330      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

auf  das  Ambts-Hauss  convociret  wurden,  um  über  die  Propo- 
sitiones  zu  deliberiren  und  einen  Deputirten  auf  den  Land-Tag 
völlig  zu  instruiren,  wann  nun  diese  Convocation  zu  ende,  und 
der  Deputirte  instruiret  war,  so  konte  nachher  die  Instruction 
nicht  geändert  noch  derselben  etwas  hinzu  gefüget  werden,  wann 
sich  schon  unterdessen  was  neues  zugetragen  hatte,  indem  sie 
sich  ohne  Sr:  Churfürstl:  Durchl:  Convocation  nicht  von  neuem 
auf  dem  Ambthause  versamlen  durfften.  Nun  war  in  diesem 
Jahr  1697  eine  Convocation  im  Decembr:  ausgeschrieben,  und 
der  Praeses  der  Kirchen-Sachen,  der  Geheime-Rath  von  Fuchs, 
sähe  es  vor  gut  an,  dass  weil  kein  periculum  in  mora,  der  neu- 
beruffene  Prediger  sein  Ambt  nicht  eher  antreten  mögte,  biss 
die  gemeldte  Convocation  ihre  endschafft  erreichet:  das  geschähe 
nun  kurtz  vor  Weynachten  und-  die  Instruction  des  Deputirten 
wurde  gleich  nach  Weynachten  ausgefertiget,  dero wegen  trat  .  .  . 
Prediger  Geller  am  Neuen- Jahrs-Tage  1698  erst  sein  Ambt  an, 
und  so  geschähe  es,  daß  auf  diesen  Land-Tag  kein  Gravamen 
entstund,  des  folgenden  Jahrs  wurde  zwar  wieder  ein  Landtag 
gehalten,  wie  auch  zu  Anfang  der  Regierung  ....  Friederich 
Wilhelms  [I.],  aber  es  ist  nie  ein  Gravamen  wieder  die  .  .  . 
Preusch  -  Holländische  Reformirten  -  Gemeine  zum  Vorschein 
kommen;  Da  auch  der  Herr  Geheimbde-Rath  von  Fuchs,  auf  dass 
alles  ruhig  möchte  vollbracht  werden,  eine  besondere  Introduction 
vor  unnöthig  achtete,  so  hatt  sich  der  [Prediger]  Geller  mit  Er- 
öffnung Ihrer  Churfürstl:  Durchl:  gnädigstens  Befehls  bey  dieser 
neu  gestiffteten  Gemeine  selbst  introduciret9)." 

Die  Gemeinde  konnte  also  nur  unter  Anwendung  unge- 
wöhnlicher Kunstgriffe  über  ihre  Anfange  hinausgebracht  werden. 

Geiler  muß  ein  sehr  tüchtiger  und  gewissenhafter  Mann 
gewesen  sein;  denn  unter  seiner  mehr  als  30jährigen  Tätigkeit 
nahm  die  Gemeinde  an  Umfang  und  Ansehen  sichtbar  zu.  Bei 
der    schwierigen  Stellung    der  Reformirten    im  Lande    war    das 


9)  Nach    einem    Manuscript    im    Burgkirchenarchiv    zu  Königsberg   vom 
Jahre  1733. 


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Von  EniHt  Machholz.  331 

gewiß  eine  große  Leistung.  Näheres  über  ihn  ist  im  4.  Ab- 
schnitt gesagt. 

In  Gellers  Amtsperiode  fällt  eine  Allerhöchste  Order,  die 
sehr  geeignet  ist,  die  Sorge  Friedrich  Wilhelm  I.  um  das  All- 
gemeinwohl seines  Landes  in  vorteilhaftestem  Lichte  zu  zeigen. 
Ein  Originalexemplar  dieser  Order  vom  22.  Oktober  1722  findet 
sich  in  dem  Pr.  Holländer  reformierten  Pfarrarchiv;  ihrer  Be- 
deutung wegen  wird  sie  hierunter  wörtlich  wiedergegeben: 

„Von  Gottes  Gnaden  Friderich  Wilhelm,  König  in  Preußen, 
Marggraff  zu  Brandenburg,  des  Heil.  Rom.  Reichs-Ertz-Cämmerer 
und  Chur  Fürst  pp. 

Unsern  Gruß  zuvor,  Andächtiger,  lieber  Getreuer.  Nach- 
dem Wir  berichtet  worden,  auch  zum  Theil  Selbst  angemercket 
haben,  daß  die  in  Unsern  Preußischen  Landen  bestellete  Pre- 
diger nicht  genugsahm  Fleiß  und  Mühe  anwenden,  umb  ihren 
Zuhörern  und  Eingepfarreten  die  Liebe,  Treue  und  Gehorsahm, 
so  sie  Unß  alß  ihrem  Könige  und  Höchsten  Souverainen  Landes- 
Herrn  zuerweisen  und  zuleisten  verbunden  sind,  gehörig  ein- 
zuschärfen, da  doch  die  Pflichte  der  Unterthanen  gegen  ihren 
Landes  Herrn  nicht  nur  in  Gottes- Wort  an  so  vielen  Orthen 
ernstlich  gebothen  und  den  Uebertrettern  zeitliche  und  ewige 
Straffe  angedrohet,  sondern  solche  Pflicht  auch  an  und  vor 
sich  selbst  von  solcher  Arth-  und  Beschaffenheit  sind,  daß  ohne 
deren  accurate  Beobachtung  kein  Staat  bestehen,  viel  weniger 
die  Unterthanen  zu  derjenigen  Glückseeligkeit  gelangen  können, 
welche  aller  und  jeder  Menschen  eintziger  Zweck  und  Vor- 
nehmste Absicht  billig  seyn  solte;  Also  haben  Wir  gut  und 
höchst  nötig  gefunden,  die  sämbtle.  Prediger  in  Unseren  König- 
reich, und  zwar  sowohl  und  absonderlich  auff  dem  Lande  als  in 
allen  und  jeglichen  Städten  ernstlich  anweisen  zulaßen,  daß  Sie 
der  ihnen  desfalß  obliegenden  Schuldigkeit  bey  Unterweisung 
ihrer  anvertraueten  und  auff  ihrer  Seele  gebundenen  Gemeinden 
beßer,  als  bißhero  nicht  geschehen,  nach  zu  leben,  eüserst  be- 
mühet seyn  sollen  und  müßen.  Wir  befehlen  Euch  demnach 
hiemit  in  Gnaden    und    wird  Euch    zugleich  auff  das  schärffeste 


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332      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

eingebunden,  sofort  nach  Einlängung  gegenwärtiger  ordre,  keinen 
Sonn-  oder  Fest-Tag  vorbey  gehen  zulaßen,  ohne  eurer  Gemeine 
in  der  Predigt  von  der  Cantzel  den  vollkommenen  Gehorsahm, 
die  ungefärbte  Liebe  und  unbefleckte  Treue,  so  sie  vor  Unß  als 
ihren  König  und  Souverain,  der  vor  ihre  Wolfarth,  Conservation 
und  Auffnehmen  Tag  und  Nacht  unermüdet  sorget  und  arbeitet, 
ernstlich  und  beweglich  vorzustellen  und  Ihnen  dabey  wol  zu 
imprimiren,  daß  das  Geboth  vom  Gehorsahm  der  Unterthanen 
gegen  ihre  Obrigkeit  nicht  bloß  Menschen,  sondern  des 
Höchsten  Gottes  Geboth  seyn,  dahero  sie  dann  auch  umb 
soviel  williger  seyn  müBen,  ihre  geordnete  Dienste  und  praestanda 
mit  freudigem  Hertzen  zuleisten,  mithin  Gott  zugeben  was 
Gottes  ist,  und  dem  Könige  was  des  Königs  ist. 

Solte  jemand  von  den  Predigern  in  den  Städten  oder 
Dörffern  negligiren,  dergleichen  Ermahnungen  an  seine  Ge- 
meine alle  und  jede  Sonn :  und  Fest  Tage  zuthun,  so  wird  seine 
deshalb  erfolgende  Bestraffung  Selbst  der  Gemeinde  zum  Exempel 
dienen,  daß  wer  unsere  Geboth  verachtet  und  übertritt,  eben 
so  wenig  von  der  Straffe  befreyet  bleiben  könne,  als  Wir  die 
jenigen  von  Unseren  Unterthanen,  welche  Unß  mit  aufrichtiger 
Liebe,  Treue  und  Gehorsahm  zugethan  und  ergeben  seyn,  nicht 
ohnbelohnet  bleiben  laßen  werden.  Seynd  Euch  mit  Gnaden 
gewogen.     Geben  Berlin  d.  22ten  October.  1722. 

Auff  S*.  Königl.  Mayt.  Allergnädigsten 
Special-Befehl. 

M.  L.  von  Printzen.         Wilh.  Duhram. 

An 
den  Reform.  Prediger  in 
Preusch  Holland.     Errn  Geller. 

M.  Aschenbach." 

In  gutem  Ruf  bei  seinen  Vorgesetzten  und  hochangesehen 
in  Stadt  und  Land,  legte  Geller  im  Jahre  1726  das  Amt  nieder.  — 
Das  seiner  Amtsentsagung   folgende  Jahr   wird    stets   ein   Blatt 


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Von  Ernst  Machholz.  333 

in  der  Geschichte  der  Gemeinde  bleiben,  das  nur  in  tiefer  Be- 
trübnis gelesen  und  nicht  schnell  genug  überschlagen  werden 
wird. 

Auf  Geller  war  Marees  (Maresius)  gefolgt,  der  bis  dahin  die 
reformierte  Predigerstelle  am  Königl.  Waisenhause  in  Königs- 
berg verwaltet  hatte.  Im  Gewissen  schwer  belastet,  war  er  von 
dort  gegangen  und  nach  neun  Monaten  schon  sah  er  sich  wieder 
in  den  Mauern  der  alten  Pregelstadt,  diesmal  aber,  um  sich  vor 
dem  weltlichen  Richter  für  Vergehen  zu  verantworten,  die  heute 
vom  Strafgericht  als  sittliche  Verfehle  geahndet  werden.  Das 
Verfahren  gegen  Marees  war  nach  Möglichkeit  geheim  behandelt 
worden,  und  so  scheint  der  Gemeinde  der  Anlaß  zur  Verhaftung 
ihres  Predigers  unbekannt  gewesen  zu  sein.  Im  Jahre  1727 
erwähnte  einmal  der  „Graf  zu  Dohnau  auf  Schlobitten  in  einem 
Briefe  an  den  Hofprediger  Schrotberg  in  Königsberg,  daß  ein 
in  Pr.  Holland  angesessener  alter  Schweizer  zu  ihm  (Dohna)  ge- 
kommen wäre,  um  ihn  in  der  Mareesiusschen  Sache  auszuhorchen, 
da  habe  er  (Dohna)  ihm  gesagt,  daß  er  nur  Gott  und  den  König 
handeln  lassen  müsse;  ihm  scheine,  daß  Marees  ein  Atheist 
gewesen  sei,  und  Gott  ihm  nur  habe  Zeit  lassen  wollen,  ihn  vor 
seinem  Tode  kennen  zu  lernen,     (cf.  4.  Abschnitt.) 

Die  Abberufung  des  Predigers  Marees  hatte  der  Gemeinde 
schwere  Wunden  geschlagen;  die  Kommunikantenzahl  war  er- 
heblich zurückgegangen,  und  es  bedurfte  einer  energischen 
Kraft,  um  dem  gesunkenen  Gemeindeleben  auf  die  Höhe  der 
Gellerschen  Aera  hinaufzuhelfen. 

Der  gute,  vornehmlich  aus  strenggläubigen  Franzosen  und 
Schweizern  bestehende  Kern  war  der  Gemeinde  geblieben,  und 
auf  dieser  gesunden  Basis  vermochten  die  späteren  Geistlichen 
die  Gemeinde  auszubauen.  Gegen  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
stand  die  Gemeinde  wieder  in  hoher  Blüte,  in  den  Jahren 
1740 — 67,  unter  dem  Prediger  Jacobi,  hatte  sie  die  Maximal- 
grenze ihres  Könnens  erreicht.  Diese  Behauptung  darf  ihre  Be- 
rechtigung aus  der  Tatsache  herleiten,  daß  in  jenen  Jahren  die 
Kommunikantenzahl  eine  sehr  weite,  während  des  Bestehens  der 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLÜ.    Hft.  6  u.  6.  22 


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334      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Gemeinde  im  18.  Jahrhundert  die  höchste  Grenze  naoh  oben 
gefunden  hatte.10) 

Im  Jahre  1740  war  auch  der  Sitz  der  Oberländischen  Be- 
formierten Inspektion  von  Soldau  nach  Pr.  Holland  verlegt 
worden,  ein  Anlaß  mehr,  um  die  Gemeinde  in  ihrem  religiösen 
Gefühl  zu  festigen.  Der  damalige  Inspektor,  Prediger  Jacobi, 
war  daneben  Mitglied  des  Pomesanischen  Konsistoriums  zu  Saal- 
feld. Alle  diese  Umstände  mögen  auf  das  Gemeindeleben 
fördernd  gewirkt  haben. 

Jacobis  Nachfolger,  C ollin 8,  vermochte  die  Gemeinde  nicht 
mehr  auf  demselben  Niveau  zu  halten;  manche  Zufälligkeiten 
trieben  sie  ihrer  Abnahme  entgegen. 

Schon  unter  Jacobi  hatte  der  Charakter  der  Gemeinde  ein 
zum  Teil  anderes  Gesicht  erhalten.  Ursprünglich  bestand  sie,  wie 
wir  wissen,  in  der  Mehrzahl  aus  zugewanderten  Keformierten. 
Unter  der  Menge  der  letzteren  und  den  der  Pr.  Holländer  Gar- 
nison angehörigen  Reformierten  verschwand  fast  die  Zahl  der 
einheimischen  Gemeindeglieder.  Gegen  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts, und  vollends  in  seiner  zweiten  Hälfte,  war  die  Zu- 
sammensetzung der  Gemeinde  aber  anders  geworden.  Das  fremde 
Idiom  war  weit  zurückgetreten.  Jetzt  hatten  mehr  die  ein- 
heimischen Reformierten  das  Übergewicht  erlangt.  Aber  mit 
diesem  Ereignis  nahm  die  Stärke  der  Gemeinde  ab.  So- 
bald Jacobi,  im  Jahre  1767,  durch  den  Tod  vom  Amte  abberufen 
wurde,  zeigte  die  Beteiligung  der  Gemeinde  am  heiligen  Abend- 
mahl eine  auffallend  absteigende  Tendenz.  Collins,  der  von 
1768 — 80  das  Predigtamt  verwaltete,  scheint  nicht  der  geeignete 
Mann  gewesen  zu  sein,  um  die  Schäden  in  seiner  Gemeinde 
herauszufinden,  vielweniger  beseitigen  zu  können. 

Auch  unter  den  Kirchenbeamten  tönte  ein  Mißklang. 


10)  Der  Prediger  Jacobi  versammelte  während  seiner  Amtszeit  durch- 
schnittlich im  Jahre  etwa  46  Kommunikanten  um  sich,  während  unter  seinem 
Nachfolger  die  Zahl  der  Kommunikanten  auf  etwa  38  fiel  und  später,  bis  1807, 
immer  weiter  sank. 


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Von  Ernst  Machholz.  335 

Während  der  Stellenvakanz  nach  Collins*  Tode  war  einmal 
dei  Prediger  Rindfleisch  aus  Elbing  nach  Pr.  Holland  gekommen, 
um  das  heilige  Abendmahl  abzuhalten.  Rindfleisch  befragte  bei 
jener  Gelegenheit  einen  der  Presbyter,  ob  die  Erschienenen  die 
ganze  Gemeinde  bildeten,  worauf  dieser  zur  Antwort  gab,  daß 
doch  noch  mehr  Mitglieder  vorhanden  seien.  Aber  kaum  hatte 
der  Presbyter  ausgesprochen,  als  er  von  dem  anwesenden  Kantor 
(Johann  Karl  Schmidt?)  „sehr  angebellt"  und  „deshalb,  daß  er 
das  angezeigt  hatte,  äußerst  grob'*  angefahren  wurde.  Rindfleisch 
sagte  dazu  „kein  Wort."  In  furchtbarer  Wut  stieß  darauf  der 
Kantor  die  Kirchengefäße  vom  Altar,  riß  die  Decken  herunter 
und  lief  ,,ganz  wild"  aus  der  Kirche. 

Ein  anderes  Mal  hatte  der  Kantor  in  der  Kirche  nach  dem 
Gottesdienst  mit  dem  Rektor  Pico  einen  so  heftigen  Streit,  daß 
ein  hinzukommender  Presbyter  keinen  Frieden  hatte  stiften 
können. 

Derselbe  Mann  verwaltete  in  der  Predigervakanz  die  Kirchen- 
registratur. Bei  den  Charaktereigenschaften,  welche  ihn  sonst 
noch  zierten,  —  er  war  „stolz,  faul,  widerspenstig  und  ein  Tauge- 
nichts" — ,  war  ihm  wohl  zuzutrauen,  daß  er  zur.  Verwahrlosung 
des  Pfarrarchivs  sein  Möglichstes  beitrug.  Heute  weist  dasselbe 
bezeichnenderweise  aus  dem  18.  Jahrhundert  nur  die  wichtigsten 
Privilegien  der  Gemeinde  (die  aber  Rindfleisch  in  Verwahrung 
genommen  hatte)  und  gedruckte  Zirkulare  der  oberen  Behörden 
allgemeinen  Inhalts  auf.  Die  eigentlichen  Pfarrakten  sind  fast 
ganz  verloren  gegangen. 

Collins'  Nachfolger,  Bornemann,  stand  der  Gemeinde  nur 
etwa  drei  Jahre  vor;  sicherlich  war  es  zum  Segen  der  Gemeinde, 
daß  er  nicht  länger  das  Predigeramt  verwaltete.  Er  hatte  auch 
die  einfachste  Pflicht  des  Geistlichen,  die  Führung  der  Kirchen- 
bücher, unterlassen.  Aus  der  Zeit  seines  Amtes  stammt  keine 
Beurkundung,  auch  kein  Verzeichnis  der  Abendmahlsgäste. 

Das  Inspektorenamt  war  nach  Collins  auf  den  damaligen 
reformierten  Prediger  in  Elbing  tibergegangen. 

Als  auf  Bornemann    im  Jahre  1783    Waghas  folgte,    fand 

22* 


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336      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

dieser  nur  noch  Beste  der  Gemeinde,  um  nicht  Trümmer  zu 
sagen,  vor.  Die  Zustände  lagen  damals  schon  so,  daß  man  die 
Aufhebung  der  Pfarrstelle  in  Erwägung  zog.  Doch  Waghas 
hatte,  trotzdem  die  Gemeinde  „äußerst  unbedeutend"  war,  die 
Stelle  angenommen.  Zudem  waren  die  Stelleneinkünfte  anderen 
Gemeinden  gegenüber  gering.  —  Waghas  litt  unter  dem  Verfall 
seiner  Gemeinde.  In  mehr  als  einem  Gespräch  und  Brief  an 
den  Prediger  Wisselinck  in  Elbing  beklagte  er  ihre  traurige  Lage. 
Oft,  so  sagte  er  einmal,  habe  er  am  Sonntage  die  Kapelle  be- 
treten, ohne  eine  Seele  vorgefunden  zu  haben,  und  schweren 
Herzens  sei  er  dann  heimgekehrt.  Wenn  der  Prediger  Jacobi 
bei  den  einzelnen  Kommunionen  durchschnittlich  46  Personen 
das  heilige  Abendmahl  reichen  konnte,  so  betrug  die  Konfitenten- 
zahl  zu  Waghas'  Zeiten  durchschnittlich  nur  noch  22. 

An  Waghas  lag  es  nicht  mehr,  daß  die  Gemeinde  ihrer 
Auflösung  entgegenging;  jetzt,  da  sie  einmal  durch  den  Fort- 
zug der  alten  Familien  und  durch  die  mehr  oder  minder  geringe 
Aufmerksamkeit  der  Prediger  gelitten  hatte,  war  Hilfe  zu  spät. 
Der  Bestand  der  Gemeinde  war  auf  ein  Niveau  herabgesunken, 
auf  dem  ihr  aber  auch  die  lutherische  Gemeinde  schaden  mußte. 
Viele  Beformierte,  die  sioh  in  ihrem  Gemeindeleben  nicht  be- 
friedigt gefühlt  haben  mögen,  hielten  sich  in  jener  Zeit  zur 
lutherischen  Kirche.  Diese  Zustände  führten  denn  auch  schließ- 
lich dazu,  daß  in  der  Folge  die  reformierte  zur  lutherischen 
Gemeinde  in  eine  gewisse  Abhängigkeit  trat,  die  sich  besonders 
auf  dem  Gebiete  der  Einsegnung  der  Kinder  aus  reformierten 
Familien  und  auf  dem  Gebiete  des  Begräbniswesens  sowie  der 
Kirchenbüoherführung  äußerte. 

Noch  im  Jahre  1804  war  Waghas  nach  dem  Tode  des  In- 
spektors Rindfleisch  in  Elbing  mit  der  Verwaltung  der  Ober- 
ländischen reformierten  Inspektion  betraut  worden;  doch  ohne 
in  dieser  Stellung  auf  die  Zustände  der  Gemeinde  in  irgend 
einer  Richtung  sanierend  wirken  zu  können,  starb  er,  54  Jahre 
alt,  am  27.  August  1807,  als  letzter  ordentlicher  Geistlicher  der 
reformierten  Gemeinde  Pr.  Holland. 


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Von  Ernst  Machholz.  337 

Statistisches  aus  diesem  Zeitabschnitt. 
(1698—1806.) 

_  Kommunikanten 

Taufen         Einsegnungen     Trauungen       bej  deQ  einzelnen 

Abendmahlsfeiern 
Durchschn.«^)  Purchschn.«»)  Durchschn.«*)   im  Durch8chnittl0a) 


1698 

1 

? 

— 

? 

1699 

2 

? 

— 

? 

1700-1709 

3 

? 

1 

? 

1707—1709 

— 

? 

— 

32 

1710-1719 

3 

? 

1 

39 

1720—1729 

5 

? 

0,5 

38 

1730—1739 

4 

? 

1 

42 

1740—1749 

5 

? 

1 

44 

1750—1752 

— 

? 

2 

— 

1750—1753 

4 

? 

? 

— 

1750—1755 

? 

? 

? 

49 

1768—1769 

1 

? 

? 

46 

1770—1779 

3 

? 

1 

37 

1784—1789 

3 

2 

1 

25 

1790—1799 

4 

1 

1 

22 

1800—1806 

3 

1 

1 

18 

3.  Die  Geschichte  der  Gemeinde  vom  Jahre  1807  bis  zur  Gegenwart. 

Waghas  hinterließ  bei  seinem  Tode  die  Gemeinde  in  einer 
Stärke  von  nur  etwa  einem  halben  Hundert  erwachsener  Per- 
sonen. Dieser  Umstand  ließ  bei  den  Aufsichtsbehörden  den 
Gedanken  reifen,  die  Predigerstelle  nicht  mehr  zu  besetzen;  die 
geistliche  Versorgung  der  Gemeinde  wurde  vielmehr  einstweilen 
dem  damaligen  reformierten  Pediger  und  Inspektor  in  Elbing, 
Wisselinck,  übertragen,  und  dieser  war  es,  der  die  Vereinigung 
der  Stelle  mit  der  zu  Elbing  in  die  Wege  leitete. 

Beim  Studium  der  diese  Vorgänge  behandelnden  Akten 
kann  man  sich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  daß  Wisselinck 

10a)  In  den  einzelnen  Jahren. 


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338      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeiiide  Pr.  Holland  etc. 

bei  seinem  Vorschlage  —  zum  Nachteil  der  Pr.  Holländer  Ge- 
meinde —  von  dem  Wunsche  geleitet  wurde,  aus  deren  Aufhebung 
für  seine  eigene  Gemeinde,  und  zwar  besonders  für  eine  in 
Elbing  zu  errichtende  reformierte  Elementarschule,  Vorteile  zu 
ziehen. 

Wisselincks  Hoffnungen  fanden  aber  keine  Verwirklichung. 

Ehe  wir  auf  eine  Erörterung  der  in  dieser  Frage  von  den 
Behörden  getroffenen  Entscheidungen  übergehen,  ist  ein  kurzer 
Rückblick  auf  die  Entwickelung  der  Besoldungsverhält- 
nisse der  reformierten  Prediger  der  Gemeinde  Pr. 
Holland  erforderlich. 

Bekanntlich  waren  dem  Prediger  Geller  bei  der  Berufung 
nach  Pr.  Holland  durch  Kabinets  -  Order  d.  d.  Königsberg 
-jl£-  8.  1697  „zum  Jährlichen  Gehalt  zweyhundert  Thaler  und  das 
nöhtige  Hart-  und  Rauch-Futter  auff  zwey  Pferde  verordnet" 
worden;  die  200  Thaler  sollten  aus  den  „Zoll-Gefällen"  in  Bar, 
das  Futter  für  die  Pferde  „aus  dem  Arnpt"  bereit  gestellt  werden. 

1711  bereits  war  an  die  Stelle  der  Naturallieferung  eine 
Barabfindung  im  Betrage  von  272  Mk.  30  Seh.  =  60  Thlr. 
50  Gr.  getreten.  Diese  Einkünfte  (200  +  60  Thlr.  50  Gr.)  be- 
zogen sämtliche  Geistlichen  bis  auf  Waghas,  dem  aus  dem 
Montis  Pietatis-  Fonds  noch  eine  Zulage  von  60  Thlr.  bewilligt 
war.  Für  die  Besorgung  der  Geschäfte  bei  den  reformierten 
Gemeinden  Biesenburg  und  Elbing  war  den  hiesigen  Predigern 
keine  besondere  Vergütung  angewiesen,  es  sei  denn,  daß  diese 
Gemeinden  aus  eigenem  Antrieb  ein  Entgelt  zahlten.  Durch 
die  Lieferung  des  Futters  für  die  Pferde  beziehungsweise  die 
an  seine  Stelle  getretene  Geldentschädigung,  hatte  der  Staat  die 
Prediger  für  ihre  Dienstleistungen  in  Riesenburg  und  Elbing 
abgefunden. 

Ein  Holzdeputat  bezog  die  Predigerstelle  zunächst  nicht. 

Für  die  Wohnung  hatten  die  Prediger  bis  1740  selbst  zu 
sorgen.  Erst  in  diesem  Jahre  trat  hierin  Wandel  ein,  als  die 
Kirchengemeinde  aus  dem  Nachlasse  des  1739  verstorbenen 
Predigers  Geller  dessen  Haus  nebst  zugehörigen  Nebengebäuden 


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Von  Ernst  Machholz.  339 

und  ca.  28  Morgen  Garten-  und  Ackerland  erwarb.  Mit  jenem 
Jahre  traten  die  Pr.  Holländer  Prediger  in  den  Nießbrauch  der 
einzelnen  Erwerbstücke,  das  Stelleneinkommen  erfuhr  also  eine 
recht  bedeutende  Verbesserung.  Zu  den  Einkünften  des  Grund- 
stücks gehörte  auch  ein  gewisses  Holzquantum,  das  sogenannte 
„Bürgerholz" n)  und  freie  Weide  für  einige  Kühe  auf  den 
„Bürgerwiesen".  —  Bei  dem  Tode  des  Predigers  Waghas  fiel 
die  Zulage  aus  dem  Montis-Pietatis-Fonds  als  ein  rein  persön- 
liches Accidens  fort.  Über  die  Verwendung  der  übrigen  Ein- 
kommensteile war  nun.  nachdem  man  sich  darüber  klar  geworden 
war,  daß  die  Lage  der  Gemeinde  eine  Neubesetzung  der  Prediger- 
stelle nicht  mehr  zulassen  konnte,  Entscheidung  zu  treffen. 

Am  4.  September  1809  ward  von  dem  damaligen  Minister 
des  Inneren,  für  den  Kultus  und  öffentlichen  Unterricht,  Wilhelm 
v.  Humboldt,  jener  denkwürdige  Erlaß  unterzeichnet,  der  für  die 
fernere  Entwickelung  der  Gemeinde  von  tief  einschneidender  Be- 
deutung werden  mußte. 

Dieser  Erlaß  trifft  zunächst  die  Bestimmung,  daß  die 
Predigerstelle  in  Pr.  Holland  nicht  mehr  durch  einen  eigenen 
Geistlichen  zu  besetzen  sei,  und  über  die  Verwendung  der 
Stelleneinkünfte  bestimmt  er  Folgendes: 

1.  Die  aus  der  Ostpreußischen  Domainen- Kasse  gezahlten 
200  Thlr.  fließen  dem  Prediger  Wisselinck  in  Elbing  zu,  der 
mit  der  Verwaltung  der  Predigerstelle  in  Pr.  Holland  be- 
auftragt wird12). 

2.  Die  aus  der  Pr.  Holländer  Amtskasse  dem  Prediger  ge- 


11) Näheres  über  den  Charakter  dieses  Bezuges  findet  sich  bei  Conrad, 
„Pr.  Holland  einst  und  jetzt,"  1897,  Seite  65/60. 

12)  Die  Aufhebung  der  Stelle  war  von  den  Aufsichtsbehörden  weder 
beabsichtigt,  noch  schließlich  herbeigeführt  worden.  Eine  Verfügung  der  Kgl. 
Regierung  d.  d.  Königsberg  12.  2.  1815  (eine  Abschrift  befindet  sich  in  den 
Akten  der  ehemaligen  reform.  Superin tendentur  zu  Elbing  „Nr.  2  Sect.  B.  a.", 
eine  zweite  Abschrift  in  denen  des  Pr.  Holländer  reform.  Pfarrarchivs  betr. 
„Kirchl.  Angelegenheiten,  Nr.  68")  betonte  noch  ausdrücklich,  daß  die  „Stelle 
nicht  zu  den  aufgehobenen  zu  rechnen"  sei,  sondern  sie  werde  „nur  als 
eine  combinirte  angesehen,  zu  Gunsten  des  Elbingschen  ref.  Predigers". 


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340      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

zahlten  60  Thlr.  50  Gr.  werden  für  einen  sogenannten  refor- 
mierten „Schulfonds"  angesammelt  und  bleiben  bis  auf  weiteres 
bei  der  Kirchenkasse  asserviert. 

3.  Die  Predigerwohnung  dient  fortab  zur  Aufnahme  der 
reformierten  Predigerwitwen  des  Oberlandes18)  sowie  zum  Absteige- 
quartier des  Elbinger  Predigers,  sobald  er  naoh  Pr.  Holland  zur 
Abhaltung  von  Amtshandlungen  kommt14).  Die  Bezüge  aus 
Garten,  freier  Weide  und  dem  „Bürgerholz44  werden  zum  Besten 
der  Predigerwitwen  bestimmt,  während  die  Pacht  des  Prediger- 
ackers und  der  Predigerscheune  zum  Unterhalt  des  Hauses  zu 
verwenden  sind  und  der  Rest  zur  Kirchenkasse  fließt. 

Mit  dem  Eingehen  der  hiesigen  reformierten  Schule  (1810) 
wurde  die  Ansammlung  der  unter  Nr.  2  genannten  60  Thlr. 
50  Gr.  eingestellt  und  dieselben  in  voller  Höhe  den  Bezügen 
Wisselincks    zugewiesen,    sodaß    er    für    die    Geschäfte    bei    der 

13)  Durch  eine  Verfügung  der  Kgl.  Regierung  d.  d.  Königsberg  10.  9.  1810 
wurde  diese  Bestimmung  noch  dahin  erweitert,  daß  das  Predigerhaus  nicht  allein 
zum  Witwensitz  der  reform.  Predigerwitwen  im  Oberlande,  sondern  auch  der 
aus  Elbing  ausersehen  sei.  Doch  bemerkte  eine  Verfügung  der  Kgl.  Regierung 
v.  16.  12.  1810  ausdrücklich,  daß  das  Predigerhaus  nur  solange  die 
Pr.  Holländer  Predigerstelle  nicht  besetzt  sei,  als  Wohnsitz  für  die 
reform.  Predigerwitwen  des  Oberlandes  und  von  Elbing  zu  dienen  habe;  für  die 
aus  Elbing  übrigens  auch  nur  insoweit,  als  der  „Elbingsche  Prediger  das- 
selbe [nämlich  das  Predigeramt]  auch  bey  der  ref.  Kirche  in  Pr.  Holland 
bekleidet".  (Original  im  reform.  Pfarrarchiv  zu  Pr.  Holland,  Akten  „Ins- 
gemein etc.  Nr.  66").  —  Das  Haus  trägt  heute  die  Bezeichnung  „Nr.  26";  zu 
ihm  gehören  7,1780  ha.  Land,  ein  0,1510  ha.  großer  „Schanzengarten4*  und 
ein  Waldan  teil. 

14)  1858  klagt  der  Prediger  Palmin  im  Kirchenvisitationsrezeß,  daß  er 
bei  seiner  Anwesenheit  in  Pr.  Holland  im  Gasthause  absteigen  müsse,  obwohl 
doch  bestimmungsmäßig  dem  Prediger  die  Aufnahme  im  Predigerwitwenhause 
zustehe.  Hierauf  ergeht  die  Verfügung,  daß  der  Prediger  v.  1.  10.  1859  ab 
im  Predigerwitwenhause  „ohne  Entschädigung  der  Mieterin"  aufgenommen  werden 
solle.  —  Noch  1874  wurde  dem  Mieter  des  unteren  Stockwerks  von  der  Kirchen- 
gemeinde durch  Vertrag  die  Verpflichtung  auferlegt,  für  den. kostenfreien  Aufenthalt 
des  Predigers  in  Pr.  Holland  und  die  Gelegenheit  zur  Abhaltung  des  Konfir- 
manden-Unterrichts zu  sorgen.  Doch  bald  darauf  wurde  diese  Verpflichtung 
aus  dem  Mietsvertrag  gestrichen  und  dem  Prediger  aus  Kirchenmitteln  eine 
Entschädigung  für  die  Aufgabe  dieses  Benutzungsrechtes  überwiesen.  —  Ver- 
fügung der  Kgl.  Regierung  zu  Königsberg  v.  29.  9.  1877. 


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Von  Ernst  Machholz.  341 

Pr.  Holländer  Gemeinde  260  Thlr.  50  Gr.  in  Bar  bezog.  In 
dem  Genuß  dieses  Einkommens  blieb  er  bis  zu  seinem  Tode, 
1835.  Als  aber  im  Jahre  1838  sein  Nachfolger  Behr  mit  der 
Versorgung  der  hiesigen  Gemeinde  betraut  wurde,  zog  der  Staat 
die  200  Thlr.,  nachdem  sie  bereits  1810  auf  den  westpreußischen 
Etat  übernommen  worden  waren,  „zur  Dotations- Verbesserung 
von  zwei  Pfarrstellen  im  Westpreußischen  Regierungs-Bezirk" 
auf  Grund  einer  Kabinets-Order  vom  18.  April  1838  ein. 

Behr  bezog  nur  60  Thlr.,  jene  Entschädigung,  durch  welche 
die  Naturallieferungen  an  die  Pr.  Holländer  Prediger  einst  ab- 
gelöst worden  waren.  Di*  tiberschießenden  50  Gr.  verblieben 
als  sogenannte  „Kompetenzgelder"  der  Kirchenkasse.  Die  Ein- 
ziehung der  200  Thlr.  nach  Wisselincks  Tode  hatte  sich  das 
Presbyterium  ruhig  gefallen  lassen  und  Behr  machte  keine 
Anstrengungen,  sie  der  Stelle  wiederzugewinnen.  Als  aber  im 
Jahre  1843  der  Elbinger  Prediger  Faber  mit  der  Verwaltung 
der  hiesigen  Stelle  betraut  wurde,  wußte  er  bald  dem  Pres- 
byterium das  Ungerechtfertigte  in  der  Einziehung  des  der  Stelle 
bei  ihrer  Gründung  zugewiesenen  Hauptgehaltsbezuges  klar  zu 
machen,  und  dann  begannen  lange  Auseinandersetzungen  mit 
den  Aufsichtsbehörden,  die  schließlich  doch  nicht  vergeblich 
waren.  Durch  Kabinets-Order  d.  d.  Charlottenburg  24.  März 
1851  (Ministerial-Erlaß  vom  22.  April  1851)  wurde  der  Stelle  bis 
auf  weiteres  aus  dem  ,,Dispositions- Fonds  der  evangelischen 
Landeskirche"  eine  Gehaltserhöhung  von  100  Thlr.  zugebilligt10) 
und  auf  die  Königliche  Regierungshauptkasse  zu  Danzig  an- 
gewiesen. —  Die  60  +  100  Thlr.  bilden  heute  noch  den  der 
Predigerstelle  aus  Staatsfonds  gezahlten  Gehaltsbetrag. 

Bei  diesen  160  Thlr.  ist  es  indes  nicht  geblieben.  Eine 
erhöhte  Inanspruchnahme  der  Kräfte  der  jeweiligen  Prediger 
für  die  hiesige  Gemeinde  bedingte  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts 


15)  Eine  Abschrift  dieser  Kab. -Order  befindet  sich  in  den  Akten  des  Kgl. 
KonHißtorinm*  zu  Königsberg  „Etat  der  ref  Kirche  Pr.  Holland.  H.  XIX.  Nr.  6. 
Vol.  1"  bei  J.  N.  16875  E  1900. 


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342      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchen  gemeinde  Pr.  Holland  etc. 

mehrfache  Änderungen  in  den  Jahresbezfigen  der  Geistlichen, 
über  die  aber  die  Kirchengemeinde  nach  ihrer  Vermögenslage 
selbst  befand. 

In  den  Festsetzungen  über  die  Verwendung  des  ehemaligen 
Prediger-,  späteren  Pfarrwitwenhauses  sind  nach  1809  und  1810 
seinen  neugeschaffenen  Charakter  ändernde  Bestimmungen  nicht 
getroffen  worden. 

Das  innere  kirchliche  Leben  konnte  sich  aus  mannig- 
fachen Gründen  im  19.  Jahrhundert  nicht  mehr  zu  der  Höhe 
des  voraufgegangenen,  namentlich  zu  der  unter  dem  Prediger 
und  Inspektor  Jacobi,  erheben,  wenn  es  auch  als  eine  staunens- 
werte Leistung  angesehen  werden  muß,  daß  es  den  Elbinger 
Geistlichen  gelingen  konnte,  trotz  den  Mißverhältnissen,  die  die 
Gemeinde  um  das  Jahr  1800  ihrem  Ende  entgegentrieben,  und 
trotz  den  in  das  Gemeindeleben  tief  einschneidenden  Umwälzungen 
der  Jahre  1809  und  1810  der  Pr.  Holländer  unter  den  übrigen 
reformierten  Gemeinden  im  Oberlande  eine  entschieden  vorragende 
Stellung  zu  verschaffen.  An  der  Hand  der  Kirchenbücher  ist 
um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  ein  merkliches  Anwachsen 
der  Gemeinde  nachweisbar. 

Über  die  Tätigkeit  und  Erfolge  des  in  den  Kreisen  der 
preußischen  Geistlichkeit  seinerzeit  sehr  geschätzten  Predigers 
und  Superintendenten  Wisselinck  bei  der  hiesigen  Gemeinde 
läßt  sich  nichts  sagen.  Er  hielt  hier  im  3.  Jahrzehnt  und  später 
nur  zweimal  im  Jahre  öffentliche  Gottesdienste  ab,  obwohl  durch 
die  schon  genannte  Begierungsverfügung  vom  10.  September  1810 
angeordnet  war,  daß  er  „in  Pr.  Holland  vierteljährlich  oder  doch 
dreymal  im  Jahre  die  Communion  zu  halten,  auch  alle  ihm  da- 
selbst obliegende  Geschäfte,  besonders  die  Confirmation  der 
Kinder  zu  verrichten"  verpflichtet  sei.  Wisselinck  scheint  sich 
niemals  von  dem  Gedanken  haben  trennen  können,  daß  die 
hiesige  Gemeinde  ihrem  Ende  nahe  bevorstünde.  Dieser  Um- 
stand mochte  in  ihm  die  Zuwendung  besonderer  Sorgfalt  überflüssig 
erscheinen  lassen,  und  das  gab  dann  die  Veranlassung  zu 
lebhaften  Auseinandersetzungen  zwischen  der  königl.  Regierung 


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Von  Ernst  Machholz.  343 

zu  Königsberg  und  Wisselinck,  die  mit  einem  strengen  Verweise, 
durch  den  ihm  grobe  Pflichtverletzungen  der  Pr.  Holländer  Ge- 
meinde gegenüber  vorgeworfen  wurden,  für  Wisselinck  endeten. 

Sein  Nachfolger  Behr  brachte  der  Gemeinde  doch  ein 
größeres  Interesse  entgegen,  das  zunächst  in  der  Erhöhung  der 
Gottesdienste  von  zwei  auf  vier  jährlich  bestand.  Das  heilige 
Abendmahl  wurde  bis  dahin  nur  zweimal  im  Jahre  gefeiert. 
Die  übrigen  Amtshandlungen  (Taufen,  Trauungen  und  Begräb- 
nisse) übte  Behr  gleich  Wisselinck  nur  soweit  sie  nicht  auf  aus- 
drücklichen Wunsch  von  den  lutherischen  Geistlichen  vollzogen 
wurden,  aus. 

Der  größten  Verehrung  erfreute  sich  in  der  Gemeinde  der 
Prediger  Faber,  der  sich  um  ihre  Hebung  allerdings  auch  in 
einem  hervorragendem  Grade  bemühte. 

Die  Gemeinde  war,  als  Faber  für  sie  (1843)  bestellt  wurde, 
noch  immer  recht  klein.  Im  Jahre  1848  zählte  sie  37,  im  Jahre 
1850  43  Seelen,  als  Faber  1857  abtrat,  war  sie  etwa  70  Seelen 
stark.  Danach  hatte  sich  die  Mitgliederzahl  der  Gemeinde  in 
14  Jahren  nahezu  verdoppelt.  1844  kommunizierten  nur 
29  Personen  (Minimum),  1855  aber  80  Personen  (Maximum);  die 
Zahl  80  ist  in  späteren  Jahren  nie  mehr  erreicht  worden. 
Fabers  Einfluß  auf  die  Gemeinde  zeigte  sich  auch  sonst  in  vor- 
teilhafter Weise.  So  erwirkte  er  ihr  die  teilweise  Wieder- 
herstellung des  alten  aus  Staatsfonds  hergegebenen  Prediger- 
gehalts, worüber  bereits  gehandelt  ist.  Das  Hauptverdienst 
brachte  ihm  aber  sein  Bemühen  um  die  Erteilung  des  reformierten 
Xonfirmandenünterrichts  in  Pr.  Holland.  Es  wurden  nämlich  — 
wohl  seit  Waghas'  Tode  —  bis  dahin  die  reformierten  Schul- 
kinder der  Gemeinde  von  den  hiesigen  lutherischen  Geist- 
lichen vorbereitet  und  eingesegnet  und  dadurch  meist  Mitglieder 
der  lutherischen  Gemeinde.  Erst  Faber  gelang  es,  den  Kon- 
firmandenunterricht und  die  Einsegnung  der  reformierten  Kinder 
in  seine  Hände  zu  bekommen  (1851). 

Hierbei  muß  hervorgehoben  werden,  daß  sich  die 
Kräftigung  der  Gemeinde  in  durchaus  friedlicher  Weise 


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344      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

vollzog  und  niemals  zu  ernsten  Trübungen  des  Ver- 
hältnisses zwischen  der  reformierten  und  der  luthe- 
rischen Gemeinde  geführt  hat 

Die  Wirksamkeit  der  auf  Faber  folgenden  Prediger  war 
zu  kurz,  als  daß  sie  in  der  einen  oder  anderen  Weise  auf  die 
Gemeinde  von  Einfluß  hätte  sein  können.  Die  Predigerstelle 
bei  der  reformierten  Gemeinde  in  Elbing  war  in  jenen  Jahren 
sehr  gering  dotiert,  dazu  schwer  zu  verwalten;  ihrem  Inhaber 
lag  nämlich  die  geistliche  Versorgung  noch  anderer  reformierten 
Gemeinden  ob.  Die  Stelle  wurde  nur  mehr  als  eine  Durch- 
gangsstation angesehen.  Nach  Faber,  also  seit  1857,  sind  bis 
heute  fünf  Geistliche  gefolgt.  Diesem  häufigen  Wechsel  dürfte 
zum  Teil  auch  die  ständige  Abnahme  unserer  Gemeinde  zuzu- 
schreiben sein.  Die  Union  von  1817  schadete  ihr  merkwürdiger- 
weise nicht.  Wisselinck  hatte  als  Gegner  der  Unionsbewegung 
ihr  Fortbestehen  als  nichtunierte  Gemeinde  zu  sichern  und  ihr 
durch  Einimpfung  orthodoxer  Anschauungen  zu  einem  zähen 
Charakter  zu  verhelfen  gewußt.  Aus  dem  Gefühl  dieses  Cha- 
rakters heraus  konnte  Faber  einst  sagen,  daß  die  Gemeinde  in 
Pr.  Holland  „auf  dem  felsenfesten  Grunde  eines  lebendigen 
Glaubens  und  einer  ungefärbten  Liebe"  stehe  und  „freudig  in 
der  Hoffnung"  sei,  „daß  auch  zu  ihr  gesagt  ist  das  Wort  des 
Herrn  „„Fürchte  dich  nicht,  du  kleine  Herde;  denn  es  ist  eures 
Vaters  Wohlgefallen,  euch  das  Reich  zu  geben." "  "  Und  wenige 
Jahre  später  (1862)  stellte  ihr  der  reformierte  Superintendent  Ger- 
dien gelegentlich  eines  Besuchs  das  Zeugnis' einer  von  starkem 
Glaubensbewußtsein  getragenen  Gemeinde  aus.  In  Begeiste- 
rung sagte  damals  Gerdien:  „Wo  Glaubensgenossen  in  der  Ver- 
einzelung leben,  da  strahlt  die  Freude  auf  ihrem  Antlitze,  wenn 
einmal  jemand  sie  besucht  und  sich  um  sie  bekümmert.  Das 
habe  ich  am  lieblichsten  in  Pr.  Holland  erlebt,  wo  einige 
Gemeindeglieder  mich  überall  hin,  selbst  bis  zum  entfernt 
liegenden  Kirchhofe  begleiteten  und  ihre  Freude  über  mein  Er- 
scheinen nicht  genugsam  ausdrücken  konnten." 

Den  ihr  eigenen  stabilen  Charakter  bewahrte  die  Gemeinde. 


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Von  Ernst  Machholz.  345 

Die  übrigen  reformierten  Gemeinden  des  ostpreußischen  Ober- 
landes —  Schlodien  (mit  den  kombinierten  Personalgemeinden 
Karwinden,  Lauck,  Schlobitten  und  Eeichertswalde),  Soldau16), 
Mohrungen  und  Gr.  Samrodt  —  sind  längst  eingegangen,  Pr. 
Holland  aber  besteht  noch  heute.  Die  Zahl  ihrer  Gemeinde- 
glieder ist  zwar  von  Jahr  zu  Jahr  gesunken,  sodaß  sie  jetzt  nur 
etwa  18  Teilnehmer  bei  den  einzelnen  Abendmahlsfeiern  nach- 
weisen kann. 

Der  Prediger  Dr.  May  wald  machte  noch  einmal  den  Ver- 
such, auf  das  Gemeindeleben  fördernd  einzuwirken,  indem  er  die 
Zahl  der  jährlichen  Gottesdienste  von  acht  auf  zwölf  erhöhte, 
sein  Nachfolger  und  jetzige  Prediger  Falck  behielt  diese  Ein- 
richtung bei.  Die  Gemeinde  ist  so  in  der  Lage,  in  jedem  Monat 
den  Geistlichen  bei  sich  zu  sehen17). 

Es  ist  gewiß  ein  schönes  Zeugnis  für  ihren  Charakter,  daß 
sie  in  der  Abgeschlossenheit  trotz  der  vielen  Fährnisse,  die  ihr 
das  19.  Jahrhundert  gebracht,  ihr  Bestehen  zu  wahren  wußte. 

Möge  Fabers  Wort  auch  in  Zukunft  ihr  Leitstern  sein! 

Statistisches  aus  diesem  Zeitabschnitt. 
(1807—1904). 

_  Kommunikanten 

Taufen         Einsegnungen      Trauungen      ^  den  einzelnen 

im  m  im  Abendmahlsfeiern 

Durchsehn  n«)  Duichacho."»)  Durchschuß)      ^  Durchgchniu 

1807—1842     ?  ?  ?  ? 

1843—1849    ?         ?         ?  17 

1850—1859    6         3         1  29 


16)  Die  reform.  Gemeinde  zu  Soldau  besteht  heute  nur  noch  dem  Namen 
nach,  schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren  werden  dort  keine  reform.  Gottesdienste 
mehr  abgehalten,   (cf.  „Mitteilungen  der  Litt.  Gesellschaft  Masovia",  elftes  Heft.) 

17)  Das  H.  Abendmahl  wurde  in  Pr.  Holland  gehalten  jährlich 
1708—1726:  4  mal,  1727:  1  mal,  1728:  1  mal,  1729—1755:  4  mal,  1768—1777: 
4  mal,  1778:  5  mal,  1779:  4  mal,  1780:  3  mal,  1784—1806:  4  mal,  1843—1890: 
2  mal,  1891—1899:  3  mal,  1900:  1  mal,  1901:  3  mal,  1902—1904:  4  mal. 

17a)  In  den  einzelnen  Jahren. 


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346      l^,e  Geschieh  te  der  reformierten  Kirchen  gemeinde  Pr.  Holland  etc. 


] 

Taufen 

im 

Durchschnitt 

Einsegnungen 

im 
Durchschnitt 

Trauungen 

im 

Durchschnitt 

Kommunikanten 

bei  den  einzelnen 

Abendmahlsfeiern 

im  Durchschnitt 

1860- 

-1869 

5 

4 

1 

27 

1870- 

-1879 

3 

3 

3 

18 

1880- 

-1889 

2 

? 

— 

— 

1882 

— 

— 

2 

— 

1885- 

-1889 

— 

— 

— 

16 

1887 

— 

— 

1 

— 

1888 

— 

— 

1 

— 

1890- 

-1899 

2 

? 

— 

13 

1897 

— 

— 

1 

— 

1898 

— 

— 

1 

— 

1900 

2 

? 

— 

25 

1901 

— 

? 

— 

20 

1902 

— 

? 

— 

19 

1903 

— 

? 

— 

29 

1904 

— 

? 

— 

18 

An  Schenkungen  und  Vermächtnissen 

waren  der  Gemeinde  bis  zum  Jahre  1780  zugefallen: 

1709  schenkten  die  reform.  Officiere  des  in 
Pr.  Holland  garnisonierenden  Regiments 
„du  Portal"  der  Gemeinde  „mit  dem  Be- 
ding, umb  dem  damahligen  Kirchen- 
Bedienten,  welcher  gar  kein  Salarium 
hatte,  davon  gutes  zu  thuntt      .     .     .     .       111  fl.  20  gr. 

1711     fiel    der     Gemeinde     von     den     Eeinhold 
Boyschen    Erben    zur    Besoldung    eines 
reform.  Schulbedienten  ein  Kapital  von     1000   „  —    „ 
zu. 

1715  tiberwies18)  Christoph  Friedrich  Graf  zu 
Dohna  auf  Reichertswalde  der  Gemeinde 


18)  Das  Original  der  Schenkungsurkunde  (von  Christoph  Friedrich  eigen- 
handig  ausgefertigt)  befindet  sich  im  Pr.  Holländer  ieform.  Pfarrarchiv  (lose). 


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Von  Ernst  Machholz.  347 

meinde    gleichfalls   zur  Besoldung  eines 

reform.  Schulbedienten  ein  Kapital  von       300  fl.  —  gr. 
1716  „hatt    die    Wittwe    des    seel:    Herren    von 

Huwald  nachmahlige  Fr:  Gräffin  Truch- 

ses    Walfdjburg    Lutherana    zum    Ehren 

Gedächtniß    ihres  seel:  Herrn  .  .  .  zum 

Schul-Capital  legiret" 300   „  —    „ 

1727  schenkte    die    Obristin    von    Bodeck    „der 

Kirchen" 30   „  -     „ 

1731    „ist  von    der   Fr:  Witwe  des   seel:  Herrn 

Consistorial  Assessors  und  Richtern  Herrn 

Töpcke  das  was  [der]  Kirchen  in  dessen 

Testament      legiret     worden,      nehmlich 

20  Marck  ausgezahlet"  mit 13    „  10   „ 

1770  (?)  fiel  der  Gemeinde   durch   Hans  Osvald 

v.  Reibniz  ein  Legat  zu  im  Betrage  von         18    „  —    „ 
1770  „op  ordre  et   vor  Eekoning  van  de  Heer 

Franz  Arnold  Mullendorf  te  Breslau  voor 

een     te     Amsterdam     gekonde     Collecte 

presenteert    der    Reformeerte    Kerke    te 

preusch-Holland    durch    Kauffleute    von 

Conigsberg  spedirt" 28    „  19    „ 

Durch  ein  nach  dem  Tode  des  Vizebtirgermeisters  Dziaok 
zugefallenes  Legat  (Testament  vom  ^-|  1778)  wurde  das  Kirohen- 
vermögen  erheblich  vermehrt.  Die  Zinsen  der  ursprünglich 
1666  Thlr.  20  Sgr.  betragenden  Stiftung  sind  hauptsächlich  zu  Unter- 
stützungen bedürftiger  reform.  Witwen  und  Studierenden  reform. 
Konfession  sowie  zum  Unterhalte  armer  Kinder  bestimmt.  Die  Ver- 
waltung des  Legats  geschieht  nach  einem  Vergleich18*)  durch  das 
Presbyterium.  Durch  Ersparnisse  hat  sich  das  Vermögen  des 
„Dziackschen  Legatenfonds"  bedeutend  vergrößert.  Der  für  die 
Zeit  vom  1.  April  1901 — 1906  aufgestellte  Etat  des  Legats  nennt 

18a)  Der  auf  Grund  des  Testaments  zwischen  den  Erben  und  der  Gemeinde 
geschlossene  Vertrag  vom  ^^  1784  wurde  vom    Reform.  Kirchen-Direktorium  • 
unterm  28.  10.  1784  genehmigt.     (Abschrift  im  Pfarrarchiv,  Aktenstück  Nr.  63.) 


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348      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

ein  Barvermögen  von  10553,85  Mk.  Disponible  Bestände  werden 
zinsbar  angelegt.  —  Im  19.  Jahrhundert  scheint  das  Kapital- 
vermögen der  Gemeinde  keine  bedeutenderen  Zuwendungen 
erfahren  zu  haben. 

Der  Kirchenkassenetat  vom  1.  April  1901 — 1906  weist  ein 
Barvermögen  von  16071,15  Mk.  nach.  Die  Zinsen  dieses 
Kapitals  und  die  Einkünfte  aus  dem  der  Gemeinde  gehörigen 
Hausgrundstück  mit  Gärten,  Wiesen  und  Ackerland,  ferner  die 
Zuschüsse  aus  der  königlichen  Regierungshauptkasse  zu  Königs- 
berg und  Danzig  und  ein  Zuschuß  aus  dem  Dziackschen  Legaten- 
fonds im  Betrage  von  jährlich  45  Mk.  dienen  in  erster  Linie 
zur  Besoldung  des  Predigers  und  der  übrigen  Kirchenbeamten, 
sowie  zur  Deckung  der  Kosten  des  Gottesdienstes  und  zur 
Unterhaltung  des  Kirchensystems. 

Eine  Umlage  wird  in  der  Gemeinde  zurzeit  nicht  erhoben. 

Die  Vertretung  der  Gemeinde 

nach  Außen  hin  geschah  ursprünglich  durch  ein  aus  dem  je- 
weiligen Prediger  und  zwei  Laienmitgliedern  bestehendes 
Presbyterium.  Nach  Waghas  Tode  drohte  diese  Einrichtung 
einzugehen,  damals  lagen  die  Geschäfte  der  äußeren  Verwaltung 
in  der  Hand  nur  eines  Gemeindemitgliedes.  Die  königliche 
Bregierung  sah  sich  daher  veranlaßt,  Wisselinck  (am  16.  De- 
zember 1810)  anzuweisen,  für  die  Bestellung  eines  zweiten 
Gemeindemitgliedes  als  Presbyter  Sorge  zu  tragen,  „damit  von 
2  Kirchen- Vorstehern  unter  seiner  [Wisselincks]  Aufsicht  das 
Beste  der  Kirche  besorgt  werde",  und  unterm  15.  März  1811 
erhielt  hierauf  die  Gemeinde  zu  ihrem  bisherigen  Presbyter 
Kuegler  den  damaligen  Justizamtmann  in  Pr.  Holland,  Des- 
somb&s. 

In  dieser  Weise  wurde  die  Gemeinde  bis  zur  Emanation  der 
Kirohengemeinde-  und  Synodalordnung  vom  10.  September  1873 
(Gesetzsammlung,  Seite  417)  vertreten.  Eine  im  Sinne  der 
§§    3    und    28    a.    a.  O.    gebildete    Gemeindevertretung    besteht 


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Von  Ernst  Machholz.  349 

nicht.  In  wichtigeren  Angelegenheiten  pflegte  man  hier  die 
wahlberechtigten  Gemeindemitglieder  zu  berufen  und  anzuhören, 
eine  Praxis,  wie  sie  §  27  Absatz  2  der  Kirchengemeinde-  und 
Synodalordnung  vorschreibt. 

Gegenwärtig  besteht  das  Presbyterium  aus  dem  Prediger 
und  zwei  Ältesten,  von  denen  einer  von  der  königlichen 
Regierung  als  „Patronatsältester"  bestellt  ist. 


4.  Die  Prediger. 

1.  Johann  Wilhelm  Geller,  gebürtig  aus  der  Grafschaft 
Isenburg-Büdingen  in  der  Wetterau,  wurde  als  Sohn  des  dortigen 
Predigers  Geller  am  10.  10.  1663  geboren.  Im  Alter  von  24  oder 
25  Jahren  übernahm  er  im  Hause  Christoph  Friedrichs  Burg- 
grafen und  Grafen  zu  Dohna  a.  d.  H.  Reichertswalde  auf  Sam- 
rodt19) Kreises  Mohrungen  eine  Erzieher-  und  Hausprediger- 
stelle. Der  Umstand,  daß  die  Mutter  der  ersten  Gemahlin 
Christoph  Friedrichs  eine  geborene  Gräfin  Isenburg-Büdingen 
war,  wird  zu  der  Annahme  berechtigen,  daß  diese  Familien- 
verbindung dem  „Candidatus  Ministerii  und  Informator"  Geller 
zu  der  Berufung  nach  Samrodt  verhalf.  —  Im  Jahre  1697 20) 
begleitete  er  den  Grafen  nach  Karlsbad,  und  dort  verschaffte 
ihm  der  kurfürstliche  Hofprediger  Ursinus21)  Gelegenheit  vor 
dem  damals  auch  in  Karlsbad  weilenden  Kurfürsten  Friedrich  III. 
zu  predigen. 

Geller  wurde  hierdurch  bei  Hofe  bekannt,  und  als  noch 
in  demselben  Jahre  in  dem  Samrodt  benachbarten  Pr.  Holland 
eine  reformierte  Predigerstelle  eingerichtet  wurde,  ersah  man 
ihn  für  deren  Besetzung  aus. 


19)  cfr.  Siegmar  Graf  Dohna,  „Aufzeichnungen  über  die  Vergangen- 
heit der  Familie  Dohna",  Bd.  III.  1882  S.  107. 

20)  a.  a.  O.  Seite  111  und  200. 

21)  Er  war  derselbe,  der  als  preuß.  Bischof  die  Salbung  des  ersten  Königs 
von  Preußen  vollzog  und  1705  in  den  Adelsstand  mit  dem  Namen  von  Bär 
erhoben  wurde.    („Pr.  Archiv",  1790,  S.  108-110). 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    Hft.  5  o.  6.  23 


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350      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengcraeinde  Pr.  Holland  etc. 

Die  Berufungsurkunde  ist  bereits  im  zweiten  Teile  dieser 
Geschichte  nach  dem  im  reformierten  Pfarrarchiv  zu  Pr.  Holland 
befindlichen  Original  abgedruckt.  —  Ebendort,  in  dem  Akten- 
stück betreffend  „den  Kirchensaal4*  von  1850,  wird  das  Original 
(auf  Papier)  der  infolge  dieser  Berufung  an  den  Amtshauptmann 
in  Pr.  Holland,  Heinrich  von  Houwald,  ergangenen  Kabinets- 
ordre  aufbewahrt;  sie  lautet: 

„Seine  Churfürstliche  Durchleüchtigkeit  zu  Brandenburg  p. 
Unser  Gnädigster  Herr,  haben  in  gnaden  verordnet,  dass  dem 
zu  Prettssich-Holland  bestelten  E  vangelisch-Ref  ormirten  Prediger, 
Geller,  das  nöhtige  Hart-  und  Rauchfutter  auf  zwey  Pferde, 
gereichet,  auch  auf  dem  Seh  los  daselbst  ein  bequehmes 
Losament,  zu  Verrichtung  des  Gottes-Dienstes,  eingeräumet 
werden  soll,  Wornach  sich  der  dortige  Haubtmann,  p.  der 
von  Huwaldt,  gehorsambst  zu  achten,  und  so  wol  gedachtes 
Losament  anzuweisen,  als  auch  das  Futter  auf  ermelten 
Gellers,  pferden,  aus  dem  Ambt  reichen  zulassen.  Signatum 
Mossiz  den  ^  Sept.  1697. 

Friderich. 

v.  Danckel[mann]." 

Registraturvermerk  Gellers 

auf  der  Rückseite  des  Originals: 

„Churfl:  befehl  an  den  Herrn 
Hauptmann,  theils  ein  bequehmes 
losament  zur  Verrichtung  des 
gottesdienstes  auff  dem  schloß 
einzuräumen,  theils  daß  das  hart 
und  rauchfutter  vor  zwei  pferde 
mir  aus  dem  ampt  soll  gereichet 
werden. 

anno  1697.  d.  28.  Sept.  No.  2." 

Geller  war,  wie  die  Order  vom  ^  August  1697  zeigt, 
auch  mit  der  Pastorierung  der  Reformierten  in  Riesenburg 
beauftragt  worden.     Gleich  dem  Amtshauptmann  in  Pr.  Holland 


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Von  Ernst  Machholz.  351 

erhielt  denn  auch  unterm  11.  Oktober  1697  von  der  Regierung 
der  Amtshauptmann  in  Kiesenburg  den  Auftrag  dafür  zu 
sorgen,  daß  Geller  auf  dem  dortigen  Amtshause  ein  Zimmer  zur 
Abhaltung  des  Gottesdienstes  und  des  heiligen  Abendmahles 
angewiesen  werde.22)  In  seltsamem  Widerspruch  steht  zu  diesen 
Anordnungen  eine  an  das  sogenannte  Reformierte  Ministerium 
zu  Königsberg  gerichtete  Allerhöchste  Order  d.  d.  Colin  an  der 
Spree  ^  Dezember  1697,  nach  der  es  des  Kurfürsten  „gnädigste 
intention  ist,  daß  zu  gedachtem  Preusch-Hollandt  bey  der 
dortigen  Evangelischen  Reformirten  Gemeine  der  dabey  bestellte 
Prediger  Geller,  bey  der  Riesenburgischen  aber  der  bey  der- 
selben schon  seit  einiger  Zeit  sich  befindende  Prediger  Thomae 
[sc.  aus  Reich ertswalde]  wie  bisher  also  auch  ferner  den  Gottes- 
Dienst  und  die  Sacra  versehen  soll."28)  —  Gleichwohl  hat  Geller 
doch,  wie  später  auch  in  Elbing,  so  in  Riesenburg  pastoriert; 
wahrscheinlich  aber  erst  nach  Thomaes  Tode. 

Hier  mag  auch  bemerkt  werden,  daß  sich  die  Tätigkeit 
Gellers  und  seiner  Amtsnachfolger  bei  der  Riesenburger 
reformierten  Gemeinde  auf  die  Abhaltung  nur  weniger  Gottes- 
dienste und  die  Reichung  des  heiligen  Abendmahls  beschränkt 
haben  dürfte.  Nachweislich  war  dies  so  gegen  Ende  des 
18.  Jahrhunderts,  als  immer  noch  die  Pr.  Holländer  Prediger 
nach  Riesenburg  reisten;  die  übrigen  Amtshandlungen  besorgte 
damals  der  dortige  lutherische  Geistliche. 

Warum  Geller  nicht  schon  im  Jahre  1697  in  Pr.  Holland 
das  Amt  übernahm,  haben  wir  aus  der  Vorgeschichte  der  Ge- 
meinde erfahren;  dieselben  Gründe  litten  auch  keine  öffentliche 
Amtseinführung.  Als  Geller  am  Neujahrstage  1698  der  refor- 
mierten Gemeinde    zu  Pr.  Holland    zum    ersten  Mal   als  ordent- 


22)  Kgl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Akten  betr.  „den  Gottes-Dienst  der 
Reform,  auf  denen  Schlössern  zu  Riesenburg  und  Pr.  Holland".  Fach  51  ee. 
Et.  Min. 

23)  Burgkirchenarchiv,  Akten  betr.  „die  auf  die  ref.  Kirche  in  Pr.  Holland 
sich  beziehenden  Kirchenangelegenheiten." 

23* 


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352      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

licher  Geistlicher  predigte,  führte  er  sich  selbst  ein2,a).  Man 
hütete  sich  eben  ängstlich  davor,  die  Stände  auf  diese  Neuein- 
richtung aufmerksam  zu  machen. 

Am  15.  Januar  1699  heiratete  er  die  Erzieherin  der  jungen 
Gräfinnen  in  Reiohertswalde,  Maria  Saligniäre. 

Einer  seiner  Amtsnachfolger,  Kleinschmidt,  schildert  Geller 
als  einen  sehr  rührigen  Seelsorger  und  führt  hierfür  als  Beleg 
an,  daß  während  seiner  Amtsperiode  „nicht  allein  verschiedene 
Mennonisten,  sondern  auch  selbst  Lutheraner  reformirt  worden, 
wie  denn  anno  1702.  Herr  Johann  Wilhelm  Christiani*4)  Doctor 
Medicinae,  Physicus  des  Ober-Lands  und  .  .  .  Stadt-Bürger- 
meister [zu  Pr.  Holland]  sich  öffentlich  zur  reformirten  Religion 
bekennet  hat",  und  „1714  ist  .  .  .  Carl  George  von  Weißenfels, 
Erb-Herr  auf  dem  Adeligen  Guth  Spitels  [der  vorher  lutherisch 
war]  gleichfals  zu  [der  reform.]  Kirche  [übergetreten". 

In  seiner  Gemeinde  war  Geller  sehr  beliebt.  Als  er  im 
Jahre  1715  einen  Ruf  nach  Stolp  als  Hofprediger  erhielt,  ver- 
nahm dieses  die  Gemeinde  „sehr  ungerne  und  der  Magistrat 
schickte  selbst  Lutherische  Deputirte  aus  dem  Eath  an  Ihm, 
[um]  Ihn  im  Nahmen  desselben  wie  auch  des  Luth:  Ministerii, 
mit  welchem  Er  in  sehr  guten  Vernehmen  gestanden,  zu  er- 
suchen, Seine  Gemeine  und  diese  Stadt,  wo  es  anders  mögl: 
wäre,  nicht  zu  verlassen"  und  Geller  überließ  „es  der  ferneren 
göttl:  Direction,  da  dann  bald  hernach  aus  dem  König!:  Kirchen 
Directorio  [zu  Berlin]  ein  rescript  einkommen,  daß  Seine  Königl: 
Majest:  auf  allerunterthänigstes  Ansuchen  der  .  .  .  Gemeine 
Ihn  bey  derselben  zu  lassen,  allergnädigst  placidiret,  nebst 
Conferirung  des  Praedicats  Ihres  Hoff-Predigers". 

Im  Alter  von  63  Jahren  legte  er  sein  „rühmlich  geführtes 
Ambt"  nieder  und  hielt  „unter  häuffigen  Trähnen  seiner  Ihm 
bissher  anvertraut  gewesene  Gemeine"  die  Abschiedspredigt. 


23a)  Siehe  Seite  330. 

24)  Über  Christiani    findet    sich   Näheres   im   Erl.    Preußen    Bd.    IV. 
(1728)  Seite  489,  Fußnote. 


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Von  Ernst  Machholz.  353 

Widrige  Umstände  aber  wollten  es,  daß  er  nach  kurzer 
Unterbrechung  von  neuem  die  Kanzel  betreten  mußte;  wir 
hören  hiervon  Näheres  in  dem  Abschnitte,  der  seinen  unmittel- 
baren Amtsnachfolger  behandelt. 

Geller  starb  am  7.  September  1739 26)  in  Pr.  Holland.  Die 
für  ihn  veranstalteten  Begräbnisfeierlichkeiten  gaben  Anlaß  zu 
einem  unerquicklichen  Streit. 

Kaum  hatte  Geller  die  Augen  geschlossen,  als  die  Re- 
formierten der  Stadt  den  damaligen  Amtsverweser  Wilhelm 
Fabian  von  Saucken  bestürmten  ihnen  zu  gestatten,  daß  der 
reformierte  Prediger  aus  Sohlodien  in  der  lutherischen  Kirche 
zu  Pr.  Holland  ihrem  verstorbenen  Seelsorger  die  Leichenrede 
halten  dürfe.  Obwohl  nun  ein  königliches  Rescript  vom  30.  März 
1737  anordnete,  daß  in  solchen  Fällen  der  lutherische  Geist- 
liche zuständig  sei,  die  lutherische  Geistlichkeit  von  Pr.  Holland 
gegen  dies  Vorhaben  der  Beformierten  auch  energisch  protestierte 
willigte  von  Saucken  doch  in  die  Haltung  der  Leiohenrede 
durch  den  Schlodischen  reformierten  Prediger  ein.  Die  Oberräte 
erteilten  von  Saucken  hierauf  eine  Rüge.  Doch  dieser  be- 
schwerte sich  beim  König.  Und  von  Saucken  drang  durch! 
Die  Oberräte  mußten  sich  eine  strenge  Kritik  ihres  Verfahrens 
gefallen  lassen.  Ihre  Haltung,  so  hieß  es  in  der  Order  vom 
13.  März  1741,  könne  nicht  im  geringsten  gut  geheißen  werden; 
„Vors  künfftige  werdet  Ihr  gar  nicht  fehlen,  wann  Ihr  von  der- 
gleichen voreiligen  Verordnungen  abstrahiret,  im  Gegentheil  aber 
Euch  Bemühet,  das  Band  der  Einigkeit  zwischen  Beyderseytigen 
religions- Verwandten  je  mehr  und  mehr  zu  Befestigen  und  dazu 
alles  mögliche  Beyzutragen". 

2.  Friedrich  Adolf  Marees  (Maresius)  war  i.  J.  1691  in 
Berlin  geboren,  studierte  in  Frankfurt  a.  0.  (immatr.  10.  6.  1709) 
und  kam  1721  zu  Ostern  an  das  Kgl.  Waisenhaus  zu  Königs- 
berg als  Informator  und  Prediger.     Dort  scheint  er  wenig  gute 


25)  Die   Angabe   im   Erl.    Preußen  Bd.  IV  Seite  499,    Geller   sei  bereits 
1726  gestorben,  ist  irrig. 


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354      T>ie  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Tage  gesehen  zu  haben,  denn  mit  seinem  lutherischen  Amts- 
bruder Berend26)  lebte  er  in  dauerndem  Unfrieden.  Die  Miß- 
helligkeiten zwischen  beiden  arteten  sogar  zu  Tätlichkeiten  aus 
und  machten  das  Einschreiten  der  Aufsichtsbehörde  notwendig. 
Die  noch  vorhandenen  Untersuchungsakten27)  veranschaulichen 
diese  Auseinandersetzungen  in  sehr  drastischer  Weise.  —  Am 
30.  Mai  1726  wurde  Marees  für  Pr.  Holland  vociert  und  durch 
den  reformierten  Inspektor  Schrotberg  aus  Königsberg  am 
1.  September  1726  eingeführt28).  Nach  neun  Monaten  schon  er- 
eilte ihn  hier  ein  böses  Geschick.  Es  war  nämlich  der  Regierung 
zu  Ohren  gekommen,  daß  sich  Marees  während  seiner  Amtszeit 
beim  Königlichen  Waisenhause  in  mehreren  Fällen  Verbrechen 
hatte  zuschulden  kommen  lassen,  die  die  in  dieser  Sache  geführten 
Untersuchungsakten29)  als  „Libidines  masculae"  bezeichnen.  Das 
gegen  Marees  geführte  Strafverfahren  ist  dadurch  besonders 
interessant,  daß  es  dem  König  Gelegenheit  gab,  in  den  Gang 
der  Verhandlungen  persönlich  einzugreifen. 

Gegen  Ende  des  Monats  Mai  scheint  die  Anzeige  bei  der 
Regierung  in  Königsberg  eingelaufen  zu  sein,  denn  am  28.  Mai 
1727  wies  letztere  den  Obristen  von  Glaubitz  in  Pr.  Holland 
an,  „den  Ref.  Prediger  Maresium  beym  Kopfe  nehmen  und 
anbero  bringen  zu  lassen."  Bald  darauf  saß  Marees  in  Königs- 
berg hinter  Schloß  und  Riegel,  in  Einzelhaft  und  in  einem 
„Kerker**,  der  „zwar  doppelt  verschlossen"  war,  in  dem  aber 
„allerorten44  der  Wind  durchstrich.  Im  September  klagt  Marees, 
daß  er  in  dem  „schweren  und  harten  Arrest4 *  „bey  heran 
nahenden  Winter  gäntzlich  crepiren44  zu  müssen  fürchte.  Schrot- 
berg   und    die  Hofprediger  Thomson   und  Cochius    verwendeten 


26)  Berend  war  beim  Kgl.  Waisenhause  von  1717  bis  1729. 

27)  Kgl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg.  Fach  37,  2,  b.  Et.  Min.  —  Dem- 
bowski,  „Zur  Gesch.  des  Kgl.  Waisenhauses'*  (Jahresbericht  der  Anstalt  von 
1884,  S.  8  und  9). 

28)  Auf  Bitten  der  reform.  Gemeinde  zu  Elbing  und  mit  Genehmigung  des 
Reform.  Kirchen-Direktoriums  reiste  er  auch  nach  Elbing  zur  Abhaltung  des 
H.  Abendmahls.     (Es  waren   zwei  Abendmahlsandachten  im  Jahre  beabsichtigt*. 

29)  Kgl.  Staatsarchiv.  Abteilung  „Kgl.  Waisenhaus,'*  Et.  Min. 


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Von  Ernst  Machholz.  355 

sich  für  ihn,  aber  vergeblich;  zudem  schritt  die  Untersuchung 
äußerst  langsam  vorwärts,  an  seine  Befreiung  aus  dem  unge- 
sunden Kerker  oder  an  eine  anderweite  Unterbringung  war  nicht 
zu  denken.  Die  Untersuchung  wurde  mit  großer  Härte  geführt. 
Wieder  und  immer  wieder  wird  auf  Marees  eingedrungen,  der 
vollen  Wahrheit  die  Ehre  zu  geben,  und  immer  von  neuem  be- 
teuert er,  nicht  mehr  getan  zu  haben,  als  er  selbst  zugestehe. 
Nach  einem  Vierteljahr  etwa  konnte  das  Vorverfahren  abge- 
schlossen werden.  Als  dem  König  das  Ergebnis  der  Unter- 
suchung mitgeteilt  wurde,  befahl  er  unterm  18.  September  1727, 
daß,  wenn  Marees  „die  denuncirte  facta  nicht  gestehen  will,  und 
genugsahme  indicia  gegen  denselben  vorhanden",  er  „mit  der 
tortur  beleget  werden  soll";  und  als  einige  seiner  Amtsbrüder 
den  König  um  Milde  baten,  dekretierte  er  am  17.  November 
1727,  daß  die  angeordnete  Inquisition  „mit  aller  vigueur"  fort- 
gesetzt werde.  Dabei  war  man  auf  möglichste  Geheimhaltung 
des  Verfahrens  bedacht.  Endlich  gelangte  das  Hofhalsgericht 
zu  einem  Urteil:  Marees  sei  des  Landes  zu  verweisen.  Von 
einer  Tortur  hatte  man  Abstand  genommen. 

Dem  König  war  dieser  Spruch  zu  gelinde.  In  einer  Order 
(ohne  Datum,  präsentiert  am  26.  Februar  1729)  befahl  er  viel- 
mehr, „das  factum  nochmals  genauer  zu  untersuchen"  und  die 
Angelegenheit  alsdann  einer  auswärtigen  juristischen  Fakultät 
„zum  Spruch  Rechtens"  vorzulegen,  er  (der  König)  „vermeine, 
daß  Er  [Marees]  das  Leben  verwirket  habe"!  —  Wieder  ver- 
gehen Monate,  ehe  die  juristische  Fakultät  zu  Frankfurt  an  der 
Oder,  der  man  die  Sache  unterbreitet  hatte,  urteilte  und  wieder 
lautete  das  Urteil  im  Wesentlichen  wie  das  des  Hofhalsgerichts 
zu  Königsberg:  auf  Amtsentsetzung  und  Landesverweisung, 
daneben  Tragung  der  Kosten  des  Verfahrens. 

Endlich,  im  Mai  1730  —  nach  genau  dreijähriger  Unter- 
suchungshaft — ,  kam  das  Verfahren  zum  Abschluß.  Durch 
Allerhöchste  Order  vom  22.  Mai  1730  fand  das  Urteil  der  Frank- 
furter juristischen  Fakultät    die  Bestätigung  des  Königs.     Bald 


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356      E>*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  ete. 

darauf  wurde  der  unglückliche  Mann  über  die  Grenze  ab- 
geschoben, seitdem  ist  nichts  von  ihm  bekannt  geworden. 

Geller  mußte  diese  traurigen  Vorgänge  noch  miterleben.  Einen 
neuen  Prediger  hatte  man  nach  Marees'  Verhaftung  nicht  gleich 
finden  können,  und  so  wurde  denn  auf  Geller  zurückgegriffen, 
der  drei  Vierteljahre  den  verwaisten  Gemeinden  Pr.  Holland, 
Riesenburg  und  Elbing  predigte. 

Zum  Nachfolger  des  Marees  war  der  Eektor  der  reformierten 
Schule  in  Halberstadt,  Johann  Heinrich  Bauer,  vom  Könige 
ernannt,  der  aber  während  der  Reisevorbereitungen  (1727) 
starb80).  —  Nach  Bauer  wurde 

3.  Dr.  Stephan  Arnold  Wesenfeld  hierher  berufen.  Ge- 
boren am  9.  Juni  1701  als  der  älteste  Sohn  eines  Universitäts- 
Professors  in  Frankfurt  a.  0.  wurde  Wesenfeld,  nachdem  er  in 
seiner  Vaterstadt  studiert  und  „als  Magister  zwey  Jahre  die 
Stelle  seines  abgelebten  Vaters  auf  der  Universität  durch  philos. 
Collegia  u.  Disputirungsübungen  versehen"  hatte,81)  in  Berlin  am 
29.  Juli  1728  ordiniert,  trat  uneingeführt  in  Pr.  Holland  am 
19.  September  1728  das  Amt  an,  ging  aber  schon  am  18.  No- 
vember 1731  als  Hofprediger  nach  Crossen,  wo  er  am  16.  März 
1732  eingewiesen  wurde;  er  starb  am  14.  April  1756.  —  Wesen- 
feld pastorierte  von  Pr.  Holland  aus  auch  die  reformierten 
Gemeinden  Riesenburg  und  Elbing.     Ihm  folgte 

4.  Ludewig  Reinhard  Kleinschmidt,  der  als  Sohn  eines 
Professors  und  Predigers  in  Rinteln  geboren  war  und  in  Frank- 
furt a.  0.  studiert  hatte  (immatr.  11.  4.  1722).  „Er  war  unter 
den  königl.  Candidaten  gewesen  und  hatte  als  solcher  gereiset", 
war  auch  Erzieher  im  Hause  des  Ober-Hof-Marschalls  von  Printzen 
in  Berlin  und  wurde  dann  unterm  13.  April  1731  für  Pr.  Holland 
vociert.  Bald  darauf  traf  er  hier  ein,  obwohl  er  erst  am  18.  No- 
vember 1731   das  Amt  übernahm.     In   der  Zwischenzeit  scheint 


30)  Hering,    Daniel  Heinrich,    Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Evgl.- 
Keform.  Kirche  in  den  Preuß.-Brandenburg.  Ländern.   1786.  (1.  Teil.)  Seite  220. 

31)  Hering,    Daniel  Heinrich,    Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Evgl.- 
Reform.  Kirche  in  den  Preuß.-Brandenburg.  Ländern.    1786.    (1.  Teil.)  Seite  46. 


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Von  Ernst  Machholz.  357 

er  dem  Prediger  Wesenfeld  zur  Hand  gegangen  zu  sein.  Auch 
er  verließ  diese  Stelle  bald.  Am  28.  Januar  1735  ging  er  als 
dritter  Domprediger  nach  Halle,  „hierauf  1738  nach  Bielefeld, 
wo  er  in  der  Mitte  des  Junius  antrat.  Den  20.  September  1752 
reisete  er  wieder  ab,  um  dem  erhaltenen  Rufe  zum  ersten  Prediger 
an  der  Peter-Paul-Kirche  in  Danzig  zu  folgen  und  fand  da  sein 
klägliches  Ende.  Er  war  ein  geschickter,  beredter,  aber  hoch- 
müthiger  Mann.  In  der  Zeit,  daß  er  in  Bielefeld  war,  bekam  er 
schon  einen  dreimaligen  Anfall  von  einer  großen  Verwirrung  des 
Gemüths.  Er  kam  da  an  einem  Sonntage  auf  die  Kanzel,  bereuete 
seinen  Lebenslauf,  klagte  sich  mit  Thränen  als  den  größten 
Sünder  an,  that  eine  Art  von  öffentlicher  Kirchenbuße  und  ver- 
fiel darauf  in  eine  große  Schwermüthigkeit,  die  etliche  Wochen 
anhielt.  Im  folgenden  Jahre,  um  dieselbe  Zeit,  hatte  er  einen 
Anfall  von  entgegengesetzter  ausschweifender  Freude,  in  welcher 
er  auch  den  Prinzen  Dieterich  von  Anhalt-Dessau  bey  sich  be- 
wirthete,  und  dabey  Pauken  und  Trompeten  auf  der  Straße  vor 
seinem  Hause  ertönen  ließ.  Das  dritte  Jahr,  auch  um  dieselbe 
Zeit,  bekam  er  wieder  eine  starke  Anwandlung  von  Schwer- 
müthigkeit. Nachher  ist  er  so  wiederhergestellt  worden,  daß  er, 
so  lange  er  in  Bielefeld  gewesen,  nichts  weiter  von  diesen  Zu- 
fällen empfunden  hat.  Eine  reiche  Bürgermeisterfrau  in  Danzig, 
die  sich  seiner  vortreflichen  Gastpredigt  noch  erinnerte,  welche 
er  vor  20  Jahren  daselbst  gehalten  hatte,  empfohl  ihn  so  den 
Vornehmsten  der  dortigen  Gemeine,  daß  er  zu  jener  wichtigen 
und  ansehnlichen  Stelle  erwählet  wurde,  zu  deren  Annehmung 
er  jetzt  auch  von  Berlin  aus  Erlaubniß  erhielt.  Er  gefiel  in 
Danzig  mit  seinen  Predigten,  sie  waren  gut,  ordentlich  und  ver- 
nünftig, ob  sie  gleich  das  Feuer  nicht  mehr  hatten,  das  man 
ehemals  an  ihm  bewundert  hatte.  Seine  Beförderinn  ward  nun 
seine  Beherrscherinn  und  vermehrete  ihre  Macht  über  ihn  durch 
die  außerordentliche  Freigebigkeit,  die  sie  ausübete;  aber  beides 
wurde  sein  Verderben.  Sie  verschrieb  für  ihn  ein  armes  Frauen- 
zimmer aus  Detmold,  gab  ihr  20  000  Thaler  mit,  und  er  mußte 
sie  wider  seinen  Willen  heurathen.     Ihre  Wohlthaten  gegen  ihn 


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358      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

hatten  kein  Ende.  Einmal  beschenkte  sie  ihn  mit  einem  ganzen 
Hause  in  der  Stadt,  ein  andermal  mit  einem  prächtigen  Garten 
und  Gartenhause  vor  der  Stadt.  Jene  erzwungene  Heurath  und 
das  Wohlleben,  das  aus  dieser  Überhäufung  mit  Wohlthaten  ent- 
stund, benahmen  seinem  Geist  Kraft  und  Leben.  Er  predigte 
seltener,  äußerst  schläfrich,  dabey  lange.  Einsmals  konnte  er 
nach  drittehalb  Stunden  kaum  aufhören,  wovon  er  zur  Ursache 
angab,  daß  er  es  bloß  auf  Eingeben  des  Geistes  Gottes  gethan 
hätte.  Endlich  merkte  er  doch  selbst  die  Zerrüttung  seiner 
Seele,  hielt  eine  recht  sehr  rührende  Abschiedspredigt,  als  einer, 
der  nun  nicht  weiter  die  Kanzel  besteigen  würde  und  nahm 
sich  eine  Reise  vor,  um  sich  aufzuheitern.  Er  wollte  alle  die- 
jenigen Örter  besuchen,  wo  er  ehemals  als  Prediger  gestanden 
hatte;  war  aber  kaum  einige  Stationen  weg,  als  man  ihn  schon 
als  völlig  verrückt  zurückbringen  mußte.  Er  hatte  seinen  Ver- 
stand so  völlig  verlohren,  daß  eine  beständige  Wache  von  vier 
Männern  bey  ihm  erfordert  wurde.  (Er  verfiel  „in  solche  Raserey", 
„daß  er  in  Ketten  mußte  geleget  werden".]  In  diesem  kläg- 
lichen Zustande  lebte  er  mit  untermischten  guten  Tagen  fast 
anderthalb  Jahre;  starb  endlich"  1761  am  14.  Mai  „plötzlich  in 
[der]  Nacht,  und  seine  Gönnerin  folgte  ihm  in  vier  Wochen  nach. 
Sein  Schicksahl  ist  um  so  mehr  zu  beklagen,  da  er  von  seinen 
Reichthümern  den  Dürftigen  reichlich  Gutes  that."82)  —  Er 
pastorierte  auch  in  Riesenburg  und  Elbing.  Aus  seiner  kurzen 
Amtszeit  verdient  seine  Gorge  um  die  Hebung  der  hiesigen 
reformierten  Schule  hervorgehoben  zu  werden.  Nach  ihm  kam 
5.  Johann  Philipp  Conrad  Nad;  er  war  aus  Hersfeld  in 
Hessen  gebürtig,  wo  sein  Vater  Prediger  war  und  hatte  in 
Bremen  das  in  dieser  Gestalt  heute  nicht  mehr  bestehende 
reformierte  Gymnasium  Illustre  besucht.  Vor  seiner  Berufung 
nach  Pr.  Holland    war  er  31/«  Jahre  Inspektor  am  Joachimstai- 


32)  Hering,  Daniel  Heinrich,  Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Evgl.- 
Reforra.  Kirche  in  den  Preuß.-Brandenburg  Ländern.  17S(>.  (1.  Teil.)  Seite  176 
und  237  ff. 


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Von  Ernst  Machholz.  359 

sehen  Gymnasium  zu  Berlin  (seit  1731),  wohin  er  von  Bremen 
gekommen  war.  Kleinschmidt  führte  ihn  hier  am  10.  Mai  1735 
ein,  aber  schon  am  17.  Juni  1740  gab  er  die  Stelle  auf, 
um  als  Professor  an  das  reformierte  Gymnasium  nach  Halle  zu 
gehen.  „In  Halle  trat  er  den  20.  Oct.  1740  mit  einer  Rede  an 
de  utilitate,  praestantia  ac  necessitate  linguarum  orientalium  in 
theologia,  wie  er  auch  in  den  orientalischen  Sprachen  seine 
größte  Stärke  hatte.  Er  ging  1743  wieder  ab,  da  er  ordentlicher 
Professor  der  Theologie  zu  Frankfurt  an  der  Oder  wurde82*);  lebte 
aber  auch  hier  nicht  lange,  sondern  ging  1746  nach  Berlin,  um 
sich  von  seiner  Krankheit  curiren  zu  lassen,  und  starb  daselbst 
den  6.  Jul.  in  solchem  Jahre  M).u  Von  Pr.  Holland  aus  pastorierte 
er  auch  in  Kiesenburg  und  Elbing.  Gleich  seinem  Amts- 
vorgänger war  ihm  die  Förderung  der  reformierten  Schule  sehr 
ans  Herz  gewachsen. 

Er  war  nach  dem  Kirchenbuch  mit  Dorothea  Sophia  von 
Frauendorf  verheiratet.  —  Sein  Nachfolger  war 

6.  Johann  Heinrich  Jacob i,  der  aus  Hoingen  in  der  Graf- 
schaft Solms-Braunfels  in  der  Wetterau  gebürtig  und  vor  seiner 
Berufung  nach  Pr.  Holland  in  Samrodt  (Kreis  Mohrungen) 
Prediger  war.  Über  ihn  findet  sich  Näheres  in  dem  8.  Heft 
der  „Oberland.  Geschichtsblätter".  Er  wurde  unterm  24.  Juli 
1740  nach  Pr.  Holland  berufen,  ward  in  diesem  Jahr  auch  In- 
spektor der  reformierten  Kirchen  des  Oberlandes,84)  sowie  Mit-: 
glied  des  Pomesanischen  Konsistoriums  zu  Saalfeld  und  starb 
am  28.  September  1767  in  Pr.  Holland.  —  Jacobi  reiste  , jähr- 
lich 4  mahl  nach  Elbing  und  Riesenburg,  umb  die  heyl.  Com- 
munion  zu  halten".  —  Auf  ihn  folgte 


32a)  „8.  Junii  (1744)  Johannes  Philippus  Conradus  Nad  Hassus,  huc 
vocatUB  professor  theologiae  Ordinarius."  (Publ.  aus  den  Kgl.  Pr.  Staatsarchiven. 
36.  Band.  Ernst  Friedländer,  „Ältere  Universitäts-Matrikeln".  I.  Universität 
Frankfurt  a.  O.    2.  Bd.    Leipzig  1888,  S.  36 R 

33)  Hering,  Daniel  Heinrich,  Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Evgl.- 
Reform.  Kirche  in  den  Preuß.-Brandenbnrg  Ländern.    1786.   (1.  Teil.)  Seite  191. 

34)  cfr.    „Mohrunger  Kreis-Zeitung' \  Jahrgang  1905,    Beilage  zu  Nr.  30. 


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360      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

7.  Carl  Coli  in  8,  ein  Sohn  des  Großbrittanischen  Nego- 
tianten,  Ersten  Reformierten  Gerichts-Assessors  und  Kommerzien- 
rats  Eduard  Collins  aus  Königsberg,  nachdem  er  in  Frankfurt 
an  der  Oder  studiert  hatte  ümmatr.  18.  4.  1735)  und  von  1740  bis 
1768Prediger  an  der  reformierten  Kirche  in  Pillkallen  gewesen  war. 
Im  Jahre  1767  nach  Pr.  Holland  berufen,  traf  er  am  26.  Januar  1768 
hier  ein,  hielt  am  31.  Januar  die  Autrittspredigt  und  wurde  als 
Jacobis  Nachfolger  Inspektor  des  Oberlandes.86)  Collins  starb 
am  16.  Oktober  1780.  —  Er  pastorierte  auch  die  reformierte 
Gemeinde  in  RiesenburgM)  und  seit  1774  mit  Genehmigung  des 
Beformierten  Kirchen-Direktoriums  die  reformierte  Gemeinde  in 
Marienburg.  —  Seine  Frau  Wilhelmine  Barker  starb  nach  dem 
Kirchenbuch  am  28.  April  1773  im  53.  Lebensjahr.  —  Nach 
Collins  kam 

8.  Georg  August  Wilhelm  Bornemann.  Er  war  vor  seiner 
nach  hierher  im  Jahre  1781  erfolgten  Berufung  Informator  beim 
Friedrichs- Waisenhause  zu  Berlin;  der  Inspektor  Rindfleisch  aus 
Elbing  führte  ihn  ein.  1783  ging  er  nach  Schlodien,  wo  er  im 
Jahre  1800  starb.  Seine  Frau  (geb.  Reinhardt)  überlebte  ihn; 
sie  bezog  seit  1818  die  Einkünfte  (oder  einen  Teil  derselben) 
aus  dem  Pf arrwittum  in  Pr.  Holland  und  starb  am  12.  August 
1831  in  Elbing,  wo  sie  als  Witwe  lebte.  —  Bornemanns  Nach- 
folger war 

9.  Nathanael  Gottlieb  Waghas,  gebürtig  aus  Stargard  in 
Pommern.  Er  wurde,  nachdem  er  am  1.  September  1783  in  Pr. 
Holland  eingetroffen  war,  durch  den  Inspektor  Rindfleisch  ein- 
geführt, war  als  Nachfolger  Rindfleischs  seit  1804  Inspektor  der 
reformierten  Gemeinden  des  Oberlandes  und  starb  als  letzter 
ordentlicher  Prediger  der  reformierten  Gemeinde  Pr.  Holland 
am  27.  August  1807  im  Alter  von  54  Jahren.  Seine  Frau 
Johanna  Margaretha  war  eine  geborene  Reinsdorff.  —  Waghas 
pastorierte    auch    die  reformierte    Gemeinde    Riesenburg,    deren 


35)  cfr.  Fußnote  34. 

36)  Die  reform.  Gemeinde  in  Elbing  hatte  seit  1774  ihren  eigenen  Prediger. 


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Von  Ernst  Machholz.  361 

Seelsorge  nach  ihm  der  reformierte  Prediger  aus  Elbing,  Wisse- 
linck,  übernahm.87) 

Seit  Waghas  Tode  üben  in  Pr.  Holland  die  jeweiligen 
Prediger  der  reformierten  Gemeinde  zu  Elbing  die  Seel- 
sorge aus. 

Bisher  waren  es  folgende: 

1.  Friedrich  Wilhelm  Carl  Wisselinck,  geb.  in  Salzwedel 
am  6.  März  1772,  kam  1805  nach  Elbing  und  erhielt  daneben 
die  Pflege  der  reformierten  Gemeinden  Finckenstein,  Graudenz, 
Gr.  Tromnau,  Marienwerder,  Pr.  Holland  und  Thorn,  war  seit 
1807  Inspektor  der  reformierten  Gemeinden  des  Oberlandes  und 
von  "Westpreußen  mit  dem  Charakter  als  Superintendent  und 
starb  am  2.  März  1835 88). 

2.  Albert  Wilhelm  Behr  wirkte  hier  nach  Conrads  „Pr. 
Holland  einst  und  jetzt"  (Pr.  Holland.  1897,  Seite  204)  vom 
24.  Dezember  1837 8Ö)— 1842.  (Kommissorium  vom  21.  Juni 
1838).     Er  starb  in  Tilsit.40) 

3.  Theodor  Julius  F  ab  er,  geb.  zu  Königsberg  den  12.  März 
1814,  seit  Ostern  1837  Hilfslehrer  der  dortigen  Burgschule, 
seit  Michaelis  1841  Rektor  in  Tilsit,  als  Prediger  für  Elbing 
ordiniert  am  26.  Februar  1843;  sein  Kommissorium  datiert  vom 
4.  März  1843.     Er  wurde  nach  Berlin  versetzt. 

4.  Johann  Robert  Palmie;  er  war  1821  geboren,  und  war 
vor  seiner  Berufung  nach  Elbing  und  Pr.  Holland,  die  am 
19.  März  1857  erfolgte,  in  Berlin.     Der  reformierte  Superinten- 


37)  In  dem  ehemaligen  reform.  Superintendentur- Archiv  zu  Elbing 
(Aktenstück  „B.  1.")  befindet  sich  ein  Erlaß  des  Reform.  Kirchen-Direktoriums 
vom  21.  9.  1805,  durch  den  Waghas  angewiesen  wird,  die  „seiner  Angabe  nach 
verlassene  [reform.]  Gemeine  zu  Raudnitz  in  Westpreußen  auf  die  von  ihm 
angezeigte  Weise  zu  besorgen".     Weiteres  ist  nicht  bekannt. 

38)  cfr.  „Preuß.  Prov.-Blätter",  Bd.  14,  Seite  194  ff.  und  „Neuer  Nekrolog 
der  Deutschen"  Bd.  XIII.  1.  Teil,  S.  274—279. 

39)  In  der  Zwischenzeit  kamen  der  reform.  Prediger  Eisner  aus  Gr.  Sam- 
rodt  und  Braun  aus  Soldau  hierher. 

40)  cfr.  „Mohrunger  Kreis-Zeitung",  Jahrgang  1905  Beilage  zu  Nr.  30. 


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362      ®ie  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

dent  Qerdien    aus  Königsberg   führte  ihn  hier  am  3.   Mai  1857 
ein.     1867  ging  er  wieder  nach  Berlin  und  starb  dort. 

5.  Johann  Karl  Heinrich  Hoff  mann;  er  war  geboren  zu 
Torgau  am  11.  Mai  1840,  studierte  in  Halle  und  Leipzig,  wurde 
1867  ordiniert  und  ging  1773  an  St.  Peter  und  Paul  nach 
Danzig. 

6.  Karl  August  Adalbert  Daniel  Herwig;  er  war  geboren 
zu  Potsdam  am  17.  April  1833,  studierte  in  Berlin,  wurde  1873 
ordiniert,  war  vorher  Rektor  und  Hilfsprediger  in  Müncheberg, 
Regierungsbezirk  Frankfurt  a.  0. 

7.  Dr.  Maywald,  Gustav  Wilhelm  Max:  er  pastorierte  hier 
seit  dem  10.  April  1885,  war  vorher  Prediger  in  Buckow,  Prov. 
Brandenburg,  und  starb  am  20.  November  1899. 

8.  Falck,  pastoriert  hier  seit  1900;  er  kam  aus  Woesitz, 
Diözese  Danziger  Werder. 

5.  Der  gottesdienstliche  Raum. 

Die  Anfänge  und  Zustände  der  reformierten  Qemeinde  zu 
Pr.  Holland  weisen  mit  denen  der  ländlichen  reformierten  Per- 
sonalgemeinden im  Oberlande  manche  Ähnlichkeiten  auf;  denn 
auch  sie  sah  ihre  ersten  Führer  in  Privatpersonen,  deren  Stellung 
und  Energie  der  Gemeinde  zur  Existenz  verhalf.  Man  darf 
wohl  ohne  Übertreibung  sagen,  daß  in  den  Zeiten  der  Bedrängnis 
den  reformierten  Diasporagemeinden  eine  gewisse  geistige 
Gemeinschaft  innewohnte,  die  ihre  Glieder  fest  zueinander 
halten  ließ  und  sie  auf  gemeinsame  Fährte  mit  gemeinsamem 
Ziele  führte.  Am  trefflichsten  kennzeichnet  sich  diese  Eigen- 
schaft in  der  Art  der  geistlichen  Versorgung,  der  in  dem 
Moment  der  Hergabe  der  Geistlichen  —  gewissermaßen  als 
„Wanderprediger"  —  die  Prägnanz  verliehen  wird.  Wie  auch 
die  hiesige  Gemeinde  dieses  Vorzuges  teilhaftig  wurde,  zeigt 
ihre  Vorgeschichte. 

Daß  das  reformierte  Glaubensbekenntnis  in  Preußen  einen 
guten    Teil    seiner    Verbreitung     dem    Adel   zu    danken    hatte, 


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Von  Ernst  Maehholz.  363 

ist  bekannt.  Die  von  diesem  in  seinen  Gutshöfen  vielfach  ein- 
gerichtet gewesenen  Hausgottesdienste  wirkten  auf  die  Weiter- 
tragung  der  reformierten  Religion  in  der  vorteilhaftesten  Weise. 
Zunächst  waren  es  ja  wohl  nur  die  eigenen  Untertanen,  die  — 
nicht  immer  ohne  Zwang  —  an  jenen  Privatandachten  teilnahmen. 
Dann  hielten  sich  die  Bewohner  der  weiteren  Umgegend  nach 
und  nach  zu  diesen  Versammlungen.  Die  fremden  reformierten 
Kolonisten  besuchten  sie  gern.  Aber  auch  Neugierde  mag  die 
lutherische  Bevölkerung  in  jene  Kapellen  gezogen  haben,  in 
denen  ein  anderer  Gotteskultus  als  der  altgewohnte  geübt  wurde 
und  der,  nicht  zu  vergessen,  oft  nur  heimlich  betrieben  werden 
konnte,  war  doch  die  Landesregierung  und  mit  ihr  die  lutherische 
Geistlichkeit  den  Reformierten  nichts  weniger  als  günstig  ge- 
sonnen; und  wieder  wird  der  Reiz  des  Verbotenen  den  schlichten 
Bürger  und  Bauer  mächtig  gepackt  und  in  den  Schoß  der 
reformierten  Kirche  geführt  haben. 

Solche  Privatgottesdienste,  wie  wir  sie  im  17.  Jahrhundert 
bei  den  Burggrafen  und  Grafen  zu  Dohna  finden,  waren  auch  die 
ersten  gottesdienstlichen  Versammlungen  der  Reformierten  in  der 
Stadt  Pr.  Holland.  Als  die  Seele  jener  Unternehmungen  haben 
wir  bereits  einen  der  dortigen  reformierten  Amtshauptmänner 
kennen  gelernt,  der  für  die  Abholung  der  Prediger  aus  Königsberg 
sorgte  und  als  gottesdienstliches  Lokal  ein  Zimmer  im  Amts- 
hause, dem  durch  Markgraf  George  Friedrich  1578  vollendeten 
Schloß,  bereit  gestellt  hatte.  Erst  als  im  Jahre  1697  die  Gemeinde 
öffentlich  ins  Leben  trat,  erhalten  wir  sichere  Nachrichten  von 
der  Einräumung  eines  „bequehmen  Losaments"  im  Schlosse. 
Wir  werden  uns  dieses  „Losament**,  das  in  der  Urkunde  vom 
-^-  August  1697  „Zimmer",  von  Geller  im  Kirchenbuch  oft  „Ge- 
mach" und  „Convocationsstube",  später  gewöhnlich  „Schloß- 
kapelle" auch  „Schloßkirche"41)  genannt  wird,  als  einen  nach 
reformiertem  Brauch  in  einfachster  Weise  hergerichteten  Raum 


41)  Die   erste   öffentliche  Trauung   fand   hier   am  26.  7.  1716  statt;    die 
vorigen  waren  Haustrauungen. 


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364      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

zu  denken  haben.  Ein  Tisch  als  Altar  und  wenige  Bänke  oder 
Stühle  mögen  die  Ausstattungsgegenstände  der  Kapelle  gewesen 
sein.     Vielleicht  kam  damals  schon  ein  Positiv42)  hinzu. 

Dies  genügte  der  jungen  Gemeinde.  Was  hätte  sie  sich 
auch  mehr  wünschen  sollen?  Die  Einfachheit  des  Äußeren  lag  ja 
in  ihrem  Charakter  und  die  freie  Religionsübung  war  ihr  gegeben. 

Die  örtliche  Lage  des  1697  der  Gemeinde  vom  Kurfürsten 
zur  freien  Benutzung  überwiesenen  Baumes  im  Schloßgebäude 
läßt  sich  heute  mit  Sicherheit  nicht  mehr  bestimmen.  Von 
diesem  Baum  heißt  es  1733,  daß  er  „baufällig  auch  zum  be- 
ständigen Gottes-Dienst  unbequem  war"  und  deshalb  „die  eine 
Helffte  von  dem  Corps  de  logis  des  Schlosses  darzu  ersehen" 
wurde,  „wo  noch  anjetz  [also  1733J  der  Gottes-Dienst  ohne  alle 
Hindernüss  gehalten  wird."  Diese  Mitteilung  ist  sehr  unklar 
und  deutet  nur  darauf  hin,  daß  der  1697  eingeräumte  Saal  nach 
nicht  zu  langer  Zeit  von  der  Gemeinde  aufgegeben  werden 
mußte.  Im  „Erl.  Preußen"  Bd.  IV  (1728!)  Seite  498  ist  davon 
die  Rede,  daß  die  Kapelle  der  Gemeinde  im  Schloß  „aus  2  Ge- 
mächern ....  aptiret  worden"  sei.  War  dieser  aus  zwei 
Zimmern  hergerichtete  Baum  nun  die  1697  geschaffene  Kapelle 
oder  jener  Saal,  von  dem  1733  gesprochen  wird?  Der  1733 
genutzte  Baum  lag  zu  ebener  Erde48).  Lukanus  nennt  in  seiner 
Chronik  „Preußens  uhralter  und  heutiger  Zustand"  (1748)44) 
Seite  619  den  von  der  Gemeinde  benutzten  Baum  den  „großen 
Schloß-Saal". 


42)  1769  war  ein  solches  von  6  Registern  vorhanden. 

43)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51  ee.  Et.  Min.  „Wegen 
Abtretung  des  gottesdienstlichen  ref.  Raumes  im  Schloß  zu  Pr.  Holland  als 
Caserne".  (Diese  Akten  gehörten  vormals  zum  Reform.  Kirchen -Direktorium 
in  Berlin.) 

1725  und  1726  machte  die  Garnison  der  Stadt  Versuche,  den  Beetsaal 
für  ihre  Gottesdienste  zu  verwenden.  Nachdem  auch  einigemal  der  Militär- 
gottesdienst hier  abgehalten  worden  war,  verweigerte  die  Gemeinde  die  weitere 
Benutzung,  indem  sie  ihre  Ablehnung  damit  begründete,  daß  die  Räumlichkeit 
nicht  ausreichend  sei.  (Ref.  Pfarrarchiv  zu  Pr.  Holland  „Protocollum  Ecclesia- 
sticum  Hollandiae  in  Prussia  incoeptum  Anno  MDCCXXVI".) 

44)  Manuskript  in  der  Königl.  Bibliothek  zu  Königsberg. 


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Von  Ernst  Machholz.  365 

1769  hören  wir  dann  wieder  von  der  Kapelle,  als  es  sich 
um  die  Unterbringung  der  Pr.  Holländer  Garnison  im  Sohloß- 
gebäude  handelte45).  Damals  traten  die  Militärbehörden  an  die 
reformierte  Gemeinde  mit  dem  Verlangen  heran,  ihren  Kapellen- 
raum als  Kaserne  zu  überlassen.  Die  Behörden  fanden  bei  der 
Gemeinde  wenig  Entgegenkommen,  aber  die  Energie  der  ersteren 
zwang  zur  Nachgiebigkeit.  Die  Beschaffung  eines  neuen  Lokals 
verursachte  viel  Aufregung.  An  Vorschlägen  mangelte  es  nicht. 
Drei  Pläne  lagen  vor.  Zunächst  dachte  man  daran,  die  oberen 
Bäume  des  reformierten  Prediger hauses  in  einen  Kapellenraum 
umzuwandeln,  doch  hätten  die  erforderlichen  Umbauten  un- 
erschwingliche Kosten  verursacht.  Dann  wandte  man  sich  an 
die  lutherische  Gemeinde  und  bat  sie  um  Bereitstellung  der 
St.  Bartholomäuskirche.  Die  reformierte  Gemeinde  scheint  damals 
sogar  zur  Errichtung  eines  Simultaneums  bereit  gewesen  zu 
sein;  doch  dieses  Unternehmen  scheiterte  an  dem  Widerstände 
der  lutherischen  Gemeinde.  Sodann  war  die  Einräumung  des 
Sitzungssaales  im  Bathause  in  Erwägung  gezogen  worden,  hier- 
gegen opponierten  aber  Bürgermeister  und  Rat  der  Stadt.  — 
Endlich  fand  sich  eine  sehr  naheliegende  Lösung ;  der  Gemeinde 
wurde  im  Schloßgebäude  ein  Raum46)  angewiesen;  es  ist 
derselbe,  den  sie  noch  heute  benutzt.  Die  Kosten  der 
Einrichtung  trug  der  Fiskus47),  die  Gemeinde  und  das  Refor* 
mierte  Kirchen-Direktorium  zu  Berlin  war  mit  Allem  einver- 
standen. Diese  Kapelle  liegt  im  ersten  Stockwerk  des  nordöst- 
lichen Flügels48),  zu  ihr  führt  eine  in  dem  unteren  Geschoß 
gelegene  besondere  Eingangstür  und  Treppe. 


45)  Siehe  auch  Conrad  „Pr.  Holland  einst  und  jetzt'',  1897,  Seite  109 
Zeile  16  und  17. 

46")  Dieser  neue  Kirchenraum  war  etwa  5  Fuß  schmäler  und  ebensoviel 
kürzer  als  der  alte  Raum.  Der  Mittelgang  war  in'  der  alten  Kirche  4  Fuß,  in 
der  neuen  damals  6  Fuß  breit 

47)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51  ee.    Et.  Min. 

48)  Ein  Grundriß  des  Landbauinspektors  Bertram  vom  Jahre  1768  und 
1769  befindet  sich  bei  der  Königl.  Bauinspektion  in  Braunsberg. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    Hft.  5  u.  6.  24 


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366      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Im  Unglücklichen  Kriege  teilte  sie  mit  vielen  anderen 
Kirchen  im  Lande  das  Schicksal  dem  Feinde  preisgegeben  zu 
werden.  1807  am  24.  September  meldete  das  Presbyterium  der 
Regierung,  daß  ,,bey  Etablirung  der  französischen  Bäckerey  im 
hiosigen  Schloss  für  das  1***  Kayserl:  französische  Corps  d* Armee 
im  Anfang  März  d.  J.  auch  der  Kirchen-Saal  zum  Brod- 
Magazin  .  .  .  genommen  worden"  sei.  Da  mußte  denn  die 
lutherische  Gemeinde  mit  ihrem  Gotteshause  aushelfen.  In 
Pr.  Holland  war  damals  der  Superintendent  Jedosch  der  Erste 
Geistliche  und  dieser  bewillkommte  die  Reformierten  in  herz- 
lichster Weise. 

Seitdem  hat  die  schlichte  Kapelle  in  dem  weiten  Schloß- 
gebäude keine  bedeutenderen  Ereignisse  in  ihren  Mauern  sich 
abspielen  sehen. 

Die  Kosten  der  inneren  baulichen  Unterhaltung  des 
Kapellenraums  werden  aus  Mitteln  der  Gemeinde  bestritten, 
während  die  Erhaltung  des  Daches,  der  äußeren  Ringwände 
und  der  Fundamente  an  dem  Schloßgebäude  innerhalb  der 
Grenzen  des  Saales  nach  einer  Verfügung  der  königlichen  Re- 
gierung zu  Königsberg,  Abteilung  für  direkte  Steuern,  Do- 
mainen  und  Forsten,  vom  24.  September  1850  (56/9  II)49)  dem 
Fiskus  obliegt,  also  außerhalb  der  Verpflichtung  der  Kirchen- 
gemeinde liegt. 

6.  Über  das  Predigerhaus 

und  seine  spätere  Bestimmung  als  Prediger- Witwenhaus  ist  bereits 
in  der  Besprechung  von  den  Besoldungsverhältnissen  der  Prediger 
gehandelt.  Hier  bleibt  zunächst  noch  einiges  über  seine  Geschichte 
vor  1740  zu  berichten. 


49)  Bauakten  der  Königl.  Regierung  (Schulabteilung)  zu  Königsberg.  In 
dieser  Verfügung  erkennt  die  Regierung  auch  an,  daß  der  Betsaal  der  Ge- 
meinde 1697  unentgeltlich  überlassen  worden  sei.  —  Über  die  Eigentums- 
verhältnisse am  Schloß  findet  sich  Ausführliches  bei  Conrad,  „Pr.  Holland 
einst  und  jetzt4',  1897,  Seite  111/112. 


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Von  Ernst  Machholz.  367 

Für  eine  Predigerwohnung  war  weder  vom  Staat  noch  von 
der  Gemeinde  bei  der  Berufung  des  ersten  Geistlichen  gesorgt 
worden,  und  so  sah  sich  Geller,  als  er  im  Jahre  1698  in 
Pr.  Holland  eintraf,  genötigt,  eine  Mietswohnung  zu  beziehen. 
Es  hat  den  Anschein,  daß  Geller  damals  schon  das  nachmalige 
Predigerhaus  bewohnte.  1701  ist  einmal  davon  die  Rede,  daß 
er  das  untere  Stockwerk  dieses  Hauses  inne  hatte,  während  oben 
ijemandt  der  Engelmannschen  Erben,  denen  daß  Hauß  zu 
kommet"  wohnte60). 

Im  Jahre  1704  erwarb  Geller  das  Grundstück  als  „Ganz- 
erbe*' ohne  Braugerechtigkeit  für  2700  Mark  (ä  20  Groschen  in 
jede  Mark  gerechnet)  „cum  reservatu  Magistratus,  daß  dieses 
Hauß  die  real  praestanda  jährl.  bezahlen  und  wieder  an  einen 
incorporirten  Bürger  verkauft  werden  solle4' öl).  Der  mit  dem 
Verkäufer,  Joachim  Friedrich  Stürtzenbäcker,  geschlossene 
Vertrag  vom  14.  April  1704 ö8)  läßt  in  den  Besitz  Gellers  „was 
im  Hause"  ist  nebst  dem  „daran  befindlichen  Stall",  sowie  „denen 
dazu  gehörigen  Äckern  und  Hüben  Garten"  „erblich  und  eigen- 
tümlich" übergehen.  Das  Hausgrundstück  lag  „am  Marckte, 
zwischen  Herrn  Reinhold  Hermlings  Hause  und  dem  engen 
Gäßchen". 

Geller  trat  im  Jahre  1726  bezw.  1728  vom  Amte  zurück, 
seine  Nachfolger  Marees,  Wesenfeld,  Kleinschmidt  und  Nad  waren 
wieder  gezwungen,  für  ihre  Wohnung  selbst  zu  sorgen. 

1740/1742  endlich  erwarb  die  Kirchengemeinde  das  ganze 
Grundstück    als  Predigersitz68).     Sie    war    in    seinen  Besitz  mit 


50)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51  ee,  Et.  Min.  (lose). 

51)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51,  e2,  Et.  Min.  Akten 
„wegen  Abtretung  des  gottesdienstlichen  Raumes  im  Schlosse  zu  Pr.  Holland 
als  Caserne". 

52)  Akten  des  Königl.  Konsistoriums  zu  Königsberg  „von  denen  zu 
Pr.  Holland  bestellten  Reformirten  Predigern  de  anno  1728,  1732,  1435,  1740, 
1742,  1743,  1762,  1768,  1769,  1770." 

53)  Der  Kaufvertrag  ist  abgedruckt  im  8.  Heft  der  „Oberländischen  Ge- 
schichtsblätter". —   Ingrossiert  am  1.  Mai  1742. 

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368      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

sämtlichen  Rechten  und  Pfliohten  getreten64).  Aus  der  Bau- 
unterhaltungspflicht des  Hauses  und  Zubehörs  erwuchsen  der 
Gemeinde  bei  ihrer  ungünstigen  Vermögenslage  manche  Sorgen. 
Soweit  bekannt,  erfuhr  das  Predigergebäude  in  der  Zeit  von 
1740—1806  vier  größere  Reparaturen:  1754,  1768,  1786  und  1805. 
Die  Baukosten  im  Jahre  1768  bezifferten  sich  nach  dem  An- 
schlage auf  die  hohe  Summe  von  1132  Taler.  Um  eine  Beihilfe 
zu  erreichen,  war  die  Gemeinde  an  den  Fiskus  herangetreten 
und  die  Königliche  Pr.  Kriegs-  und  Domänenkammer  in  Königs- 
berg stellte  daraufhin  unterm  3.  Juni  1768  fest,  daß  aus  ihren 
Akten  nicht  ersichtlich  sei,  ob  jemals  aus  Königlichen  Kassen 
ein  Beitrag  zu  Bauten  oder  Reparaturen  dieses  Hauses  her- 
gegeben worden  war;  es  bestände  vielmehr  die  Vermutung,  daß 
das  Predigerhaus  „jederzeit  aus  Kirchen-Mitteln  im  Bau  unter- 
halten" sei.  Gleichwohl  erklärte  sich  die  Regierung  bereit,  das 
zu  dieser  Reparatur  erforderliche  Bauholz  „in  der  Osterodschen 
Heyde  ohnentgeldl:  anweisen  zu  lassen*'.  Bei  den  späteren 
Bauten  und  Reparaturen  beteiligte  sioh  Fiskus  durch  die  Holz- 
lieferung oder  durch  einen  Barbeitrag.  Weiter  mußten  Kollekten, 
die  in  der  Provinz  eigens  für  diesen  Zweck  abgehalten  wurden, 
aushelfen.  Für  die  Deckung  des  Restbetrages  hatte  dann  wohl 
die  Gemeinde  zu  sorgen. 

Mit  der  Umwandlung  des  Predigergrundstücks  in  einen 
Predigerwitwensitz  wurde  die  Kirchengemeinde  der  Sorge  für 
die  Bauunterhaltung  enthoben. 

Der  Ministerialerlaß  vom  4.  September  1809  hatte  bekannt- 
lich   angeordnet,    daß    die  Paoht    des  Ackers    und    der  Scheune 

54)  1749  beantragte  das  Reform.  Kirchen-Direktorium  beim  General- 
Direktorium  zu  Berlin,  das  Predigerhaus  von  „sämtlichen  Oneribus  pubheiß  und 
.  .  .  Service-Gelde*'  zu  befreien.  Letzteres  entschied  am  4.  9.  1749,  daß,  weil 
es  sich  hier  um  ein  onus  reale,  „so  dem  fundo  inhaeriret"  handelt,  dem  Hause 
diese  Befreiung  nicht  zugestanden  werden  könne.  Doch  bliebe  der  reforra. 
Prediger  von  den  oneribus  personalibus  frei.  (Akten  des  KönigL  Geh.  Staats- 
archivs   zu    Berlin    „wegen    nachgesuchter    Befreiung   des    zur    perpetuirlichen 

Prediger- Wohnung gewidmeten  Hauses.     1746—69".    Fol.  9.  Gen.  Dir. 

Ostpr.  Nr.  5). 


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Von  Ernst  Machholz.  369 

zum  Unterhalt  des  Hauses  verwendet  werden  sollten  und  eine 
Begierungsverfügung  vom  16.  Dezember  1810  genehmigte  noch, 
„daß  zur  Unterhaltung  des  Predigerhauses  und  Bestreitung  der  mit 
der  Zeit  entstehenden  größeren  Reparaturen  der  Ertrag  der  Miete 
von  der  2.  Etage  und  ein  jährlicher  Zuschuß  von  10  Thlr.  aus 
der  Eirchenkasse  zur  Sammlung  eines  Fonds"  zu  verwenden 
sei56).  Ein  solcher  Baufonds  wurde  denn  auch  damals  angelegt 
und  seitdem  aus  ihm  die  Kosten  der  Reparaturen  gedeckt.  Doch 
1867,  unterm  17.  Juni,  genehmigte  die  Königliche  Regierung  die 
Aufhebung  dieses  Fonds,  weil  er  aufgebraucht  war.  In  der 
Folge  wurde  der  Mietszins  des  Predigerwitwenhauses  abzüglich 
einer  dem  Prediger  zu  Elbing  für  die  Aufgabe  seines  Anspruchs 
auf  eine  Stube  in  dem  Hause  zu  zahlenden  Entschädigung  von 
150  Mark  sowie  der  Pachtertrag  des  Landes  außer  zur  Deckung 
der  Witwenpension  auch  zur  Bestreitung  anderer  laufenden 
kirchlichen  Ausgaben  verwendet.  In  den  Jahren  1877,  1884  und 
1901  wurden  die  Predigerwitwenbezüge  neugeregelt  und  dabei 
noch  hervorgehoben,  daß  aus  den  Einkünften  des  Grundstücks 
auch  die  Baukosten  und  andere  laufende  Ausgaben  bestritten 
werden  müssen. 

Der  zu  dem  Grundstück  gehörige  alte  Stall  wurde  1866 
durch  einen  neuen,  massiven  ersetzt.  Aus  feuerpolizeilichen 
Gründen  errichtete  man  ihn  aber  nicht  auf  der  alten  Stelle;  er 
ist  kleiner  als  der  frühere:  16  Fuß  lang,  12  Fuß  breit,  8  Fuß 
zwischen  Fundament  und  Balkenlage  hoch;  dazu  gehörte  eine 
7  Fuß  hohe  hölzerne  Umwährung. 

Die  Größe  des  zweistöckigen  Predigerhauses  wurde  1814 
auf  70  Fuß  Länge  und  24  Fuß  Breite  angegeben  Eine  von 
dem  Landbaumeister  le  Juge  im  Jahre  1822  entworfene  Zeichnung 
des  Hauses  befindet  sich  bei  den  Akten  des  Pfarrarchivs  betr. 
„den  Ausbau  des  Predigerwitwenhauses". 

Das  Hausgrundstück  trägt  die  katasteramtliche  Bezeichnung 
„Pr.  Holland  Blatt  1  Seite  401  No.  26". 

55)  Akten  der  Königl.  Regierung  ^Schulabteilung)  zu  Königsberg  betr. 
die  reform.  Kirche  zu  Pr.  Holland  .»Hoheitssachen". 


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370      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

7.   Der  Begrftbnisplatz. 

Als  die  Gemeinde  um  die  Wende  des  17.  Jahrhunderts 
öffentlich  ins  Leben  trat,  war  sie  gegenüber  der  lutherischen 
Gemeinde  recht  klein;  in  den  ersten  zwei  Jahrzehnten  betrug 
die  Zahl  der  Abend mahlsgäste  bei  den  einzelnen  Kommunionen 
etwa  30  bis  40.  Die  Gemeinde  setzte  sich  der  Mehrzahl  nach  — 
abgesehen  von  den  Militärpersonen  —  aus  Handwerkern  und 
Kaufleuten  zusammen,  die  nur  gering  bemittelt  waren.  Ver- 
mutlich hatten  die  Gemeindeglieder  bei  der  Einrichtung  des 
Kirchensystems  nur  Beiträge  zur  Beschaffung  des  Gestühls  und 
der  sonstigen  inneren  Ausstattungsgegenstände  für  die  Kapelle 
hergegeben.  Ihre  Leistungsfähigkeit  reichte  offenbar  nicht  zum 
Ankauf  von  Glocken  und  Begräbnisplatz  aus.  Der  Mangel  eines 
eigenen  Begräbnisplatzes  machte  sich  besonders  unangenehm 
bemerkbar. 

Zu  den  vielen  kränkenden  Zurücksetzungen,  die  die  Re- 
formierten in  Preußen  vor  den  Lutheranern  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert hinein  zu  dulden  hatten,  gehörte,  daß  sie  ihre  Toten 
oft  nur  „in  der  Stille"  und  „ohne  Glocken  und  Schule",  zu- 
weilen auch  nur  abends  zur  letzten  Ruhe  geleiten  durften. 
Dieser  Brauch  war  zum  Teil  auch  in  Pr.  Holland,  und  zwar 
noch  bis  ins  vierte  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts,  üblich. 
Es  hing  damals  lediglich  von  dem  Ermessen  der  lutherischen 
Geistlichkeit  ab,  ob  die  Reformierten  ihre  Leichen  mit  oder  ohne 
das  lutherische  Glockengeläute  und  mit  oder  ohne  (lutherische) 
Schule  beerdigen  durften,  auch  erhob  die  lutherische  Geistlich- 
lichkeit  den  Anspruch  am  Grabe  des  zu  Beerdigenden  sprechen 
zu  dürfen.  Endlioh  mag  in  den  Reformierten  das  Unbillige 
dieses  Verlangens  eingesehen  worden  sein.  1734  schwebten  zum 
ersten  Mal  Verhandlungen,  die  eine  Gleichberechtigung  mit  der 
lutherischen  Gemeinde  hierin  erstrebten.  Eine  Verfügung  d.  d. 
Königsberg  7.  September  1734 56)  bestimmte,  daß  die  Reformierten 


56)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51  ee.  Et.  Min,  Akten  „die 
Begräbnisse  der  Keformirten  zu  Pr:  Hollandt  betr.". 


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Von  Ernst  Machholz.  371 

„ihre  Todten  entweder  ohne  alle  Ceremonien  in  der  Stille  be- 
graben, oder  aber,  wenn  sie  allein  das  Geläute  verlangen  und 
weder  [luther.]  Prediger  noch  [luther.]  Schul  Bediente  bemühen 
wolten,  auch  nur  blos  für  die  Glocken  zu  bezahlen  schuldig  seyn 
möchten." 

Solange  die  reformierte  Gemeinde  eines  eigenen  Friedhofes 
entbehrte,  verfuhr  man  nach  dieser  Vorschrift.  Im  Jahre  1778 
wurde  die  Angelegenheit  noch  einmal  aufgerollt  und  untersucht. 
Die  in  diesem  Jahre  geführten  Verhandlungen67)  gewinnen  da- 
durch noch  besonders  an  Wert,  daß  sie  sich  auch  des  näheren 
über  die  Bestimmung  der  lutherischen  Kirchhöfe  in  der  Stadt 
Pr.  Holland  aussprechen. 

Von  dem  Kirchhofe  „bey  der  Barthol.  Kirche",  heißt  es  dort, 
daß  „dieser  kleine  Kirchhof  .  .  .  von  jeher  nur  für  die  Adeliche 
und  Königl:  Bedienten  Leichen  privative  destiniret"  sei.  Eine 
Verfügung  vom  9.  März  1778  ordnete  an,  daß  „hinfüro  keiner, 
er  sey  von  welcher  Religion  er  wolle,  seine  Todten  auf  diesem 
Kirchhofe  zu  beerdigen  Fug  und  Macht  haben"  solle  „als  nur 
derjenige,  welche  etwa  auf  demselben  schon  ex  jure  qvaesito 
eine  Gewölbe  hat,  alle  andere  Leichen"  sollten  „auf  dem  St. 
George-Kirchhofe  beerdiget  werden."  Dieser  („bey  der  St.  Ge- 
orgen Kirche")  wiederum  war  ein  „allgemeiner  Kirchhof,"  „auf 
welchem  Leichen  nicht  nur  der  Einwohnern  vilioris  Conditionis, 
sondern  eximirter  Personen,  Herrn  Officiera,  ihrer  Gemahlinnen 
und  adelichen  Kinder,  ohne  Unterschied  beerdiget"  wurden. 

Die  Reformierten  beerdigten  auf  dem  Kirchofe  der  Bar- 
tholomäus -  Kirche. 

Endlich  kam  die  Gemeinde  zu  einem  eigenen  Begräbnis- 
platz, indem  ihr  der  Vizebürgermeister  Reinhold  Dziack  durch 
Testament  vom  Jg'  |*  1778  ein  Landstück  eigens  zur  Anlegung 
eines  Kirchhofs  vermachte.  Obwohl  Dziack  schon  im  folgenden 
Jahre  starb,    gelangte    die  Kirchengemeinde    doch    erst  1784    in 


57)  Königl.  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Fach  51  ee,  Et.  Min. 


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372      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

den  unumschränkten  Besitz  jener  Landfläche08).  Dieser  Platz 
wird  heute  noch  von  der  Gemeinde  als  Friedhof  genutzt;  er 
liegt  an  der  nach  dem  Dorfe  Crossen  führenden  „Schanzen- 
straße." 

Die  Gemeinde  war  nun  zwar  der  Not  enthoben,  sich  des 
lutherischen  Kirchhofes  bedienen  zu  müssen,  sie  blieb  aber  durch 
das  Fehlen  eigenen  Geläutes  —  und  noch  bis  heute  —  der 
lutherischen  Gemeinde  gegenüber  bei  jeder  vorkommenden  Be- 
erdigung in  einer  abhängigen  Stellung.  Die  Verwaisung  der 
reformierten  Gemeinde  nach  des  Predigers  Waghas  Tode  brachte 
sie  der  lutherischen  Gemeinde  sehr  nahe;  zu  vielen  Amts- 
handlungen mußte  sie  wegen  der  damals  beschwerlichen  Post- 
und  Wegeverbindung  nach  Elbing  die  lutherische  Geistlichkeit 
in  Anspruch  nehmen.  Es  waren  aber  nicht  nur  äußere  Amts- 
handlungen, die  von  den  lutherischen  Geistlichen  an  den  Be- 
formierten ausgeübt  wurden,  auch  Handlungen,  die  im  Grunde 
nur  dem  reformierten  Prediger  zukamen,  waren  zum  Teil  in 
ihre  Hände  übergegangen;  hierhin  gehörte  der  Konfirmanden- 
Unterricht  und  die  Einsegnung  der  reformierten  Kinder69),  die 
Kirchenbuchführung60)  und  die  Begleitung  der  Leichen.  Sehr 
bezeichnend  für  die  beiderseitigen  Beziehungen  war  der  Anspruch 
der  lutherischen  Gemeinde  auf  Zahlung  von  Stolgebühren  an 
ihre  Kirchenbeamten,  auch  wenn  die  Beformierten  von  ihren 
Diensten  keinen  Gebrauch  gemacht  hatten. 

Der  Superintendent  Jedosch  war  der  reformierten  Gemeinde 
gegenüber  immer  sehr  tolerant  gewesen,  und  doch  hielt  er  diesen 
Anspruch  trotz  Gegenvorstellungen  aufrecht. 


58)  Durch  Vergleich  vom  ^-—  1784,  genehmigt  vom  Ref.  Kirchen- 
Direktorium  unterm  28. 10. 1784.    (Abschrift  im  ref.  Pfarrarchiv,  Aktenst.  Nr.  63). 

59)  Schon  an  anderer  Stelle  wurde  berichtet,  daß  erst  wieder  mit  dem 
Jahre  1851  der  reform.  Konfirmandenunterricht  und  die  Einsegnung  in  die  Hand 
der  reform.  Prediger  übergegangen  war. 

60)  Wohl  seit  1807  und  bis  1850  wurden  die  von  der  luther.  Geistlichkeit 
an  den  Reformierten  vorgenommenen  Amtshandlungen  in  die  luther.  Kirchen- 
bücher eingetragen;  der  reform.  Prediger  erhielt  am  Jahresschlüsse  nur  eine 
summarische  Mitteilung. 


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Von  Ernst  Machholz.  373 

Hierin  konnte  erst  eine  Verfügung  der  Königlichen  Re- 
gierung zu  Königsberg  vom  21.  August  1811  Klarheit  schaffen. 
Bei  der  Wichtigkeit,  die  diese  Verfügung  für  die  reformierte 
Gemeinde  immer  behalten  wird,  folgt  sie  hier  wörtlich: 

„An  den  Superintendenten  Jedosch,  Hoch  würden  in 
Pr.  Holland. 

Wir  eröffnen  Ihnen  auf  die  in  dem  Bericht  vom  7.  d.  Mts. 
gemachte  Anfrage,  daß  die  dortigen  Reforrairten  auch  jetzt, 
da  sie  ihren  Prediger  nicht  zur  Stelle  haben,  blos  für  den  Ge- 
brauch der  Glocken  bei  den  Begräbnissen  die  Gebühren  an  die 
lutherische  Kirche  zu  bezahlen  haben,  und  es  also  bei  der  bis- 
herigen Einrichtung  verbleibet,  daß  sie  weiter  keine  Gebühren 
an  die  lutherische  Kirche  und  deren  Bediente  entrichten  dürfen, 
und  daß  das  in  Hinsicht  der  Katholiken  angeführte  hier  keine 
Anwendung  findet." 

Aber  bald  war  diese  Bestimmung  in  Vergessenheit  geraten. 
Erst  Faber  (1843—1856)  gelang  es,  den  alten  Rechtszustand  der 
reformierten  Gemeinde  wiederherzustellen  und  sie  von  dem 
Parochialzwange  der  lutherischen  Gemeinde  zu  emanzipieren. 

Die  Kirchenbuohführung  und  die  Unterrichtserteilung  sowie 
Einsegnung  der  reformierten  Kinder  fiel  also  in  die  Hände 
des  reformierten  Geistlichen  zurück;  wegen  der  Begräbnisse  hatte 
die  Königliche  Regierung  dem  damaligen  Superintendenten  Volk- 
mann in  Pr.  Holland  eröffnet,  wie  es  nicht  angemessen  er- 
scheine, den  Reformierten,  wenn  sie  sich  bei  ihren  Beerdi- 
gungen ihres  eigenen  Kirchhofes  und  nur  des  Geläutes  der 
evangelisch-lutherischen  Kirche  bedienen,  außer  dem  tarifmäßigen 
Glockengelde  noch  andere  an  die  letztgedachte  Kirche  und  deren 
Diener  zu  entrichtende  Gebühren  aufzulegen. 

Seitdem  sind  wohl  keine  den  Kirchhof  der  reformierten 
Gemeinde  angehende  Bestimmungen  von  den  Aufsichtsbehörden 
getroffen  worden.  —  Seine  Verwaltung  und  Unterhaltung  unter- 
steht der  Kirchengemeinde  und  dem  diese  repräsentierenden 
Presbyterium. 


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374      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Ein  Grundbuchblatt  ist  von  dem  Kirchhofe  zurzeit  nicht 
vorhanden. 

8.  Das  Inventarium. 

Von  den  im  Eigentum  der  Gemeinde  befindlichen  Inven- 
tarienstücken  sind  als  bemerkenswert  die  silbernen  Tauf-  und 
Abendmahlsgeräte  hervorzuheben,  und  zwar: 

1.  eine  sechseckige  Weinkanne  mit  Schraubdeckel  und  ver- 
goldeten Kanten,  nach  der  Inschrift  auf  derselben  von  den  Ge- 
brüdern G.  W.  und  B.  D.  von  Bodeck  der  reformierten  Schloß- 
kirche in  Holland  geschenkt  am  14.  Mai  1700,  deren  Wappen 
sich  auf  einer  Seitenfläche  befindet, 

2.  eine  schöne  getriebene  silberne  Taufschale,  ein  Geschenk 
des  Amtshauptmanns  Heinrich  von  Houwald  und  seiner  zweiten 
Gemahlin  D.  Charlotte,  geborene  von  Tettau,  worauf  das  Wappen 
des  Ersteren  und  die  Initialen  H.  V.  H.  und  D.  0.  V.  T.  auf 
der  Schale  hindeuten. 


9.  Ein  Kirchensiegel61) 

führte  die  Gemeinde  bereits  im  Jahre  1726.  Es  zeigte  als 
Devise  einen  in  einem  Blumentopfe  stehenden  dürren  Rosenstock 
und  eine  Hand,  welche  ihn  mit  einer  Gießkanne  begießt;  die 
Überschrift  lautet:  FERENDUM  ET  SPERANDUM,  die  Um- 
shrift  lautet:  Sigill.  Eccles.  Reform.  Holland68).  Die  Devise  ist 
entlehnt  einem  Werke  des  Saavedra,  welches  den  christlichen 
Fürsten  darstellt,  wie  er  sein  soll,  und  zwar  in  der  Weise,  daß 
an  der  Hand  von  hundert  auch  abgebildeten  Symbolen  (Devisen) 


61)  Diese  Beschreibung  ist  entnommen  aus  Conrad  „Pr.  Holland  ciost 
und  jetzt",  1897,  Seite  200,  201. 

62)  Nach  einem  Bericht  de«  Predigers  Marees  d.  d.  Pr.  Holland  172<> 
Noveinb.  26  beruht  die  Devise  auf  Saavedrae  Idea  Principis  Christ.  Politi 
Symbol.  XXXIV  pag.  m.  265.  (cfr.  Protoc  Ecclesiast.  Hollandiae  1726  ira 
Archiv  der  Gemeinde). 


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Von  Ernst  Machholz.  375 

die  Tugenden  desselben  exemplifiziert  werden;  so  durch  das 
34.  Symbol  die  Geduld,  welche  nicht  den  Mut  verliert,  wo  nicht 
gleich  —  wie  bei  dem  dürren  Rosenstock  -  Frucht  und  Blüte 
sich  zeigt.  Der  Spruch  soll  nach  dem  Verfasser  von  Empedocles 
herstammen  und  später  das  Symbol  des  Kaisers  Makrinus  ge- 
wesen sein. 

Ein  späteres  Siegel  der  Gemeinde  zeigt  ein  aufgeschlagenes 
Buch  mit  der  Aufschrift:  BIBILA  (statt  BIBLIA^  und  der  Um- 
schrift: SIEGEL  DER  REF.  KIRCHEN  ZV  PR.  HOLL.  U. 
RIESENB. 

Das  neueste,  gegenwärtig  benutzte  Siegel  zeigt  ein  auf- 
geschlagenes Buch  mit  den  griechischen  Buchstaben  A  und  0 
(nach  Offenbar.  Joh.  1,  8)  und  der  Umschrift:  REFORMIERTE 
KIRCHE.     PREUSSISCH  HOLLAND. 


10.  Die  Schule. 

Über  der  Gründung  und  den  ersten  Schicksalen  der  refor- 
mierten Schule  zu  Pr.  Holland  schwebte  kein  glücklicher  Stern. 
Abergläubische  Leute  mögen  das  Mißgeschick  während  ihrer 
Gründungsjahre  wohl  mit  dem  traurigen  Los  ihres  Stifters,  des 
unglücklichen  Predigers  Marees,  in  Zusammenhang  bringen.  — 
Jedenfalls  waren  die  Anfänge  der  Schule  ungewöhnlich. 

Bis  zur  Ankuft  des  Predigers  Marees  in  Pr.  Holland  (1726) 
besuchten  die  reformierten  Kinder  der  Stadt  die  lutherische 
Schule,  „woselbst  sie  wenig  profitirten".  Dieser  Umstand  und 
der,  daß  die  Gemeinde  einiges  Vermögen  besaß,  aus  dem  sie  zum 
Unterhalte  eines  Lehrers  beisteuern  konnte,  veranlaßten  Marees, 
Schritte  wegen  Anstellung  eines  solchen  in  die  Wege  zu  leiten. 
Er  wandte  sich  —  im  Einverständnis  des  Presbyteriums  —  zunächst 
an  den  Inspektor  Schrot berg  nach  Königsberg.  Seine  Gemeinde, 
berichtete  er,  besäße  zur  Zeit  ein  Kapital  von  3583  Gulden 
10  Groschen,  aus  dessen  Zinsen  sie  einen  Schulmeister  bezahlen 
könnte.  Sie  wäre  aber  gern  mehr  beizutragen  willig,  auch  mensam 
ambulatoriam  würde  sie  ihm  stellen,  daneben  solle  er  von  jedem 


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376      D'e  Geschichte  der  reformierten  Kirchen  gemeinde  Pr.  Holland  etc. 

Kinde  quartaliter  einen  Thaler  erhalten.    Ein  reform.  Schulmeister 
könnte  in  Pr.  Holland  wohl  „sein  stückgen  Brod  finden". 

Noch  in  demselben  Jahre  (im  Dezember)  gehen  Prediger 
und  Kirchenvorsteher  direkt  an  das  Reformierte  Kirchen  - 
Direktorium.  Sie  führen  in  ihrem  Antrage  aus,  daß  jetzt  das  von 
Christoph  Friedrich  Grafen  zu  Dohna  und  dem  Rittmeister 
Bellimont  und  Reinhold  Bobi  (?)  „hierzu  expresse  legirte  Capital" 
auf  4177  Gulden  10  Groschen  angewachsen  sei,  von  dessen 
Zinsen  50  Thaler  zur  Lehrerbesoldung  verwendet  werden  könnten, 
dazu  käme  der  Freitisch,  20  Groschen  polnisch  vierteljährlich  von 
jedem  Kinde,  ferner  freies  Holz  und  ein  „Jahrmarktsgeld". 

Das  Reformierte  Kirchen-Direktorium  genehmigte  die  Vor- 
schläge. 

Jetzt  handelte  es  sich  um  die  Besorgung  eines  geeigneten 
Lehrers.  Ein  Bewerber  fand  sich  sehr  bald  in  der  abenteuerlichen 
Person  eines  Johann  Ernst  Wegner.  Nach  seinen  Personalien 
befragt,  gab  er  an,  aus  Dommerkau  in  polnisch  Littauen  zu 
stammen  und  Student  der  Theologie  zu  sein;  Zeugnisse  könne 
er  zwar  nicht  aufweisen,  da  sie  ihm  mit  vier  Hemden  im 
„Weißen  Schwan"  zu  Elbing  gestohlen  seien.  Dafür  legte  er 
aber  ein  sehr  günstiges  Zeugnis  eines  Herrn  Albrecht  v.  Bande- 
meur  aus  Demmin  vor,  dessen  Kinder  er  angeblich  unterrichtet 
hätte.  Der  Hofprediger,  Inspektor  Joh.  Jac.  Schrotberg,  gab 
Wegner  an,  kenne  ihn  sehr  gut  und  des  reformierten  Predigers 
Cannot  Vater  in  Königsberg  sei  einst  sein  Rektor  gewesen.  — 
Um  sich  der  Richtigkeit  dieser  Angaben  zu  versichern,  bat 
Marees  Schrotberg  um  Auskunft.  Ehe  diese  in  Pr.  Holland  ein- 
treffen konnte,  vergingen  einige  Tage  und  der  junge  Schulamts- 
bewerber  benutzte  die  Zeit,  um  sich  bei  Nacht  und  Nebel  aus  dem 
Staube  zu  machen,  „weilen  vielleicht  seine  garstige  Lebensarth 
würden  entdecket  werden".  Aus  Königsberg  kam  dann  auch 
bald  die  Nachricht,  daß  Wegner  dort  unbekannt  sei. 

Um  Kandidaten  für  die  zu  gründende  Schule  war  man 
indes    nicht    verlegen.     Unmittelbar    darauf   hatte  Marees  einen 


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Von  Ernst  Machholz.  377 

Studenten  aus  Königsberg,  Michael  Friedrich  Müller  M),  in  Aus- 
sicht. Ob  Müller  hier  das  Amt  antrat,  ist  ungewiß.  1729  war 
bereits  bei  der  Schule  ein  Rektor  Conrad  Friedrich  Reinsch 
aus  Berlin,  der  aber  schon  nach  einvierteljährlicher  Tätigkeit 
die  Stelle  aufgab.  Welche  Gründe  ihn  bewogen  haben  mögen, 
nach  so  kurzer  Beschäftigung  Pr.  Holland  zu  verlassen,  sind 
nicht  bekannt  geworden.  Dieselben  Motive  dürften  der  Anlaß 
dazu  gewesen  sein,  daß  die  Stelle  in  den  folgenden  zwei  bis 
drei  Jahren  mit  dem  Glöckner  der  Gemeinde,  Johann  Peter 
Lucco,  besetzt  werden  mußte,  der  aber  „zur  Unterweisung  der 
Jugend  gar  nicht  bequem'*  war. 

Erst  dem  Prediger  Kleinschmidt  (1731 — 1735)  gelang  es, 
der  Schule  zu  einem  ordentlichen  Lehrer  in  der  Person  eines 
aus  der  Pfalz  gebürtigen  Johann  Mathias  Scheid t  (Scheit, 
Scheyd,  Scheydt)  zu  verhelfen.  Dieser  trat  wohl  1732  hier  das 
Rektoramt  an,  er  wird  in  dem  Kommunikantenregister  noch 
1756  genannt.  Scheidt  stand  dem  Schuldienste  ,.so  wohl"  vor, 
,,daß  auch  selbst  die  Luth ersehe  Herrn  Predigern"  bezeugten, 
„daß  sie  ihre  Kinder  Ihm  gerne  in  [die]  Schule  schicken  möchten, 
wann  sie  änderst  nicht,  dem  unverständigen  Urtheil  des  gemeinen 
Yolcks  dadurch  bloß  gestellet  würden". 

Soweit  das  Kommunikantenregister  Auskunft  gibt,  waren 
hier  nach  Scheidt: 

1757  Kantor  Heß, 

1757,  1767  Kantor  Sax, 
1772,  1776  Kantor  Johann  David  Schmidt, 
seit      1777  Kantor  Johann  Carl  Schmidt64), 
wohl    seit    1781    oder   1782  Johann  Friedrich  Pico,  als 
Rektor  und  Organist. 
Pico    entstammte    einer    schon    früh    in  Pr.  Holland    zuge- 
wanderten  Emigrantenfamilie,    die    in    den  Kirchenbüchern   als 
Picau,  Picaut,  Picod,  Picot  und  zuletzt  als  Pico  erscheint.     Von 


63)  Die  recht  interessante  Vokation  ist  als  Anlage  1  beigegeben. 

64)  Die  Vokation  ist  als  Anlage  2  beigegeben. 


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378      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

seinem  Vater  hatte  Johann  Friedrich  Pico  ein  Hausgrandstück 
mit  Braugerechtigkeit  geerbt,  das  im  Unglücklichen  Kriege  in 
tiefe  Verschuldung  geriet.  Mit  dem  Stelleneinkommen  von 
200  Gulden  und  dem  wenigen  Schulgeld  (er  hatte  „fast  lauter  arme 
Schulkinder")  konnte  Pico  schließlich  in  Pr.  Holland  sein  Aus- 
kommen nicht  mehr  finden.  So  benutzte  er  die  erste  günstige 
Gelegenheit,  die  hiesige  Stelle  aufzugeben.  Im  Jahre  1810  ging 
er  als  Kantor  nach  Pillau,  wo  er  schon  1813  oder  1814  starb. 

Pico  war  der  letzte  Lehrer  der  Anstalt.  Mit  der  Abnahme 
der  Gemeinde  war  naturgemäß  auch  ein  Sinken  der  Schülerzahl 
verbunden.  Wisselinck  sagt60)  1807,  Pico  bezöge  sein  Gehalt, 
ohne  das  Geringste  dafür  zu  tun,  denn  an  reformierten  Kindern 
mangele  es  beinahe  ganz  und  gar  und  jährlich  würde  kaum 
eins  konfirmiert,  schon  seit  einer  langen  Zeit  würde  nicht 
mehr  unterrichtet. 

Die  Verhältnisse  der  Schule  lagen  um  das  Jahr  1800  also 
recht  traurig,  und  es  wäre  damals  schon  sehr  gut  gegangen,  die 
Anstalt  aufzuheben,  doch  was  hätte  dann  mit  dem  Lehrer  getan 
werden  sollen,  der  in  diesem  Amte  grau  geworden  war?  Man 
rührte  also  nicht  an  dem  morschen  Gebäude  und  überließ  es 
ihm,  von  selbst  in  sich  zusammenzufallen. 

Im  Jahre  1810,  als  Pico  seiner  alten  Vaterstadt  den  Bücken 
kehrte,  war  denn  endlich  der  Zeitpunkt  erreioht,  an  dem  sich 
die  Schule  nach  noch  nicht  85 jährigem  Bestehen  auflöste. 

Über  ihren  Auflösungsakt  ist  keine  Nachricht  auf  uns 
überkommen;  still,  ohne  den  heute  üblichen  endlosen  Schrift- 
wechsel und  ohne  Sang  und  Klang  ist  sie  von  dem  Schauplatz 
des  öffentlichen  Lebens  zurückgetreten.  Bald  wurde  sie  ver- 
gessen. Die  heutige  Generation  weiß  nichts  mehr  von  ihrem 
einstigen  Bestehen. 


65)   Akten    „C.    I.    1'   im   ehemaligen    reform.    Superin  tendentur-  Archiv 
zu  Elbing. 


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Von  Ernst  Machholz.  379 

Anlage  1. 

Wir  Prediger  und  Kirchen  Eltesten  der  Reformirten  Gemeine 
alhier  in  Preüsch- Holland,  thun  kund  und  fügen  hiermit  zu 
wissen  demnach  von  E  Hochwürdigen  Kirchen  Directorio  zu 
Berlin  auf  unser  Gesuch  per  Rescriptum  de  dato  Berlin  von 
31.  Jan.  a.  c.  erlaubet  worden,  einen  Teütsch-Lateinischen  Schul- 
meister zu  halten,  und  uns  der  Ehrbahre  und  Wolgelahrte  Herr 
Michael  Prid :  Müller  in  Vorschlag  gebracht,  daß  wir  dannenhero 
resolviret,  Ihm  zu  Praeceptoren  hiesiger  Reformirten  Jugend  zu 
vociren  und  zu  bestellen.  Wir  thun  auch  solches  hierdurch  und 
in  Krafft  dieses  dergestalt  und  also: 

1.  Daß  Er  die  Jugend  die  Furcht  des  Herrn  als  der  Weiß- 
heit Anfang  beybringe,  vor  allen  Dingen  Gott  lernen  lieben,  dem 
Gebeth  fleißig  abwarthen,  auch  in  den  Gründen  des  Christen- 
thumbs  nach  Anleitung  des  zu  Berlin  recipirten  Heydelbergischen 
Catechismi  fleißig  die  Jugend  zu  unterrichten.  Und  daferne 
Blinder  von  einer  andern  Confession  die  Schule  frequentiren 
wolten,  soll  Er  dieselbe  nicht  gegen  der  Eltern  willen  nöthigen, 
den  Reformirten  Catechismum  zu  lernen,  sondern  in  solcher 
Stunde  den  Psalter  Davids  oder  geistliche  Lieder  so  sie  zu  Hause 
auswendig  gelernet,  hersagen  lassen. 

2.  Darauf  halten,  daß  die  Jugend  fleißig  den  Gottesdienst 
besuche,  zu  dem  Ende  am  Son  und  Feyertage  vor  der  Predigt 
in  der  Schule  die  Kinder  versamle,  in  guter  Ordnung  zur 
Kircheu  ein  und  ausführen,  beobachten,  daß  sie  in  der  Kirchen 
sich  still  und  züchtig  betragen,  den  Gesang  mit  behöriger  An- 
dacht abwarten  und  mit  singen,  in  währender  Predigt  und  Ge- 
beth alles  Geschwätzes  und  Muthwillens  sich  entschlagen  und 
nach  gehaltener  Predigt  in  der  Schule  examinire  was  sie  behalten. 

3.  Die  bestirnten  Stunden  als  des  Morgends  von  7  bis 
10  Uhr,  Nachmittages  von  2  bis  4  Uhr  fleißig  beobachten  und 
die  Jugend  in  latein,  lesen,  schreiben  und  rechnen  treulich  zu 
informiren,  vor  Anfang  und  Endigung  der  Information  vor  und 


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380      D*e  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

nach  dem  Gebeth  ein  Psalm  aus  den  Lobwasser  und  ein  geistlich 
in  den  Kirchen  üblich  Lied  alternatim  singe. 

4.  Auch  dahin  sehen,  daß  die  Einder  sich  reinlich  und 
manierlich  halten,  nicht  nur  in  studiis,  sondern  auch  in  moribus 
profitiren. 

5.  In  Züchtigung  der  Jugend  sich  alles  polterns  und  un- 
ziemlicher Hefitigkeit  enthalten  und  dagegen  alle  Väterliche 
Bescheidenheit  und  Massigkeit  gebrauchen,  doch  dergestalt,  daß 
wegen  der  mäßigen  schädlichen  Lindigkeit  oder  Verzärtlung  der 
Jugend  keine  Klagen  fürkommen. 

6.  Für  seine  Persohn  in  seinen  Ambt  und  Leben  mit 
Worten  und  Werken  sich  eines  ehrbaren  aufrichtigen  und  Gott- 
seligen Wesens  und  Wandels  befleißigen. 

7.  Keine  unnöthige  Reysen  anstellen,  und  wan  ja  ihme 
was  vorfiele,  es  jederzeit  bey  unserm  Presbyterio  gehörig  melden 
und  permission  suchen. 

8.  Daß  Er  Sr.  Königl.  Maj.  als  seiner  höchsten  Landes 
Obrigkeit  treu  und  hold  sey,  wie  getreue  Unterthanen  gegen 
ihrer  Obrigkeit  gebühret  und  wol  anstehet,  sich  in  allen  von 
Ihro  oder  dero  in  Gott  ruhenden  Vorfahren  publicirten  und  noch 
zu  publicirenden  Verordnungen  und  Decreten  gehorsamlich  unter- 
werffen,  auch  der  Jugend  allen  der  höchsten  Obrigkeit  schuldigen 
Respect  Lieb  und  Furcht  wol  einbilden,  sodann,  daß  sie  ihren 
Eltern,  hohen  Befehlshabern,  Predigern  und  allen  Vorgesetzten 
schuldige  Ehrerbietung  erweisen  sollen. 

9.  Auch  seine  Bedienung  nicht  verlasse,  er  habe  dann  bey 
unsern  Presbyterio  dessen  Uhrlaub  genommen  und  sey  von 
demselben  seiner  geleisteten  Pflichten  gebührlich  dimittiret. 

Da  hingegen  haben  Wir  ihm  für  solche  seine  Ambts- 
Verrichtung  jährlich  hundert  und  funffzig  Gulden  polnisch  aus 
unsern  Kirchen  Gefällen  zu  heben  versprochen,  auch  mensam 
ambulatoriam  procuriret,  und  von  jeden  Kinde  quartaliter  zwantzig 
grosohen  polnisch,  ingleichen  Jahrmarckt  und  Holtz-Geld,  wie 
sonsten  in  andern  Schulen  gebräuchlich  zu  gesaget.  Gestalt 
ihm  dann  dieses    sein  Quartal    mit   sieben    und    dreißig  Gulden 


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Von  Ernst  Machholz.  381 

i 

funffzehn  Groschen  polnisch  gegen  Ouitung  gereichet  und  damit 

von  Reminiscere  bis  Trinitatis  jetzlauffenden  Jahres  der  Anfang 

gemachet  werden  soll. 

Urkundl.  unter  unserer  eigenhändige  Unterschriffib  und  der 

Kirchen    aufgedruckten  Insiegel.     So    gegeben    Preüsch  Holland 

d.  5t.  Martii  1727. 

Fridrich  Adolph  Marees. 

(L.  S.)  Johann  Dziaok. 

Jacob  Bestvater. 

Anlage  2. 

Seiner  Königl:  Majestaet  von  Preußen,  zu  dero  Evangelisch 
Reformirten  Kirchen  Directorio  Wir  Verordneten  "Würcklioher 
Geheimer  Etats  und  Justiz  Ministre  auch  Chef  President  und 
Räthe,  Thun  Kund  und  fügen  hiemit  zu  wissen ;  Demnach  durch 
den  Todt  des  Johann  David  Schmidt  der  Cantor-  Küster- 
und Schulmeister  Dienst  bey  der  Evangelisch  reformirten  Ge- 
meine zu  Preusch  Holland  erledigt  und  zu  dessen  wieder 
besetzung  Uns  von  dem  dortigen  Inspector  und  Prediger  den 
Johann  Carl  Schmidt,  als  ein  dazu  überall  geschicktes  auch 
sonst  gehörig  qualificirtes  Subjectum  in  Vorschlag  gebracht  und 
angerühmt  worden:  so  haben  Wir  diesen  Vorschlag  genehmiget, 
verordnen  und  bestellen  dahero  ihn  Johann  Carl  Schmidt 
hiemit  zum  Cantor-  Küster-  und  Schulhalter  bey  vorgedachter 
reformirten  Gemeine  zu  Pr:  Holland,  Thun  auch  solches  hie- 
durch  und  in  Kraft  dieses  dergestalt  und  also:  Daß  gleich  seinem 
Antecessori  und  nach  Erfordern  er  solchen  Kirchen  und  Schul- 
Dienst  Treu  und  fleißig  verwalte,  hier  unter  alle  Anweisung  des 
ihm  Vorgesetzten  Inspectoris  und  Predigers,  bey  Visitation  der 
Schule  und  sonst  gebührend  willigst  annehme  und  schuldigst 
befolge,  also  und  insonderheit  die  Jugend  im  Lesen,  Schreiben 
und  Rechnen,  vornehmlich  aber  im  Catechismo  pflichtmäßig 
unterweise,  die  zum  Unterricht  bestimmte  Stunden  gehörig  ab- 
warte, der  Jugend  mit  einem  rühmlichen  Exempel  vorgehe  und 
im  übrigen  sich  dergestalt  betrage,    wie  es  einem  rechtschafnen 

Altpr.  MonaUschrüt  Bd.  XLII.  Hft.  5  u.  6.  25 


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382      Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  etc. 

und  gewissenhaften  Cantor,  Küster  und  Schulmeister  wohl  an- 
stehet und  gebühret,  er  es  auch  gegen  Gott  und  Uns  zu  ver- 
antworten sich  getrauet.  Dahingegen  und  für  solche  seine  Ambts 
Verrichtungen  und  Dienste  hat  er  Johann  Carl  Schmidt  all- 
jährlich Einhundert  Gulden  Preußisch  Gehalt,  aus  dortigen 
Kirchen  Aerario,  mit  allen  zu  solchen  Diensten  gehörigen 
Emolumenten  gleich  seinen  Antecessoren  von  der  Zeit  an,  da 
des  letzteren  oder  dessen  Witwe  Hebung  cessiret,  nehmlich 
zuerst  für  das  Quartal  vom  Lten  April  bis  l.ten  Juli  a:  c.  mit 
resp:  25.  fl.  Pr:  zu  erheben  und  zu  genißen,  inngleichen  die 
Acht  Gulden  pr:  wegen  Biesenburg,  so  lange  der  Inspeotor 
und  Prediger  ihn  allein  dorthin  mit  zu  nehmen  gut  finden  wird. 
Urkundlich  unter  Unserm  größern  Insiegel  geschehen  und  ge- 
geben zu  Berlin  den  l*en  jul:  1777. 

(L.  S.).  v.  Dörnberg. 

Thym. 


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Verhandlungen  Polens 

mit  dem 

Kurfürsten  Georg  Wilhelm  im  Dezember  1627. 

Von 
Dr.  GustaY  Sommerfeldt. 


Am  6.  Juli  1626  landete  König  Gustav  Adolf  in  Pillau 
und  nahm  in  rascher  Folge  die  längs  des  Haffes  gelegenen 
Städte  bis  Marienburg  hin,  das  er  am  18.  Juli  besetzte.  Die 
überraschenden  Erfolge,  die  weit  hinausgingen  über  die  Plänke- 
leien, die  bis  dahin  zwischen  Polen  und  Schweden  in  Livland 
stattgefunden  hatten1),  machten  naturgemäß  in  Warschau  einen 
tiefen  Eindruck,  so  daß  man  nicht  nur  Truppenkräfte  in  jene 
Gegend  dirigierte,  sondern  auch  aufs  schleunigste  eine  gemein- 
same Aktion  mit  Kurbrandenburg  anzubahnen  bemüht  war. 

Koniecpolski,  der  polnische  Feldherr,  traf  bei  Dirschau  auf 
die  Schweden,  die  hier  ein  befestigtes  Lager  bezogen  hatten, 
wurde  indessen  geschlagen.  Auch  Kämpfe  bei  Mewe  und  Moh- 
rungen  fielen  zugunsten  der  Schweden  aus,  die  seitdem  bei 
Marienwerder  und  Stuhm  ihre  Stellungen  hatten,  und  auch  dem 
brandenburgisohen  Kontingent,  das  sich  im  Sommer  1627  nach 
langem  Zögern  zu  den  Polen  schlug,  Niederlagen  bereiteten. 
Die  Folge  war,  daß  zunächst  im  August  eine  Neutralität  zu- 
stande kam2),    die    am  22.  Oktober   dann    um    ein    halbes    Jahr 


1)  K.  Lohmeyer,  Gustav  Adolf  und  die  preußische  Regierung  im  Jahre 
1626  (Neue  preuß.  Provinzialbl.  63.  1860,  S.  343  ff.). 

2)  J.  G.    Droysen,    Geschichte   der   preußischen    Politik.     Bd.    III,    1. 
Leipzig  1861.     S.  65. 

25* 


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384       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

verlängert  wurde,  indem  eine  Gesandtschaft  der  preußischen 
Stände  unter  Führung  des  Obermarschalls  Andreas  von  Kreytzen 
in  persönlicher  Unterhandlung  mit  dem  Schwedenkönig  zu  Elbing 
den  Vertrag  abschloß. 

In  der  Gegend  von  Stuhm  nun  beim  Dorfe  Honigfeld  hatten 
am  2.  September  1627  andere  Verhandlungen  stattgefunden,  die 
einen  direkten  Ausgleich  zwischen  Polen  und  Schweden  be- 
zweckten, aber  resultatlos  verliefen.  Unter  den  polnischen  Ab- 
geordneten wird  uns  hier  Magnus  Ernst  von  Dönhofi,  Haupt- 
mann von  Dorpat  und  .  polnischer  Hof  Junker  und  Oberst,  ge- 
nannt1), der  später  weit  ansehnlichere  Rollen  mit  mehr  Glück 
im  öffentlichen  Staatsleben  noch  spielen  sollte2). 

Georg  Wilhelm  erschien  zum  Schutz  des  bedrohten  Her- 
zogtums persönlich  in  Preußen  und  schlug  seine  Residenz  in 
Königsberg  auf,  von  wo  aus  er  vergeblich  bemüht  war,  vermittelnd 
zwischen  den  beiden  kriegführenden  Mächten  zu  wirken8). 
Nach  Königsberg  wurde  Dönhoff  dann  im  Dezember  1627  zwecks 
Unterhandlungen  mit  Georg  Wilhelm  im  polnischen  Interesse 
entsandt  und  ihm  eine  aus  Warschau  datierte  ausführliche  In- 
struktion mitgegeben4),  die  zunächst  die  Münzfrage  ins  Auge 
faßte,  dann  die  Schließung  der  Ostseehäfen  und  Unterbindung 
des  Handels  für  die  Dauer  des  Krieges  empfahl,  endlich  die 
zwecks  Erreichung  des  Friedens  mit  Schweden  zu  ergreifenden 
Maßregeln  darlegte,  wobei  Dönhoff  auch  auf  die  bestimmten  Zu- 


Dlsr.  Hoppe,  Geschichte  des  ersten  schwedisch-polnischen  Krieges, 
herausgegeben  von  M.  Toeppen.    Leipzig  1887.     S.  203. 

2)  In  älterer  Zeit  hatte  Dönhoff  schon  einer  polnischen  Gesandtschaft 
angehört,  die  den  Schweden  mit  Vollmacht  vom  6.  und  7.  Juli  1625  For- 
derungen des  Polenkönigs  überbrachte.  Th.  Hiärn,  Ehst-,  Lyf-  und  Lett- 
ländische  Geschichte,  hrsg.  von  C.  E.  Napiersky  (in:  Monumenta  Livoniae 
antiquae.    Bd.  II  Riga  1839.     S.  5). 

3)  Droysen  a.  a.  O.  S.  65. 

4)  Lemberg,  Bibliothek  des  Ossolinskischen  Instituts  Codex  209.  Blatt 
85—86.  Es  enthalt  dieser  Band,  dessen  Schriftstücke  sonst  meist  in  polnischer 
Sprache  abgefaßt  sind,  die  Kanzellariatsakten  aus  der  Zeit  des  Jakob  Zadzik, 
Bischofs  von  Kulm,  in  den  Jahren  1626—1628. 


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Von  Gustav  Sommerfeldt.  385 

Sicherungen  hinweisen  sollte,  die  eine  Gesandtschaft  des  Kur- 
fürsten an  König  Sigismund  ITC,  seinen  Schwager,  in  zuvor- 
kommender Weise  schon  gemacht  hatte.  Es  wird  Dönhoff  aber 
anbefohlen,  über  alle  Punkte  nur  die  Meinung  des  Kurfürsten 
auszukundschaften,  und  sich  in  speziellerer  Weise  dann  klar  zu 
werden  über  die  Basis,  auf  der  dieser  beabsichtigen  möge,  das 
Friedens  werk  zu  einem  gedeihlichen  Abschluß  zu  bringen1). 

„Instructio,  ex  cuius  praescripto  generosus  Magnus  Ernestus 
Dönhoff,  capitaneus  Derpatensis,  sacrae  regiae  maiestatis  aulicus, 
legatione  nomine  eiusdem  maiestatis  apud  illustrissimum  prinoipem 
dominum  electorem  Brandeburgicum  fungi  debet.  Data  Varsa- 
viae  die  .  .*)  mensis  Decembris  anno  domini  1627."  „Cum  sacrae 
regiae  maiestati,  domino  nostro  clementissimo,  ao  reipublicae 
intersit,  ut  legatio  haec  quam  primum  expediatur,  dabit  operam 
dominus  legatus,  ut  recta  Regiomontum,  aut  ubi  illustrissimum 
electorem  esse  cognoverit,  nullibi  immorando  sese  conferat,  ac 
ubi  accessum  ad  illustrissimum  electorem  habuerit,  inprimis  pa- 
ternum  sacrae  regiae  maiestatis  affeotum  propensique  animi 
Studium  suae  maiestati  testabitur,  neo  non  diuturnam  prospe- 
ramque  incolumitatem,  felicesque  actionum  et  consiliorum  suc- 
cessus,  faustaque  ac  prospera  omnia  precabitur,  deinde  redditis 
fidei  literis  legationem  Latino  vel  Germanico  idiomate  ad  hunc 
sensum  prosequetur.  Existimat  sacra  regia  maiestas  dominus 
noster  c lernen tissimus  illustrissimum  electorem,  uti  feudatarium 
suum  et  reipublicae  principem,  ita  omnes  feudalis  iuris  ac  officii 
rationes  secum  expendere,  ut  probe  intelligat,  quam  et  ipse  et 
ducatus  Prussiae  a  regno  Poloniae  velut  membrum  a  corpore 
dependeat,  quidve  praescripta  regiminis  formula,  quod  pactorum 
feudalium  iura  fidesque  ac  officium  a  sua  maiestate  requirunt. 
Hinc  ob  eum  cum  reliquo  reipublicae  corpore  nexum,  ita  omnia, 
quae  ad  publicam  regni  tr  an  quill  itatem  atque  utilitatem  tuendam 


1)  Über  die  Mangelhaftigkeit  der  preußischen  Einrichtungen   zur  „Defen- 
sion"  siehe  Lohmeyer  a.  a.  O.  H.  343—344  und  Hoppe  a.  a.  O.  S.  187. 

2)  Das  Datum  hat  der  Verfertiger  der  Kanzleihandschrift   offen  gelassen. 


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386       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

et  propagandam  spectant,  illuc  quoque  derivantur,  ut  commoda 
ornamentaque  omnia  regni  cum  illustritate  sua  ducatuque  Prus- 
siae  communia  esse  videantur.  Ea  de  causa  cum  in  proxime 
celebratis  comitiis  nonnulla  publico  ordinum  deoreto  sancita1) 
sült,  quae  vel  ad  ornamentum  pacis,  vel  ad  belli  subsidium  per- 
tinere  videbantur,  eorundem  decretorum  publicorum  lege  ducatum 
quoque  Prussiae  comprehendi  debere  ordines  regni  censuerunt. 
Inprimis  vero  ad  utilitatem  publicam,  quae  vel  nixe  recta  rei 
administratione  monetariae  constat  pertinere,  visum,  ut  ad  futura 
comitia  cussione  monetae  minoris  cessetur.  Cum  vero  ex  for- 
mula  pactorum  res  monetaria  ducatus  Prussiae  a  valore  et  pon- 
dere  monetae  regni  dependeat,  ususque  monetae  ac  officinae  suae 
illustris  ßegiomontanae  iuxta  praescriptum  pactorum  cussae  cum 
moneta  regni  communis  sit,  non  potuit  ea  cessatio  in  officiis 
monetariis  regni  decerni,  quin  et  decreto  officinae  quoque  suae 
illustritatis  subiaceant.  Quare  paterne  sacra  regia  maiestas  do- 
minus noster  clementissimus  illustrissimum  electorem  hortatur, 
ut  legi  publicae  ea  in  parte  minime  refragari  velit,  quin  ostendat 
se  et  publicae  utilitati  et  supremi  dominii  autoritati  tantum  tri- 
buere,  quantum  par  est  principem  cognatum  pactisque  ac  foede- 
ribus  suae  regiae  maiestati  ac  reipublicae  adstrictum.  Ac  ea 
quidem  cussationis  lex  domestica  utilitatis  incrementum  spectabit, 
caeterum  altera  de  portubus  praecludendum  commerciisque  terra 
et  mari  interdicendum  ad  belli  gerendi  commoditatem  vel  nobis 
suppeditandam,  vel  hosti  eiusque  fautoribus  adimendum.  Com- 
meatu  nimirum  aliisque  rebus  binc  evehi  solitis  bosti  subtractis, 
qui  tantum  abest,  ut  impedito  portu  Gedanensi  reipublicae,  prout 
sperabat,  aegre  faceret,  ut  eadem  ad  sponte  occludendum  reliquos 
adduceret,  nihil  sibi  grave  ordinibus  inolyti  regni  huius  ducatibus, 
quam  non  religionis  libertatis  gloriae  causa  aequo  animo  ferre 
velint  ac  possint.  Quamobrem  eandem  legem  sibi  quoque  ser- 
vandam  illustrissimus  elector  dicet  portubus  in  ducatu  interclusis 
eo  quidem  alacrius,  quod  primum  isthic    belli    sedem    hostis  po- 


1)  Hs.:  sata  sint. 


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Von  Gustav  Sommerfeldt.  387 

suisset,  et  ad  inferendum  Prussiae  regali  bellum  fores  apertas  in 
ducatu  invenisset,  ao  tandem  subditos  illustritatis  suae  novis  et 
insolitis  ibidem  exactionibus  aggravasset.  Caeteris  item  rebus, 
quae  ad  subsidia  belli  in  comitiis  decreta  pertinent1),  non  am- 
bigit  Sacra  regia  maiestas  suam  illustritatem  fidei  ao  officio  suo 
minime  defuturam,  quin  potius  ultro  et  consilia,  opes  conatusque 
8uos  omnes  directuram,  ut  et  existimationem  suam  a  sinistris 
multorum  opinionibus,  et  ditiones  a  belli  calamitatibus  et  peri- 
culis  vindicet.  Sacra  quidem  regia  maiestas  dominus  noster 
clementissimus  tantum  sibi  de  illustritate  ipsa  persuadet,  ut 
etiam  belli  pacisque  consilia  cum  sua  illustritate  communicare 
minime  dubitet,  tantumque  suae  illustritatis  erga  se  et  rem- 
publicam  fidei,  tantum  mutuae  necessitudini  arctissimaeque  con- 
iunctioni  confidit,  ut  in  pacis  tractatione,  ad  quam  sese  ipsius 
illustritas  offert,  eius  etiam  opera  uti  cupiat,  ratus  fore  id  ad 
felicem  negotii  huius  successum  accommodatum,  si  cognato  et  multis 
beneficiis  obstricto  tractationem  pacis  committeret.  Quod  quidem 
eo  liberius  sacra  regia  maiestas  facit,  quod  sua  illustritas  per 
legatos  suos  regiae  maiestati  propensionem  et  alacritatem  suam 
ad  promovendum  pacis  negotium  ultro  declaraverit,  sibique  dari 
occasionem  testandae  hac  in  parte  erga  regiam  maiestatem  ac 
rempublicam  egregiae  voluntatis  poposcerit.  Quam  ob  rem  ea 
in  parte  mentem  suae  illustritatis  dominus  legatus  diligenter 
explorabit,  et  quo  pacto  pacificationis  negocium  suscipere  velit, 
dextre  et  prudenter  expiscabitur,  demum  responsum  in  scriptis 
a  sua  illustritate  flagitabit,  seque  quam  celerrime  expediri  et 
dimitti  postulabit.  Quae  omnia  dexteritati,  prudentiae,  fidei 
domini  legati  sacra  regia  maiestas  dominus  noster  clementissimus 
committit." 

Über  Dönhoffs  Aufnahme  in  Königsberg  war  aus  den  vor- 
liegenden Quellen  nichts  zu  ermitteln.  Die  Angelegenheit  kam 
aber    mit  der   von  dem  Polenkönig    gewünschten  Schnelle    zum 


1)  Hb.:  pertinet. 


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388       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

Abschluß,    indem  Dönhoff  unterm  30.  Dezember  1627    folgende 
Antwort  des  Kurfürsten  zugestellt  wurde1): 

,,Besponsum  eleotoris.  Ad  ea,  quae  nomine  sacrae  regiae 
maiestatis  Poloniae  et  Sueciae  domini,  cognati  et  affinis  nostri, 
parentis  looo  observandi  legatus  eiusdem  magnificus  et  generosus 
dominus  Magnus  Emestus  Denhoff,  capitaneus  Dorpatensis  et 
belli  prefectus,  proposuit,  nos  Georgius  Guilhelmus  etc.  mentem 
et  sententiam  nostram  sequentem  in  modum  filiali  pro  obser- 
vantia  declarandam  respondendumque  esse  duximus.  —  Prinio 
quidem  nos,  ut  feudatarius  sacrae  regiae  maiestatis  et  reipu- 
blioae  princeps,  ita  omnes  feudalis  iuris  ac  officii  raciones  nobis- 
cum  expendimus,  ut  probe  intelligamus,  quam  et  nos  et  ducatus 
noster  in  Prussia  veluti  membrum  ab  inclyto  regno  Poloniae  ceu 
corpore  dependeamus,  optime  ad  haec  memores,  quid  prae- 
scripta  regiminis  formula,  quid  pactorum  feodalium  iura  fidesque 
et  officium  nostrum  a  nobis  requirant.  Quae  omnia  ut  magni- 
ficus dominus  legatus  recte  allegavit  nobisque  in  memoriam  ex 
praescripto  instructionis  suae  revocare  voluit,  ita  libenter  ac 
examussim  pactis  Ulis  feudalibus,  tarn  antiquissimis  perpetuis 
quam  novissimis,  iuribusque  omnibus  exinde  dependentibus  in- 
haerebimus  ac  insistemus,  ac  ex  illo  praescripto  ac  tenore  ad 
capita  illa  quatuor  nobis  proposita  responsum  nostrum  depro- 
memus  et  formabimus  existimantes  nexum,  quo  ad  nos  et  ducatum 
nostrum  cum  reliquo  reipublicae  corpore  nullum  firmiorem 
diuturnioremque  esse  posse,  quam  si  pacta  illa,  quibus  divi 
antecessores  et  maiores  nostri  ducatum  hunc  nostrum  inclyto 
Poloniae  regno  unitum  membrumque  coniunctum  esse  voluerunt, 
sacrosancta,  salva  et  in  omnibus  intemerata  sint  permaneantque. 
Iis  vero  vel  obiter  saltem  discussis  examinatisque  luce  meridiana 
clarius  apparebit,  nos  et  ducatum  nostrum  iuribus  suis  et  decretis 
privilegiisque  ac  immunitatibus  peculiaribus  constare,  nee  secus 
constitutionibus  regni  sive  olim  tempore  antiquissimo  sive  noviter 


1)  Ebenfalls  abschriftlich:  Codex  209,  Bl.  86-92. 


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Von  Gustav  Sommerfeldt.  389 

modo  quocunqae  sancitis  et  laudatis  subiacere  ao  obstrictum 
esse.  Nescimus  exinde,  unde  hoc  provenerit,  quod  in  constitu- 
tionibus  binis  comitiorum  proxime  celebratorum  tarn  quoad  ces- 
8ionem  oudendae  monetae  minoris,  quam  conclusionem  portus 
nostri  Regiomontani  nös  et  ducatum  nostrum  per  expressum 
insertum  esse  intelligamus.  Nolumus  equidem  iis  in  refutandum, 
quantum  nos  et  ducatum  nostrum  attinet,  prolixi  esse,  cum  res 
per  se  sit  evidentissima  et  plane  nova,  atque  totum  hoc,  quid- 
quid  intercessit,  non  tarn  studio  et  voluntati  alicui  nobis  iuri- 
busque  ducatus  nostri  accendi  derogandique,  quam  vel  errori 
vel  favori  negocia  haec  maturandi  nimio,  idque  in  occupationibus 
profundissimis  adscribere  possumus,  quo  et  pro  hac  vice  repo- 
situm  esse  volumus  nulli  dubitantes  in  posterum,  ne  simile  quid 
fiat,  sacram  regiam  maiestatem  dominum  parentem  nostrum 
observandissimum  deligenter  serioque  prohibituram  ac  inter- 
dicturam  esse,  idque  paterne  et  dementer  praeterea  ouraturam 
ac  effecturam,  ut  tarn  iuribus  et  regalibus  nostris,  quam  immuni- 
tatibus  et  praerogativis  ducatus  nostri  omnibus  et  singulis  locus 
vigorque  maneat  integerrimus  et  illibatus.  Procedendo  autem 
ad  res  ipsas,  de  quibus  a  sacra  regia  maiestate,  domino  cognato 
et  affine  nostro  observandissimo,  per  magnificum  dominum  lega- 
tum  pro  affectu  paterno  et  beniguo  requirimur,  et  quidem  pro 
primo  rem  monetariam  quod  attinet,  intelleximus  constitutionem 
eo  in  negocio  sancitam  in  punctis  duobus  consistere,  scilicet  ut 
primum  nulla  pecunia  minuta  usque  ad  proxime  futura  comitia 
cudatur,  sed  solum  Joachimici  seu  taleri  integri  et  dimidii,  ut 
quidem  et  Joachimicus  argenti  puri  in  se  habeat  semunoias  qua- 
tuordecim  ad  instar  Joachimicorum  imperialium.  Ad  haec  deinde 
ut  Joachimici  omnes  vigore  constitutionis  superioris  pro  duobus 
cum  dimidio,  et  Ungaricales  pro  quatuor  florenis  Polonicalibus,  et 
non  maiori  expendantur  existimatione.  Huic  ergo  legi  publicae  ne 
refragari  velimus,  sed  ut  eadem  a  nobis  pariter  recipiatur,  in 
ducatu  nostro  observetur,  magnificus  dominus  legatus  regius 
sedulo  a  nobis  contendit,  ac  nomine  sacrae  regiae  maiestatis 
paterne  nos  hortatur,   partim  quod  recta  rei  monetariae  admini- 


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390       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

stratio  ad  utilitatem  publicam  inprimis  pertinere  constet,  partim 
quod  res  monetaria  ducatus  nostri  Prussiae  a  valore  et  pondere 
monetae  regni  dependeat,  ususque  monetae  in  officina  nostra 
ßegiomontana  cussae  cum  moneta  regni  communis  sit.  Quae 
omnia  ut  libenter  vera  esse  coguoscimus,  sie  pridem  tarn  intensio 
et  auetio  valoris  in  nummis  crassioribus,  quam  percussio  peeuniae 
aeris  minuti  minime  nobis  grata  fuit  aut  esse  potuit,  verum  ut 
utrumque  amoveretur  tollereturque,  ceu  res  communi  bono  per- 
niciosissima,  quove  malo  in  re  nostra  domestica  damnum  immen- 
sum  passi  sumus  proventibus  et  reditibus  nostris  ultra  dimidietatem 
imminutis  summopere  sategimus,  prout  actionem  aestimationis 
numismatum  grandiorum  vieibus  saepe  iteratis  et  severe  in  pro- 
vincia  hac  nostra  interdiximus,  nee  non  in  conventibus  rei  «um- 
mariae  causa  aliquando  in  regno  habitis  per  nostros  eo  ablegatos 
eius  commonef actionem  sedulam  fieri  nunquam  intermisimus, 
ipsimet  etiam  diu  ante  nummorum  illorum  minutorum  percussionem 
in  melius  reformassemus,  modo  id  aliquo  modo  fieri  potuisset; 
verum  cum  ea  in  re  necessario  nobis,  prout  magnificus  dominus 
legatus  ipsimet  commonefecit,  ad  monetam  regni  eiusque  per- 
cussionem respiciendum  fuit,  nihil  eiusmodi  a  nobis  cum  fruetu 
praestari  lieuit,  cum  provinciarum  regni  cum  ducatu  hoc  nostro 
ea  sit  coniunetio  et  vicinitas  continens,  ut  in  visu  commerciorum 
mutuo  nummorum  aequalitas  ac  aequivalentia  ex  parte  utraque 
necessario  requiratur.  Qua  vero  in  re  animi  nostri  sententiam 
nondum  adhuc  deposuimus  hoc  saltem  desiderantes,  ut  eo  in  passu 
aequitate  id  dietante  via  ordinaria  et  consueta  servata  fuisset, 
scilicet  ut,  antequam  in  negocio  monetario,  quod  nos  ducatumque 
nostrum  afficere  et  obligare  debeat,  quid  constitueretur,  conventus 
prius  indictus,  nosque  et  alii  ad  id  pertinentes  ordinarie  eo 
vocati,  atque  in  iure  nostro  nobis  competenti,  prout  moris 
antiqui  id  fuit  semperque  fieri  consuevit,  auditi  fuissemus,  ut 
ea  ratione  istud  ipsum  ex  unanimi  voto  et  consilio  agitatum 
ad  conclusionem  decretumque  publicum  perduci  potuisset.  Quia 
vero  mos  ille  solitus  nunc  est  expositus,  nosque  cum  dero- 
gatione    iuris    nostri    non    exigua    in    suffragio  nostro    perterriti 


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Von  Gustav  Sommerfeld t.  391 

sumus,  satis  patet,  decretum  illud  in  comitiis  factum  omni  iuris 
ex  ratione  minima  nos  obstrictos  habere  posse,  prout  sacra  regia 
maiestas  hoc  ipsum  perpendens  et  videns  approbationem  nostram 
legatione  hac  mediante  a  nobis  paterne  requirendam  esse  censuit. 
Ut  autem  res  se  habeat,  constitutum  tarnen  nihilominus  nobis 
est,  pecuniae  minutae  percussionem  fieri  non  debere,  modo  de 
eo  certi  esse  possimus,  quod  primo  pecunia  et  nummi  in  officina 
nostra  monetaria  Regiomontana  iam  cussi,  simulque  pari  passu 
cum  nummis  et  moneta  in  regno  Poloniae  magnoque  ducatu 
Lithuaniae  cussa,  prout  aequitati  in  recessibusque  vetustissimis 
ac  observantiae  omni  tempore  superiori  frequentata  convenien- 
tissimum  est,  ubique  in  regno  locorum  usuales  esse,  ac  sine 
ulla  contradictione  tum  mutuis  in  commerciis,  quam  apud 
tbesaurum  regni  erogari  recipique  debeant,  tum  deinde  si  con- 
stitutio  hac  in  re  scita  executioni  dabitur,  atque  cessationem 
percussionis  monetae  minutae  fore  constantem  deprehendimus, 
etiam  in  honorem  ac  ob  respectum  saorae  regiae  maiestatis  salvo 
tarnen  alias  iure  nostro  in  officina  nostra  monetaria  ab  eiusdem 
percussione  pecuniae  minutae  supersederi,  atque  solum  in  cu- 
densis  taleris  integris  et  dimidiis  eam  occupatam  esse  curabimus. 
Interim  vero  nullatenus  sperare  volumus,  quod  percussio  num- 
morum  in  argento  crassiorum  superflua  et  nimia  esse,  defectus- 
que  autem  numismatis  et  pecuniae  minutae  hinc  subsequi  debeat 
ac  possit.  Quo  casu  rem  in  vita  communem  usumque  domesticum 
et  familiärem  admodum  turbari  impeditumque  redditum  iri  facile 
perspici  licet.  Nam  pecunia  talis  minuta  in  officina  nostra  hac- 
tenus  in  numero  adeo  magno  percussa  non  fuit,  quemadmodum 
in  aliis  quidem  factum  esse  nobis  compertum  est;  valorem  insuper 
quod  attinet  pecuniae  crassioris,  nihil  nobis  gratius  acceptiusque 
esse  potest,  quam  si  is  in  constitutione  positus  in  regno  exacte 
servetur  atque  in  observantia  firma  permaneat,  nostra  ex  parte 
dabimus  operam,  ut  idem  valor  in  ducatu  nostro  vigeat  et 
observetur.  In  posterum  vero,  si  vix  et  modo  antiquo  per 
consuetudinem  recepto  ac  in  recessibus  praescripto,  prout 
modo    commemoratum     est,     exactius    rectiusque     inhaerebitur, 


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392        Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

quo  ut  res  haeo  dirigatur,  sacram  regiam  maiestatem  sua 
sponte  propensum  fore  nulli  dubitamus,  tum  omni  tempore  ita 
nos  exhibebimus,  ut  constare  evidenter  possit,  nos  omnem  suc- 
cessionem  ab  inclyto  regno  Poloniae  fugere  et  aversari,  potius- 
que  hoc  studere  ac  in  id  incumbere,  ut  ea  omnia,  quae  ex  bono 
publico  regni  et  ducatus  nostri  accenseri  possunt,  omni  loco  et 
tempore  diligentissime  attendantur  modoque  debito  statuantur, 
ac  effectui  rectissime  dentur.  Alterum  caput  propositionis  est 
de  portubus  in  ducatu  nostro  praecludendis  commerciisque  terra 
marique  interdicendis,  ne  ad  hostem  eiusque  fautores  commeatus 
aliaeque  res  devehi  possint.  Quod  postulatum  vero  ut  intentione 
bona  rationibusque  reipublicae  ad  famam  et  gloriam  inservien- 
tibus  niti  intelligimus,  sie  optandum  esset,  ut  hisoe  in  locis  ad 
effectum  aliqua  ratione  deduci  posset.  Qui  vero  status  tarn  por- 
tus  Filaviensis  ab  hoste  per  vim  insuperabilem  oecupati  et  adhuo 
obsessi,  quam  civitatis  nostrae  Regiomontanae  sit,  abunde  et 
saepius  antehac  sacrae  regiae  maiestati  tarn  per  litteras  quam 
per  legatos  et  internuncios  nostros  ostendimus  doeuimusque,  ita 
ut  portus  is  Pilaviensis  plane  ac  in  toto  nobis  nostraeque  pote- 
stati  ademptus,  hostis  violentiae  cesserit,  et  etiamnuno  subiaceat, 
civitatem  vero  nostram  Regiomontanam  per  induciarum  pacta 
iam  altera  vice  nobis  conservare  communemque  praestare  summa 
necessitate  adacti  fuerimus  indueiis  iis  ex  laudo  scitoque  or- 
dinum  ducatus  unanimi  constitutis  et  conclusis,  quae  etiam  con- 
sensu  nunc  sacrae  regiae  maiestatis  benignissimo  aeeeptae  approba- 
taeque  habentur.  —  Nihilominus  tarnen,  ne  videamur  bono  publico 
et  desiderio  ac  voluntati  sacrae  regiae  maiestatis  penitus  deesse 
velle,  totum  hoc  ordinibus  et  statibus  ducatus  nostri,  quos 
ad  continuationem  conventus  hactenus  intermissi  et  suspensi 
ad  diem  16.  Januarii  huc  iam  revoeavimus,  proponi  faciemus, 
quiequid  ab  illis  re  bene  deliberata  ac  perpensa  conclusum 
fuerit,  ad  sacram  regiam  maiestatem  quamprimum  et  sine 
mora  litteris  nostris  perscribemus.  Interim  autem  quoad 
portus  illos,  qui  vel  magnum  ducatum  Lithuaniae  vel  provincias 
regni  speetant,  ii,  ut  ex  formula  constitutionis  praeteritis  et  co~ 


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Von  Gustav  Sommerfeldt.  393 

mitiis  sancitae  occlusi  sint  et  habeantur,  nullatenus  refragamur 
impediamurque.  Quoad  belli  subsidia  a  nobis  subministranda, 
quod  tertiana  legionis  membrum  est,  non  dubitamus  sacram  regiam 
maiestatem  hucusque  satis  perspexisse  cognovisseque  nos  omni 
conatu  ac  studio  hoc  egisse  eoque  animum  nostram  alacriter 
ac  pro  virili  intendisse,  ut  fidei  officiique  nostri  debitum  rectissime 
explere  desiderioque  et  expectationi  sacrae  regiae  maiestatis 
satisfacere  possemus.  Quod  autem  eventus  cogitatis  et  coeptis 
nostris  non  pro  voto  in  omnibus  nostris  responderit,  nobis  adsoribi 
aut  culpae  nostrae  tribui  minime  posse  arbitramur.  Dabimus 
autem  operam,  ut  adhuo  fidei  nostrae  studioque  debito  omni  looo 
et  tempore  non  defuisse  nos  constare  luculenter  possit,  subsidia 
quoque,  quae  ex  praescripto  pactorum  persolvenda  praestandaque 
a  nobis  sunt,  ut  ea  rite  et  debite  adimpleantur,  omni  conatu 
annitemur.  Postremum  est,  quod  sacra  regia  maiestas  tantum 
de  nobis  persuasa  belli  pacisque  consilia  nobiscum  communicare 
minime  dubitet,  tantumque  fidei  nostrae  erga  se  et  rempublicam, 
tum  et  necessitudini  arctissimaeque  coniunctioni  confidit,  ut  in 
pacis  tractatione  nostra  etiam  opera  uti  cupiat,  rata  fore  id  ad 
felicem  negocii  huius  successum  accommodatum  iri,  si  nobis 
ceu  oognato  et  multis  beneficiis  obstricto  traotationem  pacis 
committeret,  idque  vero  eo  libentius  faciat,  quod  per  legatos 
nostros  propensionem  et  alacritatem  nostram  ad  pacis  negocium 
promovendum  ultro  declaraverimus  nobisque  occasionem  testandae 
hac  in  parte  erga  sacram  regiam  maiestatem  et  rempublicam 
egregiae  voluntatis  poposcerimus.  Quae  sane  persuasio  et  fiducia 
sacrae  regiae  maiestatis  de  nobis  praeclara  et  paterna  regia  non 
potest  nobis  esse  non  longe  inoundissima  gratissimaque  exoptantes 
ex  animo,  ut  vires  et  facultates  nostrae  tantae  esse  possint,  quantae 
ad  opus  tarn  arduum  et  grave  requiruntur.  Ne  tarnen  ea  in  re 
Studium  nostrum  per  legatos  nostros  indicatum  ac  ostensum 
aliter  ao  largius  a  quopiam  accipiatur,  quam  ab  animo  nostro 
sacrae  regiae  maiestati  ac  reipublicae  inserviendi  profectum  est, 
non  abs  re  fore  existimamus,  si  intentionem  et  mentem  hoc  in 
negocio  legatis  nostris  ad  sacram  regiam  maiestatem  perferendi 


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394       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

commissam,  his  paucis  repetierimus  atque  res  ita  sese  habet 
Quod  in  ipso  fere  articulo  discessus  legatorum  nostrorum,  quoe 
ad  saoram  regiam  maiestatem  destinaverimus,  domini  legati 
8tatuum  in  Belgio  provinciarum  confoederatarum  generalium 
ad  nos  venerint  atque  inter  alia  nobis  exposuerint,  postqnam 
a  suis  principalibus  ad  pacis  tractionem  huc  in  regnum 
Poloniae  amandarentur,  simul  hoc  se  mandati  accepisse,  ut 
eo  in  negocio  tractando  nostro  inprimis  consilio  nostra- 
que  direotione  uterentur,  impedimentis  vero  hucusque  sibi 
obiectis  variis  et  gravatione,  qnominus  maturius  citiusque  se 
ad  nos  conferre  potuerint  iam  tractatibus  illis,  qui  hactenus  se 
mediatoribus  intereesserunt,  non  tarn  ruptis  et  solutis  quam  sus- 
pensis  et  dilatis,  cum,  de  quibus  optima  spes  sit,  quod  illi  post 
comitia  regni  expedita  instaurari  debeant,  mandatis  sibi  dominis 
principalibus  suis  datis  satisfacere  nunc  voluisse  atque  exinde 
nos  rogarunt,  ut  operi  tarn  laudabili  et  pio  non  solnm  consilio 
et  autoritate  nostra  adesse,  sed  et  Studium  operamque  nostram 
adiungere  vellemus.  Quibus  autem  nullo  directo  et  cathegorico 
responso  dimissis  hoc  illorum  petitum,  ut  ad  sacram  regiam  maie- 
statem per  legatos  nostros  referretur,  operae  pretium  esse  duxi- 
mus  eiusmodi  pariter  mandatis  a  nobis  mandatis  additis, 
ut  ea  in  re,  quoad  negotium  interposicionis  et  traotationis,  ipsam 
mentem  et  voluntatem  saorae  regiae  maiestatis  expectare 
velimus,  paraturi  omnia  et  singula  ex  arbitrio  sacrae  regiae 
maiestatis  ceu  eius  et  reipublicae  principem  vasallum,  multis- 
que  et  summis  necessitudinibus  obstrictum  suscipere  et  prae- 
stare,  quae  ad  commodum  incrementumque  publicae  salutis 
pertinere  videri  possunt.  Hoc  tarnen  in  medio  et  voluntati 
sacrae  regiae  maiestatis  relicto  alterum  fuit,  quod  nos  non 
parum  concernere  existimabimus,  seriisque  ac  sedulis  precibus  a 
saora  regia  maiestate  contendi  iussimus,  ut  in  tractatione,  si 
quae  foret  reassumenda,  commissariis  a  sacra  regia  maiestate  et 
republica  deputatis  nostris,  etiam  aliquos  commissarios,  qui  ins 
nostrumque  interesse  observarent  custodirentque,  adiungi  a  nobis 
liceret.     Quae  bina  in  hoc  negocio  capita,  ut  minime  ambigimus, 


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Von  Gustav  Sommerfeldt.  395 

a  legatis  nostris  praescriptum  instructionis  exacte  ao  examussim 
esse  proposita  et  in  medium  prolata,  sie  eo  saltem  fine  haee 
commemorare  voluimus,  ne  malevolis  nostris  ansa  aliqua  prae- 
beatur,  de  novo  criminationes  suspicionesque  nefarias  adversus 
nos  personamque  nostram  confingendi  spargendique,  quod  tarn 
vero  facile  fieri  posset,  si  conatibus  et  coeptis  nostris  in  provincia 
hao  a  nobis  suseipienda  gravamina  finisque  seopus  propositus 
pro  salute  publica  promovenda  restituendaque  ex  voto  omnium 
communi  et  nostro  non  succederet;  operam  equidem  nostram  a 
dominis  legatis  Belgicis  calamitatis  publicae  et  nostrae  etiam 
communis  sublevandae  amovendaeque  causa  a  nobis  requisitam 
negare,  nee  pium  nee  iustum  fuisset,  ad  quam  tarnen,  ut  non 
nisi  ex  voluntate  et  iudicio  sacrae  regiae  maiestatis  sapientissimo 
gravissimoque  nos  accingeremus,  tarn  observantiam  et  respectum 
erga  sacram  regiam  maiestatem  nostrum  convenientem,  quam 
causae  ipsius  gravitatem  postulare  exigereque  nobis  visum  fuit. 
Accepta  vero  nunc  et  cognita  sententia  et  mente  sacrae  regiae 
maiestatis  benigne  assentientis,  ut  ad  promovendum  pacis  negocium 
operam  partesque  nostras  simul  cum  legatis  Belgiois  iis  id  sie  postu- 
lantibus  interponamus,  animo  propensissimo  provinoiam  eam  trac- 
tatuum,  qui  restaurari  debent,  ad  pacem  moderandorum  in  nos  susoi- 
pimus,  eaque  sinceritate,  fervore,  studio  ac  diligentia  exquisitissima 
in  munere  illo  nos  exhibebimus,prout  id  fieri  fides  nostra  officiumque 
vasallagii  debitum,  tum  et  sanguinis  coniunetio  aretissima,  nexus 
alii  inter  sacram  regiam  maiestatem  et  nos  variis  modis 
intercedentes  devinetissimi  requirunt  et  exigunt,  eventum  a  deo 
propitio  desideratum  et  felicem  praecantes  et  expeetantes.  Atque 
ut  negocium  hoc,  desiderium  et  salutare  eo  expeditius  et  sine 
proerastinatione  longiori  maturetur,  dabimus  operam,  ut  com- 
municatio  cum  dominis  legatis  Belgicis  quantocitius  a  nobis  in- 
stituatur,  locusque  et  tempus  conveniendi  quam  brevissimum 
determinetur,  ipsimet  etiam  relicta  hac  nostra  residentia  ad  locum 
commorationi  dominorum  commissariorum  ex  omni  parte  vicinum 
nos  conferre  decrevimus,  erimusque  assidui  in  perscribendis  ad 
sacram  regiam  maiestatem  iis  »omnibus,  quae  traetationis  materia 


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396       Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  etc. 

suppeditabit  nobis  atque  ex  usu  neoessario  semper  visa  fuerint 
Quod  responsum  hoc  nostrum  magnificus  dominus  legatus  ad 
sacram  regiam  maiestatem  dominum  cognatum  et  affinem  nostrum 
parentis  loco  observandum  referre  haud  gravabitur,  cui  iter  et 
reditum  f elioem  oinniaque  f austa  praeoantes  gratiam  pariter  propen- 
sissimam  nostram  ubertim  deflerrimus.  Datae  Regiomonti  die 
30.  mensis  Decembris  anno  domini  1627. 

Oeorgius  Guilhelmus,  elector." 

Am  14.  Februar  1628  sehen  wir  aufs  neue  Dönhoff  in 
Honigfeld  Verhandlungen  mit  den  Schweden  pflegen,  desgleichen 
am  28.  März  1628  im  schwedischen  Lager  an  der  Montaner 
Spitze1). 


1)  Hoppe  a.  a.  O.  S.  233  und  238. 


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ot.  Gottheil  4  Sohn,  Königsberg  i.  Pr. 


^öögtr11 


Holiogr.  MoiMnbnoh  Riff»*      It  Co.,  Berii».  ** 

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Carl  Lndwi?  Bernhard  Gottli**«i  * 

Zu  seinem  Dienst  Jubiläum  am    1  ">.   »■    ' 

V  >i> 
Georf  Conrad, 

A1-»*  -ifft  .  bf.srat  und   Yi»r>it/,ej.  !• -n  .it-   <>..*>' t  .•»•-(  hw»   < 

{Mit  einem    i.  '  '.>    \.   !'!•  ii  *  -*,« 

Aui  l:j.  Ok',ober  1!H>5  be^rM  d-r  •  -Vrianv!«  -    -    ■ 
l'.-'tiw«    iu    Königsberg   i.    1*;.     >»'  u     fiinfzi., ; 
.    um,.       JuesM     höchst     «rt^udfue     Tat^i.-.!».' 
«■•^ung,    iu  alh»r  Kürze  Jen   ai:;"*ren   Lebei  ^..". 
„    heu,    d»  r.    in  Ostpreiii>«n    -ils  S  hn    eines    i* 
■»  u,     nie;:t   nur    stets  in    <».n.r.   p«.*n   in    treuer    I  ' 
i     i    •♦    »r'-^r?Hi  •hnetem    rar"\*e   .iu    Staatsdienst    .. 
'    ;....ti    der  -Ii«-'  hste   ru*hf*M  ■!•  .1**  I> -ainte    in    s«  .*• 
•*  .«*  j  r-.'.  ,*//.    r.t  \\(,r<.len    i<t,    ^.tj<;   m    auch    dun-1 
-•  :i"\>    ♦!!*•  hti  ringend«*    i  »ak  >   ;-#     Tätigkeit    u\ 
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'  /    m.       "1    '.rächen   I^'btu»   der  Provinz    eriaiu» 
.    ji  (?--•■!.     j;'*eit  gepaarte  Oute  s*une*  Wesen--,    - 
v-*!.'  vornehmen    Umgangsformen     sieh    ti  -    ^ 

j.     :  •     nur  der  ihm    unterstellten   "Beamten.    ^   * 
••  ,    ^  :    ■>«  ermahn  hat. 

I  •*  i  Lr     Bernhard     (üottli»b    a.     Ph-n^«      t 

.  •    ;,   ;*  1^;»4   als   zweiter  S  >hv    h  *    *.V  •  '  ::.*:«\  ••:  »"   m- 

»     !».    f'//r/  Siegiried    v.    Pl'-i'Ae     u:.  ;     -♦•  u-r  <•-- 

-    -, eb.  Eckert  auf  d<un  hVitr^i       i ;  ,*   .i^.'i'Lni 

i\reis  Pdlkaü»  n,i  in    Ostpn.'^Mi   ;;•*!  •»•'■■  n.      S*->ne 

r  "i    aus   alt'-u    ostpreußisehen    1*  »ni.ii«  :»      «    "u    An- 

*     ".   U  1    XLU       He        a.  6. 


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ot.  Ootthttl  4  Sokn,  Kdnlfitof  i.  Pr. 


Efeliogr.  M«iMnbMh  Riffarth  *  Co.,  Berits.  W» 


©egk 


Carl  Ludwig  Bernhard  Gottlieb  v.  Plehwe. 

Zu  seinem  Dienstjubiläum  am  13.  Oktober  1905. 

Von 
Georg  Conrad, 

Amtsgerichtsrat  und  Vorsitzendem  des  Oberländischen  Geschichtsvereine 
in  Mühlhausen  Ostpr.  (Kreis  Pr.  Holland). 

(Mit  einem  Bilde  v.  Plehwes.) 


Am  13.  Oktober  1905  begeht  der  Oberlandesgerichtspräsident 
v.  Plehwe  in  Königsberg  i.  Pr.  sein  fünfzigjähriges  Dienst- 
jubiläum. Diese  höchst  erfreuliche  Tatsache  gibt  uns  Ver- 
anlassung, in  aller  Kürze  den  äußeren  Lebenslauf  eines  Mannes 
zu  geben,  der.  in  Ostpreußen  als  Sohn  eines  Edelmannes  ge- 
boren, nicht  nur  stets  in  Ostpreußen  in  treuer  Pflichterfüllung 
und  mit  ausgezeichnetem  Erfolge  im  Staatsdienste  gewirkt  hat 
und  daher  der  höchste  richterliche  Beamte  in  seiner  geliebten 
Heimatprovinz  geworden  ist,  sondern  auch  durch  seine  außer- 
ordentlich fruchtbringende  praktische  Tätigkeit  und  die  Viel- 
seitigkeit seiner  geistigen  Interessen,  insbesondere  auch  auf 
historischem  Gebiete,  eine  hervorragende  und  einflußreiche 
Stellung  im  öffentlichen  Leben  der  Provinz  erlangt  und  durch 
die  mit  Gerechtigkeit  gepaarte  Güte  seines  Wesens,  sowie  durch 
seine  wahrhaft  vornehmen  Umgangsformen  sich  die  wärmsten 
Sympathien  nicht  nur  der  ihm  unterstellten  Beamten,  sondern 
auch  weiterer  Kreise  errungen  hat. 

Carl  Ludwig  Bernhard  Gottlieb  v.  Plehwe  wurde 
am  24.  September  1834  als  zweiter  Sohn  des  Rittergutsbesitzers, 
Rittmeisters  a.  D.  Carl  Siegfried  v.  Plehwe  und  seiner  Ge- 
mahlin Amalie  geb.  Eckert  auf  dem  Rittergute  Dwarischken 
bei  Schirwindt  (Kreis  Pillkallen)  in  Ostpreußen  geboren.  Seine 
Eltern   stammten   aus  alten  ostpreußischen  Familien;    dem  An- 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLfT.    Hft.  5  u.  6.  26 


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398  C*ri  Ludwig  Bernhard  Gottlieb  v.  Plehwe. 

denken  des  durch  hervorragenden  Patriotismus  und  die  Huld 
mehrerer  preußischen  Könige  ausgezeichneten  Vaters  hat  später 
der  dankbare  Sohn  pietätvoll  ein  schönes  literarisches  Denkmal 
gesetzt1).  Seine  ersten  Jugendjahre  verlebte  v.  Plehwe  im 
Elternhause,  kam  1846  auf  das  Gymnasium  in  Gumbinnen  und 
bestand  dort  Ostern  1853  das  Abiturientenexamen.  Nach  einem 
halbjährigen  Landaufenthalte  bezog  er  im  Oktober  1853  die 
Universität  zu  Berlin,  um  dort  die  Rechte  zu  studieren  und 
diente  gleichzeitig  als  Freiwilliger  im  2.  Garde -Regiment  zu 
Fuß.  Im  Sommer  1855  ging  er  nach  Bonn,  wo  er  sich  der 
Burschenschaft  Alemannia  anschloß.  Im  September  1856  be- 
stand er  in  Berlin  die  erste  juristische  Prüfung  und  leistete  am 
13.  Oktober  1856  beim  Kreisgerichte  zu  Gumbinnen  als  Aus- 
kultator  den  Diensteid8).  Er  arbeitete  sodann  beim  Kreis- 
gerichte zu  Pillkallen  und  nach  dem  Bestehen  der  zweiten 
juristischen  Prüfung  als  Referendar  im  Jahre  1858  beim  Kreis- 
gerichte in  Tilsit,  zuletzt  1860  und  1861  bei  dem  Appellations- 
gerichte in  Insterburg.  Als  er  im  September  1861  die  große 
Staatsprüfung  bestanden  hatte  und  mit  dem  Dienstalter  vom 
18.  Oktober  1861  zum  Gerichts -Assessor  ernannt  worden  war, 
vertrat  er  zuerst  längere  Zeit  einen  Rechtsanwalt  in  Pillkallen, 
wurde  dann  bei  der  Oberstaatsanwaltschaft  und  Staatsanwalt- 
schaft Insterburg  beschäftigt,  Ende  1863  zur  Staatsanwaltschaft 
Königsberg  i.  Pr.  berufen  und  am  26.  April  1864  zum  Staats- 
anwaltsgehilfen in  Orteisburg  ernannt.  Er  erhielt,  am  20.  Sep- 
tember 1867    zum  Staatsanwalt    befördert,    den  großen  Schwur- 


1)  Carl  Siegfried  von  Plehwe,  Rittergutsbesitzer  auf  Dwarischken,  Ritt- 
meister a.  D.  Ein  Lebenslauf.  Dem  Andenken  des  Vaters  gewidmet  von  dem 
Sohne.  Als  Manuskript  gedruckt.  Königsberg.  Ostpreußische  Zeitungs-  und 
Verlags-Druckerei.  1896.  8°.  82  S.  (Exemplare  dieser  hier  benutzten  seltenen 
Druckschrift  befinden  sich  jetzt  in  der  Königlichen  und  Universitats-Bibliothek, 
im  Königlichen  Staatsarchiv  und  in  der  Bibliothek  der  Altertumsgesellschaft 
Prussia  in  Königsberg  in  Pr.) 

2)  Mit  dem  13.  Oktober  1905  hat  der  Jubilar  eine  49jährige  Zivildienst- 
zeit beendet,  zu  der  noch  das  Militärdienstjahr  hinzutritt,  um  das  50.  Dienst- 
jahr zu  erfüllen. 


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Von  Georg  Conrad.  399 

gerichtsbezirk  der  Kreise  Mohrungen,  Osterode,  Pr.  Holland  und 
Braunsberg.  Am  17.  Februar  1870  als  Staatsanwalt  nach  Memel 
versetzt,  amtierte  er  dort,  bis  ihm  am  27.  April  1875  die  große 
Staatsanwaltsstelle  in  Tilsit  übertragen  wurde.  In  Memel  war 
er  in  den  letzten  Jahren  im  Nebenamte  Syndikus  der  Reichs- 
bank und  Mitglied  des  Kreisausschusses.  Dort  verheiratete  er 
sich  mit  Sophie  v.  Goßler,  einer  Tochter  des  Kanzlers  und 
Oberlandesgerichtspräsidenten  Dr.  Karl  Gustav  v.  Goßler1)  in 
Königsberg  i.  Pr.  und  seiner  Gemahlin  Auguste  geb.  v.  Mühler2), 
und  einer  Schwester  des  unvergeßlichen  preußischen  Kultus- 
ministers und  späteren  Oberpräsidenten  von  Westpreußen,  des 
Staatsministers  D.  Dr.  Gustav  v.  Goßler  und  des  bekannten 
preußischen  Kriegsministers  Heinrich  v.  Goßler.  Leider  wurde 
seine  Gemahlin  ihm  schon  am  10.  Februar  1879  in  Tilsit  durch 
den  Tod  entrissen,  nachdem  sie  ihn  mit  zwei  Knaben  be- 
schenkt hatte.  Seit  ihrem  Tode  hat  v.  Plehwe  nicht  wieder 
geheiratet. 

Am  19.  Mai  1879  zum  Ersten  Staatsanwalt  in  Tilsit  er- 
nannt, erhielt  er  im  November  1879  die  Verwaltung  der  Stelle 
des  Ersten  Staatsanwalts  bei  dem  Landgerichte  in  Königsberg 
i.  Pr..  in  die  er  am  21.  Juni  1880  definitiv  versetzt  wurde. 
Hier  verblieb  er  bis  1888  und  war  gleichzeitig  Vertreter  des  in 
den  Reichstag  gewählten  Oberstaatsanwalts  Saro.  Durch  die 
Allerhöchste  Bestallung  vom  28.  November  1887  als  Landgerichts- 
präsident nach  Braunsberg  berufen,  wurde  er  am  19.  November 
1890  zum  Oberstaatsanwalt  in  Königsberg  i.  Pr.  befördert  und 
verblieb,  inzwischen  unter  dem  13.  Dezember  1897  durch  Er- 
nennung zum  Geheimen  Ober-Justizrat  mit  dem  Range  der  Räte 
2.  Klasse  ausgezeichnet,    in  diesem  Amte,    bis    er,    infolge    der 


1)  Über  diesen  ausgezeichneten  Juristen  siehe:  Schrader:  Karl  Gustav 
von  Goßler,  Kanzler  des  Königreichs  Preußen.    Berlin  1886. 

2)  Ihr  Vater  war  der  bekannte  preußische  Justizniinister  Heinrich 
Gottlob  v.  Mühler,  ihr  Bruder  der  bekannte  preußische  Kultusminister  Heinrich 
v.  Mühler,  der  Dichter  des  Studentenliedes:  Grad  aus  dem  Wirtshaus  komm 
ich  heraus. 

26* 


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400  Carl  Ludwig  Bernhard  Gottlieb  v.  Plehwe. 

Versetzung  des  bisherigen  Amtsinhabers,  des  noch  hochbetagt 
in  Kassel  lebenden,  sehr  verdienstvollen  Kanzlers  Dr.  v.  Holleben, 
in  den  Ruhestand,  durch  die  Allerhöchste  Kabinettsorder  vom 
4.  Mai  1899  zum  Präsidenten  des  Oberlandesgerichts  zu  Königs- 
berg i.  Pr.  befördert  wurde;  somit  wurde  er  der  zweite  Amts- 
nachfolger seines  ausgezeichneten  Schwiegervaters.  Dieses  Amt 
verwaltet  er  seit  dem  1.  September  1899  und  hat  das  neue 
bürgerliche  Gesetzbuch  mit  seinen  Nebengesetzen  in  Ostpreußen 
einführen  helfen;  er  ist  Vorsitzender  des  1.  Zivilsenats  und  des 
Disziplinarsenats  beim  Oberlandesgericht. 

Trotz  seiner  ausgedehnten  amtlichen  Tätigkeit  hat  er,  bei 
seiner  hervorragenden  Arbeitskraft  und  im  Besitze  einer  festen 
Gesundheit,  noch  Zeit  gefunden,  sich  an  Arbeiten  auf  kom- 
munalem, kirchlichem  und  wissenschaftlichem  Gebiete  und  im 
Vereinsleben  rege  zu  beteiligen. 

Nach  dem  Tode  seines  Vaters  war  auf  ihn  im  Erbgange 
der  Besitz  des  Bittergutes  Dwarischken  übergegangen,  das  er 
verwalten  ließ  und  nahezu  25  Jahre  mit  günstigem  Erfolge  be- 
wirtschaftete, bis  er  es  Ende  Juni  1903  seinem  älteren  Sohne 
zum  Eigentum  überließ,  der  zuerst  Offizier  im  3.  Garde-Regiment 
zu  Fuß  und  dann  für  seinen  Beruf  als  Landwirt  vorgebildet  war. 
Sein  jüngerer  Sohn,  um  dies  hier  gleich  zu  erwähnen,  wurde 
Leutnant  der  Leibhusaren  und  ist  seit  Mai  1904  in  Südwestafrika 
im  Felde  als  Offizier  der  Signalabteilung  des  Kommandos  der 
Schutztruppe  tätig;  in  Ostpreußen  ist  er  als  Herrenreiter  be- 
kannt. Als  Besitzer  von  Dwarischken  war  v.  Plehwe  vom  Jahre 
1898  bis  zum  Juni  1903  Vertreter  des  alten  befestigten  Grund- 
besitzes im  Herrenhause.  Als  Haupt  einer  Familie  mit  zwei- 
hundertjährigem Grundbesitze  hatte  er  auch  die  Ehre,  von 
Sr.  Majestät  zur  Zweijahrhundertfeier  der  preußischen  Königs- 
krönung am   18.  Januar  1901   nach   Berlin  befohlen   zu  werden. 

Seit  dem  Anfange  der  achtziger  Jahre  des  vergangenen 
Jahrhunderts  gehörte  er  dem  Kreistage  in  Pillkallen  an  und  ist 
noch  Mitglied  des  ostpreußischen  Provinziallandtages,  nachdem 
er    eine    Keihe    von  Jahren  Mitglied    des    Provinzialausschusses 


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Von  Georg  Conrad.  401 

gewesen  war.  Im  Provinziallandtage  hat  er  als  Referent  für 
die  den  wissenschaftlichen  Vereinen  und  Zeitschriften  von  der 
Provinz  zu  gewährenden  Beihilfen  mit  großer  Sachkunde  und 
reichem  Segen  gewirkt.  Die  Stadt  Schirwindt  hat  ihn  wegen 
seiner  Verdienste  um  sie  zu  ihrem  Ehrenbürger  ernannt. 

Schon  in  Memel  in  die  Provinzialsynode  gewählt,  ist  er 
seitdem  stets  in  diese,  sowie  seit  vielen  Jahren  durch  Königliche 
Ernennung  in  die  Generalsynode  der  evangelischen  Landeskirche 
berufen  und  hat  sich  dort  der  Evangelischen  Vereinigung,  der 
älteren  Gruppe  der  positiven  Union,  angeschlossen. 

Er  ist  ferner,  um  der  Erfolge  seiner  Vereinstätigkeit  zu 
gedenken,  Ehrenmitglied  der  Altertumsgesellsohaft  Prussia  in 
Königsberg  i.  Pr.,  in  deren  Sitzungsberichten  er  verschiedene 
kleine  wertvolle  geschichtliche  Studien  veröffentlicht  hat,  und 
der  Verein  für  die  Geschichte  von  Ost-  und  Westpreußen  ist 
stolz  darauf,  ihn  seit  vielen  Jahren  in  seinem  Vorstande  zu 
wissen.  Sein  besonderes  Interesse  für  historische  Forschungen 
und  die  Freude  an  den  eigenen  historischen  Arbeiten  gaben  ihm 
den  willkommenen  Anlaß,  in  amtlicher  Eigenschaft  beim  Herrn 
Justizminister  die  Abfassung  einer  Geschichte  der  Obergerichte 
in  Ostpreußen  durch  einen  Richter  anzuregen,  die  aus  Anlaß 
der  Feier  des  250jährigen  Bestehens  des  obersten  Gerichtshofes 
in  Ostpreußen  im  Jahre  1907  als  Festschrift  erscheinen  soll. 

Endlich  sei  noch  hervorgehoben,  daß  v.  Plehwe  1857  zum 
Leutnant  der  Landwehr  ernannt  wurde,  zahlreiche  militärische 
Übungen  und  1870/1871  den  Feldzug  als  Nichtkombattant  mit- 
gemacht hat  und  1876  als  Hauptmann  der  Landwehr  mit  der 
Berechtigung,  die  Uniform  zu  tragen,  verabschiedet  worden  ist. 

Bei  seinem  arbeit-  und  erfolgreichen  Leben  konnten  diesem 
hochverdienten  Manne  Ordensauszeichnungen  nicht  fehlen:  er  be- 
sitzt den  preußischen  Boten  Adlerorden  2.  Klasse,  den  preußischen 
Kronenorden  2.  Klasse  mit  dem  Stern,  die  Landwehrdienst- 
auszeichnung 1.  Klasse,  das  herzoglich  anhaltische  Kommandeur- 
abzeichen Albrechts  des  Bären  und  den  russischen  St.  Annen- 
orden 3.  Klasse. 


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402  Carl  Ludwig  Bernhard  Gottlieb  v.  Plehwe. 

Die  diesem  Artikel  beigefügte  Heliogravüre  gibt  eine  gute 
Vorstellung  von  den  gütigen  Gesichtszügen  und  der  Handschrift 
des  würdigen  Jubilars;  sie  ist  nach  einem  im  photographischen 
Atelier  von  Gottheil  &  Sohn  in  Königsberg  i.  Pr.  aufgenommenen 
wohlgelungenen  Photogramme  durch  die  rühmlichst  bekannte 
graphische  Kunstanstalt  von  Meisenbach,  Riffarth  &  Co.  in  Berlin- 
Sohöneberg  hergestellt. 

Möge  diesem  als  Beamter  und  Mensch  gleich  ausgezeichneten 
Manne  —  das  ist  der  Herzenswunsch  aller  ihn  innig  liebenden 
und  dankbar  verehrenden  Kreise  zu  seinem  Dienstjubiläum  — 
von  dem  großen  Gotte,  den  er  stets  mit  gläubigem  Herzen  ge- 
sucht und  der  ihn  bis  hierher  so  gnädig  geführt  und  seine 
Arbeit  sichtbar  gesegnet  hat,  auch  fernerhin  seine  feste  Ge- 
sundheit, ein  ruhiges  Glück,  der  dauernde  Besitz  der  ungeteilten, 
treuen  Liebe  und  Verehrung  aller,  die  ihn  kennen  und  manche 
reife  Frucht  seines  unermüdlichen,  vorbildlichen  Wirkens  und 
Strebens  beschieden  sein! 


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Bückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre 
der  Gesellschaft  der  Freunde  Kants. 

Bede  zum  Geburtstage  Kants 
gehalten  bei  dem  Bohnenmahle   des  Jahres  1905 

von 
Prof.  Alfred  DShrlnf. 


Quidni  ego  magnorum  virorum  et  imagines  habeam  .  .  . 
et  natales  celebrem?  fragt  einmal  mit  antiker  Naivetät  der 
"Weltmann  und  Weltweise  Seneca.  Wie  sollten  wir  nicht  die 
Geburtstage  großer  Männer  feiern  und  ihr  Bild  festhalten?  So 
dachten  und  handelten  auch  die  Freunde  Kants,  die  vor  nun- 
mehr 100  Jahren  auf  Anregung  Dr.  Mo th er bys  am  Geburtstage 
ihres  verewigten  Tischgenossen  zu  einem  feierlichen  Erinnerungs- 
mahle zusammentraten,  „auf  daß  sein  Wert  als  Mensch  und 
Freund  nimmerdar  vergessen  werde,  sowie  er  der  Welt  als 
vorzüglicher  Denker  unvergeßlich  und  unauslöschbar  sei".  So 
denken  auch  wir,  die  wir  als  die  Hüter  und  Erben  jener  Pietät, 
als  Nachkommen  und  Epigonen  vielleicht,  doch  jedenfalls  als 
gewissenhafteste  Nacheiferer  der  Freunde  Kants  sein  Gedächtnis 
ehren  und  seiner  Ehrung  gedenken  und  von  Hand  zu  Hand, 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  ein  köstlich  Juwel  weitergeben, 
die  Krone  —  dauernder  Treue. 

Nicht  an  dem  Geburtstage  Kants  selber  sind  wir  diesmal 
zusammengekommen,  weil  unser  Fest  nicht  in  den  Ernst  der 
Charwoche  und  am  allerwenigsten  an  den  Schluß  derselben  zu 
passen  schien,  und  in  Übereinstimmung  mit  meinen  beiden  Be- 
ratern, Helfern  und  Freunden  habe  ich  auf  heute  unsere  übliche 


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404  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

Gedächtnisfeier  verlegt:  denn  nicht  an  Ort  und  Stunde  ge- 
bunden ist  die  Erinnerung  an  große  Männer,  und  von  ihr  gilt, 
was  Cicero  von  der  Freundschaft  sagt:  quoquo  te  verteris,  praesto 
est,  nullo  loco  excluditur,  nunquam  intempesti va ,  nunquam 
molesta  est.  Und  so  spreche  ich  Ihnen  denn,  meine  hoch- 
verehrten Festgenossen,  unseren  wohlempfundenen  Dank  aus  für 
Ihr  zahlreiches  Erscheinen  und  fordere  sie  gleichzeitig  zu  einem 
Rückblick  auf  die  Geschichte  unserer  Gesellschaft  auf,  die  heute 
ihren  hundertsten  Geburtstag  feiern  kann.  Nicht  als  ob  ich 
Ihnen  eine  vollständige  Geschichte  der  Kantgesellschaft  bieten 
möchte  —  vollständig  könnte  sie  schon  darum  nicht  sein,  weil 
gerade  für  die  ersten  Jahre  (1806 — 10)  die  Überlieferung  schweigt. 
Erst  bei  der  Aufstellung  des  Kantmpnuments  im  Collegio 
Albertino  im  Jahre  1810  taucht  wieder  die  Spur  unserer  Gesell- 
schaft auf,  indem  ihr  damaliger  Vorsitzende  Oberbaudirektor 
Müller  die  alten  und  die  neukreirten  Mitglieder  derselben,  aber 
zugleich  auch  den  akademischen  Senat  zur  Feier  des  22.  April 
auffordert. 

Und  wiederum  eine  Geschichte,  eine  innere  Geschichte 
dürfen  Sie  bei  einer  Vereinigung  nicht  erwarten,  in  der  der 
Zufall  herrscht  und  der  Zufall  in  Gestalt  der  attischen  Wähler- 
bohne die  sichtbaren  Vertreter  alljährlich  bestimmt.  So  müßte 
ich  ja  eine  Geschichte  des  Zufalls  schreiben:  eine  Aufgabe 
immanenter  Negativität  eines  Hegel  wert.  Mir  gestatten  Sie,  nur 
zweierlei  hier  hervorzuheben:  die  eigenartige  Verfassung  und 
die  verschiedenartigen  Leistungen  unserer  Gesellschaft. 

Auch  von  Pythagoras  ist  es  ja  überliefert,  wie  die  Be- 
wunderung für  ihn  seine  Jünger  nicht  bloß  zu  unbedingter 
Unterordnung  unter  seine  Lehre,  sondern  auch  zu  regelmäßigen 
Veranstaltungen  zu  seinem  Gedächtnis  führte.  Bildsäulen 
wurden  ihm  allerorten  errichtet,  aus  seinem  Hause  ein  Tempel 
gemacht  und  sein  Geburtstag  mit  göttlichen  Ehren  gefeiert; 
seine  Werke  wurden  auswendig  gelernt  und  ein  geheimer 
Orden  mit  Prüfungen  und  Weihen,  mit  bestimmten  Ge- 
bräuchen    und    Verboten     gestiftet.       Und    auch    Epikurs    An- 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  405 

hänger  und  Schüler  sollen  eine  geschlossene  Gesellschaft  ge- 
bildet haben,  welche  durch  ein  enges  Freundschaftsband  und 
einmütige  Verehrung  ihres  Meisters  zusammengehalten  ward. 
Sein  Bild  trugen  sie  an  Siegelringen,  seinen  Geburtstag  und 
seinen  Todestag  feierten  sie,  ja  auf  Grund  seines  Testaments 
kamen  sie  am  20.  jedes  Monats  zu  seinem  Gedächtnisse  zu- 
sammen und  wurden  darum  Eikadisten  genannt,  und  jahrhunderte- 
lang hat  sich  ihre  Gesellschaf t  erhalten.  Und  wieder  die  schöne 
Erzählung,  daß  dem  Stoiker  Zeno  seine  Verehrer  ein  Denkmal 
errichtet  mit  der  Aufschrift,  sein  Leben  sei  seiner  Philosophie 
gleich  gewesen,  sowie  demselben  Zeno  seine  Mitbürger  die 
Schlüssel  ihrer  Stadt  als  Sinnbild  ihrer  Ergebung  und  Ergeben- 
heit überreichten,  dies  sind  ja  gewiß  alles  Beweise  hoher  und 
eigenartiger  Pietät.  Aber  höher  steht  —  so  will  mich  be- 
dünken —  die  Art,  wie  das  Andenken  Kants  in  unserem  Kreise 
von  Jahr  zu  Jahr  gefeiert  wird;  höher,  wenn  man  südländische 
Lebhaftigkeit  und  griechische  Festivität  norddeutschem  Ernst 
und  ostpreußischer  Bedächtigkeit  gegenüberhält.  Wo  es  Kant 
zu  ehren  galt,  da  hat  der  ostpreußische  Charakter  seine  Fesseln 
gesprengt  und  wärmste  Begeisterung,  ja  jene  köstlichen  Begleiter 
der  Liebe,  Scherz  und  Humor,  entfaltet.  Schon  im  Jahre  1814 
finden  wir  die  Sitte  eingebürgert,  den  Festredner  des  Jahres 
durch  schalkhafte  Losung  zu  bestimmen  und  mit  königlichen 
Ehren  zu  umkleiden.  Gleich  dem  roi  de  feve,  der  beim  Drei- 
königsfeste in  dem  Festkuchen  die  Bohne  gefunden  und  damit 
die  Verpflichtung  übernommen,  das  nächste  Festmahl  auszurichten, 
scherzt  Robert  Motherby,  der  Bruder  des  Begründers  der  Kant- 
gesellsohaft,  und  schreibt  am  Ende  seiner  Regierung  an  seinen 
Nachfolger  Professor  Karl  Hagen  iunior: 

„Ew.  Majestät  empfangen  heute  aus  den  Händen  der 
Göttin  Fortuna  die  Ew.  Majestät  constitutionsmäßig  zu- 
gefallene Krone  als  Bohnenkönig  zu  der  nächsten  Kantgeburts- 
tagsfeier. Ich  schließe  zugleich  das  zu  dieser  Regentenschaft 
gehörige  Archiv  bei,  mit  dem  Wunsche,  daß  die  Krone 
Ew.  Majestät   nicht    drücken    möge;    indem    ich  ergeben  und 


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406  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

resignierend    in    meinen    Privatstand    zurücktrete,    bitte    ich 

nur   noch    um    die  Huld  mich   ganz   untertänigst    nennen    zu 

dürfen 

Ew.  königl.  Majestät 

ganz    gehorsamster   Diener 

Robert  Motherby 

Exkönig. 

Dieser  humorvolle  Gebrauch  wird  einem  Einfalle  Bessels 
(1812  aufgenommen)  verdankt  und  hat  sich  bis  auf  den  heutigen 
Tag  erhalten,  und  ähnliche  scherzhafte  Wendungen  wie  die 
Motherbys  durchziehen  alle  die  vier  Aktenfaszikel,  in  denen  die 
Schriftstücke  der  Gesellschaft  in  treuer  Gewissenhaftigkeit  auf- 
bewahrt sind.  Nach  Ausweis  derselben  hat  nur  ein  einziges 
Mal  (im  Jahre  1833)  eine  Wahl  des  Festordners  durch  Stimm- 
zettel stattgefunden,  da  die  Bohne  zum  größten  Erstaunen  der 
Tischgenossen  in  dem  Kuchen  nicht  zu  finden  war.  Ob  ein 
gräkophiler  Kyamophage  unter  den  Festteilnehmern  war,  oder 
einer  von  ihnen  das  alte  pythagoreische  Verbot,  die  Bohne 
nicht  zu  essen,  verletzte,  ist  bis  heute  nicht  aufgeklärt. 
Oberpräsident  v.  Schön  führte  damals  den  Vorsitz  und  schlug 
mehrere  Herren  zur  Wahl  vor,  von  denen  Bessel,  der  Vater  des 
Bohnen-Königtums,  die  Stimmenmehrheit  erhielt. 

Der  Wunsch  Motherbys,  daß  die  Bohnenkrone  das  Haupt 
der  Majestäten  nicht  drücken  möge,  war  früher  leichter  erfüllbar; 
denn  der  roi  de  feve  war  in  jenen  Zeiten  zwar  der  roi  de  fete, 
der  arbiter  und  magister  convivii,  aber  nicht  notwendig 
magister  dicendi.  Ganz  abgesehen  davon,  daß  die  Sitte,  das 
Festmahl  durch  Vorträge  zu  würzen,  eine  Zeit  lang  ganz  ein- 
schlief, auch  nachdem  durch  den  Oberbürgermeister  Hörn  der 
Brauch  wieder  neu  belebt  war  (1823),  wandten  sich  die  Könige 
an  die  berufenen  Kenner  und  Vertreter  der  Philosophie  und 
baten  sie,  die  Bede  zu  halten. 

„Daß  Könige  philosophieren  und  Philosophen  Könige 
würden,  ist  nicht  zu  erwarten,  aber  auch  nicht  zu  wünschen", 
hatte  Kant  gesagt,  und  so  überließen  auch  unsere  Bohnenkönige 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  407 

das  Philosophieren  den  akademischen  Professoren.  Mehr  als  die 
Hälfte  aller  Festreden  haben  in  den  Jahren  1823 — 58  die 
Herbart,  Schubert  und  Rosenkranz  gehalten,  und  wenn  einmal 
einer  der  Bohnenkönige  selber  den  Vortrag  übernimmt,  so  wird 
dies  als  Ausnahme  hingestellt,  die  ausdrücklicher  Entschuldigung 
bedürfe.  Jedenfalls  hat  unser  Archiv  einen  reichen  Gewinn  von 
der  öfteren  Berufung  jener  berufensten  Geister,  und  gerne  lesen 
wir  auf  den  Blättern  derselben  manch  schönes  Stück,  das  in  die 
Sammlung  ihrer  Werke  nicht  Aufnahme  gefunden.  So  die 
Rede,  die  Herbart  unter  des  erwähnten  Hörn  Regierung  hielt, 
an  deren  Anfang  es  heifit:  „Dem  großen  Archimedes,  dessen 
Namen  leben  wird,  so  lange  die  Mathematik  lebt,  war  ein  Grab- 
mal errichtet  worden;  aber  die  Syrakusaner  hatten  das  Grabmal 
vergessen;  sie  leugneten  das  Dasein  desselben,  als  Cicero,  der 
einige  Verse  der  Inschrift  auswendig  wußte,  sich  darnach  er- 
kundigte. Er  selbst  mußte  es  aufsuchen,  erkannte  es  an  der 
Eugel  und  dem  Zylinder,  die  man  zum  Andenken  an  eine  schöne 
Erfindung  des  Archimedes  oben  darauf  abgebildet  hatte,  rief 
nun  einen  Haufen  Arbeiter  herbei,  die  den  Platz  vom  dichten 
Gesträuch  reinigen  mußten,  damit  man  hinzutreten  könne; 
und  so  kam  die  Inschrift  zum  Vorschein,  deren  Zeilen  schon 
zur  Hälfte  verwittert  waren.  ' 

So  schlecht  erhält  sich  das  Andenken  an  große  Männer, 
wenn  es  nicht  sorgsam  bewahrt  wird.  So  wenig  leisten  tote 
Monumente,  wenn  keine  lebendige  Rede  den  eingehauenen  Buch- 
staben zu  Hilfe  kommt!  So  zerstörend  wirkt  der  Wechsel  der 
Zeiten,  der  Sorgen,  der  Meinungen,  der  Herren  und  Diener  und 
alles  des  künftig  blinden  Glanzes,  der  die  Augen  der  Menge 
bald  hierhin,  bald  dorthin  zieht.  Selbst  die  Sprache  unterwirft 
sich  dem  Wechsel;  und  der  Schriftsteller,  den  heute  jeder  ver- 
steht, bedarf  vielleicht  schon  nach  hundert  Jahren  eines 
Kommentars." 

Um  so  freudiger  begrüßt  Herbart  den  „ehrenwerten  Kreisu, 
der  „das  Andenken  Kants  bewahrt",  den  „die  Freundschaft 
stiftete  und  die  Dankbarkeit  erhalten  möge":    er  ahnte  damals 


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408  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

nicht,  daß  derselbe  Verein  auch  dereinst  ein  Grab,  Kants  Grab, 
das  die  Regimontaner  vergessen  hatten,  aufsuchen  und  die  St&tte 
reinigen  werde,  damit  man  hinzutreten  könne1). 

Eine  bemerkenswerte  Zierde  unseres  Archivs  sind  auch  die 
Worte,  die  Bessel  im  Jahre  1835  als  .Redner  des  Kanzlers  von 
Wegnern  sprach8): 

Es  ist  auch  mit  der  Philosophie  wie  mit  der  Tugend,  man 
soll  sie  besitzen,  aber  nicht  davon  reden,  so  beginnt  er  seinen 
Vortrag  und  wirft  dann  die  Frage  auf  nach  dem  Range  der 
Wissenschaften  unter  einander  und  dem  Verhältnis  aller  zur 
Philosophie.  Aber  nicht  dieser,  sondern  der  Mathematik  reicht 
er  die  Palme.  Wenn  eine  Wissenschaft,  heißt  es  da,  in  dem 
Besitz  eines  Mittels  wäre,  die  Kraft  des  menschlichen  Geistes 
zu  potenzieren  oder  über  ihr  natürliches  Maß  hinauszubringen, 
so  würde  sie  dadurch  den  Rang  vor  den  anderen  erlangen.  Ist 
aber  ein  solches  Mittel  gedenkbar?  Ja,  es  ist  gedenkbar,  denn 
es  ist  vorhanden:  die  mathematische  Analyse  ist  dieses  Mittel. 
Ihre  Sprache  ist  so  vollkommen,  daß  sie  jeden  Gedanken  über 
Zahlen-  und  Größenverhältnisse  durch  einige  Buchstaben  und 
Zeichen  so  festhalten  kann,  daß  er  sich  in  einen  Besitz  ver- 
wandelt, dessen  Erwerbsart,  sobald  er  Besitz  geworden  ist, 
gänzlich  vergessen  werden  kann.  So  biete  die  Mathematik  eine 
währe  Himmelsleiter,  durch  sie  türme  sich  Gedanke  an  Gedanke 
ujid  „pfeilern  himmelhoch  empor";  sie  sei  die  Königin  der 
Wissenschaft,  sie  herrsche  über  einen  großen  Weltteil  derselben, 
und  Astronomie,  Physik  und  Chemie  seien  ihre  Vasallen.  Solchem 
Lobpreis  gegenüber  muß  sich  die  Philosophie  bescheiden.  Zwar 
stellt  ihr  Bessel  das  Zeugnis  aus,  daß  sie  überall  sei  in  der 
Analyse,  in  der  Naturwissenschaft  und  in  der  Geschichte,  in  der 
Rechtskunde  nicht  minder  wie  in  der  Sprachkunde  und  Gottes- 
gelahrtheit;  die  Philosophie  sei  überall,  sie  schwebe  wie  der 
Geist  über  den  Wassern.     Aber    in  den  Besselschen  Worten,   in 

1)  Siehe  Dr.  Stettiner,  Berichte  der  A.-G.  Prussia  21,   11)0  ff.,  1900. 

2)  Diese  Rede  Betels  sowie  die  oben  erwähnte  Herbarts  sind  später  von 
Reicke  in  dieser  Zeitschrift  (1864  und  1805)  herausgegeben  worden. 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  409 

dem  emphatisch  wiederholten  „überall4*  klingt  doch  wie  ein 
Neben  ton  ein  „nirgends"  mit,  und  unwillkürlich  erinnern  wir 
uns  jener  Klage  in  der  Vernunftkritik:  „Es  war  eine  Zeit,  in 
welcher  die  Philosophie  die  Königin  aller  Wissenschaften  ge- 
nannt wurde;  .  .  .  aber  nun  bringt  es  der  Modeton  des  Zeit- 
alters so  mit  sich,  ihr  alle  Verachtung  zu  beweisen  und  die 
Matrone  klagt  verstoßen  und  verlassen  wie  Hekuba:  modo 
maxima  rerum  nunc  trahor  exul  inops."  Wie  eine  nachträgliche 
Bestätigung  dieses  heimatlos  und  besitzlos  ist  es,  wenn  nun 
auch  Bessel  die  Philosophie  schließlich  sagen  läßt:  „ich  habe 
keinen  Besitz  und  will  keinen;  ich  habe  nur  mit  Gedanken  zu 
tun,  nicht  mit  Resultaten;  wollt  ihr  Resultate,  so  sucht  sie 
anderswo,  wo  ihr  zugleich  auch  die  Gedanken  kennen  lernen 
könnt,  welche  zu  den  Resultaten  geführt  haben;  wollt  ihr  aber 
Gedanken  ohne  vorangehenden  oder  daraus  folgenden  Besitz,  so 
könnt  ihr  sie  in  der  Philosophie  finden!" 

Solcher  Gedanken  nun  —  im  besten  Sinne  —  hat  in 
unserem  Kreise  keiner  häufiger,  keiner  mit  solcher  Liebens- 
würdigkeit und  Gewandtheit  vorgetragen  als  Rosenkranz:  er, 
der  mit  unermüdlicher  Bereitwilligkeit  sich  den  Bohnenkönigen 
als  Sprecher  zur  Verfügung  stellte  und  beides  war,  der  Redner 
der  Königo  und  der  König  der  Redner;  und  sowie  sein  Ge- 
burtstag dicht  hinter  den  unsrer  Vereinigung  fällt,  so  ist  auch 
in  seiner  Lebens-  und  Geistesgeschichte  ein  gut  Teil  unserer 
Geschichte  enthalten. 

Kant  in  Frankreich,  Kant  und  Gioberti,  seine  Verbreitung 
in  Deutschland  und  die  Herausgabe  seiner  Schriften,  der 
preußische  Staat  und  sein  Verhältnis  zur  Philosophie,  Schiller 
und  Kant  und  Hamann  und  Kant  —  alle  diese  Themen  und 
andre  mehr  hat  er  in  fesselnden  Tischreden  behandelt,  und  am 
wirkungsvollsten  vielleicht  erhob  er  seine  Stimme,  als  er 
Schopenhauers  aufsteigendem  Stern  von  doch  so  unheimlichem 
Glänze  die  sonnige  Klarheit  Kants  gegenüberstellte  und  eine 
Würdigung  und  Abfertigung  des  Frankfurter  Misosophen  ver- 
suchte.    Auch  als  Rosenkranz  ins  Kultusministerium  nach  Berlin 


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410         Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

berufen  worden  war,  fühlte  er  sich  als  ein  Glied  unserer  Ge- 
meinschaft, und  in  einem  gehaltvollen  Schreiben  zum  22.  be- 
kennt er,  welchen  Kultus  nach  allen  Richtungen  hin  er  dem 
großen  Kant  gewidmet,  wie  die  Weihe  des  Verlangens,  sein 
würdig  zu  leben,  ihn  auf  das  innigste  durchdringe  und  wie  er 
diesem  Anhalt  in  vielen  schweren  Arbeiten  und  Prüfungen  stets 
neue  Kraft  und  frische  Ermutigung  verdankte. 

Kant  wirkt  auf  mich,  sagt  er,  wie  ein  Lieblingsheiliger 
auf  einen  Katholiken.  „Wie  kann  ich  auch  anders!  Mein  erster 
Blick,  wenn  ich  früh  die  Augen  öffne,  fällt  in  meiner  Stube  auf 
sein  Bild.  Betrete  ich  den  Hof  des  Albertinums,  so  blickt  die 
Stoa  Kantiana  mich  an  und  aus  ihrem  dunkeln  Hintergrunde 
der  niedere  Grabstein  des  hohen  Weisen.  Gehe  ich  durch  das 
Aud.  maximum  auf  mein  Katheder,  so  begrüßt  mich  seine 
Büste.  Komm  ich  in  das  Innere  der  Stadt,  so  begegne  ich 
seinem  Hause,  und  an  der  Haustüre  vorüberschreitend  denk' 
ich  jedesmal,  hier,  hier,  wo  du  jetzt  lebendig  und  erinnerungs- 
voll wandelst,  hier  haben  sie  einst  seinen  Sarg  hinausgetragen. 

Spazier7  ich  endlich  abends  auf  dem  Philosophendamm,  so 
macht  ihn  das  Andenken  an  ihn  fast  zu  meinem  Doppelgänger, 
mit  dem  ich  in  einsamer  Beschaulichkeit  Dialoge  aller  Art 
führe.  —  Es  ist  von  unendlichem  Wert,  wenn  eine  Stadt,  eine 
Provinz  sich  zu  einem  so  klassischen  Ausdruck  ihrer  Sinnes- 
weise als  Ostpreußen  und  Königsberg  in  Kant  erhoben  haben. 
Alle  Welt  orientiert  sich  dann  an  solchem  Normalmenschen. 
Wie  Moses  in  der  Wüste  die  eherne  Schlange  aufrichtete,  deren 
Anschauen  die  Kranken  genesen  machte,  so  können  die  Preußen 
nicht  genug  zu  Kant  aufschauen,  den  Torheiten  und  Lastern 
der  Tagespolitik  sich  zu  entreißen  .  .  .  ." 

So  Rosenkranz  im  Jahre  1849:  an  ihn  gaben  die  beiden 
Simson,  dieDohna,  Härtung,  Hensche  und  andre  ihren  Redestab 
weiter,  an  ihn  auch  Franz  Neumann  und  der  Mathematiker 
Jacobi,  der  doch  nach  einem  Ausspruche  Schellings  selber  als 
Redner    die   größten  Muster    der  Alten    erreicht  hat1).     Und  in 

1)  Siehe  Königsberger  in  seiner  Bede  auf  Jacobi  1904.    Leipzig.    8.  36. 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  411 

der  Tat  hat  Jacobi  auch  in  unserem  Kreise  als  Sprecher  des 
Schulrats  Dieckmann  eine  bedeutende  Rede  über  den  Staats- 
begriff gehalten.  Aber  derselbe  Jacoby  wieder  war  es,  der 
mehrfach  an  Kants  Geburtstage  den  Dank  seiner  Tischgenossen- 
schaft an  Rosenkranz  abstattete,  indem  er  ihn,  den  rzccQayeved'foog 
und  Geburtstagsnachbar  des  großen  Weisen,  in  heiteren  Toasten 
feierte. 

Mittelbar  auf  Rosenkranz  geht  auch  die  Kantreliquie 
zurück,  die  Haarlocke  Kants,  die  sich  im  Besitze  unserer  Gesell- 
schaft befindet.  Der  frühere  Eigentümer  derselben,  Pfarrer  Thiel 
aus  Saalfeld,  hatte  diesen  Schatz,  „den  er  als  ein  Heiligtum  be- 
wahrt", „den  hochverehrten  Männern,  welche  die  geschriebenen 
Werke  des  Herrlichen"  neu  herausgegeben,  zur  Aufbewahrung 
an  stiller,  sicherer,  geweihter  Stätte  überreicht.  Und  aus  dem 
Nachlasse  Rosenkranz'  ist  die  Reliquie  dann  von  dessen  Enkel, 
dem  Oberlehrer  Jacobson,  durch  Geheimrat  Walter  uns  zuge- 
wiesen worden.  So  sei  denn  dieser  anulus  comarum  für  alle 
Zeit  das  Pfand  und  der  Beglaubigungsring  unsrer  Gesell- 
schaft! 

Neben  den  wissenschaftlichen  Koryphäen  der  Albertina 
zogen  die  Bohnenkönige  auch  die  dichterischen  Talente  der- 
selben zur  Verherrlichung  der  Kantfeste  heran.  Schon  Professor 
Hüllmann  hatte  in  den  Jahren  1810 — 17  bei  einem  der  Kant- 
essen,   die    damals    im  Deutschen  Hause  stattfanden,    gesungen: 

Der  tapfere  Deutsche  Orden  ist  vernichtet, 
Zum  Schutz  des  heil'gen  Grabes  einst  errichtet, 
Gebt,  edle  Männer,  euch  die  Hand, 
Ein  Ordensbund  zu  sein  für  unsern  Kant; 
Des  Weisen  heil'ges  Grab  zu  schützen  schwört, 
Daß  keine  Hand  des  Krieges  es  zerstört; 
Dies  deutsche  Haus  sei  nun  Kapitelhaus, 
Da  feiern  jährlich  wir  den  Ordensschmaus  1 

Und  Caesar  v.  Lengerke  malt  in  einem  Gedicht  eine  Szene 
aus  Kants  Tischgenossenschaft,  wo  es  heißt: 


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412  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

Stets  war  auf  der  Gelehrten  Feld 

Viel  Haderkraut  zu  gäten! 

Ihr  wißt's:  auch  Kant  beschrieb  der  Welt 

Den  Streit  der  Fakultäten 

Da  sitzt,  ein  Socrates,  beim  Mahl 
Der  große  Denker  eben, 
Zur  Seite  Jachmann,  sein  Fiskal, 
Wasianski  auch  daneben. 

Man  kostet  just  zum  Tafelschluß 
Ein  Faß  vom  besten  Jahre, 
Gezollt  von  Nicolovius 
Gratis  zum  Honorare. 

Woher  die  Glut,  die  plötzlich  sprüht, 
Der  Zunge  Band  befreite? 
Das  weiß  ich  nicht  —  allein  man  sieht 
Die  Gäste  wild  im  Streite. 

Mit  scharfer  Zunge  jeder  ficht 
Polemisch  ungemessen, 
Genug,  man  spart  die  Pfeile  nicht 
Und  hätt'  sich  bald  vergessen. 

Da  lächelt  ernst  der  große  Kant, 
„O  macht  dem  Streit  ein  Ende! 
Erprobt  den  Wein,  vom  Freund  gesandt, 
Und  reicht  euch  warm  die  Hände  !*• 

„Der  Geist  der  wahren  Wissenschaft 
Erwählt  nicht  solche  Klingen! 
Besonnen  weiß  des  Forschers  Kraft 
Den  Gegner  zu  bezwingen. 4i 

„Wenn  ihr  als  redlich  ihn  erkannt, 
Sollt  ihr  den  Gegner  ehren, 
Den  Samen  aus  der  Wahrheit  Hand 
Zu  ungereiften  Lehren  !•'  .... 

eine  Ermahnung  zur  Duldsamkeit,  (1844/45)  die  allen  —  ismen 
und  —  anern  gegenüber  auch  heute  noch  gelten  mag! 

Endlich  im  Jahre  1849,  als  Lehrs'  wie  vor  ihm  (1831  und  34) 
Schweickart  von  der  Philosophie  und  Kant  gegenüber   der  Re- 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  413 

volution  sprach,  da  stimmte  der  so  milde  Aug.  Hagen  folgenden 
launigen  und  freimütigen  Sang  an: 

Der  Philosoph  docieret, 
Sein  Kleid  verrät  Geschmack; 
Sein  Stutz  ist  fein  frisieret; 
Um  ihn  in  schäb'gem  Frack 
Die  Weltweisheit-Beflißnen : 
Er  stockt,  wirr  ist  sein  Kopf; 
Er  sucht  den  abgerißnen 
Und  sieht  den  neuen  Knopf. 

Als  nach  des  Märzes  Iden 
Der  Freiheit  Ruf  erscholl, 
Die  finstern  Mächte  schieden 
Und  unser  Busen  schwoll, 
Da,  was  am  Atmen  hemmte, 
Da  sprang  der  Knopf  hinfort 
Nichts  störte,  nichts  beklemmte 
Das  Denken  und  das  Wort. 

Auch  Dich,  eh  noch  die  Stoa 
Dein  Rede-Feu'r  erstickt, 
Es  hat  auch  Dich  die  Boa 
Des  Kirchenzwangs  umstrickt; 
Den  hellen  Geist  beschränken 
Wollte  die  Klerisei, 
Ministeriell  zu  denken, 
Das  stand  dem  Weisen  frei  .... 

Und  dann  weiter: 

Der  Philosoph  daheime 
Am  Fenster  sinnet  tief, 
Wie  ein  Begriff  sich  reime 
Zum  folgenden  Begriff: 
Zum  Kirchturm,  der  die  Häuser 
Beherrschet,  blickt  er  nur, 
Ein  Weiser  blickt  zum  Weiser 
Regelnd  die  Geistesuhr. 

Wo  ists,  wo  die  Gedanken 
Jetzt  auf  die  Kirche  sehn? 
In  Frankfurt  ists.     Zu  wanken 

Ziemt  nicht,  was  auch  geschehn 

Altpr.  Monatotchrift  Bd.  XL11.  Hft.  5  u    6.  27 


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414  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

Die  Kraft  der  Allgemeinheit 
Taucht  aus  dem  Zeitenlauf, 
Der  Traum  von  Deutschlands  Einheit 
Schlägt  klar  die  Augen  auf. 
Mag  sich  die  Wahrheit  trüben, 
Geburt  ringt  mit  dem  Schmerz, 
Ins  Herz  ist  es  geschrieben, 
Ist  nun  des  Herzens  Herz. 

Was  ehemals  scheu  und  leidig 
Sich  in  dem  Innern  barg, 
Steigt  als  die  Seele  freudig 
Aus  der  Verwesung  Sarg 


Und  zum  Schluß  ernennt  der  Dichter  Kant  gar  zum 
Deutschen  Kaiser:  Kaiserreich  und  Bohnenkönigtum,  Kleider- 
knopf und  Gedankenfreiheit,  Zifferblatt  und  Weltweisheit,  den 
Löbenichtschen  Kirchturm  und  die  Einigung  Deutschlands,  so 
disparate  Elemente  weiß  sein  kühner  Witz  zu  einem  krausen 
Gewebe  zu  verbinden,  so  kraus  wie  jene  denkwürdige  Zeit. 
Mit  jugendlicher  Poesie  —  so  heißt  es  in  dem  gleichzeitigen 
Vortrage  Lehrs'  —  saßen  wir  unter  den  Trikoloren  und  sangen  . . . 
zuversichtliche  und  kühne  Lieder  und  durchstachen  mit  den 
stumpfen  Hiebern  unsere  Hüte.  Doch  diese  Periode  des  Bausches 
und  der  Zuversicht,  sie  legte  sich  bald.  Die  Kalamitäten  der 
Wirklichkeit  kamen  über  uns  ...  so  massenhaft,  so  grotesk, 
daß  ich  den  hätte  sehen  mögen,  dem  der  Humor  nicht,  ver- 
gangen wäre.  Da,  meine  Herren,  bleibt  denn  nichts  übrig  als 
die  Philosophie.  Urplötzlich  und  ohne  Übergänge  waren  wir 
in  der  Demokratie.  Und  die  Demokratie,  sie  gibt  zuerst  allen 
Klassen  der  Gesellschaft  ihre  Torheiten  frei!  Kann  man  das 
ertragen  ohne  Philosophie?  Da  will  nun  ein  jeder  etwas 
sein,  aber  was  viel  schlimmer  ist,  es  will  ein  jeder  etwas  reden ! 
Ertrage  das,  wer  es  vermag,  ohne  Philosophie!  Und  nun 
gerade  in  diesen  Zeiten,  wo  wir  alle  auf  die  Philosophie  gestellt 
waren,  wurde  uns  unser  Philosoph,  wurde  uns  Rosenkranz  ent- 
führt!    Konnte  man  das  ertragen  ohne  Philosophie! 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  415 

So  führt  auch  diese  vierfache  Epiphora  und  Anrufung  der 
Philosophie  auf  Rosenkranz  zurück,  den  wir  mit  Recht  den 
unsrigen  nennen  können  und  der  auch  nach  seiner  Bückkehr 
aus  Berlin  auch  unter  den  veränderten  Verhältnissen  der 
späteren  Jahre  der  Gesellschaft  treu  geblieben  ist. 

In  den  sechziger  Jahren  nämlich  —  es  sind  just  die  Jahre, 
in  denen  überall  der  Ruf  „Zurück  zu  Kant!"  erscholl,  wird  es 
zur  Regel,  daß  der  Bohnen könig  selber  die  Festrede  hält,  es 
gilt  nunmehr  für  eine  Ehrenpflicht  nicht  bloß  Regent  zu  sein, 
sondern  auch  zu  regieren,  und  die  modernen  rois  de  feve  sind 
ihre  eigenen  Kanzler  und  Sprechminister. 

Damit  hängt  es  dann  zusammen,  daß  auch  der  Kreis  der 
Themata  für  die  festlichen  Ansprachen  sich  erweitert;  ein 
jeder  griff  in  das  Forschungsgebiet  hinein,  das  ihm  nahe  und 
am  Herzen  lag,  und  spann  von  da  aus  Fäden  hin  zu  der  all- 
umfassenden Philosophie  und  zum  Ruhme  Kants.  Seine  Stellung 
zu  einzelnen  Fachwissenschaften,  als  Mathematik  und  Sozial- 
wissenschaft wurde  beleuchtet;  der  Jurist  behandelte  Kants  Ein- 
fluß auf  das  bürgerliche  Recht,  der  Bürgermeister  Kants  Bürger- 
tugend; ein  Arzt  schilderte  seine  Umgangstugenden,  ein  anderer 
Arzt  die  Ansichten  Kants  über  das  weibliche  Geschlecht,  und 
selbst  der  Kinder  gedachte  ein  Menschenfreund.  Der  Statistiker 
stellte  das  äußere  Milieu  des  Philosophen  fest,  Politiker  ent- 
wickelten den  Begriff  der  Freiheit  oder  christlich-soziale  Pro- 
bleme, und  bezeichnend  ist  es,  daß  die  Ideen  Kants,  die  bei 
der  vorjährigen  Säkularfeier  namentlich  in  Frankreich  in  den 
Vordergrund  gerückt  wurden,  nämlich  die  vom  ewigen  Frieden 
auch  in  unserer  Vereinigung  mehr  als  einmal  erörtert  worden 
sind.  Gleich  nach  dem  Kriege  1870/71  stieß  Julius  Möller  in 
dies  Friedenshorn,  das  vor  ihm  auch  Erhard  Hagen  und  Prediger 
Voigdt  und  nach  ihm  Franz  Rühl  (1892)  ergriffen.  Und  anderer- 
seits: Kant  und  Basedow  und  Lessing  und  Kant,  Kants  Stil 
und  Sprache,  sein  Humor  und  seine  Definition  vom  Genie  wurden 
behandelt,  der  Chemiker  griff  auf  Kants  Doktordissertation  zu- 
rück,   die   gerade    vor  jetzt    150  Jahren  erschien,    der   Dichter 

27* 


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416  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

machte  sich  au  die  Verse  über  Kant,  und  der  Pädagog  rief  ihn 
als  Eideshelfer  für  die  humanistische  Bildung  auf.  Seine  An- 
hänger und  Jünger  wurden  heraufbeschworen,  aber  auch  an 
einer  Ehrenrettung  seines  Feindes  hat  es  nicht  gefehlt.  Kurz, 
die  mannigfaltigsten  Anregungen  wurden  gegeben,  die  ver- 
schiedensten Wissensgebiete  gestreift,  und  wenn  die  Kantgesell- 
schaft einem  EmilArnoldt  und  anderen  wirklichen  Philosophen 
hohen  Dank  schuldet,  daß  sie  den  echten  Schild  Kantischer 
Philosophie  über  ihr  gehalten  haben,  so  ist  es  ein  Verdienst 
der  nicht,  philosophischen  Bohnenkönige,  die  unermeßliche  Viel- 
seitigkeit Kants  und  seinen  weitestreichenden  Einfluß  rühmlich 
bekundet  zu  haben. 

Was  aber  noch  mehr  wert  ist,  aus  allen  diesen  Beden, 
so  mannigfaltig  und  wenig  philosophisch  ihre  Themen  auch 
gewesen  sein  mögen ,  spricht  jene  ehrliche  Verehrung  des 
Menschen  Kant,  die  Erb  und  Teil  unserer  Stadt  und  unserer 
Vereinigung  ist.  Nicht  sowohl  dem  Erkenntniskritiker  und 
„Allzermalmer"  als  dem  Wecker  sittlicher  Kraft  galten  die 
Huldigungen,  nicht  der  reinen  Anschauung  und  reinen  Vernunft, 
wie  er  sie  lehrte,  gingen  wir  nach,  sondern  an  seinem  reinen 
Lebenswandel,  an  der  wie  immer  idealisierten  Gestalt  des  edlen 
Menschen  erbauten  wir  uns.  Auch  sein  Leben  war  seiner  Lehre 
gleich  gewesen,  und  ebenso  wie  seine  Lehre  wirkte  sein  Leben 
unter  uns  fort. 

„Kant  wird  als  vorzüglicher  Denker  der  Welt  unvergeßlich 
bleiben  —  möge  Er  von  uns,  die  wir  ihn  handeln  sahen,  nie 
vergessen  werden!" 

Mit  diesem  Wunsche  wurde  die  Kantgesellschaft  eröfluet, 
und  er  ist  auch  durch  sie  erfüllt  worden:  auch  als  keiner  der 
Tischgenossen  Kants  mehr  lebte  und  mit  dem  Oberpräsidenten 
von  Schön  der  letzte  Schüler  Kants  uns  entrissen  war,  haben 
die  Bohnenkönige  Kants  „Handeln"  nicht  vergessen.  — 

Soweit  die  Bohnenkönige  und  Festredner,  deren  Verzeichnis 
wir  uns  zum  heutigen   Tage  Ihnen    zu    überreichen    erlaubten ; 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  417 

doch  wenn  wir  die  eigenartige  Verfassung  unserer  Vereinigung 
kennen  lernen  wollen,  müssen  wir  neben  den  Begierenden  auch 
der  Regierten,  der  Vereinsangehörigen  gedenken.  Von  23  Freunden 
Kants  begründet,  zählte  die  Gemeinschaft  auch  im  Jahre  1810 
24  Mitglieder.  Es  waren  größtenteils  bekannte  Männer,  unter 
denen  neben  den  bereits  erwähnten  (Jachmann,  Wasianski, 
Nicolovius)  noch  Scheffner  und  Kraus  genannt  sein  mögen, 
sowie  der  Vater  Karls  und  Aug.  Hagen,  Medizinalrat  Gottfried 
Hagen,  der  es  aus  Verehrung  für  Kant  nicht  zuließ,  daß 
seine  Büste  neben  der  des  großen  Weisen  aufgestellt  wurde, 
ferner  Hamann,  Jacobi,  Gaedeke  und  Chr.  Fr.  Reusch,  der  uns 
alle  die  Veteranen  der  Kantverehrung  in  seiner  und  ihrer 
Schlichtheit  beschrieben  hat1).  Scheffner  (1813)  beantragte  diö 
Zahl  der  Teilnehmer  auf  20  zu  beschränken  und  nur  an  die 
Stelle  eines  „abgegangenen"  Mitgliedes  eine  Neuwahl  durch 
Pluralität  zu  treffen.  Dagegen  bestimmte  ein  Beschluß  vom 
Jahre  1828,  daß  die  Normalzahl  30  sein  solle  und  daß  für  eine 
etwa  notwendige  Ersatzwahl  zwar  jedem  Mitgliede  das  Vor- 
schlagsrecht zustehn,  die  Wahl  selbst  aber  durch  ein  Triumvirat 
vollzogen  werden  solle,  bestehend  aus  dem  Festordner  und 
seinen  beiden  Ministern,  d.  h.  seinen  Beisitzern  in  der  eigent- 
lichsten Bedeutung.  Naturgemäß  griff  man  bei  der  Ergänzung 
hauptsächlich  auf  Schüler  Kants  zurück,  und  der  alte  Stadtrat 
Förster  legte  1835  für  den  Verein  ein  eignes  Verzeichnis  der- 
selben an,  und  da  begegnen  wir  denn  einem  Tribunalsrat 
Reidenitz,  Geheimrat  Göbel,  Schuldirektor  Möller  sen.,  Dom- 
prediger Zippel,  Köhn  v.  Jaski  und  anderen  Mitgliedern 
früherer  Jahre. 


1)  „Kant  und  seine  Tischgenossen"  Königsberg,  Tag  und  Koch.  Daselbst 
sind  auch  auf  8.  14  die  ersten  Mitglieder  der  Gesellschaft  aufgezählt,  darunter 
jedoch  auch  zwei,  die  in  den  Akten  derselben  erst  1810  genannt  werden:  nämlich 
der  Regierungsdirektor  Frey,  der  Verfasser  der  Städteordnung,  und  Dr.  med. 
Eisner.  Zu  den  Gründern  der  Gesellschaft  gehörte  auch  Regierungsrat  Schreiber, 
der  für  die  Studierenden  der  Albertina  einen  Kantpreis  stiftete:  daher  die  Sitte 
der  dreißiger  Jahre,  den  jeweiligen  Preisträger  zu  dem  Bohnenmahle  hinzuziehn. 


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418  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

Jener  Beschluß  des  Jahres  1828,  von  unserm  ältesten 
Historiographen *)  Kommerzien-  und  Admiralitätsrat  Becker  „Das 
organische  Gesetz"  der  Gesellschaft  genannt,  „das  für  immer  ge- 
geben sei",  blieb  doch  nur  zehn  Jahre  lang  ohne  „Deklaration". 
„Am  22.  April  1838  war  die  Zahl  der  Teilnehmer  an  der  Tages- 
feier ungewöhnlich  klein,  was  zum  Teil  wohl  darin  seinen  Grund 
gehabt  haben  mag,  daß  es  ein  Osterfeiertag  war  —  und  es  wurde 
zugleich  gefunden,  daß  einige  Gesellschaftsmitglieder  schon 
mehrere  Male  die  Teilnahme  abgelehnt."  Daher  beschloß  man, 
daß  für  jeden,  der  dreimal  hintereinander  gefehlt,  ein  dauernder 
Stellvertreter  zu  wählen  sei  mit  allen  Rechten  eines  Mitgliedes, 
doch  in  der  Art,  daß  auch  dem  früheren  Mitgliede  gleichwohl 
jedesmal  die  Einladung  vorzulegen  sei.  Diese  Bestimmung  ist 
im  wesentlichen  noch  heute  in  Geltung,  nur  daß  im  Jahre  1875 
nach  einem  Antrage  Wiehert  die  dreijährige  Frist  bis  zur  Wahl 
eines  Stellvertreters  auf  fünf  Jahre  erweitert  wurde:  just  jene 
Schweigefrist,  die  für  die  Mitglieder  der  Pythagorasgesellschaft 
bestimmt  war. 

Gegenwärtig  besteht  unsre  Tischgenossenschaf t  aus  77  Mit- 
gliedern, die  sich  um  ihre  Alterspräsidenten  Reicke  und  Dr.  Hay 
scharen,  und  sie  setzt  sich  entsprechend  alter  Tradition  aus  allen 
Berufskreisen  zusammen. 

So  wie  Kant  selber  aus  den  verschiedensten  Ständen  sich 
seine  Tischgenossen  wählte,  so  hat  auch  seine  Jüngerschaft  sich 
stets  geflissentlich  aus  allen  gebildeten  Kreisen  ergänzt,  und 
neben  Exzellenzen  und  Präsidenten  finden  wir  Gutsbesitzer  und 
„Negotianten",  wie  es  in  den  Akten  immer  heißt,  neben  den 
Professoren  der  Universität  die  Männer  der  Praxis  aus  allen 
Zweigen  des  öffentlichen  Lebens,  kurz  einen  echt  Kantischen 
„Wettstreit  der  Fakultäten":  philosophia  enim  omnibus  lucet 
nee  reicit  quemquam  nee  eligit.  (Sen.) 

Noch    in    andrer    Beziehung    hat    unsre    Gesellschaft     die 


1)  Die  späteren  sind  dann  Geheimrat  Professor  Schubert  (Neue  Pr.  Prov. 
Blätter  1846.  8.  454  ff.)  und  Dr.  med.  A.  Hensche  (Preuß.  Jahrb.  1867.  S.  238  ff.) 


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Vod  Prof.  Alfred  Döhring.  419 

Tradition  gewahrt,  indem  sie  die  Nachkommen  der  wirklichen 
Tischgenossen  und  Freunde  Kants  immerdar  in  ihrer  Mitte  zu 
erhalten  suchte.  Zwar  der  Vorschlag,  den  einst  Professor 
Pörschke,  einer  der  Mitbegründer  der  Gesellschaft,  machte,  daß 
nach  der  Art,  wie  man  das  Andenken  eines  griechischen  Philo- 
sophen Jahrhunderte  hindurch  erhalten  hatte,  auch  die  Söhne 
und  ferneren  Abkömmlinge  der  Freunde  Kants  geborene  Mit- 
glieder der  Gesellschaft  sein  sollten,  ich  sage,  dieser  Vorschlag 
ward  zwar  nicht  angenommen,  aber  daß  Namen  wie  Ruffmann 
und  Krause  in  unserer  Vereinigung  nicht  ausstarben,  dafür  hat 
Pietät  und  Verdienst  gesorgt. 

Und  wiederum  jenem  Wettstreit  der  Fakultäten  und 
altem  Gelehrtengebrauch  entspricht  es,  wenn  keiner  die  Ge- 
bieterwtirde  zweimal  bekleiden  soll;  und  wenn  doch  die 
Bohne  dies  füget,  tritt  der  rechte  Nachbar  des  Erkorenen  in 
seine  Rechte.  Nur  Dr.  Jachmann  und  Bessel,  v.  Schön  und 
v.  Wegnern  sind  zweimal  Könige  gewesen,  und  Kriegsrat 
Müller1)  und  Tribunalsrat  Ehm,  sowie  Dr.  Richard  Arnoldt  haben 
ihre  Krone  zwei  Jahre  hintereinander  getragen;  der  letztere 
sogar  in  absentia.  Und  es  war  ein  kritischer  Tag  unsrer  Ge- 
sellschaft, als  der  Minister  Arnoidts  darum  fürs  Jahr  1883  die 
Geburtstagsfeier  ausfallen  ließ,  da  „der  Zweck  des  festlichen 
Zusammenseins  nicht  in  Essen  und  Trinken  bestehe,  sondern 
der  Schwerpunkt  in  die  wissenschaftliche  Rede  gelegt  werden 
müsse":  eine  gewiß  sehr  löbliche  Wissenschaftlichkeit,  die  uns 
aber  leider  um  die  bis  dahin  streng  gewahrte  Kontinuität  der 
Gesellschaft  gebracht  hat. 

Weder  als  Redner  noch  als  König  oder  Minister  ist  Helm- 
holtz  hervorgetreten,  der  unsrer  Gesellschaft  von  1851  bis  1855 
angehört  hat.  Und  doch  haben  wir  Grund,  grade  auf  ihn  stolz 
zu  sein;  denn  er  war  es,  der  die  Kantischen  Lehren  von  den 
aprioristischen  Formen    der  Erfahrung    mit    den  Resultaten   der 


1)  Nach  einem  Gedichte  Hüllmanns  zu  schließen  (siehe  Neue  Preuß. 
Prov.-Blätter  1846.  S.  465)  das  eine  Mal  nur  als  Vertreter,  da  „Selbst"  d^s 
..Bundes  Schuld"  nicht  zahlen  konnte. 


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420  Rückblick  auf  die  erbten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

Physiologie  in  Beziehung  setzte  und  in  einer  Zeit,  da  die  Ver- 
bindung zwischen  Philosophie  und  exakter  Wissenschaft  unter- 
brochen war,  unter  Berufung  auf  Kant  dieselbe  wieder  an- 
geknüpft hat. 

Also  zusammengesetzt  und  also  organisiert  hat  unsere  Ge- 
sellschaft im  stillen  gewirkt  und  alljährlich  nur  Eines,  aber 
ein  Gutes  geleistet,  wenn  sie  den  Manen  ihres  Heros  opferte, 
und  als  ihre  Taten  müssen  zunächst  die  Beden  gelten.  Nur 
selten  ist  sie  aus  der  weihevollen  Stille  ihrer  Wirksamkeit 
herausgetreten  zu  lauterem,  weiterhinschallendem  Festesjubel,  wie 
ihn  der  hundertjährige  Geburtstag  Kants  brachte.  Damals 
war  es  die  Kantgesellschaft,  die  sich  der  Verpflichtung  bewußt 
war,  nach  außen  hin  Zeugnis  abzulegen  für  die  Un  Vergeßlichkeit 
Kants;  alle  ehemaligen  Schüler  desselben  in  Nähe  und  Ferne 
wurden  zu  der  Säkularfeier  eingeladen,  und  22  derselben  [größten- 
teils aus  Königsberg  und  der  Provinz]  meldeten  sich  bereit- 
willigst dazu  an.  Unter  der  Leitung  des  Bohnenkönigs  Ehm 
und  tatkräftiger  Mitwirkung  des  Oberbürgermeister  Hörn  wurde 
eine  Festaufführung  vorbereitet;  Prof.  Dr.  Bhesa,  der  schon 
vorher  mit  einer  Elegie  auf  Kants  Tod  hervorgetreten  war, 
dichtete  eine  Kantatine,  die  durch  den  Musikdirektor  Riel  kom- 
poniert und  in  einem  Kreise  angesehener  Musikliebhaber  ein- 
geübt wurde.  Auch  der  treue  Wasianski  zäumte  den  Pegasus, 
unter  dessen  Hufschlag  klar  und  lauter  wie  Böotiens  Bergquell 
flüssige  und  geschmeidige  Distichen  hervorsprudeln  sollten; 
Herbart  übernahm  die  Festrede,  und  der  Bohnenkönig  selber 
zog  die  Aufzeichnungen  der  Eltern  Kants,  ihr  Hausbuch,  wieder 
ans  Licht;  interessante  Autographen  Kants  wurden  durch  Kon- 
sistorialrat  Wald  gesammelt  und  am  Vorabende  des  Festes  der 
Gesellschaft  überreicht;  für  das  Lied,  das  Kant  als  den  Gipfel 
musikalischer  Komposition  bezeichnet  hatte,  das  alte  „Bekränzt 
mit  Laub  den  lieben,  vollen  Becher"  wurde  ebenfalls  durch  Rhesa 
ein  neuer  Text  gedichtet;  kurz,  es  wurden  mit  rührigem  und 
rührendem  Eifer  Vorbereitungen  getroffen,  um  dem  Feste  einen 
besonderen  Wert  zu  geben.    Und  als  dann  am  22.  die  Feier  im 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  421 

Deutschen  Hause  vor  sich  ging  und  sich  die  etwa  80  Teilnehmer 
um  die  Büste  Kants  scharten,  da  war  es  mehr  noch  als  die  ein- 
zelnen Festveranstaltungen  der  harmonische  Geist  und  gläubige 
Ernst  der  Feiernden,  was  dem  Tage  Weihe  und  Kraft  verlieh. 
Mit  derselben  Bewegung,  mit  der  der  Bohnenkönig  ausrief: 
„Ja  guter  Kant!  Gott,  Glauben,  Tugend  und  Unsterblichkeit 
sind  die  großen  und  erhabenen  Worte,  die  der  Schöpfer  in 
unsere  Seelen  schrieb  und  die  auch  du  uns  lehrtest!"  mit  der- 
selben Rührung  sang  der  Chor  seinen  Klagesang: 

„Unsern  Führer,  unsern  Meister 
Sucht  mit  Tranen  unser  Blick, 
Ach  ihn  rief  ins  Land  der  Geister 
Liebend  Gott,  sein  Gott  zurück.1' 

Und  mit  derselben  Freudigkeit  und  Anteilnahme  wurden 
Wasianskis  Verse  vernommen: 

Ante  decem  decies  annos  lux  desuper  orta 
Incepit  priraura  spargere  mite  iubar: 
Flammeus  ut  Titan  tenebrosa  nocte  repulsa 
Splendet  in  eois  hespereisque  plagis, 
Sic  Jumen  mundi  nocturna  crepuscula  pellit, 
Effugiunt  tenebrae,  splendet  et  orta  dies. 
Natus  erat  nobis,  toti  fuit  utilis  orbi, 
Hie  reeubant  cineres,  nomen  ubique  viget. 

Damals  erklangen  die  Worte  Herbarts,  die  solchen  Beifall 
fanden1): 

„Jahrhunderte  verfließen;  sie  nehmen  die  großen  Männer, 
die  sie  brachten,  mit  sich  hinweg.  Ihre  Spuren  selbst  ver- 
schwinden, wenn  nicht  festgehalten  durch  fromme  Sorgfalt  der 
Erinnerung  ....  Man  traue  nicht  den  Büchern  allein!  Sie 
waren  sonst  bessere  Hüter  eines  großen  Ruhmes  als  jetzt;  in 
unserer  Zeit  tötet  ein  Buch  das  andere,  und  alle  sind  nur  Wellen 
einer  großen  Flut,  worin  jährlich  manches  Köstliche  versinkt. 

Man  traue  nicht  den  Lehren  allein!  zumal  den  philo- 
sophischen Lehren.     Denn    was  ist  Philosophie?     Auf  diese  alte 


1)  Siehe  Herbarts  Werke,  herausgegeben  von  Hartenstein  XII.  S.  153  ff. 


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422  Ruckblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

und  berühmte  Frage  möchte  ich  leicht  voll  Unmuts  über  lang- 
jährige Erfahrung  mit  zwei  "Worten  also  antworten:  Philosophie 
ist  der  Spielball  der  Mißverständnisse. 

Auch  unser  Kant  ist  oftmals  mißverstanden  worden.  Unser 
Kant!  Zwar  nicht  in  dieser  Stadt  leuchtete  mir  zuerst  das 
Licht  der  Sonne;  aber  das  Licht  der  Kantischen  Lehre  hat  mir 
geleuchtet  und  geholfen,  seitdem  ich  dafür  empfänglich  war. 
Und  wie  die  Pflanze  sich  hinzieht  zum  Lichte:  so  sehnte  sich 
mein  Jünglingsalter  nach  Königsberg,  ohne  die  geringste 
Ahnung,  daß  dereinst  mein  Fuß  diesen  Boden  betreten  würde. 
Gesehen  habe  ich  nicht  den  "Weisen,  aber  gleich  nach  meiner 
Ankunft  wurde  ich  geführt  in  diesen  Kreis;  denn  es  traf  sich, 
daß  eben  sein  Jahresfest  gefeiert  wurde.  Seitdem  sah  ich  diese 
Versammlung  vielfältig  abnehmen  und  wieder  wachsen;  ich  er- 
kannte mehr  und  mehr  den  starken  Lebenskeim,  den  sie  in  sich 
trägt;  ich  sehe,  wie  das  teure  Bild,  das  ihr  vorschwebt,  mehr 
und  mehr  einer  überirdischen  Klarheit  sich  nähert  und  von  der 
Vergänglichkeit  eine  Spur  nach  der  andern  abzulegen  scheint. 
So  schwebte  wohl  in  alter  Zeit,  in  der  Sprache  des  Altertums, 
ein  Mensch  zu  den  Göttern  empor,"  fürwahr  eine  schöne  SchluU- 
apotheose  unseres  Meisters. 

Damit  aber  auch  der  schönste  Ausdruck  der  Freude,  die 
Mildtätigkeit,  nicht  fehlte,  wurde  aus  dem  Rest  der  Festbeiträge 
eine  Gabe  an  den  unglücklichen  Kandidaten  Fischer1)  verliehen, 
der  in  einem  Bittgesuche  aus  der  Teilnahme  an  Kants  Begräb- 
nis seine  "Würdigkeit    zu    einem  Kantalmosen    hergeleitet  hatte. 

Ein  andrer  Bittsteller,  Carl  Ferdinand  Graff,  konnte  sich 
sogar  auf  ein  Gespräch  mit  Kant  selber  beziehen. 

Er  schreibt:  „Als  ich  des  Morgens  wie  gewöhnlich  auf 
dem  philosophischen  Gang  lustwandelte  und  Kants  reine  Ver- 
nunft las,  überraschte  er  mich  einmal  und  sprach:    „Mein  holder 


1)  Vermutlich  derselbe,  der  in  diesen  Blättern  unter  den  „Ungewöhnlichen 
Charakteren"  beschrieben  ist.  (1854.  II.  8.  229.)  —  Daselbst  auch  Näheres  über 
den  oben  erwähnten  Riel.    S.  241. 


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Von  Prof.  Alfred  Döhriug.  423 

schwarzgelockter  Knabe,  was  liesest  Du  da?"  Ich  lese  Kants 
Kritik  der  reinen  Vernunft.  „So  früh  schon?"  Ja,  ich  will  früh 
vernünftig  werden.  „Hast  Du  denn  den  Kant  schon  einmal 
gesehn?a  Der  kleine  Mann  mit  dem  großen  Geist  stand  vor 
mir!  „Ich  warne  Dich,  mein  Söhnchen,  die  Früchte,  die  zu 
früh  reifen,  verwelken  auch  zu  früh."  Er  hat  wahr  gesprochen. 
Der  Knabe  ist  im  48.  Jahre  schon  zum  Greis  geworden  und 
muß  ohne  Hilfe  auf  Kants  philosophischem  Gange  wandeln  und 
den  Tod  des  Verhungerns  und  Erfrierens  wählen." 

Solche  bitteren  Klagen  mochten  öfters  an  die  Kantfreunde 
herantreten;  jedenfalls  wurde  nach  der  Jubelfeier  aus  dem  Rest 
der  Beiträge  auch  noch  ein  kleiner  Fonds  begründet,  der  dann 
später  (1829)  auf  Antrag  Burdach  zur  jährlichen  Unterstützung 
eines  Schwestersohnes  Kants,  des  Schuhmachermeisters  Kröhnert, 
verwendet  wurde.  Und  als  derselbe  1832  gestorben  war,  erhielt 
seine  Tochter  Frau  Louise  (Charlotte)  Steil  ebenfalls  eine  Gabe. 
Nicht  um  uns  zu  rühmen,  sei  dies  erwähnt,  und  der  Geist 
Kants,  der  die  Lüge  so  haßte,  bewahre  uns  vor  der  Schwester 
der  Lüge,  der  Ruhmredigkeit;  aber  doch  freuen  wollen  wir  uns 
dessen,  was  früher  in  schlichter  Pietät  geübt  ward,  freuen  auch 
des  ehrenden  Zeugnisses,  das  Herbart  der  Kantgesellschaft  in 
den  angeführten  Worten  aussprach.  Der  starke  Lebenskeim, 
den  er  ersehn,  hat  Blüten  entfaltet  und  Früchte  gezeitigt, 
nicht  jene  seltenen  "Wunderblüten,  die  nur  einen  Abend  prangen, 
sondern  bleibende  Frucht.  Überall  wo  es  galt,  bleibende  Denk- 
male zum  Ruhme  Kants  zu  errichten,  da  hat  unser  Verein  mit- 
gewirkt und  angeregt,  andere  begeistert  und  sich  betätigt  und 
bleibendes  geschaffen.  Kants  Marmorbild  in  der  Abertina,  die 
Tafel,  die  mit  goldenen  Buchstaben  das  Haus  bezeichnete,  da 
Kant  gewohnt  und  gelehrt1),  sein  ehernes  Standbild  und  seine 
Grabeshalle,  sie  alle  sind  Beweise  auch  unserer  Tätigkeit  und 
Schöpfungen,  die  wir  gefordert  und  gefördert.  Ja  Rosenkranz 
führt   auch    seine    Gesamtausgabe    von    Kants  Werken,    „diesen 


1)  Jetzt  im  Museum  der  Altertuniflgesellschaft  Prussia  aufbewahrt. 


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424  Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 

literarischen  Geburtstag  des  Weisen"  wie  er  sich  ausdrückt,  auf 
eine  Anregung  der  Kantgesellschaft  zurück.  Nur  die  Erhaltung 
des  Kantischen  Hauses  selbst  glückte  dieser  nicht,  trotzdem  die 
Aufforderung  dazu  mehrfach  an  sie  herangetreten  ist1):  und  so 
entbehren  wir  dieses  Denkmals  aus  der  Zeit,  da  die  Philosophen 
Hausbesitzer  waren  und  auch  Hausbesitzer  philosophierten.  Und 
wenn  die  Pythagoriker  sich  rühmen  konnten,  aus  dem  Hause 
ihres  Meisters  einen  Tempel  gemacht  zu  haben,  so  müssen  wir 
uns  mit  dem  Vitruvischen  Bekenntnis  bescheiden,  in  pectoribus 
dedicatum  quoddam  habere  .  .  simulacrum.  Wir  tragen  gleich- 
sam ein  Heiligtum  Kants  in  unsern  Herzen. 

Und  mit  diesem  Bekenntnis  wollen  wir  in  das  zweite  Jahr- 
hundert unserer  Genossenschaft  eintreten,  ohne  „Bohnenfurcht" 
und  Zweifelsucht  und  mit  der  Hoffnung,  daß  auch  uns,  den 
Dishendekadisten  eine  ebenso  lange  Dauer  beschieden  sein  möge 
wie  den  epikureischen  Eikadisten.  Die  Zeiten  sind  nicht  un- 
günstig. Mag  nun  die  Philosophie  besitzlos  oder  ein  ver- 
schwiegener Besitz,  eine  Königin  oder  Königin  im  Exil  sein, 
ein  Spielball  der  Mißverständnisse  oder  eine  Schutzwehr  gegen 
Mißverständnisse,  die  untilgbare  Sehnsucht  des  Menschen  nach 
Einheitlichkeit  seiner  Erkenntnisse  regt  sich  heute  so  stark  wie 
je:  und  wer  könnte  sie  stillen  ohne  Philosophie? 

Nach  einem  Urteile  aus  unsern  Akten2)  hatte  Kant  durch 
seine  Kritik  die  Tonne  auf  den  Klippen  festgelegt,  die  man 
vermeiden  soll;  den  Hafen  zu  finden,  wohin  man  zu  steuern 
habe,  bleibe  der  lokalen  Kenntnis  und  der  Nüchternheit  des 
Steuermanns  überlassen.  Des  achteten  nicht  die  Diadochen 
Kants,  die  mit  tausend  Segeln  in  den  Ozean  der  Spekulation 
hinausfuhren,  ohne  doch  den  Hafen  zu  finden,  und  sie,  die  über 


1)  Schon  im  Jahre  1835  sprach  Stadtrat  Förster  unter  mehreren  pia 
desideria  auch  aus,  daß  Kants  Haus  angekauft  und  dem  Philosophieprofessor, 
der  Kants  Lehrstuhl  inne  habe,  gegen  billige  Miete  überlassen  werde,  zugleich 
mit  der  Verpflichtung,  das  Speisezimmer  Kants  für  die  jährlichen  Bohnen  mahle 
herzugeben. 

2)  Auszug  aus  einem  Briefe  Menkens  an  Nicolai. 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring.  425 

die  Bahnen  Kants  hinauskommen  und  seine  Lehre  erweitern 
wollten,  erweiterten  und  erhöhten  durch  ihre  Abenteuer  nur 
seinen  Ruhm. 

Auch  das  wilde  Kampfgeschrei  der  Kraft-  und  Stoffmänner 
endete  mit  dem  Rufe:  zurück  zu  Kant;  Schopenhauers  Pessimis- 
mus hat  durch  Nietzsches  kräftige  Bejahung  des  Lebens  sein 
„Gesicht"  verloren.  Und  so  wie  Nietzsche  wieder,  sei  es  be- 
wußt oder  unbewußt  (siehe  Vaihinger,  Nietzsche  als  Philosoph. 
Berlin  19058),  auf  Darwin  zurückgreift,  so  kann  die  englische 
Philosophie  eines  Spencer  ergänzend  und  verjüngend  auf  Kant 
zurückwirken.  Spencer  und  Kant,  Kant  und  "Wundt,  Kant 
contra  Häckel  und  Thomas  von  Aquino  und  Kant:  so  und 
ähnlich  lauten  ja  die  Themen,  die  heute  die  Denker  beschäftigen. 
Auch  heute  noch  erklingt  bei  den  Philosophen  der  Ruf  „Zurück 
zu  Kant"  und  bei  den  Laien  der  Wunsch  „Mit  Kant  vorwärts'4. 
Und  wie  die  Kantische  Weisheit  wirklich  bis  zu  den  eoischen 
Gestaden  vorgedrungen  ist  (um  mit  Wasianski  zu  reden),  beweist 
das  merkwürdige  Geständnis  eines  gebildeten  Japaners,  der  da 
mitten  während  der  kriegerischen  Erfolge  seines  Volkes  be- 
kennt1): 

Wir  haben  uns  dem  Abendlande  .  .  .  genähert,  weil  wir 
in  dem  großen  Philosophen  Kant  einen  geistigen  Führer  ge- 
funden hatten  .  .  .  der  nüchterne,  strenge,  folgerichtige  und 
klare  Geist  Kants  erschien  uns  als  der  Vollender  der  Weltweis- 
heit .  .  .  und  in  der  Erkenntnis,  daß  seine  Denkweise  auf  ein 
Staatswesen  übertragen  dieses  zum  stärksten  der  Welt  machen 
muß,  entschlossen  wir  uns,  unser  Vaterland  im  Sinne  Kants 
umzubilden. 

Innerhalb  Deutschlands  aber  zeigt  sich  die  Ehrung  und 
Mehrung  des  Kantischen  Geistes  vor  allem  auch  in  der  Gründung 
einer  anderen  Kantgesellschaft  (der  in  Halle),  mit  der  wett- 
eifernd wir   an    den  großen  Denkproblemen  und  sittlichen  Auf- 


1)  Siehe  „Leipziger  Tageblatt"  vom  13.  Juli  1904,  die  japanische  Zeitung 
„Nischi  Schimbun"  und  „Unser  Vaterland  Japan",  herausgegeben  von  Stead. 


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426 


Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 


gaben  arbeiten  wollen,  weiter  arbeiten  an  den  Ideen  Kants, 
„deren  dauernder  Wert  wachsenden  Strömen  gleich  jedes  lange 
Jahrhundert  füllt". 

Und  so  erhebe  ich  denn  mein  Glas  und  weihe  es  ihm, 
dem  dauernden  Hort  unserer  Vereinigung,  dem  geistigen  Gast- 
geber unserer  Tischgenossenschaft,  unserem  "Wegeführer  und 
Geleiter  auch  im  neuen  Säkulum! 

Es  wachse  die  Verehrung  Kants! 


Anhang. 


Verzeichnis  der  Bohnenkönige 
der  Gesellschaft  der  Freunde  Kants. 


1805-1905. 


Bohnenkönige. 

1805  Dr.  W.  Motherby. 
1810  Kriegsrat  Oberbaudirektor 
Müller. 


181 1  Kriegsrat  Oberbaudirektor 

Müller. 

1812  Statrat  Bück. 

1813  Kriegsrat  J.  G.  Scheffner 

1814  Robert  Motherby. 

1815  Prof.  Dr.  Hagen  jun. 

1816  Pfarrer  Wasianski. 

1817  Dr.  med.  Jachmann. 

1818  Professor  der  Botanik 

Dr.  Schweigger. 

1819  Prof.  Dr.  med.  Elsner  jun. 

1820  Geh.  Rat  von  Madeweis. 

1821  Friedr.  Nicolovius. 

1822  Geh.  Reg.-Rat  Reusch. 


Festredner. 


1.  J.  G.  Scheffner. 

2.  Herbart. 

„Immanuel      Kants     Gedächtnis 
feyer."     (Fr.  Nicolovius  1811.) 

(Prof.  Dr.  Hüllmann.) 


Herbart. 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring. 


427 


Bohnenkönige. 

1823  Geh.  Reg.-Rat  Oberbürger- 

meister Hörn. 

1824  Geh.  Justizrat   Tribunalsrat 

Ehm. 

1825  Geh.  Justizrat   Tribunalsrat 

Ehm. 


1826  Konsistorialrat   Prof.  Dr. 

Kahler. 

1827  Superintendent  Dr.  Wald. 

1828  Dr.  med.  Jachmann. 


1829  Wirkl.    Geh.    Rat     und    Ober- 

präsident von  Schön,    Exz. 
vertreten  durch  Dr.  Jachmann. 

1830  Geh.  Reg.-Rat  Kelch. 

1831  Tribunalsrat  Prof.  Dr. 

Schweickart. 

1832  Kanzler  von  Wegnern,  Exz. 

1833  von  Schön.  Exz. 

1834  ßessel. 


1835  Exz.  von '.Wegnern. 

1836  Obermarschall  Graf  Dohna- 

Wund lacken,  Exz. 

1837  Bessel. 


Festredner. 
Her  bar  t. 

„Das  Andenken  an  große  Männer." 
Herbart. 

1.  Dompred.  S    J.  Zippel. 

„Kants  Philosophie,  eine  kritische, 
populäre,  heilige,  christliche." 

2.  Konsistorialrat  Prof.  Dr.  Wald. 

(Siehe    Reicke,    Kantiana    Kgsber. 
1860.)  * 

3.  Wasianski. 

Lat.  Ode. 


Herbart. 

Superint.  Wald. 

„Zwei  Dinge  erfüllen  das  Gemüt 
mit  immer  neuer  und* zunehmender 
Bewunderung." 


Konsistorialrat  Kahler, 

(dessen  Rede  durch  Dr.  Motherby 
verlesen  wurde). 

Schweickart. 

„Die  Kantische  Philosophie  und 
die  belgische  Revolution." 

Herbart. 
Schweickart. 

„Die  Ursachen  der  neuesten   Re- 
volutionen in  Europa  und  der  Einfluß 
der  Kantischen  Philosophie." 
Bessel. 

„Über  den  Rang  der  Wissen- 
schaften." 

Rosenkranz. 

„Die  Gesamtausgabe  der  Kanti- 
schen Schriften." 

W.  Motherby. 

„Über  die  Kraft  des  Gemütes, 
durch  den  bloßen  Vorsatz  Meister 
seiner  krankhaften  Gefühle  zu  werden." 


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428 


Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 


Festredner. 

Rosenkranz. 

„Schiller  und  Kant." 
Rosenkranz. 

„Über  das  allgemeine  Verhältnis 
der  Kantischen  Philosophie  zum 
18.  Jahrhundert." 

Rosenkranz. 

„Einige  Betrachtungen  über  Kants 
Wohnung." 

1841  Reg.-  und  Schulrat  Dieckmann.       1.  Jacobi. 

„Über  den  Begriff  des  Staates 
nach  Kant." 

2.  Prof.  Dr.  Schubert. 

„Mitteilungen  aus  Briefen  von  und 
an  Kant." 


Bohnenkönige. 

1838  Prof.  Dr.  C.  G.  J.  Jacobi. 

1839  Stadtrat  Härtung. 


1840  Rosenkranz. 


1842  Prof.  Dr.  Schubert. 


1843  Prof.  Dr.  Moser. 

1844  Kommerzien-  und  Admiralitäts- 

rat Becker. 


Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Sachs. 

».Einige  Bemerkungen  über  die 
neue  Ausgabe  von  Kants  Werken 
und  über  Kant  selbst." 

Rosenkranz. 

„Kants  Aussprüche  über  Zensur.*4 

1.  Rosenkranz. 
„Kants     Darstellung      des      not- 

wendigen  Antagonismus  zwischen  den 
drei  oberen  und  der  unteren  Fakultät" 

2.  Becker. 

„Über  die  erste  Bildung  des  Ver- 
eins und  die  gesellschaftlichen  Be- 
stimmungen desselben." 

3.  Prof.  Dr.  Caesar  von  Lengerke, 

„Humoristische  Tischrede," 

184f)  Konsistorialrat  und  Hofprediger      1-  Sachs. 

Dr.  Sieffert.  2-  Geh-  Reg--Rat  Prof.  Dr.  Schubert. 

„Notizen  über  die  fünfzehnjährige 
Privatdozentenschaft  Kants." 

3.  v.  Lengerke. 

„Ehrung  Kante  bei  der  Uni- 
versitätsjubelfeier".    (Gedicht!  » 

1846  Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  Voigt.       ]-  Schubert. 

„Die  Reihenfolge  der  Vorlesungen 
Kants". 
2.  Pfarrer  Dr.  Heinel. 

„Gedicht  über  Friedrich  II." 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring. 


429 


Bohnenkönige. 


1847  Prof.  Dr.  F.  Neumann. 

1848  Tribunalsrat   Dr.   Ed.  Simson. 

1849  Prof.  Dr.  Lehrs. 


1850  Prof.  Dr.  Hirsch. 

1851  Prediger  Voigdt. 

1852  Dr.  Aug.  Simson. 

1853  Prof.  Dr.  Sanio. 

1854  Stadtrat  Meyerowitss. 

1855  Superintendent  Dr.  Gregor. 

1856  Konsul  B.  Lorek. 

1857  Kommerzienrat  Oaedeke. 

1858  Dr.  Kosch. 

1859  Dr.  Joh.  Jacoby. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  5  u.  6 


Festredner. 

3.  Geh.  Oberreg.-Rat  Reusch. 

„Aus    einem    Gedächtniszettel 
Kants." 

4.  Voigt. 

„Toast  auf  Kant  und  seinen  Vater 
Joh.  Georg  Kant." 

Rosenkranz. 

„Kant  in  Frankreich." 

Rosenkranz. 

„Verhältnis  des  italienischen  Philo- 
sophen Gioberti  zu  Kant." 

1.  Lehrs. 

„Die  Philosophie  und  Kant  gegen- 
über dem  Jahre  1848." 

2.  Prof.  Dr.  Aug.  Hagen. 

(Gedicht !) 

Rosenkranz. 

„Über  das  Verhältnis  des  preußi- 
schen Staates  zur  Philosophie." 

Auszug  aus  Kants  „Zum  ewigen 
Frieden." 

Rosenkranz. 

„Über  das  für  Kant  projektierte 
Standbild." 

Auszug  aus  dem  „Streit  der 
Fakultäten.4' 

Rosenkranz. 

„Kant  und  Schopenhauer." 

„Über  den  Pfarrer  Mrongovius 
und  dessen  philosophische  Abhand- 
lung über  Religion  und  Moral." 

Rosenkranz. 

„Über  die  Schwierigkeiten,  die 
R.  und  Schubert  bei  der  Herausgabe 
Kants  erwuchsen. " 

Schubert. 

„Ideen  Kants  zur  Anthropologie, 
schon  in  den  früheren  Werken  er- 
kennbar." 

Rosenkranz. 

„Kant  und  Hamann." 

„Kant  und  Lessiug." 

28 


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430 


Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 


ßohnenkönige. 

1860  Prof.  Dr.  von  Wittich. 

1861  Dr.  R.  Reicke. 

1862  Direktor  Dr.  Skrzeczka. 

186H  Stadtrat  Hensche. 

1864  Prof.  Dr.  Erh.  Hagen. 

1865  Prof.  Dr.  Gust.  Werther. 

1866  Dr.  Hay. 

1867  Dr.  A.  Hensche. 

1868  Prof.  Dr.  A.  Müller. 

1869  Prof.  Dr.  Überweg. 

1870  Gutsbesitzer  D.  Minden. 

1871  Prof.  Dr.  J.  Möller. 

1872  Prof.  Dr.  H.  Bohn. 

1873  Dr.  E.  Arnoldt. 

1874  Oberlehrer  C.  Witt. 

1875  Dr.  med.  Stobbe,  f  8.  Januar 

Dr.  jur.  W.  v.  Brünneck. 

1876  v.  Brünneck. 

1877  Dr.  B.  Bobrik. 

1878  Stadtgerichtsrat  Ernst  Wiehert. 

1879  Prof.  Dr.  Walter. 


Themen  der  Festreden. 

„Über  Baco  von  Verulam.  seine 
Stellung  zu  seinem  Einfluß  auf  die 
empirischen  Naturwissenschaften.44 

„Kant  und  Basedow.  Philan- 
thropinische  Königsberger  Skizzen." 

„Einiges  über  das  Wesen  des 
Staates."  Mitteilungen  aus  Kante 
Werken. 

Rosenkranz. 

„Die  Lehren  der  bedeutendsten 
Philosophen  verglichen  mit  denen 
Kante". 

„Bemerkungen  über  Kants  Schrift 
zum  ewigen  Frieden." 

„Über  Kants  Doktor -Dissertation 
vom  17.  April  1755." 

„Über  Kants  Kosmogonie." 

„Kant  und  die  KantgesellschÄft/' 

„Die  Grundlagen  der  Kantischen 
Philosophie  vom  naturwissenschaft- 
lichen Standpunkte  gesehen." 

„Der  Grundgedanke  des  Kanti- 
schen Kriticismus  nach  seiner  Ent- 
stehungszeit und  seinem  wissenschaft- 
lichen Wert." 

„Der  Humor  Kante  im  Verkehr 
und  in  seinen  Schriften.'4 

„Unser  Fortschritt  zum  ewigen 
Frieden." 

„Über  Kante  Beziehungen  zur 
Medizin." 

„Metaphysik  die  Schutzwehr  der 
Religion." 

„Über  Kante  moralischen  Rigo- 
rismus." 

„Kant  über  die  Unrechtmäßigkeit 
des  Büchernachdrucks." 

„Über  Kants  Theorie  vom  Eigen- 
tumserwerb an  Sachen,  die  ein  Nicht- 
eigentümer veräußert." 

„Immanuel  Kants  Ansichten  über 
das  weibliche  Geschlecht." 

„Verse  Kante  und  an  Kant/4 

„Kante  Ansichten  über  die  Freund- 
schaft." 


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Von  Prof.  Alfred  Döhring. 


431 


ßohneokönige. 

1880  Prof.  Dr.  Rühl. 

1881  Prof.  Dr.  Schade. 


1882  Prof.  Dr.  Prutz. 

1883  Dr.  Rieh.  Arnoldt, 

der  vor  dem  22.  April 
als  Gymnasialdirektor  nach 
Prenzlau  übergesiedelt  war. 

1884  Dr.  Rieh.  Arnoldt. 


1K85  Oberlandesgerichtsrat 
L.  Passarge. 

1886  Prof.  Dr.  Baumgart. 

1887  Prof.  Dr.  Thiele. 

1888  Oberlehrer  C.  Baske. 

1889  Oberlehrer  Dr.  Krause. 

1890  Dr.  Raht*. 

1891  Bürgermeister  Hoffmann. 

1892  Stadtrat  Graf. 

1893  Oberlehrer  Dr.  Schöndörffer. 

1894  Dr.  med.  J.  Rupp. 

1895  Prof.  Dr.  E.  Berthold. 

1896  Bürgermeister  Brinckmann. 

1897  Rechtsanwalt  Lieben thal. 

1898  Stadtrat  Dr.  Simon. 

1899  Prof.  Dr.  Gerlach. 


Themen  der  Festreden. 

„Über  Kants  Idee  zu  einer  all- 
gemeinen Geschichte  in  weltbürger- 
licher Absicht." 

„Über  Kants  Sprache,  besonders 
in  seiuer  ersten  Schrift,  die  Gedanken 
von  der  wahren  Schätzung  der  leben- 
digen Kräfte." 

„Kant  und  der  preußische  Staat." 

(Kante  lat.  Zitate.) 


Oberstabsarzt  Dr.  Petruschky: 

„Über  die  geistige  Arbeit  an  uns 
selbst." 

Reicke : 

„Aus  Kants  Briefwechsel". 

„Über  Kants  Kritik  der  ästheti- 
schen Urteilskraft/4 

„Entwickelung  der  Lehre  Kants 
vom  Räume." 

„Kant  als  Pädagoge." 

„Kants  Lehre  von  Staat." 

„Kants  Ansichten  über  die  Ent- 
stehung unseres  Planetensystems." 

„Teilnahme  Kants  an  öffentlichen 
A  n  gelegenhei  ten .  * ' 

Prof.  Dr.  Rühl: 

„Kant  über  den  ewigen  Frieden." 

„Kants  Definition  vom  Genie." 

„Immanuel  Kants  ethisches  Ge- 
meinwesen und  der  Plan  Jesu  nach 
der  Lehre  Julius  Rupps." 

„Kants  Regeln  eines  geschmack- 
vollen Gastmahls  und  seine  Umgangs- 
tugenden." 

„Kants  lieben  und  Lehre:  ein 
Bild  vollkommenen  Gleichmuts  und 
vollendeten  Maßhaltens." 

„Kantischer  Geist  in  unserem 
neuen  bürgerlichen  Recht." 

„Kant,  das  Kind,  und  die  Kinder." 

„Kants  Einfluß  auf  die  Sozial- 
wissenschaft in  ihrer  neuesten  Ent- 
wickelung." 

28* 


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432 


Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  etc. 


Bohnenkönige. 

1900  Realgymnasialdirektor  Wittrien. 

1901  Dr.  A.  Dullo. 

1902  Dr.  med.  Hallervorden. 

1903  Dr.  med.  Stern. 

1904  Dr.  med.  8.  Cohn. 


1905  Prof.  A.  Döhring.  (Minister: 
Privatdozent  Lic.  R.  Hoff- 
mann und  Oberlandesge- 
richtsrat Ed.  Ruffmann.) 


Themen  der  Festreden. 

„Kants  Stellung  zur  Mathematik/- 

„Kants  Umgebung." 

„Kants  Verhältnis  zu  seinem 
Feinde  Prof.  Metzger.'4 

„Darstellung  der  Kantischen  \j\- 
sung  des  Freiheitsprobleins." 

Arnold  t. 

„Rechtfertigung  von  Kants  Be- 
weisen für  den  ersten  Teil  der  ersten 
Antinomie  in  der  Kritik  der  reinen 
Vernunft." 

„Rückblick  auf  dieersten  100  Jahre 
der  Gesellschaft.4* 


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Trescho  als  „Deutscher  Yorick". 

Von 
Jobs.  Sembrltzkl-Memel1). 


Als  meine  Biographie  Trescho's  (Oberländische  Geschichts- 
blätter, 1905,  Heft  VII;  176  Seiten)  bereits  gedruckt  vorlag,  er- 
hielt ich  von  Karl  Theodor  Völcker's  Antiquariat  zu  Frankfurt 
a.  M.  dessen  Katalog  244  über  „Deutsche  Literatur  seit  1750" 
und  fand  darin  ein  Büchlein  aufgeführt,  das  ich  mir  wegen  des 
Anklanges  im  Titel  an  Trescho's  „Näschereyen  in  die  Visiten- 
Zimmer  am  Neujahrs-Tage"  (Königsberg,  1762)  kommen  ließ. 
Das  Schriftchen,  welches,  wie  Trescho's  eben  genannte  Arbeit, 
64  Seiten,  nur  statt  in  8°  in  klein  8°  (so  nach  der  Signatur; 
nach  der  Höhe,  13  cm,  könnte  das  Format  auch  als  12°  be- 
stimmt werden)  umfaßt,  betitelt  sich  nämlich:  „Empfindsame 
Eeisen  durch  die  Visiten -Zimmer  am  Neu- Jahrs-Tage.  Von 
einem  deutschen  Yorick  angestellet.  Zweyte  verbesserte  und 
vermehrte  Auflage.  Cosmopolis.  1773".  Auf  der  Rückseite  des 
Titelblatts  steht  „I.  Neu-Jahrs-Qeschenk  an  die  Welt-Bürger". 
Seite  3  und  4  enthalten  den  „Vorbericht.  Wenn  ein  Verleger 
von  dem  geschwinden  und  starken  Abgang  einer  Schrift  einen 
Beweis  von  deren  Güte  hernehmen  kan:  so  müssen  wir  be- 
kennen, daß  sie  bey  diesem  kleinen  Werkgen  entschieden  ist. 
Eine  ganze  Auflage  wurde  hievon  innerhalb  vier  Wochen  ab- 
gesetzt, und  gleichwohl  kamen  eben  nicht  viele  Exemplare  davon 
in  die  öffentlichen  Buchläden.  Die  Begierde  nach  dieser  Schrift 
wuchs  zugleich  mit  dem  Mangel  derselben,  und  die  Recensionen 


1)  Eingegangen  den  4.  Juli  1905.     Die  Red. 


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434  Troscho  als  „Deutscher  Yorick". 

waren  duichgehends  für  sie  zu  günstig,  als  daß  wir  uns  nicht 
hätten  entschließen  sollen,  eine  zweyte  Auflage  hievon  zu  ver- 
anstalten. Diese  erscheint  anjetzt,  und  zwar  durchgehende  ver- 
bessert und  vermehrt.  Das  letzte  Stück,  die  Bibliothek  eines 
Frauenzimmers,  ein  Fragment,  so  neu  dazu  gekommen,  macht 
seinem  Verfasser  wahre  Ehre,  und  gibt  dieser  neuen  Auflage 
einen  großen  Vorzug  vor  der  vorhergehenden.  Wir  machen  es 
uns  übrigens  zur  Pflicht,  diese  zur  Ausbreitung  des  Geschmacks, 
der  Tugend  und  Religion  gemeinnützige  Schrift  ferner  fort- 
zusetzen, und  nächstens  das  4te  Stück  davon  zu  liefern.  Ham- 
burg, den  1  sten  December,  1772.  Die  Verleger."  Auf  Seite  5 — 8 
liefert  der  „Verfasser",  welcher  sich  „B****."  unterzeichnet, 
folgende  „Einleitung.  Empfindsam  zu  reisen,  ist  jetzo  zur 
Mode  geworden.  Dieser  Ausdruck  ist  neu,  und  hat  sein  Daseyn 
der  Erfindung  des  Herrn  Bibliothekar  L  es  sing  zu  verdanken. 
Seit  den  drey  Jahren  seiner  Entstehung  an  hat  er  sich  viele 
Liebhaber  und  einige  Nachahmer  erworben.  Herrn  Laurenz 
Sterne  wurde  die  Erfindung,  durch  Frankreich  und  Italien  allein 
empfindsam  reisen  zu  können,  beneidet  [Johann  Joach.  Chph. 
Bode,  welcher  bekanntlich  mit  Lessing  eine  Buchdruckerei  und 
Buchhandlung  begründete,  übersetzte  „Yoricks  empfindsame  Reise 
durch  Frankreich  und  Italien"  aus  dem  Eng),  des  Lorenz  Sterne; 
Hamburg  und  Bremen  1768;  1769;  1771—75;  1776].  Daher 
entstund  in  Deutschland  überall  eine  Begierde,  dem  englischen 
Erfinder  empfindsam  nachzureisen.  Herr  Canonicus  Jacobi  hat 
unter  den  Deutschen  die  Ehre,  der  erste  Nachahmer  zu  seyn. 
Seine  erste  Reise  geschähe  im  Winter  und  war  um  so  viel 
beschwerlicher  [Joh.  Georg  Jacobi,  die  Winterreise,  Düsseldorf 
1769].  Desto  angenehmer  ist  im  Gegentheil  seine  zweyte  Reise 
gewesen,  die  er  im  Sommer  antrat  [Die  Sommerreise,  Halle  1770]. 
Der  Verfasser  der  Tagereisen  [hierüber  blieb  die  Ermittelung 
bisher  erfolglos]  schien  deswegen  den  Tag  zu  seinen  Reisen  zu 
wählen,  weil  er  sich  von  seiner  Empfindsamkeit  des  Nachts 
wenig  versprach;  allein,  er  verlor  plötzlich  das  Gesicht,  und  wir 
bedauern     ihn     auf     seinen     unempfindsamen     Reisen.        Herr 


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Von  Johs.  Sembritzki.  435 

Schummel  [Joh.  Gottl.  Schummel,  Empfindsame  Reisen  durch 
Deutschland.  Wittenberg  1770 — 72]  scheinet  auf  seinen  empfind- 
samen Reisen  durch  Deutschland  glücklicher  zu  seyn;  wir  ver- 
missen jedoch  an  seiner  Empfindsamkeit  die  Yorksche  [Toricksche] 
Laune.  Ob  ich  auf  meinen  Reisen  durch  die  Visiten-Zimmer 
empfindsamer  gewesen  bin,  überlasse  ich  dem  Leser  zur  Be- 
urtheilung.  Ich  mußte  mir  wenigstens  den  Schein  eines  empfind- 
sam Reisenden  geben;  weil  jetzt  Jedermann  empfindsam  seyn, 
und  nichts,  als  nur  Empfindsames,  lesen  will/1 

Hier  erklärt  sich  also  der  unbekannte  B****  geradezu  als 
Verfasser  des  Schriftchens;  es  ist  dasselbe  aber  weiter 
nichts,  als  ein  verkürzter  wörtlicher  Nachdruck  der 
oben  genannten  „Näschereyen  in  die  Visiten-Zimmer 
am  Neujahrstage"  von  Sebastian  Friedrich  Tresoho  unter 
Einschiebung  der  Worte  „empfindsam,  Empfindsames"  an  einzelnen 
Stellen,  die  dem  Nachdrucker  dazu  passend  erschienen,  ohne  es 
darum  wirklich  zu  sein. 

Trescho's  Schriftchen  umfaßt  zehn  einzelne  Aufsätze,  von 
denen  hier  sieben  in  anderer  Reihenfolge  gebracht  werden.  Zu* 
erst  kommt  Trescho's  Nr.  2  „Allgemeines  Perspektiv  durch  alle 
Visitenzimmer",  von  dem  der  Neujahrsbrief  hier  abgetrennt  als 
besonderer  Artikel  „Neujahrs  wünsch a  erscheint.  Es  folgen 
Trescho's  Nr.  5  „Berechnung  eines  Weisen  mit  sich  selbst", 
dann  Trescho's  Nr.  9  „Entschlüsse"  (gekürzt),  Trescho's  Nr.  8 
„Die  Art  sein  Geld  gut  unterzubringen"  unter  dem  etwas  ab- 
geänderten Titel  „Die  beste  Art,  sein  Geld  unterzubringen", 
Trescho's  Nr.  6  „Ein  Wort  im  Vertrauen  an  die  jungen  [hier: 
an  junge]  Dichter",  Trescho's  Nr.  4  „[Etwas]  Aus  der  Haus- 
haltungskunst" (sehr  gekürzt),  endlich  Trescho's  Nr.  3  „Etwas 
für  Alle"  unter  dem  Titel  „Etwas  Empfindsames  für  Alle.  Hier 
ist  mehr  als  Yorick!"  Während  Trescho  darin  am  Schlüsse 
sagt:  „Denn  wird  Etwas  für  Alle  daraus  entstehen"  etc.,  wird 
hier  hinter  „Alle"  noch  eingeschoben:  „und  zwar  etwas  recht 
Empfindsames".  —  Die  von  pg.  55  ab  noch  folgenden  zwei  Auf- 
sätze „Der  Hörsaal"  (Anfang:  „Akademien  sollten  nur  den  Musen 


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436  Trescho  als  „Deutscher  Yorick''. 

geheiligte  Oerter  seyn")  und  „Bibliothek  eines  Frauenzimmers, 
ein  Fragment4'  (wie  es  in  einer  Anmerkung  heifit  „aus  einem 
wirklich  vorhandenen  Briefe  entnommen")  stehen  nicht  in 
Trescho's  Schrift;  in  der  Bibliothek  sind  u.  a.  Hirschfeld,  dessen 
Landleben  1767,  und  Zollikofers  Liedersammlung  (Neues  Gesang- 
buch etc.),  die  1766  erschien,  aufgeführt,  und  sie  schließt: 
„Warum  muß  doch  ihre  [der  Freundin]  Abwesenheit  mein  Glück 
unvollkommen  lassen?  — ". 

So  haben  denn  Trescho's  wohlgemeinte  und  gut  geschriebene 
„Näschereyen",  die  er  ohne  Nennung  seines  Namens  erscheinen 
ließ,  zehn  Jahre  später  in  dem  von  Königsberg  so  weit  entfernten 
Hamburg  einen  spekulativen  Jemand  gefunden,  der  ihren  Wert 
erkannte  und  ihren  Verfasser  sogar  über  Sterne  setzte  („Hier 
ist  mehr  als  Yorick !"),  und  daß  seine  Schätzung  richtig  gewesen, 
zeigte  die  lebhafte  Nachfrage  nach  dem  Büchlein,  die  eine  zweite 
Auflage  nötig  machte;  dort  also  sind  Trescho's  herzliche  Worte, 
ihm  wohl  ganz  unbewußt,  auf  guten  Boden  gefallen  und  haben 
gewiß  auch  Frucht  getragen.  —  Der  Veranstalter  des  Nachdrucks 
scheint  übrigens  nach  dem  Vermerk  auf  der  Rückseite  des 
Titelblatts  auch  Trescho's  1761  erschienenes  „Neujahrsgeschenk 
für  meine  Mitbürger"  gekannt  zu  haben;  hat  er  es  etwa  eben- 
falls nachgedruckt,  so  wäre  das  Versprechen  eines  „vierten  Stücks" 
im  „Vorbericht"  erklärt:  das  Neujahrsgeschenk  wäre  das  erste, 
die  erste  Auflage  der  „Empfindsamen  Reisen"  das  zweite,  die 
zweite  Auflage  das  dritte.  —  Geziert  ist  das  Schriftchen  durch 
zwei  unschöne  Vignetten.  Auf  dem  Titelblatt  hat  eine  sitzende 
weibliche  Person  mit  der  rechten  Hand  eine  Maske  abgenommen 
und  macht  mit  der  Linken  eine  einladende  Handbewegung  zu 
einem  unfern  mit  einem  Buche  sitzenden  Knaben,  dessen  Ge- 
sicht aber  einen  ängstlich-mißtrauischen  Ausdruck  zeigt;  kein 
Wunder,  da  die  Figur  wie  eine  Vogelscheuche  aussieht  (Ver- 
fertiger, so  weit  lesbar,  K.  Loefler). 


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Kritiken  und  Referate. 


8onf,  $U00,  Dr.,  Wejd)id)te  bei  Statt  drengfurt.  $uv  freier  be£  öOOjäfrigen 
3tabt=3ubitäumS  am  4.  3uli  1905  im  Stmttage  bet  Stabt  gefdjrieben. 
ftaftenburg,  Gbuarb  2U){,  ®.  m.  b.  §.,  1905  (1  5BI.  100  pg.)  8°.  Wit 
4  ftbbilbungm. 

Mit  den  Städten  ist's  wie  mit  den  Menschen.  Auch  unter  ihnen  gibt's 
Glückspilze  und  Pechvögel,  behäbige,  selbstbewußte  Individuen  und  bescheidene 
Existenzen;  jede  hat  ihre  besondere  Physiognomie,  jede  ihren  eigentümlichen 
Charakter.  So  mancher  unter  den  Menschen  lebt  dahin,  einfach,  anspruchslos; 
man  kann  ihm  nichts  vorwerfen,  treulich  erfüllt  er  alle  seine  Pflichten  und 
Obliegenheiten,  —  aber,  ohne  Mittel  und  ohne  Fürsprache,  von  Schicksals- 
schlägen verfolgt,  hat  es  ihm  nie  glücken  wollen,  sich  emporzuarbeiten,  sich  zu 
vervollkommnen.  Trotz  allen  Müheus  hat  er  nie  mehr,  als  zur  täglichen  Not- 
durft erforderlich,  zu  erwerben  vermocht;  doch  geduldig  und  zufrieden  trägt  er 
sein  Los.  Und  lernt  man  ihn  näher  kennen,  —  man  gewinnt  ihn  lieb  ob  seiner 
Bescheidenheit,  seiner  Gemütlichkeit,  seiner  stillen  Tugenden.  Ahnlich  verhält 
es  sich  mit  mancher  kleinen  Stadt,  —  auch  mit  Drengfurt,  dessen  Geschichte 
wir  jetzt  besitzen  und  zwar  aus  der  bewährten  Feder  Dr.  Hugo  Bonk's, 
Gymnasialoberlehrers  zu  Osterode  i.  Ostpr.,  dem  die  „Altpreußische  Monatsschrift" 
manchen  guten  Artikel  verdankt.  Mangel  am  Nötigsten,  Dürftigkeit,  Unter- 
stützungsgesuche, Brände,  Epidemien,  —  das  ist's,  was  uns  bis  ins  neunzehnte 
Jahrhundert  hinein  überall  im  Büchlein  entgegenschaut  und  ein  wehmütiges 
Gefühl  erweckt,  —  bis  ein  Blick  auf  die  vier  hübschen,  der  Schrift  voran- 
geschickten Ansichten  uns  zeigt,  daß  das  Drengfurt  von  heute  ein  freundliches, 
sauberes,  bescheiden  strebendes  Örtchen  ist,  in  dem  sich's  wol  traulich  hausen  mag. 

Der  Verfasser  gibt  uns  in  seiner  Arbeit,  was  er  auf  Grund  des  vor- 
handenen Materials  zu  geben  vermochte;  da  die  Magistratsarchivalien  aus  früherer 
Zeit,  die  ein  volleres,  lückenloseres  Bild  hätten  geben  können,  fehlen,  und  die  im 
Staatsarchiv  zu  Königsberg  vorhandenen  Akten  doch  immer  nur  über  einzelne 
Episoden  Licht  verbreiten,  so  konnte  die  Darstellung  nicht  anders  als  etwas 
sprunghaft  ausfallen  und  kann  dem  Verfasser  daraus  kein  Vorwurf  gemacht 
werden.    Aber  auch  so  bringt  er  manches  von  allgemeinerem  Interesse,  wie  über 


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438  Kritiken  und  Referate. 

das  Siegel  der  Stadt,  den  Zustand  derselben  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts, 
die  Geschichte  der  Gewerke,  aus  der  Franzosenzeit  usw.  Sehr  bedauerlich  ist, 
daß  die  nach  pg.  19  auf  dem  Titelblatt  befindliche  Siegelabbildung  der  An- 
merkung auf  pg.  20  zufolge  bat  wegbleiben  müssen;  ein  geschickter  Lithograph 
hatte  die  Sache  gewiß  besser  gemacht,  als  eine  Stempelfabrik.  Bei  der  Er- 
wähnung des  1775—1778  erbauten  Rathauses,  welches,  nebenbei  gesagt,  eine 
auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  1752—1755  errichteten  Tilsiter  Rathause  hat, 
wäre  eine  Aufklärung  erwünscht  gewesen,  aus  welchem  Grunde  an  seiner  Süd- 
seite das  kurfürstliche  Wappen  aus  der  Zeit  Johann  Sigismunds  angebracht 
wurde  und  woher  es  stammt  (vom  früheren  Rathause?).  Eine  mit  biographischen 
Angaben  ausgestattete  Reihenfolge  der  Pfarrer,  Rektoren  und  Bürgermeister, 
soweit  sie  zusammenstellbar,  wäre  ebenfalls  sehr  willkommen  gewesen;  Personal- 
und  kulturgeschichtliche  Notizen  bilden  einen  Teil  des  Hauptwerts  kleiner 
Provinzialstädtegeschichten.  Diese  kleinen  Bemerkungen  sollen  und  werden  der 
fleißigen  Arbeit  nichts  von  ihrem  Werte  nehmen;  sie  füllt  ihren  Platz  in  der 
Reihe  der  im  Laufe  dieses  Jahres  erschienenen  Städtegeschichten  angemessen  aus. 

Memel,  September  1905.  Johs.  Sembritzki. 


Dr.  phil.  P.  Westphal.  Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  in  Pommerellen. 
Mit  zwei  Karten  und  einem  Plan.  (Oktav,  S.  7—138.)  Danzig  1905. 
Daraus  besonders  die  Kapitel  1—9  (Seite  7—55)  als  Breslauer  Inau- 
gural-Dissertation  unter  dem  Titel:  „Die  Frühzeit  des  Klosterterri- 
toriums in  Pelplin". 

Die  bisherigen  zwei  Bearbeitungen,  Strehlke's,  Doberan  und  Neu-Doberan 
(1868)  und  mein  Opactwo  Pelplhiskie  (VI  und  496  Seiten;  1875)  erschöpften 
den  Gegenstand.  Neue  Quellen  sind  nicht  erschlossen,  obwohl  1882  die  älteren 
Urkunden  in  Dr.  Perlbachs  Pommerellischem  Urkundenbuch,  und  1884  das 
1402  erneuert«  (nicht  angelegte,  wie  Dr.  W.  S.  8  schreibt)  und  bis  ins 
XVII.  Jahrhundert  fortgesetze  Pelpliner  Totenbuch  in  den  Monumenta  Poloniao 
Historica  IV,  64—123  veröffentlicht  sind. 

Angesichts  dessen  wäre  nicht  eine  selbständige  wissenschaftliche  Arbeit, 
wie  sie  von  einer  Dissertation  verlangt  wird,  sondern  eine  lesbare  Bearbeitung 
angezeigt  gewesen,  welche  zugleich  die  bei  mir  vorgefundenen  Fehler  oder  Irrtümer 
hätte  nachweisen  und  verbessern  können.  Trotzdem  will  der  Verfasser  selbst- 
ständig sein.  Im  Vergleich  zu  meiner  Arbeit  hat  er  sein  Thema  enger  gefaßt: 
„Eine  Klostermonographie  ist  tunlichst  vermieden.  Nur  wo  eine  frühere  Be- 
arbeitung nicht  erschöpfend,  resp.  unrichtig  ist,  setzt  die  Arbeit  ein,  sucht  im 
übrigen   besonders   rechts-,    wirtschafts-   und   kulturhistorischen  Fragen   zu   be- 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.     Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  etc.     43<j 

gegnen."  (7)1)  In  einem  vermeintlichen  Gegensatze  zu  mir  verspricht  er  sodann 
„eine  klarere  Darlegung  der  Verhältnisse  (welcher?)  im  Klostergebiete,  eine 
nachdrücklichere  Betonung  des  deutschen  Charakters  der  Abtei,  der  sich  vor- 
nehmlich in  ihrer  Kolonisationstätigkeit  und  im  Kampfe  mit  dem  kujavischen 
Klerus  (c.  1401 — 1581)  kennzeichnet  (8)."  „Statt  eines  onomatologischen  Exkurses 
in  die  Ortsnamen  der  Umgegend  sind  im  Text  vorkommenden  slavischen  (soll 
heißen :  polnischen)  Ortsnamen  einigermaßen  verbürgte  Deutungen  beigefügt"  (8). 

Der  als  Dissertation  herausgegebene  Teil  bietet  nach  zwei  einleitenden 
Paragraphen  (die  Bezeichnung  Kapitel  ist  nur  auf  dem  Titelblatte  gebraucht) 
im  §  3  und  4  einen  ., geographischen  Überblick"  und  eine,  wie  billig,  an 
Lissauers  Prähistorische  Denkmäler  Westpreußens  sich  anlehnende  Schilderung 
der  „  Vorzeit'*.  Die  §§  5—7  sodann  behandeln  Pommerellen  im  1 3.  Jahrhundert 
(25— 32),  Sambor  II  (33—44)  und  die  Cisterzienser  im  mittelalterlichen  Koloni- 
sationsgebiet (44—47).  Den  Abschluß  bilden  §8,  Samburia  oder  Novum  Doberan 
(47—52)  und  §  9  Monasterium  Pelplinense  (52—55). 

Der  Verfasser  wirft  mir  vor,  ich  hätte  „die  Ijandesgeschichtc  als  Füll- 
werk"  benutzt  (11).  Auch  bei  ihm  muß  der  Leser  außer  zahlreichen  und  gewiß 
auch  notwendigen  Notizen  aus  der  heimischen  Geschichte  (besouders  auf  S.  101 
bis  111)  die  Geographie  und  Urgeschichte  der  Kreise  Pr.  Stargard,  Dirschau 
und  Marienwerder  links  der  Weichsel  auf  dem  Hintergrunde  des  ganzen  Bern- 
steinlandes, sowie  eine  Vorgeschichte  der  Cisterzienser  in  Norddeutschland, 
einen  besonderen  Abschnitt  über  Pommerellen  im  13.  Jahrhundert  und  üb^r 
Sambor  II  hinnehmen,  bevor  der  Gegenstand  selbst  begonnen  wird. 

Die  zwei  zuletzt  genannten  Abschnitte  sind  die  umfangreichsten  und  ver- 
hältnismäßig selbständigsten. 

In  dem  ersteren  behauptet  Dr.  W.,  daß  „der  Ackerbau  in  der  Beschäf- 
tigung des  Pommern  nicht  vorherrschend  war,  denn  nur  leichte  Sandstriche 
konnte  sein  unzulänglicher,  hölzerner  Hakenpflug  stürzen  —  den  ergiebigen, 
schweren  Schwarzboden  nahm  erst  der  deutsche  Einzögling  mittelst  des  eisernen 
Doppelpfluges  in  Angriff  — ;  vielmehr  lag  jener  im  wald-  und  sumpfreichen 
Lande  der  Jagd,  Fischerei  und  Bienenzucht  ob.  (28.)"  Und  dabei  erzählt  der 
Verfasser  kurz  vorher,  daß  die  durch  ihren  schweren  Lehmboden  berühmte, 
„kleine  Landschaft  Wanska  um  1300  noch  15  Ortschaften  hatte,  von  denen  heute 
nur  sechs  erhalten  sind  (13)!"  Wenn  ferner  Mestwin  II  an  den  Großvater  und 
Vater  des  Jacob  und  Johann  von  Löblau  in  der  Danziger  Niederung  neun  mit 
Namen  angeführte  Dörfer  geschenkt  hat  (P.  U.  660,  680) 2),  und  wenn  die  Her- 
zogin Saloraea    von  Cujavien    1309    alle   ihre    Dörfer   und    Güter   zwischen  der 

1)  Mitzählen  ohne  jeden  Zusatz  bezeichne  ich  Seiten  der  angezeigten  Studie. 

2)  P.  U.  bedeutet  das  Pommerellische  Urkundenbuch;  die  Zahl  dahinter 
gibt  die  Nummer  der  Urkunde  an. 


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440  Kritiken  und  Referate. 

Weichsel,  Nogat  und  dem  Frischen  Haff  verkauft  (P.  U.  671),  so  war  auch  dort 
der  Boden  bestellbar.  Dies  diene  als  Hintergrund  für  die  weitere  vage  Be- 
hauptung des  Verfassers,  daß  „das  Weichseltal  bis  ins  XIII.  Jahrhundert  noch 
ein  sumpfiges  Schwemmland  war,  von  Sumpfstrichen  umrahmt  (13)." 

In  der  Wirklichkeit  war  auch  der  polnische  Haken  ein  ganz  brauchbares, 
keineswegs  ausschließlich  auf  Sandboden  verwendbares  Gerät.  Zufällig  kann  ich 
mich  darauf  berufen,  daß  ein  in  meiner  Gemeinde  geborener,  heute  hochbetagter 
Rentenempfänger,  hier,  mitten  im  Zuckerrübenbezirk  des  Culmerlandes,  noch 
bis  in  die  sechziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  einen  mit  vier  Ochsen  be- 
spannten Hakenpflug  geführt  hat.  Aus  derselben  Zeit  ist  mir  gelegentlich  der 
Gebrauch  des  Hakens  im  Kreise  Stuhm  bezeugt  worden,  dessen  schwerer  Boden 
bekannt  ist.  Überdies  erschien  1774  in  Berlin  eine  mit  zahlreichen  Kupfer- 
stichen versehene  Abhandlung  von  C.  W.  C.  Schumacher:  „Vom  Hacken  als 
einem  vorzüglichen  Ackerwerkzeuge  statt  des  Pfluges1)." 

Nebenbei  bemerkt,  sind  die  „Plofun"  in  M.  Toeppens  Zinsverfassung  von 
Preußen  ein  Lesefehler  statt  Plosun  und  Plosen.  Dies  Wort  (von  plosa,  und 
dies  von  plos,  Pflugsohle)  bezeichnete  zur  Ordenszeit  den  Haken  oder  die 
polnische  Hufe,  und  bedeutet  auch  jetzt  noch  in  Cujavien  vielfach  ein  kleineres 
Feldmaß. 

Um  jedoch  seine  Meinung  von  dem  spärlichen  Ackerbau  des  „pomraerschen 
Waldbauers"  aufrecht  zu  erhalten,  erinnert  Dr.  W.  daran,  daß  die  Johanniter- 
urkunde  von  1198  (P.  U.  9)  vom  Lachs-  und  Biberfange  spricht  (28),  erwähnt 
aber  nicht,  daß  in  derselben  Urkunde  der  Zehnte  von  dem  Feldbau  aus  den 
fürstlichen  Gütern  um  Biala  bei  Schwetz  —  cum  omni  deeimacione  arature  mee 
in  omni  provincia  Iatlunensi  —  vergabt  wird,  und  daß  der  Bischof  seinen 
Zehnten  von  Biala  und  Taschau  hinzufügt. 

„Die  spärlichen  Felder,  heißt  es  dann  bei  Dr.  W.  weiter,  kannten  keine 
Einteilung  nach  einem  einheitlichen  Landmaß;  es  herrschte  große  Unregel- 
mäßigkeit im  Anbau,  der  sich  jedoch  erweiterte,  so  daß  Papst  Eugen  ins  vom 
Zehnten  der  Getreideausfuhr  1148  sprechen  kann  (29)**.  Den  Beweis  für  die 
unglaubliche  Behauptung  von  dem  Mangel  eines  einheitlichen  Landmaßes  bleibt 
Dr.  W.  schuldig. 

Hier  einige  Gegenbeweise!  Die  eben  erwähnten  Plosen  könnten  als  in 
der  Ordenszeit  nachgewiesen,  für  das  XII.  und  XIII.  Jahrhundert,  obwohl  mit 
Unrecht,  zweifelhaft  erscheinen.  Aber  Dr.  W.  betont  nachdrücklich,  daß  es  ihm 
vergönnt  ist,  aus  dem  Pommerellischen  Urkundenbuche  „nach  dreijähriger  Arbeit 
hier  die  Summe  zu  ziehen  (135)".     Dort  lesen  wir  jedoch   gleich  in  Nr.  1,    daß 

1)  Vergl.  Franciszek  Bnjak,  Studya  nad  osadnietwem  malopolskiem 
(Studien  über  die  kleinpolnische  Ansiedlung,  in  den  Abhandlungen  der  histor  - 
philos.  Sektion  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Krakau.     1905.) 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.    Ein  ehemaliges  Kloster territori um  etc.     441 

der  Bischof  von  Pommern  de  unoquoque  arante  duas  mensures  annone  et 
quinque  denarios  bezog.  Die  eben  angezogene  Urkunde  von  1198  sodann  spricht 
von  den  Zehnten  des  Herzogs  und  des  Bischofs  von  Wloclawek.  Noch  deut- 
licher heifit  es  in  Nr.  242  vom  Jahre  1267,  daß  ein  Pfarrer  de  quolibet  unco 
duas  mensuras,  que  pochowe  dicuntur  slauice,  unam  siliginis  et  unam  avene, 
erhalten  soll.  Wie  wäre  es  möglich,  den  Steuerpflichtigen  eine  gleichmäßige 
Leistung  aufzulegen,  wenn  ihre  Steuerkraft  nicht  gleichmäßig  geschätzt  wäre! 

Was  soll  aber  die  Wissenschaft  dazu  sagen,  wenn  Dr.  W.  unmittelbar 
nach  der  besprochenen  Probe  seiner  Glaubwürdigkeit  sogar  Peter  von  Duisburg, 
und  diesen  ohne  nähere  Angabe  der  Fundstellen,  mit  seinen  „analogen  (!)  Zu- 
ständen, wie  sie  bei  den  nahen  Preußen  bestanden  (29)",  als  Quelle  für  die 
„Gliederung  des  Volkes'1  in  Pommerellen  heranzieht!  Das  Gute  lag  aber  hier 
(aber  auch  93  und  136)  so  nahe,  nämlich  ,,das  älteste  geschriebene  polnische 
Rechtsdenkmal"  1869  von  Edwin  Volckmann  (und  sonst)  herausgegeben.  Un- 
begreiflicherweise ist  diese  Quelle  wie  manche  andere,  was  noch  wird  nach- 
gewiesen werden,  dem  Verfasser  unbekannt  geblieben.  Aber  ohne  ihre  Kenntnis 
kann  man  sich  an  die  Darstellung  rechts-  und  kulturhistorischer  Fragen  aus 
Pommerellen  im  XIII.  Jahrhundert  nicht  wagen. 

Die  Behauptung  ferner,  daß  „durch  die  Besitznahme  des  Landes  vom 
deutschen  Orden  deutsches  Recht  hier  Landesgesetz  wurde  (32)",  ist  ebenso' 
irrig,  als  die  zweite,  daß  die  Pelpliner  Mönche  „ihre  (deutsche)  Stammeseigenart 
dadurch  betätigt  haben",  daß  sie  „Dörfer  und  Höfe  zu  deutschem  Rechte  aus- 
gaben (51)". 

Die  erste  ist  meines  Wissens  nach  Johannes  Voigt  in  dieser  apodiktischen 
Form  lange  nicht  wiederholt  worden.  Wie  soll  das  „deutsche  Recht"  verstanden 
werden?  Ist  Lehns-,  Dorf-,  Erb-,  Straf-  oder  Zivilrecht  gemeint?  Keines  trifft 
zu.  Reichlich  hundert  Güter  und  Zinsdörfer  lagen  noch  im  XIV.  Jahrhundert 
zu  polnischem  Rechte  aus,  andere  sind  erst  recht  spät,  gegen  1380  und  nach 
1400,  zu  kulmischem  Recht  vergeben  worden.  Von  der  puscina  (=  Heimfall)  ist 
in  der  „Ermahnung  des  Karthäusers"  um  1426  (Script.  Rer.  Pruss.  IV,  449  ff.) 
zu  lesen,  und  die  adligen  Landgerichte,  welche  in  Westpreußen  durchweg  be- 
standen, sind  eine  Einrichtung  des  polnischen  Rechtes.  Endlich  ist  das  eben 
erwähnte  „älteste  geschriebene  polnische  Rechtsdenkmal"  eben  für  den  Gebrauch 
und  zur  Belehrung  der  Ordensbeamten  niedergeschrieben  worden.  —  Die  Be- 
hauptung von  einer  allgemeinen  Einführung  des  deutschen  Rechtes  in  Pommerellen 
nach  1309  zerfällt  also  in  nichts. 

Auch  die  Pflicht,  „alte  Burgen  zu  brechen,  newe  zu  bawen",  wie  es  in 
zahllosen  Handfesten  heißt,  war  aus  dem  polnischen  Rechte  hinübergenommen. 
Ein  interessantes  Beispiel  davon,  sowie  „der  alden  gewonheit,  die  sie  bis  her 
(um  1423)  gehalden  haben,  eyn  gemeyne  schos  ...  zu  besorgen  zu  den  reysse 
wagen  (KriegB-  oder  Bagagewagen),   die  sey  pflegen  uszurichten  .  ."  findet  sich 


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442  Kritiken  und  Referate. 

bei  Wegner1).  Demnach  schwanden  seit  der  Begabung  mit  deutschem  Recht 
nach  1250  und  während  der  Ordensherrschaft  bei  weitem  nicht  „die  sehr  drücken- 
den Dienste  an  die  Landesgewalt  (30)**,  wie  es  Dr.  W.  wohl  dünkt. 

Aber  auch  die  zweite  Behauptung,  daß  in  Pomra ereilen  deutsches  Lehns- 
oder Dorfrecht  auch  die  deutsche  Abstammung  der  Lehnsträger  oder  Dorf- 
einsassen zur  Bedingung  habe,  ist  nur  noch  für  eine  oberflächliche  Polemik  ein 
unantastbares  Axiom.  Culmisches  Recht  wurde  ohne  Unterschied  an  Deutsche  und 
Polen  vergeben;  zu  welchem  Volksstamme  die  Empfänger  gehörten,  muß  in  jedem 
Einzelfalle  festgestellt  werden.  Diesen  Grundsatz  habe  ich  im  Jahre  1882  in  den 
Preußischen  Provinzial blättern  auszusprechen  Gelegenheit  gehabt,  und  durch  die 
zahlreichen  Schriften,  welche  seitdem  erschienen  sind,  ist  er  nur  bestärkt  worden9).  — 
Speziell  das  Pelpliner  Kloster  anlangend  sind  von  den  zwölf  Einsaßen  von  Neu- 
kirch im  Jahre  1413  mindestens  acht,  vielleicht  zehn  Deutsche  gewesen8),  aber 
aus  anderen  Klosterdörfern  ermangeln  mir  ausführlicher  Namenangaben.  Gar 
unbegreiflich  ist  es,  wie  der  Verfasser  für  die  Betätigung  der  Stammeseigenart 
der  Mönche  auch  das  anführt,  „daß  zur  Zeit  eifriger  Polonisierung  das  Kloster 
an  deutsch-protestan  tische  Bauern  und  Mennoniten  ganze  Klosterdörfer  ver- 
pachtete (52)".  Die  fraglichen  Pachtnehmer  saßen  zu  Erben  in  Bärwalde  bei 
Marien  bürg4)  und  in  der  Mewer  Starostei.  Nach  des  Verfassers  Ansicht  hätten 
auch  alle  dortigen  Starosten  als  die  Besiedler  und  Vorgesetzten  der  genannten 
Pächter  Deutsche  sein  müssen.  Aus  den  angeführten  Tatsachen  kann  man  viel- 
mehr nur  entnehmen,  daß  für  eine  gesunde  Auffassung  Geldgeschäfte  international 
und  interkonfessionell  sind.  Aber  zur  Kennzeichnung  der  damaligen  nationalen 
Verhältnisse  hätte  Dr.  W.  anführen  sollen,  daß  die  heute  noch  im  Original  er- 
haltenen Pachtkontrakte  vom  Jahre  1594  zwischen  dem  Kloster  und  den  Besitzern 
von  Räuden  und  Liebenau  beide  polnisch  geschrieben  sind,  während  die  rings 
um  den  Text  eingedrückten  Siegel  die  alten  Hausmarken,  und  die  Unterschriften 
unter  denselben  deutsche  Namensformen  aufweisen.  So  heißt  der  Schulze  Stenzel 
Reke  im  Text  S  tan  iß  laus  Rajkowski  (aus  Raikau),  Merten  Barran  Marcin  Baran; 
ein  Thoinasz  Mania  (Linkhand)  unterschreibt  als  Thomas  Meine.  Neben  ihnen 
zeichnen  u.  a.  Johann  Peske  (aus  Pehsken) ;  Hans  und  Matz  Wilm  und  Raphael 
Pantzker6).    In  beiden  starostei  liehen  Gütern  saßen  demnach  heimische  uud  zu- 


1)  Kulturgeschichte  des  Schwetzer  Kreises,  Teil  II,  303. 

2)  Zu  vergleichen:  Häusler,  Gesch.  des  Fürstentums  Oels,  69:  Deutsche 
Städte  und  Dörfer  hießen  daher  die  Städte  und  Dörfer,  die  deutsches  Recht 
erhalten  .  .  ohne  Rücksicht,  ob  sie  allein  von  Deutschen  oder  von  eingeborenen 
Polen  oder  von  beiden  gemeinschaftlich  bewohnt  wurden. 

3)  Opactwo  pelplinskie  301,  323. 

4)  Opactwo  pelplinskie  403. 

5)  Opactwo  pelplinskie  387,  402. 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.    Ein  ehemaliges  Kloeterterritorium  etc.     443 

gewanderte  Besitzer,  Polen  und  Deutsche,  friedlich  nebeneinander  und  über- 
nahmen auf  geraeinsame  Rechnung  größere  Pachtungen. 

Auch  die  deutschen  Ortsnamen  um  Pelplin,  durch  welche  die  „altslavischen" 
(soll  heißen:  polnischen)  verdrängt  wurden,  als  eine  der  naheliegenden,  von  mir 
angeblich  übergangenen  Betätigungen  der  Stammeseigenart  der  Mönche,  führt 
Dr.  W.  an  (52).  Dabei  begegnet  ihm  das  Unheil,  daß  er  auch  in  Marien  will  eine 
solche  Betätigung  erblickt,  obwohl  dieses  nie  zu  den  Klostergütern  gehört  hat, 
sondern  eine  Abzweigung  von  dem  nahen  früheren  königlichen  Grazial-,  jetzt 
Rittergut  Klonowken  ist  und  im  XVII.  Jahrhundert  zu  Ehren  einer  Tante  des 
damaligen  Nutznießers  benannt  worden  ist1). 

Mit  der  amtlichen  Namengebung  sodann  hatte  es  hier  in  Westpreußen  im 
XIV.  und  XV.  Jahrhundert  seine  eigenen  Wege.  Es  ist  ja  richtig,  daß  Jezierze, 
jetzt  Jeseritz  bei  Pogutken,  um  ein  Beispiel  anzuführen,  bei  den  Mönchen  nach 
dem  ersten  Schulzen  Hannisdorf  hieß.  Doch  ist  dieser  Name,  wie  auch  die  jetzt 
allein  übliche  deutsche  Form  beweist,  nur  im  Kloster  üblich  gewesen;  in  das 
Volk  ist  er  nicht  gedrungen.  Solche  Namen  haben  demnach  nur  für  Urkunden 
Bedeutung,  wie  ähnlich  Königlich  Neudorf  bei  Briesen  Westpr.  bei  der  Besetzung 
1289  ausdrücklich  Dietrichswalde  heißen  sollte  und  in  den  Zinsbüchern  auch  so 
angeführt  ist,  doch  im  Volksmunde  nie  geheißen  hat3). 

Aber  das  von  Dr.  W.  auch  in  dieser  Hinsicht  beigebrachte  Material  ist 
durch  Zitate  aus  meinem  Buche  belegt;  neues  hat  er  nicht  angeführt,  wie  auch 
das  von  mir  gegebene  nicht  bemängelt  worden  ist  —  mit  einer  recht  unwichtigen 
Ausnahme:  die  ersten  Mönche  in  Pogutken  (P.  U.  170)  schienen  mir,  den  Namen 
nach,  zum  Teil  Wenden  zu  sein.  Später  veröffentlichte  urkundliche  Studien 
haben  mich  bald  von  der  Unrichtigkeit  überzeugt;  weniger  zutreffend  ist  das 
von  Dr.  W.  Augeführte  (50,  51).  —  Demnach  habe  ich  das  hierher  gehörende 
Material  vollständig  verarbeitet  und  objektiv  behandelt. 

Zum  Abschluß  über  §  5  noch  die  Frage,  wie  unter  die  acht  „Brenn- 
punkte" des  kirchlichen  Lebens  vor  1250  die  Hofkirche  zu  Danzig,  „der  befestigte 
Kirchhof  der  Johanniter"  in  Stargard  und  die  Kirche  zu  Chmielno  haben  auf- 
genommen werden  können  ?  Die  Kirche  zu  Chmielno  läßt  sich  erst  1283  (P.  U.  360) 
nachweisen,  von  der  Kirche  oder  dem  Kirchhofe  der  Johanniter  in  Stargard  ist 
im  XIII.  Jahrhundert  keine  Rede  und  die  „Hofkirche  zu  Danzig"  muß  der 
Verfasser  erst  nachweisen.  Ernst  Blech  stimmt  im  „ältesten  Danzig"  dafür,  daß 
die  älteste  Kirche  in  Danzig  die  um  1807  untergegangene  Kirche  Aller  Engeln 
war,  daß  der  Hof  im  XIII.  Jahrhundert  die  Katharinenkirche  als  Pfarrkirche 
ansah,  welche  aber  erst  1263  (P.  U.  202)  erwähnt  wird.  Die  Existenz  der  Nikolai- 
kirche im  Jahre  1227  ist  jetzt  festgestellt.     Dr.  W.  hat  jedoch  darum  nicht  ge- 


1)  Slownik  geograficzny,  unter  dem  Wort*. 

2)  Dr.  M.  Perlbach,  Preußische  Regesten,  1048. 


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444  Kritiken  und  Referate. 

wüßt,  da  er  sich  auf  die  hier  in  Betracht  kommende  Sammlung  nicht  beruft1) 
und  auch  meine  neueste  Arbeit  über  das  Alter  der  Pfarrkirchen  in  der  Diözese 
Culm  nicht  kennt2).  Er  hat  demnach  seine  Angabe  mit  einer  Sicherheit  aus- 
gesprochen, daß  der  Leser  annehmen  mußte,  sie  stütze  sich  auf  Urkunden, 
während  sie  unkritisch  hingeworfen  ist.  Das  ist  nicht  wissenschaftliche  Art. 
Denselben  Wert  hat  aber  auch  der  Kretschmersche  onomatopoietische  Mythus, 
daß  Oliva  „vor  allen  (Kirchen)  die  Aufgabe  der  Mission  übernommen  hatte4  (31). 
Wiederholt  hat  ihn  nur  Hans  Prutz;  hoffentlich  haben  wir  ihn  in  der  vor- 
liegenden Arbeit  zum  letztenmal  gelesen. 

Von  dem  §  5,  „Pommerellen  im  Mittelalter4',  bleibt  demnach  nur  die 
drittehalb  Seiten  fassende  Skizze  der  äußeren,  politischen  und  dynastischen  Vei- 
hältnisse. 

Wir  gehen  zu  §  6  über.  Mit  Sambor  II  beschäftigt  sich  Dr.  W.  mit 
sichtlicher  Vorliebe.  Das  hat  seinen  guten  Grund:  des  Herzogs  „wenu  auch 
relative  Verdienste  ums  Deutschtum'4  will  der  Verfasser  würdigen.  —  Die  Be- 
gründung der  These  ist  jedoch  kläglich  ausgefallen. 

Neben  den  herzoglichen  Richtern  kommen  in  Pommerellen  und  Polen 
advocati,  Vögte,  vor.  So  führt  das  Pommerell.  Urkundenbuch  einen  Vogt  von 
Usedom  und  einen  solchen  von  Schlawe  auf,  und  die  Herzöge  von  Slawien  er- 
teilen dem  Kloster  zu  Buckow  die  Freiheit  von  der  Vogtei  —  libertatem 
advocatie,  welche  die  Befugnis  enthält,  Strafurteile  über  Hals  und  Hand  zu 
vollziehen  (P.  U.  151)  Auch  Sambor  selbst  erteilt  dem  Pelpliner  Kloster  dreimal 
die  Befreiung  von  seinem  Vogte  (P.  U.  170,  183,  277.)  Bei  der  Klarheit  der 
Sache  ist  es  um  so  unerfindlicher,  wie  Dr.  W.  wiederholt  die  durch  keine 
positive  Nachricht  bestätigte  oder  auch  nur  nahe  gelegte  Behauptung  aufstellen 
kann,  Sambor  habe  absichtlich  die  in  sein  Land  herbeigezogenen  deutschen 
Ministerialen  „als  Vögte"  .  .  statt  der  früheren  Kastellane  eingesetzt  — ,  „über 
welche  Zurücksetzung  der  einheimische  Adel  natürlich  erbittert  ist  — ,  eine  Ver- 
fassung (!),  die  keinen  Rückhalt  beim  Volke  findend,  mit  Sambors  zweiter  Ver- 
bannung zusammenbricht  (39,  vergl.  93)."  Die  Hypothese  ist  geradezu  aus  der 
Luft  gegriffen.  Möglicherweise  rührt  die  Verwirruug  bei  Dr.  W.  daher,  daß 
er  sich  (40)  den  Kastellan  an  die  Spitze  der  städtischen  Verwaltung  Di rschaus 
gestellt  denkt  und  ihn  durch  einen  advocatus  abgelöst  werden  läßt!  —  Das 
erste  „relative  Verdienst"  Sambors  hat  demnach  nie  bestanden. 

Sambor  hatte  den  deutschen  Orden  mit  der  terra  Wanska  überreich,  aber 
offenbar  auf  Kosten  Olivas,  beschenkt.  Die  Schenkung  fällt  in  die  Zeit  seiner 
zweiten,  endgültigen  Vertreibung.  Ebenso  freigebig  vergab  er  aber  auch  zwei 
Olivaer  Besitzungen  an  Pelplin.      Die   ältere  Hochmeisterchronik    meint  zu  der 

1)  Ulanowski,  Dokumenty  kujawskie  i  mazowieckie,  1888,  iw.  2 — ">. 

2)  Kto  zaioiyi  parafie  w  dyecezyi  chelminskiej  ?     Erster  Teil  1903. 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.    Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  etc.     445 

Schenkung  der  terra  Wanska:  „damit  sult  men  im  geben  allerley  nottorft  sein 
leben  lang  (39)*'.  Eine  herbere  Kiitik  des  Fürsten  läßt  sich  kaum  denken. 
Dr.  W.  hilft  sich  jedoch  darüber  hinweg;  seiner  Ansicht  nach  ist  die  Hoch- 
meisterchronik  hier  nur  „durchaus  nicht  unparteiisch  (39)."  Weiter  nichts; 
„Sambors  Gravitiren  zum  Deutschtum  läßt  sich  immerhin  psychologisch  recht- 
fertigen (43)." 

Was  kann  der  Verfasser  zur  „psychologischen  Rechtfertigung"  Sambors 
anführen?  Man  höre:  Auf  drei  Stellen  (34,  40,  43)  berichtet  er,  daß  die 
Olivaer  Mönche  in  dem  wohl  1243  ausgebrochenen,  Ende  1248  oder  Anfang  1249 
beigelegtem  Streite  zwischen  Sambor  und  Ratibor  einerseits  und  dem  ältesten 
Bruder  Swantopolk  andererseits,  „sich  auf  die  Seite  Swantopolks  geschlagen 
hatten".  Er  beruft  sich  hierfür  auf  S.  38  (das  Zitat  ist  aus  Voigt  abge- 
schrieben und  bezieht  sich  noch  auf  die  Handschrift!)  der  Olivaer  Chronik, 
aber  an  der  angezogenen  Stelle  (Script.  Rer.  Pruss.  I,  690)  ist  von  irgend  einer 
Parteinahme  des  Klosters  für  einen  der  Brüder  nichts  zu  finden! 

Ebenso  waren  „die  Johanniter  Sambor  mißliebig  geworden,  seitdem  sie 
schon  allein  aus  Rivalität  gegen  den  deutschen  Orden  Swantopolks  Partei  ver- 
traten (40)".  Aus  diesem  Grunde  soll  nach  Dr.  W.  Sambor  seine  Residenz  aus 
Liebschau  nach  Dirschau  verlegt  und  den  Johannitern  zwei  Dörfer  ent- 
zogen haben. 

Aber  auch  dieser  „psychologische"  Rechtfertigungsgrund  ist  erdacht,  denn 
keine  Quelle  spricht  über  die  erwähnte  Rivalität,  und  die  Berufung  auf  Voigt, 
Geschichte  Preußens  II,  421  ist  nur  ein  Kunstgriff,  um  den  Leser  irre  zu 
führen;  Voigts  Werk  ist  keine  Quelle,  sondern  nur  eine  Bearbeitung! 

Aber  es  ist  eben  Dr.  Ws.  Art,  sich  im  entscheidenden  Augenblicke  auf 
Quellen  zu  berufen,  welche  nicht  existieren. 

So  ist  der  Wortlaut  des  Vertrages  zwischen  den  jüngeren  und  dem 
ältesten  Bruder  vor  1848/9  unbekannt  geblieben.  Doch  der  Verfasser  hat  die 
Urkunde  entdeckt!  „Sambor  wie  Ratibor  erhalten  ihren  Besitz  und  sollen  ihrem 
Bruder  fortan  gleich  gestellt  sein  (et  debere  ei  in  portione  haereditatis  secundum 
terrae  consuetudinem  [diese  Einschränkung  ist  ihm  vor  Freude  über  die  Ent- 
deckung nicht  aufgefallen!]  pares  esse  37)".  Als  Belagstelle  gibt  er  an:  Lucas 
David,  Preußische  Chronik  III  Anhang  n.  8.  Da  hat  uns  also  das  Pomme- 
rellische  Urkundenbuch  eine  so  leicht  erfindliche  und  wichtige  Urkunde  vor- 
enthalten! Doch  nein,  sie  steht  unter  n.  114  da,  mit  der  richtigen  Angabe  des 
vorherigen  Druckes  bei  Lucas  David  III,  n.  8.  Sie  will  aber  keine  Friedens- 
urkunde  sein,  sondern  ist  nur  der  Bannspruch  des  Legaten  Jacob  von  Lüttich 
über  Herzog  Swantopolk  vom  8.  Dezember  1248!  Dr.  W.  aber  hat  dem  Leser 
durch  die  auch  hier  aus  Voigt  entliehene  Angabe  vorgespiegelt,  daß  das 
Zitat  für  seine  Behauptung  spreche. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLH.    Hft.  5  u.  6.  29 


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446  Kritiken  und  Referate. 

Sambor  verblieb  nicht  bei  dem  deutschen  Orden,  er  starb  bei  seiner 
Tochter  in  Inowrazlaw.  Wie  es  dazu  kam,  erzählt  die  ältere  Chronik  von 
Oliva:  Simulans  se  velle  pro  spacio  Vyslara  transire,  ascenso  equo,  quem  nibi 
filia  ducissa  Cuiavie  preordinaverat,  fugit  (Scr.  Rer.  Pruss.  I,  691).  Offenbar 
von  der  Chronik  abhängig  ist  der  Bericht  von  Dhigosz:  Ab  inde  (aus  Thorn) 
sub  dissimulato  habitu  discedens  ad  tili  am  suam  .  .  .  confugit  (Hist.  II  ed. 
Przezdziecki). 

Die  Angabe  der  Olivaer  Chronik  behagt  dem  Verfasser  nicht.  „Das 
mehr  als  zweifelhafte  Heldenstückchen",  über  welches  „preußische  Quellen  nicht.* 
besagen",  „entnahm  der  etwa  75  Jahre  später  schreibende  Mönch  von  Oliva  der 
unter  dem  Volke  bereits  umgehenden  Sage".  „Als  Faktum  hat  die  Flucht  .  . 
nur  eine  slavische  (soll  heißen:  polnische)  Geschichtsauffassung  hingenommen; 
blieb  doch  dann  der  Anlaß  resp.  die  Verdächtigung  bestehen,  der  deutsche 
Orden  habe  Sambor  bis  an  sein  Ende  festzuhalten  gesucht,  um  ihm  schließlich 
den  Rechtsanspruch  auf  dessen  ganzes  Land  abzuringen;  allerdings  ist  für  jeue 
Art  von  Geschichtschreibung  die  Grenze  zwischen  Wirklichkeit  und  Phantasie 
nicht  so  scharf  gezogen  (34) •*. 

Die  Zensur  ist  gerecht,  nur  ist  unter  der  gemeldeten  Art  von  Geschichts- 
schreibung die  des  Dr.  W.  zu  verstehen;  denn  das  Schweigen  der  preußischen 
Quellen  über  den  Vorgang  ist  belanglos,  ja  erklärlich.  Wenn  sodann  der 
Olivaer  Bericht  sagenhaft  ist,  weil  er  etwa  75  Jahre  nach  dem  Ereignisse 
niedergeschrieben  ist,  dann  mag  Dr.  W.  mit  Ewald  rechten,  der  sein  ganzes* 
vierbändiges  Werk  über  die  Eroberung  Preußens  auf  Duisburg  aufgebaut  ha', 
obwohl  der  Chronist  zum  Teil  Ereignisse  beschreibt,  welche  reichlich  75  Jahre 
vor  ihm  liegen. 

Nebenbei  gesagt,  habe  ich  die  Flucht  Sambors  genau  nach  der  Olivaer 
Chronik,  nicht  nach  Dhigosz  erzählt.  Es  ist  demnach  nicht  nobel,  mir  nach- 
zusagen, daß  ich  mich  an  diesen  letzteren  angeschlossen  habe.  Oder  sollte*  die 
Bemerkung  dem  Verlasser  nur  Gelegenheit  geben,  ein  Erstlingswerk  Caros  über 
den  Krakauer  Geschichtsschreiber  anzuführen?  Dasselbe  steht  doch  mit  der 
Frage  über  Sambors  Flucht  in  durchaus  keiner  Beziehung,  die  Berufung  ist 
demnach  unverständlich. 

Aber  Dr.  W.  selbst  hat  sich  offenbar  die  angeführte  Kritik  der  „Glaub- 
würdigkeit des  Krakauer  Domherrn*'  durch  seinen  akademischen  Lehrer  zu  wenig 
zu  Herzen  genommen. 

Nach  meiner  Angabe  starb  Sambor  1275.  Das  ist  allerdings  ein  grober, 
von  Dr.  W.  mit  Recht  gerügter  Fehler  (43),  zumal  der  Herzog  noch  1276 
(P.  U.  277,  278)  urkundet  und  schon  Th.  Hirsch  (Script.  Rer.  Pruss.  I,  (391) 
den  Pelpliner  Chronisten  anführt,  welcher  ausdrücklich  sagt:  quoto  anno,  uon 
repperi;  nur  „der  unzuverlässige  Dlugosz,  sagt  Hirsch,  gibt  die  Jahreszahl 
1278'.     Wann  der  Herzog  demnach  starb,  ist  unbekannt.     Doch  nein!    Dr.  W. 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.    Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  etc.     447 

weiß  das  Datum  ganz  genau:  31.  XII.  1278,  und  erklärt,  die  Angabe  sei  „nach 
dem  Pelpliner  Nekrolog"  gemacht.  Demnach  hätte  der  Pelpliner  Chronist  sich 
in  den  Klosterquellen  besser  umsehen  sollen!  Doch  dem  ist  nicht  so;  Dr.  \V. 
hat  sich  nicht  einmal  Mühe  gegeben,  das  Totenbuch  nachzulesen.  Dort  steht 
nämlich  unter  dem  30.  Dezember  (Tertio  Kai.  Januarii)  die  knappe  Notiz: 
Obiit  nobilis  dux  Samburius  Pomeranie,  fundator  ecclesie.  Das  Jahr  1278 
aber  hat  er  —  von  Dlugosz! 

Auch  §  6  der  Dissertation  erhebt  sioh  demnach  in  keiner  Weise  über 
da«  Niveau  populärer  Leistungen,  welche  auf  Wissenschaft  und  selbständige 
Forschung  keinen  Anspruch  erheben.  Überdies  ist  das  hier  Gebotene  danach 
angetan,  Ungenauigkeiten  und  irrige  Ansichten  als  objektive  Wahrheit  dar- 
zustellen. 

Noch  einige  Beispiele  der  Akribie  aus  den  folgenden  Abschnitten. 

Der  Verfasser  nennt  mit  voller  Sicherheit  einen  „Ritter  Heinrich44  als 
einen  der  Besitzer  von  Stenzlau  bei  Dirschau.  Mit  seiner  angeblichen  Zu- 
stimmung gibt  Bischof  Wislaus  das  Dorf  Mühlbanz  zu  deutschem  Recht  aus 
(87).  Die  Belagstelle  lautet:  noverint  universi,  .  .  qod  nos  Wyslaus  .  .  de 
consilio  nostri  capituli  et  consensu  Henrico  de  Stoyslave  Milobanz  .  .  .  villam 
locandam  exposuimus  (P.  U.  587)!  80  ist  aus  dem  locator  ein  Ritter  und  Be- 
sitzer des  Dorfes,  und  aus  der  erklärlichen  Zustimmung  des  Kapitels  die  ganz 
unverständliche  des  Herrn  von  Stenzlau  geworden! 

Die  im  Pelpliner  Totenbuch  erwähnte  Schenkung  der  bona  Garcz  durch 
Dietrich  Stange  ist  richtig  durch  Garnsee  erklärt,  aber  unnötigerweise  schreibt 
der  Verfasser  sich  das  Verdienst  der  Enträtselung  zu  (72),  da  die  Stelle  in  den 
Monum.  Pol.  Hist.  IV,  67  genau  ebenso  auf  Garnsee  bezogen  ist. 

In  zwei  gefälschten  Urkunden  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  kommt  als 
Grenzbestimmung  für  Pogutken  auf  der  Sudseite  eine  via  publica,  que  ducit  de 
Dobemin  usque  in  Pogotkow  vor.  Bei  einer  Besprechung  des  Pommerell.  Urkundenb. 
in  dieser  Zeitschrift  (Jahrg.  1881,  S.  489)  sprach  ich  die  Überzeugung  aus,  es 
sei  damit  das  Dorf  Demiin  (polnisch  Demblin.  von  daj>,  Eiche)  gemeint.  Dr.  W. 
erklärt  dagegen  auf  Kaite  1 :  „Demiin  bei  Pogutken,  wie  Kujot  angibt,  ist  nicht 
zu  finden44,  und  rät  auf  Kl.  Semlin  (62),  was  sprachlich  unmöglich  und  sachlich 
sehr  fraglich  ist,  da  die  Existenz  des  Dorfes  —  neben  Gr.  Semlin  —  im  XIV., 
bezüglich  XIII.  Jahrhundert,  erst  nachgewiesen  werden  müßte.  Aber  Demiin 
Hegt  trotz  der  Ablehnung  des  Verfassere  unweit  Pogutken,  nicht  weiter  als  zehn 
bis  zwölf  Kilometer  östlich,  an  der  alten  via  regia  von  Dirschau  (Liebschen)  über 
Schöneck  nach  Berent!  So  weit  hätte  Dr.  W.  seinen  Blick  wohl  lenken  können, 
zumal  er  sich  etwas  darauf  zu  gute  hält,  im  Gegensatze  zu  mir  „mit  der  Karte 
in  der  Hand44  zu  arbeiten  (10). 

Einen  „onomatologischen  Exkurs  in  die  Umgegend44  hat  Dr.  W.  sich  ver- 
sagt.    Die   vermeintlichen  „einigermaßen    verbürgten  Deutungen44    an   slavischen 


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448  Kritiken  und  Referate. 

(soll  heißen:  polnischen)  Ortsnamen,  welche  den  Exkurs  ersetzen  sollen,  beweisen 
über  allen  Zweifel,  daß  Dr.  W.  hierzu  jeder  wissenschaftlichen  Vorbildung  er- 
mangelt, aber  es  auch  unterlassen  hat,  sich  in  den  vorhandenen  Arbeiten  Rats 
zu  erholen.  Mit  einer  wahrhaft  kindlichen  Naivetät  weiß  er  zu  erzählen,  wie 
Slanza  von  zta  l$i  =  schlechtes  Werder,  Kulice  von  kluzi  (!)  Gesträuch,  Gentomie 
gar  von  einem  Prätiritum  wy-JQto  =  man  hat  ausgerodet  (87),  Bobowo  von  bftbr, 
Biber,  Rudno  von  einem  angeblichen  vulgären  rudzid  —  roden  herzuleiten  sei, 
und  vieles,  vieles  andere.  Kaum  findet  sich  hier  und  dort  eine  sprachlich  mög- 
liche Ableitung.  Die  zahlreichen  neueren  und  neuesten  Arbeiten  über  die  Bildung 
der  polnischen  und  slavischen  Fluß-  und  Ortsnamen  von  Miklosich  und  Smoller 
(für  die  Lausitz)  bis  Rozwadowski  und  A.  Brückner  in  Berlin  existieren  für  ihn 
überhaupt  nicht. 

Gewiß  ist  meine  1875  versuchte  Deutung  des  Namens  Pelplin  als  Zu- 
sammensetzung aus  pole  oder  p61  (halb)  und  pto,  Sumpf,  durchaus  unzutreffend. 
Aber  deshalb  durfte  Dr.  W.  30  Jahre  später  nicht  auf  derselben  Stelle  einsetzen 
und  den  Namen  von  po-plo  ==  hinter  dem  Sumpfe,  ableiten  (53)  und  hierfür 
mit  der  ihm  eigenen  Sicherheit  Popelau  bei  Oppeln  und  Peplin,  Kreis  Konitz 
Westpr.  anführen.  Das  erste  heißt  1286  Popelov,  polnisch  jetzt  noch  Popielewo  *), 
ist  also  von  dem  Personennamen  Popiöl  oder  Popiel  herzuleiten;  das  zweite,  als 
mit  der  ursprünglichen  Form  des  Namens  Pelplin  (in  Urkunden  Polplyn,  Poplin) 
unzweifelhaft  identisch,  hätte  den  Verfasser  auf  die  allein  richtige  Ableitung  von 
dem  Personennamen  Pepla  führen  sollen,  welcher  sich  in  Nameusformen  wie 
Poeplau,  Peplowski  erhalten  hat. 

Es  scheint  überhaupt,  als  ob  sich  Dr.  W.  nicht  darum  bemüht  hat,  bei 
seiner  Arbeit  die  einschlägige  Literatur  kennen  zu  lernen,  sondern  sich  auf  die 
außer  den  Vorlesungen  noch  zufällig  an  die  Hand  gegebenen  Hilfsmittel  be- 
schränkt hat.  So  kennt  er  die  für  ihn  weniger  belangreichen  Visitationsberichte 
aus  der  Zeit  des  Bischofs  Rozrazewski,  welche  in  den  Fontes  T — III  des  Wissen- 
schaftlichen Vereins  zu  Thorn  erschienen  sind,  aber  von  dem  Jus  plebiscitum 
oder  der  Willkür  des  Abtes  Leonard  Rembowski  von  1618  (Dr.  W.  gibt  die 
Jahreszahl  1619  aus  den  Privilegia  perpetua.  deren  Jahresangaben  ich  wiederholt 
als  ungenau  befunden  habe,  weshalb  mir  das  in  der  Chronik  angegebene  Datum 
glaubwürdiger  erschien)  weiß  er  nur  zu  sagen,  daß  „von  diesem  interessanten 
Zeugnis  nichts  erhalten  ist  (114V.  Bruchstücke,  welche  sich  in  den  Kloster- 
handfesten vorfanden,  habe  ich  zusammengelesen  und  angeführt.  Überdies  konnte 
ich  in  den  genannten  Fontes,  Heft  V,  1897,  drei  solche  Willküren  aus  Westpreußen, 
eine  Karthäuser,  eine  Olivaer  und  eine  für  die  Tuchler  Starostei  erlassene,  im 
Wortlaute  herausgeben.    In  der  Einleitung  habe  ich  sie  unter  einander  und  mit 

1)  Konstantin  Damroth,  Die  älteren  Ortsnamen  Schlesiens.  Beuthen 
1896,  S.  77. 


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Von  Dr.  phil.  P.  Westphal.    Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  etc.     449 

den  Bruchstücken  der  Pelpliner  verglichen,  wobei  sich  herausgestellt  hat,  daß 
alle  drei  bis  auf  geringe  Einzelheiten  übereinstimmen,  wie  auch  die  erhaltenen 
Bestimmungen  der  Pelpliner  in  ihnen  wiederkehren,  so  daß  der  Verlust  dieser  — 
wenn  sich  nicht  noch  ein  Exemplar  vielleicht  in  einer  Schulzenlade  findet  — 
leicht  zu  verschmerzen  ist. 

Ebenso  habe  ich  über  die  Pelpliner  Klosterchronik  im  Jahre  1876  eine 
ausführliche  Studie  unter  dem  Titel  Kronika  Pelplinska  erscheinen  lassen,  worin 
die  einzelnen  Verfasser  des  Buches  und  ihre  Quellen  genau  nachgewiesen  werden. 
Auch  sie  ist  dem  Verfasser,  der  sich  nur  auf  mein  Vorwort  zum  Opactwo  be- 
ruft (113),  unbekannt  geblieben.  Irrig  ist  auch  seine  Ansicht  über  die  Ablösung 
des  Bischofszehnten  (77);  dieselbe  ging  nicht  vom  Bischof,  sondern  von  den  be- 
treffenden Dorfherren  aus,  welche  anders  mit  der  Besetzung  zu  kulmischem 
Rechte  nicht  beginnen  konnten.  Ausführlich  spreche  ich  darüber  für  Pommerellen 
in  dem  IX.  Jahresbericht  (1902)  des  genannten  Wissenschaftlichen  Vereins. 

Auf  die  das  Klostergebiet  speziell  betreffenden  Abschnitte  kann  ich  nicht 
genauer  eingehen,  weil  dies  einer  Anzeige  meiner  Arbeit  ähnlich  sein  würde. 

Nur  einige  Verstöße  seien  noch  angemerkt. 

Das  Kloster  hat  wohl  Schutzbullen  erhalten,  aber  es  ist  durchaus  unrichtig, 
zu  sagen,  daß  es  „unmittelbar  dem  päpstlichen  Stuhle  unterstellt"  war  (7),  oder 
daß  die  „Neuordnuug",  welche  Bischof  Rozrazewski  durchführte,  „ein  endgültiger 
Sieg  des  Bischofs  über  das  selbstherrliche  Kloster  bedeutet  (107)".  An  eine 
Ausnahmestellung  des  Klosters  zur  staatlichen  und  kirchlichen  Gewalt,  wie  sie 
beide  Ausdrücke  andeuten,  kann  in  keiner  Weise  gedacht  werden.  Neuerdings 
hat  dies  Max  Perlbach  in  einer  Rezension  von  Ketoynski's  (Mitteilungen  des 
Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung  XXVI.  Band,  S.  423)  unter 
Berufung  auf  eine  (polnische)  Arbeit  von  Alfred  Blumenstock  ausgesprochen: 
Durch  diese  traditio  an  den  Papst  könnten  Rechte  dritter  Personen  nicht  berührt 
werden,  der  Schutz  solle  nur  vor  gesetzwidrigen  Anfechtungen  bewahren. 
Nebenbei  bemerkt,  ist  die  Bemerkung  des  Verfassers,  daß  die  Neuordnung 
durch  Bischof  Rozrazewski  „im  jesuitischen  Sinne"  erfolgt  sei,  bei  einem 
Katholiken  um  so  auffallender;  es  handelte  sich  um  die  Durchführung  des 
Tridentinums,  und  der  Widerstand,  welchen  die  sehr  ausgearteten  Mönche  dem 
Bischof  entgegenstellten,  spricht  leider  nicht  zu  ihren  Gunsten. 

Nicht  als  „Taufbecken  (20)",  sondern  als  Weihwassergefäße  werden  Mahl- 
steine in  Dorfkirchen  wohl  verwendet;  Lissauer  durfte  den  Schnitzer  begehen, 
bei  Dr.  W.  bleibt  nur  die  eine  Möglichkeit,  daß  er  seinem  Gewährsmann  ge- 
dankenlos nachspricht. 

Der  Pfarrzehute  heißt  polnisch  nicht  taxa  (101),  sondern  taca  (von  deciina). 

Es  ist  mehr  als  zweifelhaft,  daß  der  derzeitige  Krüger  Bäcker  aus  Rosen  - 
thal  ein  Nachkomme  des  Schulzen  von  KonigBwalde  aus  dem  Jahre  1338  ist  (88). 


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450  Kritiken  und  Referate. 

Zum  Schlüsse  darf  ich  wohl  bemerken,  daß  ich  es  dem  Ermessen  des 
Verfassers  fiberlassen  muß,  ob  er  mich  nur  als  Dilettanten  (10)  bewerten  will; 
der  „schlecht  verhehlten  Hinneigung  zum  Chauvinismus"  (11)  werden  mich  hoffent- 
lich außer  ihm  nicht  viele  bezichtigen.  —  Über  die  von  Dr.  W.  mir  gegenüber 
bewiesene  Animosität  brauche  ich  kein  Wort  zu  verlieren,  nachdem  Dr.  Simson 
in  einer  äußerst  wohlwollenden  Anzeige  (Mitteilungen  des  Westpreußischen  Ge- 
schichtsvereins, Jahrg.  4,  Nr.  4.  vom  1.  Oktober  d.  J.)  geäußert  hat,  daß  „an 
einigen  wenigen  Stellen  die  Art  der  Polemik  gegen  einen  Vorgänger  nicht  ganz 
in  den  richtigen  Grenzen  bleibt."  „In  Stil  und  Ausdruck  stoßen  leider  zahl- 
reiche Unschönheiten  auf",  heißt  es  dann  weiter.  Wenn  dagegen  die  Anzeige 
sagt:  „die  Arbeit  W's.  zeichnet  sich  durch  besonnenes,  maßvolles  Urteil  und 
ruhiges  Abwägen  der  historischen  Momente  im  allgemeinen  aus",  so  ist  dies 
Urteil  nach  dem  von  mir  Angeführten  mehr  milde  als  zutreffend  zu  nennen. 

Griebenau  b.  Unislaw.  St.  Kujot,  Pfarrer. 


Generalvikar,   Domkapitnlar   Dr.  Lüdtke.     Schematismus  des   Bistums 

Culm    mit   dem    Bischofssitz    in    Pelplin.     1904.     Amtliche    Ausgabe. 

Dritte  Folge.     Im  Selbstverlage   des    Bischöflichen   General- Vi  kariat- 

Amts  von  Culm.  1904.   (Fortgesetzt  bis  zum  21.  Mai  1905.)  XXVIII. 

und  728  S.    (7  Mk.,  gebunden  7,50  Mk.) 

Das  Buch    ist   eine  Neubearbeitung   der   im  Jahre  1848   und   1867    vom 

Bischöflichen  General -Vicariat-Amt   von  Culm    herausgegebenen    Schematismen. 

Trotzdem   es   hauptsächlich   bei   der   inneren  Verwaltung   als   Nachschlagebuch 

dienen  soll,  verdient  es  seines  Inhaltes  wegen  hier  angezeigt  zu  werden. 

Schon  die  gegen  die  Ausgabe  von  1867  (6  S.)  bedeutend  vermehrte  Ein- 
leitung bietet  eine  Menge  historischen  Stoffes.  Sie  behandelt  die  Zusammen- 
setzung der  Diözese  aus  der  ursprünglichen  Diözese  Culm,  dem  Archidiakonat 
Pommerellen,  einem  Teile  des  Gnesner  Archidiakonats  Kamin,  einem  des  Archi- 
diakonats  Bromberg,  früher  zu  Wloclawek  gehörig,  aus  zwei  Trennstücken  der 
Diözese  Plock  (Gorzno  mit  Umgegend  und  Pfarrei  Bialutten  im  ostpreußischen 
Kreise  Neidenburg)  und  aus  dem  größeren  Teile  der  ehemaligen  Diözese 
Pomesanien. 

Es  folgen  Angaben  über  die  Einteilung  und  Verwaltung  der  Diözese  und 
eine  ausführliche  vergleichende  Statistik  seit  1840. 

Den  Übergang  zu  den  speziellen  Teil,  welcher  in  der  Ausgabe  von 
1867  329  Seiten  faßte,  bildet  eine  „Reihenfolge  der  ehemaligen  Bischöfe  von 
Culm,  Pomesanien  und  Wloclawek".  Es  verdient  angemerkt  zu  werden ,  daß  diesen 
Abschnitt  für  die  erwähnte  Ansgabe  von  1867  Professor  Strehlke  geschrieben  hat, 
welcher  damals  wegen  seiner  archivalischen  Studien  Pelplin  öfters  besuchte.  fcJeit- 


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Von  Generalvikar,  Domkapitular  Dr.  Lüdtke.  451 

dem  ist  Woelkys  „Katalog  der  Bischöfe  von  Culm'  (1878)  und  die  für  die  Chrono- 
logie der  Bischöfe  von  Wloclaweck  grundlegende,  sehr  zuverlässige  Abhandlung 
des  nuumehrigen  Lemberger  Universitäts- Professors,  Dr.  Fijalek:  Ustalenie 
chronologii  biskupäw  wloclawskich  (Feststellung  der  Chronologie  der  Bischöfe 
von  Wl.  1894)  erschienen.  Gestützt  auf  diese  und  auf  die  Statuta  synodalia 
diocesis  Wladislaviensis  von  St.  Chodynski,  hat  um  1896  der  jetzige  hochw. 
Bischof  von  Culm,  Dr.  Augustinus  Rosentreter,  für  die  Neubearbeitung  des 
Freiburger  Kirchenlexikons  einen  quellenmäßigen  und  reichhaltigen  Artikel  über 
das  Bistum  Culm  geliefert. 

Die  Ergebnisse  dieser  Studien  sind  in  der  vorliegenden  Bearbeitung  der 
„Reihenfolge"  meistens  benutzt,  so  daß  sich  in  diesem  Abschnitte,  dem  in 
wissenschaftlicher  Hinsicht  schwierigsten  des  Buches,  nur  wenige  Irrtümer 
vorfinden  *). 

In  dem  Verzeichnis  sämtlicher  Pfarreien  werden  sodann  die  einzelnen 
Pfarreien  nach  der  alphabetischen  Reihenfolge  der  Dekanate  aufgeführt  und 
statistisch  beschrieben. 

Auch  *  hier  ist  gegenüber  den  zwei  früheren  Ausgaben  eine  Erweiterung 
nach  der  historischen  Seite  hin  zu  verzeichnen.  Der  Verfasser  hat  es  sich  nicht 
verdrießen  lassen,  neben  J.  Heises  reichhaltigen  „Bau-  und  Kunstdenkmälern 
der  Provinz  Westpreußen",  dem  (polnischen)  Werke  von  Liz.  Fankidejski  über 
die  untergegangenen  Kirchen  und  Kapellen  der  Diözese  Culm  (1880)  und  meiner 
erst  in  Dreivierteln  gedruckten  (polnischen)  Arbeit  über  die  Gründung  der 
Pfarreien  in  der  Diözese  Culm  (Kto  zalozyl  parafie  w  dyecezyi  chelminskiej  ?. 
Vergl.  Jahresberichte  des  Towarzytwo  Naukowe  w  Toruniu  IX,  X,  XI)  auch 
die  in  der  bischöflichen  Kanzlei  zu  Pelplin  handschriftlich  vorhandenen  Vor- 
arbeiten zu  einer  Geschichte  der  Diözese  von  Professor  Dr.  Schulz  aus  Culm, 
sowie  die  Benefizial-  und  Pfarrakten,  die  Bruchstücke  der  Dregerschen  Auszüge 
aus  den  Handfestenbüchern  und  die  zum  größten  Teil  noch  nicht  gedruckten 
Visitationsberichte  (ein  Teil  liegt  in  den  Fontes  des  genannten  Vereins  gedruckt 
vor)  zu  durchsuchen,  um  zuverlässiges  Material  über  die  einzelnen  Pfarreien  zu 
sammeln.  Auch  die  Jahresberichte  der  Westpreußischen  Piovinzialmuseen 
(z.  B.  S.  653)  sind  mit  Recht  herangezogen.     Andere  Quellen   mögen    von  dem 


1  )  So  wird  bei  Christian,  dem  ersten  Bischof  von  Preußen  anstatt  1215 
bis  1*245  wohl  zu  setzen  sein:  1212?  (wahrscheinliches  Jahr  der  Schenkung  von 
Cekowitz)  —  4.  Dezember  (mutmaßlicher  Todestag  nach  dem  Menologium  der 
Cisterzienser)  1244.  —  Nicolaus  I.  f  27.  September  1323.  —  Nicolaus  II.  von 
Schippen  piel  (nicht  .  .  .  beil).  —  In  der  Reihenfolge  der  Bischöfe  von  Cujavien : 
Matthias  I.  seit  4.  Dezember  1323.  —  Johann  I.  seit  23.  Januar  1402.  — 
Nicolaus  II.  seit  17.  Juni  1449;  f  &•  September  1450.  —  Johann  V,  nicht 
Lutek  von  Brzezin,  sondern  Sohn  des  Lutek  von  Brzezie.  —  Andreas  seit 
12.  Oktober  1481. 


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452  Kritiken  und  Referate. 

Berichterstatter  nicht  erkannt  worden  sein,  zumal  die  meisten  nicht  genannt 
sind.  Infolgedessen  ist  die  zweite  Rubrik:  Gründung  (und  Konsekretion),  unter 
welcher  es  in  der  Ausgabe  von  1867  fast  stehend  heißt:  unbekannt,  —  hier 
recht  ausgiebig  behandelt.  Andere  stehende  Rubriken  sind :  Pfarrkirche,  Titulus 
ecclesiae,  Patron,  Post,  Bruderschaften,  Pfarrer,  Volksschulen  und  Ortschaften. 
Nach  Bedarf  sind  noch  die  Rubriken:  Filialkirche,  ehemalige  Kirchen  und 
Kapellen,  ehemalige  Klöster  und  Vikar  eingeschaltet.  Genaue  Verzeichnisse  der 
Diözesan geistlichen  und  der  Ortschaften,  sowie  während  des  Druckes  nötig  ge- 
wordene Nachträge  schließen  das  Buch  ab,  für  welches  dem  Verfasser  der  auf- 
richtige Dank  nicht  nur  der  einschlägigen  Verwaltungsbeamten  und  kirchlichen 
Organe,  sondern  auch  der  Arbeiter  auf  dein  Gebiete  der  Diözesan-  und  Provinzial- 
geschichte  und  der  Geschichtsfreunde  gebührt. 

Griebenau,  den  15.  August  1905.  St.  Kujot,  Pfarrer. 


Dr.  Romuald  Frydrychowicz.  Die  Culmer  Weihbischhöfe.  Ein  Beitrag 
zur  Diözesangeschichte.     Danzig  1905.     (51  S.) 

Die  Reihenfolge  der  bis  jetzt  13  Culmer  Weihbischöfe  umfaßt  mit 
geringen  Unterbrechungen  die  Zeit  von  1645  bis  1881.  —  Der  Verfasser  hat 
die  verdienstliche  Arbeit  als  Andenken  an  seine  25jährige  Wirksamkeit  an  dem 
bischöflichen  Progymnasium  zu  Pelplin  veröffentlicht  und  damit  nicht  nur  «einen 
Schülern  und  Freunden  ein  angenehmes  Geschenk  gemacht. 

Neben  den  einschlägigen  gedruckten  Quellen  (denn  Biographien  der  ein- 
zelnen Weihbischöfe  sind  bisher  nicht  erschienen)  hat  er  hauptsächlich  das  in 
dem  Kapitels-  und  Bistumsarchiv  zu  Pelplin  reichlich  vorhandene  Material 
benutzt.  Es  wäre  zu  wünschen,  daß  er  öfter  zu  ähnlichen  Monographien  Anlaß 
nehmen  möchte,  zumal  er  mit  den  dortigen  Archivalien  genau  vertraut  ist. 

St.  Kujot,  Pfarrer. 


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Mitteilungen  und  Anhang. 


Universitäts-Chronik  1905. 

30.  Jan.  Med.  I.-D.  von  F.  Pachnio  laus  Dom.  Barten,  Kr.  Rastenburg):  Aus 
d.  Königl.  Chirurg.  Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Ueber  Dauer- 
resultate der  Colopexie  bei  hochgradigem  Rcctumprolaps.  Tübingen. 
Laupp  jr.  (Sonderabzug  aus  Beiträge  z.  klin.  Chirurgie.  XLV.  Bd.  2.  Hft.) 
(2  Bl.  37  S.  8°.) 
S.  März.  Med.  I.-D.  von  Willy  Cohn  (aus  Briesen,  Westpr.):  Aus  d.  Königl. 
Chirurg.  Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Ueber  die  isolierte  Ruptur 
der  Svmphysis  ossium  pubis.  Tübingen.  Ebd.  (Sonderabz.  aus  Beitr.  z. 
klin.  Chir.     XLV.  Bd.  3.  Hft.)    (2  Bl.  17  S.  8°.) 

24.  März.  Med.  I.-D.  von  Georg  Heymann  (aus  Christburg,  Westpr.):  Aus  dem 

Zoologischen  Museum  in  Königsberg  i.  Pr.  Neue  Distomen  aus  Cheloniern. 
Mit  1  Tafel  und  2  Abbüdgn.  im  Text.    Jena.     Fischer.     (2  Bl.  25  S.  8°.) 

2r>.  März.  Med.  I.-D.  von  Felix  Meyerowitz,  prakt.  Arzt  (aus  Königsberg  Pr.): 
Aus  d.  Königl.  Chir.  Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Über  Skoliose 
bei  Halsrippen.  Tübingen.  Laupp  jr.  (Sonderabz.  aus  Beiträge  zur  klinisch. 
Chir.  XLVI.  Bd.  1.  Hft.)  (2  Bl.  23  S.  8») 
7.  April.  Med.  I.-D.  von  Max  Dangel,  cand.  med.  (aus  Königsberg  Pr.):  Aus 
d.  Königl.  chir.  Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Ueber  die  Unter- 
bindung der  Vena  jugularis  interna.  (Ein  Fall  von  doppelseitiger  Unter- 
bindung.)   Kgsbg.     Kümmel.    (29  S.  8°.) 

13.  April.  Phü.  I.-D.  von  Walter  Hassenstein  (aus  Königsberg  i.  Pr):  Neue 
Bearbeitung  von  William  Herschels  Beobachtungen  der  inneren  Saturn- 
monde (1789).     Kgsbg.     Leupold.     (39  S.  4°.) 

9ir.  152.    s}(mUid)cd   SSerjeidjnis   beS   ^erionals   unb   ber   8tubierenben  bcr  königl. 

?llbertu$  s  Unto für   b.   Sommer=Semefter    1905.     .ftcjbäfl.     $artunfi« 

(51  8.  8°.)  144  (13  t&eoi.,  ll  jur.,  50  meb.,  70  pfnloi.)  Renten,  0  jonftifle 
afabem.  Sefjrer;  1010  (68  tfjeol.,  343  jur.,  186  mcb.,  413  pfrloj.)  3tub.  unb 
106  ntdjt  immatrihriationsfäfjige,  jum  .§ören  berechtigte  ^erjonen  ehvjctjl. 
38  Hörerinnen,  511  j.  1112  ^Berechtigte. 

Zu  der  am  9.  Mai  ....  stattfind.  Gedächtnisfeier  für  Friedrich  Schiller  bei 
d.  hundertsten  Wiederkehr  seines  Todestages  laden  ....  ein  Rektor  u. 
Senat  ....     Kgsbg.     Ebd.     (2  Bl.  40.) 

11.  Mai.  Mit  Genehmigung  d.  philos.   Fak wird  ....  Dr.  phil.  Alfred 

Benrath  ....  seine   öffentl.   Antrittsvorlesung    über  „Die   Entwicklung 
der  Molekulartheorie"   halten.     Kgsbg.     Kümmel.     (2  Bl.  4°.) 
-    —  Phil.  I.-D.  von  Paul  Tietz  (aus  Beeskow):  Zur  Qualitätsermittelung  von 
Weizen,  Gerste  und  Hafer.     Kgsbg.     Leupold.     (63  S.  8°.) 

25.  Mai.  Phil.  I.-D.  von  Gustav  Borkhan  (aus  Hamburg):  Zur  projektivischen 

Behandlung  der  Dreiecksgeometrie.     Leipzig.     Teubner.     (1   Bl.  34  S.  8°.) 

28.  Mai.  Q.    D.    Ö.    M.    F.    F.  E.  J viro   clarissimo   Aemelio    Blenck 

praesidi  illustrissimo  instituti  statistici  regii  Berolinensis  ante  C  anuos 
conditi   et   ab  Joanne  Godofredo  Hoffmann   olim  nostro  eximie  instaurati 


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454  Mitteilungen  und  Anhang. 

quod  cum  ante  VIII  et  quod  excurrit  lustra  operatn  saluberrimam  Uli 
instituto  dicavisset  inde  ab  anno  exacti  saeculi  LXXXII1  ei  praepositus 
numquam  defesso  studio  effecit  ut  laeto  flore  explendesceret  maximum- 
que  ex  eo  emolumentum  ad  rem  publicam  non  minus  quam  ad  litteras 
redumdaret  honoris  causa  unauimo  consensu  summos  in  Philosophia 
honores  cum  iuribus  et  privilegiis  Doctoris  Philosophiae  contulisse  ac 
sollerani  hoc  diplomate  confirmasse  testor  Franciscus  Meyer  phil.  Dr.  math. 
Prof.  publ.  ord.  Phiios.  Ordinis  h.  t.  Decanus.   Regim.  Kümmel.    (Diplom-) 

31.  Mai.  Mit  Genehmig,  der  med.  Fak wird  ....  Dr.  med.  Rud.  Stich, 

Assist,  a.  d.  chir.  Klinik  d.  Univ seine  öffentl.  Antrittsvorlesung 

„Über  die  Indicationen  zur  conservativen  und  operativen  Therapie  der 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose"  halten.    .  .  .    Kgsbg.    Ebd.    (2  Bl.  4°.) 

8.  Juni.  Jur.  I.-D.  von  Walter  Fromm,  Referendar  am  Königl.  Landgericht  zu 

Königsberg  (aus  Heilsberg,  Ostpr.) :  Die  Konkurrenzklausel  des  Handlungs- 
gehilfen. Kgsbg.  Leupold.  (100  Ö.  8°.) 
—  —  Phil.  I.-D.  von  Friedrich  Wegener  (aus  Arnoldsdorf  (Jerentowitz), 
Westpr.):  Die  Entwicklung  des  Bedarfs  an  Handarbeit  in  der  ostpreußi- 
schen I^andwirtschaft  des  19.  Jahrhunderts.  Merseburg.  Stollberg.  (1  BL 
58  S.  8°.) 

9.  Juni.  Med.  I.-D.  von  Walter  Klein,  prakt.  Arzt  (aus  Braunsberg,  Ostpr.): 

Aus  dem  zool.  Mus.  in  Königsberg  i.  Pr.  Neue  Distomen  aus  Rana 
hexadactyla.  Mit  1  Taf.  Jena.  Fischer.  (Beparatabdr.  a.  d.  Zool.  Jahr- 
büchern.   Bd.  22.)    (2  Bl.  23  S.  8°.) 

21.  Juni.  Phil.  I.-D.  von  Albert  Krebs  (aus  Dittballen,  Kr.  Niederung,  Ostpr.): 
Edward  Young  als  Dramatiker.     Kgsbg.     Härtung.    (2  Bl.  72  S.  8°.) 

Acad.  Alb.  Regim.  1905.  II.  De  Cyclo  Homerico  Dissertatio  qua  orationes 
ad  celebr.  diebvs  XI  m.  Martii  XXI  et  XXIII  ra.  Maii  XXIII  m.  Ivnii 
memoriam  viror.  illvstr.  Caelestini  de  Kowalewski  Iacobi  Friderici  de  Rhod 
Iacobi  Friderici  de  Groeben  Abeli  Friderici  de  Groeben  Ioanni9  Diterici 
de  Tettav  ...  die  XXIV  m.  Ivnii  .  .  .  pvblice  habendas  indicit  Arthvrvs 
Lvdwich  P.  P.  O.    Regim.  Ibid.    (11  S.  8°.) 

24.  Juni.  Med.  I.-D.  von  Adolf  Friedlaender,  prakt.  Arzt  (aus  Goldap,  Ostpr.): 
Aus  d.  Zool.  Mus.  in  Königsberg  i.  Pr.  Persistenz  des  Wolff sehen  Ganges 
beim  Leguau.  Mit  1  Taf.  u.  1  Textabbildg.  Kgsbg.  Karg  &  Manneck. 
(32  S.  8P.) 

27.  Juni.  Mit  Genehmig,    d.    med.    Fak wird  ....  Dr.  med.   Theodor 

Cohn,  Arzt ....  seine  öffentl.  Antrittsvorlesung  über  .»Begriff  und  Wesen 
der  Uraemie4*  halten Kgsbg.    Kümmel.    (2  Bl.  4°.) 

Mit  Genehmig,  d.  med.  Fak wird  ....  Dr.  med.  Robert  Schell  er, 

Assist,  a.  kgi.  hygien.  Institut  d.  Alb.-Univ seine  Öffentl.  Antritta- 

vorles.  über  „Die  Principien  der  allgemeinen  Seuchenprophvlaxe" 
halten  ....  Kgsbg.     Ebd.  £  Bl.  4n.) 

30.  Juni.  Med.  I.-D.  von  Martin  Bartel,  Arzt  (aus  Königsberg  i.  Pr.):  Das 
Adenom  der  Nase.    Kgsbg.     Ebd.    (39  S.  8°.) 

Verzeichnis   der   auf   d.  Königl.    Albertus-Univers im    Winter-Halbjahre 

v.  16.  Okt.  1905  an  zu  haltend.  Vorlesungen  u.  d.  öffentl.  akad.  Anstalt. 
[Rektor  Dr.  Franz  Rühl,  ö.  o.  Prof.]  Kgsbg.  Härtung  (1  Bi.  81  S.  8°) 
Anekdota  zur  griechischen  Orthographie  I.  Hrsg.  v.  Arthur  Lud  wich 
(S.  1-32). 


Buchdruckerei  R.  Leupold,  Königsberg  i.  Pr. 


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Von  dem    „Verein  für  die  Geschichte  von  Ost-  und  Westpreussen" 
wurde  uns  in  Kommissionär  ergeben: 

Inhaltsverzeichnis  zu  Band  1  bis  40 

der  „Altpreussisehen  Monatsschrift" 

arbeitet  von  Professor  Dr.  Max  I'erlbach, 
A-bteilungsdirektor  der  Königlichen  Bibliothek  in  Berlin. 
Preis  5,00  Mark.   

Ferd.  Beyers  Buchhandlung,  Königsberg  i.  Pr. 


L 


E.  F.  Tlueneniann  in  Gotha. 


ien: 

Anastatisch  faksimilierter  Neudruck  der  ersten  Originalausgabe 


von 


Kant 


Kritik  der  reinen  Vernunft. 


Riga  1781. 

In   Halbfranz   broschierl    12  .Mark,   gebenden    14  Mark. 


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ii  Ende  November  erscheint: 

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immanuei   ivant.  führung  ln  das  Werk  = 

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auf  Grund  jetziger  Wissenschaft, 
Von  Julius  Baumann, 

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will  durch  ilns  vorliegende  Work   Jedem   Gebildeten 

•*  Urteil  über  die  Philosophie  Kants  und  m 


iinmeo  werden.      1 '  rd  in  der  I ! 


er  raun, 


Gotha, 


F.  A.  Perthes  Verlas. 


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Schwertes  und  des  Geistes.44 

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PL 

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Heft  7  und  8  erscheinen  als  Doppelheft  Ende  Dezember.  Der  h 


Altpreussische 

Monatsschrift 


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Preussischea  PfoylnzlaUBIittsr 

fünfte  Folge. 


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Rudolf  Reicke.  f 

Der  Monatsschrift  XLll.  Band.    Der  Provinzialblätter  CVlll.  Band. 

Siebentes  und  achtes  Heft. 

'•zember  ! 
(In  Druck  gegeben  von  R.  Burger.) 


Köi  in  Pr. 

Uli. 


Abonnementspreis  für  <ie)f  Jahrgang  Mh\  12,00. 


Inhalt. 


1.  Abhandln  n  ff  en. 

Rudolf  Reicke.    Ein  Bild  seines  Lebens  und  Schaffen.-.      V 

Gottlieb  Krause     ,     .     .  I — 

Der  EinflulJ  der  ostpreudinchen  Eisenbahnen  aui  hen 

und  einige  andere  Siedelungen.     Von  W 
Emil  Arnoldt.    Von  Otto  Schöndörffer 
Adel  und  Bürgerstand  in   und  um  Memel.    II.     Genealogien 
hriehten   auf  Grund   der  Kirchenbuch 
Altpr.  AI  XXXVIJI.  pg.  250—289).     V 

Johannes  Sembritzki.   Memel    .... 
Kants  gesammelte  ß  Akademieausgabo.   Hand  II.     \ 

Otto  Sehöndürffer     .     .     . 


II.  Mitteilu offen  und  Anhang 

«ianum  in  Braunabt 
Autoren -Regi 


Alle  Rechte  bleiben  vorbehalten.  "W 

Herausgeber  und   Mitarbeiter. 


Rudolf  Reicke. 

Ein  Bild  seines  Lebens  und  Schaffens. 

Von 

Gottlieb  Krause. 


Am  16.  Oktober  1905  starb  der  Mann,  dem  die  Altpreußische 
Monatsschrift  ihre  Entstehung  und  ein  über  vier  Jahrzehnte 
dauerndes  Bestehen  verdankt.  Ist  es  somit  schon  die  nächst- 
liegende Pflicht  der  Pietät,  hier  das  Andenken  an  ihn  in  einem 
Bilde  seiner  Persönlichkeit,  seines  Lebens  und  Schaffens  fest- 
zuhalten, so  bietet  einen  noch  höheren  Antrieb  dazu  die  fort- 
wirkende Bedeutung  seiner  Gesamtleistung  für  die  tiefere  Er- 
kenntnis der  Kultur-  und  Geistesgesohichte  unserer  Heimat. 

Rudolf  Reicke  gehörte  einer  aus  Pillau  stammenden 
Seefahrerfamilie  an.  Sein  Vater  Johann  Benjamin  R.  (geboren 
1794)  war  schon  im  Alter  von  zwölf  Jahren  aufs  Meer  gegangen 
und  wurde  ein  tüchtiger,  erfahrener  und  mutiger  Seemann; 
bereits  im  Jahre  1813  wurde  er  wegen  seiner  Teilnahme  an 
einer  bei  Pillau  vollführten  kühnen  Rettungstat  von  der  König- 
lichen Regierung  in  Königsberg  im  Amtsblatte  lobend  genannt. 
Er  machte  sich  in  Memel  ansässig  und  heiratete  hier  "Wilhelmine 
Henriette  Kissut  aus  Tilsit,  die  Tochter  eines  Stellmachermeisters. 
Dieser  Ehe  entsprossen  zwei  Söhne;  der  ältere  war  unser  Reicke, 
er  empfing  in  der  Taufe  die  Namen  Johann  Benjamin  Rudolf. 
Erst  awei  Jahre  alt,  verlor  er  die  Mutter;  aber  nach  einem  Jahre 
schon  führte  der  Vater  durch  seine  Vermählung  mit  Karoline 
Prantz,  einer  Freundin  und  Cousine  der  ersten  Frau,  den 
Söhnen  eine  Stiefmutter  zu,    die  ihnen  die  Liebe  und  Fürsorge 


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II 

einer  wirklichen  Mutter  vollauf  erwiesen  bat.  Unser  Beicke 
hing  an  ihr  mit  solcher  Zärtlichkeit,  daß  er  nie  gern  etwas  über 
deine  rechte  Mutter  von  deren  Verwandten  hören  mochte.  Die 
Verhältnisse,  unter  denen  er  aufwuchs,  waren  zwar  eng  und 
dürftig,  und  früh  lernte  er  entbehren,  aber  eigentliche  Not  haben 
die  Eltern  durch  redliche,  angestrengte  Arbeit  von  den  Kindern 
ferngehalten.  Und  aus  der  Enge  dieses  kleinbürgerlichen  Lebens 
wurde  der  Geist  der  Knaben  in  das  Reich  der  Romantik  geführt. 
Welche  Freude,  wenn  der  Vater  nach  gefahrvoller  Seefahrt 
heimkehrte!  Wie  hingen  die  Kinder  an  seinem  Munde,  wenn 
er  ihnen  von  seinen  Abenteuern  erzählte!  Er  war  auf  seinen 
Fahrten  als  Steuermann  weit  umhergekommen,  hatte  das  nörd- 
liche Eismeer,  das  Mittelmeer  besucht,  war  in  Nordamerika, 
Westindien  und  Brasilien  gewesen  und  hatte  zu  Wasser  und  zu 
Lande  die  mannigfachsten  Gefahren  bestanden.  Obwohl  er 
durch  ein  im  Winter  1831/32  abgelegtes  Examen  die  Berechtigung 
zur  Stellung  eines  Kapitäns  erhalten  hatte,  nahm  er  1834  den 
Posten  eines  Seelotsen  in  Memel  an  und  konnte  sich  jetzt 
seiner  Familie  mehr  widmen.  Nie  sah  man  ihn  müßig.  Wenn 
ihn  der  Dienst  nicht  beanspruchte,  fertigte  er  aus  Holz 
kunstvolle  Sachen  an.  Ein  von  ihm  hergestelltes  tragbares 
Schrei bepult  von  Mahagoni  mit  niedlichen  Schubfächern  und 
schönen  Messingbeschlägen  hat  dein  Sohn  Rudolf  bis  zuletzt 
benutzt. 

Den  Söhnen  galt  es  für  selbstverständlich,  dem  Berufe  des 
Vaters  und  der  Vorfahren  zu  folgen;  aber  wenn  der  jüngere 
Bruder  auch  wirklich  ein  Seemann  geworden  ist,  in  der  Seele 
Rudolfs  erwachten  bald  andere  Wünsche.  Duroh  den  Unterricht 
in  der  Schule,  vor  allem  durch  die  persönliche  Einwirkung  eines 
Lehrers  wurde  in  ihm  der  Funke  höheren  Strebens  entzündet. 
Fortan  sehen  wir  ihn  mit  heißem  Bemühen  an  seiner  geistigen 
Vervollkommnung  arbeiten.  Zunächst  wollte  er  Elementarlehrer 
werden.     In    seinem  18.  Lebensjahre   bezog   er  das  Seminar  in 


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III 

Königsberg.  Hier  kam  ihm  die  Rückständigkeit  seiner  literarischen 
Bildung  zum  Bewußtsein.  Mit  Eifer  suchte  er  die  Lücken  aus- 
zufüllen. Die  Lektüre  von  Schillers  Dramen  und  Goethes  Ge- 
dichten versetzte  ihn  in  eine  höhere  Welt.  Daneben  betrieb  er 
mit  Vorliebe  Botanik,  mit  der  er  sich  schon  in  Memel  viel  be- 
schäftigt hatte.  Je  länger  je  mehr  ward  ihm  klar,  daß  der 
Beruf  eines  Dorfsohullehrers  ihn  nicht  befriedigen  würde.  Der 
Gedanke  kam  ihm  jetzt  „lächerlich44  vor,  daß  er  „nach  zwei 
Jahren  schon  im  Lehrerrock  und  in  steifer  Halsbinde  in  einer 
Landschule  von  den  rasch  erworbenen  pädagogischen  Kenntnissen 
Gebrauch  machen  sollte".  (Selbstbiographie  des  Abiturienten 
R.  Reicke  1847.)  Daher  faßte  er  den  Entschluß,  sich  für 
das  Universitätsstudium  vorzubereiten.  Zum  Schmerze  seines 
Vaters  verließ  er  mit  einem  gleichgesinnten  Freunde  das  Seminar 
und  suohte  sich  nun  unter  Entbehrungen  und  mit  großer  An- 
strengung die  Kenntnis  der  klassischen  Sprachen  anzueignen. 
Ein  Sekundaner  erteilte  den  ersten  Unterrioht,  dann  folgten  als 
Lehrer  zwei  Studenten.  Die  Stunden,  die  unentgeltlich  erteilt 
wurden,  begannen  bereits  um  5  Uhr  des  Morgens.  Es  war  ein 
Glück,  daß  Reiokes  Ausbildung  durch  seine  im  August  1844 
erfolgende  Aufnahme  in  die  Sekunda  des  Altstädtischen  Gym- 
nasiums in  geordnete  Bahnen  kam.  Mit  welohem  Staunen  mögen 
die  Sekundaner  den  neuen,  riesig  großen  Kameraden  mit  dem 
mächtigen  Wald  rötlich  blonden  Haares  empfangen  haben!  Dem 
Altetädtischen  Gymnasium,  das  damals  von  dem  trefflichen 
Direktor  Ellendt  geleitet  wurde,  verdankt  Reicke  eine  sichere 
Grundlage  für  die  Studien  der  Universität.  Seine  vornehmste 
Neigung  wandte  er  dem  Unterrichte  im  Deutschen  und  in  der 
Geschichte  zu,  aber  auch  die  alten  Sprachen  betrieb  er  mit 
Eifer  und  Lust.  Dagegen  konnte  er  es  in  der  Mathematik  bis 
zuletzt  nicht  zu  genügenden  Leistungen  bringen,  obwohl  er  in 
diesem  Fache  von  einem  hervorragenden  Lehrer,  dem  Professor 
Müttrich,  unterrichtet  wurde. 


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IV 

In  wenig  mehr  als  drei  Jahrön  ist  es  Beicke  gelungen, 
das  Ziel  des  Gymnasiums  zu  erreichen.  Im  Oktober  1847  be- 
stand er  die  Reifeprüfung.  Mit  dem  Wahlspruch:  Ubi  quid  est, 
quod  disci  possit,  eo  mihi  veniendum  est!  verließ  er,  22s/4  Jahre 
alt,  die  Schule  upd  wurde  im  November  des  genannten  Jahres 
in  das  Album  der  philosophischen  Fakultät  der  Albertina  von 
dem  zeitigen  Dekan,  dem  berühmten  Physiker  Franz  Neumann, 
eingetragen. 

Seine  Mittel  waren  sehr  kärglich.  Als  er  sich  noch  auf 
dem  Gymnasium  befand,  war  ihm  der  Vater  entrissen  worden; 
dieser  hatte  im  Oktober  1845,  als  ein  Opfer  seines  Berufes,  bei 
einem  furchtbaren  Orkan  den  Tod  in  den  Wellen  gefunden. 
Damit  hatte  Beicke  auch  die  pekuniäre  Unterstützung  von  Hause 
verloren.  Wohl  hauptsächlich  durch  Erteilung  von  Privatstunden 
verschaffte  er  sich  als  Student  seinen  Unterhalt.  In  dieser  Be- 
ziehung teilte  er  aber  das  Schicksal  vieler  Kommilitonen.  Denn 
die  Königsberger  Studentenschaft  war  im  ganzen  arm,  und  doch 
ging  durch  das  akademische  Leben  ein  Zug  herzhafter,  ursprüng- 
licher Fröhlichkeit.  Und  in  der  Stadt  war  der  Student  eine 
populäre  Erscheinung;  die  von  der  vereinigten  Studentenschaft 
„im  Junkerhof e"  gegebenen  Bälle  wurden  von  der  besten  Gesell- 
schaft besucht.  Alle  Studenten,  nicht  nur  die  derselben  Ver- 
bindung, duzten  sich;  der  silberne  Albertuff  an  der  Mütze  war 
das  Erkennungszeichen.  Reicke  wurde  sogleich  Mitglied  der 
„Corps-Landsmannschaft41  Lituania;  hier  fand  er  bereits  seinen 
späteren  wissenschaftlichen  Genossen  Emil  Amol  dt  vor  und 
hat  mit  ihm  das  Band  der  Freundschaft  geknüpft.  Bald  brach 
die  Bewegung  des  Jahres  1848  aus,  und  wenn  ihre  Wogen  in 
dem  abgelegenen  Königsberg  auoh  nicht  gar  so  hoch  gingen, 
so  teilte  sie  sich  doch  dem  hiesigen  Leben  in  sehr  fühlbarer 
Weise  mit;  auch  die  Studentenschaft  wurde  von  ihr  ergriffen. 
Eine  Studentenwehr  wurde  gegründet,  die  Musensöhne  wurden 
„von  dem  allgemein    herrschenden  Versammlungsfieber  und  VW 


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der  mit  ihm  steigenden  Bedelust  ergriffen".  (H.  Prutz,  Die 
Königliche  Albertus -Universität.  1894.  S.  226).  Damals  ent- 
standen infolge  von  politischen  Gegensätzen  im  Schöße  der 
Lituania  Streitigkeiten,  die  schließlich  zu  der  Spaltung  in  die 
Landsmannschaft  Lituania  und  in  das  Corps  Lituania  (die 
sogenannte  silberne  L.)  geführt  haben.  Arnoldt  und  Reiche 
blieben  bei  der  Landsmannschaft.  Wie  weit  sich  Reiche  an  dem 
politischen  Leben  und  Treiben  in  der  Revolutionszeit  beteiligt 
hat,  konnte  nicht  festgestellt  werden,  jedenfalls  aber  hat  er  sich 
nicht  abhalten  lassen,  den  Studien  mit  Fleiß  obzuliegen.  Die 
Königsberger  Universität  wies  damals  in  ihren  Lehrern  zum 
Teil  höchst  bedeutende  Vertreter  der  Wissenschaft  und  treffliche 
Vorbilder  für  die  Studierenden  auf.  Männer,  wie  P.  Neumann 
und  Richelot,  Lobeck  und  Lehrs,  Drumann  und  Rosen- 
kranz wirkten  an  ihr.  Das  Beispiel  ihres  ganz  der  Wissen- 
schaft geweihten  Lebens,  die  Selbstlosigkeit  und  Lauterkeit 
ihres  Charakters  wirkten  veredelnd  auf  ihre  Jünger.  Oft  bildeten 
sich  zwischen  Lehrern  und  Schülern  innige  Verhältnisse  fürs 
ganze  Leben.  (L.  Friedländer,  Erinnerungen,  Reden  und  Studien. 
I.  Teil.  Straßburg  1905.  S.  66.)  Auf  die  Jugend  mehrerer 
dieser  Gelehrten  waren  noch  die  letzten  Strahlen  unserer  klassi- 
schen Diohterepoche  gefallen;  einige  waren  selbst  Poeten.  In 
dieser  geistigen  Luft  mußte  sich  eine  Natur  wie  Reiche  wohl 
fühlen;  er  hat  seinen  akademischen  Lehrern  stets  eine  dankbare 
Erinnerung  bewahrt.  Fünf  Jahre  war  er  immatrikuliert  und 
hat  nach  den  ihm  ausgestellten  Zeugnissen  den  rühmlichsten 
Fleiß  bewiesen.  Er  hörte  Lobeck  und  Lehrs,  ferner  philo- 
sophische Vorlesungen  bei  Rosenkranz,  Taute  und  Rupp  und 
Vorlesungen  der  Historiker  Drumann,  Voigt  und  Schubert. 
Seiner  Neigung  zur  Botanik  blieb  er  auch  jetzt  treu:  er  wurde 
ein  Schüler  des  Professors  Ernst  Meyer,  eines  Mannes,  der  trotz 
seiner  etwas  steifen  Formen  ein  begeisterungsfähiges  und  tiefes 
Qemüt  besaß.     Die   eigentlichen    Studiengebiete    Reickes  waren 


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VI 

Philosophie  und  Geschichte.  Im  letzteren  Fache  nahm  unter 
seinen  Lehrern,  was  Gelehrsamkeit  und  Gründlichkeit  der 
Forschung  betraf,  Drumann  die  erste  Stelle  ein,  dann  folgte 
Voigt,  aber  an  geistiger  Beweglichkeit,  Gabe  der  Mitteilung  und 
Fähigkeit,  zu  wissenschaftlicher  Arbeit  anzuregen,  war  ihnen 
beiden  Schubert  überlegen.  (H.  Prutz,  a.  a.  0.  S.  188.)  So  ist 
es  erklärlich,  daß  Reicke  sich  zu  diesem  mehr  hingezogen 
fühlte;  er  hörte  eine  große  Zahl  von  Vorlesungen  Schuberts, 
u.  a.  über  Finanz  Wissenschaft,  über  Staatsrecht  und  Statistik 
und  über  Literaturgeschichte,  und  nahm  an  den  Übungen  des 
von  ihm  geleiteten  historischen  Seminars  teil.  Aber  die  wichtigsten 
und  nachhaltigsten  Einflüsse  hat  er  von  Karl  Rosenkranz  er- 
fahren. Wenn  einer,  so  war  dieser  liebenswürdige,  erstaunlich 
vielseitige  und  rege,  für  alles  Edle  und  Schöne  empfängliche 
Gelehrte  mit  seiner  zündenden  Bedegabe  imstande,  die  Geister 
zu  wecken  und  auf  eine  höhere  Warte  zu  führen.  Auch  auf 
ßeicke  hat  der  von  dieser  Persönlichkeit  ausgehende  Zauber 
mächtig  gewirkt.  Rosenkranz  muß  sich  des  ernst  strebenden 
Jünglings  mit  besonderer  Teilnahme  angenommen  haben;  er 
wohl  vor  allen  hat  ihn  auf  die  Schriften  Kants  hingewiesen.  Denn 
er  hegte,  obwohl  Hegelianer,  die  wärmste  Verehrung  für  den 
großen  Königsberger  Weltweisen  und  hatte  zusammen  mit 
Schubert  in  den  Jahren  1838 — 1842  die  „sämtlichen  Werke" 
des  Philosophen  herausgegeben.  Wenn  jedoch  Rosenkranz  einmal 
von  sich  sagte,  Kant  wirke  auf  ihn,  wie  ein  Lieblingsheiliger 
auf  einen  Katholiken  (Alfred  Döhring  in  Altpreuß.  Monatsschr. 
Bd.  XLU.  S.  410),  so  kann  man  dieses  Wort  in  noch  viel 
unbedingterer  Weise  auf  Reicke  anwenden,  da  dessen  ganzes 
Wesen  bald  von  hingebender  Begeisterung  für  den  Philosophen 
des  kategorischen  Imperativs  erfüllt  wurde. 

Zweimal  während  seiner  Universitätszeit  hat  Reicke  als 
Bewerber  um  eine  Prämie  aus  der  Schreiberschen  Stiftung  zum 
Todestage   Kants,    dem    12.  Februar,    eine  Arbeit,  der  einj9atz 


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vn 

aus  den  Werken  des  Philosophen  zugrunde  gelegt  war,  ge- 
liefert, und  wenigstens  der  einen  ist,  wie  ihm  Rosenkranz  unter 
dem  27.  September  1851  bescheinigt,  der  erste  Preis  zuerkannt 
worden. 

Michaelis  1852  verließ  er  die  Albertina  und  nahm  für  V/2 
Jahre  auf  dem  Bittergute  Korbsdorf  bei  Wormditt  eine  Haus- 
lehrerstelle bei  einer  Familie  von  Sohau  an.  Darauf  kehrte  er 
nach  Königsberg  zurüok,  um  seine  philosophischen  Studien 
wieder  aufzunehmen,  und  erlangte  am  24.  Juli  1856  die  philo- 
sophische Doktorwürde  mit  einer  in  lateinischer  Sprache  ab- 
gefaßten Dissertation  über  Reinholds  Verhältnis  zu  Kant. 

In  der  zunächst  folgenden  Zeit  hat  er  sich  durch  Erteilung 
von  Unterricht  die  zum  Leben  nötigen  Einnahmen  verschafft. 
So  wirkte  er  von  Michaelis  1857  bis  in  den  Sommer  1864  als 
Hilfslehrer  an  der  Löbenichtschen  höheren  Bürgersohule,  dem 
heutigen  Städtischen  Realgymnasium;  er  gab  den  deutschen  Unter- 
richt in  Quarta  A  und  Tertia  A,  zusammen  sechs  wöchentliche 
Stunden,  anfangs  für  ein  Monatsgehalt  von  sechs  Talern;  es  wurde 
jedoch  später  auf  neun  Taler  erhöht.  Aber  schon  1858  hatte  er 
seinen  Lebensberuf  gefunden,  indem  er  gegen  Ende  dieses  Jahres 
in  den  staatlichen  Bibliotheksdienst  trat.  Im  nächsten  Jahre 
wurde  er  als  zweiter  Kustos  an  der  hiesigen  Königlichen  und 
Universitätsbibliothek  angestellt,  1871  wurde  er  erster  Kustos, 
1885  erhielt  er  den  Titel  Bibliothekar,  1894  endlich  den  eines 
Oberbibliothekars.  Eine  selbständige  und  leitende  Stellung  hat 
er  in  seiner  Beamtenlaufbahn  nicht  gewonnen.  Er  hat  dies, 
wenn  er  es  auch  in  sich  versohloß,  als  eine  Zurücksetzung 
empfunden,  wodurch  seinem  Wesen  ein  gewisser  Zug  der 
Resignation  mitgeteilt  wurde.  Aber  vielleicht  war  gerade  diese 
äußere  Gestaltung  seines  Lebens  ein  wesentlicher  Grund,  daß 
er  der  Wissenschaft  das  wurde,  was  erst  jetzt,  da  sein  Lebens- 
werk abgeschlossen  vor  uns  liegt,  seine  volle  Würdigung 
finden     wird.      Die    Tätigkeit    an     einer    großen     öffentlichen 


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Bibliothek  gab  ihm  Gelegenheit,  die  neuesten  Erscheinungen  der 
wissenschaftlichen  Literatur  aus  erster  Hand  kennen  zu  lernen 
und  sich  eine  wahrhaft  staunenswerte  Büoherkenntnis  anzu- 
eignen; der  Umstand,  daß  ihm  die  Geschäftslast  und  die  Ver- 
antwortung, die  mit  der  Leitung  eines  größeren  VerwalUmgs- 
betriebes  verbunden  sind,  fern  blieben,  ließen  ihm  Freiheit  und 
Zeit  zur  eigenen  Forschung.  Wissenschaftliche  Arbeit  war  der 
Balsam  seines  Lebens.  „Arbeit",  so  sagte  er  einmal,  „ist  das 
beste  und  das  billigste  Vergnügen",  und  ein  andermal:  „Nach 
getaner  Lohnarbeit  bildet  unbelohnte  Arbeit  meine  Erholung 
und  mehr  als  diese,  mein  schönstes  Vergnügen."  (J.  Sembritzki 
im  „Memeler  Dampfboot"  18.  Oktober  1905,  Beil.)  So  baute  er 
sich  seine  eigene  Welt  auf,  in  der  er  seine  Befriedigung  fand. 
Nicht,  daß  er  verdrossen  seine  Amtsgeschäfte  verrichtet  hätte; 
im  Gegenteil,  er  leistete  als  Bibliothekar  ganz  Hervorragendes 
mit  seiner  Bücherliebe,  seinem  außerordentlich  guten  Gedächtnis, 
seiner  Sorgsamkeit  und  seiner  gleichmäßigen  Buhe,  seiner  nie  er- 
müdenden Gefälligkeit.  Die  Unzähligen,  denen  er  in  dem  alten, 
in  der  Königstraße  gelegenen  Bibliotheksgebäude  aus  dem  Reich- 
tume  seines  bibliographischen  Wissens  geholfen  hat,  werden  sich 
seiner  nie  versagenden  Bereitwilligkeit  und  Liebenswürdigkeit 
sicherlich  mit  warmer  Dankbarkeit  erinnern.  —  Im  Nebenamte 
verwaltete  Reickedie  hiesige  Wal lenrodtsohe  Bibliothek,  deren 
Schätze  an  malerischer  Stätte  in  einem  Turme  unseres  alten 
Domes  aufbewahrt  werden. 

Als  Student  hatte  er  viel  in  dem  Hause  des  Servis-Billeteurs 
Daniel  Gotthilf  Bohn  verkehrt  und  in  dessen  Tochter  Emilie 
seine  künftige  Lebensgefährtin  gefunden.  Lange  Jahre  hatten 
die  Verlobten  warten  müssen,  bis  am  29.  April  1860  die  Ver- 
mählung  stattfand.  Reicke  bezog  mit  seiner  Gattin  eine  Woh- 
nung in  dem  Hause  seines  Schwiegervaters  in  der  Kalthöfischen 
Straße.  In  diesem  Hause  hat  das  Paar  fast  die  ganze  Zeit  seiner 
Ehe  verlebt;  es  war  mit  dem  daran  stoßenden  hübschen,  höchst 


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IX 

sauber  gehaltenen  Gärtchen  der  Schauplatz  eines  innigen  Familien- 
lebens. Reiokes  Gattin  war  eine  Frau  von  zartem  Körper,  besaß 
aber  große  Willens-  und  Geisteskraft.  Sie  war  nicht  nur  die 
Vorsteherin  des  Hauswesens  und  die  sorgliche  Erzieherin  ihrer 
Kinder,  sondern  nahm  auch  an  den  geistigen  Bestrebungen  ihres 
Mannes  mit  vollem  Verständnis  teil.  Wenn  das  Paar  auch 
nicht  eigentlich  gesellschaftlichen  Verkehr  pflegte,  so  entbehrte 
es  doch  nicht  anregenden  Umganges.  Da  waren  vor  allen 
Reickes  treuer  Freund  und  Schwager,  der  vielseitig  gebildete 
Heinrich  Bohn,  der  sich  in  Königsberg  als  Arzt  niedergelassen 
hatte,  und  dessen  Gattin  Pauline,  Tochter  der  verwitweten  Frau 
Major  Schwinok,  einer  Nichte  Theodors  von  Schön,  und  bald 
kam  auch  der  schon  früher  mit  Beicke  befreundete  Dichter 
Ernst  Wiehert  hinzu,  der  im  Jahre  1863  von  Prökuls  nach  der 
Pregelstadt  als  Stadtrichter  versetzt  wurde.  Wiehert  erwähnt  in 
seiner  Selbstbiographie  („Richter  und  Dichter")  bei  der  Erzählung 
seiner  Übersiedlung  nach  Königsberg  seines  alten  Freundes 
Beicke,  „des  prächtigen,  offenen,  geraden  Menschen,  des  leiden- 
schaftlichen Kantianers".  Diese  drei  Familien  bildeten  den 
Stamm  eines  Kränzchens,  das  später  entstand,  zu  dem  u.  a.  noch 
Singelmann,  damals  Richter  am  Kommerz-  und  Admiralitäts- 
kollegium, der  Augen-  und  Ohrenarzt  Professor  E.  Berthold, 
Stabsarzt  Bobrik  und  sein  Schwager  Professor  von  Brünneok, 
Dr.  med.  Stobbe,  Auditeur  Hiersemenzel  mit  ihren  Frauen  ge- 
hörten. Dem  jedesmaligen  Wirt  lag  die  Verpflichtung  ob,  „irgend 
etwas  aus  einem  ihm  naheliegenden  Wissensgebiet  vorzutragen". 
Sehr  oft  gab  dann  der  Inhalt  dieses  Vortrags  einen  fesselnden 
Unterhaltungsstoff.  (Wiehert  a.  a.  0.  S.  146).  Es  war  eine  schöne, 
geistig  belebte  Geselligkeit,  der  durch  die  Teilnahme  liebens- 
würdiger und  kluger  Frauen  ein  besonderer  Beiz  verliehen  wurde. 
In  der  wissenschaftlichen  Arbeit  Eeickes  bildet  Kant  den 
Anfang,  die  Mitte  und  das  Ende.  Er  setzte  sich  die  Aufgabe, 
die  Persönlichkeit    des    Weltweisen,    sein  Leben   und  seine  Be- 


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2t 

ziebnngen  nach  allen  Seiten  in  den  ursprünglichen  Zügen  fctt 
erforschen  und  der  Welt  vorzuführen.  Daher  spürte  er  uner- 
müdlich nach  neuem  handschriftlichen  Material,  nach  Mann- 
skripten wissenschaftlichen  Inhalts  wie  nach  Briefen,  und  ent- 
wickelte hierbei  eine  wunderbare  Entdeckergabe.  In  seinen 
Editionen  befleißigte  er  sich  der  größten  Sorgfalt;  in  ihnen 
herrscht  möglichst  diplomatische  Genauigkeit.  In  Einleitungen 
und  Anmerkungen  gibt  er  wertvolle  Aufschlüsse  über  Herkunft 
und  Geschichte,  Beschaffenheit  und  Inhalt  der  Kantischen 
Papiere,  über  ihre  Chronologie  usw.  Man  kann  sagen,  daß  erst 
durch  Eeicke  das  arohivalische  Studium  des  Lebens  und  der 
Persönlichkeit  Kants  begründet  worden  ist  Man  vergleiche  z.  B. 
die  Methode  Schuberts  in  seinen  Kant  betreffenden  Veröffent- 
lichungen mit  der  Reickes.  Wie  unendlich  ist  der  Schüler  dem 
Lehrer  an  Zuverlässigkeit  überlegen! 

Dazu  kommt  ein  anderes.  Wenn  man  Kants  Persönlichkeit 
verstehen  und  würdigen  will,  muß  man  vor  allem  auch  die  Zeit, 
in  der  er  lebte,  und  die  Menschen,  mit  denen  er  verkehrte, 
kennen.  Hier  öffnete  sich  dem  Forsoher  ein  weites  Gebiet, 
hier  hat  sich  Reicke  im  Laufe  seines  langen  Lebens  so  heimisch 
gemacht  wie  kein  anderer.  Mit  der  ihm  eigenen  Liebe  für  das 
Kleine  ging  er  den  Dingen  und  Personen  weiter  nach  und 
gelangte  dadurch  zu  immer  neuen  Berührungen  und  Fragen,  zu 
immer  neuen  Entdeckungen.  So  hat  er,  von  Kant  ausgehend, 
allmählich  alle  bedeutenden  Menschen,  die  Ostpreußen  und  ins- 
besondere Königsberg  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts 
aufwies,  mit  seinem  geistigen  Auge  erschaut.  Man  kann  sagen, 
daß  er  in  dem  Königsberg  jener  Epoche  lebte.  Was  er  in  dieser 
Beziehung  in  seinen  Publikationen  niedergelegt  hat,  bedeutet 
nur  einen  geringen  Teil  dessen,  was  er  sich  geistig  zu 
eigen  gemacht  hatte.  Es  waren  für  den,  der  Reicke  in  seinem 
stillen  Gelehrtenheim  besuchte,  Augenblicke  eigenartigen  Reizes, 
wenn  dieser  in  seiner  schlichten  und  doch  geistvollen   Art  von 


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XI 

jenen  Zeiten  erzählte.  Er  erschien  dem  Zuhörer  wie  ein  Zeit- 
genosse und  Freund  jener  Männer,  die  damals  unsere  Heimat- 
stadt zu  einem  Brennpunkt  deutscher  Bildung  machten:  der 
Hamann  und  Hippel,  Kant  und  Kraus.    • 

Sogleich  seine  erste  bedeutendere  Publikation,  Kantiana, 
Beiträge  zu  Immanuel  Kants  Leben  und  Schriften  (1860)  zeigt 
die  oben  berührten  Vorzüge.  Hier  teilte  er  aus  einem  Konvolut 
der  hiesigen  Königlichen  und  Universitätsbibliothek  -  die  am 
23.  April  1804  gehaltene  Gedächtnisredo  Walds  auf  Kant  mit 
und  ferner,  was  besonders  wichtig,  auch  das  von  dem  Kon- 
sistorialrat  gesammelte,  den  Philosophen  betreffende  Material, 
welches  Wald  größtenteils  durchAnfragen  anKollegen  undFreunde 
des  Verewigten,  Borowski,  Reusch,  Joh.  Schultz,  Wan- 
nowski,  Heilsberg,  Kraus,  Wasianski  und  Gensichen 
gewonnen  hatte.  Diese  Mitteilungen  gaben  wertvolle  Er- 
gänzungen zu  den  gedruckten  Biographien  des  Weltweisen, 
auch  der  von  Schubert  aus  dem  Jahre  1842. 

Bald  nach  der  Bückkehr  E.  Wicherts  nach  Königsberg 
(1863)  gründete  Beicke  im  Verein  mit  ihm  jene  Zeitschrift,  die 
ihm  in  der  deutschen  Nordostmark  ein  dauerndes,  ehrenvolles 
Andenken  sichert:  Die  Altpreußische  Monatsschrift.  Hören 
wir,  wie  sich  Wiehert  (a.  a.  O.  S.  129)  über  die  Entstehung 
dieses  Unternehmens  äußert:  „Wir  beide  verabredeten  mit  ein- 
ander die  Herausgabe  einer  Monatsschrift,  die  an  die  Stelle  der 
zuletzt  von  Dr.  Hasenkamp  (Redakteur  der  Hartungschen  Zeitung) 
herausgegebenen  und  kaum  noch  das  Dasein  fristenden  Preußischen 
Provinzialblätter  zu  treten  hätte.  Sie  sollte  ein  Archiv  für  alles 
Wissens  würdige  aus  der  Geschichte  Altpreußens  werden  und  eine 
vollständige  altpreußische  Bibliographie  bringen,  aber  auch  Ab- 
handlungen aus  anderen  Gebieten  von  allgemeinerem  Interesse 
aufnehmen  und  sogar  Belletristisches  nicht  ausschließen.  Wir 
hofften  ihr  so  einen  weiteren  Abonnentenkreis  schaffen  zu  können. 
Ein  Prospekt  wurde  von  mir  entworfen,  von  Beicke  gutgeheißen 


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und  nun  in  vielen  Exemplaren  verbreitet.  Irgend  eine  finita* 
zielle  Unterlage  hatte  das  Unternehmen  nicht.  Wir  wollten 
selbst  tätig  sein  und  durften  auf  Mitarbeiter  rechnen,  die  ihre 
nur  für  einen  engeren  Leserkreis  bestimmten  Arbeiten  gern 
gedruckt  sehen  würden,  ohne  Honorar  zu  beanspruchen.  Bohn 
war  Arzt  im  Hause  eines  Buchdruckers  namens  Bosbach.  Er 
vermittelte  unsere  Bekanntschaft  mit  ihm.  Bosbach  ließ  sich 
darauf  ein,  als  Verleger  zu  figurieren,  und  schoß  die  Kosten  für 
Papier  und  Druck  vor.  Mit  seiner  Hilfe  und  in  seinem  aller« 
dings  wenig  einladenden  Eontor  besorgten  wir  selbst  die  Expe- 
dition des  Probehefts  der  „Altpreußischen  Monatsschrift"  bereits 
anfangs  des  Jahres  1864  und  gewannen  daraufhin  wenigstens  so 
viel  Abonnenten,  daß  die  notwendigen  Ausgaben  als  gedeckt 
gelten  konnten."  Vergeblich  bemühten  sich  die  Provinzial- 
blätter,  sich  dieser  Konkurrenz  zu  entledigen,  sie  verschmolzen 
im  Jahre  1867  mit  der  Monatsschrift,  die  zugleich  in  den  Verlag 
der  Bey ersehen  Buchhandlung  überging.  Die  Last  des 
eigentlichen  Redaktionsgeschäfts  lag  bald  gänzlich  auf  Beicke. 
In  dem  Vorwort  zu  seinem  Roman  „Tileman  vom  Wege", 
den  Wiehert  im  Jahre  1890  „seinem  alten  lieben  Freunde" 
Reicke  „in  Dankbarkeit"  zueignete,  hat  der  Dichter  selbst  mit 
seiner  liebenswürdigen  Aufrichtigkeit  zugestanden,  daß  er  in 
dieser  Beziehung  der  Altpreußischen  Monatsschrift  „wenig  mehr 
als  seinen  Namen  leihen  konnte".  (Vgl.  „Richter  und  Dichter u. 
S.  130 — 181.)  Das  erste  Heft  brachte  an  der  Spitze  Wicherts 
hübsche  Novelle  „Am  Strande";  jedoch  bald  ließ  man  diese 
Rubrik  fallen,  aus  Mangel  an  geeigneten  Mitarbeitern  und  auch, 
weil  der  leichtere  Unterhaltungsstoff  nicht  recht  zu  dem  Gesamt- 
charakter des  Werkes  passen  wollte. 

Der  im  Laufe  der  Jahre  in  dieser  Zeitschrift  angehäufte 
Stoff  ist  in  seinem  Umfang  und  seiner  Bedeutung  erst  jetzt,  da 
das  von  Max  Perlbach  in  mühevoller  und  selbstloser  Arbeit 
gefertigte  und  vom  Verein    für    die    Geschichte   von   Ost- 


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und  Westpreußen  herausgegebene  Inhaltsverzeichnis  der  ersten 
40  Bände  gedruckt  vorliegt,  ganz  zu  erkennen.  In  den  hier  ver- 
öffentlichten Arbeiten  sind  alle  nur  denkbaren  Gebiete  der 
Forschung,  soweit  sie  sich  auf  Altpreußen  bezieben,  vertreten: 
Sprache  und  Literatur,  Geschichte,  Philosophie  und  Volkswirt- 
schaft, Kunst  und  Kultur,  Kirchen-  und  Reohtsgeschichte,  Natur- 
wissenschaften und  Geographie  usw.  Wenn  auch  die  einzelnen 
Beiträge  naturgemäß  von  sehr  ungleichem  wissenschaftlichen 
Werte  sind,  so  ist  doch  die  Gesamtleistung  eine  außerordentlich 
bedeutende,  das  in  ihr  enthaltene  Material  ein  gewaltiges,  eine 
wahrhafte  „Fundgrube  für  historische  Erinnerungen  aller  Art". 
Vielleicht  ihr  schönster  Ruhm  besteht  aber  darin,  daß  durch  sie 
das  Interesse  fOr  die  Heimat  und  ihre  Vergangenheit,  die  Liebe 
zur  Scholle  in  unserem  alten  Ordenslande  wacherhalten  und  ge- 
stärkt worden  ist.  Endlich  hat  sie  vielen  tüchtigen  Forschern 
überhaupt  erst  ermöglicht,  die  Ergebnisse  ihrer  Studien  im 
Drucke  erscheinen  zu  lassen.  Mit  Recht  wird  in  dem  Diplom 
(vom  5.  Februar  189B),  worin  der  Verein  für  die  Geschichte  von 
Ost-  und  Westpreußen  Reicke  zu  seinem  Ehrenmitgliede  ernennt, 
hervorgehoben,  daß  unter  den  jüngeren  Bearbeitern  der  Provinzial- 
geschichte  kaum  einer  sei,  der  nicht  durch  Reicke  und  in  der 
Altpreußisohen  Monatsschrift  zuerst  in  die  Öffentlichkeit  ein- 
geführt worden  wäre.  Durch  diese  Zeitschrift  wurde  sein 
Name  bei  allen  Gebildeten  Altpreußens  populär.  Mit  Un- 
zähligen trat  er  in  Beziehung,  von  überall  kamen  Anfragen, 
Bitten  um  Rat  und  Aufklärung.  Und  allen  redlich  Strebenden 
hat  er  geraten  und  geholfen,  er  hat  ihnen  „bereitwillig  gestattet, 
an  der  hellen  Fackel  seines  reichen  Wissens  ihr  eigenes  Lämpchen 
zu  entzünden11.  Jahrzehntelang  liefen  in  seiner  Person  zum 
großen  Teil  die  Fäden  der  Forschung  auf  dem  Gebiete  der 
heimatlichen  Geschichte,  vornehmlich  der  Geistes-  und  Kultur- 
geschichte, zusammen.  Die  zahlreichsten  Beiträge  haben  außer 
Reioke    für    die   Altpreußische   Monatsschrift   geliefert:    Rudolf 


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XIV 

Bergau,  Georg  Conrad,  Karl  Lohmeyer,  Max  Perlbach, 
Adolf  Bogge,  Johannes  Sembritzki,  Emil  Steffenhagen, 
Max  Toeppen,  Ernst  Wiehert.  Hervorgehoben  seien  noch 
als  Mitarbeiter  der  Zeitschrift  Ad  albert  Bezzen  berger,  Wilhelm 
von  Brünneck,  Ludwig  Friedländer,  August  Hagen,  Kon- 
stantin Höhlbaum,  Karl  Lehrs,  G.  H.  F.  Nesselmann, 
L.  Passarge,  Karl  Rosenkranz,  Franz  Bühl,  Otto  Schön- 
dörffer,  Paul  Tschackert,  Hans  Vaihinger,  Arthur  Warda 
und  besonders  Emil  Arnold t,  der  tiefgründige  Kenner  der 
Kantischen  Philosophie.  Was  Reicke  selbst,  er  der  einzelne  Mann, 
für  die  Zeitschrift  geleistet  hat,  ist  staunenswert.  Neben  den 
mühsamen  Bedaktionsgeschäften  fand  er  die  Zeit  zur  Anfertigung 
von  vielumfassenden  und  wichtigen  bibliographischen  Verzeich- 
nissen, —  besonders  wichtig  ist  das  Verzeichnis  der  Kantliteratur 
der  Jahre  1882  (mit  Nachträgen  zu  früheren  Jahren)  bis  1894  — 
von  Übersichten  über  die  periodische  Literatur,  zur  Herstellung 
der  Chronik  der  Albertina  usw.  Seine  der  Zeitschrift  einver- 
leibten besonderen  Arbeiten  sind  zum  Teil  von  sehr  großem 
Umfange.  Über  die  Grenzen  unserer  Heimat  hinaus  haben  vor 
allen  die  auf  Kant  bezüglichen  Interesse  erregt;  durch  sie  und 
durch  die  Aufsätze  Emil  Arnoidts  hat  die  Altpreußische  Monats- 
schrift auch  in  außerdeutschen  Ländern  Europas,  ja  in  Nord- 
amerika Abonnenten  gefunden. 

Der  erste  Band  der  Altpreußischen  Monatsschrift  brachte 
zwei  Aufsätze  Reickes  über  den  Mann,  der  nächst  Kant  sein 
größtes  Interesse  erweckt  hat,  über  J.  G.  Scheffner,  den  Zeit- 
genossen und  Freund  der  Königsberger  Größen  in  der  Kantischen 
Epoche,  der  sie  alle  überlebte  und  als  Vierundachtzigj&hriger  erst 
1820  gestorben  ist.  Die  beiden  Aufsätze  sind  höchst  anziehenden 
Inhalts  und  bekunden  die  liebenswürdige  Darstellungsweise  Reickes; 
sie  haben  die  Titel:  „Aus  dem  Leben  Scheffners'4  und  „Der 
Kriegsrat  Scheffner  und  die  Königin  Luiseu.  Sie  führen 
in  jene  an  schmerzlichen,  aber  auch  an  erhebenden  Erinnerungen 


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reiche  Zeit,  da  der  preußische  Staat  unter  den  Schlägen  Napoleons 
zusammengebrochen  war  und  die  Königsfamilie  in  unserer 
Provinz  ihre  letzte  Zuflucht  fand,  in  der  aber  auch  auf  dem 
Boden  Ostpreußens  das  Werk  der  Verjüngung  unseres  Volks- 
und Staatslebens  vorgenommen  wurde.  Das  alles  hat  der  greise 
Scheffner  nicht  nur  erlebt,  sondern  er  hat  auch  selbst  zu  den 
großen  Fragen  der  Zeit  Stellung  genommen  und  ist  für  die 
Reformideen  mit  Eifer  und  Mut,  weckend  und  anregend,  ein- 
getreten. Im  Mittelpunkte  der  Darstellung  und  der  Mitteilungen 
Reickes  stehen  aber  die  persönlichen  Beziehungen  Scheffhers  zu 
der  hochgesinnten  Königin  Luise  und  zu  ihrer  schönen  und 
liebenswürdigen  Schwester,  der  Prinzessin  Friederike  von 
Solms.  Der  Verkehr  des  originellen  Ostpreußen  mit  den  hohen 
Frauen  bietet  trotz  des  ernsten  Hintergrundes,  den  ihm  jene 
drangvoll  bewegte  Zeit  gibt,  ein  freundliches  Bild  von  fesselndem 
Reize.  Scheffner  erfreute  sich  ihrer  Huld  trotz  mancher  äußerst 
freimütigen  Äußerung,  da  seine  guten  Absichten  von  den  fürst- 
lichen Frauen  wohl  gewürdigt  wurden  und  er  es  verstand,  seine 
Mahnungen  in  eine  artige  und  launige  Form  zu  kleiden.  Die 
Briefe  der  Königin  Luise  an  Scheffner,  die  Reicke  dem  auf  dem 
hiesigen  Staatsarchiv  aufbewahrten  handschriftlichen  und  brief- 
lichen Nachlasse  des  letzteren  entnahm,  sind  schöne  Zeugnisse 
ihres  Seelenadels  und  ihrer  Herzensgüte. 

Die  Teilnahme  für  die  Persönliohheit  Scheffners  ist  Reioke  bis 
zuletzt  geblieben.  Er  hat  die  Beziehungen,  das  schriftstellerische 
und  praktische  Wirken  des  beweglichen,  nach  den  verschiedensten 
Seiten  hin  tätigen  Mannes,  das  bisweilen  mit  dem  Sohleier  des  Ge- 
heimnisses umhüllt  ist,  sorgsam  verfolgt  und  hierfür  ein  reiches 
und  wichtiges  Material  zusammengebracht,  das  er  einst  für  die 
Veröffentlichung  gestalten  wollte.  Der  Tod  hat  diesem  Plane 
ein  Ende  gemacht.  —  Im  Jahre  1884  erschienen  die  „Nach- 
lieferungen" zu  Scheffners  Autobiographie  bei  Carl  Reißner 
in  Leipzig  mit  vielen,  von    großer  Sachkenntnis  zeugenden  Er- 


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XVI 

läuterungen;  der  Herausgeber    nannte   sieh  nicht;   es  war  unser 
Beicke. 

Ein  gewisses  Aufsehen  erregte  in  der  gelehrten  Welt  die 
Herausgabe  eines  bisher  ungedruckten  nachgelassenen  Werkes 
Kants  von  bedeutendem  Umfange  durch  Beicke.  Schon  im 
ersten  Bande  der  „Altpreußischen  Monatsschrift/'  hatte  er,  freilich 
nicht  als  erster,  auf  dieses  hingewiesen.  Es  war  in  den  Besitz 
eines  Verwandten  Kants  gekommen,  war  lange  Zeit  aus  dem 
literarischen  Gesichtskreise  verschwunden,  bis  1858  Schubert 
Gelegenheit  erhielt,  es  einzusehen.  Das  Werk  wurde  aber  nicht 
gedruckt  und  verschwand  abermals.  Da  erhielt  Beicke  „un- 
vermutet" und  zu  seiner  „freudigen  Überraschung"  ein  im 
Jahre  1863  „von  einem  sachkundigen  Verwandten  Kants  auf- 
gesetztes" Inhaltsverzeichnis  jener  Handschrift  und  veröffentlichte 
es  in  seiner  Zeitschrift  (I.  S.  745 — 749).  Bald  bekam  er  das 
Manufkript  selbst  in  Verwahrung  und  behielt  es  fast  ununter- 
brochen 16  Jahre.  Es  war  das  letzte  Werk  des  Weltweisen; 
nach  Kuno  Fischers  Schätzung  (Das  Streber*  und  Gründertum 
in  der  Literatur.  Stuttgart  1884.  S.  15)  würde  Kants  zusammen- 
hängende Beschäftigung  damit  in  die  Jahre  1798  bis  1803  gefallen 
sein.  In  den  unaufhörlichen  Wiederholungen  und  dem  Mangel  an 
Ordnung  der  Gedanken  zeigt  sich  aufs  deutlichste  die  Abnahme 
der  Kräfte  dieses  einst  „alles  zermalmenden"  Geistes.  Über  die 
Handschrift  und  ihren  Inhalt  gibt  eine  von  Beicke  (Altpr. 
Monatsschr.  XIX,  S.  66 — 67)  mitgeteilte  „Anzeige,  den  Nach- 
laß des  sei.  Kant  betreffend"  folgende  Aufklärung:  „Es  sind 
ungefähr  hundert  Foliobogen  da,  welche,  bis  auf  ein  paar  Bogen, 
alle  von  Kant  eigenhändig  geschrieben  sind.  Der  Titel  des 
Werkes,  zu  welchem  sie  nur  Materialien  enthalten,  sollte  sein: 
Uebergang  von  den  metaph.  Anf.  Gr.  der  Naturwissen- 
schaft zur  Physik.  Dieser  sollte  eine  eigene  Wissenschaft 
ausmachen,  die  sich  ebenso  sehr  von  den  Anf.  Gr.  d.  N.  W- 
als  von  der  Physik  unterschiede,  aber  doch  auf  Principien  a  priori 


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XVII 

beruhte  und  welche  dadurch  zur  Erklärung  der  natürlichen  Er- 
scheinungen diente.  Sie  sollte  das  Gebiet  der  metaph.  Anf.  Gr. 
der  Naturw.  mit  dem  der  empirischen  Physik  verbinden  und  gleich- 
sam den  Baum  ausfüllen,  welcher  zwischen  diesen  beiden  Wissen- 
schaften befindlich  ist,  teils  um  das,  was  in  jener  nach  Begriffen 
a  priori  angenommen  wurde,  durch  Anwendung  auf  die  wirklich 
vorhandenen  Kräfte  der  Natur  zu  erklären  und  zu  erweitern,  teils 
auch,  um  für  diese  die  Grundsätze  aufzustellen,  nach  welchen 
allein  ein  geordnetes  Ganzes  derselben  möglich  wäre*'  etc. 
Beicke  hatte  anfangs  die  Absicht,  „eine  Darstellung  gleichsam 
als  Kern  aus  dem  Ganzen  herauszuschälen";  er  gab  sie  aber  bei 
der  eigenartigen  Beschaffenheit  des  Werkes  wieder  auf  und  ent- 
schloß eich,  das  Manuskript  in  einer  Beihe  von  Artikeln  in  der 
„Monatsschrift"  zu  edieren.  Im  19.  bis  21.  Bande  (1882—1884) 
ist  es  erschienen:  „Ein  ungedrucktes  Werk  von  Kant  aus 
seinen  letzten  Lebensjahren."  Die  Veröffentlichung  konnte 
nicht  zu  Ende  geführt  werden,  da  der  Pastor  A.  Krause  in 
Hamburg  die  Handschrift  mittlerweile  gekauft  hatte  und  sie 
Beicke  nicht  mehr  zur  Benutzung  überließ.  Dieses  postume 
Werk  Kants  ward  der  Anlaß  zu  jener  Fehde  zwischen  Krause 
und  Kuno  Fischer,  in  welcher  dieser  den  Hamburger  Pastor  in 
der  schärfsten  Weise  abfertigte. 

Eine  allgemein  anerkannte  Stellung  unter  den  Kantforschern 
gewann  Beicke  durch  die  sich  über  12  Jahre  (1887—1898)  hin- 
ziehende' Veröffentlichung  der  „Losen  Blätter  aus  Kants 
Nachlaß"  in  der  Altpreußischen  Monatsschrift;  er  hat  sie  in 
drei  Heften  1889—1898  im  Verlage  der  Beyerschen  Buchhandlung 
auch  besonders  erscheinen  lassen.  Sie  gehören  außer  einem 
kleinen  Teile  zu  der  auf  der  hiesigen  Königlichen  und  Uni- 
versitätsbibliothek aufbewahrten  Sammlung  von  Blättern  aus 
dem  Nachlaß  des  Philosophen.  Von  den  13,  einst  von  Schubert, 
aber  mangelhaft,  geordneten  Konvoluten  (A — N)  hat  Beicke 
sieben   herausgegeben.    Nach    dem  Abdrucke   des   Konvoluts  G 


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xvm 

(„Kants  Ansichten  zur  Religionsphilosophie  od.  natürlichen 
Theologie")  hörte  er  mit  dieser  Arbeit  auf;  eine  neue  große 
Aufgabe  und  der  damit  verbundene  Mangel  an  Zeit  und  der 
Umstand,  daß  der  handschriftliche  Nachlaß  des  Philosophen  auch 
für  die  große  Kant-Ausgabe  der  Berliner  Akademie  verwertet 
werden  sollte,  haben  ihn  dazu  veranlaßt.  Über  den  Titel  läßt 
sich  Beicke  im  Vorworte  zum  ersten  Hefte  selbst  aus:  „Lose 
Blätter  sind  es;  denn  es  findet,  mit  wenigen  Ausnahmen, 
zwischen  den  einzelnen  kein  innerer  Zusammenhang  statt,  oft 
sogar  nicht  einmal  zwischen  den  einzelnen  Seiten  eines  und 
desselben  Blattes."  Und  über  die  Art  des  Abdrucks  äußert  er 
sich  ebendaselbst:  „Sie  werden  hier  zum  erstenmal  vollständig 
und  wortgetreu  nach  den  Originalen  veröffentlicht;  indem  wir 
nichts  weglassen  noch  ändern,  verschaffen  wir  uns  am  sichersten 
einen  Einblick  in  die  Art  und  Weise,  wie  Kant  arbeitete:  für 
seine  Vorlesungen  wie  für  seine  schriftstellerische  Tätigkeit, 
für  private  wie  für  amtliche  Zwecke."  So  wurde  also  mit 
diplomatischer  Genauigkeit  im  Drucke  wiedergegeben,  was  sich 
auf  den  Blättern  selbst  unter  vielfachen  Korrekturen,  Band-  und 
Zwischenbemerkungen  findet.  Diese  „Losen  Blätter",  durch 
welche  eine  Fülle  neuer  Einblicke  in  die  Werkstätte  eines  der 
gewaltigsten  Geister  aller  Zeiten  eröffnet  wurde,  gewannen  dem 
verdienstvollen  Herausgeber  den  warmen  Dank  der  gelehrten 
Welt.  Wilhelm  Dilthey  schrieb  ihm  im  Mai  1889  aus  Berlin 
nach  Empfang  des  ersten  Heftes:  (Die  Losen  Blätter)  „sind  die 
wichtigste  Publikation  über  Kant,  ja  überhaupt  das  Wichtigste, 
was  für  Kant  geschehen  ist  seit  der  Ausgabe  des  verdienten 
Schubert.  Ich  werde  noch  lange  zu  tun  haben,  die  Ergebnisse 
dieser  Edition  für  mich  auszunutzen". 

Von  Dilthey  wurde  dieses  Heft  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften vorgelegt,  und  damit  ward  der  äußere  Anstoß  zu  dem 
ehrenvollen  Auftrage  gegeben,  dessen  Ausführung  Reickes  Lebens- 
werk krönen  sollte.    Es  galt,  den  Briefwechsel  Kants  für  die 


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XIX 

von  der  Akademie  geplante  Ausgabe  der  Schriften  des  Philosophen 
herauszugeben.  Eeicke  war  der  Berufenste  dazu.  Seit  Jahrzehnten 
hatte  er  Briefen  von  und  an  Kant  nachgespürt  und  sie  gesammelt, 
seine  erste  über  Ostpreußen  hinaus  gemachte  Eeise,  die  ihn  im 
Jahre  1885  nach  Berlin,  Magdeburg,  Leipzig,  Dresden,  Weimar, 
Wolfenbüttel,  München,  Wien  führte,  diente  wesentlich  solchen 
Nachforschungen.  Wer  aber  war  so  imstande,  die  für  das  Ver- 
ständnis der  Briefe  nötigen  Aufschlüsse  über  Personen  und  Dinge 
zu  geben,  als  der  Mann,  dem  Ostpreußen  und  Königsberg  der 
Kantischen  Zeit  lebensvoll  vor  Augen  stand,  der  darüber  hinaus 
auch  allen  anderen  Personen  nachgeforscht  hatte,  mit  denen  der 
Weltweise  irgendwelche  Beziehungen  unterhalten  hatte?  Was 
Beickes  Geist  in  bezug  darauf  umfaßte  und  beherrschte,  wird 
erst  zutage  treten,  wenn  der  vierte  Band  des  Briefwechsels, 
der  die  Erläuterungen  bringen  soll,  gedruckt  sein  wird.  Dem 
treuen  Verehrer  des  unsterblichen  Weisen  war  es  nicht  mehr 
vergönnt,  dies  zu  erleben;  aber  er  hat  die  umfassendsten  Vor- 
arbeiten und  reichsten  Sammlungen  auch  für  diesen  Teil  seines 
letzten  Werkes  hinterlassen. 

Im  Jahre  1900  erschienen  die  beiden  ersten  Bände  des 
Briefwechsels,  der  dritte,  der  neben  Briefen  noch  einen  Nachtrag 
verschiedenen  Inhalts  brachte,  folgte  1902.  Welche  Menge  bis- 
her unbekannter  Briefe  wird  in  dieser  Sammlung  geboten! 
Durch  sie  wird  unsere  Kenntnis  des  Charakters  und  Wesens 
des  Philosophen  wesentlich  vertieft,  werden  seinem  Bilde  neue, 
lebensvolle  Farben  zugeführt.  Wenn  wir  uns  beim  Eindringen 
in  seine  Schriften  und  in  seine  Lehre  vor  seinem  erhabenen 
Geiste  beugen,  so  tritt  er  uns  in  den  persönlichen  Beziehungen 
zu  seinen  Bekannten,  Freunden  und  Verehrern  menschlich  nahe ; 
wir  lernen  ihn  lieben  in  seinem  schlichten  Edelsinn,  seiner 
Wahrhaftigkeit  und  seiner  Herzensgüte.  Wir  können  aus  dem 
Briefwechsel  auch  ersehen,  welch  mächtigen  Eindruck  der 
Charakter  und  die  Lehre  Kants  auf  seine  Zeitgenossen  machte, 


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XX 

wie  seine  Philosophie,  wenn  sie  auoh  hier  und  dort  auf  Wider- 
stand stieß,  sich  siegreich  überall  hin  Bahn  brach. 

Der  Arbeit  für  Kant  hat  Beicke  bis  kurz  vor  seinem  Tode 
obgelegen.  Daneben  vernachlässigte  er  aber  auch  nicht  seine 
Altpreußische  Monatsschrift;  noch  in  den  Jahren  1900  bis  1903 
ließ  er  in  ihr  umfangreiche  Mitteilungen  von  großem  kultur- 
historischem Werte  erscheinen:  Briefe  von  Timotheus 
Gisevius  an  Ludwig  Ernst  Borowski.  Diese  Schreiben 
des  Lycker  Erzpriesters  geben  ein  ursprüngliches  und  anschau- 
liches Bild  von  Land  und  Leuten  Masurens  am  Ende  des 
18.  Jahrhunderts. 

Es  ist  wahrhaft  erstaunlich,  was  der  im  hohen  Greisenalter 
befindliche,  dazu  von  schwerer  Krankheit  heimgesuchte  Mann 
geleistet  hat.  Das  letzte  Jahrzehnt  seines  Lebens  fand  ihn 
noch  auf  der  Höhe  seines  wissenschaftlichen  Schaffens. 

In  dieser  Zeit  ward  ihm  auoh  zuteil,  was  ihm  so  lange 
versagt  geblieben  war,  was  er  aber  auch  nie  gesucht  hatte: 
die  äußere  Anerkennung  seines  Wirkens  auoh  seitens  des  Staates. 
Aus  Anlaß  seines  Scheidens  aus  dem  Bibliotheksdienste  1897 
erhielt  er  den  Boten  Adlerorden  4.  Klasse,  drei  Jahre  darauf 
zur  Jubelfeier  der  Akademie  der  Wissenschaften  den  Boten 
Adlerorden  3.  Klasse  mit  der  Schleife,  an  seinem  80.  Geburts- 
tage (5.  Februar  1905)  die  Kleine  Goldene  Medaille  für  Wissen- 
schaft; zu  Kants  100 jährigem  Todestage  war  ihm  der  Professor- 
titel verliehen  worden. 

Eine  schöne  Genugtuung  gewährten  seinem  Herzen  die 
spontanen  Kundgebungen  der  Dankbarkeit  und  Wertschätzung, 
der  Liebe  und  Verehrung,  die  ihm  bei  besonderen  Gelegenheiten 
aus  weiten  Kreisen  der  Gebildeten  zuteil  wurden.  An  seinem 
70.  Geburtstage  empfing  er  die  Glückwünsche  des  hiesigen  Künstler- 
vereins in  einer  schön  und  künstlerisch  ausgestatteten  Adresse, 
eine  andere  wurde  ihm  im  Namen  einer  großen  Zahl  „dankbarer 
Freunde  und  Verehrer"  (in  dem  Verzeichnis  befinden  sich  auoh  die 


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XXI 

AJtertums-Gesellsohaft  in  Insterburg  und  der  Coppernicus- Verein 
für  Wissenschaft  und  Kunst  in  Thorn)  zugleich  mit  seinem  Porträt 
in  Heliogravüre  überreicht.  Von  12  auswärtigen  Freunden  kam 
als  Geschenk  eine  Kantbüste,  begleitet  von  einem  herzlichen 
Schreiben;  unter  denen,  die  es  unterzeichnet  hatten,  befanden 
sich  auch  die  alten  Freunde  Brünneck,  Perlbach,  Steffenhagen 
und  Wiehert.  Der  Verein  für  die  Geschichte  von  Ost-  und 
Westpreußen  ernannte  ihn  zu  seinem  Ehrenmitgliede ;  im  Jahre 
1904  erhielt  er  auch  von  der  hiesigen  Altertums-Gesellschaft 
Prussia  das  Ehrendiplom. 

Noch  einmal,  es  war  im  letzten  Jahre  seines  Lebens,  an 
seinem  80.  Geburtstage,  kam  die  allgemeine  Liebe  und  Ver- 
ehrung, die  der  ehrwürdige  Veteran  der  Wissenschaft. besaß,  in 
erhebender  Weise  zum  Ausdruck.  Wohl  keins  unter  den  vielen 
Zeichen  der  Teilnahme  hat  ihn  damals  so  erfreut  als  jenes 
Denkmal  der  Pietät,  das  Perlbach  ihm  durch  die  Abfassung  des 
Inhaltsverzeichnisses  für  die  ersten  40  Bände  der  Altpreußischen 
Monatsschrift  errichtet  hat. 

Am  18.  Februar  1892  war  ihm  seine  treue  Lebensgefährtin 
durch  den  Tod  entrissen  worden,  aber  ihm  war  noch  vergönnt, 
ein  reines  und  schönes  Altersglück  an  seinen  Kindern  und  Kindes- 
kindern zu  genießen.  Der  älteste  und  der  jüngste  Sohn,  Johannes 
und  Emil,  haben  den  Beruf  des  Vaters  ergriffen,  jener  ist 
Bibliothekar  an  der  Göttinger  Universitär -Bibliothek,  dieser 
Studtbibliothekar  und -arohivar  in  Nürnberg.  Der  Sohn  Georg 
ist  der  auch  als  Dichter  bekannte  Bürgermeister  von  Berlin. 
Hier  lebt  auch  Reickes  einzige  Tochter  Anna;  sie  bekleidet  eine 
Stelle  an  der  Stadtbibliothek.  In  den  letzten  Lebensjahren  Reickes 
übernahm  Fräulein  Rose  Burger,  durch  ihre  Mutter  der  Sohwinck» 
Bohnschen  Familie  verwandt,  die  Führung  des  Haushaltes  in 
Königsberg.  Sie  ist  dem  Greise  die  treueste  Pflegerin  und  eine 
äußerst  fleißige,  umsichtige  und  kundige  Gehilfin  bei  seinen 
gelehrte**  Arbeiten  gewesen,  — * 


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XXII 

ßeicke  machte  den  Eindruck  einer  abgeklärten  Persönlich- 
keit, bei  der  die  Gaben  des  Verstandes  und  die  des  Gemütes 
in  einem  schönen  Gleichmaß  zu  einander  standen.  Seine 
patriarchalisch  schlichte  und  doch  vornehme  Erscheinung  mit 
dem  mächtigen,  von  vollem  weißen  Haare  umgebenen  Haupte 
und  dem  milden,  geistvollen  Antlitz  wirkte  ungemein  anziehend 
und  nachhaltig  auf  jeden,  der  mit  ihm  in  Berührung  kam. 
Bei  der  bis  zuletzt  mit  eisernem  Fleiße  meistens  bis  in  die 
tiefe  Nacht  betriebenen  Gelehrtenarbeit  blieb  er  ein  warm- 
herziger, für  Freundschaft,  Kunst  und  Natur  empfänglicher  Mensch. 
In  seinem  handschriftlichen  Nachlasse  findet  sich  eine  Anzahl 
von  Gedichten,  die  Zeugnis  ablegen  von  seinem  reichen  und 
tiefen  Empfinden.  Mit  den  Werken  der  Koryphäen  unserer 
zweiten  klassischen  Literaturepoche  war  er  innig  vertraut,  am 
innigsten  mit  denen  Goethes.  Die  vier  Bändchen  Goethescher 
Gedichte  in  der  Cottaschen  Ausgabe  von  1827,  die  er  einst  als 
Seminarist  geschenkt  erhalten  hatte,  ließ  er  niemals  von  sich; 
sie  begleiteten  ihn  auch  auf  seinen  Reisen.  Aus  „Faust"  konnte 
er  große  Stücke  auswendig.  Auch  mit  den  Dichtungen  der 
Neueren  und  Neuesten  hatte  er  sich  bekannt  gemacht;  er  konnte 
ihnen  jedoch  im  ganzen  keinen  Geschmack  abgewinnen.  In  der 
Musik  zogen  ihn  die  erhabenen  Schöpfungen  Bachs  am  meisten  an, 
in  der  Malerei  die  großen  Italiener  des  16.  Jahrhunderts.  Die 
Natur  liebte  er  bis  zur  Leidenschaft.  In  den  früheren  Jahren  war 
er  fast  jeden  Sommer  einige  Woohen  an  unserem  Ostseestrande. 
Mit  magischer  Gewalt  zog  die  See  ihn  an,  den,  wie  er  einmal 
schrieb,  „am  Meere  und  sozusagen  für  das  Meer  Geborenen  und 
Aufgewachsenen,  den  das  Meer  so  wundersam  ergreift  und  immer 
von  neuem  anlockt,  gleichsam  zur  Strafe  dafür,  daß  er  ihm 
einst  untreu  ward".  Seit  1894  suchte  er  meistens  Erholung  in 
der  milderen  Luft  des  Sächsischen  Erzgebirges,  in  Bärenfels  bei 
Kipsdorf.  Hier  umfing  ihn  der  Zauber  des  deutsohen  Mittel- 
gebirges   mit   den   lieblichen    Tälern  und  Höhen,  den  duftigen 


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xxni 

Wäldern.  In  oft  stundenlangen  Wanderungen  gab  er  sich  dem 
Genüsse  der  Natur  und  der  alten  Neigung  zum  Botanisieren 
hin;  die  Briefe  von  dort  atmen  eine  frohe  und  glückliche 
Stimmung.  So  schreibt  er  im  Juni  1894  an  die  Seinen  nach 
Königsberg:  „Zum  erstenmal  zwischen  felsigen  Bergen  auf  einem 
Felsen  zu  wohnen  ist  mir  ein  Hochgenuß,  dem  ich  mich  mit 
offenen  Sinnen  und  vollem  Herzen  ergebe;  in  allen  Gliedern 
fühle  loh  das  pulsierende  Leben  .  .  Der  erste  Sonntagsmorgen 
und  -vormittag  war  einem  Gange  durch  das  Pöbeltal  gewidmet; 
es  war  zauberhaft  schön  und  wonnig.  Ich  habe  schon  manchen 
schönen  Sonntagsmorgen  in  Gottes  freier  Natur  zugebracht  und 
besonders  sind  mir  noch  die  botanischen  Exkursionen  am  Sonntag 
bis  auf  Schritt  und  Tritt  durch  die  litauischen  Wälder  und 
Waldwiesen  in  blumenfreundlicher  Erinnerung  aus  meinen  ersten 
Jünglingsjahren.  Aber  so  wie  dieser  Sonntag  im  Pöbeltal  hat 
mich  noch  keiner  entzückt.  Auge  und  Ohr  in  Einem  Ergötzt- 
sein; nach  mancher  neuen  Pflanze  habe  ich  mich  bücken,  so 
manche  alte  neu  begrüßen  müssen,  die  Lust  zu  botanisieren 
lebte  in  mir  wieder  auf,  schade  nur,  daß  das  Gedächtnis  für 
manche  längst  verklungene  Namen  nicht  immer  miterwachen 
wollte;  ich  habe  mir  aber  ihre  Charaktere  gemerkt,  von  manchen, 
zumal  den  neuen,  Blüten  und  Blätter  mitgenommen  und  gepreßt, 
so  daß  ich  in  Königsberg  bei  der  Leichenschau  sie  werde 
rekognoszieren  können. u 

Sein  weiches  Gemüt  und  sein  den  materiellen  Interessen 
abgewandter  Sinn  waren  wohl  die  Hauptursache,  daß  er  sich  am 
politischen  Leben  so  wenig  beteiligt  hat.  Die  heftigen  nationalen 
und  politischen  Kämpfe  der  Gegenwart  riefen  in  ihm  das  Gefühl 
des  Unbehagens  wach;  immer  wieder  flüchtete  er  sich  in  jene 
Zeit,  da  die  Menschheit  sich  als  Ideal  einen  ewigen  Frieden 
erträumte  und  die  edelsten  Geister  die  Forderung  geltend 
machten,  daß  vor  allem  Humanität  den  Verkehr  der  Völker 
sowie  den  der  einzelnen  beherrsche.     Dieser  Kosmopolit  war  aber 


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XXIV 

innerlich  ein  an  die  Scholle  Gebundener;  an  der  Heimaterde 
hing  er  mit  der  ganzen  Kraft  seines  Herzens.  So  sehr  er  die 
Weimarer  Heroen  verehrte,  der  Ostpreuße  Immanuel  Kant  stand 
ihm  höher  als  sie  alle. 

Das  was  ßeicke  durch  seine  selbstlose,  von  Hingebung  und 
Liebe  zur  Heimat  getragene,  rastlose  Arbeit  geschaffen  hat,  stellt 
ein  Erbteil  dar,  an  welchem  die  Späteren  noch  lange  zehren 
werden.     Möge  Altpreußen  nie  vergessen,  was  es  ihm  verdankt! 

Verzeichnis  der  Publikationen  Rudolf  Reickes. 

De  explicatione,  qua  Reinholdus  gravissimum  in  Kantii  critica  rationig  purae 
locum  epißtoliß  suis  illustraverit.  Diss.  inaug.  quam  auctoritate  ampli&simi 
philosophorum  in  Academia  Albertina  ordinis  ad  summos  in  philosophia 
honores  rite  capessendos  die  XXIV.  m.  Julii  anni  MDCCCLVI  h.  1.  q.  c. 
publice  def endet  auctor.    Regiomonti  Pr.  32  S.  8°. 

Kant  von  einem  seiner  Jugendfreunde  geschildert.  Blätter  für  literarische  Unter- 
haltung 1&58.  Nr.  16,  S.  297—298. 

Kantiana.  Beiträge  zu  Immanuel  Kants  Leben  und  Schriften.  (Separat- Abdr. 
aus  den  Neuen  Preuß.  Prov.-Blättern.)  Königsberg  1860.   VI  +  83  S.  8°. 

J.  Kants  Nachricht  an  Ärzte  über  die  Frühlings -Epidemie  des  Jahres  1782. 
N.  Pr.  Prov.-Bl.  3.  Folge.  Bd.  VI.  Heft  3  u.  4.  1860.  S.  184-190. 

Vita  Secundi  Atheniensis  Philosophi  Philologus.  Jahrg.  XVIII.  Hft.  3.  1861. 
S.  523-534. 

Kants  Berufung  nach  Erlangen.  N.  Pr.  Prov.-Bl.  3.  Folge.  Bd.  VIII.  Hft.  5/6. 
1861.  S.  244—247. 

Über  den  ältesten  Königsberger  Druck  und  zwei  in  Wackernagels  Bibliographie 
des  deutschen  Kirchenliedes  nicht  verzeichnete  Liederdrucke.  Serapeum 
hrsg.  v.  Naumann  1861.     Nr.  13.    S.  199—204. 

Kant  und  Basedow.  Ein  Vortrag,  gehalten  an  Kants  Geburtstag,  22.  April  1861, 
zu  Königsberg  in  der  Kantgesellschaft.  Deutsches  Museum.  Hrsg.  v. 
Bob.  Prutz.    Nr.  10.     1862.     S.  329—341. 

Aus  dem  Leben  Scheffners.  Ein  Vortrag,  gehalten  am  5.  März  1863  im  KönigL 
Schlosse  zu  Königsberg.  Altpreuß.  Monatsschr.  I.  Bd.  Kgsbg.  1864. 
S.  31—58. 

Über  den  Bang  der  Wissenschaften  unter  einander  und  über  das  Verhältnis 
aller  zu  der  Philosophie.  Ein  Vortrag,  gehalten  an  Kants  Geburtstag, 
den  22.  April  1835,  in  der  Kantgesellschaft  zu  Königsberg  von  F.  W 
Beesel.  (Bisher  ungedruckt.)  Mitgeteilt  von  R.  Reicke»  Ebd.  I. 
S.  59—62. 


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XXV 

Chronik   der  Universität   in   Königsberg,    erschienen    in    allen   Jahrgängen    der 

Altpr.  Monatsschr.  (1864-1905). 
Zur  Kant-  und  Forster-Feier.    Ebd.  I.  S.  647—648. 
Der  Kriegsrat  Scheffner   und    die   Königin    Luise.     Vorgelesen    in   der   Königl. 

Deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg   am  15.  Dezember  1864.    Ebd.  I. 

S.  706-736.   S.-A.   Königsberg  1865.   31  S.  8<>. 
Zu  Kants  Manuskript  zur  Metaphysik  der  Natur.    Ebd.  I.  8.  742—749. 
Nekrolog   für   1863—1866.     Ebd.    I— III.     (Siehe    das  Inhaltsverzeichnis    von 

Bd.  1—40  der  Altpr.  Monatsschr.     Herausgeg.  v.  V.  f.  d.  Gesch.  v.  Ost- 

u.  Westpr.    Königsb.  1905  (hier  fortan  I.  A.  M.  zitiert).     S.  3.) 
Altpreußische  Bibliographie  1862—1895.    Altpr.  Monatsschr.  I— XXXIII.  (Siehe 

I.  A.  M.  S.  1—2.     119-120.     120  Anm.  1.) 
Provinzial  -  Geschichte  -  Kalender.    Altpr.    Monatsschr.    I    (1864)  und   II  (1865). 

(Siehe  I.  A.  M.  S.  2.) 

Periodische  Literatur  Altpreußens  1865—1883.     Ebd.  II  (1865)— XVIII  (1881). 

XX  (1883).    (Siehe  I.  A.  M.  S.  2,  woselbst  bei  XX  die  Jahreszahl  1882 

in  1883  zu  verwandeln  ist.) 
Fichtes  erster  Aufenthalt  in  Königsberg.  I.  II.  Deutsches  Museum  1865.  Nr.  21. 

8.  721-736.    Nr.  22.    S.  767-7ar). 
Bede,  gehalten  in  der  Kant-Gesellschaft    zu   Königsberg  an   Kante   Geburtstag 

den  22.  April  1823  von  Johann  Friedrich  Herbart.    (Bisher  ungedruckt.) 

Mitgeteilt  von  R.  Reicke.     Altpr.  Monatsschr.  II.  S.  245—247. 
Zwei  „Zettel  von    Madame  Karschi n"    an    Scheffner.     Schles.    Provinzialblätter 

1866.   Juni.    S.  354-358. 
Der    Gumbinner   Regierungsbezirk    in    Rußland.     Mitgeteilt    von    £.     Altpreuß. 

Monatsschr.  III  (1866).  S.  182—183. 
Das  definitive  Resultat   der  Volkszählung    in  Altpreußen  am  3.  Dezember  1864 

von  $.    Ebd.  III.  S.  274-278. 
Die  definitive  Bevölkerung   der   Provinz  Preußen  am  3.  Dezember  1867  von  £. 

Ebd.  VI  (1869).  S.  544-549. 
Die  Ergebnisse   der   Volkszählung   von   1871  in  der  Provinz  Preußen.    Ebd.  X 

(1873)  am  Schluß. 
Ein  Danziger  Rateedikt  vom  Jahre  1520  als  ältester  Druck  aus  der  Wein  menschen 

Officin  zu  Danzig.    Ebd.  III  (1866).  S.  553—558. 
Manuskripte  zur  altpreuß.  Geschichte   in    der  Gräflich  Stolbergschen  Bibliothek 

zu  Wernigerode  von  £.    Ebd.  III.  8.  751—752. 
Reinhold   Lenz  in   Königsberg  und   sein   Gedicht   auf  Kant.    EM.  IV  (1867). 

S.  647-658. 
Altertumsgesellschaft   Prussia  (Sitzungsberichte)   vom   27.  September    1867    bin 

24.  September 


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xxvt 

Ebd.  IV  (1867).  8.  672-676.     747—749. 

V  (18(38).  8.  84-85.  175-176.  274-276.  358—360.  746-749. 
VI  (1869).  8.  85—87.  173—176.  266—269.  366—368.  543  (nur 
die  Anmerkung.  Die  Angabe  im  I.  A.  M.  8.  5  und  100  ist  hier  nicht 
ganz  richtig.)  654  —  058.  £.  (Nur  bis  dahin  sind  die  Berichte  von  Reicke 
verfaßt,  und  somit  gelten  die  im  I.  A.  M.  S.  100  (5)  noch  weiter  folgenden 
Angaben  nicht  mehr  für  ihn.) 

Pawlowski,  J.  N.,  St.  Adalbert,  Apostel  der  Preußen,  und  die  Vorstadt  St.  Albrecht 
bei  Danzig.  Danzig  1868;  besprochen  von  J.    Ebd.  V  (1868).  8.  174-175. 

Urkundenfund.  Erhard  Kulling,  Komtur  von  Insterburg:  Handfeste  für  den 
Müller  Heinrich  Luterbach,  Insterburg  1343.     Ebd.  V.  8.  752—753. 

Eine  Medaille  und  ein  Brief  die  Auswanderung  der  Salzburger  betreffend.  Mit- 
geteilt von  £.     Ebd.  VI  (1869).  8.  89-90. 

Berichtigung  betreffend  das  Lied:  ,,Die  Seele  Christi  heil'ge  mich",  von  §. 
Ebd.  VI.  8.  182. 

Der  Kunheimsche  Luther-Pokal.     Mitg.  von  $.    Ebd.  VI.  S.  659—661. 

Richard  Gottheil,  Die  Weichsel-Städte  in  photographischer  Darstellung.  Erste 
(Probe-)  Lieferung.  Marienwerder  1869.  Besprochen  von  £.  Ebd.  VI. 
S.  754—755. 

An  den  Adel  der  Provinz  Preußen.  (Die  Genealogien  der  Wallenrodtschen 
Bibliothek  betr.)  Ebd.  VII  (1870).  8.  275—277.  Auch  in  der  Kreuz- 
zeitung und  in  der  Ostpreuß.  Zeitung. 

Handschriftliche  Funde  aus  Königsberg.  Zwei  Original-Briefe  aus  dem  Königs- 
berger Geheimen  Staats-Archiv ;  von  £.    Ebd.  VII.  S.  739. 

Konigshofens  Bericht  über  die  Schlacht  bei  Tannenberg.  Ebd.  IX  (1872). 
S.  185-187. 

Samuel  Kiechel  über  Kassuben,  Danzig,  Elbing  und  Königsberg.  Mitgeteilt 
von  £.     Ebd.  IX.  S.  365—372. 

Über  den  Begriff  und  die  historische  Entwicklung  der  Ethik.  Von  Friedrich 
Ueberweg.  Aus  seinem  handschriftlichen  Nachlaß  mitgeteilt  von  R. 
Reicke.    Ebd.  IX.    S.  566-567. 

Vom  gelben  und  weißen  Bernstein.    Ebd.  IX.  S.  596—597. 

Grundriß  der  Geschichte  der  Philosophie.  IL  Teil.  Die  mittlere  oder  die 
patristische  und  scholastische  Zeit.  Von  Friedrich  Ueberweg.  Vierte, 
verbesserte  etc.  Auflage  herausg.  von  Rudolf  Reicke.  Berlin  1873.  VIII  -f 
262  S.  8°.  III.  Teil.  Die  Neuzeit.  Vierte,  verbesserte  und  ergänzte  etc. 
Aufl.  herausg.  von  Rudolf  Reicke.     Berlin   1875.    VI  +  394  S.  8°. 

Schön  und  die  Marienburger  Schloßkirche.  Ein  bisher  nicht  veröffentlichter 
Brief  Schöns,  Arnau,  Juni  1856.  an  König  Friedrich  Wilhelm  IV.,  mit- 
geteilt von  R.  Reicke  zuerst  in:  Wage.  Wochenbl.  für  Politik  und  Lit.. 
herausg.  v.  Dr.  Guido  Weiß  1875.  Nr.  17;  daraus  abgedruckt  in  Altpr. 
Monatsschr.  XII  (1875)  8.  280—284. 


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xxvii 

Die  leges  communis  convictus  auf  der  Universität  zu  Königsberg  und  ein  Speise- 
zettel vom  Jahre  1616.     Ebd.  XVII  (IS80\  S.  481—487. 

Scheffner  über  Herders  Metakritik.    Ebd.  XVIII  (1881).  S.  438—445. 

Zu  Kants  Brief  an  Jung-Stilling.  Königsb.  Hartungsche  Ztg.  vom  3.  November 
1881.    Nr.  258.    Abend-Ausg. 

Ein  ungedrucktes  Werk  von  Kant  aus  seinen  letzten  Lebensjahren.  Als  Manu- 
skript herausgegeben.     Altpr.  Monatsschr. 

XIX  (1882).  8.  66-127.  255-308.  425-479.  569-629. 

XX  (1883).  8.  59-122.  342-373.  415-450.  513-566. 

XXI  (1884).  8.  81-159.  309-387.  389-420.  533-620.   Unvollendet. 

Zur  Abwehr!  (Vorbemerkung,  unterz. :  D.  Red.,  zu  der  aus  der  Vossischen 
Zeitung  vom  5.  März  1882  Nr.  9  abgedruckten  „Erklärung"  von  Emil 
Arnoldt  gegen  Benno  Erdmanns  Rezension  in  d.  Berliner  Deutsch.  L.  Z. 
vom  18.  Februar  1882  Nr.  7  über  Arnoidts  Schrift  „Kants  Jugend  und 
die  fünf  ersten  Jahre  seiner  Privatdoccntur").  Ebd.  XIX  (1882).  8.  175 
bis  176. 

Die  Kant-Bibliographie  des  Jahres  1882  mit  Nachträgen  zu  früheren  Jahren. 
Mitg.  von  Reicke  u.  Vaihingen     Ebd.  XX  (1883).  8.  505—511. 

Die  Kant-Bibliographie  des 

Jahres  1883.    Ebd.       XXI  (1884).  8.  693-700. 

1884.  Ebd.     XXII  (1885).  8.  682-688. 

1885.  Ebd.   XXIII  (1886).  8.  650-660. 
1880.     Ebd.    XXIV  (1887).  8.  678-687. 

1887.  Ebd.     XXV  (1888).  8.  670-679. 

1888.  Ebd.    XXVI  (1889).  8.  672-683. 

1889.  Ebd.  XXVII  (1890).  8.  678-691. 

1890-1894.     Ebd.  XXXII  (1895).  8.  555-612.    8.-A.  Königsberg 

1895.    60  S.  8°. 
Ein  Brief  an  Herbart.    (Von  F.  A.  Brockhaus,  dat.  Leipzig,  d.  24.  Dez.  1819). 

Ebd.  XX  (1883).   S.  662-663. 
Nachlieferungen  zu  meinem  Leben.    Von  Johann  George  Scheffner.     Leipzig 

1884.    151  8.  8°.     Der  Herausgeber,  der  sich  nicht  nennt,  ist  R.  Reicke. 
Biographische  Notizen  über  Thomas  Horner.    Altpr.  Monatsschr.  XXII  (1885). 

S.  52-58. 
Beitrag    zur   Kenntnis   des    Religionszustandes   in    Preuß.  Litauen    unter    dem 

Churfürsten  Friedrich  Wilhelm.    Ebd.  XXII.  S.  177-178. 
Aus  Kants  Briefwechsel.    Vortrag,  geh.  an  Kants  Geburtstag  den  22.  April  1885 

in  der  Kant-Gesellschaft  zu  Königsberg.    Mit  einem  Anhang,  enthaltend 

Briefe   von  Jac.  Sigism.  Beck  an  Kant  und  von  Kant   an    Beck.     Ebd. 

XXII.    S.  377—449.    Zuerst  in  der  Frankfurter  Zeitung  erschienen. 


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xx  vm 


Lose  Blätter 

aus  Kante  Nachlaß.    In 

Altpr. 

Monatsschr.      XXIV  (1887).   S.  312—360. 

443-481.     648- 

XXV  (1888).   S.  263-332. 

513-628. 

XXVIII  (1891).   B.  369-450. 

513—576. 

XXX  (1893).   8.  229-308. 

430-472. 

XXXI  (1894).   S.  573—677. 

XXXV  (1898).   S.  485-577. 

S.-A. 

1.  Heft.  Königsberg  in  Pr.    F.  Beyer.    1889. 

I  +  302  S.  8°. 

2.  Heft                                                       1895. 

375  S.  8«. 

3.  Heft                                                     1898. 

II  +   93  S.  80. 

Drei  Briefe  Schopenhauers  an  Karl  Hosen  kränz,  betreffend  die  Gesamtausgabe 
von  Kants  Werken.     Altpr.  Monatsschr.  XXVI  (1889).  S.  310—331. 

Die  landeskundliche  Literatur  der  Provinzen  Ost-  und  Westpreußen.  Unter  wesent- 
licher Mitarbeit  der  Herren  Bibliothekar  Dr.  R.  Reicke,  Dr.  E.  Reicke 
und  Rittmeister  v.  Schack  gesammelt  und  herausgegeben  von  der  Königs- 
berger Geographischen  Gesellschaft.  Heft  I.  Allgemeine  Darstellungen 
und  allgemeine  Karten.     Königsberg  1892.    III +  71  S.  8°. 

Briefe  von  Timotheus  Gisevius  au  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Altpr.  Monatsschr.    XXXVII  (1900).  S.       1—87.     201—244.    554-611. 
XXXVIII  (1901).  S.  501-551. 
XXXIX  (1902).  S.  190-261.    486-502. 
XXXX  (1903).  S.  350-382. 
(In  I.  A.  M.  S.  101  ist  die  bei  XXXX  angeführte  Seitenzahl  282  in  382 
umzuändern.) 

Kants  Briefwechsel.  Band  I  (XIX +  532  S.  8°)  und  II  (XV +  517  S.).  Berlin. 
Georg  Reimer.  1900.  III  (XVII  +  466  S.)  ibid.  1902.  (Kants  gesammelte 
Schriften.  Herausgegeben  von  der  Königlich  Preußischen  Akademie  der 
Wissenschaften.    Band  X— XII.) 

Zu  Kants  Geburtstag  (22.  April).  Königsberger  Hartungsche  Ztg.  2.  Beil.  zu 
Nr.  183  der  Morgenausg.  Sonntag,  20.  April  1902. 


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Der  Einfluss  der  ostpreussischen  Eisenbahnen 
auf  die  stadtischen  und  einige  andere  Siedelungen. 

Von 
W.  Feydt. 


[Schluß.] 

Spezieller  Teil. 

2.  Die  geschädigten  Städte, 
a)  absolut  geschädigte 

d.   h.  solche,  die    von    ihren    Beziehungen    i.  e.  h.  1.  oft  Nicht- 
beziehungen  zu  den  Bahnen  nur  Schaden  gehabt  haben. 
Hierzu  gehören: 


14. 

Heilaberg 

5514  Einwohner 

19. 

Angerbarg 

5030 

27. 

Labiau 

4455 

29. 

Bössei 

4342 

40. 

Bischofstein 

3151 

44. 

Friedland 

2824 

49. 

Schippenbeil 

2433 

56. 

Nordenburg 

2205 

57. 

Liebstadt 

2127 

61. 

Creuzburg 

1848 

62. 

Alienburg 

1750 

65. 

Drengfurt 

1511 

66. 

Barten 

1411 

67. 

Schirwindt 

1224 

Wir  müssen  hier  unterscheiden  zwischen  Orten,  die  auch 
heute  noch  an  keiner  Bahn  liegen  und  solchen,  denen  die  Lage 
an  derselben  bisher  mehr  Schaden  als  Nutzen  gebracht  hat.  Im 
ersten  Falle  ist  die  Schädigung  selbstverständlich. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.     Hft.  7  u.  8.  30 


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456  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Orte,  die  in  einer  Zeit,  in  der  es  noch  keine  Chausseen, 
keine  Eisenbahnen  gab,  ganz  gleich  gestellt  waren  mit  allen 
Provinzstädten  in  bezug  auf  Schnelligkeit  und  Bequemlichkeit 
der  Erreichung,  mußten  zurückgehen,  sobald  jene  Straßen  in 
immer  ausgedehnterem  Maße  angelegt  wurden,  aber  um  sie  herum- 
gingen. Mit  jeder  Bahn  fiel  ein  Stück  Hinterland  fort,  aus  dem 
das  Städtchen  früher  seine  Existenzmittel  gezogen  hatte.  Es  sind 
die  Fälle,  in  denen  man  wie  bei  Schippenbeil,  Creuzburg  und  Alien- 
burg tatsächlich  von  der  Lage  in  den  berüchtigten  ,, toten"  Eisen- 
bahn-Dreiecken oder  -Vierecken  sprechen  kann. 

Die  Zahl  dieser  Städte  wird  sich  immer  mehr  verringern. 
Schon  in  nicht  zu  langer  Zeit  werden  Bischofstein  und  Rössel, 
das  als  Kreisstadt  schon  lange  den  Anspruch  auf  Bahn  gehabt 
hätte,  Stationen  sein.  Creuzburg  und  Schippenbeil  dagegen 
haben,  in  einem  schon  recht  stark  von  Bahnen  durchzogenen 
Gelände,  viel  weniger  Aussicht.  Hier  wird  die  alte  Postkutsche 
wohl  noch  ein  längeres  Dasein  fristen. 

Interessanter  sind  die  Fälle  absoluter  Schädigung  durch  die 
Lage  an  der  Bahn  selbst.  In  diesen  überwiegen  die  Nachteile 
durch  die  Bahn  die  günstigen  Seiten  derselben  so  bedeutend, 
daß  die  Stadt  zurückgegangen  ist.  Das  ist  am  auffallendsten, 
wenn  eine  Stadt  schon  recht  lange  an  der  Bahn  liegt,  so  daß 
ein  sicheres  Urteil  möglich  ist:  Labiau  bekam  1889  seine  Bahn, 
es  ist  aber  gerade  seit  jener  Zeit  zurückgegangen.  Der  Schienen- 
weg nahm  der  Wasserstraße,  vor  Allem  dem  Orte,  wo  er  auf 
der  langen  Reise  Hauptstation  machte,  einen  Teil  der  Bedeutung, 
ohne  die  Stadt  in  anderer  Weise  entschädigen  zu  können.  Die 
übrigen  Städte,  die  bei  absoluter  Schädigung  Stationen  sind, 
haben  die  Bahn  erst  seit  kürzerer  Zeit  bekommen,  außer  Lieb- 
stadt (1894)  erst  von  1898  an.  Die  Schädigung  ist  hier  durch 
das  zu  lange  Wartenmüssen  auf  die  Bahn  hervorgerufen  und 
bisher  durch  die  Station  noch  nicht  behoben  worden.  Diese 
Orte  haben  also  Ähnlichkeit  mit  den  bahnlosen  Städten.  Allein 
in  ihnen  kann  sich  bald  eine  Entwiokelung  nach  der  positiven 
Seite  hin   vollziehen,    so  d*ß  vielleicht  schon  nach  zehn  Jahren 


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Von  W.  Feydt.  457 

manche  Stadt  zu  den  durch  die  Bahn  geförderten  gezählt  werden 
muß.  Noch  läßt  sich  aber  bei  den  meisten  kein  abschließendes 
Urteil  fällen,  so  daß  man  sie  zu  den  geschädigten  Städten  rechnen 
kann.  Eine  Ausnahme  bildet  Heilsberg,  das  seine  Bahn  zwar 
erst  1899  erhielt,  aber  doch  schon  das  deutliche  Anzeichen  für 
einen  künftigen  Aufschwung  zeigt,  der  aber  gegenüber  der  lang- 
jährigen Schädigung  sich  nicht  allzu  schnell  vollziehen  kann. 

Bei  den  drei  Städtchen,  die  seit  kurzer  Zeit  an  Kleinbahnen 
liegen,  ist  von  einem  Aufschwünge  noch  nichts  zu  spüren  ge- 
wesen. Nur  Friedland,  das  Knotenpunkt  von  Kleinbahnen  und 
Sekundärbahnen  geworden  ist,  ist  in  der  Rangstufe  von  46  (1890) 
auf  44  (1900)  gestiegen,  wobei  sich  auch  die  Einwohnerzabi  im 
selben  Verhältnis  von  2609  auf  2824  vermehrt  hat. 

Bei  allen  diesen  Städten  sehen  wir  recht  deutlich,  ein  wie 
schiefes  Bild  die  absoluten  Bevölkerungsziffern  allein  abgeben, 
denn  unter  den  14  befinden  sich  sechs,  deren  absolute  Ziffer 
größer  geworden  ist.  Angerburg  ist  von  1852 — 1900  sogar  um 
1499  Einwohner  gewachsen.  Das  kommt  auf  Konto  der  Wasser-  . 
straße,  oder  der  fruchtbaren  Gegend  oder  anderer  ungeographischer 
Verhältnisse  wie  bei  Rössel  (Kreisstadt,  katholisches  Gymnasium), 
das  einen  Zuwachs  von  1232  erfahren  hat.  Und  doch  sind  diese 
Städte  von  den  Eisenbahnen  hintangesetzt  und  geschädigt 
worden ;  allerdings  nicht  allzu  bedeutend.  Die  Rangzifferdifferenzen 
für  sie,  2  und  3,  sind  in  dieser  Abteilung  die  kleinsten.  An- 
lagen zum  Größerwerden  waren  bei  beiden  da,  aber  die  Bahnen 
berührten  sie  nicht,  und  brachten  dafür  andere  Städte  in  die  Höhe. 
Andererseits  begegnen  wir  aber  auch  bei  den  absoluten  Zahlen- 
differenzen recht  großen  Minusziffern,  die  starken  Rückgang 
ausdrücken. 

Wenn  Schirwindt  um  374,  Schippenbeil  um  476,  Allenburg 
gar  um  561  Einwohner  zurückgegangen  sind,  so  sagen  bei  der 
Kleinheit  dieser  Städte  diese  Zahlen  genug.  Bei  Labiau  steht's 
so,  daß  1900  gegen  1852  noch  immer  ein  Plus  von  536  Ein- 
wohnern zu  verzeichnen  ist,  aber  darin  ist  Labiaus  Aufschwungs- 
zeit unter  den  Wirkungen  der  verbesserten  Memel-Pregel-Sohiff- 

30* 


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458  Der  Einfluß  der  oetpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

fahrt  einbegriffen.  Hier  müssen  wir  besser  1890  (1889  kam 
nämlich  die  Bahn)  mit  1900  vergleichen,  und  dann  ist  der  Bück- 
gang von  406  Einwohnern  in  zehn  Jahren  auffallend. 

Im  allgemeinen  herrscht  im  Gegensatz  zu  den  absolut  ge- 
förderten Städten  der  Grundsatz,  daß  die  kleinen  die  Schädigung 
am  stärksten  empfunden,  die  größten  sie  etwas  leichter  ertragen 
haben.  Angerburg,  Heilsberg  und  Rössel  konnten  auch  ohne 
Bahnen  nicht  ganz  bedeutungslos  werden.  Drengfurt  und  Schir- 
windt  wurden  dagegen  durch  die  neuzeitliche  Entwickelung  ein- 
fach tot  gemacht.  Das  richtige  Bild  der  allgemeinen  Schädigung 
geben  die  Ziffern  der  Bangliste  von  1852  bis  1900. 

Ihre  Zunahme  der  Gegenwart  zu  beweist  den  ausnahmslosen 
Rückgang  am  deutlichsten.  Von  Stufe  zu  Stufe  sinken  die 
Städte  in  Ansehen  und  Bedeutung.  Am  tiefsten  ist  Alienburg 
gesunken,  von  der  44.  Stadt  ist  es  die  62.  geworden.  Es  steht 
heute  unter  Domnau  und  Bialla,  während  es  1852  noch  ungefähr 
ebenso  groß  war  wie  Johannisburg  und  über  Sensburg,  Soldau 
und  Pillkallen  stand.  Sohippenbeil  ist  um  16,  Labiau  um  13, 
Creuzburg  um  11,  Drengfurt  um  10  Plätze  in  der  Rangliste 
gesunken. 

Ebenso  wie  bei  den  absolut  geförderten  Städten  sind  aber 
die  Differenzen  bei  den  kleinsten  und  größten  nicht  so  bedeutend, 
am  stärksten  bei  bisherigen  mittleren  Städten.  Aber  während 
bei  jenen  geförderten  kleinsten  eine  geringe  Differenz  zum  Guten 
mehr  theoretischen  als  praktischen  Wert  hatte,  bedeutet  hier 
ein  Sinken  um  5  Nummern  bei  Sohirwindt  schon  einen  Verlust 
von  374  Einwohnern  und  die  Stellungnahme  als  letzte  Stadt  der 
ganzen  Provinz. 

Ale  Probe: 

Labiau. 

Der  interessanteste  Fall  einer  Stadtschädigung  durch  die 
Bahn  ist  Labiau.  Von  der  Verkehrslage  dieser  Stadt  sagt  Bonk 
(1.  c.  61  Anm.  62):  „Die  kommerzielle  Lage  der  Stadt  ist  eine 
ausgezeichnete,  nachdem  die  Kunst  der  Natur  zu  Hilfe  gekommen 


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Von  W.  Feydt.  459 

ist",  und  bezeichnet  als  diese  künstlichen  Verkehrsstraßen  den 
Gr.  Friedriohsgraben  mit  seinen  Fortsetzungen  und  die  Labiauer 
Bahn. 

Von  dieser  meint  er:  „Zu  den  Wasserverbindungen  zwischen 
Königsberg  und  Tilsit  ist  jetzt  in  jüngster  Zeit  auch  noch  die 
Eisenbahnverbindung  gekommen,  und  da  Labiau  der  Kreuzungs- 
punkt dieser  beiden  Verkehrswege  ist,  so  läßt  sich  ein  schneller 
Aufschwung  der  Stadt  erwarten". 

Dieses  Urteil  war  damals,  als  der  Verfasser  es  schrieb,  nicht 
nur  etwas  voreilig,  sondern  ist  auch  unrichtig  in  der  Haupt- 
voraussetzung, daß  Labiau  am  Kreuzungspunkte  zweier  Ver- 
kehrsstraßen liegt.  Bonk  läßt  sich  verleiten,  die  Verkehrsregel, 
daß  ein  Ort,  wo  eine  Wasser-  und  Landstraße  sich  kreuzen,  ge- 
fördert wird,  auf  einen  falschen  Fall  anzuwenden.  Die  Labiauer 
Bahn  kreuzt  nämlich  die  Wasserstraße  in  Labiau  sozusagen  nur 
äußerlich,  insofern,  als  sie  sie  überschreitet,  aber  sie  ist  als 
Landweg  nicht  eine  besondere  neue  Straße,  sondern  nur  eine 
Wiederholung  des  Wasserweges  auf  dem  für  die  Eisenbahn 
passenden  Pfade.  Sie  ist  wie  jener  eine  Verbindung  von  Tilsit 
und  Königsberg  mit  dem  Zwischenort  Labiau.  Damit  fällt  die 
Nutzanwendung  der  Begel,  die  Voraussetzung  von  Bonks  Be- 
hauptung über  Labiaus  Aufblühen,  und  darin  ist  zugleich  der 
Grund  enthalten,  warum  Labiau,  gerade  seitdem  es  die  Bahn 
hat,  zurückgegangen  ist.  Eben  weil  die  Bahn  nur  eine  Wieder- 
holung der  Wasserstraße  ist,  hat  sie  ihr  einen  Teil  ihrer  Be- 
deutung genommen,  ohne  etwas  Neues,  vor  allem  ohne  etwas  Neues 
für  die  Stadt  an  die  Stelle  zu  setzen.  Hätte  sie,  wie  die  Bahnen 
des  Oberlands  den  Oberländischen  Kanal,  so  die  Memel-Pregel- 
Verbindung  tot  gemacht,  so  wäre  auch  Labiau  vollständig  be- 
deutungslos geworden.  Die  Trefflichkeit  und  Natürlichkeit  dieser 
Wasserstraße  war  die  einzige  Rettung  für  die  Stadt,  die  nur  einen 
stark  abgeschwächten  Schlag  erhielt.  Denn  der  Hauptverdienst 
der  Labiauer  Handeltreibenden,  der  Durchgangsverkehr  ging 
immerhin  zu  einem  Teile  mit  dem  schnellen  Verkehrsmittel  der 
Bahn    verloren.      Die    Tour   von    Königsberg   oder   Tilsit    nach 


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460  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Labiau  war  keine  Tagesreise  mehr,  auf  der  man  hier  Station 
mächen  mußte.  Die  vielen  Leute,  die  in  Handelszwecken  den 
Ort  hatten  aufsuchen  müssen,  blieben  jetzt  nur  ein  paar  Stunden 
und  fuhren  mit  dem  nächsten  Zuge  zurück  oder  weiter.  Wie 
mit  den  Personen  war  es  aber  leider  auch  mit  den  Gütern. 
Fortan  war  dem  Kaufmann  immer  die  Wahl  gestellt  zwischen 
beiden  Beförderungsmitteln  und  überall,  wo  die  Schnelligkeit 
wichtig  war  —  und  sie  wurde  es  bei  dem  immer  hastenderen 
konkurrenzvolleren  Handeltreiben  der  neuen  Zeit  jährlich 
mehr  — ,  erhielt  die  Eisenbahn  den  Vorzug.  Der  Kaufmann 
konnte  sioh  jetzt  anders  und  mitunter  vorteilhafter  einrichten, 
blieb  nicht  nur  auf  die  wenigen  Monate  der  Schiffahrtszeit  an- 
gewiesen, sondern  konnte  die  Bahn  im  ganzen  Jahre,  an  jedem 
Tage,  wenn  die  Konjunktur  günstig  stand,  benutzen.  Alles, 
was  durch  sie  dem  Schiffsverkehr  entzogen  wurde,  wurde  auch 
Labiau  entzogen.  Noch  wichtiger  aber  wurde  ein  zweiter  Um- 
stand. Die  frühere  Heise  von  Labiau  nach  Tilsit  führte  durch 
eine  teilweise  Wildnis,  was  zur  Folge  hatte,  daß  die  ganze 
Gegend  sioh  um  so  krampfhafter  an  die  Städte  als  Mittel-  und 
Sammelpunkte  anschloß.  Die  Bahn  schuf  in  den  Stationen  der 
Stadt  eine  Menge  Konkurrenzorte.  Die  fruchtbare  Umgegend 
Labiaus  zog  direkten  Nutzen  aus  der  Bahn,  ohne  Labiau  mehr 
als  Vermittlerin  zu  benutzen.  Die  Leute  schickten  ihre  Güter 
zur  Station,  fuhren  infolgedessen  auch  selbst  nicht  mehr  nach 
Labiau.  Man  kann  sagen,  daß  Labiaus  Schaden  dem  Markt- 
flecken Mehlauken  zu  gute  gekommen  ist.  Auch  ist  es  be- 
zeichnend, daß  im  Fahrplan  der  Labiauer  Bahn  nicht  Labiau, 
sondern  Mehlauken  Teilstrecke  ist  und  einzelne  Züge  von  und 
nach  Königsberg  resp.  Tilsit  hier  endigen  und  nicht  in  Labiau. 
Die  Stadt  ist  tatsächlich  seit  der  Bahn  zurückgegangen. 
Bis  1890  nahm  die  Einwohnerzahl  zu.  1889  wurde  die  Königa- 
berger Strecke  eröffnet,  1891  war  die  ganze  Fahrt  bis  Tilsit 
ermöglicht. 

1875:     4487  Einwohner  17 

1880:     4683  *  17 


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Von  W.  Feydt.  461 

1885:     4750  Einwohner  19 

1890:    4861  *  19 

1895:    4606  *  25 

1900:    4465  *  27 

Unsere  Eisenbahnzeit  ist  überhaupt  dem  Durchgangs- 
verkehre für  kleine  Städte  abgeneigt;  nur  weil  der  Wasser- 
verkehr auf  der  Deimestraße  immer  bedeutend  bleiben  wird, 
kann  Labiau  eine  Ausnahme  bilden.  Ob  die  Schädigung  an- 
haltend sein  wird,  kann  man  heute  noch  nicht  beurteilen;  es  ist 
möglich,  daß  die  Bahn  eine  gewisse  Summe  von  Nutzen  aus 
dem  Durchgangsverkehr  entzieht,  die  zunächst  noch  nicht  ersetzt 
ist,  aber  mit  der  Zeit  durch  verstärkten  Schiffs-  und  Ploßverkehr 
ersetzt  werden  könnte.  Beträgt  doch  der  jährliche  Durchgangs- 
verkehr bei  Labiau  die  stattliche  Ziffer  von  zu  Berg:  640277, 
zu  Tal:  42741  To.  (Memel,  Pregelstrom  II  pag.  532).  Es  ist 
aber  auch  möglich,  daß  die  Bahn  noch  mehr  Verkehr  an  sich 
reißt  als  heute,  und  dann  wird  die  Stadt  weiter  zurückgehen. 
Daß  die  Erwartungen,  die  man  1889  hegte,  übertroffen  wurden, 
haben  wir  schon  bei  Tilsit  gesehen. 

Labiaus  Glück  liegt  in  den  Wasserstraßen.  Ein  „seltener 
Unstern"  scheint  nach  Hörn  über  den  Handelsstraßen  der  Stadt 
zu  Lande  zu  schweben.  (Hörn,  zur  Geschichte  Labiaus  pag.  38.) 
Und  doch  war  es  vielleicht  ein  richtiges  Gefühl,  wenn  der 
damalige  oberste  Verwaltungsbeamte  des  Kreises  sogar  dem  Chaussee- 
bau halb  ablehnend  gegenüber  stand,  ein  dunkles  Gefühl,  daß  schon 
dadurch  der  Durchgangsverkehr  der  Stadt  leiden  könnte;  und  jeden- 
falls wird  mancher  Labiauer  im  Gegensatze  zu  Hörn  mit  Genug- 
tuung daran  denken,  daß  20  Jahre  vergangen  waren,  als  dessen 
erster  Ruf  nach  einer  Labiauer  Bahn  vom  Jahre  1869/70  Wider- 
hall fand. 

b)  relativ  geschädigte  Städte. 

Mußte  schon  zur  richtigen  Beurteilung,  ob  eine  Stadt  von 
der  Bahn  absolut  geschädigt  ist,  die  Rangziffer  herangezogen 
werden,    so   ist    das  noch  vielmehr  bei  den  relativ  geschädigten 


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462  Der  Einfluß  der  oetpreußißchen  Eisenbahnen  etc. 

Städten  der  Fall.  Denn  hier  handelt  es  sich  tun  Orte,  die  sich 
sämtlich  gegen  die  Vergangenheit  vergrößert  haben,  dennoch 
aber  in  ihrer  Stellung  zum  Städte -Ganzen  der  Provinz  zurück- 
gegangen sind  und  Einbuße  an  Bang  und  Ansehen  genommen 
haben.  Ginge  man  nach  der  absoluten  Ziffer,  so  müßten  alle 
diese  Städte  zu  den  geförderten  gerechnet  werden  und  doch 
wird  niemand  Memel  dahin  rechnen  können,  obwohl  es  1852: 
11422,  1900:  20166  (Ziv.:  19576)  Einwohner  zählte.  Absolute 
und  Bangziffern  stehen  sich  hier  schroff  gegenüber.  Die  aus- 
nahmslose Zunahme  in  den  ersteren  schwankt  zwischen  122  Ein- 
wohnern bei  Frauenburg  und  8744  (8154)  bei  Memel  und  die 
Bangziffer  wird  mit  den  Jahren  bei  allen  größer.  Die  Differenzen 
gehen  von  2  bei  Memel  bis  11  bei  Mohrungen  (1900  mit  1852 
verglichen!).  Dieses  ausnahmslose  Größerwerden  ist  das  Zeichen 
allseitigen  Herabsinkens  auf  eine  tiefere  Stufe,  ein  Verlust  an 
Bedeutung,  Ansehen  und  Bang. 

Da  es  nun  im  Wesen  der  Schädigung  liegt,  daß  sie,  wenn 
andauernd,  nicht  nur  die  Bangziffer  beeinflußt,  sondern  dann, 
wie  wir  bei  der  vorigen  Klasse  gesehen  haben,  auch  auf  die 
Einwohnerzahl  rückgängige  Wirkung  ausübt,  hier  aber  es  zu 
dieser  nicht  nur  nicht  gekommen,  sondern  die  gegenteilige  er- 
folgt ist,  werden  wir  es  bei  dieser  Gruppe  immer  mit  einer 
zeitlich  beschränkten  Schädigung  durch  die  Bahnen  zu  tun 
haben.  In  der  Tat  können  wir  unterscheiden  zwischen  Orten, 
die  zuerst  durch  die  Bahnen  geschädigt,  dann  aber  gefördert 
sind  und  solchen,  wo  eben  dieser  Prozeß  sich  in  umgekehrter 
Zeitfolge  vollzogen  hat.  In  beiden  Fällen  ist  die  Schädigung 
trotz  der  zeitlichen  Begrenzung  mitunter  recht  bedeutend  und 
lange  nachwirkend,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  sie  in  dem 
einen  durch  die  nachfolgende  Förderung  lange  nicht  gut  gemacht 
werden  konnte,  z.  B.  Memel,  in  dem  anderen  den  vorhergegangenen 
Nutzen  aufhob  und  weitere  Entwickelung  hemmend  mitunter 
zum  direkten  Bückgange  führen  konnte.  Wir  haben  es  hier 
mit  einer  Übergangsklasse  zu  tun:  Die  erste  Abteilung  ahnt  den 
absolut  geschädigten,  die  zweite  den  stagnierenden  Städten.     Ein 


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Von  W.  Feydt.  463 

oberflächliches  Urteil  z.  B.  könnte  Memel  für  absolut  gesohädigt, 
Pr.  Holland  für  unbeeinflußt  von  der  Bahn  erklären. 

Zu  dieser  Klasse  gehören  im  ganzen  elf  Städte,  von  denen 
sechs    auf    die    erste,    fünf    auf    die    zweite    Abteilung    fallen. 

Es  sind: 

1.  relativ  geschädigt  bei  Schädigung  nach  der  Förderung: 


50. 

Landsberg 

2430  Einwohner 

39. 

Pr.  Eylau 

3248 

32. 

Mohrtmgen 

4025 

24. 

Wartenbarg 

4588 

20. 

Pr.  Holland 

4991 

17. 

Wehlau 

5139 

2.  relativ  geschädigt  bei  Schädigung  vor  der  Förderung: 

47.     Frauenburg    2492  Einw. 

43.     Gerdauen        2926      * 

30.     Tapiau  4320      * 

8.(6)  Braunsberg  12497       *       (11891)  Einw. 

5/5)  Memel  20166      *       (19576)      * 

Bei  der  zweiten  Abteilung  blieben  die  hierher  gehörigen 
Städte  zuerst  abseits  von  der  Bahn  liegen  —  wie  Memel,  oder 
die  Bahnen,  an  die  sie  zu  liegen  kamen,  hatten  eine  ihrer  Ver- 
kehrsrichtung nicht  entsprechende,  wie  z.  B.  die  Königliche  Ost- 
babn  bei  Braunsberg.  Wurden  dann  später  diese  zuerst  fehlenden 
Bahnen  gebaut,  wie  die  Verlängerung  der  Tilsit-Inster  burger  Strecke 
bis  Memel  und  die  Strecke  Mehlsack-Braunsberg,  so  konnten  sie  die 
Wunden  doch  nicht  heilen,  die  einmal  geschlagen  waren.  Sie  wirkten 
zwar  entschieden  fördernd,  aber  nie  in  dem  Grade,  wie  man  es 
erhofft  hatte,  wie  es  eine  Eigentümlichkeit  der  Gesohichte  der  ost- 
preußischen Eisenbahnen  überhaupt  ist,  daß  die  am  heißesten 
ersehnten  Bahnen  mitunter  den  Hoffnungen  gar  nicht  entsprachen, 
während  anfangs  als  unwesentlich  hingestellte,  ja  zuweilen  an- 
gefeindete sich  als  nutzbringend  erwiesen. 

Bei  der  ersten  Abteilung  unserer  Klasse  war  der  Prozeß 
umgekehrt.     Die  Städte    hier    kamen   ziemlich  frühzeitig  an  die 


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464  Der  Einfluß  der  oetpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Bahnen  oder  in  ihre  Nähe  (wie  Pr.  Holland  1852,  Wehlau  1860, 
Pr.  Eylau  1866,  Mohrungen  1882)  und  wurden  dadurch  vor 
anderen  Orten,  vor  denen  sie  selbst  wenig  oder  nichts  voraus 
hatten,  bevorzugt.  Später  jedoch,  als  das  Bahnnetz  dichter  aus- 
gebaut wurde,  stellte  sich  das  natürliche  Verhältnis  wieder  her, 
ja  es  kamen  andere  Orte  noch  viel  mehr  durch  die  Bahnen 
empor  wie  z.  B.  Allenstein  oder  Bartenstein,  und  jene  wurden 
nun  geschädigt,  dadurch,  daß  sie  ihren  Aufschwung  vorweg 
genommen  hatten  und  jetzt  nicht  mit  Schritt  halten  konnten. 
So  gewann  Wehlau  durch  die  Eydtkuhner  und  verlor  durch  die 
Thorn-Insterburger-  und  Südbahn;  Pr.  Holland  gewann  durch 
die  Königliche  Ostbahn  und  verlor  an  Bedeutung,  als  das  be- 
nachbarte Maldeuten  wichtiger  Knotenpunkt  wurde.  Hier  sind 
es  also  immer  die  fremden  Eisenbahnen,  die  den  Nutzen  der 
eigenen  paralysieren,  bei  Grenzstädten  wie  Memel  brauchen  es 
nicht  einmal  nur  einheimische  Bahnen  zu  sein.  Hier  müssen 
wir,  wie  schon  zum  Teil  bei  Königsberg  und  Tilsit,  unsern  Blick 
auf  die  russischen  Bahnen  richten. 

Ganz  besonders  liegt  der  Fall  der  Schädigung  bei  Wehlau 
und  Tapiau  noch  durch  das  Miteinwirken  der  Wasserstraße. 

Als  Proben: 

Braunsberg. 

Für  das  große  und  fruchtbare  Gebiet  der  Provinz  Ostpreußen, 
welches  die  Landschaften  Na  tan  gen,  Ermland  und  Oberland  um- 
faßt, war  und  ist  noch  heute  das  Frisohe  Haff  die  wichtigste 
Wasserstraße.  Aus  diesem  Umstände  ist  es  zu  erklären,  daß 
diejenigen  Plätze,  die  an  seinem  Ufer  lagen,  zu  einer  Zeit,  in 
der  aller  große  Handel  auf  den  Wasserweg  allein  angewiesen 
war,  hohe  Bedeutung  erlangen  mußten,  und  es  entsprach  nur 
einem  notwendigen  Siedelungsgesetze,  wenn  diese  Plätze  da  lagen, 
wo  Küstenflüsse  den  Haffzugang  erleichterten  und  das  Ufergelände 
den  bequemsten  Zugang  vom  Lande  her  bot. 

Drei  Städte  erlangten  deshalb  schon  von  alter  Zeit  her 
Handelsbedeutung  für  das  Binnenland.     Königsberg  am   Pregel, 


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Von  W.  Feydt.  465 

Elbitig  am  gleichnamigen  Flusse  und  Braunsberg  an  der  Passarge. 
Dieser  Fluß  war  zwar  für  die  Binnenschiffahrt]  unbrauchbar,  aber 
er  hatte  einen  schiffbaren  Zugang  von  der  Stadt  zum  Haff  und 
außerdem  war  das  Binnenland  gerade  von  Braunsberg  aus  bequem 
zugänglich  im  Gegensatz  zu  dem  Höhengebiet,  das  sich  nach 
Elbing  zu,  und  den  flachen  Sandküsten,  die  sich  nach  Königsberg 
zu  fanden.  Diese  drei  Städte  hatten  sich  das  Hinterland  für  ihre 
Handelszwecke  aufgeteilt:  Königsberg  hatte  seiner  Lage  ent- 
sprechend am  wenigsten  davon  abbekommen  (nur  ein  Stück 
Natangens),  Elbing  das  Oberland ;  Braunsberg  war  das  ganze  Mittel- 
stück: das  Ermland  mit  den  westlichen  Ausläufen  Natangens 
zugefallen.  Konfessions-  und  politische  Gemeinschaft  hatten  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  das  Band  noch  enger  geknüpft.  Brauns- 
berg konnte  als  die  Hauptstadt  des  Ermlandes  bezeichnet  werden, 
es  hatte  sein  fest  umgrenztes  „Hinterland'1  und  man  sprach  von 
Mehlsack,  Wormditt,  Heilsberg,  Guttstadt,  Alienstein  als  den 
„Hinterstädtchen"  Braunsbergs.  An  diesen  Verhältnissen  hatte 
die  Zeit  nichts  geändert;  auch  als  im  19.  Jahrhundert  der  Kunst- 
straßenbau neue  Land  Verkehrswege  schuf,  blieben  die  Haupt- 
straßen dieselben:  Da  gab  es  die  Königsberger  Straße  nach 
Bartenstein  mit  den  Abzweigungen  nach  Lötzen,  Bastenburg 
einerseits,  Bischofsburg-Ortelsburg  andererseits,  ferner  die  Elbing- 
Osteroder  Chaussee  mit  Fortsetzung  bis  Hohenstein-Soldau,  da- 
zwischen die  Braunsberger  Straße,  deren  einer  Arm  auf  Heils« 
berg  abzweigte,  der  andere  über  Wormditt  und  Guttstadt  bis  nach 
Alienstein  ging.  Zu  diesen  drei  Querstraßen  kam  die  Berliner 
Staatschaussee,  von  Elbing  nach  Königsberg  am  Haffufer  ent- 
lang laufend,  mit  Braunsberg  als  wichtigsten  Halte-Knoten  und 
Anschlußpunkt. 

Auf  diese  Lage-  und  Verkehrsverhältnisse  gestützt,  hatte 
Braunsberg  auch  um  1850  noch  eine  nicht  zu  unterschätzende 
Handelsbedeutung. 

Aber  eine  nähere  Betrachtung  der  Verhältnisse  ergibt,  daß 
die  Trefflichkeit  des  Handelsortes  seinem  Hinterlande  keineswegs 
entsprach.     Gewiß  lag  Braunsberg  an  dem  bedeutendsten  Küsten- 


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466  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

fluß  zwischen  Elbing  und  Königsberg,  aber  dieser  Fluß  war  doch 
nur  im  Verhältnis  zu  den  anderen  Küstengewässern  bedeutend. 
In  seinem  Oberlaufe  niemals  schiffbar,  hatte  er  auch  unterhalb 
der  Stadt  eine  irgend  bedeutende  Tiefe  niemals  gehabt  und  war 
außerdem  ebenso  wie  das  vorliegende  Haff  einer  stetig  zunehmenden 
Versandung  ausgesetzt.  Den  bescheidenen  Anforderungen  der 
Hansaschiffe  und  der  Segler  des  18.  Jahrhunderts  hatte  die  Wasser- 
straße noch  genügt;  man  hatte  noch  um  1S30  die  Genugtuung, 
große  Seeschiffe,  die  auf  der  Braunsberger  Werft  Pfahlbude  ge- 
baut waren,  vom  Stapel  gehen  zu  sehen.  Allein  eine  Hafenrinne, 
die  im  ausgebaggerten  Zustande  nur  2Vi  m  Tiefe  hatte,  konnte 
eine  Bedeutung  in  der  Zeit  des  Dampfschiffsverkehrs  nur  noch 
als  Notbehelf  behaupten.  Doch  dem  weiten  Hinterlande  fehlte 
jeder  andere  Ausfuhrweg;  darum  wiesen  Land-  und  Kunststraße 
auf  Braunsberg  hin.  Aber  in  dem  Augenblick,  in  dem  diese 
Fesseln  gelöst  wurden,  in  dem  gute  und  schnelle  Landwege  nach 
den  leistungsfähigen  Häfen  im  Osten  und  Westen  geschaffen 
wurden,  nach  Westen  sogar  noch  weit  über  die  Weichselstraße 
und  ihre  Häfen  hinaus,  mußte  sich  das  Scheinleben  Braunsbergs 
enthüllen  und  ein  Stück  Hinterland  nach  dem  andern  ab- 
bröckeln. 

Diese  Wende  trat  ein  mit  den  Eisenbahnen.  Sie  waren  ein 
Verkehrsmittel,  das  viel  besser  den  Wasserstraßen  Konkurrenz 
machen  konnte,  dem  ein  Hafen  wie  Braunsberg  einfach  wehrlos 
gegenüberstand. 

Nur  in  einem  Falle  konnte  alles  ebenso  bleiben;  wenn 
nämlich  die  Eisenbahnen,  die  Ostpreußen  bekommen  würde, 
genau  auf  dem  Weg  der  erwähnten  Haupt-Handelsstraßen  liefen. 
Man  versteht  es  jetzt,  von  wem  in  den  50  und  60er  Jahren  der 
Ruf  nach  Transversalbahnen  ausgehen  mußte.  Es  war  selbst- 
verständlich, daß  so  kostspielige  Unternehmungen  wie  Eisenbahnen 
nicht  als  Stichbahnen  zum  Nutzen  dreier  Hafenplätze  angelegt 
werden  konnten.  Ehe  die  Eeihe  an  sie  kam,  mußten  entsprechend 
den  großen  Durchgangsohausseen  die  großen  Verkehrslinien  mit 
dem  Herzen  der  Monarchie  gebaut  sein.     Sie    konnten    nur   die 


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Von  W.  Feydt.  467 

Richtung  von  Westen  nach  Osten  haben,  und  damit  war  Brauns- 
bergs Schicksal  besiegelt. 

Bludau  hat  eine  schädigende  Wirkung  der  Ostbahn  auf 
Braunsberg  abgestritten  und  sie  im  Gegensatz  zu  den  Ansichten 
der  Braunsberger  selbst  für  förderlich  erklärt,  weil  sie  gleichsam 
die  Wasserverbindung  auf  dem  Haffe  verdoppelte.  Diese  Ansicht 
läßt  sich  nicht  halten.  Eine  Bahn  steht  unter  ganz  anderer 
Verkehrsbedingung  als  eine  Wasserstraße.  Auf  der  Haffstrecke 
von  Königsberg  bis  Elbing  kamen  früher  die  kleinen  Städtchen 
und  Häfen  außer  Braunsberg  als  Konkurrenten  gar  nicht  in  Be- 
tracht. Die  Bahn  dagegen  errichtete  in  gleichmäßigen  Abständen 
Stationen,  von  denen  allen  in  vollständig  gleicher  Weise  die  Pro- 
dukte des  Landes  verladen  werden  konnten.  Das  hatte  natürlich 
für  Braunsberg  eine  empfindliche  Minderung  der  Zufuhren  vom 
Lande  her  zur  Folge.  Allein  das  war  nur  die  eine  Seite  der 
Schädigung.  Bisher  hatten  die  Städtchen,  Besitzer  und  Bauern 
des  Ermlandes  alle  ihre  Gebrauchsartikel  und  Lebensmittel,  die 
sie  sich  nicht  selbst  herstellten  oder  produzierten,  naturgemäß 
nur  von  dem  einzigen  Hafenort  Braunsberg  beziehen  müssen.  Die 
Braunsberger  bestimmten  den  Preis.  Jetzt  konnten  die  be- 
deutenderen Häfen  Königsberg  und  Elbing,  die  einen  viel 
größeren  Seeverkehr  hatten,  daher  besser  und  billiger  importieren 
konnten,  durch  die  Bahn  ihre  Importen  schnell  zur  beliebigen 
Station  schicken,  die  dem  Käufer  gerade  am  bequemsten  gelegen 
war.  Der  Schiffsverkehr  über  Braunsberg  stellte  sich  nicht  mehr 
als  lohnend  heraus.  Die  Stadt  war  durch  die  Bahn  umgangen. 
Noch  ein  dritter  Verlust  kam  hinzu,  der  ebenfalls  in  der  besonderen 
Eigenart  des  neuen  Verkehrsmittels  begründet  war.  Der  Durch- 
gangsverkehr hörte  auf,  Braunsberg  sank  zur  Durchgangsstation 
herab.  Auf  der  Mitte  der  Strecke  von  Elbing  nach  Königsberg 
gelegen,  war  Braunsberg  der  natürliche  Haltepunkt  auf  der  lang- 
wierigen Reise  der  Posten-  und  Frachtfuhrenzeit  gewesen.  Schon 
um  der  zahlreichen  Anschlußposten  willen,  die  hier  einliefen, 
mußten  längere  Stationen  gemacht  werden.  Und  fuhren  diese 
Tausende  von  Menschen  auch  nur   durch,    ein   Gewinn    für    die 


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468  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Stadt  war  es  immerhin,  und  der  fiel  jetzt  weg.  Die  Bahn  be- 
förderte in  wenigen  Stunden  die  Beisenden  von  Elbing  nach 
Königsberg,  und  Braunsberg  war  für  sie  nur  noch  ein  Bahnhof  wie 
jeder  andere  auch. 

Passarge  gibt  in  sehr  treffender  Weise  der  Veränderung 
Ausdruck,  die  sicn  mit  der  Bahn  auf  der  Braunsberger  Chaussee 
vollzogen  hatte  (p.  72,  73):  „Nur  noch  vor  wenigen  Jahren  zeigte 
dieser  Weg  eine  andere  Physiognomie.  Da  fuhren  Posten  täglich 
mindestens  sechsmal,  und  viele  andere  Wagen  der  Reisenden. 
Kouriere  flogen  hin  und  her,  bald  nach  Petersburg,  bald  nach 
Berlin  zu;  fleißige  Arbeiter  rupften  zwischen  den  Steinchen  das 
Gras  aus  und  ebneten  die  vom  letzten  Bogen  entstandenen 
Rinnsale.  Das  ist  jetzt  alles  anders!  Die  Eisenbahn  hat  den 
Verkehr  an  sich  gezogen,  und  die  alte  Straße  liegt  tot  da  wie 
ein  verlassenes  Flußbett." 

Schädigungen  und  Rückgang  ließen  sich  also  nicht  ab- 
streiten, und  mochten  auch  die  Stationszahlen  der  Ostbahn  in 
Braunsberg  eine  jährliche  Zunahme  aufweisen,  so  kam  diese  dem 
Verluste  des  Wasserverkehrs  nicht  gleich.  Beweisend  ist  es  doch 
schließlich  auch,  daß  1866  die  Braunsberger  Handelskammer  in 
der  ausgesprochenen  Absicht  gegründet  wurde,  um  dem  infolge 
der  Eisenbahnverbindung  zunehmenden  Handels  verfall  entgegen- 
zutreten. 

Trotzdem  blieben  große  Teile  des  Hinterlandes  Braunsberg 
nach  1860  noch  erbalten,  wenn  auch  eine  zunehmende  Konkurrenz 
von  Elbing  und  Königsberg  für  manche  Geschäftszweige,  z.  B.  den 
Engros-Flachshandel  und  Getreide-  und  Eisenhandel,  sich  be- 
merkbar machte. 

Da  entstand  1866—68  in  der  ostpreußischen  Südbahn  ein 
Schienenweg,  der  Natangen  berührte  und  das  östliche  Ermland 
mit  in  seinen  Wirkungskreis  zog.  Bludau  berücksichtigt  die 
Wirkung  der  Südbahn  nicht;  und  doch  läßt  sich  nicht  leugnen, 
daß  die  Städte  Landsberg  und  besonders  das  wichtigere  Heils- 
berg seit  dieser  Bahn  mehr  Anschluß  an  Königsberg  vermittelst 
der  infolgedessen    sich   hebenden  Städte  Pr.  ßylau    und  Barten- 


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Von  W.  Feydt.  469 

stein  gesacht  haben.  War  doch  die  Passargestadt  dreimal  so 
weit  entfernt,  als  diese  Stationen,  die  ebenso  bequem  die  Pro- 
dukte nach  Königsberg  schaffen  wie  von  dort  Importgegenstände 
zuführen  konnten. 

Ein  ganz  besonders  empfindlicher  Schlag  war  jedoch  die 
Eröffnung  der  Thorn-Insterburger  Bahn.  Durch  ihre  Führung 
am  Südrande  des  Ermlandes  entlang,  ihre  Verbindung  über 
Korschen  mit  Königsberg  einerseits,  mit  dem  Weichselstrom 
und  dem  Westen  des  Reiches  andererseits  entzog  sie  das  ganze 
Ermland  etwa  bis  zur  Linie  Liebstadt-Heilsberg  dem  Brauns- 
berger  Handel. 

Wenn  es  auf  diese  Art  und  Weise  weiter  ging,  blieb  der 
Stadt  bald  gar  kein  Hinterland  außer  der  nächsten  Umgebung 
übrig.  Freilioh  merkte  man,  daß  mit  den  Eisenbahnen  eine 
ganz  neue  Bodenkultur,  eine  außerordentliche  Vermehrung  der 
Erträge  und  viel  bessere  Verwertung  möglich  geworden  war, 
so  daß  man  auf  einem  kleineren  Baum  ungleich  höheren  Nutzen 
zog  wie  früher.  Aber  man  wußte  auch,  daß  von  Königsberg 
aus  eine  direkte  Bahnlinie  nach  Allenstein  geplant  wurde,  die 
jene  Stadt  mit  Warschau  verbinden  würde.  Sie  mußte,  wenn 
Braunsberg  seitlioh  ohne  Anschluß  liegen  blieb,  den  völligen 
Ruin  bedeuten.  In  dieser  Not  entfaltete  die  Stadt  eine  rege 
Tätigkeit.  Sie  forderte  in  ihrer  Petition  zuerst  den  Bau  einer 
Bahn  von  Allenstein  über  Mehlsack  nach  Braunsberg,  ohne  An- 
schluß nach  Königsberg,  das  in  der  Südbahn  ein  Äquivalent 
schon  gefunden  hätte.  Auch  bei  dieser  Gelegenheit  werden 
Ost-  und  Thorn-Insterburger-Bahn  als  direkt  schädlich  hingestellt, 
weil  sie  den  Verkehr  mit  Landesprodukten  abgelenkt  hätten. 
Die  Braunsberger  wandten  sich  an  die  beiden  Häuser  des  Land- 
tages, an  das  Staatsministerium  sowie  an  die  einzelnen  Minister 
und  an  die  Provinzialbehörden;  sie  setzten  es  schließlich  durch, 
daß  in  die  Vorlage  über  die  Linie  von  Allenstein  nach  Kobbel- 
bude,  deren  Ausführung  sie  doch  nicht  hatten  verhindern  können, 
die  Zweigbahn  Braunsberg-Mehlsack  aufgenommen  wurde  mit 
der  besonderen  Begründung,  „daß  alsdann  auch  die  Stadt  Brauns- 


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470  Der  Einfluß  der  oßtpreußiechen  Eisenbahnen  etc. 

berg  in  leichter  und  billiger  Weise  mit  einer,  von  den  Provinzial- 
behörden  lebhaft  befürworteten  Verbindung  bedacht  und  dadurch 
in  ihren  Bestrebungen  auf  Wiedererlangung  der  früheren,  im 
Laufe  der  Zeit  erheblich  zurückgegangenen  kommerziellen  Be- 
deutung unterstützt  werden  kann". 

Die  Vorlage  wurde  angenommen,  die  Bahn  gebaut.  Die 
Braunsberger  konnten  mit  dem  Errungenen  zufrieden  sein,  ob- 
wohl die  Handelskammer  nicht  die  Befürchtung  unterdrücken 
konnte,  daß  die  Mehlsack-Kobbelbuder  Strecke  doch  eine  neue 
Ableitung  des  Ermländischen  Verkehrs  zur  Folge  haben  würde. 
Hatte  doch  die  Stadt  30000  Mark  geben  wollen,  wenn  nur  nicht 
jene  Linie  gebaut  würde.  Der  Magistrat  und  die  ganze  Stadt 
hatten  nun  das  größtmöglichste  Interesse  daran,  daß  die  Bahn 
von  Braunsberg  auch  recht  sohneil  eröffnet  werden  könnte.  Um 
so  unbegreiflicher  ist  ein  Fall  offener  Feindseligkeit  gegen  den 
Eisenbahnbau,  der  die  Stadtverwaltung  von  Braunsberg  mit 
Recht  so  erbitterte,  daß  sie  ihn  in  ihrem  Berichte  für  1883  zur 
bleibenden  Schande  des  Betreffenden  verewigt  hat. 

Als  nämlich  auf  besonderen  Wunsch  des  Magistrats  die 
Eisenbahndirektion  mit  dem  Oberbaulegen  der  Strecke  bei 
Braunsberg  beginnen  wollte,  weigerte  sich  der  Fleischer  Hugo 
Bohfleisch  fortgesetzt,  der  Königlichen  Eisenbahndirektion  die 
Bauerlaubnis  auf  einer  Strecke  von  45  m,  auf  welcher  sein  Grund- 
stück von  der  Bahn  geschnitten  wurde,  zu  erteilen.  Bei  dieser 
Sachlage  blieb,  wenn  anders  der  für  die  Stadt  Braunsberg  so 
bedeutungsvolle  Bahnbau  nicht  verzögert  werden  sollte,  der 
Stadtgemeinde  nichts  anderes  übrig,  als  das  für  die  Bahn  er- 
forderliche Terrain  von  Bohfleisch  zu  erwerben  und  der  Bau- 
verwaltung  zu  überweisen.  Am  1.  November  1884  konnte  die 
Strecke  bis  Mehlsack  eröffnet  werden. 

Der  Tag  bedeutete  für  Braunsberg  entschieden  eine  Wendung 
zum  Bessern.  Aber  die  alte  Bedeutung  konnte  er  dem  Brauns- 
berger Handel  nicht  wiedergeben.  Er  rettete  ihn  nur  vor  neuem 
Verlust;  der  Versuch,  das  an  die  Süd-  und  Thorn-Insterburger 
Bahn  verloren  gegangene  Land  vollständig  wieder  zu  gewinnen, 


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Von  W.  Feydt.  471 

mußte  jedoch  scheitern.  Die  Mehlsacker  Bahn  ist  nicht  der 
Ausgangspunkt  für  neuen  Aufschwung,  sie  ist  nur  der  Endpunkt 
für  den  bisherigen  Bückgang  des  Braunsberger  Handels  geworden. 
Die  Frequenz  der  Güterstation  hat  sich  gesteigert,  aber  nicht 
all  zu  bedeutend.  Auch  die  Einwohnerzahl  ist  im  Verhältnis 
zu  der  anderer  Städte  vom  Range  Braunsbergs  nur  ganz  un- 
bedeutend gewachsen,  und  dabei  kommen  noch  andere  Gründe 
für  ihr  Wachstum  in  Betracht,  die  mit  dem  Handel  in  keiner 
direkten  Beziehung  stehen. 

Und  es  dauerte  gar  nicht  lange  Zeit,  so  glaubte  sich  die 
Stadt  durch  zwei  neue  Bahnprojekte  geschädigt. 

Der  Gedanke  einer  Haffuferbahn  war  schon  recht  alt; 
freilich  war  sie  zuerst  als  Teil  der  Ostbahn  gedacht,  die  man 
zur  Umgehung  der  Trunzer  Höhe  auf  diesem  Wege  von  Elbing 
nach  Braunsberg  führen  wollte.  Aus  Rücksicht  auf  das  minder 
günstige  Terrain  am  Haffufer,  zumal  beim  Betriebe  einer  Haupt- 
bahn, hatte  sich  die  Staatsverwaltung  schließlich  doch  zum  Um- 
weg über  Schlobitten  entschlossen.  Doch  schon  in  den  80er 
Jahren  wurden  Stimmen  laut,  die  durch  den  Ausbau  der  Ufer- 
strecke eine  Abkürzung  des  Ostbahnweges  forderten  (Jahresber. 
der  Gewerbekammer  1888  pag.  37)  und  zu  Anfang  der90er  Jahre 
tauchte  in  Interessentenkreisen  die  Absicht  auf,  wenigstens  eine 
normalspurige  Kleinbahn  auszubauen.  Allein  dem  Braunsberger 
Handelsstande  war  mit  diesem  Projekte  nicht  gedient.  Diese 
Hafluferbahn  schloß  kein  neues  Land  auf  und  war  in  ihrer 
größten  Strecke  von  Frauenburg  an  für  die  Stadt  bedeutungslos. 
Die  städtischen  Behörden  lehnten  es  daher  ab,  sich  einer  Petition 
des  gebildeten  Komitees  anzuschließen.  Allein  dessen  Tätigkeit 
wurde  dadurch  nicht  gehindert;  und  schließlich  forderte  der 
Regierungspräsident  den  Braunsberger  Magistrat  auf,  sich  zu 
äußern,  ob  und  warum  die  Bahn  der  Stadt  schaden  sollte.  Wie 
dessen  Antwort  ausgefallen  ist,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls 
wurde  der  Bahnbau  beschlossen;  am  20.  Mai  resp.  1.  Juli  1899 
konnte  der  Betrieb  auf  der  Bahn  eröffnet  werden.  Sympathien 
haben    ihr    die   Braunsberger    nicht  entgengebracht,  sie  klagten 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Hft.  7  u    8.  31 


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472    *  Der  Einfluß  der  oatpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

über  die  hohen  Preise  und  witzelten  über  den  Bahnbetrieb  in 
ihrer  Ermländischen  Zeitung  (cfr.  27.  Mai  1899).  Nutzen  wird 
ihnen  die  Bahn  tatsächlich  keinen  gebracht  haben;  daher  nahm 
man  sie  gleichsam  als  ein  notwendiges  Übel  hin,  für  das  man 
sich  zwar  nioht  erwärmen  konnte,  gegen  das  man  aber  auch  nicht 
gerade  zu  eifern  brauchte,  solange  es  nicht  empfindlich  schädigte; 
und  das  scheint  trotz  der  Belebung  des  Frauenburger  Handels 
bisher  nicht  der  Fall  gewesen  zu  sein. 

Von  ungleich  höherem  Interesse  war  ein  zweites  Projekt. 
Der  Staat  projektierte  eine  Zweigbahn  von  Zinten  nach  Bothfließ- 
Rudczanny  über  Heilsberg  zu  bauen.  Die  Braunsberger  witterten 
dahinter  sofort  eine  neue  Gefahr,  die  sich  aber,  wenn  man  nur 
durchdrang,  in  einen  Vorteil  verwandeln  ließ.  Die  städtischen 
Behörden  petitionierten  bei  dem  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten, 
gleichzeitig  mit  jener  Strecke  die  Linie  Mehlsack-Heilsberg  zu 
bauen.  Die  Absicht  war  klar,  man  wollte  sich  auf  diese  Weise 
das  verloren  gegangene  Hinterland  zurückerobern.  Allein  einen 
wirklich  durchschlagenden  Grund  konnten  die  Braunsberger  für 
ihre  Forderung  nicht  anbringen,  obwohl  in  der  Tat  besonders 
viel  Kinder  aus  dem  Kreise  Heilsberg  Braunsbergs  höhere  Lehr- 
anstalten besuchten.  Man  brachte  es  fertig,  den  damals  wieder 
notdürftig  ausgebaggerten  Hafen  Pfahlbude  dafür  anzuführen,  daß 
Braunsberg  fttr  den  südlichen  Teil  der  Provinz  Ostpreußen  die 
nächste  Verbindung  mit  dem  Seeverkehr  zu  vermitteln  berufen 
sei!  Ja,  eine  Petition  an  das  Abgeordnetenhaus  forderte  direkt, 
die  Bahn  Rothfließ-Heilsberg  möge  nicht  bei  Zinten,  sondern  bei 
Mehlsack  in  die  Linie  AUenstein-Kobbelbude  einmünden.  Das 
Haus  lehnte  diesen  Vorschlag  ab  und  überwies  den  alten  einer 
Zweigbahn  Heilsberg-Mehlsack  der  Regierung  als  Material. 

Allein  jetzt  zeigte  es  sich,  daß  das  Ermländische  Hinterland 
bereits  nicht  mehr  hinter  seiner  ehemaligen  Hauptstadt  stand. 
Die  Hinterstädtchen  hatten  gemerkt,  daß  für  eine  Bevormundung, 
wie  sie  von  Braunsberg  ausgeübt  worden  war,  in  der  Zeit  der 
Eisenbahnen  kein  Platz  mehr  war.  Dieses  Verkehrsmittel  diente 
allgemeineren  Interessen  als  denen  einer  Stadt.    In  derWorm- 


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Von  W.  Feydt.  473 

ditter  Umgegend  tauchten  Wünsche  auf,  die  eine  Bahn  von  Heils- 
berg nach  Wormditt  für  viel  wirksamer  erklärten,  denn  an  die 
„treffliche  Vermittelung  des  Seeverkehrs'4  vom  Hafen  Pfahlbude 
aus  konnte  doch  kein  Mensch,  der  Braunsberg  kannte,  glauben. 
Die  Braunsberger  hatten  sich  im  eigenen  Netze  gefangen.  Zu- 
gunsten ihres  Projektes  hatten  sie  angeführt,  die  Heilsberger 
Gegend  hätte  ein  ganz  besonderes  Interesse,  auch  nach  Westen 
hinaus  Verbindung  mit  Danzig  und  Berlin  zu  haben.  Gewiß! 
Aber  der  kürzeste  Weg  hierzu  war  nicht  die  Linie  Heilsberg- 
Mehlsack,  sondern  die  Heilsberg- Wormditt  mit  Fortsetzung  nach 
Schlobitten.  Daher  petitionierten  die  Wormditter  mit  mehr  Er- 
folg als  die  Braunsberger.  Der  Staat  prüfte  beide  Projekte.  Wie 
die  Dinge  lagen,  konnte  er  nur  dem  Wormditter  den  Vorzug 
geben.  Es  wurde  zu  einer  Vorlage  gemacht,  die  auch  bewilligt 
worden  ist. 

Den  Stillstand  im  Handel  und  Verkehr  Braunsbergs  seit  der 
Mitte  des  vergangenen  Jahrhunderts  hat  Bludau  auf  den  un- 
aufhaltsamen Bückgang  des  Flachsbaus  und  -Handels  und  auf  die 
starke  Versandung  der  Passarge  und  des  Hafens  in  Pfahlbude 
zurückgeführt. 

Dieser  Beweisführung  können  wir  nicht  zustimmen.  Die 
Tatsachen  lassen  sich  nicht  bestreiten :  Der  Flachshandel  war  für 
Braunsberg  wichtig  und  ist  verfallen;  auf  dem  Hafen  beruhte 
die  ganze  Handelsmöglichkeit  und  er  ist  immer  wieder  versandet. 
Allein  diese  beiden  Tatsachen  konnten  wohl  den  Handel  in  andere 
Bahnen  lenken,  ihm  Schwierigkeiten  bereiten,  aber  niemals  ihn 
lahm  legen.  Der  einzige  Grund,  der  für  den  Stillstand  angeführt 
werden  kann,  ist  der,  daß  Braunsberg  durch  die  Eisenbahnen  sein 
Hinterland  verloren  hat.  Ohne  Eisenbahnen  hätte  das  auf  den 
auch  noch  so  mangelhaften  Hafen  angewiesene  große  Hinterland 
ihn  nicht  bis  zur  Unbrauchbarkeit  versanden  lassen,  ohne  Eisen- 
bahnen hätte  der  Braunsberger  Handel  in  anderen  Branchen 
zehnfach  ersetzen  können,  was  ihm  durch  den  zurückgehenden 
Flachshandel  verloren  ging.  Erst  als  das  Hinterland  sich  ab- 
wandte, kam  der  Rüokgang  zustande,  und  erst  als  ein  Teil  des- 

31* 


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474  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

selben  der  Stadt  wieder  zufiel,  konnte  sieh  der  Bückgang  in  einen 
Stillstand  verwandeln.  Denn  als  Hafen  kann  Braunsberg  trotz 
aller  aufgewandten  Mittel  neben  Königsberg,  Elbing  und  Danzig 
bei  den  heutigen  Verkehrsmitteln  zu  Wasser  und  zu  Lande  nicht 
mehr  in  Betracht  kommen. 

Die  Berichte,  die  uns  der  Magistrat  über  die  Erwerbs- 
verhältnisse der  Stadt  gibt,  stimmen  mit  dieser  Ansicht  voll- 
kommen überein.  Nach  Eröffnung  der  Mehlsacker  Bahn  hörten 
die  fortdauernden  Klagen  über  den  Sückgang  auf:  „Wenn  auch 
keine  Besserung  im  Handel  und  Gewerbe  erkennbar,  so  ist  doch 
die  rückläufige  Bewegung  zum  Stillstand  gekommen"  (1887); 
aber  fortan  hören  wir  nichts  weiter  als  das  Konstatieren  des  Ver- 
harrens  in  denselben  Bahnen  des  Geschäftsbetriebes.  „Die  Er- 
werbsverhältnisse haben  eine  nennenswerte  Veränderung  nicht 
erfahren;  auch  im  Geschäftsleben  waren  bis  auf  wenige  Aus- 
nahmen besonders  ins  Auge  tretende  Fortschritte  nicht  zu  ver- 
zeichnen/1 sagt  der  Bericht  von  1894,  dem  wir  eine  Reihe  noch 
monotoner  lautender  angliedern  könnten. 

Andere  Städte  machten  Wandlungen  der  Handelsverhältnisse 
ebenfalls  durch,  mitunter  kehrte  sioh  die  ganze  Sichtung  des  Ver- 
kehrs um,  aber  sie  überwanden  diese  Stockungen  und  hatten  nach 
einer  Übergangszeit  erhöhten  Nutzen,  wenn  sie  nur  ihr  Hinter- 
land behielten.  Wenn  Hafenverhältnisse  und  Flachsbau  am  Ver- 
falle Braunsbergs  allein  schuld  waren,  wie  wollte  man  es  dann 
erklären,  daß  im  Erwerbsleben  der  Stadt  gerade  in  den  letzten 
Jahren  trotz  aller  fortbestehenden  Übelstände  ein  kleiner  Fort- 
schritt zu  verzeichnen  ist?  Er  ist  aber  sehr  leicht  zu  erklären, 
da  er  durch  Dinge  begründet  ist,  die  vom  Handel  unabhängig  sind. 

Braunsberg  hat  nämlich  durch  die  Eisenbahnen  seine  Be- 
deutung als  Handelshauptstadt  des  Ermlandes  verloren,  aber  es 
ist,  unberührt  davon,  die  geistige  Hauptstadt  geblieben,  und  da- 
von hat  es  bei  dem  allgemeinen  Kulturaufschwung,  den  unser 
Vaterland  seit  50  Jahren  genommen  hat,  heute  größere  Vorteile 
als  damals.  Seine  Bildungsanstalten  erfreuen  sich  auch  heute 
noch,  und  heute  noch    mehr   als    früher,    eines    weitverbreiteten 


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Von  W.  Feydt.  475 

wohlverdienten  Rufes:  Das  Lyceum  Hosianuin,  das  Königliche 
Gymnasium,  das  Lehrerseminar,  zu  denen  dann  nooh  eine  land- 
wirtschaftliche Winterschule  und  eine  höhere  Töchterschule  ge- 
kommen sind. 

Braunsberg  hat  ferner  auf  Grund  besonderer  Petitionen  ein 
Landgestüt  bekommen,  vor  allem  aber  in  neuerer  Zeit  eine 
Garnison  wieder  erhalten.  Nach  zweimaliger,  vergeblicher  Petition 
an  den  Kriegsminister  wurde  ein  Infanteriebataillon  nach  Brauns- 
berg verlegt,  das  am  2.  Oktober  1893  in  der  Stadt  eintraf.  Durch 
alles  dieses  kam  eine  größere  Regsamkeit  in  das  stockende  Ge- 
schäftsleben. Die  Herstellung  umfangreicher  Bauten  wurde  nötig 
und  der  Konsum  vermehrte  sich  durch  das  Militär  beträchtlich. 
Diesen  Dingen  ist  es  zuzuschreiben,  wenn  in  den  letzten  Jahren 
eine  größere  Regsamkeit  auf  allen  Gebieten  des  Erwerbslebens 
Platz  gegriffen  hat.  Positiven  Vorteil  hat  der  eigentliche  Handel 
dagegen  kaum  erfahren,  viel  eher  die  Industrie.  Sie  hat  sich, 
als  ihr  durch  die  Mehlsacker  Bahn  ein  Stück  Hinterland  er- 
schlossen war,  etwas  günstiger  gestalten  können,  und  insofern 
etwas  ausgleichender  auf  die  Handelsverhältnisse  wirken  können. 
Bei  allgemeiner  Stagnation  der  Erwerbsverhältnisse,  die  keine 
Verbesserung,  aber  auch  keine  nennenswerte  Verschlechterung 
erfahren  hatten,  erwähnt  der  Bericht  von  1896  besonders,  daß 
einzelne  größere  industrielle  Etablissements  prosperieren. 

Danach  können  wir  unser  Urteil  dahin  zusammenfassen: 
Als  Hafen-  und  Handelsplatz  wird  Braunsberg,  seitdem 
Ostpreußen  von  Eisenbahnen  durchzogen  ist,  niemals 
mehr  eine  seiner  Vergangenheit  entsprechende  Be- 
deutung erlangen. 

Denn  sie  haben  eine  völlige  Zurückgewinnung  des  verloren 
gegangenen,  nur  um  des  Hafenvorzuges  der  Stadt  willen  so  großen 
Hinterlandes  unmöglich  gemacht. 

Die  Stadt  kann  sich  jedoch  duroh  eine  intensive 
Ausnutzung  des  ihr  gebliebenen  Hinterlandes  mittelst 
der  sie  berührenden  Eisenbahnen,  und  durch  eine 
weitere  Ausbildung  der  Industrie  auf  ihrem  Platze  be- 


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476  De?  Einfluß  der  oatpreußißchen  Eisenbahnen  etc. 

haupten,  der  durch  außerhalb  der  Handels-  und  Ver- 
kehrsinteressen liegende  Umstände,  wie  fiskalische  An- 
stalten, Garnison  etc.  sogar  erhöht  werden  kann. 

Hemel. 

Was  von  Tilsit  gesagt  ist,  daß  es,  wenn  russisch,  eine  Groß- 
stadt werden  könnte,  gilt  in  noch  höherem  Maße  von  Memel. 
Die  Stadt  am  Nordende  des  Kurischen  Haffes  gelegen,  durch  das 
Tief  mit  der  offenen  See  verbunden,  zeichnet  sich  durch  einen 
tiefen,  geräumigen  und  allzeit  eisfreien  Hafen  aus  wie  keine  in 
der  ganzen  Nachbarschaft  der  Ostsee.  Und  doch  kann  sie  diese 
günstige  Lage  nioht  ausnutzen,  weil  ihr  das  Hinterland  fehlt, 
nicht  nur  in  Bußland,  das  sich  durch  seine  Zollgrenze  absperrt, 
sondern  auch  in  Preußen,  das  hier  spitz  zuläuft  und  der  Stadt  nur  das 
kleine  Dreieck  nördlich  vom  Memelstrom  zuweist.  Die  geographisch 
unnatürliche  Zugehörigkeit  der  Ostseeprovinzen  zu  Bußland  oder 
Ostpreußens  zu  Deutschland  kommt  nirgends  so  kraß  zum  Aus- 
druck als  bei  Memel.  Der  Schaden  einer  unnatürlichen  Grenze 
ist  nirgends  evidenter  als  hier. 

Nur  wenn  dieses  Hemmnis  aufgehoben  oder  in  seiner 
Wirkung  beschränkt  wurde,  konnte  also  in  Memel  die  Natur  in 
ihre  Beohte  treten,  und  darum  haben  wir  in  Kriegszeiten  so  hohe 
und  schnelle  Blüteperioden  der  Stadt  erlebt.  Aber  auch  im 
Frieden  ließ  sich  durch  künstliche  Systeme  die  Grenze  an  einer 
Stelle  nicht  ganz  sperren:  am  Memelstrom.  Das  ist  Memels 
Bettung  geworden.  Mittelst  dieser  Wasserstraße  war  Memel 
sogar  in  der  Zeit  der  Wasserstraßen  als  einziger  Verkehrsadern 
im  großen  Stil  besser  daran  als  Libau  und  ebensogut  als  Königs- 
berg. Jener  russische  Nachbarhafen  hatte  nämlich  keine  Wasser- 
verbindung nach  dem  Innern  zu,  und  Königsberg  war  von  der 
Memelstraße  mindestens  ebenso  weit  entfernt  als  Memel.  Memel 
aber  konnte  Import  und  Export  von  und  nach  dem  Seeschiff 
bequem  auf  der  Haff-  und  Memelstraße  nach  Tilsit  führen,  wo 
infolgedessen  die  Spedition  gewaltig  blühte.  Daneben  ging  ein 
gewaltiger  Umsatz    über   die    nahen    Grenzen    auf    dem    damals 


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Von  W.  Feydt.  477 

lohnenden,  weil  überall  gleichgestellten  Landtransportwege,  und 
eben  wegen  der  Nähe  der  Grenze  war  Memel  besser  daran  als 
jede  andere  Stadt. 

Da  braohten  die  Eisenbahnen  eine  vollständige  Umwälzung 
der  russisch-deutschen  Verkehrsbeziehungen  und  "Wege.  Denn 
durch  sie  wurde  den  Bussen  eine  Möglichkeit  gegeben,  ihre  Häfen, 
auch  die  an  keiner  Binnen-Wasserstraße  gelegenen,  vor  allem  Libau, 
auszunutzen,  andererseits  mußte  jetzt  die  Hauptstadt  der  Provinz 
direkten  Anschluß  durch  eine  Bahn  nach  Bußland  bekommen. 
Das  eigene  Land  war  schneller  bei  der  Ausführung. 

Mit  dem  Jahre  1860,  der  Eröffnung  der  Eydtkuhner  Strecke, 
beginnt  die  Leidensgeschichte  des  Memeler  Handels.  Mit  einem 
Schlage  brach  der  blühende  Speditionshandel  nach  Bußland  zu- 
sammen. Die  Hälfte  des  Handelsverkehrs,  alles,  was  zu  Lande 
nach  Bußland  gegangen  war,  kam  in  Wegfall,  da  die  russischen 
Kaufleute  selbstverständlich  alle  Waren  fortan  über  den  Hafen 
Königsberg  und  von  dort  mit  der  Eydtkuhner  Bahn  bezogen. 
Ein  Geschäft  nach  Bußland  wurde  1862  bereits,  vielleicht  etwas 
übertrieben,  eine  „ausnahmsweise"  Lieferung  genannt.  Ebenso 
stockte  die  Zufuhr  aus  Bußländ.  Seit  das  russische  Getreide  in 
Kowno  den  Memelstrom  verließ,  um  geradezu  per  Bahn  nach 
Königsberg  zu  gehen,  war  dieser  sehr  wichtige  Handelszweig 
Memels  in  seiner  ehemaligen  Blüte  vernichtet  und  unter  den  Aus- 
fällen der  Ausfuhr  litt  besonders  auch  die  einst  so  blühende 
Bhederei. 

Unter  diesen  Umständen  mußte  Memel  vor  allem  darauf 
bedacht  sein,  in  Zusammenhang  mit  dem  sich  entwickelnden 
großen  Landverkehr  zu  kommen.  Mit  diesem  Augenblicke  be- 
gann aber  auch  der  Irrtum  der  Memeler.  Herstellung  einer 
Landverbindung  mit  den  jenseits  der  Memel  liegenden  Provinz- 
gebieten war  die  einzige  Lösung,  von  der  man  sich  Bettung 
versprach.  Übelstände  bestanden  allerdings.  Eine  feste  Memel- 
brücke  fehlte.  Diesen  Mangel  hatte  man  bisher  ertragen,  weil 
Memels  Handel  in  letzter  Linie  davon  nicht  abhängig  gewesen 
war.     Jetzt,  da  man  sich  nur  durch  den  Anschluß  an  das  Eisen- 


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478  ^er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

bahnnetz  zu  retten  hoffte,  wurden  sie  in  krassester  Form  hin- 
gestellt: „Die  Memel  besitzt  von  den  großen  Strömen  Preußens 
allein  noch  keine  Brücke.  Die  Kalamitäten,  die  jährlich  im 
Frühling,  Herbst  und  Winter  wochenlang  den  Verkehr  hemmen, 
sind  unerträglich.  Oft  schon  im  November  bedeckt  sich  der 
Strom  mit  einer  Eisrinde,  welche  die  Schiffahrt  hemmt,  ohne 
Lastfuhrwerke  zu  tragen.  Die  Schiffbrücke  bei  Tilsit  wird  ab- 
getragen und  die  Kommunikation  zwischen  beiden  Ufern  not- 
dürftig durch  Boote  unterhalten,  die  in  einer  von  Eis  frei  ge- 
machten Kinne  hin  und  her  gehen,  bis  durch  anhaltenden  Frost 
und  manche  künstliche  Mittel  die  Eisbahn  nebenbei  genügend 
gestärkt  ist,  um  Lasten  tragen  zu  können.  Bis  dahin,  d.  h.  oft 
bis  Weihnachten,  müssen  alle  Güter,  selbst  Poststücke  abgeladen 
und  mühsam  herbeigeschafft  werden.  Das  verursacht  Zeitverlust 
und  Kosten.  Beim  Aufgang  des  Eises  im  Frühjahr  ist  es  oft 
tagelang  nicht  möglich,  Briefe,  geschweige  denn  Güter  und  Per- 
sonen über  den  hoch  angeschwollenen,  breiten  und  mit  Eisschollen 
bedeckten  Strom  zu  befördern.  Der  Postenlauf  wird  höchst  un- 
regelmäßig und  Massen  von  Gütern  sammeln  sich  am  Ufer. 
Unter  solchen  Umständen  ist  eine  feste  Brücke  ein  dringendes 
Bedürfnis  für  die  nördlich  des  Flusses  Wohnenden,  und  nament- 
lich für  Memel;  und  der  Staat  wird  sich  der  Herstellung  einer 
solchen  gleichzeitig  für  die  Eisenbahn  zu  benutzenden  Brücke 
nicht  länger  entziehen  dürfen. " 

Die  Berechtigung  der  Forderung  ließ  sich  nicht  abstreiten. 
Aber  mit  der  Brücke  allein  war  es  nicht  getan.  Man  müßte 
eine  Eisenbahn  haben,  denn  schon  drohte  in  der  Herstellung 
einer  Bahn  von  Kowno  nach  Libau  ein  viel  schlimmerer  Feind, 
als  in  der  Ostbahn.  Wenn  alle  Ostseehäfen  Bahnen  bekamen, 
konnte  das  so  wie  so  schon  benachteiligte  Memel  nicht  zurück- 
stehen, da  ohne  Bahnverbindung  eine  Konkurrenz  schlechterdings 
nicht  mehr  möglich  schien.  Der  Kaufmannsbericht  von  1862 
sagt  darüber:  „In  keinem  Jahre  haben  wir  den  Mangel  der  Eisen- 
bahnverbindung mit  der  Ostbahn  so  schmerzlich  empfunden,  als 
im  verflossenen.     Bis  gegen  Mitte  April  hatten  Berge  von  Schnee 


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Von  W.  Feydt.  479 

die  Landwege  unfahrbar  gemacht,  und  die  Zufuhren,  die  wir  sonst 
im  Winter  per  Schlitten  zu  haben  pflegen,  blieben  diesmal  fast 
gänzlich  aus.  Die  Fahrposten  auf  der  Straße  nach  Tilsit  —  das 
einzige  Band,  das  uns  mit  dem  Inlande  in  Verbindung  hielt  — 
erreichten  jenen  Ort  sehr  unregelmäßig,  häufig  zehn  bis  zwölf 
Stunden  zu  spät,  warfen  unterwegs  oftmals  um,  und  Beisende  wie 
Güter  litten  unter  diesen  Kalamitäten  aufs  Unerhörteste.11 

Petitionen  und  Deputationen  hatten  schließlich  Erfolg.  Der 
Gesetzentwurf  der  Regierung  zum  Bau  einer  festen  Memelbrücke 
und  Bahn  Tilsit-Memel  erkannte  die  Klagen  der  Memeler  als 
berechtigt  an,  am  5.  Februar  1872  wurde  die  Vorlage  angenommen 
und  5800000  Taler  zum  Bau  bewilligt. 

Und  dennoch  stand  den  Memelern  eine  große  Enttäuschung 
bevor.  Der  Staat  hatte  die  Pflicht  gehabt,  der  durch  die  plötz- 
liche Entwickelung  der  Eisenbahnen  schon  geschädigten  Stadt 
das  ihm  mögliche  Äquivalent  durch  eine  Zweigbahn  zu  geben; 
er  hatte  zugleich  dabei  das  Land  im  Auge  gehabt,  dem  man 
seine  schon  so  erschwerte  Zugehörigkeit  zu  Preußen  erleichtern 
wollte.  Die  Stadt  Memel  ging  dagegen  bei  der  ganzen  Bahn- 
frage von  der  falschen  Voraussetzung  aus,  daß  die  Bahn  nicht 
nur  den  Anschluß  der  Stadt  an  das  Bahnnetz,  sondern  die 
Möglichkeit,  den  Anfang  zu  der  weiteren  Entwickelung  bieten 
würde,  durch  die  es  ihren  Konkurrenten  wieder  gleich  gestellt 
werden  würde.  Alles,  was  die  über  die  Insterburg-Memeler 
Eisenbahn  veröffentlichte  Denkschrift  in  dieser  Hinsicht  aus- 
führt, ist  hinfällig,  die  falschen  Befürchtungen  ebenso  wie  die 
übertriebenen  Hoffnungen.  Erstere  sind  in  letzter  Linie  zurück- 
zuführen auf  die  Unklarheit  über  das  Verhältnis  von  Wasser- 
straße und  Eisenbahn  in  ihrer  Bedeutung  für  den  Memeler 
Handel  und  Verkehr.  Keine  Regierung  konnte  Memel  den 
natürlichen  Wasserweg  des  Niemen,  dessen  Mündungsstadt  es 
war,  nehmen,  keine  deutsche  oder  russische  Eisenbahn  also  die 
Handelszweige,  in  denen  die  Eisenbahn  mit  der  billigeren 
Wasserstraße  nicht  konkurrieren  kann.  Die  Denkschrift  konnte 
nicht  beweisen,  daß  jene  Bahnen  (Eydtkuhner  und  Libau-Kownoer) 


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480  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Memels  Handel  ruinieren  mußten,  sie  hätte  vielmehr  darauf  hin- 
weisen müssen,  daß  er  in  manchen  Zweigen  eingeschränkt  werden, 
dafür  in  anderen  vollen  Ersatz  suchen  mußte  und  finden  konnte. 

Die  übertriebenen  Hoffnungen,  die  eine  solche  Selbstprüfung 
verhinderten,  waren  zurückzuführen  auf  Unkenntnis  über  den 
Verkehrswert  von  Eisenbahnen.  Wie  oberflächlich  war  es,  zu 
behaupten:  „Daß  Memel  von  seiner  Eisenbahn  genau  dieselben 
Vorteile  ziehen  könnte,  wie  Königsberg  von  der  seinen  genießt, 
liegt  bei  der  Ähnlichkeit  der  Bedingungen,  unter  denen 
beide  Städte  Handel  treiben,  auf  der  Handu!  (Denkschrift 
üb.  Mem.  Seehandel  etc.,  pag.  104.) 

Diese  Bedingungen  waren  nämlich  nur  insofern  dieselben, 
als  Königsberg  und  Memel  dasselbe  große  Hinterland,  Bußland, 
haben  und  daher  ungefähr  dieselben  Handelsartikel.  Während 
aber  Königsberg  auch  in  der  ganzen  Provinz  Preußen  ein  be- 
deutendes Hinterland  hatte  und  durch  seine  Lage  am  natür- 
lichsten Zentralpunkte  aller  Küstenstraßen  aus  Osten  und  Süden 
berufen  war,  bis  tief  in  das  innere  Bußland,  ja  bis  zum 
Schwarzen  Meere  Endpunkt  und  Ausführhafen  derselben  zu 
werden,  lag  Memel  ganz  am  Nordende  der  ihm  abgewandten 
Provinz  und  hatte  in  diesem  spitz  zulaufenden  Winkel  der 
Provinz  überhaupt  kein  Hinterland.  So  sehr  sich  die  Memeler 
gegen  die  Behauptung  der  Regierung  sträubten,  daß  die  Bahn 
eine  Sackbahn  sein  werde,  an  dieser  Tatsache  war  trotz  des  vor- 
züglichen Hafens  nicht  zu  rütteln,  da  ihm  das  Hinterland  fehlte. 

Als  die  Bahn  gebaut  wurde,  stand  dem  erhofften  Auf- 
schwünge nichts  entgegen.  Im  Gegenteil,  eine  Anzahl  günstiger 
Momente  war  für  die  Verkehrslage  der  Stadt  hinzugekommen. 
Der  Hafen  war  durch  mächtige  Molen  geschützt,  die  Nehrungs- 
spitze fing  an  sich  zu  begrünen,  so  daß  eine  Gefahr  der  Ver- 
sandung an  dieser  Seite  ausgeschlossen  war,  auch  die  Seeküste 
nördlich  von  Memel  war  bewaldet  und  kultiviert  (Plantage). 
Außerdem  waren  fünf  Chausseen  im  Kreise  ausgebaut  und  1873 
der  König-Wilhelm  Kanal  fertig  geworden.  Am  15.  Oktober  1875 
wurde    die    ganze  Bahnstrecke   für  Personen-  und  Güterverkehr 


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Von  W.  Feydt.  481 

eröffnet.  Der  große  Tag  wurde  zwar  nicht  offiziell  gefeiert,  aber 
im  kleinen  Kreise  der  Interessenten  erschien  er  doch  als  der 
Geburtstag  zu  neuem  Glück  und  Aufschwung. 

Denn  jetzt,  wo  das  Unternehmen  so  weit  gesichert  war, 
konnte  man  wieder  mit  der  wahren  Absiebt  hervortreten,  die 
man  bei  der  ganzen  Bahnbaupolitik  gehabt  hatte,  und  auf  die 
man  nur  zunächst  hatte  verzichten  müssen.  Man  forderte  jetzt 
den  Anschluß  an  den  russischen  Bahnweg:  Eine  Bahn  Riga- 
Mi  tau-Moscheiki-Memel.  Es  war  das  ein  Egoismus  ohnegleichen. 
Denn  zu  dieser  Bahn,  die  lediglich  den  Memeler  Interessen 
dienen  sollte,  war  doch  die  ganze  Strecke  von  Tilsit  mit  dem 
millionenkostenden  Brückenbau  nicht  nötig  gewesen!!  Jetzt 
zeigte  es  sich,  daß  fes  im  Grunde  genommen  den  Mem eiern  vor 
allem  auf  eine  Verbindung  mit  Bußland  ankam,  um  die  alten 
Beziehungen  wieder  pflegen  zu  können,  und  nur  nebenher  auf 
einen  Anschluß  an  das  preußische  Bahnnetz,  um  in  diesem 
patriotischen  Nordwinkel  des  Vaterlandes  nicht  zu  isoliert  zu 
sein!  Dieselbe  Regierung,  die  den  Memelern  soeben  die  Bahn 
und  die  Brücken  gebaut  hatte,  sollte  jetzt  der  russischen  Nachbar- 
Verwaltung  verständlich  machen,  daß  nach  dem  Dafürhalten  der 
Memeler  „bei  einer  Eisenbahnverbindung  mit  Ostpreußen  das 
Hauptmotiv  des  russichen  Handels  doch  nur  immer  sein  könnte, 
auf  dem  kürzesten  Wege  mit  einem  eisfreien,  geräumigen  und 
sicheren  Hafen  in  Verbindung  zu  kommen".  Natürlich  konnte 
davon  nicht  die  Bede  sein,  und  die  Memeler  mußten  nun  mit 
den  Vorteilen  ihrer  heißersehnten  Bahn  auszukommen  suchen, 
die  sie  als  einzige  Bettung  hinzustellen  nicht  versäumt  hatten. 
Sofort  mußte  es  sich  nun  zeigen,  daß  diese  Bahn  tatsächlich 
eine  Sackbahn  blieb  und  mit  den  großen  durchgehenden  Strecken 
von  Biga,  Libau  und  Königsberg  nach  dem  Innern  Bußlands 
nicht  entfernt  konkurrieren  konnte;  war  doch  beispielsweise  in 
Ostpreußen,  wo  die  Plackereien  der  russischen  Bahntarifpolitik 
wenigstens  fortfielen,  Memel  eineinhalbmal  so  weit  von  Inster- 
burg  entfernt  als  Königsberg!  Schön  war  es  nicht,  daß  man 
nicht    von  Anfang    an  den  Mut  hatte,  diesen  notwendigen  Miß- 


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482  Der  Einfluß  der  oetpreußiechen  Eisenbahnen  etc. 

erfolg  einzugestehen,  sondern  die  Schuld  auf  die  Tilsit-Inster- 
burger  Bahn  schob.  Später  ist  diese  Privatbahn  verstaatlicht; 
es  sind  Verbesserungen  in  den  Bahnbeziehungen  Memels  zur 
Ostbahn  bis  zum  heutigen  Tage  eingetreten  und  an  den  Grund- 
verhältnissen ist  dadurch  doch  nichts  geändert. 

Die  Bahn  stellte  sich  als  Notbehelf  heraus,  wie  sie  der 
Staat  ja  auch  nicht  anders  aufgefaßt  hatte,  wenn  sie  nicht  eine 
Fortsetzung  in  Rußland  erhielt.  Daß  aber  die  Schuld  daran 
nicht  auf  Seiten  der  Landesregierung  lag,  hätte  das  Jahr  1878 
den  Memelern  beweisen  können.  Als  nämlich  im  Frühjahr  1877 
ein  Krieg  zwischen  England  und  Bußland  auszubrechen  drohte, 
der  die  vom  Krimkriege  her  so  gefürchtete  Blokade  der  russischen 
Häfen  zur  Folge  gehabt  hätte,  zeigte  die  russische  Regierung, 
die  sich  bisher  jedem  Projekte  einer  Bahnverbindung  mit  Memel 
gegenüber  total  ablehnend  verhalten  hatte,  plötzlich  Neigung  zu 
Verhandlungen.  Doch  schlug  man  nicht  etwa,  wie  die  Memeler 
es  auch  für  Bußland  am  vorteilhaftesten  hielten,  die  Linie 
Moscheiki-Memel,  sondern  eine  Linie  von  Prekulm,  der  nächsten 
Station  vor  Libau  über  Krottingen  nach  Memel  vor!  Unsere 
Nachbaren  wollten  die  Handelsvorteile  ihres  Hafens 
Libau  behalten,  für  ihre  Notlagen  jedoch  ganz  gern  eine 
neue,  bequeme  Einfuhrstraße  haben,  die  man  für  fried- 
liche Zeiten  so  gut  wie  ausschalten  konnte!  Und  dabei 
verschwand  auch  dieses  Projekt,  dessen  russische  Einseitigkeit 
freilich  von  den  Memelern  sofort  erkannt  worden  .war,  sofort 
von  der  Bildfläche,  als  die  Kriegsgerüchte  zerrannen.  Um  so 
unbegreiflicher  war  es,  daß  man,  nun  Bußland  eben  den  Beweis 
geliefert  hatte,  daß  seine  Politik  nur  die  eigenen  Handelsinteressen 
zu  fördern  wünschte,  in  den  folgenden  Jahren  der  preußischen 
Begierung  mit  dem  Vorwurfe  entgegentrat,  sie  hätte  die  Memeler 
Bahn  zu  spät  gebaut  und  daraus  sei  alles  Unheil  zu  erklären. 

Die  Stadt  hatte  sich  nämlich  seit  1875  nicht  nur  nicht  ge- 
hoben, im  Gegenteil,  aus  dem  Stillstand  der  60er  Jahre  war  ein 
Bückgang  geworden.  Der  Bericht  von  1880  sagt:  „Das  Bild, 
welches  Handel  und  Wandel  unserer   Stadt  gegenwärtig  bietet, 


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Von  W.  Feydt  483 

ist  leider  kein  erfreuliches.  Memel  ist  bereits  seit  einem  Jahr 
in  stetem  Bückgang  begriffen;  unser  einst  blühender  Handel 
stockt,  eine  Branche  nach  der  andern  verläßt  unsern  Ort,  nur 
das  Holzgeschäft  ist  noch  einigermaßen  von  Bedeutung.  Der 
Gesamtwert  unseres  Im-  und  Exportes  ist  von  61368300  Mk.  in 

1874  auf  43000000  Mk.  in  1880,  in  sechs  Jahren  also  fast  um 
ein  Drittel  gesunken;  die  Zahl  der  Einwohner  unserer  Stadt, 
samt  den  Vorstädten  Schmelz    und  Bommelsvitte    bat   sich    seit 

1875  um  929,  und  wenn  man  den  Überschuß  der  Geburten  in 
Anschlag  bringt,  um  1329  verringert;  viele  Wohnungen  und 
Läden,  selbst  in  der  besten  Lage,  stehen  leer;  die  Grundstücke 
sind  erheblich  im  Werte  gefallen.  Memel  ist  nicht  blos  der  einzige 
preußische  Hafen,  es  ist  nächst  Zelle  die  einzige  Stadt  der 
Monarchie,  über  10000  Einwohner  überhaupt,  welche  bei  der 
letzten  Volkszählung  eine  Abnahme  aufwies. 

Verursacht  sind  diese  traurigen  Verhältnisse  hauptsächlich 
dadurch,  daß  wir  erst  seit  1875  eine  Eisenbahn  überhaupt  be- 
sitzen und  auch  heute  noch  eines  direkten  Anschlusses  der- 
selben an  das  russische  Bahnnetz  in  nördlicher  Richtung  ent- 
behren." 

Im  Jahre  1868  hatte  man  geschrieben:  „Wir  werden  die 
Bahn  nach  Memel  bekommen,  aber  zu  spät!"  1871  hatte  man  ge- 
schrieben: „Die  Tilsit-Memeler  Bahn  kommt  für  uns  zwar  nimmer 
zu  spät,  wohl  aber  kommt  sie  spät".  In  den  Handelsbericht 
von  1880  setzte  man  tatsächlich  die  Worte  vom  „Zu  spät"  aus 
dem  1868  er  wieder  ein. 

Unbekümmert  um  die  schwankenden  Anschauungen  der 
Memeler  Kaufherren  hat  die  Eisenbahn  den  Nutzen,  den  sie  über- 
haupt bringen  konnte,  der  Stadt  gebracht.  Einige  Jahre  darauf 
fand  die  schon  erwähnte  Verstaatlichung  der  Zwischenstrecke 
von  Tilsit  nach  Insterburg  statt,  die  Tarife  wurden  infolgedessen 
ermäßigt  und  ein  dritter  durchgehender  Zug  mit  etwas  schnellerer 
Fahrzeit  eingerichtet.  Die  Verbindung  mit  der  Hauptstadt,  und 
dadurch  mit  Berlin  und  Petersburg  um  der  Korrespondenz  willen 
auch  für  die  Geschäftswelt  wichtig,  hat  in  den  folgenden  Jahren 


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484  Der  Einfluß  der  oetpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

noch  manche  Verbesserung  erfahren.  Daß  die  zuerst  mit  Über- 
schwang begrüßte  Bahn  jetzt  von  den  Memelern  viel  zu  abfällig 
beurteilt  worden  ist,  beweisen  vor  allem  die  Güterzahlen  der 
Station  Memel,  die  seit  der  Eröffnung  einen  namhaften  Auf- 
schwung bis  auf  die  heutige  Zeit  genommen  haben: 

t  ab 


1876: 

14  435  t  an 

19  726 

1882: 

17  363  =  . 

25  277 

1891: 

22  350  *  * 

27  092 

1895: 

23  602  *  * 

43150 

1897: 

34  313  *  * 

48  508 

1899: 

50144  --    -- 

56849 

1900: 

61 178  »  « 

53  764 

Und  wenn  man  die  unfortgesetzte  Bahnstrecke  in  Memel 
tatsächlich  für  zwecklos  hielt,  hätte  man  sich  auch  nicht  die 
Kosten  gemacht,  den  Hafen  auf  den  Eisenbahnverkehr  ein- 
zurichten. Die  Arbeiten  waren  recht  umfangreich.  Am  Außen- 
hafen wurde  das  Bohlenwerk  durch  eine  305  m  lange  Kaimauer 
ersetzt,  die  Bahnlinie  zum  Winterhafen  wurde  1876  in  einer 
Länge  von  1,5  km  drei  Stränge  breit  am  Ufer  selbst  gebaut,  so  daß 
nun  eine  direkte  Verladung  vom  Schiff  in  die  Eisenbahnwagen 
stattfinden  konnte;  die  Bahn  zum  Außenhafen  war  1878  fertig, 
dazu  kam  noch  ein  Doppelstrang  am  Dangeufer  zum  Ladeplatz 
unterhalb  der  Eisenbahnbrücke. 

Das  Verdienst  der  Eisenbahn  ist  für  Memel  hauptsächlich 
ein  negatives :  Ohne  sich  selbst  vorzudrängen  hat  sie  sich  in  den 
Diejist  der  Wasserstraße  gestellt,  auf  die  sie  durch  die  Ent- 
täuschungen, die  sie  selbst,  und  die  Schädigungen,  die  ihr  deutsch- 
russische Nachbaren  zufügten,  erst  selbst  recht  aufmerksam  machte. 
Als  positives  ist  außer  der  schon  besprochenen  Förderung  durch 
schnellere  und  zeitgemäßere  Verbindung  mit  dem  Inlande  vor 
allem  die  bessere  Auf-  und  Anschließung  des  Memeler  Kreises, 
eine  Ausdehnung  des  Handelsbetriebes  auf  das  ganze  Jahr  .und 
eine  Erweiterung  der  Industrie  zu  erwähnen.  Durch  alles  dieses 
hat  sie  förderlich  gewirkt  und  den  absoluten  Schaden   in  einen 


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.  Von  W.  Feydt. 


485 


relativen  verwandelt.     Memel  ist  im  Bang  gesunken,  aber  seine 
Einwohnerzahl  hat  sich  vergrößert: 


1861 

:  17  590  Einwohner 

2 

1864. 

17  735 

* 

2 

1867 

:  19003 

* 

3 

1871 

19  008 

-. 

3  (3) 

1875 

:  19  796 

9 

2(3) 

1880 

:  19  660 

* 

3 

1885 

:  18  748 

* 

4 

1890 

:  19  282 

5 

5(4) 

1895 

:  19 195 

< 

5(4) 

1900 

:  20166 

; 

5 

Immerhin  war  die  fördernde  Arbeit  hier  noch  nicht  ab- 
geschlossen. Memel  lag  nicht  an  der  Grenze  selbst,  und  gerade 
dieses  Stück  nördlich  der  Stadt  ließ  sich  entschieden  besser  für 
den  Handel  verwerten,  wenn  eine  Bahn  es  durchzog.  Die 
Memeler  selbst  hatten  dieses  Projekt  aufgeworfen,  dann  aber, 
aus  Angst,  sich  für  eine  etwaige  Fortsetzung  „festzulegen", 
wieder  zurückgezogen.  Allein  die  Regierung  beschloß  die  Aus- 
führung. Der  Gesetzentwurf  für  eine  Strecke  Bajohren-Memel 
wurde  daher  begründet:  „Die  20,3  km  lange  Bahn  Memel- 
Bajohren  soll  das  nördlich  der  Stadt  Memel  sich  erstreckende 
Hinterland  erschließen,  dessen  Entwickelung  unter  den  ob- 
waltenden Verkehrs-  und  Grenzverhältnissen  zurückgeblieben  ist, 
und  insbesondere  das  Verkehrsgebiet  von  Memel  erweitern. 
Die  Linie  zweigt  von  der  Tilsit-Memeler  Bahn  ab  und  endet 
bei  dem  dicht  an  der  preußisch-russischen  Grenze  belegenen 
Ort  Bajohren.  Das  Verkehrsgebiet  der  Bahn  umfaßt  190  qkm 
mit  31000  Einwohnern,  welche,  abgesehen  von  den  Bewohnern 
der  Stadt  Memel,  in  welcher  rege  gewerbliche  und  Handels- 
tätigkeit herrscht,  vornehmlich  Landwirtschaft,  Pferde-  und 
Viehzucht  betreiben."  (Arch.  f.  Eisenb.  1889,  pag.  176.)  Der 
Kreis  gab  Grund  und  Boden  umsonst  her,  der  Landtag  vom 
Jahre  1888  bewilligte  die  Vorlage.     Die  Stadt  Memel  hatte  noch 


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486  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

einen  besonderen  Vorteil,  als  ihrer  Eingabe,  die  erste  Haltestelle 
der  Bahn  nahe  am  Seebadeorte  Plantage-Försterei  anzulegen, 
nachgegeben  wurde.  1892  wurde  die  kleine  Strecke  eröffnet. 
Ihre  Bedeutung  soll  man  doch  nicht  unterschätzen.  Den  Groß- 
handel konnte  sie  ohne  russische  Fortsetzung  natürlich  nicht 
fördern,  aber  selbst  die  so  beschränkten  Grenzgegenden  Ruß- 
lands lieferten  doch  einzelne  Erzeugnisse  der  Landwirtschaft  in 
solcher  Menge,  daß  sie  tief  nach  Deutschland  hinein  zum  Ver- 
sand kamen.  Zweck,  den  wir  zitieren,  führt  an,  daß  im  Herbste 
1897  ein  Zug  1150  Gänse  von  Bajohren  nach  Memel  brachte, 
die  bis  Berlin  verschickt  wurden.  Wichtiger  noch  war  die  zwei 
Jahre  später  erfolgte  Eröffnung  der  Tilsit-Stallupöner  Bahn. 
Wir  haben  sie  bei  Tilsit  schon  kennen  gelernt.  Auch  Memel 
hatte  sich,  wie  man  sehr  deutlich  hervorhob,  zwölf  Jahre  lang 
schon  darum  bemüht.  Diese  Bahn  kam  auf  eine  Abkürzung  des 
Weges  nach  Rußland  und  eine  Vergrößerung  des  Hinterlandes 
in  der  Provinz  hinaus.  Mit  Genugtuung  konstatierte  der  Bericht 
von  1895,  daß  eine  erfreuliche  Hebung  des  Getreidehaudels  und 
ein  sichtlich  vermehrter  Absatz  von  Kohlen,  Heringen  etc.  zu 
verzeichnen  gewesen  sei. 

Inzwischen  aber  war  in  Memel  unter  der  Wandlung  der 
Verkehrsverhältnisse  eine  Industrie  zu  gewaltiger  Blüte  gelangt, 
die  von  der  Bahn  gefördert,  aber  nicht  ganz  abhängig,  jetzt  mit 
neuen  Ansprüchen  zur  Verkehrserleichterung  an  diese  herantrat: 
Die  Holzindustrie. 

Holzhandel  hatte  Memel  schon  vor  der  Bahnzeit  getrieben. 
Schon  Ungewitter  (1859)  erwähnt,  daß  die  Ausfuhr  in  Stücken 
Bauholz  bei  weitem  überwiegt,  was  in  Zentnern  ein-  und  aus- 
geht. Dieser  Handelszweig,  als  Industrie  bisher  mit  Wind- 
schneidemühlen betrieben,  konnte  nicht  eingehen,  er  mußte  sich 
vielmehr  bei  dem  unerschöpflichen  Reichtum  des  russischen 
Hinterlandes  und  dem  sich  immer  gleich  bleibenden  Transport- 
mittel des  Stromes,  noch  bedeutend  erweitern  und  ertragreicher 
stellen,  sobald  ein  wahrhaft  industrieller  Betrieb  mit  großen 
Dampfschneidewerken    möglich   wurde  und  die  Eisenbahn  einen 


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Vod  W.  Feydt.  487 

auch  im  Winter  benutzbaren  Ausfuhrweg  über  Land  erschloß. 
Mit  aller  Kraft  warf  sich  die  Stadt  auf  den  Holzhandel  und  die 
Holzindustrie.  Ein  Etablissement  nach  dem  andern  entstand. 
Die  alten  Windsägemühlen  konnten  natürlich  nicht  im  geringsten 
konkurrieren;  1887  waren  nur  noch  vier  in  Betrieb,  die  auch 
bald  eingingen.  Schon  damals  waren  ungefähr  tausend  Arbeits- 
kräfte bei  der  Holzindustrie  beschäftigt.  Der  Hauptort  für  die 
immer  größer  werdenden  Holzlager  und  Schneidemühlen  war 
die  lang  am  Haffufer  sich  hinstreckende  Schmelz.  Zweck 
rechnet  in  seinem  Lit.  20  große  Dampfschneidemühlen  in 
Memel,  die  das  herangeflößte  Holz  verarbeiten.  In  Schmelz  hat 
sich  auch  die  übrige  Memeler  Industrie  niedergelassen.  Eine 
„Memeler  Industrie-Aktiengesellschaft"  hat  sich  gebildet,  die 
die  Holzabfälle  zu  Holzessig,  Holzkohle,  Teer  etc.  verarbeitet; 
in  der  Nähe  der  Stadt  an  der  Dange  ist  eine  Holzimprägnier- 
anstalt entstanden. 

Diese  ganze  Industrie,  wenn  auch  dem  Wasserverkehr  ent- 
sprossen, blieb  doch  im  dauernden  Zusammenhang  mit  der  sie 
unterstützenden  Bahn,  die  am  Import  und  Export  einen  nicht 
ganz  unbedeutenden  Anteil  hatte.  Darum  wollte  man  auch 
in  eine  bequeme  Verbindung  mit  ihr  treten.  Die  Schmelz 
war  vom  Bahngeleise  des  Winterhafens  bei  einer  Längsaus- 
dehnung von  ca.  6  km  recht  weit  entfernt.  So  wurde  dann 
1896  das  Projekt  angeregt,  die  Winterhafenbahn  nach  der  Dange 
und  der  Schmelz  zu  verlängern.  Die  Interessenten  wollten  das 
Anschlußgeleise  bauen. 

Man  hoffte  dadurch  nicht  nur  der  bestehenden  Industrie  zu 
helfen,  sondern  die  Gründung  neuer  zu  fördern.  Hatte  doch 
namentlich  die  Industrie  mit  Düngemitteln,  die  auf  dem  See- 
wege in  großem  Umfange  hierherkamen,  besonders  durch  die 
leiohte  Abfuhr  nach  dem  Lande  mittelst  der  Eisenbahn  einen 
bedeutenden  Aufschwung  genommen.  Allein  der  praktischen 
Ausführung  stellten  sich  Schwierigkeiten  im  Bau  und  Betriebe 
entgegen,  so  daß  die  Angelegenheit  1898  ins  Stocken  kam  und 
zu  Gunsten  eines  anderen  Projekts  aufgegeben  wurde. 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.    Hft.  7  u.  8.  32 


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488  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Im  Jahre  1897  hatte  nämlich  der  Kreis  Memel  den  Klein- 
bahnbau nach  der  Stadt  angeregt,  um  eine  regere  und  bequemere 
Güterbeförderung,    namentlich    landwirtschaftlicher  Produkte    zu 
erzielen,  und  auch  die  Personenbeförderung  nach  der  Kreisstadt 
zu    erleichtern.     Die  Stadt   hatte    sich  diesem  Vorschlage  sofort 
lebhaft   angeschlossen.     1899    fanden    die   ersten   Vermessungen 
statt.    Namentlich    das  Gebiet    im  Osten    der  Stadt   sollte   eine 
schnellere  Verbindung  erhalten.  Man  projektierte  daher  eine  Linie 
bis  Clemmenhof  und  von  dort  abzweigend,  einerseits  nach  Plicken, 
von    wo   eine  Landstraße    nach  Rußland,   andererseits  nach  dem 
Kirchdorfe  Dawillen,  von  wo  aus  die  Mingestraße  nach  Bußland 
hineinführt.     Gleich    damals    wurde  jedoch    für    wesentlich    die 
Anlage    einer  Bahn    in  Memel   selbst   gehalten,  die  die  auf  der 
Kleinbahn    ankommenden  Güter   bis   zu    den   Verladeplätzen   in 
Memel   und    Schmelz    transportieren    sollte.     Diese   Bahn    sollte 
nun    nach    gemeinsamem   Projekte    der   Stadt    und    der    Kreis- 
interessenten   eine    elektrische    sein,    da    sie    am    besten    allen 
Forderungen  zugleich  entsprechen  könnte  (Personen  und  Güter) 
und  nicht  auf  derartige  betriebstechnische  Schwierigkeiten  stieß, 
wie  eine  Staatsbahnerweiterung.     Durch  Kreistagbeschluß  wurde 
die    projektierte    Kleinbahnstrecke    bis    zu    den    Grenzstationen 
Laugallen  und  Pößzeiten  erweitert. 

Das  Unternehmen  war  in  vollem  Gange,  als  1902  durch 
die  industrielle  Krisis  die  nordische  Elektrizität»-  und  Stahlwerk- 
Aktiengesellschaft,  der  die  elektrische  Bahnanlage  in  der  Stadt 
übertragen  war,  sich  gezwungen  sah,  die  Arbeiten  einzustellen, 
und  dadurch  auch  der  ganze  Kleinbahnbau  in  Stocken  geriet 
Der  Kreistag  beschloß  darauf  das  Unternehmen  zu  vereinigen, 
so  daß  es  in  nicht  zu  ferner  Zeit  in  Verwirklichung  treten  wird. 
Durch  die  Entwickelung  der  letzten  20  Jahre,  die  den  Haupt- 
wert  auf  die  Wasserstraße,  den  natürlichen  Verbündeten  Memels 
legte,  und  die  Landverkehrswege  nicht  mehr  ausschließlich 
als  Stützen  für  kühne,  aber  unmögliche  Projekte,  sondern 
als  Mittel  zur  Hebung  und  Förderung  des  hier  wie  aller 
Orten    danieder    liegenden    Nahverkehrs     benutzte,     hat     sich 


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Von  W.  Feydt.  489 

Handel  und  "Wandel  Memels  nach  dem  Tief  stände  von  1880 
"wieder  gehoben. 

Der  Handel  ist  noch  immer  der  Hauptnahrungszweig  der 
Bevölkerung.  Der  Hauptausfuhrartikel  ist  das  Holz,  von  dem 
im  Jahre  1897  z.  B.  über  650000  Festmeter  meist  nach  England 
expediert  wurden.  Nächstdem  findet  man  auf  der  Ausfuhrliste 
als  einzig  bedeutende  Artikel  nur  noch  Leinsaat,  Flachs  und 
Lumpen.  Der  Import  besteht  in  Kohlen  und  Heringen,  Phosphat, 
Schwefelkies  und  Thomasschlaoke.  Der  enge  Zusammenhang 
mit  Baßland  kommt  in  fast  allen  diesen  Artikeln  zum  Aus- 
druck. 

Von  der  Holzindustrie  ausgehend,  die  zusammen  mit  dem 
Holzhandel  das  Schwergewicht  des  heutigen  Memeler  Handels 
ausmacht  und  allein  noch  einen  wahrhaft  großartigen  Betrieb 
darstellt,  hat  sich  aber  in  letzter  Zeit  auch  die  Industrie  im 
allgemeinen  gehoben  und  angefangen  festen  Fuß  zu  fassen.  Die 
zuletzt  angeführten  Importartikel  ließen  schon  auf  ein  Unter- 
nehmen schließen,  wie  es  Memel  durch  die  „Union",  eine  Fabrik 
chemischer  Produkte,  die  mit  ca.  400  Arbeitern  arbeitet,  erhalten 
hat.  Außerdem  sind  die  Eisengießereien,  drei  Bierbrauereien, 
eine  Seifenfabrik  und  mehrere  Kalk-  und  Ziegelbrennereien  zu 
erwähnen1). 

3.    Die  stagnierenden  Städte. 

"Wer  unter  Stagnieren  ein  Stehenbleiben  auf  derselben 
Einwohnerzahl  oder  eine  ganz  geringfügige  Veränderung  der- 
selben versteht,  wird  in  ganz  Ostpreußen  kaum  eine  in  diesem 
Sinne  stagnierende  Stadt  finden.  Das  ist  ein  Beweis  dafür,  daß 
Ostpreußen  sich  im  19.  Jahrhundert  ungemein  gehoben  und  ein 


1;  Arnn.:  Es  ist  charakteristisch  bei  dieser  durch  die  Eisenbahnen  so  ge- 
schädigten Stadt,  daß  die  Lage  des  Bahnhofes  gänzlich  ohne  Wirkung  auf  das 
Stadtbild  geblieben  ist.  Die  Stadt  hat  sich  immer  krampfhaft  am  Wasser  ge- 
halten und  entlang  gestreckt,  dem  Bahnhof  jedoch  kühl  und  reserviert  den 
Bücken  gezeigt.  In  den  Jahren  1898—1901  scheint  in  der  dem  Bahnhof  zunächst 
liegenden  Straße  kein  neues  Haus  gebaut  zu  sein! 

32* 


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490  Der  Einfluß  der  oetpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

absoluter  Stillstand  überhaupt  nicht  stattgefunden  hat.  Wir 
haben  unter  „stagnierenden  Städten"  etwas  ganz  anderes  zu  ver- 
stehen, da  es  für  uns  nur  darauf  ankommt,  den  Einfluß  der 
Eisenbahnen  festzustellen.  Zu  diesem  Zwecke  müssen  wir  nach 
dem  Range  der  Stadt,  nach  ihrer  Stellung  in  der  Provinz  fragen, 
die  sie  beim  Beginn  der  Eisenbahnzeit  und  die  sie  heute  ein- 
nimmt. Hat  diese  Stellung  sich  nicht  oder  nur  ganz  unwesent- 
lich verändert,  dann  ist  die  Stadt  stagnierend  in  unserem  Sinne. 
Es  erscheint  zunächst  sonderbar,  vom  Stagnieren  zu  sprechen, 
obwohl  eine  Stadt  an  Einwohnern  beträchtlich  größer  geworden 
ist,  und  doch  ist  diese  Methode  nach  dem  Bang  d.  h.  nach  der 
relativen,  nicht  nach  der  absoluten  Größe  zu  fragen,  die  einzig 
richtige,  da  sie  allein  ein  zutreffendes  Bild  gibt.  Müßte  z.  B. 
nicht  jemand,  der  Ostpreußen  nicht  kennt  und  hört,  daß  Gum- 
binnen  gegen  1852  sich  (mit  Militär)  an  Einwohnern  verdoppelt 
hat,  wenn  er  nur  diese  absoluten  Zahlen  berücksichtigt,  denken, 
die  Stadt  hätte  enorme  Fortsehnte  gemacht  und  sich  erheblich 
entwickelt,  während  jedermann,  der  die  Stadt  kennt,  zugeben 
muß,  daß  sie  auch  heute  noch  still  und  tot  ist? 

Gumbinnen  ist  und  bleibt  eben  der  vom  Dorf e  zur  Regierungs- 
stadt erhobene,  durch  künstliche  Mittel  groß  gezogene  Ort,  ganz 
gleich,  ob  die  Bevölkerung  7000  oder  14000  Einwohner  beträgt 
Es  ist  natürlich,  daß  14000  Menschen  mehr  Platz  zum  Wohnen 
brauchen,  sich  das  Stadtbild  also  erweitert  hat,  aber  die  Stadt 
als  Ganzes  ist  genau  so  tot  geblieben.  An  dem  Aufschwung 
haben  Handel  und  Verkehr  nicht  oder  nicht  bedeutend  genug 
teilgenommen.  Vergleicht  man  Gumbinnen  mit  Insterburg,  dann 
wird  der  Gegensatz  vollends  klar.  Mit  der  absoluten  Ziffer  ist 
hier  also  gar  nichts  zu  machen.  Wir  merken  uns  nur,  daß  sie 
für  diese  Klasse  durchweg  beim  Vergleiche  von  1852  und  1900 
positive  Resultate  ergibt,  wobei  Gumbinnen  mit  einer  Zivil- 
bevölkerungszunahme von  4694  obenan,  Domnau  mit  einem  Plus 
von  194  untenan  steht. 

Das  richtige  Bild  geben  die  vergleichenden  Rangziffern,  wie 
überhaupt    der    Vergleich    sowohl    mit   den   gleichzeitigen    Ent- 


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Von  W.  Feydt.  491 

wickelungs- Verbältnissen  anderer,  wie  den  vorzeitigen  des  eigenen 
Ortes  nirgends  so  notwendig  ist  als  bei  stagnierenden  Städten. 
Da  stellt  es  sich,  um  noch  einmal  auf  unser  Beispiel  zurück- 
zukommen, heraus,  daß  Gumbinnen  von  Anfang  des  Jahrhunderts 
bis  zum  Ende  ein  und  dieselbe  Bangziffer  (6)  behalten  hat. 

Da  aber  die  Stagnation  ihrem  Wesen  nach  immer  eine 
dauernde  Erscheinung  ist,  genügt  es  hier  nicht,  immer  nur  die 
Rangziffern  von  1852  und  1900  mit  einander  zu  vergleichen,  und 
es  muß  besonders  auf  die  Tabellen  am  Schlüsse  des  allgemeinen 
Teils  verwiesen  werden.  Doch  schon  die  beiden  genannten  Ziffern 
ergaben  in  den  weitaus  meisten  Fällen  eine  so  geringe  Differenz, 
daß  sich  die  Stagnation  an  ihnen  bereits  aufs  Deutlichste  aus- 
prägt. Die  höchsten  Differenzzahlen  sind  6  bei  Fischhausen  und 
5  bei  Rhein,  und  diese  Schwankungen  kommen  gerade  bei  den 
Plätzen  vor,  wo  ein  geringes  Herauf-  und  Hinabgleiten  im  Gegen- 
satz zu  den  ersten  zehn  und  zu  den  letzten  Städten  der  Provinz 
viel  weniger  ausmacht.  Bei  beiden  Städten  kommt  auch  noch 
der  störende  Einfluß  der  Wasserstraße  hinzu.  Im  übrigen  sind 
die  Differenzziffern  ausnahmslos  sehr  gering. 

Zweimal  kommt  0  vor,  7  mal  1,  4  mal  2,  1  mal  3.  Die 
Summe  aller  Differenzziffern  beträgt  bei  16  Orten  nur  29. 

Man  kann  in  dem  Grade  der  Stagnation  noch  einige  Unter- 
schiede machen.  Es  kommt  vor,  daß  eine  Stadt  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Bahn  für  eine  Zeit  gleichsam  aus  ihrem  Schlafe  er- 
wacht und  eine  Veränderung  ihrer  Daseinsformen  erfährt;  diese 
kann  wiederum  in  einer  zeitweisen  Schädigung  wie  einer  vorüber- 
gehenden Förderung  bestehen.  Bald  aber  stellt  sich  das  alte 
Gleichgewicht  her  und  Gesamtbild  und  Bedeutung  bleiben  die 
alten.  Danach  kann  man  stagnierende  Städte  mit  dazwischen 
liegender  Förderung  und  solche  mit  dazwischen  liegender 
Schädigung  unterscheiden.  In  beiden  Fällen  muß  die  ganze  Reihe 
der  Bangziffern  betrachtet  werden,  wobei  sich  dann  unschwer 
feststellen  läßt,  durch  welche  Bahn  die  Veränderung  veranlaßt 
worden  ist.  Dieser  Vorgang  einer  periodischen  Veränderung 
kann  aber  ein  mehrmaliger  sein  und    dann    tritt    eine    zeitweise 


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492 


Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 


Schädigung  zwischen    zwei  vorübergehende  Förderungsperioden. 
Beispiele  hierfür  sind  Marggrabowa  und  Neidenburg. 

Dieselbe  Betrachtungsweise  ist  natürlich  bei  der  dritten  Ab- 
teilung dieser  Klasse,  den  absulut  stagnierenden  Städten,  er- 
forderlich. Es  sind  das  Orte,  die  das,  was  sie  waren,  auch  ge- 
blieben sind,  ganz  gleich,  ob  sie  Eisenbahnen  früher  oder  später 
erhielten,  ja  sogar  wie  Zinten  in  neuester  Zeit  wenigstens  eine 
Art  Knotenpunkt  geworden  sind.  Sie  haben  eben  überhaupt 
keine  Verkebrslage.  Teilweise  sind  sie,  wie  Rhein,  versteckt,  teil- 
weise, wie  Mühlhausen,  Domnau,  Oumbinnen,  Zinten,  zu  nahe  an 
durch  ihre  Verkehrslage  begünstigteren  Orten  gelegen,  im  Gegen- 
satz zu  denen  sie  natürlich  niemals  emporkommen  konnten. 
Ganz  unrecht  tut  man,  in  diesen  Fällen  von  einer  Schädigung 
durch  die  Eisenbahnen  zu  sprechen.  Domnau  ist  eben  immer 
Domnau  gewesen  und  auch  Mühlhausen  hat  zwischen  Elbing  und 
Braunsberg  an  einer  Stelle,  wo  ebensogut  ein  Boggenschlag  stehen 
könnte,  niemals,  ob  mit  oder  ohne  Bahn,  eine  Bedeutung  er- 
langen können.  Die  Eisenbahnen  können  vieles,  aber  Wunder 
können  auch  sie  nicht  vollbringen. 

Die  Übersicht  über  diese  Klasse  ergibt   folgende  Städte: 
a)  stagnierend  mit  dazwischen  liegender  Förderung: 
53.  Willenberg       2280  Einwohner 

45.  Fischhausen     2746 


37.  (4 

2)  Darkehmen 

3534  (2958) 

31. 

Mehlsack 

4152 

28. 

Neidenburg 

4453 

23. 

Gattstadt 

4588 

21. 

Marggrabowa 

4878 

16. 

Wormditt 

5249 

b)  stagnierend  mit  dazwischen  liegender  Schädigung: 
26.  Heiligenbeil     4553  Einwohner 

o)  absolut  stagnierend: 

59.  Domnau  1921  Einwohner 

58.  Rhein  2025  * 


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Von  W.  Feydt. 

52. 

Mühlhausen      2326 

Einwohner 

46. 

Saalfeld             2586 

^ 

41. 

Seeburg            3023 

* 

35. 

Zimten               3585 

* 

6. 

(7) 

Gumbinnen     14000  (11764) 

*         . 

Us  Probe: 

Heiligenbeil. 

493 


Das  ca.  50  km  von  Königsberg  entfernte  Städtchen  Heiligen- 
beil hatte  sich  in  der  ersten  Hälfte  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
zu  einem  gewissen  Wohlstände  entwickelt.  Es  lag  an  der 
großen  Verkehrsader  von  Berlin  nach  Königsberg  und  war 
daher  berufen,  der  Handelsvermittler  für  das  dahinter  liegende, 
noch  durch  keine  Chaussee  aufgeschlossene  Landstück  nach 
Zinten  zu  zu  sein.  Es  profitierte  vom  Durchgangsverkehr  und 
hatte  es  zu  einer  gewerblichen  Blüte  gebracht,  die  in  einzelnen 
Zweigen  sogar  hohe  Berühmtheit  erlangt  hatte.  Es  war  die 
richtige  Land-  und  Handelsverkehrsstadt  zweiten  Ranges.  Die 
in  der  Umgegend  häufigen  Kaddig-  und  Wachholdersträuche, 
im  Volksmaude  Machandelbaum  genannt,  lieferten  einer  großen 
Anzahl  von  Handwerksmeistern  das  Material  zu  jenen  äußerst 
zierlichen  und  dabei  wohlfeilen  Drechslerarbeiten,  die  weithin 
berühmt,  fast  auf  allen  Jahrmärkten  feilgeboten  wurden  und 
deren  Herstellung  vielen  Menschen  lohnende  Beschäftigung  gab. 
Daneben  blühte  eine  große  Anzahl  anderer  Kleingewerbe,  und 
auch  im  Getreidehandel  vermittelte  Heiligenbeil  die  Ausfuhr 
nach  dem  Exporthafen  Königsberg  (cf.  Bilder  aus  den  deutsch. 
Küstenl.  d.  Ostsee,  p.  440.  41).  Da  nahm  die  große  Verkehrs- 
ader des  Ostens,  die  Eisenbahn  von  Berlin  nach  Eydtkuhnen, 
ihren  Weg  über  unseren  Ort.  (Eysenblätter,  Geschichte  d.  Stadt 
Heil,  p.  104.)  Sie  hatte  zunächst  einen  Bückgang  der  Stadt 
zur  Folge.  Die  Nähe  der  Hauptstadt  wurde  mit  der  schnellen 
Eisenbahnverbindung  manchem  Geschäftszweige  verhängnisvoll. 
Vor  allem  litten  die  Gewerbe,  auf  denen  der  Wohlstand  der 
Bürgerschaft  zum  großen  Teil  basierte,    „durch  die  Konkurrenz 


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494  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

mit  der  Massenproduktion  auswärtiger  Fabriken,  insbesondere 
das  Drechslergewerk,  welches  unter  den  ungünstigen  Verhält- 
nissen die  einstige  Blüte  nicht  zu  erhalten  vermochte".  (Eysenbl. 
1.  c.  p.  104.)  1888  befand  es  sich  bereits  in  so  traurigen  Ver- 
hältnissen, daß  keiner  von  den  Meistern  mehr  Gesellen  oder 
Lehrlinge  zu  halten  vermochte.  (Jahresber.  der  Gewerbekammer 
1888  p.  72.)  Aber  auch  „die  Leinenindustrie  nahm  ab;  Spinn- 
rad und  Webestuhl  verschwinden  immer  mehr  aus  den  Häusern 
in  Stadt  und  Land".  (Eysenbl.  1.  c.  p.  104.)  Heiligenbeil  konnte 
sich  vor  weiterem  Bückgange  nur  retten,  wenn  es  ihm  gelang, 
sich  den  veränderten  Zeitverhältnissen  anzupassen.  Es  mußte 
sein  Hinterland  durch  Chausseebauten  fester  mit  der  Stadt  ver- 
knüpfen und  es  dadurch  am  Abfall  nach  anderen  Orten  ver- 
hindern und  durch  Industrie  großen  Stiles  die  Vernichtung  des 
Kleingewerbes  ausgleichen.  Heiligenbeil  hat  diese  Aufgaben 
erfüllt  und  daher  heute  denselben  Platz  behauptet  wie  vor  der 
Eisenbahnzeit.  Bei  der  Nähe  der  Hauptstadt  ist  das  um  so  mehr 
anzuerkennen,  beweist  jedoch,  daß  die  Nähe  einer  großen  Stadt 
nicht  immer  absolut  schädigend  zu  wirken  brauoht. 

Ein  großer  Teil  dieses  Verdienstes  fällt  dem  Landrat  des 
Heiligenbeiler  Kreises,  Herrn  v.  Dreßler,  zu.  Er  war  die  Seele 
aller  Unternehmungen,  die  Heiligenbeil  seinen  Landkreis  zu  be- 
halten und  zeitgemäß  auszunutzen  möglich  machten.  Zunächst 
wurden  Chausseen  nach  dem  Binnenlande  gebaut.  1870  war 
die  Strecke  von  Heiligenbeil  bis  Rödersdorf  vollendet,  die  später 
fortgesetzt  wurde,  und  von  Rehfeld  aus  wurde  eine  Zweig- 
chaussee nach  Zinten  gebaut.  Zusammen  mit  der  schon  be- 
stehenden Berliner  Kunststraße  war  der  Kreis  hierdurch  regel- 
recht aufgeschlossen  und  sein  Verkehr  nach  Heiligenbeil  zen- 
tralisiert. Der  Hauptverdienst  Dreßlers  war  es  jedoch,  daß  er 
sozusagen  Heiligenbeils  Haff  läge  entdeckte  und  der  Schöpfer 
des  Hafens  Rosen berg  wurde.  Wir  haben  in  diesem  Hafen  ein 
Beispiel  des  förderlichsten  Ineinandergreifens  von  Sohienen- 
und  Wasserweg  in  zwei  verschiedenen  Richtungen.  Im  Herbst 
1882  war  der  Hafenbau,    namentlich  die  Anlage'  der  Molen,  be- 


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Von  W.  Feydt.  495 

endet.  Sofort  entwickelte  sich  ein  bedeutender  Verkehr.  Vom 
Hafen  aus,  der  nicht  an  der  Mündung  der  unbedeutenden 
Küstengewässer  Jarft-Babnau,  sondern  weiter  nördlich  nach 
Königsberg  zu  lag,  führte  eine  Chaussee  nach  der  Stadt,  die 
der  Kreis  unterhielt.  Kartoffeln,  Getreide,  Kleie,  Viktualien 
aller  Art,  Bier,  Steine,  Sand,  Kies  wurden  exportiert,  Ziegel, 
Dachpfannen,  Baumaterialien  herbeigeschafft.  Die  Stadt  macht 
sich  von  dem  schädigenden  Einfluß  der  Bahn  frei  durch 
Schaffung  einer  neuen  Straße,  ohne  jedoch,  wie  wir  weiter 
sehen  werden,  einen  einzigen  Vorteil  der  Bahn  aus  der  Hand 
zu  geben.  Der  Hafen  nimmt  eine  fortgesetzt  günstige  Eut- 
wickelung.  Regelmäßiger  Dampferverkehr  mit  Königsberg- 
Pillau  wird  unterhalten,  zeitweise  liegen  die  Schiffe  in  ihm  in 
zwei-  bis  dreifacher  Reihe.  Ein  großes  Dampfsägewerk  wird 
von  einer  Firma  am  Hafen  errichtet.  1894  wird  eine  Hafen- 
erweiterung dringend  notwendig;  der  Hafen  wird  vertieft,  damit 
die  Stettin-Danziger  Seedampfer  ihn  zum  Getreideexport  be- 
nutzen können,  und  schließlich  beschließen  die  Rosenberg- 
Heiligenbeiler  Interessenten  die  Selbstanschaffung  eines  Dampfers. 
Heiligenbeil  ist  also  Seehandelsstadt,  wenn  auch  in  kleinem 
Maßstabe,  geworden  und  verdankt  den  Anstoß  dazu  nur  dem 
Einwirken  der  Eisenbahn  auf  sein  Gewerbeleben.  Aber  nun 
will  man  positive  Vorteile  für  den  Handel  auch  von  den  Eisen- 
bahnen ziehen,  und  darum  interessiert  uns  dieses  Städtchen 
auch  naoh  seiner  Umwandlung  in  einen  Hafenort.  Im  selben 
Augenblicke,  in  dem  die  Bahn  Zinten-Rothfließ  vom  Staate  in 
Aussicht  genommen  wird,  streben  die  Heiligenbeiler  eine  Fort- 
führung naoh  ihrer  Stadt  und  ihrem  Hafen  an.  Der  Kreis- 
ausschuß fordert  wenigstens  die  Herstellung  einer  Kleinbahn 
von  Zinten  nach  Heiligenbeil.  Mit  dieser  Forderung  sind  die 
Heiligenbeiler  bisher  nioht  durchgedrungen.  Daß  sie  Vorteil 
von  der  Bahn  haben  würden,  ist  ganz  zweifellos.  Heiligenbeil 
könnte  auf  diese  Art  und  Weise  ein  nicht  mehr  zu  übersehender 
Konkurrent  Königsbergs  und  ein  sehr  zu  fürchtender  Brauns- 
bergs   werden.     Diese  Gründe    mögen    wohl    dafür   bestimmend 


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496  Der  Einfluß  der  oetpreußi sehen  Eisenbahnen  etc. 

gewesen  sein,  daß  die  Regierung  „zurzeit"  dem  Projekte  noch 
nicht  näher  getreten  ist.  Die  Heiligenbeiler  haben  sich  vor  der 
Hand  ihren  alten  Platz  unter  den  Städten  der  Provinz  erkämpft; 
er  ist  ihnen  durch  ihre  Verkehrsmittel:  Bahn,  Chaussee  und 
Wasserstraße,  insgemein  gesichert.  Sie  können  es  ruhig  ab- 
warten, bis  die  neue  gewünschte  Bahn  ihnen  eine  sichere 
Förderung  bringen  wird.  (of.  hierüber  Verwaltungsberichte  des 
Kreises  Heiligenbeil  1882—1900.) 

Zur  selben  Zeit  aber,  in  der  der  Heiligenbeiler  Hafen  zur 
Bedeutung  gelangte,  half  der  zuerst  geschädigten  Stadt  die 
Eisenbahn  ihren  Platz  behaupten  durch  einen  Aufschwung  der 
Industrie.  Sie  steht  im  engsten  Zusammenhang  mit  der  Land- 
wirtschaft und  hob  sich  wie  diese  unter  den  Einflüssen  der 
Eisenbahn.  Eine  Meierei  und  eine  Anstalt  zur  Verwertung  des 
Obstes  wurden  gegründet,  die  schon  vorhandene  Amtsmühle, 
noch  aus  der  Ordenszeit,  wurde  mit  allen  modernen  Einrichtungen 
versehen  und  trieb  einen  ausgedehnten  Mehlhandel.  Aus  einer 
kleinen  Schmiede  entwickelte  sich  durch  die  Intelligenz  und 
Tätigkeit  ihres  Inhabers  Rudolph  Wermke  die  weithin  berühmte, 
einen  ganzen  Häuserkomplex  umfassende  Fabrik  landwirtschaft- 
licher Maschinen,  besonders  aber  von  Pflügen.  Es  ist  kein 
Zufall,  daß  wir  sie  dicht  am  Bahnhofe  bei  der  Vorüberfahrt  liegen 
sehen.  Erst  durch  die  Eisenbahnverbindung  konnte  sie  groß  und 
berühmt  werden.  Schon  1886  genoß  sie  europäischen  Ruf,  be- 
schäftigte ca.  70  Arbeiter  und  setzte  in  fast  allen  preußischen 
Provinzen  und  auch  nach  Holland,  Bußland,  Ungarn,  Rumänien 
und  Ägypten  ab.  Selbst  nach  Nord-Amerika  ging  damals  ein 
Probeauftrag  und  die  deutsche  Kolonie  Kamerun  war  der  am 
weitesten  entfernte  Kunde  der  Heiligenbeiler  Fabrik.  (Jahres- 
bericht der  Gewerbekammer  1886 — 87  p.  104.) 

Die  anderen  industriellen  Unternehmungen:  Eisengießerei, 
schon  erwähnte  Dampfschneidemühle  und  Brauerei  vervollständigen 
das  Bild  dieses  blühenden  Industrieaufschwunges. 

Durch  Anspannung  aller  seiner  Kräfte  hat  sich  das  bescheidene 
Städtchen   zwischen  Braunsberg  und  Königsberg  halten  können. 


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Von  W.  Feydt.  497 

Die  Stadt  ist,  wenn  auch  langsam,  gewachsen.  Sie  hat  sich  nicht 
über  ihre  Zeit  erhoben,  aber  sie  hat  die  Fortschritte  derselben 
mitgemacht  „Der  Wohlstand  nahm  zu,  ihre  äußere  Erscheinung 
wurde  stattlicher.  Zahlreiche  öffentliche  Gebäude  und  Anstalten 
entstanden.44     (Eysenbl.  1.  c.  p.  103.) 


Wenn  wir  vom  verkehrsgeographischen  Standpunkte  aus 
Städte  nur  an  solchen  Stellen  für  berechtigt  halten,  an  denen 
aus  diesen  oder  jenen  Gründen  ein  selbständiges  gewerbliches 
Leben  sich  entwickeln  konnte,  müssen  wir  die  dauernd  stagnieren- 
den Städte  als  große  Dörfer  mit  der  rechtlichen  Stellung  als 
Städte  bezeichnen.  Keinem  anderen  Umstände  verdanken  sie 
ihre  Existenz,  als  dem  Hange  der  landbebauenden  Bevölkerung, 
Mittelpunkte  zur  Befriedigung  ihrer  Bedürfnisse  zu  haben.  Ein 
paar  Händler,  ein  paar  Kaufleute  und  eine  Hand  voll  Hand- 
werker machen  das  Städtchen  aus.  Sie  alle  aber  können  vom 
Geschäftsverdienst  allein  nicht  leben,  sondern  betreiben  zum 
großen  Teil  selbst  Landwirtschaft.  Die  Stadt  unterscheidet  sich 
in  keinem  wesentlichen  Merkmale  von  einem  bedeutenden  Dorfe. 
Daß  sie  keine  eigentliche  Verkehrslage  haben,  beweist  erst  die 
Zeit,  in  der  die  Verkehrswege  ausgebaut  werden.  Sie  liegen  alle 
ausnahmslos  nicht  an  Hauptverkehrsstraßen  des  19.  Jahrhunderts. 
Wo  das  dennoch  der  Fall  ist,  haben  wir  es  mit  künstlichen  Ver- 
hältnissen zu  tun.  Sie  sind  alle  Binnenlandstädte,  an  keinen 
schiffbaren  Flüssen  gelegen,  und  selbst  im  Seengebiet  Masurens 
durch  abseitige  Lage  vom  größeren  Verkehr  ausgeschlossen. 
Darum  haben  auch  die  Eisenbahnen  sie  zuerst  gemieden,  und  wenn 
sie  sie,  die  eine  früher,  die  andere  später,  dennoch  erreichten,  so 
dankte  es  die  Stadt  nicht  ihrer  Lage,  sondern  es  war  gleichsam 
ein  Zufall,  daß  sie  in  der  gerade  eingeschlagenen  Verkehrsrichtung 
lagen.  Dem  Lande  ringsum  verdankten  sie  ihre  Existenz,  der  Not- 
wendigkeit seiner  allmählichen  Aufscbließung  auch  ihre  Chausseen 
und  Eisenbahnen. 

Darum  sind  sie  auch  immer  geblieben,  was  sie  waren.  Sie 
konnten  nicht  geschädigt,  aber  auch  nicht  gefördert  werden ,  und 


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498  £*er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

selbst  da,  wo  die  Kunst  mit  allen  Kräften  der  Natur  entgegen 
arbeitete,  hat  auch  sie  einen  relativen  Aufschwung  nicht  hervor- 
zubringen vermocht. 

Als  Beleg  hierfür  diene: 

Gumbinnen. 

Ohne  den  Königswillen  Friedrich  Wilhelm  I.  wäre  Gum- 
binnen heute  noch  ein  wohlhabendes  Dorf.  Eine  städtische  Sie- 
delung  war  durch  die  Verkehrsverhältnisse  jedenfalls  nicht  be- 
dingt. .  Wer  nordwärts  der  Tzullkinner  Forst,  wer  südwärts  der 
Plickener  Berge  wohnte,  mußte  Insterburg  als  natürlichen  Sammel- 
platz allen  Verkehrs  dieser  litauischen  Gegenden  auf  geradem 
bequemen  Wege  aufsuchen.  Bei  einer  Stadt  Gumbinnen  war 
eine  Umgehung  der  Forst  und  eine  Umgehung  oder  Über- 
kletterung der  Höhen  notwendig.  Trotzdem  war  die  Stelle, 
wenn  man  hier  überhaupt  eine  Stadt  gründen  wollte,  nicht 
schlecht  gewählt.  Der  Umkreis  von  der  Forst  bis  zu  den  Höhen 
mußte  ihr  als  natürliches  Gebiet  zufallen,  zumal  größere  Moore 
auch  eine  Art  Ostgrenze  schufen.  Die  Lage  Gumbinnens  am 
Zusammenfluß  der  Pissa  und  Rom  inte  kann  verkehrsgeographisch 
auch  nicht  verwertet  werden,  da  jede  Schiffahrt  unter-  und  ober- 
halb der  Stadt  ausgeschlossen  ist  Siedelungskundlich  beweist 
sie  nur,  daß  auch  Gumbinnen  wie  alle  anderen  Dörfer  das 
Wasser  aufgesucht  hat.  Wäre  Gumbinnen  nicht  Stadt,  dann 
hätten  wir  eine  vorzügliche  Ostbahnstation  Stannaitschen,  mit 
einer  Zufuhrchaussee  von  Norden  (Gumbinnen-Tilsiter  Straße) 
und  einer  von  Süden  (Gumbinnen-Goldaper  Straße),  während  den 
übrigen  Chausseen  die  beabsichtigte  künstliche  Hinleitung  nach 
der  Hauptstadt  des  Begierungsbezirkes  zu  deutlich  anzumerken 
ist,  als  daß  ihr  Entstehen  auch  in  dem  fingierten  Falle  anzu- 
nehmen wäre. 

Gehen  wir  nun  aber  über  den  engen  räumlichen  Horizont 
von  Gumbinnen  etwas  weiter  hinaus,  so  ergibt  sich  seine  un- 
günstige Verkehrslage  aus  dem   Umstände,    daß    diese  Stadt  an 


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Von  W.  Feydt.  499 

einer  Stelle  der  Provinz  liegt,  die  weder  recht  zum  Grenzgebiet 
gehört,  nooh  auch  dem  Binnenland  recht  eigentlich  angehört. 
Gumbinnen  hat  keine  Bandlage.  Der  Einfluß  des  Grenzsaumes 
reicht  nur  bis  Stallupönen,  das  der  natürliche  Knotenpunkt  für 
die  letzten  Nord-Süd-Straßen  parallel  der  Grenzen  ist  und  als 
Grenzrandstadt  infolgedessen  auch  Eisenbahnknotenpunkt  ge- 
worden ist.  Der  Einfluß  des  Binnenlandes  mit  seiner  Binnen- 
wasserstraße reicht  nur  bis  Insterburg,  das  in  dieser  Beziehung 
Bandstadt  ist  und  der  natürliche  Anfangspunkt  der  von  hier  an 
schiffbaren  und  einheitlichen  Pregelstraße. 

Gumbinnen  liegt  also  zwischen  beiden  Städten  gleichsam 
in  einer  toten,  neutralen  Zone.  Darum  ist  es  auch  trotz  aller 
künstlichen  Belebungsversuche  tot  geblieben.  Passarge  nennt  es 
„eine  monotone  und  unbelebte  Stadt".  Darum  konnten  wir  es 
auch  in  der  Klassifikation  der  Städte  nirgends  recht  unterbringen. 
Aber  gerade  dieser  Umstand  mag  dem  Wirtschaftspolitiker  die 
Stadt  für  den  Verwaltungsmittelpunkt  der  östlichen  Provinzhälfte 
günstig  erscheinen  lassen,  von  geographischem  Standpunkte  kann 
man  nur  der  Ansicht  sein,  daß  Insterburg  am  natürlichen  Knoten- 
punkt der  litauischen  Hauptstraßen  von  allen  Sichtungen  her 
der  prädestinierte  Ort  für  den  Sitz  der  Regierung  war. 

Und  alles,  was  wir  von  der  Verkehrslage  Gumbinnens  im 
allgemeinen  gesagt  haben,  bestätigen  die  Eisenbahnen  vollauf, 
ihrer  Natur  nach  konnten  sie  in  ihrem  Verlaufe  auch  auf  die 
Begierungsstadt  nicht  die  Bücksicht  nehmen,  wie  der  Landwege- 
bau. Sie  haben  sich  ein  viel  freieres,  ungezwungeneres  Verhält- 
nis zu  der  Stadt  bis  auf  den  heutigen  Tag  gewahrt. .  Ein  Blick 
auf  die  Verkehrskarte  zeigt,  daß  die  Eydtkuhner  Strecke  von 
Königsberg  abgesehen,  überall  wo  Städte  liegen,  Abzweigungen 
von  Eisenbahnen  erhielt  (bei  Wehlau  tritt  der  schiffbare  Unter- 
lauf der  Alle  an  die  Stelle  einer  Bahn),  nur  nicht  bei  Gum- 
binnen. Noch  heute  muß  man,  um  nach  der  Begierungsstadt 
zu  gelangen,  von  Norden  wie  von  Süden  her  große  Umwege 
über  Insterburg  resp.  über  Stallupönen  maohen.  Dieses  unge- 
heuere   Viereck,    dessen    Seiten  die  Strecken  Tilsit-Stallupönen, 


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500  ^er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Stallupönen-Goldap,  Goldap- Insterburg,  Insterburg-Tilsit  bilden, 
ist  der  letzte  und  am  meisten  bestätigende  Beweis  för  unsere 
Behauptung  von  der  ungünstigen  Verkehrslage  dieses  künstlichen 
Stadtproduktes. 

Daran  ändert  es  auch  nichts,  daß  der  Bau  einer  Neben- 
bahn Gumbinnen  -  Szittkehmen  beschlossene  Sache  ist.  Eine 
natürliche  Linie  können  wir  in  diesem  Projekt  nicht  erblicken, 
nach  einer  derartigen  Stichbahn  können  wir  uns  in"' der  ganzen 
Provinz  vergebens  umsehen,  und  die  Szittkehmer  gehören  mit 
ihren  Verkebrsinteressen  viel  eher  nach  Stallupönen  oder  nach 
ihrer  Kreisstadt  Goldap,  von  der  sie  allerdings  durch  die  bahnen- 
feindliche Forst  abgeschnitten  sind.  Jedenfalls  wäre  verkehrs- 
geogfaphiscb  die  Strecke  Pillupönen-Szittkehmen-Goldap  natür- 
licher als  die  Bahn  Szittkehmen-Gumbinnen. 

Und  nicht  anders  steht  es  mit  der  zweiten  Bahn,  die  Gam- 
binnen erhalten  soll:  Der  Strecke  Angerburg — Darkehmen — 
Gumbinnen.  Wiederum  beweist  ein  Blick  auf  die  Karte,  daß 
nach  Ausbau  der  Linie  Johannisburg— Lötzen — Angerburg  das 
Stück  Angerburg — Insterburg  und  nicht  Angerburg — Gumbinnen 
das  natürliche  Schlußglied  einer  geraden  Bahnlinie  vom  Ende 
Masurens  bis  Tilsit  hinauf  bildet. 

Auch  da  maoht  sich  das  natürliche  Verhältnis  von  Inster- 
burgs  günstiger  Verkehrslage  für  jede  Richtung  und  Gumbinnen« 
ungünstiger  wiederum  fühlbar. 

Was  schließlich  die  Ostbahn  anlangt,  an  deren  Strecke 
Gumbinnen  liegt,  so  ist  schon  vorher  durch  den  Hinweis  auf 
eine  Station  „Stannaitschen"  auf  den  kleinen  südlichen  Umweg 
hingedeutet  worden,  den  die  Bahn  von  Insterburg  nach  Stallupönen 
macht.  Der  kürzere  Weg  hätte  durchweg  näher  an  der  Chaussee 
entlang  geführt,  ohne  größere  Terrainschwierigkeiten  zu  bereiten. 
Südlich  von  Stannaitschen  hätte  der  Pissafluß  einmal  Überschritten 
werden  müssen,  dann  wäre  in  dem  durchweg  flachen  Gelände 
immer  an  der  Chaussee  entlang  die  Strecke  gerade  auf  Stallupönen 
zugeeilt,  während  sie  jetzt  Rominte  und  Pissa  gesondert  zu  über- 
schreiten hat.     Gumbinnen    ist    in   der   einschlägigen  Literatur, 


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Von  W.  Feydt.  501 

soweit  sich  Urteile  finden,  nicht  anders  beurteilt  worden.  Passarges 
Meinung  haben  wir  schon  angegeben,  und  er  kannte  Land  und 
Leute  seiner  Heimat.  Ein  Urteil  aus  den  achtziger  Jahren  lautet: 
„Gumbinnen  ist  allerdings,  von  den  Markttagen  abgesehen,  ein 
totes  Nest.  Der  längere  Aufenthalt  ist  ein  trister  und  einförmiger, 
und  die  Stadt  ist  ohne  Zweifel  die  letzte  unter  den  hervorragen- 
den Städten  der  Provinz."     (Ostpr.  Skizzen,  Grenzboten  1885.) 

Daß  Gumbinnen  ebensogut  wie  Insterburg  Knotenpunkt 
aller  jener  Linien,  die  dort  kreuzen,  hätte  werden  können,  muß 
nach  dem  Auseinandergesetzten  freilich  als  äußerst  kurzsichtig 
und  falsch  zurückgewiesen  werden.  Sehr  zutreffend  sagt  Bonk: 
„Die  Stadt  ist  auf  künstlichem  Wege  ins  Dasein  gerufen,  durch 
künstliche  Mittel  erhalten  und  auf  künstliche  Weise  zur  Blüte 
gelangt,  indem  es  100  Jahre  nach  seiner  1724  erfolgten  Gründung 
zur  Begierungsstadt  gemacht  wurde" ;  und  ergänzend  sagt  Zweck: 
„Daß  die  Stadt  trotz  der  Nähe  von  Insterburg  eine  ansehnliche 
Größe  erlangte,  hat  sie  nur  dem  Begierungssitze  zu  verdanken". 
(Zweck  Lit.  p.  273  ff.)  Man  muß  berücksichtigen,  daß  sie  1816 
noch  mehr  Einwohner  hatte  als  Insterburg  und  damit  die  vierte 
Stadt  der  Provinz  war. 


1816 

1843 

1871 

1900 

Gumbinnen: 

5662 

6678 

9056 

14000 

Insterburg: 

5393 

9544 

14439 

27787 

Diese  Zahlen  reden  deutlich  genug,  wie  wenig  sich  die 
natürlichen  Verhältnisse  auf  die  Dauer  haben  verschleiern  lassen, 
noch  viel  markanter  aber  sind  die  Bangziffern.  In  diesem  Jahr- 
hundert des  ungeheuren  wirtschaftlichen  Aufschwunges, 
wo  jede  natürliche  Kraft  sich  tausendfältig  regt  und 
durch  die  modernen  Verkehrsmittel  tausendfältig  aus- 
genutzt wird,  bleibt  Gumbinnen  unentwegt  auf  dem- 
selben Platze  stehen.  Der  Aufschwung  des  Begierungs- 
bezirks muß  ja  freilioh  in  gewissem  Sinne  auch  auf  die  Begie- 
rungsstadt zurückfallen:  Ihr  Beamtenpersonal;  ihre  Garnison 
wurden  größer,   sie   wächst  an,    aber  ihr  Bang  in    der  Provinz 


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502 


Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 


bleibt  derselbe  und  sie,    die  früher   zu  den   allerersten   Städten 
zählte,  kann  jetzt  keine  einzige  überflügeln. 


1843 

1846 

1849 

Einwohner: 

6678 

6580 

6794 

Rangziffer: 

6 

6 

6 

1852 

1855 

1858 

Einwohner: 

7070 

7433 

7760 

Bangziffer: 

6 

6 

6 

1861 

1864 

1867 

Einwohner: 

8006 

8517 

8779 

Bangziffer: 

6 

6 

6 

1871 

1875 

1885 

Einwohner: 

9114 

9530 

10453 

Rangziffer: 

6 

6 

7 

1890 

1895 

1900 

Einwohner: 

12207 

13545 

14000 

Bangziffer: 

6  (7) 

6  (7) 

6  (7) 

Nur  weil  die  Regierungsstadt  mit  dem  Regierungsbezirk  im 
Aufschwung  mitging,  ist  Gumbinnen  größer  geworden.  Nur 
unter  diesem  Gesichtspunkte  ist  daher  schließlich  auch  der  relative 
Aufschwung  zu  betrachten,  den  Handel  und  Industrie  in  der 
stagnierenden  Stadt  genommen  haben.  Dem  Kleinhandel  gaben 
die  Menschen,  die  durch  die  Regierung  hierher  geschickt  wurden, 
den  Rückhalt,  dem  Großhandel  und  der  Industrie  die  Verkehrs- 
wege, die  die  Regieiung  über  Gumbinnen  legte,  um  die  Regie- 
rungsstadt wenigstens  einigermaßen  mit  der  fortschreitenden 
Landeskultur  in  Einklang  zu  bringen.  Erst  das  Chausseenbündel, 
das  heute  in  Gumbinnen  zusammenläuft,  macht  seine  Märkte 
groß,  macht  die  Stadt  zum  Wohnsitz  von  (1901)  14  Viehhändlern, 
16  Getreidehändlern,  8  Bau-  und  Nutzholzhandlungen,  4  Lumpen- 
und  Rohproduktenhändlern,  4  Handlungen  mit  Mehlfabrikaten, 
6  Speditions-  und  Kommissionsgeschäften,  zum  geeigneten  Orte 
für  einen  sehr  besuchten  jährlichen  Füllenmarkt. 


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Von  W.  Feydt.  503 

Und  nur  der  Umstand,  daß  die  Eisenbahnstation  Gumbinnen 
zugleich  auch  Stadt  ist,  bat  27  allerdings  vorwiegend  kleineren 
industriellen  Anstalten  zusammen  mit  jenem  durch  die  zahlreichen 
Chausseen  angeschlossenen,  fruchtbaren  Hinterlande  die  Existenz- 
bedingungen gegeben.  Bedeutend  ist  nur  die  Möbel-  und  Mühlen- 
Industrie.  Trotz  alledem  ist  Gumbinnen  keine  Handels-  und 
keine  Industriestadt.  Kein  frisches  gewerbliches  Leben  pulsiert 
in  seinen  Straßen.  Der  Bahnhof  liegt  auch  heute  noch  abseits 
und  verlassen.  Er  hat  seit  der  feierlichen  Eröffnung  der  Eydt- 
kuhner  Strecke  keine  Veränderung  erfahren.  Die  Stadt  fühlt 
sich  als  Beamtenstadt  und  kümmert  sich  nicht  um  die  Vorteile, 
die  die  Gewerbetreibenden  ihm  verdanken.  Daher  hat  sie  sich 
am  Auffälligsten  in  den  Richtungen  ausgedehnt,  die  dem  Bahn- 
hofe fern  oder  gar  entgegengesetzt  liegen,  z.  B.  die  Tilsiter-, 
Stallupöner-  und  Insterburger-Straße.  Auch  Allenstein  ist  eine 
Beamtenstadt,  aber  es  hat  sich  an  den  Bahnhof  in  voller  Er- 
kenntnis, daß  es  ihm  alles  verdankt,  aufs  Engste  angeschlossen. 
Gerade  die  feine  Welt,  auch  die,  die  mit  dem  Bahnhofe  direkt 
nichts  zu  tun  hat,  zieht  sich  nach  ihm  hin:  in  Braunsberg  blieb 
sie  unberührt  von  ihm,  in  kühler  Reserve;  in  Gumbinnen  wendet 
sie  ihm  den  Rücken.  Die  Stadt  will  als  Regierungsort  gesucht 
werden,  nicht  suchen. 


Anhang. 

Nachdem  wir  den  Einfluß  der  Eisenbahnen  auf  die  ost- 
preußischen Städte  einer  eingehenden  Betrachtung  unterzogen 
haben,  müßte  bei  einer  systematischen  Betrachtung  des  Einflusses 
der  Bahnen  auf  die  Siedelungen  überhaupt  ein  Abschnitt  über 
die  Stationen,  d.  h.  über  die  Ortschaften,  denen  die  Stationen 
ihren  Namen  verdanken,  folgen,  und  ihm  hätte  als  Abschluß  eine 
Erforschung  des  Eisenbahneinflusses  auf  die  ländlichen  Siedelungen 
insgemein,  d.  h.  auf  das  ganze  Land  zu  folgen. 

Wir  müssen  uns,  da  es  sich  hier  nur  um  einen  Anhang 
handeln    sollte,    auf    einen    kleinen    Teil    dieser    Abschnitte    be- 

Altpr.  Monatsschrift  Bd.  XLU.    Hft.  7  n.  8.  33 


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504  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

schränken,  und  als  Proben  nur  drei  Orte  behandeln,  die  in  einer 
besonderen  Hinsicht  sich  auszeichnen  und  daher  durch  einen  ganz 
besondern  Einfluß  der  Eisenbahnen  ausgezeichnet  sind.  Es  sind 
dieses  eine  von  den  Stationen,  die  zu  Ausflugszwecken  benutzt 
werden,  Löwenhagen,  ein  Knotenpunkt:  Maldeuten  und  die 
wichtigste  Grenzstation  Eydtkuhnen. 

1.  Löwenhagen. 

Die  Umgegend  des  Kirchdörfchens  Löwenhagen  hat  schon 
früh  die  Aufmerksamkeit  der  Königsberger  auf  sich  gelenkt. 
Aber  bevor  die  Ostbahn  hier  vorüberführte,  war  an  einen  intimeren 
Zusammenhang  von  Dorf  und  Stadt  nicht  zu  denken.  Zu  Fuß 
ließ  sich  der  Ort  wegen  seiner  Entfernung  von  ca.  drei  Meilen 
doch  nicht  bequem  genug  erreichen,  auch  nachdem  die  Chaussee 
über  Neuendorf  und  Steinbeck  gebaut  worden  war,  so  blieb  man 
auf  die  Dampferfahrt  auf  dem  Pregel  angewiesen,  an  dessen  süd- 
lichem Talrande  das  Dörfchen  lag.  Aber  vom  Fluß  war  auch 
noch  ein  beschwerlicher  und  oft  gar  nicht  passierbarer  Weg  zurück- 
zulegen. Lange  Monate  stand  das  ganze  Gebiet  bis  zu  dem 
hohen^Talrand  unter  "Wasser  und  selbst  im  Sommer  trat  bei 
starkem  Rückstau  das  Wasser  aus  den  Wiesengräben  über  den 
Weg  und  machte  ihn  für  Fußgänger  unpassierbar.  Ein  Ausflugs- 
ort konnte  Löwenhagen  erst  mit  der  Ostbahn  werden.  Freilich,  die 
romantische  Lage  des  Dörfchens  auf  unebenem  Terrain,  an  einem 
Bächlein,  mit  teichartigen  Anstauungen  da,  wo  die  westlichen 
Ausläufer  des  Frisehing- Waldes  bis  dicht  an  das  Pregeltal  heran- 
treten, wurde  für  die  Lage  der  Station  insofern  verhängnisvoll, 
als  ein  bequemer  Platz  für  das  Bahnhofsgebäude  sich  erst  einige 
hundert  Meter  hinter  dem  Dorf  fand.  Dem  Dörfchen  ist  daraus 
die  Aufgabe  erwachsen,  sich  nach  dem  Bahnhof  zu  strecken  und 
an  diesem  konnte  sich  infolge  der  Entfernung  eine  kleine  selbst- 
ständige Siedelung  entwickeln. 

Bevor  die  Eydtkuhner  Bahn  eröffnet  wurde,  nahmen  viele 
Königsberger,  die  die  Bahn  als  etwas  Neues  reizte,  und  die  den 


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Von  W.  Feydt.  505 

allmählich  bekannter  werdenden  reizenden  Ort  gerne  auf  eine 
bequeme  Weise  kennen  lernen  wollten,  die  Gelegenheit  wahr, 
um  unerlaubter  Weise  die  Probezüge  zu  besteigen  und  ein  Ende 
mit  der  Bahn  mitzufahren.  Weithin  war  im  Publikum  die  An- 
schauung verbreitet,  daß  das  statthaft  sei.  Schließlich  machte  die 
Bahn  diesem  Unfug  ein  Ende.  Die  Leutchen  mußten  ihren 
Leichtsinn  mit  einer  unfreiwilligen  Fußwanderung  von  Löwen- 
hagen nach  Königsberg  büßen.  Sie  mögen  ihien  Ärger  bei  den 
Naturschönheiten  vergessen  haben,  die  die  Umgegend  von  Schloß 
Friedrichstein,  Löwenhagen,  Ottenhagen  und  Hohenhagen  in 
reicher  Abwechselung  bot  und  daheim  davon  erzählt  haben.  Zur 
selben  Zeit  erhob  sich  auch  in  der  Presse  eine  Stimme,  die  die 
dortigen  Naturgenüsse  „überwältigend44  nannte  (Pr.  lit.  Zeitung 
Nr.  120,  den  24.  5.  1860),  und  der  Bahn  Einführung  wohlfeiler 
Tagesbillets  empfahl.  Die  Prophezeihung,  daß  die  Königsberger 
während  des  Sommers  Löwenhagen  bevorzugen  und  gerne  be- 
suchen würden,  erfüllte  sich,  und  mit  der  Zeit  ist  aus  dem 
Dörfchen  ein  richtiger  Sommerfrischlerort  geworden.  Die  Bahn 
hat  die  billigen  Tagesbillets  eingeführt,  und  sie  läßt  auch  an  den 
Sommersonntagen  einen  Extrazug  nach  Löwenhagen  abgehen. 

Das  Bahnhofsgebäude,  zunäcbt  nur  provisorisch  errichtet, 
und  erst  1867  im  Erdgeschoß  massiv  hergestellt  und  durch  den 
Anbau  für  ein  Damenzimmer  vergrößert,  genügte  schon  in  den 
90  er  Jahren  nicht  mehr  den  Anforderungen  des  Verkehrs.  Löwen- 
hagen war  über  die  Bedeutung  einer  gewöhnlichen  Station  hinaus- 
gewachsen. Allein  erst  die  Einführung  der  Gerdauer  Strecke, 
die  hinter  der  Station  abbiegt,  brachte  den  Umbau  und  die  not- 
wendige Erweiterung  des  Stationsgebäudes.  Dicht  am  Bahnhof 
steht,  ebenfalls  neuerer  Zeit,  das  schmucke  Postgebäude;  An- 
lagen schließen  sich  an  das  Empfangsgebäude  und  ein  Kurhaus 
liegt  an  der  Chaussee  nach  Hohenhagen  zu,  schon  durch  seinen 
Namen  den  Sommerverkehr  der  Städter  verratend.  Außerdem 
liegen  näher  oder  weiter  vom  Bahnhof  entfernt  eine  Anzahl  Ge- 
höfte, während  neuerdings  mehrere  Häuser  an  der  Chausse  die 
Verbindung  mit  dem  Kirchdorf e  herstellen  helfen. 

33* 


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506  Der  Einfluß  der  oetpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Die  Einwohnerzahl  des  Dorfes  hat  sioh  in  den  letzten  sechzig 
Jahren  ganz  beträchtlich  vergrößert. 


1846 
1867 
1871 
1885 
1895 


ca.  187  Einwohner 

*  268 

*  365 

*  345 

*  371 


Dabei  hat  Löwenhagen  als  Station  beträchtlich  dadurch 
verloren,  daß  Gutenfeld  zwischen  Königsberg  und  Löwenhagen 
eingeschoben  wurde.  Trotzdem  hat  die  Station  bereits  vor  der 
Eröffnung  der  Gerdauer  Strecke  die  Höchstzahl  der  abfahrenden 
Personen  von  16718  im  Jahre  1877  überschritten  und  1900  und 
1901  über  20000  abgehende  Personen  gehabt;  und  trotz  Ver- 
minderung des  tributpflichtigen  Landstückes  hat  die  Zahl  der 
ankommenden  Güter,  d.  h.  also  der  Konsum  der  Löwenhagener 
Gegend  in  der  letzten  Zeit  die  Höhe  selbst  der  besten  früheren 
Jahre  überschritten,  während  die  abkommenden  Güter  denselben 
Durchschnitt  erreicht  haben. 

Es  kamen  an:  Es  gingen  ab: 

1861:  408  t  1861:  850  t 

1871:  1501  <  1871:  1192  * 

1880:  1095  <  1880:  2747  * 

1890:  1514  *  1890:  1117  * 

1901:  2973  *  1901:  1833  * 

2.  Haldeuten. 

Welch'  ein  Unterschied  zwischen  Kobbelbude  und  Gülden- 
boden einer-  und  Maldeuten  andererseits.  Dort  im  Grunde  ge- 
nommen alles  klein,  obwohl  in  Güldenboden  schon  etwas  groß- 
zügiger, hier  alles  weit,  auf  das  Große  angelegt.  Man  merkts 
gleich,  wenn  man  von  Güldenboden  her  ankommt.  Die  Strecke 
führt  am  Ufer  des  Samrodt-Sees  entlang,  allmählich  verbreitert 
sich  das  Planum.     Wir  sind  am  Bahnhofe  angelangt.     Eine  sehr 


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Von  W.  Feydt  507 

große  Anzahl  Gleise  läuft  hier  neben  einander,  und  Leben  herrscht 
zu  jeder  Zeit. 

Die  Siedelung  Maldeuten  zerfällt  in  drei  Abschnitte,  in  den 
Bahnhof  und  was  unmittelbar  zum  Bahnhofe  gehört,  in  die  ge- 
werblichen Anlagen  auf  der  Bahnhofseite,  in  die  Siedelungen 
jenseits  der  Gleise  am  Ufer  des  Samrodt-Sees  und  zu  beiden 
Seiten  des  oberländischen  Kanals:  Gewerbliche  Anlagen  und  Gut. 

Der  letzte  Teil  ist  der  älteste,  der  erste  der  jüngste,  so  daß 
die  Siedelung  geradezu   nach    dem  Bahnhofe  hingewachsen    ist. 

Dieser  selbst  ist  seiner  Bedeutung  entsprechend  recht  stattlich. 
Das  Stationsgebäude  selbst  ist  ganz  neu  aufgeführt,  erst  seit 
kurzer  Zeit  im  Gebrauch,  im  Rohziegelbau  mit  dunkelrotem 
Ziegeldach  gedeckt,  im  Schweizerstil  gebaut,  mehr  einer  kleinen 
Villa  gleichend,  innen  mit  allem  Komfort  der  modernen  Zeit 
ausgestattet  und  Äußerst  schmuck.  Die  ganze  Bahnhofsanlage 
ist  weitläufig.  Außer  den  gewöhnlichen  Baulichkeiten  wie  Vieh- 
rampe und  Güterschuppen,  die  sich  hier  nur  durch  größere  Di- 
mensionen auszeiohen,  bemerken  wir  einen  Wasserturm  und  ein 
Maschinenhaus.  Neben  dem  jetzigen  Stationsgebäude  steht  ein 
zweites  in  gelben  Ziegeln  aufgeführtes,  also  älteres  Gebäude,  das 
jetzt  zur  Wohnung  des  Vorstehers  dient,  ehedem  vielleicht  das 
Stationsgebäude  gewesen  ist.  Aus  den  Fenstern  des  Wartesaals 
sieht  man  über  die  Gleise  und  den  See  hinweg,  der  im  Hinter- 
grunde vom  Waldkranze  umgeben  ist.  Ein  dumpfes  Geräusch 
ist  hörbar.  Ein  Güterzug  fährt  ein,  eine  endlose  Wagenreihe. 
Die  hinteren  Wagen  bleiben  gerade  vor  unserem  Fenster  stehen. 
Sie  enthalten  mächtige  Holzstämme,  Biesen  von  gewaltiger  Länge. 
Der  Bahnhof  führt  uns  ganz  von  selbst  zum  Treiben  des  Erwerbs- 
lebens am  Orte.  Hinter  dem  Bahnhofsgebäude  zieht  sich  die 
Verbindungschaussee  entlang,  parallel  mit  den  Gleisen  laufend. 
Auf  ihrer  linken  Seite,  vom  Bahnhof  aus  gesehen,  steigt  das 
Terrain  sofort  empor,  stellenweise  ganz  bedeutend.  Wir  gehen 
die  Chaussee  entlang  und  glauben  in  einem  Dorfe  zu  sein. 
Siedelung  reiht  sich  an  Siedelung.  Zuerst  die  sauberen  Häuser 
der   Eisenbahnbeamten,    dann   das    stattliche   Postgebäude,    und 


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508  Der  Einfluß  der  ostpreußtachen  Eisenbahnen  etc. 

etwas  weiter,  hochragend,  im  modernen  Villenstil  gebaut  ein  Ge- 
bäude, das  durch  seine  Lage  die  ganze  Siedelung  beherrscht.  Die 
Wohnung  des  Direktors  der  Hildebrandtschen  industriellen  An- 
lagen. Dahinter  aber  auf  der  Höhe  treffen  wir  eine  nahezu 
städtische  Ansiedelung,  natürlich  im  kleinsten  Rahmen,  aber 
richtige  Straßenzüge.  Eine  Arbeiterkolonie.  Ein  Haus  steht 
neben  dem  andern,  die  meisten  sind  erst  ganz  neuen  Datums; 
die  neuesten  Einzelbauten,  sog.  Familienhäuser;  die  älteren  im 
barackenartigen  Kasernentypus.  Das  ganze  Bild  wird  abgeschlossen 
von  dem  Komplex  einer  gewaltigen  Ziegelei,  deren  Schornstein 
hoch  auf  dem  Berge  emporragt.  Von  ihr  herab  führt  auf  ge- 
neigter Ebene  eine  Lowriebabn  zum  Planum  der  Staatsbahn  über 
die  Chaussee  hinüber.  Diese  Seite  der  Chaussee  ist  bald  hinter 
dem  letzten  Bahngebäude  frei  von  Häusern,  denn  hier  befinden 
sich  die  großen  Stapelplätze  für  das  Holz  und  die  Ziegel,  die 
per  Bahn  zum  Versand  kommen.  Anfangs  März  liegen  hier 
tausende  von  Brettern  zur  Abfuhr  bereit,  Stapel  an  Stapel.  War 
ein  Stoß  in  die  Waggons  verladen,  so  traf  auch  bereits  neuer 
Nachsohub  ein. 

Nach  einem  Wege  von  etwa  zehn  Minuten  teilt  sich  die 
Chaussee.  Das  Gelände  steigt  hier  hoch  an.  Der  eine  Arm  des 
Weges  links  geht  nach  Freiwalde,  der  rechts  nach  dem  Bitter- 
gute Maldeuten.  Dieser  wird  von  der  Eisenbahnlinie  Maldeuten- 
Mohrungen  gekreuzt,  die  sich,  gerade  vom  Bahnhof  weitergehend, 
an  dieser  Stelle  durch  die  letzten  Ausläufer  der  Anhöhe  durch- 
gegraben hat  und  auch  im  weiteren  Verlaufe  im  tiefen,  einge- 
furchten Erdtale  dahinzieht.  Charakteristisch  ist  z.  B.,  daß  hier, 
wie  auch  auf  der  andern  Seite  die  Signalarme  für  das  Einlaufen 
der  Züge  nicht  am  Bahnkörper,  sondern  oben  auf  den  hohen 
Feldrändern  stehen. 

Wir  folgen  der  zuerst  gerade  verlaufenden  Chaussee  und 
haben  zur  linken  Hand  hügeliges  Ackerland,  zur  rechten  aber 
ununterbrochene  Siedelungen.  Hier  tritt  der  Samrodt-See  an  die 
Chaussee  heran.  Der  Zwischenraum  vom  Ufer  bis  zur  Straße  ist 
ausgefüllt  von  den  großartigen  Industrieanlagen  des  Hildebrandt- 


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Von  W.  Feydt.  509 

sehen  Aktienunternehmens:  einer  riesigen  Schneidemühle.  Da 
kommen  wir  an  Arbeiterhäusern,  an  Holzschuppen,  an  Holz- 
gärten, an  gewaltigen  Fabrikschloten  vorüber,  während  das  Wohn- 
haus des  Großindustriellen  den  Mittelpunkt  des  ganzen  bildet. 
Er  ist  als  „Güterauf bauer"  in  Ostpreußen  bis  weithin  nach  Litauen 
hinein  bekannt.  Uns  interessiert  die  Auswahl  des  Ortes.  Und 
in  der  Tat,  er  konnte  nicht  passender  gewählt  werden.  In  der 
Umgegend  mächtige  Wälder,  außerdem  die  Wasserstraße  des 
Kanals ;  am  Knotenpunkt  von  vier  nach  allen  Himmelsrichtungen 
gehenden  Chausseen,  darunter  eine  alte  Hauptstraße,  vor  allem 
aber  am  Eisenbahnknotenpunkt  zwischen  Ost-  und  Westpreußen. 
Das  fruchtbare  und  reiche  Oberland  mit  seinen  zahllosen  Gehöften 
zu  seinen  Füßen,  gerade  Verbindung  über  Miswalde  nach  dem 
Weichseldelta,  gradliniger  Anschluß  über  Mohrungen  bis  tief 
nach  Masuren  hinein,  wo  die  Konkurrenz  von  Eudczanny  be- 
ginnt, bequeme  Verbindung  auf  drei  Strecken  nach  den  nord- 
östlichen Teilen  der  Provinz,  durch  den  Kanal  ganz  und  auch 
durch  Eisenbahnen  zur  Aushilfe  mit  dem  russisches  Holz  her- 
beiführenden Weichselstrom  verbunden.  Der  Hauptanteil  fällt 
jedoch  den  Eisenbahnen  zu;  erst  als  die  erste  Transversale  Mal- 
deuten zur  Station  machte,  hat  Hildebrandt  sein  Unternehmen 
gegründet.  Mit  diesen  Hilfsmitteln  einer  geographischen  Lage 
ausgestattet,  konnte  der  ehemalige  Postknotenpunkt  Maldeuten 
ein  Industrieort  ersten  Banges  werden.  Denn  mit  den 
Hildebrandtschen  Anlagen  sind  wir  noch  nicht  am  Ende  der 
Siedelung. 

Das  Gelände  links  steigt  wieder  allmählich  an,  und  wo  es 
seine  höchste  Höhe  erreicht,  macht  die  Chaussee  einen  kleinen 
Bogen  nach  links,  um  aber  gleich  darauf  mit  abermaliger  Biegung 
in  die  alte  Richtung  zurückzukehren.  Vor  uns  taucht  eine 
Brücke  auf.  Wir  überschreiten  den  Oberländischen  Kanal.  Er 
macht  keinen  stattlichen  Eindruck,  man  möchte  ihn  eher  einen 
Graben  als  einen  Kanal  nennen.  Er  liegt  außerordentlich]  tief 
an  dieser  Stelle.  Die  Brücke  liegt  so  hoch,  daß  die  Schiffe  sie 
bequem    passieren    können,    ohne    an    dem  Steinbogen,    mittelst 


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510  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

dessen  sie  sich  wölbt,  anzustoßen.  Jenseits  der  Brücke  betreten 
wir  den  dritten  Teil  der  Siedelung,  das  Bittergut  Maldeuten,  auf 
das  uns  drei  Insthäuser  rechter  Hand  schon  kurz  vor  der  Brücke 
aufmerksam  gemacht  haben.  Auch  hier  treffen  wir  sofort  auf 
industrielle  Anlagen.  Dem  Bahnhof  zugewendet  liegt  hart  am 
Kanalabhang  eine  bedeutende  Dampfmeierei,  die  mit  den  dazu 
gehörigen  Stallungen  für  Schweine  und  den  Wohnhäusern  für 
die  Bediensteten  einen  großen  Bezirk  einnimmt,  alles  neuere 
Anlagen.  Bald  darauf  sind  wir  am  eigentlichen  Gute  angelangt. 
Die  Chaussee  führt  direkt  auf  das  Wohnhaus  zu,  das  aber  nach 
dieser  Seite  hin  nur  einen  Flügel  erstreckt.  Aber  schon  von 
hier  macht  es  im  strahlenden  Weiß  leuchtend  einen  imposanten 
Eindruck,  und  noch  vielmehr  sticht  sein  säulengeschmückter 
Eingang  von  den  schweren  und  derben  Bauten  der  Industrie  ab. 
Von  der  Frontseite  aus  maoht  es  den  Eindruck  eines  Schlosses. 
Vor  dem  Gutshause  mündet  die  vom  Bahnhof  kommende  Chaussee, 
auf  der  wir  gewandert  sind,  im  reohten  Winkel  in  die  alte 
Hauptstraße  Elbing- Osterode  ein,  nach  rechts  geht  sie  durch 
den  „Schloßwald"  am  Seeufer  entlang  (cf.  Generalstabskarte  Bl. 
Christburg),  nach  links  wird  sie  von  dem  weit  ausgedehnten 
Komplex  der  Gebäude  des  Rittergutes  auf  der  Kanalseite  be- 
grenzt. Gegenüber  liegt  das  „Amt  Maldeuten",  die  Wohnung 
des  Gemeindevorstehers  und  zugleioh  Standesamt  und  weiterhin 
das  alte,  nur  modern  angestrichene  Gasthaus,  an  sehr  günstiger 
Stelle,  da  hier  die  Chaussee,  ehedem  Landweg,  nach  Saalfeld  ein- 
biegt und  die  von  Mohrungen  einmündet.  Hinter  ihm  an  der 
Chaussee  nach  Saalfeld,  am  Bande  eines  kleinen  Wäldohens,  das 
schon  vom  Gutshaus  her  den  Hintergrund  auf  dieser  Seite  bildet, 
schließt  eine  halbversteckte  Villa,  die  von  Angestellten  Hilde- 
brandts bewohnt  wird,  die  Siedelung  ab. 

Ihr  landschaftlicher  Beiz  ist  selbst  im  Winter  bei  der  reichen 
Abwechselung  des  Bildes,  der  Mannigfaltigkeit  des  Terrains,  dem 
engen  Zusammenliegen  und  Ineinandergreifen  von  Landwirtschaft 
und  Industrie,  von  Landstraße,  Eisenbahn  und  Wasserstraße  ein 
außerordentlich  großer.     Läge  eine  bedeutende  Stadt  näher,  so 


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Von  W.  Feydt.  51 1 

könnte  Maldeuten  Ort  für  Sommerfrischler  werden.     Ein  Auf- 
enthalt bei  der  Durchfahrt  wird  niemand  gereuen. 

Die  Bedeutung  der  Station  möge  noch  an  einigen  Zahlen 
des  Personen-  und  Güterverkehrs  erläutert  werden,  wobei  für 
den  Güterverkehr  die  Konkurrenz  des  Kanals  wohl  zu  beachten  ist. 


Personen  ab: 

1885  =  16196 

1890  =  17989 

1895  =  20729 

1900  =  23638 

Güter: 

1883  = 

4642  t  an; 

3121  t  ab, 

1884  = 

9942  . 

4369  * 

1891  — 

12256  « 

7009  » 

1892  — 

16133  « 

9771  * 

1898  = 

22298  -- 
3.  Eydtkuhnen. 

12342  * 

Nachdem  die  Fortführung  der  Ostbahnlinie  in  der  geraden 
Richtung  des  Pregeltales  weiter  bis  zur  russischen  Grenze  be- 
schlossen war,  konnte  für  den  Grenzübergangspunkt  nur  der 
Grenzort  Eydtkuhnen  gegenüber  der  russischen  Stadt  Wirballen 
in  Betracht  kommen,  örtlich  günstige  Umstände  konnten  diese 
Wahl  nur  bestätigen.  Eydtkuhnen  lag  an  einem  kleinen,  die 
Grenze  äußerlich  bezeichnenden,  aber  doch  nicht  gerade  schwierig 
zu  überbrückenden  Wasserlaufe,  der  Lipone;  außerdem  war  das 
Terrain  ringsum  flach  und  eben,  so  daß  es  einer  bequemen  Ent- 
wickelung  großer  Bahnhofsanlagen  kein  Hindernis  entgegenstellte. 
Am  15.  August  1860  wurde  die  Strecke  von  Stallupönen  bis  zur 
Landesgrenze  eröffnet.  Es  war  ein  bedeutender  Moment,  als  zum 
ersten  Male  ein  Schienenstrang  die  Grenze  des  russischen  Reiches 
berührte  und  bald  darauf  die  Verbindung  mit  diesem  hergestellt 
sein  sollte.     Es  ist  daher  wohl  nicht  unangebracht,  diese  Eröff- 


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512  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

nungsfeier  etwas  eingehender  zu  behandeln,  zumal  uns  in  neuester 
Zeit  in  den  Memoiren  Sebastian  Hensels  eine  anziehende  Schilde- 
rung gegeben  ist.  Hensel  gehörte  zu  den  Großgrundbesitzern 
der  Provinz  und  obendrein  zu  den  besonderen  Interessenten,  da 
sein  umfangreicher  Landbesitz  Gr.  Barthen  in  der  Nähe  der 
Bahnstation  Löwenhagen  lag.  Mit  von  uns  angebrachten  Kürzungen 
schildert  er  folgendermaßen  (Seb.  Hensel;  Ein  Lebensbild  aus 
Deutschlands  Lehrjahren.     Berlin  1903  pag.  259  ff.): 

„Im  Jahre  1860  fand  ein  schönes  Fest  statt;  die  Königs- 
berg -Eydtkuhner  Bahn  war  fertig  gebaut,  und  zu  ihrer  Eröff- 
nung kamen  der  damalige  Prinzregent  und  sein  Sohn  nach  Ost- 
preußen. Die  größten  Grundbesitzer,  deren  Güter  die  Bahn 
durchschnitten  und  die  Terrain  dazu  abgetreten  hatten,  waren 
zu  der  Eröffnungsfahrt  eingeladen  und  so  beteiligte  ich  mich 
auch  dabei.  Es  war  ein  unvergeßliches  Fest.  Eine  reich  mit 
Blumengewinden  geschmückte  Lokomotive  führte  uns  bis  Eydt- 
kuhnen  nach  der  russischen  Grenze.  Auf  allen  Stationen  waren 
die  Menschen  in  hellen  Haufen  in  festlichem  Putz  zusammen- 
geströmt und  begrüßten  jubelnd  den  Zug. 

Groteske  Deputationen,  in  alten,  nicht  mehr  passenden 
Landstanduniformen  hielten  Ansprachen  und  blieben  darin  stecken, 
weißgekleidete  Jungfrauen  brachten  Blumen  und  versenkten  ihre 
Ansprachen  neben  denen  ihrer  Landstands-  und  Anstandsväter. 
Endlich  war  die  Grenzstation  Eydtkuhnen  erreicht.  Die  Wagen 
wurden  verlassen,  man  ging  auf  dem  geschütteten,  hier  ziemlich 
hohen  Bahndamme  bis  ans  Ende.  Hier  endete  er  plötzlich,  tief 
unten  floß  das  Grenzflüßchen  zwischen  Preußen  und  Bußland. 
Auf  russischer  Seite  war  noch  nichts  von  der  Bahn  zu  sehen;  * 
ein  weites  Terrain  war  mit  einem  hohen  Bretterzaun  umgeben  zum 
Aufstapeln  der  Materialien  für  den  Brückenbau,  der  von  Preußen 
ausgeführt  werden  sollte,  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  war 
die  Welt  mit  Brettern  vernagelt.  Auf  preußischer  Seite  wimmelte 
es  von  Tausenden  und  aber  Tausenden  jubelnder  Menschen,  auf 
russischer  herrschte  tiefes  Schweigen  in  der  absoluten  Einsam- 
keit und  Leere.     „Das  ist  ein  Kosak",  und  wir  zeigten  uns  einen 


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Von  W.  Feydt.  513 

einzelnen  Reiter,  das  einzige  lebende  Wesen,  das  drüben  sichtbar 
war.  Mit  einem  Gefühl  der  Erleichterung  wandte  man  Rußland 
den  Rücken  wieder  zu  —  nie  ist  mir  der  Begriff  der  Grenze 
so  drastisch  erkennbar  geworden. u 

Soweit  Sebastian  Hensel.  Der  hervorstehendste  Zug  seiner 
Schilderung  ist  die  Öde,  die  an  der  russischen  Grenze  herrschte, 
als  Eydtkuhnen  Station  wurde.  Zweck  berichtet,  daß  1860  nur 
zwei  elende  Häuser  dort  gestanden  hätten  (Zweck,  Lit.  p.  293  ff.), 
Massow  in  seinem  Handbuch  von  1846,  nach  amtlichem  Material 
zusammengestellt,  gibt  an:  Dorf  mit  113  Einwohnern  und  acht 
Häusern. 

Vom  Bahnhof  selbst  mußte  die  Entwickelung  ausgehen.  Er 
nimmt  daher  auch  heute  noch  die  erste  Stelle  in  Eydtkuhnen 
ein.  Die  umfassendsten  Bauten  wurden  dort  ausgeführt.  Außer 
dem  großen  Empfangsgebäude  wurden  Güterschuppen,  Lokomotiv- 
schuppen etc.  angelegt  und  mit  dem  Wachsen  des  Verkehrs  stetig 
vergrößert.  Dazu  kamen  Wohnhäuser  für  die  Eisenbahnbeamten, 
hier  am  Ende  einer  großen  Strecke  an  und  für  sich  schon  in 
größerer  Anzahl,  dann  Werkstätten,  Zoll-  und  Postabfertigungs- 
gebäude, Revisionsschuppen,  Beamtenwohnhäuser  für  die  Post- 
un d  Steuerbeamten  etc.  etc.  Alle  diese  Gebäude  gaben  schon  einen 
stattlichen  Komplex  ab,  in  dessen  Mitte  das  Empfangsgebäude 
lag.  Da  es  in  seiner  Zeit  als  ein  Muster  von  Eleganz  und 
Schönheit  angestaunt  ist,  mögen  auch  ihm  einige  Worte  ge- 
widmet sein. 

Wenn  man  den  Zug  verläßt;  gelangt  man  in  der  Mitte  des 
Gebäudes  von  beiden  bedeckten  Perrons  aus  mittelst  zweier  kleiner 
Vorräume  in  ein  achteckiges,  durch  beide  Stockwerke  durch- 
gehendes Vestibül,  das  durch  Oberlicht  erleuchtet  ist.  In  den 
Seiten  des  Achtecks,  die  geneigt  zur  Längsmittelaxe  liegen,  be- 
finden sich  die  Schalterräume.  In  der  Axe  selbst  liegt  ein 
Korridor,  welcher  vom  Vestibül  aus  einerseits  zu  der  Gepäck- 
revisionshalle, andererseits  zu  den  Wartesälen  führt.  Das  obere 
Stockwerk  des  Gebäudes  enthält  Wohnungen.  1860  war  es  be- 
reits vollendet,  äußerlich  ist  es  gelber  Ziegelrohbau. 


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514  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

Auf  jeder  Seite  des  Gebäudes  läuft  ein  Perron  entlang,  hier 
kommen  die  russischen,  dort  die  preußischen  Züge  an.  Da  die 
Spurweite  der  Bahnen  versohieden  war,  mußte  ein  Betriebswechsel 
stattfinden.  Darüber  waren  Bestimmungen  zur  Regelung  des 
Verkehrs  in  den  Staatsvertrag  aufgenommen  worden. 

Artikel  7  bestimmte:  „Der  Betriebswechsel  soll  an  der  Grenze 
stattfinden  in  der  Weise,  daß  die  preußische  und  russische  Eisen- 
bahnverwaltung jede  für  sich  einen  besonderen  Endbahnhof  in 
unmittelbarer  Nähe  der  Grenze  auf  ihrem  Gebiete  anlegen  and 
die  preußischen  Bahnzüge  auf  dem  schmäleren  preußischen  Gleise 
in  den  russischen  Bahnhof,  die  russischen  Züge  auf  dem  breiteren 
russischen  Gleise  in  den  preußischen  Bahnhof  einfahren".  Und 
Artikel  9  besagte:  „Die  hohen  kontrahierenden  Teile  werden 
dafür  sorgen,  daß  in  den  Endbahnhöfen  die  erforderlichen  Ein- 
richtungen getroffen  werden,  um  mit  dem  möglichst  geringsten 
Zeit-  und  Kostenauf  wände  die  durch  den  Unterschied  der  Sporen- 
weite  bedingten  Umladungen  der  Güterwagen  bewirken  zu 
können". 

Dieser  letzte  Punkt  war  für  die  Entwickelung  Eydtkuhnens 
ausschlaggebend.  Eine  Umladung  mußte  stattfinden.  Damit  war 
Eydtkuhnen  Speditionsort  geworden.  Und  je  größer  der  Umsatz, 
je  stärker  der  Verkehr,  um  so  blühender  der  Speditionshandel, 
um  so  rascher  die  Entwickelung  des  Ortes. 

Noch  während  der  Erdarbeiten  siedelten  sich  Kaufleute  zur 
Spedition  an,  mit  ihnen  Handwerker,  Gastwirte,  Krämer  und 
Arbeiter.  Wir  haben  schon  die  Klagen  der  Tilsiter  und  Schir- 
windter,  aber  auch  der  Königsberger  Kaufleute  kennen  gelernt. 
In  allen  diesen  Plätzen  ging  die  Spedition  zugunsten  Eydt- 
kuhnens herunter  oder  ganz  zugrunde.  Einige  Jahre  später 
schien  nach  Vollendung  der  russischen  Strecke  der  direkte  Eisen- 
bahnverkehr mit  Rußland  der  Eydtkuhner  Spedition  noch  größeren 
Aufschwung  bringen  zu  wollen.  In  Königsberg  hatte  sich  eine 
gewisse  Summe  von  Speditionsgütern  noch  immer  erhalten; 
namentlich  die  von  Hamburg  kommenden  Güter  waren  erst  hier- 
her spediert,  um  dann  über  Eydtkuhnen  zu  gehen.     Jetzt,    nun 


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Von  W.  Feydt.  515 

die  Eisenbahn  selbst  die  zollamtliche  Expedition  an  der  Grenze 
vermittelte,  wurde  Königsberg  zum  größten  Teile  ausgeschaltet, 
weil  viele  Güter  direkt  von  Hamburg  nach  Eydtkuhnen  gingen. 
Dieser  Ort  bekam  dadurch  den  größten  Teil  der  Spedition  von 
Deutschland,  Frankreich,  der  Schweiz  und  Italien  nach  Rußland. 
Die  Entwickelung  nahm  unter  diesen  Umständen  einen  stürmischen 
Charakter  an,  der  dem  Gedeihen  des  Ortes  nur  äußerlich  förderlich 
war.  Gewissenlose,  verkommene  Subjekte,  die  hier  den  letzten 
Versuch  maohten,  sich  aus  ihrer  Dürftigkeit  herauszureißen, 
siedelten  sich  in  Eydtkuhnen  an.  „Schwelgerei  und  Liederlichkeit 
feierten  vielfach  Orgien.  Kurz,  eine  Zeit  lang  herrschten  hier 
Zustände,  die,  um  Kleines  mit  Großem  zu  vergleichen,  an 
San  Franzisko  in  Kalifornien  gemahnten."  (Bilder  aus  d.  deutsch. 
Küstenland.  0.  Ostsee  490/1.)  Mag  dabei  auch  vieles  übertrieben 
sein:  Große  Schattenseiten  mußte  das  rapide  Anwachsen  des 
Verkehrs  bei  dem  einträglichen,  und  so  wenig  mühsamen  Ge- 
schäfte zur  Folge  haben.  War  doch  nichts  bequemer,  als  sich 
die  Güter  per  Bahn  kommen  zu  lassen,  ihre  Umladung  zu  be- 
sorgen, um  sie  per  Bahn  weiter  zu  schicken.  Gleichwohl  war 
diese  Vermittelung  unentbehrlich  und  warf  hohen  Gewinn  ab. 
Allein  die  Einrichtung  des  direkten  Eisenbahnverbandsverkehrs 
zwischen  Deutschland  und  Bußland  wandte  sich  bald  auch  gegen 
Eydtkuhnen  selbst.  Er  bezweckte,  Zwischenorte  möglichst  zu 
vermeiden;  und  darum  wurde  auch  Eydtkuhnen  aus  der  Zahl 
der  direkten  Verbandstationen  ausgeschieden.  Fortan  wurde  also 
in  vielen  Fällen  die  Vermittelung  Eydtkuhnens  nicht  mehr  in 
Anspruch  genommen,  sondern  die  Firmen  trafen  z.  B.  in  Berlin 
oder  Hamburg  selbst  schon  die  Vorbereitungen  für  die  russische 
Zollabfertigung  der  Güter. 

Natürlich  ließ  sich  das  je  nach  den  Waren  immer  nur  bis 
zu  einem  bestimmten  Grade  tun.  Der  Geschäftsverkehr  blieb 
nach  wie  vor  ein  äußerst  lebendiger.  Im  großen  und  ganzen  hat 
er  sich  mit  fortschreitender  Kultur  der  beiden  austauschenden 
Reiche  bedeutend  gehoben,  ist  aber  Schwankungen  unterworfen 
gewesen,     die    auf   politische    und    wirtschaftliche    Verhältnisse 


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516 


Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 


allgemeiner  Art  zurückzuführen  sind.  Das  wichtigste  Er- 
eignis neuerer  Zeit  ist  der  deutsch-russische  Handelsvertrag 
von  1893  gewesen.  Der  zu  Gunsten  der  russischen  Häfen 
gelähmte  Grenzhandel  hat  seitdem  eine  enorme  Ausdehnung 
erfahren. 

Schon  1877  stand  unter  allen  Staatsbahnstationen  in  Ost- 
preußen Eydtkuhnen  an  achter  Stelle,  was  Masse  des  Güter- 
verkehrs anlangt,  den  daraus  und  aus  dem  Viehtransport  erzielten 
Einnahmen  nach  aber  an  vierter  Stelle  mit  1287216  Mark  über 
Thorn,  Bromberg,  Dirschau,  nur  von  Königsberg,  Berlin,  Danzig 
über  troffen. 

Allein  die  Durchschnittssummen  von  40 — 50000  t  an  und 
30—40000  t  ab  für  die  Zeit  von  1870  an  sind  seit  1893  be- 
deutend überschritten. 


Es 

kamen  an 

Es 

gingen  ab 

1892 

55  291  t 

1892: 

44  879 

1893 

64  382  * 

1893: 

49  919 

1894 

86  228  * 

1894: 

60  427 

1895 

114  044  = 

1895: 

77  288 

1896 

:  146  485  * 

1896: 

116  538 

1897 

127  983  = 

1897: 

104  945 

1898 

139  165  = 

1898: 

113  822 

1899 

150188  * 

1899: 

117  412 

1900 

170  099  = 

1900: 

119  849 

Und  reden  diese  Zahlen  durch  ihre  gewichtige  Größe  von 
dem  Umfang  des  Verkehrs,  der  über  Eydtkuhnen  seinen  Weg 
nimmt,  so  mögen  uns  einige  herausgegriffene  Beispiele  im 
einzelnen  zeigen,  was  Eydtkuhnen  für  den  Handel  bedeutet.  In 
fünf  Oktobertagen  des  Jahres  1897  wurden  3  114  500  kg  Frachten 
von  Rußland  über  die  Grenze  befördert,  dazu  eine  große  Masse 
lebendes  Vieh;  im  Herbste  1897  wurden  23  000  Gänse  an  einem 
Tage  auf  dem  Bahnhof  verladen;  am  12.  September  1898  gar 
42000  dieser  Tiere  (cf.  Zweck,  Lit.  pag.  240). 


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Von  W. 

Feydt. 

In  der  Zeit  vom  2.  bis  7.  Januar  1899  kamen  von  I 

luß 

Hanf.     .     .     . 

150000  kg 

Bauholz .     . 

125  000 

kg 

Flachs     .     .     . 

380000   » 

Därme    .     . 

30  300 

i 

Heede     .     .     . 

70000   » 

Kartoffeln  . 

12  500 

* 

Getreide      .     . 

109  200   • 

Hanfgarn    . 

10000 

* 

Hülsenfrüchte . 

71700   * 

Federn  .     . 

6000 

* 

Ölkuchen     .     . 

284100   « 

Eichenstäbe 

61600 

* 

ölsamen .     .     . 

201000    . 

Mehl. 

12  300 

t 

Kleie.     .     .     . 

220000   . 

Zwiebeln    . 

10000 

s 

Teer   .... 

30000   * 
Brennholz 

Lumpen 
20000  kg 

10000 

* 

Es  gingen  nach  Bußland: 

Maschinenteile 

290420  kg 

Degras     . 

.     5000 

kg 

Tonwaren    .     . 

12  480   » 

Häute .     . 

.  18  550 

S 

Eisenwaren 

76000   * 

Samen .     . 

.    8000 

* 

Heringe .     .     . 

50  900   * 

Umzugsgut 

.     8  760 

* 

Getreide      .     . 

22  250   « 

Hopfen     . 

.    2  670 

* 

leere  Fässer    . 

4  260 

Gummiharz 

.     7000 

5 

517 


Unter  den  Einflüssen  eines  solchen  Handelstreibens  konnte 
sioh  am  Bahnhofe  ein  bedeutender  Marktflecken  entwickeln,  der 
etwa  3  km  lang  sich  an  der  einzigen  Straße  des  Ortes  hinzieht. 

Und  doch,  so  bedeutungsvoll  Eydtkuhnen  als  Grenzübergang 
ist,  die  Siedelung  macht  keinen  freundlichen,  keinen  anheimeln- 
den Eindruck.  Es  ist  so,  als  ob  etwas  von  dem  Toten,  Lähmen- 
den  des  ungeheueren  Landkolosses  jenseits  der  Lipone  auf  dem 
Orte  lastete,  etwas  Gedrücktes,  und  bei  aller  Ausdehnung  ein 
Vorherrschen  des  Kleinen,  Unbedeutenden.  Maldeuten  erscheint 
zum  Beispiel  den  Besuchern  unendlich  großartiger.  Das  hat 
seinen  Grund  in  der  Art  des  Handels,  der  hier  blüht.  Der 
Speditionshandel  entfaltet  seine  ausübende  Tätigkeit  auf  dem 
Bahnhof  selbst  und  in  enger,  dunstiger  Schreibstube;  andere 
imponierende  Anlagen  braucht  er  nicht.  Was  im  Orte  selbst 
dagegen  in  die  Augen  fällt,  ist  der  Kleinhandel,  und  ausschließ- 
lich der  Kleinhandel,  dazu  meist  in  jüdischen  Händen,  entweder 


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518  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

dürftig,  schmutzig  und  klein  oder  neuerdings  in  einigen  Geschäfts- 
läden geschmacklos  aufdringlich.  Die  Bahnhofsanlagen  selbst 
haben  eine  imponierende  Ausdehnung,  sie  erstrecken  sich  ebenso 
lang  fast  wie  die  Siedelung,  d.  h.  mehrere  Kilometer.  Aber  das 
Empfangsgebäude  kann  uns  heute  höchstens  noch  groß,  nicht 
mehr  großartig,  keinesfalls  aber  stattlich  und  schön  erscheinen. 
Unser  heutiges  Empfinden  ist  auf  einen  anderen  Ton  gestimmt 
Der  Eydtkuhner  Bahnhof  erscheint  uns  mit  seinen  übermäßig 
hohen,  kahlen  Bäumen  öde  und  dabei  düster;  er  gemahnt  uns 
wiederum  an  unsere  östlichen  Nachbarn.  Die  gedeckte  Halle 
erscheint  uns  um  so  gedrückter,  wenn  man  aus  dem  Innern  her- 
austritt. Das  viel  gepriesene  Vestibül  erscheint  uns  heute  eng 
und  ebenfalls  geradezu  unfreundlich  mit  dem  mangelhaften  Ober- 
licht. Eydtkuhnen  ist,  wie  schon  angedeutet,  seiner  Anlage  nach 
Inselstation.  Das  Gebäude  steht  mitten  zwischen  den  Gleisen. 
Der  Eingang  vom  Marktflecken  her  führt  im  Niveau  des  Planums 
über  die  russischen  Gleise,  die  auf  dieser  Seite  liegen.  Den 
Breitenunterschied  merkt  man  mit  bloßem  Auge  kaum,  ob- 
wohl er  genügend  ist,  um  nach  dem  Urteile  von  Fachleuten  eine 
gegenseitige  Benutzung  auszuschließen.  Der  Personenverkehr  in 
Eydtkuhnen  beschränkt  sich  auf  die  Ankunft  derjenigen  preußi- 
schen Züge,  die  hier  enden,  und  der  russischen,  die  dreimal  am 
Tage  ankommen.  Für  unsere  Züge,  die  nach  Wirballen  weiter- 
gehen, hat  der  Bahnhof  Eydtkuhnen  keine  Bedeutung,  da  dort 
erst  die  Zollrevision  und  das  Umsteigen  stattfindet. 

Die  Siedelung  hat  sich  bequem  neben  den  Bahnhof  legen 
können;  hier  folgt  sie  der  parallel  der  Bahn  laufenden  Chaussee 
von  Stallupönen  her.  Nahe  der  Grenze  mündet  eine  Zweig- 
chaussee vom  Kirchdorf  Bilderweitschen  her  ein;  die  vereinigte 
Strecke  geht  dann  bis  zur  Lipone.  Die  Brücke  über  den  Fluß 
bildet  die  Landesgrenze,  auf  der  anderen  Seite  liegt  das  russische 
Zollamt  und  stehen  die  Grenzpfähle. 

Der  Anblick  der  Siedelung  läßt  Rückschlüsse  auf  die  Ent- 
stehungszeit zu  und  zugleich  den  innigen  Zusammenhang  mit 
der  schaffenden  Bahn  erkennen. 


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Von  W.  Feydt.  519 

Zunächst  fällt  die  langgezogene  Gestalt  auf.  Sie  war  be- 
dingt durch  die  Parallellage  von  Bahn  und  Chaussee.  Es  wäre 
unnatürlich  gewesen,  wenn  sich  die  Siedelung  erst  unter  neuen 
Straßenanlagen  quadratisch  gebildet  hätte,  sie  hält  sich  vielmehr 
immer  am  Bahngleise  fest,  indem  sie  Haus  an  Haus  auf  der 
Chaussee  reiht,  von  wo  man  jederzeit  bequem  zum  Bahnhofe 
gelangen  konnte  und  zugleich  unmittelbar  an  der  Hauptverkehrs- 
ader wohnte.  So  ist  es  gekommen,  daß  Eydtkuhnen  vom  ersten 
Hause  von  Richtung  Stallupönen  her  bis  zur  Grenzbrücke  sich 
lang  hinzieht  in  einer  Straße,  die  entlang  zu  gehen  man  gut  eine 
halbe  Stunde  Zeit  braucht.  Die  ältesten  Teile  sind  die  unschein- 
barsten; die  ländlichsten,  ganz  am  Ende  nach  Stallupönen  zu 
und  an  der  Bilderweitsoher  Chaussee,  liegen  vom  Bahnhofe  am 
weitesten  entfernt. 

Je  näher  wir  demselben  kommen,  um  so  städtischer  wird 
Eydtkuhnen,  und  es  ist  kein  Zufall,  daß  die  einzige  Stelle,  wo 
die  Siedelung  sich  weiter  ausgebreitet  hat,  wo  die  neue  Kirche, 
wo  die  stattlichsten  Zivilwohnzwecken  dienenden  Gebäude  sich 
befinden,  ziemlich  genau  dem  Personenbahnhof  gegenüber  liegt. 
Dieser  Platz  um  die  schöne  Kirche  macht  den  Eindruck  einer 
Mittelstadt,  wenn  auch  die  Entwickelung  hier  noch  nicht  ab- 
geschlossen ist.  Gehen  wir  am  Bahnhof  die  Cbausseestraße 
nach  Stallupönen  entlang,  so  liegen  rechter  Hand  zwischen 
Gleisen  und  Straße  in  langer  Linie  die  ausnahmslos  im  Ziegel- 
rohbau gehaltenen,  sehr  zahlreichen  Häuser  der  Eisenbahnbeamten. 
Es  gibt  wohl  keine  Siedelung  in  Ostpreußen,  wo  sie  einen  so 
großen  Prozentsatz  ausmachen  als  in  Eydtkuhnen.  Die  Gebäude 
an  der  Chausseestraße  sind  meist  einstöckig,  aber  städtischen 
Charakters,  doch  ausnahmslos  unschön  und  enthalten  fast  alle 
Geschäftsräume.  Restaurationen  sind  nicht  selten,  die  Hotels 
liegen  aber  alle  im  älteren  Teile,  nahe  der  Bahn  und  nach  der 
Grenze  zu.  Sie  zeichnen  sich  in  keiner  Weise  aus  und  ent- 
sprechen höheren  Anforderungen  weder  durch  ihr  Äußeres,  noch 
durch  die  dürftige,  fast  gewöhnliche  Ausstattung  Anforderungen 
an  Reinlichkeit.     Eydtkuhnen   hat    z.  B.    nicht    ein  Hotel   wie 

Altpr.  MonaUtchrift  Bd.  XLU.  Hft.  7  u    8.  34 


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520  ^er  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  etc. 

das  Korschener  aufzuweisen.  Wer  nicht  Geschäftsmann  oder 
Handwerker  ist,  ist  Eisenbahner  oder  Steuerbeamter.  Alles 
andere  verschwindet  daneben. 

Die  Besiedelung  wird  wohl  an  der  Chaussee  nicht  weiter 
gehen.  Die  Entfernung  ihres  Endes  vom  Bahnhof  macht  sich 
doch  schon  unbequem  geltend.  Sie  dürfte  die  Hinterstraßen 
vom  Kirchenplatz  aus  erweitern  und  zunächst  den  noch  fehlenden 
Zusammenhang  mit  den  Häusern  an  der  Bilderweitscher  Straße 
herstellen.  Hier  sind  in  neuester  Zeit  fast  außerhalb  und  mitten 
im  Felde  eine  Anzahl  Neubauten  entstanden  im  modernsten  Stile. 

Von  Komforteinrichtungen  ist  die  elektrische  Beleuchtung 
zu  erwähnen.  Das  Pflaster  ist  dörflich,  aber  ganz  gut.  Der 
Gesamteindruck  gegenüber  dem  russischen  Grenzorte  ist  ein  für 
Eydtkuhnen  entschieden  günstiger. 

Großartig  und  behaglich  ist  es  nicht,  bietet  auch  gar  keine 
landschaftlichen  Beize,  ist  eher  öde  zu  nennen.  Nur  wenn  die 
Petersburger  Züge  ankommen,  oder  wenn  man  auf  dem  Güter- 
bahnhofe entlang  geht,  merkt  man,  welch  reges  Leben  hier 
pulsieren  kann. 

Die  Einwohnerzahl  ist  gewaltig  gestiegen. 


1867 

1996  Einwohner 

1871 

2465 

1885 

3281 

1895 

:    3368 

In    diesem  Jahre    war    Eydtkuhnen    also   ebenso    groß   als 
Johannisburg  und  hätte  als  Stadt  an  39.  Stelle  unter  67  rangiert 


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Emil  Arnoldt. 

Von 
Otto  SehdnddrJTer. 


Um  wenige  Monate  nur  ist  dem  Herausgeber  der  Altpr. 
Monatsschrift  sein  langjähriger  Mitarbeiter  Emil  Arnoldt  im  Tode 
vorangegangen.  Er  hat  fast  alle  seine  Arbeiten  in  dieser  Zeit- 
schrift zuerst  veröffentlicht. 

Friedrich  Traugott  Emil  Arnoldt  wurde  am  6.  Februar 
1828  in  Plibischken,  einem  Dorfe  in  der  Nähe  von  Wehlau,  wo 
sein  Vater  Pfarrer  war,  geboren.  Er  war  der  drittjüngste  von 
neun  Geschwistern,  unter  denen  sich  nur  eine  Schwester  befand. 
Die  liebevolle,  durch  und  durch  ehrliche,  wahrhaft  fromme  Natur 
seines  Vaters,  an  dem  er  mit  inniger  Liebe  hing,  rühmte  er  oft. 
An  seiner  Mutter  schätzte  er  besonders  ihren  scharfen  Verstand, 
ihr  treffendes  Urteil  und  ihre  Aufrichtigkeit. 

Von  Sekunda  an  besuchte  Arnoldt  das  Gymnasium  in 
Gumbinnen,  das  damals  unter  der  Leitung  des  Direktors  Prang 
stand.  Michaelis  1846  bezog  er  die  Universität  Königsberg,  um 
Geschichte  und  Philosophie  zu  studieren.  Er  hörte  hier  Vorlesungen 
hauptsächlich  bei  Rosenkranz,  Schubert,  Drumann  und  Lobeck. 
Als  Philosophen  hat  er  Rosenkranz  nie  besonders  hoch  geschätzt: 
Hegel  wirklich  zu  erklären,  so  zu  erklären,  daß  er  eine  ihm  vor- 
gelegte Stelle  einer  Hegeischen  Schrift  Wort  für  Wort  inter- 
pretierte, dazu  sei  er  nicht  imstande  gewesen.  Aber  anregend 
auf  allen  Gebieten,  besonders  auf  dem  der  deutschen  Literatur, 
hat  Rosenkranz  auch  auf  Arnoldt  gewirkt,   der  ihn  nach   seiner 

34* 


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522  Emil  Arnoldt. 

Erblindung  regelmäßig  einmal  in  der  Woche  besuchte.  Lobeck 
vollends,  dessen  Arbeiten  freilich  Arnoidts  Studien  ferner  lagen, 
konnte'  er  nicht  genug  rühmen,  sowohl  als  den  einzigen  wahrhaft 
genialen  als  auch  als  einen  der  gütigsten  und  liebenswürdigsten 
Menschen,  die  er  je  kennen  gelernt.  Doch  den  nachhaltigsten 
Einfluß  auf  Arnoidts  ganzes  Leben  hatte  der  Gründer  der 
Königsberger  freien  Gemeinde,  Julius  Rupp.  Tiefe  Religiosität 
ist  Arnoldt  immer  eigen  gewesen,  und  so  ist  es  kein  Wunder, 
daß  dieser  Mann  gerade  auf  seine  ganze  Lebensriohtung  be- 
stimmend eingewirkt  hat.  Noch  näher  vielleicht  stand  Arnoldt 
damals  die  genial  veranlagte  Ernestine  Castell,  die  in  der  freien 
Gemeinde  in  jenen  Jahren  eine  große  Rolle  spielte. 

Zwei  Dokumente  aus  dieser  Zeit  sind  erhalten,  welche  den 
jungen  Studenten  aufs  trefflichste  charakterisieren.  Es  sind 
beides  Reden,  mit  denen  sich  Arnoldt  vor  Gericht  verteidigte. 

In  jugendlichem  Übermut,  der  auch  als  solcher  nur  ver- 
ständlich wird,  wenn  man  die  ganze  Stimmung  jener  politischen 
Sturm-  und  Drang-Periode  um  1848  herum  mit  in  Anschlag 
bringt,  hatte  Arnoldt  in  die  Hartungsche  Zeitung  (König].  Preuß. 
Staats-,  Kriegs-  und  Friedens-Zeitung.  Nr.  33.  Beilage.  Mitt- 
woch den  7.  Februar  1749)  ein  Inserat  einsetzen  lassen,  in  dem 
er  mit  provozierenden  Worten  einen  Major  v.  Rosenberg  angriff, 
weil  dieser  seinen  Bruder,  den  Einjährig-Freiwilligen  Gustav 
Arnoldt,  der  unrasiert  zur  Wache  gekommen  war,  mit  Arrest 
bestraft  hatte.  Arnoldt  wurde  deshalb  wegen  Beleidigung  der 
Kommandantur  verklagt  und  verteidigte  sich  selbst. 

Seine  Rede  zeigt  zwar  auch  ein  gut  Teil  jugendlichen 
Übermuts,  daneben  aber  einen  Scharfsinn,  einen  logisch  geschulten 
Verstand  und  eine  Gewandtheit  in  der  Wahl  der  treffendsten 
und  prägnantesten  Ausdrücke,  wie  sie  sich  bei  einem  jungen 
Menschen  von  20  Jahren  gewiß  nur  selten  finden.  „Der  Staats- 
anwalt", so  heißt  es  an  einer  Stelle,  „meint,  daß  der  Begriff 
Gewaltsamkeit  den  Begriff  Gesetzwidrigkeit  in  sich  schließe,  und 
stellt  damit  der  Gewalt  das  Gesetz  gegenüber.  Diese  Meinung 
ist  falsch.     Der  Gewalt  steht  nicht  das  Gesetz  gegenüber,  sondern 


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Von  Otto  Schöodörffer.  523 

das  Recht.  Was  ist  die  Gewalt?  Was  ist  das  Recht?  Die 
Gewalt  ist  die  Manifestation  der  Willkür,  das  Recht  ist  die 
Manifestation  der  Freiheit,  welche  ebensoviel  ist  als  die  Vernunft. 
Was  ist  das  Gesetz?  Das  Gesetz  ist  die  Regel,  nach  welcher 
das  Verhalten  des  Individuums  dem  allgemeinen  Ganzen  gegen- 
über bestimmt  wird  oder  sioh  selbst  bestimmt.  Ist  das  Wesen 
des  allgemeinen  Ganzen  Willkür,  ist  der  Vertreter  des  allge- 
meinen Ganzen,  der  König,  Willkürherr,  so  ist  jedes  Gesetz, 
welches  auf  sein  Geheiß  und  unter  seiner  Autorität  erlassen 
wird,  nichts  weiter  als  eine  Regel,  nach  welcher  die  Gewalt  das 

Verhalten  des  Individuums   zwingend   bestimmt Sie 

müssen  zugeben,  daß  bis  zum  März  vorigen  Jahres  der  preußische 
König  absoluter  Herrscher  gewesen  ist.  Absoluter,  unumschränkter 
Herrscher  heißt  Willkürherr.  Daher  sind  alle  Zivil-  und 
Militärgesetze,  welche  von  den  preußischen  Königen  erlassen 
sind,  Regeln,  nach  welchen  die  Gewalt  der  preußischen  Könige 
das  Verhalten  der  preußischen  Untertanen  bestimmt.  Diese  Ge- 
setze sind  also  gewaltsam.  Diese  Gesetzlichkeit  ist  Gewaltsam- 
keit. Ein  Verfahren,  welches  auf  Grund  dieser  Gesetze  und  mit 
der  genauesten  Beobachtung  derselben  in  Ausübung  gebracht 
wird,  ist  ein  gewaltsames."  Zum  Schluß  führt  Arnoldt  noch 
aus,  daß  er,  wie  er  nun  einmal  gesinnt  sei,  einem  Militär  eine 
Gesetzesverletzung  gar  nicht  zutrauen  könne.  „Ist  es  anzu- 
nehmen", so  wagte  er  zu  sagen,  „daß  ich  solchen  Wesen,  die 
meiner  Ansicht  nach  nur  scheinbar  in  die  Kategorie  selbst- 
bewußter, vernünftiger  Menschen  gehören,  die  Ehre  antun  werde, 
zu  behaupten,  sie  hätten  als  freie  Männer,  eignem  Urteil  und 
eignem  Ermessen  vertrauend,  im  Widerspruch  mit  dem  Buch- 
staben des  Gesetzes  selbständig  eine  Maßregel  für  zweckmäßig 
erachtet  und  in  Ausübung  gebracht?  Das  sei  ferne  von  mir!"  — 
Und  der  Erfolg  dieser  Rede?  Arnoldt  wurde  —  man  denke  — 
freigesprochen,  von  seinen  anwesenden  Kommilitonen  jubelnd 
auf  die  Schultern  genommen  und  auf  die  Straße  getragen.  Der 
Vorsitzende  aber  der  Burschenschaft  Lithuania,  der  Arnoldt  als 
Student   angehörte,    hielt   eine  Ansprache,    in   der  er  ihm   den 


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524  Emü  Arnoidt. 

Dank  der  Studentenschaft  ausdrückte  dafür,  daß  er  sie  so  würdig 
vertreten  hatte.     Tempora  mutantur! 

Und  nun  die  zweite  Verteidigungsrede!  Sie  fällt  nur  ein 
Jahr  später.  Und  doch  welch  andern  Eindruok  macht  sie! 
Arnoldt  ist  inzwischen  Eupp  näher  getreten,  und  aus  dem  über- 
mütigen, für  Freiheit  leidenschaftlich  erglühenden  Jüngling  ist 
ein  ernster,  gefaßter,  auf  Gott  hinblickender  Mann  geworden. 
In  einem  Aufsatz,  der  im  August  1850  in  dem  von  Eupp  redigierten 
„Volksboten"  erschienen  war  —  er  ist  betitelt:  „Die  freien  Ge- 
meinden und  die  Regierungen"  —  hatte  er  unter  anderm  gesagt: 
„Die  freien  Gemeinden  haben  nichts  weiter  zu  vollbringen,  als 
das,  was  sie  für  wahr  und  recht  erkannt,  durch  die  Tat  mit 
unerschütterlicher  Standhaftigkeit  ins  Leben  zu  führen,  das 
Gesetz  der  Regierung,  wenn  es  der  Verwirklichung  der  von  ihnen 
erkannten  Wahrheit  Hindernisse  entgegenstellt,  im  Bewußtsein, 
daß  man  Gott  mehr  gehorchen  solle  als  den  Menschen,  offen- 
kundig zu  übertreten;  ohne  Verdruß  und  Schmähung  aber 
die  Strafen  auf  sich  zu  nehmen,  welche  die  Zwangs- 
gewalt, gestützt  auf  die  Urteilssprüche  ihrer  Gerichte, 
zu  verhängen  nicht  anstehen  wird  und  von  ihrem 
Standpunkte  aus  zu  verhängen  berechtigt  ist."  Dieser 
Stelle  wegen  wurde  Arnoldt  von  dem  im  Dienste  der  Reaktion 
tätigen  Staatsanwalt  Meus  wegen  Aufreizung  zur  Übertretung 
der  Staatsgesetze  angeklagt. 

Der  Schwerpunkt  der  inkriminierten  Worte  liegt  in  dem 
Satze  „Man  soll  Gott  mehr  gehorchen  als  den  Menschen."  In 
ruhiger  durch  und  durch  sachlicher,  von  tiefernstem  Pflicht- 
gefühl durchglühter  und  getragener  Sprache  führte  Arnoldt  nun 
in  seiner  Verteidigungsrede  aus,  daß  die  Verkündigung  dieses 
Satzes  unmöglich  ein  Verbrechen  sein  könne.  Denn  erstens  ent- 
spreche seine  Beobachtung  durchaus  der  allgemeinen  Menschen- 
pflicht. Hervorzuheben  sei  nur,  „daß  derjenige,  der  das  Gesetz 
des  Staates  übertritt,  wenn  er  auch  noch  so  gewissenhaft  handelt, 
verpflichtet  ist,  die  Strafe  zu  leiden,  welche  die  Obrigkeit  über 
ihn  verhängt.     Durch  Unterwerfung  unter  die  Strafe  beweist  er 


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Von  Otto  Schöndörffer.  525 

seine  Achtung  vor  der  Obrigkeit.  Er  hebt  die  Ordtiung  des 
Staates  nicht  auf,  sondern  trägt,  soviel  in  seiner  Macht  liegt, 
dazu  bei,  dieselbe  zu  erhalten.  .  .  "Wenn    aber   überhaupt 

för  Pflicht  des  Menschen  gilt,  jede  Forderung,  die  an  ihn  gestellt 
wird,  dem  Gewissen  zur  Prüfung  vorzulegen,  um  wieviel  ge- 
steigert wird  diese  Pflicht,  wenn  das  höchste  Interesse  des 
Menschen  ins  Spiel  kommt,  die  religiöse  Überzeugung!  Je 
heiliger  ihm  die  Religion  ist,  desto  rücksichtsloser  wird  er 
prüfen;  je  gottesfürchtiger  er  ist,  desto  freier  von  Menschen- 
furcht."  Zweitens  aber  erkläre  jener  Satz  nichts  Anderes  für 
Pflicht,  „als  das  zu    tun,  was  allen  Christen  durch  das  Beispiel 

Jesu    und    der  Apostel  geboten  ist Wie   verhielt   sich 

Jesus  dem  Gesetze  des  Staates  gegenüber?  Sie  wissen,  daß  das 
mosaische  Gesetz,  auf  welchem  der  israelitische  Staat  aufgebaut 
war,  befahl,  der  Sabbat  solle  von  jeder  Leibesarbeit  frei  sein. 
Jesus  hat  sich  nie  gescheut,  das  Gesetz  des  Staates  zu  über- 
treten, wenn  es  galt    die  Herrlichkeit  Gottes  zu  offenbaren  und 

zu  vollenden  sein    Werk Doch  als  die  Häscher,  gesandt 

von  den  Hütern  des  Gesetzes,  heranzogen,  den  Schuldlosen  bei 
nächtlicher  Weile  zu  ergreifen,  stellte  er  ihnen  sich  dar,  furchtlos 
bekennend:  „Ich  bins",  und  von  dem  jüdischen  Gericht  und  dem 
römischen  Landpfleger  verurteilt,  erlitt  er  bereitwillig  den 
Kreuzestod.  So  handelte  Jesus  dem  Gesetze  des  Staates  gegen- 
über."    Ebenso  handelten  die  Apostel. 

Drittens  beruft  sich  Arnoldt  darauf,  daß  anerkannt  recht- 
gläubige Kirchenlehrer  offen  und  frei  dieselbe  Ansicht  bekannt 
haben«  Er  zitiert  dahin  zielende  Stellen  aus  den  Büchern  des 
Oberkonsistorialrats  Neander,  des  Badisohen  Kirchenrats  Röthe 
und  des  orthodoxen  Pfarrers  Rudolph  Stier  und  schließt  mit 
den  Worten:  „Witzblätter  haben  in  unseren  Tagen  spottend 
bemerkt,  daß  es  ratsam  sei,  die  Werke  unserer  klassischen 
Schriftsteller  zu  säubern,  damit  nicht  ein  Unkundiger,  der  mit 
der  Fürsorge  unserer  Polizei  wenig  vertraut,  durch  Anführung 
von  Stellen,  welche  in  jenen  enthalten,  Gefahr  laufe,  wegen 
Anreizung   zum  Aufruhr    belangt   zu   werden.     Ich    aber   sage 


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526  Emil  Arooldt. 

Ihnen  im  vollen  Ernst  die  bittere  Wahrheit:  Vertilgen  Sie  vor 
allem  das  Evangelium,  vertilgen  Sie  vor  allem  die  Zeugnisse  der 
Männer,  welche  als  Lehrer  und  Prediger  im  Dienste  des  Staates 
mit  Ruhm  und  Ansehen  gekrönt  werden,  wenn  Sie  wünschen, 
daß  nie  und  nirgends  eine  Stimme  sich  erhebe,  die  der  Wahrheit 
ihr  Recht  gibt!" 

Arnoldt  wurde  von  den  Geschworenen  für  schuldig  befunden 
und  zu  vier  Wochen  Gefängnis  verurteilt.  —  Uns  interessieren 
die  beiden  Dokumente,  die  auch  auf  die  damalige  Zeitgeschichte 
bedeutungsvolles  Licht  werfen,  hier  nur  insofern,  als  sie  für 
Arnoldt  selbst  charakteristisch  sind.  Jeder  wird  zugeben,  daß 
er  im  ersten  Falle  nicht  nur  fehlgegriffen,  sondern  auch  stark 
übertrieben  hat,  mag  man  der  ihm  eignen  Denkweise  auch  noch 
so  weitgehende  Konzessionen  machen.  Und  doch,  wer  möchte 
nicht  seine  Freude  haben  an  diesem  einerseits  für  Freiheit 
schwärmenden  und  andrerseits  so  scharfsinnig  definierenden 
Jüngling,  der  im  kecken  Übermut  seine  Haut  zu  Markte  trägt 
und  dann  der  unnütz  heraufbeschworenen  Gefahr  glücklich  ent- 
kommt! Und  außerdem,  mochten  ruhige  Überlegung,  mit  dem 
Alter  gereifte  Erfahrungen  den  überschäumenden  Jüngling  auch 
allmählich  zum  reifen  Mann  und  abgeklärten  Greis  machen,  da* 
jugendliche  Feuer,  der  für  alles  Ideale  begeisterte  und  begeisternde 
Sinn,  sie  blieben  Arnoldt  bis  zu  seinem  letzten  Atemzuge  und 
konnten  gelegentlich,  besonders  bei  Gesprächen  über  politische 
Themata,  mit  eruptiver  Gewalt  hervorbrechen. 

Dooh  die  geschilderten  Eigenschaften  treten  wohl  bei 
manchem  Jüngling  hervor,  um  dann  später,  wenn  praktische 
Rücksichten  und  materielle  Interessen  ihre  Rechte  fordern,  gänzlich 
zu  verschwinden  oder  gar  in  die  schlimmsten  Fehler  umzuschlagen. 
Bei  Arnoldt  aber  verbanden  sie  sich  mit  einem  tiefernsten  und 
stets  nach  der  Wahrheit,  nach  dem  Wesen  der  Dinge  hindrängen- 
den Gemüt,  an  dem  alle  Lockungen  der  Welt,  Ehre,  Ruhm  oder 
gar  Geld  und  Vergnügungen  zerschellten,  wie  flüssige  Wogen  an 
einem  starren  Felsen,  ja  in  dessen  Nähe  sie  kaum  hinfluteten. 
Freiheit,  Wahrheit  und  Pflicht,  sie  bildeten  das  im  Grunde  ein- 


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Von  Otto  Schöndörffer.  527 

heitliche  und  sich  gegenseitig  fordernde  und  bedingende  Drei- 
gestirn, das  Arnoidts  Lebensweg  von  Anfang  bis  zu  Ende  die 
Richtung  gab.  Und  ebenso  offensichtlich  und  klar  wie  aus  jener 
zweiten  Bede  leuchtete  es  sein  ganzes  Leben  hindurch  aus  jedem 
seiner  Worte,  aus  allem  seinem  Tun,  ja  aus  jedem  Blicke  hervor. 
So  lassen  sich  aus  diesen  beiden  Beden  die  Grundzüge  von 
Arnoidts  Charakter  erkennen.  Und  ist  es  nicht  hier  schon 
wahrscheinlich,  daß  einem  so  gearteten  Manne,  in  dem  sich 
scharfes  Denken  und  frommer  Glaube  einten,  die  Kantische  Philo- 
sophie der  Quell  werden  mußte,  in  dem  er  Nahrung  fand,  und 
daß  ihm,  dem  Kampfesfreudigen,  Lessings  Lebensführung  am 
höchsten  stehen  mußte?  Freilich,  um  das  erstere  recht  zu  verstehen, 
müssen  wir  Arnoidts  intellektuelle  Begabung  erst  genauer  kennen 
lernen,  zu  deren  Schilderung  wir  später  kommen.  Und  ein  anderes 
integrierendes  und  sehr  wichtiges  Element  in  Arnoidts  Wesen  ist 
bisher  auch  noch  unberührt  geblieben,  da  von  ihm  jene  beiden  Ver- 
teidigungsreden nichts  erkennen  lassen,  nichts  erkennen  lassen 
können.  Das  ist  die  Tiefe,  Liebenswürdigkeit  und  Innigkeit 
seines  Gemüts.  Dieses  offenbart  sich,  wenn  es  auch  jeden,  der 
ihm  näher  trat,  erquickte  und  erfreute,  am  herrlichsten  in  seiner 
Ehe.  Der  kennt  Arnoldt  nicht,  der  ihn  nie  mit  seiner  Frau  zu- 
sammen in  seiner  eignen  Häuslichkeit  gesehen  hat.  Vielleicht 
läßt  uns  ihr  Briefwechsel  später  noch  einen  tieferen  Blick  in 
dieses  einzig  dastehende  Verhältnis  tun.  Aber  auch  wer  die 
beiden  nur  einmal  zusammen  in  vertrauterem  Verkehr  zu  sehen 
das  Glück  hatte,  mußte  eigenartig  und  tief  davon  berührt  werden. 
Trefflich  stimmte  zu  ihnen  auch  die  ganze  sie  umgebende 
Häuslichkeit,  die  einfache,  schlichtbürgerliche,  nur  auf  die  Ge- 
sundheit berechnete  Einrichtung  der  Zimmer,  in  denen  die  hohen 
Bücherregale  fast  den  einzigen  Schmuck  bildeten.  Seiner  Frau 
wegen,  die  immer  von  zarter  Gesundheit  war,  gab  Arnoldt  ganz 
seine  Beteiligung  am  öffentlichen  Leben  auf,  zu  dem  sein 
Enthusiasmus  für  Beoht  und  Gerechtigkeit  ihn  drängte,  da  er  sich 
sagte,  daß  er  bei  seiner  Bichtung  und  bei  seinem  Temperament  sonst 
gewiß  einen  großen  Teil  seines  Lebens  im  Gefängnis  zubringen 


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528  Enrii  Arnoldt. 

würde.  Er  war  eben  stets  der  Manu  des  Entweder  —  oder. 
Gab  er  einmal  einen  Teil  seiner  Freiheit  für  die  Ehe  hin,  so 
zog  er  auch  unerbittlich  alle  Konsequenzen:  fortan  galt  es  für 
ihn,  die  schwache  Gesundheit  seiner  Frau  vor  allen  Aufregungen 
möglichst  zu  bewahren  und  für  ihrer  beider  Leben  den  nötigen 
Unterhalt  zu  schaffen. 

Damit  komme  ich  auf  Arnoidts  äußeren  Lebensgang  zurück. 
Bis  zum  Jahre  1850  hörte  er  Collegia  an  der  Albertina.  Nach 
Verbüßung  seiner  Gefängnisstrafe  blieb  er  auf  den  Wunsch 
seines  Vaters  längere  Zeit  in  Plibischken,  um  sich  zum  Doktor- 
examen vorzubereiten.  Damals  begann  er  auoh  das  Studium 
des  Englischen,  das  von  da  an  neben  der  Philosophie  und 
Literatur  einen  Hauptteil  seiner  Beschäftigung  ausmachte.  1852 
kehrte  er  naoh  Königsberg  zurück  und  beteiligte  sich  lebhaft 
an  den  Zusammenkünften  der  freien  Gemeinde,  die  damals 
stets,  auch  wenn  nur  wenige  Mitglieder  irgendwo  sich  zusammen- 
fanden, von  einem  Polizeikommissar  überwacht  wurden.  Da  er- 
hielt er  urplötzlich  von  dem  damaligen  Polizeipräsidenten  Peters 
einen  Ausweisungsbefehl.  Während  er  sich  anfangs  energisch 
weigerte  diesem  nachzukommen,  fügte  er  sich  später  auf  Johann 
Jacoby's  Bat.  Bis  Michaelis  1852  weilte  er  also  als  Hauslehrer 
(bei  Bender-Catharinenhof)  fern  von  Königberg  und  benutzte  die 
freie  Zeit  nun  besonders  zum  Studium  der  Philosophie. 

Im  Juli  1853  wurde  er  zum  Doktor  promoviert  auf  Grund 
seiner  Dissertation  „Über  die  Prinzipien  von  Herders  Philosophie 
der  Geschiohte".  Sie  ist  zum  Teil  abgedruckt  in  Prutz' 
„Deutschem  Museum"  1856.  (Sie  führt  hier  den  Titel  „Herder 
und  der  Begriff  des  Fortschritts* '  Deutsches  Mus.  hersg.  von 
E.  Prutz  6.  Jahrg.  1856  Bd.  I.  S.  601—614  u.  S.  652—662.) 
Die  Behörde  hatte  inzwischen  seine  Ausweisung  vergessen. 
1855  verlor  Arnoldt  seinen  Vater,  die  Mutter  war  schon  1849 
gestorben.  Damit  aber  brauchte  er  nun  auf  niemand  mehr 
Rücksicht  zu  nehmen.  Er  besuchte  daher  fortan  wieder  die 
Versammlungen  der  freien  Gemeinde,  die  er  seit  seiner  Bückkehr 
nach   Königsberg    seinem    Vater   zuliebe    gemieden    hatte,    und 


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Von  Otto  Schöndörffer.  529 

hielt  dort  gelegentlich  auch  einen  kleineren  Vortrag.  Einige 
Tage  später  wurde  er  von  der  Polizei  vorgeladen,  um  wieder 
einen  Ausweisungsbefehl  zu  unterschreiben.  Doch  wurde  dieses 
Mal  die  Sache  nach  längerm  Hin-  und  Herverhandeln,  bei  dem 
Arnoldt  schließlich  ans  Ministerium  appellierte,  gütlich  beigelegt, 
und  ihm  gestattet,  in  Königsberg  zu  bleiben,  falls  er  nicht  öfters 
Vorträge  in  der  freien  Gemeinde  hielte. 

Übrigens  ist  Arnoldt  zwar  aus  der  Landeskirche  ausgetreten 
und  zwar  hauptsächlich  deshalb,  weil  er  von  ßupp  getraut 
werden  wollte,  aber  nie  Mitglied  der  freien  Gemeinde  ge- 
worden. 

Während  dieser  ganzen  Zeit  verdiente  er  sich  die  Mittel 
zur  Befriedigung  seiner  allerdings  sehr  geringen  Bedürfnisse 
durch  Stundengeben.  Als  er  im  Jahre  1860  heiratete,  mußte  er 
beinahe  seine  ganze  Zeit  darauf  verwenden.  Wie  gewaltige 
Hindernisse  er  dabei  in  sich  überwand,  wenn  er  sich  dieser 
Pflicht  willig  und  ohne  je  zu  murren  bis  zum  Jahre  1887,  in 
dem  ihn  eine  Augenkrankheit  befiel,  unterzog,  kann  nur  der  ganz 
ermessen,  der  Arnoldt  näher  kannte.  1859  hatte  er,  um  des  Eng- 
lischen völlig  mächtig  zu  werden,  eine  Reise  nach  England 
unternommen,  wobei  er  beinahe  sechs  Monate  in  London  weilte. 
Er  gab  auch  später  englischen  Unterricht  an  den  hiesigen  Gym- 
nasien und  mehreren  Mädchenschulen.  Die  englische  Literatur 
aber  und  das  englische  Volk  mit  allen  seinen  Einrichtungen  hatte 
er  seitdem  besonders  in  sein  Herz  geschlossen. 

Der  erste  Aufsatz,  den  Arnoldt  zur  Erläuterung  eines  Be- 
griffes aus  der  Kantischen  Philosophie  veröffentlichte,  erschien 
1858  in  der  Königsberger  Sonntagspost.  (Band  III,  Nr.  44,  den 
31.  Oktober  1858.)  Er  führt  den  Titel  „Ein  Moment  der  Ge- 
schmacksurteile." Die  erste  bedeutendere  Abhandlung  aber 
aus  diesem  Gebiet  erschien  erst  1870.  Sie  handelt  von  „Kants 
transscendentaler  Idealität  des  Baumes  und  der  Zeit,  Für  Kant 
gegen  Trendelenburg"  und  erschien  in  dieser  Zeitschrift. 

Die  Vorzüge  Arnoidts  als  philosophischen  Schriftstellers 
treten  gleich  bei  dieser  Arbeit   klar  hervor.     Am  auffallendsten 


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530  Emil  Arnoldt. 

ist  an  ihr  auf  den  ersten  Blick  die  Gründlichkeit.  Diese  hängt 
mit  seinem  ganzen  Wesen  aufs  engste  zusammen.  Wahrheits- 
streben und  Pflichtgefühl  hießen  ihn  nicht  eher  ruhen,  als  bis 
er  das  Thema,  das  er  gerade  vorhatte,  den  Gedanken,  den  er 
sich  oder  andern  klar  machen  wollte,  ganz  und  gar  in  allen 
seinen  Tiefen  and  in  seiner  ganzen  Breite  völlig  erschöpft  hatte. 
Man  hat  stets  den  Eindruck,  wenn  man  eine  Arnoldtsche 
Schrift  gelesen  hat:  die  Sache  ist  jetzt  abgetan,  mag  es  sich 
um  eine  spekulative  Untersuchung  oder  eine  historische  Dar- 
stellung handeln;  sollte  nicht  der  Zufall  noch  ganz  neue 
Quellen  ans  Tageslicht  fördern,  so  sind  die  Akten  hierüber  ge- 
schlossen, und  da  kann  man  sich  auf  jedes  Wort,  auf  jedes 
Datum,  auf  jede  angegebene  Seitenzahl  aufs  genauste  verlassen. 
Auch  in  der  logischen  Schlußkette  fehlt  kein  Glied,  jeder  Aus- 
druck ist  genau  überlegt,  jede  einmal  gegebene  Definition 
aufs  strengste  festgehalten.  Daß  diese  Genauigkeit  ab  und  zu 
vielleicht  zu  weit  getrieben  ist  und  daß  die  Furcht,  nur  ja  nichts 
auszulassen,  nichts  zu  übergehen  hier  und  dort  dahin  gewirkt 
hat,  daß  ein  Satz  oder  auch  eine  ganze  Arbeit  etwas  Formloses 
erhalten  hat,  ist  um  so  natürlicher,  als  Arnoldt  eigentlich 
ästhetischen  Sinn,  den  Sinn  für  die  schöne  Form  als  solche  und 
damit  Interesse  für  die  bildenden  Künste  und  auch  Freude  an 
schöner  Natur  in  hohem  Maße  nicht  besaß.  Das  Moralische  und 
Intellektuelle  hatten  bei  ihm  durchaus  das  Übergewicht. 

Hand  in  Hand  mit  seiner  Gründlichkeit  geht  sein  Scharf- 
sinn. Beide  fördern  einander:  die  Gründlichkeit  treibt  ihn  zur 
Vollständigkeit  in  seinem  Denken,  und  der  Scharfsinn  hilft  ihm 
darin,  zeigt  ihm  die  Wege  und  läßt  ihn  alle  Lücken  entdecken. 
Beweis  genug  für  die  eminente  intellektuelle  Begabung  Arnoidts 
wäre  schon  seine  genaue,  alle  kleinen  und  kleinsten  Details 
ebenso,  wie  das  Ganze  umfassende  Kenntnis  von  Kants  System. 
Für  diese  legt  jede  seiner  Arbeiten  ein  geradezu  glänzendes 
Zeugnis  ab.  Und  es  war  damals  nicht  so  leicht,  zum  Verständnis 
Kants  zu  kommen,  wie  es  heute  ist.  Kann  auch  heute  der 
geradezu  ekelhafte  Wirrwarr    der   Ansichten  über  Kants  Lehre 


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Vod  Otto  Schöndörffer.  531 

bei  jedem,  der  sich  mit  ihm  zu  beschäftigen  beginnt,  die  größte 
Verwirrung  hervorrufen,  so  gibt  es  doch  heute  immerhin  einige 
gute  Bücher,  die  einen  gar  sehr  beim  Studium  Kants  unter- 
stützen —  die  Schriften  Arnoidts  selbst  gehören  zu  den  besten.  Zu 
Arnoidts  Zeiten  aber  gab  es  die  nicht,  oder  wenigstens  die, 
die  es  schon  gab,  hatte  man  vergessen.  Und  so  mußte  er  sich 
ganz  allein  helfen. 

Arnoldt  ist  kein  produktiver  Philosoph,  er  ist  überhaupt 
nicht  eigentlich  produktiv.  Daß  er  sich  freilich  in  der  Philo- 
sophie so  ganz  an  Eant  anschloß,  ist  wohl  weniger  ein  Zeichen 
von  Unproduktivität  als  von  Ehrlichkeit:  nach  Arnoidts  Meinung 
wenigstens  war  bei  allen  Nachkantischen  Philosophen  doch  immer 
etwas  Eitelkeit,  etwas  Unehrlichkeit  mit  im  Spiele,  wenn  sie 
über  Kant  hinausgingen:  sie  wollten  selbständig  sein,  sich  als 
selbständig  beweisen.  Arnoldt  dagegen,  skeptisch  veranlagt  wie 
er  war,  blieb  stets  des  großen  Philosophen  eigenen  Ausspruchs 
eingedenk,  daß  „die  Besorgung"  der  Philosophie  „mehr  im  Be- 
schneiden als  Treiben  üppiger  Sprößlinge  besteht."  (Ros.  VII, 
1.  Abt.  S.  352).  Arnoldt  hatte  jedoch  die  ganz  eigene  Grabe,  sich 
völlig  in  die  Gedanken  und  Empfindungen  unserer  großen  Denker 
und  Dichter  zu  versenken,  sich  so  in  sie  zu  versenken,  so  in 
ihnen  zu  leben,  alles,  was  sie  nur  angedeutet  oder  ganz  unaus- 
gesprochen gelassen  hatten,  alles,  was  mit  ihren  Gedanken  in 
Zusammenhang  stand,  so  herauszuarbeiten,  daß  er  aus  ihnen 
Schätze  hervorbrachte,  die  ein  anderer  nie  in  ihnen  gefunden 
hätte.  Und  da  wurde  ihm  nun  die  Kantische  Philosophie  zu 
einer  wahren  Wünschelrute,  sie  machte  ihn  doch  nach  mancher 
Richtung  hin  produktiv.  Denn  nicht  nur,  daß  er  ihre  eignen 
Gedanken  nach  allen  Seiten  hin  und  her  wandte,  prüfte,  er- 
gänzte, sie  sich  für  sein  Denken,  Handeln  und  Leben  ganz  und 
gar  zu  eigen  maohte,  sondern,  mit  ihnen  ausgerüstet,  stieg  er 
auch  hinab  in  die  Schachte,  die  von  andern  Philosophen,  von 
Fichte,  Herbart,  Hegel  und  Lotze  gegraben  waren,  begab  sich 
mit  ihnen  in  das  Wunderland  der  Poesie,  besonders  Lessings, 
Schillers,  Goethes  und  Shakespeares,  und   kehrte  auch  von  hier, 


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532  Emil  Arnoldt. 

mit  Schätzen  reich  beladen,  wieder  heim.     Dafür  soll  vor  allem 
sein  literarischer  Nachlaß  Zeugnis  ablegen. 

Alle  die  bisher  genannten  Eigenschaften  prädestinierten 
Arnoldt  geradezu  zum  Lehrer,  zum  akademischen  Lehrer  und 
zwar  besonders  zum  Lehrer  der  Philosophie;  und  es  ist  aufs 
tiefste  zu  beklagen,  daß  die  preußische  Regierung  Arnoldt  seine 
Jugendtaten  nicht  verzeihen  konnte,  gegen  ihn  „mit  dem 
Schwerte  dareinscblug"  und  ihre  „Schar wachen  aufbot",  und  die 
„Jugend,  welche  dem  akademischen  Unterricht  anvertraut  ist, 
von  der  frühen  Kenntnis  so  gefährlicher  Lehren  fernhielt" 
(Kant.  Kr.  d.  r.  V.  Recl.  S.  571  ff.)  Ein  glänzender  Redner 
war  Arnoldt  freilich  nicht.  Er  sprach  oft  höohst  eindrucksvoll 
und  gewandt,  so  wie  ich  es  von  keinem  andern  Menschen,  mit 
Ausnahme  Kuno  Fischers,  gehört  habe.  Besonders  gut,  mit 
geradezu  dramatischer  Lebendigkeit  verstand  er  zu  erzählen. 
Aber  ihm  fehlte  doch  im  allgemeinen  die  Leichtigkeit  und 
Flüssigkeit  des  Ausdrucks,  die  dazu  befähigt,  in  schöner 
Sprache  über  jeden  Gegenstand  aus  dem  Stegreif  zu  reden, 
die  freilich  auch  gar  zu  leicht  mit  einer  gewissen  Ober- 
flächlichkeit Hand  in  Hand  geht  Die  Klarheit  aber  und 
Bestimmtheit  seines  Denkens,  die  Gründlichkeit  und  Tiefe 
seines  "Wissens  und  vor  allem  seine  Persönlichkeit,  die  Tat- 
sache, daß  er  alles,  was  er  lehrte,  auch  vertrat,  vertrat  mit 
allem,  was  in  ihm  lebte,  das  jugendliche  Feuer  seiner  Begeiste- 
rung und  nicht  zum  mindesten  die  Liebenswürdigkeit  seines 
"Wesens,  die  ihn  sich  nie  über  den  Schüler  stellen,  auf  alle  dessen 
Fragen  und  Zweifel,  mochten  sie  auch  ganz  ungerechtfertigt  und 
töricht  sein,  eingehen  ließ  —  alle  diese  Eigenschaften  hätten 
sich  sicher,  wie  jetzt  im  kleinen  Kreise,  so  noch  erfolgreicher 
unter  einer  großen  Zahl  von  Hörern  bewährt,  da  Arnoldt  eben 
nicht  nur  belehrte  und  anregte,  sondern  auch  jeden  empfäng- 
lichen Menschen  im  tiefsten  Innern  ergriff  und  zur  Tugend  und 
Frömmigkeit  hinwies.  Denn  ihm  war  die  Philosophie  „die 
Wissenschaft  von  der  Beziehung  aller  Erkenntnis  auf  die 
wesentlichen  Zwecke  der  menschlichen  Vernunft"  (Kr.  d.  r.  V. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  533 

ßecl.  S.  683),  d.  h.  aufs  Moralische.  Und  wenn  er  auch  den 
herrlichen  Titel  „eines  Lehrers  im  Ideal",  der  alle  Erkenntnisse 
„des  Mathematikers,  Naturkündigers  und  Logikers"  als  „Werk- 
zeuge" nützt,  um  die  wesentlichen  Zwecke  der  menschlichen 
Vernunft  zu  befördern"  (ebendas.),  weit  von  sich  gewiesen  hätte, 
so  verdiente  er  ihn  doch  sicher  so  sehr,  wie  nur  wenige  seiner 
Zeitgenossen. 

Endlich  möchte  ich  noch  zwei  Eigenschaften  Arnoidts, 
die  sich  gleich  aus  dieser  seiner  ersten  bedeutenderen  Abhandlung 
„Über  die  transscendentale  Idealität  des  Baumes  und  der  Zeit", 
die  wir  inzwischen  ganz  aus  den  Augen  verloren  haben,  ergeben, 
hervorheben:  es  sind  sein  Freimut  und  seine  Unerschrockenheit, 
Eigenschaften,  die  sich  allerdings  naoh  dem  vorher  Gesagten 
bei  ihm  von  selbst  verstehen.  Er,  der  unbekannte,  jüngere  Ge- 
lehrte, trat  offen  und  frei  ohne  Höflichkeitsfloskeln,  nicht  auf 
den  berühmten  Namen  des  Angegriffenen,  sondern  nur  auf  die 
Sache  sehend.  Trendelenburg  gegenüber.  Denn  auch  er  „stand 
in  der  Einbildung,  es  sei  zuweilen  nicht  unnütze,  ein  gewisses . 
edles  Vertrauen  in  seine  eignen  Kräfte  zu  setzen.  Eine  Zuver- 
sicht von  der  Art  belebt  alle  unsere  Bemühungen  und  erteilt 
ihnen  einen  gewissen  Schwung,  der  der  Untersuchung  der 
Wahrheit  sehr  beförderlich  ist.a  (Kant  Akademieausg.  Werke  I 
S.  10.) 

Im  Jahre  1874  habilitierte  sich  Arnoldt  auf  den  Wunsch 
seiner  literarischen  Freunde  an  der  Königsberger  Universität 
als  Privatdozent  für  Philosophie.  Er  hatte  stets  einen  großen 
Zuhörerkreis  um  sich  —  ihre  Zahl  belief  sioh  auf  50 — 60  —  und 
wurde  auch  von  der  dortigen  philosophischen  Fakultät  dreimal 
zur  Professur  vorgeschlagen,  aber  immer  von  der  Regierung 
abgelehnt.  Und  als  er  sich  persönlich  in  Berlin  dem  Ministerial- 
rat Goeppert  (unter  dem  Kultusministerium  Falk)  vorstellte, 
gab  ihm  dieser  den  Besoheid,  daß  er  in  Preußen  niemals 
würde  angestellt  werden.  Er  gab  daher  1879  seine  Vor- 
lesungen auf.  Etwa  dreißig  Jahre  später  aber  bot  dieselbe 
preußische  Regierung  gelegentlich   des  Kantjubiläums  im  Jahre 


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534  Enril  Arnoldt 

1904  demselben  Manne  den  Professortitel  an.  Sie  hatte  offenbar 
diese  früheren  Ereignisse  ganz  vergessen.  Arnoldt  aber  kam 
dies  wie  eine  Verhöhnung  vor,  und  der  Überbringer  dieses 
Titels  soll  von  dem  jugendlichen  Feuer  und  dem  sittlichen 
Pathos,  das  unsere  Zeit  kaum  mehr  kennt,  das  aber  in  diesem 
Greise  noch  in  voller  Frische  lebte,  betroffen  genug  gewesen 
sein.     Arnoldt  wies  den  Titel  zurück. 

Die  Habilitationsvorlesung ,  gehalten  den  13.  März  1874, 
handelt  von  „Kants  Idee  vom  höchsten  Gut"  und  ist  besonders 
insoforn  wiohtig,  als  in  ihr  Arnoldt  einen  für  Kants  System 
wichtigen  Begriff,  nämlich  den  vom  höchsten  G-ut,  samt  den 
aus  ihm  gezogenen  Schlüssen  auf  die  Unsterblichkeit  der  Seele 
und  das  Dasein  Gottes  verwirft.  Hier  zeigt  sich  seine  skeptische 
Richtung,  die  natürlich  ganz  verschieden  ist  vom  „Skeptizismus, 
einem  Grandsatze  einer  kunstmäßigen  und  scientifischen  Un- 
wissenheit, welcher  die  Grundlagen  aller  Erkenntnis  untergräbt" 
(Kr.  d.  r.  V.  Reol.  S.  351  f.),  und  die  vielmehr  nur  „von  Vor- 
sichtigkeit der  durch  Erfahrung  gewitzigten  Urteilskraft"  zeugt 
(Ebendas.  S.  580). 

Arnoldt  bringt  gegen  Kant  dreierlei  zur  Geltung  (S.  3): 
„1.  der  Begriff  des  höchsten  Guts  empfängt  bei  Kant  nicht  stets 
die  gleiche  Bestimmung;  2.  keine  von  den  beiden  Bestimmungen, 
die  er  empfangen  hat,  liefert  zur  Begründung  des  Glaubens  an 
die  Unsterblichkeit  der  Seele,  noch  die  von  Kant  durchweg 
erwählte  zur  Begründung  des  Glaubens  an  das  Dasein  Gottes 
einen  ausreichenden  Halt;  3.  nicht  die  Idee  des  höchsten  Guts, 
sondern  das  Bewußtsein  des  moralischen  Gesetzes  im  Zusammen- 
hang mit  sittlichen  Gefühlen  und  Stimmungen  begründet  in 
Wahrheit  den  Gottesglauben,  und  nicht  die  vorzugsweise  den 
drei  Kritiken  eigene  Idee  des  höchsten  Guts  gibt  Kants  persön- 
lichem Religionsbekenntnis  ein  hervorstechend  charakteristisches 
Gepräge,  sondern  die  Idee  von  einem  Reiche  Gottes  unter 
ethischen  Gesetzen,  welche  der  Religion  innerh.  der  Gr.  der  bl. 
Vern.  ist  einverleibt  worden." 

In    der   nun  folgenden  Schrift    „Kants  Prolegomena  nicht 


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Von  Otto  SchöndÖrffer.  535 

doppelt  redigirt :|  (Berlin  Liepmanssohn  1879)  widerlegte  Arnoldt 
B.  Erdmanns  Hypothese,  daß  Kants  Prolegomena  aus  einer 
doppelten  Redaktion  entstanden  seien.  In  dieser  Arbeit  tritt 
seine  Lessingsche  Kampfesnatur  scharf  hervor.  Man  höre  nur 
den  Anfang:  „Benno  Erdmann,  der  neue  Herausgeber  der 
Kant'sohen  Prolegomena,  hat  für  seine  Einleitung  zu  diesem 
Werke,  welche  dessen  historische  Erklärung  enthalten  soll, 
folgenden  Ausspruch  Kants  zum  Motto  gewählt:  „Es  ist  gar 
nichts  Ungewöhnliches  .  .  .  .,  durch  die  Vergleichung  der  Ge- 
danken, welche  ein  Verfasser  über  seinen  Gegenstand  äußert, 
ihn  sogar  besser  zu  verstehen,  als  er  3ich  selbst  verstand,  indem 
er  seinen  Begriff  nicht  genugsam  bestimmte  und  dadurch  bis- 
weilen seiner  eigenen  Ansicht  entgegen  redete  oder  auch  dachte." 
Ist  die  Wahl  dieses  Mottos  ein  Anzeichen  von  Eigendünkel, 
oder  von  Bescheidenheit?  Vielleicht  das  letztere!  Vielleicht  soll 
der  Leser  sich  bemühen,  den  Verfasser  der  Einleitung  besser  zu 
verstehen,  als  er  sich  selbst  verstand.  Wenigstens  hat  dieser 
seine  Begriffe  oft  nioht  genugsam  bestimmt,  und  sich  selbst 
genugsam  oft  zitiert,  daß  beide  Umstände  die  ihm  günstige 
Auslegung  unterstützen." 

Daß  B.  Erdmann  sich  über  Arnoidts  Angriff  und  Sieg  gar 
sehr  ärgerte,  ist  menschlich  wohl  begreiflich,  auch  ist  es  ver- 
ständlich, daß  er  nun  seinerseits  nach  einer  Blöße  ausspähte, 
die  sich  etwa  sein  Gegner  irgendwo  geben  könnte.  Nur  hätte 
er  sicherlich,  auch  nur  bei  der  oberflächlichsten  Kenntnis  von 
Arnoidts  Art  und  Charakter,  sie  da  nicht  gesucht,  wo  er  sie 
schließlich  gefunden  zu  haben  glaubte.  Drei  Jahre  später  nämlich 
gab  Arnoldt  eine  auf  peinlich  genaues  Quellenstudium  gestützte 
Untersuchung  „Kants  Jugend  und  die  fünf  ersten  Jahre  seiner 
Privatdocenturu  (Königsberg,  Ferd.  Beyer  1882)  heraus.  In 
dieser  wies  er  unter  anderm  nach,  daß  Kant  sich  nicht,  wie 
man  bisher  allgemein  angenommen  hatte,  in  der  theologischen 
Fakultät  hat  inskribieren  lassen,  also  nie  Theologie  studiert 
hat  in  der  Absicht,  Geistlicher  zu  werden.  (Vgl.  J.  Jacobson. 
Herrn    Prof.    Benno    Erdraanns   Polemik    gegen    Emil    Arnoldt. 

AHpr.  Monatsschrift  Bd.  XLII.  Uft.  7  u.  8.  35 


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536  Emil  Arnoldt. 

Altpreuß.  Mouatsschr.  Bd.  XIX.  1882.  S-  313  ft)  Dasselbe 
glaubte  B.  Erdmann  in  seinem  Buch  „Martin  Knutzen  and  seine 
Zeit"  Leipz.  Voss.  1876.  dargetan  zu  haben  und  beschuldigte 
daher  Arnoldt  in  ziemlich  unzweideutigen  Worten  des  Plagiats. 
(In  der  dtsch.  Literatur-Zeitung  vom  18.  Febr.  1882.  Nr.  7. 
S.  244.)  Dagegen  veröffentlichte  Arnoldt  in  der  Vossischen 
Zeitung  (vom  5.  März  1882)  eine  geharnischte  Erklärung  (Ab- 
gedruckt in  der  Altpreuß.  Monatsschr.  Band  XIX.  S.  176.), 
und  auch  in  den  Abhandlungen,  die  später  in  den  „Kritischen 
Exkursen  im  Gebiete  der  Kant-Forschung"  (Königsberg,  Ferd. 
Beyer  1894)  zusammengefaßt  wurden,  bricht  sein  Zorn  gegen 
B.  Erdmann  noch  hier  und  da  durch. 

Alle  diese  Arbeiten,  wie  die  von  mir  noch  nicht  erwähnten: 
„Metaphysik,  die  Schutz  wehr  der  Religion"  (1873),  „Kant  nach 
Kuno  Fischers  neuer  Darstellung"  (1882),  „Beiträge  zu  dem  Material 
der  Geschichte  von  Kants  Leben  und  Sohriftstellerthätigkeit  in 
bezug  auf  seine  Religionslehre  und  seinen  Konflikt  mit  der 
preußischen  Regierung"  (1898)  und  endlich  „Über  den  ersten 
Teil  der  ersten  Antinomie  der  spekulativen  Vernunft"  (1904)  — 
alle  diese  Arbeiten  verfolgen  teils  das  Bestreben,  „die  skeptische 
Methode  des  Kritizismus  auf  den  Kritizismus  selbst  und  die 
Darstellungen  desselben  anzuwenden",  teils  bringen  sie  neues 
Material  zu  Kants  Leben  und  dessen  schriftstellerischer  and 
akademischer  Wirksamkeit. 

Als  Arnoldt  im  Jahre  1887  von  einer  Augenkrankheit  be- 
fallen wurde  und  infolgedessen  seine  Augen  bis  zu  seinem  Tode 
außerordentlich  schonen  mußte,  sah  er  sich  genötigt,  seine  ganze 
Tätigkeit  als  Lehrer  des  Englisohen  und  Deutschen  an  Schulen 
oder  in  Privatstunden  aufzugeben.  Nur  die  ihm  lieb  gewordenen 
Vorträge  über  literarische  und  philosophische  Themata  vor 
kleineren  Kreisen  behielt  er  bei.  So  lebte  er  diese  18  Jahre 
bis  zu  seinem  Tode  in  stiller  Zurückgezogenheit,  von  seiner 
Frau  behütet  und  sie  behütend,  in  regem  Verkehr  mit  einigen 
wenigen  meist  jüngeren  Freunden,  ganz  hingegeben  dem  Studium 
seines  geliebten  und  über  alles  verehrten  Kant  und  seiner  Nach- 


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Von  Otto  Schöndörffer.  537 

folger,  Hegel,  Herbart  und  besonders  Fichte  und  Lotze,  sowie 
auch  der  klassischen  deutschen  Literatur  und  Shakespeares,  den 
lebhaftesten  Anteil  nehmend  an  dem  Schioksal  aller  ihm  be- 
freundeten oder  bekannten  Menschen  und  an  allen  Ereignissen 
der  Welt,  von  allen,  die  ihn  kannten,  aufs  höchste  verehrt  und 
geliebt.  Und  so,  in  völliger  Geistesfrische,  nach  wie  vor  in 
jugendlicher  Begeisterung  erglühend  für  alles  Gute  und  Große, 
von  wärmster  Dankbarkeit  erfüllt  für  alle  Liebe,  die  ihm  entgegen- 
gebracht wurde,  auch  körperlich  im  ganzen  rüstig  und  gesund, 
schied  er  nach  kaum  siebentägiger  Krankheit  am  31.  Mai  1905 
von  uns. 

Wir  aber,  seine  Schüler  und  Freunde,  danken  ihm  für  alles, 
was  er  uns  getan,  und  danken  Gott,  der  es  uns  vergönnte,  einen 
solchen  Menschen  kennen  zu  lernen,  aus  dem  das  Übersinnliche 
so  hell  und  herrlich  und  dabei  doch  so  milde  und  freundlich, 
Licht  und  Wärme  spendend,  hervorstrahlte.  Denn  Arnoldt  hat 
jene  Hypothese,  welche  die  theoretische  Philosophie  Kants  zur 
Abwehr  gegen  den  Skeptizismus  an  die  Hand  gibt,  die  freilich 
kein  Mensch  als  richtig  beweisen,  die  aber  jeder  als  wahr 
bezeugen  sollte,  —  nicht  als  eine  Wahrheit,  die  er  hat, 
sondern  als  die  Wahrheit,  die  er  sein  soll  —  er  hat  sie  durch 
sein  Leben  bezeugt  die  Hypothese:  Alles  Leben  ist  intelligibel, 
den  Veränderungen  in  Baum  und  Zeit  nicht  unterworfen,  weder 
mit  der  Geburt  begonnen  noch  mit  dem  Tode  beendigt,  und 
das  räumliche,  zeitliche  Dasein  ist  nichts  als  Erscheinung,  die 
ganze  Sinnenwelt  ein  bloßes  Bild,  das  unserer  jetzigen  Erkenntnis- 
art vorschwebt.  (Vgl.  E.  Arnoldt.  Kants  transscendentale  Ideal, 
des  R.    Schluß.     S.  131.) 


35* 


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Adel  und  Burgerstand  in  und  um  Memel.  11« 

Genealogische  Nachrichten 

auf   Grund   der  Kirchenbücher-Forschung, 

(cf.  Altpr.  Monateschr.  XXXVIII,  pg.  250-289). 

Von 

Johannes  Sembrltzkl,  Memel. 


"Wenn  ich  meiner  im  Jahre  1901  unter  obigem  Titel  in 
dieser  Zeitschrift  erschienenen  Arbeit  jetzt  eine  Fortsetzung 
folgen  lasse,  so  geschieht  dies,  weil  die  der  ersteren  erfreulicher 
Weise  zu  Theil  gewordene  Aufmerksamkeit  mich  nooh  mehr  von 
der  Nützlichkeit  solcher  Veröffentlichungen,  zuvörderst  für  die 
Familien-,  sodann  aber  auch  für  die  Provinziai-  und  Kultur- 
Geschichte,  überzeugt  hat.  Die  vorliegende  zweite  Zusammen- 
stellung stützt  sich  als  Nachlese  fast  nur  auf  die  Kirchenbücher 
der  Johanniskirche  zu  Memel;  einiges,  mit  „Prk"  bezeichnet, 
stammt  aus  den  Kirchenbüohern  aus  Prökuls  (das  älteste  davon 
ist  ein  1732  beginnendes  Taufbuch).  Von  Herrn  Geh.  Archivrat 
v.  Mülverstedt  zu  Magdeburg  mir  freundlichst  mitgeteilte  Er- 
gänzungen sind  durch  „v.  M.u  kenntlich  gemacht.  Ein  den  be- 
treffenden Namen  vorgesetztes  „(I)u  bedeutet,  daß  über  diese 
Familie  schon  im  ersten  Teile  meiner  Arbeit  Nachrichten  ge- 
geben sind,  die  hier  ergänzt  werden. 

Agilis.  1663,  31.  Aug.  läßt  Jonas  Agilis,  Suecus,  ein  fremder 
Schulmeister,  eine  Tochter  tfn. 

Beerbohm  siehe  Boerdansz. 

v.  Baehr,  v.  Behr.  1700,  13.  Septbr.  „durch  expresse  Post 
nach  Lithauisch  Crotingen  [jetzt  Buss.  Crottingen,  Kretynga] 
abgeholet  und  getauft  des  Herrn  Werner  von  Bähren  T. 


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Von  Johannes  Sembritzki.  539 

Dorothea.  Tfzgn.  Erzpriester  Concius,  Fr.  Landrath  v.  Baehr, 
Frau  Großmutter  Fr.  v.  Wetterhorst.  —  1702  d.  1.  Mai  get. 
Sohn  Dietrich  des  Hauptm.  v.  Behr,  Erbherr  auf  Sohl  .  .  . 
[unleserlich]  in  Curland  [die  Taufe  ist  im  Juni  nach- 
getragen]. —  1767,  d.  20.  Octbr.  Hedwig  Eleonora  von  Baehr 
„der  Frau  Obristen  von  Puttkammer  Fräulein  Schwester" 
67  J.  alt  gestorben  u.  deD  26.  October  in  dem  v.  Bummei- 
schen Gewölbe  vor  dem  Altare  der  Stadtkirche  begr. 

v.  Bergen,  Carl  Ludwig,  fiptm.  beim  Füs.-Btl.  v.  Eichler,  heir. 

Dom.  Sexag.   1797  Frln.  Sophia  v.  Beyer,    älteste  Tochter 

des  Ober-Cons.-Eth  v.  Beyer. 
Berg  er,  George  Friedrich,  aus  Magdeburg,  reformirt,  Lieutenant, 

wird,  38  Jahre  alt,  am  30.  Januar  1810  Bürger  in  Memel 

(Bürgerbuch), 
v.  Berrenhauer.    1802,  26.  Januar  t  die  Wittwe  des  gewesenen 

Generals  Sigismund  August  v.  B.,  Susanne  Elisabeth  geb. 

v.  Bliesen,   74  J.  alt,   ohne  Kinder.   —  v.  Bernhauer  war 

Generalmajor  u.  Chef  des  Garnison-Begts.  in  Heiligenbeil, 

Heilsberg,  Allen  stein  etc.     Er  starb  24.  März  1798.    v.  M. 
v.  Billerbeck,    Fähnrich,    1724   und    1727    Vater    unehelicher 

Kinder  von  der  Cath.  Elis.  Petersen. 
(I)  v.  Blomberg,  Frln.  1756  (Nr.  167)  Pathin  bei  einem  Bauern. 

Prk.     Siehe:  de  la  Bretonniäre. 
v.  Blumenthal,  Capitain,  Pathe  1743  (Nr.  48).    Prk. 
v.  Bondeli,     siehe    v.    Rummel.      (Friedrich    Julius    Freiherr 

v.  Bondeli  war  1740  Amtsverweser  in  Memel.) 
Botha.     1736,   16.  Novbr.    Lieut.  Joach.  Botha  aus  Magdeburg 

73jährig  gestorben  u.  am  19.  begr. 
(I)  v.  Borck.    1727,    1.  April,    des    Hr.  Major    v.  Borck    Söhnl. 

v.  51/»  J.   in  der  Kirche  im  Gewölbe  vor  dem  Altar  begr. 
1735,   15.  Novbr.    Major  Joh.  Henr.  Borck  gest.,  den  23.  in  der 

Stadtkirche  begr. 
1741,   12.  April   Frln.  v.  Borok  im  Gewölbe  der  Stadtkirche 

beigesetzt. 


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540  Adel  UQd  Bürgerstand  in  und  um  Memel.   II. 

(I)  v.  Brabänder.  1772,  21.  Juni  f  Christina  Wilheimina  v.  B., 
älteste  Tochter  des  Obristwaohtmstr.  v.  B.  vom  Rgt.  v.  Hall- 
mann, 22  J.  7  Mon.  7  Tage  alt.  „Den  26.  im  Gewölbe  der 
Stadtkirche  unter  Geläut  begraben." 

(I)  v.  Bragge  wol  zu  lesen  v.  Bagge.    v.  M. 

v.  Brauohitsoh,  Kriegsrath,  1769  (Nr.  85)  Pathe  bei  Amtmann 
Franz  Jakob  Possern.    Prk. 

de  la  Bretonniere.  1753  (Nr.  207)  Frau  Majorin  d.  1.  B.  Pathin 
bei  Pfarrer  Jakob  Wessel.  —  1753  (Nr.  226)  Herr  Major 
Pathe  bei  Präcentor  Jakob  Tranz.  —  1754  (Nr.  224)  Obrist- 
wachtmstr.  d.  1.  B.  Pathe,  1754  (Nr.  232)  Major  d.  1.  B.  Pathe 
(bei  einem  Unteroffizier  aus  Memel).  1756  (Nr.  167)  Frau 
Majorin,  Pathin  bei  einem  Bauern.     Prk. 

de  la  B.  war  aus  Frankreich  gebürtig,  hatte  vom  Lieutenant 
bis  zum  Major  in  russischen  Diensten  gestanden  und  ein 
Frln.  v.  Blomberg  aus  Kurland  geheirathet.  Er  war  dann 
bei  Prökuls  angesessen,  brannte  (ob  infolge  der  russischen 
Invasion?)  völlig  ab  und  wohnte  1760  in  Tilsit.  Zwei 
Söhne  von  ihm  standen  in  preußischen  Militärdiensten,  v.  M. 
„Es  hat  der  Herr  Major  Jean  de  la  Bretonniere  sein  im 
Amte  Prökuls  gelegenes  Cöllm.  aus  7  Hüben  1  Morg.  5  But 
bestehendes  Guth  nebst  6  Hüben  Chatoul-Land  bei  Kuschen, 
cum  att-  &  pertinentiis  vor  eine  Summa  von  4250  fl.  pr.  c. 
an  den  Herrn  Johann  Georg  Gleich  verkauftet. u  Kgsbg. 
Frag-  u.  Anzeig.-Naohr.  1759,  Nr.  44  v.  3.  Novbr. 

v.  Briesen  cf.  v.  Berrenhauer. 

(I)  v.  den  Brincken.  1702  am  Schlüsse  des  Jahres  steht  im 
Taufregister:  „Hr.  Obrister  Bringk  aus  Curland  hat  mich 
nach  Baugscorallen  gefordert  und  daselbst  einen  Sohn  tauffen 
lassen,  wobey  Zeugen  gewesen  Hr.  Hauptmann  Ambach, 
Hr.  v.  Blumberg  u.  Fr.  Oberhauptmann  Kayserlingen  alle 
aus  Curland."  Der  Taufname  des  Sohnes  ist  nicht  an- 
gegeben. —  1710,  17.  Decbr.  „Hrn.  von  den  Brincken 
Kindchen    [Leiche]    ist    nach    Bezahlung    der    Schule   und 


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Von  Johannes  Sembritzki.  54  \ 

Glocken    nach    Dtech.    Crottingen    geführet."      Vergl.    v. 
Schlippenbach. 

(I)  de  Brion.  1752,  20.  April  f  des  Hrn.  Hptm.  de  B.  Söhn- 
lein [wol  der  1751  geborene].  —  1756,  1.  Decbr.  „starb  in 
partu"  Frau  Hptm.  Maria  Amalia  v.  Brion,  geb.  v.  Grott- 
hus,  begraben  auf  d.  Kirchhof  des  Guts  Götzhöfen.  —  Sie 
war  geb.  27.  Febr.  1722  und  heirathete  den  Friedr.  Wilh. 
de  Brion  27.  Nov.  1743.  —  In  I,  pg.  261,  Z.  16  v.  u. 
heißt  der  Taufzeuge  nicht  „Schrebenski",  wie  im  Kirchen- 
buche steht,  sondern  Skrbenski.     v.  M. 

Jacob  de  Brion  stammte  aus  Frankreich,  stand  anfänglich 
beim  Begt.  des  Marquis  de  Varenne  und  wurde  1691  als 
Stabscapitain  zum  Dönhoff'schen  Begt.  versetzt.  Er  f 
13.  Novbr.  1717.  —  Charles  de  Brion  hatte  noch  einen 
Sohn  Charles,  Lieutenant  im  Bgt.  de  l'Hospital.  Er  trat 
Decbr.  1709  in  das  DönhofFsche  Begt.,  wurde  1711  Faehn- 
rich,  1715  Secondelieutenant  u.  als  Cornet  versetzt  zum 
Kronprinzl.  Begt.  zu  Pferde  (v.  d.  Oelsnitz,  Gesch.  d. 
1.  Begt.). 
Adam  Joh.  Jacob  de  Brion  war  1769  F&hnrich  im  Begt. 
Bevern,  wurde  wegen  schlechter  Conduite  zu  vier  Jahren 
Festung  (in  Pillau)  verurtheilt  und  ging  nach  überstandener 
Strafe  1773  ohne  Abschied  außer  Landes.  Dadurch  erlosch 
wol  das  Geschlecht.  Ein  Frln.  de  Br.  lebte  1788  unver- 
mählt in  Festenberg  in  Schlesien.  Im  Wappen  der  Brion 
ist  der  Schrägbalken  in  3.  nicht  mit  drei  Löwenköpfen, 
sondern  schreitenden  Löwen  belegt,    v.  M. 

Hauptmann  v.  Brion  auf  Götzhöfen  hat  mit  Conoession 
der  Kgl  Lithauischen  Kammer  seinen  Adligen  Krug  nebst 
Wiesen  in  Büß  an  Amtmann  Kuweit  verkauft  (Kgbg.Frag-  u. 
Anzeig.-Nachr.1755,  Nr.  8).  Das  heutige  Adl.  Brionischken 
bei  Büß,  Gut  mit  Krug  und  Fähre,  groß  96,61  Hektar. 

In  Tilsit  gab  es  ein,  1838  dem  Domainen-Fiscus  gehöriges 
Brion'sches  Erbpachtsgrundstück,  belegen  an  der  Schleusen- 
brücke und  bestehend   aus  Wohnhaus,   Hof  u.  7«  Morgen 


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542  Adel  und  Bürgerstand  in  und  um  Meine!.   II. 

Land.     (Amtsblatt  Gumb.,    1838,   pg.  561.)     Leider  war  in 

den  Grundbuchakten    nichts    über  die  ehemaligen  Besitzer 

Brion  zu  ermitteln, 
v.  Brumsee.     Am  1.  Febr.  1756    ein   unehel.  Kind  getauft  des 

Lieut.  Ludwig  Wilhelm  v.  B.  beim  Regt.  v.  Luck. 
v.  Buchenau,  George,  Obristwachtmstr.  beim  Egt.  Puttkammer, 

heir.  1771,  23.  Juli,  Susanna  Sophia  v.  Hall  mann,  älteste 

Tochter    des  Oberstlieut.  u.   Commandeurs    des   genannten 

Regts.,  Friedrich  Sylvius  v.  H. 
v.  Buchholz. 

1.  Christian  v.  B.,  in  Windenburg  geboren,  wurde  1742,  29  J. 
alt,  Großbürger  in  Memel,  f  1758  d.  6./17.  April.  Mit 
Barbara  Catharina,  geb.  Eundt,  hatte  er  zwei  Söhne: 

a)  1747,  geb.  6.  Juni,  get.  9.  Juni,  Christian.  Er  wurde 
1768,  21  J.  alt,  Großbürger  u.  heir.  7.  Septbr.  1769 
Anna  Catharina,  Tochter  des  verstorb.  Rathsverw. 
Wilhelm  Tranz.     Sohn: 

1786,  29.  Mai  geb.,  6.  Juni  get.  Christian. 

b)  1749,  geb.  12.  April,  get  15.  April,  Joh.  Friedrich. 
Er  heir.  als  Negotiant  im  Juni  1777  Maria  Juliana 
Dorsch,  Tochter  des  verstorb.  Kaufm.  u.  Großbürger 
Carl  Dorsch  zu  Kgsbg.     Dort  copulirt.     Kinder: 

aa)  1778,  12.  Juli  geb.,  17.  Juli  get.  Joh.  Ferdinand, 
bb)  1780,    20.  Febr.  geb.,    25.  Febr.    get.  Wilhelm 
Friedrich. 

2.  Friedrich  v.  B.,  in  Einten  geb.,  wurde  1746,  28  J.  alt, 
Großbürger  u.  heir.  16.  Nov.  1758  Maria  Louise,  jüngste 
Tochter  des  Eaufm.  Alexander  Lehmann.  Er  starb  2.  Mai 
1762  als  Aeltermann  der  Kaufmannszunft  und  wurde  am 
6.  in  der  lithauischen  Eirche  begraben.  Er  hatte  zwei 
Söhne: 

a)  1760,  geb.  11.  Decbr.  get.  16.  Decbr.  Friedrich.  Dieser 
„ein  zur  See  Handelnder",  heir.  im  Febr.  1786  Christina 
Dorothea,  Tochter  des  verstorb.  Eaufm.  u.  Brau-Assessor 
Friedrich  Wenk  zu  Egsbg.     Dort  copuliert. 


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Von  Johannes  Sembritzki.  543 

b)  1761,  geb.  19.  Octbr.,  get.  22.  Octbr.  Christian. 

Ein  Friedrich  v.  B.  aus  Memel  studiert  seit  Winter 
1807 — 8  in  Königsberg  Cameralia  u.  ist  später  Pächter  der 
Bosembschen  Güter. 

Ein   Lieutenant    und    Agent  Johann  v.   Buchholz,   aus 

Kurland  gebürtig,  saß  ca.  1750  auf  KL  Przelenk  im  Kreise 

Neidenburg.     1755  soll  das  Testament  seiner  Wittwe,  Anna 

x    Catbarina,  geb.  Steinhöbel,  publicirt  werden  (Kgsbg.  Frag- 

u.  Anzeig.-Naohr.  1755,  Nr.  20). 

(I)  v.  Budda,  Buddae  [nach  dem  Kirchenbuche  nicht  Buddau] 
1766.  Friedr.  Wilhelm  v.  B.  heir.  Frau  Anna  Dorothea, 
Wittwe  des  Kölm.  Erbsassen  auf  Janischken  Daniel  Gott- 
schalck.  Copul.  11.  Febr.  im  Hause.  —  1771.  Des  Lieut 
Friedr.  Wilh.  „v.  Buddi"  Stief-  u.  Ptiegetochter,  Maria 
Juliana  Gottschalck,  älteste  Tochter  des  verst.  Cölm.  Erbs. 
auf  Janischken,  wie  auch  Großbürgers,  Kauf-  u.  Handels- 
manns allhier,  Daniel  Gottschalck,  heir.  den  Apotheker  Joh. 
George  Blümel  7.  Novbr.  —  1783,  1.  Febr.  f  Anna  Doro- 
thea, Tochter  des  Erzpriesters  Pauli,  65  J.  alt,  zuerst  ver- 
heir.  mit  Daniel  Gottschalck,  dann  mit  Lieut.  Friedr.  Wilh. 
„v.  Budd  oder  Buddae".  1786,  8.  Februar  heirathet  Friedr. 
Wilh.  v.  B.,  gewesener  Lieut.,  Anna  Dorothea,  Tochter  des 
Kaufm.  u.  Großbürgers  Adam  Zippel.  —  Bei  s.  Tode 
28.  Mai  1787  (siehe  I)  hinterläßt  er  außer  der  Wittwe  eine 
Sohwester  in  Bußland. 

v.  Bülau  siehe  v.  Mirbach. 

C  an  not,  Alexander  Philipp,  Kaufmann,  aus  Königsberg,  wird 
Großbürger  in  Memel  12.  Januar  1764.  —  1756  heirathet 
Dr.  med.  u.  Stadtphysicus  Joh.  Friedr.  Schroeder  in  Memel 
die  jüngste  Tochter  Barbara  Charlotte  des  „Ersten  Kgl. 
Hofpredigers,  Predigers  der  reformirten  Pfarrkirche  zu 
Königsberg,  Consistorialraths  und  Inspectoris  der  reform. 
Kirchen  und  Schulen  in  Preußen  wie  auch  des  Kgl. 
Waisenhauses44  Claudius  Cannot.    Copul.  in  Kgsbg. 


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544  Adel  und  Bürgeretand  in  und  um  Meniel.   II. 

(I)  de  Chapelle.  1673,  XII  p.  Trinit,  heirathet  Capitain-Lieute- 
nant  Thomas  Ch.  die  Tochter  Eleonore  des  verstorbenen 
Hrn.  Wolff  von  Löthen.  Dieser  war  1668  als  Letzter 
seines  Stammes  gestorben.     v.  M. 

1675,  21.  Octbr.  getauft  Tochter  Dorothea  Juliane. 

Capitän  Thomas  de  Chapelle  stand  1661  beim  Inf.-Begt.  Schwerin 
(dann  in  Colberg).     v.  M. 

(I)  v.  Chlebowski.  Seine  Vornamen  sind:  Christian  Wilhelm. 
v.  M. 

v.  Ecksparre,  Peter,  Buss.  Oberst,  1813,  8.  Febr.  am  Nerven- 
fieber verst.  52  J.  alt.    Hinterl.  3  Tchtr,  in  Riga. 

(I)  v.  Ellert,  Major,  1752,  22.  Decbr.  plötzlich  verstorben  und 
auf  dem  Soldaten-Kirchhoff  more  milit.  beerdigt. 

Encquist.  1670,  7.  Septbr.  getauft  Friedrich  Encquist,  posthumer 
Sohn  des  schwedischen  Majors  Friedrich  Encquist  und 
seiner  Wittwe  Anna  Margaretha. 

Frank,  Franck,  Francke. 

1701,  19.  Juni  getauft  Christoph,  Sohn  des  „Arrendator  vom 
Neuen  Vorwerck".  1741,  19.  Novbr.  f  Christoph  Francke, 
Erbherr  auf  Eckitten  etc. ;  29.  Novbr.  auf  dem  Szabernschen 
Kirchhof  begr. 

1.  Maria  Dorothea,  Tochter  des  verstorbenen  Christoph  Franck, 
Erbherrn  von  Tauerlauken  und  Eckitten,  und  jetzige 
Pflegetochter  des  Joh.  Gabriel  Kolb,  nunmehrigen  Erb- 
herrn von  Tauerlauken,  wie  auch  von  Rumpischken  und 
Daupern,  heirathet  29.  Mai  1753  den  Egl.  Preufi.  Amtmann 
zu  Budwethen,  Gebhard  Christian  Hasfort. 

2.  Joh.  Ernst  Franck,  Kölm.  Erbsasse  des  Gutes  Kriszullen, 
heir.  17.  I.  1766  die  Juliana  Louisa  Kraus,  Tochter  des 
Amtsraths  von  Clemmenhof  u.  Erbherrn  von  Adl.  Crottingen, 
Georg  Albrecht  Kraus  (Crause). 

(I)  v.    Fresin.     Es  waren  Caspar  v.  F.  u.  s.  Gemahlin  Barbara 

Christiana  geb.  v.  Kerben, 
v.  Fürstenberg,  Christian  Ewald,  Hauptm.  d.  Inf.,  heir.  Frau 

Sophia  Dorothea  geb.  Heohel,  Wwe.  des  Großbürgers,  Kauf- 


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Von  Johannes  Sembritzki.  545 

u.  Handelsmannes  Johann  Friedrich  Schwarz,  4.  Mai  1775.  — 
1788,  7.  Aug.  f  Dorothea  Sophia  v.  Fürstenberg,  geb. 
Hechel,  71  J.  alt;    hinterließ  den  Wittwer,    keine  Kinder. 

v.  Gattenhöfen.  1734  (Nr.  72)  Frln.  Wilhelmine  Charlotte  v.  G. 
Pathin,  ebenso  1735  (Nr.  96).  —  1736  (Nr.  122,  166)  Frln. 
Henriette  v.  G.  Pathin.     Prk. 

Eine  einst  wohlbegüterte,  namentlich  in  Norkitten  an- 
gesessene, aus  Franken  stammende  Adelsfamilie.  Sie  er- 
losch 1785  durch  den  Tod  des  Preuß.  Rittmeisters  Leopold 
Wilhelm  v.  G.  auf  Pistken  bei  Lyck.     v.  M. 

(I)  Glaeser.  Es  ist  Perkoden,  eine  Ortschaft  jenseits  der  Grenze 
an  der  Dange. 

v.  Goes,  siehe  v.  Koschkull  und  v.  Tiesenhausen. 

(I)  v.  Gohr.  1769,  25.  Juli  f  Johann  Christoph  v.  Gohr,  Ca- 
pitata beim  Egt.  v.  Puttkammer,  50  J.  6  Mon.  alt;  „den 
27.  in  der  teutschen  Stadtkirche  funere  gen.  u.  mit  einer 
Leichen-Predigt  beerdigt".  —  Er  war  geb.  30.  Januar  1718, 
kam  nach  den  schles.  Feldzügen  an  das  Rgt.  v.  Puttkammer 
in  Memel  u.  wurde  hier  1755  Prem.-Lieut.,  1759  Stabs-, 
1767  wirkl.  Capitain.  v.  M.  —  Ein  Herr  v.  Gohr  war  1813 
Bezirks-Commandant  des  Landsturms  im  Intendanturamt 
Memel;  Lieut.  a.  D.  Ludwig  v.  Gohr  auf  Kischken-Gerge 
starb  14.  Januar  1848,  63  J.  alt.  Hinterl.  2  Stiefschwestern, 
wovon  eine  die  Majorin  v.  Höfen  in  Tilsit,  und  1  Stief- 
bruder ßhenius. 

Gorraiski.  1709,  12.  Febr.  getauft  Johann  Bartholomäus,  Sohn 
des  „mercator"  Christoph  G.  Dieser  war  auch  Gerichts- 
Verwandter. 

Joh.  Bartholomäus,  war  1726  stud.  phil.,  1731—1766 
Kgl.  Unter-Bibliothekar  zu  Königsberg,  Hofrath  und  Hof- 
gerichts-Advokat.  Sein  Sohn  Abraham  Esdias  Johannes, 
getauft  13.  Septbr.  1744  in  der  Schloßkirche  zu  Kgsbg. 

Stammvater  der  Familie:  Barthel  Goresky  von  Schwerin 
i.  d.  Mark,    als   Soldat  getraut  mit   Regina   Tauber   1621, 


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546  Adel  und  Bürgerstand  in  und  um  Memel.   II. 

Dom.  XIII  p.  Trinit.  —  1627  ist  er  Kürschner  (also  aus- 
gedient) u.  wird    ihm    23.  Febr.  ein  Sohn    Christoph   geb. 

v.  Grahn.  1738,  13.  Juni  „ein  Schwedisoher  Begiments-Quartier- 
meister  Christoph  v.  G.,  der  hier  als  ein  Bettler  krank 
hergekommen  und  in  Armuth  gestorben,  still  begraben." 

Gregorovius.  Johannes  G.  aus  Benkheim,  „Hrn.  Jobann  Daublers 
Churf.  Ambts  Schreibers  alhier  Handschreiber4*  heirathet 
1669  Dom.  XVI  Trinitatis  die  Wittwe  Elisabeth  des  Fouriers 
Michael  Klage  von  Major  Carlings  Compagnie;  1670,  7.  Febr. 
läßt  er  einen  Sohn  Raphael  taufen. 

(I)  v.  Gregorski  war  Königl.  Polnischer  Kammerherr. 

(I)  v.  Grothusen,  v.  Grotthus.  Ernst  Johann  v.  G.  war 
Capitain-Lieutenant  und  Erbherr  auf  Sattycken  (Kr.  Oletzko) 
und  Tauerlauken.  Er  ist  der  Großvater  der  Maria  Amalia, 
verehel.  de  Brion  (s.  d.). 

Gurioff,  Lieutenant,  1760  Pathe  bei  einem  Bauern  (Nr.  175). 
Frk. 

v.  Haehne.  1787f  15.  Septbr.  f  Hermann  Christoph  Leonhard, 
Sohn  des  Majors  Daniel  Gottfried  v.  H.  u.  s.  Gem.  Anna 
Elise  geb.  v.  H.,  6/*  J»  a^>  *n  Salanten  (jenseits  der  Grenze) 
begraben. 

(I)  von  Hagen.  1750,  21.  Decbr.  f  dar  Kleinschmidt  Mstr. 
Baltasar  von  Hagen  u.  den  29.  mit  der  halben  Schule  begr. 

v.  Hallmann.  1768,  28.  April,  f  Louisa  Friederica  Henrietta 
v.  H.,  jüngste  Tochter,  welche  nur  14  Tage  alt  wurde,  des 
Majors  u.  Commandeurs  des  Regt.  v.  Puttkamer,  Friedrich 
Sylvius  v.  H.  und  dessen  Gemahlin  Carolina  Ernestina 
Christina  geb.  Baronesse  v.  Bobenhausen.  —  1769,  1.  März 
f  CharJotta  Sophia  Friedericia  Anna  v.  H.,  älteste  Tochter 
der  vorigen,  im  17.  Jahre  und  wurde  am  8.  in  der  lithatL 
Kirche  begraben.  —  1771  heirathete  die  nunmehr  älteste 
Tochter,  Susanna  Sophia,  den  Obristwachtmstr.  v.  Buchenau 
(siehe  d.).  —  1771,  20.  Octbr.  f  Sophia  Carolina,  6  Stun- 
den alt. 


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Von  Johannes  Bembritzki.  547 

(I)  Hamilton.  1663,  23.  Juni  getauft  Sohn  Adam  Friedrich 
des  Capitains  Patrick  Hammelthon  und  Frau  Elisabeth  geb. 
Krohn.  —  1741,  9.  Mai  ist  der  Major  Johann  Hamilton 
auf  dem  reformirten  Kirchhof  begraben. 

(I)  v.  Harten.  Es  lebten  damals  noch  ein  Wilhelm  v.  H.  (Frau 
Elisabeth  Wulfen;  läßt  17.  Novbr.  1665  Sohn  Beinhold 
Heinrich  tfn.)  und  ein  Christian  v.  H.,  Zeugwärter  (läßt 
16.  Aug.  1666  Tochter  Maria  tfn.)  Der  Feuerwerker  Mi- 
chael v.  H.  ließ  schon  24.  Aug.   1685  Tochter  Sophie   tfn. 

Hasfort  (Hasford)  siehe  Frank. 

v.  Haubit z.  1761,  29.  März  f  der  ehemal.  Kgl.  Preufl.  Wall- 
mstr.  Hr.  v.  H. 

(I)  v.  Heidebreck,  v.  Heydebrecht.  1748,  17.  Octbr.  „des 
Hptm.  v.  Heydebrecht  eintziges  Söhnlein  v.  10  Jahren 
Namens  Leopold  Otto  Philipp  David  gest.  u.  den  21.  in  der 
teutsch.  Kirche  beerd." 

v.  Hjelmburg.  1748,  8.  Mai  „ist  des  Hrn.  Major  v.  Schechta 
Secretarius  und  wie  einige  wollen  dessen  naher  Anver- 
wandter Hr.  v.  Hjelmburg,  ein  Schwede  von  Geburt,  in 
seinen  besten  Jahren  gestorben  u.  den  10.  ej.  beerdigt." 

v.  Hirschfeldt.  1781,  18.  Novbr.  f  Wilhelmina  Sophia  Con- 
cordia,  Töchterlein  des  Accise-Inspectors  Johannes  Theo- 
'phihi8  v.  Hirschfeldt  u.  seiner  Gemahlin  Juliana  Charlotta 
geb.  Wiegandt,  5  Mon.  alt.  —  1782,  6.  Septbr.  f  der 
Accise-Inspector  v.  Hirschfeldt,  43  J.  alt.  Hinterließ 
1  Mutter,  1  Bruder,  1  Schwester,  die  Wittwe  u.  5  Kinder. 
Eins  davon  starb  bald  undJ1790,  4.  Febr.  auch  die  Wittwe, 
45  J.  alt,  an  der  Schwindsucht. 

v.  Hörn  er.  1700,  2.  Juli  getauft  „Hrn.  Major  von  Hörner, 
dessen  Gemahl,  aus  Curland  hierher  geflüchtet  und  ent- 
bunden worden,  Tochter  Anna  Elisabeth.  Testes:  Frau 
v.  Beck  aus  Curland,  Frau  v.  Kaiserling,  Frau  Baron 
Knigge,  Frau  Maria  Dorothea  Concius,  Frau  Anna  Issert, 
Hr.  Obrist  Crüger,  Hr.  Bector  Michael  Geisler. 


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548  Adel  und  Bürgeretand  in  und  um  Memel.    II. 

v.  Holster.  1784,  13.  Juni  f  Thomas  Bogdan  v.  H.,  ca.  30  J. 
alt  „ein  Bedienter  aus  der  Suite  der  hier  durchgegangenen 
[durchgereisten]  Frau  Generalin  v.  Bauer  am  hitzigen 
Fieber.     Er  soll  aus  Finnland  gebürtig  seyn." 

(I)  v.  Hülsen.  Anna  Margaretha  v.  H.  war  1663  verheiratbet 
mit  Capitain-Lieutenant  Antonius  Schröter.  18.  April  1663 
beider  Sohn  Johannes  Gotthard  getauft.  Taufzeugin:  Jung- 
frau Marth.  v.  Hülsen.  1671,  13.  April  Sohn  Antonius  ge- 
tauft. —  Die  Frau  des  Ehenius  (siehe  I)  war  Besitzerin 
von  Eydzewen  (Kr.  Oletzko),  welches  sie  1792  verkaufte. 

Jagen  teuf  el,  von  Windenburg,  Pathe,  1734  (Nr.  215).    Prk. 

v.  Katerszinsky,  Lieutenant,  Patbe  1737  (Nr.  189;  Plikunren). 
Prk. 

(I)  Kleist.  Der  Lieut.  Kleist  ist  5.  Mai  1733  nicht  gestorben, 
sondern  begraben. 

(I)  Klingbeil.  Charlotte,  älteste  Tochter  des  Kgl.  Land- 
Kammer-Bath8  Gottfried  K.,  heirathet  1.  Juli  1766  den 
Arrendator  von  Eckitten,  Johann  Jacob  Sartorius. 

(I)  v.  Kniazewitz,  Friederike,  heirathet  1.  Juni  1826  den  Leih- 
bibliothekar Wilh.  Steinbrecher.  —  Controllern*  Otto  Johann 
v.  K.  starb  16.  Juli  1816,  55  J.  alt,  in  Memel. 

v.  Knigge.  1700  Frau  Baronesse  v.  K.  Tfzgn,  (siehe  v.  Wo- 
beser).  —  1700,  3.  Novbr.  Tfzgn.  Frln.  Baronesse  Maria 
Loysa  de  Kniggin. 

Kolbe,  Kolb.  1736,  13.  Decbr.  Herr  Gabriel  Kolbe  von  Eum- 
pischken,  73  J.  alt,  in  der  Litth.  Kirche  begr.  Vergl.  Franck. 

(I)  v.  Kosohkull.  Die  Wittwe  v.  K.  heirathete  6.  Oktobr.  1785 
den  Peter  Johann  Ernst  v.  Goes,  welcher  Landrath  des 
Kgl.  Poln.  Piltenschen  Kreises  u.  Erbherr  der  in  demselben 
belegenen  Waynodischen  Güter  war. 

v.  Kröchern.  1628,  19.  Ootbr.  Leutnant  Daniel  v.  K.  als  Pathe 
erwähnt. 

v.  Kruse.  1761,  10.  Juni  „ist  des  Hrn.  Obristen  Jürgen  v.  Kruse, 
Schiffs  Capit.  vom  1  sten  Eange  von  d.  Euss.  Kays.  Flotte, 


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Von  Johannes  Sembritzki.  54g 

Söhnlein  v.  31/»  Jahr  an  den  Pocken  gestorben  u.  den  12.  ej. 
im  Gewölbe  der  hies.  teutschen  Kirche  begr." 

v.  Linden,  gen.  Rechenberg.  1786,  5.  Febr.  f  Friedrich 
Casimir  v.  L.,  gen.  R.,  gewesener  Kgl.  Preuss.  Lieut,  der 
sich  seit  13  Jahren  im  Hofe  Bachmann  aufgehalten,  61  J. 
alt;  auf  dem  Eckitter  Kirchhof  begr.  Hinterläßt  ein  Frl. 
Schwester  in  Curland. 

Lion.  1712,  24.  Decbr.  +  der  fremde  Obristlieutenant  Lion  aus 
Livland;  d.  28.  interimistisch  im  KoschkulPschen  Gewölbe 
beigesetzt« 

v.  Löthen  siehe  de  Chapelle. 

Mädersen.  1755.  Christoph  Ernst  M.,  Prem.  Lieut.  bei  dem 
Corps  Artillerie,  heir.  Christiana  Lovisa,  älteste  Tochter 
des  Ingenieur  Major  Christian  Rück  er.    Copul.  5.  Febr. 

v.  Manstein,  Major  u.  Commandant  von  Memel,  reformirt, 
t  29.  Octbr.  1790  am  Schlage,  47  J.  alt. 

v.  Manteuffel.  1675,  17.  Juli  ließ  taufen  „Hr.  Zöge  genannt 
Manteuffel  aus  Churland  eine  Tochter  Anna  Sybyllia  [sie] 
Taufzeugen:  Hr.  Oberst  v.  Löbel,  Rath,  Gericht,  Kauf- 
mannszunft, Frau  Oberstin  v.  Nolde. 

v.  May,  1760  Pathe  bei  einem  Bauern  (Nr.  175).  Prk.  (Wol  vom 
russischen  Militär.) 

v.  Mertens.  1739,  20.  April  Frau  Lieut.  v.  M.,  geb.  Rentel, 
in  der  Litth.  Kirche  begr. 

1748,  8.  Januar,  heir.  Lovisa  Charlotta,  einzige  Tochter 
des  Hrn.  Gustav  Ernst  v.  Mertens,  den  Joh.  Heinr.  Hoff- 
mann, Bürger,  Kauf-  und  Handelsmann. 

v.  Meyrentz.  1790,  6.  Febr.  f  Frln.  Sophia  Charlotta  v.  M., 
beim  Major  v.  Manstein,  49  J.  alt. 

v.  Miltitz.  1763,  23.  April  f  Hauptm.  v.  Miltiz  an  einer  hart- 
näck.  Obstruction  u.  den  26.  auf  dem  Soldaten  Kirchhoff 
more  militari  begraben.  —  Seine  Wittwe  heir.  1764  den 
Hptm.  v.  Wobeser  (siehe  d.) 

(I)  v.  Mirbach.  1705,  28.  April  getraut  Emmerich  Johann  v,  M., 
Herr   in    Pusseneken  u.  Amlen  [?|    in  Kurland,    und  Frln. 


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550  A(iel  und  Bärgerstand  in  und  um  Memel.    II. 

Juliana  Eleonora,  nachgelassene  Tochter  des  Kgl.  Obristen 
und  Herrn  auf  Bässen  u.  Abaurhoff  f?],  David  v.  Bülau. 

1769,  12.  Juli  „hör.  8  vesp.  sind  Sr.  Excellence  der 
Kgl.  Poln.  Würkl.  Geheimde  Rath,  des  Johanniter  und 
St.  Andreas  Ordens  Bitter  Starost  von  Polangen  Erbherr 
v.  Laukozem  und  Lepaizen,  Hr.  Eberhard  Christoph 
v.  Mirbach,  nachdem  sie  sich  wegen  der  jetzig.  Polnisch. 
Unruhen  seit  0  Monath  hieselbst  aufgehalten,  im  60.  Jahre 
Ihres  Alters,  welches  d.  17.  Januar  1770  würde  beschlossen 
worden  seyn,  mit  Tode  abgegangen  u.  den  17.  ejusd.  Abends 
still  in  dem  Gewölbe  der  Stadt-Kirche  bis  zur  weiteren 
Abführung  nach  Curland  in  dero  Erb  Begr&bniß,  beygesetzt 
worden*4. 

(I)  v.  Morstein.  1774,  11.  Juli  f  Louisa  Albertina,  Töchterlein 
des  Hrn.  Reinhold  Heinrich  v.  M.,  p.  t.  Arrendatoris  m 
Miszeiken,  und  seiner  Ehegattin  Maria  Elisabeth,  im  14.  Jahr 
u.  auf  dem  Miszeiker  Kirchhof  begr.  —  1810,  8.  März 
lassen  tfn.  Christoph  Hagen,  Stadtchirurgus,  und  Anna 
Regina,  geb.  v.  Morstein. 

(I)  v.  Müllenheim.  1766,  28.  März  f  der  Sohn  Friedrich  Arnold 
Carl  des  Hauptm.  im  Rgt.  Puttkammer  Carl  Philipp  v.  M. 
und  seiner  Gemahlin  Henriette  Regina  geb.  v.  Flörcke, 
4  Mon.  22  Tage  alt. 

Mülverstädt,  Joh.  Carl,  gewesener  Lieutenant  beim  v.  Rembow- 
schen  Püsil.  Bau.,  heir.  31.  Juli  1794  Wittwe  Maria 
Elisabeth  Schulz,  geb.  Gronau. 

(I)  Muttray.  Maria,  Tochter  des  Aeltermanns  der  Kaufmann- 
schaft Mertin  Mutteray,  heirathet  29.  Octbr.  1711  den 
Bürger,  Kauf-  und  Handelsmann  Christoph  ftollack.  Aber 
schon  15.  Octbr.  1713  heirathet  dieser  wieder  die  Tochter 
Anna  Catharina  des  verstorbenen  Constantir*  v.  Boemmeln.  — 
In  Thl.  I,  pg.  275,  Zeile  15  von  oben  soll  es  statt  „un- 
vermählt*'  heißen:  vermählt,  ein  Sohn. 

(I)  Nicastre.  1666,  11.  Aug.  getauft  Tochter  Agatha  Henriette, 
1670,  20.  Febr.  Tochter  Maria  Eleonora. 


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Von  Johannes  Sembritzki.  551 

(I)  v.  Oginski.  1751.  Samuel  Christian  v.  0.,  Obristlieut.  beim 
Egt.  l'Hospital,  heir.  Charlotte  Dorothea  v.  Ostau,  nach- 
gelassene Tochter  des  Obristlieut  Fabian  Albrecht  v.  Ostau. 
Procl.  „ein  vor  allemahl"  Dom.  4  p.  Epiph.  1751.  Copulirt 
in  Königsberg,  —  1752,  20.  Decbr.  Samuel  Christoph  [sie!] 
v.  0.,  Kgl.  Preuß.  Obristlieut.  „nach  gehaltener  Standrede 
in  hies.  Gewölbe  beygesetzet". 

(I)  v.  Orlietz  fraglich,  vielleicht  v.  Orlick.     v.  M. 

v.  Ostau,  cf.  v.  Oginski. 

Pascha.  1735,  10.  Mai  Frau  Lieut.  Pascha  geb.  Wessel  more 
mil.  auf  dem  Soldatenkirchhof  begr.  —  1739,  28.  April 
Lieut.  u.  Platzmajor  Caspar  Adam  Pascha,   72  J.  alt,  begr. 

v.  Penzig,  Joh.,  Hptm.,  u.  Ehefrau  Albertine  Charl.  v.  Losch, 
4.  Octbr.  1811  f  Töchterchen  Johanne  Natalie,  10  Mon. 

(I)  v.  Peirille.  Der  Lieutenant  hieß  Johann  Carl  Leopold 
Wilhelm  v.  P.  (Poerille)  u.  stand  beim  v.  Hausenschen 
Inf.-Reg.;  er  heirathete  im  März  1793  Anna  Wilhelmine 
Caroline  Bernis,  Tochter  des  Kgl.  Licent-Inspector  Bernis. 
Reform,  copul. 

(I)  Persode.  Andre  Persode  de  Domangeville,  aus  Lothringen, 
war  1724  Oberstleutnant,  1735  Oberst,    (v.  d.  Oelsnitz.) 

(I)  v.  Puttkammer.  1771  3.  Juni  „hies.  Commandant,  Obrister 
der  Inf.  u.  Chef  des  hies.  Regte,  ein  Freund  Qottes  und 
seiner  Diener,  75  Jahr  weniger  21  Tage  alt,  sanft  und  selig 
entschlafen  u.  den  11.  in  der  Stadt  Kirche  im  v.  Rummei- 
schen Erbbegr.  begraben44. 

v.  Puttlitz  (Pudliz)  Lieut.,  1628  Pathe. 

v.  Rhaden,  Cornet,  1685  Taufzeuge. 

v.  Rahn  1758,  13./24.  Febr.  f  Lieut.  v.  Rahn  „des  hier  in 
Garnison  stehenden  Permischen  Regiments44. 

Reitenbach.  1735,  26.  April,  ist  der  Amtmann  R.  begraben 
[wo?  ist  nicht  angegeben;  eine  dafür  gelassene  Lücke  blieb 
unausgefülltj. 

v.  Retzdorf,  Kriegsrath,  1751,  (Nr.  186)  Pathe  bei  Amtmann 
Friedrich  Arnold.     Prlc. 

Altpr    Monatsschrift  Bd.  XML     Hft.  7  u.  b.  30 


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552  Adel  und  Bürgeretand  in  und  um  Memel.    II. 

(I)  v.  Roenne.  im  Taufbuch  1703,  25.  Juni:  Hrn.  von  Rönne 
T.  Eleonora  Gottliebe. 

(I)  Roerdansz.  Ernst  Joachim  Beerbohm  heir.  28.  Juni  1759 
die  Tochter  Anna  Dorothea  des  verstorb.  Rathsverwandten 
Heinr.  Roerdansz.  —  1773,  25.  Febr.  heirathet  er  zum 
zweiten  Male  u.  zwar  die  Wittwe  des  Negotianten  Gottlieb 
John  in  Kowno,  Christina  Gottliebe,  geb.  Frenzel.  — 
1774,  15.  Juni,  heir.  Lorenz  Lorck,  „vornehmer  Negotiant". 
Catharina  Elisabeth,  jüngste  Tochter  des  [unlängst]  verstorb. 
Negotianten  Heinr.  Roerdansz. 

(I)  v.  Rosenberg.  1790,  1.  Febr.  f  Wilhelm  Heinrich  Johann, 
Sohn  des  Hauptmanns  u.  Besitzers  von  Raddeilen,  Sigis- 
mund  Gustav  v.  R.,  IV2  J.  alt.  —  Otto  v.  R.  hatte  Maria 
Wilhelmina  v.  Stempel,  älteste  Tochter  des  Gotthard 
v.  Stempel  auf  Eckitten,  am  20.  Octbr.  1791  geheir.  — 
Peter  Carl  Johann  v.  R.  heir.  2.  Juni  1819  Johanna 
Dorothea,  Tochter  des  verstorb.  Pfarrers  in  Tilsit  Christoph 
Fröhlich. 

v.  Roth,  Anton  Christian,  Capit.  im  3.  Kaiserl.  russ.  Jäger-Rgt, 
30.  Juli  1807  ertrunken  im  Hafen,  28  J.  alt. 

Rücker,  Rückert,  Christian,  beim  Ingenieur- Corps,  siehe: 
Mädersen  und  v.  Wedelstädt. 

(I)  v.  Rummel.  1738,  13.  Juli  Frau  Amalia  Lovisa  Baronesse 
Bondeli,  Gemahlin  des  Lieut.  Ewald  v.  R.,  mit  2  todt- 
geborenen  Söhnen  in  der  Stadtkiche  begraben  erster  Classe. 
—  1766,  5.  Juni,  Abends  10  Uhr  f  „Hr.  Ernst  Christoph 
Hartwich  v.  Rummel,  gewes.  Kgl.  Preuß.  Obristlieut.  bei 
dem  v.  Canitzisch.  Rgt.,  auch  ehemalig.  Interims- Com- 
mendant  de  1757,  u.  den  9.  im  v.  Rummeischen  Erb- 
begräbnis vor  dem  Altar  beerdigt.  Er  war  gebohren  d. 
7.  Octbr.  1698  u.  ist  also  alt  worden  67  Jahre  7  Mon. 
29  Tage.  Er  lebte  in  den  letzten  Jahren  hier  als  ein 
Privater  ordentlich  und  christl." 

v.  Rungen.  1761,  25.  Aug.  f  Corporal  v.  R.  „von  der  Russ. 
Garnison,  ein  Bruder  des  jetzigen  Hrn.  Platz  Major". 


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Von  Johannes  Sembritzki.  553 

v.  Sacken,  Ewald,  verabschiedeter  Lieut.  v.  Rgt.  Bosniaken, 
7.   Febr.    1801    gest.,    66  J.    alt;    den    14.    begr.     Hinterl. 

1  Bruder. 

v.  Salmanow.  1762,  17.  Febr.  „die  Frau  Capitainin  v.  Salmanow, 
von  hies.  Russ.  Kayserl.  Garnison  gestorben,  welche  sich 
durch  tägl.  Besuchen  und  Pflege  der  Preuß.  krancken 
Kriegsgefangenen  gleichfalls  den  Tod  geholet,  war  Evangel. 
luther.  Religion,  den  19.  ej.  fun.  gener.  in  der  teutschen 
Stadt  Kirche  begraben,    eine  wahre  Jüngerin  Jesu". 

v.  Schaffstaedt.  1756,  27.  Febr.  f  des  Hrn.  Obristlieut.  v.  Seh. 
Tochter,  1  Jahr  weniger  17  Tage  alt. 

v.  Schechta,  Obristwachtmstr.  beim  Regt  de  l'Hospital  1750, 
siehe  v.  Hjelmburg. 

Schleicher,  Baron.  1722,  23.  Novbr.  „Ein  fremder  Schwed. 
Obrister  still  und  gratis  Armuths  wegen  begraben.  Nomen 
Baron  Ulrich  Albrecht  Schleicher." 

v.  Schlichting,  Friedrich,  f  13.  Decbr.  1806  am  Nervenfieber. 
Hinterl.  Eltern  in  Heilsberg.    13  J.  alt. 

(I)  v.  Schlippenbach,  Carl  Ernst,  Kgl.  Preuß.  Capitain  v.  d. 
Inf,  heir.  1768,  8.  Septbr.,  Anna  Margaretha  von  den 
Brincken,  des  Friedr.  Heinr.  v.  d.  B.  hinterlassene  ehe- 
leibliche und  des  Otto  Ernst  v.  d.  B.,  Erbherrn  des  Guts 
Bangskorallen  Pflegetochter.    Copul.  im  Hofe  Bangskorallen. 

(I)  Schlüter.  1738,  20.  Juni,  Obristlieut.  Henrich  Schlieter, 
08  J.  8  Mon.  alt,  plötzlich  gestorben  u.  am  24.  solutis 
solvendis  in  Crottingen  begraben. 

v.  Schmidtkow,  Joh.  Carl  Aug.  Wilh.,  Hptm.  im  Füs.  Btl. 
1807  vacant  v.  Wakenitz,  1809  v.  Hamberger,  u.  Ehefrau 
Anna  Charlotte  Stoddert.  30.  Septbr.  1807  f  Söhnl.  Friedr. 
Paul,  1  J.;    8.  Jan.  1801)   f  Töchterl.  Alexandrine  Jeanette, 

2  Mon. 

Senner t.  1750,  27.  April  „ist  Hr.  Sennert  ein  Curländischer 
Prediger  von  beinahe  80  Jahren,  welcher  sich  hieselbst  als 
emeritus  einige  Jahre  bey  seinem  Bruder  aufgehalten,    ge- 

36* 


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554  Adel  und  Bürgerstand  in  und  um  Memel.   II. 

starben  u.  in  der  Litth.  Kirche  begraben  worden,  nachdem 
demselben  eine  Leichenrede  gehalten  worden". 

Zur  Berichtigung  des  v.  Recke  und  Napiersky  sehen 
Lexikons,  wo  1749  als  Todesjahr  angegeben  ist.  S.  war 
ein  geborener  Memeler,  seit  1711   Prediger  in  Pilten. 

(I)  v.  Springenfeld  (nicht:  Springerfeld)  wurde  1785  Seconde- 
lieut.  beim  Hallmannschen  Rgt.  u.  1788  als  Premier-Lieut. 
zum  Depot-Batl.  des  Inf.  Rgts.  v.  Wildau  versetzt    v.  M. 

(I)  v.  Stempel.  1769,  12.  Octbr.  f  George  Wilhelm  v.  St, 
Schwiegervater  des  Hrn.  v.  Stempel  auf  Jacken,  Kgl. 
Lieutenant,  73  J.  alt,  in  Jacken  und  daselbst  begraben.  — 
1821,  4.  Aug.  f  Peter  v.  Stempel,  56  J.,  coelebs. 

v.  Tieffenbach.  Carl  Friedrich  v.  T\,  Dr.  med.  „und  des 
Memelschen  Creyses  designirter  Stadt-  und  Land-Physicus" 
heir.  18.  Octbr.  1779  Carolina  Amalia  Sommer.  Copul.  in 
Pillau.  —  Er  f  1800,  d.  27.  Febr.,  56  J.  alt,  am  Schlag- 
fluß.    Bei  dieser  Eintragung  heißt  er  nur  „Tieffenbach'1. 

(I)  v.  Tiesenhausen.  1749,  22.  März  f  Frau  v.  T.  auf  ihrem 
Gut  Miszeiken  u.  ist  den  10.  April  daselbst  in  ihrem  Ge- 
wölbe begraben.  —  1757,  28.  Juli  geb.  Carl  Gustav,  Sohn 
des  George  Carl  v.  T.  auf  Miszeiken  und  1.  Gemahlin  Anna 
Elisabeth  geb.  v.  Goes.  —  v.  T.,  Herr  von  Miszeiken, 
t  26.  Decbr.  1757  in  Garsden,  wohin  er  wegen  der  Kriegs- 
unruhen in  Preußen  geflüchtet  war.  —  1786,  d.  4.  Mai 
f  Frln.  Johanna  Charlotta  v.  T.,  40  J.  alt;  auf  dem  Goetz- 
höfer  Kirchhof  begraben.  -  1786,  d.  27.  Juli  f  Frln. 
Hedwig  Juliana  v.  T.,  46  J.  alt;  auf  dem  Kirchhof  vor 
dem  Brüokenthor  begraben.  Hinterläßt  2  verheirathete 
Schwestern.  —  Dorothea  Eva  v.  T.  war  Gemahlin  des  am 
28.  Febr.  1782  verstorbenen  Bürgermeisters  von  Memel 
Gottfried  Meyer. 

v.  Trützschler,  Major,  Tauf  zeuge  7.  Novbr.  1683. 
Uhger,  Christian  Gottlieb,  geb.  26.  März,  getft.  30.  März  1762, 
Sohn    des   Schneiders  Joh.  Andreas  Unger,    gest.   1838    als 


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Von  Johannes  Sembritzki.  555 

Bürgermeister  von  Libau.    Der  Vater,  Andreas  TL,  stammte 
aus  Goldap  und  wurde,    24  J.  alt,    1757  in  Memel  Bürger. 

v.  Ustarbowski,  Ernst  Heinrich,  Lieut.  im  Füs.  Btl.  v.  Bergen, 
endet  13.  Januar  1809  durch  Selbstmord.  Mutter  in 
Pommern.    28  J. 

Vater,  Christoph,  Lieutenant.  Frau  Maria  N.  N.;  1643  Sohn 
Christoph  getauft.  Tfzge.  Major  Jochim  v.  Möhlen.  — 
1692  Christoph  V.  Stadt-Messer. 

(I)  v.  Vietinghof,  Frau  Anna  Martha,  Tfzgin.  bei  Wagenseil 
1714.  —  1719  wird  das  Gut  Jacken  „alias  Vietinghofen- 
hof"  genannt. 

v.  Vogt.     1743  d.  14.  April  Capit.  v.  V.  gest.,  den  16.  begr. 

Wagenseil.  G-abriel  W.,  1674  oder  1675  zu  Altorf  geb.,  wol 
ein  Sohn  des  Polyhistors  und  Professors  Johann  Christoph  W. 
an  der  damaligen  dortigen  Univ.,  ist  zu  Königsberg  am 
26.  October  1697  als  ,, Gabriel  Wagenseilius  Altorffinus  J.  U. 
Licenciatus"  inscribirt,  wurde  8.  Juni  1700  Mitglied  der 
Kaufmannszunft  zu  Memel  und  Stadtsecretär  zu  Memel. 
1723  war  er  außerdem  auch  Actuarius,  Advocatus  Ordinarius 
und  Präses  vom  Tranksteuer-Collegium.  Ueber  seine  erste 
Ehe  ist  nur  bekannt,  daß  derselben  zwei  Töchter:  Barbara 
Elisabeth  (geb.  9.  Octbr.  1706)  und  Dorothea  Charlotte 
(geb.  24.  Mai  1708)  entsprossen,  und  daß  die  Frau  am 
7.  Juni  1711  begraben  wurde.  1712,  24.  Januar  wurde  er 
in  Memel  „auff  Kgl.  allergnädigsten  Befehl  einmahl  vor 
allemahl  im  nahmen  Gottes  proclamiret"  und  am  4.  Februar 
in  Königsberg  getraut  mit  Maria  Dorothea,  ältesten  Tochter 
des  verstorbenen  Dr.  med.  und  Prof.  public,  ordin.  Philipp 
Jakob  Hartmann  in  Königsberg.     Kinder: 

1712,  8.  Decbr.  Philipp  Jakob  (Septbr.  1728  zu  Königs- 
berg immatrioulirt), 
1714,  31.  Jan.    Maria  Sophia, 

1714,  30.  Decbr.  Johann  Christoph  (Pathen:  Martin 
Sylvester  Grabe,  Kgl.  Rath,  Leibmedicus  u.  Bi- 
bliothekar; Capitäu-Lieut.  v.  Grothusen;  Frau  Anna 
Martha  v.  Vietinghof), 


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556  *  Adel  und  Bürgerstand  in  uud  um  Memcl.    II. 

1717,  1.  Januar  Helena  Dorothea, 

1718,  28.  Aug.  Benigna, 

1719,  7.  Septbr.  Joh.  Wilhelm, 

1721,    8.  März  Carl  Friedrich    (2.  Mai  1741    zu  Königs- 
berg   immatriculirt)    und    28.   Decbr.    eine    Tochter 
Theodora,  welche  am  selben  Tage  starb, 
1723,  12.  Octbr.  Barbara  Dorothea. 

Außerdem  ist  Octbr.  1722  Daniel  Wilhelm  W.  zu  Königs- 
berg immatriculirt,  wol  ein  Sohn  erster  Ehe;  als  jur.  cand. 
repet.  7.  Aug.  1738  (Matrikel). 

Ueber    den  Tod   des  Gabriel  W.  sagt  das  Kirchenbuch: 
„3.  Juli  1731    Post-Secretär    Gabriel   Wagenseil    in    der 
litth.  Kirche    still  begrabend    Danach  hätte  er    seine  1723 
genannten  Aemter  in  späterer  Zeit  aufgegeben, 
v.  Walter.     1790,   16.   April    -J*   Aurelia    Justina,    Tochter    des 
Hauptmanns  Carl  Anton  v.  W.  und  seiner  Gemahlin  Char- 
lotta  geb.  Wahn,  *U  J.  alt. 
(I)  v.  Wangenheim.    Die  1791  geb.  Tochter  Friderike  heirathete 
den    kathol.  Matrosen    Stanislaus  Aranowitz;    5.  Juni  1814 
wurde    ihnen   e.  Sohn  Wilh.  August  geb.     Sie  wird    dabei 
nur  ^,  Wangenheim"  genannt, 
v.  Wedeil,    George    Wilhelm,    Hptm.    a.  D.,    starb,    55  J.   alt, 

15.  März  1827. 
v.  Wedelstaedt.    1768,  30.  Aug.,  heirathet  Georg  Anton  v.  W., 
Lieut.    im    ßgt.    Puttkammer,    Charlotte    Johanna    Sophia, 
jüngste  Tochter  des  Obristwachtmstr.  beim  Ingenieur-Corps 
Christian  Rückert. 
Wessel,  Daniel,  1665  Wybranzen-Capitain. 
v.  Wismann,    Georg  Wilhelm  Ferdinand,    ertrank,    17  J.    alt, 
am  4.  Juli  1799. 

v.  Wittke.  1776,  10.  Juni  f  das  1  Jahr  alte  Söhnchen  Joh. 
Wilhelm  Ferdinand  des  Capitains  im  Rgt.  v.  Hallmaun 
Franz  Mathes  v.  W.  und  seiner  Gemahlin  Albertiua  Lovisa 
geb.  v.  Grabowskit 


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Von  Johannes  Sembritzki.  557 

v.  Wobersnow.  1770,  2.  März  „ist  der  Obristlieut  Georg 
Joachim  v.  W.,  welcher  vormahls  bey  hiesig,  Rgt.  ge- 
standen, 74  J.  alt  am  Schlagfluß  gestorben  u.  den  6.  auf 
dem  Soldatenkirchhof  still  begraben".  Er  stand  1750  als 
Hauptmann  beim  ßgt.  de  l'Hospital. 

(I)  v.  Wobeser.  1700,  14.  Novbr.  get.  des  Hptm.  v.  W.  Sohn 
Carl  Ludwig.  Tfzgn.  Gouverneur,  Commandant,  Obristwacht- 
mstr.  v.  Eommel  [Rummel],  Frau  Baronessin  v.  Knigge.  — 
1764.  Johann  Nicolaus  v.  W.,  Capitain  beim  Rgt.  v.  Putt- 
kammer, heir.  Frau  Louisa  Christiana  geb.  v.  Schivelstein, 
des  Capitains  bei  genanntem  Rgt.  August  Leberecht 
v.  Miltiz  Wittwe.     Copul.  5.  Juli  im  Hause. 

v.  Wrancke.  1784,  14.  Mai  f  Carl  Otto  Friedrich,  Sohn  des 
früheren  Lieut,  jetzigen  Licent-Controlleurs  Otto  Ludwig 
v.  W.  und  s.  Gemahlin  Sophia  Dorothea  geb.  Poltzien, 
1 XU  J-  alt.     (Bekanntes  westpreuß.  Adelsgeschlecht.) 

(I)  Zedmer.  1749,  3.  Octbr.  starb  Frau  Juliane,  geb.  v.  Bommel, 
Wittwe  des  Hptm.  Zedmer,  im  69  Jahre;  am  13.  im  Ge- 
wölbe der  Stadtkirche  beerdigt. 

v.  Ziegler.  Kriegsrath,  1760  (Nr.  153)  Pathe  bei  Amtmann 
Friedrich  Arnold.     Prk. 

v.  Zollen.  1617  Wilhelm  von  (van?)  Zollen  Taufzeuge  am 
22.  Aug.;  1618,  12.  März  Wilhelm  von  Zollen  jun.  Tfzge. 
Ob  identisch  mit  Wilhelm  v.  Zellen,  auf  dessen  Hochzeit 
1619  ein  Lied  gedruckt  ist?  (cf.  Altpr.  Monatsschr.  IV, 
pg.  433,  Anm.);  oder  ist  dort  „Zellen"  ein  Druckfehler  für 
„Zollen4'? 

(I)  v.  Vogel.  1781  d.  20.  Juli  f  Frau  Juliana  Friderica  Carolina 
de  Vernon,  geb.  de  Vogel,  uxor  des  hies.  Stadt-Inspectoris 
Hrn.  Peter  de  Vernon  [Verf.  e.  französ.  Grammatik],  44  J. 
alt  an  der  Schwindsucht  und  den  23.  ejusd.  in  poln. 
Crottingen  begraben  [also  katholisch].  Hinterl.  den  Hrn. 
Witwer,  1   Tochter  u.  3  Söhne. 


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Kants  gesammelte  Schriften. 

Akademieausgabe. 
Band  II. 

Von 
Otto  SchSadSrlTer. 


Der  zweite  Band  der  Werke  enthält  die  zweite  Hälfte  der 
vorkriti8ehen  Schriften  aus  den  Jahren  1757 — 1777.  Es  sind 
17  Abhandlungen,  die  von  vier  Herausgebern  ediert  sind,  und 
zwar:  1.  Entwurf  und  Ankündigung  eines  Collegii  der  physischen 
Geographie.  1757,  herausgegeben  von  Paul  Oedan.  2.  Neuer 
Lehrbegriff  der  Bewegung  und  Buhe.  1768.  3.  Versuch  einiger 
Betrachtungen  über  den  Optimismus.  1759,  beides  herausgegeben 
von  Eurd  Lasswitz.  4.  Gedanken  bei  dem  frühzeitigen  Ableben 
des  Herrn  Johann  Friedrich  von  Funk.  1760,  herausgegeben 
von  Paul  Menzer.  5.  Die  falsche  .Spitzfindigkeit  der  vier  syllo- 
gistisohen  Figuren.  1762,  herausgegeben  von  Eurd  Lasswitz, 
mit  einer  Einleitung  von  P.  Menzer.  6*  Der  einzig  mögliche 
Beweisgrund  zu  einer  Demonstration  des  Daseins  Gottes.  1763 
von  P.  Menzer.  7.  Versuch,  den  Begriff  der  negativen  Größen  in 
die  Weltweisheit  einzuführen.  1763  von  E.  Lasswitz.  8.  Beob- 
achtungen über  das  Gefühl  des  Schönen  und  Erhabenen.  1764 
von  P.  Menzer.  9.  Versuoh  über  die  Krankheiten  des  Kopfes. 
1764  von  Max  Eöhler.  10.  Untersuchung  über  die  Deutlichkeit 
der  Grundsätze  der  natürlichen  Theologie  und  der  Moral.  1764, 
herausgegeben  von  E.  Lasswitz,  mit  einer  Einleitung  von 
P.  Menzer.  11.  M.  Immanuel  Kants  Nachricht  von  der  Einrichtung 
seiner  Vorlesungen  in  dem  Winterhalbenjahre  von  1765 — 1766. 
herausgegeben  von  K.  Lasswitz     12.  Träume  eines  Geistersehers, 


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Von  Otto  Schöndörffer.  550 

erläutert  durch  Träume  der  Metaphysik.  1766,  herausgegeben 
von  P.  Menzer.  13.  Von  dem  ersten  Grunde  des  Unterschiedes 
der  Gegenden  im  Baume.  1768,  herausgegeben  von  E.  Lasswitz. 
14.  De  mundi  sensibilis  atque  intelligibilis  forma  et  principiis. 
1770,  herausgegeben  von  Erich  Adickes,  (das  Lesartenverzeichnis 
ist  von  Emil  Thomas)*  15.  Recension  von  Moscatis  Schrift.  1771, 
herausgegeben  von  K.  Lasswitz.  16.  Von  den  verschiedenen 
Racen  der  Menschen.  1775,  herausgegeben  von  M.  Köhler  und 
endlich  17.  Zwei  Aufsätze,  das  Philanthropin  betreffend.  1776 
bis  1777,  herausgegeben  von  P.  Menzer. 

Die  erste  Schrift,  Entwurf  und  Ankündigung  eines  Collegii 
der  physischen  Geographie  etc.,  deren  Datierung  durch  den  von 
E.  Arnoldt  (Kritische  Exkurse  im  Gebiete  der  Kantforschung. 
1894.  S.  285)  mitgeteilten  Zensurvermerk  vom  13.  April  1757 
sichergestellt  ist,  ist  zum  ersten  Male  nach  einem  Originaldruck, 
aus  dem  Paulus-Museum  in  Worms,  ediert.  Dieser  enthält  auch 
die  Kolleganzeige,  die  in  den  früheren  Ausgaben  fehlte,  und 
durch  diese  wird  das  Verzeichnis  der  uns  bisher  bekannt  ge- 
wordenen Vorlesungen  Kants  vervollständigt. 

Interessant  ist  die  Brief  stelle,  die  bei  Gelegenheit  der  Ab- 
handlung „Versuch  einiger  Betrachtungen  über  den  Optimismus" 
neu  veröffentlicht  wird.  Sie  ist  einem  Briefe  Kants  an 
Lindner  vom  28.  Oktober  1759  entnommen,  der  der  Redaktion 
der  Akademieausgabe  erst  jetzt  zugegangen  ist.  Kant  äußert 
sich  hier  in  äußerst  charakteristischer  Weise  über  den  Herrn 
Magister  Weymann,  den  Verfasser  der  Dissertation  „De  mundo 
non  optimo".  Die  bekannte  Parallelstelle  dazu  aus  dem  Briefe 
Hamanns  an  Lindner  vom  12.  Oktober  1759  (vgl.  Hamanns 
Schriften  und  Briefe  herausgegeben  von  M.  Petri.  1872.  Band  I, 
S.  257)  hätte  in  der  Einleitung  wohl  auch  wenigstens  zitiert  werden 
können. 

Bei  dem  Trostsohreiben  gelegentlich  des  frühzeitigen  Ab- 
lebens des  Herrn  J.  P.  v.  Funk,  von  dem  es  noch  in  der  Ein- 
leitung in  die  Abteilung  der  Werke  der  Akademieausgabe, 
Band  I,  S.  508,  heißt,  daß  es  die  einzige  Schrift  Katiis  sei,   bei 


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560  Kants  gesammelte  Schriften. 

der  man  den  Originaldruck  nicht  habe  auffinden  können,  ist  es 
in  letzter  Stunde  doch  noch  gelungen,  einen  solchen  zu  benutzen. 
Er  stammt  aus  dem  Besitz  des  Kurländischen  Provinzial-Museums 
in  Mitau  und  A.  Warda  hat  den  Herausgeber  auf  ihn  hin- 
gewiesen. —  Zu  dem  in  der  Einleitung  angegebenen  Neudruck 
hätte  der  in  der  Beilage  zu  Nr.  280  der  Königsberger  Zeitung 
vom  28.  November  1832  noch  hinzugefügt  werden  können,  der 
allerdings  nicht  ganz  vollständig  ist. 

Bei  den  folgenden  sechs  Schriften  war  es  schwierig,  eine 
genaue  Datierung  zu  geben.  Ist  doch  ihre  chronologische 
Reihenfolge  heftig  umstritten  worden.  Sie  scheint  mir  in  der 
vorliegenden  Ausgabe  ziemlich  sioher  klargelegt  zu  sein  und 
ist  folgende: 

1.  Die  falsche  Spitzfindigkeit  der  vier  syllogistischen  Figuren, 
Beginn  des  Wintersemesters  1762/63. 

2.  „Der  einzig  mögliche  Beweisgrund  zu  einer  Demonstration 
des  Daseins  Gottes"  erschien  in  der  zweiten  Hälfte  des  De- 
zember 1762. 

3.  Versuch  den  Begriff  der  negativen  Größen  eto.  Der 
Zensurvermerk  datiert  vom  3.  Juni  1763. 

4.  Betrachtungen  über  das  Gefühl  des  Schönen  und  Er- 
habenen.    Zensurvermerk  vom  8.  Oktober  1763. 

5.  „Versuch  über  die  Krankheiten  des  Kopfes"  in  den 
Königsbergschen  Gelehrten  und  Politischen  Zeitungen  vom 
13. — 27.  Februar  1764  erschienen. 

6.  „Untersuchungen  über  die  Deutlichkeit  der  Grund- 
sätze etc.u  Als  Preisschrift  eingereicht  am  31.  Dezember  1762. 
Am  2.  Juni  1763  war  die  Preisverteilung,  und  erst  am  16.  Mai 
1764  berichtete  Hamann  an  Lindner:  „Die  akademischen  Preis- 
und  Wettschriften  ....  sind  angekommen.  (Vgl.  Hamanns 
Schriften  und  Briefe.     1872.  Band  II,  S.  309). 

Die  letztgenannte  Schrift  gehört  also  ihrer  Fertigstellung 
nach  gleich  hinter  „Den  einzig  möglichen  Beweisgrund  etc." 
Schade  ist  es,  daß  in  die  Ausgabe  die  von  A.  Warda,  dem  wir 
schon  so  manche  wertvolle  Entdeckung  auf  diesem  Gebiete  ver- 


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Von  Otto  Schöndörffer.  561 

danken,  erst  vor  kurzem  gefundene  Rezension  Kants  „von  Silber- 
schlags Erklärung  der  vor  einigen  Jahren  erschienenen  Sounen- 
kugel"  (vgl.  Königsberger  Hartungsche  Zeitung  5.  September 
1905.  Beilage  zu  Nr.  416  der  Abendausgabe)  nicht  mehr  auf- 
genommen werden  konnte.  Sie  erschien  im  15.  Stück  der 
„Königsbergschen  Gelehrten  und  Politischen  Zeitungen44  am 
23.  März  1764,  gehört  also  der  Zeit  nach  hinter  den  „Versuch 
über  die  Krankheiten  des  Kopfes.u 

Von  der  Abhandlung  „Versuch,  den  Begriff  der  negativen 
Größen  etc."  lagen  mir  zufällig  zwei  Original  drucke  vor,  beide 
in  Königsberg  bei  Johann  Jacob  Kanter  1763  erschienen.  Bei 
genauerer  Vergleichung  ergaben  sie  sich  jedoch  als  verschieden. 
Auch  Titel-  und  Schlußvignette  weichen  von  einander  ab.  Der 
eine,  nennen  wir  ihn  A1,  zeigt  auf  dem  Titel  in  der  Mitte  der 
Vignette  ein  Pack  Bücher,  vorn  bezeichnet  mit  den  Buchstaben: 
J.  J.  K.  und  darunter  Libri.  Auf  diesen  Büchern  liegt  ein 
Merkursstab  und  über  ihnen  schweben  zwei  Füllhörner,  aus  denen 
Segen  auf  sie  herabträufelt.  Links  davon  befinden  sich  ein 
Baum,  ragendes  Gemäuer  und  eine  strahlende  Sonne,  rechts 
mehrere  Säulen  usw.  Die  andere  Ausgabe  A2  dagegen  hat  auf 
dem  Titel  in  der  Mitte  einer  blumenbewachsenen  Flur  einen 
Baum,  der  von  Bienen  umschwirrt  wird.  Diesem  Titelblatt  ist 
noch  vorgeheftet  ein  Brustbild  des  großen  Kurfürsten,  das  nach 
der  Umschrift  von  F.  C.  Krüger  im  Jahre  1795  (!)  verfertigt 
ist.  Die  Seitenzahlen  beider  Ausgaben  stimmen  überein;  nur 
ein  paar  Anmerkungen  verteilen  sich  in  den  beiden  Ausgaben 
verschieden  auf  die  einzelnen  Seiten.  Die  mit  A*  bezeichnete 
Ausgabe  halte  ich  für  die  spätere.  Das  Bild  des  großen  Kur- 
fürsten aus  dem  Jahre  1795  läßt  schon  darauf  schließen.  Außerdem 
fehlt  auf  S.  3  eine  ganze  Reibe,  was  den  Sinn  des  betreffenden 
Satzes  natürlich  erheblich  stört.  Auf  eine  weitere  Vergleichung 
lasse  ich  mich  hier  nicht  ein.  Merkwürdigerweise  scheint  nun 
aber  der  Herausgeber  dieser  Schrift  in  der  Akademieausgabe 
noch  eine  dritte  Ausgabe  als  Vorlage  benutzt  zu  haben,  denn 
einige  Fehler,  die  die  mir  vorliegenden  Drucke  gemeinsam  haben, 


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5f)2  Kants  gesammelte  Schriften. 

werden  in  dem  Lesarten  Verzeichnis  nicht  vermerkt.     Ich  notiere 
nur  folgendes: 

177,i5  haben  A1  und  A2:  „im1*  statt:  „ihm". 
183,3        -        *       *      -    „Beziehungsfehler"  statt:  „Begehungs- 
fehler". 
183,i2       *        5       *      -    „denjenigen"  statt:  „demjenigen". 
So  existieren  also  wohl  von  dieser  Schrift  drei  verschiedene 
Drucke,  die  alle  dieselbe  Jahreszahl  tragen. 

Kants  Raisonnement  über  den  sogenannten  Ziegenpropheten 
in  die  Anmerkungen  zu  verweisen,  scheint  mir  nicht  richtig. 
Es  bleibt  doch  immer,  so  kurz  und  unwesentlich  es  auch  sein 
mag,  von  Kant  verfaßt.  Mindestens  aber  hätte  man  es  im 
Inhaltsverzeichnis  mitvermerken  sollen.  Ohne  das  kann  jemand, 
der  die  Ausgabe  nicht  genau  kennt,  lange  danaoh  suchen. 

Daß  der  dritte  der  das  Philanthropin  betreffenden  Aufsätze, 
den  R.  Reicke  in  seinen  Kantiana  (Königsberg  1860)  S.  76 — 81 
als  von  Kant  herrührend  hat  abdrucken  lassen,  nicht  von  Kant 
verfaßt  ist,  habe  ich  schon  in  meinem  Referat  über  den  ersten 
Band  von  Kants  Briefwechsel  (Altpr.  Monatsschr.  Bd.  37.  S.  461  f.) 
wahrscheinlich  gemacht.  Inbetreff  des  zweiten  hat  auch  mich 
der  Augenschein  —  Herr  Prof.  R.  Reioke  war  so  freundlich,  mir 
das  Manuskript  zu  zeigen  —  an  Kants  Autorschaft  nicht  länger 
zweifeln  lassen. 

Was  endlich  die  Druckfehler  und  Textveränderungen  in 
dem  vorliegenden  zweiten  Bande  der  Akademieausgabe  betrifft, 
so  habe  ich  verhältnismäßig  außerordentlich  wenig  zu  bemerken. 
Der  Band  ist  mit  ganz  besonderer,  höchst  anzuerkennender 
Sorgfalt  gedruckt,  wie  denn  überhaupt  alles  in  ihm  mit  pein- 
licher Akribie  durchgearbeitet  ist. 

Von  Druckfehlern  sind  mir  nur  die  folgenden,  ganz  un- 
wesentlichen aufgefallen: 

101,22.'  Übereinstimmung  statt:  Übereinstimmung. 
103,i6:  bewundere  würdig       *       bewundernswürdig. 
140,n :  dageegn  *      dagegen. 

382,24:  Anwendung  -      Anwendung. 


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Von  Otto  Schöndörffer.  563 

395,9  :  autor  statt:  autem. 

484:  249,i2  Vorzügen  *      Vorzügen. 

493:  out  balance  -      ont  balancä. 

In  bezog  auf  den  Text  mache  ich  folgende  Notizen: 

59,2i f.  Ist  die  Lesart:  „Die  Verabsäumung  solcher  Be- 
trachtungen hat  einen  berühmten  Gelehrten  veranlaßt,  den 
Thieren  deutliche  Begriffe  zuzustehn"  haltbar? 

173,2  ff.  „Ein  Schiff  reise  von  Portugal  aus  nach  Brasilien. 
Man  bezeichne  alle  die  Strecken,  die  es  mit  dem  Morgenwinde 
thnt,  mit  +  un(i  die,  so  es  durch  den  Abendwind  zurücklegt, 
mit  — .  Die  Zahlen  selbst  sollen  Meilen  bedeuten.  So  ist  die 
Fahrt  in  sieben  Tagen  +  12  +  7—  3  —  5  +  8=  19  Meilen, 
die  es  nach  Westen  gekommen  ist."  Hier  scheint  mir  mit 
Rücksicht  auf  die  5  Zahlenangaben  nicht  in  7  Tagen,  sondern 
in  5  Tagen  gelesen  werden  zu  müssen. 

177.30.  ,,Man  könnte  hier  auf  die  Gedanken  kommen,  daß 
o  —  A  noch  ein  Fall  sei,  der  hier  ausgelassen  worden.*4  Ich  würde 
verändern:  auf  den  Gedanken. 

235,i  ff.  „Die  edle  Eigenschaften  dieses  Geschlechts  .  .  .  . 
kündigen  sich  durch  nichts  deutlicher  und  sicherer  an  als  durch 
die  Bescheidenheit  einer  Art  von  edler  Einfalt  und  Naivetät 
bei  großen  Vorzügen."  Ich  verbessere:  Bescheidenheit,  eine 
Art  etc. 

313,i8.  „Zum  wenigsten  kann  es  einem  Gelehrten  nicht 
angenehm  sein,  sich  öfters  in  der  Verlegenheit  zu  sehen,  worin 
sich  der  Redner  Isokrates  befand,  welcher,  als  man  ihn  in  einer 
Gesellschaft  aufmunterte,  doch  auch  etwas  zu  sprechen,  sagen 
mußte:  Was  ich  weiß,  schickt  sich  nicht,  und  was  sich  schickt, 
weiß  ich  nicht."  Da  in  diesem  Bande,  im  Gegensatz  zu  den 
früheren,  dankenswerter  Weise  die  Herkunft  der  Zitate  aus  den 
alten  Klassikern  angegeben  ist,  so  hätte  man  das  auch  hier 
tun  können,  zumal  E.  Arnoldt  in  den  Kritischen  Exkursen 
(1894)  S.  326  die  Quelle  zitiert  hat:  Plutarch  (Stereot.  Ausg. 
Leipz.  Tauchnitz  1829.  Tom.  V.  Moralia.  p.  144.  Orator.  Vit.): 
eotiüifitevog  de  novs  rtagä  Nrx,o%Qiovri,  nfi  Kvtvqov  zvqcxvpiij,  tzqovqb- 


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564  Kante  gesammelte  Schriften. 

7tO(xiviov  avzov  nov  naQOVTeov  dia%ex$f[V(xiy  l'qpij'  Ötg  ntv  iytu  deivog, 
ovx  o  vvv  xaiQog,  olg  d?  b  vvv  xcugog,  ovx  eyto  öeivog. 

337,io  ff.  ,»  •  •  •  Da  des  Menschen  Obliegenheit  nur  ist, 
von  dem  göttlichen  Willen  zu  urtheilen  aus  der  Wohlgereimtheit, 
die  er  wirklich  in  der  Welt  wahrnimmt,  oder  welche  er  nach 
der  Regel  der  Analogie  gemäß  der  Naturordnung  darin  vermuthen 

kann,  nicht  aber  nach  dem  Entwürfe  seiner  eigenen  Weisheit 

befugt  ist,  neue  und  willkürliche  Anordnungen  ...  zu  ersinnen." 
Nach  der  Konstruktion  des  Satzes  muß  hier  hinter  „vermuthen 
kann",  ein  „er"  eingeschoben  werden.  Freilich  wird  Kant  das 
wohl  selbst  ausgelassen  haben. 

344,  ig  ft  „Hierbei  wird  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  unsere 
Seele  das  empfundene  Objekt  dahin  in  ihrer  Vorstellung  ver- 
setze, wo  die  verschiedene  .Richtungslinien  des  Eindrucks,  die 
dasselbe  gemacht  hat,  wenn  sie  fortgezogen  werden,  zusammen- 
stoßen."    Besser  ist:  des  Eindrucks,  den  dasselbe  gemacht  hat. 

Die  Trennung  der  Präposition  gegenüber  in  ihre  beiden 
Bestandteile  ist  uns  aus  Goethe  geläufig  (z.  B.  Ital.  Reise  S.  118 
„Gegen  uns  über  im  Palast  Rondanini  steht  eine  Medusenmaske"; 
oder  W.  u.  D.  S.  154.  „Der  jüngere  Vetter,  gegen  uns  über  am 
Schiefertische  sitzend."  Stuttg.  Cotta  1876.),  daher  hätte  382,7 
der  überlieferte  Text  „auf  eine  gegen  ihr  übergestellte  Tafel" 
nicht  verändert  werden  sollen. 

Das  ist  alles,  was  ich  zu  notieren  habe.  Man  sieht,  es  ist 
wenig  und  unbedeutend  genug.  Die  Herausgeber  haben  alle, 
was  durchaus  anzuerkennen  ist,  den  überlieferten  Text  möglichst 
wenig  geändert  und  sind  in  vielen  Fällen  der  bewährten  philo- 
logischen Regel:  von  zwei  verschiedenen  Lesarten  pflegt  die 
ungewöhnlichere  die  richtige  zu  sein,  gefolgt.  Ob  das  freilich 
auch  in  dem  Satze:  242,i2  „Was  man  aber  wider  den  Dank  der 
Natur  macht,  das  macht  man  jederzeit  schlecht",  wo  die  zweite 
Lesart  „Gang"  statt  „Dank"  ist,  angänglich  war,  ist  mir  doch 
zweifelhaft. 


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Mitteilungen  und  Anhang. 


Universitäts-Chronik  1905. 

20.  Mai.  Med.  I.-D.  von  Hugo  Zade  (aus  Berlin):  Aus  d.  Kgl.  Chirurg. 
Universitätsklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.  Ueber  postoperativen  Arterio- 
Mesenterialen  Darraverschluß  an  der  Duodeno-Jejunalgrenze  und  seinen 
Zusammenhang  mit  akuter  Magendilatation.  Tübingen,  Laupp  jr.  [S.-AMr. 
aus  Beitr.  zur  klinisch.  Chirurgie.    XLVI.  Bd.  2.  Hft.]  (2  Bl.  19  8.  8°.) 

2f>.  Juli.  Phil.  I.-D.  von  Eva  Johnston,  Americana:  De  »Sermone  Terentiano 
quaeetiones  duae.     Regimonti.  Hartnng.    (1   Bl.  74  S.  8°.) 

27.  Juli.  Jur.  I.-D.  vou  Siegfried  von  der  Trenck,  Referendar  a.  Kgl.  Land- 
gericht zu  Insterburg  (aus  Königsberg):  Die  naturalis  obligatio  im  B.  G. 
ß.  Kgsbg.     Herrmann.     (112  S.  8°.)" 

2(J.  Juli.  Mit  Genehmig,  der  med.  Fak.  .  .  .  wird  ...  Dr.  med.  Otto  Voss, 
Stabsarzt  .  .  .  seine  öffentl.  Antrittsvorlesung  üb.  ,,Dic  functionelle 
Prüfung  des  Gehörorgans"  halten  .  .  .  Kgsbg.  Kümmel.  (2  Bl.  4°.) 

31.  Juli.  Med.  I.-D.  von  Arthur  Titius,  Anstaltsarzt  a.  d.  Provinz-Irren-,  Heil- 
u.  Pflegeanstalt  Alienberg  (aus  Neumark  i.  Westpr.):  Aus  d.  Kgl.  Univ. 
Inenklinik  u.  d.  Prov.-Irreu-Heil-  u.  Pflegeanst.  Alienberg.  Ueoer  eine 
eigenartige  Form  der  jugendlichen  Paralyse.     Kgsbg.  Kümmel  (27  S.  8°.) 

2.  Aug.  Phil.  I.-D.  von  Uri  Urinsohn  aus  Dubrowno  (Rußland):  Ueber  die 
Einwirkung  von  Brom  auf  Paraoxvbenzoesäure.  Kgsbg.  Leupold.  (2  Bl. 
40  S.  8<>.) 

3.  Aug.  Phil.  I.-D.  von    Franz  Schwarz  aus  Schlawe  i.  Pomm. :    Cyncwulfs 

Anteil  am  Christ.  Eine  metrische  Untersuchung.  Kgsbg.  Härtung.  (2  Bl. 
107  8.  8°.) 

—  —  Med.  I.-D.  von  Hubert  Schleslger,  prakt.  Arzt  in  Mehlsack  (aus  Herms- 

dorf, Kr.  Alienstein.):  Aus  d.  Kgl.  Univ.-Frauenklinik  in  Königsberg  i.  Pr. 
Zur  Statistik  der  Eklampsie.     Kgsbg.     Kümmel.  (59  S.  8°.) 

4.  Aug.  Phil.  I.-D.  von   Jozef  Edmund  von  Wolosewicz  (aus  Radziwilow, 

Rußl.):  Die  quantitative  Bestimmung  des  Stickstoffe  der  Eiweißstoffe  und 
deren  Trennung  von  anderen  stickstoffhaltigen  Verbindungen  der  Nahrungs- 
und Futtermittel.  Kgsbg.  Jaeger.  (57  S.  8°.) 
7.  Aug.  Med.  I.-D.  von  Max  Meyer  Karlin  aus  Dwinsk  (Dünaburg  i.  Rußl.): 
Aus  d.  Kgl.  anatom.  Institut  zu  Königsberg  i.  Pr.  Die  geschichtliche 
Entwicklung  unserer  Kenntnisse  vom  Baue  des  Gehörorganes.  Kgsbg. 
L.  Beeiwald.    (75  8.  8°.) 

—  —  Med.    I.-D.    von    E.  Lack,    Assistenzarzt    d.    Kgl.    Poliklinik    f.    Haut- 

krankheiten (aus  Sdorren,  Ostpr.):  Aus  d.  Kgl.  Poliklinik  f.  Hautkrankheiten 
in  Königsberg  i.  Pr.  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Hautdiphtherie.  Kgsbg. 
(47  S.  80.) 


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56(5  Mitteilungen  und  Anhang. 

7.  Aug.  Med.  I.-D.  von  Wilhelm  Klein,  Arzt  (aus  Zempelburg,  Westpr.):  Ans 
"d.  Klinik  u.  Poliklinik  für  Hals-,  Nasen-  u.  Ohrenkranke  d.  Hrn.  Prof. 
Gerber-Königsberg  i.  Pr.  Die  Operationsmethoden  der  Stirnhöhlen- 
entzündungen nebst  Mitteilung  von  13  nach  Killian  operierten  Füllen. 
Kgsbg.  Karg  &  Manneck.  (67  S.  8°.) 
8.  Aug.  Phil.  I.-D.  von  Willy  Kaminski  ^aus  Waltersdorf,  Kr.  Heiligcnbeilj: 
Ueber  Immanuel  Kants  Schriften  zur  physischen  Geographie.  Ein  Beitrag 
zur  Methodik  der  Erdkunde.    Kgsbg.    Jaeger.    (79  S.  8°.) 

14.  Aug.  Med.  I.-D.  von  Gerhart  Tiesler,  Assistenzarzt  der  äußeren  Abteilung 
d.  städt.  Krankenanstalt  zu  Kgsbg.  i.  Pr.  (aus  Nikolaiken,  Kr.  Sensburg): 
Tuberkulose  und  Schwangerschaft.    Kgsbg.  Kümmel.    (80  S.  80.) 

ir>.  Aug.  Phil.  I.-D.  von  Walter  Bergan,  Hilfsassistenten  am  ehem.  Laborat 
d.  Kgl.  Albert.-Univ.  (ausElbing):  Ueber  Acetylendicarbonsaure  u.  Tribrom- 
bernsteingäure.    Kgsbg.    Leupol d.    (1  Bl.  49  S.  8°.) 

—  —  Phil.  I.-D.  von  Fritz  Schnitze,   Oberleut.  a.  D.  aus  Berlin.     Ueber   die 

Einwirkung    von    Halogenen    auf    Salicylsäure    in    alkalischer    Losung. 
Kgsbg.    ebd.    (2  Bl.  59  S.  8».) 

—  —  Phil.     I.-D.     von     Paul    Ulrich,    Assistent     am     landwirtschaftlichen 

Institut  d.  Universität  (aus  Gallehnen,  Kr.  Pr.  Eylau):  Ueber  die  Durch- 
führung   und    den    Wert    der    agronomischen    Bodenuntersucbung    und 
-Kartierung.    Kgsbg.  ebd.  (2  Bl.  31  S.  ra.  3  Bodenkarten.  8°.) 
4.  Sept.    Med.  I.-D.  von  Paul  Kahl  weiss,  prakt.  Arzt  aus  Braunsberg  Ostpr.: 
Zur  Casuistik  der  Bindehautverwertung.    Kgsbg.  Kümmel.  (73  S.  8°.i 

21.  Sept.  Q.  D.  O.  M.  F.  F.  E.  J.  .  .  .  viro  doctissimo  et  clarissimo  Em  est« 
Neumann  Regim.  Honoris  Causa  Doctori  seien tiae  naturalis  anatoraiae 
pathologicae  in  Acad.  Albert.  Prof.  P.  O.  nunc  a  legendi  officio  liberato 
summorum  ordinum  complurium  equiti  qui  in  Acad.  Albert  per  multa 
lustra  egregia  diseipulorum  instruetione  theoretica  et  practica  eorum 
gratiam  amoremque  collegarum  reverentiam  et  admirationem  nactus  et 
vitam  normalem  aegrotamque  assidue  investigans  eximiis  inventionibus  de 
seien tia  medica  optime  meritus  est  summos  in  medicina  chirurgia  et  arte 
obstetricia  honores  ante  hos  quinquaginta  annos  die  XXIV.  Mensis 
Septem  bris  in  eum  collatos  gratulabundus  renovavit  Herrn.  Kuhnt  Med. 
Dr.  Prof.  P.  O.  ord.  med.  h.  t.  Decanus.    Reg.  Pruss.  ibid.    (Diplom.) 

21.  Okt.  Med.  I.-D.  von  Kurt  Pietsch,  Oberarzt  (aus  Groß-Hartmannsdorf. 
Kr.  Bunzlau):  Die  moderne  Narkose.    Kgsbg.  ebd.  (87  S.  8°.) 

25.  Okt.  Q.  D.  0.  M.  F.  F.  E.  J.  .  .  .  ordo  inedic.  viro  illustrissimo  Carolo 
Menzel  Silesio  a  consiliis  medicis  qui  per  decem  lustra  artis  medicae 
decus  fuit  summos  in  medicina  chirurgia  et  arte  obstetricia  honores  cum 
iuribus  et  privilegiis  Doctorum  medicinae  et  chirurgiae  ante  hos  quinqua- 
ginta annos  d.  XIII.  M.  Martii  a  MDCCCLV  instaurat  atque  confirmat 
in  cuius  rei  fidem  solerane  hoc  Diploma  ei  datum  et  sigillo  ordinis  med. 
maior  inunitum  est  a  Hermanno  Kuhnt  med.  Dr.  Prof.  P.  Ord.  med. 
h.  t.  Decanus.  Regim.  Pruss.  ibid.  (Diplom.) 

27.  Okt.  Phil.  I.-D.  von  Max  Dannenberg  aus  Ludwigswalde:  Die  Ver- 
wendung des  biblischen  Stoffes  von  David  und  Bathseba  im  englischen 
Drama.  (G.  Peele:  David  and  Bethsabe;  Ch.  W.  Wynne:  David  and 
Bathshua;  St.  Phillips:  The  nin  of  David.)  Kgsbg.  Härtung.  (2  BL 
71  S.    8°.) 

16.  Nov.  Med.  I.-D.  von  Georg  Schiomann  Arzt  (aus  Schirwindt,  Ostpr.): 
Ueber  paraureteraleLymphevftten.  Mit  einer  Tafel.  Kgsbg.  Karg  <fc  Man  neck. 
(31  S.     8°.) 

2f>.  Nov.  Med.  I.-D.  von  Willibald  Lösener,  Oberstabsarzt  u.  Regimentsarzt 
(aus  Potsdam) :  Ueber  Trinkwasser  und  Wasserversorgungsanlagen.  Kgsbg. 
Kümmel.    (63  S.  8°.) 


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Universität  -Chronik  1905.  567 

6.  Dez.  Med.  I.-D.  von  Paul  Mulzer  (aus  Ludwigstadt  in  Öberf ranken) :  Aus 
d.  Laborat.  d.  Kgl.  Universitätsklinik  f.  Haut-  u.  Geschlechtskrankheiten 
zu  Berlin  (Prof.  Dr.  E.  Lesser).  Ueber  das  Vorkommen  von  Spirocbacten 
bei  svphili tischen  u.  anderen  Krankheitsprodukten.    Kgsbg.  ebd.  (27  S.  8°.) 

21.  Dez.    Mit  Genehmig,  d.  philos.  Fak wird  ...  Dr.  phil.  Wilh.  Stolze  . . . 

seine  öffentl.  Antrittsvorl.  üb.  „Die  Entstehung  aes  deutschen  Bauern- 
krieges4' halten.     Kgsbg.   Härtung.     $  Bl.  4°.) 

Phil.  I.-D.  von  Georg  Siebert  aus  Coepenik  (Kr.  Teltow):  Unter- 
suchungen über  An  Apology  for  Lollard  Doctrines,  einen  Wycliffc  zu- 
geschriebenen Traktat.     Charlottenburg,  Broditz.     (2  Bl.  51  S.  8°.) 

s)h.  153.  9lmtttrfje$  5Ser^cidmiö  bes  $crjonald  unb  bcr  3tubiereuben  b.  ftgl.  s}llberht£-- 
Unto.  ...  für  b.  hinter  3emefter  1905/6.  tfönifläberfl.  Wartung.  (50  8.  8°). 
14b'  (13  tfjeol.,  11  jur,  51  meb.,  71  \){\\[.)  Renten,  6  fonfr.  afab.  fieftver; 
1004  (02  tfjeol.,  365  |itt\,  167  meb.,  410  p()il.)  Stubiereube  unb  85  nid)t 
immatrifufationajätjiqe  $um  $>tfren  berechtigte  <ßerf.  cmfdjl.  101  Hörerinnen,  $uj. 
18(>  ^Bcrecf)ti^tc. 

Chronik  der  Königl.  Albertus- Univ.  .  .  .  f.  d.  Studienjahr  1904/05.  Kgsbg. 
ebd.    (64  S.  8°.) 


Lyceum  Hosianum  in  Braunsberg  1905  und  1906. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  am  Königl.  Lyceum  Hosianum  zu  Braunsberg  im 
Winter-Hemester  1905/6.  [Rektor  vom  15.  X.  1905  bis  15.  X.  1908: 
Dr.  Anton  Kranich  o.  ö.  Prof.].  Inhalt:  Ein  aegyptischcr  christlicher 
Grabstein  mit  Inschrift  aus  der  griechischen'  Liturgie  im  Königl.  Lyceum 
Hosianum  zu  Braunsberg  u.  ähnliche  Denkmäler  in  auswärtigen  Museen. 

I.  Teil.    Von    Prof.    Dr.   AV.  AVeissbrodt.     (S.   3—26  m.  Lichtdruck). 

II.  Verzeich,  d.  Vorles.  (S.  27—28).    III.  Institute.     (S.  28).    Braunsberg. 
Heyne's  Bchdr.  (G.  Riebensahm).    (28  S.  1°.) 


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Autoren-Register. 


Book,  Dr.  Hugo,  Gymnasial-Oberlehrer  in  Osterode,  Ostpr.  Das  Loehstädter 
Tief  in  historischer  Zeit.     Von  Oberlehrer  Dr.  Eduard  Loch.     82 — 96. 

Brukns,  Max,  Branddirektor  in  Königsbeig  i.  Pr.  Insula  inferior.  Mit  einer 
Karte.     97-107. 

Conrad,  Georg,  A  integer  ich  tsrat  in  Mühlhausen  (Kr.  Pr.  Holland).  Carl  Ludwig 
Bernhard  Gottiieb  v.  Plehwe.  Zu  seinem  Dienstjubiläuni  am  13.  Oktober 
1905.     397-402. 

Döhring,  Dr.  Alfred,  Gymnasialprofessor  in  Königsberg.  Rückblick  auf  die 
ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  der  Freunde  Kants.  Rede  zum 
Geburtstage  Kants  gehalten  bei  dem  Bohnenmahle  des  Jahres  1905. 
403-432. 

Feydt,  Dr.  Wilhelm,  in  Königsberg.  Der  Einfluß  der  ostpreußischen  Eisen- 
bahnen auf  die  städtischen  und  einige  andere  Siegelungen.  1—81. 
455-520. 

Joachim,  Geh.  Archivrat,  Dr.  E.,  Archivdirektor  zu  Königsberg  i.  Pr.  Rezension. 
145-140. 

Krause,  Dr.  Gottlieb,  Gymnasialprofessor  in  Königsberg  i.  Pr.  Rudolf  Reicke, 
ein  Bild  seines  Lebens  und  Schaffens.  Heft  7  u.  8  I— XXVIII.  Rezension. 
311-313. 

Knjot,  St.,  Pfarrer  in  Griebenau  p.  Unislaw,  Posen.  Hat  Bütow  ursprünglich 
zur  Diözese  Kammin  gehört?  147—148.  Rezension.  438—450.  450-452. 
452. 

Mackholz,  Ernst,  aus  Königsberg.  Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchen- 
gemeinde Pr.  Holland  und  ihrer  Schule.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Reformierten  in  Altpreußen.    317—382. 

Mendthal,  Siegfried,  weil.  Amtsgerichtsrat  a.  D.  in  Memel.  Ueber  die  religiöse 
Frage.     314-315. 

Perlbach,  Prof.  Dr.  Max,  Abteilungs-Direktor  der  Kgl.  Bibliothek  in  Berlin. 
Nachträge  und  Berichtigungen.    316. 

Schön  dörffer,  Dr.  Otto,  Gymnasial-Oberlehrer  in  Königsberg  i.  Pr.  Kante  ge- 
sammelte Schriften.  Akademieausgabe.  Bd.  III,  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft (1787)  Bd.  II.     108-144.     558—564. 

Sembritzki,  Johannes,  Apotheker  in  Memel.  Die  Memeler  Edelschmiedekunst 
und  ihre  Vertreter.  Ergänzungen.  148—150.  Trescho  als  „Deutscher 
Yorik".  433—436.  Adel  und  Bürgerstand  in  und  um  Memel  IL  Genea- 
logische Nachrichten  auf  Grund  der  Kirchenbücher-Forschung.  538—557. 
Rezension.    437. 

Sommerfeldt,  Dr.  Gustav.  Gymnasiallehrer  in  Königsberg.  Verhandlungen 
Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  im  Dezember  1627.  383—390. 

Warda,  Arthur,  Amtsrichter  in  Schippenbeil.  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers 
Christian  Friedrich  Puttlich.  253—304.  Das  Kant-Bildnis  Elisabeths 
von  Stägemann.     305—310. 

Wotschke,  Liz.  Dr.,  Pfarrer  in  Santomischel,  Prov.  Posen.  Abraham  Culvensis. 
Urkunden  zur  Reformationsgeschichte  Lithauens.     152—252. 


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Sach-Register. 


Adel  und  Bürgerstand  in  und  um  Memel.    II.    538—557. 
Akademieausgabe   —  Kants   gesammelte  Schriften.    Bd.  III.    II.     108—144. 

558—564. 
Arnoldt,  Emil.    521—537. 
Berichtigung  —  Nachträge  und  B— en.    316. 
Braunsberg  —  Lyceum  Hosianum  in  B.  1905.     152.    567. 
Bürgerstand  —  Adel  und  B.  in  und  um  Memel.    II.    538—557. 
Bütow  —  Hat  B.  ursprünglich  zur  Diözese  Kammin  gehört.     147 — 148. 
Culvensis  —  Abraham  0.    Urkunden   zur   Reformationsgeschichte   Lithauens. 

153-252. 
Edelschmiedekunst   —   Die   Memeler  E.  und   ihre   Vertreter.    Ergänzungen. 

148-150. 
Eisenbahnen  —  Der  Einfluß   der   ostpreußischen    E.   auf   die  städtischen  und 

einige  andere  Siedelungen.     1—81.    455—520. 
Frage  —  Ueber  die  religiöse  F.    314—315. 
Georg  Wilhelm    —    Verhandlungen    Polens   mit   dem   Kurfürsten   G.   W.  im 

Dezember  1627.    383-396. 
Geschichte  —  Die  G.  der  reformierten  Kircheugemeinde  Pr.  Holland  und  ihrer 

Schule.    Ein    Beitrag   zur   Geschichte   der   Reformierten    in    Altpreußen. 

317-382. 
Insnla  inferior.    97—107. 

Kammin  —  Hat  Bütow  ursprünglich  zur  Diözese  K.  gehört.     147—148. 
Kant  —  Das  K.-Bildnis  Elisabeths  von  Stägemann.    305—310.    Rückblick  auf 

die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  der  Freunde  K— s.    Rede  zum 

Geburtstage  K— s  gehalten    bei   dem    Bohnen  mahle  des  Jahres  1905  von 

Prof.  Alfred  Döhring.   403—432.    K— s  gesammelte  Schriften.    Akademie- 

ausg.    Bd.  III.    Bd.  II.     108-144.    558-564. 
Leben  —  Aus  dem  L.  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  Puttlich.    253—304. 
Lithanen  —  Abraham  Culvensis.    Urkunden  zur  Reformationsgeschichte  L— s. 

153-252. 
Lochstädter  —  Das  L.  Tief  in  historischer  Zeit.    Von  Dr.  Ed.  Ixxih.    Beil.  z. 

Progr.  des  Altstadt.  Gymnasiums.    82—96. 
Lyceum  —  Hosianum  in  Braunsberg  1905.     152.    567. 
Memel  —  Adel   und    Bürgerstand   in   und  um  M.    II.    538—557.    Die   M— er 

Edelschmiedekunst  und  ihre  Vertreter.    Ergänzungen.     148—150. 
Nachträge  und  Berichtigungen.    316. 
Ostpreussisch  —  Der  Einfluß  der  o— en  Eisenbahnen  auf  die  städtischen  und 

einige  andere  Siedelungen.     1—81.    455  —  520. 
Plehwe  —  Carl  Ludwig  Bernhard   Gottlieb  v.  P.    Zu   seinem    Dienstjubiläum 

am  13.  Oktober  1905.    397—402. 
Polen  —  Verhandlungen    P— s   mit   dem    Kurfürsten    Georg   Wilhelm  im  De- 
zember 1627.    383—396. 
Pr,  Holland  —  Die  Geschichte  der  reformierten  Kirchengemeinde  P—  und  ihrer 

Schule.    317—382. 
Puttlich  —  Aus  dem  Leben  des  Pfarrers  Christian  Friedrich  P.    253—304. 


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570  Mitteilungen  und  Anhang. 

Reformation  —  Abraham  Culvenais.  Urkunden  zur  R— geschiente  Lithauen*. 
153—252. 

Reformiert  —  Die  Geschichte  der  r— en  Kirchengemeinde  Pr.  Holland  und 
ihrer  Schule.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  R— en  in  Altpreußen. 
317-382. 

Reicke  —  Rudolf,  ein  Bild  seines  Iy>ben8  und  Schaffens.  Heft  7  u.  8  I— XxVlll. 

Rückblick  auf  die  ersten  hundert  Jahre  der  Gesellschaft  der  Freunde  Kants. 
Rede  zum  Geburtstage  Kants  gehalten  bei  dem  Bohnenmahle  des  Jahres 
1905  von  Prof.  Alfred  Döhring.    403—432. 

Rezensionen  —  Bouk,  Hugo,  Dr.,  Geschichte  der  Stadt  Drengfurt.  Zur 
Feier  des  500jährigen  Stadt- Jubiläums  am  4.  Juli  1905  im  Auftrage  der 
Stadt  geschrieben.  Rastenburg,  Eduard  Ahl,  G.  m.  b.  H.,  1905  (l  BL 
100  pg.)  8°.  Mit  4  Abbildungen.  437—438.  Dr.  Romuald  Frydry- 
chowiez.  Die  Culmer  Weihbischöfe.  Ein  Beitrag  zur  Diözesangeschichte. 
Danzig  1905.  (51  S.)  452.  Josef  Kolberg,  Ermland  im  Kriege  des 
Jahres  1520.  Braunsberg  1905.  145—146.  Generalvikar,  Domkapitular. 
Dr.  Lüdtke.  Schematismus  des  Bistums  Culm  mit  dem  Bischofssitz  in 
Pelplin.  1904.  Amtliche  Ausgabe.  Dritte  Folge.  Im  Selbstverlage  des 
Bischöflichen  General -Vikariat- Amts  von  Culm.  1904.  (Fortgesetzt  bis 
zum  21.  Mai  1905.)  XXVIII.  und  728  S.  450-452.  Sebastian  Friedrich 
Trescho,  Diakonus  zu  Mohrungen  in  Preußen.  Sein  Leben  und  seine 
Schriften,  dargestellt  von  Johannes  Sembritzky-Memel.  Sonderdruck  aus 
den  Oberländischen  Geschichteblättern.  Heft  VII.  176  S.  in  8°.  311—313. 
Dr.  phii.  P.  Westphal.  Ein  ehemaliges  Klosterterritorium  in  Pomme- 
rellen.  Mit  zwei  Karten  und  einem  Plan.  (Oktav,  S.  7 — 138.)  Danzig 
1905.  Daraus  besonders  die  Kapitel  1—9  (S.  7—55)  als  Breslauer 
Inaugural- Dissertation  unter  dem  Titel:  „Die  Frühzeit  des  Kloster- 
territoriums in  Pelplin".     438—450. 

Stägemaun  —  Das  Kant-Bildnis  Elisabeths  von  St.    305—310. 

Tief  —  Das  Lochstädter  T.    82—96. 

Trescho  als  „Deutscher  Yorick".    433—436. 

Universitäts-Chronik  1505.     150-152.    453—451.    565—567. 

Verhandlungen  Polens  mit  dem  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  im  Dezember  1627. 
383-396. 

Yorick  —  Trescho  als  „Deutscher  Y.".    433—436. 


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Buchdruckern  l\.  LtMipold,  KtfnißsberR  i.  Pr- 


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U   der   Gemeinde    (14.  XI.  1905).    (Aus:    Mitteilungen    der  lit< 

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Heft  I  und  2  des  neuen  Jahrgangs  erscheinen  als  Doppelheft  im  A 

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