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dtpreussische Monatsschrift
Deutsche Gesellschaft, Königsberg
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Ißtitttetxxn Mmbermtg.
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i
4
Altpreussische
Monatsschrift
neue Folge.
Der
Neuen Prsussischen ProvinziaUBIätter
ranne Foiere.
Herausgegeben
von
Rudolf Reicke.
Der Monatsschrift XLll. Band. Der Provinzialblät'ter CY111. Band.
Erstes und zweites Heft.
Januar — März 1905.
Mit 1 Karte.
Königsberg in Pr.
Verlag von Thomas & Upper mann.
(Ferd. Boyer's Buchhandlung.)
1905.
Abonnetnentspreis für den Jahrgang Mh\ 12,00.
.
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Altpreussische
Monatsschrift
neue Folge, n, /
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Der \fr
Neuen Preußischen Previnaial-Blätter
fterte Folge.
Herausgegeben
?on
Rudolf Reicke.
Zwelundyierzigster Band.
Der Preußischen Provinzial- Blätter CVIII. Band.
Mit Beiträgen
TOD
H. Bonk, M. Brunns, Q. Oonrad, A. Dfthring, W. Feydt, E. Joachim,
Q. Kraute, St. Kujot, E. Machholz, 8. Mendthal, M. Perlbach,
O. 8chftndftrffer, J. Sembritzki, G. Sommtrfeldt, A. Warda, Wotschke,
Mit 1 Heliogravüre und 1 Karte. /
Königsberg in Pr.
Verlag von Thomas & Opperuiaiin.
(Feld. B»*yer's Buchhandlung.)
1ÜU5.
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Alle Rechte bleiben vorbehalten. mW&
Herausgeber und Mitarbeiter.
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Inhalt.
I. Abhandlungen.
Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen auf die städtischen und einige
andere Siedelungen. Von W. Feydt. S. 1—81. 455—520.
Das LocTT iftlfil^JTief in historischer Zeit. Von Oberlehrer Dr. Eduard Loch.
(Mit 1 Plan cfo* frischen Nehrung. — Beilage zum Programm des Alt-
stadtischen Gymnasiums xn Königsberg i. Pr. Ostern 1903. Programm
Nr. 10.) Von Dr. Hugo B*»k. 82-96.
Insula inferior. Von Max Brunns. 97— 1Q7.
Kants gesammelte Schriften. Akademieausgab* Band III. Die Kritik der
reinen Vernunft. (1787.^ Band II. Von Otto Sshöndörf fer. 108—144.
558—564.
Abraham Culvensis. Urkunden zur Reformationsgeschichte Lithauens. Von
Liz. Dr. Wotschke. 153—252.
Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich. Von Arthur
Warda. 253—304.
Das Kant-Bildnis Elisabeths von Stägemann. Von Arthur Warda. 305—310.
Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland und ihrer Schule.
Ein Beitrag zur Geschichte der Reformierten in Altpreußen. Von
Ernst Machholz. 317—382.
Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm im Dezember 1627.
Von Dr. Gustav Sommerfeldt. 383—396.
Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe. Zu seinem Dienstjubiläum am
13. Oktober 1905. Von Georg Conrad. 397—402.
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft der Freunde Kants.
Rede zum Geburtstage Kants gehalten bei dem Bohnenmahle des
Jahres 1905 von Prof. Alfred Döhring. 403—432
Trescho als „Deutscher Yorick". Von Johs. Sembritzki. 433—436.
Rudolf Reicke, ein Bild seines Lebens und Schaffens. Von Gottlieb Krause.
I-XXVIII.
Emil Arnoldt. Von Otto Schöndörffer. 521—537.
Adel und Bürgerstand in und um Memel. II. Genealogische Nachrichten auf
Grund der Kirchenbücher-Forschung. Von Joh. Sembritzki. 538—557.
II. Kritiken und Referate.
Josef Kolberg, Ermland im Kriege des Jahres 1520. Braunsberg 1905. Von
Joachim. 145—146.
Sebastian Friedrich Trescho, Diakonus zu Mohrungen in Preußen. Sein Leben
und seine Schriften, dargestellt von Johannes Sembritzki-Memel. Sonder-
druck aus den Oberländischen Geschichtsblättern. Heft VII. 170 S. in s".
Von Go/Otieb Krause. 311—313.
^
sr
x xo> 717464
\ y
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Inhalt.
Bonk, Hugo, Dr., Geschichte der Stadt Drengfiirt. Zur Feier des 500jährigen
Stadt -Jubiläums am 4. Juli 1905 im Auftrage der Stadt geschrieben.
Rastenburg, Eduard Ahl, G. m. b. H., 1905 (1 Bl. 100 pg.t 8°. Mit
4 Abbildungen. Von Johs. Sembrit'.ki. 437—438.
Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium in Pommerellen. Mit
zwei Karten und einem Plan. (Oktav, S. 7 — 138.) Danzig 1905. Daraus
besonders die Kapitel 1—9 (Seite 7—55) als Breslauer Inaugural-
Dissertation unter dem Titel: „Die Frühzeit des Klosterterritoriums in
Pelplin". Von St. Kujot, Pfarrer. 438—450.
General vikar, Domkapitular, Dr. Lüdtke. Schematismus des Bistums Culm
mit dem Bischofssitz in Pelplin. 1904. Amtliche Ausgabe. Dritte Folge.
Im Selbstverlage des Bischöflichen General -Vikariat-Amts von Culm
1904. «Fortgesetzt bis zum 21. Mai 1905.) XXVIII. und 728 S. Von
St. Kujot, Pfarrer. 450—452.
Dr. Romuald Frydrychowicz. Die Culmer Weihbischöfe. Ein Beitrag zur
Diözesangeschichte. Danzig 1905. (51 S.) Von St. Kujot, Pfarrer. 452.
III. M itteilanfiren und Anhang
Hat Bütow ursprünglich zur Diözese Kammin gehört? Von St. Kujot.
147—148.
Die Memeler Edelschmiedekunst und ihre Vertreter. Ergänzungen zu dem
Aufsatze über obiges Thema in der „Altpreuß. Monatsschrift** XXXX.
pg. 522—543. Von Johannes Sembritzki. 148—150.
Ueber die religiöse Frage. Von Amtsgerichts rat a. D. Mendthal-Memel.
314—315.
Nachträge und Berichtigungen. Von M. Perlbach. 316.
Universitäts- Chronik 1905. 150—152. 453—454. 565—567.
Lyceum Hosianum in Braunsberg 1905. 152. 567.
A utoren - Register. 568.
Sach - Register. 569—570.
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Der Einfluss der ostpreussischen Eisenbahnen
auf die städtischen und einige andere Siedelungen.
Von
W. Feydt.
[Fortsetzung.]
Als Proben:
Insterburg.
Die Verkehrslage dieser Stadt ist eine überaus günstige.
Ihr verdankt sie ihre Bedeutung von jeher und auch noch heute.
In Insterburg beginnt nicht nur die Pregelschiffahrt, hier ist
auch, nachdem sich alle fächerartig zusammenlaufenden Quell-
flüsse des Pregels vereinigt haben, der letzte natürliche Über-
gang über den Fluß. Hier mußten daher die Straßen von
Nord und Süd, ebenso wie die die Flußufer begleitenden, zu-
sammenlaufen. Das haben die Landstraßen getan und ihnen
sind die Eisenbahnen erst recht gefolgt. Insterburg hatte also
von jeher regen Verkehr und reges gewerbliches Leben zu er-
warten. Aber die Richtung desselben hat sich unter den mit
der Zeit veränderten Verkehrswegen verändert, die Bedeutung
mit ihrer Vermehrung und ungleich höheren Leistungsfähigkeit
gewaltig gehoben. Insterburg war vor der ersten Eisenbahn
Handelsstadt mit industriellem Anfluge, heute ist es Industrie-
stadt mit einigen blühenden Handelszweigen. Der ehemalige
Handel war in erster Linie Getreidehandel (1860 gab es 34 Ge-
treidegeschäfte in der Stadt); außerdem Zwischenhandel mit
Material- und Kolonialwaren aller Art von Königsberg nach den
südlich und östlich gelegenen Städten der Provinz. Beide
Handelszweige büßten ihre Bedeutung seit Eröffnung der Eisen-
bahnen ein, indem die Städte und Kreise ihre Waren mit Eisen -
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. flft. 1 u. 2. 1
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2 Der Eiufluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
bahn von Königsberg bezogen und ihr Getreide direkt dorthin
schickten, (cf. Weiß, Pr. Litt. u. Mas. II, 257.) Jede neue
Eisenbahn verringerte zunächst die frühere Handelsbedeutung,
setzte aber regelmäßig an deren Stelle einen um so größeren
Aufschwung der Industrie. Aber allmählich regte sich auch
wieder der Handel. Seitdem die Thorn-Insterburger-Bahn die
Ausfuhr nach dem weit entfernten Westen erschlossen hatte,
bekam Insterburg einen Teil der Bedeutung als Stapelplatz auch
für Landesprodukte zurück, da für so weit gehende Geschäfte
eine Zwischenstation zwischen Produzenten und Verzehrer not-
wendig wurde. Ferner wurde die Auf Schließung der immer von
der Stadt abhängigen nächsten Umgebung, die man unter dem
gewaltigen Zustrom aus weiter entfernten Gegenden arg ver-
nachlässigt hatte, jetzt wo man diese Gebiete verlor, energisch
vorgenommen: Erst durch Chausseen, dann durch Kleinbahnen.
Wenn auch der Getreidehandel heute mit zehn Getreidegeschäften
entschieden gegen die Vergangenheit zurücksteht, so ist doch
der Produktenhandel ein recht lebhafter geworden. Ganz neu
hinzugekommen ist ein äußerst gewinnreicher Handelszweig,
der seine Existenz lediglich der Bahn verdankt, und das Gesamt-
bild des Insterburger Handels wegen seiner hohen Blüte auch
gegen frühere Zeiten sehr günstig erscheinen läßt: Der Vieh-
handel. 15 Viehhändler exportieren heute aus Insterburg nach
dem Westen per Bahn. In den letzten 20 Jahren sind jährlich
ca. 60000 Stück Vieh abgesetzt; im Jahre 1902 gingen sogar
93 253 Stück mit der Bahn ab!
Trotz alledem ist die Industrie für die Stadt wichtiger als
der Handel; sie umfaßt heute 23 Arten von Unternehmungen
und die Zahl derselben einzeln gerechnet beträgt 67.
Insterburg wird Station im Jahre 1860 mit der Eröffnung
der Eydtkuhner Bahn. Allein zunächst erleidet die Handels-
richtung der Stadt keine Veränderung. Der Grund hierfür ist
darin zu suchen, daß die Bahn denselben Weg einschlägt wie
die Wasserstraße, auf der er sich bisher als der einzig möglichen
bewegte. Andere Ausfuhrwege aus der Provinz zur Küste fehlen
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Von W. Feydt. 3
auch nach 1860; der neu geschaffene bewirkt daher keine Ab-
lenkung, sondern zunächst im Gegenteil eine Vermehrung der
Zufuhren, so daß selbst die Schiffahrt von der Bahn anfangs
Nutzen hat, die die gewaltigen Massen von Produkten bei dem
vorläufigen Mangel an Betriebsmaterial so kurz nach ihrer Er-
öffnung allein gar nicht bewältigen kann.
Es kommen an:
Es gehen ab
1861
10397 to
10165 to
1862
13 310 -.
10114 -.
1863
15 831 *
12 848 -
1864
: 18 334 --
12080 -
1865
19 895 *
11573 *
1865 folgt die Zweigbahn von Tilsit nach Insterburg. Was
an Getreide durch sie als Durchgangsgut für direkte Nutzung
der Stadt verloren geht, steht in keinem Verhältnis zu dem
Gewinn, den die Verbindung mit dem im Winter auf diesen
Weg angewiesenen reichen Tilsit bringt. Die Zahl der an-
kommenden Güter geht etwas zurück, mit Ausnahme des Not-
standsjahres 1868, wo sie die außergewöhnliche Ziffer 995 758 Ztr.
erreicht und die Eisenbahn als Retter auftritt, die Lebensmittel
aus anderen Gegenden herbeischafft.
Dagegen wächst die Ausfuhr.
Es gehen ab:
1865
1866
1867
11573 to
13 022
19 718 *
Gleichzeitig beginnt der Bau der ostpreußischen Südbahn,
die in dem folgenden Jahre bis Lyck verlängert wird. Sie ist
die erste, die ohne irgend welchen Nutzen den Handel durch
Verlust der Lycker Zufuhren schädigt. Die Zahlen der abgehen-
den Güter gehen 1868 und 1869 bedeutend zurück. Allein zu
einem länger dauernden Bückgang oder auch einem Stillstand
kann es nicht kommen, da schon einige Jahre später die Thorn-
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4 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Insterburger Hauptstrecke vollendet ist. Sie wird für die Stadt
mindestens eine ebenso bedeutende Strecke wie die Eydtkuhner.
Denn sie erschließt dem Handel einen neuen und äußerst wich-
tigen Ausfuhrweg für die ostpreußischen Landesprodukte nach
Mitteldeutschland, zugleich aber bringt sie die Industrie zur
vollen Entfaltung, die aus dieser Verbindung mit dem eigent-
lichen Zentrum der deutschen Industrie andauernd den größten
Vorteil zieht.
Es kommen an:
Es gehen ab:
1870: 15580 to
1870
23 714 to
1871: 20968 *
1871
24 297 .
1872: 35445 *
1872
22393 .
1873: 37 284 =
1873
28 655 --
1874: 57 166 .
1874
31353 .
Auch die Verlängerung der Tilsiter Strecke bis nach Memel
lenkt immer größere Gütermassen über Insterburg und setzt es
mit einem neuen Ausfuhrhafen in direkte Verbindung. Wichtiger
noch ist die Bahn von Insterburg über GoJdap nach Lyck, die
die schädliche Wirkung der Südbahn, was aus deren Klagen in
diesen Jahren ersichtlich, aufhebt, da sie den ganzen Grenz-
streifen bis Lyck in zeitgemäße Verbindung mit der Insterburger
Industrie setzt.
Es kommen an:
Es gehen ab:
1887: 43 623 to
1877: 20996 to
1878: 51 144 .
1878: 22 617 .
1879: 53 335 .
1879: 26710 *
1880: 59 859 .
1H80: 32179 =
Unter dem Zusammenwirken aller dieser Bahnen entwickelt
sich Insterburg seit dem Jahre 1880 zu einer bald die 20000
überschreitenden Mittel-, für Ostpreußen großen Stadt, in der
die Industrie und der Handel obenan stehen, die aber in dieser
Zeit auch als Garnisonstadt infolge der sich kreuzenden Eisen-
bahnen eine erhöhte Bedeutung gegen die früheren Zeiten be-
kommt.
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Von W.
Fcydt.
Es kommen an:
Es
gehen ab:
1883
61911 to
1884
27 059 to
1884
64 777 •
1887
34259 *
1886
74882 *
1897
40271 *
1895
80615 .
1898
47 515 *
1900
95601 .
1901
44207 »
Schließlich kommen in neuester Zeit noch die Kleinbahnen
hinzu. Ihre Eröffnung hatte lange auf sich warten lassen.
Denn gleich nach Erlaß des Gesetzes vom Jahre 1892 hatte die
Handelskammer den Plan, von Insterburg Kleinbahnen zu bauen,
gefaßt, um die Produkte der Landwirte auch aus der über die
Kreisgrenzen hinausgehenden Umgegend der Stadt hierher zu
lenken und dieselben zu veranlassen, fortan ihre Futter- und
Dangemittel auf diesem Wege zu beziehen. Vier Linien: nach
Mehlauken, Skaisgirren, Kraupischken und Angerburg schienen
am notwendigsten und in der Rentabilität durchaus sicher, han-
delte es sich doch überall um die denkbar fruchtbarsten Land-
striebe! Im nächsten Jahre wurde auch ein Komitee gewählt,
das die Kleinbahnfrage weiter fördern sollte, allein bis zum
Jahre 1896 war von den Arbeiten desselben nichts zu spüren.
Erst in diesem Jahre erwachte die Kleinbahnangelegenheit durch
eine Versammlung der Interessenten in Insterburg aus mehr-
jährigem Schlummer, im Jahre 1897 petitionierten die Inster-
burger Kaufleute, die also doch ein reges Interesse daran haben
mußten, um den Ausbau der projektierten Strecken, der denn
auch am 20. Mai 1898 von dem Kreistage beschlossen wurde.
Am 25. Juni 1900 konstituierte sich zu Königsberg die
Insterburger Kleinbahnaktien-Gesellschaft, die den Bau und Be-
trieb von Insterburg nach Trempen-Lindenhof, nach Skaisgirren-
Mehlauken-Piplin und Kraupischken-Ragnit bezweckte. Der
Bau wurde auch alsbald begonnen. In Insterburg wurde zwischen
Stadtpark und Staatsbahngeleise ein geeigneter Ort für den
Kleinbahnhof gefunden, dessen Bau 1901 mit dem größten Teile
der genannten Strecken beendet war. Im Jahre 1902 erfolgte
Jie Eröffnung des Betriebes auf allen dreien. Was man aber
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g Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
auch noch im 20. Jahrhundert in bezug auf die Beurteilung von
Eisenbahnen erleben kann, beweist der Kleinbahnbericht nach
der ersten Betriebszeit: „Nach Überwindung der ersten Kinder-
krankheiten des Betriebes und eines anfänglich vorhandenen
passiven Widerstandes eines Teiles der ländlichen Be-
völkerung gegen das neue Verkehrsmittel hat die Be-
nutzung der Kleinbahnen sich in erfreulicher Weise gehoben und
wird der Wert der durch sie geschaffenen Verkehrserleichterung
allmählich in immer weiteren Kreisen erkannt und gewürdigt.41
Die Kleinbahn benutzt in der Stadt den Zug der Gumbinner Straße,
wo sie die Bahnhofstraße schneidet, am Hotel de Russie ist eine
Haltestelle; dann geht sie auf der Gumbinner Chaussee weiter.
Mehrere Brückenbauten über Angerapp und Inster erwiesen sich
als notwendig und haben wohl die Eröffnung etwas verzögert.
Diese selbst wurde am 1. August 1902 festlich begangen. All-
mählich stellte sich jedoch besonders für den Güterverkehr die
Notwendigkeit der Anlage einer Haltestelle am Pregeltor heraus,
da hier eine große Anzahl industriell wichtiger Anlagen sich be-
finden; sie wird ohne Frage erfolgen, wiederum ein Beweis dafür,
in wie engem Zusammenhang Bahn und Industrie stehen. Be-
rechnet doch die Spinnereifabrik ihre Ersparnis an Frachten
durch diese Anlage auf 2250 Mk. im Jahre.
Im Zeitalter der Eisenbahnen hat sich die Bedeutung der
Schiffahrtsstraße gewaltig verändert. Ehemals die einzige Aus-
fuhrstraße und darum die Lebensader des Insterburger Handels
hat sie durch die Konkurrenz der Eisenbahnen ebenso wie durch
ihre Versandung an Bedeutung sehr verloren. In den Jahren
1867 — 1871 hält sie noch ungefähr der Bahn das Gleichgewicht,
dann aber verliert sie fast alle Bedeutung für den Export.
Zwischen Staatsverwaltung und Stadtverwaltung entbrennt des-
wegen ein heftiger Streit. Der Staat geht zu weit, wenn er
zeitweise meint, Aufwendungen für die Pregelstraße lohnten
nicht, da sie lediglich durch die Eisenbahnen ihre Bedeutung
verloren habe, dieselben Schiffahrtsschwierigkeiten immer schon
bestanden hätten und sie deshalb konkurrenzunfähig sei. Die
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Von W. Feydt. 1
Handelskammer geht zu weit, wenn sie allen Rückgang, den
einzelne Handelszweige, namentlich der vor 1860 den Grund zu
Insterburgs Handelsblüte legende Getreidehandel, seitdem erlitten
habe, lediglich dem schlechten Zustand der Wasserstraße zu-
schiebt. Jener berücksichtigt anfangs zu wenig, daß einer
leistungsfähigen Wasserstraße noch immer Produkte genug übrig
bleiben, die sie ihrer Natur nach trotz aller Eisenbahnen auf-
suchen müssen; diese bedenkt nicht, daß mit der allmählichen
Auf Schließung der Provinz durch Eisenbahnen, selbst durch die
in Insterburg kreuzenden, ein direkter Stations Versand besonders
des Getreides nach den Ausfuhrhäfen oder nach dem Westen
möglich geworden ist, ohne Insterburg als Zwischenhandelsort
mehr in Anspruch zu nehmen.
Man kann daher die Bedeutung der Wasserstraße für
Insterburg heutzutage etwa folgendermaßen bezeichnen: Früher
der einzige Ausfuhrweg, ist sie jetzt nur eine von vier möglichen
für ein kleineres, dafür aber viel intensiver ausgenutztes Hinter-
land; bei der Natur eines Teiles der aus demselben zum Versand
kommenden Güter: Ziegel, Heu, Steine, Getreide, muß ihr im
guten Zustande eine selbständige Bedeutung zugesprochen werden,
obwohl dieselbe der der Eisenbahnen infolge der von der Natur
gesetzten Schranken und bei dem dreifachen Übergewicht der-
selben nie auch nur annähernd gleichkommen kann.
Die Regierung hat daher den richtigen Weg eingeschlagen,
wenn sie es sich zum Ziele gesetzt hat, durch dauernde Strom-
arbeiten den früheren Wasserstand zu erhalten, wenn sie dagegen
auf die Forderung der Insterburger einen Kanal von Wehlau
bis Insterburg anzulegen nicht eingegangen ist. In dem Werke
Memel-Pregelstraße II p. 516 ff. finden wir folgendes, aus einer
genauen Kenntnis und Erwägung aller Umstände gewonnenes,
fachmännisches Urteil: „Die Aufwendung sehr bedeutender Geld-
summen für die Förderung des Wasserverkehrs etwa durch
Kanalisierung des Oberpregels von Wehlau bis Insterburg oder
durch Anlage eines Schiffahrtkanales auf derselben Strecke wäre
nach den Vorermittelungen wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen.44
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Google
H Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Betrachten wir nun den Gang, den Handel und Industrie
genommen haben, im einzelnen, um an vielen Beispielen den ganz
besonders deutlich wahrnehmbaren Einfluß der Eisenbahnen
kennen zu lernen!
Wie aller Orten regte sich neues Leben in Insterburg auch
schon vor dem Eröftnungstage der Bahn. Schon der Bau brachte
manchen Vorteil. Die Ziegeleien erzielten durch Lieferung für
denselben schon 1859 ein sehr günstiges Resultat, wichtiger war
es für den Ort, daß sofort Chausseeprojekte erörtert wurden, um
die Lage an der großen Verkehrsader genügend auszunützen.
Die Chaussee nach Tilsit wurde fertig gestellt; namentlich nach
Süden hin, nach dem reichen Angerburger Kreise strebte man
in den nächsten Jahren Chaussee zu bekommen 1). Die Zufuhren
von Landesprodukten hoben sich mit der Bahneröffnung.
Namentlich Sämereien kamen in Massen aus der Provinz und
wurden sofort auf der Eisenbahn fortgeführt. Das Angebot
genügte nicht einmal der Nachfrage. Die vorhandene Eisen-
gießerei vermehrte mit der Bahneröffnung ihre Arbeitskräfte
ganz erheblich, unausgesetzt trafen bei ihr Bestellungen für land-
wirtschaftliche Maschinen ein; eine neue Stärkefabrik wurde
schon 1860 gegründet. Auch im folgenden Jahre strömten die
landwirtschaftlichen Produkte in immer steigender Menge nach
den Bahnhöfen der Ostbahn, vornehmlich nach dem Insterburger;
selbst die masurischen Kreise verkauften lieber nach Insterburg
als direkt nach Königsberg. Die Eisengießerei gewinnt ein
immer größeres Absatzgebiet in der Provinz; das Lumpengeschäft
für den Regierungsbezirk Gumbinnen konzentriert sich immer
mehr auf Insterburg, wohin die Kleinhändler des Hinterlandes
1) Die Behauptung Schmidt«. Angerburger Kreis p. 212: „Insterburg
kann nur durch die projektierte Tilsit-Insterburg-Angcrburger-Zweigcisenbahn ein
wichtiger Handelsort für die hiesige (i. e. Angerburger) Gegend werden, niemals
aber, so lang der Verkehr der letzten nur durch Chaussee vermittelt wird",
sollte sich bald nach Ausbau derselben als trügerisch erweisen. Nach Her-
stellung der Südbahn teilte Insterburg freilich die Stellung als Ausfuhrort für
die Produkte dieser (legend mit Lötzen, weniger mit Gerdauen.
Digitized by
Google
Von W. Feydt. 9
gegen gute Zahlung liefern. Der Versand findet direkt nach
den Papierfabriken des Zollvereins statt. Die Bahn ermöglicht
die fabrikartige Herstelluug von Schuhwaren, die nun in der
ganzen Provinz abgesetzt werden. Die Tischlerei sucht sich
durch Aneignung besserer, ihr erst jetzt bequem zugänglicher
Muster zu vergrößern. Schon im Jahre 1862 beschließt man
eine städtische Gasanstalt zu bauen. Die Maschinenflachsgarn-
spinnerei geht jetzt erst einer bedeutenden Zukunft entgegen,
wo sie das Rohmaterial per Bahn aus dem Oberlande und dem
benachbarten russischen Reiche beziehen kann. Aber auch die
Verbindung mit Litauen und Masuren wird besser. Man er-
kennt schon die Notwendigkeit der Bahnen dorthin; vorläufig
aber ist man zufrieden, daß seit der Bahneröffnung in allen
Kreisen der Chausseebau eifrig gefördert wird. Die Kohlen
für den erweiterten Industriebetrieb bezieht Insterburg schon
damals durch die Bahn, allein man klagt über die hohen Frachten.
Kohlen werden von Insterburg aus bis nach den masurischen
Städten versandt. Die Knochenmühle verarbeitete 1863 8000 Ztr.
Knochen ; die Flachsspinnerei wird erweitert und als sie abbrennt,
in noch größerem Maßstabe aufgebaut. Da in der Provinz der
Flachsbau nachläßt, wird sie ganz von der Eydtkuhner Bahn
abhängig, die ihr aus Rußland das beste Material liefert. Bei der
bedeutenden Bautätigkeit sieht sich das Baugewerbe gezwungen,
den Kalk von weiterher zu beziehen. Die Bahn ermöglicht es,
in Schlesien und Rüdersdorf Bestellungen zu machen, während
die Schätze Masurens wegen des schwierigen Transports un-
genutzt bleiben.
Fünf Kreis-Chausseen sind 1863 in Angriff genommen, die
Nordenburger ist fertig, die eine besonders produktenreiche
Gegend aufschließt. Das Jahr 1864 bringt wieder neue Industrie:
Eine Dachpappenfabrik, eine Fabrik für Seilerei und Hanf-
gewebe und eine Holzschneidemühle, die sich als äußerst not-
wendig erweist. Der infolgedessen steigende Kohlenbedarf kann
nur durch die Bahn gedeckt werden, da der Wasserstand des
Pregels zu niedrig ist. Die Tilsiter Bahn erweist sich in dieser
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10 Der Einfluß der ostpreußiftchen Eisenbahnen etc.
Beziehung gleich nach ihrer Eröffnung sehr nützlich, nachdem
schon ihr Bau Nutzen und Verdienst mancherlei Art gebracht
hat. Im Jahre 1866 werden die folgenden Bahnen schon als
Verpflichtungen des Staates hingestellt. Im Vordergrund des
Interesses steht natürlich die große Bahn nach dem Westen.
Man weiß den genialen Gedanken der großen deutschen Quer-
bahn bis nach Kassel vollauf zu würdigen, denn man will eine
gute Verbindung mit Mitteldeutschland haben, die man bei
schlechten Ernten dort und guten hier zu brillanten Absatz-
geschäften, im umgekehrten Falle wie z. B. bei einer schlechten
Kartoffelernte in Ostpreußen zur Deckung des Notbedarfs be-
nutzen kann. Überhaupt ist man der Ansicht, daß die neuen
Schienenwege, namentlich auch die Tilsiter Bahn wesentlich
dazu beigetragen haben, den Handel mit Produkten des Acker-
baues zu bessern, indem sie den Vertrieb des Getreides in die
ferneren Gegenden Deutschlands zu weit besseren Preisen er-
möglichten, als früher durch die Ausfuhr zur See zu erreichen
gewesen. Außerdem hat sich ein ganz neuer Handelszweig in
dem Absatz von Schlachtvieh nach dem Westen, besonders nach
Berlin eröffnet, der in der reichen Umgegend der Stadt in
kurzer Zeit hohe Bedeutung gewinnt. Wenn nun eine Bahn in
gerader Linie von Insterburg nach Thorn mit Anschluß durch ganz
Deutschland eröffnet und der große Umweg der Ostbahn ver-
mieden wird, wie andere Handelsbeziehungen lassen sich da er-
möglichen, wie viel vorteilhafter muß der Absatz, wie viel
günstiger die Lage der Industrie schon allein durch leichteren
Kohlenbezug aus Schlesien werden? Soll diese Bahn ein neues
Absatzgebiet erschließen, so scheint doch die Aussicht auf eine
Bahn nach Lyck ebenso verlockend, da sie das durch die Süd-
bahn zum Teil verloren gegangene Hinterland wieder gibt; sie
durchschneidet, worauf man schon 1865 aufmerksam macht, vier
stark produzierende Kreise und verbindet vier Grenzstädte
direkt mit Insterburg.
In den folgenden Jahren entwickelte sich u. a. ein be-
deutender Papierhandel. Vermöge der günstigen Lage Inster-
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Von W. Feydt. H
burgs als Eisenbahnknotenpunkt gelang es, in Papier und
Papierwaren einen guten Absatz nach auswärts zu erzielen und
viele Orte der Provinz von hier aus zu versorgen. (Handels-
kammer 1885.) Zustände längst verklungener Zeiten schienen
wiederkehren zu wollen. Das Brauereigewerbe, im 16. und
17. Jahrhundert der Hauptnahrungszweig der Einwohner, ge-
wann nach Ausbau des Eisenbahnnetzes eine immer höhere Be-
deutung nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Umgegend.
In fünf Brauereien werden um die Mitte der 80er Jahre
40000 Hektoliter Bier gebraut und meist nach auswärts abge-
setzt! (Jahrbuch der Gewerbekammer 1886/87). Die Maschinen-
spinnerei beschäftigte schon im Jahre 1888 300 Arbeiter, sie
bezog ihren Bedarf, über 900 000 Kilogramm jährlich, bereits
vollständig aus Rußland über Eydtkuhnen. Für die Umwand-
lung des Geschäftslebens war das folgende Jahr ein deutliches
Beispiel. Früher hing aller Gewinn, aller Wohlstand vom Ge-
treidehandel ab. In diesem Jahre liegt derselbe infolge schlechter
Ernten und geringer Zufuhren ganz darnieder. Aber die In-
dustrie bleibt trotzdem nicht ohne lohnende Beschäftigung und
der gute Absatz von Vieh und anderen Produkten deckt die
dringendsten Bedürfnisse der Landwirte, die Insterburgs Haupt-
käufer sind. Also nur mittelst der Eisenbahn hält man sich
auch bei Notlagen über "Wasser. (Handelskammer 1889.) Das
Jahr 1890 brachte eine neue Erweiterung der Aktienspinnerei;
es wurden neue Maschinen angeschafft, für 725 000 Mk.
Flachs- und Werggarn versponnen, 97 000 Mk. Arbeitslöhne
gezahlt So große Massen finden infolge der nach allen
Seiten günstigen Verbindung dennoch glatten Absatz im Inlande.
Die Ausfuhrhäfen über See nach dem Auslande werden also
direkt gemieden. Wir übergehen weitere Einzelheiten und
geben, um nicht zu ausführlich zu werden, nur noch einen
Oberblick über den Stand von Handel, Industrie und Gewerbe
im Jahre 1902, wo wiederum der Zusammenhang mit der Eisen-
bahn besonders berücksichtigt werden soll.
Das Getreidegesohäft wird seine alte Blüte aus den schon
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12 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
angeführten Gründen nicht mehr erlangen, es wird sich jedoch
durch den Kleinbahnbau vergrößern lassen. Ein lohnender
Export nach dem Westen auf der Thorner Bahn wird immer
von den Frachtsätzen abhängen; in Jahren mittelmäßiger Ernten
dort, guter hier wird er eine hohe Bedeutung erlangen können.
Die ganze Industrie ist von den Bahnen schon um des
Kohlengeschäftes willen abhängig. Dieses hat durch die Aus-
breitung jener mit der Zeit eine selbständige Bedeutung erlaugt,
wenn auch die Versorgung der masurischen Städte mit den
Bahnen dorthin aufgehört hat. Die Handelskammerberichte be-
tonen ganz besonders, daß fast aller Kohlenbedarf aus Schlesien
und auch von Memel, Tilsit und Königsberg größtenteils per
Bahn kommt.
Ebenso sind die Bauunternehmer von den Bahnen ab-
hängig, die das Holz aus den großen Schneidemühlen, aus Tilsit,
Wehlau und Ragnit, verarbeitet nach Insterburg transportieren.
Wenns nach Passarge (Aus balt. Landen 305, 306) gegangen
wäre, hätte Insterburg allerdings für den Holzhandel noch eine
ganz andere Rolle spielen müssen. Er schlägt eine Regulierung
der Inster, Kanalverbindung derselben mit der Memel und Re-
gulierung der Angerapp vor. Wenn so das Rohmaterial bequem
aus Rußland und Masuren nach Insterburg kommen könnte,
würden allerdings die Bedingungen zu einer mächtigen Holz-
industrie und Handel gegeben sein, da kein Ort so gut geeignet
sein würde, die verarbeiteten Hölzer nach allen Richtungen zu
entsenden wie dieser östliche Eisenbahnknotenpunkt. Insterburg
hat den Vorteil günstiger Wasserverbindung nun einmal nicht,
allein das Projekt beweist, wie segensreich ein richtiges Inein-
andergreifen von Land- und Wasserstraße auch für die gewerb-
lichen Verhältnisse dieses Ortes werden könnte, dem die vor-
handene Wasserstraße heute fast gar keinen Nutzen bringt.
Die Maschinenfabriken erfreuen sich in Insterburg ebenfalls in-
folge des Eisenbahnknotenpunktes eines blühenden Geschäftes.
Vom Viehhandel ist schon oben berichtet worden, wie er erst
durch die Eisenbahn hier wie aller Orten zur Blüte gelangte,
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Von W. Feydt. 13
aber auch der Pferdehandel ist in dieser Zentrale des rosse-er-
nährenden Litauens natürlich bedeutend; befindet sich doch
auch in unmittelbarer Nähe der Stadt ein Landgestüt. Im Jahre
1896 war die Aktiengesellschaft „Insterburger Tattersaal" als ein
Verein für Abrichtung und Verkauf ostpreußischer Pferde ge-
gründet. Sie hat Verbindungen sehr weit, sie schließt z. B.
1901 und 1902 Lieferungen für die Armeeverwaltung der pferde-
armen Schweiz ab und versieht auch das Königreich Sachsen
mit ßemonten.
Von einem der ältesten industriellen Etablissements, der
Aktienspinnerei, ist schon des öfteren die Bede gewesen, auch
von ihrer Abhängigkeit von der Bahn infolge des Bezuges alles
Rohmaterials aus Rußland. Diese kommt oft in Klagen über
ungünstige Frachttarife zum Ausdruck. Eines ihrer wichtigsten
Absatzgebiete scheint Schlesien zu sein. Nur die günstige Ver-
mittlung der Thorn-Insterburger Bahn ermöglicht überhaupt
das Bestehen des Unternehmens, das der im Herzen der Webe-
industrie liegenden Spinnerei gegenüber immer einen schweren
Stand hat.
Selbst die Brauereien beziehen mittelst der Bahn aus West-
preußen ihren Bedarf, wenn die ostpreußische Ernte weniger gut
ausfällt. Daß sie viel nach auswärts absetzen, ist schon er-
wähnt.
In der Kognakfabrik werden französische Weine verarbeitet;
sie kommen wohl zur See nach Königsberg, dann mit der Eydt-
kuhner Bahn nach Insterburg. Die Kunststeinfabriken dringen
durch die vielfach verzweigten Provinzbahnen immer weiter vor ;
eben dasselbe läßt sich von der Dampföfen-, Dachpappen- und
Papierwarenfabrik sagen. Eine Graupen- und Grützenfabrik
benutzt als Rohmaterial Zufuhren aus Bußland und aus allen
Provinzgegenden. Die Korbwarenfabrik bezieht alles Material
aus andern Provinzen. Die Dampf meiereien stehen im engsten
Zusammenhang mit der erst seit der Eisenbahnzeit blühenden
Viehzucht. Sie beteiligen sich, so weit sie nicht am Orte selbst
absetzen, am en gros -Butter Versand nach Berlin.
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14 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Interessant ist es zn sehen, wie die Schuhwarenfabrik die
Stellung Insterburgs als Knotenpunkt ausnutzt, indem sie hier
das Hauptlager etabliert und in Tilsit, Memel, Osterode, Lyck,
Rastenburg und Allenstein Verkaufsstellen einrichtet.
Nach dem Vorstehenden erübrigt sich wohl ein Einzelauf-
zählen aller Industriezweige, auch die wichtigsten größeren
Handelsgeschäfte sind schon erwähnt. Der Zahl nach rangieren:
Viehhändler: 15
Getreidehändler: 10
Holzhändler: 8
Mehlhändler: 5
Aber auch abgesehen davon, zeigt Insterburg durch die
große Anzahl von Agenturen, von Kommissions-, Bank- und
Wechselgeschäften das starke Hervortreten des gewerblichen
Lebens. Den /Verkehr vom Geschäft zur Bahn vermitteln drei
Speditionsgeschäfte und elf Fuhrhaltereien. Und bei dem
starken Fremden- und Reiseverkehr gibt es zwei Handlungen, die
lediglich vom Absatz von Koffern und Reiseeffekten bestehen.
Man kann im ganzen, abgesehen von den Geschäften, die die
tägliche Notdurft bedingt, über 80 größere Geschäfte in Inster-
burg aufzählen.
Weil aber in Insterburg die Industrie eine so große Rolle
spielt, wie verhältnismäß in keiner anderen Stadt Ostpreußens,
ist es von Interesse, auch auf die Verhältnisse des Kleingewerbes
einen besonderen Blick zu werfen. Im allgemeinen ist seine
Lage nicht günstig. Mehrere Gewerbeklassen gehen durch die
Industrie dem Untergang entgegen; einzelne halten sich jedoch
und zwar die, in deren Natur es liegt, den Einzelbedarf zu be-
friedigen; hier sind die Fabriken nicht nur nicht konkurrenz-
unfähig, weil sie nur in Massen und für Massen arbeiten, sondern
bei erhöhtem Wohlstand und durch das Anwachsen der Be-
völkerung wirken sie sogar nutzbringend auch auf das Klein-
gewerbe zurück.
Die Gewerbekammer rechnet nach dem Jahresberichte von
1903 hierzu: Die Barbiere, Buchdrucker, Konditoren, Dachdecker,
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Von W. Feydt. 15
Fleischer, Glaser, Installeure, Klempner, Maurer und Zimmer-
leute, Maler und Lackierer, Sattler, Schmiede, Tischler, Töpfer
als Kunsthandwerk, Uhr- und Goldmacher; während Böttcher,
Buchbinder, Drechsler, Färber, Gerber, Korbmacher, Kürschner
und Hutmacher, Müller, Seiler, Segelmacher, Schmiede, Schuh-
macher, Stellmacher keine Aussicht auf erfolgreiche Konkurrenz
haben.
Wir haben dieBahnen bisher nur im anmittelbaren Zusammen-
hang mit dem gewerblichen Leben betrachtet ; bei der hohen Be-
deutung, die sie für Insterburg haben, ist es wohl nicht unangebracht,
wenigstens einige Notizen über ihre Entstehungsgeschichte und
ihren Zentralpunkt, den Insterburger Bahnhof, zu geben, zumal
sich auch hier noch manche Beziehungen sowohl zur Verkehrs-
lage als auch zu den Bedürfnissen und Wünschen der Gewerbe-
treibenden ergeben werden.
Am 6. Juni 1860 war in Gegenwart des damaligen Prinz-
regenten, späteren Kaisers Wilhelm die Eydtkuhner Strecke
festlich eröffnet und frohe Hoffnungen für die Zukunft knüpften
sich an diesen Tag.
Einen Augenblick freilich konnte man denken, die Ostbahn
sollte Insterburg nicht weitere Bahnverbindungen bringen, wird
doch an verschiedenen Stellen geäußert, daß man die Station
Norkitten zum eventuellen Ausgangspunkt der dereinstigen Fort-
führung der Bahn nach Tilsit auserlesen habe. (Sattler, die
Kgb.-Eydt. Eisenb. p. 54; A. Ferne 1. c. p. 34, 35.) Allein hier
spukte wohl die Idee einer Staatsbahn über Tilsit-Tauroggen
nach, an der man festhielt, auch nachdem die Ostbahn über
Insterburg und Eydtkuhnen gebaut worden war. Daß der Staat
die Bahn nach Tilsit zunächst nicht bauen würde, war dort am
frühesten Gewißheit, und vom ersten Augenblicke an hatten die
Tilsiter für eine Privatbahn Propaganda gemacht. Sie ging
natürlich nicht nach der bedeutungslosen Station Norkitten,
sondern nach der Stadt Insterburg. Im Februar 1862 glaubte man
dort freilich noch, der Handelsminister hätte beschlossen, den
Bau der Bahn aus Privatmitteln nicht zu gestatten, sondern
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16 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
diese aus Staatsmitteln auszuführen. Allein nicht lange darauf
war der Bau der Bahn von Tilsit nach Insterburg durch eine
Privatgesellschaft gesichert. (Zeit. d. Ver. deutscher Eisenbahn-
verwaltungen 1862 p. 132). Ihre Bauzeit fiel noch zusammen mit
der letzten Vervollständigung des Insterburger Staatsbahnhofs,
dessen Empfangsgebäude erst 1864 definitiv vollendet wurde, auf
dem schon damals ein Zwischenperron eingerichtet werden mußte
und der Hauptperron zum Anschluß an die Bahn von Tilsit her
nach Osten verlängert wurde. Damit war die Führung der Strecke
um die Ostseite der Stadt herum gegeben. Die Terrainverhält-
nisse können hierfür nicht ausschlaggebend gewesen sein. Die
so angelegte Privatbahn mußte erst die Angerapp, dann die
Inster und deren niedriges Tal überschreiten, ehe sie den nörd-
lichen Höhenrand erreichte. Zwischen Althof und Georgenburg-
kehlen hätte man nur einen Flußlauf zu überschreiten brauchen.
Vielleicht wurde aber die Eisenbahnbrücke als Schiffahrtshindernis
gefürchtet, vielleicht wollte auch die Privatbahn die dann not-
wendige Mitbenutzung der Staatsbahngeleise vermeiden. Kei-
bungen schienen zu bestehen. Der Kronprinz, den man zur
Eröffnungsfeier eingeladen hatte, erschien nicht; wohl aber nahm
der Oberpräsident an ihr teil, während Herr v. Simpson-Ge-
orgenburg als Präsident des Verwaltungsrates die festliche An-
sprache hielt.
Die siebziger Jahre brachten sodann die beiden Staatsbahnen
nach Süden und Südwesten. Infolge dieser Richtungen machte
ihre Heranführung an die Stadt keine erheblichen Schwierig-
keiten. Die Tilsiter Bahn hatte sich in der Zwischenzeit nicht
gerade glänzend rentiert, und man hörte jetzt, wo inzwischen
der Staat auch die Strecke nach Memel gebaut hatte, lebhaft
die Frage erörtern, ob nicht der Staat sie ankaufen würde.
(Insterb. Zeit. 1875). Diese Verstaatlichung erfolgte im Jahre 1884
und wurde auch von den Insterburgern als ein Vorteil begrüßt,
da sich manche Verteuerungen und Schwierigkeiten aus dem
uneinheitlichen Betriebe auf der Memeler Strecke ergeben hatten.
Besonders hoffte man eine Abstellung lokaler Übelstände schneller
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Von W. Feydt. 17
zu erreichen, nachdem nun alle im Bahnhof Inster bürg einlaufenden
Linien Staatseigentum waren. Der Hauptübelstand war die Lage
des Güterbahnhofes auf der Südseite des Bahngeleises, die einen
weiten Umweg notwendig machte. Man petitionierte schon 1883
um eine Fußgängerüberführung zur Beseitigung dieser Un-
bequemlichkeit und forderte die Verlegung der Güterexpedition
auf die Nordseite. Allein die Erfüllung dieser Wünsche ließ sehr
auf sich warten. In der nächsten Zeit setzte ein neues Bahn-
projekt die Handelswelt in Aufregung. Eine Bahn sollte von
Angerburg nach Korschen gehen. Die Handelskammer pro-
testierte dagegen ; man war zwar für eine Bahn, aber nicht nach
Korschen, sondern von Nordenburg nach Kl. Gnie, besser noch
nach Bokellen, natürlich um eine Ablenkung des Verkehrs von
Insterburg zu verhüten. Diese in der natürlichen Lage Inster-
burgs nicht begründete, eigennützige Eisenbahnpolitik hat denn
auch keinen Erfolg gehabt, und die Linie ist später doch von
Gerdauen nach Angerburg um Insterburg herum gebaut worden.
In einer anderen Angelegenheit setzten die Insterburger aber
ihren Willen durch. Der Tagesschnellzug von Berlin ging in
den Wintermonaten nur bis Königsberg. Man forderte seine
Weiterführung bis Insterburg. Die Eisenbahndirektion meinte,
der Zug würde dabei nicht auf seine Kosten kommen. Aber die
Handelskammer setzte es durch, daß er in den Winterfabrplan
18X8/89 wenigstens probeweise eingestellt wurde. Er bewährte
sich und bewies, wie sehr die Verkehrsverhältnisse in der Stadt
sich gehoben hatten. Namentlich waren auch die Geschäfts-
beziehungen zu Schlesien so lebhaft geworden, daß ein direkter
Anschluß nach Breslau in den achtziger Jahren Notwendigkeit
wurde. Als er hergestellt war, äußerte sich die Handelskammer
sehr befriedigt darüber. Vor allem aber wurden auch durch
die 1890 erfolgende Herabsetzung der Frachten für weite Güter-
transporte die Bedingungen für Ausfuhr auf der Thorn-Inster-
burger Bahn viel günstiger. Die Bahnhofsverhältnisse, in denen
trotz aller Vorstellungen und Klagen keine Änderungen ein-
traten, wurden denn doch mit der Zeit so unerträglich, daß
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Uft. 1 u. 2. 2
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18 Der Einfluß der oet preußischen Eisenbahnen etc.
schließlich 1899 die Fußgängerüberführung vom Empfangsgebäude
nach dem Gütersohuppen fertiggestellt und dem Verkehr über-
geben wurde. Damals aber waren die Übelstände über diesen
einen schon bedeutend herausgewachsen und wurden von der
Fachbehörde selbst anerkannt. Ein Umbau des ganzen Bahnhofes
erwies sich nämlich von Jahr zu Jahr al9 eine dringendere Not-
wendigkeit. Die ganzen Anlagen hatten sich als in jeder Be-
ziehung unzureichend herausgestellt. Der Verkehr war ihnen
über den Kopf gewachsen. Welche Dimensionen hatte er
aber auch angenommen! Täglich drängten sich hier 58 Per-
sonenzüge auf bestimmte Tagesstunden zusammen; wollte man
nach einem Personenzuge auf dem dritten Geleise, so mußte
man über das erste, auf dem der D-Zug heranbrausen sollte.
Es gab keine Überführung, auch keine Unterführung; die Gefahr
war groß und Verspätungen bei der Umständlichkeit der Post-
paket- und Gepäckverladung fast unvermeidlich. Jede / noch so
geringe Betriebsstörung mußte sich hier aber doppelt und drei-
fach bemerkbar machen. Unzulänglich war auch das Empfangs-
gebäude, in dem die Schalterhalle und namentlich die Eingänge
nach dem Bahnsteig und der Stadt zu enge waren.
Es gingen ab:
1860
: 26496 Personen
1870
. 65462
1880
138745
1890
215722
1902
. 217786
Am empfindlichsten wurden jedoch die Verkehrsinteressen
durch die Unzulänglichkeit des Güterbahnhofs getroffen. Ein
Verkehr von täglich 20 einlaufenden und ebenso viel abgehenden
Güterzügen sollte auf einem Baume bewältigt werden, wo die
Rangierfläche zu klein, die Zahl der Rangiergeleise zu gering
war. Natürlich waren sie überfüllt, die Züge festgefahren, so
daß das Ausrangieren sich erheblich verzögerte. Empfänger von
Ladungen, denen Waggons morgens avisiert waren, erhielten sie
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Von W. Feydt. 19
erst am späten Nachmittag laderecht gestellt, wenn es zum Entladen
zu spät war. Auch im rechtzeitigen Abgange der beladenen Wagen
entstanden Verzögerungen wegen Raummangel, in beiden Fällen
der Handelswelt Schaden und Nachteil. Ein Wunder war es frei-
lich nicht, hatte man doch den Verkehr von Jahr zu Jahr an-
schwellen sehen, ohne Veränderungen zu treffen. Eine letzte Ver-
größerung des Rangierbahnhofes fand freilich 1879 unter Ein-
wirkung der masurischen Zu- und Durchfuhren statt, allein während
es sich 1879 um einen Versand von 128/4 Millionen Kilogramm und
einen Empfang von ca. 33 Millionen Kilogramm handelte, waren
1899 358/ö und 108 V? Millionen Kilogramm daraus geworden.
Und dabei war der sehr starke Viehverkehr nicht mitgerechnet.
Der Frachtverkehr hatte sich also mehr als verdreifacht! !
Ein Sturm von Petitionen, den alle diese Übelstände hervor-
riefen, führte schließlich zu dem Resultate, daß die Regierung
sich zu einer Erweiterung des Bahnhofs entschloß. Die Gesamt-
kosten sind nach dem letzten Eisenbahnetat auf 1175 000 Mk.
veranschlagt. Die Zeit wird also bald herankommen, wo auch
die unhaltbaren Zustände hier ein Ende finden und Insterburg
einen seinem Verkehr, namentlich aber den glänzenden Ein-
nahmen aus demselben, entsprechenden Bahnhof erhält. Seitdem
am 1. Mai 1900 ein neues D-Zugpaar auf der Strecke Insterburg-
Thorn-Berlin eingelegt war, um die einst beanstandeten, jetzt
aber äußerst überlasteten D-Züge über Königsberg etwas zu
entlasten, steigerte sich der Personenverkehr recht auffallend in
den letzten Jahren:
1900: 254 709 ab
1901: 270 639 *
1902: 271786 *
Auf der Lycker Strecke hatte sich der Verkehr so ent-
wickelt, daß die Handelskammer am Umwandlung in eine Voll-
bahn petitionierte und sich mit den interessierten Kreisvertretungen
und Magistraten dieserhalb in Verbindung setzte.
Man glaubt es kaum, aber es ist eine Tatsache, daß Inster-
burg heute aas dem Personen-, Gepäck- und Viehverkehr höhere
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20 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Einnahmen zieht als aus dem Güterverkehr. Die vergleichenden
Summen für 1883 und 1902 geben folgende Tabelle.
Bruttoeinnahme 1883 1902
a) Pers.-, Gepäck-, Viehverkehr: 658 406 Mk. 1122 761 Mk.
b) Güterverkehr: 783 944 * 945 751 *
Sa. 1442 350 Mk. 2068 512 Mk.
Daß hierbei die Einnahmen aus dem Güterverkehr nur so
gering gestiegen sind, obwohl er sich verdreifacht hat, ist nur
ein Beweis für das Gesetz, daß, je stärker der Güterverkehr
wird, je billiger die Frachten und relativ geringer damit die
Einnahmen der Eisenbahn werden.
Mit der Besprechung der Bahnhofsverhältnisse ist bereits
das äußere Stadtbild berührt. „Insterburg ist eine verhältnis-
mäßig nicht alte Stadt und begann erst seit Mitte des 18. Jahr-
hunderts aus den Grenzen einer Landstadt herauszuwachsen "
(Woerl, Führer p. 3 ff.), allein wie bei Allenstein begann erst
mit der Eisenbahnzeit die schnelle Entwickelung; und ebenso
wie dort, wenn auch allmählicher, ist die Stadt auf den Bahn-
hof und die Strecke nach Süden heraufgewachsen; hat sie die
bisherige Entwickelung um den Fluß herum, an dem sie lag,
aufgegeben oder wenigstens in ihr bedeutend nachgelassen. In
der „Pr. Lit. Zeitungu finden wir aus dem Jahr 1865 (Nr. 104
Beilage, d. 4. 5.) folgende Notiz: „Es ist interessant zu be-
obachten, wie unsere Stadt seit der Eröffnung der Eisenbahn
sich mehr und mehr nach dem Bahnhofe hin erweitert, und die
dorthin führenden Straßen, Bahnhofs- und Gartenstraße, mit
Häusern sich bedecken, während in früheren Zeiten die Stadt
sich hinab nach dem Flußhafen ausgedehnt hat." Tilsit wird
an anderer Stelle dagegen stabil genannt. „Wo gestern noch
Kohlköpfe standen, erheben sich heute bereits mehrstöckige
Gebäude mit grünen Gärtchen und den schönsten Blumen44.
Eine Schilderung vom Jahre 1885 sagt: „Die Vorstadt nach
dem weit entlegenen Bahnhof zu ist zwar noch recht lückenhaft,
bietet aber eine Reihe sehr schöner, stattlicher Straßen dar, die
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Von W. Feydt. 21
zum Teil als Villenstraßen bezeichnet werden können. Inster-
burg hat nach Königsberg entschieden am meisten großstädischen
Charakter." (Ostpr. Skizzen. Grenzboten 1885). Die folgenden
Jahrzehnte haben dafür gesorgt, daß diese Lücken sich fast aus-
nahmslos gefüllt haben. Die Schilderung aber entspricht auch
heute noch den Verhältnissen. So schöne Straßen wie die
Wilhelmstraße in Insterburg finden wir tatsächlich kaum in den
neuesten und vornehmsten Teilen Königsbergs, von den anderen
Städten ganz zu schweigen. Auch von der Eisenbahn aus macht
die Stadt, die noch vor wenigen Jahrzehnten um ihrer Industrie
willen als häßlich verschrieen war, einen sehr freundlichen Ein-
druck. Man schaut auf die neuen, schönen Straßen herab, aus
denen sich eine Anzahl stattlicher öffentlicher Gebäude höher
erheben, und über den zierlichen Kleinbahnhof hinweg auf das
Grün des Stadtparkes, um den z. B. Gumbinnen die Nachbar-
stadt beneiden könnte.
Diese setzt sich als Siedelung aus vier deutlich von ein-
ander durch Lage, Erscheinung und Bewohner zu unterscheiden-
den Teilen zusammen; Aus dem alten Kerne zwischen Angerapp,
Schloßteich und auf dessen Westseite bis zum Gawehnschen
Teiche bis zur Linie der reformierten Kirohenstraße reichend.
Es ist das Handels- und Industriegebiet Insterburgs. Namentlich
am alten Markt liegt ein Geschäft neben dem andern. Man
merkt dem Stadtteil sein höheres Alter an, ohne daß er darum
ohne zeitgemäße Veränderung geblieben wäre. Noch aus neuester
Zeit meldet ein Insterburger Blatt: „Unser alter Markt hat in
den letzten Wochen ein völlig verändertes Aussehen angenommen.
Er ist nämlich um- und neugepflastert und fast sämtliche am
alten Markt liegenden Geschäftshäuser haben Erneuerungsbauten
vorgenommen. Besonders viel Schaufensterbauten (großstädtische
Auslagefenster statt der früheren kleinen bescheidenen) sind
vorgenommen." (Ostpr. Tagebl. 1902, Ende August).
Die Eeitbahnstraße bezeichnet die Ansatzstelle des neuen
Teiles. Das Gebäude, nach dem sie heißt, wurde 1794 vom
Fiskus erbaut und lag am Ende des Goldaper Tores, wo die
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22 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Stadt einst aufhörte. Dieser neue Teil reicht bis zum Bahnhof
und ist ein ausschließliches Produkt •der Eisenbahnen, er ist der
schönste und für die Stadt der nächst wichtigste. Die Bahn-
hofstraße dient in erster Linie dem Durchgangsverkehr, hat aber,
da auch mannigfache Läden, öffentliche Gebäude und industrielle
Anlagen in ihr liegen, keinen einheitlichen Charakter. Daher
ist sie auch lange nicht so schön, wie die Wilhelmstraße mit
ihren Zugängen und Seitenstraßen. Hier reiht sich Wohnhaus
an Wohnhaus, sie ist auch breiter und zeigt kein Geschäfts-
leben. Es ist das vornehme Viertel der Stadt; hier wohnen die
Zivil- und Militärbeamten. Den dritten Stadtteil macht die
Vorstadt aus: An der Königsberger Chaussee und nach dem
Stadtpark und der Bahn zu: Viel neue Häuser, aber mehr Miets-
kasernen, der Stadtteil für kleine Leute. Schließlich kommen
die um die Stadt herumliegenden Gebäudekomplexe: Die
Kasernements, die Strafanstalt und das Landgestüt als ein eigener
Stadtteil hinzu, der freilich nicht in sich geschlossen ist, ebenso-
wenig sich aber der eigentlichen Stadt irgendwie fest an-
gliedern ließe.
Das ist vielleicht der auffallendste Gegensatz zwischen
Insterburg und Alienstein. Dort das Militär überall hervor-
tretend, hier abseits liegend. In Alienstein imponieren am
meisten diese mächtigen Kasernements, auf die man von der
Bahn herabsieht; in Insterburg kann man sich Stunden lang
bewegen, ohne auch nur eine Kaserne zu sehen zu bekommen.
Dort trifft man allenthalben Soldaten, hier nur ausnahmsweise
und dabei hat die Stadt doch 1900 2667 Mann Garnison. Im
Gegensatz zu Allenstein sind auch die öffentlichen Gebäude
recht gleichmäßig in der Stadt verteilt. Es liegen:
1. im alten Kern 12
2. im neuen Stadtteil 13
3. in der Vorstadt 3
4. abseits der Stadt 6
Das entspricht den Größenverhältnissen der einzelnen Teile.
Auch ließe sich hier eine Klassifikation der Gebäude nach ihrer
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Von W. Feydt. 23
Lage in den verschiedenen Teilen nicht durchführen. Die Alt-
stadt hat im allgemeinen ihre volle Bedeutung behalten, in
Alienstein ist sie zwar auch der vorzugsweise Sitz des Geschäfts-
lebens, aber sie ist hinter dem Bahnhofsstadtteile entschieden
an Gesamtbedeutung zurückgeblieben. Der Unterschied liegt
darin, daß Allenstein mehr Beamten-, Insterburg mehr Handel-
und Industriestadt ist. Auf die Verteilung der Bevölkerung ist
bei den verschiedenen Stadtteilen schon hingewiesen, aber wenn
sich auch natürliche Sonderungen durch den Beruf ergeben, so
sind sie doch hier lange nicht so schroff wie bei Allenstein.
Namentlich verteilen sich die Wohnungen der Gewerbetreibenden
auf die ganze Stadt und auch die Hotels, die . in ihrer Lage so
deutlich das Verkehrsleben wiederspiegeln, sind gleichmäßig
durch die ganze Siedelung verteilt.
Königsberg.
Königsberg ist mit vollem Recht die Hauptstadt der Provinz.
Keine andere Stadt kann sich einer so günstigen Verkehrslage
rühmen. Königsberg ist darum auch ganz abgesehen von den
Einflüssen der Hauptstadt der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt
der Provinz geworden. Wir können die Elemente, die Königs-
berg zu der wichtigsten Stadt Ostpreußens machen mußten, hier
nur andeutungsweise erwähnen. (Des Näheren cf. die Aus-
führungen bei Hahn und Bonk.) Königsberg gehört durch die
Lage nicht weit vom Ufer des durch das Pillauer Tief mit der
offenen See verbundenen Haffes zu den wichtigsten Ostseehäfen,
es ist durch die Lage nicht weit von der Mündung eines schiff-
baren Flusses — zumal an der verkehrbefördernden Übergangs-
stelle von See- zu Flußschiffahrt! — Endpunkt nicht nur für die
Wasserstraße des Pregels, sondern auch für die mit ihr ver-
bundene der Memel, somit aber für den ganzen Wasserverkehr
der Provinz. Es liegt an der Küstenstraße der norddeutschen
Ebene, die von Ostpreußen weiter nach den russischen Ostsee-
provinzen und Petersburg führt. Es ist von allen Seiten durch
Landstraßen bequem zugänglich und von allen Grenzpunkten
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24 Der Einfluß der oetpreußißcheii Eisenbahnen etc."
der Provinz ziemlich gleich weit entfernt und gleich bequem
zu erreichen. Dadurch ist es aber nicht nur der natürliche
Zentralpunkt für alle Landstraßen der Provinz, sondern auch
für einen großen Teil des dahinter liegenden russischen Hinter-
landes, das Königsberg als seinen natürlichen Ausfuhrhafen zu
betrachten hat. Diese russischen Beziehungen erstrecken sich
bis Petersburg und Moskau einer-, bis zu den Häfen des
Schwarzen Meeres andererseits.
Bei einer solchen Verkehrslage mußte sich die Stadt mit
der fortschreitenden Entwickelung natürlich auch das ent-
sprechende Verkehrsmittel aneignen. Die ältesten Verkehrswege,
die Wasserstraßen, sind bedeutend verbessert, und werden immer
mehr den Anforderungen des Dampfschiffverkehrs angepaßt
(Stromregulierungen, Kanäle), die schlechten Landstraßen alter
Zeiten durch ein Chausseenetz ersetzt. Als aber auch diese
nicht mehr ausreichten, trat an ihre Stelle das Netz der Eisen-
bahnen, das bis in die neueste Zeit hinein noch weiter ergänzt
worden ist. Das vielfache Zusammenfallen von Chaussee und
Eisenbahn in Lauf und Richtung beweist auch hier einen über
die Kräfte des bisher vorhandenen Mittels hinaus gesteigerten
Verkehr. Daß Königsberg die natürliche Hauptstadt ist, be-
weisen die Eisenbahnen am schlagendsten. Denn das ihrer Ent-
wickelung immer zugrunde liegende Gesetz, daß die wichtigsten
und bequemsten Strecken die ersten sind, findet gerade auf
Königsberg die vollste Anwendung. In den ersten 20 Jahren
der ostpreußischen Eisenbahnära ist keine selbständige Linie
gebaut, die nicht Königsberg zum Ausgangs- oder Endpunkte
nahm. Königsberg ist also der erste ostpreußische Knotenpunkt.
Ferner wird die Hauptstadtberechtigung als natürlicher Verkehrs-
mittelpunkt durch die Tatsache beleuchtet, daß die Entwickelungs-
geschichte der Königsberger Bahnen zugleich den Entwickelungs-
gang der Bahnen Ostpreußens überhaupt, wie wir ihn in der
Einleitung skizziert haben, wiedergibt. Zuerst bekam Königs-
berg die internationale Verkehrsstraße der Ostbahn, dann die
Transversalbahnen, an die die Grenzbahnen den Anschluß
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Von W. Feydt. 25
suchten, und in den neueren Zeiten folgten Ausflugs- und
Kleinbahnen.
Aber auch bei der Reihenfolge der Transversalbahnen
kommt das Gesetz der Wichtigkeit mit der größten Strenge zur
Durchführung. Es folgten nacheinander:
1866—1868/71 die Südbahn.
1885/88 die Allenstein- Soldauer.
1889/91 die Labiau- Tilsiter.
1899 die Strecke Zinten- Rotfließ -Rudcziany.
1901 die Strecke Löwenhagen- Gerdauen -Goldap.
Man würde gewaltig irren, hierin einen Zufall zu sehen.
Bei dem allen gemeinsamen Zweck der Provinzaufschließung
mußten diejenigen, die den weiteren der Verbindung mit Ruß-
land hatten, natürlich voranstehen. Die Südbabn mit den An-
schlüssen bis Odessa, die Aliensteiner mit dem Anschluß an die
Linie Mlawka- Warschau. Dann erst konnten jene folgen, die
für Königsberg von untergeordneter Bedeutung sind und nicht
viel mehr als jede Bahn durch Auf Schließung der Provinz
der Hauptstadt zu Gute gekommen sind. Diese gebührten in
erster Linie der Hauptstadt, jene der Haupt- und Handelsstadt
Königsberg.
Wir sagten aber: Königsberg mußte sich bei seiner Ver-
kehrslage auch die zeitgemäßen Verkehrsmittel aneignen. Als
das geschah, war es bereits die höchste Zeit. Für die von
Westen nach Osten schreitende Kultur lag Königsberg am
meisten abseits von allen preußischen Großstädten. Darum
mußte es hinter jenen zurückbleiben. In der Provinz konnte
ihm der Vorrang nicht genommen werden, aber außerhalb der-
selben gingen von 1816 — 1864 fast alle anderen großen Städte
mit doppelt, ja mit dreifach schnelleren Schritten vorwärts als
Königsberg. Wiederholt kam es noch zu direkt rückläufigen
Bewegungen der Bevölkerungszahl, das Wachstum war äußerst
schwach und betrug für die ganze Zeit von 1825 — 1849 nur 10°/o
der Zivilbewohnerschaft, d. h. jährlich im Durchschnitt 0,4 %?
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26 * l^er Einfluß der o*tpreu(lischen Eisenbahnen etc.
(Die Prov. Pr. und ihre Berücks. durch den Staat, p. 6. 7) erst
von jetzt an, im Zeitalter der Eisenbahnen, wurde das anders.
Die Waohstumstabelle Königsbergs von 1864 — 1000 gibt folgendes
Bild: (nach Dullo, D. Wachst, d. Bevölker. Königsbergs etc.
Kgb. 1903).
Wachstum:
überhaupt : jährlich :
18*51
1864
(5 928
2,3* %
1867
4 798
1,53%
1871
5 796
1,34 7o
10544
2,27 "/o
1875
18 273
2,81 %
1880
10242
1,41 '»/«
1885
10515
1,35%
18DO
18!)5
1 1 130
1,34%
1(5 658
1,86%
1900
Der niedrigste jährliche Prozentsatz ist hier also 1,3 gegen
0,4 dort; der höchste mit 2,8, also siebenmal so groß!
Die absolute Zahl ist von
1852: 79 887 Ew.
1861: 94 579 Ew.
auf 1900: 189 483 .
auf
1900: 189 483 .
also um 109 596 Ew. 94 904 Ew.
gestiegen. Königsberg ist demnach im Jahre 1900 doppelt so
groß als 1861.
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Von W. Feydt. 27
Durch die Richtung der Ostbahn von Westen nach
Osten bekamen die Königsberger Eisenbahn und Lokomotiven
früher an andern Orten zu sehen als in der eigenen Stadt.
Allein erst kurz vor der Eröffnung bis Königsberg trat die Stadt
wirklich in das Eisenbahnzeitalter ein. Die Lokomotiven hatten
noch Namen, und viele Menschen betrachteten damals das Wunder-
werk der „Ostsee", die schon damals den Weg von Braunsberg
nach Königsberg in nicht ganz eineinhalb Stunden zurücklegte
(heute Schnellzug: 60; Personenzug 79 Minuten^ Die „alte,
gute Zeit" kam auch darin zum Ausdruck, daß man davon sprach,
wegen des zur Eröffnung zu erwartenden Königlichen Besuches
der „Klapperwiese" und „Knoohenstraße" passendere Namen zu
geben. Eine eigenartige Szene spielte sich am 29. Juli 1853
auf dem Bahnhof ab: „Ein Dschimke hatte sich auf dem Bahnhofe
vor Abgang eines Eisenbahnzuges eingefunden. Bewunderungs-
voll sah er den ganzen Wagenzug an, doch als er abfuhr und
in schnellem Laufe davoneilte, erfaßte ihn sichtlich eine Bangigkeit,
die sich dadurch kund gab, daß er erst mit den Händen um
sich schlug, diese dann gefaltet mit inbrünstigem Blick zum
Himmel hob und Worte ausstieß." (cf. Härtung. Zeit. 1853.)
Friedrich Wilhelm IV., dessen Lebenswerk die Ostbahn war,
hatte seine persönliche Beteiligung an der Feier zugesagt. Am
1. und 2. August 1853 wurde sie festlich in Königsberg begangen.
Die Stadt war prächtig ausgeschmückt; am Eingang der Klapper-
wiese eine große Ehrenpforte errichtet, an ihrem Ende an der
altstädtischen Hinterwage stand eine riesige „Pregolla" auf
hohem Postamente mit der Inschrift: „Friedrich Wilhelm IV.,
dem erhabenen Gründer und Schirmer der Ostbahn, Gruß und
Heil seine treue Stadt Königsberg." Gegen 5 Uhr nachmittags
langte der Festzug an, auf dem Perron erfolgte eine Ansprache
des Bürgermeisters an den König, der durch die neuen König-
lichen Zimmer im Bahnhofsgebäude schritt und durch die ge-
schmückte Stadt zum Schlosse fuhr. Die ganzen Festlichkeiten
galten aber fast mehr der Person des Königs als der Ostbahn.
Von ihrer Wirkung hatte man vor der Eröffnung in den Handels-
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2# Der Einfluß der ost preußischen Eisenbahnen etc.
kreisen gar keine zu hohe Meinung; im Jahre 1851 bezeichnete
man ihre Bedeutung mit den Worten : „Jedenfalls eine Aushilfe
zum Verkehre mit dem Westen. " Im kleinen Maßstabe wurde
auf dieser Bahn von Weltbedeutung der Betrieb in den fünfziger
Jahren eröffnet. Gering war auch das Betriebsmaterial. Man
war von der Rentabilität eben auch in Fachkreisen durchaus
nicht überzeugt. Anfangs ging zum Beispiel nur ein Güterzug
täglich! Doch wie schnell traten schon die Anzeichen der großen
Veränderung, die die Stadt mit den Bahnen erwartete, ein! Am
Schlüsse des ersten Betriebsjahres urteilte der Königsberger
Handelsbericht schon: „Seit dem 1. August 1853 ist dieser Platz
in ein neues Stadium seines Verkehrs durch die Eröffnung der
Ostbahn getreten. Die Erwartungen, welche man von dieser
Bahn hegte, dürften nicht allein erfüllt sein, es hat sich vielmehr
schon in den wenigen Monaten seit der Eröffnung dieser Bahn
ein viel größerer Verkehr herausgestellt, als man anfangs an-
zunehmen berechtigt war."
Waggonmangel machte sich sofort bemerkbar, als durch
den Krimkrieg der Andrang der Warentransporte wuchs; 1858
mußte ein zweiter Güterzug eingerichtet werden. Personen- und
Güterzahlen der Station stiegen.
Personen ab: Güter: »
1854: 48 465 an: 1854: 23 767 to ab: 8 701 to
1855:53 531 1855:32(527 * 17 561 *
1856: 58 030 1856: 24 717 * 15 761 *
1857: 66 061 1857: 31495 * 10390 *
1858: 63 506 185«: 29 502 * 14 995 *
1859: 71171 1859: 30 726 * 13 489 *
Allein was bedeutete das gegen die Entwicklung des Ver-
kehrs als am 3. Juni 1860 die für Königsberg unendlich wichtigere
Eydtkuhner Bahn unter Anwesenheit des Prinzregenten in der
festlich und schön geschmückten blauen Vorhalle des Königs-
berger Bahnhofes eröffnet wurde! Im Jahre 1852 wird Königsberg
Bahnstation, aber erst von 1860 beginnt das eigentliche Auf-
blühen der Stadt unter dem Einflüsse der Eisenbahnen. Die
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Von W. Feydt. 29
Eydtkuhner Bahn setzte den Hafen Königsberg mit dem russischen
Reiche in direkte und damals noch konkurrenzlose Verbindung.
Ein Strom von Gütern ergoß sich aus dem Zarenreich über die
Grenzstation Eydtkuhnen, die unter diesen Verbältnissen aus
einem elenden Grenzort ein bedeutender Marktflecken wurde.
Dillenburger sagt von der Wirkung dieser Bahn zutreffend: „Vor
der Eydtkuhner Bahn war der Verkehr mit dem Hinteriande
auf die keineswegs tadelfreien Wasserverbindungen, auf ein lücken-
haftes und überaus unvollständiges Chausseenetz, sonst aber auf
Landwege angewiesen, deren traurige Beschaffenheit allseitig ist
und deren besserer Herstellung klimatische und Bodenverhältnisse
teilweise wenigstens unüberwindbare Schwierigkeiten entgegen-
setzten.
Die Eröffnung dieser Bahnstrecke, sowie die durch die
Weiterführung derselben auf russischer Seite hergestellte direkte
Verbindung mit Kowno (1861) und Petersburg (1862) gaben dem
Verkehr mit Rußland eine ganz neue Gestaltung. Während früher
von Seiten des russischen Handelsstandes Beziehungen und Ver-
sendungen auf den weiten Umwegen von Hamburg resp. Bremen
über Berlin, Breslau, Warschau nach Petersburg und Moskau
gemacht wurden, um zeitraubende und schon deshalb kost-
spieligere Landtransporte zu vermeiden, trat Königsberg sofort
nach der Herstellung der direkten Verbindung aus Petersburg
und Moskau in seine natürliche Stellung zum Nachbarreiche,
und mit Vorliebe fingen die russischen Handelshäuser an, sich
der Vermittelung dieses Platzes zu bedienen." (Dillenburger,
Beiträge z. Gesch. des Handels von Egb. in Zeitschr. d. Egl.
Pr. Stat. Bur. 1869).
Die Zahlen der Güter verdoppeln sich mit einem Schlage:
Es kommen an: Es gehen ab:
1860: 56 261 to 1860: 23 688 to
1861: 66 550 * 1861: 32 247 *
1862: 76147 * 1862: 39 317 .
1863: 92 195 ^ 1863: 49 907 *
1864: 100 997 * 1864: 51483 *
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30 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Die Ostbahn hat auch in der folgenden Zeit ihre hohe
Bedeutung für die Stadt gehabt. Ihr Fahrplan hat mit den
Jahren eine immer reichere Ausgestaltung erfahren ; ihre Fahrt-
geschwindigkeit hat sich vergrößert. Der wichtigste Zug für
Königsberg ist heute entschieden der Berlin-Eydtkuhner Schnell-
zug auch für die Geschäftswelt wegen der mitbeförderten Kor-
respondenzen. Betrachtet man freilich Königsberg lediglich unter
dem Gesichtspunkte des Handels, so hat die Ostbahn durch die
russischen Konkurrenzbahnen viel verloren, was auch die Süd-
bahn, von der weiter unten die Bede sein wird, nur teilweise
ersetzen konnte. Für die Stadt im allgemeinen aber ist sie
entschieden die wichtigste Linie geblieben. Sie ist nicht nur
ein Zufahrtsweg für die russischen Güter, sondern sie ist es, die
Königsberg vor allem in so schmerzlich vermißte Verbindung
mit der Reichshauptstadt und dem ganzen Westen setzt. Diese
letztere Bedeutung trat anfangs, als sie konkurrenzlos dastand,
bei der beispiellosen Schnelligkeit, mit der der Güterverkehr
eine ungeahnte Höhe erreichte, etwas zurück. Sie hat sich aber
mit der Zeit immer mehr Geltung geschafft, so daß heute ent-
schieden die Berliner Strecke für Königsberg im allgemeinen
wichtiger ist als die Eydtkuhner Linie.1)
Die ungemeinen Wirkungen derselben auf den Handel
haben aber den großen Segen gehabt, daß man die Notwendigkeit
neuer Zufuhrwege früher erkannte und früher an ihre Ausführung
schritt, als es sonst der Fall gewesen wäre. Am notwendigsten
erwies sich die Bahn nach Pillau. Sie war für den Handelsplatz
Königsberg nichts weiter als die natürliche Fortsetzung der
Eydtkuhner-Bahn. Ihr Fehlen hatte aber auch bereits vor jener
beträchtliche Übelstände gezeitigt. Da das Haff im Winter
zufror, mußten alle Güter nach Pillau geschafft und dort in dem
eisfreien Hafen in die Schiffe verladen werden. Dieser Trans-
1) Das kommt auch in dem Umstände zum Ausdruck, daß mit dem
1. Mai 1904 auf die Strecke Berlin— Königsberg ein drittes Schnellzugpaar not-
wendig geworden und eingelegt ist. das namentlich auch für die Geschäftswelt
von Vorteil sein wird.
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Von W. Feydt. 31
port nach Pillau war natürlich, da er auf einem Landwege, lange
Zeit hindurch nicht einmal chaussiert, vor sich ging, außer-
ordentlich zeitraubend, kostspielig und obendrein bedenklich.
Es fanden nämlich so große Veruntreuungen dabei statt, daß
die Kaufleute sich auf einen solchen Transport, der sich jeder
genaueren Kontrolle entzog, nicht mehr einlassen mochten. Durch
allerlei Auswege suchte man sich zu helfen, um doch nur neue
Übalstände hervorzurufen. Man nahm Eisbrecher zu Hilfe. Allein
bei einer verunglückten Durcheisung gingen Hunderttausende
verloren. Bei strengem Frost hatte man schließlich den Schlitten-
transport von Pillau nach Wolittnick (Bahnstation am südlichen
Haffufer) als Ausweg gewählt ; von dort beförderte die Bahn die
Güter weiter. Allein die vierfache Umladung aus dem Speicher
in Wagen, aus diesen in die Bahn, aus der Bahn in den Schlitten,
aus diesem in das Schiff machten auch diese Aushülfe wegen
der Unkosten „illusorisch" (cf. Passarge 1. c. 58. 59. Pillauer
Bahn. Mitt. d. Comit. p. 11).
Alle diese Übelstände konnten nur durch eine Bahn nach
Pillau beseitigt werden. Allein wie sollte diese zustande kommen?
Konnte eine Aktiengesellschaft die Garantie für dieses an sich
unselbständige kurze Bahnglied übernehmen, das als Privatbahn
mit der Königlichen Ostbahn in ein Verhältnis trat, bei welchem
diese durch vermehrte Frequenz, wenn es gut ging, sehr gewinnen,
wenn aber Ausfälle eintreten sollten, der Gesellschaft keinen
Ersatz leisten konnte? So schien eine Staatsbahn das Einzige.
Allein man konnte andererseits vom Staate nicht verlangen, daß
er lediglich um der Lokalinteressen einer Stadt willen eine Bahn-
strecke baute. Die Not, in der man sich so befand, machte
schöpferisch. Man erkannte, daß die Pillauer Bahn sich aus dem
Zwange der Eydtkuhner mit einem Schlage löste und rentabel
wurde, wenn man ihr eine eigene Fortsetzung durch die Provinz
nach Bußland gab: Aus dem Pillauer wurde das Südbahnprojekt.
Damit ergaben sich aber dem Königsberger Handelsstande zu-
gleich die immensen Folgen, die eine solche direkte Bahn nach
der „schwarzen Erde4*, der Kornkammer Rußlands, für den Handel
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32 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
der Stadt haben mußte, und verliehen ihren Bemühungen nach-
haltige Kraft. Für dieses Unternehmen mußte sich sofort eine
Aktiengesellschaft finden; und in der Tat war der Bau der
Pillauer- und Südbahn schon 1863 gesichert. Der Anschluß an
die russischen Bahnen stand von Anfang an im Vordergrund,
konnte auch garnicht bezweifelt werden. Nebenbei mußte auch
die Verbindung mit einem großen Gebiete der Provinz von
großem Vorteil sein. Als Anschlußpunkt in Bußland wurde
zuerst Grodno in Aussicht genommen, weil man hier die russische
Bahn und die Niemenwasserstraße zugleich kreuzte. Inzwischen
war aber Brest-Litewsk zu einem wichtigeren Punkte für die
Königsberger Handelsinteressen geworden. Denn von hier aus
führte einmal die Bahn nach Warschau, ließ sich ferner die
Pripet- und Dneprschiffahrt beherrschen, würden später die
Bahnen bis Kiew und Odessa gehen. Für Brest-Litewsk lag
aber Bialystock ungleich günstiger. Die Bahn mußte also in
möglichst gerader Linie dorthin, das heißt über Rastenburg und
Lyok geführt werden.1)
Anfangs 1870 gelang es den unausgesetzten Bemühungen
der Abgeordneten der „Ostpreußischen Südbahn", wie sie sich
nunmehr offiziell nannte, die Kaiserlich russische Regierung zur
Konzessionierung von Eisenbahnen zu bewegen, welche eine
russisohe Aktiengesellschaft von Brest-Litewsk über Bialystock
nach den Flecken Grajewo an der preußischen Grenze führen
würde. Die ostpreußische Strecke war damals schon seit zwei
Jahren vollendet. Ihr Bau hatte lange gedauert und namentlich
durch ungünstige klimatische Verhältnisse und durch die Terrain-
beschaffenheit des masurischen Seengebietes mit großen Schwierig-
keiten zu kämpfen gehabt. Die ostpreußische Südbahn hat im
weitern Verlaufe für die Provinz namentlich im Anschluß an die
Thorn-Insterburger und die Allenstein-Lycker Strecke erhöhte
Bedeutung bekommen. Was sie aber speziell auch für die Stadt
1) Man sieht, wie wenig informiert die Johannisburger Stadtväter waren,
als sie die Führung der SB. über J. nach Ijoniwsa forderten.
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Von W. Feydt. 33
Königsberg bedeutet, hat deren kaufmännische Vertretung schon
im Jahre 1870 klar und deutlich ausgesprochen:
„Seit Vollendung der Königlichen Ostbahn ist für die wirt-
schaftliche Entwickelung Ostpreußens kein gleich wichtiges Er-
eignis eingetreten. Seit der ersteren hat sich der Handel Königs-
bergs seinem Umfange nach verdoppelt. Trotzdem ist die König-
liche Ostbahn für uns als Verbindung mit dem Zentrum des
Staates doch noch mehr von politischer als von kommerzieller
Bedeutung. In wirtschaftlicher Beziehung steht die Verbindung
der ostpreußischen Südbahn mit Rußland bis zum schwarzen
Meere hin für uns unbedingt höher. Bisher lieferte .Rußland
kaum halb so viel als die Provinz für Königsberg Export, das
muß sich umdrehen. Rußland muß über noch mal soviel liefern !"
(Handelsbericht 1870). Diese letzte Erwartung hat sich nun
nicht so ganz erfüllt; 1873 noch verhielt sich in der Getreide-
lieferung Rußland zu Ostpreußen wie 3 : 4. Die Gründe hierfür
werden weiter unten noch erörtert werden. Hier mag nur darauf
hingewiesen werden, daß man mit Recht die Geschichte der
Südbahn eine Leidensgeschichte genannt hat. Das lag nur zum
Teil daran, daß ihre Stellung als Privatbahn in dem. mit den
Jahren sich immer noch erweiterndem Staatsbahnnetze eine immer
schwierigere wurde. Viel angefeindet, ist sie dann auch in der
neuesten Zeit zugrunde gegangen; die ostpreußische Landwirt-
schaft hat in sehr großer Kurzsichtigkeit vergessen, was auch
sie ihr verdankte und ihr die Überschwemmung des ostpreußischen
Marktes mit russischem Getreide zum schweren, aber zugleich
unberechtigten Vorwurf gemacht. Die Stadt Königsberg hat die
Verstaatlichung anfangs nicht gewünscht, ob mit Berechtigung,
mag dahingestellt bleiben; jedenfalls war eine Privatgesellschaft
abhängiger und mußte gefügiger auf die Forderungen der Han-
delsstadt eingehen als die die Interessen aller gleichmäßig um-
fassende Staatsverwaltung. Allein schon die Einrichtung eines
Schnellzuges nach Lyck, die seit der Verstaatlichung erfolgt ist
und weitere Fahrplanverbesserungen, die mit dem 1. Mai 1904
erfolgt sind, beweisen, daß auch Königsberg nicht schlechter
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. llft. 1 u. 2. ',\
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34 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
gefahren ist, seit die Privatbahn zu existieren aufgehört hat.
Die Güterzahlen haben in den besten Jahren auf der Südbahn
eine erstaunliche, die der Staatsbahnstation bald übersteigende
Höhe erreicht.
Auf der Südbahn
In denselben Jahren
kamen an:
auf der Staatsbahn:
1870: 105 G57 to
175 838 to
1874: 233 476 .
347 168 .
1877: 376 438 -■
403 058 ■-
1878: 398 554 *
333 209 .
1885: 414 421 »
186 190 .
1894: 407 505 .
277 763 .
1900: 418 640 *
415 605 .
1902: 544 756 -
399 215 t
(cf. zu dem über die Pillauer und Südbahn Gesagten die Königs-
berger Handelsberichte von 1859 — 1902).
Bei den übrigen Bahnen Königsbergs können wir uns
kürzer fassen. Das nächste wichtige Projekt war die Warschauer
Bahn. Die Frage wurde akut, als Danzig sich eine Bahn von
Marienburg nach Mlawa- Warschau sicherte. Wollte man nicht
alle Konkurrenz aufgeben, und den Warschauer Handel, der
freilich schon seit langer Zeit nicht mehr für Königsberg aus-
schlaggebend war, ganz verlieren, so mußte man auf eine eigene
Zweigbahn nach Königsberg bedacht sein. Aus dem anfänglich
geforderten Projekte einer Staatsbahnlinie Mlawa-Allenstein, die
die Lücke ausfüllen sollte, wurde bald das Projekt Kobbelbude-
Allenstein-Soldau. Als Bahn untergeordneter Bedeutung, unter
Rücksichtnahme nicht nur auf Königsberg, sondern ebenso auf
die aufzuschließende Provinz kam es 1885 und 1888 zur Aus-
führung. Allein die weitgehenden Hoffnungen der Königsberger
erfüllten sich nicht.
Man hatte an eine Nutzbarmachung nicht nur der War-
schauer Umgegend, sondern der Produkte Ungarns und Galiziens
für den Königsberger Handel gedacht, sich Wirkungen ähnlich
der Südbahn versprochen. Allein man sah sich in seinen
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Von W. Feydt 35
Hoffnungen betrogen. Wasserstraßen und Eisenbahnen wiesen
den Warschauer Handel in erster Linie auf Danzig. Die Be-
rechnung der Eisenbahnlängen ergiebt, daß die Strecke Danzig-
Soldau 25 km kürzer ist als die Königsberg-Soldau. Die Bahn
wurde für Königsberg dadurch eine solche untergeordneter Be-
deutung, wenn sie auch unter diesen entschieden die erste Stelle
einnahm. Unter Umständen konnte ihr freilich eine ganz andere
Bedeutung zuteil werden, nämlich als Reservelinie für Notlagen,
die die Ostbahnlinie sperrten.
Ein solcher Zustand trat 1868 ein, als die Überschwemmung
im Weichselgebiet jene unbenutzbar machte. Er hatte zur
Folge, daß man die anfangs recht dürftig ausgestattete Linie
besser ausbaute. Die Geleiseanlagen der Stationen wurden er-
gänzt; die Steigungs- und Krümmungs Verhältnisse verbessert.
Heute steht es so, daß sie auch für den Güterverkehr
Königsbergs eine erhebliche Bedeutung erlangt hat, trotz der
ablenkenden Mehlsack -Braunsberger Bahn, und trotzdem ihre
Umwandlung in eine Vollbahn ein allerdings bisher nicht er-
füllter Wunsch der Königsberger ist.
Weit kühler standen die Königsberger dem bald darauf
auftauchenden Projekt einer Bahn über Labiau nach Tilsit
gegenüber und ersparten sich dadurch unliebsame Enttäuschungen.
Anfangs erwärmte man sich dafür, doch nur unter dem Ge-
sichtspunkte, daß etwa jetzt noch eine neue Vollbahn auf dem
1860 verlassenen, jetzt wieder aufgesuchten Wege über Tilsit-
Tauroggen nach Petersburg entstehen könnte. Allein als sich
das als ganz aussichtslos erwies, weil an eine Fortführung über
Tilsit hinaus und gar in Rußland nicht zu denken war, lehnten die
Königsberger entschieden jeden Kostenbeitrag ab, indem sie die
rein lokale Bedeutung der Bahn und die volle Zulänglichkeit
der Wasserstraße für ihre Zwecke betonten. Ja, als man an-
fangs daran dachte, diese Bahn vom Königsberger Ostbahnhofe
aus oberhalb der Stadt über den Pregel zu führen, protestierten
sie im Interesse der Schiffahrt und Flößerei, der durch diese
neue Brücke Schwierigkeiten entstehen würden
3*
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36 &er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Daß sie wie jede neue Bahn der Entwickelung des Lokal-
verkehrs günstig sein würde, wurde nicht bestritten. Solche
Bahnen neuester Zeit aber, die nicht eine schon vorhandene
Wasserstraße wiederholten, wie die Linie Rothfließ-Rudczanny
und Löwenhagen-Gerdauen sind daher auch von den Königs-
bergern mit Freuden begrüßt worden und richtig eingeschätzt.
Inzwischen hatte sich die nur Handelsinteressen ihr Dasein
verdankende Pillauer Bahn zu einer Touristen- und Ausflugs-
bahn entwickelt und mit der staatlichen Anschlußbahn nach dem
Seebade und Bernsteinwerk Palmnicken war noch ein in-
dustrieller Nebenzweck hinzugekommen. Die immer größer und
umfangreicher werdende Hauptstadt konnte die günstige Nähe
des reizvollen Samlandstrandes und der See nicht länger un-
genützt lassen und mußte den von Jahr zu Jahr zahlreicher
herbeiströmenden Badegästen eine zeitgemäße Verbindung nach
dem Strande gewähren. So entstand die Cranzer, so die Sam-
landbahn. Wie sich alle Touristenbahnen rentiert haben, beweist
der Umstand, daß die Cranzer für die Sommermonate bereits in
eine Vollbahn verwandelt ist, für die Samlandbahn trotz ihres
erst kurzen Bestehens dasselbe wenigstens angeregt wurde,
ferner ein Blick auf die Entwickelung der Orte, die durch sie an-
und zum Teil erst recht dem großen Verkehr aufgeschlossen sind.
Cranz : Neuh äuser :
1855: ca. 557 Einw.
18(57: 993 *
1871: 991 * 1871: 10 Einw.
1885: 1321 * 1885: 49 -
1895: 1843 * 1895: 188 *
In der reichen Umgegend der Stadt entwickelten sich an
Zwischenstationen dieser Bahnen und auch an den ersten Stationen
der Hauptbahnen Ausflugsorte für das jetzt wirklich großstädtisch
gewordene Publikum. Extrazüge gingen nach Löwenhagen und
Ludwigsort; Juditten, das anfangs gar keine Haltestelle besaß,
und Metgethen wurden zu Einnahmequellen für die Pillauer-,
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Von W. Foydt. 37
Gr. Baum für die Cranzer Bahn. Auch an der Samlandbahn
bildete sich eine ganze Reihe solcher Plätze heraus, wie z. B.
Drugehnen am Fuße des Galtgarbens.
Schließlich hat Königsberg auch seine Kleinbahn erhalten.
Sie hatte die besondere Aufgabe, das Kreisgebiet am Südufer
des Kurischen Haffes und die Gegenden am Nordufer des Pregels
besser an die Haupt- und Kreisstadt anzuschließen. Es ist kein
Zufall, daß der direkte Postenbetrieb von Königsberg aus sich
am längsten auf der Chausseestrecke über Arnau nach Waldau
erhalten hatte.
Prüfen wir nunmehr, nachdem wir die Verkehrslage
Königsbergs und die Entwickelung seines Eisenbahnnetzes be-
trechtet haben, die Wirkungen des letzteren auf den Handel,
auf die Industrie und das Äußere des Stadtbildes.
Bei der Fülle des Stoffes kann nur das Wichtigste hervor-
gehoben werden.
Handel und Industrie stehen in Königsberg in dem eigen-
artigen Verhältnis, daß an Zahl der Berufsangehörigen die In-
dustrie, an Bedeutung für die Stadt im allgemeinen der Handel
obenan steht. Dieses Verhältnis hat von 1882 — 1895 keine
Änderung erfahren.
1882: Von 64040 Beruf sang. 1895: Von 78528 Berufsang.
Industrie: 21535 26241
Handel und Gewerbe: 11 970 16043
Unterschied rund: 10000 rund: 10000
Auch der Handel im ganzen hat seinen Vorrang gewahrt,
noch 1897 wird die Lage der Industrie „nur in mäßigem Grade
entscheidend" für die allgemeine Geschäftslage Königsbergs ge-
nannt. Allein schon 1899 mußte zugegeben werden, daß bei
der zwar langsame, aber stetige Fortschritte aufweisenden In-
dustrie „das wirtschaftliche Gedeihen der Bevölkerung nicht mehr
so ausschließlich wie früher von der Lage des Handels mit Roh-
produkten abhängt."
Die Frage, ob und wie sich dieses Verhältnis gestaltet hätte,
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38 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
wenn Königsberg nur auf den Eisenbahnverkehr angewiesen wäre
und keinen Binnenschiffahrtverkehr hätte, ist äußerst schwierig
und soll hier nicht erörtert werden; zunächst wäre man freilich bei
der Beobachtung, daß die Bahnen, die eine Wasserstraße so gut
wie völlig ausgeschaltet haben, sehr geneigt zu urteilen, daß das
Verhältnis auch ohne die Verbindung mit der Memelstraße das-
selbe, mindestens ein ähnliches geblieben wäre. Außerdem ist
es nicht zweifelhaft, daß die für den Handelsplatz Königsberg
entschieden wichtigere Ausfuhr viel mehr von den Bahnen als
von den Binnenwasserstraßen abhängt, während der Seeverkehr
für die Einfuhr auch heute noch gleichwertige Bedeutung mit
den Bahnen hat. Man wird daher heute richtiger Königsbergs
Handelsbedeutung aus dem Aggregat Seeverkehr und Eisenbahnen
als Seeverkehr und Binnenschiffahrt erklären.
Jeder Hafen handelt mit den Produkten seines Hinterlandes,
dem er wiederum Dinge, die ihm fehlen, durch seine Verbindung
mit anderen Ländern zuführt. Danach sind die wichtigsten
Exportartikel Königsbergs: Getreide, Flachs, Hede, Lumpen,
Borsten, Dachpappe, Asche und Holz; Spiritus, Fische und Bern-
stein. Importartikel: Eisen, Kohle, Bausteine, Fliesen, Kolonial-
waren, Heringe, Petroleum und Tee.
Schon aus dieser Übersicht erkennt man die große Abhängig-
keit des Königsberger Handels vom russischen Hinterlande.
Königsberg braucht Rußlands Produkte und braucht Rußland
zum Absatz für die Waren, die es aus dem Westen, sei es aus
Deutschland oder England und Schweden-Norwegen per Bahn
oder Schiff empfängt. An den meisten Artikeln hat die Provinz
einen großen Anteil, aber gerade an manchen ausschlaggebenden,
hier Flachs und Hede, dort Heringe und Tee nicht. Daher die
überwiegende Bedeutung gerade der beiden russischen Bahnen
für Königsbergs Handel!
Der wichtigste Handelszweig Königsbergs ist der Getreide-
handel. Kein einziger anderer Handels- oder Industriezweig
kann für sich allein an Umfang und Bedeutung sich mit ihm
messen (Hand.-Ber. 1898). Er ist infolge der Wasserstraßen
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Von W. Feydt. 39
viel älter als die Eisenbahnen, ebenso alt wie die Handelsstadt;
er hat auch in früheren Jahren einen großen Umfang gehabt,
aber doch nicht im Entferntesten die heutige Blüte erreicht.
Die Eisenbahnen haben für ihn eine doppelte Bedeutung gehabt:
Sie haben' die Produktionsfähigkeit des ihm schon erschlossenen
Land es ungemein gesteigert und haben ihm außerdem Gebiete
erschlossen, die bisher durch ihre weite Entfernung für ihn gar
nicht oder fast gar nicht in Betracht kamen. Das erste bezieht
sich hauptsächlich auf die Provinz, das letzte auf Bußland. Aber
ebenso wie der Königsberger Getreidehandel unter den Wirkungen
der russischen Bahnen emporblühte, hat er auch gegen die An-
griffe, die mittelst derselben auf ihn gemacht wurden, dauernd
zu kämpfen gehabt. Wirtschaftlich zusammenhängendes Gebiet
war politisch getrennt. Der ausführende Hafen in anderer Hand
als das produzierende Hinterland. Die Geschichte des Handels
und der Verkehrsmittel wird zur Geschichte der Politik. Ruß-
land hatte, in der Kulturentwickelung rückständig, zunächst die
von den Interessen seiner Bewohner geforderten Bahnen nach
den preußischen Häfen gestatten müssen. Sie wurden zum Teil
von französischem Kapital und französischen Gesellschaften ge-
baut. Später baute man auch hier ein eigenes Eisenbahnnetz
aus und suchte nun den bisherigen preußischen Verkehr nach
den eigenen Ostseehäfen zu lenken. Da man jene natürlichen
Eisenbahnwege nicht mehr aus der Welt schaffen konnte, mußte
man zu künstlichen Mitteln greifen und den Verkehr künstlich
von dem ihm in natürlicher Weise dienenden Hafen Königsberg
abzulenken suchen. Man fand ein solches Mittel in den Eisen-
bahntarifen. Sie begünstigten die russischen, viel weiter von der
„Kornkammer Rußlands" gelegenen Häfen Libau, Riga und
Reval, die zum Teil nicht einmal eisfrei waren, derart, daß die
Königsberger Bahnen, vor allem das Privatunternehmen der Süd-
bahn dauernd mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen
hatten. Hauptsächlich darum ist ihre Geschichte eine Leidens-
geschichte. So lange die Konkurrenz dieser russischen Häfen
eine natürliche blieb, war sie wirtschaftlich durchaus gerecht-
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40 fter Einfluß der oetpreußischeu Eisenbahnen etc.
fertigt. Einzelne Gebiete namentlich in den Gegenden der
Wilnaer Strecke mußten wegen ihrer jenen Häfen näheren Lage
für immer verloren gehen. Schlimmer wurde es erst, als namentlich
Libau unnatürliche Konkurrenz zu machen anfing. Das geschah
durch enorm billige Tarifsätze der Bommy-Libauer Bahn. So
ging ein beträchtliches Gebiet des inneren und gerade des süd-
lichen Rußland ganz oder teilweise Königsberg verloren, obwohl
Libau weiter entfernt war. Die Produzenten konnten wegen der
billigeren Tarifsätze dorthin vorteilhafter absetzen. Die Folgen
blieben nicht aus. Mehrere kleine Firmen in Königsberg mußten
liquidieren, eine Menge russischer Getreidekommissionäre verließ
die Stadt und hunderte von Arbeitern und kleinen Gewerbe-
treibenden verloren ihr tägliches Brot. Es hatten Getreide see-
wärts ausgeführt:
1874 1884
Libau: 74 823 to 558 687 to
Königsberg: 356 985 * 337 000 *
Dem Beispiele Libaus folgte wenige Jahre später Odessa.
Die Verwaltung der russischen Südwestbahnen publizierte einen
Tarif, welcher derartig konstruiert war, daß die an der deutschen
Grenze gelegenen Stationen eine niedrigere Fracht nach Odessa
zu zahlen hatten als die dem letzteren Platze näher gelegenen
Stationen. Ganz unbegreifliche Mißverhältnisse der Frachten
zum Nachteil von Königsberg bildeten sich infolgedessen heraus.
Das Bestreben, den Getreideverkehr nach Odessa zu lenken, war
leider erfolgreich. Der Bückgang von Zufuhren von russischem
Getreide erreichte einen Umfang, der tiefste Besorgnis erregen
mußte:
Es kamen aus Bußland:
1885: 385028 to Getreide
1886: 123314 *
Der Bückgang betrug also 68 Prozent! Er übertraf in diesem
Jahr weit den aller andern Ostseehäfen, die zwar auch unter der
schlechten Ernte, aber nicht unter so unerquicklichen Verhält-
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Von W. Feydt. 41
nissen zu leiden hatten. (Hand.-Ber. 1886). Erst mit dem deutsch-
russischen Handelsvertrage beginnt eine bessere Zeit für den
Königsberger Getreidehandel, der wohl schon genug zu leiden
hatte, aber wegen der Natürlichkeit seiner Bedingungen trotz
aller russischen Kunstgriffe nicht tot zu machen war. Die für
Königsberg wichtigste Bestimmung des Vertrages betrifft die
Eisenbahntarife. Die Frachtsätze von den russischen Aufgabe-
stellen bis nach Königsberg sollen fortan nach den Bestimmungen
gebildet werden und unter die am Transport beteiligten deutschen
und russischen Bahnen verteilt werden, welche für die nach den
Häfen Libau-Riga führenden russischen Eisenbahnen gelten.
Unter den segensreichen Wirkungen dieses Vertrages haben die
Königsberger Eisenbahnen wieder dem Handel den Nutzen bringen
können, der ihm nicht durch sie, sondern durch künstliche Ein-
wirkungen entzogen worden war. Zwar tauchten auch später
noch neue Sorgen auf. Man sucht in Rußland die Bestimmungen
des Handelsvertrages durch die Einrichtungen im Verkehr des
sogenannten Elevatorengetreides zu umgehen, doch sind so
traurige Verhältnisse wie in den 80 er Jahren nicht mehr wieder-
gekehrt.
Im Innern der Provinz konnte natürlich jede neue Bahn-
eröffnung, sofern sie nicht die Nachbarhäfen Memel, Elbing und
Danzig unmittelbar anging, dem Getreidehandel nur förderlich
sein, und es ist gewiß, daß wir hier noch nicht an der Grenze
des Erreichbaren angelangt sind.
Ähnlich wie beim Getreidehandel liegen die Verhältnisse
beim Handel mit Flachs, Hanf und Hede. Auch hierfür ist
Rußland der Lieferant Königsbergs. Dieses hat jedoch anfangs
umgekehrt wie später beim Getreidehandel in diesem Zweige
Riga mittelst, der Eydtkuhner Bahn erfolgreich Konkurrenz
gemacht.
Mertens schreibt darüber in seinem Aufsatze über den Flachs
in Rußland (cf. Archiv für Eisenbahnwesen 1808 p. 700 ff.):
,,Es war ganz selbstverständlich, daß Riga den Flachshandel
so lange beherrschte, als es ausschließlich durch Zufuhren auf
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42 Der Einfluß der OKtpreußischen Eisenbahnen etc.
den Wasserwegen und auf den Landwegen mit Fuhrwerk ver-
sorgt wurde. Trat hierin eine Änderung ein, so konnte der
Handelsplatz von der beherrschenden Stellung zurückgedrängt
werden.
Diese Änderung in den Zufuhrverhältnissen ist durch die
Inbetriebnahme der Eisenbahnen eingetreten und wenn Riga
auch heute noch immer der erste Platz für Flachs und den
Flachshandel ist, so ist doch der Verkehr über Wirballen und den
Handelsplatz Königsberg in sehr scharfen Wettbewerb getreten.
Wenn nun die russischen Ostseehäfen in ihrer Gesamtheit
die erste Stelle in bezug auf die ausgeführte Menge (in Flachs)
einnehmen, so treten doch bei Gegenüberstellung der einzelnen
Grenzpunkte die baltischen Häfen für einige Jahre hinter Wir-
ballen zurück. In den Jahren 1884, 1886, 1888, 1889 hat
Wirballen sogar Riga überflügelt. Es bedeutet das, daß der
Königsberger Flachshandel Riga mit Erfolg einen sehr lebhaften
Wettbewerb gemacht hat.
Aber seit dem Jahre 1889 ist die über Wirballen ausgeführte
Menge Flachs und Flachshede regelmäßig gesunken und ist im
Jahre 1894 sogar nur eine ganz besonders geringe gewesen,
allerdings bringt schon das folgende Jahr wiederum eine Zahl,
die sich der des vorhergehenden Jahres sehr nähert."
Den Grund für diesen Rückgang haben wir natürlich wiederum
in den russischen Tarifen zu suchen. Jedenfalls steht das eine
fest, daß was nach Königsberg heute in diesen Artikeln kommt,
die Eisenbahnen benutzt; und auch für die Ausfuhr derselben
die Eisenbahnen ausschlaggebend sind.
in to.
bahnwärts
nuüwärts
seewärts
Summa
Zufuhr
54 262
55
133
54 450
Ausfuhr
35 IUI
56
16 476
51 651
Unter den Kolonialwaren möge nur der Kaffee besonders
erwähnt werden. Für sie alle zusammen ist natürlich der Ver-
brauch ein viel stärkerer geworden als in früheren Zeiten denkbar,
und das ist nur der Eisenbahn zu verdanken. Die Kaffeeeinfuhr
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Von W. Feydt. 43
stieg in Königsberg von 35 547 Zentner im Jahre 1890 auf 58 314
im Jahre 1902. Im Kohlenhandel spielt die Verbindung von
Seeweg und Eisenbahn eine wichtige Bolle. Erst seit den Eisen-
bahnen ist in der ganzen Provinz, in allen Städten der Kohlen-
verbrauch, auch abgesehen von dem Zwecke der Industrie be-
deutend geworden. Bietet doch auch der Landtransport auf
diesem Wege bei dem großen Gewicht noch bedeutende Schwierig-
keiten! Für sich selbst haben die Eisenbahnen freilich in viel
höherm Maß die schlesische Kohle in Anspruch genommen, die
auch in der Industrie Ostpreußens eine bedeutende Holle spielt,
während an eine Benutzung derselben vor 1850 natürlich nicht
zu denken war. Glas, Porzellan und Steingut werden vorzugs-
weise mit der Eisenbahn nach Königsberg gebracht, obwohl viel-
fach Klagen über Bruch während des Transportes einlaufen.
Der in neuer Zeit immer umfangreicher werdende Verbrauch von
Zement in der Provinz ruht beim Mangel der Wasserstraßen für
große Teile derselben ebenfalls in den Händen der Bahn. Auch
Eisen wird im Verhältnis zum Gewicht in recht bedeutenden
Massen per Bahn (1902 ca. 10 000 to.) eingeführt, wenn auch
hier die Einfuhr seewärts (ca. 17 000to.) beträchtlich größer ist.
Der ebenfalls neue Handelszweig mit Düngemitteln bedient sich
der Bahnen zum Absatz an die Landwirte. Vom Petroleum gilt
der Satz, daß der Handel damit vom Bedarf des Hinterlandes
abhängt, das heißt von den Eisenbahnen, wie überhaupt erst mit
den neuzeitlichen Verkehrserrungenschaften das Petroleum seine
weiteste Verbreitung gefunden hat, um in unserer schnellebigen
Zeit bereits durch Gas und Elektrizität, die beide total von
Maschinen und Kohlen, also von der Bahn, abhängig sind, vom
Gebrauch im großen Stil verdrängt zu sein. Konsumartikel wie
Wein und Heringe, die zur See nach Königsberg kommen, gehen
mit der Bahn nach Rußland, mit der Bahn in alle Winkel der
Provinz. Vom Tabak kommt ebensoviel mit der Bahn nach
Königsberg als über See. Der Leinwandhandel kehrt sich unter
den Wirkungen der Bahn geradezu um. Die Provinz arbeitet
nicht mehr für die Hauptstadt, sondern die Hauptstadt schafft
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44 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
auf den Eisenbahnen die schlesischen und westfälischen Fabrikate
zum Absatz in der Provinz heran. Mit Lumpen und Butter
gehts umgekehrt wie mit Wein und Heringen. Sie kommen
mit der Bahn und gehen mit dem Schiff weiter. Vollständiges
Produkt der Eisenbahnen ist hier wie allenthalben der Vieh-
handel.
Nicht gerade zu Grunde gegangen, aber in seiner Ent-
wickelung gehemmt und geschädigt ist von allen Zweigen nur
der Speditionshandel. Die ersten Bahnen freilich belebten ihn.
Die Ostbahn bis Königsberg machte diesen Ort zum Speditions-
platz für die aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und
Italien kommenden Speditionen. Sobald aber im Jahre 1864 der
direkte Eisenbahnverkehr mit Rußland ins Leben trat, hörte
diese Bedeutung auf, und der Speditionshandel wurde auf die
Beförderung der überseeischen Importen beschränkt. Aber auch
hier traten weitere Bückschläge ein. Die Speditionen nach der
Provinz gingen mit jeder neuen Transversale weiter zurück; die
nach Bußland verloren, sobald die russischen Konkurrenzhäfen
mit der Kownoer Linie verbunden waren, ihr Absatzgebiet. Der
wichtigste Artikel war der aus China auf dem Seewege über
London nach Königsberg transportierte sogenannte „russische
Tee." Er blieb vorläufig erhalten, da für die Wege nach der
Tee-Metropole Moskau Königsberg noch immer vorteilhafter lag —
und, um der Konkurrenz zu steuern — die Eisenbahn die Tarife
ermäßigte. Dazu kamen noch andere Gründe, die von der Eisen-
bahn unabhängig sind — bessere Verpackung in Königsberg als
in russischen Häfen, billigeres Emballierungsmaterial — aber
auch der Umstand wirkte mit, daß die Südbahn Tee ausnahms-
weise ebenso schnell wie Eilgut beförderte, so daß er in sieben
Tagen nach Moskau gelangte. Alle anderen Artikel zogen sich
jedoch im Lauf der Jahre ausnahmslos nach russischen Häfen
und von 1887 an fängt Odessa auch im Teehandel an zu
konkurrieren. Heute. liegen die Verhältnisse so, daß nur noch
ostindischer Tee in nennenswerten Massen nach Bußland geht,
während das Gros der russischen Teeeinfuhr entweder auf dem
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Von W. Feydt. 45
Landwege über Sibirien (sibirische Bahn) oder seewärts über
Odessa nach Moskau geht. Als 1902 der Weg von den russischen
Ostseehäfen nach Moskau eine neue Abkürzung erfahr, fiel auch
dieser Ort für die Innenspedition fort und es blieben nur noch
die russischen Speditionen, die für in der Nähe der Grenze
liegende Orte bestimmt sind.
Wir werden im Interesse des Königsberger Handels den
Bückgang dieses Zweigs bedauern können, aber ihn im Gegen-
satz zu den künstlichen Schädigungen des Getreidehandels ver-
ständlich und natürlich finden.
Neben dem Handel Königsbergs hat die Industrie lange
eine sehr bescheidene Bolle gespielt. Zwar werden schon im
Berichte von 1853 eine ganze Anzahl Fabriken erwähnt, aber
größere Etablissements, die 50 und mehr Arbeiter beschäftigten,
gab es 1855 erst fünf am Orte, von denen drei Eisengießereien
und Maschinenfabriken waren. Es würde ermüdend sein, im
einzelnen aufzuzählen, wann jede Industrie entstanden und welche
Bahnen den Anlaß dazu gaben und Absatzgebiete schufen. Auch
wird sich hier viel weniger als beim Handel eine Abhängigkeit
von bestimmten Linien feststellen lassen. Nur das eine kann
gesagt werden, daß die Verbindung mit dem Westen, die Ost-
bahn, der Anstoß, alle Bahnen der Provinz zusammen die Stützen
für eine weitere Entwickelung geworden sind. Es lassen sich
heute, wenn man bis ins Kleinste detailliert ca. 100 Industrie-
spielarten unterscheiden, wobei freilich das moderne Streben jeden
Betrieb „Fabrik" zu nennen, einschränkend zu berücksichtigen
ist. Den engen Zusammenhang, in dem die ganze Industrie
Ostpreußens mit der Landwirtschaft, dem Haupterwerbzweig der
Provinz steht, kann auch die der Hauptstadt nicht verleugnen.
Eisengießereien und Maschinenfabriken und Brauereien sind auch
heute noch die größten Industriezweige Königsbergs. Jene setzen
an die Landwirtschaft ihre mannigfaltigen Erzeugnisse ab, diese
empfangen von ihr das notwendige Bohmaterial. Aber interessant
ist es zu sehen, wie in Königsberg die Eisenbahn, die jene erste
Industrie großzog, ihr auch in Notlagen ihre hülfreiche Hand
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46 Der Einfluß der oatpreußischen Eisenbahnen etc.
entgegenstreckte. Lokomotiven und Eisenbahnwagen sind in
großer Zahl seit 1850 aus der „Union" hervorgegangen. Heute
hat diese Werkstatt einen Umsatz von 4 100 000 Mark, 58 Beamte
und 842 Arbeiter. Ganz gewaltig hat sich die Bedeutung der
beiden Königsberger Brauereien in Schönbusch und Ponarth
gehoben. Unter ihrem Schutze gleichsam ist in beiden Orten
eine bedeutende Siedelung entstanden, die zusammengewachsen
ist und durch Extrazüge der Königlichen Ostbahn und elektrische
Bahn mit der Stadt verbunden ist. Zu beiden Brauereien führen
Schienengeleise direkt von der Strecke.
Die Gemeinde Ponarth, zu der neuerdings Schönbusch ge-
hört, zählte:
1867: 233 Einwohner
1871: 441
1885: 1884
1895: 4425
Beide Brauereien zusammen produzieren heute im Jahre
über 300 000 Hektoliter Bier. Auch die Brauerei Wickbold hat
sich durch ihre Lage an der Südbahn, 11 km von der Stadt
entfernt, entwickelt. Ein Unikum in Ostpreußens Industrie ist
die Bernsteinindustrie. Ihren Zwecken dient die schon erwähnte
Palmnicker Bahn. Die Bernstein werke befinden sich in Königs-
berg in der Bahnhofstraße, also nicht weit vom Bahnhofe entfernt.
Bei der großen Zahl von Arbeitern, die heute in ihren
Betrieben beschäftigt sind, hat die Industrie für die Stadt eine
recht erhebliche Bedeutung gegen frühere Zeiten gewonnen. Das
Verhältnis zum Handel ist oben bereits angegeben.
Überblicken wir zum Schlüsse noch einmal Bändel und
Industrie in Königsberg, so können wir mit dem Handelsberichte
von 1899 sagen: Beim Überblicke von 1800 — 1900 ergeben sich
anfänglich langsame, dann aber bedeutende Fortschritte des
Handels. Bis 1850 bewegte er sich in engen Grenzen; 1829
betrug die Ausfuhr 70 000 to; in den fünfziger und sechziger Jahren
findet zum ersten Male eine beträchtliche Steigerung statt.
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Von W. Fevdt.
47
Königsberg ist in das Zeitalter der Eisenbahnen ein-
getreten. Gesamt -Einfuhr und -Ausfuhr haben sieh seitdem in
stark aufsteigender Linie bewegt.
Einfuhr:
Ausfuhr:
1868: 418119 to
1868: 314603 to
1880: 688 045 --
1880: 425 954 --
1890: 924 G65 --
1890: 628 527 --
1900: 1858 064 =
1900: 987 598 ■■
Umfang in to
ä 20 Zentner.
Einfuhr:
Ausfuhr:
1868
162 483570 Mk.
1868: 140699 919 Mk
1880
184355007 *
1880: 141826666 *
1890
. 191812 899 --
1890: 153 588 232 ;
1900
. 320750455 --
1900: 227 181 541 ■-
Wert in
Mark.
Seeschiffahrt und Binnenschiffahrt (Memelstrom - Deime-
Pregel) haben mit den Eisenbahnen einen Bund geschlossen, an
dessen Befestigung und Verbesserung fortzuarbeiten auch heute
noch das vornehmste Interesse der Königsberger Handelsherren
ist. Mag es sich auch für die Eisenbahnen nicht mehr um
neue Linien handeln, auf die sich alles Interesse konzentriert,
so werden die Fragen des Eisenbahnverkehrs mit Rußland
immer eine ebenso große Aufmerksamkeit beanspruchen wie die
der Schiffahrt, die augenblicklich durch Seekanal und Hafen-
ausbau im Vordergrunde stehen.
Nur einmal noch kann es dahin kommen, daß eine Eisen-
bahnfrage auch unsere Handels weit voll und ganz in Anspruch
nehmen wird. Es ist die des Zentralbahnhofes, der jetzt schon
eine Notwendigkeit, kurz über lang Königsberg doch beschieden
sein wird. Damit werden wir auf das Gebiet der äußeren Ver-
änderungen des Stadtbildes unter dem Einflüsse der Eisenbahnen
geführt, mit dessen Betrachtung wir dieses Hauptkapitel unserer
Arbeit abschließen wollen.
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48 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Allein auch hier müssen wir uns auf weniges beschränken.
Eine Stadt, die sich in 40 Jahren verdoppelt hat, muß natür-
liche außerordentliche Veränderungen in ihrem Gesamtbilde
durchgemacht haben, in vielen Teilen geradezu unkenntlich ge-
worden sein und sich durch viel neue vergrößert haben. Noch
besser als für das Jahr 188G paßt für das Jahr 1904 der in seiner
Naivität und Frische so köstliche Ausruf Hennenbergers vom
Jahre 1595: „So man nur Königsberg ansiehet, lieber Gott, welch
eine Veränderung ist nun in den 40 Jahren da geworden, und
währet noch von Tag zu Tag, wie gewaltige Gebäud' sind da
aufgerichtet, wie sind alle Winkel ausgebauet!"
So verlockend es wäre, wir können dem guten Hennenberger
nicht in alle diese „Winkel" folgen und betrachten, wie sie aus-
gebaut werden, wir wollen vom Stadtbilde nur den Teil betrachten,
der unter dem unmittelbaren Einfluß der Eisenbahn gestanden
hat und noch steht, das heißt den Stadtteil, wo die Bahnhöfe
liegeu. Dabei müssen wir natürlich von ihnen selbst ausgehen1).
Im Südwesten unserer Stadt erstreckte sich vor dem Jahre 1850
vom Fort Friedrichsburg bis zum Brandenburger Tor ein gänz-
lich unbebautes Terrain. Die dort liegenden Wiesen hatte man
schon frühzeitig eingedeicht, und die Dämme mit Bäumen und
Hecken bepflanzt. Sie bildeten einen beliebten Spaziergang der
Königsberger Gelehrtenwelt. Ob nun vor Kant schon oder
durch ihn erst erhielt diese Promenade den Namen „Philosophen-
damma.
Er begann an der Stelle, wo heute Schleusenstraße und
Borchertstraße zusammenstoßen und zog in der Richtung der
letzteren geradeaus weiter, um sich als „Poetensteig" hinter dem
Nassen Garten fortzusetzen. Diese Bezeichnung begann an der
Stelle, wo ein Graben nordwärts von Fort Friedrichsburg herkam,
um am Damme zu enden. Ging man also an dieser Stelle
westwärts weiter, so betrat man den „Poetensteig", bog man
1) Zum Verständnis des Folgenden ist der neueste Plan der Königl.
Haupt- und Residenzstadt Königsberg erforderlich.
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Von W. Feydt. « 49
dagegen nach Norden ab, so blieb man auf dem Philosophen-
damm, der in dieser Partie, wo man bei Sonnenuntergang weit
über Pregel wiesen und Tal herabsehen konnte, landschaftlich
die schönste Aussicht bot. Der Damm ging vom Graben ent-
lang bis zum Fort nordwärts, folgte dessen Südgrenzen in Lauf
und Richtung und bog schließlich nach Osten von demselben
ab, gerade bis zum Knie des damals noch von Kähnen hin und
her benutzten Zug- oder in diesem Teil auch Kielgrabens ge-
nannten Pregelabflusses gehend. Hier teilte er sich in zwei
Arme, der eine verlief als Sackgasse genau nördlich am Zug-
graben entlang bis zum Pregel (heute : Zwischenraum vom
Pillauer Bahngeleise und Aschhof), der andere ging in östlicher
Richtung ebenfalls dem Wasserlaufe folgend bis zu der durch
einen Holzwolm abgeschlossenen und nur durch eine zwei Meter
breite Laufbrücke mit dem Wiesenterrain verbundenen Klapper-
wiese. Sie wurde in gerader Linie von dem sogenannten
„Kastaniengang" fortgesetzt (heutige Schleusenstraße), einer
Allee, die genau an der Stelle endete, wo der Philosophendamm
anfing.
Dieses so eingeschlossene Viereck, daß sich nach heutigen
Straßen nur im Osten und Westen begrenzen läßt und zwar im
Osten Schleusenstraße, im Norden und Süden dagegen von den
zusammenhängenden Bahnanlagen überschritten wird und nur
im Anfang der Philosophendammgasse dem alten Spazierwege
entspricht, wurde mitten durchschnitten von dem sogenannten
Tränendamm, der aus dem 1811 verbrannten Getreide auf-
geschüttet war (nach andern Quellen vom 1770er Speicherbrand).
Er zog sich etwa von der heutigen Pumpstation nördlich vom
Ostbahnhofe, parallel mit der heutigen Schleusenstraße bis zum
Schnittpunkte mit dem Philosophendamm hin1).
1) Es ist also darauf zu achteu, daß nur der erste Teil der heutigen
Philosophcndammgasse dem alten Damme entspricht; der heutige Durchgang
zwischen Ostbahngebäude und Südbahngelcisen, der nach der Wallstraße führt,
kann nicht dafür angesprochen werden, da der alte Damm quer über das Ost-
bahnplanum und durch die heutigen Festungsanlagen zum noch als Damm be-
stehenden Poetensteig zwischen Nassen Garten und Kaibahnhof lief.
Altpr. Monatsschrift Bd. XIJI. Hft. 1 u. 2. 1
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50 Der Einfluß der oetpreußisohen Eisenbahnen etc.
Dieses Terrain wurde von der Königlichen Ostbahn zum
Bau der Bahnhofsanlagen bestimmt. Unzählige Sandfuhren wurden
notwendig und ein System von Pfählen mußte in den Boden
geschlagen werden, um einen festen Grund zu erhalten. An-
gesichts dieser Mühseligkeiten scheint es fast undenkbar, wenn
in späterer Zeit die Auswahl dieser Stelle zum Bahnhof getadelt
worden ist. Anfangs war das Gegenteil der Fall. Der Handels-
stand begrüßte die Anlage des Bahnhofes in unmittelbarer Nähe
des Hauptverkehrs als eine große Errungenschaft, und das muß
man auch heute nicht vergessen, wo innerhalb der Festungs-
werke der Baum für Wohngebäude so knapp geworden ist, daß
man den Verlust von 41 ha, das heißt 7 — 8 % der Gesamtfläche
des Weichbildes durch Bahnhofsanlagen als Übelstand empfindet.
Kaum glaublich scheint aber, daß die Verwaltung 1850 noch
garnicht an eine Fortführung der Ostbahn gedacht haben soll.
Gewiß wurde Königsberg, so wie man den Bahnhof einmal an-
gelegt hatte, Kopfstation und dieser Umstand Veranlassung zu
vielen Schwierigkeiten, aber man war eben 1860 noch nicht so
weit wie 1900 und für den Verkehr, auf den man auch 1860
noch rechnete, hätte auch eine Kopfstation von der Ausdehnung
unseres Bahnhofes genügt. Der Ostbahnhof ist erst späteren
Zeiten in ungünstigem Lichte erschienen. Wir wissen heute,
daß wir mit bald 200000 Einwohnern keinen den anderen Bahn-
höfen größerer Städte entsprechenden haben; er erscheint uns
unfreundlich, eng und durchaus veraltet. Und doch ist er seiner
Zeit als ein Wunder der Baukunst gepriesen worden. Rosen-
kranz sagt darüber: (Königsberg und der moderne Stadtbau
pg. 27): „Das hiesige Bahnhofsgebäude ist unstreitig eines der
großartigsten, die es irgend gibt. Die Eisenpfeiler, die mit
kühnem Schwung seine hohen Räume stützen, sind von außer-
ordentlicher Schönheit und ein Werk der hiesigen Uniongießerei.
Wohin das Auge hier blickt, zeigen sich die Anfänge eines
neuen und schöneren Lebens. Reizende Gärten dehnen sich um
das Bahnhofsgebäude und da, wo sonst ein kleines Haus mit
einer schlichten Kegelbahn stand, sehen wir jetzt das geräumige
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Von W. Feydt. 51
und geschmackvolle Restaurationslokal von Sanssouci, mit allem
modernen Komfort ausgestattet, sich immer heiterer entwickeln
und nur der dem schwarzen Cocytus ähnliche, übelriechende
Graben längs der Zuckerraffinerie bleibt ein Mißstand für diese
anmutige Promenade."
Diese Umgebung hat sich nun freilich nicht so reizvoll
erhalten. Der eigentliche Bahnhofsplatz ist zwar noch heute mit
schönen Anlagen umgeben, aber das Gebiet hinter dem Empfangs-
gebäude hat dem wachsenden Verkehr seine schöne Gestalt
opfern müssen. Dieses selbst hat im Laufe der Jahre auch
bedeutende Veränderungen erlitten, ohne seine ganze Gestalt zu
ändern. Der Eingang befand sich nämlich früher auf der Schmal-
seite, in ihm lagen die Billett- und Gepäckräume, während die
Wartesäle rechter Hand im Gebäude lagen und dahinter Garten
und Anlagen bis nach dem Fort Friedrichsburg hin. Teils
Festungs-, teils immer erweiterte Bahnanlagen, namentlich seit-
dem hier die Verbindung mit der Eisenbahnbrücke hergestellt
wurde und der Güterverkehr immer mehr Raum in Anspruch
nahm, haben sie bis auf den wenig schönen schmalen Streifen
des von Kohlendunst umgebenen sogenannten „Wilhelms-Park"
eingehen lassen, and dieser hat heute als Anlage keinen Wert
mehr. Der ganze Schwerpunkt des Bahnhofes hat sich nach der
anderen Längsseite gekehrt. Allmählich wurde sie ausgebaut und
Veränderungen in der Konstruktion verschiedener Teile, wie Vor-
halle und Billettschalter sind noch bis in die neueste Zeit vor-
gekommen, um dem stets riesiger anschwellenden Verkehre ge-
recht zu werden. Auf dieser Seite liegen heute Gepäckabfertigung,
Stückgutablieferung und Wartesäle, hier der Haupteingang zu
den Perrons. Der innere Bahnhofsraum ließ sich nicht vergrößern.
Aber mit den beiden Perrons an den Seiten kam man bald nicht
mehr durch. Bei Eröffnung der Labiauer Strecke, die ja nicht
durch das Eisenbahntor geht, sondern in umgekehrter Richtung
nach der Eisenbahnbrücke den Bahnhof verlassen sollte, mußte
bereits ein neuer Nebenperron außerhalb der Halle eingerichtet
werden und die letzten Transversalbahnen nach Rudczanny und
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52 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Gerdauen veranlaßten die Anlage eines Zwischenperrons an
Stelle eines Geleises. Dadurch hat der Bahnhof die Gestalt
angenommen, die in großem Maßstabe auch der berühmte Frank-
furter hat, allein es fehlt hier an dem notwendigen Kaum. Die
Halle müßte drei Mal so breit sein, um den Anforderungen des
heutigen Verkehrs zu entsprechen. Der Hauptübelstand liegt
also gar nicht mal in der „Kopfstation4*, die ja nur das Vor-
spannen einer neuen Maschine verlangt, die vielleicht doch ge-
wechselt werden würde, sondern in der Enge, obwohl man wohl
nicht fehl geht, wenn man für den künftigen Zentralbahnhof
den Typus der Durchgangsbahnhöfe annimmt mit Unterführungen
zu den hintereinander liegenden Geleisen. Der übelriechende
Graben, den Rosenkranz erwähnt, ist heute natürlich längst
verschwunden. An seiner Stelle steht eine Anzahl prächtiger
Häuser in der Schleusen straße. Im Verhältnis zu den alten Zu-
ständen steht das heutige Empfangsgebäude schräg über dem
Tränendamme. Straße und Anlagen an der Schmalseite nehmen
ein Stück des Philosophendammes ein.
Vollendet wurde das Bahnhofsbild aber erst mit den An-
lagen der Pillauer und Südbahn. Daß der Bahnhof, obwohl
eine Privatgesellschaft jene Strecken baute, in Zusammenhang
mit dem der Staatsbahn stehen müßte, war um der Forderungen
des bequemen Verkehrs willen selbstverständlich. Allein die
Führung der Linien, von denen die eine entschieden nördlich
vom Ufer der unteren Pregelstrecke und am Haffrande entlang
nach Pillau geht, die andere dagegen das Provinzland südlich
von der Pregellinie zu durchqueren hatte, im Verhältnis zur
Lage der Stadt machten die Überbrückung des Flusses not-
wendig.
Dazu aber wurde wegen der bedeutenden Kosten staatliche
Hilfe verlangt und bewilligt. Es handelte sich also um eine
dreifache Anlage: Bahnhof für die Pillauer Strecke, Pregelbrücke
mit Verbindungsgeleisen und Bahnhof für die Südbahn.
Für die Lage des Pillauer Bahnhofes wurde es ausschlag-
gebend, daß die Stadt Königsberg nördlich vom Pregel in der
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Von W. Fcyclt. 53
quadratischen Lizentwiese einen geeigneten Baum besaß. Die
Kommune nahm bei dem großen Interesse, daß sie an einer
schnellen Herstellung der Pillauer Bahn hatte, keinen Anstand,
diese Wiese unentgeltlich der Gesellschaft zu Bahnanlagen herzu-
geben. Andererseits hatte die Ostbahn für ihre Anlagen nicht
das ganze, unbebaute Terrain zwischen Klapperwiese und Branden-
burger Tor gebraucht, so daß sich der neue Südbahnhof neben
die Anlagen der Ostbahn legen konnte. Eine weitere Bequemlich-
keit veranlaßte der Umstand, daß man das Empfangsgebäude
der Südbahn im rechten Winkel neben das der Staatsbahn legen
konnte, wodurch ein einheitlicher Bahnhofsplatz für beide Bahnen
geschaffen wurde, während der Güterbahnhof den westlichen Teil
eines aus Gemüseacker bestehenden Terrains einnahm, das im
Norden von Borchertstraße und Philosophendamm, im Osten von
der Hinteren Vorstadt, im Süden vom alten Garten, im Westen
von der Ostbahnanlage begrenzt wurde. Damit ging ein weiteres
Stückchen vom alten Philosophendamm verloren durch das Ge-
leise, auf dem die Südbahnzüge durch das für sie neben dem
schon bestehenden Eisenbahntore neu errichteten in den Per-
sonenbahnhof einfuhren; der Bequemlichkeit halber wurde aber
zwischen den Anlagen beider Bahnen eine Straße gelassen, die
noch heute zum Walle an den Maschinenhäusern erst links der
Süd-, dann rechts der Ostbahn vorüber zum Walle führt und
fälschlich für den „alten Philosophendamm" gehalten wird. Größere
Schwierigkeiten machten die Verbindungsgeleise dieser Bahn-
anlagen. Zunächst waren Stadt und Staat sich nicht über die
Stelle einig, an der die Eisenbahnbrücke liegen sollte. Die Stadt
verlangte, die Brücke möge so weit wie möglich unterhalb des
Bahnhofes zu liegen kommen, damit der Binnenhafen, der durch
sie entstände, nicht zu sehr beengt würde (Hand.-Ber. 1861). Dar-
nach hätte die Brücke nach der Uferstelle zwischen Salzmagazin
und Packhof geführt werden und der Lizentbahnhof eine ver-
änderte Lage im Südwestwinkel der Wiese bekommen müssen.
Der Staat kümmerte sich darum nicht. Er benutzte das älteste
zum Piegel führende Ostbahngeleise, das ziemlich dicht am alten
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54 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Philosophendamm entang (Nordarm), zwischen Zuggraben and
Güterschuppen ging und legte von dieser Pregelstelle die Brücke
über den Fluß, so daß das Geleise erst am Packhofe vorbei-
laufend die Lizentwiese berührte und dem Bahnhof dort die
heutige Lage an der Nordostäcke gab. Ein Hauptgrund hierfür
lag wohl darin, daß vom Südbahnhofe ein eigenes Geleise der
Privatbahn nach der Brücke gelegt werden sollte, während bei
Ausführung des Stadtprojektes eine dauernde und nur zu Ver-
wickelungen führende Mitbenutzung der Ostbahngeleise not-
wendig geworden wäre. Dieses Verbindungsgeleise war der
Stadt ein zweiter Stein des Anstoßes. Es ließ sich, wie die
Verhältnisse lagen, ohne die Staatsbahn zu berühren, nur an der
Ostseite beider Empfangsgebäude vorbei über den Bahnhofsplatz
führen, und damit wollte man sich gar nicht zufrieden geben.
Die Störungen, die durch die die Straße im Niveau über-
schreitenden Züge für den Verkehr entstehen würden, wurden
in übertriebener Weise als außerordentlich große bezeichnet,
auch Sicherheitsgründe mögen mitgesprochen haben. Geändert
wurde durch die Einsprachen freilich nichts, weil sich auch
nichts ändern ließ, und so führt auch heute noch der Schienen-
strang quer über den Zugang zu den Bahnhöfen und alle Güter-
züge der Südbahn, die von Bußland nach Pillau gehen, passieren
diesen Weg. Man denkt heute ruhiger darüber und auch be-
deutende Verkehrsstockungen haben sich bisher nicht ergeben.
Der Bau der Eisenbahnbrücke erregte in hohem Grade das
Interesse der Stadt. Man bewunderte den Bau des Strompfeilers
in einem an starken Ketten hängenden eisernen Fundamentierungs-
kasten. Am 1. Januar 1865 war er fertig, nachdem er 57000 Taler
gekostet hatte, und der weitere Brückenbau nahm nun nicht
mehr viel Zeit in Anspruch. (Ausführliche Schilderung des
Baues der Brücke in Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang XVI.
Berlin 1866 pag. 518 ff.) Allein auch als sie fertig war, ergaben
sich bald neue Übelstände. Der Durchlaß für die Schiffe lag
den Ansichten der Handelsleute nach an ungünstiger Stelle und
beengte den Baum am Kai, ein weit größerer Übelstand stellte
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Von W. Feydt. 55
sich erst in neuerer Zeit durch seine im Verhältnis zu den
großen, neuzeitlichen Dampfern zu geringe Breite heraus; die
Kaufmannschaft wandte sich dieserhalb 1901 an den Minister.
Über den weiteren Verlauf dieser Angelegenheit liegen dem
Verfasser Nachrichten nicht vor.
Allein das alles war doch nur cura posterior gegenüber
anderen Übelständen, die sich trotz der Lage der Bahnhöfe in
der verkehrsreichsten Gegend erhoben. Sie rührten von dem
ungeheuren Umfange her, den der Güterverkehr nahm und der
ungenügenden Ausdehnung der Bahnhofsanlage, die nicht im-
stande war, ihn zu bewältigen. Zwei Punkte waren es vor
allem, die die Übelstände vermehrten. Für den Transport der
Waren, hauptsächlich des Getreides etc. nach den Speiohern
fehlte ein bequemer Weg. Alles mußte auf Wagen vom Bahn-
hof nach dem Speicher und vom Speicher zum Bahnhof ge-
schafft werden. Das verursachte großen Zeit- und Geldverlust,
war außerdem dem Stadtverkehr in den engen Straßen außer-
ordentlich hinderlich.
Ferner existierte keine auch nur annähernd ausreichende
Vorrichtung für den direkten Transport aus den Bahn- Waggons
in die Schiffe. Daraus ergaben sich zwei Aufgaben: Einmal
Geleisverbindung des Speicherviertels mit dem Lizentbahnhof,
dann Anlage eines besonderen Güterbahnhofes am Pregelufer
im Anschluß an beide schon bestehende Güterbahnhöfe der Ost-
und Südbahn.
Die erste Frage wurde bereits nach den ersten Massen-
lieferungen der Eydtkuhner Bahn brennend, aber man behalf
sich mit Lastfuhrwerken, da man wegen technischer Schwierig-
keiten und Kostendifferenzen zwischen Stadt und Handelsstand
zu keiner Einigung kam. Schließlich ging es aber nach der
Südbahneröffnung nicht mehr so weiter, und die Gesellschaft
teilte 1873 mit, daß sie vom Lizent gerade durch bis zum Pregel
(Hundegatt) Geleise legen wollte. Man hatte schon an eine
Pferdeeisenbahn gedacht. Allein die Streitigkeiten zwischen
den verschiedensten Behörden, die dabei mitzusprechen hatten,
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5tf Der Einfluß der otpnni Bischen Ki.-cnbahnen etc.
auch die unbegreiflichen Einsprüche der Adjazenten ließen es
erst 1880 dahin kommen, daß die Geleislegung in Angriff ge-
nommen wurde, um bald darauf im lebhaften Gebrauch zu sein,
ohne daß sich die von den Behörden mit so viel Nachdruck
hin und her erörterten Schwierigkeiten einstellten. Langsam,
aber schließlich doch war die Eisenbahn zu ihrem guten Recht
gekommen, eine Förderung der Verkehrsbedingungen zu sein.
Ungleich wichtiger war das andere Projekt: Die Anlage eines
besonderen Güterbahnhofes am Pregel. Schon 1873 herrschten
unhaltbare Zustände. Achteinhalb Millionen Zentner Güter
wurden vom Schiff zur Bahn oder umgekehrt transportiert; alle
machten den eine viertel bis eine halbe Meile langen Weg durch
enge Straßen auf Lastwagen. Der Bahnhof in der Stadt erwies
sich trotz dauernder Erweiterung bei Ost- und Südbahn als
ganz ungenügend; weit draußen vor den Festungswerken ent-
stand 1867 aus den Rangiersträngen ein zweiter Güterbahnhof,
aber auch hier stopften sich die Güterwagenmassen, und der
Weg für die Frachtfuhren war dadurch nur noch um ein gutes
Stück länger geworden. Eng war es aber auch innerhalb der
eigentlichen Stadt auf dem Flusse. In dem Gewühle von
Dampfern und Kähnen trat auch hier bald Stopfung hinder-
lichster Art ein. (Hand.-Ber. 1873.) Man berechnete durch diese
Übelstände eine Verteuerung des Getreides von eineinhalb bis
drei Silbergroschen pro Zentner. Zu ihrer Beseitigung wurde
die Anlage eines ganz neuen Kaibahnhofes gefordert, der außerhalb
der Stadt am Südufer des Pregels liegen und aus Bahnaulagen,
Güterschuppen und Ladevorrichtungen für Schiffe bestehen sollte.
Deputationen gingen an den Minister ab, Stadt und Korporation
der Kaufmannschaft bewilligten ansehnliche Summen. Die Staats-
verwaltung erkannte die bestehenden Übelstände an und erbot
sich in der entgegenkommendsten Weise, auch die Lagerschuppen
zu bauen. Am 1. November 1877 konnte der Kaibahnhof für
Verladung von Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten dem Ver-
kehr übergeben werden. Die Königsberger sandten ein Dank-
schreiben an den Minister. Gleichzeitig wurde an der Berliner
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Von W. Feydt. 57
Strecke vor dem Brandenburger Tor ein Produktenbahnhof an-
gelegt und die alte Berliner Chaussee mittelst eines Viaduktes
über die gesamten Geleise hinüber geführt, der 1879 dem Ver-
kehr übergeben werden konnte. Der Schienenübergang an dieser
Stelle, wo ein ewiges Hin und Her von Zügen und Maschinen
aller Art erfolgte, mußte tatsächlich mit den Jahren immer
lästiger und gefährlicher werden. Die Anlage des Kaibahnhofes
erwies sich als ein unendlicher Segen für den ganzen Königsberger
Handel. Bald gesellte sich ein Schuppen zum andern, für den
Getreidehandel hat der Kaibahnhof heute eine so große Bedeutung
(zusammen mit der später entstehenden Walzmühle und dem
großen Lagerhause in Cosse) bekommen, daß das berühmte
Speicherviertel auf der Laak einen Teil seiner Bedeutung
verlor und ein sehr bemerkenswertes Vordringen von Wohn-
häusern hier in neuester Zeit konstatiert worden ist. (cf. Dullo.
1. c.) In gewaltig langer Ausdehnung ziehen sich heute die
Lagerschuppen am Pregel hin, teilweise in doppelten Reihen.
Millionen von Mark liegen in ihnen geborgen, die von einer
eigenen Feuerwehrstation bewacht werden.
Wir können diese Betrachtung nicht abschließen, ohne des
Zentralbahnhofes noch einmal zu gedenken. Unbewußt hat
A. Ferne in seiner Broschüre schon seine beste Lage gekenn-
zeichnet. Bei Erörterung der Linienführung der Ostbahn sagt
er p. 35: „Dann aber kann die Bahn dem Talrande des Pregels
entlang am Brandenburger Tor und dem Stadtwalle vorbei nach
dem Friedländer Tor gehen, wo der Bahnhof anzulegen wäre."
Die Handelskreise hätten bei Ausführung dieses Projektes wahr-
scheinlich viele Klagen über die weite Entfernung und Abgelegen-
heit des Bahnhofes vorgebracht. Heute ist man der Ansicht,
daß in der Tat in dieser Gegend der einstige Zentralbahnhof
am natürlichsten und besten anzulegen sei. Die Frage kam am
27. Februar 1903 im Abgeordnetenhause zur Sprache. Der
Minister erkannte die Schwierigkeiten namentlich des Personen-
verkehrs an und versicherte, daß nach der Verstaatlichung der
Südbahn auch diese Vorlage kommen werde. Man kann nach
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58 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
diesen Worten nicht mehr von einem vagen Projekte reden,
wenn auch noch manches Jahr bis zu seiner Ausführung
vergehen wird. Es wird jedenfalls größere Veränderungen im
äußern Stadtbilde mit sich bringen als die bisherigen Bahnhöfe.
Von ihnen noch einige Worte! Wir beschränken uns dabei aber
auf che Stadtgegend in der nächsten Nähe des Empfangsgebäudes.
So lange die Gräben vom Pregel her noch bestanden,
namentlich der Zuggraben die Klapperwiese abtrennte, hatte das
heutige Bahnhofsterrain keinen ordentlichen Zugang zur Stadt.
Da war es denn ein Ding der Notwendigkeit, daß hier zunächst
eine Fahrbrücke angelegt wurde. Damit war der Weg für den
Bahnhofs verkehr gegeben. Wir haben also zunächst die Klapper-
wiese zu betrachten. Vor 1840 standen in ihr zwei Reihen von
Pyramidenpappeln zu beiden Seiten des in der Mitte der Straße
befindlichen faulen Grabens. 1856, als der Bahn verkehr anfing,
waren schon mehrere Häuser zu beiden Seiten gebaut. 1860 war
die Straße bereits vollständig geschlossen und 1875 vollendet.
Einzelne Gebäude sind neuen Ursprungs, im allgemeinen macht
sie jedoch auch heute keinen modernen Eindruck und hat keinen
einheitlichen Charakter. Von jeher wohnten fast ausschließlich
Kaufleute und Mäkler in ihr und den kaufmännischen Charakter
hat sie auch heute noch bewahrt!1) Aus der Klapperwiese kommen
wir in die ehemalige „Sattlergasse", sie bestand schon, war aber
1850 auf der Südseite fast ganz unbebaut, auf der Nordseite
zeigte sie große Lücken. 1853 stand nur ein einziges Wohnhaus
in ihr. Das Adreßbuch nennt dagegen fünf Speicher und ver-
zeichnet im übrigen: „Wüste Stellen des Magistrats, wüste Stellen
zur vorderen Vorstadt gehörig." Sie gehörte offenbar vor der
Bahnzeit zu den totesten Straßen.
1) Der Name „Klapperwiese" stammt von dem Holze, da* einst hier auf-
gestapelt wurde und einen Handelsartikel der Königsberger bildet«. Das Werk
Pufendorfs, De rebus a Carolo Gustavo gestis. Norimb. 1096 enthält einen Plan,
in dem daa ganze Landstück westlich der Vorstadtlinie mit dem Namen „Klapp-
holzwicseu bezeichnet wird. J. Grimm, Wörterbuch p. 979 erklärt „Klappholz'*
kleine Stäbe gespaltenen Eichenholzes, wie si° vom Küfer zu Faßdauben ge-
braucht werden im Gegensatz zu größeren Pipenstäben.
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Von W. Feydt. 5<)
Gordack (Königsbergs Aussehen etc. p. 35) sagt: „Im Sommer
war die rechte Seite durch große aus den Speichern zum Durch-
arbeiten herausgeschaffte Getreidehaufen belegt, da der Verkehr
dort ganz gering war und sich auf einige Fracht- und Getreide-
wagen beschränkte. Auf dem langen grünen Platze am Spritzen-
haus (?) besserten Dschimken auf dem Käsen ihre Segel aus.*4
Mit den Bahnen wurde das natürlich anders. Nach zehn Jahren
wohnten hier eine ganze Anzahl Kaufleute und Spediteure.
1873 war die Straße ganz ausgebaut, fast ausschließlich von Kauf-
leuten bewohnt. Auch heute noch reiht sich hier ein Kontor
an das andere. Nur die Speicher sind geblieben. Sie schauen
düster drein und machen den ankommenden Fremden stutzig, der
sich vergeblich nach den modernen Großstadtpalästen umsieht.
Die Südbahnanlagen innerhalb der Stadt hatten nicht das
ganze, noch unbebaute Gebiet bis zur Vorstadtlinie in Anspruch ge-
nommen. Als durch die Bahnhöfe für die Geschäftswelt der
Wert dieser Gegenden gegen früher bedeutend stieg, wurde der
übrig gebliebene Baum bald zu einer Straßenanlage benutzt,
indem man die Knochenstraße bis zum alten Garten verlängerte.
Die Bewohnerschaft war stark kaufmännisch, aber auch kleine
Leute, Handwerker, die für jene arbeiteten, wohnten in den
unschönen Mietskasernen. Für den Verkehr hatte diese Ver-
längerung der Knochenstraße insofern Bedeutung, als sie die
vor Anlage des Kaibahnhofes zu stark benutzte Vorstadt etwas
entlastete; das konnte sie umsomehr, seitdem durch die Festungs-
anlagen das Brandenburger Tor, das zu den Außenbahnhöfen
führte, vom Ende der Brandenburger Torstraße nach dem des
alten Garten verrükt worden war.
Die wichtigere Straße, schon durch ihre wohltuende Breite,
blieb natürlich die uralte Vorstadt. Vordere und hintere Vor-
stadt, Kronenstraße und alter Garten haben sich unverändert
erhalten; wohl sind zahlreiche neue Häuser an Stelle der alten
getreten, die wir auf dem „alten Garten" noch hin und her
finden. Verschwunden ist der früher viel schroffer bemerkbare
Übergang von vorderer zu hinterer Vorstadt. Rosenkranz
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ßO Der Einfluß der o.stpreußischen Eisenbahnen etc.
unterscheidet noch ganz abweichende Häusergruppen; in der
vorderen machen sich am frühesten moderne Häuser im neuen
Stile geltend, fast ausschließlich von jüdischen Kaufleuten be-
wohnt; in der hinteren ist der geschäftsmännische Charakter
nicht mehr so gewahrt. Ihre abgelegene Stille ist zum Teil zu
milden Stiftungen und Artillerieställen benutzt. Der Bahnhof
hat sehr ausgleichend gewirkt. Neue Häuser entstanden nach
seiner Eröffnung hier und da in großer Menge und veränderten
den Charakter der Quartiere (Rosenheyn II, 17). Allein das
Absteigequartier der polnischen und russischen Juden ist die
Vorstadt geblieben, auch nach der Bahnzeit. Wers nicht sieht,
der kann es aus den Adreßbüchern entnehmen. Hier sieht man
sie aber noch mit Käppchen, Locken und Kaftan auf den Trottoirs
herumspazieren, meist feilschend und handelnd. Bedeutend ge-
wonnen hat dieses Viertel durch das prächtige Gebäude der
Königlichen Eisenbahndirektion. Wohl unter seinem Einflüsse
sind auch stattliche Wohnhäuser gerade in und an der hinteren
Vorstadt noch in neuester Zeit entstanden.
Vollständig verändert hat sich in seinem äußeren Gewände
der Haberberg, das alte Dorf. Die Straßenzüge des unteren
und oberen Haberbergs bestanden freilich schon vor der Eisen-
bahnzeit, aber es gab dort fast nur einstöckige Häuser und
das weidende Vieh, das man hier antreffen konnte, gab dem
Haberberg noch immer einen ländlichen Anstrich. Allein das
wurde bald anders. Gerade hier war für die immer zahl-
reicheren Arbeiter an der Eisenbahn der geeignetste Wohnplatz,
nun aber engten die Festungswerke das vorhandene Terrain ein
und militärische Gebäude und Plätze nahmen noch mehr in
Anspruch. Die Einengung hat zu der intensivsten Raum-
ausnutzung geführt. Immer massenhafter schwoll die Anzahl
der wohnungsuchenden Menschen an, während der Raum der-
selbe blieb. Der Haberberg wuchs zuerst in die Höhe; aus den
halbländlichen Wohnhäusern wurden hohe Mietskasernen: der
schroffe und häßliche Übergang zum echten Großstadt-Arbeiter-
viertel vollzog sich. Allein die Ausdehnung in die Höhe genügte
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Von W. Feydt. 61
nicht; die Raumausnutzung vollzog sich nun in der Weise, daß
planmäßig zwischen Unter- und Oberhaberberg eine Querstraße
nach der anderen angelegt wurde. 1856 gab es nur Kronen-
straße, Neue Gasse und die Sandgassen ; heute zählen wir eine
Reihe durch ihre Namen die neue Zeit verratenden Querstraßen:
Hippel-, Moltkestraße; Haberberger Schulstraße, Blücher-, Bis-
marckstraße. Immer höher steigen die Mietskasernen empor und
immer beängstigender wird die Übervölkerung, die in diesen
Gegenden herrscht. Allein auch dieser Raum genügte noch
nicht. Als dritte Längsparallele ist zu dem Haberberg die
Artilleriestraße gekommen. Bötticher sagt von ihr noch 1897:
„Die noch wenig bebaute"; heute (1904) stehen auf ihr 60 Gebäude,
alles Mietskasernen, die man infolge der hohen Lage von der
Eydtkuhner Strecke aus über die Befestigungen hinausragen
sieht. Diese Straße gehört mit den Verbindungen zum Haber-
berg zu den am stärksten bevölkerten Gegenden der Stadt.
Unter den Arbeitern, die vorwiegend hier in den engen Familien-
wohnungen wohnen, befindet sich wohl sicherlich auch eine große
Zahl, die direkt bei der Eisenbahn beschäftigt ist oder aus dem
Güterverkehr der Bahnen ihr tägliches Brot verdient.
Nur eine erfreuliche Straße hat der Bahnhof in Königsberg
geschaffen; das ist die Kaiserstraße. Sie ist durchaus nicht eine
neuangelegte Straße — dadurch unterscheidet sich eben der
Bahnhofseinfluß Königsbergs von dem aller Provinzstädte, daß
er nicht neue Straßenzüge erzeugt hat. Ein Straßenzug bestand
in ihrer Richtung von jeher. Er ging an der Südseite des alten
Zuggrabens, dessen Teil bis zur Klapperwiese wir schon kennen
gelernt haben, entlang und hieß in seinem ersten Teile bis zur
Kreuzung mit der Knochenstraße „Zuckersiedereigasse", von da
ab bis zur Vorstadt „Freigasseu, im weiteren Verlaufe bildete
er die Nordseite des alten Jahrmarktplatzes und führte bis zum
Ende am Pregel den Namen: „Zuggrabenstraße." Der zunehmende
Bahnhofsverkehr forderte gebieterisch die Herstellung einer
zweiten bequemen Zufahrtstraße zum Bahnhofsplatz außer der
Klapperwiese. Ein Stück Zuggraben nach dem anderen wurde
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62 Der Einfluß der oetpreußi sehen Eisenbahnen etc.
zugeschüttet, als auch das letzte verschwunden war, erhielt der
Straßenzug 1896 den Namen „Kaiserstraße", dem er in seinem
Äußeren namentlich in den Teilen nach dem Pregel zu durch statt-
liche Gebäude Ehre macht. Die Verkehrsbedeutung der Kaiserstraße
soll in nicht zu ferner Zeit noch beträchtlich gehoben werden,
dadurch, daß die Stadt eine neue Pregelbrücke in ihrer Fort-
setzung nach dem Weidendamm bauen läßt, die gerade an der
Steinfurtsohen Eisengießerei mündet: Ob freilich außer diesem,
neuerdings an Ausdehnung gewaltig zunehmenden Viertel
zwischen neuem und altem Pregel auch Stadtteile wie der Sack-
heim und die Königstraße in dieser Verbindung einen vorteil-
hafteren Bahnhofsweg erhalten werden, scheint bei der Bemessung
der Entfernungen ziemlich fraglich. Eine gewisse Entlastung
aber wird die Kneiphöfische Langgasse in jedem Falle haben.
Um ihre durch den Bahnverkehr veranlaßte Umgestaltung trauern
heute noch alle Freunde von Alt-Königsberg. Alle die Beischläge,
die Vorbauten, die der Straße mit ihren alten Giebelhäusern ein
so altertümliches Gepräge gaben, fielen den Bedürfnissen des
Verkehrs zum Opfer. Als absolut notwendig erwies sich leider
auch der Abbruch des „grünen Tors", das am Anfang der grünen
Brücke den Eingang in die Stadt „Kneiphof** so viele, viele
Jahre gedeckt hatte. Mit ihm fiel auch die alte Börse, sie lag
an der Brücke selbst seitlich über dem Wasser, im holländischen
Geschmack war sie gebaut. Die engen Bäume in ihr genügten
schon bald nicht mehr. Zu dem Fluß- und Seehandel Königsbergs,
den das von ihrer Decke in altertümlicher Weise herabhängende
dreimastige Schiff gleichsam verkörperte, war der Eisenbahn-
handel gekommen. Die neue Börse blieb freilich am Flusse
liegen, allein sie rückte in die Vorstadt hinein — nach dem
Bahnhofe zu. (cf. Die Bilder bei Boetticher, VII. p. 357. 359.)
Die Gegend am Lizentbahnhofe hat sich wenig verändert.
Die Straßen haben ein modernes Gewand angenommen, aber
nicht nur für die Lizentwiese, sondern auch für sie, namentlich
für die neue Reiferbahn, die sich hier befand, ist eine Prophe-
zeiung buchstäblich in Erfüllung gegangen, die wir einem
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Von W. Feydt. 63
Artikel der Hartungschen Zeitung aus dem Jahre 1865 entnehmen:
„Aber auch die Tage dieser Weiden (auf der Neuen Reiferbahn)
sind gezählt; bald wird man die Axt an ihre Wurzel legen und
eine Reihe von Palästen (!) wird sich hier erheben, mindestens
von Mietskasernen, und die ganze Lizentwiese mit ihrem er-
frischenden Grün wird dann ein wüster Bahnhof sein, bedeckt
mit Schuppen und Werkstätten, aus denen qualmender Rauch
aufsteigt." Das ist abgesehen von den fehlenden „Palästen" ge-
nau der Eindruck, den man hat, wenn man, auf der Fußgänger-
überführung über die Straße: ,, Alter Graben" stehend, die
Lizentwiese überschaut.
Wir werfen zum Schlüsse noch einen Blick auf die Gegend
unmittelbar vor den Wällen der Festung, insofern sie von der
Bahnlinie beeinflußt ist.
Im Süden der Stadt ist wohl der Nasse Garten seit der
Bahnzeit ganz bedeutend vergrößert worden durch die Nähe des
Kaibahnhofes. Ein interessantes Stückchen Königsberger Siede-
lungsgeschichte bildet aber vor allem die Gegend von Ponarth.
Von diesem Dörfchen sagt Gordack (1. c. p. 29). „Ein Lieblingsort
war Ponarth, wohin man zu Fuß oder mittelst der sogenannten
Düttchenpost gelangen konnte. Dort war noch keine Brauerei,
sondern ein stilles ländliches Dörfchen gegen Karschau von
Heide und Wald umgeben. Man trank dort seinen Kaffee und
wanderte an den noch stehenden alten hohen Linden im Roß-
garten vorüber auf dem Wege nach Schönbusch." Von alledem
ist heute nichts mehr zu spüren. Die heutige Siedelung hat
den ländlichen Charakter fast ganz verloren und gleicht weit
mehr einem Stadt- Ausbau. Eisenbahn und Industrie haben dem
landwirtschaftlichen Betriebe ein Ende gemacht.
Uns interessiert es vor allem zu beobachten, wie die Aus-
dehnung der Siedelung nach den Schienen hin erfolgt ist: die
von Ponarth nach zwei Seiten, die von Schönbusch nach der
Berliner Strecke zu; 1863 stand auf dieser Wegstrecke noch
kein Haus. Heute ist die Siedelung fast zusammengewachsen,
und man kann es sogar den Häusern ansehen, daß die an den Enden
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(54 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
die ältesten sind. Dort haben sich auch bei Schönbusch noch
Spuren der Landwirtschaft erhalten. Den Hauptstempel drücken
der Siedelung die beiden Brauereien auf. Besonders die Ponarther,
die schon vor den Eisenbahnen bestand, hat sich unter ihrem
Einflüsse zu dem imponierenden Gebäudekomplex erweitere, der
sie heute zur ersten in der ganzen Provinz macht.
Hochbedeutungsvoll für die Entwickelung der Ortschaft
wurde auch die Anlage der Eisenbahnwerkstätte im Osten der
Siedelung, unmittelbar an der Strecke selbst. Heute hat Ponarth
bereits 8074 Einwohner; 1896 bekam es eine neue stattliche
Kirche. Ponarth ist also größer wie Bartenstein und würde als
Stadt unter den (57 an zwölfter Stelle rangieren.
Seitdem in dem weiter westlich gelegenen Rosenau in den
neunziger Jahren der neue Schlachthof, natürlich auch mit
Rücksicht auf die Bahn dicht an der Eydtkuhner Strecke gebaut
wurde, hat sich auch hier ein Wachstum städtischer Siedelung
geltend gemacht. Wer von der Strecke während der Fahrt
nach der Stadt blickt, wird bis zur Kreuzung mit der Friedländer
Chaussee schon heute eine stattliche Anzahl Wohnhäuser finden.
Es ist kein Zweifel, daß in nicht allzulangen Zeiten von Rosenau
bis Schönbusch eine ununterbrochene Häusermasse zu finden
sein wird. Wie lebhaft der Verkehr dieser Orte schon heute ist,
beweist am besten die Herausführung zweier elektrischer
Straßenbahnlinien nach Schlachthof Rosenau und Schön busch;
vor allem die Anlage eines Haltepunktes Ponarth auf der
Dirschauer Strecke in neuester Zeit.
Die bei weitem großartigste Erweiterung Königsbergs, die
in den letzten Jahren geradezu rapide gewachsen ist, sind die
Hufen. Ein direkter Einfluß der Eisenbahnen läßt sich zwar
nicht konstatieren. Allein es kann wohl nicht bezweifelt werden,
daß man erst durch die Pillauer Bahn der Hufengegend größere
Aufmerksamkeit zuwandte. Jetzt erst belebten sich die Wege
nach Juditten, Hammer und Metgethen.
Ferner ist es beachtenswert, wie die Labiauer Bahn, die
auf drei Seiten das Hufenterrain umgibt, für die Ausdehnung
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Von W. Feydt. <5f>
gewissermaßen eine Grenze geworden ist, die nach Westen zu
wohl noch lange nicht überschritten werden wird, während nach
Norden ein Überschreiten bereits erfolgt ist. Denkt man sich
die Wälle gefallen und Königsberg etwa nach 100 Jahren wieder-
um an Einwohnern verdoppelt, so würde die Labiauer Bahn-
strecke das erste schon vorhandene Glied einer anzulegenden
Ringbahn sein. Schon heute ist es mindestens zweifelhaft, ob
es nicht für einen Bewohner der Bahnstraße und Luisenallee
bequemer ist eine Heise — sagen wir mal nach Berlin — vom
Bahnhofe Mittelhufen anzutreten, als den umständlichen, mit
zweimaligem Umsteigen verbundenen Weg durch die Stadt nach
dem weit entfernten Ostbahnhofe zu machen.
Unbedeutend sind die lokalen Veränderungen, die vor dem
Steindammer Tor durch die Anlagen des Cranzer und Samland-
bahnhofes hervorgerufen sind, obwohl auch sie mit für manchen,
nur den Winter in der Zentrale zubringenden Einwohner die
Veranlassung gewesen sein mögen hier in der bequemen Nähe
der Straudbahnhöfe sein Heim zu gründen. Die Kleinbahn-
anlagen vor dem Königstor haben an dem Charakter der dortigen
Gegend gar nichts geändert, eher noch die Anlage des Kleinbahn-
güterbahnhofes in der Nähe des Ausfalltores, durch die ein Teil
des Volksgartens eingegangen ist.
Die Vergrößerung der Hufen mögen folgende Zahlen be-
zeichnen :
Mittelbufen:
Vorderhuf en:
1867
522 Ew.
1867: 139 Ew
1871
564 .
1871: 174 *
1885
1250 *
1885: 630 .
1895
1981 ■-
1895: 900 *
b) Relativ geförderte.
Wir verstanden oben hierunter Städte, die nur in bezug
auf die anderen gefördert worden sind, während sie für sich
auch Schädigungen durch Bahnen erlitten haben können. Es
sind dies:
Aitpr. Monatsschrift Bd. XLU. Hft. 1 u. 2. 5
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(5(5 Der Einfluß der o*t preußischen Eisenbahnen eU\
51. Liebemühl 2400 Einw.
36. Ortelsburg 3542
2. Tilsit 34539 (32645) Ew.
Auch hier hat die absolute Bevölkerungsziffer ausnahmslos
zugenommen, im allgemeinen auch um so stärker, je größer die
Stadt, obwohl Liebemühl 1852 um eine Kleinigkeit größer als
Ortelsburg in der Entwickelung hinter diesem zurückgeblieben
ist. Bei diesen Städten sind die Gradunterschiede das Aus-
schlaggebende. Liebemühl ist bedeutend mehr geschädigt als
Ortelsburg, so daß die später folgende Förderung nur sehr lang-
same Fortschritte machen konnte. Die Rangziffern divergieren
beträchtlich zwischen O und 21 (Tilsit und Ortelsburg).
In der Übersicht ist Bartenstein zu dieser Abteilung gezählt.
Zu diesen Städten gehört es insofern, als es auch im Laufe der
Jabre geschädigt wurde, ohne darum seinen Rang einzubüßen.
Es verlor nämlich mit der Zeit seine militärische Wichtigkeit,
die die Städte an den Grenzbahnen an sich rissen. So hatten
die Bahnen insgemein erst fördernd, dann schädigend gewirkt,
da auch dieZivilbevölkerung anfangs unter dem Verluste des Militärs
zurückging. Da jedoch in letzter Zeit auch ohne Militär dieZivil-
bevölkerung eine früher nicht erreichte Höhe erklommen hat, und
auch in der Rangnummer kein Rückgang erfolgt ist, konnte
Bartenstein zu den positiv geförderten Städten gerechnet werden.
Die anderen Städte dieser Abteilung sind auch, wie aus
den Rangziffern ersichtlich, mehr gefördert als geschädigt, nur
daß bei ihnen das zeitliche Verhältnis ein umgekehrtes ist. Erst
erfolgte die Schädigung, dann die Förderung; das Resultat war
in jedem Falle eine Rangerhöhung, selbst Tilsit erobert die für
1855 — 1864 verlorene zweite Stelle nach Herstellung der Tilsit-
Insterburger Bahn wieder.
Al8 Probe: Tilsit.
„Wäre nicht der Grenzsaum, der Tilsit von Rußland scheidet,
gar so schmal, so könnte es eine Großstadt werden; auch so hat
es jedenfalls eine Zukunft", sagt ein Urteil über die Stadt vom
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Von W. Feydt. 67
Jahre 1885 (Ostpreußische Skizzen. Grenzboten 1885) und die
Gründe für diese Zukunft hat Bonk richtig erkannt, wenn er
die Verkehrslage Tilsits folgendermaßen kennzeichnet (1. c pag.65):
„Die Memel allein tuts freilich nicht, wie wir an Ragnit sehen.
Vielmehr kommt bei Tilsit vor allem seine Lage an der "Wurzel
des Deltas in Betracht, wodurch es gewissermaßen zum Ausfuhr-
hafen desselben bestimmt ist. Es kommt ferner in Betracht, daß
es nach allen Seiten bequeme Verbindungen hat, nach Osten die
Memel, die große Verkehrsader mit Rußland, nach Süden und
Westen die Memelmündungen und die Kanäle, welche den Ver-
kehr mit Königsberg und zugleich nach Norden mit Memel ver-
mitteln. Alle diese Verkehrsstraßen sind aber doppelt, indem
neben der Wasserstraße auch Eisenbahnen herlaufen. Wir haben
also hier einen Ort, der am Rande einer der fruchtbarsten
Gegenden Ostpreußens gelegen, nach allen Richtungen bequeme
Verbindungen zu Wasser und zu Lande hat, und brauchen uns
daher nicht verwundern, daß dieser Ort nächst Königsberg die
erste Stelle unter den ostpreußischen Städten einnimmt."
Wir können uns im allgemeinen diesem Urteile Bonks an-
schließen, und werden nur die Aufgabe haben zu prüfen, wie
weit die Eisenbahnen die Wasserstraße verdoppeln und welchen
Einfluß sie unabhängig von jener auf das Gedeihen der Stadt
gehabt haben. Wir können Tilsit nicht wie die geförderten
Städte des Binnenlandes unter dem einheitlichen Gesichtspunkte
von Handel und Industrie betrachten, weil die Wasserstraßen
den Einfluß der Bahnen auf jene, auf den es hier allein ankommt,
dauernd stören. Wir können daher nur einen Abriß der Eisen-
bahngeschichte Tilsits geben, wobei selbstverständlich Handels-
fragen immer im Vordergrunde stehen werden.
Tilsit tritt gleichzeitig mit Königsberg in das Eisenbahn-
zeitalter ein. Denn von dem Augenblicke an, wo die Ostbahn
jenes berührt, wird hier nur die eine Frage erörtert: Wie wird
sie fortgesetzt werden? Wird sie der alten Poststraße über Tap-
lacken, Tilsit, Tauroggen folgen oder nicht? Stimmen erhoben
sich für und wider. Ferne in seiner Broschüre über die Ost-
5*
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(3# Der Einfluß der cwtpreußischen Eisenbahnen etc.
bahn (1. c. p. 33) ist nicht dafür, daß die Ostbahn über Tilsit
geführt wird. Er weist auf die schon bestehenden günstigen
Verbindungen mit Königsberg hin, die durch den Dampfboot-
verkehr den Zeitbedürfnissen vollständig entsprechen, er weist
auf die enormen Kosten und Schwierigkeiten des Memelttber-
ganges bei einer Fortsetzung nach Bußland hin, er glaubt
schließlich nicht an eine Beförderung der Niederungsprodukte
durch die Bahn. Die Tilsiter selbst widersprachen lebhaft; schon
1854 fordern sie unbedingt die Führung über ihre Stadt; vier
Jahre später herrschte große Angst in Tilsit, als der Bahnbau
über Eydtkuhnen schon beschlossene Sache war; man hatte Angst,
daß der Ort „gleichsam aus allem merkantilen Verkehr" gesetzt
würde, wenn er nicht schnell eine Zweigbahn erhielte. 1860 wirkte
eine Kommission für dieses Unternehmen in England, 1862 er-
reichte man die Konzession der Regierung zu einer Bahn nach
Insterburg, am 16. Juni 1865 wurde diese Strecke eröffnet, und
man atmete erleichtert auf. War doch der vermeintliche Ruin
wenigstens abgewendet. Allein die Klagen dauerten fort. Daß
die neue Anschlußbahn den verlorenen russischen Durchgangs-
verkehr nicht, oder nur zu ganz geringem Teile wiedergeben
konnte, wurde den Tilsitern bald klar und in dem Schlagwort
von der „Verlegung der Berlin-Petersburger Straße über Eydt-
kuhnen" entlud sich immer wieder der Groll. Die Tilsiter
konnten ihr Elend nicht grau genug malen. 1864 hatte man
den ausfallenden Speditionshandel schon als „überwundenen Stand-
punkt" bezeichnet, um 1869 nichtsdestoweniger ganz ungerecht-
fertigte Vorwürfe und übertriebene Klagen zu wiederholen. Man
verstieg sich zu der Behauptung, der Staat baue nur Bahnen, um
den Transport der Armeen zu erleichtern, nur der „Militarismus"
sei für den Nichtausbau der Tilsiter Strecke verantwortlich zu
machen. Es war kläglich, das kulturelle Riesenwerk der Ost-
bahn in dieser Weise herabzusetzen! Sie wurde für alles ver-
antwortlich gemacht: „Seit Gründung der Ostbahn, in deren
Folge der Hauptverkehr von und nach Rußland sich von hier
fort und jenem Wege zuwandte, ist Tilsit in geschäftlicher und
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Von W. Feydt. (59
gewerblicher Beziehung zurückgegangen. Ganze Geschäftszweige
und zwar gerade solche, die für den Ort von großer Bedeutung
waren, wie das Speditionsgeschäft, der Engroshandel nach Ruß-
land, sind fast vollständig von hier verschwunden, wodurch der
allgemeine Wohlstand empfindlich geschädigt wurde."
Der Fehler, den die Tilsiter begangen haben, beruht in
erster Linie in der ungeheueren Übertreibung der Mißstände.
Es war ja nicht zu leugnen, daß die Petersburger Straße durch
die Ostbahn verlegt war und dadurch tatsächlich die Spedition
von und nach Rußland, der Handel mit den Rohprodukten
dorther, Kolonialwaren, Materialwaren dorthin, aufhörte. Allein
war damit Tilsit ruiniert und hatte Tilsit ein natürliches Recht,
die Beibehaltung der alten Straße zu fordern? "Weder das Eine,
noch das Andere.
Das doppelt begünstigte Tilsit hatte durch die Bahn nur
den Vorteil der Landstraße eingebüßt. Daß aber die Wasser-
straße geblieben war, daß ihr Wert von der Bahn nicht nur
nicht berührt, sondern durch die Kreuzung der russischen Fort-
setzung in Kowno gestiegen war, und durch die Verkehrsver-
besserungen der Neuzeit nach unendlich zu steigern war, daß
gerade in diesem Rohprodukte ausführenden Lande der Wasser-
verkehr sich immer behaupten mußte, Tilsit niemals ruiniert
werden konnte, daß man in einseitiger Überschätzung des groß-
artigen Transitverkehrs den mit der nächsten Umgebung voll-
ständig vernachlässigt hatte, obwohl sie an Fruchtbarkeit in der
Provinz ihres Gleichen suchte, daß hier Millionen auch für den
Tilsiter Kaufmann zu heben waren, wenn man nur Fleiß und
Energie darauf verwandte, anstatt des bequemen Durchgangs-
verkehrs, das alles schien man in Tilsit nicht zu wissen, nicht
wissen zu wollen.
Und ferner hätte die Regierung die Fühlung der Ostbahn-
linie über Tilsit in der Provinz verantworten können? War sie
wirklich überhaupt vorteilhafter?
Wirtschaftlich hätte sich eine Führung der Hauptlinie über
Tilsit nicht rechtfertigen lassen. Sollte man die Klagen, die
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7() Der Einfluß der ostproußischen Eisenbahnen etc.
sich ohnehin schon über die „Küstenführungu der Ostbahnstrecke
bis Königsberg erhoben, dadurch zu berechtigten machen, daß
man die Fortsetzung von Königsberg ebenfalls an der Küste
entlang führte? Die Ostbahn sollte bei allen internationalen
Interessen doch auch der Provinz nützen, und das große Gebiet
südlich am Pregel im Gegensatz zu dem kleinen nördlich er-
heischte notwendige Rücksichtnahme. Eine Bahn Königsberg-
Tilsit verlor für Masuren und die Landstriche zwischen Angerapp
und Alle jede Bedeutung. Sie förderte ganz einseitig Tilsit
und die litauische Niederung. Sollte man aber hier die Haupt-
linien ziehen, wo eine durchaus leistungsfähige Wasserstraße
den Verkehr schon vermittelte, und nicht da, wo sie ungleich
unbedeutender ihn lange nicht so anziehen konnte, als die Stationen
einer südlichen Pregelbahn?
Trotzdem wird der Geograph leicht geneigt sein, die Linie
über Tilsit für die natürliche Verbindung zu halten. Allein auch
hier lassen sich schwerwiegende Einwände erheben. Gewiß wird
die Linie Königsberg-Tilsit-Tauroggen der Luftlinie nach Peters-
burg bedeutend näher kommen als die Bahn über Wilna. Allein
das ist eben die Luftlinie. Die Eisenbahnen sind aber vom
Boden abhängig; und viel abhängiger als jede andere Verkehrs-
straße. Da wird man aber zugeben müssen, daß das ganze Gebiet
der russischen Ostseeprovinzen von der heutigen Linie Wilna-
Petersburg westwärts bis zu den Küsten für den Eisenbahnbau
in der Richtung von Südwesten nach Nordosten durch seine
natürliche Beschaffenheit direkt ungünstig genannt werden muß.
Wir finden hier ausgedehnte Sumpflandschaften, unterbrochen
von beträchtlichen Höhen von über 300 Meter und als bedeutendes
Verkehrshindernis den Peipussee. Die Petersburger Bahn ist
eine richtige Randbahn; auch die ganze Richtung der Gewässer
weist die Bahnen dieses Landstriches gerade umgekehrt von
Südosten nach Nordwesten. Fiel aber eine Bahn Tilsit-Riga-
Petersburg fort, falls man sie nicht, wie später vorgeschlagen,
doch bei Pskow in die Dünaburger Linie einleitete (12 Meilen
kürzer), so konnte die geringe Abkürzung einer Strecke Tilsit-
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Von W. Feydt. 71
Dünaburg, statt Kowno-Wilna-Dünaburg angesichts der erörterten
wirtschaftlichen Nachteile nicht mehr in Betracht kommen.
Aber auch in der Provinz selbst verdiente die Führung der
internationalen Hauptbahn dem bequemen Südrande des Pregel-
tals entlang den Vorzug. Die Eisenbahnen, besonders die Haupt-
bahnen, sind nun einmal Verkehrswege, die sich die bequemsten
Richtungslinien zuerst suchen, ihnen zuerst folgen. Eine Tilsiter
Bahn hätte zu den Weichselbrücken eine solche über den Pregel
und über die Memel gefügt. Sollte man da nicht die bequeme
Führung südlich des Pregels, bei der man nur Flüsse wie die
Alle, die Angerapp etc. zu überwinden hatte, vorziehen? Gewiß
sind später vom Staate jene Brücken gebaut, gewiß wäre ihr
Bau auch damals nicht unmöglich gewesen. Aber er war angesichts
der Eigenart des neuen Verkehrsmittels damals noch nicht das
natürlichste Mittel, um zu dem Ziele zu gelangen, eine inter-
nationale Verkehrsstraße von Berlin nach Petersburg herzustellen.
Wie hinfällig alle Klagen waren, stellte sich erst recht
heraus, als auch Königsberg infolge von russischen Konkurrenz-
häfen seinen Speditionshandel verlor. Hatte Tilsit keinen andern
Bückhalt für seine gewerbliche Bedeutung, dann verdiente es
tatsächlich den schon als unabänderlich betrachteten Ruin. Aber
noch immer gingen den Bürgern über das, was ihrer Stadt vor
allem frommte, nicht völlig die Augen auf. Die Bahn von Libau
nach Kowno konnte sichtlich den Tilsiter Handel viel mehr
schädigen als die Ostbahn, von der man schon das Schlimmste
erwartete. Und doch verkannte man wieder die Bedeutung der
Stromlage und erwartete wieder alle Rettung von einer Bahn.
Diesmal eine Bahn von Tilsit, über Tauroggen nach Schaulen.
Jetzt war es keine internationale Verkehrsstraße mehr, um die
man warb, jetzt war es der nackte Egoismus, der dieses Projekt
als auch für Rußland notwendig und am vorteilhaftesten hin-
stellte: „Für den Norden, Nordosten und beziehungsweise das
tiefe Rußland ist die wesentlichste und zweckmäßigste
Bahn Tilsit- Tauroggen mit Verlängerung nach Schaulen." Nicht
nur die Russen mußten als Russen anderer Meinung sein, sondern
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72 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
auch bei unparteiischer Betrachtung erweist sich diese Behauptung
als falsch. Für diese Teile des Zarenreiches mußten selbstver-
ständlich die Bahnen nach Reval, Riga und Libau die natürliche
Ausfuhrstraße sein. Das haben zum Beispiel die Königsberger
bereitwilligst anerkannt; sie konnten sich wohl mit Recht be-
klagen, daß diese nördlicher gelegenen Häfen ihnen Südrußlands
Produkte entziehen wollten; Tilsit aber hatte nicht das geringste
Recht zu verlangen, daß die Russen ihre natürlichen Verkehrs-
wege nicht ausnutzen und lieber ihre Eisenbahnen in unnatür-
licher Weise nach der preußischen Memelstadt anstatt den
russischen Ostseehäfen lenken sollten.
Auf diesem Wege war nichts zu erreichen, konnte nichts
erreicht werden. Erst im Jahre 1872 hatte man den richtigen
Standpunkt für die Beurteilung einer Tilsiter-russischen Bahn
gewonnen mit den Worten: „Eine Abkürzung des Weges von
Petersburg nach Berlin um 46 Meilen muß mit der Zeit berück-
sichtigt werden." Diese Zeit ist bisher trotz der Labiauer Bahn
nicht gekommen; und wenn sie kommen wird, wird Tilsit diese
Bahn nicht um seiner Handelsinteressen willen oder gar weil
man in Rußland sich von der Notwendigkeit überzeugt hätte,
über Tilsit aus Nordrußland auszuführen, sondern um der großen
gesteigerten internationalen Beziehungen willen erhalten, die
eine immer fortschreitende Abkürzung der Weltbahnen erzeugen.
1860 galt es zwar auch, durch die Ostbahn einen Teil derselben
herzustellen, aber es hing noch nichts davon ab, ob man der
Luftlinie um eine Anzahl Meilen näher kam oder nicht. Man
suchte sich zuerst den bequemeren und wirtschaftlich zu bevor-
zugenden Weg. Das war durchaus verständlich und natürlich;
und daß man es in Tilsit anfangs nicht zugeben wollte, war der
Fehler, den man beging.
Der Sinn der Tilsiter Kaufleute hatte sich in den Zeiten
des Speditionshandels und der Posten, wo Ost- und Westpreußen
über Tilsit verkehrten, zu sehr daran gewöhnt, in die Weite zu
schweifen. Daher ertrug man den Zusammenbruch dieser Be-
ziehungen so schwer. Erst als man seine Blicke auf die näheren
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Von W. Feydt. 73
Hilfsquellen des Handels und Verkehrs richtete, und in dieser
Richtung seine Bestrebungen konzentrierte, wurde man gerechter
und lernte schätzen, was man sicher haben konnte, ohne zu beklagen,
was an unsicheren Glücksgütern verloren gegangen war.
Ausnutzung des natürlichen Hinterlandes wurde die Parole
für den Tilsiter Handelsstand ; da dieses Hinterland einerseits in
den russischen Distrikten am Niemen, andererseits in dem Dreieck
nördlich von der Memel bis nach Nimmersatt und in der Memel-
niederung beruhte, ergaben sich hieraus die Aufgaben, die der
Stadt zur Verbesserung der Verkehrswege in diesen Richtungen
gestellt waren.
Die Verbesserungen der Wasserstraßen interessieren uns an
sich nicht. Allein im Verhältnis zu den Eisenbahnen lernte
man den Wert der letzteren endlich richtig schätzen. „Ganze
Handelszweige" waren ausgestorben, aber auch ganze Handels-
zweige durch die Wasserstraße zu ungeahnter Blüte gelangt.
Holzhandel und Holzindustrie werden in Tilsit groß und bald
zum bedeutendsten Zweige alles gewerblichen Lebens.
Außerordentlich verbessern ließen sich jedoch die Verkehrs-
straßen zu Lande. Für die Verbindung mit Memel und dem
Lande zwischen dieser Stadt und dem gleichnamigen Fluß mußten
daher geschaffen werden: Bessere Landstraße, feste Brücke und
Eisenbahn nach Memel; für den Verkehr nach der Niederung
Chausseen und Bahnen; für den Verkehr nach Rußland Grenz-
bahnen und ein kurzer Weg nach der russischen Grenzstation
Eydtkuhnen, der zugleich das Land südöstlich der Stadt in bessere
Verbindung mit ihr brachte.
Sehen wir im einzelnen zu, wie Tilsit dieser Aufgabe
gerecht geworden ist.
Am frühesten war die Chaussee nach Memel fertig. Zwar
hatte Memel selbst größeren Vorteil von ihr; allein man hatte
doch Anteil daran, weil nun die Produkte, die man für den
Export aufspeicherte, auch im Winter, wenn die Schiffahrt ge-
schlossen war, nach dem eisfreien Hafen transportiert werden
konnten. Genau diese Bedeutung hat denn auch die Eisenbahn
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74 l)er Einfluß tler ostpreuttiHchen Kinenbahnen etc.
nach Memel für Tilsit behalten, als dieses neue Verkehrsmittel
die Konkurrenz der Landstraßen allenthalben aus dem Felde
schlug. Ihr Vorteil war jedoch noch viel größer, als der der
Chaussee, denn sie schuf durch die Eisenbahnbrücke eine feste
Verbindung mit dem nördlichen Memelufer, das fortan durch den
Eisgang des Stromes nicht mehr wochen-, ja monatelang von
aller Kommunikation mit der Stadt abgeschnitten war. Den
Eröffnungstag der Memelbrücke für den Eisenbahnverkehr
wenigstens im kleinsten Stile, wenn auch nicht offiziell, zu
feiern, war daher Recht, aber auch Pflicht der Tilsiter. Daß die
Königsberger Eisenbahndirektion von einer Feier Abstand nahm,
hatten die Tilsiter durch die ungerechten Vorwürfe, die sie selbst
der Staatsverwaltung gemacht hatten, nur sich selbst zuzuschreiben.
Am 1. Oktober 1875 war die ganze Strecke von Tilsit bis Pogegen
dem Verkehre übergeben.
Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Zusammentreffen
der verschiedenen Bahnverwaltungen in Tilsit ergaben, be-
schleunigten die Verstaatlichung der Privatbahn nach Insterburg,
was auch den Tilsitern Vorteil brachte. Der Verkehr mit den
Teilen nördlich der Memel hob sich durch die Memeler Strecke
entschieden. Namentlich kam sie dem Personenverkehr zu gute.
Es gingen ab:
1876: 28 182 Personen
1877: 28 798
1878: 34 157
1879: 34 507
1880: 34 468
1881: 35 332
1882: 35 791
1883: 43 460
Die Zahl der ankommenden Güter hat infolge des Rück-
ganges, den Memel nahm, da gerade dieser Ort die Kolonial-
und Materialwaren importiert hatte, die das Tilsiter Speditions-
gut bildeten, durch die Bahn im ganzen keine Zunahme erfahren.
Gehoben hat sich jedoch im allgemeinen der Export.
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Von W. Feydt. 75
Es gingen ab:
1878: 3290 to.
1879: 3580 *
1880: 3305 *
1881: 3622 *
1882: 5687 *
1883: 5134 *
Als es sich immer mehr herausstellte, daß an eine Bahn
von Tauroggen nach Schaulen nicht zu denken war und die
Tilsit-Insterburger, die man nur als erstes Glied dazu aufgefaßt
hatte, den in sie gesetzten Hoffnungen nicht entsprechen konnte,
sachten die Tilsiter wenigstens nach der russischen Grenze hin
eine bessere Verbindung zu erhalten. War es nichts mit der
großen Weltbahn Berlin-Petersburg, dann wollte man wenigstens
ebenso wie Königsberg am Ende einer direkten russischen Binnen-
und Ausfuhrstrecke liegen. Eine Linie Kowno-Schirwindt-
Ragnit-Tilsit wird gefordert. Das war preußisch und sehr
tilsitisch, aber sehr wenig russisch gedacht und erst als die
Tilsiter 1882 ihr Projekt in eine Sekundärbahnlinie über Ragnit
und Pillkallen nach Stallupönen oder Eydtkuhnen umwandelten,
erhielt es Aussicht auf Verwirklichung. Als die Linie schließlich
gebaut wurde, wurde der Anschluß an die Ostbahn bei Stallu-
pönen, der für Tilsit nicht so günstig war als der bei Eydt-
kuhnen, hauptsächlich um Meraels willen festgesetzt, dem man
von Süden her aus der Provinz Zufuhren zum Seeexport schaffen
wollte. Aber auch die Tilsiter verschafften sich von ihr namentlich
für ihre Mühlenindustrie bedeutende Zufuhren und eine bessere
Verwertung der landwirtschaftlichen Kreiserzeugnisse. Namentlich
dem Viehhandel kam diese Bahn bedeutend zu gute. Die Bahnen
hatten ihn in dieser fetten, fruchtbaren Gegend schon längst zu
einer hohen Blüte gebracht. Die Strecke nach Ragnit war schon
1892, die bis Stallupönen 1894 vollendet.
Allein es ließ sich noch mehr für eine bessere Verbindung
mit der Grenze und Ausnutzung des Geländes zu ihren beiden
Seiten tun, ' Da der Staat keine Bahn baute, kam das Klein-
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7(> Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
bahngesetz, das ein billiges Privatunternehmen möglich machte,
der Stadt recht zu paß. Zunächst wurde eine Bahn nach
Schmalleningken gebaut, die am Nordufer der Memel entlang
geführt wurde zwischen Strom und Juraforst und außer der
Verbindung mit der Grenze und eines Ersatzes für die schiffahrt-
lose Zeit die Bestände der Juraforst in günstigerer Weise dem
Tilsiter Holzhandel nutzbar machen mußte, als es bisher ge-
schehen war. Der Bericht der Kaufmannschaft vom Jahre 1890
erwähnt sodann zum ersten Male eine Bahn von Pogegen nach
Laugszargen, also auf dem Wege nach Tauroggen. Sie ist in-
zwischen als staatliche Nebenbahn eröffnet worden und wird
von Tilsit her über Pogegen mit durchgehenden Zügen befahren.
Ob sie eine Fortsetzung in Rußlaud beschleunigen wird? Das
fetteste und fruchtbarste Gebiet um Tilsit herum war jedoch die
Niederung. Ihr hatte der Tilsiter Kaufmann bis zum Jahre 1860
zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Wasser Verbindung
war vor Herstellung der Kanäle, namentlich des Seckenburger,
nicht immer tadellos gewesen und auch die vorhandenen Land-
wege genügten noch lange nicht zu einer gründlichen Auf-
schließung. Die erste Verbesserung trat durch die Labiauer
Bahn ein. In Tilsit kam man ihr, nachdem die neu auftauchende
Hoffnung, einer Fortsetzung nach Rußland benommen war,
mit wenig Zutrauen entgegen. Für den Handel der Stadt ver-
sprach man sich 1884 „kaum eine günstige Wirkung4'. Allein
schon 1888 urteilten die Tilsiter gerechter und nannten ihre
bevorstehende Eröffnung „erfreulich*4. In der Tat hat diese Bahn
den Tilsitern Nutzen gebracht. Namentlich war die Führung
der ersten Strecke in genau westlicher Richtung ein gut Stück
in die Niederung hinein dem Tilsiter Handel förderlich. Der
Hauptwert der Bahn blieb freilich die Abkürzung des Bahn-
weges nach Königsberg für den Güterverkehr, wenn die Schiff-
fahrt geschlossen war. Die Fracht kam auf dieser Strecke auf
jeden Wagen um ca. 4 Mk. billiger zu stehen. Wie daher an-
zunehmen, entwickelte sich der Güterverkehr bald so kräftig,
daß ein zweiter Güterzug eingelegt werden mußte. Als Verkehrs-
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Von W. Feydt. 77
mittel nach der Niederung gewann diese Bahn aber in neuerer
Zeit erhöhte Bedeutung, als von ihrer Station Gr. Brittainen
aus Kleinbahnen nach Kaukehmen und Seckenburg quer durch
und tief in das fruchtbare Niederungsgebiet gebaut wurden.
Unter dem Einflüsse aller dieser Verkehrsmittel war die
Periode der Stagnation, die nach 1860 eingetreten war, bald
überwunden. Auf die Zeit der fieberhaften Aufregung bis 1865
folgte die der mühsamen Mauserung. Tilsits Handes stützt sich
mehr auf die natürlichen Hilfsmittel, hauptsächlich auf die
Memel. Der Handel mit geschnittenen Hölzern beginnt sich
aufzuschwingen. Mit dem Jahre 1887 ist die Umwandlung im
vollen Gange. Die Eisenbahnen haben bedeutenden Anteil an
ihr. Sie haben es den Kaufleuten erleichtert im Kreise Tilsit
und in den benachbarten Ersatz für das russische unsichere
Geschäft in Eisen-, Stahl- und Kurzwaren, so wie die Kolonial-
Materialwaren zu finden, sie haben das Flachs- und Hede-
geschäft durch direkte Tarife erleichtert, sie haben den Holz-
händlern ermöglicht, ihre "Waren infolge der billigen Tarife bis
nach dem fernen Westen versenden zu können. Der Umfang
des Holzhandels auf der Bahn ist so groß, daß wiederholt Wagen-
mangel eintritt. Bessere Zugverbindung mit Insterburg, wohin
in dieser Zeit ein dritter Zug eingelegt wird, kommen dem
Gesamtverkehr zu gute.
In den neunziger Jahren, nach Vollendung der Bahnen
nach Labiau, Königsberg und Stallupönen, sowie einiger Kreis-
chausseen nach anfänglichem Widerstreben des Kreises, in dem
man die Bedeutung der Wasserstraße wohl umgekehrt wie in
der Stadt überschätzte, ist diese Umwandlung nicht nur ab-
geschlossen, sondern die Grundlage zu einem gewaltigen Auf-
schwung aus den Grenzen der Kreisstadt heraus zur Mittelstadt
gegeben.
Der Konsum steigert sich gewaltig, seitdem Chausseen
und Eisenbahnen Litauens in Tilsit zusammenlaufen. Sie er-
schließen ganz neue Handelszweige, die nicht minder gewinn-
reich sind als die verlorenen alten, und weil am Boden des
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78 T)er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
eigenen zugehörigen Staatsteils hangend sicherer und dauernd
sind. Butter, Käse und Geflügel, Vieh und Pferde kommen
von Tilsit zum Absatz nach ganz Deutschland, zum Teil in ganz
enormen Massen. Dazu kommt die Industrie. Sie schließt
einen Bund mit Wasserstraße und Eisenbahn. Jene schafft ihr
das Rohmaterial, diese erschließt die Gebiete für den Export
ihrer Waren.
So haben die Eisenbahnen erst geschädigt (Eydtkuhner
und Kowno-Libauer), dann ein bedeutendes Zurückgehen ver-
hindert (Tilsit-Insterburger), dann mit zu dem Aufschwünge der
neuen Zeit beigetragen, jede ihr Teil. Freilich sind nicht alle
Verkehrsstraßen, wie Bonk etwas ungenau sagt, verdoppelt. Die
russische Bahn als Seitenstück zum Memelstrom fehlt noch
immer, denn auch die neuere Linie nach Stallupönen kann man
nur als einen Notbehelf ansehen. Mit ihr, der ersehnten Welt-
bahn, als russische Stadt hätte Tilsit leicht, vielleicht schneller
noch als Riga zur Großstadt werden können; allein alles in
allem kann die Stadt mit ihren 84539 Einwohnern im Jahre 1900
wohl zufrieden sein.
Dieser Blüte entspricht auch das äußere Gewand. Die ein-
engenden Tore der alten Landstadt, das deutsche und das hohe,
fielen schon Anfang der sechziger Jahre dem zunehmenden
Straßenverkehr zum Opfer. Als 1865 die Insterburger Privatbahn
Tilsit zur Eisenbahnstation machte, war die ganze alte Stadt
bereits abgeschlossen, ebenso die Freiheit, auch Tilsit-Preußen
bestand schon, hat sich aber durch mehrere Fabrikanlagen, von
denen indessen ein großer Teil schon vor der Bahn hier bestand,
vergrößert.
Der sogenannte Stadtteil „zwischen den Gärten41, d. h. süd-
lich von der Hohenstraße bis zum Mühlenteiche war damals erst
unregelmäßig und unzusammenhängend bebaut, das Straßennetz
stand aber schon fest. Auch die Vorstadt „Meerwischu mit
Jakobsruh bestand schon, hatte jedoch nicht im geringsten den
Charakter eines Stadtteiles. Sie stand noch in gar keinem Zu-
sammenhang mit der eigentlichen Stadt, da die dorthin führende
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Von W. Feydt. 79
Königsberger Straße erst Ende der achtziger Jahre dichter be-
baut wurde.
Den Anger gab es schon, auch die Angerpromenade. Aber
er diente zuerst zum Dungabladeplatz, dann wurden die Vieh-
märkte auf ihm abgehalten. Die Besiedelung mit Wohngebäuden
fand erst nach 1865 statt.
Somit ist durch die Bahn, die im Westen der Stadt vorbei-
führt, alles was vom Nordende der Kasernen straße und der
Königsberger Straße, sie selbst eingeschlossen, westlich liegt,
neu entstanden; und von den bestehenden Stadtteilen haben sich
ganz und gar verändert, sind als feste Glieder mit dem Ganzen
zusammengewachsen der Stadtteil zwischen den Gärten, die
Vorstadt Meerwisch bis zur Bahn im Westen und der Anger.
Für Tilsit blieb freilich kaum eine andere Möglichkeit, als
sich nach dem Bahnhofe hin zu entwickeln. Nord- und Süd-
seite waren durch Memel und Mühlenteich so gut wie aus-
geschlossen. Nach Osten war Platz da und eine bedeutende
Siedelung schon entstanden. Allein der Zugang zu ihr war
durch den Mühlenteich beengt und das Terrain außerdem nicht
überall eben. Nach Westen dagegen dehnte es sich flach und
eben am Ufer des Stromes weit hin. Hatte dieser Unterschied
in der Beschaffenheit der Memelufer unter- und oberhalb schon
die Veranlassung für die Anlage der Brücke und des Bahnhofes
im Westen der Stadt gegeben, so mußte sie sich nur um so
mehr mit ihrer breiten Siedelung in dieser Richtung ausdehnen.
Die Entfernung des Bahnhofes war etwas reichlich bemessen,
und es dauerte, da die Stadt, wie wir gesehen haben, gerade in
der ersten Zeit nach den Bahnen nicht vorwärts schritt, recht
lange, bis der Weg zu ihm durch Häuser hindurch führte. Die
Bahnhofstraße war noch fast unbebaut, als 1873 der Reichstag
die Mittel zum Bau der Kavalleriekaserne bewilligte. Dieses
Gebäude nahm aber bei seiner kolossalen Ausdehnung gleich die
Hälfte vom sogenannten „Westend" Tilsits ein. Aber auch nach
ihrer Herstellung richtete sich die Bautätigkeit weniger nach
dem Bahnhofe selbst, als nach Jakobsruh und der alten Königs-
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#0 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
berger Landstraße. Sie wurde mit der nach dem schönsten Ver-
gnügungsort der Stadt führenden Lindenstraße die Hauptzierde
der Stadt. In den letzten Jahren ist aber der Baum zwischen
Linden- und Bahnhofstraße vollständig ausgefüllt. Der Stadtteil,
der hier entstanden ist, reicht bis dicht an die Strecke heran
und ist entschieden als Ganzes betrachtet, der schönste und vor-
nehmste der Stadt; dem Geschäftstreiben liegt er ganz fern.
Wir haben es mit derselben Erscheinung wie in Insterburg zu
tun. Tilsit ist aber bereits darauf bedacht, sich weitere Bau-
plätze zu sichern. Und zwar nicht im Süden des Mühlenteiches,
aus dem man sich mit der Zeit eine Art Analogon des Königs-
berger Schloßteichs hätte schaffen können, sondern weiter im
Westen jenseits der Bahnstrecke. Im Norden ist sie durch den
Zusammenhang mit dem am Flusse sich ausdehnenden Stolbeck
ja schon lange überschritten. Im Süden ist der alte Heinrichs-
walder Weg über die Bahngeleise als Viadukt hinweggeführt,
die Längsstraße am Bahnterrain entlang ist „Yorkstraße" um-
getauft; sie ist lückenhaft besiedelt, dahinter aber auf dem freien
Felde ist eine Anzahl Querstraßen mit lauter sehr modernen und
patriotischen Namen angenommen. Hier wird also das Tilsit
der Zukunft, das zweite „Westend" zu suchen sein.
Die Verteilung der Bewohner der Stadt zeigt nur wenig
den Einfluß der Bahn. Handel und Industrie wenden sich noch
immer der Wasserstraße mehr zu als der Eisenbahn. Nur die
Beamtenwelt, namentlich die Offiziere, wohnen vorzugsweise in
dem neuen Stadtteile am Bahnterrain. An der Memel von Stol-
beck bis Tilsit-Preußen die Industrie, in der deutschen Straße
die meisten Geschäfte, das ist Tilsits Physiognomie. Die Bahn-
hof sstraße kann man auch heute noch fast still nennen.
Dagegen verdankt Tilsit alle Komforteinrichtungen, die das
Leben am Orte bequem machen und deshalb in neuester Zeit
auch manchen pensionierten Beamten und Rentner veranlaßt
haben, sich in der Memelstadt niederzulassen, erst der Eisen-
bahnzeit. Das Urteil Thimms: „Solange die Verbindung Tilsits
mit dem Eisenbahnnetz Deutschlands nicht erreicht war, blieb
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Von W. Feydt. 8]
Tilsit ausgeschlossen von all den Errungenschaften der modernen
Kultur, blieb es das unbedeutende Landstädtchen", scheint zwar
etwas hart und übertrieben, allein hierfür trifft es zu. Jetzt erst
entstanden in Tilsit Wasserleitung und Kanalisation, Schlacht-
haus und Fleisch verkaufshallen, die selbst Königsberg noch
fehlen, ein neues Theatergebäude, Denkmäler und last not least
die elektrische Straßenbahn.
Nimmt man zu alledem die reizvolle Umgegend: Den Strom
mit seinen Ufern und Armen bis zum Miekiter Walde, dem
imposanten Bilde der Überschwemmung und des Eisganges im
Frühling, seinen reizenden Partien am Schloßberg im Sommer,
die prächtigen Anlagen von Jakobsruh, die Putschine, von der
aus man leicht in größere Waldbestände gelangt, allen An-
forderungen der Neuzeit entsprechende Wohnhäuser, gute Schulen,
eine große Anzahl hoher Behörden, eine starke Garnison, so wird
man es verstehen, daß die alteTilse wohl im stände ist, Leute,
die vom Lande in die Stadt ziehen wollen, anzulocken. Dieses
Aufsaugen der Landbevölkerung ist aber bereits ein deutliches
Kennzeichen für die Entwickelung zur Großstadt, und dieses
Streben nach größeren Verhältnissen zeigt sich auch darin, daß
in Tilsit kein Berufsstand überwiegenden Einfluß hat. Wir
können in dieser Beziehung nur Königsberg der Memelstadt zur
Seite stellen.
[Fortsetzung folgt.]
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 1 u. 2.
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Das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Von Oberlehrer Dr. Eduard Loch.
(Mit einem Plan der frischen Nehrung. — Beilage zum Programm des Alt-
städtischen Gymnasiums zu Königsberg i. Pr. Ostern 1903. Programm Nr. 10.)
Von
Dr. Hugo Bonk.
Unter den zehn von Hahn aufgestellten Küstentypen1) ist
der sogenannte ostpreußische sicher einer der interessantesten.
Deshalb hat die Forschung seit der geographischen Entdeckung
Ostpreußens, das heißt seit einem halben Jahrhundert, sich ein-
gehend mit der — Kurischen Nehrung beschäftigt, die wegen
ihrer einzigartigen Naturschönheiten schon lange das Ziel der
Touristen geworden ist. Virohow verglich die Kurische Nehrung
mit den Ufern des obern Nil: „in Nidden aber, wo ich unmittelbar
auf die Sandwüste gestellt war, welche der Südwestwind gegen
die "Wohnungen und Gärten der Menschen aufgetürmt hatte, er-
reichte die Illusion die größte Höhe."2) Dagegen war die Frische
Nehrung seit Schumann (1859) fast verschollen, bis 30 Jahre
später Panzer sie zum Gegenstand einer historischen Unter-
suchung machte8), um die Nichtexistenz des Lochs tedter Tiefs
in historischer Zeit zu beweisen. Seitdem ist — abgesehen von
dem spezial-wissenschaftlichen Handbuch des Dünenbaus von
Gerhard — Dr. Ed. Loch der erste gewesen, der sich ein-
gehender mit der Frischen Nehrung beschäftigt hat. Im Herbst
1) Hahn, Bemerkungen über einige Aufgaben der Verkehrsgeographie in
der Zeitechr. f. wiss. Geogr. V (1885) S. 245.
2) Zeitschr. f. Ethnol. XXIII (189D, 790.
3) Die Verbindung des Frischen Haffe mit der Ostsee in histor. Zeit.
Altpr. Mon. XXVI (1889) S. 259-93.
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Von Dr. Hugo Bonk. 83
1899 machte er eine Wanderung über dieselbe von Pillau bis
Vogelsang, die er gemeinschaftlich mit seinem Reisegefährten
Nicolau 8 in zwei populär- wissenschaftlichen Zeitungsartikeln
beschrieben hat, von denen es nur zu bedauern ist, daß sie dem
Publikum nicht mehr zugänglich sind1). Hier wird der für die
große Mehrzahl der Leser trotz Schumann und Passarge sicher
sehr überraschende Nachweis geliefert, daß die Frische Nehrung
keineswegs eine Einöde, sondern landschaftlich hervorragend
interessant ist. Schon in dieser Abhandlung finden wir im ersten
Teil mit Bestimmtheit die Ansicht ausgesprochen, daß es noch
in historischer Zeit — trotz Panzer — ein Tief bei Lochs tedt,
und später bei Großbruch — nicht, wie Panzer will, zwischen
Alttief und Möwenhaken — gegeben habe. Nach weiteren mehr-
jährigen archivalisohen Studien über diesen Gegenstand machte
Loch behufs nochmaliger genauer Durchforschung der ganzen
Nehrung eine zweite Wanderung, von Pillau bis Dan zig (im
Sommer 1902), auf welcher ihn Mendthal — wie schon 14 Jahre
vorher seinen Gegner Panzer — und der Schreiber dieser Zeilen
begleiteten. Auf dieser Wanderung wurden alle für die Unter-
suchung in Frage kommenden Stellen einer genauen Besichtigung
und Besprechung unterzogen2).
Das Resultat dieser Studien ist die vorliegende Arbeit und
die beigegebene Karte, die an Exaktheit für den vorliegenden
1) Eine Herbstwanderung auf der Frischen Nehrung von L. N. Königsb.
Hrtg. Ztg. 1899. Nr. 284 M. und 290 M., d. 3. und 10. Dezbr.
2) Auch diese Wanderung hat Loch neuerdings beschrieben: „Von Pillau
bis Dan zig. Eine Wanderung auf der Frischen Nehrung" — im „Wanderer
durch West- und Ostpr.'* Juli 1904. Genauere Angabe von Zitaten ist leider
nicht möglich, da diese Zeitschrift merkwürdiger Weise nicht paginiert
ist, Auch die Weglassung der Namen der Verfasser in der Inhaltsangabe ver-
stößt gegen den guten Brauch und erschwert außerdem die Benutzung. Viel-
leicht trägt diese Bemerkung dazu bei, durch Abstellung dieser Ü beistände den
Wert des sehr lobenswerten Unternehmens zu erhöhen. — Auch diese Arbeit,
von Loch, die gegenüber der früheren von 1899 durchaus selbständig: ist und
wieder neue Beobachtungen bringt, zeichnet sich durch scharfe Beobachtung von
Land und Leuten und interessante und durch Wiedergabe von Einzelheiten
belebte Darstellung aus.
6*
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84 &r- Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Zweck nichts zu wünschen übrig läßt — abgesehen allerdings
davon, daß eine Übersichtskarte in kleinerem Maßstabe mit dem
gegenüberliegenden Haffufer zur leichteren Orientierung,
stellenweise sogar überhaupt zur Ermöglichung der letzteren,
leider — fehlt.
Sehen wir uns nun zunächst die oben zitierte Arbeit von
Panzer etwas näher an.
Panzer geht davon aus, daß nach einer früheren Annahme
der Camstigaller Haken durch das Haff bis nach Balga sich
erstreckt habe. Wenn diese Ansicht richtig wäre, dann wäre
damit auch die Möglichkeit eines Tiefs bei Lochs tedt gegeben:
denn nur so konnte die Strömung des Pregels genügen, um die
enge Rinne vor Versandung zu schützen. Dann mußte aber in
historischer Zeit durch eine Katastrophe jene Landverbindung
untergegangen und davon uns irgend welche Kunde erhalten
sein. Das sei aber nicht der Fall, und somit fehle dem Tief die
notwendige physische Voraussetzung.
Aber auch historisch sei es nicht zu begründen. Denn
die Nachricht von einem Loohstedter Tief in historischer Zeit
sei lediglich ein Phantasiebild Simon Grünaus. Nun werden
die beiden bezüglichen Stellen Tract. XI c. 2, 4 und XIV, 2,1
angeführt, wonach Grünau die Versandung des Lochstedter Tiefs
erst in die Zeit Siegfrieds von Feuchtwangen (1303 — 1311), und
zwar — das ist wichtig — auf den 7. August setze, dann aber
ins Jahr 1399. Schon dieser Umstand mache die Nachricht
unglaubwürdig, wenn sie es nicht schon an und für sich dadurch
wäre, daß sie eben von Simon Grünau stamme.
Also seien alle historischen Nachrichten, die man bisher
auf das Lochstedter Tief bezogen habe, umzudeuten. In erster
Linie handle es sich um die Teilungsurkunde von 1258. Aus
dieser gehe hervor, daß das Tief, die Balge, zwischen der
Nehrung und Witlandsort gelegen habe. Für die Bestimmung
dieser Stelle sei wesentlich der in der Urkunde erwähnte Wald
Wogrim. Dieser müsse aber, wie aus dieser Urkunde und einer
zweiten von 1322 — wo der Bischof dem Orden seinen Anteil
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Von Dr. Hugo Bonk. 85
am Walde für Fischhausen zurückgibt — hervorgehe, nördlich
vom Tief gelegen haben, also auf Witlandsort. Das sei der Name
für die ganze südwestliche Landzunge von Witland, das heißt
dem Samlande, bis an das Tief.
Da nun aber im Jahre 1264 ausdrücklich erklärt wird, daß
der Orden bei Witlandsort eine Befestigung (quandam munitionem)
anzulegen beabsichtige, und daß der Bischof zu diesem Zweck
seinen Anteil an Witlandsort bis zum Walde Wogrim abgetreten
habe, so folge daraus, daß zwischen dem Walde und dem Tief
noch eine freie Stelle gelegen habe. Wenn man also geltend
gemacht habe, daß Lochstedt zueist Witlandsort hieß, also mit
jener Befestigung von 1264 identisch sei, so sei das schon des-
halb falsch, weil ja Lochstedt nördlich vom Walde Wogrim
liege, während doch eben nachgewiesen sei, daß der Wald nicht
auf der Nehrung, sondern nördlich vom Tief, also auch nördlich
von der daran liegenden Befestigung gelegen habe. Zudem sei
Lochstedt ein castrum und keine munitio gewesen und auch
nicht 1264, sondern erst 1270 gegründet worden1). Lochstedt sei
nur gegründet worden, um ein Gegengewicht gegen das bischöfliche
Schloß Schonewik (Fischhausen) zu bilden: zu dem Tiefe habe
es keine nachweisbaren Beziehungen : schon in der ersten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts habe den Elbingern die Sorge für das-
selbe obgelegen1).
1) Es sei mir gestattet, hier einmal von der Einhaltung des Instanzen-
weges abzusehen und mich mit Panzer direkt ansei nanderzusctzen. In der
altern Chronik von Oliva Scr. rer. Pr. I, 684 steht: ,,et frater Henricus
Stange, commendator de Kireberg, assumptis secum fratribus et exercitu copioso
processit ante castrum, quod erat aedificatum, ubi nunc Lochstete
situni est.u Vgl. dazu Dusburg 1. c. S. 89; hier steht nur: „et intravit
circa locum, ubi nunc situm est castrum Lochstete." Daß die ältere Chronik
von Oliva von Dusburg benutzt ist, und nicht umgekehrt, hat Hirsch nach-
gewiesen Scr. r. Pr. I, 8. 656 ff. ; für unsere Stelle vgl. 663 Nr. 29. Heinrich Stange
war Comtur von Christburg 1250—1252; jener Zug wurde 1252 unternommen
(Voigt, G. Pr. III, 43 A. 1.). Es muß demnach schon im Jahre 1252 an
der Stelle von Lochstedt eine Burg gestanden haben, also eine
Preußenburg und wir haben hier die nicht etwa ausnahmsweise, sondern die
Regel bildende (vgl. Bonk, Städte und Burgen Altpr. S. 7) Erscheinung,
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#ß Dr. Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Auch die Bezeichnung „Balga" für das Tief passe nicht
zu Lochstedt. Denn die Burg Balga, die davon offenbar ihren
Namen habe, liege doch nicht Lochstedt gegenüber, sondern einer
Stelle nördlich von Alt tief, so daß den das Tief passierenden
Schiffern gleich die Burg Balga ins Auge fiel. Hier habe „nach-
weislich" im XVI. Jahrhundert das alte Tief gelegen, nicht, wie
man behaupte, bei Großbruch. Diese Behauptung sucht Panzer
durch einen Bericht über eine Besichtigung der Nehrung von
1582/1583 zu beweisen.
Dieses „alte Tief" sei nun dasjenige, welches man bisher
irrtümlich das Lochstedter genannt habe. Daneben tauche seit
1376 ein „neues Tief" auf, das immer wieder zugeschüttet werden
muß, aber schließlich 1497 durchbrach: das jetzige Pillauer. Ein
drittes Tief, das allerälteste, sei aber nach der Teilungsurkunde
von 1258 bei Boden winkel gewesen. Hier habe auf der Haff-
seite der Ort Kampenkin bei Vogelsang „versus Lipam
unum miliare in longitudine" (Pommerell. Urkundenbuch 293),
das heißt eine Meile „westlich" von Liep gelegen. Nach Mauer-
resten, Dachpfannenstücken, Tonscherben, scharfkantigen Feuer-
steinen, die Schumann bei Vogelsang gefunden, lasse sich die
Lage von Kampenkin feststellen1). Nach der Teilungsurkunde
von 1258 war von hier bis zur Balga eine Entfernung von
21 Seilen2) + 5Va Meilen = 43,898 km. Mißt man diese Ent-
fernung ab, so endet man am Danziger Haken, 2,4 km nördlich
von Alttief, wo Panzer das alte Tief angesetzt hat. Also eine
daß der Orden seine Burg an der Stelle einer Preußenburg angelegt
hat. Weshalb aber haben denn die Preußen ihre Burg gerade an dieser
Stelle angelegt? Etwa auch als „Gegengewicht gegen Schonewik"? Für sie
konnte diese Burg doch nur einen Zweck haben, wenn sie zur Verteidigung
der Grenze diente, also am Tief lag.
1) Loch hat 1902 auf seiner Wanderung an dieser Stelle nur „ein paar
Ziegelstücke" gefunden, während ihm von ein paar alten Männern gesagt sei,
„daß noch das von Schumann hier auf der Seeseite der Düne gesehene alte
Mauerwerk vorhanden sei". Wand. d. W. u. Ostpr. — in der uncitierbaren
Zeitschrift.
2) Ein Seil = 43,3 m;* eine Meile = 7799 m.
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Von Dr. Hugo Book. 87
glänzende Bestätigung seiner Rechnung. Von Kampenkin
104 Seile westlich (4500 m), also bei Boden winkel, wurde ein
Seil quer gemessen: das lasse auf ein Tief schließen. Und in
der Tat sei dieses allerälteste Tief schon durch Wulfstans
Reisebericht aus dem neunten Jahrhundert belegt, nach welchem
Elbing und Nogat vereint durch das Haff in die Ostsee mündeten.
So weit Panzer. Die überaus sorgfältige und auf einer
erdrückenden Fülle archivalischen Materials beruhende, dazu
höchst geschickt gruppierte Untersuchung wirkt auf den un-
befangenen Leser nicht nur überzeugend, sondern, besonders Dank
der beiden effektvollen Schlager am Schluß, geradezu verblüffend.
Und so ist denn auch seit jener Zeit das Lochstedter Tief aus der
historischen Forschung verschwunden und durch das „Panzersohe"
am Danziger Haken ersetzt worden — so auch auf der Höhen-
schichtenkarte von Jentzsch und Vogel1).
Dem gegenüber erschien es ein gewagtes Unternehmen, die
alte Tradition wiederherstellen zu wollen. Aber einen Vorteil
hat dies Unternehmen: nämlich den des Verteidigers gegenüber
dem Ankläger. Und diesen Vorteil hat Loch ausgezeichnet zu
benutzen verstanden: er hat alle Angriffe auf die Tradition pariert
und die schwachen Punkte, oder sagen wir richtiger den schwachen
Punkt seiner eigenen Stellung geschickt teils zu decken, teils
zu — verdecken gewußt. Ja, er hat sogar gelungene Angriffe
des Gegners auf die Tradition in den Dienst der Verteidigung
zu stellen gewußt, so den Nachweis Panzers, daß der "Wald
Wogrim nicht, wie die Tradition will, auf der Nehrung, sondern
auf Witlandsort gelegen haben muß.
Nach einem kurzen Referat über Panzers Ausführungen
legt der Verfasser sogleich die Axt an die Wurzel:
1. Simon Grünau ist nicht der erste, der das Loch-
stedter Tief erwähnt. In dem Cod. Oliviensis saeo. XV
1) Auf meinen eigenen, schon 1895 ausgesprochenen, Zweifel (Burgen und
Städte in Altpr. 8. 120) kann Ich wegen der fehlenden Begründung kein
Gewicht legen.
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88 Dr. Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Fol. 71 (A 99) im Königsberger Staatsarchiv findet sich ein
Regest des Abschreibers der oben erwähnten Abtretungsurkunde
von 1264, wo es heißt, die Kirche habe dem Orden ihr Drittel
zu Witlandsort geschenkt zum Bau eines Hauses, „das der ordin
eyn hus aldar möge buwin off das dy schiffe deste sicbir yn das
land zcu prusin mogin komen, das nu louchstete heyset." Also
eine Identifikation jener von Panzer erwähnten munitio am Tief
mit Lochstedt aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts. Dadurch
gewinnt aber die Bemerkung Dusburg s in seiner Chronik
(beendet 1326) HI, 107 (Scr. rer. Pr. I, 109) für uns erhöhte
Bedeutung: „Castrum Widlandsort, quod dicitur nunc Locstete
a nomine cuiusdam Sambitae dicti Laucstiete, qui ibidem mora-
batur." Das „Tief zu Lochstedt" hat Loch auch auf dem losen
Pergamentdeckel des Ostpr. Folianten 3A (ursprünglich Re-
gistrand von 1500) in der Handschrift des beginnenden XVI. Jahr-
hunderts gefunden: „Melchior von Halldeck, itzt uffm Tieff zu
Lochstedt". Simon Grünau aber hat seine Chronik doch erst
1521 geschrieben. Auch die Aufforderung des Ambrosius Thoms
„an die Stadthalter zu Heilsberg item mut. mutandis an die
Stedte Elbing und Braunsberg zu Lieferungen für einen Bau
bei Lochstedt am Tieffen" vom Jahre 1561 dürfte nicht auf
einer Information aus Simon Grünau beruhen. Und schließlich
wird in der Chronik von Milfelt nach dem Citat Hennen-
bergers die Versandung des Lochstedter Tiefs in den August 1311
unter Karl Bef fart von Trier gesetzt. Daraus schließt Loch
daß auch Milfelt von Simon Grünau unabhängig ist. Wenn
die Zuverlässigkeit dieser lange verschollenen1) Chronik sicher
wäre, dann wäre damit die Frage endgültig gelöst.
Aber das eine ist nunmehr sicher: „Schon mindestens
100 Jahre vor Simon Grünau und ganz unabhängig von ihm
1) Nach der Abfassung dieser Arbeit ist bekanntlich Milfelts Chronik
wieder aufgefunden worden von Karl Boysen in einer Handschrift der Berliner
Königlichen Bibliothek (vgl. Altpr. Monatsschr. XLI (1904) S. 357—67). Diese
Auffindung brachte uns insofern eine Enttäuschung, als sie über die Wertlosig-
keit jener Chronik kaum noch Zweifel übrig läßt.
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Von Dr. Hugo Bonk. 89
hat ein — mit dem Aktenmaterial wohl vertrauter — Schreiber
eines amtlichen ürkundenbuchs die Existenz eines Tiefes bei
Lochstedt in der Zeit des XIII. Jahrhunderts als bekannt hin-
gestellt"1). Und schärfer als Loch möchte ich hier den Um-
stand betonen, daß es keinem Zweifel mehr unterliegt, daß im
XV. und XVI. Jahrhundert die Ortsbezeichnung „Tief bei
Lochstedt" noch existierte. Damit können wir eigentlich
schon jetzt die Frage als gelöst betrachten. Denn wenn
wir aufhören, eine so sicher beglaubigte Tradition als Geschichts-
quelle anzusehen, wozu noch das von mir oben nachgewiesene
Vorhandensein einer Preußenburg an dieser Stelle kommt, dann
kommen wir schließlich dahin, die Vergangenheit nicht mehr
nach überlieferten Tatsachen, sondern durch allerlei Denkprozesse
künstlich zu konstruieren.
2. Die Anlage der Burg Lochstedt an dieser Stelle
ist ohne Vorhandensein eines Tiefs nicht zu erklären.
Sehr treffend fragt Loch, was wohl die Ritter habe bewegen
können, am Tief eine munitio, hier aber, in der Fischhausener
Wiek, eine Burg anzulegen? Wenn Lochstedt, wie Panzer zu-
gibt, eine leichte und sichere Verbindung mit Balga, Branden-
burg, Königsberg, Elbing gehabt hat, so sei eine derartige Ver-
bindung ohne Tief undenkbar. Denn heute könnten sich selbst
leichte Segelboote der Küste nicht einmal bis auf 100 m nähern.
Wie sollte denn damals die Möglichkeit vorhanden gewesen sein,
„mit schweren Lastschiffen, die Ritter, Bosse und Waffen trugen,
in der Nähe des Schlosses Lochstedt zu landen" — wenn kein
Tief da war? (S. 127.)
Nun behauptet Panzer aber, jene „munitio" am Tief habe
zur Komturei Balga gehört, wenn aber das Tief bei Lochstedt
gewesen wäre, dann hätte es doch samt der Befestigung zur
Komturei Lochstedt gehören müssen. Also könne das Tief
nicht bei Lochstedt gewesen sein. Der Beweis der Zugehörig-
keit zur Komturei Balga wird dadurch geführt, daß die Hand-
1) Loch S. iL.
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90 ^r- Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
feste eines Kruges „off m Szande nensth dem tiffen" vom Jahre 1411
vom Komtur zu Balga, Friedrich von Zollern, ausgefertigt
sei. Alle andern Ortschaften südlich von Lochstedt (Camstigal,
Wogram, Neudorf, Scheute) haben ihre Handfesten vom Obersten
Marschall und Hauskomtur zu Königsberg oder vom Pfleger zu
Lochstedt. Also müsse der Krug auf dem Sande an der Stelle
jener alten munitio gelegen haben, auf dem Terrain, das der
Bischof von Samland 1264 dem Orden zur Anlage jenes „Block-
hauses" abgetreten habe. Diese ganze Gegend am Tief habe
demnach zur Komturei Balga gehört.
Demgegenüber kommt Loch scheinbar ein wenig in Ver-
legenheit. Er muß zugeben, daß der Schluß nahe liege, daß der
die Handfeste ausstellende Komtur von Balga auch Hoheitsrechte
über den Krug auf dem Sande gehabt habe. Aber ohne große
Schwierigkeit nimmt Loch auch dieses Hindernis: Bei der
politischen Konstellation von 1410/1411 — der letzte oberste
Marschall Friedrich von Wallenrod war bei Tannenberg gefallen,
sein 1410 erwählter Nachfolger aber in polnischer Gefangen-
schaft — konnte der oberste Marschall jene Handfeste gar nicht
ausstellen, ein Pfleger von Lochstedt war wahrscheinlich auch
nicht vorhanden1), also sei der Komtur von Balga für beide
eingetreten. Diese Vermutung Lochs ist in der Tat richtig:
der Komtur von Balga, Friedrich von Zollern, war tatsächlich
nach der Schlacht bei Tannenberg zum stellvertretenden Marschall
ernannt worden. In einer Urkunde vom 11. Oktober 1410, die
abgedruckt ist bei Voigt und Schubert, Johann Lindenblatt
(Joh. von Posilge) S. 231, zeichnet der Komtur von Balga „an
des Obristen marschalls statt." Ebenso ist ein Schreiben eines
Peter von der Slawke von Soldau vom 24. September adressiert
an den Komtur von Balga „an des Marschalks-stad" 2). Dadurch
1) Loch S. 16, A. 1.
2) Vgl. Thunert, Die Schlacht bei Tannenberg, S. 40? A. 5 u. S. 42, A. 5.
Auf diese Stellen hat mich Herr Professor Dr. Schnippel aufmerksam ge-
macht, der beste Kenner jenes Zollern-Komturs und — trotz. Thunert — auch
der Schlacht bei Tannenberg.
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Von Dr. Hugo Bonk. 91
wird Loch 8 Vermutung zur Gewißheit erhoben. — Also hat der
Krug auf dem Sande ebensowenig wie die andern genannten
Orte zu Balga gehört, und Loch hat Seite 16 ff. überzeugend
nachgewiesen, daß der Krug auf dem Sande wahrscheinlich nicht
am alten, sondern „uff dem Sande bie dem Newen tyfe4i gelegen
habe, also nicht an der Stelle jener „munitio*' nördlich des alten
Tiefs. — Damit wäre die Tradition auch gegen diesen Angriff
Panzers gerettet.
Jetzt kommt aber die Probe auf das Exempel. Im Jahre 1258
schloß der Orden mit dem Bischof von Samland einen Teilver-
trag; der das Samland und die Frische Nehrung umfaßte: zwei
Drittel bekam der Orden, ein Drittel der Bischof. Die Teilung
von Witlandsort wurde nun in der Weise vorgenommen, daß
das Land längs der Küste nach Seilen (43,3 m nach Panzer
Seite 284) vermessen wurde. Nun wurde aber nicht etwa die
Gesamtsumme durch drei geteilt, sondern lauter einzelne Parzellen
gebildet, von deren jeder der Orden zwei, der Bischof einen Teil
erhielt. Dabei wird von der Balge aus nach beiden Seiten immer
die Reihenfolge II (Orden), HI (Orden), I (Bischof) eingehalten.
Folglich ließe sich die Lage der Balge ganz genau bestimmen,
wenn wir irgend einen bekannten Ausgangspunkt auftreiben
könnten. Wir haben oben gesehen, daß Panzer als solchen
Kompenkin, angeblich bei Vogelsang, ausfindig gemacht hatte,
das laut jener Vermessung 21 Seile + 5Vt Meilen = 43,898 km
westlich vom Tief gelegen hat. Und hier spielte Panzer seinen
letzten Trumpf aus: Diese Entfernung reichte von seinem
Kompenkin aus ungefähr bis zu seiner Balge am Danziger
Haken. Damit war das Lochstedter Tief beseitigt.
Aber die Vermessung ging ja auch über die Balge hinaus
ins Samland hinein. Da sind zunächst in Witlandsort 16 Seile
„a Balga in longitudinem versus salsum mare" — das kann
doch nur bedeuten vom Haff längs der Balge bis zur See. Die
Balge war also 16-43,3 = ca 700 m lang. Von hier gehen
90 Seile nordwärts nach Witlandsort hinein und weitere 90 in
den Wald Wogrim. Dieser Wald spielt für alle Beteiligten
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92 D*« Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
eine unangenehme Rolle. Denn zwischen Pillau und Neuhäuser
lag das Dorf Wogram (jetzt bei Alt-Pillau), das offenbar von
dem Wald seinen Namen bat, also wohl an diesem Wald gelegen
haben wird. Dieser letztere aber hat nach Urkunden von 1506
und 1513 (Loch S. 24) auch bei Lochsted t gelegen. Panzer,
der bei seiner Balge anfängt, kommt aber mit den zweimal
90 Seilen nur bis in die Gegend von Pillau, erreicht also nicht
Wogram und noch weniger Lochstedt. Infolge dessen hält
Panzer es für wahrscheinlich, daß der Wald, in dem die 90 Seile
gemessen wurden, noch weit darüber hinaus gereicht hat in das
Gebiet des Preußen Snutene hinein. Aber selbst wenn es ihm
gelingt, den Wald bis Wogram auszurecken, dann sind bis Loch-
stedt noch immer reichlich vier Kilometer!
Aber auch für Lochs Ansatz ist der Wald sehr unbequem.
Denn wenn er 90 Seile von Witlandsort, also Lochstedt, und
dann noch weitere 90 Seile in den Wald hineingeht, dann hat
er die Fühlung mit Lochstedt und Wogram gänzlich verloren.
Aber wo steht denn geschrieben, daß der Wald Wogrim nörd-
lich von den 90 Seilen auf Witlandsort gelegen hat? Er kann
ja ebensogut längs jener 90 Seile, also von Lochstedt an-
fangend längs des Haffs etwa bis Eosenthai gereicht haben,
so daß wir hier ausnahmsweise eine doppelte Messung haben,
nämlich längs des Strandes etwa vier Kilometer von der Balge
nordwärts, und auf der Höhe über Tenkitten hinaus.
Dabei entstehen aber zwei Schwierigkeiten: 1. Die in der
Urkunde von 1321 *) erwähnten Bernsteinfunde (cum lapide
marino, qui ibidem reperitur). Loch meint, „bei dem Abbrechen
des Ufers infolge von starken Stürmen, wie es ja an der ganzen
Samlandküste noch heute geschieht, kann sehr wohl am Fuße
des Waldufers auf dem Strande Bernstein zu Tage getreten
sein und dies mit dem Wort „ibidem" bezeichnet sein*4 (S. 25).
Und dann sucht er nachzuweisen, daß dieser Bernstein nur in
1) 1297 trat der Bisehof seinen Anteil am Walde ab und erhielt dafür
Fischhausen. Hier beschwert er sich, daß er benachteiligt sei.
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Von Dr. Hugo Bonk. 93
dieser Urkunde, und dazu noch ganz tendenziös, auftrete.
Denn in dem Tausch vertrage von 1297, der sehr eingehend von
den Produkten spreche, stehe von Bernstein kein Wort1), was
doch auffallend wäre, wenn welcher dagewesen wäre. Aber die
Darstellung der Urkunde von 1321 von Seiten des Bischofs ver-
folge ja einen tendenziösen Zweck: der Bischof will beweisen,
daß er betrogen sei, da der Wald mehr enthalte, als dort an-
gegeben sei. Dabei habe er vielleicht auch den an der Küste
liegenden Bernstein mit dem im Walde verwechselt.
Daß diese Folgerungen etwas gewaltsam und auch ihrer-
seits nicht tendenzfrei sind, ist nicht zu verkennen. Es kommt
aber noch eine zweite Schwierigkeit, die Loch übersehen zu
haben scheint.
2. In der mehrfach erwähnten Abtretungsurkunde von 1264
heißt es ausdrücklich, daß der Bischof seinen Anteil an Wit-
landsort „usque ad nemus adiacens" bis zu dem anliegenden
Walde, dem Orden abtrete. Den Wald selbst, d. h. das dem
Bischof gehörende Drittel wird dann 1297 abgetreten. Danach
scheint Panzer recht zu haben, wenn er den Wald nördlich von
den 90 Seilen ansetzt; „jene Abtretung vom Jahre 1264 bezog
sich also auf die Strecke südlich dieses Waldes bis zum Tief."
Und doch glaube ich, daß gerade diese Urkunde den besten
Beweispunkt für die Tradition enthält. Nehmen wir einmal
mit Panzer an, daß die Teilungslinien der 90 Seile in der
[Reihenfolge II, III, I— II, HI, I— II, HI, I von der See bis
zum Haff durchgezogen waren. Dann entstanden neun Streifen
quer durch die Nehrung. Nehmen wir nun ferner mit Loch
an, daß der Wald am Tief anfing, dann bestand jeder dieser neun
Streifen aus zwei natürlichen Teilen, einem Stück Küste und
einem Stück Wald. Diese beiden Teile ergaben sich ganz von
selbst, da die Küste unten, der Wald oben lag, wie noch jetzt
in der Gegend von Loohstedt. Dann brauchte gar keine doppelte
1) Das stimmt allerdings; aber er kann sehr wohl in den ,.omnibus
utilitatibus aliis in terra vel supra terram" „virtuell", wie die hebräischen
Grammatiker sagen, enthalten sein.
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94 Dr- Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Vermessung stattzufinden, und doch ergab sich ganz von selbst
eine doppelte Rechnung. Wenn nun also vor jedem Wald-
streifen des Bischofs noch eito Küstenstreifen lag, der eben-
falls dem Bischof gehörte oder dooh bis 1264 gehört hatte,
dann hat die Erwähnung des Bernsteins, der am Walde auf
dem Strande gefunden wurde, in einer Beschwerdeschrift nichts
Auffallendes. Aber auch die Abtretung des bischöflichen Anteils
bis an den Wald ist etwas ganz Natürliches, wenn jeder
Streifen aus Küste und Wald bestand: der Teil f bis zum Wald
wurde 1264, der Teil im Walde 1297 abgetreten. Und wenn
jemand einwenden wollte, daß ja die Burg auf der Haffseite
liegt und die Abtretung von 1264, die doch zu Gunsten des
Burgterrains geschah, gerade die Seeseite betraf, so erinnere
ich an die 16 quer längs der Tiefs gemessenen Seile, die doch
keine mathematische Linie, sondern eine Fläche bildeten, auf
der wohl eine Burg stehen konnte. Da diese Burg aber in
erster Linie dazu da war, das Tief zu beherrschen, „off das dy
schiffe deste siohir yn das land zcu prusin mogin kommi," so
hatte ihre Gründung nur den einen Zweck, wenn das Tief auch
wirklich dem Orden gehörte mit samt der angrenzenden
Küste. Denn bei der Reihenfolge II (Orden), III (Orden),
1 (Bischof), vom Tief aus besaß der Orden nunmehr beide Ufer
des Tiefs ganz. Für die Burg aber war ein Baum von
2 X 10 Seilen = 866,6 m und der Baum der quergemessenen
16 Seile.
Aber nun die schwierigste Frage: „Wo steht das ge-
schrieben?" Nun, in der Tauschurkunde von 1264! Da heißt
es nämlich: „Idem episcopus ut dicta munitio a nobis et nostris
fratribus in Cristianitatis subsidium construenda felicem ac
prosperum assequeretur effectum, iam dicti loci1) partem, qui
ipsum in longitudinem et latitudinem usque ad nemus
adiacens contingit nobis in veram proprietatem
contulit."8) Was heißt das: „qui ipsum in longitudinem et
1) Witlandsort.
2) Acta Bor. III. 146.
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Von Dr. Hugo Bonk. 95
latitudinem usque ad nemus adiacens contingit", wenn damit
nur ein Stüok vom Tief bis zum Walde gemeint war? Vor
allem, was heißt: „ipsum?" Ich fasse die Stelle so auf: „Der
Bischof tritt das Stüok, welches in der Längs- und Querrichtung
bis an den angrenzenden Wald an sein Gebiet (ipsum) reicht,
ab" — das sind die 16 Seile quer am Tief und die dreimal
zehn Seile, welche der Länge nach an sein Gebiet (im Walde)
heranreichen, d. h. die drei Seestreifen bis zum Walde, während
er die drei Waldstreifen selbst noch behält.
So scheinen mir auch diese Schwierigkeiten bezüglich des
Waldes Wogrim gelöst. Ob derselbe noch über das Tief hinaus
bis Wogram gereicht hat, wie Loch will (um den Namen zu
rechtfertigen), oder nicht, ist ziemlich gleichgültig: ich kann
wenigstens keinen zwingenden Grund dafür sehen, daß das Dorf
Wogram durchaus dicht am Walde Wogrim gelegen haben muß,
ebensowenig wie der Name Balga für die Lage der Balge be-
stimmend sein mußte1).
Mit Lochs Bestimmung der alten Balge, die Panzer
gegen alle Tradition sich am Danziger Haken konstruiert hat,
bin ich umsomehr einverstanden, als die Gründe, die er mir
auf der gemeinsamen Wanderung über die Nehrung 1902 an
Ort und Stelle vortrug, mich damals schon überzeugt haben.
— Zum Schluß setzt Loch dem Treffer Panzers noch einen ähn-
lichen eigenen entgegen, der nicht weniger verblüffend ist, nur
daß wir es hier nicht mit einem Rechenkunststück, sondern mit
einer auf Tradition gestützten Tatsache zu tun haben: die
21 Seile + 51/* Meilen zwischen dem Tief und Kampen kin
reichen von Lochstedt gerade bis Schmergrube — das sei
das wahre Kompenkin — und 104 Seile westlich davon liege
auch die Stelle des von der Teilungsurkunde hier voraus-
gesetzten Tief 8, das sogenannte Kalenberger Tief, west-
lich vom Kamelsrücken, und von hier 52 Seile weiter auch
1) Loch S. 19. — Vgl. übrigens meine Ausführungen Altpr. Mon. XXX
(1893) S. 342.
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96 Dr. Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit.
Liep — ganz wie es in dem Teilvertrage vorausgesetzt
wird.
Also auch hier steht Loob auf dem Boden der Tradition.
Und gerade dieser Umstand ist es, der seiner überaus exakten,
bis ins kleinste genau durcbdacbten und fein pointierten Arbeit
ein großes Übergewicht über die nicht minder sorgfältige und
scharfsinnige Untersuchung Panzers verschafft. Das Lochstedter
Tief, an dem schon die alten Preußen 1252 eine Burg
hatten, scheint mir nunmehr historisch gesichert zu sein, und
ich kann nicht umhin, zum Schluß meiner Freude darüber
Ausdruck zu geben, daß dieser „Zersetzungsprozeß44 der Tradition
mißlungen ist, ein Schicksal, das allen Zersetzungsversuchen der
destruktiven Geschichtsforschung zu wünschen wäre.
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Insula inferior.
Von
Max Urahns,
Branddirektor in Königsberg i. Pr.
Mit einer Karte.
Im Hauptprivilegium der Stadt Königsberg von 1286 wird
derselben auch die „insula inferior proxima civitati" verliehen.
Wo diese Insel gelegen hat, ist nicht bekannt. Faber1) sagt:
„es müssen seit der Zeit dieser Verschreibung Veränderungen
eingetreten sein, die es unmöglich machen, über die Lage dieser
„untersten Insel" eine Erklärung zu geben"; Armstedt2) meint, es
sei „vielleicht die Insel, auf der jetzt die Friedrichsburg steht".
Nach meiner Meinung birgt des Eätsels Lösung die sogenannte
Teilungsurkunde des Bistums Samland vom Jahre 1258" 8). Dort
wird auch eine „insula ex transverso civitatis" gedrittelt. Toppen4)
und mit ihm "Woelky und Mendthal glauben, diese Insel sei die
in Hennenbergers Preußischer Landtafel gezeichnete „Ankerinsel",
welche einst ein Pregeldelta an der Haffmündung bildete und
heute die Halbinsel am südlichen Mündungsufer des Pregels ist.
Diese Anschauung ist indessen mit guten Gründen bestritten
worden, und nur darüber sind die Gegner einig, daß die in der
Urkunde erwähnte „civitas" die damalige Stadt Königsberg ist.
Letztere Annahme darf daher als unbedingt richtig gelten und
ist Ausgangspunkt der nachstehenden Betrachtungen.
1) Die Haupt- und Residenzstadt Königsberg S. 177.
2) Geschichte der Stadt Königsberg 8. 22.
3) Gedruckt: Urkundenbuch des Bistums Samland von Woelky und
Mendthal. I. n. 58.
4) Neue preuß. Provinz.-Bl. X. 1880. S. 17G.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 1 u. 2. 7
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9g Insula inferior.
1. Jene civitas lag im Jahre 1258 nach Dusburg1) „in
monte juxta castrum Kunigsbergk", die „Ankerinsel" begann
unterhalb Contienen (vergl. Hennenbergers Landtafel), civitas
und insula waren also mindestens 5000 Meter von einander ent-
fernt, und ganz undenkbar ist es, daß man diesen großen Ab-
stand noch unter den Begriff „ex transverso civitatis, schräg
gegenüber der Stadt" gebraoht hat. Es kann daher die „Anker-
insel" nicht die „insula ex transverso civitatis" gewesen sein.
2. Von der Insula „ex transverso" erhielten: Der Bischof
als sein Drittel (una tercia pars, pars illa que pertinet ad Eryno)
„decem et novem funiculi in inferiori parte ejusdem insule" ; der
Orden als sein' erstes Drittel (una tercia pars, pars quae pertinet
ad Lowke) „decem et ooto funiculi in superiori parte"; und
wiederum der Orden als sein zweites Drittel (una tercia pars,
pars quae pertinet ad Welowe) „decem et octo funiculi proximi
post decem et octo f uniculos ejusdem insule pertinentes ad Lowke".
Die Insel war also 19 + 2 • 18 = 55 Seile oder 55 • 43,33 Meter2)
= rund 2400 Meter lang und kann daher auch nicht die „Insel
Friedrichsburg" , welche nur 300 Meter lang ist, gewesen sein.
3. "Wenn die beiden Pregelinseln, auf welchen heute
a) der Kneiphof,
b) das Lomsen viertel (Lindenmarkt, Weidendamm etc.)
erbaut sind, schon im Jahre 1258 bestanden, so haben sie damals
dieselbe Ausdehnung wie heute gehabt, denn von Veränderungen
an ihnen ist niemals etwas verlautbart. Und da sie 500 Meter
bezw. 9000 Meter lang sind, so kann auch keine von ihnen die
2400 Meter lange „insula ex transverso" gewesen sein.
4. Im Jahre 1286 hat es drei Pregelinseln gegeben. Sie
werden im Hauptprivileg der Altstadt-Königsberg8) benannt:
1) Gedruckt: Scriptoris rerum prussicarum I. S. 107.
2) Loch, das Lochstädter Tief in historischer Zeit Seite 22 rechnet
90 Seile = 3,9 Kilometer; Panzer, Altpreuß. Monatsschr. 1889 S. 284 rechnet
715Va Se&e = 31 Kilometer; also ist 1 Seil = 43,33 bezw. 43,32 Meter.
3) Rathausliches Archiv Nr. 2; Gedruckt: Erläutertes Preußen Tom. II.
cap. XXII. § 2.
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Von Max Bruhnt*. 99
a) insula superior que major dicitur,
b) insula inferior proxima civitati,
c) insula, in medio sita, que advocati insula dicitur,
und es wird festgesetzt „quod tempore guerre omnes insule
predicte communes esse debent, tarn fratribus et eorum hominibus,
quam incolis civitatis."
Diese Bestimmung, die gemeinsame Benutzung durch Kitter
und Bürger in Kriegszeiten, bat nur dann einen Sinn, wenn alle
drei Inseln dicht nebeneinander und in größter Nähe von Burg
und Stadt gelegen haben. Da nun feststehende Tatsache ist,
daß die „insula superior" und die „insula in medio" die heutigen
Lomseninsel bezw. die Kneiphöfsche Insel (vergl. 3) sind, so ist
es ganz ausgeschlossen, daß die insula inferior etwa die „Anker-
insel4* oder die „Insel Friedrichsburg" gewesen ist, denn zwischen
ihnen und Stadt oder Burg bezw. der insula in medio liegen
Landstrecken von 5000 bezw. 1000 Meter.
5. Im Jahre 1263 ist beurkundet:1) Sabiensis episcopus
insuper terciam partem „minoris insule" magistro hospitalis
sancte Marie confert in perpetuum libere possidenda. Als un-
zweifelhaft gilt allgemein, daß diese „insula minor" dieselbe
Insel ist, welche im Jahre 1258 geteilt worden ist, daß der
Bischof das im Jahre 1258 erhaltene Drittel der insula ex trans-
verso im Jahre 1263 dem Orden wieder zurückgegeben hat.
„Insula ex transverso" und „insula minor" sind also nur verschiedene
Bezeichnungen für eine und dieselbe Pregelinsel.
6. Die insula superior entspricht der insula inferior und
ist vor 1286 insula major genannt worden (vergl. 4). Es ist
daher mindestens sehr wahrscheinlich, daß man die „insula in-
ferior" vor 1286 insula minor genannt hat. "Wenn das der Fall
gewesen ist, dann ist die „insula inferior" = „insula minor" =
„insula ex transverso", 2400 Meter lang und unmittelbar unterhalb
der insula in medio, der heutigen Kneiphof insel , gelegen ge-
wesen, denn die insula in medio kann doch nur unmittelbar
1) Urkunden buch Woelkv und Mendthal n. 77.
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100 Insula inferior.
zwischen der insula superior und der insula inferior sich be-
funden haben.
7. Die insula inferior ist heute ebensowenig vorhanden wie
die insula ex transversa Wenn daher beide Bezeichnungen
nicht einer und derselben Insel gegolten haben, so müssen im
Laufe von höchstens drei Jahrhunderten zwei bedeutende Pregel-
inseln aus der Nähe Königsbergs verschwunden sein. Das ist
aber höchst unwahrscheinlich und daher wird die hohe Wahr-
scheinlichkeit, daß es für eine Insel zwei bezw. drei verschiedene
Bezeichnungen gegeben hat, daß diese Insel zuletzt insula inferior
genannt worden und 2400 Meter lang gewesen ist (vergl. 6),
zur Gewißheit.
8. Eine Flußinsel kann nur verschwinden, wenn sie fort-
geschwemmt bezw. gebaggert wird, oder wenn sie mit einem
gegenüber liegenden Ufer verwächst, versandet, verschlammt,
sich vereinigt. Ersteres ist im vorliegenden Fall unmöglich, da
es sich um den langsam fliessenden aber tiefen Pregel und eine
Insel von 2400 Meter Länge handelt. Es bleibt also nur übrig,
daß die insula inferior im Ufergelände aufgegangen ist, und da
sie dicht unterhalb der Kneiphofinsel begonnen hat (vergl. 4),
so kann sie heute, das zeigt ein Blick auf die Karte, nicht im
südlichen, sondern nur im nördlichen Pregelufer enthalten sein
und muß im Osten mit der heutigen Lastadie begonnen haben.
9. Ihr westliches Ende war rund 2400 Meter vom Hunde-
gatt entfernt, und genau in dieser Entfernung mündet dort heute
das „Hufenfreiwasser", welches, in die Pregelniederung von
Norden nach Süden hereinfliessend, etwa 600 Meter vor seiner
Mündung eine scharfe, durch örtliche Verhältnisse nicht be-
dingte Biegung nach Südwesten macht. Es liegt nahe, in diesem
letzten Teile des heutigen Hufenbachs den Best des nicht mehr
vorhandenen Pregelarms zu erblicken, welcher die verschwundene
insula inferior im Norden begrenzte, zumal diese Annahme die
oben erwähnte merkwürdige scharfe Biegung erklärt. Ursprünglich
wird der Hufenbach rechtwinklich in den von Osten nach Westen
ziehenden Pregel geflossen sein, dann ist der östlich von diesem
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Von Max Bruhns. 101
Vereinigungspunkt liegende Pregelarm allmählich eingegangen
und nur sein westlicher 600 Meter langer Teil vor der Mündung
übrig geblieben. Dieser ist damit zur heutigen Fortsetzung des
Hufenbachs geworden.
10. Die Anfangsstrecke des verschwundenen Pregelarms
war wahrscheinlich die gerade Fortsetzung des altstädtischen
Pregelarms zwischen Krämer- und Schmiedebrücke, sie muß im
Hundegatt und kann daher nur dort begonnen haben, wo auf dem
Braunschen Plan von 1544 das Lastadientor ähnlich dem be-
festigten Kopf einer Brücke dargestellt ist. Zwar führt diese
Brücke nicht über einen Pregelarm, sondern über einen breiten
Stadtgraben, allein es ist durch nichts erwiesen, daß dieser älter
ist als die Brücke, deren erste Anlage ganz anders ausgesehen
haben kann.
11. Wenn die Brücke älter war als der Stadtgraben, dann
muß sie über einen Pregelarm geführt haben, denn wie in anderen
Ordensstädten, so legte man auch bei der Gründung der drei
Städte Königsberg die Plätze für die großen Handelsanstalten,
die sogenannten Lastadien, nicht in der Stadt selbst an, sondern
außerhalb der Stadtmauern und zwar so, daß zwischen Lastadie
und Stadt sich der Pregel befand. Das geschah nicht etwa
wegen Mangel an Baum innerhalb der Stadtmauern, sondern aus
Furcht vor Feuersgefahr, vor der starken Glut und dem mächtigen
Flugfeuer, die den vollen Speichern, den Kornhäusern, Heu-
scheunen, Holzplätzen u. d. m. entsteigen konnten. Das primitive
Feuerlöschwesen der damaligen Zeit war jedem größeren Brande
gegenüber machtlos und bestand fast nur darin, daß man die
Nachbarschaft des Brandobjekts niederriß, um Lücken zu schaffen,
welche das Feuer nicht überspringen konnte. "Wo es anging
sorgte man für solche freien Landstrecken schon vor der Be-
bauung, und gegenüber dem gewaltigen Brennstoff der Lastadien
schützte man sich sogar durch breite "Wasserflächen, die wegen
des Verkehrs mit der Mutterstadt überbrückt wurden. So sieht
man auf dem Braunschen bezw. Behringschen Plan von 1544
bezw. 1613 zwischen der Stadt Löbenicht und deren Lastadie,
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102 Insula inferior.
den heutigen Löbenichtscben Speichern, einen breiten Wasser-
graben mit Brücke, so erhielt die auf der insula advocati erbaute
Stadt Pregelmünde im Jahre 1339 „pro Lastadia unum spatium
continens longitudinem quatuor funiculorum et duarum virgarum
mensuralium latitudinem vero continens trium funiculorum
perpetuo possidendum. Idem vero spatium seu Lastadia sita
est inmediate circa pontem constructum sicut itur ad Sanctum
Georgium a dextris 1). Diese Lastadie war also etwa neun Morgen
groß und durch die heutige grüne Brücke mit ihrer Stadt ver-
bunden.
12. Auch die Altstadt erhielt bei ihrer Gründung eine
Lastadie. Im Hauptprivileg von Altstadt -Königsberg im Jahre
1286 2) behält der Orden sich zwar „eam insulam, in medio
sitam, que advocati insula dicitar" vor, erlaubt indessen „fenum,
ligna in ea reponi et granaria in litore locati a civibus seu
incolis civitatis". Die Brücke von der Stadt nach der Lastadie,
die heutige Krämerbrücke, bestand schon, denn man begann
Landmessungen „a ponte Kunigesberch". Diese unsichere Ver-
leihung einer Lastadie auf fremdem Terrain ist zunächst un-
verständlich, denn Inselgestade, welche nahe der Stadt lagen,
hatten die Altstädter ja durch das Hauptprivileg von 1286 als
freies Eigentum erhalten, nämlich die insula superior im unteren
Teile und die insula inferior ganz. Verständlich wird die Be-
stimmung aber, wenn man erwägt, daß damals die Altstadt sich
nur von der Krämerbrücke bis zur Holzbrücke erstreckte8). Bei
dieser Lage waren jene beiden Inseln als Lastadie zu unbequem,
denn um nach der insula superior zu gelangen, mußten die
Schiffe erst die Krämerbrücke passieren, und zwischen der insula
inferior und der Stadt lag das breite noch dem Orden gehörige
Stück Land zwischen Krämerbrücke und der heutigen Bauhofs-
gasse. Mit der, wenn auch nur auf Widerruf erfolgenden Über-
weisung des östlichen Hundegattufers (der heutige Kai) zur
1) Stadtarchiv in Königsberg Nr. 19.
2) Erl. Preußen Tom. II. cap. XXII. § 2.
3) Vergl. Beckherrn, Über die Danzker Altpr. Monatsschr. XXV.
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Von Max ßruhns. 103
Lastadie, machten daher die Altstädter zunächst ein sehr gutes
Geschäft. Als aber im Jahre 1327 auf der insula in medio die
dritte Stadt gegründet wurde, mußten sie weichen, mußten das
Land, welches sie 41 Jahre lang wie ein beneidetes Eigentum
benutzt hatten, ihren Handelsrivalen abtreten, und es ist wohl
begreiflich, wenn die darauf erbaute Stadt von deren Bürgern
„abusive Knipabe appellabatur"1), in höhnischem Jubel, das
überaus wertvolle Terrain den Gegnern abgekniffen, abgeknöpft
zu haben.
13. Von der insula in medio vertrieben, mußten die Alt-
städter notgedrungen ihre Lastadie auf der insula inferior ein-
richten, denn die insula superior war für den Schiffsverkehr
noch ungünstiger als früher geworden, weil 1322 eine zweite
Brücke, die „Thumbrücke" wenn auch mit der Bedingung „ut
sub illo ponte quaelibet naves et, quaelibet lignorum oongeries
sine impedimento valeant pertransire" *) erbaut worden war.
Daß übrigens in jener Zeit die Lastadie der Altstadt sich
an ihrer heutigen Stelle, also auf der insula inferior befunden
und mit dem südlichen Teil der Stadt nicht in unmittelbarer
Verbindung gestanden hat, bestätigt eine Altstädtische Urkunde
von 1339, wonach „reliqua vero pars civitatis extendentis se
versus Prigorum, seu puerorum, simul cum aliis clericulis hominum
in Lastadia residencium scolas majoris ecolesie frequentabunt" •).
Denn wenn die Lastadie von der Altstadt nicht durch ein
Wasser getrennt gewesen wäre, dann hätte man sie gewiß nicht
besonders durch „simul" hervorgehoben, und da bis an jene
Stelle damals die Stadt noch nicht gereicht hat (vergl. 12 und 15),
es dort also auch einen Stadtgraben noch nicht gegeben haben
kann, so muß dort ein Pregelarm vorhanden gewesen sein.
14. Mit der Verlegung der Altstädter Lastadie nach der
insula inferior muß daher der Bau einer Pregelbrücke nach dem
Festlande Hand in Hand gegangen sein, und diese Brücke kann
1) Urkunde von 1333. Gebser S. 89.
2) Urkunde von 1322. Gebser S. 76.
3) Urkunde von 1339. Gebser S. 93.
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1Q4 Insuia inferior.
nur an der erwähnten, im Braunsehen Plan angegebenen Stelle
(vergl. 11) gestanden haben, denn dort war die nächste Ver-
bindung zwischen Stadt und Lastadie.
Natürlich sperrte bezw. beschränkte aber die Brücke die
Durchfahrt von Schiffen, also überhaupt die Schiffahrt im Norden
der insuia inferior, und so ging fortan der Haupt-Schiffsverkehr
im Süden derselben bis zum Hundegatt, wo er sich in den
beiden Lastadien der Altstädter und Kneiphöfer konzentrierte.
15. Es liegt nach Vorstehendem auf der Hand, daß für
die Altstädter ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihrer
Lastadie und ihrer Stadt stetig Wunsch und Ziel gewesen sein
muß; und daß, als endlich in den Jahren 1370 bis 13741) den
Altstädtern ein Stück Land unmittelbar vor ihrer Stadtbefestigung
als Eigentum verliehen wurde, es sich dabei nur um das zwischen
Stadt und Lastadie gelegene Terrain gehandelt haben kann2).
Wie ungemein wichtig diese Angelegenheit für die Altstädter
war, erhellt übrigens daraus, daß sie gleich nach der Schenkung
vor diesen „ruym busin den planckin die muyr unde toyr
legin"8), also ihre Stadtbefestigungen vorschieben.
Den dazu gehörigen nassen Graben stellte man her, indem
man vor der neuen Stadtmauer im Norden den alten, nunmehr
entbehrlich gewordenen Spülgraben des Danzkers vorbeiführte,
und daran anschließend im Westen ein breites, vom Pregel ab-
zweigendes bis an den Bergabhang reichendes Wasserbassin in
das Land hineingrub, wie es die Stadt Löbenicht schon besaß.
(Vergl. den Braunschen Plan.)
16. Vor dem Westtor der so erweiterten Altstadt erstreckt
sich heute in einem langen schmalen Streifen die „Laak". Dieser
Ausdruck ist uralt und bedeutet ein „Feld"4), aber die aller-
nächste Nachbarschaft der Laak trägt schon in ältester Zeit, als
sie noch garnicht bebaut war, andere Namen: im Norden finden
1) Perlbach -Quellen n. 9. Anmerkung.
2) Vergl. Beckherrn, Über die Danzker Altpr. Monatsschr. XXV. S. 256.
3) Urkunde von 1375. Stadtarchiv Königsberg n. 28.
4; Preuß. Ortsnamen von R. T. Altpr. Monatsschr. XVIII. S. 44.
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Von Max Bruhiw. 105
sich der Oberrollberg und Butterberg, im Süden die Lastadie,
die Reiferbahnen und die Lizentwiesen. Eine Erklärung für
diese auffallend enge seitliche Begrenzung der Laak durch
andere Namen bringt nur die Annahme, daß einst die Laak so
nahe wie im Norden durch den steilen Bergabhang, so nahe
auch im Süden durch einen Pregelarm begrenzt gewesen ist.
Als sie dann durch die Stadtbefestigung auch noch im Osten
vom Verkehr abgeschnitten wurde, da war sie wirtschaftlich so
schwer nutzbar, daß man ihr Luft machte, indem man den
trennenden, überflüssig gewordenen Pregelarm künstlich ver-
füllte bezw. auf natürlichem Wege verschlammen und verwachsen
ließ. Nach Verlauf von 150 Jahren war er und mit ihm die
insula inferior verschwunden.
17. "Wenn ein breiter Wasserlauf verfüllt wird, so werden
in der Regel wohl die festen Ufer zu neuen Straßen. Hiernach
kann man annehmen, daß der Anfang des verschwundenen
Pregelarms das heutige bebaute Terrain zwischen Vogel- und
Reifschlägerstraße gewesen ist, zumal dessen Verlängerung die
alten Reif schlägerbahnen sind, und gerade solche leichten An-
lagen sich zur wirtschaftlichen Ausnutzung verfüllter Wasser-
läufe ganz besonders eignen.
Die im Braunschen Plan gezeichneten, die südliche Grenze
iener Reiferbahnen bildenden breiten Gräben dürften Reste des
einstigen, von der Laak aus zugeschütteten Pregels sein; denn
es ist sehr wahrscheinlich, daß in diesen unbebauten aber wirt-
schaftlich benutzten Wiesen sich die Hauptgräben Jahrhunderte
hindurch nicht geändert haben. Ihre Fortsetzungen nach Westen
zeigt der Müllersche Stadtplan von 1815, und die dort be-
zeichneten Gräben führen auf den bereits erwähnten untersten
Lauf des Hufenfreiwassers. Damit ist ohne jeden Zwang
eine Linie gefunden, welche wohl der Richtung des
verschwundenen Pregelarms entsprechen kann.
18. Daß diese Linie in gewissem Maße richtig ist, scheinen
die Tiefbohrungen, welche im fraglichen Terrain vorgenommen
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106 Insula inferior.
worden sind, zu bestätigen. Es fand sich1) der gewachsene
Boden:
a) Lizentstraße, Ecke Lizentgrabenstraße — wo einst ein
tiefer Graben bestimmt vorhanden gewesen ist —
nach einer vier Meter mächtigen Schicht von auf-
gefülltem Boden und braunem Schluff;
b) Bauhofsstraße — wo einst der Stadtgraben bestimmt
vorhanden gewesen ist — nach einer drei Meter
mächtigen Schicht von Ziegelschutt;
c) Vogelstraße — also im supponierten Pregelbett —
nach einer fünf Meter mächtigen Schicht von auf-
gefülltem Boden;
d) Neuer Graben, Ecke Vogelstraße — also im sup-
ponierten Pregelbett — nach einer fünf Meter mäch-
tigen Schicht von aufgefülltem Boden und braunem
Schluff;
e) Neue Reiferbahn, Ecke Lizentgrabenstraße — also in
Ufernähe des supponierten Pregelbetts — nach einer
zwei Meter mächtigen Schicht von aufgefülltem Boden ;
f) Alter Graben am Übergang der Bahn und Neue Gas-
anstalt — wo bis dahin immer nur Wiesenterrain ge-
wesen ist und daher das supponierte Pregelbett auf
natürlichem Wege zugewachsen sein dürfte — schon
an der Oberfläche.
19. Auf der anliegenden Höhenkarte, welche nach dem
Müllerschen Plan und heutigen Aufmessungen der städtischen
Bauverwaltung gezeichnet wurde, ist die nach Vorstehendem
ermittelte insula inferior eingetragen, und in dieser Form, aus
welcher der unnatürliche Knick unterhalb der Krämerbrücke
verschwunden ist, entspricht der ganze Lauf des Samländischen
Pregels auch durchaus der natürlichen Gestaltung seines Nordufers.
1) Journal für Tiefbohrungen der Pumpenfabrik von E. Bieske, hier,
die klassische, große und fast alleinige Quelle für alle solche geologischen
Ermittelungen amtlicher und wissenschaftlicher Art.
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Von Max Bruhns. 107
Störend ist nur, daß die bei Kosse supponierte Pregel-
mändung ein Ufer gegenüber hat, während dort, an der Ver-
einigung der beiden Pregelarme, sich freies tiefes Wasser be-
finden müßte. Allein dafür giebt es eine einfache Erklärung.
Ursprünglich wird nämlich bei Kosse solch ein Flußbett vor-
handen gewesen sein. Als aber nach der Coupierung des nörd-
lichen Pregelarms am Hundegatt der südliche Arm die doppelte
Wassermenge abführen mußte und an der früheren Spitze der
insnla inferior durch keine Gegenströmung mehr aufgehalten
wurde; da hemmte ihn das rechte Pregelufer, und nun spülte
er aus demselben die heutige Bucht bei der Walzmühle und
dem Petroleumlager in Jahrhundert-Arbeit aus. Zugleich aber
lagerte er auf dem linken Ufer seine Sinkstoffe ab und schuf
so die dort vorspringende Bank. Um das zum Ausdruck zu
bringen, sind auf der anliegenden Karte die einstigen Uferlinien
der fraglichen Stelle punktiert.
Sonstige Tatsachen, die den vorstehenden Ausführungen
über die Lage der ^insula inferior" mit Erfolg entgegengestellt
werden könnten, sind mir nicht bekannt und ich hoffe daher,
recht zu haben. Das zu behaupten unterfange ich mich aber
nicht.
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Kants gesammelte Schriften.
Akademieausgabe.
Band in.
Die Kritik der reinen Vernunft. (1787.)
Von
Otto SchondSrlTer.
Der dritte Band der von der Königl. Preußischen Akademie
der Wissenschaften herausgegebenen Werke Kants legt seinem
Rezensenten keine angenehme Aufgabe auf. Mußte schon bei
den früher erschienenen Bänden mehrfach auf die wenig an-
gemessene äußere Ausstattung dieser monumental angelegten
Ausgabe hingewiesen werden, so konnte doch alles übrige im
wesentlichen gebilligt und anerkannt werden. Ja, die zuerst
veröffentlichten Bände, die den Briefwechsel enthielten, brachten
jedem Freunde Kants so viel Neues und Schönes, daß das ganze
Unternehmen, allein dieser Bände wegen, für immer seinen
Wert behalten wird. Der vorliegende dritte Band aber, der die
Kritik der reinen Vernunft in der Fassung der zweiten Ausgabe
enthält, bietet Bemerkungen und Textänderungeh, die m. E. grund-
legenden und elementaren Ansichten der Kantischen Philosophie
widersprechen, so daß man sich verwundert fragt, wie wohl der
Herausgeber, es ist Benno Erdmann, dazu gekommen sein mag,
und wie es möglich war, daß die Kantkommission der Königl.
Preußischen Akademie der Wissenschaften dergleichen hat auf-
nehmen und zulassen können. Und das erstere ist um so merk-
würdiger, als im Gegensatz dazu andere Bemerkungen und Text-
veränderungen von des Herausgebers Scharfsinn zeugen.
Dazu kommt noch ein anderer, allerdings lange nicht so
schwerwiegender Mangel und ein nur scheinbarer Widerspruch:
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Von Otto Schöndörffer. 109
einerseits beweist die neue Ausgabe der Kritik einen enormen
Fleiß, große Arbeitskraft und in gewisser Beziehung peinliche
Sorgfalt. Sind doch z. B. nicht nur die verschiedenen Lesarten
der einzelnen Ausgaben zusammengestellt, sondern es ist auch
jede Abweichung im Druck, ob ein Wort gesperrt gesetzt ist
oder nicht, angegeben. Es muß das eine sehr große und sehr
mühsame Arbeit gewesen sein, die sicherlich nicht wertlos ist.
Daneben aber ist die Zahl der Druckfehler und Versehen, die
diese Ausgabe enthält, nicht gering; wobei noch zu bemerken
ist, daß ich nur selten die Texte der verschiedenen Ausgaben
mit einander verglichen habe, mir also sicher vieles derartiges
entgangen ist.
Ich bin mir der Schwere der eben erhobenen Vorwürfe
wohl bewußt, glaube sie aber im folgenden rechtfertigen zu
können.
Ich bespreche zunächst solche Bemerkungen und Text-
veränderungen, die meines Erachtens ein Mißverstehen grund-
legender Gedanken der Kritik der reinen Vernunft beweisen.
Einige Bemerkungen zu Kants Begriff des Apriori.
S. 28 f. heißt es in der Kritik: „Erfahrung lehrt uns zwar,
daß etwas so oder so beschaffen sei, aber nicht, daß es nicht
anders sein könne. Findet sich also erstlich ein Satz, der zu-
gleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, so ist er ein
Urteil a priori; ist er überdem auch von keinem abgeleitet, als
der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist, so ist
er schlechterdings a priori".
Dazu bemerkt der Herausgeber in den sachlichen Er-
läuterungen S. 585: „Der überlieferte deduktive Sinn des a priori
bleibt bei Kant, trotz der einleitenden Erklärung über die neue,
kritische Bedeutung der Erkenntnis a priori bestehen, und nicht
nur in der durchgängigen Apriorität der analytischen Urteile,
also auch derer mit empirischem Subjekt, sondern auch sonst
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HO Kants gesammelte Schriften.
vielfach, z. B. in den Erörterungen „Von dem reinen Gebrauche
der Vernunft" (S. 241 f.) und in der Darlegung über den
„scientifisohen Vernunftbegriff" und dessen Schema (Archi-
tektonik S. 538 f.). Der Satz: „findet sich — Urteil a priori"
muß also auf das deduktive oder analytische Apriori mitbezogen
werden. Die Worte 29, i („ist er überdem — schlechterdings
a priori il) gehen, wie auch das „schlechterdings" hier wie Z. 9
bezeugt, auf das kritische Apriori. Die Ungenauigkeit, daß
damit die Grundsätze ausgeschlossen werden, läßt sich nicht
heben".
Diese Behauptungen halte ich für verworren und falsch.
Wären sie richtig, so würden sie das ganze Fundament der
Kritik zerstören oder — was im Grunde dasselbe bedeutet —
mindestens unsicher machen.
Nachdem Kant mit Nachdruck erklärt hat, er werde, im
Gegensatz zu allen früheren Philosophen, „unter Erkenntnissen
a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern
die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden",
kann er unmöglich ein paar Zeilen später bei der Angabe der
Merkmale eines apriorischen Urteils wieder das überlieferte
deduktive Apriori mit einschließen. Allerdings unterscheidet er
in den zitierten Worten zwei Arten des Apriori. Der Unter-
schied aber, den er hier im Sinne hat und durch „schlechter-
dings" andeutet, kann m. E. nur derselbe sein, den er kurz
vorher durch den Zusatz des Wortes „rein" bezeichnet hat
(28, 23 ff.): *) „Von den Erfahrungen a priori heißen aber die-
jenigen rein, denen garnichts empirisches beigemischt ist. So
ist z. B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein
Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff
ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann."2)
1) Die Zitate beziehen eich, wenn weiter nichts bemerkt ist, auf die
Akademieausgabe, und zwar zunächst auf den besprochenen dritten Band.
2) Auf der nächsten Seite sagt Kant (29, 23 ff.) : „daß es nun dergleichen
notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori
im menschlichen Erkenntnis wirklich gebe, ist leicht zu zeigen ; will
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Von Otto Schöndörffer. \\\
Jedenfalls aber gehören die Beispiele, die B. Erdmann in
der von mir vorher angeführten Erläuterung für das überlieferte
deduktive Apriori gibt, m. E. dem kritischen Apriori an. Diese
Frage ist jedoch so wichtig und so grundlegend für Kants
theoretische Philosophie, daß ich sie nicht mit ein paar Worten
abtun kann.
Apriori heißt bei Kant alles das, was das denkende Be-
wußtsein als notwendige und allgemeingültige Erkenntnis-
prinzipien aus sich erzeugt; oder, wie Kant selbst]sich (HI, 27, i8f.)
ausdrückt: „das, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch
sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt".
Man könnte auch sagen: a priori ist alles das, was zu der
Konstitution des entwickelten mensohlichen Geistes wesentlich
gehört, was sie ausmacht und lediglich aus ihr stammt. Nur
muß man sich dann unter „Konstitution des Geistes', nicht
„subjektive, uns mit unserer Existenz zugleich eingepflanzte
Anlagen zum Denken" vorstellen, „die von unserm Urheber so
eingerichtet worden, daß ihr Gebrauch mit den Gesetzen der
Natur, an welchen die Erfahrung fortläuft, genau stimmte (eine
Art von Präformationssystem der reinen Vernunft)". Davor
warnt Kant ausdrücklich (S. 128 f.), weil „in solchem Falle den
Kategorien die Notwendigkeit mangeln würde, die ihrem Be-
griffe wesentlich angehört". Sondern man muß sich dessen be-
wußt bleiben, daß Subjekt und Objekt bei Kant Wechselbegriffe
sind, „daß innere Erfahrung überhaupt nur durch äußere Er-
fahrung überhaupt möglich sei" (S. 193, 20 f.), daß „die Realität
des äußeren Sinnes mit der des inneren zur Möglichkeit einer
Erfahrung überhaupt notwendig verbunden" sein müsse (S. 24,
25 ff.) oder daß die Konstitution des menschlichen Geistes hier
nicht in individuellem Sinne zu verstehen ist, sondern als Be-
wußtsein überhaupt, das nur zustande kommt — wie nicht auf
man ein Beispiel aus dem gemeinsten Verstandegebrauche, so kann der Satz
daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse, dazu dienen Ob
hier ein Widerspruch vorliegt oder nicht, kann ich dahingestellt sein lassen;
B. Erdmann bemerkt nichts dazu.
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112 Kante gesammelte Schriften.
dem Wege der Psychologie, sondern a priori aus dem Begriff
der Möglichkeit der Erfahrung dargetan wird — als andere
Seite, so zu sagen, der Außenwelt.
Doch dies kann und darf hier nur angedeutet werden.
Hier genügt es zu definieren: a priori heifit bei Kant auf
theoretischem Gebiet alles das, was unser eigenes Erkenntnis-
vermögen aus sich selbst hergibt. Es gibt aber aus sich her die
bloße Form unserer Erkenntnis, d. h.: 1. die Formen der reinen
Anschauung, Kaum und Zeit, 2. die reinen Verstandesbegriffe
oder Kategorien und 3. die Ideen, die aber nur regulative Be-
deutung haben.
Alles, was aus dieser Form des Erkenntnisvermögens
stammt, heißt a priori deshalb, weil es unabhängig von aller
Erfahrung ist — mag es immerhin vor der Erfahrung nur latent,
virtuell, dvvdpei, nur als „Keim und Anlage" (84, 9) vorhanden
sein — und weil bei schon entwickeltem Erkenntnisvermögen
alles das in dem Erkenntnis, was an ihm bloße Form ist (aber
auch nur dieses) a priori, d. h. vor aller Erfahrung kann er-
kannt werden.
Wie grundverschieden ist dieses Apriori von dem über-
lieferten deduktiven Apriori! Kant macht auf diesen grund-
legenden Unterschied selbst nachdrücklich aufmerksam. „Man
muß gestehen", sagt er III, 545, „daß die Unterscheidung der
zwei Elemente unserer Erkenntnis, deren die einen völlig
a priori in unserer Gewalt sind, die arideren nur a posteriori
aus der Erfahrung genommen werden können, selbst bei Denkern
von Gewerbe nur sehr undeutlich blieb". Bei den früheren
Philosophen handelt es sich bei der Unterscheidung vou a priori
und a posteriori um den bloßen Grad der Unterordnung (ibid.)
bei Kant dagegen „um die gänzliche Ungleichartigkeit und
Verschiedenheit des Ursprungs0.
Apriorische Urteile im Kantischen Sinne sind demnach
erstens diejenigen, in denen nur apriorische Begriffe vorkommen,
mögen diese Sätze nun analytisch sein oder synthetisch, wie
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Von Otto Schöndörffer. U3
in der Mathematik. Die letzteren sind entweder unmittelbar
gewiß, wie die Axiome, oder sie sind wenigstens von keinem
andern abgeleitet, als einem solchen, „der selbst wiederum
als ein notwendiger Satz gültig isttf. (III, 29, if.). — Dies
also sind die „rein" oder „schlechterdings" apriorischen
Sätze.
Zweitens aber sind auch diejenigen Urteile apriorisch im
Kantischen Sinne, bei denen die Verbindung zwischen Subjekt
und Prädikat, mögen diese selbst auch empirische Begriffe sein,
durch einen apriorischen Satz oder apriorischen Begriff hergestellt
wird. Denn auch diese Urteile sind durchweg notwendig und
allgemeingültig und in ihrer Gültigkeit, wenn auch nicht
ihrem Inhalt nach, von aller Erfahrung schlechterdings unab-
hängig.
Hierher gehören in erster Linie die analytischen Sätze
mit empirischem Subjekt, die E. als Beispiel für die nur deduktiv
a priori gültigen Sätze anführt. Sie haben deshalb apriorische
Gültigkeit, weil bei ihnen die Berechtigung der Verknüpfung
von Subjekt und Prädikat auf den rein logischen, also a priori
gegebenen, Satz vom Widerspruch begründet ist. Habe ich z. B.
erst einmal den Begriff Gold als eines gelben Metalls festgestellt,
so kann ich nachher a priori d. h. notwendig und allgemein-
gültig, lediglich nach dem Satze des Widerspruchs das Urteil
aussprechen: Gold ist gelb. Seinem Inhalt nach muß ich den
Satz aus der Erfahrung ableiten, dann aber ist er, falls ich ihn
als analytischen Satz aufstelle, a priori gültig. Er hat, als
analytischer Satz, genau dieselbe apriorische Gültigkeit wie etwa
der folgende: Substanz ist dasjenige, was nie Prädikat werden
kann . Nur ist dieser ein r e i n oder schlechterdings apriorisches
Urteil, da in ihm kein einziger Begriff, der irgend etwas Empi-
risches enthielte, vorkommt. Man sieht auch sofort, daß der
erste Satz (Gold ist gelb), als analytischer Satz einen ganz
andern Gültigkeitswert hat als jener, den Kant als Beispiel für
das überlieferte deduktive Apriori anführt: Wenn man die
Fundamente eines Hauses untergräbt, so stürzt es ein. Bei
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 1 u. 2. 8
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114 Kant» gesammelte Schriften.
/
diesem ist es die Erfahrung, die Subjekt und Präidkat zu ver-
knüpfen berechtigt, und diese ist etwas Zufälliges. Dort aber
ist es der denknotwendige Satz des Widerspruchs.
Zu dieser zweiten Art apriorischer Sätze, die wohl empi-
rische Begriffe enthalten, bei denen aber die Verbindung zwischen
Subjekt und Prädikat durch einen apriorischen Begriff hergestellt
wird, gehören ferner die Grundsätze der Erfahrung. E. teilt
sie ebenfalls dem überlieferten deduktiven Apriori zu. Er nennt
das nur eine „Ungenauigkeit" von seiten Kants. Aber man
bedenke, was daraus folgte! Das ganze Gebäude der Kritik
fiele in sich zusammen, wenn diese „Ungenauigkeit" wirklich
vorhanden wäre. Die Grundsätze, die nach Kant die Erfahrung
erst möglich machen, sollen nach B. Erdmann „zwar nicht un-
mittelbar aus der Erfahrung", aber doch „aus einer allgemeinen
Regel, die wir aus der Erfahrung entlehnt haben" (28, 9ff.) —
denn das ist der Sinn des überlieferten deduktiven Apriori —
abgeleitet sein!
Der apriorische Begriff aber, der nach Kant in den Grund-
sätzen Subjekt und Prädikat verbindet, ist (S. 144,5 f.): „Der
innere Sinn und die Form desselben a priori, die Zeit". (Vgl.
auch 480, 27 ff.) — Weshalb, das der Fall ist, das auszuführen,
gehört nicht hierher. Da aber die Gültigkeit dieser Sätze nicht
so klar und einfach einzusehen ist, wie die der analytischen
Sätze — denn „ein synthetischer Grundsatz bloß aus Begriffen
kann niemals unmittelbar gewiß sein" — so erfordern sie noch
eine Deduktion. (Vgl. 480, 27 «.). Und diese hat Kant gegeben,
indem er beweist, daß das Subjekt und Prädikat verbindende
Dritte die apriorische Vorstellung der Zeit ist, daß jene Sätze
also apriorische Gültigkeit haben.
Doch nach Erdmanns Behauptung soll „der überlieferte
deduktive Sinn des Apriori" bei Kant „auch sonst noch vielfach
z. B. in den Erörterungen ,,Von dem reinen Gebrauche der Ver-
nunft" (S. 241 f.) und in der Darlegung über den „szientifischen
Vernunftbegriff'* und dessen Schema (Architektonik S. 538 f.)"
bestehen bleiben. Die Worte „auch sonst noch vielfach" lasse
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Von Otto Schöndörffer. 115
ich unberücksichtigt und wende mich zu den beiden von ihm
namhaft gemachten Fällen.
In dem ersteren, dem Abschnitt „Von dem reinen Gebrauche
der Vernunft", wirft Kant zunächst die Frage auf, ob die isolierte
Vernunft, ebenso wie der Verstand, ein eigener Quell von Begriffen
und Urteilen ist, die lediglich aus ihr entspringen und durch
die sie sich auf Gegenstände bezieht. Eine Frage, die er, wie
bekannt, später dahin beantwortet, daß sie allerdings ein solcher
Quell ist, da aus ihr die Ideen entspringen, die aber für die
Gegenstände nicht konstitutive, sondern nur regulative Bedeutung
haben. Diese Ideen sind also selbstverständlich rein apriorische
Begriffe. Der eigentümliche Grundsatz aber der Vernunft über-
haupt, von dem außerdem noch an der zitierten Stelle die Rede
ist, der Grundsatz: „wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch
die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die
mithin unbedingt ist, gegeben", kann schon deshalb kein Satz
a posteriori oder ein deduktiv apriorischer Satz sein, weil der
Begriff des „Unbedingten" ein völlig reiner ist. — Ich brauche
mich also damit nicht weiter aufzuhalten und gehe gleich zu
dem letzten von E. angeführten Beispiel über.
Auch hier kann ich von dem „überlieferten deduktiven
Apriori" nichts finden. Es handelt sich hier (538 f.) um folgendes:
Nur unter der Regierung der Vernunft kann aus einer Rhapsodie
von Erkeniitnissen ein System werden. Ein System aber ist die
Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Durch
diese wird sowohl der Umfang des Mannigfaltigen als die Stelle
der Teile unter einander a priori bestimmt. So folgt, wie Kant
bald darauf (S. 547 f.) auseinandersetzt, aus der ursprünglichen
Idee einer Philosophie der reinen Vernunft eine ganz bestimmte
Einteilung dieser Wissenschaft. Aus der Erfahrung wird bei
ihr nur das genommen, was nötig ist, uns ein Objekt teils des
äußeren, teils des inneren Sinnes zu geben; nämlich der Begriff
der Materie (undurchdringliche leblose Ausdehnung) und der
Begriff eines denkenden Wesens (in der empirischen inneren
Vorstellung: ich denke). Die Einteilung selbst aber, um die
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116 Kants gesammelte Schriften.
es sich hier allein handelt, folgt aus der Idee der Philosophie,
„die nirgend in concreto gegeben ist", und also ein apriorischer
Begriff ist. — Ebenso nimmt Kant, um noch ein Beispiel anzu-
führen, in den metaphysischen Anfangsgründen der Naturw.
die Materie, das Bewegliche im Baume, als empirisch gegeben
an und betrachtet sie nach dem Schema der Kategorien, also
wiederum völlig nach Prinzipien a priori. Alle diejenigen Wissen-
schaften, bei denen ein apriorisches Einteilungsprinzip nicht
vorhanden ist, z. B. Geschichte und Naturbeschreibung, sind nach
Kants Auffassung keine Wissenschaften im strengen Sinne.
Um also zum Schluß kurz zusammenzufassen: Bei Kant
gewinnt das Apriori eine ganz neue, vorher nicht geahnte (nach
0. Liebmann „metakosmische") Bedeutung, und das überlieferte
deduktive Apriori bleibt bei ihm nicht bestehen, jedenfalls
nicht in den von Erdmann angegebenen Fällen.
n.
Die Termini „transscendental" und „Dinge überhaupt".
Zu ebenso wichtigen Problemen und schwerwiegenden
Einwendungen führt uns die genauere Auseinandersetzung mit
einer von B. Erdmann bald darauf gegebenen sachlichen Er-
läuterung.
Zu den Worten des Textes 43, iß ff.: „Ich nenne alle
Erkenntnis transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegen-
ständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen,
sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt",
bemerkt nämlich Erdmann S. 586 folgendes: „sondern mit unserer
Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich
sein soll, überhaupt beschäftigt ] A2-6 sondern mit unsern Begriffen
a priori von Gegenständen überhaupt A1. — Es ist möglich, daß
das „überhaupt" im Text von A2 nur aus Versehen stehen ge-
blieben ist, obgleich es in dem uns erhaltenen Handexemplar
Kants von A1 nicht durchgestrichen ist. (Nachträge zu Kants
Kritik der reinen Vernunft S. 11). Es ist in A2 als nähere
Bestimmung zu „beschäftigt" so überflüssig, wie in A1 als Er-
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Von Otto Schöndörffer. 117
gänzung zu Gegenstandes (sie) notwendig. Die Nominaldefinition
der transscendentalen Erkenntnis in A1 an dieser Stelle ist sehr
viel enger als die Fassung von A2, die mit der weiteren, die
Erkenntnis von Baum und Zeit einschließenden Bestimmung
78 10, kongruiert. Die Definition in A1 schließt die Formen der
Anschauung aus, da die Gegenstände überhaupt lediglich die
Dinge an sich als Gegenstände der reinen Kategorieen bezeichnen.
Sie entspricht nicht dem Gedankenzusammenhang des ausge-
stalteten Werks, sondern dessen Vorstadium seit etwa 1772, das
in der Einleitung zu A1 kurz zu charakterisieren war."
So B. Erdmann. Zunächst fällt in diesen Worten der Um-
stand auf, daß Erdmann auch hier wieder, genau so wie bei
seinen Bemerkungen über das Apriori, Widersprüche bei Kant
findet. Er soll von dem so wichtigen Terminus transscendental
auf S. 23 in der ersten Ausgabe eine Definition gegeben haben,
die dem Gedankenzusammenhang des ausgestalteten Werkes"
nicht entspricht und die auch mit der Definition auf S. 51
in A1 (S. 78 in A2) nicht übereinstimmt! Eine solche Interpretation
aber irgend eines Werkes, irgend eines großen Philosophen muß
man, meine ich, von vorneherein als verwerflich zurückweisen.
Freilich ist sie heutzutage Eant gegenüber nur allzu beliebt.
Aber desto schärfer muß man gegen sie protestieren. Was mögen
sich nur alle diejenigen für eine Vorstellung von einem großen
Philosophen machen, die ihn auf diese Weise „erklären4* wollen?
Selbst bei einem Dichtwerke, wie dem Faust, dessen Entstehung
und Gestaltung sich beinahe durch das ganze lange Leben Goethes
hindurchzieht, verlangt man mit Recht eine einheitliche Er-
klärung, denn der Dichter muß doch bei der Schlußredaktion
einen einheitlichen Zusammenhang gesehen haben. Und . nun
sollte sich Kant in einem philosophischen Werke, bei dem
die genaue und völlig geschlossene logische Durchführung ein
selbstverständliches und wichtiges Erfordernis ist, und dessen
Entstehungszeit sich auf ca. zehn Jahre beschränkt, bei so grund-
legenden Begriffen wie apriori und transscendental in einem
Baume von nicht einmal 30 Seiten widersprochen haben?
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118 Kants gesammelte Schriften.
Ja, wäre die Deutung, die B. Erdmann der Definition von
transscendental (auf S. 23 in A1) unterlegt, richtig, so stießen
wir schon zwei Seiten weiter in der Kritik auf diesen Wider-
spruch! Denn da lesen wir(IV,25): „Nur soviel scheint zur Ein-
leitung oder Vorerinnerung nötig zu sein, daß es zwei Stämme
der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemein-
schaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich
Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände
gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun
die Sinnlichkeit Vorstellungen a priori enthalten sollte,
welche die Bedingung ausmachen, unter der uns Gegen-
stände gegeben werden, so würde sie zur Transscen-
dental-Philosophie gehören". Und da nun gleich darauf
in der transscendentalen Ästhetik gezeigt wird, daß die Sinnlich-
keit in der Tat solche Vorstellungen a priori enthält, so kann
unmöglich die kurz vorher aufgestellte Definition von transscen-
dental diese Vorstellungen ausschließen sollen. Man muß eben
unter Begriffen a priori die Formen der Anschauung mitver-
stehen. Kant nennt Baum und Zeit ja oft genug Begriffe, und
zwar mit Recht. Aber nach B. Erdmanns Interpretation schließt
der dort gegebene Wortlaut die Formen der Anschauungen nun
doch tatsächlich aus. Denn B. Erdmann behauptet: „Die Dinge
überhaupt bezeichnen lediglich die Dinge an sich als Gegen-
stände der reinen Kategorien4*; und Kant definiert: „transscen-
dental ist diejenige Erkenntnis, die sich nicht mit Gegenständen,
sondern mit unsern Begriffen von Gegenständen überhaupt be-
schäftigt*'. Also sind in dieser Definition die Formen der An-
schauung ausgeschlossen, und wenn Kant zwei Seiten darauf das
Gegenteil behauptet, so hat er sich eben geirrt. Quandoque
bonus dormitat Homerus.
Ja, wenn dieses Mal nur nicht B. Erdmann — falsch inter-
pretiert hätte! — Doch da muß ich wieder weiter ausholen.
Alle apriorischen Vorstellungen gibt unser eignes Erkenntnis-
vermögen lediglich aus sich selbst her, sie entspringen der
Konstitution unseres Geistes, sie sind zunächst nur Hirngespinste.
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Von Otto Schöndörffer. 119
Wie kommt es nun, so fragt Kant, daß iob mit diesen Denk-
und Anschauungsformen irgend etwas, das gänzlich außer ihnen
liegt, erkennen kann? Daß ich die apriorischen Vorstellungen
analysieren kann, das bedarf, hier wenigstens, keiner weiteren
Erklärung. Die analytischen apriorischen Sätze beruhen alle
auf dem Satz des Widerspruches. Aber wie kommt es, daß ich
auch synthetische Sätze a priori habe? Dazu müssen, so scheint
es, die apriorischen Vorstellungen aus der Sphäre des Denkens
heraus und übergreifen in die Sphäre des Seins. So kann ich,
so lange ich die Kantische Lösung — die, kurz gesagt, darin
besteht, daß ich ein anderes Sein als das, welches mit dem Vor-
gestelltwerden identisch ist, nicht erkennen kann, — nicht vor-
wegnehme, das Problem formulieren. Daher sagt Ernst Marcus
(Kants Revolutionsprinzip. Herford, Verlag von W. Menok-
hoff 1902) S. 121: „Transscendental drückt das Übergreifen der
apriorischen Vorstellung in die nichtapriorische fremde, externe
Sphäre aus (sei nun diese Sphäre a posteriori erreichbar oder
intelligibel, daher empirisch unerreichbar)". (Vgl. auch Kr. d.
r. V. HI, 54,3ff., 78, off., 207,3.) Und daher faßt Kant das Haupt-
problem der Kritik in den Worten zusammen: wie sind synthetische
Urteile apriori möglich? oder: Wie ist Erkenntnis aus reiner Ver-
nunft möglich? (Proleg. IV, 275). Und daher endlich nennt er
alle diejenige Erkenntnis transscendental, die sich mit (unsern Be-
griffen a priori von Gegenständen überhaupt beschäftigt IV, 23) oder,
die sich mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern
diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. (III, 43.)
Gegenstände überhaupt bedeutet also hier: Gegenstände
aller Art, seien es solche der reinen, der empirischen, oder auch
einer uns unbekannten übersinnlichen Anschauung. Daher sagt
Kant selbst in den Prologomenen: „Und so wird die trans-
scendentale Hauptfrage in vier andere Fragen zerteilt . . . .:
1. Wie ist reine Mathematik möglich?
2. Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
3. Wie ist Metaphysik überhaupt möglich?
4. Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich ?"
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120 Kants gesammelte Schriften.
(IV, 280). Die Transscendentalphilosophie fragt nicht, wie
die apriorischen Vorstellungen Erkenntnis von einer bestimmten,
besonderen Art von Gegenständen geben, sondern sie abstrahiert
von der speziellen Art der Anschauung, in der uns die Gegen-
stände gegeben werden können oder könnten, und fragt ganz
allgemein, wie können die apriorischen Vorstellungen irgend
welche Bedeutung haben für Dinge, für Dinge überhaupt Erst
in dem metaphysischen Teil der Einzel Wissenschaften, wird
gezeigt, welche Bedeutung die apriorischen Vorstellungen für
besondere, empirisch gegebene Dinge haben. Daher sagt Kant
z. B. in der Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen
der Naturwissenschaft (IV, 469, aiff.): ,,Die Metaphysik der
Natur muß nun zwar jederzeit lauter Prinzipien, die nicht
empirisch sind, enthalten (denn darum führt sie eben den Namen
einer Metaphysik), aber sie kann doch entweder sogar ohne Beziehung
auf irgend ein bestimmtes Erfahrungsobjekt, mithin unbestimmt
in Ansehung der Natur dieses oder jenes Dinges der Sinnenwelt
von den Gesetzen, die den Begriff einer Natur überhaupt möglich
machen, handeln, und alsdann ist es der transscendentale
Teil der Metaphysik der Natur: oder sie beschäftigt sich
mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge. . . ."
Kant zeigt nun in der Kritik, daß die apriorischen Vor-
stellungen nur für die Gegenstände Erkenntnis verschaffen, die
überhaupt erst mit ihrer Hilfe zustande kommen, d. h. erstens
für die Gegenstände der reinen und zweitens für die der
empirischen Anschauung. Bei den ersteren ist das nach Kants
Lehre von vorneherein einleuchtend: sie existieren eben nur in
unserm Intellekt und in unserer Einbildungskraft. Die em-
pirischen Dinge aber sind Erscheinungen, d. h. „Vorstellungen
von Dingen, die nach dem, was sie an sich sein mögen, un-
erkannt da sind". (HI, 127, e ff. vergl. 168, 35; 338, 23 ff.) Sie
sind also auch Vorstellungen, und zwar Vorstellungen unseres
transscendentalen Selbstbewußtseins, das die ihm auf unerkenn-
bare Weise gegebenen Empfindungen mit Hilfe der apriorischen
Vorstellungen zu Erfahrungsgegenständen macht. Und da ist
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Von Otto Schöndörffer. 121
es denn eben auch erklärlich, wie die apriorischen Vorstellungen
die Erkenntnis der empirischen Dinge ermöglichen und kon-
stituieren.
Wie aber unsere apriorischen Vorstellungen irgend welche
Beziehung zu Dingen haben sollten, die ganz unabhängig von
unserm Vorstellen sind, ist absolut unausdenkbar. Zwar kann
ich mir solche Dinge denken, ja ich muß sie mir als den un-
bekannten Grund der Erscheinungen denken, „denn sonst würde
der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas
wäre, was da erscheint" (III, 17, ir> ft vergl. auch IV, 314, 33 ff.
Prolegom.). Aber ich kann sie nie erkennen, ja nicht einmal
ihre Möglichkeit einsehen, insofern möglich dasjenige ist, „was
mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung
und den Begriffen nach) übereinkommt" (185, 22 f.). Sie sind
eben völlig unabhängig von meinem Vorstellen. Dieses kann
zu ihnen nicht herüber. Denn in Wahrheit findet ein Über-
greifen unserer Vorstellungen in ein fremdes Gebiet, so daß es
zu dessen Erkenntnis führt, nach Kant überhaupt nie statt. Denn
da die empirischen Dinge nur unsere Vorstellungen sind, bleiben
die apriorischen Vorstellungen, die uns apriorische Erkenntnis
von ihnen verschaffen, auch dann nur in ihrem eigenen Gebiet.
Über unsern Bewußtseinsinhalt kommen wir, das lehrt uns eben
die kritische Philosophie, niemals hinaus. (Vgl. 0. Liebmann,
Gedanken und Tatsachen. 1904. Bd. II, 95.) Die apriorischen Vor-
stellungen, sowohl die Anschauungsformen wie auch die Kategorien,
sind also nur von empirischem Gebrauch. Will ich die An-
schauungsformen auf die Dinge überhaupt, auf alle Dinge ohne
Unterschied anwenden, so ist das unmöglich, so sind sie nichts.
Sie haben empirische Realität, aber transscendentale Idealität.
Und was die Kategorien betrifft, so reichen sie in sofern weiter,
als ich mit ihnen die Dinge überhaupt denken kann, ja muß,
aber erkennen kann ich mit ihnen auch nur die Dinge der
Erfahrung, denn „Verstand und Sinnlichkeit können bei uns nur
in Verbindung Gegenstände bestimmen. Wenn wir sie trennen,
so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne
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122 Kants gesammelte Schriften.
Anschauungen, in beiden Fällen aber Vorstellungen, die wir auf
keinen bestimmten Gegenstand beziehen können" (213, 32 ff.).
Das können wir eben nur bei den Dingen, die mit Hilfe unserer
apriorischen Vorstellungen erst zustande kommen. So sind auch
die Katogorien nur von empirischem Gebrauch, sie haben zwar
transscendentale Bedeutung1), sind aber von keinem transscenden-
talen Gebrauch. (IV, 208, 17 f.)
Durch dieses Resultat ist nun allerdings, wie man sieht, die
Bedeutung der Termini „Dinge überhaupt44 und „transscendental"
nicht unerheblich modifiziert oder, wenn man lieber will, geklärt
und näher bestimmt. Der Ausdruck „Dinge überhaupt", ist da-
durch, daß er so oft in Gegensatz tritt zu den empirischen
Dingen, oft ziemlich oder ganz gleichbedeutend mit Dingen an
sich geworden. Ganz fern liegt ihm diese Bedeutung im Grunde
überhaupt nicht. Denn wenn ich von Dingen überhaupt rede,
muß ich von der Art der Anschauung, in der die verschiedenen
Dinge gegeben werden oder vielleicht gegeben werden könnten,
abstrahieren. (Vgl. 60, 34 f. 61,6. 211,8. 279, 16 f.) Tue ich das
aber, so bleibt mir der bloße Begriff eines Dinges; und mehr
bietet der Begriff der Dinge an sich, die ich als unbekannten
Grund der Erscheinungen hinzudenken muß, auch nicht. Trotz-
dem dürfen wir, wie wir gesehen haben, Dinge überhaupt nicht
schlechtweg mit den Dingen an sich identifizieren. Daß man das
nicht tun darf, ergibt der bloße Wortlaut einzelner Stellen mit
Evidenz. Man nehme z. B. die Worte S. 225, 32 ff.: „Wende ich
aber diese Begriffe (die Reflexionsbegriffe) auf einen Gegenstand
überhaupt (im transscen dentalen Verstände) an, ohne diesen
weiter zu bestimmen, ob er ein Gegenstand der sinn-
1) Bemerken will ich, daß Kaut in der Regel das Wort „Bedeutung" in
anderm Sinne gebraucht, als an der zitierten Stelle. (IV, 208, 17.) Gewöhnlich
bezeichnet der Ausdruck „ein Begriff hat Bedeutung1' soviel wie: er hat Beziehung
auf ein Objekt, er verschafft Erkenntnis eines Objekts. (Vgl. 135, 11. 138, hg f.
205, 3. 210, 10 ff. 280, 31. 446, 36. 484, 1.) In diesem Sinne also haben die Kate-
gorien auch nicht einmal transscendentale Bedeutung. Kant hätte sagen sollen:
Die Kategorien haben in Bezug auf die Dinge überhaupt nur logische Bedeutung.
(Vgl. 139,20.) Was er meint, scheint mir aber auch so deutlich.
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Von Otto Schöndörffer. 123
liehen oder intellektualen Anschauung sei, so zeigen
sich " Man vgl. auch noch etwa: 104, 27 ff. 104, 35 ff.
117, 8 ff. 207, 9 ff. 227, 6 ff. Weil sich aber die Bedeutung von
„Dinge überhaupt*' der Bedeutung von „Dinge an sich" nähert,
so wird auch die Bedeutung von „transscendental** der Bedeutung
von „tibersinnlich4* oft verwandt; so z. B. wenn der transscenden-
tale Gebrauch der Kategorien als unmöglich behauptet wird.
Andererseits durfte Kant mit vollem Recht in den Prolegomenen
(IV, 373, :u ff.) sagen: „Transscendental bedeutet nicht
etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr
(a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts mehrerem be-
stimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen.**
Auf alle diese Ausführungen gestützt, kann ich nun folgende
Behauptungen gegen Erdmanns sachliche Erläuterung in aller
Kürze aufstellen:
1. Das „überhaupt" ist in A* genau eben so notwendig
wie in A1; es gehört zu Gegenständen,
2. Die Definition von transscendental ist in beiden Aus-
gaben im wesentlichen ganz dieselbe.
3. Man darf den Terminus „Dinge überhaupt** nicht mit
dem Terminus „Dinge an sich** identifizieren.
Zum Schluß lasse ich hier gleich die Besprechung zweier
Bemerkungen Erdmanns folgen, die sich auf die eben erörterten
Dinge beziehen.
208, ff. „Der bloß transscendentale Gebrauch also der
Kategorien ist in der Tat gar kein Gebrauch und hat keinen
bestimmten oder auch nur der Form nach bestimmbaren
Gegenstand4*. — Hierzu bemerkt Erdmann (S. 589): „Der
Wortlaut der Wendung steht mit der grundlegenden Lehre
von den Dingen überhaupt nicht in Einklang. Kants Eintrag
in sein Handexemplar: „gar kein Gebrauch, um etwas zu er-
kennen, und** (Nachträge No. CXXVII) hebt diesen Widerspruch**.
— Aber Erdmann übersieht, daß der Gebrauch einer Kategorie
nach Kants Terminologie nur dann möglich ist, wenn sie mit
einer Anschauung verbunden worden, wie Kant unter anderm
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124 Kante gesammelte Schriften.
kurz vor der zitierten Stelle auseinandersetzt. (Vgl. 208, 6 ff.,
208, 17, 229, 33.) Demnach ist der Zusatz „um etwas zu er-
kennen" nicht notwendig.
229, 30 n. „Wenn wir unter bloß intelligiblen Gegenständen
diejenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien ohne
alles Schema der Sinnlichkeit gedacht werden, so sind dergleichen
unmöglich".
Dazu bemerkt Erdmann (S. 590): „gedacht ] A. — Kant
hat in seinem Handexemplar verbessert: „von uns erkannt"
(Nachträge No. CL). Diese Verbesserung gibt die einzig mögliche
Lesart, denn der uns jetzt vorliegende Text enthält einen augen-
fälligen Widerspruch gegen die Lehre von den Dingen über-
haupt und an sich als den Gegenständen des reinen Verstandes
und kontrastiert mit der Weiterführung des Gedankens 230, s f.
Ich habe trotzdem nicht zu ändern gewagt; einmal weil der
Herausgeber nicht Kantischer sein darf als Kant selbst, sodann,
weil es notwendig ist, die Differenzen zu erhalten, die diesen
Abschnitt von dem in unserm Text unmittelbar vorhergehenden
über die Phänomena und Noumena trennen".
Die im Text vorliegende Lesart kann allerdings leicht zu
Mißverständnissen führen. Doch muß man auch hier durch die
Interpretation nicht Differenzen herstellen, sondern im Gegenteil
sie zu beseitigen suchen. „An einzelnen Stollen läßt sich jeder
philosophische Vortrag zwacken (denn er kann nicht so gepanzert
auftreten, als der mathematische) .... Scheinbare Wider-
sprüche lassen sich, wenn man einzelne Stellen, aus ihrem Zu-
sammenhange gerissen, gegen einander vergleicht, in jeder . . .
Schrift ausklauben". (S. 26, e ff.) Und hier ergibt der Zu-
sammenhang, daß nicht von der logischen Möglichkeit und Un-
möglichkeit, sondern von der transscendentalen die Rede ist.
Kant sagt also: „Wenn wir unter bloß intelligiblen Gegen-
ständen diejenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien
ohne alles Schema der Sinnlichkeit gedacht werden, so läßt sich
ein solcher Begriff durch nichts belegen und dadurch seine
reale Möglichkeit dartun". (Vgl. S. 207, 29 ff.) Es kontrastieren
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Von Otto Schöndörffer. 125
also diese Worte weder mit den 230, 2 f. folgenden, noch finde
ich Differenzen zwischen diesem Abschnitt und dem vorher-
gehenden.
m.
Wodurch wird die Ordnung der Wahrnehmungen im Objekt
bestimmt?
S. 174, 28 ff. lesen wir in der Kritik: „Zu aller empirischen
Erkenntnis gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die
Einbildungskraft, die jederzeit successiv ist; d. i. die Vorstellungen
folgen in ihr jederzeit auf einander. Die Folge aber ist in der
Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was
folgen müsse) gar nicht bestimmt, und die Reihe der einander
folgenden Vorstellungen kann ebensowohl rückwärts als vorwärts
genommen werden. Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der
Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Escheinung),
so ist die Ordnung im Objekt bestimmt, oder, genauer zu reden,
es ist darin eine Ordnung der successiven Synthesis, die ein
Objekt bestimmt, nach welcher etwas notwendig vorausgehen,
und wenn dieses gesetzt ist, das andere notwendig folgen müsse."
Zu dem letzten Satz dieser Stelle macht Erdmann folgende
Anmerkung (S. 589): „Die Ordnung im Objekt vollzieht sich
durch die Synthesis der Apprehension, welche die Succession der
Synthesis bestimmt. Der Verstand wird hier nicht, wie z. B.
121,4 für sich allein betrachtet, sondern wie z. B. 125,7.8., so,
daß die Verbindung schon mit diesen Anschauungen zugleich
gegeben ist . . ."
Ich kann nur sagen, diese Erläuterung B. Erdmanns ver-
stehe ich nicht. Was soll das heißen: Die Ordnung im Objekt
vollzieht sich durch die Synthesis der Apprehension, welche die
Succession der Synthesis bestimmt? Darnach bestimmt die Syn-
thesis die Succession der Synthesis, dann bestimmte also die
Synthesis sich selbst in ihrer Succession! Oder sollte „welche"
sich auf Apprehension beziehen? Das gibt doch aber ebenfalls
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126 Kante gesammelte Schriften.
gar keinen Sinn. Mir scheint der Sinn der wichtigen Stelle —
es ist der Kern des Beweises der zweiten Analogie — folgender
zu sein:
Alle Vorstellungen ohne Ausnahme folgen in uns einander
in der Zeit, doch ist diese Folge zunächst ganz subjektiv. Sie
sind „nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger
als ein Traum". (IV, 84, 30 f.) Es sind bloße Modifikationen
unseres Gemüts. Bliebe es dabei, so hätten wir gar keine Ver-
anlassung auf etwas außer uns zu reflektieren, ja so käme es in
uns zu gar keinem Selbstbewußtsein, da dessen Möglichkeit nach
Kant „die Existenz äußerer Gegenstände erfordert44. (III, 139, 13 ff.)
„Ich bin mir nur bewußt, daß meine Imagination eines vorher,
das andere nachher setze, nicht daß im Objekte der eine Zustand
vor dem andern vorhergehe, oder, mit andern Worten, es bleibt
durch die bloße Wahrnehmung das objektive Verhältnis der
einander folgenden Erscheinungen unbestimmt/4 (167, 24 ff.) Erst
dadurch, daß ich denke, daß die eine Erscheinung die Ursache
einer anderen ist, wird die Zeitordnung der Erscheinungen
objektiv bestimmt. Denn wenn auch Ursache und Wirkung der
Zeit nach zugleich sein mögen, so wird doch durch den von mir
in die Erscheinungen hineingebrachten Gedanken der Ursache und
Wirkung das Zeitverhältnis der Erscheinungen bestimmt.
Jede Verbindung von Vorstellungen ist lediglich ein Akt der
Spontaneität, der nur vom Subjekte selbst verrichtet werden
kann. (S. 107.) Ich brauche also schon zur Konstatierung irgend
eines Geschehens das Gesetz der Kausalität. Ohne dieses bleibt
die Folge der einzelnen Wahrnehmungen immer subjektiv.
Behaupte ich als objektive, für jeden gültige Tatsache, irgend
ein Geschehen, z. B. das Schiff fährt den Strom herab, so gilt
diese Behauptung nur unter der Voraussetzung, daß das Kau-
salitätsgesetz für jeden menschlichen Intellekt bindend ist. Gibt
man dies zu, so sind alle diejenigen widerlegt, die es nur für
eine Hypothese halten, für eine Hypothese, die für die Erfahrungs-
wissenschaft nötig ist, die aber für die gemeine Erfahrung
durchaus nicht notwendig ist.
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Von Otto Schöndörffer. 127
Was ich miteinander zu verknüpfen habe, das lehrt mich
erst die Erfahrung. „Daß das Sonnenlicht, welches das Wachs
beleuchtet, es zugleich schmelze, indessen es den Ton härtet,
kann kein Verstand aus Begriffen, die wir vorher von diesen
Dingen hatten, erraten, viel weniger gesetzmäßig schließen, und
nur Erfahrung kann uns ein solches Gesetz lehren". (500, 2^ ff.)
„Wenn aber vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kann ich
a priori erkennen, daß etwas vorausgegangen sein müsse
(z. B. Sonnen wärme), worauf dieses nach einem bestimmten Ge-
setze gefolgt ist".
Schon daraus aber, daß wir uns in dieser Verbindung oft
irren, wie die gewöhnliche Erfahrung eben sowohl wie die
Wissenschaft lehrt, folgt, daß ich selbst diese Verbindung her-
stelle. Wäre sie mit den einzelnen Wahrnehmungen schon
mitgegeben, so würde ein Irrtum ausgeschlossen sein; denn die
Sinne irren nicht. (III, 234, 17.)
Andererseits freilich: daß ich bei einzelnen Wahrnehmungen
die Ordnung beliebig vorwärts und rückwärts vornehmen kann,
bei andern aber nicht, hiervon liegt der Grund im Ding an sich.
„Denn zu den gegebenen räumlichen (und zeitlichen) Be-
stimmungen innerhalb unserer Erfahrungserkenntnis muß im
Objekte, das an sich unbekannt ist, ein Grund sein". (Vgl. Emil
Ärnoldt Kritische Exkurse. Königsberg 1894. S. 489 und Kant
(Rosenkranz) V 356 f.) „Wären die Erscheinungen so beschaffen,
daß wir bei Apprehension derselben keine Regel gleichförmiger
Folge an ihnen bilden könnten — wäre z. B. der Zinnober bald
rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer, ein Mensch bald in
diese, bald in jene tierische Gestalt verändert, am längsten Tage
das Land bald mit Früchten, bald mit Eis oder Schnee bedeckt,
— oder wäre gar jede Erscheinung, jede Empfindung bei jedem
Menschen in jedem Augenblick seines Daseins absolut different,
so würden wir allerdings weder den Grundsatz der Beharrlichkeit,
noch den Grundsatz der Kausalität, noch den Grundsatz der
Wechselwirkung ausbilden und anwenden können, mithin gar
keine Erfahrung — weder von äußeren Gegenständen noch von
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128 Kant« gesammelte Schriften.
uns selbst — besitzen, also auch keine Welt haben, zu der wir
gehörten" (E. Arnoldt a. a. 0. S. 32).
Da ich dies vorausgeschickt habe, hoffe ich nun ganz ver-
ständlich zu sein, wenn ich jene zu Anfang zitierte Stelle aus
der Kritik wie folgt interpretiere:
Während es bei der Synthesis des Mannigfaltigen durch
die Einbildungskraft, sei dieses Mannigfaltige in bloßen Begriffen
oder in der reinen Anschauung vorhanden, ganz in meinem Be-
lieben steht, in welcher Ordnung ich es zusammenfasse, ist in
dem Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung oder in dem
Mannigfaltigen „des von einem rezeptiven Subjekt in seinem
Verhältnis zu Dingen an sich Empfundenen" (E. Arnoldt 1. c. S. 25)
etwas, das meine apriorischen Denkformen so zur Anwendung
kommen läßt, daß eine bestimmte Ordnung nötig wird, nach
welcher etwas notwendig vorausgehen, und wenn dieses gesetzt
ist, das andere notwendig folgen müsse. Erst dadurch aber
komme ich zu der Vorstellung eines Objektes außer mir.
IV.
War die Ansicht, „daß alles Leben eigentlich nur intelligibel sei,
den Zeitveränderungen gar nicht unterworfen, und weder durch
Geburt angefangen habe, noch durch den Tod geendigt werde",
nur eine „reine Privatmeinung" Kants?
Diese Frage müßte B. Erdmann, der nach Hartensteins
Vorgang (in dessen 2. Auflage) S. 509, u gegen die Über-
lieferung „keine" in „reine" verwandelt hat, mit , ja" beantworten.
Ich aber meine, schon die so gestellte Frage würde ihn
vielleicht von seiner Änderung zurückgehalten haben, und bin
fest überzeugt, daß der Gedankengang des ganzen Kapitels auf
die Beibehaltung der überlieferten Lesart „keine" führt. Denn
dieser ist folgender:
Transscendentale Hypothesen, d. h. solche, „bei denen eine
bloße Idee der Vernunft zur Erklärung der Naturdinge gebraucht
würde" (503, 36 f.), sind im spekulativen Gebrauch der Vernunft
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Von Otto 8ehönilörffer. 129
durchaus nicht zulässig. Denn „es ist unserer Vernunft nur mög-
lich, die Bedingungen möglicher Erfahrung als Bedingungen der
Möglichkeit der Sachen zu brauchen, keineswegs aber, ganz
unabhängig von diesen sich selbst welche gleichsam zu schaffen,
weil dergleichen Begriffe, obzwar ohne Widerspruch, dennoch
auch ohne Gegenstand sein würden." (S. 503, stf.)
Dazu kommt noch, daß zur Annehmungswürdigkeit einer
Hypothese ihre Zulänglichkeit erfordert wird, um daraus a priori
die Polgen, welche gegeben sind, zu bestimmen. (S. 504, 32 ff.)
Und das dürfte bei einer transscendentalen Hypothese schwerlich
gelingen.
Wenn nun aber auch demgemäß ,,bei bloß spekulativen
Fragen der reinen Vernunft keine Hypothesen stattfinden, um
Sätze darauf zu gründen, so sind sie dennoch ganz zulässig, um
sie allenfalls nur zu verteidigen, d. i. zwar nicht im dogmatischen,
aber doch im polemischen Gebrauche/4 (505, 36 ff.) Denn alle
synthetischen Sätze aus reiner Vernunft — und um diese handelt
es sich lediglich bei transscendentalen Hyphothesen — „haben
das Eigentümliche an sich: daß, wenn der, welcher die Realität
gewisser Ideen behauptet, gleich niemals so viel weiß, um diesen
seinen Satz gewiß zu machen, auf der andern Seite der Gegner
eben so wenig wissen kann, um das Widerspiel zu behaupten."
Macht mir also z.B. jemand, da ich durch die praktische Philosophie
zu dem Glauben an die Unsterblichkeit gekommen bin, den Ein-
wand : „Die Zufälligkeit der Zeugungen, die bei Menschen sowie
beim vernunftlosen Geschöpfe von der Gelegenheit, überdem aber
auch oft vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und
Einfällen, oft sogar vom Laster abhängt, mache eine große
Schwierigkeit wider die Meinung unserer auf Ewigkeiten sich er-
streckenden Fortdauer" (507, 34 ff.), so kann ich dagegen mit
Fug und Recht die Hypothese aufbieten: „daß alles Leben eigent-
lich nur intelligibel sei, den Zeitveränderungen gar nicht unter-
worfen, und weder durch Geburt angefangen habe, noch durch
den Tod geendigt werde; daß dieses Leben nichts als eine bloße
Erscheinung, d. i. eine sinnliche Vorstellung von dem reinen
Altpr. Monatsschrift Bd. XLH. Hft. 1 u. 2. 9
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130 Kante gesammelte Schriften.
geistigen Leben, und die ganze Sinnenwelt ein bloßes Bild sei,
welches unserer jetzigen Erkenntnisart vorschwebt und wie ein
Traum an sich keine objektive Realität habe; daß, wenn wir die
Sachen und uns selbst anschauen sollen, wie sie sind, wir uns
in einer Welt geistiger Naturen sehen würden, mit welcher
unsere einzig wahre Gemeinschaft weder durch Geburt angefangen
habe, noch durch den Leibestod (als bloße Erscheinungen) auf-
hören werde, usw." (508, 9«.)
Dabei muß ich mir aber wohl bewußt bleiben, daß ich von
alle dem. was ich da meinem Gegner gegenüber behauptet habe,
nicht das Mindeste weiß, sondern daß das alles nur zur Gegen-
wehr von mir ausgedacht ist. Tue ich das aber, so „verfahre
ich hiebei gang vernunftmäßig" (S. 508, 23 f.) d.h. meine Ent-
gegnungen haben als solche, nur polemisch gebrauchte, Gedanken
objektive und allgemeine Gültigkeit, ich habe zu ihnen
kraft unserer Vernunft genau dasselbe Recht, wie der Gegner
zu den seinigen; denn meine Behauptungen lassen sich genau
so wenig oder so viel wie die meines Gegners weder beweisen
noch widerlegen. Solche und ähnliche Hypothesen sind also „nur
problematische Urteile, die wenigstens nicht widerlegt, obgleich
freilich durch nichts bewiesen werden können, und sind also
(auch) keine (bloßen) Privatmeinungeg, (sondern solche von ob-
jektiver, wenn auch beschränkter, nämlich nur im polemischen
Gebrauche zulässiger Gültigkeit), können aber doch (trotzdem
daß sie nur problematische Urteile sind) nicht füglich (selbst
zur inneren Beruhigung) gegen sich regende Skrupel entbehrt
werden. In dieser Qualität (als problematische Urteile) aber muß
man sie erhalten und ja sorgfältig verhüten, daß sie nicht als
an sich selbst beglaubigt (also dogmatisch) und von einiger ab-
soluten Gültigkeit (also nicht bloß von relativer) auftreten und
die Vernunft unter Erdichtungen und Blendwerken ersäufen".
So also interpretiere ich die fragliche Stelle und finde eine
Bestätigung meiner Interpretation zudem noch in dem Anfang
des Kapitels „Vom Meinen, Wissen und Glauben".
Hier bestimmt Kant nämlich den Unterschied zwischen
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Von Otto Schöndörffer. 131
Überzeugung und Überredung. Wenn ein Fürwahrhalten „für
jedermann gültig ist, sofern er nur Vernunft hat, so ist der
Grund desselben objektiv hinreichend, und das Fürwahrhalten
heißt alsdann Überzeugung". (S. 531, 29 ff.) In unserem Falle
aber sind beide Behauptungen sowohl die meinigen als die des
Gegners für jedermann, sofern er nur Vernunft hat, in gleichem
Maße gültig, in gleichem Maße objektiv und nicht nur privatim
oder subjektiv hinreichend.
Hat aber das Fürwahrhalten, so fährt er fort, „nur in der
besonderen Beschaffenheit des Subjektes seinen Grund, so wird
es Überredung genannt. Überredung ist ein bloßer Schein, weil
der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für
objektiv gehalten wird. Daher hat ein solches Urteil auch nur
Privatgültigkeit, und das Fürwahrhalten läßt sich nicht mit-
teilen."
Bei den transscen dentalen Hypothesen dagegen hat das
Fürwahrhalten keineswegs seinen Grund in der besonderen
Beschaffenheit des Subjekts, sondern ist genau ebenso objektiv,
wenn auch unzureichend, begründet wie bei den Behauptungen
des Gegners und läßt sich daher nicht nur mitteilen, sondern
soll sogar im polemischen Gebrauche, mitgeteilt werden. „Über-
redung", so sagt Kant daher (S. 532, 33 ff.) „kann ich für mich
behalten, wenn ich mich dabei wohl befinde, kann sie aber und
soll sie außer mir nicht geltend machen wollen", während er
doch von jenen Hypothesen das Gegenteil verlangt. Sie können
also unmöglich nur auf Überredung beruhen, können unmöglich
reine Privatmeinungen sein, sondern sind zwar nur problematische
Urteile, aber im polemischen Gebrauche von objektiver Gültigkeit,
und können und sollen, — das ist sicherlich bei dem angeführten
Beispiel Kants Meinung — wenn die praktische Philosophie
ihnen ein Recht gegeben hat, das die theoretische ihnen nie geben
kann, allgemeine Glaubenssätze werden: „Lasset euren Gegner
nur Vernunft zeigen und bekämpfet ihn bloß mit Waffen der
Vernunft (aber nicht mit Privatmeinungen. Übrigens seid wegen
der guten Sache (des praktischen Interesses) außer Sorgen . . .
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132 Kants gesammelte Schriften.
denn es bleibt euch noch genug übrig, um die vor der schärfsten
Vernunft gerechtfertigte Sprache eines festen Glaubens zu
sprechen, wenn ihr gleich die des "Wissens habt aufgeben müssen.'4
(487, 24ö.) —
Dies sind die Themata von allgemeiner und weiter tragender
Bedeutung, bei denen ich mich im Gegensatz zu dem Heraus-
geber befinde. Gibt man mir in ihnen recht, so wird man schon
jetzt die von mir gegen diese Ausgabe erhobenen Vorwürfe
gerechtfertigt finden. Dazu kommt nun noch eine große Zahl
von Änderungen, denen ich nicht zustimmen kann, und eine Reihe
von Druckfehlern und Versehen.
A. Änderungen.
7, 8. Wie die gemeinschaftliche Absicht erfolgt werden
soll] A2"4. — Ich halte Grillos Änderung „verfolgt", die auch
Rosenkranz, Hartensein (1838), Kehrbach, Vorländer und Erd-
mann selbst (Kr. d. r. V., Berlin, 1900, 5. Aufl.) aufgenommen
haben, für notwendig.
9, 28 ff. „Dem ersten, der den gleichschenkligen Triangel
demonstrierte, . . . dem ging ein Licht auf; denn er fand, daß
er nicht dem, was er in der Figur sah, oder auch dem bloßen
Begriffe derselben nachspüren und gleichsam davon ihre Eigen-
schaften ablernen, sondern durch das, was er nach Begriffen
selbst a priori hineindachte und darstellte, (durch Konstruktion)
hervorbringen müsse." — Erdmann ergänzt hier (Sachl. Erläuter.,
S. 584 f.) als Objekt zu „hervorbringen": „den dem Begriff ent-
sprechenden Gegenstand, also die Figur eines gleichschenkligen
Dreiecks." Viel näher aber liegt es das Wort „Eigenschaften"
als Objekt aus dem Vorhergehenden zu ergänzen; was sachlich
auf dasselbe hinauskommt. Vorländer schiebt daher vor „hervor-
bringen" „sie" ein.
29, 15 ff. „Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind
also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori und gehören
auch unzertrennlich zu einander. Weil es aber im Gebrauche
derselben leichter ist, die empirische Beschränktheit derselben,
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Von Otto Schöndörffer. 133
als die Zufälligkeit in den Urteilen, oder es auch mannigmal
einleuchtender ist, die unbeschränkte Allgemeinheit, die wir einem
Urteile beilegen, als die Notwendigkeit desselben zu zeigen, so
ist es ratsam, sich gedachter beider Kriterien, deren jedes für
sich unfehlbar ist, abgesondert zu bedienen."
Da Erdmann in dem letzten Satz einen „offenbaren
Gedankensprung" und eine „Tautologie" findet (Sachl. Erl.
S. 585), so sehe ich mich veranlaßt, ihn zu erklären, wiewohl er
m. E. keiner Erklärung bedarf. Das erste „derselben" geht auf
„Kennzeichen" (nicht, wie Erdmann meint, auf „Erkenntnis
a priori"). Das folgt auch aus den Schlußworten des Satzes: „so
ist es ratsam, sich . . . beider Kriterien (d. i.: Kennzeichen) . . .
abgesondert zu bedienen". Das zweite „derselben" bezieht man
am besten auf das nicht weit vorhergehende und gleich darauf
folgende „Urteile*4. — Die Kennzeichen für die Urteile a priori
sind: Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit, die für die
Urteile a posteriori: Zufälligkeit und empirische Beschränktheit.
Jedes Paar dieser Kennzeichen gehört unzertrennlich zueinander:
wo das eine Kennzeichen statt hat, findet sich auch das andere.
Oft aber ist es leichter, das eine als das andere aufzuweisen, so
findet man bei den Urteilen a posteriori oft leichter die Beschränkt-
heit als die Zufälligkeit heraus, oder bei den Urteilen a priori
die Allgemeinheit als die Notwendigkeit. Daher ist es ratsam,
sich der beiden Kriterien abgesondert zu bedienen.
34, 22 ff. „Ob ich schon in dem Begriff eines Körpers über-
haupt das Prädikat der Schwere gar nicht einschließe, so bezeichnet
jener doch einen Gegenstand der Erfahrung durch einen Teil
derselben, zu welchem ich also noch andere Teile eben derselben
Erfahrung, als zu dem ersteren gehörten, hinzufügen kann." —
An dieser Stelle hat A1 statt „gehörten" „gehörig" und Erdmann
meint nun (Sachl. Erl. S. 585), daß „nur der Text von A1 dem
vorliegenden Zusammenhang und den sonstigen Ausführungen
Kants über das synthetische Urteil: alle Körper sind schwer,
entspricht." Dies sucht er dadurch zu belegen, daß er mehrere
Stellen anführt, in denen gesagt wird, daß Subjekt und Prädikat
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134 Kants gesammelte Schriften.
zu einander gehören oder zu einander gehörig sind. Ich sehe
aber nicht ein, weshalb Kant nicht auch von den Teilen der
Erfahrung sagen sollte, daß sie zu einem Gegenstand gehören.
Und was den Zusammenhang betrifft, so ist dieser im wesentlichen
in beiden Ausgaben derselbe. In der ersten wird gesagt: Der
Begriff eines ausgedehnten, undurchdringlichen Körpers bezeichnet
einen Gegenstand der Erfahrung, zu dem ich aus derselben
Erfahrung noch andere Merkmale, als zu ihm gehörig, hinzufügen
kann; und in der zweiten: der Begriff eines ausgedehnten,
undurchdringlichen Körpers bezeichnet einen Gegenstand der
Erfahrung, zu dem ich noch andre Merkmale als die, so bisher
zu ihm gehörten, aus derselben Erfahrung hinzufügen kann. —
Ich enthalte mich, wie überall, so auch an dieser Stelle jeder
Äußerung meines Erstaunens über die mir unerklärlichen Bemer-
kungen des Herausgebers, und überlasse alles derartige dem Urteil
des Lesers.
37,25. „Daß 7 zu 5 hinzugetan werden sollten, habe ich
zwar in dem Begriff einer Summe = 7 + 5 gedacht." — Wes-
halb mag Erdmann statt dessen geschrieben haben „daß 5 zu 7
hinzugetan werden sollten"? Die Reihenfolge der Glieder einer
Summe ist doch völlig gleichgültig1).
39, 7ff. „In der Metaphysik .... wollen wir unsere Er-
kenntnis a priori erweiteren, wozu wir uns solcher Grundsätze
bedienen müssen, die über den gegebenen Begriff etwas hinzu-
tun, was in ihm nicht enthalten war, und durch synthetische
Urteile a priori wohl gar so weit hinausgehen, daß uns die Er-
fahrung selbst nicht so weit folgen kann . . ." — Hier erklärt
Erdmann: „weit hinausgehen d. i. weit über ihn hinausgehen,
wie der Zusammenhang hier fordert und wie dies zahlreichen
Wendungen bei Kant entspricht". — Aber Erdmann hat m. E.
1) Nachträglich finde ich, daß Ludwig Goldschmidt schon in Bd. 39 dieser
Zeitschrift in seinem Aufsatz „Zum Ende der Kantphilologie" S. 273 diese
Änderung verwirft. G. bespricht in seiner Arbeit zum Teil dieselben Stellen
wie ich. Ich kann bei diesem jetzt leider nur noch gelegentlich kurz auf ihn
hinweisen.
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Von Otto Schöndörffer. 135
den Satz falsch konstruiert. „Hinausgehen" hängt noch von
„wir wollen" ab: „Wir wollen unsere Erkenntnis a priori er-
weitern und durch synthetische Urteile a priori wohl
gar so weit hinausgehen, daß uns die Erfahrung selbst nicht so
weit folgen kann". Es ist also gar nichts bei „hinausgehen"
zu ergänzen.
70, 11 ff. „Nun ist das, was als Vorstellung vor aller
Handlung irgend etwas zu denken vorhergehen kann, die An-
schauung und, wenn sie nichts als Verhältnisse enthält, die Form
der Anschauung, welche, da sie nichts vorstellt, außer sofern
etwas im Gemtite gesetzt wird, nichts anders sein kann, als die
Art, wie das Gemüt durch eigene Tätigkeit, nämlich dieses
Setzen ihrer Vorstellung, mithin durch sich selbst affiziert
wird . . . ."
An dieser schwierigen Stelle hat Erdmann, dem Vorgange
Kehrbachs folgend, „seiner Vorstellung" statt „ihrer Vorstellung"
geschrieben.
Ich glaube mit Unrecht. Die Form der Anschauung ent-
hält als bloße Form nur Verhältnisse, und zwar, da hier von
der Zeit die Rede ist, die Verhältnisse des Nacheinander-,
des Zugleichseins und dessen, was mit dem Nacheinandersein
zugleich ist (Vgl. S. 70, 9 f.). Doch diese Verhältnisse muß die
Form der Anschauung eben vorstellen, sonst bleibt sie leer,
sonst ist sie latent. Wie kann sie diese Verhältnisse aber
anders vorstellen, als dadurch, daß das Gemüt sich selbst affiziert,
nämlich die Vorstellung jener Verhältnisse (d. h. also ihre
Vorstellung, nicht seine Vorstellung) selbst setzt. Nach dieser
Interpretation ist also die Form der Anschauung die Art, wie
das Gemüt durch das Setzen der Vorstellung jener Verhältnisse
affiziert wird. — Daß das Gemüt seine Vorstellung setzt, gibt
m. E. keinen rechten Sinn, das wäre eine Tautologie. Durch
dieses Setzen des Gemüts entsteht ja erst die Vorstellung im
Gemüt, also muß sie doch seine Vorstellung sein. Das wäre
also gerade so, als wenn ich z. B. sagte : Der Baum treibt seine
Blätter.
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136 Kants gesammelte Schriften.
71, 3i f. „Was gar nicht am Objekte an sich selbst, jeder-
zeit aber im Verhältnisse desselben zum Subjekt anzutreffen und
von der Vorstellung des ersteren unzertrennlich ist, ist Er-
scheinung . . . ." Erdmann setzt hier statt „ersteren" „letzteren"
ein. — Nach meiner Ansicht hat Kant des „ersteren" geschrieben.
Auf eine nähere Begründung kann ich mich deshalb nicht ein-
lassen, weil diese eine längere Auseinandersetzung über Kants
Lehre von den Dingen an sich erfordern würde.
79,7. Hat die 2. Ausgabe „Dialexe" statt „Diallele"; es fehlt
ein Vermerk hierüber.
99, 8. Hier und an mehreren andern Stellen (141, 12 f. 281, 9 u.
294,i. 296,8. 304/5. 310/1. 316/7) sind die Überschriften so
geändert, daß sie mit den entsprechenden übereinstimmen. Es
ist das ja natürlich unwesentlich, aber andrerseits sehe ich auch
keinen Grund von der ursprünglichen Fassung abzuweichen. Ob
an unserer Stelle z. B. steht, „der Transsoendentalen Analytik
zweites Hauptstück", wie A. hat, oder der vorigen Überschrift
auf S. 84 entsprechend: „Der Analytik der Begriffe zweites Haupt-
stück", wie E. geschrieben hat, ist sachlich ganz gleichgültig.
Dasselbe gilt für alle die andern zitierten Stellen.
99, 29 ist „seines" von E. richtig in „ihres" geändert.
108, 28 ff. „Ich nenne sie die reine Apperception, um sie
von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüng-
liche Apperception, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was,
indem es die Vorstellung: Ich denke, hervorbringt, die alle andern
muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe
ist, von keiner weiter begleitet werden kann."
Hier scheint es mir notwendig „abgeleitet" statt „begleitet"
zu lesen : Wenn die Vorstellung „Ich denke" alle andern begleitet,
so wird sie doch auch von allen andern begleitet. Außerdem ist
dasjenige ursprünglich, was nicht weiter abgeleitet werden kann;
Vgl. S. 72,34l).
120, 14 f. „Sie (die transscendentale Synthesis der Ein-
1) Dieselbe Verbesserung gibt Gold^chmidt 1. c. S. 270,
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Von Otto Schöndörffer. 137
bildungskraft) ist als figürlich von der intellektuellen Synthesis
ohne alle Einbildungskraft, bloß duroh den Verstand, unter-
schieden.4' Hier ist die Interpunktion von E. richtig hinzugetan.
Doch die von Goldsohmidt (Mellin, Marginalien und Register etc.,
Gotha 1900, S. 160) schon früher gegebene Schreibweise: „Sie
ist als figürlich von der intellektuellen Synthesis (ohne alle Ein-
bildungskraft, bloß durch den Verstand) unterschieden" ist wohl
noch leichter verständlich.
132, m. Ist „an jener", (sc. der Urteilskraft), statt „an
jenem'*, zu lesen; vergl. meine Besprechung von Band IV. Altpr.
Monatssohr. XLI, S. 193f.)
133. 32 f. „In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter
einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der letzteren
gleichartig sein." — Rosenkranz, Kehrbach und Vorländer ver-
ändern: „mit dem letzteren", wie es m. E. der Sinn erfordert.
Erdmann behält die überlieferte Lesart bei und fügt in der
Bemerkung zu dieser Stelle hinzu: „nämlich Vorstellung." Das
ist mir völlig unverständlich, zumal es im Texte gleich weiter
heißt: „d. i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem
darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird."
134,io ist „die erste" hinten als nom. plur. angegeben; es
ist acc. plur.
136. 33 ist „ihrer" nach Kants eigener Verbesserung (Nach-
träge LIX) richtig in „seiner" verändert.
140,22 diese Stelle habe ich schon in meinem Referat über
Bd. IV (Altpr. Mon. XLI S. 194) besprochen.
154, 3i f. sind die Worte „und nicht eigentlich Erscheinung
als ein Quantum" richtig von Erdmann in Klammern ein-
geschlossen. Doch fehlt hinten das Sigel A.
158,28ff. „ . . . weil Apprehension nur eine Zusammenstellung
des Mannigfaltigen der empirischen Erscheinung, aber keine
Vorstellung von der Notwendigkeit der verbundenen Existenz
der Erscheinungen, die sie zusammenstellt im Baum und Zeit,
in derselben angetroffen wird."
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138 Kants gesammelte Schriften.
An dieser Stelle würde ich hinter Erscheinung „ist" ein-
schieben, oder wenigstens als von Meilin hinzugefügt im Lesarten-
verzeichnis angeben; denn sonst ist der Sinn schwer heraus-
zubekommen. Die hinten als möglich verzeichnete Umstellung
der letzten Worte zu der Ordnung: „die sie im Baum und Zeit
zusammenstellt" gibt schon Goldschmidt (Meilin. Marginalien u.
Register zu Kants Kr. d. r. V. Gotha 1900 S. 160).
161, 3i ff. „Wir werden . . . uns in dem Grundsatze selbst
zwar der Kategorie bedienen, in der Ausführung aber (der An-
wendung auf Erscheinungen) das Schema derselben als den
Schlüssel ihres Gebrauchs an dessen Stelle, oder jener vielmehr
als restringierende Bedingung unter dem Namen einer Formel
des ersteren zur Seite setzen." Bei dieser von Erdmann gram-
matisch richtig interpretierten Stelle (Sachl. Erl.) sind von ihm
die sachlichen Schwierigkeiten übergangen. Denn Kant bedient
sich in den gleich darauf folgenden Grundsätzen, dieser Erklärung
zuwider, doch der Schemata und nicht der Kategorien. Denn
wenn er von Beharren (oder Beharrlich) in der ersten Analogie,
von Veränderung (oder Geschehen) in der zweiten und endlich
vom zugleich Wahrgenommenwerden in der dritten spricht, so
steckt doch in allen diesen Begriffen die schematisierte Kategorie.
Ich finde hier also einen, allerdings unwesentlichen Widerspruch.
Wenn E. ferner zur Erklärung des Ausdruckes „Formel" auf
S. 205, 10 verweist, so ist diese Stelle insofern in Bezug hierauf
völlig nichtssagend, als an ihr lediglich von mathematischen
Formeln die Rede ist. —
172,23. „Objektive Bedeutung kann nicht in der Beziehung
auf eine andere Vorstellung (von dem, was man vom Gegenstande
nennen wollte) bestehen." Erdmann bemerkt zu dieser Stelle:
„vom Gegenstande ] A = Objektive Bedeutung kann nicht in der
Beziehung dessen, was man von einem Gegenstande aussagen
wollte . . . ." Diese Interpretation ist mir unverständlicher als
der Text, den ich, wenn auch mit Bedenken, folgendermaßen
erkläre: Objektive Bedeutung kann eine Vorstellung nicht
durch die Beziehung auf eine andere Vorstellung von irgend
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Von Otto Schöndörffer. 139
einer Eigenschaft eines Gegenstandes (= von dem, was ich von
dem Gegenstande nennen wollte) bekommen.
181,28ff. „Dinge sind zugleich, sofern sie in einer und der-
selben Zeit existieren. Woran erkennt man aber, daß sie in einer
und derselben Zeit sind? "Wenn die Ordnung in der Synthesis
der Apprehension dieses Mannigfaltigen gleichgültig ist, d. i.
von A durch B, C, D auf E oder auch umgekehrt von E zu A
gehen kann. Denn wäre sie in der Zeit nacheinander (in der
Ordnung, die von A anhebt und in E endigt), so ist es unmög-
lich die Apprehension in der Wahrnehmung von E anzuheben
und rückwärts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit
gehört und also kein Gegenstand der Apprehension mehr sein
kann." Zu dem „wäre sie" am Anfang des letzten Satzes be-
merkt Erdmann: „d. i. die Synthesis der Apprehension oder die
Synthesis oder die Apprehension." Das scheint mir keinen Sinn
zu geben, denn 1. „die Apprehension des Mannigfaltigen der
Erscheinungen ist jederzeit successiv" (S. 168, 8f.), und 2. warum
sollte es deshalb unmöglich sein, die Ordnung umzukehren, weil
die Apprehension nacheinander ist? Bei den Dingen die zugleich
sind, kann ich das ja immer tun. Ich glaube, man muß lesen:
denn wären sie d. i. die Dinge, oder auch: dann wäre es d. i.
das Mannigfaltige. Allenfalls könnte man dem Sinne nach auch
„wäre sie" beibehalten und „sie" auf Ordnung beziehen. Dann
wäre aber der Zusatz: in der Ordnung, die von A anhebt und
in E endigt" unmöglich. Nach dem ganzen Zusammenhang
scheint mir „denn wären sie" die beste Lesart.
195,28. Hinter „als" vor „ob" fehlt ein Komma, das die
Originalausgabe hat; Vorländer setzt ein Kolon.
209, in. „Dieselbe" ist hinten als nom. plur. angegeben;
es ist acc plur.
215, 23 ff. „Das Verhältnis aber etc." vgl. über diese Stelle
mein Referat über Band IV. (Altpreußische Monatsschrift XLI
S. 195).
259, 2 gibt Erdmann als Lesart von A1 an: „in hypo-
thetischen die Ideen vom" und das hat er auch in den Text
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140 Kants gesammelte Schriften.
aufgenommen. A1 hat aber „die Idee", und so muß es auch an
der Stelle heißen.
267, 20 ff. „Daß aber Ich, der ich denke, im Denken immer
als Subjekt und als etwas, was nicht bloß wie Prädikat dem
Denken anhängend betrachtet werden kann, gelten müsse, ist
ein apodiktischer . . Satz". Diese Stelle enthält eine sehr ge-
schickte Verbesserung Erdmanns: das Orginal hat „anhänge"
statt „anhängend" und dahinter ein Komma. Bei dieser Lesart
aber ist der Satz nicht zu konstruieren. — Ebenso ist die
Änderung 275, o „welcher, wenn er" (auf „Gebrauch" bezogen)
statt „welches, wenn es" offenbar richtig. Unnütz dagegen er-
scheint mir die Änderung:
279,22. Hier heißt es: „Wenn ich mich hier als Subjekt
der Gedanken oder auch als Grund des Denkens vorstelle, so
bedeuten diese Vorstellungsarten nicht die Kategorien der Sub-
stanz oder der Ursache, denn diese sind jene Funktionen des
Denkens (Urteilens), schon auf unsere sinnliche Anschauung an-
gewandt, welche freilich erfordert werden würden, wenn ich
mich erkennen wollte". Erdmann schreibt nun „würde" statt
„würden". Aber ich kann mit demselben Recht sagen: die
schematisierten Kategorien werden zum Erkennen erfordert, als:
zum Erkennen wird die sinnliche Anschauung erfordert.
336, 4 verbessert Erdmann richtig „welcher" statt „welche".
Wenn dagegen Erdmann zu der Stelle 370, 12 ff. („denn auf
diese Art würde das handelnde Subjekt als causa phaenomenon
mit der Natur in unzertrennter Abhängigkeit aller ihrer Hand-
lungen verkettet sein, und nur das phaenomenon dieses Sub-
jekts (mit aller Kausalität desselben in der Erscheinung) würde
gewisse Bedingungen enthalten, die, wenn man von dem empiri-
schen Gegenstande zu dem transscendentalen aufsteigen will, als
bloß intelligibel müssen angesehen werden.") die überlieferte
Lesart „phaenomenon", die schon Hartenstein in „noumenon"
verändert hat, beibehält, so halte ich das für offenbar falsch.
Der ganze Zusammenhang der Stelle sowohl wie der Zusatz des
Wortes „nur" ergeben meines Erachtens mit Evidenz, daß man
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Von Otto Schöndörffer. 141
„noumenon" schreiben muß. Erdmann bemerkt (S. 590) : „Schon
der Znsatz in der Klammer „mit aller Cansalität desselben in
der Erscheinung", sowie die nachfolgende Restriktion „wenn man
von dem empirischen Gegenstande zu dem transscendentalen
aufsteigen will" zeigen, daß interpretiert werden muß: das
phaenomenon dieses Subjekts würde „nur". Aber der erste
Zusatz führt umgekehrt gerade auf die Lesart „noumenon".
Denn in den Zeilen vorher (S. 369 29 f.) setzt Kant auseinander,
daß die empirische Causalität sehr wohl die „Wirkung einer
nichtempirischen, sondern intellegibelen Causalität sein kann."
Und was die nachfolgende Restriktion betrifft, so widerspricht
sie ebenfalls keineswegs meiner Interpretation, sondern weist
wieder umgekehrt gerade nur meiner Interpretation auf das
folgende in logischem Zusammenhange hin. Kant fährt nämlich
unmittelbar darauf fort: „denn wenn wir nur in dem, was unter
den Erscheinungen die Ursache sein mag, der Naturregel folgen:
so können wir darüber unbekümmert sein, was in dem trans-
scendentalen Subjekt, welches uns empirisch unbekannt ist, für
ein Grund von diesen Erscheinungen und deren Zusammen-
hange gedacht werde." Aber wenn wir von dem empirischen
Gegenstände zu dem transscendentalen aufsteigen wollen,
was wir, wie gesagt, zur empirischen Erkenntnis gar nicht zu
tun nötig haben, so werden wir auf gewisse Bedingungen
stoßen, die als bloß intelligibel müßten angesehen werden1).
353,28 hat A2 „Subjekten" statt „subjektiven". Es fehlt
ein Vermerk darüber.
396, 9 schreibt Erdmann richtig , jeder" statt „der". Doch
finde ich diese Verbesserung schon in der Kehrbachsohen Aus-
gabe von 1877.
407, 28. unnütz, aber im übrigen gleichgültig erscheinen mir
die Veränderungen von „Schluß" in „Grundsatz", (in dem Zitate
hinten muß es „408, 20" statt „408, 21" heißen.) 415, 1 von „er" in „es"
418, 21, von „welches" in „welche" und 438, 11 von „Ideen" in „Idee."
1) Aach Goldschmidt 1. c. S. 297 hält Hartensteins Korrektur für zweifel-
los berechtigt.
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142 Kants gesammelte Schriften«
Richtig dagegen verbessert Erdmann 437, 16 (,, dieses logische
Gesetz des continui specierum (formarum logicarum) setzt aber
ein transsoendentales voraus (lex continui in natura), ohne welches
der Gebrauch des Verstandes durch jene Vorschrift nur irre
geleitet werden würde, indem sie vielleicht einen der Natur
gerade entgegengesetzten Weg nehmen würde") „sie* in „er."
und 444, 5 „welcher" in „welchen". („Wir wollen den genannten
Ideen als Prinzipien zu Folge erstlich (in der Psychologie) alle
Erscheinungen . . . unseres Gemüts an dem Leitfaden der inneren
Erfahrung so verknüpfen, als ob dasselbe eine einfache Substanz
wäre, die mit persönlicher Identität beharrlich (wenigstens im
Leben) existiert, indessen daß ihre Zustände, zu welcher die
des Körpers nur als äußere Bedingungen gehören, continuierlich
weohseln"). Auch die Emendation 487,24 („Lasset demnach euren
Gegner nur Vernunft sagen"), von „sagen" in „zeigen" halte
ich für richtig. Dasselbe gilt von 514, 15. („Nun wäre der modus
ponens, auf die Wahrheit einer Erkenntnis aus der Wahrheit
ihrer Folgen zu sohließen, nur alsdann erlaubt, wenn alle mögliche
Polgen daraus wahr sind; denn alsdann ist zu diesem nur ein
einziger Grund möglich, der also auch der wahre ist"), wo Erd-
mann „diesen" statt „diesem" eingesetzt hat.
Wunderbar aber mutet wieder die Bemerkung Erdmanns
zu 442, 6 f. an. Die Stelle lautet: „Dagegen ist die Methode, nach
einem solchen Prinzip Ordnung in der Natur aufzusuchen, und
die Maxime, eine solche ... in einer Natur überhaupt als ge-
gründet anzusehen, allerdings ein rechtmäßiges und treffliches
regulatives Prinzip der Vernunft, welches aber als ein solches
viel weiter geht, als daß Erfahrung oder Beobachtung ihr gleich-
kommen könnte, doch ohne etwas zu bestimmen, sondern ihr
nur zur systematischen Einheit den Weg vorzuzeichnen." Hier
will nun Erdmann statt des ersten „ihr" „ihm" schreiben, mit
Beziehung auf Prinzip. Das halte ich nicht für nötig: man kann
„ihr" auch auf Vernunft beziehen. Das zweite „ihr" aber läßt
er auf „Vernunft" zurückgehen. Das gibt gar keinen Sinn; es
bezieht sich natürlich auf „Erfahrung" oder „Beobachtung."
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Von Otto tfchömlörffer. 143
Sehr eigentümlich ist auch die Interpretation von 485,34.
(„Es würde also hier freilich ein wahrer Widerstreit anzutreffen
sein, wenn nur die reine Vernunft auf der verneinenden Seite
etwas zu sagen hätte, was dem Grunde einer Behauptung nahe
käme; denn was die Kritik der Beweisgründe des dogmatisch
Bejahenden betrifft, die kann man ihm sehr wohl einräumen,
ohne darum diese Sätze aufzugeben.") Hierzu bemerkt Erdmann:
„Ich interpretiere: die (diese Beweisgründe) kann man ihm (dem
Kritiker des Dogmatismus) sehr wohl (als unzulänglich) (!) ein-
räumen." Mir scheint es selbstverständlich, daß der Satz folgender-
maßen zu erklären ist: die (d. h. die Kritik) kann man ihm
(dem Kritiker des Dogmatismus, dem Philosophen auf der ver-
neinenden Seite) sehr wohl einräumen.
B. Druckfehler und Versehen.
Es ist zu schreiben:
29, i „wiederum" statt „wiedernm".
29,24 „wirklich" statt „wirklch".
36, r, (Lesartenverzeichnis) „hinzufügt A1" statt „hinzugefügt A1 ".
173, 21. 22 (Lesartenverzeichnis) „Correlatum" statt „Gorrelatum".
195.5 „auch nur als einen" statt „auch nur einen".
226,8.9 (Lesartenverzeichnis) „sondere A1" statt „sondern A1".
238, 17. 18 „mathematischen" statt „matemathischen".
262,30 „allgemeinen" statt „allgemeine".
270.6 „gar" statt „ga".
267, 15 (Lesartenverzeichnis) „die A2-5" statt „des A2 5U.
280,32.33 (Lesartenverzeichnis) „mich — heben A45" statt „mich —
haben A4"5" (?).
288, si (Lesartenverzeichnis) „Das A" statt „Des A".
346, 18 „entweder" statt „endweder".
349,20.27 „Nichtigkeit" statt „Dichtigkeit".
490,25 „auch" statt „auch auch".
492,2o „Beistimmung" statt „Bestimmung".
508, ii-io (Lesartenverzeichnis) „werde. Daß — habe: daß A" statt
„werde. Daß — habe: da A".
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144
Kants gesammelte Schriften.
531,22 „wie der der" statt „wie der".
531,27 „Fürwahrhalten" statt „Führwahrhalten".
532,3i „anhängt" statt „abhängt".
543, 13 „Vernunftbewerbung" statt „Vernunftbewegung".
551,6 „sagten" statt „sagen".
Zum Schluß will ich noch bemerken, daß eine Eeihe von
Verbesserungen die A2 gegenüber Al hat, von Erdmann merk-
würdigerweise im Lesartenverzeichnis nicht angegeben sind. Ich
habe die beiden Texte durchaus nicht Wort für Wort verglichen,
und doch sind mir 15 solche Verbesserungen in A2 begegnet.
Es sind folgende:
A1 hat 103,3»):
stnd,
dafür
richtig
A2
: und
5 »
105,u :
sur,
s
s
*
: nur
* 5
145, 37 :
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: in einem
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149, i :
zuziehen,
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5
*
~
: enthält
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265,16 :
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c
: wir
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c
: eine
*
396,7 :
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*
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: sich
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399, o :
indetisch,
s
*
5.
: identisch
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402,30 :
in,
5
*
s
: ist
5
417,36 :
beobachtenden,
<
*
;
: zu beob-
AfVh tan d An
* r
425,28 :
Antropomorphim
> *
5
5
Oi\JlX UvUUvli
: Anthro-
pomorphisn
5 5
431, r> :
raticalen,
S
*
*
: radicalen
9 *
443,12 :
in dem,
s
s.
5
: indem
*
522, i :
Subjekt,
s
*
~
: Subjekts.
Danach sind die Worte der Einleitung S.561: „Der Text-
bestand von A2 macht nicht wahrscheinlich, daß Kant den Druck
dieser Auflage mehr überwacht hätte, als den von A1" doch
vielleicht ein wenig einzuschränken, wenngleich es auch mir nicht
wahrscheinlich ist, daß Kant sich um die Drucklegung auch der
zweiten Auflage sonderlich sollte gekümmert haben.
1) Die Seitenangaben sind aus der Akademieausgabe Bd. III entnommen.
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Kritiken omi Referate.
Josef Kolberg, Ermland im Kriege de« Jahre« 1520. Braunsberg 1905.
Druck der Ermländ. Zeitungs- und Verlags-Druckerei (C. Skowronski).
Dieses Buch (auch als Abhandlung erschienen in Band 15 der Zeitschrift
für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands) füllt eine bisher entschieden
empfundene Lücke aus, da die Darstellung des sogenannten Reiterkrieges von
1 520 bei Joh. Voigt (Preuß. Geschichte) sich nur in großen Zügen bewegt und
auch des Referenten „Politik des letzten Hochmeisters4, ihren Zwecken gemäß
„nicht so sehr Einzelheiten wiedergeben konnte und wollte". Die von Kolberg
geschilderte Zeit gehört mit zu den jammervollsten, die das Preußenland, speziell
das ermländische Bistum jemals hat erleben müssen. Wir sind durch das
Ergebnis der Kolbergscheu Forschungen in der Kenntnis unserer heimischen
Geschichte ein gut Stück vorwärts gekommen.
Im Mittelpunkte der Ereignisse steht die Gestalt des Bischofs Fabian
von Losainen, aber mehr als leidende, denn als handelnde Person. Von weicher,
dem Denken und Fühlen der harten Zeit nicht gewachsenen Sinnesart, schwankend
in seiner politischen Haltung zwischen den feindseligen Elementen Polen und
Deutschorden, hat dieser späterhin vielfach angefeindete Kirchenfürst mit seinem
Ländchen die Geißel der Kriegsfurie in schrecklichster Weise erfahren müssen.
Referent verbleibt auch nach den Ausführungen des Verfassers (S. 53 Anm. 1)
bei seiner Ansicht, daß Bischof Fabian durch seine polenfreundliche Haltung,
trotz seiner, der Furcht vor den Schrecken des Krieges entsprungenen Ver-
mittelungsversuche, den Angriff des Hochmeisters verschuldet hat. Dieser An-
griff war fraglos ein eminenter Friedbruch. Wenn man aber erwägt, daß die
Ennländer an ihrem Teile reichlich dabei geholfen haben, die Macht des Deutsch-
ordens in dessen Kämpfen mit Polen zu brechen, so wird man sich nicht
wundern dürfen, daß im Lager des Hochmeisters ein wilder Haß gegen diese
stillen Bundgenossen des Erbfeindes herrschte, der bei ereter Gelegenheit zum
Ausbruch kommen mußte. Das durch den Frieden von 1466 geschaffene staats-
rechtliche Verhältnis des Bischofs zu Polen war es ja eben, was der Orden
nicht anerkennen mochte; gerade dieses Verhältnis bildete für den Orden die
größte Gefahr und war stets ein schwerer Stein des Anstoßes. Und zudem
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 1 u. 2. 10
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146 Kritiken und Referate.
war es für Hochmeister Albrecht, dessen Politik unter der Ägide des Aben-
teurers Dietrich v. Schönberg freilich auf krummen Wegen zum Verderben
führte, wenn er nun mal losschlagen wollte und mußte, eine absolute Not-
wendigkeit, das wie ein Pfahl ins Fleisch des Ordenslandes gepreßte Ermland
polnischer Obedienz schnell zu besetzen: — jus belli, nicht mehr und nicht
weniger. So ist das kleine, bedauernswerte Bistum aus innerer Notwendigkeit
bei dem längst zu erwartenden letzten Zusammenstoß der Ordensmacht mit
Polen zum Puffer geworden. Entsetzlich waren dabei seine Schicksale: aber
nicht minder fürchterlich gestalteten sich die des Ordenslandes selbst, das nun
die Früchte der unehrlichen und leichtsinnigen Politik eines Schönberg zu kosten
bekam. Mit Interesse verfolgen wir in der gewandten Darstellung Kolbergs diese
traurigen Kriegsereignisse. Preußen und Ermland sind darüber von neuem
wieder an des Verderbens Rand gelangt. Zu wünschen wäre es, daß die Feder
Kolbergs den ganzen Krieg in allen seinen Phasen mit gleicher Vollständigkeit
geschildert hätte. Die nicht weniger grauenhaften Leiden des Bistums Pomesanien,
die Ereignisse in Masuren, die Taten der Danziger, der Zug der Polen vor
Königsberg und die Haltung der drei Städte, Albrechts Zug nach Neumark,
die Episode von Konitz und die armselige Affaire „des großen Haufens44 vor
Danzig werden nur gestreift; denn der Verfasser hat (freilich seinem Thema
gemäß) mit hauptsächlicher Gründlichkeit den Krieg im Ermland geschildert.
Ausführlicher werden allerdings nebenher auch die Geschicke der dem Bistum
nahe benachbarten ordenischen Landstriche (Bartenstein, Ei lau, Rastenburg) in
den Kreis der Betrachtungen gezogen.
Wort für Wort unterschreibe ich das unbefangene, milde Urteil des Ver-
fassers über Bischof Fabian, der von den ermländischen Historikern (namentlich
Treter) übel genug behandelt worden ist. Wie denn überhaupt eine schöne
Objektivität und Gerechtigkeitssinn aus der Darstellung hervorleuchten. Das
Buch gibt ferner mehr, als sein Titel erwarten läßt, da es auch die im Bistum
Ermland (namentlich aber in dem noch lange nach dem Kriege vom Orden
okkupierten Braunsbergl mit ziemlicher Lebhaftigkeit einsetzenden reformatorischen
Bewegungen und deren kluge und energische Beseitigung durch Bischof
Mauritius Ferber, den Nachfolger Fabians, schildert und dabei eine Menge
neuer (von Tschackert nicht veröffentlichten) Dokumente aus den Archiven
von Königsberg, Frauenburg und Lauck beibringt.
Joachim.
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Mitteilungen und Anhang.
Hat Bütow ursprünglich zur Diözese Kammin gehört?
Von
S. Knjot, Pfarrer.
In dem lesenswerten Aufsatze von Li c. H. Frey tag: Das Archidiakonat
Pommerellen der Diözese Wloclawek im Mittelalter (April -Juni -Heft
dieser Zeitschrift, S. 204 ff) ist die Behauptung ausgesprochen, Bütow habe
während des ganzen Mittelalters nicht zum Archidiakonat Pommerellen gehört
(S. 218). Der Verfasser folgert dies daraus, daß „die älteren Dekanatsverzeichnisse
ein Dekanat Bütow nicht kennen". „Zum ersten Male erscheint es bei Dama-
lewicz 46." Daraus schließt Freytag, daß Bütow im Jahre 1637, bei dem Heim-
falle an Polen nach dem Aussterben der Herzöge von Pommern, auch in
kirchlicher Hinsicht einem polnischen Bistume, und zwar dem von Wloclawek
als dem nächsten, zugefallen sei (S. 218, Anra. 2).
Die logische Folge davon wäre die, daß Bütow ursprünglich dem Bistum
Kammin einverleibt war und zu demselben auch mit einer Unterbrechung im
XIII. und XIV. Jahrhundert gehörte. Damals, im XIII. und XIV. Jahr-
hundert (bis 1371) hätte er als Bestandteil des Archidiakonates Stolp zur Erz-
diözese Gnesen gehören müssen.
Dem ist jedoch nicht so, im Gegenteil, Bütow ist immer ein Bestandteil
des Archidiakonates Pommerellen, und mit diesem ein solcher der Diözese
Wloclawek gewesen. Den Beweis hierfür gibt die Lehnsurkunde über Lauenburg
und Bütow von 1526. Es heißt darin ausdrücklich, daß die pommerschen
Herzöge bis zu ihrem Aussterben die Regierung in beiden Lehen führen sollten,
salva tarnen iurisdictione interim perpetuo, proventibus, decimis seu Episcopa-
libus cum villis, bonis, piscaturis ac libertatibus ad Reverendum Joannem Epi-
scopum et ecclesiam Vladislaviensem ex antiquopertinentibus (Volumina
Legum I 471; Petersburger Ausg. 234). Es ist demnach unzweifelhaft, daß
auch Bütow schon im Jahre 1466 und zur Deutschordenszeit zur Diözese Wlo-
clawek gehört hat. Wäre es im Jahre 1371, als der Prozeß zwischen Kammin
und Gnesen um dem Besitz des Archidiakonates Stolp zugunsten des ersteren
entschieden wurde, ein Bestandteil des genannten Archidiakonates gewesen, so
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148 Mitteilungen und Anhang.
hätte es zugleich mit diesem zu Kammin zurückkehren müssen und es wäre
unmöglich gewesen, daß Bütow in der Folgezeit, vor 1526, von Wloclawek
hätte annektirt werden können. Und doch gehörte es damals schon von
altersher — antiquitus — zu dieser Diözese!
Lic. Freytag vermutet, daß die zwei Kirchen und 37 Dörfer, um deren Rück-
gabe Bischof Matthias von Wloclawek den Kamrainer Bischof Friedrich im
Jahre 1335 in Rom verklagt hatte, im Lande Bütow lagen (S. 215 u. 217). Nach
dem Gesagten ist diese Hypothese nicht zutreffend. Wahrscheinlich hatte
Bischof Matthias die Gegend von Groß Nossin und Budow im Sinne, wo sich
der Kreis Stolp auffallend zwischen die Lande Lauenburg und Bütow hineindrängt.
Die Memeler Edelschmiedekunst und ihre Vertreter.
Ergänzungen zu dem Aufsatze über obiges Thema in der „Altpreußischen
Monatsschrift" XXXX, pg. 522—543
von
Johannes Sembritzltl.
Auch die Memeler Kaufmannszunft besaß einst schönes Silbergerät,
das erst nach Umwandlung der Zunft in eine Korporation der Kaufmannschaft
(1822) veräußert zu sein scheint. Am 18. Februar 1661 beschloß die Zunft, einen
silbernen Willkomm-Pokal zu stiften „aldieweilen kein ander trinkgeschir, wo-
rinnen man denen anwehßenden Herren bey vnsern gewönlichenn Convivis, einen
Ehrentrunck zu praesentiren, vohrhandenn gewesen". Jedes Mitglied gab einen
freiwilligen Geldbetrag, 14 stifteten ein silbernes Schildchen zum Anhängen, 3 je
ein Schaustück; auch Rat und Gericht steuerten bei. Die Anfertigung wurde
dem Memeler Goldschmied Christian Wyprecht übertragen, der ebenfalls „ein
schönes Schildt verehret". Der Wert des Willkomms wurde ,,bey 400 Fl." an-
gegeben. — Am 18. Februar 1694 wurde dann ein zweiter Willkomm gestiftet,
zu dem die 30 schlechtesten Schilde des alten Pokals verschmolzen wurden; die
Namen der Stifter dieser Schilde wurden auf dem neuen Pokal eingraviert. Er
wog 152l/2 Schott.
„Dazu
an Silber gekaufft 64 l/j schott gew. c 26 gl - 55 f. 27
selben Pocal zu vergulden, dem Goltschmidt
Peter Fritzen 6 ducat. c 71/2 f 45 f.
d Hl Peter Fritzen Arbeitslohn 30 f.
Dem Gesellen, vor die Nahmen und sonsten
alles zu stechen 5 f.
' 135 f. 27 gl."
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Die Memeler Edelschmiedekunst und ihre Vertreter. 149
Im Jahre 1696 gehörten zu den 2 Pokalen 17 alte und 23 neue silberne,
vergoldete oder flamm ierte Schilder und Schaustücke, zusammen also 40; 1700
waren es schon 50, 1702 aber 56. — Sonst erfahren wir noch, daß der alte Pokal
1672—1676 eines viel Geld kostenden Prozesses gegen den Rat der Stadt halber
versetzt war;- ebenso wurde er 1728, nachdem er 6*/a Jahre versetzt gewesen war,
wieder eingelöst, allein der Darleiher Wilh. Sennert erhielt nur sein Kapital mit
116 Fl. zurück, nicht aber die von ihm beanspruchten Zinsen für genannte Zeit
(er prätendierte 45 Fl.) — „laut Justification E. K. Hl. [Eines Königl Hochlöbl.J
Hoffgerichts".
Nachträge zum Verzeichnis der Memeler Goldschmiede.
1623 Hans Reinmann, Goldschmiedgesell und Soldat, heiratet 11. postTrin.
Die Witwe Catharina des Goldschmieds Hans Reimann heiratet 1638
wieder. Ich vermute in ihm den Verfertiger der Brabenderschen Kanne
(XXXX, pg. 524).
1627, 25. post Trin. heiratet Goldschmied Georg Dehmer aus Stockholm die
Elisabeth Reimann aus Kiejdany (in Szamaiten).
1642, 11. Dezember ist Taufzeuge „Tobias der Goltschmidt".
Zu Nr. 5 des ersten Aufsatzes. Der „Johann Goldschmiedt" war in der Tat ein
Kürschner; Taufzeuge 15. März 1662.
Zu 5a. Christian Wyprecht. Das Kirchenbuch erwähnt 1662, 25. Oktober
als Taufzeugin „die Christian Wybrechtsche, Goldschmiedsche" und
1665 kommt „Wyprecht" selbst vor. Er ist wohl identisch mit dem
bei v. Czihak pg. 56 nr. 177 erwähnten Christian Wipprecht in Königs-
berg, mithin von Memel nach dort verzogen.
Zu 6. Peter Fritz ließ bereits 1674, 14. Oktober in Memel einen Sohn
Johannes taufen, dessen Taufzeugen waren: Friedrich Wilke, Andreas
Morray, Wilh. Morray. Des Peter Fritz Ehefrau war ihm kurz zuvor
im Tode vorangegangen; sie starib 22. Dezember 1713.
Zu 7. Es handelt sich um zwei Büchel oder Bichel. Der ältere hieß Gott-
fried B.t ließ noch 12. September 1706 einen Sohn Johann Gottfried
taufen, starb dann aber, wie erwähnt, 1707 „in grosser Dürftigkeit".
Auch dem jüngeren, Johann Gerhard (nicht Erhard), der 1708,
10. Januar einen Sohn Joh. Gerhard, 1700, 15. Februar einen Sohn
Christoph taufen ließ, erging es schlecht; er kommt 1720 im Hand-
werkerverzeichnis nicht mehr vor und starb 1741, 24. August im Elend;
das Kirchenbuch sagt: „ein lang blind gewesener Mann in der still
beerdigt". Seine Witwe starb 1747.
Zu 8. Joh. Loren tz heiratete 1708, 30. Januar, die Tochter Elisabeth des
Peter Fritz. Er hielt den 1720 erwähnten Lehrling; derselbe hieß
Lorenz Lecru (Lacry), reform. Konf.
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150 Mitteilungen und Anhang.
Zu 9. Phil. Thimmann oder Timmann heiratete seine Frau am 0. Mai 1715
und hatte mit ihr H Söhne und 1 Tochter. 1722 verzog er, so daß
Lorcntz als alleiniger Goldschmied in Memel übrig blieb, und es muß
ihm nicht gut gegangen sein; denn 1736, 25. März wird sein Tod mit
dem Bemerken gemeldet „im Königl. Hospital verstorben".
Nach dem Vorhergehenden scheint es, als wenn etwa in der Zeit
von 1670 bis 1770 immer nur ein einziger Goldschmied seine Existenz
in Memel habe finden können.
Zu 28. Evers ist am 11. Juli 1789 zu Bremen geboren und ein Sohn des
Weinschenkers Albrecht Joachim Evers und der Clara Gerderuth, geb.
Liemanns. Am 1. Juni 1845 verkaufte er sein Geschäft seinem bis-
herigen Gehilfen M. Kalcher.
Zu 30 und 31. Ihr Vater war Gottlieb Benjamin Koppcke aus Königsberg,
Perruquier, in Memel Bürger geworden 34 Jahre alt am 2. Mai 1793.
Zum Pokal des Fleischergewerks.
Die eiue der als Anhängestücke dienenden Mcdailleu ist die Sterbe-Medaille
von Luise Charlotte, Schwester des Großen Kurfürsten, welche 1645 den Herzog
Jacob von Kurland heiratete. Die Medaille trägt die Inschrift „Herr Jesu Nimm
Meine Seele in Deine Haende vnd las sie dir befohlen seyn. Amen. MDCLXX VP\
Sie ist selten und von hohem Werte; das Königliche Münz-Kabinet in Berlin
besitzt sie nicht.
Universitäts-Chronik 1904 und 1905.
1904.
19. Dez. Med. l.-D. von Simon Hurwltz (aus Holschan, Gouv. Wilna): Aus dem
Königl. pathol. Institut in Königsberg i. Pr. Beitrag zur Lehre von den
hämorrhagischen Erosionen des Magens. Kgsbg. Leupold. (42 S. 8°.)
22. Dez. Phil. I.-D. von Hans Friedrich (aus Königsberg): Assistent am chemischen
Universitäts-Laboratrium : Zur Kenntnis der Mandelsäure. Kgsbg. Ebd.
(1 ßl. 64 S. 8°.)
— — Phil. I«-D. von Arno Kadglen (aus Goldap): Untersuchungen über den
Kalkgehalt ostpreußischer Bodenarten und seine Beziehungen zu einigen
wichtigen Kulturpflanzen (unter spezieller Berücksichtigung litauischer und
einiger masurischen Kreise). Kgsbg. Ebd. (2 Bl. 80 S. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Paul Salecker (aus Königsberg), Assistent am landw.
Versuchsfelde Waldgarten Abt. IV der Kgl. Albert- Univ.: Ueber die Ein-
wirkung einiger chemischer Einflüsse auf die Verdaulichkeit des Proteins.
Kgsbg. Jaeger. (47 S. 8°.^
1905.
16. Jan. Med. I.-D. von Nach im Segal (aus Gluboko in Rußland): Aus der
Kgl. Universitäts- Augenklinik zu Königsberg i. Pr.: Ueber Cataracta
perinuclearis congenita. Kgsbg. Ebd. (36 S. 8°.)
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Universität-Chronik 1904 und 1905. 151
Zu der am 18. Jan. . . . , statsfind. Feier des Krönungstagos laden .... ein
Rektor u. Senat. Kgsbg. Härtung. (2 Bl. 4°.) [Preisaufg. f. d. Stu-
dierenden i. J. 1905.]
Zu der am 27. Jan. . . . stattfind. Feier d. Geburtstages . . . d. Kaisers u. Königs
laden . . . ein Kektor u. Senat . . . Kgsbg. Ebd. (2 Bl. \o.) [Preis-
verteil. v. 18. Jan.]
30. Jan. Phil. I.-D. von Artur Kl bat (aus Lyck): Die Behandlung des Lang-
diphthongs äu im Nom. Acc. Voc. Dualis einerseits und im Locativ Singular
andrerseits im Rigveda. Kgsbg. Leupold. (2. Bl. 64 S. 8°.)
— — Metl. I.-D. von Cnrt Winter, appr. Arzt (aus Marienwerder, Westpr.):
Aus der Königl. chirurgischen Klinik zu Königsberg i. Pr. Ein Beitrag
zur Kenntnis der sacrococcygealen Tumoren. Kgsbg. Kümmel. (27 S. 8°.)
18. Febr. Med. I.-D. von Herbert Assmann (ausDanzig): Aus der hygienischen
Untersuchungsanstalt zu Danzig. Direktor: Prof. Dr. Petruschky. Ver-
suche über den Wert des Aethylalkohols, inbesondere des alkalischen
Alkohols als eines Desinfektionsmittels bei bakteriologischen Sektionen.
Kgsbg. Kümmel. (55 S. 8°.)
22. Febr. Med. I.-D. von Otto Grüner (aus Proskau, Schlesien), Oberarzt im
Ostpreuß. Train-Bataillon Nr. 1 : Beitrag zur Kenntnis der myasthenischen
Paralvse. Vier Fälle (mit einem Sektionsbefunde). Kgsbg. (L. Schumacher,
Berlin.) (40 S. m. 1 Taf. 8<>.)
25. Febr. Phil. I.-D. von Carl Lohauss (aus Königsberg): Aus d. botanischen
Institut zu Königsberg i. Pr. Beiträge zur Anatomie der Laubblätter
einiger Fes tucaceen -Gruppen. Kgsbg. (2 Bl. 40 S. 4°.) [Aus Bibliotheca
Botanica (Verlag Nägele, Stuttgart)].
— - Phil. I.-D. von Konrad Nitz (aus Pr. Friedland, Westpr.): Anwendungen
der Theorie der Fehler in der Ebene auf Konstruktionen mit Zirkel und
Lineal. Kgsbg. Jaeger. (2 Bl. 36 S. m. 1 Taf. 80.)
Verzeichnis der auf d. Kgl. Albertus- Univers. . . , im Sommerhalbjahre v. 15. April
1905 an zu haltenden Vorlesungen u. d. offen tl. akad. Anstalten. [Rektor
Dr. F. Rühl o. ö. Pr.] Kgsbg. Härtung. (1 Bl. 73 S. 8°.) Revision
meiner Ausgabe des Homerischen Hermes-Hymnus. Kritische Miscellen
(XXV-XXV1II). Von Arthur Ludwich. S. 1-24. Ebd.
6. März. Mit Genehmigung der mediz. Fak. . . . wird .... Dr. med. Ernst
Rautenberg, Arzt . . . seine offen tl. Antrittsvorlesung üb. ,, Serumbehand-
lung" halten. . . . Kgsbg. Kümmel. (2 Bl. 4°.)
— — Mit Genehmig, der mediz. Fak. . . . wird . . . Dr. med. Walter Rind-
fleisch, Arzt . . . seine öffentl. Antrittsvorlesung über „Die Bildung von
Gallensteinen" halten. Kgsbg. EM. 2 Bl. 4°.)
8. März. Med. I.-D. von Ernst Schubert (aus Cranz): Aus d. Königl. Univers.-
Frauenklinik in Königsberg i. Pr. Ein Beitrag zur Symptomatologie der
Uterusmyome. Kgsbg. Ebd. (67 S. 8°.)
9. März. Phil. I.-D. von Kurt Scheffler (aus Marienwerder) : Beiträge zur
Kenntnis der Alkylarsousäuren. Kgsbg. Gruel. (2 Bl. 63 S. 8°.)
11. März. Med. I.-D. von Georg1 Dorner (aus Wittenberg): Aus d. hygien.
Inst. d. Univ. Königsberg i. Pr. Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der
Hämolysine. (In Sonderheit: Ueber Erzeugung hämolytischer Sera mittels
kleiner Dosen Erythrocyten und die Wirkungen von Aderlässen auf derart
vorbehandelte Kaninchen.) Kgsbg. Kümmel. (54 S. 8°.)
15. März. Phil. I.-D. von Walter Frost (aus Bartenstein, Ostpr.), Regierungs-
bauiührer a. D.: Die Grundlagen des Begriffs der Urteilskraft bei Kant.
Kgsbg. Ebd. (43 S. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Bruno Holzky (aus Wormditt): Die Entwicklung der
Landwirtschaft in dem ermländischen Bauerndorfe Kleinenfeld. Kgsbg.
Ostpreuß. Druck, u. Verlagsanstalt. (2 Bl. 163 S. 8°.)
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152 Mitteilungen und Anhang.
15. März. Phil. I.-D. von Berka Schimschelewltz (aus Lubza, Rußland): Ueber
die Einwirkung von Jod auf Kaliumchlorat Natriumchlorat und Barrum-
chlorat. Kgsbg. Jaeger. (6 Bl. 32 S. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Kort Schwonder (aus Pr. Holland, Ostpr.), Land-
wirtschaftslehrer: Die landwirtschaftlichen Betriebssysteme. Eine Kritik
der verschiedenen Einteilungen und Vorschläge zu einer Neueinteilung,
begründet durch die Wirtschaftsweise auf dem Gute Wermten und der
Herrschaft Friedrichstein. Kgsbg. Leupold. (2 Bl. 143 S. m. 2 Tab. 8°.)
20. März. Med. I.-D. von Ernst Schals (aus Mühlhausen, Ostpr.): Aus dem
Königl. patholog. Institut in Königsberg i. Pr. Ein neuer Fall von
Akromegalie mit Sektionsbefund. Kgsbg. Karg & Manneck. (71 8. 8**.)
— — Med. I.-D. von Cort Hoffmann (aus Carlsberg bei Straßburg, Westpr.):
Aus dem Königl. patholog. Institut in Königsberg i. Pr. Ein Fall von
totaler angeborener und bleibender Atrichie. Kgsbg. Ebd. (26 S. S°.)
25. März. Phil. I.-D. von Hans Renter (aus Worms a. Rhein): Beiträge zur
Praxis der Molekulargewichtsbestimniungen. Kgsbg. Leupold. (2 Bl.
55 S. m. 2 Taf. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Gerhard Gtlage (aus Dorpat, preußischer Staatsangehöriger):
F. E. Neumanns Methode zur Bestimmung der Wärmeleitungsfähigkeit
gut leitender Körper in Stab- und Ringform und ihre Durchführung an
Eisen, Stahl, Kupfer, Silber, Blei, Zinn, Zink, Messing, Neusilber. Kgsbg.
Krause & Ewerlin. (93 S. m. 2 Taf. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Hans Chusean (aus Eydtkuhncn), Kandidat des höheren
Schulamt8 zu Rastenburg: Eduard von Hartmanns Stellung zum psycho-
physischen Parallelismus. Kgsbg. Kümmel. (VIII, 77 S. 8°.)
30. März. Med. I.-D. von Richard Puppel (aus Königsberg): Aus dem Königl.
pathologischen Institut in Königsberg i. Pr. Die Tuberkulose der Parotis.
Kgsbg. Karg & Man neck. (35 S. S°.)
— — Med. I.-D. von Kurt Fromm (aus Heilsberg): Aus der Königl. chirurg'.
Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Verkrümmung der Tibia durch
Narbenzug. Kgsbg. Leupold. (27 S. 8°.)
— — Med. I.-D. von lsidor Öoldbergr (aus Aweyden, Kr. Sensburg): Aus
dem Königl. pathologischen Institut in Königsberg i. Pr. Ein Fall von
Balkenmangel im menschlichen Großhirn. Kgsbg. Karg & Manneck.
(32 S. m. 1 Taf. 8°.)
3. April. Med. I.-D. von Bruno Kob (aus Wischwill), prakt. Arzt. Wehlau:
Ueber die Behandlung der ischämischen Lähmungen des Vorderarms durch
Resektion der Vorderarmknochen. Kgsbg. Kümmel. [29 S. 8°.)
— — Med. I.-D. von Paul Wobbe (aus Friedrichshof, Kr. Heiligenbeil), prakt.
Arzt, Neufahrwasser: Die Behandlung des Brustkrebses mit besonderer
Berücksichtigung ihrer geschichtlichen Ent Wickelung. Kgsbg. Kümmel.
(38 S. m. 1 Taf. 8.)
Lyceum Hosianum in Braunsberg 1905.
Verzeichnis der Vorlesungen am Königl. Lyceum Hosianum zu Braunsberg im
Sommer-Semester 1905. (Rektor: Dr. Franz Niedenzu.) Inhalt: Die
erkenntnistheoretische Bedeutung des Citats. — I. Ein Beitrag zur Theorie
des Autoritätsbeweises von Prof. Dr. W. Switalski. (S. 3—22.) II. Ver-
zeichnis der Vorlesungen. (S. 23—24.) III. Preisaufgaben. (S. 25.)
IV. Institute. (S. 2(3.) Braunsberg. Heyne's Druckerei (&. Riebensahm).
(26 S. 40.)
— ~&~-
Buchdruckerei R. Leupold, Königsberg i. Pr.
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Beiblatt zur Altpr. Monatsschrift Bd. XLII, Heft 1 und 2.
Erklärung.
Schon nach der Drucklegung meiner Notiz über die Zugehörigkeit von
Bütow zum Archidiakonat Pommerellen auch während des Mittelalters (S. 147, 148
dieses Heftes) habe ich mich aus den Berichten des Pflegers zu Bütow von 1451
und 1452 (Cramer, Geschichte der Lande Lauenburg und Bütow II, 51—58)
von dem Gegenteil überzeugt. Dieselben waren mir bisher unbekannt geblieben,
weil mein Handexemplar des genannten Werkes unvollständig war. — Die von
mir angezogene Urkunde ist demnach für Bütow belanglos.
Grieben au. den 22. April 1905.
Kujot, Pfarrer.
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Altpreuss. Monatsschr Bd.XLtt
eJnsala
proxima civitah ti
Jio&sHb I
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ferior
psbergk änno 1286.
)*r-JlM*iqf.
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\
Die Schüler des Rösseler Gymnasiums
nach dem Album der mariairischen Kongregation.
Bin Beitrag zur Geschichte Inen Familien
Bildung im Erratene] wie in dvu angrenzende]
Während des 17. jind 18. Jahrhunderts,
r Teil 1631-^1748.
n Professor Dr. Georg LühP in Braunsberg.
I. Lieferung. (1. Bt, S. 1 — 74. 8°.i
Emil Benders (Huyes) Verlagsbuchhandlung.
Uerlag oon Ottomar Anschütz- Berlin.
ra Die IXlarienburg i. Pr. m
Das ehemalige ßaupthaus der deutschen Ordensritter.
30 Ansichten der bemerkenswertesten Teile der Burganlage
aufgenommen von
Ottomar Anschütz -Berlin.
4 Preis I mh.
Verlag- von A. W. Kafemann, Danzig-.
Die Stadt
os=sd Danzig o^a
ihre geschichtliche Entwicklung und ihre öffentlichen Einrichtungen.
II»- -ii im Auftrage des Magistrate,
h Gruudrif □ und 1 farbigen Plan.)
kl. Lwb. Mk. 2,50.
i
■frrVJfcWTs^^;^^^
Im Verla::«' von A. W. Kafemann, Danzig erschien:
Nordostdeutsche Städte und Landschaften
Nr. 15.
Mankowski
Führer durch Ermland.
Mit 1 Karl and 19 tlliiatrj Preis i Mk.
Diqitized b\
Google
Im Verlage von A. W. Kafemann-Danzig erschien:
H. Conwentz,
Das westpreussische Prouinzial» Museum
1880-1905.
Nebst bildlichen Darstellungen aus Westpreussens Natur
und vorgeschichtlicher Kultur.
VII, 54 Seiten mit 80 Tafeln. Lex. -8°.
»-3 Preis 10 Mk. 8>-<
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^^^^^^^^^^^^^^^^g^^gg^^^s^efe^g^^H^^^^^H^grr
►Soeben erschien:
Kants Kritik 9er reinen Vernunft
abgekürzt auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte.
Eine Vorübung: für kritische Pftilosophie
von Dr. Heinrich Bomundt.
Preis 2 Mk.
Verlag von B. F. Thienemann-Gotha.
B. Pernerstorfer in Wien.
Dr. Karl Vorländer:
Marx und Kant.
Vortrag. (Aus „Deut. Worte".) 28 Seiten. Lex.-8°. 1904.
Preis 1 Mk.
Demnächst erscheint im Verlage von Reuther & Reichard -Berlin:
Schiller als Philosoph •st-
und seine Beziehungen ZU Rant.
Eine Festgabe der „Kantstudien",
herausgegeben von Prof. Dr. H. Vaihioger und Privatdozent Dr. B. Bauch.
Mit einem Bilde Schillers nach <». von Kügelgen
im Dreifarbendruck und einer Autotypie: Schiller auf dem Totenbette.
Gr. 8°. Preis ca. 2 Mk.
Heft 3 und 4 erscheinen als Doppelheft Ende Juni. Der Herausgeber.
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Altpreussische
Monatsschrift
neue Folgte.
Der
Neuen Preussischen Pro vinzial -Blätter
riiiifle Folgre.
Rudolf Reicke.
chrift XLII. Band. Der Provinzialblätter CVIll. Band.
Drittes und viertes Heft.
April - Jun
Königsberg in Pr.
Abonnemem fahrgang Ulk, t2,00.
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n h a 1 1.
Abhandlungen.
Abraham Culvensis, Urkunden zur Reformai
Lithaueni. Von Li«, Dr. RTbtscbke
Aus clcm Leben d bristiau Friedrich Puttlich«
Von Arthur War'da
Das Kant -Bildnis Elisabeths \ aann, Von Arthur
Warda
ll. Kritiken und Referate.
in Friedlich Trescho, Digkonus zu Mnhningt*u iu
Preußen. Sein Leben and Beine (Schriften, diu
inderdruck
VII. 17-
in 8\ Von Gottlieb Krause
111. Ulitteilunsren nnd Anhang:.
Frage, Von Amtegerichtnrat a. D. Mendtbal-
Memel .
Von M Perlbach
Alle Rechte bleiben vorbehalten, ~W|
Herausgeber und Mitarbeiter.
■■■■■■■■■■n
Diqitized b\
G
■■■■■«
Abraham Culvensis.
Urkunden zur Reformationsgeschichte Lithauens.
Von
Liz. Dr. Wolschke.
In seinem Urkundenbuche zur Beformationsgeschichte des
Herzogtums Preußen hat Tschackert1) einige Nachrichten über
diesen lithauischen Gelehrten gegeben und damit das tiefe Dunkel,
in das dessen Leben bis dahin gehüllt war, gelichtet. Aber als
eine abschließende Arbeit können diese wenigen Angaben schon
deshalb nicht gelten, weil Tschackert von den Beziehungen dieses
treuen Schülers der Wittenberger zii seinem Vaterlande, von
seinen eifrigen Bemühungen, in ihm die Erneuerung der Kirche
zu fördern, fast nichts zu berichten weiß. Die polnisch-lithauische
Reformationsgeschichte heischt eine eingehendere, gründlichere
Darstellung der wenigen Jahre seines öffentlichen Wirkens, zählt
er doch zu den ersten, die evangelische Erkenntnis dem fernen
Lithauen zu bringen suchten.
Abraham Culvensis ist der Sproß des alten in Lithauen
einst reichbegüterten Adelsgeschlechtes der Hadath. Sein Vater,
der das Erbgut Culva unweit Kauen (Kowno) besaß, wie seine
Mutter Elisabeth erzogen ihn, ihren einzigen Sohn, streng und
ließen ihm den besten Jugendunterricht zuteil werden. Den
Jüngling sandten sie nach Krakau2), um ihn auf Polens Hochschule,
1) R. Tschackert: Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzog-
tums Preußen. Leipzig 1890. I S. 249 ff.
2) So Hoppe in der oratio funebris in obitum Abrahami Culvensis.
Königsberg 1547. In der Krakauer Universitätsmatrikel habe ich Abrahams
Namen jedoch nicht gefunden.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u 4. 11
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154 Abraham Culvensis.
die damals der namhaftesten und besuchtesten Universitäten eine
war, studieren zu lassen. Hier hörte Culvensis von des Erasmus
Ruhm und seiner Pflege der klassischen Sprachen, und sein
Wissensdrang trieb ihn nach Löwen, wo er unter dem Humanisten-
fürsten die begonnenen Studien fortsetzte. Mit besonderem Eifer
widmete er sich der griechischen und hebräischen Sprache, die
er bald gründlich beherrschte. Neben Erasmus fesselte den hoch-
strebenden, für das klassische Altertum begeisterten Jüngling
Goclenius, der Professor der lateinischen Sprache. Als er von
Löwen nach seiner Heimat Lithauen zurückkehrte, ward er durch
seine gelehrte Bildung der Stolz seines Volkes, aller Augen
richteten sich auf ihn, und der Palatin von Wilna, Albert Gastold,
ermöglichte es ihm, den sehnlichsten Wunsch seines Herzens
auszuführen und zum Abschluß seiner Studien nach Italien zu
gehen. Als Culvensis Frühjahr 1536 durch Preußen reiste, über-
reichte er in Königsberg dem Herzog Albrecht einen Empfehlungs-
brief seines Mäcenas und erhielt von dem frommen Fürsten den
Rat, nicht an Wittenberg vorüberzuziehen. Rein humanistischen
Studien hingegeben, hatte Abraham bis dahin sich wenig um
den weltbewegenden religiösen Streit gekümmert, im Banne des
Erasmus stehend durch die reformatorischen Bestrebungen auch
die schönen Wissenschaften beeinträchtigt geglaubt, jetzt beschloß
er, jene Männer aufzusuchen, deren Namen in aller Munde waren,
und in ihren Hörsälen sich von dem Charakter ihrer Lehre zu
unterrichten. Nach einer gefahrvollen Reise, er ward unterwegs
überfallen und ausgeplündert, traf er in der Eibstadt ein und
ward hier am 14. Mai als der erste Lithauer an der Witten-
berger Hochschule immatrikuliert1). Bald fühlte er sich von dem
warmen religiösen Geiste, der von den Reformatoren ausging,
innig angezogen, sein Leben und Streben ward verinnerlicht und
vertieft, den humanistischen Interessen trat zur Seite ein neu
erwachter religiöser Glaube. Unter Luthers Einfluß mußten die
klassischen Schriftsteller hinter der heiligen Schrift zurückstehen.
1) Vergl. Förstemann: Album Academicura Vitebergense.
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Von Dr. Wotechke. 155
Doch ist es bei seinem Bildungsgange erklärlich, daß noch mehr
als Luther der Humanist unter den Reformatoren, Philipp
Melanchthon, Einfluß auf ihn gewann. Theologische wie klassische
Vorlesungen hörte er bei ihm, Hoppe erwähnt in seiner Gedächtnis-
rede, daß er besonders den Aristoteles unter Melanchthons
Leitung gelesen habe.
Unter dem 4. Februar 1534 hatte der streng altgläubige
polnische König Sigismund von Wilna aus das Studium in der
„Ketzerstadt*' verboten und die meisten Polen, die in die Hörsäle
der Reformatoren in jener Zeit sich drängten, unterließen deshalb,
sich in das Wittenberger Universitätsalbum eintragen zu lassen.
Aach Oulvensis suchte gegen eine etwaige spätere Anklage sich
zu decken und ging gegen Schluß des Sommersemesters auf einige
Wochen nach Leipzig, wo er sich gleichfalls immatrikulieren
ließ1). Die kurze Zeit seines Aufenthaltes reichte hin, ihn hier
einem Mann näher zu bringen, dem er später in Königsberg
wieder begegnen sollte, Johann Seklucyan aus Posen. War
unter dem anregenden, fesselnden, geistig lebendigen Studium in
Wittenberg sein Sehnen nach dem Heimatlande der klassischen
Wissenschaften zurückgetreten, so brach es in Leipzig wieder
mit neuer Kraft hervor. Im Herbst verließ er deshalb Deutsch-
land und ging nach Italien. In Siena wurde er Doktor der
Rechte, wahrscheinlich auch Doktor der Theologie2). Als er im
Winter 1537/38 zurückkehrte und in Wittenberg die 1536 unter-
brochenen biblischen Studien fortsetzen wollte, ward ihm die
Nachricht, seine Eltern seien in den Kerker geworfen, weil sie
ihren Sohn nach der ketzerischen Universität hatten ziehen
lassen. Sofort ließ kindliche Liebe ihn heimkehren. Er hatte
1) Vcrgl. Erler: Die Matrikel der Universität Leipzig. Leipzig 1895.
Wie der Brief des Culmer Bischofs Samuel Karyewoski vom 5. Dezember 1539
an den päpstlichen Legaten in Deutschland bei Theiner: Vetera Documenta
Poloniae, Rom 1563 II, 527 zeigt, pflegten die polnischen Studenten häufig
unter dem Vorwande eines Studiums in Leipzig nach Wittenberg zu ziehen.
2) In seiner 1543 verfaßten und der polnischen Königin übersandten
Konfession schreibt Culvensis „quando insignia doctoratus accepi, commissa est
mihi potestas interpretanda disputandi, docendi scripturas".
11*
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156 Abraham Culvensis.
es nicht mehr nötig, ihre Entlassung aus der Haft dem über-
mächtigen Bischöfe abzuringen, freundliche Gönner hatten ihnen
bereits die Freiheit erwirkt. Seinen Beschützer und Mäcenas
Qastold hatte der Tod ihm entrissen, während er in Italien
weilte, aber eine noch höhere und mächtigere Hand sollte ihn
hinfort unterstützen. In der Hauptstadt Wilna stellte er sich
der Königin Bona vor, und seine feine Bildung und reichen
Kenntnisse gewannen ihm die volle Gunst der Fürstin. Oft zog
sie ihn an ihren Hof, ermöglichte ihm durch ihre Fürsprache,
Unterstützung und Empfehlung auch die Gründung einer höheren
Schule in Wilna1). Die ersten Familien Lithauens und Klein-
polens vertrauten ihm ihre Kinder zur Erziehung an, bald waren
es mehr denn 60 Jünglinge aus den vornehmsten Geschlechtern,
die er die klassischen Sprachen lehrte, die er auch zu einem
besseren Verständnis der christlichen Wahrheit, wie es ihm selbst
in Wittenberg aufgegangen war, zu führen suchte. Frei von
jeder Menschenfurcht trat er für seine evangelische Erkenntnis
ein, offen sprach er gegen die Mißbrauche der Kirche, besonders
scharf wandte er sich gegen das sittenlose Leben der Mönche
und Priester. Vergebens mahnte die Königin2), die trotz ihres
strengen Festhaltens an der alten Kirche unseren Humanisten
ob seiner wissenschaftlichen Tätigkeit seinem Vaterlande erhalten
zu müssen glaubte, zu einer milderen Sprache, im Bunde mit
einigen Freunden fuhr Culvensis unbeirrt fort, auf die Mißbräuche
1) Nach Lasicki in seiner Schrift „pro Volano adversus Antonium Posse-
vinum" S. 15 berichtet Wengierski: „Syßtema ecclesiarum Slavoniae 1652 S. 74
„apud Lituanos ab anno 1539 Lutheri sectatores ex Germania vestigium posuere,
autore quodam Abrahamo Culva, theologiae doctore, qui in urbe Wilnensi
scholae aperuerat, in qua 60 discipulos erudiit".
2) Über ihre Stellung zur Keformation vgl. den Brief Chr. Entf eiders an
Johann Laski Königsberg, den 3. März 1544 „procederet fortasse quorundam
Studium auspicatius, nisi Bona illa Jesabelis, malarum persuasionum sagacissima
austrix, una cum suis prophetis summis viribus contra niteretur assidueque
praecaveret, ne veritatis lux alicunde elucesceret. Cuius si vel scintillant aliquam
micare conspiciat, non conquiescit, donec illam, quoad potest, extinguat",
Gabbema illustrium virorum epistolae. Harlingae 1669 S. 52.
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Von Dr. Wotschke. 157
hinzuweisen und den Gegensatz der römischen Lehre zur heiligen
Schrift zu zeigen.
Die Geistlichkeit erkannte die Gefahr, die ihr und der
alten Kirche drohte, und suchte den schriftkundigen Humanisten
aus Wilna zu verdrängen, aber schützend hielt die Königin
ihre Hand über ihm. Da verließ sie Mai 1542 die Hauptstadt
Lithauens, um am 1. Juli1) an der Vermählungsfeier ihres Sohnes
mit Elisabeth von Österreich in Krakau teilzunehmen, und so-
fort beschlossen die Gegner Abrahams diese Gelegenheit wahr-
zunehmen. Der Wilnaer Bischof Paul Algimunt wandte sich
an den streng katholischen Sigismund I. und erwirkte ein Edikt,
in dem der König Abraham gebot, sich dem geistlichen Gerichte
zu stellen, vor diesem sich zu rechtfertigen und den etwa auf-
erlegten kanonischen Strafen sich zu unterziehen. Würde er sich
nicht freiwillig stellen, so sollte die weltliche Obrigkeit ihn dem
Bischöfe ausliefern, würde er fliehen, sollte er geächtet sein,
sein Vermögen zu Gunsten des Staates und der Kirche ein-
gezogen werden. Die Königin sah die dunkle Wolke über
ihrem Schützling sich zusammenziehen, und da sie für ihn das
Schlimmste befürchten mußte, riet sie ihm, sich und seinen
Glauben nach Preußen hintiberzuretten. Mit schwerem Herzen
schied Culvensis Sommer 1542 begleitet von seinem treuen
Diener Stanislaus aus Wilkomir2), auch von einigen Studien-
freunden und Glaubensgenossen wie Georg Zablocki8), der in der
1) Am 12. Juli berichtet der Bischof Samuel Maciejowski aus Krakau
nach Königsberg, daß die Hochzeit aufgeschoben worden sei. Sie wurde darauf
erst im Mai des folgenden Jahres gefeiert.
2) Wilkomir liegt nördlich von Wilna.
3) Da Zablocki in der lithauisch-poliiischen Reformationsgeschichte ganz
unbekannt ist, selbst Lukaszewicz und Bukowski nicht einmal seinen Namen
erwähnen, bemerke ich, daß er in Krakau und Wittenberg studiert hat, dort
als Georgius Luce de Zablocz dioc. Vilnensis unter dem 3. August 1528, hier
als Georgius Sablocius Lituanus nobilis unter dem 23. November 1540 im-
matrikuliert worden ist. Weitere Nachrichten über sein Leben geben die im
Anhange abgedruckten Urkunden. Vgl. Beilage 3, 4, 14 und 15. Nach Cul-
vensis Tode kehrte er nach Königsberg zurück, 1546 ließ er sich hier an der
Universität immatrikulieren. In den fünfziger Jahren war Zablocki Erzieher
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158 Abraham Culvensis.
letzten Zeit neben ihm an seiner Schule unterrichtet hatte, aus
seinem Heimatlande. Seine reichhaltige Bibliothek wie sein ge-
ringes Hausgerät vermochte er noch mit sich zu nehmen.
Er war nicht der erste Lithauer, der um des Glaubens
willen vertrieben in Preußen eine Freistätte und einen neuen
Wirkungskreis suchte. Schon 1536 hatte ein Johann Thor-
thylowitz aus Samogitien zu dem Schutzherrn aller Evangelischen
des Ostens sich geflüchtet1), aber noch hatte kein Pole oder
Lithauer von so gründlicher Bildung und reichen Kenntnissen
seine Dienste dem Herzog Albrecht angeboten. Bei der väter-
lichen Fürsorge, mit der dieser Hohenzoller seinen polnischen
und lithauischen Landeskindern das Evangelium in ihrer Mutter-
sprache nahe bringen wollte, nahm er Abraham Culvensis mit
Freuden in seinem Herzogtume auf und machte ihn Johann i
1542 2) zu einem seiner Bäte. Aber das Glück, unter einem
edlen Fürsten seines Glaubens leben zu dürfen, ward Culvensis
durch traurige Nachrichten aus der Heimat getrübt. Seinem
Vater hatte das Unglück des Sohnes, seine Verfolgung und
Flucht das Herz gebrochen, er starb bald darauf, seine Mutter
stand hilflos und verlassen da, von allen Seiten bedrängt und
angefochten. Ihr Besitz ward als herrenloses Gut betrachtet,
das ein jeder an sich reißen zu können meinte. In dieser
Not wandte sich Culvensis an seine Patronin, die Königin,
im Hause des lithauischen Marschalls Eustachius Wolowicz und begleitete
dessen Neffen und die Söhne anderer lithauischer Geschlechter, die 15*50 auf
Vergerios Rat zum Studium nach Tübingen zogen. Unter dem 4. März empfahl
Wolowicz ihn und die Studenten dem Herzoge Christoph, und am 14. August
1560 ward er mit seinem Schüler laut Universitätsmatrikel an der Württem-
berger Hochschule inskribiert. In Tübingen scheint er gestorben zu sein.
Schriftstellerisch hat er sich weiter nicht betätigt, wenigstens besitzen wir von
ihm nur ein sechs Verse umfassendes Epitaph auf Katharina Wolowicz, das er
in Tübingen schrieb. Vergi. Melchior Gedrotius : In mortem Catharinae Wolowicz
coniugis generosi ac magnifici domini Petri Wcsolovii, baronis a Bialostok in
magno ducatu Lithuaniae. Regiomonti Borussiae excudebat Joannes Daub-
mann us S. B 4.
1) Vergl. Beilage 1 und 2.
2) Vergl. Tschackert II, Nr. 1 1H4.
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Von Dr. Wotschke. 159
die ihre Beamten in Kauen auch anwies, seine und seiner Mutter
Angelegenheiten wahrzunehmen. Als er Ende September aber
die Nachricht erhielt, daß seine Mutter und seine Freunde un-
geachtet des Schutzbriefes der Königin vom Wilnaer Bischof
eingekerkert seien, litt es ihn nicht länger in Königsberg. Da
der Herzog augenblicklich auf seiner Sommerresidenz Neuhaus
weilte, erbat er sich von dem Burggrafen Martin Kannacher
und dem Kanzler Johann von Kreitzen Urlaub und eilte mit
seinem Diener Stanislaus Wilkomiriensis der Heimat zu. Noch
hatte er nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ein
dringendes Schreiben des Herzogs vom 8. Oktober ihm sofortige
Rückkehr gebot; seiner Mutter würde in anderer "Weise geholfen
werden1). Mit schwerem Herzen leistete er Folge. Nur sein
treuer Diener, dem Herzog Albrecht unter dem 27. Oktober
einen Empfehlungsbrief an den Palatin von Troki Stanislaus
Gastold, den Schwager des Nikolaus Badziwill, mitgab2), ging
in den nächsten Wochen nach Lithauen.
In Königsberg erwartete Abraham Culvensis ein ehrenvoller
Auftrag. Seit einigen Jahren dachte der Herzog daran, seinem
Lande in der Hauptstadt eine gelehrte Schule zu geben, welche
die fehlende Universität vorläufig ersetzen und später zur
Akademie ausgebaut werden könnte, das sogenannte Partikular.
In jenen Herbsttagen war das neuerbaute Gebäude für die Schule
fertig gestellt, aber noch fehlte ein Leiter und erster Lehrer,
da alle Verhandlungen, die bisher über die Besetzung des
Rektorats gepflogen waren, zu keinem Ergebnis geführt hatten.
Der Herzog wollte den Unterricht alsbald anheben lassen
und deshalb vorläufig bis zur Gewinnung eines namhaften Lehrers
aus Deutschland einen Vicerektor einsetzen; als solchen hatte er
aber in Übereinstimmung mit seinen ersten Räten Culvensis in
Aussicht genommen. Verschiedene Umstände verzögerten den
Beginn des Unterrichts um einige Wochen, erst am 11. Dezember
1) Beilage 5.
2) Beilage H.
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160 Abraham Culvensis.
erfolgte die Eröffnung desselben, wobei in Gegenwart des Burg-
grafen, des Kanzlers und des herzoglichen Rates Kasper Nostwitz
vor dem Vicerektor und den Schülern die Statuten der Schule
verlesen wurden1). Mit aller Treue und Gewissenhaftigkeit
widmete sich Culvensis seinem Amte. Der Schwerpunkt seiner
Lehrtätigheit lag natürlich in der Pflege der humanistischen
Wissenschaften, vor allem ließ er es sich angelegen sein, die
Schüler im mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache zu
fördern und richtete zu diesem Zwecke viele Disputationen ein,
die ersten an der Anstalt, die Herzog Albrecht als ein Zeichen
des Aufblühens der jungen Bildungsstätte freudig begrüßte. Von
seinen Kollegen hatte Culvensis in dem Magister Johann Hoppe
aus Bautzen einen treuen, lieben Freund und Mitarbeiter, während
er mit dem anderen Lehrer, dem Magister Melchior Isinder aus
Schweidnitz, mancherlei Kämpfe durchzufechten hatte2). Isinder,
der auch mit anderen Lehrern in Unfrieden lebte, scheint wenig
verträglich gewesen zu sein, vor allem durch unberechtigte
Eingriffe in das Amt und die Machtbefugnis des Rektors Culvensis
zur Klage und zu Maßnahmen wider ihn Anlaß gegeben zu
haben.
Nach seiner unterbrochenen Reise nach der Heimat hatte
Culvensis dem Herzog über die Lage seiner Mutter und den
von neuem drohenden Verlust seines väterlichen Erbteils genauen
Bericht erstattet, ihm auch die Briefe der Königin vorgelegt,
deren letzter, der ihm bei seiner Rückkehr in Königsberg
eingehändigt ward, bereits die Befreiung seiner Mutter meldete.
Am 18. November ließ der Herzog an den Verwalter der könig-
lichen Münze und Ratsherrn in Krakau, Jost Ludwig Dietz,
seinen treuen Berichterstatter und Geschäftsträger, schreiben und
ihn bitten, für den vertriebenen Glaubensbruder einzutreten, die
Königin an ihr Versprechen, die Einkünfte seiner Güter durch
ihre Beamten einziehen zu lassen, zu erinnern und die Über-
1) Beilage 8.
2) Toppen: Die Gründung der Universität zu Königsberg. 1844. S. 92.
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Von Dr. Wotschke. 161
weisang des Geldes nach Königsberg zu veranlassen1). Infolge
eines rheumatischen Anfalls lag Dietz krank danieder und konnte
deshalb sich nicht persönlich zu Hofe begeben. Am 18. Dezember
sandte er aber seinen ältesten Sohn2) zur Königin, die ihr gnädiges
Wohlwollen für Culvensis von neuem betätigte und alle Unter-
stützung versprach, jedoch strenge Verschwiegenheit forderte,
damit sich der Haß der Bischöfe nicht gegen sie wende. Dringend
riet sie von einer Rückkehr Culvensis nach Lithauen ab,
der Wilnaer Bischof würde zweifellos ihn sofort, ehe noch die
königliche Fürsprache eintreffen könnte, hinrichten lassen. Am
27. Dezember berichtete Dietz das Ergebnis der Audienz nach
Königsberg, und da der Herzog ihn unter dem 14. Januar anwies,
auch fernerhin das Interesse Culvensis wahrzunehmen, war er
auch in den folgenden Monaten für ihn am Hofe tätig. Am
1) Vergl. Beilage Nr. 9. Über Dietz, der eine der interessantesten Bürger-
gestalten der polnischen Städte ist, besitzen wir leider nur die kurze, nicht
immer richtig unterrichtete und urteilende Dissertation von Casimir Römer
„de Jodoci Ludovici Decii vita scriptisque" Breslau 1874. D. stammte aus
Weißen bürg im Elsaß und hat 1507 in Krakau sich niedergelassen. Anfänglieh
stand er in Diensten des reichen aus l^andau eingewanderten Handelsherrn
Joh. Boner, später gründete er ein eigenes Geschäft, das schnell aufblühte,
*ard königlicher Münzmeister und Sekretär uud einflußreiches Mitglied des
Krakauer Rates. Schon 152S kaufte er die große Herrschaft Wola bei Krakau.
(Über ihn s. Bartolomäus in der A. M. 1898. S. 19 ff.)
2) Er hieß wie sein Vater Jost Ludwig. Mit seinem jüngeren Bruder
Hans ward er am 26. Mai 1528 und gegen Ende des Jahres 1534 bei der
Krakauer Universität immatrikuliert. Während Hans im Herbst 1540 in
diplomatischen Geschäften an den Hof König Ferdinands ging und von dort
Studien halber nach Italien, am 28. Mai 1541 schreibt er aus Padua: „cum
indignum videretur amplius in aula serenissimi Rom an i regis cum tempore (quod
irrecuperabile est) tantam peeuniarum iacturam facere, aeeepto tandem a parente
meo paterno consilio ac impetrata ab eadem regia maiestate ad tres annos ab
aula discedendi benigna licentia Venetias et Paduam sum profectus ea ratione,
ut visis etiam Ulis partibus cum linguae latinae exercitatione et italicam
addiscam" unterstützte Jost Ludwig den kränkelnden Vater. In der polnischen
Reformationsgeschichte ist er bekannt als ein Förderer der evangelischen Lehre
im Krakauer Distrikte. Auf seinem Gute Wola war der bekannte Gregorius
Pauli Pfarrer. Als dieser Sommer 1562 zu den Antitrinitariern überging, trat
Dietz wider ihn auf und hielt zu seinen Gegnern Sarnicki und Sylvius. Vergl.
Opera Calvini XIX Nr. 3938. Er starb auf dem Reichstage zu Thorn am
24. November 1576.
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162 Abraham Culvensis.
22. Februar 1543 antwortet er nach Preußen: „Doctor Abrahams
sachenn will ich in acht haben, gern darin was mugiichenn thun,
dieweyll ich sehe, das meine gnedigste fraw1) die saohen auch
nyt ungewogen."
Tief schmerzte es Culvensis, in seiner Heimat infolge der
Verfolgung durch den Bischof Paul Algimunt vogelfrei zu sein,
und gern hätte er es gesehen, wenn unbefangene gerechte Richter
zwischen ihm und dem Bischöfe auf Grund der heiligen Schrift
entschieden hätten. Er schrieb in diesem Sinne an die Königin,
stellte zu seiner Rechtfertigung und Verteidigung auch ein kurzes
Glaubensbekenntnis auf, das er durch den Druck jedermann
zugänglich machte8). Aber alle seine Bemühungen nach einem
gerechten Gerichtsverfahren waren vergeblich, selbst die Königin
konnte ihm dazu nicht verhelfen. Aber wenigstens sollte ihm
die Erlaubnis werden, zeitweise in Lithauen weilen zu dürfen.
Am 6. Mai wurde die schon für das vergangene Jahr in Aus-
sicht genommene Hochzeit des jungen Königs mit Elisabeth von
Österreich in Krakau endlich gefeiert, und zu den Festlichkeiten
war neben vielen anderen Fürsten auch Herzog Albreoht er-
schienen8). Mit Dietz, den wir in jenen Tagen viel um ihn
sehen4), hatte er eine Besprechung über weitere Schritte zu
1) Die Königin.
2) Neudruck bei Tschackert III, Nr. 1543.
3) Nach Bock: Leben und Thaten Albrechts des Altern, Königsberg 1750
S. 238 ist Albrecht am 29. April in Krakau eingetroffen. Da Tschakkert für
diese Reise des Herzogs kein Itinerarium bietet, bemerke ich, daß die Rückreise
Ende Mai erfolgte über Seeymin (29. Mai), Quirnewitz (Skierniewice) Sochaczew
(4. Juni), Wyszogrod an der Weichsel (6.-8. Juni).
4) Dietz überreichte ihm unter anderem ein Straßburg, den 4. März 1543
datiertes Schreiben Kaspar Hedios und ein Exemplar seiner Ausgabe der
Chronik des Abtes von Ursperg, die der Straßburger Theologe dem Herzog
Albrecht gewidmet hatte. Im Hause des Dietz schrieb er am 23. Mai seinen
Dank nach Straßburg. Zu dem Briefe Hedios an Herzog Albrecht vom
10. April 1546 schreibt Voigt (Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit
Herzog Albrecht. 1841 S. 3351 und Tschackert III S. 121 „aus unbekannten
Gründen hört mit diesem Schreiben die Korrespondenz Hedios mit Albrecht
auf/' Ich bemerke hierzu, daß sämtliche Briefe über Krakau durch Dietz
Hände gingen und durch dessen Tod am 26. Dezember 1545 die Korrespondenz
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Von Dr. Wotechke. 163
Gunsten Culvensia und bat darauf persönlich für ihn den alten
König um einen Geleitsbrief zum Besuche seiner Heimat. Die
Königin schloß sich der Bitte des Herzogs an und ihrem ver-
einten Drängen vermochte Sigismund I nicht zu widerstehen. Als
ferner im August der junge König Sigismund August mit seiner
Gattin nach "Wilna übergesiedelt war und von seinem Vater das
Großfürstentum Lithauen zur Verwaltung überwiesen erhalten
hatte, vergaßen die preußischen Gesandten, die im September
nach Wilna gingen, der Hauptmann von Caimen im Samlande
Andreas Rippe und der herzogliche Bat Johannes Lohmttller
nicht, auch von Sigismund August für Culvensis einen freien
Geleitebrief zu erwirken1).
Ohne für sein Leben fürchten zu müssen, durfte Culvensis
an eine Reise nach seiner Heimat denken, auch seine heißgeliebte
Mutter wiederzusehen hoffen. Auch der Herzog konnte ihm
Urlaub gewähren, da der gelehrte Mediziner Johann Brett-
schneider aus Wittenberg, unter dem 14. August von Luther
empfohlen, Mitte September nach Königsberg gekommen war
und sich bereit erklärt hatte, Culvensis in seinem Amte zu
vertreten2).
abgebrochen wurde. Hedio scheint die Nachricht vom Tode Dietz erst spät
erhalten zu haben, da er noch am 10. April des folgenden Jahre6 den oben
erwähnten Brief ihm sendet mit der Bitte, ihn nach Königsberg weiter zu be-
fördern. Wiewohl seine Söhne Jost Ludwig und Hans Dietz am 29. April dem
Wunsche des Straßburger Freundes ihres Vaters nachkamen, sich somit zu
weiterer Übermittelung der Korrespondenz erboten, war ihr doch der Lebensnerv
unterbunden.
1) Vergleiche Beilage Nr. 11. Anfang August war Sigismund August
nach Lithauen aufgebrochen, unter dem 27. dieses Monats beglückwünscht ihn
Herzog Albrecht zu seiner glücklichen Ankunft.
2) Wenn Tschackert I, 250 schreibt, „Culvensis war nicht im Stande,
das Partikular in eine ruhige gedeihliche Entwicklung hineinzuleiten und
Streitigkeiten, welche unter den Lehrern ausbrachen, zu schlichten, 1543 über-
nahm daher der Mediziner Brettschneider die Leitung der Anstalt", so ist dies
nur zum Teil richtig. Nur die Vertretung des in die Heimat reisenden Cul-
vensis hat Brettschneider übertragen erhalten, nur „auf eine kurze Zeit ver-
ordnete ihn der Herzog zum Aufseher der Schule". Die Schuld an den
Streitigkeiten unter den I^ehrern am Partikular weist auch Tschackert Isinder
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Ig4 Abraham Culvensis.
Am 6. Oktober beantwortete der Fürst Luthers Empfehlungs-
schreiben für Brettschneider und am folgenden Tage schreibt
er für Culvensis an den Statthalter von Samogitien und Starosten
von Duzmiany Johannes Bielewicz und bittet ihn, sich seines
treuen Dieners annehmen, mit Rat und Tat seine Angelegen-
heiten fördern und ihn vor allen Anfeindungen schützen zu
wollen. Über Culvensis Reise und seinen Aufenthalt in Lithauen
habe ich leider nichts ermitteln können, auch vermag ich nicht
sicher zu sagen, wann er nach Königsberg zurückgekehrt sein
mag. Erst im April des nächsten Jahres, da er für den Pfarrer
von Lyck Stanislaus aus Krakau eine Fürbitte an den Burg-
grafen Martin Cannacher richtet1), taucht sein Name in den
preußischen Urkunden wieder auf. Ich vermute deshalb, daß er
ein halbes Jahr in seiner Heimat geblieben ist und bei seiner
Rückkehr das Rektorat am Partikular durch den bisherigen
Professor der Beredsamkeit in Frankfurt a. d. Oder, den preis-
gekrönten lateinischen Dichter Georg Sabinus, Melanchthons
Schwiegersohn, besetzt fand. Es bedeutete für ihn kein Opfer,
die provisorische Leitung der Anstalt aufzugeben und nur als
Lehrer neben anderen am Partikular zu wirken, konnte er doch
jetzt seine ganze Kraft der Lehrtätigkeit widmen, auch der
lithauischen Schüler, die der Klang seines Namens nach Königs-
berg gelockt hatte2), sich besser annehmen! Mit Seklucyan aus
zu. Daß der Herzog Culvensis nur Vicerektor sein ließ, am 6. und 7. Ok-
tober 1543 Kamerarius aus Leipzig bezw. Joh. Spangenberg aus Nordhausen
oder Joh. Gigas aus Züllichau zu Leitern der Schule gewinnen wollte und am
16 März 1544 dem Sabinus das Rektorat übertrug, zeugt von keiner Un-
zufriedenheit Albrechts mit der Tätigkeit des lithauischen Humanisten. Es war
für den Herzog selbstverständlich, an die Spitze der jungen Schule und
Universität einen Gelehrten zu stellen, dessen Name in Deutschland weithin
berühmt war, und der den Ruf der jungen Pflanzstätte wissenschaftlichen Lebens
neben den älteren deutschen Hochschulen begründen konnte.
1) Vergl. den Brief bei Tschackert III, S. 67.
2) Die Königsberger Universitätsmatrikel weist unter dem Jahre 1544
allerdings nur vier Studenten auf, die als Lithauer bezeichnet sind, Joannes
Zaphisska, Joannes Adamus, Joannes Schuka Wilnensis und Mathiaeus Paulus.
Es scheint, als ob die Söhne der lithauischen Magnaten, welche den Edelknaben
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Von Dr. Wotechke. 165
Posen, der während seiner Lithauer Reise in Königsberg eine
neue Heimat gefunden hatte, erneuerte er den vor acht Jahren
in Leipzig geschlossenen Freundschaftsbund.
Als im Sommer das Partikular zur Universität umgewandelt
wurde und am 17. August die feierliche Eröffnung der Akademie
erfolgte, trat Culvensis als Lehrer in die Artistenfakultät ein
und erhielt die erste Professur der griechischen Sprache, außer-
dem las er hebräische Grammatik und interpretierte die
Psalmen1). Mit einem Kolleg über griechische und hebräische
Grammatik und seinen Lieblingsdichter Hesiod eröffnete er
seine Vorlesungen. Da kam gegen Ende des Jahres 1544 sein
Freund Georg Zablocki, der Herbst 1542 in Polen ein Lehramt
gefunden, jetzt aber wegen seines Bekenntnisses zum Evangelium
von neuem hatte flüchten müssen, nach Königsberg und drang
in Culvensis, ihn nach Lithauen zu begleiten und dort gemein-
sam mit ihm unter dem Schutze einiger reformatorisch gesinnter
Großen mit den Vertretern des alten Dogmas zu disputieren und
durch Predigten den Samen der reinen Gotteserkenntnis weithin
in Lithauen auszustreuen. Um so lieber ging Culvensis auf
seine Bitten ein, als er gern seine hochbetagte Mutter wieder-
sehen wollte. Der Magister Jakob Mittag übernahm seine Vor-
lesungen an der Universität8), der Herzog gewährte ihm Urlaub,
ließ auch für ihn am 2. Januar 1845 einen Empfehlungsbrief an
Nikolaus Eadziwill schreiben. Am 10. Januar empfahl er Cul-
vensis Freund Zablocki demselben Magnaten, am 14. auch dem
polnischen Großen Fabian von Zemen.
des Herzogs eingereiht wurden und an der Universität studierten ; sich nicht
inskribieren ließen. Am 18. August 1543 dankt der Statthalter Samogitiens
Johannes ßielewicz dem Herzoge, daß er seinen Sohn Nikolaus in Königsberg
aufgenommen habe und studieren lasse, aber seinen Namen habe ich in der
Universitätsmatrikel nicht gefunden.
1) Vergl. den Brief, den Wilhelm Gnapheus Königsberg den 14. Juli 1544
an Laski richtete: Theologus quidam Lithuanus auspicatus est Psalterii inter-
pretationem. Gabbema: Epistolae. Harlingae 1609 S. 29.
2) Vergl. Mittags Anschlag an das schwarze Brett der Universität unter
dem 30. Juni 1545: „Passus sum mihi etiam lectionem grammatices et Hesiodi
imponi partim preeibus d. Abrahami motus, partim publicae utilitatis causa".
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166 Abraham Culvensis.
Einige Tage weilte Culvensis in seinem Elternhause und
freute sich des "Wiedersehens mit seiner Mutter, dann führte ihn
sein Glaubenseifer nach "Wilna. Hier predigte er viele Wochen
unter großem Zulauf, Tausende zog der Ruf seines Namens und
das Sehnen nach dem lauteren Gotteswort zu ihm, auch disputierte
er wie Zablocki mit den Vertretern der alten Kirche über die
strittigen Glaubensartikel. Ende April befiel ihn ein leichtes
Unwohlsein. Oder war es das erste Zeichen einer schwereren
Erkrankung? Der Arzt, den er zu Rate zog, gab nach Ansicht
der Mutter unseres Lithauers, bestochen von seinen Gegnern,
den Anhängern der skrupellosen römischen Hierarchie, ihm statt
der kräftigenden Arznei ein schleichendes Gift1), das seine Kräfte
schell verzehrte. Noch konnte er sich aus "Wilna in sein Eltern-
haus schleppen. Unerachtet der aufopfernden Pflege seiner un-
glücklichen Mutter und Verwandten, trat keine Besserung ein,
bald ahnte Culvensis, daß seine irdischen Tage gezählt seien.
Der Glaube, der seit seinem Studium in Wittenberg sein Leben
durchstrahlte, verklärte auch seine Sterbestunde. Als er seinen
Tod nahe fühlte, bat er alle seine Verwandten und Freunde zu
sich und tröstete sie über seinen Heimgang. Auf sein Grabmal
wünschte er sich als Inschrift die "Worte seines evangelischen
Bekenntnisses: „Ich glaube eine Vergebung der Sünden, Auf-
erstehung des Fleisches und ein ewiges Leben.'* Da er voraus-
sah, daß der Haß der Römischen ihn, den evangelischen Glaubens-
zeugen, bis über den Tod hinaus verfolgen und seine Beisetzung
in der Gruft seiner Väter in der Kirche nicht gestatten würde,
bekannte er, für die Seele sei es gleichgültig, wo der Leib ver-
wese. Ließe sich eine Bestattung in der Kirche nicht ermöglichen,
so möchte man ihn auf einem Hügel, nahe bei dem Hause be-
graben. Hier werde er ruhen bis zur Ankunft des Weltenrichters,
der zwischen ihm und seinen Feinden richten und ihn recht-
1) Auch Wigand berichtet in seiner kurzen Biographie Culvensis, „cum
in patriam negotiorum causa excurreret, veueno clam e meciio sublatus dicitur".
Vergl. Tschackert III, S. 281.
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Von Dr. Wotechke. 167
fertigen werde. Darauf ließ er die Seinen die Psalmen singen,
die er selbst in das Lithauische übersetzt und sie gelehrt hatte.
Unter ihren Gesängen ist er in der Frühe des 6. Juni 1545
sanft entschlafen1).
Am 15. Juni sandten seine Mutter und die Stadthalter
Samogitiens Johann Bielewicz und Johann Kmita den treuen
Diener Stanislaus nach Königsberg, meldeten den Tod seines
Herrn und baten den Herzog um Ordnung und Regelung des
Nachlasses2). Bereitwilligst gewährte der edle Fürst ihnen diese
Bitte. Seiner Fürsorge für die arme schwergeprüfte Mutter ver-
danken wir ein Verzeichnis des Nachlasses, das durch die genaue
Beschreibung der Bibliothek Culvensis von besonderem Werte
für uns ist*). Am 29. Juni beantwortet der Herzog die Todes-
anzeige4), der Mutter spricht er sein herzliches Beileid aus und
mahnt sie, die Prüfung ergeben und demütig zu tragen6).
Der treffenden Charakteristik, die Tschackert von Culvensis
giebt: „Frömmigkeit ist der Grund ton seines Lebens gewesen,
Reinheit des Wandels und Unbescholtenheit des Charakters
zeichneten ihn aus und ein reger wissenschaftlicher Sinn und
zäher Fleiß machten ihn auf vielen Gebieten zum Meister" habe
ich wenig hinzuzufügen6). Ein warmes Glaubensleben und ein
heiliger Drang, dem Vaterlande die Beformation zu bringen,
innige vor keiner Gefahr, keinem Opfer zurückschreckende Liebe
zu den Eltern, ein unermüdlicher wissenschaftlicher Eifer und
nie rastender Fleiß, ein vielseitiges Interesse, das alle Fächer
1) Ob der Brief, den Bischof Speratus Marien werder, den 1. Mai an ihn
richtete und in dem er ihn um einen tüchtigen evangelischen Prediger für die
lithauischen Ansiedler in Preußen bat, ihm noch auf seinem Sterbelager über-
geben worden ist, vermag ich nicht zu sagen.
2) Vergl. Beilage 16.
3) Vergl. Beilage 20.
4) Vergl. Beilage 18.
5) Vergl. Beilage 19.
6) Wigand nennt ihn „homo sane pietate constans, gravis excitati ingenii,
in quo singularis candor atque integritas fuit; superbiae, arrogantiae impietati
host ie adversissimus".
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X68 Abraham Culvensis.
des Wissens umfaßte, vereinigten sich in ihm und machten ihn
zu einem liebenswerten Menschen, frommen Theologen und
gründlichen Humanisten, zu einer der edelsten Gestalten der
polnischen Litteratur- und Kirchengesohichte. Welchen Segen
hätte er seinem Vaterlande bringen müssen, wäre ihm ein längeres
Leben beschieden gewesen! Um so schwerer war der Verlust,
der durch seinen Tod die polnische und lithauische Reformation
traf, als vier Wochen vor ihm am 13. Mai, schon der erste
Professor der Theologie in Königsberg, der Lithauer Stanislaus
Rapagelan (Rapailowitz) l) gestorben war und niemand die
doppelte Lücke, die der Tod binnen eines Monats gerissen, aus-
füllen konnte. Allgemein war die Empfindung, wie viel man
in ihm verloren habe, und wenn wir über die Trauer unter den
Evangelischen in seinem Vaterlande auch keine nähere Nach-
richt haben2), so sind wir über den Schmerz, der in Königsberg
herrschte, und die warme liebevolle Erinnerung, die man hier
ihm bewahrte, um so besser nnterrichtet. Seine beiden Freunde
und Kollegen an der Universität, der Magister Johann Hoppe
und der Jurist Christoph Jonas ließen ihm im Dom einen Grab-
stein setzen, der nach dem Wunsche des Sterbenden die Inschrift
trug: „Credo remissionem peocatorum, carnis resurrectionem et
vitam aeternam. Amen.44 Es folgten dann noch die Verse:
Praematura tulit Culvensis fata Abraharaus,
Qui coluit pura religione deum.
Hie in gymnasio doctoris munere funetus
Stemmate et ingenio clarus et arte fuit.
Ossa tegit tristis, genuit quae Littava tellus,
At mens cum Christo non moritura inanet8).
1) Siehe Beilage 21.
2) Doch wird auch von seinem Tode gelten, was der Krakauer Buch-
drucker und Gelehrte Bernhard Wojewodka unter dem 10. Juni von dem des
Rapagelan schreibt: „Stanislaum Eapagelanum meum amicissimum fatis cou-
cessisse vitamque cum morte commutasse cum mihi Scclucianus scripsisset, adeo
sum consternatns, ut vix potuerim hiscere dolens, quod nostra expeetatio tarn cito
evanuit'".
3^ Vergl. Lilieuthal, Beschreibung des Thums, 1716 S. 57 f. und Gebser
und Hagen, der Dom zu Königsberg, II, 8. 203.
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Von Dr. Wotschke. 169
Am ersten Jahrestage seines Todes hielt Hoppe seinem
Freunde eine glänzende Gedächtnisrede, in der er seines
Bildungsganges und seiner Gelehrsamkeit, seiner tiefen Frömmig-
keit und seines lauteren Charakters und seligen Sterbens ge-
denkt. 1547 ließ er sie im Druck ausgehen und widmete sie
unter dem 26. Juni dem Oheim seines Freundes, Michael Juß-
kewitz Culvensis1). Am Schlüsse des Büchleins bringt Hoppe
zwei weitere ähnliche Epitaphinschriften:
Culvensis iacet hie Abrahamus morte peremptus,
Qui pura coluit religione deum,
Et qui gymnasio doctorum raunere funetus
Ingenio clarus, clarus et arte fuit.
Quae genuit tellus fovet hunc Lithuana sepultum
Condita sunt patrio frigida membra solo.
Dulcibus ast Abrahae reeubans Abrahamus in ulnis
Gaudet et aeterna pace quietus agit.
Und wiederum:
Hie, Abrahame, iaces, tua conditur inclita tecum
Virtus, nobilitas, ars et ab arte decus.
Hie tua summa fides, hie sedula cura docendi
Hie iacet et parva contumulatur humo.
Terra fovet gelidos exhausti corporis artus,
At mens cum Christo non moritura manet.
Beilagen.
I.
Herzog Albrecht an Paul Speratus.
Wir geben euch gnediger meynung zu erkennen, das wir
Johan Thorthylouwitz etwan pfarrer Schylelycensis in Samaiten,
welcher vmb des gotlichen worts willen sich von dannen gehn
der Tilsit begeben vnnd ein zeitlangk sich aldo bey dem pfarrer
enthalten, welcher jnen vor from redlich vnd tüchtig achtet,
1) Joannes Hoppius Budissensis: Oratio funebris in obitum nobilis ac
clarißßimi viri doctoris Abraham i Culvensis Lithuani, professoris in academia
Regimontana Prussiae. Anno 1547. Mense Junio.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 1 u. 2. 12
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170 Abraham Calvensis.
auch der polnischen, lateinischen vnd lithauisohen sprach kundig,
ein zeitlangk zu Insterburgk zu pleiben vnd zu predigen zu-
gelassen haben, wiewol wir jnen villieber zur Lick, do wir dan
dasselb kirchspiel vnd die arme leut mit einem dergleichen ge-
schickten mahn auch gern vorsehn wissen wolten. Doch mit
diesem bescheidt, wan wir jnen daselbst hin haben wollen,
welchs er bewilligt sich dahin gen der Lick begeben williglich
geprauchen will lassen. Derohalben ist vnser gnedigs begeren
an euch, jr wollet ob ihr irgends einen geschickten, der der pol-
nischen vnd littauischen sprach erfaren, bey euch zuwegen zu-
pringen wist, vns demselben vfs fürderlichst herabschioken,
damit wir jnen gehn der Lick zuordnen, auch vleis anwenden,
ob einer zu bekomen wer vnnd was ir in diesem vhal thun
kundt, auch auszurichtenn vermeint oder wist, vns vffs fürder-
lichst wie oben vermelt darnach haben zu richten, verständigen.
IL
Herzog Albrecht an Adam Hanuszewitz.
Generose nobilis dilecte. Tametsi communi christianae
pietatis commiseratione desolatis omnibus et iniuria oppressis,
quantum in nobis est, gratiose subvenire cupimus, attamen privato
quodam et singulari affectu ducimur ac iudicio nostro ex officio
principis christiani tenemur his prae caeteris subvenire, qui
religionis praecipue nomine citraque aliam culpam lacessiti
fuerint minus iuste. Cumque huius modi molestatis ex homi-
nibus sacerdos quidam Joannes nomine Thorthylovitz, pastor
quondam ecclesiae Szylelycensis, conscientiae et fidei sub gratia,
quo liberiori deo spiritu servitutem impenderet, ecolesiam suam
resignando ad nos concessit locumque nostro in principatu
consistendi haud difficile impetravit, inspecta eius übertäte, quam
habere praetendit nemini vobiscum Servitute esse obstrictum. Is
nobis tandem conquestus est, se cuidam nobili Stephano Vithkovitz
pecuniam certam nempe duodecim marcas bona fide mutuo de-
disse, quas ei ut fidum debitorem deceret, rependere negligit et
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Von Dr. Wotschke. 17]
prorsus recusat, nullam aliam assignans causam nisi quod praefati
Joannis in ecclesia successorem huius modi pecuniam arrestasse
dicit. Ad quam tarnen pecuniam nee ipse nee quisquam alius
ins se habere probabit. Sed quia praedictus nobilis V1"^ Dnis
sub dicione et potestate existit, gratiosa et amica erga Vram
Dnem peticio est, quatenus Vra Dtio cum eo agere imo praec;pere
et mandare velit, quo praedicto Joanni debitam pecuniam absque
damno rependat .... Dat. e Regiomonte 29. Maii 1536.
in.
Herzog Albrecht an den jüngeren König Sigisraund August.
Honestus atque doctus Georgius Lithuanus Zablocius,
praesentium exhibitor literarum, mihi aliunde, ut eum dementia
amplecti omnibusque in rebus honestis et licitis ad ipsius instan-
tiam promovere dignarer, diligentur commendatus est. Porro
cum propter multas sane egregias causas tum etiam propter
liuguae Polonicae Cognition em sub nullius regis quam Smae Mtis
Vrae Riae imperio libentius versari servireque ipsi animus sit,
humiliter me oravit, vellem illum Smae Mti Vrfte Riae commendare,
quo Cracoviae vel alias aliquo muneri praeeipue scholastico
adhiberetur. Ego vero quandoquidem literis omnibusque literatis
tanquam ornamento et subsidio rerum publicarum unice faverem,
eins petitioni libeuter acquievi atque eo libentius cum eius
eruditatem maxima ex parte ante perspexerim, quapropter Smae
Mti Vrae Riae praedictum öeorgium ut hominem doctum et probum
humiliter commendo dediteque oro, ut eum scholastico aliquo
officio adhiberi curet, pluribus eum commendarem, ni superacaneum
iudicarem. Scio enim S^Am Mtem Y™™ Riam omnium studiosorum
fautorem et patronum esse singularem. Quidcunque sie regii
beneficii aeeeperit, erga Smam Mtem R^am Vram omnibus sine dubio
et corporis et animi dotibus sedulo et humiliter demereri conabitur.
Christus Smam Mtem Vram R^m in Nestoreos usque annos pros-
perrimam omnique ex parte foelicissimam conservare dignetur.
Datae e Regio Monte 16. Augusti 1542.
12*
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172 Abraham Culvensis.
IV
Herzog Albreckt an Thomas Sobocki1).
Vnnsern grus zuuorn. Edler vnd erentvhester besunder
lieber. Wir wollen euch jhnn gnaden nicht bergenn, das vns
gegenwertiger zeiger zuerkennen gegeben, welcher gestalt ehr
aus seinem vaterlandt Lithawenn des waren allein seligmachenden
worthes halbenn vertrieben vnnd ein weyl zeit im elende gewesen,
nun aber vnangesehen des obgemelten sich gegen Krackaw
daselbst vmb dienst sonderlich einenn schulenn dienst vmzusehenn
zu begebenn bedacht, vns darauff embsigs vleiß angelanget vnd
gebethenn, wir woltenn jnen an könig, die junge koe Mftjt
zu Polenn zu vnserem gnedigen herrnn vnd lieben Ohaym ver-
schreybenn. Dieweyl wir dann denn loblichen freyen kunsten
mit allenn gnadenn vnd diejenigen, welche denselben anhengig
genediglichenn zufurderen gewogenn, haben wir jnenn nicht
allein an die Köe MaJfc hochgemelt verschreibenn wollenn,
sondernn ist auch an euch als denn wir solchenn leuthenn
geneigt wissenn, vnnser ganntz genedigs synnen, jr wollet
vnbeschwert sein vnd bey Kör Mftjt vmb vnseretwillen ge-
dachtem Georgio Zablocio gutwillige furderung beweysenn, damit
ehr ethwann zu eynem ehrlichenn dinst gebraucht werden vnd
eynenn zimlichen nottdurfftigenn vnderhalt habenn möge. Das
sein wir mit genediger wolthath widerumb zubeschulden vnnd
abzunemen gewogen. Dat. Königbergk, denn 23. Augusti 1542.
Ein ähnliches Schreiben sandte der Herzog an demselben
Tage an Gabriel Therla.
V.
Herzog Albrecht an Abraham Culvensis.
Redeuntibus nobis de nova domo arce nostra burggravius
et cancellarius te propter certas et urgentes causas veniam
petiisse atque hinc abiisse nobis retulerunt. Omnibus autem
conditionibus et qua ratione tibi venia abeundi concessa sit, te
1) Über Thomas Sabocki vergl. Beilage IX.
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Von Dr. Wotechke. 173
minime latere putamus. Porro cum nobis subito negocia quaedam
acciderint, in quibus tua opera opus habeamus, postulamus, ut
lectis his nostris literis amplius nusquam procedas, sed oonfestim
ad nos revertaris neque te moveat, quod fortasse dimidium iam
iter confeceris vel etiam mater tua, cui propter periculum, in quo
esse dicitur, ut aequum est, subvenire conaris. Cogitavimus enim
et deliberavimus de aiio sine dubio convenientiori eam liberandi
illique subveniendi modo speramusque consilium nostrum pros-
perrime successurum. Quod faxit deus opt. max., quapropter
sine ulla mora et exceptione redeas postulamus. Dat. 8. Octo-
bris 1542.
VI.
Herzog Albrecht an Stanislaus Gastold.
Honestus Stanislaus Viicomeriensis praesentium literarum
exhibitor propter negotia quaedam haud levia in Lithuaniam
missus est. Cum autem fieri posset, ut in experiendis iis opera
et auxilio Magüae Y™, in quam post deum multum spei collo-
cat, opus haberet, summis atque humillimis nos oravit precibus,
vellemus illumMagüae Vrae commendare. Cui petitioni uti iustaepro
officio nostro libenter acquievimus, amice diligenterque petentes
Magtia Va si quando opus fuerit vel nostro nomine dicto
Stanislao Viloomeriensi plenam in omnibus hoc tempore fidem
adhibere ac ad ipsius peticionem auxilio consilioque adesse et
quaere dignetur. Factura in hoc pro officio suo rem sese
dignam nobis gratam omni amica dementia agnoscendam.
Christus Magüam yram quam diutissime prosperrimam ac feli-
cissimam conservare assumat. Dat. e Monteregio 27. Octo-
bris 1542.
vn.
Herzog Albrecht an Jobst Ludwig Dietz.
Edler, lieber getrewer. Wir wollenn euch jhnn gnadenn
nicht pergenn, das der achtbare vnnd hochgelert Abrahamus der
freyen kunst doctor, welcher ein gebornner Lithaw vnnd
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174 Abraham Culvensis.
warlichenn ein fromer gelerter man ist, vonn denn bischoffen n
vnnd prelathenn des großfurstenthumbs Litthawenn darumb das
ehr dem allein seligmaohendenn wortt gotts anhengig vnd durch
seyne allmechtigkeit desselbenn warheitt erkanndt dermassenn
verfolgt, das er bemelt sein vatterlandt ein weylzeitt gemiden
vnd sich bey vns vnderhaltenn, daneben das die bemelten
bischoffe dahin getracht, wie jme seyne gutther genommen
werden mechtenn. So hatt jme doch die konigin vonn polen,
vnnsere gnedigiste frawhe, mittlerzeit geschriebenn vnnd sich
königlich erbethenn, die gutther jhn jrer kor Maj* genedigenn
schütz zunemen vnd jm die nutzung vonn denselbenn genedig-
lichenn zu vberantwurtten zu lassen. Weyl wir aber ewer
person dem gotlichenn wortt, auch den liebhabernn desselbenn
gantz geneigt wissenn, haben wir auf? sein embsigs anlangenn
nicht vnderlassenn wollen derhalbenn an euch zu schreyben, be-
geren vnd synnen demnach an euch gantz genediglichenn, jr
wollet den armen bedruckten frommen bidermann jn anmerkung
seyner itzigen Verfolgung zutrost bei kor Maj* hochgemelt
vorfurdern, damit er solche nutzung bekhomme vnnd auch das-
selbe, das ire könige Maj* ime schicken wirt entpfahenn, vnnd
alsdann solchs alhere verfertigen, nichts mynder sonstenn seyner
sachenn ihm besten bey koniger Majfc gedenken vnd vorstellenn.
Das seint wir nebenn dem das es ein werck, damit die christ-
liche brüderliche liebe bewiesenn, in gnadenn anzunemenn vnnd
zu erkhennen gewogen. Dat. Königspergk, den 18. Novem-
bris 1542.
VIII.
Protokoll über Eröffnung des Particulars.
Anno 1542 den 11. tag deß monats Decembris ist obgemelte
fundation des partikulars aus F. D. beuelch im beiwesenn irer F. D.
dartzu verordneten rethe als nemlich deß Burggrafen, Kanzlers,
Kaspar Nostwitz vnnd Hansenn Harthemus dem doctor
Abraham magistro vnnd pacalaurien, als deme so die schulen
befohlen, nicht minder den Schülern sampt andern communen,
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Von Dr. Wotechke. 175
wes sich ein jedes teil vermog der fundation halten solle,
öffentlich abgelesenn vnnd publiciert worden.
IX.
Jobst Ludwig Dietz an Herzog Albrecht.
Belangend den handel mit dem hern Abraham
Culvensi habe ich auff 18. mein son [zur d. Königlichen Majt
gesandt, Euer F. D. schreiben derhalben an mich gethan ins
Latein interpretiert vberantwurtet vnnd dabey, was mich zu der
sachen dienstlich gedeucht, handeln lassen. Was ich darauff zur
antwurt erhalten, ist mit vleis, wie es ire Majt mundlich geredt,
auff ingelegten zedl geschriben, allein dises mit willen vnnder-
lassen, was ihre Majt für vrsaoh habe, solchs der nutzung
halben nit baldt geschehen muge, Nemlich das ire Majt begert,
die ding in geheim gehalten würden, damit seine Widersacher
nit crucifige vber ire Majt 3ohrein. Dieweil ich aber merkh
ire Majt dem man nit vngenedig, bin ich gueter hoffnung, so
ich mit irer Majt selbst zue reden kam, den sachen ein leidtliche
moß zue erhalten. Es ist auch nicht fürtreglich von dem wort
des hern zue hanndeln durch die, so von der oberkheit nit er-
fordert vnnd die gegen sich zue bewegen, die einer weder
lernen soll noch straffen kan, wer wan zue vil scharff für dem
gemeinen mann die oberkheit on beuelch anzugreiffenn, gibt
den zuehorenden grosse ergernus, denen so damit gemeint kein
be8serung, denn sie horendts nit vnnd wirt alweg mit mereren
zuegelegten hinfür gebracht, das hab ich aus teglicher erfarung.
E. F. D. ist wol bewußt, das meine genedigste fraw, die
konigin ein sinreiohe kluge kunigin ist, die vnnder andern
genotigen dingen dises, so nit das wenig ist, auch verstet, das
etliche ding in sollchem volckh mit weniger beleidung ein zeit
noch geduldet wann on recht gesetzten grundt schnell zue vber-
stossen sein. Es mag mir Eur F. D. glauben, das man das
wort gottes also gewaltig bey vnns prediget als es in einer
kirchen der Christenheit geprediget mag werden, man verschonet
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176 Abraham Culvensis.
niemandt vnnd hatt ein christliche weis niemandt zu schelten,
sonnder jedermann vnnder dem süssen joch des hern zue er-
halten , niemandt auszuetilgen, alle menschen zu bessern, es
hören allein einen man teglich vil tausent menschen, vnnder
den auch beider standts die großen prelaten vnnd hern begriffen,
allein mein gn. her ertzbischoff ausgenommen, welcher auch
jmmer nit fast frisch ist vnnd lest aber sein hochwirdigst genadt
der warheit, die also on lesterung gepredigt, jren freyen gang,
wie vil es die auch anfechten, so in irem sinn die geiertesten
beim Aristotele, der Logica vnnd Vesori super Donatum jmmer
fort anhangen, aber dises kunfthige gesprech wirdt in dem vnnd
andern grosse verenderung geben.
Es hat Euer F. G. guet wissen, das negst vergangen zue
Peterkhaw ein sinodt gehalten worden ist, so schickh ich Euer
F. D. hiebei ein oracion daselbst gehalten, daraus auch was ab-
zuenemen ist. Hiebey hatt Euer F. D. die andtwurt ann die
konig« Majt zu Dennemarkh, die hab ich durch mein son auf-
gericht, denn ich selbst gen hoff nit kann
Auff 19. hatt die Konig6 Majt die woyewodschafften deren
siben gewariert haben, vergeben. Die hechst vnd best zand-
nerische woyewodschafft hatt man geben herrn Jan grafen zue
Thentzin, dessen son bey Euer F. D. gewesen ist, sein castellanat
Woynicen., das er vor gehabt, hatt man geben dem hern Schatz-
meister, der ist vor castellanns Radomien. gewesen, palatinatum
Syradien., das er vor gehabt, hatt man hern Andrea graffen
zu Gorkha geben, sein castellaney zu Posen hatt man hern
Opalinski, der jungen Kunig. Majfc hoffmeister geben, der ist
vor castellanus Gnesnen. gewesen, palatinatum Russiae hatt man
hern Odrowasch geben, der was vorhin palatinus Podoliae, den-
selben palatinatum Podoliae hatt man dem hern Tworowski
geben, einem veinen haubtmann, palatinatum Beizensem hatt
man dem hern haubtman von der Colomey, dem weidlichen
ritter, so man nennet choraczicz Jazlowyeczky, palatinatum
Mazoviae hatt man hern ertzbischoffs bruder geben, palatinatum
Lancicien. hatt man geben dem hern Kosczyelyetzky, der vor
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Von Dr. Wotechke. 177
Brzesoensis war, denselben palatinatum hatt man geben dem
bern Chodzyesky, palatinatum Ravensem batt man geben
castellano Plocensi, palatinatum Iunivladislaviensem batt man
geben eim jungen hern Koschyelyetzky, ist vorhin gewesen
succamerarius des reichs, ist ein weiter sprung vber alle castellan
ein woywodt zue werden, aber das cammermeister ambt hatt järlich
500 gülden einzuekhommen vnnd dise woyewodschafft 0.
Das bißtumb von der Koya ist noch nit vergeben, hatt
vil competitores, man versieht sich, es werdt es der herr So-
botzky, der kon Majfc schenkh bekhommen, ein fein jung
gelert man, wol deutsch vnnd welsch zue sambt fein polnisch
beredt, ist Melanchtonischer zucht vnd auch gemut1). Der
almechtige will Euer F. D. in langwiriger gesundtheit vnnd
gluckhlichem regiment vnnd mich in Euer F. D. genaden er-
halten. Datum zur Krakha den 27tcn Decembris 1542. Euer
F. D. gantz dienstlicher Jost Ludwig Dyetz zu Wolya etc.
Der eingelegte Zettel enthält folgende Niederschrift. Sacrae
Beginalis Mtis Poloniae etc. dominae et dominae nostrae clemen-
tissimae perlectis literis illustrissimi prineipis et domini domini
in Prussia ducis etc. domini mei graoiosissimi in causa eximii
viri d. Abrahami Culvensis scriptis et ad ea, quae Jostus L.
Decius per filium eius Maiestati ea in re signifieavit, benigna
responsio.
Dicas patri tuo, rem istius viri boni sie habere. Quando
venit ex Italia, quoniam meae est dicionis in dominio Kawnensi,
ad me venit et certe, quia eruditus iuvenis fuit, fui et ego Uli
graciosa, et frequenter me adiit ineepitque multos filios nobilium
apud se fovere, interea temporis quaedam dixit et loquebatur,
quae non erant dicenda. Ego illum saepius admonui, ne illa
faceret, solebat namque de sacerdotibus et clericis nonnulla dicere,
multorum postea in se odium attraxit et praesertim d. episcopus
Vilnensis maximo illum odio prosequebatur. Ego tandem videns
1) Thomas Sobocki hat 1525 in Wittenberg, wo er am 10. Juni im-
matrikuliert ist. studiert.
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178 Abraham Culvensis.
haec iussi illum abire in locum aliquem, ubi tutus vivere posset,
propterea quod, cum ego debueram ex Lithuania abire, non po-
tuissem illum tueri. Ille iussu meo discessit et ivit in Prussiam
scripsitque ad me ex Prussia res suas in districtu Kawnensi
sibi acceptas esse. Ego statim his auditis ad officiales meos
Kownenses, quoniam districtus ille in mea potestate est, scripsi
cupiens ex eis scire, quare illius bona accepissent; illi mihi
iterum significaverunt, nulla illius bona esse aocepta, sed dominus
episcopus Vilnensis ineareeravit matrem suam et amicos illius
adegitque matrem praefatam ad iuramentum, ne ullas unquam
a filio sua acoiperet vel aliquas ad eum ipsa mulier paupercula
daret literas. Ego ad dominum episeopum Vilnensem scripsi,
cur ipse subditos meos ita molestaret, ad quos nullam haberet
iurisdictionem, non condemnatos neque iure convictos incarceraret
De proventibus autem hoc cito fieri non potest propter
oausas etc.
Et ita dicas patri tuo, ut scribat domino duci Prussiae,
quod illum apud se teneat, nam ille voluit in Lithuaniam domum
suam ire et metuendum est, ne illum comburant vel suspen-
dant, nee dimittat, etiam si debeat nolentem in cathena
retinere. Nam certe illum comburerent vel suspenderent, antequam
ego rescirem.
X.
Herzog Albrecht an Jobst Ludwig Dietz.
Wir haben gantz gerne vernommen, das ir des d. Abrahams
sache so ganz vleissig vnd nicht onhe frucht bei der konen Maj*
ausgericht. Weill es dan auf deme stehet, das noch ferner trosts
zur Sachen, begeren wir mit allen gnaden, ir wollet nach ewerm
hohen von gott verlihenen vorstand in diesem handell noch
hinfort das beste thuen, als der die bequemste weis, zeit vnnd
maß zutreffen weis, damit dem guten man möchte gerathen
werden. Das wirt er alles seines Vermögens vmb euch vnd die
eweren vordienen, so beschicht vns daran zu sondernn gefallenn.
Er wirt auch nach kon^r Maj* willen diese ding in gebürender
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Von Dr. Wotechke. 179
geheimb halten, damit disfals nicht nachteil zu befürchten. Wir
sind auch mit euch einig vnd befinden, das nicht an allen orten
mit ausbreitung gütliches worts vnnd der straff inn geistlichen
vnd weltlichen dingen recht maß gehalten, welchs wir nicht
loben können. Wollen aber den waren gott bitten, er wolle
allen predigern seines heiligen evangelii benedeiung vnd solchen
geist geben, damit sie das alleinseligmachende wort dermaßen
füren vnd dem volck furtragen, das es zur besserung gereiche,
frucht bringe vnd in allen menschen christliche vnd rechte
erkentnus becrefftige. Daneben ist vns in rechter warheit eine
hertzliche frolockung davon in haus kommen, das wir vermerkt,
der wäre gott also vill vleissiger zuhörer bei euch verleyhet
vnd das liebe wort zu predigen auch die hohen heupter mit
angezeigter maß gestatten, zudeme das wir vormerkt, die
könig6 Ma ire hohe weißheit als woll inn heiligen gotlichen, als
anderen heilsamen dingen mit sonderer beschedenheit vernemen
lest . . . Dat. 13. Januarii 1543.
XL
Andreas Rippe und Johannes Lohmuller an König
Sigismund August.
Post humillimam ac debitam nostrorum servitiorum commen-
dationem oupimus S. ß. M. V. nomine et commissione illustrissimi
principis ducatus Prussiae non latere. Postquam dootor Abrahamus,
IJiae Müs Vrae natus subditus inclyti magni ducatus Lituaniae,
modo vero dicti ill. principis servitio obstrictus, vir eruditione
haud vulgari aliisque praeclaris virtutibus praeditus, intellexerat,
eundem illustris. principem nos ad S. M. U.V. destinare constituisse,
eidem ill. principi humiliter supplioavit, ut sua ill. d. vellet certa
quadam et percreta intercessione per nos destinatos nuntios illum
apud S. E. M. V. commendare ao significare, quod ille idem
Abrahamus absque ullo suo demerito hactenus per aliquod tempus
se extra dictum magnum ducatum, dulcissimam suam patriam
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180 Abraham Culvensüs.
paternosque et haereditarios lares, continere coactus sit, quam
humillime suo nomine supplicando, et S. R. M. V. pro sua regia
virtute ae pietate in innooentes et fideles subditos suos dignaretur
eum una cum matre sua extremo senio consecta ac bonis suis
paternis et haereditariis in regiam suam protectionem suscipere
et susceptum retinere, prout hoc latius in eadem sua supplicatione
continebatur. Quandoquidem ill. princeps noster haud immerito
suis fidelibus servitoribus semper cupiat clementer consultum suaque
ilJma dio ante haec ad dicti doctoris Abrahami instantiam apud
S. seniorem R. M. ad faustissimas celeberrimasque R. M. V.
nuptias pro eodem similiter intercesserit, ac desuper votivum
clementissimumque a seniore R. M. obtinuerit responsum, ut
R. S. M. promitteret ad amplissimos ordines huius inclyti magni
ducatus soribi demandare, ut eundem doctorem Abrahamum in
eodem magno ducatu libere morari, ire ac redire permitterent,
non potuit sua illma d. dicti Abrahami precibus non clementer
annuere. Quare nos immeriti oratores et nuntii praefati ill.
principis oommissione eiusdem ill. d. suae ac praefati doctoris
Abrahami nominibus S. R. M. V. suppjicamus quam humillime
et instantissime, ut S. quoque R. V. M. ex singulari sua regia
dementia dignetur benignissime concedere, ut saepe dicto doctori
Abrahamo liceat, sub R. M. V. sacris diplomatibus seu litteris
autenticis et sigillatis ac regia sua protectione libere absque ullo
discrimine et impedimento corporis et rerum suarum dictam
oarissimam suam patriam, parentem paternosque lares, quando et
quotiescunque sibi opus et oportunum fuerit, invisere illicque
morari, ire redireque fructusque paternae suae haereditatis absens,
praesens percipere possit, et valeat nobisque easdem literas liberi
commeatus seu passus tradi, facere eidem perferendas, quando-
quidem supradiotus ill. princeps summo studio, nos vero una cum
dicto Abrahamo subditissimis servitiis .nostris erga eandem
R. M. V. promereri recompensareque studebimus. S. R. M. V.
humillime subditi et servitores Andreas Rippe, capitaneus Cay-
mensis. Johannes Lohmuller.
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Von Dr. Wotechke. 181
XII.
Herzog Albrecht an Johann Bielewicz.
Magnifice ei generöse. Cum honestus atque doctus fidelis
nobis dilectus Abrahamus utriusque iuris doctor propter certa
quaedam tarn publica quam privata negotia in patriam suam
proficisci in animo haberet, petiit a nobis, ut eum Magiae V1"^
commendaremus. Cum auiem praedictum doctorem Abrahamum
propter fidelia eius servitia ac diligens in rebus nostris procu-
randis Studium plurimum diligamus, petimus a V*a Mtia etiam
atque etiam, velit eundem nostro nomine commendatum habere
eique in negotiis nostris ac suis consilio atque re adesse ab
omnique iniuria protegere atque defendere. Si qua simili in re
aut maiore etiam V**"5 Mag1'*« gratificari poterimus, dabimus
operam, ne Studium et diligentiam nostram desideretis. Haeo
certo sibi Magia Vra persuadeat nobis hoc officium tarn gratum
fore quam gratissimum, ipse quoque Abrahamus omni debita
submissione erga Magiam Vram promereri studebit. Datum Regio-
monti 7. Octobris 1543.
XIH.
Herzog Albrecht an Nikolaus Badziwill.
Venerabilis ac doctissimus fidelis nobis dilectus Abrahamus
Culvensis doctor saepe apud nos non modo virtutes Magiae Vrae
eximias et heroicas, sed etiam de propensa in nos voluntate ac
mirifico studio praedicare solet, quantaque Magiae Vrae apud
omnes sit auctoritas. Quibus rebus fretus sperat se Magiae Vrae
opera, quod vult quodque aequum iustum est, facile obtinere
posse. Cum itaque is negocia sua in Lithuania habeat nosque
illi clementer consultum cupiamus, Magiam Vram vehementer
petimus, ut dicti Abrahami matrem desertam et desolatam viduam
negociaque sua omnia commendata sibi habere sicque dare operam
velit, ut res negotiaque sua integra conservet neque detrimenti
quid inde capiat. Hoc officium deus abunde Magiae V1^ renume-
raturus est, tum dictus Abraham in perpetuum propterea eidem
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182 x Abraham Culvensis.
erit devinctior et dos amicis studiis promerebimur. Bene feli-
citerque Magia Vra valeat. Dat. Begiomonti. 2. Januarii 1545.
XIV.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Etsi nobis minime dubium est Magiam Vrara etiam sine
nostra commendatione bonis ac honestis hominibus sua ope,
auxilio et autoritate adesse solere, attamen ut intelleximus nobilem
ac eruditum sincere nobis dileotum magistrum Georgium Sablo-
cium a quibusdam suis adversariis sine causa male acoipi ac
indigne tractari, facere non potuimus, quin ad Yram Mag*""11
eius nomine scriberemus eumque V1^6 Magifte protectioni ac
patrocinio committeremus. Qui cum literarum bonarum studio
suum animum exoultum reddiderit atque praeter singularem
morum modestiam pietatis syncerae sit amantissimus, dignum
eum profecto existimamus, cuius patrocinium a principibus viris
suscipiatur atque contra vim iniustam et violentiam malevolorum
defendatur. Proinde Vram Magiam tanto studio, ut maiore non
possumus, amice ao obnixe rogamus, ea cum ipsius magistri
Georgii indigna fortuna commota tum nostra commendacione,
quam non parum ponderis apud eandem Magiam Vram habituram
confidimus, adducta eundem magistrum Georgium nostro nomine
commendatum habere inque suorum clientum numerum recipere
ac contra violentiam malevolorum ac inimicorum sua autoritate
defendere, breviter talem se erga eum ostendere velit, ut is
intelligat hanc nostram commendationem non vulgarem exstitisse
/eamque illi apud Magiam V""11 magno adiumento fuisse. Quae
spes eum ne fallat, magnopere rogamus idque nos erga Vram
Magiam vel maiori officiorum genere amice promerebimur . . •
Dat. Eegiomonti. 10. Januarii 1545.
XV.
Herzog Albrecht an Fabian Zemen.
Edler vnd ernvhester besonder lieber.
Wir wissen euch genediger meynung nit zubergenn, das
vns gegenwertiger zaiger, der achtbar vnd wolgelarte vnser
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Von Dr. Wotechke. 183
lieber besonder magister Georgius Sablot jnen ahn euch zu
uorsehreybenn jns demütigiste anlangenn lassenn, verhoffend
solchs jme zutreglioh vnd nutzlich sein solle. Weyl wir dan
vermerkt, das gemelter magister Georgius ein wolgeschickter
man, der sich vff guthe kunste sehr bevliessen vnd daran keyn
mühe noch gelt gespart, aber durch etliche als der der reynen
lere anhengig sein soll, verfolget wirt, so haben wir jme solche
furschrifft ahn euch nicht abzuschlahen gewust, sonder die mit
gnaden gern geben lassenn. Ist demnach ahn euch vnser
genediges synnen vnd begeren, jr wollet vmb vnserret willen
berurten magistrum Georgium ihn zimblichenn vnnd billichen
also vill thulich bey kon6* Ma* vnnserm gn. herren vnd andern
hohen stenden, do ir es für ersprießlich achten thut, furderlich
vnnd sunst rethlich auff sein ansuchen vnd bitten erscheinen,
damit er für seinen abgarstigen desto sicher sein möge, auch
hirin vnserm genedigen vertrauen nach, daran wir dan mit
nichts zweifeln, wilferig ertzeigen, das sein wir umb ewer
personn ihn allenn gnaden anzunemen gewogen. Data Königf-
pergk. 15. Januarii 1545.
XVI.
Johannes Bielewicz und Johannes Kmita an Herzog Albreoht.
Dignetur V™ Celsdo ecire, quod nobilis regiae maiestatis
eximius vir d. doctor Abrahamus, qui Vr»e Cels1"8 munificentia
aliquot annis utebatur, ipse his temporibus reversus in patriam
ac aliquot hebdomadas morbo gravi detentus, tandem die sexta
mensis Junii ante solis ortum extremum diem vitae suae certe
cum ingenti dolore omnium nostrum suorum amicorum christi-
anice olausit. Quia autem is praedictus piae memoriae nobilis
ac eximius vir contulerat se ad V1*111 Celsnem ao proficiscens
detulerat secum non parvam supellectilem librorum, vestium et
caeterarum rerum, quam postea nihil dubitamus non modice ex
munificentia Vrae Celsnis eum adauxisse, dum vero modo isthinc
a Vra Celsne in patriam rediret, eam omnem supellectilem ibi
reliquit, mater itaque suae nobilitatis videlicet eximii viri ac
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184 Abraham Culveneis.
famuli haud infidelis Vrae Cds11*8 modo defuncti, cum sit sub
patrocinio nostro, qui modo sumus ex mandato regiae maiestatis
vicem tenentes capitanei Samogitiensis, venit ad nos obsecrans,
ut Vram Celsnem super hac re rogaremus, quo Vra Cels<*° eius
viduitatis commiserescens ao filii ipsius servitia humillima in
recenti memoria servans misereri dignaretur eamque omnem supel-
lectilem ei ut integre redderetur. Mandare Vra Celsdo dignetur,
ne misera vidua iam orbata unico filio etiam illius rebus in
maiorem cordis sui dolorem privetur. Quare et rogatu ipsius-
misimus in hoc negotio cum literis nostris ad V*am Celsnem hunc
adolescentem Stanislaum Vilcomiriensem famulum nostrum, qui
olim fuit illi egregio viro famulus et hac ratione V1^ Celni non
ignotus, ut ita Vro Celsdo eam supellectilem facilius restituere
viduae lachrymanti dignaretur. Quapropter rogamus Vra™ Celsnem
pro ista et cum ista vidua, ut Vro Celsdo dominus piissimus atque
iustissimus eius misereri dignetur per eundemque famulum
nostrum ei omnem supellectilem relictam a filio restituere non
dedignetur. In quo nihil dubitamus Vram Celsnem n0n aliter
facturam. Tandem nos ipsos clementissimae gratiae Vrae Celsnis
commendamus. Datum Wydukli1) 13 mensis Junii 1545 Vrae
Celsnis regiae maiestatis subditi Joannes Bilewicz et Joannes
Kmytha gubernatores terra Samogitienses obsequentissimi.
xvn.
Elisabeth Hadathowna an Herzog Albrecht.
Ille haud infidelis Vrae Cels™s famulus et, quem Vra Celsdo
loco filii semper adamavit, meus infoelix natus doctor Abrahamus,
postquam reversus est ad me a Vra Celsne mox, ut opinor die
quarto, ah infortunium, Vilnam proficiscebatur futurus adiutomen-
to cuidam magistro tunc pro veritate evangelica cum magistris
spiritualibus illic decertanti. Postea illic agenti, dum ei nescio
1) Widuklew oder Widuckle in Samegitien unweit von Rosienie hatte
noch 1704 eine evangelische Kirche. Vergl. Lukaszewicz, Geschichte der re-
formierten Kirche in Lithauen II S. 73.
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Von Dr. Wotechke. 185
quid levis morbi suboriretur, et volenti mederi physicus, quem
consuluit, pharmacum ei porrexit. Hie itaque metuo, illustrissime
dox, ne pro pharmaco venenum, ut est audacia nostrorum epis-
coporum, infelicissimo iusserint porrigi. Nam reversus domum
statim graviter decumbebat et paulo post mors subsecuta est, et
nihil dubito, illustrissime prineeps, quin ad incrementum meorum
dolorum illi ipsi non siverint defunetum in templo sepiliri, sed
eiecerunt in campum, ut hoc pacto et mihi dolores augerent et ei
dedocens pararent et amatoribns veritatis territamentum exhiberent.
Ah deus omnipotens, vide meos labores, dolores considera et
festina ad vindicandam me miserrimam mulierculam. En carnifices
atrocissimi non sunt contenti, quod vivente meo amato filio
furiam suam indicendis modis efflamaverant, sed etiam in mortuo
atque ipso funere voluerunt se satiari. Agite, sanetissimi, cum
iam habetis eum vobis expositum, convertite eum in vestrum,
qui vobis videtur, commodi3simum usum. Saltem me sinite
dolorosissimam eius matrem meis satiari lachrymis! Ah fili mi,
praestitisset, si nunquam reversus esses ad matrem, praestitisset,
nunquam venisses in patriam, praestitisse, nunquam reliquisses
tuum herum clementissimum vel verius tuum patrem aut plus
quam patrem ! Adhuc superstes esses, adhuc de te bona laetaque
audirem, non tarn cito adhuc f actus esses eibus semper desideratu?
istis vocacissimis lupis veritatis, qui te propter veritatem odio
habuerunt, non tarn cito contristasses meam defessam aetatem
tuo tarn lachrymabili fato. Sed sit modus lachrymarum et tantum
est, illustrissime prineeps, de immaturo obitu filii mei. Nunc
autem restant gratiae V1^ CelsDi pro donis et benefieiis, quae
in meum natum ac pariter in me eius matrem a Vra Celsne
cumulatissime collocata sunt, haec autem ipsa si enumerare
deberem, et sermo et tempus me deficeret. Ex quibus tarnen
hoc unum et ex animo praefabor V™111 Celsnem meum natum
loco filii amavisse et ideo minus mihi sufficere ad agendas
debitas Vrfte Celsni gratias, verum deus, qui est renumerator
talibus benefactoribus, ipse rependet Vrae Celsni. Praeterea dig-
netur Vra Celsdo scire, quod domini gubernatores terrae Samo-
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u. 4. 13
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^
t?
186 Abraham Culvensis.
gitiensis d. Joannes Bielewicz et d. Joannes Kmytha causa precum
mearum miserunt isthum adolescentem Stanislaum Vilcomiriensem,
olim famulum filii mei, ad Vra™ Cels11«11 cum literis suis inter-
pellantes pro me, ut supellex reliota filii mei apud Wram Celsnem
mihi restitueretur. Quare rogo Ynm Celsnem dominum clemen-
tissimum atque ducem iustissimum, dignetur Vra Celsdo supel-
lectilem mei nati per hunc adolescentem mittere. Ego autem
pro omnibus beneficiis V""5 Celsniß partim in filium meum partim
in me ipsam collatis sedulas preces ad deum omnipotentem
fundendas polliceor, ut Vram Celsnem diu foeliciterque in imperio
sedentem clementer et conservare et gubernare et provebere
dignetur. Tandem me commendo clementiae Vrae Celsniß. Datum
Culvae 15. mensis Junii anno domini 1545. Vrae Cels1"8 Elizabeth
Hadathowna mater doctoris Abraham fidelis et assidua ad deum
exoratrix.
xvm.
Herzog Albrecht an Joh. Bielewitz und Joh. Kmita.
Literas vestras 13. mensis Junii Widukli datas accepimus,
quae nobis non mediocrem maerorem attulerunt, quippe ex quibus
cognovimus eximium ac eruditum nobis fideliter dilectum doctorem
Abrahamum sexta die huius mensis extremum suum clausisse diem,
quod nobis quidem tristissimum accidit. Erat enim ea doctrina,
eruditione, iis etiam moribus praeditus, ut ipsum nostrae recens
instauratae academiae magnopere profuturum speraremus. Cum
autem deo opt. max. sie visum sit, ut ipsum ex hac terrena
momentanea plena tristitiae et aerumnarum vita ad perpetuam
felicitatem et gaudia nunquam interitura evocaret, nos quoque
omnipotentiae dei, qui dixit omnes capillos capitis nostri numeratos
esse et eorum sine voluntate patris coelestis nullum deeidere,
hoc totum committimus certi, quod ipsum propter propagationem
et confessionem verae religionis cum omnibus sanetis in die
iudieii maxima cum laetitia visuri simus. Quod ad supellectilem
illius attinet, etsi citra vestram intercessionem matri cognatisque
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Von Dr. Wotechke. 187
proximis dicti doctoris Abrahami facile libenterque concessuri
essemus, vestris tarnen moti precibus diligentius exsequendum id
curavimus dedimusque operam, ut per praesentium ostensorem
Stanislaum Vilcomiriensem universam supellectilem, quae reliqua
fuerit post solutum aes alienum, quodquod ab ipso d. Abrahamo,
dum hie ageret, contractum est, aeeiperet. Dat. Regiomonti
29 Junii 1545.
XIX.
Herzog Albrecht an Elisabeth Hadathowna.
Honesta et sincere nobis dileeta. Literas vestras tristitiae
et doloris plenas non sine magna animi affectione aeeepimus, ex
quibus non modo eximii sincere nobis dilecti d. Abrahami iuris
utriusque doctoris lamentabile fatum cognovimus, verum etiam
quod vos ex immatura eiusdem morte tanquam mater de salute
filii merito sollicita acerbum vulnus aeeeperitis. Quae res aetati
vestrae, quae per se satis aerumnarum secum adfert, gravissima
est. Utinam autem diutius hoc vitae curriculum nobiscum vivere
potuisset. Sperabamus enim mediante dei gratia eruditionem et
doctrinam eius, qua certe non vulgari erat praeditus, non tarn rei
publicae quam scholasticae nostrae iuventuti ac recens instauratae
academiae maxime profuturam. Cum vero summi parentis, in
quo vivimus, movemur et sumus, ea voluntas sit, ut communem
mortalium legem nemini evitare liceat, sed quandocumque nos
voeavit deus, hinc continuo emigrandum sit, non est, cur ob eam
universi mortalium generis conditionem inter tarn densa iuvenum
ac senum funera tantopere animo discruciemur. Ferendum enim
eat, quod mutari non potest. Consolemur nos eo, quod de Davide
scriptum legimus. Cui simulatque pueri, quem unice diligebat,
mors renunciata est, confestim solo se erexit, pulverem abstergens
lotus et mutato vultu alacris ad epulas accessit. Id factum
mirantibus amicis inquit, spes erat fore, ut meo luctu flexus deus
puerum meum servaret, nunc nullis lachrimis ille ad nos revocari
potest, nos ad illum brevi properabimus. Itaque quo inevitabilius
13*
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Igg Abraham Culvensis.
fatum est, eo magis orandus est deus, ut adversam hano sortem
et tristem casum patienti et moderato animo tolerare possimus,
praesertim cum illud solaminis habeamus certaque nobis spes
supersit nos ex hac vita omnium periculorum, morborum et
miserarum plena ad aeterna gaudia emigrare. Quod vero tantopere
animum vestrum excruoiat, filio unico pietatis et doctrinae
christianae studiosissimo sepulturam in coemeterio, quem locum
papistae et alii verae doctrinae adversarii conservatum habent,
negatam esse atque cadaver in campum pro explenda sua libidine
odio veritatis eiectum, non est, cur ob id tantum tristemini, cum
constet eum propter cognitionem, propagationem et confessionem
verae et sacrosanotae religionis etiam inter vivos existentem
a persecutione non fuisse liberum, ut non mirum, si etiam in
demortui cadaver saeviant nonnulli, quibus nihil aeque ac piis
hominibus insultare cordi esse solet. Et quamvis in loco prophano
sepeliri opinione hominum corpori molestum sit, animae tarnen,
quae iamdudum beata quiete fruitur, aeque est salutare. Neque
enim dubitamus a deo summo pontifice nostro conservata esse
omnia, et certum est eundem vestrum filium, etsi hoc loco
putrescat, cum omnibus sanctis aeterno piorum consortio in sinu
Abrahae laetitia ineffabili perfrui. Cuius ut vita sanota et
irreprehensibilis fuit, ita procul dubio ex his miseriis et aerumnis
evocatus veris apud deum patrem nunc affluit gaudiis. Porro
quod tantas nobis habetis gratias pro beneficiis filio vestro collatis,
iis certe opus ad nos non erat. Quidquid enim factum a nobis
©st, totum id laborum, officiorum ac studiorum suorum prae-
mium fuit, daturique fuissemus operam, si diutius superstes
fuisset, ne quid de dementia nostra desiderasset. Supellec-
tilem apud nos relictam, quam a nobis remitti petivistis,
praesentium exhibitori Stanislao Vilcomiriensi una cum eius-
dem iuventario, quod legitimum et iustum esse duceremus,
ad vos transvehendam dedimus. Si quid porro clementiae
vobis exhibere possumus, dabimus operam, ne quid in nobis
desideretis. Ex Regiomonte 29. Junii 1545.
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Von Dr. Wotechke.
189
XX.
Inventarium omnium librorum et supelleotilis d. dootoris Abrahami.
Textus iuris civilis in 4 partes.
Plinius. Livius.
Piatonis opera graece.
Aristoteles in duas partes
graece.
Homerus cum commentario.
Dioscorides graece et latine.
Lanrentii Vallae opera.
Apaleins cum commentario
Beroaldi.
Prutenicus libellus.
Aristoteles de historia anima-
lium.
Paraphrasis in duas epistolas
Petri.
Urbani grammatica graeca.
Aristophanes graece.
Lactantius.
Hesiodus cum commentario.
Ptolomaei geographici libri.
Gommentarius in Hesiodum.
Joannes Huß.
Xenophontis opera in duas
partes.
Luciani una pars.
Epitome historica Vadiani.
Cicero de senectute et somnio
Scipionis.
Hesiodus.
SyntaxisPhilippiMelanchthonis
Quaestiones musicae.
Tragoediae Euripidis.
Euripidis Rhesus.
Aesopus graece et latine.
Psalterium Pomerani.
Theocritus.
Dictionarius hebraious.
Sophoclis tragoediae.
Ptolomaeus cum tabulis.
Isocrates. Varro.
Grammatica hebraica.
Cato de re rustica. Columella.
Ph.Melanohthonus in Danielem.
Aristotelis ethioa latine.
Dionysius.
Quaestiones dialecticae.
Erasmus de servo arbitrio.
Theocritus cum commentario.
Grammatica graeca Ph. Me-
lanchthonis.
Grammatica graeca Munsteri.
Grammatica graeca Ph. Me-
lanohthonis.
Plutarohus de educatione libe-
rorum.
Ph. Melanchthon in orationem
pro Milone.
Polonicus libellus.
Oratio de vita Aristotelis et
de interdicto esu carnum.
Epistolae Hieronymi.
Tabula hebraica coniugationum.
Valla in Novum Testamen tum.
Valerius Maximus.
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190
Abraham Culvensis.
Paradigmata Cioeronis.
Polybius graece.
Statuta regni Poloniae.
Physica Aristotelis.
Quaestiones de anima.
Postillae latinae. Virgilius.
Tabula in grammaticam he-
braioam.
Grammatica Cingularii.
Horatii epistolarum libri duo.
Dialectica Ph. Melanchthonis.
Psalterium graecum et he-
braicum.
Cato. Olarianus.
Physica Alberti Magni.
Acta Ratisbonensia.
Nicander graece.
Ph. Melanchthonis dialectica.
Francisci Philadelphi epistolae.
Avicenna. Priscianus.
Anatomia. Arcula.
Mappa magna.
Hesiodus.
Grammaticorum graecorum
über.
Grammatica Diomedis.
Ph. Melanchthon de anima.
Annotationes in institutiones
Justiniani.
Supellex.
4 cantari.
1 sponda.
1 pelvis cum mantile.
2 orbi (?)
1 candelabrium.
1 mensa.
1 cista.
1 lectus.
1 scutella.
3 pulvinaria.
2 sediles.
1 tapetum.
Herzog Albrecht an den Marschall von Lithauen Nikolaus Radziwill.
Magtiam Vram celare non possumus, quod rev. ac doctis-
simus fidelis nobis dilectus Stanislaus Rapagelanus in academia
nostra Regiomontana theologiae professor subiectissime nobis
retulit ac non sine quaerimonia significavit de iniuriis et grava-
minibus parenti suo Georgio Swiatzko Rapailowitz a Magtia
Vra illatis vehementer etiam atque etiam suppliciter petens, ut
Magtiae Vrae ea de re scriberemus, ne illi porro intollerabilia
onera praeter ius et fas imponeret imponive permitteret. Cum
igitur praedicto doctori Stanislao multis magnis et iustis de
causis clementer faveamus, praetermittere non potuimus, quin
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Von Dr. Wotschke. 191
ipsum sui voti compotem redderemus, clementer postulantes ac
potentes, Magtia V1* non modo ab iniuriis hactenus illatis et
porro inferendis desistere velit, verum etiam nostro sibi nomine
Georgium Swiatzko commendatum habere eoque favore, quem
quilibet dominus suis subditis debet, prosequi causisque suis
iustis ac aequis tueri ac manu tenere dignetur. Dat. Begiomonti
26. Januarii 1545.
xxn.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Praesentium literarum exhibitor Nicolaus de nova natione,
Stanislai Bapagellani theologiae olim in academia nostra Re-
giomontana professoris consobrinus, ad nos venit conquerens
se a ditionis Magtiae Y™* subditis magnam iniuriam pati idque
humiliter etiam atque etiam a nobis petiit, ut illi ad Magtiam
Vram üteras commendatitias daremus, ut eo facilius Magtiae V1^
auxilio, ope et auctoritate interposita ius suum obtinere posset.
Cum itaque laudabilis memoriae d. doctor Stanislaus nostrae
universitati feliciter instauratae multum sua opera in studio pro-
fuerit, non potuimus praedicto Nioolao commendationem nostram
denegare, praesertim cum tantopere eam a nobis peteret et
causae suae illam multum profuturam speraret. Clementer igitur
postulamus, Magtia Vra velit huic inopi suo auxilio subvenire
eiusque causam suscipere et defendere, nihil enim magis pium,
nihil generoso viro magis dignum, quam miseris succurrere, illos
consilio et re iuvare .... Dat. 4. Junii 1545.
xxni.
Herzog Albreoht an Nikolaus Radziwil.
Literas Magtiae Vrae Vilnae 21 mensis Junii datas, quibus
nobis fratrem eximii fidelis nobis dilecti Stanislai Bapagellani
theologiae doctoris pie defuncti commendat, utque illi relicta eins
bona tradi iubeamus petit, accepimus. Etsi autem nos non
tantum V**6 Magtiae commendatione, quae quidem apud nos merito
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192 Abraham Culvensis.
plurimum valet, verum etiam ipsa rei aequitate adducti libenter
ac benigne id faceremus, attamen tantum aeris alieni, quod doctor
Stanislaus in instruenda re domestica ac comparanda supellectile
nee non coemendis libris contraxerat, atque ipse multis praesen-
tibus in extremo tempore vitae se debere testatus est, relictum
est, ut etiam illius magnitudo relitorum bonorum pretium longe
supersit, ut taeeamus relictae illius viduae nullo dotalicio, ut
moris est, esse prospectum. Qua de causa qui a fratre eins huc
missus fuerat animadvertens in haereditate plus incommodi propter
aes alienum quam commodi inesse, eam adire noluit. Dat. Regio-
monti 4. Septembris 1545.
XXIV.
Nos Albertus dei gratia Marchio-Brandenburgensis in Prussia
dux etc omnibus et singulis, cuiuscumque dignitatis, gradus,
status aut conditionis fuerint, ad quos hae nostrae literae perve-
nerint, primis vero iis, quorum interest, notum esse cupimus,
quod discretus Joannes Badzwilowitz in plenipotentia nobilis
Pauli Rapagelani nos adierit petens, ut relicta eximii fidelis
nobis dilecti d. Stanislai Rapagellani theologiae dootoris non
ita dudum vita funeti bona ad praenominatum fratrem Paulum
iure haereditario devoluta sibi tradi mandaremus. Quod quidem
cum ipsa rei aequitate tum singulari dementia, qua in dictum
Stanislaum fuimus, adducti fieri iussimus. Cum autem non tan-
tum harum terrarum consuetudine, verum etiam omnium gentium
iure constitutum sit, ut qui commodum cupit, idem et onus ferat,
atque praedictus Joannes Badzwilowitz intellexisset aes alienum,
quod doctor Stanislaus et instruenda re familiari ac comparanda
supellectile nee non coemendis libris contraxerat, bona ipsa
haereditaria superare, quin etiam viduae eius dotalicio non esse
prospectum, eandem doctoris Stanislai praedefuneti nomine fratris
haereditatem adire recusavit et renuit animadvertens eam sibi
maiori incommodo quam commodo futuram. Atque ut huius rei
sibi testimonium daremus, quoquomodo res se haberet, saepedictus
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Von Dr. Wotschke. 193
Joannes obnixe petiit. Quod quidem ei ut non iniquum petenti
non gravatim dedimus, quemadmodum etiam hisce literis nostris
patentibus Uli id datam volumus. In onius rei evidens Signum
ac testimonium secretum nostrum hisce est subimpressum. Dat.
Regiomonti.
XXV.
Herzog Albrecht an Johann Bielewicz.
Magnifice ac generöse singulariter nobis dilecte. Cum in
ducatu nostro Prussiae propter obitum quorundam praedicatorum
et verbi divini ministrorum aliquot parochiarum officia hoc tempore
vacent et pastoribus careant, nobis autem, quod sine ostentatione
dictum volumus, non minimae curae sit, ut subditi nostri noticia
Christi servatoris nostri imbuantur, quapropter Magtiae Vrae filium
praesentium exhibitorem, ut quantum fieri posset, nobis aliquot
doctos et linguae Lithuanicae peritia instructos viros adduceret,
isthuc ablegavimus clementer etiam atque etiam petentes, Magtia
Vra filium suum in hoc delegato sibi negotio diligenter iuvare
idque studio, cura et industria sua efficere velit, ut aliquot eru-
ditos ad praedicandum dei verbum et reliquum ecclesiae munus
idoneos homines istinc consequamur. Id nos clementer et amice
erga Magtia™ Vram, quam Christo observandam committimus,
promerebimur. Dat. Viinae. 8. Maii 1546.
XXVI.
Herzog Albrecht an Martin Mosvidius1).
Hftneste et erudite sincere nobis dilecte. Commisimus eximio
ac' doctissimo nostro physico Johanni Bretschneydero medicinae
doctori, ut nostro tibi nomine, quae et nostra et tua non parum
1) Mosvid ist laut Matrikel erst nach diesem herzoglichen Schreiben an
der Königaberger Universität inskribiert worden, am 5. April 1548 ward er zum
Baccalar promoviert. Schon 1547 gab er einen Katechismus und ein Gesangbuch
in lithauischer Sprache heraus. Vergl. Tschackert III. S. 176. Einen Neudruck
dieses Katechismus und Gesangbuches bietet Hezzenberger, Littauische und
lettische Drucke des 1(>. Jahrhunderts Göttingen 1874. Seinen lithauischen
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194 Abraham Culvensis.
interessent, referret. Quapropter dementer a te postulamus, ut
primo quoque tempore huc ad urbem nostram Regiomontanam
accedas diotumque doetorem Bretschneiderum adeas, auditurus ex
eo quae de animi nostri sententia et voluntate ispae tibi exponet.
Ea in re nobis tarn gratum feceris, quam quod gratissimum dabi-
musque operam, ut olementer a nobis compensetur. Bene vale.
Ex Regiomonte 8. Junii 1546.
xxvn.
Herzog Albrecht an Stanislaus Kieyzgalo.
Accepimus Magtiae Y1** literas per eonoionatorem eiusdem d.
Laurentium1) nobis redditas, quibus ille de meliore nota com-
mendatur nobis. Quod quidem supervacaneum reputavimus, illud
enim persuasum sibi Magtia Vra habeat, nos non modo verbi dei
ministros et praecones singulari voluntate et dementia complecti,
verum etiam omnes bonarum literarum studiosos nobis esse com-
mendatissimos. Essemus igitur ipsum Laurentium, si oommodum
ei fuisset ac integrum, diutius hie retenturi, nisi Magtia V1*, ut
ipsum istuc remitteremus, petiisset. Et quoniam intelligimus,
eum in magno ducatu Lithuaniae hoc praesertim nataliciorum
Christi tempore non medioeriter nee a paueis desiderari, noluimus
ei, quonimus ad suam vocationem redire tempore possit, impedi-
mento'esse, praesertim cum postboo saepius ad nos sit commeaturus.
Dat. Begiomonti 20. Decembris 1546.
XXVHI.
Herzog Albrecht an Stanislaus Kieyzgalo.
Signifioavit nobis speetabilis ac eruditus magister Friderious
Staphilus, academiae nostrae Begiomontanae professor theologicus
Ambrosiaui sehen Lobgesang, der 1540 bei Weinreich erschienen war, hat
Celichowski aus den Schätzen der Kurniker Bibliothek herausgegeben. Vergl.
M. Mosswida Waitkuna przeklad litewski piesni te deum laudaraus. Posen 1897.
Am 18. März 1549 ward M. zum Pfarrer in Ragnit verordnet.
1) Der bekannte Laurentius Discordia hat laut Universitätsmatrikel 1538
in Krakau studiert.
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Von Dr. Wotechke. 195
et fidelis nobis dilectus servitor, se negooiorum suorum causa
iter in Lithuaniam moliri, quae quo eo faoilius expedire posset,
petiit, ut eum literis nostris commendaticiis ad Magtiam Vram
prosequeremur. Quas illi tanquam viro docto et de academia
nostra bene merito denegare noluimus. Qaare a Magtia Vra
clementer et gratiose petimus, velit dictum servitorem nostrum
gratia fovere ac benevolentia sua prosequi ipsumque, si Magtiae
Vrae autoritate, consilio et auxilio in expediendis suis negociis
opus habuerit, nostro nomine sibi commendatissimum habere.
Dat. ßegiomonti 12. Januarii 1547.
XXVIV.
Herzog Albrecht an Stanislaus Kieyzgalo.
Redditae sunt nobis binae Magüae Y™ literae priores duos
nobis commendantes adolescentes, alterae respicientes spectabilis
et eruditi Friderici Staphili exsecuta in Lithuania negotia, quibus
promovendis illi Magtiam Vram auxilio fuisse cognovimus. Quod
priores attinet, quoniam bonarum literarum studiosos ea, qua
debemus, dementia et favore prosequimur, erunt duo illi adolescentes
cum tertio Georgio1) Magtia V**0 servitore nobis commendatissimi.
Porro quod Magtia V1* se erga praefatum magistrum Fridericum
Staphilum adeo benigne in exsequendis nostris negotiis exhibuit,
magnas Magtiae Vrae agimus gratias daturi operam, ut clementer
et amice id promereamur enixe petentes, ne quid porro quem-
admodum Magtia Vra coepit, in propaganda evangelica veritate
intermittat ac verbi divini ministros citra metum ullum ad id
depraedicandum iuvet et exsuscitet. Factura in hoc Magtia Vra
rem deo pergratam nobis autem amicis studiis compensandam.
Dat. 22. Martii 1547.
XXX.
Herzog Albrecht an Stanislaus Kieyzgalo.
Cum ingenuus adolescens Johannes Melanops Lithuanus2)
visendi patriam desiderio tenetur, petiit, ut se YTBe Magtifte com-
1) Wahrscheinlich Georg Zablocki vergl. oben Nr. 3, 4, 14 und 15.
2) Vergl. Staphylus au Herzog Albrecht bei Tschackert III, S. 207 „Est
in schola nostra adolescens Johannes Melanops Lituanus, qui opuscula quaedam
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196 Abraham Culvensis.
mendaremus. Quamvis enim de V1"*6 Magtia« erga omnes Christianos
et verbi dei amatores animo nequaquam illi dubium esset, quin
sine ullis etiam literis dilectione tantum christiana adducta ipsum
contra adversarios quosounque Vra Magtia defenderet, tarnen nos-
tram autoritatem et intercessionem sibi non infrugiferam fore
put&vit. Quam ob rem honesta petenti, cuius mores et in studiis
diligentia singularis nobis perspecta essent, deesse noluimus ac
petimus a Vra Magüa, ut adolescentem illum promovere, iuvare
et defendere velit, ne aliquid mali et adversi ab evangelii hostibus
patiatur . . . Dat. ßegiomonti 19. Junii 1548.
XXXI.
Johannes Graf von Thentzin an Herzog Albrecht.
.... Magnificus dominus Paulus Zophia magni ducatus
in Lithuania marschalcus affinis meus induxit animum filios
suos1) ad ßegium Montem mittere, ut istic bonis literis operam
navent aninumque dootrina, virtute ac bonis moribus excolant,
qui postulavit a me diligenter, quo illos Vrae IUtati meis litte-
ris commendatos efficerem. Ego vero nolim amico apud illam
hoc officio deesse, itaque Illtati V™* diligenti studio commendo . . .
Dat. 5. Juli 1548.
XXXTT.
Herzog Albrecht an Albert Kunzewitz Kmita.
Exposuit nobis supplicissime Martinus Albertides Mossuidius
artium baccalarius se ratione debiti pro Valentino Buinid spo-
pondisse, sibi hactenus nihil muneratum esse. Quam ob rem
petiit, ut se suaque negocia V*»6 Magtiae commendaremus. Quod
ei cum officii nostri sit promovere et iuvare omnes in rebus iustis
latina in polonicam linguam vertit atque hie edidit. Is cum vellet quaedam
exemplaria devehere in Lituaniam, petit itaque literas passuum a Cels"« V1*
et comraendationem ad d. KiHgalem".
1) NicolauB und Johannes Sophia .sind laut Matrikel 1548 im Sommer in
Königsberg immatriculiert.
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Von Dr. Wotschke. 197
et honestis denegare nequaquam voluimus. Petimus itaque
a Magtia Vra, ut velit dictum Valentinum Bainid et parentes
eins ad solutionem compellere, quo creditori satis fiat et ipse
Martinus Albertides Mossuidius onere suo ciira rerum suarum
detrimentum levetur. Dat. Begiomonti 21. Octobris 1548.
xxxin.
Herzog Albrecht an Hieronymus Chodkiewicz ').
Quod Magtia Vra tarn per literas quam ore eximii magistri
Friderici Staphili tanta erga nos utitur gratiarum actione minime
opns fuisset. Nam quicquid hactenus Magtiae Vrae filio favoris
et benevolentiae praestitimus, id omne ex ea, qua erga Magtiam
Vram ferimur, propensione animi emanavit. Quod vero Magtia
V1^ eundem filinm suum huc remittere statuit, non videtur nobia
consultum; etsi pestis tantopere hie non saeviat, tarnen nee
omnino desiisse audimus. Quam primum autem disponente deo
mitior et salubrior aura spiraverit, dabimus operam, ut id Magtia
Vra cognoscat. Dat. 9 Maii 1549.
XXXIV.
Herzog Albrecht an Gabriel Therla.
Sintemal der achtpar vnd hochgelerte vnser vnd lieber
getreuer Fridericus Staphilus seiner gelegenheit vnd notturfft
nach sich inn kor Majfc landenn zu begeben bedacht, damit ehr
aber souiell eher vnd vnuorhinderlicher seine gescheffte voll-
bringen mochte, seinth wir vntertenigst angelangth, wir wolten
ime von irer Maj* einen offenen paßbrieff, den ehr zu seiner not-
turft gebrauchen muchte, befürdern vnd weil wir dan nicht
zweiffein euer person vonn kor Maj#t solchs leiohtlich erhalten
1) Chodkicwicz, in den preußischen Urkunden Kotkowitz geschrieben, war
Generalstarost von Samogitien. Sein Sohn, als Joannes a Cotkawitz dominus
et castellanus Trocensis immatrikuliert, hat seit 1547 in Königsberg studiert,
als Joannes Chodkowicz com es Asklaw castalinides Trozensis capitaneides generalis
Samaitiensis begegnet uns sein Name Wintersemester 1550 in der Leipziger
Universitätsmatrikel.
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198 Abraham Culvensis.
vnd zu wege bringen mugen, so ist vnser gantz gnädigst be-
geren; ir wolleth ire Maj vonn vnserrnt wegen disfals ersuchen
vnnd bitten, dieselb geruhe vns zu kor wilfarung vnd genanthem
vnsern diener zu gnaden eine offene freie paßbort, vff das ehr
inn irer Maj* landen vnd ahnn denen orthen, dohin ehr sich
begeben thet, heineswegs gehinderth oder vff geh alten, sonder
vill mehr, do es ime von nötten vmb kor Majt willen gefordert
werden mochte, angesehen das ehr nicht allein vnser diener,
sonder auch irer Maj* vndersas mith ist, vnd da solch offener
briff oder paßbort als wir vns vorsehen erhalten, wollet vns
inen mith dem ersten bei zeigern zuschicken, denselben ferner
vnsern diener behendigen lassen. Den 12. Mai 1549.
XXXV.
Herzog Albrecht an Stanislaus Kieyzgalo und Nikolaus Radziwill 1).
Illustritatis Vrae literas, quibus nobis Laurentium a Prasz-
nisch verbi divini praedicatorem diligenter commendare dignata
est, accepimus easque legendo probe cognovimus. Esti autem
is homo non tantuni propter eruditionem suam haud vulgarem
et vitae modestiam singularem, verum etiam propter confessionem
puriorisdootrinae evangelii constantem et laudabilem, quam cum dis-
crimine vitae fortunarumque suarum hactenus professus est, satis per
se nobis commendatus sit, cui etiam de conditione parochiali non con-
temnenda, quam is ipse desideravit, prospeximus, tarnen accedente
Ultis yrae tarn accurata commendatione erit nobis Laurentius multo
quam antea commendatior. Dat Regiomonte 14 Augusti 1552.
1) Auch an zwei klein polnische Magnaten, an die Grafen Johann von
Tamow und Stanislaus von Thentzin gingen gleichlautende Schreiben. Letzterer
hatte Danzig, den 9. August, dem Herzoge geschrieben: Post discessum hinc
Celsnis V™* manserat hie venerabilis d. Laurencius verbi dei minister cum ob
alias plures causas tum ob eam potissimum, quod eo tempore Stipendium pro
servitiis suis a S. R. M*e ea conditione obtinuit, ut extra regnum Suae Mtis
maneret. Quam ob rem Vram 111""«" Cels»em obsecro, ne haec ipsius mora V1**»
Illmam Celgn.*m offendat, tum ut eo sncerdotio, quod illi iam per Gels"«™ Vram
designatum est, provideri queat. ubi quietem studii« operam dare et vocationi
suae respondere possit. Est enim homo emditione non contemnenda, vitae inte-
gritate et probitate conspieuus.
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Von Dr. Wotschke. 199
XXX VI.
Stanislaus Kieyzgalo an Herzog Albrecht.
Intellexi ex litteris Ulmae Dom11»8 V1^ ad me scriptis, qua
munificentia et dementia Laarentium a Prasznisch 1) verbi divini
concionatorem cum propter professionem doctrinae evangelicae
et eruditionem ipsius vitaeque integritatem tum propter commen-
dationem quoque meam prosecuta sit. Pro qua summa gratia et
dementia Illmae Domni Y1^ maximas ago gratias, quod et literas
suas tantae gratiae et clementiae plenas ad me dare et petitionis
ac commendationis meae rationem habere non dedignata sit.
Promitto itaque me vicissim omni obsequiorum meorum ac
studiorum genere ad quaevis iusta et imperata Illmae Domnis Vrae
paratissimum fore. Datae Gedani 18. Augusti 1552.
XXXVII.
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Die koe Majt werden diessen konffbigen freytag von hynnen
nach Grodno. Der her Radzywill hat allenthalben tzymlich
1) Wie 1546 war Laurentius auch 1550 in Königsberg gewesen. Unter
dem 19. November gab ihm damals der Herzog einen Empfehlungsbrief an den
Bischof von Pomesanien Paul Speratus: „Gegenwertiger zeiger Laurentius Discordia,
welcher eine weil zeit Konr Maj1 zu Polen prediger gewesen, hat vns bericht,
wie ehr willens euch zu besuchen. Demnach haben wir nicht vnderlassen mugen
mit disem vnsern schreiben inen als ein diener goüichs worts euch zubeuehlen
gnedigst begerend, ihr wollet im möglich vnd furderlich erscheinen". Jetzt erhielt
Laurentius die Pfarre Biala in Masuren. Aber bald liefen aus diesem Städtchen
und den unweit der Grenze gelegenen masovischen Flecken Rollen und Wagen-
schloß schwere Klagen über sittliche Vergehen wider ihn in Königsberg ein.
Vergebens suchte er sich im Oktober in zwei längeren Schreiben zu rechtfertigen,
am 9. Dezember hält ihm der Herzog sein großes Sündenregister vor. Sechs
Tage später bestimmt er, daß eine Kommission, bestehend aus dem Rate Baltasar
von Quingenberg, dem Neidenburger Erzpriester Johann Chirek und dem zu-
ständigen Johann isburger Superintendenten Martin Glossa am 4. Januar in Biala
Laurentius und die Zeugen wider ihn vernehmen sollten. Die Untersuchung fiel
so zu Ungunsten des ehemaligen polnischen Hofpredigers aus, daß er im Februar
seines Amtes entsetzt wurde. Noch richtete er im Vertrauen auf die Empfehlungs-
briefe der polnischen Magnaten im vergangenen Jahre ein Bittgesuch um Auf-
hebung des Urteils an den Herzog, aber unter dem 28. Mai 1553 bestätigte
dieser die Amtsentsetzung.
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200 Abraham Culvensis.
ausrichtunge gethann, jdoch nichts vbrigs, helt eynen s tatlichen
hof, wie fürstlich all seyn frauenzimmer, das meyste auff wellyscb,
seyn gesindt dergleichen zum teill, lest die ceremonien jn der
kirchen vff polnisch haltenn, das ein jeder verstehen kan, auch
sub utraque reychen. Wiewol jtzo ethwas styll, dennoch weyl
der hoff hiegewesen alzo gesohrei, wird vonn jdermenniglich.
(ausgenommen von den geystlichen nicht) gelobt, das man die
kyrchen alzo reformyrt. Der bischoff von Lützki ist vbel zufrieden,
das solchs alzo gehalten, worauff er auch geschribenn, aber zur
antwortt hat jm Badzywil mit ryem vf polnisch gedreuet zu
schlagenn, mag mit der zeit was seltzam weiter erfolgen. Helt
etzliche vnther seynem gesindt, die sich mit vnsern pfaffen nit
vil reden eynlassenn. Martinum Luther hat er jm Niderlande
gantz werklich jn seyden vf eynem großen tepicht samt dem
verstorbenen hochlöblichen gedechtnis alten churfürsten, darbey
die tauffe Christi durch Johannem jm Jordan geschenn, schön
abkonterfeyen lassen vnd alhier im großen sal, do jre Majfc teglich zu
erscheinen pflegen angeschlagen. Breszke, den 4. Mai 1554.
xxxvm.
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Was die prädicanten anbetrifft, so inn des hern wilnischen
woywoden dinst gewesen vnd noch sindt, hab ich mich so viel
möglich dem handel nach erkundet vnd vrsach jres abzihens
nicht änderst erfaren mögen, allein das sie sich jn dem be-
schwer enn, das jnen öffentlich jnn kyrrchen zu predigen nicht
wirdt durch die geistlichenn zugelassenn, sonder müssen, gleich
als were es nicht gottes wort, andere stell vnd orther, die vnge-
wönlich, hyn vnd her besuchen. Zudem ist an dem der grose
mangel, das der bäpstliche legat1) dieser zeydt hier jm lande ist,
welcher fast mancherley jn seyner legation fürgegeben, hoff
aber, der liebe got wirt ane allen zweyfel jre anschlege vnd
praktiken zu nichte machenn vnd das angefangene gothlich
1) Aloysius Lipom an i, Bischof von Verona.
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Von Dr. Wotechke. 201
wort gnediglich vollenden. Denn jrer viel sind, die des legats
list vnnd tücke durch erkannte warheit got lob wol merken.
Zu dem hat vorgangen mitwoch könr Majt prädicant Lucas1)
solchen statlich sermon gethan jn beysein des gantzen hofes,
hoch vnd nyder Standes, das solchs jedermann wunder gehabt.
Im selben sermon nymandts verschoneth, der könn Majt voraus
ernstlichen jrer Majfc auffgelegten von got boffelichen nach zu-
ger edt, darnach den geistlichen, prälaten jrer grosen nachlesigkeit
halben nichts vndern stull gesteckt, sonder frey vnd öffentlich
herausser gerufen vnd den zorn gots vber sie der grosen vor-
blendung nach genugsamlich angezeigt, welches ich itzo E. F. D.
nicht alles erzelen kann. Solchs hat gemelter Lucas zum newen
jar den pfaffen ausgeteylth. Dapey zu spüren, das got der al-
mechtige ferner wie alwegen seine arme kirch wohl erhalten
wirdt. Es sind auoh die prädicanten des herren woywoden nicht
gevrlaubt, sonder haben sich nach Breszken, doselbst etzlich
bücher aus dem latein jns polnisch zutransferiren aus befel des
hern woywoden begeben2). Was sich ferner zutregt, sol E. F. G.
kurtzlich vnvorhalten pleiben. Wie ich negst E. F. G. auch ge-
meldt, das mich meyn her8) jn otzlichen vertrauten hendeln gern,
so palt der weg ein wenig pesser, hynab an E. F. G. abfertigen
will, welchs nooh also bey meinem hernn entschlossenn, weyl
alles der feder nicht zugetrauenn. . . . Eylent Wilde am abent
trium regum 1556.
XXXIX.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Literas Illtis V1"^, quibus a nobis Johannem Maletium ad
opus typographicum in triennium sibi concedi petit, accepimus
1) Unter dem 13. November 1552 schreibt derselbe Pohibel über diesen
Hof pradi kanten: „Das weis ich vnd höre von glanbwirdigen, das der jtzige
predicaut her Lucas stracks bei soviler (nämlich des Osiander) leren vnd was er
hat lassenn ausgehen, ist vnd pleibt'*.
2) Vergl. Hosii epistola II, Nr. 102.
3) Gabriel Therla.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u 4. ^
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202 Abraham Culvensis.
Nos cum 111*» Vrae non in his tantum, verum rebus multo etiam
excellentioribu8 pro facultatum nostrarum posse perlibenter grati-
ficemur, denegandum hoc Illti yrae non putavimus. Itaque facul-
tatem eidem Maletio fecimus, ut per triennii decursum suam
Ulti Vrae operam navet. Ac nihilominus parochiam suam, in qua
pastorem nunc agit, relicto in ea aliquo vices eius tenente in-
terim obtineat, in cuius testificationem diploma ei quoque, sicut
Hl tas ym volebat, dedimus1) . . . Regiomonte 25. Junii 1556.
XL.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Quandoquidem Illtem Vram doctis et eruditis viris praecipue
vero iis, qui puram evangelii doctrinam profitentur, favere scimus,
ut non tantum notitia eos sua dignetur, sed benevolentia quoque
singulari complectatur, praetermittere non potuimus, quin reve-
rendo et clarissimo viro Petro Paulo Vergerio episcopo sub ponti-
fice exuli apud nos nunc agenti de Hlte V™ verba faceremus.
Qui inde arrepta occassione et quod intellexerat Illtem V*1"11 ad
legatum pontificium quendam scripsisse2) has ad Illtem V ram
literas dare constituit illasque per nos mitti petiit. Itaque et
litteras eas mittimus et virum clarissimum Illtis V1"*6 notitiae ac
benevolentiae maiorem quo possumus in modum commendamus.
Est enim talis, ut magnorum hominum favore dignum ac non
in postremo amoris loco habendum esse existimemus. Dat. Regio-
monte 26. Julii 1556.
XLI.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Literae Hltis V*»6 per nobilem et egregium Andream Trice-
sium ad nos missae non potuerunt nobis non esse iucundissimae.
Nuntiabant enim, quod Ill^s Vra rev. virum d. Vergerium non tan-
1^ Vergl. Fr Koch, Der letzte Druck de» Lycker Erzpriesters Johann
Maletius. Königsberg 1903. S. 18.
2) Vergl. Duae epistolae, altera Lipomaui, altera vero d. Radivili. Regio-
monti 1556.
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Von Dr. Wotechke. 203
tarn propter illius doctrinam et praestantiam, verum etiam nos-
tris adducta precibus amore suo complexa esset. Quo argumenta
ut Ulk*8 Vra non obscura pietatis suae testimonia in ipsa iam
pridem conspiouae edere videtur, ita rem nobis adeo gratam prae-
stitit ut quam gratissimam. Faxit deus, ut quae inter Ultem
Vram et egregium hunc atque pietate insignem virum licet facie ei
adhuc ignotum coepta est amicitia, nunc illus praesentia stabiliatur
ac in perpetuum duratura confirmetur1) Caetera ex eo-
dem Tricesio intelleximus, quo in nos 111*** Vra affectu feratur
ac quantopere sua nobis studia comprobata cupiat, quae omnia
ex Illtis yrae fraterni in nos amoris abundantia porficisci facile
colligere possumus. Dat. Eegiomonti 3. Oktober 1556.
XLII.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
.... Rev. virum d. Vergerium et expectationi Ultis Vrae
et nostrae quoque commendationi per omnia respondisse, vel po-
tius eam sua praestantia superasse ex literis Illtis Vrae cognitum
nobis fuit iucundissimum. Is reversus iam ad nos de Illtis in nos
Vrae studio et amore singulari et, quod honorifice exceptus ab
illa esset, multa praeclara retulit. Tametsi quam plurimis antea
argumentis nobis non ignota, eo tarnen ipso referente gratiora,
quo maiore fraterni amoris affectu Ultem Vram prosequimur.
Intellexi praeterea tarn ex eo ipso quam literis quoque Illtis Vrae?
quo consilio adducta cupiat a nobis eundem Vergerium in cas-
tellum quoddam ditionis nostrae ducatui Mazoviae finitimum
mitti, quod nos pro honore divino et ecclesiae Christi salute non
gravatim facturi sumus. Constituimus itaque eum Soldavium
mittere *) atque ipsi volente deo nos eo conf erre. Is autem locus
1) Vergerio muß nach diesem Schreiben Anfang Oktober noch in Wilna
gewesen sein. Den Druck der beiden Schriften „Duae epistolae" und „De Gre-
gorio papae", welcher Königsberg, den I.Oktober 1550 datiert ist, mag er durch
seinen polnischen Freund Trzecieski haben besorgen lassen.
2) Von Mitte Dezember bis um den 20. Januar 1557 weilte Vergerio in
diesem masurischen Städtchen. Vergl. Th. Wotschke, Francesco Lismanio, in der
Zeitschrift der histor. Gesellschaft der Prov. Posen. Bd. 18, 254 ff.
14*
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204 Abraham Culvensis.
a Varsovia itinere tridui saltem distat Pro literarum ex-
emplis nobis communicatis gratias 111** Vrae agimus, quod vero
nobis suasor est, ut nostros quoque consiliarios ad conventum
Varsoviensem mittamus, de eo adhuc ambigimus. Inconveniens
enim esse existimamus aliquem ad consilium accedere non voca-
tum. Itaque de ea missione nihil nisi mente S. ß. Mtis prias
nobis indicata statuendum esse videtur. Dat. Regiomonti
20. Novembris 1556 ').
XLni.
Herzog Albrecht an den Kastellan von Troci H. Chodkiewicz.
Mathias Virowitta, aliquamdiu in academia nostra Regio-
montana nostro stipendio literis operam dedit et conditionem
ecclesiasticam, quae hactenus Uli commoda contingere non potuit,
expectavit. Is hinc ad Magtiam Vram rediturus literas nostras
intercessorias et dementem dimissionem vehementer expetivit.
Quare cum incommodum illi esset, diutius hie haerendo con-
ditionem praestolari, noluimus illi et missionem denegare et com-
moda illius impedire diutius. Itaque illi et discedendi veniam
libenter concessimus et viatico clementer prospeximuseumque Magtiae
Vrae etiam atque etiam commendamus non dubitantes ipsum
studia sua, quibus graviter hie ineubuit, eo directurum, ut
ecclesiis istic usui esse possit. Ex Monte Regio.
XLIV.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Hie typographus noster2) Vilnam profecturus atque ibidem
libros aliquot divenditurus a nobis petiit, ut nostra ad Illtem
1) Am 27. November schreibt Andreas Aurifaber dem Herzog: ,.Vergerius,
wie mir der her selbst gestern angezeigt, wil hie drucken lassen konfessionem
Wirtembergensem, das erst teil der schütz schrifft Brentii wider den Asotum,
syntagma oder wie es den Wirtembergischen gesamten zu Trient ergangen vnd
seine beid actiones, die zuuor hat lassen drucken. Das gewiß alles sicher ins
papir, also auch ins geld wil lauffen.
2) Der Königsberger Buchdrucker Daubmann, der Wilna als einen guten
Markt für die verschiedenen in seiner Offizin gedruckten Schrifteu Vergerios
kannte.
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Von Dr. Wotschke. 205
Vram commendatione facultatem ei impetraremus, ut tuto et sine
alicuins periculi metu eosdem istic libros venales habere ei
concedatur, quod denegandum illi esse non putavimus. Itaque
Illtem Vram amanter rogatam habemus, ut sub umbra et protectione
IUtis Vrae is ipse typographus libros istic venum exponere et
divendere ne prohibeatur. Regiomonti 14. Januarii 1557.
XLV.
Bernt Pohibel an Herzog Albreoht.
Es ist E. F. D. voriger wirdt alhie Anders Marstein jn
kortzen tagen jn godt vorstorbenn, weyl er aber das sacrament
vnter beder gestalt jn letzten zugen begerdt vnd genommen,
haben unsere geistlichen prälaten jn die kyrchen zu begraben
keynes wegs gestaten wollen vnd ist alzo vor die stadt jns feldt
gelegt worden. Do den bey vnd an gewesen ist der her wilnisch
woywod sambt vilen hern vnd hoffgesyndt, welche hynaus jns
feldt gefaren, gedachten Marsteinum erlich in erden bostetiget,
haben den pfaffen kirchen vnd kirchoff gelassen. Dem herrn
woywoden ist auch solcher fall mit seinem hofgesind eim edel-
man begegnet, der auch jn das feldt gelegt wordenn, wirt
hernacher ein sonderlich begrebnis doselbst aufgericht werden
vnd lassen den pfaffen jre kirchen alzo in rue pleiben
Wilde, den 7. Februarii 1557.
XLVI.
Erhard von Kunheim1) an Herzog Albrecht.
Es hat mir des hern Radziwils diener einer in vortrauen
vermeldet, das er, der her ßadziwil, einen nach Polen schicke,
der den hern Lasken, so die zeit heer sich an frembden ortten
auffenthalten, hieher gen der Wilde holen vnd bringen solle vnd
wenn er ankumpt, stracks in seinen des hern Radziwills hoff
1) Erhard v. K. war Herzog Albrechts Geschäfteträger. Er entstammte dem
bekannten preußischen Geschlechte gleichen Namens, 1549 begegnet er nns unter
den Frankfurter Studenten. Vergl. auch Illgen, Symbolarum ad vitam Socini
particula II S. 23.
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206 Abraham Culvensis.
einziehen, lest jn vndterwegens allenthalben frey halten mit
12 pferdenn. Wilde, den 26. Februarii 1557 *).
XLVIL
Erhard von Kunheim an Herzog Albrecht.
Den 17. tagk Martii ist alhie ankummen der her Johannes
Lasky vndt denselben abendt noch bey dem hern vnterkantzler2)
gewesenn vnd ein ebene zeit heimliche vnterredung mit jmo
gehalten. Volgenden tagk ist er bey der kon Majfc gewesen vnd
daselbst öffentlich jm beysein der fürnemsten hern und hofleut
ein stattliche rede getbann, irer Majt erstlichenn glück vnd heil
gewünscht zu jrem regiment vnd darnach vrsach angezeigt,
warumbt er wider jnn sein vaterlandt kummen. Auf dem abendt
ist er auch bei der konigin gewesen8). Was aber sein fürnemen,
kann man eigentlich noch nicht wissen, soll aber zu seiner zeit
E. F. D. vnuorhalten bleybenn. Zur Wilde, den 21. Marcii 1557.
XLVIII.
Herzog Albrecht an Erhard von Kunheim.
Nachdem gegenwertiger zeiger der erenueste Claudius
Dorothius wegen bekentnuß der reinen lehre von vnserm hern
vndt heilandt Christo aus Frankreich gewichen, viler könige vnd
fürsten hofe besucht vnd disser tage bey vns in willens an
1) Am 23. Februar war Laski von Krakau aufgebrochen. Am 5. März
schreibt Kunheim dem Herzoge: „Wie ich auch E. F. D. geschrieben, so kumtne
ich noch heutt in erfarung, daa der her Lasky bereits zur Breschkc an der
polnischen grenzen bey Lublin ankummen sey vnd hott jm der herr Badziwill
entgegen geschickt vnd lest jnn vollendts hieher holenn". Pohibel berichtet
gleichfalls aus Wilna unter dem 17. März: ,.Der her Lasky, welcher lange in
Englandt auch Friesland gewesen, sol alhier zur Wilde seyn. Doch sich gar
eyngezogen heldt, das nit viel leuthe merken, also hab ich gehördt".
2) Johannes Przerembski.
3) Vcrgl. Opera Calvini XVI Nr. 2052. Nach dem Briefe Laskis vom
13. April 1557 an Herzog Albrecht hätte auch der Hofmeister der Königin Gabriel
Therla Näheres über I&skis Aufenthalt in Wilna nach Königsberg berichtet,
doch habe ich dessen Schreiben nicht auffinden können.
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Von Dr. Wotschke. 207
kone Majfc zu Poln sich zu begeben abgetreten, haben wir aus
allerley vnderredung, so wir mit jme gehabt, vermerckt, das er
vieler Dinge erfarenheit habe, fürnemlich aber weß zu kriegs-
h endein gehörigk, also das wir auoh zuuorn seines gleichen nie
gehört. Weil wir dann durch vnsere vorschrifte jn an die
kone Majfc jn gleichnuß dem hern wilnischen woywoden ins best
commandirt, ist an dich vnser beuelich, du wollest ime, worin
du kanst, förderlich sein, in Sonderheit das er möge mit der
konn Maj* zu reden, desgleichen bey anderen hern in kundschafte
kommen. Den 11. Dezembris 1557 !).
IL.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Binas Hltiß V™45 literas eodem tempore datas simul accepimus,
ex quibus alteris IUtiß Vrae verum et pium affectum erga christianam
religionem et maximum Studium propagandae veritatis divinae
liquido cognovimus. Quae res maxima sane et mirifica nos laetitia
perf udit precamurque deum, ut suum opus, quod in Hlte Vra operari
coepit, magno cum fructu et emolumento totius orbis christiani
perficiat et confirmet. Et quamquam eam laudem, quam Illtas
Vra propter propagationem verae religionis nobis tribuit, haud
quaque agnoscamus, tarnen gratissimum nobis est Illtis V**6
praeconium atque utinam ex animo et tota mente veram religionem
omni promotam oupimus, sie ad eam amplificandam et propa-
gandam deus omnipotens nobis successus foelices et fortunatos
largiatur, nos certe Studium et conatum nostrum numquam
desiderari patiemur. Quod alteris suis literis Hit«8 V™ petit, ut
scripta eiusdem ad electores et prineipes Germaniae destinata2)
1) Am 5. Januar 1558 spricht Andreas Trzecieski dem Herzoge sein
Bedauern aus, daß der König den Dorothius nicht in seinen Dienst ge-
nommen habe.
2) Durch Vergerio war Radziwill in Verbindung mit deutschen Fürsten,
besonders mit Herzog Christoph von Württemberg getreten und hatte sie ersucht,
eine Gesandtschaft an den polnischen König zu senden, damit er den Anhängern
der Augsburgischen Konfeesion freie Religionsübung gewähre.
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208 Abraham Culvensis.
sine mora transmittere ao istam IUtis Vrae respondendi cessationem
propter castrensia negocia factam nostris literis apud illmas celsnes
suas excusare velimus, hoc sane primo quoque tempore facturi
sumus. Eegiomonti 8. Januarii 1558.
L.
Herzog Albrecht an Nikolaus Eadziwill.
Cum histe diebus nobis ab illmo d. duce Wirtembergensi
fasciculus literarum allatus esset funulis compactus, inscidendo
laesimus alteram ligaturam eius fasciculi, quem Illti y*ae cum
hisce mittimus, propterea quod inscriptio illius pone nostris aUi-
gata literis non apparebat. Hoc cum per errorem omnia scilicet
ad nos pertinere arbitrantes factum sit, amice Illtem Vram roga-
tam habemus, ut hanc nobis improvidentiam ignoscat. Latere
autem Illtem Vram nolumus dictum illmum d. ducem Wirtemb.
nee non d. Vergerium in hanc fere sententiam literas ad nos
dedisse, quod diuturna adeo mora responsi Illtis Vrae varias Ulis
cogitationes pariat, ac si ea res, de qua agitur, non usque adeo
cordi esse quibusdam minusque serio agi videatur. Nos sane
singulis literis Illtem V1™11, ut se res habet, excusavimus causasque
morae exposuimus. Verum ne in animis illorum virorum su-
spicio maior crescat atque ita in mittendis, prout necessitas ne-
gocii postulat, nuneiis suis sententiam mutent, Illtem V"1111 peti-
mus, ut primo quoque tempore animos aneipites de certitudine
confirmare pergat illisque cogitationes ab re alieniores eximat,
ut quod Illtem Vram non modo pie coepisse, sed constanter quo-
que promovere omnibus constat, in amplificanda gloria divina ac
Propaganda animarum salute magis magisque adniti omnes ho-
mines cum immortali IUtis V""5 nominis celebritate depraedicent.
Eegiomonti 10. Februarii 1558.
LI.
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Der wylnische woywod hertzog Radzywil hört man, das
seine fürstliche gnaden jnn Polen mit kon* Majt zihn werden.
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Von Dr. Wotschke. 209
Die pfaffen schreyen auff den canzeln sein itzt new angefangene
ceremonien, nemlich das man die sacrament änderst dan vorhin
gibt1), welchs den grosse jrrunge macht, das man von eynem
zum andern greifft. Man hat alhier auch gesagt, wie der her
Lasko bey E. F. 6. jn guter gnediger vorhaltunge sey, auch
alzo das er von E. F. D. mit eynem eigenen hausse vnd der-
nach mit gutter notdorfft vorsehen wer, wie dem in allem weis
ich nicht. Man gesorgt, das er villeicht in Preussen auch was
anrichten wirt, weyl er sich jnn den orth begeben. Die leuth
reden vnd schreiben viel, was aus dem aber zu glauben, gibt
die zeith. Wilde, den 26. April 1558.
LIL
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Der her Radziwil ist den 12. Juli von der Wilde am abent
späte sampt seyner hertzogin vnd allem hoffgesindt abgeschieden
vnd nach Polen erstlich nach Breszken vorruckt. Man redt vbel
von seyner jtzigen angefangenen neuen religion, sonderlich mit
dem sacrament macht eynn grosse Zwiespalt vnd ergernus auch
alzo, das man E. F. D. bey vielen jm besten gedenkt, das die-
selbe pey voriger ordnunge, wie es allenthalben gehalten, ein-
trechtiglich pleibenn vnd nicht vorendern vnd wirt mit diesem
des hern woywoden vnbillichen vornhemen vyel geschreyes wie
vorgeseen von vornhemen leuten eingehalten. Ich vbersende
hyneben E. F. D. eynen druck, welcher meynem hern kortzlich
von eynem guten freunde aus Deutzschland zugeschickt, so
E. F. D. derogleichen nit bykommen hetten, werden E. F. D. zur
müssigen zeit mancherlei darynnen vornhemen. Wilde, den
12. Juli 1558.
1) Jetzt nach schweizerischem Ritus. In Wilna war auch erzählt worden,
Laski hätte den Herzog in den Apriltagen, da er in Königsberg weilte, für
seine Abendmahislehre gewonnen. Vergl. Wotschke, E. Trepka. Posen 1903
S. 122. Am 10. Mai schreibt der Herzog seinem Agenten Pohibel zurück:
„Das her Laski vnd seinen beyhabenden nach vnserm geringen mugen guter
wille widerfaren, achten wir nicht vnpillich, müssen aber geschehen lassen, was
die leuthe jeweilen reden".
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210 Abraham Culvensis.
LH1.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Binas 111*"» Y™* literas, quibus quaternos nobis pueros ex
laudatis familiis nobilitatis Litbuaniae oriundos et ad studia
literarum capescenda huc in academiam nostram Regiomontanam
misssos commendare dignata est, accepimus. Et quia omnes
bonarum artium morumque studiosos singulari hactenus dementia
prosecuti sumus, itaque et illos ipsos pueros non modo propter
literarum virtutisque amorem, sed multo etiam magis propter
Ultis yrae accuratam commendationem peculiariter nobis commen-
datos habebimus. Regiomonti 23. Novembris 1558 *).
LIV.
Herzog Albrecht an den König Sigismund August.
Johannes Worobiowski2) S. R. M. V. subditus ex magno
ducatu Lituaniae, qui ad triennium in academia Regiomontana
bonis literis operam navavit et non poenitendum studiorum
suorum fruotum cepit, honesti et überaus hominis officio functus
est seque hactenus omnium collegatorum aliorumque testimonio
hominum modeste et decenter gessit, is cum in patriam negocii
cuiusdam sui causa profecturus esset, petiit se literis meis ad
S. R. M. V. commendari, quod ei quidem petenti tum propter
honestarum artium studia tum etiam propter claram et nobilem
suam familiam libenter et quidem mea sponte praestiti. 20. Ja-
nuarii 1560.
LV.
Eustacbius Wolowicz an Herzog Christoph von Württemberg.
Tametsi non sum cognitus Illmae Celsni V1*^, tametsi etiam
nulla fidei, nulla observantiae meae in illam exstent testimonia,
1) Unter dem 28. November 1558 schreibt der Herzog an Ostaphius
Wolowicz, der seine Neffen zum Studium nach Königsberg geschickt hatte,
fteselbe Wolowicz empfiehlt einen anderen in Königsberg studierenden Neffen,
Johann Wiesiolowski, dem Herzog Albrecht unter dem 5. April 1559 von
Krakau aus.
2) Ist laut Matrikel am 3. Juni 1556 an der Universität inskribiert worden.
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Von Dr. Wotechke. 211
quae tarnen est nominis illius celebritas, quod animi non minus
excelsi quam humani temperamentum, minime dubitabam Illmam
Celsnem V^m literis meis compellare. Ignotus quidem, uti dico,
homo ignotum principem sed toto pectore totaque voluntate in
observantiam et venerationem clarissimi et nobilissimi prinoipis
propendens, cuius laudea heroicaeque virtutes principe vere dignae
prudentia, sapientia et eximia erga synceriorem regionem pietas,
tametsi saepe ante clare satis et vocaliter aures nostras a lon-
ginquo personarent, tarnen cum hie apud nos adesset rev. et clariss.
vir d. Petrus Paulus Vergerius, proximius propinquiusque et vo-
calius personare visae sunt. Cuius sermone adduotus mitto in
Illmae Celsn»8 V^e scholam Tubingensem nepotes et consanguineos
meos Joannem1) et Josephum Wolowicz, Joannem et Petrum
Wiesielowsky8), Corsacum Poloczanin et Fridericum Skumin, qui-
bus in praeeeptorem et inspectorem adiunxi pium et eruditum
virum Georgium Zaboloczki, ut in illo nobilissimo rei literariae
emporio, quod magnopere ab omnibus praedicatum, consistant,
virtutem et studia literarum capescant, linguam utramque latinam
et germanicam apprime apud nos propter communem cum Ger-
manis consuetudinem necessariam ediscant, imprimis vero ut cum
honestis diseiplinis et politiori literatura synceram pietatem con-
iungant nullaque paparum idolomania et superiorum temporum
superstitionibus contaminatam a primis ineunabulis, ut dicitur, una
quasi cum lacte ex purissimis verbi dei scaturiginibus bauriant,
quo in posterum salutares huius rei publicae cives esse possint.
Hie enim scopus est et haec meta, in quam isti oollinere hoc
Studium, in quo currere debent, ut autem isthio in hoc suo curri-
culo commodius faciliusque absque quovis impedimento currant
et versentur, commendandos eos Illmae Celsni V«* esse duxi idque
cum maiori et aecuratiori diligentia, quam mihi illorum reeta in-
1) Von ihm besitzen wir ein in Tübingen niedergeschriebenes Epitaph
auf Katharina Wolowicz. Vergl. Melchior Gedrotius, In mortem Catharinae
Wolovicz S. B 3.
2) Als Petrus Vessolowski am 29. Dezember 1558 an der Königsberger
Hochschule inskribiert.
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212 Abraham Culvensis.
stitutio maiori curae et sollicitudini est. Quicquid autem Ulma
Celsdo Vra pro innata sua bonitate proque semel suscepta verae
pietatis et religionis promotione, patrocinio propagationeque in
illos tanquam futurae rei publicae plantaria seminariaque cle-
mentiae, favoris et benignitatis suae contulerit, habebit eo no-
mine in coelo hilarem liberalemque renumeratorem meque cum
multis mei similibus ad nominis sui immortalem venerationem
perpetuo coniunxerit. Ac si in qua re vicissim hie Illmae Celsni
Vrae inservire potero, nihil erit tarn arduum tamque difficile,
quod mihi pro nomine Illmae Celsms Vrae ad mandatum
illius suseeptum non sit quam iueundissimum futurum. Vilnae
4. Maroii 1560.
LVI.
König Sigismund August an Herzog Christoph.
Magnificus Eustachius Wolowicz marschalcus, notarius et
consiliarius noster in Mohilow et in Miedniki capitaneus adduetus
celebritate nominis Ultisyrae et vel inprimis literarum pietatisque
studiis, quae in schola Tubingensi florere dieuntur, mittit quos-
dam pueros nepotes et consanguineos suos Joannem et Josephum
Wolowicz, Joannem et Petrum Wiesiolowski et Corsacum Po-
loczanin in eandem scholam Tubingensem, ut ibi literarum studiis
vacent et honestas diseiplinas una cum virtute capescant et quod
caput est, sinceriorem religionem et pietatem a teneris imbibant.
Cum autem in honesto loco in laudatis familiis nobilitatis nostrae-
Lituanicae nati sint et aliqui inter pubem oubiculi nostri versati,
commendandos eos Illü V1*1"5 tanquam futurae rei publicae semi-
naria esse duximus. His se quoque adiunxerunt alii duo Fre-
dericus Skumin et Stanislaus Kmitha, itidem marschaloorum et
cousiliariorum nostrorum filii1). Hos itaque si gratia, si propenso
1) Die Tübinger Universitätsmatrikel bringt unter dem 14. August fol-
gende Namen mit dem Zusatz „hi omnes ex magno ducatu Lituaniae" : Melchior
Gedrotius (in Königsberg am 12. Februar 1551, in Wittenberg am 14. Februar
1560 als M. Goderitz inskribiert), Fridericus Skumin, Stanislaus Kmitha,
Joannes et Joseph us Wolafitsch, Petrus et Joannes Wesolovius, Petrus Rorsag,
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Von Dr. Wotschke. 213
suo favore et benignitate Illtas Vra amplecti dignabitur, erit nobis
id tarn gratum, nt quid gratissimum nostris vicissim amicis
officiis referendum. Wilnae 4. Maroii 1560.
LVII.
Joh. Kmita1) an Herzog Christoph.
Ea est nominis Illmae Celsniß Vrae celebritas, id promoven-
dae gloriae dei, honestarum dissiplinaram ac imprimis verae
pietatis et religionis Studium, ut eae laudes ad nos homines
ignotos longe lateque dissitos quoque penetrarent et personarent
semper in auribus nostris. Quibus adductus mitto filium meum
Stanislaum Kmitham in scholam Tubing. virtutis, rei literariae,
sincerae religionis et pietatis capessendae ergo idque eo potissi-
mum consilio, ut non modo scholam, sed etiam aulam Ulmae
Celsniö V1"*« videat, inspiciat et politioribus moribus assuescat,
quo in posterum salutaris civis huius rei publicae esse possit.
Commendo itaque eum Illmae Celsni Vrae summa cum humilitate,
oro et obtestor Illmam Celsnem V«un, ut pro innata sua bonitate,
heroicis et principibus viris propria et peculiari dignetur eum
isthic dementia sua prosequi. Inprimis vero si forte remissior
in studiis fuerit, coeperitque eum literarum, quod omnino nolim,
sacietas, ne dedignetur eum in album servitorem suorum ad
aulam suam referre, ut Illmae Celsni V1^ inserviat, linguam Ger-
manicam, in qua non mediocriter iam exercitatus est, usu et
habitu confirmet .... Vilnae 4. Martii 15602).
Martin us Heyn, Georgius Zablotius praeceptor praecedentium , Stanislaus
dementia et Thomas Reschi. M. Heyn war der Sohn des Vogts von Kauen.
Von Gedrotius haben wir das schon erwähnte Epicedion auf den Tod der
Katharina Wolowicz, das an Petrus Wesolovius gerichtete Vorwort ist Tübingen,
Nonis Januarii 1561 datiert.
1) Marachalcus in magno ducatu Lithuaniae in Wilkomiria et Onisch
capitaneus.
2) Unter dem 4. März 1560 schrieb auch N. Radziwill an Herzog
Christoph. Vergl. Kausler und Schott, Briefwechsel Herzog Christophs mit Verger.
1875 S. 225 ff.
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214 Abraham Culvensis.
LVIII.
Johann Maczinski1) an Vergerio.
Literas Dniß Vrae Rmae ad me ex propinquo pago scriptae
legendas principi meo exhibui efc de singulis materiis responsum
et declarationen petii et in primis, quod ad d. Mumerum attinet,
respondit se Uli velle 24 aureos ungaricos mittere. Robertos
Mtis Rtis medicus libellum apologorum inter libros invenire non
potuit, mitto illius credulam, quam ea de re ad me rescripsit.
Thorunensium negotium2) principi meo est curae et ego, quantum
in me est, instare et urgere non desinam. Similiter et negotium
Elbingensium*), quibus me mea sponte aliquid officii debere
intelligo propter illorum benevolentiam et humanitatem, quam
aliquando in me declararunt. Literas passus d. Lehwalt mitto,
nepoti4) Rmae Dni V™ respondit princips se velle in singulos
annos 60 taleros studiorum gratia numerare et fortassis iam nunc
ad annum currentem pecuniam mittere. Exemplum literarum de
novo papa accepi quidem a d. Nicoiao Wedrogosky6) pastore
Wilnensi, verum illud mihi reliqui, nihil enim refert, quod ad
mundum descriptum non sit. ego mihi describi ipse curabo, ut
1) Maczinski war der Sekretär des N. Radziwill. Vergl. Th. Wotschke,
Francesco Lismanino, in der Zeitschrift der hist. Ges. der Prov. Posen XVIII
S. 306.
2) Am 9. Januar 1560 hatte Herzog Albrecht wie schon am 5. Sept. 1555
und am 18. Februar 1558 für die Stadt Thorn, die ob ihres ev. Bekenntnisses
vom Kulmer Bischof exkommuniziert war, sich beim Könige verwandt. Die
Nachrichten, die ihm Vergerio bei seiner Rückkehr aus Wilna überbrachte,
ließen ihn am 1 4. März eine erneute Bitte für die Thorner und ihre ev. Prediger
an den König richten.
3) Für die Elbinger hatte der Herzog schon unter dem 8. April und
7. Nov. 1556, unter dem 9. März und 22. Aug. 1557 usw. usw. bei dem Könige
Religionsfreiheit zu erwirken gesucht.
4) Aurelio Vergerio, der durch die Inquisition aus Italien vertrieben nach
Deutschland flüchtete und sich am 3. Dez. 1560 in Heidelberg immatrikulieren
ließ. Im Auftrage seines Oheims reiste er in den folgenden Jahren verschiedent-
lich nach Preußen und Polen.
5) Über Wedrogowski vergl. Lukaszewicz, Geschichte der reform. Kirche
in Lithauen II, S. 96 ff.
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Von Dr. Wotechke. 215
interim ad alios et alios spargam tarn hie in Lithuania quam in
Polonia. Mitto Dm# V^6 exemplum literarum Roma per distortum
illum et blaesum Caligulam Hosium, itidem de novo papa scri-
ptarum, quia egregie quadrare et correspondere videntur epistolae
Dnis yrae Rmae sc. ex diametro plane et ex opposito. Scriptae
autem sunt eae literae ad d. Stanislaum Karnkowsky, MM* Ria©
referendarium illum apostatam, de quo me in itinere ex arce
veniendo interrogabat, quis esset Mitto etiam exemplum ad
ill. ducem Wirtemb. et aliud exemplum ad reliquos prineipes,
nam fere uno et eodem exemplo ad illos scriptae sunt excepto
d. Joanne Ungnate, ad quem paulo diversius, quod cum hoc
prineipi meo notitia et familiaritatis usus aliquis intercedit.
Ex literis prineipis nostri Dtio V** Rma intelliget, quomodo
sathan per Organa sua et pseudoprophetas zizania sua interspar-
gere sataget et a recto fidei tramite ser. regem Maximilianum *)
abducere, quod eo magis dolendum et timendum nobis est, quod
hie non admodum magnae, sed parvae et modicae fidei adhuc
est. Video prineipem meum esse ex hac novitate contentum, sed
multo minus ex altera illa nuptiali sc. et successionis. Ego vero
ne tantillum ea re moveor, altera enim istarum non nostra, sed
dei causa est. Deus non deerit causae suae, etiamsi omnes reges
et prineipes desint. De hac vero altera itidem in utramque
aurem dormio, Polonus sum, videor mihi multorum in Polonia
sensus nosse, quam aversas quamque alienatas voluntates Poloni
erga hanc domum habent, ex qua nobis successor regni obtruditur.
Dicant et cooperentur et satagant, quantum volunt isti, videntur
mihi aerem prorsus verberaturi esse. Video mihi Polonos in
1) Die Nachrichten, die Vergerio über Maximilian nach Königsberg
brachte, veranlagten Herzog Albrecht ein Trostschreiben an dessen ev. Hof-
prediger Sebastian Phauser unter dem 27. März zu richten. „Cum d. Vergerins
ex Lituania ad nos rediisset, secreto nobis communieavit literas Rdae D*"s Vrae,
ex quibus cum afflietam Dnis Vrae sortem intelligeremus, non potuimus illi non
toto pectore condolescere. Cum d. Vergerio egissemus, ut R. Dtio V., si ita
casus ferret, hospitio ab illo exciperetur, eum autem ultro ad id paraturum
esse animadvertimus".
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216 Abraham Culvensis.
comitii8 centuriatis magna voce inclamaturos, nolumus hunc
super nos regnare, nolumus, qui fratres nostros Bohemos, cum
quibus una gentis propago et unus populus sumus, misere vexa-
vit, exturbavit, eiecit, proscripsit, multorum bonorum virorum
et innocentium in bona causa sanguinem effudit, vicinos vero
nostros Silesios miris et inauditis expilationibus ad sanguinem
usque emunxit emungitque et exugit quotidie. Haeo Polonis
nostris digitis et unguibus notiora sunt et saepe commemorare
audivi et multo magis commemoraturos esse video, cum primum
illud in auribus eorum persona verit, quod sc. per belli rationes
(id enim a Dne Vra ßma audivi) hoc sibi regnum quaerere
satageret; nondum hoc sciunt, at scient ex me. Interim mihi
summae curae hoc erit, quod Rm* Vra Jjtio de ill. et sanctissimi
senis huius Brandeburgii filiolo, summae spei puero, commu-
nicavit. Et si quid fidei, si quid studii, diligentiae et sedulitatis
in me est, totum hoc excellentissimo et integerrimo seni huic
reverenter recipio, Rmae Vero Dm* Vrae est me accurate ill. celsn*
suae commendare et vicissim a me omnia addictissimi hominis
officia exspectare. Dat. Vilnae 7. Martii 1560.
LIX.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Accepimus Illtis Vrae Hteras cum rev. d. Vergerio nobis
missas, quae cum in exordio singularem quandam gratiarum
actionem pro qualicunquue nostro in S. ß. M.tem offioiolo con-
tinerent, non potuere nobis non esse gratissimae, licet gratiarum
actione tanta ad nos opus non fuisset. Inter cetera nobis iu-
cundissimum fuit tarn ex literis Illtis Vrae quam ex ipsius d.
Vergerii relatione cognoscere, quod non exigua fundamenta
constituendae necessitudinis arctae inter S. R. Mtera et quosdam
Germaniae principes iacta sint. Dominus deus haec ipsa exordia
ad nominis sui gloriam et aedificationem ecclesiae fausta et ex
omni parte foelicissima esse velit. Dat. 16. Martii 1560.
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Von Dr. Wotschke. 217
LX.
Herzog Albrecht an Erhard von Kunheim.
Weß du in dem eingelegten zetel deines eigenen hand-
schreibens1) vom hern Vergerio anzeigest vnd bittest, ist vnnß
zu uernehmen vnlieb gewesen, tragen von solchen schriffiben
kein wissen, weil wir aber vermerken, das der konn Maj#t, do
solche sachen alhir getruckt werden, zuwider, vnß auch irer
Blajt erachtens schedlich sein möchte, wollen wir vnß, do wir
disfals von hern Vergerio angelanget, also zuerzeigen wissen,
damit irer Mag* bedenken in acht gehabt, dan wir auch ohne
das irer Majt weß zu wider keinswegs gefunden wolten. Das sich
aber der h. Vergerius sonsten wol gehalten vnd vnsere handel
zum treulichsten gefordert, hören wir gerne, wir wollen auch
deinen bitten nach, das du diesen seinen gehabten fleiß durch
dein schreiben bei vnß gerühmet nach gelegenheit gegen ihme
ingedenk sein. 16. Martii 1560.
Nachtrag. Vnd so wir auf der konn Maj* embsiges begeren
das bekentnuß des berwulfs beyliegend mitschicken, als gut es an
ime ist, so wollest ire Maj* vonn vnserntwegen vnderthenigst2),
das es nicht in weitleufftige wissenschafft komme auß denen
vrsachen, weil vnsers erachtens wol souil lügen als warheit
daran sein magk, zu deme das etzliche Baiern darinne nam-
hafftig gemacht. Wolten demnach ungern den nahmen haben, als
kerne ein solchs von vnß, möchte vnß auch allerley nachrede,
Verkleinerung vnd vnglimpf bey verstendigen geberen, zweifeln
aber nicht, du werdest dem allen gute vnd gebürende maß zu-
geben wissen.
LXI.
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Ich kan E. F. D. vnderthenigst nit pergen, das E. F. D.
hoffpredicant Epplinus alhir vor wenig tagenn ankommen vnd
1) Dieser Brief des herzoglichen Geschäftsträgers in Wilna ist leider nicht
mehr vorhanden.
2) Das Prädikat fehlt.
Altpr. Monatiichriit Bd. XLII. Hft. 3 u. 4. 15
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218 Abraham Culvenais.
durch meynen hernn *) vor die kone Majfc zur audienz am abendt
vorgebracht. Dieweyl dan etzliche geistliche personen mit irer
Majt jn pallast kommen, haben ire Maj* dasselbe puch vnvor-
merkt meynem herren zubehalten gebenn vnd des andern tages
widderumb holen lassen vnnd mit fleis zuvbersehen eyner sonder-
lichen personen jnn boffelich geben. Dem hern wilnischeu
woywoden dergleichen ist der herr predicant auf gudtdünken
meynes hern zu seiner gnaden gen Lawryschken jnn hoff ge-
faren vnd doselbst das ander puch sampt E. F. D. briff jnn
aigener handt zugestelth, welches seyne gnaden mit gnaden ganz
gern von jhm angenommen vnd vnvermerkt vorschaffunge ge-
than, das gedachter her Epplin durch des hern woywoden doc-
tores ist zum morgenmall vm etzlicher vntherredungen willen
geladen wordenn, jn welchen vorsammlungen sich allerley zu
reden sonderlich vom sacrament zugetragen. Wiewol sich her
Epplinus nicht fast hadt vm vordachts willen mit viel worten
eyngelassenn, doch letzlich nach vieler gehabter collocution ire
meynunge stückweis in schrifften vberzugebenn begert, welchs
sie zugesagt, hoff dem auch also nachkommen sein. Dan der
her woywod hat den her Epplinum anreden lassen vnd bogerdt,
das er als morgen am tage Jacobi eyn sermon jn des hern Ga-
stolts houe, welcher itzo dem hern woywoden zukompt, thun
soll, welches auch alzo bewilliget .... Datum Wilde am tage
Jacobi 1560.
1) Gabriel Therla (Tarlo). Am 14. Juli hatte der Herzog an Kunheiin
schreiben lassen: „Weil sich vnser hoffprediger an Kon« Maj1 vnd den hern
woywoden begebt, darumb das er ire Majt vnd Liebden mit seiner arbeit, die
irer Maj1 er zugeschrieben, beehreu will, ist vnser begeren, du wollest von
vnserntwegen ime fürderlich sein'4. Ottomar Epplin hatte sein umfangreiches
Werk „Selectiora vetustissimorum ac probatissimorum patrum iudicia de prae-
cipuis evangelistarum narrationibus" unter dem Himmelfahrtstage 1560 dem
polnischen Könige gewidmet. Von der ihm in Wilna vom Könige bewilligten
Audienz lesen wir auch in seiner gegen den ermlandischen Bischof Hosius ge-
richteten Schrift „Manifestissima et irrefragabilis a^sertio, quod sacranientum
corporis et sanguinis d. nostri Jesu Christi etiam laicis non nisi sub utraque
si>eeic administrari possit", die unter dem 20. Oktober 15C0 gleichfalls dem
polnischen Könige zugeeignet ist.
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Von Dr. Wotschke. 219
LXH.
Gabriel Therla an Herzog Albrecht.
Ich kann E. F. D. nicht vorhalten, das mir E. F. D. gne-
digst schreiben das durch den würdigen vnd achtbarenn h. mgro
Epplino, E. F. D. hoffpredicanten, alhier ist zukommen, inhalts
allenthalbenn wol eingenommen vnnd habe E. F. D. begerenn
nach gemelten h. Epplinum, weil er dieße 14 tage alhier hat
vertziehen müssen, dann viel vnnd mancherley geschefft mitler-
zeit fürgefallen, 2 mal vor die königliche Maj* jn bequemer
stellen gebracht, wie vnd welcherlei gestalt jre köne Majt mit
jme allenthalben geredt vnnd geschlossenn vnnd was der hendel
meher sindt, werdenn E. F. D. jn seyner ankonfft bas dann
durch meyn viel schreyben durch müntlichen bericht genugsam
jnn gnaden eynnehmen. Dieweyl gemelter h. Epplyn sich sonder-
lich kegen ire Maj* hodt vornheinen lassenn, das jnn E. F. D.
furstentumb Preusen nichts änderst dan dy Augspurgische con-
fession gelehert vnnd gepredigt wirt, haben sich solchs ire kone
Majt sonderlich vnnd gnediglich gefallen lassenn wie gemelter
h. Epplyn sich alhir öffentlich jn der deutzschenn predigt, ßo inns
herrn Woywodenn hoff gethan, vnther anderenn hat vor jder-
menniglich jn seiner lehren hören lassenn. Zw dem sindt auch
etzliche des hern woywoden schriflft erfarnenn prädicanten pey
jme gewesen vnnd vom sacrament vnd anderm mit jme sonder-
lich durch bequeme worthe geredt, wie sie in der Sachen ayns
vnd was E. F. D. hoffprädicant jn kortz mit jnen geschlossenn,
zweiffeit gar nicht, wirt E. F. D. vnvorhaltenn pleibenn. Hab
auch, so viel mir jmer müglich gewesenn vm abfertigunge, damit
er desto eher an E. F. D. gelangen mochte, pey der konen Maj*
treulichen angehalten. Weyl dann sonderlich hier am hofe
jmerzu gescheffte fürfallen, hot man zur abfertigunge nicht eher
komen mögen, sonder hot 14 tage alhier verzihenn müssenn. Wie
vnnd welcherley gestalt er seine abfertigunge bykommen, werdenn
E. F. D. durch jnen fernem eynnehmenn, weis got, ich hab an
meinem fleis nichts abgehen lassen. Es hodt mich auch der her
15*
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220 Abraham Culvensis.
von Trokken jtziger, welcher woywod zu Kyoff gewesenn, her
Gregorii Kothkowitz, meyn jnsonder gudt freundt, angelangt vnd
gepethenn, ich seyne 2 ßone E. F. D., domit die pey seyner
F. G. dem jungen hern Fridrich Albrechtenn jnn der kammer
vnd allenthalben vff den dynst aufwarthen oder sonst, wie es
E. F. D. jn gnaden vor gudt ansehen, kegen E. F. D. mit fleiße
kommandiren wolthe, welche seyne pidt ich seiner gnaden nicht
habe wissenn abzuschlagenn, hofi E. F. D., nach dem dieselbenn
mit dem hern Kothkowitzenn jtzo lengist jnn kentschafft seyn,
werdenn mir hyrauff, wornach man sich ferner zu richten, mit
gnediger andtwort begegnen. Im fall es dies mal nicht gescheen
kende, mus man weyter myttel vnnd wege suchenn, domit dy
jnn E. F. D. fürstentumb zur zucht und aller tugent mögen er-
halten vnd vntergepracht werdenn. Denn ich hertzlich gern
sehe, das der junge hertzogk mit der zeit, geb got, ichs mit
freudenn erleben möge, der polnischen sprachen mit der hülffe
des almechtigenn auch kündigk werde, bidt derwegen E. F. D.
vm gnedige vnd schriftliche antword. Ich zweyffel nicht, E. F. D.
sich zu erynnern, das dy hern Kothkowitzen sampt der gantzen
freuntschafft E. F. D. mit sonderm fleyß gern dynen, auch hot
her Gregorii Kothkowitz, der knaben vatter, E. F. D. jn seyner
jugendt gedynth, welchs er sich sampt den seynen noch zu thun
ganz willig erpeuth. Der eyne knabe, der eidist vonn 11 jaren,
heist Andreas, der ander Alexander ist vonn 10 jaren vngeferlich.
Wie ich diesen bryff hab schließenn wollen, haben gleich jre
kone Maj* nach mir gesant vnd fordern lassen vnnd jnn boffelich
gebenn, ich E. F. D. schreybenn solthe, das jre kone Maj* den
zugefertigten jren hofipredicanten jn königlichen gnaden sambt
vbersendunge des buchs gern gesehen vnnd angenomen, mit ge-
dachtem prädicanten etzlich vntherredunge aigner königlicher
person gehabt. Ire kone Maj* findt solchs kegen E. F. G. gne-
diglich vnd freuntlich dankpar. Das aber jre kone Maj* E. F. D.
das mol mit jrem schreiben nit ersucht, pitten jre kone
Maj* ganz genediglich, E. F. D. wollen solchs nicht zu
vngudt verstehen vnd annehmen. Denn ire Majfc mit sonder-
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Von Dr. Wotschke. 221
liehen geschefftenn ethwan beladenn Dat Wilda,
den 3. Augusti 1560.
LXIH.
Erhard von Kunheim an Herzog Albrecht.
Nach erbitung meiner gantz vnterbhenigendienste kannE.F.D.
ich jn höchstem vnterthenigstem vertrauen nit bergenn, das des
Radziuils diener, so mit Vergerio gezogen wider komen, bringt
böse zeitung, nemlich das aus dem handel so er wegen der
freulein1) alhier so ernstlich trieb, nichts werde, entschuldigt
sich in seinem schreiben hoch vnd beschuldigt den jungen hern
von Sachsen, der jme nit glauben gehalten. Ich merke, es thut
dem Radziuil hertzlich wehe, dann er die Sachen getrieben vnd
Vergerium für sein abgott alhier gehalten. Dis ist noch gantz
heimlich, es wissen auch nit viel, das gemelter diener wider-
komen, mir aber hats ein person vertrawet, so darumb weis.
Eadziuil gibt für, Vergerius hab ein schrift hierein geschickt,
darin jme der mitler her von Sachsen zeugnus giebt, das er
vorhin dem Vergerio solch handel zutreiben aufferlegt. Weil aber
sich indes ein andere freyheit zugetragen, war er erbütigk, etz-
liche fürsten zwsamen zwbringen vnd sich zu erkundigen, ob
jmandt von jnen lust hierein hett. Ob deme jm grundt also sey
oder ob sich damit Vergerius beschönen will, laß ich jn seinen
würden beruhen, es sthenn die Sachen seer weit. Mann hat
Vergerium jn grossem verdacht, er hab mer ausgericht, als jme
beuolen vnd hab nur geschenk gesucht. Es sey aber wie jm
wolle, hab ich als viel jeh erfahren mueg, E. P. D. im vertrauen
wie gemelt nit wollen vnangezeigt lassen. Von meiner gnedigen
1) Sigismund August hätte durch Radziwills Vermittlung seine Schwester
Katharina oder Anna gern an einen deutschen Fürsten vermählt und Vergerio
erbot sich zum Unterhändler. Schon gelegentlich seines ersten Wilnaer Aufent-
haltes hatte er auf Johann Wilhelm von Sachsen, Sohn des Confessor-Chur-
fürsten Johann Friedrich, hingewiesen. Allein dieser verlobte sich — zuerst
heimlich — mit Dorothea Susanna, Tochter Friedrichs III von der Pfalz und
führte sie 10. Dezember 1560 heim.
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222 Abraham Culvensis.
frawen vnd khunigin thue E. F. D. jch hiemit ein brieflein
vberschicken, jre kone Maj#t ist got lob zimlich woll wider zw
paß. Heut ziehen wir alle 3 meilen von hier gen Lauarischky
zum Radziuil auf 3 tage. Acht tag nach der widerkunft gen
Wolkiniky auf die jagdt auf 8 tage .... Dat in grosser eil
Vilnae den 11. Augusti 1560 l).
LXIV.
Erhard von Kunheim an Herzog Albrecht.
.... Vbersende E. F. D. einen brieff, so mir vonn den
deutschen allhier vberreichett worden, die mich daneben gebeten,
ich auch für meine person ihrenthalben bei E. F. G. jnntercedieren
wollte, damit sie vmb so viel eher vnd leichter einen geschickten
mann erhalten vnd vberkommen möchten. Weil ich aber E. F. D.
ohne das zur beforderungk der ehre gottes vnd außbreithungk
seines gottlichen worts geneigt weiß, hab ich für vnnöttigk ge-
achtet, solchs mit ferneren wortten auszuführen. Was sie sich
aber jnn deme zuuorsehen, weil ich ohne zweiffei viel vberlauffs
derhalben von jhnen haben werde, also bitt ich vnderthenig,
E. F. D. mich des gnedigst woltten verstendigen lassen ....
Zur Wilde, den 1. Oktober 1560.
1) Am 13. September antwortet der Herzog: „Die ausrichtung des hern
Vergerii ist etwas vordrieslich vnd ist leicht zucrmessen, daß solcher handel
obgedachtem hern Vergerio allerley bedenkliche kummernuß verursacht wirt
haben, den er warlichem dieser tage gar beschwerlich derhalben an vnß ge-
schrieben. So wissen wir auch gewisse, das er ohne genügsamen beuelich in
diesem hochwichtigen handel nichts angefangen, darum b er warlich zur vnbillig-
keit in verdacht vnd thut für vnsere person nicht vnbillich zum höchsten be-
schweren, daß der hochgeborene fürst vnser lieber oheim, seh wager vnd söhn
dergestalt mit dem handel vmbgangen. Erachten bey vns, das vielleicht die
kone Majt hin vnd wider argwöhn schöpfen mögen, das wir in seinen orth
stellen müssen, übersenden dir aber im vertrauen eine copie, dies vns im ver-
trauen zugeschickt, darumb du alle gelegenhcit zubefinden vnd do es nötig
verdechtige leuthe zu entschuldigen wissest". Am 18. Oktober berichtet Kunheim
zurück: „Die copia den Vergerium belangende habe ich empfangen, sol weiter
nit, als da es vielleicht dermal eins von nöten, doch nichts weniger auff ver-
trauen außgebreitet werden."
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Von Dr. Wotechke. 223
LXV.
Bernt Pohibel an Herzog Albrecht.
Das puch, so der h. Volmer Epplinus hier der konn Majfc
gebracht, haben jre Majt dem hoffpräcicanten hern Pekorisky
vberandtworten lassen, welcher gefragt, wie es jm gefallen, ge-
sagt, wüste an dem keynen mangel sonderlich nicht, were mit
grosen fleis zusammen getragen Wilde, den 4. Ok-
tober 1560.
Herzog Albrecht an die deutsche Gemeinde und Einwohner
zur Wilde.
Wir haben eur schreiben den 25. Septemb. datirt emp-
fangen, jnhalts, welchen wir zuerwidern vnnotig achten, lesendt
eingenohmen vund welcher massen jr wegen eins christlichen
gelarten vnd treuen selsorgers, welcher mit der Augspurgischen
confession vnd reiner götlicher lehre einstimmig bey vns an-
suchung thut, daraus verstanden. Wissen vnß auch, weß durch
vnsern hoffprediger magistrum Othmarum Eplinum verschiener
zeit disfals bey vnß gesucht, jn gnaden wol zuerinnern. Nun
sollet jr vnß gewiß glauben, daß wir euch nicht allein zu trost
eurer gewissen vnd derselben heil und Seligkeit dergleichen nhun
zu zuhandeln geneigt, sonder erkennen vnß auch solchs zuthun
vund alles daß, so zur forderung gottes ehre vnd seynes allein
seligmachenden worts gereichen magk, zubefurdern schuldig,
wie wir denn auch auf gedachts vnsers hofpredigers des Eplini
erstes disfals gethanes anregen nachforschung nach dergleichen
personen pflegen lassen. Es seint aber solche leuthe, wie vnß
jn eurem schreyben describiert vnd die derer geschickligkeit
sein, nicht wol zu bekommen. So bedenken wir auch, das nicht
ein schlechter prediger dahin dienet, sonder ein solch man, der
mit stadtlichen vnnd wolgegrundten der heiligen götliehen
schrifft spruchen der papisten meinung jederzeit zuwiderlegen
geschickt sey. Sollten wir euch nun einen, ob er gleich rein,
clar vnd der Augspurgischen confession gemäß das wort gottes
lehrete, zuschicken, welcher jn zuf eilen den papisten nicht zu-
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224 Abraham Culvensis.
begegnen wüßte, wissen wir nicht, was für gefallen euch daran
geschehe. Doch wollen wir, nachdem es gottes ehr vnd ohne
zweifei frommer leuthe gewissen, heil vnd Seligkeit betrifft, dis-
falls an vnß nichts erwinden lassen, damit wir auch eine solche
person, so guth wir die jtziger zeit vnd mit gelegenheit vf vnd
zuwege bringen kennen, ins sonderlichste als muglich zuschicken
mugen. Den 16. Oktob. 1560.
LXVI.
Herzog Albrecht an die deutsche Gemeinde zu Wilda.
Ersame vnd weise, liebe besondere. Welcher massen jr
wegen eines cristlichen gelerten vnd treuen sehlsorgers, welcher
mit der Augspurgischen confession vnd reiner gotlicher lehre
einstimmig durch Schriften auch sonsten müntlich bey vnß an-
suchung thun lassen, weß wir euch auch darauff geantwortet,
wissen wir vnß jn gnaden zu erinnern. Ob wir nun wol zu trost
eurer gewissen vnd beforderung gotlicher ehre vnd seines heiligen
nahmens vnd allein selig machenden worts, euch eine solche
person zuzuhandeln an vnserem fleiß nichts erwinden lassen, haben
wir doch biß dahero vnd in eil (nachdem dergleichen leuthe vbel
vnd noch schwerer, die der geschickligkeit vnd reiner gotlicher
lehre dermassen gegründet sein, durch welche jeder zeit der
verfurischen meinung mit gutem gründe vnd spruchen christ-
licher lehre widerleget könne werden, aufzubringen) dazu nicht
kommen können. Weil wir aber bedenken, weß euch, nemlichen
euer heil vnd Seligkeit, daran gelegen vnd das es ja zu gottes
ehre gereicht, haben wir vnß souil mehr zu disem handel bemühet
vnd entlichen keinen geschickteren, der euch dienstlich sein vnd
wir entrathen konten, den briefs zeigern den würdigen vnsern
lieben getreuen Simonem Wohnraben, welcher der Augspurgischen
confession vnd cristlicher wahrhafftiger gotlicher lehre anhengig
vnd verwanth, seines wandeis, wie wir jn erkanth auch von
andern berichtet worden, vnsträfflich aufbringen können, schicken
euch denselben auch hiemit zu. Und ist vnser gnediges begeren,
jr wollet euch denselben gonstiglichen vnd mit dem besten lassen
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Von Dr. Wotschke. 225
beuolhen sein, jnen auch, do er etwann der heiligen cristliohen
lehre halben oder sonsten von jemands (das gott gnedig verhütten
wolle) solte angefochten werden, wie denn das göttliche wort in
der argen weit ohne Verfolgung nicht sein kan, nicht trostlos
lassen vngezweifelter hoffmmg, wann solchs geschieht vnd das er
ehrlich versorgt, jr werdet an jme nicht allein ein genügen vnd
ein gonstiges gefallen haben, sonder es werden auch dadurch
eure vnd vieler gewissen gesterkt vnd auff den rechten wegk
geleitet vnd entlich zum ewgen leben gebracht werden. Im fall
jr inen aber bey der reinen cristliohen lehre nicht werdet schützen
können oder auch an jme nicht ein gefallen oder genüge hättet,
begeren wir mit gnaden, jr wollet demnach hiedurch vnsern
gnedigen wolmeinenden willen vnd des guten frommen manns
geneigte gutwilligkeit betrachten vnd jnen hinwider an vnß
sicher vnd ehrlich ane alle gefahr bringen vnd beleiten lassen.
Den 7. Novembris 1560.
LXVIL
Herzog Albrecht an die deutsche Gemeinde zur Wilda.
Wir haben euer schreiben empfangen, jnhalts lesendt ein-
genohmen vnd welchermassen jr nochmals vmb einen prädicanten
bey vnß vnderthenigs ansuchung thut, daraus verstanden. Mögen
euch darauff gnediger meinung nicht bergen, das wir jn arbeit
sein, euch förderlichst einen hinauf zu verordnen, wie jr dann
auß dem schreiben, so dieselbige person mitbringen wirt, zu
uernennen haben werdet. Das wir aber dieselbige person konr
Maj1 zu Polen, jn gleichen dem herrn wilnischen woywoden
also auch dem wilnischen bischoff commendieren solten, derwegen
tragen wir noch zur zeit pilliche nachdenken jn erwegung, das
wir von hoch gedachten personen in diesem handel nicht ersucht
worden. Do es aber fernerher vnd mit der zeit die gelegenheit
geben würde, das dadurch etwas fruchtbar konte geschafft
werden, wollen wir vns in dem, so zu gottes ehr vnd forderung
seines heiligen nah mens gereichen mag, auch in allem anderen
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226 Abraham Culvensis.
aller christlichen fürstlichen gebür zuuerhalten wissen. Den
10. Novemb. 1560 *).
Lxvm.
Nikolaus Radziwill an Herzog Albrecht.
Hie adolescens nobilis Marcus Hellium Paulus ante sex annos
cum generoso d. Georgio Kurinieczky, olim capitanei Pinscensis
filio, in hac regiones venerat integroque illo sexennio apud eundem
d. Georgium versatus est, a quo virtutis honestaeque et fidelis
conversationis testimonia refert. Cum autem aliqua ex parte
pietatis et syncerioris religionis studia degustarit linguamque
germanicam supremis labris attigerit, non prius in patriam redire
statuit, quam et in vera pietate et in lingua germanica maiores
progressus fecisset, proinde supplieavit mihi et cum eo multi
Mtis ßiae aulici, nt eum Illmae Celsni V^e commendarem ....
Dat. Vilnae 20. Novembris 1560.
LXIX.
Herzog Albrecht an Gabriel Therla.
In eurem schreiben befinden wir, welcher massen ir vnsern
hofprediger befördert, für solchs seint wir dankbar. Vnd ob wir
wol mit ime zum grundt nicht geredet, ist vnnß doch nicht lieb,
das wie wir gleichwol sonsten erfaren, die Augspurgische con-
fession (dabei wir auch in irem rechten verstände bis an vnser
ende zuuerharren gedenken) also wie wir bericht gedrehet vnd
gezogen solle werden. Wen wir nun von vnserm hoffprediger
ferner vermerken werden, wie er die Sachen disfals verlassen
vnd wir mit vnserer einfalt zu cristlicher vergleichnis etwas
dienen können, wollen wir vnns dortzu ganz treulichen erboten
haben, auch an vnkoston, muhe vnd arbeit nichts erwinden lassen,
vf das wirklich zu spüren, wir der rechten reinen lehre mit
1) Aehnlich ließ der Herzog auch an Kunheim schreiben, welcher die Briefe
der deutschen Gemeinde in Wilna zuzustellen hatte.
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Von Dr. Wotechke. 227
hertzlichem eifer anhangen vnd solche zu befordern gedenken1).
Ferner vermerken wir, weß ir wegen des h. Gregorii Kottko-
witzen 2 söhne halben an vnß schreibet. Nun ist nicht ohne,
das wir h. Kottkowitz als vnserm alten diener mit gnaden ge-
wogen, so wir dann seiner jungen hern alter vermerkt vnd wir
bey unserm geliebten söhne 10 knaben polnisches vnd deutsches
gezunges haben, auch die Ordnung gemacht, das irer vber solche
zal nicht mer sein sollen, welche dermassen gehalten werden,
das sie ob sie wol etwas elter als vnser söhn dennoch in forcht
loben, auch alle Willigkeit vnd das auf vnd ablaufen ganz ver-
meiden müssen. Solchs seint auch nur einzelne knaben, den
wir keine sondere diener zuordnen lassen, daneben hat es auch
mit vnserem söhne die gelegenheit, das er nach gelegenheit des
alters vnd irer • Constitution, darinnen sie ohne zweifei bisher
erhalten, nicht gleich sein kann. Den er erst im aiphabet vnd
catechismum, auch das abc zumahlen anfehet. Sollten dann die
beiden jungen hern derhalben in irer lehre etwas verhindert
werden, das wolten wir nicht gern, so wolt auch vnsern söhn
mit schwerer lehre zu belegen bedenklich sein, damit er des-
selben nicht gar vbertrussig gemacht. Diß schreiben wir euch
als vnserm vertrauten vnd begeren, ir wollet als für euch vnd
vnserer" vnuermerkt bei hern Kottkowitz erkundigen, wie er
einen oder bede seine söhne gern gehalten sehe vnd ob er auch
viel leuthe, vf sie zuwarten (welches wir bey unserm söhne in
anmerkung, das vil vnzucht vnd anders bey solchen aufwarten-
den bisweilen vnterleufft, zum höchsten vermieden) zuordnen
bedacht, vnd vnß solchs mit erstem vermelden. Dan wir dem
ehrlichen man alle gnade erzeigen wollen, hatt es aber auch die
meinung, das er bedacht were, sein söhn dermaßen, wie sein
bruder der her starost auf Sameiten seinen söhn alhie helt, in
studiis zu vnterhalten, wollen wir vns dieselben ganz gnediglich
beuolhen sein lassen, auch die Verordnung thun, das sie mit
1) Vergl. den Bericht des Wilnaer Predigers Wedrogowski auf der
Synode zu Pinczow am 8. Mai 1560 bei Dalton, Lasciana S. 502.
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228 Abraham Culvensis.
preceptoren vnd guter disciplin versorget werden sollen. So
wolten wir sie auch als vnsere vnd vnseres sohnes diener achten,
das sie nach ihrer gelegenheit vnd ohne verseumnuß irer studia
bey vnß ab vnd zugehen mögen. ... 17. August 1560.
LXX.
Herzog Albrecht an den König Sigesmund August.
S. Ä. Mtem V. celare non possum, quod communitas homi-
num Germanorum, quae Vilnae est, et literis et internuntiis suis
apud me diligenter agendum curavit commemorando et reoen-
sendo, quoniam sanctum dei verbum et evangelium nunc passim
per universam propemodo Europam his temporibus ex immensi
dei misericordia innotuerit, se quoque miro teneri desiderio
audiendi verbi dei pure, syncere et iuxta Christi servatoris
institutionem, petere itaque officiose et obnixe, dignarer pro
amplificando regno, nomine et gloria Christi eo incumbere, ut
doctum, pium et fidelem ecclesiasten, qui synceram Christi
doctrinam iuxta Augustanam confessionem profiteretur, mea opera
nancisci possent. Mihi vero etsi rem pressius consideranti multa
occurrebant obstacula, quae me non immerito deterrere de hac
re poterant, praesertim vero quia apud multos adhuc baec Christi
doctrina id loci exosa est et quod christiani concionatores multis
et magnis periculis expositi sunt, tarnen amplificatio nominis et
honoris Christi et preces eorum hominum, qui salutem animarum
suarum sitiunt, apud me praevalnerunt dedique operam, ut pro
ipsorum aeterna salute comparanda pium doctum et Augustanae
confessioni adhaerentem virum Simonem Wanraben, qui pacis,
quietis et tranquillitatis studiosissimus est, consequerentur. Quam
quidem facti mei rationem, ut S. ß. Mtas V. mihi in meliorem
partem interpretari nee aut temeritati meae aut intempestivae
curiositati aut studio novandarum rerum adscribere, sed pro
honore et gloria nominis Christi amplificanda a me faetam esse
sibi persuadere velit, oro et humillime peto, ut huic pio viro cum
bona venia et sub tutela ac clementissimo patrocinio S. B. Mtis V.
verbum dei pure iuxta propheticam et apostolicam doctrinam
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Von Dr. Wotechke. 229
istic profiteri et homines de dei voluntate et aeterna salute
instituere liceat. Nihil enim potest S. R M**8 V. praeclarius,
nihil deo acceptius facere, quam si in hoc omni ratione contendat,
ut verbum dei sacrosanctum recte doceatur et large spargatur.
Quodsi S. R. M**8 V. necessarie etiam duxerit, rev. d. episcopum
Vilnensem hoc nomine appellare, cui ipsi quoque rem per literas
meas significavi, vehementer peto, ut id ea ratione et modo
faciendi curet, quibus decet haec Christi negotia magna cum
gravitate fideliter et religiöse tractare Regiomonti.
4. Januarii 1561 *)
LXXI.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Honestus Hieronymus Maletius in usum rei literariae et iu-
ventutis, quae materna alias quoque imbibere linguas studet,
editurus est dictionarium Latino et Germano-Polonicum, quemad-
modum prima eius editionis iam coepta pagina ostendit, quam
hisce cum literis mittimus. Ut autem et laboris et impensae
fructum aliquem perciperet, petiit2), ut nostra commendatione Pri-
vilegium a s. r. maiestate impetraremus de non recudendo eo
opere intra regni et terrarum s. r. maiestatis fines ad decursum
usque octennii. Qua in re etsi s. r. maiestatem minime diffici-
lem fore arbitramur, duximus tarnen operam quoque hac in re
IUtis y™6 requirendam esse. Quae cum apud s. r. maiestatem
valeat plurimum, amanter illam rogatam habemus, ut concessi-
onem eam privilegii impetrari iuvet. 12. Aprilis 1561.
LXXII.
König Sigismund August an Herzog Christoph.
Ablegati erant ex magno ducatu nostro Lithuaniae certi
nobiles et ingenui adolescentes in scholam Tubingensem überaus
1) Zwei ähnliche Schreiben richtete der Herzog an demselben Tage an
Nikolaus Radziwill und den Wilnaer Bischof.
2) Das Bittgesuch bietet Fr. Koch, Der letzte Druck des Lycker Erz-
priesters Johann Maletius. Königsberg 1903.
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230 Abraham Culvensis.
institutionis et literarum causa et a nobis Illmae D»»8 V1*»« com-
mendati. Hi nunc inde revocantur ad alias scholas et academias
Germanicas, quia vero benigne babiti sunt istbic et habita est
illorum ab Illma Dne Vra ob nostram commendationem ratio,
egerunt nobis consiliarii nostri eo nomine gratias habentque et
agunt ac gratitudinis ergo petebant, ut de hac ipsa gratitudine
deque gratiarum actione apud Illmam Dnem Vram Uteris nostris
testaremur. Dat. Vilnae 2. mensis Maii 1561.
LXXIIL
Nikolaus Radziwill an Herzog Albrecht.
Quia Illma Oels^0 Vra ad me et ad s. r. maiestatem perscri-
bere dignata est de utili opere excudendo Latino-Germanico et
Polonico dictionario, quod ven. vir d. Hieronymus Malecius verbi
dei minister prae manibus babeat deque privilegio apud maies-
tatem r. obtinendo et de non recudendo eo opere, in eo quidem
quemadmodum in reliquis rebus omnilibenter me iam gessissem
Ulmae Celsni Vrae, verum celare Illmam Celnem Vram non debeo
eiusmodi Privilegium et multo etiam in largiori forma pro se et
baeredibus suis obtinuisse gen. Ioannem Maczinsky secretarium
meum, qui tale dictionarium ante quattuordecim annos in studiis
literarum adhuc in Germania versando partim ex Latino-Ger-
manicis Petri Dasipodii et Ioannis Frisii Tigurini, partim ex
Latino-Gallicis tum etiam ex thesauro linguae latinae compilavit
et extremam manum operi iam dudum imposuit, quem librum
s. r. maiestas et fere tota aula hie vidit et qui exercitatos sensus
in re literaria haben t, affirmant non inutilem eum navasse rei
literariae operam, et recte factum est, quod et typographns Ulmae
Celsm'8 V™6 Regiomontanus Taubmann et ipse d. Hieronymus
Malecius hie adfuerunt, cum quibus de imprimendo libro ipse
Ioannes Maczinky transegit idque sub ratihabitione approbatio-
neque eiusdem Illmae Celn»8 Vrfte, quem contractum hie inclusum
mitto et cum illum approbari tum et ipsi typographo Taubman
ex autoritate Illmae Celsniö Vrae serio demandari postulo, ut in
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Von Dr. Wotechke. 231
excudendo libro sedulam et diligentem navet operam, non extrahat
tegrpus nee moras non necessarias neetat. Ac mittit una et librum
ipse Ioannes Maczinsky, quem d. Hieronymus Maletius Ulmae
Celsni Vrae exhibebit, opus iustae magnitudinis, cui etiam adhuc
multum accedet ex contrario dictionario Polonico et Germanioo-
Latino, quod idem d. Hieronymus ex hoc ipso dictionario intra
corrigendum colligere et ad calcem operis adicere debet, quae res
tametsi satis per se favorabilis est et publicis scholarum usibus
destinata multum proderit nostrae iuventuti, tarnen hoc im-
pressionis negotium in gratiam eiusdem secretarii mei Illmae
Celsui V1^ commendandum esse duxi ac una petendum, ut con-
tractum hunc per Illmam Celsnem Vram approbandum eidem secre-
tario meo ex cancellaria sua in autentica forma extradere iu-
beat. . . . Vilnae 22. Junii 1561.
LXXIV.
Nicolaus Radzivil dei gratia in Olyka et Nieszwiesch dux etc.
Significamus praesentibus literis, quia comparantes coram
nobis gen. Joannes Mazinsky, secretarius noster et s. r. maiestatis
in cancellaria Lithuanica expeditionis latinae notarius ex una et
ven. vir d. Hieronymus Malecius verbi dei minister nee non
famatus d. Joannes Taubman civis et typographus Regiomontanus
parte ex altera talem inter se fecisse et iniisse contractum
recognoverunt sub ratihabitione tarnen et approbatione ill. prineipis
d. d. Alberti de et super dictionario latino polonico imprimendo
per praefatum Jo. Maczinsky interpretato et collecto, quod videlicet
praefatus typographus sumptibus eiusdem Jo. Maczinsky impri-
mendum sibi sumpsit dictionarium eius generis, dominus vero
H. Malecius sumpsit sibi operam corrigendi preli typographici
modis et conditionibus infra scriptis. Primum et ante omnia ita
conventum est, quod 500 exemplaria non plus nee nlinus imprimi
debent, ad eum autem numerum exemplarium si unum quoque
exemplar 300 arcus papiri reeipiet, 315 resae pro toto opere
sufficient, unam autem quamlibet resam 23 grossis polonicis
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232 Abraham Culvensis.
computando papirus constabit 241 florenos grossos 15, quam
summam imprimis pro camparanda oharta reponere debebit ipse
J. Maczinsky apud speot. et fam. virum d. Jacobum Brandt,
civem et advocatum Regiomontanum in Kneiphoff amicum suum,
et quidem Taubman typographus chartam bonam eius qualitatis
et quantitatis subministrabit, in quali non ita pridem catechesim
vel confessionem Augustanam sermone polonico impressit, nou
autem aliam nee deteriorem, tum semper aequam non dissimilem,
pro qua d. Jacobus Brandt peeuniam numerabit, chartam vero
apud se in domo sua vel alio loco commodo et, si fieri potest,
in ipsa arce ßegimontana impetrato ad id ab ill. d. duce Prussiae
certo concamerato loco deponet, quam ipsi typographo pro ratione
operis erogabit subministrabitque et illud, quod impressum fuerit,
ad eundem locum a typographo reeipiet, ita autem inter partes
conventum est, quod ad summum intra 24 septimanarum spatiun?
opus hoc integrum imprimi et absolvi debet. De precio vero et
labore typographico ita inter partes conventum est, quod d.
Taubman typographo ab una qualibetpapiri resaimpressa 28 grossos
polonicos idem J. Maczinsky numerabit, quod si opus 315 resas
capiet, tum merces typographi constituet 244 polonicos, cuius
dimidiam partem vel saltem certam quotam ipse J. Maczinsky apud d.
Jac. Brandt deponet, ipse vero typographo pro ratione operis in
singulos menses peeuniam pro impressis resis ad dimidium operis
numerabit, reliquam vero precii partem a dimidio opere donec
integrum opus absolverit, idem typographus expeetabit, correctori
vero d. H. Maleoio tarn pro victu quam pro correctura preli typo-
graphici 35 grossos polonicos in singulas septimanas idem d. Jac.
Brandt ex peeunia Ioannis Maczinsky numerabit. Dabit autem
operam idem d. Hieronymus corrector, ut quam diligentissime
et emendatissime liber imprimatur idque citra ullius temporis
iacturam. Non solum autem correctoris munus d. Hieronymus
obibit, sed et* collectoris ex eodem ipso dictionario latino-polonico
contrarium dictionarium polonico-latinum, quod ad calcem huius
operis collocabit, id etiam relictum est in arbitrio eiusdem d.
Hieronymi correctoris et collectoris contrarii dictionarii polonico-
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Von Dr. Wotschke. 233
latini, si voluerit germanicas appellationes apponere, ut una et
eadem opera et polonico-germanicoque latinum ad calcem operis
adiciatur dictionarium tum et nomenclatura rerum omnium lingua
triplici latina germanica polouica. Pro ea vero opera et labore
eius praefatus J. Maczinsky eidem d. Hieronymo 40 florenos po-
lonicos a perfectione operis numerabit, postquam aliquam partem
exemplarium distraxit. Verum hoc etiam sedulo, diligenter et
caute observabit d. Hieronymus, ne plura quam 500 exemplaria
imprimantur, neve vel unicum exemplar aut donetur aut distra-
hatur alicui. Hoc etiam inter partes conventum est, quod idem
typographus imprimet 20 vel plures Chartas titulum tantum uua
cum initio dictionarii continentes idque ratione exempli seu spe-
ciminis operis, iuxta quam Uli a Jo. Maczinsky praescriptum
fuerit, quas primas Chartas primo quoque tempore ad ipsum Jo.
Maczinsky mittet, opus vero impressionis et calcographiae a festo
s. Bartholomaei proxime instanti inchoabit et ad perfectionem
elaborationemque operis omni studio contendet nee tempus frus-
tra extrahet, quo facto ibidem Jo. Maczinsky tradidit librum
suum d. H. Malecio. Tenebunt autem et observabunt partes
praefatae contractum eius modi inter se solide integre sine
fraude et dolo sub poena 4000 ungaricorum in auro veri iusti et
boni ponderis. Dat. Vilnae 20. Junii 1561.
LXXV.
Alexander Suchten1) an Herzog Albrecht.
Disses meines an E. F. D. Schreibens ein vrsach ist, E. F. G.
buchdrucker Johan Taubman, von welchem ich vorstanden, das
im E. F. G. offt befolen, wen er auff die mergkt Leipsig, Frank-
fortt gezogen, das er nach d. Teophrasti von Hohenhaim bücher
fleissig fragen vnd sie E. F. D. bringen solt. Diweill ich nun
desselben Theoprahsti bücher etlich hie im land, so er in der
arznei geschrieben, in Baiern aber viell mehr hab, die er in der
theologia als ein doctor vnd prediger derselben, der er auch
1) Der bekannte evangelische Arzt in Wilna.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u 4. 16
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234 Abraham Culvensis.
gewesen ist, geschrieben mit solchem ernst vnd grundt, das
diejenigen, so seine theologica lesen, von ihm dorffen rühmen,
das nach den aposteln vnd dem hailigen Hierotheo vnd Dionisio
keiner von der gehaimnuß der theologiä grundtlicher geschrieben,
so hab ich von den büchern der arznei dem erbarn Hanß Taub-
man zwei traotetlin geben (den itzo zur zeit nit mehr bei mir
abgeschrieben ist) von der krankheit podagra, dieselben soll er
E. F. G. zeigen vnd so es E. F. G. nit zu widder drucken. So
es auch mitt E. F. G. erlaubnuß geschehen möoht, wolt ich die
andern arzneischen büoher, so bei mir sein desselben Theophrasti
drucken lassen nit von meinetwegen, den ich sie onhin hab,
sonder allen zugefallen, so die Wahrheit der arznei lieben vnd
suchen vnd den kranken zum trost. Den es sein ja ander prin-
cipia medicinae, ist auch viell ein ander arznei den die, in
welcher mttnch, nonnen, diebhenker, hundtschlager, altweiber,
Juden vnd was sonst leichtfertigs volcks ist, die doctores in der
cur vbertreffen. Sie haben, die gutten herren, inen so viell
mit der weil genommen, das se ketten mögen erfaren ein ander
grund der arznei, sonder sie glauben iren erlogenen, wie Theo-
phrastus sagt, preceptoren, diweill doch nit glauben, sonder
sehen vnd greiffen die arznei ist. Aus solcher vnwissenheit vnd
onmächtigen begierden zu vorleumden diejenigen, so iren betrug
zuwidder sein, haben sie E. F. G. beret, ich geb den kranken
mercurium sublimatum, praecipitatum calinatum, wie er den ein
namen haben mag, welchs sie nit darumb reden, das sie es wissen,
oder das es war sei, sonder aus haß vnd neidt, damit nit
offenbar werd der betrug, do sie mit vmbgen. Ich aber frag
nit nach irem geschrei, diweil ich in meinem gewissen vnd in
der cur vorwardt bin. Sie sein in lugen doctores worden, mit
lugen wollen sie ire kunst vorfechten. Sie werden es müssen
erdacht und erlogen haben, die solohs bei E. F. D. vnd anderen
mir nach reden. Den ich hab mein lebenlang das mercurium,
do sie von reden, niemands eingeben, bin auch denen alzeit zu
widder gewesen, so in brauchen, wie offenbar ist auß dem buch-
lein, das ich an königliche doctores von irem vnd meinem
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Von Dr. Wotschke. 235
consilio geschrieben, auff welches sie verstummet, mir bis auff
diesse stundt nit geantwordt, dieweil doch das büchlein inen
von der maiestät selber vbergeben ist. Ich will, so fern es gott
haben will, in kurz all meine cur mit namen ain jeden krankhen
anzeigende, so mir in diessen landen Preussen vnd Littauen ge-
raten vnd nit geraten, in druck lassen ausgehen, domit jder-
menniglich wisse, was ich in einem jar vnd mein widderteil
gethan. Soll nit dorumb geschehen, das ich allen kranken helfen
kan, den so ein arzt ist nie gewesen, würdt auch nit kummen,
aber das viel von der vormeinten arznei in die gruben fallen,
die erhalten mochten werden, wie ich von denselben hie vier in
Preussen drei so auffs letzt kummen vnd durch die vormeinten
ärzt ires lebens schon beraubt, widder auffbracht hab. Was
nemen E. F. G. gutts darauf!, das sie den fürsten E. F. G. onklen
herzog von Meklenburgk so schändlich vorwarloset, den doch
ein alt weib hat helffen können? Ich het billich von diesen
Dingen viell zu schreiben, aber wil es bleiben lassen, bis die
bücher so derhalben vorhanden in drugk kummen, darin ich
der lugen so obgemelt vnd andern mehr, so sie mir als ein
teufelsbanner zumessen, mich entschuldige. Bitt E. F. G.
wollen diß mein schreiben in kein vngnad aufnemen, ire lügen
machen, das ich mich bei E. F. G. entschuldigen muß, würd
mir nit woll anstehen, so ich solchs mit stillschweigen vberginge.
Wilde, den 2. Juli 1561.
LXXVI.
Herzog Albreoht an Nikolaus Radziwill.
Lectis Illfciß Vrae literis de privilegio pro Maletii dictionario
impetrando intelleximus, quid obstiterit, quod nostrae intercessioni
et Maletii precibus satisfieri non potuerit, in quo, si quidem ita
accidit, acquiescendum nobis est. Quod vero ad dictionarium ab
Ultia Vrae secretario concinnatum privilegiumque de non recudendo
eo attinet, in eo sane libenter postulationibus Vrae IUtis gratifi-
caremur, nisi nobis in Illtiß Vrae et ipsius quoque Maczinski
sententiam per omnia non descendere religio esse videretur. Etsi
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236 Abraham Culvensis.
enim editionem eins operis non improbamus, tarnen multorum
iudioio Privilegium tale in perpetuum et aeviternis temporibus
de non recudendo eo a dilectione et charitate proximi alienissimam
esse dicere quis non posset? Prudenter enim Illtas yra intelligit
pietatis esse, ut qui eeclesiis inservire, bonas artes provehere,
de iuventute optime mereri, sibi vero nominis celebritatem aliquam
comparare student, illud imprimis pensi habeant, ne plus privetur
paucorum compendiis, quam utilitati publicae et plurimorum
commodo tribuatur. Cum itaque communibus omnium literatorum
studiis, ut taceamus alios, opus dictionarii per se evulgatione
dignum et utilissimum sit futurum, non melius laborem suum
secretarius Illti» ynie posuisse videbitur, quam si longe lateque
spargi illud et manibus multorum innotescere patietur. Quo enim
operis illius editio pluribus orbis christiani oris inolarescet et quo
crebrior illius evulgatio fuerit, eo nominis existimatio et laboris
dignitas autori futura erit excellentior. Quam ob rem Illtem Vnun
rogatam habemus, ut secretario suo suasor esse velit, ne perpe-
tuitatis privilegio suam septo instar claudi operam patiatur, sed
orbi christiano communicet ac Privilegium de non recudendo in
certum aliquem annorum decursum ita moderetur, ut christianae
dilectioni et commodo publico inservire illum omnes iudicent, hoc
si fecerit, ac plura etiam exemplaria quam 500 excudi nunc cura-
verit, nos quoque de non recudendo eodem dictionario suo sub
jurisdictione nostra ad certum annorum spatium ei gratificabimur,
si minus, Illtas Vra reputet, grave durumque nobis esse contractum
cum typographo nostro et Maletio per omnia approbare atque ei
rei assensum et calculum nostrum praebere, quae iuri et libertati
nostrae ac posterorum nostrorum derogare et quasi frena iuris-
dictioni nostrae inioere videntur, siquidem in eum finem prelum
hie typographicum non parvis sumptibus mstauravimus privilegio
etiam peculiari a nobis donatum, ut quieunque libri ecclesiae, rei
publicae et bonis literis utiles censerentur, iussu et approbatione
nostra accedente libere iu publicum exeant, cudantur reeudanturque,
quando et quoties nobis visum fuerit, exemplariorum etiam
numero placito nostro sive lege aliqua reservato. Caeterum
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Von Dr. Wotechke. 237
quandoquidem intelligimus dictionarium subditi nostri Maletii
polonico-latinum sab munificentia nostra ab ipso collectum ac iam
pridem nobis dicatum adici debere diotionario secretarii Ultis YTae}
aequitatis esse videtur, ut privilegio regio de non recudendo
scilicet perpetuis temporibus exemptum übertäte sua peculiari
gaudeat. Dat. Regiomonti 8. Novembris 1561.
LXXIL
Bernt Pohibel an Herzog Albreccht.
.... Kan E. F. D. nicht pergen, das diesenn vergangnen
sontag eyn neuer teutzscher prädicant, welcher vorhyn zu Konigs-
perg jm Lebenicht vffen berge vor eyn kappelan gedint, auch
gepredigt, auf der canzel gepredigt, do dan eyn große menge
der teutzschen auch andere nation, ßo der sprachen kundigk
kegenwertig gewesenn. Man gibt jm eyn zimlioh lob, ist jn
vielen landen versucht, jn der schrillt wol erfarenn. Weyl der
vorige, welchen E. F. D. hierauff geschickt bisweylen ethwas
schwach, hot man disen vf ein versorgen angenomen, wie das
endt ferner ausgehenn wirdt, gibt die zeit zuvornhemen. Der
her ertzbischoff von Gnyzenn ist von diser weit geschieden.
Man hat das ertzstifft dem jtzigen vntercanzler widderumb an-
geboten, wie man sagt, hat er es nicht wollen annhemen vnnd
viellyber pey dem Crokyschen bistumb vnd cantzeley nix an
vrsach, dan es tregt viel, zu pleiben Köne Maj* gepethen, alzo
das es itzo darauf! steht, das der bischoff von der koya, der her
Ochansky1), mochte eligiert werden Dat. Wilde, den
27. Januarii 1562.
LXXVHI.
König Sigismund August an Herzog Albrecht.
Hochgeborner fürst, freundtlicher lieber ohem. Wyr fügen
E. L. freundtlicher meynung zv wissenn, das wir derselben ant-
wortt auf vnser nechstes schreyben der predicanten halben ge-
1) Vergl. Wierzboweki: Uchansciana, Warschau 1884.
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238 Abraham Culvensis.
than empfangen, verlesenn vnnd eingenummen vnnd gantz gerne
daraus vermercket, was sich E. L. also weitleuftigk darin wegenn
desselben handeis gegenn vns erkleren wollen. Wiewoll wir aber
an solchem E. L. gemuett vnd willenn niemals gezweyfelt, auch
leicht bey vns ermessen können, als wenigk E. L. gesinnet,
solche leute jnn jrem fürstenthum zuleydenn, durch welche vn-
eynigkeit vnnd zertrennungen vndter dem volk angerioht vnnd
gestiftet werden muegen, also wenigk sie auch des fürhabens
dieselben jn vnsere lande zu befördernn. Nachdem vns doch
glaubwirdigk fürkummen, das jn deme allerley gesucht vnnd
practiciert wordenn entweder durch die leutt selber, so frembder
leere zuegethan vnnd sich gern alhier eindringen wolten oder
aber durch jren anhangk vnnd wir demselbenn gernn jnn zeyttenn
fürkummen wollenn, als sindt wyr vorursacht worden, weil die-
selben leutt jnn E. L. fürstenthumb, nechstes schreybenn an E.
L. zuuorfertigen, welchs auch E. L. ander nit zuuorstehenn
oder auszuelegenn Dat. zur Wilde, den 1. tagk May im
1562. Jahre.
LXXIX.
Erhard von Kunheim an Herzog Albrecht.
E. F. D. schicke ich hiemit jn aller vndterthenigkeit zw,
das die khunigkliche antwortt auf E. F. D. nechstes schreiben
der Predicanten halben an sein khune Majt gethan, wie E. F. D.
aus demselben zuersehen, welchs auch E. F. D. zw gelegener
zeit hinwiderumb werden zwbeantwortten wissenn. Dieweil nun
E. F. D. jn demselben handell auch etwas an mich schreiben
lassen, daraus ich mit schmertzenn beynahe so viel vorsehen
muessen, als sey ich jn verdacht, das joh die khune Majfc zw
dem ersten schreiben durch mein angeben vorursacht, vieleicht
von deswegen das jch denselben brief mit eigner handt geschrieben,
als hab jch keinsweges vndterlassen können, mein vnschuldt jn
dem fall E. F. D. zu entdecken vnnd sollen es E. F. D. eigent-
lichen dafür halten, als zum ersten mal die khune Majt mit mir
von demselben handel geredt, das jch den halben teil so viel nit
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Von Dr. Wotechke. 239
gewust, als mich seine Maj* selbst berichten theten. Welchs mich
den vmb so viel weniger wunder genummen, weil jch knrtz
hernach erfaren, das des redens die gantze statt alhier voll
gewesen vnd man sich mit briefen vmbher getragen, so von
E. F. D. hoff anhero geschrieben auoh von denen, so E. F. D.
nit wenig vertrawet, wie solchs mit jren eignen handtsohriften
vnd mit stadtlichem zeugnaß zuerweisen, die dan ausdrücklich
rhümen,weil derselbe predicant(nemlioh Veigelius) der Caluinischen
leer zugethan vnd also mit des woywoden predicanten alhier
vbereinstimmet vnnd derohalben an denen ortten nit will gelieden
werden, das sich etzliche personen alhier sein annemen vnd die
Sachen beim hern Radziuil dahin bearbeiten wollen, damit derselb
Veigelius1) hierauff gefördertt werden muchte. Dissen grundt
als jnen die khune Majt erfaren vnd vngern wolte, das die
itzige deutsche predigt, so vermuge der Augspurgischen con-
fession alhier aus sonderlichen gnaden des allerhöchsten getrieben
gehindertt oder geschwechet, ist sein Majfc verursacht worden,
gemelte schreiben an E. F. D. zuuorfertigen. Dann weil die-
selben saohen haimlich practioirett, dauon E. F. D. vieleioht
wenigk wissen tragen, haben sein Majfc E. F. D solchs durch jr
schreiben vermelden wollenn vnd vnangesehen die person jn
seiner Maj* schreiben aufdrücklioh nit gemeldet, so verstehen
doch sein Maj* keinen andern als vielgemelten Yeigelium. Mir
auch jm letzten vndterschreiben aufdrücklich beuholen, die
sachen bey E. F. D. dahin zw bearbeiten, damit jme Veigelio jus
1) Georg Weigel stammte aus Nürnberg und studierte seit dem 14. Sept. 1558
in Wittenberg. Hier ließ er 1559 erscheinen: „Explicatio dilucida epistolae Judae"
und „Historia de quodam episcopo a muribus consumpta" ferner 1561 „Epicidion in
honorem et memoriam obitus Phil. Melanchthonis". In demselben Jahre berief ihn
Herzog Albrecht als Prädikant nach Königsberg. Vergl. irQonifinTtxa scripta
reverendo viro d. Georgio Weigelio Noribergensi liberalium artium magistro vocato
ad ministen um verbi divini ab illustrissimo Borussiae principe Alberto Seniore etc.
Witeberga discedente. Witebergae excudebant haeredes Georgii Rhaw 1561 in
Quart, drei Bogen. Dreizehn Freunde, unter ihnen Justus Jonas, widmen ihm Verse;
zum Schluß findet sich ein Gedicht Weigels „ad Witenbergensera academiam".
Dezember 1562 kam Weigel mit Briefen Herzog Albrechts zu Vergerio nach
Tübingen.
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240 Abraham Culvensis.
erst vnd fürderlichste ernstlich eingebunden, er solehs auch bey
seim höchsten zuesage vnd vorspreche, das er der khunn Majt
lande meyden vnd sich mit leeren vnd predigen darin nit finden
lassen wolle, wie jch dann solehs auch hiermit nit allein wegen
des khuniglichen beuhelichs, sondern vielmer wegen der pflicht
damit jch E. F. D. zuegethan, ausgericht vnd volzogen haben
will, vnderthenigst bittende E. F. D. mir solehs jn allen gnaden
auflegen vnd sich des zu mir versehen wollen, das jch bey der
khunn Maj. in dissen handell das gedacht vnnd vorttgestelt,
damit aigentlich E. F. D. nit wenigk gedienet vnd jch für gott
vnd E. F. D., da es von nöten, umb so viel leichter zuuorant-
wortten. Begeren auch E. F. D. die personen zuwissen, von
welchen solehs auskommen vnd die mit denen praktiken vmb-
gehen, trag ich kein scheu, da es vertraulich vnd mir vnnach-
teiligk zugehen soll, dieselben zuentdecken. Lust hab ich nit,
mich mit ainigen menschen jn vnfreuntschaft einzulegen, aber
damit jch dennoch entschuldiget vnd man auf den rechten
grundt kummen muge, will jch meinen pflichten nach als das-
jenige tun, so E. F. D. mir beuhelen werdenn Dat. zur
Wilde, den 3. May 1562.
LXXX.
Herzog Albreoht an Erhard von Kunheim.
Wir haben den jnhalt des jüngsten der Konn Majt vndt
deynes schreybens denn bewosten predicanten belangende not-
turfftig verstanden, nhun ist vns lieb, das ire Majt mitt vnnser
jungest gegebenen antwortt friedlich, vormerken auch daraus,
woher erstmals ire Majt derwegen ahn vns zuschreyben gevrsacht
vndt aus was gemhutt vndt bedenken solehs hergeflossenn, dabey
wir es auch nhumehr billich beruhen und ire Maj. diesfalls mit
fernem schreyben vnbemuhet lassen. Du aber hast irer Majt von
vnsertt wegen zu vermelden, das wir niemalls jnn vnsere ge-
danken genhomen, bewosten predicanten dahin zubefodern vnd
where vns auch nicht lieb, das es durch jmands anders geschehen
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Von Dr. Wotechke. 241
sollte, dafür wir auch, souiel ahn vns, jnn allewegen seynn
wollenn, vns auch nit zu ihm versehen, daß er sich selbst ein-
drangen werde. Souil aber deine person belangt, das es erstmals
von dir ahn die Kone Majfc nicht gebracht vnd das ire Majfc zuuor
mehr dan du dauon wissenschafft gehaptt, du dioh auch erbietten
thust, vns die personen, durch welche die dinge practicirett
namhafftig zu machen, auoh solches mit jrer eygen handtschrifften
vndt sonsten stattlichen zeugnus zuerweyssen, seint wir mit
solcher deyner entschuldigunge, ob wir wol anfangs allerley
nachdenken gehaptt, jnn gnaden zufrieden, begeren aber gnedig-
lich, du wollest deynem erbitten nach vns mit dem ersten alle
gelegenheytt des handeis entdecken, die personen namhafftig
machen, auch derselbigen handschrifften, wo du sie hast odder
wo nicht, doch derselbigen copeyen vns zuschicken. Insterburg,
den 10. May 1562.
LXXXI.
Herzog Albrecht an Nikolaus Eadziwill.
Ultis Vrae Hterae 26 Junii Vilnae datae proficiscentibus nobis
recreandi animi gratia in venationem redditae sunt. Intelleximus
ex iis anxium desiderium consequendi et in numerum ministrorum
suorum cooptandi magistrum Georgium Weigelium, quem ad
institutionem et informationem filii sui maioris natu adhibere
velit. Eo itaque nomine Ultem V*»01 celare non possumus, quod
etsi dictum Weigelium in numerum ministrorum verbi dei
acceptaveramus eiusque opera pro concionatore aulico uti statue-
ramus, tarnen cum ex una atque altera eius contione, quas hie
in arce nostra Regiomontana habuit, auditores varie afficerentur,
cum res ad longam diseeptationem speetare videretur, consultum
nobis visum est, ipsum ad academiam aliquam vel Tubingensem
vel aliam remittere, ut studia illic sua continuare tandemque et
nobis et ecclesiae rectius servire posset. Quae cum ita sint
cumque praeterea ipsum Weygelium IUtiß Vrae filio ex primis fere
elementis eluetato, uti 111*** Vra scribit, et solidiori iam eibo in
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242 Abraham Culvensis.
re literaria indigenti satis utiliter et cum fructu in erudiendo
praeesse posse dubitemus, petimus, ne in deteriorem partem 111***
Vra accipiat, quod HU» Vrae communicando hoc viro hisce quidem
temporibus et rebus sie se habentibus gratificari non possumus.
Regiomonti 12. Augusti 1562.
LXXXH.
König Sigismund an Herzog Christoph von Württemberg.
Hie, qui bas Illti Vrae dabit, Joannes Kiszka clara imprimis
gente splendidisque natalibus insignis puer ex proceribus et
optimatibus Lithuaniae prognatus est, profeetus autem isthuc
partim excolendi bonis liberalibusque diseiplinis ingenii, partim
ut mores populorum lustret et urbes ingenuo et liberali homine
digno accensus in tenera hac aetate sna desiderio. Quare illum
Ulti Vrae diligenter commendamus ac ab illa petimus, ut adole-
scentem hunc gratia favoreque suo excipere ac complecti velit . . .
Vilnae 20. Augusti 15631).
LXXXHI.
Eustaohius Wolowicz an Herzog Christoph.
Cum aliquanto tempore tenuerim in celebri academia
Tubingensi nepotes meos Joannem cum Josepho Wolovitios2) ac
Petrum et Joannem Wesolovios uberioris assequendae diseiplinae
gratia non minus in moribus ac virtutibus quam honestis
literarum studiis, nunc dem um certis ac gravibus ex causis inde
revocaturu8 eos offioii mei esse existimavi eidem Illmae Celsni V1*^
quemadmodum par est atque convenit, quam maximas agere
1) In Tübingen scheint Johannes Kißka nicht studiert zu haben, außer
den am 14. August 1560 an dieser Hochschule immatrikulierten Lithauern weist
die Universitätsmatrikel bis 1570 nur noch einen Lithauer auf, den am 20. Oktober
1564 immatrikulierten Praecelaus Irzykonnes de Backzyki. Dagegen bringt das
Schülerverzeichnis des Carolinum in Zürich uns Kißkas Namen unter dem Jahre
1564. Als er in die Heimat zurückkehrte, begleitete ihn der Sohn des Baselers
Professors Curiane Leo.
2) Unter dem 11. Juli 1567 mit dem Lithauer Georg Sapieha in Witten-
berg immatrikuliert. Vcrgl. auch Schott und Kausler, Briefwechsel zwischen
Herzog Christoph und Vergerius.
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Von Dr. Wotschke. 243
ac habere gratias pro ea singulari benignitate atque dementia,
quibus hos nepotes meos toto tempore ooraplecti atque prosequi
dedignata non est Vilnae 26. Septerabris 15631).
LXXXIV.
Georg Weigel an Herzog Albrecht.
Nachdem ich auß dem Würtembergischen colloquio2), so
von E. F. D. mir das nechstuerschinen jar auferlegt worden
wider gen Kunigsperg ankhomen vnd E. F. D selbst persönlich
dort kürtzlich relation gethan, ist mir nach gnediger vberreichung
diß znuor gemelten colloquio weittere personliche erclerung gne-
digst zugesagt worden, welche doch hernachmals vmb für-
fallender hochwichtiger gescheffle willen ist vermiden blieben.
Nichts destoweniger hab ich mein notwendiges bedenkhen auf
die gelesne acta gesteh vnd E. F. D. vbergeben. Mittler zeyt,
als ich mich meines guten gewissens gegen gott vnd E. F. D.
vertröstet vnd entweder vmb gnedige restitution oder endtliche
dimission vnterthenigst anhielt, bin ich allzeyt auf schrifftliche
gewisse beantwortung E. F. D. vom hern Präsidenten gewisen
worden. Letzlich ist mir in abwesen E. F. D. kurtz mündlicher
abschidt gegeben worden, ich möge meiner gelegenheit nach
hinziehen, wo ich wolle, da habe ich meine abfertigung semel
pro semper, darnach ich mich richten möge. Bald darauff hat
mir der herr burggraff im namen E. F. D. beide meine dienst
vnd tisch ganz spöttlich auff ein stundt lassen absagen vnd ver-
spotten, man soll mir weiter nichts darreichen. Solche gantz
frembde dimission hab ich angenommen, biß ich eines ge-
wisseren berichtet würde. Bin derhalben in solcher fürfallenden
beschwer vnd nott mit meiner armutt stracks der Wiln zuge-
zogen, dan ich in solcher spöttlichen abweisung sunst nirgent
1) Am 7. November berichtet Vergerio dem Herzoge Christoph, die
Lithauer wollen innerhalb 15 Tagen reisen und dem Herzoge eich empfehlen.
2) Dezember 1562 kam Weigel nach Tübingen, vergl. Schott S. 369.
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244 Abraham Culvensie.
wüste mit meinem zuuor lang vmbgefürten vnd scbadenhaffbigen
haussrethlin eine lenglichere winterherberg zusuchen. Darnach
bin ich zuuor offtermals aufs freundlichst von jnen dahin ge-
laden vnd zum predigampt erfordert worden. Zum dritten
wurde mir ein ehrliohe beiratt noch zu Eonigsperg bey inen
angetragen, welche noch verbleibt. Zum vierdten were es mir
spöttlich vnd verdechtlich gewesen, wider hinauß gen Heidel-
berg oder gen Zürich zu ziehen, sonderlich wenn sie gesehen,
daß ir vnterthenige commendation an E. F. D.1) mir wenig ge-
nutzet, E. F. D. mir genedigst mitgeteilte öffentliche commen-
dation, ir hoffnung vnd mein zuuor gethaner bericht mit solcher
dimission sich nit wol reimeten. Darauß dan allerley gedanken
altenthalben hätten folgen mögen, welche also vermiden bleiben.
Bitt demnach, E. F. D. wolle meine hieher gethane reyß in
gnaden verstehn vnd dieselbe nit vbel angesehenem rath zu-
schreiben, bin sonst jederzeyt nach wie zuuor gantz willig vnd
bereyt E. F. D. zu dienen, hab mich derhalben» noch bisher in
kheine gewisse bestallung jrgent eingelassen, biß ich endlich
vnd grüntlich verstehe, was ich aus E. F. D. gnedigem beuelch
mit guttem gewissen weiter fürnemen könne. Datum Wilna, den
17. Novembris 1563.
LXXXV.
Nikolaus Eadziwill an Herzog Albrecht.
Prodiit non ita pridem ex mea Brzestensi typographica
officina sacrosanctus bibliorum liber in polonico sermone sumpti-
bus quidem meis sed opera doctissimorum quorundam virorum
Germanorum, Gallorum et Polonorum ex ipsis fontibus inter-
pretatus et quidem prodiit sub nomine et titulo s. r. maiestatis.
Etsi autem probe intelligebam sacrum huno librum Hl. Celsnem V.
1) Vergl. Bullingers Schreiben vom 20. April 1563 an Calvin: „Concionator
aulicus dncis Pru&siae missus a suo principe contulit cum Brentio de coena, ego
Weygelium, ita enim concionator ille appellatur. de omnibus institui, ut iam
rectiuß de te sentiat". O. C. XIX N. 3937.
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Von Dr. Wotechke. 245
hoc sermone legere non posse et in latina vel in sua lingua ha-
bere et legere interpretationes perquam luculentas, non alienum
tarnen me facturum esse existimavi a fide et observantia mea in
Celsnem V. tum et nee alienum ab illius in veram pietatem studio
atque affecto singulari, si hunc librum Uli ad illius bibliothecam
mitterem mnemosymon sc. atque testimonium, ut dico, obsequen-
tissimi mei in 111. Celsnem V. studii, offioii et observantiae. Non
enim dubito, quod Studium Hl. Celsnifl V. magnis claris et illu-
stribus monumentis ad propagacionem evangelii in his nostris
regionibus attulit, cum in hac eius optima et ingravescente aetate
haec res sit aliquam consolationem illi allatura, quod homines
harum regionum sacrosanetum hunc librum suo sermone legere
et 8cutari scripturam et exinde vera imbui religione poterunt,
quo beneficio Polonia a suseepta et professa fide christiana hac-
tenus caruit. Hunc itaque librum mitto 111. Celsni V. per hunc
notarium Jo. Maczinsky illi et notum et toto pectore addictum
servitorem. Ac una coniungo supplices et devotas preces ad
viventem in omni aeternitate deum patrem d. n. Jesu Christi
per hunc aeternum naturalem et consubstantialem filium eins,
deum sc. verum de deo vero et verum lumen de lumine in
utriusque spiritu, ut et colligat, protegat et servet sibi ecclesiam
in his regionibus, quae illum in omni aeternitate glorificat atque
celebrat, cum et de hoc ipse eidem perpetuo viventi deo gratias
ago, qui nobis dedit voluntatem, dedit et perficiendi huius operis
faetdtatem, non enim mecum aliter statuo, quam quod a praepo-
tenti et liberali manu dei hie liber nobis sit porrectus tanquam
summi sui in nos harum regionum homines, qui hac lingua
utimur, favoris benignitatisque monumentum. Atque hanc meam
gratitudinem erga tarn illustre et insigne dei beneficium apud
111. Celsnem V. prineipem so. in his nostris regionibus populi dei
testatam relinquo, ut sc. quemadmodum ego de Celsne V. 111.
saepe mecum gratulari solitus sum, quod d. deus per illius
medium atque instrumentum res praeclaras principe viro dignissi-
mas non minus in civili politia quam in ecclesia gessit et adhuc
gerit, cuius rei ipse sum locupletissimus testis, ita et ego mei
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246 Abraham Culvensis.
affectus atque studii in salutarem ecclesiae dei institutionem pro-
pagationemque habeam olim in iudicio dei 111. Celsnem V. testem.
Ceterum idem secretarius mens eo consilio se Regiofoontem
confert, ut cum typographo Taubmanno de impresso sao libro
latino-polonico lexico, iuxta quod inter eos pactum et conventnm
est, transigat et librum tandem scholis necessarium adiectis eis,
quae adioienda in praefatione sunt, publicet, qua in parte si
gratiam et auctoritatem 111. Celsniß V. contra eundem typographum
imploraverit, non enim omnia ad rationem et praescriptum inter
eos initi contractus dicitur adimplevisse, quin et plura exem-
plaria, ut quidem volunt, quam conventnm erat, impressisse, rogo,
ut clemens et benignus illi favor 111. Celsdo V. in hac parte adsit.
Fecit enim magnos ad eam rem sumptus, quos non ita facile
recuperabit, si typographicus non omnia ei exemplaria tradiderit,
reservaverit vero eorum aliquam pro se in huius detrimentum
partem Warschaviae 23. Februarii 1564.
LXXXVL
Nikolaus Christoph Radziwill1) an Herzog Christoph.
. . . Misit mihi dileotissimus parens meus biblia polonioa
suis inpensis impressa atque mandavit, ut ea 111. Dni V. suo
nomine praesentarem, ea Hl. Dni V. per hunc servitorem meum
transmitto ac rogo, ut huic libro a bono amico et servitore sibi
misso in sua splendida bibliotheca aliquem dignetur dare locum,
quod si non ornet, saltem augeat librorum seriem . . . Argenti-
nae 15. Martii 1564 2).
1) Unter dem 6. Mai 1563 hatte Nikolaus R. von Brzest aus seinen nach
Straßburg zur Schule reisenden Sohn dem Herzoge Christoph empfohlen,
diesem wurde das Schreiben am 3. August in Hirsau präsentiert.
2) Von Nurttingen aus sendet der Herzog Christoph unter dem 22. März
dem jungen Radziwill seinen Dank für die polnische Bibel. Am 15. August
1564 schickt Radziwill ein Exemplar der polnischen Bibel auch an König
Maximilian.
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Von Dr. Wotschke. 247
LXXXVII.
Herzog Albrecht an Nikolaus Radziwill.
Literae Illtifl Vrae una cum exemplo sacrosanctorum bibliorum,
quae nuper ex typographia Brzestensi in lingua polonica pro-
dierunt, sunt nobis ab eiusdem secretario Jo. Maczinsky redditae.
Etsi autem verum quidem est nos istum vere sanctum et omnibus
mundi opibus anteferendum librum legere in eo sermone non
posse, tarnen nibilo minus laetamur vehementer his tandem
ultimis temporibus deum per Illtem V**"11 tantos suos thesauros
Poloniae aliisque eius linguae peritis gentibus exhibuisse, cuius
clementiam ardentibus votis precamur, ut hos tarn pios 111**8 V™
labores ad divini nominis gloriam ac quam plurimorum salutem
dirigat. Quod nos in eo genere praestitimus, quamquam id cum
hoc Illti8 Y**e opere collatum sit perexignum, tarnen Studium in
eo nostrum 111^ V1^ aliisque recte iudicantibus probari est nobis
gratum, id autem omne aeterno deo et trino eiusdem ecclesiae
consecramus. Inprimis vero eundem deum supplice oramus, ut
isti quantulicumque nostri conatus ad reprimendos evertendosque
impios istos errores atque haereses, quae ad oppugnandam filii
dei cum patre coaeternitatem nunc passim in Polnia pullulare
dicuntur, multum ponderis habeant. Nam profecto Illtem Vw®
omnia sua studia eo, ut ne istae haereses latius spargantur vires-
que acquirant, directuram Christique causam strenue adiuturam
esse, certo nobis pollicemur. Secretarium 111^8 Y™* habuimus
nobis commendatum, ac si opera ei nostra in negotio, quod cum
Daubmanno habuit, opus quoquo modo fuisset, non fuissemus illi
defuturi. Dat. 15. Aprilis 1564.
LXXXVI.
Balthasar Lewalt an Herzog Christoph.
Tarn diu abest nuntius a seniore principe meo promissus
et a iuniore tantopere desideratus, ut verear, ne haec diutina
expectatio me et pecuniis destituat fortassis, principem meum
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248 Abraham Culvensis.
seniorem hoo tardiorem in mittendo nuntio facit, quod filio suo
apud Hl. Celsnem y. minime male posse esse persuasum habet.
Non tarnen dubito brevi aliqnem cum pecuniis et aliis rebus ad-
volaturum, modo mora non esset molesta. Tnterea tarnen in tem-
pore oportuit me esse sollicitum et per praesentes Hl. Celsni
Vrae supplicare, ut per praesentium exhibitorem ad praefectos
vel ad aliquem alium certum hominem sebaedulam dare dignetur,
qui mihi hie Tubingae ex mandato Illmae Celsniß V"«* absque
tarnen rumore sexcentis taleris in usum mei prineipis non desit,
solvam ego brevi et fortassis citius, quam ipse existimaverit, imo
Obligo me quoque, quod pedem Tubinga non sim relaturus, ante-
quam fidem liberavero et solvero Missa sunt ad me a
Tigurinis et Genevensibus theologis *) scripta contra antitrinitarios,
ea me oportet celerrime ad seniorem prineipem neuni ablegare,
ut sciat, quam suis theologis cum aliis ecclesiis conveniat. Quare
cum hie praesentium exhibitor ad me redierit, statim aliquem
cum istis scriptis mittam in Lituaniam. Non possum ea
perlegere eo, quod obsignata mittuntur, ex literis tarnen Bullin-
geri ad me datis colligo illos non probare, imo improbare et
refutare sententiam de trinitate ex Lituania missam. Deus con-
servet ecclesiam in concordia et perdat spiritus non quaerentes
pacem. Binas iam aeeepi literas Noriberga, quibus mihi signi-
ficatur mortuum esse huius domini parentem, qui hie apud prin-
eipem meum est. Erat is summus in regno Poloniae Senator et
reliquit magnam vim paratae peeuniae ad aliquot tonnas auri,
1) Seit 1563, da Lehwalt mit dem jungen Radziwill nach Deutschland
reiste, ging der Briefwechsel zwischen den Schweizern und Lithauern durch seine
Hände, so gab z. B. der Klecker Pfarrer Simon Budny sein Schreiben vom
18. April 1563 an Bullinger ihm bezw. dem Klecker Präfekten Hieronimus Ma-
covius zur Beförderung nach Zürich mit. Am 19. Oktober 1564 schreibt Leh-
walt aus Tübingen bei Übersendung des Radziwillschen Briefes vom 14. Sep-
tember 1564 an die Züricher Theologen: „dum hie cum filiolo prineipis d. Ni-
colai Radziwili studiorum causa versor, missae sunt ad me literae, quas Excel. V.
per praesentem offero rogoque vehementer, cum de eecle^iae emolumento res
agatur, Excel. \Trae non graventur paucis praenoininato prineipi ad haec scripta
respondere".
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Von Dr. Wotechke. 249
fortassis fratres volent istum filium eius, qui hie est, ad divi-
dendam haereditatem vocare, et pro illo una cum nuntio prin-
oipis mei mittere, quod etiam puto in causa esse, cur nuntius
prineipis mei tardius absolvatur. Tubingae 23. Maii 1565 ').
LXXXVH.
Herzog Albrecht an Joh. Maczinski.
Literas vestras, quibus illustris prineipis piae memoriae d.
Radziuili fratris nostri dilecti mortem multis bonis viris dolendam
commemoratis, simul et officia vestra offertis aeeepimus. Vestram
itaque operam nobis gratam esse sciatis, et quanti faciamus fidem
et diligentiam vestram ex d. Lismanino consiliario nostro intel-
ligetis. 11. Augusti 1565 2).
LXXXVIII.
König Sigismund August an Herzog Christoph.
Pergratum nobis fuit iutelligere de gratia et benevolentia
Ultfe Vrae, qua magn. Nicolaum Eadivillum clarissimi olim viri
Nicolai Badivili palatini Vilnensis filium dicitur per id tempus
fuisse prosecuta. Nunc quoniam is alias quoque orbis christiani
regiones visere constituit ad ornandam aetatem hanc suam variorum
quoque morum et institutorum externorum cognitione, ab Hl^
Vra postulamus, ut qua gratia et advenientem illum et deinde
istic commemorantem fuit prosecuta, eadem illum dimittat . . .
Datum Lublini die 23. Maii 1566.
1) Stuttgart, den 25. Mai schreibt der Herzog zurück ,,an Balthasar Le-
walten Radziwii lyschen Hofmeister jetzo zu Tübingen": lassen dir bei gegen-
wertigem brifs zeiger vnsern landtschreiber her Walther Hans Ulrich Neuffern
(KX) daler (dann es in der enge vnd stille bleiben thue) begerter massen zu-
kommen, die weiß also von jme gegen gebürender bekantnus zu empfangen".
2) An demselben Tage schrieb Paul Skalich an Maczinski: „Delectaverunt
me summopere literae tuae, delectaverunt et prineipem. qui laus deo optime
valet. Gaudeo te salvum et incolumem rumoresque de morte tua ad nos
perlatos falsos esse. Arno te ex animo. Quod autem verum est, ex literis Lis-
manini patris nostri facile intelliges".
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u. 4. 17
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250 Abraham Culvensia.
LXXXIX.
Johannes Chodkiewicz an Herzog Albrecht.
. . . Memini et grata mente saepe praedico beneficia educationis
pariter et institutionis in Regio monte accepta, certe ingratissimus
sim, ni recolere et pro mea portione recompensare* studeam.
Mitto autem in Regium montem rev. virum d. Georgium Weigelium
et de tota Lituania bene merentem sua eruditione et mihi sincere
dilectum, ut ibi quendam libellum orthodoxae de trinitate fidei
Tuae Clsnis auctoritate et consensu publieandum curet. Quem
libellum hoc magis exstare publice cupimus, quo longius ab
ariana haeresi in his regionibus grassante absumus, eum et de
Weigelii et aliorum theologorum iudicio publica luce dignissimum
et his regionibus utilissimum putamus. Quapropter Tuam Celsuem
oro, ut a theologis ibi inspectum et approbatum publicis typis
excudi permittat et solitam Weigelio gratiam oxhibeat, qui me
grata beneficiorum tuorum commemoratione saepe oblectavit.
Ad Tuae Celsni8 autem academiam potissimum mitto, quod eam
doctissimis viris recte de doctrina Christi et universa literatura
iudicantibns affluere sciam. Beneficii loco ducam, si Tuae
Celsn'8 iussu über iste Weigelio praesente quam primum editus
in lucem fuerit. Oaunae raptim 7. die Octobris 1566.
XC.
Herzog Albrecht an Joh. Chodkiewicz.
Literae Magtiae Vrae a magis tro Georgio Weigelio nobis
redditae sunt. Librum contra arianismum in inclito regno
Poloniae et magno Lithuaniae ducatu nunc temporis in dies
magis magisque proserpentem scriptum, cum in articulo trinitatis,
quem potissimum adserit, ab Augustana confessione non dissentire
et editio illius rei christianae magno usui et emolumento futura
videretur, non solum non inviti typis hie excudi passi sumus,
sed ut id fieret, sedulo curavimus. Faxit deus, ut is ad con-
futandos opprimendosque arianorum tetros errores tantum con-
ducat, quantum eius ecclesia Christi desiderat. Cum autem
Magtia Vra ad honorem in magno ducatu Lithuaniae fere prae-
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Von Dr. Wotschke. 251
cipuum divinitus evectae curae tuendae conservandaeque verae
religionis non postrema incumbat, hortamur Magfciam V1"8111 per-
quam diligenter, ut non solum arianismum sed et ceteros errores
omnes cuiuscunque nominis ab Augustanae confessionis veritate
quoquo modo discrepantes tanquam venenum non corpori, saltem
verum ipsi quoque animae mortem afferens summa perspicuitate
fugiat nihilque, quod ad restinguenda eiusdem incendia, si quando
alicubi exoriuntur, usum esse possit, praetermittat. Dat. 30. No-
vembris 1566.
XCI.
Die Altesten der Gemeinde zu Wilna an Herzog Albrecht Friedrich.
Nach wun^chung vonn gott dem allmechtigen zeitlichen vnd
ewigen segen endtbitten wir prediger vnd eldisten einer ganzen
erbaren deutschen gemein alhier zur Wilde Confessionis Augustanae
E. F. D. sampt derselben vielgeliebten fürstlichen gemahell, vnserer
gnedigen fürstin vnd frawen, beuor vnser emsiges gebeth vnnsern
freundlichen grus. Fügen demnach in aller demuth E. F. G.
ganz vnderthenigk zu wissen, weil der treue gott vnns aus lautter
gnaden sampt anderen nationen dieser örther auch vnseres glaubens
genossen so wol hohes als niedrigen Standes ein fackell des
heiligen gottlichen worts nu allhier eine Zeitlang hat leuchten
lassen, also daß wir vnsere öffentliche christliche zusammenkunffb
doch nicht sonder merkliche widerwertigkeitt aus einem orth
in dem andern gehabt, spuren vnnd merken wir noch täglichen,
das vnnsere gemein von tagk zu tagk durch gottes gnade sich
immer mehret vnnd zunimpt. Vnnd ferner nu vor wenig jharen
durch rath vnnd furderungk vnserer zugethanen herrschafften
auch beystandt anderer gutter leutte einen gewissen eigenen räum
vnnd platz für vnnser gelt erkaufft1), auf welchen wir Weiterung
1) Die Gemeinde hatte den Platz 1579 von Nikolaus Radziwiil, Fürst auf
Dubinski und Birze, für achttausend Schock Groschen gekauft. Das königliche
Privilegium für diesen Kauf, das Wilna, den 20. Oktober 1579 datiert ist, findet
sich abgedruckt bei Friese, Beitrage zur Reformationsgeschichte in Polen und
Li t hauen. Breslau 1786 II, 2, 124 ff. und Lukaszewicz, Geschichte der re-
formierten Kirchen in Lithauen. Leipzig 1848 II, S. 74.
17*
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252 Abraham Culvensis.
halber zum gehör gottliches wortts vnnd austheilung des hoch-
wirdigen sacraments notwendigk eine grossere kirche auffzubawen
vns vorgenommen. Welcher kauffvns denn etwas mat gemacht, auch
der krigk den vnnsern hierin nicht wenig geschadet, befinden wir,
das man ihre milde handt zur genzlichen volnziehungk dieses
gebendes fast verkürzet, also daß wir allein den angefangenen
christlichen baw langsam auch schwerlich zum ende bringen
werden können. Gelanget derowegen, weil es ein alther christ-
licher brauch, E. F. D. sampt Ihrem fürstlichen lieben gemahell,
vnnser gnedigen fürstin vnnd frawenn, vnnsere fleissige vnnd
demüttige bitte, sie wollen vns in diesem christlichen vornemen
auf diss mahll womit gnedigst zu hülffe kommen, damith dieses
schon angefangenes werk gott dem almechtigen zu ehr vnd
preis volendt möge erhalten vnnd gebawet werden. Vagens der
hoffhungk derselbige wirdts E. P. D. sampt irem fürstlichen
gemahell allhier mit langwiriger leibes gesundtheit vnnd glug-
seliger regierung der irigen demnach auch dort laut seiner
vätterlichen zusage vnnbelohnet nicht lassen. Wir aber, denen
solche wolthat widerfehret, wollen es iederzeit so fern wir können
und mögen, E. F. D. vnnd allen iren vnnderthanen in der
sachenn mit höchster demut vnnd wilfertigkeit wieder zuuer-
schulden vnns dienstlichen befleissigen. Datum Wilde, den
21. May 1583. E. F. D. allzeit bereitwillige diener, prediger
vnnd eldisten der kirchen daselbst Confessionis Augustanae.
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Aus dem Leben
des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
Von
Arthur Warda.
Charakteristisch für das achtzehnte
Jahrhundert ist der überreiche Schatz an
Briefwechseln und Tagebüchern, den es
uns überliefert hat.
Erich Schmidt.
Im neuen Reich. 1873. Nr. 10.
I.
1763—1799.
„Der alte Pfarrer Puttlich zu Böttchersdorf in Ostpreußen
ist zwar kein berühmter Mann gewesen/4 Mit diesen Worten
beginnt Fräulein Olga Plaschke ihre Mitteilungen „Aus einem
alten Stammbuch" in der Morgenausgabe der „Königsberger
Hartungschen Zeitung" vom 20. Oktober 1901. Es ist wohl
richtig, der Pfarrer Puttlich ist weder berühmt gewesen noch
geworden. Indessen gehört er nicht zu denjenigen Männern,
deren Namen des Andenkens der Nachwelt nur deshalb für wert
zu erachten sind, weil sie das Glück hatten, ein Stammbuch mit
Eintragungen von der Hand berühmter Männer als eigenes zu
besitzen. Der Pfarrer Puttlich hat sich auch ein Verdienst er-
worben, das ihm für alle Zeiten ein Andenken, wenigstens im
Kreise der Gelehrten sichern dürfte, nämlich um die Erforschung
der Jugendgesohichte Joh. Gottfr. v. Herders. Dieses Verdienst,
das bisher nur wenigen Spezialforschern auf dem Gebiete der
deutschen Literaturgeschichte bekannt sein dürfte, in weiteren
Kreisen, namentlich in der Heimat beider Männer bekannt
werden zu lassen, ist der Zweck dieser Arbeit.
Es wäre aber ein Bild ohne Rahmen gewesen, wenn ich
dabei die Lebensumstände Puttliohs völlig außer Acht gelassen
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254 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
hätte, und man wird es mir um so weniger verdenken, daß ich
dem Leben Puttlichs einen besonderen Teil gewidmet habe, da
dasselbe, wie sich zeigen wird, in manchen Verhältnissen Puttlichs
und dessen Beziehungen zu verschiedenen berühmten Männern,
insbesondere Ostpreußens, nicht wenig Interessantes darbietet.
Ermöglicht ist mir diese Arbeit durch das überaus gütige
Entgegenkommen des inzwischen verstorbenen Herrn Kitterguts-
besitzers Oscar Tischler zu Losgehnen und seiner Familie,
sowie des Herrn Professors Dr. E. Reicke, welche mit größter
Bereitwilligkeit mir das in ihren Händen befindliche Material für
diesen Zweck zur Benutzung überlassen haben. Es ist ja, wie
Joh. Sembritzki schreibt (Altpr. Mon. Bd. XXXIX S. 665), eine
„Forschern auf dem Gebiete der Provinzialgeschichte bekannte
Tatsache, daß es im Familienbesitz viel mehr handschriftliche
Tagebücher, Reisebeschreibungen, Briefsammlungen und Auf-
zeichnungen giebt, als man glaubt, indem sie als „Familiensachen"
meist sorgsam vor profanen Augen verborgen werden, obwohl
manches davon wohl wert wäre, veröffentlicht zu werden." Um
so dankbarer erkenne ich hier die Liberalität an, mit welcher
die Familie Tischler mir die Einsicht der Tagebücher und Briefe
Puttlichs gestattet hat.
Christian Friedrich Puttlich wurde am 20. Februar
1763 zu Mohrungen als Sohn des Glasermeisters Friedrich Putt-
lich und seiner Gattin Sophia Puttlich geb. Walter geboren.
Von seinen fünf Geschwistern starben vier, drei jüngere Brüder
und eine ältere Schwester im jugendlichen Alter, auch seine
1766 geborene Schwester Anna Regina, die sich 1785 mit dem
Kaufmann und späteren Bürgermeister Wolinski in Mohrungen
verheiratet hatte, starb bereits 1793 mit Hinterlassung von drei
Kindern. Nachdem Puttlich am 26. Oktober 1777 von dem
Pfarrer Skubich eingesegnet und dann vom 6. Januar 1778 ab
noch ein Vierteljahr bei dem Kantor Obler in Mohrungen in die
„Spielstunde'4 gegangen war, reiste er am 27. Mai 1778 nach
Königsberg i. Pr. und wurde am 3. Juni 1778 in das Kollegium
Fridericianum aufgenommen. Hier als Schüler bereits begann
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Von Arthur Warda. 255
Puttlich tagebuchartige Aufzeichnungen zu machen, die er später
teils in Form eigentlicher Tagebücher, teils als Eintragungen in
Schreibkalendern fast ununterbrochen bis zu seinem Tode fort-
gesetzt hat1). Diese Aufzeichnungen geben uns ein beinahe
vollständiges Bild seines äußeren Lebensganges und auch durch
die eingestreuten Betrachtungen ein Bild der Entwickelung
seines Geistes- und Gefühlslebens, das durch den zum größten
Teil erhaltenen Briefwechsel Puttlichs mit seiner Braut und
späteren Gattin wesentlich vervollständigt wird. Aber nicht nur
ihn selbst lernen wir aus diesen Aufzeichnungen kennen, sondern
viele Personen, mit denen er in nähere Berührung gekommen
ist2). So manche seiner charakteristischen Bemerkungen über
verschiedene literarisch und sonst bedeutende Männer würden
von Interesse sein, aber die Mitteilung derselben geht über den
Bahmen dieser Skizze hinaus; nur einzelnes über Personen und
Ereignisse jener Zeit habe ich aus dem Tagebuch im Anhang
zusammengestellt.
Am 23. März 1782 wurde Puttlich auf der Universität zu
Königsberg i. P. immatriculiert. Hier hörte er zunächst mathe-
matisch-physikalische, rein philosophische, erst später theologische
Vorlesungen, bei den Professoren Bück, Kant, Reccard, Schulz,
Pisansky, Hasse u. and. Am meisten scheinen ihn die Vor-
lesungen von Bück und Reccard interessiert zu haben, wie aus
seinen vielfachen Aufzeichnungen aus denselben in seinem Tage-
1) Schreibt er doch selbst später in einem Briefe an seine Braut vom
6. November 1792: „Jede genossene und durch die Rückerinnerung wieder
vergegenwärtigte Freude ist so herzlabend, daß ich in dieser Rücksicht schon
jedem, der sich in seine vorige Lage gerne wieder zurückdenken mag, das
Halten eines Tagebuchs empfehlen würde."
2) So war Puttlich in seinen Knabenjahren und auch bei seinen späteren
öfteren Besuchen in Mohrungen mit vielen Personen bekannt geworden, die uns
in Herders Lebensgeschichte begegnen. Der Sohn der Schwester Herders,
Christian Neumann, war sein Mitschüler in Mohrungen gewesen. Ueber
S. F. Trescho hat Puttlich in seinem Tagebuch gleich an erster Stelle vermerkt:
„Anno 1733 d. 9. Decembr: ist Sebastian Friedrich Trescho gebohren, als
Diaconus bey der Mohrungschen Kirche ist er vom Hr. Erzpriester Pisansky
d. 28. Septembr 1760 introducirt worden.'-
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256 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
buch hervorgeht1). Kant scheint im Vergleich zu anderen Pro-
fessoren weniger Eindruck auf Puttlich gemacht zu haben; er
hörte bei Kant namentlich Anthropologie und physische Geo-
graphie, erstere im Wintersemester 1782/83 und 1784/85, letztere
im Sommersemester 1782 und 1785. Seine Kolleghefte nach
diesen Vorlesungen sind noch vorhanden, dieselben sind indessen
nur Abschriften von den Kollegheften anderer (über Anthro-
pologie von seinem Freunde C. Weber, über physische Geo-
graphie von G. L. H. Nicolovius), aber mit Bemerkungen noch
aus viel späterer Zeit versehen, woraus zu schließen ist, daß
Puttlich dauernd diesen Gegenständen sein Interesse dargebracht
hat2). Die meisten Vorlesungen hat Puttlich wohl unentgeltlich
gehört; seine Eltern konnten ihm ausreichende Unterstützung
nicht geben, und er war daher genötigt, sich seinen Unterhalt
größtenteils durch vielfaches Unterrichten und Anfertigung
schriftlicher Arbeiten zu erwerben8). Eine Zeitlang wohnte
Puttlich bei dem Kammersekretär John, dessen Kindern er
auch Stunden gab, und sein Tagebuch giebt interessante Auf-
schlüsse über die eigenartigen ungeregelten Verhältnisse, in
denen dieser in der damaligen litterarischen Welt Königsbergs
berühmte Mann lebte (vgl. Goldbeck Litt. Nachr. v. Preußen
Bd. IS. 61 Bd. II S. 40). Hier lernte Puttlich auch ver-
1) Zwischen G. C. Pisanski und dem Diaconus Trescho, der ihn anj enen
empfohlen hatte, vermittelte er oft Briefe, sobald er nach Mohrungen fuhr oder
von dort zurückkehrte.
2) Das Heft über Anthropologie ist im Besitz des Herrn Prof. Dr. R.
Reicke, das Heft über physische Geographie in meinem Besitz.
3) So schrieb Puttlich in der Zeit vom 25. November bis 7. Dezember
1782 für den Kandidaten Friedr. Sam. Mohr (vgl. Goldbeck Litter. Nachr. I,
87. II, 78) den Katalog des Saturgusschen Naturalienkabinets zum Druck ab,
der von Mohr herausgegeben unter dem Titel erschien: > Beschreibung ver-
schiedener Seltenheiten der Natur, der Kunst und des Altertums, welche in dem
Kabinette des Commerzienrath Saturgus zu Königsberg in Preußen einige Aufmerk-
samkeit und Betrachtung verdienen, in zweien Theilen, verfertiget im Jahre 1782*
(kl. 8°, 111 8.) und am Schluß vom 23. Wintermond 1782'- datiert ist. Irgend
welche Erwähnung einer Tätigkeit Kants bei diesem Naturalienkabinet findet
sich auch hier nicht (vgl. Altpr. Mon. Bd. XXXVI S. 5231
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Von Arthur Warda. 257
schiedene andere litterarisch tätige Männer, wie den Referendar
Herklots und den späteren Stadtinspektor Brahl und außerdem
manche Schauspieler kennen, die häufig bei John verkehrten;
damit aber hatte er auch häufig Gelegenheit zum Besuch des
Theaters. Während seiner Universitätszeit verkehrte Puttlich
namentlich mit den ihm von der Schule her befreundeten Ge-
nossen, so mit Carl Bernhard Fleischer, dem Sohn des Kammer-
Kanzleiverwandten Fleischer, C. Weber, Loschitzky u. and.
Eine besonders innige Freundschaft verband ihn aber mit Georg
Heinrich Ludwig Nicolovius (vgl. Nicolovius, Denkschrift
auf G. H. L. Nicolovius. Bonn 1841), der am 28. September
1782 aus dem Kollegium Fridericianum entlassen wurde. Diese
Freundschaft währte, wenn auch später infolge der dauernden
Trennung beider der Briefwechsel zwischen ihnen nicht mehr
rege war, doch bis zu Puttlichs Tode. Nicolovius machte ihn
auch mit seinen beiden Brüdern Friedrich Matthias, dem späteren
Buchhändler (Neue Preuß. Prov.-Bl. IX S. 284 ff) und Theodor
Balthasar, dem späteren Begierungspräsidenten (Preuß. Prov.-
Bl. Bd. VIII S. 93 ff) bekannt und auch mit diesen blieb Putt-
lich noch viele Jahre befreundet.
Eifrig war Puttlich in seinen Universitätsjahren bemüht,
sein Wissen auch außerhalb der Hörsäle zu erweitern. So nahm
er an einem Lesezirkel des Schulkollegen Falk teil, wo er ver-
schiedene auswärtige gelehrte Zeitungen las: mit Nicolovius
zusammen las er die Jenaische Allgemeine Litteraturzeitung.
Frühe auch schon spricht er in seinem Tagebuch von seinem
Streben, sich eingehende Menschenkenntnis zu erwerben, da ihm
dies für die Zukunft, namentlich bei dem Berufe eines Geist-
lichen von großem Nutzen sein würde. Eine Lieblingsbeschäftigung
Puttlichs, besonders in seinen Universitätsjahren, war es, sich
genaue Notizen über die Witterung eines jeden Tages zu machen ;
er schreibt selbst hierüber einmal an seine spätere Braut:
„Bald würden Hie mich für einen Wetterpropheten halten können, und
ich würde auch, ohne Großsprechung, nicht gemeine Einsichten in die Witterungs-
kunde besitzen, da ich vor einigen Jahren ein ho fleissiger und emsiger Wetter-
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258 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
beobachter war, dasz selbst mein Freund Nikolovius, da er die Aufzeichnung
von jeder abwechselnden Witterung so sorgfältig und genau in meinem Tage-
buch aufgezeichnet fand, mich den preußischen Meteorologen nannte und eich
bey mir öfters Raths erholte, wenn es auf Vorausbestimmung des Wetters
ankam. Dies Studium habe ich aber schon seit einiger Zeit aufgegeben und
stelle jetzt beständig bey einem andern Barometer Betrachtungen über die
Witterung in der moralischen Welt an, davon der Erfolg mit größerm Nutzen
für mich und andere verbunden ist."
Über den Grund, weshalb er jene Beschäftigung bereits im
Jahre 1787 freilich nicht endgültig — denn Witterungsnotizen
hat er auch noch in viel späteren Jahren gemacht — aufgab,
schreibt er unter dem 10. Januar 1787 in seinem Tagebuch:
„Ich zeichnete mir jetzt meine tag]. Bemerkungen über die Witterung
nicht mehr auf, weil ich alle Hofnung aufgab je ein Meteorolog zu werden,
und ward hierin auch durch einen Aufsatz im November der Berl. Monats-
schrift von 1786 Ueber Wetterprophezeyungen vom Pred. Gronau der auch
hierauf Verzicht gethau, noch mehr bewogen."
Indessen war es Puttlich nach Beendigung seiner Studien
auf die Dauer nicht möglich, seinen Unterhalt in Königsberg zu
bestreiten, und er entschloß sich zu Anfang des Jahres 1787
eine Erzieherstelle außerhalb Königsbergs anzunehmen. Durch
den Hofprediger Crichton wurde ihm die von seinem Freunde
Fleischer bereits ausgeschlagene Stelle eines Hofmeisters im
Hause des Grafen v. d. Groben zu Gr. Klingbeck angeboten,
wo er vier Söhne Louis, Hans, Ernst und Sigismund unterrichten
sollte. Am 1. März 1787 trat er, von Crichton mit Ratschlägen
in betreff der Erziehung der Junker und seines Benehmens im
adlichen Hause unterstützt, diese Stellung an und hat dieselbe
bis zum 29. April 1793 inne gehabt, da die beiden jüngsten
Junker alsdann in das Gräflich Gröbensche Stipendienhaus in
Königsberg aufgenommen wurden. Der Aufenthalt in Gr. Kling-
beck ist für Puttlich in mehrfacher Beziehung von Bedeutung
gewesen.
Wie es von Kant erzählt wird, daß er während seiner
Hauslehrerzeit bei dem Verkehr mit adligen Familien „in der
feinen Lebensart manches" angenommen habe, so gilt dies auch
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Vou Arthur Warda. 259
von Puttlich, und es mag sein, daß er durch den jahrelangen
Umgang in diesem Hause, wo so viele adlige Familien und hohe
Standespersonen verkehrten, verwöhnt wurde, so daß es ihm
später in den beschränkten Verhältnissen als Dorfpfarrer nie
recht gefallen mochte, und ihn sein Verlangen immer nach
Königsberg zog, zumal da er auch für seine geistigen Interessen
in der Abgeschiedenheit eines Landgeistlichen nicht die genügende
Anregung fand. Leicht wurde es ihm, durch sein gefälliges
Wesen, sein vielseitiges Wissen und auch — seine Geschicklichkeit
in Arrangements bei Familienfestlichkeiten sich im Gröbenschen
Hause bei allen in Gunst zu setzen und auch das Wohlwollen
der dort Verkehrenden zu erwerben. Nur mag Puttlich auch
vielleicht hierauf zu große Hoffnungen für die Gestaltung seiner
Zukunft gesetzt haben, denn als er später so oft hier und dort
bat, aus mancher unverschuldeten traurigen Lage befreit zu
werden, mußte er die bittere Erfahrung machen, lediglich mit
Worten getröstet zu werden, wo er auf tatkräftige Hilfe
rechnen zu können glaubte. Da mag er denn auch die Wahr-
heit jenes Spruches erfahren haben, den Kant 1757 in ein
Stammbuch schrieb:
„Großen Herren und schönen Frauen
Soll man wohl dienen, doch wenig trauen.4'
Der Aufenthalt in Gr. Klingbeck wurde aber in einer andern
Hinsicht für Puttlich viel bedeutungsvoller; er machte hier die
Bekanntschaft seiner späteren Braut und Gattin. Zu den in
Gr. Klingbeck häufig verkehrenden Gästen gehörte nämlich die
Familie v. Brederlow auf Gr. Lauth. Gegen Ende des Jahres 1789
wurde der junge Sohn der Frau v. Brederlow aus erster Ehe,
Eduard v. d. Golz, zur gemeinsamen Erziehung mit den Gröbenschen
Junkern nach Gr. Klingbeck gegeben, während er bisher in
Gr. Lauth unter Aufsicht des als Gesellschafterin im Brederlow-
schen Hause tätigen Fräuleins Wilhelmine Assum gewesen war.
Friderike Wilhelmine Luise Eleonore von Assum
war als Tochter des Königlich Preußischen Kapitäns Johann
Wolfgang von Assum und seiner Gemahlin Sophia Christina
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260 Aus dem I^ben der Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
Franzisca Sauer (Tochter des Amtmanns Franz Jacob Sauer aus
Wertheim) zu Berlin am 21. Januar 1768 geboren. Ihre Eltern
waren nach der Hochzeit im Jahre 1767 aus ihrer gemeinsamen
Vaterstadt, der freien Reichsstadt Wertheim, wo die Mutter im
regierenden gräflichen Hause erzogen war, nach Berlin gezogen.
Infolge bald eingetretener trauriger Familienverhältnisse wurde
Wilhelmine Assum ( — sie selbst hat sich nie des Adelsprädikats
bedient — ) von einem Landrat von Zinnow eine Zeit lang als
Kind angenommen, erhielt hier aber keine gute Erziehung.
Als ihre Mutter später durch eine Verwandte die Bekannt-
schaft der Geheimen Eätin Ballhorn machte, erfuhr sie von
dieser, daß deren Bruder, der Kriegsrat Deutsch, der an der
Verbesserung der Erziehungsanstalt für Offizierstöchter im König-
lichen Waisenhause zu Potsdam arbeitete, eine Erzieherin bei
dieser Anstalt suchte. Wilhelmines Mutter war bereit, diesen
Posten zu übernehmen. „Es war im Jahr 1776 am 13. Februar",
so schreibt Wilhelmine Assum an Puttlich in einem Briefe vom
7. Februar 1792, in welchem sie ihm die traurige Geschichte
ihrer Jugend erzählt, „als wir den edlen Mann und Menschen-
freund zuerst kennen lernten. Es ist ihm eigen sogleich aller
Herzen zu gewinnen — auch die unsrigen wurden ihm am ersten
Tage zugethan". Ostern 1776 trat Wilhelmines Mutter ihre
Stellung an, starb aber bereits am 3. Oktober 1778. Wilhelmine
Assum blieb anfangs bei Verwandten und bei Kriegsrat Deutsch
und wurde dann in die Zahl der Waisenhauszöglinge aufgenommen,
unter denen sie bis zu ihrem 14. Jahre verblieb. Als Kriegsrat
Deutsch etwa 1782 sich auf das Gut Graventin bei Pr. Eylau
zurückzog, nahm er vermutlich Wilhelmine Assum mit sich und
behielt sie wohl bis zum Antritt ihrer Stellung im Brederlowschen
Hause bei sich. Ihr Vater soll etwa 1790 unweit Wertheim
gestorben, sein Tod, wie Wilhelmine Assum selbst erzählt, in
der Literatur- oder einer anderen Zeitung angezeigt gewesen sein,
ohne Nennung des Namens, doch kenntlich für die, welche ihn
kannten.
Im Sommer 1790 scheint die erste Begegnung zwischen
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Von Arthur Warda. 261
Puttlich und Wilhelmine Assum stattgefunden zu haben; beide
sahen sich dann öfters bald in Lauth bald in Klingbeck. Es
war nur natürlich, daß beide, gleichermaßen erfüllt von sittlich
ernster Lebensauffassung und beseelt von einem jugendlich
warmen Gefühl für alles Schöne und Edle sich zu einander hin-
gezogen fühlten und sich bald gegenseitig Vertrauen darbrachten.
Wilhelmine Assum behagte es in ihrer Stellung nicht, da die
Lebensweise in jenem Hause ihr nicht zusagte, sie auch bei der
Frau des Hauses kein Verständnis und Entgegenkommen fand,
dessen sie als Waise doch so sehr bedurfte. Niemand in ihrer
Umgebung nahm aufrichtiges Interesse an ihr, keinem teil-
nehmenden Herzen konnte sie sich dort anvertrauen, und so
war es kein Wunder, daß sie gerade Puttlich, bei dem sie aus
ihren gemeinsamen Gesprächen ein warmes Mitgefühl erkannt
hatte, mit ihrer traurigen Lage bekannt machte. Es entspann
sich zwischen beiden ein reger Briefwechsel, der nicht nur durch
den Gedankenaustausch über ihre beiderseitigen Verhältnisse
und Zukunftspläne ein herrliches Bild von dem Seelenleben der
Beiden gewährt, sondern auch durch die Besprechung mancher
Ereignisse in der politischen Welt ein kulturgeschichtliches
Interesse darbietet. Ich muß mich jedoch auf einige wenige
Auszüge aus dem Briefwechsel beschränken.
Am 12. Januar 1792 schreibt Puttlich:
,.Doch kann es ohne dies auch leicht geschehen, daß ich meinen Wander-
stab ergreife und mich aus den preußischen Staaten entferne, denn nach der
jetzt errichteten Religionskommission in Berlin finde ich Anlaß genug dazu,
weil ich, wenn ich nicht ein ganz steifer Orthodoxe sey, und das nicht glaube
u lehre, was Hermes, Woltersdorf, Hillmer u Konsorten glauben und lehren,
auch nicht mit gutem Gewissen ein Volkslehrer in den preußischen Ländern
werden kann. Sie werden fragen: woher ich das weiß und fürchte? Aus
einer ganz neuen Schrift, liebe Freundin, die ich nur vor einigen Tagen von
Nikolov zugeschickt erhielt und die den Titel führt: ,.Freymüthige Betrachtungen
und ehrerbietige Vorstellungen über die neuen preußischen Anordnungen in
geistl. Sachen1)." O Freundin! nicht leicht hat je eine Schrift solche Sensation
1) Freimüthige Betrachtungen und ehrerbietige Vorstellungen über die
neuen Preußischen Anordnungen in geistlichen Sachen. (Motto) Germanien 1791.
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262 Au8 dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
bey mir erregt als diese, die es recht einleuchtend zeigt wie man jetzt gegen
alle wahre Aufklärung eifert und das Licht verdunkelt das t so wohlthatig die
preußischen Lander erleuchtete, ja wie die Instruktion für die Examinations-
kommission in geistl. Bachen dem allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen
Staaten offenbar widerspreche, das da sagt: „Jedem Einwohner im Staate
muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissenfreyheit gestattet werden."
Könnte ich sie doch Ihrem aufgeklärten Freunde Deutsch zum Durchlesen
vor Augen legen, damit er mir seine Meynung über diese wichtige Sache
sagen möchte."
Wilhelmine Assum antwortet darauf am 7. Februar 1792:
„Auch K)ieg8rath Deutsch hatte grade die neue Schrift mitgetheilt
erhalten, von der Sie mir Freund sagen — daß sie bei Ihnen soviel Sensation
erregt hat — nehmlich die den Titel führt — „Freymüthige Betrachtung u
ehrerbietige Vorstellungen über die neuen preußischen Anordnungen in geist-
lichen Sachen" auch er eifert sehr wider das ganze Chor der Herrn Meinungs
und Glaubensrichter, unter denen nach der Kenntniß die er von ihnen hat,
mancher ist, von dem ein andrer ehrlicher Mann, wenn er nicht zu bescheiden
dazu wäre, mit Recht sagen könne, sie sind nicht werth mir die Schuhe zu
lösen, und solche werfen sich jezt auf, suchen sich gültig zu machen und
wollen ganze Länder reformieren. Doch glaubt er auch daß von der ganzen
Sache mehr Lärmen und Geschrei ist ab dabei wirklich zu befürchten sei —
und daß von der sehr strengen Instruktion für die Examinations Commission
wohl wenig erfüllt werden dürfte, es dürfte nur einer freimüthig auftreten und
den HE. selbst die Frage vorlegen: was Sie eigentlich Ortodoxie nennen —
und er sei überzeugt daß wenn man sie in den gewöhnlichen Sätzen annähme,
die Herrn — besonders vom Königsbergschen Konsistorium — verstummen
würden: indem sie sich nach ihren eignen Meinungen, gewiß nicht als Ortodoxen
geltend machen können und auch nicht im Stande seyn würden einen guten
geschickten Mann unglücklich zu machen. Freilich lautet es abschreckend,
wenn es heist: „Alle Candidaten die sich zum Kirchen- und Schuldienst
melden, müssen vor dem Examen genau geprüft werden, ob sie auch von der
sogenannten Lehre der Erleuchteten angesteckt sind, damit sie in diesem Falle
von den Kanzeln entfernt u Kirchen u Schulen nur mit recht gearteten Dienern
Jesu bestellt werden." — — Aber dennoch lieber Freund, dächte ich warteten
Sie noch etwas ab, ehe Sie Ihren Wanderstab ergreifen u sich aus den
preußischen Staaten entfernen, ich hoffe noch immer, daß der jezt aufsteigende
Nebel sich nicht wird verbreiten können, daß er gleich einem leichten Rauch
bald vertheilt sein und so dem Licht nicht mehr hinderlich sein wird seine
(108 S.) Dagegen erschien: Anmerkungen zu der Schrift: Freymüthige
1791. Berlin, 1792. (4t> S.)
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Von Arthur Warda. 263
wohlthätigen Strahlen zu verbreiten, ein jeder wahrhaft Aufgeklärte wird dann
auch sein Licht leuchten lassen können frey vor den Leuten, so gut und so
hell er kann — ."
Später, in einem Briefe vom 24. April 1792, kommt Putt-
lich noch einmal auf diese Angelegenheit und auch auf den
£eligionsprozeß des Predigers Schulz zu Gielsdorf, eines der
ersten Opfer der Examinations-Kommission,1) dessen Schicksal
ihn sehr interessierte, zu sprechen:
„Ich hoffe, daß ich dann auch einen nähern Aufschluß von dem Erfolg
der Religionskommission haben werde, so wie von dem Schicksal des Prediger
Schulz zu Gielsdorf, dessen Vertheidigungsschrift von Kriminalrath Amelang
ich in voriger Woche aus der Nikoloviusschen Buchhandlung geheftet erhalten,
mit Erstaunen durchgelesen habe .... Wären Sie mir doch näher damit
ich Ihnen dergleichen Sachen zuschicken könnte, damit Sic daraus urtheilen,
wie meine geäußerten Besorgnisse nicht ohne Grund sind."
Wilhelmine Assum schreibt ihm darüber ihre Ansicht am
13. Juni 1792:
„Gestern da das Regenwetter uns keinen Spatziergang vergönnte, las
ich Nachmittags die Amelangsche Vertheidigung des Prediger Schulz zu Gielsdorf
vor, von welcher Sie mir geschrieben, daß Sie sie mit Erstaunen gelesen, ich
wünschte Sie hätten sich näher über die Art Ihres Erstaunens erklärt, ob über
die Lehren des Schulz, seine Feinde oder seinen Verteidiger: um zu wissen, ob
mein Staunen mit dem Ihrigen einerley Quellen gehabt Da ich weiß, daß
Sie nicht eifriger Anhänger von Hermes und Hilmer sind, so darfs ich wohl
ohne von Ihnen verketzert zu werden hier frey gestehen, daß mir das Schicksal
des armen Prediger Schulz, der jezt wirklich sein Amt verlohren haben soll,
sehr nahe geht. Höchst unzufrieden bin ich mit den bösen Inquisitoren, von
denen vielleicht keiner einen so moralisch guten Lebenswandel aufzuzeigen hat,
als er, der bis zu seiner eigenen gerichtlichen Aussage — wo er auch alle unsre
Religionssätze verwirft meinen völligen Beifall hatte. Seinen Handlungen nach
stimmte er ganz mit dem Ideal überein, welches ich mir von einem guten Land-
prediger mache. Ueberhaupt möchten nur alle Volkslehrer so uneigennützig
Lehrer, Wohlthäter, Väter ihrer Gemeine seyn und sie so zu ihren Pflichten
treuen Menschen bilden, als Schulz in Gielsdorf that, wo alle durch sein
26 jähriges Beispiel geleitet, gut und untadelhaft lebten. Aber dessen werden
sich wohl wenige rühmen können; ich kann wenigstens hier aus der um-
1) Vgl. L. Volkmar, Religions-Process des Prediger Schulz zu Gielsdorf,
gen. Zopfschulz, ein Lichtfreund des 18. Jahrh. Leipzig 1846.
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264 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
liegenden Gegend mit allem Recht ihrer 4 zahlen die wohl alle was ihre I^ehre
anbetrift Ortodoxen sind, die aber alle ihren Stand entwürdigen; die sich durch
ungebührlichen Stolz, oder zu genaue Vertraulichkeit mit gemeinen Leuten,
durch Eigennuz und Habgier oder zu großer Anhänglichkeit an Acker und
Gartenbau, worüber die Gemeine hintenangesetzt wird, alles Vertrauen ver-
scherzen, sich verwerflich machen. . . . Mir fällt immer die Schriftstelle ein:
wo unser erhabenster Lehrer Jesus selbst sagt; „Es werden nicht alle die zu
- mir sagen Herr! Herr! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun
deß der mich gesandt hat."
Inzwischen, wohl im April 1792, hatte Wilhelmine Assum
ihre Stellung in Lauth aufgegeben, nachdem sie von ihrem väter-
lichen Wohltäter Deutsch ein liebevolles Ermahnungsschreiben
(vom 11. November 1791) erhalten hatte, das ich zur Charakteristik
des Schreibers hier im wesentlichen mitteile:
„Sie haben nicht dem Rathe eines Freundes, sondern Ihrer eigenen Er-
fahrung die Erkenntniß zu danken: daß Unbesonnenheit uns leicht elend und
unglücklich machen kann; daß selbst unsere Unschuld uns nicht hilft wenn
wir durch eigne Schuld den Schein gegen uns haben; und daß ein Madchen
nicht vorsichtig genug verfahren kann, wenn es auf die Erhaltung ihrer
Tugend und ihres guten Nahmens ankommt. Was helfen uns die herrlichsten
Erfahrungen, wenn wir sie nicht benutzen. Lassen Sie daher in Ihren künf-
tigen neuen Verhältnissen nichts von der strengen Aufmerksamkeit auf sich
selbst, nichts von der zuvorkommenden Gefälligkeit gegen Ihre Dame, nichts
von der Genauigkeit in Erfüllung Ihrer Pflichten, nichts von der aufmerk-
samsten Beobachtung Ihrer selbst nach. Sie sehen, mein Kind, daß es von
unserer Seite nur ernsthafter Entschließungen bedarf. Sie sehen, daß wenn
uns auch einer oder der andere verkennt und falsch beurtheilt, sich immer
andere finden die uns Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Aber vergessen Sie
nie, daß es besser ist Gerechtigkeit erlangen zu können, als um Nachsicht
und Mitleid bitten zu müssen 1 Sie sind nun in einem Alter, wo Sie die
Zügel Ihrer eigenen Selbstbeherrschung führen müssen; wie wenig wurden Sie
im Stande sein andere da anzuführen, wenn Sie dies nicht wolten oder nicht
könnten! Handeln und denken Sie immer, sich selbst bewußt, daß der
Richter der Welt Zeuge der verborgensten Handlung, Zeuge des geheimsten
Gedankens ist. Bringen Sie es dahin, daß Sie sich selbst hochschätzen
können, und ich bin Ihnen Bürge für die Achtung eines ieden guten
Menschen *),•'
1) Unter den großen Männern Ostpreußens aus jener Zeit, deren Charakter
ein Vorbild für alle Zeiten sein muß, ist Kriegsrat Deutsch fast nie genannt,
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Von Arthur Warda. 265
Nach kirffcem Aufenthalt im Deutschen Hause trat Wilhelmine
Assum eine neue Stellung als Gesellschafterin der Gemahlin des
Rittmeisters von Domhardt iu Jesau an1). Hier verlebte sie
den Sommer meist auf dem Lande, während sie zum Winter
mit der Familie v. Domhardt in deren Haus in Königsberg,
später nach der Scheidung der Domhardtschen Eheleute ganz
dahin übersiedelte. Wie eine Mutter hat die Dame dieses
Hauses, die selbst in traurigen Familienverhältnissen sich befand,
sich ihrer angenommen und für sie gesorgt.
Puttlich hatte im August 1792 eine Reise nach seiner
Vaterstadt zum Besuch seiner Mutter gemacht und teilt seine
dortigen Erlebnisse in einem Briefe an Wilhelmine Assum vom
10. November 1792 mit. Er erwähnt den im Hause seiner
Mutter wohnenden Lieutenant v. Krokow, Sohn des Oberst von
während ihm ein Platz zur Seite Scheffners gebührt. Eie Biographie dieses
würdigen Mannes, dessen Nachkommen noch heute im Besitze von Graventin
»ind, wäre eine Pflicht ostpreußischer Geschichtsforscher. Es sei hier nur auf
die Charakteristik Deutschs von Hippel in seinen Briefen an Scheffner (Hippels
Werke Bd. XIV S. 273 und 343) hingewiesen. Ich füge noch eine Stelle aus
einem Briefe von Deutsch an Wilhelmine Puttlich vom 26. April 1811 hinzu,
worin Deutsch für ihren Glückwunsch zu seinem Geburtstage dankt und
schreibt: „Nur die Hofnung einer nahen Ruhe jenseit des Lebens macht es
diesseit erträglich! Doch warum sollte ich klagen? habe ich nicht mein Gutes
reichlieh genossen? und mit welchem Rechte solte wohl ich? eine Ausnahme
von dem allgemeinen Elende fordern, unter dem izt alles seufzt, und wehmüthig
auf den noch Elenderen hinsieht, ohne helfen oder retten zu können? ....
In einer Zeit wie die gegenwärtige ist glaube ich, das beste gar keinen Plan für
die Zukunft machen da ihn vielleicht der nächste Augenblick, noch ehe er
fertig war, zertrümmert. Thun was man kann, und Gelingen oder Mißlingen
der Vorsicht zu überlaßen. Wer ist izt wohl im Stande seinen Kindern durch
Erziehung eine Richtung zu geben, wie sie vielleicht die nächste Generazion
brauchen wird. Aufopferungen, Entbehrungen, Entsagung ihrer heiligsten und
billigsten Forderungen — das werden sie fürchte ich nicht entbehren können.
Wie sollen wir sie das lehren? — Die Zeit wird es thun so wie sie endlich,
freilich wenn wir schon lange von des Lebens Mühe ausruhen, auch alle Wunden
heilen wird Wir wollen so sorgfältig es sein kann die Blumen am Wege
des Lebens pflücken; sind es in diesem rauhen Winter auch nur Schneeblürachen
— es wird ja einst wieder Sommer werden — Die Rosen werden — wenigstens
unsern Nachkommen blühen."
1) Ueber die Familie von Domhardt vergl. Preuss. Archiv, October 1791.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLU. Hft. 3 u. 4. 18
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266 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
Krokow „auf seinen Gütern hinter Danzig in Pommern", nennt
dessen Mutter eine sehr geistvolle Dame und Korrespondentin
des Grafen v. Herzberg und erzählt dann weiterhin aus Moh-
rungen.
„Kaplan Trescho, durch seine Sterbebibel und andere Schriften in der
gelehrten Welt bekannt genug, ist in seinem Colibat noch so völlig wie
sonst, und scheint in seinem angehenden Alter sich garnicht zu verändern.
Die Mohrunger schreiben ihm einen geistlichen Stolz zu, und hierin
mögen sie wohl nach meinem Urtheil auch nicht so unrecht haben.
Er bat mich einmal für ihn zu predigen, welches denn auch ge-
schah. Nach der Predigt bat er mich eine Tasse Kaffee mit ihm
in seinem Gärtchen zu trinken, wo er mir aus Unvorsichtigkeit fast
die ganze Kanne brühenden Kaffees auf die schwarze Kleidung goß. Es ist
aber nicht viel davon mehr zu kennen und das Wenige ist mir Erinnerung an
ihn u jenen Sonntag. Er deprecirte mich deswegen sehr und machte Abends
beym Essen alles durch seine aufgeweckte Laune wieder gut, ob ich ihm gleich
diesen kleinen Fehler auf der Stelle von Herzen gern verzieh. Sonst lebt er
einen guten Tag, und ist doch dabey recht wirtschaftlich. Wenn der liebe
Mann sich nur nicht so sehr in alle Angelegenheiten der Morungschen Ge-
meine mischen möchte. Viele sind deswegen mit ihm nicht so ganz
zufrieden."
„Am 27 August besuchte mich Vormittag der Landschaftskanzellist
Fritsch und bat mich mit meinem Schwager auf Nachmittag zu sich. Ich
nahm diese Einladung um so lieber an, da ich dann Anlaß fand von dem
neuen Institut der Mohrungschen ökonomisch physikalischen Gesellschaft näher
unterrichtet zu weiden. Es freute mich sehr nicht nur hierin zu meinem
Zweck zu kommen, sondern auch das neu angelegte Naturalienkabinet und
die zum Behuf der Experimentalphysik angeschafte Instrumente zu sehen.
Mit der vorletzten Post hatte die Mutter des genannten Grafen v. Krokow
einen sehr ansehnlichen Beitrag von vielen zum Theil seltnen Naturalienstücken
der Gesellschaft als ein Geschenk geliefert, und es zugleich als ihr Mitglied
mit einem Schreiben, das ich als etwas Interessantes zum Durchlesen erhielt,
begleitet. Da dies Geschenk noch so wie es angekommen war in einem Be-
hältniß eingepackt sich befand, so bat mich der Kanzellist Fritsch, der zugleich
Bibliothekar der Gesellschaft ist, ihm in Anordnung und Aufstellung dieser
Sachen nach der Anweisung des dabey befindlichen Verzeichnisses behül flieh
zu seyn. Dies that ich recht gerne, und sähe da manches schöne Stück das
mir noch nie zu Gesicht gekommen war, Alles war für mich sehr interessant,
sowohl die Sammlung von Conchylien als Mineralien. Unter den erstem ge-
fiel mir ungemein die große Flügelschnecke mit rother Mündung, die Pabst-
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Von Arthur Warda. 267
kröne und Bischofsmütze, eine Anzahl feiner Perlen, u unter letztern sah ich
verschiedne Marmorarten, besonders ein Stück Kararischen Marmor, rohe Erze,
und verschiedene Versteinerungen, auch noch den Asbest und Otaheitische
Leinewand. Unter der altern Sammlung, welche ein Geschenk von der
Generalin von Schulz auf Karmitten ist, befinden sich unter andern Selten-
heiten verschiedene Petrefakten, die Rose von Jericho, die in ein Glas Wasser
gesetzt die Nacht über aufblühet, einen kleinen künstlichen. Spinnrocken aus
Elfenbein gedrechselt, dessen Ringel man nur durch ein Mikroskop erkennen
kann. Die Generalin hat der Gesellschaft auch drey Alterthumsstücke ge-
schenkt, die ich in meinen Händen hielt und mit besondern Empfindungen
betrachtete. Eins ist eine Helleparde aus der bekannten Tannenbergschen
Schlacht vom 14ten Jul. 1410 her; das andere ist ein Tatarisches Messer
dessen Stiel schon etwas petrefecirt ist und das dritte Stück ist ein alter
silberner Sporn, den die deutschen Ordensritter getragen, und von den heurigen
in Ansehung seiner Form sehr abweicht. Diese Antiquitäten sind beym Aus-
pflügen des Ackers im Oberlande gefunden worden. Die Gesellschaft hat
auch viele hölzerne Modelle von neuen Ackergeräthschaften verfertigen lassen,
nach diesen werden größere gearbeitet uud damit Versuche gemacht. Das
Junkersche Sonnen mikroskop mit allem Zubehör besitzt sie auch, und der
Graf v. Dohna auf Schlobitten hat für sie eine große Elektrisirmaschine mit
dem vollständigen Apparat angekauft. Dieser Graf läßt auch in dem Schlosse
einen langen Speisesaal für sie, so wie ein besonderes Zimmer für ihre Biblio-
thek bauen, und wendet überhaupt viel darauf. Ehe wir noch fortgingen, las
ich zuerst die vom Könige u dem Grafen v. Herzberg unterzeichnete Urkunde
u Bestätigung dieser Gesellschaft durch, u ließ mir zugleich einen Abdruck
von ihrem großen Siegel geben. Der große Graf v. Herzberg nimmt sich
dieses Instituts sehr thätig an, und will vorzüglich dabey die größere Seiden-
kultur beabsichtigen. Er erwähnt in seinen in der öffentlichen Versammlung
der Akad. d. Wissensch. gehaltenen Vorlesungen am 26ten Januar d. J. der
drey itzt gestifteten patriotischen Gesellschaften in den preußischen Ländern,
nehm lieh (wie die Berl. Monatschr. es anzeigt) in Ökonomischer Absicht: 1. zu
Mob ran gen in Preußen, 2. zu Potsdamm in der Kurmark, 3. zu Hamm in
der Grafschaft Mark; dann auch der militärischen Gesellschaft in Wesel.
Die Akten der Mohrungschen Gesellschaft sind neulich gedruckt, u. den
lsten Band davon hat Nikolovius in Commission"1).
1) In seinem Tagebuch hat Puttlich unter dem 27. August 1792 vermerkt:
„ . . . . nachher das neuangelegte Naturaliencabinet der vereinigt physikalisch-
ökonomisch-patriotischen Gesellschaft besehen, wozu die Generalin v. Schulz auf
Karmitten u. die Mutter des Grafen v. Krokow manche seltne Stücke der
Gesellschaft geschenkt hatten. Es war auch eine Elektrisirmasehine vom verst.
Prof. Bück in Königsb. wie auch das Junkersche Sonnen mikroskop wie auch
18*
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268 Aus dem Leben des Pfarrer» Christian Friedrich Puttlich.
Wie Puttlich in früheren Jahren gelegentlich von Klingbeck
aus, jedoch nur auf wenige Tage, nach Königsberg gefahren war,
geschah dies auch Ende Januar 1793. Hier schloß nun Puttlich
den Herzensbund mit "Wilhelmine Assum, ergreifend sind die
Worte, die er unter dem 1. Februar 1793 in seinem Kalender
eingeschrieben hat.
„Einer der wichtigsten meiner Lebenstage, denn an ihm knüpfte die
auf reine Freundschaft gegründete Liebe ein schönes Band zwischen mir und
meiner Assum, da sich unsere Herzen wechselseitig ihre Zuneigung zu erkennen
gaben u. zwar mehr durch redende Blicke als Worte. Mit dem festen Ver-
trauen auf die allsegnende Gottheit, die uns nach so manchen Prüfungen ein-
ander finden ließ, knüpften wir unter der Aufsicht unsere Allvaters das Band,
um gemeinschaftlich nach seinem gütig weisen Willen mit vereinten Kräften
auch unser Scherflein zum Besten der Menschheit beyzutragen u. bey diesem
Streben das Gute dieses Lebens zu genießen"1).
Bald sollte nun Puttlich öfter als früher Gelegenheit zu
persönlichem Verkehr mit seiner Braut haben, denn auch seine
Stellung in Gr. Klingbeck erreichte in diesem Jahr ihr Ende,
da seine jüngsten Zöglinge in das Groebensche Stipendienhaus
in Königsberg i. P. aufgenommen wurden. Ende April 1793
verließ Puttlich Klingbeck und zog zunächst nach Königsberg2).
Von hier aus finden wir ihn dann besuchsweise abwechselnd in
Modelle verschiedener Ackergeräthschaften u. andrer ökonomischer Sachen befind-
lich. Das Schloß gehört dem Grafen zu Dohna auf Schlobitten u. er ließ jetzt
noch einen großen Speisesaal wie auch Bibliothekzimmer der Gesellschaft auf
den Flügel bauen. Pritsch gab mir einen Abdruck von dem großen Siegel der
Gesellschaft u. zeigte mir auch die vom Könige u. dem Grafen v. Herzberg
unterzeichnete Dokumente u. Urkunden vor.**
\) Bei einem Besuch in Mohruugen bringt er am 23. Februar 1793 die
Gesundheit seiner Braut lauter als die „für unsern würdigen Professor Kant" aus.
2) Von einem Besuch der Loge hier berichtet er in seinem Tagebuch
unter dem 4. Mai 1793: „Nachmittag .... führte uns HE. v. Brfuinvisch] in
die 3 Kronenloge am holländschen Baum .... Wir spazierten iin Logengarten
umher, sahen die Bibliothek u. wurden auch unter dem Versprechen zu schweigen
oben in den Logensaal geführt, wo wir verschiedene sinnbildliche Statuen u.
Gemähide, die sich auf den Orden beziehen, sahen. Im Hintergrunde war eine
Sonne mit den 3 Kronen, dem Triangel, Zirkel usw. u. mehr nach vorne der
Rednerstuhl "
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Von Arthur Warda. 269
Mohrtrogen1), Lauth, Jesau, auch Klingbeck. Im Juli 1793 machte
Puttlich mit dem Bittmeister v. Domhardt eine Reise ins Ober-
land, auf welcher sie in Mohrungen die Sammlungen der physi-
kalisch-ökonomischen Gesellschaft besuchten und sich als die
ersten in das Buch der Besucher des Kabinets einzeichneten.
Da aber Puttlich sah, daß er auf die Dauer seinen Unter-
halt in Königsberg nicht würde bestreiten können, und ohne
ein einigermaßen sicheres Einkommen auch an eine Heirat noch
nicht denken konnte, entschloß er sich gegen Ende des Jahres
1793 zunächst zur Annahme einer Stellung bei dem General
von Franken berg in Osterode, dessen Gemahlin eine Schwester
des Bittmeisters von Domhardt war, — als Erzieher des einzigen
Sohnes Moritz und Lehrer von zwei Töchtern. Diese Stellung
die Puttlich im Anfang des Jahres 1794 antrat2), sollte ihm
durch das wenig fügsame und manchmal lieblose Verhalten
seines namentlich von der Mutter sehr verwöhnten Zöglings oft-
mals verleidet werden, so daß Puttlich sich schließlich genötigt
sah, brieflich die Autorität des meist von Hause dienstlich ab-
wesenden Generals anzurufen, jedoch ohne andauernden Erfolg.
Da trat ein Ereignis ein, das Puttlich aufs neue ernstlich an
die Sicherung seiner Zukunft denken ließ. Am 1. Januar 1795 starte
plötzlich der General von Frankenberg, nachdem er kurz vorher
nach Hause zurückgekehrt war. Puttlich lag es nun zunächst
ob, im Auftrage der Generalin an den König, den Kronprinzen
an die Prinzen und verschiedene hohe Staatsbeamte die Nach-
richt von dem Tode des Generals zu übermitteln. Er benutzte
diese Gelegenheit, um in einem besonderen Briefe vom 14. Ja-
nuar 1795 an den Kronprinzen sich mit Moritz „seiner huldreichen
Fürsorge" zu empfehlen. Er erzählt dies in einem Briefe an
seine Braut vom 7. Februar 1795:
„An die königliche Prinzen .... schrieb ich nun im Namen der
Generalin Trauerbriefe, ja mit ihrer Bewilligung fügte ich dem Schreiben an
1) Hier hat er am 21. November 1793 ein Gespräch mit dem Pfarrer
Copinu» über Kant« „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft".
2) Er wohnte dort im Hause des Buchbinders Leppert.
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270 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
den Kronprinzen ein eignes von mir bey, worin ich Moritzen und mich selbst
seiner von mir geglaubten viel vermögenden Fürsorge empfahl. Doch wurde
ich in der Folge durch mehrere Erzählungen von seiner vorsätzlichen Ent-
fernung alles Einflusses auf Regierungsgeschäfte in seinen gegenwärtigen
Verhältnissen veranlaßt einen günstigen Erfolg davon zu bezweifeln, wie
Du .... hernach lesen wirst."
Denn bereits am 3. Februar hatte Puttlich in seinem
Tagebuch vermerkt:
„Alle meine auf einen günstigen Erfolg meines Schreibens an den Kron-
prinzen gegründete Hoffnungen waren vergebens, denn die Generalin erhielt
heute folgende Zuschrift vom Kronprinzen:
Wohlgeborne, besonders liebe Frau Generalin!
Sie können überzeugt seyn daß das Ableben des Generalmajors von
Franken berg, Ihres Gemahls ein aufrichtiges Bedauern bei mir gefunden
hat und daß sein Andenken einen unveränderlichen Werth bey mir behalten
wird. Sollte ich im Stande seyn wenigstens Ihrem HE. Sohne davon in der
Folge Beweise zu geben; so wird solches mit Vergnügen geschehen, obgleich
ich bedauern muß, daß ich die Wünsche seines Erziehers wegen einer Feld-
prediger Stelle in meinem Verhältnisse und nach meinen Grundsätzen nicht
befördern kann. Indessen danke ich Ihnen desto mehr für die in dem
Schreiben von 11. Januar mir geäußerte Ergebenheit und verbleibe gegen-
seitig Ihr
Berlin wohlaffectionirter Freund
den 24ten Januar Friedrich Wilhelm.
1795.
Durch Bitten der Generalin ließ Puttlich sich bewegen,
noch weiter in seiner Stellung zu verbleiben.1) Indessen bereits
am 31. März 1795 starb auch die Generalin v. Frankenberg,
und nun mußte Puttlich auf sein weiteres Schicksal bedacht
1) Gegen Ende März ist er während einiger Tage in Königsberg, wo ihm
der Buchhändler Nicolovius erzählte, „daß sein älterer Bruder in Deutschland eine
Tochter des Geheimenratlis Schlosser (des berühmten jetzt in Anspach privati-
sirenden Gelehrten) heyrathen würde. Ferner auch von der Vergiftung seiner
Schwester, der Feldpredigern Jedosch, davon jedoch die Sache immer im Dunkel
blieb". Bezüglich des erstereu Vorfalls vergl. Nicolovius, Denkschrift S. 58,
bezüglich des letzteren s. Neue Preuss. Prov. Blätter Bd. IX S. 295.
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Von Arthur Warda. 271
sein. Moritz v. Frankenberg sollte in Königsberg in die Armee
eintreten, und seine Schwestern ebenda weiter erzogen werden.
Am 17. Mai 1795 verließ Puttlich mit den Geschwistern
v. Frankenberg Osterode, um dieselben nach Königsberg zu
begleiten; am 21. Mai wurde Moritz v. F. dort als Soldat ver-
eidigt, am 10. September bereits wurde er Offizier. Auf der
Fahrt nach Königsberg hielt Puttlich sich mit den Geschwistern
v. Frankenberg noch einige Tage auf dem Gute des Geheimen
Finanzraths von Domhardt, ebenfalls eines Bruders der Generalin
v. F., in Worienen auf. Ich möchte es mir nicht versagen, die
eingehende Schilderung, die Puttlich von dem dortigen Park etc.
entwirft, im Anhang mitzuteilen.
In Königsberg nahm Puttlich zusammen mit seinem Freunde
C. B. Fleischer Wohnung in der Magistergasse in dem Billard-
hause bei Freudenberg (zwei Treppen hoch), und nun wurde von
ihnen beiden die Gründung einer Erziehungsanstalt in ernst-
hafte Erwägung gezogen, deren Plan Fleischer bereits bei Putt-
lichs Anwesenheit in Königsberg im März erörtert hatte. Um
den Text der Darstellung nicht zu sehr zu unterbrechen, verweise
ich betreffs der Ausgestaltung und Ausführung des Plans auf die
im Anhang abgedruckten Auszüge aus dem Tagebuch Puttlichs.
In der gedruckten „Andündigung einer Erziehungsanstalt
für zwölf Zöglinge", — — — *) heißt es: „Eine Erziehungsan-
stalt einzurichten, in welcher wir Knaben und Jünglingen Ge-
legenheit darbieten können, gute und wohl unterrichtete Menschen
zu werden, dies ist der Gegenstand unseres Vorhabens". An die
Darlegung, wie die Zöglinge zu „guten Menschen" und wie sie
zu „wohl unterrichteten" Menschen in der Anstalt erzogen werden
sollen, schließt sich folgende Ausführung:
„Beyde, moralische und wissenschaftliche Bildung nun, zu
der wir unsern Zöglingen Gelegenheit geben wollen, können
1) . . . . „welche am ersten November dieses Jahres zu eröffnen entschlossen
sind Christian Friedrich Puttlich und Carl Bernhard Fleischer, Privatlehrer
hierselbst. Königsberg, am lßten Julius 1795. Gedruckt bey G. L. Härtung,
Koni gl. Preuss. Hof- und Universitäte-Buohdrucker."
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272 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
jedoch nur dann Fortgang und Anwendung haben; wenn ihr
Körper eines dauerhaften Wohlbefindens genießt. Dies also zu
erhalten, zu fördern, und zu befestigen, soll zunächst uns ange-
legentlich und unausgesetzt beschäftigen. Und zwar sind wir
überzeugt, hiefür am einfachsten und unfehlbarsten durch die
natürlichen Mittel sorgen zu können, welche eine vernünftige
Lebensordnung vorschreibt. Diese aber sind keine andern als
zweckmäßige Thätigkeit, verbunden mit mancherley Erholungs-
belustigungen, (z. B. kleinen Gartenarbeiten, Spaziergängen und
Spazierfahrten,) ferner, eine nach den besten Regeln der Diä-
tetik veranstaltete Wahl und Bereitung der Speisen und Ge-
tränke, so wie eine jenen angemessene Mäßigkeit im Genuß der-
selben. Daß wir zu diesem Behuf eines durch eine freye Lage
und innere Bequemlichkeit begünstigten Wohngebäudes, versehen
mit einem geräumigen Hofplatz und Garten, bedürfen, ist eben
so ausgemacht, als es uns daher willkommen seyn muß, dies
ganz unsern Wünschen entsprechend, bereits erhalten zu haben".
Auch sollten nicht in die Anstalt aufgenommene Knaben
an einzelnen Unterrichtsstunden daselbst mit geringem Kosten-
aufwand teilnehmen dürfen. „Für Wohnung, Beköstigung,
Feuerung und Bedienung" wurden 166 Rth. 60 gr. gefordert, und
„außer der notwendigen Kleidung und Wäsche" sollte jeder Zögling
„die erforderlichen Betten, ein Bettgestell, ein Gedeck Tisch-
zeug, einen silbernen Eßlöffel und ein Paar Messer und Gabeltf
mitbringen.
Die Ankündigung hatte einen guten Erfolg, vorzugsweise
Söhne von Adligen wurden als Zöglinge angemeldet, und das
Unternehmen war daher gesichert, so daß Puttlich nun an die
Erfüllung des lange von ihm und seiner Braut gehegten Herzens-
wunsches, ihre eheliche Verbindung denken konnte. Nachdem
am 14. Oktober 1795 die Frau Rittmeister v. Domhardt in ihrer
stets hilfsbereiten Herzensgüte erklärt hatte, als Mutter das
Hochzeitsmahl zu geben, fand am 26. Oktober 1795 die Trauung
des Paares in der Hospitalkirche durch den mit ihnen befreundeten
und von ihnen innig verehrten Pfarrer Fischer statt.
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Vod Arthur Warda. 273
Mit regem Eifer und Interesse widmeten die jungen Gatten
sich alsbald der Ausbildung ihrer Zöglinge, und während der
nächsten Jahre hatte die Anstalt auch einen guten Fortgang, wenn-
gleich Puttlich sich zu einem öfteren Wechsel der Lehrkräfte
genötigt sah, teils weil diese nicht immer sich als tüchtig er-
wiesen.1) Auch Fleischer trat bereits Ende März 1796, „weil er
viele Schulden zu haben vorgab,4* aus der Anstalt aus, wohl nicht
zum Schaden derselben, da Puttlich schon vorher von mancher
Seite vor der Mitbeteiligung Fleischers wegen des Charakters
desselben gewarnt war, beide blieben aber Freunde. Das häus-
liche Glück Puttlichs wurde noch erhöht, als ihm am 4 August 1796
ein Sohn Friedrich Otto Wilhelm und am 10 Juli 1798 eine
Tochter Emilie Friderike Wilhelmine geboren wurde. Aber es
scheint, als ob im Jahre 1798 die Erziehungsanstalt nicht mehr
einen guten Zuspruch hatte, denn wir finden in Puttlichs Tage-
buch die Notiz, daß er sich am 24. September 1798 schriftlich
und mündlich, gestützt auf Empfehlungen des Kanzlers v. Ostau
und des Professors Schmalz, dessen Kinder seine Zöglinge waren,
an den damals in Königsberg anwesenden Minister v. Massow
mit der Bitte um „Versetzung in eine andere Lage" wandte,
jedoch erfolglos.
Durch seine früheren Königsberger Bekanntschaften, die
Bekannten seiner Gattin, durch die Familien der Zöglinge seiner
Erziehungsanstalt sah sich Puttlich bald in einem Kreise von
Geselligkeit, der ihm manche seiner geistigen Beanlagung er-
wünschte Anregung bot. Im Jahre 1799 erneuerte Puttlioh auch
die Bekanntschaft mit einem damaligen Lehrer am Kollegium
Fridericianum, dem Prediger Johann Friedrich Usko, den er
auch nach Verlassen der Schule öfters im Jahre 1782 im Koll.
1) Im October 1797 fand auch ein Wohnungswechsel statt, denn am
12. October, heißt es im Tagebuch, „zogen wir aus unserer bisherigen Wohnung
in der Wilhelmstraße aus in das große neue Konopatzkische Kaufmannsstift, nahe
der Tragheimschen Kirche, in die Wohnung, die bisher Oberst v. Holleben
gehabt u die er nun verlassen hatte, weil die verwittwete Frau Majorin v. Funk
ihren Mietkontrakt an mich abgetreten hatte".
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274 Auß dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich,
Frid. besucht hatte.1) Was Puttlich über den Aufenthalt Uskos,
dieses durch seine Schicksale interessanten Mannes,2) in Königs-
berg im Januar und Mai 1799 in seinem Tagebuch berichtet,
lasse ich im Anhang folgen.
1) Unter dem 20. November 1782 hatte Puttlich in seinem Tagebuch
vermerkt: „Nachmittag nahm ich von HE. Usko Abschied, der als Prediger der
evangelischen Gemeine nach Smirna reiste. Er erhielt denselben Tag von den
3 obern Klassen im Kollegio noch ein Abschiedsgedicht" und unter dem
29. September 1784: „Nachmittag kam der mittlere HE. Nikolovius der Morgen
mit seinem Jüngern Herrn Bruder dimittirt werden sollte zu mir. . . Ich ging
denn mit ihm zusammen zu ihm. . . Nikolovius zeigte mir verschiedene
Schriften von Herdern und auch einen Brief den der HE. Prediger Usko (unser
vorige Lehrer im Coli. Fr.) mit warmen Gefühl u voll Feuer, wie er dachte u
handelte aus Smirna geschrieben hatte u ohngefähr nur einen Monath unter-
wegens gewesen war. Er schrieb, daß es ihm da sehr gefiele, daß er die Pest
glücklich überlebt hätte u daß er nächstens nach Arabien gehen würde um
seine große Begierde Arabische Handschriften aufzusuchen befriedigen könnet
2) Vergl. über Usko Neue Berlinische Monatsschrift. März 1799. S. 234 ff.
Altpr. Monatsschr. Bd. XXXIX S. 227 u. später.
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Von Arthur Warda. 275
Anhang.
Auszüge aus den Tagebüchern Christ. Friedr. Puttlichs.
1782.
15. April ging in das erste Kollegium in die Logik bey dem HE. Professor
Kant um 6V3 Uhr Morgens,
16. April. Vormittag bat ich den HE. Professor Kant das Kollegium der physischen
Geographie gratis zu hören u. ich erhielt es auch.
17. April sollte ich zwar das physisch geographische Kollegium schon von
8 bis 10 Uhr hören ....
20. April. Morgens wiederholte noch nicht der HE. Professor Kant die Logik
sondern er las nur von 8 bis 10 die phys. Geogr.
21. September. Der HE. Professor Kant schloß die physische Geographie.
14. October. Der HE. Professor Kant fing von 7—8 die Metaphysik an.
15. October. Ich ging um 9 mit dem HE. Nicolovius zum HE. Prof. Kant.
Ich bat mir das Kollegium frey aus u. HE. Nicolovius pränumirirte u.
subskribirte.
16. October. Der HE. Professor Kant fing die Anthropologie an.
5. November. Ich war pro hospite in der philosophischen Moral beim
HE. Prof. Kant.
18. November. Ich wohnte den Feierlichkeiten der Schule in der Altstadt bei,
die das Jubiläum ihres Lehrers Rektor Daublers, der schon 50 Jahr
Rektor gewesen war, feyerte. Die Schule war gedrängt voll von Geistl.,
Doktoren, Professoren, konditionirten Leuten 11. Studenten. Es war
Musik mit Pauken u. allerlei Instrumenten. Eine jede Klasse brachte
ihm ein Karmen. Er selbst wurde so sehr gerührt daß er weinte, wie er
Gott dankte auf der Katheder in Prima. Dies geschähe Vormittag.
1783.
5. Januar schrieb beym HE. Mohr das Vorspiel betitelt der Opfer=
priester eine Scene der Vorwelt, wovon HE. Mohr selbst Verfasser war
und es mir diktirte, um es der Madame Schlich zu geben, die es auf den
Krönungstag auffuhren wollte.
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276 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
11. Januar. Vormittag kam ein Rigischer Kaufmann HE. Behrends in die
Anthropologie.
24. Januar. [Königs Geburtstag] .... von 11—12 hielt ein Junker vom
Henkeischen Regiment Engel Ludwich Stach a Golzheim, der auch die
physische Geographie bey Kant gehört hatte, eine lateinische Rede.
29. März. HE. Prof. Kant schloß die Anthropologie.
7. Mai. Morgens um 8 Uhr ging ich zu HE. Prof. Kant der die physische
Geographie zu lesen anfing. Entschloß mich aber zugleich wegen Kürze
der Zeit nicht dies Som mm erhalbe Jahr zu wiederholen.
3. October. In dieser Nacht starb HE. Lauson ein Dichter, von dem seine
Stegreif verse bekannt sind.
21. Oktober. HE. Konsistorialrath Rekkard erwähnte des seel. Probst Süß-
milchs u. des Herders Schrift: die Frage betreffend ob das erste Menschen-
paar die Sprache mittelbar oder unmittelbar von Gott empfangen hätte.
Worauf HE. Konsist. Rekk. jener das Lob u. den Vorzug vor dieser
ertheilte ob Herders Antwort auf diese Preisfrage gleich gekrönt worden
ist. Ueberhaupt schien er wenig auf Herdern zu halten. Süßmilch
behauptete in einer ganz planen deutlichen doch dabei philosophischen
Styl sie hätten sie unmittelbar von Gott erhalten. Letzterer behauptete
in einer finstern dunkeln Schreibart das Gegentheil.
28. November. HE. Doktor [Rekkard] rühmte Kants Kritik der reinen
Vernunft.
29. November, [bei John] Es wurde verschiedenes von gelehrten Sachen ge-
sprochen. Unter andern, daß sich der König bei dem Kanzler Korf
erkundigt hatte, ob hier noch die deutsche Gesellschaft ezistirte, die
jetzt wieder errichtet werden sollte u. Kirchen rath Hennig der Director
davon seyn sollte. HE. Kammersekretär war auch Ehrenmitglied davon
u. er fragte mich nun ob ich dazu auch in Vorschlag gebracht werden
sollte? HE. Brahl wollte sich dazu nicht verstehen.
1784.
19. Mai. [Bei John] Abends war die Stritzeln u. Herklots der wieder in
Königsberg war, zum Essen, ßrahl auch dazu. Es wurde von ver-
schiedenen litterärischen Dingen gesprochen. Nikolais Reisen wären von
keinem sonderl. Werth, sowie Sanders. Briefe eines reisenden Franzosen
über Deutschland die berichtigt und verbessert herauskämen wären
schön. Verfasser davon ist HE. von Brenkenhof in Speyer bey dem
Madame de la Roche Herausgeberin der Pomona für Deutschlands Töchter
logirte. In Göckings Journal kämen zuweilen in Nachrichten von Cor-
respondenten Unrichtigkeiten vor wie die unter dem Artikel aus Königs-
berg von Oberbauinspektor Dietrich u. Hofseiler Walter (u. doch wohl
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Von Arthur Warda. 277
wahr.) Göckings Correspondent in Königsberg wäre wohl HE. Prof.
Holzhauer. Brahl sagte die Recension von Metzgers Medicina rurali in
den letzten Dengeischen Zeitungen wäre von Hofrath Metzger selbst, der
sich außerordentlich sehr selbst gelobt hatte.
24. Mai. [Bei John] Bey Tische wurde von vielen Dingen gesprochen als daß
Bahrdts Briefe über die Bibel im Volkston sehr schön wären, daß der
Licentinspektor Hamann die Nachricht daß Reimarus wirkl. Verfasser
der berüchtigten Fragmente oder wie sonst ihr Titel: Über den Zweck
Jesu u. seiner Jünger wäre, aus einer sichern Hand hätte (Dies wider-
spricht ganz dem was Rekkard davon erzählt wie auch dem daß Ober-
konsistorialrat Silberschlag ein Schwärmer wäre) ferner daß der Candidat
Jänisch alle Woche einen Freytisch bey dem eben verstorbenen Minister
Rhod gehabt. Jänisch wurde nehml. dem Rhod zum Vorleser empfohlen,
aber er gefiel ihm hierin nicht, doch aber gab er ihm jede Woche einen
Tisch. Es wurde gesagt der Minister Rhod wäre sehr geitzig nun fiel
das Urtheil verschieden. Brahl erzählte, daß Prof. Kant gesagt haben
sollte: Der Geiz bey Reichen wäre von ganz andrer Art als der bey
Geringeren. Letztere nehml. lebten ganz karg u. verschließen sich ganz
einsam um keinen Aufwand zu machen. Erstere aber haben oft große
Gesellschaft bey Tisch traktiren herrlich aber auf Kosten der Unter-
gebenen u. andrer Leute, denen sie von ihrem Verdienst etwas abzuziehen
suchen.
19. Juli hörte ich alle halbe Stunde auf dem Colleg. Albertin. klingern
ich ging hin u. fand ganz unerwartet, daß Prof. Mangelsdorf disputirte,
er war Praeses. Ein gewisser Student Wiehert, der aber nicht viel zu
sagen wußte, war Respondens u. die Studenten Hahnrieder u. Kruse
waren Opj>onentes. Nachmittag ging wieder hin, traf da auch den Nico-
lovius. Opponenten waren der Prof. Köhler, der mit dem Mangelsdorf
gut davon kam (denn der Student Wiehert sagte mir sehr wenig u.
schlecht, aber der Prof. Reusch, eben nicht ein guter Freund von Mangels-
dorf, zankte sich mit ihm brav herum, kam aber endlich auf lächerliche
Dinge, um 5 Uhr wurde alles geendet.
22. Juli ging ich ins Audit. max. wo der Prof. Graf disputirte. Es
war zieml. voll. Der Oberhofprediger [Schulz] war Präses, Prof. Graf
Respondens u. Opponenten erstl. der Student Keber, den ich wenig hörte,
aber seine Sache gut machte, hernach der Student Jenisch, der lange u.
mit vieler Heftigkeit opponirte, so daß ihm selbst der Oberhofpr. sagte,
er möchte seine Lunge nicht so stark angreifen. Er sagte darauf, laut
sprechen wäre gut, auf die Art könnte ihn jeder verstehen. Er wurde
sehr hitzig u. gestikulirte sich schwitzig, redete fertig latein u. ließ den
Präses u. Respondens selten zum Wort kommen. Der Student Brandt,
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278 Aus dem Leben des Pfarrere Christian Friedrich Puttlich.
des Kaplan Brandt Sohn, war der Dritte. Der machte es weniger gut,
u. konnte auch nicht im Latein fortkommen. Beym Herausgehen dankte
der Kaplan Brandt dem Oberhof prediger u. dem Doktorandus für die ge-
neigte Belehrung, die sie seinem Sohne gegeben hätten. Nachmittag
ging ich wieder hin u. nach drey Uhr erst wurde wieder disputirt. Nun
opponirte erst der fertige Lateiner HE. Dokt. Pisansky mit vielem Feuer
recht lange u. hernach der Dokt. Bcecard nicht viel kürzer. Der Ober-
hofprediger trug seine Sachen zwar nicht in solchem schönen Latein als
Pisansky doch aus dem rechten Punkte vor. Graf konnte nicht viel La-
tein sprechen u. also nicht so viel auf die Sachen als die Sprache merken.
29. Juli. Ich ging .... ins Auditorium Maximum, wo der Prof. Graf zum
Dokt. erwählt wurde. Musik u. Pauken waren da. Ein zahlreiches Audi-
torium. HE. Oberhofprediger Schulz hielt erst eine lange Rede u. ver-
glich den4 Sokrates mit Christus. Nachbar trat der Akademische Sekretär
Wattmann auf, las dem Doktorand Graf den Schwur vor. Graf legte
den Finger auf den Zepter u. sagte iuro. Am Ende stieg der Doktorand
Graf auf die höhere Katheder zum Oberhofprediger. Letzterer setzte ihm
den Doktorhut, einen runden Purpurhut, auf, steckte den Doktorring auf
Grafs Finger, gab ihm einen Kuß als Mitbruder u. machte ihm eine
große Bibel auf, sagte, er sollte auch über die Sache selbst nachdenken
u. andeie dergleichen Ceremonien. Um 12 war der Aktus zu Ende.
1785.
10. Januar. Nachmittag hörte ich wieder den HE. Doktor Pisansky, der seine
Vorlesungen in der christlichen Moral fortsetzte. Der gute Mann denkt
wirklich ziemlich steif in Ansehung der Meynungen einiger Religionssätze,
so wie überhaupt sein ganzer Anstand, sein äusseres Betragen ausser-
ordentlich steif und peinlich ist.
11. Januar. Herr Buchhändler Dengel kam zum Berdau .... Der Mann
nahm mich sehr für sich ein. Er zeigte sich so zuvorkommend, freundlich
u. zuthätig, daß er uns allen sehr gefiel Ich fragte ihn. ob er noch
den Buchhandel hätte, weil ich erfahren, daß er ihn an einen andern
verkauft Er sagte, dem Menschen, der von ihm den Buchhandel
kaufen wollte, hätte die Sünde leid gethan u. wäre zurückgetreten, er
müßte ihn also noch länger behalten. Berdau sagte, der Härtung thäte
ihm großen Abbruch. Er erwiderte, er wolle so lange alles aus seinem
Beutel zusetzen, bis sich sein Geschick ändert, vielleicht würde Härtung
nachgebender und durch seine Geduld ermüdet werden. Er wolle ihn
nicht beleidigen, sondern ihm alles Glück gönnen. Wie schön dachte
hier dieser vortreffliche Mann.
18. Januar. Heute feyerte unsre Akademie das Preußische Krönungsfest. Ich
ging . . . . ins Auditorium Maximum. Der Aktus war schon längst an-
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Von Arthur Warda. 279
gegangen und ein Junker v. Wegner vom Anhaltschen Regiment hielt
unter dem Vorsitze des Professor Mangelsdorfs eine lateinische Rede.
Er hatte viele Zuhörer. Selbst der Generallieutenant u. Gouverneur
von Anhalt mit vielen Officieren wareu dabey gegenwärtig.
24. Januar. Des Mittags ging ich .... ins Auditorium Maximum, wo ein
Actus zur 74jährigen königlichen Geburtsfeyer war. Wir kamen eben
dahin, wie er anging. Generallieutenant von Anhalt, der Kanzler Korf,
der General Rothkirch, viele Officiere, der Senat u. das ganze Auditorium
war voll Zuhörer. Professor Mangelsdorf hielt eine lateinische Rede u.
zog eine Parallele zwischen Ludwig dem 14ten u. unserm Friedrich u.
zeigte die Vorzuge des letztern vor dem Gallier.
8. März. [Nicoloviii8] erzählte mir im Vertrauen, daß sein mittlerer Bruder
Buchhändler einst werden wollte u. in dieser Absicht nach Berlin
gehen würde.
25. März. [Charfreitag.] Ich ging mit [Nicolovius] gleich nach der Predigt in
die königlich deutsche Gesellschaft, musten aber warten, bis wir endlich
hineingedrängt wurden. Lange hernach, wie der Canzler Korf kam,
stürzte der ganze Haufe herein u. es wurde sehr voll. Der Kandidat
Wutschky hielt eine schöne Rede über die wohlthätige Folgen u.
Wirkungen des Todes Jesu. Der Tod Jesu war wohltätig in Ansehung
der Ausbreitung reinerer Gotteserkenntnis in Judäa u. auf der ganzen
Erde; 2. der Ausbreitung ächter Tugend, Menschenliebe u. Religions-
duldung u. 3. der Auebrei tuug der Privatglückseligkeit. Es war auch
hübsche Musik.
13. April ging um TVaUhrzu Herrn Prof. Kant, um die Vorlesungen in
der Physischen Geographie zum erstenmahl zu wiederholen. Ich sprach
da auch den Nikolovius u. den Fleischer. Der Hörsaal war sehr voll
Zuhörer.
18. April. Ich versuchte nach dem philosophischen Gange zu gehen u. glaubte
es würde noch Eis, Schnee oder viel Wasser u. also schlecht zu gehen
seyu, allein wie sehr verwunderte ich mich mit innrer Freude, als ich
den Gang so trocken wie auf der Diele fand. Ich begegnete viele Leute
u. auch den Herrn Prof. Kant, der einsam in Gedanken vertieft, auch hier
wandelte .... Um 6 Uhr kam ich nach Hause.
21. April ging ich mit dem größten Theil der Rekkardschen Zuhörer
zum Oberhofprediger Schulz u. eilte voran. Der Hörsaal aler ward so
voll, daß die Herren zur Treppe gedrängt standen. Und wie der Ober-
hof prediger kam, konnte er nicht hinein. Er sagte also: meine Herren,
wollen Sie mir heute Veniam geben, so werde ich morgen im großen
Auditorio lesen? Welch ein herablassendes edles u. feines Betragen von
dem würdigen in der That geschickten Manne? Gewiß muß ihn jeder,
der ihn kennt, verehren. Wir gingen also wieder auseinander.
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280 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
22. April. Wie ich von Rekkard kam, ging ich ins Auditorium maximum.
Es kamen gewiß an 300 Zuhörer dahin, die christliche Moral zu hören,
die der Oberhofprediger Schulz heute auf eine sehr vortreffliche Art nach
Töllner vorzutragen anfing. Schulz hatte solche große Anzahl Zuhörer,
da der Pisansky in den Moralvorlesungen nur 10 hatte.
25. April. Mittags erzahlte daß ein Bauer nahe bey der Stadt zu der
Zeit, da der Oberhof prediger aus dem Waysenhause an die Schloßkirche
kam, in dem Kneiphofe nach dem Herrn Schulz gefragt hätte. Die
Leute sagten, es wären zwey Prediger, die beyde Schulz heißen. Er
erwiederte: I na wann ek öhn nor ward sehne so ward ök öhn wohl
kenne. Er kam hin u. sah den Oberhof prediger. Ja, ja ök seh all, ök
sy recht, sagte er, na min löver Herr ök sy enne ohk so recht god, se
motte mök ohk nit utlacke, ök bring hier en bötke Botter u. Aier.
Der Oberhofprediger wunderte sich u. sagte, lieber Vater er braucht das
ja selbst. Jener antwortete: na myn löver Herr so nehm er dok nor, ök
sy öhm ohk recht god, er es dok en braver Mann, ök wer öhm ok
Hönerkes brönge. Der Oberhofprediger sagte: Lieber Mann was soll ich
mit machen, ich habe noch keine Wirtschaft (damals war er noch un-
verheyrathet) na bak er sök myn löver Herr Kohkchens, on de Hönerkes
kahk on brad er sök. So ein gutes Zutrauen zu dem theuren Mann zeigt
gewiß von der edleu Denkart des vortrefflichen Mannes, des Ober-
hofpredigers.
30. April. Bey Kant mußten sich die Repetenten u. die Gratuiti zur physischen
Geographie unterzeichnen, damit die Repetenten nicht noch einmal wieder-
holen sollten. Denen die sie zum 2ten mahl nun wiederholen wollten,
wurde es versagt. Es meldete sich auch keiner davon. Ich wiederholte
sie nun auch zum erstenmal, da ich sie seit 2 Jahren nicht gehört
Kant machte diese Einrichtung um der Zuhörer willen, die die physische
Geographie nun zum erstenmal hörten. Kant hatte seine Stuben gar
nicht ausmöblirt, nur Rousseaus Bildniß hing über seinem Schreibpult.
Das was er heute von dem Gewässer u. dem Kontinent unsrer Erde
sagte, was mir größtenteils aus Bergmanns physikalischer Weltbeschreibung
bekannt, die er sehr benutzte.
15. Mai. Vormittag .... holte ich mir ein Programm u. die Disputation vom
Doktorand dem Magister Jos wich, der auf den Dienstag zum juristischen
Prof. in Jester Stelle disputiren würde, ab.
17. Mai. Vormittag ging ich ins Auditorium Maximum, wo ich nach 10 Uhr
die Disputation des Johswichs hörte, der als Doktorand ziemlich das
Latein sprach. Die Opponenten waren Stehr vor mir aus dem Coli.
Frid. dimittirt, der es recht gut. machte u. hernach ein gewisser Ziegen-
spek schwach an Körper u. Geist, der nicht viel Einwürfe machen konnte.
Nachmittag wurde auch disputirt.
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Von Arthur Warda. 281
18. Mai. Unterwegens erzählte er [Nicolovius] , daß der Johswich so schlecht
im Disputieren Nachmittag bestanden wäre, daß Professor Köhler ihn
wenig, der Holzhauer aber ihn brav geprellt und die Studenten ihn sehr
ausgepfiffen hatten.
1. Juni. Nicolovius zeigte mir heute bei Kant, daß die Recension in der allgem.
Litteraturzeitung über Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit von Kant wäre.
4. Juni. Wir gingen nach dem großen Auditorio, wo der Magister
Johswich zum Doktor der Rechte gewählt wnrde. Das Auditorium war
erstaunend voll. Der Prof. Köhler als Brabeuta wählte den Johswich
zum Doktor mit den besondern Ceremonien, da der Akademische Sekretär
ihm den Schwur vorlas und er mit den auf den Zepter gelegten Fingern
sagte, iuro, drauf ward ihm das Gesetzbuch vorgelegt, hernach setzte ihm
Köhler den rothen Doktorhut auf. Hier sah er sehr drollicht aus u. es
entstand ein allgemeines Gelächter auch sogar von den Professoren. Der
Köhler steckte ihm den Doktorring an den Finger u. küßte ihn, dabey
schnitte Johswich solche Fratzengesichter u. wurde noch immer mehr ein
Gegenstand des Gelächters. Köhler sagte zu Mangelsdorf, wie er von der
Katheder kam, ich habe mich heute mit HE. Johswich durch einen Ring
u. Kus8 vermählt. Wie Johswich in die Senatsstube ging, wurde ihm
von vielen nachgepfiffen.
10. August. Ich blieb bis nach 9 Uhr da [bei Nicolovius] u. er las mir viel
aus Herders Volksliedern und seinen andern Schriften bey Lichte vor.
Auch erinnerte er sich an unsern bis jetzt verkannten Prof. Kreutzfold,
dessen Verdienste man erst nach seinem Tode schätzen lernt. Nicolovius
hatte mit vielen würdigen gelehrten Leuten in der Stadt Umgang u.
seine Bibliothek vermehrte sich an reellen Büchern stark.
2. September. [Reccard] verkleinerte heute sehr den Lavater u. stellte ihn als
einen Erzschwärmer, besonders in Ansehung seiner Physiognomik dar.
Was aber das Lächerlichste war, das er von einem Manne, der mit
Lavatern Umgang gehabt hatte, ganz für zuverlässig hatte, war, daß
Lavater einst Predigten über den Wunderglauben gehalten hätte u. be-
hauptet, Gott würde ihm Kraft durch solchen Glauben geben, den Toten
zu erwecken. Er betete also zu Gott, er wollte nun ein todtes Kind er-
wecken, das Kind blieb aber todt. Nun verdammte er sich selbst als
einen Sünder, der aus dem Gnadenstande gefallen wäre, von der Kanzel
u. wollte als ein solcher sein Amt, dazu er sich nicht würdig hielt, nieder-
legen, ist aber doch Prediger geblieben.
11. September. Heute wurde die theologische Dissertation des Doktor Grafs
pro loco professoris ausgetheilt, ich kam mit einigen andern Studeuten
zu spät, bekamen aber von Dokt. Graf selbst noch etwas.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u. 4. 19
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282 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
16. September. Vormittag hatte Reccard wenige Zuhörer, der größte Theil war
im großen Auditorio, wo ich auch hernach hinging u. die Inaugural
Disputation des Dokt. u. Prof. Grafs auf eine Zeitlang mit anhörte. Der
Respondent war Candidat Weitenkampf, der sich nicht viel zu vertheidigen
wußte, doch ging noch an, Opponenten waren Heydemann, Wolterstorf,
Lehrer auf Prima im Coli. Fridr., u. Schütz, die es gut machten. Graf
hatte im Sprechen die lateinische Sprache nicht ganz in seiner Gewalt.
Nachmittag ging ich ... . auch hierher, aber hörte nichts, da die Dis-
putation erst um 4 Uhr .... anfing. Oberhofpr. Schulz u. Reccard waren
Opponenten. Es soll bis 6 Uhr gewährt haben.
17. September. Kant schloß heute die Vorlesungen über die physische Geographie.
Er eilte sehr am Ende u. schien mit großer Nachlässigkeit zu lesen.
22. September. Ich hörte heute erzählen, daß der Johswich bey seiner Inaugural-
disputation gestern wäre ausgepfiffen worden u. daß ihm Nachmittag
niemand opponirt hätte.
13. October. [Fleischer] erzählte, daß wie er gehört, Kant in sehr großem
Ansehen in Jena stände, u. Studirende hier aus Königsberg es dort um
Kants willen gut hätten.
8. December. Reccard erzählte, daß er gestern von einem guten Freunde einen
Brief erhalten hätte, worin ihm dieser berichtet, daß der Fürst von Dessau
sein Philanthropin oder Erziehungsinstitut wieder auf altem Fuß einrichte,
weil er sähe aus den Neuerungen nichts herauskäme, u. daß er in dieser
Rücksicht einen alten Schullehrer von Halberstadt dahin berufen habe.
15. December. Reccard stellte in der Dogmatik den Lessing als einen zwar
witzigen schönen Schriftsteller, aber als einen Mann von weniger
Beurtheilungskraft, als einen Windbeutel und als einen Menschen dar,
der in Rücksicht des Betragens gegen den seeligen Reimarus nicht den
Namen eines ehrlichen Mannes verdiente. Er sagte, er hätte ihn gut als
einen flüchtigen Menschen gekannt u. erzählte viel von seinen Schicksalen
u. seinem Leben.
1786.
17. Januar. Reccard sagte heute in seinen dogmatischen Vorlesungen, daß ein
vornehmer Herr, der bisher ein Feind der Religion war u. seinen eignen
Grundsätzen, die nicht edel waren, lebte, besonders in einer Leidenschaft
(der Liebe) zu sehr ausgeschweift hatte, krank geworden wäre. Er hätte
zu seinen Bedienten gesagt, sie möchten ihm doch eine Bibel bringen.
Diese kommen zurück u. sagten, es wäre keine zu finden. Dieses fiel
ihm sehr auf u. er ward über sich selbst unwillig. Er ließ aber gleich
eine sich kaufen u. fing an drin zu lesen u. soll sie des Lesens so werth
gefunden haben, daß er seinen Bedienten gesagt, sie möchten doch alle
die andre verführerische böse Schriften ins Feuer werfen u. sich auch
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Von Arthur Warda. 283
selbst das herrliche Buch anschaffen. HE. Laudien, der neben mir saß,
sagte, das wäre der Prinz Heinrich, unsers Königs Bruder, er hätte das
selbst von Reccard gehört .... Mittags erzählte HE. v. Maltitz, daß der
König dem Kriegsrath Lilien thal, der sich durch seine Einsichten in das
Bauwesen seine Gnade erworben, bey der letzten Revue bey Graudenz
gesagt, er solle sich eine Gnade ausbitten. Dieser erwiderte, Ew. Königl.
Majestät, ich bin ein alter Mann, der mit dem Gehalt, was er von
Ew. Königl. Majestät reichlich erhält, sehr zufrieden ist, aber wenn
Ew. Königl. Majestät in Rücksicht meiner einzigen Tochter, der ich keine
Reichthümer hinterlassen werde, gnädig zu sein geruhen wollten. — Der
König sagte, er würde sich ihrer erinnern. Nun hätte er vorigen Sonn-
abend eigenhäudig an ihn geschrieben in folgenden Worten: Mein lieber
Lilien thal. Ich erinnere mich an mein Versprechen u. überschicke Eurer
Tochter hier vor der Hand 5000 Thlr. u. bin stets in Gnaden Ew. affec-
tionirter Friedrich.
20. Januar. HE. v. Maltitz sagte, in der Hamburgschen Zeitung habe er einen
herrlichen Gedanken auf Moses Mendelsohns Tod gelesen: Auch eine
Blume auf Moses Mendelsohns Grab hingeworfen: Es ist ein Gott, das
lehrte Moses schon, doch den Beweis davon gab Moses Mendelsohn.
24. Januar. Ich bemerkte heute in der Kustodie, wo das Gedicht (zu des Kgs.
Geburtstag) ausgetheilt wurde, daß die Herren Studenten, die darin zur Strafe
gesessen hatten, gewetteifert, ihre Namen am meisten in die Augen fallend
auf die Wand hinzuschreiben oder sie recht tief in den Kalk einzugraben.
14. April. [Charfreitag] . . . ging ich . . . aus der Schloßkirche in die Königl.
deutsche Gesellschaft, die nur aus sehr wenigen Mitgliedern bestand. Die
Musik war recht hübsch. Die Rede auch gut. Ein gewisser Schroeder
aber, der sie hielt, war ein steifer Mensch u. dabey zitterten ihm die
Hände vom Anfang bis zum Ende der Rede, er stieß auch öfters an.
Er redete von Jesus, dem größten Märtyrer der Wahrheit im Leben u.
im Tode I. im Leben u. II im Tode. Der Kanzeleyverwandte Funk las
noch ein schönes Gedicht vor. Der Minister Schlieben war nach Korfs
Tode Präsident der Deutschen Gesellschaft.
19. Mai. [in Mohrungen] Nachmittag . . . ließen wir [Puttlich und Nicolovius]
uns l>ey Herders Schwester, der Madame Hörn anmelden. Wir gingen
hin u. sprachen mit ihr von ihrem berühmten Bruder. Sie zeigte uns
2 Bildnisse von ihm. Nikolov bat, daß sie eineu Brief an ihren HE. Bruder
schreiben möchte, er würde ihn mit nach Königsberg nehmen u. ihn an
HE. Licentinspektor Hamann abgeben, der mit Herdern korrespondirte . . .
[21. Mai. Nikolovius nahm vom Kaplan Abschied u. ging zur Frau
Hörn, die ihm einen Brief an den Licentinspektor Hamann mitgab.] . . .
Nikolov sagte mir, wie wir schlafen gingen, daß die Herders seine ganze
19*
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284 AuB dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
Hochschätzung verdienen, daß aber Trescho ihm sehr mißfiel Der wäre
nicht sein Mann, sagte er, der andre, die doch wirkliche Verdienste
besäßen, geringe schätzte, um sich dadurch nur selbst mehr zu erheben.
Er sagte, daß ihm ßorowski in Königsberg erzählt hätte, Trescho würde
etwas über Katechetik schreiben u. nun wäre er begierig zu sehen, ob
dies von vielem Werth seyn würde.
20. Mai. [Nikolovius] erzählte mir viel von seinen Privatumständen u. sagte,
daß er u. jeder seiner Brüder 7 bis 8000 Thaler, jede seiner Schwestern
aber 1000 Thaler mehr hätten.
5. Juni. Gleich nach 7 Uhr ging ich zum Kaplan [Trescho]. Er aß nur allein
mit mir und wir sprachen von vielen Dingen besonders von theologischen
Sachen, wo er sich ganz als Orthodoxe zeigte. Er sprach u. fragte
mich viel von Kant und Oberhofpr. Schulz. Er fragte auch ver-
schiedenes von Nikolov, besonders fragte , er, ob er auch auf der Seite
der Neologen wäre. Um 9^2 ging ich fort.
7. August. [Nicolovius] erzählte, daß der Minister Zedlitz in Berlin gestorben
wäre, u. daß auf hiesiger Akademie Mangelsdorf Kabale zu machen
suchte, indem er in einer neuen periodischen Schrift, die gedruckt werden
sollte, verschiedene Doktoren u. Prof. gar gröblich heruntermachte.
10. August. Gegen Abend ging ich, weil dem Dokt. Bück eine Leichenmusik
sollte gebracht werden, nach dem Kolleg. Albertino. Ein gewisser
Rutzen war Entrepreneur davon. Dieser hatte vom Protektor der Akademie,
dem Minister v. Knoblauch Erlaubnis dazu erhalten, nur Kant als
Magnifikus hatte seine Einwilligung nicht gegeben, sondern es öffentlich
am schwarzen Brett mit dem Akademischen Siegel unterdruckt verboten
u. das Thor vom Albert, sollte gesperrt werden, allein er willigte doch
endlich drein. Der Zug nach dem Buckschen Hause in der Magistergasse
war sehr ansehnlich mit 3 Chören Musik vorne. Die Hautboisten von
Anhalt u. das hinterste Chor vom Vossischen Regiment, beyde mit
Pauken. In der Mitte war das Musenchor. Ein Generalanführer mit
vielen Adjutanten hielten Ordnung u. diese u. der Karmenträger mit
den Chapeau d'honneurs u. Redner waren nobel gekleidet u. über-
haupt war der Zug sehr lang, ansehnlich, nur zuweilen unordentlich.
Stocklaternen waren nur fast bey den Musikchören. Der Zug fing sich
an um nach 9 gegen 10 Uhr. Der Anmarsch, der gespielt wurde, gefiel
mir nicht sehr. Vor dem Trauerhause hielt der Zug still. Das Gedicht,
das John gemacht und in schwarz Sammet mit Silber brodirt wurde
hinaufgetragen, unterdessen spielte das Musenchor einige schöne Sym-
phonien. Dann wurde der Rückmarsch, der besser war, gespielt, u. der
Zug ging durch die Kneiphöfsche Langgasse u. Fleischbänkengasse nach
dem Koll. Albert, zurück. Hier rief Rutzen aus vollem Halse:
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Von Arthur Warda. 285
es leben alle Beschützer u. Beförderer der akademischen Freyheit 3 mal
hoch, drauf 3 mal hoch der gange Haufen, was er nur konnte. Ersterer
rief wieder: hingegen sterben alle Unterdrücker der akademischen Freyheit
3 mal tief u. das tief wurde mit einem entsetzl. Geschrey 3 mal
wiederholt. Ich eilte, daß ich nach Hause kam, denn es war schon um
Mitternacht halb ein Uhr Einen so ungeheuren Volkshaufen an Zu-
schauern hatte ich wohl noch nie bey solcher Gelegenheit gesehen, u.
der Vollmond, der eben durch durchbrochnes Gewölk blickte, verschönerte
die Scene noch mehr.
31. August gingen wir um 4 Uhr ins Auditor, max., wo täglich
so anch heute eine Versammlung von allen Studenten wegen Verabredung
der großen Musik war. Der König wollte nicht gerne, wie ich heute im
Speisquartier die Abschrift von der Kabinetsordre las, daß bey seinem
Empfang so viel Geld versplittert würde, und er schien es zu untersagen,
allein man hielt es blos für ein Kompliment. Nach dem Vortrage des
Entrepreneurs Bück im großen Audit. sollte es eine ansehnl. Musik
von 5 Chören mit Fackeln u. aller möglichen Pracht seyn. Senioren
der Landsmannschaften wurden zu Kollekteurs erwählt, jeder Student
sollte 5 fl. geben auch 24 gr. zur weißen Coukarde, u. das übrige
wurde auf künftige Konferenz auf morgen u. die folgenden Tage
beschlossen.
7. September. Der akademische Senat hatte öffentlich am schwarzen Brett
anschlagen lassen, daß die Studenten keine Musik bey schwerer Ahndung
veranstalten und jedem sein Kontingent gleich zurückgeben sollten.
10. September. Viele Studenten versammelten sich im Konviktorio. Hier
beschloß Bück, daß in dem Falle, wenn die Musik durchaus nicht frey
gegeben werden sollte, sie doch ein Gedicht dem Könige bringen würden,
nur fehlten noch 600 fl. u. die sollten noch frey willig gegeben werden.
Nun kam also alles auf ein Risiko an.
11. September. Hier [Audit. max.] führten Studenten schwarz gekleidet eine
Trauermusik auf u. Mangelsdorf hielt auf den verewigten großen Friedrich,
dabey er sich recht sehr angriff. Ein jeder war ganz Ohr. Das
Auditorium hatte ich noch nie so gedrängt voll gesehen. Die vornehmsten
der Stadt waren dabey gegenwärtig. Oben an saßen zur einen Seite erst
die Minister v. Groben, v. Schlieben, v. Finkenstein, v. Knoblauch, dann
General Brause, Graf Döhnhof, Vicepräsident Biedersee u. hernach Edel-
leute u. Officiere, nach unten die Prediger, auf der andern Seite saß der
akademische Senat. Die Bänke waren fortgenommen und es stand doch
alles gedrängt voll. Nachher war die Musik zum Schluß noch schöner.
14. September. [Nicolovius] erzählte mir, daß unterdes jetzigen Königs Regierung
die Heterodoxie nicht überhand nehmen würde u. daß Prof. Kant schon
befürchtete (aus Hypochondrie) von seinem Brod zu kommen.
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286 Au* dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
16. September. Vormittag ging ich auf Königsgarten, wo bey Kriegsrath Bfibner
Billette zum Entree auf den Schloßplatz am Huldigungstage konditionirten
Leuten ausgetheilt werden sollten. Da ich aber sähe, daß der Pöbel sich
nur hindrängte u. Schildwache hingeholt werden mußte, so ging ich nach
dem Koll. Albert, wo 500 Billets für Studenten ausgetheilt werden sollten.
Wie ich hinkam, fand ich schon einen großen Haufen Studenten. Der
Pedell, der sie austheilen sollte, war ganz besoffen ; wollte garnicht heraus-
kommen u. fing an sie aus dem Fenster zu vertheilen ; aber nun drängten
alle mit der größten Gewalt theils ans Fenster theils in die Stube, so daß
er sich gezwungen sah, weil ihm schon Fenster zerbrochen wurden, das
Packet ganz unter die Studenten zu werfen, wer es nun bekommen hatte,
der ist gewiß mit davon gegangen, hernach warf des Pedells Frau noch
einige aus. Mir fiel ein Billet im Gedränge auf den Arm, ich erhaschte
es, steckte es zu mir und ging davon. Der größte Theil bekam keins.
Nachmittag kamen noch immer mehr Menschen nach der Stadt, so daß
der Schloßplatz von Einheimischen u. auswärtigen wimmelte. Es waren
nun viele Gerüste gebaut, die auch für Zuschauer vermiethet werden
sollten. Es fuhren viele Vornehme nach dem Schloß. Abends kamen
die beyden großen Minister von Herzberg u. v. Gaudi aus Berlin hier an.
Der Thron war nun ganz fertig u. weil es alle Tage regnete, mit Segel-
tuch behangen. Der König sollte in Prsz. Holland übernachten.
17. September. Vormittag ging ich nach der Schloßkirche, wo eine Huldigungs-
predigt sollte gehalten werden. Die Thüren waren aber schon früh mit
Wache besetzt u. es währte sehr lange, bis ich durchkam. Eben fing
die Musik an u. es wurde eine Kantate aufgeführt. Auf Königs Chor
war der Minister von Herzberg, ein ehrwürdiger Mann von viel Ansehen
mit dem schwarzen Adlerorden, neben ihm der Minister Gaudi, auf der
andern der Obermarschall v. der Groben, dann der Reichsgraf von Finken-
stein u. der Minister v. Knoblauch. Hernach war auf der einen Seite
der ostpreußische Adel und die Ritterschaft u. auf der andern der west-
preußische u. von vielen Orten Deputirte. Erst wurde gesungen: Es woll
uns Gott gnädig sein u. dann kam der Oberhofprediger auf die Kanzel
u. hielt eine ganz vortrefliche Predigt über 1 Petri 2. 17. Zu den Ein-
gangsworten nahm er Josua 1, 17. Er redete von den vorzüglichsten
Christenpflichten als den notwendigsten Bedürfnissen zum Wohl der
Länder I) diese werden nach dem Text angeführt 1) die Furcht gegen
Gott, 2) Die Ehre gegen den König, 3) die Liebe gegen die Brüder u.
4) die Ehre gegen Jedermann. II) Diese Pflichten sind wir zu erfüllen
schuldig 1) weil wir Menschen, 2) weil wir Christen, 3) weil wir Unter-
thanen sind. Zuletzt fügte er noch einen recht schönen Wunsch hinzu.
Alles war still u. sehr aufmerksam darauf, besonders Minister von Herz-
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Von Arthur Warda. 287
berg. Drauf wurde das Lied: Herr Gott Dich loben wir gesungen. Die
Minister, die Adel- und Ritterschaft gingen heraus u. dicht neben mir
vorbey, erst auf den Moskowitersaal u. hernach unten in den Schranken,
wo sie aber bald sich ins Schloß verloreu. Es waren sehr viele Wagen.
Nach dem Essen ging ich . . . nach dem Schloßberge, wo ein großer
Haufe Volks sich schon versammelt hatte. Wir wollten nach der grünen
Brücke gehen, wo die Schiffe schön ausgeflaggt u. viele Verzierungen bey
der Brücke angebracht waren; allein wir wollten lieber sehen, wie er von
der Ritter- u. Adelschaft, die die Treppe von der Kammer besetzt hatte,
empfangen würde. Es waren da sehr viele in Ordensbändern, die man
nicht kannte. Herzberg, Gaudi, Bischof von Ermland, Bischof von Kulm,
Fürst Radzivil, General Platen, viel vornehmer deutscher u. polnischer
Adel, die hiesigen Minister u. Vornehmste der Kollegien. Die Menschen
häuften sich immer mehr an. Die Wache trat ins Gewehr. Endlich
kündigten blasende Postillionen die Ankunft des Königs an. Die Fleischer-
gilde, die ihm mit den Schützen brüdern und der rothen Garde (Kauf-
gesellen) bis zum hohen Kruge, wo auf dem Haffe viele Schiffe bey der
Ankunft des Königs manövrirten u. feuerten, entgegengeritten waren,
kamen zuerst an, dann die Schützenbrüderzunft u. endlich die rothe
Garde, aber nicht in völliger Ordnung. Nach sehnlichem Erwarten kam
Er dann nach 2 Uhr angeritten. Die ungeheure Volksmenge erhub ein
lautes Vivat. Drauf nahm er den Hut ab, stieg erhitzt durchs Jagen
vom Pferde, zog das Schnupftuch aus der Tasche, wischte sich den
Schweiß ab u. machte gegen sein Volk u. die Vornehmsten desselben
Verbeugungen. Er hatte oben eine kahle Glatze auf dem Haupt. Drauf
stieg er von Herzberg u. Herzog von Holstein-Beck geführt, die Treppe
hinauf. Seine Miene war sehr huldreich und menschenfreundlich, die
sehr viel Liebe zu seinem Volk vermuthen ließ. Nachdem kam noch ein
Trupp der rothen Garde u. viele Wagen. Ich eilte durch die Volks-
menge nach dem Koll. Albert., blickte in die Kneiphöfische Kirche, wo
kaum 30 Zuhörer waren. Im Auditorio max. war wieder Studenten-
versammlung ... Es wurde hier das nothwendige wegen der Musik
verabredet Der König ließ sich hernach einigemal am Fenster blicken.
Es war heute recht schönes Wetter. Abends wurde schon die Trommel
geschlagen.
18. September. Ich ging . . . auf Königsgarten, wo der König die Mousquetiere
u. Grenadiere exerciren ließ, hier konnte ich ihn ohngeachtet des großen
Volkshaufens doch sehen. Im Audit. max. wurde die Musik auf morgen
auf den Abend zwischen 7—8 Uhr angesagt, wies der König bestimmt
hatte. Ich holte meine Koukarde . . . weil ohne diese niemand im Zuge
gelitten werden sollte.
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288 Aus dem Leben de« Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
19. September. Heute war der sehr wichtige feyerliche Huldigungstag für
Preußen. Ich nahm Biilet, drängte mich durch den Volkshaufen, zeigte
es vor u. kam auch ohne Schwierigkeit auf den Schloßplatz, der schon
voll Menschen war. Die Gallerien waren theuer veriniethet u. stark be-
besetzt. Im Schloßthurm standen viel Menschen, auch in der Kirche, wo
sie sich die Bauten aus den Fenstern loslösten, um besser sehen zu
können. Viele hatten sich die Nacht verschließen lassen, um nur von
dieser Begebenheit Augen- und Ohrenzeuge seyn zu können. Nachdem
nun alle Landstande u. Deputirtcn im Schranken waren, wurde auf den
Thron der prächtig vergoldete Stuhl des Königs 700 fl. an Werthe zu-
rechtgestellt und gegen 3/4 auf 10 Uhr kam der huldreiche König, blieb
aber während der ganzen Handlung stehen u. mit entblößtem Haupte.
Alle Mannspersonen standen auch im kahlen Kopfe da, u. es herrschte
eine bewundernswürdige Stille, so daß man alles hören konnte. Der
Minister v. Finkenstein hielt eine deutsche Anrede an die versammelten
Stände im Schranken , die auch vom Landrath v. Ostau von unten herauf
beantwortet wurde. Darauf las der Obersekretär Schinemann den Ost-
preußischen Ständen den Huldigungseid in deutscher Sprache recht deut-
lich vor, welcher auch von diesen recht laut nachgesagt wurde, als wenn
ein Echo zurückhallt. Der Begierungsrath Mayer las den westpreußischen
geistlichen Ständen den Eid mit schwacher Stimme vor. der auch eben
so undeutl. u. schwach von den Kapucinern, Dominikanern u. andern
Orden nachgesprochen wurde. Dann las der Kabinctsminister v. Herz-
berg das Avancement unter den Standespersonen .... vor u. endlich
rief der Obermarschall von der Groben 3 mal aus: Es lebe der König,
welches vom ganzen Menschenhaufen mit starker Stimme wiederholt u.
vom Schloßthurm dazu musiziert wurde. Es war eine recht feyerliche
Stille, wofern nicht der Wind u. das Kanonendonnern während der
ganzen feyerlichen Handlung manches unhörbar machten. So lange war
schön Wetter. Nur wie die im Schranken versammelte nach der Kirche
gingen um das Herr Gott Dich loben wir zu singen, fing es an zu
regnen. Ich eilte zu unterm Konvent nach dem Audit. Max., wo noch
das nöthige zur Musik gehörende vorgetragen wurde. Mittags wurden
die Deputirtcn der Landstände auf dem Moskowitersaal bewirthet, aber
von jedem Orte nur einer. Drum war auch heute das Speisquartier wieder
voll von Deputirtcn u. Ordensgeistlichen von Katholiken. Der Thron wurde
nicht Preis gegeben u. dies war alles Unglück, was dabey zu geschehen
pflegte, zu verhindern sehr gut. Es konnte ihn nun ein jeder frey sehen.
Der Schranken unten aber wurde gleich weggebrochen. Von Denk-
müntzen wurde auch nichts ausgeworfen, sondern es wurden einige unter
einige Deputirten auf dem Moskowitersaal vertheilt Davon der Stadt-
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Von Arthur Warda. 289
kämmerer aus Mohrungen, der da gegessen, auch eine bekommen hatte,
die er mir zeigte u in den Zeitungen beschrieben ist. Nachmittag
ritten der Generaladjutant Böse in einer Jacke, die mit sehr dicken
breiten acht goldnen Tressen besetzt war, u. die mehr als 50 Adjutanten
in einem weißen Reitkoulet mit blausamtnem Koller, Aufschlägen u.
Klappen, goldnen Epauletten, Federhüten, ungarischen Hosen, Stulp-
stiefeln u. gelben Degen in der Stadt herum die Chargen einzuholen.
Sie machten nach dem Ausspruch aller Leute (wie es auch gewiß war)
mehr Parade als die rothe Garde. Ich trug meine Kokarde an dem Hut,
denn wer die nicht angesteckt hatte, sollte nicht im Zuge gelitten werden.
Die Adjutanten u. Chargen hatten noch einen Knopf mit F W brodirt.
Wie ich ans Kollegium kam, stand schon viel Wache da. Ich kam auf
den Platz u. alles hatte sich schon rangiert, ich mußte also ins letzte
Chor treten, doch war ich im 5. Chor noch unter den ersten Paaren.
Es waren auf 400 Grenadiere vom Barschen Bataillon zu Fackelträgern
bestimmt, die ordentlich ihre Offiziere kommandirten. Um mehr Ordnung
im Zuge zu erhalten, waren auf 100 Musquetier mit einigen Offizieren
vom Anhaltschen Regiment befehligt, um das Zudringen der Zuschauer
in unsre Glieder abzuhalten. Dies machte schon den Zug sehr ansehnlih.
Aber noch ansehnlicher wurde er durch den Pauker u. die 5 Trompeter,
die als alte deutsche Kitter gekleidet vor dem Zuge voranritten und in
jeder Straße den Zug durch Pauken- u. Trompetenschall ankündigten,
durch den Generaladjutanten, durch den Generalanführer HE. v. Elditt
in einer ganzen Kleidung von drap d'argent glace, durch den schönen
Anzug des Carmen trägere, des jungen Herrn von Groben u. durch den
Redner Graf von Kayserling, der eine Kleidung von Drap d'or hatte,
durch die Musik von 5 Chören, besonders das 3te Chor, das Musenchor,
welches viel stärker als die übrigen, bey jedem waren Pauken, durch die
Kleidung der übrigen Chargen, durch die Himmel von Leinwand, die
gemacht waren, um, wenn es regnen sollte, die Musikchöre und Chargen
damit zu decken, nun aber weil das Wetter uns günstig und sehr
schön war, hinten nachgetragen wurden. Vorzüglich aber zeichnete
sich der Zug durch gute Ordnung aus, so daß wohl nie ein Auf-
zug von dieser Art glänzender u. prachtvoller gewesen ist, als dieser
wirklich war. Die Fackeln wurden angezündet u. der Wind wehte
etwas bis auf den Schloßplatz, hernach wurde es still. Um 7 Uhr
ging der Zug vor sich, nach der Bärenapotheke, dann durch die Schuh-
gasse, Schmiedebrücke, Schmiedegasse nach dem Schloßplatz. Das
letzte Chor war noch auf der Schmiedebrücke, als das erste schon
ins Schloßthor einrückte. Ueberall waren ungeheure Volkshaufen, die
sich aber nicht in die Glieder zu drängen wagen durften, sondern von
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290 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
den Soldaten durch Schläge so zurückgewiesen wurden, daß sie wie eine
Mauer standen. In den Gliedern unter den Studenten selbst hielten nicht
nur die Adjutanten Ruhe und Ordnung, sondern auch die Senioren jeder
Landsmannschaft, die schwarz gekleidet mit Epaulettes mit gezogenem
Schwerdt zwischen den Gliedern, Fackelträgern u. Adjutanten gingen.
Nirgends sah der Zug schöner aus als auf dem Schloßplatz, da er erst
einen ganzen Cirkel u. hernach, wie er sich mehr zusammenzog, einen
halben Mond bildete, den der König mit Wohlgefallen am Fenster über-
sehen haben soll. In der Mitte des Platzes war keiner u. die Offiziere
gingen auf u. nieder, um ihn leer und schön zu erhalten. Der General-
adjutant, Generalanführer, Kar men träger u. Redner mit ihren Chapeau
d'honneurs gingen herauf vor den König, der sie sehr gnädig empfing u.
nach Kayserlings Namen fragte. Er ließ hernach die Adjutanten auch
heraufkommen u. vor sich vorbeyspazieren, die er dann mit zufriednem
Lächeln ansah. Drauf fuhr er zum Obermarschall hin u. befahl, daß
alle Studenten heraufgehen sollten, um mit Erfrischungen bewirthet zu
werden. Die Offiziere luden uns alle dazu ein. Nun liefen alle hinauf.
Auf 12 Tische waren mit Wein besetzt, der aber schon fast von den
Chargen ausgeleert war. Doch war noch Konfekt vorhanden, davon ich
auch etwas bekam. Wir eilten wieder herunter. Es wurde ein sehr
lautes großes Yivat mit Hutschwenken u. Zusammenschlagen der Degen-
klingen dem Könige unter Pauken u. Trompetenschall gerufen. Nun
waren alle auf einem Haufen in der größten Unordnung. Doch währte
es nicht lange, so war alles wieder gereihet und der Zug rückte wieder
aus. Die Gerüste auf dem Schloß waren eben so wie heute Vormittag
besetzt u. Plätze wurden so gar vermiethet. Vor dem Schloß stand in
der Länge Wache in Parade. Die Stadt war heute illuminiert u. die
große Menge Fackeln von unserm Zuge machten alles noch mehr helle.
Es waren auf allen Straßen unbeschreiblich viel Zuschauer. Der Entre-
preneur Ruck, der fürs Ganze sorgte u. bald hinten bald vorne u. in der
Mitte war, ließ den Zug durch die französische Straße, den schiefen Berg,
den Roßgarten hinaufgehen nach der Neuensorge zu, wo dem Könige,
der beym Obermarschall war, wieder ein Lebe zugerufen wurde. Ferner
ging der Zug durch die Landhofmeistergasse die Sackheimsche Kirche
vorbey, wo das Vivat vom letzten Chor dem 'Könige beym Obermarschall
gerufen durch die Glieder bis auf den Sackheim fortging, dann die katho-
lische Kirche vorbey über den neuen Markt, die Löbnichtsche Langgasse,
krumme Grube, altstädtsche Langgasse, altstädtsche Schuhgasse, die
Krämerbrücke. Kneiphöfsche Langgasse, die am schönsten illuminiert war,
dann durch die Brodbänken gasse, Köttelgasse, einen Theil der Magister-
straße u. den andern Theil der Kneiphöfschen Langgasse, wieder durch
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Von Arthur Warda. 291
die Brodbänkengasse, den großen Platz nach dem Koll. Albertino, wo
wir gegen 10 Uhr hinkamen u. die ganze Feyerlichkeit noch mit einem
lauten Vivat für die akademische Freyheit geendigt wurde. Ich eilte
noch nach der Kneiphöfechen Langgasse u. sah die schöne Illumination
bey Conimercienrath Scherres u. andere sehenswürdige Erleuchtungen in
der Stadt.
20. September. Nachmittag besah ich in der Börse die Verzierungen von der
gestrigen Illumination, wo auch die Bildnisse der Könige Friedr. Wilhelm
des 1 ßten, des vorigen u. des jetzigen, das aber wenig getroffen war,
hingen. Abends gab der König dem gesamten Adel auf dem Moskowiter-
saal, wo er selbst mitspeiste, ein Souper.
21. September. Der König ritt heute nach der Vestung, wo er viele frey ließ
u. den Regierungsrath Glave von der Karre losmachen u. als Staats-
gefangnen auf Gnade sitzen ließ Er hatte ein schönes ganz
schwarzes Reitpferd, das Geschirr stark' mit Silber besetzt Abends
war bey Graf Kayserlings der König. Die Straßen, wo er durchfuhr,
wurden iUuminirt u. waren voll Volks u. Wagen. Die Erleuchtung bey
Kayserlings von Lampen im Namenszuge ™ mit einer Krone von Lampen
drüber war recht hübsch. Er fuhr um 8/4 auf 10 mit Erleuchtung von
Pechfackeln an den Wagen her wieder ab, weil er morgen wieder nach
Berlin früh zurückreisen wollte.
22. September. Heute um 5 Uhr Morgens verließ uns unser vielgeliebte Monarch
unter Lösung vieler Kanonen. Gott sey mit ihm! Die Studenten Adju-
tanten nehm lieh waren des Nachts in Duboisruh u. erwarteten ihn da,
um ihm noch ein Vivat zu rufen, welches auch geschah. Die rothe Garde
konnte ihn kaum einholen, u. die Schützenbrüderzunft kam viel zu spät
u. umsonst hin. Der König hatte gestern dem Redner, dem Kayserling,
eine schöne goldne Dose mit seinem Bildniß u. Perlen besetzt zugeschickt.
Auch General lieut. v. Anhalt hatte eine solche mit Steinen besetzt von
ihm erhalten Heute wurden auch die Gerüste u. der Thron auf
dem Schloßplatz abgebrochen.
23. September. Heute hörte ich sagen, daß der Kannen träger HE. v. Groben
auch eine goldene Tabatiere vom König bekommen hatte.
25. September. Heute ließ ich die Stunde .... ausfallen, weil der Geburtstag
unsere jetzigen Königs im Aud. max. mit einer deutschen Rede vom
Studenten HE. v. Knobloch, des Ministers Sohn gefeyert wurde. Mangels-
dorf hielt zuvor eine kleine Rede von der obersten Katheder. Der junge
v. Knobloch machte es gut. Es war keine Musik dabey. Alle Minister
u. viele andre Standespersonen nicht in Trauer- sondern Galakleidern
auch der akademische Senat war dabey gegenwärtig u. überhaupt war
ein zahlreiches Auditorium.
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292 Aug dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
27. September. Abends wurde den Chargen Musik gebracht mit 40 Stocklaterneu
und 2 Chören Musik, das Musenchor ging hinten. Ich ging im ersten
Zuge. Vorher ging ich nach der Börse, die erleuchtet war und noch
heute erst des Königs Geburtstag von ehegestern feyerte. Das Kneip-
höfische und altstadtische Rathhaus war auch ganz erleuchtet. Erst ging
der Zug durch die Magistergasse, wo dem Entrepreneur Bück Vivat ge-
schrieen, dann über den kleinen Platz, die Brodbänkengasse, die kneip-
höfsche Langgasse, altstädtsche Schuh- u. Langgasse den Schloßberg
hinauf, wo die Soldaten auf der Hauptwache in Gewehr standen, durch
die französische Straße auf den schiefen Berg, wo der Karmenträger Graf
v. Groben Musik u. Vivat bekam, dann auf den Boßgarten zu Graf
Kayserling, wo dies ebenfalls geschah, hernach zurück auf den Anger, wo
dies ebenfalls vor dem Logis des Generaladjutanten Böseke erfolgte. Von
hier ging ich nach Hause, weil es schon 10 war. Der Zug soll nach der
Altstadt gegangen seyn, wo sich die Chargen ein Haus zur Schmauserey
gemiethet hatten. Der Generalanführer v. Elditt bekam nichts, weil er
seine Charge nicht bezahlt hatte. Der Generaladjutant hatte für seine
Charge 55 Dukaten u. überhaupt zur kostbaren Kleidung u. allem
200 Dukaten ausgegeben. Welch' ein Aufwand! Ich verzehre Abends
kaum für einen Groschen.
29. September, [ausgestrichen:] Ich hörte sagen, daß Prof. Kant sehr krank
wäre.
1. Oktober. Vormittag war die akademische Rektor wähl, wo Kant, es dem
Bekkard abgab. Ich war nicht da.
5. Oktober. Ich ging Vormittag zum Herrn Prof. Krause auf den Ochsen-
markt u. bat ihn, da ich so sehr an Geld verlegen war, ob er nicht
Opitzens Gedichte annehmen möchte. Er hatte sie selbst. Da ich ihn
bat, ob er, da er doch in großer Verbindung stände, mich nicht in eine
Kondition empfehlen könnte, so sagte er, vor der Hand wüste er nichts,
ich möchte Information in der reformirten Schule annehmen u. mich
deswegen an Herrn Prediger u. Rektor Wannowski wenden. Dies wäre
der sicherste Weg. Ich möchte zur andern Zeit zu ihm kommen, da er
jetzt mit Veränderung seines Logis beschäftigt wäre.
25. October. Vormittag kam Nicolovius zu mir und brachte mir einen Gruß
von seinem Bruder, der schon vorige Woche nach Biga abgereist wäre.
Er erzählte mir .... auch verschied nes von Lavatern, der jetzt in der
Sache des Katholicismus sehr viel Aufsehen erregte, und den Nicolovius
sehr wie sonst vertheidigte.
31. October. [Nicolovius] sagte mir heute das Geheimnis, das er noch keinem
entdeckt u. mir bis jetzt verschwiegen, nehmlich daß er vorher Hoffnung
gehabt auf künftiges Jahr eine Reise in Hamanns u. dessen Sohnes Ge-
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Von Arthur Warda. 293
Seilschaft nach Deutschland und der Schweiz zu machen (Hamann hatte
es ihm angeboten, weil Prof. Krause, der vorher mitreisen wollte, seinen
Entschluß geändert) da er sich dann bey Herdern u. einigen andern
lieben Männern wochenlang aufhalten würde, welche Nachricht da er von
Mohrungen gekommen ihn bis zum Entzücken erfreute. Jetzt aber gäbe
er fast alle Hoffnung auf, da Krause sieh wieder andere bedacht, doch
hätte letzterer noch Bedingungen, würden die nicht erfüllt, so hätte er
(Nikolov.) noch einige Aussichten, seine Wünsche erreicht zu sehen.
Mich interessirte das Geheimnis sehr u. ich gönnte meinem lieben Freunde
von ganzem Herzen das große Glück, ermunterte ihn auch noch immer
guten Muthes zu seyn. Er sagte, er würde doch einmal zwar reisen,
aber doch leider dann nicht in Gesellschaft eines Hamanns. Auch jetzt
thäte es Hamann, wenn er ihm nur ein Wort sagte, da er es ihm an-
geboten, aber wollte sich ihm nicht aufdringen. Er versprach mir nähere
Nachricht, wenn Krause sieh wozu entschlossen hätte, zu geben.
5. November. Mittags erzählte der Antiquarius PilkoWsky, daß er auf 600 fl.
Bücher 2000 fl. profitirt hätte. Er war aber auch ein wahrer Jude u.
wurde deswegen im Speisquartier von jedem verachtet.
23. November. Die Buden von der Schmiedebrücke wurden jetzt weggebrochen
weil sie so werden sollte, wie grüne Brücken u. die andern mit Flügeln
zum Durchgang der Schiffe, ein gleiches sollte auch mit der Krämer-
brücke vorgehen.
26. November. Der neue Prof. der orientalischen Sprachen Herr Hasse aus
Jena, der in des Prof. Köhlers Stelle hergekommen, [kündigte an], daß er
jetzt seine Vorlesungen anfangen würde nehml. publice über seine
hebräische Grammatik u. das Buch der Ruth u. dann Dienstag u. Frei-
tag von 1—2 Uhr über Salomos hohes Lied u. privatim die syrische u.
arabische Sprache.
27. November. Heute fing Hasse an zu lesen, ich wollte morgen ihn hören.
Er soll einen langen Prolog gehalten und sich verwundert haben, daß er
nicht so viel Zuhörer vor sich sähe, welches doch im Anfange etwas
ungewöhnliches wäre. Wie er in Jena zu lesen angefangen, so sollen die
Studenten so zahlreich gewesen seyn, daß sie Fenster und Thüren aus-
gehoben haben, um ihn zu hören.
28. November. Reckard behielt heute in der Hermeneutik wenige Zuhörer, weil
der größte Theil von ihnen u. ich auch zum Prof. Hasse ging, der in der
Tuchmachergasse logirte. Er hatte heute ein starkes Auditorium u. jeder
von den Zuhörern war aufmerksam, weil er seinem Vortrag so viel
Interesse zu geben wußte. Er trug seine Sachen in einem so fließenden
Stile vor, als wenn er sich alles koncipirt hätte. Er stand an einem
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294 Au8 dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
kleinen Puipet u. redete mit vielem Feuer, war aber bestandig in Be-
wegung und wog sich von einer Seite zur andern. Er hatte die Prolego-
menen der hebräischen Sprache u. es war ihm recht gut zuzuhören ....
ging ich gleich nach dem Essen wieder zu ihm hin, denn er las von
1—2 Uhr Salomo's hohes Lied. Er sieht es nicht für ein Buch an, was
die Orthodoxen als die christliche Kirche unter dem Bilde der Braut u.
ihrem Bräutigam sich denken, sondern erklärt es für ein Buch der reinsten
innigsten Liebe, das wohl wegen seines Tones göttlich genannt zu werden
verdient, da die Unschuld eines süßen sanften Mädchens drin spricht.
Möchte doch, war Hasses Wunsch, jeder Jüngling u. jedes Mädchen so
sich lieben, so wüßte man nichts von den Arten des Lasters der Wollust.
Er erklärte die Ueberschrift als ein vorzügliches Lied oder mit Herdern
Krone der Lieder, Ausbund der Lieder. Seine eigne aber war diese Lied
der Lieder wäre eine Sammlung von vielen Liedern, die nicht von Saloino
wäre, denn dieser liebte nicht ein Mädchen, sondern wie die Bibel sagt
wohl eine Legion. Feldhusen hält es ebenfalls für eine Idylle, wie er das
hohe Lied in diesem Jahre übersetzt hat. Diesen machte Reckard nur
kürzlich lächerlich u. widersprach also auch hierin dem Hasse, so wie
Hasse auch Vormittag sagte (so wie Herder), daß der erste Mensch die
Sprache nach den Tönen der Thiere artikulirt und also nach u. nach
erfunden habe, welches doch Reckard geradezu verneint u. es mit Süß-
milch hält, daß Gott dem Menschen die Sprache gleich anfangs ■ ge-
geben habe.
2. December. Heute ging ich wieder von 1—2 zum Prof. Hasse. Sein Audi-
torium war ganz gedrängt voll Zuhörer. Der Mann hatte einen ungemein
lebhaften fließenden unterhaltenden u. blumenreichen Vortrag ganz nach
Herdern, den er auch oft anführte u. den großen Herder nannte. Er
machte die Erklärer des hohen Liedes die lauter Mystik drin antreffen,
recht lächerlich u. hielt es für nichts anders als eine Sammlung von ver-
schiedenen Liedern, die der Sammler ohne Auswahl an einander gereihet
u. die nichts als süße sanfte Liebe hauchen. Er fing heute noch in den
letzten Minuteu an die 6 ersten Verse zu übersetzen, las aber nicht den
hebräischen Text, sondern bloß seine schöne deutsche Uebersetzung.
9. December. Mittags las ich im Berliner Blättchen, daß Herder in Weimar,
dem der Herzog nicht günstig wäre, dem Spalding in Berlin adjungirt
werden sollte.
13. December. Nach dem Essen ging ich gleich zu Hasse, dessen Auditorium
noch immer erstaunend voll von Zuhörern war. Er übersetzte das hohe
Lied sehr schön u. erklärte es, gab aber den Orthodoxen, die er Kreutz-
theologen nannte, bey Anzeige ihrer Erklärungen derbe Hiebe.
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Von Arthur Warda. 295
1787.
8. Januar. Vormittag erzählte Rekhard, wie sehr Basedow die Welt mit Reinem
von ihm gestifteten Philanthropin hintergangen u. welche Reichthümer er
sich dabey gesammelt, dahingegen Franke, der das Hallische Waysenhaus
stiftete u. Oberkonsistorialrat Hecker, -der sein väterl. Erbtheil von
20000 Thl. auf die Realschule zu Berlin verwandt von der Welt des
Eigennutzes u. der Habsucht u. falscher Absichten wären beschuldigt
worden, bis man endlich den Basedow von einer schlechten, die beiden
andern würdigen Männer aber von einer bessern Seite nach ihrem Tode
hat kennen lernen.
13. Januar. Hasse zeigte in der vortrefflichen Uebersetzung des hohen Liedes,
was für Ungereimtheiten die Mystiker in Erklärung des 4ten Kapitels
gezeigt hätten, als unter dem Schleyer verstehen sie den Glauben, unter
den beiden Reihen von Zähnen die 2 Symbole nehml. das Nicaenische u.
Athanasianische, unter den Purpurlippen das Blut Christi usw.
20. Januar. Wolterstorf erzählte mir heute bey Hasse, daß das Koll. Fr. jetzt
immer mehr in Verfall käme. Groß-Sekunda würde nächstens mit Klein-
Sekunda in eine Klasse zusammengezogen werden. Es waren jetzt kaum
20 Kollcgiasten, u. der Inspektor ziehe den Lehrern für Licht, Logis u.
Holz einen großen Theil von ihrem Gehalt ab. Die besten Lehrer wären
fort und er wolle auch auf Ostern ausziehen1).
31. Januar. Heute disputirte Prof. Hasse im Aud. max. Woltersdorf war
Respondent und Meyer, Manitius u. Rink, alle 4 aus dem Koll. Frid.
dimittirt, waren Opponenten . . . Die Disputation soll bis halb 2 Uhr
gewährt haben. Rink konnte, weil er krank war, nicht oppouiren, für
ihn thats aber ein gewisser Achtsnicht Lehrer im Koll. Fridr. Es soll
recht gut gegangen seyn u. Mangelsdorf hatte von den Prof. allein
opponirt u. viel gescherzt.
7. Februar. [Nicolovius] erzählte, daß er ohne Zureden eines andern sich an
einem Morgen kurz entschlossen hätte, mit Ostern zu Schiffe nach Eng-
land zu reisen, so daß er wieder zum Michael hier zu seyn glaubte u.
die Rückreise entweder wieder zu Schiffe oder durch Deutschland in Ge-
sellschaft des Hamanns, den er denn wohl in Düsseldorf finden möchte,
machen würde. Prof. Kant hatte ihm schon seit einiger Zeit zu solcher
Reise angerathen u. ihm versprochen, Personen dort zu finden, an die er
sich adressiren könnte.
15. Februar. Vormittag las Reckard nicht, weil heute der Hofprediger Schulz
als Prof. disputirte Respondent war der ältere Jachmann und
. 1) Unter dtm 18. November 1780 spricht Puttlich von der „hierarchischen
Gewalt des Domsien".
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296 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
Opponenten Zimmermann, Wolf und Gensichen Prof. Hasse
opponirte zuerst u. tadelte besonders den Titel der Dissertation: De
Geometria acustica, sonst aber zeigte er viel Achtung und Freundschaft
gegen Schulz, der ihn aufgefordert hatte, ihm in der Sache Einwürfe zu
machen, die gar nicht in sein Fach gehörten. Prof. Krause fand manches
in den Beweisen u. Berechnungen zu verbessern.
1. März. Nikolov kam noch zu mir u. sagte, daß er nicht nach England
reisen könnte, weil das Pupillenkollegium ihm die Reisekosten ver-
weigert hätte.
30. März. Ich plauderte mit dem unglücklichen lieben Manne [Baczko] auf
1 Stunde. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte, die ganz voll außer-
ordentlicher Ereignisse war. Zuletzt da er sagte, daß er bald vielleicht,
da hier seine Bemühung fürs allgemeine Beste verkannt würde u. auch
in denen wenigen Tagen, die er zu durchleben glaubte, nützlich der Welt
zu werden suchte, sich gezwungen sähe, Preußen, das er sehr liebte, zu
verlassen. Seine Lesebibliothek kostete ihm 600 Thaler, dazu sollte noch
nächstens ein Anhang für 200 Thaler Bücher hinzukommen. Er sagte,
er wäre arm u. hätte doch ein großes Kapital. Dies bestände darin, daß
er auch gelernt hätte, viele Bedürfnisse zu entbehren. Er bat mich, ihn,
wenn ich nach der Stadt käme, wieder zu besuchen, aber auf dem mittleren
Anger, denn morgen zöge er aus dem Münchenhofe schon dahin.
9. April. Ich bekam vom Prinzipal auf heute Abend zum Durchlesen die
kleine, aber sehr wichtige Schrift: „Was ist für und was ist gegen die
General-Tobaksadministration zu sagen ?'• Die Schrift war von Finanz-
rath von Bork geschrieben in einem zieml. bittern, aber sehr treffenden
u. der Wahrheit geraäßen Tone ohne Benennung des Druckorts und
Verf. Nur Bork soll sich selbst beym Könige, der es zu wissen begehrt,
angegeben u. den König gebeten haben, es selbst durchzulesen. Der
König hat es sehr hoch aufgenommen u. den Ministern im Oberdirektorio
große Verweise für den Plan, den sie ihm zur Unterschrift vorgelegt
hatten, gegeben. Denn das Land müßte wirkl. in schlechtem Zustand
gesetzt werden, wenn zwar Kaffee u. Tabak wohlfeiler würden, dahin-
gegen aber aufs Mehl, Fleisch, und andere notwendigere Bedürfnisse
höhere Abgaben gelegt würden, welches den 1. Juni seinen Anfang
nehmen sollte.
24. Juli. Ich besuchte heute auch Herrn v. Baczko, der schon vor einiger
Zeit von Berlin zurückgekommen und mir sagte, daß er mit vielen
wackern Männern besonders mit Tellern, von dem er sehr viel Gute*
sagte, bekannt geworden wäre. Er sammelte sich Vögel u. zeigte mir
viele davon, alles vaterländische. Von der allg. Litteraturzeitung hielt
er nichts.
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Von Arthur Warda. 297
27. August, [in Mohrungen] Ich besuchte Herders Schwester, die Frau Hörn,
die sehr krank war.
15. September. Nachmittag besuchte ich noch .... Frau Hörn, die sich noch
immer schlecht befand, von ihr bekam ich einen Brief an ihren Bruder,
den Generalsuperintendenten Herder in Weimar mitnehmen u. durch
Nikolovius dorthin schicken sollen.
4. Oktober. Ich gab [Nicolovius] auch den Brief von Frau Hörn aus Mohrungen
damit er ihn mit dem andern, der noch bey HEn Hamann lag, nach
Weimar an den Generalsuperintendenten Herder befördern möchte.
1789.
31. März, fuhr ich ... . nach Königsberg, um von meinem lieben Nikolovius,
der nach England zu Schiffe gehen wollte, Abschied zu nehmen. Ich
fand ihn auch noch wirklich in Königsberg. Ich hatte ein Abschieds-
epistel auf ihn gemacht und gab sie ihm ab.
7. April, ging Freund G. H. L. Nikolovius von Königsberg nach Pillau ab,
um von da auf einem englischen Schiffe, dessen Kapitän John Sharp
hieß, nach England zu reisen.
11. April, fuhr Nikolovius bey heiterm Himmel und warmer Luft nach Hüll
von Pillau ab. Ich .... dachte an ihn, wußte aber noch nicht, ob er
schon abgereiset wäre, bis ich in der Folge diese Nachricht von seinem
Bruder aus Königsberg erhielt.
4. November. Ich schrieb heute an HE. Nikolovius nach Königsberg, .... und
5. November bekam ich einen Brief von ihm, worin er mir unter andern
sagte, daß sein ältester Bruder erst in diesen Tagen von London nach
Frankreich übergehen würde.
1790.
19. Februar. Ich .... ging auch zu Herrn Nikolowius, wo ich auch seinen
Bruder, den Buchhändler, fand, den ich seit drey Jahren nicht gesehen.
Sobald er das Privilegium aus Berlin erhalten würde, sollte sein Etablissement
auf Ostern schon den Anfang in der Kneiphöfschen Langgasse nehmen.
1. Juni, erhielt ich ein Antwortschreiben von Nikolovius, worin er mir zugleich
anzeigte, daß sein ältester Bruder schon vor 8 Tagen von seinen Reisen
zurückgekommen wäre, er schickte mir die zwey Pfunde Turnipssamen,
den er für meine Principalin aus England gebracht hatte. Seine Ankunft
machte mir große Freude.
6. Juli, erhielt ich über Post vom jungem Nikolovius Bücher, auch 3 Exemplare
von dem Bücherverzeichnisse aus dem nun schon eröffneten Laden
seines Bruders.
2. August. Ich stieg gleich vor der Nikoloviusschen Buchhandlung in der
Kneiph. Langgasse .... ab u. fand alle 3 Gebrüder zu Hause, u. freute
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 3 u. 4. 20
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298 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
mich besonders den Engländer zu sehen u. zu sprechen. Wir unterhielten
uns auf 3 Stunden ....
3. August. Nikolovius .... gab mir bis zur nächsten Gelegenheit die
Brabantsche Patriotenkokarde» die er sich in Gent hatte kaufen müssen
u. die aus rothem, schwarzem, weißem u. gelbem Band bestand, nach
Klingbeck mit, zeigte mir auch als Reliquie ein Stückchen von
Shakespeare Stuhle.
29. Oktober. Ich bekam heute vom jüngsten Nikolovius .... nebst einem
Briefe über Post, worin er mir Nachricht gab, daß sein ältester Bruder
wieder auf eine Zeitlang sein Vaterland verlassen würde. Wohin er aber
ginge, wollte er mir künftig sagen.
9. November. Ich schrieb an den ältesten Nikolovius u. schickte ihm die
Brabantsche Patriotenkokarde zurück.
16. November. Ich erhielt heute eine Antwort vom ältesten Nikolovius auf
meinen letzten Brief. Sie erregte in mir eine bittersüsse Empfindung,
denn er schrieb, daß er auf künftigen Monat nach Berlin ginge u. mit
dem dänischen Gesandten am Berl. Hofe, dem Grafen F. L. zu Stolberg
eine Reise durch Deutschland, die Schweitz u. Italien nach Neapel
machen, 2 Jahre wegbleiben u. nachher eine Stelle bey hiesiger Akademie
erhalten würde.
1792.
3. Juni. Mittags aß ich bey Nicolovius, der heute noch mit dem Münzbuch-
halter [Schiemannl seinem Bruder, dem Buchhändler, nach Dan zig mit
der Post entgegenfuhr, der ältere wollte nach Briefen von ihm mit dem
Grafen zu Stolberg nach Sicilien übergehen und den Aetna besteigen1).
1795.
17. Mai. [in Worienen]. Ich besuchte nun vorläufig den schönen Garten, durch-
wandelte ihn aber bald in größerer Gesellschaft des geheimen Finanzraths,
seiner Gemahlin u. deren allerliebsten zwey Kinder Adelheide von 4 u.
Alfred von 3 Jahren, Bonnchens u. der bey den Fräulein. Zu jeder Seite
der Hälfte des großen Gartens ist zwar ein Bogengang, aber beyde führen
wie anfänglich andere Gänge zu dem schönen Naturgarten, auf dessen
noch größere Verschönerung der Präsident viel Sorgfalt verwendet Es
giebt viel ausländische Bäume darin, als die nordamerikanische Fichte,
die virginische Pappel, der Lerchenbaum, Cypressenbaum, mehrere Akazien-
1) Unter dem 5. Juli 1792 schreibt Puttlich in einem Briefe an seine Braut:
„[Theodor N.J erzählte mir, daß sein ältester Bruder mit dem Grafen zu Stoll-
berg von Neapel über die Meerenge nach Sicilien gehen wollte, um den Aetna
zu besteigen, da er vorher schon auf dem Vesuv gewesen wäre**.
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Von Arthur Warda. 299
arten u. s. w., die zum Theil aber bey dem letzten späten Frost etwas
gelitten haben Außer dem .... größeren Teiche, woran der
Garten linker Seite grenzt, enthält er in seinem Innern noch zwey andere
kleinere Teiche mit Fischen, davon einer mit einem schönen weißen Ge-
länder umgeben ist, dann kommt man im Laubdunkel zu einer von Feld-
steinen eingeschlossenen Samaritäne oder zu einem Quellbrunnen, woran
ein Sitz von Wurzeln u. Aesten ist. Auf verschiednen sich windenden
Pfaden und über Knüttelbrücken kommt man in viele Gegenden des
Naturgartens. Ein Hauptgang führt in ein düstres Heiligthum von
Mauerpfeilern, 3 verschloßnen eisernen Thürengegittern u. Birken umgeben.
Hier sieht man auf einem grünen kleinen Hügel eine große schönge-
arbeitete Urne von kararischem Marmor, welche der erhabnen goldnen
lateinischen Inschrift zufolge auf einer Tafel von schwarzem Marmor im
Fußgestell, das ebenfalls von weißem Marmor ist, der geheime Finanzrath
mit seinen Geschwistern ihren verewigten Aeltern geweiht haben. Die
Aufschrift ist folgende:
D. M. S.
J. F. de Domhardt
et
A. E. Keudell
Parent. O. B. M.
L. L. F. C.
Filii Filiaeque. MDCCLXXXVIII.
Nun durchkreutzen sich krumme Pfade durch das wilde Gebüsch von
allerley einheimischen Holzarten. Auf der rechten Seite im Garten neben dem
einen Teiche findet man die vielen Mistbeete u. einen Treibkasten, worin viele
Ananaspflanzen in Töpfen stehen. Achtzehn davon trugen schon Frucht.
Hinter diesem Platz kommt der Blumenflor, in dessen Mitte eine steinerne
Sonnenuhr steht. Nicht weit davon ist die gutgebaute Gärtnerwohnung
und nebenbey das große Gewächshaus von 27 großen Fenstern, worin
man eine schöne Orangerie u. seltne Blumenstauden u. Gewächse findet.
Auf der linken Seite des Gartens am großen Teiche steht auf einem
grünen Rasenhügel ein Denkmal, das die Präsidentin in diesem Jahr
zum Andenken des vorjährigen Besuchs von ihren Geschwistern hat er-
richten lassen. Es ist eine weiße abgestumpfte Säule mit der Inschrift:
Meinen Geschwistern
Ignat. u. Cath. v. Radolinski
MDCCXCIV
Zu beyden Seiten stehen zwecn große geflochtene Blumenkörbe,
worin Blumen gepflanzt sind. Im Hintergründe des Gartens wird man
durch den Anblick einer Einsiedeley überrascht, die mit Tannenrinde
20*
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300 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
bedeckt ist. Vor ihr auf beyden Seiten stehen Birken, unter denen an einer
der Einsiedeley am nächsten, ein Täf eichen mit folgender Aufschrift hängt:
Trage Deine Ketten und schmücke sie mit Blumen.
In der Einsiedeley selbst, deren Wände mit Moos bekleidet sind,
trifft man in der Mitte einen Tisch von Baumrinden an. lieber dem
Kamin lieset man die Worte:
Das Gesetz
der
Wiedervergeltung
ist eine
ewige Naturordnung.
Ueber einem kleinen Altar in der Ecke hängt eine pyramidenförmige
weiße Tafel mit der Inschrift:
Niemand sage, daß ein ungünstiger Gott das Schicksal
des Menschen lenke und neidend es von seiner Höhe zu stürzen
trachte; die Menschen sind einander selbst ihre ungünstige Dämonen
Wahrheit und Tugend sind selbsterworbene Güter
und verbleiben dem Eigenthümer diesseits und jenseits des Grabes.
Vor der Thür zu beyden Seiten der Einsiedeley stehen zwey Bänke
wie an dem Quellbrunnen. Den großen Garten zieren noch Pfauen, deren
20 seyn sollen u. die hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, denn
man begegnet sie fast auf allen Pfaden. — Nach dem Essen besahen wir
die schönen Zimmer des Hofes, besonders gefiel mir die Büchersammlung
u. das Bilderkabinet. In meinem Zimmer hängen die Farn ilien gern ählde
u. ich habe eine hübsche Aussicht . . . Nun führte mich auch der
Präsident in seinen Pferdestall, der wohl vielleicht der einzige in seiner
Art hier in Preußen ist, denn er gleicht einem Hofe, ist ein langes
massives Gebäude mit Dachziegeln gedeckt, hat einen hübschen Thunn
mit einer Uhr, die auch sogar Viertelstunden schlägt und auf vier Seiten
Uhrscheiben hat. Im sehr reinlichen netten Stall mit einer Gypsdecke
und herabhängenden Laternen stehen schöne Pferde in Abtheilungen, wie
denn auch die Arbeitspferde sehr wohl aussehen u. zum vorzüglich guten
Gestüte gehören. Aus einer Pumpe sprudelt unaufhörlich klares frisches
Wasser hervor. Uebrigens ist in dem Gebäude alles bequem u. trefflich
eingerichtet. Ueberhaupt gehören die Worin enschen Güter zu den
beträchtlichsten in Preußen und sind ein Fideikomniß.
19. Mai. Nachmittag lustwandelten wir ins Getreidefeld, durch eine schöne
Allee auf der Landstraße, wo an einer Linde eine Blechtafel mit folgenden
Worten angeschlagen war: „Suche nicht rauscheude Freuden in der stillen
Wohnung des Landmannes."
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Von Arthur Warda. 301
20. Mai. . . . kam der Präsident zu mir, wo er sich mit mir über den traurigen
Zustand seines altern Bruders unterhielt u. mir auch seine eigenen
Schicksale bey Verzichtleistung auf den geheimen Finanzrathsposten nach
seiner Vermählung mit seiner Gemahlin u. die gegen ihn gespielten
Kabalen erzählte.
25. Mai. Alles war reisefertig u. wir empfahlen uns dankbar gerührt dem
Worinenschen Hause. Der Präsident war bis zu Thränen gerührt u.
sagte: Da sehen Sie wieder das alte Weib in mir1).
26. Mai. [in Königsberg.] Nun wurde von unsern allersei tigen künftigen
wichtigen Verhältnissen gesprochen. Es betraf die gemeinschaftliche
Gründung einer Erziehungsanstalt, dazu Freund Fleischer schon fast
ganz den Plan entworfen hatte. Dem zufolge sollte die Sache von
Michael d. J. den Anfang nehmen u. wir dann vereintes Doppelpaar
unsere Kräfte gemeinschaftlich zur Bildung junger Weltbürger anwenden. —
Ob die Sache gleich schön war, so mußte ich dennoch an einem günstigen
Erfolg zweifeln, und ich wünschte lieber mein Leben auf dem Lande
thätig verleben zu können als in einer großen Stadt. Doch wollte ich
den Wünschen meiner Minne nicht entgegen seyn u. erst in den folgenden
Tagen den Entwurf von Fleischern lesen.
23. Juni. Vormittag ging ich mit Fleischern u. meiner Minne die Wohnung
des Frl. v. Bohlschwing in der Wilhelmstraße in Augenschein nehmen,
die wir zu unserm Institut miethen wollten. Wir besahen die Gelegen-
heit u. fanden sie für 90 Thaler gut für unsern Zweck, denn sie hatte
6 Stuben. 3 Kammern, 3 Küchen, einen Stall, Boden u. Hofraum.
Dann zeigte uns Frl. v. Bohlschwing auch ihres Vaters Garten, den wir
zu miethen auch willens waren. Kriegsrath Deutsch .... warnte uns
vor der Unbedachtsamkeit bey unserm Vorhaben u. rieth uns wohl alles
gehörig zu überlegen.
28. Juni ging ich mit [Fleischer] zum Kammerherrn v. Bohlschwing,
dessen Wohnung wir für 90 Thaler u. den Garten, den wir vorher be-
sahen für 50 Thaler mietheten. Der Contract wurde auf 3 Jahre ge-
schlossen u. der Kammerherr schrieb ihn selbst.
2. Juli. Nachmittag, nachdem ich nochmals den von Fleischer u. mir ent-
worfnen Plan zu unserm Erziehungsinstitut durchgesehen hatte, ging ich
mit ihm zu Härtung, um ihn abdrucken zu lassen. Dieser meynte die
Censur würde uns viele Schwierigkeiten machen, doch wolle er den Plan
zu diesem Zweck gleich an den Prof. Beusch, der jetzt philos. Dekan
war, schicken, welches auch geschah.
1) Am 24. Mai hatte Puttlich noch in eine Linde in Worienen die Buch-
staben J. S. F. P. und die Zahl 1795 eingeschnitten.
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302 Aus dem Leben de» Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
9. Juli. Heute war der Abdruck von der Ankündigung unserer Erziehungs-
anstalt fertig u. ich theilte ihn Nachmittag gleich der Frau v. Domhardt
mit. [am nächsten Tage dem Rittmeister und dem Präsidenten v. Dom-
hardt].
12. Juli. Heute Vormittag fuhr ich mit Fleischern im Wagen des jungen
Bruinvisch zu den angesehensten Häusern der Stadt, wo wir unsere An-
kündigung der Erziehungsanstalt mittheilten. Vom Stadtrath Salzmann,
bey dem wir ausstiegen, machten wir den Anfang auf der Insel Venedig,
fuhren dann durch die kneiphöfische Langgasse, wo wir in verschiedenen
Häusern Exemplare einreichen ließen, dann durch die Koggengasse, den
Steindamm hinauf, die Junkerstraße, auf den Prinzessinplatz, wo wir bey
Prof. Kant ausstiegen. Der würdige große Mann empfing uns gütig u.
freundlich, und unterhielt sich lange mit uns über unser wichtiges Vor-
haben, dazu er uns mit herzlicher Wärme viel Glück wünschte, uns von
seiner Empfehlung versicherte u. uns manchen guten Rath u. Winke gab.
Dann gings auf den Tragheim zum Kanzler v. Finkenstein, der unserni
Unternehmen Glück wünschte und uns seines Beystandes versicherte,
dann zum in die französische Straße, wo wir bey Madame Louis
ausstiegen u. mehrere Exemplare da ließen. Am schiefen Berge stiegen
wir beym Assistenzrath Schmidt u. Doktor Liebeskind aus. Dann auf
den Boßgarten u. die neue Sorge, wo wir beym Gerichtsassessor Höpfner
u. bey Frau v. Domhardt ausstiegen u. bey der letztern von der guten
Frau v. Keudell mit Himbeeren, Erdbeeren u. Konfekt gelabt wurden;
dann zum Landhofmeister, der uns lange auf sich harren ließ, bis er
erschien, da . ich ihm dann die Ankündigung überreichte. Er meynte
zwar, daß wir den Schulen dadurch Abbruch thun könnten, als wir ihm
aber vorstellten, daß in unserer Anstalt die Zöglinge für den Unterricht
in öffentlichen Schulen vorbereitet würden, wünschte er uns dazu viel
Glück. Nun fuhren wir durch die Landhofmeisterstraße über den Sack-
heim, neuen Markt, Löbenichtsche Langgasse, über die Holzbrücke auf
den Ochsenmarkt, wo wir beym Mäkler Watson ausstiegen, wo Fleischer
täglich Unterricht gab. Dann noch zu Madame Pohl, wo 6ich ihr Bruder
der junge Bruinvisch aufhielt, dem wir für den Wagen verbindlichst
dankten.
13. Juli. Vormittag ging ich mit Fleischern zum Obermarschall Grafen v. Dönhof,
den wir gestern nicht zu Hause fanden u. der uns sehr gütig empfing.
Er freute sich über unser wichtiges Unternehmen, das er für ein dringendes
Bedürfniß für Königsberg hielt, sicherte uns seine Fürsorge u. Empfehlung
als Präsident des Pupillenkollegiums zu, ja versprach uns seinen Besuch
in unserer Anstalt, um sich vom glücklichen Gedeihen der jungen Pflanzen
in unserer Schule u. vom günstigen Erfolg seiner guten Wünsche für
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Von Arthur Warda. 303
unsere Sache zu überzeugen. Dies rührte mich zu Thränen. Nicht
minder freundlich empfing uns der Consistorialpräsident Kirschkopf, der
Hofprediger Kr ichton, der lange u. populär wie Kaplan Hermes mit uns
sprach. Letzterer rieth uns, auch die Schullehrer u. ihre Oberen wie den
Prof. Wald nicht mit unserer Ankündigung vorbey zu gehen. Deswegen
gingen wir auch Nachmittag zum Kirchenrath Hennig, der sich unsers Vor-
habens glückwünschend freute, dann zum Rektor Conradi von der
Loben ich tschen Schule, zu Doctor Wald, von dem wir den meisten Wider-
spruch besorgten, aber schlau sehr höflich that u. uns gleichfalls Glück
wünschte (die Zahl der Zöglinge des Collegiums soll von 70 auf 13
geschmolzen seyn) dann zu Consistorialrath Hasse u. Graf u. Abends
noch zum Feldprediger Riemain auf dem Haberberge, mit den wir lange
über unsern Plan sprachen.
14. Juli. Nachmittag ging ich mit Fleischern zu Prof. Krause, der lange u.
freundlich sich mit uns unterhielt, mit dem ich viel über Osterode sprach,
und der uns teilnehmend Glück wünschte, uns auch seinen Besuch ver-
sprach, dann zum Magister Weymann, Rektor der altstäd tipchen Schule,
zum Kammersekretär John, der überaus freundlich gegen mich sich
zeigte. (Seine Frau hatte sehr gealtert u. sah schmutzig aus. Seine
Kinder waren ungemein groß gewachsen). Dann zu Pfarrer Fischer, dem
lieben Manne, der freundlich sich mit uns unterhielt, uns gleichfalls
teilnehmend Glück wünschte u. seinen Besuch uns versprach. Endlich
auch zu Prof. Pörschke, mit dem wir zwo Stunden traulich verplauderten.
22. Juli. Wir sandten heute 100 Stück Exemplare unserer Ankündigung mit
der Post ab.
1797.
21. Januar. Vorgestern war mein ehemaliger Lehrer Usko aus Smyrna hier
angekommen, welchen ich herzlich zu sehen u. zu sprechen wünschte.
22. Januar. Wurde ich zu Prodiger Woltersdorff auf Nachmittag u. Abends
eingeladen, wo wir in Gesellschaft des Prediger Göcking u. Castell, des
Rektors Nicolai von der Kneiphöfischen Schule u. des Landschaftssyndikus
Manitius den Prediger Usko lange sehnlich erwarteten u. welcher zu
unserer allgemeinen Freude endlich erschien. Er erkannte mich auf den
ersten Anblick wieder u. fiel mir um der Hals. Das war ein frohes
Wiedersehen u. ein herrlicher genußvoller Abend, der uns während seinen
interessanten Erzählungen schnell verfloß. Wir schieden nach ll1^ Uhr
von einander und mein Usko versprach mir morgen einen Besuch.
23. Januar. Gegen Mittag genoß ich die Freude, meinen würdigen Usko bey
mir zu sehen. Er konnte nur eine Weile bey mir bleiben, weil er
Mittags zu Prof. -Kant eingeladen war.
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304 Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich.
24. Januar. Gegen Abend besuchte uns wieder der liebe Usko, nachdem er
von Graf Dohna gekommen war, auf 2 Stunden u. zeigte uns persische
Gemälde vor. Er war zum Abendessen beym Oberhofprediger Schulz.
26. Januar. Besuchte ich Vormittag Pred. Usko, der sich in mein Stammbuch
geschrieben u. mich morgen Abend zu besuchen versprach.
27. Januar. Baron v. Vietinghofsche Familie, Frl. v. Wegnern, Frau Generalin
v. Bahr, Frau v. Funk, Cpnsistorialrath Schmalz, Geheimrath v. Gossow,
v. Besser d. ä., Schindler u. Campe waren Abends bey uns u. harrten
mit uns der Erscheinung unsers guten Usko, der sich ziemlich spät ein-
fand, um den sich aber bald nach seinem Eintritt alles hersammelte u.
auf seine Erzählungen aufmerksam horchte. Bey Tisch ließen wir ihn
oben an sitzen, damit er besser über Tisch sprechen konnte. Er deklainirte
auf unsere Bitten persische u. arabische Verse her, was uns viel Ver-
gnügen machte. Nach Tisch blieb er noch bis 11 Uhr bey uns, u. alles
schied froh u. befriedigt mit Dank gegen Usko u. uns auseinander. Er
versprach wo mögl. noch zu uns zu kommen. Heute war er zu Mittag
beym Gouverneur gewesen u. übrigens täglich engagirt.
28. Januar, reiste unser gute Usko schon wieder ab, zunächst nach Lyck zu
seiner alten würdigen Mutter, von da er über Warschau, Breslau, Wien,
Triest nach Smyrna [wollte] .... Er konnte aus Zeitmangel nicht
noch einmal zu mir kommen, daher ihm mein liebes Weib ein Gemälde
von ihrer Hand zum Andenken nachsandte u. wofür er ihr noch
schriftlich dankte, als er im Begriff war abzureisen.
23. Mai. Heute hatte ich wieder die Freude meinen würdigen Freund, den
Prediger Usko wieder zu sehen u. zu sprechen. Er war vor ein paar
Tagen mit dem General von der Infanterie Graf v. Kaikreuth aus Danzig
gekommen, wo er nun eine Professorstelle am Gymnasio erhalten sollte
u. nicht mehr nach Smyrna zurückgehen dürfte. Er logirte nun bey
Pred. Wolterstorff auf dem Sackheim u. war heute Abend in Gesellschaft
bey C. R. Schmalz, wohin auch ich eingeladen war u. außer Usko noch
den Major v. Hüllesen, Oberrath Pranzel, die Hofrath Metzgersche Familie
u. den Feldpr. Riemain fand u. in deren Gesellschaft einen frohen
Abend verlebte.
24. Mai. Unser Usko besuchte uns heute vor dem Essen auf eine Stunde u.
erzählte uns sehr viel, was besonders meinen Zöglingen viele Freude gewährte.
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Das Kant-Bildnis Elisabeths von Stägemann.
Von
Arthur Warda.
Die folgenden Mitteilungen sollen nichts neues bringen,
nur Ergebnisse aus lange gedruckt vorliegenden Quellen. Eine
solche Zusammenstellung dürfte doch vielleicht nicht überflüssig
sein, da die Behandlung der Frage nach dem Kant-Bildnis von
der Hand Elisabeths v. Stägemann bisher zu Resultaten geführt
hat, die, wenn sie länger ohne Widerspruch blieben, nur zu
Irrtümern Anlaß geben können.
Dr. Paul von Lind hatte in dem Aufsatz „Eine erfüllte
Prophezeiung Kants" in den Kantstudien (Leipzig 1899, Bd. III
S. 170) im Anschluß an den Artikel über Fr. Aug. Stägemann
aus der „Allgemeinen Biographie" erwähnt, daß Elisabeth von
Stägemann „ein treffliches Bild von Kant geliefert hatte, wie
denn Kant von ihren Bildern sagte : Der Geist des Dargestellten
spricht uns daraus an." In den Mitteilungen desselben Heftes
der „Kantstudien" (S. 255) hat v. Lind unter dem Titel: „Ein
Stägemannsches Kantbild" Nachricht von seinen Nachforschungen
nach diesem Bilde gegeben und faßt das Ergebnis derselben
dahin zusammen: „Dieses v. Stägemannche Kantporträt zu ent-
decken, ist mir trotz eifrigster Nachforschungen bisher noch nicht
gelungen. Auch über die mutmaßliche Entstehungszeit des Bildes
kann ich bis jetzt nur unbestimmte Mitteilungen machen. Fest
steht, daß das Lob, das Kant den Bildern der Künstlerin zollte,
vor 1795 ausgesprochen wurde; nimmt man hinzu, daß Elisabeth
v. Stägemann 1761 geboren ist, so ergibt sich als naheliegende
Vermutung, daß das gesuchte Bild den Meister in der Zeit seines
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306 Vau Kant-Bildni» Elisabeths von Stagemann.
Lebens zeigt, in der er seine Hauptwerke schrieb.4* v. Linds
seitdem angestellte Nachforschungen scheinen resultatlos geblieben
zu sein, denn in seinem Aufsatz über das Kantbild des Fürsten
v. Pleß (Kantstudien 1900, Bd. IV S. 102 ff.) bedauert er, daß
das Stägemannsche Kantbildnis noch nicht wieder aufgefunden
sei, hofft aber, indem er von dem Bilde große Erwartungen
hegt, daß die Auffindung gelingen werde, „wenn alle Freunde
des großen Philosophen ihre Anstrengungen dazu ver-
einigen."
Die Nachforschungen v. Linds waren es wohl gewesen, die
inzwischen zur Bildung einer Annahme Anlaß gegeben hatten,
die auch heute noch zu bestehen scheint, nämlich daß das vom
Magistrat der Stadt Königsberg 1897 aus Dresden erworbene
Kantbildnis das Bild von der Hand Elisabeths v. Stagemann sei.
Das Stägemannsche Bild schien verschollen, was lag näher als
die Annahme, daß das vor nicht langer Zeit erworbene Bild,
das nicht nur hinsichtlich der Person des Dargestellten berechtigte
Zweifel erregte, sondern namentlich in Rücksicht der Person
seines Urhebers nicht den geringsten sichern Anhalt bot, das
gesuchte Bild war, wenn nur die Malweise übereinstimmte und
sonst nichts dagegen sprach. So wurde denn, wahrscheinlich
auf die Meinung des Herrn Dr. v. Olfers, des Enkels der Elisabeth
v. Stagemann, hin von Professor Bühl in seinen „Briefe und Akten-
stücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III., vor-
zugsweise aus dem Nachlaß von F. A. v. Stägemannu (Leipzig 1899,
Bd. I S. XXI, Anm. 2) die Ansicht ausgesprochen: „ . . . . aller
Wahrscheinlichkeit nach rührt von ihr (Elisabeth v. Stagemann)
das Porträt Immanuel Kants her, das sich jetzt als Geschenk
des Herrn Oberbürgermeisters Hoffmann im Königsberger Museum
befindet." Diese Ansicht wurde dann von Professor G. Diestel
in den Kantstudien (1901, Bd. VI S. 113) aufgenommen und
mit technischen Gründen unterstützt.
Weder Dr. v. Lind noch Professor Rühl haben aber bei
ihren Mitteilungen die gedruckten Quellen genügend berücksichtigt.
Es wird nun an der Hand dieser Quellen gezeigt werden, daß
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Von Arthur Warda. 307
erstens das Königsberger (Dzondische) Kantbildnis nicht von
der Hand Elisabeths v. Stägemann herrühren kann, zweitens daß
das Stägemannsche Kantbildnis aller Wahrscheinlichkeit nach
insofern nicht verschollen ist, als es in einer öffentlich verbreitet
gewesenen Nachbildung bekannt geworden ist.
Die Quelle, die uns über das Kantbild Elisabeths v. Stäge-
mann Aufschluß gibt, ist der Briefwechsel zwischen dem Kapell-
meister Johann Friedrich Eeichardt und Elisabeth v. Stägemann.
Die Briefe des ersteren sind auszugsweise abgedrückt in dem
Buche: Erinnerungen für edle Frauen von Elisabeth v. Stägemann.
1. Aufl. Leipzig 1846, 2. Aufl. Leipzig 1858 Der Herausgeber
dieses Buches, Dr. Wilhelm Dorow, sagt in den vorausgeschickten
Lebensnachriohten (S. X): „er (Kant) fand große Freude an
Portraits, welche sie flüchtig in Sepia hinwarf, „denn — wie er
sagte — der Geist des Dargestellten spricht uns daraus an;"
so genügte dem großen Manne namentlich sein eigenes Bild,
welches Elisabeth von ihm für Reichardt gemacht; Kant fand
es sprechend: „Ja, ja das bin ich" schrieb er an Reichardt
darüber. Leider ist dieser Brief Kants, der vor dem 1. März 1797
anzusetzen ist, bisher nicht wieder aufgefunden. Es ist nicht
ersichtlich, woraufhin v. Lind es als feststehend bezeichnet, daß
Kant sein Lob den Bildern der Künstlerin vor 1795 gezollt hat;
etwa deshalb, weil Elisabeth v. Stägemann 1795 ihrem ersten
Gatten nach Berlin folgte — dies wäre nicht maßgebend, da
Elisabeth v. Stägemann bereits in demselben Jahre wieder nach
Königsberg zurückkehrte. Unter dem 1. November 1796 schreibt
Reichardt von Giebichenstein aus: „Wenn Sie mir doch die
Liebe erzeigen wollten, unsern alten ehrwürdigen Kant zu
zeichnen oder zu mahlen, damit ich darnach ein gutes Bild in
dem Format von Deutschland stechen lassen könnte! Mir sind
alle Kupfer die man von ihm hat so zuwider! Sie werden sich
gewiß nicht so sclavisch ans niedergebeugte Alter halten, und
seine vortreffliche Stirn un4 seine sehr feine Nase treu darstellen.
0 tun Sie es doch und bald. Sie würden mich gewaltig dadurch
beschenken." Vier von den Briefen Elisabeths v. Stägemann an
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308 Das Kant-Bildnis Elisabeths von Stägemann.
Eeichardt aus den Jahren 1796 und 1797 liegen gedruckt vor
in: Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten. Herausgegeben
von Karl von Holtei, Hannover 1872. Bereits unter dem
19. November 1796 antwortet Elisabeth v. Stägemann: „Um
Ihnen recht bald zu zeigen, wie sehr Ihr Brief mich erfreut,
mein werther Freund, habe ich ohne Aufschub den Versuch zu
einer Zeichnung von Kant gemacht. Vielleicht hätte ich Ihnen
etwas Vollendeteres liefern können, wenn ich nicht geglaubt, daß
die Zeit zu kurz wäre. — Alle Gemälde die man hier von ihm
hat sind beinahe Karrikaturen, und doch habe ich mich einiger-
maßen daran halten müssen, und übrigens bloß meine Ein-
bildungskraft zu Hilfe genommen, um dem Kupferstecher einen
Fingerzeig zu geben, wo er von den zu stark markierten und
verzerrten Zügen in den gewöhnlichen Zeichnungen abweichen
kann, ohne der Ähnlichkeit zu schaden. — Man findet, daß der
Kopf, den ich Ihnen hierbei überschicke nicht ganz ohne Ver-
dienst in dieser Hinsicht ist, und dies gibt mir allein Mut,
ihn wirklich abgehen zu lassen. Denn billig müßte ich mich
schämen, einem Freunde und Kenner wie Sie, etwas vorzulegen,
das so nachlässig hingeworfen ist." Hiernach läßt sich die Zeit,
in welcher Elisabeth v. Stägemann die „Zeichnung von Kant"
gefertigt hat, genau bestimmen. Der Brief Reiohardts vom
1. November 1796 ist sicher länger als eine Woche unterwegs
gewesen, die Zeichnung kann also nur in 7 bis 10 Tagen
ausgeführt sein. Daher ist eine Identificierung des Königsberger
Kantbildes mit dem Stägemannsohen Bilde ausgeschlossen, da
ein solches Oelporträt wie das Königsberger unmöglich in der
Zeit von höchstens 10 Tagen angefertigt sein kann, abgesehen
davon, daß Elisabeth v. Stägemann ebenso wie später Reichardt
das Bild nur eine „Zeichnung" nennt, Reiohard hatte gebeten,
Kant zu zeichnen oder zu malen. Daß Kant die Zeichnung
gesehen hat, teilt Elisabeth v. Stägemann nicht mit; doch muß
dies nach der von Dorow mitgeteilten Stelle aus dem Briefe
Kants an Reichard der Fall gewesen sein.
Unter dem 17. December 1796 dankt Reichardt für das
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Von Arthur Warda. 309
übersandte Bildnis mit folgenden Worten: „Sie sind eine liebe
gute Freundinn, meine Bitte sogleich zu erfüllen. Mir hat die
Zeichnung von dem Bilde meines ehrwürdigen Lehrers Kant
viel Freude gemacht und ich habe sie sogleich nach Berlin an
Unger geschickt um sich darüber mit einem dortigen Kupfer-
stecher zu besprechen. Wenn die Zeit für dieses Jahr nicht
doch zu kurz wird!" Diesem Brief lag ein bisher nicht wieder
aufgefundener Brief Reichardts an Kant bei, um dessen baldige
Abschickung an Kant Beichardt Elisabeth v. St. bat. Diese
meldet am 20. Januar 1797 an Beichardt, daß sie seinen Brief
diesem durch einen ihrer „Hausfreunde" habe überbringen lassen.
Im Briefe vom 1. März 1797 bedauert dann Reichard t, daß
Elisabeth v. St. ihm nicht den Namen des guten Hausfreundes
mitgeteilt habe und bittet sie, Kant „aufs höchste für seine er-
freuliche Zuschrift" zu danken. Man wird annehmen können,
daß Beichardt in seinem Briefe von Mitte Dezember 1796 zu
Kant von dem Bildnis gesprochen, und daß Kant in seiner
Antwort, der im Briefe vom 1 März 1797 erwähnten „Zuschrift",
sich über das Bild in der von Dorow erwähnten Weise aus-
gesprochen hat. Es ergibt sich jedenfalls, daß Beichardt das
Bildnis sogleich nach Empfang an den Verleger Unger in
Berlin geschickt hat, in der Absicht, dasselbe in Kupfer stechen
zu lassen. Ob dies zur Ausführung gelangt ist, darüber ergibt
der gedruckt vorliegende Briefwechsel zwischen Beichardt und
Elisabeth v. St. nichts. Leider habe ich auch die Originale dieses
Briefwechsels nicht auffinden können; nach gütiger Mitteilung
des Herrn Dr. v. Olfers befinden sie sich nicht im Besitz der
Familie. Nun aber ist tatsächlich im Ungerschen Verlage ein
Kantbildnis in Kupferstich erschienen, nämlich als Beigabe zu
dem zweiten Bande (Mai — August) des Jahrgangs 1799 der von
F. E. Bambach herausgegebenen „Jahrbücher der preußischen
Monarchie unter der Begierung Friedrich Wilhelm HI.", ein
Stich mit der Signatur: Meno Haas S: Berlin 1799 *). Ich glaube,
1) Im Januarheft desselben Jahrgangs ist auf S. 94—99 ein Aufsatz:
Etwas über Immanuel Kant (Aus einem Briefe) von L. F. abgedruckt, des
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310 Dos Kant-Bildnis Elisabeths von Stagemann.
man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß hier eine
Reproduktion des Stägemannschen Kantbildnisses vorliegt. David
Minden rechnet in seinem Vortrage: Über Porträts und Ab-
bildungen Kants (Schriften der Physik. Ökonom. Gesell. Kbg.
Neunter Jahrgang 1868) den Stich von Haas unter die Bildnisse,
die sich keiner Hauptgruppe anschließen und als für sich allein-
stehend anzusehen sind. Diesem Urteil möchte aber nur zum
Teil zugestimmt werden können. Das nicht schön aber wahr
erscheinende Bild lehnt sich offenbar an die Vernetschen Ori-
ginalbildnisse an, dies zeigt sich deutlich bei einem Vergleich
des Stiches mit der Wiedergabe eines Vernetschen Originals in
Kantstudien (1901 Bd. V). Allerdings weicht es darin ab, daß
der Kopf Kants mehr als bei dem Vernetschen Bilde dem Be-
schauer zugewandt ist, und daß Kant nicht einen Eock, sondern
nur ein Hemde trägt. Diese letztere Abweichung hat wahr-
scheinlich Minden veranlaßt, den Stich als alleinstehend zu be-
handeln und spricht auch dafür, daß dem Stich eine andere
Zeichnung als ein Vernetsches Bild zu Grunde lag, und eben
auch nur eine „nachlässig hingeworfene" Zeichnung, nicht ein
vollendetes Bild. Aus Elisabeths v. St. Angaben geht hervor,
daß sie sich bei ihrer Zeichnung an die vorhandenen Gemälde
gehalten und nur ihre Einbildungskraft zu Hülfe genommen
hat, um die Züge, der Wirklichkeit entsprechend, nicht so
markirt und verzerrt wie auf jenen erscheinen zu lassen. Dies
würde bei dem Stiche von Haas durchaus zutreffen; er erscheint
als eine Überarbeitung des Vernetschen Originals. Freilich, ein
zwingender Beweis, daß es sich um eine Reproduktion des
Stägemannschen Bildes handelt, ist keineswegs erbracht, aber
auch keine Umstände seheinen mir vorzuliegen, die gegen eine
solche Annnahme sprechen. Vielleicht dienen diese Ausführungen
dazu, auf den rechten Weg zur Wiederauffindung des Stäge-
mannschen Bildes zu leiten.
gleichen Inhalts wie das Büchlein: Kants Leben, eine Skizze in einem Briefe
an einen Freund. Altenburg 1791).
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Kritiken und Referate.
Sebastian Friedrich Trescho, Diakonus zu Mohr un gen in Preußen. Sein
Leben und seine Schriften, dargestellt von Johannes Sembritzki-
Memel. Sonderdruck aus den Oberländischen Geschichtsblättem.
Heft VII. 176 S. in 8°.
Nachdem Sembritzki in seinem Aufsatze „Trescho und Herder" (Altpr.
Monatsschr. Bd. XLI, Heft 7 u. 8) bereits eine Ehrenrettung des Mohrunger
Diakonen gegenüber den zum Teil außerordentlich bitteren und scharfen An-
griffen unternommen hat, die dieser in den Biographien Herders, namentlich
auch in dem Werke Hayms, erfahren hat, gibt der unermüdliche Forscher jetzt
eine ausführliche Darstellung des Lebens Treschos und eine Würdigung seines
Charakters und seiner zahlreichen schriftstellerischen Werke.
Danach erscheint Trescho als ein Mann, der in dem literarischen Leben
Ostpreußens während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen nicht
unrühmlichen PJatz eingenommen hat und durch seine Beziehungen zu Per-
sönlichkeiten wie Hamann, Borowski, Willamow, Krickende, Lindner,
Hermes und insbesondere zu der frommen Susanna Catharina von Kletten-
berg, Goethes „Schöner Seele", Interesse erweckt.
Als Charakter steht Trescho nach Sembritzkis Darstellung achtungswert
da; er war von sittlich reinem Lebenswandel, aufrichtig fromm und bei aller
Sparsamkeit wohltätig, wobei er gegen die Personen, die er unterstützte, mit
weiser Vorsicht und Umsicht verfuhr.
Hervorzuheben ist, daß Sembritzkis Schrift für die heimatliche Kultur-
geschichte während eines langen Zeitraumes (Trescho wurde am 9. Dezember 1733
geboren und starb erst fast ein Jahr später als sein ehemaliger Famulus Herder am
29. Oktober 1804) manchen frischen und ursprünglichen Zug bietet. Sie stellt
das Leben und Streben eines Mannes dar, der trotz vielfacher äußerer Hemmnisse
unermüdlich an seiner geistigen Ausbildung arbeitete, der es als Geistlicher in
dem abgelegenen ostpreußischen Landstädtchen Mohrungen erreicht hat, mit der
Bildung seiner Zeit bis zuletzt in Fühlung zu bleiben und durch zahlreiche
Schriften auf weitere Kreise auch über die Grenzen Ostpreußens hinaus zu
wirken.
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312 Kritiken und Referate.
Unter den literarischen Erzeugnissen Treschos lassen sich deutlich zwei
Gruppen unterscheiden. In denen aus früherer Zeit sind die Stoffe mannig-
faltiger, klingt der Ton heiterer und weltlicher; so heißt es am Schlüsse eines
von Sembritzki (S. 88) mitgeteilten Gedichtes:
„Die Gottheit hat uns nicht erlesen
Zu Klosterschwarzer Traurigkeit,
Licht ist ihr Kleid, Lust ist ihr Wesen
Im Urquell der Zufriedenheit. "
Aber mit dem Jahre 1762, in dem sein am meisten verbreitetes Werk,
die „Sterbe- Bibel in Poesie und Prose", erschien, wandte er sich völlig von
der weltlichen Poesie und Schriftstellern zur geistlichen. Fortan tritt an ihm
ein gewisser ascetischer Zug hervor.
Und er eifert nicht nur gegen die Anakreontiker, sondern auch in sehr
scharfer Weise gegen die aufgeklärten Theologen seiner Zeit, besonders gegen
Crugot und Sem ler, deren Lehren er socianisch nennt. Da ihm die Gegner
nichts schuldig blieben, so wurde er in sehr erbitterte Fehden verwickelt.
Die von Sembritzki mitgeteilten zahlreichen Proben geben ein ungefähres
Bild des Schriftstellers Trescho; dazu hat der Referent selbst einige Poesien
des Mohrungers im Original gelesen. Treschos Jugend führt in die Zeit, in der
die Gottschedsche Sprache und der Gottschedsche Geschmack maßgebend waren,
und wenn man genauer zusieht, so erkennt man die Nachwirkung davon auch
in Treschos Schreibweise. Daß er gegen Gottsched polemisiert, ist kein Gegen-
beweis, das haben viele getan, die von dem ehemaligen Diktator gelernt haben.
Im ganzen war sein Standpunkt der der „Bremer Beiträge", jedoch in seinen
Leistungen hat er die Mitarbeiter an dieser Zeitschrift nicht erreicht. Trescho
besaß zwar ein nicht unbedeutendes Talent, insbesondere die Gabe der ge-
wandten und witzigen Darstellung, aber diese ist nicht zur vollen Entfaltung
gekommen, weil er sich so frühe von allen weltlichen Stoffen abwandte. In
seinen besseren Produktionen übertrifft er die zeitgenössischen ostpreußischen
Dichter Bock, Lauson und den wackeren Scheffner, dessen Pegasus niemals
einen hohen Flug zu nehmen vermochte. Aber bisweilen fällt er gar zu sehr
in die Fehler der vorklassischen Zeit; seine Sprache ist dann zopfig, seine Bilder
sind wenig glücklich gewählt, die Gedanken haben etwas Gezwungenes oder
entbehren der Tiefe. Im seinen religiösen Schriften zeigt er sich als Anhänger
strenger Rechtgläubigkeit; sie sind nicht ohne erbauliche Kraft, aber auch nicht
frei von dem Geiste der Unduldsamkeit.
Treschos Beziehungen zu dem genialen Hamann, auf die Sembritzki an
verschiedenen Stellen zu sprechen kommt, sind recht merkwürdig, aus ihnen
geht aber hervor, daß der Magus des Nordens sich zu jenem im Grunde wenig
hingezogen fühlte, da das Naturell der beiden Männer gar zu verschieden war.
Was das viel erörterte Verhältnis zu Herder betrifft, so scheint mir Sembritzki
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Sebastian Friedrich Trescho, Diakonus zu Molirungen in Preußen. 313
hier und besonders in dem Aufsatze „Trescho und Herder" den Beweis erbracht
zu haben, daß die gegen den Diakonen erhobenen Anklagen im ganzen un-
begründet sind. Wunderbar bleibt nur eine Tatsache: wie konnte Trescho, der
nach Sembritzkis Darstellung ein so lebenskluger und zugleich ein für geistige und
wissenschaftliche Tätigkeit so empfänglicher Mann war, fast ein Jahr lang mit
dem jungen Herder in täglichem Verkehr stehen, ohne dessen Begabung und
heißen Wissensdrang auch nur zu ahnen? Das verschlossene und empfindliche
Wesen Herders gibt dafür doch nicht eine völlig genügende Erklärung.
Sembritzkis Arbeit zerfällt in zwei Teile: I. Treschos Leben (S. 1—70),
IL Treschos Schriften (S. 70—173). Dann folgen auf S. 173—176 noch einige
Zusätze und ein kurzes Register. In IL führt Sembritzki 69 Titel an, gibt zu
vielen erklärende Bemerkungen und teilt zahlreiche Proben aus den Schriften
Treschos und eine Reihe von Rezensionen der letzteren mit.
Der Verfasser zeigt sich als sorgsamer und sachkundiger Forscher; er
hat in dieser Biographie einen schätzenswerten Beitrag zur Kultur- und Literär-
geschichte unserer Heimat im achtzehnten Jahrhundert geliefert.
Gottlieb Krause.
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Mitteilungen und Anhang.
Ueber die religiöse Frage.
Vom
Amtsgerichtsrat a. D. MeaÄthal - Memel.
Selbst-Anzeige.
Mendthal, Siegfried, Ueber die höchste Persönlichkeit. Berliu, Martin Hilde-
brandt, 1900 (46 pg.) 8°.
„ „ Meine Weltanschauung. Memel, F. W. Siebert, 1904
(15 pgO 8°.
„ „ Schauspielhaus und Gerichtshof. Juristische Dramaturgie.
Zweite vermehrte und verbesserte Auflage mit Anmerkungen.
Memel, F. W. Siebert, 1904 (101 pg. 1 Bl.) Gr. 8°.
Die religiöse Frage ist zur Zeit einerseits durch orthodoxe Beharrlichkeit,
andererseits durch wissenschaftliche Forschung und dogmatische Abweichung so
sehr in den Fluß verschiedenartigster Auffassung gekommen, daß es auch dem
Juristen freistehen muß in diese Bewegung einzutreten, zumal die Rechts-
philosophie und die Religionsphilosophie innig verschmolzen werden müssen, um
beide Wissenschaften zu vertiefen in ihren materiellen Beziehungen, und zu
erhöhen in ihrem idealen Aufschwung.
Schleicrmacher hat auch betont die Analogien dieser beiden Wissen-
schaften, und seine Dogmati k beruht auf Kantischen Prinzipien.
Kant hat Gott, Freiheit und Unsterblichkeit als Erfordernisse der reinen
praktischen Vernunft aufgestellt, sich aber verwahrt gegen deren dogmatische
Grundlagen, und in seiner Anthropologie sogar die christliche Dreieinigkeit
zusammengestellt mit dem perpetuum mobile und der Quadratur des Zirkels.
Ich habe auch in einigen kleinen noch sehr wenig verbreiteten und beurteilten
Schriften die religiöse Frage berührt, namentlich in einer Broschüre „Ueber die
höchste Persönlichkeit" d. b. den Gottesbegriff, dann in meiner juristischen
Dramaturgie in einem Anhang zu dem Lessing'schen Stücke „Die Juden" und
endlich in der Schrift „Meine Weltanschauung".
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Ueber die religiöse Frage. 315
Wenn letztere kleine Abhandlung zum wiederholten Abdrucke gelangt,
will ich ihr zum bessern Verständnis voraussetzen das folgende Vorwort:
Aphorismen kann meine Weltanschauung hier nur geben.
Theonomie möchte ich sie benennen. Wie die Astrologie erlöst ist
durch Astronomie, so soll die Theologie ersetzt werden durch Theonomie, Gottes-
kunde durch Beobachtung und Berechnung.
Pantheismus halte ich für die aufgeklärteste Weltanschauung, doch
entbehrt das religiöse Bewußtsein darin das von ihm verehrte höchste Wesen,
das nur juristische Gestaltung haben, also die höchste moralische Persön-
lichkeit sein kann, in der das Individuum sich wiederfindet durch Beobachtung
seiner selbst und durch Rechenschaft für Alle.
Der einzelne kann nur selten der Gesamtheit aller Menschen dienlich
sein und niemals die volle Wirksamkeit seiner Worte und Werke erleben.
Selbst Lessing und Schiller war es nicht vergönnt, mit klaren Worten der
Welt ein Geheimnis zu verkünden — in den Gesprächen zwischen Ernst und
Falk, und in dem Gedicht „Die Künstler".
In meiner juristischen Dramaturgie habe ich den nach meiner Auffassung
bisher verschwiegenen Hauptgedanken der Schillerschen erhabenen Dichtung zu
begründen versucht.
Mit Vorbedacht ist in der Dichtung die Ilias erwähnt als Vorbild unserer
menschlichen und göttlichen Illusionen.
In der Ilias wird berichtet, daß die Götter Griechenlands darüber in
Streit waren, welches Volk im trojanischen Kriege Sieger bleiben sollte.
Und dabei war der trojanische Krieg eigentlich nur ein Liebeskampf
gegen die mörderischen Kriege der Gegenwart, und das hölzerne Roß, durch
welches die Trojaner überlistet wurden, ein reines Spielzeug gegen die Minen
und Bomben, mit denen die Schlachtschiffe voll unglückseliger Menschen in die
Luft geschleudert werden.
Aphrodite Urania, die Göttin der reinen und himmlischen Liebe, erschauderte
auf den Schlachtgefilden vor allem Jammer und Elend. Sie wird zur barm-
herzigen Schwester und zerpflückt ihren Venusgürtel zu Scharpie für die Wunden
der stöhnenden Krieger.
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316 Mitteilungen und Anhang.
Nachträge und Berichtigungen1).
Zu den von mir in Band 37 und 38 dieser Zeitschrift veröffentlichten
Arbeiten sind mir von verschiedenen Seiten wertvolle Bemerknngen und Zusätze
zugegangen, für die ich am Besten danken zu können glaube, indem ich sie den
Lesern der Altpreußischen Monatsschrift zugänglich mache.
Herr Professor Dr. Martin Wehrmann in Stettin macht zu dem Aufsatz
über Dietrich Stange (39, S. 87 ff.) die Bemerkung, daß im 13. Jahrhundert
auch am Hofe der Herzöge von (West) Pommern ein Kitter Stange erscheine,
Gerwiu Stange, 1264 zuerst als Zeuge Wartislaws III für Greifswald (Ponim.
Urkdbuch. II n. 751), dann von 1270 bis 1300 (II n. 920 — III n. 1961) in
der Umgebung der Herzöge Barnims I., Bogislaws IV. und Ottos I. Der Name
Gerwin kommt in den von mir nachgewiesenen Stanges im Osterlande, Mähren
und Pomesanien nicht vor; auch um Mühlhausen in Thüringen saßen Stange's
im 14. Jahrhundert s. Regesten des Geschlechts Salza (1853) S. 320.
Von Herrn Professor Karl Lechner in Kremsier, dem ich die Beschreibung
des Stangischen Siegels (39, S. 92) verdanke, ist inzwischen eine wichtige
Publikation zur mährischen Geschichte erschienen: Die ältesten Belehnungs-
und Lehensgerichtsbücher des Bistums Olmütz herausgegeben von Karl Lechner,
Brunn 1902, Verlag des Deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und
Schlesiens, Druck von Rudolf M. Rohrer. XLIX, 137, IX, 338 S. gr. 8°. In
der ersten Abtheilung gelangen vier „Lehnsquaternen" von 1320 — 25, 1389 — 96T
1403—1456, 14G0— 1482 zum Abdruck, während der zweite Teil die Verhand-
lungen des Lehnsgerichtshofes von 1353—1393 (Buch 1, S. 1 — 192), 1398—1410
(2, 192-317), 1437-1462 (4, 317—338) umfaßt: die sehr ausführliche Ein-
leitung verbreitet sich eingehend über die Geschichte des Lehnsgerichts und das
Verfahren, daß dem Buche zur Vermeidung noch höherer Druckkosten kein
Register beigegeben werden konnte, bedauert Niemand mehr als der Herausgeber
selbst. Soweit ich sehe, erscheinen die Stange's in den mitgeteilten Texten
nicht; in der Einleitung erwähnt L., die aus dem Cod. dipl. Morav. bekannten
Urkunden derselben und erklärt das in der Urkunde von 1277 vorkommende
Dorf Brunnaz (39, S. 112) durch Brüany (Bründlitz) bei Wischau (S. XVI oben),
n. ö. von Brunn.
M. Perlbach.
1) Durch ein Versehen in der Redaktion, hauptsächlich aber durch
Krankheit und Abwesenheit des Herausgebers sind diese und die demnächst
folgenden .,Nachträge und Berichtigungen" bisher liegen geblieben. Wir bitten
deshalb Verfasser und Leser um gütige Nachsicht. Der Herausgeber.
K£3
Buchdruckerei R. Leupold, Königsberg i. Pr.
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Soeben erschien:
Geologische Bilder
uon der samländisehen Rüste
von Dr. 6. Schellwien
a. o. Professor an der Universität Bönigsberg,
mit 54 Abbildungen. Preis 2,50 Mai
Uerlag von GSilft. Roch Königsberg.
tuen :
Simon Dach
und der Königsberger Dichterkreis.
ukbüclilein zur 300, Wiederkehr sehn am 29, .Juli r
Von Ludwig1 Suderow.
Mit Illustrationen. Preis 15 Pfennig.
Gustav Schloessmaun's Verlagsbuchhandlung.
i Fick ) in Hamburg.
M
Im von Julius Springer in Berlin «rschiou soeben:
Die fiolzkirchen und fiolztürme
der Preussischen Ostprovinzen.
Au nel
>ii Ernst Wiggert ■<• tfnd Dr. L. Burgemeister. Dr. L. Burgemeister.
In un<l 117 in Abbildungen.
Preis 25 Mark.
In unserem Kommissionsverlage erschien soeben:
„Oberiändische jeschichtsblattcr"
Im indischen GeachicL
Georg Conrad,
Am in MühlL
tMark3,60. Heft VII. Preis Mark 3,50.
Diqitized b\
)ig
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(^ — ===— — ™ ^
" C. A. Kaemmerer & Co., Hofverlagsbuchhandkmg, Halle a. S. M
Die Teleologie Ftent's.
Von
Dr. William John Chapman.
— -— Gr. 8°. 56 Seiten. Preis 80 Pfennig ord. — =
k
Kant's Lehre ?on der Sinnlichkeit
Gekrönte Preissehrift der Krug-Stiftung der Universität Halle- Wittenberg.
* Vou
Dr. Felix Kuberka.
— Gr. 89. 155 Seiten. Preis 2,— Mark ord.* =—
BaB^aaBBgasBEmo^Bm^as^saasE^^^msaa^s^aB^gES
Verlag von E. F. Thienemann, Gotha.
Rants „Priuatmeinungen"
■» über das Jenseits ■»
und
Die Kant-Rusgabe
der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Ladenpreis F\n Protest von Ludwi9 Ladenpreis
Mark 2,40. riUlCOI Qo,dschm|dt Mark 2,AQ.
Dieser „Protest' ; richtet sich gegen keinen Geringeren, als gegen die
Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften selbst, die nach den
Ausführungen Goldschmidts viele Ver.schlimmbesserungen, die die ver-
schiedenen Heransgeber in ihre Kanta«sgal>en im Laufe des verflossenen ^
Jahrhunderts hineingebracht halben, in der neuen Kant- Ausgabe nicht
wieder ausgemerzt hat.
Heft 5 und 6 erscheinen als Doppelheft Ende September. Der Herausgejbl
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Dluiiizyü i
itg
Inhalt.
Abhandlungen.
Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland
und ihrer Schule. Ein Beitrag zui **
ürmierten in Altprenßen. Vo &5r?T? :
Verhandlungen Polens mit dem Kurfir i heim un
Dezember 1027. Von Dr. Gustav -
Garl Ludwig Beruhard Gottüeb v. Plehwe. Zu seinem Di
Jubiläum am 13. Oktober -»rad
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft der
Freunde Kants. Rede zum Geburtstage !
bei dem Bohnenmahle des Jahres 19<> * rot.
Alfred Döhring
ho als Deutscher N<
Von Johs. Sembritzki
II. Kritiken und Referate.
Bonk, Hugo, Dr., Geschichte der Stadt Dreugfurt. Äur
des 500jährigen Stadt -Jubiläum im
Auftrat geschrieben. Rastenburj Ahl,
G. m.b.H., :
Von Jons. SembriUki .•••••.•.'
Dr" phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Kloel um m
' Pommerellen. Mit. zwei Kurten und einem Plan. (O
I ) Danzig 1005. Daraus besonder
als Breslauer luaugural
r dem Titel: „Die Flühzeit ^ Öosterterritoriti
in Npttn". Von St. Kujot, Pfarrer
aeralvikar Domkapitular, Dr. Lüdtke. Schema
Culm mit dem Bischofssitz in Pelpbn
Amtliche Ausgabe. Dritte Folge. Im
höflichen General-Vikar
(Fortgesetzt bis zum 21. Mai WIM. uj
Von St. Kujot, Pfarrer .... . . .
Dr. Uomuald Frydnehowicz. Die Culm;
Beitrag zur 1» jchichte. Danzig I
Kujot, Pfarrer
111. Mitteilunsen und Anhang:.
I Tni i fhronik 1905
Alle Rechte bleiben vorbehalten.
Herausgeber und Mitarbeiter.
Digit
Die Geschichte der reformierten Kirchengcmeinde
Pr. Holland und ihrer Schule.
Ein Beitrag zur Geschichte der Reformierten
in Altpreußen.
Von
Ernst Hf aehholz in Königsberg i. Pr.
Dieser Arbeit liegen folgende Archivalien zu gründe:
Akten der reformierten Kirchengemeinden Pr. Holland,
Gr. Samrodt, Mohrungen und Soldau, der Burgkirche zu Königs-
berg, der ehemaligen reformierten Superintendentur zu Elbing,
des Königl. Staatsarchivs zu Königsberg, des Königl. Geheimen
Staatsarchivs zu Berlin, des Königl. Konsistoriums und der
Königl. Regierung zu Königsberg.
Eine weitere Quelle boten die Kirchenbücher der refor-
mierten Kirchengemeinden zu Pr. Holland, Mohrungen und Soldau.
Es werden behandelt:
1 Die Vorgeschichte.
2. Die Entwickelung der Gemeinde und ihre Schicksale
vom Jahre 1697—1807.
3. Die Geschichte der Gemeinde vom Jahre 1807 bis
zur Gegenwart.
4. Die Prediger.
5. Der gottesdienstliche Raum.
6. Das Predigerhaus.
7. Der Begräbnisplatz.
8. Das Inventarium.
9. Das Kirchensiegel.
10. Die Schule.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 5 u. 6. 21
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318 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
I. Die Vorgeschichte.
Der Ursprung der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland
dürfte auf die Niederlassung zugewanderter reformierter Glaubens-
angehöriger zurückzuführen sein. Die Stadt Pr. Holland und
ihre Umgebung wurde von solchen Einwandererströmen im 17.
und 18. Jahrhundert mehr als andere Städte des ostpreußischen
Oberlandes berührt.
In größerer Anzahl fanden sich besonders Franzosen und
Schweizer in der Stadt bis in die zweite Hälfte des 18. Jahr-
hunderts vertreten, aber auch Schotten, Engländer, Pfälzer und
Reformierte „aus dem Reiche" hatten sich hier niedergelassen.
Für die Befriedigung ihres religiösen Bedürfnisses sorgten
die Eingewanderten im Oberlande während des 17. Jahrhunderts
in der Weise, daß sie an verschiedenen Orten in gewissen Zeit-
räumen von einem gräflich Dohnaschen reformierten Prediger
aus Reichertswalde l) geleitete Gottesdienste abhielten. Die
Reformierten im Kreise Pr. Holland scheinen diese Übung zu-
nächst mitgemacht zu haben; dann aber trat hierin ein Wandel
ein. Einer der damals in Pr. Holland sitzenden reformierten
Amtshauptleute (wer es war, ist unbekannt) ließ nämlich den
reformierten Prediger Lucas Blaspiel2) aus Königsberg im
Jahre mehreremal nach Pr. Holland kommen. Zu den durch
Blaspiel abgehaltenen Gottesdiensten, Taufen und Abendmahls-
feiern war den Reformierten ein Saal in dem dortigen Schloß
eingeräumt worden, der gern der „Reformierte Saal" bezeichnet
wurde.
Die Besorgung der Gemeinde durch Königsberger Prediger
scheint indes nicht von langer Dauer gewesen zu sein; denn
als bei einem Stellenwechsel in der Amtshauptmannschaft ein
Amtshauptmann lutherischen Bekenntnisses nach Pr. Holland
gesetzt wurde, hörte die Abholung der reformierten Prediger aus
1) Reichertswalde liegt im Kreise Mohrungen.
2) Blaspiel hielt 1666 am 5. 12. in Königsberg bei der Burgkirche seine
Antrittspredigt; er starb 1693 am 22. 10. ebendort.
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Von Ernst Machholz. 319
Königsberg auf, und die Gemeinde wurde gezwungen, auf andere
Weise ihr religiöses Bedürfnis zu befriedigen. Gelegenheit bot
sich ihr hierzu reichlich, da der große Teil des oberländischen
Adels reformiert war und in seinen „Höfen" reformierte Gottes-
dienste abhalten ließ. Hier war es der gräflich Dohnasche Prediger
Michael Thomae8), der, gleichsam als „ Wanderprediger u, von
Hof zu Hof gerufen wurde. Wir wissen, daß Thomae, soweit der
Kreis Pr. Holland in betracht kommt, außer in der Stadt Pr. Holland
wiederholt in Hohendorf, Karwinden, Nahmgeist, Powunden,
Schlobitten, Schwoellmen und Spittels Amtshandlungen vollzog.
Die hier und da abgehaltenen religiösen Versammlungen
der Reformierten waren des öfteren Gegenstand der Beratungen
der Landstände, die, wie aus der Allgemeingeschichte der Re-
formierten bekannt, den letzteren nichts weniger als günstig
gesonnen waren.
Die Art der geistlichen Versorgung der Reformierten in
und um Pr. Holland nach Blaspiel war naturgemäß nicht ge-
eignet, der Gemeinde den festen Boden zu gewähren, auf dem
sie sich hätte erweitern können. Diesem Zustande abzuhelfen,
war das Bestreben des 1693 oder 1695 nach Pr. Holland ge-
setzten Amtshauptmanns Heinrich von Houwald.4).
Selbst reformiert, sorgte er zunächst für einen regel-
mäßigen Gottesdienst. Gleich seinen reformierten Amts-
vorgängern wandte er sich nach Königsberg um Aushilfe.
Seinem Bemühen war es zu danken, daß der reformierte Prediger
Sylvester Lürsenius6) zu bestimmten Zeiten nach Pr. Holland
3) Michael Thomae war gegen 30 Jahre Hofprediger in Reichertswalde
und starb 1699 oder 1700. Er war in erster Ehe verheiratet mit Catharina Panuowitz;
am 12. 3. 1090 heiratete er in Mohrungen (auf dem Schlosse) Eva Helena
Heekhuys, eine Tochter des ,,gewesenen Predigers Heckuys zu Wersterwort* i in
Geldern. (Nach dem reform. Kirchenbuch von Soldau-Mohrungen.)
4) Heinrich von Houwald war geboren zu Genf am 7. 12. 1G64. 1709
„den tag vor seinem tod, nehml : den 14 December" reichte ihm der Pr. Holländer
reform. Prediger zum letzten Mal das H. Abendmahl.
5) Sylvester Lürsenius war an der Burgkitche zu Königsberg seit 1693
und bis 1707.
21 *
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320 l^e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
kam und hier auf dem Schlosse Gottesdienste abhielt. Mancher-
lei Schwierigkeiten, die wahrscheinlich in dem Widerstände der
lutherischen Bevölkerung und den Quertreibereien der Stände
zu suchen sein werden, machten aber auch dieser Einrichtung
bald ein Ende.
Ein glücklicher Zufall wollte es, daß der Gemeinde endlich
dauernd geholfen werden konnte.
Der damalig^ Oberpräsident Sylvester Jacob von Danckel-
mann in Berlin war der Vater des Amthauptmanns von Houwald
erster Gemahlin, und dieser vermochte, unterstützt durch den da-
maligen Konsistorial-Präsidenten in Berlin, Geh. Hat von Fuchs,
auf Betreiben von Houwalds vom Kurfürsten Friedrich HL die
Berufung eines ordentlichen reformierten Predigers nach
Pr. Holland zu erwirken.
Mit dem Erlaß einer kurfürstlichen Order d. d. Königsberg
8
-Tg1- August 1697, die die Berufung eines reformierten Predigers
nach Pr. Holland genehmigte, setzt die eigentliche Geschichte
der heutigen reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland ein.
2. Die Entwicklung der Gemeinde und ihre Schicksale
vom Jahre 1697 bis 1807.
Die Geschichte von der Gründung der hiesigen reformierten
Gemeinde hat nicht nur kirchlichen und historischen Wert,
vielleicht trägt sie mehr noch sozialpolitischen Charakter sowohl
für den engen Bezirk der Stadt Pr. Holland, als auch für den
der weiten Provinz. Sie bringt einen neuen Beitrag zur Koloni-
sationsgeschichte Ostpreußens, und nicht zuletzt ist sie für den
Genealogen von Interesse.
In der Vorgeschichte ist nur kurz vorausgeschickt, wie
reformierte Einwanderer hier Aufnahme fanden. Es handelte
sich bei diesen Niederlassungen in erster Linie um einen Bruch-
teil jener Refugi£s, die in der Zeit von 1672 bis 1700 dem
preußischen Staate gewonnen wurden, dann um Schweizer,
Pfälzer, Schotten, Engländer und Holländer, die im siebzehnten
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Von Ernst Machholz. 321
und achtzehnten Jahrhundert Preußen zu ihrer neuen Heimat
machten.
Den besten Aufschluß über die Zusammensetzung des
Personalbestandes der Gemeinde gibt das mit zwei weiteren
Kirchenbüchern beim reformierten Pfarramt in Elbing auf-
bewahrte Kommunikanten- Register der reformierten Kirchen-
gemeinde Pr. Holland. Dieses beginnt mit dem Jahre 1707,
während die Taufregister mit 1698, die Trauregister mit 1700
und die Totenregister mit 1740 anheben. Aeltere Verzeichnisse
sind leider nicht vorhanden, und somit ist die Möglichkeit zu einem
Nachweis über das Vorhandensein fremder reformierter Elemente
in der Stadt Pr. Holland während der weiter zurückliegenden
Jahre genommen, daß solche aber schon vor 1698 hier ansässig
gewesen sind, beweist das Kirchenbuch der reformierten
Gemeinden Soldau-Mohrungen.
Die Geschichte dieser Ansiedlungen kann an Gründlichkeit
durch Lokalforschungen nur bereichert werden. Wenn hierunter
ein Verzeichnis der in Pr. Holland im 18. Jahrhundert Zuge-
wanderten gegeben wird, so will dasselbe nicht nur einen Beitrag
zur Entwickelungsgeschichte der hiesigen reformierten Gemeinde,
sondern auch einen solchen zur Geschichte der Kolonisation des
Oberlandes liefern.
In dem Kommunikanten-Register fehlten die namentlichen
Verzeichnisse aus den Jahren 1758—1762, 1764 und 1782, in
dem älteren hier nur in betracht kommenden Kirchenbuch
fehlten die Beurkundungen von 1781 — 1783. Leider machte die
unsaubere und flüchtige Handschrift des Predigers Collins
(1768 — 1780) eine gründliche Prüfung der von ihm angefertigten
Register unmöglich.
Die Militärpersonen sind (bis auf zwei Offizierfamilien) in
dem hierunter folgenden Verzeichnis unberücksichtigt geblieben.
Bemerkt sei, daß sich unter den Zugewanderten auch einige
lutherische Familien befanden, die in dem folgenden Nachweis
als solche bezeichnet sind.
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322 T>ie Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Die beigefügteD Zahlen nennen die Jahre, in denen die
Namen vorkommen. Bei weitem die Mehrzahl der Familien
und alleinstehenden Personen wohnte in der Stadt Pr. Holland,
nur wenige in der Umgegend und den benachbarten Städten.
Ein Stern * vor dem Namen weist hin auf das von
Dr. Beheim-Schwarzbach in seinem Buch ,, Friedrich Wilhelms I.
Kolonisationswerk in Lithauen, vornehmlich die Salzburger
Kolonie" (Königsberg, Hartungsche Verlagsdruckerei, 1879)
Seite 329 ff. gegebene lexikalische Kolonisten -Verzeichnis und
die dort mitgeteilte Heimatsbestimmung.
Es ist übrigens sehr interessant, an den bei einigen Namen
mitgeteilten verschiedenartigen Schreibweisen zu beobachten, wie
an ihnen der Germanisierungsprozeß herumgearbeitet hat.
Verzeichnis.
Badoel, Bathuel, Bodwell[in]. 1707—1714. Frau Kunigunda Ba-
thuel[s] geb. Kaleyin wird 1707 und 1712 als Patin
genannt.
Loise Baliardin. 1747.
Bareire, Barreyre, Barreire, Parere. 1738 und später. In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (noch 1787) nimmt
hier regelmäßig ein Kreis-Steuer- Einnehmer Bareire
aus Saalfeld das Abendmahl.
Madem. Margaretha Barrosv. 1726.
Baudauvin, Baudevin, Baudouin, Baudovin, Baudowin, Bauduen,
Baudueng, Baudvin, Bodevin, Bodewin, Bodovin, Bodueng,
Boudouin, Budovin, Paudevengfs]. 1735 — 1757.
Wilhelm Baumeister ,,ausm Bergischen Lande bei Düsseldorff".
1714.
Johann Bellet. 1714.
Salom. Bertrant. 1745.
Bestvater, Bestvatter (Schönfärber). 1716—1727.
Abr. Betau. 1751.
David von Biel, „ein Frankfurter am Mayn". 1714.
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Von Ernst Machholz. 323
Bivier. 1726.
Jac. Bouillet. 1738.
Madem. Bouranton, Buranton. 1748, 1749.
Bredelan[in] (?). 1754.
Bvenchin (?). 1765.
Buckau. 1711—1718.
*Capiduller. 1772. (Schweitzer).
Cavalier, Cavallier. 1792.
Dav. Chabonnie. 1746.
Challie, Challier, Chaly, Schallie, Schalin, Schalir. 1749—1756.
Chabellier, Chapelar, Chapelier, Chapellie, Chapellier, Scapell.
1733—1757. Das 1733 genannte Familienmitglied war
Tabackspflanzer. — In Riesenburg wohnte in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Frau namens ,,Schapillie11.
Clapmaier, ein Färber. 1710—1714.
Christian Conrad Clasen, „Laquai bey dem Rittmeister von
Brederlow". 1733.
Cliver, Clüver, „Baumanns gesell." 1718 und später. Im zweiten
Viertel des 18. Jahrhunderts (noch 1745) nimmt hier des
öfteren ein Mann namens Cliver, Clivert, Clüver, Cluvert,
Klüfert, Klüvert aus Mühlhausen das Abendmahl.
Collet. 1707 — 1735. Es ist nicht ganz klar, ob diese Familie in
allen jenen Jahren in Pr. Holland gelebt hat; 1714 heißt
es, daß sie in Stobnitten (Kreis Mohrungen) ansäßig sei.
1703 und 1705 gibt es in Schlodien einen Koch und
Kammerdiener Dionysius Collet.
Mademois. Collein, Collin. 1743, 1744.
Peter Conseng, ein Schmiedegesell. 1734.
Johan Coster, ein „Apothekerjung". 1721 — 1724.
Madem. Anne Margretha Crepine. 1708.
Dambonette, Dombonett, Tambonet, Tambonette. 1740—1750.
"Dandau. 1718. (lutherisch).
Doblin, „des Advocaten Frau". 1708.
Dominic, ein Knecht, Kutscher. 1746 — 1753.
Dublin, Acciseeinnehmer. 1700. 1720.
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324 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Duchel, Dugel („Jungfer Concorde Dugelin", Frau „Dugelsche").
1710—1716, 1748. — Möglicherweise wohnte die Familie
in Marien bürg und kam nur zum Abendmahl nach
Pr. Holland.
Duglass. 1748, 1752.
Dziack. Die Familie erscheint hier schon im ersten Jahrzehnt
des 18. Jahrhunderts und noch zu Ausgang desselben.
Jfr. Ellins. 1732. Im Kirchenbuch findet sich Seite 187 die
Trauung einer „Jungfer Anna Ellins, seel. Herrn Ellins
Englischen Kauffmanns in Eibingen mittelsten Jungfer
Tochter" mit dem Amtmann Dominicus Augustinus
Sponagel beurkundet. Die Trauung fand in der Kirche
zu Finckenstein am 30. 10. 1731 statt und wurde durch
den Pr. Holländer reformierten Prediger vollzogen.
Faut. 1798, 1799.
du Fay, du Feu, Steuerrat. 1741—1746.
Francillion, Stadt-Controlleur. 1792, 1793.
Fraumandiau, Fraumantrion (?), Fraumentie, Fromandjou, „Visi-
tator". 1744—1746.
Fresewitt, Frösewit, Chirurg. 1744, 1746 ö»).
Madem. Fremincourt. 1718.
Jacob Gilles. 1719.
*Margr[etha] Girard[iu|. 1748. (Schweizerin).
Mstr. Frider. Gordon. 1740.
Mademoiselle Suhsanna le Grand. 1739, 1740.
Carl Philipp Gavius (Grovius?). 1740.
Joh. Henrich Gregoire. 1701. Er und seine Frau waren „Befu-
gianten aus Frankreich".
Gydey, ein Weißgerber, (lutherisch). 1739.
Frau Harret[in], Harett[in]. 1736—1746.
Harries, Harius, Harrius. 1734-1748.
Herbers. 1750.
5a) Ein Niederländer? (,rPreuß. Prov. Blätter", 18. Band, Seite 229
und 250).
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Von Ernst Machholz. 325
Madem. Hognel. 1701.
„Jgfr. Holländerin". (Lutherana). 1739.
Jungfer Sara und Anna HubertfinJ. 1713. In demselben Jahre
treten in Pr. Holland zum reformierten Glauben über
die „Mennisten" Johann Arend Hubert und Anna Maria
Hubert[in].
Hugenai, Hugene, Hugenfe, Hugenett, Hügne, Hygne. 1748 bis
1754, 1785.
Igane, Iganet, Igano, Iganon, Iganotte. 1765 — 1781.
Michael Igoly (?) (lutherisch). 1740.
Madem. Janchein, Janchem. 1722.
Jannot. 1725. Der Namen wird nur zweimal genannt, das andere
Mal „Mons. Jannot Christi*4.
Jassoy; schon im ersten Jahrzehnt des IS. Jahrhunderts.
Jac. Jeannet, Schenet, Sohoenet, ein Schneider. 1763 — 1768.
„Johannes, ein Lieutenant des Regiments Cavallerie des Brigadiers
du Portal, ein Französischer Refugiant"; seine. Frau
war lutherisch und stammte aus Westpfalen. 1707.
Mademois. Jouni (?). 1763.
de Kanchin jun. 1729.
Samuel Karkettel. 1712—1714.
Kesler. Schon im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts.
Friedrich Knaust, „ein Magdeburger". 1714,
Laserre, „Peruquier". 1734.
Claudine Lenning. 1734, 1735.
Leissel, Lesle, Lessei. 1712, 1714, 1735.
Loberi, Lobery, Lobry, Accise-Inspektor. 1732, 1738, 1769—1772.
Lucco, Lockau, Loko, Praecentor und Küster. 1726 — 1732.
Frau Amtmann Lunert[in), Lunaui (?). 1763, 1765.
Maria la Maitre' 1738. — „Le 16 i d'Aout 1736, M£le Pasteur
Delombles a batis6 dans le Temple de la Fridericstadt*),
Salomon, ne le 12 iL ä dix heures du soir, fils de Daniel
Maitre, Chapelier, natif de Berlin et de Sophie Cathe-
6) Zu Berlin.
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326 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
rine Himberg sa femme, native de Halberstadt. II a ete
presente par Salomon Pernet, et par Magdelaine Espe-
raudieu sa femme, ses Parain et Maraine."
Madem. Maussee. 1716—1718.
Merian, Meryan. 1732—1736. (Schweizer?)
Michel, Mischel. Die Familie erscheint in den ersten Jahr-
zehnten des 18. Jahrhunderts und bis in die zweite
Hälfte. Zwei Brüder Jacob und Samuel Michel hatten
zwei Schwestern Elisabeth und Esther geb. de Sombre
(de Sombres) zur Frau; um das Jahr 1730 herum. —
Siehe auch „de Sombre"!
Demois. Monod. 1789.
Montagin. 1771.
Stephan Morgeon. 1770, 1772.
Mossinet. 1738.
Monsr. la Motte. 1707—1709.
du Moulin, ein Tabackspf lanzer, 1721. — Eine Jgfr. du Moulin
lebte 1730 und 1731 in Biesenburg; sie nahm hier
das Abendmahl.
Elias Obeditz. 1734.
Ogilfi, Ogilvie, Ogilwy, ein Kauf- und Handelsmann. 1735
bis 1741.
Jfr. Palleien. 1733. Sie scheint aus Spittels (Kreis Pr. Holland)
gewesen zu sein.
Peinert, aus Gernrode im Anhaltschen gebürtig. Die Familie
erscheint in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts
und wohl noch bis in die zweite Hälfte hinein. Um
dieselbe Zeit etwa kommuniciert hier der Bürgermeister
aus Mühlhausen und ein Zimmermann von dort, beide
namens Painert, Pehnert, Peihnert, Peinert.
„Abraham peter Neufchatellois.u 1715.
Petersen, Peterson. 1733—1779.
„Frau pfälzerin." 1711, 1712.
Picau, Picaut, Pico, Picod, Picot. 1727—1810.
George Piccart, Calculator. 1724.
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Von Ernst Machholz. 327
Madem. Poullon. 1768.
Madem. Anne Margretha du Prat, (Pral?) 1722, 1723.
Francois le Queux. 1715.
Roland, Rolland, „Refugiant". 1711—1715.
David Rudolph, ein „Zimmergesell aus der Schweiz". 1739.
Charlotte Saladin[in|. 1712-1715. — Wohl eine Pfälzerin.
Mr. Johann Saliniere. 1724.
Salne (?). 1750.
Saro. 1794.
Saroin. 1777.
Scetin, Seiden, Seideng, Scider[n], Scidey, Seidin, Skeddin.
1744—1769. — Siehe „Sequidinu!
Scheidt, Scheit, Scheyd, Scheydt, Schulbedienter. 1732 und noch
1756. Aus der Pfalz gebürtig.
Martin Schor, Schur (lutherisch). 1718, 1719; seine Frau Anna
Margaretha Wolff[inJ stammte aus Detmold in der Graf-
schaft Lippe.
„Ein Hutmacher gesell ein schweizer." 1718.
„Die Schweizerin bei Herrn la palme". 1713 — 1716.
Anna Louisa Sequidin, Squedin. 1765. — Ob ein Familienglied
„Scetin" etc.?
Josias Simlerus, „Tigurinus", Chirurgus. 1707. (Schweizer).
Jac. de Sombre. 1753. — Siehe auch „Michel"!.
Madem. Tardis. 1719, 1720.
Isaao Thorge. 1726, 1727.
Toussaint, Toussent, Toussin. 1743—1747, 1771.
Vanie (?). 1763.
Venadie, Venadje, Venadier, Vena Dieu, Venadieu, Venatie,
Venatieu, Wenadier, „Perruquemacher". 1738 — 1768.
Venner, Hutmacher. 1718—1720.
„Monsr. de Vigneul0*), Major im Regiment Cavallerie des Brigadiers
du Portal, ein Französischer Refugiant". 1707.
6a) „de VignolJes" schreibt v. Mülverstedt; doch wohl dieselbe Familie.
(„Mitt. der Litt. Gesellsch. Masovia", 8. Heft, 8. 31.) Nachrichten über diese
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328 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Anton Vilain. 1740.
Job. Waslart, aus der Pikardie; seine Frau war eine Eng-
länderin. 1701.
Caspar Dieterich Winderfeld „von Eodenburg an der Fulda".
1714.
Dieser Namennachweis, so unvollständig er sein kann,
zeigt doch, daß die Gemeinde, besonders im 2., 3. und 4. Jahr-
zehnt des 18. Jahrhunderts, zu einem sehr erheblichen Teil von
Reformierten fremden Blutes durchsetzt war. Die im 17. Jahr-
hundert in und um Pr. Holland zugewanderten Beformierten
hatten den Grund zur Stiftung der Gemeinde gelegt, der Zu-
wachs im 18. Jahrhundert, namentlich im 2. — 4. Jahrzehnt,
festigte sie und gaben ihr die Kraft zu dauerndem Bestand.
Die Kabinetsorder , welche der Gemeinde den ersten Seel-
sorger gab, lautete7):
„Seine Churfürstl. Durchl. zu Brandenburg p. p.
Unser Gnädigster Herr, bestellen Em Johann Wilhelm
Geller zu Dero Evangelischen Reformirten Prediger zu Preüsch
Holland dergestalt und also, dass Er alda auff dem Schloss in
einem Zimmer, welches Ihm der Hauptmann anweisen wird,
Predigen und die Heil. Saoramenta administriren, solches auch
bey denen in und umb Riesenburg sich befindenden Reformirten
Glaubens- Genossen auff «eibigem Ampt-Hause ebenfals verrichten
soll. Wohingegen Ihme Se Churfürstl. Durchl. zum Jährlichen
Gehalt zweyhundert Thaler und das nöhtige Hart- und Rauch-
Futter auff zwey Pferde verordnet, wovon das letztere Ihm aus
dem Ampt, und das Geld aus den hiesigen Zoll-Gefällen zu
reichen. Uhrkündlich mit höchstermeldter S* Churfürstl. Durchl.
Familie in der „Evgl.-reform. Kirehenzeitung" von Thelemann und Stähelin
(Erlangen) 1863, Nr. 49, 50.
7) Das Original (auf Papier) befindet sich im reform. Pfarrarchiv zu
Pr. Holland.
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Von Ernst Machholz. 329
eigenhändigen Unterschrifft und Insiegel bekräftiget. Königs-
berg den jgten Augusti 1697.
Friderich.
(L. S.)
v. Danokel[mann].
Kaum hatte diese Order des Kurfürsten Kabinet verlassen,
als ihr schon unterm -^ desselben Monats eine andere an den
„Ref. Pr. Hofprediger" in Königsberg gerichtete Weisung folgte,
welche die Berufung Gellers „der besorgenden gravaminis halber"
nicht öffentlich bekannt gegeben wünschte8)! Die in diesem
Erlaß ausgesprochene Vorsicht wird verständlich, wenn man
hört, daß in eben jenem Jahre die Stände berufen wurden,
denen das Anwachsen des „Calvinismus" ja von jeher ein Dorn
im Auge war.
Nur sehr langsam konnte es den Reformierten in Preußen
gelingen, ihren Kirchengemeinden die politische Selbständigkeit
zu erringen. Selbst der Beistand des Landesherrn war oft ohn-
mächtig vor der Gewalt der Stände. Fünf reformierte Ge-
meinden nur gab es zu Ausgang des 17. Jahrhunderts im heutigen
Ostpreußen, die staatlich anerkannt waren: die Burgkirche zu
Königsberg, die Gemeinde in Memel, in Tilsit, in Pillau und die
französisch -reformierte Gemeinde zu Königsberg. Wäre den
Reformierten in Preußen von Anfang an in religiöser — und
auch kommerzieller — Hinsicht mehr Bewegungsfreiheit gegönnt
worden, dann hätten wir nachmals mehr, und vor allem lebens-
kräftigere reformierte Gemeinden im Lande gehabt.
Der reformierten Gemeinde zu Pr. Holland war die Selbst-
ständigkeit durch einen direkten Machtspruch des Kurfürsten
gegeben worden, aber in weiteren Kreisen war ihre Stiftung
geheim geblieben — als fait accompli stand sie dann am Neu-
jahrstage 1698 da. Gleichwohl traute man den Ständen nicht.
In Preußen war damals „die Gewohnheit, dass die Ambts-
Eingesessenen von Sr: Churfürstl: Durchl: vor dem Land-Tag
8) Da» Original befindet sich im Pfarrarchiv der Burgkirche zu Königsberg.
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330 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
auf das Ambts-Hauss convociret wurden, um über die Propo-
sitiones zu deliberiren und einen Deputirten auf den Land-Tag
völlig zu instruiren, wann nun diese Convocation zu ende, und
der Deputirte instruiret war, so konte nachher die Instruction
nicht geändert noch derselben etwas hinzu gefüget werden, wann
sich schon unterdessen was neues zugetragen hatte, indem sie
sich ohne Sr: Churfürstl: Durchl: Convocation nicht von neuem
auf dem Ambthause versamlen durfften. Nun war in diesem
Jahr 1697 eine Convocation im Decembr: ausgeschrieben, und
der Praeses der Kirchen-Sachen, der Geheime-Rath von Fuchs,
sähe es vor gut an, dass weil kein periculum in mora, der neu-
beruffene Prediger sein Ambt nicht eher antreten mögte, biss
die gemeldte Convocation ihre endschafft erreichet: das geschähe
nun kurtz vor Weynachten und- die Instruction des Deputirten
wurde gleich nach Weynachten ausgefertiget, dero wegen trat . . .
Prediger Geller am Neuen- Jahrs-Tage 1698 erst sein Ambt an,
und so geschähe es, daß auf diesen Land-Tag kein Gravamen
entstund, des folgenden Jahrs wurde zwar wieder ein Landtag
gehalten, wie auch zu Anfang der Regierung .... Friederich
Wilhelms [I.], aber es ist nie ein Gravamen wieder die . . .
Preusch - Holländische Reformirten - Gemeine zum Vorschein
kommen; Da auch der Herr Geheimbde-Rath von Fuchs, auf dass
alles ruhig möchte vollbracht werden, eine besondere Introduction
vor unnöthig achtete, so hatt sich der [Prediger] Geller mit Er-
öffnung Ihrer Churfürstl: Durchl: gnädigstens Befehls bey dieser
neu gestiffteten Gemeine selbst introduciret9)."
Die Gemeinde konnte also nur unter Anwendung unge-
wöhnlicher Kunstgriffe über ihre Anfange hinausgebracht werden.
Geiler muß ein sehr tüchtiger und gewissenhafter Mann
gewesen sein; denn unter seiner mehr als 30jährigen Tätigkeit
nahm die Gemeinde an Umfang und Ansehen sichtbar zu. Bei
der schwierigen Stellung der Reformirten im Lande war das
9) Nach einem Manuscript im Burgkirchenarchiv zu Königsberg vom
Jahre 1733.
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Von EniHt Machholz. 331
gewiß eine große Leistung. Näheres über ihn ist im 4. Ab-
schnitt gesagt.
In Gellers Amtsperiode fällt eine Allerhöchste Order, die
sehr geeignet ist, die Sorge Friedrich Wilhelm I. um das All-
gemeinwohl seines Landes in vorteilhaftestem Lichte zu zeigen.
Ein Originalexemplar dieser Order vom 22. Oktober 1722 findet
sich in dem Pr. Holländer reformierten Pfarrarchiv; ihrer Be-
deutung wegen wird sie hierunter wörtlich wiedergegeben:
„Von Gottes Gnaden Friderich Wilhelm, König in Preußen,
Marggraff zu Brandenburg, des Heil. Rom. Reichs-Ertz-Cämmerer
und Chur Fürst pp.
Unsern Gruß zuvor, Andächtiger, lieber Getreuer. Nach-
dem Wir berichtet worden, auch zum Theil Selbst angemercket
haben, daß die in Unsern Preußischen Landen bestellete Pre-
diger nicht genugsahm Fleiß und Mühe anwenden, umb ihren
Zuhörern und Eingepfarreten die Liebe, Treue und Gehorsahm,
so sie Unß alß ihrem Könige und Höchsten Souverainen Landes-
Herrn zuerweisen und zuleisten verbunden sind, gehörig ein-
zuschärfen, da doch die Pflichte der Unterthanen gegen ihren
Landes Herrn nicht nur in Gottes- Wort an so vielen Orthen
ernstlich gebothen und den Uebertrettern zeitliche und ewige
Straffe angedrohet, sondern solche Pflicht auch an und vor
sich selbst von solcher Arth- und Beschaffenheit sind, daß ohne
deren accurate Beobachtung kein Staat bestehen, viel weniger
die Unterthanen zu derjenigen Glückseeligkeit gelangen können,
welche aller und jeder Menschen eintziger Zweck und Vor-
nehmste Absicht billig seyn solte; Also haben Wir gut und
höchst nötig gefunden, die sämbtle. Prediger in Unseren König-
reich, und zwar sowohl und absonderlich auff dem Lande als in
allen und jeglichen Städten ernstlich anweisen zulaßen, daß Sie
der ihnen desfalß obliegenden Schuldigkeit bey Unterweisung
ihrer anvertraueten und auff ihrer Seele gebundenen Gemeinden
beßer, als bißhero nicht geschehen, nach zu leben, eüserst be-
mühet seyn sollen und müßen. Wir befehlen Euch demnach
hiemit in Gnaden und wird Euch zugleich auff das schärffeste
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332 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
eingebunden, sofort nach Einlängung gegenwärtiger ordre, keinen
Sonn- oder Fest-Tag vorbey gehen zulaßen, ohne eurer Gemeine
in der Predigt von der Cantzel den vollkommenen Gehorsahm,
die ungefärbte Liebe und unbefleckte Treue, so sie vor Unß als
ihren König und Souverain, der vor ihre Wolfarth, Conservation
und Auffnehmen Tag und Nacht unermüdet sorget und arbeitet,
ernstlich und beweglich vorzustellen und Ihnen dabey wol zu
imprimiren, daß das Geboth vom Gehorsahm der Unterthanen
gegen ihre Obrigkeit nicht bloß Menschen, sondern des
Höchsten Gottes Geboth seyn, dahero sie dann auch umb
soviel williger seyn müBen, ihre geordnete Dienste und praestanda
mit freudigem Hertzen zuleisten, mithin Gott zugeben was
Gottes ist, und dem Könige was des Königs ist.
Solte jemand von den Predigern in den Städten oder
Dörffern negligiren, dergleichen Ermahnungen an seine Ge-
meine alle und jede Sonn : und Fest Tage zuthun, so wird seine
deshalb erfolgende Bestraffung Selbst der Gemeinde zum Exempel
dienen, daß wer unsere Geboth verachtet und übertritt, eben
so wenig von der Straffe befreyet bleiben könne, als Wir die
jenigen von Unseren Unterthanen, welche Unß mit aufrichtiger
Liebe, Treue und Gehorsahm zugethan und ergeben seyn, nicht
ohnbelohnet bleiben laßen werden. Seynd Euch mit Gnaden
gewogen. Geben Berlin d. 22ten October. 1722.
Auff S*. Königl. Mayt. Allergnädigsten
Special-Befehl.
M. L. von Printzen. Wilh. Duhram.
An
den Reform. Prediger in
Preusch Holland. Errn Geller.
M. Aschenbach."
In gutem Ruf bei seinen Vorgesetzten und hochangesehen
in Stadt und Land, legte Geller im Jahre 1726 das Amt nieder. —
Das seiner Amtsentsagung folgende Jahr wird stets ein Blatt
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Von Ernst Machholz. 333
in der Geschichte der Gemeinde bleiben, das nur in tiefer Be-
trübnis gelesen und nicht schnell genug überschlagen werden
wird.
Auf Geller war Marees (Maresius) gefolgt, der bis dahin die
reformierte Predigerstelle am Königl. Waisenhause in Königs-
berg verwaltet hatte. Im Gewissen schwer belastet, war er von
dort gegangen und nach neun Monaten schon sah er sich wieder
in den Mauern der alten Pregelstadt, diesmal aber, um sich vor
dem weltlichen Richter für Vergehen zu verantworten, die heute
vom Strafgericht als sittliche Verfehle geahndet werden. Das
Verfahren gegen Marees war nach Möglichkeit geheim behandelt
worden, und so scheint der Gemeinde der Anlaß zur Verhaftung
ihres Predigers unbekannt gewesen zu sein. Im Jahre 1727
erwähnte einmal der „Graf zu Dohnau auf Schlobitten in einem
Briefe an den Hofprediger Schrotberg in Königsberg, daß ein
in Pr. Holland angesessener alter Schweizer zu ihm (Dohna) ge-
kommen wäre, um ihn in der Mareesiusschen Sache auszuhorchen,
da habe er (Dohna) ihm gesagt, daß er nur Gott und den König
handeln lassen müsse; ihm scheine, daß Marees ein Atheist
gewesen sei, und Gott ihm nur habe Zeit lassen wollen, ihn vor
seinem Tode kennen zu lernen, (cf. 4. Abschnitt.)
Die Abberufung des Predigers Marees hatte der Gemeinde
schwere Wunden geschlagen; die Kommunikantenzahl war er-
heblich zurückgegangen, und es bedurfte einer energischen
Kraft, um dem gesunkenen Gemeindeleben auf die Höhe der
Gellerschen Aera hinaufzuhelfen.
Der gute, vornehmlich aus strenggläubigen Franzosen und
Schweizern bestehende Kern war der Gemeinde geblieben, und
auf dieser gesunden Basis vermochten die späteren Geistlichen
die Gemeinde auszubauen. Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts
stand die Gemeinde wieder in hoher Blüte, in den Jahren
1740 — 67, unter dem Prediger Jacobi, hatte sie die Maximal-
grenze ihres Könnens erreicht. Diese Behauptung darf ihre Be-
rechtigung aus der Tatsache herleiten, daß in jenen Jahren die
Kommunikantenzahl eine sehr weite, während des Bestehens der
Altpr. Monatsschrift Bd. XLÜ. Hft. 6 u. 6. 22
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334 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Gemeinde im 18. Jahrhundert die höchste Grenze naoh oben
gefunden hatte.10)
Im Jahre 1740 war auch der Sitz der Oberländischen Be-
formierten Inspektion von Soldau nach Pr. Holland verlegt
worden, ein Anlaß mehr, um die Gemeinde in ihrem religiösen
Gefühl zu festigen. Der damalige Inspektor, Prediger Jacobi,
war daneben Mitglied des Pomesanischen Konsistoriums zu Saal-
feld. Alle diese Umstände mögen auf das Gemeindeleben
fördernd gewirkt haben.
Jacobis Nachfolger, C ollin 8, vermochte die Gemeinde nicht
mehr auf demselben Niveau zu halten; manche Zufälligkeiten
trieben sie ihrer Abnahme entgegen.
Schon unter Jacobi hatte der Charakter der Gemeinde ein
zum Teil anderes Gesicht erhalten. Ursprünglich bestand sie, wie
wir wissen, in der Mehrzahl aus zugewanderten Keformierten.
Unter der Menge der letzteren und den der Pr. Holländer Gar-
nison angehörigen Reformierten verschwand fast die Zahl der
einheimischen Gemeindeglieder. Gegen die Mitte des 18. Jahr-
hunderts, und vollends in seiner zweiten Hälfte, war die Zu-
sammensetzung der Gemeinde aber anders geworden. Das fremde
Idiom war weit zurückgetreten. Jetzt hatten mehr die ein-
heimischen Reformierten das Übergewicht erlangt. Aber mit
diesem Ereignis nahm die Stärke der Gemeinde ab. So-
bald Jacobi, im Jahre 1767, durch den Tod vom Amte abberufen
wurde, zeigte die Beteiligung der Gemeinde am heiligen Abend-
mahl eine auffallend absteigende Tendenz. Collins, der von
1768 — 80 das Predigtamt verwaltete, scheint nicht der geeignete
Mann gewesen zu sein, um die Schäden in seiner Gemeinde
herauszufinden, vielweniger beseitigen zu können.
Auch unter den Kirchenbeamten tönte ein Mißklang.
10) Der Prediger Jacobi versammelte während seiner Amtszeit durch-
schnittlich im Jahre etwa 46 Kommunikanten um sich, während unter seinem
Nachfolger die Zahl der Kommunikanten auf etwa 38 fiel und später, bis 1807,
immer weiter sank.
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Von Ernst Machholz. 335
Während der Stellenvakanz nach Collins* Tode war einmal
dei Prediger Rindfleisch aus Elbing nach Pr. Holland gekommen,
um das heilige Abendmahl abzuhalten. Rindfleisch befragte bei
jener Gelegenheit einen der Presbyter, ob die Erschienenen die
ganze Gemeinde bildeten, worauf dieser zur Antwort gab, daß
doch noch mehr Mitglieder vorhanden seien. Aber kaum hatte
der Presbyter ausgesprochen, als er von dem anwesenden Kantor
(Johann Karl Schmidt?) „sehr angebellt" und „deshalb, daß er
das angezeigt hatte, äußerst grob'* angefahren wurde. Rindfleisch
sagte dazu „kein Wort." In furchtbarer Wut stieß darauf der
Kantor die Kirchengefäße vom Altar, riß die Decken herunter
und lief ,,ganz wild" aus der Kirche.
Ein anderes Mal hatte der Kantor in der Kirche nach dem
Gottesdienst mit dem Rektor Pico einen so heftigen Streit, daß
ein hinzukommender Presbyter keinen Frieden hatte stiften
können.
Derselbe Mann verwaltete in der Predigervakanz die Kirchen-
registratur. Bei den Charaktereigenschaften, welche ihn sonst
noch zierten, — er war „stolz, faul, widerspenstig und ein Tauge-
nichts" — , war ihm wohl zuzutrauen, daß er zur. Verwahrlosung
des Pfarrarchivs sein Möglichstes beitrug. Heute weist dasselbe
bezeichnenderweise aus dem 18. Jahrhundert nur die wichtigsten
Privilegien der Gemeinde (die aber Rindfleisch in Verwahrung
genommen hatte) und gedruckte Zirkulare der oberen Behörden
allgemeinen Inhalts auf. Die eigentlichen Pfarrakten sind fast
ganz verloren gegangen.
Collins' Nachfolger, Bornemann, stand der Gemeinde nur
etwa drei Jahre vor; sicherlich war es zum Segen der Gemeinde,
daß er nicht länger das Predigeramt verwaltete. Er hatte auch
die einfachste Pflicht des Geistlichen, die Führung der Kirchen-
bücher, unterlassen. Aus der Zeit seines Amtes stammt keine
Beurkundung, auch kein Verzeichnis der Abendmahlsgäste.
Das Inspektorenamt war nach Collins auf den damaligen
reformierten Prediger in Elbing tibergegangen.
Als auf Bornemann im Jahre 1783 Waghas folgte, fand
22*
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336 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
dieser nur noch Beste der Gemeinde, um nicht Trümmer zu
sagen, vor. Die Zustände lagen damals schon so, daß man die
Aufhebung der Pfarrstelle in Erwägung zog. Doch Waghas
hatte, trotzdem die Gemeinde „äußerst unbedeutend" war, die
Stelle angenommen. Zudem waren die Stelleneinkünfte anderen
Gemeinden gegenüber gering. — Waghas litt unter dem Verfall
seiner Gemeinde. In mehr als einem Gespräch und Brief an
den Prediger Wisselinck in Elbing beklagte er ihre traurige Lage.
Oft, so sagte er einmal, habe er am Sonntage die Kapelle be-
treten, ohne eine Seele vorgefunden zu haben, und schweren
Herzens sei er dann heimgekehrt. Wenn der Prediger Jacobi
bei den einzelnen Kommunionen durchschnittlich 46 Personen
das heilige Abendmahl reichen konnte, so betrug die Konfitenten-
zahl zu Waghas' Zeiten durchschnittlich nur noch 22.
An Waghas lag es nicht mehr, daß die Gemeinde ihrer
Auflösung entgegenging; jetzt, da sie einmal durch den Fort-
zug der alten Familien und durch die mehr oder minder geringe
Aufmerksamkeit der Prediger gelitten hatte, war Hilfe zu spät.
Der Bestand der Gemeinde war auf ein Niveau herabgesunken,
auf dem ihr aber auch die lutherische Gemeinde schaden mußte.
Viele Beformierte, die sioh in ihrem Gemeindeleben nicht be-
friedigt gefühlt haben mögen, hielten sich in jener Zeit zur
lutherischen Kirche. Diese Zustände führten denn auch schließ-
lich dazu, daß in der Folge die reformierte zur lutherischen
Gemeinde in eine gewisse Abhängigkeit trat, die sich besonders
auf dem Gebiete der Einsegnung der Kinder aus reformierten
Familien und auf dem Gebiete des Begräbniswesens sowie der
Kirchenbüoherführung äußerte.
Noch im Jahre 1804 war Waghas nach dem Tode des In-
spektors Rindfleisch in Elbing mit der Verwaltung der Ober-
ländischen reformierten Inspektion betraut worden; doch ohne
in dieser Stellung auf die Zustände der Gemeinde in irgend
einer Richtung sanierend wirken zu können, starb er, 54 Jahre
alt, am 27. August 1807, als letzter ordentlicher Geistlicher der
reformierten Gemeinde Pr. Holland.
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Von Ernst Machholz. 337
Statistisches aus diesem Zeitabschnitt.
(1698—1806.)
_ Kommunikanten
Taufen Einsegnungen Trauungen bej deQ einzelnen
Abendmahlsfeiern
Durchschn.«^) Purchschn.«») Durchschn.«*) im Durch8chnittl0a)
1698
1
?
—
?
1699
2
?
—
?
1700-1709
3
?
1
?
1707—1709
—
?
—
32
1710-1719
3
?
1
39
1720—1729
5
?
0,5
38
1730—1739
4
?
1
42
1740—1749
5
?
1
44
1750—1752
—
?
2
—
1750—1753
4
?
?
—
1750—1755
?
?
?
49
1768—1769
1
?
?
46
1770—1779
3
?
1
37
1784—1789
3
2
1
25
1790—1799
4
1
1
22
1800—1806
3
1
1
18
3. Die Geschichte der Gemeinde vom Jahre 1807 bis zur Gegenwart.
Waghas hinterließ bei seinem Tode die Gemeinde in einer
Stärke von nur etwa einem halben Hundert erwachsener Per-
sonen. Dieser Umstand ließ bei den Aufsichtsbehörden den
Gedanken reifen, die Predigerstelle nicht mehr zu besetzen; die
geistliche Versorgung der Gemeinde wurde vielmehr einstweilen
dem damaligen reformierten Pediger und Inspektor in Elbing,
Wisselinck, übertragen, und dieser war es, der die Vereinigung
der Stelle mit der zu Elbing in die Wege leitete.
Beim Studium der diese Vorgänge behandelnden Akten
kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß Wisselinck
10a) In den einzelnen Jahren.
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338 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeiiide Pr. Holland etc.
bei seinem Vorschlage — zum Nachteil der Pr. Holländer Ge-
meinde — von dem Wunsche geleitet wurde, aus deren Aufhebung
für seine eigene Gemeinde, und zwar besonders für eine in
Elbing zu errichtende reformierte Elementarschule, Vorteile zu
ziehen.
Wisselincks Hoffnungen fanden aber keine Verwirklichung.
Ehe wir auf eine Erörterung der in dieser Frage von den
Behörden getroffenen Entscheidungen übergehen, ist ein kurzer
Rückblick auf die Entwickelung der Besoldungsverhält-
nisse der reformierten Prediger der Gemeinde Pr.
Holland erforderlich.
Bekanntlich waren dem Prediger Geller bei der Berufung
nach Pr. Holland durch Kabinets - Order d. d. Königsberg
-jl£- 8. 1697 „zum Jährlichen Gehalt zweyhundert Thaler und das
nöhtige Hart- und Rauch-Futter auff zwey Pferde verordnet"
worden; die 200 Thaler sollten aus den „Zoll-Gefällen" in Bar,
das Futter für die Pferde „aus dem Arnpt" bereit gestellt werden.
1711 bereits war an die Stelle der Naturallieferung eine
Barabfindung im Betrage von 272 Mk. 30 Seh. = 60 Thlr.
50 Gr. getreten. Diese Einkünfte (200 + 60 Thlr. 50 Gr.) be-
zogen sämtliche Geistlichen bis auf Waghas, dem aus dem
Montis Pietatis- Fonds noch eine Zulage von 60 Thlr. bewilligt
war. Für die Besorgung der Geschäfte bei den reformierten
Gemeinden Biesenburg und Elbing war den hiesigen Predigern
keine besondere Vergütung angewiesen, es sei denn, daß diese
Gemeinden aus eigenem Antrieb ein Entgelt zahlten. Durch
die Lieferung des Futters für die Pferde beziehungsweise die
an seine Stelle getretene Geldentschädigung, hatte der Staat die
Prediger für ihre Dienstleistungen in Riesenburg und Elbing
abgefunden.
Ein Holzdeputat bezog die Predigerstelle zunächst nicht.
Für die Wohnung hatten die Prediger bis 1740 selbst zu
sorgen. Erst in diesem Jahre trat hierin Wandel ein, als die
Kirchengemeinde aus dem Nachlasse des 1739 verstorbenen
Predigers Geller dessen Haus nebst zugehörigen Nebengebäuden
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Von Ernst Machholz. 339
und ca. 28 Morgen Garten- und Ackerland erwarb. Mit jenem
Jahre traten die Pr. Holländer Prediger in den Nießbrauch der
einzelnen Erwerbstücke, das Stelleneinkommen erfuhr also eine
recht bedeutende Verbesserung. Zu den Einkünften des Grund-
stücks gehörte auch ein gewisses Holzquantum, das sogenannte
„Bürgerholz" n) und freie Weide für einige Kühe auf den
„Bürgerwiesen". — Bei dem Tode des Predigers Waghas fiel
die Zulage aus dem Montis-Pietatis-Fonds als ein rein persön-
liches Accidens fort. Über die Verwendung der übrigen Ein-
kommensteile war nun. nachdem man sich darüber klar geworden
war, daß die Lage der Gemeinde eine Neubesetzung der Prediger-
stelle nicht mehr zulassen konnte, Entscheidung zu treffen.
Am 4. September 1809 ward von dem damaligen Minister
des Inneren, für den Kultus und öffentlichen Unterricht, Wilhelm
v. Humboldt, jener denkwürdige Erlaß unterzeichnet, der für die
fernere Entwickelung der Gemeinde von tief einschneidender Be-
deutung werden mußte.
Dieser Erlaß trifft zunächst die Bestimmung, daß die
Predigerstelle in Pr. Holland nicht mehr durch einen eigenen
Geistlichen zu besetzen sei, und über die Verwendung der
Stelleneinkünfte bestimmt er Folgendes:
1. Die aus der Ostpreußischen Domainen- Kasse gezahlten
200 Thlr. fließen dem Prediger Wisselinck in Elbing zu, der
mit der Verwaltung der Predigerstelle in Pr. Holland be-
auftragt wird12).
2. Die aus der Pr. Holländer Amtskasse dem Prediger ge-
11) Näheres über den Charakter dieses Bezuges findet sich bei Conrad,
„Pr. Holland einst und jetzt," 1897, Seite 65/60.
12) Die Aufhebung der Stelle war von den Aufsichtsbehörden weder
beabsichtigt, noch schließlich herbeigeführt worden. Eine Verfügung der Kgl.
Regierung d. d. Königsberg 12. 2. 1815 (eine Abschrift befindet sich in den
Akten der ehemaligen reform. Superin tendentur zu Elbing „Nr. 2 Sect. B. a.",
eine zweite Abschrift in denen des Pr. Holländer reform. Pfarrarchivs betr.
„Kirchl. Angelegenheiten, Nr. 68") betonte noch ausdrücklich, daß die „Stelle
nicht zu den aufgehobenen zu rechnen" sei, sondern sie werde „nur als
eine combinirte angesehen, zu Gunsten des Elbingschen ref. Predigers".
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340 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
zahlten 60 Thlr. 50 Gr. werden für einen sogenannten refor-
mierten „Schulfonds" angesammelt und bleiben bis auf weiteres
bei der Kirchenkasse asserviert.
3. Die Predigerwohnung dient fortab zur Aufnahme der
reformierten Predigerwitwen des Oberlandes18) sowie zum Absteige-
quartier des Elbinger Predigers, sobald er naoh Pr. Holland zur
Abhaltung von Amtshandlungen kommt14). Die Bezüge aus
Garten, freier Weide und dem „Bürgerholz44 werden zum Besten
der Predigerwitwen bestimmt, während die Pacht des Prediger-
ackers und der Predigerscheune zum Unterhalt des Hauses zu
verwenden sind und der Rest zur Kirchenkasse fließt.
Mit dem Eingehen der hiesigen reformierten Schule (1810)
wurde die Ansammlung der unter Nr. 2 genannten 60 Thlr.
50 Gr. eingestellt und dieselben in voller Höhe den Bezügen
Wisselincks zugewiesen, sodaß er für die Geschäfte bei der
13) Durch eine Verfügung der Kgl. Regierung d. d. Königsberg 10. 9. 1810
wurde diese Bestimmung noch dahin erweitert, daß das Predigerhaus nicht allein
zum Witwensitz der reform. Predigerwitwen im Oberlande, sondern auch der
aus Elbing ausersehen sei. Doch bemerkte eine Verfügung der Kgl. Regierung
v. 16. 12. 1810 ausdrücklich, daß das Predigerhaus nur solange die
Pr. Holländer Predigerstelle nicht besetzt sei, als Wohnsitz für die
reform. Predigerwitwen des Oberlandes und von Elbing zu dienen habe; für die
aus Elbing übrigens auch nur insoweit, als der „Elbingsche Prediger das-
selbe [nämlich das Predigeramt] auch bey der ref. Kirche in Pr. Holland
bekleidet". (Original im reform. Pfarrarchiv zu Pr. Holland, Akten „Ins-
gemein etc. Nr. 66"). — Das Haus trägt heute die Bezeichnung „Nr. 26"; zu
ihm gehören 7,1780 ha. Land, ein 0,1510 ha. großer „Schanzengarten4* und
ein Waldan teil.
14) 1858 klagt der Prediger Palmin im Kirchenvisitationsrezeß, daß er
bei seiner Anwesenheit in Pr. Holland im Gasthause absteigen müsse, obwohl
doch bestimmungsmäßig dem Prediger die Aufnahme im Predigerwitwenhause
zustehe. Hierauf ergeht die Verfügung, daß der Prediger v. 1. 10. 1859 ab
im Predigerwitwenhause „ohne Entschädigung der Mieterin" aufgenommen werden
solle. — Noch 1874 wurde dem Mieter des unteren Stockwerks von der Kirchen-
gemeinde durch Vertrag die Verpflichtung auferlegt, für den. kostenfreien Aufenthalt
des Predigers in Pr. Holland und die Gelegenheit zur Abhaltung des Konfir-
manden-Unterrichts zu sorgen. Doch bald darauf wurde diese Verpflichtung
aus dem Mietsvertrag gestrichen und dem Prediger aus Kirchenmitteln eine
Entschädigung für die Aufgabe dieses Benutzungsrechtes überwiesen. — Ver-
fügung der Kgl. Regierung zu Königsberg v. 29. 9. 1877.
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Von Ernst Machholz. 341
Pr. Holländer Gemeinde 260 Thlr. 50 Gr. in Bar bezog. In
dem Genuß dieses Einkommens blieb er bis zu seinem Tode,
1835. Als aber im Jahre 1838 sein Nachfolger Behr mit der
Versorgung der hiesigen Gemeinde betraut wurde, zog der Staat
die 200 Thlr., nachdem sie bereits 1810 auf den westpreußischen
Etat übernommen worden waren, „zur Dotations- Verbesserung
von zwei Pfarrstellen im Westpreußischen Regierungs-Bezirk"
auf Grund einer Kabinets-Order vom 18. April 1838 ein.
Behr bezog nur 60 Thlr., jene Entschädigung, durch welche
die Naturallieferungen an die Pr. Holländer Prediger einst ab-
gelöst worden waren. Di* tiberschießenden 50 Gr. verblieben
als sogenannte „Kompetenzgelder" der Kirchenkasse. Die Ein-
ziehung der 200 Thlr. nach Wisselincks Tode hatte sich das
Presbyterium ruhig gefallen lassen und Behr machte keine
Anstrengungen, sie der Stelle wiederzugewinnen. Als aber im
Jahre 1843 der Elbinger Prediger Faber mit der Verwaltung
der hiesigen Stelle betraut wurde, wußte er bald dem Pres-
byterium das Ungerechtfertigte in der Einziehung des der Stelle
bei ihrer Gründung zugewiesenen Hauptgehaltsbezuges klar zu
machen, und dann begannen lange Auseinandersetzungen mit
den Aufsichtsbehörden, die schließlich doch nicht vergeblich
waren. Durch Kabinets-Order d. d. Charlottenburg 24. März
1851 (Ministerial-Erlaß vom 22. April 1851) wurde der Stelle bis
auf weiteres aus dem ,,Dispositions- Fonds der evangelischen
Landeskirche" eine Gehaltserhöhung von 100 Thlr. zugebilligt10)
und auf die Königliche Regierungshauptkasse zu Danzig an-
gewiesen. — Die 60 + 100 Thlr. bilden heute noch den der
Predigerstelle aus Staatsfonds gezahlten Gehaltsbetrag.
Bei diesen 160 Thlr. ist es indes nicht geblieben. Eine
erhöhte Inanspruchnahme der Kräfte der jeweiligen Prediger
für die hiesige Gemeinde bedingte im Laufe des 19. Jahrhunderts
15) Eine Abschrift dieser Kab. -Order befindet sich in den Akten des Kgl.
KonHißtorinm* zu Königsberg „Etat der ref Kirche Pr. Holland. H. XIX. Nr. 6.
Vol. 1" bei J. N. 16875 E 1900.
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342 Die Geschichte der reformierten Kirchen gemeinde Pr. Holland etc.
mehrfache Änderungen in den Jahresbezfigen der Geistlichen,
über die aber die Kirchengemeinde nach ihrer Vermögenslage
selbst befand.
In den Festsetzungen über die Verwendung des ehemaligen
Prediger-, späteren Pfarrwitwenhauses sind nach 1809 und 1810
seinen neugeschaffenen Charakter ändernde Bestimmungen nicht
getroffen worden.
Das innere kirchliche Leben konnte sich aus mannig-
fachen Gründen im 19. Jahrhundert nicht mehr zu der Höhe
des voraufgegangenen, namentlich zu der unter dem Prediger
und Inspektor Jacobi, erheben, wenn es auch als eine staunens-
werte Leistung angesehen werden muß, daß es den Elbinger
Geistlichen gelingen konnte, trotz den Mißverhältnissen, die die
Gemeinde um das Jahr 1800 ihrem Ende entgegentrieben, und
trotz den in das Gemeindeleben tief einschneidenden Umwälzungen
der Jahre 1809 und 1810 der Pr. Holländer unter den übrigen
reformierten Gemeinden im Oberlande eine entschieden vorragende
Stellung zu verschaffen. An der Hand der Kirchenbücher ist
um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein merkliches Anwachsen
der Gemeinde nachweisbar.
Über die Tätigkeit und Erfolge des in den Kreisen der
preußischen Geistlichkeit seinerzeit sehr geschätzten Predigers
und Superintendenten Wisselinck bei der hiesigen Gemeinde
läßt sich nichts sagen. Er hielt hier im 3. Jahrzehnt und später
nur zweimal im Jahre öffentliche Gottesdienste ab, obwohl durch
die schon genannte Begierungsverfügung vom 10. September 1810
angeordnet war, daß er „in Pr. Holland vierteljährlich oder doch
dreymal im Jahre die Communion zu halten, auch alle ihm da-
selbst obliegende Geschäfte, besonders die Confirmation der
Kinder zu verrichten" verpflichtet sei. Wisselinck scheint sich
niemals von dem Gedanken haben trennen können, daß die
hiesige Gemeinde ihrem Ende nahe bevorstünde. Dieser Um-
stand mochte in ihm die Zuwendung besonderer Sorgfalt überflüssig
erscheinen lassen, und das gab dann die Veranlassung zu
lebhaften Auseinandersetzungen zwischen der königl. Regierung
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Von Ernst Machholz. 343
zu Königsberg und Wisselinck, die mit einem strengen Verweise,
durch den ihm grobe Pflichtverletzungen der Pr. Holländer Ge-
meinde gegenüber vorgeworfen wurden, für Wisselinck endeten.
Sein Nachfolger Behr brachte der Gemeinde doch ein
größeres Interesse entgegen, das zunächst in der Erhöhung der
Gottesdienste von zwei auf vier jährlich bestand. Das heilige
Abendmahl wurde bis dahin nur zweimal im Jahre gefeiert.
Die übrigen Amtshandlungen (Taufen, Trauungen und Begräb-
nisse) übte Behr gleich Wisselinck nur soweit sie nicht auf aus-
drücklichen Wunsch von den lutherischen Geistlichen vollzogen
wurden, aus.
Der größten Verehrung erfreute sich in der Gemeinde der
Prediger Faber, der sich um ihre Hebung allerdings auch in
einem hervorragendem Grade bemühte.
Die Gemeinde war, als Faber für sie (1843) bestellt wurde,
noch immer recht klein. Im Jahre 1848 zählte sie 37, im Jahre
1850 43 Seelen, als Faber 1857 abtrat, war sie etwa 70 Seelen
stark. Danach hatte sich die Mitgliederzahl der Gemeinde in
14 Jahren nahezu verdoppelt. 1844 kommunizierten nur
29 Personen (Minimum), 1855 aber 80 Personen (Maximum); die
Zahl 80 ist in späteren Jahren nie mehr erreicht worden.
Fabers Einfluß auf die Gemeinde zeigte sich auch sonst in vor-
teilhafter Weise. So erwirkte er ihr die teilweise Wieder-
herstellung des alten aus Staatsfonds hergegebenen Prediger-
gehalts, worüber bereits gehandelt ist. Das Hauptverdienst
brachte ihm aber sein Bemühen um die Erteilung des reformierten
Xonfirmandenünterrichts in Pr. Holland. Es wurden nämlich —
wohl seit Waghas' Tode — bis dahin die reformierten Schul-
kinder der Gemeinde von den hiesigen lutherischen Geist-
lichen vorbereitet und eingesegnet und dadurch meist Mitglieder
der lutherischen Gemeinde. Erst Faber gelang es, den Kon-
firmandenunterricht und die Einsegnung der reformierten Kinder
in seine Hände zu bekommen (1851).
Hierbei muß hervorgehoben werden, daß sich die
Kräftigung der Gemeinde in durchaus friedlicher Weise
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344 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
vollzog und niemals zu ernsten Trübungen des Ver-
hältnisses zwischen der reformierten und der luthe-
rischen Gemeinde geführt hat
Die Wirksamkeit der auf Faber folgenden Prediger war
zu kurz, als daß sie in der einen oder anderen Weise auf die
Gemeinde von Einfluß hätte sein können. Die Predigerstelle
bei der reformierten Gemeinde in Elbing war in jenen Jahren
sehr gering dotiert, dazu schwer zu verwalten; ihrem Inhaber
lag nämlich die geistliche Versorgung noch anderer reformierten
Gemeinden ob. Die Stelle wurde nur mehr als eine Durch-
gangsstation angesehen. Nach Faber, also seit 1857, sind bis
heute fünf Geistliche gefolgt. Diesem häufigen Wechsel dürfte
zum Teil auch die ständige Abnahme unserer Gemeinde zuzu-
schreiben sein. Die Union von 1817 schadete ihr merkwürdiger-
weise nicht. Wisselinck hatte als Gegner der Unionsbewegung
ihr Fortbestehen als nichtunierte Gemeinde zu sichern und ihr
durch Einimpfung orthodoxer Anschauungen zu einem zähen
Charakter zu verhelfen gewußt. Aus dem Gefühl dieses Cha-
rakters heraus konnte Faber einst sagen, daß die Gemeinde in
Pr. Holland „auf dem felsenfesten Grunde eines lebendigen
Glaubens und einer ungefärbten Liebe" stehe und „freudig in
der Hoffnung" sei, „daß auch zu ihr gesagt ist das Wort des
Herrn „„Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures
Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben." " " Und wenige
Jahre später (1862) stellte ihr der reformierte Superintendent Ger-
dien gelegentlich eines Besuchs das Zeugnis' einer von starkem
Glaubensbewußtsein getragenen Gemeinde aus. In Begeiste-
rung sagte damals Gerdien: „Wo Glaubensgenossen in der Ver-
einzelung leben, da strahlt die Freude auf ihrem Antlitze, wenn
einmal jemand sie besucht und sich um sie bekümmert. Das
habe ich am lieblichsten in Pr. Holland erlebt, wo einige
Gemeindeglieder mich überall hin, selbst bis zum entfernt
liegenden Kirchhofe begleiteten und ihre Freude über mein Er-
scheinen nicht genugsam ausdrücken konnten."
Den ihr eigenen stabilen Charakter bewahrte die Gemeinde.
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Von Ernst Machholz. 345
Die übrigen reformierten Gemeinden des ostpreußischen Ober-
landes — Schlodien (mit den kombinierten Personalgemeinden
Karwinden, Lauck, Schlobitten und Eeichertswalde), Soldau16),
Mohrungen und Gr. Samrodt — sind längst eingegangen, Pr.
Holland aber besteht noch heute. Die Zahl ihrer Gemeinde-
glieder ist zwar von Jahr zu Jahr gesunken, sodaß sie jetzt nur
etwa 18 Teilnehmer bei den einzelnen Abendmahlsfeiern nach-
weisen kann.
Der Prediger Dr. May wald machte noch einmal den Ver-
such, auf das Gemeindeleben fördernd einzuwirken, indem er die
Zahl der jährlichen Gottesdienste von acht auf zwölf erhöhte,
sein Nachfolger und jetzige Prediger Falck behielt diese Ein-
richtung bei. Die Gemeinde ist so in der Lage, in jedem Monat
den Geistlichen bei sich zu sehen17).
Es ist gewiß ein schönes Zeugnis für ihren Charakter, daß
sie in der Abgeschlossenheit trotz der vielen Fährnisse, die ihr
das 19. Jahrhundert gebracht, ihr Bestehen zu wahren wußte.
Möge Fabers Wort auch in Zukunft ihr Leitstern sein!
Statistisches aus diesem Zeitabschnitt.
(1807—1904).
_ Kommunikanten
Taufen Einsegnungen Trauungen ^ den einzelnen
im m im Abendmahlsfeiern
Durchsehn n«) Duichacho."») Durchschuß) ^ Durchgchniu
1807—1842 ? ? ? ?
1843—1849 ? ? ? 17
1850—1859 6 3 1 29
16) Die reform. Gemeinde zu Soldau besteht heute nur noch dem Namen
nach, schon seit einer Reihe von Jahren werden dort keine reform. Gottesdienste
mehr abgehalten, (cf. „Mitteilungen der Litt. Gesellschaft Masovia", elftes Heft.)
17) Das H. Abendmahl wurde in Pr. Holland gehalten jährlich
1708—1726: 4 mal, 1727: 1 mal, 1728: 1 mal, 1729—1755: 4 mal, 1768—1777:
4 mal, 1778: 5 mal, 1779: 4 mal, 1780: 3 mal, 1784—1806: 4 mal, 1843—1890:
2 mal, 1891—1899: 3 mal, 1900: 1 mal, 1901: 3 mal, 1902—1904: 4 mal.
17a) In den einzelnen Jahren.
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346 l^,e Geschieh te der reformierten Kirchen gemeinde Pr. Holland etc.
]
Taufen
im
Durchschnitt
Einsegnungen
im
Durchschnitt
Trauungen
im
Durchschnitt
Kommunikanten
bei den einzelnen
Abendmahlsfeiern
im Durchschnitt
1860-
-1869
5
4
1
27
1870-
-1879
3
3
3
18
1880-
-1889
2
?
—
—
1882
—
—
2
—
1885-
-1889
—
—
—
16
1887
—
—
1
—
1888
—
—
1
—
1890-
-1899
2
?
—
13
1897
—
—
1
—
1898
—
—
1
—
1900
2
?
—
25
1901
—
?
—
20
1902
—
?
—
19
1903
—
?
—
29
1904
—
?
—
18
An Schenkungen und Vermächtnissen
waren der Gemeinde bis zum Jahre 1780 zugefallen:
1709 schenkten die reform. Officiere des in
Pr. Holland garnisonierenden Regiments
„du Portal" der Gemeinde „mit dem Be-
ding, umb dem damahligen Kirchen-
Bedienten, welcher gar kein Salarium
hatte, davon gutes zu thuntt . . . . 111 fl. 20 gr.
1711 fiel der Gemeinde von den Eeinhold
Boyschen Erben zur Besoldung eines
reform. Schulbedienten ein Kapital von 1000 „ — „
zu.
1715 tiberwies18) Christoph Friedrich Graf zu
Dohna auf Reichertswalde der Gemeinde
18) Das Original der Schenkungsurkunde (von Christoph Friedrich eigen-
handig ausgefertigt) befindet sich im Pr. Holländer ieform. Pfarrarchiv (lose).
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Von Ernst Machholz. 347
meinde gleichfalls zur Besoldung eines
reform. Schulbedienten ein Kapital von 300 fl. — gr.
1716 „hatt die Wittwe des seel: Herren von
Huwald nachmahlige Fr: Gräffin Truch-
ses Walfdjburg Lutherana zum Ehren
Gedächtniß ihres seel: Herrn . . . zum
Schul-Capital legiret" 300 „ — „
1727 schenkte die Obristin von Bodeck „der
Kirchen" 30 „ - „
1731 „ist von der Fr: Witwe des seel: Herrn
Consistorial Assessors und Richtern Herrn
Töpcke das was [der] Kirchen in dessen
Testament legiret worden, nehmlich
20 Marck ausgezahlet" mit 13 „ 10 „
1770 (?) fiel der Gemeinde durch Hans Osvald
v. Reibniz ein Legat zu im Betrage von 18 „ — „
1770 „op ordre et vor Eekoning van de Heer
Franz Arnold Mullendorf te Breslau voor
een te Amsterdam gekonde Collecte
presenteert der Reformeerte Kerke te
preusch-Holland durch Kauffleute von
Conigsberg spedirt" 28 „ 19 „
Durch ein nach dem Tode des Vizebtirgermeisters Dziaok
zugefallenes Legat (Testament vom ^-| 1778) wurde das Kirohen-
vermögen erheblich vermehrt. Die Zinsen der ursprünglich
1666 Thlr. 20 Sgr. betragenden Stiftung sind hauptsächlich zu Unter-
stützungen bedürftiger reform. Witwen und Studierenden reform.
Konfession sowie zum Unterhalte armer Kinder bestimmt. Die Ver-
waltung des Legats geschieht nach einem Vergleich18*) durch das
Presbyterium. Durch Ersparnisse hat sich das Vermögen des
„Dziackschen Legatenfonds" bedeutend vergrößert. Der für die
Zeit vom 1. April 1901 — 1906 aufgestellte Etat des Legats nennt
18a) Der auf Grund des Testaments zwischen den Erben und der Gemeinde
geschlossene Vertrag vom ^^ 1784 wurde vom Reform. Kirchen-Direktorium •
unterm 28. 10. 1784 genehmigt. (Abschrift im Pfarrarchiv, Aktenstück Nr. 63.)
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348 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
ein Barvermögen von 10553,85 Mk. Disponible Bestände werden
zinsbar angelegt. — Im 19. Jahrhundert scheint das Kapital-
vermögen der Gemeinde keine bedeutenderen Zuwendungen
erfahren zu haben.
Der Kirchenkassenetat vom 1. April 1901 — 1906 weist ein
Barvermögen von 16071,15 Mk. nach. Die Zinsen dieses
Kapitals und die Einkünfte aus dem der Gemeinde gehörigen
Hausgrundstück mit Gärten, Wiesen und Ackerland, ferner die
Zuschüsse aus der königlichen Regierungshauptkasse zu Königs-
berg und Danzig und ein Zuschuß aus dem Dziackschen Legaten-
fonds im Betrage von jährlich 45 Mk. dienen in erster Linie
zur Besoldung des Predigers und der übrigen Kirchenbeamten,
sowie zur Deckung der Kosten des Gottesdienstes und zur
Unterhaltung des Kirchensystems.
Eine Umlage wird in der Gemeinde zurzeit nicht erhoben.
Die Vertretung der Gemeinde
nach Außen hin geschah ursprünglich durch ein aus dem je-
weiligen Prediger und zwei Laienmitgliedern bestehendes
Presbyterium. Nach Waghas Tode drohte diese Einrichtung
einzugehen, damals lagen die Geschäfte der äußeren Verwaltung
in der Hand nur eines Gemeindemitgliedes. Die königliche
Bregierung sah sich daher veranlaßt, Wisselinck (am 16. De-
zember 1810) anzuweisen, für die Bestellung eines zweiten
Gemeindemitgliedes als Presbyter Sorge zu tragen, „damit von
2 Kirchen- Vorstehern unter seiner [Wisselincks] Aufsicht das
Beste der Kirche besorgt werde", und unterm 15. März 1811
erhielt hierauf die Gemeinde zu ihrem bisherigen Presbyter
Kuegler den damaligen Justizamtmann in Pr. Holland, Des-
somb&s.
In dieser Weise wurde die Gemeinde bis zur Emanation der
Kirohengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873
(Gesetzsammlung, Seite 417) vertreten. Eine im Sinne der
§§ 3 und 28 a. a. O. gebildete Gemeindevertretung besteht
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Von Ernst Machholz. 349
nicht. In wichtigeren Angelegenheiten pflegte man hier die
wahlberechtigten Gemeindemitglieder zu berufen und anzuhören,
eine Praxis, wie sie § 27 Absatz 2 der Kirchengemeinde- und
Synodalordnung vorschreibt.
Gegenwärtig besteht das Presbyterium aus dem Prediger
und zwei Ältesten, von denen einer von der königlichen
Regierung als „Patronatsältester" bestellt ist.
4. Die Prediger.
1. Johann Wilhelm Geller, gebürtig aus der Grafschaft
Isenburg-Büdingen in der Wetterau, wurde als Sohn des dortigen
Predigers Geller am 10. 10. 1663 geboren. Im Alter von 24 oder
25 Jahren übernahm er im Hause Christoph Friedrichs Burg-
grafen und Grafen zu Dohna a. d. H. Reichertswalde auf Sam-
rodt19) Kreises Mohrungen eine Erzieher- und Hausprediger-
stelle. Der Umstand, daß die Mutter der ersten Gemahlin
Christoph Friedrichs eine geborene Gräfin Isenburg-Büdingen
war, wird zu der Annahme berechtigen, daß diese Familien-
verbindung dem „Candidatus Ministerii und Informator" Geller
zu der Berufung nach Samrodt verhalf. — Im Jahre 1697 20)
begleitete er den Grafen nach Karlsbad, und dort verschaffte
ihm der kurfürstliche Hofprediger Ursinus21) Gelegenheit vor
dem damals auch in Karlsbad weilenden Kurfürsten Friedrich III.
zu predigen.
Geller wurde hierdurch bei Hofe bekannt, und als noch
in demselben Jahre in dem Samrodt benachbarten Pr. Holland
eine reformierte Predigerstelle eingerichtet wurde, ersah man
ihn für deren Besetzung aus.
19) cfr. Siegmar Graf Dohna, „Aufzeichnungen über die Vergangen-
heit der Familie Dohna", Bd. III. 1882 S. 107.
20) a. a. O. Seite 111 und 200.
21) Er war derselbe, der als preuß. Bischof die Salbung des ersten Königs
von Preußen vollzog und 1705 in den Adelsstand mit dem Namen von Bär
erhoben wurde. („Pr. Archiv", 1790, S. 108-110).
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 5 o. 6. 23
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350 Die Geschichte der reformierten Kirchengcraeinde Pr. Holland etc.
Die Berufungsurkunde ist bereits im zweiten Teile dieser
Geschichte nach dem im reformierten Pfarrarchiv zu Pr. Holland
befindlichen Original abgedruckt. — Ebendort, in dem Akten-
stück betreffend „den Kirchensaal4* von 1850, wird das Original
(auf Papier) der infolge dieser Berufung an den Amtshauptmann
in Pr. Holland, Heinrich von Houwald, ergangenen Kabinets-
ordre aufbewahrt; sie lautet:
„Seine Churfürstliche Durchleüchtigkeit zu Brandenburg p.
Unser Gnädigster Herr, haben in gnaden verordnet, dass dem
zu Prettssich-Holland bestelten E vangelisch-Ref ormirten Prediger,
Geller, das nöhtige Hart- und Rauchfutter auf zwey Pferde,
gereichet, auch auf dem Seh los daselbst ein bequehmes
Losament, zu Verrichtung des Gottes-Dienstes, eingeräumet
werden soll, Wornach sich der dortige Haubtmann, p. der
von Huwaldt, gehorsambst zu achten, und so wol gedachtes
Losament anzuweisen, als auch das Futter auf ermelten
Gellers, pferden, aus dem Ambt reichen zulassen. Signatum
Mossiz den ^ Sept. 1697.
Friderich.
v. Danckel[mann]."
Registraturvermerk Gellers
auf der Rückseite des Originals:
„Churfl: befehl an den Herrn
Hauptmann, theils ein bequehmes
losament zur Verrichtung des
gottesdienstes auff dem schloß
einzuräumen, theils daß das hart
und rauchfutter vor zwei pferde
mir aus dem ampt soll gereichet
werden.
anno 1697. d. 28. Sept. No. 2."
Geller war, wie die Order vom ^ August 1697 zeigt,
auch mit der Pastorierung der Reformierten in Riesenburg
beauftragt worden. Gleich dem Amtshauptmann in Pr. Holland
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Von Ernst Machholz. 351
erhielt denn auch unterm 11. Oktober 1697 von der Regierung
der Amtshauptmann in Kiesenburg den Auftrag dafür zu
sorgen, daß Geller auf dem dortigen Amtshause ein Zimmer zur
Abhaltung des Gottesdienstes und des heiligen Abendmahles
angewiesen werde.22) In seltsamem Widerspruch steht zu diesen
Anordnungen eine an das sogenannte Reformierte Ministerium
zu Königsberg gerichtete Allerhöchste Order d. d. Colin an der
Spree ^ Dezember 1697, nach der es des Kurfürsten „gnädigste
intention ist, daß zu gedachtem Preusch-Hollandt bey der
dortigen Evangelischen Reformirten Gemeine der dabey bestellte
Prediger Geller, bey der Riesenburgischen aber der bey der-
selben schon seit einiger Zeit sich befindende Prediger Thomae
[sc. aus Reich ertswalde] wie bisher also auch ferner den Gottes-
Dienst und die Sacra versehen soll."28) — Gleichwohl hat Geller
doch, wie später auch in Elbing, so in Riesenburg pastoriert;
wahrscheinlich aber erst nach Thomaes Tode.
Hier mag auch bemerkt werden, daß sich die Tätigkeit
Gellers und seiner Amtsnachfolger bei der Riesenburger
reformierten Gemeinde auf die Abhaltung nur weniger Gottes-
dienste und die Reichung des heiligen Abendmahls beschränkt
haben dürfte. Nachweislich war dies so gegen Ende des
18. Jahrhunderts, als immer noch die Pr. Holländer Prediger
nach Riesenburg reisten; die übrigen Amtshandlungen besorgte
damals der dortige lutherische Geistliche.
Warum Geller nicht schon im Jahre 1697 in Pr. Holland
das Amt übernahm, haben wir aus der Vorgeschichte der Ge-
meinde erfahren; dieselben Gründe litten auch keine öffentliche
Amtseinführung. Als Geller am Neujahrstage 1698 der refor-
mierten Gemeinde zu Pr. Holland zum ersten Mal als ordent-
22) Kgl. Staatsarchiv zu Königsberg, Akten betr. „den Gottes-Dienst der
Reform, auf denen Schlössern zu Riesenburg und Pr. Holland". Fach 51 ee.
Et. Min.
23) Burgkirchenarchiv, Akten betr. „die auf die ref. Kirche in Pr. Holland
sich beziehenden Kirchenangelegenheiten."
23*
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352 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
licher Geistlicher predigte, führte er sich selbst ein2,a). Man
hütete sich eben ängstlich davor, die Stände auf diese Neuein-
richtung aufmerksam zu machen.
Am 15. Januar 1699 heiratete er die Erzieherin der jungen
Gräfinnen in Reiohertswalde, Maria Saligniäre.
Einer seiner Amtsnachfolger, Kleinschmidt, schildert Geller
als einen sehr rührigen Seelsorger und führt hierfür als Beleg
an, daß während seiner Amtsperiode „nicht allein verschiedene
Mennonisten, sondern auch selbst Lutheraner reformirt worden,
wie denn anno 1702. Herr Johann Wilhelm Christiani*4) Doctor
Medicinae, Physicus des Ober-Lands und . . . Stadt-Bürger-
meister [zu Pr. Holland] sich öffentlich zur reformirten Religion
bekennet hat", und „1714 ist . . . Carl George von Weißenfels,
Erb-Herr auf dem Adeligen Guth Spitels [der vorher lutherisch
war] gleichfals zu [der reform.] Kirche [übergetreten".
In seiner Gemeinde war Geller sehr beliebt. Als er im
Jahre 1715 einen Ruf nach Stolp als Hofprediger erhielt, ver-
nahm dieses die Gemeinde „sehr ungerne und der Magistrat
schickte selbst Lutherische Deputirte aus dem Eath an Ihm,
[um] Ihn im Nahmen desselben wie auch des Luth: Ministerii,
mit welchem Er in sehr guten Vernehmen gestanden, zu er-
suchen, Seine Gemeine und diese Stadt, wo es anders mögl:
wäre, nicht zu verlassen" und Geller überließ „es der ferneren
göttl: Direction, da dann bald hernach aus dem König!: Kirchen
Directorio [zu Berlin] ein rescript einkommen, daß Seine Königl:
Majest: auf allerunterthänigstes Ansuchen der . . . Gemeine
Ihn bey derselben zu lassen, allergnädigst placidiret, nebst
Conferirung des Praedicats Ihres Hoff-Predigers".
Im Alter von 63 Jahren legte er sein „rühmlich geführtes
Ambt" nieder und hielt „unter häuffigen Trähnen seiner Ihm
bissher anvertraut gewesene Gemeine" die Abschiedspredigt.
23a) Siehe Seite 330.
24) Über Christiani findet sich Näheres im Erl. Preußen Bd. IV.
(1728) Seite 489, Fußnote.
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Von Ernst Machholz. 353
Widrige Umstände aber wollten es, daß er nach kurzer
Unterbrechung von neuem die Kanzel betreten mußte; wir
hören hiervon Näheres in dem Abschnitte, der seinen unmittel-
baren Amtsnachfolger behandelt.
Geller starb am 7. September 1739 26) in Pr. Holland. Die
für ihn veranstalteten Begräbnisfeierlichkeiten gaben Anlaß zu
einem unerquicklichen Streit.
Kaum hatte Geller die Augen geschlossen, als die Re-
formierten der Stadt den damaligen Amtsverweser Wilhelm
Fabian von Saucken bestürmten ihnen zu gestatten, daß der
reformierte Prediger aus Sohlodien in der lutherischen Kirche
zu Pr. Holland ihrem verstorbenen Seelsorger die Leichenrede
halten dürfe. Obwohl nun ein königliches Rescript vom 30. März
1737 anordnete, daß in solchen Fällen der lutherische Geist-
liche zuständig sei, die lutherische Geistlichkeit von Pr. Holland
gegen dies Vorhaben der Beformierten auch energisch protestierte
willigte von Saucken doch in die Haltung der Leiohenrede
durch den Schlodischen reformierten Prediger ein. Die Oberräte
erteilten von Saucken hierauf eine Rüge. Doch dieser be-
schwerte sich beim König. Und von Saucken drang durch!
Die Oberräte mußten sich eine strenge Kritik ihres Verfahrens
gefallen lassen. Ihre Haltung, so hieß es in der Order vom
13. März 1741, könne nicht im geringsten gut geheißen werden;
„Vors künfftige werdet Ihr gar nicht fehlen, wann Ihr von der-
gleichen voreiligen Verordnungen abstrahiret, im Gegentheil aber
Euch Bemühet, das Band der Einigkeit zwischen Beyderseytigen
religions- Verwandten je mehr und mehr zu Befestigen und dazu
alles mögliche Beyzutragen".
2. Friedrich Adolf Marees (Maresius) war i. J. 1691 in
Berlin geboren, studierte in Frankfurt a. 0. (immatr. 10. 6. 1709)
und kam 1721 zu Ostern an das Kgl. Waisenhaus zu Königs-
berg als Informator und Prediger. Dort scheint er wenig gute
25) Die Angabe im Erl. Preußen Bd. IV Seite 499, Geller sei bereits
1726 gestorben, ist irrig.
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354 T>ie Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Tage gesehen zu haben, denn mit seinem lutherischen Amts-
bruder Berend26) lebte er in dauerndem Unfrieden. Die Miß-
helligkeiten zwischen beiden arteten sogar zu Tätlichkeiten aus
und machten das Einschreiten der Aufsichtsbehörde notwendig.
Die noch vorhandenen Untersuchungsakten27) veranschaulichen
diese Auseinandersetzungen in sehr drastischer Weise. — Am
30. Mai 1726 wurde Marees für Pr. Holland vociert und durch
den reformierten Inspektor Schrotberg aus Königsberg am
1. September 1726 eingeführt28). Nach neun Monaten schon er-
eilte ihn hier ein böses Geschick. Es war nämlich der Regierung
zu Ohren gekommen, daß sich Marees während seiner Amtszeit
beim Königlichen Waisenhause in mehreren Fällen Verbrechen
hatte zuschulden kommen lassen, die die in dieser Sache geführten
Untersuchungsakten29) als „Libidines masculae" bezeichnen. Das
gegen Marees geführte Strafverfahren ist dadurch besonders
interessant, daß es dem König Gelegenheit gab, in den Gang
der Verhandlungen persönlich einzugreifen.
Gegen Ende des Monats Mai scheint die Anzeige bei der
Regierung in Königsberg eingelaufen zu sein, denn am 28. Mai
1727 wies letztere den Obristen von Glaubitz in Pr. Holland
an, „den Ref. Prediger Maresium beym Kopfe nehmen und
anbero bringen zu lassen." Bald darauf saß Marees in Königs-
berg hinter Schloß und Riegel, in Einzelhaft und in einem
„Kerker**, der „zwar doppelt verschlossen" war, in dem aber
„allerorten44 der Wind durchstrich. Im September klagt Marees,
daß er in dem „schweren und harten Arrest4 * „bey heran
nahenden Winter gäntzlich crepiren44 zu müssen fürchte. Schrot-
berg und die Hofprediger Thomson und Cochius verwendeten
26) Berend war beim Kgl. Waisenhause von 1717 bis 1729.
27) Kgl. Staatsarchiv zu Königsberg. Fach 37, 2, b. Et. Min. — Dem-
bowski, „Zur Gesch. des Kgl. Waisenhauses'* (Jahresbericht der Anstalt von
1884, S. 8 und 9).
28) Auf Bitten der reform. Gemeinde zu Elbing und mit Genehmigung des
Reform. Kirchen-Direktoriums reiste er auch nach Elbing zur Abhaltung des
H. Abendmahls. (Es waren zwei Abendmahlsandachten im Jahre beabsichtigt*.
29) Kgl. Staatsarchiv. Abteilung „Kgl. Waisenhaus,'* Et. Min.
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Von Ernst Machholz. 355
sich für ihn, aber vergeblich; zudem schritt die Untersuchung
äußerst langsam vorwärts, an seine Befreiung aus dem unge-
sunden Kerker oder an eine anderweite Unterbringung war nicht
zu denken. Die Untersuchung wurde mit großer Härte geführt.
Wieder und immer wieder wird auf Marees eingedrungen, der
vollen Wahrheit die Ehre zu geben, und immer von neuem be-
teuert er, nicht mehr getan zu haben, als er selbst zugestehe.
Nach einem Vierteljahr etwa konnte das Vorverfahren abge-
schlossen werden. Als dem König das Ergebnis der Unter-
suchung mitgeteilt wurde, befahl er unterm 18. September 1727,
daß, wenn Marees „die denuncirte facta nicht gestehen will, und
genugsahme indicia gegen denselben vorhanden", er „mit der
tortur beleget werden soll"; und als einige seiner Amtsbrüder
den König um Milde baten, dekretierte er am 17. November
1727, daß die angeordnete Inquisition „mit aller vigueur" fort-
gesetzt werde. Dabei war man auf möglichste Geheimhaltung
des Verfahrens bedacht. Endlich gelangte das Hofhalsgericht
zu einem Urteil: Marees sei des Landes zu verweisen. Von
einer Tortur hatte man Abstand genommen.
Dem König war dieser Spruch zu gelinde. In einer Order
(ohne Datum, präsentiert am 26. Februar 1729) befahl er viel-
mehr, „das factum nochmals genauer zu untersuchen" und die
Angelegenheit alsdann einer auswärtigen juristischen Fakultät
„zum Spruch Rechtens" vorzulegen, er (der König) „vermeine,
daß Er [Marees] das Leben verwirket habe"! — Wieder ver-
gehen Monate, ehe die juristische Fakultät zu Frankfurt an der
Oder, der man die Sache unterbreitet hatte, urteilte und wieder
lautete das Urteil im Wesentlichen wie das des Hofhalsgerichts
zu Königsberg: auf Amtsentsetzung und Landesverweisung,
daneben Tragung der Kosten des Verfahrens.
Endlich, im Mai 1730 — nach genau dreijähriger Unter-
suchungshaft — , kam das Verfahren zum Abschluß. Durch
Allerhöchste Order vom 22. Mai 1730 fand das Urteil der Frank-
furter juristischen Fakultät die Bestätigung des Königs. Bald
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356 E>*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland ete.
darauf wurde der unglückliche Mann über die Grenze ab-
geschoben, seitdem ist nichts von ihm bekannt geworden.
Geller mußte diese traurigen Vorgänge noch miterleben. Einen
neuen Prediger hatte man nach Marees' Verhaftung nicht gleich
finden können, und so wurde denn auf Geller zurückgegriffen,
der drei Vierteljahre den verwaisten Gemeinden Pr. Holland,
Riesenburg und Elbing predigte.
Zum Nachfolger des Marees war der Eektor der reformierten
Schule in Halberstadt, Johann Heinrich Bauer, vom Könige
ernannt, der aber während der Reisevorbereitungen (1727)
starb80). — Nach Bauer wurde
3. Dr. Stephan Arnold Wesenfeld hierher berufen. Ge-
boren am 9. Juni 1701 als der älteste Sohn eines Universitäts-
Professors in Frankfurt a. 0. wurde Wesenfeld, nachdem er in
seiner Vaterstadt studiert und „als Magister zwey Jahre die
Stelle seines abgelebten Vaters auf der Universität durch philos.
Collegia u. Disputirungsübungen versehen" hatte,81) in Berlin am
29. Juli 1728 ordiniert, trat uneingeführt in Pr. Holland am
19. September 1728 das Amt an, ging aber schon am 18. No-
vember 1731 als Hofprediger nach Crossen, wo er am 16. März
1732 eingewiesen wurde; er starb am 14. April 1756. — Wesen-
feld pastorierte von Pr. Holland aus auch die reformierten
Gemeinden Riesenburg und Elbing. Ihm folgte
4. Ludewig Reinhard Kleinschmidt, der als Sohn eines
Professors und Predigers in Rinteln geboren war und in Frank-
furt a. 0. studiert hatte (immatr. 11. 4. 1722). „Er war unter
den königl. Candidaten gewesen und hatte als solcher gereiset",
war auch Erzieher im Hause des Ober-Hof-Marschalls von Printzen
in Berlin und wurde dann unterm 13. April 1731 für Pr. Holland
vociert. Bald darauf traf er hier ein, obwohl er erst am 18. No-
vember 1731 das Amt übernahm. In der Zwischenzeit scheint
30) Hering, Daniel Heinrich, Neue Beiträge zur Geschichte der Evgl.-
Keform. Kirche in den Preuß.-Brandenburg. Ländern. 1786. (1. Teil.) Seite 220.
31) Hering, Daniel Heinrich, Neue Beiträge zur Geschichte der Evgl.-
Reform. Kirche in den Preuß.-Brandenburg. Ländern. 1786. (1. Teil.) Seite 46.
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Von Ernst Machholz. 357
er dem Prediger Wesenfeld zur Hand gegangen zu sein. Auch
er verließ diese Stelle bald. Am 28. Januar 1735 ging er als
dritter Domprediger nach Halle, „hierauf 1738 nach Bielefeld,
wo er in der Mitte des Junius antrat. Den 20. September 1752
reisete er wieder ab, um dem erhaltenen Rufe zum ersten Prediger
an der Peter-Paul-Kirche in Danzig zu folgen und fand da sein
klägliches Ende. Er war ein geschickter, beredter, aber hoch-
müthiger Mann. In der Zeit, daß er in Bielefeld war, bekam er
schon einen dreimaligen Anfall von einer großen Verwirrung des
Gemüths. Er kam da an einem Sonntage auf die Kanzel, bereuete
seinen Lebenslauf, klagte sich mit Thränen als den größten
Sünder an, that eine Art von öffentlicher Kirchenbuße und ver-
fiel darauf in eine große Schwermüthigkeit, die etliche Wochen
anhielt. Im folgenden Jahre, um dieselbe Zeit, hatte er einen
Anfall von entgegengesetzter ausschweifender Freude, in welcher
er auch den Prinzen Dieterich von Anhalt-Dessau bey sich be-
wirthete, und dabey Pauken und Trompeten auf der Straße vor
seinem Hause ertönen ließ. Das dritte Jahr, auch um dieselbe
Zeit, bekam er wieder eine starke Anwandlung von Schwer-
müthigkeit. Nachher ist er so wiederhergestellt worden, daß er,
so lange er in Bielefeld gewesen, nichts weiter von diesen Zu-
fällen empfunden hat. Eine reiche Bürgermeisterfrau in Danzig,
die sich seiner vortreflichen Gastpredigt noch erinnerte, welche
er vor 20 Jahren daselbst gehalten hatte, empfohl ihn so den
Vornehmsten der dortigen Gemeine, daß er zu jener wichtigen
und ansehnlichen Stelle erwählet wurde, zu deren Annehmung
er jetzt auch von Berlin aus Erlaubniß erhielt. Er gefiel in
Danzig mit seinen Predigten, sie waren gut, ordentlich und ver-
nünftig, ob sie gleich das Feuer nicht mehr hatten, das man
ehemals an ihm bewundert hatte. Seine Beförderinn ward nun
seine Beherrscherinn und vermehrete ihre Macht über ihn durch
die außerordentliche Freigebigkeit, die sie ausübete; aber beides
wurde sein Verderben. Sie verschrieb für ihn ein armes Frauen-
zimmer aus Detmold, gab ihr 20 000 Thaler mit, und er mußte
sie wider seinen Willen heurathen. Ihre Wohlthaten gegen ihn
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358 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
hatten kein Ende. Einmal beschenkte sie ihn mit einem ganzen
Hause in der Stadt, ein andermal mit einem prächtigen Garten
und Gartenhause vor der Stadt. Jene erzwungene Heurath und
das Wohlleben, das aus dieser Überhäufung mit Wohlthaten ent-
stund, benahmen seinem Geist Kraft und Leben. Er predigte
seltener, äußerst schläfrich, dabey lange. Einsmals konnte er
nach drittehalb Stunden kaum aufhören, wovon er zur Ursache
angab, daß er es bloß auf Eingeben des Geistes Gottes gethan
hätte. Endlich merkte er doch selbst die Zerrüttung seiner
Seele, hielt eine recht sehr rührende Abschiedspredigt, als einer,
der nun nicht weiter die Kanzel besteigen würde und nahm
sich eine Reise vor, um sich aufzuheitern. Er wollte alle die-
jenigen Örter besuchen, wo er ehemals als Prediger gestanden
hatte; war aber kaum einige Stationen weg, als man ihn schon
als völlig verrückt zurückbringen mußte. Er hatte seinen Ver-
stand so völlig verlohren, daß eine beständige Wache von vier
Männern bey ihm erfordert wurde. (Er verfiel „in solche Raserey",
„daß er in Ketten mußte geleget werden".] In diesem kläg-
lichen Zustande lebte er mit untermischten guten Tagen fast
anderthalb Jahre; starb endlich" 1761 am 14. Mai „plötzlich in
[der] Nacht, und seine Gönnerin folgte ihm in vier Wochen nach.
Sein Schicksahl ist um so mehr zu beklagen, da er von seinen
Reichthümern den Dürftigen reichlich Gutes that."82) — Er
pastorierte auch in Riesenburg und Elbing. Aus seiner kurzen
Amtszeit verdient seine Gorge um die Hebung der hiesigen
reformierten Schule hervorgehoben zu werden. Nach ihm kam
5. Johann Philipp Conrad Nad; er war aus Hersfeld in
Hessen gebürtig, wo sein Vater Prediger war und hatte in
Bremen das in dieser Gestalt heute nicht mehr bestehende
reformierte Gymnasium Illustre besucht. Vor seiner Berufung
nach Pr. Holland war er 31/« Jahre Inspektor am Joachimstai-
32) Hering, Daniel Heinrich, Neue Beiträge zur Geschichte der Evgl.-
Reforra. Kirche in den Preuß.-Brandenburg Ländern. 17S(>. (1. Teil.) Seite 176
und 237 ff.
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Von Ernst Machholz. 359
sehen Gymnasium zu Berlin (seit 1731), wohin er von Bremen
gekommen war. Kleinschmidt führte ihn hier am 10. Mai 1735
ein, aber schon am 17. Juni 1740 gab er die Stelle auf,
um als Professor an das reformierte Gymnasium nach Halle zu
gehen. „In Halle trat er den 20. Oct. 1740 mit einer Rede an
de utilitate, praestantia ac necessitate linguarum orientalium in
theologia, wie er auch in den orientalischen Sprachen seine
größte Stärke hatte. Er ging 1743 wieder ab, da er ordentlicher
Professor der Theologie zu Frankfurt an der Oder wurde82*); lebte
aber auch hier nicht lange, sondern ging 1746 nach Berlin, um
sich von seiner Krankheit curiren zu lassen, und starb daselbst
den 6. Jul. in solchem Jahre M).u Von Pr. Holland aus pastorierte
er auch in Kiesenburg und Elbing. Gleich seinem Amts-
vorgänger war ihm die Förderung der reformierten Schule sehr
ans Herz gewachsen.
Er war nach dem Kirchenbuch mit Dorothea Sophia von
Frauendorf verheiratet. — Sein Nachfolger war
6. Johann Heinrich Jacob i, der aus Hoingen in der Graf-
schaft Solms-Braunfels in der Wetterau gebürtig und vor seiner
Berufung nach Pr. Holland in Samrodt (Kreis Mohrungen)
Prediger war. Über ihn findet sich Näheres in dem 8. Heft
der „Oberland. Geschichtsblätter". Er wurde unterm 24. Juli
1740 nach Pr. Holland berufen, ward in diesem Jahr auch In-
spektor der reformierten Kirchen des Oberlandes,84) sowie Mit-:
glied des Pomesanischen Konsistoriums zu Saalfeld und starb
am 28. September 1767 in Pr. Holland. — Jacobi reiste , jähr-
lich 4 mahl nach Elbing und Riesenburg, umb die heyl. Com-
munion zu halten". — Auf ihn folgte
32a) „8. Junii (1744) Johannes Philippus Conradus Nad Hassus, huc
vocatUB professor theologiae Ordinarius." (Publ. aus den Kgl. Pr. Staatsarchiven.
36. Band. Ernst Friedländer, „Ältere Universitäts-Matrikeln". I. Universität
Frankfurt a. O. 2. Bd. Leipzig 1888, S. 36 R
33) Hering, Daniel Heinrich, Neue Beiträge zur Geschichte der Evgl.-
Reform. Kirche in den Preuß.-Brandenbnrg Ländern. 1786. (1. Teil.) Seite 191.
34) cfr. „Mohrunger Kreis-Zeitung' \ Jahrgang 1905, Beilage zu Nr. 30.
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360 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
7. Carl Coli in 8, ein Sohn des Großbrittanischen Nego-
tianten, Ersten Reformierten Gerichts-Assessors und Kommerzien-
rats Eduard Collins aus Königsberg, nachdem er in Frankfurt
an der Oder studiert hatte ümmatr. 18. 4. 1735) und von 1740 bis
1768Prediger an der reformierten Kirche in Pillkallen gewesen war.
Im Jahre 1767 nach Pr. Holland berufen, traf er am 26. Januar 1768
hier ein, hielt am 31. Januar die Autrittspredigt und wurde als
Jacobis Nachfolger Inspektor des Oberlandes.86) Collins starb
am 16. Oktober 1780. — Er pastorierte auch die reformierte
Gemeinde in RiesenburgM) und seit 1774 mit Genehmigung des
Beformierten Kirchen-Direktoriums die reformierte Gemeinde in
Marienburg. — Seine Frau Wilhelmine Barker starb nach dem
Kirchenbuch am 28. April 1773 im 53. Lebensjahr. — Nach
Collins kam
8. Georg August Wilhelm Bornemann. Er war vor seiner
nach hierher im Jahre 1781 erfolgten Berufung Informator beim
Friedrichs- Waisenhause zu Berlin; der Inspektor Rindfleisch aus
Elbing führte ihn ein. 1783 ging er nach Schlodien, wo er im
Jahre 1800 starb. Seine Frau (geb. Reinhardt) überlebte ihn;
sie bezog seit 1818 die Einkünfte (oder einen Teil derselben)
aus dem Pf arrwittum in Pr. Holland und starb am 12. August
1831 in Elbing, wo sie als Witwe lebte. — Bornemanns Nach-
folger war
9. Nathanael Gottlieb Waghas, gebürtig aus Stargard in
Pommern. Er wurde, nachdem er am 1. September 1783 in Pr.
Holland eingetroffen war, durch den Inspektor Rindfleisch ein-
geführt, war als Nachfolger Rindfleischs seit 1804 Inspektor der
reformierten Gemeinden des Oberlandes und starb als letzter
ordentlicher Prediger der reformierten Gemeinde Pr. Holland
am 27. August 1807 im Alter von 54 Jahren. Seine Frau
Johanna Margaretha war eine geborene Reinsdorff. — Waghas
pastorierte auch die reformierte Gemeinde Riesenburg, deren
35) cfr. Fußnote 34.
36) Die reform. Gemeinde in Elbing hatte seit 1774 ihren eigenen Prediger.
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Von Ernst Machholz. 361
Seelsorge nach ihm der reformierte Prediger aus Elbing, Wisse-
linck, übernahm.87)
Seit Waghas Tode üben in Pr. Holland die jeweiligen
Prediger der reformierten Gemeinde zu Elbing die Seel-
sorge aus.
Bisher waren es folgende:
1. Friedrich Wilhelm Carl Wisselinck, geb. in Salzwedel
am 6. März 1772, kam 1805 nach Elbing und erhielt daneben
die Pflege der reformierten Gemeinden Finckenstein, Graudenz,
Gr. Tromnau, Marienwerder, Pr. Holland und Thorn, war seit
1807 Inspektor der reformierten Gemeinden des Oberlandes und
von "Westpreußen mit dem Charakter als Superintendent und
starb am 2. März 1835 88).
2. Albert Wilhelm Behr wirkte hier nach Conrads „Pr.
Holland einst und jetzt" (Pr. Holland. 1897, Seite 204) vom
24. Dezember 1837 8Ö)— 1842. (Kommissorium vom 21. Juni
1838). Er starb in Tilsit.40)
3. Theodor Julius F ab er, geb. zu Königsberg den 12. März
1814, seit Ostern 1837 Hilfslehrer der dortigen Burgschule,
seit Michaelis 1841 Rektor in Tilsit, als Prediger für Elbing
ordiniert am 26. Februar 1843; sein Kommissorium datiert vom
4. März 1843. Er wurde nach Berlin versetzt.
4. Johann Robert Palmie; er war 1821 geboren, und war
vor seiner Berufung nach Elbing und Pr. Holland, die am
19. März 1857 erfolgte, in Berlin. Der reformierte Superinten-
37) In dem ehemaligen reform. Superintendentur- Archiv zu Elbing
(Aktenstück „B. 1.") befindet sich ein Erlaß des Reform. Kirchen-Direktoriums
vom 21. 9. 1805, durch den Waghas angewiesen wird, die „seiner Angabe nach
verlassene [reform.] Gemeine zu Raudnitz in Westpreußen auf die von ihm
angezeigte Weise zu besorgen". Weiteres ist nicht bekannt.
38) cfr. „Preuß. Prov.-Blätter", Bd. 14, Seite 194 ff. und „Neuer Nekrolog
der Deutschen" Bd. XIII. 1. Teil, S. 274—279.
39) In der Zwischenzeit kamen der reform. Prediger Eisner aus Gr. Sam-
rodt und Braun aus Soldau hierher.
40) cfr. „Mohrunger Kreis-Zeitung", Jahrgang 1905 Beilage zu Nr. 30.
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362 ®ie Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
dent Qerdien aus Königsberg führte ihn hier am 3. Mai 1857
ein. 1867 ging er wieder nach Berlin und starb dort.
5. Johann Karl Heinrich Hoff mann; er war geboren zu
Torgau am 11. Mai 1840, studierte in Halle und Leipzig, wurde
1867 ordiniert und ging 1773 an St. Peter und Paul nach
Danzig.
6. Karl August Adalbert Daniel Herwig; er war geboren
zu Potsdam am 17. April 1833, studierte in Berlin, wurde 1873
ordiniert, war vorher Rektor und Hilfsprediger in Müncheberg,
Regierungsbezirk Frankfurt a. 0.
7. Dr. Maywald, Gustav Wilhelm Max: er pastorierte hier
seit dem 10. April 1885, war vorher Prediger in Buckow, Prov.
Brandenburg, und starb am 20. November 1899.
8. Falck, pastoriert hier seit 1900; er kam aus Woesitz,
Diözese Danziger Werder.
5. Der gottesdienstliche Raum.
Die Anfänge und Zustände der reformierten Qemeinde zu
Pr. Holland weisen mit denen der ländlichen reformierten Per-
sonalgemeinden im Oberlande manche Ähnlichkeiten auf; denn
auch sie sah ihre ersten Führer in Privatpersonen, deren Stellung
und Energie der Gemeinde zur Existenz verhalf. Man darf
wohl ohne Übertreibung sagen, daß in den Zeiten der Bedrängnis
den reformierten Diasporagemeinden eine gewisse geistige
Gemeinschaft innewohnte, die ihre Glieder fest zueinander
halten ließ und sie auf gemeinsame Fährte mit gemeinsamem
Ziele führte. Am trefflichsten kennzeichnet sich diese Eigen-
schaft in der Art der geistlichen Versorgung, der in dem
Moment der Hergabe der Geistlichen — gewissermaßen als
„Wanderprediger" — die Prägnanz verliehen wird. Wie auch
die hiesige Gemeinde dieses Vorzuges teilhaftig wurde, zeigt
ihre Vorgeschichte.
Daß das reformierte Glaubensbekenntnis in Preußen einen
guten Teil seiner Verbreitung dem Adel zu danken hatte,
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Von Ernst Maehholz. 363
ist bekannt. Die von diesem in seinen Gutshöfen vielfach ein-
gerichtet gewesenen Hausgottesdienste wirkten auf die Weiter-
tragung der reformierten Religion in der vorteilhaftesten Weise.
Zunächst waren es ja wohl nur die eigenen Untertanen, die —
nicht immer ohne Zwang — an jenen Privatandachten teilnahmen.
Dann hielten sich die Bewohner der weiteren Umgegend nach
und nach zu diesen Versammlungen. Die fremden reformierten
Kolonisten besuchten sie gern. Aber auch Neugierde mag die
lutherische Bevölkerung in jene Kapellen gezogen haben, in
denen ein anderer Gotteskultus als der altgewohnte geübt wurde
und der, nicht zu vergessen, oft nur heimlich betrieben werden
konnte, war doch die Landesregierung und mit ihr die lutherische
Geistlichkeit den Reformierten nichts weniger als günstig ge-
sonnen; und wieder wird der Reiz des Verbotenen den schlichten
Bürger und Bauer mächtig gepackt und in den Schoß der
reformierten Kirche geführt haben.
Solche Privatgottesdienste, wie wir sie im 17. Jahrhundert
bei den Burggrafen und Grafen zu Dohna finden, waren auch die
ersten gottesdienstlichen Versammlungen der Reformierten in der
Stadt Pr. Holland. Als die Seele jener Unternehmungen haben
wir bereits einen der dortigen reformierten Amtshauptmänner
kennen gelernt, der für die Abholung der Prediger aus Königsberg
sorgte und als gottesdienstliches Lokal ein Zimmer im Amts-
hause, dem durch Markgraf George Friedrich 1578 vollendeten
Schloß, bereit gestellt hatte. Erst als im Jahre 1697 die Gemeinde
öffentlich ins Leben trat, erhalten wir sichere Nachrichten von
der Einräumung eines „bequehmen Losaments" im Schlosse.
Wir werden uns dieses „Losament**, das in der Urkunde vom
-^- August 1697 „Zimmer", von Geller im Kirchenbuch oft „Ge-
mach" und „Convocationsstube", später gewöhnlich „Schloß-
kapelle" auch „Schloßkirche"41) genannt wird, als einen nach
reformiertem Brauch in einfachster Weise hergerichteten Raum
41) Die erste öffentliche Trauung fand hier am 26. 7. 1716 statt; die
vorigen waren Haustrauungen.
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364 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
zu denken haben. Ein Tisch als Altar und wenige Bänke oder
Stühle mögen die Ausstattungsgegenstände der Kapelle gewesen
sein. Vielleicht kam damals schon ein Positiv42) hinzu.
Dies genügte der jungen Gemeinde. Was hätte sie sich
auch mehr wünschen sollen? Die Einfachheit des Äußeren lag ja
in ihrem Charakter und die freie Religionsübung war ihr gegeben.
Die örtliche Lage des 1697 der Gemeinde vom Kurfürsten
zur freien Benutzung überwiesenen Baumes im Schloßgebäude
läßt sich heute mit Sicherheit nicht mehr bestimmen. Von
diesem Baum heißt es 1733, daß er „baufällig auch zum be-
ständigen Gottes-Dienst unbequem war" und deshalb „die eine
Helffte von dem Corps de logis des Schlosses darzu ersehen"
wurde, „wo noch anjetz [also 1733J der Gottes-Dienst ohne alle
Hindernüss gehalten wird." Diese Mitteilung ist sehr unklar
und deutet nur darauf hin, daß der 1697 eingeräumte Saal nach
nicht zu langer Zeit von der Gemeinde aufgegeben werden
mußte. Im „Erl. Preußen" Bd. IV (1728!) Seite 498 ist davon
die Rede, daß die Kapelle der Gemeinde im Schloß „aus 2 Ge-
mächern .... aptiret worden" sei. War dieser aus zwei
Zimmern hergerichtete Baum nun die 1697 geschaffene Kapelle
oder jener Saal, von dem 1733 gesprochen wird? Der 1733
genutzte Baum lag zu ebener Erde48). Lukanus nennt in seiner
Chronik „Preußens uhralter und heutiger Zustand" (1748)44)
Seite 619 den von der Gemeinde benutzten Baum den „großen
Schloß-Saal".
42) 1769 war ein solches von 6 Registern vorhanden.
43) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51 ee. Et. Min. „Wegen
Abtretung des gottesdienstlichen ref. Raumes im Schloß zu Pr. Holland als
Caserne". (Diese Akten gehörten vormals zum Reform. Kirchen -Direktorium
in Berlin.)
1725 und 1726 machte die Garnison der Stadt Versuche, den Beetsaal
für ihre Gottesdienste zu verwenden. Nachdem auch einigemal der Militär-
gottesdienst hier abgehalten worden war, verweigerte die Gemeinde die weitere
Benutzung, indem sie ihre Ablehnung damit begründete, daß die Räumlichkeit
nicht ausreichend sei. (Ref. Pfarrarchiv zu Pr. Holland „Protocollum Ecclesia-
sticum Hollandiae in Prussia incoeptum Anno MDCCXXVI".)
44) Manuskript in der Königl. Bibliothek zu Königsberg.
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Von Ernst Machholz. 365
1769 hören wir dann wieder von der Kapelle, als es sich
um die Unterbringung der Pr. Holländer Garnison im Sohloß-
gebäude handelte45). Damals traten die Militärbehörden an die
reformierte Gemeinde mit dem Verlangen heran, ihren Kapellen-
raum als Kaserne zu überlassen. Die Behörden fanden bei der
Gemeinde wenig Entgegenkommen, aber die Energie der ersteren
zwang zur Nachgiebigkeit. Die Beschaffung eines neuen Lokals
verursachte viel Aufregung. An Vorschlägen mangelte es nicht.
Drei Pläne lagen vor. Zunächst dachte man daran, die oberen
Bäume des reformierten Prediger hauses in einen Kapellenraum
umzuwandeln, doch hätten die erforderlichen Umbauten un-
erschwingliche Kosten verursacht. Dann wandte man sich an
die lutherische Gemeinde und bat sie um Bereitstellung der
St. Bartholomäuskirche. Die reformierte Gemeinde scheint damals
sogar zur Errichtung eines Simultaneums bereit gewesen zu
sein; doch dieses Unternehmen scheiterte an dem Widerstände
der lutherischen Gemeinde. Sodann war die Einräumung des
Sitzungssaales im Bathause in Erwägung gezogen worden, hier-
gegen opponierten aber Bürgermeister und Rat der Stadt. —
Endlich fand sich eine sehr naheliegende Lösung ; der Gemeinde
wurde im Schloßgebäude ein Raum46) angewiesen; es ist
derselbe, den sie noch heute benutzt. Die Kosten der
Einrichtung trug der Fiskus47), die Gemeinde und das Refor*
mierte Kirchen-Direktorium zu Berlin war mit Allem einver-
standen. Diese Kapelle liegt im ersten Stockwerk des nordöst-
lichen Flügels48), zu ihr führt eine in dem unteren Geschoß
gelegene besondere Eingangstür und Treppe.
45) Siehe auch Conrad „Pr. Holland einst und jetzt'', 1897, Seite 109
Zeile 16 und 17.
46") Dieser neue Kirchenraum war etwa 5 Fuß schmäler und ebensoviel
kürzer als der alte Raum. Der Mittelgang war in' der alten Kirche 4 Fuß, in
der neuen damals 6 Fuß breit
47) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51 ee. Et. Min.
48) Ein Grundriß des Landbauinspektors Bertram vom Jahre 1768 und
1769 befindet sich bei der Königl. Bauinspektion in Braunsberg.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 5 u. 6. 24
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366 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Im Unglücklichen Kriege teilte sie mit vielen anderen
Kirchen im Lande das Schicksal dem Feinde preisgegeben zu
werden. 1807 am 24. September meldete das Presbyterium der
Regierung, daß ,,bey Etablirung der französischen Bäckerey im
hiosigen Schloss für das 1*** Kayserl: französische Corps d* Armee
im Anfang März d. J. auch der Kirchen-Saal zum Brod-
Magazin . . . genommen worden" sei. Da mußte denn die
lutherische Gemeinde mit ihrem Gotteshause aushelfen. In
Pr. Holland war damals der Superintendent Jedosch der Erste
Geistliche und dieser bewillkommte die Reformierten in herz-
lichster Weise.
Seitdem hat die schlichte Kapelle in dem weiten Schloß-
gebäude keine bedeutenderen Ereignisse in ihren Mauern sich
abspielen sehen.
Die Kosten der inneren baulichen Unterhaltung des
Kapellenraums werden aus Mitteln der Gemeinde bestritten,
während die Erhaltung des Daches, der äußeren Ringwände
und der Fundamente an dem Schloßgebäude innerhalb der
Grenzen des Saales nach einer Verfügung der königlichen Re-
gierung zu Königsberg, Abteilung für direkte Steuern, Do-
mainen und Forsten, vom 24. September 1850 (56/9 II)49) dem
Fiskus obliegt, also außerhalb der Verpflichtung der Kirchen-
gemeinde liegt.
6. Über das Predigerhaus
und seine spätere Bestimmung als Prediger- Witwenhaus ist bereits
in der Besprechung von den Besoldungsverhältnissen der Prediger
gehandelt. Hier bleibt zunächst noch einiges über seine Geschichte
vor 1740 zu berichten.
49) Bauakten der Königl. Regierung (Schulabteilung) zu Königsberg. In
dieser Verfügung erkennt die Regierung auch an, daß der Betsaal der Ge-
meinde 1697 unentgeltlich überlassen worden sei. — Über die Eigentums-
verhältnisse am Schloß findet sich Ausführliches bei Conrad, „Pr. Holland
einst und jetzt4', 1897, Seite 111/112.
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Von Ernst Machholz. 367
Für eine Predigerwohnung war weder vom Staat noch von
der Gemeinde bei der Berufung des ersten Geistlichen gesorgt
worden, und so sah sich Geller, als er im Jahre 1698 in
Pr. Holland eintraf, genötigt, eine Mietswohnung zu beziehen.
Es hat den Anschein, daß Geller damals schon das nachmalige
Predigerhaus bewohnte. 1701 ist einmal davon die Rede, daß
er das untere Stockwerk dieses Hauses inne hatte, während oben
ijemandt der Engelmannschen Erben, denen daß Hauß zu
kommet" wohnte60).
Im Jahre 1704 erwarb Geller das Grundstück als „Ganz-
erbe*' ohne Braugerechtigkeit für 2700 Mark (ä 20 Groschen in
jede Mark gerechnet) „cum reservatu Magistratus, daß dieses
Hauß die real praestanda jährl. bezahlen und wieder an einen
incorporirten Bürger verkauft werden solle4' öl). Der mit dem
Verkäufer, Joachim Friedrich Stürtzenbäcker, geschlossene
Vertrag vom 14. April 1704 ö8) läßt in den Besitz Gellers „was
im Hause" ist nebst dem „daran befindlichen Stall", sowie „denen
dazu gehörigen Äckern und Hüben Garten" „erblich und eigen-
tümlich" übergehen. Das Hausgrundstück lag „am Marckte,
zwischen Herrn Reinhold Hermlings Hause und dem engen
Gäßchen".
Geller trat im Jahre 1726 bezw. 1728 vom Amte zurück,
seine Nachfolger Marees, Wesenfeld, Kleinschmidt und Nad waren
wieder gezwungen, für ihre Wohnung selbst zu sorgen.
1740/1742 endlich erwarb die Kirchengemeinde das ganze
Grundstück als Predigersitz68). Sie war in seinen Besitz mit
50) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51 ee, Et. Min. (lose).
51) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51, e2, Et. Min. Akten
„wegen Abtretung des gottesdienstlichen Raumes im Schlosse zu Pr. Holland
als Caserne".
52) Akten des Königl. Konsistoriums zu Königsberg „von denen zu
Pr. Holland bestellten Reformirten Predigern de anno 1728, 1732, 1435, 1740,
1742, 1743, 1762, 1768, 1769, 1770."
53) Der Kaufvertrag ist abgedruckt im 8. Heft der „Oberländischen Ge-
schichtsblätter". — Ingrossiert am 1. Mai 1742.
24*
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368 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
sämtlichen Rechten und Pfliohten getreten64). Aus der Bau-
unterhaltungspflicht des Hauses und Zubehörs erwuchsen der
Gemeinde bei ihrer ungünstigen Vermögenslage manche Sorgen.
Soweit bekannt, erfuhr das Predigergebäude in der Zeit von
1740—1806 vier größere Reparaturen: 1754, 1768, 1786 und 1805.
Die Baukosten im Jahre 1768 bezifferten sich nach dem An-
schlage auf die hohe Summe von 1132 Taler. Um eine Beihilfe
zu erreichen, war die Gemeinde an den Fiskus herangetreten
und die Königliche Pr. Kriegs- und Domänenkammer in Königs-
berg stellte daraufhin unterm 3. Juni 1768 fest, daß aus ihren
Akten nicht ersichtlich sei, ob jemals aus Königlichen Kassen
ein Beitrag zu Bauten oder Reparaturen dieses Hauses her-
gegeben worden war; es bestände vielmehr die Vermutung, daß
das Predigerhaus „jederzeit aus Kirchen-Mitteln im Bau unter-
halten" sei. Gleichwohl erklärte sich die Regierung bereit, das
zu dieser Reparatur erforderliche Bauholz „in der Osterodschen
Heyde ohnentgeldl: anweisen zu lassen*'. Bei den späteren
Bauten und Reparaturen beteiligte sioh Fiskus durch die Holz-
lieferung oder durch einen Barbeitrag. Weiter mußten Kollekten,
die in der Provinz eigens für diesen Zweck abgehalten wurden,
aushelfen. Für die Deckung des Restbetrages hatte dann wohl
die Gemeinde zu sorgen.
Mit der Umwandlung des Predigergrundstücks in einen
Predigerwitwensitz wurde die Kirchengemeinde der Sorge für
die Bauunterhaltung enthoben.
Der Ministerialerlaß vom 4. September 1809 hatte bekannt-
lich angeordnet, daß die Paoht des Ackers und der Scheune
54) 1749 beantragte das Reform. Kirchen-Direktorium beim General-
Direktorium zu Berlin, das Predigerhaus von „sämtlichen Oneribus pubheiß und
. . . Service-Gelde*' zu befreien. Letzteres entschied am 4. 9. 1749, daß, weil
es sich hier um ein onus reale, „so dem fundo inhaeriret" handelt, dem Hause
diese Befreiung nicht zugestanden werden könne. Doch bliebe der reforra.
Prediger von den oneribus personalibus frei. (Akten des KönigL Geh. Staats-
archivs zu Berlin „wegen nachgesuchter Befreiung des zur perpetuirlichen
Prediger- Wohnung gewidmeten Hauses. 1746—69". Fol. 9. Gen. Dir.
Ostpr. Nr. 5).
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Von Ernst Machholz. 369
zum Unterhalt des Hauses verwendet werden sollten und eine
Begierungsverfügung vom 16. Dezember 1810 genehmigte noch,
„daß zur Unterhaltung des Predigerhauses und Bestreitung der mit
der Zeit entstehenden größeren Reparaturen der Ertrag der Miete
von der 2. Etage und ein jährlicher Zuschuß von 10 Thlr. aus
der Eirchenkasse zur Sammlung eines Fonds" zu verwenden
sei56). Ein solcher Baufonds wurde denn auch damals angelegt
und seitdem aus ihm die Kosten der Reparaturen gedeckt. Doch
1867, unterm 17. Juni, genehmigte die Königliche Regierung die
Aufhebung dieses Fonds, weil er aufgebraucht war. In der
Folge wurde der Mietszins des Predigerwitwenhauses abzüglich
einer dem Prediger zu Elbing für die Aufgabe seines Anspruchs
auf eine Stube in dem Hause zu zahlenden Entschädigung von
150 Mark sowie der Pachtertrag des Landes außer zur Deckung
der Witwenpension auch zur Bestreitung anderer laufenden
kirchlichen Ausgaben verwendet. In den Jahren 1877, 1884 und
1901 wurden die Predigerwitwenbezüge neugeregelt und dabei
noch hervorgehoben, daß aus den Einkünften des Grundstücks
auch die Baukosten und andere laufende Ausgaben bestritten
werden müssen.
Der zu dem Grundstück gehörige alte Stall wurde 1866
durch einen neuen, massiven ersetzt. Aus feuerpolizeilichen
Gründen errichtete man ihn aber nicht auf der alten Stelle; er
ist kleiner als der frühere: 16 Fuß lang, 12 Fuß breit, 8 Fuß
zwischen Fundament und Balkenlage hoch; dazu gehörte eine
7 Fuß hohe hölzerne Umwährung.
Die Größe des zweistöckigen Predigerhauses wurde 1814
auf 70 Fuß Länge und 24 Fuß Breite angegeben Eine von
dem Landbaumeister le Juge im Jahre 1822 entworfene Zeichnung
des Hauses befindet sich bei den Akten des Pfarrarchivs betr.
„den Ausbau des Predigerwitwenhauses".
Das Hausgrundstück trägt die katasteramtliche Bezeichnung
„Pr. Holland Blatt 1 Seite 401 No. 26".
55) Akten der Königl. Regierung ^Schulabteilung) zu Königsberg betr.
die reform. Kirche zu Pr. Holland .»Hoheitssachen".
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370 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
7. Der Begrftbnisplatz.
Als die Gemeinde um die Wende des 17. Jahrhunderts
öffentlich ins Leben trat, war sie gegenüber der lutherischen
Gemeinde recht klein; in den ersten zwei Jahrzehnten betrug
die Zahl der Abend mahlsgäste bei den einzelnen Kommunionen
etwa 30 bis 40. Die Gemeinde setzte sich der Mehrzahl nach —
abgesehen von den Militärpersonen — aus Handwerkern und
Kaufleuten zusammen, die nur gering bemittelt waren. Ver-
mutlich hatten die Gemeindeglieder bei der Einrichtung des
Kirchensystems nur Beiträge zur Beschaffung des Gestühls und
der sonstigen inneren Ausstattungsgegenstände für die Kapelle
hergegeben. Ihre Leistungsfähigkeit reichte offenbar nicht zum
Ankauf von Glocken und Begräbnisplatz aus. Der Mangel eines
eigenen Begräbnisplatzes machte sich besonders unangenehm
bemerkbar.
Zu den vielen kränkenden Zurücksetzungen, die die Re-
formierten in Preußen vor den Lutheranern bis ins 18. Jahr-
hundert hinein zu dulden hatten, gehörte, daß sie ihre Toten
oft nur „in der Stille" und „ohne Glocken und Schule", zu-
weilen auch nur abends zur letzten Ruhe geleiten durften.
Dieser Brauch war zum Teil auch in Pr. Holland, und zwar
noch bis ins vierte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, üblich.
Es hing damals lediglich von dem Ermessen der lutherischen
Geistlichkeit ab, ob die Reformierten ihre Leichen mit oder ohne
das lutherische Glockengeläute und mit oder ohne (lutherische)
Schule beerdigen durften, auch erhob die lutherische Geistlich-
lichkeit den Anspruch am Grabe des zu Beerdigenden sprechen
zu dürfen. Endlioh mag in den Reformierten das Unbillige
dieses Verlangens eingesehen worden sein. 1734 schwebten zum
ersten Mal Verhandlungen, die eine Gleichberechtigung mit der
lutherischen Gemeinde hierin erstrebten. Eine Verfügung d. d.
Königsberg 7. September 1734 56) bestimmte, daß die Reformierten
56) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51 ee. Et. Min, Akten „die
Begräbnisse der Keformirten zu Pr: Hollandt betr.".
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Von Ernst Machholz. 371
„ihre Todten entweder ohne alle Ceremonien in der Stille be-
graben, oder aber, wenn sie allein das Geläute verlangen und
weder [luther.] Prediger noch [luther.] Schul Bediente bemühen
wolten, auch nur blos für die Glocken zu bezahlen schuldig seyn
möchten."
Solange die reformierte Gemeinde eines eigenen Friedhofes
entbehrte, verfuhr man nach dieser Vorschrift. Im Jahre 1778
wurde die Angelegenheit noch einmal aufgerollt und untersucht.
Die in diesem Jahre geführten Verhandlungen67) gewinnen da-
durch noch besonders an Wert, daß sie sich auch des näheren
über die Bestimmung der lutherischen Kirchhöfe in der Stadt
Pr. Holland aussprechen.
Von dem Kirchhofe „bey der Barthol. Kirche", heißt es dort,
daß „dieser kleine Kirchhof . . . von jeher nur für die Adeliche
und Königl: Bedienten Leichen privative destiniret" sei. Eine
Verfügung vom 9. März 1778 ordnete an, daß „hinfüro keiner,
er sey von welcher Religion er wolle, seine Todten auf diesem
Kirchhofe zu beerdigen Fug und Macht haben" solle „als nur
derjenige, welche etwa auf demselben schon ex jure qvaesito
eine Gewölbe hat, alle andere Leichen" sollten „auf dem St.
George-Kirchhofe beerdiget werden." Dieser („bey der St. Ge-
orgen Kirche") wiederum war ein „allgemeiner Kirchhof," „auf
welchem Leichen nicht nur der Einwohnern vilioris Conditionis,
sondern eximirter Personen, Herrn Officiera, ihrer Gemahlinnen
und adelichen Kinder, ohne Unterschied beerdiget" wurden.
Die Reformierten beerdigten auf dem Kirchofe der Bar-
tholomäus - Kirche.
Endlich kam die Gemeinde zu einem eigenen Begräbnis-
platz, indem ihr der Vizebürgermeister Reinhold Dziack durch
Testament vom Jg' |* 1778 ein Landstück eigens zur Anlegung
eines Kirchhofs vermachte. Obwohl Dziack schon im folgenden
Jahre starb, gelangte die Kirchengemeinde doch erst 1784 in
57) Königl. Staatsarchiv zu Königsberg, Fach 51 ee, Et. Min.
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372 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
den unumschränkten Besitz jener Landfläche08). Dieser Platz
wird heute noch von der Gemeinde als Friedhof genutzt; er
liegt an der nach dem Dorfe Crossen führenden „Schanzen-
straße."
Die Gemeinde war nun zwar der Not enthoben, sich des
lutherischen Kirchhofes bedienen zu müssen, sie blieb aber durch
das Fehlen eigenen Geläutes — und noch bis heute — der
lutherischen Gemeinde gegenüber bei jeder vorkommenden Be-
erdigung in einer abhängigen Stellung. Die Verwaisung der
reformierten Gemeinde nach des Predigers Waghas Tode brachte
sie der lutherischen Gemeinde sehr nahe; zu vielen Amts-
handlungen mußte sie wegen der damals beschwerlichen Post-
und Wegeverbindung nach Elbing die lutherische Geistlichkeit
in Anspruch nehmen. Es waren aber nicht nur äußere Amts-
handlungen, die von den lutherischen Geistlichen an den Be-
formierten ausgeübt wurden, auch Handlungen, die im Grunde
nur dem reformierten Prediger zukamen, waren zum Teil in
ihre Hände übergegangen; hierhin gehörte der Konfirmanden-
Unterricht und die Einsegnung der reformierten Kinder69), die
Kirchenbuchführung60) und die Begleitung der Leichen. Sehr
bezeichnend für die beiderseitigen Beziehungen war der Anspruch
der lutherischen Gemeinde auf Zahlung von Stolgebühren an
ihre Kirchenbeamten, auch wenn die Beformierten von ihren
Diensten keinen Gebrauch gemacht hatten.
Der Superintendent Jedosch war der reformierten Gemeinde
gegenüber immer sehr tolerant gewesen, und doch hielt er diesen
Anspruch trotz Gegenvorstellungen aufrecht.
58) Durch Vergleich vom ^-— 1784, genehmigt vom Ref. Kirchen-
Direktorium unterm 28. 10. 1784. (Abschrift im ref. Pfarrarchiv, Aktenst. Nr. 63).
59) Schon an anderer Stelle wurde berichtet, daß erst wieder mit dem
Jahre 1851 der reform. Konfirmandenunterricht und die Einsegnung in die Hand
der reform. Prediger übergegangen war.
60) Wohl seit 1807 und bis 1850 wurden die von der luther. Geistlichkeit
an den Reformierten vorgenommenen Amtshandlungen in die luther. Kirchen-
bücher eingetragen; der reform. Prediger erhielt am Jahresschlüsse nur eine
summarische Mitteilung.
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Von Ernst Machholz. 373
Hierin konnte erst eine Verfügung der Königlichen Re-
gierung zu Königsberg vom 21. August 1811 Klarheit schaffen.
Bei der Wichtigkeit, die diese Verfügung für die reformierte
Gemeinde immer behalten wird, folgt sie hier wörtlich:
„An den Superintendenten Jedosch, Hoch würden in
Pr. Holland.
Wir eröffnen Ihnen auf die in dem Bericht vom 7. d. Mts.
gemachte Anfrage, daß die dortigen Reforrairten auch jetzt,
da sie ihren Prediger nicht zur Stelle haben, blos für den Ge-
brauch der Glocken bei den Begräbnissen die Gebühren an die
lutherische Kirche zu bezahlen haben, und es also bei der bis-
herigen Einrichtung verbleibet, daß sie weiter keine Gebühren
an die lutherische Kirche und deren Bediente entrichten dürfen,
und daß das in Hinsicht der Katholiken angeführte hier keine
Anwendung findet."
Aber bald war diese Bestimmung in Vergessenheit geraten.
Erst Faber (1843—1856) gelang es, den alten Rechtszustand der
reformierten Gemeinde wiederherzustellen und sie von dem
Parochialzwange der lutherischen Gemeinde zu emanzipieren.
Die Kirchenbuohführung und die Unterrichtserteilung sowie
Einsegnung der reformierten Kinder fiel also in die Hände
des reformierten Geistlichen zurück; wegen der Begräbnisse hatte
die Königliche Regierung dem damaligen Superintendenten Volk-
mann in Pr. Holland eröffnet, wie es nicht angemessen er-
scheine, den Reformierten, wenn sie sich bei ihren Beerdi-
gungen ihres eigenen Kirchhofes und nur des Geläutes der
evangelisch-lutherischen Kirche bedienen, außer dem tarifmäßigen
Glockengelde noch andere an die letztgedachte Kirche und deren
Diener zu entrichtende Gebühren aufzulegen.
Seitdem sind wohl keine den Kirchhof der reformierten
Gemeinde angehende Bestimmungen von den Aufsichtsbehörden
getroffen worden. — Seine Verwaltung und Unterhaltung unter-
steht der Kirchengemeinde und dem diese repräsentierenden
Presbyterium.
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374 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
Ein Grundbuchblatt ist von dem Kirchhofe zurzeit nicht
vorhanden.
8. Das Inventarium.
Von den im Eigentum der Gemeinde befindlichen Inven-
tarienstücken sind als bemerkenswert die silbernen Tauf- und
Abendmahlsgeräte hervorzuheben, und zwar:
1. eine sechseckige Weinkanne mit Schraubdeckel und ver-
goldeten Kanten, nach der Inschrift auf derselben von den Ge-
brüdern G. W. und B. D. von Bodeck der reformierten Schloß-
kirche in Holland geschenkt am 14. Mai 1700, deren Wappen
sich auf einer Seitenfläche befindet,
2. eine schöne getriebene silberne Taufschale, ein Geschenk
des Amtshauptmanns Heinrich von Houwald und seiner zweiten
Gemahlin D. Charlotte, geborene von Tettau, worauf das Wappen
des Ersteren und die Initialen H. V. H. und D. 0. V. T. auf
der Schale hindeuten.
9. Ein Kirchensiegel61)
führte die Gemeinde bereits im Jahre 1726. Es zeigte als
Devise einen in einem Blumentopfe stehenden dürren Rosenstock
und eine Hand, welche ihn mit einer Gießkanne begießt; die
Überschrift lautet: FERENDUM ET SPERANDUM, die Um-
shrift lautet: Sigill. Eccles. Reform. Holland68). Die Devise ist
entlehnt einem Werke des Saavedra, welches den christlichen
Fürsten darstellt, wie er sein soll, und zwar in der Weise, daß
an der Hand von hundert auch abgebildeten Symbolen (Devisen)
61) Diese Beschreibung ist entnommen aus Conrad „Pr. Holland ciost
und jetzt", 1897, Seite 200, 201.
62) Nach einem Bericht de« Predigers Marees d. d. Pr. Holland 172<>
Noveinb. 26 beruht die Devise auf Saavedrae Idea Principis Christ. Politi
Symbol. XXXIV pag. m. 265. (cfr. Protoc Ecclesiast. Hollandiae 1726 ira
Archiv der Gemeinde).
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Von Ernst Machholz. 375
die Tugenden desselben exemplifiziert werden; so durch das
34. Symbol die Geduld, welche nicht den Mut verliert, wo nicht
gleich — wie bei dem dürren Rosenstock - Frucht und Blüte
sich zeigt. Der Spruch soll nach dem Verfasser von Empedocles
herstammen und später das Symbol des Kaisers Makrinus ge-
wesen sein.
Ein späteres Siegel der Gemeinde zeigt ein aufgeschlagenes
Buch mit der Aufschrift: BIBILA (statt BIBLIA^ und der Um-
schrift: SIEGEL DER REF. KIRCHEN ZV PR. HOLL. U.
RIESENB.
Das neueste, gegenwärtig benutzte Siegel zeigt ein auf-
geschlagenes Buch mit den griechischen Buchstaben A und 0
(nach Offenbar. Joh. 1, 8) und der Umschrift: REFORMIERTE
KIRCHE. PREUSSISCH HOLLAND.
10. Die Schule.
Über der Gründung und den ersten Schicksalen der refor-
mierten Schule zu Pr. Holland schwebte kein glücklicher Stern.
Abergläubische Leute mögen das Mißgeschick während ihrer
Gründungsjahre wohl mit dem traurigen Los ihres Stifters, des
unglücklichen Predigers Marees, in Zusammenhang bringen. —
Jedenfalls waren die Anfänge der Schule ungewöhnlich.
Bis zur Ankuft des Predigers Marees in Pr. Holland (1726)
besuchten die reformierten Kinder der Stadt die lutherische
Schule, „woselbst sie wenig profitirten". Dieser Umstand und
der, daß die Gemeinde einiges Vermögen besaß, aus dem sie zum
Unterhalte eines Lehrers beisteuern konnte, veranlaßten Marees,
Schritte wegen Anstellung eines solchen in die Wege zu leiten.
Er wandte sich — im Einverständnis des Presbyteriums — zunächst
an den Inspektor Schrot berg nach Königsberg. Seine Gemeinde,
berichtete er, besäße zur Zeit ein Kapital von 3583 Gulden
10 Groschen, aus dessen Zinsen sie einen Schulmeister bezahlen
könnte. Sie wäre aber gern mehr beizutragen willig, auch mensam
ambulatoriam würde sie ihm stellen, daneben solle er von jedem
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376 D'e Geschichte der reformierten Kirchen gemeinde Pr. Holland etc.
Kinde quartaliter einen Thaler erhalten. Ein reform. Schulmeister
könnte in Pr. Holland wohl „sein stückgen Brod finden".
Noch in demselben Jahre (im Dezember) gehen Prediger
und Kirchenvorsteher direkt an das Reformierte Kirchen -
Direktorium. Sie führen in ihrem Antrage aus, daß jetzt das von
Christoph Friedrich Grafen zu Dohna und dem Rittmeister
Bellimont und Reinhold Bobi (?) „hierzu expresse legirte Capital"
auf 4177 Gulden 10 Groschen angewachsen sei, von dessen
Zinsen 50 Thaler zur Lehrerbesoldung verwendet werden könnten,
dazu käme der Freitisch, 20 Groschen polnisch vierteljährlich von
jedem Kinde, ferner freies Holz und ein „Jahrmarktsgeld".
Das Reformierte Kirchen-Direktorium genehmigte die Vor-
schläge.
Jetzt handelte es sich um die Besorgung eines geeigneten
Lehrers. Ein Bewerber fand sich sehr bald in der abenteuerlichen
Person eines Johann Ernst Wegner. Nach seinen Personalien
befragt, gab er an, aus Dommerkau in polnisch Littauen zu
stammen und Student der Theologie zu sein; Zeugnisse könne
er zwar nicht aufweisen, da sie ihm mit vier Hemden im
„Weißen Schwan" zu Elbing gestohlen seien. Dafür legte er
aber ein sehr günstiges Zeugnis eines Herrn Albrecht v. Bande-
meur aus Demmin vor, dessen Kinder er angeblich unterrichtet
hätte. Der Hofprediger, Inspektor Joh. Jac. Schrotberg, gab
Wegner an, kenne ihn sehr gut und des reformierten Predigers
Cannot Vater in Königsberg sei einst sein Rektor gewesen. —
Um sich der Richtigkeit dieser Angaben zu versichern, bat
Marees Schrotberg um Auskunft. Ehe diese in Pr. Holland ein-
treffen konnte, vergingen einige Tage und der junge Schulamts-
bewerber benutzte die Zeit, um sich bei Nacht und Nebel aus dem
Staube zu machen, „weilen vielleicht seine garstige Lebensarth
würden entdecket werden". Aus Königsberg kam dann auch
bald die Nachricht, daß Wegner dort unbekannt sei.
Um Kandidaten für die zu gründende Schule war man
indes nicht verlegen. Unmittelbar darauf hatte Marees einen
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Von Ernst Machholz. 377
Studenten aus Königsberg, Michael Friedrich Müller M), in Aus-
sicht. Ob Müller hier das Amt antrat, ist ungewiß. 1729 war
bereits bei der Schule ein Rektor Conrad Friedrich Reinsch
aus Berlin, der aber schon nach einvierteljährlicher Tätigkeit
die Stelle aufgab. Welche Gründe ihn bewogen haben mögen,
nach so kurzer Beschäftigung Pr. Holland zu verlassen, sind
nicht bekannt geworden. Dieselben Motive dürften der Anlaß
dazu gewesen sein, daß die Stelle in den folgenden zwei bis
drei Jahren mit dem Glöckner der Gemeinde, Johann Peter
Lucco, besetzt werden mußte, der aber „zur Unterweisung der
Jugend gar nicht bequem'* war.
Erst dem Prediger Kleinschmidt (1731 — 1735) gelang es,
der Schule zu einem ordentlichen Lehrer in der Person eines
aus der Pfalz gebürtigen Johann Mathias Scheid t (Scheit,
Scheyd, Scheydt) zu verhelfen. Dieser trat wohl 1732 hier das
Rektoramt an, er wird in dem Kommunikantenregister noch
1756 genannt. Scheidt stand dem Schuldienste ,.so wohl" vor,
,,daß auch selbst die Luth ersehe Herrn Predigern" bezeugten,
„daß sie ihre Kinder Ihm gerne in [die] Schule schicken möchten,
wann sie änderst nicht, dem unverständigen Urtheil des gemeinen
Yolcks dadurch bloß gestellet würden".
Soweit das Kommunikantenregister Auskunft gibt, waren
hier nach Scheidt:
1757 Kantor Heß,
1757, 1767 Kantor Sax,
1772, 1776 Kantor Johann David Schmidt,
seit 1777 Kantor Johann Carl Schmidt64),
wohl seit 1781 oder 1782 Johann Friedrich Pico, als
Rektor und Organist.
Pico entstammte einer schon früh in Pr. Holland zuge-
wanderten Emigrantenfamilie, die in den Kirchenbüchern als
Picau, Picaut, Picod, Picot und zuletzt als Pico erscheint. Von
63) Die recht interessante Vokation ist als Anlage 1 beigegeben.
64) Die Vokation ist als Anlage 2 beigegeben.
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378 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
seinem Vater hatte Johann Friedrich Pico ein Hausgrandstück
mit Braugerechtigkeit geerbt, das im Unglücklichen Kriege in
tiefe Verschuldung geriet. Mit dem Stelleneinkommen von
200 Gulden und dem wenigen Schulgeld (er hatte „fast lauter arme
Schulkinder") konnte Pico schließlich in Pr. Holland sein Aus-
kommen nicht mehr finden. So benutzte er die erste günstige
Gelegenheit, die hiesige Stelle aufzugeben. Im Jahre 1810 ging
er als Kantor nach Pillau, wo er schon 1813 oder 1814 starb.
Pico war der letzte Lehrer der Anstalt. Mit der Abnahme
der Gemeinde war naturgemäß auch ein Sinken der Schülerzahl
verbunden. Wisselinck sagt60) 1807, Pico bezöge sein Gehalt,
ohne das Geringste dafür zu tun, denn an reformierten Kindern
mangele es beinahe ganz und gar und jährlich würde kaum
eins konfirmiert, schon seit einer langen Zeit würde nicht
mehr unterrichtet.
Die Verhältnisse der Schule lagen um das Jahr 1800 also
recht traurig, und es wäre damals schon sehr gut gegangen, die
Anstalt aufzuheben, doch was hätte dann mit dem Lehrer getan
werden sollen, der in diesem Amte grau geworden war? Man
rührte also nicht an dem morschen Gebäude und überließ es
ihm, von selbst in sich zusammenzufallen.
Im Jahre 1810, als Pico seiner alten Vaterstadt den Bücken
kehrte, war denn endlich der Zeitpunkt erreioht, an dem sich
die Schule nach noch nicht 85 jährigem Bestehen auflöste.
Über ihren Auflösungsakt ist keine Nachricht auf uns
überkommen; still, ohne den heute üblichen endlosen Schrift-
wechsel und ohne Sang und Klang ist sie von dem Schauplatz
des öffentlichen Lebens zurückgetreten. Bald wurde sie ver-
gessen. Die heutige Generation weiß nichts mehr von ihrem
einstigen Bestehen.
65) Akten „C. I. 1' im ehemaligen reform. Superin tendentur- Archiv
zu Elbing.
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Von Ernst Machholz. 379
Anlage 1.
Wir Prediger und Kirchen Eltesten der Reformirten Gemeine
alhier in Preüsch- Holland, thun kund und fügen hiermit zu
wissen demnach von E Hochwürdigen Kirchen Directorio zu
Berlin auf unser Gesuch per Rescriptum de dato Berlin von
31. Jan. a. c. erlaubet worden, einen Teütsch-Lateinischen Schul-
meister zu halten, und uns der Ehrbahre und Wolgelahrte Herr
Michael Prid : Müller in Vorschlag gebracht, daß wir dannenhero
resolviret, Ihm zu Praeceptoren hiesiger Reformirten Jugend zu
vociren und zu bestellen. Wir thun auch solches hierdurch und
in Krafft dieses dergestalt und also:
1. Daß Er die Jugend die Furcht des Herrn als der Weiß-
heit Anfang beybringe, vor allen Dingen Gott lernen lieben, dem
Gebeth fleißig abwarthen, auch in den Gründen des Christen-
thumbs nach Anleitung des zu Berlin recipirten Heydelbergischen
Catechismi fleißig die Jugend zu unterrichten. Und daferne
Blinder von einer andern Confession die Schule frequentiren
wolten, soll Er dieselbe nicht gegen der Eltern willen nöthigen,
den Reformirten Catechismum zu lernen, sondern in solcher
Stunde den Psalter Davids oder geistliche Lieder so sie zu Hause
auswendig gelernet, hersagen lassen.
2. Darauf halten, daß die Jugend fleißig den Gottesdienst
besuche, zu dem Ende am Son und Feyertage vor der Predigt
in der Schule die Kinder versamle, in guter Ordnung zur
Kircheu ein und ausführen, beobachten, daß sie in der Kirchen
sich still und züchtig betragen, den Gesang mit behöriger An-
dacht abwarten und mit singen, in währender Predigt und Ge-
beth alles Geschwätzes und Muthwillens sich entschlagen und
nach gehaltener Predigt in der Schule examinire was sie behalten.
3. Die bestirnten Stunden als des Morgends von 7 bis
10 Uhr, Nachmittages von 2 bis 4 Uhr fleißig beobachten und
die Jugend in latein, lesen, schreiben und rechnen treulich zu
informiren, vor Anfang und Endigung der Information vor und
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380 D*e Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
nach dem Gebeth ein Psalm aus den Lobwasser und ein geistlich
in den Kirchen üblich Lied alternatim singe.
4. Auch dahin sehen, daß die Einder sich reinlich und
manierlich halten, nicht nur in studiis, sondern auch in moribus
profitiren.
5. In Züchtigung der Jugend sich alles polterns und un-
ziemlicher Hefitigkeit enthalten und dagegen alle Väterliche
Bescheidenheit und Massigkeit gebrauchen, doch dergestalt, daß
wegen der mäßigen schädlichen Lindigkeit oder Verzärtlung der
Jugend keine Klagen fürkommen.
6. Für seine Persohn in seinen Ambt und Leben mit
Worten und Werken sich eines ehrbaren aufrichtigen und Gott-
seligen Wesens und Wandels befleißigen.
7. Keine unnöthige Reysen anstellen, und wan ja ihme
was vorfiele, es jederzeit bey unserm Presbyterio gehörig melden
und permission suchen.
8. Daß Er Sr. Königl. Maj. als seiner höchsten Landes
Obrigkeit treu und hold sey, wie getreue Unterthanen gegen
ihrer Obrigkeit gebühret und wol anstehet, sich in allen von
Ihro oder dero in Gott ruhenden Vorfahren publicirten und noch
zu publicirenden Verordnungen und Decreten gehorsamlich unter-
werffen, auch der Jugend allen der höchsten Obrigkeit schuldigen
Respect Lieb und Furcht wol einbilden, sodann, daß sie ihren
Eltern, hohen Befehlshabern, Predigern und allen Vorgesetzten
schuldige Ehrerbietung erweisen sollen.
9. Auch seine Bedienung nicht verlasse, er habe dann bey
unsern Presbyterio dessen Uhrlaub genommen und sey von
demselben seiner geleisteten Pflichten gebührlich dimittiret.
Da hingegen haben Wir ihm für solche seine Ambts-
Verrichtung jährlich hundert und funffzig Gulden polnisch aus
unsern Kirchen Gefällen zu heben versprochen, auch mensam
ambulatoriam procuriret, und von jeden Kinde quartaliter zwantzig
grosohen polnisch, ingleichen Jahrmarckt und Holtz-Geld, wie
sonsten in andern Schulen gebräuchlich zu gesaget. Gestalt
ihm dann dieses sein Quartal mit sieben und dreißig Gulden
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Von Ernst Machholz. 381
i
funffzehn Groschen polnisch gegen Ouitung gereichet und damit
von Reminiscere bis Trinitatis jetzlauffenden Jahres der Anfang
gemachet werden soll.
Urkundl. unter unserer eigenhändige Unterschriffib und der
Kirchen aufgedruckten Insiegel. So gegeben Preüsch Holland
d. 5t. Martii 1727.
Fridrich Adolph Marees.
(L. S.) Johann Dziaok.
Jacob Bestvater.
Anlage 2.
Seiner Königl: Majestaet von Preußen, zu dero Evangelisch
Reformirten Kirchen Directorio Wir Verordneten "Würcklioher
Geheimer Etats und Justiz Ministre auch Chef President und
Räthe, Thun Kund und fügen hiemit zu wissen ; Demnach durch
den Todt des Johann David Schmidt der Cantor- Küster-
und Schulmeister Dienst bey der Evangelisch reformirten Ge-
meine zu Preusch Holland erledigt und zu dessen wieder
besetzung Uns von dem dortigen Inspector und Prediger den
Johann Carl Schmidt, als ein dazu überall geschicktes auch
sonst gehörig qualificirtes Subjectum in Vorschlag gebracht und
angerühmt worden: so haben Wir diesen Vorschlag genehmiget,
verordnen und bestellen dahero ihn Johann Carl Schmidt
hiemit zum Cantor- Küster- und Schulhalter bey vorgedachter
reformirten Gemeine zu Pr: Holland, Thun auch solches hie-
durch und in Kraft dieses dergestalt und also: Daß gleich seinem
Antecessori und nach Erfordern er solchen Kirchen und Schul-
Dienst Treu und fleißig verwalte, hier unter alle Anweisung des
ihm Vorgesetzten Inspectoris und Predigers, bey Visitation der
Schule und sonst gebührend willigst annehme und schuldigst
befolge, also und insonderheit die Jugend im Lesen, Schreiben
und Rechnen, vornehmlich aber im Catechismo pflichtmäßig
unterweise, die zum Unterricht bestimmte Stunden gehörig ab-
warte, der Jugend mit einem rühmlichen Exempel vorgehe und
im übrigen sich dergestalt betrage, wie es einem rechtschafnen
Altpr. MonaUschrüt Bd. XLII. Hft. 5 u. 6. 25
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382 Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde Pr. Holland etc.
und gewissenhaften Cantor, Küster und Schulmeister wohl an-
stehet und gebühret, er es auch gegen Gott und Uns zu ver-
antworten sich getrauet. Dahingegen und für solche seine Ambts
Verrichtungen und Dienste hat er Johann Carl Schmidt all-
jährlich Einhundert Gulden Preußisch Gehalt, aus dortigen
Kirchen Aerario, mit allen zu solchen Diensten gehörigen
Emolumenten gleich seinen Antecessoren von der Zeit an, da
des letzteren oder dessen Witwe Hebung cessiret, nehmlich
zuerst für das Quartal vom Lten April bis l.ten Juli a: c. mit
resp: 25. fl. Pr: zu erheben und zu genißen, inngleichen die
Acht Gulden pr: wegen Biesenburg, so lange der Inspeotor
und Prediger ihn allein dorthin mit zu nehmen gut finden wird.
Urkundlich unter Unserm größern Insiegel geschehen und ge-
geben zu Berlin den l*en jul: 1777.
(L. S.). v. Dörnberg.
Thym.
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Verhandlungen Polens
mit dem
Kurfürsten Georg Wilhelm im Dezember 1627.
Von
Dr. GustaY Sommerfeldt.
Am 6. Juli 1626 landete König Gustav Adolf in Pillau
und nahm in rascher Folge die längs des Haffes gelegenen
Städte bis Marienburg hin, das er am 18. Juli besetzte. Die
überraschenden Erfolge, die weit hinausgingen über die Plänke-
leien, die bis dahin zwischen Polen und Schweden in Livland
stattgefunden hatten1), machten naturgemäß in Warschau einen
tiefen Eindruck, so daß man nicht nur Truppenkräfte in jene
Gegend dirigierte, sondern auch aufs schleunigste eine gemein-
same Aktion mit Kurbrandenburg anzubahnen bemüht war.
Koniecpolski, der polnische Feldherr, traf bei Dirschau auf
die Schweden, die hier ein befestigtes Lager bezogen hatten,
wurde indessen geschlagen. Auch Kämpfe bei Mewe und Moh-
rungen fielen zugunsten der Schweden aus, die seitdem bei
Marienwerder und Stuhm ihre Stellungen hatten, und auch dem
brandenburgisohen Kontingent, das sich im Sommer 1627 nach
langem Zögern zu den Polen schlug, Niederlagen bereiteten.
Die Folge war, daß zunächst im August eine Neutralität zu-
stande kam2), die am 22. Oktober dann um ein halbes Jahr
1) K. Lohmeyer, Gustav Adolf und die preußische Regierung im Jahre
1626 (Neue preuß. Provinzialbl. 63. 1860, S. 343 ff.).
2) J. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik. Bd. III, 1.
Leipzig 1861. S. 65.
25*
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384 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
verlängert wurde, indem eine Gesandtschaft der preußischen
Stände unter Führung des Obermarschalls Andreas von Kreytzen
in persönlicher Unterhandlung mit dem Schwedenkönig zu Elbing
den Vertrag abschloß.
In der Gegend von Stuhm nun beim Dorfe Honigfeld hatten
am 2. September 1627 andere Verhandlungen stattgefunden, die
einen direkten Ausgleich zwischen Polen und Schweden be-
zweckten, aber resultatlos verliefen. Unter den polnischen Ab-
geordneten wird uns hier Magnus Ernst von Dönhofi, Haupt-
mann von Dorpat und . polnischer Hof Junker und Oberst, ge-
nannt1), der später weit ansehnlichere Rollen mit mehr Glück
im öffentlichen Staatsleben noch spielen sollte2).
Georg Wilhelm erschien zum Schutz des bedrohten Her-
zogtums persönlich in Preußen und schlug seine Residenz in
Königsberg auf, von wo aus er vergeblich bemüht war, vermittelnd
zwischen den beiden kriegführenden Mächten zu wirken8).
Nach Königsberg wurde Dönhoff dann im Dezember 1627 zwecks
Unterhandlungen mit Georg Wilhelm im polnischen Interesse
entsandt und ihm eine aus Warschau datierte ausführliche In-
struktion mitgegeben4), die zunächst die Münzfrage ins Auge
faßte, dann die Schließung der Ostseehäfen und Unterbindung
des Handels für die Dauer des Krieges empfahl, endlich die
zwecks Erreichung des Friedens mit Schweden zu ergreifenden
Maßregeln darlegte, wobei Dönhoff auch auf die bestimmten Zu-
Dlsr. Hoppe, Geschichte des ersten schwedisch-polnischen Krieges,
herausgegeben von M. Toeppen. Leipzig 1887. S. 203.
2) In älterer Zeit hatte Dönhoff schon einer polnischen Gesandtschaft
angehört, die den Schweden mit Vollmacht vom 6. und 7. Juli 1625 For-
derungen des Polenkönigs überbrachte. Th. Hiärn, Ehst-, Lyf- und Lett-
ländische Geschichte, hrsg. von C. E. Napiersky (in: Monumenta Livoniae
antiquae. Bd. II Riga 1839. S. 5).
3) Droysen a. a. O. S. 65.
4) Lemberg, Bibliothek des Ossolinskischen Instituts Codex 209. Blatt
85—86. Es enthalt dieser Band, dessen Schriftstücke sonst meist in polnischer
Sprache abgefaßt sind, die Kanzellariatsakten aus der Zeit des Jakob Zadzik,
Bischofs von Kulm, in den Jahren 1626—1628.
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Von Gustav Sommerfeldt. 385
Sicherungen hinweisen sollte, die eine Gesandtschaft des Kur-
fürsten an König Sigismund ITC, seinen Schwager, in zuvor-
kommender Weise schon gemacht hatte. Es wird Dönhoff aber
anbefohlen, über alle Punkte nur die Meinung des Kurfürsten
auszukundschaften, und sich in speziellerer Weise dann klar zu
werden über die Basis, auf der dieser beabsichtigen möge, das
Friedens werk zu einem gedeihlichen Abschluß zu bringen1).
„Instructio, ex cuius praescripto generosus Magnus Ernestus
Dönhoff, capitaneus Derpatensis, sacrae regiae maiestatis aulicus,
legatione nomine eiusdem maiestatis apud illustrissimum prinoipem
dominum electorem Brandeburgicum fungi debet. Data Varsa-
viae die . .*) mensis Decembris anno domini 1627." „Cum sacrae
regiae maiestati, domino nostro clementissimo, ao reipublicae
intersit, ut legatio haec quam primum expediatur, dabit operam
dominus legatus, ut recta Regiomontum, aut ubi illustrissimum
electorem esse cognoverit, nullibi immorando sese conferat, ac
ubi accessum ad illustrissimum electorem habuerit, inprimis pa-
ternum sacrae regiae maiestatis affeotum propensique animi
Studium suae maiestati testabitur, neo non diuturnam prospe-
ramque incolumitatem, felicesque actionum et consiliorum suc-
cessus, faustaque ac prospera omnia precabitur, deinde redditis
fidei literis legationem Latino vel Germanico idiomate ad hunc
sensum prosequetur. Existimat sacra regia maiestas dominus
noster c lernen tissimus illustrissimum electorem, uti feudatarium
suum et reipublicae principem, ita omnes feudalis iuris ac officii
rationes secum expendere, ut probe intelligat, quam et ipse et
ducatus Prussiae a regno Poloniae velut membrum a corpore
dependeat, quidve praescripta regiminis formula, quod pactorum
feudalium iura fidesque ac officium a sua maiestate requirunt.
Hinc ob eum cum reliquo reipublicae corpore nexum, ita omnia,
quae ad publicam regni tr an quill itatem atque utilitatem tuendam
1) Über die Mangelhaftigkeit der preußischen Einrichtungen zur „Defen-
sion" siehe Lohmeyer a. a. O. H. 343—344 und Hoppe a. a. O. S. 187.
2) Das Datum hat der Verfertiger der Kanzleihandschrift offen gelassen.
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386 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
et propagandam spectant, illuc quoque derivantur, ut commoda
ornamentaque omnia regni cum illustritate sua ducatuque Prus-
siae communia esse videantur. Ea de causa cum in proxime
celebratis comitiis nonnulla publico ordinum deoreto sancita1)
sült, quae vel ad ornamentum pacis, vel ad belli subsidium per-
tinere videbantur, eorundem decretorum publicorum lege ducatum
quoque Prussiae comprehendi debere ordines regni censuerunt.
Inprimis vero ad utilitatem publicam, quae vel nixe recta rei
administratione monetariae constat pertinere, visum, ut ad futura
comitia cussione monetae minoris cessetur. Cum vero ex for-
mula pactorum res monetaria ducatus Prussiae a valore et pon-
dere monetae regni dependeat, ususque monetae ac officinae suae
illustris ßegiomontanae iuxta praescriptum pactorum cussae cum
moneta regni communis sit, non potuit ea cessatio in officiis
monetariis regni decerni, quin et decreto officinae quoque suae
illustritatis subiaceant. Quare paterne sacra regia maiestas do-
minus noster clementissimus illustrissimum electorem hortatur,
ut legi publicae ea in parte minime refragari velit, quin ostendat
se et publicae utilitati et supremi dominii autoritati tantum tri-
buere, quantum par est principem cognatum pactisque ac foede-
ribus suae regiae maiestati ac reipublicae adstrictum. Ac ea
quidem cussationis lex domestica utilitatis incrementum spectabit,
caeterum altera de portubus praecludendum commerciisque terra
et mari interdicendum ad belli gerendi commoditatem vel nobis
suppeditandam, vel hosti eiusque fautoribus adimendum. Com-
meatu nimirum aliisque rebus binc evehi solitis bosti subtractis,
qui tantum abest, ut impedito portu Gedanensi reipublicae, prout
sperabat, aegre faceret, ut eadem ad sponte occludendum reliquos
adduceret, nihil sibi grave ordinibus inolyti regni huius ducatibus,
quam non religionis libertatis gloriae causa aequo animo ferre
velint ac possint. Quamobrem eandem legem sibi quoque ser-
vandam illustrissimus elector dicet portubus in ducatu interclusis
eo quidem alacrius, quod primum isthic belli sedem hostis po-
1) Hs.: sata sint.
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Von Gustav Sommerfeldt. 387
suisset, et ad inferendum Prussiae regali bellum fores apertas in
ducatu invenisset, ao tandem subditos illustritatis suae novis et
insolitis ibidem exactionibus aggravasset. Caeteris item rebus,
quae ad subsidia belli in comitiis decreta pertinent1), non am-
bigit Sacra regia maiestas suam illustritatem fidei ao officio suo
minime defuturam, quin potius ultro et consilia, opes conatusque
8uos omnes directuram, ut et existimationem suam a sinistris
multorum opinionibus, et ditiones a belli calamitatibus et peri-
culis vindicet. Sacra quidem regia maiestas dominus noster
clementissimus tantum sibi de illustritate ipsa persuadet, ut
etiam belli pacisque consilia cum sua illustritate communicare
minime dubitet, tantumque suae illustritatis erga se et rem-
publicam fidei, tantum mutuae necessitudini arctissimaeque con-
iunctioni confidit, ut in pacis tractatione, ad quam sese ipsius
illustritas offert, eius etiam opera uti cupiat, ratus fore id ad
felicem negotii huius successum accommodatum, si cognato et multis
beneficiis obstricto tractationem pacis committeret. Quod quidem
eo liberius sacra regia maiestas facit, quod sua illustritas per
legatos suos regiae maiestati propensionem et alacritatem suam
ad promovendum pacis negotium ultro declaraverit, sibique dari
occasionem testandae hac in parte erga regiam maiestatem ac
rempublicam egregiae voluntatis poposcerit. Quam ob rem ea
in parte mentem suae illustritatis dominus legatus diligenter
explorabit, et quo pacto pacificationis negocium suscipere velit,
dextre et prudenter expiscabitur, demum responsum in scriptis
a sua illustritate flagitabit, seque quam celerrime expediri et
dimitti postulabit. Quae omnia dexteritati, prudentiae, fidei
domini legati sacra regia maiestas dominus noster clementissimus
committit."
Über Dönhoffs Aufnahme in Königsberg war aus den vor-
liegenden Quellen nichts zu ermitteln. Die Angelegenheit kam
aber mit der von dem Polenkönig gewünschten Schnelle zum
1) Hb.: pertinet.
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388 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
Abschluß, indem Dönhoff unterm 30. Dezember 1627 folgende
Antwort des Kurfürsten zugestellt wurde1):
,,Besponsum eleotoris. Ad ea, quae nomine sacrae regiae
maiestatis Poloniae et Sueciae domini, cognati et affinis nostri,
parentis looo observandi legatus eiusdem magnificus et generosus
dominus Magnus Emestus Denhoff, capitaneus Dorpatensis et
belli prefectus, proposuit, nos Georgius Guilhelmus etc. mentem
et sententiam nostram sequentem in modum filiali pro obser-
vantia declarandam respondendumque esse duximus. — Prinio
quidem nos, ut feudatarius sacrae regiae maiestatis et reipu-
blioae princeps, ita omnes feudalis iuris ac officii raciones nobis-
cum expendimus, ut probe intelligamus, quam et nos et ducatus
noster in Prussia veluti membrum ab inclyto regno Poloniae ceu
corpore dependeamus, optime ad haec memores, quid prae-
scripta regiminis formula, quid pactorum feodalium iura fidesque
et officium nostrum a nobis requirant. Quae omnia ut magni-
ficus dominus legatus recte allegavit nobisque in memoriam ex
praescripto instructionis suae revocare voluit, ita libenter ac
examussim pactis Ulis feudalibus, tarn antiquissimis perpetuis
quam novissimis, iuribusque omnibus exinde dependentibus in-
haerebimus ac insistemus, ac ex illo praescripto ac tenore ad
capita illa quatuor nobis proposita responsum nostrum depro-
memus et formabimus existimantes nexum, quo ad nos et ducatum
nostrum cum reliquo reipublicae corpore nullum firmiorem
diuturnioremque esse posse, quam si pacta illa, quibus divi
antecessores et maiores nostri ducatum hunc nostrum inclyto
Poloniae regno unitum membrumque coniunctum esse voluerunt,
sacrosancta, salva et in omnibus intemerata sint permaneantque.
Iis vero vel obiter saltem discussis examinatisque luce meridiana
clarius apparebit, nos et ducatum nostrum iuribus suis et decretis
privilegiisque ac immunitatibus peculiaribus constare, nee secus
constitutionibus regni sive olim tempore antiquissimo sive noviter
1) Ebenfalls abschriftlich: Codex 209, Bl. 86-92.
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Von Gustav Sommerfeldt. 389
modo quocunqae sancitis et laudatis subiacere ao obstrictum
esse. Nescimus exinde, unde hoc provenerit, quod in constitu-
tionibus binis comitiorum proxime celebratorum tarn quoad ces-
8ionem oudendae monetae minoris, quam conclusionem portus
nostri Regiomontani nös et ducatum nostrum per expressum
insertum esse intelligamus. Nolumus equidem iis in refutandum,
quantum nos et ducatum nostrum attinet, prolixi esse, cum res
per se sit evidentissima et plane nova, atque totum hoc, quid-
quid intercessit, non tarn studio et voluntati alicui nobis iuri-
busque ducatus nostri accendi derogandique, quam vel errori
vel favori negocia haec maturandi nimio, idque in occupationibus
profundissimis adscribere possumus, quo et pro hac vice repo-
situm esse volumus nulli dubitantes in posterum, ne simile quid
fiat, sacram regiam maiestatem dominum parentem nostrum
observandissimum deligenter serioque prohibituram ac inter-
dicturam esse, idque paterne et dementer praeterea ouraturam
ac effecturam, ut tarn iuribus et regalibus nostris, quam immuni-
tatibus et praerogativis ducatus nostri omnibus et singulis locus
vigorque maneat integerrimus et illibatus. Procedendo autem
ad res ipsas, de quibus a sacra regia maiestate, domino cognato
et affine nostro observandissimo, per magnificum dominum lega-
tum pro affectu paterno et beniguo requirimur, et quidem pro
primo rem monetariam quod attinet, intelleximus constitutionem
eo in negocio sancitam in punctis duobus consistere, scilicet ut
primum nulla pecunia minuta usque ad proxime futura comitia
cudatur, sed solum Joachimici seu taleri integri et dimidii, ut
quidem et Joachimicus argenti puri in se habeat semunoias qua-
tuordecim ad instar Joachimicorum imperialium. Ad haec deinde
ut Joachimici omnes vigore constitutionis superioris pro duobus
cum dimidio, et Ungaricales pro quatuor florenis Polonicalibus, et
non maiori expendantur existimatione. Huic ergo legi publicae ne
refragari velimus, sed ut eadem a nobis pariter recipiatur, in
ducatu nostro observetur, magnificus dominus legatus regius
sedulo a nobis contendit, ac nomine sacrae regiae maiestatis
paterne nos hortatur, partim quod recta rei monetariae admini-
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390 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
stratio ad utilitatem publicam inprimis pertinere constet, partim
quod res monetaria ducatus nostri Prussiae a valore et pondere
monetae regni dependeat, ususque monetae in officina nostra
ßegiomontana cussae cum moneta regni communis sit. Quae
omnia ut libenter vera esse coguoscimus, sie pridem tarn intensio
et auetio valoris in nummis crassioribus, quam percussio peeuniae
aeris minuti minime nobis grata fuit aut esse potuit, verum ut
utrumque amoveretur tollereturque, ceu res communi bono per-
niciosissima, quove malo in re nostra domestica damnum immen-
sum passi sumus proventibus et reditibus nostris ultra dimidietatem
imminutis summopere sategimus, prout actionem aestimationis
numismatum grandiorum vieibus saepe iteratis et severe in pro-
vincia hac nostra interdiximus, nee non in conventibus rei «um-
mariae causa aliquando in regno habitis per nostros eo ablegatos
eius commonef actionem sedulam fieri nunquam intermisimus,
ipsimet etiam diu ante nummorum illorum minutorum percussionem
in melius reformassemus, modo id aliquo modo fieri potuisset;
verum cum ea in re necessario nobis, prout magnificus dominus
legatus ipsimet commonefecit, ad monetam regni eiusque per-
cussionem respiciendum fuit, nihil eiusmodi a nobis cum fruetu
praestari lieuit, cum provinciarum regni cum ducatu hoc nostro
ea sit coniunetio et vicinitas continens, ut in visu commerciorum
mutuo nummorum aequalitas ac aequivalentia ex parte utraque
necessario requiratur. Qua vero in re animi nostri sententiam
nondum adhuc deposuimus hoc saltem desiderantes, ut eo in passu
aequitate id dietante via ordinaria et consueta servata fuisset,
scilicet ut, antequam in negocio monetario, quod nos ducatumque
nostrum afficere et obligare debeat, quid constitueretur, conventus
prius indictus, nosque et alii ad id pertinentes ordinarie eo
vocati, atque in iure nostro nobis competenti, prout moris
antiqui id fuit semperque fieri consuevit, auditi fuissemus, ut
ea ratione istud ipsum ex unanimi voto et consilio agitatum
ad conclusionem decretumque publicum perduci potuisset. Quia
vero mos ille solitus nunc est expositus, nosque cum dero-
gatione iuris nostri non exigua in suffragio nostro perterriti
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Von Gustav Sommerfeld t. 391
sumus, satis patet, decretum illud in comitiis factum omni iuris
ex ratione minima nos obstrictos habere posse, prout sacra regia
maiestas hoc ipsum perpendens et videns approbationem nostram
legatione hac mediante a nobis paterne requirendam esse censuit.
Ut autem res se habeat, constitutum tarnen nihilominus nobis
est, pecuniae minutae percussionem fieri non debere, modo de
eo certi esse possimus, quod primo pecunia et nummi in officina
nostra monetaria Regiomontana iam cussi, simulque pari passu
cum nummis et moneta in regno Poloniae magnoque ducatu
Lithuaniae cussa, prout aequitati in recessibusque vetustissimis
ac observantiae omni tempore superiori frequentata convenien-
tissimum est, ubique in regno locorum usuales esse, ac sine
ulla contradictione tum mutuis in commerciis, quam apud
tbesaurum regni erogari recipique debeant, tum deinde si con-
stitutio hac in re scita executioni dabitur, atque cessationem
percussionis monetae minutae fore constantem deprehendimus,
etiam in honorem ac ob respectum saorae regiae maiestatis salvo
tarnen alias iure nostro in officina nostra monetaria ab eiusdem
percussione pecuniae minutae supersederi, atque solum in cu-
densis taleris integris et dimidiis eam occupatam esse curabimus.
Interim vero nullatenus sperare volumus, quod percussio num-
morum in argento crassiorum superflua et nimia esse, defectus-
que autem numismatis et pecuniae minutae hinc subsequi debeat
ac possit. Quo casu rem in vita communem usumque domesticum
et familiärem admodum turbari impeditumque redditum iri facile
perspici licet. Nam pecunia talis minuta in officina nostra hac-
tenus in numero adeo magno percussa non fuit, quemadmodum
in aliis quidem factum esse nobis compertum est; valorem insuper
quod attinet pecuniae crassioris, nihil nobis gratius acceptiusque
esse potest, quam si is in constitutione positus in regno exacte
servetur atque in observantia firma permaneat, nostra ex parte
dabimus operam, ut idem valor in ducatu nostro vigeat et
observetur. In posterum vero, si vix et modo antiquo per
consuetudinem recepto ac in recessibus praescripto, prout
modo commemoratum est, exactius rectiusque inhaerebitur,
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392 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
quo ut res haeo dirigatur, sacram regiam maiestatem sua
sponte propensum fore nulli dubitamus, tum omni tempore ita
nos exhibebimus, ut constare evidenter possit, nos omnem suc-
cessionem ab inclyto regno Poloniae fugere et aversari, potius-
que hoc studere ac in id incumbere, ut ea omnia, quae ex bono
publico regni et ducatus nostri accenseri possunt, omni loco et
tempore diligentissime attendantur modoque debito statuantur,
ac effectui rectissime dentur. Alterum caput propositionis est
de portubus in ducatu nostro praecludendis commerciisque terra
marique interdicendis, ne ad hostem eiusque fautores commeatus
aliaeque res devehi possint. Quod postulatum vero ut intentione
bona rationibusque reipublicae ad famam et gloriam inservien-
tibus niti intelligimus, sie optandum esset, ut hisoe in locis ad
effectum aliqua ratione deduci posset. Qui vero status tarn por-
tus Filaviensis ab hoste per vim insuperabilem oecupati et adhuo
obsessi, quam civitatis nostrae Regiomontanae sit, abunde et
saepius antehac sacrae regiae maiestati tarn per litteras quam
per legatos et internuncios nostros ostendimus doeuimusque, ita
ut portus is Pilaviensis plane ac in toto nobis nostraeque pote-
stati ademptus, hostis violentiae cesserit, et etiamnuno subiaceat,
civitatem vero nostram Regiomontanam per induciarum pacta
iam altera vice nobis conservare communemque praestare summa
necessitate adacti fuerimus indueiis iis ex laudo scitoque or-
dinum ducatus unanimi constitutis et conclusis, quae etiam con-
sensu nunc sacrae regiae maiestatis benignissimo aeeeptae approba-
taeque habentur. — Nihilominus tarnen, ne videamur bono publico
et desiderio ac voluntati sacrae regiae maiestatis penitus deesse
velle, totum hoc ordinibus et statibus ducatus nostri, quos
ad continuationem conventus hactenus intermissi et suspensi
ad diem 16. Januarii huc iam revoeavimus, proponi faciemus,
quiequid ab illis re bene deliberata ac perpensa conclusum
fuerit, ad sacram regiam maiestatem quamprimum et sine
mora litteris nostris perscribemus. Interim autem quoad
portus illos, qui vel magnum ducatum Lithuaniae vel provincias
regni speetant, ii, ut ex formula constitutionis praeteritis et co~
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Von Gustav Sommerfeldt. 393
mitiis sancitae occlusi sint et habeantur, nullatenus refragamur
impediamurque. Quoad belli subsidia a nobis subministranda,
quod tertiana legionis membrum est, non dubitamus sacram regiam
maiestatem hucusque satis perspexisse cognovisseque nos omni
conatu ac studio hoc egisse eoque animum nostram alacriter
ac pro virili intendisse, ut fidei officiique nostri debitum rectissime
explere desiderioque et expectationi sacrae regiae maiestatis
satisfacere possemus. Quod autem eventus cogitatis et coeptis
nostris non pro voto in omnibus nostris responderit, nobis adsoribi
aut culpae nostrae tribui minime posse arbitramur. Dabimus
autem operam, ut adhuo fidei nostrae studioque debito omni looo
et tempore non defuisse nos constare luculenter possit, subsidia
quoque, quae ex praescripto pactorum persolvenda praestandaque
a nobis sunt, ut ea rite et debite adimpleantur, omni conatu
annitemur. Postremum est, quod sacra regia maiestas tantum
de nobis persuasa belli pacisque consilia nobiscum communicare
minime dubitet, tantumque fidei nostrae erga se et rempublicam,
tum et necessitudini arctissimaeque coniunctioni confidit, ut in
pacis tractatione nostra etiam opera uti cupiat, rata fore id ad
felicem negocii huius successum accommodatum iri, si nobis
ceu oognato et multis beneficiis obstricto traotationem pacis
committeret, idque vero eo libentius faciat, quod per legatos
nostros propensionem et alacritatem nostram ad pacis negocium
promovendum ultro declaraverimus nobisque occasionem testandae
hac in parte erga sacram regiam maiestatem et rempublicam
egregiae voluntatis poposcerimus. Quae sane persuasio et fiducia
sacrae regiae maiestatis de nobis praeclara et paterna regia non
potest nobis esse non longe inoundissima gratissimaque exoptantes
ex animo, ut vires et facultates nostrae tantae esse possint, quantae
ad opus tarn arduum et grave requiruntur. Ne tarnen ea in re
Studium nostrum per legatos nostros indicatum ac ostensum
aliter ao largius a quopiam accipiatur, quam ab animo nostro
sacrae regiae maiestati ac reipublicae inserviendi profectum est,
non abs re fore existimamus, si intentionem et mentem hoc in
negocio legatis nostris ad sacram regiam maiestatem perferendi
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394 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
commissam, his paucis repetierimus atque res ita sese habet
Quod in ipso fere articulo discessus legatorum nostrorum, quoe
ad saoram regiam maiestatem destinaverimus, domini legati
8tatuum in Belgio provinciarum confoederatarum generalium
ad nos venerint atque inter alia nobis exposuerint, postqnam
a suis principalibus ad pacis tractionem huc in regnum
Poloniae amandarentur, simul hoc se mandati accepisse, ut
eo in negocio tractando nostro inprimis consilio nostra-
que direotione uterentur, impedimentis vero hucusque sibi
obiectis variis et gravatione, qnominus maturius citiusque se
ad nos conferre potuerint iam tractatibus illis, qui hactenus se
mediatoribus intereesserunt, non tarn ruptis et solutis quam sus-
pensis et dilatis, cum, de quibus optima spes sit, quod illi post
comitia regni expedita instaurari debeant, mandatis sibi dominis
principalibus suis datis satisfacere nunc voluisse atque exinde
nos rogarunt, ut operi tarn laudabili et pio non solnm consilio
et autoritate nostra adesse, sed et Studium operamque nostram
adiungere vellemus. Quibus autem nullo directo et cathegorico
responso dimissis hoc illorum petitum, ut ad sacram regiam maie-
statem per legatos nostros referretur, operae pretium esse duxi-
mus eiusmodi pariter mandatis a nobis mandatis additis,
ut ea in re, quoad negotium interposicionis et traotationis, ipsam
mentem et voluntatem saorae regiae maiestatis expectare
velimus, paraturi omnia et singula ex arbitrio sacrae regiae
maiestatis ceu eius et reipublicae principem vasallum, multis-
que et summis necessitudinibus obstrictum suscipere et prae-
stare, quae ad commodum incrementumque publicae salutis
pertinere videri possunt. Hoc tarnen in medio et voluntati
sacrae regiae maiestatis relicto alterum fuit, quod nos non
parum concernere existimabimus, seriisque ac sedulis precibus a
saora regia maiestate contendi iussimus, ut in tractatione, si
quae foret reassumenda, commissariis a sacra regia maiestate et
republica deputatis nostris, etiam aliquos commissarios, qui ins
nostrumque interesse observarent custodirentque, adiungi a nobis
liceret. Quae bina in hoc negocio capita, ut minime ambigimus,
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Von Gustav Sommerfeldt. 395
a legatis nostris praescriptum instructionis exacte ao examussim
esse proposita et in medium prolata, sie eo saltem fine haee
commemorare voluimus, ne malevolis nostris ansa aliqua prae-
beatur, de novo criminationes suspicionesque nefarias adversus
nos personamque nostram confingendi spargendique, quod tarn
vero facile fieri posset, si conatibus et coeptis nostris in provincia
hao a nobis suseipienda gravamina finisque seopus propositus
pro salute publica promovenda restituendaque ex voto omnium
communi et nostro non succederet; operam equidem nostram a
dominis legatis Belgicis calamitatis publicae et nostrae etiam
communis sublevandae amovendaeque causa a nobis requisitam
negare, nee pium nee iustum fuisset, ad quam tarnen, ut non
nisi ex voluntate et iudicio sacrae regiae maiestatis sapientissimo
gravissimoque nos accingeremus, tarn observantiam et respectum
erga sacram regiam maiestatem nostrum convenientem, quam
causae ipsius gravitatem postulare exigereque nobis visum fuit.
Accepta vero nunc et cognita sententia et mente sacrae regiae
maiestatis benigne assentientis, ut ad promovendum pacis negocium
operam partesque nostras simul cum legatis Belgiois iis id sie postu-
lantibus interponamus, animo propensissimo provinoiam eam trac-
tatuum, qui restaurari debent, ad pacem moderandorum in nos susoi-
pimus, eaque sinceritate, fervore, studio ac diligentia exquisitissima
in munere illo nos exhibebimus,prout id fieri fides nostra officiumque
vasallagii debitum, tum et sanguinis coniunetio aretissima, nexus
alii inter sacram regiam maiestatem et nos variis modis
intercedentes devinetissimi requirunt et exigunt, eventum a deo
propitio desideratum et felicem praecantes et expeetantes. Atque
ut negocium hoc, desiderium et salutare eo expeditius et sine
proerastinatione longiori maturetur, dabimus operam, ut com-
municatio cum dominis legatis Belgicis quantocitius a nobis in-
stituatur, locusque et tempus conveniendi quam brevissimum
determinetur, ipsimet etiam relicta hac nostra residentia ad locum
commorationi dominorum commissariorum ex omni parte vicinum
nos conferre decrevimus, erimusque assidui in perscribendis ad
sacram regiam maiestatem iis »omnibus, quae traetationis materia
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396 Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm etc.
suppeditabit nobis atque ex usu neoessario semper visa fuerint
Quod responsum hoc nostrum magnificus dominus legatus ad
sacram regiam maiestatem dominum cognatum et affinem nostrum
parentis loco observandum referre haud gravabitur, cui iter et
reditum f elioem oinniaque f austa praeoantes gratiam pariter propen-
sissimam nostram ubertim deflerrimus. Datae Regiomonti die
30. mensis Decembris anno domini 1627.
Oeorgius Guilhelmus, elector."
Am 14. Februar 1628 sehen wir aufs neue Dönhoff in
Honigfeld Verhandlungen mit den Schweden pflegen, desgleichen
am 28. März 1628 im schwedischen Lager an der Montaner
Spitze1).
1) Hoppe a. a. O. S. 233 und 238.
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ot. Gottheil 4 Sohn, Königsberg i. Pr.
^öögtr11
Holiogr. MoiMnbnoh Riff»* It Co., Berii». **
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Carl Lndwi? Bernhard Gottli**«i *
Zu seinem Dienst Jubiläum am 1 ">. »■ '
V >i>
Georf Conrad,
A1-»* -ifft . bf.srat und Yi»r>it/,ej. !• -n .it- <>..*>' t .•»•-( hw» <
{Mit einem i. ' '.> \. !'!• ii * -*,«
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l'.-'tiw« iu Königsberg i. 1*;. >»' u fiinfzi., ;
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„ heu, d» r. in Ostpreiii>«n -ils S hn eines i*
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•* .«* j r-.'. ,*//. r.t \\(,r<.len i<t, ^.tj<; m auch dun-1
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■- .- *.* \. r geistigen Inteie^s, n, insbeson 1- \ »•
• • Lt'ai i:fbiete, *>ü e ie*rv»»nagende uii-« * ..
' / m. "1 '.rächen I^'btu» der Provinz eriaiu»
. ji (?--•■!. j;'*eit gepaarte Oute s*une* Wesen--, -
v-*!.' vornehmen Umgangsformen sieh ti - ^
j. : • nur der ihm unterstellten "Beamten. ^ *
•• , ^ : ■>« ermahn hat.
I •* i Lr Bernhard (üottli»b a. Ph-n^« t
. • ;, ;* 1^;»4 als zweiter S >hv h * *.V • ' ::.*:«\ ••: »" m-
» !». f'//r/ Siegiried v. Pl'-i'Ae u:. ; -♦• u-r <•--
- -, eb. Eckert auf d<un hVitr^i i ; ,* .i^.'i'Lni
i\reis Pdlkaü» n,i in Ostpn.'^Mi ;;•*! •»•'■■ n. S*->ne
r "i aus alt'-u ostpreußisehen 1* »ni.ii« :» « "u An-
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ot. Ootthttl 4 Sokn, Kdnlfitof i. Pr.
Efeliogr. M«iMnbMh Riffarth * Co., Berits. W»
©egk
Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe.
Zu seinem Dienstjubiläum am 13. Oktober 1905.
Von
Georg Conrad,
Amtsgerichtsrat und Vorsitzendem des Oberländischen Geschichtsvereine
in Mühlhausen Ostpr. (Kreis Pr. Holland).
(Mit einem Bilde v. Plehwes.)
Am 13. Oktober 1905 begeht der Oberlandesgerichtspräsident
v. Plehwe in Königsberg i. Pr. sein fünfzigjähriges Dienst-
jubiläum. Diese höchst erfreuliche Tatsache gibt uns Ver-
anlassung, in aller Kürze den äußeren Lebenslauf eines Mannes
zu geben, der. in Ostpreußen als Sohn eines Edelmannes ge-
boren, nicht nur stets in Ostpreußen in treuer Pflichterfüllung
und mit ausgezeichnetem Erfolge im Staatsdienste gewirkt hat
und daher der höchste richterliche Beamte in seiner geliebten
Heimatprovinz geworden ist, sondern auch durch seine außer-
ordentlich fruchtbringende praktische Tätigkeit und die Viel-
seitigkeit seiner geistigen Interessen, insbesondere auch auf
historischem Gebiete, eine hervorragende und einflußreiche
Stellung im öffentlichen Leben der Provinz erlangt und durch
die mit Gerechtigkeit gepaarte Güte seines Wesens, sowie durch
seine wahrhaft vornehmen Umgangsformen sich die wärmsten
Sympathien nicht nur der ihm unterstellten Beamten, sondern
auch weiterer Kreise errungen hat.
Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe wurde
am 24. September 1834 als zweiter Sohn des Rittergutsbesitzers,
Rittmeisters a. D. Carl Siegfried v. Plehwe und seiner Ge-
mahlin Amalie geb. Eckert auf dem Rittergute Dwarischken
bei Schirwindt (Kreis Pillkallen) in Ostpreußen geboren. Seine
Eltern stammten aus alten ostpreußischen Familien; dem An-
Altpr. Monatsschrift Bd. XLfT. Hft. 5 u. 6. 26
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398 C*ri Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe.
denken des durch hervorragenden Patriotismus und die Huld
mehrerer preußischen Könige ausgezeichneten Vaters hat später
der dankbare Sohn pietätvoll ein schönes literarisches Denkmal
gesetzt1). Seine ersten Jugendjahre verlebte v. Plehwe im
Elternhause, kam 1846 auf das Gymnasium in Gumbinnen und
bestand dort Ostern 1853 das Abiturientenexamen. Nach einem
halbjährigen Landaufenthalte bezog er im Oktober 1853 die
Universität zu Berlin, um dort die Rechte zu studieren und
diente gleichzeitig als Freiwilliger im 2. Garde -Regiment zu
Fuß. Im Sommer 1855 ging er nach Bonn, wo er sich der
Burschenschaft Alemannia anschloß. Im September 1856 be-
stand er in Berlin die erste juristische Prüfung und leistete am
13. Oktober 1856 beim Kreisgerichte zu Gumbinnen als Aus-
kultator den Diensteid8). Er arbeitete sodann beim Kreis-
gerichte zu Pillkallen und nach dem Bestehen der zweiten
juristischen Prüfung als Referendar im Jahre 1858 beim Kreis-
gerichte in Tilsit, zuletzt 1860 und 1861 bei dem Appellations-
gerichte in Insterburg. Als er im September 1861 die große
Staatsprüfung bestanden hatte und mit dem Dienstalter vom
18. Oktober 1861 zum Gerichts -Assessor ernannt worden war,
vertrat er zuerst längere Zeit einen Rechtsanwalt in Pillkallen,
wurde dann bei der Oberstaatsanwaltschaft und Staatsanwalt-
schaft Insterburg beschäftigt, Ende 1863 zur Staatsanwaltschaft
Königsberg i. Pr. berufen und am 26. April 1864 zum Staats-
anwaltsgehilfen in Orteisburg ernannt. Er erhielt, am 20. Sep-
tember 1867 zum Staatsanwalt befördert, den großen Schwur-
1) Carl Siegfried von Plehwe, Rittergutsbesitzer auf Dwarischken, Ritt-
meister a. D. Ein Lebenslauf. Dem Andenken des Vaters gewidmet von dem
Sohne. Als Manuskript gedruckt. Königsberg. Ostpreußische Zeitungs- und
Verlags-Druckerei. 1896. 8°. 82 S. (Exemplare dieser hier benutzten seltenen
Druckschrift befinden sich jetzt in der Königlichen und Universitats-Bibliothek,
im Königlichen Staatsarchiv und in der Bibliothek der Altertumsgesellschaft
Prussia in Königsberg in Pr.)
2) Mit dem 13. Oktober 1905 hat der Jubilar eine 49jährige Zivildienst-
zeit beendet, zu der noch das Militärdienstjahr hinzutritt, um das 50. Dienst-
jahr zu erfüllen.
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Von Georg Conrad. 399
gerichtsbezirk der Kreise Mohrungen, Osterode, Pr. Holland und
Braunsberg. Am 17. Februar 1870 als Staatsanwalt nach Memel
versetzt, amtierte er dort, bis ihm am 27. April 1875 die große
Staatsanwaltsstelle in Tilsit übertragen wurde. In Memel war
er in den letzten Jahren im Nebenamte Syndikus der Reichs-
bank und Mitglied des Kreisausschusses. Dort verheiratete er
sich mit Sophie v. Goßler, einer Tochter des Kanzlers und
Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Karl Gustav v. Goßler1) in
Königsberg i. Pr. und seiner Gemahlin Auguste geb. v. Mühler2),
und einer Schwester des unvergeßlichen preußischen Kultus-
ministers und späteren Oberpräsidenten von Westpreußen, des
Staatsministers D. Dr. Gustav v. Goßler und des bekannten
preußischen Kriegsministers Heinrich v. Goßler. Leider wurde
seine Gemahlin ihm schon am 10. Februar 1879 in Tilsit durch
den Tod entrissen, nachdem sie ihn mit zwei Knaben be-
schenkt hatte. Seit ihrem Tode hat v. Plehwe nicht wieder
geheiratet.
Am 19. Mai 1879 zum Ersten Staatsanwalt in Tilsit er-
nannt, erhielt er im November 1879 die Verwaltung der Stelle
des Ersten Staatsanwalts bei dem Landgerichte in Königsberg
i. Pr.. in die er am 21. Juni 1880 definitiv versetzt wurde.
Hier verblieb er bis 1888 und war gleichzeitig Vertreter des in
den Reichstag gewählten Oberstaatsanwalts Saro. Durch die
Allerhöchste Bestallung vom 28. November 1887 als Landgerichts-
präsident nach Braunsberg berufen, wurde er am 19. November
1890 zum Oberstaatsanwalt in Königsberg i. Pr. befördert und
verblieb, inzwischen unter dem 13. Dezember 1897 durch Er-
nennung zum Geheimen Ober-Justizrat mit dem Range der Räte
2. Klasse ausgezeichnet, in diesem Amte, bis er, infolge der
1) Über diesen ausgezeichneten Juristen siehe: Schrader: Karl Gustav
von Goßler, Kanzler des Königreichs Preußen. Berlin 1886.
2) Ihr Vater war der bekannte preußische Justizniinister Heinrich
Gottlob v. Mühler, ihr Bruder der bekannte preußische Kultusminister Heinrich
v. Mühler, der Dichter des Studentenliedes: Grad aus dem Wirtshaus komm
ich heraus.
26*
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400 Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe.
Versetzung des bisherigen Amtsinhabers, des noch hochbetagt
in Kassel lebenden, sehr verdienstvollen Kanzlers Dr. v. Holleben,
in den Ruhestand, durch die Allerhöchste Kabinettsorder vom
4. Mai 1899 zum Präsidenten des Oberlandesgerichts zu Königs-
berg i. Pr. befördert wurde; somit wurde er der zweite Amts-
nachfolger seines ausgezeichneten Schwiegervaters. Dieses Amt
verwaltet er seit dem 1. September 1899 und hat das neue
bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Nebengesetzen in Ostpreußen
einführen helfen; er ist Vorsitzender des 1. Zivilsenats und des
Disziplinarsenats beim Oberlandesgericht.
Trotz seiner ausgedehnten amtlichen Tätigkeit hat er, bei
seiner hervorragenden Arbeitskraft und im Besitze einer festen
Gesundheit, noch Zeit gefunden, sich an Arbeiten auf kom-
munalem, kirchlichem und wissenschaftlichem Gebiete und im
Vereinsleben rege zu beteiligen.
Nach dem Tode seines Vaters war auf ihn im Erbgange
der Besitz des Bittergutes Dwarischken übergegangen, das er
verwalten ließ und nahezu 25 Jahre mit günstigem Erfolge be-
wirtschaftete, bis er es Ende Juni 1903 seinem älteren Sohne
zum Eigentum überließ, der zuerst Offizier im 3. Garde-Regiment
zu Fuß und dann für seinen Beruf als Landwirt vorgebildet war.
Sein jüngerer Sohn, um dies hier gleich zu erwähnen, wurde
Leutnant der Leibhusaren und ist seit Mai 1904 in Südwestafrika
im Felde als Offizier der Signalabteilung des Kommandos der
Schutztruppe tätig; in Ostpreußen ist er als Herrenreiter be-
kannt. Als Besitzer von Dwarischken war v. Plehwe vom Jahre
1898 bis zum Juni 1903 Vertreter des alten befestigten Grund-
besitzes im Herrenhause. Als Haupt einer Familie mit zwei-
hundertjährigem Grundbesitze hatte er auch die Ehre, von
Sr. Majestät zur Zweijahrhundertfeier der preußischen Königs-
krönung am 18. Januar 1901 nach Berlin befohlen zu werden.
Seit dem Anfange der achtziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts gehörte er dem Kreistage in Pillkallen an und ist
noch Mitglied des ostpreußischen Provinziallandtages, nachdem
er eine Keihe von Jahren Mitglied des Provinzialausschusses
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Von Georg Conrad. 401
gewesen war. Im Provinziallandtage hat er als Referent für
die den wissenschaftlichen Vereinen und Zeitschriften von der
Provinz zu gewährenden Beihilfen mit großer Sachkunde und
reichem Segen gewirkt. Die Stadt Schirwindt hat ihn wegen
seiner Verdienste um sie zu ihrem Ehrenbürger ernannt.
Schon in Memel in die Provinzialsynode gewählt, ist er
seitdem stets in diese, sowie seit vielen Jahren durch Königliche
Ernennung in die Generalsynode der evangelischen Landeskirche
berufen und hat sich dort der Evangelischen Vereinigung, der
älteren Gruppe der positiven Union, angeschlossen.
Er ist ferner, um der Erfolge seiner Vereinstätigkeit zu
gedenken, Ehrenmitglied der Altertumsgesellsohaft Prussia in
Königsberg i. Pr., in deren Sitzungsberichten er verschiedene
kleine wertvolle geschichtliche Studien veröffentlicht hat, und
der Verein für die Geschichte von Ost- und Westpreußen ist
stolz darauf, ihn seit vielen Jahren in seinem Vorstande zu
wissen. Sein besonderes Interesse für historische Forschungen
und die Freude an den eigenen historischen Arbeiten gaben ihm
den willkommenen Anlaß, in amtlicher Eigenschaft beim Herrn
Justizminister die Abfassung einer Geschichte der Obergerichte
in Ostpreußen durch einen Richter anzuregen, die aus Anlaß
der Feier des 250jährigen Bestehens des obersten Gerichtshofes
in Ostpreußen im Jahre 1907 als Festschrift erscheinen soll.
Endlich sei noch hervorgehoben, daß v. Plehwe 1857 zum
Leutnant der Landwehr ernannt wurde, zahlreiche militärische
Übungen und 1870/1871 den Feldzug als Nichtkombattant mit-
gemacht hat und 1876 als Hauptmann der Landwehr mit der
Berechtigung, die Uniform zu tragen, verabschiedet worden ist.
Bei seinem arbeit- und erfolgreichen Leben konnten diesem
hochverdienten Manne Ordensauszeichnungen nicht fehlen: er be-
sitzt den preußischen Boten Adlerorden 2. Klasse, den preußischen
Kronenorden 2. Klasse mit dem Stern, die Landwehrdienst-
auszeichnung 1. Klasse, das herzoglich anhaltische Kommandeur-
abzeichen Albrechts des Bären und den russischen St. Annen-
orden 3. Klasse.
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402 Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. Plehwe.
Die diesem Artikel beigefügte Heliogravüre gibt eine gute
Vorstellung von den gütigen Gesichtszügen und der Handschrift
des würdigen Jubilars; sie ist nach einem im photographischen
Atelier von Gottheil & Sohn in Königsberg i. Pr. aufgenommenen
wohlgelungenen Photogramme durch die rühmlichst bekannte
graphische Kunstanstalt von Meisenbach, Riffarth & Co. in Berlin-
Sohöneberg hergestellt.
Möge diesem als Beamter und Mensch gleich ausgezeichneten
Manne — das ist der Herzenswunsch aller ihn innig liebenden
und dankbar verehrenden Kreise zu seinem Dienstjubiläum —
von dem großen Gotte, den er stets mit gläubigem Herzen ge-
sucht und der ihn bis hierher so gnädig geführt und seine
Arbeit sichtbar gesegnet hat, auch fernerhin seine feste Ge-
sundheit, ein ruhiges Glück, der dauernde Besitz der ungeteilten,
treuen Liebe und Verehrung aller, die ihn kennen und manche
reife Frucht seines unermüdlichen, vorbildlichen Wirkens und
Strebens beschieden sein!
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Bückblick auf die ersten hundert Jahre
der Gesellschaft der Freunde Kants.
Bede zum Geburtstage Kants
gehalten bei dem Bohnenmahle des Jahres 1905
von
Prof. Alfred DShrlnf.
Quidni ego magnorum virorum et imagines habeam . . .
et natales celebrem? fragt einmal mit antiker Naivetät der
"Weltmann und Weltweise Seneca. Wie sollten wir nicht die
Geburtstage großer Männer feiern und ihr Bild festhalten? So
dachten und handelten auch die Freunde Kants, die vor nun-
mehr 100 Jahren auf Anregung Dr. Mo th er bys am Geburtstage
ihres verewigten Tischgenossen zu einem feierlichen Erinnerungs-
mahle zusammentraten, „auf daß sein Wert als Mensch und
Freund nimmerdar vergessen werde, sowie er der Welt als
vorzüglicher Denker unvergeßlich und unauslöschbar sei". So
denken auch wir, die wir als die Hüter und Erben jener Pietät,
als Nachkommen und Epigonen vielleicht, doch jedenfalls als
gewissenhafteste Nacheiferer der Freunde Kants sein Gedächtnis
ehren und seiner Ehrung gedenken und von Hand zu Hand,
von Geschlecht zu Geschlecht ein köstlich Juwel weitergeben,
die Krone — dauernder Treue.
Nicht an dem Geburtstage Kants selber sind wir diesmal
zusammengekommen, weil unser Fest nicht in den Ernst der
Charwoche und am allerwenigsten an den Schluß derselben zu
passen schien, und in Übereinstimmung mit meinen beiden Be-
ratern, Helfern und Freunden habe ich auf heute unsere übliche
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404 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Gedächtnisfeier verlegt: denn nicht an Ort und Stunde ge-
bunden ist die Erinnerung an große Männer, und von ihr gilt,
was Cicero von der Freundschaft sagt: quoquo te verteris, praesto
est, nullo loco excluditur, nunquam intempesti va , nunquam
molesta est. Und so spreche ich Ihnen denn, meine hoch-
verehrten Festgenossen, unseren wohlempfundenen Dank aus für
Ihr zahlreiches Erscheinen und fordere sie gleichzeitig zu einem
Rückblick auf die Geschichte unserer Gesellschaft auf, die heute
ihren hundertsten Geburtstag feiern kann. Nicht als ob ich
Ihnen eine vollständige Geschichte der Kantgesellschaft bieten
möchte — vollständig könnte sie schon darum nicht sein, weil
gerade für die ersten Jahre (1806 — 10) die Überlieferung schweigt.
Erst bei der Aufstellung des Kantmpnuments im Collegio
Albertino im Jahre 1810 taucht wieder die Spur unserer Gesell-
schaft auf, indem ihr damaliger Vorsitzende Oberbaudirektor
Müller die alten und die neukreirten Mitglieder derselben, aber
zugleich auch den akademischen Senat zur Feier des 22. April
auffordert.
Und wiederum eine Geschichte, eine innere Geschichte
dürfen Sie bei einer Vereinigung nicht erwarten, in der der
Zufall herrscht und der Zufall in Gestalt der attischen Wähler-
bohne die sichtbaren Vertreter alljährlich bestimmt. So müßte
ich ja eine Geschichte des Zufalls schreiben: eine Aufgabe
immanenter Negativität eines Hegel wert. Mir gestatten Sie, nur
zweierlei hier hervorzuheben: die eigenartige Verfassung und
die verschiedenartigen Leistungen unserer Gesellschaft.
Auch von Pythagoras ist es ja überliefert, wie die Be-
wunderung für ihn seine Jünger nicht bloß zu unbedingter
Unterordnung unter seine Lehre, sondern auch zu regelmäßigen
Veranstaltungen zu seinem Gedächtnis führte. Bildsäulen
wurden ihm allerorten errichtet, aus seinem Hause ein Tempel
gemacht und sein Geburtstag mit göttlichen Ehren gefeiert;
seine Werke wurden auswendig gelernt und ein geheimer
Orden mit Prüfungen und Weihen, mit bestimmten Ge-
bräuchen und Verboten gestiftet. Und auch Epikurs An-
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Von Prof. Alfred Döhring. 405
hänger und Schüler sollen eine geschlossene Gesellschaft ge-
bildet haben, welche durch ein enges Freundschaftsband und
einmütige Verehrung ihres Meisters zusammengehalten ward.
Sein Bild trugen sie an Siegelringen, seinen Geburtstag und
seinen Todestag feierten sie, ja auf Grund seines Testaments
kamen sie am 20. jedes Monats zu seinem Gedächtnisse zu-
sammen und wurden darum Eikadisten genannt, und jahrhunderte-
lang hat sich ihre Gesellschaf t erhalten. Und wieder die schöne
Erzählung, daß dem Stoiker Zeno seine Verehrer ein Denkmal
errichtet mit der Aufschrift, sein Leben sei seiner Philosophie
gleich gewesen, sowie demselben Zeno seine Mitbürger die
Schlüssel ihrer Stadt als Sinnbild ihrer Ergebung und Ergeben-
heit überreichten, dies sind ja gewiß alles Beweise hoher und
eigenartiger Pietät. Aber höher steht — so will mich be-
dünken — die Art, wie das Andenken Kants in unserem Kreise
von Jahr zu Jahr gefeiert wird; höher, wenn man südländische
Lebhaftigkeit und griechische Festivität norddeutschem Ernst
und ostpreußischer Bedächtigkeit gegenüberhält. Wo es Kant
zu ehren galt, da hat der ostpreußische Charakter seine Fesseln
gesprengt und wärmste Begeisterung, ja jene köstlichen Begleiter
der Liebe, Scherz und Humor, entfaltet. Schon im Jahre 1814
finden wir die Sitte eingebürgert, den Festredner des Jahres
durch schalkhafte Losung zu bestimmen und mit königlichen
Ehren zu umkleiden. Gleich dem roi de feve, der beim Drei-
königsfeste in dem Festkuchen die Bohne gefunden und damit
die Verpflichtung übernommen, das nächste Festmahl auszurichten,
scherzt Robert Motherby, der Bruder des Begründers der Kant-
gesellsohaft, und schreibt am Ende seiner Regierung an seinen
Nachfolger Professor Karl Hagen iunior:
„Ew. Majestät empfangen heute aus den Händen der
Göttin Fortuna die Ew. Majestät constitutionsmäßig zu-
gefallene Krone als Bohnenkönig zu der nächsten Kantgeburts-
tagsfeier. Ich schließe zugleich das zu dieser Regentenschaft
gehörige Archiv bei, mit dem Wunsche, daß die Krone
Ew. Majestät nicht drücken möge; indem ich ergeben und
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406 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
resignierend in meinen Privatstand zurücktrete, bitte ich
nur noch um die Huld mich ganz untertänigst nennen zu
dürfen
Ew. königl. Majestät
ganz gehorsamster Diener
Robert Motherby
Exkönig.
Dieser humorvolle Gebrauch wird einem Einfalle Bessels
(1812 aufgenommen) verdankt und hat sich bis auf den heutigen
Tag erhalten, und ähnliche scherzhafte Wendungen wie die
Motherbys durchziehen alle die vier Aktenfaszikel, in denen die
Schriftstücke der Gesellschaft in treuer Gewissenhaftigkeit auf-
bewahrt sind. Nach Ausweis derselben hat nur ein einziges
Mal (im Jahre 1833) eine Wahl des Festordners durch Stimm-
zettel stattgefunden, da die Bohne zum größten Erstaunen der
Tischgenossen in dem Kuchen nicht zu finden war. Ob ein
gräkophiler Kyamophage unter den Festteilnehmern war, oder
einer von ihnen das alte pythagoreische Verbot, die Bohne
nicht zu essen, verletzte, ist bis heute nicht aufgeklärt.
Oberpräsident v. Schön führte damals den Vorsitz und schlug
mehrere Herren zur Wahl vor, von denen Bessel, der Vater des
Bohnen-Königtums, die Stimmenmehrheit erhielt.
Der Wunsch Motherbys, daß die Bohnenkrone das Haupt
der Majestäten nicht drücken möge, war früher leichter erfüllbar;
denn der roi de feve war in jenen Zeiten zwar der roi de fete,
der arbiter und magister convivii, aber nicht notwendig
magister dicendi. Ganz abgesehen davon, daß die Sitte, das
Festmahl durch Vorträge zu würzen, eine Zeit lang ganz ein-
schlief, auch nachdem durch den Oberbürgermeister Hörn der
Brauch wieder neu belebt war (1823), wandten sich die Könige
an die berufenen Kenner und Vertreter der Philosophie und
baten sie, die Bede zu halten.
„Daß Könige philosophieren und Philosophen Könige
würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen",
hatte Kant gesagt, und so überließen auch unsere Bohnenkönige
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Von Prof. Alfred Döhring. 407
das Philosophieren den akademischen Professoren. Mehr als die
Hälfte aller Festreden haben in den Jahren 1823 — 58 die
Herbart, Schubert und Rosenkranz gehalten, und wenn einmal
einer der Bohnenkönige selber den Vortrag übernimmt, so wird
dies als Ausnahme hingestellt, die ausdrücklicher Entschuldigung
bedürfe. Jedenfalls hat unser Archiv einen reichen Gewinn von
der öfteren Berufung jener berufensten Geister, und gerne lesen
wir auf den Blättern derselben manch schönes Stück, das in die
Sammlung ihrer Werke nicht Aufnahme gefunden. So die
Rede, die Herbart unter des erwähnten Hörn Regierung hielt,
an deren Anfang es heifit: „Dem großen Archimedes, dessen
Namen leben wird, so lange die Mathematik lebt, war ein Grab-
mal errichtet worden; aber die Syrakusaner hatten das Grabmal
vergessen; sie leugneten das Dasein desselben, als Cicero, der
einige Verse der Inschrift auswendig wußte, sich darnach er-
kundigte. Er selbst mußte es aufsuchen, erkannte es an der
Eugel und dem Zylinder, die man zum Andenken an eine schöne
Erfindung des Archimedes oben darauf abgebildet hatte, rief
nun einen Haufen Arbeiter herbei, die den Platz vom dichten
Gesträuch reinigen mußten, damit man hinzutreten könne;
und so kam die Inschrift zum Vorschein, deren Zeilen schon
zur Hälfte verwittert waren. '
So schlecht erhält sich das Andenken an große Männer,
wenn es nicht sorgsam bewahrt wird. So wenig leisten tote
Monumente, wenn keine lebendige Rede den eingehauenen Buch-
staben zu Hilfe kommt! So zerstörend wirkt der Wechsel der
Zeiten, der Sorgen, der Meinungen, der Herren und Diener und
alles des künftig blinden Glanzes, der die Augen der Menge
bald hierhin, bald dorthin zieht. Selbst die Sprache unterwirft
sich dem Wechsel; und der Schriftsteller, den heute jeder ver-
steht, bedarf vielleicht schon nach hundert Jahren eines
Kommentars."
Um so freudiger begrüßt Herbart den „ehrenwerten Kreisu,
der „das Andenken Kants bewahrt", den „die Freundschaft
stiftete und die Dankbarkeit erhalten möge": er ahnte damals
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408 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
nicht, daß derselbe Verein auch dereinst ein Grab, Kants Grab,
das die Regimontaner vergessen hatten, aufsuchen und die St&tte
reinigen werde, damit man hinzutreten könne1).
Eine bemerkenswerte Zierde unseres Archivs sind auch die
Worte, die Bessel im Jahre 1835 als .Redner des Kanzlers von
Wegnern sprach8):
Es ist auch mit der Philosophie wie mit der Tugend, man
soll sie besitzen, aber nicht davon reden, so beginnt er seinen
Vortrag und wirft dann die Frage auf nach dem Range der
Wissenschaften unter einander und dem Verhältnis aller zur
Philosophie. Aber nicht dieser, sondern der Mathematik reicht
er die Palme. Wenn eine Wissenschaft, heißt es da, in dem
Besitz eines Mittels wäre, die Kraft des menschlichen Geistes
zu potenzieren oder über ihr natürliches Maß hinauszubringen,
so würde sie dadurch den Rang vor den anderen erlangen. Ist
aber ein solches Mittel gedenkbar? Ja, es ist gedenkbar, denn
es ist vorhanden: die mathematische Analyse ist dieses Mittel.
Ihre Sprache ist so vollkommen, daß sie jeden Gedanken über
Zahlen- und Größenverhältnisse durch einige Buchstaben und
Zeichen so festhalten kann, daß er sich in einen Besitz ver-
wandelt, dessen Erwerbsart, sobald er Besitz geworden ist,
gänzlich vergessen werden kann. So biete die Mathematik eine
währe Himmelsleiter, durch sie türme sich Gedanke an Gedanke
ujid „pfeilern himmelhoch empor"; sie sei die Königin der
Wissenschaft, sie herrsche über einen großen Weltteil derselben,
und Astronomie, Physik und Chemie seien ihre Vasallen. Solchem
Lobpreis gegenüber muß sich die Philosophie bescheiden. Zwar
stellt ihr Bessel das Zeugnis aus, daß sie überall sei in der
Analyse, in der Naturwissenschaft und in der Geschichte, in der
Rechtskunde nicht minder wie in der Sprachkunde und Gottes-
gelahrtheit; die Philosophie sei überall, sie schwebe wie der
Geist über den Wassern. Aber in den Besselschen Worten, in
1) Siehe Dr. Stettiner, Berichte der A.-G. Prussia 21, 11)0 ff., 1900.
2) Diese Rede Betels sowie die oben erwähnte Herbarts sind später von
Reicke in dieser Zeitschrift (1864 und 1805) herausgegeben worden.
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Von Prof. Alfred Döhring. 409
dem emphatisch wiederholten „überall4* klingt doch wie ein
Neben ton ein „nirgends" mit, und unwillkürlich erinnern wir
uns jener Klage in der Vernunftkritik: „Es war eine Zeit, in
welcher die Philosophie die Königin aller Wissenschaften ge-
nannt wurde; . . . aber nun bringt es der Modeton des Zeit-
alters so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen und die
Matrone klagt verstoßen und verlassen wie Hekuba: modo
maxima rerum nunc trahor exul inops." Wie eine nachträgliche
Bestätigung dieses heimatlos und besitzlos ist es, wenn nun
auch Bessel die Philosophie schließlich sagen läßt: „ich habe
keinen Besitz und will keinen; ich habe nur mit Gedanken zu
tun, nicht mit Resultaten; wollt ihr Resultate, so sucht sie
anderswo, wo ihr zugleich auch die Gedanken kennen lernen
könnt, welche zu den Resultaten geführt haben; wollt ihr aber
Gedanken ohne vorangehenden oder daraus folgenden Besitz, so
könnt ihr sie in der Philosophie finden!"
Solcher Gedanken nun — im besten Sinne — hat in
unserem Kreise keiner häufiger, keiner mit solcher Liebens-
würdigkeit und Gewandtheit vorgetragen als Rosenkranz: er,
der mit unermüdlicher Bereitwilligkeit sich den Bohnenkönigen
als Sprecher zur Verfügung stellte und beides war, der Redner
der Königo und der König der Redner; und sowie sein Ge-
burtstag dicht hinter den unsrer Vereinigung fällt, so ist auch
in seiner Lebens- und Geistesgeschichte ein gut Teil unserer
Geschichte enthalten.
Kant in Frankreich, Kant und Gioberti, seine Verbreitung
in Deutschland und die Herausgabe seiner Schriften, der
preußische Staat und sein Verhältnis zur Philosophie, Schiller
und Kant und Hamann und Kant — alle diese Themen und
andre mehr hat er in fesselnden Tischreden behandelt, und am
wirkungsvollsten vielleicht erhob er seine Stimme, als er
Schopenhauers aufsteigendem Stern von doch so unheimlichem
Glänze die sonnige Klarheit Kants gegenüberstellte und eine
Würdigung und Abfertigung des Frankfurter Misosophen ver-
suchte. Auch als Rosenkranz ins Kultusministerium nach Berlin
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410 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
berufen worden war, fühlte er sich als ein Glied unserer Ge-
meinschaft, und in einem gehaltvollen Schreiben zum 22. be-
kennt er, welchen Kultus nach allen Richtungen hin er dem
großen Kant gewidmet, wie die Weihe des Verlangens, sein
würdig zu leben, ihn auf das innigste durchdringe und wie er
diesem Anhalt in vielen schweren Arbeiten und Prüfungen stets
neue Kraft und frische Ermutigung verdankte.
Kant wirkt auf mich, sagt er, wie ein Lieblingsheiliger
auf einen Katholiken. „Wie kann ich auch anders! Mein erster
Blick, wenn ich früh die Augen öffne, fällt in meiner Stube auf
sein Bild. Betrete ich den Hof des Albertinums, so blickt die
Stoa Kantiana mich an und aus ihrem dunkeln Hintergrunde
der niedere Grabstein des hohen Weisen. Gehe ich durch das
Aud. maximum auf mein Katheder, so begrüßt mich seine
Büste. Komm ich in das Innere der Stadt, so begegne ich
seinem Hause, und an der Haustüre vorüberschreitend denk'
ich jedesmal, hier, hier, wo du jetzt lebendig und erinnerungs-
voll wandelst, hier haben sie einst seinen Sarg hinausgetragen.
Spazier7 ich endlich abends auf dem Philosophendamm, so
macht ihn das Andenken an ihn fast zu meinem Doppelgänger,
mit dem ich in einsamer Beschaulichkeit Dialoge aller Art
führe. — Es ist von unendlichem Wert, wenn eine Stadt, eine
Provinz sich zu einem so klassischen Ausdruck ihrer Sinnes-
weise als Ostpreußen und Königsberg in Kant erhoben haben.
Alle Welt orientiert sich dann an solchem Normalmenschen.
Wie Moses in der Wüste die eherne Schlange aufrichtete, deren
Anschauen die Kranken genesen machte, so können die Preußen
nicht genug zu Kant aufschauen, den Torheiten und Lastern
der Tagespolitik sich zu entreißen . . . ."
So Rosenkranz im Jahre 1849: an ihn gaben die beiden
Simson, dieDohna, Härtung, Hensche und andre ihren Redestab
weiter, an ihn auch Franz Neumann und der Mathematiker
Jacobi, der doch nach einem Ausspruche Schellings selber als
Redner die größten Muster der Alten erreicht hat1). Und in
1) Siehe Königsberger in seiner Bede auf Jacobi 1904. Leipzig. 8. 36.
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Von Prof. Alfred Döhring. 411
der Tat hat Jacobi auch in unserem Kreise als Sprecher des
Schulrats Dieckmann eine bedeutende Rede über den Staats-
begriff gehalten. Aber derselbe Jacoby wieder war es, der
mehrfach an Kants Geburtstage den Dank seiner Tischgenossen-
schaft an Rosenkranz abstattete, indem er ihn, den rzccQayeved'foog
und Geburtstagsnachbar des großen Weisen, in heiteren Toasten
feierte.
Mittelbar auf Rosenkranz geht auch die Kantreliquie
zurück, die Haarlocke Kants, die sich im Besitze unserer Gesell-
schaft befindet. Der frühere Eigentümer derselben, Pfarrer Thiel
aus Saalfeld, hatte diesen Schatz, „den er als ein Heiligtum be-
wahrt", „den hochverehrten Männern, welche die geschriebenen
Werke des Herrlichen" neu herausgegeben, zur Aufbewahrung
an stiller, sicherer, geweihter Stätte überreicht. Und aus dem
Nachlasse Rosenkranz' ist die Reliquie dann von dessen Enkel,
dem Oberlehrer Jacobson, durch Geheimrat Walter uns zuge-
wiesen worden. So sei denn dieser anulus comarum für alle
Zeit das Pfand und der Beglaubigungsring unsrer Gesell-
schaft!
Neben den wissenschaftlichen Koryphäen der Albertina
zogen die Bohnenkönige auch die dichterischen Talente der-
selben zur Verherrlichung der Kantfeste heran. Schon Professor
Hüllmann hatte in den Jahren 1810 — 17 bei einem der Kant-
essen, die damals im Deutschen Hause stattfanden, gesungen:
Der tapfere Deutsche Orden ist vernichtet,
Zum Schutz des heil'gen Grabes einst errichtet,
Gebt, edle Männer, euch die Hand,
Ein Ordensbund zu sein für unsern Kant;
Des Weisen heil'ges Grab zu schützen schwört,
Daß keine Hand des Krieges es zerstört;
Dies deutsche Haus sei nun Kapitelhaus,
Da feiern jährlich wir den Ordensschmaus 1
Und Caesar v. Lengerke malt in einem Gedicht eine Szene
aus Kants Tischgenossenschaft, wo es heißt:
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412 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Stets war auf der Gelehrten Feld
Viel Haderkraut zu gäten!
Ihr wißt's: auch Kant beschrieb der Welt
Den Streit der Fakultäten
Da sitzt, ein Socrates, beim Mahl
Der große Denker eben,
Zur Seite Jachmann, sein Fiskal,
Wasianski auch daneben.
Man kostet just zum Tafelschluß
Ein Faß vom besten Jahre,
Gezollt von Nicolovius
Gratis zum Honorare.
Woher die Glut, die plötzlich sprüht,
Der Zunge Band befreite?
Das weiß ich nicht — allein man sieht
Die Gäste wild im Streite.
Mit scharfer Zunge jeder ficht
Polemisch ungemessen,
Genug, man spart die Pfeile nicht
Und hätt' sich bald vergessen.
Da lächelt ernst der große Kant,
„O macht dem Streit ein Ende!
Erprobt den Wein, vom Freund gesandt,
Und reicht euch warm die Hände !*•
„Der Geist der wahren Wissenschaft
Erwählt nicht solche Klingen!
Besonnen weiß des Forschers Kraft
Den Gegner zu bezwingen. 4i
„Wenn ihr als redlich ihn erkannt,
Sollt ihr den Gegner ehren,
Den Samen aus der Wahrheit Hand
Zu ungereiften Lehren !•' ....
eine Ermahnung zur Duldsamkeit, (1844/45) die allen — ismen
und — anern gegenüber auch heute noch gelten mag!
Endlich im Jahre 1849, als Lehrs' wie vor ihm (1831 und 34)
Schweickart von der Philosophie und Kant gegenüber der Re-
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Von Prof. Alfred Döhring. 413
volution sprach, da stimmte der so milde Aug. Hagen folgenden
launigen und freimütigen Sang an:
Der Philosoph docieret,
Sein Kleid verrät Geschmack;
Sein Stutz ist fein frisieret;
Um ihn in schäb'gem Frack
Die Weltweisheit-Beflißnen :
Er stockt, wirr ist sein Kopf;
Er sucht den abgerißnen
Und sieht den neuen Knopf.
Als nach des Märzes Iden
Der Freiheit Ruf erscholl,
Die finstern Mächte schieden
Und unser Busen schwoll,
Da, was am Atmen hemmte,
Da sprang der Knopf hinfort
Nichts störte, nichts beklemmte
Das Denken und das Wort.
Auch Dich, eh noch die Stoa
Dein Rede-Feu'r erstickt,
Es hat auch Dich die Boa
Des Kirchenzwangs umstrickt;
Den hellen Geist beschränken
Wollte die Klerisei,
Ministeriell zu denken,
Das stand dem Weisen frei ....
Und dann weiter:
Der Philosoph daheime
Am Fenster sinnet tief,
Wie ein Begriff sich reime
Zum folgenden Begriff:
Zum Kirchturm, der die Häuser
Beherrschet, blickt er nur,
Ein Weiser blickt zum Weiser
Regelnd die Geistesuhr.
Wo ists, wo die Gedanken
Jetzt auf die Kirche sehn?
In Frankfurt ists. Zu wanken
Ziemt nicht, was auch geschehn
Altpr. Monatotchrift Bd. XL11. Hft. 5 u 6. 27
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414 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Die Kraft der Allgemeinheit
Taucht aus dem Zeitenlauf,
Der Traum von Deutschlands Einheit
Schlägt klar die Augen auf.
Mag sich die Wahrheit trüben,
Geburt ringt mit dem Schmerz,
Ins Herz ist es geschrieben,
Ist nun des Herzens Herz.
Was ehemals scheu und leidig
Sich in dem Innern barg,
Steigt als die Seele freudig
Aus der Verwesung Sarg
Und zum Schluß ernennt der Dichter Kant gar zum
Deutschen Kaiser: Kaiserreich und Bohnenkönigtum, Kleider-
knopf und Gedankenfreiheit, Zifferblatt und Weltweisheit, den
Löbenichtschen Kirchturm und die Einigung Deutschlands, so
disparate Elemente weiß sein kühner Witz zu einem krausen
Gewebe zu verbinden, so kraus wie jene denkwürdige Zeit.
Mit jugendlicher Poesie — so heißt es in dem gleichzeitigen
Vortrage Lehrs' — saßen wir unter den Trikoloren und sangen . . .
zuversichtliche und kühne Lieder und durchstachen mit den
stumpfen Hiebern unsere Hüte. Doch diese Periode des Bausches
und der Zuversicht, sie legte sich bald. Die Kalamitäten der
Wirklichkeit kamen über uns ... so massenhaft, so grotesk,
daß ich den hätte sehen mögen, dem der Humor nicht, ver-
gangen wäre. Da, meine Herren, bleibt denn nichts übrig als
die Philosophie. Urplötzlich und ohne Übergänge waren wir
in der Demokratie. Und die Demokratie, sie gibt zuerst allen
Klassen der Gesellschaft ihre Torheiten frei! Kann man das
ertragen ohne Philosophie? Da will nun ein jeder etwas
sein, aber was viel schlimmer ist, es will ein jeder etwas reden !
Ertrage das, wer es vermag, ohne Philosophie! Und nun
gerade in diesen Zeiten, wo wir alle auf die Philosophie gestellt
waren, wurde uns unser Philosoph, wurde uns Rosenkranz ent-
führt! Konnte man das ertragen ohne Philosophie!
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Von Prof. Alfred Döhring. 415
So führt auch diese vierfache Epiphora und Anrufung der
Philosophie auf Rosenkranz zurück, den wir mit Recht den
unsrigen nennen können und der auch nach seiner Bückkehr
aus Berlin auch unter den veränderten Verhältnissen der
späteren Jahre der Gesellschaft treu geblieben ist.
In den sechziger Jahren nämlich — es sind just die Jahre,
in denen überall der Ruf „Zurück zu Kant!" erscholl, wird es
zur Regel, daß der Bohnen könig selber die Festrede hält, es
gilt nunmehr für eine Ehrenpflicht nicht bloß Regent zu sein,
sondern auch zu regieren, und die modernen rois de feve sind
ihre eigenen Kanzler und Sprechminister.
Damit hängt es dann zusammen, daß auch der Kreis der
Themata für die festlichen Ansprachen sich erweitert; ein
jeder griff in das Forschungsgebiet hinein, das ihm nahe und
am Herzen lag, und spann von da aus Fäden hin zu der all-
umfassenden Philosophie und zum Ruhme Kants. Seine Stellung
zu einzelnen Fachwissenschaften, als Mathematik und Sozial-
wissenschaft wurde beleuchtet; der Jurist behandelte Kants Ein-
fluß auf das bürgerliche Recht, der Bürgermeister Kants Bürger-
tugend; ein Arzt schilderte seine Umgangstugenden, ein anderer
Arzt die Ansichten Kants über das weibliche Geschlecht, und
selbst der Kinder gedachte ein Menschenfreund. Der Statistiker
stellte das äußere Milieu des Philosophen fest, Politiker ent-
wickelten den Begriff der Freiheit oder christlich-soziale Pro-
bleme, und bezeichnend ist es, daß die Ideen Kants, die bei
der vorjährigen Säkularfeier namentlich in Frankreich in den
Vordergrund gerückt wurden, nämlich die vom ewigen Frieden
auch in unserer Vereinigung mehr als einmal erörtert worden
sind. Gleich nach dem Kriege 1870/71 stieß Julius Möller in
dies Friedenshorn, das vor ihm auch Erhard Hagen und Prediger
Voigdt und nach ihm Franz Rühl (1892) ergriffen. Und anderer-
seits: Kant und Basedow und Lessing und Kant, Kants Stil
und Sprache, sein Humor und seine Definition vom Genie wurden
behandelt, der Chemiker griff auf Kants Doktordissertation zu-
rück, die gerade vor jetzt 150 Jahren erschien, der Dichter
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416 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
machte sich au die Verse über Kant, und der Pädagog rief ihn
als Eideshelfer für die humanistische Bildung auf. Seine An-
hänger und Jünger wurden heraufbeschworen, aber auch an
einer Ehrenrettung seines Feindes hat es nicht gefehlt. Kurz,
die mannigfaltigsten Anregungen wurden gegeben, die ver-
schiedensten Wissensgebiete gestreift, und wenn die Kantgesell-
schaft einem EmilArnoldt und anderen wirklichen Philosophen
hohen Dank schuldet, daß sie den echten Schild Kantischer
Philosophie über ihr gehalten haben, so ist es ein Verdienst
der nicht, philosophischen Bohnenkönige, die unermeßliche Viel-
seitigkeit Kants und seinen weitestreichenden Einfluß rühmlich
bekundet zu haben.
Was aber noch mehr wert ist, aus allen diesen Beden,
so mannigfaltig und wenig philosophisch ihre Themen auch
gewesen sein mögen , spricht jene ehrliche Verehrung des
Menschen Kant, die Erb und Teil unserer Stadt und unserer
Vereinigung ist. Nicht sowohl dem Erkenntniskritiker und
„Allzermalmer" als dem Wecker sittlicher Kraft galten die
Huldigungen, nicht der reinen Anschauung und reinen Vernunft,
wie er sie lehrte, gingen wir nach, sondern an seinem reinen
Lebenswandel, an der wie immer idealisierten Gestalt des edlen
Menschen erbauten wir uns. Auch sein Leben war seiner Lehre
gleich gewesen, und ebenso wie seine Lehre wirkte sein Leben
unter uns fort.
„Kant wird als vorzüglicher Denker der Welt unvergeßlich
bleiben — möge Er von uns, die wir ihn handeln sahen, nie
vergessen werden!"
Mit diesem Wunsche wurde die Kantgesellschaft eröfluet,
und er ist auch durch sie erfüllt worden: auch als keiner der
Tischgenossen Kants mehr lebte und mit dem Oberpräsidenten
von Schön der letzte Schüler Kants uns entrissen war, haben
die Bohnenkönige Kants „Handeln" nicht vergessen. —
Soweit die Bohnenkönige und Festredner, deren Verzeichnis
wir uns zum heutigen Tage Ihnen zu überreichen erlaubten ;
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Von Prof. Alfred Döhring. 417
doch wenn wir die eigenartige Verfassung unserer Vereinigung
kennen lernen wollen, müssen wir neben den Begierenden auch
der Regierten, der Vereinsangehörigen gedenken. Von 23 Freunden
Kants begründet, zählte die Gemeinschaft auch im Jahre 1810
24 Mitglieder. Es waren größtenteils bekannte Männer, unter
denen neben den bereits erwähnten (Jachmann, Wasianski,
Nicolovius) noch Scheffner und Kraus genannt sein mögen,
sowie der Vater Karls und Aug. Hagen, Medizinalrat Gottfried
Hagen, der es aus Verehrung für Kant nicht zuließ, daß
seine Büste neben der des großen Weisen aufgestellt wurde,
ferner Hamann, Jacobi, Gaedeke und Chr. Fr. Reusch, der uns
alle die Veteranen der Kantverehrung in seiner und ihrer
Schlichtheit beschrieben hat1). Scheffner (1813) beantragte diö
Zahl der Teilnehmer auf 20 zu beschränken und nur an die
Stelle eines „abgegangenen" Mitgliedes eine Neuwahl durch
Pluralität zu treffen. Dagegen bestimmte ein Beschluß vom
Jahre 1828, daß die Normalzahl 30 sein solle und daß für eine
etwa notwendige Ersatzwahl zwar jedem Mitgliede das Vor-
schlagsrecht zustehn, die Wahl selbst aber durch ein Triumvirat
vollzogen werden solle, bestehend aus dem Festordner und
seinen beiden Ministern, d. h. seinen Beisitzern in der eigent-
lichsten Bedeutung. Naturgemäß griff man bei der Ergänzung
hauptsächlich auf Schüler Kants zurück, und der alte Stadtrat
Förster legte 1835 für den Verein ein eignes Verzeichnis der-
selben an, und da begegnen wir denn einem Tribunalsrat
Reidenitz, Geheimrat Göbel, Schuldirektor Möller sen., Dom-
prediger Zippel, Köhn v. Jaski und anderen Mitgliedern
früherer Jahre.
1) „Kant und seine Tischgenossen" Königsberg, Tag und Koch. Daselbst
sind auch auf 8. 14 die ersten Mitglieder der Gesellschaft aufgezählt, darunter
jedoch auch zwei, die in den Akten derselben erst 1810 genannt werden: nämlich
der Regierungsdirektor Frey, der Verfasser der Städteordnung, und Dr. med.
Eisner. Zu den Gründern der Gesellschaft gehörte auch Regierungsrat Schreiber,
der für die Studierenden der Albertina einen Kantpreis stiftete: daher die Sitte
der dreißiger Jahre, den jeweiligen Preisträger zu dem Bohnenmahle hinzuziehn.
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418 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Jener Beschluß des Jahres 1828, von unserm ältesten
Historiographen *) Kommerzien- und Admiralitätsrat Becker „Das
organische Gesetz" der Gesellschaft genannt, „das für immer ge-
geben sei", blieb doch nur zehn Jahre lang ohne „Deklaration".
„Am 22. April 1838 war die Zahl der Teilnehmer an der Tages-
feier ungewöhnlich klein, was zum Teil wohl darin seinen Grund
gehabt haben mag, daß es ein Osterfeiertag war — und es wurde
zugleich gefunden, daß einige Gesellschaftsmitglieder schon
mehrere Male die Teilnahme abgelehnt." Daher beschloß man,
daß für jeden, der dreimal hintereinander gefehlt, ein dauernder
Stellvertreter zu wählen sei mit allen Rechten eines Mitgliedes,
doch in der Art, daß auch dem früheren Mitgliede gleichwohl
jedesmal die Einladung vorzulegen sei. Diese Bestimmung ist
im wesentlichen noch heute in Geltung, nur daß im Jahre 1875
nach einem Antrage Wiehert die dreijährige Frist bis zur Wahl
eines Stellvertreters auf fünf Jahre erweitert wurde: just jene
Schweigefrist, die für die Mitglieder der Pythagorasgesellschaft
bestimmt war.
Gegenwärtig besteht unsre Tischgenossenschaf t aus 77 Mit-
gliedern, die sich um ihre Alterspräsidenten Reicke und Dr. Hay
scharen, und sie setzt sich entsprechend alter Tradition aus allen
Berufskreisen zusammen.
So wie Kant selber aus den verschiedensten Ständen sich
seine Tischgenossen wählte, so hat auch seine Jüngerschaft sich
stets geflissentlich aus allen gebildeten Kreisen ergänzt, und
neben Exzellenzen und Präsidenten finden wir Gutsbesitzer und
„Negotianten", wie es in den Akten immer heißt, neben den
Professoren der Universität die Männer der Praxis aus allen
Zweigen des öffentlichen Lebens, kurz einen echt Kantischen
„Wettstreit der Fakultäten": philosophia enim omnibus lucet
nee reicit quemquam nee eligit. (Sen.)
Noch in andrer Beziehung hat unsre Gesellschaft die
1) Die späteren sind dann Geheimrat Professor Schubert (Neue Pr. Prov.
Blätter 1846. 8. 454 ff.) und Dr. med. A. Hensche (Preuß. Jahrb. 1867. S. 238 ff.)
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Vod Prof. Alfred Döhring. 419
Tradition gewahrt, indem sie die Nachkommen der wirklichen
Tischgenossen und Freunde Kants immerdar in ihrer Mitte zu
erhalten suchte. Zwar der Vorschlag, den einst Professor
Pörschke, einer der Mitbegründer der Gesellschaft, machte, daß
nach der Art, wie man das Andenken eines griechischen Philo-
sophen Jahrhunderte hindurch erhalten hatte, auch die Söhne
und ferneren Abkömmlinge der Freunde Kants geborene Mit-
glieder der Gesellschaft sein sollten, ich sage, dieser Vorschlag
ward zwar nicht angenommen, aber daß Namen wie Ruffmann
und Krause in unserer Vereinigung nicht ausstarben, dafür hat
Pietät und Verdienst gesorgt.
Und wiederum jenem Wettstreit der Fakultäten und
altem Gelehrtengebrauch entspricht es, wenn keiner die Ge-
bieterwtirde zweimal bekleiden soll; und wenn doch die
Bohne dies füget, tritt der rechte Nachbar des Erkorenen in
seine Rechte. Nur Dr. Jachmann und Bessel, v. Schön und
v. Wegnern sind zweimal Könige gewesen, und Kriegsrat
Müller1) und Tribunalsrat Ehm, sowie Dr. Richard Arnoldt haben
ihre Krone zwei Jahre hintereinander getragen; der letztere
sogar in absentia. Und es war ein kritischer Tag unsrer Ge-
sellschaft, als der Minister Arnoidts darum fürs Jahr 1883 die
Geburtstagsfeier ausfallen ließ, da „der Zweck des festlichen
Zusammenseins nicht in Essen und Trinken bestehe, sondern
der Schwerpunkt in die wissenschaftliche Rede gelegt werden
müsse": eine gewiß sehr löbliche Wissenschaftlichkeit, die uns
aber leider um die bis dahin streng gewahrte Kontinuität der
Gesellschaft gebracht hat.
Weder als Redner noch als König oder Minister ist Helm-
holtz hervorgetreten, der unsrer Gesellschaft von 1851 bis 1855
angehört hat. Und doch haben wir Grund, grade auf ihn stolz
zu sein; denn er war es, der die Kantischen Lehren von den
aprioristischen Formen der Erfahrung mit den Resultaten der
1) Nach einem Gedichte Hüllmanns zu schließen (siehe Neue Preuß.
Prov.-Blätter 1846. S. 465) das eine Mal nur als Vertreter, da „Selbst" d^s
..Bundes Schuld" nicht zahlen konnte.
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420 Rückblick auf die erbten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Physiologie in Beziehung setzte und in einer Zeit, da die Ver-
bindung zwischen Philosophie und exakter Wissenschaft unter-
brochen war, unter Berufung auf Kant dieselbe wieder an-
geknüpft hat.
Also zusammengesetzt und also organisiert hat unsere Ge-
sellschaft im stillen gewirkt und alljährlich nur Eines, aber
ein Gutes geleistet, wenn sie den Manen ihres Heros opferte,
und als ihre Taten müssen zunächst die Beden gelten. Nur
selten ist sie aus der weihevollen Stille ihrer Wirksamkeit
herausgetreten zu lauterem, weiterhinschallendem Festesjubel, wie
ihn der hundertjährige Geburtstag Kants brachte. Damals
war es die Kantgesellschaft, die sich der Verpflichtung bewußt
war, nach außen hin Zeugnis abzulegen für die Un Vergeßlichkeit
Kants; alle ehemaligen Schüler desselben in Nähe und Ferne
wurden zu der Säkularfeier eingeladen, und 22 derselben [größten-
teils aus Königsberg und der Provinz] meldeten sich bereit-
willigst dazu an. Unter der Leitung des Bohnenkönigs Ehm
und tatkräftiger Mitwirkung des Oberbürgermeister Hörn wurde
eine Festaufführung vorbereitet; Prof. Dr. Bhesa, der schon
vorher mit einer Elegie auf Kants Tod hervorgetreten war,
dichtete eine Kantatine, die durch den Musikdirektor Riel kom-
poniert und in einem Kreise angesehener Musikliebhaber ein-
geübt wurde. Auch der treue Wasianski zäumte den Pegasus,
unter dessen Hufschlag klar und lauter wie Böotiens Bergquell
flüssige und geschmeidige Distichen hervorsprudeln sollten;
Herbart übernahm die Festrede, und der Bohnenkönig selber
zog die Aufzeichnungen der Eltern Kants, ihr Hausbuch, wieder
ans Licht; interessante Autographen Kants wurden durch Kon-
sistorialrat Wald gesammelt und am Vorabende des Festes der
Gesellschaft überreicht; für das Lied, das Kant als den Gipfel
musikalischer Komposition bezeichnet hatte, das alte „Bekränzt
mit Laub den lieben, vollen Becher" wurde ebenfalls durch Rhesa
ein neuer Text gedichtet; kurz, es wurden mit rührigem und
rührendem Eifer Vorbereitungen getroffen, um dem Feste einen
besonderen Wert zu geben. Und als dann am 22. die Feier im
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Von Prof. Alfred Döhring. 421
Deutschen Hause vor sich ging und sich die etwa 80 Teilnehmer
um die Büste Kants scharten, da war es mehr noch als die ein-
zelnen Festveranstaltungen der harmonische Geist und gläubige
Ernst der Feiernden, was dem Tage Weihe und Kraft verlieh.
Mit derselben Bewegung, mit der der Bohnenkönig ausrief:
„Ja guter Kant! Gott, Glauben, Tugend und Unsterblichkeit
sind die großen und erhabenen Worte, die der Schöpfer in
unsere Seelen schrieb und die auch du uns lehrtest!" mit der-
selben Rührung sang der Chor seinen Klagesang:
„Unsern Führer, unsern Meister
Sucht mit Tranen unser Blick,
Ach ihn rief ins Land der Geister
Liebend Gott, sein Gott zurück.1'
Und mit derselben Freudigkeit und Anteilnahme wurden
Wasianskis Verse vernommen:
Ante decem decies annos lux desuper orta
Incepit priraura spargere mite iubar:
Flammeus ut Titan tenebrosa nocte repulsa
Splendet in eois hespereisque plagis,
Sic Jumen mundi nocturna crepuscula pellit,
Effugiunt tenebrae, splendet et orta dies.
Natus erat nobis, toti fuit utilis orbi,
Hie reeubant cineres, nomen ubique viget.
Damals erklangen die Worte Herbarts, die solchen Beifall
fanden1):
„Jahrhunderte verfließen; sie nehmen die großen Männer,
die sie brachten, mit sich hinweg. Ihre Spuren selbst ver-
schwinden, wenn nicht festgehalten durch fromme Sorgfalt der
Erinnerung .... Man traue nicht den Büchern allein! Sie
waren sonst bessere Hüter eines großen Ruhmes als jetzt; in
unserer Zeit tötet ein Buch das andere, und alle sind nur Wellen
einer großen Flut, worin jährlich manches Köstliche versinkt.
Man traue nicht den Lehren allein! zumal den philo-
sophischen Lehren. Denn was ist Philosophie? Auf diese alte
1) Siehe Herbarts Werke, herausgegeben von Hartenstein XII. S. 153 ff.
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422 Ruckblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
und berühmte Frage möchte ich leicht voll Unmuts über lang-
jährige Erfahrung mit zwei "Worten also antworten: Philosophie
ist der Spielball der Mißverständnisse.
Auch unser Kant ist oftmals mißverstanden worden. Unser
Kant! Zwar nicht in dieser Stadt leuchtete mir zuerst das
Licht der Sonne; aber das Licht der Kantischen Lehre hat mir
geleuchtet und geholfen, seitdem ich dafür empfänglich war.
Und wie die Pflanze sich hinzieht zum Lichte: so sehnte sich
mein Jünglingsalter nach Königsberg, ohne die geringste
Ahnung, daß dereinst mein Fuß diesen Boden betreten würde.
Gesehen habe ich nicht den "Weisen, aber gleich nach meiner
Ankunft wurde ich geführt in diesen Kreis; denn es traf sich,
daß eben sein Jahresfest gefeiert wurde. Seitdem sah ich diese
Versammlung vielfältig abnehmen und wieder wachsen; ich er-
kannte mehr und mehr den starken Lebenskeim, den sie in sich
trägt; ich sehe, wie das teure Bild, das ihr vorschwebt, mehr
und mehr einer überirdischen Klarheit sich nähert und von der
Vergänglichkeit eine Spur nach der andern abzulegen scheint.
So schwebte wohl in alter Zeit, in der Sprache des Altertums,
ein Mensch zu den Göttern empor," fürwahr eine schöne SchluU-
apotheose unseres Meisters.
Damit aber auch der schönste Ausdruck der Freude, die
Mildtätigkeit, nicht fehlte, wurde aus dem Rest der Festbeiträge
eine Gabe an den unglücklichen Kandidaten Fischer1) verliehen,
der in einem Bittgesuche aus der Teilnahme an Kants Begräb-
nis seine "Würdigkeit zu einem Kantalmosen hergeleitet hatte.
Ein andrer Bittsteller, Carl Ferdinand Graff, konnte sich
sogar auf ein Gespräch mit Kant selber beziehen.
Er schreibt: „Als ich des Morgens wie gewöhnlich auf
dem philosophischen Gang lustwandelte und Kants reine Ver-
nunft las, überraschte er mich einmal und sprach: „Mein holder
1) Vermutlich derselbe, der in diesen Blättern unter den „Ungewöhnlichen
Charakteren" beschrieben ist. (1854. II. 8. 229.) — Daselbst auch Näheres über
den oben erwähnten Riel. S. 241.
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Von Prof. Alfred Döhriug. 423
schwarzgelockter Knabe, was liesest Du da?" Ich lese Kants
Kritik der reinen Vernunft. „So früh schon?" Ja, ich will früh
vernünftig werden. „Hast Du denn den Kant schon einmal
gesehn?a Der kleine Mann mit dem großen Geist stand vor
mir! „Ich warne Dich, mein Söhnchen, die Früchte, die zu
früh reifen, verwelken auch zu früh." Er hat wahr gesprochen.
Der Knabe ist im 48. Jahre schon zum Greis geworden und
muß ohne Hilfe auf Kants philosophischem Gange wandeln und
den Tod des Verhungerns und Erfrierens wählen."
Solche bitteren Klagen mochten öfters an die Kantfreunde
herantreten; jedenfalls wurde nach der Jubelfeier aus dem Rest
der Beiträge auch noch ein kleiner Fonds begründet, der dann
später (1829) auf Antrag Burdach zur jährlichen Unterstützung
eines Schwestersohnes Kants, des Schuhmachermeisters Kröhnert,
verwendet wurde. Und als derselbe 1832 gestorben war, erhielt
seine Tochter Frau Louise (Charlotte) Steil ebenfalls eine Gabe.
Nicht um uns zu rühmen, sei dies erwähnt, und der Geist
Kants, der die Lüge so haßte, bewahre uns vor der Schwester
der Lüge, der Ruhmredigkeit; aber doch freuen wollen wir uns
dessen, was früher in schlichter Pietät geübt ward, freuen auch
des ehrenden Zeugnisses, das Herbart der Kantgesellschaft in
den angeführten Worten aussprach. Der starke Lebenskeim,
den er ersehn, hat Blüten entfaltet und Früchte gezeitigt,
nicht jene seltenen "Wunderblüten, die nur einen Abend prangen,
sondern bleibende Frucht. Überall wo es galt, bleibende Denk-
male zum Ruhme Kants zu errichten, da hat unser Verein mit-
gewirkt und angeregt, andere begeistert und sich betätigt und
bleibendes geschaffen. Kants Marmorbild in der Abertina, die
Tafel, die mit goldenen Buchstaben das Haus bezeichnete, da
Kant gewohnt und gelehrt1), sein ehernes Standbild und seine
Grabeshalle, sie alle sind Beweise auch unserer Tätigkeit und
Schöpfungen, die wir gefordert und gefördert. Ja Rosenkranz
führt auch seine Gesamtausgabe von Kants Werken, „diesen
1) Jetzt im Museum der Altertuniflgesellschaft Prussia aufbewahrt.
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424 Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
literarischen Geburtstag des Weisen" wie er sich ausdrückt, auf
eine Anregung der Kantgesellschaft zurück. Nur die Erhaltung
des Kantischen Hauses selbst glückte dieser nicht, trotzdem die
Aufforderung dazu mehrfach an sie herangetreten ist1): und so
entbehren wir dieses Denkmals aus der Zeit, da die Philosophen
Hausbesitzer waren und auch Hausbesitzer philosophierten. Und
wenn die Pythagoriker sich rühmen konnten, aus dem Hause
ihres Meisters einen Tempel gemacht zu haben, so müssen wir
uns mit dem Vitruvischen Bekenntnis bescheiden, in pectoribus
dedicatum quoddam habere . . simulacrum. Wir tragen gleich-
sam ein Heiligtum Kants in unsern Herzen.
Und mit diesem Bekenntnis wollen wir in das zweite Jahr-
hundert unserer Genossenschaft eintreten, ohne „Bohnenfurcht"
und Zweifelsucht und mit der Hoffnung, daß auch uns, den
Dishendekadisten eine ebenso lange Dauer beschieden sein möge
wie den epikureischen Eikadisten. Die Zeiten sind nicht un-
günstig. Mag nun die Philosophie besitzlos oder ein ver-
schwiegener Besitz, eine Königin oder Königin im Exil sein,
ein Spielball der Mißverständnisse oder eine Schutzwehr gegen
Mißverständnisse, die untilgbare Sehnsucht des Menschen nach
Einheitlichkeit seiner Erkenntnisse regt sich heute so stark wie
je: und wer könnte sie stillen ohne Philosophie?
Nach einem Urteile aus unsern Akten2) hatte Kant durch
seine Kritik die Tonne auf den Klippen festgelegt, die man
vermeiden soll; den Hafen zu finden, wohin man zu steuern
habe, bleibe der lokalen Kenntnis und der Nüchternheit des
Steuermanns überlassen. Des achteten nicht die Diadochen
Kants, die mit tausend Segeln in den Ozean der Spekulation
hinausfuhren, ohne doch den Hafen zu finden, und sie, die über
1) Schon im Jahre 1835 sprach Stadtrat Förster unter mehreren pia
desideria auch aus, daß Kants Haus angekauft und dem Philosophieprofessor,
der Kants Lehrstuhl inne habe, gegen billige Miete überlassen werde, zugleich
mit der Verpflichtung, das Speisezimmer Kants für die jährlichen Bohnen mahle
herzugeben.
2) Auszug aus einem Briefe Menkens an Nicolai.
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Von Prof. Alfred Döhring. 425
die Bahnen Kants hinauskommen und seine Lehre erweitern
wollten, erweiterten und erhöhten durch ihre Abenteuer nur
seinen Ruhm.
Auch das wilde Kampfgeschrei der Kraft- und Stoffmänner
endete mit dem Rufe: zurück zu Kant; Schopenhauers Pessimis-
mus hat durch Nietzsches kräftige Bejahung des Lebens sein
„Gesicht" verloren. Und so wie Nietzsche wieder, sei es be-
wußt oder unbewußt (siehe Vaihinger, Nietzsche als Philosoph.
Berlin 19058), auf Darwin zurückgreift, so kann die englische
Philosophie eines Spencer ergänzend und verjüngend auf Kant
zurückwirken. Spencer und Kant, Kant und "Wundt, Kant
contra Häckel und Thomas von Aquino und Kant: so und
ähnlich lauten ja die Themen, die heute die Denker beschäftigen.
Auch heute noch erklingt bei den Philosophen der Ruf „Zurück
zu Kant" und bei den Laien der Wunsch „Mit Kant vorwärts'4.
Und wie die Kantische Weisheit wirklich bis zu den eoischen
Gestaden vorgedrungen ist (um mit Wasianski zu reden), beweist
das merkwürdige Geständnis eines gebildeten Japaners, der da
mitten während der kriegerischen Erfolge seines Volkes be-
kennt1):
Wir haben uns dem Abendlande . . . genähert, weil wir
in dem großen Philosophen Kant einen geistigen Führer ge-
funden hatten . . . der nüchterne, strenge, folgerichtige und
klare Geist Kants erschien uns als der Vollender der Weltweis-
heit . . . und in der Erkenntnis, daß seine Denkweise auf ein
Staatswesen übertragen dieses zum stärksten der Welt machen
muß, entschlossen wir uns, unser Vaterland im Sinne Kants
umzubilden.
Innerhalb Deutschlands aber zeigt sich die Ehrung und
Mehrung des Kantischen Geistes vor allem auch in der Gründung
einer anderen Kantgesellschaft (der in Halle), mit der wett-
eifernd wir an den großen Denkproblemen und sittlichen Auf-
1) Siehe „Leipziger Tageblatt" vom 13. Juli 1904, die japanische Zeitung
„Nischi Schimbun" und „Unser Vaterland Japan", herausgegeben von Stead.
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426
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
gaben arbeiten wollen, weiter arbeiten an den Ideen Kants,
„deren dauernder Wert wachsenden Strömen gleich jedes lange
Jahrhundert füllt".
Und so erhebe ich denn mein Glas und weihe es ihm,
dem dauernden Hort unserer Vereinigung, dem geistigen Gast-
geber unserer Tischgenossenschaft, unserem "Wegeführer und
Geleiter auch im neuen Säkulum!
Es wachse die Verehrung Kants!
Anhang.
Verzeichnis der Bohnenkönige
der Gesellschaft der Freunde Kants.
1805-1905.
Bohnenkönige.
1805 Dr. W. Motherby.
1810 Kriegsrat Oberbaudirektor
Müller.
181 1 Kriegsrat Oberbaudirektor
Müller.
1812 Statrat Bück.
1813 Kriegsrat J. G. Scheffner
1814 Robert Motherby.
1815 Prof. Dr. Hagen jun.
1816 Pfarrer Wasianski.
1817 Dr. med. Jachmann.
1818 Professor der Botanik
Dr. Schweigger.
1819 Prof. Dr. med. Elsner jun.
1820 Geh. Rat von Madeweis.
1821 Friedr. Nicolovius.
1822 Geh. Reg.-Rat Reusch.
Festredner.
1. J. G. Scheffner.
2. Herbart.
„Immanuel Kants Gedächtnis
feyer." (Fr. Nicolovius 1811.)
(Prof. Dr. Hüllmann.)
Herbart.
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Von Prof. Alfred Döhring.
427
Bohnenkönige.
1823 Geh. Reg.-Rat Oberbürger-
meister Hörn.
1824 Geh. Justizrat Tribunalsrat
Ehm.
1825 Geh. Justizrat Tribunalsrat
Ehm.
1826 Konsistorialrat Prof. Dr.
Kahler.
1827 Superintendent Dr. Wald.
1828 Dr. med. Jachmann.
1829 Wirkl. Geh. Rat und Ober-
präsident von Schön, Exz.
vertreten durch Dr. Jachmann.
1830 Geh. Reg.-Rat Kelch.
1831 Tribunalsrat Prof. Dr.
Schweickart.
1832 Kanzler von Wegnern, Exz.
1833 von Schön. Exz.
1834 ßessel.
1835 Exz. von '.Wegnern.
1836 Obermarschall Graf Dohna-
Wund lacken, Exz.
1837 Bessel.
Festredner.
Her bar t.
„Das Andenken an große Männer."
Herbart.
1. Dompred. S J. Zippel.
„Kants Philosophie, eine kritische,
populäre, heilige, christliche."
2. Konsistorialrat Prof. Dr. Wald.
(Siehe Reicke, Kantiana Kgsber.
1860.) *
3. Wasianski.
Lat. Ode.
Herbart.
Superint. Wald.
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt
mit immer neuer und* zunehmender
Bewunderung."
Konsistorialrat Kahler,
(dessen Rede durch Dr. Motherby
verlesen wurde).
Schweickart.
„Die Kantische Philosophie und
die belgische Revolution."
Herbart.
Schweickart.
„Die Ursachen der neuesten Re-
volutionen in Europa und der Einfluß
der Kantischen Philosophie."
Bessel.
„Über den Rang der Wissen-
schaften."
Rosenkranz.
„Die Gesamtausgabe der Kanti-
schen Schriften."
W. Motherby.
„Über die Kraft des Gemütes,
durch den bloßen Vorsatz Meister
seiner krankhaften Gefühle zu werden."
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428
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Festredner.
Rosenkranz.
„Schiller und Kant."
Rosenkranz.
„Über das allgemeine Verhältnis
der Kantischen Philosophie zum
18. Jahrhundert."
Rosenkranz.
„Einige Betrachtungen über Kants
Wohnung."
1841 Reg.- und Schulrat Dieckmann. 1. Jacobi.
„Über den Begriff des Staates
nach Kant."
2. Prof. Dr. Schubert.
„Mitteilungen aus Briefen von und
an Kant."
Bohnenkönige.
1838 Prof. Dr. C. G. J. Jacobi.
1839 Stadtrat Härtung.
1840 Rosenkranz.
1842 Prof. Dr. Schubert.
1843 Prof. Dr. Moser.
1844 Kommerzien- und Admiralitäts-
rat Becker.
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Sachs.
».Einige Bemerkungen über die
neue Ausgabe von Kants Werken
und über Kant selbst."
Rosenkranz.
„Kants Aussprüche über Zensur.*4
1. Rosenkranz.
„Kants Darstellung des not-
wendigen Antagonismus zwischen den
drei oberen und der unteren Fakultät"
2. Becker.
„Über die erste Bildung des Ver-
eins und die gesellschaftlichen Be-
stimmungen desselben."
3. Prof. Dr. Caesar von Lengerke,
„Humoristische Tischrede,"
184f) Konsistorialrat und Hofprediger 1- Sachs.
Dr. Sieffert. 2- Geh- Reg--Rat Prof. Dr. Schubert.
„Notizen über die fünfzehnjährige
Privatdozentenschaft Kants."
3. v. Lengerke.
„Ehrung Kante bei der Uni-
versitätsjubelfeier". (Gedicht! »
1846 Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Voigt. ]- Schubert.
„Die Reihenfolge der Vorlesungen
Kants".
2. Pfarrer Dr. Heinel.
„Gedicht über Friedrich II."
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Von Prof. Alfred Döhring.
429
Bohnenkönige.
1847 Prof. Dr. F. Neumann.
1848 Tribunalsrat Dr. Ed. Simson.
1849 Prof. Dr. Lehrs.
1850 Prof. Dr. Hirsch.
1851 Prediger Voigdt.
1852 Dr. Aug. Simson.
1853 Prof. Dr. Sanio.
1854 Stadtrat Meyerowitss.
1855 Superintendent Dr. Gregor.
1856 Konsul B. Lorek.
1857 Kommerzienrat Oaedeke.
1858 Dr. Kosch.
1859 Dr. Joh. Jacoby.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 5 u. 6
Festredner.
3. Geh. Oberreg.-Rat Reusch.
„Aus einem Gedächtniszettel
Kants."
4. Voigt.
„Toast auf Kant und seinen Vater
Joh. Georg Kant."
Rosenkranz.
„Kant in Frankreich."
Rosenkranz.
„Verhältnis des italienischen Philo-
sophen Gioberti zu Kant."
1. Lehrs.
„Die Philosophie und Kant gegen-
über dem Jahre 1848."
2. Prof. Dr. Aug. Hagen.
(Gedicht !)
Rosenkranz.
„Über das Verhältnis des preußi-
schen Staates zur Philosophie."
Auszug aus Kants „Zum ewigen
Frieden."
Rosenkranz.
„Über das für Kant projektierte
Standbild."
Auszug aus dem „Streit der
Fakultäten.4'
Rosenkranz.
„Kant und Schopenhauer."
„Über den Pfarrer Mrongovius
und dessen philosophische Abhand-
lung über Religion und Moral."
Rosenkranz.
„Über die Schwierigkeiten, die
R. und Schubert bei der Herausgabe
Kants erwuchsen. "
Schubert.
„Ideen Kants zur Anthropologie,
schon in den früheren Werken er-
kennbar."
Rosenkranz.
„Kant und Hamann."
„Kant und Lessiug."
28
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430
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
ßohnenkönige.
1860 Prof. Dr. von Wittich.
1861 Dr. R. Reicke.
1862 Direktor Dr. Skrzeczka.
186H Stadtrat Hensche.
1864 Prof. Dr. Erh. Hagen.
1865 Prof. Dr. Gust. Werther.
1866 Dr. Hay.
1867 Dr. A. Hensche.
1868 Prof. Dr. A. Müller.
1869 Prof. Dr. Überweg.
1870 Gutsbesitzer D. Minden.
1871 Prof. Dr. J. Möller.
1872 Prof. Dr. H. Bohn.
1873 Dr. E. Arnoldt.
1874 Oberlehrer C. Witt.
1875 Dr. med. Stobbe, f 8. Januar
Dr. jur. W. v. Brünneck.
1876 v. Brünneck.
1877 Dr. B. Bobrik.
1878 Stadtgerichtsrat Ernst Wiehert.
1879 Prof. Dr. Walter.
Themen der Festreden.
„Über Baco von Verulam. seine
Stellung zu seinem Einfluß auf die
empirischen Naturwissenschaften.44
„Kant und Basedow. Philan-
thropinische Königsberger Skizzen."
„Einiges über das Wesen des
Staates." Mitteilungen aus Kante
Werken.
Rosenkranz.
„Die Lehren der bedeutendsten
Philosophen verglichen mit denen
Kante".
„Bemerkungen über Kants Schrift
zum ewigen Frieden."
„Über Kants Doktor -Dissertation
vom 17. April 1755."
„Über Kants Kosmogonie."
„Kant und die KantgesellschÄft/'
„Die Grundlagen der Kantischen
Philosophie vom naturwissenschaft-
lichen Standpunkte gesehen."
„Der Grundgedanke des Kanti-
schen Kriticismus nach seiner Ent-
stehungszeit und seinem wissenschaft-
lichen Wert."
„Der Humor Kante im Verkehr
und in seinen Schriften.'4
„Unser Fortschritt zum ewigen
Frieden."
„Über Kante Beziehungen zur
Medizin."
„Metaphysik die Schutzwehr der
Religion."
„Über Kante moralischen Rigo-
rismus."
„Kant über die Unrechtmäßigkeit
des Büchernachdrucks."
„Über Kants Theorie vom Eigen-
tumserwerb an Sachen, die ein Nicht-
eigentümer veräußert."
„Immanuel Kants Ansichten über
das weibliche Geschlecht."
„Verse Kante und an Kant/4
„Kante Ansichten über die Freund-
schaft."
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Von Prof. Alfred Döhring.
431
ßohneokönige.
1880 Prof. Dr. Rühl.
1881 Prof. Dr. Schade.
1882 Prof. Dr. Prutz.
1883 Dr. Rieh. Arnoldt,
der vor dem 22. April
als Gymnasialdirektor nach
Prenzlau übergesiedelt war.
1884 Dr. Rieh. Arnoldt.
1K85 Oberlandesgerichtsrat
L. Passarge.
1886 Prof. Dr. Baumgart.
1887 Prof. Dr. Thiele.
1888 Oberlehrer C. Baske.
1889 Oberlehrer Dr. Krause.
1890 Dr. Raht*.
1891 Bürgermeister Hoffmann.
1892 Stadtrat Graf.
1893 Oberlehrer Dr. Schöndörffer.
1894 Dr. med. J. Rupp.
1895 Prof. Dr. E. Berthold.
1896 Bürgermeister Brinckmann.
1897 Rechtsanwalt Lieben thal.
1898 Stadtrat Dr. Simon.
1899 Prof. Dr. Gerlach.
Themen der Festreden.
„Über Kants Idee zu einer all-
gemeinen Geschichte in weltbürger-
licher Absicht."
„Über Kants Sprache, besonders
in seiuer ersten Schrift, die Gedanken
von der wahren Schätzung der leben-
digen Kräfte."
„Kant und der preußische Staat."
(Kante lat. Zitate.)
Oberstabsarzt Dr. Petruschky:
„Über die geistige Arbeit an uns
selbst."
Reicke :
„Aus Kants Briefwechsel".
„Über Kants Kritik der ästheti-
schen Urteilskraft/4
„Entwickelung der Lehre Kants
vom Räume."
„Kant als Pädagoge."
„Kants Lehre von Staat."
„Kants Ansichten über die Ent-
stehung unseres Planetensystems."
„Teilnahme Kants an öffentlichen
A n gelegenhei ten . * '
Prof. Dr. Rühl:
„Kant über den ewigen Frieden."
„Kants Definition vom Genie."
„Immanuel Kants ethisches Ge-
meinwesen und der Plan Jesu nach
der Lehre Julius Rupps."
„Kants Regeln eines geschmack-
vollen Gastmahls und seine Umgangs-
tugenden."
„Kants lieben und Lehre: ein
Bild vollkommenen Gleichmuts und
vollendeten Maßhaltens."
„Kantischer Geist in unserem
neuen bürgerlichen Recht."
„Kant, das Kind, und die Kinder."
„Kants Einfluß auf die Sozial-
wissenschaft in ihrer neuesten Ent-
wickelung."
28*
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432
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft etc.
Bohnenkönige.
1900 Realgymnasialdirektor Wittrien.
1901 Dr. A. Dullo.
1902 Dr. med. Hallervorden.
1903 Dr. med. Stern.
1904 Dr. med. 8. Cohn.
1905 Prof. A. Döhring. (Minister:
Privatdozent Lic. R. Hoff-
mann und Oberlandesge-
richtsrat Ed. Ruffmann.)
Themen der Festreden.
„Kants Stellung zur Mathematik/-
„Kants Umgebung."
„Kants Verhältnis zu seinem
Feinde Prof. Metzger.'4
„Darstellung der Kantischen \j\-
sung des Freiheitsprobleins."
Arnold t.
„Rechtfertigung von Kants Be-
weisen für den ersten Teil der ersten
Antinomie in der Kritik der reinen
Vernunft."
„Rückblick auf dieersten 100 Jahre
der Gesellschaft.4*
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Trescho als „Deutscher Yorick".
Von
Jobs. Sembrltzkl-Memel1).
Als meine Biographie Trescho's (Oberländische Geschichts-
blätter, 1905, Heft VII; 176 Seiten) bereits gedruckt vorlag, er-
hielt ich von Karl Theodor Völcker's Antiquariat zu Frankfurt
a. M. dessen Katalog 244 über „Deutsche Literatur seit 1750"
und fand darin ein Büchlein aufgeführt, das ich mir wegen des
Anklanges im Titel an Trescho's „Näschereyen in die Visiten-
Zimmer am Neujahrs-Tage" (Königsberg, 1762) kommen ließ.
Das Schriftchen, welches, wie Trescho's eben genannte Arbeit,
64 Seiten, nur statt in 8° in klein 8° (so nach der Signatur;
nach der Höhe, 13 cm, könnte das Format auch als 12° be-
stimmt werden) umfaßt, betitelt sich nämlich: „Empfindsame
Eeisen durch die Visiten -Zimmer am Neu- Jahrs-Tage. Von
einem deutschen Yorick angestellet. Zweyte verbesserte und
vermehrte Auflage. Cosmopolis. 1773". Auf der Rückseite des
Titelblatts steht „I. Neu-Jahrs-Qeschenk an die Welt-Bürger".
Seite 3 und 4 enthalten den „Vorbericht. Wenn ein Verleger
von dem geschwinden und starken Abgang einer Schrift einen
Beweis von deren Güte hernehmen kan: so müssen wir be-
kennen, daß sie bey diesem kleinen Werkgen entschieden ist.
Eine ganze Auflage wurde hievon innerhalb vier Wochen ab-
gesetzt, und gleichwohl kamen eben nicht viele Exemplare davon
in die öffentlichen Buchläden. Die Begierde nach dieser Schrift
wuchs zugleich mit dem Mangel derselben, und die Recensionen
1) Eingegangen den 4. Juli 1905. Die Red.
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434 Troscho als „Deutscher Yorick".
waren duichgehends für sie zu günstig, als daß wir uns nicht
hätten entschließen sollen, eine zweyte Auflage hievon zu ver-
anstalten. Diese erscheint anjetzt, und zwar durchgehende ver-
bessert und vermehrt. Das letzte Stück, die Bibliothek eines
Frauenzimmers, ein Fragment, so neu dazu gekommen, macht
seinem Verfasser wahre Ehre, und gibt dieser neuen Auflage
einen großen Vorzug vor der vorhergehenden. Wir machen es
uns übrigens zur Pflicht, diese zur Ausbreitung des Geschmacks,
der Tugend und Religion gemeinnützige Schrift ferner fort-
zusetzen, und nächstens das 4te Stück davon zu liefern. Ham-
burg, den 1 sten December, 1772. Die Verleger." Auf Seite 5 — 8
liefert der „Verfasser", welcher sich „B****." unterzeichnet,
folgende „Einleitung. Empfindsam zu reisen, ist jetzo zur
Mode geworden. Dieser Ausdruck ist neu, und hat sein Daseyn
der Erfindung des Herrn Bibliothekar L es sing zu verdanken.
Seit den drey Jahren seiner Entstehung an hat er sich viele
Liebhaber und einige Nachahmer erworben. Herrn Laurenz
Sterne wurde die Erfindung, durch Frankreich und Italien allein
empfindsam reisen zu können, beneidet [Johann Joach. Chph.
Bode, welcher bekanntlich mit Lessing eine Buchdruckerei und
Buchhandlung begründete, übersetzte „Yoricks empfindsame Reise
durch Frankreich und Italien" aus dem Eng), des Lorenz Sterne;
Hamburg und Bremen 1768; 1769; 1771—75; 1776]. Daher
entstund in Deutschland überall eine Begierde, dem englischen
Erfinder empfindsam nachzureisen. Herr Canonicus Jacobi hat
unter den Deutschen die Ehre, der erste Nachahmer zu seyn.
Seine erste Reise geschähe im Winter und war um so viel
beschwerlicher [Joh. Georg Jacobi, die Winterreise, Düsseldorf
1769]. Desto angenehmer ist im Gegentheil seine zweyte Reise
gewesen, die er im Sommer antrat [Die Sommerreise, Halle 1770].
Der Verfasser der Tagereisen [hierüber blieb die Ermittelung
bisher erfolglos] schien deswegen den Tag zu seinen Reisen zu
wählen, weil er sich von seiner Empfindsamkeit des Nachts
wenig versprach; allein, er verlor plötzlich das Gesicht, und wir
bedauern ihn auf seinen unempfindsamen Reisen. Herr
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Von Johs. Sembritzki. 435
Schummel [Joh. Gottl. Schummel, Empfindsame Reisen durch
Deutschland. Wittenberg 1770 — 72] scheinet auf seinen empfind-
samen Reisen durch Deutschland glücklicher zu seyn; wir ver-
missen jedoch an seiner Empfindsamkeit die Yorksche [Toricksche]
Laune. Ob ich auf meinen Reisen durch die Visiten-Zimmer
empfindsamer gewesen bin, überlasse ich dem Leser zur Be-
urtheilung. Ich mußte mir wenigstens den Schein eines empfind-
sam Reisenden geben; weil jetzt Jedermann empfindsam seyn,
und nichts, als nur Empfindsames, lesen will/1
Hier erklärt sich also der unbekannte B**** geradezu als
Verfasser des Schriftchens; es ist dasselbe aber weiter
nichts, als ein verkürzter wörtlicher Nachdruck der
oben genannten „Näschereyen in die Visiten-Zimmer
am Neujahrstage" von Sebastian Friedrich Tresoho unter
Einschiebung der Worte „empfindsam, Empfindsames" an einzelnen
Stellen, die dem Nachdrucker dazu passend erschienen, ohne es
darum wirklich zu sein.
Trescho's Schriftchen umfaßt zehn einzelne Aufsätze, von
denen hier sieben in anderer Reihenfolge gebracht werden. Zu*
erst kommt Trescho's Nr. 2 „Allgemeines Perspektiv durch alle
Visitenzimmer", von dem der Neujahrsbrief hier abgetrennt als
besonderer Artikel „Neujahrs wünsch a erscheint. Es folgen
Trescho's Nr. 5 „Berechnung eines Weisen mit sich selbst",
dann Trescho's Nr. 9 „Entschlüsse" (gekürzt), Trescho's Nr. 8
„Die Art sein Geld gut unterzubringen" unter dem etwas ab-
geänderten Titel „Die beste Art, sein Geld unterzubringen",
Trescho's Nr. 6 „Ein Wort im Vertrauen an die jungen [hier:
an junge] Dichter", Trescho's Nr. 4 „[Etwas] Aus der Haus-
haltungskunst" (sehr gekürzt), endlich Trescho's Nr. 3 „Etwas
für Alle" unter dem Titel „Etwas Empfindsames für Alle. Hier
ist mehr als Yorick!" Während Trescho darin am Schlüsse
sagt: „Denn wird Etwas für Alle daraus entstehen" etc., wird
hier hinter „Alle" noch eingeschoben: „und zwar etwas recht
Empfindsames". — Die von pg. 55 ab noch folgenden zwei Auf-
sätze „Der Hörsaal" (Anfang: „Akademien sollten nur den Musen
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436 Trescho als „Deutscher Yorick''.
geheiligte Oerter seyn") und „Bibliothek eines Frauenzimmers,
ein Fragment4' (wie es in einer Anmerkung heifit „aus einem
wirklich vorhandenen Briefe entnommen") stehen nicht in
Trescho's Schrift; in der Bibliothek sind u. a. Hirschfeld, dessen
Landleben 1767, und Zollikofers Liedersammlung (Neues Gesang-
buch etc.), die 1766 erschien, aufgeführt, und sie schließt:
„Warum muß doch ihre [der Freundin] Abwesenheit mein Glück
unvollkommen lassen? — ".
So haben denn Trescho's wohlgemeinte und gut geschriebene
„Näschereyen", die er ohne Nennung seines Namens erscheinen
ließ, zehn Jahre später in dem von Königsberg so weit entfernten
Hamburg einen spekulativen Jemand gefunden, der ihren Wert
erkannte und ihren Verfasser sogar über Sterne setzte („Hier
ist mehr als Yorick !"), und daß seine Schätzung richtig gewesen,
zeigte die lebhafte Nachfrage nach dem Büchlein, die eine zweite
Auflage nötig machte; dort also sind Trescho's herzliche Worte,
ihm wohl ganz unbewußt, auf guten Boden gefallen und haben
gewiß auch Frucht getragen. — Der Veranstalter des Nachdrucks
scheint übrigens nach dem Vermerk auf der Rückseite des
Titelblatts auch Trescho's 1761 erschienenes „Neujahrsgeschenk
für meine Mitbürger" gekannt zu haben; hat er es etwa eben-
falls nachgedruckt, so wäre das Versprechen eines „vierten Stücks"
im „Vorbericht" erklärt: das Neujahrsgeschenk wäre das erste,
die erste Auflage der „Empfindsamen Reisen" das zweite, die
zweite Auflage das dritte. — Geziert ist das Schriftchen durch
zwei unschöne Vignetten. Auf dem Titelblatt hat eine sitzende
weibliche Person mit der rechten Hand eine Maske abgenommen
und macht mit der Linken eine einladende Handbewegung zu
einem unfern mit einem Buche sitzenden Knaben, dessen Ge-
sicht aber einen ängstlich-mißtrauischen Ausdruck zeigt; kein
Wunder, da die Figur wie eine Vogelscheuche aussieht (Ver-
fertiger, so weit lesbar, K. Loefler).
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Kritiken und Referate.
8onf, $U00, Dr., Wejd)id)te bei Statt drengfurt. $uv freier be£ öOOjäfrigen
3tabt=3ubitäumS am 4. 3uli 1905 im Stmttage bet Stabt gefdjrieben.
ftaftenburg, Gbuarb 2U){, ®. m. b. §., 1905 (1 5BI. 100 pg.) 8°. Wit
4 ftbbilbungm.
Mit den Städten ist's wie mit den Menschen. Auch unter ihnen gibt's
Glückspilze und Pechvögel, behäbige, selbstbewußte Individuen und bescheidene
Existenzen; jede hat ihre besondere Physiognomie, jede ihren eigentümlichen
Charakter. So mancher unter den Menschen lebt dahin, einfach, anspruchslos;
man kann ihm nichts vorwerfen, treulich erfüllt er alle seine Pflichten und
Obliegenheiten, — aber, ohne Mittel und ohne Fürsprache, von Schicksals-
schlägen verfolgt, hat es ihm nie glücken wollen, sich emporzuarbeiten, sich zu
vervollkommnen. Trotz allen Müheus hat er nie mehr, als zur täglichen Not-
durft erforderlich, zu erwerben vermocht; doch geduldig und zufrieden trägt er
sein Los. Und lernt man ihn näher kennen, — man gewinnt ihn lieb ob seiner
Bescheidenheit, seiner Gemütlichkeit, seiner stillen Tugenden. Ahnlich verhält
es sich mit mancher kleinen Stadt, — auch mit Drengfurt, dessen Geschichte
wir jetzt besitzen und zwar aus der bewährten Feder Dr. Hugo Bonk's,
Gymnasialoberlehrers zu Osterode i. Ostpr., dem die „Altpreußische Monatsschrift"
manchen guten Artikel verdankt. Mangel am Nötigsten, Dürftigkeit, Unter-
stützungsgesuche, Brände, Epidemien, — das ist's, was uns bis ins neunzehnte
Jahrhundert hinein überall im Büchlein entgegenschaut und ein wehmütiges
Gefühl erweckt, — bis ein Blick auf die vier hübschen, der Schrift voran-
geschickten Ansichten uns zeigt, daß das Drengfurt von heute ein freundliches,
sauberes, bescheiden strebendes Örtchen ist, in dem sich's wol traulich hausen mag.
Der Verfasser gibt uns in seiner Arbeit, was er auf Grund des vor-
handenen Materials zu geben vermochte; da die Magistratsarchivalien aus früherer
Zeit, die ein volleres, lückenloseres Bild hätten geben können, fehlen, und die im
Staatsarchiv zu Königsberg vorhandenen Akten doch immer nur über einzelne
Episoden Licht verbreiten, so konnte die Darstellung nicht anders als etwas
sprunghaft ausfallen und kann dem Verfasser daraus kein Vorwurf gemacht
werden. Aber auch so bringt er manches von allgemeinerem Interesse, wie über
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438 Kritiken und Referate.
das Siegel der Stadt, den Zustand derselben gegen Ende des 17. Jahrhunderts,
die Geschichte der Gewerke, aus der Franzosenzeit usw. Sehr bedauerlich ist,
daß die nach pg. 19 auf dem Titelblatt befindliche Siegelabbildung der An-
merkung auf pg. 20 zufolge bat wegbleiben müssen; ein geschickter Lithograph
hatte die Sache gewiß besser gemacht, als eine Stempelfabrik. Bei der Er-
wähnung des 1775—1778 erbauten Rathauses, welches, nebenbei gesagt, eine
auffallende Ähnlichkeit mit dem 1752—1755 errichteten Tilsiter Rathause hat,
wäre eine Aufklärung erwünscht gewesen, aus welchem Grunde an seiner Süd-
seite das kurfürstliche Wappen aus der Zeit Johann Sigismunds angebracht
wurde und woher es stammt (vom früheren Rathause?). Eine mit biographischen
Angaben ausgestattete Reihenfolge der Pfarrer, Rektoren und Bürgermeister,
soweit sie zusammenstellbar, wäre ebenfalls sehr willkommen gewesen; Personal-
und kulturgeschichtliche Notizen bilden einen Teil des Hauptwerts kleiner
Provinzialstädtegeschichten. Diese kleinen Bemerkungen sollen und werden der
fleißigen Arbeit nichts von ihrem Werte nehmen; sie füllt ihren Platz in der
Reihe der im Laufe dieses Jahres erschienenen Städtegeschichten angemessen aus.
Memel, September 1905. Johs. Sembritzki.
Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium in Pommerellen.
Mit zwei Karten und einem Plan. (Oktav, S. 7—138.) Danzig 1905.
Daraus besonders die Kapitel 1—9 (Seite 7—55) als Breslauer Inau-
gural-Dissertation unter dem Titel: „Die Frühzeit des Klosterterri-
toriums in Pelplin".
Die bisherigen zwei Bearbeitungen, Strehlke's, Doberan und Neu-Doberan
(1868) und mein Opactwo Pelplhiskie (VI und 496 Seiten; 1875) erschöpften
den Gegenstand. Neue Quellen sind nicht erschlossen, obwohl 1882 die älteren
Urkunden in Dr. Perlbachs Pommerellischem Urkundenbuch, und 1884 das
1402 erneuert« (nicht angelegte, wie Dr. W. S. 8 schreibt) und bis ins
XVII. Jahrhundert fortgesetze Pelpliner Totenbuch in den Monumenta Poloniao
Historica IV, 64—123 veröffentlicht sind.
Angesichts dessen wäre nicht eine selbständige wissenschaftliche Arbeit,
wie sie von einer Dissertation verlangt wird, sondern eine lesbare Bearbeitung
angezeigt gewesen, welche zugleich die bei mir vorgefundenen Fehler oder Irrtümer
hätte nachweisen und verbessern können. Trotzdem will der Verfasser selbst-
ständig sein. Im Vergleich zu meiner Arbeit hat er sein Thema enger gefaßt:
„Eine Klostermonographie ist tunlichst vermieden. Nur wo eine frühere Be-
arbeitung nicht erschöpfend, resp. unrichtig ist, setzt die Arbeit ein, sucht im
übrigen besonders rechts-, wirtschafts- und kulturhistorischen Fragen zu be-
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium etc. 43<j
gegnen." (7)1) In einem vermeintlichen Gegensatze zu mir verspricht er sodann
„eine klarere Darlegung der Verhältnisse (welcher?) im Klostergebiete, eine
nachdrücklichere Betonung des deutschen Charakters der Abtei, der sich vor-
nehmlich in ihrer Kolonisationstätigkeit und im Kampfe mit dem kujavischen
Klerus (c. 1401 — 1581) kennzeichnet (8)." „Statt eines onomatologischen Exkurses
in die Ortsnamen der Umgegend sind im Text vorkommenden slavischen (soll
heißen : polnischen) Ortsnamen einigermaßen verbürgte Deutungen beigefügt" (8).
Der als Dissertation herausgegebene Teil bietet nach zwei einleitenden
Paragraphen (die Bezeichnung Kapitel ist nur auf dem Titelblatte gebraucht)
im § 3 und 4 einen ., geographischen Überblick" und eine, wie billig, an
Lissauers Prähistorische Denkmäler Westpreußens sich anlehnende Schilderung
der „ Vorzeit'*. Die §§ 5—7 sodann behandeln Pommerellen im 1 3. Jahrhundert
(25— 32), Sambor II (33—44) und die Cisterzienser im mittelalterlichen Koloni-
sationsgebiet (44—47). Den Abschluß bilden §8, Samburia oder Novum Doberan
(47—52) und § 9 Monasterium Pelplinense (52—55).
Der Verfasser wirft mir vor, ich hätte „die Ijandesgeschichtc als Füll-
werk" benutzt (11). Auch bei ihm muß der Leser außer zahlreichen und gewiß
auch notwendigen Notizen aus der heimischen Geschichte (besouders auf S. 101
bis 111) die Geographie und Urgeschichte der Kreise Pr. Stargard, Dirschau
und Marienwerder links der Weichsel auf dem Hintergrunde des ganzen Bern-
steinlandes, sowie eine Vorgeschichte der Cisterzienser in Norddeutschland,
einen besonderen Abschnitt über Pommerellen im 13. Jahrhundert und üb^r
Sambor II hinnehmen, bevor der Gegenstand selbst begonnen wird.
Die zwei zuletzt genannten Abschnitte sind die umfangreichsten und ver-
hältnismäßig selbständigsten.
In dem ersteren behauptet Dr. W., daß „der Ackerbau in der Beschäf-
tigung des Pommern nicht vorherrschend war, denn nur leichte Sandstriche
konnte sein unzulänglicher, hölzerner Hakenpflug stürzen — den ergiebigen,
schweren Schwarzboden nahm erst der deutsche Einzögling mittelst des eisernen
Doppelpfluges in Angriff — ; vielmehr lag jener im wald- und sumpfreichen
Lande der Jagd, Fischerei und Bienenzucht ob. (28.)" Und dabei erzählt der
Verfasser kurz vorher, daß die durch ihren schweren Lehmboden berühmte,
„kleine Landschaft Wanska um 1300 noch 15 Ortschaften hatte, von denen heute
nur sechs erhalten sind (13)!" Wenn ferner Mestwin II an den Großvater und
Vater des Jacob und Johann von Löblau in der Danziger Niederung neun mit
Namen angeführte Dörfer geschenkt hat (P. U. 660, 680) 2), und wenn die Her-
zogin Saloraea von Cujavien 1309 alle ihre Dörfer und Güter zwischen der
1) Mitzählen ohne jeden Zusatz bezeichne ich Seiten der angezeigten Studie.
2) P. U. bedeutet das Pommerellische Urkundenbuch; die Zahl dahinter
gibt die Nummer der Urkunde an.
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440 Kritiken und Referate.
Weichsel, Nogat und dem Frischen Haff verkauft (P. U. 671), so war auch dort
der Boden bestellbar. Dies diene als Hintergrund für die weitere vage Be-
hauptung des Verfassers, daß „das Weichseltal bis ins XIII. Jahrhundert noch
ein sumpfiges Schwemmland war, von Sumpfstrichen umrahmt (13)."
In der Wirklichkeit war auch der polnische Haken ein ganz brauchbares,
keineswegs ausschließlich auf Sandboden verwendbares Gerät. Zufällig kann ich
mich darauf berufen, daß ein in meiner Gemeinde geborener, heute hochbetagter
Rentenempfänger, hier, mitten im Zuckerrübenbezirk des Culmerlandes, noch
bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen mit vier Ochsen be-
spannten Hakenpflug geführt hat. Aus derselben Zeit ist mir gelegentlich der
Gebrauch des Hakens im Kreise Stuhm bezeugt worden, dessen schwerer Boden
bekannt ist. Überdies erschien 1774 in Berlin eine mit zahlreichen Kupfer-
stichen versehene Abhandlung von C. W. C. Schumacher: „Vom Hacken als
einem vorzüglichen Ackerwerkzeuge statt des Pfluges1)."
Nebenbei bemerkt, sind die „Plofun" in M. Toeppens Zinsverfassung von
Preußen ein Lesefehler statt Plosun und Plosen. Dies Wort (von plosa, und
dies von plos, Pflugsohle) bezeichnete zur Ordenszeit den Haken oder die
polnische Hufe, und bedeutet auch jetzt noch in Cujavien vielfach ein kleineres
Feldmaß.
Um jedoch seine Meinung von dem spärlichen Ackerbau des „pomraerschen
Waldbauers" aufrecht zu erhalten, erinnert Dr. W. daran, daß die Johanniter-
urkunde von 1198 (P. U. 9) vom Lachs- und Biberfange spricht (28), erwähnt
aber nicht, daß in derselben Urkunde der Zehnte von dem Feldbau aus den
fürstlichen Gütern um Biala bei Schwetz — cum omni deeimacione arature mee
in omni provincia Iatlunensi — vergabt wird, und daß der Bischof seinen
Zehnten von Biala und Taschau hinzufügt.
„Die spärlichen Felder, heißt es dann bei Dr. W. weiter, kannten keine
Einteilung nach einem einheitlichen Landmaß; es herrschte große Unregel-
mäßigkeit im Anbau, der sich jedoch erweiterte, so daß Papst Eugen ins vom
Zehnten der Getreideausfuhr 1148 sprechen kann (29)**. Den Beweis für die
unglaubliche Behauptung von dem Mangel eines einheitlichen Landmaßes bleibt
Dr. W. schuldig.
Hier einige Gegenbeweise! Die eben erwähnten Plosen könnten als in
der Ordenszeit nachgewiesen, für das XII. und XIII. Jahrhundert, obwohl mit
Unrecht, zweifelhaft erscheinen. Aber Dr. W. betont nachdrücklich, daß es ihm
vergönnt ist, aus dem Pommerellischen Urkundenbuche „nach dreijähriger Arbeit
hier die Summe zu ziehen (135)". Dort lesen wir jedoch gleich in Nr. 1, daß
1) Vergl. Franciszek Bnjak, Studya nad osadnietwem malopolskiem
(Studien über die kleinpolnische Ansiedlung, in den Abhandlungen der histor -
philos. Sektion der Akademie der Wissenschaften zu Krakau. 1905.)
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Kloster territori um etc. 441
der Bischof von Pommern de unoquoque arante duas mensures annone et
quinque denarios bezog. Die eben angezogene Urkunde von 1198 sodann spricht
von den Zehnten des Herzogs und des Bischofs von Wloclawek. Noch deut-
licher heifit es in Nr. 242 vom Jahre 1267, daß ein Pfarrer de quolibet unco
duas mensuras, que pochowe dicuntur slauice, unam siliginis et unam avene,
erhalten soll. Wie wäre es möglich, den Steuerpflichtigen eine gleichmäßige
Leistung aufzulegen, wenn ihre Steuerkraft nicht gleichmäßig geschätzt wäre!
Was soll aber die Wissenschaft dazu sagen, wenn Dr. W. unmittelbar
nach der besprochenen Probe seiner Glaubwürdigkeit sogar Peter von Duisburg,
und diesen ohne nähere Angabe der Fundstellen, mit seinen „analogen (!) Zu-
ständen, wie sie bei den nahen Preußen bestanden (29)", als Quelle für die
„Gliederung des Volkes'1 in Pommerellen heranzieht! Das Gute lag aber hier
(aber auch 93 und 136) so nahe, nämlich ,,das älteste geschriebene polnische
Rechtsdenkmal" 1869 von Edwin Volckmann (und sonst) herausgegeben. Un-
begreiflicherweise ist diese Quelle wie manche andere, was noch wird nach-
gewiesen werden, dem Verfasser unbekannt geblieben. Aber ohne ihre Kenntnis
kann man sich an die Darstellung rechts- und kulturhistorischer Fragen aus
Pommerellen im XIII. Jahrhundert nicht wagen.
Die Behauptung ferner, daß „durch die Besitznahme des Landes vom
deutschen Orden deutsches Recht hier Landesgesetz wurde (32)", ist ebenso'
irrig, als die zweite, daß die Pelpliner Mönche „ihre (deutsche) Stammeseigenart
dadurch betätigt haben", daß sie „Dörfer und Höfe zu deutschem Rechte aus-
gaben (51)".
Die erste ist meines Wissens nach Johannes Voigt in dieser apodiktischen
Form lange nicht wiederholt worden. Wie soll das „deutsche Recht" verstanden
werden? Ist Lehns-, Dorf-, Erb-, Straf- oder Zivilrecht gemeint? Keines trifft
zu. Reichlich hundert Güter und Zinsdörfer lagen noch im XIV. Jahrhundert
zu polnischem Rechte aus, andere sind erst recht spät, gegen 1380 und nach
1400, zu kulmischem Recht vergeben worden. Von der puscina (= Heimfall) ist
in der „Ermahnung des Karthäusers" um 1426 (Script. Rer. Pruss. IV, 449 ff.)
zu lesen, und die adligen Landgerichte, welche in Westpreußen durchweg be-
standen, sind eine Einrichtung des polnischen Rechtes. Endlich ist das eben
erwähnte „älteste geschriebene polnische Rechtsdenkmal" eben für den Gebrauch
und zur Belehrung der Ordensbeamten niedergeschrieben worden. — Die Be-
hauptung von einer allgemeinen Einführung des deutschen Rechtes in Pommerellen
nach 1309 zerfällt also in nichts.
Auch die Pflicht, „alte Burgen zu brechen, newe zu bawen", wie es in
zahllosen Handfesten heißt, war aus dem polnischen Rechte hinübergenommen.
Ein interessantes Beispiel davon, sowie „der alden gewonheit, die sie bis her
(um 1423) gehalden haben, eyn gemeyne schos ... zu besorgen zu den reysse
wagen (KriegB- oder Bagagewagen), die sey pflegen uszurichten . ." findet sich
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442 Kritiken und Referate.
bei Wegner1). Demnach schwanden seit der Begabung mit deutschem Recht
nach 1250 und während der Ordensherrschaft bei weitem nicht „die sehr drücken-
den Dienste an die Landesgewalt (30)**, wie es Dr. W. wohl dünkt.
Aber auch die zweite Behauptung, daß in Pomra ereilen deutsches Lehns-
oder Dorfrecht auch die deutsche Abstammung der Lehnsträger oder Dorf-
einsassen zur Bedingung habe, ist nur noch für eine oberflächliche Polemik ein
unantastbares Axiom. Culmisches Recht wurde ohne Unterschied an Deutsche und
Polen vergeben; zu welchem Volksstamme die Empfänger gehörten, muß in jedem
Einzelfalle festgestellt werden. Diesen Grundsatz habe ich im Jahre 1882 in den
Preußischen Provinzial blättern auszusprechen Gelegenheit gehabt, und durch die
zahlreichen Schriften, welche seitdem erschienen sind, ist er nur bestärkt worden9). —
Speziell das Pelpliner Kloster anlangend sind von den zwölf Einsaßen von Neu-
kirch im Jahre 1413 mindestens acht, vielleicht zehn Deutsche gewesen8), aber
aus anderen Klosterdörfern ermangeln mir ausführlicher Namenangaben. Gar
unbegreiflich ist es, wie der Verfasser für die Betätigung der Stammeseigenart
der Mönche auch das anführt, „daß zur Zeit eifriger Polonisierung das Kloster
an deutsch-protestan tische Bauern und Mennoniten ganze Klosterdörfer ver-
pachtete (52)". Die fraglichen Pachtnehmer saßen zu Erben in Bärwalde bei
Marien bürg4) und in der Mewer Starostei. Nach des Verfassers Ansicht hätten
auch alle dortigen Starosten als die Besiedler und Vorgesetzten der genannten
Pächter Deutsche sein müssen. Aus den angeführten Tatsachen kann man viel-
mehr nur entnehmen, daß für eine gesunde Auffassung Geldgeschäfte international
und interkonfessionell sind. Aber zur Kennzeichnung der damaligen nationalen
Verhältnisse hätte Dr. W. anführen sollen, daß die heute noch im Original er-
haltenen Pachtkontrakte vom Jahre 1594 zwischen dem Kloster und den Besitzern
von Räuden und Liebenau beide polnisch geschrieben sind, während die rings
um den Text eingedrückten Siegel die alten Hausmarken, und die Unterschriften
unter denselben deutsche Namensformen aufweisen. So heißt der Schulze Stenzel
Reke im Text S tan iß laus Rajkowski (aus Raikau), Merten Barran Marcin Baran;
ein Thoinasz Mania (Linkhand) unterschreibt als Thomas Meine. Neben ihnen
zeichnen u. a. Johann Peske (aus Pehsken) ; Hans und Matz Wilm und Raphael
Pantzker6). In beiden starostei liehen Gütern saßen demnach heimische uud zu-
1) Kulturgeschichte des Schwetzer Kreises, Teil II, 303.
2) Zu vergleichen: Häusler, Gesch. des Fürstentums Oels, 69: Deutsche
Städte und Dörfer hießen daher die Städte und Dörfer, die deutsches Recht
erhalten . . ohne Rücksicht, ob sie allein von Deutschen oder von eingeborenen
Polen oder von beiden gemeinschaftlich bewohnt wurden.
3) Opactwo pelplinskie 301, 323.
4) Opactwo pelplinskie 403.
5) Opactwo pelplinskie 387, 402.
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Kloeterterritorium etc. 443
gewanderte Besitzer, Polen und Deutsche, friedlich nebeneinander und über-
nahmen auf geraeinsame Rechnung größere Pachtungen.
Auch die deutschen Ortsnamen um Pelplin, durch welche die „altslavischen"
(soll heißen: polnischen) verdrängt wurden, als eine der naheliegenden, von mir
angeblich übergangenen Betätigungen der Stammeseigenart der Mönche, führt
Dr. W. an (52). Dabei begegnet ihm das Unheil, daß er auch in Marien will eine
solche Betätigung erblickt, obwohl dieses nie zu den Klostergütern gehört hat,
sondern eine Abzweigung von dem nahen früheren königlichen Grazial-, jetzt
Rittergut Klonowken ist und im XVII. Jahrhundert zu Ehren einer Tante des
damaligen Nutznießers benannt worden ist1).
Mit der amtlichen Namengebung sodann hatte es hier in Westpreußen im
XIV. und XV. Jahrhundert seine eigenen Wege. Es ist ja richtig, daß Jezierze,
jetzt Jeseritz bei Pogutken, um ein Beispiel anzuführen, bei den Mönchen nach
dem ersten Schulzen Hannisdorf hieß. Doch ist dieser Name, wie auch die jetzt
allein übliche deutsche Form beweist, nur im Kloster üblich gewesen; in das
Volk ist er nicht gedrungen. Solche Namen haben demnach nur für Urkunden
Bedeutung, wie ähnlich Königlich Neudorf bei Briesen Westpr. bei der Besetzung
1289 ausdrücklich Dietrichswalde heißen sollte und in den Zinsbüchern auch so
angeführt ist, doch im Volksmunde nie geheißen hat3).
Aber das von Dr. W. auch in dieser Hinsicht beigebrachte Material ist
durch Zitate aus meinem Buche belegt; neues hat er nicht angeführt, wie auch
das von mir gegebene nicht bemängelt worden ist — mit einer recht unwichtigen
Ausnahme: die ersten Mönche in Pogutken (P. U. 170) schienen mir, den Namen
nach, zum Teil Wenden zu sein. Später veröffentlichte urkundliche Studien
haben mich bald von der Unrichtigkeit überzeugt; weniger zutreffend ist das
von Dr. W. Augeführte (50, 51). — Demnach habe ich das hierher gehörende
Material vollständig verarbeitet und objektiv behandelt.
Zum Abschluß über § 5 noch die Frage, wie unter die acht „Brenn-
punkte" des kirchlichen Lebens vor 1250 die Hofkirche zu Danzig, „der befestigte
Kirchhof der Johanniter" in Stargard und die Kirche zu Chmielno haben auf-
genommen werden können ? Die Kirche zu Chmielno läßt sich erst 1283 (P. U. 360)
nachweisen, von der Kirche oder dem Kirchhofe der Johanniter in Stargard ist
im XIII. Jahrhundert keine Rede und die „Hofkirche zu Danzig" muß der
Verfasser erst nachweisen. Ernst Blech stimmt im „ältesten Danzig" dafür, daß
die älteste Kirche in Danzig die um 1807 untergegangene Kirche Aller Engeln
war, daß der Hof im XIII. Jahrhundert die Katharinenkirche als Pfarrkirche
ansah, welche aber erst 1263 (P. U. 202) erwähnt wird. Die Existenz der Nikolai-
kirche im Jahre 1227 ist jetzt festgestellt. Dr. W. hat jedoch darum nicht ge-
1) Slownik geograficzny, unter dem Wort*.
2) Dr. M. Perlbach, Preußische Regesten, 1048.
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444 Kritiken und Referate.
wüßt, da er sich auf die hier in Betracht kommende Sammlung nicht beruft1)
und auch meine neueste Arbeit über das Alter der Pfarrkirchen in der Diözese
Culm nicht kennt2). Er hat demnach seine Angabe mit einer Sicherheit aus-
gesprochen, daß der Leser annehmen mußte, sie stütze sich auf Urkunden,
während sie unkritisch hingeworfen ist. Das ist nicht wissenschaftliche Art.
Denselben Wert hat aber auch der Kretschmersche onomatopoietische Mythus,
daß Oliva „vor allen (Kirchen) die Aufgabe der Mission übernommen hatte4 (31).
Wiederholt hat ihn nur Hans Prutz; hoffentlich haben wir ihn in der vor-
liegenden Arbeit zum letztenmal gelesen.
Von dem § 5, „Pommerellen im Mittelalter4', bleibt demnach nur die
drittehalb Seiten fassende Skizze der äußeren, politischen und dynastischen Vei-
hältnisse.
Wir gehen zu § 6 über. Mit Sambor II beschäftigt sich Dr. W. mit
sichtlicher Vorliebe. Das hat seinen guten Grund: des Herzogs „wenu auch
relative Verdienste ums Deutschtum'4 will der Verfasser würdigen. — Die Be-
gründung der These ist jedoch kläglich ausgefallen.
Neben den herzoglichen Richtern kommen in Pommerellen und Polen
advocati, Vögte, vor. So führt das Pommerell. Urkundenbuch einen Vogt von
Usedom und einen solchen von Schlawe auf, und die Herzöge von Slawien er-
teilen dem Kloster zu Buckow die Freiheit von der Vogtei — libertatem
advocatie, welche die Befugnis enthält, Strafurteile über Hals und Hand zu
vollziehen (P. U. 151) Auch Sambor selbst erteilt dem Pelpliner Kloster dreimal
die Befreiung von seinem Vogte (P. U. 170, 183, 277.) Bei der Klarheit der
Sache ist es um so unerfindlicher, wie Dr. W. wiederholt die durch keine
positive Nachricht bestätigte oder auch nur nahe gelegte Behauptung aufstellen
kann, Sambor habe absichtlich die in sein Land herbeigezogenen deutschen
Ministerialen „als Vögte" . . statt der früheren Kastellane eingesetzt — , „über
welche Zurücksetzung der einheimische Adel natürlich erbittert ist — , eine Ver-
fassung (!), die keinen Rückhalt beim Volke findend, mit Sambors zweiter Ver-
bannung zusammenbricht (39, vergl. 93)." Die Hypothese ist geradezu aus der
Luft gegriffen. Möglicherweise rührt die Verwirruug bei Dr. W. daher, daß
er sich (40) den Kastellan an die Spitze der städtischen Verwaltung Di rschaus
gestellt denkt und ihn durch einen advocatus abgelöst werden läßt! — Das
erste „relative Verdienst" Sambors hat demnach nie bestanden.
Sambor hatte den deutschen Orden mit der terra Wanska überreich, aber
offenbar auf Kosten Olivas, beschenkt. Die Schenkung fällt in die Zeit seiner
zweiten, endgültigen Vertreibung. Ebenso freigebig vergab er aber auch zwei
Olivaer Besitzungen an Pelplin. Die ältere Hochmeisterchronik meint zu der
1) Ulanowski, Dokumenty kujawskie i mazowieckie, 1888, iw. 2 — ">.
2) Kto zaioiyi parafie w dyecezyi chelminskiej ? Erster Teil 1903.
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium etc. 445
Schenkung der terra Wanska: „damit sult men im geben allerley nottorft sein
leben lang (39)*'. Eine herbere Kiitik des Fürsten läßt sich kaum denken.
Dr. W. hilft sich jedoch darüber hinweg; seiner Ansicht nach ist die Hoch-
meisterchronik hier nur „durchaus nicht unparteiisch (39)." Weiter nichts;
„Sambors Gravitiren zum Deutschtum läßt sich immerhin psychologisch recht-
fertigen (43)."
Was kann der Verfasser zur „psychologischen Rechtfertigung" Sambors
anführen? Man höre: Auf drei Stellen (34, 40, 43) berichtet er, daß die
Olivaer Mönche in dem wohl 1243 ausgebrochenen, Ende 1248 oder Anfang 1249
beigelegtem Streite zwischen Sambor und Ratibor einerseits und dem ältesten
Bruder Swantopolk andererseits, „sich auf die Seite Swantopolks geschlagen
hatten". Er beruft sich hierfür auf S. 38 (das Zitat ist aus Voigt abge-
schrieben und bezieht sich noch auf die Handschrift!) der Olivaer Chronik,
aber an der angezogenen Stelle (Script. Rer. Pruss. I, 690) ist von irgend einer
Parteinahme des Klosters für einen der Brüder nichts zu finden!
Ebenso waren „die Johanniter Sambor mißliebig geworden, seitdem sie
schon allein aus Rivalität gegen den deutschen Orden Swantopolks Partei ver-
traten (40)". Aus diesem Grunde soll nach Dr. W. Sambor seine Residenz aus
Liebschau nach Dirschau verlegt und den Johannitern zwei Dörfer ent-
zogen haben.
Aber auch dieser „psychologische" Rechtfertigungsgrund ist erdacht, denn
keine Quelle spricht über die erwähnte Rivalität, und die Berufung auf Voigt,
Geschichte Preußens II, 421 ist nur ein Kunstgriff, um den Leser irre zu
führen; Voigts Werk ist keine Quelle, sondern nur eine Bearbeitung!
Aber es ist eben Dr. Ws. Art, sich im entscheidenden Augenblicke auf
Quellen zu berufen, welche nicht existieren.
So ist der Wortlaut des Vertrages zwischen den jüngeren und dem
ältesten Bruder vor 1848/9 unbekannt geblieben. Doch der Verfasser hat die
Urkunde entdeckt! „Sambor wie Ratibor erhalten ihren Besitz und sollen ihrem
Bruder fortan gleich gestellt sein (et debere ei in portione haereditatis secundum
terrae consuetudinem [diese Einschränkung ist ihm vor Freude über die Ent-
deckung nicht aufgefallen!] pares esse 37)". Als Belagstelle gibt er an: Lucas
David, Preußische Chronik III Anhang n. 8. Da hat uns also das Pomme-
rellische Urkundenbuch eine so leicht erfindliche und wichtige Urkunde vor-
enthalten! Doch nein, sie steht unter n. 114 da, mit der richtigen Angabe des
vorherigen Druckes bei Lucas David III, n. 8. Sie will aber keine Friedens-
urkunde sein, sondern ist nur der Bannspruch des Legaten Jacob von Lüttich
über Herzog Swantopolk vom 8. Dezember 1248! Dr. W. aber hat dem Leser
durch die auch hier aus Voigt entliehene Angabe vorgespiegelt, daß das
Zitat für seine Behauptung spreche.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLH. Hft. 5 u. 6. 29
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446 Kritiken und Referate.
Sambor verblieb nicht bei dem deutschen Orden, er starb bei seiner
Tochter in Inowrazlaw. Wie es dazu kam, erzählt die ältere Chronik von
Oliva: Simulans se velle pro spacio Vyslara transire, ascenso equo, quem nibi
filia ducissa Cuiavie preordinaverat, fugit (Scr. Rer. Pruss. I, 691). Offenbar
von der Chronik abhängig ist der Bericht von Dhigosz: Ab inde (aus Thorn)
sub dissimulato habitu discedens ad tili am suam . . . confugit (Hist. II ed.
Przezdziecki).
Die Angabe der Olivaer Chronik behagt dem Verfasser nicht. „Das
mehr als zweifelhafte Heldenstückchen", über welches „preußische Quellen nicht.*
besagen", „entnahm der etwa 75 Jahre später schreibende Mönch von Oliva der
unter dem Volke bereits umgehenden Sage". „Als Faktum hat die Flucht . .
nur eine slavische (soll heißen: polnische) Geschichtsauffassung hingenommen;
blieb doch dann der Anlaß resp. die Verdächtigung bestehen, der deutsche
Orden habe Sambor bis an sein Ende festzuhalten gesucht, um ihm schließlich
den Rechtsanspruch auf dessen ganzes Land abzuringen; allerdings ist für jeue
Art von Geschichtschreibung die Grenze zwischen Wirklichkeit und Phantasie
nicht so scharf gezogen (34) •*.
Die Zensur ist gerecht, nur ist unter der gemeldeten Art von Geschichts-
schreibung die des Dr. W. zu verstehen; denn das Schweigen der preußischen
Quellen über den Vorgang ist belanglos, ja erklärlich. Wenn sodann der
Olivaer Bericht sagenhaft ist, weil er etwa 75 Jahre nach dem Ereignisse
niedergeschrieben ist, dann mag Dr. W. mit Ewald rechten, der sein ganzes*
vierbändiges Werk über die Eroberung Preußens auf Duisburg aufgebaut ha',
obwohl der Chronist zum Teil Ereignisse beschreibt, welche reichlich 75 Jahre
vor ihm liegen.
Nebenbei gesagt, habe ich die Flucht Sambors genau nach der Olivaer
Chronik, nicht nach Dhigosz erzählt. Es ist demnach nicht nobel, mir nach-
zusagen, daß ich mich an diesen letzteren angeschlossen habe. Oder sollte* die
Bemerkung dem Verlasser nur Gelegenheit geben, ein Erstlingswerk Caros über
den Krakauer Geschichtsschreiber anzuführen? Dasselbe steht doch mit der
Frage über Sambors Flucht in durchaus keiner Beziehung, die Berufung ist
demnach unverständlich.
Aber Dr. W. selbst hat sich offenbar die angeführte Kritik der „Glaub-
würdigkeit des Krakauer Domherrn*' durch seinen akademischen Lehrer zu wenig
zu Herzen genommen.
Nach meiner Angabe starb Sambor 1275. Das ist allerdings ein grober,
von Dr. W. mit Recht gerügter Fehler (43), zumal der Herzog noch 1276
(P. U. 277, 278) urkundet und schon Th. Hirsch (Script. Rer. Pruss. I, (391)
den Pelpliner Chronisten anführt, welcher ausdrücklich sagt: quoto anno, uon
repperi; nur „der unzuverlässige Dlugosz, sagt Hirsch, gibt die Jahreszahl
1278'. Wann der Herzog demnach starb, ist unbekannt. Doch nein! Dr. W.
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium etc. 447
weiß das Datum ganz genau: 31. XII. 1278, und erklärt, die Angabe sei „nach
dem Pelpliner Nekrolog" gemacht. Demnach hätte der Pelpliner Chronist sich
in den Klosterquellen besser umsehen sollen! Doch dem ist nicht so; Dr. \V.
hat sich nicht einmal Mühe gegeben, das Totenbuch nachzulesen. Dort steht
nämlich unter dem 30. Dezember (Tertio Kai. Januarii) die knappe Notiz:
Obiit nobilis dux Samburius Pomeranie, fundator ecclesie. Das Jahr 1278
aber hat er — von Dlugosz!
Auch § 6 der Dissertation erhebt sioh demnach in keiner Weise über
da« Niveau populärer Leistungen, welche auf Wissenschaft und selbständige
Forschung keinen Anspruch erheben. Überdies ist das hier Gebotene danach
angetan, Ungenauigkeiten und irrige Ansichten als objektive Wahrheit dar-
zustellen.
Noch einige Beispiele der Akribie aus den folgenden Abschnitten.
Der Verfasser nennt mit voller Sicherheit einen „Ritter Heinrich44 als
einen der Besitzer von Stenzlau bei Dirschau. Mit seiner angeblichen Zu-
stimmung gibt Bischof Wislaus das Dorf Mühlbanz zu deutschem Recht aus
(87). Die Belagstelle lautet: noverint universi, . . qod nos Wyslaus . . de
consilio nostri capituli et consensu Henrico de Stoyslave Milobanz . . . villam
locandam exposuimus (P. U. 587)! 80 ist aus dem locator ein Ritter und Be-
sitzer des Dorfes, und aus der erklärlichen Zustimmung des Kapitels die ganz
unverständliche des Herrn von Stenzlau geworden!
Die im Pelpliner Totenbuch erwähnte Schenkung der bona Garcz durch
Dietrich Stange ist richtig durch Garnsee erklärt, aber unnötigerweise schreibt
der Verfasser sich das Verdienst der Enträtselung zu (72), da die Stelle in den
Monum. Pol. Hist. IV, 67 genau ebenso auf Garnsee bezogen ist.
In zwei gefälschten Urkunden aus dem XIV. Jahrhundert kommt als
Grenzbestimmung für Pogutken auf der Sudseite eine via publica, que ducit de
Dobemin usque in Pogotkow vor. Bei einer Besprechung des Pommerell. Urkundenb.
in dieser Zeitschrift (Jahrg. 1881, S. 489) sprach ich die Überzeugung aus, es
sei damit das Dorf Demiin (polnisch Demblin. von daj>, Eiche) gemeint. Dr. W.
erklärt dagegen auf Kaite 1 : „Demiin bei Pogutken, wie Kujot angibt, ist nicht
zu finden44, und rät auf Kl. Semlin (62), was sprachlich unmöglich und sachlich
sehr fraglich ist, da die Existenz des Dorfes — neben Gr. Semlin — im XIV.,
bezüglich XIII. Jahrhundert, erst nachgewiesen werden müßte. Aber Demiin
Hegt trotz der Ablehnung des Verfassere unweit Pogutken, nicht weiter als zehn
bis zwölf Kilometer östlich, an der alten via regia von Dirschau (Liebschen) über
Schöneck nach Berent! So weit hätte Dr. W. seinen Blick wohl lenken können,
zumal er sich etwas darauf zu gute hält, im Gegensatze zu mir „mit der Karte
in der Hand44 zu arbeiten (10).
Einen „onomatologischen Exkurs in die Umgegend44 hat Dr. W. sich ver-
sagt. Die vermeintlichen „einigermaßen verbürgten Deutungen44 an slavischen
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448 Kritiken und Referate.
(soll heißen: polnischen) Ortsnamen, welche den Exkurs ersetzen sollen, beweisen
über allen Zweifel, daß Dr. W. hierzu jeder wissenschaftlichen Vorbildung er-
mangelt, aber es auch unterlassen hat, sich in den vorhandenen Arbeiten Rats
zu erholen. Mit einer wahrhaft kindlichen Naivetät weiß er zu erzählen, wie
Slanza von zta l$i = schlechtes Werder, Kulice von kluzi (!) Gesträuch, Gentomie
gar von einem Prätiritum wy-JQto = man hat ausgerodet (87), Bobowo von bftbr,
Biber, Rudno von einem angeblichen vulgären rudzid — roden herzuleiten sei,
und vieles, vieles andere. Kaum findet sich hier und dort eine sprachlich mög-
liche Ableitung. Die zahlreichen neueren und neuesten Arbeiten über die Bildung
der polnischen und slavischen Fluß- und Ortsnamen von Miklosich und Smoller
(für die Lausitz) bis Rozwadowski und A. Brückner in Berlin existieren für ihn
überhaupt nicht.
Gewiß ist meine 1875 versuchte Deutung des Namens Pelplin als Zu-
sammensetzung aus pole oder p61 (halb) und pto, Sumpf, durchaus unzutreffend.
Aber deshalb durfte Dr. W. 30 Jahre später nicht auf derselben Stelle einsetzen
und den Namen von po-plo == hinter dem Sumpfe, ableiten (53) und hierfür
mit der ihm eigenen Sicherheit Popelau bei Oppeln und Peplin, Kreis Konitz
Westpr. anführen. Das erste heißt 1286 Popelov, polnisch jetzt noch Popielewo *),
ist also von dem Personennamen Popiöl oder Popiel herzuleiten; das zweite, als
mit der ursprünglichen Form des Namens Pelplin (in Urkunden Polplyn, Poplin)
unzweifelhaft identisch, hätte den Verfasser auf die allein richtige Ableitung von
dem Personennamen Pepla führen sollen, welcher sich in Nameusformen wie
Poeplau, Peplowski erhalten hat.
Es scheint überhaupt, als ob sich Dr. W. nicht darum bemüht hat, bei
seiner Arbeit die einschlägige Literatur kennen zu lernen, sondern sich auf die
außer den Vorlesungen noch zufällig an die Hand gegebenen Hilfsmittel be-
schränkt hat. So kennt er die für ihn weniger belangreichen Visitationsberichte
aus der Zeit des Bischofs Rozrazewski, welche in den Fontes T — III des Wissen-
schaftlichen Vereins zu Thorn erschienen sind, aber von dem Jus plebiscitum
oder der Willkür des Abtes Leonard Rembowski von 1618 (Dr. W. gibt die
Jahreszahl 1619 aus den Privilegia perpetua. deren Jahresangaben ich wiederholt
als ungenau befunden habe, weshalb mir das in der Chronik angegebene Datum
glaubwürdiger erschien) weiß er nur zu sagen, daß „von diesem interessanten
Zeugnis nichts erhalten ist (114V. Bruchstücke, welche sich in den Kloster-
handfesten vorfanden, habe ich zusammengelesen und angeführt. Überdies konnte
ich in den genannten Fontes, Heft V, 1897, drei solche Willküren aus Westpreußen,
eine Karthäuser, eine Olivaer und eine für die Tuchler Starostei erlassene, im
Wortlaute herausgeben. In der Einleitung habe ich sie unter einander und mit
1) Konstantin Damroth, Die älteren Ortsnamen Schlesiens. Beuthen
1896, S. 77.
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Von Dr. phil. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium etc. 449
den Bruchstücken der Pelpliner verglichen, wobei sich herausgestellt hat, daß
alle drei bis auf geringe Einzelheiten übereinstimmen, wie auch die erhaltenen
Bestimmungen der Pelpliner in ihnen wiederkehren, so daß der Verlust dieser —
wenn sich nicht noch ein Exemplar vielleicht in einer Schulzenlade findet —
leicht zu verschmerzen ist.
Ebenso habe ich über die Pelpliner Klosterchronik im Jahre 1876 eine
ausführliche Studie unter dem Titel Kronika Pelplinska erscheinen lassen, worin
die einzelnen Verfasser des Buches und ihre Quellen genau nachgewiesen werden.
Auch sie ist dem Verfasser, der sich nur auf mein Vorwort zum Opactwo be-
ruft (113), unbekannt geblieben. Irrig ist auch seine Ansicht über die Ablösung
des Bischofszehnten (77); dieselbe ging nicht vom Bischof, sondern von den be-
treffenden Dorfherren aus, welche anders mit der Besetzung zu kulmischem
Rechte nicht beginnen konnten. Ausführlich spreche ich darüber für Pommerellen
in dem IX. Jahresbericht (1902) des genannten Wissenschaftlichen Vereins.
Auf die das Klostergebiet speziell betreffenden Abschnitte kann ich nicht
genauer eingehen, weil dies einer Anzeige meiner Arbeit ähnlich sein würde.
Nur einige Verstöße seien noch angemerkt.
Das Kloster hat wohl Schutzbullen erhalten, aber es ist durchaus unrichtig,
zu sagen, daß es „unmittelbar dem päpstlichen Stuhle unterstellt" war (7), oder
daß die „Neuordnuug", welche Bischof Rozrazewski durchführte, „ein endgültiger
Sieg des Bischofs über das selbstherrliche Kloster bedeutet (107)". An eine
Ausnahmestellung des Klosters zur staatlichen und kirchlichen Gewalt, wie sie
beide Ausdrücke andeuten, kann in keiner Weise gedacht werden. Neuerdings
hat dies Max Perlbach in einer Rezension von Ketoynski's (Mitteilungen des
Instituts für österreichische Geschichtsforschung XXVI. Band, S. 423) unter
Berufung auf eine (polnische) Arbeit von Alfred Blumenstock ausgesprochen:
Durch diese traditio an den Papst könnten Rechte dritter Personen nicht berührt
werden, der Schutz solle nur vor gesetzwidrigen Anfechtungen bewahren.
Nebenbei bemerkt, ist die Bemerkung des Verfassers, daß die Neuordnung
durch Bischof Rozrazewski „im jesuitischen Sinne" erfolgt sei, bei einem
Katholiken um so auffallender; es handelte sich um die Durchführung des
Tridentinums, und der Widerstand, welchen die sehr ausgearteten Mönche dem
Bischof entgegenstellten, spricht leider nicht zu ihren Gunsten.
Nicht als „Taufbecken (20)", sondern als Weihwassergefäße werden Mahl-
steine in Dorfkirchen wohl verwendet; Lissauer durfte den Schnitzer begehen,
bei Dr. W. bleibt nur die eine Möglichkeit, daß er seinem Gewährsmann ge-
dankenlos nachspricht.
Der Pfarrzehute heißt polnisch nicht taxa (101), sondern taca (von deciina).
Es ist mehr als zweifelhaft, daß der derzeitige Krüger Bäcker aus Rosen -
thal ein Nachkomme des Schulzen von KonigBwalde aus dem Jahre 1338 ist (88).
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450 Kritiken und Referate.
Zum Schlüsse darf ich wohl bemerken, daß ich es dem Ermessen des
Verfassers fiberlassen muß, ob er mich nur als Dilettanten (10) bewerten will;
der „schlecht verhehlten Hinneigung zum Chauvinismus" (11) werden mich hoffent-
lich außer ihm nicht viele bezichtigen. — Über die von Dr. W. mir gegenüber
bewiesene Animosität brauche ich kein Wort zu verlieren, nachdem Dr. Simson
in einer äußerst wohlwollenden Anzeige (Mitteilungen des Westpreußischen Ge-
schichtsvereins, Jahrg. 4, Nr. 4. vom 1. Oktober d. J.) geäußert hat, daß „an
einigen wenigen Stellen die Art der Polemik gegen einen Vorgänger nicht ganz
in den richtigen Grenzen bleibt." „In Stil und Ausdruck stoßen leider zahl-
reiche Unschönheiten auf", heißt es dann weiter. Wenn dagegen die Anzeige
sagt: „die Arbeit W's. zeichnet sich durch besonnenes, maßvolles Urteil und
ruhiges Abwägen der historischen Momente im allgemeinen aus", so ist dies
Urteil nach dem von mir Angeführten mehr milde als zutreffend zu nennen.
Griebenau b. Unislaw. St. Kujot, Pfarrer.
Generalvikar, Domkapitnlar Dr. Lüdtke. Schematismus des Bistums
Culm mit dem Bischofssitz in Pelplin. 1904. Amtliche Ausgabe.
Dritte Folge. Im Selbstverlage des Bischöflichen General- Vi kariat-
Amts von Culm. 1904. (Fortgesetzt bis zum 21. Mai 1905.) XXVIII.
und 728 S. (7 Mk., gebunden 7,50 Mk.)
Das Buch ist eine Neubearbeitung der im Jahre 1848 und 1867 vom
Bischöflichen General -Vicariat-Amt von Culm herausgegebenen Schematismen.
Trotzdem es hauptsächlich bei der inneren Verwaltung als Nachschlagebuch
dienen soll, verdient es seines Inhaltes wegen hier angezeigt zu werden.
Schon die gegen die Ausgabe von 1867 (6 S.) bedeutend vermehrte Ein-
leitung bietet eine Menge historischen Stoffes. Sie behandelt die Zusammen-
setzung der Diözese aus der ursprünglichen Diözese Culm, dem Archidiakonat
Pommerellen, einem Teile des Gnesner Archidiakonats Kamin, einem des Archi-
diakonats Bromberg, früher zu Wloclawek gehörig, aus zwei Trennstücken der
Diözese Plock (Gorzno mit Umgegend und Pfarrei Bialutten im ostpreußischen
Kreise Neidenburg) und aus dem größeren Teile der ehemaligen Diözese
Pomesanien.
Es folgen Angaben über die Einteilung und Verwaltung der Diözese und
eine ausführliche vergleichende Statistik seit 1840.
Den Übergang zu den speziellen Teil, welcher in der Ausgabe von
1867 329 Seiten faßte, bildet eine „Reihenfolge der ehemaligen Bischöfe von
Culm, Pomesanien und Wloclawek". Es verdient angemerkt zu werden , daß diesen
Abschnitt für die erwähnte Ansgabe von 1867 Professor Strehlke geschrieben hat,
welcher damals wegen seiner archivalischen Studien Pelplin öfters besuchte. fcJeit-
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Von Generalvikar, Domkapitular Dr. Lüdtke. 451
dem ist Woelkys „Katalog der Bischöfe von Culm' (1878) und die für die Chrono-
logie der Bischöfe von Wloclaweck grundlegende, sehr zuverlässige Abhandlung
des nuumehrigen Lemberger Universitäts- Professors, Dr. Fijalek: Ustalenie
chronologii biskupäw wloclawskich (Feststellung der Chronologie der Bischöfe
von Wl. 1894) erschienen. Gestützt auf diese und auf die Statuta synodalia
diocesis Wladislaviensis von St. Chodynski, hat um 1896 der jetzige hochw.
Bischof von Culm, Dr. Augustinus Rosentreter, für die Neubearbeitung des
Freiburger Kirchenlexikons einen quellenmäßigen und reichhaltigen Artikel über
das Bistum Culm geliefert.
Die Ergebnisse dieser Studien sind in der vorliegenden Bearbeitung der
„Reihenfolge" meistens benutzt, so daß sich in diesem Abschnitte, dem in
wissenschaftlicher Hinsicht schwierigsten des Buches, nur wenige Irrtümer
vorfinden *).
In dem Verzeichnis sämtlicher Pfarreien werden sodann die einzelnen
Pfarreien nach der alphabetischen Reihenfolge der Dekanate aufgeführt und
statistisch beschrieben.
Auch * hier ist gegenüber den zwei früheren Ausgaben eine Erweiterung
nach der historischen Seite hin zu verzeichnen. Der Verfasser hat es sich nicht
verdrießen lassen, neben J. Heises reichhaltigen „Bau- und Kunstdenkmälern
der Provinz Westpreußen", dem (polnischen) Werke von Liz. Fankidejski über
die untergegangenen Kirchen und Kapellen der Diözese Culm (1880) und meiner
erst in Dreivierteln gedruckten (polnischen) Arbeit über die Gründung der
Pfarreien in der Diözese Culm (Kto zalozyl parafie w dyecezyi chelminskiej ?.
Vergl. Jahresberichte des Towarzytwo Naukowe w Toruniu IX, X, XI) auch
die in der bischöflichen Kanzlei zu Pelplin handschriftlich vorhandenen Vor-
arbeiten zu einer Geschichte der Diözese von Professor Dr. Schulz aus Culm,
sowie die Benefizial- und Pfarrakten, die Bruchstücke der Dregerschen Auszüge
aus den Handfestenbüchern und die zum größten Teil noch nicht gedruckten
Visitationsberichte (ein Teil liegt in den Fontes des genannten Vereins gedruckt
vor) zu durchsuchen, um zuverlässiges Material über die einzelnen Pfarreien zu
sammeln. Auch die Jahresberichte der Westpreußischen Piovinzialmuseen
(z. B. S. 653) sind mit Recht herangezogen. Andere Quellen mögen von dem
1 ) So wird bei Christian, dem ersten Bischof von Preußen anstatt 1215
bis 1*245 wohl zu setzen sein: 1212? (wahrscheinliches Jahr der Schenkung von
Cekowitz) — 4. Dezember (mutmaßlicher Todestag nach dem Menologium der
Cisterzienser) 1244. — Nicolaus I. f 27. September 1323. — Nicolaus II. von
Schippen piel (nicht . . . beil). — In der Reihenfolge der Bischöfe von Cujavien :
Matthias I. seit 4. Dezember 1323. — Johann I. seit 23. Januar 1402. —
Nicolaus II. seit 17. Juni 1449; f &• September 1450. — Johann V, nicht
Lutek von Brzezin, sondern Sohn des Lutek von Brzezie. — Andreas seit
12. Oktober 1481.
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452 Kritiken und Referate.
Berichterstatter nicht erkannt worden sein, zumal die meisten nicht genannt
sind. Infolgedessen ist die zweite Rubrik: Gründung (und Konsekretion), unter
welcher es in der Ausgabe von 1867 fast stehend heißt: unbekannt, — hier
recht ausgiebig behandelt. Andere stehende Rubriken sind : Pfarrkirche, Titulus
ecclesiae, Patron, Post, Bruderschaften, Pfarrer, Volksschulen und Ortschaften.
Nach Bedarf sind noch die Rubriken: Filialkirche, ehemalige Kirchen und
Kapellen, ehemalige Klöster und Vikar eingeschaltet. Genaue Verzeichnisse der
Diözesan geistlichen und der Ortschaften, sowie während des Druckes nötig ge-
wordene Nachträge schließen das Buch ab, für welches dem Verfasser der auf-
richtige Dank nicht nur der einschlägigen Verwaltungsbeamten und kirchlichen
Organe, sondern auch der Arbeiter auf dein Gebiete der Diözesan- und Provinzial-
geschichte und der Geschichtsfreunde gebührt.
Griebenau, den 15. August 1905. St. Kujot, Pfarrer.
Dr. Romuald Frydrychowicz. Die Culmer Weihbischhöfe. Ein Beitrag
zur Diözesangeschichte. Danzig 1905. (51 S.)
Die Reihenfolge der bis jetzt 13 Culmer Weihbischöfe umfaßt mit
geringen Unterbrechungen die Zeit von 1645 bis 1881. — Der Verfasser hat
die verdienstliche Arbeit als Andenken an seine 25jährige Wirksamkeit an dem
bischöflichen Progymnasium zu Pelplin veröffentlicht und damit nicht nur «einen
Schülern und Freunden ein angenehmes Geschenk gemacht.
Neben den einschlägigen gedruckten Quellen (denn Biographien der ein-
zelnen Weihbischöfe sind bisher nicht erschienen) hat er hauptsächlich das in
dem Kapitels- und Bistumsarchiv zu Pelplin reichlich vorhandene Material
benutzt. Es wäre zu wünschen, daß er öfter zu ähnlichen Monographien Anlaß
nehmen möchte, zumal er mit den dortigen Archivalien genau vertraut ist.
St. Kujot, Pfarrer.
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Mitteilungen und Anhang.
Universitäts-Chronik 1905.
30. Jan. Med. I.-D. von F. Pachnio laus Dom. Barten, Kr. Rastenburg): Aus
d. Königl. Chirurg. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Ueber Dauer-
resultate der Colopexie bei hochgradigem Rcctumprolaps. Tübingen.
Laupp jr. (Sonderabzug aus Beiträge z. klin. Chirurgie. XLV. Bd. 2. Hft.)
(2 Bl. 37 S. 8°.)
S. März. Med. I.-D. von Willy Cohn (aus Briesen, Westpr.): Aus d. Königl.
Chirurg. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Ueber die isolierte Ruptur
der Svmphysis ossium pubis. Tübingen. Ebd. (Sonderabz. aus Beitr. z.
klin. Chir. XLV. Bd. 3. Hft.) (2 Bl. 17 S. 8°.)
24. März. Med. I.-D. von Georg Heymann (aus Christburg, Westpr.): Aus dem
Zoologischen Museum in Königsberg i. Pr. Neue Distomen aus Cheloniern.
Mit 1 Tafel und 2 Abbüdgn. im Text. Jena. Fischer. (2 Bl. 25 S. 8°.)
2r>. März. Med. I.-D. von Felix Meyerowitz, prakt. Arzt (aus Königsberg Pr.):
Aus d. Königl. Chir. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Über Skoliose
bei Halsrippen. Tübingen. Laupp jr. (Sonderabz. aus Beiträge zur klinisch.
Chir. XLVI. Bd. 1. Hft.) (2 Bl. 23 S. 8»)
7. April. Med. I.-D. von Max Dangel, cand. med. (aus Königsberg Pr.): Aus
d. Königl. chir. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Ueber die Unter-
bindung der Vena jugularis interna. (Ein Fall von doppelseitiger Unter-
bindung.) Kgsbg. Kümmel. (29 S. 8°.)
13. April. Phü. I.-D. von Walter Hassenstein (aus Königsberg i. Pr): Neue
Bearbeitung von William Herschels Beobachtungen der inneren Saturn-
monde (1789). Kgsbg. Leupold. (39 S. 4°.)
9ir. 152. s}(mUid)cd SSerjeidjnis beS ^erionals unb ber 8tubierenben bcr königl.
?llbertu$ s Unto für b. Sommer=Semefter 1905. .ftcjbäfl. $artunfi«
(51 8. 8°.) 144 (13 t&eoi., ll jur., 50 meb., 70 pfnloi.) Renten, 0 jonftifle
afabem. Sefjrer; 1010 (68 tfjeol., 343 jur., 186 mcb., 413 pfrloj.) 3tub. unb
106 ntdjt immatrihriationsfäfjige, jum .§ören berechtigte ^erjonen ehvjctjl.
38 Hörerinnen, 511 j. 1112 ^Berechtigte.
Zu der am 9. Mai .... stattfind. Gedächtnisfeier für Friedrich Schiller bei
d. hundertsten Wiederkehr seines Todestages laden .... ein Rektor u.
Senat .... Kgsbg. Ebd. (2 Bl. 40.)
11. Mai. Mit Genehmigung d. philos. Fak wird .... Dr. phil. Alfred
Benrath .... seine öffentl. Antrittsvorlesung über „Die Entwicklung
der Molekulartheorie" halten. Kgsbg. Kümmel. (2 Bl. 4°.)
- — Phil. I.-D. von Paul Tietz (aus Beeskow): Zur Qualitätsermittelung von
Weizen, Gerste und Hafer. Kgsbg. Leupold. (63 S. 8°.)
25. Mai. Phil. I.-D. von Gustav Borkhan (aus Hamburg): Zur projektivischen
Behandlung der Dreiecksgeometrie. Leipzig. Teubner. (1 Bl. 34 S. 8°.)
28. Mai. Q. D. Ö. M. F. F. E. J viro clarissimo Aemelio Blenck
praesidi illustrissimo instituti statistici regii Berolinensis ante C anuos
conditi et ab Joanne Godofredo Hoffmann olim nostro eximie instaurati
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454 Mitteilungen und Anhang.
quod cum ante VIII et quod excurrit lustra operatn saluberrimam Uli
instituto dicavisset inde ab anno exacti saeculi LXXXII1 ei praepositus
numquam defesso studio effecit ut laeto flore explendesceret maximum-
que ex eo emolumentum ad rem publicam non minus quam ad litteras
redumdaret honoris causa unauimo consensu summos in Philosophia
honores cum iuribus et privilegiis Doctoris Philosophiae contulisse ac
sollerani hoc diplomate confirmasse testor Franciscus Meyer phil. Dr. math.
Prof. publ. ord. Phiios. Ordinis h. t. Decanus. Regim. Kümmel. (Diplom-)
31. Mai. Mit Genehmig, der med. Fak wird .... Dr. med. Rud. Stich,
Assist, a. d. chir. Klinik d. Univ seine öffentl. Antrittsvorlesung
„Über die Indicationen zur conservativen und operativen Therapie der
Knochen- und Gelenktuberkulose" halten. . . . Kgsbg. Ebd. (2 Bl. 4°.)
8. Juni. Jur. I.-D. von Walter Fromm, Referendar am Königl. Landgericht zu
Königsberg (aus Heilsberg, Ostpr.) : Die Konkurrenzklausel des Handlungs-
gehilfen. Kgsbg. Leupold. (100 Ö. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Friedrich Wegener (aus Arnoldsdorf (Jerentowitz),
Westpr.): Die Entwicklung des Bedarfs an Handarbeit in der ostpreußi-
schen I^andwirtschaft des 19. Jahrhunderts. Merseburg. Stollberg. (1 BL
58 S. 8°.)
9. Juni. Med. I.-D. von Walter Klein, prakt. Arzt (aus Braunsberg, Ostpr.):
Aus dem zool. Mus. in Königsberg i. Pr. Neue Distomen aus Rana
hexadactyla. Mit 1 Taf. Jena. Fischer. (Beparatabdr. a. d. Zool. Jahr-
büchern. Bd. 22.) (2 Bl. 23 S. 8°.)
21. Juni. Phil. I.-D. von Albert Krebs (aus Dittballen, Kr. Niederung, Ostpr.):
Edward Young als Dramatiker. Kgsbg. Härtung. (2 Bl. 72 S. 8°.)
Acad. Alb. Regim. 1905. II. De Cyclo Homerico Dissertatio qua orationes
ad celebr. diebvs XI m. Martii XXI et XXIII ra. Maii XXIII m. Ivnii
memoriam viror. illvstr. Caelestini de Kowalewski Iacobi Friderici de Rhod
Iacobi Friderici de Groeben Abeli Friderici de Groeben Ioanni9 Diterici
de Tettav ... die XXIV m. Ivnii . . . pvblice habendas indicit Arthvrvs
Lvdwich P. P. O. Regim. Ibid. (11 S. 8°.)
24. Juni. Med. I.-D. von Adolf Friedlaender, prakt. Arzt (aus Goldap, Ostpr.):
Aus d. Zool. Mus. in Königsberg i. Pr. Persistenz des Wolff sehen Ganges
beim Leguau. Mit 1 Taf. u. 1 Textabbildg. Kgsbg. Karg & Manneck.
(32 S. 8P.)
27. Juni. Mit Genehmig, d. med. Fak wird .... Dr. med. Theodor
Cohn, Arzt .... seine öffentl. Antrittsvorlesung über .»Begriff und Wesen
der Uraemie4* halten Kgsbg. Kümmel. (2 Bl. 4°.)
Mit Genehmig, d. med. Fak wird .... Dr. med. Robert Schell er,
Assist, a. kgi. hygien. Institut d. Alb.-Univ seine Öffentl. Antritta-
vorles. über „Die Principien der allgemeinen Seuchenprophvlaxe"
halten .... Kgsbg. Ebd. £ Bl. 4n.)
30. Juni. Med. I.-D. von Martin Bartel, Arzt (aus Königsberg i. Pr.): Das
Adenom der Nase. Kgsbg. Ebd. (39 S. 8°.)
Verzeichnis der auf d. Königl. Albertus-Univers im Winter-Halbjahre
v. 16. Okt. 1905 an zu haltend. Vorlesungen u. d. öffentl. akad. Anstalt.
[Rektor Dr. Franz Rühl, ö. o. Prof.] Kgsbg. Härtung (1 Bi. 81 S. 8°)
Anekdota zur griechischen Orthographie I. Hrsg. v. Arthur Lud wich
(S. 1-32).
Buchdruckerei R. Leupold, Königsberg i. Pr.
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Von dem „Verein für die Geschichte von Ost- und Westpreussen"
wurde uns in Kommissionär ergeben:
Inhaltsverzeichnis zu Band 1 bis 40
der „Altpreussisehen Monatsschrift"
arbeitet von Professor Dr. Max I'erlbach,
A-bteilungsdirektor der Königlichen Bibliothek in Berlin.
Preis 5,00 Mark.
Ferd. Beyers Buchhandlung, Königsberg i. Pr.
L
E. F. Tlueneniann in Gotha.
ien:
Anastatisch faksimilierter Neudruck der ersten Originalausgabe
von
Kant
Kritik der reinen Vernunft.
Riga 1781.
In Halbfranz broschierl 12 .Mark, gebenden 14 Mark.
^..
ii Ende November erscheint:
Chamberlain
Imrrmnfipl Kant Die Persönlichkeit als Ein-
immanuei ivant. führung ln das Werk =
Bin Band, gr, b. 10 Mio, in Lieb]
band 12 Mk., T i kleiner Auflage auf b< Papier
gedrucki and in Marokkol Mk.
Verlagsanstalt F. Bruckiiiaim, München.
Anti-Kant.
und
Mit Benutzung von Tiedemanns „Theätet
auf Grund jetziger Wissenschaft,
Von Julius Baumann,
Preis: broschiert 4 Mk.
will durch ilns vorliegende Work Jedem Gebildeten
•* Urteil über die Philosophie Kants und m
iinmeo werden. 1 ' rd in der I !
er raun,
Gotha,
F. A. Perthes Verlas.
■^■V
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Im Verlage von Gräfe & Unzer in K
„Königsberger Helden des
Schwertes und des Geistes.44
Dramatisch)
i A. Birt.
Preis UarK 1,20.
■oo-
Jhi Verlage von Hermann Riedel in Osterode Ost
Osterode in Ostpreußen
Darstellungen zur He»chk*hte (h
Johannes Müller.
nickt im Auftrage rler Stadt l
Preis: broschiert 3,75 MR., gebunden 4,75 91k.
f M
"II erschien im Komn von L. Saunier's Buch-
handlung in Danzig:
Geschichte der Stadt Deutseh Eylau
von Dr. Kaufmann, Are
Preis Mark 6,00#
schien :
Geschichte der Stadt Saalfeld Ostpr.
hrift zur IVi
i Ernst Deegen,
Mit einigen Illustrationen, (.trüiidri.s^cn und i
Preis : broschiert w 50 Mk.
Ferd. Beyers Buchhandlung Königsberg i. Pr-
ben erscbii
Ostpreussens Burgen.
Dr. C. Krollmann.
PL
Schildert
md dooh
treffliche Illustrationen nach Aufnahmen der königlichen Messbü
Berlin. Franz Ebhardt «1 C«
Zu
Heft 7 und 8 erscheinen als Doppelheft Ende Dezember. Der h
Altpreussische
Monatsschrift
neue Folgte.
Der
Preussischea PfoylnzlaUBIittsr
fünfte Folge.
Herausgegeben
Rudolf Reicke. f
Der Monatsschrift XLll. Band. Der Provinzialblätter CVlll. Band.
Siebentes und achtes Heft.
'•zember !
(In Druck gegeben von R. Burger.)
Köi in Pr.
Uli.
Abonnementspreis für <ie)f Jahrgang Mh\ 12,00.
Inhalt.
1. Abhandln n ff en.
Rudolf Reicke. Ein Bild seines Lebens und Schaffen.-. V
Gottlieb Krause , . . I —
Der EinflulJ der ostpreudinchen Eisenbahnen aui hen
und einige andere Siedelungen. Von W
Emil Arnoldt. Von Otto Schöndörffer
Adel und Bürgerstand in und um Memel. II. Genealogien
hriehten auf Grund der Kirchenbuch
Altpr. AI XXXVIJI. pg. 250—289). V
Johannes Sembritzki. Memel ....
Kants gesammelte ß Akademieausgabo. Hand II. \
Otto Sehöndürffer . . .
II. Mitteilu offen und Anhang
«ianum in Braunabt
Autoren -Regi
Alle Rechte bleiben vorbehalten. "W
Herausgeber und Mitarbeiter.
Rudolf Reicke.
Ein Bild seines Lebens und Schaffens.
Von
Gottlieb Krause.
Am 16. Oktober 1905 starb der Mann, dem die Altpreußische
Monatsschrift ihre Entstehung und ein über vier Jahrzehnte
dauerndes Bestehen verdankt. Ist es somit schon die nächst-
liegende Pflicht der Pietät, hier das Andenken an ihn in einem
Bilde seiner Persönlichkeit, seines Lebens und Schaffens fest-
zuhalten, so bietet einen noch höheren Antrieb dazu die fort-
wirkende Bedeutung seiner Gesamtleistung für die tiefere Er-
kenntnis der Kultur- und Geistesgesohichte unserer Heimat.
Rudolf Reicke gehörte einer aus Pillau stammenden
Seefahrerfamilie an. Sein Vater Johann Benjamin R. (geboren
1794) war schon im Alter von zwölf Jahren aufs Meer gegangen
und wurde ein tüchtiger, erfahrener und mutiger Seemann;
bereits im Jahre 1813 wurde er wegen seiner Teilnahme an
einer bei Pillau vollführten kühnen Rettungstat von der König-
lichen Regierung in Königsberg im Amtsblatte lobend genannt.
Er machte sich in Memel ansässig und heiratete hier "Wilhelmine
Henriette Kissut aus Tilsit, die Tochter eines Stellmachermeisters.
Dieser Ehe entsprossen zwei Söhne; der ältere war unser Reicke,
er empfing in der Taufe die Namen Johann Benjamin Rudolf.
Erst awei Jahre alt, verlor er die Mutter; aber nach einem Jahre
schon führte der Vater durch seine Vermählung mit Karoline
Prantz, einer Freundin und Cousine der ersten Frau, den
Söhnen eine Stiefmutter zu, die ihnen die Liebe und Fürsorge
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II
einer wirklichen Mutter vollauf erwiesen bat. Unser Beicke
hing an ihr mit solcher Zärtlichkeit, daß er nie gern etwas über
deine rechte Mutter von deren Verwandten hören mochte. Die
Verhältnisse, unter denen er aufwuchs, waren zwar eng und
dürftig, und früh lernte er entbehren, aber eigentliche Not haben
die Eltern durch redliche, angestrengte Arbeit von den Kindern
ferngehalten. Und aus der Enge dieses kleinbürgerlichen Lebens
wurde der Geist der Knaben in das Reich der Romantik geführt.
Welche Freude, wenn der Vater nach gefahrvoller Seefahrt
heimkehrte! Wie hingen die Kinder an seinem Munde, wenn
er ihnen von seinen Abenteuern erzählte! Er war auf seinen
Fahrten als Steuermann weit umhergekommen, hatte das nörd-
liche Eismeer, das Mittelmeer besucht, war in Nordamerika,
Westindien und Brasilien gewesen und hatte zu Wasser und zu
Lande die mannigfachsten Gefahren bestanden. Obwohl er
durch ein im Winter 1831/32 abgelegtes Examen die Berechtigung
zur Stellung eines Kapitäns erhalten hatte, nahm er 1834 den
Posten eines Seelotsen in Memel an und konnte sich jetzt
seiner Familie mehr widmen. Nie sah man ihn müßig. Wenn
ihn der Dienst nicht beanspruchte, fertigte er aus Holz
kunstvolle Sachen an. Ein von ihm hergestelltes tragbares
Schrei bepult von Mahagoni mit niedlichen Schubfächern und
schönen Messingbeschlägen hat dein Sohn Rudolf bis zuletzt
benutzt.
Den Söhnen galt es für selbstverständlich, dem Berufe des
Vaters und der Vorfahren zu folgen; aber wenn der jüngere
Bruder auch wirklich ein Seemann geworden ist, in der Seele
Rudolfs erwachten bald andere Wünsche. Duroh den Unterricht
in der Schule, vor allem durch die persönliche Einwirkung eines
Lehrers wurde in ihm der Funke höheren Strebens entzündet.
Fortan sehen wir ihn mit heißem Bemühen an seiner geistigen
Vervollkommnung arbeiten. Zunächst wollte er Elementarlehrer
werden. In seinem 18. Lebensjahre bezog er das Seminar in
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III
Königsberg. Hier kam ihm die Rückständigkeit seiner literarischen
Bildung zum Bewußtsein. Mit Eifer suchte er die Lücken aus-
zufüllen. Die Lektüre von Schillers Dramen und Goethes Ge-
dichten versetzte ihn in eine höhere Welt. Daneben betrieb er
mit Vorliebe Botanik, mit der er sich schon in Memel viel be-
schäftigt hatte. Je länger je mehr ward ihm klar, daß der
Beruf eines Dorfsohullehrers ihn nicht befriedigen würde. Der
Gedanke kam ihm jetzt „lächerlich44 vor, daß er „nach zwei
Jahren schon im Lehrerrock und in steifer Halsbinde in einer
Landschule von den rasch erworbenen pädagogischen Kenntnissen
Gebrauch machen sollte". (Selbstbiographie des Abiturienten
R. Reicke 1847.) Daher faßte er den Entschluß, sich für
das Universitätsstudium vorzubereiten. Zum Schmerze seines
Vaters verließ er mit einem gleichgesinnten Freunde das Seminar
und suohte sich nun unter Entbehrungen und mit großer An-
strengung die Kenntnis der klassischen Sprachen anzueignen.
Ein Sekundaner erteilte den ersten Unterrioht, dann folgten als
Lehrer zwei Studenten. Die Stunden, die unentgeltlich erteilt
wurden, begannen bereits um 5 Uhr des Morgens. Es war ein
Glück, daß Reiokes Ausbildung durch seine im August 1844
erfolgende Aufnahme in die Sekunda des Altstädtischen Gym-
nasiums in geordnete Bahnen kam. Mit welohem Staunen mögen
die Sekundaner den neuen, riesig großen Kameraden mit dem
mächtigen Wald rötlich blonden Haares empfangen haben! Dem
Altetädtischen Gymnasium, das damals von dem trefflichen
Direktor Ellendt geleitet wurde, verdankt Reicke eine sichere
Grundlage für die Studien der Universität. Seine vornehmste
Neigung wandte er dem Unterrichte im Deutschen und in der
Geschichte zu, aber auch die alten Sprachen betrieb er mit
Eifer und Lust. Dagegen konnte er es in der Mathematik bis
zuletzt nicht zu genügenden Leistungen bringen, obwohl er in
diesem Fache von einem hervorragenden Lehrer, dem Professor
Müttrich, unterrichtet wurde.
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IV
In wenig mehr als drei Jahrön ist es Beicke gelungen,
das Ziel des Gymnasiums zu erreichen. Im Oktober 1847 be-
stand er die Reifeprüfung. Mit dem Wahlspruch: Ubi quid est,
quod disci possit, eo mihi veniendum est! verließ er, 22s/4 Jahre
alt, die Schule upd wurde im November des genannten Jahres
in das Album der philosophischen Fakultät der Albertina von
dem zeitigen Dekan, dem berühmten Physiker Franz Neumann,
eingetragen.
Seine Mittel waren sehr kärglich. Als er sich noch auf
dem Gymnasium befand, war ihm der Vater entrissen worden;
dieser hatte im Oktober 1845, als ein Opfer seines Berufes, bei
einem furchtbaren Orkan den Tod in den Wellen gefunden.
Damit hatte Beicke auch die pekuniäre Unterstützung von Hause
verloren. Wohl hauptsächlich durch Erteilung von Privatstunden
verschaffte er sich als Student seinen Unterhalt. In dieser Be-
ziehung teilte er aber das Schicksal vieler Kommilitonen. Denn
die Königsberger Studentenschaft war im ganzen arm, und doch
ging durch das akademische Leben ein Zug herzhafter, ursprüng-
licher Fröhlichkeit. Und in der Stadt war der Student eine
populäre Erscheinung; die von der vereinigten Studentenschaft
„im Junkerhof e" gegebenen Bälle wurden von der besten Gesell-
schaft besucht. Alle Studenten, nicht nur die derselben Ver-
bindung, duzten sich; der silberne Albertuff an der Mütze war
das Erkennungszeichen. Reicke wurde sogleich Mitglied der
„Corps-Landsmannschaft41 Lituania; hier fand er bereits seinen
späteren wissenschaftlichen Genossen Emil Amol dt vor und
hat mit ihm das Band der Freundschaft geknüpft. Bald brach
die Bewegung des Jahres 1848 aus, und wenn ihre Wogen in
dem abgelegenen Königsberg auoh nicht gar so hoch gingen,
so teilte sie sich doch dem hiesigen Leben in sehr fühlbarer
Weise mit; auch die Studentenschaft wurde von ihr ergriffen.
Eine Studentenwehr wurde gegründet, die Musensöhne wurden
„von dem allgemein herrschenden Versammlungsfieber und VW
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der mit ihm steigenden Bedelust ergriffen". (H. Prutz, Die
Königliche Albertus -Universität. 1894. S. 226). Damals ent-
standen infolge von politischen Gegensätzen im Schöße der
Lituania Streitigkeiten, die schließlich zu der Spaltung in die
Landsmannschaft Lituania und in das Corps Lituania (die
sogenannte silberne L.) geführt haben. Arnoldt und Reiche
blieben bei der Landsmannschaft. Wie weit sich Reiche an dem
politischen Leben und Treiben in der Revolutionszeit beteiligt
hat, konnte nicht festgestellt werden, jedenfalls aber hat er sich
nicht abhalten lassen, den Studien mit Fleiß obzuliegen. Die
Königsberger Universität wies damals in ihren Lehrern zum
Teil höchst bedeutende Vertreter der Wissenschaft und treffliche
Vorbilder für die Studierenden auf. Männer, wie P. Neumann
und Richelot, Lobeck und Lehrs, Drumann und Rosen-
kranz wirkten an ihr. Das Beispiel ihres ganz der Wissen-
schaft geweihten Lebens, die Selbstlosigkeit und Lauterkeit
ihres Charakters wirkten veredelnd auf ihre Jünger. Oft bildeten
sich zwischen Lehrern und Schülern innige Verhältnisse fürs
ganze Leben. (L. Friedländer, Erinnerungen, Reden und Studien.
I. Teil. Straßburg 1905. S. 66.) Auf die Jugend mehrerer
dieser Gelehrten waren noch die letzten Strahlen unserer klassi-
schen Diohterepoche gefallen; einige waren selbst Poeten. In
dieser geistigen Luft mußte sich eine Natur wie Reiche wohl
fühlen; er hat seinen akademischen Lehrern stets eine dankbare
Erinnerung bewahrt. Fünf Jahre war er immatrikuliert und
hat nach den ihm ausgestellten Zeugnissen den rühmlichsten
Fleiß bewiesen. Er hörte Lobeck und Lehrs, ferner philo-
sophische Vorlesungen bei Rosenkranz, Taute und Rupp und
Vorlesungen der Historiker Drumann, Voigt und Schubert.
Seiner Neigung zur Botanik blieb er auch jetzt treu: er wurde
ein Schüler des Professors Ernst Meyer, eines Mannes, der trotz
seiner etwas steifen Formen ein begeisterungsfähiges und tiefes
Qemüt besaß. Die eigentlichen Studiengebiete Reickes waren
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VI
Philosophie und Geschichte. Im letzteren Fache nahm unter
seinen Lehrern, was Gelehrsamkeit und Gründlichkeit der
Forschung betraf, Drumann die erste Stelle ein, dann folgte
Voigt, aber an geistiger Beweglichkeit, Gabe der Mitteilung und
Fähigkeit, zu wissenschaftlicher Arbeit anzuregen, war ihnen
beiden Schubert überlegen. (H. Prutz, a. a. 0. S. 188.) So ist
es erklärlich, daß Reicke sich zu diesem mehr hingezogen
fühlte; er hörte eine große Zahl von Vorlesungen Schuberts,
u. a. über Finanz Wissenschaft, über Staatsrecht und Statistik
und über Literaturgeschichte, und nahm an den Übungen des
von ihm geleiteten historischen Seminars teil. Aber die wichtigsten
und nachhaltigsten Einflüsse hat er von Karl Rosenkranz er-
fahren. Wenn einer, so war dieser liebenswürdige, erstaunlich
vielseitige und rege, für alles Edle und Schöne empfängliche
Gelehrte mit seiner zündenden Bedegabe imstande, die Geister
zu wecken und auf eine höhere Warte zu führen. Auch auf
ßeicke hat der von dieser Persönlichkeit ausgehende Zauber
mächtig gewirkt. Rosenkranz muß sich des ernst strebenden
Jünglings mit besonderer Teilnahme angenommen haben; er
wohl vor allen hat ihn auf die Schriften Kants hingewiesen. Denn
er hegte, obwohl Hegelianer, die wärmste Verehrung für den
großen Königsberger Weltweisen und hatte zusammen mit
Schubert in den Jahren 1838 — 1842 die „sämtlichen Werke"
des Philosophen herausgegeben. Wenn jedoch Rosenkranz einmal
von sich sagte, Kant wirke auf ihn, wie ein Lieblingsheiliger
auf einen Katholiken (Alfred Döhring in Altpreuß. Monatsschr.
Bd. XLU. S. 410), so kann man dieses Wort in noch viel
unbedingterer Weise auf Reicke anwenden, da dessen ganzes
Wesen bald von hingebender Begeisterung für den Philosophen
des kategorischen Imperativs erfüllt wurde.
Zweimal während seiner Universitätszeit hat Reicke als
Bewerber um eine Prämie aus der Schreiberschen Stiftung zum
Todestage Kants, dem 12. Februar, eine Arbeit, der einj9atz
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vn
aus den Werken des Philosophen zugrunde gelegt war, ge-
liefert, und wenigstens der einen ist, wie ihm Rosenkranz unter
dem 27. September 1851 bescheinigt, der erste Preis zuerkannt
worden.
Michaelis 1852 verließ er die Albertina und nahm für V/2
Jahre auf dem Bittergute Korbsdorf bei Wormditt eine Haus-
lehrerstelle bei einer Familie von Sohau an. Darauf kehrte er
nach Königsberg zurüok, um seine philosophischen Studien
wieder aufzunehmen, und erlangte am 24. Juli 1856 die philo-
sophische Doktorwürde mit einer in lateinischer Sprache ab-
gefaßten Dissertation über Reinholds Verhältnis zu Kant.
In der zunächst folgenden Zeit hat er sich durch Erteilung
von Unterricht die zum Leben nötigen Einnahmen verschafft.
So wirkte er von Michaelis 1857 bis in den Sommer 1864 als
Hilfslehrer an der Löbenichtschen höheren Bürgersohule, dem
heutigen Städtischen Realgymnasium; er gab den deutschen Unter-
richt in Quarta A und Tertia A, zusammen sechs wöchentliche
Stunden, anfangs für ein Monatsgehalt von sechs Talern; es wurde
jedoch später auf neun Taler erhöht. Aber schon 1858 hatte er
seinen Lebensberuf gefunden, indem er gegen Ende dieses Jahres
in den staatlichen Bibliotheksdienst trat. Im nächsten Jahre
wurde er als zweiter Kustos an der hiesigen Königlichen und
Universitätsbibliothek angestellt, 1871 wurde er erster Kustos,
1885 erhielt er den Titel Bibliothekar, 1894 endlich den eines
Oberbibliothekars. Eine selbständige und leitende Stellung hat
er in seiner Beamtenlaufbahn nicht gewonnen. Er hat dies,
wenn er es auch in sich versohloß, als eine Zurücksetzung
empfunden, wodurch seinem Wesen ein gewisser Zug der
Resignation mitgeteilt wurde. Aber vielleicht war gerade diese
äußere Gestaltung seines Lebens ein wesentlicher Grund, daß
er der Wissenschaft das wurde, was erst jetzt, da sein Lebens-
werk abgeschlossen vor uns liegt, seine volle Würdigung
finden wird. Die Tätigkeit an einer großen öffentlichen
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vra
Bibliothek gab ihm Gelegenheit, die neuesten Erscheinungen der
wissenschaftlichen Literatur aus erster Hand kennen zu lernen
und sich eine wahrhaft staunenswerte Büoherkenntnis anzu-
eignen; der Umstand, daß ihm die Geschäftslast und die Ver-
antwortung, die mit der Leitung eines größeren VerwalUmgs-
betriebes verbunden sind, fern blieben, ließen ihm Freiheit und
Zeit zur eigenen Forschung. Wissenschaftliche Arbeit war der
Balsam seines Lebens. „Arbeit", so sagte er einmal, „ist das
beste und das billigste Vergnügen", und ein andermal: „Nach
getaner Lohnarbeit bildet unbelohnte Arbeit meine Erholung
und mehr als diese, mein schönstes Vergnügen." (J. Sembritzki
im „Memeler Dampfboot" 18. Oktober 1905, Beil.) So baute er
sich seine eigene Welt auf, in der er seine Befriedigung fand.
Nicht, daß er verdrossen seine Amtsgeschäfte verrichtet hätte;
im Gegenteil, er leistete als Bibliothekar ganz Hervorragendes
mit seiner Bücherliebe, seinem außerordentlich guten Gedächtnis,
seiner Sorgsamkeit und seiner gleichmäßigen Buhe, seiner nie er-
müdenden Gefälligkeit. Die Unzähligen, denen er in dem alten,
in der Königstraße gelegenen Bibliotheksgebäude aus dem Reich-
tume seines bibliographischen Wissens geholfen hat, werden sich
seiner nie versagenden Bereitwilligkeit und Liebenswürdigkeit
sicherlich mit warmer Dankbarkeit erinnern. — Im Nebenamte
verwaltete Reickedie hiesige Wal lenrodtsohe Bibliothek, deren
Schätze an malerischer Stätte in einem Turme unseres alten
Domes aufbewahrt werden.
Als Student hatte er viel in dem Hause des Servis-Billeteurs
Daniel Gotthilf Bohn verkehrt und in dessen Tochter Emilie
seine künftige Lebensgefährtin gefunden. Lange Jahre hatten
die Verlobten warten müssen, bis am 29. April 1860 die Ver-
mählung stattfand. Reicke bezog mit seiner Gattin eine Woh-
nung in dem Hause seines Schwiegervaters in der Kalthöfischen
Straße. In diesem Hause hat das Paar fast die ganze Zeit seiner
Ehe verlebt; es war mit dem daran stoßenden hübschen, höchst
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IX
sauber gehaltenen Gärtchen der Schauplatz eines innigen Familien-
lebens. Reiokes Gattin war eine Frau von zartem Körper, besaß
aber große Willens- und Geisteskraft. Sie war nicht nur die
Vorsteherin des Hauswesens und die sorgliche Erzieherin ihrer
Kinder, sondern nahm auch an den geistigen Bestrebungen ihres
Mannes mit vollem Verständnis teil. Wenn das Paar auch
nicht eigentlich gesellschaftlichen Verkehr pflegte, so entbehrte
es doch nicht anregenden Umganges. Da waren vor allen
Reickes treuer Freund und Schwager, der vielseitig gebildete
Heinrich Bohn, der sich in Königsberg als Arzt niedergelassen
hatte, und dessen Gattin Pauline, Tochter der verwitweten Frau
Major Schwinok, einer Nichte Theodors von Schön, und bald
kam auch der schon früher mit Beicke befreundete Dichter
Ernst Wiehert hinzu, der im Jahre 1863 von Prökuls nach der
Pregelstadt als Stadtrichter versetzt wurde. Wiehert erwähnt in
seiner Selbstbiographie („Richter und Dichter") bei der Erzählung
seiner Übersiedlung nach Königsberg seines alten Freundes
Beicke, „des prächtigen, offenen, geraden Menschen, des leiden-
schaftlichen Kantianers". Diese drei Familien bildeten den
Stamm eines Kränzchens, das später entstand, zu dem u. a. noch
Singelmann, damals Richter am Kommerz- und Admiralitäts-
kollegium, der Augen- und Ohrenarzt Professor E. Berthold,
Stabsarzt Bobrik und sein Schwager Professor von Brünneok,
Dr. med. Stobbe, Auditeur Hiersemenzel mit ihren Frauen ge-
hörten. Dem jedesmaligen Wirt lag die Verpflichtung ob, „irgend
etwas aus einem ihm naheliegenden Wissensgebiet vorzutragen".
Sehr oft gab dann der Inhalt dieses Vortrags einen fesselnden
Unterhaltungsstoff. (Wiehert a. a. 0. S. 146). Es war eine schöne,
geistig belebte Geselligkeit, der durch die Teilnahme liebens-
würdiger und kluger Frauen ein besonderer Beiz verliehen wurde.
In der wissenschaftlichen Arbeit Eeickes bildet Kant den
Anfang, die Mitte und das Ende. Er setzte sich die Aufgabe,
die Persönlichkeit des Weltweisen, sein Leben und seine Be-
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2t
ziebnngen nach allen Seiten in den ursprünglichen Zügen fctt
erforschen und der Welt vorzuführen. Daher spürte er uner-
müdlich nach neuem handschriftlichen Material, nach Mann-
skripten wissenschaftlichen Inhalts wie nach Briefen, und ent-
wickelte hierbei eine wunderbare Entdeckergabe. In seinen
Editionen befleißigte er sich der größten Sorgfalt; in ihnen
herrscht möglichst diplomatische Genauigkeit. In Einleitungen
und Anmerkungen gibt er wertvolle Aufschlüsse über Herkunft
und Geschichte, Beschaffenheit und Inhalt der Kantischen
Papiere, über ihre Chronologie usw. Man kann sagen, daß erst
durch Eeicke das arohivalische Studium des Lebens und der
Persönlichkeit Kants begründet worden ist Man vergleiche z. B.
die Methode Schuberts in seinen Kant betreffenden Veröffent-
lichungen mit der Reickes. Wie unendlich ist der Schüler dem
Lehrer an Zuverlässigkeit überlegen!
Dazu kommt ein anderes. Wenn man Kants Persönlichkeit
verstehen und würdigen will, muß man vor allem auch die Zeit,
in der er lebte, und die Menschen, mit denen er verkehrte,
kennen. Hier öffnete sich dem Forsoher ein weites Gebiet,
hier hat sich Reicke im Laufe seines langen Lebens so heimisch
gemacht wie kein anderer. Mit der ihm eigenen Liebe für das
Kleine ging er den Dingen und Personen weiter nach und
gelangte dadurch zu immer neuen Berührungen und Fragen, zu
immer neuen Entdeckungen. So hat er, von Kant ausgehend,
allmählich alle bedeutenden Menschen, die Ostpreußen und ins-
besondere Königsberg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
aufwies, mit seinem geistigen Auge erschaut. Man kann sagen,
daß er in dem Königsberg jener Epoche lebte. Was er in dieser
Beziehung in seinen Publikationen niedergelegt hat, bedeutet
nur einen geringen Teil dessen, was er sich geistig zu
eigen gemacht hatte. Es waren für den, der Reicke in seinem
stillen Gelehrtenheim besuchte, Augenblicke eigenartigen Reizes,
wenn dieser in seiner schlichten und doch geistvollen Art von
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XI
jenen Zeiten erzählte. Er erschien dem Zuhörer wie ein Zeit-
genosse und Freund jener Männer, die damals unsere Heimat-
stadt zu einem Brennpunkt deutscher Bildung machten: der
Hamann und Hippel, Kant und Kraus. •
Sogleich seine erste bedeutendere Publikation, Kantiana,
Beiträge zu Immanuel Kants Leben und Schriften (1860) zeigt
die oben berührten Vorzüge. Hier teilte er aus einem Konvolut
der hiesigen Königlichen und Universitätsbibliothek - die am
23. April 1804 gehaltene Gedächtnisredo Walds auf Kant mit
und ferner, was besonders wichtig, auch das von dem Kon-
sistorialrat gesammelte, den Philosophen betreffende Material,
welches Wald größtenteils durchAnfragen anKollegen undFreunde
des Verewigten, Borowski, Reusch, Joh. Schultz, Wan-
nowski, Heilsberg, Kraus, Wasianski und Gensichen
gewonnen hatte. Diese Mitteilungen gaben wertvolle Er-
gänzungen zu den gedruckten Biographien des Weltweisen,
auch der von Schubert aus dem Jahre 1842.
Bald nach der Bückkehr E. Wicherts nach Königsberg
(1863) gründete Beicke im Verein mit ihm jene Zeitschrift, die
ihm in der deutschen Nordostmark ein dauerndes, ehrenvolles
Andenken sichert: Die Altpreußische Monatsschrift. Hören
wir, wie sich Wiehert (a. a. O. S. 129) über die Entstehung
dieses Unternehmens äußert: „Wir beide verabredeten mit ein-
ander die Herausgabe einer Monatsschrift, die an die Stelle der
zuletzt von Dr. Hasenkamp (Redakteur der Hartungschen Zeitung)
herausgegebenen und kaum noch das Dasein fristenden Preußischen
Provinzialblätter zu treten hätte. Sie sollte ein Archiv für alles
Wissens würdige aus der Geschichte Altpreußens werden und eine
vollständige altpreußische Bibliographie bringen, aber auch Ab-
handlungen aus anderen Gebieten von allgemeinerem Interesse
aufnehmen und sogar Belletristisches nicht ausschließen. Wir
hofften ihr so einen weiteren Abonnentenkreis schaffen zu können.
Ein Prospekt wurde von mir entworfen, von Beicke gutgeheißen
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und nun in vielen Exemplaren verbreitet. Irgend eine finita*
zielle Unterlage hatte das Unternehmen nicht. Wir wollten
selbst tätig sein und durften auf Mitarbeiter rechnen, die ihre
nur für einen engeren Leserkreis bestimmten Arbeiten gern
gedruckt sehen würden, ohne Honorar zu beanspruchen. Bohn
war Arzt im Hause eines Buchdruckers namens Bosbach. Er
vermittelte unsere Bekanntschaft mit ihm. Bosbach ließ sich
darauf ein, als Verleger zu figurieren, und schoß die Kosten für
Papier und Druck vor. Mit seiner Hilfe und in seinem aller«
dings wenig einladenden Eontor besorgten wir selbst die Expe-
dition des Probehefts der „Altpreußischen Monatsschrift" bereits
anfangs des Jahres 1864 und gewannen daraufhin wenigstens so
viel Abonnenten, daß die notwendigen Ausgaben als gedeckt
gelten konnten." Vergeblich bemühten sich die Provinzial-
blätter, sich dieser Konkurrenz zu entledigen, sie verschmolzen
im Jahre 1867 mit der Monatsschrift, die zugleich in den Verlag
der Bey ersehen Buchhandlung überging. Die Last des
eigentlichen Redaktionsgeschäfts lag bald gänzlich auf Beicke.
In dem Vorwort zu seinem Roman „Tileman vom Wege",
den Wiehert im Jahre 1890 „seinem alten lieben Freunde"
Reicke „in Dankbarkeit" zueignete, hat der Dichter selbst mit
seiner liebenswürdigen Aufrichtigkeit zugestanden, daß er in
dieser Beziehung der Altpreußischen Monatsschrift „wenig mehr
als seinen Namen leihen konnte". (Vgl. „Richter und Dichter u.
S. 130 — 181.) Das erste Heft brachte an der Spitze Wicherts
hübsche Novelle „Am Strande"; jedoch bald ließ man diese
Rubrik fallen, aus Mangel an geeigneten Mitarbeitern und auch,
weil der leichtere Unterhaltungsstoff nicht recht zu dem Gesamt-
charakter des Werkes passen wollte.
Der im Laufe der Jahre in dieser Zeitschrift angehäufte
Stoff ist in seinem Umfang und seiner Bedeutung erst jetzt, da
das von Max Perlbach in mühevoller und selbstloser Arbeit
gefertigte und vom Verein für die Geschichte von Ost-
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und Westpreußen herausgegebene Inhaltsverzeichnis der ersten
40 Bände gedruckt vorliegt, ganz zu erkennen. In den hier ver-
öffentlichten Arbeiten sind alle nur denkbaren Gebiete der
Forschung, soweit sie sich auf Altpreußen bezieben, vertreten:
Sprache und Literatur, Geschichte, Philosophie und Volkswirt-
schaft, Kunst und Kultur, Kirchen- und Reohtsgeschichte, Natur-
wissenschaften und Geographie usw. Wenn auch die einzelnen
Beiträge naturgemäß von sehr ungleichem wissenschaftlichen
Werte sind, so ist doch die Gesamtleistung eine außerordentlich
bedeutende, das in ihr enthaltene Material ein gewaltiges, eine
wahrhafte „Fundgrube für historische Erinnerungen aller Art".
Vielleicht ihr schönster Ruhm besteht aber darin, daß durch sie
das Interesse fOr die Heimat und ihre Vergangenheit, die Liebe
zur Scholle in unserem alten Ordenslande wacherhalten und ge-
stärkt worden ist. Endlich hat sie vielen tüchtigen Forschern
überhaupt erst ermöglicht, die Ergebnisse ihrer Studien im
Drucke erscheinen zu lassen. Mit Recht wird in dem Diplom
(vom 5. Februar 189B), worin der Verein für die Geschichte von
Ost- und Westpreußen Reicke zu seinem Ehrenmitgliede ernennt,
hervorgehoben, daß unter den jüngeren Bearbeitern der Provinzial-
geschichte kaum einer sei, der nicht durch Reicke und in der
Altpreußisohen Monatsschrift zuerst in die Öffentlichkeit ein-
geführt worden wäre. Durch diese Zeitschrift wurde sein
Name bei allen Gebildeten Altpreußens populär. Mit Un-
zähligen trat er in Beziehung, von überall kamen Anfragen,
Bitten um Rat und Aufklärung. Und allen redlich Strebenden
hat er geraten und geholfen, er hat ihnen „bereitwillig gestattet,
an der hellen Fackel seines reichen Wissens ihr eigenes Lämpchen
zu entzünden11. Jahrzehntelang liefen in seiner Person zum
großen Teil die Fäden der Forschung auf dem Gebiete der
heimatlichen Geschichte, vornehmlich der Geistes- und Kultur-
geschichte, zusammen. Die zahlreichsten Beiträge haben außer
Reioke für die Altpreußische Monatsschrift geliefert: Rudolf
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XIV
Bergau, Georg Conrad, Karl Lohmeyer, Max Perlbach,
Adolf Bogge, Johannes Sembritzki, Emil Steffenhagen,
Max Toeppen, Ernst Wiehert. Hervorgehoben seien noch
als Mitarbeiter der Zeitschrift Ad albert Bezzen berger, Wilhelm
von Brünneck, Ludwig Friedländer, August Hagen, Kon-
stantin Höhlbaum, Karl Lehrs, G. H. F. Nesselmann,
L. Passarge, Karl Rosenkranz, Franz Bühl, Otto Schön-
dörffer, Paul Tschackert, Hans Vaihinger, Arthur Warda
und besonders Emil Arnold t, der tiefgründige Kenner der
Kantischen Philosophie. Was Reicke selbst, er der einzelne Mann,
für die Zeitschrift geleistet hat, ist staunenswert. Neben den
mühsamen Bedaktionsgeschäften fand er die Zeit zur Anfertigung
von vielumfassenden und wichtigen bibliographischen Verzeich-
nissen, — besonders wichtig ist das Verzeichnis der Kantliteratur
der Jahre 1882 (mit Nachträgen zu früheren Jahren) bis 1894 —
von Übersichten über die periodische Literatur, zur Herstellung
der Chronik der Albertina usw. Seine der Zeitschrift einver-
leibten besonderen Arbeiten sind zum Teil von sehr großem
Umfange. Über die Grenzen unserer Heimat hinaus haben vor
allen die auf Kant bezüglichen Interesse erregt; durch sie und
durch die Aufsätze Emil Arnoidts hat die Altpreußische Monats-
schrift auch in außerdeutschen Ländern Europas, ja in Nord-
amerika Abonnenten gefunden.
Der erste Band der Altpreußischen Monatsschrift brachte
zwei Aufsätze Reickes über den Mann, der nächst Kant sein
größtes Interesse erweckt hat, über J. G. Scheffner, den Zeit-
genossen und Freund der Königsberger Größen in der Kantischen
Epoche, der sie alle überlebte und als Vierundachtzigj&hriger erst
1820 gestorben ist. Die beiden Aufsätze sind höchst anziehenden
Inhalts und bekunden die liebenswürdige Darstellungsweise Reickes;
sie haben die Titel: „Aus dem Leben Scheffners'4 und „Der
Kriegsrat Scheffner und die Königin Luiseu. Sie führen
in jene an schmerzlichen, aber auch an erhebenden Erinnerungen
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reiche Zeit, da der preußische Staat unter den Schlägen Napoleons
zusammengebrochen war und die Königsfamilie in unserer
Provinz ihre letzte Zuflucht fand, in der aber auch auf dem
Boden Ostpreußens das Werk der Verjüngung unseres Volks-
und Staatslebens vorgenommen wurde. Das alles hat der greise
Scheffner nicht nur erlebt, sondern er hat auch selbst zu den
großen Fragen der Zeit Stellung genommen und ist für die
Reformideen mit Eifer und Mut, weckend und anregend, ein-
getreten. Im Mittelpunkte der Darstellung und der Mitteilungen
Reickes stehen aber die persönlichen Beziehungen Scheffhers zu
der hochgesinnten Königin Luise und zu ihrer schönen und
liebenswürdigen Schwester, der Prinzessin Friederike von
Solms. Der Verkehr des originellen Ostpreußen mit den hohen
Frauen bietet trotz des ernsten Hintergrundes, den ihm jene
drangvoll bewegte Zeit gibt, ein freundliches Bild von fesselndem
Reize. Scheffner erfreute sich ihrer Huld trotz mancher äußerst
freimütigen Äußerung, da seine guten Absichten von den fürst-
lichen Frauen wohl gewürdigt wurden und er es verstand, seine
Mahnungen in eine artige und launige Form zu kleiden. Die
Briefe der Königin Luise an Scheffner, die Reicke dem auf dem
hiesigen Staatsarchiv aufbewahrten handschriftlichen und brief-
lichen Nachlasse des letzteren entnahm, sind schöne Zeugnisse
ihres Seelenadels und ihrer Herzensgüte.
Die Teilnahme für die Persönliohheit Scheffners ist Reioke bis
zuletzt geblieben. Er hat die Beziehungen, das schriftstellerische
und praktische Wirken des beweglichen, nach den verschiedensten
Seiten hin tätigen Mannes, das bisweilen mit dem Sohleier des Ge-
heimnisses umhüllt ist, sorgsam verfolgt und hierfür ein reiches
und wichtiges Material zusammengebracht, das er einst für die
Veröffentlichung gestalten wollte. Der Tod hat diesem Plane
ein Ende gemacht. — Im Jahre 1884 erschienen die „Nach-
lieferungen" zu Scheffners Autobiographie bei Carl Reißner
in Leipzig mit vielen, von großer Sachkenntnis zeugenden Er-
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XVI
läuterungen; der Herausgeber nannte sieh nicht; es war unser
Beicke.
Ein gewisses Aufsehen erregte in der gelehrten Welt die
Herausgabe eines bisher ungedruckten nachgelassenen Werkes
Kants von bedeutendem Umfange durch Beicke. Schon im
ersten Bande der „Altpreußischen Monatsschrift/' hatte er, freilich
nicht als erster, auf dieses hingewiesen. Es war in den Besitz
eines Verwandten Kants gekommen, war lange Zeit aus dem
literarischen Gesichtskreise verschwunden, bis 1858 Schubert
Gelegenheit erhielt, es einzusehen. Das Werk wurde aber nicht
gedruckt und verschwand abermals. Da erhielt Beicke „un-
vermutet" und zu seiner „freudigen Überraschung" ein im
Jahre 1863 „von einem sachkundigen Verwandten Kants auf-
gesetztes" Inhaltsverzeichnis jener Handschrift und veröffentlichte
es in seiner Zeitschrift (I. S. 745 — 749). Bald bekam er das
Manufkript selbst in Verwahrung und behielt es fast ununter-
brochen 16 Jahre. Es war das letzte Werk des Weltweisen;
nach Kuno Fischers Schätzung (Das Streber* und Gründertum
in der Literatur. Stuttgart 1884. S. 15) würde Kants zusammen-
hängende Beschäftigung damit in die Jahre 1798 bis 1803 gefallen
sein. In den unaufhörlichen Wiederholungen und dem Mangel an
Ordnung der Gedanken zeigt sich aufs deutlichste die Abnahme
der Kräfte dieses einst „alles zermalmenden" Geistes. Über die
Handschrift und ihren Inhalt gibt eine von Beicke (Altpr.
Monatsschr. XIX, S. 66 — 67) mitgeteilte „Anzeige, den Nach-
laß des sei. Kant betreffend" folgende Aufklärung: „Es sind
ungefähr hundert Foliobogen da, welche, bis auf ein paar Bogen,
alle von Kant eigenhändig geschrieben sind. Der Titel des
Werkes, zu welchem sie nur Materialien enthalten, sollte sein:
Uebergang von den metaph. Anf. Gr. der Naturwissen-
schaft zur Physik. Dieser sollte eine eigene Wissenschaft
ausmachen, die sich ebenso sehr von den Anf. Gr. d. N. W-
als von der Physik unterschiede, aber doch auf Principien a priori
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XVII
beruhte und welche dadurch zur Erklärung der natürlichen Er-
scheinungen diente. Sie sollte das Gebiet der metaph. Anf. Gr.
der Naturw. mit dem der empirischen Physik verbinden und gleich-
sam den Baum ausfüllen, welcher zwischen diesen beiden Wissen-
schaften befindlich ist, teils um das, was in jener nach Begriffen
a priori angenommen wurde, durch Anwendung auf die wirklich
vorhandenen Kräfte der Natur zu erklären und zu erweitern, teils
auch, um für diese die Grundsätze aufzustellen, nach welchen
allein ein geordnetes Ganzes derselben möglich wäre*' etc.
Beicke hatte anfangs die Absicht, „eine Darstellung gleichsam
als Kern aus dem Ganzen herauszuschälen"; er gab sie aber bei
der eigenartigen Beschaffenheit des Werkes wieder auf und ent-
schloß eich, das Manuskript in einer Beihe von Artikeln in der
„Monatsschrift" zu edieren. Im 19. bis 21. Bande (1882—1884)
ist es erschienen: „Ein ungedrucktes Werk von Kant aus
seinen letzten Lebensjahren." Die Veröffentlichung konnte
nicht zu Ende geführt werden, da der Pastor A. Krause in
Hamburg die Handschrift mittlerweile gekauft hatte und sie
Beicke nicht mehr zur Benutzung überließ. Dieses postume
Werk Kants ward der Anlaß zu jener Fehde zwischen Krause
und Kuno Fischer, in welcher dieser den Hamburger Pastor in
der schärfsten Weise abfertigte.
Eine allgemein anerkannte Stellung unter den Kantforschern
gewann Beicke durch die sich über 12 Jahre (1887—1898) hin-
ziehende' Veröffentlichung der „Losen Blätter aus Kants
Nachlaß" in der Altpreußischen Monatsschrift; er hat sie in
drei Heften 1889—1898 im Verlage der Beyerschen Buchhandlung
auch besonders erscheinen lassen. Sie gehören außer einem
kleinen Teile zu der auf der hiesigen Königlichen und Uni-
versitätsbibliothek aufbewahrten Sammlung von Blättern aus
dem Nachlaß des Philosophen. Von den 13, einst von Schubert,
aber mangelhaft, geordneten Konvoluten (A — N) hat Beicke
sieben herausgegeben. Nach dem Abdrucke des Konvoluts G
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xvm
(„Kants Ansichten zur Religionsphilosophie od. natürlichen
Theologie") hörte er mit dieser Arbeit auf; eine neue große
Aufgabe und der damit verbundene Mangel an Zeit und der
Umstand, daß der handschriftliche Nachlaß des Philosophen auch
für die große Kant-Ausgabe der Berliner Akademie verwertet
werden sollte, haben ihn dazu veranlaßt. Über den Titel läßt
sich Beicke im Vorworte zum ersten Hefte selbst aus: „Lose
Blätter sind es; denn es findet, mit wenigen Ausnahmen,
zwischen den einzelnen kein innerer Zusammenhang statt, oft
sogar nicht einmal zwischen den einzelnen Seiten eines und
desselben Blattes." Und über die Art des Abdrucks äußert er
sich ebendaselbst: „Sie werden hier zum erstenmal vollständig
und wortgetreu nach den Originalen veröffentlicht; indem wir
nichts weglassen noch ändern, verschaffen wir uns am sichersten
einen Einblick in die Art und Weise, wie Kant arbeitete: für
seine Vorlesungen wie für seine schriftstellerische Tätigkeit,
für private wie für amtliche Zwecke." So wurde also mit
diplomatischer Genauigkeit im Drucke wiedergegeben, was sich
auf den Blättern selbst unter vielfachen Korrekturen, Band- und
Zwischenbemerkungen findet. Diese „Losen Blätter", durch
welche eine Fülle neuer Einblicke in die Werkstätte eines der
gewaltigsten Geister aller Zeiten eröffnet wurde, gewannen dem
verdienstvollen Herausgeber den warmen Dank der gelehrten
Welt. Wilhelm Dilthey schrieb ihm im Mai 1889 aus Berlin
nach Empfang des ersten Heftes: (Die Losen Blätter) „sind die
wichtigste Publikation über Kant, ja überhaupt das Wichtigste,
was für Kant geschehen ist seit der Ausgabe des verdienten
Schubert. Ich werde noch lange zu tun haben, die Ergebnisse
dieser Edition für mich auszunutzen".
Von Dilthey wurde dieses Heft der Akademie der Wissen-
schaften vorgelegt, und damit ward der äußere Anstoß zu dem
ehrenvollen Auftrage gegeben, dessen Ausführung Reickes Lebens-
werk krönen sollte. Es galt, den Briefwechsel Kants für die
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XIX
von der Akademie geplante Ausgabe der Schriften des Philosophen
herauszugeben. Eeicke war der Berufenste dazu. Seit Jahrzehnten
hatte er Briefen von und an Kant nachgespürt und sie gesammelt,
seine erste über Ostpreußen hinaus gemachte Eeise, die ihn im
Jahre 1885 nach Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Weimar,
Wolfenbüttel, München, Wien führte, diente wesentlich solchen
Nachforschungen. Wer aber war so imstande, die für das Ver-
ständnis der Briefe nötigen Aufschlüsse über Personen und Dinge
zu geben, als der Mann, dem Ostpreußen und Königsberg der
Kantischen Zeit lebensvoll vor Augen stand, der darüber hinaus
auch allen anderen Personen nachgeforscht hatte, mit denen der
Weltweise irgendwelche Beziehungen unterhalten hatte? Was
Beickes Geist in bezug darauf umfaßte und beherrschte, wird
erst zutage treten, wenn der vierte Band des Briefwechsels,
der die Erläuterungen bringen soll, gedruckt sein wird. Dem
treuen Verehrer des unsterblichen Weisen war es nicht mehr
vergönnt, dies zu erleben; aber er hat die umfassendsten Vor-
arbeiten und reichsten Sammlungen auch für diesen Teil seines
letzten Werkes hinterlassen.
Im Jahre 1900 erschienen die beiden ersten Bände des
Briefwechsels, der dritte, der neben Briefen noch einen Nachtrag
verschiedenen Inhalts brachte, folgte 1902. Welche Menge bis-
her unbekannter Briefe wird in dieser Sammlung geboten!
Durch sie wird unsere Kenntnis des Charakters und Wesens
des Philosophen wesentlich vertieft, werden seinem Bilde neue,
lebensvolle Farben zugeführt. Wenn wir uns beim Eindringen
in seine Schriften und in seine Lehre vor seinem erhabenen
Geiste beugen, so tritt er uns in den persönlichen Beziehungen
zu seinen Bekannten, Freunden und Verehrern menschlich nahe ;
wir lernen ihn lieben in seinem schlichten Edelsinn, seiner
Wahrhaftigkeit und seiner Herzensgüte. Wir können aus dem
Briefwechsel auch ersehen, welch mächtigen Eindruck der
Charakter und die Lehre Kants auf seine Zeitgenossen machte,
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XX
wie seine Philosophie, wenn sie auoh hier und dort auf Wider-
stand stieß, sich siegreich überall hin Bahn brach.
Der Arbeit für Kant hat Beicke bis kurz vor seinem Tode
obgelegen. Daneben vernachlässigte er aber auch nicht seine
Altpreußische Monatsschrift; noch in den Jahren 1900 bis 1903
ließ er in ihr umfangreiche Mitteilungen von großem kultur-
historischem Werte erscheinen: Briefe von Timotheus
Gisevius an Ludwig Ernst Borowski. Diese Schreiben
des Lycker Erzpriesters geben ein ursprüngliches und anschau-
liches Bild von Land und Leuten Masurens am Ende des
18. Jahrhunderts.
Es ist wahrhaft erstaunlich, was der im hohen Greisenalter
befindliche, dazu von schwerer Krankheit heimgesuchte Mann
geleistet hat. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens fand ihn
noch auf der Höhe seines wissenschaftlichen Schaffens.
In dieser Zeit ward ihm auoh zuteil, was ihm so lange
versagt geblieben war, was er aber auch nie gesucht hatte:
die äußere Anerkennung seines Wirkens auoh seitens des Staates.
Aus Anlaß seines Scheidens aus dem Bibliotheksdienste 1897
erhielt er den Boten Adlerorden 4. Klasse, drei Jahre darauf
zur Jubelfeier der Akademie der Wissenschaften den Boten
Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife, an seinem 80. Geburts-
tage (5. Februar 1905) die Kleine Goldene Medaille für Wissen-
schaft; zu Kants 100 jährigem Todestage war ihm der Professor-
titel verliehen worden.
Eine schöne Genugtuung gewährten seinem Herzen die
spontanen Kundgebungen der Dankbarkeit und Wertschätzung,
der Liebe und Verehrung, die ihm bei besonderen Gelegenheiten
aus weiten Kreisen der Gebildeten zuteil wurden. An seinem
70. Geburtstage empfing er die Glückwünsche des hiesigen Künstler-
vereins in einer schön und künstlerisch ausgestatteten Adresse,
eine andere wurde ihm im Namen einer großen Zahl „dankbarer
Freunde und Verehrer" (in dem Verzeichnis befinden sich auoh die
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AJtertums-Gesellsohaft in Insterburg und der Coppernicus- Verein
für Wissenschaft und Kunst in Thorn) zugleich mit seinem Porträt
in Heliogravüre überreicht. Von 12 auswärtigen Freunden kam
als Geschenk eine Kantbüste, begleitet von einem herzlichen
Schreiben; unter denen, die es unterzeichnet hatten, befanden
sich auch die alten Freunde Brünneck, Perlbach, Steffenhagen
und Wiehert. Der Verein für die Geschichte von Ost- und
Westpreußen ernannte ihn zu seinem Ehrenmitgliede ; im Jahre
1904 erhielt er auch von der hiesigen Altertums-Gesellschaft
Prussia das Ehrendiplom.
Noch einmal, es war im letzten Jahre seines Lebens, an
seinem 80. Geburtstage, kam die allgemeine Liebe und Ver-
ehrung, die der ehrwürdige Veteran der Wissenschaft. besaß, in
erhebender Weise zum Ausdruck. Wohl keins unter den vielen
Zeichen der Teilnahme hat ihn damals so erfreut als jenes
Denkmal der Pietät, das Perlbach ihm durch die Abfassung des
Inhaltsverzeichnisses für die ersten 40 Bände der Altpreußischen
Monatsschrift errichtet hat.
Am 18. Februar 1892 war ihm seine treue Lebensgefährtin
durch den Tod entrissen worden, aber ihm war noch vergönnt,
ein reines und schönes Altersglück an seinen Kindern und Kindes-
kindern zu genießen. Der älteste und der jüngste Sohn, Johannes
und Emil, haben den Beruf des Vaters ergriffen, jener ist
Bibliothekar an der Göttinger Universitär -Bibliothek, dieser
Studtbibliothekar und -arohivar in Nürnberg. Der Sohn Georg
ist der auch als Dichter bekannte Bürgermeister von Berlin.
Hier lebt auch Reickes einzige Tochter Anna; sie bekleidet eine
Stelle an der Stadtbibliothek. In den letzten Lebensjahren Reickes
übernahm Fräulein Rose Burger, durch ihre Mutter der Sohwinck»
Bohnschen Familie verwandt, die Führung des Haushaltes in
Königsberg. Sie ist dem Greise die treueste Pflegerin und eine
äußerst fleißige, umsichtige und kundige Gehilfin bei seinen
gelehrte** Arbeiten gewesen, — *
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XXII
ßeicke machte den Eindruck einer abgeklärten Persönlich-
keit, bei der die Gaben des Verstandes und die des Gemütes
in einem schönen Gleichmaß zu einander standen. Seine
patriarchalisch schlichte und doch vornehme Erscheinung mit
dem mächtigen, von vollem weißen Haare umgebenen Haupte
und dem milden, geistvollen Antlitz wirkte ungemein anziehend
und nachhaltig auf jeden, der mit ihm in Berührung kam.
Bei der bis zuletzt mit eisernem Fleiße meistens bis in die
tiefe Nacht betriebenen Gelehrtenarbeit blieb er ein warm-
herziger, für Freundschaft, Kunst und Natur empfänglicher Mensch.
In seinem handschriftlichen Nachlasse findet sich eine Anzahl
von Gedichten, die Zeugnis ablegen von seinem reichen und
tiefen Empfinden. Mit den Werken der Koryphäen unserer
zweiten klassischen Literaturepoche war er innig vertraut, am
innigsten mit denen Goethes. Die vier Bändchen Goethescher
Gedichte in der Cottaschen Ausgabe von 1827, die er einst als
Seminarist geschenkt erhalten hatte, ließ er niemals von sich;
sie begleiteten ihn auch auf seinen Reisen. Aus „Faust" konnte
er große Stücke auswendig. Auch mit den Dichtungen der
Neueren und Neuesten hatte er sich bekannt gemacht; er konnte
ihnen jedoch im ganzen keinen Geschmack abgewinnen. In der
Musik zogen ihn die erhabenen Schöpfungen Bachs am meisten an,
in der Malerei die großen Italiener des 16. Jahrhunderts. Die
Natur liebte er bis zur Leidenschaft. In den früheren Jahren war
er fast jeden Sommer einige Woohen an unserem Ostseestrande.
Mit magischer Gewalt zog die See ihn an, den, wie er einmal
schrieb, „am Meere und sozusagen für das Meer Geborenen und
Aufgewachsenen, den das Meer so wundersam ergreift und immer
von neuem anlockt, gleichsam zur Strafe dafür, daß er ihm
einst untreu ward". Seit 1894 suchte er meistens Erholung in
der milderen Luft des Sächsischen Erzgebirges, in Bärenfels bei
Kipsdorf. Hier umfing ihn der Zauber des deutsohen Mittel-
gebirges mit den lieblichen Tälern und Höhen, den duftigen
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xxni
Wäldern. In oft stundenlangen Wanderungen gab er sich dem
Genüsse der Natur und der alten Neigung zum Botanisieren
hin; die Briefe von dort atmen eine frohe und glückliche
Stimmung. So schreibt er im Juni 1894 an die Seinen nach
Königsberg: „Zum erstenmal zwischen felsigen Bergen auf einem
Felsen zu wohnen ist mir ein Hochgenuß, dem ich mich mit
offenen Sinnen und vollem Herzen ergebe; in allen Gliedern
fühle loh das pulsierende Leben . . Der erste Sonntagsmorgen
und -vormittag war einem Gange durch das Pöbeltal gewidmet;
es war zauberhaft schön und wonnig. Ich habe schon manchen
schönen Sonntagsmorgen in Gottes freier Natur zugebracht und
besonders sind mir noch die botanischen Exkursionen am Sonntag
bis auf Schritt und Tritt durch die litauischen Wälder und
Waldwiesen in blumenfreundlicher Erinnerung aus meinen ersten
Jünglingsjahren. Aber so wie dieser Sonntag im Pöbeltal hat
mich noch keiner entzückt. Auge und Ohr in Einem Ergötzt-
sein; nach mancher neuen Pflanze habe ich mich bücken, so
manche alte neu begrüßen müssen, die Lust zu botanisieren
lebte in mir wieder auf, schade nur, daß das Gedächtnis für
manche längst verklungene Namen nicht immer miterwachen
wollte; ich habe mir aber ihre Charaktere gemerkt, von manchen,
zumal den neuen, Blüten und Blätter mitgenommen und gepreßt,
so daß ich in Königsberg bei der Leichenschau sie werde
rekognoszieren können. u
Sein weiches Gemüt und sein den materiellen Interessen
abgewandter Sinn waren wohl die Hauptursache, daß er sich am
politischen Leben so wenig beteiligt hat. Die heftigen nationalen
und politischen Kämpfe der Gegenwart riefen in ihm das Gefühl
des Unbehagens wach; immer wieder flüchtete er sich in jene
Zeit, da die Menschheit sich als Ideal einen ewigen Frieden
erträumte und die edelsten Geister die Forderung geltend
machten, daß vor allem Humanität den Verkehr der Völker
sowie den der einzelnen beherrsche. Dieser Kosmopolit war aber
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XXIV
innerlich ein an die Scholle Gebundener; an der Heimaterde
hing er mit der ganzen Kraft seines Herzens. So sehr er die
Weimarer Heroen verehrte, der Ostpreuße Immanuel Kant stand
ihm höher als sie alle.
Das was ßeicke durch seine selbstlose, von Hingebung und
Liebe zur Heimat getragene, rastlose Arbeit geschaffen hat, stellt
ein Erbteil dar, an welchem die Späteren noch lange zehren
werden. Möge Altpreußen nie vergessen, was es ihm verdankt!
Verzeichnis der Publikationen Rudolf Reickes.
De explicatione, qua Reinholdus gravissimum in Kantii critica rationig purae
locum epißtoliß suis illustraverit. Diss. inaug. quam auctoritate ampli&simi
philosophorum in Academia Albertina ordinis ad summos in philosophia
honores rite capessendos die XXIV. m. Julii anni MDCCCLVI h. 1. q. c.
publice def endet auctor. Regiomonti Pr. 32 S. 8°.
Kant von einem seiner Jugendfreunde geschildert. Blätter für literarische Unter-
haltung 1&58. Nr. 16, S. 297—298.
Kantiana. Beiträge zu Immanuel Kants Leben und Schriften. (Separat- Abdr.
aus den Neuen Preuß. Prov.-Blättern.) Königsberg 1860. VI + 83 S. 8°.
J. Kants Nachricht an Ärzte über die Frühlings -Epidemie des Jahres 1782.
N. Pr. Prov.-Bl. 3. Folge. Bd. VI. Heft 3 u. 4. 1860. S. 184-190.
Vita Secundi Atheniensis Philosophi Philologus. Jahrg. XVIII. Hft. 3. 1861.
S. 523-534.
Kants Berufung nach Erlangen. N. Pr. Prov.-Bl. 3. Folge. Bd. VIII. Hft. 5/6.
1861. S. 244—247.
Über den ältesten Königsberger Druck und zwei in Wackernagels Bibliographie
des deutschen Kirchenliedes nicht verzeichnete Liederdrucke. Serapeum
hrsg. v. Naumann 1861. Nr. 13. S. 199—204.
Kant und Basedow. Ein Vortrag, gehalten an Kants Geburtstag, 22. April 1861,
zu Königsberg in der Kantgesellschaft. Deutsches Museum. Hrsg. v.
Bob. Prutz. Nr. 10. 1862. S. 329—341.
Aus dem Leben Scheffners. Ein Vortrag, gehalten am 5. März 1863 im KönigL
Schlosse zu Königsberg. Altpreuß. Monatsschr. I. Bd. Kgsbg. 1864.
S. 31—58.
Über den Bang der Wissenschaften unter einander und über das Verhältnis
aller zu der Philosophie. Ein Vortrag, gehalten an Kants Geburtstag,
den 22. April 1835, in der Kantgesellschaft zu Königsberg von F. W
Beesel. (Bisher ungedruckt.) Mitgeteilt von R. Reicke» Ebd. I.
S. 59—62.
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XXV
Chronik der Universität in Königsberg, erschienen in allen Jahrgängen der
Altpr. Monatsschr. (1864-1905).
Zur Kant- und Forster-Feier. Ebd. I. S. 647—648.
Der Kriegsrat Scheffner und die Königin Luise. Vorgelesen in der Königl.
Deutschen Gesellschaft zu Königsberg am 15. Dezember 1864. Ebd. I.
S. 706-736. S.-A. Königsberg 1865. 31 S. 8<>.
Zu Kants Manuskript zur Metaphysik der Natur. Ebd. I. 8. 742—749.
Nekrolog für 1863—1866. Ebd. I— III. (Siehe das Inhaltsverzeichnis von
Bd. 1—40 der Altpr. Monatsschr. Herausgeg. v. V. f. d. Gesch. v. Ost-
u. Westpr. Königsb. 1905 (hier fortan I. A. M. zitiert). S. 3.)
Altpreußische Bibliographie 1862—1895. Altpr. Monatsschr. I— XXXIII. (Siehe
I. A. M. S. 1—2. 119-120. 120 Anm. 1.)
Provinzial - Geschichte - Kalender. Altpr. Monatsschr. I (1864) und II (1865).
(Siehe I. A. M. S. 2.)
Periodische Literatur Altpreußens 1865—1883. Ebd. II (1865)— XVIII (1881).
XX (1883). (Siehe I. A. M. S. 2, woselbst bei XX die Jahreszahl 1882
in 1883 zu verwandeln ist.)
Fichtes erster Aufenthalt in Königsberg. I. II. Deutsches Museum 1865. Nr. 21.
8. 721-736. Nr. 22. S. 767-7ar).
Bede, gehalten in der Kant-Gesellschaft zu Königsberg an Kante Geburtstag
den 22. April 1823 von Johann Friedrich Herbart. (Bisher ungedruckt.)
Mitgeteilt von R. Reicke. Altpr. Monatsschr. II. S. 245—247.
Zwei „Zettel von Madame Karschi n" an Scheffner. Schles. Provinzialblätter
1866. Juni. S. 354-358.
Der Gumbinner Regierungsbezirk in Rußland. Mitgeteilt von £. Altpreuß.
Monatsschr. III (1866). S. 182—183.
Das definitive Resultat der Volkszählung in Altpreußen am 3. Dezember 1864
von $. Ebd. III. S. 274-278.
Die definitive Bevölkerung der Provinz Preußen am 3. Dezember 1867 von £.
Ebd. VI (1869). S. 544-549.
Die Ergebnisse der Volkszählung von 1871 in der Provinz Preußen. Ebd. X
(1873) am Schluß.
Ein Danziger Rateedikt vom Jahre 1520 als ältester Druck aus der Wein menschen
Officin zu Danzig. Ebd. III (1866). S. 553—558.
Manuskripte zur altpreuß. Geschichte in der Gräflich Stolbergschen Bibliothek
zu Wernigerode von £. Ebd. III. 8. 751—752.
Reinhold Lenz in Königsberg und sein Gedicht auf Kant. EM. IV (1867).
S. 647-658.
Altertumsgesellschaft Prussia (Sitzungsberichte) vom 27. September 1867 bin
24. September
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xxvt
Ebd. IV (1867). 8. 672-676. 747—749.
V (18(38). 8. 84-85. 175-176. 274-276. 358—360. 746-749.
VI (1869). 8. 85—87. 173—176. 266—269. 366—368. 543 (nur
die Anmerkung. Die Angabe im I. A. M. 8. 5 und 100 ist hier nicht
ganz richtig.) 654 — 058. £. (Nur bis dahin sind die Berichte von Reicke
verfaßt, und somit gelten die im I. A. M. S. 100 (5) noch weiter folgenden
Angaben nicht mehr für ihn.)
Pawlowski, J. N., St. Adalbert, Apostel der Preußen, und die Vorstadt St. Albrecht
bei Danzig. Danzig 1868; besprochen von J. Ebd. V (1868). 8. 174-175.
Urkundenfund. Erhard Kulling, Komtur von Insterburg: Handfeste für den
Müller Heinrich Luterbach, Insterburg 1343. Ebd. V. 8. 752—753.
Eine Medaille und ein Brief die Auswanderung der Salzburger betreffend. Mit-
geteilt von £. Ebd. VI (1869). 8. 89-90.
Berichtigung betreffend das Lied: ,,Die Seele Christi heil'ge mich", von §.
Ebd. VI. 8. 182.
Der Kunheimsche Luther-Pokal. Mitg. von $. Ebd. VI. S. 659—661.
Richard Gottheil, Die Weichsel-Städte in photographischer Darstellung. Erste
(Probe-) Lieferung. Marienwerder 1869. Besprochen von £. Ebd. VI.
S. 754—755.
An den Adel der Provinz Preußen. (Die Genealogien der Wallenrodtschen
Bibliothek betr.) Ebd. VII (1870). 8. 275—277. Auch in der Kreuz-
zeitung und in der Ostpreuß. Zeitung.
Handschriftliche Funde aus Königsberg. Zwei Original-Briefe aus dem Königs-
berger Geheimen Staats-Archiv ; von £. Ebd. VII. S. 739.
Konigshofens Bericht über die Schlacht bei Tannenberg. Ebd. IX (1872).
S. 185-187.
Samuel Kiechel über Kassuben, Danzig, Elbing und Königsberg. Mitgeteilt
von £. Ebd. IX. S. 365—372.
Über den Begriff und die historische Entwicklung der Ethik. Von Friedrich
Ueberweg. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß mitgeteilt von R.
Reicke. Ebd. IX. S. 566-567.
Vom gelben und weißen Bernstein. Ebd. IX. S. 596—597.
Grundriß der Geschichte der Philosophie. IL Teil. Die mittlere oder die
patristische und scholastische Zeit. Von Friedrich Ueberweg. Vierte,
verbesserte etc. Auflage herausg. von Rudolf Reicke. Berlin 1873. VIII -f
262 S. 8°. III. Teil. Die Neuzeit. Vierte, verbesserte und ergänzte etc.
Aufl. herausg. von Rudolf Reicke. Berlin 1875. VI + 394 S. 8°.
Schön und die Marienburger Schloßkirche. Ein bisher nicht veröffentlichter
Brief Schöns, Arnau, Juni 1856. an König Friedrich Wilhelm IV., mit-
geteilt von R. Reicke zuerst in: Wage. Wochenbl. für Politik und Lit..
herausg. v. Dr. Guido Weiß 1875. Nr. 17; daraus abgedruckt in Altpr.
Monatsschr. XII (1875) 8. 280—284.
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xxvii
Die leges communis convictus auf der Universität zu Königsberg und ein Speise-
zettel vom Jahre 1616. Ebd. XVII (IS80\ S. 481—487.
Scheffner über Herders Metakritik. Ebd. XVIII (1881). S. 438—445.
Zu Kants Brief an Jung-Stilling. Königsb. Hartungsche Ztg. vom 3. November
1881. Nr. 258. Abend-Ausg.
Ein ungedrucktes Werk von Kant aus seinen letzten Lebensjahren. Als Manu-
skript herausgegeben. Altpr. Monatsschr.
XIX (1882). 8. 66-127. 255-308. 425-479. 569-629.
XX (1883). 8. 59-122. 342-373. 415-450. 513-566.
XXI (1884). 8. 81-159. 309-387. 389-420. 533-620. Unvollendet.
Zur Abwehr! (Vorbemerkung, unterz. : D. Red., zu der aus der Vossischen
Zeitung vom 5. März 1882 Nr. 9 abgedruckten „Erklärung" von Emil
Arnoldt gegen Benno Erdmanns Rezension in d. Berliner Deutsch. L. Z.
vom 18. Februar 1882 Nr. 7 über Arnoidts Schrift „Kants Jugend und
die fünf ersten Jahre seiner Privatdoccntur"). Ebd. XIX (1882). 8. 175
bis 176.
Die Kant-Bibliographie des Jahres 1882 mit Nachträgen zu früheren Jahren.
Mitg. von Reicke u. Vaihingen Ebd. XX (1883). 8. 505—511.
Die Kant-Bibliographie des
Jahres 1883. Ebd. XXI (1884). 8. 693-700.
1884. Ebd. XXII (1885). 8. 682-688.
1885. Ebd. XXIII (1886). 8. 650-660.
1880. Ebd. XXIV (1887). 8. 678-687.
1887. Ebd. XXV (1888). 8. 670-679.
1888. Ebd. XXVI (1889). 8. 672-683.
1889. Ebd. XXVII (1890). 8. 678-691.
1890-1894. Ebd. XXXII (1895). 8. 555-612. 8.-A. Königsberg
1895. 60 S. 8°.
Ein Brief an Herbart. (Von F. A. Brockhaus, dat. Leipzig, d. 24. Dez. 1819).
Ebd. XX (1883). S. 662-663.
Nachlieferungen zu meinem Leben. Von Johann George Scheffner. Leipzig
1884. 151 8. 8°. Der Herausgeber, der sich nicht nennt, ist R. Reicke.
Biographische Notizen über Thomas Horner. Altpr. Monatsschr. XXII (1885).
S. 52-58.
Beitrag zur Kenntnis des Religionszustandes in Preuß. Litauen unter dem
Churfürsten Friedrich Wilhelm. Ebd. XXII. S. 177-178.
Aus Kants Briefwechsel. Vortrag, geh. an Kants Geburtstag den 22. April 1885
in der Kant-Gesellschaft zu Königsberg. Mit einem Anhang, enthaltend
Briefe von Jac. Sigism. Beck an Kant und von Kant an Beck. Ebd.
XXII. S. 377—449. Zuerst in der Frankfurter Zeitung erschienen.
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xx vm
Lose Blätter
aus Kante Nachlaß. In
Altpr.
Monatsschr. XXIV (1887). S. 312—360.
443-481. 648-
XXV (1888). S. 263-332.
513-628.
XXVIII (1891). B. 369-450.
513—576.
XXX (1893). 8. 229-308.
430-472.
XXXI (1894). S. 573—677.
XXXV (1898). S. 485-577.
S.-A.
1. Heft. Königsberg in Pr. F. Beyer. 1889.
I + 302 S. 8°.
2. Heft 1895.
375 S. 8«.
3. Heft 1898.
II + 93 S. 80.
Drei Briefe Schopenhauers an Karl Hosen kränz, betreffend die Gesamtausgabe
von Kants Werken. Altpr. Monatsschr. XXVI (1889). S. 310—331.
Die landeskundliche Literatur der Provinzen Ost- und Westpreußen. Unter wesent-
licher Mitarbeit der Herren Bibliothekar Dr. R. Reicke, Dr. E. Reicke
und Rittmeister v. Schack gesammelt und herausgegeben von der Königs-
berger Geographischen Gesellschaft. Heft I. Allgemeine Darstellungen
und allgemeine Karten. Königsberg 1892. III + 71 S. 8°.
Briefe von Timotheus Gisevius au Ludwig Ernst Borowski.
Altpr. Monatsschr. XXXVII (1900). S. 1—87. 201—244. 554-611.
XXXVIII (1901). S. 501-551.
XXXIX (1902). S. 190-261. 486-502.
XXXX (1903). S. 350-382.
(In I. A. M. S. 101 ist die bei XXXX angeführte Seitenzahl 282 in 382
umzuändern.)
Kants Briefwechsel. Band I (XIX + 532 S. 8°) und II (XV + 517 S.). Berlin.
Georg Reimer. 1900. III (XVII + 466 S.) ibid. 1902. (Kants gesammelte
Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der
Wissenschaften. Band X— XII.)
Zu Kants Geburtstag (22. April). Königsberger Hartungsche Ztg. 2. Beil. zu
Nr. 183 der Morgenausg. Sonntag, 20. April 1902.
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Der Einfluss der ostpreussischen Eisenbahnen
auf die stadtischen und einige andere Siedelungen.
Von
W. Feydt.
[Schluß.]
Spezieller Teil.
2. Die geschädigten Städte,
a) absolut geschädigte
d. h. solche, die von ihren Beziehungen i. e. h. 1. oft Nicht-
beziehungen zu den Bahnen nur Schaden gehabt haben.
Hierzu gehören:
14.
Heilaberg
5514 Einwohner
19.
Angerbarg
5030
27.
Labiau
4455
29.
Bössei
4342
40.
Bischofstein
3151
44.
Friedland
2824
49.
Schippenbeil
2433
56.
Nordenburg
2205
57.
Liebstadt
2127
61.
Creuzburg
1848
62.
Alienburg
1750
65.
Drengfurt
1511
66.
Barten
1411
67.
Schirwindt
1224
Wir müssen hier unterscheiden zwischen Orten, die auch
heute noch an keiner Bahn liegen und solchen, denen die Lage
an derselben bisher mehr Schaden als Nutzen gebracht hat. Im
ersten Falle ist die Schädigung selbstverständlich.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 7 u. 8. 30
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456 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Orte, die in einer Zeit, in der es noch keine Chausseen,
keine Eisenbahnen gab, ganz gleich gestellt waren mit allen
Provinzstädten in bezug auf Schnelligkeit und Bequemlichkeit
der Erreichung, mußten zurückgehen, sobald jene Straßen in
immer ausgedehnterem Maße angelegt wurden, aber um sie herum-
gingen. Mit jeder Bahn fiel ein Stück Hinterland fort, aus dem
das Städtchen früher seine Existenzmittel gezogen hatte. Es sind
die Fälle, in denen man wie bei Schippenbeil, Creuzburg und Alien-
burg tatsächlich von der Lage in den berüchtigten ,, toten" Eisen-
bahn-Dreiecken oder -Vierecken sprechen kann.
Die Zahl dieser Städte wird sich immer mehr verringern.
Schon in nicht zu langer Zeit werden Bischofstein und Rössel,
das als Kreisstadt schon lange den Anspruch auf Bahn gehabt
hätte, Stationen sein. Creuzburg und Schippenbeil dagegen
haben, in einem schon recht stark von Bahnen durchzogenen
Gelände, viel weniger Aussicht. Hier wird die alte Postkutsche
wohl noch ein längeres Dasein fristen.
Interessanter sind die Fälle absoluter Schädigung durch die
Lage an der Bahn selbst. In diesen überwiegen die Nachteile
durch die Bahn die günstigen Seiten derselben so bedeutend,
daß die Stadt zurückgegangen ist. Das ist am auffallendsten,
wenn eine Stadt schon recht lange an der Bahn liegt, so daß
ein sicheres Urteil möglich ist: Labiau bekam 1889 seine Bahn,
es ist aber gerade seit jener Zeit zurückgegangen. Der Schienen-
weg nahm der Wasserstraße, vor Allem dem Orte, wo er auf
der langen Reise Hauptstation machte, einen Teil der Bedeutung,
ohne die Stadt in anderer Weise entschädigen zu können. Die
übrigen Städte, die bei absoluter Schädigung Stationen sind,
haben die Bahn erst seit kürzerer Zeit bekommen, außer Lieb-
stadt (1894) erst von 1898 an. Die Schädigung ist hier durch
das zu lange Wartenmüssen auf die Bahn hervorgerufen und
bisher durch die Station noch nicht behoben worden. Diese
Orte haben also Ähnlichkeit mit den bahnlosen Städten. Allein
in ihnen kann sich bald eine Entwiokelung nach der positiven
Seite hin vollziehen, so d*ß vielleicht schon nach zehn Jahren
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Von W. Feydt. 457
manche Stadt zu den durch die Bahn geförderten gezählt werden
muß. Noch läßt sich aber bei den meisten kein abschließendes
Urteil fällen, so daß man sie zu den geschädigten Städten rechnen
kann. Eine Ausnahme bildet Heilsberg, das seine Bahn zwar
erst 1899 erhielt, aber doch schon das deutliche Anzeichen für
einen künftigen Aufschwung zeigt, der aber gegenüber der lang-
jährigen Schädigung sich nicht allzu schnell vollziehen kann.
Bei den drei Städtchen, die seit kurzer Zeit an Kleinbahnen
liegen, ist von einem Aufschwünge noch nichts zu spüren ge-
wesen. Nur Friedland, das Knotenpunkt von Kleinbahnen und
Sekundärbahnen geworden ist, ist in der Rangstufe von 46 (1890)
auf 44 (1900) gestiegen, wobei sich auch die Einwohnerzabi im
selben Verhältnis von 2609 auf 2824 vermehrt hat.
Bei allen diesen Städten sehen wir recht deutlich, ein wie
schiefes Bild die absoluten Bevölkerungsziffern allein abgeben,
denn unter den 14 befinden sich sechs, deren absolute Ziffer
größer geworden ist. Angerburg ist von 1852 — 1900 sogar um
1499 Einwohner gewachsen. Das kommt auf Konto der Wasser- .
straße, oder der fruchtbaren Gegend oder anderer ungeographischer
Verhältnisse wie bei Rössel (Kreisstadt, katholisches Gymnasium),
das einen Zuwachs von 1232 erfahren hat. Und doch sind diese
Städte von den Eisenbahnen hintangesetzt und geschädigt
worden ; allerdings nicht allzu bedeutend. Die Rangzifferdifferenzen
für sie, 2 und 3, sind in dieser Abteilung die kleinsten. An-
lagen zum Größerwerden waren bei beiden da, aber die Bahnen
berührten sie nicht, und brachten dafür andere Städte in die Höhe.
Andererseits begegnen wir aber auch bei den absoluten Zahlen-
differenzen recht großen Minusziffern, die starken Rückgang
ausdrücken.
Wenn Schirwindt um 374, Schippenbeil um 476, Allenburg
gar um 561 Einwohner zurückgegangen sind, so sagen bei der
Kleinheit dieser Städte diese Zahlen genug. Bei Labiau steht's
so, daß 1900 gegen 1852 noch immer ein Plus von 536 Ein-
wohnern zu verzeichnen ist, aber darin ist Labiaus Aufschwungs-
zeit unter den Wirkungen der verbesserten Memel-Pregel-Sohiff-
30*
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458 Der Einfluß der oetpreußischen Eisenbahnen etc.
fahrt einbegriffen. Hier müssen wir besser 1890 (1889 kam
nämlich die Bahn) mit 1900 vergleichen, und dann ist der Bück-
gang von 406 Einwohnern in zehn Jahren auffallend.
Im allgemeinen herrscht im Gegensatz zu den absolut ge-
förderten Städten der Grundsatz, daß die kleinen die Schädigung
am stärksten empfunden, die größten sie etwas leichter ertragen
haben. Angerburg, Heilsberg und Rössel konnten auch ohne
Bahnen nicht ganz bedeutungslos werden. Drengfurt und Schir-
windt wurden dagegen durch die neuzeitliche Entwickelung ein-
fach tot gemacht. Das richtige Bild der allgemeinen Schädigung
geben die Ziffern der Bangliste von 1852 bis 1900.
Ihre Zunahme der Gegenwart zu beweist den ausnahmslosen
Rückgang am deutlichsten. Von Stufe zu Stufe sinken die
Städte in Ansehen und Bedeutung. Am tiefsten ist Alienburg
gesunken, von der 44. Stadt ist es die 62. geworden. Es steht
heute unter Domnau und Bialla, während es 1852 noch ungefähr
ebenso groß war wie Johannisburg und über Sensburg, Soldau
und Pillkallen stand. Sohippenbeil ist um 16, Labiau um 13,
Creuzburg um 11, Drengfurt um 10 Plätze in der Rangliste
gesunken.
Ebenso wie bei den absolut geförderten Städten sind aber
die Differenzen bei den kleinsten und größten nicht so bedeutend,
am stärksten bei bisherigen mittleren Städten. Aber während
bei jenen geförderten kleinsten eine geringe Differenz zum Guten
mehr theoretischen als praktischen Wert hatte, bedeutet hier
ein Sinken um 5 Nummern bei Sohirwindt schon einen Verlust
von 374 Einwohnern und die Stellungnahme als letzte Stadt der
ganzen Provinz.
Ale Probe:
Labiau.
Der interessanteste Fall einer Stadtschädigung durch die
Bahn ist Labiau. Von der Verkehrslage dieser Stadt sagt Bonk
(1. c. 61 Anm. 62): „Die kommerzielle Lage der Stadt ist eine
ausgezeichnete, nachdem die Kunst der Natur zu Hilfe gekommen
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Von W. Feydt. 459
ist", und bezeichnet als diese künstlichen Verkehrsstraßen den
Gr. Friedriohsgraben mit seinen Fortsetzungen und die Labiauer
Bahn.
Von dieser meint er: „Zu den Wasserverbindungen zwischen
Königsberg und Tilsit ist jetzt in jüngster Zeit auch noch die
Eisenbahnverbindung gekommen, und da Labiau der Kreuzungs-
punkt dieser beiden Verkehrswege ist, so läßt sich ein schneller
Aufschwung der Stadt erwarten".
Dieses Urteil war damals, als der Verfasser es schrieb, nicht
nur etwas voreilig, sondern ist auch unrichtig in der Haupt-
voraussetzung, daß Labiau am Kreuzungspunkte zweier Ver-
kehrsstraßen liegt. Bonk läßt sich verleiten, die Verkehrsregel,
daß ein Ort, wo eine Wasser- und Landstraße sich kreuzen, ge-
fördert wird, auf einen falschen Fall anzuwenden. Die Labiauer
Bahn kreuzt nämlich die Wasserstraße in Labiau sozusagen nur
äußerlich, insofern, als sie sie überschreitet, aber sie ist als
Landweg nicht eine besondere neue Straße, sondern nur eine
Wiederholung des Wasserweges auf dem für die Eisenbahn
passenden Pfade. Sie ist wie jener eine Verbindung von Tilsit
und Königsberg mit dem Zwischenort Labiau. Damit fällt die
Nutzanwendung der Begel, die Voraussetzung von Bonks Be-
hauptung über Labiaus Aufblühen, und darin ist zugleich der
Grund enthalten, warum Labiau, gerade seitdem es die Bahn
hat, zurückgegangen ist. Eben weil die Bahn nur eine Wieder-
holung der Wasserstraße ist, hat sie ihr einen Teil ihrer Be-
deutung genommen, ohne etwas Neues, vor allem ohne etwas Neues
für die Stadt an die Stelle zu setzen. Hätte sie, wie die Bahnen
des Oberlands den Oberländischen Kanal, so die Memel-Pregel-
Verbindung tot gemacht, so wäre auch Labiau vollständig be-
deutungslos geworden. Die Trefflichkeit und Natürlichkeit dieser
Wasserstraße war die einzige Rettung für die Stadt, die nur einen
stark abgeschwächten Schlag erhielt. Denn der Hauptverdienst
der Labiauer Handeltreibenden, der Durchgangsverkehr ging
immerhin zu einem Teile mit dem schnellen Verkehrsmittel der
Bahn verloren. Die Tour von Königsberg oder Tilsit nach
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460 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Labiau war keine Tagesreise mehr, auf der man hier Station
mächen mußte. Die vielen Leute, die in Handelszwecken den
Ort hatten aufsuchen müssen, blieben jetzt nur ein paar Stunden
und fuhren mit dem nächsten Zuge zurück oder weiter. Wie
mit den Personen war es aber leider auch mit den Gütern.
Fortan war dem Kaufmann immer die Wahl gestellt zwischen
beiden Beförderungsmitteln und überall, wo die Schnelligkeit
wichtig war — und sie wurde es bei dem immer hastenderen
konkurrenzvolleren Handeltreiben der neuen Zeit jährlich
mehr — , erhielt die Eisenbahn den Vorzug. Der Kaufmann
konnte sioh jetzt anders und mitunter vorteilhafter einrichten,
blieb nicht nur auf die wenigen Monate der Schiffahrtszeit an-
gewiesen, sondern konnte die Bahn im ganzen Jahre, an jedem
Tage, wenn die Konjunktur günstig stand, benutzen. Alles,
was durch sie dem Schiffsverkehr entzogen wurde, wurde auch
Labiau entzogen. Noch wichtiger aber wurde ein zweiter Um-
stand. Die frühere Heise von Labiau nach Tilsit führte durch
eine teilweise Wildnis, was zur Folge hatte, daß die ganze
Gegend sioh um so krampfhafter an die Städte als Mittel- und
Sammelpunkte anschloß. Die Bahn schuf in den Stationen der
Stadt eine Menge Konkurrenzorte. Die fruchtbare Umgegend
Labiaus zog direkten Nutzen aus der Bahn, ohne Labiau mehr
als Vermittlerin zu benutzen. Die Leute schickten ihre Güter
zur Station, fuhren infolgedessen auch selbst nicht mehr nach
Labiau. Man kann sagen, daß Labiaus Schaden dem Markt-
flecken Mehlauken zu gute gekommen ist. Auch ist es be-
zeichnend, daß im Fahrplan der Labiauer Bahn nicht Labiau,
sondern Mehlauken Teilstrecke ist und einzelne Züge von und
nach Königsberg resp. Tilsit hier endigen und nicht in Labiau.
Die Stadt ist tatsächlich seit der Bahn zurückgegangen.
Bis 1890 nahm die Einwohnerzahl zu. 1889 wurde die Königa-
berger Strecke eröffnet, 1891 war die ganze Fahrt bis Tilsit
ermöglicht.
1875: 4487 Einwohner 17
1880: 4683 * 17
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Von W. Feydt. 461
1885: 4750 Einwohner 19
1890: 4861 * 19
1895: 4606 * 25
1900: 4465 * 27
Unsere Eisenbahnzeit ist überhaupt dem Durchgangs-
verkehre für kleine Städte abgeneigt; nur weil der Wasser-
verkehr auf der Deimestraße immer bedeutend bleiben wird,
kann Labiau eine Ausnahme bilden. Ob die Schädigung an-
haltend sein wird, kann man heute noch nicht beurteilen; es ist
möglich, daß die Bahn eine gewisse Summe von Nutzen aus
dem Durchgangsverkehr entzieht, die zunächst noch nicht ersetzt
ist, aber mit der Zeit durch verstärkten Schiffs- und Ploßverkehr
ersetzt werden könnte. Beträgt doch der jährliche Durchgangs-
verkehr bei Labiau die stattliche Ziffer von zu Berg: 640277,
zu Tal: 42741 To. (Memel, Pregelstrom II pag. 532). Es ist
aber auch möglich, daß die Bahn noch mehr Verkehr an sich
reißt als heute, und dann wird die Stadt weiter zurückgehen.
Daß die Erwartungen, die man 1889 hegte, übertroffen wurden,
haben wir schon bei Tilsit gesehen.
Labiaus Glück liegt in den Wasserstraßen. Ein „seltener
Unstern" scheint nach Hörn über den Handelsstraßen der Stadt
zu Lande zu schweben. (Hörn, zur Geschichte Labiaus pag. 38.)
Und doch war es vielleicht ein richtiges Gefühl, wenn der
damalige oberste Verwaltungsbeamte des Kreises sogar dem Chaussee-
bau halb ablehnend gegenüber stand, ein dunkles Gefühl, daß schon
dadurch der Durchgangsverkehr der Stadt leiden könnte; und jeden-
falls wird mancher Labiauer im Gegensatze zu Hörn mit Genug-
tuung daran denken, daß 20 Jahre vergangen waren, als dessen
erster Ruf nach einer Labiauer Bahn vom Jahre 1869/70 Wider-
hall fand.
b) relativ geschädigte Städte.
Mußte schon zur richtigen Beurteilung, ob eine Stadt von
der Bahn absolut geschädigt ist, die Rangziffer herangezogen
werden, so ist das noch vielmehr bei den relativ geschädigten
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462 Der Einfluß der oetpreußißchen Eisenbahnen etc.
Städten der Fall. Denn hier handelt es sich tun Orte, die sich
sämtlich gegen die Vergangenheit vergrößert haben, dennoch
aber in ihrer Stellung zum Städte -Ganzen der Provinz zurück-
gegangen sind und Einbuße an Bang und Ansehen genommen
haben. Ginge man nach der absoluten Ziffer, so müßten alle
diese Städte zu den geförderten gerechnet werden und doch
wird niemand Memel dahin rechnen können, obwohl es 1852:
11422, 1900: 20166 (Ziv.: 19576) Einwohner zählte. Absolute
und Bangziffern stehen sich hier schroff gegenüber. Die aus-
nahmslose Zunahme in den ersteren schwankt zwischen 122 Ein-
wohnern bei Frauenburg und 8744 (8154) bei Memel und die
Bangziffer wird mit den Jahren bei allen größer. Die Differenzen
gehen von 2 bei Memel bis 11 bei Mohrungen (1900 mit 1852
verglichen!). Dieses ausnahmslose Größerwerden ist das Zeichen
allseitigen Herabsinkens auf eine tiefere Stufe, ein Verlust an
Bedeutung, Ansehen und Bang.
Da es nun im Wesen der Schädigung liegt, daß sie, wenn
andauernd, nicht nur die Bangziffer beeinflußt, sondern dann,
wie wir bei der vorigen Klasse gesehen haben, auch auf die
Einwohnerzahl rückgängige Wirkung ausübt, hier aber es zu
dieser nicht nur nicht gekommen, sondern die gegenteilige er-
folgt ist, werden wir es bei dieser Gruppe immer mit einer
zeitlich beschränkten Schädigung durch die Bahnen zu tun
haben. In der Tat können wir unterscheiden zwischen Orten,
die zuerst durch die Bahnen geschädigt, dann aber gefördert
sind und solchen, wo eben dieser Prozeß sich in umgekehrter
Zeitfolge vollzogen hat. In beiden Fällen ist die Schädigung
trotz der zeitlichen Begrenzung mitunter recht bedeutend und
lange nachwirkend, nur mit dem Unterschiede, daß sie in dem
einen durch die nachfolgende Förderung lange nicht gut gemacht
werden konnte, z. B. Memel, in dem anderen den vorhergegangenen
Nutzen aufhob und weitere Entwickelung hemmend mitunter
zum direkten Bückgange führen konnte. Wir haben es hier
mit einer Übergangsklasse zu tun: Die erste Abteilung ahnt den
absolut geschädigten, die zweite den stagnierenden Städten. Ein
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Von W. Feydt. 463
oberflächliches Urteil z. B. könnte Memel für absolut gesohädigt,
Pr. Holland für unbeeinflußt von der Bahn erklären.
Zu dieser Klasse gehören im ganzen elf Städte, von denen
sechs auf die erste, fünf auf die zweite Abteilung fallen.
Es sind:
1. relativ geschädigt bei Schädigung nach der Förderung:
50.
Landsberg
2430 Einwohner
39.
Pr. Eylau
3248
32.
Mohrtmgen
4025
24.
Wartenbarg
4588
20.
Pr. Holland
4991
17.
Wehlau
5139
2. relativ geschädigt bei Schädigung vor der Förderung:
47. Frauenburg 2492 Einw.
43. Gerdauen 2926 *
30. Tapiau 4320 *
8.(6) Braunsberg 12497 * (11891) Einw.
5/5) Memel 20166 * (19576) *
Bei der zweiten Abteilung blieben die hierher gehörigen
Städte zuerst abseits von der Bahn liegen — wie Memel, oder
die Bahnen, an die sie zu liegen kamen, hatten eine ihrer Ver-
kehrsrichtung nicht entsprechende, wie z. B. die Königliche Ost-
babn bei Braunsberg. Wurden dann später diese zuerst fehlenden
Bahnen gebaut, wie die Verlängerung der Tilsit-Inster burger Strecke
bis Memel und die Strecke Mehlsack-Braunsberg, so konnten sie die
Wunden doch nicht heilen, die einmal geschlagen waren. Sie wirkten
zwar entschieden fördernd, aber nie in dem Grade, wie man es
erhofft hatte, wie es eine Eigentümlichkeit der Gesohichte der ost-
preußischen Eisenbahnen überhaupt ist, daß die am heißesten
ersehnten Bahnen mitunter den Hoffnungen gar nicht entsprachen,
während anfangs als unwesentlich hingestellte, ja zuweilen an-
gefeindete sich als nutzbringend erwiesen.
Bei der ersten Abteilung unserer Klasse war der Prozeß
umgekehrt. Die Städte hier kamen ziemlich frühzeitig an die
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464 Der Einfluß der oetpreußischen Eisenbahnen etc.
Bahnen oder in ihre Nähe (wie Pr. Holland 1852, Wehlau 1860,
Pr. Eylau 1866, Mohrungen 1882) und wurden dadurch vor
anderen Orten, vor denen sie selbst wenig oder nichts voraus
hatten, bevorzugt. Später jedoch, als das Bahnnetz dichter aus-
gebaut wurde, stellte sich das natürliche Verhältnis wieder her,
ja es kamen andere Orte noch viel mehr durch die Bahnen
empor wie z. B. Allenstein oder Bartenstein, und jene wurden
nun geschädigt, dadurch, daß sie ihren Aufschwung vorweg
genommen hatten und jetzt nicht mit Schritt halten konnten.
So gewann Wehlau durch die Eydtkuhner und verlor durch die
Thorn-Insterburger- und Südbahn; Pr. Holland gewann durch
die Königliche Ostbahn und verlor an Bedeutung, als das be-
nachbarte Maldeuten wichtiger Knotenpunkt wurde. Hier sind
es also immer die fremden Eisenbahnen, die den Nutzen der
eigenen paralysieren, bei Grenzstädten wie Memel brauchen es
nicht einmal nur einheimische Bahnen zu sein. Hier müssen
wir, wie schon zum Teil bei Königsberg und Tilsit, unsern Blick
auf die russischen Bahnen richten.
Ganz besonders liegt der Fall der Schädigung bei Wehlau
und Tapiau noch durch das Miteinwirken der Wasserstraße.
Als Proben:
Braunsberg.
Für das große und fruchtbare Gebiet der Provinz Ostpreußen,
welches die Landschaften Na tan gen, Ermland und Oberland um-
faßt, war und ist noch heute das Frisohe Haff die wichtigste
Wasserstraße. Aus diesem Umstände ist es zu erklären, daß
diejenigen Plätze, die an seinem Ufer lagen, zu einer Zeit, in
der aller große Handel auf den Wasserweg allein angewiesen
war, hohe Bedeutung erlangen mußten, und es entsprach nur
einem notwendigen Siedelungsgesetze, wenn diese Plätze da lagen,
wo Küstenflüsse den Haffzugang erleichterten und das Ufergelände
den bequemsten Zugang vom Lande her bot.
Drei Städte erlangten deshalb schon von alter Zeit her
Handelsbedeutung für das Binnenland. Königsberg am Pregel,
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Von W. Feydt. 465
Elbitig am gleichnamigen Flusse und Braunsberg an der Passarge.
Dieser Fluß war zwar für die Binnenschiffahrt] unbrauchbar, aber
er hatte einen schiffbaren Zugang von der Stadt zum Haff und
außerdem war das Binnenland gerade von Braunsberg aus bequem
zugänglich im Gegensatz zu dem Höhengebiet, das sich nach
Elbing zu, und den flachen Sandküsten, die sich nach Königsberg
zu fanden. Diese drei Städte hatten sich das Hinterland für ihre
Handelszwecke aufgeteilt: Königsberg hatte seiner Lage ent-
sprechend am wenigsten davon abbekommen (nur ein Stück
Natangens), Elbing das Oberland ; Braunsberg war das ganze Mittel-
stück: das Ermland mit den westlichen Ausläufen Natangens
zugefallen. Konfessions- und politische Gemeinschaft hatten im
Laufe der Jahrhunderte das Band noch enger geknüpft. Brauns-
berg konnte als die Hauptstadt des Ermlandes bezeichnet werden,
es hatte sein fest umgrenztes „Hinterland'1 und man sprach von
Mehlsack, Wormditt, Heilsberg, Guttstadt, Alienstein als den
„Hinterstädtchen" Braunsbergs. An diesen Verhältnissen hatte
die Zeit nichts geändert; auch als im 19. Jahrhundert der Kunst-
straßenbau neue Land Verkehrswege schuf, blieben die Haupt-
straßen dieselben: Da gab es die Königsberger Straße nach
Bartenstein mit den Abzweigungen nach Lötzen, Bastenburg
einerseits, Bischofsburg-Ortelsburg andererseits, ferner die Elbing-
Osteroder Chaussee mit Fortsetzung bis Hohenstein-Soldau, da-
zwischen die Braunsberger Straße, deren einer Arm auf Heils«
berg abzweigte, der andere über Wormditt und Guttstadt bis nach
Alienstein ging. Zu diesen drei Querstraßen kam die Berliner
Staatschaussee, von Elbing nach Königsberg am Haffufer ent-
lang laufend, mit Braunsberg als wichtigsten Halte-Knoten und
Anschlußpunkt.
Auf diese Lage- und Verkehrsverhältnisse gestützt, hatte
Braunsberg auch um 1850 noch eine nicht zu unterschätzende
Handelsbedeutung.
Aber eine nähere Betrachtung der Verhältnisse ergibt, daß
die Trefflichkeit des Handelsortes seinem Hinterlande keineswegs
entsprach. Gewiß lag Braunsberg an dem bedeutendsten Küsten-
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466 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
fluß zwischen Elbing und Königsberg, aber dieser Fluß war doch
nur im Verhältnis zu den anderen Küstengewässern bedeutend.
In seinem Oberlaufe niemals schiffbar, hatte er auch unterhalb
der Stadt eine irgend bedeutende Tiefe niemals gehabt und war
außerdem ebenso wie das vorliegende Haff einer stetig zunehmenden
Versandung ausgesetzt. Den bescheidenen Anforderungen der
Hansaschiffe und der Segler des 18. Jahrhunderts hatte die Wasser-
straße noch genügt; man hatte noch um 1S30 die Genugtuung,
große Seeschiffe, die auf der Braunsberger Werft Pfahlbude ge-
baut waren, vom Stapel gehen zu sehen. Allein eine Hafenrinne,
die im ausgebaggerten Zustande nur 2Vi m Tiefe hatte, konnte
eine Bedeutung in der Zeit des Dampfschiffsverkehrs nur noch
als Notbehelf behaupten. Doch dem weiten Hinterlande fehlte
jeder andere Ausfuhrweg; darum wiesen Land- und Kunststraße
auf Braunsberg hin. Aber in dem Augenblick, in dem diese
Fesseln gelöst wurden, in dem gute und schnelle Landwege nach
den leistungsfähigen Häfen im Osten und Westen geschaffen
wurden, nach Westen sogar noch weit über die Weichselstraße
und ihre Häfen hinaus, mußte sich das Scheinleben Braunsbergs
enthüllen und ein Stück Hinterland nach dem andern ab-
bröckeln.
Diese Wende trat ein mit den Eisenbahnen. Sie waren ein
Verkehrsmittel, das viel besser den Wasserstraßen Konkurrenz
machen konnte, dem ein Hafen wie Braunsberg einfach wehrlos
gegenüberstand.
Nur in einem Falle konnte alles ebenso bleiben; wenn
nämlich die Eisenbahnen, die Ostpreußen bekommen würde,
genau auf dem Weg der erwähnten Haupt-Handelsstraßen liefen.
Man versteht es jetzt, von wem in den 50 und 60er Jahren der
Ruf nach Transversalbahnen ausgehen mußte. Es war selbst-
verständlich, daß so kostspielige Unternehmungen wie Eisenbahnen
nicht als Stichbahnen zum Nutzen dreier Hafenplätze angelegt
werden konnten. Ehe die Eeihe an sie kam, mußten entsprechend
den großen Durchgangsohausseen die großen Verkehrslinien mit
dem Herzen der Monarchie gebaut sein. Sie konnten nur die
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Von W. Feydt. 467
Richtung von Westen nach Osten haben, und damit war Brauns-
bergs Schicksal besiegelt.
Bludau hat eine schädigende Wirkung der Ostbahn auf
Braunsberg abgestritten und sie im Gegensatz zu den Ansichten
der Braunsberger selbst für förderlich erklärt, weil sie gleichsam
die Wasserverbindung auf dem Haffe verdoppelte. Diese Ansicht
läßt sich nicht halten. Eine Bahn steht unter ganz anderer
Verkehrsbedingung als eine Wasserstraße. Auf der Haffstrecke
von Königsberg bis Elbing kamen früher die kleinen Städtchen
und Häfen außer Braunsberg als Konkurrenten gar nicht in Be-
tracht. Die Bahn dagegen errichtete in gleichmäßigen Abständen
Stationen, von denen allen in vollständig gleicher Weise die Pro-
dukte des Landes verladen werden konnten. Das hatte natürlich
für Braunsberg eine empfindliche Minderung der Zufuhren vom
Lande her zur Folge. Allein das war nur die eine Seite der
Schädigung. Bisher hatten die Städtchen, Besitzer und Bauern
des Ermlandes alle ihre Gebrauchsartikel und Lebensmittel, die
sie sich nicht selbst herstellten oder produzierten, naturgemäß
nur von dem einzigen Hafenort Braunsberg beziehen müssen. Die
Braunsberger bestimmten den Preis. Jetzt konnten die be-
deutenderen Häfen Königsberg und Elbing, die einen viel
größeren Seeverkehr hatten, daher besser und billiger importieren
konnten, durch die Bahn ihre Importen schnell zur beliebigen
Station schicken, die dem Käufer gerade am bequemsten gelegen
war. Der Schiffsverkehr über Braunsberg stellte sich nicht mehr
als lohnend heraus. Die Stadt war durch die Bahn umgangen.
Noch ein dritter Verlust kam hinzu, der ebenfalls in der besonderen
Eigenart des neuen Verkehrsmittels begründet war. Der Durch-
gangsverkehr hörte auf, Braunsberg sank zur Durchgangsstation
herab. Auf der Mitte der Strecke von Elbing nach Königsberg
gelegen, war Braunsberg der natürliche Haltepunkt auf der lang-
wierigen Reise der Posten- und Frachtfuhrenzeit gewesen. Schon
um der zahlreichen Anschlußposten willen, die hier einliefen,
mußten längere Stationen gemacht werden. Und fuhren diese
Tausende von Menschen auch nur durch, ein Gewinn für die
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468 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Stadt war es immerhin, und der fiel jetzt weg. Die Bahn be-
förderte in wenigen Stunden die Beisenden von Elbing nach
Königsberg, und Braunsberg war für sie nur noch ein Bahnhof wie
jeder andere auch.
Passarge gibt in sehr treffender Weise der Veränderung
Ausdruck, die sicn mit der Bahn auf der Braunsberger Chaussee
vollzogen hatte (p. 72, 73): „Nur noch vor wenigen Jahren zeigte
dieser Weg eine andere Physiognomie. Da fuhren Posten täglich
mindestens sechsmal, und viele andere Wagen der Reisenden.
Kouriere flogen hin und her, bald nach Petersburg, bald nach
Berlin zu; fleißige Arbeiter rupften zwischen den Steinchen das
Gras aus und ebneten die vom letzten Bogen entstandenen
Rinnsale. Das ist jetzt alles anders! Die Eisenbahn hat den
Verkehr an sich gezogen, und die alte Straße liegt tot da wie
ein verlassenes Flußbett."
Schädigungen und Rückgang ließen sich also nicht ab-
streiten, und mochten auch die Stationszahlen der Ostbahn in
Braunsberg eine jährliche Zunahme aufweisen, so kam diese dem
Verluste des Wasserverkehrs nicht gleich. Beweisend ist es doch
schließlich auch, daß 1866 die Braunsberger Handelskammer in
der ausgesprochenen Absicht gegründet wurde, um dem infolge
der Eisenbahnverbindung zunehmenden Handels verfall entgegen-
zutreten.
Trotzdem blieben große Teile des Hinterlandes Braunsberg
nach 1860 noch erbalten, wenn auch eine zunehmende Konkurrenz
von Elbing und Königsberg für manche Geschäftszweige, z. B. den
Engros-Flachshandel und Getreide- und Eisenhandel, sich be-
merkbar machte.
Da entstand 1866—68 in der ostpreußischen Südbahn ein
Schienenweg, der Natangen berührte und das östliche Ermland
mit in seinen Wirkungskreis zog. Bludau berücksichtigt die
Wirkung der Südbahn nicht; und doch läßt sich nicht leugnen,
daß die Städte Landsberg und besonders das wichtigere Heils-
berg seit dieser Bahn mehr Anschluß an Königsberg vermittelst
der infolgedessen sich hebenden Städte Pr. ßylau und Barten-
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Von W. Feydt. 469
stein gesacht haben. War doch die Passargestadt dreimal so
weit entfernt, als diese Stationen, die ebenso bequem die Pro-
dukte nach Königsberg schaffen wie von dort Importgegenstände
zuführen konnten.
Ein ganz besonders empfindlicher Schlag war jedoch die
Eröffnung der Thorn-Insterburger Bahn. Durch ihre Führung
am Südrande des Ermlandes entlang, ihre Verbindung über
Korschen mit Königsberg einerseits, mit dem Weichselstrom
und dem Westen des Reiches andererseits entzog sie das ganze
Ermland etwa bis zur Linie Liebstadt-Heilsberg dem Brauns-
berger Handel.
Wenn es auf diese Art und Weise weiter ging, blieb der
Stadt bald gar kein Hinterland außer der nächsten Umgebung
übrig. Freilioh merkte man, daß mit den Eisenbahnen eine
ganz neue Bodenkultur, eine außerordentliche Vermehrung der
Erträge und viel bessere Verwertung möglich geworden war,
so daß man auf einem kleineren Baum ungleich höheren Nutzen
zog wie früher. Aber man wußte auch, daß von Königsberg
aus eine direkte Bahnlinie nach Allenstein geplant wurde, die
jene Stadt mit Warschau verbinden würde. Sie mußte, wenn
Braunsberg seitlioh ohne Anschluß liegen blieb, den völligen
Ruin bedeuten. In dieser Not entfaltete die Stadt eine rege
Tätigkeit. Sie forderte in ihrer Petition zuerst den Bau einer
Bahn von Allenstein über Mehlsack nach Braunsberg, ohne An-
schluß nach Königsberg, das in der Südbahn ein Äquivalent
schon gefunden hätte. Auch bei dieser Gelegenheit werden
Ost- und Thorn-Insterburger-Bahn als direkt schädlich hingestellt,
weil sie den Verkehr mit Landesprodukten abgelenkt hätten.
Die Braunsberger wandten sich an die beiden Häuser des Land-
tages, an das Staatsministerium sowie an die einzelnen Minister
und an die Provinzialbehörden; sie setzten es schließlich durch,
daß in die Vorlage über die Linie von Allenstein nach Kobbel-
bude, deren Ausführung sie doch nicht hatten verhindern können,
die Zweigbahn Braunsberg-Mehlsack aufgenommen wurde mit
der besonderen Begründung, „daß alsdann auch die Stadt Brauns-
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470 Der Einfluß der oßtpreußiechen Eisenbahnen etc.
berg in leichter und billiger Weise mit einer, von den Provinzial-
behörden lebhaft befürworteten Verbindung bedacht und dadurch
in ihren Bestrebungen auf Wiedererlangung der früheren, im
Laufe der Zeit erheblich zurückgegangenen kommerziellen Be-
deutung unterstützt werden kann".
Die Vorlage wurde angenommen, die Bahn gebaut. Die
Braunsberger konnten mit dem Errungenen zufrieden sein, ob-
wohl die Handelskammer nicht die Befürchtung unterdrücken
konnte, daß die Mehlsack-Kobbelbuder Strecke doch eine neue
Ableitung des Ermländischen Verkehrs zur Folge haben würde.
Hatte doch die Stadt 30000 Mark geben wollen, wenn nur nicht
jene Linie gebaut würde. Der Magistrat und die ganze Stadt
hatten nun das größtmöglichste Interesse daran, daß die Bahn
von Braunsberg auch recht sohneil eröffnet werden könnte. Um
so unbegreiflicher ist ein Fall offener Feindseligkeit gegen den
Eisenbahnbau, der die Stadtverwaltung von Braunsberg mit
Recht so erbitterte, daß sie ihn in ihrem Berichte für 1883 zur
bleibenden Schande des Betreffenden verewigt hat.
Als nämlich auf besonderen Wunsch des Magistrats die
Eisenbahndirektion mit dem Oberbaulegen der Strecke bei
Braunsberg beginnen wollte, weigerte sich der Fleischer Hugo
Bohfleisch fortgesetzt, der Königlichen Eisenbahndirektion die
Bauerlaubnis auf einer Strecke von 45 m, auf welcher sein Grund-
stück von der Bahn geschnitten wurde, zu erteilen. Bei dieser
Sachlage blieb, wenn anders der für die Stadt Braunsberg so
bedeutungsvolle Bahnbau nicht verzögert werden sollte, der
Stadtgemeinde nichts anderes übrig, als das für die Bahn er-
forderliche Terrain von Bohfleisch zu erwerben und der Bau-
verwaltung zu überweisen. Am 1. November 1884 konnte die
Strecke bis Mehlsack eröffnet werden.
Der Tag bedeutete für Braunsberg entschieden eine Wendung
zum Bessern. Aber die alte Bedeutung konnte er dem Brauns-
berger Handel nicht wiedergeben. Er rettete ihn nur vor neuem
Verlust; der Versuch, das an die Süd- und Thorn-Insterburger
Bahn verloren gegangene Land vollständig wieder zu gewinnen,
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Von W. Feydt. 471
mußte jedoch scheitern. Die Mehlsacker Bahn ist nicht der
Ausgangspunkt für neuen Aufschwung, sie ist nur der Endpunkt
für den bisherigen Bückgang des Braunsberger Handels geworden.
Die Frequenz der Güterstation hat sich gesteigert, aber nicht
all zu bedeutend. Auch die Einwohnerzahl ist im Verhältnis
zu der anderer Städte vom Range Braunsbergs nur ganz un-
bedeutend gewachsen, und dabei kommen noch andere Gründe
für ihr Wachstum in Betracht, die mit dem Handel in keiner
direkten Beziehung stehen.
Und es dauerte gar nicht lange Zeit, so glaubte sich die
Stadt durch zwei neue Bahnprojekte geschädigt.
Der Gedanke einer Haffuferbahn war schon recht alt;
freilich war sie zuerst als Teil der Ostbahn gedacht, die man
zur Umgehung der Trunzer Höhe auf diesem Wege von Elbing
nach Braunsberg führen wollte. Aus Rücksicht auf das minder
günstige Terrain am Haffufer, zumal beim Betriebe einer Haupt-
bahn, hatte sich die Staatsverwaltung schließlich doch zum Um-
weg über Schlobitten entschlossen. Doch schon in den 80er
Jahren wurden Stimmen laut, die durch den Ausbau der Ufer-
strecke eine Abkürzung des Ostbahnweges forderten (Jahresber.
der Gewerbekammer 1888 pag. 37) und zu Anfang der90er Jahre
tauchte in Interessentenkreisen die Absicht auf, wenigstens eine
normalspurige Kleinbahn auszubauen. Allein dem Braunsberger
Handelsstande war mit diesem Projekte nicht gedient. Diese
Hafluferbahn schloß kein neues Land auf und war in ihrer
größten Strecke von Frauenburg an für die Stadt bedeutungslos.
Die städtischen Behörden lehnten es daher ab, sich einer Petition
des gebildeten Komitees anzuschließen. Allein dessen Tätigkeit
wurde dadurch nicht gehindert; und schließlich forderte der
Regierungspräsident den Braunsberger Magistrat auf, sich zu
äußern, ob und warum die Bahn der Stadt schaden sollte. Wie
dessen Antwort ausgefallen ist, wissen wir nicht. Jedenfalls
wurde der Bahnbau beschlossen; am 20. Mai resp. 1. Juli 1899
konnte der Betrieb auf der Bahn eröffnet werden. Sympathien
haben ihr die Braunsberger nicht entgengebracht, sie klagten
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 7 u 8. 31
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472 * Der Einfluß der oatpreußischen Eisenbahnen etc.
über die hohen Preise und witzelten über den Bahnbetrieb in
ihrer Ermländischen Zeitung (cfr. 27. Mai 1899). Nutzen wird
ihnen die Bahn tatsächlich keinen gebracht haben; daher nahm
man sie gleichsam als ein notwendiges Übel hin, für das man
sich zwar nioht erwärmen konnte, gegen das man aber auch nicht
gerade zu eifern brauchte, solange es nicht empfindlich schädigte;
und das scheint trotz der Belebung des Frauenburger Handels
bisher nicht der Fall gewesen zu sein.
Von ungleich höherem Interesse war ein zweites Projekt.
Der Staat projektierte eine Zweigbahn von Zinten nach Bothfließ-
Rudczanny über Heilsberg zu bauen. Die Braunsberger witterten
dahinter sofort eine neue Gefahr, die sich aber, wenn man nur
durchdrang, in einen Vorteil verwandeln ließ. Die städtischen
Behörden petitionierten bei dem Minister der öffentlichen Arbeiten,
gleichzeitig mit jener Strecke die Linie Mehlsack-Heilsberg zu
bauen. Die Absicht war klar, man wollte sich auf diese Weise
das verloren gegangene Hinterland zurückerobern. Allein einen
wirklich durchschlagenden Grund konnten die Braunsberger für
ihre Forderung nicht anbringen, obwohl in der Tat besonders
viel Kinder aus dem Kreise Heilsberg Braunsbergs höhere Lehr-
anstalten besuchten. Man brachte es fertig, den damals wieder
notdürftig ausgebaggerten Hafen Pfahlbude dafür anzuführen, daß
Braunsberg fttr den südlichen Teil der Provinz Ostpreußen die
nächste Verbindung mit dem Seeverkehr zu vermitteln berufen
sei! Ja, eine Petition an das Abgeordnetenhaus forderte direkt,
die Bahn Rothfließ-Heilsberg möge nicht bei Zinten, sondern bei
Mehlsack in die Linie AUenstein-Kobbelbude einmünden. Das
Haus lehnte diesen Vorschlag ab und überwies den alten einer
Zweigbahn Heilsberg-Mehlsack der Regierung als Material.
Allein jetzt zeigte es sich, daß das Ermländische Hinterland
bereits nicht mehr hinter seiner ehemaligen Hauptstadt stand.
Die Hinterstädtchen hatten gemerkt, daß für eine Bevormundung,
wie sie von Braunsberg ausgeübt worden war, in der Zeit der
Eisenbahnen kein Platz mehr war. Dieses Verkehrsmittel diente
allgemeineren Interessen als denen einer Stadt. In derWorm-
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Von W. Feydt. 473
ditter Umgegend tauchten Wünsche auf, die eine Bahn von Heils-
berg nach Wormditt für viel wirksamer erklärten, denn an die
„treffliche Vermittelung des Seeverkehrs'4 vom Hafen Pfahlbude
aus konnte doch kein Mensch, der Braunsberg kannte, glauben.
Die Braunsberger hatten sich im eigenen Netze gefangen. Zu-
gunsten ihres Projektes hatten sie angeführt, die Heilsberger
Gegend hätte ein ganz besonderes Interesse, auch nach Westen
hinaus Verbindung mit Danzig und Berlin zu haben. Gewiß!
Aber der kürzeste Weg hierzu war nicht die Linie Heilsberg-
Mehlsack, sondern die Heilsberg- Wormditt mit Fortsetzung nach
Schlobitten. Daher petitionierten die Wormditter mit mehr Er-
folg als die Braunsberger. Der Staat prüfte beide Projekte. Wie
die Dinge lagen, konnte er nur dem Wormditter den Vorzug
geben. Es wurde zu einer Vorlage gemacht, die auch bewilligt
worden ist.
Den Stillstand im Handel und Verkehr Braunsbergs seit der
Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat Bludau auf den un-
aufhaltsamen Bückgang des Flachsbaus und -Handels und auf die
starke Versandung der Passarge und des Hafens in Pfahlbude
zurückgeführt.
Dieser Beweisführung können wir nicht zustimmen. Die
Tatsachen lassen sich nicht bestreiten : Der Flachshandel war für
Braunsberg wichtig und ist verfallen; auf dem Hafen beruhte
die ganze Handelsmöglichkeit und er ist immer wieder versandet.
Allein diese beiden Tatsachen konnten wohl den Handel in andere
Bahnen lenken, ihm Schwierigkeiten bereiten, aber niemals ihn
lahm legen. Der einzige Grund, der für den Stillstand angeführt
werden kann, ist der, daß Braunsberg durch die Eisenbahnen sein
Hinterland verloren hat. Ohne Eisenbahnen hätte das auf den
auch noch so mangelhaften Hafen angewiesene große Hinterland
ihn nicht bis zur Unbrauchbarkeit versanden lassen, ohne Eisen-
bahnen hätte der Braunsberger Handel in anderen Branchen
zehnfach ersetzen können, was ihm durch den zurückgehenden
Flachshandel verloren ging. Erst als das Hinterland sich ab-
wandte, kam der Rüokgang zustande, und erst als ein Teil des-
31*
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474 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
selben der Stadt wieder zufiel, konnte sieh der Bückgang in einen
Stillstand verwandeln. Denn als Hafen kann Braunsberg trotz
aller aufgewandten Mittel neben Königsberg, Elbing und Danzig
bei den heutigen Verkehrsmitteln zu Wasser und zu Lande nicht
mehr in Betracht kommen.
Die Berichte, die uns der Magistrat über die Erwerbs-
verhältnisse der Stadt gibt, stimmen mit dieser Ansicht voll-
kommen überein. Nach Eröffnung der Mehlsacker Bahn hörten
die fortdauernden Klagen über den Sückgang auf: „Wenn auch
keine Besserung im Handel und Gewerbe erkennbar, so ist doch
die rückläufige Bewegung zum Stillstand gekommen" (1887);
aber fortan hören wir nichts weiter als das Konstatieren des Ver-
harrens in denselben Bahnen des Geschäftsbetriebes. „Die Er-
werbsverhältnisse haben eine nennenswerte Veränderung nicht
erfahren; auch im Geschäftsleben waren bis auf wenige Aus-
nahmen besonders ins Auge tretende Fortschritte nicht zu ver-
zeichnen/1 sagt der Bericht von 1894, dem wir eine Reihe noch
monotoner lautender angliedern könnten.
Andere Städte machten Wandlungen der Handelsverhältnisse
ebenfalls durch, mitunter kehrte sioh die ganze Sichtung des Ver-
kehrs um, aber sie überwanden diese Stockungen und hatten nach
einer Übergangszeit erhöhten Nutzen, wenn sie nur ihr Hinter-
land behielten. Wenn Hafenverhältnisse und Flachsbau am Ver-
falle Braunsbergs allein schuld waren, wie wollte man es dann
erklären, daß im Erwerbsleben der Stadt gerade in den letzten
Jahren trotz aller fortbestehenden Übelstände ein kleiner Fort-
schritt zu verzeichnen ist? Er ist aber sehr leicht zu erklären,
da er durch Dinge begründet ist, die vom Handel unabhängig sind.
Braunsberg hat nämlich durch die Eisenbahnen seine Be-
deutung als Handelshauptstadt des Ermlandes verloren, aber es
ist, unberührt davon, die geistige Hauptstadt geblieben, und da-
von hat es bei dem allgemeinen Kulturaufschwung, den unser
Vaterland seit 50 Jahren genommen hat, heute größere Vorteile
als damals. Seine Bildungsanstalten erfreuen sich auch heute
noch, und heute noch mehr als früher, eines weitverbreiteten
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Von W. Feydt. 475
wohlverdienten Rufes: Das Lyceum Hosianuin, das Königliche
Gymnasium, das Lehrerseminar, zu denen dann nooh eine land-
wirtschaftliche Winterschule und eine höhere Töchterschule ge-
kommen sind.
Braunsberg hat ferner auf Grund besonderer Petitionen ein
Landgestüt bekommen, vor allem aber in neuerer Zeit eine
Garnison wieder erhalten. Nach zweimaliger, vergeblicher Petition
an den Kriegsminister wurde ein Infanteriebataillon nach Brauns-
berg verlegt, das am 2. Oktober 1893 in der Stadt eintraf. Durch
alles dieses kam eine größere Regsamkeit in das stockende Ge-
schäftsleben. Die Herstellung umfangreicher Bauten wurde nötig
und der Konsum vermehrte sich durch das Militär beträchtlich.
Diesen Dingen ist es zuzuschreiben, wenn in den letzten Jahren
eine größere Regsamkeit auf allen Gebieten des Erwerbslebens
Platz gegriffen hat. Positiven Vorteil hat der eigentliche Handel
dagegen kaum erfahren, viel eher die Industrie. Sie hat sich,
als ihr durch die Mehlsacker Bahn ein Stück Hinterland er-
schlossen war, etwas günstiger gestalten können, und insofern
etwas ausgleichender auf die Handelsverhältnisse wirken können.
Bei allgemeiner Stagnation der Erwerbsverhältnisse, die keine
Verbesserung, aber auch keine nennenswerte Verschlechterung
erfahren hatten, erwähnt der Bericht von 1896 besonders, daß
einzelne größere industrielle Etablissements prosperieren.
Danach können wir unser Urteil dahin zusammenfassen:
Als Hafen- und Handelsplatz wird Braunsberg, seitdem
Ostpreußen von Eisenbahnen durchzogen ist, niemals
mehr eine seiner Vergangenheit entsprechende Be-
deutung erlangen.
Denn sie haben eine völlige Zurückgewinnung des verloren
gegangenen, nur um des Hafenvorzuges der Stadt willen so großen
Hinterlandes unmöglich gemacht.
Die Stadt kann sich jedoch duroh eine intensive
Ausnutzung des ihr gebliebenen Hinterlandes mittelst
der sie berührenden Eisenbahnen, und durch eine
weitere Ausbildung der Industrie auf ihrem Platze be-
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476 De? Einfluß der oatpreußißchen Eisenbahnen etc.
haupten, der durch außerhalb der Handels- und Ver-
kehrsinteressen liegende Umstände, wie fiskalische An-
stalten, Garnison etc. sogar erhöht werden kann.
Hemel.
Was von Tilsit gesagt ist, daß es, wenn russisch, eine Groß-
stadt werden könnte, gilt in noch höherem Maße von Memel.
Die Stadt am Nordende des Kurischen Haffes gelegen, durch das
Tief mit der offenen See verbunden, zeichnet sich durch einen
tiefen, geräumigen und allzeit eisfreien Hafen aus wie keine in
der ganzen Nachbarschaft der Ostsee. Und doch kann sie diese
günstige Lage nioht ausnutzen, weil ihr das Hinterland fehlt,
nicht nur in Bußland, das sich durch seine Zollgrenze absperrt,
sondern auch in Preußen, das hier spitz zuläuft und der Stadt nur das
kleine Dreieck nördlich vom Memelstrom zuweist. Die geographisch
unnatürliche Zugehörigkeit der Ostseeprovinzen zu Bußland oder
Ostpreußens zu Deutschland kommt nirgends so kraß zum Aus-
druck als bei Memel. Der Schaden einer unnatürlichen Grenze
ist nirgends evidenter als hier.
Nur wenn dieses Hemmnis aufgehoben oder in seiner
Wirkung beschränkt wurde, konnte also in Memel die Natur in
ihre Beohte treten, und darum haben wir in Kriegszeiten so hohe
und schnelle Blüteperioden der Stadt erlebt. Aber auch im
Frieden ließ sich durch künstliche Systeme die Grenze an einer
Stelle nicht ganz sperren: am Memelstrom. Das ist Memels
Bettung geworden. Mittelst dieser Wasserstraße war Memel
sogar in der Zeit der Wasserstraßen als einziger Verkehrsadern
im großen Stil besser daran als Libau und ebensogut als Königs-
berg. Jener russische Nachbarhafen hatte nämlich keine Wasser-
verbindung nach dem Innern zu, und Königsberg war von der
Memelstraße mindestens ebenso weit entfernt als Memel. Memel
aber konnte Import und Export von und nach dem Seeschiff
bequem auf der Haff- und Memelstraße nach Tilsit führen, wo
infolgedessen die Spedition gewaltig blühte. Daneben ging ein
gewaltiger Umsatz über die nahen Grenzen auf dem damals
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Von W. Feydt. 477
lohnenden, weil überall gleichgestellten Landtransportwege, und
eben wegen der Nähe der Grenze war Memel besser daran als
jede andere Stadt.
Da braohten die Eisenbahnen eine vollständige Umwälzung
der russisch-deutschen Verkehrsbeziehungen und "Wege. Denn
durch sie wurde den Bussen eine Möglichkeit gegeben, ihre Häfen,
auch die an keiner Binnen-Wasserstraße gelegenen, vor allem Libau,
auszunutzen, andererseits mußte jetzt die Hauptstadt der Provinz
direkten Anschluß durch eine Bahn nach Bußland bekommen.
Das eigene Land war schneller bei der Ausführung.
Mit dem Jahre 1860, der Eröffnung der Eydtkuhner Strecke,
beginnt die Leidensgeschichte des Memeler Handels. Mit einem
Schlage brach der blühende Speditionshandel nach Bußland zu-
sammen. Die Hälfte des Handelsverkehrs, alles, was zu Lande
nach Bußland gegangen war, kam in Wegfall, da die russischen
Kaufleute selbstverständlich alle Waren fortan über den Hafen
Königsberg und von dort mit der Eydtkuhner Bahn bezogen.
Ein Geschäft nach Bußland wurde 1862 bereits, vielleicht etwas
übertrieben, eine „ausnahmsweise" Lieferung genannt. Ebenso
stockte die Zufuhr aus Bußländ. Seit das russische Getreide in
Kowno den Memelstrom verließ, um geradezu per Bahn nach
Königsberg zu gehen, war dieser sehr wichtige Handelszweig
Memels in seiner ehemaligen Blüte vernichtet und unter den Aus-
fällen der Ausfuhr litt besonders auch die einst so blühende
Bhederei.
Unter diesen Umständen mußte Memel vor allem darauf
bedacht sein, in Zusammenhang mit dem sich entwickelnden
großen Landverkehr zu kommen. Mit diesem Augenblicke be-
gann aber auch der Irrtum der Memeler. Herstellung einer
Landverbindung mit den jenseits der Memel liegenden Provinz-
gebieten war die einzige Lösung, von der man sich Bettung
versprach. Übelstände bestanden allerdings. Eine feste Memel-
brücke fehlte. Diesen Mangel hatte man bisher ertragen, weil
Memels Handel in letzter Linie davon nicht abhängig gewesen
war. Jetzt, da man sich nur durch den Anschluß an das Eisen-
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478 ^er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
bahnnetz zu retten hoffte, wurden sie in krassester Form hin-
gestellt: „Die Memel besitzt von den großen Strömen Preußens
allein noch keine Brücke. Die Kalamitäten, die jährlich im
Frühling, Herbst und Winter wochenlang den Verkehr hemmen,
sind unerträglich. Oft schon im November bedeckt sich der
Strom mit einer Eisrinde, welche die Schiffahrt hemmt, ohne
Lastfuhrwerke zu tragen. Die Schiffbrücke bei Tilsit wird ab-
getragen und die Kommunikation zwischen beiden Ufern not-
dürftig durch Boote unterhalten, die in einer von Eis frei ge-
machten Kinne hin und her gehen, bis durch anhaltenden Frost
und manche künstliche Mittel die Eisbahn nebenbei genügend
gestärkt ist, um Lasten tragen zu können. Bis dahin, d. h. oft
bis Weihnachten, müssen alle Güter, selbst Poststücke abgeladen
und mühsam herbeigeschafft werden. Das verursacht Zeitverlust
und Kosten. Beim Aufgang des Eises im Frühjahr ist es oft
tagelang nicht möglich, Briefe, geschweige denn Güter und Per-
sonen über den hoch angeschwollenen, breiten und mit Eisschollen
bedeckten Strom zu befördern. Der Postenlauf wird höchst un-
regelmäßig und Massen von Gütern sammeln sich am Ufer.
Unter solchen Umständen ist eine feste Brücke ein dringendes
Bedürfnis für die nördlich des Flusses Wohnenden, und nament-
lich für Memel; und der Staat wird sich der Herstellung einer
solchen gleichzeitig für die Eisenbahn zu benutzenden Brücke
nicht länger entziehen dürfen. "
Die Berechtigung der Forderung ließ sich nicht abstreiten.
Aber mit der Brücke allein war es nicht getan. Man müßte
eine Eisenbahn haben, denn schon drohte in der Herstellung
einer Bahn von Kowno nach Libau ein viel schlimmerer Feind,
als in der Ostbahn. Wenn alle Ostseehäfen Bahnen bekamen,
konnte das so wie so schon benachteiligte Memel nicht zurück-
stehen, da ohne Bahnverbindung eine Konkurrenz schlechterdings
nicht mehr möglich schien. Der Kaufmannsbericht von 1862
sagt darüber: „In keinem Jahre haben wir den Mangel der Eisen-
bahnverbindung mit der Ostbahn so schmerzlich empfunden, als
im verflossenen. Bis gegen Mitte April hatten Berge von Schnee
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Von W. Feydt. 479
die Landwege unfahrbar gemacht, und die Zufuhren, die wir sonst
im Winter per Schlitten zu haben pflegen, blieben diesmal fast
gänzlich aus. Die Fahrposten auf der Straße nach Tilsit — das
einzige Band, das uns mit dem Inlande in Verbindung hielt —
erreichten jenen Ort sehr unregelmäßig, häufig zehn bis zwölf
Stunden zu spät, warfen unterwegs oftmals um, und Beisende wie
Güter litten unter diesen Kalamitäten aufs Unerhörteste.11
Petitionen und Deputationen hatten schließlich Erfolg. Der
Gesetzentwurf der Regierung zum Bau einer festen Memelbrücke
und Bahn Tilsit-Memel erkannte die Klagen der Memeler als
berechtigt an, am 5. Februar 1872 wurde die Vorlage angenommen
und 5800000 Taler zum Bau bewilligt.
Und dennoch stand den Memelern eine große Enttäuschung
bevor. Der Staat hatte die Pflicht gehabt, der durch die plötz-
liche Entwickelung der Eisenbahnen schon geschädigten Stadt
das ihm mögliche Äquivalent durch eine Zweigbahn zu geben;
er hatte zugleich dabei das Land im Auge gehabt, dem man
seine schon so erschwerte Zugehörigkeit zu Preußen erleichtern
wollte. Die Stadt Memel ging dagegen bei der ganzen Bahn-
frage von der falschen Voraussetzung aus, daß die Bahn nicht
nur den Anschluß der Stadt an das Bahnnetz, sondern die
Möglichkeit, den Anfang zu der weiteren Entwickelung bieten
würde, durch die es ihren Konkurrenten wieder gleich gestellt
werden würde. Alles, was die über die Insterburg-Memeler
Eisenbahn veröffentlichte Denkschrift in dieser Hinsicht aus-
führt, ist hinfällig, die falschen Befürchtungen ebenso wie die
übertriebenen Hoffnungen. Erstere sind in letzter Linie zurück-
zuführen auf die Unklarheit über das Verhältnis von Wasser-
straße und Eisenbahn in ihrer Bedeutung für den Memeler
Handel und Verkehr. Keine Regierung konnte Memel den
natürlichen Wasserweg des Niemen, dessen Mündungsstadt es
war, nehmen, keine deutsche oder russische Eisenbahn also die
Handelszweige, in denen die Eisenbahn mit der billigeren
Wasserstraße nicht konkurrieren kann. Die Denkschrift konnte
nicht beweisen, daß jene Bahnen (Eydtkuhner und Libau-Kownoer)
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480 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Memels Handel ruinieren mußten, sie hätte vielmehr darauf hin-
weisen müssen, daß er in manchen Zweigen eingeschränkt werden,
dafür in anderen vollen Ersatz suchen mußte und finden konnte.
Die übertriebenen Hoffnungen, die eine solche Selbstprüfung
verhinderten, waren zurückzuführen auf Unkenntnis über den
Verkehrswert von Eisenbahnen. Wie oberflächlich war es, zu
behaupten: „Daß Memel von seiner Eisenbahn genau dieselben
Vorteile ziehen könnte, wie Königsberg von der seinen genießt,
liegt bei der Ähnlichkeit der Bedingungen, unter denen
beide Städte Handel treiben, auf der Handu! (Denkschrift
üb. Mem. Seehandel etc., pag. 104.)
Diese Bedingungen waren nämlich nur insofern dieselben,
als Königsberg und Memel dasselbe große Hinterland, Bußland,
haben und daher ungefähr dieselben Handelsartikel. Während
aber Königsberg auch in der ganzen Provinz Preußen ein be-
deutendes Hinterland hatte und durch seine Lage am natür-
lichsten Zentralpunkte aller Küstenstraßen aus Osten und Süden
berufen war, bis tief in das innere Bußland, ja bis zum
Schwarzen Meere Endpunkt und Ausführhafen derselben zu
werden, lag Memel ganz am Nordende der ihm abgewandten
Provinz und hatte in diesem spitz zulaufenden Winkel der
Provinz überhaupt kein Hinterland. So sehr sich die Memeler
gegen die Behauptung der Regierung sträubten, daß die Bahn
eine Sackbahn sein werde, an dieser Tatsache war trotz des vor-
züglichen Hafens nicht zu rütteln, da ihm das Hinterland fehlte.
Als die Bahn gebaut wurde, stand dem erhofften Auf-
schwünge nichts entgegen. Im Gegenteil, eine Anzahl günstiger
Momente war für die Verkehrslage der Stadt hinzugekommen.
Der Hafen war durch mächtige Molen geschützt, die Nehrungs-
spitze fing an sich zu begrünen, so daß eine Gefahr der Ver-
sandung an dieser Seite ausgeschlossen war, auch die Seeküste
nördlich von Memel war bewaldet und kultiviert (Plantage).
Außerdem waren fünf Chausseen im Kreise ausgebaut und 1873
der König-Wilhelm Kanal fertig geworden. Am 15. Oktober 1875
wurde die ganze Bahnstrecke für Personen- und Güterverkehr
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Von W. Feydt. 481
eröffnet. Der große Tag wurde zwar nicht offiziell gefeiert, aber
im kleinen Kreise der Interessenten erschien er doch als der
Geburtstag zu neuem Glück und Aufschwung.
Denn jetzt, wo das Unternehmen so weit gesichert war,
konnte man wieder mit der wahren Absiebt hervortreten, die
man bei der ganzen Bahnbaupolitik gehabt hatte, und auf die
man nur zunächst hatte verzichten müssen. Man forderte jetzt
den Anschluß an den russischen Bahnweg: Eine Bahn Riga-
Mi tau-Moscheiki-Memel. Es war das ein Egoismus ohnegleichen.
Denn zu dieser Bahn, die lediglich den Memeler Interessen
dienen sollte, war doch die ganze Strecke von Tilsit mit dem
millionenkostenden Brückenbau nicht nötig gewesen!! Jetzt
zeigte es sich, daß fes im Grunde genommen den Mem eiern vor
allem auf eine Verbindung mit Bußland ankam, um die alten
Beziehungen wieder pflegen zu können, und nur nebenher auf
einen Anschluß an das preußische Bahnnetz, um in diesem
patriotischen Nordwinkel des Vaterlandes nicht zu isoliert zu
sein! Dieselbe Regierung, die den Memelern soeben die Bahn
und die Brücken gebaut hatte, sollte jetzt der russischen Nachbar-
Verwaltung verständlich machen, daß nach dem Dafürhalten der
Memeler „bei einer Eisenbahnverbindung mit Ostpreußen das
Hauptmotiv des russichen Handels doch nur immer sein könnte,
auf dem kürzesten Wege mit einem eisfreien, geräumigen und
sicheren Hafen in Verbindung zu kommen". Natürlich konnte
davon nicht die Bede sein, und die Memeler mußten nun mit
den Vorteilen ihrer heißersehnten Bahn auszukommen suchen,
die sie als einzige Bettung hinzustellen nicht versäumt hatten.
Sofort mußte es sich nun zeigen, daß diese Bahn tatsächlich
eine Sackbahn blieb und mit den großen durchgehenden Strecken
von Biga, Libau und Königsberg nach dem Innern Bußlands
nicht entfernt konkurrieren konnte; war doch beispielsweise in
Ostpreußen, wo die Plackereien der russischen Bahntarifpolitik
wenigstens fortfielen, Memel eineinhalbmal so weit von Inster-
burg entfernt als Königsberg! Schön war es nicht, daß man
nicht von Anfang an den Mut hatte, diesen notwendigen Miß-
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482 Der Einfluß der oetpreußiechen Eisenbahnen etc.
erfolg einzugestehen, sondern die Schuld auf die Tilsit-Inster-
burger Bahn schob. Später ist diese Privatbahn verstaatlicht;
es sind Verbesserungen in den Bahnbeziehungen Memels zur
Ostbahn bis zum heutigen Tage eingetreten und an den Grund-
verhältnissen ist dadurch doch nichts geändert.
Die Bahn stellte sich als Notbehelf heraus, wie sie der
Staat ja auch nicht anders aufgefaßt hatte, wenn sie nicht eine
Fortsetzung in Rußland erhielt. Daß aber die Schuld daran
nicht auf Seiten der Landesregierung lag, hätte das Jahr 1878
den Memelern beweisen können. Als nämlich im Frühjahr 1877
ein Krieg zwischen England und Bußland auszubrechen drohte,
der die vom Krimkriege her so gefürchtete Blokade der russischen
Häfen zur Folge gehabt hätte, zeigte die russische Regierung,
die sich bisher jedem Projekte einer Bahnverbindung mit Memel
gegenüber total ablehnend verhalten hatte, plötzlich Neigung zu
Verhandlungen. Doch schlug man nicht etwa, wie die Memeler
es auch für Bußland am vorteilhaftesten hielten, die Linie
Moscheiki-Memel, sondern eine Linie von Prekulm, der nächsten
Station vor Libau über Krottingen nach Memel vor! Unsere
Nachbaren wollten die Handelsvorteile ihres Hafens
Libau behalten, für ihre Notlagen jedoch ganz gern eine
neue, bequeme Einfuhrstraße haben, die man für fried-
liche Zeiten so gut wie ausschalten konnte! Und dabei
verschwand auch dieses Projekt, dessen russische Einseitigkeit
freilich von den Memelern sofort erkannt worden .war, sofort
von der Bildfläche, als die Kriegsgerüchte zerrannen. Um so
unbegreiflicher war es, daß man, nun Bußland eben den Beweis
geliefert hatte, daß seine Politik nur die eigenen Handelsinteressen
zu fördern wünschte, in den folgenden Jahren der preußischen
Begierung mit dem Vorwurfe entgegentrat, sie hätte die Memeler
Bahn zu spät gebaut und daraus sei alles Unheil zu erklären.
Die Stadt hatte sich nämlich seit 1875 nicht nur nicht ge-
hoben, im Gegenteil, aus dem Stillstand der 60er Jahre war ein
Bückgang geworden. Der Bericht von 1880 sagt: „Das Bild,
welches Handel und Wandel unserer Stadt gegenwärtig bietet,
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Von W. Feydt 483
ist leider kein erfreuliches. Memel ist bereits seit einem Jahr
in stetem Bückgang begriffen; unser einst blühender Handel
stockt, eine Branche nach der andern verläßt unsern Ort, nur
das Holzgeschäft ist noch einigermaßen von Bedeutung. Der
Gesamtwert unseres Im- und Exportes ist von 61368300 Mk. in
1874 auf 43000000 Mk. in 1880, in sechs Jahren also fast um
ein Drittel gesunken; die Zahl der Einwohner unserer Stadt,
samt den Vorstädten Schmelz und Bommelsvitte bat sich seit
1875 um 929, und wenn man den Überschuß der Geburten in
Anschlag bringt, um 1329 verringert; viele Wohnungen und
Läden, selbst in der besten Lage, stehen leer; die Grundstücke
sind erheblich im Werte gefallen. Memel ist nicht blos der einzige
preußische Hafen, es ist nächst Zelle die einzige Stadt der
Monarchie, über 10000 Einwohner überhaupt, welche bei der
letzten Volkszählung eine Abnahme aufwies.
Verursacht sind diese traurigen Verhältnisse hauptsächlich
dadurch, daß wir erst seit 1875 eine Eisenbahn überhaupt be-
sitzen und auch heute noch eines direkten Anschlusses der-
selben an das russische Bahnnetz in nördlicher Richtung ent-
behren."
Im Jahre 1868 hatte man geschrieben: „Wir werden die
Bahn nach Memel bekommen, aber zu spät!" 1871 hatte man ge-
schrieben: „Die Tilsit-Memeler Bahn kommt für uns zwar nimmer
zu spät, wohl aber kommt sie spät". In den Handelsbericht
von 1880 setzte man tatsächlich die Worte vom „Zu spät" aus
dem 1868 er wieder ein.
Unbekümmert um die schwankenden Anschauungen der
Memeler Kaufherren hat die Eisenbahn den Nutzen, den sie über-
haupt bringen konnte, der Stadt gebracht. Einige Jahre darauf
fand die schon erwähnte Verstaatlichung der Zwischenstrecke
von Tilsit nach Insterburg statt, die Tarife wurden infolgedessen
ermäßigt und ein dritter durchgehender Zug mit etwas schnellerer
Fahrzeit eingerichtet. Die Verbindung mit der Hauptstadt, und
dadurch mit Berlin und Petersburg um der Korrespondenz willen
auch für die Geschäftswelt wichtig, hat in den folgenden Jahren
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484 Der Einfluß der oetpreußischen Eisenbahnen etc.
noch manche Verbesserung erfahren. Daß die zuerst mit Über-
schwang begrüßte Bahn jetzt von den Memelern viel zu abfällig
beurteilt worden ist, beweisen vor allem die Güterzahlen der
Station Memel, die seit der Eröffnung einen namhaften Auf-
schwung bis auf die heutige Zeit genommen haben:
t ab
1876:
14 435 t an
19 726
1882:
17 363 = .
25 277
1891:
22 350 * *
27 092
1895:
23 602 * *
43150
1897:
34 313 * *
48 508
1899:
50144 -- --
56849
1900:
61 178 » «
53 764
Und wenn man die unfortgesetzte Bahnstrecke in Memel
tatsächlich für zwecklos hielt, hätte man sich auch nicht die
Kosten gemacht, den Hafen auf den Eisenbahnverkehr ein-
zurichten. Die Arbeiten waren recht umfangreich. Am Außen-
hafen wurde das Bohlenwerk durch eine 305 m lange Kaimauer
ersetzt, die Bahnlinie zum Winterhafen wurde 1876 in einer
Länge von 1,5 km drei Stränge breit am Ufer selbst gebaut, so daß
nun eine direkte Verladung vom Schiff in die Eisenbahnwagen
stattfinden konnte; die Bahn zum Außenhafen war 1878 fertig,
dazu kam noch ein Doppelstrang am Dangeufer zum Ladeplatz
unterhalb der Eisenbahnbrücke.
Das Verdienst der Eisenbahn ist für Memel hauptsächlich
ein negatives : Ohne sich selbst vorzudrängen hat sie sich in den
Diejist der Wasserstraße gestellt, auf die sie durch die Ent-
täuschungen, die sie selbst, und die Schädigungen, die ihr deutsch-
russische Nachbaren zufügten, erst selbst recht aufmerksam machte.
Als positives ist außer der schon besprochenen Förderung durch
schnellere und zeitgemäßere Verbindung mit dem Inlande vor
allem die bessere Auf- und Anschließung des Memeler Kreises,
eine Ausdehnung des Handelsbetriebes auf das ganze Jahr .und
eine Erweiterung der Industrie zu erwähnen. Durch alles dieses
hat sie förderlich gewirkt und den absoluten Schaden in einen
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. Von W. Feydt.
485
relativen verwandelt. Memel ist im Bang gesunken, aber seine
Einwohnerzahl hat sich vergrößert:
1861
: 17 590 Einwohner
2
1864.
17 735
*
2
1867
: 19003
*
3
1871
19 008
-.
3 (3)
1875
: 19 796
9
2(3)
1880
: 19 660
*
3
1885
: 18 748
*
4
1890
: 19 282
5
5(4)
1895
: 19 195
<
5(4)
1900
: 20166
;
5
Immerhin war die fördernde Arbeit hier noch nicht ab-
geschlossen. Memel lag nicht an der Grenze selbst, und gerade
dieses Stück nördlich der Stadt ließ sich entschieden besser für
den Handel verwerten, wenn eine Bahn es durchzog. Die
Memeler selbst hatten dieses Projekt aufgeworfen, dann aber,
aus Angst, sich für eine etwaige Fortsetzung „festzulegen",
wieder zurückgezogen. Allein die Regierung beschloß die Aus-
führung. Der Gesetzentwurf für eine Strecke Bajohren-Memel
wurde daher begründet: „Die 20,3 km lange Bahn Memel-
Bajohren soll das nördlich der Stadt Memel sich erstreckende
Hinterland erschließen, dessen Entwickelung unter den ob-
waltenden Verkehrs- und Grenzverhältnissen zurückgeblieben ist,
und insbesondere das Verkehrsgebiet von Memel erweitern.
Die Linie zweigt von der Tilsit-Memeler Bahn ab und endet
bei dem dicht an der preußisch-russischen Grenze belegenen
Ort Bajohren. Das Verkehrsgebiet der Bahn umfaßt 190 qkm
mit 31000 Einwohnern, welche, abgesehen von den Bewohnern
der Stadt Memel, in welcher rege gewerbliche und Handels-
tätigkeit herrscht, vornehmlich Landwirtschaft, Pferde- und
Viehzucht betreiben." (Arch. f. Eisenb. 1889, pag. 176.) Der
Kreis gab Grund und Boden umsonst her, der Landtag vom
Jahre 1888 bewilligte die Vorlage. Die Stadt Memel hatte noch
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486 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
einen besonderen Vorteil, als ihrer Eingabe, die erste Haltestelle
der Bahn nahe am Seebadeorte Plantage-Försterei anzulegen,
nachgegeben wurde. 1892 wurde die kleine Strecke eröffnet.
Ihre Bedeutung soll man doch nicht unterschätzen. Den Groß-
handel konnte sie ohne russische Fortsetzung natürlich nicht
fördern, aber selbst die so beschränkten Grenzgegenden Ruß-
lands lieferten doch einzelne Erzeugnisse der Landwirtschaft in
solcher Menge, daß sie tief nach Deutschland hinein zum Ver-
sand kamen. Zweck, den wir zitieren, führt an, daß im Herbste
1897 ein Zug 1150 Gänse von Bajohren nach Memel brachte,
die bis Berlin verschickt wurden. Wichtiger noch war die zwei
Jahre später erfolgte Eröffnung der Tilsit-Stallupöner Bahn.
Wir haben sie bei Tilsit schon kennen gelernt. Auch Memel
hatte sich, wie man sehr deutlich hervorhob, zwölf Jahre lang
schon darum bemüht. Diese Bahn kam auf eine Abkürzung des
Weges nach Rußland und eine Vergrößerung des Hinterlandes
in der Provinz hinaus. Mit Genugtuung konstatierte der Bericht
von 1895, daß eine erfreuliche Hebung des Getreidehaudels und
ein sichtlich vermehrter Absatz von Kohlen, Heringen etc. zu
verzeichnen gewesen sei.
Inzwischen aber war in Memel unter der Wandlung der
Verkehrsverhältnisse eine Industrie zu gewaltiger Blüte gelangt,
die von der Bahn gefördert, aber nicht ganz abhängig, jetzt mit
neuen Ansprüchen zur Verkehrserleichterung an diese herantrat:
Die Holzindustrie.
Holzhandel hatte Memel schon vor der Bahnzeit getrieben.
Schon Ungewitter (1859) erwähnt, daß die Ausfuhr in Stücken
Bauholz bei weitem überwiegt, was in Zentnern ein- und aus-
geht. Dieser Handelszweig, als Industrie bisher mit Wind-
schneidemühlen betrieben, konnte nicht eingehen, er mußte sich
vielmehr bei dem unerschöpflichen Reichtum des russischen
Hinterlandes und dem sich immer gleich bleibenden Transport-
mittel des Stromes, noch bedeutend erweitern und ertragreicher
stellen, sobald ein wahrhaft industrieller Betrieb mit großen
Dampfschneidewerken möglich wurde und die Eisenbahn einen
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Vod W. Feydt. 487
auch im Winter benutzbaren Ausfuhrweg über Land erschloß.
Mit aller Kraft warf sich die Stadt auf den Holzhandel und die
Holzindustrie. Ein Etablissement nach dem andern entstand.
Die alten Windsägemühlen konnten natürlich nicht im geringsten
konkurrieren; 1887 waren nur noch vier in Betrieb, die auch
bald eingingen. Schon damals waren ungefähr tausend Arbeits-
kräfte bei der Holzindustrie beschäftigt. Der Hauptort für die
immer größer werdenden Holzlager und Schneidemühlen war
die lang am Haffufer sich hinstreckende Schmelz. Zweck
rechnet in seinem Lit. 20 große Dampfschneidemühlen in
Memel, die das herangeflößte Holz verarbeiten. In Schmelz hat
sich auch die übrige Memeler Industrie niedergelassen. Eine
„Memeler Industrie-Aktiengesellschaft" hat sich gebildet, die
die Holzabfälle zu Holzessig, Holzkohle, Teer etc. verarbeitet;
in der Nähe der Stadt an der Dange ist eine Holzimprägnier-
anstalt entstanden.
Diese ganze Industrie, wenn auch dem Wasserverkehr ent-
sprossen, blieb doch im dauernden Zusammenhang mit der sie
unterstützenden Bahn, die am Import und Export einen nicht
ganz unbedeutenden Anteil hatte. Darum wollte man auch
in eine bequeme Verbindung mit ihr treten. Die Schmelz
war vom Bahngeleise des Winterhafens bei einer Längsaus-
dehnung von ca. 6 km recht weit entfernt. So wurde dann
1896 das Projekt angeregt, die Winterhafenbahn nach der Dange
und der Schmelz zu verlängern. Die Interessenten wollten das
Anschlußgeleise bauen.
Man hoffte dadurch nicht nur der bestehenden Industrie zu
helfen, sondern die Gründung neuer zu fördern. Hatte doch
namentlich die Industrie mit Düngemitteln, die auf dem See-
wege in großem Umfange hierherkamen, besonders durch die
leiohte Abfuhr nach dem Lande mittelst der Eisenbahn einen
bedeutenden Aufschwung genommen. Allein der praktischen
Ausführung stellten sich Schwierigkeiten im Bau und Betriebe
entgegen, so daß die Angelegenheit 1898 ins Stocken kam und
zu Gunsten eines anderen Projekts aufgegeben wurde.
Altpr. Monatsschrift Bd. XLII. Hft. 7 u. 8. 32
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488 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Im Jahre 1897 hatte nämlich der Kreis Memel den Klein-
bahnbau nach der Stadt angeregt, um eine regere und bequemere
Güterbeförderung, namentlich landwirtschaftlicher Produkte zu
erzielen, und auch die Personenbeförderung nach der Kreisstadt
zu erleichtern. Die Stadt hatte sich diesem Vorschlage sofort
lebhaft angeschlossen. 1899 fanden die ersten Vermessungen
statt. Namentlich das Gebiet im Osten der Stadt sollte eine
schnellere Verbindung erhalten. Man projektierte daher eine Linie
bis Clemmenhof und von dort abzweigend, einerseits nach Plicken,
von wo eine Landstraße nach Rußland, andererseits nach dem
Kirchdorfe Dawillen, von wo aus die Mingestraße nach Bußland
hineinführt. Gleich damals wurde jedoch für wesentlich die
Anlage einer Bahn in Memel selbst gehalten, die die auf der
Kleinbahn ankommenden Güter bis zu den Verladeplätzen in
Memel und Schmelz transportieren sollte. Diese Bahn sollte
nun nach gemeinsamem Projekte der Stadt und der Kreis-
interessenten eine elektrische sein, da sie am besten allen
Forderungen zugleich entsprechen könnte (Personen und Güter)
und nicht auf derartige betriebstechnische Schwierigkeiten stieß,
wie eine Staatsbahnerweiterung. Durch Kreistagbeschluß wurde
die projektierte Kleinbahnstrecke bis zu den Grenzstationen
Laugallen und Pößzeiten erweitert.
Das Unternehmen war in vollem Gange, als 1902 durch
die industrielle Krisis die nordische Elektrizität»- und Stahlwerk-
Aktiengesellschaft, der die elektrische Bahnanlage in der Stadt
übertragen war, sich gezwungen sah, die Arbeiten einzustellen,
und dadurch auch der ganze Kleinbahnbau in Stocken geriet
Der Kreistag beschloß darauf das Unternehmen zu vereinigen,
so daß es in nicht zu ferner Zeit in Verwirklichung treten wird.
Durch die Entwickelung der letzten 20 Jahre, die den Haupt-
wert auf die Wasserstraße, den natürlichen Verbündeten Memels
legte, und die Landverkehrswege nicht mehr ausschließlich
als Stützen für kühne, aber unmögliche Projekte, sondern
als Mittel zur Hebung und Förderung des hier wie aller
Orten danieder liegenden Nahverkehrs benutzte, hat sich
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Von W. Feydt. 489
Handel und "Wandel Memels nach dem Tief stände von 1880
"wieder gehoben.
Der Handel ist noch immer der Hauptnahrungszweig der
Bevölkerung. Der Hauptausfuhrartikel ist das Holz, von dem
im Jahre 1897 z. B. über 650000 Festmeter meist nach England
expediert wurden. Nächstdem findet man auf der Ausfuhrliste
als einzig bedeutende Artikel nur noch Leinsaat, Flachs und
Lumpen. Der Import besteht in Kohlen und Heringen, Phosphat,
Schwefelkies und Thomasschlaoke. Der enge Zusammenhang
mit Baßland kommt in fast allen diesen Artikeln zum Aus-
druck.
Von der Holzindustrie ausgehend, die zusammen mit dem
Holzhandel das Schwergewicht des heutigen Memeler Handels
ausmacht und allein noch einen wahrhaft großartigen Betrieb
darstellt, hat sich aber in letzter Zeit auch die Industrie im
allgemeinen gehoben und angefangen festen Fuß zu fassen. Die
zuletzt angeführten Importartikel ließen schon auf ein Unter-
nehmen schließen, wie es Memel durch die „Union", eine Fabrik
chemischer Produkte, die mit ca. 400 Arbeitern arbeitet, erhalten
hat. Außerdem sind die Eisengießereien, drei Bierbrauereien,
eine Seifenfabrik und mehrere Kalk- und Ziegelbrennereien zu
erwähnen1).
3. Die stagnierenden Städte.
"Wer unter Stagnieren ein Stehenbleiben auf derselben
Einwohnerzahl oder eine ganz geringfügige Veränderung der-
selben versteht, wird in ganz Ostpreußen kaum eine in diesem
Sinne stagnierende Stadt finden. Das ist ein Beweis dafür, daß
Ostpreußen sich im 19. Jahrhundert ungemein gehoben und ein
1; Arnn.: Es ist charakteristisch bei dieser durch die Eisenbahnen so ge-
schädigten Stadt, daß die Lage des Bahnhofes gänzlich ohne Wirkung auf das
Stadtbild geblieben ist. Die Stadt hat sich immer krampfhaft am Wasser ge-
halten und entlang gestreckt, dem Bahnhof jedoch kühl und reserviert den
Bücken gezeigt. In den Jahren 1898—1901 scheint in der dem Bahnhof zunächst
liegenden Straße kein neues Haus gebaut zu sein!
32*
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490 Der Einfluß der oetpreußischen Eisenbahnen etc.
absoluter Stillstand überhaupt nicht stattgefunden hat. Wir
haben unter „stagnierenden Städten" etwas ganz anderes zu ver-
stehen, da es für uns nur darauf ankommt, den Einfluß der
Eisenbahnen festzustellen. Zu diesem Zwecke müssen wir nach
dem Range der Stadt, nach ihrer Stellung in der Provinz fragen,
die sie beim Beginn der Eisenbahnzeit und die sie heute ein-
nimmt. Hat diese Stellung sich nicht oder nur ganz unwesent-
lich verändert, dann ist die Stadt stagnierend in unserem Sinne.
Es erscheint zunächst sonderbar, vom Stagnieren zu sprechen,
obwohl eine Stadt an Einwohnern beträchtlich größer geworden
ist, und doch ist diese Methode nach dem Bang d. h. nach der
relativen, nicht nach der absoluten Größe zu fragen, die einzig
richtige, da sie allein ein zutreffendes Bild gibt. Müßte z. B.
nicht jemand, der Ostpreußen nicht kennt und hört, daß Gum-
binnen gegen 1852 sich (mit Militär) an Einwohnern verdoppelt
hat, wenn er nur diese absoluten Zahlen berücksichtigt, denken,
die Stadt hätte enorme Fortsehnte gemacht und sich erheblich
entwickelt, während jedermann, der die Stadt kennt, zugeben
muß, daß sie auch heute noch still und tot ist?
Gumbinnen ist und bleibt eben der vom Dorf e zur Regierungs-
stadt erhobene, durch künstliche Mittel groß gezogene Ort, ganz
gleich, ob die Bevölkerung 7000 oder 14000 Einwohner beträgt
Es ist natürlich, daß 14000 Menschen mehr Platz zum Wohnen
brauchen, sich das Stadtbild also erweitert hat, aber die Stadt
als Ganzes ist genau so tot geblieben. An dem Aufschwung
haben Handel und Verkehr nicht oder nicht bedeutend genug
teilgenommen. Vergleicht man Gumbinnen mit Insterburg, dann
wird der Gegensatz vollends klar. Mit der absoluten Ziffer ist
hier also gar nichts zu machen. Wir merken uns nur, daß sie
für diese Klasse durchweg beim Vergleiche von 1852 und 1900
positive Resultate ergibt, wobei Gumbinnen mit einer Zivil-
bevölkerungszunahme von 4694 obenan, Domnau mit einem Plus
von 194 untenan steht.
Das richtige Bild geben die vergleichenden Rangziffern, wie
überhaupt der Vergleich sowohl mit den gleichzeitigen Ent-
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Von W. Feydt. 491
wickelungs- Verbältnissen anderer, wie den vorzeitigen des eigenen
Ortes nirgends so notwendig ist als bei stagnierenden Städten.
Da stellt es sich, um noch einmal auf unser Beispiel zurück-
zukommen, heraus, daß Gumbinnen von Anfang des Jahrhunderts
bis zum Ende ein und dieselbe Bangziffer (6) behalten hat.
Da aber die Stagnation ihrem Wesen nach immer eine
dauernde Erscheinung ist, genügt es hier nicht, immer nur die
Rangziffern von 1852 und 1900 mit einander zu vergleichen, und
es muß besonders auf die Tabellen am Schlüsse des allgemeinen
Teils verwiesen werden. Doch schon die beiden genannten Ziffern
ergaben in den weitaus meisten Fällen eine so geringe Differenz,
daß sich die Stagnation an ihnen bereits aufs Deutlichste aus-
prägt. Die höchsten Differenzzahlen sind 6 bei Fischhausen und
5 bei Rhein, und diese Schwankungen kommen gerade bei den
Plätzen vor, wo ein geringes Herauf- und Hinabgleiten im Gegen-
satz zu den ersten zehn und zu den letzten Städten der Provinz
viel weniger ausmacht. Bei beiden Städten kommt auch noch
der störende Einfluß der Wasserstraße hinzu. Im übrigen sind
die Differenzziffern ausnahmslos sehr gering.
Zweimal kommt 0 vor, 7 mal 1, 4 mal 2, 1 mal 3. Die
Summe aller Differenzziffern beträgt bei 16 Orten nur 29.
Man kann in dem Grade der Stagnation noch einige Unter-
schiede machen. Es kommt vor, daß eine Stadt unter dem Ein-
flüsse der Bahn für eine Zeit gleichsam aus ihrem Schlafe er-
wacht und eine Veränderung ihrer Daseinsformen erfährt; diese
kann wiederum in einer zeitweisen Schädigung wie einer vorüber-
gehenden Förderung bestehen. Bald aber stellt sich das alte
Gleichgewicht her und Gesamtbild und Bedeutung bleiben die
alten. Danach kann man stagnierende Städte mit dazwischen
liegender Förderung und solche mit dazwischen liegender
Schädigung unterscheiden. In beiden Fällen muß die ganze Reihe
der Bangziffern betrachtet werden, wobei sich dann unschwer
feststellen läßt, durch welche Bahn die Veränderung veranlaßt
worden ist. Dieser Vorgang einer periodischen Veränderung
kann aber ein mehrmaliger sein und dann tritt eine zeitweise
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492
Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Schädigung zwischen zwei vorübergehende Förderungsperioden.
Beispiele hierfür sind Marggrabowa und Neidenburg.
Dieselbe Betrachtungsweise ist natürlich bei der dritten Ab-
teilung dieser Klasse, den absulut stagnierenden Städten, er-
forderlich. Es sind das Orte, die das, was sie waren, auch ge-
blieben sind, ganz gleich, ob sie Eisenbahnen früher oder später
erhielten, ja sogar wie Zinten in neuester Zeit wenigstens eine
Art Knotenpunkt geworden sind. Sie haben eben überhaupt
keine Verkebrslage. Teilweise sind sie, wie Rhein, versteckt, teil-
weise, wie Mühlhausen, Domnau, Oumbinnen, Zinten, zu nahe an
durch ihre Verkehrslage begünstigteren Orten gelegen, im Gegen-
satz zu denen sie natürlich niemals emporkommen konnten.
Ganz unrecht tut man, in diesen Fällen von einer Schädigung
durch die Eisenbahnen zu sprechen. Domnau ist eben immer
Domnau gewesen und auch Mühlhausen hat zwischen Elbing und
Braunsberg an einer Stelle, wo ebensogut ein Boggenschlag stehen
könnte, niemals, ob mit oder ohne Bahn, eine Bedeutung er-
langen können. Die Eisenbahnen können vieles, aber Wunder
können auch sie nicht vollbringen.
Die Übersicht über diese Klasse ergibt folgende Städte:
a) stagnierend mit dazwischen liegender Förderung:
53. Willenberg 2280 Einwohner
45. Fischhausen 2746
37. (4
2) Darkehmen
3534 (2958)
31.
Mehlsack
4152
28.
Neidenburg
4453
23.
Gattstadt
4588
21.
Marggrabowa
4878
16.
Wormditt
5249
b) stagnierend mit dazwischen liegender Schädigung:
26. Heiligenbeil 4553 Einwohner
o) absolut stagnierend:
59. Domnau 1921 Einwohner
58. Rhein 2025 *
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Von W. Feydt.
52.
Mühlhausen 2326
Einwohner
46.
Saalfeld 2586
^
41.
Seeburg 3023
*
35.
Zimten 3585
*
6.
(7)
Gumbinnen 14000 (11764)
* .
Us Probe:
Heiligenbeil.
493
Das ca. 50 km von Königsberg entfernte Städtchen Heiligen-
beil hatte sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
zu einem gewissen Wohlstände entwickelt. Es lag an der
großen Verkehrsader von Berlin nach Königsberg und war
daher berufen, der Handelsvermittler für das dahinter liegende,
noch durch keine Chaussee aufgeschlossene Landstück nach
Zinten zu zu sein. Es profitierte vom Durchgangsverkehr und
hatte es zu einer gewerblichen Blüte gebracht, die in einzelnen
Zweigen sogar hohe Berühmtheit erlangt hatte. Es war die
richtige Land- und Handelsverkehrsstadt zweiten Ranges. Die
in der Umgegend häufigen Kaddig- und Wachholdersträuche,
im Volksmaude Machandelbaum genannt, lieferten einer großen
Anzahl von Handwerksmeistern das Material zu jenen äußerst
zierlichen und dabei wohlfeilen Drechslerarbeiten, die weithin
berühmt, fast auf allen Jahrmärkten feilgeboten wurden und
deren Herstellung vielen Menschen lohnende Beschäftigung gab.
Daneben blühte eine große Anzahl anderer Kleingewerbe, und
auch im Getreidehandel vermittelte Heiligenbeil die Ausfuhr
nach dem Exporthafen Königsberg (cf. Bilder aus den deutsch.
Küstenl. d. Ostsee, p. 440. 41). Da nahm die große Verkehrs-
ader des Ostens, die Eisenbahn von Berlin nach Eydtkuhnen,
ihren Weg über unseren Ort. (Eysenblätter, Geschichte d. Stadt
Heil, p. 104.) Sie hatte zunächst einen Bückgang der Stadt
zur Folge. Die Nähe der Hauptstadt wurde mit der schnellen
Eisenbahnverbindung manchem Geschäftszweige verhängnisvoll.
Vor allem litten die Gewerbe, auf denen der Wohlstand der
Bürgerschaft zum großen Teil basierte, „durch die Konkurrenz
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494 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
mit der Massenproduktion auswärtiger Fabriken, insbesondere
das Drechslergewerk, welches unter den ungünstigen Verhält-
nissen die einstige Blüte nicht zu erhalten vermochte". (Eysenbl.
1. c. p. 104.) 1888 befand es sich bereits in so traurigen Ver-
hältnissen, daß keiner von den Meistern mehr Gesellen oder
Lehrlinge zu halten vermochte. (Jahresber. der Gewerbekammer
1888 p. 72.) Aber auch „die Leinenindustrie nahm ab; Spinn-
rad und Webestuhl verschwinden immer mehr aus den Häusern
in Stadt und Land". (Eysenbl. 1. c. p. 104.) Heiligenbeil konnte
sich vor weiterem Bückgange nur retten, wenn es ihm gelang,
sich den veränderten Zeitverhältnissen anzupassen. Es mußte
sein Hinterland durch Chausseebauten fester mit der Stadt ver-
knüpfen und es dadurch am Abfall nach anderen Orten ver-
hindern und durch Industrie großen Stiles die Vernichtung des
Kleingewerbes ausgleichen. Heiligenbeil hat diese Aufgaben
erfüllt und daher heute denselben Platz behauptet wie vor der
Eisenbahnzeit. Bei der Nähe der Hauptstadt ist das um so mehr
anzuerkennen, beweist jedoch, daß die Nähe einer großen Stadt
nicht immer absolut schädigend zu wirken brauoht.
Ein großer Teil dieses Verdienstes fällt dem Landrat des
Heiligenbeiler Kreises, Herrn v. Dreßler, zu. Er war die Seele
aller Unternehmungen, die Heiligenbeil seinen Landkreis zu be-
halten und zeitgemäß auszunutzen möglich machten. Zunächst
wurden Chausseen nach dem Binnenlande gebaut. 1870 war
die Strecke von Heiligenbeil bis Rödersdorf vollendet, die später
fortgesetzt wurde, und von Rehfeld aus wurde eine Zweig-
chaussee nach Zinten gebaut. Zusammen mit der schon be-
stehenden Berliner Kunststraße war der Kreis hierdurch regel-
recht aufgeschlossen und sein Verkehr nach Heiligenbeil zen-
tralisiert. Der Hauptverdienst Dreßlers war es jedoch, daß er
sozusagen Heiligenbeils Haff läge entdeckte und der Schöpfer
des Hafens Rosen berg wurde. Wir haben in diesem Hafen ein
Beispiel des förderlichsten Ineinandergreifens von Sohienen-
und Wasserweg in zwei verschiedenen Richtungen. Im Herbst
1882 war der Hafenbau, namentlich die Anlage' der Molen, be-
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Von W. Feydt. 495
endet. Sofort entwickelte sich ein bedeutender Verkehr. Vom
Hafen aus, der nicht an der Mündung der unbedeutenden
Küstengewässer Jarft-Babnau, sondern weiter nördlich nach
Königsberg zu lag, führte eine Chaussee nach der Stadt, die
der Kreis unterhielt. Kartoffeln, Getreide, Kleie, Viktualien
aller Art, Bier, Steine, Sand, Kies wurden exportiert, Ziegel,
Dachpfannen, Baumaterialien herbeigeschafft. Die Stadt macht
sich von dem schädigenden Einfluß der Bahn frei durch
Schaffung einer neuen Straße, ohne jedoch, wie wir weiter
sehen werden, einen einzigen Vorteil der Bahn aus der Hand
zu geben. Der Hafen nimmt eine fortgesetzt günstige Eut-
wickelung. Regelmäßiger Dampferverkehr mit Königsberg-
Pillau wird unterhalten, zeitweise liegen die Schiffe in ihm in
zwei- bis dreifacher Reihe. Ein großes Dampfsägewerk wird
von einer Firma am Hafen errichtet. 1894 wird eine Hafen-
erweiterung dringend notwendig; der Hafen wird vertieft, damit
die Stettin-Danziger Seedampfer ihn zum Getreideexport be-
nutzen können, und schließlich beschließen die Rosenberg-
Heiligenbeiler Interessenten die Selbstanschaffung eines Dampfers.
Heiligenbeil ist also Seehandelsstadt, wenn auch in kleinem
Maßstabe, geworden und verdankt den Anstoß dazu nur dem
Einwirken der Eisenbahn auf sein Gewerbeleben. Aber nun
will man positive Vorteile für den Handel auch von den Eisen-
bahnen ziehen, und darum interessiert uns dieses Städtchen
auch naoh seiner Umwandlung in einen Hafenort. Im selben
Augenblicke, in dem die Bahn Zinten-Rothfließ vom Staate in
Aussicht genommen wird, streben die Heiligenbeiler eine Fort-
führung naoh ihrer Stadt und ihrem Hafen an. Der Kreis-
ausschuß fordert wenigstens die Herstellung einer Kleinbahn
von Zinten nach Heiligenbeil. Mit dieser Forderung sind die
Heiligenbeiler bisher nioht durchgedrungen. Daß sie Vorteil
von der Bahn haben würden, ist ganz zweifellos. Heiligenbeil
könnte auf diese Art und Weise ein nicht mehr zu übersehender
Konkurrent Königsbergs und ein sehr zu fürchtender Brauns-
bergs werden. Diese Gründe mögen wohl dafür bestimmend
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496 Der Einfluß der oetpreußi sehen Eisenbahnen etc.
gewesen sein, daß die Regierung „zurzeit" dem Projekte noch
nicht näher getreten ist. Die Heiligenbeiler haben sich vor der
Hand ihren alten Platz unter den Städten der Provinz erkämpft;
er ist ihnen durch ihre Verkehrsmittel: Bahn, Chaussee und
Wasserstraße, insgemein gesichert. Sie können es ruhig ab-
warten, bis die neue gewünschte Bahn ihnen eine sichere
Förderung bringen wird. (of. hierüber Verwaltungsberichte des
Kreises Heiligenbeil 1882—1900.)
Zur selben Zeit aber, in der der Heiligenbeiler Hafen zur
Bedeutung gelangte, half der zuerst geschädigten Stadt die
Eisenbahn ihren Platz behaupten durch einen Aufschwung der
Industrie. Sie steht im engsten Zusammenhang mit der Land-
wirtschaft und hob sich wie diese unter den Einflüssen der
Eisenbahn. Eine Meierei und eine Anstalt zur Verwertung des
Obstes wurden gegründet, die schon vorhandene Amtsmühle,
noch aus der Ordenszeit, wurde mit allen modernen Einrichtungen
versehen und trieb einen ausgedehnten Mehlhandel. Aus einer
kleinen Schmiede entwickelte sich durch die Intelligenz und
Tätigkeit ihres Inhabers Rudolph Wermke die weithin berühmte,
einen ganzen Häuserkomplex umfassende Fabrik landwirtschaft-
licher Maschinen, besonders aber von Pflügen. Es ist kein
Zufall, daß wir sie dicht am Bahnhofe bei der Vorüberfahrt liegen
sehen. Erst durch die Eisenbahnverbindung konnte sie groß und
berühmt werden. Schon 1886 genoß sie europäischen Ruf, be-
schäftigte ca. 70 Arbeiter und setzte in fast allen preußischen
Provinzen und auch nach Holland, Bußland, Ungarn, Rumänien
und Ägypten ab. Selbst nach Nord-Amerika ging damals ein
Probeauftrag und die deutsche Kolonie Kamerun war der am
weitesten entfernte Kunde der Heiligenbeiler Fabrik. (Jahres-
bericht der Gewerbekammer 1886 — 87 p. 104.)
Die anderen industriellen Unternehmungen: Eisengießerei,
schon erwähnte Dampfschneidemühle und Brauerei vervollständigen
das Bild dieses blühenden Industrieaufschwunges.
Durch Anspannung aller seiner Kräfte hat sich das bescheidene
Städtchen zwischen Braunsberg und Königsberg halten können.
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Von W. Feydt. 497
Die Stadt ist, wenn auch langsam, gewachsen. Sie hat sich nicht
über ihre Zeit erhoben, aber sie hat die Fortschritte derselben
mitgemacht „Der Wohlstand nahm zu, ihre äußere Erscheinung
wurde stattlicher. Zahlreiche öffentliche Gebäude und Anstalten
entstanden.44 (Eysenbl. 1. c. p. 103.)
Wenn wir vom verkehrsgeographischen Standpunkte aus
Städte nur an solchen Stellen für berechtigt halten, an denen
aus diesen oder jenen Gründen ein selbständiges gewerbliches
Leben sich entwickeln konnte, müssen wir die dauernd stagnieren-
den Städte als große Dörfer mit der rechtlichen Stellung als
Städte bezeichnen. Keinem anderen Umstände verdanken sie
ihre Existenz, als dem Hange der landbebauenden Bevölkerung,
Mittelpunkte zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu haben. Ein
paar Händler, ein paar Kaufleute und eine Hand voll Hand-
werker machen das Städtchen aus. Sie alle aber können vom
Geschäftsverdienst allein nicht leben, sondern betreiben zum
großen Teil selbst Landwirtschaft. Die Stadt unterscheidet sich
in keinem wesentlichen Merkmale von einem bedeutenden Dorfe.
Daß sie keine eigentliche Verkehrslage haben, beweist erst die
Zeit, in der die Verkehrswege ausgebaut werden. Sie liegen alle
ausnahmslos nicht an Hauptverkehrsstraßen des 19. Jahrhunderts.
Wo das dennoch der Fall ist, haben wir es mit künstlichen Ver-
hältnissen zu tun. Sie sind alle Binnenlandstädte, an keinen
schiffbaren Flüssen gelegen, und selbst im Seengebiet Masurens
durch abseitige Lage vom größeren Verkehr ausgeschlossen.
Darum haben auch die Eisenbahnen sie zuerst gemieden, und wenn
sie sie, die eine früher, die andere später, dennoch erreichten, so
dankte es die Stadt nicht ihrer Lage, sondern es war gleichsam
ein Zufall, daß sie in der gerade eingeschlagenen Verkehrsrichtung
lagen. Dem Lande ringsum verdankten sie ihre Existenz, der Not-
wendigkeit seiner allmählichen Aufscbließung auch ihre Chausseen
und Eisenbahnen.
Darum sind sie auch immer geblieben, was sie waren. Sie
konnten nicht geschädigt, aber auch nicht gefördert werden , und
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498 £*er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
selbst da, wo die Kunst mit allen Kräften der Natur entgegen
arbeitete, hat auch sie einen relativen Aufschwung nicht hervor-
zubringen vermocht.
Als Beleg hierfür diene:
Gumbinnen.
Ohne den Königswillen Friedrich Wilhelm I. wäre Gum-
binnen heute noch ein wohlhabendes Dorf. Eine städtische Sie-
delung war durch die Verkehrsverhältnisse jedenfalls nicht be-
dingt. . Wer nordwärts der Tzullkinner Forst, wer südwärts der
Plickener Berge wohnte, mußte Insterburg als natürlichen Sammel-
platz allen Verkehrs dieser litauischen Gegenden auf geradem
bequemen Wege aufsuchen. Bei einer Stadt Gumbinnen war
eine Umgehung der Forst und eine Umgehung oder Über-
kletterung der Höhen notwendig. Trotzdem war die Stelle,
wenn man hier überhaupt eine Stadt gründen wollte, nicht
schlecht gewählt. Der Umkreis von der Forst bis zu den Höhen
mußte ihr als natürliches Gebiet zufallen, zumal größere Moore
auch eine Art Ostgrenze schufen. Die Lage Gumbinnens am
Zusammenfluß der Pissa und Rom inte kann verkehrsgeographisch
auch nicht verwertet werden, da jede Schiffahrt unter- und ober-
halb der Stadt ausgeschlossen ist Siedelungskundlich beweist
sie nur, daß auch Gumbinnen wie alle anderen Dörfer das
Wasser aufgesucht hat. Wäre Gumbinnen nicht Stadt, dann
hätten wir eine vorzügliche Ostbahnstation Stannaitschen, mit
einer Zufuhrchaussee von Norden (Gumbinnen-Tilsiter Straße)
und einer von Süden (Gumbinnen-Goldaper Straße), während den
übrigen Chausseen die beabsichtigte künstliche Hinleitung nach
der Hauptstadt des Begierungsbezirkes zu deutlich anzumerken
ist, als daß ihr Entstehen auch in dem fingierten Falle anzu-
nehmen wäre.
Gehen wir nun aber über den engen räumlichen Horizont
von Gumbinnen etwas weiter hinaus, so ergibt sich seine un-
günstige Verkehrslage aus dem Umstände, daß diese Stadt an
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Von W. Feydt. 499
einer Stelle der Provinz liegt, die weder recht zum Grenzgebiet
gehört, nooh auch dem Binnenland recht eigentlich angehört.
Gumbinnen hat keine Bandlage. Der Einfluß des Grenzsaumes
reicht nur bis Stallupönen, das der natürliche Knotenpunkt für
die letzten Nord-Süd-Straßen parallel der Grenzen ist und als
Grenzrandstadt infolgedessen auch Eisenbahnknotenpunkt ge-
worden ist. Der Einfluß des Binnenlandes mit seiner Binnen-
wasserstraße reicht nur bis Insterburg, das in dieser Beziehung
Bandstadt ist und der natürliche Anfangspunkt der von hier an
schiffbaren und einheitlichen Pregelstraße.
Gumbinnen liegt also zwischen beiden Städten gleichsam
in einer toten, neutralen Zone. Darum ist es auch trotz aller
künstlichen Belebungsversuche tot geblieben. Passarge nennt es
„eine monotone und unbelebte Stadt". Darum konnten wir es
auch in der Klassifikation der Städte nirgends recht unterbringen.
Aber gerade dieser Umstand mag dem Wirtschaftspolitiker die
Stadt für den Verwaltungsmittelpunkt der östlichen Provinzhälfte
günstig erscheinen lassen, von geographischem Standpunkte kann
man nur der Ansicht sein, daß Insterburg am natürlichen Knoten-
punkt der litauischen Hauptstraßen von allen Sichtungen her
der prädestinierte Ort für den Sitz der Regierung war.
Und alles, was wir von der Verkehrslage Gumbinnens im
allgemeinen gesagt haben, bestätigen die Eisenbahnen vollauf,
ihrer Natur nach konnten sie in ihrem Verlaufe auch auf die
Begierungsstadt nicht die Bücksicht nehmen, wie der Landwege-
bau. Sie haben sich ein viel freieres, ungezwungeneres Verhält-
nis zu der Stadt bis auf den heutigen Tag gewahrt. . Ein Blick
auf die Verkehrskarte zeigt, daß die Eydtkuhner Strecke von
Königsberg abgesehen, überall wo Städte liegen, Abzweigungen
von Eisenbahnen erhielt (bei Wehlau tritt der schiffbare Unter-
lauf der Alle an die Stelle einer Bahn), nur nicht bei Gum-
binnen. Noch heute muß man, um nach der Begierungsstadt
zu gelangen, von Norden wie von Süden her große Umwege
über Insterburg resp. über Stallupönen maohen. Dieses unge-
heuere Viereck, dessen Seiten die Strecken Tilsit-Stallupönen,
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500 ^er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Stallupönen-Goldap, Goldap- Insterburg, Insterburg-Tilsit bilden,
ist der letzte und am meisten bestätigende Beweis för unsere
Behauptung von der ungünstigen Verkehrslage dieses künstlichen
Stadtproduktes.
Daran ändert es auch nichts, daß der Bau einer Neben-
bahn Gumbinnen - Szittkehmen beschlossene Sache ist. Eine
natürliche Linie können wir in diesem Projekt nicht erblicken,
nach einer derartigen Stichbahn können wir uns in"' der ganzen
Provinz vergebens umsehen, und die Szittkehmer gehören mit
ihren Verkebrsinteressen viel eher nach Stallupönen oder nach
ihrer Kreisstadt Goldap, von der sie allerdings durch die bahnen-
feindliche Forst abgeschnitten sind. Jedenfalls wäre verkehrs-
geogfaphiscb die Strecke Pillupönen-Szittkehmen-Goldap natür-
licher als die Bahn Szittkehmen-Gumbinnen.
Und nicht anders steht es mit der zweiten Bahn, die Gam-
binnen erhalten soll: Der Strecke Angerburg — Darkehmen —
Gumbinnen. Wiederum beweist ein Blick auf die Karte, daß
nach Ausbau der Linie Johannisburg— Lötzen — Angerburg das
Stück Angerburg — Insterburg und nicht Angerburg — Gumbinnen
das natürliche Schlußglied einer geraden Bahnlinie vom Ende
Masurens bis Tilsit hinauf bildet.
Auch da maoht sich das natürliche Verhältnis von Inster-
burgs günstiger Verkehrslage für jede Richtung und Gumbinnen«
ungünstiger wiederum fühlbar.
Was schließlich die Ostbahn anlangt, an deren Strecke
Gumbinnen liegt, so ist schon vorher durch den Hinweis auf
eine Station „Stannaitschen" auf den kleinen südlichen Umweg
hingedeutet worden, den die Bahn von Insterburg nach Stallupönen
macht. Der kürzere Weg hätte durchweg näher an der Chaussee
entlang geführt, ohne größere Terrainschwierigkeiten zu bereiten.
Südlich von Stannaitschen hätte der Pissafluß einmal Überschritten
werden müssen, dann wäre in dem durchweg flachen Gelände
immer an der Chaussee entlang die Strecke gerade auf Stallupönen
zugeeilt, während sie jetzt Rominte und Pissa gesondert zu über-
schreiten hat. Gumbinnen ist in der einschlägigen Literatur,
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Von W. Feydt. 501
soweit sich Urteile finden, nicht anders beurteilt worden. Passarges
Meinung haben wir schon angegeben, und er kannte Land und
Leute seiner Heimat. Ein Urteil aus den achtziger Jahren lautet:
„Gumbinnen ist allerdings, von den Markttagen abgesehen, ein
totes Nest. Der längere Aufenthalt ist ein trister und einförmiger,
und die Stadt ist ohne Zweifel die letzte unter den hervorragen-
den Städten der Provinz." (Ostpr. Skizzen, Grenzboten 1885.)
Daß Gumbinnen ebensogut wie Insterburg Knotenpunkt
aller jener Linien, die dort kreuzen, hätte werden können, muß
nach dem Auseinandergesetzten freilich als äußerst kurzsichtig
und falsch zurückgewiesen werden. Sehr zutreffend sagt Bonk:
„Die Stadt ist auf künstlichem Wege ins Dasein gerufen, durch
künstliche Mittel erhalten und auf künstliche Weise zur Blüte
gelangt, indem es 100 Jahre nach seiner 1724 erfolgten Gründung
zur Begierungsstadt gemacht wurde" ; und ergänzend sagt Zweck:
„Daß die Stadt trotz der Nähe von Insterburg eine ansehnliche
Größe erlangte, hat sie nur dem Begierungssitze zu verdanken".
(Zweck Lit. p. 273 ff.) Man muß berücksichtigen, daß sie 1816
noch mehr Einwohner hatte als Insterburg und damit die vierte
Stadt der Provinz war.
1816
1843
1871
1900
Gumbinnen:
5662
6678
9056
14000
Insterburg:
5393
9544
14439
27787
Diese Zahlen reden deutlich genug, wie wenig sich die
natürlichen Verhältnisse auf die Dauer haben verschleiern lassen,
noch viel markanter aber sind die Bangziffern. In diesem Jahr-
hundert des ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwunges,
wo jede natürliche Kraft sich tausendfältig regt und
durch die modernen Verkehrsmittel tausendfältig aus-
genutzt wird, bleibt Gumbinnen unentwegt auf dem-
selben Platze stehen. Der Aufschwung des Begierungs-
bezirks muß ja freilioh in gewissem Sinne auch auf die Begie-
rungsstadt zurückfallen: Ihr Beamtenpersonal; ihre Garnison
wurden größer, sie wächst an, aber ihr Bang in der Provinz
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502
Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
bleibt derselbe und sie, die früher zu den allerersten Städten
zählte, kann jetzt keine einzige überflügeln.
1843
1846
1849
Einwohner:
6678
6580
6794
Rangziffer:
6
6
6
1852
1855
1858
Einwohner:
7070
7433
7760
Bangziffer:
6
6
6
1861
1864
1867
Einwohner:
8006
8517
8779
Bangziffer:
6
6
6
1871
1875
1885
Einwohner:
9114
9530
10453
Rangziffer:
6
6
7
1890
1895
1900
Einwohner:
12207
13545
14000
Bangziffer:
6 (7)
6 (7)
6 (7)
Nur weil die Regierungsstadt mit dem Regierungsbezirk im
Aufschwung mitging, ist Gumbinnen größer geworden. Nur
unter diesem Gesichtspunkte ist daher schließlich auch der relative
Aufschwung zu betrachten, den Handel und Industrie in der
stagnierenden Stadt genommen haben. Dem Kleinhandel gaben
die Menschen, die durch die Regierung hierher geschickt wurden,
den Rückhalt, dem Großhandel und der Industrie die Verkehrs-
wege, die die Regieiung über Gumbinnen legte, um die Regie-
rungsstadt wenigstens einigermaßen mit der fortschreitenden
Landeskultur in Einklang zu bringen. Erst das Chausseenbündel,
das heute in Gumbinnen zusammenläuft, macht seine Märkte
groß, macht die Stadt zum Wohnsitz von (1901) 14 Viehhändlern,
16 Getreidehändlern, 8 Bau- und Nutzholzhandlungen, 4 Lumpen-
und Rohproduktenhändlern, 4 Handlungen mit Mehlfabrikaten,
6 Speditions- und Kommissionsgeschäften, zum geeigneten Orte
für einen sehr besuchten jährlichen Füllenmarkt.
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Von W. Feydt. 503
Und nur der Umstand, daß die Eisenbahnstation Gumbinnen
zugleich auch Stadt ist, bat 27 allerdings vorwiegend kleineren
industriellen Anstalten zusammen mit jenem durch die zahlreichen
Chausseen angeschlossenen, fruchtbaren Hinterlande die Existenz-
bedingungen gegeben. Bedeutend ist nur die Möbel- und Mühlen-
Industrie. Trotz alledem ist Gumbinnen keine Handels- und
keine Industriestadt. Kein frisches gewerbliches Leben pulsiert
in seinen Straßen. Der Bahnhof liegt auch heute noch abseits
und verlassen. Er hat seit der feierlichen Eröffnung der Eydt-
kuhner Strecke keine Veränderung erfahren. Die Stadt fühlt
sich als Beamtenstadt und kümmert sich nicht um die Vorteile,
die die Gewerbetreibenden ihm verdanken. Daher hat sie sich
am Auffälligsten in den Richtungen ausgedehnt, die dem Bahn-
hofe fern oder gar entgegengesetzt liegen, z. B. die Tilsiter-,
Stallupöner- und Insterburger-Straße. Auch Allenstein ist eine
Beamtenstadt, aber es hat sich an den Bahnhof in voller Er-
kenntnis, daß es ihm alles verdankt, aufs Engste angeschlossen.
Gerade die feine Welt, auch die, die mit dem Bahnhofe direkt
nichts zu tun hat, zieht sich nach ihm hin: in Braunsberg blieb
sie unberührt von ihm, in kühler Reserve; in Gumbinnen wendet
sie ihm den Rücken. Die Stadt will als Regierungsort gesucht
werden, nicht suchen.
Anhang.
Nachdem wir den Einfluß der Eisenbahnen auf die ost-
preußischen Städte einer eingehenden Betrachtung unterzogen
haben, müßte bei einer systematischen Betrachtung des Einflusses
der Bahnen auf die Siedelungen überhaupt ein Abschnitt über
die Stationen, d. h. über die Ortschaften, denen die Stationen
ihren Namen verdanken, folgen, und ihm hätte als Abschluß eine
Erforschung des Eisenbahneinflusses auf die ländlichen Siedelungen
insgemein, d. h. auf das ganze Land zu folgen.
Wir müssen uns, da es sich hier nur um einen Anhang
handeln sollte, auf einen kleinen Teil dieser Abschnitte be-
Altpr. Monatsschrift Bd. XLU. Hft. 7 n. 8. 33
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504 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
schränken, und als Proben nur drei Orte behandeln, die in einer
besonderen Hinsicht sich auszeichnen und daher durch einen ganz
besondern Einfluß der Eisenbahnen ausgezeichnet sind. Es sind
dieses eine von den Stationen, die zu Ausflugszwecken benutzt
werden, Löwenhagen, ein Knotenpunkt: Maldeuten und die
wichtigste Grenzstation Eydtkuhnen.
1. Löwenhagen.
Die Umgegend des Kirchdörfchens Löwenhagen hat schon
früh die Aufmerksamkeit der Königsberger auf sich gelenkt.
Aber bevor die Ostbahn hier vorüberführte, war an einen intimeren
Zusammenhang von Dorf und Stadt nicht zu denken. Zu Fuß
ließ sich der Ort wegen seiner Entfernung von ca. drei Meilen
doch nicht bequem genug erreichen, auch nachdem die Chaussee
über Neuendorf und Steinbeck gebaut worden war, so blieb man
auf die Dampferfahrt auf dem Pregel angewiesen, an dessen süd-
lichem Talrande das Dörfchen lag. Aber vom Fluß war auch
noch ein beschwerlicher und oft gar nicht passierbarer Weg zurück-
zulegen. Lange Monate stand das ganze Gebiet bis zu dem
hohen^Talrand unter "Wasser und selbst im Sommer trat bei
starkem Rückstau das Wasser aus den Wiesengräben über den
Weg und machte ihn für Fußgänger unpassierbar. Ein Ausflugs-
ort konnte Löwenhagen erst mit der Ostbahn werden. Freilich, die
romantische Lage des Dörfchens auf unebenem Terrain, an einem
Bächlein, mit teichartigen Anstauungen da, wo die westlichen
Ausläufer des Frisehing- Waldes bis dicht an das Pregeltal heran-
treten, wurde für die Lage der Station insofern verhängnisvoll,
als ein bequemer Platz für das Bahnhofsgebäude sich erst einige
hundert Meter hinter dem Dorf fand. Dem Dörfchen ist daraus
die Aufgabe erwachsen, sich nach dem Bahnhof zu strecken und
an diesem konnte sich infolge der Entfernung eine kleine selbst-
ständige Siedelung entwickeln.
Bevor die Eydtkuhner Bahn eröffnet wurde, nahmen viele
Königsberger, die die Bahn als etwas Neues reizte, und die den
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Von W. Feydt. 505
allmählich bekannter werdenden reizenden Ort gerne auf eine
bequeme Weise kennen lernen wollten, die Gelegenheit wahr,
um unerlaubter Weise die Probezüge zu besteigen und ein Ende
mit der Bahn mitzufahren. Weithin war im Publikum die An-
schauung verbreitet, daß das statthaft sei. Schließlich machte die
Bahn diesem Unfug ein Ende. Die Leutchen mußten ihren
Leichtsinn mit einer unfreiwilligen Fußwanderung von Löwen-
hagen nach Königsberg büßen. Sie mögen ihien Ärger bei den
Naturschönheiten vergessen haben, die die Umgegend von Schloß
Friedrichstein, Löwenhagen, Ottenhagen und Hohenhagen in
reicher Abwechselung bot und daheim davon erzählt haben. Zur
selben Zeit erhob sich auch in der Presse eine Stimme, die die
dortigen Naturgenüsse „überwältigend44 nannte (Pr. lit. Zeitung
Nr. 120, den 24. 5. 1860), und der Bahn Einführung wohlfeiler
Tagesbillets empfahl. Die Prophezeihung, daß die Königsberger
während des Sommers Löwenhagen bevorzugen und gerne be-
suchen würden, erfüllte sich, und mit der Zeit ist aus dem
Dörfchen ein richtiger Sommerfrischlerort geworden. Die Bahn
hat die billigen Tagesbillets eingeführt, und sie läßt auch an den
Sommersonntagen einen Extrazug nach Löwenhagen abgehen.
Das Bahnhofsgebäude, zunäcbt nur provisorisch errichtet,
und erst 1867 im Erdgeschoß massiv hergestellt und durch den
Anbau für ein Damenzimmer vergrößert, genügte schon in den
90 er Jahren nicht mehr den Anforderungen des Verkehrs. Löwen-
hagen war über die Bedeutung einer gewöhnlichen Station hinaus-
gewachsen. Allein erst die Einführung der Gerdauer Strecke,
die hinter der Station abbiegt, brachte den Umbau und die not-
wendige Erweiterung des Stationsgebäudes. Dicht am Bahnhof
steht, ebenfalls neuerer Zeit, das schmucke Postgebäude; An-
lagen schließen sich an das Empfangsgebäude und ein Kurhaus
liegt an der Chaussee nach Hohenhagen zu, schon durch seinen
Namen den Sommerverkehr der Städter verratend. Außerdem
liegen näher oder weiter vom Bahnhof entfernt eine Anzahl Ge-
höfte, während neuerdings mehrere Häuser an der Chausse die
Verbindung mit dem Kirchdorf e herstellen helfen.
33*
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506 Der Einfluß der oetpreußischen Eisenbahnen etc.
Die Einwohnerzahl des Dorfes hat sioh in den letzten sechzig
Jahren ganz beträchtlich vergrößert.
1846
1867
1871
1885
1895
ca. 187 Einwohner
* 268
* 365
* 345
* 371
Dabei hat Löwenhagen als Station beträchtlich dadurch
verloren, daß Gutenfeld zwischen Königsberg und Löwenhagen
eingeschoben wurde. Trotzdem hat die Station bereits vor der
Eröffnung der Gerdauer Strecke die Höchstzahl der abfahrenden
Personen von 16718 im Jahre 1877 überschritten und 1900 und
1901 über 20000 abgehende Personen gehabt; und trotz Ver-
minderung des tributpflichtigen Landstückes hat die Zahl der
ankommenden Güter, d. h. also der Konsum der Löwenhagener
Gegend in der letzten Zeit die Höhe selbst der besten früheren
Jahre überschritten, während die abkommenden Güter denselben
Durchschnitt erreicht haben.
Es kamen an: Es gingen ab:
1861: 408 t 1861: 850 t
1871: 1501 < 1871: 1192 *
1880: 1095 < 1880: 2747 *
1890: 1514 * 1890: 1117 *
1901: 2973 * 1901: 1833 *
2. Haldeuten.
Welch' ein Unterschied zwischen Kobbelbude und Gülden-
boden einer- und Maldeuten andererseits. Dort im Grunde ge-
nommen alles klein, obwohl in Güldenboden schon etwas groß-
zügiger, hier alles weit, auf das Große angelegt. Man merkts
gleich, wenn man von Güldenboden her ankommt. Die Strecke
führt am Ufer des Samrodt-Sees entlang, allmählich verbreitert
sich das Planum. Wir sind am Bahnhofe angelangt. Eine sehr
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Von W. Feydt 507
große Anzahl Gleise läuft hier neben einander, und Leben herrscht
zu jeder Zeit.
Die Siedelung Maldeuten zerfällt in drei Abschnitte, in den
Bahnhof und was unmittelbar zum Bahnhofe gehört, in die ge-
werblichen Anlagen auf der Bahnhofseite, in die Siedelungen
jenseits der Gleise am Ufer des Samrodt-Sees und zu beiden
Seiten des oberländischen Kanals: Gewerbliche Anlagen und Gut.
Der letzte Teil ist der älteste, der erste der jüngste, so daß
die Siedelung geradezu nach dem Bahnhofe hingewachsen ist.
Dieser selbst ist seiner Bedeutung entsprechend recht stattlich.
Das Stationsgebäude selbst ist ganz neu aufgeführt, erst seit
kurzer Zeit im Gebrauch, im Rohziegelbau mit dunkelrotem
Ziegeldach gedeckt, im Schweizerstil gebaut, mehr einer kleinen
Villa gleichend, innen mit allem Komfort der modernen Zeit
ausgestattet und Äußerst schmuck. Die ganze Bahnhofsanlage
ist weitläufig. Außer den gewöhnlichen Baulichkeiten wie Vieh-
rampe und Güterschuppen, die sich hier nur durch größere Di-
mensionen auszeiohen, bemerken wir einen Wasserturm und ein
Maschinenhaus. Neben dem jetzigen Stationsgebäude steht ein
zweites in gelben Ziegeln aufgeführtes, also älteres Gebäude, das
jetzt zur Wohnung des Vorstehers dient, ehedem vielleicht das
Stationsgebäude gewesen ist. Aus den Fenstern des Wartesaals
sieht man über die Gleise und den See hinweg, der im Hinter-
grunde vom Waldkranze umgeben ist. Ein dumpfes Geräusch
ist hörbar. Ein Güterzug fährt ein, eine endlose Wagenreihe.
Die hinteren Wagen bleiben gerade vor unserem Fenster stehen.
Sie enthalten mächtige Holzstämme, Biesen von gewaltiger Länge.
Der Bahnhof führt uns ganz von selbst zum Treiben des Erwerbs-
lebens am Orte. Hinter dem Bahnhofsgebäude zieht sich die
Verbindungschaussee entlang, parallel mit den Gleisen laufend.
Auf ihrer linken Seite, vom Bahnhof aus gesehen, steigt das
Terrain sofort empor, stellenweise ganz bedeutend. Wir gehen
die Chaussee entlang und glauben in einem Dorfe zu sein.
Siedelung reiht sich an Siedelung. Zuerst die sauberen Häuser
der Eisenbahnbeamten, dann das stattliche Postgebäude, und
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508 Der Einfluß der ostpreußtachen Eisenbahnen etc.
etwas weiter, hochragend, im modernen Villenstil gebaut ein Ge-
bäude, das durch seine Lage die ganze Siedelung beherrscht. Die
Wohnung des Direktors der Hildebrandtschen industriellen An-
lagen. Dahinter aber auf der Höhe treffen wir eine nahezu
städtische Ansiedelung, natürlich im kleinsten Rahmen, aber
richtige Straßenzüge. Eine Arbeiterkolonie. Ein Haus steht
neben dem andern, die meisten sind erst ganz neuen Datums;
die neuesten Einzelbauten, sog. Familienhäuser; die älteren im
barackenartigen Kasernentypus. Das ganze Bild wird abgeschlossen
von dem Komplex einer gewaltigen Ziegelei, deren Schornstein
hoch auf dem Berge emporragt. Von ihr herab führt auf ge-
neigter Ebene eine Lowriebabn zum Planum der Staatsbahn über
die Chaussee hinüber. Diese Seite der Chaussee ist bald hinter
dem letzten Bahngebäude frei von Häusern, denn hier befinden
sich die großen Stapelplätze für das Holz und die Ziegel, die
per Bahn zum Versand kommen. Anfangs März liegen hier
tausende von Brettern zur Abfuhr bereit, Stapel an Stapel. War
ein Stoß in die Waggons verladen, so traf auch bereits neuer
Nachsohub ein.
Nach einem Wege von etwa zehn Minuten teilt sich die
Chaussee. Das Gelände steigt hier hoch an. Der eine Arm des
Weges links geht nach Freiwalde, der rechts nach dem Bitter-
gute Maldeuten. Dieser wird von der Eisenbahnlinie Maldeuten-
Mohrungen gekreuzt, die sich, gerade vom Bahnhof weitergehend,
an dieser Stelle durch die letzten Ausläufer der Anhöhe durch-
gegraben hat und auch im weiteren Verlaufe im tiefen, einge-
furchten Erdtale dahinzieht. Charakteristisch ist z. B., daß hier,
wie auch auf der andern Seite die Signalarme für das Einlaufen
der Züge nicht am Bahnkörper, sondern oben auf den hohen
Feldrändern stehen.
Wir folgen der zuerst gerade verlaufenden Chaussee und
haben zur linken Hand hügeliges Ackerland, zur rechten aber
ununterbrochene Siedelungen. Hier tritt der Samrodt-See an die
Chaussee heran. Der Zwischenraum vom Ufer bis zur Straße ist
ausgefüllt von den großartigen Industrieanlagen des Hildebrandt-
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Von W. Feydt. 509
sehen Aktienunternehmens: einer riesigen Schneidemühle. Da
kommen wir an Arbeiterhäusern, an Holzschuppen, an Holz-
gärten, an gewaltigen Fabrikschloten vorüber, während das Wohn-
haus des Großindustriellen den Mittelpunkt des ganzen bildet.
Er ist als „Güterauf bauer" in Ostpreußen bis weithin nach Litauen
hinein bekannt. Uns interessiert die Auswahl des Ortes. Und
in der Tat, er konnte nicht passender gewählt werden. In der
Umgegend mächtige Wälder, außerdem die Wasserstraße des
Kanals ; am Knotenpunkt von vier nach allen Himmelsrichtungen
gehenden Chausseen, darunter eine alte Hauptstraße, vor allem
aber am Eisenbahnknotenpunkt zwischen Ost- und Westpreußen.
Das fruchtbare und reiche Oberland mit seinen zahllosen Gehöften
zu seinen Füßen, gerade Verbindung über Miswalde nach dem
Weichseldelta, gradliniger Anschluß über Mohrungen bis tief
nach Masuren hinein, wo die Konkurrenz von Eudczanny be-
ginnt, bequeme Verbindung auf drei Strecken nach den nord-
östlichen Teilen der Provinz, durch den Kanal ganz und auch
durch Eisenbahnen zur Aushilfe mit dem russisches Holz her-
beiführenden Weichselstrom verbunden. Der Hauptanteil fällt
jedoch den Eisenbahnen zu; erst als die erste Transversale Mal-
deuten zur Station machte, hat Hildebrandt sein Unternehmen
gegründet. Mit diesen Hilfsmitteln einer geographischen Lage
ausgestattet, konnte der ehemalige Postknotenpunkt Maldeuten
ein Industrieort ersten Banges werden. Denn mit den
Hildebrandtschen Anlagen sind wir noch nicht am Ende der
Siedelung.
Das Gelände links steigt wieder allmählich an, und wo es
seine höchste Höhe erreicht, macht die Chaussee einen kleinen
Bogen nach links, um aber gleich darauf mit abermaliger Biegung
in die alte Richtung zurückzukehren. Vor uns taucht eine
Brücke auf. Wir überschreiten den Oberländischen Kanal. Er
macht keinen stattlichen Eindruck, man möchte ihn eher einen
Graben als einen Kanal nennen. Er liegt außerordentlich] tief
an dieser Stelle. Die Brücke liegt so hoch, daß die Schiffe sie
bequem passieren können, ohne an dem Steinbogen, mittelst
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510 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
dessen sie sich wölbt, anzustoßen. Jenseits der Brücke betreten
wir den dritten Teil der Siedelung, das Bittergut Maldeuten, auf
das uns drei Insthäuser rechter Hand schon kurz vor der Brücke
aufmerksam gemacht haben. Auch hier treffen wir sofort auf
industrielle Anlagen. Dem Bahnhof zugewendet liegt hart am
Kanalabhang eine bedeutende Dampfmeierei, die mit den dazu
gehörigen Stallungen für Schweine und den Wohnhäusern für
die Bediensteten einen großen Bezirk einnimmt, alles neuere
Anlagen. Bald darauf sind wir am eigentlichen Gute angelangt.
Die Chaussee führt direkt auf das Wohnhaus zu, das aber nach
dieser Seite hin nur einen Flügel erstreckt. Aber schon von
hier macht es im strahlenden Weiß leuchtend einen imposanten
Eindruck, und noch vielmehr sticht sein säulengeschmückter
Eingang von den schweren und derben Bauten der Industrie ab.
Von der Frontseite aus maoht es den Eindruck eines Schlosses.
Vor dem Gutshause mündet die vom Bahnhof kommende Chaussee,
auf der wir gewandert sind, im reohten Winkel in die alte
Hauptstraße Elbing- Osterode ein, nach rechts geht sie durch
den „Schloßwald" am Seeufer entlang (cf. Generalstabskarte Bl.
Christburg), nach links wird sie von dem weit ausgedehnten
Komplex der Gebäude des Rittergutes auf der Kanalseite be-
grenzt. Gegenüber liegt das „Amt Maldeuten", die Wohnung
des Gemeindevorstehers und zugleioh Standesamt und weiterhin
das alte, nur modern angestrichene Gasthaus, an sehr günstiger
Stelle, da hier die Chaussee, ehedem Landweg, nach Saalfeld ein-
biegt und die von Mohrungen einmündet. Hinter ihm an der
Chaussee nach Saalfeld, am Bande eines kleinen Wäldohens, das
schon vom Gutshaus her den Hintergrund auf dieser Seite bildet,
schließt eine halbversteckte Villa, die von Angestellten Hilde-
brandts bewohnt wird, die Siedelung ab.
Ihr landschaftlicher Beiz ist selbst im Winter bei der reichen
Abwechselung des Bildes, der Mannigfaltigkeit des Terrains, dem
engen Zusammenliegen und Ineinandergreifen von Landwirtschaft
und Industrie, von Landstraße, Eisenbahn und Wasserstraße ein
außerordentlich großer. Läge eine bedeutende Stadt näher, so
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Von W. Feydt. 51 1
könnte Maldeuten Ort für Sommerfrischler werden. Ein Auf-
enthalt bei der Durchfahrt wird niemand gereuen.
Die Bedeutung der Station möge noch an einigen Zahlen
des Personen- und Güterverkehrs erläutert werden, wobei für
den Güterverkehr die Konkurrenz des Kanals wohl zu beachten ist.
Personen ab:
1885 = 16196
1890 = 17989
1895 = 20729
1900 = 23638
Güter:
1883 =
4642 t an;
3121 t ab,
1884 =
9942 .
4369 *
1891 —
12256 «
7009 »
1892 —
16133 «
9771 *
1898 =
22298 --
3. Eydtkuhnen.
12342 *
Nachdem die Fortführung der Ostbahnlinie in der geraden
Richtung des Pregeltales weiter bis zur russischen Grenze be-
schlossen war, konnte für den Grenzübergangspunkt nur der
Grenzort Eydtkuhnen gegenüber der russischen Stadt Wirballen
in Betracht kommen, örtlich günstige Umstände konnten diese
Wahl nur bestätigen. Eydtkuhnen lag an einem kleinen, die
Grenze äußerlich bezeichnenden, aber doch nicht gerade schwierig
zu überbrückenden Wasserlaufe, der Lipone; außerdem war das
Terrain ringsum flach und eben, so daß es einer bequemen Ent-
wickelung großer Bahnhofsanlagen kein Hindernis entgegenstellte.
Am 15. August 1860 wurde die Strecke von Stallupönen bis zur
Landesgrenze eröffnet. Es war ein bedeutender Moment, als zum
ersten Male ein Schienenstrang die Grenze des russischen Reiches
berührte und bald darauf die Verbindung mit diesem hergestellt
sein sollte. Es ist daher wohl nicht unangebracht, diese Eröff-
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512 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
nungsfeier etwas eingehender zu behandeln, zumal uns in neuester
Zeit in den Memoiren Sebastian Hensels eine anziehende Schilde-
rung gegeben ist. Hensel gehörte zu den Großgrundbesitzern
der Provinz und obendrein zu den besonderen Interessenten, da
sein umfangreicher Landbesitz Gr. Barthen in der Nähe der
Bahnstation Löwenhagen lag. Mit von uns angebrachten Kürzungen
schildert er folgendermaßen (Seb. Hensel; Ein Lebensbild aus
Deutschlands Lehrjahren. Berlin 1903 pag. 259 ff.):
„Im Jahre 1860 fand ein schönes Fest statt; die Königs-
berg -Eydtkuhner Bahn war fertig gebaut, und zu ihrer Eröff-
nung kamen der damalige Prinzregent und sein Sohn nach Ost-
preußen. Die größten Grundbesitzer, deren Güter die Bahn
durchschnitten und die Terrain dazu abgetreten hatten, waren
zu der Eröffnungsfahrt eingeladen und so beteiligte ich mich
auch dabei. Es war ein unvergeßliches Fest. Eine reich mit
Blumengewinden geschmückte Lokomotive führte uns bis Eydt-
kuhnen nach der russischen Grenze. Auf allen Stationen waren
die Menschen in hellen Haufen in festlichem Putz zusammen-
geströmt und begrüßten jubelnd den Zug.
Groteske Deputationen, in alten, nicht mehr passenden
Landstanduniformen hielten Ansprachen und blieben darin stecken,
weißgekleidete Jungfrauen brachten Blumen und versenkten ihre
Ansprachen neben denen ihrer Landstands- und Anstandsväter.
Endlich war die Grenzstation Eydtkuhnen erreicht. Die Wagen
wurden verlassen, man ging auf dem geschütteten, hier ziemlich
hohen Bahndamme bis ans Ende. Hier endete er plötzlich, tief
unten floß das Grenzflüßchen zwischen Preußen und Bußland.
Auf russischer Seite war noch nichts von der Bahn zu sehen; *
ein weites Terrain war mit einem hohen Bretterzaun umgeben zum
Aufstapeln der Materialien für den Brückenbau, der von Preußen
ausgeführt werden sollte, im eigentlichen Sinne des Wortes war
die Welt mit Brettern vernagelt. Auf preußischer Seite wimmelte
es von Tausenden und aber Tausenden jubelnder Menschen, auf
russischer herrschte tiefes Schweigen in der absoluten Einsam-
keit und Leere. „Das ist ein Kosak", und wir zeigten uns einen
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Von W. Feydt. 513
einzelnen Reiter, das einzige lebende Wesen, das drüben sichtbar
war. Mit einem Gefühl der Erleichterung wandte man Rußland
den Rücken wieder zu — nie ist mir der Begriff der Grenze
so drastisch erkennbar geworden. u
Soweit Sebastian Hensel. Der hervorstehendste Zug seiner
Schilderung ist die Öde, die an der russischen Grenze herrschte,
als Eydtkuhnen Station wurde. Zweck berichtet, daß 1860 nur
zwei elende Häuser dort gestanden hätten (Zweck, Lit. p. 293 ff.),
Massow in seinem Handbuch von 1846, nach amtlichem Material
zusammengestellt, gibt an: Dorf mit 113 Einwohnern und acht
Häusern.
Vom Bahnhof selbst mußte die Entwickelung ausgehen. Er
nimmt daher auch heute noch die erste Stelle in Eydtkuhnen
ein. Die umfassendsten Bauten wurden dort ausgeführt. Außer
dem großen Empfangsgebäude wurden Güterschuppen, Lokomotiv-
schuppen etc. angelegt und mit dem Wachsen des Verkehrs stetig
vergrößert. Dazu kamen Wohnhäuser für die Eisenbahnbeamten,
hier am Ende einer großen Strecke an und für sich schon in
größerer Anzahl, dann Werkstätten, Zoll- und Postabfertigungs-
gebäude, Revisionsschuppen, Beamtenwohnhäuser für die Post-
un d Steuerbeamten etc. etc. Alle diese Gebäude gaben schon einen
stattlichen Komplex ab, in dessen Mitte das Empfangsgebäude
lag. Da es in seiner Zeit als ein Muster von Eleganz und
Schönheit angestaunt ist, mögen auch ihm einige Worte ge-
widmet sein.
Wenn man den Zug verläßt; gelangt man in der Mitte des
Gebäudes von beiden bedeckten Perrons aus mittelst zweier kleiner
Vorräume in ein achteckiges, durch beide Stockwerke durch-
gehendes Vestibül, das durch Oberlicht erleuchtet ist. In den
Seiten des Achtecks, die geneigt zur Längsmittelaxe liegen, be-
finden sich die Schalterräume. In der Axe selbst liegt ein
Korridor, welcher vom Vestibül aus einerseits zu der Gepäck-
revisionshalle, andererseits zu den Wartesälen führt. Das obere
Stockwerk des Gebäudes enthält Wohnungen. 1860 war es be-
reits vollendet, äußerlich ist es gelber Ziegelrohbau.
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514 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
Auf jeder Seite des Gebäudes läuft ein Perron entlang, hier
kommen die russischen, dort die preußischen Züge an. Da die
Spurweite der Bahnen versohieden war, mußte ein Betriebswechsel
stattfinden. Darüber waren Bestimmungen zur Regelung des
Verkehrs in den Staatsvertrag aufgenommen worden.
Artikel 7 bestimmte: „Der Betriebswechsel soll an der Grenze
stattfinden in der Weise, daß die preußische und russische Eisen-
bahnverwaltung jede für sich einen besonderen Endbahnhof in
unmittelbarer Nähe der Grenze auf ihrem Gebiete anlegen and
die preußischen Bahnzüge auf dem schmäleren preußischen Gleise
in den russischen Bahnhof, die russischen Züge auf dem breiteren
russischen Gleise in den preußischen Bahnhof einfahren". Und
Artikel 9 besagte: „Die hohen kontrahierenden Teile werden
dafür sorgen, daß in den Endbahnhöfen die erforderlichen Ein-
richtungen getroffen werden, um mit dem möglichst geringsten
Zeit- und Kostenauf wände die durch den Unterschied der Sporen-
weite bedingten Umladungen der Güterwagen bewirken zu
können".
Dieser letzte Punkt war für die Entwickelung Eydtkuhnens
ausschlaggebend. Eine Umladung mußte stattfinden. Damit war
Eydtkuhnen Speditionsort geworden. Und je größer der Umsatz,
je stärker der Verkehr, um so blühender der Speditionshandel,
um so rascher die Entwickelung des Ortes.
Noch während der Erdarbeiten siedelten sich Kaufleute zur
Spedition an, mit ihnen Handwerker, Gastwirte, Krämer und
Arbeiter. Wir haben schon die Klagen der Tilsiter und Schir-
windter, aber auch der Königsberger Kaufleute kennen gelernt.
In allen diesen Plätzen ging die Spedition zugunsten Eydt-
kuhnens herunter oder ganz zugrunde. Einige Jahre später
schien nach Vollendung der russischen Strecke der direkte Eisen-
bahnverkehr mit Rußland der Eydtkuhner Spedition noch größeren
Aufschwung bringen zu wollen. In Königsberg hatte sich eine
gewisse Summe von Speditionsgütern noch immer erhalten;
namentlich die von Hamburg kommenden Güter waren erst hier-
her spediert, um dann über Eydtkuhnen zu gehen. Jetzt, nun
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Von W. Feydt. 515
die Eisenbahn selbst die zollamtliche Expedition an der Grenze
vermittelte, wurde Königsberg zum größten Teile ausgeschaltet,
weil viele Güter direkt von Hamburg nach Eydtkuhnen gingen.
Dieser Ort bekam dadurch den größten Teil der Spedition von
Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Italien nach Rußland.
Die Entwickelung nahm unter diesen Umständen einen stürmischen
Charakter an, der dem Gedeihen des Ortes nur äußerlich förderlich
war. Gewissenlose, verkommene Subjekte, die hier den letzten
Versuch maohten, sich aus ihrer Dürftigkeit herauszureißen,
siedelten sich in Eydtkuhnen an. „Schwelgerei und Liederlichkeit
feierten vielfach Orgien. Kurz, eine Zeit lang herrschten hier
Zustände, die, um Kleines mit Großem zu vergleichen, an
San Franzisko in Kalifornien gemahnten." (Bilder aus d. deutsch.
Küstenland. 0. Ostsee 490/1.) Mag dabei auch vieles übertrieben
sein: Große Schattenseiten mußte das rapide Anwachsen des
Verkehrs bei dem einträglichen, und so wenig mühsamen Ge-
schäfte zur Folge haben. War doch nichts bequemer, als sich
die Güter per Bahn kommen zu lassen, ihre Umladung zu be-
sorgen, um sie per Bahn weiter zu schicken. Gleichwohl war
diese Vermittelung unentbehrlich und warf hohen Gewinn ab.
Allein die Einrichtung des direkten Eisenbahnverbandsverkehrs
zwischen Deutschland und Bußland wandte sich bald auch gegen
Eydtkuhnen selbst. Er bezweckte, Zwischenorte möglichst zu
vermeiden; und darum wurde auch Eydtkuhnen aus der Zahl
der direkten Verbandstationen ausgeschieden. Fortan wurde also
in vielen Fällen die Vermittelung Eydtkuhnens nicht mehr in
Anspruch genommen, sondern die Firmen trafen z. B. in Berlin
oder Hamburg selbst schon die Vorbereitungen für die russische
Zollabfertigung der Güter.
Natürlich ließ sich das je nach den Waren immer nur bis
zu einem bestimmten Grade tun. Der Geschäftsverkehr blieb
nach wie vor ein äußerst lebendiger. Im großen und ganzen hat
er sich mit fortschreitender Kultur der beiden austauschenden
Reiche bedeutend gehoben, ist aber Schwankungen unterworfen
gewesen, die auf politische und wirtschaftliche Verhältnisse
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516
Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
allgemeiner Art zurückzuführen sind. Das wichtigste Er-
eignis neuerer Zeit ist der deutsch-russische Handelsvertrag
von 1893 gewesen. Der zu Gunsten der russischen Häfen
gelähmte Grenzhandel hat seitdem eine enorme Ausdehnung
erfahren.
Schon 1877 stand unter allen Staatsbahnstationen in Ost-
preußen Eydtkuhnen an achter Stelle, was Masse des Güter-
verkehrs anlangt, den daraus und aus dem Viehtransport erzielten
Einnahmen nach aber an vierter Stelle mit 1287216 Mark über
Thorn, Bromberg, Dirschau, nur von Königsberg, Berlin, Danzig
über troffen.
Allein die Durchschnittssummen von 40 — 50000 t an und
30—40000 t ab für die Zeit von 1870 an sind seit 1893 be-
deutend überschritten.
Es
kamen an
Es
gingen ab
1892
55 291 t
1892:
44 879
1893
64 382 *
1893:
49 919
1894
86 228 *
1894:
60 427
1895
114 044 =
1895:
77 288
1896
: 146 485 *
1896:
116 538
1897
127 983 =
1897:
104 945
1898
139 165 =
1898:
113 822
1899
150188 *
1899:
117 412
1900
170 099 =
1900:
119 849
Und reden diese Zahlen durch ihre gewichtige Größe von
dem Umfang des Verkehrs, der über Eydtkuhnen seinen Weg
nimmt, so mögen uns einige herausgegriffene Beispiele im
einzelnen zeigen, was Eydtkuhnen für den Handel bedeutet. In
fünf Oktobertagen des Jahres 1897 wurden 3 114 500 kg Frachten
von Rußland über die Grenze befördert, dazu eine große Masse
lebendes Vieh; im Herbste 1897 wurden 23 000 Gänse an einem
Tage auf dem Bahnhof verladen; am 12. September 1898 gar
42000 dieser Tiere (cf. Zweck, Lit. pag. 240).
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Von W.
Feydt.
In der Zeit vom 2. bis 7. Januar 1899 kamen von I
luß
Hanf. . . .
150000 kg
Bauholz . .
125 000
kg
Flachs . . .
380000 »
Därme . .
30 300
i
Heede . . .
70000 »
Kartoffeln .
12 500
*
Getreide . .
109 200 •
Hanfgarn .
10000
*
Hülsenfrüchte .
71700 *
Federn . .
6000
*
Ölkuchen . .
284100 «
Eichenstäbe
61600
*
ölsamen . . .
201000 .
Mehl.
12 300
t
Kleie. . . .
220000 .
Zwiebeln .
10000
s
Teer ....
30000 *
Brennholz
Lumpen
20000 kg
10000
*
Es gingen nach Bußland:
Maschinenteile
290420 kg
Degras .
. 5000
kg
Tonwaren . .
12 480 »
Häute . .
. 18 550
S
Eisenwaren
76000 *
Samen . .
. 8000
*
Heringe . . .
50 900 *
Umzugsgut
. 8 760
*
Getreide . .
22 250 «
Hopfen .
. 2 670
*
leere Fässer .
4 260
Gummiharz
. 7000
5
517
Unter den Einflüssen eines solchen Handelstreibens konnte
sioh am Bahnhofe ein bedeutender Marktflecken entwickeln, der
etwa 3 km lang sich an der einzigen Straße des Ortes hinzieht.
Und doch, so bedeutungsvoll Eydtkuhnen als Grenzübergang
ist, die Siedelung macht keinen freundlichen, keinen anheimeln-
den Eindruck. Es ist so, als ob etwas von dem Toten, Lähmen-
den des ungeheueren Landkolosses jenseits der Lipone auf dem
Orte lastete, etwas Gedrücktes, und bei aller Ausdehnung ein
Vorherrschen des Kleinen, Unbedeutenden. Maldeuten erscheint
zum Beispiel den Besuchern unendlich großartiger. Das hat
seinen Grund in der Art des Handels, der hier blüht. Der
Speditionshandel entfaltet seine ausübende Tätigkeit auf dem
Bahnhof selbst und in enger, dunstiger Schreibstube; andere
imponierende Anlagen braucht er nicht. Was im Orte selbst
dagegen in die Augen fällt, ist der Kleinhandel, und ausschließ-
lich der Kleinhandel, dazu meist in jüdischen Händen, entweder
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518 Der Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
dürftig, schmutzig und klein oder neuerdings in einigen Geschäfts-
läden geschmacklos aufdringlich. Die Bahnhofsanlagen selbst
haben eine imponierende Ausdehnung, sie erstrecken sich ebenso
lang fast wie die Siedelung, d. h. mehrere Kilometer. Aber das
Empfangsgebäude kann uns heute höchstens noch groß, nicht
mehr großartig, keinesfalls aber stattlich und schön erscheinen.
Unser heutiges Empfinden ist auf einen anderen Ton gestimmt
Der Eydtkuhner Bahnhof erscheint uns mit seinen übermäßig
hohen, kahlen Bäumen öde und dabei düster; er gemahnt uns
wiederum an unsere östlichen Nachbarn. Die gedeckte Halle
erscheint uns um so gedrückter, wenn man aus dem Innern her-
austritt. Das viel gepriesene Vestibül erscheint uns heute eng
und ebenfalls geradezu unfreundlich mit dem mangelhaften Ober-
licht. Eydtkuhnen ist, wie schon angedeutet, seiner Anlage nach
Inselstation. Das Gebäude steht mitten zwischen den Gleisen.
Der Eingang vom Marktflecken her führt im Niveau des Planums
über die russischen Gleise, die auf dieser Seite liegen. Den
Breitenunterschied merkt man mit bloßem Auge kaum, ob-
wohl er genügend ist, um nach dem Urteile von Fachleuten eine
gegenseitige Benutzung auszuschließen. Der Personenverkehr in
Eydtkuhnen beschränkt sich auf die Ankunft derjenigen preußi-
schen Züge, die hier enden, und der russischen, die dreimal am
Tage ankommen. Für unsere Züge, die nach Wirballen weiter-
gehen, hat der Bahnhof Eydtkuhnen keine Bedeutung, da dort
erst die Zollrevision und das Umsteigen stattfindet.
Die Siedelung hat sich bequem neben den Bahnhof legen
können; hier folgt sie der parallel der Bahn laufenden Chaussee
von Stallupönen her. Nahe der Grenze mündet eine Zweig-
chaussee vom Kirchdorf Bilderweitschen her ein; die vereinigte
Strecke geht dann bis zur Lipone. Die Brücke über den Fluß
bildet die Landesgrenze, auf der anderen Seite liegt das russische
Zollamt und stehen die Grenzpfähle.
Der Anblick der Siedelung läßt Rückschlüsse auf die Ent-
stehungszeit zu und zugleich den innigen Zusammenhang mit
der schaffenden Bahn erkennen.
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Von W. Feydt. 519
Zunächst fällt die langgezogene Gestalt auf. Sie war be-
dingt durch die Parallellage von Bahn und Chaussee. Es wäre
unnatürlich gewesen, wenn sich die Siedelung erst unter neuen
Straßenanlagen quadratisch gebildet hätte, sie hält sich vielmehr
immer am Bahngleise fest, indem sie Haus an Haus auf der
Chaussee reiht, von wo man jederzeit bequem zum Bahnhofe
gelangen konnte und zugleich unmittelbar an der Hauptverkehrs-
ader wohnte. So ist es gekommen, daß Eydtkuhnen vom ersten
Hause von Richtung Stallupönen her bis zur Grenzbrücke sich
lang hinzieht in einer Straße, die entlang zu gehen man gut eine
halbe Stunde Zeit braucht. Die ältesten Teile sind die unschein-
barsten; die ländlichsten, ganz am Ende nach Stallupönen zu
und an der Bilderweitsoher Chaussee, liegen vom Bahnhofe am
weitesten entfernt.
Je näher wir demselben kommen, um so städtischer wird
Eydtkuhnen, und es ist kein Zufall, daß die einzige Stelle, wo
die Siedelung sich weiter ausgebreitet hat, wo die neue Kirche,
wo die stattlichsten Zivilwohnzwecken dienenden Gebäude sich
befinden, ziemlich genau dem Personenbahnhof gegenüber liegt.
Dieser Platz um die schöne Kirche macht den Eindruck einer
Mittelstadt, wenn auch die Entwickelung hier noch nicht ab-
geschlossen ist. Gehen wir am Bahnhof die Cbausseestraße
nach Stallupönen entlang, so liegen rechter Hand zwischen
Gleisen und Straße in langer Linie die ausnahmslos im Ziegel-
rohbau gehaltenen, sehr zahlreichen Häuser der Eisenbahnbeamten.
Es gibt wohl keine Siedelung in Ostpreußen, wo sie einen so
großen Prozentsatz ausmachen als in Eydtkuhnen. Die Gebäude
an der Chausseestraße sind meist einstöckig, aber städtischen
Charakters, doch ausnahmslos unschön und enthalten fast alle
Geschäftsräume. Restaurationen sind nicht selten, die Hotels
liegen aber alle im älteren Teile, nahe der Bahn und nach der
Grenze zu. Sie zeichnen sich in keiner Weise aus und ent-
sprechen höheren Anforderungen weder durch ihr Äußeres, noch
durch die dürftige, fast gewöhnliche Ausstattung Anforderungen
an Reinlichkeit. Eydtkuhnen hat z. B. nicht ein Hotel wie
Altpr. MonaUtchrift Bd. XLU. Hft. 7 u 8. 34
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520 ^er Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen etc.
das Korschener aufzuweisen. Wer nicht Geschäftsmann oder
Handwerker ist, ist Eisenbahner oder Steuerbeamter. Alles
andere verschwindet daneben.
Die Besiedelung wird wohl an der Chaussee nicht weiter
gehen. Die Entfernung ihres Endes vom Bahnhof macht sich
doch schon unbequem geltend. Sie dürfte die Hinterstraßen
vom Kirchenplatz aus erweitern und zunächst den noch fehlenden
Zusammenhang mit den Häusern an der Bilderweitscher Straße
herstellen. Hier sind in neuester Zeit fast außerhalb und mitten
im Felde eine Anzahl Neubauten entstanden im modernsten Stile.
Von Komforteinrichtungen ist die elektrische Beleuchtung
zu erwähnen. Das Pflaster ist dörflich, aber ganz gut. Der
Gesamteindruck gegenüber dem russischen Grenzorte ist ein für
Eydtkuhnen entschieden günstiger.
Großartig und behaglich ist es nicht, bietet auch gar keine
landschaftlichen Beize, ist eher öde zu nennen. Nur wenn die
Petersburger Züge ankommen, oder wenn man auf dem Güter-
bahnhofe entlang geht, merkt man, welch reges Leben hier
pulsieren kann.
Die Einwohnerzahl ist gewaltig gestiegen.
1867
1996 Einwohner
1871
2465
1885
3281
1895
: 3368
In diesem Jahre war Eydtkuhnen also ebenso groß als
Johannisburg und hätte als Stadt an 39. Stelle unter 67 rangiert
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Emil Arnoldt.
Von
Otto SehdnddrJTer.
Um wenige Monate nur ist dem Herausgeber der Altpr.
Monatsschrift sein langjähriger Mitarbeiter Emil Arnoldt im Tode
vorangegangen. Er hat fast alle seine Arbeiten in dieser Zeit-
schrift zuerst veröffentlicht.
Friedrich Traugott Emil Arnoldt wurde am 6. Februar
1828 in Plibischken, einem Dorfe in der Nähe von Wehlau, wo
sein Vater Pfarrer war, geboren. Er war der drittjüngste von
neun Geschwistern, unter denen sich nur eine Schwester befand.
Die liebevolle, durch und durch ehrliche, wahrhaft fromme Natur
seines Vaters, an dem er mit inniger Liebe hing, rühmte er oft.
An seiner Mutter schätzte er besonders ihren scharfen Verstand,
ihr treffendes Urteil und ihre Aufrichtigkeit.
Von Sekunda an besuchte Arnoldt das Gymnasium in
Gumbinnen, das damals unter der Leitung des Direktors Prang
stand. Michaelis 1846 bezog er die Universität Königsberg, um
Geschichte und Philosophie zu studieren. Er hörte hier Vorlesungen
hauptsächlich bei Rosenkranz, Schubert, Drumann und Lobeck.
Als Philosophen hat er Rosenkranz nie besonders hoch geschätzt:
Hegel wirklich zu erklären, so zu erklären, daß er eine ihm vor-
gelegte Stelle einer Hegeischen Schrift Wort für Wort inter-
pretierte, dazu sei er nicht imstande gewesen. Aber anregend
auf allen Gebieten, besonders auf dem der deutschen Literatur,
hat Rosenkranz auch auf Arnoldt gewirkt, der ihn nach seiner
34*
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522 Emil Arnoldt.
Erblindung regelmäßig einmal in der Woche besuchte. Lobeck
vollends, dessen Arbeiten freilich Arnoidts Studien ferner lagen,
konnte' er nicht genug rühmen, sowohl als den einzigen wahrhaft
genialen als auch als einen der gütigsten und liebenswürdigsten
Menschen, die er je kennen gelernt. Doch den nachhaltigsten
Einfluß auf Arnoidts ganzes Leben hatte der Gründer der
Königsberger freien Gemeinde, Julius Rupp. Tiefe Religiosität
ist Arnoldt immer eigen gewesen, und so ist es kein Wunder,
daß dieser Mann gerade auf seine ganze Lebensriohtung be-
stimmend eingewirkt hat. Noch näher vielleicht stand Arnoldt
damals die genial veranlagte Ernestine Castell, die in der freien
Gemeinde in jenen Jahren eine große Rolle spielte.
Zwei Dokumente aus dieser Zeit sind erhalten, welche den
jungen Studenten aufs trefflichste charakterisieren. Es sind
beides Reden, mit denen sich Arnoldt vor Gericht verteidigte.
In jugendlichem Übermut, der auch als solcher nur ver-
ständlich wird, wenn man die ganze Stimmung jener politischen
Sturm- und Drang-Periode um 1848 herum mit in Anschlag
bringt, hatte Arnoldt in die Hartungsche Zeitung (König]. Preuß.
Staats-, Kriegs- und Friedens-Zeitung. Nr. 33. Beilage. Mitt-
woch den 7. Februar 1749) ein Inserat einsetzen lassen, in dem
er mit provozierenden Worten einen Major v. Rosenberg angriff,
weil dieser seinen Bruder, den Einjährig-Freiwilligen Gustav
Arnoldt, der unrasiert zur Wache gekommen war, mit Arrest
bestraft hatte. Arnoldt wurde deshalb wegen Beleidigung der
Kommandantur verklagt und verteidigte sich selbst.
Seine Rede zeigt zwar auch ein gut Teil jugendlichen
Übermuts, daneben aber einen Scharfsinn, einen logisch geschulten
Verstand und eine Gewandtheit in der Wahl der treffendsten
und prägnantesten Ausdrücke, wie sie sich bei einem jungen
Menschen von 20 Jahren gewiß nur selten finden. „Der Staats-
anwalt", so heißt es an einer Stelle, „meint, daß der Begriff
Gewaltsamkeit den Begriff Gesetzwidrigkeit in sich schließe, und
stellt damit der Gewalt das Gesetz gegenüber. Diese Meinung
ist falsch. Der Gewalt steht nicht das Gesetz gegenüber, sondern
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Von Otto Schöodörffer. 523
das Recht. Was ist die Gewalt? Was ist das Recht? Die
Gewalt ist die Manifestation der Willkür, das Recht ist die
Manifestation der Freiheit, welche ebensoviel ist als die Vernunft.
Was ist das Gesetz? Das Gesetz ist die Regel, nach welcher
das Verhalten des Individuums dem allgemeinen Ganzen gegen-
über bestimmt wird oder sioh selbst bestimmt. Ist das Wesen
des allgemeinen Ganzen Willkür, ist der Vertreter des allge-
meinen Ganzen, der König, Willkürherr, so ist jedes Gesetz,
welches auf sein Geheiß und unter seiner Autorität erlassen
wird, nichts weiter als eine Regel, nach welcher die Gewalt das
Verhalten des Individuums zwingend bestimmt Sie
müssen zugeben, daß bis zum März vorigen Jahres der preußische
König absoluter Herrscher gewesen ist. Absoluter, unumschränkter
Herrscher heißt Willkürherr. Daher sind alle Zivil- und
Militärgesetze, welche von den preußischen Königen erlassen
sind, Regeln, nach welchen die Gewalt der preußischen Könige
das Verhalten der preußischen Untertanen bestimmt. Diese Ge-
setze sind also gewaltsam. Diese Gesetzlichkeit ist Gewaltsam-
keit. Ein Verfahren, welches auf Grund dieser Gesetze und mit
der genauesten Beobachtung derselben in Ausübung gebracht
wird, ist ein gewaltsames." Zum Schluß führt Arnoldt noch
aus, daß er, wie er nun einmal gesinnt sei, einem Militär eine
Gesetzesverletzung gar nicht zutrauen könne. „Ist es anzu-
nehmen", so wagte er zu sagen, „daß ich solchen Wesen, die
meiner Ansicht nach nur scheinbar in die Kategorie selbst-
bewußter, vernünftiger Menschen gehören, die Ehre antun werde,
zu behaupten, sie hätten als freie Männer, eignem Urteil und
eignem Ermessen vertrauend, im Widerspruch mit dem Buch-
staben des Gesetzes selbständig eine Maßregel für zweckmäßig
erachtet und in Ausübung gebracht? Das sei ferne von mir!" —
Und der Erfolg dieser Rede? Arnoldt wurde — man denke —
freigesprochen, von seinen anwesenden Kommilitonen jubelnd
auf die Schultern genommen und auf die Straße getragen. Der
Vorsitzende aber der Burschenschaft Lithuania, der Arnoldt als
Student angehörte, hielt eine Ansprache, in der er ihm den
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524 Emü Arnoidt.
Dank der Studentenschaft ausdrückte dafür, daß er sie so würdig
vertreten hatte. Tempora mutantur!
Und nun die zweite Verteidigungsrede! Sie fällt nur ein
Jahr später. Und doch welch andern Eindruok macht sie!
Arnoldt ist inzwischen Eupp näher getreten, und aus dem über-
mütigen, für Freiheit leidenschaftlich erglühenden Jüngling ist
ein ernster, gefaßter, auf Gott hinblickender Mann geworden.
In einem Aufsatz, der im August 1850 in dem von Eupp redigierten
„Volksboten" erschienen war — er ist betitelt: „Die freien Ge-
meinden und die Regierungen" — hatte er unter anderm gesagt:
„Die freien Gemeinden haben nichts weiter zu vollbringen, als
das, was sie für wahr und recht erkannt, durch die Tat mit
unerschütterlicher Standhaftigkeit ins Leben zu führen, das
Gesetz der Regierung, wenn es der Verwirklichung der von ihnen
erkannten Wahrheit Hindernisse entgegenstellt, im Bewußtsein,
daß man Gott mehr gehorchen solle als den Menschen, offen-
kundig zu übertreten; ohne Verdruß und Schmähung aber
die Strafen auf sich zu nehmen, welche die Zwangs-
gewalt, gestützt auf die Urteilssprüche ihrer Gerichte,
zu verhängen nicht anstehen wird und von ihrem
Standpunkte aus zu verhängen berechtigt ist." Dieser
Stelle wegen wurde Arnoldt von dem im Dienste der Reaktion
tätigen Staatsanwalt Meus wegen Aufreizung zur Übertretung
der Staatsgesetze angeklagt.
Der Schwerpunkt der inkriminierten Worte liegt in dem
Satze „Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen." In
ruhiger durch und durch sachlicher, von tiefernstem Pflicht-
gefühl durchglühter und getragener Sprache führte Arnoldt nun
in seiner Verteidigungsrede aus, daß die Verkündigung dieses
Satzes unmöglich ein Verbrechen sein könne. Denn erstens ent-
spreche seine Beobachtung durchaus der allgemeinen Menschen-
pflicht. Hervorzuheben sei nur, „daß derjenige, der das Gesetz
des Staates übertritt, wenn er auch noch so gewissenhaft handelt,
verpflichtet ist, die Strafe zu leiden, welche die Obrigkeit über
ihn verhängt. Durch Unterwerfung unter die Strafe beweist er
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Von Otto Schöndörffer. 525
seine Achtung vor der Obrigkeit. Er hebt die Ordtiung des
Staates nicht auf, sondern trägt, soviel in seiner Macht liegt,
dazu bei, dieselbe zu erhalten. . . "Wenn aber überhaupt
för Pflicht des Menschen gilt, jede Forderung, die an ihn gestellt
wird, dem Gewissen zur Prüfung vorzulegen, um wieviel ge-
steigert wird diese Pflicht, wenn das höchste Interesse des
Menschen ins Spiel kommt, die religiöse Überzeugung! Je
heiliger ihm die Religion ist, desto rücksichtsloser wird er
prüfen; je gottesfürchtiger er ist, desto freier von Menschen-
furcht." Zweitens aber erkläre jener Satz nichts Anderes für
Pflicht, „als das zu tun, was allen Christen durch das Beispiel
Jesu und der Apostel geboten ist Wie verhielt sich
Jesus dem Gesetze des Staates gegenüber? Sie wissen, daß das
mosaische Gesetz, auf welchem der israelitische Staat aufgebaut
war, befahl, der Sabbat solle von jeder Leibesarbeit frei sein.
Jesus hat sich nie gescheut, das Gesetz des Staates zu über-
treten, wenn es galt die Herrlichkeit Gottes zu offenbaren und
zu vollenden sein Werk Doch als die Häscher, gesandt
von den Hütern des Gesetzes, heranzogen, den Schuldlosen bei
nächtlicher Weile zu ergreifen, stellte er ihnen sich dar, furchtlos
bekennend: „Ich bins", und von dem jüdischen Gericht und dem
römischen Landpfleger verurteilt, erlitt er bereitwillig den
Kreuzestod. So handelte Jesus dem Gesetze des Staates gegen-
über." Ebenso handelten die Apostel.
Drittens beruft sich Arnoldt darauf, daß anerkannt recht-
gläubige Kirchenlehrer offen und frei dieselbe Ansicht bekannt
haben« Er zitiert dahin zielende Stellen aus den Büchern des
Oberkonsistorialrats Neander, des Badisohen Kirchenrats Röthe
und des orthodoxen Pfarrers Rudolph Stier und schließt mit
den Worten: „Witzblätter haben in unseren Tagen spottend
bemerkt, daß es ratsam sei, die Werke unserer klassischen
Schriftsteller zu säubern, damit nicht ein Unkundiger, der mit
der Fürsorge unserer Polizei wenig vertraut, durch Anführung
von Stellen, welche in jenen enthalten, Gefahr laufe, wegen
Anreizung zum Aufruhr belangt zu werden. Ich aber sage
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526 Emil Arooldt.
Ihnen im vollen Ernst die bittere Wahrheit: Vertilgen Sie vor
allem das Evangelium, vertilgen Sie vor allem die Zeugnisse der
Männer, welche als Lehrer und Prediger im Dienste des Staates
mit Ruhm und Ansehen gekrönt werden, wenn Sie wünschen,
daß nie und nirgends eine Stimme sich erhebe, die der Wahrheit
ihr Recht gibt!"
Arnoldt wurde von den Geschworenen für schuldig befunden
und zu vier Wochen Gefängnis verurteilt. — Uns interessieren
die beiden Dokumente, die auch auf die damalige Zeitgeschichte
bedeutungsvolles Licht werfen, hier nur insofern, als sie für
Arnoldt selbst charakteristisch sind. Jeder wird zugeben, daß
er im ersten Falle nicht nur fehlgegriffen, sondern auch stark
übertrieben hat, mag man der ihm eignen Denkweise auch noch
so weitgehende Konzessionen machen. Und doch, wer möchte
nicht seine Freude haben an diesem einerseits für Freiheit
schwärmenden und andrerseits so scharfsinnig definierenden
Jüngling, der im kecken Übermut seine Haut zu Markte trägt
und dann der unnütz heraufbeschworenen Gefahr glücklich ent-
kommt! Und außerdem, mochten ruhige Überlegung, mit dem
Alter gereifte Erfahrungen den überschäumenden Jüngling auch
allmählich zum reifen Mann und abgeklärten Greis machen, da*
jugendliche Feuer, der für alles Ideale begeisterte und begeisternde
Sinn, sie blieben Arnoldt bis zu seinem letzten Atemzuge und
konnten gelegentlich, besonders bei Gesprächen über politische
Themata, mit eruptiver Gewalt hervorbrechen.
Dooh die geschilderten Eigenschaften treten wohl bei
manchem Jüngling hervor, um dann später, wenn praktische
Rücksichten und materielle Interessen ihre Rechte fordern, gänzlich
zu verschwinden oder gar in die schlimmsten Fehler umzuschlagen.
Bei Arnoldt aber verbanden sie sich mit einem tiefernsten und
stets nach der Wahrheit, nach dem Wesen der Dinge hindrängen-
den Gemüt, an dem alle Lockungen der Welt, Ehre, Ruhm oder
gar Geld und Vergnügungen zerschellten, wie flüssige Wogen an
einem starren Felsen, ja in dessen Nähe sie kaum hinfluteten.
Freiheit, Wahrheit und Pflicht, sie bildeten das im Grunde ein-
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Von Otto Schöndörffer. 527
heitliche und sich gegenseitig fordernde und bedingende Drei-
gestirn, das Arnoidts Lebensweg von Anfang bis zu Ende die
Richtung gab. Und ebenso offensichtlich und klar wie aus jener
zweiten Bede leuchtete es sein ganzes Leben hindurch aus jedem
seiner Worte, aus allem seinem Tun, ja aus jedem Blicke hervor.
So lassen sich aus diesen beiden Beden die Grundzüge von
Arnoidts Charakter erkennen. Und ist es nicht hier schon
wahrscheinlich, daß einem so gearteten Manne, in dem sich
scharfes Denken und frommer Glaube einten, die Kantische Philo-
sophie der Quell werden mußte, in dem er Nahrung fand, und
daß ihm, dem Kampfesfreudigen, Lessings Lebensführung am
höchsten stehen mußte? Freilich, um das erstere recht zu verstehen,
müssen wir Arnoidts intellektuelle Begabung erst genauer kennen
lernen, zu deren Schilderung wir später kommen. Und ein anderes
integrierendes und sehr wichtiges Element in Arnoidts Wesen ist
bisher auch noch unberührt geblieben, da von ihm jene beiden Ver-
teidigungsreden nichts erkennen lassen, nichts erkennen lassen
können. Das ist die Tiefe, Liebenswürdigkeit und Innigkeit
seines Gemüts. Dieses offenbart sich, wenn es auch jeden, der
ihm näher trat, erquickte und erfreute, am herrlichsten in seiner
Ehe. Der kennt Arnoldt nicht, der ihn nie mit seiner Frau zu-
sammen in seiner eignen Häuslichkeit gesehen hat. Vielleicht
läßt uns ihr Briefwechsel später noch einen tieferen Blick in
dieses einzig dastehende Verhältnis tun. Aber auch wer die
beiden nur einmal zusammen in vertrauterem Verkehr zu sehen
das Glück hatte, mußte eigenartig und tief davon berührt werden.
Trefflich stimmte zu ihnen auch die ganze sie umgebende
Häuslichkeit, die einfache, schlichtbürgerliche, nur auf die Ge-
sundheit berechnete Einrichtung der Zimmer, in denen die hohen
Bücherregale fast den einzigen Schmuck bildeten. Seiner Frau
wegen, die immer von zarter Gesundheit war, gab Arnoldt ganz
seine Beteiligung am öffentlichen Leben auf, zu dem sein
Enthusiasmus für Beoht und Gerechtigkeit ihn drängte, da er sich
sagte, daß er bei seiner Bichtung und bei seinem Temperament sonst
gewiß einen großen Teil seines Lebens im Gefängnis zubringen
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528 Enrii Arnoldt.
würde. Er war eben stets der Manu des Entweder — oder.
Gab er einmal einen Teil seiner Freiheit für die Ehe hin, so
zog er auch unerbittlich alle Konsequenzen: fortan galt es für
ihn, die schwache Gesundheit seiner Frau vor allen Aufregungen
möglichst zu bewahren und für ihrer beider Leben den nötigen
Unterhalt zu schaffen.
Damit komme ich auf Arnoidts äußeren Lebensgang zurück.
Bis zum Jahre 1850 hörte er Collegia an der Albertina. Nach
Verbüßung seiner Gefängnisstrafe blieb er auf den Wunsch
seines Vaters längere Zeit in Plibischken, um sich zum Doktor-
examen vorzubereiten. Damals begann er auoh das Studium
des Englischen, das von da an neben der Philosophie und
Literatur einen Hauptteil seiner Beschäftigung ausmachte. 1852
kehrte er naoh Königsberg zurück und beteiligte sich lebhaft
an den Zusammenkünften der freien Gemeinde, die damals
stets, auch wenn nur wenige Mitglieder irgendwo sich zusammen-
fanden, von einem Polizeikommissar überwacht wurden. Da er-
hielt er urplötzlich von dem damaligen Polizeipräsidenten Peters
einen Ausweisungsbefehl. Während er sich anfangs energisch
weigerte diesem nachzukommen, fügte er sich später auf Johann
Jacoby's Bat. Bis Michaelis 1852 weilte er also als Hauslehrer
(bei Bender-Catharinenhof) fern von Königberg und benutzte die
freie Zeit nun besonders zum Studium der Philosophie.
Im Juli 1853 wurde er zum Doktor promoviert auf Grund
seiner Dissertation „Über die Prinzipien von Herders Philosophie
der Geschiohte". Sie ist zum Teil abgedruckt in Prutz'
„Deutschem Museum" 1856. (Sie führt hier den Titel „Herder
und der Begriff des Fortschritts* ' Deutsches Mus. hersg. von
E. Prutz 6. Jahrg. 1856 Bd. I. S. 601—614 u. S. 652—662.)
Die Behörde hatte inzwischen seine Ausweisung vergessen.
1855 verlor Arnoldt seinen Vater, die Mutter war schon 1849
gestorben. Damit aber brauchte er nun auf niemand mehr
Rücksicht zu nehmen. Er besuchte daher fortan wieder die
Versammlungen der freien Gemeinde, die er seit seiner Bückkehr
nach Königsberg seinem Vater zuliebe gemieden hatte, und
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Von Otto Schöndörffer. 529
hielt dort gelegentlich auch einen kleineren Vortrag. Einige
Tage später wurde er von der Polizei vorgeladen, um wieder
einen Ausweisungsbefehl zu unterschreiben. Doch wurde dieses
Mal die Sache nach längerm Hin- und Herverhandeln, bei dem
Arnoldt schließlich ans Ministerium appellierte, gütlich beigelegt,
und ihm gestattet, in Königsberg zu bleiben, falls er nicht öfters
Vorträge in der freien Gemeinde hielte.
Übrigens ist Arnoldt zwar aus der Landeskirche ausgetreten
und zwar hauptsächlich deshalb, weil er von ßupp getraut
werden wollte, aber nie Mitglied der freien Gemeinde ge-
worden.
Während dieser ganzen Zeit verdiente er sich die Mittel
zur Befriedigung seiner allerdings sehr geringen Bedürfnisse
durch Stundengeben. Als er im Jahre 1860 heiratete, mußte er
beinahe seine ganze Zeit darauf verwenden. Wie gewaltige
Hindernisse er dabei in sich überwand, wenn er sich dieser
Pflicht willig und ohne je zu murren bis zum Jahre 1887, in
dem ihn eine Augenkrankheit befiel, unterzog, kann nur der ganz
ermessen, der Arnoldt näher kannte. 1859 hatte er, um des Eng-
lischen völlig mächtig zu werden, eine Reise nach England
unternommen, wobei er beinahe sechs Monate in London weilte.
Er gab auch später englischen Unterricht an den hiesigen Gym-
nasien und mehreren Mädchenschulen. Die englische Literatur
aber und das englische Volk mit allen seinen Einrichtungen hatte
er seitdem besonders in sein Herz geschlossen.
Der erste Aufsatz, den Arnoldt zur Erläuterung eines Be-
griffes aus der Kantischen Philosophie veröffentlichte, erschien
1858 in der Königsberger Sonntagspost. (Band III, Nr. 44, den
31. Oktober 1858.) Er führt den Titel „Ein Moment der Ge-
schmacksurteile." Die erste bedeutendere Abhandlung aber
aus diesem Gebiet erschien erst 1870. Sie handelt von „Kants
transscendentaler Idealität des Baumes und der Zeit, Für Kant
gegen Trendelenburg" und erschien in dieser Zeitschrift.
Die Vorzüge Arnoidts als philosophischen Schriftstellers
treten gleich bei dieser Arbeit klar hervor. Am auffallendsten
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530 Emil Arnoldt.
ist an ihr auf den ersten Blick die Gründlichkeit. Diese hängt
mit seinem ganzen Wesen aufs engste zusammen. Wahrheits-
streben und Pflichtgefühl hießen ihn nicht eher ruhen, als bis
er das Thema, das er gerade vorhatte, den Gedanken, den er
sich oder andern klar machen wollte, ganz und gar in allen
seinen Tiefen and in seiner ganzen Breite völlig erschöpft hatte.
Man hat stets den Eindruck, wenn man eine Arnoldtsche
Schrift gelesen hat: die Sache ist jetzt abgetan, mag es sich
um eine spekulative Untersuchung oder eine historische Dar-
stellung handeln; sollte nicht der Zufall noch ganz neue
Quellen ans Tageslicht fördern, so sind die Akten hierüber ge-
schlossen, und da kann man sich auf jedes Wort, auf jedes
Datum, auf jede angegebene Seitenzahl aufs genauste verlassen.
Auch in der logischen Schlußkette fehlt kein Glied, jeder Aus-
druck ist genau überlegt, jede einmal gegebene Definition
aufs strengste festgehalten. Daß diese Genauigkeit ab und zu
vielleicht zu weit getrieben ist und daß die Furcht, nur ja nichts
auszulassen, nichts zu übergehen hier und dort dahin gewirkt
hat, daß ein Satz oder auch eine ganze Arbeit etwas Formloses
erhalten hat, ist um so natürlicher, als Arnoldt eigentlich
ästhetischen Sinn, den Sinn für die schöne Form als solche und
damit Interesse für die bildenden Künste und auch Freude an
schöner Natur in hohem Maße nicht besaß. Das Moralische und
Intellektuelle hatten bei ihm durchaus das Übergewicht.
Hand in Hand mit seiner Gründlichkeit geht sein Scharf-
sinn. Beide fördern einander: die Gründlichkeit treibt ihn zur
Vollständigkeit in seinem Denken, und der Scharfsinn hilft ihm
darin, zeigt ihm die Wege und läßt ihn alle Lücken entdecken.
Beweis genug für die eminente intellektuelle Begabung Arnoidts
wäre schon seine genaue, alle kleinen und kleinsten Details
ebenso, wie das Ganze umfassende Kenntnis von Kants System.
Für diese legt jede seiner Arbeiten ein geradezu glänzendes
Zeugnis ab. Und es war damals nicht so leicht, zum Verständnis
Kants zu kommen, wie es heute ist. Kann auch heute der
geradezu ekelhafte Wirrwarr der Ansichten über Kants Lehre
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Vod Otto Schöndörffer. 531
bei jedem, der sich mit ihm zu beschäftigen beginnt, die größte
Verwirrung hervorrufen, so gibt es doch heute immerhin einige
gute Bücher, die einen gar sehr beim Studium Kants unter-
stützen — die Schriften Arnoidts selbst gehören zu den besten. Zu
Arnoidts Zeiten aber gab es die nicht, oder wenigstens die,
die es schon gab, hatte man vergessen. Und so mußte er sich
ganz allein helfen.
Arnoldt ist kein produktiver Philosoph, er ist überhaupt
nicht eigentlich produktiv. Daß er sich freilich in der Philo-
sophie so ganz an Eant anschloß, ist wohl weniger ein Zeichen
von Unproduktivität als von Ehrlichkeit: nach Arnoidts Meinung
wenigstens war bei allen Nachkantischen Philosophen doch immer
etwas Eitelkeit, etwas Unehrlichkeit mit im Spiele, wenn sie
über Kant hinausgingen: sie wollten selbständig sein, sich als
selbständig beweisen. Arnoldt dagegen, skeptisch veranlagt wie
er war, blieb stets des großen Philosophen eigenen Ausspruchs
eingedenk, daß „die Besorgung" der Philosophie „mehr im Be-
schneiden als Treiben üppiger Sprößlinge besteht." (Ros. VII,
1. Abt. S. 352). Arnoldt hatte jedoch die ganz eigene Grabe, sich
völlig in die Gedanken und Empfindungen unserer großen Denker
und Dichter zu versenken, sich so in sie zu versenken, so in
ihnen zu leben, alles, was sie nur angedeutet oder ganz unaus-
gesprochen gelassen hatten, alles, was mit ihren Gedanken in
Zusammenhang stand, so herauszuarbeiten, daß er aus ihnen
Schätze hervorbrachte, die ein anderer nie in ihnen gefunden
hätte. Und da wurde ihm nun die Kantische Philosophie zu
einer wahren Wünschelrute, sie machte ihn doch nach mancher
Richtung hin produktiv. Denn nicht nur, daß er ihre eignen
Gedanken nach allen Seiten hin und her wandte, prüfte, er-
gänzte, sie sich für sein Denken, Handeln und Leben ganz und
gar zu eigen maohte, sondern, mit ihnen ausgerüstet, stieg er
auch hinab in die Schachte, die von andern Philosophen, von
Fichte, Herbart, Hegel und Lotze gegraben waren, begab sich
mit ihnen in das Wunderland der Poesie, besonders Lessings,
Schillers, Goethes und Shakespeares, und kehrte auch von hier,
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532 Emil Arnoldt.
mit Schätzen reich beladen, wieder heim. Dafür soll vor allem
sein literarischer Nachlaß Zeugnis ablegen.
Alle die bisher genannten Eigenschaften prädestinierten
Arnoldt geradezu zum Lehrer, zum akademischen Lehrer und
zwar besonders zum Lehrer der Philosophie; und es ist aufs
tiefste zu beklagen, daß die preußische Regierung Arnoldt seine
Jugendtaten nicht verzeihen konnte, gegen ihn „mit dem
Schwerte dareinscblug" und ihre „Schar wachen aufbot", und die
„Jugend, welche dem akademischen Unterricht anvertraut ist,
von der frühen Kenntnis so gefährlicher Lehren fernhielt"
(Kant. Kr. d. r. V. Recl. S. 571 ff.) Ein glänzender Redner
war Arnoldt freilich nicht. Er sprach oft höohst eindrucksvoll
und gewandt, so wie ich es von keinem andern Menschen, mit
Ausnahme Kuno Fischers, gehört habe. Besonders gut, mit
geradezu dramatischer Lebendigkeit verstand er zu erzählen.
Aber ihm fehlte doch im allgemeinen die Leichtigkeit und
Flüssigkeit des Ausdrucks, die dazu befähigt, in schöner
Sprache über jeden Gegenstand aus dem Stegreif zu reden,
die freilich auch gar zu leicht mit einer gewissen Ober-
flächlichkeit Hand in Hand geht Die Klarheit aber und
Bestimmtheit seines Denkens, die Gründlichkeit und Tiefe
seines "Wissens und vor allem seine Persönlichkeit, die Tat-
sache, daß er alles, was er lehrte, auch vertrat, vertrat mit
allem, was in ihm lebte, das jugendliche Feuer seiner Begeiste-
rung und nicht zum mindesten die Liebenswürdigkeit seines
"Wesens, die ihn sich nie über den Schüler stellen, auf alle dessen
Fragen und Zweifel, mochten sie auch ganz ungerechtfertigt und
töricht sein, eingehen ließ — alle diese Eigenschaften hätten
sich sicher, wie jetzt im kleinen Kreise, so noch erfolgreicher
unter einer großen Zahl von Hörern bewährt, da Arnoldt eben
nicht nur belehrte und anregte, sondern auch jeden empfäng-
lichen Menschen im tiefsten Innern ergriff und zur Tugend und
Frömmigkeit hinwies. Denn ihm war die Philosophie „die
Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die
wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft" (Kr. d. r. V.
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Von Otto Schöndörffer. 533
ßecl. S. 683), d. h. aufs Moralische. Und wenn er auch den
herrlichen Titel „eines Lehrers im Ideal", der alle Erkenntnisse
„des Mathematikers, Naturkündigers und Logikers" als „Werk-
zeuge" nützt, um die wesentlichen Zwecke der menschlichen
Vernunft zu befördern" (ebendas.), weit von sich gewiesen hätte,
so verdiente er ihn doch sicher so sehr, wie nur wenige seiner
Zeitgenossen.
Endlich möchte ich noch zwei Eigenschaften Arnoidts,
die sich gleich aus dieser seiner ersten bedeutenderen Abhandlung
„Über die transscendentale Idealität des Baumes und der Zeit",
die wir inzwischen ganz aus den Augen verloren haben, ergeben,
hervorheben: es sind sein Freimut und seine Unerschrockenheit,
Eigenschaften, die sich allerdings naoh dem vorher Gesagten
bei ihm von selbst verstehen. Er, der unbekannte, jüngere Ge-
lehrte, trat offen und frei ohne Höflichkeitsfloskeln, nicht auf
den berühmten Namen des Angegriffenen, sondern nur auf die
Sache sehend. Trendelenburg gegenüber. Denn auch er „stand
in der Einbildung, es sei zuweilen nicht unnütze, ein gewisses .
edles Vertrauen in seine eignen Kräfte zu setzen. Eine Zuver-
sicht von der Art belebt alle unsere Bemühungen und erteilt
ihnen einen gewissen Schwung, der der Untersuchung der
Wahrheit sehr beförderlich ist.a (Kant Akademieausg. Werke I
S. 10.)
Im Jahre 1874 habilitierte sich Arnoldt auf den Wunsch
seiner literarischen Freunde an der Königsberger Universität
als Privatdozent für Philosophie. Er hatte stets einen großen
Zuhörerkreis um sich — ihre Zahl belief sioh auf 50 — 60 — und
wurde auch von der dortigen philosophischen Fakultät dreimal
zur Professur vorgeschlagen, aber immer von der Regierung
abgelehnt. Und als er sich persönlich in Berlin dem Ministerial-
rat Goeppert (unter dem Kultusministerium Falk) vorstellte,
gab ihm dieser den Besoheid, daß er in Preußen niemals
würde angestellt werden. Er gab daher 1879 seine Vor-
lesungen auf. Etwa dreißig Jahre später aber bot dieselbe
preußische Regierung gelegentlich des Kantjubiläums im Jahre
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534 Enril Arnoldt
1904 demselben Manne den Professortitel an. Sie hatte offenbar
diese früheren Ereignisse ganz vergessen. Arnoldt aber kam
dies wie eine Verhöhnung vor, und der Überbringer dieses
Titels soll von dem jugendlichen Feuer und dem sittlichen
Pathos, das unsere Zeit kaum mehr kennt, das aber in diesem
Greise noch in voller Frische lebte, betroffen genug gewesen
sein. Arnoldt wies den Titel zurück.
Die Habilitationsvorlesung , gehalten den 13. März 1874,
handelt von „Kants Idee vom höchsten Gut" und ist besonders
insoforn wiohtig, als in ihr Arnoldt einen für Kants System
wichtigen Begriff, nämlich den vom höchsten G-ut, samt den
aus ihm gezogenen Schlüssen auf die Unsterblichkeit der Seele
und das Dasein Gottes verwirft. Hier zeigt sich seine skeptische
Richtung, die natürlich ganz verschieden ist vom „Skeptizismus,
einem Grandsatze einer kunstmäßigen und scientifischen Un-
wissenheit, welcher die Grundlagen aller Erkenntnis untergräbt"
(Kr. d. r. V. Reol. S. 351 f.), und die vielmehr nur „von Vor-
sichtigkeit der durch Erfahrung gewitzigten Urteilskraft" zeugt
(Ebendas. S. 580).
Arnoldt bringt gegen Kant dreierlei zur Geltung (S. 3):
„1. der Begriff des höchsten Guts empfängt bei Kant nicht stets
die gleiche Bestimmung; 2. keine von den beiden Bestimmungen,
die er empfangen hat, liefert zur Begründung des Glaubens an
die Unsterblichkeit der Seele, noch die von Kant durchweg
erwählte zur Begründung des Glaubens an das Dasein Gottes
einen ausreichenden Halt; 3. nicht die Idee des höchsten Guts,
sondern das Bewußtsein des moralischen Gesetzes im Zusammen-
hang mit sittlichen Gefühlen und Stimmungen begründet in
Wahrheit den Gottesglauben, und nicht die vorzugsweise den
drei Kritiken eigene Idee des höchsten Guts gibt Kants persön-
lichem Religionsbekenntnis ein hervorstechend charakteristisches
Gepräge, sondern die Idee von einem Reiche Gottes unter
ethischen Gesetzen, welche der Religion innerh. der Gr. der bl.
Vern. ist einverleibt worden."
In der nun folgenden Schrift „Kants Prolegomena nicht
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Von Otto SchöndÖrffer. 535
doppelt redigirt :| (Berlin Liepmanssohn 1879) widerlegte Arnoldt
B. Erdmanns Hypothese, daß Kants Prolegomena aus einer
doppelten Redaktion entstanden seien. In dieser Arbeit tritt
seine Lessingsche Kampfesnatur scharf hervor. Man höre nur
den Anfang: „Benno Erdmann, der neue Herausgeber der
Kant'sohen Prolegomena, hat für seine Einleitung zu diesem
Werke, welche dessen historische Erklärung enthalten soll,
folgenden Ausspruch Kants zum Motto gewählt: „Es ist gar
nichts Ungewöhnliches . . . ., durch die Vergleichung der Ge-
danken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert,
ihn sogar besser zu verstehen, als er 3ich selbst verstand, indem
er seinen Begriff nicht genugsam bestimmte und dadurch bis-
weilen seiner eigenen Ansicht entgegen redete oder auch dachte."
Ist die Wahl dieses Mottos ein Anzeichen von Eigendünkel,
oder von Bescheidenheit? Vielleicht das letztere! Vielleicht soll
der Leser sich bemühen, den Verfasser der Einleitung besser zu
verstehen, als er sich selbst verstand. Wenigstens hat dieser
seine Begriffe oft nioht genugsam bestimmt, und sich selbst
genugsam oft zitiert, daß beide Umstände die ihm günstige
Auslegung unterstützen."
Daß B. Erdmann sich über Arnoidts Angriff und Sieg gar
sehr ärgerte, ist menschlich wohl begreiflich, auch ist es ver-
ständlich, daß er nun seinerseits nach einer Blöße ausspähte,
die sich etwa sein Gegner irgendwo geben könnte. Nur hätte
er sicherlich, auch nur bei der oberflächlichsten Kenntnis von
Arnoidts Art und Charakter, sie da nicht gesucht, wo er sie
schließlich gefunden zu haben glaubte. Drei Jahre später nämlich
gab Arnoldt eine auf peinlich genaues Quellenstudium gestützte
Untersuchung „Kants Jugend und die fünf ersten Jahre seiner
Privatdocenturu (Königsberg, Ferd. Beyer 1882) heraus. In
dieser wies er unter anderm nach, daß Kant sich nicht, wie
man bisher allgemein angenommen hatte, in der theologischen
Fakultät hat inskribieren lassen, also nie Theologie studiert
hat in der Absicht, Geistlicher zu werden. (Vgl. J. Jacobson.
Herrn Prof. Benno Erdraanns Polemik gegen Emil Arnoldt.
AHpr. Monatsschrift Bd. XLII. Uft. 7 u. 8. 35
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536 Emil Arnoldt.
Altpreuß. Mouatsschr. Bd. XIX. 1882. S- 313 ft) Dasselbe
glaubte B. Erdmann in seinem Buch „Martin Knutzen and seine
Zeit" Leipz. Voss. 1876. dargetan zu haben und beschuldigte
daher Arnoldt in ziemlich unzweideutigen Worten des Plagiats.
(In der dtsch. Literatur-Zeitung vom 18. Febr. 1882. Nr. 7.
S. 244.) Dagegen veröffentlichte Arnoldt in der Vossischen
Zeitung (vom 5. März 1882) eine geharnischte Erklärung (Ab-
gedruckt in der Altpreuß. Monatsschr. Band XIX. S. 176.),
und auch in den Abhandlungen, die später in den „Kritischen
Exkursen im Gebiete der Kant-Forschung" (Königsberg, Ferd.
Beyer 1894) zusammengefaßt wurden, bricht sein Zorn gegen
B. Erdmann noch hier und da durch.
Alle diese Arbeiten, wie die von mir noch nicht erwähnten:
„Metaphysik, die Schutz wehr der Religion" (1873), „Kant nach
Kuno Fischers neuer Darstellung" (1882), „Beiträge zu dem Material
der Geschichte von Kants Leben und Sohriftstellerthätigkeit in
bezug auf seine Religionslehre und seinen Konflikt mit der
preußischen Regierung" (1898) und endlich „Über den ersten
Teil der ersten Antinomie der spekulativen Vernunft" (1904) —
alle diese Arbeiten verfolgen teils das Bestreben, „die skeptische
Methode des Kritizismus auf den Kritizismus selbst und die
Darstellungen desselben anzuwenden", teils bringen sie neues
Material zu Kants Leben und dessen schriftstellerischer and
akademischer Wirksamkeit.
Als Arnoldt im Jahre 1887 von einer Augenkrankheit be-
fallen wurde und infolgedessen seine Augen bis zu seinem Tode
außerordentlich schonen mußte, sah er sich genötigt, seine ganze
Tätigkeit als Lehrer des Englisohen und Deutschen an Schulen
oder in Privatstunden aufzugeben. Nur die ihm lieb gewordenen
Vorträge über literarische und philosophische Themata vor
kleineren Kreisen behielt er bei. So lebte er diese 18 Jahre
bis zu seinem Tode in stiller Zurückgezogenheit, von seiner
Frau behütet und sie behütend, in regem Verkehr mit einigen
wenigen meist jüngeren Freunden, ganz hingegeben dem Studium
seines geliebten und über alles verehrten Kant und seiner Nach-
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Von Otto Schöndörffer. 537
folger, Hegel, Herbart und besonders Fichte und Lotze, sowie
auch der klassischen deutschen Literatur und Shakespeares, den
lebhaftesten Anteil nehmend an dem Schioksal aller ihm be-
freundeten oder bekannten Menschen und an allen Ereignissen
der Welt, von allen, die ihn kannten, aufs höchste verehrt und
geliebt. Und so, in völliger Geistesfrische, nach wie vor in
jugendlicher Begeisterung erglühend für alles Gute und Große,
von wärmster Dankbarkeit erfüllt für alle Liebe, die ihm entgegen-
gebracht wurde, auch körperlich im ganzen rüstig und gesund,
schied er nach kaum siebentägiger Krankheit am 31. Mai 1905
von uns.
Wir aber, seine Schüler und Freunde, danken ihm für alles,
was er uns getan, und danken Gott, der es uns vergönnte, einen
solchen Menschen kennen zu lernen, aus dem das Übersinnliche
so hell und herrlich und dabei doch so milde und freundlich,
Licht und Wärme spendend, hervorstrahlte. Denn Arnoldt hat
jene Hypothese, welche die theoretische Philosophie Kants zur
Abwehr gegen den Skeptizismus an die Hand gibt, die freilich
kein Mensch als richtig beweisen, die aber jeder als wahr
bezeugen sollte, — nicht als eine Wahrheit, die er hat,
sondern als die Wahrheit, die er sein soll — er hat sie durch
sein Leben bezeugt die Hypothese: Alles Leben ist intelligibel,
den Veränderungen in Baum und Zeit nicht unterworfen, weder
mit der Geburt begonnen noch mit dem Tode beendigt, und
das räumliche, zeitliche Dasein ist nichts als Erscheinung, die
ganze Sinnenwelt ein bloßes Bild, das unserer jetzigen Erkenntnis-
art vorschwebt. (Vgl. E. Arnoldt. Kants transscendentale Ideal,
des R. Schluß. S. 131.)
35*
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Adel und Burgerstand in und um Memel. 11«
Genealogische Nachrichten
auf Grund der Kirchenbücher-Forschung,
(cf. Altpr. Monateschr. XXXVIII, pg. 250-289).
Von
Johannes Sembrltzkl, Memel.
"Wenn ich meiner im Jahre 1901 unter obigem Titel in
dieser Zeitschrift erschienenen Arbeit jetzt eine Fortsetzung
folgen lasse, so geschieht dies, weil die der ersteren erfreulicher
Weise zu Theil gewordene Aufmerksamkeit mich nooh mehr von
der Nützlichkeit solcher Veröffentlichungen, zuvörderst für die
Familien-, sodann aber auch für die Provinziai- und Kultur-
Geschichte, überzeugt hat. Die vorliegende zweite Zusammen-
stellung stützt sich als Nachlese fast nur auf die Kirchenbücher
der Johanniskirche zu Memel; einiges, mit „Prk" bezeichnet,
stammt aus den Kirchenbüohern aus Prökuls (das älteste davon
ist ein 1732 beginnendes Taufbuch). Von Herrn Geh. Archivrat
v. Mülverstedt zu Magdeburg mir freundlichst mitgeteilte Er-
gänzungen sind durch „v. M.u kenntlich gemacht. Ein den be-
treffenden Namen vorgesetztes „(I)u bedeutet, daß über diese
Familie schon im ersten Teile meiner Arbeit Nachrichten ge-
geben sind, die hier ergänzt werden.
Agilis. 1663, 31. Aug. läßt Jonas Agilis, Suecus, ein fremder
Schulmeister, eine Tochter tfn.
Beerbohm siehe Boerdansz.
v. Baehr, v. Behr. 1700, 13. Septbr. „durch expresse Post
nach Lithauisch Crotingen [jetzt Buss. Crottingen, Kretynga]
abgeholet und getauft des Herrn Werner von Bähren T.
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Von Johannes Sembritzki. 539
Dorothea. Tfzgn. Erzpriester Concius, Fr. Landrath v. Baehr,
Frau Großmutter Fr. v. Wetterhorst. — 1702 d. 1. Mai get.
Sohn Dietrich des Hauptm. v. Behr, Erbherr auf Sohl . . .
[unleserlich] in Curland [die Taufe ist im Juni nach-
getragen]. — 1767, d. 20. Octbr. Hedwig Eleonora von Baehr
„der Frau Obristen von Puttkammer Fräulein Schwester"
67 J. alt gestorben u. deD 26. October in dem v. Bummei-
schen Gewölbe vor dem Altare der Stadtkirche begr.
v. Bergen, Carl Ludwig, fiptm. beim Füs.-Btl. v. Eichler, heir.
Dom. Sexag. 1797 Frln. Sophia v. Beyer, älteste Tochter
des Ober-Cons.-Eth v. Beyer.
Berg er, George Friedrich, aus Magdeburg, reformirt, Lieutenant,
wird, 38 Jahre alt, am 30. Januar 1810 Bürger in Memel
(Bürgerbuch),
v. Berrenhauer. 1802, 26. Januar t die Wittwe des gewesenen
Generals Sigismund August v. B., Susanne Elisabeth geb.
v. Bliesen, 74 J. alt, ohne Kinder. — v. Bernhauer war
Generalmajor u. Chef des Garnison-Begts. in Heiligenbeil,
Heilsberg, Allen stein etc. Er starb 24. März 1798. v. M.
v. Billerbeck, Fähnrich, 1724 und 1727 Vater unehelicher
Kinder von der Cath. Elis. Petersen.
(I) v. Blomberg, Frln. 1756 (Nr. 167) Pathin bei einem Bauern.
Prk. Siehe: de la Bretonniäre.
v. Blumenthal, Capitain, Pathe 1743 (Nr. 48). Prk.
v. Bondeli, siehe v. Rummel. (Friedrich Julius Freiherr
v. Bondeli war 1740 Amtsverweser in Memel.)
Botha. 1736, 16. Novbr. Lieut. Joach. Botha aus Magdeburg
73jährig gestorben u. am 19. begr.
(I) v. Borck. 1727, 1. April, des Hr. Major v. Borck Söhnl.
v. 51/» J. in der Kirche im Gewölbe vor dem Altar begr.
1735, 15. Novbr. Major Joh. Henr. Borck gest., den 23. in der
Stadtkirche begr.
1741, 12. April Frln. v. Borok im Gewölbe der Stadtkirche
beigesetzt.
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540 Adel UQd Bürgerstand in und um Memel. II.
(I) v. Brabänder. 1772, 21. Juni f Christina Wilheimina v. B.,
älteste Tochter des Obristwaohtmstr. v. B. vom Rgt. v. Hall-
mann, 22 J. 7 Mon. 7 Tage alt. „Den 26. im Gewölbe der
Stadtkirche unter Geläut begraben."
(I) v. Bragge wol zu lesen v. Bagge. v. M.
v. Brauohitsoh, Kriegsrath, 1769 (Nr. 85) Pathe bei Amtmann
Franz Jakob Possern. Prk.
de la Bretonniere. 1753 (Nr. 207) Frau Majorin d. 1. B. Pathin
bei Pfarrer Jakob Wessel. — 1753 (Nr. 226) Herr Major
Pathe bei Präcentor Jakob Tranz. — 1754 (Nr. 224) Obrist-
wachtmstr. d. 1. B. Pathe, 1754 (Nr. 232) Major d. 1. B. Pathe
(bei einem Unteroffizier aus Memel). 1756 (Nr. 167) Frau
Majorin, Pathin bei einem Bauern. Prk.
de la B. war aus Frankreich gebürtig, hatte vom Lieutenant
bis zum Major in russischen Diensten gestanden und ein
Frln. v. Blomberg aus Kurland geheirathet. Er war dann
bei Prökuls angesessen, brannte (ob infolge der russischen
Invasion?) völlig ab und wohnte 1760 in Tilsit. Zwei
Söhne von ihm standen in preußischen Militärdiensten, v. M.
„Es hat der Herr Major Jean de la Bretonniere sein im
Amte Prökuls gelegenes Cöllm. aus 7 Hüben 1 Morg. 5 But
bestehendes Guth nebst 6 Hüben Chatoul-Land bei Kuschen,
cum att- & pertinentiis vor eine Summa von 4250 fl. pr. c.
an den Herrn Johann Georg Gleich verkauftet. u Kgsbg.
Frag- u. Anzeig.-Naohr. 1759, Nr. 44 v. 3. Novbr.
v. Briesen cf. v. Berrenhauer.
(I) v. den Brincken. 1702 am Schlüsse des Jahres steht im
Taufregister: „Hr. Obrister Bringk aus Curland hat mich
nach Baugscorallen gefordert und daselbst einen Sohn tauffen
lassen, wobey Zeugen gewesen Hr. Hauptmann Ambach,
Hr. v. Blumberg u. Fr. Oberhauptmann Kayserlingen alle
aus Curland." Der Taufname des Sohnes ist nicht an-
gegeben. — 1710, 17. Decbr. „Hrn. von den Brincken
Kindchen [Leiche] ist nach Bezahlung der Schule und
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Von Johannes Sembritzki. 54 \
Glocken nach Dtech. Crottingen geführet." Vergl. v.
Schlippenbach.
(I) de Brion. 1752, 20. April f des Hrn. Hptm. de B. Söhn-
lein [wol der 1751 geborene]. — 1756, 1. Decbr. „starb in
partu" Frau Hptm. Maria Amalia v. Brion, geb. v. Grott-
hus, begraben auf d. Kirchhof des Guts Götzhöfen. — Sie
war geb. 27. Febr. 1722 und heirathete den Friedr. Wilh.
de Brion 27. Nov. 1743. — In I, pg. 261, Z. 16 v. u.
heißt der Taufzeuge nicht „Schrebenski", wie im Kirchen-
buche steht, sondern Skrbenski. v. M.
Jacob de Brion stammte aus Frankreich, stand anfänglich
beim Begt. des Marquis de Varenne und wurde 1691 als
Stabscapitain zum Dönhoff'schen Begt. versetzt. Er f
13. Novbr. 1717. — Charles de Brion hatte noch einen
Sohn Charles, Lieutenant im Bgt. de l'Hospital. Er trat
Decbr. 1709 in das DönhofFsche Begt., wurde 1711 Faehn-
rich, 1715 Secondelieutenant u. als Cornet versetzt zum
Kronprinzl. Begt. zu Pferde (v. d. Oelsnitz, Gesch. d.
1. Begt.).
Adam Joh. Jacob de Brion war 1769 F&hnrich im Begt.
Bevern, wurde wegen schlechter Conduite zu vier Jahren
Festung (in Pillau) verurtheilt und ging nach überstandener
Strafe 1773 ohne Abschied außer Landes. Dadurch erlosch
wol das Geschlecht. Ein Frln. de Br. lebte 1788 unver-
mählt in Festenberg in Schlesien. Im Wappen der Brion
ist der Schrägbalken in 3. nicht mit drei Löwenköpfen,
sondern schreitenden Löwen belegt, v. M.
Hauptmann v. Brion auf Götzhöfen hat mit Conoession
der Kgl Lithauischen Kammer seinen Adligen Krug nebst
Wiesen in Büß an Amtmann Kuweit verkauft (Kgbg.Frag- u.
Anzeig.-Nachr.1755, Nr. 8). Das heutige Adl. Brionischken
bei Büß, Gut mit Krug und Fähre, groß 96,61 Hektar.
In Tilsit gab es ein, 1838 dem Domainen-Fiscus gehöriges
Brion'sches Erbpachtsgrundstück, belegen an der Schleusen-
brücke und bestehend aus Wohnhaus, Hof u. 7« Morgen
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542 Adel und Bürgerstand in und um Meine!. II.
Land. (Amtsblatt Gumb., 1838, pg. 561.) Leider war in
den Grundbuchakten nichts über die ehemaligen Besitzer
Brion zu ermitteln,
v. Brumsee. Am 1. Febr. 1756 ein unehel. Kind getauft des
Lieut. Ludwig Wilhelm v. B. beim Regt. v. Luck.
v. Buchenau, George, Obristwachtmstr. beim Egt. Puttkammer,
heir. 1771, 23. Juli, Susanna Sophia v. Hall mann, älteste
Tochter des Oberstlieut. u. Commandeurs des genannten
Regts., Friedrich Sylvius v. H.
v. Buchholz.
1. Christian v. B., in Windenburg geboren, wurde 1742, 29 J.
alt, Großbürger in Memel, f 1758 d. 6./17. April. Mit
Barbara Catharina, geb. Eundt, hatte er zwei Söhne:
a) 1747, geb. 6. Juni, get. 9. Juni, Christian. Er wurde
1768, 21 J. alt, Großbürger u. heir. 7. Septbr. 1769
Anna Catharina, Tochter des verstorb. Rathsverw.
Wilhelm Tranz. Sohn:
1786, 29. Mai geb., 6. Juni get. Christian.
b) 1749, geb. 12. April, get 15. April, Joh. Friedrich.
Er heir. als Negotiant im Juni 1777 Maria Juliana
Dorsch, Tochter des verstorb. Kaufm. u. Großbürger
Carl Dorsch zu Kgsbg. Dort copulirt. Kinder:
aa) 1778, 12. Juli geb., 17. Juli get. Joh. Ferdinand,
bb) 1780, 20. Febr. geb., 25. Febr. get. Wilhelm
Friedrich.
2. Friedrich v. B., in Einten geb., wurde 1746, 28 J. alt,
Großbürger u. heir. 16. Nov. 1758 Maria Louise, jüngste
Tochter des Eaufm. Alexander Lehmann. Er starb 2. Mai
1762 als Aeltermann der Kaufmannszunft und wurde am
6. in der lithauischen Eirche begraben. Er hatte zwei
Söhne:
a) 1760, geb. 11. Decbr. get. 16. Decbr. Friedrich. Dieser
„ein zur See Handelnder", heir. im Febr. 1786 Christina
Dorothea, Tochter des verstorb. Eaufm. u. Brau-Assessor
Friedrich Wenk zu Egsbg. Dort copuliert.
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Von Johannes Sembritzki. 543
b) 1761, geb. 19. Octbr., get. 22. Octbr. Christian.
Ein Friedrich v. B. aus Memel studiert seit Winter
1807 — 8 in Königsberg Cameralia u. ist später Pächter der
Bosembschen Güter.
Ein Lieutenant und Agent Johann v. Buchholz, aus
Kurland gebürtig, saß ca. 1750 auf KL Przelenk im Kreise
Neidenburg. 1755 soll das Testament seiner Wittwe, Anna
x Catbarina, geb. Steinhöbel, publicirt werden (Kgsbg. Frag-
u. Anzeig.-Naohr. 1755, Nr. 20).
(I) v. Budda, Buddae [nach dem Kirchenbuche nicht Buddau]
1766. Friedr. Wilhelm v. B. heir. Frau Anna Dorothea,
Wittwe des Kölm. Erbsassen auf Janischken Daniel Gott-
schalck. Copul. 11. Febr. im Hause. — 1771. Des Lieut
Friedr. Wilh. „v. Buddi" Stief- u. Ptiegetochter, Maria
Juliana Gottschalck, älteste Tochter des verst. Cölm. Erbs.
auf Janischken, wie auch Großbürgers, Kauf- u. Handels-
manns allhier, Daniel Gottschalck, heir. den Apotheker Joh.
George Blümel 7. Novbr. — 1783, 1. Febr. f Anna Doro-
thea, Tochter des Erzpriesters Pauli, 65 J. alt, zuerst ver-
heir. mit Daniel Gottschalck, dann mit Lieut. Friedr. Wilh.
„v. Budd oder Buddae". 1786, 8. Februar heirathet Friedr.
Wilh. v. B., gewesener Lieut., Anna Dorothea, Tochter des
Kaufm. u. Großbürgers Adam Zippel. — Bei s. Tode
28. Mai 1787 (siehe I) hinterläßt er außer der Wittwe eine
Sohwester in Bußland.
v. Bülau siehe v. Mirbach.
C an not, Alexander Philipp, Kaufmann, aus Königsberg, wird
Großbürger in Memel 12. Januar 1764. — 1756 heirathet
Dr. med. u. Stadtphysicus Joh. Friedr. Schroeder in Memel
die jüngste Tochter Barbara Charlotte des „Ersten Kgl.
Hofpredigers, Predigers der reformirten Pfarrkirche zu
Königsberg, Consistorialraths und Inspectoris der reform.
Kirchen und Schulen in Preußen wie auch des Kgl.
Waisenhauses44 Claudius Cannot. Copul. in Kgsbg.
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544 Adel und Bürgeretand in und um Meniel. II.
(I) de Chapelle. 1673, XII p. Trinit, heirathet Capitain-Lieute-
nant Thomas Ch. die Tochter Eleonore des verstorbenen
Hrn. Wolff von Löthen. Dieser war 1668 als Letzter
seines Stammes gestorben. v. M.
1675, 21. Octbr. getauft Tochter Dorothea Juliane.
Capitän Thomas de Chapelle stand 1661 beim Inf.-Begt. Schwerin
(dann in Colberg). v. M.
(I) v. Chlebowski. Seine Vornamen sind: Christian Wilhelm.
v. M.
v. Ecksparre, Peter, Buss. Oberst, 1813, 8. Febr. am Nerven-
fieber verst. 52 J. alt. Hinterl. 3 Tchtr, in Riga.
(I) v. Ellert, Major, 1752, 22. Decbr. plötzlich verstorben und
auf dem Soldaten-Kirchhoff more milit. beerdigt.
Encquist. 1670, 7. Septbr. getauft Friedrich Encquist, posthumer
Sohn des schwedischen Majors Friedrich Encquist und
seiner Wittwe Anna Margaretha.
Frank, Franck, Francke.
1701, 19. Juni getauft Christoph, Sohn des „Arrendator vom
Neuen Vorwerck". 1741, 19. Novbr. f Christoph Francke,
Erbherr auf Eckitten etc. ; 29. Novbr. auf dem Szabernschen
Kirchhof begr.
1. Maria Dorothea, Tochter des verstorbenen Christoph Franck,
Erbherrn von Tauerlauken und Eckitten, und jetzige
Pflegetochter des Joh. Gabriel Kolb, nunmehrigen Erb-
herrn von Tauerlauken, wie auch von Rumpischken und
Daupern, heirathet 29. Mai 1753 den Egl. Preufi. Amtmann
zu Budwethen, Gebhard Christian Hasfort.
2. Joh. Ernst Franck, Kölm. Erbsasse des Gutes Kriszullen,
heir. 17. I. 1766 die Juliana Louisa Kraus, Tochter des
Amtsraths von Clemmenhof u. Erbherrn von Adl. Crottingen,
Georg Albrecht Kraus (Crause).
(I) v. Fresin. Es waren Caspar v. F. u. s. Gemahlin Barbara
Christiana geb. v. Kerben,
v. Fürstenberg, Christian Ewald, Hauptm. d. Inf., heir. Frau
Sophia Dorothea geb. Heohel, Wwe. des Großbürgers, Kauf-
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Von Johannes Sembritzki. 545
u. Handelsmannes Johann Friedrich Schwarz, 4. Mai 1775. —
1788, 7. Aug. f Dorothea Sophia v. Fürstenberg, geb.
Hechel, 71 J. alt; hinterließ den Wittwer, keine Kinder.
v. Gattenhöfen. 1734 (Nr. 72) Frln. Wilhelmine Charlotte v. G.
Pathin, ebenso 1735 (Nr. 96). — 1736 (Nr. 122, 166) Frln.
Henriette v. G. Pathin. Prk.
Eine einst wohlbegüterte, namentlich in Norkitten an-
gesessene, aus Franken stammende Adelsfamilie. Sie er-
losch 1785 durch den Tod des Preuß. Rittmeisters Leopold
Wilhelm v. G. auf Pistken bei Lyck. v. M.
(I) Glaeser. Es ist Perkoden, eine Ortschaft jenseits der Grenze
an der Dange.
v. Goes, siehe v. Koschkull und v. Tiesenhausen.
(I) v. Gohr. 1769, 25. Juli f Johann Christoph v. Gohr, Ca-
pitata beim Egt. v. Puttkammer, 50 J. 6 Mon. alt; „den
27. in der teutschen Stadtkirche funere gen. u. mit einer
Leichen-Predigt beerdigt". — Er war geb. 30. Januar 1718,
kam nach den schles. Feldzügen an das Rgt. v. Puttkammer
in Memel u. wurde hier 1755 Prem.-Lieut., 1759 Stabs-,
1767 wirkl. Capitain. v. M. — Ein Herr v. Gohr war 1813
Bezirks-Commandant des Landsturms im Intendanturamt
Memel; Lieut. a. D. Ludwig v. Gohr auf Kischken-Gerge
starb 14. Januar 1848, 63 J. alt. Hinterl. 2 Stiefschwestern,
wovon eine die Majorin v. Höfen in Tilsit, und 1 Stief-
bruder ßhenius.
Gorraiski. 1709, 12. Febr. getauft Johann Bartholomäus, Sohn
des „mercator" Christoph G. Dieser war auch Gerichts-
Verwandter.
Joh. Bartholomäus, war 1726 stud. phil., 1731—1766
Kgl. Unter-Bibliothekar zu Königsberg, Hofrath und Hof-
gerichts-Advokat. Sein Sohn Abraham Esdias Johannes,
getauft 13. Septbr. 1744 in der Schloßkirche zu Kgsbg.
Stammvater der Familie: Barthel Goresky von Schwerin
i. d. Mark, als Soldat getraut mit Regina Tauber 1621,
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546 Adel und Bürgerstand in und um Memel. II.
Dom. XIII p. Trinit. — 1627 ist er Kürschner (also aus-
gedient) u. wird ihm 23. Febr. ein Sohn Christoph geb.
v. Grahn. 1738, 13. Juni „ein Schwedisoher Begiments-Quartier-
meister Christoph v. G., der hier als ein Bettler krank
hergekommen und in Armuth gestorben, still begraben."
Gregorovius. Johannes G. aus Benkheim, „Hrn. Jobann Daublers
Churf. Ambts Schreibers alhier Handschreiber4* heirathet
1669 Dom. XVI Trinitatis die Wittwe Elisabeth des Fouriers
Michael Klage von Major Carlings Compagnie; 1670, 7. Febr.
läßt er einen Sohn Raphael taufen.
(I) v. Gregorski war Königl. Polnischer Kammerherr.
(I) v. Grothusen, v. Grotthus. Ernst Johann v. G. war
Capitain-Lieutenant und Erbherr auf Sattycken (Kr. Oletzko)
und Tauerlauken. Er ist der Großvater der Maria Amalia,
verehel. de Brion (s. d.).
Gurioff, Lieutenant, 1760 Pathe bei einem Bauern (Nr. 175).
Frk.
v. Haehne. 1787f 15. Septbr. f Hermann Christoph Leonhard,
Sohn des Majors Daniel Gottfried v. H. u. s. Gem. Anna
Elise geb. v. H., 6/* J» a^> *n Salanten (jenseits der Grenze)
begraben.
(I) von Hagen. 1750, 21. Decbr. f dar Kleinschmidt Mstr.
Baltasar von Hagen u. den 29. mit der halben Schule begr.
v. Hallmann. 1768, 28. April, f Louisa Friederica Henrietta
v. H., jüngste Tochter, welche nur 14 Tage alt wurde, des
Majors u. Commandeurs des Regt. v. Puttkamer, Friedrich
Sylvius v. H. und dessen Gemahlin Carolina Ernestina
Christina geb. Baronesse v. Bobenhausen. — 1769, 1. März
f CharJotta Sophia Friedericia Anna v. H., älteste Tochter
der vorigen, im 17. Jahre und wurde am 8. in der lithatL
Kirche begraben. — 1771 heirathete die nunmehr älteste
Tochter, Susanna Sophia, den Obristwachtmstr. v. Buchenau
(siehe d.). — 1771, 20. Octbr. f Sophia Carolina, 6 Stun-
den alt.
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Von Johannes Bembritzki. 547
(I) Hamilton. 1663, 23. Juni getauft Sohn Adam Friedrich
des Capitains Patrick Hammelthon und Frau Elisabeth geb.
Krohn. — 1741, 9. Mai ist der Major Johann Hamilton
auf dem reformirten Kirchhof begraben.
(I) v. Harten. Es lebten damals noch ein Wilhelm v. H. (Frau
Elisabeth Wulfen; läßt 17. Novbr. 1665 Sohn Beinhold
Heinrich tfn.) und ein Christian v. H., Zeugwärter (läßt
16. Aug. 1666 Tochter Maria tfn.) Der Feuerwerker Mi-
chael v. H. ließ schon 24. Aug. 1685 Tochter Sophie tfn.
Hasfort (Hasford) siehe Frank.
v. Haubit z. 1761, 29. März f der ehemal. Kgl. Preufl. Wall-
mstr. Hr. v. H.
(I) v. Heidebreck, v. Heydebrecht. 1748, 17. Octbr. „des
Hptm. v. Heydebrecht eintziges Söhnlein v. 10 Jahren
Namens Leopold Otto Philipp David gest. u. den 21. in der
teutsch. Kirche beerd."
v. Hjelmburg. 1748, 8. Mai „ist des Hrn. Major v. Schechta
Secretarius und wie einige wollen dessen naher Anver-
wandter Hr. v. Hjelmburg, ein Schwede von Geburt, in
seinen besten Jahren gestorben u. den 10. ej. beerdigt."
v. Hirschfeldt. 1781, 18. Novbr. f Wilhelmina Sophia Con-
cordia, Töchterlein des Accise-Inspectors Johannes Theo-
'phihi8 v. Hirschfeldt u. seiner Gemahlin Juliana Charlotta
geb. Wiegandt, 5 Mon. alt. — 1782, 6. Septbr. f der
Accise-Inspector v. Hirschfeldt, 43 J. alt. Hinterließ
1 Mutter, 1 Bruder, 1 Schwester, die Wittwe u. 5 Kinder.
Eins davon starb bald undJ1790, 4. Febr. auch die Wittwe,
45 J. alt, an der Schwindsucht.
v. Hörn er. 1700, 2. Juli getauft „Hrn. Major von Hörner,
dessen Gemahl, aus Curland hierher geflüchtet und ent-
bunden worden, Tochter Anna Elisabeth. Testes: Frau
v. Beck aus Curland, Frau v. Kaiserling, Frau Baron
Knigge, Frau Maria Dorothea Concius, Frau Anna Issert,
Hr. Obrist Crüger, Hr. Bector Michael Geisler.
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548 Adel und Bürgeretand in und um Memel. II.
v. Holster. 1784, 13. Juni f Thomas Bogdan v. H., ca. 30 J.
alt „ein Bedienter aus der Suite der hier durchgegangenen
[durchgereisten] Frau Generalin v. Bauer am hitzigen
Fieber. Er soll aus Finnland gebürtig seyn."
(I) v. Hülsen. Anna Margaretha v. H. war 1663 verheiratbet
mit Capitain-Lieutenant Antonius Schröter. 18. April 1663
beider Sohn Johannes Gotthard getauft. Taufzeugin: Jung-
frau Marth. v. Hülsen. 1671, 13. April Sohn Antonius ge-
tauft. — Die Frau des Ehenius (siehe I) war Besitzerin
von Eydzewen (Kr. Oletzko), welches sie 1792 verkaufte.
Jagen teuf el, von Windenburg, Pathe, 1734 (Nr. 215). Prk.
v. Katerszinsky, Lieutenant, Patbe 1737 (Nr. 189; Plikunren).
Prk.
(I) Kleist. Der Lieut. Kleist ist 5. Mai 1733 nicht gestorben,
sondern begraben.
(I) Klingbeil. Charlotte, älteste Tochter des Kgl. Land-
Kammer-Bath8 Gottfried K., heirathet 1. Juli 1766 den
Arrendator von Eckitten, Johann Jacob Sartorius.
(I) v. Kniazewitz, Friederike, heirathet 1. Juni 1826 den Leih-
bibliothekar Wilh. Steinbrecher. — Controllern* Otto Johann
v. K. starb 16. Juli 1816, 55 J. alt, in Memel.
v. Knigge. 1700 Frau Baronesse v. K. Tfzgn, (siehe v. Wo-
beser). — 1700, 3. Novbr. Tfzgn. Frln. Baronesse Maria
Loysa de Kniggin.
Kolbe, Kolb. 1736, 13. Decbr. Herr Gabriel Kolbe von Eum-
pischken, 73 J. alt, in der Litth. Kirche begr. Vergl. Franck.
(I) v. Kosohkull. Die Wittwe v. K. heirathete 6. Oktobr. 1785
den Peter Johann Ernst v. Goes, welcher Landrath des
Kgl. Poln. Piltenschen Kreises u. Erbherr der in demselben
belegenen Waynodischen Güter war.
v. Kröchern. 1628, 19. Ootbr. Leutnant Daniel v. K. als Pathe
erwähnt.
v. Kruse. 1761, 10. Juni „ist des Hrn. Obristen Jürgen v. Kruse,
Schiffs Capit. vom 1 sten Eange von d. Euss. Kays. Flotte,
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Von Johannes Sembritzki. 54g
Söhnlein v. 31/» Jahr an den Pocken gestorben u. den 12. ej.
im Gewölbe der hies. teutschen Kirche begr."
v. Linden, gen. Rechenberg. 1786, 5. Febr. f Friedrich
Casimir v. L., gen. R., gewesener Kgl. Preuss. Lieut, der
sich seit 13 Jahren im Hofe Bachmann aufgehalten, 61 J.
alt; auf dem Eckitter Kirchhof begr. Hinterläßt ein Frl.
Schwester in Curland.
Lion. 1712, 24. Decbr. + der fremde Obristlieutenant Lion aus
Livland; d. 28. interimistisch im KoschkulPschen Gewölbe
beigesetzt«
v. Löthen siehe de Chapelle.
Mädersen. 1755. Christoph Ernst M., Prem. Lieut. bei dem
Corps Artillerie, heir. Christiana Lovisa, älteste Tochter
des Ingenieur Major Christian Rück er. Copul. 5. Febr.
v. Manstein, Major u. Commandant von Memel, reformirt,
t 29. Octbr. 1790 am Schlage, 47 J. alt.
v. Manteuffel. 1675, 17. Juli ließ taufen „Hr. Zöge genannt
Manteuffel aus Churland eine Tochter Anna Sybyllia [sie]
Taufzeugen: Hr. Oberst v. Löbel, Rath, Gericht, Kauf-
mannszunft, Frau Oberstin v. Nolde.
v. May, 1760 Pathe bei einem Bauern (Nr. 175). Prk. (Wol vom
russischen Militär.)
v. Mertens. 1739, 20. April Frau Lieut. v. M., geb. Rentel,
in der Litth. Kirche begr.
1748, 8. Januar, heir. Lovisa Charlotta, einzige Tochter
des Hrn. Gustav Ernst v. Mertens, den Joh. Heinr. Hoff-
mann, Bürger, Kauf- und Handelsmann.
v. Meyrentz. 1790, 6. Febr. f Frln. Sophia Charlotta v. M.,
beim Major v. Manstein, 49 J. alt.
v. Miltitz. 1763, 23. April f Hauptm. v. Miltiz an einer hart-
näck. Obstruction u. den 26. auf dem Soldaten Kirchhoff
more militari begraben. — Seine Wittwe heir. 1764 den
Hptm. v. Wobeser (siehe d.)
(I) v. Mirbach. 1705, 28. April getraut Emmerich Johann v, M.,
Herr in Pusseneken u. Amlen [?| in Kurland, und Frln.
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550 A(iel und Bärgerstand in und um Memel. II.
Juliana Eleonora, nachgelassene Tochter des Kgl. Obristen
und Herrn auf Bässen u. Abaurhoff f?], David v. Bülau.
1769, 12. Juli „hör. 8 vesp. sind Sr. Excellence der
Kgl. Poln. Würkl. Geheimde Rath, des Johanniter und
St. Andreas Ordens Bitter Starost von Polangen Erbherr
v. Laukozem und Lepaizen, Hr. Eberhard Christoph
v. Mirbach, nachdem sie sich wegen der jetzig. Polnisch.
Unruhen seit 0 Monath hieselbst aufgehalten, im 60. Jahre
Ihres Alters, welches d. 17. Januar 1770 würde beschlossen
worden seyn, mit Tode abgegangen u. den 17. ejusd. Abends
still in dem Gewölbe der Stadt-Kirche bis zur weiteren
Abführung nach Curland in dero Erb Begr&bniß, beygesetzt
worden*4.
(I) v. Morstein. 1774, 11. Juli f Louisa Albertina, Töchterlein
des Hrn. Reinhold Heinrich v. M., p. t. Arrendatoris m
Miszeiken, und seiner Ehegattin Maria Elisabeth, im 14. Jahr
u. auf dem Miszeiker Kirchhof begr. — 1810, 8. März
lassen tfn. Christoph Hagen, Stadtchirurgus, und Anna
Regina, geb. v. Morstein.
(I) v. Müllenheim. 1766, 28. März f der Sohn Friedrich Arnold
Carl des Hauptm. im Rgt. Puttkammer Carl Philipp v. M.
und seiner Gemahlin Henriette Regina geb. v. Flörcke,
4 Mon. 22 Tage alt.
Mülverstädt, Joh. Carl, gewesener Lieutenant beim v. Rembow-
schen Püsil. Bau., heir. 31. Juli 1794 Wittwe Maria
Elisabeth Schulz, geb. Gronau.
(I) Muttray. Maria, Tochter des Aeltermanns der Kaufmann-
schaft Mertin Mutteray, heirathet 29. Octbr. 1711 den
Bürger, Kauf- und Handelsmann Christoph ftollack. Aber
schon 15. Octbr. 1713 heirathet dieser wieder die Tochter
Anna Catharina des verstorbenen Constantir* v. Boemmeln. —
In Thl. I, pg. 275, Zeile 15 von oben soll es statt „un-
vermählt*' heißen: vermählt, ein Sohn.
(I) Nicastre. 1666, 11. Aug. getauft Tochter Agatha Henriette,
1670, 20. Febr. Tochter Maria Eleonora.
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Von Johannes Sembritzki. 551
(I) v. Oginski. 1751. Samuel Christian v. 0., Obristlieut. beim
Egt. l'Hospital, heir. Charlotte Dorothea v. Ostau, nach-
gelassene Tochter des Obristlieut Fabian Albrecht v. Ostau.
Procl. „ein vor allemahl" Dom. 4 p. Epiph. 1751. Copulirt
in Königsberg, — 1752, 20. Decbr. Samuel Christoph [sie!]
v. 0., Kgl. Preuß. Obristlieut. „nach gehaltener Standrede
in hies. Gewölbe beygesetzet".
(I) v. Orlietz fraglich, vielleicht v. Orlick. v. M.
v. Ostau, cf. v. Oginski.
Pascha. 1735, 10. Mai Frau Lieut. Pascha geb. Wessel more
mil. auf dem Soldatenkirchhof begr. — 1739, 28. April
Lieut. u. Platzmajor Caspar Adam Pascha, 72 J. alt, begr.
v. Penzig, Joh., Hptm., u. Ehefrau Albertine Charl. v. Losch,
4. Octbr. 1811 f Töchterchen Johanne Natalie, 10 Mon.
(I) v. Peirille. Der Lieutenant hieß Johann Carl Leopold
Wilhelm v. P. (Poerille) u. stand beim v. Hausenschen
Inf.-Reg.; er heirathete im März 1793 Anna Wilhelmine
Caroline Bernis, Tochter des Kgl. Licent-Inspector Bernis.
Reform, copul.
(I) Persode. Andre Persode de Domangeville, aus Lothringen,
war 1724 Oberstleutnant, 1735 Oberst, (v. d. Oelsnitz.)
(I) v. Puttkammer. 1771 3. Juni „hies. Commandant, Obrister
der Inf. u. Chef des hies. Regte, ein Freund Qottes und
seiner Diener, 75 Jahr weniger 21 Tage alt, sanft und selig
entschlafen u. den 11. in der Stadt Kirche im v. Rummei-
schen Erbbegr. begraben44.
v. Puttlitz (Pudliz) Lieut., 1628 Pathe.
v. Rhaden, Cornet, 1685 Taufzeuge.
v. Rahn 1758, 13./24. Febr. f Lieut. v. Rahn „des hier in
Garnison stehenden Permischen Regiments44.
Reitenbach. 1735, 26. April, ist der Amtmann R. begraben
[wo? ist nicht angegeben; eine dafür gelassene Lücke blieb
unausgefülltj.
v. Retzdorf, Kriegsrath, 1751, (Nr. 186) Pathe bei Amtmann
Friedrich Arnold. Prlc.
Altpr Monatsschrift Bd. XML Hft. 7 u. b. 30
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552 Adel und Bürgeretand in und um Memel. II.
(I) v. Roenne. im Taufbuch 1703, 25. Juni: Hrn. von Rönne
T. Eleonora Gottliebe.
(I) Roerdansz. Ernst Joachim Beerbohm heir. 28. Juni 1759
die Tochter Anna Dorothea des verstorb. Rathsverwandten
Heinr. Roerdansz. — 1773, 25. Febr. heirathet er zum
zweiten Male u. zwar die Wittwe des Negotianten Gottlieb
John in Kowno, Christina Gottliebe, geb. Frenzel. —
1774, 15. Juni, heir. Lorenz Lorck, „vornehmer Negotiant".
Catharina Elisabeth, jüngste Tochter des [unlängst] verstorb.
Negotianten Heinr. Roerdansz.
(I) v. Rosenberg. 1790, 1. Febr. f Wilhelm Heinrich Johann,
Sohn des Hauptmanns u. Besitzers von Raddeilen, Sigis-
mund Gustav v. R., IV2 J. alt. — Otto v. R. hatte Maria
Wilhelmina v. Stempel, älteste Tochter des Gotthard
v. Stempel auf Eckitten, am 20. Octbr. 1791 geheir. —
Peter Carl Johann v. R. heir. 2. Juni 1819 Johanna
Dorothea, Tochter des verstorb. Pfarrers in Tilsit Christoph
Fröhlich.
v. Roth, Anton Christian, Capit. im 3. Kaiserl. russ. Jäger-Rgt,
30. Juli 1807 ertrunken im Hafen, 28 J. alt.
Rücker, Rückert, Christian, beim Ingenieur- Corps, siehe:
Mädersen und v. Wedelstädt.
(I) v. Rummel. 1738, 13. Juli Frau Amalia Lovisa Baronesse
Bondeli, Gemahlin des Lieut. Ewald v. R., mit 2 todt-
geborenen Söhnen in der Stadtkiche begraben erster Classe.
— 1766, 5. Juni, Abends 10 Uhr f „Hr. Ernst Christoph
Hartwich v. Rummel, gewes. Kgl. Preuß. Obristlieut. bei
dem v. Canitzisch. Rgt., auch ehemalig. Interims- Com-
mendant de 1757, u. den 9. im v. Rummeischen Erb-
begräbnis vor dem Altar beerdigt. Er war gebohren d.
7. Octbr. 1698 u. ist also alt worden 67 Jahre 7 Mon.
29 Tage. Er lebte in den letzten Jahren hier als ein
Privater ordentlich und christl."
v. Rungen. 1761, 25. Aug. f Corporal v. R. „von der Russ.
Garnison, ein Bruder des jetzigen Hrn. Platz Major".
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Von Johannes Sembritzki. 553
v. Sacken, Ewald, verabschiedeter Lieut. v. Rgt. Bosniaken,
7. Febr. 1801 gest., 66 J. alt; den 14. begr. Hinterl.
1 Bruder.
v. Salmanow. 1762, 17. Febr. „die Frau Capitainin v. Salmanow,
von hies. Russ. Kayserl. Garnison gestorben, welche sich
durch tägl. Besuchen und Pflege der Preuß. krancken
Kriegsgefangenen gleichfalls den Tod geholet, war Evangel.
luther. Religion, den 19. ej. fun. gener. in der teutschen
Stadt Kirche begraben, eine wahre Jüngerin Jesu".
v. Schaffstaedt. 1756, 27. Febr. f des Hrn. Obristlieut. v. Seh.
Tochter, 1 Jahr weniger 17 Tage alt.
v. Schechta, Obristwachtmstr. beim Regt de l'Hospital 1750,
siehe v. Hjelmburg.
Schleicher, Baron. 1722, 23. Novbr. „Ein fremder Schwed.
Obrister still und gratis Armuths wegen begraben. Nomen
Baron Ulrich Albrecht Schleicher."
v. Schlichting, Friedrich, f 13. Decbr. 1806 am Nervenfieber.
Hinterl. Eltern in Heilsberg. 13 J. alt.
(I) v. Schlippenbach, Carl Ernst, Kgl. Preuß. Capitain v. d.
Inf, heir. 1768, 8. Septbr., Anna Margaretha von den
Brincken, des Friedr. Heinr. v. d. B. hinterlassene ehe-
leibliche und des Otto Ernst v. d. B., Erbherrn des Guts
Bangskorallen Pflegetochter. Copul. im Hofe Bangskorallen.
(I) Schlüter. 1738, 20. Juni, Obristlieut. Henrich Schlieter,
08 J. 8 Mon. alt, plötzlich gestorben u. am 24. solutis
solvendis in Crottingen begraben.
v. Schmidtkow, Joh. Carl Aug. Wilh., Hptm. im Füs. Btl.
1807 vacant v. Wakenitz, 1809 v. Hamberger, u. Ehefrau
Anna Charlotte Stoddert. 30. Septbr. 1807 f Söhnl. Friedr.
Paul, 1 J.; 8. Jan. 1801) f Töchterl. Alexandrine Jeanette,
2 Mon.
Senner t. 1750, 27. April „ist Hr. Sennert ein Curländischer
Prediger von beinahe 80 Jahren, welcher sich hieselbst als
emeritus einige Jahre bey seinem Bruder aufgehalten, ge-
36*
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554 Adel und Bürgerstand in und um Memel. II.
starben u. in der Litth. Kirche begraben worden, nachdem
demselben eine Leichenrede gehalten worden".
Zur Berichtigung des v. Recke und Napiersky sehen
Lexikons, wo 1749 als Todesjahr angegeben ist. S. war
ein geborener Memeler, seit 1711 Prediger in Pilten.
(I) v. Springenfeld (nicht: Springerfeld) wurde 1785 Seconde-
lieut. beim Hallmannschen Rgt. u. 1788 als Premier-Lieut.
zum Depot-Batl. des Inf. Rgts. v. Wildau versetzt v. M.
(I) v. Stempel. 1769, 12. Octbr. f George Wilhelm v. St,
Schwiegervater des Hrn. v. Stempel auf Jacken, Kgl.
Lieutenant, 73 J. alt, in Jacken und daselbst begraben. —
1821, 4. Aug. f Peter v. Stempel, 56 J., coelebs.
v. Tieffenbach. Carl Friedrich v. T\, Dr. med. „und des
Memelschen Creyses designirter Stadt- und Land-Physicus"
heir. 18. Octbr. 1779 Carolina Amalia Sommer. Copul. in
Pillau. — Er f 1800, d. 27. Febr., 56 J. alt, am Schlag-
fluß. Bei dieser Eintragung heißt er nur „Tieffenbach'1.
(I) v. Tiesenhausen. 1749, 22. März f Frau v. T. auf ihrem
Gut Miszeiken u. ist den 10. April daselbst in ihrem Ge-
wölbe begraben. — 1757, 28. Juli geb. Carl Gustav, Sohn
des George Carl v. T. auf Miszeiken und 1. Gemahlin Anna
Elisabeth geb. v. Goes. — v. T., Herr von Miszeiken,
t 26. Decbr. 1757 in Garsden, wohin er wegen der Kriegs-
unruhen in Preußen geflüchtet war. — 1786, d. 4. Mai
f Frln. Johanna Charlotta v. T., 40 J. alt; auf dem Goetz-
höfer Kirchhof begraben. - 1786, d. 27. Juli f Frln.
Hedwig Juliana v. T., 46 J. alt; auf dem Kirchhof vor
dem Brüokenthor begraben. Hinterläßt 2 verheirathete
Schwestern. — Dorothea Eva v. T. war Gemahlin des am
28. Febr. 1782 verstorbenen Bürgermeisters von Memel
Gottfried Meyer.
v. Trützschler, Major, Tauf zeuge 7. Novbr. 1683.
Uhger, Christian Gottlieb, geb. 26. März, getft. 30. März 1762,
Sohn des Schneiders Joh. Andreas Unger, gest. 1838 als
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Von Johannes Sembritzki. 555
Bürgermeister von Libau. Der Vater, Andreas TL, stammte
aus Goldap und wurde, 24 J. alt, 1757 in Memel Bürger.
v. Ustarbowski, Ernst Heinrich, Lieut. im Füs. Btl. v. Bergen,
endet 13. Januar 1809 durch Selbstmord. Mutter in
Pommern. 28 J.
Vater, Christoph, Lieutenant. Frau Maria N. N.; 1643 Sohn
Christoph getauft. Tfzge. Major Jochim v. Möhlen. —
1692 Christoph V. Stadt-Messer.
(I) v. Vietinghof, Frau Anna Martha, Tfzgin. bei Wagenseil
1714. — 1719 wird das Gut Jacken „alias Vietinghofen-
hof" genannt.
v. Vogt. 1743 d. 14. April Capit. v. V. gest., den 16. begr.
Wagenseil. G-abriel W., 1674 oder 1675 zu Altorf geb., wol
ein Sohn des Polyhistors und Professors Johann Christoph W.
an der damaligen dortigen Univ., ist zu Königsberg am
26. October 1697 als ,, Gabriel Wagenseilius Altorffinus J. U.
Licenciatus" inscribirt, wurde 8. Juni 1700 Mitglied der
Kaufmannszunft zu Memel und Stadtsecretär zu Memel.
1723 war er außerdem auch Actuarius, Advocatus Ordinarius
und Präses vom Tranksteuer-Collegium. Ueber seine erste
Ehe ist nur bekannt, daß derselben zwei Töchter: Barbara
Elisabeth (geb. 9. Octbr. 1706) und Dorothea Charlotte
(geb. 24. Mai 1708) entsprossen, und daß die Frau am
7. Juni 1711 begraben wurde. 1712, 24. Januar wurde er
in Memel „auff Kgl. allergnädigsten Befehl einmahl vor
allemahl im nahmen Gottes proclamiret" und am 4. Februar
in Königsberg getraut mit Maria Dorothea, ältesten Tochter
des verstorbenen Dr. med. und Prof. public, ordin. Philipp
Jakob Hartmann in Königsberg. Kinder:
1712, 8. Decbr. Philipp Jakob (Septbr. 1728 zu Königs-
berg immatrioulirt),
1714, 31. Jan. Maria Sophia,
1714, 30. Decbr. Johann Christoph (Pathen: Martin
Sylvester Grabe, Kgl. Rath, Leibmedicus u. Bi-
bliothekar; Capitäu-Lieut. v. Grothusen; Frau Anna
Martha v. Vietinghof),
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556 * Adel und Bürgerstand in uud um Memcl. II.
1717, 1. Januar Helena Dorothea,
1718, 28. Aug. Benigna,
1719, 7. Septbr. Joh. Wilhelm,
1721, 8. März Carl Friedrich (2. Mai 1741 zu Königs-
berg immatriculirt) und 28. Decbr. eine Tochter
Theodora, welche am selben Tage starb,
1723, 12. Octbr. Barbara Dorothea.
Außerdem ist Octbr. 1722 Daniel Wilhelm W. zu Königs-
berg immatriculirt, wol ein Sohn erster Ehe; als jur. cand.
repet. 7. Aug. 1738 (Matrikel).
Ueber den Tod des Gabriel W. sagt das Kirchenbuch:
„3. Juli 1731 Post-Secretär Gabriel Wagenseil in der
litth. Kirche still begrabend Danach hätte er seine 1723
genannten Aemter in späterer Zeit aufgegeben,
v. Walter. 1790, 16. April -J* Aurelia Justina, Tochter des
Hauptmanns Carl Anton v. W. und seiner Gemahlin Char-
lotta geb. Wahn, *U J. alt.
(I) v. Wangenheim. Die 1791 geb. Tochter Friderike heirathete
den kathol. Matrosen Stanislaus Aranowitz; 5. Juni 1814
wurde ihnen e. Sohn Wilh. August geb. Sie wird dabei
nur ^, Wangenheim" genannt,
v. Wedeil, George Wilhelm, Hptm. a. D., starb, 55 J. alt,
15. März 1827.
v. Wedelstaedt. 1768, 30. Aug., heirathet Georg Anton v. W.,
Lieut. im ßgt. Puttkammer, Charlotte Johanna Sophia,
jüngste Tochter des Obristwachtmstr. beim Ingenieur-Corps
Christian Rückert.
Wessel, Daniel, 1665 Wybranzen-Capitain.
v. Wismann, Georg Wilhelm Ferdinand, ertrank, 17 J. alt,
am 4. Juli 1799.
v. Wittke. 1776, 10. Juni f das 1 Jahr alte Söhnchen Joh.
Wilhelm Ferdinand des Capitains im Rgt. v. Hallmaun
Franz Mathes v. W. und seiner Gemahlin Albertiua Lovisa
geb. v. Grabowskit
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Von Johannes Sembritzki. 557
v. Wobersnow. 1770, 2. März „ist der Obristlieut Georg
Joachim v. W., welcher vormahls bey hiesig, Rgt. ge-
standen, 74 J. alt am Schlagfluß gestorben u. den 6. auf
dem Soldatenkirchhof still begraben". Er stand 1750 als
Hauptmann beim ßgt. de l'Hospital.
(I) v. Wobeser. 1700, 14. Novbr. get. des Hptm. v. W. Sohn
Carl Ludwig. Tfzgn. Gouverneur, Commandant, Obristwacht-
mstr. v. Eommel [Rummel], Frau Baronessin v. Knigge. —
1764. Johann Nicolaus v. W., Capitain beim Rgt. v. Putt-
kammer, heir. Frau Louisa Christiana geb. v. Schivelstein,
des Capitains bei genanntem Rgt. August Leberecht
v. Miltiz Wittwe. Copul. 5. Juli im Hause.
v. Wrancke. 1784, 14. Mai f Carl Otto Friedrich, Sohn des
früheren Lieut, jetzigen Licent-Controlleurs Otto Ludwig
v. W. und s. Gemahlin Sophia Dorothea geb. Poltzien,
1 XU J- alt. (Bekanntes westpreuß. Adelsgeschlecht.)
(I) Zedmer. 1749, 3. Octbr. starb Frau Juliane, geb. v. Bommel,
Wittwe des Hptm. Zedmer, im 69 Jahre; am 13. im Ge-
wölbe der Stadtkirche beerdigt.
v. Ziegler. Kriegsrath, 1760 (Nr. 153) Pathe bei Amtmann
Friedrich Arnold. Prk.
v. Zollen. 1617 Wilhelm von (van?) Zollen Taufzeuge am
22. Aug.; 1618, 12. März Wilhelm von Zollen jun. Tfzge.
Ob identisch mit Wilhelm v. Zellen, auf dessen Hochzeit
1619 ein Lied gedruckt ist? (cf. Altpr. Monatsschr. IV,
pg. 433, Anm.); oder ist dort „Zellen" ein Druckfehler für
„Zollen4'?
(I) v. Vogel. 1781 d. 20. Juli f Frau Juliana Friderica Carolina
de Vernon, geb. de Vogel, uxor des hies. Stadt-Inspectoris
Hrn. Peter de Vernon [Verf. e. französ. Grammatik], 44 J.
alt an der Schwindsucht und den 23. ejusd. in poln.
Crottingen begraben [also katholisch]. Hinterl. den Hrn.
Witwer, 1 Tochter u. 3 Söhne.
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Kants gesammelte Schriften.
Akademieausgabe.
Band II.
Von
Otto SchSadSrlTer.
Der zweite Band der Werke enthält die zweite Hälfte der
vorkriti8ehen Schriften aus den Jahren 1757 — 1777. Es sind
17 Abhandlungen, die von vier Herausgebern ediert sind, und
zwar: 1. Entwurf und Ankündigung eines Collegii der physischen
Geographie. 1757, herausgegeben von Paul Oedan. 2. Neuer
Lehrbegriff der Bewegung und Buhe. 1768. 3. Versuch einiger
Betrachtungen über den Optimismus. 1759, beides herausgegeben
von Eurd Lasswitz. 4. Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben
des Herrn Johann Friedrich von Funk. 1760, herausgegeben
von Paul Menzer. 5. Die falsche .Spitzfindigkeit der vier syllo-
gistisohen Figuren. 1762, herausgegeben von Eurd Lasswitz,
mit einer Einleitung von P. Menzer. 6* Der einzig mögliche
Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. 1763
von P. Menzer. 7. Versuch, den Begriff der negativen Größen in
die Weltweisheit einzuführen. 1763 von E. Lasswitz. 8. Beob-
achtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. 1764
von P. Menzer. 9. Versuoh über die Krankheiten des Kopfes.
1764 von Max Eöhler. 10. Untersuchung über die Deutlichkeit
der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. 1764,
herausgegeben von E. Lasswitz, mit einer Einleitung von
P. Menzer. 11. M. Immanuel Kants Nachricht von der Einrichtung
seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765 — 1766.
herausgegeben von K. Lasswitz 12. Träume eines Geistersehers,
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Von Otto Schöndörffer. 550
erläutert durch Träume der Metaphysik. 1766, herausgegeben
von P. Menzer. 13. Von dem ersten Grunde des Unterschiedes
der Gegenden im Baume. 1768, herausgegeben von E. Lasswitz.
14. De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis.
1770, herausgegeben von Erich Adickes, (das Lesartenverzeichnis
ist von Emil Thomas)* 15. Recension von Moscatis Schrift. 1771,
herausgegeben von K. Lasswitz. 16. Von den verschiedenen
Racen der Menschen. 1775, herausgegeben von M. Köhler und
endlich 17. Zwei Aufsätze, das Philanthropin betreffend. 1776
bis 1777, herausgegeben von P. Menzer.
Die erste Schrift, Entwurf und Ankündigung eines Collegii
der physischen Geographie etc., deren Datierung durch den von
E. Arnoldt (Kritische Exkurse im Gebiete der Kantforschung.
1894. S. 285) mitgeteilten Zensurvermerk vom 13. April 1757
sichergestellt ist, ist zum ersten Male nach einem Originaldruck,
aus dem Paulus-Museum in Worms, ediert. Dieser enthält auch
die Kolleganzeige, die in den früheren Ausgaben fehlte, und
durch diese wird das Verzeichnis der uns bisher bekannt ge-
wordenen Vorlesungen Kants vervollständigt.
Interessant ist die Brief stelle, die bei Gelegenheit der Ab-
handlung „Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus"
neu veröffentlicht wird. Sie ist einem Briefe Kants an
Lindner vom 28. Oktober 1759 entnommen, der der Redaktion
der Akademieausgabe erst jetzt zugegangen ist. Kant äußert
sich hier in äußerst charakteristischer Weise über den Herrn
Magister Weymann, den Verfasser der Dissertation „De mundo
non optimo". Die bekannte Parallelstelle dazu aus dem Briefe
Hamanns an Lindner vom 12. Oktober 1759 (vgl. Hamanns
Schriften und Briefe herausgegeben von M. Petri. 1872. Band I,
S. 257) hätte in der Einleitung wohl auch wenigstens zitiert werden
können.
Bei dem Trostsohreiben gelegentlich des frühzeitigen Ab-
lebens des Herrn J. P. v. Funk, von dem es noch in der Ein-
leitung in die Abteilung der Werke der Akademieausgabe,
Band I, S. 508, heißt, daß es die einzige Schrift Katiis sei, bei
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560 Kants gesammelte Schriften.
der man den Originaldruck nicht habe auffinden können, ist es
in letzter Stunde doch noch gelungen, einen solchen zu benutzen.
Er stammt aus dem Besitz des Kurländischen Provinzial-Museums
in Mitau und A. Warda hat den Herausgeber auf ihn hin-
gewiesen. — Zu dem in der Einleitung angegebenen Neudruck
hätte der in der Beilage zu Nr. 280 der Königsberger Zeitung
vom 28. November 1832 noch hinzugefügt werden können, der
allerdings nicht ganz vollständig ist.
Bei den folgenden sechs Schriften war es schwierig, eine
genaue Datierung zu geben. Ist doch ihre chronologische
Reihenfolge heftig umstritten worden. Sie scheint mir in der
vorliegenden Ausgabe ziemlich sioher klargelegt zu sein und
ist folgende:
1. Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren,
Beginn des Wintersemesters 1762/63.
2. „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration
des Daseins Gottes" erschien in der zweiten Hälfte des De-
zember 1762.
3. Versuch den Begriff der negativen Größen eto. Der
Zensurvermerk datiert vom 3. Juni 1763.
4. Betrachtungen über das Gefühl des Schönen und Er-
habenen. Zensurvermerk vom 8. Oktober 1763.
5. „Versuch über die Krankheiten des Kopfes" in den
Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen vom
13. — 27. Februar 1764 erschienen.
6. „Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grund-
sätze etc.u Als Preisschrift eingereicht am 31. Dezember 1762.
Am 2. Juni 1763 war die Preisverteilung, und erst am 16. Mai
1764 berichtete Hamann an Lindner: „Die akademischen Preis-
und Wettschriften .... sind angekommen. (Vgl. Hamanns
Schriften und Briefe. 1872. Band II, S. 309).
Die letztgenannte Schrift gehört also ihrer Fertigstellung
nach gleich hinter „Den einzig möglichen Beweisgrund etc."
Schade ist es, daß in die Ausgabe die von A. Warda, dem wir
schon so manche wertvolle Entdeckung auf diesem Gebiete ver-
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Von Otto Schöndörffer. 561
danken, erst vor kurzem gefundene Rezension Kants „von Silber-
schlags Erklärung der vor einigen Jahren erschienenen Sounen-
kugel" (vgl. Königsberger Hartungsche Zeitung 5. September
1905. Beilage zu Nr. 416 der Abendausgabe) nicht mehr auf-
genommen werden konnte. Sie erschien im 15. Stück der
„Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen44 am
23. März 1764, gehört also der Zeit nach hinter den „Versuch
über die Krankheiten des Kopfes.u
Von der Abhandlung „Versuch, den Begriff der negativen
Größen etc." lagen mir zufällig zwei Original drucke vor, beide
in Königsberg bei Johann Jacob Kanter 1763 erschienen. Bei
genauerer Vergleichung ergaben sie sich jedoch als verschieden.
Auch Titel- und Schlußvignette weichen von einander ab. Der
eine, nennen wir ihn A1, zeigt auf dem Titel in der Mitte der
Vignette ein Pack Bücher, vorn bezeichnet mit den Buchstaben:
J. J. K. und darunter Libri. Auf diesen Büchern liegt ein
Merkursstab und über ihnen schweben zwei Füllhörner, aus denen
Segen auf sie herabträufelt. Links davon befinden sich ein
Baum, ragendes Gemäuer und eine strahlende Sonne, rechts
mehrere Säulen usw. Die andere Ausgabe A2 dagegen hat auf
dem Titel in der Mitte einer blumenbewachsenen Flur einen
Baum, der von Bienen umschwirrt wird. Diesem Titelblatt ist
noch vorgeheftet ein Brustbild des großen Kurfürsten, das nach
der Umschrift von F. C. Krüger im Jahre 1795 (!) verfertigt
ist. Die Seitenzahlen beider Ausgaben stimmen überein; nur
ein paar Anmerkungen verteilen sich in den beiden Ausgaben
verschieden auf die einzelnen Seiten. Die mit A* bezeichnete
Ausgabe halte ich für die spätere. Das Bild des großen Kur-
fürsten aus dem Jahre 1795 läßt schon darauf schließen. Außerdem
fehlt auf S. 3 eine ganze Reibe, was den Sinn des betreffenden
Satzes natürlich erheblich stört. Auf eine weitere Vergleichung
lasse ich mich hier nicht ein. Merkwürdigerweise scheint nun
aber der Herausgeber dieser Schrift in der Akademieausgabe
noch eine dritte Ausgabe als Vorlage benutzt zu haben, denn
einige Fehler, die die mir vorliegenden Drucke gemeinsam haben,
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5f)2 Kants gesammelte Schriften.
werden in dem Lesarten Verzeichnis nicht vermerkt. Ich notiere
nur folgendes:
177,i5 haben A1 und A2: „im1* statt: „ihm".
183,3 - * * - „Beziehungsfehler" statt: „Begehungs-
fehler".
183,i2 * 5 * - „denjenigen" statt: „demjenigen".
So existieren also wohl von dieser Schrift drei verschiedene
Drucke, die alle dieselbe Jahreszahl tragen.
Kants Raisonnement über den sogenannten Ziegenpropheten
in die Anmerkungen zu verweisen, scheint mir nicht richtig.
Es bleibt doch immer, so kurz und unwesentlich es auch sein
mag, von Kant verfaßt. Mindestens aber hätte man es im
Inhaltsverzeichnis mitvermerken sollen. Ohne das kann jemand,
der die Ausgabe nicht genau kennt, lange danaoh suchen.
Daß der dritte der das Philanthropin betreffenden Aufsätze,
den R. Reicke in seinen Kantiana (Königsberg 1860) S. 76 — 81
als von Kant herrührend hat abdrucken lassen, nicht von Kant
verfaßt ist, habe ich schon in meinem Referat über den ersten
Band von Kants Briefwechsel (Altpr. Monatsschr. Bd. 37. S. 461 f.)
wahrscheinlich gemacht. Inbetreff des zweiten hat auch mich
der Augenschein — Herr Prof. R. Reioke war so freundlich, mir
das Manuskript zu zeigen — an Kants Autorschaft nicht länger
zweifeln lassen.
Was endlich die Druckfehler und Textveränderungen in
dem vorliegenden zweiten Bande der Akademieausgabe betrifft,
so habe ich verhältnismäßig außerordentlich wenig zu bemerken.
Der Band ist mit ganz besonderer, höchst anzuerkennender
Sorgfalt gedruckt, wie denn überhaupt alles in ihm mit pein-
licher Akribie durchgearbeitet ist.
Von Druckfehlern sind mir nur die folgenden, ganz un-
wesentlichen aufgefallen:
101,22.' Übereinstimmung statt: Übereinstimmung.
103,i6: bewundere würdig * bewundernswürdig.
140,n : dageegn * dagegen.
382,24: Anwendung - Anwendung.
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Von Otto Schöndörffer. 563
395,9 : autor statt: autem.
484: 249,i2 Vorzügen * Vorzügen.
493: out balance - ont balancä.
In bezog auf den Text mache ich folgende Notizen:
59,2i f. Ist die Lesart: „Die Verabsäumung solcher Be-
trachtungen hat einen berühmten Gelehrten veranlaßt, den
Thieren deutliche Begriffe zuzustehn" haltbar?
173,2 ff. „Ein Schiff reise von Portugal aus nach Brasilien.
Man bezeichne alle die Strecken, die es mit dem Morgenwinde
thnt, mit + un(i die, so es durch den Abendwind zurücklegt,
mit — . Die Zahlen selbst sollen Meilen bedeuten. So ist die
Fahrt in sieben Tagen + 12 + 7— 3 — 5 + 8= 19 Meilen,
die es nach Westen gekommen ist." Hier scheint mir mit
Rücksicht auf die 5 Zahlenangaben nicht in 7 Tagen, sondern
in 5 Tagen gelesen werden zu müssen.
177.30. ,,Man könnte hier auf die Gedanken kommen, daß
o — A noch ein Fall sei, der hier ausgelassen worden.*4 Ich würde
verändern: auf den Gedanken.
235,i ff. „Die edle Eigenschaften dieses Geschlechts . . . .
kündigen sich durch nichts deutlicher und sicherer an als durch
die Bescheidenheit einer Art von edler Einfalt und Naivetät
bei großen Vorzügen." Ich verbessere: Bescheidenheit, eine
Art etc.
313,i8. „Zum wenigsten kann es einem Gelehrten nicht
angenehm sein, sich öfters in der Verlegenheit zu sehen, worin
sich der Redner Isokrates befand, welcher, als man ihn in einer
Gesellschaft aufmunterte, doch auch etwas zu sprechen, sagen
mußte: Was ich weiß, schickt sich nicht, und was sich schickt,
weiß ich nicht." Da in diesem Bande, im Gegensatz zu den
früheren, dankenswerter Weise die Herkunft der Zitate aus den
alten Klassikern angegeben ist, so hätte man das auch hier
tun können, zumal E. Arnoldt in den Kritischen Exkursen
(1894) S. 326 die Quelle zitiert hat: Plutarch (Stereot. Ausg.
Leipz. Tauchnitz 1829. Tom. V. Moralia. p. 144. Orator. Vit.):
eotiüifitevog de novs rtagä Nrx,o%Qiovri, nfi Kvtvqov zvqcxvpiij, tzqovqb-
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564 Kante gesammelte Schriften.
7tO(xiviov avzov nov naQOVTeov dia%ex$f[V(xiy l'qpij' Ötg ntv iytu deivog,
ovx o vvv xaiQog, olg d? b vvv xcugog, ovx eyto öeivog.
337,io ff. ,» • • • Da des Menschen Obliegenheit nur ist,
von dem göttlichen Willen zu urtheilen aus der Wohlgereimtheit,
die er wirklich in der Welt wahrnimmt, oder welche er nach
der Regel der Analogie gemäß der Naturordnung darin vermuthen
kann, nicht aber nach dem Entwürfe seiner eigenen Weisheit
befugt ist, neue und willkürliche Anordnungen ... zu ersinnen."
Nach der Konstruktion des Satzes muß hier hinter „vermuthen
kann", ein „er" eingeschoben werden. Freilich wird Kant das
wohl selbst ausgelassen haben.
344, ig ft „Hierbei wird es sehr wahrscheinlich, daß unsere
Seele das empfundene Objekt dahin in ihrer Vorstellung ver-
setze, wo die verschiedene .Richtungslinien des Eindrucks, die
dasselbe gemacht hat, wenn sie fortgezogen werden, zusammen-
stoßen." Besser ist: des Eindrucks, den dasselbe gemacht hat.
Die Trennung der Präposition gegenüber in ihre beiden
Bestandteile ist uns aus Goethe geläufig (z. B. Ital. Reise S. 118
„Gegen uns über im Palast Rondanini steht eine Medusenmaske";
oder W. u. D. S. 154. „Der jüngere Vetter, gegen uns über am
Schiefertische sitzend." Stuttg. Cotta 1876.), daher hätte 382,7
der überlieferte Text „auf eine gegen ihr übergestellte Tafel"
nicht verändert werden sollen.
Das ist alles, was ich zu notieren habe. Man sieht, es ist
wenig und unbedeutend genug. Die Herausgeber haben alle,
was durchaus anzuerkennen ist, den überlieferten Text möglichst
wenig geändert und sind in vielen Fällen der bewährten philo-
logischen Regel: von zwei verschiedenen Lesarten pflegt die
ungewöhnlichere die richtige zu sein, gefolgt. Ob das freilich
auch in dem Satze: 242,i2 „Was man aber wider den Dank der
Natur macht, das macht man jederzeit schlecht", wo die zweite
Lesart „Gang" statt „Dank" ist, angänglich war, ist mir doch
zweifelhaft.
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Mitteilungen und Anhang.
Universitäts-Chronik 1905.
20. Mai. Med. I.-D. von Hugo Zade (aus Berlin): Aus d. Kgl. Chirurg.
Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. Ueber postoperativen Arterio-
Mesenterialen Darraverschluß an der Duodeno-Jejunalgrenze und seinen
Zusammenhang mit akuter Magendilatation. Tübingen, Laupp jr. [S.-AMr.
aus Beitr. zur klinisch. Chirurgie. XLVI. Bd. 2. Hft.] (2 Bl. 19 8. 8°.)
2f>. Juli. Phil. I.-D. von Eva Johnston, Americana: De »Sermone Terentiano
quaeetiones duae. Regimonti. Hartnng. (1 Bl. 74 S. 8°.)
27. Juli. Jur. I.-D. vou Siegfried von der Trenck, Referendar a. Kgl. Land-
gericht zu Insterburg (aus Königsberg): Die naturalis obligatio im B. G.
ß. Kgsbg. Herrmann. (112 S. 8°.)"
2(J. Juli. Mit Genehmig, der med. Fak. . . . wird ... Dr. med. Otto Voss,
Stabsarzt . . . seine öffentl. Antrittsvorlesung üb. ,,Dic functionelle
Prüfung des Gehörorgans" halten . . . Kgsbg. Kümmel. (2 Bl. 4°.)
31. Juli. Med. I.-D. von Arthur Titius, Anstaltsarzt a. d. Provinz-Irren-, Heil-
u. Pflegeanstalt Alienberg (aus Neumark i. Westpr.): Aus d. Kgl. Univ.
Inenklinik u. d. Prov.-Irreu-Heil- u. Pflegeanst. Alienberg. Ueoer eine
eigenartige Form der jugendlichen Paralyse. Kgsbg. Kümmel (27 S. 8°.)
2. Aug. Phil. I.-D. von Uri Urinsohn aus Dubrowno (Rußland): Ueber die
Einwirkung von Brom auf Paraoxvbenzoesäure. Kgsbg. Leupold. (2 Bl.
40 S. 8<>.)
3. Aug. Phil. I.-D. von Franz Schwarz aus Schlawe i. Pomm. : Cyncwulfs
Anteil am Christ. Eine metrische Untersuchung. Kgsbg. Härtung. (2 Bl.
107 8. 8°.)
— — Med. I.-D. von Hubert Schleslger, prakt. Arzt in Mehlsack (aus Herms-
dorf, Kr. Alienstein.): Aus d. Kgl. Univ.-Frauenklinik in Königsberg i. Pr.
Zur Statistik der Eklampsie. Kgsbg. Kümmel. (59 S. 8°.)
4. Aug. Phil. I.-D. von Jozef Edmund von Wolosewicz (aus Radziwilow,
Rußl.): Die quantitative Bestimmung des Stickstoffe der Eiweißstoffe und
deren Trennung von anderen stickstoffhaltigen Verbindungen der Nahrungs-
und Futtermittel. Kgsbg. Jaeger. (57 S. 8°.)
7. Aug. Med. I.-D. von Max Meyer Karlin aus Dwinsk (Dünaburg i. Rußl.):
Aus d. Kgl. anatom. Institut zu Königsberg i. Pr. Die geschichtliche
Entwicklung unserer Kenntnisse vom Baue des Gehörorganes. Kgsbg.
L. Beeiwald. (75 8. 8°.)
— — Med. I.-D. von E. Lack, Assistenzarzt d. Kgl. Poliklinik f. Haut-
krankheiten (aus Sdorren, Ostpr.): Aus d. Kgl. Poliklinik f. Hautkrankheiten
in Königsberg i. Pr. Beitrag zur Lehre von der Hautdiphtherie. Kgsbg.
(47 S. 80.)
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56(5 Mitteilungen und Anhang.
7. Aug. Med. I.-D. von Wilhelm Klein, Arzt (aus Zempelburg, Westpr.): Ans
"d. Klinik u. Poliklinik für Hals-, Nasen- u. Ohrenkranke d. Hrn. Prof.
Gerber-Königsberg i. Pr. Die Operationsmethoden der Stirnhöhlen-
entzündungen nebst Mitteilung von 13 nach Killian operierten Füllen.
Kgsbg. Karg & Manneck. (67 S. 8°.)
8. Aug. Phil. I.-D. von Willy Kaminski ^aus Waltersdorf, Kr. Heiligcnbeilj:
Ueber Immanuel Kants Schriften zur physischen Geographie. Ein Beitrag
zur Methodik der Erdkunde. Kgsbg. Jaeger. (79 S. 8°.)
14. Aug. Med. I.-D. von Gerhart Tiesler, Assistenzarzt der äußeren Abteilung
d. städt. Krankenanstalt zu Kgsbg. i. Pr. (aus Nikolaiken, Kr. Sensburg):
Tuberkulose und Schwangerschaft. Kgsbg. Kümmel. (80 S. 80.)
ir>. Aug. Phil. I.-D. von Walter Bergan, Hilfsassistenten am ehem. Laborat
d. Kgl. Albert.-Univ. (ausElbing): Ueber Acetylendicarbonsaure u. Tribrom-
bernsteingäure. Kgsbg. Leupol d. (1 Bl. 49 S. 8°.)
— — Phil. I.-D. von Fritz Schnitze, Oberleut. a. D. aus Berlin. Ueber die
Einwirkung von Halogenen auf Salicylsäure in alkalischer Losung.
Kgsbg. ebd. (2 Bl. 59 S. 8».)
— — Phil. I.-D. von Paul Ulrich, Assistent am landwirtschaftlichen
Institut d. Universität (aus Gallehnen, Kr. Pr. Eylau): Ueber die Durch-
führung und den Wert der agronomischen Bodenuntersucbung und
-Kartierung. Kgsbg. ebd. (2 Bl. 31 S. ra. 3 Bodenkarten. 8°.)
4. Sept. Med. I.-D. von Paul Kahl weiss, prakt. Arzt aus Braunsberg Ostpr.:
Zur Casuistik der Bindehautverwertung. Kgsbg. Kümmel. (73 S. 8°.i
21. Sept. Q. D. O. M. F. F. E. J. . . . viro doctissimo et clarissimo Em est«
Neumann Regim. Honoris Causa Doctori seien tiae naturalis anatoraiae
pathologicae in Acad. Albert. Prof. P. O. nunc a legendi officio liberato
summorum ordinum complurium equiti qui in Acad. Albert per multa
lustra egregia diseipulorum instruetione theoretica et practica eorum
gratiam amoremque collegarum reverentiam et admirationem nactus et
vitam normalem aegrotamque assidue investigans eximiis inventionibus de
seien tia medica optime meritus est summos in medicina chirurgia et arte
obstetricia honores ante hos quinquaginta annos die XXIV. Mensis
Septem bris in eum collatos gratulabundus renovavit Herrn. Kuhnt Med.
Dr. Prof. P. O. ord. med. h. t. Decanus. Reg. Pruss. ibid. (Diplom.)
21. Okt. Med. I.-D. von Kurt Pietsch, Oberarzt (aus Groß-Hartmannsdorf.
Kr. Bunzlau): Die moderne Narkose. Kgsbg. ebd. (87 S. 8°.)
25. Okt. Q. D. 0. M. F. F. E. J. . . . ordo inedic. viro illustrissimo Carolo
Menzel Silesio a consiliis medicis qui per decem lustra artis medicae
decus fuit summos in medicina chirurgia et arte obstetricia honores cum
iuribus et privilegiis Doctorum medicinae et chirurgiae ante hos quinqua-
ginta annos d. XIII. M. Martii a MDCCCLV instaurat atque confirmat
in cuius rei fidem solerane hoc Diploma ei datum et sigillo ordinis med.
maior inunitum est a Hermanno Kuhnt med. Dr. Prof. P. Ord. med.
h. t. Decanus. Regim. Pruss. ibid. (Diplom.)
27. Okt. Phil. I.-D. von Max Dannenberg aus Ludwigswalde: Die Ver-
wendung des biblischen Stoffes von David und Bathseba im englischen
Drama. (G. Peele: David and Bethsabe; Ch. W. Wynne: David and
Bathshua; St. Phillips: The nin of David.) Kgsbg. Härtung. (2 BL
71 S. 8°.)
16. Nov. Med. I.-D. von Georg Schiomann Arzt (aus Schirwindt, Ostpr.):
Ueber paraureteraleLymphevftten. Mit einer Tafel. Kgsbg. Karg <fc Man neck.
(31 S. 8°.)
2f>. Nov. Med. I.-D. von Willibald Lösener, Oberstabsarzt u. Regimentsarzt
(aus Potsdam) : Ueber Trinkwasser und Wasserversorgungsanlagen. Kgsbg.
Kümmel. (63 S. 8°.)
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Universität -Chronik 1905. 567
6. Dez. Med. I.-D. von Paul Mulzer (aus Ludwigstadt in Öberf ranken) : Aus
d. Laborat. d. Kgl. Universitätsklinik f. Haut- u. Geschlechtskrankheiten
zu Berlin (Prof. Dr. E. Lesser). Ueber das Vorkommen von Spirocbacten
bei svphili tischen u. anderen Krankheitsprodukten. Kgsbg. ebd. (27 S. 8°.)
21. Dez. Mit Genehmig, d. philos. Fak wird ... Dr. phil. Wilh. Stolze . . .
seine öffentl. Antrittsvorl. üb. „Die Entstehung aes deutschen Bauern-
krieges4' halten. Kgsbg. Härtung. $ Bl. 4°.)
Phil. I.-D. von Georg Siebert aus Coepenik (Kr. Teltow): Unter-
suchungen über An Apology for Lollard Doctrines, einen Wycliffc zu-
geschriebenen Traktat. Charlottenburg, Broditz. (2 Bl. 51 S. 8°.)
s)h. 153. 9lmtttrfje$ 5Ser^cidmiö bes $crjonald unb bcr 3tubiereuben b. ftgl. s}llberht£--
Unto. ... für b. hinter 3emefter 1905/6. tfönifläberfl. Wartung. (50 8. 8°).
14b' (13 tfjeol., 11 jur, 51 meb., 71 \){\\[.) Renten, 6 fonfr. afab. fieftver;
1004 (02 tfjeol., 365 |itt\, 167 meb., 410 p()il.) Stubiereube unb 85 nid)t
immatrifufationajätjiqe $um $>tfren berechtigte <ßerf. cmfdjl. 101 Hörerinnen, $uj.
18(> ^Bcrecf)ti^tc.
Chronik der Königl. Albertus- Univ. . . . f. d. Studienjahr 1904/05. Kgsbg.
ebd. (64 S. 8°.)
Lyceum Hosianum in Braunsberg 1905 und 1906.
Verzeichnis der Vorlesungen am Königl. Lyceum Hosianum zu Braunsberg im
Winter-Hemester 1905/6. [Rektor vom 15. X. 1905 bis 15. X. 1908:
Dr. Anton Kranich o. ö. Prof.]. Inhalt: Ein aegyptischcr christlicher
Grabstein mit Inschrift aus der griechischen' Liturgie im Königl. Lyceum
Hosianum zu Braunsberg u. ähnliche Denkmäler in auswärtigen Museen.
I. Teil. Von Prof. Dr. AV. AVeissbrodt. (S. 3—26 m. Lichtdruck).
II. Verzeich, d. Vorles. (S. 27—28). III. Institute. (S. 28). Braunsberg.
Heyne's Bchdr. (G. Riebensahm). (28 S. 1°.)
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Autoren-Register.
Book, Dr. Hugo, Gymnasial-Oberlehrer in Osterode, Ostpr. Das Loehstädter
Tief in historischer Zeit. Von Oberlehrer Dr. Eduard Loch. 82 — 96.
Brukns, Max, Branddirektor in Königsbeig i. Pr. Insula inferior. Mit einer
Karte. 97-107.
Conrad, Georg, A integer ich tsrat in Mühlhausen (Kr. Pr. Holland). Carl Ludwig
Bernhard Gottiieb v. Plehwe. Zu seinem Dienstjubiläuni am 13. Oktober
1905. 397-402.
Döhring, Dr. Alfred, Gymnasialprofessor in Königsberg. Rückblick auf die
ersten hundert Jahre der Gesellschaft der Freunde Kants. Rede zum
Geburtstage Kants gehalten bei dem Bohnenmahle des Jahres 1905.
403-432.
Feydt, Dr. Wilhelm, in Königsberg. Der Einfluß der ostpreußischen Eisen-
bahnen auf die städtischen und einige andere Siegelungen. 1—81.
455-520.
Joachim, Geh. Archivrat, Dr. E., Archivdirektor zu Königsberg i. Pr. Rezension.
145-140.
Krause, Dr. Gottlieb, Gymnasialprofessor in Königsberg i. Pr. Rudolf Reicke,
ein Bild seines Lebens und Schaffens. Heft 7 u. 8 I— XXVIII. Rezension.
311-313.
Knjot, St., Pfarrer in Griebenau p. Unislaw, Posen. Hat Bütow ursprünglich
zur Diözese Kammin gehört? 147—148. Rezension. 438—450. 450-452.
452.
Mackholz, Ernst, aus Königsberg. Die Geschichte der reformierten Kirchen-
gemeinde Pr. Holland und ihrer Schule. Ein Beitrag zur Geschichte der
Reformierten in Altpreußen. 317—382.
Mendthal, Siegfried, weil. Amtsgerichtsrat a. D. in Memel. Ueber die religiöse
Frage. 314-315.
Perlbach, Prof. Dr. Max, Abteilungs-Direktor der Kgl. Bibliothek in Berlin.
Nachträge und Berichtigungen. 316.
Schön dörffer, Dr. Otto, Gymnasial-Oberlehrer in Königsberg i. Pr. Kante ge-
sammelte Schriften. Akademieausgabe. Bd. III, Kritik der reinen Ver-
nunft (1787) Bd. II. 108-144. 558—564.
Sembritzki, Johannes, Apotheker in Memel. Die Memeler Edelschmiedekunst
und ihre Vertreter. Ergänzungen. 148—150. Trescho als „Deutscher
Yorik". 433—436. Adel und Bürgerstand in und um Memel IL Genea-
logische Nachrichten auf Grund der Kirchenbücher-Forschung. 538—557.
Rezension. 437.
Sommerfeldt, Dr. Gustav. Gymnasiallehrer in Königsberg. Verhandlungen
Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm im Dezember 1627. 383—390.
Warda, Arthur, Amtsrichter in Schippenbeil. Aus dem Leben des Pfarrers
Christian Friedrich Puttlich. 253—304. Das Kant-Bildnis Elisabeths
von Stägemann. 305—310.
Wotschke, Liz. Dr., Pfarrer in Santomischel, Prov. Posen. Abraham Culvensis.
Urkunden zur Reformationsgeschichte Lithauens. 152—252.
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Sach-Register.
Adel und Bürgerstand in und um Memel. II. 538—557.
Akademieausgabe — Kants gesammelte Schriften. Bd. III. II. 108—144.
558—564.
Arnoldt, Emil. 521—537.
Berichtigung — Nachträge und B— en. 316.
Braunsberg — Lyceum Hosianum in B. 1905. 152. 567.
Bürgerstand — Adel und B. in und um Memel. II. 538—557.
Bütow — Hat B. ursprünglich zur Diözese Kammin gehört. 147 — 148.
Culvensis — Abraham 0. Urkunden zur Reformationsgeschichte Lithauens.
153-252.
Edelschmiedekunst — Die Memeler E. und ihre Vertreter. Ergänzungen.
148-150.
Eisenbahnen — Der Einfluß der ostpreußischen E. auf die städtischen und
einige andere Siedelungen. 1—81. 455—520.
Frage — Ueber die religiöse F. 314—315.
Georg Wilhelm — Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten G. W. im
Dezember 1627. 383-396.
Geschichte — Die G. der reformierten Kircheugemeinde Pr. Holland und ihrer
Schule. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformierten in Altpreußen.
317-382.
Insnla inferior. 97—107.
Kammin — Hat Bütow ursprünglich zur Diözese K. gehört. 147—148.
Kant — Das K.-Bildnis Elisabeths von Stägemann. 305—310. Rückblick auf
die ersten hundert Jahre der Gesellschaft der Freunde K— s. Rede zum
Geburtstage K— s gehalten bei dem Bohnen mahle des Jahres 1905 von
Prof. Alfred Döhring. 403—432. K— s gesammelte Schriften. Akademie-
ausg. Bd. III. Bd. II. 108-144. 558-564.
Leben — Aus dem L. des Pfarrers Christian Friedrich Puttlich. 253—304.
Lithanen — Abraham Culvensis. Urkunden zur Reformationsgeschichte L— s.
153-252.
Lochstädter — Das L. Tief in historischer Zeit. Von Dr. Ed. Ixxih. Beil. z.
Progr. des Altstadt. Gymnasiums. 82—96.
Lyceum — Hosianum in Braunsberg 1905. 152. 567.
Memel — Adel und Bürgerstand in und um M. II. 538—557. Die M— er
Edelschmiedekunst und ihre Vertreter. Ergänzungen. 148—150.
Nachträge und Berichtigungen. 316.
Ostpreussisch — Der Einfluß der o— en Eisenbahnen auf die städtischen und
einige andere Siedelungen. 1—81. 455 — 520.
Plehwe — Carl Ludwig Bernhard Gottlieb v. P. Zu seinem Dienstjubiläum
am 13. Oktober 1905. 397—402.
Polen — Verhandlungen P— s mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm im De-
zember 1627. 383—396.
Pr, Holland — Die Geschichte der reformierten Kirchengemeinde P— und ihrer
Schule. 317—382.
Puttlich — Aus dem Leben des Pfarrers Christian Friedrich P. 253—304.
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570 Mitteilungen und Anhang.
Reformation — Abraham Culvenais. Urkunden zur R— geschiente Lithauen*.
153—252.
Reformiert — Die Geschichte der r— en Kirchengemeinde Pr. Holland und
ihrer Schule. Ein Beitrag zur Geschichte der R— en in Altpreußen.
317-382.
Reicke — Rudolf, ein Bild seines Iy>ben8 und Schaffens. Heft 7 u. 8 I— XxVlll.
Rückblick auf die ersten hundert Jahre der Gesellschaft der Freunde Kants.
Rede zum Geburtstage Kants gehalten bei dem Bohnenmahle des Jahres
1905 von Prof. Alfred Döhring. 403—432.
Rezensionen — Bouk, Hugo, Dr., Geschichte der Stadt Drengfurt. Zur
Feier des 500jährigen Stadt- Jubiläums am 4. Juli 1905 im Auftrage der
Stadt geschrieben. Rastenburg, Eduard Ahl, G. m. b. H., 1905 (l BL
100 pg.) 8°. Mit 4 Abbildungen. 437—438. Dr. Romuald Frydry-
chowiez. Die Culmer Weihbischöfe. Ein Beitrag zur Diözesangeschichte.
Danzig 1905. (51 S.) 452. Josef Kolberg, Ermland im Kriege des
Jahres 1520. Braunsberg 1905. 145—146. Generalvikar, Domkapitular.
Dr. Lüdtke. Schematismus des Bistums Culm mit dem Bischofssitz in
Pelplin. 1904. Amtliche Ausgabe. Dritte Folge. Im Selbstverlage des
Bischöflichen General -Vikariat- Amts von Culm. 1904. (Fortgesetzt bis
zum 21. Mai 1905.) XXVIII. und 728 S. 450-452. Sebastian Friedrich
Trescho, Diakonus zu Mohrungen in Preußen. Sein Leben und seine
Schriften, dargestellt von Johannes Sembritzky-Memel. Sonderdruck aus
den Oberländischen Geschichteblättern. Heft VII. 176 S. in 8°. 311—313.
Dr. phii. P. Westphal. Ein ehemaliges Klosterterritorium in Pomme-
rellen. Mit zwei Karten und einem Plan. (Oktav, S. 7 — 138.) Danzig
1905. Daraus besonders die Kapitel 1—9 (S. 7—55) als Breslauer
Inaugural- Dissertation unter dem Titel: „Die Frühzeit des Kloster-
territoriums in Pelplin". 438—450.
Stägemaun — Das Kant-Bildnis Elisabeths von St. 305—310.
Tief — Das Lochstädter T. 82—96.
Trescho als „Deutscher Yorick". 433—436.
Universitäts-Chronik 1505. 150-152. 453—451. 565—567.
Verhandlungen Polens mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm im Dezember 1627.
383-396.
Yorick — Trescho als „Deutscher Y.". 433—436.
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Buchdruckern l\. LtMipold, KtfnißsberR i. Pr-
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Verlag von Georg Eichler, Berlin.
Heimatliche Kunst aber mit sozialkritischem Weitblick.
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J* und zugleich ein Gedenkblatt zur 200. Wiederkehr des Stift i
U der Gemeinde (14. XI. 1905). (Aus: Mitteilungen der lit<
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